Die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB und ihre verfassungsrechtlichen Bezüge zur Kunst- und Glaubensfreiheit: Mit einem Exkurs zur Bedeutung der Glaubensfreiheit im öffentlichen Baurecht [1 ed.] 9783428583638, 9783428183630

Das Handbuch zu § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB und damit zum Verunstaltungsverbot im Außenbereich behandelt umfassend sämt

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Die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB und ihre verfassungsrechtlichen Bezüge zur Kunst- und Glaubensfreiheit: Mit einem Exkurs zur Bedeutung der Glaubensfreiheit im öffentlichen Baurecht [1 ed.]
 9783428583638, 9783428183630

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1458

Die Verunstaltung des Ortsund Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB und ihre verfassungsrechtlichen Bezüge zur Kunst- und Glaubensfreiheit Von

Marcel Hirschelmann

Duncker & Humblot · Berlin

MARCEL HIRSCHELMANN

Die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB und ihre verfassungsrechtlichen Bezüge zur Kunst- und Glaubensfreiheit

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1458

Die Verunstaltung des Ortsund Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB und ihre verfassungsrechtlichen Bezüge zur Kunst- und Glaubensfreiheit Mit einem Exkurs zur Bedeutung der Glaubensfreiheit im öffentlichen Baurecht

Von

Marcel Hirschelmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat diese Arbeit im Jahr 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18363-0 (Print) ISBN 978-3-428-58363-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Marina

Vorwort Seitdem im Jahr 1976 das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot in das BauGB aufgenommen wurde, hat es eine Vielzahl von Interpretationsversuchen und Gerichtsurteilen gegeben, die von dem Anliegen getragen waren, dem Verunstaltungsverbot Konturen zu verleihen und es für die Baupraxis handhabbar zu machen. Die Verhinderung einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Außenbereich ist ein zentrales und überaus aktuelles Thema im Bauplanungsrecht, das durch die Berufung auf die Kunst- und Glaubensfreiheit grundrechtlich aufgeladen wird, wodurch sich spannende Auslegungs- und Abwägungskonstellationen ergeben. Die Vorgabe der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass die Verunstaltung einen „besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild“ darstellen muss oder es sich um den Schutz eines „in seiner Schönheit oder Funktion besonders schützenswerten Landschaftsbildes“ handeln muss, macht zugleich deutlich, dass das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot letztlich nur mit Hilfe der Bildung von Fallgruppen näher präzisiert werden kann. Besondere Berücksichtigung verdient dabei auch die gesonderte Betrachtung von Windenergieanlagen, die den überwiegenden Anteil der zum bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot ergangenen Judikatur ausmachen. Mit Blick auf diesen Befund werden sämtliche Facetten der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes umfassend anhand einer kommentarartigen Auswertung der Rechtsprechung und mithilfe der Bildung von Fallgruppen beleuchtet, auch und gerade unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben. Das Verunstaltungsverbot wird in den Kontext der Kunst-, Eigentums- und Glaubensfreiheit eingebettet, bevor die Glaubensausübungsfreiheit im Zusammenhang mit der Errichtung von Kultusstätten im öffentlichen Baurecht erörtert wird. Gerade die Überlegungen zur sakralen Baukunst sollen einen Beitrag dazu leisten, die verfassungsrechtliche Dogmatik des öffentlichen Baurechts zu fördern. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/21 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Dissertation angenommen, für die Drucklegung geringfügig überarbeitet und um aktuelle Gerichtsentscheidungen ergänzt. Die Rechtsprechung konnte bezogen auf die kommentarartige Auswertung der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes bis Dezember 2020 berücksichtigt werden. Der Tag der mündlichen Prüfung war der 18. Dezember 2020. Für die Betreuung und abschließende Begutachtung meines Dissertationsvorhabens danke ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Michael Brenner, sowie Frau Professor Anna Leisner-Egensperger für die Erstattung des Zweitgutachtens.

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Vorwort

Ein recht herzlicher Dank gilt der gesamten Promotionskommission, die mir trotz der anhaltenden Corona-Pandemie schnell und unkompliziert die Durchführung der mündlichen Prüfung ermöglichte. Landeshauptstadt Schwerin, im Juni 2021 

Marcel Hirschelmann

Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB als bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I.

Das Landschaftsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

II.

Das Ortsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

III. Der Begriff der Verunstaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB 111 V.

Verunstaltung des Ortsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB . . . 151

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 VII. Zusammenfassung über den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . 208 C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und die Grundrechte der Kunst-, Eigentums- und der Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 I.

Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

II.

Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

III. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und das Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 IV. Resümee über das Verhältnis zwischen den Grundrechten der Kunst- und Glaubensfreiheit und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot . . . . . . . . 399 D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) für die Errichtung von Kultusstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 I.

Die Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) für die Errichtung von Kultusstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

II.

Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit in der Bauleitplanung . . . . . . . 408

III. Kultusstätten und die Baugebietstypen der BauNVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 IV. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gem. § 31 BauGB 414

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Inhaltsübersicht V.

Nachbarschutz und Schutz der Gemeinden gegen die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Sakralbaus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424

VI. Sakrale Bauten und das Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB . . . . . 429 VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 VIII. Resümee über die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) für die Errichtung von Kultusstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 E. Zusammenfassende Darstellung über das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot, das verfassungsrechtliche Spannungsverhältnis zwischen diesem und den Grundrechten der Kunst- und der Glaubensfreiheit sowie die Besonderheiten der Errichtung von sakralen Vorhaben im Außenbereich . . . . . . . . . . . . . . . 469 I.

Zusammenfassende Aussagen über das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469

II.

Das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht als Abwehrrecht der Gemeinde  . . . . 472

III. Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot als gestalterische Bindung baukünstlerischer und sakraler Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 IV. Bauen im Außenbereich und die Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 F. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 G. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498

Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB als bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I.

Das Landschaftsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

II.

Das Ortsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

III. Der Begriff der Verunstaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Definitionsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Maßgeblichkeit des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsbegriffs . . . 38 b) Mindestmaß an bauästhetischem Ortsbild- und Landschaftsschutz . . . . 40 c) Gerichtliche Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 d) Das BVerwG, die Baugestaltungsverordnung von 1936 und die Begrenzung auf die „negative“ Verunstaltungsabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 e) Die abweichende Gestaltung eines Vorhabens in landschaftsüblicher und funktionsgerechter Bauweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 f) Unbeachtliche Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Der „gebildete Durchschnittsbetrachter“ als ästhetischer Beurteilungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4. Abgrenzung des Belangs „der natürlichen Eigenart der Landschaft“ von dem Belang der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 5. Abgrenzung des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots von den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten der Länder . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Das Rechtsgutachten des BVerfG von 1954 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Die grundlegende Abgrenzung des BVerwG zwischen der Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB und den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 c) Die Übertragung der Entscheidung des BVerwG auf die Abgrenzung zwischen den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 d) Planerisch auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB festsetzungsfähige Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

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Inhaltsverzeichnis 6. Beurteilungskriterien für das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB . . . . . . . . . 69 a) Fehlende Harmonie in der Orts- oder Landschaftsgestaltung und Anpflanzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Beeinträchtigung von Blickachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 c) Kriterien für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes, Bestandsschutz und Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 d) Die technische Neuartigkeit eines Vorhabens und seine dadurch bedingte optische Gewöhnungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 e) Besondere Gesichtspunkte bei Windkraftanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 7. Besonderheiten zwischen privilegierten (§ 35 Abs. 1 BauGB) und sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) in Hinblick auf den Verunstaltungsbegriff . 82 a) Das stärkere Durchsetzungsvermögen privilegierter Vorhaben . . . . . . . . 83 b) Einschränkende Auslegung des Verunstaltungsbegriffs bei privilegierten Vorhaben durch die obergerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Gleiche Interpretation des Verunstaltungsbegriffs bei privilegierten und sonstigen Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 d) Unterschiede im Abwägungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 e) Zeitlich nur vorübergehende Belastungen des Landschaftsbildes . . . . . . 92 f) Allgemeine Besonderheiten privilegierter Vorhaben in Bezug auf den Verunstaltungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 8. Naturschutzrechtliche Herangehensweise an den Begriff der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB . 95 a) Natur- und landschaftsschutzfachlich besonders schützenswerte Gebiete 96 aa) Bauplanungs- und naturschutzrechtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen 97 bb) Beeinträchtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege . . . 98 cc) Ausnahmegenehmigungen oder Befreiungen hinsichtlich der Vorgaben einer Landschaftsschutzgebietsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 99 dd) Maßgeblichkeit der Vorgaben der Landschaftsschutzgebietsverordnung 100 b) Nicht förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellte Landschaftsteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Bloße Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Interesse an der Erhaltung eines bestehenden Landschafts- oder Ortsbildes als ungeschriebener öffentlicher Belang? . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 9. Zusammenfassung über den bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsbegriff . 107 IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB 111 1. Wegen ihrer Schönheit oder Funktion besonders schützenswerte Landschaft 113 a) Schönheit der Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Inhaltsverzeichnis

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b) Abstellen auf die rein tatsächliche Schönheit des Orts- oder Landschaftsbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Einzelfälle besonders schützenswerter Landschaftsbilder . . . . . . . . . . . . 118 d) Exponierte Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 e) Frage nach dem maßstabsbildenden Bereich, der das schützenswerte Landschaftsbild ausmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 f) Standortalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 g) Verunstaltung aus bestimmten Blickwinkeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 h) Menschliche Siedlungstätigkeit und das Landschaftsbild . . . . . . . . . . . . 133 i) Verlust der Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes aufgrund von baulicher Vorbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Bedeutung einer baulichen Vorbelastung für die Schutzwürdigkeit ­eines Landschaftsbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Beispiele baulicher Vorbelastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 j) Bedeutung der landschaftsgebundenen Erholung für eine bestimmte Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 V.

Verunstaltung des Ortsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB . . . 151 1. Einfügungsgebot (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB), Beeinträchtigung des Ortsbildes (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB), Verunstaltung des Ortsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und bauordnungsrechtliches Verunstaltungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Das Verbot der Ortsbildverunstaltung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und das Verbot der Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Einfügungsgebot (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) und bauordnungsrechtliches Verunstaltungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 c) Das Verbot der Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) und das Einfügungsgebot (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) . . . . . . . . . . . . . . 158 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Rechtsschutz zugunsten der Gemeinde gegen die Zulassung von Vorhaben im Außenbereich und das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Rechtsschutz der Standortgemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Rechtsschutz außerhalb des Anwendungsbereichs von § 36 Abs. 1 BauGB 167

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Größe der Windkraftanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Besonders schönes und schützenswertes Landschaftsbild . . . . . . . . . . . . . . 180

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Inhaltsverzeichnis 3. Exponierte Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Besonderheiten bei Windkraftanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b) Exponierte Lage und Blickfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 4. Verunstaltung des Landschaftsbildes und Windenergiekonzentrationszonen 189 5. „Horizontverschmutzung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Unberührte Landschaften ohne besonders schutzwürdige Landschafts­ elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) „Horizontrechtsprechung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 6. Unberührtheit der Landschaft und Vorbelastung des Landschaftsbildes . . . . 199 a) Vorbelastung durch bereits bestehende Windkraftanlagen . . . . . . . . . . . . 199 b) Vorbelastung durch Hochspannungsleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 c) Vorbelastung durch sonstige bauliche Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 VII. Zusammenfassung über den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Abgrenzung des bauplanungs- vom bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und Naturschutzrecht . . . . . . 209 3. Einzelfallentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4. Bauliche Vorbelastungen im Landschaftsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 5. Besonderheiten bei Windkraftanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 6. Die Verunstaltung des Ortsbildes und das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und die Grundrechte der Kunst-, Eigentums- und der Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 I.

Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Sachlicher Schutzbereich der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Definition der Baukunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Werke der Baukunst als privilegierte Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 c) Schutzbereichsimmanente Schranke der Kunstfreiheit aufgrund der „Sprayer-Entscheidung“ des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 d) Schutzbereichsimmanente Schranke der Kunstfreiheit aufgrund der „Sachgesetzlichkeit“ der baukünstlerischen Kunstgattung . . . . . . . . . . . . . . . . 233 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Personeller Schutzbereich der Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

Inhaltsverzeichnis

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3. Eingriff in die Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 aa) Verfassungsimmanente Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 bb) Die Eignung von Staatszielbestimmungen als verfassungsimmanente Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 cc) Grundgesetzliche Kompetenzverteilung als verfassungsimmanente Schranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 dd) Abwägung der widerstreitenden Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Psychisches Wohlbefinden der Bürger als Bestandteil des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG . . . . . . . . . . . 251 aa) Grundrecht auf Stadtgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Körperliche Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG 253 cc) Ästhetische Beeinträchtigungen als Verletzung der körperlichen Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 c) Sozialer Frieden in der Gemeinschaft als verfassungsrechtliches Schutzgut 263 d) Eigentum des Nachbarn, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 e) Staatlicher Kulturauftrag als Verfassungsgut von Rang . . . . . . . . . . . . . . 269 f) Staatszielbestimmung Umweltschutz = Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Art. 20a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 aa) Art. 20a GG als verfassungsimmanente Schranke der Kunstfreiheit

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bb) Auffassung des BVerwG: Optischer Landschaftsschutz als Bestandteil der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . 279 cc) Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot dient nicht dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 ee) Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft als verfassungsrechtliche Ausprägung des Schutzgutes der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 ff) Abwägungsentscheidung im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanter Umstände im Lichte der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 (1) Kunstkonforme Auslegung des Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) . . . . . . . 299 (2) Für die kunstkonforme Auslegung relevante Gesichtspunkte . . 302 (3) „Verzahnung“ der öffentlichen Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Zusammenhang mit der Errichtung von Werken der Baukunst im Außenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (4) Kunstkonforme Auslegung des Belangs der Verunstaltung des Ortsund Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) . 308

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Inhaltsverzeichnis (5) Ermessen und Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 (6) Fazit der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 gg) Zwischenergebnis über das Spannungsfeld zwischen dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot, dem Grundrecht der Kunstfreiheit und dem Umweltstaatsprinzip des Art. 20a GG . . . . . . . . . . . . . . . . 317 g) Resümee über die verfassungsrechtliche Einschränkbarkeit des Grundrechts der Kunstfreiheit durch die öffentlichen Belange der natürlichen Eigen­art der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 5. Bestehen eines unmittelbar aus der Kunstfreiheitsgarantie (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) abgeleiteten subjektiv öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Erteilung einer Baugenehmigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 6. Bestehen eines auf die Verunstaltungsverbote gestützten Abwehranspruchs des Nachbarn auf Versagung einer nachbarlichen Baugenehmigung? . . . . . . 327 a) Schutz eines Bauwerks vor seiner Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 b) Über die Abtragung des Lenin-Denkmals in Berlin, „Christo’s Reichstagsverhüllung“ und ihre Bedeutung für den Nachbarschutz . . . . . . . . . . . . . 331 c) Nachbarschutz durch eine verfassungskonforme Auslegung des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 aa) Geltende Rechtslage zum nachbarschützenden Charakter der Verunstaltungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 bb) Ansätze in der Literatur zur Begründung eines nachbarschützenden Charakters der Verunstaltungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 cc) Schutz eines Werkes der Baukunst vor seiner Umgebung . . . . . . . . 338 dd) Umgebungsschutz von Kunstwerken auf Zeit im Stadtraum . . . . . . . 340 ee) Kritik an der nachbarschützenden Funktion des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbotes und des Grundrechts der Kunstfreiheit 343 d) Übertragung der Erwägungen auf das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 7. Zusammenfassung über das Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Kunstfreiheit und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot . . . . . . . . . . 346 II.

Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 1. Berührungspunkte zwischen der Kunst und der Grundeigentumsnutzung . . 350 a) Baukunst und nichtkünstlerisches Bauen im verfassungsrechtlichen Sinne 352 b) Gemeinschaftsbezogenheit der Baukunst, Grundrechtskumulationen und Schrankenleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 2. Sozialbindung von Grund und Boden als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 3. Zusammenfassung über das Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Eigentumsfreiheit und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot . . . . . . 360

Inhaltsverzeichnis

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III. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und das Grundrecht der Glaubens­ freiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1. Sachlicher Schutzbereich der Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 2. Personeller Schutzbereich der Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 a) Individuelle Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 b) Korporative Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 3. Eingriff in die Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 a) Schranken der Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 aa) Vorbehaltlosigkeit der Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 bb) Schrankenbestimmung in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 GG? . 377 cc) Schranken in der grundgesetzlichen Wertordnung . . . . . . . . . . . . . . . 381 dd) Die Schrankenfrage mit Blick auf die vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 b) Schutz des psychischen Wohlbefindens der Bevölkerung, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 c) Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) . . . . . . . . . . . . 385 aa) Die Entscheidung des BVerwG über die Errichtung eines Friedhofs in einem Naturpark und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV . . . . . . . . . . . . . . . 386 bb) Übertragung der „Arno-Breker“-Entscheidung des BVerwG auf die Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 cc) Optisch-ästhetischer Landschaftsschutz als Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Art. 20a GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 d) Abwägungsentscheidung im jeweiligen Einzelfall unter besonderer Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung des Grundrechts der Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 aa) Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung aufgrund eines Vergleichs mit anderen Kollisionslagen aus dem Verfassungsrecht . 393 bb) Einzelfallentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 5. Zusammenfassung über das Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot . . . . . . 396 IV. Resümee über das Verhältnis zwischen den Grundrechten der Kunst- und Glaubensfreiheit und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot . . . . . . . . 399 D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) für die Errichtung von Kultusstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 I.

Die Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) für die Errichtung von Kultusstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

II.

Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit in der Bauleitplanung . . . . . . . 408

18

Inhaltsverzeichnis III. Kultusstätten und die Baugebietstypen der BauNVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 IV. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gem. § 31 BauGB 414 1. Die Krypta im Industriegebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 2. Die Ausnahme- und Befreiungsmöglichkeiten von den Festsetzungen eines Bebauungsplans, § 31 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 3. § 31 BauGB und die Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 V.

Nachbarschutz und Schutz der Gemeinden gegen die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Sakralbaus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424

VI. Sakrale Bauten und das Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB . . . . . 429 VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 1. Glaubens- oder weltanschaulich motivierte Vorhaben im Außenbereich als privilegierte Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 a) Hofkapellen als einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dienende Vorhaben, § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 b) Privilegierung aufgrund der „besonderen Zweckbestimmung“, § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 bb) Verfassungskonforme Auslegung im Lichte der Glaubensfreiheit in besonders gelagerten Einzelfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 (1) Das Durchsetzungsvermögen privilegierter Vorhaben und die Bedeutung der Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 (2) Der Standortbezug bei sakralen Vorhaben und seine Bedeutung für die Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 (3) Die „besondere Zweckbestimmung“ des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB und sakrale Vorhaben in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 448 (4) Die Nutzungsänderung einer Almgaststätte und ihre Bedeutung für die Frage nach der Privilegierung sakraler Vorhaben . . . . . . 449 (5) Der „singuläre Charakter“ eines sakralen Vorhabens im Außen­ bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 2. Glaubensfreiheit und öffentliche Belange, § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB . . . . . . 454 a) Widerspruch des Vorhabens zu den Darstellungen eines Flächennutzungsplans, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 b) Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 c) Zulässigkeit einer privaten Kapelle als sonstiges Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB in der Genehmigungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 3. Zwischenergebnis über sakrale Kultusstätten im Außenbereich . . . . . . . . . . 460 VIII. Resümee über die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) für die Errichtung von Kultusstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463

Inhaltsverzeichnis

19

E. Zusammenfassende Darstellung über das bauplanungsrechtliche Verunstaltungs­ verbot, das verfassungsrechtliche Spannungsverhältnis zwischen diesem und den Grundrechten der Kunst- und der Glaubensfreiheit sowie die Besonderheiten der Errichtung von sakralen Vorhaben im Außenbereich . . . . . . . . . . . . . . . 469 I.

Zusammenfassende Aussagen über das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469

II.

Das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht als Abwehrrecht der Gemeinde  . . . . 472

III. Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot als gestalterische Bindung baukünstlerischer und sakraler Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 IV. Bauen im Außenbereich und die Glaubensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 F. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 G. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498

Abkürzungsverzeichnis a. A. AK-GG / Bearbeiter

nach anderer Auffassung Denninger / Hoffmann-Riem / Schneider / Stein (Hrsg.), Kom­ mentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutsch­ land BauGB Baugesetzbuch BauO NRW Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen BauR Baurecht  – Zeitschrift für das gesamte öffentliche und private Baurecht Bayerische Bauordnung BayBO Bayerische Verwaltungsblätter – Zeitschrift für öffentliBayVBl. ches Recht und öffentliche Verwaltung BayVGH Bayerischer Verwaltungsgerichtshof BBauBl. Bundesbaublatt BBauG Bundesbaugesetz BeckOK-BauGB / Bearbeiter Spannowsky / Uechtritz (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BauGB BeckOK-GG / Bearbeiter Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz BeckOK-HBO / Bearbeiter Spannowsky / Eiding (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Bauordnungsrecht Hessen BerlDenkmSchG Berliner Denkmalschutzgesetz BerlinerKomm-BauGB / Bearbeiter Schlichter / Stich / Driehaus / Paetow (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch BerlinerKomm-GG / Bearbeiter Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz Beschl. Beschluss BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Verordnung über die Baugestaltung vom 10. 11. 1936 BGVO BImSchG Bundes-Immissionsschutzgesetz Birkl / Bearbeiter Birkl, Praxishandbuch des Bauplanungs- & Immissionsschutzrechts B / K /L / M /R Battis / Krautzberger / L öhr / Mitschang / Reidt, Baugesetzbuch Kommentar BNatSchG Bundesnaturschutzgesetz BonnerKomm-GG / Bearbeiter Kahl / Waldhoff / Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bracher / Reidt / Schiller, Bauplanungsrecht BRS / Bearbeiter Brügelmann / Bearbeiter Brügelmann u. a., Baugesetzbuch bspw. beispielsweise BVerfG Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE

Abkürzungsverzeichnis

21

BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz BVerwG Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE bzw. beziehungsweise ders. derselbe Der Staat Der Staat – Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches Recht dies. dieselbe Deutsche Juristen-Zeitung DJZ Die Öffentliche Verwaltung – Zeitschrift für Öffentliches DÖV Recht und Verwaltungswissenschaften Dreier, Grundgesetz Kommentar Dreier / Bearbeiter Düsing / Martinez, Agrarrecht Düsing / Martinez / Bearbeiter Deutsche Verwaltung – Zeitschrift für Verwaltungsrecht DV Deutsches Verwaltungsblatt DVBl. ebso. ebenso Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche EGBGB et cetera etc. Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger (Hrsg.), BaugeEZBK / Bearbeiter setzbuch Kommentar Ferner / Kröninger / Aschke (Hrsg.), Baugesetzbuch mit BauFKA / Bearbeiter nutzungsverordnung Merten / Papier, Handbuch der Grundrechte in DeutschHdB-GrundR / Bearbeiter land und Europa, Band IV Isensee / Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der BunHdB-StaatsR / Bearbeiter desrepublik Deutschland Koch / Hofmann / Reese, Handbuch Umweltrecht HdB-UmweltR / Bearbeiter Benda / Maihofer / Vogel (Hrsg.), Handbuch des VerfasHdB-VerfR / Bearbeiter sungsrechts HessVGH Hessischer Verwaltungsgerichtshof Hofmann / Henneke, Grundgesetz Kommentar H / H /Bearbeiter herrschende Meinung h. M. Hoppenberg / de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts Hoppenberg / de Witt / Bearbeiter Hansmann / Sellner (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts H / S/Bearbeiter Hömig / Wolff (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepu­ H / W/Bearbeiter blik Deutschland in Verbindung mit i. V. m. Jäde / Dirnberger, Baugesetzbuch, BaunutzungsverordJ / D/Bearbeiter nung, Kommentar Jarass / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik J / P/Bearbeiter Deutschland – Kommentar Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Jura Juristische Schulung (Zeitschrift) JuS JZ Juristenzeitung Kröninger / Aschke / Jeromin (Hrsg.), Baugesetzbuch mit K / A /J / Bearbeiter Baunutzungsverordnung, Handkommentar Kammergericht Berlin KG Berlin Zeitschrift Kommunaljurist KommJur

22

Abkürzungsverzeichnis

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Beckmann / Durner u. a. (Hrsg.), Landmann / Rohmer, UmLandmann / Rohmer / Bearbeiter weltrecht Kommentar Leibholz / Rinck / Hesselberger, Grundgesetz Kommentar – Leibholz / R inck / Bearbeiter Rechtsprechung des BVerfG Leggewie / Joost / Rech, Der Weg zur Moschee: Eine HandL / J/R reichung für die Praxis Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen LKRZ m Meter MBO Musterbauordnung Herzog / Scholz / Herdegen / Klein (Hrsg.), Maunz / Dürig, M / D/Bearbeiter Grundgesetz-Kommentar Monatsschrift für Deutsches Recht MDR von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar M / K /Bearbeiter Mangoldt / Klein / Starck / Huber / Voßkuhle, Kommentar zum M / K /S / Bearbeiter Grundgesetz Niedersächsisches Verwaltungsgericht NdsOVG Neue Juristische Wochenschrift NJW NN Normalnull Natur und Recht – Zeitschrift für das gesamte Recht zum NuR Schutze der natürlichen Lebensgrundlagen und der Umwelt Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter NWVBl. OLG Oberlandesgericht Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg OLG Hbg. OVG Oberverwaltungsgericht Oberverwaltungsgericht des Landes Berlin OVG Bln OVG Bln-Bbg. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt OVG LSA Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-West­ OVG NRW falen Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz OVG RhPf Oberverwaltungsgericht des Saarlandes OVG Saarl. Brudermüller u. a. (Bearb.), Palandt Bürgerliches GesetzPalandt / Bearbeiter buch Jäde, Bayerische Bauordnung (BayBO) – SchwerpunktPdK-BayBO Kommentar für die kommunale Praxis Rixner / Biedermann / Steger (Hrsg.), Systematischer PraPraxKom / Bearbeiter xiskommentar BauGB / BauNVO Preußisches Oberverwaltungsgericht PrOVG Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts PrOVGE RGBl. Reichsgesetzblatt Landesbauordnung Rheinland-Pfalz RhPfBauO Rspr. Rechtsprechung Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Sachs / Bearbeiter Sächsisches Oberverwaltungsgericht SächsOVG KritV

Abkürzungsverzeichnis S / B/Bearbeiter S / B/Bearbeiter, Art.

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Stern / Becher, Grundrechte Kommentar Simon / Busse (Hrsg.), Bayerische Bauordnung Kommentar Sodan (Hrsg.), Grundgesetz Sodan / Bearbeiter Stern / Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik DeutschS / S/Bearbeiter land, Band III/2 Stern / Sachs / Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepu­ S / S/D / Bearbeiter blik Deutschland, Band IV/2 str. strittig ständige Rechtsprechung st. Rspr. Thüringer Oberverwaltungsgericht ThürOVG Umwelt- und Planungsrecht  – Zeitschrift für WissenUPR schaft und Praxis UrhG Urheberrechtsgesetz Urt. Urteil Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung UVPG Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg VBl.BW Verfassung für Rheinland-Pfalz Verf RP Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) VerwArch VG Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg VGH BW vgl. vergleiche VwGO Verwaltungsgerichtsordnung Weimarer Reichsverfassung WRV zum Beispiel z. B. Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und ZfBR Vergaberecht Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP Zeitschrift für Umweltrecht ZUR

A. Einführung Bauästhetische Ordnungsvorstellungen zählen zu den althergebrachten Regelungsmaterien des deutschen Baurechts. Die Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ist besser bekannt als baugestalterische Vorschrift aus dem Bauordnungsrecht. Sie erhielt jedenfalls mit der BBauG-Novelle 1976 Einzug in das Bundesbaugesetzbuch. Ein Bauvorhaben ist im bauplanungsrechtlichen Außenbereich seit jeher auch dann unzulässig, soweit es das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltet, vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Diese Vorschrift statuiert damit das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit allen Facetten der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Im ersten Abschnitt wird der Begriff der „Verunstaltung“ näher erläutert, indem nach einer kurzen Abhandlung zur Entstehungsgeschichte erste Definitionsansätze aus der Rechtsprechung aufgezeigt werden. Eine Abgrenzung zwischen dem bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot darf ebenso nicht fehlen wie eine Unterscheidung zwischen den öffentlichen Belangen der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes und der natürlichen Eigenart der Landschaft innerhalb des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Fraglich ist zudem, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes bei sonstigen Vorhaben unter erleichterten Bedingungen festgestellt werden kann, als wenn es sich bei dem Vorhaben um ein bevorrechtigtes Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB handeln würde. Die obergerichtliche Rechtsprechung setzt nämlich für die Beurteilung einer Verunstaltung bei privilegierten Vorhaben voraus, dass es sich entweder um ein „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswertes Landschaftsbild“ oder um einen „besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild“ handelt. Die von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen werden außerdem im Einzelnen näher nach einzelnen Themenbereichen aufgefächert und abgehandelt – hier darf ein eigenes Kapitel über die vertiefte Abhandlung von Windkraftanlagen nicht fehlen. Die Ortsbildverunstaltung wird von den anderen im BauGB aufgeführten Möglichkeiten einer Ortsbildbeeinträchtigung abgegrenzt. Im Zusammenhang mit dem Ortsbild wird zudem der Frage nachgegangen, wie sich Gemeinden gegen eine Verunstaltung des Ortsbildes durch ein Einzelbauvorhaben wehren können. Als Schlagwort soll an dieser Stelle das in der Literatur reichlich diskutierte „gemeindliche Selbstgestaltungsrecht“ genügen. Kapitel C. beschäftigt sich ausgiebig mit der Frage, ob das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot eine verfassungsmäßige Beschränkung der Kunst- und der Glaubensausübungsfreiheit im Falle der Errichtung von (sakralen) Werken der

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A. Einführung 

Baukunst im Außenbereich darstellt. Da es sich um vorbehaltlos gewährleistete Freiheitsgrundrechte handelt, müsste nach der herrschenden Rechtsprechung des BVerfG zur Einschränkbarkeit vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot entweder Ausdruck kollidierender Grundrechte Dritter oder sonstiger Verfassungsgüter von Rang sein. Die Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB lässt sich allerdings nur schwer auf ein Verfassungsgut von Rang zurückführen – bauästhetische Verunstaltungsvorschriften dienen schließlich nicht der Gefahrenabwehr im engeren Sinne, sondern verfolgen augenscheinlich allgemeine wohlfahrtsstaatliche Bestrebungen. Das BVerwG sah dies anders und stellte in seiner Entscheidung über die Aufstellung monumentaler Kunstskulpturen heraus, dass auch das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot dem allgemeinen Wohlbefinden der Bürger (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und dem Umweltstaatsprinzip (Art. 20a GG) diene. Ein interessantes Themenfeld bietet weiterhin die Fragestellung, inwieweit die Verunstaltungsverbote Drittschutz vermitteln. Obwohl die Verunstaltungsverbote nach der herrschenden Meinung nicht drittschützend sind, sondern nur im allgemeinen öffentlichen Interesse liegen, lässt sich darüber nachdenken, ob sich für Werke der Baukunst aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit ein entsprechender Abwehranspruch gegen benachbarte Bauvorhaben ableiten lässt. Auslöser für die Diskussion um einen nachbarlichen Abwehranspruch ist die Entscheidung des VG Berlin über die Reichstagsverhüllung durch die Künstler Jeanne Claude und Christo. Kunstwerke auf Zeit im Stadtraum genießen demnach einen aus dem Wirkbereich der Kunstfreiheit resultierenden Umgebungsschutz gegenüber konkurrierenden Werken der Baukunst. Kultusstätten und sonstige religiöse oder weltanschaulich motivierte Bauvorhaben besitzen gewöhnlicherweise aufgrund ihrer überragenden Größe und ihres hohen architektonischen Wertes eine herausragende Wirkung und Einflussnahme sowohl auf das übrige Ortsbild im bauplanungsrechtlichen Innenbereich, als auch auf das Landschaftsbild im Außenbereich. In der Praxis kommt es bisweilen vor, dass Glaubensgemeinschaften und vereinzelt private Bauherren Kultusstätten aus den unterschiedlichsten Gründen im Außenbereich errichten wollen. Es bietet sich daher zum Abschluss der Arbeit ein Exkurs zur allgemeinen Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit für die Errichtung von Kultusstätten und sonstigen weltanschaulich motivierten Vorhaben im öffentlichen Baurecht an. Das Augenmerk wird dabei vornehmlich auf die rechtliche Beurteilung der Errichtung von Kultusstätten im bauplanungsrechtlichen Außenbereich liegen.

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB als bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot Die Zulässigkeit von Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) setzt im bauplanungsrechtlichen Außenbereich1 voraus, dass öffentliche Belange dem Vorhaben nicht entgegenstehen bzw. dass das Vorhaben öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die (ausreichende)  Erschließung gesichert ist, vgl. § 35 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere dann vor, wenn das Vorhaben das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB. Da allerdings ein kumulatives Vorliegen von einer Orts- und gleichzeitig einer Landschaftsbildverunstaltung kaum vorstellbar ist, muss der Gesetzeswortlaut korrigiert werden. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange ist daher anzunehmen, wenn das Orts- oder das Landschaftsbild durch ein Bauvorhaben verunstaltet wird.2 Insofern entspricht die Reihenfolge der Aufzählung von „Orts- und Landschaftsbild“ nicht deren Bedeutung in der Praxis. Es kommt bei einem Vorhaben im Außenbereich regelmäßig auf die Beurteilung einer Verunstaltung des Landschaftsbildes und in den seltensten Fällen auf die Beurteilung einer Verunstaltung des Ortsbildes an.3 Dieser Belang dient damit dem optisch-ästhetischen Landschaftsschutz.4 Der optisch-ästhetische Landschaftsschutz findet seinen Ursprung im preußischen Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden vom 15. 07. 1907. Über ein Vorgehen zum Schutz der Landschaft nur gegen Verunstaltungen durch Werbeanlagen hinaus5 erstreckte das Gesetz den Schutz erstmals auch auf „Bauten“. Im Unterschied zum heutigen bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot wurde der Schutz gegen Verunstaltungen darüber hinaus auch an die Voraussetzungen geknüpft, dass zum einen eine „grobe“ Verun-

1

Zum Begriff des Außenbereichs siehe Vilsmeier, S. 70; Weyreuther, S. 47 f. Birkl / Geiger, E 275; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn.  94; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 33; Weyreuther, S. 489. 3 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 33. 4 BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn. 76; Birkl / Geiger, E 275; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; Hentschel, S. 488; Mick, S. 319; Müller, K., S. 58; Parchmann, S. 19; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 143; Schröter, S. 594. 5 So das preußische Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden vom 02. 06. 1902, siehe hierzu näher Schultzenstein, DJZ 1902, S. 468 ff. 2

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

staltung vorliegen musste und zum anderen kein anderer Bauplatz zur Verfügung stehen durfte.6 Vorweg sei darauf hingewiesen, dass die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungs­ verbote der Länder auch für Außenbereichsvorhaben gelten.7 Diese Arbeit beschäftigt sich allerdings nicht mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Gestaltungsvorschriften in der Gestalt örtlicher Bauvorschriften auch für den Außenbereich erlassen werden können.8 Bezüglich der baurechtlichen Behandlung von Anlagen der Außenwerbung wird außerdem auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen.9 Es sollen an dieser Stelle nur die allgemeinen Hinweise genügen, dass sich die Zulässigkeit einer die Merkmale des § 29 Abs. 1 BauGB erfüllenden Werbeanlage im Außenbereich nach § 35 BauGB richtet und sich damit gegebenenfalls auch am bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) messen lassen muss.10 § 10 Abs. 3 Satz 1 Musterbauordnung (MBO)11 statuiert allerdings die grundsätzliche Unzulässigkeit von Werbeanlagen „außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile“.12 Die ungestörte Landschaft ist ein kulturelles Anliegen. Schließlich wuchs die Bedeutung der Landschaft für den Menschen mit dem Fortschreiten der zivilisatorischen Entwicklung. Während die Menschen in der Renaissance die Beschreibung und die Darstellung der Landschaft entdeckt haben und seither die Landschafts­ malerei bis in die Gegenwart hinein eine gewachsene und große Bedeutung erlangt hat, sind immer mehr Touristen bemüht, aus ihren Landschaftsfotos störende technische Elemente herauszuhalten und den gegebenen, einmaligen Anblick der Landschaft festzuhalten.13 Der Mensch möchte sich in der Landschaft gleichsam 6

Vgl. Baltz / Fischer, S. 187; einen Schutz des Orts- und Landschaftsbildes bezweckten außerdem schon das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 und das Preußische Fluchtliniengesetz von 1875, s. hierzu Brenner, Rn. 20 f. 7 Kollmann, S. 403; Moench / Schmidt, S. 20 mit Beispielen aus der Praxis; Schröter, S. 594; Ausgangspunkt der Überlegungen ist § 29 Abs. 2 BauGB, wonach „die Vorschriften des Bauordnungsrechts … unberührt bleiben“. 8 Siehe hierzu Moench / Schmidt, S. 40 f.; zum ergänzenden bauordnungsrechtlichen Gestaltungsrecht im Innenbereich vgl. Klein, S. 87 ff.; Mick, DÖV 1991, 623 (627 ff.). 9 Engelmann; Kollmann, S. 27 ff. 10 Kollmann, S. 297, 402 f. 11 Musterbauordnung i. d. Fassung v. November 2002, zul. geänd. d. Beschluss der Bau­ ministerkonferenz vom 22. 02. 2019. 12 Kollmann, S. 604; in der Praxis erlangen die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote der Länder insbesondere in Fallgestaltungen mit Werbeanlagen Relevanz. So wird das Recht der Werbeanlagen als häufigster Anwendungsfall für Judikate im Zusammenhang mit den Verunstaltungsverboten bezeichnet, vgl. Kollmann, S. 341 m. w. N.; die Landesbauordnungen differenzieren in der jeweiligen Ausgestaltung ihrer Verunstaltungsvorschriften zwischen dem allgemeinen Verunstaltungsverbot, das auch für Werbeanlagen Geltung beansprucht, soweit sie die Merkmale des bauordnungsrechtlichen Anlagenbegriffs erfüllen, und den besonderen – spezifisch auf Werbeanlagen zugeschnittenen – Verunstaltungsverboten, vgl. Kollmann, S. 342 f. 13 Quambusch, BauR 2003, 635 (642).

I. Das Landschaftsbild  

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frei von alltäglichen Zwängen und den Alltagssorgen fühlen und gleichzeitig den Blick auf ein ansehnliches Landschaftspanorama schweifen lassen, um neue Kraft für das Kommende und die Herausforderungen des Lebens zu tanken.14 Vor diesem Hintergrund fällt der von Bebauung freien Landschaft die Aufgabe zu, dem Menschen einen Moment der Entlastung zu vermitteln. Schon Dürer, der Begründer der europäischen Landschaftsmalerei, fasste zu diesem Zweck die Landschaft als einen Ort auf, an dem sich der Mensch auf sich selbst zurückverwiesen erleben kann. Goethe sah in der Darstellung der Landschaft den Charakter des Ewigen vermittelt. Die ungestörte Landschaft als Ort des Ewigen ist später zu einem Wesensmerkmal der romantischen Literatur geworden und gleichzeitig mittels der Volksparke in die Großstädte geholt worden.15 Die Flamme der menschlichen Sehnsucht nach der von baulichen Anlagen unberührten und ungestörten Landschaft wird stets neu entfacht durch die Folgen der Industrialisierung, Urbanisierung und der gewachsenen Belastung durch Lärm und die Unruhe in den Ballungszentren. Die Landschaft trägt für die Menschen – gerade in den Großstädten – zur landschaftsgebundenen Erholung bei. Die Schwierigkeiten in der modernen Arbeitswelt, insbesondere der Wunsch, sich an seinem Arbeitsplatz selbst zu verwirklichen, mögen dazu beitragen, dass die erlebten Defizite unter anderem durch Ansprüche auf Erholungsurlaub auszugleichen versucht werden.16 Ob nun der Mensch die freie Natur aufsucht, um neue Landschaften zu entdecken oder um den Kopf „frei zu bekommen“ von den Alltagssorgen, bleibt die Landschaft – ganz gleich ob Wald, Feld oder Flur – für die Menschen Heimat und Zuflucht zugleich.

I. Das Landschaftsbild Der Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) besitzt als spezifischer Belang des optischen Außenbereichsschutzes eigenständige Relevanz, obwohl er sich inhaltlich mit dem Begriff des Schutzes des Landschaftsbildes im Sinne des § 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) deckt.17 So ist als Ziel des Naturschutzes und der Landschaftspflege in § 1 Hs. 1 Nr. 3 BNatSchG unter anderem festgelegt, dass „Natur und Landschaft … 14

Lynch, S. 146 f.; Namgalies, S. 1 f.; die Landschaft als psychische Kraftquelle menschlichen Lebens betonend Mauss, S. 107; Murswiek, NVwZ 1996, 222 (224); Schultzenstein, DJZ 1902, 468 (470); das Landschaftsbilderleben ist eng mit den individuellen Bedürfnissen des Einzelnen verbunden, sodass je nach Betrachter ein unterschiedliches Landschaftsbild im Kopf des Betrachters entsteht. Emotionale Aspekte der Wirkung des – objektiven – Landschaftsbildes auf den Menschen werden daher in den Begriff des Landschaftsbildes eingeschlossen, Engel, KommJur 2004, 161 (168). 15 Quambusch, BauR 2003, 635 (642). 16 Quambusch, BauR 2003, 635 (642). 17 Engel, KommJur 2004, 161 (168); EZKB / Söfker, § 35, Rn. 99; Schröter, S. 594.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

so zu schützen sind, dass die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind“. Ausgehend vom Wortlaut des „Landschaftsbildes“ ist nur das optische Erscheinungsbild der Landschaft entscheidend.18 Das „Bild“ der Landschaft ist das umfassende Erscheinungsbild eines größeren Ausschnittes der Erdoberfläche, das durch eine Vielzahl von Gestaltungen wie Bauten, Straßen und dem Vorherrschen der freien Natur geprägt und geformt ist.19 Der Schutz bezieht sich selbstverständlich auch auf Kulturlandschaften. Soweit eine Landschaft durch besondere bauliche Anlagen beeinflusst wird, kann auch diese ästhetische Prägung vom Schutz des Landschaftsbildes mitumfasst sein.20 Denn das Landschaftsbild wird regelmäßig ein räumlich größeres Areal in den Blick nehmen als das „Ortsbild“, das folglich durchaus – wenn auch nicht beherrschender, so doch zu beachtender – Bestandteil eines schützenswerten Landschaftsbildes sein kann.21 Es geht bei dem Begriff des Landschaftsbildes letztlich um die Wirkungen der landschaftsprägenden Elemente auf den Menschen und damit um eine wertende Betrachtung, da der Schutz des Landschaftsbildes keinen Wert an sich darstellt, sondern das Landschaftsbild in seiner Wertigkeit nur aufgrund einer wertenden Betrachtung durch den Menschen definiert und bestimmt werden kann.22 Es ist weiterhin nicht verwunderlich, dass aufgrund der herausragenden Wirkungen der landschaftsprägenden Elemente auf den Menschen die Gestaltung des Ortsund Landschaftsbildes bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu berücksichtigen ist, vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB.23

II. Das Ortsbild Unter dem Ortsbild ist die bauliche Ansicht eines Ortes oder Ortsteils bei einer Betrachtung sowohl von innen als auch von außen her – unter Einschließung der Fernwirkung des Ortsumrisses – zu verstehen.24 Zum Ortsbild zählt auch als dessen Teil 18 Str., a. A. u. a. Giesberts / Reinhardt / Schrader, § 14 BNatSchG, Rn. 17 m. w. N., der auch die als Geräusche und Gerüche wahrnehmbaren Umstände in den Landschaftsbildbegriff mit­ einbeziehen will, die für das menschliche Empfinden einer Landschaft bedeutsam sind. 19 VG Stuttgart, Urt. v. 12. 05. 2004  – 16 K 3344/03; Giesberts / Reinhardt / Schrader, § 14 BNatSchG, Rn. 17; Kamp, S. 32; Kapell, S. 82; Mick, S.  320; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 40; Vilsmeier, S. 75; Weyreuther, S. 490. 20 Kapell, S. 82. 21 Vilsmeier, S. 75. 22 Schmidt, NVwZ 1999, 363 (369). 23 Landschaftsbild-Bewertungsverfahren bieten sich im Bauleitplanverfahren zur Ermittlung und Bewertung einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes an, ausführlich hierzu Engel, KommJur 2004, 161 (168 ff.). 24 VG Würzburg, Urt. v. 13. 11. 2014 – W 5 K 13.18, Rn. 83; Denecke, S. 115 f.; Kamp, S. 32; Kapell, S. 81; Kollmann, S. 408 f.; Koppitz, Rn. 511; Vilsmeier, S. 74; das BauGB hebt neben § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 und § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB noch an anderen Stellen – namentlich

II. Das Ortsbild  

31

das Straßenbild – obgleich solche Fälle im Außenbereich in der Praxis selten auftreten werden.25 Zweifel an der Berechtigung des Ortsbildschutzes in der freien Landschaft sind im Außenbereich unbegründet, da hier vor allem die Ansicht eines Ortes von außen gemeint ist wie der Fernblick, die Stadtsilhouette oder der harmonische Anblick eines Kirchberges.26 Ein Ortsbild besteht nämlich auch dort, wo eine Gemeinde die Bodennutzung (noch) nicht durch ihr städtebauliches Instrumentarium geregelt hat. An dieser Stelle ist sowohl der unbeplante Innenbereich (§ 34 BauGB), als auch der Außenbereich (§ 35 BauGB) zu nennen.27 Der optisch-ästhetische Schutz des Ortsbildes ist die Konsequenz daraus, dass nach der Begriffsbestimmung des Außenbereichs zum Außenbereich alles gehört, was außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches eines Bebauungsplans im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB und außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegt. Da die vom Merkmal der „Landschaft“ angeregte Vorstellung einer von jeglicher Bautätigkeit verschonten Natur nicht ausschließlich dem Begriff des Außenbereichs entspricht, verbietet es sich, den Außenbereich mit Vorstellungen zu verbinden, die ihm ganz bestimmte Vorstellungsbilder zuordnen, etwa das der „freien Natur“, der „Stadtferne“ oder der „Einsamkeit“. Die vermeintlich aus dem Wesen des Außenbereichs gewonnene Diagnose, der Schutz des Ortsbildes sei in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB „fehl am Platze“, trifft daher nicht zu.28 Der von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ausgehende Schutz des Ortsbildes berührt sich – ungeachtet der gebotenen Trennung – mit dem landläufigen Baugestal­ tungsrecht. Da sich das Baugestaltungsrecht der Gesetzgebungskompetenz des Bundes entzieht, versteht es sich nicht von selbst, dass das Baugesetzbuch – bzw. sein Vorgänger, das Bundesbaugesetzbuch – einen Verunstaltungsschutz der in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB niedergelegten Art überhaupt schaffen konnte.29 Der Belang der Verunstaltung des Ortsbildes deckt sich nicht mit dem, was unmittelbar unter dem verfassungsrechtlichen Begriff des Bodenrechts (Art. 74 Nr. 18 GG) zu verstehen ist. Dem Bundesgesetzgeber ist es jedenfalls erlaubt auch solche Belange unter Schutz zu stellen, die als solche nicht unmittelbar dem Bodenrecht zuzuordnen sind.30 Der Verunstaltungsschutz beschränkt sich dabei etwa nicht nur auf „Ortsteile“ im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB.31 Vielmehr kann auch eine Splittersiedlung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB ein Ortsbild aufweisen.32 Ein Gutshof mit in den §§ 1 Abs. 5 Satz 2, 1 Abs. 6 Nr. 5, 136 Abs. 4 Satz 2 Nr. 4, 172 Abs. 3 Satz 1 sowie 177 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB – auf das nicht legaldefinierte „Ortsbild“ ab, vgl. Vilsmeier, S. 74. 25 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 38. 26 Klein, S. 51; Mick, S. 320. 27 Denecke, S. 116. 28 Weyreuther, S. 490 f. 29 Weyreuther, S. 491 f. 30 Weyreuther, S. 326. 31 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 39; Weyreuther, S. 490. 32 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 39.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

umliegenden Wirtschaftsgebäuden kann ebenso ein „Ortsbild“ darstellen.33 Es lässt sich daher allgemein festhalten, dass ein „Ortsbild“ gegeben ist, wo ein Bauwerk in der Stadt oder auf dem Land auf eine bereits vorhandene Gebäudegruppe und deren nächste Umgebung einwirken kann.34 Der städtebauliche Gesamteindruck ist daher entscheidend, der nicht durch die hinzutretende Gestalt des Bauvorhabens gestört werden darf.35 Das Ortsbild spielt auch im Rahmen einer Erhaltungssatzung im Sinne des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 3 BauGB eine Rolle.36 So darf im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen nur versagt werden, soweit die bauliche Anlage allein oder im Zusammenhang mit anderen baulichen Anlagen auch das Ortsbild prägt. Das Ortsbild erlangt im Übrigen auch bei Bauvorhaben im Innenbereich gem. § 34 Abs. 1 BauGB an Bedeutung. Obgleich sich ein Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, einfügt, darf es darüber hinaus nicht das Ortsbild beeinträchtigen, § 34 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BauGB.37

III. Der Begriff der Verunstaltung In diesem Kapitel soll herausgearbeitet werden, dass der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes gegenüber den anderen Belangen des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB eine eigenständige Bedeutung besitzt. Der Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes schützt dabei auch solche Landschaften, die nicht im Einzelfall förmlich unter Schutz gestellt wurden  – wobei deutlich werden soll, dass strengere Anforderungen an die Beurteilung einer Verunstaltung einer nicht unter besonderen Schutz gestellten Landschaft zu stellen sind. Der bauplanungsrechtliche Verunstaltungsbegriff knüpft dabei an den vom BVerwG38 in seiner frühen Rechtsprechung zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsbegriff herausgearbeiteten Begriffsinhalt an. Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ist danach gegeben, wenn „das jeweilige Bauvorhaben dem Ortsoder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird“.39 33

Baltz / Fischer, S. 177; Goldschmidt, S. 52 f. Baltz / Fischer, S. 177; Mick, S. 320. 35 Mick, S. 320. 36 Zum ergänzenden städtebaulichen Gestaltungsrecht im Innenbereich siehe Mick, DÖV 1991, 623 (626 f.); Vilsmeier, S. 108 ff. 37 Siehe näher Kapitel B. V.1. 38 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53 = NJW 1955, 1647. 39 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384; HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 53; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 44; ThürOVG, Urt. 34

III. Der Begriff der Verunstaltung  

33

An späterer Stelle werden diesbezüglich die Unterschiede zwischen den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten der Länder und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB näher dargestellt. Es hängt letztlich von den konkreten Umständen der jeweiligen Situation ab, ob die Schwelle zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes überschritten ist.40 Besonderheiten ergeben sich insoweit, soweit ein Vorhaben mit einer besonders „krass störenden“ Abweichung von der Gestaltung in landschaftsüblicher und funktionsgerechter Bauweise errichtet werden soll.41 Es wird darüber hinaus in diesem Kapitel näher darauf eingegangen, ob Anpflanzungen oder sonstige optisch unauffällige Gestaltungen des Vorhabens das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes negieren können.42 Die Obergerichte43 legen den Verunstaltungsbegriff bei privilegierten Vorhaben einschränkend aus, da von einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes nur in Ausnahmefällen ausgegangen werden kann. Das Orts- oder Landschaftsbild muss demnach „wegen seiner Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdig“ sein oder es muss ein „besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild“ vorliegen.44 Es wird ausführlich erörtert werden, ob für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes bei privilegierten und sonstigen Vorhaben tatsächlich unterschiedliche Anforderungen gelten. Während bei privilegierten Vorhaben öffentliche Belange „entgegenstehen“ müssen, um zu einer Unzulässigkeit des Vorhabens zu führen (§ 35 Abs. 1 BauGB), genügt bei sonstigen Vorhaben eine „Beeinträchtigung“ öffentlicher Belange, § 35 Abs. 2 BauGB. Im Ergebnis wird sich zeigen, dass der Begriff der „Verunstaltung“ sowohl bei privilegierten als auch bei sonstigen Vorhaben in einem gleich verstandenen Sinne angewandt werden muss. So bleibt es nämlich der anschließenden Abwägungsentscheidung vorbehalten, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt, die der Zulässigkeit eines privilegierten Vorhabens „entgegensteht“, § 35 Abs. 1 BauGB.45

v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; Brenner, Rn. 699; Scheidler, BauR 2019, 190 (195). 40 BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444. 41 HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93. 42 Jarass / Kment, § 35, Rn. 61, PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 87. 43 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 34; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; OVG LSA, Urt. v. 06. 02. 2004 – 2 L 5/00. 44 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 34; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 45 OVG NRW, Urt. v. 30. 07. 2009 – 8 A 2358/08, Rn. 79.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

1. Entstehungsgeschichte Der öffentliche Belang der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ war im Bundesbaugesetz (BBauG) von 1960 in § 35 Abs. 3 noch nicht aufgeführt. Das BBauG enthielt hingegen den Belang der „Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft“. Es stellte sich daher damals die Frage, ob ein privilegiertes und nach seiner – landwirtschaftlichen – Nutzungsweise der Umgebung wesensgemäßes Vorhaben überhaupt die natürliche Eigenart der Landschaft im Sinne des § 35 Abs. 3 BBauGB beeinträchtigen konnte, zumal dann, wenn für die jeweilige Umgebung besondere Natur- oder Landschaftsschutzvorschriften nicht existierten.46 Einige Stimmen in der zeitgenössischen Literatur47 vertraten die Ansicht, dass unter dem öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft keine Beeinträchtigung der Landschaft in ästhetischer Hinsicht zu fassen sei  – vielmehr werde die Landschaft vor ästhetischen Beeinträchtigungen nur dann geschützt, wenn sie förmlich unter Landschaftsschutz gestellt worden sei. Es wurde argumentiert, dass der Bundesgesetzgeber auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege gem. Art. 75 Nr. 3 GG a. F. nur die Rahmenkompetenz besessen habe, sodass § 35 Abs. 3 BBauG nicht als eigenständige landschaftsschutzrechtliche Regelung der Außenbereichsbebauung habe verstanden werden können.48 Die Baugenehmigungsbehörde könne darüber hinaus – so wurde argumentiert – die ästhetische Schutzwürdigkeit der Landschaft nicht selbstständig beurteilen. Eine selbstständige Beurteilung der ästhetischen Schutzwürdigkeit der Landschaft durch die Bau­genehmigungsbehörde berge zudem die Gefahr, den gesamten Außen­bereich so zu behandeln, als ob er aufgrund von § 35 Abs. 3 BBauG unter Landschaftsschutz gestellt worden sei.49 Dies könne in Hinblick auf die Unterschutzstellung von Landschaften zu Konflikten mit der Kompetenzordnung zwischen Bundes- und Landesgesetzgeber führen. Der Belang der „natürlichen Eigenart der Landschaft“ sollte nach dieser Auffassung nur dem funktionalen Landschaftsschutz dienen: Denn dieser Belang stelle auf die qualitative Vereinbarkeit der geplanten Nutzungsweise des Vorhabens mit der naturgemäßen Nutzungsweise der Landschaft und damit auf das von der Landschaft geprägte Baugrundstück selbst ab. Die „Eigenart der Landschaft“ sei daher nicht auf das Verhältnis zwischen dem Bauwerk und seiner Umgebung, sondern zwischen dem Bauwerk und dem für seine Errichtung vorgesehenen Boden zu beziehen.50 Es müsse hiernach für das Vorliegen einer Beeinträchtigung der natür­lichen Eigenart

46

BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67, Rn. 15; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 127. BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67, Rn. 17 m. w. N.; Meyer, DVBl. 1965, 820 (821); Schrödter, 1964, § 35, Rn. 8. 48 Meyer, DVBl. 1965, 820 (821). 49 Schrödter, 1964, § 35, Rn. 8. 50 Schrödter, 1964, § 35, Rn. 8. 47

III. Der Begriff der Verunstaltung  

35

der Landschaft die beabsichtigte Nutzung des Vorhabens – selbst bei guter Einfügung in das Landschaftsbild – in seiner Umgebung wesensfremd sein.51 Das BVerwG interpretierte entgegen diesen Ansätzen in der Literatur den öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft zweidimensional: Der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft diente nach Auffassung des BVerwG zum einen dem funktionalen Landschaftsschutz und wurde demnach in seiner heutigen Bedeutung verstanden, den Außenbereich vor einer ihm wesensfremden Bebauung zu schützen. Das BVerwG sah zum anderen in dem Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft eine optisch-ästhetische Schutzkomponente zugunsten einer im Einzelfall schutzwürdigen Landschaft – und dies unabhängig davon, ob die Landschaft im Einzelfall förmlich unter Schutz gestellt wurde.52 Das BVerwG begründete seine Entscheidung damit, dass zwar § 35 Abs. 3 BBauG die Außenbereichslandschaft nicht in dem spezifischen und gesteigerten Maße schützte, wie dies der förmliche Landschaftsschutz gewährleistete. Jedoch folge daraus nicht, dass sich die Baugenehmigungsbehörde jeder Prüfung der ästhetischen Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umgebung in Gebieten zu enthalten habe, in denen kein förmlicher Landschaftsschutz bestehe. Für eine solche Beschränkung des ästhetischen Landschaftsschutzes habe deswegen kein Grund bestanden, da es auch Landschaften gebe, die diesen förmlichen Landschaftsschutz aus verschiedensten Gründen nicht oder noch nicht erhalten haben oder ihn gar nicht verdienen. Diese Landschaften könnten nicht gegen jede ästhetische Beeinträchtigung unempfindlich sein. Das Landschaftsbild müsse jedenfalls dann geschützt werden, soweit das Vorhaben dem Landschaftsbild im jeweiligen Einzelfall grob unangemessen ist.53 Die Bedenken hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenzen überzeugten im Übrigen nicht. Zu Unrecht wurde nämlich eine Rücksichtnahme auf das Landschaftsbild mit einer Regelung des Landschaftsschutzes gleichgesetzt. Der Gesetzgeber muss im Übrigen auf die nicht seiner Disposition unterliegenden Rechtsgüter Rücksicht nehmen.54 Daraus folgt zugleich, dass eine bloße Beeinträchtigung des Landschaftsbildes oder des Interesses an der Erhaltung eines bestimmten Orts- oder Landschaftsbildes in einer nicht förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Außenbereichslandschaft keine Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB darstellen kann, wenn das Vorhaben nicht „die Schwelle zu einer Verunstaltung“ des Landschafts- oder Ortsbildes überschreitet.55 Wann „die

51

BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67, Rn. 17; Schrödter, 1964, § 35, Rn. 8. BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67, Rn. 18; Weyreuther, S. 81 f., 488. 53 BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67, Rn. 21; Weyreuther, S. 82. 54 Weyreuther, BauR 1972, 1 (3). 55 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32; BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn. 77.

52

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Schwelle zu einer Verunstaltung“ überschritten ist, lässt sich nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles beurteilen.56 Der Gesetzgeber hat schließlich im Rahmen der Novellierung des BBauGB 1976 den Aspekt des ästhetischen Landschaftsschutzes vom Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft abgespalten und als spezifisch bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot in § 35 Abs. 3 Satz 1 Alt. 5 BBauGB verselbstständigt57 und im Grundsatz damit nur das thematisch aufgefächert, was unter der Geltung der alten Fassung aus dem Gebot einer Vermeidung von Beeinträchtigungen der natürlichen Eigenart der Landschaft abgeleitet worden war.58 Diese Verschiebung ist mit Blick auf § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB auch heute noch von Bedeutung: Zwar kann nach dieser Vorschrift den dort aufgeführten Vorhaben eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft nicht entgegengehalten werden; für die Übrigen zum Schutz von Natur und Landschaft gehörenden Belange gilt dies jedoch nicht.59 Eine Verletzung des Verunstaltungsverbotes greift also stets durch. Das wirkt sich allerdings bei § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB selbst nur selten aus, weil sich schwer vorstellen lässt, dass eine Nutzungsänderung zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führen könnte. In den anderen Fällen des § 35 Abs. 4 BauGB ist dies jedoch anders. Denn in diesen Konstellationen werden weitere Vorhaben von den in § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB bezeichneten öffentlichen Belangen freigestellt. In diesen Fällen hat es durchaus eine praktische Bedeutung, dass zu den „ausgeschalteten“ Belangen der in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB angeordnete Schutz von Natur und Landschaft gerade nicht gehört.60 Anknüpfend an den historischen Streit um die Auslegung des Belangs der „Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft“ bis zum Inkrafttreten der BBauG-Novelle 1976, in dem auch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes­ gesetzgebers für den optisch-ästhetischen Landschaftsschutz bestritten wurde,61 sei noch kurz darauf hingewiesen, dass es sich bei dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) tatsächlich um eine bodenrechtliche Vorschrift handelt, für die der Bundesgesetzgeber die (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz besitzt, Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG. An späterer Stelle wird noch ausführlich auf die Unterscheidung zwischen dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot und den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten der Länder eingegangen.62

56

BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32; Kamp, S. 48. BVerwG, Beschl. v. 19. 01. 1978 – 4 B 90/77; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; J / D/Spieß, § 35, Rn. 208; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 127; Weyreuther, S. 81. 58 Weyreuther, S. 81, 487. 59 Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 127; Weyreuther, S. 488 f. 60 Weyreuther, S. 488 f. 61 Meyer, DVBl. 1965, 820 (821); vgl. insoweit auch Weyreuther, S. 83. 62 Siehe Kapitel B. III. 5. 57

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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2. Definitionsansätze Im folgenden Kapitel soll eine erste Annäherung an den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB gefunden werden. Da bauliche Gestaltungsvorschriften zu den ältesten Bestandteilen des Baurechts gehören, trägt die Berücksichtigung historischer Gesichtspunkte zur Auslegung und Erfassung des Normgehalts der heute bestehenden Gestaltungsvorschriften bei.63 Das Verständnis von einer Verunstaltungsabwehr unterlag dabei stets sowohl gesellschaftlich als auch rechtsgeschichtlich gewandelten Vorstellungen. Ausgehend vom Verunstaltungsbegriff des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes (PrOVG) sollte die Verunstaltungsabwehr in erster Linie eine „anständige Baugesinnung“ schützen und fördern. Die Ausführungen des PrOVG in seinem berühmt gewordenen „Kreuzberg“-Urteil von 1882 machten bereits deutlich, dass der Verunstaltungsbegriff nur schwer zu konturieren ist. Jedenfalls ist ein strenger Maßstab an die Annahme einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes anzulegen. So wies schon das PrOVG darauf hin, dass zur Feststellung einer Verunstaltung soziale Milieus und Klientels unberücksichtigt zu bleiben haben, während gewöhnliche Orts- und Landschaftsbilder noch nicht zu einer Verunstaltung führen können. So könne „die künstlerische Anlage einer Straße oder eines Platzes auf das Niveau des gewöhnlichen herabgedrückt werden“.64 Das Verunstaltungsrecht darf andererseits nicht im Sinne einer aktiven Gestaltungspflege verstanden werden. So wurden Vorschriften zur Baugestaltungspflege in der Zeit des Nationalsozialismus im Sinne einer aktiven Baugestaltung ausgelegt. Die frühe Rechtsprechung des BVerwG begann zunächst den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsbegriff näher zu präzisieren und arbeitete später den ästhetischen Landschaftsschutz als eigenständigen öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 BBauGB heraus, der anschließend im Jahr 1976 ausdrücklich als Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes verselbstständigt und in das Gesetz aufgenommen wurde. Das BVerwG greift auch noch heutzutage zur Bestimmung des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsbegriffs auf die Definitionsansätze zur bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsabwehr zurück. Der öffentliche Belang der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) soll diejenigen Außenbereichslandschaften vor ästhetischen Landschaftsbeeinträchtigungen schützen, die nicht aufgrund förmlicher natur- oder landschaftsschutzrechtlicher Unterschutzstellung durch die übrigen Regelbeispiele des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB vor entsprechenden Beeinträchtigungen geschützt werden.65 Liegt ein Verstoß gegen die Vorgaben einer Natur- oder Landschaftsschutzverordnung vor, so wird regelmäßig der Belang des 63

Kapell, S. 42; Kollmann, S. 344. PrOVG, Urt. v. 14. 06. 1882, Rep. II B. 23/82 = PrOVGE 9, 353 (381 f.). 65 VG Hannover, Urt. v. 15. 09. 2020 – 12 A 6994/17 – openJur 2020, 7943; VG Karlsruhe, Urt. v. 16. 04. 2003 – 4 K 2477/01 – juris Rn. 60. 64

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

„Naturschutzes und der Landschaftspflege“ (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 BauGB) beeinträchtigt sein, was grundsätzlich zur bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit eines nicht privilegierten Vorhabens im Außenbereich führt.66 a) Maßgeblichkeit des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsbegriffs Unabhängig von einer förmlichen Unterschutzstellung sollen auch andere schutzwürdige Landschaften vor Verunstaltungen durch bauliche Anlagen geschützt werden. Dabei beruht das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot auf der Erkenntnis, dass auch eine natur- oder landschaftsschutzrechtlich nicht besonders geschützte Landschaft empfindlich gegen optische Beeinträchtigungen sein kann.67 Eine Beeinträchtigung des Orts- oder Landschaftsbildes außerhalb von Schutzgebieten genügt andererseits noch nicht, um zu einer Unzulässigkeit eines Vorhabens zu führen. Es muss vielmehr eine qualifizierte Beeinträchtigung vorliegen, die den Grad einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes erreicht.68 Der Begriff der „Verunstaltung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, bei dem die zuständige Verwaltungsbehörde bzw. das zur Entscheidung berufene Gericht eine Wertung vornehmen muss.69 Dies ergibt sich aus der zwingenden Natur unbestimmter Rechtsbegriffe, da sie für den konkreten Einzelfall keine feststehende Aussage enthalten, sondern mithilfe einer Wertung näher konkretisiert, ausgelegt und angepasst werden müssen.70 Es überrascht daher nicht, dass der Begriff der „Verunstaltung“ vom Gesetzgeber bewusst offen gehalten wurde, um den verschiedensten, in ihrer Vielgestaltigkeit normativ schwer erfassbaren Sachverhaltskonstellationen gerecht zu werden.71 Die Verwaltungsgerichte können daher – im Gegensatz zu einer rechtlich gebundenen Entscheidung, in der sie nur die Rechtmäßigkeit der Ermessensbetätigung der Behörde zu überprüfen haben – den unbestimmten Rechtsbegriff der Verunstaltung ebenso wie das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen vollumfänglich nachprüfen, welche der Beurteilung der Verunstaltung zugrunde liegen.72 66

BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 51. 67 BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67; BVerwG, Urt. v. 22. 06. 1990 – 4 C 6.87; BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 49. 68 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 51. 69 BayVGH, Beschl. v. 13. 01. 2016 – 22 ZB 15.1506; Engelmann, S. 6, 173; Kamp, S. 22; Kollmann, S. 356; Lerche, Werbung, S. 132; Müller, K., S. 1 f., 13, 74 f.; PdK-BayBO, Art. 8, Rn. 2; Scheidler, NuR 2010, 525 (527); Watzke, S. 88; Weyreuther, S. 491; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (287). 70 Engelmann, S. 171; Kamp, S. 65; Kollmann, S. 357. 71 Zeiss, ZfBR 1997, 286 (287). 72 Engelmann, S. 175; Kollmann, S. 357 f.; Moench / Schmidt, S. 23 f.; Müller, K., S. 74; ­Pischel, S. 154.

III. Der Begriff der Verunstaltung  

39

Der Begriffsinhalt der Verunstaltung ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei genügt die Konkretisierung des Begriffs der „Verunstaltung“ durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung den rechtsstaatlichen Geboten der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit. Die Tatsache, dass hinsichtlich der Rechtsanwendung im Einzelfall ein Rest an Unsicherheit verbleiben mag, ist Folge der Funktion von Rechtsbegriffen der vorliegenden Art als Einschätzungsermächtigung.73 Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist wegen der Vielfältigkeit und Vielgestaltigkeit der verschiedenen Erscheinungsformen einer bauästhetischen Verunstaltungsabwehr unterworfener Vorhaben und der Umgebung, auf die diese einwirken, unumgänglich.74 Inhaltlich richtet sich der Begriff der Verunstaltung nach denselben Kriterien, die das BVerwG75 in seiner frühen Rechtsprechung zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot entwickelt hat. In seiner grundlegenden Entscheidung über das Verhältnis von Baukunst und Bauordnungsrecht stellte das BVerwG außerdem heraus, dass auch Werke der Baukunst grundsätzlich nicht von Anforderungen an ihre Gestaltung aufgrund bauordnungsrechtlicher Normen freigestellt sind.76 Das BVerwG sah in der zuletzt genannten Entscheidung die Aufgabe bauordnungsrechtlicher Verunstaltungsverbote darin, einen „Beitrag zum allseitigen psychischen Wohlbefinden der Bürger sowie zum sozialen Frieden zu leisten“.77 Dabei wurde eine „Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes“ vom BVerwG dahingehend formuliert, dass die Baugestaltung einer baulichen Anlage „Unlustgefühle hervorrufende krasse Gegensätzlichkeiten und Widersprüche im Erscheinungsbild aufweisen muss, die bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für gestalterische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter anhaltenden Protest auslöst“.78 Das BVerwG zog anknüpfend an seine Entscheidung zum Verhältnis von Baukunst und Bauordnungsrecht in seinem „Arno-Breker“-Beschluss zur Bestimmung des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsbegriffs die Definition des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsbegriffs heran: „Maßgeblich für die Annahme einer Verunstaltung ist in beiden Fällen, ob der Anblick bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für ästhetische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter nachhaltigen Protest auslöst“.79 Denn das Schutzziel des bauplanungsrecht 73 BVerwG, Beschl. v. 26. 06. 1985 – 1 BvR 588/84 = NVwZ 1985, 819; OVG NRW, Urt. v.  06. 02. 2003  – 10 A 3464/01, Rn. 51; Kollmann, S. 359; schon die Unbestimmtheit des preußischen Gesetzes gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden vom 02. 06. 1902 betonend Schultzenstein, DJZ 1902, 468 (471); insbesondere die Verfassungsmäßigkeit des § 1 der Verordnung über die Baugestaltung vom 10. 11. 1936 wurde aufgrund von Bedenken gegen seine hinreichende Bestimmtheit stark angezweifelt, vgl. u. a. allgemein Kapell, S. 98; Looks, S. 34 f.; Watzke, S. 103; Zinkahn, DÖV 1953, 161 ff. 74 Engelmann, S. 5, 219; Kollmann, S. 357; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (287). 75 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53 = NJW 1955, 1647. 76 BVerwG, Beschl. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138/90 = NVwZ 1991, 983. 77 BVerwG, Beschl. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138/90 = NVwZ 1991, 983 (984). 78 BVerwG, Beschl. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138/90 = NVwZ 1991, 983 (984). 79 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649).

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

lichen Verunstaltungsverbotes ist dasselbe wie bei den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsvorschriften: Schutzzweck ist es, „Unlustgefühle hervorrufende krasse Gegensätzlichkeiten und Widersprüche im Erscheinungsbild bebauter Gebiete abzuwehren“.80 Schutzgegenstand des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots ist allerdings im Gegensatz zu den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten der Länder nicht die bauliche Anlage und ihre Auswirkungen auf die unmittelbare Umgebung. Vielmehr möchte § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB unabhängig von der Baugestaltung der baulichen Anlage als solcher sicherstellen, dass durch das Vorhaben nicht das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltet wird.81 b) Mindestmaß an bauästhetischem Ortsbild- und Landschaftsschutz Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist unter Heranziehung der Definition zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsbegriff gegeben, wenn „das jeweilige Bauvorhaben dem Ortsoder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird“.82 Es muss ein grobes Missverhältnis zwischen dem Vorhaben und dem Landschaftsbild bestehen.83 Wesentliche Funktion der bauästhetischen Vorschriften ist es nämlich, ein Mindestmaß an äußerer Harmonisierung des architektonisch-landschaftlichen Gesamtbildes zu erreichen, nicht aber eine abwechslungsreiche Gestaltung zu erzielen.84 Ob die Schwelle zur Verunstaltung überschritten ist, hängt von den konkreten Umständen der jeweiligen Situation und den Gebietscharakteristika ab.85 Es liegt in der Natur der Sache, dass sich allgemeingültige Maßstäbe bei dieser ästhetischen Beurteilung kaum finden lassen.86 Das BVerwG hielt im Zusammenhang mit Windenergieanlagen fest, dass dieser Grundsatz auch gegenüber im Außenbereich privilegierten Vorhaben gilt.87 Der Begriff der „Verunstaltung“ ist eng auszulegen und nur in Ausnahmefällen anzunehmen. Nicht jede optische Abweichung von der Umgebung ist relevant, son 80

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 82 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384; HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 53; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 44; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; Brenner, Rn. 699; Scheidler, BauR 2019, 190 (195). 83 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295. 84 Kamp, S. 23; Kapell, S. 84; Looks, S. 19 f. 85 BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444; Kamp, S. 24. 86 Engelmann, S. 34. 87 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; bestätigend: OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 44; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); Weyreuther, S. 488. 81

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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dern nur eine schwerwiegende.88 Eine Verunstaltung ist damit die „handgreifliche Negation des Schönen“.89 Das machte bereits das PrOVG in seinem berühmt90 gewordenen „Kreuzberg-Urteil“91 von 1882 deutlich. Gegenstand des Urteils war die Polizeiverordnung des Polizeipräsidiums in Berlin, nach der Gebäude in der Nähe des Kreuzberges nur in einer bestimmten Höhe errichtet werden durften, damit weder die Ansicht von der Stadt auf das Denkmal, noch die Sicht vom Denkmal auf die Stadt beeinträchtigt werden konnte. Das Polizeipräsidium in Berlin hatte eine baupolizeiliche Genehmigung aufgrund dieser Polizeiverordnung versagt. Das PrOVG erkannte die entsprechende Polizeiverordnung als rechtsungültig an, „weil die darin enthaltenen Bauvorschriften diejenigen gesetzlichen Grenzen überhaupt überschreiten, welche bei Übung des polizeilichen Verordnungsrechtes in gegenständlicher Hinsicht einzuhalten sind“.92 Das PrOVG hat mit den „Kreuzberg-Urteilen“ vom 10. 06. 1880 und vom 14. 06. 1882 den klassischen materiellen Polizeibegriff der Gefahrenabwehr unter Ausklammerung der sogenannten Wohlfahrtspflege geprägt. Gleichzeitig erachtete es über die allgemeine polizeirechtliche Ermächtigung hinausgehende Eigentumsbeschränkungen im Wege der Spezialgesetzgebung für zulässig. Von dieser Möglichkeit machte sowohl der preußische Gesetzgeber als auch andere deutsche Länder insbesondere im Zusammenhang mit Werbeanlagen inner- und außerhalb geschlossener Ortschaften zur Verunstaltungsabwehr Gebrauch.93 Werbeanlagen – Reklameschilder, Schaukästen, Aufschriften und Abbildungen – mussten für sich betrachtet Ausdruck „anständiger Baugesinnung“ sein und sich „einwandfrei in die Umgebung einfügen“.94 Dabei ordneten die Rechtsprechung des PrOVG und das begleitende Schrifttum die Vorschriften zum Schutz gegen Verunstaltung durch Werbeanlagen dem Bereich der „Wohlfahrtspolizei“ zu und sahen das Verunstaltungsrecht als Materie zur Abwehr gegen Gefährdungen ästhetischer Belange, die vom bisherigen Verständnis der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne polizeilicher Generalklauseln nicht erfasst wurden.95 Nach den Ausführungen des PrOVG im „Kreuzberg“-Urteil von 1882 war für die Beurteilung der Frage, ob im Einzelfall eine Verunstaltung vorlag, nicht ein mehr oder weniger an freier Aussicht und die zwischen dem Denkmal und seiner Umgebung bestehende Harmonie entscheidend, sondern „die Herbeiführung eines positiv 88 Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; Kamp, S. 24; für eine restriktive Anwendung der Verunstaltungsvorschriften bereits Kronecker, DJZ 1911, 1202 (1203). 89 VG Stuttgart, Urt. v. 12. 05. 2004 – 16 K 3344/03; Engelmann, S. 33; Kamp, S. 24; Mick, S. 159, 322; Weyreuther, S. 491. 90 Rott, NVwZ 1982, 363 ff. 91 PrOVG, Urt. v. 14. 06. 1882, Rep. II B. 23/82 = PrOVGE 9, 353 ff. 92 PrOVG, Urt. v. 14. 06. 1882, Rep. II B. 23/82 = PrOVGE 9, 353 (384). 93 Zum Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden vom 02. 06. 1902 siehe Schultzenstein, DJZ 1902, S. 468 ff. 94 BVerwG, Urt. v. 11. 10. 2007 – 4 C 8.06, Rn. 20 f. 95 BVerwG, Urt. v. 11. 10. 2007 – 4 C 8.06, Rn. 23; Baltz / Fischer, S. 3 f.; Schultzenstein, DJZ 1902, S. 468 (469).

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

hässlichen, jedes offene Auge verletzenden Zustandes“.96 Damit brachte schon das PrOVG deutlich zum Ausdruck, dass für die Annahme einer Verunstaltung in jeder Hinsicht ein sehr strenger Maßstab anzulegen ist. Im Zuge der preußischen Gesetzgebung gegen die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (insbesondere das Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden von 190297 und das Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden von 1907) wurden zahlreiche Verunstaltungsbegriffe eingeführt, die jeweils einen unterschiedlichen Grad an ästhetischer Beeinträchtigung voraussetzten. So entstand ein abgestuftes System, in dem die „Verunzierung“ ein Mehr an einem optischen Missgriff erforderte als eine bloße „Beeinträchtigung“.98 Während die „Verunzierung“ eine „Beeinträchtigung“ des ästhetischen Empfindens des Beschauers nicht genügen ließ, sondern eine als Unlust empfundene Störung des durch die Betrachtung der Landschaft verursachten Naturgenusses erforderte, zeichnete sich eine „Verunstaltung“ durch die Herbeiführung eines positiv hässlichen Zustands aus.99 Mit der Begriffswahl der „groben“ Verunstaltung war ein noch enger gefasster Schutz des Landschaftsbildes beabsichtigt.100 Es ist aufgrund der mangelnden Trennschärfe und eher künstlich anmutenden Terminologien nicht überraschend, dass sich die preußische Verwaltungsrechtsprechung mit der Abgrenzung zwischen der „groben“ und der „einfachen“ Verunstaltung schwer tat.101 Heute ist nur noch relevant, ob eine Verunstaltung vorliegt, oder nicht – dann liegt gegebenenfalls eine unbeachtliche Beeinträchtigung des Ortsoder Landschaftsbildes vor. Mit dem Begriff der „Verunstaltung“ wird nur ein Mindestmaß an bauästhetischem Ortsbild- und Landschaftsschutz abgesichert, sodass die Anforderungen, die im konkreten Einzelfall an eine Verunstaltung zu stellen sind, recht hoch sind.102 Die baukünstlerischen Gestaltungsvorschriften wenden sich daher gegen die stärksten ästhetischen Unwerte, also vornehmlich gegen das „Hässliche und Abstoßende“.103 Das Vorhaben muss also das Gefühl des Missfallens erwecken und zu Kritik und Abhilfe herausfordern. Die „Schwelle von der Unschönheit zur Hässlichkeit“ muss überschritten sein.104 96

PrOVG, Urt. v. 14. 06. 1882, Rep. II B. 23/82 = PrOVGE 9, 353 (381 f.). Das Gesetz geht wohl auf den Wunsch des Rheinlandes zurück, den Zustand gesetzlich zu regeln, nach dem am Rhein und in seinen Nebentälern zahlreiche Reklameschilder aufgestellt wurden und „großes Ärgernis erregten“, Goldschmidt, S. 12 f.; Schultzenstein, DJZ 1902, S. 468 (469). 98 Goldschmidt, S. 38; Kamp, S. 8. 99 Baltz / Fischer, S. 176, 178; Kamp, S. 8. 100 Kapell, S. 31. 101 Nachweise bei Baltz / Fischer, S. 178, Fn. 5. 102 J / D/Spieß, § 35, Rn. 209; Müller, K., S. 15; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 87. 103 Looks, S. 19 f., 46; Michel, S. 143; Moench / Schmidt, S. 16. 104 Moench / Schmidt, S. 16. 97

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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c) Gerichtliche Entscheidungsfindung Die Verwaltung und die Gerichte erforschen gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG bzw. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO den Sachverhalt von Amts wegen. Diese entscheiden über Art und Umfang der Tatsachenermittlung nach pflichtgemäßem Ermessen.105 Eine Inaugenscheinnahme ist für die gerichtliche Entscheidungsfindung nicht unbedingt erforderlich. Die Mitglieder der Kammern und Senate können eine Verunstaltung nämlich auch aus ihrer persönlichen Kenntnis heraus mithilfe von Lichtbildern beurteilen.106 Eine Ortsbesichtigung ist durchzuführen, soweit es nach dem Normzusammenhang maßgeblich auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten ankommt107 oder die Beteiligten im gerichtlichen Verfahren Zweifel an der Aussagekraft für die Entscheidung wesentlicher Merkmale geäußert haben und diese zutreffen können.108 Die Feststellungen, die der Richter dabei an Ort und Stelle trifft und die er im Protokoll festhält, sind objektiver Natur.109 Das BVerwG110 stellte klar, dass es keinen Rechtssatz des Inhalts gibt, dass ein Gericht ästhetische Würdigungen stets oder in der Regel nur auf eigenen Augenschein stützen darf. Die Beurteilung einer Verunstaltung setzt dennoch wegen ihrer im optischen Bereich liegenden Natur im Regelfall eine Inaugenscheinnahme voraus, soweit eine Einschätzung auf der Grundlage von Lichtbildern den mit einer Augenscheinseinnahme verfolgten Zweck nicht zuverlässig erfüllen kann.111 Von der Durchführung einer Ortsbesichtigung kann indes nur abgesehen werden, wenn bei einer Bezugnahme auf Hilfsmittel, wie Pläne, Karten und Lichtbilder, eindeutige Feststellungen des objektiven Sachverhalts getroffen werden können. Auch Feststellungen eines anderen Gerichts in Protokollen und in Verbindung mit Plänen und Lichtbildern können eine eigene Beurteilung des erkennenden Gerichts ermöglichen.112 In der Literatur wird bereits erwogen, ob eine Ortsbesichtigung im Zeitalter der Computersimulation mit Blick auf im Internet frei verfügbare Luftbilder oder Kartenmaterial und staatlich betriebener Online-Portale regelmäßig für entbehrlich erachtet werden kann.113

105

BVerwG, NVwZ-RR 1992, 227 (227); Kollmann, S. 386. BVerwG, DÖV 1968, 287 (288); BVerwG, ZfBR 2009, 277 (278); Engelmann, S. 197; FKA / Ferner, § 35, Rn. 33; Kollmann, S. 386. 107 BVerwG, NVwZ-RR 1992, 227 (227) in Bezug auf die Abgrenzung zwischen Außen- und Innenbereich; zu einem erleichterten Maßstab für einen erfahrenen Bausenat BVerwG, Beschl. v. 11. 07. 1991 – 4 B 92/91 – juris Rn. 3; Kollmann, S. 387. 108 BVerwG, ZfBR 2009, 277 (278); Kollmann, S. 387. 109 Engelmann, S. 233. 110 BVerwG, Urt. v. 13. 12. 1967 – 4 C 146.65 = DVBl. 1968, 509 (514). 111 BVerwG, ZfBR 2009, 277 (278); Kamp, S. 49; Kollmann, S. 386. 112 BVerwG, Beschl. v. 04. 11. 1965 = BB 1965, 1204; VGH BW, VBl.BW 2009, 466 (467); Engelmann, S. 233; Kollmann, S. 386; Schweiger, DVBl. 1968, 481 (489), lässt die Heranziehung von Lichtbildern nur zu, wenn mehr als zwei Bilder aus verschiedenen Richtungen und Blickwinkeln aufgenommen wurden und es sich zugleich um einen einfach gelagerten Fall handelt. 113 Eingehend Kollmann, S. 387 f. m. w. N. 106

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Der Richter kann sich im Übrigen nur in Ausnahmefällen eines Sachverständigen bedienen, wie es im Bereich zivil- und strafgerichtlicher Praxis üblich ist, da die mit Bausachen befassten Kammern und Senate in der Regel selbst über die erforderliche Sachkenntnis verfügen.114 Das BVerwG geht sogar davon aus, dass ein Sachverständiger nicht herangezogen werden könne, um den Inhalt der maßgeblichen Empfindung oder Anschauung festzustellen, da der Richter aufgrund einer bei ihm vorauszusetzenden Lebenserfahrung in der Lage sei, das Empfinden und die Anschauungen, die bei der Beurteilung zugrunde zu legen sind, selbst beurteilen zu können.115 Der unbestimmte Rechtsbegriff der Verunstaltung ist sogar nach der Ansicht des BayVGH einer Beweiserhebung durch Sachverständige nicht zugänglich.116 Ein Sachverständigenbeweis kann jedoch zur Wissensgenerierung in besonders gelagerten Ausnahmefällen notwendig sein, in denen nur ein Fachmann die für die ästhetische Beurteilung entscheidenden Kriterien aufzuzeigen in der Lage ist.117 Der Sachverständige kann allerdings nie dem Richter die Wertung abnehmen. Er hat nur die Grundlage für die vom Richter zu treffende Entscheidung zu liefern, soweit dieser nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt. Er übt beratende Tätigkeit aus und weist auf Dinge hin, die dem Richter allein verschlossen geblieben wären.118 d) Das BVerwG, die Baugestaltungsverordnung von 1936 und die Begrenzung auf die „negative“ Verunstaltungsabwehr Der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) besitzt eine geringe praktische Bedeutung, da er gerade nicht einer „positiven Gestaltungspflege“ dient.119 Sein Ziel ist es vielmehr, gestalterische Mindestanforderungen an Vorhaben im Außenbereich durchzusetzen, sog. „negative Gestaltungspflege“. Unter einer „positiven Gestaltungspflege“ versteht man hingegen mehr als die bloße Abwehr von Verunstaltungen; insoweit wird mit ihr fast ausnahmslos die Vorstellung einer über die reine Verunstaltungsabwehr hinausgehenden Durchführung baugestalterischer Absichten verbunden.120 114 Engelmann, S. 197, 233; Michel, S. 73; Müller, K., S. 173; dies nahm sogar schon das PrOVG in einem Fall an, in dem es den schärferen Beurteilungsmaßstab des „ästhetisch Geschulten“ anwandte, PrOVGE 105, 250 (251 f.). 115 BVerwG, BBauBl. 1961, 374 (375). 116 BayVGH, BayVBl. 2001, 211 (212). 117 Kamp, S. 46; Kollmann, S. 389; Müller, K., S.  173 f., 177; S / B/Dirnberger, Art. 8, Rn. 61. 118 Engelmann, S. 199; Kamp, S. 46; Schweiger, DVBl. 1968, 481 (489); Sachverständige sind daher nach Auffassung des BVerwG „Gehilfen“ des Gerichts, deren Aufgabe es ist, „dem Gericht besondere Erfahrungssätze oder Kenntnisse des jeweiligen Fachgebietes zu vermitteln und / oder aufgrund von besonderen Erfahrungssätzen oder Fachkenntnissen Schlussfolgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zu ziehen“, BVerwGE 71, 38 (41 f.). 119 Bröll / Jäde, Teil  4/4. 6. 5, Rn. 14; Erbel, S. 172; Mick, S. 159; Weyreuther, S. 491. 120 BVerwG, NVwZ-RR 1998, 486 (487); Kamp, S. 19, 58; Kollmann, S. 382; Manssen, S. 216; Müller, K., S. 15, 23; Parchmann, S. 18; Seybold, S. 15 f.; Watzke, S. 46; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (287); im Innenbereich kommen als Instrumente einer aktiven Bau- und Stadtgestaltung sowohl

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Zur Abgrenzung zwischen positiver Gestaltungspflege und negativer Verunstaltungsabwehr kommt es dabei nicht auf die gesetzliche Formulierung an, sodass es mit anderen Worten keinen inhaltlichen Unterschied macht, ob die gestalterischen Anforderungen durch den Gesetzgeber positiv oder negativ formuliert wurden.121 Während die Zuständigkeit für die negative Gestaltungspflege bei den Bauaufsichtsbehörden liegt, können die Gemeinden durch Aufstellung eines Bebauungsplanes mittels Festsetzung von in § 9 Abs. 1 BauGB abschließend genannten gestalterischen Anforderungen oder durch den Erlass örtlicher Bauvorschriften, die über den bauplanerischen Festsetzungskatalog hinausgehen können, auf die schönheitliche Gestaltung Einfluss nehmen und ihre baugestalterischen Absichten verwirklichen.122 Das BVerwG123 brachte in seiner – soweit ersichtlich – ersten Entscheidung zum Verunstaltungsbegriff deutlich zum Ausdruck, dass Leitprinzip der Verunstaltungsvorschriften in Abkehr zur (aktiven) nationalsozialistischen Baugestaltungspflege die liberale Verunstaltungsabwehr baulicher Anlagen ist. Das zugrundeliegende Urteil hatte dabei die Frage nach der Rechtsgültigkeit des § 1 der Verordnung über die Baugestaltung vom 10. 11. 1936 – im Folgenden: Baugestaltungsverordnung124 (BGVO) – zum Gegenstand, die auch bejaht wurde, soweit der Inhalt der Vorschrift nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ausreichend bestimmbar war und im Wege der verfassungskonformen Auslegung auf die reine Verunstaltungsabwehr begrenzt werden konnte.125 Nach § 1 BGVO waren „bauliche Anlagen und Änderungen so auszuführen, dass sie Ausdruck anständiger Baugesinnung und werkgerechter Durchbildung sind und sich der Umgebung einwandfrei einfügen“. Das BVerwG sah in den in der BGVO verwandten Begriffen unbestimmte Rechtsbegriffe. Diese seien nicht bestimmbar, „wenn man ihren Zweck darin sehen will, jede Beeinträchtigung des ästhetischen Empfindens des Beschauers zu verhindern“: Es fehlte insbesondere dem Begriff der „anständigen Baugesinnung“ die ausreichende Bestimmbarkeit, weil „die Anschauungen darüber, was ästhetisch befriedigend ist, innerhalb der Bevölkerung ganz verschieden sind, ohne dass eine allgemein gültige Richtschnur zu finden ist, an der diese Anschauungen gewertet werden können“.126 ein ergänzendes städtebauliches Gestaltungsrecht durch den Erlass von Erhaltungssatzungen gem. § 172 BauGB und die Anordnung von städtebaulichen Geboten gem. § 176 Abs. 2 und § 177 BauGB, als auch ein ergänzendes bauordnungsrechtliches Gestaltungsrecht durch den Erlass von örtlichen Bauvorschriften in Betracht, vgl. Mick, DÖV 1991, 623 (626 ff.); Vilsmeier, S. 108 ff., 116 ff., 119 ff. 121 Engelmann, S. 49; Kollmann, S. 381; Manssen, S. 214; Parchmann, S. 19, 219; Zinkahn, DÖV 1953, 161 (166). 122 VG Gießen, Urt. v. 31. 03. 2008 – 1 K 99/08.GI, 1 K 99/08, juris Rn. 38; Kollmann, S. 382 f. 123 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53 = BVerwGE 2, 172; NJW 1955, 1647. 124 RGBl. 1936 I S. 938. 125 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53, Rn. 12. 126 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53, Rn. 12.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Der Begriff der „anständigen Baugesinnung“ wurde entsprechend eines Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 17. 12. 1936 betreffend die BGVO dahingehend verstanden, dass bauliche Anlagen nach den Regeln einer guten Baukunst in Bezug auf die architektonische Planung klar zu gestalten sind. Eine „Verunstaltung“ konnte allerdings nach Ansicht des BVerwG nicht bereits bei jeder Störung der architektonischen Harmonie angenommen werden, also beim Vorliegen von bloßer Unschönheit, sondern es musste „ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht bloß beeinträchtigender, sondern verletzender Zustand“ vorliegen.127 Der Begriff der „anständigen Baugesinnung“ musste daher in Hinblick auf das Erfordernis einer ausreichenden inhaltlichen Bestimmbarkeit auf die (negative) Verunstaltungsabwehr begrenzt werden. Andere Gesichtspunkte als die sich auf die äußere Gestaltung des Bauwerks beziehenden – wie etwa solche der sozialen Verantwortung – hatten damit außer Betracht zu bleiben.128 Das BVerwG hat in dieser Entscheidung aus dem Jahr 1955 eine Verunstaltung – soweit ersichtlich – zum ersten Mal dahingehend negativ definiert, dass eine „bauliche Anlage nicht das Gesamtbild der Umgebung stören und der Gegensatz zwischen ihr und der Umgebung von dem Betrachter nicht als belastend oder Unlust erregend empfunden werden darf“. Ist dies der Fall, fügt sich die Anlage in die Umgebung ein.129 Das BVerwG130 stellte ausdrücklich klar, dass für das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) dieselben Grundsätze gelten, die das BVerwG in seinem Urteil von 1955131 zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot im Zusammenhang mit der BGVO von 1936 entwickelt hat.132 Die Formulierung des BVerwG133 in Bezug auf das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot, nach der ein Vorhaben die natürliche Eigenart der Landschaft auch dann beeinträchtige, „wenn es einem schutzwürdigen Landschaftsbild in jeder Hinsicht unangemessen“ sei, bedeutet nichts anderes, als dass „das Bauvorhaben dem Orts- und Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter, dem sogenannten gebildeten Durchschnittsmenschen, als belastend empfunden wird“.134 Das Kriterium der „groben Unangemessenheit“ lässt sich indes historisch erklären. Es stammt aus der Zeit vor der Baurechtsnovelle von 1976, als im Bauplanungsrecht der Verunstaltungsschutz noch nicht als eigenständiger Belang in

127

BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53, Rn. 12. BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53, Rn. 12. 129 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53, Rn. 14. 130 BVerwG, Beschl. v. 19. 01. 1978 – 4 B 90/77. 131 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53. 132 Weyreuther, S. 491. 133 BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261. 134 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53; BVerwG, Beschl. v. 19. 01. 1978 – 4 B 90/77; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 128

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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den Katalog des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgenommen worden war. Um dennoch Verunstaltungen des Orts- oder Landschaftsbildes auf bauplanungsrechtlicher Ebene entgegenwirken zu können, wurde damals der optisch-ästhetische Landschaftsschutz mit unter den Belang der „natürlichen Eigenart der Landschaft“ gefasst. Die natürliche Eigenart der Landschaft sah man nach überkommener Definition als beeinträchtigt an, wenn die bauliche Anlage in Hinblick auf diese „grob unangemessen“ war.135 e) Die abweichende Gestaltung eines Vorhabens in landschaftsüblicher und funktionsgerechter Bauweise Es fließen häufig in die gerichtliche bauästhetische Beurteilung eines Vorhabens Erwägungen über den Sinn und Zweck der konkreten Baugestaltung mit ein.136 Es ist jedoch nicht unbedenklich, vom Verunstaltungstatbestand jene Vorhaben auszunehmen, die zwar das ästhetische Empfinden verletzen, aber unvermeidlich sind, da sie, um einem vernünftigen Zweck dienen zu können, nicht anders gestaltet werden können.137 Die im Wissen um ihre Funktion begründete Akzeptanz eines ästhetisch unbefriedigenden Vorhabens durch den gebildeten Durchschnittsbetrachter kann jedenfalls bei der bauästhetischen Beurteilung einer Verunstaltung zu berücksichtigen sein, zumal das menschliche ästhetische Urteil häufig mitbeeinflusst wird vom Wissen um den hinter der Gestaltung stehenden Zweck.138 Daher werden die Anforderungen an die Maße eines Stalles als Zweckbau für sich alleine genommen noch nicht zu einer rechtlich erheblichen Verunstaltung des Landschaftsbildes führen. Stallgrößen sind abhängig von Art und Umfang des Tierbestandes und regelmäßig lang und breit. Dieser typischen Gestaltung, die funktionsbedingt ist, kann im Falle einer Privilegierung nicht der öffentliche Belang einer Beeinträchtigung oder Verunstaltung der Landschaft entgegen gehalten werden, wenn keine besonders schutzwürdige Umgebung vorliegt.139 Die Zugrundelegung einer landschaftsüblichen und funktionalen Betrachtungsweise kann gerade bei landwirtschaftlichen Betrieben „dienenden“ Vorhaben im 135

Parchmann, S. 21. Für das Bauordnungsrecht vgl. Kapell, S. 77 m. w. N. aus der Rspr. 137 Kritisch hierzu Kapell, S. 77 f. 138 OVG NRW, Urt. v. 03. 09. 1976 = BRS 30, Nr. 114; Kapell, S. 78. 139 Im konkreten Fall verneint, s. VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K15.4998; eine Verunstaltung des Landschaftsbildes wurde im Falle der geplanten Errichtung einer Hähnchenmastanlage innerhalb einer früheren Donauschleife angenommen, die heute ein mit Auengehölzen dicht bestandener Graben und als Biotop in der amtlichen Kartierung erfasst ist. Das Vorhaben wird nach dem optisch-ästhetischen Maßstab eines für den Gedanken des Natur- und Landschaftsschutzes aufgeschlossenen Betrachter für das von einer artenvielfältigen Flusslandschaft mit Deichvor- und -hinterland geprägte Landschaftsbild am beabsichtigten Standort für verunstaltend erachtet, vgl. BayVGH, Beschl. v. 31. 01. 2014 – 15 ZB 12.1436, openJur 2014, 3459. 136

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dazu führen, dass ein in ästhetischer Hinsicht unbefriedigendes Vorhaben jedenfalls dann nicht zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führt, wenn es in räumlicher Nähe zu einem Weiler steht oder das Gebiet bereits durch anderweitige bodenrechtlich relevante landwirtschaftliche Bauten vorbelastet ist und das Vorhaben nicht an einem exponierten Standort errichtet werden soll. Ein üblicher landwirtschaftlicher Aussiedlerhof in einer von Landwirtschaft geprägten Umgebung wird daher vom Betrachter regelmäßig als zur Landschaft gehörig und damit regelmäßig als nicht störendes Element im Landschaftsbild empfunden.140 Ebenso ist in der Errichtung eines landwirtschaftlichen Pferdepensionsbetriebes mit den hierfür erforderlichen, nicht überdimensionierten baulichen Anlagen kein besonders grober Eingriff in die Landschaft zu sehen, da ein für ästhetische Eindrücke offener Betrachter die Ansiedlung eines landwirtschaftlichen Pferdepensionsbetriebes im Außenbereich typischerweise erwartet.141 Diese Wertung kann allerdings nicht auf Standorte in exponierten Lagen übertragen werden. Etwas anderes kann auch bei Erweiterungen vorhandener Hofstellen gelten. Schließlich ist bei der Erweiterung eines Vorhabens nicht auf die Wirkung der Erweiterung als solcher, sondern auf die Wirkung des gesamten erweiterten Vorhabens abzustellen.142 Die im Rahmen des öffentlichen Belangs der Verunstaltung des Landschaftsbildes zu berücksichtigende landschaftsübliche und funktionale Betrachtungsweise über den Sinn und Zweck der konkreten Baugestaltung ist dabei von dem Tatbestandsmerkmal des „Dienens“ in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB abzugrenzen. Mit dem Tatbestandsmerkmal des „Dienens“ soll nur sichergestellt werden, dass das Bauvorhaben tatsächlich in einer funktionalen Beziehung zu dem landwirtschaftlichen Betrieb steht. Dagegen betrifft die Frage des Standorts nicht das Tatbestandsmerkmal „Dienen“, sondern ist Gegenstand der Abwägung eines grundsätzlich privilegierten Vorhabens mit den in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten öffentlichen Belangen im Einzelfall.143 Nach alledem kann auch die Ausführung eines Vorhabens in einer besonders „krass störenden“ Abweichung von der Gestaltung in landschaftsüblicher und funktionsgerechter Bauweise eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB darstellen.144

140 OVG RhPf, Urt. v. 04. 07. 2007 – 8 A 10260/07 – openJur 2012, 135916; etwas anderes gilt beispielsweise im Falle einer Winzeraussiedlung an einem exponierten Standort, die optisch nicht an eine bereits vorhandene Bebauung angebunden ist, sondern vom Weingut deutlich abgesetzt erscheint, vgl. insoweit VG Neustadt a. d. W., Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW, openJur 2020, 24318. 141 VG Neustadt an der Weinstraße, Urt. v.  22. 02. 2016  – 3 K 325/15.NW, openJur 2020, 18275. 142 VG Stuttgart, Urt. v. 22. 10. 2020 – 2 K 1074/19 – openJur 2020, 77089. 143 BayVGH, Beschl. v. 11. 07. 2016 – 15 ZB 14.400, Rn. 7. 144 HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93.

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Dies ist dann der Fall, wenn ein Vorhaben „wegen seiner Größe“ und „seiner auffälligen klotzigen Form“ einen weithin sichtbaren „Fremdkörper“ darstellt.145 Ein Außenbereichsvorhaben, das an einem exponierten Standort in einer besonders schützenswerten Landschaft errichtet werden soll, kann daher grundsätzlich das Landschaftsbild verunstalten, soweit das Vorhaben vom herkömmlichen und landschaftsüblichen Baustil besonders krass abweicht – im Falle einer besonders krassen Abweichung von einem landschaftsüblichen Baustil ist jedoch weder schemenhaft von einer groben Unangemessenheit auszugehen noch wird diese widerleglich vermutet.146 Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass nur solche Anforderungen an die Baugestaltung zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB führen können, die – wie bei § 34 Abs. 1 BauGB – potentiell bauplanerisch festsetzbar sind.147 Die Errichtung einer „nicht originär landwirtschaftlichen ehemaligen Flugzeughalle“ in exponierter Lage auf einer Anhöhe kann beispielsweise wegen „ihrer Größe und massiven Bauweise“ das Landschaftsbild verunstalten.148 Die Einrichtung mehrerer Bienenvölker in einem ehemaligen Wochenendhäuschen kann zudem zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führen, da die Errichtung eines Bienenhauses in Form eines Wochenendhauses sowohl in ästhetischer als auch in funktionaler Hinsicht nicht einem echten Bienenhaus entspricht.149 Andererseits verunstaltet die äußere Gestaltung eines auf einer Anhöhe errichteten Milchviehstalls mit abgerundeter Satteldachform und einer Kunststofffolie als Dach- und Außenwandabdeckung weder das Ortsbild eines Weilers noch das Landschaftsbild, da der Stall als moderner Zweckbau in unmittelbarer Beziehung zu dem auf der Anhöhe gelegenen landwirtschaftlichen Anwesen erscheint. Damit liegt kein landschaftsfremdes und damit störendes Bauelement vor, da der Stall trotz Verwendung einer neuartigen Bauform in Hinblick auf die landwirtschaftliche Bodennutzung als landschaftsüblich und funktionsgerecht anzusehen ist.150 Ein fabrikartig gestalteter Aussiedlerhof in landschaftlich exponierter Lage, der sich allerdings nicht an die herkömmliche landschaftsübliche Bauweise orientiert, kann weiterhin im Einzelfall das Landschaftsbild verunstalten.151 Die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote beziehen sich sowohl auf bauliche Anlagen, als auch auf andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne der jeweils anwendbaren Landesbauordnung. Sie betreffen daher ausschließlich das 145

BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67, Rn. 22. BVerwG, Beschl. v. 19. 01. 1978 – 4 B 90/77, Rn. 2 f. 147 BVerwG, Urt. v.  11. 05. 2000  – 4 C 14.98; OVG NRW, Urt. v.  06. 11. 1990  – 11 A 190/87 = BauR 1991, 574 (575); Mick, S. 313, 321; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 143; vgl. Kapitel B. III. 5., V. 1. 148 BVerwG, Beschl. v.  13. 11. 1996  – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444; HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93. 149 BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261. 150 VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11. 151 BVerwG, Beschl. v. 19. 01. 1978 – 4 B 90/77; Bröll / Jäde, Teil  4/4. 6. 5, Rn. 15. 146

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

äußere Erscheinungsbild einer Anlage, nicht aber deren Nutzung. Was nicht Bestandteil (§ 93 BGB), Zubehör (§ 97 BGB) bzw. Bauteil einer baulichen Anlage ist, kann nicht bewirken, dass die bauliche Anlage die Umgebung verunstaltet oder selbst verunstaltend wirkt.152 So kann die von außen einsehbare Gestaltung im Inneren einer baulichen Anlage, die nicht an der baulichen Anlage angebracht als ein Teil der Anlage – wie etwa die Beklebung oder Bemalung der Fensterscheibe – erscheint, nicht mit bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten unterbunden werden.153 Zur Beurteilung einer bauplanungsrechtlichen Verunstaltung wird hingegen der städtebauliche Gesamteindruck des Vorhabens und seiner Umgebung in den Blick genommen. Es kommt dabei maßgeblich auch auf die funktionsgerechte Nutzung des Vorhabens an. Die dem Landschaftsbild wesensfremde Nutzung kann auch in optisch-ästhetischer Hinsicht das Landschaftsbild verunstalten. Es kommt schließlich maßgeblich auf die Wirkung des Vorhabens auf seine Umgebung an. Die bauplanungsrechtlich relevante Umgebung ist dabei viel weiter zu ziehen als die Umgebung für das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot. Ein im Außenbereich geplanter Kraftfahrzeugwerkstattbetrieb kann daher wegen im Freien abgestellter Fahrzeuge zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führen.154 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Umgebung dadurch gekennzeichnet ist, dass unmittelbar an die frühere Hofstelle die aus Äckern und Wiesen gebildete freie Landschaft beginnt, sodass die abgestellten Fahrzeuge auf das Erscheinungsbild der freien Landschaft „hineinwirken“ würden, indem sie einen hässlichen, den gebildeten Durchschnittsbetrachter nicht nur belastenden, sondern verletzenden Zustand verursachen.155 Die Errichtung eines Ausstellungsplatzes für Kraftfahrzeuge im Außenbereich verunstaltet das Landschaftsbild (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB), soweit das Vorhaben seitlich vor einer historischen Schlossanlage errichtet werden soll, die ihr historisches Bild weitgehend bewahrt hat und dadurch die umliegende Außenbereichslandschaft besonders prägt. Damit können Vorhaben, die im Umgriff von historischen Schlossanlagen realisiert werden sollen, das Landschaftsbild verunstalten, soweit sie im Einzelfall der besonderen Schutzbedürftigkeit des historisch gewachsenen Orts- und Landschaftsbildes und dessen geschichtlicher Bedeutung in keiner Weise mehr gerecht werden.156 Nicht jede Beeinträchtigung des Landschaftsbildes führt jedoch zu einer Verunstaltung. Eine geplante Gerätehalle eines Weinbaubetriebs im Außenbereich in Sichtweite einer Villa verunstaltet nicht das Landschaftsbild und ist daher bauplanungsrechtlich zulässig, soweit die Halle nur teilweise die freie Sicht auf das Kulturdenkmal der Villa behindert und sich auf einen schmalen Streifen zwischen Ortsrandbebauung und dem Vorhabenstandort beschränkt.157 152

Kapell, S. 72 f. Kapell, S. 73 f. 154 A. A. offenbar Kapell, S. 74. 155 VGH BW, Urt. v. 07. 09. 1989 – 8 S 1135/88 = BRS 49 Nr. 94. 156 VG Würzburg, Urt. v. 05. 11. 2009 – W 5 K 09.193, Rn. 23. 157 OVG RhPf, Urt. v. 25. 02. 2015 – 8 A 10945/14. 153

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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f) Unbeachtliche Beeinträchtigungen Bloße nachteilige Veränderungen und Beeinträchtigungen des Orts- und Landschaftsbildes oder ein reines Erhaltungsinteresse reichen nicht aus, um ein Vorhaben unzulässig zu machen.158 Da eine Verunstaltung nach der althergebrachten Definition nur dann vorliegt, wenn das Vorhaben in Hinblick auf seine Umgebung „grob unangemessen“ ist, reichen in einer nicht förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Außenbereichslandschaft richtigerweise auch bei einem sonstigen Vorhaben bloße Beeinträchtigungen oder das Interesse am Erhalt eines bestimmen Orts- oder Landschaftsbildes nicht aus, um dieses unzulässig zu machen.159 Anders liegen die Dinge im Falle des Vorliegens einer besonders schutzwürdigen Umgebung.160 Das Landschaftsbild wird im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB verunstaltet, „wenn ein Unlust erregender, krass störender Widerspruch in ästhetischer Hinsicht zur Umgebung gegeben ist“.161 Das Vorhaben muss dem Landschaftsbild „grob unangemessen“ sein und damit unauflösliche Widersprüche in ästhetischer Hinsicht hervorrufen.162 Es ist mit anderen Worten nicht ausreichend, um eine Verunstaltung bejahen zu können, wenn eine Harmonie zwischen dem Bauvorhaben und der vorhandenen Bebauung in der Umgebung fehlt.163 Das BVerwG beschränkte schließlich § 1 der BGVO auf die reine Verunstaltungsabwehr, obgleich in der BGVO Bestrebungen in Hinblick auf eine optisch ansprechende Gestaltung und Erhaltung des Orts- und Landschaftsbildes zum Ausdruck kamen.164 Der Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) darf auch nur in diesem Sinne verstanden werden: Er verfolgt gerade nicht das Ziel einer ansprechenden optisch-ästhetischen Gestaltung des Orts- oder Landschaftsbildes.165 Es ist daher unbeachtlich, wenn „bei flüchtiger und isolierter Betrachtung einer zwar modernen, nach Form, Baustoffen und Proportionen ihrer Baumasse und Bauteile aber nicht hässlichen Halle der Eindruck eines vollkommen landschaftsfremden störenden Bauelements entsteht“. Obwohl sich die äußere Gestaltung eines Milchviehstalls mit einer abgerundeten Satteldachform und einer Kunststofffolie als Dach- und Außenwandabdeckung nicht harmonisch in das Landschaftsbild einfügt, genügt dies nicht, um eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) annehmen zu können. Erscheint die Halle 158

SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); Schröter, S. 596. 159 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32; Brenner, Rn. 699. 160 Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94. 161 HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93; Koppitz, Rn. 546. 162 VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11. 163 BVerwG, Urt. v. 22. 06. 1990 – 4 C 6/87, Rn. 26; B / K/L / M/R, § 35, Rn. 89; Schröter, S. 595. 164 Manssen, S. 168; Schmidt-Tophoff, BBauBl. 1957, 232 (233). 165 Weyreuther, S. 491.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

in unmittelbarer Beziehung zu einem landwirtschaftlichen Anwesen als moderner Zweckbau, dessen „angedeutete Satteldachform sich zudem im Grundsatz den Formen landwirtschaftlicher Gebäude in der Umgebung in moderner Gestaltung anzupassen versucht“, liegt kein störender Fremdkörper vor, obgleich die Halle wegen ihrer abweichenden Gestaltung einen Blickfang darstellt und gewisse optische Unruhe erzeugen mag.166 Soweit das Landschaftsbild bereits mit künstlichen Funktionsbauten vorbelastet ist, die in der natürlichen Umgebung als von Menschenhand zu einem bestimmten Zweck künstlich erschaffen erscheinen, führt ein geringfügiger Anbau oder eine Erweiterung noch nicht zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes. Die Errichtung einer Solaranlage auf einem Lärmschutzwall einer Autobahn stellt daher keine Verunstaltung des Landschaftsbildes dar, da bereits der bestehende Lärmschutzwall mit aufgesetzter Lärmschutzwand klar als Funktionsbau in Erscheinung tritt und damit keinen natürlichen Landschaftsbestandteil darstellt – was zu einer Minderung der Wertigkeit des Landschaftsbildes führt. Selbst die Begrünung des Walls ändert daran nichts. Allein die vergleichsweise geringfügige Erhöhung der Gesamtanlage durch den Überstand einer Photovoltaikanlage vermag das vorbelastete Landschaftsbild vor allem dann nicht derart empfindlich zu stören, dass ein grob unangemessener Eingriff in das Landschaftsbild angenommen werden könnte, soweit die überstehende Rückseite der Photovoltaikanlage nach Aufwuchs der mit dem Vorhaben beantragten Baumpfanzungen weitgehend dem freien Blick entzogen sein wird.167 Eine „Verunstaltung“ ist damit vielmehr ein besonders gravierender optischer Fehlgriff, also eine besonders schwerwiegende Abweichung, die das ästhetische Empfinden des Betrachters geradezu verletzt.168 Ob die „Schwelle zur Verunstaltung“ überschritten ist, ist eine zum Teil schwierige Einzelfallentscheidung, die von den konkreten Umständen der jeweiligen Situation abhängt.169 Der Verunstaltungsbegriff birgt daher in der Praxis eine erhebliche Ungewissheit, da er einerseits mit einer gewissen Subjektivität des entscheidenden Spruchkörpers verbunden ist und er andererseits einer Wandelbarkeit in Ansehung eines Generationenwechsels oder aufgrund von Gewöhnungseffekten unterliegt.170 Der Begriff der „Verunstaltung“ ist andererseits möglichst eng auszulegen: Die Errichtung eines Vorhabens an der vorgesehenen Stelle muss das Orts- oder Landschaftsbild „in einer nicht mehr hinzunehmenden Weise stören“.171

166

VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11. VG München, Urt. v. 14. 10. 2008 – M 1 K 08.2943, Rn. 25. 168 Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; Schröter, S. 594. 169 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; Birkemeyer, NuR 2016, 161 (162); Kamp, S. 48. 170 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (162). 171 OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. 167

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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3. Der „gebildete Durchschnittsbetrachter“ als ästhetischer Beurteilungsmaßstab Es ist gesetzestechnisch nicht möglich, „alles Werthafte eines Wertes, bzw. alles Unwerthafte eines Unwertes“ abschließend aufzuzählen.172 Entscheidungen, die allerdings dem Anspruch der Richtigkeit genügen sollen, bedürfen dennoch objektiver Bezugspunkte, gerade weil es sich bei den Verunstaltungsverboten um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt. Das Problem reduziert sich damit auf die Frage, welche Anschauungen der Allgemeinheit oder bestimmter Kreise angesichts der zunehmenden Differenzierung von Wertvorstellungen heranzuziehen sind.173 Bei der Beurteilung, ob sich ein Vorhaben in die nähere Umgebung einfügt oder das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltet, ist nach ständiger Rechtsprechung seit dem Grundsatzurteil des BVerwG aus dem Jahr 1955 weder auf den ästhetisch besonders empfindsamen oder geschulten, noch auf den gegenüber ästhetischen Eindrücken gleichgültigen und unempfindlichen Betrachter abzustellen.174 Während sich die Auswahl durch Ersteren jeder zuverlässigen Beurteilung entzieht, fehlt Letzterem jede sachliche Urteilsfähigkeit.175 Es ist vielmehr ein Mittelweg zwischen diesen beiden Personenkreisen zu finden; abzustellen ist daher auf den „gebildeten Durchschnittsmenschen“ und damit auf das Empfinden eines jeden für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters,176 weshalb das Gericht regelmäßig ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen entscheiden kann.177 Maßgeblich ist, ob der Anblick des Vorhabens bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für ästhetische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter nachhaltigen Protest auslöst.178 Bezugspunkt des ästhetischen Empfindens ist dabei die Wirkung des konkreten Vorhabens auf seine Umgebung. Die Schwelle zur Verunstaltung ist überschritten, wenn das Vorhaben Unruhe stiftet, optische Spannungen auslöst und somit einen „erheblichen Störfaktor“ in dem vorzufindenden Orts- und Landschafts­bild darstellt.179 Eine nicht unerhebliche Anzahl an Stimmen in der Literatur kritisiert im Zusammenhang mit der Auslegung des Verunstaltungsbegriffs als unbestimmten Rechts 172

Looks, S. 47. Mick, S. 167. 174 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53, Rn. 15; PdK-BayBO, Art. 8, Rn. 1; Schlez, § 9, Rn. 29. 175 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53, Rn. 15. 176 BVerwG, Urt. v.  28. 06. 1955  – 1 C 146.53, Rn. 15; SächsOVG, Urt. v.  18. 05. 2000  – 1 B 29/98; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; Mick, S. 171 ff.; PdK-BayBO, Art. 8, Rn. 1; Quambusch, BauR 2003, 635 (640); Schlez, § 9, Rn. 29; Weyreuther, S. 491; die Figur des „Durchschnittsbetrachters“ geht wohl zurück auf Goldschmidt, vgl. Kamp, S. 38; Schweiger, DVBl. 1968, 481 (482). 177 Schlez, § 9, Rn. 29. 178 BVerwG, Urt. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70.95; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11. 179 VG München, Urt. v.  27. 07. 2016  – M 9 K15.4998; OVG NRW, Urt. v.  05. 09. 2006  – 8  A  1971/04, NuR 2007, 215; Verunstaltung des Landschaftsbildes durch eine Winzeraussiedlung unterhalb des Hambacher Schlosses bejaht von VG Neustadt an der Weinstraße, Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW – openJur 2020, 24318. 173

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

begriff, dass das Abstellen auf den „objektiven Durchschnittsbetrachter“ kaum bzw. gar nicht geeignet sei, die angestrebte Objektivierung des Verunstaltungsbegriffs herbeizuführen.180 Für eine zweifelsfreie Beurteilung des Vorliegens einer Verunstaltung seien schließlich Kriterien erforderlich, die nicht von den Wahrnehmungen Einzelner abhingen, sondern hinreichend objektiv seien, um die Entscheidungsergebnisse nachvollziehbar und vorhersehbar zu machen. Das Abstellen auf den „objektiven Durchschnittsbetrachter“ sei in Wirklichkeit weder zuverlässig bekannt noch zuverlässig ermittelbar.181 Das BVerwG ersetze mit seiner geläufigen Definition den unbestimmten Rechtsbegriff der Verunstaltung durch weitere unbestimmte Rechtsbegriffe.182 Verunstaltungsverbote in dieser Auslegung verstießen im Übrigen gegen das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG), insbesondere gegen den aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten Parlamentsvorbehalt bzw. den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt, da nach dem Grundgesetz die Gesellschaft genauso wenig wie ein Einzelner Träger von Staatsgewalt sein könne.183 Es wurde sogar erwogen, dass (auch) die auf die (negative) Verunstaltungsabwehr beschränkten Normen verfassungswidrig seien, soweit es über ihre Anforderungen keine einheitliche Auffassung in der Allgemeinheit oder in einem zur Entscheidung berufenen bestimmten Personenkreis gebe.184 Es ist der Kritik sicherlich darin zuzustimmen, dass die praktische Steuerungskraft der Verunstaltungsverbote nicht von den subjektiven Wertungen der Rechtsanwender abhängig sein darf.185 Es erscheint daher überlegenswert, allein auf den künstlerisch geschulten Betrachter abzustellen.186 Das PrOVG187 hatte bereits den 180 Boeddinghaus, BauR 2001, 1675 (1676); Engelmann, S. 139 ff.; Kamp, S. 24 ff., 42 ff.; Kapell, S. 90 ff., 110, 255 f.; Kretschmer, DVBl. 1970, 55 (56); Looks, S. 44 ff.; Mick, S. 165, 171 ff.; Müller, K., S. 9 ff., 13 f.; Pischel, S. 38 ff., 154; Quambusch, BauR 2003, 635 (640); Scheerbarth, S. 140 ff.; Schmidt-Tophoff, BBauBl. 1957, 232 (233); Schweiger, DVBl. 1968, 481 (488); Seybold, S. 148 ff.; Vilsmeier, S. 87 ff.; Watzke, S. 104 ff. 181 Engelmann, S. 141; Müller, K., S. 9; Quambusch, BauR 2003, 635 (640); Vilsmeier, S. 87 ff. 182 Kamp, S. 25 f., 43, 153; Kapell, S. 100 f.; Vilsmeier, S. 89. 183 Kapell, S. 112 ff. 184 Watzke, S. 106. 185 Mick, S. 166; Quambusch, BauR 2003, 635 (640). 186 Büge / Zinkahn, S. 101; Engelmann, S. 143, 184; Michel, S. 74; Schweiger, DVBl. 1968, 481 (485); Seybold, S. 149 ff.; Vilsmeier, S. 92; Watzke, S. 108 – Im Denkmalschutzrecht wird bei der Frage, ob das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Denkmals gegeben ist, auf das Urteil eines sachverständigen Betrachters abgestellt, vgl. Boeddinghaus, BauR 2001, 1675 (1677) mit Verweis auf die Rspr. des OVG NRW; Müller, BauR 2009, 1536 (1537). Nach der Rspr. des BayVGH kommt im Übrigen dem Erfordernis des Art. 11 Abs. 1 BayBO a. F. (nunmehr Art. 3 BayBO), bauliche Anlagen nach den anerkannten Regeln der Baukunst durchzubilden, gegenüber dem früher in derselben Vorschrift verankerten Verunstaltungsverbot (nunmehr Art. 8 Satz 2 BayBO) eigenständige Bedeutung zu. Die gestalterischen Anforderungen gem. Art. 11 Abs. 1 BayBO a. F. sind daher von bauhandwerklichen und architektonischen Grundsätzen her zu bestimmen, vgl. Boeddinghaus, BauR 2001, 1675 (1677). 187 PrOVGE 82, 438; 99, 207 (211); 104, 236; 105, 250; diese Entscheidungen beziehen sich bis auf den 104. Band nicht auf die Baugestaltungsverordnung, sondern auf die preußischen Verunstaltungsgesetze. Das PrOVG verlangte auch im Anwendungsbereich der BGVO für eine

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verfeinerten Maßstab eines künstlerisch oder ästhetisch Geschulten für maßgeblich erachtet – dies allerdings mit Blick auf das preußische Verunstaltungsgesetz von 1907, das schon eine „Beeinträchtigung“ ausreichen ließ.188 Die herrschende Auffassung bestimmter Fachkreise lässt sich schließlich leichter ermitteln, während über die Auffassungen eines fiktiven Durchschnittsmenschen nur Vermutungen aufgestellt werden können.189 Die Bestimmung der Fachleute hingegen fällt leichter, da darüber schon ihre Ausbildung Aufschluss gibt.190 Das BVerwG hat dennoch mit der Kunstfigur des gebildeten Durchschnittsbetrachters ein allgemein akzeptiertes und praktiziertes Lösungsmodell entworfen, um die notwendige Objektivierung zu erreichen.191 Der „gebildete Durchschnitts­ betrachter“ ist insoweit nur eine Denkhilfe, die deshalb für notwendig gehalten wurde, da angesichts der vielfältigen Fallgestaltungen eine andere allgemeine Umschreibung einer „Verunstaltung“ nicht möglich erschien.192 Die zahlreichen Fallgruppen und Kategorisierungen zum bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot zeugen davon, dass die Verwaltungsgerichte in der Lage sind, den unbestimmten Rechtsbegriff der Verunstaltung hinreichend zu konkretisieren.193 Das BVerwG entschied daher bereits 1955, dass alle positiv gestalterischen Anforderungen unbestimmbar sind, da es keine einheitlichen Auffassungen darüber gibt, was ästhetisch befriedigend ist. Es kann daher nur hinsichtlich der untersten Grenze – nämlich die der Verunstaltung – von allgemeinverbindlichen Auffassungen gesprochen werden. Die Gestaltungsnormen sind insoweit auch im verfassungsrechtlichen Sinne hinreichend bestimmbar.194 Die Abwehr von Verunstaltungen ist außerdem kaum denkbar, wenn die Verwaltung sich bei ihrem kritischen Urteil vollständig jeder eigenen Vorstellung enthalten müsste, nach welchen positiven Grundsätzen gegebenenfalls das Vorhaben durchgeführt werden könnte. Eine solche Feststellung bedeutet jedoch nicht die Notwendigkeit administrativer Geschmackszensur. Selbst wenn man anerkennt, dass Auswüchse und Verirrungen nur festgestellt werden können, wenn ein solches Urteil von einem allgemeinen Rahmen zulässiger Maßstäbe ausgeht, ist es von grobe Verunstaltung das Empfinden des Durchschnittsbetrachters und für eine Störung oder Beeinträchtigung das feiner ausgebildete ästhetische Empfinden eines Sachverständigen, vgl. Kamp, S. 39 f. 188 Kamp, S. 39 f.; Watzke, S. 37. 189 Engelmann, S. 143, 184; Michel, S. 74; Schweiger, DVBl. 1968, 481 (485); Seybold, S. 149 ff. 190 Engelmann, S. 143; Watzke, S. 108. 191 BVerwG, Urt. v. 16. 02. 1968 – 4 C 190.65 = DVBl. 1968, 507 (508); zustimmend Watzke, S. 107. 192 Engelmann, S. 126; Kamp, S. 39; Maier, BayVBl. 1980, 5 (9); Manssen, S. 186; ähnlich Kollmann, S. 368. 193 Ausführlich Kollmann, S. 358; ablehnend gegenüber diesem Argument in Bezug auf die bauplanungsrechtliche Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB Vilsmeier, S. 91. 194 BVerwGE 2, 172 (176 f.); i. Erg. Kollmann, S. 358.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

hier noch ein weiter Weg zur behördlichen Statuierung ganz bestimmter, alleine zulässiger Bauweisen im Sinne einer inhaltlich selbst gestaltenden Baupflege der Bürokratie.195 Es empfiehlt sich zur Beurteilung in schwierig gelagerten Fällen auf das Gutachten sachverständiger Kreise zurückzugreifen, um der Willkür des Maßstabs des „gebildeten Durchschnittsbetrachters“ und dem eventuellen Vorwurf des „Kunstrichtertums“ zu entgehen.196 So sind Fälle denkbar, in denen sich auch der Richter des Rates von Sachverständigen bedienen muss, vor allem wenn es darum geht, bei komplizierten Vorhaben aus den Plänen auf die spätere Wirkung zu schließen. Es wird sich in aller Regel bei Ortsbildern von besonderer künstlerischer Bedeutung oder außergewöhnlichen Landschaftspanoramen empfehlen, Sachverständige zu hören.197 Die Hinzuziehung eines Werbebeirats wurde außerdem in der Literatur im Zusammenhang mit Anlagen der Außenwerbung und dem landesrechtlichen Verunstaltungsverbot diskutiert.198 Das Gericht kann sich jedoch nicht allein auf die Ansicht des Sachverständigen stützen. Das Urteil des gebildeten Durchschnittsbetrachters darf schließlich nicht beiläufig sein und der Willkür des Einzelnen unterliegen. Es ist ein Urteil des gebildeten Laien, das in dem jeweils erforderlichen Umfang die Fachmeinung des Experten bei der Entscheidungsfindung einbezogen hat.199 Das Gericht kann andererseits sogar von den Ansichten des Gutachters abweichen, wenn es sich mit ihm ausreichend auseinandergesetzt hat.200 Es dürfte für das Gericht allerdings nicht leicht sein, einen geeigneten Sachverständigen auf dem Gebiet des Verunstaltungsschutzes zu finden, wenn dieser nicht der Verwaltungsbehörde angehören soll. Es gilt weiterhin zu bedenken, dass es auch unter Sachverständigen keineswegs ein allgemein verbindliches ästhetisches Wertgefühl gibt. Die Auffassungen können demnach auch unter den einzelnen Sachverständigen zum Teil erheblich voneinander abweichen. Je nachdem, aus welcher Berufssparte der Sachverständige kommt, wird er sich kaum von architektonischen, behördlichen, künstlerischen, werbungstechnischen oder wirtschaftlichen Einflüssen freimachen können.201 In der Literatur wird daher für die Einführung von bauästhetischen Beiräten plädiert, die bei der optisch-ästhetischen Beurteilung

195

Oppermann, S. 461. Kamp, S. 46; Looks, S. 53–55; Mick, S. 175, 322; ebenso einen Kunstsachverständigen ablehnend Pischel, S. 41 f., da dieser auch nur seine eigene Subjektivität in die Beurteilung miteinfließen ließe. 197 Engelmann, S. 198 f. 198 Engelmann, S. 128, 200, 234 ff.; Kollmann, S. 391 ff.; Müller, K., S. 178 ff. 199 Engelmann, S. 129; Kamp, S. 46. 200 Engelmann, S. 199. 201 Engelmann, S. 200; Kapell, S. 136; Michel, S. 74; ähnlich krit. BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 = BVerwGE 2, 172 (177); kritisch in Bezug auf die Abgrenzung zwischen Kunst und Nichtkunst Knies, Schranken, S. 167, 169. 196

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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baulicher Anlagen beratend tätig werden sollen.202 Es erscheint allerdings fraglich, ob mit der Errichtung solcher Gremien wirklich ein Mehrwert für die richterliche Entscheidungsfindung geschaffen werden kann. Die Bauaufsichtsbehörden können immerhin zur Erfüllung ihrer Aufgaben und Befugnisse sachverständige Beratergremien einrichten, ohne dass es hierzu einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung bedürfte.203 Es handelt sich letztlich bei der Frage, ob zur Beurteilung einer Verunstaltung auf einen „gebildeten Durchschnittsmenschen“ oder auf einen „künstlerisch geschulten“ Menschen abzustellen ist, um ein Scheinproblem:204 Zum einen ist eine von jeglichem subjektiven Empfinden losgelöste zu treffende Entscheidung nur schwer vorstellbar, zum anderen gehört es doch zu den ureigensten Aufgaben der Gerichtsbarkeit, sich in andere Personen hineinzuversetzen.205 Das Abstellen auf den „gebildeten Durchschnittsbetrachter“ kommt zumindest im Anwendungsbereich des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots keine nennenswerte Bedeutung zu, da der Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes zum einen auf einen gewissen Abstraktionsgrad angewiesen ist und zum anderen über die Katalogisierung und Weiterentwicklung der einzelnen ausdifferenzierten Fallgruppen ein Mindestmaß an Klarheit, Bestimmtheit und Justiziabilität erreicht wird.206 Die Ausführungen des BVerwG207 in seiner Grundsatzentscheidung zu § 1 der BGVO in Bezug auf die Begriffe „Verunstaltung“ und „gebildeter Durchschnittsbetrachter“ bezweckten letztlich nichts anderes als zu versuchen, den Bereich zu bestimmen, in dem aufgrund einigermaßen noch übereinstimmender Anschauungen eine berechenbare Entscheidung möglich ist.208 Das Abstellen auf fiktive Figuren zur Objektivierung einer verwaltungsrechtlichen Entscheidung ist im Übrigen dem öffentlichen Baurecht nicht fremd.209

202

Parchmann, S. 93 ff. Parchmann, S. 93. 204 Kollmann, S. 368; Manssen, S. 185; Müller, K., S. 12; ähnlich auch Seybold, S. 151; kritisch Parchmann, S. 36 ff. 205 Kollmann, S. 370, 372. 206 Kollmann, S. 358; Seybold, S. 151. 207 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53 = BVerwGE 2, 172 ff. 208 Manssen, S. 169. 209 Bei der Frage nach dem „Sich-Einfügen“ gem. § 34 Abs. 1 BauGB wird schließlich auf das objektivierende Empfinden der „Durchschnittsbewohner“, bei der Zumutbarkeit von Lärmund sonstigen Einwirkungen auf das typisierende und generalisierende Empfinden des „Durchschnittsmenschen“ und zur Bestimmung, ob ein Vorhaben einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb i. S. d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB „dient“, wird auf den „vernünftigen Landwirt“ abgestellt, vgl. Kollmann, S. 369. 203

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

4. Abgrenzung des Belangs „der natürlichen Eigenart der Landschaft“ von dem Belang der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) Schon ausweislich des Wortlauts des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, der verschiedene naturbezogene Einzelbelange berücksichtigt und nennt, sind die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) einerseits und die Betroffenheit der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) andererseits unterschiedliche, bei der Rechtsanwendung voneinander zu trennende Belange. Ganz in diesem Sinne spielen Fragen der Verunstaltung des Landschaftsbildes bei der Definition und Subsumtion einer Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft nach der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung keine Rolle.210 Der Belang des Schutzes der natürlichen Eigenart der Landschaft verfolgt nach gefestigter Rechtsprechung den einzigen Zweck, den Außenbereich mit seiner naturgegebenen Bodennutzung für die Allgemeinheit zu erhalten. Die Landschaft soll in einem so verstandenen Sinne in ihrer natürlichen Funktion und Eigenart bewahrt bleiben. Der Belang wird schon dann beeinträchtigt, wenn durch das Vorhaben die Fläche der naturgegebenen Bodennutzung entzogen wird. Außenbereichsvorhaben mit einer anderen als einer land- oder forstwirtschaftlichen Bestimmung sind deswegen im Regelfall unzulässig.211 Es kommt bei dieser formellen Betrachtung nicht maßgeblich darauf an, ob ein Vorhaben mehr oder weniger auffällig in Erscheinung tritt. Denn der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft enthält keine optisch-ästhetische Komponente, sondern dient vornehmlich der Bewahrung der funktionellen Bestimmung der Landschaft.212 Vor dem Hintergrund dieser funktionellen Betrachtungsweise ist es nicht überraschend, dass eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft bei Außenbereichsvorhaben nur dann nicht in Betracht kommt, wenn sich entweder das Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die Bodennutzung noch für Erholungszwecke eignet oder es seine Schutzwürdigkeit durch bereits erfolgte anderweitige Eingriffe eingebüßt hat.213

210

BayVGH, Beschl. v. 18. 02. 2019 – 15 ZB 18.2509, Rn. 13. BayVGH, Beschl. v. 18. 02. 2019 – 15 ZB 18.2509, Rn. 10; Scheidler, BauR 2009, 190 (194 f.); Weyreuther, S. 81. 212 Scheidler, BauR 2009, 190 (194 f.); Weyreuther, S. 81. 213 BVerwG, Beschl. v. 08. 07. 1996 – 4 B 120.96 – juris Rn. 3; BayVGH, Urt. v. 17. 01. 2011 – 15 B 10.1445; Beschl. v. 11. 08. 2011 – 15 ZB 11.1214 – juris Rn. 5; Beschl. v. 28. 12. 2016 – 15 CS 16.1774 – juris Rn. 48; Beschl. v. 12. 05. 2017 – 15 ZB 16.1567 – juris Rn. 36; Beschl. v.  12. 05. 2017  – 15 ZB 16.1568  – juris Rn. 35; Beschl. v. 19. 12. 2017  – 1 ZB 16.1301  – ­juris Rn. 9; Beschl. v.  06. 04. 2018  – 1 ZB 16.2599  – juris Rn. 7; Beschl. v.  04. 06. 2018  – 1 ZB 16.1905  – juris Rn. 10; Beschl. v.  27. 11. 2018  – 1 ZB 17.179  – juris Rn. 11; Beschl. v. 18. 02. 2019 – 15 ZB 18.2509, Rn. 10. 211

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Bauästhetisch-planungsrechtliche Aspekte von Außenbereichsvorhaben werden in der Praxis gleichwohl eher in Hinblick auf die Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswertes beurteilt, sodass ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot selten festgestellt wird.214 Das Verunstaltungsverbot des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB dient hingegen dem optischen Landschaftsschutz. Das Tatbestandsmerkmal der „Verunstaltung“ stellt dabei klar, dass in ästhetischer Hinsicht anders als in funktioneller Hinsicht nicht jede Abweichung von der Umgebung relevant ist.215 Es muss sich vielmehr um eine schwerwiegende Abweichung von der Umgebung handeln, die das ästhetische Empfinden des Betrachters erheblich stört.216 Der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes verfolgt damit gerade nicht das gesetzgeberische Anliegen, wesensfremde Nutzungen aus dem Orts- und Landschaftsbild heraushalten, denn dazu dient nämlich der Belang des Schutzes der natürlichen Eigenart der Landschaft.217 Dass es bei dem Begriff „Landschaftsbild“ nur auf das optische Erscheinungsbild ankommt, ergibt sich bereits aus dessen Wortteil „-bild“.218 Sonstige Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB wirken daher nicht allein deshalb in der Landschaft verunstaltend, weil ihnen der Bezug zur landwirtschaftlich geprägten Bodennutzung fehlt. Sie werden jedoch regelmäßig in besonders landschaftlich reizvollen Gebieten oder unberührten Naturlandschaften eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) darstellen.219 Die von einem Vorhaben ausgehenden optischen Wirkungen berühren demnach umgekehrt die Belange des Schutzes der natürlichen Eigenart der Landschaft im Sinne der natürlichen Bodennutzung und ihres Erholungswertes nicht.220 Die „Schönheit“ der Landschaft ist insofern nicht eigentlich und nicht unmittelbar Schutzgut der funktionellen Bestimmung des Außenbereichs, sodass es sich bei dem Bezugspunkt dieses Schutzes überhaupt nicht um ein optisches Phänomen handelt, das gar der Feststellung durch eine Ortsbesichtigung bedürfte. Vielmehr kommt es bei der gebotenen funktionellen Betrachtungsweise auf eine qualitative Vereinbarkeit der geplanten Nutzungsweise des Vorhabens mit der naturgemäßen Nutzungsweise an. Es steht hierbei die Frage nach der Beziehung zwischen Bebauung und Boden im Vordergrund.221

214

Kapell, S. 82. Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94. 216 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94. 217 BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn. 7; Birkl / Geiger, E 276; Schröter, S. 594. 218 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 40. 219 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 37. 220 VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; Weyreuther, S. 81. 221 Weyreuther, S. 81. 215

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

5. Abgrenzung des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots von den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten der Länder Obwohl das Grundgesetz dem Bund in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG die Kompetenz zuweist, das Recht des Bodens zu regeln – was der Bund auch mit dem BBauG und anschließend mit dem BauGB getan hat – und damit der sicherheitsrechtliche bzw. bauordnungsrechtliche Bereich des Baurechts dem Landesrecht verbleibt, gibt es Bereiche, in denen sowohl bodenrechtliche und damit bauplanungsrechtliche, als auch sicherheitsrechtliche und damit bauordnungsrechtliche Gesichtspunkte betroffen sind.222 Hierzu zählt die Frage nach dem optischen Erscheinungsbild baulicher Anlagen. Es ist hierbei strikt darauf zu achten, die grundgesetzliche Kompetenzordnung zu wahren. Die bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Bestimmungen dürfen sich mit anderen Worten nicht überschneiden.223 Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist damit nicht identisch mit den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten der Länder.224 Wann eine baugestalterische Frage nach den Normen des Bauordnungsrechts zu beantworten ist und wann sie zu einer bauplanungsrecht­ lichen Frage wird, ist im Einzelfall schwierig zu beantworten.225 a) Das Rechtsgutachten des BVerfG von 1954 Die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote und das bauplanungsrecht­ liche Verunstaltungsverbot unterscheiden sich in der rechtlichen Ausgestaltung darin, dass es sich bei den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten um normative gesetzliche Verbote handelt, während der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) in der nachvollziehenden Abwägung der mit dem Vorhaben verbundenen Interessen als prinzipiell zurückstellungsfähiger öffentlicher Belang überwunden werden kann,226 was bei privilegierten und sonstigen Vorhaben zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Zulässigkeit von Vorhaben führen kann. Es ergeben sich insbeson­

222

S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 7. S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 8 m. w. N. 224 Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; Schröter, S. 594. 225 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 15; vergleichbare oder gar identische Sachverhalte bauplanungs- und bauordnungsrechtlicher Normen ergeben sich auch beim Ortsbildschutz, wie die bundesrechtliche Regelung der Ortsbildbeeinträchtigung in § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB einerseits und die landesrechtlichen Verunstaltungsverbote andererseits zeigen; als weitere Beispiele im Bereich des Baurechts sind Regelungen über Gebäude- und Grenzabstände, die Grundstückserschließung sowie die Erforderlichkeit von Teilungsgenehmigungen zu nennen, siehe nur Vilsmeier, S. 29, Fn. 149 m. w. N. 226 J / D/Spieß, § 35, Rn. 209. 223

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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dere bei zeitlich nur vorübergehenden Beeinträchtigungen Unterschiede in der nachvollziehenden Abwägung zwischen privilegierten und sonstigen Vorhaben.227 Landesrechtliche Verunstaltungsverbote können allerdings neben dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot Anwendung finden und sind damit insoweit von Bedeutung, wenn sie zum Beispiel Beschränkungen und Verbote zur Verunstaltungsabwehr für Anlagen der Außenwerbung im Außenbereich vorsehen.228 Werbeanlagen können damit je nach der gesetzgeberischen Zielsetzung sowohl einer bauplanungsrechtlichen als auch einer bauordnungsrechtlichen Regelung zugänglich sein.229 Dies ergibt sich bereits aus dem Rechtsgutachten des BVerfG vom 16. 06. 1954 über die Zuständigkeit des Bundes zum Erlass eines Baugesetzes, nach dem sich die Zuständigkeit des Bundes für das Bodenrecht gem. Art. 74 Nr. 18 GG a. F. auf das „Baupolizeirecht im bisher gebräuchlichen Sinne“ erstreckt, soweit es Bestandteile des „heutigen Planungsrechts“ enthält. Es verbleibt damit den Ländern der Bereich des traditionellen „Baupolizeirechts“, der übrig bleibt, soweit das Planungsrecht dem Bund zugewiesen wird.230 Während demnach zur Materie „Bodenrecht“ nur solche Vorschriften gehören, die den Grund und Boden „unmittelbar zum Gegenstand rechtlicher Ordnung haben, also die rechtlichen Beziehungen des Menschen zum Grund und Boden regeln“, verbleiben den Ländern zunächst die Aufgaben, die einen materiell-polizeirechtlichen Charakter im Sinne einer Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit oder den Einzelnen haben oder Aufgaben, die den früheren Baupolizeibehörden der Länder durch Sondergesetze eingeräumt wurden und nicht mehr der Gefahrenabwehr im engeren Sinne dienen, sondern „ästhetische oder der allgemeinen Wohlfahrt dienende Absichten“ wie der Verunstaltungsabwehr verfolgen.231 Es wurde damit von der Sache her der eine Einheit bildende Ordnungsbereich des Baurechts in die beiden Komplexe des Städtebaurechts und des Bauordnungsrechts getrennt. Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen im Grundgesetz mit Bezug auf das Gestaltungsrecht kann daher gerade nicht als geglückt bezeichnet werden.232 Es ist allerdings ein Bedeutungszuwachs des Städtebaurechts im Bauordnungsrecht feststellbar: So beschränkt sich das bauordnungsrechtliche Verun 227 Zur vorübergehenden Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes siehe Abschnitt B. ​III. 7. e). 228 BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn.  93; B / K/L / M/R, § 35, Rn.  89; Engelmann, S. 85; Schröter, S. 594. 229 BVerwG, Urt. v.  28. 04. 1972  – 4 C 11.69 = BVerwGE 40, 94 (96); BVerwG, Urt. v. 03. 12. 1992 – 4 C 27.91 = BVerwGE 91, 234 (240); BVerwG, Urt. v. 11. 10. 2007 – 4 C 8.06, Rn. 13 f. 230 BVerfG, Rechtsgutachten vom 16. 06. 1954 – 1 PBvV 1/52 = BVerfGE 3, 407 (430–432); gegen eine Begründung der Länderkompetenz für das Baupolizeirecht mit dessen Qualifizierung als originäres Poizeirecht siehe Vilsmeier, S. 26 ff. 231 BVerfG, a. a. O.; zur Konturlosigkeit der sogenannten „Unmittelbarkeitsformel“ des BVerfG siehe Vilsmeier, S. 31 f. 232 Mick, DÖV 1991, 623 (624).

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

staltungsverbot nicht nur auf die einzelne bauliche Anlage, sondern orientiert sich gleichfalls an deren Wirkung auf die Umgebung sowie das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild, mithin an Gestaltungsaspekten, die bereits städtebaulicher Natur sind. Bauordnungsrechtliche Satzungen der Gemeinden können darüber hinaus gestalterische Anforderungen an bauliche Anlagen zum Schutz von Bauten, Straßen, Plätzen oder Ortsteilen von „städtebaulicher Bedeutung“ stellen.233 Da eine Bebauung von Grund und Boden ohne zwangsläufige gestalterische Formgebung undenkbar ist, kann der Bundesgesetzgeber im Rahmen seiner ausdrücklichen Kompetenz für das Bodenrecht das kohärente Gestaltungsrecht mitregeln. Das Bauordnungsrecht weist desgleichen Bezüge zum Städtebau auf, die den Landesgesetzgeber berechtigen, in der Bauordnung des Landes die kohärenten städtebaulichen Gestaltungsmittel einzubeziehen.234 Eine landesrechtliche Vorschrift wie § 13 Abs. 3 Satz 1 Bauordnung NRW (BauO NRW) a. F. – nunmehr § 10 Abs. 3 Satz 1 BauO NRW n. F. –, die aus Gründen der Verunstaltungsabwehr Anlagen der Außenwerbung außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile grundsätzlich für unzulässig erklärt, ist dem Bauordnungsrecht zuzuordnen, da sie nicht in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Bodenrecht gem. Art 74 Abs. 1 Nr. 18 GG übergreift.235 Denn die Zweckbestimmung entsprechender landesrechtlicher Verbote zielt darauf ab, solche Anlagen aus baugestalterischen Gründen aus dem Landschaftsbild fernzuhalten, die sich bei typisierender Betrachtung wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes und ihrer Gestaltung nicht in die Umgebung einfügen. Demgegenüber möchten entsprechende landesrechtliche Verbote nicht die Inanspruchnahme von Grund und Boden regeln – dies ist jedoch der rechtliche Anknüpfungspunkt der Regelung des § 35 BauGB wie der bauplanerischen Festsetzungen aus dem Katalog des § 9 BauGB, deren bodenrechtlicher Zweck es ist, die konkurrierenden Bodennutzungen und -funktionen zu koordinieren und in ein ausgeglichenes Verhältnis zueinander zu bringen.236 Besteht keine landesrechtliche Vorschrift, die aus Gründen der Verunstaltungsabwehr Anlagen der Außenwerbung außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile grundsätzlich für unzulässig erklärt, dann kann dasselbe Ergebnis – nämlich die Abwehr verunstaltender baulicher Anlagen – im Einzelfall auch auf der Grundlage des § 35 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB erzielt werden.237 Die Anbringung eines Werbehinweisschildes in Gestalt eines Spannbandes in einer Größe von 8,00 m × 0,80 m an einem stadteinwärts gelegenen Geländer einer Eisenbahnbrücke, die über eine Bundesstraße führt, kann daher zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB führen. Das Spannband besitzt aufgrund seiner Größe und zweckimmanenter Auffälligkeit 233

Mick, S. 138; ders., DÖV 1991, 623 (624). Mick, S. 140. 235 BVerwG, Urt. v. 11. 10. 2007 – 4 C 8.06. 236 BVerwG, Urt. v. 11. 10. 2007 – 4 C 8.06, Rn. 27. 237 BVerwG, a. a. O. 234

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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städtebauliche Relevanz im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB. Eine nicht gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegierte gewerbliche Nutzung des Werbeschildes kann einen der Umgebung unangemessenen Fremdkörper darstellen, soweit das relativ große und aufgrund seiner roten Hintergrundfarbe auffällige Werbehinweisschild optisch weit hinein in die freie und im wesentlichen unberührte Landschaft wirkt, die in ein Landschaftsschutzgebiet mündet, und sich aufgrund der für derartige Werbeanlagen typischen auffallenden Gestaltung und Farbgebung von der Eisenbahnbrücke deutlich abhebt.238 b) Die grundlegende Abgrenzung des BVerwG zwischen der Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB und den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten Wie nun der bauplanungsrechtliche Verunstaltungsbegriff vom bauordnungsrechtlichen abzugrenzen ist, hat das BVerwG in einer grundlegenden Entscheidung239 herausgearbeitet und dabei zwei wesentliche Abgrenzungskriterien aufgestellt. Das Urteil betraf zwar das Verhältnis zwischen Bauordnungsrecht und dem in § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB verankerten Gebot, nach dem ein Vorhaben im Innenbereich nicht das Ortsbild beeinträchtigen darf. Die grundsätzlichen Erwägungen des Urteils können jedoch auch auf den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) übertragen werden, da es sich in beiden Fällen des § 34 und § 35 BauGB um Planersatzvorschriften handelt. Der amtliche Leitsatz des Urteils des BVerwG lautet: „Die das Ortsbild schützende Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB stellt auf einen größeren maßstabbildenden Bereich als auf die für das Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebliche nähere Umgebung ab. Durch § 34 BauGB wird das Ortsbild nur in dem Umfang vor Beeinträchtigungen geschützt, wie dies im Geltungsbereich eines Bebauungsplans durch Festsetzungen gem. § 9 Abs. 1 BauGB und den ergänzenden Vorschriften der Baunutzungsverordnung möglich wäre“.240

238

VG Ansbach, Urt. v. 21. 04. 2009 – AN 18 K 07.00520, Rn. 17. BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98. 240 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Ls.; eine aktuelle Entscheidung betreffend die relevante Umgebung für die Beurteilung der Einwirkung eines Vorhabens auf das Ortsbild findet sich in BayVGH, Beschl. v. 03. 03. 2016 – 9 ZB 15.779, Ls., Rn. 6 u. 9: Bei der Beurteilung, ob eine Störung des Ortsbildes nach § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB durch die Anbringung einer Werbetafel vorliegt, ist auf eine weitere Umgebung abzustellen als im Rahmen des Einfügensgebotes. Während maßstabsbildend im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB die Umgebung ist, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst, stellt die das Ortsbild schützende Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB hingegen auf einen größeren maßstabsbildenden Bereich als auf die für das Einfügensgebot maßgebliche nähere Umgebung ab; es kommt auf das „Orts“ -Bild, also auf das Erscheinungsbild zumindest eines größeren Bereichs der Gemeinde an. 239

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Ein Vorhaben ist daher bauplanungsrechtlich zulässig und beeinträchtigt nicht das Ortsbild im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB, soweit das Satteldach eines 13,25 m langen Gebäudes auf einer Länge von 3,84 m als ein einhüftiges Pultdach mit einer senkrechten Wand unter dem Dachfirst fortgeführt werden soll, allerdings nur Gebäude mit durchgehenden Satteldächern in der näheren Umgebung vorzufinden sind. Das Vorhaben führt deswegen zu keiner nachteiligen Veränderung der in der Umgebung vorzufindenden homogenen Situation, da Dachformen oder andere Einzelheiten der Dachgestaltung nicht durch planerische Festsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB oder der Baunutzungsverordnung regelbar sind.241 Ebenso stellt der Umstand allein, dass sich innerhalb einer sonst ausnahmslos aus Flachdachbungalows bestehenden Häuserzeile lediglich ein Haus mit Satteldach befindet, noch keine Beeinträchtigung des Ortsbildes dar. Denn die von einer im Vergleich zu den Nachbargebäuden unterschiedlichen Dachform bzw. -neigung des Hauses mit Satteldach verursachten Auswirkungen beschränken sich auf das äußere Erscheinungsbild dieses Hauses sowie allenfalls der unmittelbar benachbarten Häuser; nur diese können in ihrer Gestaltung durch das dann höhere Nachbargebäude in gewissem Umfang nachteilig beeinträchtigt sein. Diese Wirkungen erfassen jedoch nur diese Gebäude selbst und berühren nicht bzw. zumindest nicht in rechtlich relevanter Weise das „Ortsbild“, also das Bild der Umgebung insgesamt.242 In Betracht kommt in diesem Fall allenfalls ein Verstoß gegen das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine Verunstaltung nicht bereits zwangsläufig dann vorliegt, wenn sich in einer ausnahmslos aus Flachdachbungalows bestehenden Häuserzeile lediglich ein Haus mit einem Satteldach befindet.243 Das BVerwG grenzte die gestalterischen Vorschriften des Bauordnungsrechts von der städtebaulichen Gestaltungsvorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB in Hinblick auf seine Zugehörigkeit zum Bauplanungsrecht ab. Die bauplanungsrechtliche Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB solle nicht nur vermeiden, dass das Bauwerk selbst verunstaltend wirkt, sondern auch, dass es sich nicht negativ auf seine Umgebung auswirkt. Maßstab des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB sei der Ort, sodass es auf das „Orts“-Bild, also auf das Erscheinungsbild zumindest eines größeren Bereichs der Gemeinde, ankomme. Die Gestaltung des Bauwerks spiele keine Rolle, solange sich das Vorhaben in diese weite Umgebung einpasse. Nur solche Beeinträchtigungen des Ortsbildes seien damit entscheidend, die städtebauliche Qualität besitzen. Der Akzent liege bei den bauordnungsrechtlichen Vorschriften demgegenüber auf der Gestaltung des Bauwerks, nach dem weder das Bauwerk unschön sein soll, noch durch seine Unschönheit seine Umgebung stören soll.244

241

BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 13. OVG NRW, Urt. v. 07. 02. 1979 – 7 A 271/78 = BRS 35 Nr. 130. 243 OVG NRW, Urt. v. 07. 02. 1979 – 7 A 271/78 = BRS 35 Nr. 130. 244 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 14 f. 242

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Die vom Vorhaben ausgehenden ästhetischen Beeinträchtigungen besitzen jedenfalls dann keine städtebauliche Qualität, soweit sie sich nur auf die nähere Umgebung und nicht auf das „Ortsbild“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB auswirken können, da es sich bei dem Begriff des „Ortsbildes“ nicht um einen weiteren Maßstab für das Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB handle. Denn eine Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB erfordere in räumlicher Hinsicht negative ästhetische Auswirkungen in einem größeren Bereich als in der näheren Umgebung des Baugrundstücks, soweit sie für das Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB von Bedeutung sind.245 c) Die Übertragung der Entscheidung des BVerwG auf die Abgrenzung zwischen den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot Überträgt man die Entscheidung des BVerwG über die grundlegende Abgrenzung zwischen der Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB und den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten auf das Verhältnis zwischen den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, dann folgt daraus, dass das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot nach der Gestaltung des Bauwerks selbst fragt, während beim bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsbegriff auf einen deutlich weiteren Umgriff abgestellt wird.246 Die Umgebung ist im Bauordnungsrecht kleiner gedacht als der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Darauf deutet beispielsweise auch die Erwähnung des „Straßenbildes“ in Art. 8 Satz 2 Bayer. Bauordnung (BayBO) hin.247 Das Bauplanungsrecht stellt auf eine wesentlich weitere Umgebung ab, sodass die Gestaltung des Bauwerks selbst ohne Bezug auf das Landschaftsbild nicht ausschlaggebend ist. Es ist vielmehr gerade so, dass auch ein „schönes“ Bauwerk das Orts- oder Landschaftsbild verunstalten kann.248

245

BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 16. BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 15; VG Würzburg, Urt. v. 13. 11. 2014 – W 5 K 13.18, Rn. 55; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; Müller, K., S. 59; Parchmann, S.  13 f.; S / B/ Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 9. 247 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 15; VG Würzburg, Urt. v. 13. 11. 2014 – W 5 K 13.18, Rn. 55; Müller, K., S.  59; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 9; a. A. Vilsmeier, S. 75 f., der davon ausgeht, dass der Ortsbildbegriff des bauplanungsrechtlichen Beeinträchtigungsverbots und derjenige der bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote kongruent seien, da im Gegenteil die Auflistung zwischen dem kleinflächigeren „Straßenbild“ und dem großflächigeren „Ortsbild“ in einer nach der räumlichen Reichweite aufsteigend geordneten Enumeration bestätige, dass das bauplanungsrechtliche wie auch das bauordnungsrechtliche Ortsbild zwar kleiner seien als das Landschaftsbild, aber größer als das Straßenbild. 248 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 15; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 9. 246

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Das BVerwG spricht auch davon, dass § 34 BauGB  – und damit auch § 35 BauGB – eine planersetzende Vorschrift ist. Ein Planersatz kann aber nicht mehr regeln als ein Bebauungsplan selbst. Eine bloß planersetzende Vorschrift kann nämlich gegenüber dem vorrangigen Bebauungsplan im Falle einer planerisch untätig gebliebenen Gemeinde dem Ortsbild keinen weiter reichenden Schutz verleihen als ein Bebauungsplan ihn vermitteln könnte. Da § 34 BauGB – und damit auch § 35 BauGB – im Geltungsbereich eines Bebauungsplans nicht gilt, kann er keine höheren Anforderungen stellen als die nach dem Typenzwang des Baugesetzbuchs nach § 9 Abs. 1 BauGB zulässigen planerischen Festsetzungen eines Bebauungsplans.249 Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot kann daher nur im Bodenrecht wurzelnde Verunstaltungen abwehren,250 also solche, die städtebauliche bzw. planungsrechtliche Relevanz haben und damit nur solche Verunstaltungen, die in ihrer konkreten Ausgestaltung Gegenstand bauplanerischer Festsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB sein können.251 d) Planerisch auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB festsetzungsfähige Gestaltungen Damit kann nur das, was auch Gegenstand einer Festsetzung eines Bebauungsplans gem. § 9 Abs. 1 BauGB sein kann, Anknüpfungspunkt für eine Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB sein.252 In einer späteren Entscheidung wies das BVerwG allerdings darauf hin, dass es nicht richtig sein könne, dass ein Sachverhalt, der mit den Instrumenten des Bauplanungsrechts geregelt werden könne, einer bauordnungsrechtlichen Regelung, die sich im Ergebnis wie eine bauplanungsrechtliche Festsetzung auswirke, nicht zugänglich sei. Denn ansonsten habe jede baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschrift, die zur Ablehnung eines Bauantrages führe, im Ergebnis eine quasi bodenrechtliche Wirkung, weil auf einem bestimmten Grundstück ein beabsichtigtes Vorhaben nicht verwirklicht werden dürfe.253 Im Ergebnis kann damit die Formel, nach der alles, was aufgrund der Ermächtigung des § 9 Abs. 1 BauGB in einem Bebauungsplan festsetzungsfähig sei, bodenrechtliche Relevanz zukomme, nur einen ersten Orientierungsansatz bei der Beantwortung der Frage liefern, ob ein Sachverhalt dem baugestalterischen und damit bauordnungsrechtlichen oder bodenrechtlichen und damit bauplanungsrechtlichen 249

BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 20; VG Würzburg, Urt. v. 13. 11. 2014 – W 5 K 13.18, Rn. 55; Mick, DÖV 1991, 623 (625); S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 9. 250 Parchmann, S. 13 f.; Schröter, S. 594; Weyreuther, S. 487. 251 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 20; Müller, K., S. 46 f.; Parchmann, S. 13 f.; Weyreuther, S. 487. 252 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 20; Koppitz, Rn. 511; Mick, S. 313, 320 f.; Müller, K., S.  46 f.; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 9; Parchmann, S. 13 f.; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 143; Weyreuther, S. 487. 253 BVerwG, Urt. v. 11. 10. 2007 – 4 C 8.06, Rn. 14.

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Regelungsregime zuzuordnen ist. Denn es lassen sich nicht alle Regelungssach­ verhalte eindeutig gegeneinander abgrenzen, sodass daher ein Regelungsgegenstand sachliche Verknüpfungen mit einer Materie aufweisen kann, die einer anderen Gesetzgebungszuständigkeit zugeordnet ist.254 Als vereinfachte Faustformel lässt sich jedenfalls festhalten, dass im Negativschluss zum Anwendungsbereich des bodenrechtlichen Verunstaltungsverbots das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot alle sonstigen Belange erfasst, aus denen sich die verunstaltende Wirkung einer baulichen Anlage ergeben kann.255 Jedoch weist dieser Ansatz in den Bereichen eine erhebliche Lücke auf, in denen es an planerischen Festsetzungen fehlt. In diesen Fällen ist aufgrund der Regelungslücke auf einen finalen Ansatz zurückzugreifen, der zur Charakterisierung als Bundes- oder Landesrecht die Beziehung zu Grund und Boden heranzieht.256 Gestaltungsvorschriften, die Grund und Boden nicht unmittelbar zum Gegenstand rechtlicher Ordnung haben, sind dem Bauordnungsrecht zuzuordnen. Für die Kategorisierung als Landesrecht muss der Akzent auf der Gestaltung des Bauwerks liegen.257 Vorschriften über die Stellung der Gebäude und über die Gestaltung des Baukörpers stellen ihrem Wesen nach nähere Ausgestaltungen der Regelungen über die bauliche Ausnutzbarkeit von Grund und Boden dar. Diese Normierungen können Bestandteil von Baugebietsfestsetzungen sein. Durch die Fortführung und Verfeinerung der durch diese Festsetzungen vorgenommenen rechtlichen Qualifizierungen des Grund und Bodens haben sie diesen zum Gegenstand ihrer Regelung gemacht und gehören folglich dem Bodenrecht an.258 Dagegen weisen Vorschriften über Dachformen, Farbtöne der Dacheindeckungen, Putz und Farbe der Gebäudeaußenwände diese Beziehung zu Grund und Boden nicht auf. Sie befassen sich mit dem konkreten Bauwerk und fallen mangels Zuordnung zum Bodenrecht in den Regelungsbereich des Bauordnungsrechts.259 Viele Gestaltungsfragen – beispielsweise Dachformen – können zwar bauordnungsrechtlich, etwa durch eine Gestaltungssatzung, die gem. § 9 Abs. 4 BauGB auch in einem Bebauungsplan aufgenommen werden könnte, geregelt werden. Eine städtebauliche Regelung kann außerdem im Einzelfall durch eine Erhaltungssatzung unter den Voraussetzungen des § 172 BauGB in Betracht kommen. Dachformen, andere Einzelheiten der Dachgestaltung oder die Verwendung bestimmter Baumaterialien und Farben sind darüber hinaus allerdings nicht planerisch auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 BauGB festsetzbar. Derartige Unvereinbarkeiten der Dachgestaltung mit dem Orts- oder Landschaftsbild können daher nach den vom BVerwG dargestellten Erwägungen nicht zu einer Beeinträchtigung des Orts- und Landschafts 254

Haaß, NVwZ 2008, 252 (252); Mick, S. 139; Müller, K., S. 44. Parchmann, S. 14. 256 Haaß, NVwZ 2008, 252 (254); Jäde, ZfBR 2006, 9 (16); Müller, K., S. 46 f.; zur Kritik an finalen und instrumental-funktionalen Ansätzen in der Literatur siehe Vilsmeier, S. 32 f. 257 Haaß, NVwZ 2008, 252 (253); Jäde, ZfBR 2006, 9 (11); Müller, K., S. 46. 258 Ernst, DVBl. 1955, 410 (411); Müller, K., S. 46 f. 259 Ernst, DVBl. 1955, 410 (411); Müller, K., S. 47. 255

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

bildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB führen.260 Ebenso können nicht über § 9 Abs. 1 BauGB planerisch festsetzbare Gestaltungen nicht zu einer bodenrechtlich relevanten Verunstaltung des Ortsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB führen. Eine Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB kann hingegen aber dann vorliegen, soweit durch das Vorhaben ein Eingriff in eine vorzufindende „Dachlandschaft“ vorliegt, die sich durch planerische Festsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB regeln lässt.261 So lässt sich eine „Dachlandschaft“ dadurch näher ausgestalten, dass beispielsweise Flächen für die Gebäude, auf die die Dächer gesetzt werden (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB), die Höhe der baulichen Anlagen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i. V. m. § 16 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO) sowie die Stellung der baulichen Anlagen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB) planerisch festgesetzt werden können.262 Die Folge davon, dass das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB einen deutlich größeren Raum in den Blick nimmt, während das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot das Vorhaben selbst und seine nähere Umgebung betrachtet,263 ist, dass die Baugestaltung im Rahmen des Bauplanungsrechts keine Rolle spielt.264 Damit sind ästhetische Beurteilungen anzustellen, die sich nicht auf das Vorhaben selbst oder auf seine unmittelbare Nachbarschaft, sondern auf die von ihm ausgelösten, im Umfeld auftretenden Wirkungen beziehen.265 Es ist auf das Orts- oder Landschaftsbild als solches und damit auf die weitere Umgebung abzustellen.266 Die vom Begriff der Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes im Sinne des Bauordnungsrechts (vgl. z. B. Art. 8 Satz 2 BayBO) zu unterscheidenden bau­ planungsrechtlichen Tatbestände der Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB und der Verunstaltung des Ortsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB stellen auf das Erscheinungsbild eines größeren Bereichs einer Gemeinde ab, das über den Umgriff der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinausgeht. Entscheidend ist, ob sich das jeweilige Vorhaben in diese weite Umgebung einpasst.267

260

BVerwG, Urt. v.  11. 05. 2000  – 4 C 14.98, Rn. 21; B / K/L / M/R / Mitschang / Reidt, § 34, Rn. 40; Schrödter / Rieger, § 34, Rn. 76; Vilsmeier, S. 82 f. 261 OVG NRW, Urt. v. 06. 11. 1990 – 11 A 190/87 – BRS 52 Nr. 66; zur Dachgestaltung als städtebauliches Kriterium siehe ausführlich Vilsmeier, S. 83 f. 262 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 21; Vilsmeier, S. 83. 263 Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; Schröter, S. 594. 264 Birkl / Geiger, E 275; Parchmann, S. 13 f.; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn.  87, S / B/ Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 34; Weyreuther, S. 487. 265 Birkl / Geiger, E 275; Jarass / Kment, § 35, Rn. 61. 266 Birkl / Geiger, E 275. 267 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98; VG Ansbach, Urt. v. 23. 03. 2011 – AN 18 K 10.01473, Rn. 83.

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Auch wenn sich der Begriff der Verunstaltung in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB von seiner Definition her teilweise mit dem bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsbegriff decken mag, zeigt sich sein bodenrechtlicher Bezug letztlich darin, dass es darum geht, ob ein Vorhaben wirklich unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs gerade an dieser Stelle und in dieser Lage errichtet werden soll.268 Die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote sind daher keine Vorschriften, die dazu bestimmt sind, den Außenbereich in seiner Funktion zu schützen. Sie sind folglich nicht als Auffangtatbestand zur Verhinderung von sonst gemäß bauordnungsrechtlichen Vorschriften rechtmäßigen Vorhaben zu verstehen.269 Eine bauliche Anlage, die planungsrechtlich zulässig ist, kann insofern nicht dadurch verhindert werden, dass sie zum ästhetischen Missstand erklärt wird.270 6. Beurteilungskriterien für das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB Ausgangspunkt der Überlegungen zur Beurteilung einer Verunstaltung des Ortsoder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist die Frage nach dem Einfluss des Vorhabens an seinem konkreten Standort in Hinblick auf die Ansicht eines Ortes oder einer Landschaft.271 Bauordnungsrechtliche Vorschriften – namentlich das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot – vermögen es nicht, die städtebauliche Bodennutzung im Außenbereich zu regeln – dazu fehlt es auch an der entsprechenden Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Bodenrecht. Die planersetzenden Zulassungstatbestände der § 34 und § 35 BauGB für Vorhaben in nicht beplanten Bereichen verfolgen hingegen das Ziel, dass mit der Zulassung eines Vorhabens keine nur durch eine geregelte Bauleitplanung zu bewältigenden Spannungen in die nicht beplanten Bereiche hineingetragen werden.272 Der bodenrechtliche Bezug des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots ist darin zu sehen, dass der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes danach fragt, ob ein Vorhaben unter Berücksichtigung optisch-ästhetischer landschaftsschützender Aspekte gerade an diesem Standort und in dieser Lage errichtet werden soll.273 Es soll mithilfe des bodenrechtlichen Verunstaltungsverbotes eine Störung des städtebaulichen und landschaftlichen Gesamteindrucks des Orts- oder Landschafts 268

Stollmann, JuS 2003, 855 (859). BeckOK-HBO / Ruf / Karnes, § 9, Rn. 33. 270 OVG NRW, Urt. 17. 11. 1987 – 7 A 849/85 = BauR 1988, 575. 271 Schröter, S. 596 f. 272 Zur Planungspflicht der Gemeinde und Erforderlichkeit der Planung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB siehe Brenner, Rn. 363. 273 Stollmann, JuS 2003, 855 (859). 269

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

bildes verhindert werden.274 Es ist demzufolge die Wirkung des Vorhabens auf das Orts- oder Landschaftsbild entscheidend, nicht aber die ästhetische Wirkung des beabsichtigten Vorhabens selbst oder auf seine unmittelbare Nachbarschaft.275 Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes liegt daher nicht schon dann vor, wenn eine harmonische Beziehung des Vorhabens zur vorhandenen Bebauung fehlt.276 Die Ausführung eines Mastes einer Windkraftanlage in Stahlgitterbauweise besitzt ebenso keine verunstaltende Wirkung,277 da die ästhetische Wirkung des Vorhabens selbst nicht entscheidend ist, um zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) führen zu können. a) Fehlende Harmonie in der Orts- oder Landschaftsgestaltung und Anpflanzungen Eine Verunstaltung des Ortsbildes liegt nicht schon dann vor, wenn das Vorhaben unharmonisch in Widerspruch zu einer kleinmaßstäblichen Nachbarbebauung tritt.278 Eine fehlende Harmonie in der Orts- oder Landschaftsgestaltung reicht in jedem Falle nicht aus, um auf eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes schließen zu können; vielmehr muss das Vorhaben einen „erheblichen Störfaktor“ im Orts- oder Landschaftsbild darstellen.279 Ein – in Form einer an den Traufen abgerundeten Satteldachhalle mit einer Außenwand- und Dachfolie  – geplanter Milchviehstall verunstaltet auf einer Anhöhe weder das Ortsbild eines Weilers, der von Streuobstwiesen, Weiden, Wald sowie der Streubebauung des Weilers umgeben ist, noch das Landschaftsbild: Denn der Umstand, dass die vorhandenen landwirtschaftlichen Hofstellen in zumeist „traditioneller“ Form mit ziegelgedeckten Satteldächern und natürlichen Baustoffen errichtet sind, ändert nichts daran, dass der Milchviehstall aufgrund seiner unmittelbaren Beziehung zur landwirtschaftlichen Bodennutzung als moderner Zweckbau erscheint, der das Landschaftsbild nicht wesentlich beeinträchtigt.280 Der Neubau einer Gerätehalle eines Weinbaubetriebs in Ortsrandlage kann ebenso aufgrund seiner Höhe und Geländetopografie deutlich sichtbar gegenüber 274

SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; B / K/L / M/R / Mitschang / Reidt, § 35, Rn. 88; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 85; Wolf, ZUR 2002, 331 (338). 275 Birkl / Geiger, E 275; B / K/L / M/R, § 35, Rn.  89; Jarass / Kment, § 35, Rn.  61; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 34. 276 BVerwG, Urt. v. 22. 06. 1990 – 4 C 6.87, Rn. 26; BRS / Bracher, Rn. 2366. 277 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60. 278 BVerwG, Urt. v. 22. 06. 1990 – 4 C 6.87, Rn. 26. 279 VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K15.4998; OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215; eine Verunstaltung des Landschaftsbildes durch die Errichtung von einer Winzeraussiedlung unterhalb des Hambacher Schlosses wurde vom VG Neustadt a. d. Weinstraße im entschiedenen Fall bejaht, Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW, openJur 2020, 24318. 280 VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11.

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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der vorhandenen Bebauung hervortreten. Die erheblichen optischen Auswirkungen auf das Ortsbild können indessen dadurch abgefangen werden, dass die Halle bei einer an die Ortsrandbebauung angepassten farblichen Gestaltung als Teil eines Bebauungsbandes wahrgenommen wird – insbesondere dann, wenn das Bebauungsband wesentlich geprägt wird durch die ebenfalls landwirtschaftlich und gewerblich genutzten Zweckbauten. Eine vorgesehene ortsbildgerechte Eingrünung des Baukörpers kann im Übrigen zu einer optischen Anbindung an die Ortsbebauung beitragen, wobei eine Auflockerung des Baukörpers auch durch eine stärkere Bepflanzung mit immergrünen Gewächsen erzielt werden kann.281 Eine bestimmte Situierung des Vorhabens auf dem Baugrundstück, die das Vorhaben dem Anblick des Betrachters entzieht, kann eine Verunstaltung des Ortsoder Landschaftsbildes ausräumen.282 Allerdings können Anpflanzungen allein, mit denen das Vorhaben eingegrünt bzw. verdeckt werden soll, oder eine sonstige optisch unauffällige Gestaltung des Vorhabens die verunstaltende Wirkung mangels dauerhaft gewährleisteten Fortbestands nicht entfallen lassen.283 Ein Landschaftsbild wird auch dann beeinträchtigt, wenn das Vorhaben rings von Wald umgeben ist, da dadurch das bestehende Landschaftsbild auf Dauer verändert wird und die Landschaft an Erholungswert verliert.284 Der Umstand, dass ein Vorhaben aufgrund eines bestehenden Baumbestandes in den Monaten der Vollvegetation der Sicht des Betrachters entzogen ist, schließt weiterhin nicht aus, dass gleichwohl die natür­liche Eigenart der Landschaft durch das Vorhaben beeinträchtigt wird.285 In den genannten Fällen bleibt nämlich der Widerspruch zwischen der objektiven Zweckbestimmung des Vorhabens und der in seiner Umgebung vorhandenen Bodennutzung weiterhin bestehen.286 b) Beeinträchtigung von Blickachsen Das Ansinnen einer Gemeinde, einen harmonischen Übergang von der Bebauung zur freien Landschaft an einem gut einsehbaren Hang zu erhalten, stellt keine Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB dar, wenn das Bauvorhaben nicht zu einer Verunstaltung des Landschafts- und Orts­bildes 281

OVG RhPf, Urt. v. 25. 02. 2015 – 8 A 10945/14, Rn. 46. Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 143. 283 BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn. 80; Jarass / Kment, § 35, Rn. 61; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 87; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 143; a. A. Moench / Schmidt, S. 23 m. w. N. aus der obergerichtlichen Rspr.; Schlez, § 11, Rn. 9. 284 NdsOVG, Urt. v. 07. 08. 1969 – 1 A 54/69. 285 BayVGH, Urt. v. 13. 05. 1971 – 136 II 69. 286 FKA / Ferner, § 35, Rn. 33; diese Folgerung kann aus einer Entscheidung des BVerwG entnommen werden, in der das BVerwG darauf hinwies, dass es für die Beurteilung der Gefahr des Entstehens einer Splittersiedlung unerheblich ist, inwieweit der Missstand sichtbar in Erscheinung tritt oder nur begrenzt optisch wahrnehmbar ist, vgl. BVerwG, Urt. v. 09. 06. 1976 – 4 C 42.74, Rn. 23. 282

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

führt.287 Bloße Wunschvorstellungen einer Gemeinde stellen zum einen grundsätzlich keinen beachtlichen öffentlichen Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB dar. Die Annahme eines ungeschriebenen öffentlichen Belangs in der Gestalt des Interesses einer Gemeinde an der Erhaltung eines harmonischen Übergangs von der Bebauung zur freien Landschaft stellt zum anderen einen Wertungswiderspruch zu § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB dar, der ästhetische Landschaftsbildbeeinträchtigungen in einer nicht förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Außenbereichslandschaft nur dann als öffentlichen Belang im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB ansieht, wenn sie zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führen.288 Die bloße Beeinträchtigung einer Blickachse in Form eines unberührten Blickes auf eine ansonsten nicht besonders herausragende Landschaft reicht für sich genommen nicht aus, eine Verunstaltung einer „in ihrer Schönheit und Funktion besonders schützenswerten Landschaft“ zu begründen.289 Daher ist das Landschaftsbild von vornherein nicht schützenswert, wenn durch die Errichtung von Windkraftanlagen eine „Blickachse zu unberührten Waldflächen“ beeinträchtigt wird, wobei es sich im vom ThürOVG entschiedenen Fall um einen jüngeren, „nicht besonders ansehnlichen“ Nadelwald handelte.290 Das bedeutet, dass sich privilegierte Vorhaben in einer nicht förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Außenbereichslandschaft durchsetzen und im Außenbereich zulässig sind, soweit lediglich der bisher unberührte Blick auf die Landschaft durch deren Errichtung beeinträchtigt wird und das Vorhaben nicht „die Schwelle zu einer Verunstaltung“ überschreitet. Hier setzt sich die gesetzgeberische Entscheidung durch, die gerade bestimmte Vorhaben im Außenbereich privilegiert für zulässig erklärt.291 Der Umstand allein, dass sich vom Baugrundstück aus ein weiter Blick in die Umgebung bietet und daher eine hier errichtete Windkraftanlage jeweils auch aus größerer Entfernung wahrnehmbar wäre, reicht für sich genommen nicht aus, um die Schwelle zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes zu überschreiten.292 Die Beurteilung ist allerdings anders, soweit die Blickbeziehung auf einen Berg – der noch dazu in einem Landschaftsschutzgebiet liegt – besonders schützenswert ist. Die Blickbeziehung auf einen Berg kann nämlich besonders schützenswert sein, soweit der Berg als höchste Erhebung deutlich aus der sonst niedriger liegenden Landschaft hervortritt und seine bewaldete Kuppe das weitere Landschaftsbild

287 BVerwG, Urt. v.  15. 05. 1997  – 4 C 23.95; Brenner, Rn. 699; Bröll / Jäde, Teil  4/4. 6. 5, Rn. 15; BRS / Bracher, Rn. 2366. 288 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95. 289 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 290 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 291 BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356. 292 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61).

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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prägt. Dann können auch Windkraftanlagen in größerer Entfernung diese Blickachse verunstalten, soweit weder natürliche noch bauliche Elemente die Sicht behindern.293 Windkraftanlagen können ebenso in Hinblick auf ihre exponierte Lage in einer landschaftlich reizvollen Umgebung grob unangemessen sein und das Landschaftsbild verunstalten, soweit die Umgebung dem Bild einer Kulturlandschaft gleicht, die geprägt ist „durch den Wechsel von Freiflächen und Bewaldung sowie einen freien Blick auf die hügelige Landschaft“ bietet.294 Eine freie Blickbeziehung auf eine typische land- und forstwirtschaftlich geprägte Kulturlandschaft reicht weiterhin nicht aus, um zu einer Verunstaltung des Ortsoder Landschaftsbildes zu führen. Der freie Blick auf einen Berg ist besonders schützenswert, soweit dieser von ausgeräumten Flächen umgeben wird, die von höher gelegenen Waldgebieten optisch umrahmt werden. Stellt der Berg die erste Erhebung in der Landschaft dar und bietet sich ein weitgehend freier Blick auf seine Kuppe, dann ist ein exponierter Standort am Hang des Berges in Hinblick auf die landschaftlich reizvolle Umgebung grob unangemessen und verunstaltet das Landschaftsbild.295 Der Aussicht auf das Landschaftsbild des östlichen Sauerlands kommt ebenso von einem besonders touristisch wertvollen Aussichtspunkt wie einer steinigen Anhöhe besondere Bedeutung zu, wenn sie den Fernblick über viele Kilometer hinweg auf eine Landschaft ermöglicht, die „maßgeblich geprägt ist durch das unterschiedliche Auf und Ab der Kuppen und Höhenzüge, die die reizvollen Tallagen mit ihren abwechslungsreichen Landschaftselementen begrenzen und teilweise Blicke bis in die über 30 Kilometer entfernten Ebenen zulassen“.296 Ein Berg drängt sich andererseits nicht gleichsam als Blickfang in der Umgebung auf, soweit er in eine von zahlreichen Erhebungen gekennzeichnete Landschaft eingebettet ist und damit nicht markant singulär in Erscheinung tritt.297 Dasselbe gilt, wenn Windkraftanlagen auf einer markanten Kuppe errichtet werden sollen und diese von den umgebenden Bergkuppen deutlich überragt wird. Von einer Verunstaltung des Landschaftsbildes ist außerdem nicht auszugehen, soweit Windkraftanlagen so angeordnet werden, dass sie die markanten Kuppen der Umgebung von den meisten Richtungen aus gesehen gerade nicht überragen.298

293

OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 59. 295 OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 59, 66. 296 OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 51. 297 BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356. 298 SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 294

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

c) Kriterien für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes, Bestandsschutz und Erweiterungen Der Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ergibt sich aus den Umständen des jeweiligen Einzelfalls.299 Zur Feststellung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes können dabei keine schematischen ästhetischen Bewertungen angestellt werden. Es verbietet sich insbesondere eine objektivierte Herangehensweise, die auf allgemeine Überlegungen zum Landschaftsrelief und auf andere Orientierungspunkte zur Klassifizierung der Landschaftsgestalt abstellt.300 Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Beurteilung einer Verunstaltung ist der Errichtungszeitpunkt, sodass möglicherweise zukünftig hinzutretende weitere Beeinträchtigungen nicht entscheidungserheblich sind.301 Repressive Eingriffsbefugnisse bestehen außerdem nur eingeschränkt. Verändert sich nämlich die Umgebung eines Vorhabens so, dass das ursprünglich rechtmäßige Vorhaben mit ihr nicht mehr in Einklang steht, sondern das Orts- oder Landschaftsbild beeinträchtigt, begründet Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Bestandsschutz. Dieser berechtigt, ein rechtmäßig errichtetes Vorhaben in seinem Bestand zu erhalten.302 Es ist schließlich anerkannt, dass der Bestandsschutz nicht nur vor Änderungen des materiellen Baurechts schützt, sondern auch vor Veränderungen tatsächlicher Art. Dies hat zur Folge, dass gegen ein das Orts- oder das Landschaftsbild verunstaltendes Vorhaben im Außenbereich grundsätzlich nicht vorgegangen werden kann, soweit die Verunstaltung nicht auf eine Änderung des Vorhabens zurückzuführen ist.303 Daraus ergibt sich gleichzeitig, dass der Bestandsschutz nicht den Bestand eines vom ursprünglich rechtmäßigen Zustand abweichenden Vorhabens umfasst.304 Im Bereich des Bauplanungsrechts dürften geringfügige Änderungen oder Erweiterungen regelmäßig nicht zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führen, soweit die ursprüngliche Errichtung des Vorhabens selbst noch nicht zu einer Verunstaltung führte. Daraus darf allerdings nicht geschlussfolgert werden, dass soweit das Landschaftsbild durch die vorhandene Bebauung bereits erheblich beeinträchtigt und damit vorbelastet ist, demgegenüber die hinzukommende Beeinträchtigung durch eine Erweiterung der vorhandenen Bebauung zu vernachlässigen sei. Infolge der im Bauplanungsrecht entwickelten Grundsätze ist bei der Erweite-

299 BVerwG, Beschl. v.  13. 11. 1996  – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444; BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; Ecker, VBl.BW, 2001, 173 (179); Knuth, NuR 1985, 8 (15); Schröter, S. 597. 300 Wolf, ZUR 2002, 331 (338). 301 Kamp, S. 49; Kapell, S. 83 f. 302 BVerwG, 17. 01. 1986 = BauR 1986, 302; Kapell, S. 45 f. 303 Kapell, S. 46. 304 Kapell, S. 46.

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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rung eines Vorhabens nicht auf die Wirkung der Erweiterung als solcher, sondern auf die Wirkung des gesamten erweiterten Vorhabens abzustellen.305 Die Erweiterung eines Vereins- und Wanderheims durch einen sechsstöckigen Turm an einer rückwärtigen, zu einem Berg hin gelegenen Seite und einen Verbindungsbau zum vorhandenen Gebäude stellt daher keine Verunstaltung des Landschaftsbildes dar, soweit das vorhandene Gebäude selbst nicht als verunstaltend in Bezug auf das Landschaftsbild angesehen wurde. Dann führt auch die Erweiterung nicht zu einem das Landschaftsbild verunstaltenden Gebäude. Das erweiterte Gebäude ist zum einen insgesamt zu betrachten. Der Umstand, dass das neue Erscheinungsbild des Gebäudes gewöhnungsbedürftig sein könnte, führt zum anderen noch nicht zu einer verunstaltenden Wirkung.306 Auch hier fehlt der konkrete Bezug der Wirkung des Vorhabens auf die Landschaft. Denn die optische Bewertung und Gestaltung eines Vorhabens spielt als solches keine Rolle für die Frage nach einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.307 Eine bloße Veränderung des Landschaftsbildes führt außerdem noch nicht zu einer Verunstaltung. Denn jede Bebauung durch Windkraftanlagen stellt beispielsweise zweifelsohne einen Eingriff in das Landschaftsbild dar. Diese Veränderung reicht dennoch für sich allein genommen noch nicht aus, die Schwelle zu einem unauflöslichen Widerspruch mit dem bestehenden Landschaftsbild zu überschreiten.308 An dieser Stelle sei noch kurz auf die Rechtslage im Bauordnungsrecht hingewiesen, soweit sich ein das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltender Zustand einer baulichen Anlage erst im Laufe der Zeit ohne Zutun des Pflichtigen durch Korrosion, altersbedingten Zerfall oder sonst durch äußere Einflüsse wie Brand oder Hagel ergibt. Die Bauaufsichtsbehörde kann im Falle einer derartigen Verletzung der Instandhaltungspflicht gemäß den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften die Beseitigung der Verunstaltung anordnen.309 Für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB sind als entscheidende Kriterien die Bauweise, die Größe, der Standort und die topographischen Gegebenheiten des Vorhabens als Beurteilungsmaßstab heranzuziehen.310 Es muss in diesem Zusam 305 Die Erweiterung eines Aussiedlerhofes durch eine weitere Halle kann daher zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führen, soweit die Hofstelle auf dem höchsten Punkt der Umgebung angesiedelt worden ist und von dem erweiterten Gesamtvorhaben eine verunstaltende Wirkung ausgeht, vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 22. 10. 2020 – 2 K 1074/19, openJur 2020, 77089 m. Verweisen auf BVerwG, Urt. v. 17. 06. 1993 – 4 C 17.91 = BauR 1994, 81 u. VG Stuttgart, Urt. v. 16. 03. 2016 – 2 K 1666/15 – juris. 306 OVG RhPf, Urt. v. 20. 04. 2016 – 8 A 11046/15, Rn. 57. 307 BayVGH, Urt. v. 25. 03. 1996 – 14 B 94.119 = NVwZ 1997, 1010 (1011). 308 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32. 309 Kamp, S. 49 f.; Kapell, S. 46; Mick, S. 148, jeweils m. w. N. 310 Koppitz, Rn. 546; Schröter, S. 597; Weyreuther, S. 487.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

menhang betont werden, dass der Schutz vor einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes nur soweit reicht, als sich aus der städtebaulichen Vorschrift des § 35 Abs. 3 BauGB bodenrechtliche Anforderungen ableiten lassen.311 Es kann dabei wie bei § 34 Abs. 1 BauGB als Faustregel gelten, dass die zu stellenden Anforderungen potentiell bauplanerisch festsetzbar sein müssen. Es sind folglich primär Lage und Stellung des Vorhabens sowie Art und Maß der baulichen Nutzung, die Gestaltung des Gebäudes nach überbauter Grundfläche, Baumasse, Gebäudehöhe und die Zahl der Vollgeschosse betroffen.312 Aspekte der Baugestaltung wie der Neigungswinkel eines Daches, Anforderungen an die Gestaltung der Fassade, Außenverkleidungen, die Dachform, gestalterische Details wie die Farbe und das Material des Bauwerks sind dabei für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB unbeachtlich.313 In der Literatur und Rechtsprechung vermisst man bisweilen eine klare Eingrenzung. So ist die Einschätzung, eine verbotene Verunstaltung liege vor, wenn ein Vorhaben krass von dem herkömmlichen, gebietstypischen Baustil abweiche,314 verwirrend. Der „moderne Betonbau vor einem mittelalterlichen Ortsbild“315 verstößt ebenso nicht wegen des neuzeitlichen Baumaterials gegen § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, sondern allenfalls wegen der störenden Proportionierung des Baukörpers. Es muss nämlich wie bei § 34 Abs. 1 BauGB gelten, dass die zu stellenden Anforderungen potentiell bauplanerisch festsetzbar sein müssen.316 Die Einflussnahme auf die Baugestalt des einzelnen Bauwerks ist im Rahmen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ausgeschlossen, da es sich um bauordnungsrechtliche Fragen handelt. Der Neigungswinkel des Daches, die Wahl des Baumaterials, Farbe und Fenestrierung sind nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB keiner Regelung unterworfen. Eine Gemeinde, die in dieser Hinsicht eine stärkere Einflussnahme anstrebt, muss zu den Mitteln der Erhaltungssatzung nach § 172 BauGB oder der bauordnungsrechtlichen Gestaltungssatzung greifen.317 Es muss zur Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes einheitlich auf die jeweilige bauliche Anlage in ihrer durch die jeweilige Nutzung bestimmten baulichen Funktion abgestellt werden; die bauliche Anlage und der Nutzungszweck bilden dabei eine Einheit.318 Es kann in diesem Zusammenhang 311

Weyreuther, S. 487. Mick, S. 321; Moench / Schmidt, S. 5; Weyreuther, S. 487. 313 Kapell, S. 55; Mick, S. 317 f., 320 f.; Moench / Schmidt, S. 6; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 143. 314 BVerwG, Beschl. v. 19. 01. 1978 – 4 B 90/77 = BRS 33 Nr. 71. 315 Brügelmann / Dürr, § 35, Rn.  94; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 39. 316 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98; OVG NRW, Urt. v. 06. 11. 1990 – 11 A 190/87 = BauR 1991, 574 (575); Mick, S. 313, 320 f.; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 143; vgl. Kapitel B. III. ​ 5., V. 1. 317 Mick, S. 321. 318 BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92; Jarass / Kment, § 35, Rn. 61; Schröter, S. 597; Stüer, Rn. 2952. 312

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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die Entscheidung des BVerwG über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung einer „nicht originär landwirtschaftlichen ehemaligen Flugzeughalle“ auf einer exponierten Anhöhe nicht unerwähnt bleiben, die als anschauliches Beispiel viele der genannten Beurteilungskriterien für die Bejahung einer Verunstaltung des Landschaftsbildes im gegebenen Einzelfall heranzieht.319 Die Baugenehmigungsbehörde darf allerdings wegen des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht jedes Vorhaben, das eine Verunstaltung erwarten lässt, gänzlich ablehnen, soweit eine modifizierte Gestaltung zu einer Zulässigkeit des Vorhabens führen kann.320 So lassen sich beispielsweise Bedingungen an die Ausmaße eines Gebäudes stellen.321 Es ist außerdem dem § 35 Abs. 5 BauGB, der die allgemeine Verpflichtung enthält, Außenbereichsvorhaben in einer flächensparenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen, zu entnehmen, dass es sich nicht um eine unnachgiebige Zulässigkeitsvoraussetzung handelt, sondern um eine Ermächtigung für geeignete Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung. § 35 BauGB gestattet also trotz der prinzipiellen Abwehrfunktion eine gewisse Einwirkung im Sinne positiver Baupflege auch im Bereich des Bauplanungsrechts.322 d) Die technische Neuartigkeit eines Vorhabens und seine dadurch bedingte optische Gewöhnungsbedürftigkeit Die bloße technische Neuartigkeit einer Anlage  – zum Beispiel einer Windenergie-, Solar- oder Mobilfunkanlage – und ihre dadurch bedingte optische Gewöhnungsbedürftigkeit ist für die wertende Beurteilung, ob ein Vorhaben das Ortsoder Landschaftsbild im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB verunstaltet, unbeachtlich.323 Es kann darin allein nicht einmal ein Indiz für eine Verunstaltung gesehen werden.324 Das BVerwG stellte bereits heraus, dass für die Beurteilung der Zulässigkeit einer privaten Windenergieanlage für den Eigenbedarf eines Einfamilienhauses in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil die technische Neuartigkeit einer Anlage und die dadurch bedingte optische Gewöhnungsbedürftigkeit nicht geeignet sind, das Ortsbild zu beeinträchtigen. Maßgeblich ist vielmehr,

319 BVerwG, Beschl. v.  13. 11. 1996  – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444; HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93. 320 Mick, S. 322. 321 BVerwG, Urt. v. 22. 11. 1985 – 4 C 71.82 = BauR 1986, 188 (189); zur Erteilung der Baugenehmigung mit Nebenbestimmungen siehe näher Kamp, S. 132 f. 322 Mick, S. 322. 323 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 25. 03. 1996 – 14 B 94.119 = NVwZ 1997, 1010; Brenner, Rn. 699; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; Schröter, S. 597; zu den Besonderheiten bei Windkraftanlagen siehe unten Abschnitt B. VI. 1. 324 BayVGH, Urt. v. 25. 03. 1996 – 14 B 94.119 = NVwZ 1997, 1010 (1011); VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

ob die Anlage das ästhetische Empfinden eines für Fragen der Ortsbildgestaltung aufgeschlossenen Betrachters verletzt.325 Es ist jedoch an dieser Rechtsprechung bedenklich, dass ein ästhetisches Werturteil nicht losgelöst von der Frage, ob der Anblick ungewohnt ist, getroffen werden kann.326 e) Besondere Gesichtspunkte bei Windkraftanlagen Bei Windkraftanlagen kann im Rahmen der wertenden Beurteilung, ob die Schwelle zur Verunstaltung überschritten ist, die anlagentypische Drehbewegung der Rotorblätter nicht außer Betracht bleiben.327 Das BVerwG stellte in einer Entscheidung über die Zulassung von privilegierten Windenergieanlagen (§ 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) klar, dass bei der Beurteilung des öffentlichen Belangs der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung des Vorhabens mit den berührten öffentlichen Belangen windenergieanlagentypische Besonderheiten wie die drehende Bewegung der Rotorblätter überhaupt und auch zu Lasten der Windenergieanlagenvorhaben zu berücksichtigen sind.328 Das Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB ist schließlich die bauliche Anlage in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion. Der Baukörper und der Nutzungszweck bilden daher eine Einheit. Gegenstand der Beurteilung und Genehmigung ist deshalb die Bausubstanz und ihre vorgesehene Nutzung, sodass bei dieser den Tatsachengerichten obliegenden wertenden Betrachtungsweise die anlagentypische Drehbewegung der Rotorblätter als Blickfang nicht außer Betracht bleiben kann.329 Es kann diesem Ergebnis auch nicht die gesetzgeberische Entscheidung entgegengehalten werden, nach der bestimmte Vorhaben – wie Windkraftanlagen gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB – gegenüber sonstigen Außenbereichsvorhaben im Außenbereich privilegiert zulässig sind. Denn der Gesetzgeber hat damit keine Entscheidung über den konkreten Standort der privilegierten Vorhaben im Außenbereich getroffen. Die Zulassung auch privilegierter Vorhaben im Außenbereich steht damit unter dem Vorbehalt, dass das Vorhaben nicht zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führt.330 Die Behauptung zukünftiger Landschaftsgewinne durch Windenergieanlagen infolge der mit Überflüssigwerden konventioneller Kraftwerke abzubauenden Hochspannungsleitungen kann schließlich nicht in die wertende Beurteilung miteinbezogen werden, ob eine Verunstaltung des Orts- oder

325

BVerwG, Urt. v. 18. 02. 1983 – 4 C 18/81 = NJW 1983, 2713 (2716). Kapell, S. 78 f. 327 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01; BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 33; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 46; Fest, S. 153. 328 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01. 329 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01; BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92. 330 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01. 326

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Landschaftsbildes vorliegt. Denn die Verunstaltungswirkung beurteilt sich nicht in Form einer energiepolitischen Landschaftsbilanz, sondern am konkreten Vorhaben. Es dürfte ebenso mit der zunehmenden Verbreitung von Windenergieanlagen die Wertung der Anlagen als „Touristenattraktionen“ überholt sein.331 Windenergieanlagen kann andererseits aufgrund ihrer Privilegierung die natürliche Eigenart des Freiraums nicht pauschal entgegen gehalten werden. Entsprechendes gilt für die Beeinträchtigung des Erholungswertes der Landschaft.332 Die optischen Auswirkungen einer Windkraftanlage auf die umliegende Landschaft werden unter Umständen durch die Rotorbewegungen deutlich verstärkt. Die Rotorbewegungen können die Blicke eines für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters auf sich ziehen und damit das Erscheinungsbild einer Windkraftanlage in ihrer Umgebung deutlich hervorheben oder vergrößern. Soweit der Rotor mit seiner Breitseite zum Betrachter steht, kann der Betrachter umso mehr die Drehbewegungen auf einer großen kreisförmigen Fläche als unruhig empfinden, sodass es zu einer verstärkten optischen Belastung durch die Anlage kommt.333 Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes kann allerdings nicht allein wegen des durch die dominanten Drehbewegungen des Rotors verursachten Blickfangs angenommen werden. Das Unruhe stiftende Merkmal der Drehbewegung des Rotors kann nur als zusätzliches Entscheidungskriterium angeführt werden, um eine besonders störende Wirkung einer Windkraftanlage auf das Landschaftsbild zu begründen.334 Dies ist von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig.335 Die beachtliche Fernwirkung von Windkraftanlagen kann dabei zusätzlich noch erhöht werden, wenn sie auf Einzelerhebungen oder hoch über weiten Tallagen errichtet werden sollen.336 Insbesondere die drehende Bewegung der Rotorblätter ist geeignet, zwangsläufig den Blick des Betrachters auf die Windkraftanlagen zu lenken, was verbunden mit einer exponierten Lage am Hang eines Berges als schwerwiegende Beeinträchtigung des vorhandenen schutzwürdigen Landschaftsbildes und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden werden kann. Die optischen Auswirkungen der Drehbewegungen der Rotorblätter können beispielsweise die vorhandene unbeeinträchtigte Fernsicht so gravierend negativ beeinflussen, dass die geplanten Windkraftanlagen umso auffälliger in das Blickfeld des Betrachters geraten. Der besondere Wert der Landschaft muss allerdings darin liegen, „in Muße den Blick immer wieder über die Ruhe ausstrahlende Weite der Landschaft mit den wechselvollen Elementen eines wie ein Gemälde wirkenden Bildes schweifen lassen zu können, ohne von der Hektik des

331

Fest, S. 154. Fest, S. 154; Wolf, ZUR 2002, 331 (338). 333 BayVGH, Urt. v. 28. 07. 2009 – 22 BV 08.3427; OVG RhPf, Urt. v. 18. 05. 2006 – 1 A 11398/04, Rn. 19; Scheidler, NuR 2010, 525 (526). 334 Scheidler, NuR 2010, 525 (530). 335 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; Schröter, S. 597. 336 Mitschang, ZfBR 2003, 431 (440). 332

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

menschlichen Lebens gestört zu werden“. Die geplanten Windkraftanlagen müssen mit anderen Worten optisch eine „Unruhe“ stiften, die die ästhetisch wertvolle Einzigartigkeit eines Landschaftsbildes massiv beeinträchtigt.337 Treten die Anlagen durch die Drehbewegungen der Rotoren so sehr auffällig in das Blickfeld des Betrachters, dass er sich ihren optischen Auswirkungen auf die unbeeinträchtigte Fernsicht nicht entziehen kann, ist dies bereits als eine grob unangemessene Belastung für den ästhetischen Eindruck der Landschaft zu werten.338 Die Verunstaltung eines schützenswerten Landschaftsbildes lässt sich auch nicht dadurch ausräumen, dass eine Windkraftanlage möglicherweise farblich unaufdringlich gestaltet wird, denn durch die Drehbewegungen des Rotors wird die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die weithin im Landschaftsbild als Fremdkörper erscheinende Anlage auf sich gezogen und die Drehbewegungen werden demzufolge als störend empfunden.339 Gleiche Erwägungen gelten für Anpflanzungen, mit denen ein Vorhaben eingegrünt werden soll oder für sonstige optisch unauffällige Gestaltungen des Vorhabens. Die verunstaltende Wirkung der Anlage kann mangels dauerhaft gewährleisteten Fortbestands der unauffälligen Gestaltung nicht entfallen.340 Der unauflösliche Widerspruch zwischen der objektiven Zweckbestimmung des Vorhabens und der in dessen Umgebung vorhandenen Bodennutzung bleibt nämlich weiterhin bestehen.341 Windkraftanlagen sind dem technischen Fortschritt geschuldet und allgegenwärtig, sodass sich auch der für ästhetische Eindrücke offene Betrachter dem Trend hin zu alternativen Energien nicht verschließen kann. Allein der Umstand, dass eine Anlage technisch neuartig und damit optisch gewöhnungsbedürftig ist, führt noch nicht zu einer Verunstaltung der Landschaft. In der Geschichte der Menschheit ist darüber hinaus die Nutzung von Windenergie durch Windmühlen in der freien, unbebauten Landschaft überliefert. Auch soweit sich heute aus wirtschaftlichen und technischen Gründen bei Windkraftanlagen die Größenordnung wesentlich geändert hat, stehen diese technisch weiterentwickelten Anlagen nicht von vornherein unter dem Makel der „Landschaftsfremdheit“.342 Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes kann auch nicht allein schemenhaft daraus abgeleitet werden, dass ein im Außenbereich privilegiertes Vorhaben angesichts seiner Größe markant in Erscheinung tritt.343 Die Beantwortung der 337

OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 54. OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 54. 339 OVG RhPf, Urt. v. 18. 05. 2006 – 1 A 11398/04, Rn. 29. 340 Jarass / Kment, § 35, Rn. 61; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 87. 341 FKA / Ferner, § 35, Rn. 33. 342 BayVGH, Urt. v.  30. 06. 2005  – 26 B 01.2833, Rn. 37; BayVGH, Urt. v.  01. 10. 2007  – 15 B 06.2356; VG Regensburg, Urt. v. 25. 03. 2015 – RN 7 K 14.1187, Rn. 20. 343 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; VG Hannover, Urt. v. 15. 09. 2020 – 12 A 6994/17 – openJur 2020, 79423; Scheidler, NuR 2010, 525 (530); Schröter, S. 597. 338

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Frage, in welcher Entfernung eine Windkraftanlage nicht mehr verunstaltend wirkt, ist abhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalls.344 Jedenfalls wird man bei Windkraftanlagen wegen ihrer stark die Landschaft dominierenden Rolle zwischen mehreren Anlagenkomplexen ausreichende Abstände einplanen müssen, damit das Landschaftsbild nicht übermäßig und großflächig belastet wird.345 Dies gilt vor allem in Regionen mit großen Sichtweiten wie im norddeutschen Tiefland.346 Der Einwand der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ist im Genehmigungsverfahren regelmäßig dann abgeschnitten, wenn eine Windkraftanlage innerhalb einer ausgewiesenen Konzentrationszone im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verwirklicht werden soll. Denn mit der Darstellung von Konzentrationszonen im Flächennutzungsplan bringt die Gemeinde zum Ausdruck, dass sie die der Abwägung zugänglichen öffentlichen Belange geringer gewichtet hat als die Nutzerinteressen.347 f) Zusammenfassung Da im Außenbereich regelmäßig nur eine lückenhafte Bebauung anzutreffen sein wird, mangelt es zur Feststellung einer Verunstaltung des Ortsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB an einem Vergleichsmaßstab, den bei § 30 oder § 34 BauGB die vorhandene Bebauung liefert. Es muss damit entscheidend auf die vorzufindende Topografie und die Erscheinung des Vorhabens im Vergleich zu einer Ortschaft in der Nähe abgestellt werden.348 Nachfolgende Gesichtspunkte sind für die wertende Beurteilung, ob ein Vorhaben vom äußeren Erscheinungsbild her mit dem Orts- oder Landschaftsbild in Einklang steht, unbeachtlich: Die Verwendung bestimmter neuartiger Baumaterialien, Baustoffe oder Bauformen ist regelmäßig nicht in der Lage, eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB hervorzurufen.349 Ansonsten würde man nur auf das Vorhaben selbst und seine Gestaltung losgelöst von der Betrachtung des Orts- oder Landschaftsbildes abstellen. Im Übrigen können nur Anforderungen, die potentiell bauplanerisch gem. § 9 Abs. 1 BauGB festsetzbar wären, zu einer Verunstaltung des Orts- oder Land-

344

BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295. Schröter, S. 602; Wolf, ZUR 2002, 331 (339). 346 NdsOVG, Urt. v. 20. 07. 1999 – 1 L 5203/96 = NVwZ 1999, 1358 (1359); Wolf, ZUR 2002, 331 (338); zu den Sichtweiten von Windkraftanlagen und einer etwaigen „Horizontverschmutzung“ durch Windkraftanlagen siehe weiter unten Abschnitt B. VI. 5. 347 BVerwG, NVwZ 2010, 1561, Rn. 45, 46; tiefergehend siehe unten Abschnitt B. VI. 4. 348 EZBK / Söfker, § 35, Rn. 100; Schröter, S. 597. 349 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 37; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; EZBK / Söfker, § 35, Rn. 100; Schröter, S. 596; Weyreuther, S. 487. 345

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

schaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB führen.350 Die bauordnungsrechtlichen Maßstäbe sind gerade nicht anzulegen. Dies gilt auch dann, wenn die landwirtschaftliche Streubebauung eines Weilers durch eine „traditionelle“ Bauweise mit ziegelgedeckten Satteldächern gekennzeichnet ist und das Vorhaben aufgrund seiner Neuartigkeit und Atypik seiner Gebäudeform in einer an den Traufen abgerundeten Satteldachhalle und des zur Außenwand- und Dachabdeckung verwendeten Kunststoffs optisch gewöhnungsbedürftig sein mag. Im Falle eines derart geplanten Milchviehstalls auf der Anhöhe eines Weilers führte der VGH Baden-Württemberg zudem aus: „Insoweit wird ein für Schönheit und Eigenart der Landschaft offener Durchschnittsbetrachter in Anbetracht der Variationsbreite heutzutage im Außenbereich anzutreffender moderner Anlagen, etwa zur Energieerzeugung, Verständnis dafür aufbringen, dass ein Landwirt sich für ein innovatives Betriebsgebäude entscheidet, selbst wenn damit eine gewisse optische Unruhe in das Landschaftsbild getragen wird“.351 7. Besonderheiten zwischen privilegierten (§ 35 Abs. 1 BauGB) und sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) in Hinblick auf den Verunstaltungsbegriff Während das Gesetz von der grundsätzlichen Zulässigkeit privilegierter Vorhaben im Außenbereich (§ 35 Abs. 1 BauGB) ausgeht – soweit ihnen keine öffentlichen Belange „entgegenstehen“ –, sind sonstige Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) bereits dann unzulässig, soweit sie öffentliche Belange „beeinträchtigen“, § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB. Bei sonstigen Vorhaben genügt damit lediglich die nachteilige Berührung eines öffentlichen Belangs, was zur Folge hat, dass das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist, § 35 Abs. 2 BauGB.352 Bei privilegierten Vorhaben (§ 35 Abs. 1 BauGB) reicht hingegen eine lediglich nachteilige Betroffenheit nicht aus, damit ein Vorhaben unzulässig wird. Der öffentliche Belang muss vielmehr in schwerwiegender Weise betroffen sein, um zu einer Unzulässigkeit des privilegierten Vorhabens zu führen. Schließlich tragen die privilegierten Vorhaben eine besondere Berechtigung zur Bebauung des Außenbereichs in sich. Das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs wird für diese Vorhaben gewissermaßen relativiert und zwar deswegen, weil sie ihrem Wesen nach in den Außenbereich gehören.353 Dies hat zur Folge, dass im Rahmen einer nachvollziehenden Abwägung dem öffentlichen Belang ein höheres Gewicht zukommen muss als dem Interesse des Bauherrn an der Verwirklichung seines Vorhabens.

350

BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 20; Koppitz, Rn. 511; Mick, S. 313, 320 f.; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 9; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 143; Weyreuther, S. 487. 351 VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11. 352 Brenner, Rn. 713; Weyreuther, S. 89. 353 Brenner, Rn. 666.

III. Der Begriff der Verunstaltung  

83

Im Folgenden soll untersucht werden, was diese vom Gesetzgeber vorgezeichnete Unterscheidung zwischen privilegierten und sonstigen Vorhaben für den Verunstaltungsbegriff des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB bedeutet. Fraglich ist, wie sich der Verunstaltungsbegriff gegenüber den Begriffspaaren nicht „entgegenstehen“ und nicht „beeinträchtigen“ verhält. So geben diese in § 35 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB genannten unterschiedlichen Begrifflichkeiten Anlass darüber nachzudenken, ob die Anforderungen, die an eine „Verunstaltung“ zu stellen sind, bei den privilegierten Vorhaben andere sind als bei den sonstigen Vorhaben. Die „Verunstaltung“ ist andererseits ein absoluter Begriff; eine „Beeinträchtigung“ – wie § 35 Abs. 2 BauGB für die sonstigen Vorhaben vorschreibt – reicht gerade nicht aus. Eine „Verunstaltung“ des Orts- oder Landschaftsbildes muss vielmehr positiv feststehen und damit für jeden Betrachter außer Zweifel stehen, was dann der Fall ist, wenn das Vorhaben in Relation zu seiner Umgebung nicht bloß „beeinträchtigend“ und unangenehm wirkt, sondern eine große Ablehnung in dem „gebildeten Durchschnittsbetrachter“ hervorruft. Diese enge Begriffsbestimmung soll gerade Fragen und Zweifelsfälle des „guten Geschmacks“ ausklammern, denn jedes Vorhaben im Außenbereich wird mehr oder weniger Einfluss auf das Orts- oder Landschaftsbild nehmen und es damit mehr oder weniger „beeinträchtigen“.354 a) Das stärkere Durchsetzungsvermögen privilegierter Vorhaben Zur Beantwortung der damit aufgeworfenen Frage, ob unterschiedliche Anforderungen an den Verunstaltungsbegriff bei privilegierten und sonstigen Vorhaben zu stellen sind, ist zunächst bei den grundsätzlichen Unterschieden zwischen privilegierten und sonstigen Vorhaben anzusetzen. Zunächst ist festzuhalten, dass die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB – wie die natürliche Eigenart der Landschaft, die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, als auch die Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes – auch einem privilegierten Vorhaben entgegenstehen können mit der Folge, dass die genannten Belange imstande sind im Rahmen einer Abwägung im Einzelfall auch ein an sich privilegiertes Vorhaben zu verhindern.355 Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass auch für privilegierte Vorhaben das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs gilt. Das im Außenbereich gelegene Gemeindegebiet soll nicht zuletzt aus Gründen der Sicherung der Erholungsfunktion dieses Bereichs weitgehend von einer Bebauung freigehalten werden, aber auch aus Gründen des umsichtigen Umgangs mit der Natur sowie der Verhinderung einer Zersiedlung und weitreichenden Versiegelung

354

Weyreuther, S. 356. BVerwG, Urt. v. 13. 04. 1984 – 4 C 69/80 = NVwZ 1985, 340 (341); BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; Brenner, Rn. 692; Scheidler, NuR 2010, 525 (526, 530); Weyreuther, S. 488. 355

84

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

des Bodens.356 Obwohl privilegierten Vorhaben ein besonders starkes Gewicht in der nachvollziehenden Abwägung mit den berührten öffentlichen Belangen zukommt, hat der Gesetzgeber mit § 35 Abs. 1 BauGB den Außenbereich nicht generell als Baubereich für privilegierte Vorhaben freigegeben, sondern ihre Zulässigkeit von einer Einzelfallprüfung abhängig gemacht.357 Ob öffentliche Belange einem privilegierten Vorhaben entgegenstehen, hängt einerseits von dem Gewicht des privilegierten Vorhabens und andererseits von dem Gewicht des einschlägigen öffentlichen Belangs ab.358 In der nachvollziehenden Abwägung zwischen dem beabsichtigten Vorhaben und den von ihm berührten öffentlichen Belangen ist dabei zu Gunsten der von § 35 Abs. 1 BauGB erfassten Vorhaben zusätzlich zu dem Interesse an der Verwirklichung des Vorhabens als solchem noch das Gewicht der Privilegierung anzusetzen.359 Privilegierte Vorhaben besitzen mithin ein stärkeres Durchsetzungsvermögen gegenüber den vom Vorhaben nachteilig berührten öffentlichen Belangen, sodass sich das objektive Gewicht des Vorhabens gegenüber dem Belang der Verunstaltung durchsetzen kann.360 Das stärkere Durchsetzungsvermögen privilegierter Vorhaben gegenüber öffentlichen Belangen rührt aus dem Umstand, dass es sich bei den §§ 34 und 35 BauGB um Planersatzvorschriften handelt.361 Der Gesetzgeber traf durch die generelle Zuweisung privilegierter Vorhaben im Außenbereich eine planerische Entscheidung zu Gunsten dieser Vorhaben und hat damit auch Fälle negativer Berührung mit öffentlichen Belangen im Einzelfall in Kauf genommen.362 Ein an sich privilegiertes Vorhaben ist nur dann unzulässig, wenn ihm höherwertige Belange der Allgemeinheit – gerade auch bezogen auf einen bestimmten Standort – entgegenstehen. Es ist dabei nicht eine Abwägung im planerischen Sinne geboten, sondern eine nachvollziehende Abwägung im Sinne einer Gewichtsbestimmung der betroffenen Belange, die gerichtlich voll überprüfbar ist und nicht 356

Brenner, Rn. 661. OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215; Brenner, Rn. 691. 358 BVerwGE 28, 148 (151); BVerwG, Urt. v. 20. 01. 1984 – 4 C 43.81 = NVwZ 1984, 367; BVerwG, NVwZ 1985, 340 (341); Brenner, Rn. 691. 359 BVerwG, Urt. v.  25. 10. 1967  – 4 C 86.66; BVerwG, Urt. v.  14. 03. 1975  – 4 C 41.73; BVerwG, Urt. v. 06. 10. 1989 – 4 C 28.86; BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 31; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; VG Schwerin, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 A 4596/15 SN; Brenner, Rn. 691; Engel, KommJur 2004, 161 (164); S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 44; Stüer, Rn. 3071; Stüer / Stüer, NuR 2004, 341 (346); Weyreuther, S. 19, 160. 360 BVerwG, Urt. v.  25. 10. 1967  – 4 C 86.66; BVerwG, Urt. v.  14. 03. 1975  – 4 C 41.73; BVerwG, Urt. v. 20. 01. 1984 – 4 C 43/81; BVerwG, Urt. v. 22. 05. 1987 – 4 C 57/84; BVerwG, Urt. v. 19. 07. 2001 – 4 C 4.00; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 31; OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (60); S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 44; Scheidler, NuR 2010, 525 (526, 530); Weyreuther, S. 160. 361 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (60). 362 BayVGH, Urt. v.  30. 06. 2005  – 26 B 01.2833, Rn. 31; BayVGH, Urt. v.  01. 10. 2007  – 15 B 06.2356; VG Schwerin, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 A 4596/15 SN; Ecker, VBl.BW 2001, 173 (178); Scheidler, NuR 2010, 525 (526); Stüer, Rn. 3071. 357

III. Der Begriff der Verunstaltung  

85

den Umfang einer planerischen Abwägung besitzen muss.363 Bei der Prüfung, ob öffentliche Belange wie das Landschaftsbild entgegenstehen, ist die besondere Bedeutung der Privilegierung zu berücksichtigen und das Gewicht des privilegierten Vorhabens und der beeinträchtigten öffentlichen Belange zu vergleichen. Nur soweit das Gewicht der öffentlichen Belange überwiegt, kann die Genehmigung versagt werden.364 Der Gesetzgeber hat allerdings über die Privilegierung gem. § 35 Abs. 1 BauGB hinaus keine Entscheidung über den konkreten Standort des jeweiligen Vorhabens getroffen, die er vielmehr einer im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren erfolgenden Prüfung überlässt. Erst im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren ist zu prüfen, ob der Zulassung eines Vorhabens öffentliche Belange entgegenstehen.365 Der Bauantrag dokumentiert dabei, an welcher Stelle das Vorhaben ausgeführt werden soll. Ist dieses Vorhaben an dem ihm zugedachten Standort unzulässig, weil es dort das Landschaftsbild verunstaltet, spielt es für die Bewertung keine Rolle, ob das Vorhaben an einem anderen Ort, an dem es eine vergleichbare Wirkung nicht erzeugt, genehmigungsfähig wäre. Daher braucht weder die Baugenehmigungsbehörde noch das Verwaltungsgericht dieser Frage nachzugehen.366 Des Weiteren vermögen die Eigentumsverhältnisse an planungsrechtlich geeigneten Alternativstandorten eine Verunstaltung des Landschaftsbildes nicht zu rechtfertigen.367 Es ist im Regelfall unter Berücksichtigung der den privilegierten Vorhaben vom Gesetz zuerkannten Privilegierung davon auszugehen, dass sich ein privilegiertes Vorhaben zu Lasten von öffentlichen Belangen und insofern zu Lasten der Allgemeinheit auch dann noch durchsetzen kann, wenn unter gleichen Voraussetzungen ein sonstiges Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) wegen der von ihm beeinträchtigten Belange schon unzulässig wäre.368 Denn bei den sonstigen Vorhaben geht das Gesetz grundsätzlich von einer Unzulässigkeit dieser Vorhaben aus, was sich darin zeigt, dass gem. § 35 Abs. 2 BauGB jede Beeinträchtigung öffentlicher Belange ausreicht, um das Vorhaben unzulässig zu machen.369 Die Ausgestaltung von § 35 Abs. 2 BauGB macht schließlich deutlich, dass das Gesetz im Grundsatz von der Unzulässigkeit der sonstigen Vorhaben im Außenbereich ausgeht. Im Ergebnis

363 BVerwG, Urt. v.  13. 12. 2001  – 4 C 3/01 = NVwZ 2002, 1112; VG Schwerin, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 A 4596/15 SN; Engel, KommJur 2004, 161 (164); Weyreuther, S. 18, 160. 364 Engel, KommJur 2004, 161 (164). 365 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01; OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 44; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (60). 366 BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444; VG Neustadt a. d. W., Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW, openJur 2020, 24318. 367 BayVGH, Beschl. v. 31. 01. 2014 – 15 ZB 12.1436, openJur 2014, 3459. 368 BVerwG, Urt. v. 14. 03. 1975 – 4 C 41.73 = BVerwGE 48, 109 (114 f.); BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 31; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; Wey­ reuther, S. 160 f., 356. 369 Brenner, Rn. 710; Stüer, Rn. 3072.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

läuft die Bestimmung damit nahezu auf ein Bauverbot für nichtprivilegierte Vorhaben im Außenbereich hinaus.370 b) Einschränkende Auslegung des Verunstaltungsbegriffs bei privilegierten Vorhaben durch die obergerichtliche Rechtsprechung Die Folge des stärkeren Durchsetzungsvermögens privilegierter Vorhaben ist, dass viele Obergerichte371 den Verunstaltungsbegriff bei privilegierten Vorhaben einschränkend auslegen, da von einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes nur in Ausnahmefällen ausgegangen werden kann. Danach muss das Orts- oder Landschaftsbild „wegen seiner Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdig“ sein oder es muss ein besonders unauflöslicher Widerspruch zur Umgebung bestehen, also ein „besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild“ vorliegen.372 Es wird also zwischen besonders schutzwürdigen Landschaften unterschieden, in der die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes grundsätzlich nicht einmal beeinträchtigt sein dürfen um das schützenswerte Landschaftsbild – besonders, wenn es sich um ein reizvolles und von Bebauung nahezu unberührtes Landschaftsbild handelt – zu erhalten, und der übrigen, nicht besonders schützenswerten Landschaft, die nur vor einem schwerwiegenden Eingriff geschützt werden soll.373 Das BVerwG hat – soweit ersichtlich – noch keine Aussage dazu getroffen, ob bei privilegierten Vorhaben die genannten zusätzlichen einschränkenden Kriterien an den Begriff der „Verunstaltung“ zu stellen sind, um dem gesteigerten Durch­ setzungsvermögen von privilegierten Vorhaben im Außenbereich gegenüber sonstigen Vorhaben Rechnung zu tragen.374 In einem Fall hat es das einschränkende Kriterium der „schützenswerten Landschaft aufgrund ihrer besonderen Schönheit oder Funktion“ insoweit gebilligt, als sich der zugrunde liegende Sachverhalt auch unter diesem zusätzlichen einschränkenden Auslegungskriterium subsumieren ließ. Das BVerwG führte dabei aus, „dass eine Verunstaltung des Landschaftsbildes nur in Ausnahmefällen anzunehmen sei, nämlich dann, wenn es sich um eine wegen ihrer besonderen Schönheit oder Funktion schutzwürdige Umgebung oder um einen besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild handelt“. Das BVerwG ließ gleichzeitig offen, ob diese ein 370

Brenner, Rn. 710. BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 34; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; OVG LSA, Urt. v. 06. 02. 2004 – 2 L 5/00. 372 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 34; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; Engel, KommJur 2004, 161 (164); Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 144; Stüer / Stüer, NuR 2004, 341 (346). 373 BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn. 77; Schröter, S. 599. 374 Schröter, S. 599. 371

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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schränkenden Anforderungen an den Verunstaltungsbegriff bei privilegierten Vorhaben notwendig sind. Es konstatierte vielmehr, dass „sich weiter gehende allgemeine Rechtssätze kaum formulieren“ ließen.375 Diese Formulierung lässt darauf schließen, dass das BVerwG offensichtlich die beiden einschränkenden Kriterien als Fallgruppen versteht, die den Verunstaltungsbegriff näher umschreiben und präzisieren. Das BVerwG hat schließlich im Falle eines anderen privilegierten Vorhabens einschränkende Kriterien nicht gefordert und ließ es vielmehr ausreichen, dass das Vorhaben im Vergleich zu seiner Umgebung „grob unangemessen“ war, ohne darüber hinaus noch eine besondere Schutzwürdigkeit zu fordern – hier reichte die exponierte Lage auf einer Anhöhe, die massive Bauweise und Größe des Vorhabens aus, um eine Verunstaltung des Landschaftsbildes annehmen zu können.376 c) Gleiche Interpretation des Verunstaltungsbegriffs bei privilegierten und sonstigen Vorhaben Die von der obergerichtlichen Rechtsprechung für privilegierte Vorhaben entwickelten einschränkenden Kriterien müssen richtigerweise sowohl für privilegierte als auch für sonstige Vorhaben als Fallgruppen verstanden werden, um den Begriff der „Verunstaltung“ für die Praxis handhabbar zu machen.377 Es stellt sich in jedem Einzelfall dabei die Kernfrage, wann die Schwelle überschritten ist, nicht mehr nur von einer nachteiligen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes zu sprechen, sondern eine Verunstaltung – gleichsam einen „erheblichen Störfaktor“378 im Landschaftsbild – annehmen zu können. Die Landschaft muss daher bei privilegierten Vorhaben nicht „vollkommen einzigartig“ sein, um vor einer Verunstaltung geschützt zu sein. Es kommt letztendlich nicht so sehr darauf an, ob eine Landschaft „einzigartig“ ist, sondern darauf, ob eine Landschaft durch das Vorhaben mehr als unerheblich beeinträchtigt wird, so dass die Verunstaltung des Landschaftsbildes auch einem privilegierten Vorhaben entgegen stehen muss.379 Die Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes muss daher positiv feststehen. Das gilt sowohl für privilegierte, als auch für sonstige Vorhaben.380 Es reicht bei sonstigen Vorhaben nicht aus, dass lediglich eine „Beeinträchtigung“ des öf 375

BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295. BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444. 377 Düsing / Martinez / Achelpöhler, § 35, Rn. 194; Kapell, S. 55. 378 VG München, Urt. v.  27. 07. 2016  – M 9 K15.4998; OVG NRW, Urt. v.  05. 09. 2006  – 8 A 1971/04 = NuR 2007, 215; eine Verunstaltung des Landschaftsbildes durch die Errichtung von einer Winzeraussiedlung unterhalb des Hambacher Schlosses wurde vom VG Neustadt a. d. Weinstraße im entschiedenen Fall bejaht, Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW, openJur 2020, 24318. 379 Schröter, S. 601. 380 Kapell, S. 55; Weyreuther, S. 488. 376

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

fentlichen Belangs der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ vorliegt, § 35 Abs. 2 BauGB. Nichts anderes folgt aus der sprachlich und graduell unterschiedlichen Formulierung in § 35 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB mit „entgegenstehen“ und „beeinträchtigen“. Die Beeinträchtigung des Orts- oder Landschaftsbildes muss bei sonstigen ebenso wie bei privilegierten Vorhaben die Schwelle zu einer Verunstaltung überschreiten, um den öffentlichen Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zu beeinträchtigen. Denn § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB legt fest, dass eine „Beeinträchtigung“ im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB hinsichtlich des Belanges „Orts- und Landschaftsbild“ nur dann vorliegt, wenn dieses „verunstaltet“ wird, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.381 d) Unterschiede im Abwägungsvorgang Der Vorzug privilegierter Vorhaben gegenüber den sonstigen Vorhaben, der sich in einem stärkeren Durchsetzungsvermögen zeigt, ist daher nicht von quantitativer Art in dem Sinne zu verstehen, dass in einem Verstoß gegen „entgegenstehende“ öffentliche Belange (§ 35 Abs. 1 BauGB) ein im Vergleich zur „Beeinträchtigung“ öffentlicher Belange (§ 35 Abs. 2 BauGB) höherer Grad der Verletzung des Landschafts- oder Ortsbildes zu sehen wäre. Die Unterschiede zeigen sich vielmehr im erforderlichen Abwägungsvorgang.382 Ist ein Vorhaben privilegiert, das seinem Wesen nach hässlich, aber – weil es etwa standortgebunden ist – auf die In­ anspruchnahme einer ganz bestimmten Stelle des Außenbereichs angewiesen ist, so kann das bewirken, dass der Schutz des Landschaftsbildes gegenüber dem Durchsetzungsvermögen des Vorhabens zurückzutreten hat. Handelt es sich hingegen um ein privilegiertes Vorhaben, das auf eine bestimmte Stelle im Außenbereich nicht angewiesen ist, wird es am Eintritt einer Verunstaltung des Landschaftsbildes regelmäßig ebenso scheitern müssen, wie bei gleicher Sachlage ein sonstiges Vorhaben daran scheitern würde.383 Stehen der Zulassung des Bauvorhabens bereits aufgrund des festzustellenden Maßes der Verunstaltung des Landschaftsbildes öffentliche Belange entgegen, so kommt es an dieser Stelle nicht mehr darauf an, welches Gewicht dem privilegierten betrieblichen Interesse zukommt.384 381 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95, Rn. 19–22; OVG RhPf, Urt. v. 25. 02. 2015 – 8 A 10945/14, Rn.  44; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 48. 382 OVG NRW, Urt. v. 30. 07. 2009 – 8 A 2358/08, Rn. 79; Weyreuther, S. 488. 383 Weyreuther, S. 488; das betriebliche Interesse an der Errichtung eines privilegierten Weingutsgebäudes, das aufgrund seines exponierten Standortes ein einmalig schönes Landschaftsbild und die bisher unbeeinträchtigte Sicht auf ein Kulturdenkmal in Gestalt eines historisch und touristisch wertvollen denkmalgeschützten Schlosses gravierend negativ beeinträchtigt, hat im Rahmen der nach § 35 Abs. 1 BauGB vorzunehmenden Abwägung bei der Prüfung des „Entgegenstehens“ öffentlicher Belange trotz des durch die Privilegierungsentscheidung des Gesetzgebers den landwirtschaftlichen Aussiedlungen zuerkannten gesteigerten Durchsetzungsvermögens gegenüber öffentlichen Belangen zurückzutreten, vgl. VG Neustadt a. d. W., Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW, openJur 2020, 24318. 384 VG Neustadt a. d. W., Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW, openJur 2020, 24318.

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Verunstaltung“ muss daher sowohl bei privilegierten als auch bei sonstigen Vorhaben näher konkretisiert und handhabbar gemacht werden. Es geht darum, im Einzelfall festzustellen, wann die Grenze des „guten Geschmacks“ überschritten wurde, in der ein objektiver und unbefangener Betrachter frei von seinen subjektiven Präferenzen das Vorhaben in Hinblick auf seine Umgebung als in ästhetischer Hinsicht belastend und unlusterregend empfindet.385 Die Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ist nach alledem nur unter engen Voraussetzungen als gegeben anzusehen  – was gleichermaßen für privilegierte (§ 35 Abs. 1 BauGB) als auch für sonstige Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) gilt. Es erscheint daher aus Praktikabilitätsgründen heraus sinnvoll, die Kriterien der „wegen ihrer besonderen Schönheit oder Funktion schützenswerten Landschaft“ und des „besonders groben Eingriffs in das Landschaftsbild“ eher als Fallgruppen zu verstehen, die den öffentlichen Belang der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ näher umschreiben und somit für privilegierte als auch für sonstige Vorhaben in gleicher Weise Bedeutung erlangen. So nimmt auch das OVG RhPf eine Verunstaltung des Landschaftsbildes bei einem sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) nur in Ausnahmefällen an, wenn es sich um eine wegen ihrer besonderen Schönheit oder Funktion schutzwürdige Umgebung handelt oder ein besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild vorliegt.386 Die Gleichbehandlung von privilegierten und sonstigen Vorhaben in Hinblick auf die Fallgruppen trägt auch dem Gesetzessystem Rechnung, nach dem ebenso die Vereinbarkeit von privilegierten Vorhaben mit den öffentlichen Belangen am Maßstab des § 35 Abs. 3 BauGB zu beurteilen ist. Erst bei der anschließenden Gewichtung, ob öffentliche Belange dem Vorhaben „entgegenstehen“, ist bei privilegierten Vorhaben die planartige Zuweisung des Vorhabens in den Außenbereich zu berücksichtigen, die zu einem gesteigerten Durchsetzungsvermögen gegenüber nachteilig betroffenen Belangen führt. Das bedeutet, dass sich privilegierte Vorhaben gegenüber öffentlichen Belangen auch noch in den Fällen durchsetzen können, in denen sonstige Vorhaben bereits unzulässig wären.387 Es reicht hingegen bei sonstigen Vorhaben aus, dass das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot lediglich negativ berührt ist. Eine weitergehende Abwägung ist darüber hinaus nicht mehr erforderlich.388 Wird nämlich eine solche Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs festgestellt, so führt dies dazu, dass jede weitere Abwägung des Vorhabens auch mit sonstigen privaten Belangen des Bauherrn ausgeschlossen ist.389 Es ist demgegenüber rechtsgrundsätzlich geklärt, dass die Frage, 385

BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 386 OVG RhPf, Urt. v. 25. 02. 2015 – 8 A 10945/14, Rn. 44. 387 OVG NRW, Urt. v. 30. 07. 2009 – 8 A 2358/08, Rn. 79; Ecker, VBl.BW 2001, 173 (178). 388 Stüer, Rn. 3072; Weyreuther, S. 19, 89; Wolf, ZUR 2002, 331 (337). 389 Brenner, Rn. 713.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

ob ein privilegiertes oder ein sonstiges Vorhaben vorliegt, offenbleiben darf, soweit jedenfalls die strengeren Voraussetzungen gegeben sind, unter denen auch ein privilegiertes Vorhaben unzulässig wäre.390 Es bleibt damit der Abwägungsentscheidung vorbehalten, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt, die der Zulässigkeit eines privilegierten Vorhabens „entgegensteht“, § 35 Abs. 1 BauGB. Es ist mit anderen Worten aufgrund einer Abwägung zu beantworten, ob einem privilegierten Vorhaben öffentliche Belange „entgegenstehen“.391 Die Abwägungsentscheidung als solche darf aber nicht in die Prüfung des Belangs der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ hineinverlagert werden. Denn die Bedeutung der einzelnen Belange ist für privilegierte und sonstige Vorhaben gleich zu bestimmen, sodass der entscheidende Unterschied also gerade nicht in der Art der zu berücksichtigenden Belange liegt.392 Zu beachten ist allerdings auch noch, dass in einer nicht förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Außenbereichslandschaft die bloße Beeinträchtigung des Landschaftsbildes oder des Interesses an der Erhaltung eines bestimmten Ortsoder Landschaftsbildes keine Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB darstellt, soweit das Vorhaben nicht „die Schwelle einer Verunstaltung“ des Landschafts- oder Ortsbildes überschreitet.393 Der nachfolgend dargestellte Beschluss des OVG NRW zeigt sehr anschaulich, dass es für die Frage, ob eine Verunstaltung des Landschaftsbildes im konkreten Einzelfall vorliegt, nicht darauf ankommt, ob es sich um ein privilegiertes oder sonstiges Vorhaben handelt. Es sind vielmehr für die Beurteilung einer Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB sowohl bei privilegierten als auch bei sonstigen Vorhaben dieselben Anforderungen zu stellen. Der terminologische Unterschied zwischen privilegierten und sonstigen Vorhaben – also ob das jeweilige Vorhaben den Belang der Verunstaltung des Landschaftsbildes „beeinträchtigt“ oder ihm „entgegensteht“ –, zeigt sich erst im unterschiedlichen Grad der Gewichtung im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung zwischen dem Interesse an der Verwirklichung des konkreten Vorhabens und den von ihm berührten öffentlichen Belangen. Erst die abschließende Abwägung berücksichtigt, dass es sich um ein privilegiertes Vorhaben mit einem gesteigerten Durchsetzungsvermögen handelt: Das OVG NRW hat im Zusammenhang mit dem Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) zutreffend ausgeführt, dass für die Beantwortung der Frage, ob einem privilegierten Vorhaben (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) öffentliche Belange „entgegenstehen“, eine Abwägung stattzufinden

390

BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444. OVG NRW, Urt. v.  12. 06. 2001  – 10 A 97/99, Rn. 44; VG Neustadt a. d. W., Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW, openJur 2020, 24318. 392 Knuth, NuR 1985, 8 (14). 393 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32. 391

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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habe, in der dem privilegierten Vorhaben besonderes Gewicht einzuräumen sei. Das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs entfalte andererseits im Rahmen dieser Abwägung seine eigentliche Bedeutung. Aus dem Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs ergebe sich nämlich, dass auch ein privilegiertes Vorhaben an dem vorgesehenen Standort unzulässig sein kann. Denn der Gesetzgeber habe über die Entscheidung zugunsten der Privilegierung bestimmter Vorhaben im Außenbereich hinaus – die im Allgemeinen dem Belang der „natür­lichen Eigenart der Landschaft“ nicht entgegenstehen – keine Entscheidung über den konkreten Standort der Vorhaben getroffen, die er im Außenbereich grundsätzlich für zulässig erklärt. Namentlich könne ein privilegiertes Vorhaben an dem vorgesehenen Standort unzulässig sein, wenn ihm eine Verunstaltung des Landschaftsbildes als öffentlicher Belang entgegenstehe.394 Daraus folgt aber nicht, dass die Privilegierung von Vorhaben im Rahmen der Zulassungsentscheidung von Seiten der Genehmigungsbehörden unberücksichtigt bleiben darf. Die restriktiven Anforderungen, die bei privilegierten Vorhaben an eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes zu stellen sind, verpflichten die Genehmigungsbehörden dazu, die besondere Schutzbedürftigkeit der Landschaft nachvollziehbar und widerspruchsfrei darzulegen. Das enge Begriffsverständnis einer Verunstaltung darf in der Genehmigungspraxis nicht verkannt und nicht dazu umfunktioniert werden, ein unerwünschtes Baugesuch quasi mit dem letzten in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführten öffentlichen Belang vorschnell abzulehnen.395 Auf der Ebene der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsprüfung darf damit keine gleichsam bauleitplanerische Abwägungsentscheidung der Genehmigungsbehörden stattfinden, denn die Zulassungsentscheidung nach § 35 Abs. 1 BauGB kennt keine Ermessens- oder Abwägungsspielräume der Genehmigungsbehörden. Eine nachvollziehende Abwägung des Interesses an der Verwirklichung eines privilegierten Vorhabens an dem beabsichtigten Standort mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen ist gerade keine planerische Abwägung, sondern stets strikte Rechtsanwendung.396 Das Verständnis für die den Verunstaltungsbegriff näher umschreibenden Kriterien der „schützenswerten Landschaft aufgrund ihrer besonderen Schönheit oder Funktion“ und des „besonders groben Eingriffs“ als Fallgruppen ist umso eher zu verstehen, wenn man sich vor Augen führt, dass jedes dieser Kriterien für sich genommen in der Lage ist, eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes zu begründen. Denn einerseits muss eine Landschaft bei privilegierten Vorhaben nicht besonders einzigartig sein, um auch vor einer Verunstaltung des Orts- oder Land-

394

OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98 = BauR 2001, 222; vgl. ebenso: OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 44. 395 Jeromin, BauR 2003, 820 (822). 396 Jeromin, BauR 2003, 820 (822).

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

schaftsbildes geschützt zu werden.397 Es kann andererseits auch bei sonstigen Vorhaben nicht jede Beeinträchtigung des Landschaftsbildes ausreichen, um allein aufgrund der fehlenden Privilegierung des Vorhabens eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes bejahen zu können, denn das Verunstaltungsverbot soll gerade nicht quasi als letztes Korrektiv die Landschaft vor einer unerwünschten wesensfremden Bebauung schützen, sollte einmal der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft nicht einschlägig sein, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB. Der Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes dürfte jedenfalls eine sehr geringe praktische Bedeutung bei den sonstigen Vorhaben besitzen, da diese regelmäßig als eine dem Außenbereich wesensfremde Bebauung angesehen werden können und sie damit schon die natürliche Eigenart der Landschaft be­ einträchtigen, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB. Auch aus diesem Grund sind strengere Voraussetzungen an die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes bei privilegierten Vorhaben nicht notwendig. e) Zeitlich nur vorübergehende Belastungen des Landschaftsbildes Zeitlich nur vorübergehende Belastungen des Landschaftsbildes können auch zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) führen. Es ist allerdings hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Vorhaben, die auf das Landschaftsbild nur zeitlich vorübergehende Belastungen zeitigen, zwischen privilegierten (§ 35 Abs. 1 BauGB) und sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) zu unterscheiden.398 Denn der Belang des Verunstaltungsverbots ist bei der nachvollziehenden Abwägung der mit dem Vorhaben verbundenen Interessen prinzipiell als zurückstellungsfähiger öffentlicher Belang ausgestaltet.399 Zeitlich nur vorübergehende Beeinträchtigungen führen bei privilegierten Vorhaben im Gegensatz zu sonstigen Vorhaben vor dem Hintergrund ihres gesteigerten Durchsetzungsvermögens regelmäßig zu einer Zurückstellung des Belangs der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes und führen damit regelmäßig nicht zu einer Unzulässigkeit des privilegierten Vorhabens. Denn die Zurückstellung dieses Belangs ist unter städtebaulichen und landschaftsgestalterischen Gesichtspunkten bei einer nur vorübergehenden Verunstaltung hinzunehmen, da dem Landschaftsbild im Rahmen der gebotenen Abwägung nicht ein solches Gewicht zukommt, da der Gesetzgeber schließlich bestimmte Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB planartig dem Außenbereich zugewiesen hat. Es kommt mit anderen Worten in der gebotenen Abwägung der nur zeitlich befristeten Beeinträchtigung gegenüber der Privilegierung eines Vorhabens ein geringeres Gewicht zu, sodass eine nur vorübergehende 397

Schröter, S. 601. BRS / Bracher, Rn. 2328. 399 J / D/Spieß, § 35, Rn. 209. 398

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Verunstaltung des Landschaftsbildes einem privilegierten Vorhaben regelmäßig nicht entgegenstehen kann.400 Es gilt daher beispielsweise für Abgrabungen mit einer Rekultivierungsverpflichtung, dass öffentliche Belange, die nur für die Dauer der Abgrabung bis zur rechtlich gesicherten Rekultivierung nachteilig berührt werden, gegenüber einer Abgrabung als privilegiertem Vorhaben geringeres Gewicht besitzen und ihr damit nicht entgegenstehen.401 Der öffentliche Belang des Schutzes des Landschaftsbildes vor einer optisch-ästhetischen Verunstaltung kann damit in der gebotenen Abwägung im Falle eines nur vorübergehenden Eingriffs bei standortgebundenen privilegierten Vorhaben überwunden werden. Eine zeitlich nur befristete Beeinträchtigung des Landschaftsbildes kann im Rahmen der Interessenabwägung ausschlaggebendes Gewicht beizumessen sein, dass der Beeinträchtigung öffentlicher Belange nicht ein solches Gewicht beizumessen ist, dass dieses das wirtschaftliche Interesse des Bauherrn an der Verwirklichung des privilegierten Außenbereichsvorhabens überwiegt und dem Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB entgegenstehen würde.402 Ebenso kann die großflächige Errichtung eines gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegierten Trockenkiesabbauvorhabens eine in direktem Umfeld befindliche und auf freiem Feld stehende Wallfahrtskapelle erheblich beeinträchtigen, was aber noch nicht zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führen muss, soweit der Kiesabbau zu keiner dauerhaften Veränderung der Bodengestalt oder Bodennutzung führen wird und es sich lediglich um eine vorübergehende und nicht nachhaltig bestehen bleibende Beeinträchtigung handelt, die auf etwa 17 Jahre beschränkt ist, wobei die Fläche bereits nach 12 Jahren Zug um Zug wieder rekultiviert werden soll. Wenn es sich hierbei auch nicht um einen unerheblichen Zeitrahmen handelt, kann nicht gänzlich der Umstand unberücksichtigt bleiben, dass dieser Zeitrahmen auch im Verhältnis zu dem Alter der Kapelle von rund 330 Jahren und der zu er­ wartenden Lebensdauer von weiteren mehreren Jahrhunderten nicht unverhältnismäßig erscheint.403 Handelt es sich hingegen um ein sonstiges Vorhaben gem. § 35

400

BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92; B / K/L / M/R, § 35, Rn. 88; BRS / Bracher, Rn. 2328, 2368; Engel, KommJur 2004, 161 (164); PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn.  86; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 46; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 143. 401 BVerwG, Urt. v. 18. 03. 1983 – 4 C 17/81. 402 BayVGH, Urt. v. 16. 06. 2015 – 15 B 13.424, Rn. 42, 44. 403 Das in einer Entfernung von 165 m zur Kapelle geplante Kiesabbauvorhaben beeinträch­ tigte im entschiedenen Fall spürbar das Erscheinungsbild und damit die Denkmalwürdigkeit der Kapelle, da durch das Vorhaben eine kulturhistorisch und landschaftlich bedeutsame Blickbeziehung auf die Kapelle verloren geht, wodurch die Wirkung des Baudenkmals deutlich geschmälert wird. Allerdings fiel nach Ansicht des Gerichts ebenso mindernd ins Gewicht, dass die Staatsstraße in dem fraglichen Bereich über keinen Gehweg verfügt, sodass von dieser Einschränkung der Blickbeziehung im Wesentlichen rasch vorbeifahrende Kraftfahrzeuge auf einer begrenzten Strecke betroffen sein dürften. Zu berücksichtigen war zudem, dass der Bodenabbau nach dem Vorbescheidsantrag nur stufenweise in drei Teilabschnitten auf jeweils einem Drittel der Grundstücksfläche durchgeführt werden soll. Eine für die Blickbeziehung zum

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Abs. 2 BauGB, so könnte es unabhängig von dem Gewicht der privaten Interessen des Eigentümers oder der öffentlichen Interessen an der Gewinnung des Materials wegen der auch nur kurzzeitigen Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes nicht zugelassen werden.404 Da die Beeinträchtigung öffentlicher Belange gem. § 35 Abs. 3 BauGB auf Dauer ausgerichtet ist und bei Windenergieanlagen im Regelfall eine vollständige Renaturierung möglich ist, sind wenige Fälle denkbar, in denen Windenergieanlagen mit einer angestrebten Betriebsdauer von rund 20 Jahren das Landschaftsbild rechtserheblich beeinträchtigen.405 f) Allgemeine Besonderheiten privilegierter Vorhaben in Bezug auf den Verunstaltungsbegriff Für die Feststellung, ob eine Beeinträchtigung des Orts- oder Landschaftsbildes zu einer Verunstaltung führt, ist eine wertende ästhetische Betrachtungsweise erforderlich. Ein Vorhaben zur Gewinnung von Windenergie kann daher gegenüber Aspekten des Landschaftsschutzes nicht seine positiven Wirkungen für den Umweltschutz geltend machen.406 Insoweit überwiegt das besonders starke Gewicht der im Außenbereich privilegierten Schaffung von regenerativen Energiequellen eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch eine Windkraftanlage nur bis zur Grenze der Verunstaltung.407 Da zur Beurteilung einer Verunstaltung eine wertende ästhetisierende Betrachtungsweise angezeigt ist, ist es ebenso unbeachtlich, ob die geographische Lage der geplanten Anlage so ungünstig ist, dass sie dauerhaft nur über Subventionen in Betrieb gehalten werden kann.408 Der gesetzgeberische Wille der Privilegierung regenerativer Energiequellen kann insofern nicht über die „Hintertür“ des Verunstaltungsverbots infrage gestellt werden. Bei der erforderlichen Abwägung ist im Übrigen zwischen dem Gewicht des privilegierten Vorhabens einerseits und dem Gewicht des öffentlichen Belangs andererseits eine Kompensation von gegen das Vorhaben sprechenden öffentlichen Belangen mit anderen für das Vorhaben sprechenden öffentlichen Belangen oder mit sonstigen Vorteilen des Vorhabens nicht zulässig.409 Der öffentliche Belang der Baudenkmal möglichst schonende Ausführung kann insoweit ebenso wie eine entsprechende zeitliche Begrenzung des Kiesabbaus gegebenenfalls auch durch Nebenbestimmungen (§ 36 Abs. 1 LVwVfG) zum Vorbescheid sichergestellt werden, s. BayVGH, Urt. v. 16. 06. 2015 – 15 B 13.424, Rn. 41, 49. 404 BRS / Bracher, Rn. 2328. 405 Engel, KommJur 2004, 161 (164). 406 BayVGH, Urt. v. 25. 03. 1996 – 14 B 94.119 = NVwZ 1997, 1010 (1011); Wolf, ZUR 2002, 331 (338). 407 VG Stuttgart, Urt. v. 12. 05. 2004 – 16 K 3344/03. 408 A. A. Quambusch, BauR 2003, 635 (644). 409 BVerwG, Urt. v. 18. 02. 1983 – 4 C 19.81 = NJW 1983, 2716; Weyreuther, S. 18 f., 282.

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Verunstaltung des Landschaftsbildes kann daher in Bezug auf einen im Außen­ bereich zu errichtenden Lagerplatz nicht mit der Schaffung von Arbeitsplätzen kompensiert werden.410 Eine gegebene Beeinträchtigung öffentlicher Belange kann insofern nicht mithilfe außer-bodenrechtlicher Argumente überwunden werden, da nicht einmal bodenrechtlich relevante Belange eine Kompensation ermöglichen.411 Der Umstand, dass bei Realisierung eines privilegierten Vorhabens eine Vorbildwirkung für vergleichbare Vorhaben entstehen könnte, darf für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens keine Rolle spielen, da der Gesetzgeber gerade bestimmte Vorhaben im Außenbereich für privilegiert zulässig erklärt hat, vgl. § 35 Abs. 1 BauGB.412 Sonstige Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) wirken andererseits nicht allein deswegen verunstaltend, weil ihnen der Bezug zur landwirtschaftlich geprägten Bodennutzung fehlt. Sie werden jedoch regelmäßig in besonders landschaftlich reizvollen Gebieten wie das Voralpengebiet oder unberührten Naturlandschaften eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes darstellen, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.413 8. Naturschutzrechtliche Herangehensweise an den Begriff der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB Sofern Landschaftsteile nach Naturschutzrecht förmlich unter Landschaftsschutz gestellt wurden, ist dies schon bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Vorhabens gem. § 29 Abs. 2 BauGB strikt zu beachten und nicht Gegenstand der nachvollziehenden Abwägung bei § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.414 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Geltung der Vorschriften über die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung gem. § 18 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG für Vorhaben im Außenbereich unberührt bleibt.415 Unterschiede hinsichtlich des Schutzes des Landschaftsbildes zwischen dem Naturschutzrecht und dem Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ergeben sich dann, wenn es auf den von der jeweiligen Rechtsmaterie unterschiedlichen Grad an Eingriff in das Landschaftsbild ankommt: Die im Naturschutzrecht verankerte Eingriffsregelung (§§ 14 ff. BNatSchG) dient auch dem Schutz des Landschaftsbildes. Dieser naturschutzrechtliche Landschaftsschutz besitzt eigene Voraussetzungen und Rechtsfolgen.416 Erhebliche Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sind im Sinne des § 14 Abs. 1 BNatSchG sowie der 410

S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 47. Weyreuther, S. 284. 412 BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356, Rn. 23; Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 413 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 37. 414 EZBK / Söfker, § 35, Rn. 99; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 134; Schröter, S. 594. 415 BayVGH, Beschl. v. 11. 07. 2016 – 15 ZB 14.400, Rn. 15. 416 Quambusch, BauR 2003, 635 (637); S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 35. 411

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

meisten Landesnaturschutzgesetze Eingriffe in Natur und Landschaft.417 Eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes liegt vor, wenn das Vorhaben als Fremdkörper einen verletzenden und negativ prägenden Einfluss auf das gesamte Landschaftsbild hat.418 Für eine optisch-ästhetische Bewertung einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes ist auf einen aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachter abzustellen, der das Landschaftsbild bei großflächiger Betrachtungsweise als gestört empfinden muss.419 Das wird im Ergebnis regelmäßig einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entsprechen.420 Im Naturschutzrecht können allerdings im Gegensatz zum öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB), der über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Vorhabens entscheiden kann, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gefordert werden. Da § 14 Abs. 1 BNatSchG nicht den „hohen Grad“ einer Verunstaltung fordert, sondern die mögliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes ausreichen lässt,421 kann bei Vorliegen eines Eingriffs in das Landschaftsbild im Sinne des Naturschutzrechts nicht von vornherein auf eine Verunstaltung des Landschaftsbildes geschlossen werden.422 Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (§§ 14 ff. BNatSchG) ist in der Praxis aus den besagten Gründen für den optisch-ästhetischen Schutz des Landschaftsbildes effektiver als der Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB), da eine Verunstaltung regelmäßig auch eine mögliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes enthalten wird, sodass potentielle Fälle des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB im Bauvollzug regelmäßig über das Naturschutzrecht abgefangen werden dürften.423 a) Natur- und landschaftsschutzfachlich besonders schützenswerte Gebiete Der in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 BauGB aufgeführte öffentliche Belang des Naturschutzes und der Landschaftspflege wird durch das Naturschutzrecht näher konkretisiert.424 Die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege werden daher auch regelmäßig einem gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben entgegenstehen, soweit das Vorhaben nicht mit besonderen Schutzgebietsausweisun 417

H / S/Schink, Kap. 5, Rn. 212. HdB-UmweltR / Maaß / Schütte, § 7, Rn.  49; H / S/Schink, Kap. 5, Rn. 213. 419 Giesberts / Reinhardt / Schrader, § 14 BNatSchG, Rn. 17; H / S/Schink, Kap. 5, Rn. 213. 420 Koppitz, Rn. 546. 421 H / S/Gellermann, Kap.  10, Rn.  51; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 35. 422 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 35. 423 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 35. 424 BVerwG, Urt. v.  27. 06. 2013  – 4 C 1/12 = BauR 2013, 1828; NdsOVG, Beschl. v. 04. 09. 2018 – 1 ME 65/18, juris Rn. 11; Scheidler, BauR 2019, 190 (194). 418

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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gen übereinstimmt.425 Dies wird vor allem bei ausgewiesenen Schutzgebieten gem. den §§ 22 ff. BNatSchG der Fall sein. Die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung oder Befreiung hinsichtlich der Vorgaben einer Landschaftsschutzverordnung werden auch bei Windkraftanlagen kaum vorliegen.426 Der Belang des Natur- und Landschaftsschutzes besitzt damit gegenüber einem Vorhaben Vorrang, soweit das Vorhaben in nicht durch Ausnahmegenehmigung oder Befreiung zu behebender Weise in Widerspruch zu einer gültigen Landschaftsschutzverordnung steht.427 Stehen in einem Gemeindegebiet nahezu alle Außenbereichsflächen förmlich unter Landschaftsschutz, muss die Kommune der Windenergie nicht in gleicher Weise Raum für Flächen geben, wie dies in anderen strukturierten Gemeinden möglicherweise geboten sein kann.428 aa) Bauplanungs- und naturschutzrechtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen Die Prüfung der bauplanungsrechtlichen und der naturschutzrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Außenbereichsvorhabens besitzen nach der Rechtsprechung des BVerwG jeweils eigenständigen Charakter und sind jeweils unabhängig voneinander durchzuführen, auch wenn die Abwägung in beiden Fällen regelmäßig zu demselben Ergebnis kommen sollte.429 Das BVerwG hat demgegenüber in einer neueren Entscheidung, die das Verhältnis der artenschutzrechtlichen Verbotsregelungen in § 44 BNatSchG zu § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB betraf, hervorgehoben, dass es einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass die bauplanungsrechtlichen und die naturschutzrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen generell unabhängig voneinander zu prüfen seien, nicht gebe und artenschutzrechtliche Verbote, die naturschutzrechtlich nicht überwunden werden können, einem nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben als öffentliche Belange gem. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zwingend entgegenstehen. Artenschutzrechtliche Verbote, von denen weder eine Ausnahme noch eine Befreiung erteilt werden kann, stehen damit einem Außenbereichsvorhaben sowohl als verbindliche Vorschriften des Naturschutzrechts als auch als Belange des Naturschutzes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zwingend entgegen.430 425 BVerwG, Beschl. v.  08. 05. 2008  – 4 B 28.08; Rn. 5; OVG NRW, Urt. v.  05. 09. 2006  – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215; Wolf, ZUR 2002, 331 (338). 426 OVG NRW, Urt. v.  05. 09. 2006  – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215; ThürOVG, Urt. v. 06. 06. 1997 – 1 KO 570/94 = NVwZ 1998, 983 (985); Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 69; Wolf, ZUR 2002, 331 (338). 427 BVerwG, Urt. v.  20. 10. 1978  – 4 C 75.76; BVerwG, Urt. v.  19. 04. 1985  – 4 C 25/84; BVerwG, Beschl. v. 02. 02. 2000 – 4 B 104/99; VG Schwerin, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 A 4596/15 SN; Middeke, DVBl. 2008, 292 (299); S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 51. 428 Middeke, DVBl. 2008, 292 (299). 429 BVerwG, Urt. v. 13. 12. 2001 – 4 C 3.01; VGH BW, Urt. v. 20. 05. 2003 – 5 S 1181/02; Rn. 27; Engel, KommJur 2004, 161 (164). 430 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 2013 – 4 C 1.12.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Da kein sachlicher Grund besteht, die Erwägungen des BVerwG zur Harmonisierung von Naturschutzrecht und Bauplanungsrecht nur auf das Artenschutzrecht zu begrenzen, dürfte das Naturschutzrecht den bauplanungsrechtlichen öffent­lichen Belang des Naturschutzes und der Landschaftspflege (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) in einem generell zu verstehenden Sinne dahingehend konkretisieren, dass jedenfalls zwingende naturschutzrechtliche Versagungsgründe – insbesondere nach Maßgabe der Eingriffsregelungen gem. §§ 14 ff. BNatSchG – automatisch zur bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit wegen entgegenstehender Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB führen.431 Ist allerdings ein Außenbereichsvorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig, kommt es nicht mehr darauf an, ob es nach der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung ebenfalls unzulässig wäre und ob auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Erlaubnis oder einer Befreiung nach der jeweiligen Schutzgebietsverordnung nicht vorlägen.432 bb) Beeinträchtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege Der öffentliche Belang des Naturschutzes und der Landschaftspflege (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 BauGB) dient unter anderem dem ästhetischen Landschaftsschutz in einer förmlich unter Schutz gestellten Außenbereichslandschaft.433 In förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Landschaftsteilen führt schon eine Beeinträchtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege zur Unzulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich.434 Verstößt ein Vorhaben in nicht durch Ausnahmegenehmigungen oder Befreiungen zu behebender Weise gegen die Vorgaben einer Landschaftsschutzverordnung, ist gleichzeitig auch eine Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes gegeben.435 Denn der Verstoß gegen die Vorgaben einer Natur- oder Landschaftsschutzgebietsverordnung führt gleichzeitig auch zu einem Eingriff in ein „aufgrund seiner Schönheit oder Funktion besonders schützenswertes Landschaftsbild“ – eine Fallgruppe des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots.436

431

BayVGH, Beschl. v. 11. 07. 2016 – 15 ZB 14.400, Rn. 32. VGH BW, Urt. v. 20. 05. 2003 – 5 S 1181/02, Rn. 34. 433 Im Übrigen können Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege – ohne dass damit bei einem privilegierten Vorhaben schon die Wertung eines „Entgegenstehens“ feststünde – beeinträchtigt werden, wenn die in § 1 BNatSchG beschriebenen Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege negativ betroffen sind. Die Beeinträchtigung und das Entgegenstehen eines Belangs aus dem Bereich „Natur- und Landschaftsschutz“ setzen insbesondere keine förmliche Unterschutzstellung des Gebiets voraus, vgl. nur BayVGH, Beschl. v. 11. 07. 2016 – 15 ZB 14.400, Rn. 13 m. w. N. 434 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95; BVerwG, Beschl. v. 08. 05. 2008 – 4 B 28.08. 435 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95, Rn. 19; BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 84; Hornmann, NVwZ 2006, 969 (971 f.). 436 Fest, S. 154. 432

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Landschaftsschutzgebietsverordnungen sehen regelmäßig den Passus vor, dass im Geltungsbereich der Verordnung keine Veränderungen vorgenommen werden dürfen, die geeignet sind, die Natur zu schädigen oder das Landschaftsbild zu verunstalten. Insbesondere das Errichten von baulichen Anlagen im Sinne der jeweiligen Landesbauordnung fällt unter dieses Verbot.437 cc) Ausnahmegenehmigungen oder Befreiungen hinsichtlich der Vorgaben einer Landschaftsschutzgebietsverordnung Ein Landschaftsschutzgebiet stellt jedoch keinen absoluten und endgültigen Schutz vor der Errichtung beispielsweise einer Windenergieanlage in dem durch die Verordnung ausgewiesenen Gebiet dar. Es ist zum einen die Ausweisung einer „Vorrangzone für Windkraftanlagen“ im Geltungsbereich einer Landschaftsschutzverordnung, die es untersagt in dem Landschaftsschutzgebiet bauliche Anlagen jeglicher Art zu errichten, möglich.438 Zum anderen ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch innerhalb des Geltungsbereiches eines Landschaftsschutzgebiets ein Vorhaben im Rahmen einer Ausnahme oder Befreiung zugelassen werden kann, soweit es nicht dem Schutzzweck des Landschaftsschutzgebietes widerspricht.439 Daher kommt dem Umstand, dass der Standort einer geplanten Windenergieanlage im Geltungsbereich einer Naturparkverordnung liegt, nur eine Indizwirkung für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes zu.440 Im Rahmen der Beurteilung, ob innerhalb des Geltungsbereiches eines Landschaftsschutzgebietes ein Vorhaben mittels einer landesrechtlichen Ausnahmegenehmigung oder Befreiung zugelassen werden kann, ist konkret zu prüfen, ob die Errichtung des Vorhabens mit den durch die Schutzgebietsverordnung geschützten Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu vereinbaren ist.441 Die Schutzwürdigkeit der Landschaft ist dabei aufgrund ihrer Schönheit und Funktion festzustellen und anschließend zu prüfen, ob das Landschaftsbild im konkreten Einzelfall aufgrund einer Vorbelastung durch vorhandene Bauten an Schutzwürdigkeit verloren hat.442 Das Vorliegen einer Verunstaltung des Landschaftsbildes erscheint insbesondere dann zweifelhaft, wenn es beispielsweise keineswegs das Ziel einer Naturparkverordnung ist, nur die Erholungslandschaft zu schützen, sondern den Naturpark auch (aus wirtschaftlichen Interessen) als Tourismusregion zu fördern.443

437

OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. Fest, S. 155. 439 Ecker, VBl.BW 2001, 173 (179). 440 VG Freiburg, Urt. v. 25. 10. 2005 – 1 K 2723/04 = UPR 2006, 364; Fest, S. 154. 441 OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. 442 OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. 443 VG Freiburg, Urt. v. 25. 10. 2005 – 1 K 2723/04 = UPR 2006, 364. 438

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Ein Anspruch auf Erteilung einer landesrechtlichen Ausnahmegenehmigung oder Befreiung für die Errichtung einer Windenergieanlage in einem Landschaftsschutzgebiet kann andererseits jedoch nicht daraus abgeleitet werden, dass der geplante Standort des Vorhabens im Flächennutzungsplan als Konzentrationszone für die Windenergie ausgewiesen ist oder die Landschaftsbehörde eine Erteilung in Aussicht gestellt hat.444 Es kommt vielmehr darauf an, dass die Befreiungslage objektiv gegeben ist, wie es Grundlage einer rechtmäßigen, verwirklichbaren Planung ist. Ist dies nicht der Fall, so führt der Widerspruch zur Landschaftsschutzverordnung zu einem Entgegenstehen des öffentlichen Belangs des Naturschutzes und der Landschaftspflege.445 dd) Maßgeblichkeit der Vorgaben der Landschaftsschutzgebietsverordnung Allerdings ist die Frage, ob Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 BauGB) dadurch beeinträchtigt werden, dass ein Vorhaben im Widerspruch zu den Vorgaben einer Landschaftsschutzverordnung steht, allein nach den Vorschriften der Verordnung und nicht nach den Maßstäben zu beurteilen, die für eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft, für eine Verunstaltung des Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 und 5 BauGB) oder für die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung gelten.446 Die Anforderungen an eine mögliche Verletzung des Schutzzwecks eines Landschaftsschutzgebietes durch eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes sind dabei geringere als diejenigen, die an eine Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB in anderen, nicht unter förmlichen Schutz gestellten Landschaften zu stellen sind. Während in Landschaftsschutzgebieten bereits eine Beeinträchtigung der Schönheit der Landschaft und deren negative Berührung und Beeinflussung durch das Vorhaben ausreicht, um von einem einer Befreiung im Ergebnis nicht mehr zugänglichen Verbot des jeweiligen Vorhabens ausgehen zu müssen, setzt eine Verunstaltung des Landschaftsbildes darüber hinaus voraus, dass das Vorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird.447 Ist ein Außenbereichsvorhaben in nicht durch Ausnahmegenehmigung zu behebender Weise landschaftsschutzrechtlich unzulässig, darf für dieses Vorhaben eine Baugenehmigung regelmäßig selbst dann nicht

444

OVG NRW, Urt. v. 13. 03. 2008 – 8 A 4583/06 = NuR 2008, 881 ff.; Fest, S. 155. BVerwG, Beschl. v. 02. 02. 2000 – 4 B 104.99 = ZfBR 2000, 428 f.; Fest, S. 155. 446 VGH BW, Urt. v. 30. 08. 2017 – 8 S 17/16, Rn. 50. 447 VG Göttingen, Urt. v. 17. 04. 2008 – 4 A 64/05, Rn. 34; VG Minden, Urt. v. 22. 10. 2014 – 11 K 3865/13, Rn. 111. 445

III. Der Begriff der Verunstaltung  

101

erteilt werden, wenn es sich um ein gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegiertes Vorhaben handelt.448 Die Errichtung und der Betrieb von Windkraftanlagen in Landschaftsschutzgebieten kommt insbesondere in Teilbereichen großräumiger Landschaftsschutzgebiete mit einer im Einzelfall weniger hochwertigen Funktion für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie für die landschaftsorientierte Erholung in Betracht, soweit die Vereinbarkeit mit der Schutzfunktion des Landschaftsschutzgebietes gegeben ist. Eine Befreiung kommt in Betracht, soweit die konkreten Anlagen auch unter Berücksichtigung der Zwecke, die die Verordnung im Auge hat, aus Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt sind – dies ist abhängig von der Schutzwürdigkeit der Landschaft am vorgesehenen Standort.449 Ebenso vermittelt der Umstand, dass die Windkraftanlage im Geltungsbereich einer Naturparkverordnung liegt, nur eine Indizwirkung hinsichtlich der Unzulässigkeit derartiger Anlagen. Denn wesentlich für ein Entgegenstehen öffentlicher Belange kann hierbei sein, ob das gesamte Gebiet pauschal als besonders schutzwürdig anzusehen ist und somit auch im Einzelfall kein Anspruch auf die Erlaubnis für die Errichtung eines Bauwerks besteht.450 So darf für die Errichtung einer Windenergieanlage in einem Landschaftsschutzgebiet bei einer nachteiligen Veränderung des nicht vorbelasteten Landschaftsbildes oder bei einer Beeinträchtigung besonderer Schutzzwecke des Schutzgebietes keine Ausnahme von dem für das Schutzgebiet geltenden Bauverbot erteilt werden. Ein grundsätzlich anzuerkennender Belang der Allgemeinheit in Form der Nutzung der Windenergie überwiegt gegenüber dem kollidierenden öffentlichen Belang des Landschaftsschutzes im Sinne der jeweiligen landesrechtlichen Befreiungsvorschrift und erfordert die Befreiung nur dann, wenn zu seiner Verwirklichung vernünftigerweise eine Zulassung des Vorhabens an dem vorgesehenen Standort im Landschaftsschutzgebiet geboten ist.451 Die Regelungen in einer Landschaftsschutzverordnung beziehen sich allerdings nur auf die Grundstücke, die innerhalb der Grenzen eines Landschaftsschutz­gebiets liegen.452 Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau der bundesrechtlichen Vorschriften und dem Schutzzweck des Landschaftsschutzgebietes: Die Bestimmung von Teilen von Natur und Landschaft zu Landschaftsschutzgebieten beruht nämlich bundesrechtlich auf § 22 i. V. m. § 26 BNatSchG. Gem. § 22 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 BNatSchG kann dabei auch die für den Schutz notwendige Umgebung einbezogen werden. In einem Landschaftsschutzgebiet sind nach Maßgabe näherer Bestimmungen diejenigen Handlungen verboten, die den Charakter des Gebiets verändern und dem besonderen Schutzzweck zuwiderlaufen, § 26 Abs. 2 BNatSchG. 448

BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 84. VG Aachen, Beschl. v. 02. 09. 2016 – 6 L 38/16, Rn. 294. 450 VG Freiburg, Urt. v. 25. 10. 2005 – 1 K 2723/04 = ZUR 2006, 323 (324). 451 VG Göttingen, Urt. v. 17. 04. 2008 – 4 A 64/05. 452 BVerwG, Beschl. v. 08. 05. 2008 – 4 B 28.08, Rn. 5; Stüer, Rn. 2951. 449

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus den einschlägigen Bestimmungen des Landesrechts.453 Für die nicht förmlich unter Landschaftsschutz gestellten Flächen bedeutet dies, dass ein Vorhaben nur dann eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes darstellt, wenn die erhebliche Beeinträchtigung zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB führt.454 Der Standort einer Windkraftanlage in unmittelbarer Nähe eines ausgewiesenen Schutzgebietes kann allerdings eine dahingehende Indizwirkung haben, dass die umgebende Landschaft besonders schutzwürdig ist.455 Die Schutzwürdigkeit einer Landschaft ergibt sich regelmäßig aus den Bestimmungen der Landschaftsschutzverordnung selbst. In diesen werden die Landschaft mit ihren Charakteristika und die Darstellung des Schutzzwecks näher beschrieben. Verstößt ein Vorhaben gegen den Schutzzweck der Verordnung, dann kann das Vorhaben auch nicht im Wege einer Ausnahme oder Befreiung zugelassen werden. Das VG Schwerin entschied, dass ein geplanter Gärrestebehälter aus Stahlbeton mit einem lichten Durchmesser von 40 m und einer sichtbaren Höhe von 2 m, der von einem Maschendrahtzaun und einer geschotterten Umfahrung umgeben ist, einen gewichtigen Eingriff in das schützenswerte Landschaftsbild der Mecklenburgischen Seenlandschaft darstellt, das sich „aufgrund seiner Vielfalt und Eigenart in der naturräumlichen Ausstattung sowie durch seine Schönheit besonders gut für die landschaftsgebundene Erholung eignet“.456 b) Nicht förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellte Landschaftsteile Der Gesetzgeber hat zwei unterschiedliche Regelungsinstrumente zum optischästhetischen Schutz des Landschaftsbildes geschaffen. Dem ästhetischen Schutz einer Landschaft dienen nämlich die öffentlichen Belange des „Naturschutzes und der Landschaftspflege“ sowie die „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Die Intensität des Schutzes eines Landschaftsbildes vor optischen Beeinträchtigungen durch Außenbereichsvorhaben ist davon ab­hängig, ob im ersteren Falle Schutzobjekt eine besonders unter förmlichen Natur- oder Landschaftsschutz gestellte und damit besonders schutzwürdige Landschaft ist oder im letzteren Falle eine aus natur- und landschaftsschutzrechtlichen Gründen nicht besonders geschützte und deswegen auch nicht besonders schutzwürdige Landschaft vorliegt.457

453

BVerwG, Beschl. v. 08. 05. 2008 – 4 B 28.08, Rn. 5. Stüer, Rn. 2951. 455 Hentschel, S. 482. 456 VG Schwerin, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 A 4596/15 SN. 457 BVerwG, Urt. v.  15. 05. 1997  – 4 C 23.95, Rn. 20; VGH BW, Urt. v.  30. 09. 2011  – 8 S 1947/11; Hentschel, S. 488 f. 454

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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Nur die förmlich unter Schutz gestellte Landschaft ist vor jeglicher Beeinträchtigung der Landschaft geschützt. Für die nicht unter förmlichen Schutz gestellten Außenbereichslandschaften bedeutet dies, dass sie nur vor qualifizierten Beeinträchtigungen geschützt sind, die zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führen.458 Indem das Gesetz die Belange des „Naturschutzes und der Landschaftspflege“ sowie der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ nebeneinander aufführt, verdeutlicht es zugleich, dass der allgemeine Schutz der Außenbereichslandschaft gegenüber optischen Beeinträchtigungen generell nur besteht, wenn sie „die Schwelle zur Verunstaltung“ überschreiten.459 Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes liegt unabhängig von einer förmlichen Unterschutzstellung der Außenbereichslandschaft vor, wenn ein Vorhaben einem schutzwürdigen Landschaftsbild in jeder Hinsicht ästhetisch grob unangemessen ist.460 Auch ein nicht unter förmlichen Landschaftsschutz gestelltes Gebiet kann durch Windkraftanlagen verunstaltet werden.461 Damit hängt die Schutzwürdigkeit einer Landschaft nicht davon ab, ob die zuständige Naturschutzbehörde Anlass für eine Unterschutzstellung gesehen hat. Denn die Landschaft kann nämlich unabhängig von einer förmlichen Unterschutzstellung gegen optische Beeinträchtigungen empfindlich sein.462 Für die Annahme einer besonderen Schutzbedürftigkeit einer Landschaft reicht es andererseits nicht aus, dass möglicherweise die Voraussetzungen für eine Ausweisung als Landschaftsschutzgebiet vorliegen, da dies ansonsten für viele Landschaftsgebiete in Deutschland zuträfe.463 aa) Bloße Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes In einer nicht förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Außenbereichslandschaft führt die bloße Beeinträchtigung des Landschaftsbildes oder des Interesses an der Erhaltung eines bestimmten Landschafts- oder Ortsbildes noch nicht zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.464 Es kommt andererseits nicht darauf an, ob die Landschaft förmlich unter Schutz gestellt wurde, soweit die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Land 458

BVerwG, Urt. v.  15. 05. 1997  – 4 C 23.95, Rn. 20; VGH BW, Urt. v.  30. 09. 2011  – 8 S 1947/11; Hentschel, S.  485, 488 f.; J / D/Spieß, § 35, Rn. 204. 459 BVerwG, Urt. v.  15. 05. 1997  – 4 C 23.95, Rn. 20; VGH BW, Urt. v.  30. 09. 2011  – 8 S 1947/11; Hentschel, S. 485, 488 f. 460 BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261. 461 BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384. 462 BVerwG, Beschl. v.  29. 04. 1968  – 4 B 77.67, Rn. 21; BVerwG, Urt. v.  15. 05. 1997  – 4 C 23/95, Rn. 20; VG Regensburg, Urt. v. 05. 07. 2007 – RO 7 K 06.469; Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 463 Ecker, VBl.BW 2001, 173 (178). 464 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

schaftspflege im Sinne der §§ 1 und 2 BNatSchG negativ betroffen sind.465 Es liegt dennoch regelmäßig keine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes vor, wenn ein Gebiet weder als Landschafts- noch als Naturschutzgebiet förmlich ausgewiesen ist und keine sonstigen landschaftsschutzwürdigen Umstände hinzutreten.466 Das Vorliegen einer Verunstaltung eines nicht förmlich unter Natur- oder Landschaftssschutz gestellten Gebietes durch Windkraftanlagen hängt von einer wertenden Betrachtung des jeweiligen Gebiets ab.467 Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 BauGB) stehen einem privilegierten Vorhaben, das außerhalb eines benachbarten Landschaftsschutzgebietes errichtet werden soll, nicht entgegen, soweit das Vorhaben das förmlich unter Schutz gestellte Gebiet lediglich beeinträchtigt bzw. seine Wirkungen in diesem entfaltet, die optische Beeinflussung hingegen aber nicht zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führt, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB. Wann dies der Fall ist, lässt sich nicht schematisch beurteilen, sondern hängt von einer Würdigung im jeweiligen Einzelfall ab.468 Die geringe Entfernung zwischen dem geplanten Standort einer Windenergieanlage und einem ausgewiesenen Landschaftsschutzgebiet kann schließlich darauf hindeuten, dass die umgebende Landschaft besonders schutzwürdig sein kann, besitzt aber für Anlagen außerhalb des räumlichen Schutzbereichs dieser Verordnung keine diese etwa verhindernde förmliche Außenwirkung.469 Eine Verunstaltung eines besonders schützenswerten Landschaftsbildes liegt auch dann nicht vor, wenn eine Windenergieanlage zwar von bestimmten Standorten eines Landschaftsschutzgebietes aus deutlich in das Wahrnehmungsbild des Betrachters fiele, der vorhandene Blick aber auch ohne die vorgesehene Windenergieanlage nicht störungsfrei wäre. Denn für die Beurteilung einer Verunstaltung eines Landschaftsschutzgebietes spielt die bereits vorhandene menschliche Siedlungstätigkeit und die Vorbelastung durch anderweitige erhebliche Eingriffe im Landschaftsbild ebenfalls eine Rolle. Es handelte sich in dem vom BayVGH entschiedenen Fall zweifelsohne um das schutzwürdige Landschaftsbild des Maintals und eines Landschaftsschutzgebietes, jedoch genügte der Umstand, dass die vorgesehene Windenergieanlage von bestimmten Standorten des Landschaftsschutzgebietes aus deutlich wahrnehmbar sein wird, nicht, um zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes zu führen. Denn der Blick des Betrachters war erheblich vorbelastet durch andere Windenergieanlagen in größerer Entfernung, einer sehr nahe gelegenen ca. 50 m hohen Antennenanlage und durch die Sichtbarkeit eines Reaktorgebäudes sowie den Kühlturm eines Kernkraftwerkes.470 465

BVerwG, NVwZ 1985, 340 (341); OVG LSA, Beschl. v. 17. 11. 2006 – 2 L 278/03. Ecker, VBl.BW 2001, 173 (178). 467 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384. 468 BVerwG, Beschl. v. 08. 05. 2008 – 4 B 28.08, Rn. 7. 469 VG Freiburg, Urt. v. 25. 10. 2005 – 1 K 2723/04 = UPR 2006, 364. 470 BayVGH, Urt. v. 23. 08. 2007 – 25 B 04.3267. 466

III. Der Begriff der Verunstaltung  

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bb) Interesse an der Erhaltung eines bestehenden Landschafts- oder Ortsbildes als ungeschriebener öffentlicher Belang? Die nachfolgende Entscheidung des BVerwG soll aufzeigen, wie wichtig die rechtsetzende Tätigkeit der Natur- oder Landschaftsschutzbehörden ist, um leichter eine Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB in Hinblick auf die Unversehrtheit des Landschaftsbildes annehmen zu können, wenn das Vorhaben nicht den jeweiligen Schutzgebietsausweisungen entspricht.471 Der Entscheidung des BVerwG472 lag der Fall zugrunde, dass dem Kläger vom Landratsamt eine Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Garagen erteilt wurde. Der Kniestock des Dachgeschosses sollte 1 m betragen. Dabei lag das Baugrundstück am Ortsrand an einem Weg gelegen, der aus der Ortslage ansteigend in unbebautes Gelände führte. Der Kläger führte den Kniestock abweichend mit einer Höhe von 1,46 m aus. Das Landratsamt forderte den Rückbau unter anderem mit der Begründung, dass das Gebäude mit erhöhtem Dach wegen der Hanglage am Ortsrand das Orts- und Landschaftsbild verunstalte. Das Berufungsgericht erkannte zwar an, dass eine Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) nur unter sehr engen Voraussetzungen anzunehmen ist. Es bejahte eine Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes und sah einen weiteren ungeschriebenen öffentlichen Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB als einschlägig an, den es in dem Anliegen der beigeladenen Gemeinde erblickte, „an diesem gut einsehbaren Hang einen harmonischen Übergang von der Bebauung zur freien Landschaft zu erreichen“. Dieser ungeschriebene Belang sei ansatzweise bereits in dem geschriebenen Belang „natürliche Eigenart der Landschaft“ zu finden, der es gebieten könne, einen möglichst „weichen“ Übergang zu finden. Es bestehe dafür im vorliegenden Fall wegen der exponierten Hanglage des Grundstücks ein Bedürfnis.473 Das BVerwG stellte klar, dass die strengen Anforderungen an den Verunstaltungsbegriff nicht durch ungeschriebene öffentliche Belange unterlaufen werden können, indem es ausführte, dass andere ungeschriebene öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB nur dann beachtlich seien, soweit sie nicht zu einem Widerspruch mit der sich aus den Regelbeispielen ergebenden gesetzgeberischen Wertung führen. Ein Wertungswiderspruch zum Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) liege deswegen vor, da das vom Berufungsgericht angenommene öffentliche Interesse an der Erhaltung eines harmonischen Übergangs von der Bebauung zur freien Landschaft den ästhetischen Schutz der Landschaft bezwecke. Dieser Schutz werde sowohl durch die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, als auch durch das Verbot der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes erreicht. In einer förmlich 471

Schmidt, NVwZ 1999, 363 (367). BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95. 473 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95. 472

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

nicht unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Außenbereichslandschaft genüge aber weder eine Beeinträchtigung des Orts- oder Landschaftsbildes noch eine Beeinträchtigung des Interesses der Gemeinde an der Erhaltung eines bestimmten Orts- und Landschaftsbildes – in Form eines harmonischen Übergangs von der Bebauung zur freien Landschaft an einem gut einsehbaren Hang –, um „die Schwelle zur Verunstaltung“ zu überschreiten. Das Vorhaben müsse zu einer Verunstaltung führen, um eine Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB annehmen zu können.474 Ein bestimmtes „Anliegen“ einer Gemeinde könne darüber hinaus schon gar kein öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB sein, da bloße Wunschvorstellungen einer Gemeinde ohne konkrete Beziehungen zu den örtlichen Umständen – sofern sie nicht bereits ihren Niederschlag in konkreten Planungen gefunden haben – für die planungsrechtliche Beurteilung von Vorhaben im Außenbereich unbeachtlich seien.475 cc) Zusammenfassung Obgleich im konkreten Einzelfall die rechtlichen Voraussetzungen für die Ausweisung eines Natur- oder Landschaftsschutzgebietes bezogen auf ein bestimmtes Landschaftsbild vorliegen mögen, reicht dieser Umstand für sich allein genommen nicht aus, um das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes begründen zu können. Selbst wenn in der Region eine Vielzahl von weiteren ähnlichen Landschaftsgebieten vorzufinden sein sollten – die dann alle konsequenterweise förmlich in ein Schutzgebiet einbezogen werden müssten – kann sich daraus noch keine besondere Schutzwürdigkeit der Landschaft ergeben. Damit kann beispielsweise eine typische Schwarzwaldregion ohne Hinzutreten weiterer schützenswerter Gesichtspunkte mangels förmlicher Schutzgebietsausweisung nicht verunstaltet werden.476 Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot stellt schlussendlich eine „letzte Bastion“ einer ästhetischen Verunstaltungsabwehr gegen besonders grobe Eingriffe in das Landschaftsbild für diejenigen Gebiete dar, die nicht förmlich unter Naturoder Landschaftsschutz gestellt wurden. Diese Gebiete können schließlich nicht gegen jeden ästhetischen Fehlgriff unempfindlich sein.477

474

BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95. BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95. 476 Ecker, VBl.BW 2001, 173 (178). 477 Knuth, NuR 1985, 8 (15). 475

III. Der Begriff der Verunstaltung  

107

9. Zusammenfassung über den bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsbegriff Die Zulässigkeit von Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB setzt im bauplanungsrechtlichen Außenbereich voraus, dass öffentliche Belange dem Vorhaben nicht entgegenstehen bzw. dass das Vorhaben öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die (ausreichende) Erschließung gesichert ist, vgl. § 35 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere dann vor, wenn das Vorhaben das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB. Der Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes dient dem optisch-ästhetischen Landschaftsschutz zugunsten einer im Einzelfall schutzwürdigen Landschaft – und dies unabhängig davon, ob die Landschaft im Einzelfall förmlich aufgrund von natur- oder landschaftsschutzrechtlichen Vorschriften unter Schutz gestellt wurde. Der Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes besitzt somit gegenüber dem ebenso in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführten Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft eine eigenständige Bedeutung, da er gerade nicht dem Außenbereich wesensfremde Nutzungen aus dem Orts- oder Landschaftsbild heraushalten will. Der zuletzt genannte Belang dient hingegen dem funktionalen Landschaftsschutz. Der Begriff der „Verunstaltung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Sein Begriffsinhalt richtet sich nach denselben Kriterien, die das BVerwG478 in seiner frühen Rechtsprechung zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsbegriff entwickelt hat. Unter Heranziehung der Definition zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsbegriff ist eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB gegeben, wenn „das jeweilige Bauvorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird“.479 Ob die Schwelle zur Verunstaltung überschritten ist, hängt von den konkreten Umständen der jeweiligen Situation ab.480 Insbesondere kann auch die Ausführung eines Vorhabens in einer besonders „krass störenden“ Abweichung von der Gestaltung in landschaftsüblicher und funktionsgerechter Bauweise eine Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB begründen.481 Es sind allerdings nur solche Gestaltungen für die Beurteilung einer bodenrecht 478

BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53 = NJW 1955, 1647. BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384; HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 53; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 44; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; Scheidler, BauR 2019, 190 (195). 480 BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444. 481 HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93. 479

108

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

lichen Verunstaltung entscheidend, die auch bauplanerisch gem. § 9 Abs. 1 BauGB festgesetzt werden können. Anpflanzungen allein, mit denen das Vorhaben eingegrünt werden soll, oder eine sonstige optisch unauffällige Gestaltung des Vorhabens können allerdings die verunstaltende Wirkung mangels dauerhaft gewährleisteten Fortbestands nicht entfallen lassen.482 Für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes sind als entscheidende Kriterien Bauweise, Größe, Standort und die topographischen Gegebenheiten des Vorhabens als Beurteilungsmaßstab heranzuziehen.483 Es muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass der optisch-ästhetische Landschaftsschutz nur soweit reicht, als sich aus der städtebaulichen Vorschrift des § 35 Abs. 3 BauGB bodenrechtliche Anforderungen ableiten lassen, die potentiell bauplanerisch festsetzbar sind.484 Es reicht jedenfalls für den Grad einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes allein noch nicht aus, soweit lediglich eine Beeinträchtigung des Orts- oder Landschaftsbildes außerhalb von Schutzgebieten oder ein reines Interesse am Erhalt eines bestimmten Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt. Selbst wenn womöglich die Voraussetzungen für eine Ausweisung eines Natur- oder Landschaftsschutzgebiets vorliegen mögen, reicht das für sich genommen nicht aus, um hieraus eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ableiten zu können. Es muss vielmehr eine schwerwiegende Beeinträchtigung vorliegen, die den Grad einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes erreicht. Auch bei sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) können bloße Beeinträchtigungen des Orts- oder Landschaftsbildes nicht ausreichen, da das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot gerade nicht quasi als letztes Korrektiv die Landschaft vor einer wesensfremden Bebauung schützen soll. Sonstige Vorhaben wirken daher nicht allein deshalb verunstaltend, weil ihnen der Bezug zur landwirtschaftlich geprägten Bodennutzung fehlt. Sie werden jedoch regelmäßig in besonders landschaftlich reizvollen Gebieten wie das Voralpengebiet oder unberührten Naturlandschaften eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes darstellen, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.485 Zeitlich nur vorübergehende Beeinträchtigungen können hingegen bei privilegierten Vorhaben im Gegensatz zu sonstigen Vorhaben vor dem Hintergrund ihres gesteigerten Durchsetzungsvermögens regelmäßig zu einer Zurückstellung des Belangs der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führen und haben damit regelmäßig keine Unzulässigkeit des privilegierten Vorhabens zur Folge.486 482

Jarass / Kment, § 35, Rn. 61; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 87. Koppitz, Rn. 546; Schröter, S. 597. 484 BVerwG, Urt. v.  11. 05. 2000  – 4 C 14.98; OVG NRW, Urt. v.  06. 11. 1990  – 11 A 190/87 = BauR 1991, 574 (575); Mick, S. 313, 320 f.; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 143; vgl. Kapitel B. III. 6. c). 485 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 37. 486 BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92; B / K/L / M/R, § 35, Rn. 88; BRS / Bracher, Rn. 2328, 2368; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn.  86; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 46. 483

III. Der Begriff der Verunstaltung  

109

Die Folge des stärkeren Durchsetzungsvermögens privilegierter Vorhaben (§ 35 Abs. 1 BauGB) gegenüber sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) ist, dass die Obergerichte487 den Verunstaltungsbegriff bei privilegierten Vorhaben einschränkend auslegen, da von einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes nur in Ausnahmefällen ausgegangen werden kann. Das Orts- oder Landschaftsbild muss danach „wegen seiner Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdig“ sein oder es muss ein besonders unauflöslicher Widerspruch zur Umgebung bestehen, also ein „besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild“ vorliegen.488 Die von der Rechtsprechung für privilegierte Vorhaben entwickelten einschränkenden Kriterien müssen hingegen richtigerweise sowohl für privilegierte als auch für sonstige Vorhaben als Fallgruppen verstanden werden, um den Begriff der „Verunstaltung“ für die Praxis handhabbar zu machen.489 Die Beeinträchtigung des Orts- oder Landschaftsbildes muss daher bei sonstigen Vorhaben ebenso wie bei privilegierten Vorhaben die Schwelle zu einer Verunstaltung überschreiten, um den öffentlichen Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zu „beeinträchtigen“, § 35 Abs. 2 BauGB. Es sind also an das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes sowohl bei privilegierten als auch bei sonstigen Vorhanden dieselben Anforderungen zu stellen. Es bleibt schließlich der Abwägungsentscheidung vorbehalten, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt, die der Zulässigkeit eines privilegierten Vorhabens „entgegensteht“, § 35 Abs. 1 BauGB.490 Potentielle Fälle des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB werden im Bauvollzug regelmäßig über das Naturschutzrecht abgefangen,491 da eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes im Sinne des § 14 Abs. 1 BNatSchG regelmäßig einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entspricht.492 In förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Landschaftsteilen führt schon eine Beeinträchtigung des Naturschutzes oder der Landschaftspflege zur Unzulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich.493 Verstößt ein Vorhaben in nicht durch Ausnahmegenehmigungen oder Befreiungen zu behebender Weise gegen die Vorgaben einer Landschaftsschutzverordnung, ist gleichzeitig auch eine Verunstaltung des Landschaftsbildes gegeben.494 Die Anfor 487 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 34; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; OVG LSA, Urt. v. 06. 02. 2004 – 2 L 5/00. 488 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 34; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 489 Düsing / Martinez / Achelpöhler, § 35, Rn. 194. 490 OVG NRW, Urt. v. 30. 07. 2009 – 8 A 2358/08, Rn. 79. 491 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 35. 492 Koppitz, Rn. 546. 493 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95; BVerwG, Beschl. v. 08. 05. 2008 – 4 B 28.08. 494 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95, Rn. 19; BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 84; Hornmann, NVwZ 2006, 969 (971 f.).

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

derungen an eine mögliche Verletzung des Schutzzwecks eines Landschaftsschutzgebietes durch eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes sind dabei geringere als diejenigen, die an eine Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB in anderen, nicht unter förmlichen Schutz gestellten Landschaften zu stellen sind.495 Nur die förmlich unter Schutz gestellte Landschaft ist vor jeder Beeinträchtigung des Landschaftsbildes geschützt. Für die nicht unter förmlichen Schutz gestellten Außenbereichslandschaften bedeutet dies, dass sie nur vor qualifizierten Beeinträchtigungen in Gestalt des Verunstaltungsverbots geschützt sind. Indem das Gesetz die Belange des „Naturschutzes und der Landschaftspflege“ sowie der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ nebeneinander aufführt, verdeutlicht es zugleich, dass der allgemeine Schutz der Außenbereichslandschaft gegenüber optischen Beeinträchtigungen generell nur besteht, wenn sie „die Schwelle zur Verunstaltung“ überschreiten.496 Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 BauGB) stehen einem privilegierten Vorhaben, das außerhalb eines benachbarten Landschaftsschutzgebietes errichtet werden soll, nicht entgegen, soweit das Vorhaben das förmlich unter Schutz gestellte Gebiet lediglich beeinträchtigt bzw. seine Wirkungen in diesem entfaltet, die optische Beeinflussung aber nicht zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) führt.497 In der rechtlichen Ausgestaltung unterscheiden sich die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote und das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot darin, dass es sich bei den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten um normative gesetzliche Verbote handelt, während der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) in der nachvoll­ ziehenden Abwägung der mit dem Vorhaben verbundenen Interessen als prinzipiell zurückstellungsfähiger öffentlicher Belang überwunden werden kann.498 Landesrechtliche Verunstaltungsverbote können allerdings neben dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot Anwendung finden und sind damit insoweit von Bedeutung, wenn sie zum Beispiel zur Verunstaltungsabwehr Beschränkungen und Verbote für Anlagen der Außenwerbung im Außenbereich vorsehen.499 Schutzgegenstand des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots ist in Abgrenzung zu den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten der Länder nicht die bauliche Anlage und ihre Auswirkungen auf die unmittelbare Umgebung, son 495 VG Göttingen, Urt. v. 17. 04. 2008 – 4 A 64/05, Rn. 34; VG Minden, Urt. v. 22. 10. 2014 – 11 K 3865/13, Rn. 111. 496 BVerwG, Urt. v.  15. 05. 1997  – 4 C 23.95, Rn. 20; VGH BW, Urt. v.  30. 09. 2011  – 8 S 1947/11. 497 BVerwG, Beschl. v. 08. 05. 2008 – 4 B 28.08, Rn. 7. 498 J / D/Spieß, § 35, Rn. 209. 499 BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn.  93; B / K/L / M/R, § 35, Rn.  89; Schröter, S. 594.

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

111

dern unabhängig von der Baugestaltung die Wirkung des Vorhabens auf die weitere Umgebung.500 Es muss daher nochmals betont werden, dass das bauplanungsrecht­ liche Verunstaltungsverbot nur im Bodenrecht wurzelnde Verunstaltungen abwehren kann,501 also solche, die städtebauliche bzw. planungsrechtliche Relevanz haben, und damit nur solche Verunstaltungen, die in ihrer konkreten Ausgestaltung Gegenstand bauplanerischer Festsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB sein können.502

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB Die obergerichtliche Rechtsprechung nimmt eine Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB dann an, soweit das Landschaftsbild „wegen seiner Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdig“ ist oder ein „besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild“ vorliegt.503 Es wurde allerdings bereits herausgearbeitet, dass eine Verunstaltung des Landschaftsbildes nur in seltenen Ausnahmefällen angenommen werden kann, sodass die von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen gleichermaßen für privilegierte und sonstige Vorhaben gelten.504 Nachfolgend sollen die von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen näher untersucht und katalogisiert werden, da bislang bei einer Vielzahl von Gerichtsentscheidungen klare, abstrakte Kriterien kaum zu erkennen sind.505 Es haben sich einige Fallkonstellationen insbesondere hinsichtlich des besonders schützenswerten Landschaftsbildes herausgebildet, die einer näheren Betrachtung bedürfen. Die Abhandlung der einzelnen Fallkonstellationen ändert jedoch nichts daran, dass die Feststellung einer Verunstaltung des Landschaftsbildes eine eingehende Einzelfallprüfung voraussetzt, die zur Folge haben kann, dass einzelne Gesichtspunkte eher weniger für eine Verunstaltung sprechen, während Kombinationen der einzelnen Kriterien umso eher zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führen können. Es soll zunächst der Frage nachgegangen werden, wann ein besonders schützenswertes Landschaftsbild gegeben ist. Eine besondere Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes kann sich insbesondere daraus ergeben, dass ein Vorhaben in

500

BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98. Schröter, S. 594. 502 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 20; J / D/Weiß, § 29, Rn. 14. 503 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 34; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; OVG LSA, Urt. v. 06. 02. 2004 – 2 L 5/00. 504 Abschnitt B. III. 7. c). 505 Fest, S. 153. 501

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

einer exponierten Lage errichtet werden soll. In jedem Fall ist hier ein strengerer Prüfungsmaßstab anzulegen.506 Das Vorliegen einer exponierten Lage kann dabei auch als Unterfallgruppe des Eingriffs in ein „aufgrund seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswertes Landschaftsbild“ verstanden werden.507 Wird ein Vorhaben an einem exponierten Standort errichtet, dann kann eine Verunstaltung des Landschaftsbildes auch darin begründet sein, dass das Vorhaben in seiner Umgebung wesensfremd wirkt, soweit es weder in seiner äußeren noch in seiner funktionalen Gestaltung der naturgemäßen Zweckbestimmung und Nutzungsweise der Landschaft entspricht.508 Der maßstabsbildende Bereich, der das schützenswerte Landschaftsbild ausmacht – also der in die Betrachtung des Landschaftsbildes einzubeziehende Umgebungsrahmen – muss im Übrigen zu allererst festgestellt werden, um eine etwaige Verunstaltung des Landschaftsbildes prüfen zu können. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob unbebaute Gebiete von sich aus besonders schutzwürdig sind. Jedenfalls ist der Begriff des Außenbereichs im Sinne des § 35 BauGB nicht an Gemeinde- oder Landesgrenzen gebunden.509 Es können im Einzelfall auch Standortalternativen für die Beurteilung einer Verunstaltung des Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) eine Rolle spielen, an denen das Vorhaben optisch weniger in Erscheinung tritt.510 Ein Landschaftsbild kann darüber hinaus im positiven als auch im negativen Sinne durch menschliche Siedlungsaktivitäten vorgeprägt sein, was je nach Einzelfall zu einer Steigerung oder einem Entfall der besonderen Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes führen kann. Nennenswerte Vorbelastungen des Landschaftsbildes durch bauliche Anlagen können zu einem Wegfall der besonderen Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes führen. Eine besondere Schutzwürdigkeit der Landschaft kann sich möglicherweise daraus ergeben, dass sich die konkrete Landschaft in ihrer Funktion für die landschaftsgebundene Erholung oder den Fremdenverkehr eignet. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) setzt eine besondere Schutzwürdigkeit der Landschaft nicht zwingend voraus. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes kann außerdem auch bei einem besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild angenommen werden.511

506 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 55. 507 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164). 508 BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261. 509 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 510 OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98 = BauR 2001, 222. 511 Kapell, S. 55.

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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1. Wegen ihrer Schönheit oder Funktion besonders schützenswerte Landschaft Eine lehrbuchartige Beschreibung eines wegen seiner Schönheit besonders schützenswerten Landschaftsbildes findet sich in einem Urteil des OVG NRW aus dem Jahre 2004, das die beabsichtigte Errichtung von zwei Windenergieanlagen auf einem Höhenzug im Sauerland, der die Wasserscheide zwischen den nach Westen zum Rhein und den nach Osten zur Weser verlaufenden Zuflüssen darstellt, zum Gegenstand hatte: Der Höhenzug begrenzte eine weite Tallandschaft nach Osten hin und weise eine „für das Sauerland in der Tat ungewöhnliche Vielfalt unterschiedlichster Landschaftselemente“ auf. In der Tallage fänden sich nicht nur „die für weite Bereiche des Sauerlands typischen Fichtenmonokulturen, vielmehr biete sich von den unterschiedlichsten Blickpunkten aus eine in ästhetischer Hinsicht anziehende abwechslungsreiche Struktur verschiedenster landschaftsprägender Elemente“. Die Vielfalt landschaftsprägender Elemente zeige sich darin, dass sich „Bestände von Fichten und Weihnachtsbaumkulturen ständig abwechseln mit eingestreuten Laubwaldstrukturen, Grünlandflächen und Siedlungsbereichen“. Für einen derartigen Fernblick schade es nicht, sondern zeichne gerade das hervorragende Panorama aus, wenn sich im Landschaftsbild menschliche Nutzungen, darunter auch gewerbliche und freizeittouristische, wiederfinden.512 a) Schönheit der Landschaft Ein Landschaftsbild ist wegen seiner Schönheit dann besonders schützenswert, wenn sich das Landschaftsbild durch prägende, unverwechselbare und einzigartige landschaftsbildende Elemente auszeichnet.513 Flache Acker-, Wiesen- und Heidegegenden sind hingegen landschaftlich nicht besonders „hervorragend“ und schützenswert. Schützenswert sind nur solche Landschaften, die durch Schönheit andere übertreffen, also nicht solche, die beispielsweise den Durchschnittscharakter der norddeutschen Tiefebene aufweisen.514 Eine malerische Umgebung, die aber nicht wegen ihrer Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdig ist, genügt diesen Anforderungen nicht.515 Es ist mit dieser Definition insoweit nicht viel gewonnen, da darüber hinaus eine abstrakte Regel, wann ein besonders schützenswertes Land-

512

OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 49. Scheidler, NuR 2010, 525 (527); der historische, preußische Gesetzgeber dachte besonders an die Flusstäler des Rheins und der Mosel, aber auch an Gebirge wie den Harz, den Thüringer Wald und das Riesengebirge in ihren schönen Teilen, vgl. Goldschmidt, S. 96. 514 Goldschmidt, S. 33 f.; Kronecker, DJZ 1911, 1202 (1202), die im Übrigen erörtern, inwieweit eine landschaftlich hervorragende Gegend vorliegt, soweit sich eine Bahnfahrt durch diese Gegend zum Naturgenuss oder zur Erholung während der Reise eignet. 515 VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K 15.4998. 513

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

schaftsbild vorliegt, in der Rechtsprechung nur schwer zu erkennen ist.516 Selbst dort, wo das einfache Recht den Schutzaspekt mit Begriffen wie „Belebung, Gliederung oder Pflege des Orts- oder Landschaftsbildes“ in Zusammenhang bringt, ist die Bestimmtheit unzureichend, § 29 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG.517 Es erscheint jedenfalls verwegen, wenn auf die genetische Programmierung des Menschen vor tausenden Jahren als Jäger und Sammler mit einer kulturellen Vorliebe für Savannenlandschaften aus Baumgruppen und freien Flächen zurückgegriffen wird, die in Anbetracht der kurzen Geschichte menschlicher Evolution auch heute noch genetische Orientierung in landschaftsästhetischen Fragen bieten soll.518 Die Unbestimmtheit ist allerdings nicht so sehr ein spezifisches Problem des Verunstaltungsbegriffs, sondern stellt sich insgemein als allgemeines Auslegungsproblem unbestimmter Rechtsbegriffe dar. An dieser Stelle sei auf die Kritik in der Literatur verwiesen, die das Abstellen auf den „objektiven Durchschnittsbetrachter“ überhaupt in Zweifel zieht.519 Wohlgemerkt war es bereits in Preußen die vornehmliche Aufgabe des Verwaltungsrichters zu beurteilen, ob eine geschützte Gegend „landschaftlich hervorragend“ ist.520 Ausgewiesene Schutzgebiete stellen jedoch ein objektiviertes, rechtlich verwertbares Kriterium dar, insbesondere Landschaftsschutzgebiete, wobei auch das Vorliegen von Schutzgebieten nur Indizwirkung besitzt.521 Landschaftsbilder, die hässlich oder bereits nachhaltig zerstört sind, können andererseits im Allgemeinen nicht mehr verunstaltet werden. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB schützt insofern nur die „reizvolle Landschaft“.522 Das Vorhaben muss schließlich im Verhältnis zum schützenswerten Landschaftsbild einen „erheblichen Störfaktor“ darstellen, sodass die herausragende Schönheit oder Funktion einer Landschaft für sich alleine genommen noch nicht ausreichend ist, eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB begründen zu können. Das Orts- oder Landschaftsbild muss nämlich „in einer nicht mehr hinzunehmenden Weise gestört“ werden.523

516

Fest, S. 154; Quambusch, BauR 2003, 635 (640); bereits Schultzenstein betonte den weiten Spielraum für den Geschmack des jeweiligen Betrachters, Schultzenstein, DJZ 1902, 468 (471). 517 Quambusch, BauR 2003, 635 (640). 518 Fest, S. 154; so aber: Quambusch, BauR 2003, 635 (641). 519 Vgl. hierzu Kapitel B. III. 3. 520 Baltz / Fischer, S. 176. 521 VG Freiburg, Urt. v. 25. 10. 2005 – 1 K 2723/04 = UPR 2006, 364; vgl. auch VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K15.4998 – Keine Verunstaltung des Landschaftsbildes durch Schweinestall mit Massentierhaltung; Fest, S. 154; siehe auch Kapitel B. III. 8. a). 522 Weyreuther, S. 487. 523 OVG NRW, Urt. v.  05. 09. 2006  – 8 A 1971/04 = NuR 2007, 215; eine Verunstaltung des Landschaftsbildes durch die Errichtung einer Winzeraussiedlung unterhalb des Hambacher Schlosses wurde vom VG Neustadt a. d. Weinstraße im entschiedenen Fall bejaht, Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW, openJur 2020, 24318.

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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So ist ein Eingriff in das Landschaftsbild vergleichsweise geringfügig, wenn es sich beispielsweise um eine einzelne Windenergieanlage handelt, die nicht auf einer herausragenden Erhebung errichtet werden soll und durch die hügelige Landschaft ganz oder teilweise verdeckt wird.524 Die Errichtung von Windenergieanlagen in einem Bereich von welligem Gelände mit geringen Niveauunterschieden, das überwiegend landwirtschaftlich genutzt wird, führt nicht zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes: Denn bei Windenergieanlagen ist in jedem Falle zu berücksichtigen, dass sich gewisse Beeinträchtigungen durch Windenergieanlagen nicht vermeiden lassen, da auch im Falle einer Einrahmung durch Bewaldung abhängig vom jeweiligen Standort des Betrachters und seiner Entfernung zur Anlage jeweils der obere Bereich der Windenergieanlage natürlich zu erkennen sein und aus den Baumwipfeln herausragen wird.525 Das Vorhaben muss vielmehr in der Landschaft als Fremdkörper erscheinen, indem es einen verletzenden und nachhaltig prägenden Einfluss auf die gesamte Umgebung ausübt.526 Dies muss insbesondere bei privilegierten Vorhaben (§ 35 Abs. 1 BauGB) gründlich geprüft werden: Bei ihnen reichen nämlich nach der obergerichtlichen Rechtsprechung Beeinträchtigungen oder nachteilige Veränderungen des Landschaftsbildes nicht aus, um eine Verunstaltung des Landschaftsbildes in einer förmlich nicht unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Außenbereichslandschaft annehmen zu können.527 Demnach kann auch eine naturschutzrechtlich nicht besonders geschützte Landschaft gegen ästhetische Beeinträchtigungen empfindlich sein. Die Schutzbedürftigkeit einer Landschaft kann nämlich nicht davon abhängen, ob die zuständige Naturschutzbehörde Anlass für eine Unterschutzstellung gesehen hat.528 Es sollte nichtsdestotrotz bei einem besonders schönen und erhaltenswerten Landschaftsbild grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass in der Umgebung allenfalls sehr unauffällige Vorhaben zulässig sein können, während ansonsten Bauwerke in einem solchen Landschaftsbild grundsätzlich gar nicht zuzulassen sind.529 Insoweit wird „die Schwelle zur Verunstaltung“ je eher erreicht sein, desto schutzwürdiger das fragliche Landschaftsbild ist.530 Eine wesentliche Bedeutung erlangt die Stellungnahme der unteren Naturschutzbehörde im Rahmen der standortbezogenen Vorprüfung. Eine aufgrund ihrer Schön 524

BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 B 13.1358, Rn. 44. VG Bayreuth, Urt. v. 23. 01. 2014 – B 2 K 13.612, Rn. 133. 526 VGH BW, Urt. v. 25. 06. 1991 – 8 S 2110/90, Rn. 42; Schröter, S. 601. 527 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 528 BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67, Rn. 21; BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95, Rn. 20; VG Regensburg, Urt. v. 05. 07. 2007 – RO 7 K 06.469; Hentschel, S. 489; Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 529 Schröter, S. 601. 530 SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 525

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

heit oder Funktion besonders schützenswerte Landschaft liegt vor allem bei naturschutzfachlich besonders schützenswerten Landschaftsbildern wie historischen Kulturlandschaften und Landschaftsteilen mit charakteristischer Eigenart und Bedeutung für das Landschaftsbild vor.531 Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn eine zu errichtende Windfarm eine besondere Dominanz in Bezug auf reizvolle Talschaften besitzt.532 Bei der Frage nach der besonderen Schutzwürdigkeit einer Landschaft spielen auch hohe wissenschaftliche, naturgeschichtliche oder landeskundliche Aspekte eine Rolle.533 Gemäß § 1 Abs. 4 Nr. 1 BNatSchG sind zur dauerhaften Sicherung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie des Erholungswertes von Natur und Landschaft insbesondere Naturlandschaften und historisch gewachsene Kulturlandschaften, auch mit ihren Kultur-, Bau- und Bodendenkmälern, vor Verunstaltung, Zersiedelung und sonstigen Beeinträchtigungen zu bewahren. Der Gesetzgeber ordnet Kultur-, Bau- und Bodendenkmäler damit als Bestandteile einer Kulturlandschaft ein, deren Erhaltung aus kulturgeschichtlichen und ökologischen Gründen sowie zur Erhaltung der Eigenart und Erlebniswirksamkeit der Landschaft notwendig ist.534 Dies gilt vor allem dann, wenn die Denkmäler optisch herausragend und nach ihrer historischen und gegenwärtigen Funktion in enger Beziehung zu der sie umgebenden Landschaft stehen.535 Diese menschlich geschaffenen Denkmäler und ihr Umgebungsschutz sind, soweit es um den Schutz der für den Naturschutz wichtigen Flächen geht, nicht nur Gegenstand des Denkmalschutzes, sondern auch des Naturschutzrechts.536 Ein Baudenkmal von hoher künstlerischer wie geschichtlicher Bedeutung – im entschiedenen Fall angenommen für eine barocke Kapelle –, dessen Standort in einer Alleinlage auf freiem Feld in nach allen Himmelsrichtungen exponierter Lage konzipiert wurde und ein über drei Jahrhunderte tradiertes weitgehend ungestörtes Erscheinungsbild aufweist, prägt optisch die Landschaft, zumal infolge seiner exponierten Lage der Blick auf das Baudenkmal weitgehend unverstellt ist.537 531

BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384, Rn. 30; Scheider, NuR 2010, 525 (527). BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384, Rn. 30 – im entschiedenen Fall verneint; Scheider, NuR 2010, 525 (527); zum Begriff der Windfarm siehe näher VG Würzburg, Urt. v. 05. 12. 2017 – W 4 K 15.530, Rn. 46 m. w. N. 533 VG Schwerin, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 A 4596/15 SN. 534 VG Hannover, Urt. v. 15. 09. 2020 – 12 A 6994/17, openJur 2020, 79423 m. Verweis auf BT-Drs. 8/3716, S. 7. 535 BT-Drs. 8/3716, S. 7. 536 Eine Verunstaltung der Kulturlandschaft um das denkmalgeschützte Schloss Hämelschenburg unter Einbeziehung dieses Denkmals durch Windkraftanlagen wurde im entschiedenen Fall wegen bereits vorhandener Vorbelastung als auch mangels störender Wahrnehmbarkeit verneint, vgl. VG Hannover, Urt. v. 15. 09. 2020 – 12 A 6994/17 – openJur 2020, 79423 m. w. N. 537 Das Erscheinungsbild und damit die Denkmalwürdigkeit der Kapelle wird spürbar durch ein in einer Entfernung von 165 m zur Kapelle geplantes Kiesabbauvorhaben beeinträchtigt, soweit durch das bis zu 3 m hohe Bauvorhaben die Sicht von der Staatsstraße zur Wallfahrtskapelle zum Teil verdeckt wird, vgl. BayVGH, Urt. v. 16. 06. 2015 – 15 B 13.424, Rn. 40, 41. 532

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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b) Abstellen auf die rein tatsächliche Schönheit des Orts- oder Landschaftsbildes Bei der Prüfung, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB vorliegt, ist allein auf das rein tatsächliche Orts- oder Landschaftsbild abzustellen und der Grad der von einer baulichen Anlage zu erwartenden Störung allein anhand ihrer optisch wahrnehmbaren Auswirkungen auf das Orts- oder Landschaftsbild zu bemessen. Die Schutzwürdigkeit einer Landschaft wird demnach nicht dadurch gesteigert, dass dieser Landschaft durch ein Regelwerk im weitesten Sinne ein bestimmtes Maß an Schutzwürdigkeit zuerkannt wird.538 Insoweit sind Darstellungen von Gebieten im Regionalplan „als empfindlicher Teil der Kulturlandschaft“ für die Prüfung einer Verunstaltung des Landschaftsbildes unbeachtlich.539 Allerdings kann die Darstellung eines Baugebiets im Flächennutzungsplan, das auf einem Höhenrücken von landschaftlich herausragender Bedeutung geplant ist und sich bis auf die halbe Höhe des Hanges erstrecken soll, gegen die Anpassungspflicht an die Ziele der Raumordnung gem. § 1 Abs. 4 BauGB verstoßen und das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB verletzen.540 Denn im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 4 BauGB sind an den Konkretisierungsgrad von Zielen der Raumordnung geringere Anforderungen zu stellen als in den Fällen, in denen es um die Beurteilung eines Einzelvorhabens im Außenbereich gem. § 35 Abs. 3 BauGB geht.541 Auch die Einstufung eines Landschaftsbildes im Landschaftsplan als allgemein besonders schützenswert steht der Zulassung einer Windenergieanlage nicht generell entgegen.542 Ebenso mag der Umstand, dass eine Windkraftanlage an ihrem Standort das Landschafts- oder Ortsbild dominieren würde, ein hinreichender städtebaulicher Grund gewesen sein, den betroffenen Bereich bei der Ausweisung von Vorrangzonen für Windkraftanlagen aus den potenziellen Vorrangflächen auszuschließen. Allerdings folgt hieraus noch kein Entgegenstehen öffentlicher Belange bei der Einzelfallprüfung nach § 35 Abs. 1 BauGB.543 Der BayVGH hat ungeachtet der Aussage im Landesentwicklungsprogramm Bayern, wonach Naturparke von überörtlich raumbedeutsamen Windenergieanlagen möglichst freigehalten werden sollen, eine Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB trotz der Situierung der geplanten Anlage in dem Naturpark „Baye-

538 OVG Bln-Bbg., Urt. v. 14. 12. 2006 – 11 B 11.05; gleichwohl können Untersuchungen zum Landschaftsbild im Rahmen des landschaftspflegerischen Begleitplans eine erste Orientierung für die Einstufung der Wertigkeit eines Landschaftsbildes bieten, s. exemplarisch VG Würzburg, Urt. v. 05. 12. 2017 – W 4 K 15.530. 539 OVG Bln-Bbg., Urt. v. 14. 12. 2006 – 11 B 11.05. 540 BayVGH, Urt. v. 25. 11. 2002 – 14 B 00.2137 = BauR 2003, 655 (Ls.). 541 BayVGH, Urt. v. 25. 11. 2002 – 14 B 00.2137 = BauR 2003, 655 (656). 542 VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 23. 01. 2017 – 8 L 760/16; a. A. Quambusch, BauR 2003, 635 (645). 543 OVG NRW, Urt. v. 30. 11. 2001 – 7 A 4857/00, Rn. 176.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

rischer Wald“ verneint, da die Umgebung weitgehend nicht mehr unberührt war, sodass eine hinzukommende Bebauung die Umgebung nicht mehr nachhaltig negativ habe prägen können.544 c) Einzelfälle besonders schützenswerter Landschaftsbilder Liegt eine reizvolle, kleinteilige und von über die Baumwipfel hinausreichenden vertikalen technischen Anlagen weitgehend unberührte Landschaft vor, ist noch kein besonders schutzwürdiges Landschaftsbild gegeben, soweit die Landschaft nicht als einzigartig im Sinne von topographischen oder kulturhistorischen Alleinstellungsmerkmalen gewertet werden kann.545 Ein zwar landschaftlich reizvolles, doch überall anzutreffendes Landschaftsbild auf einem Jurahöhenzug ist damit nicht besonders schutzwürdig, soweit markante Erhebungen, reizvolle Täler oder ähnliche landschaftsbildende Besonderheiten nicht vorzufinden sind.546 Relativ unzerschnittene Landschaftsteile der Mecklenburger Seenlandschaft sind besonders schutzwürdig, soweit sie eine abwechslungsreiche Landschaft aufweisen, die „durch ausgedehnte Seen- und Waldgebiete mit hohem Altholzanteil, Solitär- und Feldgehölzen, Ackerhohlformen, Grünland, Trockenstandorte sowie Äcker mit eingebundenen Baumreihen, Alleen und Hecken geprägt sind“.547 Ein Berg bzw. eine Anhöhe stellt samt Umgebung ein reizvolles, besonders schützenswertes Landschaftsbild dar, soweit er Bestandteil einer sogenannten Gefildelandschaft ist, d. h. einer sanft gewellten Hügellandschaft, die sich durch räumliche Kleinförmigkeit sowie weite Sichtbeziehungen auszeichnet.548 Die Abfolge der bewaldeten Erhebungen des Teutoburger Waldes ist besonders schützenswert, die durch mulden- bzw. talartige Einschnitte unterbrochen wird, sodass sich das Bild eines sanft geschwungenen Höhenzugs ergibt. Zum Landschaftsbild zählen bewaldete Hügel mit dazwischen liegenden, häufig als Ackeroder Grünlandfläche genutzten Tälern sowie zahlreiche Einzelgehöfte und kleinere Siedlungen am Fuße der Höhenzüge sowie zahlreiche Gewässer, die von den Kuppen des Teutoburger Waldes herabfließen.549 Die Errichtung und der Betrieb einer Windenergieanlage auf einem Höhenzug des Teutoburger Waldes, zu dem eine freie Sichtbeziehung besteht, führt zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes, soweit die prägenden Landschaftselemente durch die sie maßstabslos überragende Windenergieanlage dominiert werden. Dies ist dann der Fall, wenn der Blick des Betrachters auf die Windenergieanlage gezwungen wird, da sie aufgrund ihrer Höhe und der sich drehenden Rotorblätter sowie der die Anlage umsäumenden Wald­ 544

BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356, Rn. 28. BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 B 13.1358, Rn. 44. 546 BayVGH, Beschl. v. 13. 01. 2016 – 22 ZB 15.1506, Rn. 18. 547 VG Schwerin, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 A 4596/15 SN. 548 SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 549 OVG NRW, Urt. v. 04. 12. 2006 – 7 A 568/06, Rn. 77. 545

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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kuppen unwillkürlich ins Auge springt und gleichzeitig ein krasser Gegensatz zu den unterhalb des Horizonts bestehenden landschaftlichen Gegebenheiten entsteht, der deren Liebreiz weitgehend entwertet.550 Die Schutzwürdigkeit einer Landschaft wegen ihrer besonderen Schönheit oder Funktion muss vor allem auch dann festgestellt werden, wenn sich die Umgebung durch eine Bebauungsfreiheit auszeichnet. Unbebaute Gebiete müssen nicht zwangsläufig schutzwürdig sein – dies gilt entgegen dem OVG NRW auch dann, wenn „weite Teile des übrigen Kreisgebiets durch ein hohes Maß an Zersiedlung geprägt sind“.551 Die Privilegierung bestimmter Vorhaben im Außenbereich durch den Gesetzgeber darf nicht leerlaufen. Außerdem spricht § 35 Abs. 1 BauGB von dem Außenbereich als solchen, nicht von Gemeinde- oder Landkreisgrenzen.552 Diese können nicht für die Beurteilung der optischen Auswirkungen eines Vorhabens auf seine Umgebung als maßstabsbildender Rahmen herangezogen werden. Die Schutzwürdigkeit einer Landschaft ermittelt sich allein nach dem Radius des Wahrnehmungskreises des Betrachters. Dieser umfasst alle Bereiche der Landschaft, die im Zusammenhang mit dem Vorhaben wahrgenommen werden können.553 Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes ist allein entscheidend, ob oder inwieweit jeweils das überkommene Landschaftsbild die vorgesehenen Eingriffe verträgt. Es ist insoweit darauf Acht zu geben, die vom Gesetz vorgesehene Schutzbedürftigkeit der Landschaft nicht auf die konkrete Anlage zu verlagern. Schließlich reicht die Privilegierung eines Vorhabens nicht so weit, um Eingriffe in die Landschaft schon deswegen vornehmen zu dürfen, weil im konkreten Fall außer der besonders verletzbaren und schutzbedürftigen Landschaft keine anderen Standorte zur Verfügung stehen.554 Die besondere Schutzwürdigkeit ergab sich im Fall des OVG NRW aber daraus, dass das Landschaftsbild „durch Baumreihen, Feldgehölzen sowie auch kleineren Waldzonen gekennzeichnet war, die in die vorhandenen Felder und Wiesen eingebettet waren und damit der Landschaft ihre typische Prägung verliehen“.555 Ein besonders schutzbedürftiges Landschaftsbild kann sich auch aus der für das Ravensberger Hügelland typischen Topographie ergeben, die der Landschaft infolge der eingestreuten Siektäler ein abwechslungsreiches Gepräge verleiht. Überwiegend sanft ansteigende Höhenzüge stehen im Wechsel mit den eingestreuten Siektälern.556 Ebenso wirkt sich die Darstellung eines Baugebiets im Flächennutzungsplan, das auf einem Höhenrücken geplant ist und sich bis auf die halbe Höhe des Hanges erstrecken soll, nicht schon dann besonders störend auf das Landschaftsbild aus, wenn 550

OVG NRW, Urt. v. 04. 12. 2006 – 7 A 568/06, Rn. 79. OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. 552 Schröter, S. 599. 553 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 554 Quambusch, BauR 2003, 635 (641). 555 OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. 556 VG Minden, Urt. v. 09. 11. 2004 – 1 K 1513/02, Rn. 40. 551

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

es sich bei dem fraglichen Bereich um einen von Bebauung freien Landschaftsteil handelt, sondern wenn durch eine Bebauung an dieser besonders reizvollen Stelle das Landschaftsbild empfindlich gestört werden würde. Auch in Anbetracht der aus topographischen Gründen begrenzten baulichen Entwicklungsmöglichkeiten im Gemeindegebiet ist die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebiets auf besonders empfindlichen und schützenswerten Hangflächen nicht vertretbar. An diesem Ergebnis würde sich auch nichts grundlegend ändern, wenn der Hangbereich in aufgelockerter Weise bebaut würde, soweit durch die Errichtung von Wohnhäusern im Vollzug der strittigen Ausweisung das Landschaftsbild sowie Natur und Landschaft an einer herausragend schönen Stelle besonders stark beeinträchtigt werden würden.557 Das ThürOVG wies in einer Entscheidung über die Zulässigkeit von privilegierten Windkraftanlagen gem. § 35 Abs. 1 BauGB darauf hin, dass bloße Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes ein privilegiertes Vorhaben nicht unzulässig machen können. Allein ein weiter Blick in die Umgebung vom Standort des Vorhabens aus genüge nicht, die Errichtung einer Windkraftanlage unter dem Aspekt des optischen Landschaftsschutzes zu versagen – auch wenn die errichtete Anlage aus größerer Entfernung wahrnehmbar wäre. Dies gelte vor allem dann, wenn die nähere Umgebung durch landwirtschaftliche Nutzflächen geprägt sei und im Übrigen keine schutzwürdigen Elemente aufweise. Im konkreten Fall stand auch die Schutzwürdigkeit der Landschaft in Frage, da die Landschaft durch Bauten vorbelastet war. Eine weitestgehend unberührte Landschaft konnte ausgeschlossen werden, da sich in der maßgeblichen Umgebung ein Sendemast, ein 20 m hoher Schornstein und eine Bundesstraße befanden.558 An dieser Stelle ist nochmals darauf hinzuweisen, dass eine bloße Beeinträchtigung des Landschaftsbildes oder das Interesse am Erhalt eines bestehenden Landschaftsbildes in einer nicht förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Außenbereichslandschaft nicht ausreichen, um eine Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zu begründen.559 Denn das Landschaftsbild des Außenbereichs ist generell schützenswert.560 Das Vorliegen einer „schönen“ Landschaft, die durch die Errichtung jedweden Vorhabens beeinträchtigt wird, reicht nicht aus, um die Schwelle zur Verunstaltung zu überschreiten. Die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes einer „durchschnittlichen Kulturlandschaft“ reicht nicht aus, um eine Verunstaltung annehmen zu können. Eine solche optisch belastende Wirkung wäre ansonsten vielerorts anzunehmen, soweit man in einer „normalen“ Landschaft eine besonders empfindsame Sichtweise des Betrachters ausreichen ließe.561 557

BayVGH, Urt. v. 25. 11. 2002 – 14 B 00.2137 = BauR 2003, 655 (656 f.). ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 559 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32. 560 BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92. 561 BayVGH, Urt. v.  30. 06. 2005  – 26 B 01.2833, Rn. 36; BayVGH, Urt. v.  01. 10. 2007  – 15 B 06.2356. 558

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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Vielmehr soll nur der ästhetische Wert eines besonderen Landschaftsbildes geschützt werden.562 Dass die Beeinträchtigung eines „schönen“ Landschaftsbildes nicht ausreicht, um die Schwelle der Verunstaltung zu überschreiten, sah auch der BayVGH im Falle der Errichtung von zwei Windkraftanlagen auf einer Jurahöhe, die teilweise als Ackerland, teilweise als Grünland landwirtschaftlich genutzt wurde und lehnte das Vorliegen einer Verunstaltung des Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ab. Bei der Jurahöhe handelte es sich „zwar um eine schöne Landschaft mit gewissem Erholungswert, die – insbesondere in der Natürlichkeit ihres Erscheinungsbildes – durch die geplante Anlage auch beeinträchtigt werden würde“.563 Allerdings war die Landschaft, in der die beiden Windkraftanlagen errichtet werden sollten, „nicht von herausragender Schönheit“. Die Umgebung war geprägt von „weitläufigen Ackerflächen und ausgedehnten Waldgebieten“; es handelte sich damit um eine „durchschnittliche bayerische Kulturlandschaft“.564 Landschaften, die zwar „reizvoll“ sein mögen, aber den Charakter einer typischen ländlichen Kulturlandschaft aufweisen, die von Weilern, Siedlungen und Ortschaften durchsetzt ist, reichen für sich genommen nicht aus, ein besonders schützenswertes Landschaftsbild zu begründen. Eine weiträumige Umgebung des Vorhabenstandorts im Bayerischen Wald, die durch typische Erhebungen und Täler kleinteilig geformt ist, ist in Hinblick auf ihre Schönheit und Funktion nicht besonders schutzwürdig.565 Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) kann auch darin begründet sein, dass ein Vorhaben in seiner Umgebung wesensfremd wirkt, soweit es weder in seiner äußeren noch in seiner funktionalen Gestaltung der naturgemäßen Zweckbestimmung und Nutzungsweise der Landschaft entspricht.566 Denn ein Vorhaben im Sinne des § 35 BauGB ist die bauliche Anlage in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion. Insoweit bilden der Baukörper und dessen Nutzungszweck eine Einheit, die dem Vorhaben seine prägende Gestalt verleiht.567 d) Exponierte Lage Die bodenrechtliche Zielsetzung des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbotes ist es, Bauvorhaben unter größtmöglicher Schonung des Außenbereichs so zu errichten, dass sich in ästhetischer Hinsicht eine Positionierung des jeweiligen Vor 562

B / K/L / M/R, § 35, Rn.  88. BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 36. 564 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 36. 565 BayVGH, Urt. v.  01. 10. 2007  – 15 B 06.2356; siehe auch VG Regensburg, Urt. v. 25. 03. 2015 – RN 7 K 14.1187, Rn. 20. 566 BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261. 567 BVerwG, Beschl. v. 05. 10. 2001 – 4 B 69.01; BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92; Jarass / Kment, § 35, Rn. 61; Stüer, Rn. 2952. 563

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

habens an hervorgehobener Stelle im Landschaftsbild regelmäßig verbietet568 – was gleichermaßen für privilegierte (§ 35 Abs. 1 BauGB) als auch für sonstige Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) gilt. Allerdings kommt ersteren – insbesondere wenn es sich um eine Windkraftanlage handelt – in der anschließenden wertenden Abwägungsentscheidung ein gesteigertes Durchsetzungsvermögen zugute, sollten keine weiteren schützenswerten Gesichtspunkte hinzutreten, die für eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes sprechen. Insbesondere bei Windkraftanlagen ist zu berücksichtigen, dass sie naturgemäß an exponierten Stellen errichtet werden. Dies gehört typischerweise zu ihrem Erscheinungsbild.569 Für die Beurteilung der Frage, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt, ist die jeweilige durch die Standortwahl vorgegebene Situation maßgeblich, wobei in erster Linie die Gebietscharakteristika zu ermitteln und in ihrer Schutzwürdigkeit zu bewerten sind.570 In jedem Falle hängt die Bewertung, ob „die Schwelle der Verunstaltung“ überschritten ist, von der jeweiligen Situation ab, wobei bei einem Bauvorhaben, das in exponierter Lage in der Landschaft errichtet werden soll, regelmäßig ein schärferer Maßstab angezeigt sein wird.571 Eine exponierte Lage liegt dann vor, soweit das Vorhaben „als Blickfang“ in den Blick des Betrachters gerät. Das Vorhaben muss störend den Charakter des vorzufindenden Landschaftsbildes beeinträchtigen.572 Eine Störung der Gebietscharakteristika wird umso eher anzunehmen sein, je stärker das Vorhaben „als Blickfang“ den Gesamteindruck des Landschaftsbildes beeinträchtigt.573 Eine Verunstaltung kann auch die Gestaltung des Vorhabens im Einzelnen sein.574 Der HessVGH nahm eine Verunstaltung des Landschaftsbildes bei einer „nicht originär landwirtschaftlichen ehemaligen Flugzeughalle“ an, die auf einer Anhöhe errichtet werden sollte. Die Halle verunstalte aufgrund ihrer Lage auf einer Anhöhe und aufgrund „ihrer Größe und massiven Bauweise“ das Landschaftsbild.575 In der Fallkonstellation der Errichtung einer „nicht originär landwirtschaftlichen ehemaligen Flugzeughalle“ erlangt die ästhetische Schutzwürdigkeit einer Landschaft vor allem in Hinblick auf ihre Funktion eine herausragende Bedeutung. Wird ein Vorhaben an einem exponierten Standort errichtet, dann kann eine Verunstal 568

Stollmann, JuS 2003, 855 (859). BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 40; zur Bedeutung der exponierten Lage bei privilegierten Windkraftanlagen siehe Abschnitt B. VI. 3. 570 OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 55. 571 OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 55; BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32. 572 OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98 = BauR 2001, 222; VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K15.4998 – verneint im Falle eines Schweinestalls mit Massentierhaltung. 573 BVerwG, Beschl. v.  13. 11. 1996  – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 55. 574 VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K15.4998. 575 HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93; BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444. 569

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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tung des Landschaftsbildes auch darin begründet sein, dass das Vorhaben in seiner Umgebung wesensfremd wirkt, soweit es weder in seiner äußeren noch in seiner funktionalen Gestaltung der naturgemäßen Zweckbestimmung und Nutzungsweise der Landschaft entspricht.576 Die Errichtung einer gut 50 m langen und über 14 m breiten nicht originär landwirtschaftlichen ehemaligen Flugplatzhalle stellt damit aufgrund ihrer Größe und massiven Bauweise auf einer exponierten Hanglage einen „deutlich landschaftsfremden Bestandteil“ dar.577 Etwas anderes gilt für einen bei isolierter und flüchtiger Betrachtung modernen, nach Form, Baustoffen und Proportionen seiner Baumasse und Bauteile aber nicht hässlichen Milchviehstall in Form einer an den Traufen abgerundeten Satteldachhalle, dessen Außenwand- und Dachabdeckung aus Kunststoff besteht, soweit ohne Weiteres die räumliche Zuordnung der Halle zu einem landwirtschaftlichen Anwesen und ihre Nutzung zur Milchviehhaltung erkennbar ist. Dann liegt nämlich kein „vollkommen landschaftsfremdes und störendes Bauelement“ vor, weil es sich bei der Halle in Hinblick auf ihre äußere und funktionale Gestaltung um einen in unmittelbarer Beziehung zur landwirtschaftlichen Bodennutzung stehenden „modernen Zweckbau“ handelt, der somit der naturgemäßen Zweckbestimmung und Nutzungsweise der Landschaft entspricht.578 Ebenso führen die Anforderungen an die Maße eines Stalles als Zweckbau für sich alleine genommen nicht zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes. Stallgrößen sind abhängig von Art und Umfang des Tierbestandes und regelmäßig lang und breit. Dieser typischen Gestaltung, die funktionsbedingt ist, kann im Falle einer Privilegierung nicht der öffentliche Belang einer Beeinträchtigung oder Verunstaltung der Landschaft entgegen gehalten werden, wenn keine besonders schutzwürdige Umgebung vorliegt.579 Das BVerwG entschied in einem anderen Fall, dass die Einrichtung eines Bienenhauses in ein nachträglich aufgegebenes Wochenendhaus das Landschaftsbild verunstalte, da ein echtes Bienenhaus auch bei Unterbringung einer größeren Zahl an Bienenvölkern „kleiner, unauffälliger und funktionsgerechter gestaltet“ sei als das Bauwerk des Klägers. Die Einrichtung eines Bienenhauses in ein aufgegebenes Wochenendhaus entspreche in Hinblick auf seine äußere Gestaltung und Funktionalität nicht dem Wesen eines echten Bienenhauses. Dabei zeichnete sich der exponierte Standort des Häuschens dadurch aus, dass es sich auf halber Höhe eines von einem Tal aufsteigenden Westhanges gegenüber einer Ortschaft befand. Eine Verunstaltung liegt damit auch dann vor, wenn ein Vorhaben in seiner Umgebung wesensfremd wirkt, indem es weder in seiner äußeren noch in seiner funktionalen Gestaltung der naturgemäßen Zweckbestimmung und Nutzungsweise der Land-

576

BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261. HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93. 578 VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11. 579 VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K15.4998. 577

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

schaft entspricht. Aufgrund seiner Hanglage war das Bienenhäuschen weithin erkennbar und wirkte „klotzig, auffallend und fast kubisch“.580 Die Rechtsprechung hat insofern im Zusammenhang mit der Errichtung eines Platzes aus Grobkies in einem Landschaftsschutzgebiet hervorgehoben, dass eine Verunstaltung des Landschaftsbildes immer dann vorliegt, wenn die Landschaft in einer Weise verändert wird, die ihrer ursprünglichen Eigenart widerspricht. Es kommt deswegen nicht allein auf das ästhetische Empfinden des für den Landschaftsschutz aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachters, sondern vor allem darauf an, ob die Landschaft in ihrem geschützten Charakter nachhaltig verändert wird. In diesem Sinne muss eine bauliche Anlage in der geschützten Landschaft standortfremd wirken – was dann nicht angenommen werden kann, wenn eine im Außenbereich errichtete Grobkiesschüttung ausschließlich zum Abstellen der für die Bewirtschaftung des Grundstücks notwendigen land- oder forstwirtschaftlichen Maschinen genutzt werden soll.581 Das Vorliegen eines exponierten Standortes ist stets gekoppelt an ein prägendes – über das Vorhandensein von landwirtschaftlicher Nutzfläche hinausgehendes  – Landschaftsbild. Eine exponierte Lage kann daher nie losgelöst von einem gegebenen prägenden Landschaftsbild angenommen werden. Über das Vorliegen einer exponierten Lage hinaus müssen damit besondere schutzwürdige Landschaftselemente hinzutreten, um eine Verunstaltung des Landschafts- oder Ortsbildes annehmen zu können. Das machte schon der BayVGH deutlich, der darauf hinwies, dass für die Annahme einer Verunstaltung des Landschaftsbildes einer Jura-Hochebene eine „besondere Dominanz der zu errichtenden Windfarm in Bezug auf reizvolle Talschaften“ vorliegen müsse.582 Die besondere Schutzwürdigkeit einer Landschaft ergibt sich damit auch nicht aus dem Umstand, dass ein privilegierter Schweinestall mit Massentierhaltung funktionsbedingt regelmäßig lang und breit ist.583 Die Prägung des Landschaftsbildes muss dabei über typische landwirtschaftliche Nutzflächen hinausgehen, also einen gewissen Grad an Schutzwürdigkeit aufweisen, um überhaupt von einem bestimmten Standort des Vorhabens aus unangemessen optisch benachteiligt werden zu können. Soll das Vorhaben an exponierter Stelle im Landschaftsbild errichtet werden, muss die Landschaft allerdings nicht den Grad an besonderer Schutzwürdigkeit aufweisen, als insoweit von der obergerichtlichen Rechtsprechung für die Fallgruppe des „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswerten Landschaftsbildes“ gefordert wird. Prüfungsmaßstab für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ist insoweit hinsichtlich einer exponierten Lage, ob das Vorhaben dem Orts- oder Landschafts-

580

BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261. VGH BW, Urt. v. 19. 12. 1984 – 8 S 2036/84 I = NuR 1987, 29 (30). 582 BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384; zum Begriff der Windfarm siehe näher VG Würzburg, Urt. v. 05. 12. 2017 – W 4 K 15.530, Rn. 46 m. w. N. 583 VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K 15.4998. 581

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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bild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird.584 Da eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) eine besondere Schutzwürdigkeit der Landschaft nicht zwingend voraussetzt, kann insbesondere das Vorliegen einer exponierten Lage besondere Bedeutung in der erforderlichen Gesamtbeurteilung erlangen.585 Das Vorliegen einer exponierten Lage kann daher auch als Unterfallgruppe des Eingriffs in ein „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswertes Landschaftsbild“ verstanden werden.586 Der Begriff der „exponierten Lage“ ist dabei stets abzugrenzen von der bloßen „Horizontverschmutzung“. In letztgenannter Fallgruppe fallen solche Landschaften, die keine besonderen Landschaftscharakteristika aufweisen. Hier stellt sich die Frage, ob eine „Horizontverschmutzung“ bei weiter Einsehbarkeit des Vorhabens ausreicht, um zu einer Verunstaltung des Landschafts- oder Ortsbildes führen zu können.587 Der Aspekt der „exponierte Lage“ ist hingegen als Unterfall der Fallgruppe des „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswerten Landschaftsbildes“ zu sehen. Bei Windkraftanlagen genügt daher nicht schon ein weiter Blick in die Umgebung oder die Wahrnehmbarkeit aus größerer Entfernung, um eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes annehmen zu können.588 Das OVG NRW nahm eine „grob unangemessene“ Wirkung des Neubaus von fünf Schweineställen auf ihre Umgebung an, die in einer bislang von Bebauung freien Emsniederung errichtet werden sollten. Sie beeinträchtigten nach Ansicht des OVG NRW den Eindruck der Flusslandschaft, die sich bisher dem Betrachter bot.589 In der abschließenden Abwägung konnte sich auch nicht das gesteigerte Durchsetzungsvermögen des gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegierten Vorhabens gegenüber dem öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes durchsetzen, da als weiterer schützenswerter Umstand neben der exponierten Lage die bisher von Bebauung freie und unberührte Flusslandschaft hinzukam, wobei die Schweineställe weithin in den Blickfang des Betrachters rückten. Unter Beachtung des Gebots der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs musste die erforderliche Abwägung zwischen der Privilegierung des Vorhabens und den entgegenstehenden öffentlichen Belangen zu Lasten des Vorhabens ausfallen. Das OVG 584

VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11. BRS / Bracher, Rn. 2366. 586 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164). 587 Siehe unten Abschnitt B. VI. 5. 588 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 589 OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98 = BauR 2001, 222; auch das VG München geht im Falle der Errichtung eines Schweinestalls mit Massentierhaltung von denselben Beurteilungskriterien aus, nämlich, dass ein Vorhaben dann zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führt, soweit es an einem exponierten Standort liegt und als Blickfang für den Betrachter störend den Eindruck von der Landschaft beeinträchtigt. Im entschiedenen Fall wurde dies aber verneint, vgl. insoweit VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K15.4998. 585

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

NRW lastete dem Kläger in Hinblick auf das Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs außerdem an, dass er sein Vorhaben auch an anderer Stelle – nämlich in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Hofstelle – verwirklichen konnte.590 e) Frage nach dem maßstabsbildenden Bereich, der das schützenswerte Landschaftsbild ausmacht Damit ein Landschaftsbild durch eine bauliche Anlage in landschaftsästhetischer Hinsicht verunstaltet werden kann, müssen beide in einer bestimmten optischen Beziehung zueinander stehen. Die Annahme einer derartigen optischen Beziehung setzt wiederum Betrachtungspunkte voraus, von denen aus das zu schützende und das auf sein Störpotential hin zu untersuchende Objekt in den Blick genommen werden.591 Der maßstabsbildende Bereich, der dabei das schützenswerte Landschaftsbild ausmacht, also der in die Betrachtung des Landschaftsbildes einzubeziehende Umgebungsrahmen, lässt sich nicht abstrakt bestimmen. So lässt sich beispielsweise die Entfernung, in welcher eine Windkraftanlage nicht mehr verunstaltend wirken kann, nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles bestimmen.592 In Bezug auf das Landschaftsbild gilt allgemein, dass je höher die Anlage ist, desto größer ist die Fernwirkung der Anlage und der Eingriff in das Orts- oder Landschaftsbild.593 Die Erwägungen zum umgebungsbezogenen Verunstaltungsverbot der Länder lassen sich zur Bestimmung des maßgeblichen Umgebungsrahmens heranziehen. Dieses bezieht sich im Gegensatz zum bauwerksbezogenen Verunstaltungsverbot auf das Verhältnis von baulicher Anlage und Umgebung. Zur Umgebung zählt dabei alles, auf das sich die Ausführung der baulichen Anlage optisch prägend auswirken kann oder was seinerseits die Gestaltung der baulichen Anlage prägt oder beeinflusst.594 Da es um gestalterischen Einfluss geht, ist der maßgebliche Umgebungsrahmen, der das schützenswerte Landschaftsbild ausmacht, das, was vom Standpunkt eines fiktiven Betrachters aus optisch in einem Blickfeld liegt.595 Von einem danach im Sinne des Schutzes des Landschaftsbildes vor Verunstaltun­ gen bedeutsamen Betrachtungspunkt aus wird eine schützenswerte optische Beziehung im Einzelfall tendenziell umso eher anzunehmen sein, als man von dem entsprechenden Standort aus beide Komponenten – schützenswertes Landschaftsbild und das auf sein Störpotential zu untersuchende Vorhaben – „auf einen Blick“ wahrnehmen kann, die potentiell beeinträchtigende Anlage also – sofern sie nicht sogar 590

OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98 = BauR 2001, 222. OVG RhPf, Urt. v. 06. 06. 2019 – 1 A 11532/18, openJur 2020, 24184. 592 Hornmann, NVwZ 2006, 969 (971). 593 OVG RhPf, Urt. v. 18. 05. 2006 – 1 A 11398/04; VG Bayreuth, Urt. v. 23. 01. 2014 – B 2 K 13.612, Rn. 133; Stüer, Rn. 2951. 594 Kollmann, S. 407; Moench / Schmidt, S. 15 f. 595 Kollmann, S. 407 f.; Moench / Schmidt, S. 16. 591

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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den Blick auf dieses ganz oder teilweise versperrt – gleichsam als „Kulisse“ des zu schützenden Landschaftsbildes erscheint. Je weiter man hingegen den Blick horizontal oder vertikal schweifen lassen muss, um neben dem zu schützenden Landschaftsbild auch das auf sein Störpotential zu beurteilende Objekt wahrzunehmen, umso weniger wahrscheinlich ist eine ins Gewicht fallende optische Beeinträchtigung des zu schützenden Landschaftsbildes durch dieses Objekt. Entsprechendes muss zudem regelmäßig mit zunehmender Entfernung des zu überprüfenden Objektes vom Betrachtungspunkt gelten, durch die dessen von dort aus gesehen scheinbare Größe im Verhältnis zu dem zu schützenden Landschaftsbild immer weiter abnimmt.596 Für Windkraftanlagen gilt die Besonderheit, dass sie wegen ihrer Höhenentwicklung in größerem Umkreis sichtbar sind, auch wenn die Sichtbarkeit durch vorhandene Bebauung oder Bewuchs etwas eingeschränkt sein mag. Im Nahbereich ist daher nur ein Teil der Sicht auf die Windkraftanlagen freigegeben. Es wird aber trotzdem im Fall dieser Einrahmung durch Bewaldung abhängig vom jeweiligen Standort des Betrachters und seiner Entfernung zur Anlage jeweils der obere Bereich der Anlage natürlich zu erkennen sein und aus den Baumwipfeln herausragen. Insofern lassen sich entsprechende Landschaftsbeeinträchtigungen durch Windkraftanlagen nicht vermeiden; sie sind gewissermaßen anlagenimmanent.597 Für die Frage nach einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist daher bei Windkraftanlagen nicht allein auf die nähere Umgebung des geplanten Standorts abzustellen, die möglicherweise selbst nur „wenige Reize“ bietet, soweit in der näheren Umgebung nur Ackerflächen vorzufinden sind und die Umgebung aufgrund des Fehlens von Grünlandflächen, Hecken, Obstwiesen, Baumreihen und Gehölzstreifen „als an natürlichen Strukturen verarmt“ erscheint. Die Größe von Windenergieanlagen und ihre Sichtbarkeit weit über die nähere Umgebung hinaus sprechen dafür, bei diesen Anlagen auf einen größeren maßstabsbildenden Bereich für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit einer Landschaft abzustellen.598 Ebenso ist für die Wertung des Landschaftsbildes bei einer umfassenden Fernsicht über das Panorama des östlichen Sauerlands von einem touristisch besonders wertvollen Aussichtspunkt aus auf eine „großräumige Betrachtung“ abzustellen, die dazu führt, dass gewerbliche und freizeittouristische Bauwerke, die bei einer Betrachtung aus unmittelbarer Nähe als störend und belastend empfunden werden können, so deutlich in den Hintergrund treten, dass sie kaum als störende Elemente wahrgenommen werden.599

596

OVG RhPf, Urt. v. 06. 06. 2019 – 1 A 11532/18, openJur 2020, 24184. VG Bayreuth, Urt. v. 23. 01. 2014 – B 2 K 13.612, Rn. 133. 598 OVG RhPf, Urt. v.  18. 05. 2006  – 1 A 11398/04, Rn. 19; vgl. auch OVG RhPf, Urt. v. 06. 06. 2019 – 1 A 11532/18, openJur 2020, 24184. 599 OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 50. 597

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Besondere Berücksichtigung findet damit insbesondere die Einordnung solcher Objekte, die bei der Betrachtung der geschützten Umgebung von einem relevanten Betrachtungspunkt aus zwar nicht – kulissenartig – zentral mit im Blickfeld erscheinen, jedoch jedenfalls am Rande des Blickfeldes sichtbar sind.600 Der maßgebliche Umgebungsrahmen spielt für die Einschätzung der Wertigkeit und Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes eine Rolle. Sein Radius umfasst alle Bereiche der Landschaft, die im Zusammenhang mit dem Vorhaben wahrgenommen werden können. Wenn ein Vorhaben in einer exponierten Lage errichtet werden soll, führt die Wahrnehmbarkeit von weither dazu, dass das Landschaftsbild an seiner Wertigkeit verliert. Je weiter der Umgebungsrahmen aufgrund der optischen Wahrnehmbarkeit des Vorhabens an exponierter Stelle zu ziehen ist, desto nachteilhafter wirkt sich das Hinzukommen von Vorhaben für die Wertigkeit eines Landschaftsbildes aus. Das ist vor allem beim Hinzutreten von Windkraftanlagen von Bedeutung. Demgegenüber wirkt sich das Hinzutreten von Windkraftanlagen desto weniger aus, je weniger weit der Vorhabenstandort einsehbar ist.601 Die Bedeutung des maßgeblichen Umgebungsrahmens ist allerdings nie losgelöst vom Vorliegen eines schützenswerten Landschaftsbildes zu sehen. Nach Auffassung des ThürOVG reicht allein die optische Wahrnehmbarkeit eines privilegierten Vorhabens – einer Windkraftanlage – aus weiter Entfernung nicht aus, um zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes zu führen, soweit kein schützenswertes Landschaftsbild vorliegt, sondern nur landwirtschaftliche Nutzflächen gegeben sind und eine Vorbelastung durch bauliche Anlagen vorzufinden ist.602 Selbst wenn der maßstabsbildende Bereich weit zu ziehen sein mag, kann gleichwohl noch nicht von einer Verunstaltung bei privilegierten Vorhaben gesprochen werden, soweit lediglich die Blickachse zu einem nicht besonders ansehnlichen Nadelwald beeinträchtigt wird.603 Bei der wertenden Beurteilung, ob ein privilegiertes Vorhaben im Außenbereich zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) führt, ist es unerheblich, ob sich die Umgebung, auf die sich das Vorhaben auswirkt, selbst innerhalb einer für sich gesehen bereits aufgrund ihres typischen Landschaftsbildes besonders schützenswerten Region befindet. Ob eine optische Beeinträchtigung bestimmter Landschaftsteile durch ein privilegiertes Vorhaben eine Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs zur Folge hat, ist davon abhängig, ob die optische Beeinträchtigung zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führt, was sich einer rechtsgrundsätzlichen Betrachtung entzieht und von der Würdigung der örtlichen Gegebenheiten abhängig ist.604

600

OVG RhPf, Urt. v. 06. 06. 2019 – 1 A 11532/18, openJur 2020, 24184. Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 602 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 603 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 604 BVerwG, Urt. v. 08. 05. 2008 – 4 B 28.08, Rn. 8. 601

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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Das schützenswerte Landschaftsbild beurteilt sich dabei nicht nach den landschaftsästhetischen Verhältnissen in der jeweiligen Gemeinde. Der Schutz des Außenbereichs gebietet es auch in Hinblick auf seine optisch-ästhetische Komponente, dass nicht in jeder Gemeinde privilegierte Vorhaben (§ 35 Abs. 1 BauGB) zulässig sein müssen. Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) beschränkt sich daher nicht auf die nähere Umgebung einer Gemeinde, sondern bezieht als Beurteilungsmaßstab bei Vorhaben mit Fernwirkung auch einen Fernblick auf das Vorhaben oder vom Vorhabenstandort mit ein. Diese Betrachtungsweise mag im Einzelfall zur Konsequenz haben, dass sich ein Bauherr beim Bau einer Windenergieanlage in eine andere Region verweisen lassen muss, wenn er in der jeweiligen Region nicht ohne überdurchschnittlich starke Landschaftsbeeinträchtigungen sein Vorhaben verwirklichen kann.605 Die Prüfung der optischen Auswirkungen eines Vorhabens gem. § 35 Abs. 1 BauGB beschränkt sich deswegen auch nicht auf das Gebiet einer bestimmten Gemeinde  – in der alle privilegierten Vorhaben verwirklicht werden müssten  –, sondern spricht allgemein von dem Außenbereich, der nicht an Gemeinde- oder Landesgrenzen gebunden ist.606 Die Beachtung dieser Maßstäbe kann dazu führen, dass große Gebiete in Deutschland für bestimmte Nutzungen mit erheblicher Fernwirkung – wie insbesondere die Windenergienutzung – nicht zur Verfügung stehen können. Diese Konsequenz ist aber mit guten Gründen hinzunehmen, da ansonsten der Außenbereich an vielen Standorten über Gebühr belastet würde. Es kann und muss nicht an jedem Außenbereichsstandort jede Nutzung zulässig sein. Dies gilt nicht nur innerhalb einer Gemeinde, sondern vielmehr in besonders gelagerten Fällen  – insbesondere bei den wegen ihrer Größe besonders die Landschaft in Anspruch nehmenden Windenergieanlagen – auch im Einzelfall im Gebiet sämtlicher Gemeinden einer ganzen Region.607 f) Standortalternativen Die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ist im Einzelfall bei Hinzutreten weiterer Umstände umso eher anzunehmen, soweit im konkreten Einzelfall – auch bei einem privilegierten Vorhaben – dem Bauherrn Standortalternativen zur Verfügung stehen, an denen das Vorhaben optisch weniger in Erscheinung tritt.608 Bei der wertenden Betrachtungsweise, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt, fließt nämlich auch das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs 605

Stüer, S. 599. ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 607 Schröter, S. 599 f. 608 OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98 = BauR 2001, 222. 606

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

mit ein. Obwohl der Gesetzgeber bestimmte Vorhaben im Außenbereich privilegiert haben mag, hat der Gesetzgeber keine Entscheidung über den konkreten Standort der Vorhaben getroffen, die er im Außenbereich für zulässig erklärt.609 Unter dieser Prämisse hat das OVG NRW ein privilegiertes landwirtschaftliches Vorhaben in einer exponierten Lage in einer Flussniederung unter Hinweis auf das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs für unzulässig erklärt, da dem Bauherren Standortalternativen an seiner Hofstelle zur Verfügung standen, an denen das Vorhaben optisch weniger in Erscheinung trat.610 Eine Standortauswahl setzt allerdings voraus, dass es sich um ein nicht standortgebundenes Vorhaben handelt. Hingegen kann bei standortgebundenen privilegierten Vorhaben, wie zum Beispiel bei einem Gipsabbau, der Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes durch Abwägung überwunden werden. Dann kann im Wege der Abwägung das private oder öffentliche Interesse am Gipsabbau den vorübergehenden Eingriff in das Landschaftsbild überwiegen. Eine vorübergehende Verunstaltung ist nämlich geringer zu gewichten als eine dauernde.611 Bei privilegierten Vorhaben ist zudem zu beachten, dass sie grundsätzlich dem Außenbereich zugewiesen sind und daher von einem unvoreingenommenen Betrachter als Teil der Kulturlandschaft wahrgenommen werden und daher eher hinzunehmen sind als sonstige Vorhaben.612 Dieser Aspekt erlangt auch bei der Frage an Bedeutung, ob der Bauherr im konkreten Einzelfall auf Standortalternativen verwiesen werden kann. Die Zumutbarkeitsanforderungen, einen Bauherrn auf einen anderen Standort zu verweisen, sind damit höher, wenn es sich um ein privilegiertes Vorhaben handelt. So stellt beispielsweise die Errichtung eines Schafstalles in einer von Wiesen bedeckten Talaue an einem nicht besonders exponierten Standort keine Verunstaltung des Landschaftsbildes dar, da der unvoreingenommene Betrachter den Schafstall an seinem Standort als Teil der Kulturlandschaft wahrnimmt.613 g) Verunstaltung aus bestimmten Blickwinkeln Bei Bauvorhaben mit Fernwirkung – wie der Errichtung eines Windparks auf einer Hochebene wie der Lützelalb – kommt es nicht darauf an, von wie vielen Ausblicksstandorten es eingesehen werden kann. Die Frage, ob ein konkretes Bauvor 609 BVerwG, Beschl. v.  18. 03. 2003  – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98 = BauR 2001, 222. 610 OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98 = BauR 2001, 222. 611 BRS / Bracher, Rn.  2328, 2368; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 46; siehe oben Abschnitt B. III. 7. e). 612 Angenommen für einen üblichen landwirtschaftlichen Aussiedlerhof und einen landwirtschaftlichen Pferdepensionsbetrieb im Außenbereich, OVG RhPf, Urt. v.  04. 07. 2007  – 8 A 10260/07, openJur 2012, 135916; VG Neustadt an der Weinstraße, Urt. v. 22. 02. 2016 – 3 K 325/15.NW – openJur 2020, 18275. 613 Knuth, NuR 1985, 8 (15).

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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haben das Orts- oder Landschaftsbild (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) verunstaltet, ist anhand objektiver Kriterien zu beantworten. Es geht aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB im Übrigen nicht hervor, auf welchen Standort zur Beurteilung einer Verunstaltung abzustellen ist. Es ist allerdings für die Beurteilung einer verunstaltenden Wirkung auf die Umgebung wie beim bauordnungsrechtlichen, umgebungsbezogenen Verunstaltungsverbot allein entscheidend, dass das Vorhaben (bzw. die bauliche Anlage)  und die zu schützende Umgebung von einem hinreichend bedeutenden Standort aus gleichzeitig sichtbar sind. Nur in diesem Fall kann die Umgebung von dem Vorhaben gestalterisch „beeinflusst“ und damit auch verunstaltet werden.614 Es ist daher unerheblich, dass ein Vorhaben nur auf Teilstrecken eines Wanderweges wahrgenommen werden kann.615 Unter Berücksichtigung des mit dem Schutz des Landschaftsbildes vor Verunstaltungen verfolgten Zwecks muss es sich um Blickpunkte handeln, die für die Wahrnehmung des Landschaftsbildes durch einen dort stehenden Betrachter in schutzzweckrelevanter Weise bedeutsam sind.616 Zur Annahme einer landschaftsverunstaltenden Wirkung kommt es nicht darauf an, ob ein Vorhaben, das aus mehreren Blickwinkeln optisch beeinträchtigend wirkt, von allen denkbaren Betrachtungswinkeln aus in gleichem Maße dem Landschaftsbild grob unangemessen ist. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes ist vielmehr schon dann gegeben, wenn ein Vorhaben zumindest aus einigen Blickwinkeln zu einer Verunstaltung führt und die Sichtbeeinträchtigung nicht kompensationsfähig ist.617 In diesem Sinne kann auch dann von einer Beeinträchtigung des Ortsbildes in Gestalt einer „Rheinsilhouette“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB ausgegangen werden, wenn es im Falle der Beeinträchtigung durch ein Einzelvorhaben Standorte – auch auf der gegenüberliegenden Rheinseite – gibt, von denen aus das streitige Vorhaben nicht oder nicht deutlich wahrgenommen werden kann. Entscheidend für die Annahme einer Beeinträchtigung einer Rheinsilhouette ist, dass es Standorte auf beiden Rheinseiten und gegebenenfalls auch auf einem den Rhein passierenden Schiff gibt, die einen Blick auf die Rheinfront einschließlich des streitigen Vorhabens erlauben.618 Blickpunkte sind dann für die Wahrnehmung des Landschaftsbildes durch einen dort stehenden Betrachter in schutzzweckrelevanter Weise bedeutsam, wenn quantitativ eine gewisse Häufigkeit der Frequentierung durch potentielle Betrachter gegeben ist.619 Um eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes beurteilen zu können, kann damit auch ein Blickwinkel genügen, soweit er genügend Relevanz aufweist, also der maßgebliche Betrachtungsort nicht nur in ganz seltenen Fällen von Menschen aufgesucht wird. Es ist daher wie beim bauordnungsrechtlichen Ver 614

Kamp, S. 49; Kapell, S. 82; Klein, S. 68; Moench / Schmidt, S. 23. VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02, Rn. 21. 616 OVG RhPf, Urt. v. 06. 06. 2019 – 1 A 11532/18, openJur 2020, 24184. 617 OVG NRW, Urt. v. 04. 12. 2006 – 7 A 568/06, Rn. 80; Fest, S. 154; Middeke, DVBl. 2008, 292 (299). 618 OVG NRW, Urt. v. 06. 11. 1990 – 11 A 190/87 = BauR 1991, 574 (576). 619 OVG RhPf, Urt. v. 06. 06. 2019 – 1 A 11532/18, openJur 2020, 24184. 615

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

unstaltungsverbot für die Beurteilung, ob ein Vorhaben das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltet, maßgebend, was für den Durchschnittsmenschen von einem normal zugänglichen Standort aus sichtbar ist, da schließlich nur das optisch-ästhetisch beeinträchtigend sein kann, was auch sichtbar ist.620 Optische Beeinträchtigungen sind gewöhnlicherweise nicht ohne weiteres wahrnehmbar, soweit die Umgebungsverunstaltung nur vom Vorhabengrundstück aus erkennbar ist.621 Gleiches gilt, soweit sich Menschen in ganz seltenen Fällen in sehr entlegenen oder unzugänglichen Gebieten aufhalten. Es fehlt insoweit das erforderliche öffentliche Interesse an der ästhetischen Wirkung des Vorhabens. Es muss vielmehr gefordert werden, dass zumindest eine gewisse Anzahl von Menschen auf das Vorhaben schauen kann, wobei es unerheblich ist, ob es sich beispielsweise um Tagestouristen oder Anwohner handelt.622 Inhaltliche Voraussetzung für einen Blickpunkt, der für die Wahrnehmung des Landschaftsbildes durch einen dort stehenden Betrachter in schutzzweckrelevanter Weise bedeutsam ist, ist überdies, dass der Zweck, zu dem diese potentiellen Betrachter die Örtlichkeit aufsuchen, in einem inneren Zusammenhang mit dem zu schützenden Landschaftsbild steht. Nicht ausreichend für die Annahme eines potentiellen Betrachtungspunktes erscheint danach beispielsweise in Bezug auf die steilen Hanglagen des Rheins, dass eine dort irgendwo im freien Gelände gelegene Örtlichkeit zwar theoretisch zu Fuß erreichbar ist, in der Praxis jedoch eine Begehung des entsprechenden Bereichs durch Erholungssuchende und sonstige am Rheintal als solchem Interessierte nicht erfolgt, weil diese sich mehr oder weniger ausschließlich auf den dort vorhandenen Weinbergs- und Wanderpfaden bewegen.623 In den Fällen, in denen die Landschaft auch als Erholungsgebiet für die Bevölkerung genutzt werden kann, ist es ohne Bedeutung, ob die Standorte, von denen aus das Vorhaben wahrzunehmen ist, auch von Menschen bewohnt werden. Werden hingegen die Orte, von denen aus das Vorhaben verunstaltend wirkt, von Menschen bewohnt, ist das ein Umstand, der besonders zu würdigen ist und das Gewicht des Landschaftsschutzes bei der nachvollziehenden Abwägung erhöht.624 Sichtbarkeitsstudien sind daher unerheblich, weil es nicht entscheidend darauf ankommt, von wievielen Standorten aus das Vorhaben eingesehen werden kann.625

620

Engelmann, S. 125; Kapell, S. 79; Schlez, § 11, Rn. 9. Kapell, S. 79. 622 Schröter, S. 598. 623 OVG RhPf, Urt. v. 06. 06. 2019 – 1 A 11532/18, openJur 2020, 24184. 624 Schröter, S. 598. 625 VGH BW, Urt. v. 20. 05. 2003 – 5 S 1181/02, Rn. 32. 621

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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h) Menschliche Siedlungstätigkeit und das Landschaftsbild Ein Landschaftsbild weist angesichts der wenigen in Deutschland verbliebenen unberührten Landschaften ohne bauliche Vorbelastung eine besondere Wertigkeit auf, soweit in ihm keine bzw. keine beachtliche Vorbelastung vorzufinden ist.626 Für die wertende Beurteilung einer wegen ihrer besonderen Schönheit schützenswerten Landschaft ist es daher nicht ausgeschlossen, dass das Landschaftsbild im Nah­bereich vereinzelt menschliche Siedlungstätigkeiten erkennen lässt, soweit sie beim Anblick eines ansonsten unberührten und natürlichen Landschaftsbildes keinen Fremdkörper darstellen.627 Zumindest landschaftstypische Nutzungen wie land- und forstwirtschaftliche Vorhaben stellen regelmäßig das Landschaftsbild nicht in Frage, da sie die natürliche Eigenart der Landschaft nicht stören. Aber sie können sich möglicherweise dann belastend auf die Wertigkeit der Landschaft auswirken, wenn sie in massiver Kumulation anzutreffen sind. Dies ist dann der Fall, wenn sie im Gegensatz zu naturnahen, im positiven Sinne landschaftsprägenden Höfen in moderner industrieähnlicher Weise auftreten.628 Vorbelastungen des Landschaftsbildes durch typische Merkmale menschlicher Nutzungen sind äußerst gering und lassen die Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes nicht entfallen, soweit die vornehmlich in den Tallagen eingestreute Wohnbebauung sich weitgehend den markant hervortretenden unterschiedlichen Baum- und Waldbeständen unterordnet und dem Betrachter nicht sonderlich auffällt. Gleiches gilt für Ortschaften, Weilern und Gehöften, die sich nicht in exponierten Stellen auf den Höhenlagen befinden, sondern geschützt in den Niederungen angesiedelt sind.629 Es können andererseits sogar vereinzelt im Nahbereich erkennbare landwirtschaftliche Anwesen die Charakteristik einer abwechslungsreichen und beeindruckenden Umgebung von besonderer landschaftlicher Schönheit noch eher etwas verstärken, soweit die reizvolle kleinteilige bäuerliche Kulturlandschaft mit kleinen Tälern, Mulden, Landschaftseinschnitten und unterschiedlichen Feldgehölzen und Obstbaumkulturen gekennzeichnet ist.630 Auch im Falle von Vorhaben, die wegen ihrer Größe noch in weiter Entfernung sichtbar sind, bleibt die vorzufindende menschliche Siedlungstätigkeit gegebenenfalls unberücksichtigt.631 Dies hat das OVG NRW für einen besonders reizvollen und weiten Fernblick über Tallagen des Sauerlands angenommen. Die Einstreuung menschlicher Nutzungen, zu denen auch gewerblich genutzte Bauwerke und ver-

626

Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). BayVGH, Urt. v. 23. 06. 2003 – 14 B 01.2423, Rn. 18; Scheidler, NuR 2010, 525 (528). 628 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 629 OVG NRW, Urt. v. 28. 04. 2005 – 7 A 357/02, Rn. 54. 630 BayVGH, Urt. v. 23. 06. 2003 – 14 B 01.2423, Rn. 18. 631 BayVGH, Urt. v. 23. 06. 2003 – 14 B 01.2423, Rn. 18; Scheidler, NuR 2010, 525 (528). 627

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

einzelte Anlagen des Freizeittourismus zählen, ließ die Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes nicht entfallen, sondern verstärkte sie gerade noch im Gegenteil. Den besonderen Reiz des schützenswerten Landschaftsbildes machte „auch und gerade die Vielfalt der auf menschliches Einwirken – nämlich land- und forstwirtschaftliche Nutzung unterschiedlichster Art – zurückzuführenden Bestandteile aus, einschließlich der in sie eingestreuten besiedelten Bereiche“.632 Eine Windkraftanlage kann außerdem in einer typischen, von menschlicher Siedlungstätigkeit geprägten Mittelgebirgslandschaft nur bei besonders empfindsamer Sichtweise des Betrachters störend und beeinträchtigend wirken, soweit die Landschaft von Weilern, Siedlungen und Ortschaften durchsetzt ist und sich die weitere Umgebung durch landwirtschaftliche Flächen mit einem hohem Grünlandanteil und Waldgebiete auszeichnet.633 i) Verlust der Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes aufgrund von baulicher Vorbelastung Der Umstand einer baulichen Vorbelastung im Landschaftsbild führt nicht schlechthin zu erhöhten Anforderungen für die wertende Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Welche Bedeutung einer Vorbelastung zukommt, hängt von Art und Stärke der Vorbelastung ab. Es ist daher durchaus denkbar, dass sich Vorbelastungen zum Nachteil der Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes auswirken können.634 Nennenswerte Vorbelastungen des Landschaftsbildes durch bauliche Anlagen, die in ihren Auswirkungen auf das Orts- oder Landschaftsbild den erwarteten Auswirkungen ähneln, die vom geplanten Vorhaben ausgehen, oder diese gar noch übertreffen, können hingegen den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes ausräumen.635 aa) Bedeutung einer baulichen Vorbelastung für die Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes Ist ein Landschaftsbild mit seiner Eigenart im Wesentlichen nachhaltig zerstört, fehlt es an einem Schutzgut, das weiteren „Eingriffen“ in das Landschaftsbild entgegenstehen könnte.636 Hat das Landschaftsbild aufgrund einer nachhaltigen Zerstörung durch bauliche Vorbelastung bereits seine Schutzwürdigkeit verloren, kann 632

OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 49. BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356. 634 BVerwG, Beschl. v. 13. 10. 1976 – 4 B 149.76 = BRS 30 Nr. 65. 635 EZBK / Söfker, § 35, Rn. 99; Hentschel, S. 492; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 86. 636 BVerwG, Beschl. v. 13. 10. 1976 – 4 B 149/76 = BRS 30 Nr. 65; B / K/L / M/R, § 35, Rn. 88; Düsing / Martinez / Achelpöhler, § 35 BauGB, Rn. 194; Kapell, S. 55; Weyreuther, S. 487. 633

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

135

das Vorhaben den städtebaulichen und landschaftlichen Gesamteindruck nicht mehr erheblich stören.637 Ein Landschaftsbild kann allerdings auch dann noch besonders schutzwürdig sein, soweit dieses nicht vollkommen unberührt geblieben ist. Denn es ist ausreichend, wenn die Landschaft ihre Eigenart in Hinblick auf das Orts- und Landschaftsbild im Wesentlichen behalten hat.638 Die Beurteilung, ob eine Landschaft durch technische Einrichtungen und Bauten bereits so vorbelastet ist, dass ein Bauvorhaben sie nicht mehr verunstalten kann, ist anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen.639 Dabei ist die konkrete Situation in der jeweiligen Gemeinde maßgeblich.640 Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Errichtung und der Betrieb eines Vorhabens trotz Vorliegens einer beachtlichen Vorbelastung im Einzelfall zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führen können.641 Es ist schließlich auch auf dem Gebiet des Bauordnungsrechts anerkannt, dass von einer baulichen Anlage auch dann noch eine verunstaltende Wirkung ausgehen kann, obgleich das bestehende Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild bereits verunstaltet ist.642 So kann etwa auch bzw. gerade ein nicht vorbelasteter und übriggebliebener „Rest“ der Landschaft schutzwürdig sein.643 Dann muss allerdings das verbliebene Gelände noch über einen eigenständigen Wert verfügen.644 Es gibt außerdem keinen Rechtssatz mit dem Inhalt, dass dasjenige, was schon verunstaltet ist, nicht noch mehr durch eine bauliche Anlage verunstaltet werden kann.645 In diesem Sinne ist es daher durchaus möglich, dass die bereits bestehende Verunstaltung eines wegen bereits vorhandener Vorbelastung wenig empfindsamen Orts- oder Landschaftsbildes durch ein neu hinzukommendes verunstaltendes Vorhaben betont oder gesteigert wird.646 Auf eine Verbesserung des ursprünglichen Zustands kann hingegen mit den Verunstaltungsverboten nicht hingewirkt werden.647 Bei einer stark vorbelasteten Gemeinde darf allerdings nicht darauf geschlossen werden, dass sich deren Vorbelastung gegen die Zulässigkeit eines Vorhabens im 637

PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 85. BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71, Rn. 21 m. w. N.; OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98, BauR 2001, 222 (223); BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92; Schröter, S. 596. 639 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295. 640 BVerwG, Beschl. v. 13. 10. 1976 – 4 B 149/76, Rn. 5. 641 NdsOVG, Urt. v. 21. 04. 2010 – 12 LC 9/07, Rn. 76. 642 Büge / Zinkahn, S. 66; Engelmann, S. 44; Kapell, S. 83; Kollmann, S. 416 f.; Hornmann, § 9, Rn. 35; Schlez, § 11, Rn. 10; Vilsmeier, S. 98. 643 BVerwG, Beschl. v.  13. 10. 1976  – 4 B 149.76 = BRS 30 Nr. 65; NdsOVG, Urt. v. 21. 04. 2010 – 12 LC 9/07, Rn. 76. 644 BayVGH, Urt. v. 21. 12. 1995 – 2 B 94.219 = BayVBl. 1996, 278. 645 OVG NRW, Urt. v. 06. 02. 992 – 11 A 2235/89 = NVwZ 1993, 89 (90); Kollmann, S. 417. 646 BayVGH, Urt. v. 28. 10. 1965 – Nr. 136 VI 64 = NJW 1966, 516 (517); Engelmann, S. 44. 647 Kapell, S. 83; a. A. PrOVG, Urt. v. 15. 10. 1936 = PrOVGE 99, 200, zum damals geltenden preußischen Verunstaltungsgesetz von 1907, nach dem die Normanwendung eine die vorhandene Verunstaltung beibehaltende oder steigernde Verunstaltung verhindern und so auf die allmähliche Besserung eines unbefriedigenden Zustandes hinwirken sollte. 638

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Außenbereich auswirkt, nur weil das Vorhaben in einer vergleichbaren Gemeinde ohne Vorbelastung möglicherweise noch nicht zu einer nennenswerten Beeinträchtigung öffentlicher Belange führen würde. Es darf also nicht zunächst die Beeinträchtigung ohne Vorbelastung ermittelt und sodann die Anforderungen, die an eine Verunstaltung zu stellen sind, für Gemeinden mit Vorbelastung herabgesetzt werden. Das Vorliegen einer Beeinträchtigung öffentlicher Belange bzw. einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes kann insofern nicht mithilfe von gewissermaßen rechnerischen Vergleichen mit anderen Gemeinden ermittelt werden.648 Die Unterscheidung, dass auf der einen Seite die Landschaft nicht völlig unberührt geblieben sein und auf der anderen Seite aber die Landschaft im Wesentlichen ihre Eigenart behalten haben muss, um noch schutzwürdig und erhaltenswert zu sein, erlangt Bedeutung für den Grad der optisch noch hinnehmbaren Beeinträchtigung durch das geplante Vorhaben. Bei einer besonders schutzwürdigen Landschaft wie das Vorliegen einer exponierten Lage ist ein geringerer Grad an Eingriff in die Landschaft durch das Vorhaben nötig um eine Verunstaltung zu begründen als in anderen Fällen.649 Eine besonders schöne Landschaft büßt außerdem ihre Wertigkeit durch eine starke Vorbelastung ebenso ein wie eine exponierte Lage. Die Umstände des Einzelfalls können allerdings auch so sein, dass umgekehrt eine besonders schöne und einzigartige Landschaft mit zunehmender Wertigkeit ein Mehr an Vorbelastung verträgt, ohne ihre Schutzwürdigkeit einzubüßen. Für weniger besondere und einzigartige Landschaftsbilder bedeutet dies, dass sie umso eher ihren Schutz bei Hinzutreten baulicher Anlagen verlieren, je weniger wertig sie sind.650 Die Vorbelastungen dürfen allerdings nicht dazu geführt haben, dass die Landschaft ihren besonderen Reiz verloren hat, wobei dieser Reiz grundsätzlich nicht bereits durch kleine Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes verloren geht. Insbesondere stellen Hochspannungsleitungen, die dem Landschaftsverlauf folgen, keine nennenswerte landschaftliche Vorbelastung dar, die die Schutzwürdigkeit einer Landschaft entfallen lassen.651 Dies schließt es aber nicht aus, dass technogene Vorbelastungen wie Hochspannungsmasten und -leitungen sowie ein Umsetzer oder ein Funkturm den Blick in die freie Landschaft erheblich stören können, was zu einem Entfall der Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes führen kann.652 bb) Beispiele baulicher Vorbelastungen Eine Vorbelastung kann sich letztlich darin zeigen, dass die Landschaft entweder durch eine Vielzahl von Bauten oder von einigen wenigen unschönen Bauwerken 648

BVerwG, Beschl. v. 13. 10. 1976 – 4 B 149.76 = BRS 30 Nr. 65. BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92. 650 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 651 OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 65. 652 SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 649

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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erheblich beeinträchtigt ist, sodass das Landschaftsbild durch eine weitere Bebauung nicht mehr zusätzlich belastet werden kann.653 Außenbereichsfremde Nutzungen, insbesondere gewerbliche Bauten, stellen dabei im Gegensatz zu land- und forstwirtschaftlichen Anlagen die Wertigkeit auch einer besonders schönen Landschaft besonders nachteilig in Frage und können die Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes entfallen lassen. Denn außenbereichsfremde Nutzungen beeinträchtigen nicht nur den öffentlichen Belang des bau­ planungsrechtlichen Verunstaltungsverbots, sondern betreffen auch den Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) durch eine im Außenbereich wesensfremde Nutzung.654 Die Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und das Verbot der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes können sich insoweit bei der Beurteilung von baulichen Vorbelastungen unter dem Gesichtspunkt des funktionalen Landschaftsschutzes überschneiden. Eine Landschaft kann damit ihre Schutzwürdigkeit durch bereits erfolgte anderweitige Eingriffe eingebüßt haben, wenn beispielsweise eine gewerbliche Überformung der fraglichen Umgebung stattgefunden hat.655 Auch bereits errichtete privilegierte Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB können die besondere Schutzwürdigkeit einer Landschaft entfallen lassen, wenn es sich nicht um landschaftstypische und -prägende Nutzungen wie land- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Anlagen, die der Allgemeinheit für Erholungszwecke zugänglich sind, handelt. So können vor allem standortgebundene privilegierte Vorhaben, wie beispielsweise solche, die Bodenschätze ausbeuten, sowohl einen erheblich negativen Einfluss auf das Landschaftsbild nehmen bzw. das Landschaftsbild nachhaltig stören, als auch erheblichen Einfluss auf die natürliche Eigenart der Landschaft nehmen. Vorhandene Windkraftanlagen können ebenso das Landschaftsbild nachhaltig vorbelasten und dessen Schutzwürdigkeit entfallen lassen, sodass das Hinzukommen weiterer Anlagen nicht mehr als zusätzliche Beeinträchtigung aufgefasst werden kann.656 Für die Erweiterung eines nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegierten Steinbruchs gilt, dass der bestehende Steinbruch mit einer Fläche von 10,43 ha bei einer nur kleinen Erweiterungsfläche von 2,57 ha eine Vorbelastung darstellt, die die etwaige besondere Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes entfallen lässt. Die Einsehbarkeit der Erweiterungsfläche fällt dabei angesichts der bereits vorhandenen großen Steinbruchfläche und des Abstands der Steinbrucherweiterung von ca. 1 km zu einer Burg, von der aus die Erweiterungsfläche teilweise einsehbar ist, nicht besonders ins Gewicht.657

653 VGH BW, Urt. v. 20. 05. 2003 – 5 S 1181/02 = DÖV 2003, 822 (823); EZBK / Söfker, § 35, Rn. 99; Schröter, S. 596. 654 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 655 BVerwG, Urt. v. 16. 06. 1994 – 4 C 20.93; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 61. 656 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 657 BayVGH, Beschl. v. 15. 06. 2011 – 22 ZB 10.2357, Rn. 23.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Eine Windkraftanlage, die auf einer besonders exponierten, von weit her einsehbaren Stelle auf einer bisher von vergleichbaren Anlagen unbelasteten und landschaftlich besonders reizvollen Landschaft errichtet werden soll, stellt typischerweise mit ihren Drehbewegungen der Rotorblätter einen enormen Blickfang dar.658 Das BVerwG hat insofern klargestellt, dass die anlagentypische Drehbewegung der Rotorblätter einer Windkraftanlage als Blickfang für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes nicht außer Betracht bleiben kann.659 Das OVG NRW entschied, dass die Aufstellung von zwei Windkraftanlagen am Hang des Sternliedsberges auch dann dem Landschaftsbild grob unangemessen ist, soweit sich in der näheren Umgebung vereinzelt Bebauung befindet. Da diese vereinzelte Bebauung für das Landschaftsbild nicht die Bedeutung habe erlangen können, um beispielsweise zu einer gewerblichen Überformung der Landschaft zu führen, habe die Landschaft ihre Schutzwürdigkeit nicht bereits durch anderweitige Eingriffe eingebüßt. Die in der Umgebung vorzufindenden eingeschossigen landwirtschaftlich genutzten Gebäude, insbesondere die fünf Schweinemastanlagen, hätten das Landschaftsbild aufgrund ihrer niedrigen Bauweise nicht dominieren können. Sie hätten damit nicht den Blick des Betrachters von der die Erhebung des Sternliedsbergs umgebenden Landschaft ablenken können. Der Blick gleite vielmehr über die bestehenden Gebäude hinüber.660 Das Vorhandensein einer Kreisstraße, die das Landschaftsbild durchläuft, führt nicht zwangsläufig zu einer nennenswerten Vorbelastung, soweit sie in keiner Weise aus dem vorhandenen Landschaftsbild hervortritt, sondern sich gerade im Gegenteil aufgrund ihres Alleencharakters in besonderer Weise in das Landschaftsbild einfügt. So können am Straßenrand vorhandene Birkenreihen besondere die Landschaft gliedernde Elemente darstellen – vergleichbar mit ansonsten im Landschaftsbild vorzufindenden Baumreihen, Feldgehölzen und kleineren Waldzonen.661 Es kann allerdings auch zu Lasten der Schutzwürdigkeit einer Landschaft zu berücksichtigen sein, dass sich der geplante Standort eines Vorhabens nur am Rande eines besonders schützenswerten Landschaftsbildes befindet. Liegt der Standort des Vorhabens in einem Bereich, in der ein Übergang der Landschaft hin zu menschlichen Siedlungsaktivitäten stattfindet, kann dies den besonderen Liebreiz eines Landschaftsbildes entfallen lassen. Das SächsOVG nahm dies in einem Fall einer Windkraftanlage an, deren Standort sich in Ortslage befand. Gegen die besondere Schutzwürdigkeit sprachen unter anderem die geringe Entfernung von 500 m des geplanten Standortes zu einem Neubaugebiet, knapp 3 km zu einem Gewerbegebiet und die unmittelbare Nähe zu einer Autobahn.662 Das Landschaftsbild ist außerdem nicht besonders schützenswert, soweit ein landwirtschaftliches Vorhaben auf einer 658 VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 54; VG Regensburg, Urt. v. 05. 07. 2007 – RO 7 K 06.469. 659 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01. 660 OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 64. 661 OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04 = NuR 2007, 215. 662 SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98.

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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Anhöhe errichtet werden soll und der Standort nicht isoliert von der übrigen Siedlung und exponiert in der schutzwürdigen Landschaft liegt, sondern am Rande eines durch landwirtschaftliche Hofstellen geprägten kleinen Weilers.663 Eine nennenswerte Vorbelastung des Orts- oder Landschaftsbildes kann jedoch gerade nur dann zugunsten der Errichtung des jeweiligen Bauvorhabens berücksichtigt werden und damit den Vorwurf einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes mangels erhaltenswerter Landschaft ausräumen, soweit die vorhandenen Bauten in der Umgebung in ihren relevanten Auswirkungen und Maßen denen des Bauvorhabens entsprechen, d. h. sie müssen hinsichtlich ihres Standortes und den daraus resultierenden Auswirkungen auf das Landschaftsbild denen des Vorhabens an seinem geplanten Standort gleich oder zumindest ähnlich sein.664 Selbst wenn bei einem Vorhaben auf einer Anhöhe in exponierter Lage in der Nachbarschaft hinsichtlich Größe und Bauweise identische Vorhabentypen vorhanden sind, können diese nur dann eine relevante Vorbelastung darstellen und die Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes entfallen lassen, soweit sie ebenfalls in exponierter Lage errichtet wurden. Ist ein Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig, weil diesem öffentliche Belange entgegenstehen, so lässt sich ein Genehmigungsanspruch nicht daraus herleiten, dass in der Umgebung bereits vergleichbare Anlagen vorhanden sind.665 Unter Anwendung dieses Grundsatzes kann bei Vorhaben, die aufgrund ihrer Größe und ihres exponierten Standortes optische Auswirkungen bis in die ferne Umgebung zeitigen, nur dann von einer beachtlichen Vorbelastung gesprochen werden, wenn zumindest ein Bauwerk in der näheren Umgebung die annähernd gleichen nachteiligen und erheblichen Wirkungen auf das Orts- oder Landschaftsbild besitzt. Sind demgegenüber Bauten vorhanden, die zwar auch das Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht in Mitleidenschaft ziehen, aber nicht den Grad des optischen Landschaftseingriffs erreichen wie das beabsichtigte Vorhaben, dann spielen sie für die Frage der Vorbelastung keine Rolle, weil sie nicht das Maß an Vorbelastung erreichen können, um einen erheblichen Eingriff in das Orts- oder Landschaftsbild seitens des beabsichtigten Vorhabens als unerheblich erscheinen zu lassen. Für die Feststellung der relevanten Vorbelastung des Landschaftsbildes und den durch das Vorhaben verursachten nachteiligen Auswirkungen auf das Orts- oder Landschaftsbild muss letztendlich mit ein und demselben Maß gemessen werden. Der VGH BW sah deshalb für die Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Windparks bestehend aus vier Windkraftanlagen auf einer Hochfläche der Lützelalb einen in der Nähe vorhandenen Fernsehumsetzer wegen seiner deutlich geringeren Höhe und Massivität nicht als beachtliche und die Schutzwürdigkeit 663

VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11. EZBK / Söfker, § 35, Rn. 99; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 86; Schröter, S. 596; für Anlagen der Außenwerbung Kollmann, S. 417. 665 BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444. 664

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

mindernde Vorbelastung an. Der Fernsehumsetzer sei nicht vergleichbar mit den an exponierter Stelle geplanten Windkraftanlagen mit ihren in den Blickfang fallenden Drehbewegungen ihrer Rotorblätter, die in einem „unangemessenen Kontrast zu der reich strukturierten, gegliederten und damit optisch ansprechenden Mittelgebirgslandschaft mit ihrem auf der Natürlichkeit, Schönheit und Vielfalt der freien Landschaft basierenden Erholungswert“ stünden.666 Die Landschaft zeichnete sich dabei durch ihren Charakter als Erholungsgebiet für die Bevölkerung aus, sodass vorhandene Bauten wie Wanderheime, Skihütten, Sprungschanzen sowie Skilifte nicht als Vorbelastung gewertet werden konnten, sondern vielmehr für die Annahme einer besonderen Schutzwürdigkeit der Landschaft als Erholungsgebiet sprachen. Auch einen Segelflugplatz ließ der VGH BW nicht als Vorbelastung gelten, denn auch dieser diene der Erholung und sportlichen Betätigung, die der Erholungssuchende in derartigen Gebieten erwarte. Diese der Erholung und sportlichen Betätigung dienenden Bauten können nicht mit den weitaus höher aufragenden und durch ihre Rotordrehbewegungen Unruhe verbreitenden Windkraftanlagen verglichen und damit nicht gleich behandelt werden, da sie sich nicht in annähernd gleicher Weise negativ auf die Umgebung auswirken.667 Eine Beeinträchtigung der Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes kommt darüber hinaus dann nicht in Betracht, wenn sich entweder das Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die Bodennutzung noch für Erholungszwecke eignet oder es seine Schutzwürdigkeit durch bereits erfolgte anderweitige Eingriffe eingebüßt hat.668 Auch hier dürften die Anforderungen an einen Verlust der Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes streng sein. Ist für einen ehemaligen Kiesabbau in einem wasserrechtlichen Bescheid die Verpflichtung zu einer Verfüllung und Rekultivierung vorgesehen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die mit einer vormaligen Abgrabung zwangsläufig verbundene Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft auf Dauer bestehen bleiben wird.669 So ist beispielsweise die Behauptung, Nebenbestimmungen zur Wiederauffüllung von Kiesgruben seien nicht möglich, da sie „bekanntermaßen oftmals schwer und teilweise überhaupt nicht behördlich durchsetzbar seien“, unsubstanziiert und nicht nachvollziehbar.670

666

VGH BW, Urt. vom 16. 10. 2002 – 8 S 737/02, Rn. 20. VGH BW, Urt. vom 16. 10. 2002 – 8 S 737/02, Rn. 20. 668 BVerwG, Beschl. v. 08. 07. 1996 – 4 B 120.96 – juris Rn. 3; BayVGH, Urt. v. 17. 01. 2011 – 15 B 10.1445; Beschl. v. 11. 08. 2011 – 15 ZB 11.1214 – juris Rn. 5; Beschl. v. 28. 12. 2016 – 15 CS 16.1774 – juris Rn. 48; Beschl. v. 12. 05. 2017 – 15 ZB 16.1567 – juris Rn. 36; Beschl. v.  12. 05. 2017  – 15 ZB 16.1568  – juris Rn. 35; Beschl. v. 19. 12. 2017  – 1 ZB 16.1301  – juris Rn. 9; Beschl. v.  06. 04. 2018  – 1 ZB 16.2599  – juris Rn. 7; Beschl. v.  04. 06. 2018  – 1 ZB 16.1905  – juris Rn. 10; Beschl. v.  27. 11. 2018  – 1 ZB 17.179  – juris Rn. 11; Beschl. v. 18. 02. 2019 – 15 ZB 18.2509, Rn. 10. 669 BayVGH, Beschl. v. 18. 02. 2008 – 22 ZB 06.1813; BayVGH, Beschl. v. 28. 12. 2016 – 15 CS 16.1774. 670 BayVGH, Urt. v. 16. 06. 2015 – 15 B 13.424. 667

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

141

j) Bedeutung der landschaftsgebundenen Erholung für eine bestimmte Region Das Vorliegen einer besonders schützenswerten Landschaft wird umso eher anzunehmen sein, soweit sich die konkrete Landschaft in Hinblick auf ihre Funktion für die landschaftsgebundene Erholung oder den Fremdenverkehr eignet. Die Bedeutung des Tourismus für eine bestimmte Region kann ein so gewichtiger öffentlicher Belang sein, dass im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung das Interesse des Bauherrn zurücktreten muss.671 Bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes kann schließlich eine Rolle spielen, dass gerade der Fernblick auch touristisch von Bedeutung ist. Dies kann beispielsweise bei einem Blick von der Wartburg in den Thüringer Wald und Richtung Rhön angenommen werden.672 Soweit der Blick von einem in unmittelbarer Nähe verlaufenden Weg aus in die freie Landschaft und zu einem nahegelegenen, historisch und touristisch besonders bedeutsamen Schloss nachhaltig behindert wird, der Bestandteil des Radwegs Deutsche Weinstraße sowie eines bekannten Wanderweges ist, stellt die Erhaltung eines einmalig schönen Landschaftsbildes, das ausschließlich von Weinbergen geprägt wird, die sich harmonisch in das Landschaftsbild einfügen, auch angesichts der Bedeutung des Tourismus für die Wirtschaft der umliegenden Gemeinden einen gewichtigen öffentlichen Belang dar.673 Eine Verunstaltung lässt sich umso leichter begründen, wenn die betroffenen Gemein­den auf den Fremdenverkehr angewiesen sind bzw. Entwicklungspotentiale auf dem Gebiet des Fremdenverkehrs vorweisen können. Ausschlaggebend muss sein, dass der Fremdenverkehr gerade durch das charakteristische und weitgehend unberührte Landschaftsbild angezogen wird und die Zulassung eines Vorhabens – wie im Falle der Zulassung von Windkraftanlagen – dieses Entwicklungspotential entwerten würde.674 Damit können sich als öffentliche Belange das Interesse an der Erhaltung und Entwicklung eines Raumes als Gebiet für den Fremdenverkehr und die Bedeutung einer Landschaft für die Erholungsmöglichkeiten der Allgemeinheit

671

VG Meiningen, Beschl. v. 25. 01. 2006 – 5 E 386/05 = NuR 2006, 395 (398); Scheidler, NuR 2010, 525 (530). 672 VG Meiningen, Beschl. v. 25. 01. 2006 – 5 E 386/05 = NuR 2006, 395 (398). 673 Eine Verunstaltung durch die Errichtung eines Weingutsgebäudes auf einem Areal, das ausschließlich von Weinbergen geprägt ist, die sich harmonisch in das Landschaftsbild einfügen, wurde durch das VG Neustadt an der Weinstraße (Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW – openJur 2020, 24318) bejaht, da das strittige Gebäude bei der vorhandenen – frei von störenden baulichen Elementen – unbeeinträchtigten Aussicht in dem bisher ausschließlich aus Weinbergen bestehenden Bereich deutlich sichtbar hervortreten und auffällig in das Blickfeld der Betrachter treten und dessen Fernsicht gravierend negativ beeinflussen würde, dass dies bereits als grob unangemessene Belastung für den ästhetischen Eindruck der Landschaft zu werten wäre. Es bestand auch keine Vorbelastung in Form von Zerschneidungen im Landschaftsbild durch optisch auffällige Hochspannungsleitungen oder Masten. 674 BayVGH, Urt. v. 24. 09. 2007 – 14 B 05.2149, Rn. 43 f.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

im Rahmen einer nachvollziehenden Abwägung gegenüber der planungsrechtlichen Privilegierung von Windkraftanlagen durchsetzen.675 In dem vom BayVGH entschiedenen Fall war die Umgebung von technischen Bauwerken im Wesentlichen unberührt. Es war damit keine markante und ins Wahrnehmungsbild fallende menschliche Siedlungstätigkeit zu verzeichnen, wobei die Landschaft in diesem Raum kleinräumig hügelig, kleinteilig und abwechslungsreich strukturiert sowie durch Feld, Wald, Grünland und dazwischen gelegenen Siedlungen gekennzeichnet war. Wegen ihrer Größe und der ständigen Drehbewegung der Rotoren würden die Windkraftanlagen besonders dominierend in das Wahrnehmungsbild des Betrachters fallen, weil sie die Proportionen des kleinteiligen Raumes sprengen würden.676 Diese Argumentation hätte sicherlich für sich genommen schon die Annahme der Verunstaltung eines besonders schützenswerten Landschaftsbildes begründet, wenn nicht der BayVGH festgestellt hätte, dass die Landschaft „nicht überragend schön“ gewesen sei. Die Schutzwürdigkeit der Landschaft in Hinblick auf ihre Funktion begründete der BayVGH dann damit, dass die Landschaft aus dem Zusammenspiel einer kleinteilig hügeligen Fläche mit ihrer Begrenzung, deutlich heraustretenden Höhenzügen und dem besonders markanten Profil eines vorhandenen Mittelgebirgshügels die Voraussetzungen für verschiedene Formen des Fremdenverkehrs bot. Die Landschaft ziehe Erholungssuchende an, die den Kontakt zur Natur und Landschaft suchen, die zugleich aber touristisch stärker genutzte Räume meiden. Für die Annahme eines für den Fremdenverkehr bedeutsamen Raumes spreche weiterhin die Vielzahl von Denkmälern, die zwar nicht einzeln, aber in ihrer Gesamtheit und Dichte touristisch attraktiv seien. Die ruhige und hügelige Landschaft sei außerdem kulturhistorisch von besonderem Wert, weil sie einen hohen Waldanteil aufweise.677 Neben der Bedeutung des Fremdenverkehrs für eine bestimmte Region kann auch eine Landschaft, die sich besonders zur landschaftsgebundenen Erholung eignet, besonders schutzwürdig sein. Dies ist dann der Fall, wenn sich das gesamte Gebiet aufgrund seiner Vielfalt und Eigenart in der naturräumlichen Ausstattung sowie seiner Schönheit besonders gut für die landschaftsgebundene Erholung eignet.678 Es ist allerdings bei privilegierten Windkraftanlagen zu berücksichtigen, dass sie den Erholungswert einer Landschaft grundsätzlich nicht derart empfindlich stören, dass dieser Belang der privilegierten Nutzung entgegenstehen könnte. Eine andere Bewertung mag zwar im Zusammenhang mit Kurbereichen oder einem sonstigen Gelände, in dem die ruhige Erholung absoluten Vorrang hat, angezeigt sein.679 675

BayVGH, Urt. v. 24. 09. 2007 – 14 B 05.2149, Rn. 44. BayVGH, Urt. v. 24. 09. 2007 – 14 B 05.2149, Rn. 41. 677 BayVGH, Urt. v. 24. 09. 2007 – 14 B 05.2149, Rn. 43. 678 VG Schwerin, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 A 4596/15 SN. 679 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 40; OVG NRW, Urt. v. 30. 11. 2001 – 7 A 4857/00, Rn. 181. 676

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

143

Windkraftanlagen können jedenfalls dann den Erholungswert einer Landschaft nicht empfindlich stören und zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führen, soweit die Umgebung in einem allgemeinen Wegenetz eingebunden ist, das namentlich für Ausflüge und Spaziergänge geeignet ist. Diese Formen der Naherholung werden nämlich durch den optischen Eindruck von Windkraftanlagen und die mit ihnen verbundenen Geräuscheinwirkungen nicht gravierend beeinträchtigt.680 Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund eines Gewöhnungseffektes der Naherholungssuchenden zu sehen. „Normale“ Erholungssuchende werden zwar einen Aufenthalt in unmittelbarer Nähe zur Windenergieanlage meiden, sich aber ansonsten nicht empfindlich von der Anlage gestört fühlen.681 Ein geplanter Gärrestebehälter aus Stahlbeton mit einem lichten Durchmesser von 40 m und einer sichtbaren Höhe von 2 m, der von einem Maschendrahtzaun und einer geschotterten Umfahrung umgeben ist, stellt eine erhebliche Beeinträchtigung der Erholungsfunktion der Umgebung dar, soweit er in einer Landschaft errichtet werden soll, die eine besondere Bedeutung für die Erholung besitzt und die durch naturnahe Landschaftsstrukturen geprägt ist.682 An dieser Bewertung ändert sich auch dann nichts, soweit der Behälter in einer topographischen Senke am Rande eines Hügels errichtet werden soll. Dadurch wird seine Sichtbarkeit lediglich aus weiter Entfernung verringert. Allerdings bleibt die Beeinträchtigung der Erlebbarkeit der naturnahen Landschaftsstrukturen durch die optischen Auswirkungen und die zu erwartenden Geruchsimmissionen weiter bestehen.683 Auch nach Ansicht des OVG NRW können trotz des gesetzgeberischen Motivs, Windkraftanlagen im Außenbereich anzusiedeln, diese nicht an exponierter Stelle errichtet werden, soweit die Landschaft von Tagestouristen besucht wird und diese ein Interesse daran haben, von einem besonders touristisch wertvollen Aussichtspunkt aus „das bestehende grandiose Panorama möglichst ungeschmälert genießen zu können“. Auch hier setzt sich der öffentliche Belang, ein bestehendes Landschaftsbild zu erhalten, gegenüber dem gesteigerten Durchsetzungsvermögen der Windkraftanlagen durch, wenn für eine bestimmte Region, wie hier im entschiedenen Fall das Sauerland, der Tourismus für die lokale Wirtschaft von herausragender Bedeutung ist.684 Für die Bewertung der Schutzbedürftigkeit einer Landschaft einschließlich ihrer Umgebung ist auf ihre natürliche Schönheit und Funktion als Wander- und Erholungsgebiet abzustellen, soweit sich diese durch ihre weitgehende Unberührtheit, 680 BayVGH, Urt. v.  30. 06. 2005  – 26 B 01.2833, Rn. 40; BayVGH, Urt. v.  01. 10. 2007  – 15 B 06.2356; OVG NRW, Urt. v.  30. 11. 2001  – 7 A 4857/00, Rn. 181; VG Minden, Urt. v. 17. 02. 2004 – 1 K 1067/02, Rn. 76. 681 BayVGH, Urt. v.  30. 06. 2005  – 26 B 01.2833, Rn. 40; BayVGH, Urt. v.  01. 10. 2007  – 15 B 06.2356. 682 VG Schwerin, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 A 4596/15 SN. 683 VG Schwerin, Urt. v. 15. 12. 2016 – 2 A 4596/15 SN. 684 OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, 55.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Ruhe und besondere Abgeschiedenheit auszeichnet und landschaftlich besonders reizvoll ist. Windkraftanlagen sind dann diesem Landschaftsbild grob unangemessen, soweit sie mit ihren Maßen die Proportionen, die das Gelände in ihrer näheren und weiteren Umgebung besitzt, sprengen und den Landschaftsraum weithin als bauliche Anlagen dominieren und das Erscheinungsbild und den Charakter der weithin unberührten Landschaft zerstören.685 Der VGH BW stellte in diesem Sinne auf die besondere Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes wegen seiner Schönheit und Funktion als Wander- und Erholungsregion ab. So verunstalte die beabsichtigte Errichtung dreier Windkraftanlagen auf einem unbewaldeten, weithin einsehbaren Höhenrücken des Hotzenwaldes das Landschaftsbild. Erholungssuchende, die sich den Anlagen hangaufwärts nähern, sähen sich unvermittelt mit diesen konfrontiert, die an dieser Stelle beim Betrachter großes Missfallen auslösen würden.686 Die Lage des Vorhabens in dem Naturpark „Südschwarzwald“, dessen Zweck es ist, das sich teilweise über fünf Landkreise und einen Stadtkreis erstreckende Gebiet als vorbildliche Erholungslandschaft zu entwickeln und zu pflegen, komme auch unabhängig davon besondere Bedeutung zu, dass das Gebiet großflächiger und weniger intensiv unter Schutz gestellt sei als durch eine Natur- oder Landschaftsschutzverordnung, da die Hochfläche offene Sichtbeziehungen böte, die einen „herrlichen Panoramablick auf die Höhenzüge des Schweizer Jura“ besitzen. Neben der besonderen Schönheit der Landschaft sah es der VGH BW als ausschlaggebend an, dass die geplanten Windkraftanlagen die durch eine abwechselnde Struktur von Grünland, Büschen, Bäumen und Waldsäumen, durch unzerschnittene Räume, Ruhe und weitgehende Unberührtheit bei offenen Sichtbeziehungen ringsherum vorgegebenen Proportionen sprengen und das Landschaftsbild dominieren würden, wobei die Drehbewegungen der Rotoren einen zusätzlichen negativen Beitrag leisten, indem sie durch ihre optische Unruhe das weitgehend unberührte und ruhige Landschaftsbild zerstören.687 Festzuhalten bleibt, dass zur Annahme einer besonderen Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes nicht nur die touristische Nutzung der näheren Umgebung des beabsichtigten Vorhabens relevant sein kann, sondern unter Umständen auch der Bedeutung einer Region für Tagesausflügler hinreichendes Gewicht bei der Frage nach der Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes beizumessen ist.688

685 VGH BW, Urt. v. 20. 05. 2003 – 5 S 1181/02, Rn. 32; VG Freiburg, Urt. v. 03. 05. 2004 – 2 K 2008/02, Rn. 30. 686 VGH BW, Urt. v. 20. 05. 2003 – 5 S 1181/02, Rn. 32. 687 VGH BW, Urt. v. 20. 05. 2003 – 5 S 1181/02, Rn. 30. 688 BayVGH, Urt. v. 24. 09. 2007 – 14 B 05.2149, Rn. 43 f.; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, UPR 2005, 159.

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

145

2. Besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild Ein besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild liegt vor, wenn das Vorhaben in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen im Verhältnis zu seiner Umgebung ist.689 Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine zu errichtende Windfarm eine hervorstechende Dominanz in Bezug auf reizvolle Talschaften hätte.690 Die Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB setzt eine besondere Schutzwürdigkeit der Landschaft nicht zwingend voraus. Eine Verunstaltung kann sich auch durch einen besonders groben Eingriff in das Ort- oder Landschaftsbild ergeben. Denn das Maß der umgebungsbezogenen Gestaltungsanforderungen ist abhängig vom gestalterischen Eigenwert der Umgebung. Dies hat zur Folge, dass bei gestalterisch besonders wertvollen Ortsoder Landschaftsbildern die Grenze zur Verunstaltung schneller erreicht wird als bei einer schlichten Umgebung.691 Ebenso kann in einer Zusammenschau der Um­ stände des jeweiligen Einzelfalles einem besonders exponierten Standort heraus­ ragende Bedeutung zukommen.692 Jedenfalls liegt kein grober Eingriff in eine durch Straßen, Wiesen und Wald geprägte Landschaft vor, soweit ein in seinen Maßen regelmäßig langer und breiter Schweinestall mit Massentierhaltung an einem nicht exponierten Standort errichtet werden soll. Die Tatsache eines störenden Eindrucks großer landwirtschaftlicher Gebäude in malerischer – aber nicht besonders schutzwürdiger – Umgebung genügt dafür nicht.693 Vor allem landschaftsfremde Vorhaben auf einer exponierten Höhenlage stellen einen besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild dar, die aufgrund ihrer Größe und massiven Bauweise „wie ein weithin sichtbarer, störender Fremdkörper“ wirken.694 Eine „nicht originär landwirtschaftliche ehemalige Flugplatzhalle“ kann am Rande des Westerwaldes das Bild der „gefälligen, im landschaftlichen Gesamtbild wohltuenden Mittelgebirgslandschaft“ in ihrem ästhetischen Wert „krass“ stören, soweit sie aus dem Bild der umliegenden Landschaft auf der Anhöhe unmittelbar hervorspringt. Dies ist der Fall, wenn die Halle freistehend „in der mit Bäumen oder Baumgruppen locker durchsetzten Wiesenlandschaft, die sich mit kleinteiligen

689 BVerwG, Urt. v.  22. 06. 1990  – 4 C 6.87, NVwZ 1991, 64 (65); NdsOVG, Urt. v. 10. 01. 2008 – 12 LB 22/07 = ZfBR 2008, 366 (372); OVG NRW, Urt. v. 30. 11. 2001 – 7 A 4857/00 = NVwZ 2002, 1135 (1140); VGH BW, Urt. v. 20. 05. 2003 – 5 S 1181/02 = DÖV 2003, 822 (823); VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K 15.4998; BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn. 77; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; EZBK / Söfker, § 35, Rn. 99; Knuth, NuR 1985, 8 (14); Scheidler, NuR 2010, 525 (530); Schröter, S. 595, 599. 690 Scheidler, NuR 2010, 525 (527); zum Begriff der Windfarm siehe näher VG Würzburg, Urt. v. 05. 12. 2017 – W 4 K 15.530, Rn. 46 m. w. N. 691 Kapell, S. 55; Moench / Schmidt, S. 16 m. w. N. aus der obergerichtlichen Rspr. das umgebungsbezogene Verunstaltungsverbot der Länder betreffend. 692 BRS / Bracher, Rn. 2366. 693 VG München, Urt. v. 27. 07. 2016 – M 9 K 15.4998. 694 HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Kuppen und Mulden bei insgesamt interessanter und ansprechender Reliefstruktur fortsetzt“, errichtet werden soll.695 Für einen besonders groben Eingriff in das Orts- und Landschaftsbild reicht es hingegen nicht aus, dass die äußere Gestaltung eines Milchviehstalls mit abgerundeter Satteldachform und einer Kunststofffolie als Dach- und Außenwandabdeckung optische Unruhe in einer reizvollen Landschaft mit kleineren Hofstellen schafft, deren Haupt- und Nebengebäude in zumeist „traditioneller“ Form mit ziegelgedeckten Satteldächern errichtet sind. Denn § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB bewahrt das Orts- und Landschaftsbild eines nicht förmlich geschützten Landschaftsteils nicht vor jeglicher Veränderung, sondern nur vor einer Verunstaltung. Ein Blickfang, der zudem optische Unruhe schafft, liegt zwar durch die von der Umgebung abweichende Gestaltung des neuartigen landwirtschaftlichen Betriebsgebäudes vor, was aber nicht zur Annahme eines extremen Fremdkörpers in dem durch Landwirtschaft geprägten Landschaftsbild führt. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Gestaltung des Vorhabens mit einer angedeuteten Satteldachform im Grundsatz den Formen landwirtschaftlicher Gebäude in der Umgebung in moderner Gestaltung anzupassen sucht.696 Im Zusammenhang mit Windkraftanlagen gilt, dass ein besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild nicht allein damit begründet werden kann, dass Windkraftanlagen regelmäßig an exponierten Standorten – und nicht etwa im Tal oder sonst an verdeckten Standorten – errichtet werden. Denn der Gesetzgeber kannte die Standortbedingungen von Windkraftanlagen bei seiner Entscheidung, diese generell dem Außenbereich zuzuweisen.697 Windkraftanlagen sind regelmäßig auf einen einigermaßen exponierten Standort in Hinblick auf die bestmöglichste Windausbeute angewiesen.698 Entsprechendes gilt auch für den Umstand, dass Windenergieanlagen aufgrund ihrer Größe markant in Erscheinung treten.699 Von einer Verunstaltung des Landschaftsbildes kann aber dann ausgegangen werden, wenn Windkraftanlagen gerade auf einer markanten Kuppe errichtet werden sollen.700 Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes liegt auch im Falle der Errichtung von Windenergieanlagen auf einem Höhenzug vor, soweit sich von einem besonders touristisch wertvollen Aussichtspunkt aus ein weiter Blick auf ansprechende Hügellandschaften mit einzigartigen Charakteristika bietet, die geprägt sind „durch das unterschiedliche Auf und Ab der Kuppen und Höhenzüge, die die reizvollen Tallagen mit ihren abwechslungsreichen Landschaftselementen begrenzen“.701

695

HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93. VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11. 697 BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 698 SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 699 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 700 SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 701 OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01. 696

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

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Ein besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild liegt im Zusammenhang mit der Errichtung einer Windkraftanlage nicht vor, soweit sie das Landschaftsbild aus einiger Entfernung optisch nicht mehr wesentlich stört, selbst wenn der sich drehende Rotor der Windkraftanlage geeignet ist, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Insofern ist wiederum die gesetzgeberische Entscheidung zu berücksichtigen, die Windenergievorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB als im Außenbereich privilegiert ansieht. Für die Beurteilung, ob ein besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild vorliegt, spielt es außerdem eine Rolle, ob es sich um eine einzelne oder mehrere Anlagen handelt. Denn eine einzelne Anlage kann – soweit es sich nicht um einen exponierten Anlagestandort handelt – aus einiger Entfernung derart in den Hintergrund treten, dass sie regelmäßig nicht mehr als störendes Element im Landschaftsbild wahrnehmbar ist.702 Ebenso liegt kein grober Eingriff in das Landschaftsbild vor, wenn es sich um eine einzelne Windenergieanlage handelt, die nicht auf einer herausragenden Erhebung errichtet werden soll und durch die hügelige Landschaft ganz oder teilweise verdeckt wird.703 3. Zusammenfassung Soweit die Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines privilegierten Vorhabens im Außenbereich im Raum steht, legen die Obergerichte den Belang der Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB einschränkend aus, um damit das stärkere Durchsetzungsvermögen privilegierter Vorhaben (§ 35 Abs. 1 BauGB) gegenüber den sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) auszudrücken. Danach muss das Orts- oder Landschaftsbild „wegen seiner Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdig“ sein oder es muss ein „besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild“ vorliegen.704 Allerdings wurde im Abschnitt „Besonderheiten zwischen privilegierten (§ 35 Abs. 1 BauGB) und sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) in Hinblick auf den Verunstaltungsbegriff“705 herausgearbeitet, dass eine Verunstaltung nur ausnahmsweise angenommen werden kann, sodass die von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen gleichermaßen für privilegierte und sonstige Vorhaben gelten. Ein Landschaftsbild ist wegen seiner Schönheit dann besonders schützenswert, wenn sich das Landschaftsbild durch prägende, unverwechselbare und einzigartige landschaftsbildende Elemente auszeichnet.706 Aber auch dann muss das Vorhaben 702

BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356. BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2014 – 22 B 13.1358, Rn. 44. 704 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 34; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; OVG LSA, Urt. v. 06. 02. 2004 – 2 L 5/00. 705 Abschnitt B. III. 7. 706 Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 703

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

im Verhältnis zum schützenswerten Landschaftsbild einen „erheblichen Störfaktor“ darstellen.707 Die Schutzbedürftigkeit einer Landschaft kann dabei nicht davon abhängen, ob die zuständige Naturschutzbehörde Anlass für eine Unterschutzstellung gesehen hat.708 Eine aufgrund ihrer Schönheit besonders schützenswerte Landschaft liegt vor allem bei naturschutzfachlich besonders schützenswerten Landschafts­ bildern wie historischen Kulturlandschaften und Landschaftsteilen mit charakteristischer Eigenart und Bedeutung für das Landschaftsbild vor.709 Eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes einer „durchschnittlichen Kulturlandschaft“ reicht hingegen nicht aus, um eine Verunstaltung annehmen zu können.710 Bei der Prüfung, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt, ist allein auf das rein tatsächliche Orts- oder Landschaftsbild abzustellen. Die Schutzwürdigkeit einer Landschaft wird demnach nicht dadurch gesteigert, dass dieser Landschaft durch ein Regelwerk im weitesten Sinne ein bestimmtes Maß an Schutzwürdigkeit zuerkannt wird.711 In ästhetischer Hinsicht verbietet sich regelmäßig die Positionierung eines Vorhabens an einer hervorgehobenen Stelle im Landschaftsbild.712 In jedem Falle hängt die Bewertung, ob „die Schwelle zur Verunstaltung“ überschritten ist, von der jeweiligen Situation ab, wobei bei einem Bauvorhaben, das in exponierter Lage in der Landschaft errichtet werden soll, ein schärferer Maßstab angezeigt sein mag.713 Eine exponierte Lage liegt dann vor, soweit das Vorhaben „als Blickfang“ in den Blick des Betrachters gerät.714 Bei einem Bauvorhaben mit Fernwirkung kommt es allerdings nicht darauf an, von wie vielen Ausblicksstandorten es eingesehen werden kann.715 Das Vorliegen einer exponierten Lage kann auch als Unterfallgruppe des Eingriffs in ein „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswertes Landschaftsbild“ verstanden werden.716 Daraus erklärt sich, dass neben dem Vorliegen eines exponierten Standortes ein prägendes – über das Vorhandensein von landwirtschaftlicher Nutzfläche hinausgehendes – Landschaftsbild vorliegen muss,

707

OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04 = NuR 2007, 215; Verunstaltung des Landschaftsbildes durch ein Weingutsgebäude unterhalb des Hambacher Schlosses bejaht von VG Neustadt a. d. W., Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW, openJur 2020, 24318. 708 BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67, Rn. 21; BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95, Rn. 20; VG Regensburg, Urt. v. 05. 07. 2007 – RO 7 K 06.469; Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 709 BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384, Rn. 30; Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 710 BayVGH, Urt. v.  30. 06. 2005  – 26 B 01.2833, Rn. 36; BayVGH, Urt. v.  01. 10. 2007  – 15 B 06.2356. 711 OVG Bln-Bbg., Urt. v. 14. 12. 2006 – 11 B 11.05. 712 Stollmann, JuS 2003, 855 (859). 713 OVG NRW, Urt. v.  12. 06. 2001  – 10 A 97/99, Rn. 55; BayVGH, Urt. v.  30. 06. 2005  – 26 B 01.2833, Rn. 32. 714 OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98 = BauR 2001, 222. 715 VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02, Rn. 21. 716 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164).

IV. Verunstaltung des Landschaftsbildes 

149

um zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes zu führen. Allerdings muss die Landschaft nicht den Grad an besonderer Schutzwürdigkeit aufweisen, als insoweit von der obergerichtlichen Rechtsprechung für die Fallgruppe des „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswerten Landschaftsbildes“ gefordert wird. Wird ein Vorhaben an einem exponierten Standort errichtet, dann kann eine Verunstaltung des Landschaftsbildes auch darin begründet sein, dass das Vorhaben in seiner Umgebung wesensfremd wirkt, soweit es weder in seiner äußeren noch in seiner funktionalen Gestaltung der naturgemäßen Zweckbestimmung und Nutzungsweise der Landschaft entspricht.717 Der maßstabsbildende Bereich, der das schützenswerte Landschaftsbild ausmacht, also der in die Betrachtung des Landschaftsbildes einzubeziehende Umgebungsrahmen, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles.718 Unbebaute Gebiete müssen nicht zwangsläufig schutzwürdig sein – dies gilt auch dann, wenn „weite Teile des übrigen Kreisgebiets durch ein hohes Maß an Zersiedlung geprägt sind“.719 Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot beschränkt sich daher nicht auf die nähere Umgebung einer Gemeinde, sondern bezieht als Beurteilungsmaßstab bei Vorhaben mit Fernwirkung auch einen Fernblick auf das Vorhaben oder vom Vorhabenstandort mit ein.720 Deswegen beschränkt sich die Prüfung der optischen Auswirkungen eines Vorhabens gem. § 35 Abs. 1 BauGB auch nicht auf das Gebiet einer bestimmten Gemeinde – in der alle privilegierten Vorhaben verwirklicht werden müssten –, sondern spricht allgemein von dem Außenbereich, der nicht an Gemeinde- oder Landesgrenzen gebunden ist.721 Die Beachtung dieser Maßstäbe kann dazu führen, dass große Gebiete in Deutschland für bestimmte Nutzungen mit erheblicher Fernwirkung – wie insbesondere die Windenergienutzung – nicht zur Verfügung stehen können.722 Die Annahme einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ist im Einzelfall bei Hinzutreten weiterer Umstände umso eher anzunehmen, soweit im konkreten Einzelfall – auch bei einem privilegierten Vorhaben – dem Bauherrn Standortalternativen zur Verfügung stehen, an denen das Vorhaben optisch weniger in Erscheinung tritt.723 Eine Standortauswahl setzt allerdings voraus, dass es sich um ein nicht standortgebundenes Vorhaben handelt. Bei privilegierten Vorhaben gilt es weiterhin zu beachten, dass sie grundsätzlich dem Außenbereich zugewiesen sind und daher von einem unvoreingenommenen Betrachter als Teil der Kulturlandschaft wahrgenommen werden und daher eher hinzunehmen sind als sonstige Vorhaben.724

717

BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261. Hornmann, NVwZ 2006, 969 (971). 719 OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. 720 Stüer, S. 599. 721 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 722 Schröter, S. 599 f. 723 OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98 = BauR 2001, 222. 724 Knuth, NuR 1985, 8 (15). 718

150

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Für die Annahme einer wegen ihrer besonderen Schönheit schützenswerten Landschaft ist es nicht ausgeschlossen, dass das Landschaftsbild im Nahbereich vereinzelt menschliche Siedlungstätigkeiten erkennen lässt, soweit sie beim Anblick eines ansonsten unberührten und natürlichen Landschaftsbildes keinen Fremd­ körper darstellen.725 Landschaftstypische Nutzungen wie land- und forstwirtschaftliche Vorhaben stellen zumindest regelmäßig das Landschaftsbild nicht in Frage.726 Gleiches gilt für Ortschaften, Weiler und Gehöfte, die sich nicht an exponierten Stellen auf Höhenlagen befinden, sondern geschützt in Niederungen angesiedelt sind.727 Andererseits können sogar vereinzelt im Nahbereich erkennbare landwirtschaftliche Anwesen die Charakteristik einer abwechslungsreichen und beeindruckenden Umgebung von besonderer landschaftlicher Schönheit noch eher etwas verstärken.728 Nennenswerte Vorbelastungen des Landschaftsbildes durch bauliche Anlagen, die in ihren Auswirkungen auf das Orts- oder Landschaftsbild den erwarteten Auswirkungen ähneln, die vom geplanten Vorhaben ausgehen, oder diese gar noch übertreffen, können den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ausräumen.729 Ihre optisch-ästhetische Schutzwürdigkeit verliert eine Landschaft dann nicht, wenn sie im Wesentlichen ihre Eigenart in Hinblick auf das Orts- oder Landschaftsbild behalten hat, selbst wenn sie nicht vollkommen unberührt geblieben ist.730 Außenbereichsfremde Nutzungen, insbesondere gewerbliche Bauten, stellen dabei im Gegensatz zu land- und forstwirtschaftlichen Anlagen die Wertigkeit auch einer besonders schönen Landschaft besonders nachteilig in Frage und können die Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes entfallen lassen.731 Allerdings kann auch zu Lasten der Schutzwürdigkeit einer Landschaft zu berücksichtigen sein, dass sich der geplante Standort eines Vorhabens nur am Rande eines besonders schützenswerten Landschaftsbildes befindet.732 Das Vorliegen einer besonders schützenswerten Landschaft wird umso eher anzunehmen sein, soweit sich die konkrete Landschaft in Hinblick auf ihre Funktion für die landschaftsgebundene Erholung oder den Fremdenverkehr eignet. Die Bedeutung des Tourismus für eine bestimmte Region kann ein so gewichtiger öffentlicher Belang sein, dass im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung das Interesse des Bauherrn zurücktreten muss.733

725

BayVGH, Urt. v. 23. 06. 2003 – 14 B 01.2423, Rn. 18; Scheidler, NuR 2010, 525 (528). Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 727 OVG NRW, Urt. v. 28. 04. 2005 – 7 A 357/02, Rn. 54. 728 BayVGH, Urt. v. 23. 06. 2003 – 14 B 01.2423, Rn. 18. 729 EZBK / Söfker, § 35, Rn. 99; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 86. 730 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71, Rn. 21 m. w. N.; OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98, BauR 2001, 222 (223); BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92; Schröter, S. 596. 731 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 732 SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 733 Scheidler, NuR 2010, 525 (530). 726

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

151

Das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB setzt eine besondere Schutzwürdigkeit der Landschaft nicht zwingend voraus. Eine Verunstaltung kann sich auch durch einen besonders groben Eingriff in das Orts- oder Landschaftsbild ergeben. Einen besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild stellen vor allem landschaftsfremde Vorhaben auf einer exponierten Höhenlage dar, die aufgrund ihrer Größe und massiven Bauweise „wie ein weithin sichtbarer, störender Fremdkörper“ wirken.734

V. Verunstaltung des Ortsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB Im Bauplanungsrecht finden sich an unterschiedlichen Stellen Vorschriften, die den Schutz vor baulichen Verunstaltungen und ästhetischen Beeinträchtigungen zum Gegenstand haben. An dieser Stelle gilt es, die unterschiedliche Zielrichtung des für Vorhaben im unbeplanten Innenbereich geltenden § 34 Abs. 1 BauGB und des allgemeinen bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbotes herauszuarbeiten. Außerdem soll die über das Einfügungsgebot hinausreichende Bedeutung des optisch-ästhetischen Harmoniegebotes des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB näher beleuchtet werden. Der für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeitsprüfung von Vorhaben im Außenbereich bedeutsame Belang der Verunstaltung des Ortsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB wird selbstverständlich eingehend mit seinen Bezügen zur Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB dargestellt. Ein Abwehrrecht zugunsten der Gemeinde gegen die Zulassung von Vorhaben im Außenbereich besteht außerhalb des Anwendungsbereichs von § 36 BauGB nur dann, wenn die Gemeinde dem Vorhaben hinreichend konkrete Planungsabsichten entgegenhalten oder eine Verletzung ihres Selbstgestaltungsrechts geltend machen kann. Das bloße Vorliegen eines durch das Vorhaben verunstalteten Orts- oder Landschaftsbildes reicht hierfür regelmäßig nicht aus. Daraus folgt sogleich, dass die Gemeinde außerhalb einer möglichen Verletzung ihres Selbstgestaltungsrechtes keine ästhetischen Beeinträchtigungen – insbesondere auch ästhetische Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes – rügen kann, da der Landschaftsschutz nicht zum gemeindlichen Aufgabenkreis gehört.

734

HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93.

152

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

1. Einfügungsgebot (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB), Beeinträchtigung des Ortsbildes (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB), Verunstaltung des Ortsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und bauordnungsrechtliches Verunstaltungsverbot Zahlreiche bundes- und landesrechtliche Vorschriften haben sich dem Schutz des Ortsbildes verschrieben. Das „Ortsbild“ ist Schutzobjekt sowohl in § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB als auch in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Die Beeinträchtigung des Ortsbildes stellt im Rahmen der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsprüfung eines Vorhabens im unbeplanten Innenbereich ein die Zulässigkeit verhinderndes Ausschlusskriterium dar, während die Verunstaltung des Ortsbildes im Rahmen der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsprüfung eines Vorhabens im Außenbereich als ein in der nachvollziehenden Abwägung überwindbarer öffentlicher Belang ausgestaltet ist. Nach der h. M. in der Rechtsprechung und Literatur muss jedenfalls das Ortsbild im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB eine besondere Wertigkeit und einen besonderen Charakter aufweisen, um im unbeplanten Innenbereich zu einer Unzulässigkeit eines – ansonsten sich gegebenfalls sogar in die Eigenart der näheren Umgebung einfügenden (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) – Vorhabens zu führen. Es ist außerdem möglich, dass sich ein Innenbereichsvorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB), aber gleichwohl zu einer bauwerks- oder umgebungsbezogenen, bauordnungsrecht­ lichen Verunstaltung führt, § 9 MBO.735 a) Das Verbot der Ortsbildverunstaltung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und das Verbot der Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) Für die Beurteilung einer Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB ist nach der h. M. zu berücksichtigen, dass nicht jedes Ortsbild schützenswert ist, nur weil es durch eine gewisse Einheitlichkeit oder Gleichartigkeit der Bebauung oder einzelner Elemente der Bebauung geprägt ist. Denn nach Auffassung des BVerwG müsse eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) für Einschränkungen der Baufreiheit hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange auf ihrer Seite haben (Art. 14 Abs. 2 GG). Sie dürfe selbst im unbeplanten Innenbereich nicht darauf hinauslaufen, dass das Vorhandene in jeder Beziehung das Maß des Zulässigen bestimme, nur weil es schon vorhanden sei. Das Ortsbild müsse vielmehr regelmäßig eine gewisse Wer-

735

§ 9 Musterbauordnung: Bauliche Anlagen müssen nach Form, Maßstab, Verhältnis der Baumassen und Bauteile zueinander, Werkstoff und Farbe so gestaltet sein, dass sie nicht verunstaltet wirken. Bauliche Anlagen dürfen das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild nicht verunstalten.

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

153

tigkeit für die Allgemeinheit haben, um schützenswert zu sein und die Baugestaltungsfreiheit des Eigentümers einschränken zu können.736 Das BVerwG nimmt daher an, dass nicht das Ortsbild, wie es allgegenwärtig ist, bereits schutzwürdig ist, sondern nur dasjenige Ortsbild, das einen besonderen Charakter bzw. eine gewisse Eigenheit besitzt, die dem Ort oder dem Ortsteil eine aus dem Üblichen herausragende Prägung verleiht.737 Die Eintragung in die Denkmalliste ist ein starkes Indiz für die von der Rechtsprechung verlangte besondere, aus der „Masse“ herausragende Wertigkeit eines Ortsbildes, soweit sie nicht durch gegenteilige Gesichtspunkte entkräftet wird.738 Eine Rheinsilhouette ist in diesem Sinne besonders schützenswert, soweit sich die Rheinfront dadurch kennzeichnet, dass die Anzahl der Geschosse und damit die Höhe der Bebauung von Süden nach Norden mehr oder weniger kontinuierlich abnehmen.739 Die Verunstaltung des Ortsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) setzt – im Gegensatz zur h. M. über das Verbot der Ortsbildbeeinträchtigung – nicht unbedingt voraus, dass die als „Ortsbild“ in Erscheinung tretende Bebauung eine besondere Harmonie zum Ausdruck bringen, „einem bestimmten städtebaulichen Ordnungsbild“ entsprechen oder „eine bestimmte städtebauliche Ordnung“ verkörpern muss. Es ist jedoch der Ansicht des BVerwG, die eine besondere Wertigkeit für den Tatbestand der Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) fordert, nicht zuzustimmen. Denn die mindere „Güte“ des jeweils vorgegebenen „Orts­ bildes“ führt nicht zu der Frage, ob es sich um ein „Ortsbild“ handelt, sondern gibt vielmehr Anlass zu fragen, ob es sich bei einem Eingriff in dieses Bild schon um eine „Beeinträchtigung“ handelt.740 Die Vorschrift will auch gewöhnliche Ortsbilder vor einer nachteilhaften Beeinträchtigung schützen. Der Wortlaut der Vorschrift bietet nämlich keinen Anlass für eine qualitative Differenzierung und dafür, „normale“ Ortsbilder vom Ortsbildschutz auszunehmen.741 Auch das Argument, nur hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange dürften die Baufreiheit einschränken, überzeugt nicht, da es sich bei der Eigentumsfreiheit und insbesondere der daraus abgeleiteten Baufreiheit um bloße Institutsgarantien handelt, deren Inhalt und Schranken gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Gesetze bestimmt werden. Gerade das Grundeigentum ist dabei aufgrund seiner Einbettung in die nähere Umgebung und seines besonders ho 736

BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 17; VG Ansbach, Urt. v. 23. 03. 2011 – AN 18 K 10.01473, Rn. 83; VG Würzburg, Urt. v. 13. 11. 2014 – W 5 K 13.18, Rn. 55; B / K/L / M/R / Mitschang / Reidt, § 34, Rn. 40; BeckOK-BauGB / Spannowsky, § 34, Rn.  46; K / A/J / Jeromin, § 34, Rn. 36; Schrödter / Rieger, § 34, Rn. 77. 737 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98, Rn. 17; Schrödter / Rieger, § 34, Rn. 77. 738 VG Würzburg, Urt. v. 13. 11. 2014 – W 5 K 13.18, Rn. 58. 739 OVG NRW, Urt. v. 06. 11. 1990 – 11 A 190/87 = BauR 1991, 574 (576). 740 Weyreuther, S. 490; krit. insoweit auch BRS / Bracher, Rn. 2236, Brügelmann / Dürr, § 34, Rn. 82 und Vilsmeier, S. 77. 741 Brügelmann / Dürr, § 34, Rn. 82; Vilsmeier, S. 77.

154

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

hen sozialen Bezugs unter erleichterten Bedingungen Restriktionen zugänglich,742 die nicht zwangsläufig den Schutz hinreichend gewichtiger Gemeinwohlbelange bezwecken müssen.743 Dies gilt umso mehr, als dass das Beeinträchtigungsverbot des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB ohnehin nicht die vollständige Freihaltung eines grundsätzlich bebaubaren Grundstücks rechtfertigt, sondern vielmehr nur das „Wie“ der Bebauung beeinflussen kann.744 Die Auslegung des BVerwG läuft auch dem Sinn der Vorschrift zuwider, zusätzliche Beeinträchtigungen des Ortsbildes auch dann zu verhindern, wenn die Umgebung schon in vergleichbarer Weise in Widerspruch zu den Planungsgrund­ sätzen des § 1 Abs. 5 BauGB geprägt ist.745 Die Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB hätte ansonsten zur Konsequenz, dass in durchschnittlichen Ortsbildern – die den weit überwiegenden Regelfall darstellen – de facto sogar städtebaulich verunstaltende Gebäude errichtet werden dürften.746 Das Ortsbild im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB kann durch den Standort, die Art und Größe des Vorhabens oder durch die Beeinträchtigung der Ortssilhouette verunstaltet werden.747 Wie bei § 34 Abs. 1 BauGB kann als Faustregel gelten, dass die zu stellenden Anforderungen potentiell bauplanerisch festsetzbar sein müssen. Betroffen sind folglich primär Standort, Art und Maß der baulichen Nutzung, Höhe und Geschossigkeit eines Vorhabens sowie die Bauweise.748 Der städtebauliche Gesamteindruck und damit die Wirkung des Vorhabens auf das Ortsbild sind dabei entscheidend und nicht die ästhetische Wirkung des beabsichtigten Vorhabens selbst.749 Bei Windkraftanlagen gilt insoweit die Besonderheit, dass sie allein oder in ihrem Zusammenwirken mit anderen Anlagen im Sinne eines breiten Bandes von Anlagen die Ortssilhouette stören können, wobei Hochspannungs­ leitungen in der Lage sind, eine trennende Wirkung zwischen der Ortslage und den Anlagen zu erzeugen.750 Eine Verunstaltung des Ortsbildes ist möglich, wenn ein Außenbereichsvor­ haben – etwa ein gewerblicher Betrieb, Baracken oder ähnliche Primitivbauten –

742 Vgl. BVerfGE 21, 73 (82); 52, 1 (32 f.); 104, 1 (12); BeckOK-GG / Axer, Art. 14, Rn. 92; J / P/Jarass, Art. 14, Rn. 41 f.; Sachs / Wendt, Art. 14, Rn. 112 ff. 743 Vilsmeier, S. 77. 744 BVerwG, DVBl. 1981, 97; EZBK / Söfker, § 34, Rn. 69; Schrödter / Rieger, § 34, Rn. 72; Vilsmeier, S. 77. 745 BVerwG, Beschl. v. 16. 07. 1990 – 4 B 106.90 = BRS 50 Nr. 76; EZBK / Söfker, § 34, Rn. 69; Schrödter / Rieger, § 34, Rn. 75; Vilsmeier, S. 85, 94 f. 746 Vilsmeier, S. 77. 747 OVG NRW, Urt. v.  16. 03. 1976  – 7 A 556/75 = BRS 30 Nr. 70; OVG NRW, Urt. v. 19. 06. 2007 – 8 A 2677/06, Rn. 102; B / K/L / M/R, § 35, Rn. 89; BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn. 76; Kapell, S. 55; Klein, S. 52; Müller, K., S. 58; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 87; Weyreuther, S. 490. 748 Mick, S. 321; Weyreuther, S. 489 f. 749 OVG NRW, Urt. v. 19. 06. 2007 – 8 A 2677/06, Rn. 102; B / K/L / M/R, § 35, Rn. 89. 750 OVG NRW, Urt. v. 19. 06. 2007 – 8 A 2677/06, Rn. 102.

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

155

in Siedlungsnähe die Ortssilhouette teilweise bis ganz verdeckt.751 Es ist also die Verdeckung der Aussicht auf eine bestimmte Bebauung entscheidend  – auf die Silhouette eines Ortes ebenso als auch auf ein einzelnes Bauwerk.752 Eine Verunstaltung des Ortsbildes liegt daher vor, wenn eine Hütte in einem abfallenden Hang etwa 50 m unterhalb der Bebauung eines auf einer Bergkuppe gelegenen Ortsteils errichtet werden soll und die topographische Gestaltung der auf der Bergkuppe gelegenen Ortschaft den Eindruck „einer Stadt auf dem Berge“ hinterlässt. Dieser Anblick würde durch die zu errichtende Hütte erheblich gestört werden.753 Eine Verunstaltung des Ortsbildes wurde außerdem im Falle der Errichtung und des Betriebes eines Schweinemaststalls mit Kraftfuttersilo in Nachbarschaft zu einer Kirche angenommen.754 Eine relevante Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB liegt ebenso vor, wenn ein Vorhaben im Innenbereich aufgrund seiner Lage an exponierter Stelle an der „Schauseite“ zum Main erhebliche Fernwirkung auf die Ansicht einer unter Ensembleschutz stehenden historischen Altstadt entfaltet.755 Von einer Verunstaltung des Ortsbildes ist außerdem auch dann auszugehen, wenn ein Vorhaben im Außenbereich in stark störender Weise von dem Erscheinungsbild einer Ortschaft abweicht, was zum Beispiel dann vorliegen kann, wenn ein moderner Betonbau vor einem mittelalterlichen Ortsbild errichtet werden soll.756 Da allerdings eine Verunstaltung im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB voraussetzt, dass es sich um bodenrechtliche Anforderungen handeln muss, die potentiell planerisch festsetzbar sein müssen, kann eine Verunstaltung nicht wegen des neuzeitlichen Baumaterials angenommen werden, sondern allenfalls wegen der störenden Proportionierung des Baukörpers.757 Grundsätzlich kann ein Vorhaben, das sich wegen seiner Größe nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, zugleich auch das Ortsbild verunstalten. Eine Verunstaltung des Ortsbildes erfordert allerdings mehr als nur das Fehlen einer harmonischen Beziehung des Vorhabens zur vorhandenen Bebauung, wie sie in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorausgesetzt wird.758 Eine bloße Beeinträchtigung des Ortsbildes – wie sie § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB voraussetzt – genügt ebenso nicht.759 Eine Verunstaltung des Ortsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB liegt nur vor, wenn das Vorhaben dem Ortsbild in ästhetischer Hinsicht grob unan 751

BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn.  76; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 39. Weyreuther, S. 490. 753 OVG NRW, Urt. v. 16. 03. 1976 – 7 A 556/75 = BRS 30 Nr. 70. 754 BayVGH, Urt. v. 11. 07. 1978 = BRS 33 Nr. 72. 755 VG Würzburg, Urt. v. 13. 11. 2014 – W 5 K 13.18, Rn. 60. 756 Brügelmann / Dürr, § 35, Rn.  94; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 39; weitere Beispiele der Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB liefert Klein, S. 56. 757 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98 = BauR 2000, 1848 (1849); OVG NRW, Urt. v. 06. 11. 1990 – 11 A 190/87 = BauR 1991, 574 (575); Mick, S. 313, 321; vgl. Kapitel B. III. 6. c). 758 BVerwG, Urt. v. 22. 06. 1990 – 4 C 6.87, Rn. 26; Müller, K., S. 55. 759 Kollmann, S. 400; Mick, DÖV 1991, 623 (626). 752

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

gemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird.760 Es reicht hierfür jedenfalls nicht aus, dass das Vorhaben in der näheren Umgebung kein Vorbild hat und sich von der kleinmaßstäblichen Bebauung der Nachbarschaft deutlich abhebt.761 Selbst eine Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB setzt dabei voraus, dass ein Gesamtbild, das durch unterschiedliche Elemente geprägt wird, gestört wird. Das Gebot der Vermeidung von Ortsbildbeeinträchtigungen zählt ebenso wie die Verunstaltungsverbote zu den negative ästhetische Wirkungen abwehrenden Anforderungen. Eine Beeinträchtigung ist bereits bei wesentlichen Benachteiligungen des Ortsbildes gegeben, sodass eine Verunstaltung des Ortsbildes noch nicht vorzuliegen braucht.762 Im Vergleich zum Beeinträchtigungsverbot des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB verlangt das Verunstaltungsverbot des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB für die Unzulässigkeit eines Vorhabens demnach eine höhere Intensität der Störung des Ortsbildes. Dies erstaunt insofern, als die gesetzgeberische Grundentscheidung, den Außenbereich im Gegensatz zum Innenbereich als besonders schutzwürdig einzustufen und ihn grundsätzlich von Bebauung freizuhalten, konsequenterweise eigentlich eine umgekehrte Verteilung der „Verletzungsschwellen“ erfordert. De lege lata könnte ein Bauvorhaben, das im Innenbereich wegen einer Beeinträchtigung des Ortsbildes unzulässig wäre, im Außenbereich genehmigungsfähig sein, da die Störung noch nicht den Grad einer Verunstaltung erreicht.763 In der Literatur764 wird daher gefordert, diesen „semantisch-systematischen“ Widerspruch de lege ferenda dahingehend aufzulösen, dass der Terminus der „Verunstaltung“ des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB durch einen abgemilderten Begriff – z. B. den der „Störung“ – ersetzt werden müsse, der zumindest keine höheren Anforderungen stelle als die „Beeinträchtigung“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB. Praktische sowie teleologische Gesichtspunkte stehen jedoch einer derartigen Forderung entgegen. Zum einen wird jede Errichtung eines Bauvorhabens im Außenbereich das Orts- oder Landschaftsbild mehr oder weniger beeinträchtigen, da das Vorhaben im Vergleich zur unberührten Natur regelmäßig als künstlicher Fremdkörper erscheinen wird. Nach dem gesetzgeberischen Willen wird das Landschaftsbild in einer förmlich unter Schutz gestellten Landschaft gegen jede Landschaftsbildbeeinträchtigung geschützt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 BauGB), während das Landschaftsbild in einer nicht förmlich unter Schutz gestellten Landschaft 760 BVerwG, Beschl. v.  29. 04. 1968  – 4 B 77.67; BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 93; B / K/L / M/R / Mitschang / Reidt, § 35, Rn. 89; Müller, K., S. 57; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 128; Vilsmeier, S. 70, 80 Fn. 366. 761 BVerwG, Urt. v. 22. 06. 1990 – 4 C 6.87, Rn. 26. 762 Kamp, S. 117; Kapell, S. 52 f.; Vilsmeier, S. 79 f. 763 Vilsmeier, S. 70. 764 Vilsmeier, S. 70.

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

157

wenigstens ein Mindestmaß an optisch-ästhetischem Landschaftsschutz genießt, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB. Die Intention des Ortsbildschutzes des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB liegt demgegenüber darin, ein Vorhaben auch dann zu verhindern, wenn es sich gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in eine durch negative Bebauung bereits „verseuchte“ Umgebung einfügen würde. Es sollte sich außerdem als schwierig erweisen, ein abgestuftes System der Orts- bzw. Landschaftsbildbeeinträchtigung in der Praxis anzuwenden. Abgemilderte Verunstaltungsbegriffe wirken eher gekünstelt. Selbst die preußische Rechtsprechung tat sich mit einem abgestuften System an Verunstaltungsbegriffen schwer, eine „grobe“ von einer „einfachen“ Verunstaltung zu unterscheiden. Eine „Verunstaltung“ verlangt einen höheren Unwert als eine „Beeinträchtigung“ – wie nun davon eine „Störung“ abgegrenzt werden soll, bleibt weiterhin fraglich. b) Einfügungsgebot (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) und bauordnungsrechtliches Verunstaltungsverbot Das Kriterium der Harmonie ist hingegen bei der Differenzierung zwischen dem Einfügungsgebot und dem bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot heranzuziehen. Die Gegenüberstellung der Zielrichtungen des Einfügungsgebots, das mit seinem Kriterium der Harmonie zu gewährleisten versucht, dass keine nur durch Bauleitplanung zu bewältigenden bodenrechtlichen Spannungen in das Gebiet hineingetragen werden,765 mit dem landesrechtlichen Verunstaltungsverbot belegt, dass im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB die reine Bauästhetik – also „jede Störung der architektonischen Harmonie“766 – im Vordergrund steht, während bloße Unschönheiten vom bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot nicht erfasst sind  – diese erfordern vielmehr einen höheren Grad der Gestaltungsverfehlung, also einen das Auge des Betrachters positiv verletzenden Zustand.767 Im unverplanten Innenbereich ist es jedoch nicht ausgeschlossen, ein Vorhaben zu verwirklichen, das in seiner Form in der Umgebung bisher nicht existiert.768 Es herrscht im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB kein Zwang zur Uniformität, da es weniger um Einheitlichkeit denn um Harmonie geht. Vorhaben fügen sich also auch dann ein, wenn sie zwar den vorhandenen Rahmen überschreiten, im Übrigen aber keine nur durch Bauleitplanung zu bewältigenden Spannungen in das Gebiet hineintragen.769

765

Kamp, S. 116; Kollmann, S. 398; Mick, DÖV 1991, 623 (625); Müller, K., S. 55. BVerwGE 2, 172 (176). 767 Kamp, S. 116; Kollmann, S. 398; Müller, K., S. 55; Schneider, S. 232; a. A. für eine Identität beider Verfehlungsgrade vgl. Nachweise bei Kollmann, S. 398, Fn. 2102. 768 BVerwGE 55, 369 (369, 386); Mick, DÖV 1991, 623 (625). 769 Mick, DÖV 1991, 623 (625). 766

158

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

c) Das Verbot der Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) und das Einfügungsgebot (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) Ob eine Beeinträchtigung des Ortsbildes (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) vorliegt, ist danach zu bestimmen, ob ein Bauvorhaben das ästhetische Empfinden eines für Fragen der Ortsbildgestaltung aufgeschlossenen Betrachters verletzt.770 Wann ein Vorhaben das Ortsbild beeinträchtigt, hängt im Wesentlichen von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere auch von der Schutzwürdigkeit des Ortsbildes ab.771 Für eine Beeinträchtigung des Ortsbildes kommt es nicht wie beim Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf die fehlende Übereinstimmung in den einzelnen Merkmalen der Bebauung beispielsweise hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche an.772 Um den Rahmen des städtebaulichen Planungsrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) nicht zu verlassen, darf als maximaler Maßstab aber nur dienen, was in einem Bebauungsplan gem. § 9 Abs. 1 BauGB festsetzbar wäre. Hier gilt wiederum, dass ein Planersatz keine höheren Anforderungen stellen darf als der Plan selbst.773 Es können demnach nur städtebauliche Gesichtspunkte der Baugestaltung, aber nicht zum Beispiel die ästhetische Wirkung des beabsichtigten Vorhabens oder seine Beurteilung in sonstiger baugestalterischer Hinsicht maßgeblich sein.774 Ein Zeichen der Eigenständigkeit der Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) ist ferner, dass die Entscheidung darüber, ob das Ortsbild beeinträchtigt wird, ohne Rücksicht auf die „nähere Umgebung“ erfolgt, die als Grenze etwa im Hinblick auf die Art oder das Maß der baulichen Nutzung gezogen wurde. Da sich freilich ein bestimmtes Ortsbild stets auf eine bestimmte Umgebung bezieht, ist jedoch diese ortsbildbezogene Umgebung unabhängig von den Kriterien des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu bestimmen.775 Maßstabsbildend im Sinne des § 34 770

Brenner, Rn. 655. BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98 = BauR 2000, 1848 (1849); Brenner, Rn. 655. 772 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98 = BauR 2000, 1848 (1849); OVG NRW, Urt. v. 07. 02. 1979 = BRS 35 Nr. 130; VGH BW, Urt. v. 12. 03. 1986 = BauR 1986, 550; Kapell, S. 52; Mick, DÖV 1991, 623 (626); Müller, K., S. 55; Vilsmeier, S. 80. 773 OVG Berlin, Urt. v.  03. 07. 1981 = BRS 38 Nr. 71; B / K/L / M/R / Mitschang / Reidt, § 34, Rn. 40; Kapell, S. 117; Mick, DÖV 1991, 623 (626); Schrödter / Rieger, § 34, Rn. 72; nach a. A. erstreckt sich der bauplanungsrechtliche Ortsbildschutz des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB generell und umfassend auf sämtliche denkbaren städtebaulichen Aspekte, wie sie auch im Rahmen eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans berücksichtigt werden können, vgl. Vilsmeier, S. 81 f. 774 B / K/L / M/R / Mitschang / Reidt, § 34, Rn. 40; Brenner, Rn. 654; Brügelmann / Dürr, § 34, Rn. 82; Kamp, S. 117; Klein, S. 56; Vilsmeier, S. 79. 775 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98 = BauR 2000, 1848 (1849); OVG NRW, Urt. v.  06. 11. 1990  – 11 A 190/87 = BauR 1991, 574 (575); BayVGH, BayVBl. 2003, 82 (83); BayVGH, Urt. v. 18. 07. 2013 – 14 B 11.1238, juris Rn. 29; B / K/L / M/R / Mitschang / Reidt, § 34, Rn. 40; Brenner, Rn. 655; Brügelmann / Dürr, § 34, Rn.  81; B / R/S / Bracher, Rn. 2235; Vilsmeier, S. 74, 85 f. 771

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

159

Abs. 1 Satz 1 BauGB ist schließlich die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst.776 Die das Ortsbild schützende Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB stellt damit auf einen größeren maßstabsbildenden Bereich als auf die für das Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebliche nähere Umgebung – als auch auf die maßgeblich heranzuziehende Umgebung beim bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot – ab.777 Während sich die „nähere Umgebung“ des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aus den unmittelbaren Nachbargrundstücken zusammensetzt und auf dasjenige örtliche Gebiet beschränkt ist, das sich noch prägend auf das betreffende Bauvorhaben auswirken bzw. selbst von diesem beeinflusst werden kann,778 umfasst die Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB – je nach Größe der Gemeinde – die von einzelnen Gebäuden und Grundstücken abstrahierte bauliche Gesamtansicht eines Ortes oder zumindest eines Ortsteils sowohl von innen als auch von außen betrachtet, einschließlich der Fernwirkung der Silhouette und des Luftbildes der Gemeinde bzw. des Gemeindeteils.779 Folgerichtig kann ein Vorhaben, das sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, gleichwohl das Ortsbild beeinträchtigen.780 Auch in ihrer Gestalt negativ zu bewertende Erscheinungen können die Umgebung prägen, sodass sich neue Vorhaben in einer derart „verseuchten“ Umgebung nicht über das Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verhindern ließen, die sich in Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht vom Vorhandenen unterscheiden.781 § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB wäre hingegen überflüssig, wenn er ausschließlich auf den sich aus der vorhandenen Bebauung ergebenden Maßstab abstellen würde.782 Dem Merkmal des § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB 776 BVerwG, Beschl. v. 13. 05. 2014 – 4 B 38/13 – NVwZ 2014, 1246 = juris Rn. 7 m. w. N.; BayVGH, Beschl. v. 03. 03. 2016 – 9 ZB 15.779, Rn. 6. 777 BVerwG, Urt. v. 16. 07. 1990 – 4 B 106.90 = BRS 50 Nr. 76; BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98; eine derart weitreichende Kraft hat der BayVGH im entschiedenen Fall in Bezug auf die Errichtung einer beleuchteten Fremdwerbeanlage abgelehnt, vgl. BayVGH, Beschl. v. 03. 03. 2016 – 9 ZB 15.779, Rn. 9; Kollmann, S. 399; Müller, K., S. 55; Schrödter / Rieger, § 34, Rn. 75; Vilsmeier, S. 75, geht davon aus, dass der Ortsbildbegriff des bauplanungsrechtlichen Beeinträchtigungsverbots und derjenige der bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote kongruent seien, da das Ortsbild zwar kleiner als das Landschaftsbild, aber größer als das Straßenbild sei. 778 BVerwGE 55, 369 (380); 75, 34 (41 f.); B / K/L / M/R / Mitschang / Reidt, § 34, Rn. 21; Schrödter / ​Rieger, § 34, Rn. 27; Vilsmeier, S. 74. 779 E / Z/B / K/Söfker, § 34, Rn. 68; Vilsmeier, S. 74. 780 BVerwG, Beschl. v.  16. 07. 1990  – 4 B 106.90 = BRS 50 Nr. 76; BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98 = BauR 2000, 1848 (1849); OVG NRW, Urt. v. 06. 11. 1990 – 11 A 190/87 = BauR 1991, 574 (575); VGH BW, Urt. v. 20. 09. 1989 – 8 S 2738/88 = BRS 49 Nr. 87; VG Würzburg, Urt. v. 13. 11. 2014 – W 5 K 13.18, Rn. 55; B / K/L / M/R / Mitschang / Reidt, § 34, Rn. 40; Brenner, Rn. 654; Kapell, S. 52; Klein, S. 58; Müller, K., S. 55; Vilsmeier, S. 85. 781 BVerwGE 55, 369 (380 f.); Mick, DÖV 1991, 623 (626). 782 Mick, DÖV 1991, 623 (626); Schrödter / Rieger, § 34, Rn. 75.

160

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

kommt insofern neben dem Erfordernis des Einfügens in die nähere Umgebung eine eigenständige Bedeutung zu.783 Der Sinn der Vorschrift besteht darin, zusätzliche Beeinträchtigungen des Ortsbildes – und ebenso weitere Verstöße gegen die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse – auch dann zu verhindern, wenn die Umgebung schon in vergleichbarer Weise in Widerspruch zu den Planungsgrundsätzen des § 1 Abs. 5 BauGB geprägt ist.784 Die Funktion des Ortsbildschutzes liegt daher besonders darin, ein Vorhaben auch dann zu verhindern, wenn es sich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in eine durch negative Erscheinungen bereits „verseuchte“ Umgebung einfügen würde. Diese Situation tritt ein, wenn beispielsweise in einem historischen Ortskern bereits städtebaulich störende Anlagen vorzufinden sind.785 § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB lässt allerdings keine „Verbesserungen“ städtebaulicher Art im Sinne einer aktiven positiven Ortsbildgestaltung zu. Denn das Beeinträchtigungsverbot wurde vom Gesetzgeber – ebenso wie das systematisch auf gleicher Ebene angesiedelte Gebot der Wahrung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse – ersichtlich als reine Abwehrvorschrift konzipiert. Es kommt allein darauf an, eine vorgegebene Ordnung passiv durch Vereitelung störender Bauvorhaben aufrechtzuerhalten. Es bleibt damit den Gemeinden vorbehalten, die in § 1 BauGB enthaltenen städtebaulichen Ordnungsziele aktiv durch die Erstellung von Bauleitplänen zu konkretisieren.786 d) Zusammenfassung Da es sich bei den §§ 34 und 35 BauGB um planersetzende Vorschriften handelt, lassen sich die maßgeblichen Kriterien für die Feststellung einer Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) und einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) gleichermaßen sowohl aus der Lage und Stellung des Vorhabens, als auch aus Art und Maß der baulichen Nutzung, aus der Gestaltung des Vorhabens nach überbauter Grundfläche, Baumasse, Gebäudehöhe und der Zahl der Vollgeschosse entnehmen, die sich durch planerische Festsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB regeln lassen.787 Es sind

783

Brenner, Rn. 654. BVerwG, Beschl. v.  16. 07. 1990  – 4 B 106.90 = BRS 50 Nr. 76; Brenner, Rn. 654; EZBK / Söfker, § 34, Rn. 69; Schrödter / Rieger, § 34, Rn. 75; Vilsmeier, S. 85, 94 f. 785 Kummer, S. 136; Mick, S. 312; ders., DÖV 1991, 623 (626). 786 Vilsmeier, S. 94 f.; a. A. die h. M.: Bei der Frage nach einer Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) werde im Gegensatz zum Einfügungsgebot (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) nicht ausschließlich auf das abgestellt, was an prägenden Merkmalen tatsächlich in der Umgebung vorhanden sei, sondern auf das, was bodenrechtlich erstrebens- und wünschenswert sei; die Vorschrift strebe insoweit sogar „Verbesserungen“ städtebaulicher Art an, siehe nur VGH BW, Urt. v. 20. 09. 1989 – 8 S 2738/88 = BRS 49 Nr. 87; OVG NRW, Urt. v. 06. 11. 1990 – 11 A 190/87 = BauR 1991, 574 (575); Kamp, S. 117. 787 Kapell, S. 52; Kollmann, S. 398, 402; Moench / Schmidt, S. 5. 784

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

161

insoweit auch Gestaltungsfragen relevant, soweit sie städtebaulich von Bedeutung sind, bodenrechtlichen Bezug haben und planerisch festgesetzt werden können.788 Architektonische Fremdkörper, unpassende Außenfarben, Werkstoffe, Dachformen etc., die bauästhetische Widersprüche hervorrufen, lassen sich nicht verhindern, da die Beurteilung von gestalterischen Fragen landesrechtlicher Natur ist und es mit der planersetzenden Funktion des § 34 BauGB unvereinbar wäre, Anforderungen an ein Vorhaben zu stellen, die nicht ebenso im Bebauungsplan festgesetzt werden könnten.789 Die ästhetische Wirkung eines Vorhabens und rein gestalterische Zwecke sind daher zu vernachlässigen; insofern kann auch ein optisch ansprechendes Bauwerk das Ortsbild beeinträchtigen.790 Dennoch wäre es falsch anzunehmen, dass solche Aspekte bauordnungsrechtlicher Gestaltung generell für die Beurteilung der Zulässigkeit von Vorhaben im unverplanten Innenbereich und Außenbereich bedeutungslos sind. Der durch § 34 und § 35 BauGB ungeschmälerte Geltungsanspruch des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbots und örtlicher Gestaltungssatzungen wird schließlich von § 29 Abs. 2 BauGB bestätigt.791 Verstößt ein auf bauliche Veränderung gerichtetes Vorhaben gegen gestalterische Bestimmungen der Landesbauordnung oder des Denkmalschutzrechts, ist es also unzulässig, selbst wenn es sich im unbeplanten Innenbereich in die Umgebung einfügt (§ 34 Abs. 1 BauGB) und das „städtebauliche“ Ortsbild im Sinne dieser Vorschrift nicht beeinträchtigt oder im Außenbereich das Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstaltet, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.792 2. Rechtsschutz zugunsten der Gemeinde gegen die Zulassung von Vorhaben im Außenbereich und das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) Rechtsschutz zugunsten einer Gemeinde gegen die Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes durch die Zulassung von Einzelbauvorhaben im Außenbereich ist grundsätzlich gegeben. Dabei ist zwischen dem Rechtsschutz von Standortgemeinden und dem von übrigen Gemeinden zu differenzieren.

788

BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98; OVG NRW, Urt. v. 06. 11. 1990 – 11 A 190/87 = BauR 1991, 574 (575); B / K/L / M/R / Mitschang / Reidt, § 34, Rn. 40; BeckOK-BauGB / Spannowsky, § 34, Rn. 46; Mick, S. 313, 320 f.; ders., DÖV 1991, 623 (625); Müller, K., S. 56; Schrödter / Rieger, § 34, Rn. 76, § 35, Rn. 143; Weyreuther, S. 487, 489 f.; vgl. Kapitel B. III. 6. c). 789 Brügelmann / Dürr, § 34, Rn. 43; Kapell, S. 52; Mick, S. 313; Moench / Schmidt, S. 6; Müller, K., S. 56; Weyreuther, S. 487, 489 f. 790 BVerwG, NVwZ 2000, 1169 (1170); Kollmann, S. 400; Müller, K., S. 56; Vilsmeier, S. 79, Fn. 362. 791 Brügelmann / Dürr, § 34, Rn. 45; Mick, S. 313; Moench / Schmidt, S. 20 mit Beispielen zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot im Zusammenhang mit Außenbereichsvorhaben. 792 Mick, S. 314.

162

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Ein Abwehrrecht außerhalb des § 36 Abs. 1 BauGB besteht des Weiteren nur dann, soweit entweder hinreichend konkrete Planungsabsichten der Gemeinde vorliegen, die als ungeschriebener öffentlicher Belang gem. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB im Rahmen der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Außenbereichsvorhabens zu berücksichtigen sind, oder die Gemeinde mit Erfolg eine Verletzung ihres Selbstgestaltungsrechtes im Rahmen der Garantie kommunaler Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) geltend machen kann. Eine Verunstaltung des Ortsbildes reicht hierfür allein nicht aus. a) Rechtsschutz der Standortgemeinde Der Rechtsschutz einer Standortgemeinde gegen die Zulassung eines ihr nicht genehmen Vorhabens im Außenbereich richtet sich nach den auf § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO beruhenden Regeln über die sogenannte Nachbarklage. Auch eine betroffene Gemeinde kann damit gegen eine erteilte Genehmigung mit der Anfechtungsklage nur Erfolg haben, wenn die Genehmigung nicht nur objektiv rechtswidrig ist, sondern darüber hinaus ein Recht der Gemeinde verletzt. Ein solches Recht ergibt sich mit großer Tragweite vor allem aus § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB, daraus also, dass Vorhaben im Außenbereich nur im Einvernehmen mit der Gemeinde genehmigt werden dürfen.793 Die kommunale Planungshoheit (als Ausdruck der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie) ist als solche kein öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB.794 Sie spielt hingegen im Zusammenhang mit Vorhaben im Außenbereich vor allem als Hintergrund der in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB angeordneten Notwendigkeit einer Verfahrensbeteiligung der Gemeinden und von dort her als mögliche Grundlage eines Rechtsschutzes zugunsten der Gemeinde gegen die Zulassung von Vorhaben im Außenbereich eine Rolle. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sichert insofern die sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergebende „Befugnis“ der Gemeinden, „die Bauleitpläne … in eigener Verantwortung aufzustellen“.795 Die Baugenehmigungsbehörde darf ein fehlendes oder verweigertes gemeindliches Einvernehmen gem. § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB nur ersetzen, wenn es zu Unrecht verweigert worden ist, weil das Vorhaben gem. den §§ 31 und 33 bis 35 BauGB zulässig ist und ein Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Genehmigung besteht. Die Ermächtigung zur Ersetzung des Einvernehmens in § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB lässt die materielle Rechtsposition der Gemeinde unangetastet. Die Gemeinde muss also die Möglichkeit haben, die Ersetzungsentscheidung auf ihre 793

BeckOK-BauGB / Hofmeister, § 36, Rn.  38; B / K/L / M/R / Reidt, § 36, Rn. 24 f.; Weyreuther, S. 396. 794 BVerwG, Urt. v. 26. 10. 1979 – IV C 22/77 = NJW 1980, 1537; BVerwG, Urt. v. 18. 03. 1983 – 4 C 17/81 = NVwZ 1984, 303; BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn.  105; B / K/L / M/R / Mitschang / ​ Reidt, § 35, Rn. 101. 795 Weyreuther, S. 354.

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

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Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Dies kann jedoch nur im Rahmen eines von ihr gegen die Baugenehmigung eingelegten Rechtsbehelfs (Widerspruch oder Anfechtungsklage) geschehen.796 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Einvernehmenserfordernis des § 36 Abs. 1 BauGB nicht auf das bauaufsichtliche Genehmigungsverfahren beschränkt ist, sondern gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 BauGB in allen Verfahren zu beachten ist, in denen – wie im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren aufgrund der Konzentrationswirkung nach § 13 BImSchG – materiell-rechtlich über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB zu entscheiden ist.797 Eine Gemeinde ist insofern in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantierten Selbstverwaltungsfreiheit verletzt, soweit sie ihr Einvernehmen gem. § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB zu Recht verweigert hat und das Einvernehmen zu Unrecht von der nach Landesrecht zuständigen Baugenehmigungsbehörde ersetzt wurde. Die Ersetzung des Einvernehmens ist daher im Rahmen einer Klage der Gemeinde gegen die Baugenehmigung inzident auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dies bedeutet gleichzeitig auch, dass auf die Klage einer Gemeinde gegen die Ersetzung ihres Einvernehmens die Voraussetzungen der §§ 31, 33 bis 35 BauGB ohne Differenzierung danach, ob diese dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht zuzuordnen sind, in vollem Umfang nachzuprüfen sind.798 Die zugunsten der Gemeinde in § 36 Abs. 1 BauGB normierte Beteiligungsbefugnis und ihre damit anerkannte hoheitliche Mitverantwortung schließen es aus, ihre Stellung mit der eines privaten Nachbarn im Verhältnis zu einem privaten Bauherrn zu vergleichen.799 Bei der Prüfung der Voraussetzungen der §§ 31, 33–35 BauGB, die auf das Rechtsmittel der Gemeinde hin in vollem Umfang nachzuprüfen sind, ist maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des mit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens verbundenen Bescheids abzustellen.800 Die Gemeinde kann damit alle Genehmigungshindernisse gemäß den §§ 31, 33–35 BauGB geltend machen, also nicht nur diejenigen, auf die sie die Verweigerung ihres Einvernehmens gestützt hat.801 796

Schrödter / Rieger, § 36, Rn. 39. BayVGH, Urt. v. 18. 07. 2013 – 22 B 12.1741; VG Würzburg, Urt. v. 05. 12. 2017 – W 4 K 15.530. 798 BVerwG, Urt. v.  09. 08. 2016  – 4 C 5.15 = NVwZ-RR 2017, 717; BVerwG, Urt. v. 01. 07. 2010 – 4 C 4.08 = ZfBR 2010, 682; ThürOVG, Beschl. v. 29. 01. 2009 – 1 EO 346/08 = BRS 74 Nr. 174; Schrödter / Rieger, § 36, Rn. 40. 799 BayVGH, Beschl. v. 24. 11. 2008 – 1 ZB 08.1462; OVG RhPf, Urt. v. 16. 03. 2006 – 1 K 2012/04; NdsOVG, Urt. v. 10. 01. 2008 – 12 LB 22/07. 800 BVerwG, Urt. v. 01. 07. 2010 – 4 C 4.08 = BVerwGE 137, 247; Schrödter / Rieger, § 36, Rn. 40. 801 BVerwG, Urt. v.  20. 05. 2010  – 4 C 7.09 = NVwZ 2010, 1561; ThürOVG, Beschl. v.  29. 01. 2009  – 1 EO 346/08 = BRS 74 Nr. 174; OVG Bln-Bbg, Urt. v.  29. 03. 2010  – 11 S 58/09 = BauR 2010, 945; B / K/L / M/R / Reidt, § 36, Rn. 25; Schrödter / Rieger, § 36, Rn. 40; a. A. HessVGH, Urt. v. 17. 06. 2009 – 6 A 630/08 = UPR 2009, 396. 797

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Im Rahmen einer Klage802 einer Gemeinde gegen die Erteilung einer Baugenehmigung nach der Ersetzung ihres gemeindlichen Einvernehmens wird das Gericht bei einem Außenbereichsvorhaben auch überprüfen, ob das Vorhaben zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB führt. Dass die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 35 BauGB auch dem Schutz der Gemeinde dienen, auf deren Gebiet das Vorhaben verwirklicht werden soll, ergibt sich aus § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Danach ist unter anderem für die Zulassung eines Vorhabens im Außenbereich das Einvernehmen der Gemeinde erforderlich.803 Das Erfordernis des gemeindlichen Einvernehmens dient wiederum der Sicherung der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten gemeindlichen Planungshoheit.804 In einem allgemein verstandenen Sinne lässt sich unter der gemeindlichen Planungshoheit die Befugnis der Gemeinde zur eigenverantwortlichen Ordnung und Gestaltung des Gemeindegebiets begreifen, namentlich in Ansehung der baulichen Nutzung.805 Dies umschließt das Recht der Gemeinde, die eigenen Angelegenheiten nicht nur von Fall zu Fall zu erledigen, sondern aufgrund erkennbarer oder absehbarer Entwicklungen Vorstellungen zu erarbeiten, in welcher Weise sie sich städtebaulich entwickeln will. Es ist Sache der Gemeinde, sich eine eigene und unverwechselbare städtebauliche Gestalt zu geben.806 Die Gemeinde darf ihr Einvernehmen daher nur aus den sich aus § 35 BauGB ergebenden Gründen versagen, § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB. Das bedeutet, dass die Voraussetzungen des § 35 BauGB auf das Rechtsmittel der Gemeinde hin in vollem Umfang nachzuprüfen sind.807 Das gemeindliche Einvernehmen ist ein als Mitentscheidungsrecht ausgestattetes Sicherungsinstrument des Baugesetzbuches, mit dem die Gemeinde als sachnahe und fachkundige Behörde und als Trägerin der Planungshoheit im Genehmigungsverfahren mitentscheidend an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens beteiligt wird.808 Entspricht ein zulässiges Vorhaben nicht den planerischen Vorstellungen der Gemeinde, kann diese den Maßstab für die Zulässigkeitsprüfung durch Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans ändern und planungssichernde Maßnahmen ergreifen.809 802

Es ist umstritten, ob bei der zugleich mit der Erteilung der Baugenehmigung erfolgten Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens zwei Verwaltungsakte vorliegen, die von der Gemeinde jeweils gesondert angefochten werden können, oder ob es sich bei der Ersetzung um eine unter § 44a Satz 1 VwGO fallende, nicht isoliert anfechtbare Verfahrenshandlung handelt, vgl. J / D/ Spieß, § 36, Rn. 100; Kopp / Schenke, § 44a, Rn. 6, § 42, Rn. 138a; Schrödter / Rieger, § 36, Rn. 39. 803 BVerwG, Urt. v. 01. 07. 2010 – 4 C 4.08 = BVerwGE 137, 247. 804 Denecke, S. 46, 110 f. 805 Brenner, Rn. 146. 806 Brenner, Rn. 151. 807 BVerwG, Urt. v. 31. 10. 1990 – 4 C 45.88 = BRS 50 Nr. 86; BVerwG, Urt. v. 14. 04. 2000 – 4 C 5.99 = NVwZ 2000, 1048 (1049); BVerwG, Urt. v. 20. 05. 2010 – 4 C 7.09; BVerwG, Beschl. v. 24. 06. 2010 – 4 B 60.09; BVerwG, Urt. v. 01. 07. 2010 – 4 C 4.08 = BVerwGE 137, 247. 808 BVerwG, Urt. v. 14. 04. 2000 – 4 C 5.99 = NVwZ 2000, 1048 (1049). 809 VG Würzburg, Urt. v. 16. 08. 2016 – W 4 K 16.345.

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

165

Aufgrund der dargestellten Erwägungen ist die in der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie wurzelnde kommunale Planungshoheit ebenso geeignet, die Baukunstfreiheit und die Glaubensfreiheit als vorbehaltlose Grundrechte im Außenbereich einzuschränken. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ist damit Anknüpfungspunkt einer verfassungsimmanenten Schrankenziehung vorbehaltloser Grundrechte.810 Die Standortgemeinden können somit auf der Grundlage des § 36 BauGB sowohl das Ortsbild als auch das Landschaftsbild bodenrechtlich verunstaltende Werke der Baukunst und Sakralbauten abwehren. Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung kommt auch das ausreichende Gewicht zu, um als abwägungserheblicher Belang im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung am Maßstab des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (und des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) Beachtung zu finden.811 Zur Beantwortung der Frage, ob die kommunale Selbstverwaltungsgarantie und die gemeindliche Planungshoheit geeignet sind, vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte einzuschränken, ist der Umstand der Nähe oder die Vergleichbarkeit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie mit den Grundrechten unbeachtlich. Denn ausweislich der Rechtsprechung des BVerfG sind grundsätzlich Verfassungswerte aller Art potentiell geeignet, eine verfassungsimmanente Schranke vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte zu bilden.812 Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG in der Ausprägung der kommunalen Planungshoheit besitzt insofern den notwendigen Verfassungswert, um einen Eingriff in das vorbehaltlose Grundrecht der Kunstfreiheit zu rechtfertigen.813 Die Eignung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als verfassungsimmanente Schranke vorbehaltloser Grundrechte wird allerdings nicht ganz unkritisch gesehen: Schließlich wird sie aufgrund ihrer Zweckbestimmung oft als staatsorganisationsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip verstanden.814 Diese Ansicht greift jedoch zu kurz, da sie über eine bloße Kompetenzgarantie hinaus die normative Reichweite dieser Vorschrift verkennt.815 Historisch betrachtet wurde nämlich der Selbstverwaltungsgarantie im Verhältnis der Gemeinde zum Staat schon immer eine ähnliche Bedeutung wie den Grund 810

BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 184; Gaudernack, S. 210 f.; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Pischel, S.  152; S / S/D / Stern, § 117, VII 4, S. 722 f.; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290); a. A. Schneider, S. 114. 811 Gaudernack, S. 211; Manssen, DV 1991, 33 (45 f.); zur Abwägung des Grundrechts auf Kunstfreiheit eines Grundstückseigentümers, der die Fassaden seines Hauses bemalt hat, mit den Grundrechten von Nachbarn, Verkehrsteilnehmern und dem Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde im Rahmen eines bauaufsichtlichen Verfahrens siehe OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1423). 812 Gaudernack, S. 212. 813 BayVGH, Beschl. v. 13. 10. 1994 – 4 CE 93.2586 = NVwZ 1995, 502 (503); Dolderer, BauR 1999, 691 (698); Gaudernack, S. 211; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (230); Müller, K., S. 107; Pischel, S. 138; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (621); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290); a. A. Kapell, S. 274, 279. 814 Kapell, S. 272; Langer, VerwArch 80 (1989), 352 (380); Schneider, S. 112. 815 Denecke, S. 147; Gaudernack, S. 211; Müller, K., S. 106.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

rechten der Bürger zugesprochen. Das „Gemeindegrundrecht“ diente in diesem Sinne vordergründig der Abgrenzung des kommunalen Bereichs vom staatlichen Sektor. Insofern war dieses in der Paulskirchenverfassung als auch in der Weimarer Reichsverfassung den Freiheitsrechten der Bürger zugeordnet.816 Die Gemeinde wird zwar, indem sie sich des rechtlichen Instrumentariums der Bau- und Stadtgestaltung bedient, nicht selbst zum Träger von Grundrechten wie der Eigentums- und Kunstfreiheit, denn ihr fehlt – vielleicht von gemeindeeigenen Bauwerken abgesehen – schon die dem Eigentümer vergleichbare unmittelbare Rechtsbeziehung zu den Objekten.817 Aus diesem Grunde wurde in der Literatur erwogen, auf die hinter der Gemeinde als örtliche Gemeinschaft stehenden Bürger zurückzugreifen: Die überindividuellen Belange der Baukultur ließen sich nur als gemeindliche Belange verstehen, die durch die Gemeindeorgane vermittelt würden.818 Es kann außerdem allein aus dem Umstand, dass die kommunale Selbstverwaltungsgarantie im Grundgesetz außerhalb des Grundrechtsabschnitts verankert ist, nicht angenommen werden, dass die kommunale Selbstverwaltungsgarantie nur eine bloße Kompetenznorm sei. Schließlich sind die Justizgrundrechte auch außerhalb des Grundrechtsabschnitts in Art. 101 GG zu finden.819 Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG enthält vielmehr die notwendige „materielle Substanz“ zur immanenten Grundrechtsbeschränkung, da wegen seiner strukturellen Ähnlichkeit mit einem Grundrecht und aufgrund seiner Formulierung als Recht sein rechtlicher Gehalt mit der Charakterisierung als Kompetenznorm nur unzulänglich erfasst ist.820 Die Formulierung der Übertragung eines Rechts verwendet der Grundgesetzgeber auch bei der Gewährung der Grundrechte, nicht hingegen bei den reinen Kompetenznormen der Art. 73 ff. GG, in deren Rahmen üblicherweise nur davon die Rede ist, dass eine Gebietskörperschaft „zuständig“ ist.821 Mit Begriffen wie „Schutzbereich“, „Eingriff“ und „Kernbereich“ hat sich bezüglich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie weiterhin eine Dogmatik herausgebildet, die große Ähnlichkeit zur Grundrechtsdogmatik besitzt.822 Dies wird auch durch die Möglichkeit der Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG) bestätigt. Damit wird deutlich, dass der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie durchaus materieller Charakter zukommt und sich die Bedeutung nicht in der bloßen Aufgabenzuweisung erschöpft.823

816

Müller, K., S. 107; zu Art. 127 WRV vgl. Manssen, S. 121 f. Denecke, S. 91 f.; Mick, S. 119. 818 Mick, S. 119–121. 819 Dolderer, BauR 1999, 691 (698); Gaudernack, S. 211; Müller, K., S. 107. 820 Dolderer, BauR 1999, 691 (696 ff.); Gaudernack, S. 211. 821 Dolderer, BauR 1999, 691 (697); Gaudernack, S. 211. 822 Denecke, S. 102 ff.; Dolderer, BauR 1999, 691 (697); Gaudernack, S. 211 f. 823 Gaudernack, S. 212. 817

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

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b) Rechtsschutz außerhalb des Anwendungsbereichs von § 36 Abs. 1 BauGB Eine Gemeinde kann außerhalb des Anwendungsbereichs von § 36 BauGB Verstöße gegen Vorschriften, die nicht auch dem Schutz gemeindlicher Interessen zu dienen bestimmt sind, nicht mit Erfolg abwehren. So kann sich nur die Standortgemeinde verfahrens- und materiell-rechtlich auf § 36 BauGB berufen. Eine Gemeinde ist darüber hinaus nicht berechtigt, sich über die Anrufung der Verwaltungsgerichte als Kontrolleur der zur Wahrung öffentlicher Belange jeweils berufenen staatlichen Behörden tätig zu werden, noch ist sie befugt, sich zum Sachwalter privater Interessen aufzuschwingen.824 Dies gilt grundsätzlich auch für die in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten öffentlichen Belange – worunter auch der Schutz des Orts- oder Landschaftsbildes vor einer optisch-ästhetischen Verunstaltung fällt.825 Eine Gemeinde kann gleichwohl ihr nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschütztes Selbstgestaltungsrecht gegenüber Vorhaben auf ihrem Gemeindegebiet entgegenhalten.826 Dieses wird dem als „Gemeindehoheit“ bezeichneten „Bündel von Hoheits­rechten“  – Gebietshoheit, Organisationshoheit, Personalhoheit, Finanz­ hoheit, Satzungshoheit und Planungshoheit – hinzuzufügen sein.827 Hierunter ist das Recht einer jeden Gemeinde zu verstehen, Struktur und Gepräge ihres Ortes selbst zu bestimmen.828 Das Selbstgestaltungsrecht wurde in der Rechtsprechung und Literatur im Zusammenhang mit der Abwehr überörtlicher Fachplanungen entwickelt, da ein unzureichender Rechtsschutz der Gemeinden darin gesehen wurde, dass nur hinreichend konkrete Planungsabsichten ein Abwehrrecht gegen überörtliche Fachplanungen vermittelten.829 Nach der Rechtsprechung des BVerwG kann nämlich eine Gemeinde in ihrer Planungshoheit verletzt sein, wenn für das betroffene Gebiet bereits eine hinreichend konkrete gemeindliche Planung vorliegt und diese durch das 824 BVerwG, Beschl. v. 15. 04. 1999 – 4 VR 18/98 = NVwZ-RR 1999, 554; BayVGH, Beschl. v. 27. 08. 2013 – 22 ZB 13.927, Rn. 16; VG Augsburg, Urt. v. 31. 07. 2015 – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 67. 825 Zum gemeindlichen Aufgabenkreis gehört es grundsätzlich nicht, die Verkehrssicherheit, das Landschaftsbild und den Wasserhaushalt vor Eingriffen zu schützen. Ebenso wenig kann eine Gemeinde gesundheitliche Belange ihrer Gemeindebürger und Grundstückseigentumsbelange von Privatpersonen oder naturschutz- und landschaftsschutzrechtliche Belange mit Erfolg geltend machen, da ihre Planungshoheit oder ihr Selbstgestaltungsrecht auf ihrem Gemeindegebiet insoweit nicht berührt sind, vgl. nur BVerwG, Beschl. v.  15. 04. 1999  – 4 VR 18/98; BayVGH, Beschl. v. 27. 08. 2013 – 22 ZB 13.927, Rn. 16; VG Augsburg, Urt. v. 31. 07. 2015 – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 67. 826 Blümel, S. 30, 33; Denecke, S. 147; Mick, S. 115 ff., 188 ff.; ders., DÖV 1991, 623 (628). 827 Blümel, S. 34. 828 BayVGH, Beschl. v. 19. 11. 1985 – 20 CS 85 A.2304 = BayVBl. 1986, 370 (372); Blümel, S. 19, 35; Denecke, S. 147; Manssen, S. 140 m. w. N., 142, 297; das Selbstgestaltungsrecht wurde – soweit ersichtlich – erstmals vom BVerwG in seinem „Halteverbot“-Urteil aufgegriffen, vgl. BVerwG, Urt. v. 19. 03. 1976 – NJW 1976, 2175. 829 Blümel, S. 20, 31 f., 41 f.; Denecke, S. 15, 21, 36, 114.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Vorhaben nachhaltig gestört wird;830 in Aufstellung befindliche Bebauungspläne sind daher ebenso bei der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Außenbereichsvorhabens als ungeschriebener öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB zu berücksichtigen.831 Will sich eine Gemeinde unter Berufung auf ihre Planungshoheit gegen überörtliche Planungen zur Wehr setzen, muss sie den überörtlichen Vorhaben entgegenstehende eigene Vorstellungen in Flächennutzungs- oder Bebauungsplänen nieder­ gelegt haben  – oder jedenfalls in Begriff sein, solche Bauleitpläne zu erlassen. Erst wenn der Gestaltungswille der Gemeinde auf diese Art manifestiert ist, ist er im verwaltungsgerichtlichen Verständnis hinreichend konkretisiert. Gestalterische Vorstellungen der Gemeinde hingegen, die nicht in Flächennutzungs- oder Bebauungsplänen ausgewiesen sind, werden der Rechtsprechung zufolge nicht von der Planungshoheit geschützt.832 Der Schutz der kommunalen Planungshoheit gegen Planungen auf fremdem Gemeindegebiet steht überdies benachbarten Gemeinden nur zu, wenn eine eigene hinreichend konkrete Planung nachhaltig gestört wird oder wenn das Vorhaben wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung der Gemeinde entzieht.833 Vom Schutz der Planungshoheit abgeschnitten bzw. in ihrem Schutz gemindert sind damit aber insbesondere die planinstrumentell nicht abbildbaren und gleichzeitig vom Erleben geprägten Erwartungen an die örtliche Umgebung wie „Urbanität“, „Milieu“ oder „Kultur- und Erholungslandschaft“.834 Die Rechtsprechung zwingt somit in einem so verstandenen Sinne die Städte und Gemeinden, wenn sie sich überhaupt mit Aussicht auf Erfolg gegen fremde Planungen wehren wollen, ihrerseits rechtzeitig und umfassend hinreichend konkrete Planungen zu entwickeln, und zwar auch dort, wo dazu keine sachliche Notwendigkeit besteht.835 Eine benachbarte Gemeinde, deren Ortsteil nahe der Gemeindegrenze liegt, kann sich nicht mit Erfolg gegen die Errichtung von vier Windkraftanlagen in einer Entfernung der Anlagenstandorte zu den bewohnten Bereichen des Ortsteils von mehr als einem Kilometer darauf berufen, dass eine Verletzung in eigenen Rechten in Hinblick auf die kommunale Planungshoheit als Ausfluss des in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts, das auch im interkommunalen Abstimmungsgebot nach § 2 Abs. 2 BauGB seine Ausprägung 830

St. Rspr. vgl. BVerwG, Urt. v. 11. 05. 1984 = NVwZ 1984, 584; BVerwG, Urt. v. 30. 05. 1984 = BVerwGE 69, 256 (261); BVerwG, Urt. v. 11. 04. 1986 = BVerwGE 74, 124 (132); BVerwG, Urt. v. 16. 12. 1988 = BVerwGE 81, 95; siehe auch BayVGH, Urt. v. 19. 12. 1983 = BayVBl. 1984, 303 (304) und BayVGH, Urt. v. 23. 04. 1985 = BayVBl. 1985, 626 (628); Blümel, S. 31. 831 BVerwG, Urt. v. 08. 02. 1974 – IV C 77.71 = BauR 1974, 257; B / K/L / M/R / Mitschang / ​ Reidt, § 35, Rn.  101; J / D/Spieß, § 35, Rn. 252; Schrödter / Rieger, § 35, Rn. 165; a. A. wohl ­BeckOK-BauGB  / Söfker, § 35, Rn. 105. 832 Denecke, S. 117 f.; Langer, VerwArch 80 (1989), 352 (368). 833 VG Regensburg, Urt. v. 25. 03. 2015 – RN 7 K 14.1187, Rn. 16. 834 Denecke, S. 118; Langer, VerwArch 80 (1989), 352 (368). 835 Blümel, S. 31.

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

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findet, vorliege, da ein Koordinierungsbedarf bei der Errichtung von (auch mehreren) raumbedeutsamen Windenergieanlagen in der Regel mit der Begründung verneint wird, dass bei im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert zulässigen Vorhaben das Prüfprogramm des § 35 BauGB in aller Regel ausreicht, um eventuelle Konflikte zwischen privaten und auch öffentlichen Belangen adäquat zu lösen mit der Folge, dass die betreffenden Genehmigungen von der Nachbargemeinde nicht unter Berufung auf den Rechtsgedanken des § 2 Abs. 2 BauGB angefochten werden können.836 Die Berufung auf das Selbstgestaltungsrecht kommt dort in Betracht, wo eine Berufung auf die Planungshoheit nicht möglich ist.837 Die Berufung auf ihr Selbstgestaltungsrecht steht der Gemeinde damit unabhängig von der Beeinträchtigung ihrer Planungshoheit zu.838 Es ist daher nicht überraschend, dass die Rechtsprechung unter dem Selbstgestaltungsrecht inhaltlich etwas anderes als unter der Planungshoheit versteht.839 Das Selbstgestaltungsrecht ist allerdings nicht quasi als Auffangabwehrrecht in den Fällen zu verstehen, in denen keine hinreichend konkreten gemeindlichen Planungsabsichten vorliegen. Während die Wehrfähigkeit der gemeindlichen Planungshoheit hinreichend konkretisierte eigene Gestaltungsvorstellungen der Gemeinde voraussetzt, bezieht sich das Selbstgestaltungsrecht nicht auf bestehende Planungen, sondern auf den status quo von Ortsgepräge und Ortsstruktur und dessen zu erwartender Veränderung.840 Auf das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht kann sich auch eine angrenzende Nachbargemeinde berufen, wenn sich ein Vorhaben auf ihr Gebiet auswirkt – allerdings begrenzt durch das Selbstgestaltungsrecht der Standortgemeinde. Das Selbstgestaltungsrecht ist einfach-rechtlich als ungeschriebener öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB zu prüfen.841 Eine Gemeinde kann sich auf ihr Selbstgestaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG mit Erfolg berufen, wenn sie durch Maßnahmen betroffen wird, die das Ortsbild 836 VG München, Beschl. v. 26. 01. 2015 – M 1 SN 14.4722, Rn. 18; einen qualifizierten Abstimmungsbedarf wegen gravierender Auswirkungen der Windkraftanlagen auf das Gemeindegebiet der Nachbargemeinde verneinte auch das VG Regensburg, Urt. v. 25. 03. 2015 – RN 7 K 14.1187, Rn. 14. 837 Blümel, S. 41; Denecke, S. 34. 838 VGH BW, Gerichtsbescheid v. 07. 04. 1997 = NVwZ-RR 1998, 219 (220); Blümel, S. 26, 30; Denecke, S. 37. 839 BVerwG, Urt. v. 20. 02. 1987 = BVerwGE 77, 47 (57 f.); BVerwG, Beschl. v. 05. 12. 1996 = NVwZ-RR 1997, 339 f.; BVerwG, Beschl. v.  15. 04. 1999 = NVwZ-RR 1999, 554 (555); BayVGH, Urt. v.  19. 12. 1983 = BayVBl. 1984, 303 (304); BayVGH, Urt. v.  23. 04. 1985 = BayVBl. 1985, 626 (628); BayVGH, Urt. v.  06. 06. 1989 = BayVBl. 1990, 50; BayVGH, Urt. v. 06. 07. 2004 – 22 A 03.40033; HessVGH, Beschl. v. 14. 07. 1988 – 11 TG 1736/85 = DVBl. 1988, 1229  – Ls.; HessVGH, Urt. v.  06. 03. 1990 = UPR 1990, 352; VGH BW, Urt. v. 07. 04. 1997 = NVwZ-RR 1998, 220; Blümel, S. 30; Denecke, S. 27, 87. 840 Denecke, S. 115. 841 BayVGH, Beschl. v. 19. 02. 2009 – 22 CS 08.2672, Rn. 13; BayVGH, Beschl. v. 27. 08. 2013 – 22 ZB 13.927, Rn. 20; VG Augsburg, Urt. v. 31. 07. 2015 – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 66.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

entscheidend prägen und hierdurch nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken,842 insbesondere den baulichen Aspekt des örtlichen Gepräges und die vorhandene städtebauliche Struktur von Grund auf verändern.843 Dabei ist der Schutz eines durch keinerlei hervorstechende Merkmale geprägten Ortsbildes nicht um jeden Preis gerechtfertigt; gewisse ästhetische Einbußen als Folge für das Ortsbild nachteiliger, aber kostengünstiger Planungsmaßnahmen hat die Gemeinde hinzunehmen.844 Das Selbstgestaltungsrecht kann vor allem dort an Bedeutung als Abwehrrecht gewinnen, wo durch überörtliche Planungen oder staatliche Maßnahmen eine Stadt oder eine Gemeinde als Ganzes betroffen wird.845 Die Rechtsprechung entnimmt bereits aus der Charakterisierung des Selbstgestaltungsrechts, dass von der Selbstgestaltung nicht nur die Ortsgestaltung im engeren optischen Sinne, sondern alle für die Identität einer Gemeinde wesentlichen Merkmale erfasst sind. Aus ihr folge darüber hinaus, dass für die Inanspruchnahme des Rechts auf Selbstgestaltung stets eine maßgebende Erheblichkeitsschwelle erreicht sein muss. Punktuelle optische Beeinträchtigungen reichen für eine Beeinträchtigung nicht aus, vielmehr sind prägende Auswirkungen in einem größeren räumlichen Umfang erforderlich.846 Das gilt für den möglicherweise unerfreulichen Anblick einer Bahnstromleitung ebenso wie dem Grundsatz nach für den von einer Gemeinde reklamierten Attraktivitätsverlust.847 Zu berücksichtigen ist dabei zum einen, dass nach genannter Definition die Gemeinde gewisse ästhetische Einbußen für das Ortsbild als Folge ansonsten zulässiger Vorhaben hinzunehmen hat. Die Annahme eines Abwehrrechts der Gemeinde ist zum anderen bei einem privilegierten Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB zusätzlich erschwert, da die Genehmigungsfähigkeit nicht bei einer bloßen Beeinträchtigung öffentlicher Belange entfällt.848 Eine geringfügige Veränderung oder eine Verun 842 BVerwG, Beschl. v. 05. 12. 1996 = NVwZ-RR 1997, 339; BVerwG, Urt. v. 08. 01. 1997 – 11 VR 30/95 = NuR 1998, 221 f.; BVerwG, Beschl. v. 15. 04. 1999 – 4 VR 18/98 = NVwZ-RR 1999, 554 (555); BayVGH, Beschl. v.  03. 02. 2009  – 22 CS 08.3194, Rn. 7; VG München, Beschl. v. 26. 01. 2015 – M 1 SN 14.4722, Rn. 19; VG Regensburg, Urt. v. 25. 03. 2015 – RN 7 K 14.1187, Rn. 14; VG Augsburg, Urt. v. 31. 07. 2015 – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 71; Blümel, S. 35; Denecke, S. 39, 87. 843 BVerwG, Urt. v. 18. 03. 1987 – 7 C 28.85 = BVerwGE 77, 128; BVerwG, Urt. v. 30. 08. 1993 – 7  C 14.93 = NVwZ 1994, 371; BVerwG, Beschl. v.  15. 04. 1999  – 4 VR 18/98 = NVwZRR 1999, 554 (555); BayVGH, Urt. v.  06. 06. 1989 = BayVBl. 1990, 48 (50); BayVGH, Beschl. v.  19. 11. 1985  – 20 CS 85 A.2304 = BayVBl. 1986, 370 (372); BayVGH, Beschl. v.  27. 08. 2013  – 22 ZB 13.927, Rn. 16; BayVGH, Beschl. v.  31. 10. 2008  – 22 CS 08.2369, Rn. 31; VG Augsburg, Urt. v.  31. 07. 2015  – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 71; Denecke, S. 114, 130; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (230). 844 VG Augsburg, Urt. v. 31. 07. 2015 – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 71. 845 Blümel, S. 38. 846 BayVGH, Urt. v. 14. 03. 2002 – 20 A 01.40075; Blümel, S. 35 f.; Müller, K., S. 108. 847 Blümel, S. 36 m. w. N. 848 BayVGH, Beschl. v. 31. 10. 2008 – 22 CS 08.2369, Rn. 31; BayVGH, Beschl. v. 19. 02. 2009 – 22 CS 08.2672, Rn. 13; BayVGH, Beschl. v. 03. 02. 2009 – 22 CS 08.3194, Rn. 7; VG München,

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

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staltung des Ortsbildes reicht darüber hinaus für die geforderte Erheblichkeit nicht aus.849 Eine erhebliche Betroffenheit liegt schließlich nach der Rechtsprechung erst dann vor, wenn durch die Errichtung und den Betrieb des Vorhabens eine grundlegende Veränderung der städtebaulichen Struktur der Gemeinde eintritt.850 Bei dieser Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass auch die Funktionsbestimmung einer Gemeinde grundsätzlich Bestandteil des Selbstgestaltungsrechts ist.851 Das Selbstgestaltungsrecht wirkt also einerseits „konservierend“, indem es den bestehenden Gemeindecharakter wahrt und vor Veränderungen schützt. Es hält andererseits Entwicklungsmöglichkeiten offen und erhält somit die Option selbstbestimmter Weiterentwicklung des örtlichen Gepräges und der örtlichen Strukturen. Das Selbstgestaltungsrecht stellt somit eine spezifisch stadtästhetische Garantie gemeindlicher Identität oder Individualität dar.852 In der Rechtsprechung des BVerwG ist außerdem entschieden, dass die Gemeinde sich nicht zum „Wächter des Umweltschutzes“ machen kann.853 Es gehört grundsätzlich nicht zum gemeindlichen Aufgabenkreis, das Landschaftsbild vor Eingriffen zu schützen.854 Eine Verletzung des gemeindlichen Selbstgestaltungsrechts kommt von vornherein nicht bei einer Verunstaltung des Landschaftsbildes in Betracht.855 Ein Windpark bestehend aus 11 Windenergieanlagen, der teilweise direkt an der Gemarkungsgrenze einer Nachbargemeinde errichtet werden soll, sich allerdings vom Ortsrand der Nachbargemeinde mindestens 1.450 m entfernt befindet, bewirke nach Ansicht des VG Karlsruhe weder eine Veränderung der städtebaulichen Struktur der Nachbargemeinde, noch dominiere der Windpark die übrige Bebauung, noch werde durch die Errichtung und durch den Betrieb des Windparks ein optischer Riegel geschaffen, der von der Ortslage aus einsehbare Landschaftsteile abschneiden würde. Keine der 11 geplanten Anlagen war in voller Größe vom bebauten Gemeindegebiet aus sichtbar und die Anlagen standen aufgelockert und vom Sichtfeld der Nachbargemeinde aus gesehen teilweise versetzt hintereinander, sodass sie nicht wie ein optischer Riegel wirkten.856 Beschl. v. 26. 01. 2015 – M 1 SN 14.4722, Rn. 19; VG Augsburg, Urt. v. 31. 07. 2015 – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 71. 849 Denecke, S. 40, 137, 151; Blümel, S. 36, weist darauf hin, dass lediglich punktuelle oder unbedeutende Beeinträchtigungen des gemeindlichen Planungsspielraums ein Klagerecht der Gemeinde jedenfalls wegen einer Verletzung des Selbstgestaltungsrechts nicht vermitteln. 850 BVerwG, Beschl. v.  15. 04. 1999 = NVwZ-RR 1999, 554 (555); VG München, Beschl. v. 26. 01. 2015 – M 1 SN 14.4722, Rn. 20; Denecke, S. 40. 851 Blümel, S. 36. 852 Denecke, S. 114; Manssen, S. 140 m. w. N. 853 BVerwG, Urt. v. 26. 02. 1999 – 4 A 47.96 = NVwZ 2000, 560. 854 VG Augsburg, Urt. v. 31. 07. 2015 – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 67; Denecke, S. 28. 855 VG Augsburg, Urt. v. 31. 07. 2015 – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 67; Denecke, S. 42, 86. 856 VG Karlsruhe, Urt. v.  27. 07. 2017  – 9 K 753/17, Rn. 96; mit ähnlicher Argumentation verneinte das VG München einen gemeindlichen Abwehranspruch auf der Grundlage des sogenannten Selbstgestaltungsrechts der Gemeinden im Falle der Errichtung von vier 210 m hohen

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Eine Verletzung des Selbstgestaltungsrechts kommt im Übrigen bei einer massiven optischen „Trennwirkung“ zwischen den einzelnen Ortsteilen einer Gemeinde bzw. zwischen einzelnen Ortslagen und einsehbaren Landschaftsteilen in Betracht.857 Die bloße Sichtbarkeit der Windenergieanlagen vom Ortsrand führt außerdem für sich genommen zu keiner erheblichen Beeinträchtigung des Ortsbildes.858 Denn eine verunstaltende Wirkung von Windenergieanlagen kann nicht allein deswegen angenommen werden, dass sie aufgrund ihrer Größe markant in Erscheinung treten.859 Windenergieanlagen sind weiterhin gerade dem Außenbereich als privilegierte Vorhaben zugewiesen und treten aufgrund ihrer Bauweise üblicherweise optisch aus weiter Ferne sichtbar hervor. Zeichnet sich dann die Umgebung durch eine typische, bewaldete, ruhige Mittelgebirgslandschaft aus, die über keine besonderen optisch herausragenden Landschaftsmerkmale wie beispielsweise besondere Landschaftsprofile, Schluchten oder Baudenkmäler verfügt, ist nicht von einer Verunstaltung des Landschaftsbildes auszugehen.860 Kurzum setzt eine „entscheidende Prägung“ des Ortsbildes mehr als eine bloße Sichtbarkeit der Windkraftanlagen vom Ortsrand einer Gemeinde voraus; sie dürfte jedenfalls dann vorliegen, wenn die erhebliche Beeinträchtigung des Ortsbildes zu einer Verunstaltung des Ortsbildes führt, die darüber hinaus prägende Auswirkungen auf einen größeren räumlichen Umfang zur Folge hat. In der Praxis werden diese Voraussetzungen wohl in den seltensten Fällen erfüllt sein.861 Aus alledem folgt sogleich, dass das Vorbringen einer Beeinträchtigung des Selbstgestaltungsrechts vor allem in Hinblick auf die sehr restriktive Rechtsprechung hinreichend substantiiert sein muss.862 Das Selbstgestaltungsrecht kann schließlich in Ausgleich mit Bauvorhaben zu bringen sein, die die gemeindliche Identität verändern und den gestalterischen Bindungen städtebaulicher und bauordnungsrechtlicher Vorschriften aufgrund ihrer Windenergieanlagen in ca. einem Kilometer Entfernung von einem Ortsteil der benachbarten Gemeinde, VG München, Beschl. v. 26. 01. 2015 – M 1 SN 14.4722, Rn. 20. Des Weiteren hat der BayVGH (Beschl. v. 19. 02. 2009 – 22 CS 08.2672, juris Rn. 9) bereits bei einem Abstand von ca. 600 Metern als nicht hinreichend dargelegt erachtet, dass von dem Vorhaben eine Veränderung der städtebaulichen Struktur von Grund auf ausgehen würde. Das VG Augsburg (Urt. v. 31. 07. 2015 – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 72) vermag eine rechtlich erhebliche Beeinträchtigung des Ortsbildes bei einer Entfernung der streitgegenständlichen Anlagen in Bezug auf den Ortsrand von rund 900 bis 1.050 Metern nicht zu erkennen. 857 Im entschiedenen Fall abgelehnt, HessVGH, Beschl. v. 27. 09. 2004 = NJOZ 2006, 224 (228 f.). 858 VG München, Beschl. v. 26. 01. 2015 – M 1 SN 14.4722, Rn. 20; VG München, Beschl. v. 24. 08. 2016 – M 1 SN 16.3055, Rn. 38; VG Karlsruhe, Urt. v. 27. 07. 2017 – 9 K 753/17, Rn. 95; VG Regensburg, Urt. v.  25. 03. 2015  – RN 7 K 14.1187, Rn. 14; VG Augsburg, Urt. v. 31. 07. 2015 – Au 4 K 14.1803, 1804, 1805, Rn. 72. 859 BVerwG, Urt. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7/03, Rn. 5. 860 VG Karlsruhe, Urt. v. 27. 07. 2017 – 9 K 753/17, Rn. 96. 861 Blümel, S. 29; Denecke, S. 139, 150 f.; jeweils mit Blick auf die bereits zum Selbstgestaltungsrecht ergangene Rspr. 862 Blümel, S. 41.

V. Verunstaltung des Ortsbildes  

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gesetzesvorbehaltlosen Grundrechtsgewährleistung nicht unterfallen.863 Das Selbstgestaltungsrecht stellt insofern eine verfassungsimmanente Schranke vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte dar.864 Die Gemeinde kann damit ihre eigene Identität nicht nur im Wege positiver Gestaltungspflege gestalten, sondern hat mit dem Selbstgestaltungsrecht auch die Möglichkeit, Veränderungen ihres Gepräges durch die Grundrechtsausübung Dritter abzuwehren.865 Ein entscheidendes Augenmerk in Bezug auf die Abwägung zwischen dem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht und dem kommunalen Selbstgestaltungsrecht verdient dabei die Überlegung, dass dem Baukünstler im Gemeindegebiet noch bestimmte Gestaltungsfreiräume erhalten bleiben müssen. Baukünstlerische Projekte dürfen somit unter Berufung auf das kommunale Selbstgestaltungsrecht nicht völlig unmöglich gemacht werden.866 Es ist der Gemeinde daher im Allgemeinen aus den besagten Gründen weder erlaubt für das gesamte Gemeindegebiet noch pauschal für bestimmte Gebietsarten einheitliche baugestalterische Anforderungen aufzustellen.867 Aus der Anerkennung eines abwehrfähigen Selbstgestaltungsrechtes der Gemeinde als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) folgt, dass die das Ortsbild schützenden Verunstaltungsverbote ihre verfassungs 863 Denecke, S. 114; Dreier / Pernice, 2004, Art. 5 Abs. 3, Rn. 41; Gaudernack, S. 215; Kamp, S. 91; Klein, S. 281; Manssen, DV 1991, 33 (45 f.); S / S/D / Stern, § 117, VII 4, S. 722 f. 864 Zur Abwägung des Grundrechts auf Kunstfreiheit eines Grundstückseigentümers, der die Fassaden seines Hauses bemalt hat, mit den Grundrechten von Nachbarn und Verkehrsteilnehmern im Rahmen eines bauaufsichtlichen Verfahrens siehe OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1997, 1422 (1423), das unter anderem eine Kollision mit dem Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde im entschiedenen Fall verneint hat; siehe ebenso aus der aktuellen Rechtsprechung VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451: „Dieses (erg. aus Art. 28 Abs. 2 GG abgeleitete gemeindliche Selbstgestaltungsrecht) gibt dem Beklagten nicht nur das Recht, das Gepräge und die Struktur seines Ortes zu bestimmen, sondern auch Verunstaltungen abzuwehren“; Denecke, S. 130, 147 ff.; so auch BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 184; Dreier / Pernice, 2004, Art. 5 Abs. 3, Rn. 41; Gaudernack, S. 215; Klein, S. 281; Kollmann, S. 379 f.; Manssen, DV 1991, 33 (45 f.) und S / S/D / Stern, § 117, VII 4, S. 722 f., die aber nicht ausdrücklich zwischen kommunaler Planungshoheit und Selbstgestaltungsrecht differenzieren; das Bestehen eines gemeindlichen Selbstgestaltungsrechtes wird verschiedentlich bestritten: Schneider, S. 112, 114, bringt das sogenannte Konfusionsargument vor, wonach die Gemeinden selbst Grundrechtsadressaten – nicht Grundrechtsberechtigte – seien und als solche nicht ihr Selbstgestaltungsrecht der Kunstfreiheit entgegenhalten könnten. Nach der Meinung von Kapell, S. 268 f., 276 f., 279 – angelehnt an Kamp, S. 91; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (230); Vilsmeier, S. 55; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290), nach denen die gemeindliche Selbstgestaltungsfreiheit nur dort Geltung beanspruchen könne, wo die Gemeinde ihre Gestaltungsvorstellungen etwa durch den Erlass von örtlichen Gestaltungsvorschriften konkretisiert habe – könne das Selbstgestaltungsrecht der Gemeinden nur dann ein kollisionsfähiges Verfassungsgut sein, wenn die Regelung der örtlichen Baugestaltung ein Bereich wäre, der zwingend den Gemeinden zu überlassen sei. Die Baugestaltung gehöre aber nicht zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung. 865 Denecke, S. 151; Manssen, DV 1991, 33 (45 f.); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (621). 866 Kamp, S. 91; Vilsmeier, S. 56. 867 Kamp, S. 91; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (621).

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

rechtliche Legitimation im gemeindlichen Selbstgestaltungsrecht finden – dies gilt unabhängig davon, dass sie der abwehrenden, sog. negativen Gestaltungspflege, dienen.868 Das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht als Ausfluss der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie bietet schließlich auch eine verfassungsrechtliche Grundlage für die gemeindliche Pflege der Baukunst durch den Erlass von örtlichen Gestaltungsvorschriften.869 Soweit umgebungsunabhängige Verunstaltungsverbote betroffen sind und es nur um die Ästhetik des Bauwerks selbst geht, ist das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht nicht betroffen.870 Die umgebungsabhängigen Verunstaltungsverbote enthalten jedoch einen Bezug zum Ortsbild – also einen Bezug zur örtlichen Identität und zum örtlichen Gepräge schlechthin.871

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen Die jüngere Rechtsprechung zum bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot erging hauptsächlich im Zusammenhang mit der Prüfung der Zulässigkeit von privilegierten Windenergieanlagen im Außenbereich, § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB. In der Rechtsprechung des BVerwG ist rechtsgrundsätzlich geklärt, dass eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB voraussetzt, dass das Bauvorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird.872 Dieser Grundsatz findet auch bei der Errichtung und dem Betrieb von Windenergieanlagen Anwendung.873 Dabei ist einhellig anerkannt, dass die bloße technische Neuartigkeit einer Anlage und ihre dadurch bedingte optische Gewöhnungsbedürftigkeit irrelevant für die wertende Beurteilung sind, ob ein Vorhaben das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltet.874 868

Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des BVerwG führt das VG Berlin in einer aktuellen Entscheidung über die Zulässigkeit einer Fassadenbemalung aus, dass „es (erg. das BVerwG) folglich anerkennt, dass die Abwehr von Verunstaltungen im Ortsbild eine Staatsaufgabe von Verfassungsrang ist, die auch die Kunstfreiheit zu beschränken vermag“, siehe ausführlich zur Beschränkung der Kunstfreiheit des Bauherrn aufgrund des Schutzes widerstreitender Rechtsgüter mit Verfassungsrang VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451; Denecke, S. 150; Gaudernack, S. 217; a. A. Kapell, S. 279. 869 Zur verfassungsrechtlichen Verankerung einer positiven Gestaltungspflege in Form des Erlasses von örtlichen Bauvorschriften vgl. Manssen, S. 139 ff., 217 ff., 219; Mick, S. 115 ff., 188 ff.; Müller, K., S. 105 ff.; in diesem Zusammenhang wird diskutiert, ob eine Gemeinde ihre eigenen Gestaltungsvorstellungen schon in irgendeiner Weise näher konkretisiert haben muss, so etwa in Form des Erlasses von örtlichen Bauvorschriften, um sich auf ihr Selbstgestaltungsrecht berufen zu können – ähnlich der Rüge der Verletzung der kommunalen Planungshoheit gegenüber überörtlichen Raumplanungen – vgl. Manssen, S. 141; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (621). 870 Gaudernack, S. 217; Kapell, S. 268; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (621). 871 Gaudernack, S. 217. 872 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01 = BauR 2002, 1052. 873 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03 = NuR 2007, 757; Fest, S. 153. 874 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 25. 03. 1996 – 14 B 94.119 = NVwZ 1997, 1010; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; Fest, S. 153; Schröter, S. 597; zu den Besonderheiten bei Windkraftanlagen siehe unten Abschnitt B. VI. 1.

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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Soweit bei der Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes keine Besonderheiten zwischen privilegierten Windenergieanlagen und sonstigen Vorhaben bestehen, wurden die Windenergieanlagen in der Kategorisierung und Katalogisierung der verschiedenen Fallgruppen des Verunstaltungsbegriffs bereits aufgenommen und im Zusammenhang mit den übrigen Vorhaben abgehandelt. Insoweit wird insbesondere auch auf die entsprechenden Unterabschnitte des Kapitels „Beurteilungskriterien für das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB“ verwiesen.875 Bei der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Windenergieanlagen ergeben sich allerdings einige anlagentypische Besonderheiten, die sich auch auf das Verunstaltungsverbot auswirken. Diese Besonderheiten müssen bei der wertenden Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes berücksichtigt werden. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich daher mit diesen Besonderheiten bei Windenergieanlagen. Eine Besonderheit von Windenergieanlagen gegenüber den übrigen Vorhaben im Außenbereich ergibt sich regelmäßig daraus, dass Windenergieanlagen aufgrund ihrer Größe weithin sichtbar sind und sich aus ihren Dimensionen als technischen Bauwerken zwangsläufig eine dominierende Wirkung auf ihre Umgebung ergibt.876 Windenergieanlagen werden außerdem regelmäßig an einer exponierten Stelle und nicht etwa in einem Tal oder sonst an einem verdeckten Standort errichtet.877 Ihre anlagentypische Besonderheit der drehenden Rotorblätter darf im Zusammenhang mit ihrer Größe und dem unter Umständen daraus resultierenden optischen Blickfang bei der Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes nicht außer Betracht bleiben.878 Es steht fest, dass Windenergieanlagen aufgrund ihrer gesetzgeberischen Privilegierung in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB grundsätzlich im Außenbereich zulässig sind – soweit insbesondere die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind – und das jeweilige Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht in Anspruch nehmen werden, insbesondere dann, wenn es sich um eine erstmalige Ansiedlung in einem bislang von Windenergieanlagen unbebauten Landschaftsteil handelt. Bei Windenergieanlagen ist besonders in Anbetracht der genannten anlagentypischen Besonderheiten für die Beurteilung eines „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswerten Landschaftsbildes“ eine sorgfältige Prüfung angezeigt. Es muss andererseits nicht unbedingt ein wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswertes Landschaftsbild vorliegen, um zu einer 875

Kapitel B. III. 6. d) und e). BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn.  94; Düsing / Martinez / Achelpöhler, § 35 BauGB, Rn. 194; Scheidler, NuR 2010, 525 (527, 530). 877 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295. 878 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01; OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 46. 876

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes zu führen, wenn die Errichtung und der Betrieb einer oder mehrerer Windenergieanlagen an exponierter Stelle zu einer „Verspargelung“ der Landschaft führen.879 Es wird allerdings schwieriger eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes annehmen zu können, soweit weder ein wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion besonders schützenswertes Landschaftsbild vorliegt, noch die Errichtung und der Betrieb an einem exponierten Standort im Raum stehen. In diesem Kapitel wird deshalb eingehend der Frage nachgegangen, ob eine bloße „Horizontverschmutzung“ durch Windenergieanlagen ausreichend ist, um die Schwelle zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes zu überschreiten. Eine bloße „Horizontverschmutzung“ kommt regelmäßig beim Vorliegen einer durch landwirtschaftliche Nutzflächen geprägten Landschaft in Betracht, die ansonsten über keine nennenswerten schutzwürdigen Elemente verfügt. Im Zusammenhang mit Windenergieanlagen stellt sich weiterhin die Frage, ob die Errichtung und der Betrieb einer Windenergieanlage innerhalb einer ausgewiesenen Konzentrationszone im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB überhaupt zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führen kann. Das Gesetz selbst gibt hierüber keinen Aufschluss. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB besagt, dass öffentliche Belange – so auch die Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes – einem Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 6 BauGB in der Regel auch dann entgegenstehen, soweit durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. 1. Größe der Windkraftanlage Der bloße Umstand, dass eine Windkraftanlage aufgrund ihrer Größe weithin sichtbar ist und sich aus den Dimensionen von Windkraftanlagen als technischen Bauwerken zwangsläufig eine dominierende Wirkung auf die Umgebung ergibt, ist für sich allein genommen nicht ausreichend, um eine Verunstaltung des Ortsoder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB annehmen zu können, da ansonsten Windkraftanlagen in typischen Außenbereichslandschaften kaum noch zugelassen werden könnten.880 Beispielsweise bewegt sich eine Windkraftanlage mit einer Nabenhöhe von etwa 130 m, einem Rotordurchmesser von 70,5 m und einer Grundfläche am Boden von etwa 650 m² nicht jenseits des für eine Windkraftanlage Typischen.881

879

VG Kassel, Urt. v. 02. 03. 2016 – 1 K 1122/13.KS, Rn. 65. BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05; VG Regensburg, Urt. v. 25. 03. 2015 – RN 7 K 14.1187, Rn. 20; Brenner, Rn. 699; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn.  94; Düsing / Martinez / Achelpöhler, § 35 BauGB, Rn. 194; Scheidler, NuR 2010, 525 (527, 530). 881 BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356. 880

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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Eine Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes folgt auch nicht allein aus dem Umstand, dass eine Windenergieanlage regelmäßig an exponierter Stelle und nicht etwa in einem Tal oder an sonst verdeckten Standorten errichtet wird.882 Wind­ energieanlagen sind grundsätzlich „Blickfänge“, wenn sie als vereinzelte Anlagen in die Landschaft gestellt werden. Aber auch soweit mehrere Anlagen auf engerem Raum zusammengefasst werden, werden die Blicke des Betrachters eingefangen, selbst wenn die jeweilige einzelne Anlage weniger in Erscheinung treten mag.883 Für die Beurteilung der Schutzbedürftigkeit des Landschaftsbildes ist jedenfalls nicht die Draufsicht aus der Luft, sondern die horizontale Sicht eines für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters von verschiedenen Standorten innerhalb dieser Landschaft maßgebend, wobei die Auswirkungen auf das Landschaftsbild umso einschneidender sein werden, je größer die Windkraftanlage ist.884 Bauliche Anlagen sind damit von der Beurteilung der Schutzbedürftigkeit eines Landschaftsbildes als Vorbelastung auszunehmen, die von diesen Standorten optisch nicht in Erscheinung treten.885 Der Zulassung einer Windkraftanlage steht es nicht entgegen, dass die Anlage von Waldlandschaften umgeben wird, die einen ungehinderten Fernblick auf die Anlage kaum zulassen und eine Sichtbarkeit der Anlage aus jeder Perspektive zwar nicht ausgeschlossen ist, diese aber zu einem erheblichen Teil – gerade aus Sicht des am Boden stehenden Betrachters – vielfach nicht gegeben ist.886 Bei einer Sichtbarkeit der Anlage aus größerer Entfernung ist eine dem Landschaftsbild grobe Unangemessenheit dann nicht festzustellen, wenn das Vorhaben aufgrund der weiten Entfernung vom Anlagenstandort zum Standort des Betrachters nur geringfügig wahrnehmbar ist und das Landschaftsbild optisch auch deswegen nicht beherrschen kann, weil sich das Gesamtgebiet vorrangig durch markante landschaftsästhetische Besonderheiten wie etwa Moore, Wälder oder Seen auszeichnet.887 Das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes erfordert bei einer Windkraftanlage, die gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegiert ist und damit gegenüber öffentlichen Belangen ein gesteigertes Durchsetzungsvermögen aufweist, dass sich der geplante Standort entweder in einer tatsächlich aufgrund ihrer Schönheit oder Funktion schützenswerten Landschaft befindet,888 oder die Anlage an dem geplanten Standort das Landschaftsbild beispielsweise auch durch ihre Rotorbewegungen maßstabslos dominiert.889 Für die wertende Beurteilung, ob „die 882

BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295. VG Arnsberg, Beschl. v. 12. 08. 2015 – 8 L 668/15, Rn. 17. 884 OVG Bln-Bbg., Beschl. v.  20. 11. 2006  – 2 N 162.05; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 23. 01. 2017 – 8 L 760/16, Rn. 111; Fest, S. 153; Stüer, Rn. 2951. 885 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05. 886 VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 23. 01. 2017 – 8 L 760/16, Rn. 111. 887 VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 23. 01. 2017 – 8 L 760/16, Rn. 113. 888 BVerwG, Beschl. v.  18. 03. 2003  – 4 B 7.03 = BauR 2004, 295; OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04 = NuR 2007, 215; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98 = NuR 2002, 162; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn. 94; Schindler, NuR 2010, 525 (527). 889 OVG NRW, Urt. v. 04. 12. 2006 – 7 A 568/06 = BauR 2007, 677 (680); OVG RhPf, Urt. v. 18. 05. 2006 – 1 A 11398/04, Rn. 23; Schindler, NuR 2010, 525 (529). 883

178

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Schwelle zu einer Verunstaltung“ überschritten ist, können die anlagentypischen Drehbewegungen der Rotorblätter einer Windkraftanlage als Blickfang nicht außer Betracht bleiben, die eine entsprechende Unruhe in schützenswerte Landschaftsbilder hineintragen.890 Die beträchtliche Höhe einer Windkraftanlage kann zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führen, wenn die absolute Höhe eine erheblich beeinträchtigende Fernwirkung auf weiter entfernte Bereiche besitzt, die sich aufgrund des Wechselspiels zwischen Topographie und Vegetation als landschaftlich besonders reizvoll erweisen. Das VG Arnsberg nahm bei einer Windkraftanlage mit einer Nabenhöhe von 114,09 m, einem Rotordurchmesser von 70 m und einer Gesamthöhe von 149,09 m eine verunstaltende Wirkung einer Windkraftanlage aufgrund ihrer nachteiligen Fernwirkung auf einen weiter entfernten Bereich an, obwohl die nähere Umgebung der geplanten Anlage selbst wenige landschaftsästhetische Reize bot: diese zeichnete sich durch Ackerflächen und dem weitgehenden Fehlen von landschaftsprägenden Besonderheiten aus. Die nähere Umgebung war ebenfalls keineswegs von baulichen Anlagen wie einer Hochspannungsleitung, einer Bahnlinie und benachbarten Windkraftanlagen unberührt.891 Nach Ansicht des VG Arnsberg führte jedoch die beträchtliche Höhe der Anlage zu einer erheblichen Fernwirkung, die insbesondere unter Landschaftsschutz stehende begrünte Bachläufe und ein in ca. 500 m Entfernung befindliches Naturschutzgebiet nachhaltig beeinträchtigen würde. Die beschriebenen Vorbelastungen könnten entlang der Bachläufe zwar optisch weniger in Erscheinung treten als in der unmittelbaren Umgebung des Anlagestandortes. Neben dem Kriterium der absoluten Höhe der Anlage habe schließlich auch der beträchtliche Rotordurchmesser nicht unerheblich dazu beigetragen, dass die Drehbewegungen des Rotors einen optischen Blickfang bilden würden, der die landschaftsbeeinträchtigende Wirkung der Anlage nur noch zusätzlich verstärke. Insofern habe zur Beurteilung der Intensität des Eingriffs in das Landschaftsbild nicht nur die beträchtliche absolute Höhe der Anlage betrachtet werden müssen, sondern auch die jeweilige Größe des Rotors bzw. der vom Rotor bestrichenen Fläche. Während die geplante Anlage mit einem Rotordurchmesser von 70 m eine Fläche von ca. 3850 m² habe bestreichen können, habe die Fläche der in der Umgebung vorhandenen Anlagen mit einem Rotordurchmesser von 44 m ca. 1500 m² betragen.892 Der BayVGH nahm eine Verunstaltung des Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) in einem Fall an, dem eine in ihrer Schönheit schützenswerte kleinteilige bäuerliche Kulturlandschaft zugrunde lag, die im Nahbereich vereinzelt landwirtschaftliche Anwesen aufwies, welche gerade die einzigartige Charakteristik der Landschaft ausmachten. 890

BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01; OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 46. 891 VG Arnsberg, Urt. v. 18. 05. 2006 – 7 K 3665/04, Rn. 43. 892 VG Arnsberg, Urt. v. 18. 05. 2006 – 7 K 3665/04, Rn. 45.

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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Liegt eine schützenswerte Landschaft vor, dann spielt auch die Größe der Windkraftanlage in Bezug auf die Proportionen der Landschaft eine entscheidende Rolle für die Frage nach der Bejahung oder Verneinung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes. Der BayVGH nahm eine Verunstaltung an, weil die geplante Windkraftanlage mit einer Gesamthöhe von 85 m die Waldkulisse bei weitem überragt hätte und von ihr deshalb optisch nicht habe aufgefangen werden können. Die einschneidenden Auswirkungen des Windrads würden noch durch die anlagentypische Drehbewegung des Rotors und die damit aus Sicht des Beobachters in die Landschaft übertragene Unruhe noch erheblich verstärkt.893 Es lässt sich nicht abstrakt bestimmen, in welcher Entfernung eine Windkraftanlage nicht mehr verunstaltend wirken kann.894 Die Rechtsprechung ist hier uneinheitlich. Das VG Freiburg will nur einen Nahbereich bei der Landschaftsbildbeurteilung heranziehen und sieht diesen im 15-fachen der Höhe der geplanten Windkraftanlage.895 Der HessVGH sieht die Schutzwürdigkeit eines Landschaftsschutzgebietes auch bei einer geringen Zahl baulicher Anlagen in größerer Entfernung nicht gemindert.896 Die Errichtung eines Windparks von vier Windkraftanlagen mit 63 m Nabenhöhe und 44 m Rotordurchmesser auf der Lützelalb, einer etwa 740 m hoch gelegenen, landwirtschaftlich genutzten und von Wald umgebenen Hochfläche, führt allerdings zu einer empfindlichen Beeinträchtigung des „einmaligen“ Erholungscharakters eines teilweise nur 1,5 km entfernten Naturschutzgebietes, da „ihm die ausladenden hochtechnischen Anlagen gegenüber gestellt würden, die der ländlichen Hügellandschaft unangemessen sind und beim Betrachter Missfallen hervorrufen würden“.897 Das VG Meinigen sieht eine Beeinträchtigung des Wartburg-Ausblickes durch eine Windenergieanlage noch in 7,5 km Entfernung als gegeben an, da der Standort höher liege als die schützenswerte Wartburg.898 Eine allgemeine Faustformel lässt sich insofern nicht erkennen. Die Frage nach einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes lässt sich vor dem Hintergrund der verschiedenen topographischen Gegebenheiten auch weiterhin nur im Einzelfall beantworten. Der Landschaftstyp wirkt sich dabei entscheidend aus. Eine Mittelgebirgslandschaft bietet außerdem mehr Hügelkuppen und damit mehr exponierte Lagen als die Norddeutsche Tiefebene.899 Eine Tageskennzeichnung einer Windenergieanlage führt nicht zwangsläufig zur Bejahung einer verunstaltenden Wirkung, selbst wenn die Kennzeichnung die Wirkungen, die von der Anlage auf die Umgebung ausgehen, verstärken sollte. Dies gilt besonders bei einer geringen Wertigkeit des Landschaftsbildes und bei einem 893

BayVGH, Urt. v. 23. 06. 2003 – 14 B 01.2423, Rn. 18 f. BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03 = BauR 2004, 295; BerlinerKomm-BauGB / ​ Roeser, § 35, Rn. 77; Fest, S. 156. 895 VG Freiburg, Urt. v. 25. 10. 2005 – 1 K 2723/04 = UPR 2006, 364. 896 HessVGH, Urt. v. 10. 01. 2003 – 4 ZU 2543/02 = BauR 2004, 879. 897 VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02, Rn. 20. 898 VG Meiningen, Urt. v. 25. 01. 2006 – 5 E 386/05 = BauR 2006, 1266 (1268). 899 Fest, S. 156. 894

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

nicht besonders exponierten Anlagenstandort.900 Das Landschaftsbild genießt im Übrigen zur Nachtzeit in aller Regel keinen hohen Schutz, sodass eine Nachtkennzeichnung einer Windenergieanlage keine nennenswerte zusätzliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes darstellt.901 2. Besonders schönes und schützenswertes Landschaftsbild Die Beeinträchtigung einer landschaftlich besonders reizvollen und malerischen Landschaft oder einer „schönen“ Umgebung genügt für sich allein genommen noch nicht, um als öffentlicher Belang einer privilegierten Windkraftanlage entgegenzustehen. Eine Beeinträchtigung gewöhnlicher „schöner“ Landschaften hat der Gesetzgeber mit der Aufnahme von Windkraftanlagen als privilegierte Vorhaben bewusst in Kauf genommen, ansonsten wäre allein bei Vorliegen einer „schönen“ Landschaft vielerorts die Errichtung von Windkraftanlagen nicht möglich.902 Obwohl viele heimische Menschen die Errichtung von Windenergieanlagen in solchen „schönen Landschaften“ als eine Verunstaltung des Landschaftsbildes werten – insbesondere bei einer erstmaligen Ansiedlung in einem bislang von Windenergieanlagen unberührten Bereich –, muss es sich um Ausnahmefälle handeln, die zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB führen und bei denen sich eine Landschaft als besonders schön und schützenswert gegenüber den übrigen gewöhnlichen „schönen“ Landschaften hervorhebt.903 Es muss sich um atypische Einzelfälle handeln, die in Deutschland sehr selten vorzufinden sind. Als Richtwert sollte es sich um eine Landschaft handeln, die zu den schönsten zehn Prozent der deutschen Landschaften zählt und durch eine besondere landschaftsästhetische Prägung hervorsticht, um dem Ausnahmecharakter des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots gerecht zu werden.904 Das Landschaftsbild muss eine Einzigartigkeit aufweisen, die nicht vielerorts ähnlich schön anzutreffen ist, wie etwa die markanten Züge der sächsischen Schweiz, 900

NdsOVG, Urt. v. 16. 11. 2009 – 12 LC 181/07, Rn. 51. NdsOVG, Urt. v. 16. 11. 2009 – 12 LC 181/07, Rn. 51; VG Meiningen, Urt. v. 28. 07. 2010 – 5 K 670/06 Me. 902 BayVGH, Urt. v.  01. 10. 2007  – 15 B 06.2356; BayVGH, Urt. v.  30. 06. 2005  – 26  B 01.2833, Rn. 37; Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163). 903 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163); Stüer / Stüer, NuR 2004, 341 (346); den weiten Spielraum für den Geschmack des jeweiligen Betrachters betonend Schultzenstein, DJZ 1902, 468 (471): „Wie manche Gegend ist nicht landschaftlich hervorragend, wird aber doch dafür gehalten aus Lokalpatriotismus, weil man nichts Besseres hat oder kennt, oder etwa vom Standpunkte sezessionistischer Kunstanschauung aus.“ So führte bereits die ministerielle Ausführungsanweisung vom 04. 08. 1907 zum preußischen Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden von 1907 aus, dass maßgebend für die Definition des Begriffs der landschaftlich hervorragenden Gegenden nicht das Heimatgefühl der Bewohner der betreffenden Landschaft allein sein kann, abgedruckt bei Goldschmidt, S. 106 ff. (124). 904 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163). 901

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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die Kreidefelsen auf Rügen oder das Voralpengebiet.905 Geplante Windkraftanlagen können aufgrund ihrer Höhe sowie ihrer Drehbewegungen und Kennzeichnungen in das Gebiet des Weltkulturerbes Oberes Mittelrheintal einwirken, das mit seinen gewachsenen Kulturlandschaften, landesweit bedeutsamen Kulturdenkmälern und Ortsbildern sowie besonderen weiträumigen Sichtbeziehungen über das Tal hinweg vom Grundsatz her eine besonders schutzwürdige Landschaft darstellt.906 Das Wittgensteiner Land erweist sich ebenso als besonders schützenswert, das geprägt wird durch sanft abfallende Wiesengelände, in welches Ortschaften eingebettet sind, sowie durch mit vereinzeltem Baum- und Buschwerk durchzogenen Tallagen und durch in unterschiedlichen Entfernungen verlaufenden Höhenzügen, die keine einheitliche Linie bilden, sondern eine bewegte Geländemorphologie erkennen lassen.907 Nach Ansicht des VG Kassel kann der öffentliche Belang der Verunstaltung des Landschaftsbildes im Einzelfall der Errichtung und dem Betrieb einer Windkraftanlage im Biosphärenreservat Rhön entgegenstehen. Denn es handle sich bei der hessischen Rhön, insbesondere dem Bereich um Gersfeld, um eine besonders schutzwürdige Landschaft, die geprägt sei von einer einzigartigen Kulturlandschaft von unbewaldeten Kuppen, lieblichen Tälern, Mooren und Heckenlandschaften, die daher auch als „Landschaft der offenen Fernen“ bezeichnet werde, welche die Blicke von etlichen Aussichtspunkten in eine nahezu unberührte Natur hinübergleiten lasse.908 Vielerorts anzutreffende Landschaften – wie nicht herausragend schöne Täler im Taunus oder im Allgäu – genießen hingegen nur dann Schutz vor einer Verunstaltung des Landschaftsbildes, wenn sie durch Fachplanungen oder durch steuernde gemeindliche Bauleitplanung besonders geschützt werden. Ohne diese Steuerung können solche Landschaften gegenüber privilegierten Windkraftanlagen keinen Schutz beanspruchen.909 Weist die Landschaft keine schutzwürdige Eigenart auf und ist sie im Übrigen auch nicht unberührt, sondern durch vorhandene Anlagen vorbelastet, kann sie erst Recht nicht einem privilegierten Vorhaben wie einer Windkraftanlage zum Nachteil gereichen. Eine nähere Umgebung, die durch typische landwirtschaftliche Nutzflächen und einer sie durchlaufenden Bundesstraße geprägt wird, weist keine besonders schutzwürdigen Elemente auf. Eine unberührte Landschaft liegt auch dann nicht vor, wenn die Landschaft durch außenbereichstypische Anlagen – wie unter anderem mit einem Sendemast – vorbelastet ist.910

905

Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163). OVG RhPf, Urt. v. 06. 06. 2019 – 1 A 11532/18, openJur 2020, 24184. 907 VG Arnsberg, Beschl. v. 12. 09. 2017 – 8 L 571/17, Rn. 58. 908 VG Kassel, Urt. v. 02. 03. 2016 – 1 K 1122/13.KS, Rn. 65. 909 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163). 910 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 906

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Gegen die verunstaltende Wirkung einer Windenergieanlage kann außerdem sprechen, dass die Standortgemeinde ihren Flächennutzungsplan ändern möchte und Entwürfe vorgelegt hat, die in unmittelbarer Nähe des geplanten Standortes Flächen ausweisen, die für die Errichtung von Windkraftanlagen geeignet wären. Wenn jedoch bereits bei der abwägenden Planentscheidung durchgreifende landschaftsschützende Bedenken in unmittelbarer Nähe des geplanten Anlagenstandorts nicht erhoben werden, kann dies bei dem wesentlich engeren Maßstab der Verunstaltung des Landschaftsbildes erst recht nicht angenommen werden.911 3. Exponierte Lage Die „exponierte Lage“ stellt einen Unterfall des besonders schützenswerten Landschaftsbildes dar. Die maßgebliche Umgebung muss dabei grundsätzlich noch nicht besonders schützenswert sein – wobei strengere Maßstäbe bei Windkraftanlagen gelten. Der jeweilige Standort des Vorhabens muss jedenfalls eine herausgehobene Stellung haben, damit er sich unter den jeweiligen Umständen des Einzelfalls negativ auf ein gegebenes Landschaftsbild auswirken kann. Der Begriff der „exponierten Lage“ ist daher nie losgelöst von einem gegebenen, die Umgebung prägenden Landschaftsbild zu sehen. Die Prägung des Landschaftsbildes muss allerdings über typische landwirtschaftliche Nutzflächen hinausgehen, also einen gewissen Grad an Schutzwürdigkeit aufweisen, um überhaupt von einem bestimmten Standort des Vorhabens aus unangemessen optisch benachteiligt zu werden. Eine „Horizontverschmutzung“ liegt hingegen lediglich vor, soweit die Umgebung keine nennenswerten Landschaftscharakteristika aufweist und lediglich ein weiter Blick vom Standort des Vorhabens aus in die durch landwirtschaftliche Nutzflächen oder einem gewöhnlichen Nadelwald geprägte Umgebung möglich ist.912 Die (Aus-)Wirkung einer exponierten Lage auf das Landschaftsbild kann sich in zweierlei Hinsicht zeigen: Die Errichtung eines Vorhabens in einer exponierten Lage kann das Vorhaben weithin sichtbar machen und dazu führen, dass diese einzigartige Lage ihre Schönheit einbüßt.913 Das OVG NRW nahm eine Verunstaltung des Eindrucks des Sternliedsbergs in einem Fall an, in dem zwei Windkraftanlagen mit einer Nabenhöhe von 60,50 m und einem Rotordurchmesser von 52 m – was bei entsprechender Rotorstellung einer Höhe von 86,50 m entspricht – auf einem Hang des Sternliedsberges errichtet werden sollten, der auf ca. 280 m über NN liegt. Die beiden Windkraftanlagen würden die auf ca. 290 m über NN liegende Erhebung des Sternliedsberges um ca. 70 m überragen. Die Erscheinung des Sternliedsberges erwies sich in der Landschaft als besonders schutzwürdig, da sich dem Betrachter nach der Auffassung des Gerichts im Gesamtzusammenhang mit dem

911

VG Minden, Urt. v. 17. 02. 2004 – 1 K 1067/02, Rn. 72. ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 913 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 912

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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umliegenden Gelände eine besonders reizvolle und schutzwürdige Landschaft dargeboten habe.914 Der Fernblick von einem exponierten Aussichtspunkt auf die ansonsten weit­ gehend unberührte Landschaft kann zum anderen verunstaltet werden, selbst wenn die Errichtung der Windenergieanlagen im Umfeld einer exponierten Lage noch nicht zur Beeinträchtigung dieses Standorts selbst führen mag.915 Ein Vorhaben kann mit anderen Worten umso eher den Verunstaltungsbegriff erfüllen, je bedeutender der Bereich ist, von dem aus die Anlage wahrnehmbar ist.916 Eine erhebliche Auswirkung wird dann von den Windkraftanlagen ausgehen, wenn der Blick von der exponierten Lage auf die ansonsten weitgehend unberührte Landschaft beeinträchtigt wird und die Windkraftanlagen „ein in besonderem Maße beachtliches und belastendes Störpotential“ darstellen. Bietet sich von dem exponierten Aussichtspunkt ein Fernblick auf ein landschaftliches Panorama, dürfen die Anlagen nicht „in den für die Wirkung des Panoramas besonders wichtigen Grenzbereich zwischen natürlichem Gelände und freiem Himmel hineindringen“.917 a) Besonderheiten bei Windkraftanlagen Im Zusammenhang mit Windkraftanlagen ist allerdings die Besonderheit zu beachten, dass eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes nicht allein beim Vorliegen einer exponierten Lage angenommen werden kann, da Windkraft­ anlagen naturgemäß an exponierten Standorten errichtet werden. Die Errichtung an exponierten Stellen gehört typischerweise zu ihrem Erscheinungsbild.918 Die vom Gesetz vorgesehene Schutzbedürftigkeit darf dennoch nicht von der Landschaft auf die Anlage verlagert werden. Die Privilegierung reicht schließlich nicht so weit, um Eingriffe in die Landschaft auch dann vornehmen zu dürfen, wenn im konkreten Fall außer der besonders verletzbaren und schutzbedürftigen Landschaft keine anderen Standorte verfügbar sind.919 Die Problemstellung ergibt sich daraus, dass mit der zunehmenden Erschöpfung freier Flächen in den Starkwindgebieten der Norddeutschen Tiefebene, wo die Windkraftnutzung in Deutschland begann und am stärksten verbreitet ist, diese nunmehr in die windhöffigen Gebiete des Hinterlandes vordringt. Im Mittelgebirge liegen die windhöffigen Gebiete zwangsläufig auf Hügelkuppen und damit an ex-

914

OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 69. Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 916 Kapell, S. 80. 917 OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 52. 918 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 40; OVG RhPf, Urt. v. 11. 05. 2006 – 1 A 11398/04 = EurUP 2006, 212; OVG NRW, Urt. v. 30. 11. 2001 – 7 A 4857/00, Rn. 176; Fest, S. 156 f.; Stüer, Rn. 2951. 919 Quambusch, BauR 2003, 635 (641). 915

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

ponierter Stelle.920 Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB erfordert vielmehr einen atypischen Sachverhalt. Eine zur Verunstaltung führende Wirkung von Windkraftanlagen ist daher nur dann anzunehmen, soweit es sich bei dem optisch betroffenen Bereich um eine wegen ihrer Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdige Umgebung handelt oder wenn ein besonders grober Eingriff in das Orts- oder Landschaftsbild vorliegt.921 Bei einem besonders exponierten Standort genügt zweifelsohne für eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ein geringerer Grad an Beeinträchtigung.922 Dies ist beispielsweise dann erfüllt, wenn eine Windkraftanlage auf dem Hang eines Berges errichtet werden soll und die Anlage diesen bei entsprechender Ro­ torstellung deutlich überragen würde, vorausgesetzt, der Berg ist besonders reizvoll – was dann der Fall sein kann, wenn er die höchste Erhebung in der umliegenden Landschaft darstellt.923 Die Errichtung eines Windparks bestehend aus vier Windkraftanlagen auf einer Hochfläche an einer besonders exponierten, von weit her einsehbaren Stelle auf der bisher von vergleichbaren Anlagen unbelasteten und landschaftlich besonders reizvollen Lützelalb besitzt insofern eine die Landschaft verunstaltende Wirkung. Da die Lützelalb einen guten Fernblick bietet, sind dementsprechend die Windkraftanlagen aus weiter Entfernung wahrnehmbar, sodass sie „in einem unangemessenen Kontrast zu der reich strukturierten, gegliederten und damit optisch ansprechenden Mittelgebirgslandschaft mit ihrem auf der Natürlichkeit, Schönheit und Vielfalt der freien Landschaft basierenden Erholungswert“ stehen.924 Die Errichtung von Windenergieanlagen auf einem stark exponierten Kuppenbereich, der geprägt wird von einem überwiegend bewaldeten Hochplateau, das Teil des Naturparkgebietes „Bergisches Land“ ist, führt ebenso zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes.925 Die Einbindung des Anlagenstandortes in das bis in weite Fernen markant in das Blickfeld tretende Hochplateau und der Blick auf das Bild einer harmonischen und abwechslungsreichen, sowie sanft geschwungenen Landschaft, in der einzelne landwirtschaftlich genutzte Flächen sich ständig abwechseln mit Baumbeständen in unterschiedlicher Größe und Art, lassen den Umstand in den Hintergrund treten, dass der Anlagenstandort für sich betrachtet relativ eintönig wirkt.926

920

Fest, S. 157. OVG NRW, Urt. v. 30. 11. 2001 – 7 A 4857/00, Rn. 176; VG Minden, Urt. v. 17. 02. 2004 – 1 K 1067/02, Rn. 60. 922 BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261 (262); BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444; BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95 = DÖV 1998, 74 (75); OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99 = NWVBl. 2002, 67 (68); EZBK / Söfker, § 35, Rn. 99; Schröter, S. 598. 923 OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 69. 924 VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02, Rn. 20. 925 OVG NRW, Urt. v. 28. 04. 2005 – 7 A 357/02, Rn. 54. 926 OVG NRW, Urt. v. 28. 04. 2005 – 7 A 357/02, Rn. 54. 921

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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Die in der Rechtsprechung gefestigte Begründung dafür, dass bei Windkraftanlagen allein das Vorliegen einer exponierten Lage noch nicht zu einer bodenrechtlich relevanten Verunstaltung des Landschaftsbildes führt, liegt darin, dass in Mittel­ gebirgslandschaften – wie sie in Deutschland häufig vorkommen – für Windkraftanlagen geeignete Standorte praktisch nur in exponierten Lagen in Betracht kommen. Wollte man in diesen Landschaften, in der Windkraftanlagen mit der heutigen üblichen Gesamthöhe von rund 100 m zwangsläufig – jedenfalls im Nahbereich – „dominant“ wirken, schon deswegen eine Verunstaltung des Landschaftsbildes annehmen, wären solche Anlagen in Mittelgebirgslandschaften praktisch ausgeschlossen.927 Die vom Gesetzgeber als im öffentlichen Interesse stehend eingestufte weiträumige Nutzung von Windenergie an dafür ansonsten geeigneten Standorten wäre außerdem entgegen seiner erkennbaren Absicht stark eingeschränkt.928 Die Rechtsprechung zum grundsätzlichen Vorrang privilegierter Vorhaben gegenüber öffentlichen Belangen (§ 35 Abs. 3 BauGB) war darüber hinaus längst gefestigt, als der Gesetzgeber die Privilegierung der Windkraftanlagen eigens gesetzlich normierte. Die Höhe solcher Anlagen, die Größe der Rotorblätter und die optischen Wirkungen ihrer Drehbewegungen waren dem Gesetzgeber damit bekannt. Er hat deren nachteilhaften Auswirkungen in Kauf genommen, um den Außenbereich für Windkraftanlagen nutzbar zu machen.929 Es ist der Rechtsprechung zuzustimmen, denn die Höhe einer Windkraftanlage, die mittlerweile bei Nabenhöhen von 60 bis 85 m schon im Regelfall 100 m Höhe überschreitet, erlangt dann ihre Relevanz für die Frage nach einer Verunstaltung des Landschaftsbildes, wenn neben dem Vorliegen einer exponierten Lage zusätzlich ein schutzwürdiges Landschaftsbild hinzutritt.930 Das markante Landschaftsbild muss dabei eine sehr seltene Erscheinung sein, die in weniger als zehn Prozent der Höhenzüge auftritt.931 Dasselbe Argument, nach dem die vom Gesetzgeber als im öffentlichen Interesse stehend eingestufte weiträumige Nutzung von Windenergie an dafür ansonsten geeigneten Standorten entgegen seiner erkennbaren Absicht nicht eingeschränkt sein soll, greift auch bei Windkraftanlagen, die im Umgriff eines Naturparks errichtet werden sollen und weithin sichtbar sind. Obwohl der geplante Standort des Vorhabens nicht in der Schutzzone einer Landschaftsschutzgebietsverordnung liegt, dafür aber von Schutzzonen eines Landschaftsschutzgebietes umgeben ist, ist „die Schwelle zur Verunstaltung“ dann nicht überschritten, wenn die nähere Umgebung 927 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 36; OVG NRW, Urt. v. 30. 11. 2001 – 7 A 4857/00, Rn. 176; VG Minden, Urt. v. 17. 02. 2004 – 1 K 1067/02, Rn. 58. 928 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 37. 929 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03; BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 37; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163). 930 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163 f.); Fest, S. 157; Mitschang, ZfBR 2003, 431 (440). 931 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163 f.).

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

„nicht von herausragender Schönheit“ ist. Liegt keine „wegen ihrer Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdige Umgebung“ oder „ein besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild“ vor, ist auch keine nennenswerte Beeinträchtigung des Naturparks durch die knapp außerhalb der Schutzzone geplanten Anlagen gegeben, die zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes führt.932 b) Exponierte Lage und Blickfang Windkraftanlagen dürften andererseits im Einzelfall dann unzulässig sein und das Landschaftsbild verunstalten, wenn sie an einem exponierten Standort errichtet werden sollen und dadurch das Landschaftsbild über das zumutbare Maß hinaus dominieren, indem sie als Blickfang den Gesamteindruck einer Landschaft prägen – selbst wenn in der Umgebung nur geeignete Standorte in exponierten Lagen vorzufinden sind.933 Windkraftanlagen können nicht zulässig sein, wenn sie besonders stark auffallen. Der gesetzgeberische Wille, Windkraftanlagen im Außenbereich aufgrund ihrer gesetzgeberischen Privilegierung anzusiedeln, darf nicht dazu führen, diese „um jeden Preis“ zuzulassen. Dies hätte ansonsten verheerende Bedeutung für das Landschaftsbild beispielsweise in Mittelgebirgslandschaften in Süddeutschland. Wenn die Windkraftanlage durch ihre optischen Wirkungen die Landschaft über das „übliche Maß hinaus“ belastet, muss gerade bei exponierten Standorten von einer Verunstaltung des Landschaftsbildes ausgegangen werden.934 Ein Bauherr muss sich demnach in eine andere Region verweisen lassen, wenn das Gemeindegebiet, in dem das Vorhaben verwirklicht werden soll, nur schützenswerte exponierte Lagen vorzuweisen hat – also die Verwirklichung des Vorhabens an exponierter Stelle das Landschaftsbild über das zumutbare Maß hinaus dominiert. Diese Konsequenz hat seine Ursache darin, dass für die Beurteilung einer Verunstaltung des Landschaftsbildes nicht nur auf die nähere Umgebung als Beurteilungsmaßstab abgestellt wird, sondern auch die von der Anlage ausgehende Fernwirkung mit in die Betrachtung einzubeziehen ist. Der optische Schutz des Außenbereichs vor einer Verunstaltung gebietet es, dass in großen Teilen Deutschlands bestimmte Nutzungen nicht verwirklicht werden können. Für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ist insofern nicht nur auf die Verhältnisse innerhalb einer Gemeinde abzustellen. Gerade die wegen ihrer Größe das Landschaftsbild besonders in Anspruch nehmenden Windkraftanlagen können im Zusammenspiel mit der Errichtung an exponierter Stelle zu einem erheblichen Eingriff in das Landschaftsbild führen. Dies rechtfertigt es, Windkraftanlagen im Einzelfall über die Gebiete einiger Gemeinden hinweg als nicht tolerierbare optische Verunstaltung des Landschaftsbildes anzusehen.935 932

BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 36. OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 55; Schröter, S. 598. 934 Schröter, S. 599. 935 Schröter, S. 599. 933

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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Neben der exponierten Lage braucht daher nicht zwangsläufig ein besonders schützenswertes Landschaftsbild vorzuliegen, um zu einer Verunstaltung des Ortsoder Landschaftsbildes zu führen.936 Dies kann allerdings nur dann angenommen werden, wenn die exponierte Lage als Unterfallgruppe des „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion“ schützenswerten Landschaftsbildes verstanden wird. Dann genießt zwar die exponierte Lage für sich genommen noch keinen eigenständigen Wert, der sich grundsätzlich gegenüber der Privilegierung von Windkraftanlagen durchsetzt. Eine Gesamtbetrachtung mit anderen landschaftsästhetischen und -prägenden Gesichtspunkten – wie Vorbelastung, Bedeutung der Region für den Tourismus und Unberührtheit der Landschaft – kann jedoch zur Annahme einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führen. Dies kann dadurch erfolgen, dass die exponierte Lage mit einem anderen landschaftsprägenden Kriterium kombiniert wird, um das Ergebnis anschließend im Rahmen der notwendigen Einzelfallbetrachtung in eine abwägende Relation zum grundsätzlichen Vorrang der Privilegierung von Vorhaben der Windenergie zu setzen.937 In der Genehmigungspraxis und Rechtsprechung wird hingegen oftmals nur auf einen exponierten Standort abgestellt – ohne den Aspekt des wegen seiner besonderen Schönheit schützenswerten Landschaftsbildes allzu sehr zu betonen.938 Dann wird allerdings der Aspekt der exponierten Lage mit anderen Gesichtspunkten – wie einem ungestörten Fernblick – kombiniert, sodass bei jeder Einzelfallentscheidung eine abwägende Relation der einzelnen Gesichtspunkte vorgenommen werden muss. Je stärker dabei der hinter diesen Fallgruppen stehende Schutzgedanke zum Tragen kommt und je weniger er durch andere negative landschaftsprägende Umstände an Wertigkeit abnimmt, desto eher kann eine Abwägung im Einzelfall zu einem Vorrang des öffentlichen Belangs des Verbots der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes gegenüber dem privilegierten Belang der Windenergienutzung in Betracht kommen.939 Denn eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes setzt eine besondere Schutzwürdigkeit der Landschaft nicht zwingend voraus. Dann kann einem exponierten Standort in der erforderlichen Gesamtschau mit sonstigen landschaftsästhetischen Gesichtspunkten besondere Bedeutung zukommen.940 Dabei ist der Grundsatz zu berücksichtigen, dass je umso exponierter der geplante Standort des Bauvorhabens liegt, desto geringer ist der Grad an Beeinträchtigung, um eine Verunstaltung annehmen zu können. Gleichzeitig sind damit auch die Anforderungen geringer, die man an ein schützenswertes Landschaftsbild stellen muss. Ein „Störenfried“ in Form eines Bauvorhabens, das dem Landschaftsbild beim Anblick eines für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters grob

936

Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 938 OVG NRW, Urt. v.  18. 11. 2004  – 7 A 3329/01 = UPR 2005, 159; VGH BW, Urt. v. 20. 05. 2003 – 5 S 1181/02 = ZfBR 2003, 696; Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163). 939 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 940 BRS / Bracher, Rn. 2366. 937

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

unangemessen ist, ist umso eher ausfindig zu machen, als es als Blickfang in den Vordergrund des Gesamteindrucks der Landschaft rückt.941 Für die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes können unter anderem auch die anlagentypischen Drehbewegungen der Rotorblätter einer Windkraftanlage als Blickfang herangezogen werden.942 In den Fällen, in denen auf einen exponierten Standort auf einer Höhenlage abgestellt wird, der von weither einsehbar ist und so erheblichen Einfluss auf das Landschaftsbild nimmt, indem der Blick des unvoreingenommenen Betrachters durch die Windkraftanlage abgelenkt wird,943 ist allerdings darauf zu achten, dass die Ansiedlung auf Höhenzügen oder vor Landschaftsstrichen, die von weither einsehbar sind, regelmäßig nicht zur Unzulässigkeit einer Windkraftanlage führt. Denn der Gesetzgeber kannte die besondere Höhe solcher Anlagen, die Größe der Rotorblätter und die Wirkungen auf die Landschaft und hat sie vor diesem Hintergrund in Kauf genommen, um regenerative Energiequellen in Deutschland zu fördern.944 In diesen Fällen ist daher besonders gut zu begründen, warum ein Landschaftsbild dennoch – auch ohne besonders markant zu sein – schützenswert sein soll und eine Ausnahmekonstellation vorliegt, während der Gesetzgeber gewöhnliche Beeinträchtigungen als immanente Folge der Windenergienutzung hingenommen hat.945 Es kann zum Beispiel ein bislang unbeeinträchtigter Fernblick durch eine Windkraftanlage verunstaltet werden, wenn sie an einem exponierten Standort errichtet werden soll und durch ihre Rotorbewegungen eine optische Unruhe schaffen würde, die nicht in das unberührte Landschaftsbild gehört, das besonders reizvoll und abwechslungsreich ist. Das OVG NRW stellte dabei auf die ungewöhnliche Vielfalt unterschiedlichster Landschaftselemente ab: „So finden sich … nicht nur die für weite Bereiche des Sauerlands typischen Fichtenmonokulturen, vielmehr bietet sich von den unterschiedlichsten Blickpunkten aus eine in ästhetischer Hinsicht … anziehende abwechslungsreiche Struktur verschiedenster landschaftsprägender Elemente. Bestände von Fichten und Weihnachtsbaumkulturen wechseln sich ständig ab mit eingestreuten Laubwaldstrukturen, Grünlandflächen und Siedlungsbereichen.“ 946 Auch der VGH BW nahm eine Verunstaltung des Landschaftsbildes durch Windkraftanlagen bei deren Errichtung an besonders exponierter, von weit her einsehbarer Stelle auf der bisher von vergleichbaren Anlagen unbelasteten und landschaftlich besonders reizvollen Umgebung an.947 Für die Annahme einer Verunstaltung war insbesondere ausschlaggebend, dass die Errichtung eines Windparks auf einer 941

Schröter, S. 598 f. BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01. 943 OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01 = UPR 2005, 159. 944 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163). 945 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 946 OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 49. 947 VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02, Rn. 20. 942

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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Hochfläche der Lützelalb einen guten Fernblick bot und der Standort der Anlagen dementsprechend von weither wahrnehmbar war. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes durch eine Windkraftanlage ist auch dann gegeben, soweit die Errichtung und der Betrieb einer Anlage zu einer „Verspargelung“ eines bisher durch natürliche Begrenzungen der Landschaft am Horizont geprägten Landschaftsbildes führen. Natürliche Begrenzungen der Landschaft werden dann „zerschnitten“, wenn eine Windkraftanlage harmonische durchgängig bewaldete Kuppeln am Horizont durchtrennt. Ist eine Landschaft durch eine ungewöhnliche Vielfalt unterschiedlichster Landschaftselemente gekennzeichnet, dann kann eine Windkraftanlage auch wegen ihrer ständigen Drehbewegungen ihrer Rotorblätter einen dominierenden Blickfang darstellen und die kleinteiligen, mosaikartigen Proportionen im Landschaftsbild sprengen.948 4. Verunstaltung des Landschaftsbildes und Windenergiekonzentrationszonen Vor dem Hintergrund der Zunahme an Vorhaben, ihrer Größe und der zunehmenden Bündelung von Windkraftanlagen zu Windparks ist oftmals eine planerische Bewältigung der konfligierenden privaten Interessen der Bauherren mit den öffentlichen Belangen geboten. Dabei ist es Aufgabe der Raumordnung und der vorbereitenden Bauleitplanung Standorte für Windparks zu sichern. Denn bauleitplanerisch zu bewältigende Konflikte treten dann auf, wenn Einzelvorhaben unkoordiniert aufeinandertreffen oder mehrere Windparks aufeinanderstoßen.949 Der Einwand einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ist im Genehmigungsverfahren regelmäßig dann abgeschnitten, wenn eine Windkraftanlage innerhalb einer ausgewiesenen Konzentrationszone im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verwirklicht werden soll. Denn mit der Darstellung von Konzentrationszonen im Flächennutzungsplan bringt die Gemeinde zum Ausdruck, dass sie die der Abwägung zugänglichen öffentlichen Belange geringer gewichtet hat als die Nutzerinteressen.950 Konkrete Standortentscheidungen des Flächennutzungsplans sind andererseits im Rahmen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu berücksichtigen, wonach öffentliche Belange einem gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 6 BauGB privilegierten Vorhaben regelmäßig entgegenstehen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Dort, wo ein Flächennutzungsplan solche Vorrangflächen ausweist, stehen die im Flächennutzungsplanverfahren bereits ermittelten und abgewogenen öffentlichen

948

VG Kassel, Urt. v. 02. 03. 2016 – 1 K 1122/13.KS, Rn. 65. Wolf, ZUR 2002, 331 (334). 950 BVerwG, NVwZ 2010, 1561, Rn. 45, 46; Engel, KommJur 2004, 161 (165). 949

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Belange regelmäßig nicht entgegen.951 Diese widerlegbare Vermutung, dass die genannten privilegierten Vorhaben im Außenbereich unzulässig sind, besteht, wenn neben der konkreten Darstellung dieser Vorhaben im Plan der Erläuterungsbericht zum Ausdruck bringt, dass andere Vorhaben im Außenbereich unerwünscht sind – der Gemeinde ist es allerdings nicht erlaubt, das ganze Gemeindegebiet insbesondere für Windenergieanlagen zu sperren.952 Das VG Göttingen hatte über die Frage zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen als Luftfahrthindernisse kennzeichnungspflichtige Windkraftanlagen auf Vorrangflächen das Landschaftsbild verunstalten können. Gegenstand des Urteils war ein Antrag auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von drei Windkraftanlagen mit Nabenhöhen von 86 m und Gesamthöhen von 121 m in einer durch die Gemeinde ausgewiesenen Windenergiekonzentrationsfläche, auf der bereits vier kleinere Anlagen standen. Die zuständige Bezirksregierung erteilte eine luftrechtliche Zustimmung nach § 14 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) zu dem Vorhaben und verfügte als Auflage, dass die Windkraftanlagen mit einer Tages- und Nachtkennzeichnung zu versehen seien. Die planende Gemeinde hatte den Umstand einer Kennzeichnungspflicht von Windkraftanlagen bei der Erstellung der Änderung des Flächennutzungsplans nicht bedacht.953 Das VG Göttingen stellte zunächst fest, dass im konkreten Einzelfall auch Windkraftanlagen, die die Planvorgaben einhalten, das Orts- oder Landschaftsbild verunstalten können. Denn der Flächennutzungsplan verliert durch die Ausschluss­ wirkung einer derartigen Darstellung für alle anderen Standorte im Gemeindegebiet nicht den Charakter eines nur vorbereitenden Bauleitplans. Ein Vorhaben in einer ausgewiesenen Konzentrationszone kann demnach dann das Orts- oder Landschaftsbild im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB verunstalten, wenn besondere, von der Gemeinde in ihrer Planung nicht berücksichtigte Umstände vorliegen, die im Einzelfall einen massiven Eingriff in das Landschaftsbild darstellen, der die Privilegierung des Vorhabens zurücktreten lässt.954 Für Vorhaben in Konzentrationszonen kann eine Verunstaltung des Landschaftsbildes nicht mehr angenommen werden, wenn es sich ausnahmsweise um eine wegen ihrer Schönheit und Funktion besonders schutzwürdige Landschaft handelt. Diese von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelte Fallgruppe des Verunstaltungsbegriffs ist deswegen bei Vorrangflächen auszublenden, da die Ge­ eignetheit des Standorts als Planungsergebnis der Gemeinde feststeht, die in einem aufwändigen Verfahren den Vorrangstandort für Windkraftanlagen ausgewählt und bereits bei dieser Planung alle in Betracht kommenden öffentlichen Belange – ins-

951

Engel, KommJur 2004, 161 (164). Engel, KommJur 2004, 161 (165 m. w. N.). 953 VG Göttingen, Urt. v. 23. 06. 2005 – 2 A 20/05, Rn. 1–5. 954 VG Göttingen, Urt. v. 23. 06. 2005 – 2 A 20/05, Rn. 24. 952

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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besondere eine Beeinträchtigung des Erholungswertes der Landschaft und eine Verunstaltung des Landschaftsbildes – gegeneinander abgewogen hat.955 Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes aufgrund eines besonders groben Eingriffs in das Landschaftsbild kann schließlich bei der Errichtung und dem Betrieb von Windkraftanlagen in einer ausgewiesenen Konzentrationszone regelmäßig nicht deswegen angenommen werden, weil eine Kennzeichnungspflicht der Anlagen bei Tag und Nacht besteht. Farbliche Kennzeichnungen der Rotorblätter und der Masten mit roter und weißer Farbe stellen keine nennenswerte Veränderung der – ohnehin durch die nicht unerhebliche Anzahl an Windkraftanlagen geprägten – Landschaft dar, sodass dadurch bereits der Charakter ihres Landschaftsbildes verändert werden könnte. Da die rote Nachtkennzeichnung in Form von zwei versetzten Gefahrfeuern, die 30 Minuten nach Sonnenuntergang eingeschaltet und 30 Minuten vor Sonnenaufgang ausgeschaltet werden, nachts deutlich zu erkennen ist, die Windkraftanlagen allerdings selbst in mondhellen Nächten eher schemenhaft zu erkennen sind, „ordne sie ein Betrachter nicht zwangsläufig einer auf dem Boden stehenden Industrieanlage oder dem Landschaftsbild zu“.956 Das Landschaftsbild genießt darüber hinaus zur Nachtzeit in aller Regel keinen besonders hohen Schutz.957 Die Vorteile eines Repowerings für das Landschaftsbild über eine Anlagenreduzierung und größerer Laufruhe sind allerdings ungleich größer als die Nachteile der Kennzeichnungspflicht, sodass der Belang der Verunstaltung des Landschaftsbildes aus diesem Grunde der Errichtung und dem Betrieb einer Windenergieanlage regelmäßig nicht erfolgreich entgegen gehalten werden kann.958 Bei raumbedeutsamen Windenergieanlagen empfiehlt es sich in der Regionalplanung, diese aufgrund der luftverkehrsrechtlich erforderlichen Befeuerung bei Anlagen über 100 m Höhe in Abhängigkeit vom Landschaftsraum auf 100 m Gesamthöhe zu begrenzen, um die optischen Wirkungen der Anlagen auf das Landschaftsbild möglichst gering zu halten.959 Soweit die spezifische Kennzeichnungspflicht der Anlagen im Einzelfall die optischen Wirkungen auf das Landschaftsbild verstärken sollte, führt dies nicht automatisch zu einem Entgegenstehen des öffentlichen Belangs des Landschaftsschutzes, sondern würde eine Höhenbegrenzung zum Schutz des Landschaftsbildes rechtfertigen und ein Repowering vielfach blockieren.960 Die gesetzgeberische Wertung, die Errichtung von Windkraftanlagen im Außenbereich gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegiert für zulässig zu erklären, spielt auch im Zusammenhang mit der Darstellung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen im Flächennutzungsplan eine Rolle. Der öffentliche Belang des Schut 955

VG Göttingen, Urt. v. 23. 06. 2005 – 2 A 20/05, Rn. 23. VG Göttingen, Urt. v. 23. 06. 2005 – 2 A 20/05, Rn. 25–29. 957 NdsOVG, Urt. v. 29. 01. 2004 – 1 KN 321/02, Rn. 81. 958 Fest, S. 160. 959 Mayer-Metzner, BayVBl. 2005, 129 (131). 960 Fest, S. 160. 956

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

zes des Landschaftsbildes kann regelmäßig nicht als so gewichtiger Belang gewertet werden, da er ansonsten jedweder Standorteignung aufgrund einer zu erwartenden Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes entgegengehalten werden könnte und damit schlussendlich eine Ausschlussfunktion von Windkraftanlagen für das gesamte Gemeindegebiet zur Folge hätte. Windkraftanlagen könnten dann folglich wegen ihrer negativen Auswirkungen auf das Landschaftsbild überhaupt nicht in einer Gemeinde errichtet werden.961 Eine Gemeinde braucht sich andererseits bei ihrer Konzentrationszonenplanung nicht auf die Abwehr von Verunstaltungen des Orts- oder Landschaftsbildes, die das Landschaftsbild nicht nur beeinträchtigen, sondern es in eindeutiger Weise verletzen, zu beschränken. Bei der Konzentrationszonenplanung darf eine Gemeinde bei der gröberen, pauschalierenden Ermittlung der für die Abwägung maßgeblichen Belange vorsorgend auch darauf hinwirken, dass ein gefälliges, in einen größeren Zusammenhang gestelltes Landschaftsbild erhalten bleibt. Eine Gemeinde darf insofern über das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot hinaus – im Sinne einer vorausschauenden, zusammenhängende Räume erhaltenden Planung – nachteilige Wirkungen von Windkraftanlagen schon im Vorfeld im Rahmen ihrer Konzentrationszonenplanung abwehren.962 5. „Horizontverschmutzung“ Ist das Landschaftsbild in seiner Schönheit oder Funktion nicht besonders schützenswert und liegt zudem keine exponierte Lage des Vorhabens vor, wird bei privilegierten Vorhaben wie Windkraftanlagen eine Verunstaltung des Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) aus dem Gesichtspunkt der „Horizontverschmutzung“ nur schwer begründbar sein. Eine bloße „Horizontverschmutzung“ liegt vor, soweit weder ein besonders schützenswertes Landschaftsbild noch eine exponierte Lage im Zusammenhang mit einem charakteristischen Landschaftsbild vorliegt – das ist regelmäßig der Fall bei einer durch landwirtschaftliche Nutzflächen geprägte Landschaft, die ansonsten über keine nennenswerten schutzwürdigen Elemente verfügt. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes kann daher nicht schon bei einem bloß weiten Blick vom Anlagenstandort aus in die Umgebung und einer Wahrnehmbarkeit der Windkraftanlage aus weiter Entfernung angenommen werden.963 Eine Windenergieanlage kann in einer typischen, von menschlicher Siedlungstätigkeit geprägten Mittelgebirgslandschaft, die durchsetzt ist von Weilern, Siedlungen und Ortschaften sowie in der weiteren Umgebung durch landwirtschaftliche Flächen mit einem hohen Grünlandanteil und Waldgebieten gekennzeichnet ist, nur bei besonders empfindsamer Sichtweise des Betrachters störend oder beeinträch 961

Mitschang, ZfBR 2003, 431 (440). NdsOVG, Urt. v. 08. 11. 2005 – 1 LB 133/04, Rn. 42. 963 ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61). 962

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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tigend wirken. Eine solche Wirkung wäre ansonsten vielerorts anzunehmen. Das Vorliegen einer typischen, von menschlicher Siedlungstätigkeit geprägten Mittelgebirgslandschaft, die noch dazu entsprechende Infrastruktureinrichtungen und gewerbliche Einrichtungen als Vorbelastung im Landschaftsbild vorweisen kann, kann für sich allein genommen noch nicht dazu führen, dass der Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich – auch in Hinblick auf die gesetzgeberische Privilegierung entsprechender Vorhaben – der Belang der Verunstaltung des Ortsoder Landschaftsbildes entgegensteht.964 a) Unberührte Landschaften ohne besonders schutzwürdige Landschaftselemente Die Beurteilung der besonderen Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes allein aufgrund einer bisher von menschlicher Siedlungstätigkeit unberührten Landschaft ist deswegen problematisch, da dieser Gesichtspunkt nur unter engen Voraussetzungen dazu führen dürfte, dass dem Vorhaben der öffentliche Belang der Verunstaltung des Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) entgegensteht. Denn auch hier ist wieder die Entscheidung des Gesetzgebers hervorzuheben, nach der entsprechende Vorhaben im Außenbereich gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB grundsätzlich für bevorzugt zulässig erklärt wurden. Wann das Vorliegen eines unberührten Landschaftsbildes zur Annahme einer besonders schutzbedürftigen Landschaft führt, stellt sich als eine schwierige Wertungsentscheidung im Einzelfall dar, die sich nicht allein aufgrund der weitgehenden Unberührtheit einer Landschaft beantworten lässt. Dabei kommt dem Aspekt des unberührten Landschaftsbildes geringe praktische Bedeutung zu, da es immer weniger wesentlich von menschlicher Siedlungstätigkeit verschonte Landschaften gibt.965 Das OVG Bln-Bbg. nahm unter engen Voraussetzungen die Schutzwürdigkeit eines Landschaftsbildes allein aufgrund der bisher von menschlicher Siedlungstätigkeit unberührten Landschaft an. Der geplante Standort der Windenergieanlagen befand sich in freier Landschaft und von Feldern umgeben, die sich nördlich und südlich einer Landstraße erstreckten und von Waldflächen umgrenzt wurden, ohne dass irgendwelche das Landschaftsbild störenden baulichen Anlagen sichtbar waren.966 Da es sich bei dem der Entscheidung zugrunde liegenden Landschaftsbild um ein eher schlichtes, allenfalls als typisch zu bezeichnendes, weil in Brandenburg häufig anzutreffendes Landschaftsbild aus Freiflächen und Wald im Wechsel handelte, dürften die hierzu vom OVG Bln-Bbg. entwickelten – vage formulierten – Kriterien zur Beurteilung einer Verunstaltung des Landschaftsbildes nicht von vornherein auf alle Kulturlandschaften übertragbar sein und sich auf den konkreten Einzelfall beschränken. Denn das OVG Bln-Bbg. stellte in der Summe der einschlä 964

BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356. Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164). 966 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05. 965

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

gigen Gesichtspunkte auf die Naturbelassenheit der Landschaft „mit ihrem beispielgebenden Wert für die brandenburgischen Landschaftsbilder“, auf die Ausstrahlung von Ruhe und zusätzlich auf die Einbettung des Landschaftsbildes in förmlich unter Schutz gestellte Landschaftsbestandteile ab.967 Die wenigen in Deutschland noch verbliebenen im Wesentlichen unbebauten und unberührten Landschaftsteile sind grundsätzlich besonders schützenswert. Es ist insofern dem OVG Bln-Bbg. darin zuzustimmen, dass „für ein schutzbedürftiges Landschaftsbild nicht nur das besonders Markante von Wert ist, sondern auch die auf den ersten Blick unspektakuläre Unberührtheit der Landschaft, weil sie die Fähigkeit besitzt, dem Betrachter noch das Bild und die Typizität unverfälschter Landschaftsräume zu vermitteln, deren weiträumige Blickbeziehungen nicht durch bereits bestehende Bebauung an Reiz verloren haben“.968 Dies kann andererseits nicht für jede gewöhnliche Mittelgebirgs- oder Kulturlandschaft gelten. Zu berücksichtigen ist insofern, dass Windenergieanlagen aufgrund ihrer geringen Grundfläche und schlanken Form in größerer Entfernung nicht allzu sehr auffallen.969 Ihre Spitzen können durch Baumwipfel verdeckt werden oder durch Baumwipfel hindurch nur teilweise sichtbar sein. Auch nimmt der Betrachter, der unmittelbar vor der Anlage aus nächster Nähe steht, die Anlage mit ihren Drehbewegungen der Rotorblätter nicht erheblich störend wahr. Es müssen damit neben einer weitgehend unberührten Landschaft weitere schützenswerte Umstände hinzutreten, die das naturbelassene Landschaftsbild als besonders schutzbedürftig erscheinen lassen. Das OVG Bln-Bbg. nahm vor diesem Hintergrund besondere Umstände an, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung des unberührten Landschaftsbildes durch die Errichtung und den Betrieb der Windenergieanlagen führten. So hätten sich in den weiträumigen Blickbeziehungen und -achsen des geplanten Standorts und diesen förmlich flankierend als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesene Bereiche befunden, wobei sich der Wert dieses Areals hauptsächlich durch seinen alten Baumbestand ausgezeichnet habe. Die anlagentypischen Drehbewegungen der Rotorblätter hätten außerdem den Eindruck des Ruhelosen vermittelt und der Anblick der sich optisch überschneidenden Rotorblätter habe zusätzlich das beunruhigende Gefühl „des ataktisch Mahlenden“ in das Landschaftsbild hineingetragen.970 Eine weitere Entscheidung zeigt, wie schwierig sich die Wertungsfrage nach der Beurteilung einer Verunstaltung des Landschaftsbildes bei Windkraftanlagen gestaltet, wenn es sich um eine von Bebauung weitgehend unberührte landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft handelt: Das VG Karlsruhe nahm eine besondere Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes im unmittelbaren und näheren Landschaftsbereich trotz einer nur geringfügigen Vorbelastung des Landschaftsbildes an. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes schied hingegen im Hinblick auf eine 967

OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05. OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05. 969 VG Karlsruhe, Urt. v. 16. 10. 2002 – 4 K 2331/01, Rn. 48. 970 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05. 968

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

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Fernsichtwirkung der Anlagen aus, da diese aus weiter Entfernung mehr und mehr kleiner und dominant erschienen wären.971 Das VG Karlsruhe hatte dabei über einen Fall zu entscheiden, in dem es um die Errichtung eines Windparks bestehend aus fünf Windkraftanlagen in einem Abstand von 250 bis 800 m zueinander, einer Nabenhöhe von 80 m und einem Rotordurchmesser von 64 m ging, die auf einem Baugrundstück in der Hügellandschaft des Kraichgaus in einer Höhenlage von 220 bis 230 m über NN, das gegenwärtig landwirtschaftlich genutzt wurde, errichtet werden sollten. Der Anlagenstandort befand sich auf einer weitläufigen, zu den Seiten hin flach abfallenden, indes nur landwirtschaftlich genutzten Kuppe. Diese Kuppe war Teil der hügeligen Landschaft des westlichen Kraichgaus, einer seit Jahrzehnten unverändert gebliebenen landwirtschaftlich genutzten Kulturlandschaft. Dem Betrachter bot sich hierbei vom Anlagenstandort der Kuppe aus gesehen ein weiter Blick in die nähere Umgebung.972 Im Fall des VG Karlsruhe führte allerdings die absolute Höhe einer Windkraftanlage in Kombination mit ihrem beabsichtigten Standort zur Annahme einer Verunstaltungswirkung, soweit sich vom Anlagenstandort ein Blick auf einen ungestörten, bislang völlig ununterbrochenen Horizont sowie ein Fernblick auf typische Landschaftselemente geboten habe. Sprenge nämlich das Vorhaben die Größenverhältnisse, die für die Landschaft in der näheren Umgebung typisch sind, dann liege ein Widerspruch zu der sanft geschwungenen Hügellandschaft und eine Verunstaltung des Landschaftsbildes vor. So setzte das VG Karlsruhe die Höhe der Windkraftanlagen mit der Höhe der Kuppe, auf der die Anlagen errichtet werden sollten, gegenüber ihrer Umgebung in Relation. Der Umstand spielte insofern keine Rolle, dass Windkraftanlagen aufgrund ihrer schlanken Form grundsätzlich nicht allzu sehr auffallen.973 Die Annahme des VG Karlsruhe, dass eine Verunstaltung einer landwirtschaftlichen Kulturlandschaft auch dann angenommen werden könne, soweit Windkraftanlagen alle Proportionen der näheren Umgebung sprengen, erscheint nachvollziehbar, wenn man nicht auf die Wirkung einzelner Anlagen, sondern auf die Wirkung mehrerer Anlagen als „Windfarm“ abstellt. Das massierte Auftreten von Windkraftanlagen kann im Einzelfall dazu führen, dass der ruhige Eindruck, den eine Landschaft auf einer Bergkuppe bietet, samt ihren Blickbeziehungen zu den in wenigen Kilometern entfernten Landschaftsbereichen, zerstört wird.974 Mehrere nebeneinander platzierte Anlagen können außerdem die Sichtachse auf eine andere Ebene heben, indem sie den Blick weg von der Geländekante hinauf auf die gleichsam eine neue Sichtebene bildenden Naben und Rotoren der Windenergieanlagen lenken.975

971

VG Karlsruhe, Urt. v. 16. 10. 2002 – 4 K 2331/01, Rn. 50. VG Karlsruhe, Urt. v. 16. 10. 2002 – 4 K 2331/01, Rn. 45. 973 VG Karlsruhe, Urt. v. 16. 10. 2002 – 4 K 2331/01, Rn. 48. 974 VG Karlsruhe, Urt. v. 16. 10. 2002 – 4 K 2331/01, Rn. 48; zum Begriff der Windfarm siehe näher VG Würzburg, Urt. v. 05. 12. 2017 – W 4 K 15.530, Rn. 46 m. w. N. 975 VG Hannover, Urt. v. 28. 08. 2003 – 4 A 3108/99, Rn. 53. 972

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Um von vornherein das Landschaftsbild nicht allzu sehr großflächig und übermäßig zu beeinträchtigen, sollten zwischen Windparks gewisse Mindestabstände eingehalten werden, was insbesondere in Regionen mit großen Sichtweiten zu beachten ist. Dies können vor allem besonders flache Regionen sein. Als Orientierungswert ist dabei von fünf Kilometern auszugehen.976 Auch das OVG NRW nahm eine Verunstaltungswirkung an, soweit sich vom Anlagenstandort ein Blick auf einen ungestörten, bislang völlig ununterbrochenen Horizont sowie ein Fernblick auf typische Landschaftselemente bot: Eine Verunstaltung eines in landschaftsästhetischer Hinsicht bislang völlig unbelasteten Landschaftsstrichs sei hiernach schon dann zu bejahen, wenn durch die Errichtung einer Windkraftanlage dieser Bereich durch die im Vergleich zu den Landschaftsproportionen überragende Größe der Anlage maßstabslos dominiert werde, weil einem Betrachter deren Größe in Verbindung mit den sich drehenden Rotorblättern unwillkürlich ins Auge springe. Das OVG NRW sprach dabei von einer „Horizontverschmutzung“.977 Bei dieser Argumentation ist darauf Acht zu geben, dass dies ebenso für eine Vielzahl von Windkraftanlagen gilt. Diese Argumentation darf nicht dazu führen, dass mit einem geringen Begründungsaufwand ein Verstoß gegen das Verunstaltungsverbot angenommen werden kann. Das BVerwG hat jedenfalls klargestellt, dass für die Annahme einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes auch windenergieanlagetypische Besonderheiten – wie die Drehbewegung der Rotorblätter als Blickfang – auch zu Lasten eines Windenergievorhabens von den Tatsachengerichten berücksichtigt werden können.978 b) „Horizontrechtsprechung“ Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne einer „Horizontverschmutzung“ kann dann angenommen werden, soweit entweder das Vorhaben zu einem „krassen Gegensatz zu den gewissermaßen unterhalb des Horizonts bestehenden landwirtschaftlichen Gegebenheiten an dieser Stelle führt, die deren Liebreiz weitgehend entwertet“979 oder die Horizontlinie bisher nicht durch optisch hervortretende technische Bauwerke beeinträchtigt ist.980 Den Urteilen ist dabei die hohe Gewichtung eines Rundblickes oder auch Halbrundblickes auf eine weitestgehend unverstellte und unzerschnittene Landschaft gemein.981 Daraus folgt eine Vermeidung der Nähe des Vorhabens zu baulichen Anlagen von besonderem Wert für das Landschaftsbild, wie Kirchtürme und Leuchttürme.982 In jedem Falle ist zu berück 976 NdsOVG, Urt. v. 14. 09. 2000 – 1 K 5414/98 = NuR 2001, 294; Birkemeyer, NuR 2010, 525 (529). 977 OVG NRW, Urt. v. 04. 12. 2006 – 7 A 568/06 = BauR 2007, 677 (680). 978 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01. 979 OVG NRW, Urt. v. 04. 12. 2006 – 7 A 568/06 = BauR 2007, 677 (680). 980 OVG RhPf, Urt. v. 18. 05. 2006 – 1 A 11398/04, Rn. 23. 981 Fest, S. 156. 982 Fest, S. 156.

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sichtigen, dass ein Landschaftsbild, das sich durch weite Sichtbeziehungen auszeichnet, für sich allein genommen noch nicht ausreicht, um zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes zu führen. Liegt allerdings eine Gefildelandschaft vor, die sich als „eine sanft gewellte Hügellandschaft“ darstellt und durch ihre „räumliche Kleinförmigkeit“ geprägt wird, ist von einem reizvollen und besonders schutzwürdigen Landschaftsbild auszugehen.983 Um dem gesetzgeberischen Willen bei der bauplanungsrechtlichen Zulassungsentscheidung über ein Außenbereichsvorhaben ausreichend zu berücksichtigen, privilegierte Windkraftanlagen im Außenbereich ansiedeln zu können, darf die überragende Größe des Vorhabens daher nicht das alleinige Ausschlusskriterium sein, sondern es müssen zusätzlich zu der maßstabslosen Größe der Anlage weitere landschaftsbildende Elemente hinzukommen, wie beispielsweise die maßstabslose Größe in Hinblick auf die kleinteilige Proportion der Landschaft oder ein irgendwie gearteter Liebreiz der Landschaft, der die Schwelle zur schützenswerten Schönheit oder Funktion der Landschaft noch nicht erreicht haben muss. In Hinblick auf die angesprochene überragende Größe des Vorhabens, die in keiner Relation mehr zu den tatsächlichen Proportionen der Landschaft steht, muss mit anderen Worten zusätzlich hinzukommen, dass durch die Übergröße des Vorhabens der der Landschaft innewohnende maßstabsbildende Rahmen verlassen wird und schlussendlich ein grober Eingriff in das Landschaftsbild erfolgt; das kann auch bei einem Landschaftsbild angenommen werden, das für sich betrachtet nicht besonders schützenswert sein muss. Als gutes Beispiel können Windparks in der norddeutschen Tiefebene genannt werden. Die Landschaft ist dort größtenteils sehr ebenerdig und geprägt von Ackerund Wiesenflächen, wobei die vorhandene Bebauung meist nur landwirtschaftliche Schuppen und nicht ins Gewicht fallende gewerbliche und landwirtschaftliche Hallen ausmacht. Die Landschaft erweist sich nach alledem in ästhetischer Hinsicht als nicht gerade ansprechend, wollte man nicht bereits in der bloßen Ebene eine schützenswerte Landschaft erblicken. Nach der Horizontrechtsprechung, die nur darauf abstellt, ob ein völlig unbelasteter Bereich vorliegt, der durch maßstabslos überragende Windkraftanlagen dominiert wird, wären Windparks im norddeutschen Tiefland oder in ähnlichen Regionen nach diesen engen Maßstäben praktisch nicht realisierbar. Das Vorliegen einer „Horizontverschmutzung“ durch Windenergieanlagen führt daher allein noch nicht zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes: Werden der geplante Aufstellungsort und dessen nähere Umgebung intensiv landwirtschaftlich genutzt, dann beeinträchtigen die Windenergieanlagen in dieser Umgebung wegen ihrer geringfügigen Grundfläche die naturgegebene Bodennutzung nur unwesentlich, soweit die Umgebung keine markanten landschaftsprägenden Besonderheiten wie etwa Wälder, Seen und Flüsse aufweist, sondern vielmehr durch eine Vorbe 983

SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

lastung mit Bergbauhalden, Autobahnen, Bundesstraßen sowie Hochspannungsleitungen gekennzeichnet ist.984 Eine Windkraftanlage verunstaltet daher nicht das Landschaftsbild in einer in Norddeutschland häufig anzutreffenden Landschaft, die durch tiefe Ebenen, landwirtschaftlich genutzte Flächen und Wald geprägt wird.985 Windenergieanlagen sind in diesem Landschaftsbild nicht allein durch ihre Zahl und markante Erscheinung grob unangemessen, selbst wenn der Landschaftsraum vergleichsweise unberührt wirkt und von technischen Vorbelastungen bisher weitgehend frei ist.986 Denn in Agrarlandschaften ohne nennenswerte Höhenveränderungen – die in Brandenburg häufig anzutreffen sind – ist es die Regel, dass Windkraftanlagen weit sichtbar sind und dementsprechend bedarf es der Darlegung konkret formulierter Umstände, aus denen sich im Sinne einer Ausnahme eine besondere Schutzbedürftigkeit der „geradezu typischen“ Landschaftsform ergibt.987 Im Sinne der Horizontrechtsprechung, die nur darauf abstellt, ob ein völlig unbelasteter Bereich vorliegt, nahm das OVG NRW an, dass auch ein Bereich, der durch Bebauungsfreiheit gekennzeichnet ist, ein schützenswertes Gut darstelle, soweit weite Teile des übrigen Kreisgebiets durch ein hohes Maß an Zersiedlung geprägt sind.988 Die Argumentation zur Bebauungsfreiheit überzeugt allerdings deswegen nicht, da der Begriff des Außenbereichs nicht auf Gemeinde- oder Landkreisgrenzen beschränkt ist. Für die Beurteilung einer relevanten Vorbelastung durch bauliche Anlagen ist außerdem die konkrete Situation in der jeweiligen Gemeinde maßgeblich, sodass das Vorliegen einer Beeinträchtigung auch nicht mithilfe von Vergleichen mit anderen Gemeinden ermittelt werden kann.989 Die Schutzwürdigkeit einer Landschaft setzt weiterhin eine gewisse Schönheit voraus, was jedenfalls bei schlichten landwirtschaftlichen Nutzflächen und herkömmlicher Bewaldung nicht angenommen werden kann. Auch die von der Rechtsprechung angenommene Präzisierung des Verunstaltungsbegriffs in Hinblick auf die Schutzwürdigkeit „in ihrer Schönheit oder Funktion“ bietet keinen Anhaltspunkt, eine Schutzwürdigkeit aufgrund der Zersiedlung und Vorbelastung im übrigen Kreisgebiet begründen zu können. Weiterhin stellt die von der Rechtsprechung zum bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot entwickelte Fallgruppe „in seiner Funktion“ nicht auf die Frage nach der Schutzwürdigkeit übriger Landschaftsteile im sonstigen Kreisgebiet ab. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes liegt allerdings dann vor, wenn eine von Bebauung freie Landschaft geprägt ist „vom Wechsel zwischen gliedernden 984 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 05. 07. 2006 – 10 S 5.06; OVG LSA, Beschl. v. 17. 11. 2006 – 2 L 278/03; VG Minden, Urt. v. 26. 04. 2010 – 11 K 732/09, Rn. 112. 985 NdsOVG, Urt. v. 11. 07. 2007 – 12 LC 18/07; NdsOVG, Urt. v. 10. 01. 2008 – 12 LB 22/07; NdsOVG, Urt. v. 12. 11. 2008 – 12 LC 72/07. 986 NdsOVG, Urt. v. 12. 11. 2008 – 12 LC 72/07. 987 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 05. 07. 2006 – 10 S 5.06. 988 OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. 989 BVerwG, Beschl. v. 13. 10. 1976 – 4 B 149/76, Rn. 5 f.

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Elementen und flachem Grünland“. Die Windkraftanlage wird dann selbst zu einem „erheblichen Störfaktor“, soweit die Fläche „in einer nicht mehr hinzunehmenden Weise gestört“ wird.990 Überzeugender ist daher die Begründung des VGH BW, der im konkreten Einzelfall die Freihaltung eines von einer Bebauung bislang weitgehend unberührten Bereichs zu Gunsten eines erhaltenswerten Landschaftsbildes dann heranzieht, wenn die Landschaft in bestimmter Hinsicht besonders schutzwürdig ist, um die Freihaltung auch weiterhin gewährleisten zu können.991 6. Unberührtheit der Landschaft und Vorbelastung des Landschaftsbildes Besteht eine erhebliche Vorbelastung aufgrund von bereits errichteten Windkraftanlagen oder anderen baulichen Anlagen, deren Wirkungen auf das Landschaftsbild wenigstens den Wirkungen entsprechen, die von Windkraftanlagen ausgehen, dann verdrängen die bereits vorhandenen Anlagen die Natürlichkeit des Landschaftsbilds mit der Folge, dass das Landschaftsbild nicht zusätzlich durch das Bauvorhaben beeinträchtigt werden kann.992 In der Praxis bietet sich daher die Ansiedlung von Windenergieanlagen entlang von Infrastrukturtrassen, wie Eisenbahnlinien oder Fernstraßen, an, wobei zahlreiche Potentiale bereits entweder für Siedlungen oder für die Windenergie genutzt werden.993 Die Feststellung, ob eine Landschaft durch technische Einrichtungen und Bauten bereits so vorbelastet ist, dass eine Windkraftanlage sie nicht mehr verunstalten kann, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.994 a) Vorbelastung durch bereits bestehende Windkraftanlagen Der Einwand der Vorbelastung durch bereits vorhandene Windkraftanlagen setzt zwingend voraus, dass sie in derselben Umgebung errichtet wurden, die auch den Umgebungsmaßstab für das schützenswerte Landschaftsbild liefert. Werden Windkraftanlagen auf einer etwa 740 m hochgelegenen, landwirtschaftlich genutzten und von Wald umgebenen Hochfläche errichtet, die ein teilweise nur 1,5 km entferntes Naturschutzgebiet erheblich optisch beeinträchtigen und von dort aus wahrnehm 990 OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215; Verunstaltung des Landschaftsbildes durch ein Weingutsgebäude unterhalb des Hambacher Schlosses, bejaht vom VG Neustadt a. d. W., Urt. v. 19. 11. 2019 – 5 K 714/19.NW, openJur 2020, 24318. 991 VGH BW, Urt. v. 20. 04. 2000 – 8 S 318/00 = NVwZ 2000, 1063; Mitschang, ZfBR 2003, 431 (440). 992 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164); Fest, S. 157 f. 993 Fest, S. 158. 994 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295.

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

bar sind, bleibt der Einwand unberücksichtigt, dass in Verlängerung der Sichtachse von dem Naturschutzgebiet aus gesehen weitere Windparks wahrnehmbar sind, die allerdings die fünffache Entfernung zu diesem Gebiet aufweisen und daher optisch kaum in Erscheinung treten.995 Die Instanzgerichte nahmen in der Vergangenheit eine beachtliche Vorbelastung durch Windkraftanlagen, die das Vorliegen einer besonders schutzwürdigen Landschaft ausschloss, dann an, wenn sich in relativ geringer Entfernung von dem Standort der geplanten Windenergieanlage sieben oder mehrere weitere Anlagen befanden, die vom vorgesehenen Standort aus deutlich sichtbar waren.996 Selbst wenn der unmittelbare Umkreis der geplanten Anlagen noch frei von Windenergieanlagen sein mag, führt das Vorhandensein von Windenergieanlagen in allen Himmelsrichtungen in nicht allzu großer Entfernung zur Annahme einer erheblichen Vorbelastung.997 Für den Einwand der Vorbelastung durch Windkraftanlagen ist außerdem unbeachtlich, ob die schon vorhandenen Windkraftanlagen in Bereichen stehen, die in gleicher Weise als schützenswert anzusehen sind.998 Eine geringere Schutzwürdigkeit der Umgebung des geplanten Vorhabens folgt allerdings nicht schon daraus, dass die in der Umgebung bereits errichteten Windkraftanlagen möglicherweise selbst für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit ihrer eigenen näheren Umgebung eine beachtliche bauliche Vorbelastung darstellen, soweit die nähere Umgebung des geplanten Vorhabens eine eigenständige Bedeutung für den Landschaftsschutz und einen eigenständigen (größeren) maßstabsbildenden Bereich für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit ihres Landschaftsbildes besitzt.999 Das Landschaftsbild kann außerdem auch durch die Füllung von Lücken innerhalb einer bestehenden Windfarm beeinträchtigt werden.1000 Dies klingt zunächst widersprüchlich, zumal bei einer bestehenden Windfarm grundsätzlich von einer Vorbelastung auszugehen ist. Jedoch muss einer Windfarm eine landschaftseinschneidende Wirkung nicht automatisch zukommen, sondern kann sich auch erst durch die Ausweitung einer Windfarm ergeben.1001 Diese Situation ist für einen weiteren Ausbau schwierig, aber ausgesprochen repoweringfreundlich. Von Nachteil für den Ausbau ist leider, dass mit größeren Anlagen auch die Auswirkungen auf das Landschaftsbild umso schwerwiegender sind, obgleich die Höhe der Anlage allein noch nicht zu einer Verunstaltung des 995

VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02, Rn. 20. VG Minden, Urt. v.  17. 02. 2004  – 1 K 1067/02, Rn. 62; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 23. 01. 2017 – 8 L 760/16, Rn. 109. 997 NdsOVG, Urt. v. 21. 04. 2010 – 12 LC 9/07, Rn. 76. 998 BVerwG, Beschl. v. 08. 05. 2008 – 4 B 28.08, Rn. 8. 999 OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04 = NuR 2007, 215. 1000 BVerwG, Urt. v. 21. 10. 2004 – 4 C 3/04 = NVwZ 2005, 208 (210); zum Begriff der Windfarm siehe näher VG Würzburg, Urt. v. 05. 12. 2017 – W 4 K 15.530, Rn. 46 m. w. N. 1001 Fest, S. 159. 996

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Landschaftsbildes führt.1002 Ein durch bereits bestehende Windenergieanlagen massiv vorbelastetes Landschaftsbild ist nicht besonders schutzwürdig und wird auch durch die Ersetzung der Anlage durch eine doppelt so hohe neue Anlage nicht verunstaltet.1003 Es wird außerdem mit dem Repowering in der Regel die Zahl der Anlagen reduziert, sodass man nicht von einer Ausweitung einer bestehenden Windfarm sprechen kann. Mit der Reduzierung der Anlagenzahl ist vielmehr von einer Beruhigung des Landschaftsbildes auszugehen. Die Beruhigung des Landschaftsbildes lässt sich jedoch nicht pauschal mit einer Verbesserung des visuellen Gesamtbildes gleichsetzen. Computertechnische Visualisierungsmodelle können bei der Suche nach landschaftsästhetisch adäquaten Einzelfalllösungen helfen.1004 b) Vorbelastung durch Hochspannungsleitungen Hochspannungsleitungen, die dem Landschaftsverlauf folgen, stellen keine nennenswerte landschaftliche Vorbelastung dar, die die Schutzwürdigkeit einer Landschaft entfallen lässt.1005 Anderes gilt, soweit das Landschaftsbild durch mehrere Hochspannungsleitungen erheblich vorbelastet ist und diese für den Betrachter „auffällig in Erscheinung treten“. Dies ist dann der Fall, soweit „sie angesichts ihrer Häufigkeit am fraglichen Standort das Landschaftsbild in einer Weise prägen, das die Annahme einer besonderen Schutzwürdigkeit verbietet“. Bei dieser Betrachtung spielt es auch keine Rolle, dass die Hochspannungsmasten und -leitungen kleiner und vor allem weniger massiv als die geplanten Windkraftanlagen sind.1006 Kleine Hochspannungsleitungen, Sendemasten oder Schornsteine können schließlich auch im Verhältnis zur Höhe der Windkraftanlagen eine beachtliche Vorbelastung des Landschaftsbildes darstellen, da es dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entspricht, unberührte Landschaften zu schützen, während vorhandene Nutzungen als Vorbelastung zu werten sind. Obgleich die andere Nutzung nun 50 Meter hoch ist oder nicht, kann sie gegebenenfalls eine vertikale Struktur darstellen, die geeignet ist, die horizontale Freiraumstruktur zu durchschneiden und der Landschaft ihre besondere Schutzwürdigkeit zu nehmen.1007 Die Vorbelastung durch Hochspannungsleitungen – die den Liebreiz eines Landschaftsbildes dann nicht entfallen lassen, soweit sie sich in den Landschaftsverlauf einfügen – kann andererseits nicht mit der Vorbelastung der Umgebung durch Windkraftanlagen verglichen werden. Denn bei der Vorbelastung durch Windkraftanlagen ist deren besondere Wirkung zu berücksichtigen, dass sie unter Umständen aufgrund ihrer Größe das Landschaftsbild gegenüber einer klein proportionierten 1002

Fest, S. 159. VG Freiburg, Urt. v. 25. 10. 2005 – 1 K 2723/04 = UPR 2006, 364. 1004 Fest, S. 159 f. 1005 OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 65. 1006 SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 1007 Fest, S. 158. 1003

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Landschaft dominieren und ihre Dominanz zusätzlich noch durch die Drehbewegungen der Rotorblätter verstärkt werden kann. Die Vorbelastung durch Windkraftanlagen kann daher nicht unbedingt mit der Vorbelastung der Landschaft durch Hochspannungsleitungen verglichen werden. Hochspannungsleitungen können vielmehr im Vergleich zur geplanten Windkraftanlage verhältnismäßig niedriger liegen und sich im Gegensatz zu dieser an das Landschaftsbild dahingehend anpassen, dass sie für den Betrachter teilweise horizontal entlang der Baumwipfelgrenze verlaufen und damit für den Betrachter nicht so sehr ins Auge springen, da sie sich dem bestehenden Landschaftsbild unterordnen.1008 c) Vorbelastung durch sonstige bauliche Anlagen Sonstige bauliche Anlagen wie Hochspannungsleitungen oder Bahnlinien, die sich in einer so großen Entfernung von dem maßstabsbildenden Bereich befinden, dass sie das Landschaftsbild der näheren Umgebung nicht negativ prägen können, bleiben ebenso unberücksichtigt.1009 Eine relevante Vorbelastung durch gewerbliche Anlagen liegt andererseits vor, die der Annahme eines besonders in seiner Schönheit schützenswerten Landschaftsbildes entgegensteht, soweit „vom Standort der Windkraftanlagen aus einige Gewerbebetriebe erkennbar sind und auch eine bereits genehmigte Windkraftanlage von hier aus sichtbar sein wird“. Auch die bei guter Sicht erkennbaren Kühltürme eines Kernkraftwerks mit dem aufsteigenden Wasserdampf lassen die Schutzwürdigkeit einer Landschaftskulisse entfallen.1010 Eine erhebliche Vorbelastung der Landschaft liegt vor, soweit das Landschaftsbild geprägt wird von dem Eindruck der Stromerzeugung und -versorgung in Form eines in der Nähe befindlichen Atomkraftwerks, zahlreichen Hochspannungsleitungen und -masten, ein Umspannwerk sowie weiteren „Windparks“.1011 Die gegenläufige Behauptung, dass Landschaften mit vorhandenen Anlagen zur Energieversorgung bereits ein Sonderopfer erbracht hätten, welches gegen eine zusätzliche Belastung durch Windenergieanlagen spräche,1012 konnte sich bislang nicht durchsetzen. Es würde auch dem Gedanken der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs durch völlige Freihaltung bestimmter Bereiche bei gleichzeitiger Konzentration von Nutzungen völlig zuwiderlaufen.1013 Erst recht liegt eine nennenswerte Vorbelastung des Landschaftsbildes vor, soweit die Landschaft „durchsetzt ist von Weilern, Siedlungen und Ortschaften“.1014 Die damit einhergehenden Infrastruktureinrichtungen wie Straßen, Hochspannungs 1008

VG Würzburg, Urt. v. 30. 09. 2004 – W 5 K 03.1760, Rn. 34. OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04 = NuR 2007, 215. 1010 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 39. 1011 VG Hannover, Beschl. v. 04. 07. 2017 – 12 B 1966/17. 1012 Quambusch, BauR 2003, 635 (644). 1013 Fest, S. 157. 1014 BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356. 1009

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und Fernmeldeleitungen sowie gewerblichen Einrichtungen wie ein Kiesabbau bestimmen das Landschaftsbild.1015 Eine gewerbliche Überformung der näheren Umgebung, die für das Landschaftsbild Bedeutung haben und ihre Schutzwürdigkeit entfallen lassen kann, liegt nicht vor, soweit eingeschossig errichtete landwirtschaftlich genutzte Gebäude, so auch Schweinemastanlagen, das Landschaftsbild wegen ihrer geringen Größe nicht dominieren.1016 Ist die Vorbelastung unerheblich, muss eine Abwägung zwischen dem öffent­ lichen Belang des Verunstaltungsverbotes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und dem privilegierten Vorhaben vorgenommen werden. Berücksichtigt man den grundsätzlichen Vorrang der Privilegierung, dann kann allein eine geringe Vorbelastung der Landschaft durch bauliche Anlagen nicht zur Annahme eines Vorrangs öffentlicher Belange gegenüber dem Interesse an der Errichtung der Windkraftanlage führen. Denn verlangt man das Vorliegen einer atypischen Konstellation, die eine Verunstaltung des Landschaftsbildes begründet, die in Deutschland nur ausnahmsweise anzutreffen ist und die selbst der Gesetzgeber bei seiner Privilegierungsentscheidung quasi nicht als immanente Folge in den Blick genommen hat, lässt sich das Vorliegen einer solchen Konstellation nicht allein mit Blick auf den Grad der Besiedlung bestimmen. So finden sich in Deutschland allerorten Landschaftsbereiche mit nur geringer Besiedlung.1017 Die geringe Vorbelastung besitzt allerdings dann keine Bedeutung und die Abwägung fällt zugunsten öffentlicher Belange aus, soweit das Vorhaben das Landschaftsbild „eindeutig“ dominiert. In diesem Falle spielt die bauliche Vorbelastung keine Rolle, selbst wenn die vorhandenen Windkraftanlagen optisch kaum in Erscheinung treten.1018 Im Rahmen der anzustellenden Abwägung dürfte allerdings das Merkmal der Vorbelastung als Einzelmerkmal dann zu einem Vorrang des Belangs des Landschaftsschutzes führen, wenn eine Vorbelastung tatsächlich weithin nicht erkennbar ist. Das Vorliegen einer vollkommen unberührten Landschaft entbindet jedoch nicht von der wertenden Prüfung, die Wertigkeit des entsprechenden Landschaftsteils zu bestimmen.1019 Die Frage nach einer baulichen Vorbelastung einer Landschaft wird sich in Hinblick auf die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes grundsätzlich nie alleine stellen, sondern stets im Zusammenspiel mit anderen landschaftsprägenden Aspekten. Erst die Kombination von verschiedenen Gesichtspunkten wird im Einzelfall regelmäßig das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes begründen. Je schutzwürdiger sich eine Landschaft aufgrund ihrer Schönheit und Einzigartigkeit – etwa durch die Beeinträchtigung 1015

BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356. OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 64. 1017 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164). 1018 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295. 1019 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164). 1016

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

einer einzigartigen exponierten Lage – erweist, desto mehr bauliche Vorbelastung erscheint hinnehmbar und der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes wird Vorrang gegenüber der Privilegierung eines Vorhabens besitzen.1020 Je weniger einzigartig eine Landschaft erscheint, desto eher führt eine Vorbelastung dazu, dass der Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes hinter den Vorrang der Privilegierung der Windenergienutzung zurückritt.1021 Im Zusammenhang mit der Bedeutung der landschaftsgebundenen Erholung für eine bestimmte Region wurde ausgeführt, dass das Vorliegen einer besonders schützenswerten Landschaft umso eher angenommen werden kann, soweit sich die konkrete Landschaft in ihrer Funktion für die landschaftsgebundene Erholung oder den Fremdenverkehr eignet. Die Bedeutung des Tourismus für eine bestimmte Region kann ein so gewichtiger öffentlicher Belang sein, dass das Interesse des Bauherrn im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung zurücktreten muss.1022 Wanderheime, Skihütten, Sprungschanzen sowie Skilifte können daher nicht als beachtliche Vorbelastung zu Gunsten der Errichtung von Windenergieanlagen gewertet werden, da diese Anlagen im Gegensatz zu den ohnehin viel höher aufragenden Windenergieanlagen der Erholung, sportlichen Betätigung und Zerstreuung dienen und daher vielmehr die Annahme einer besonderen Schutzwürdigkeit der Landschaft als Erholungsgebiet nahelegen.1023 Diese Rechtsprechung überzeugt in Bezug auf Windkraftanlagen nur begrenzt, da es für die Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes nicht auf die Höhe der vorhandenen Anlagen ankommt, sondern nur auf deren Zerschneidungswirkung. Die Literatur nimmt daher an, dass einem von zahlreichen Skiliften durchschnittenen Skigebiet eine besonders schutzwürdige Landschaft nicht attestiert werden kann – unabhängig davon, wie niedrig die Lifte gegenüber einer Windenergieanlage sind.1024 Es ist daher im Ergebnis überzeugender, eine Vorbelastung zumindest bei einer Häufung die Landschaft „belastender“, kleiner Anlagen oder bei vorhandenen größeren Anlagen anzunehmen, die eine Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes ganz ausschließt.1025 Das Vorliegen einer beachtlichen Vorbelastung des Landschaftsbildes ist zusammenfassend insbesondere dann eingehend zu prüfen, soweit es sich um landschaftsuntypische Hofstellen, Produktionsstätten, Kraftwerke, Umspannwerke, Freileitungen, Sendemasten, Schornsteine, Häfen und Freizeitparks sowie sonstige Anlagen in der freien Landschaft wie Straßen, Eisenbahnen, Wasserwerke oder Kläranlagen handelt.1026 1020

BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92; Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164); vgl. BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356 (argumentum e contrario); VGH BW, Urt. v. 19. 12. 1984 – 8 S 2036.84 I = NuR 1987, 29. 1021 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164). 1022 Scheidler, NuR 2010, 525 (530); vgl. Kapitel B. IV. 1. g). 1023 VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02 = NuR 2003, 103 (104). 1024 Fest, S. 158. 1025 Fest, S. 158. 1026 Fest, S. 157.

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

205

7. Zusammenfassung Der bloße Umstand, dass eine Windkraftanlage aufgrund ihrer Größe weithin sichtbar ist und sich aus den Dimensionen von Windkraftanlagen als technischen Bauwerken zwangsläufig eine dominierende Wirkung auf die Umgebung ergibt, ist für sich allein genommen nicht ausreichend, um eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB annehmen zu können.1027 Die anlagentypischen Drehbewegungen der Rotorblätter einer Windkraftanlage können allerdings als Blickfang für die wertende Beurteilung, ob „die Schwelle zur Verunstaltung“ überschritten ist, nicht außer Betracht bleiben.1028 Obwohl viele Menschen die Errichtung von Windenergieanlagen in herkömmlichen „schönen Landschaften“ als eine Verunstaltung des Landschaftsbildes werten – insbesondere bei einer erstmaligen Ansiedlung der Anlagen in einem bislang von Windenergieanlagen unberührten Bereich –, muss es sich um atypische Ausnahmefälle handeln, die zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führen und bei denen sich eine Landschaft als besonders schön und schützenswert von den übrigen gewöhnlichen „schönen“ Landschaften hervorhebt.1029 Das Landschaftsbild muss eine Einzigartigkeit aufweisen, die nicht vielerorts ähnlich anzutreffen ist, wie etwa die markanten Züge der sächsischen Schweiz, die Kreidefelsen auf Rügen oder das Voralpengebiet.1030 Eine Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes folgt auch nicht allein aus dem Umstand, dass eine Windkraftanlage regelmäßig an exponierter Stelle und nicht etwa in einem Tal oder sonst an verdeckten Standorten errichtet wird.1031 Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes erfordert vielmehr einen atypischen Sachverhalt. Eine zur Verunstaltung führende Wirkung von Windkraftanlagen ist daher nur dann anzunehmen, wenn es sich bei dem optisch betroffenen Bereich um eine wegen ihrer Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdige Umgebung handelt oder wenn ein besonders grober Eingriff in das Orts- oder Landschaftsbild vorliegt.1032 Die in der Rechtsprechung gefestigte Begründung dafür, dass bei Windkraftanlagen allein das Vorliegen einer exponierten Lage noch nicht zu einer bodenrechtlich relevanten Verunstaltung des Landschaftsbildes führt, liegt darin, dass in Mittelgebirgslandschaften – wie sie in Deutschland häufig anzutreffen sind – für 1027 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn.  94; Düsing / Martinez / Achelpöhler, § 35 BauGB, Rn. 194; Scheidler, NuR 2010, 525 (527, 530). 1028 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01; OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 46. 1029 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163). 1030 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163). 1031 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295. 1032 OVG NRW, Urt. v. 30. 11. 2001 – 7 A 4857/00, Rn. 176; VG Minden, Urt. v. 17. 02. 2004 – 1 K 1067/02, Rn. 60.

206

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Windkraftanlagen geeignete Standorte praktisch nur in exponierten Lagen in Betracht kommen.1033 Windkraftanlagen dürften andererseits im Einzelfall dann unzulässig sein und das Landschaftsbild verunstalten, wenn sie an einem exponierten Standort errichtet werden sollen und dadurch das Landschaftsbild über das zumutbare Maß hinaus dominieren, indem sie als Blickfang den Gesamteindruck einer Landschaft prägen – selbst wenn in der Umgebung nur geeignete Standorte in exponierten Lagen vorzufinden sind.1034 Dies ist dann der Fall, wenn die Errichtung und der Betrieb einer Windenergieanlage zu einer „Verspargelung“ eines bisher durch natürliche Begrenzungen der Landschaft am Horizont geprägten Landschaftsbildes führen.1035 Neben der exponierten Lage braucht daher nicht zwangsläufig ein besonders schützenswertes Landschaftsbild vorliegen, um zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes zu führen. Eine Gesamtbetrachtung mit anderen landschaftsästhetischen und -prägenden Gesichtspunkten – wie Vorbelastung, Bedeutung der Region für den Tourismus und Unberührtheit der Landschaft – kann jedoch zur Annahme einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führen.1036 Ist das Landschaftsbild wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion nicht schutzwürdig und liegt zudem keine exponierte Lage des Vorhabens vor, wird bei privilegierten Vorhaben wie Windkraftanlagen eine Verunstaltung des Landschaftsbildes aus dem Gesichtspunkt der „Horizontverschmutzung“ nur schwer begründbar sein. So führt allein das Vorliegen einer bloßen „Horizontverschmutzung“ durch Windkraftanlagen noch nicht zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes. Eine bloße „Horizontverschmutzung“ liegt vor, soweit weder ein besonders schützenswertes Landschaftsbild noch eine exponierte Lage im Zusammenhang mit einem charakteristischen Landschaftsbild vorliegt – das ist regelmäßig der Fall bei einer durch landwirtschaftlichen Nutzflächen geprägten Landschaft, die ansonsten über keine nennenswerten schutzwürdigen Elemente verfügt. Bei einer bisher weitgehend von menschlicher Siedlungstätigkeit unberührten Landschaft müssen weitere schützenswerte Umstände hinzutreten, die das naturbelassene Landschaftsbild als besonders schutzbedürftig erscheinen lassen. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne einer „Horizontverschmutzung“ kann angenommen werden, soweit entweder das Vorhaben zu einem „krassen Gegensatz zu den gewissermaßen unterhalb des Horizonts bestehenden landwirtschaftlichen Gegebenheiten an dieser Stelle führt, die deren Liebreiz weitgehend entwertet“1037 oder die Horizontlinie bisher nicht durch optisch hervortretende 1033

BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03; BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 37; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 1034 OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 55; Schröter, S. 598. 1035 VG Kassel, Urt. v. 02. 03. 2016 – 1 K 1122/13.KS, Rn. 65. 1036 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 1037 OVG NRW, Urt. v. 04. 12. 2006 – 7 A 568/06 = BauR 2007, 677 (680).

VI. Besonderheiten bei Windkraftanlagen  

207

technische Bauwerke beeinträchtigt ist.1038 Diese Wirkung kann eher bei einem Auftreten mehrerer Windkraftanlagen in Form eines „Windparks“ erzielt werden, wobei mehrere nebeneinander platzierte Anlagen die Sichtachse auf eine andere Ebene heben können, indem sie den Blick weg von der Geländekante hinauf auf die gleichsam eine neue Sichtachse bildenden Naben und Rotoren der Windkraftanlagen lenken.1039 In jedem Falle ist zu berücksichtigen, dass ein Landschaftsbild, das sich durch weite Sichtbeziehungen auszeichnet, für sich allein genommen noch nicht genügt, um zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes zu führen. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes setzt vielmehr voraus, dass der der Landschaft innewohnende maßstabsbildende Rahmen verlassen wird und schlussendlich ein grober Eingriff in das Landschaftsbild vorliegt; das kann auch bei einem Landschaftsbild angenommen werden, das für sich betrachtet nicht besonders schützenswert sein muss. Die Frage nach einer baulichen Vorbelastung einer Landschaft wird sich in Hinblick auf das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes grundsätzlich nie alleine stellen, sondern stets im Zusammenspiel mit anderen landschaftsprägenden Aspekten. Erst die Kombination von verschiedenen Gesichtspunkten wird im Einzelfall regelmäßig das Vorliegen einer Verunstaltung des Ortsoder Landschaftsbildes begründen.1040 Der Einwand einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ist im Genehmigungsverfahren regelmäßig dann abgeschnitten, wenn eine Windkraftanlage innerhalb einer ausgewiesenen Konzentrationszone im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verwirklicht werden soll.1041 Ein Vorhaben in einer ausgewiesenen Konzentrationszone kann allerdings dann das Orts- oder Landschaftsbild verunstalten, wenn besondere, von der Gemeinde in ihrer Planung nicht berücksichtigte Umstände vorliegen, die im Einzelfall einen massiven Eingriff in das Landschaftsbild darstellen, der die Privilegierung des Vorhabens zurücktreten lässt.1042 Für Vorhaben in Konzentrationszonen kann eine Verunstaltung des Landschaftsbildes jedenfalls nicht mehr angenommen werden, wenn es sich ausnahmsweise um eine wegen ihrer Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdige Landschaft handelt. Diese von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelte Fallgruppe des Verunstaltungsverbotes ist deswegen bei Vorrangflächen auszublenden, da die Geeignetheit des Standorts als Planungsergebnis der Gemeinde feststeht.1043 1038

OVG RhPf, Urt. v. 18. 05. 2006 – 1 A 11398/04, Rn. 23. VG Hannover, Urt. v. 28. 08. 2003 – 4 A 3108/99, Rn. 53; VG Karlsruhe, Urt. v. 16. 10. 2002 – 4 K 2331/01, Rn. 48. 1040 BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92; Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164); vgl. BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356 (argumentum e contrario); VGH BW, Urt. v. 19. 12. 1984 – 8 S 2036.84 I = NuR 1987, 29. 1041 BVerwG, NVwZ 2010, 1561, Rn. 45, 46. 1042 VG Göttingen, Urt. v. 23. 06. 2005 – 2 A 20/05, Rn. 24. 1043 VG Göttingen, Urt. v. 23. 06. 2005 – 2 A 20/05, Rn. 23. 1039

208

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

VII. Zusammenfassung über den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB Der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB dient dem optisch-ästhetischen Landschaftsschutz zugunsten einer im Einzelfall schutzwürdigen Landschaft – und dies unabhängig davon, ob die Landschaft im Einzelfall förmlich aufgrund von naturoder landschaftsschutzrechtlichen Vorschriften unter Schutz gestellt wurde. Der Begriff der „Verunstaltung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Sein Begriffsinhalt richtet sich nach denselben Kriterien, die das BVerwG1044 in seiner frühen Rechtsprechung zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsbegriff entwickelt hat. Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ist danach gegeben, wenn „das jeweilige Bauvorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird“.1045 1. Abgrenzung des bauplanungs- vom bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot In der rechtlichen Ausgestaltung unterscheiden sich die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote und das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot darin, dass es sich bei den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten um normative gesetzliche Verbote handelt, während der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) in der nachvollziehenden Abwägung der mit dem Vorhaben verbundenen Interessen als prinzipiell zurückstellungsfähiger öffentlicher Belang überwunden werden kann.1046 Landesrechtliche Verunstaltungsverbote können allerdings neben dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB Anwendung finden und sind damit insoweit von Bedeutung, wenn sie zum Beispiel zur Verunstaltungsabwehr Beschränkungen und Verbote für Anlagen der Außenwerbung im Außenbereich vorsehen.1047 Schutzgegenstand des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots ist  – in Abgrenzung zu den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten der Länder – 1044

BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53 = NJW 1955, 1647. BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384; HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 53; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 44; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; Scheidler, BauR 2019, 190 (195). 1046 J / D/Spieß, § 35, Rn. 209. 1047 BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn.  93; B / K/L / M/R, § 35, Rn.  89; Schröter, S. 594. 1045

VII. Zusammenfassung  

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nicht die bauliche Anlage und ihre Auswirkungen auf die unmittelbare Umgebung, sondern unabhängig von der Baugestaltung die Wirkung des Vorhabens auf die weitere Umgebung.1048 Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot kann daher nur im Bodenrecht wurzelnde Verunstaltungen abwehren.1049 Da es sich bei den §§ 34 und 35 BauGB um planersetzende Vorschriften handelt, lassen sich die maßgeblichen Kriterien für die Feststellung einer Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) und einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) gleichermaßen sowohl aus der Lage und Stellung des Vorhabens, als auch aus Art und Maß der baulichen Nutzung, aus der Gestaltung des Vorhabens nach überbauter Grundfläche, Baumasse, Gebäudehöhe und der Zahl der Vollgeschosse entnehmen, die sich durch planerische Festsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB regeln lassen.1050 Dennoch wäre es falsch anzunehmen, dass Aspekte bauordnungsrechtlicher Gestaltung generell für die Beurteilung der Zulässigkeit von Vorhaben im unverplanten Innenbereich und Außenbereich bedeutungslos sind. Der durch § 34 und § 35 BauGB ungeschmälerte Geltungsanspruch des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbots und örtlicher Gestaltungssatzungen wird schließlich von § 29 Abs. 2 BauGB bestätigt.1051 2. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und Naturschutzrecht Potentielle Fälle des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB werden im Bauvollzug regelmäßig über das Naturschutzrecht abgefangen,1052 da eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes im Sinne des § 14 Abs. 1 BNatSchG regelmäßig einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes entspricht.1053 In förmlich unter Natur- oder Landschaftsschutz gestellten Landschaftsteilen führt schon eine Beeinträchtigung des Naturschutzes oder der Landschaftspflege zu einer Unzulässigkeit des Vorhabens im Außenbereich.1054 Verstößt ein Vorhaben in nicht durch Ausnahmegenehmigungen oder Befreiungen zu behebender Weise gegen die Vorgaben einer Landschaftsschutzverordnung, ist gleichzeitig auch eine Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes gegeben.1055

1048

BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98. Schröter, S. 594. 1050 Kapell, S. 52; Kollmann, S. 398, 402; Moench / Schmidt, S. 5. 1051 Brügelmann / Dürr, § 34, Rn. 45; Mick, S. 313; Moench / Schmidt, S. 20 mit Beispielen zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot im Zusammenhang mit Außenbereichsvorhaben. 1052 S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 35. 1053 Koppitz, Rn. 546. 1054 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95; BVerwG, Beschl. v. 08. 05. 2008 – 4 B 28.08. 1055 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95, Rn. 19; BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 84; Hornmann, NVwZ 2006, 969 (971 f.). 1049

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Nur die förmlich unter Schutz gestellte Landschaft ist dabei vor jeglicher Beeinträchtigung der Landschaft geschützt. Für die nicht unter förmlichen Schutz gestellten Außenbereichslandschaften bedeutet dies, dass sie nur vor qualifizierten Beeinträchtigungen in Gestalt des Verunstaltungsverbots geschützt sind.1056 3. Einzelfallentscheidung Ob die Schwelle zur Verunstaltung überschritten ist, hängt von den konkreten Umständen der jeweiligen Situation ab.1057 Jedenfalls reicht es für den Grad einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes allein noch nicht aus, soweit lediglich eine Beeinträchtigung des Orts- oder Landschaftsbildes außerhalb von Schutzgebieten oder ein reines Interesse am Erhalt eines bestimmten Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt. Es muss vielmehr eine schwerwiegende Beeinträchtigung vorliegen, die den Grad einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes erreicht. Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes kann insbesondere auch die Ausführung eines Vorhabens in einer besonders „krass störenden“ Abweichung von der Gestaltung in landschaftsüblicher und funktionsgerechter Bauweise begründen.1058 Anpflanzungen oder eine sonstige optisch unauffällige Gestaltung des Vorhabens, mit denen das Vorhaben eingegrünt werden soll, können allerdings allein die verunstaltende Wirkung mangels dauerhaft gewährleisteten Fortbestands nicht entfallen lassen.1059 Die Folge des stärkeren Durchsetzungsvermögens privilegierter Vorhaben (§ 35 Abs. 1 BauGB) gegenüber sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) ist, dass viele Obergerichte1060 den Verunstaltungsbegriff bei privilegierten Vorhaben einschränkend auslegen. Danach muss das Orts- oder Landschaftsbild „wegen seiner Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdig“ sein oder es muss ein „besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild“ vorliegen.1061 Die von der Rechtsprechung für privilegierte Vorhaben entwickelten einschränkenden Kriterien müssen hingegen richtigerweise auch für sonstige Vorhaben als Fallgruppen verstanden werden, um den Begriff der „Verunstaltung“ für die Praxis handhabbar zu machen.1062 An das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- oder 1056 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95, Rn. 20; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11. 1057 BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444. 1058 HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93. 1059 Jarass / Kment, § 35, Rn. 61; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 87. 1060 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 34; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; OVG LSA, Urt. v. 06. 02. 2004 – 2 L 5/00. 1061 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 34; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 1062 Düsing / Martinez / Achelpöhler, § 35, Rn. 194.

VII. Zusammenfassung  

211

Landschaftsbildes sind also sowohl bei privilegierten als auch bei sonstigen Vorhaben dieselben Anforderungen zu stellen. Es bleibt schlussendlich der Abwägungsentscheidung vorbehalten, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt, die der Zulässigkeit eines privilegierten Vorhabens „entgegensteht“, § 35 Abs. 1 BauGB.1063 Ein Landschaftsbild ist wegen seiner Schönheit dann besonders schützenswert, wenn sich das Landschaftsbild durch prägende, unverwechselbare und einzigartige landschaftsbildende Elemente auszeichnet.1064 Eine aufgrund ihrer Schönheit besonders schützenswerte Landschaft liegt vor allem bei naturschutzfachlich besonders schützenswerten Landschaftsbildern wie historischen Kulturlandschaften und Landschaftsteilen mit charakteristischer Eigenart und Bedeutung für das Landschaftsbild vor.1065 Eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes einer „durchschnittlichen Kulturlandschaft“ reicht hingegen nicht aus, um eine Verunstaltung annehmen zu können.1066 Bei der Prüfung, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt, ist allein auf das rein tatsächliche Orts- oder Landschaftsbild abzustellen.1067 In ästhetischer Hinsicht verbietet sich regelmäßig die Positionierung eines Vorhabens an hervorgehobener Stelle im Landschaftsbild.1068 Die Bewertung, ob „die Schwelle zur Verunstaltung“ überschritten ist, hängt in jedem Falle von der jeweiligen Situation ab, wobei bei einem Bauvorhaben, das in exponierter Lage in der Landschaft errichtet werden soll, ein schärferer Maßstab angezeigt ist.1069 Bei Bauvorhaben mit Fernwirkung kommt es allerdings nicht darauf an, von wie vielen Ausblicksstandorten es eingesehen werden kann.1070 Das Vorliegen einer exponierten Lage kann auch als Unterfallgruppe des Eingriffs in ein „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswertes Landschaftsbild“ verstanden werden.1071 Daraus erklärt sich, dass neben dem Vorliegen eines exponierten Standortes ein prägendes – über das Vorhandensein von landwirtschaftlicher Nutzfläche hinausgehendes – Landschaftsbild vorliegen muss, um zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes zu führen. Die Landschaft muss allerdings nicht den Grad an besonderer Schutzwürdigkeit aufweisen, als insoweit von der obergerichtlichen Rechtsprechung für die Fallgruppe des „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswerten Landschaftsbildes“ gefordert 1063

OVG NRW, Urt. v. 30. 07. 2009 – 8 A 2358/08, Rn. 79. Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 1065 BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384, Rn. 30; Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 1066 BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 36; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356. 1067 OVG Bln-Bbg., Urt. v. 14. 12. 2006 – 11 B 11.05. 1068 Stollmann, JuS 2003, 855 (859). 1069 OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 55; BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 32. 1070 VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02, Rn. 21. 1071 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (164). 1064

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

wird. Wird ein Vorhaben an einem exponierten Standort errichtet, dann kann eine Verunstaltung des Landschaftsbildes auch darin gesehen werden, dass das Vorhaben in seiner Umgebung wesensfremd wirkt, soweit es weder in seiner äußeren noch in seiner funktionalen Gestaltung der naturgemäßen Zweckbestimmung und Nutzungsweise der Landschaft entspricht.1072 Der maßstabsbildende Bereich, der das schützenswerte Landschaftsbild ausmacht, also der in die Betrachtung des Landschaftsbildes einzubeziehende Umgebungsrahmen, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles.1073 Unbebaute Gebiete müssen nicht zwangsläufig schutzwürdig sein  – dies gilt auch dann, wenn „weite Teile des übrigen Kreisgebiets durch ein hohes Maß an Zersiedlung geprägt sind“.1074 Bei einer bisher weitgehend von menschlicher Siedlungstätigkeit unberührten Landschaft müssen weitere schützenswerte Umstände hinzutreten, die das naturbelassene Landschaftsbild als besonders schutzbedürftig erscheinen lassen. Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) beschränkt sich daher nicht auf die nähere Umgebung einer Gemeinde, sondern bezieht als Beurteilungsmaßstab bei Vorhaben mit Fernwirkung auch einen Fernblick auf das Vorhaben oder vom Vorhabenstandort mit ein.1075 Die Beachtung dieser Maßstäbe kann dazu führen, dass große Gebiete in Deutschland für bestimmte Nutzungen mit erheblicher Fernwirkung – wie insbesondere die Windenergienutzung – nicht zur Verfügung stehen können.1076 Das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB setzt eine besondere Schutzwürdigkeit der Landschaft nicht zwingend voraus. Eine Verunstaltung kann sich auch durch einen besonders groben Eingriff in das Orts- oder Landschaftsbild ergeben. 4. Bauliche Vorbelastungen im Landschaftsbild Für die Annahme einer wegen ihrer besonderen Schönheit schützenswerten Landschaft ist es nicht ausgeschlossen, dass das Landschaftsbild im Nahbereich vereinzelt menschliche Siedlungstätigkeiten erkennen lässt, soweit sie beim Anblick eines ansonsten unberührten und natürlichen Landschaftsbildes keinen Fremdkörper darstellen.1077 Landschaftstypische Nutzungen wie land- und forstwirtschaftliche Vorhaben stellen zumindest regelmäßig das Landschaftsbild nicht in Frage.1078 1072

BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261. Hornmann, NVwZ 2006, 969 (971). 1074 OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. 1075 Stüer, S. 599. 1076 Schröter, S. 599 f. 1077 BayVGH, Urt. v. 23. 06. 2003 – 14 B 01.2423, Rn. 18; Scheidler, NuR 2010, 525 (528). 1078 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 1073

VII. Zusammenfassung  

213

Andererseits können sogar vereinzelt im Nahbereich erkennbare landwirtschaftliche Anwesen die Charakteristik einer abwechslungsreichen und beeindruckenden Umgebung von besonderer landschaftlicher Schönheit noch eher etwas verstärken.1079 Nennenswerte Vorbelastungen des Landschaftsbildes durch bauliche Anlagen, die in ihren Auswirkungen auf das Orts- oder Landschaftsbild den erwarteten Auswirkungen ähneln, die vom geplanten Vorhaben ausgehen, oder diese gar noch übertreffen, können den Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ausräumen.1080 Eine Landschaft verliert ihre optisch-ästhetische Schutzwürdigkeit dann nicht, wenn sie im Wesentlichen ihre Eigenart in Hinblick auf das Orts- oder Landschaftsbild behalten hat, selbst wenn sie nicht vollkommen unberührt geblieben ist.1081 Außenbereichsfremde Nutzungen, insbesondere gewerbliche Bauten, stellen dabei im Gegensatz zu land- und forstwirtschaftlichen Anlagen die Wertigkeit auch einer besonders schönen Landschaft besonders nachteilig in Frage und können die Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes entfallen lassen.1082 Das Vorliegen einer besonders schützenswerten Landschaft wird umso eher anzunehmen sein, soweit sich die konkrete Landschaft in ihrer Funktion für die landschaftsgebundene Erholung oder den Fremdenverkehr eignet. Die Bedeutung des Tourismus für eine bestimmte Region kann ein so gewichtiger öffentlicher Belang sein, dass im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung das Interesse des Bauherrn zurücktreten muss.1083 5. Besonderheiten bei Windkraftanlagen Der bloße Umstand, dass Windkraftanlagen aufgrund ihrer Größe weithin sichtbar sind und sich daraus zwangsläufig eine dominierende Wirkung auf ihre Umgebung ergibt, ist für sich allein genommen nicht ausreichend, um eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB annehmen zu können.1084 Allerdings können die anlagentypischen Drehbewegungen der Rotorblätter einer Windkraftanlage als Blickfang für die wertende Beurteilung, ob „die Schwelle zur Verunstaltung“ überschritten ist, nicht außer Betracht bleiben.1085 1079

BayVGH, Urt. v. 23. 06. 2003 – 14 B 01.2423, Rn. 18. EZBK / Söfker, § 35, Rn. 99; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 86. 1081 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71, Rn. 21 m. w. N.; OVG NRW, Beschl. v. 04. 07. 2000 – 10 A 3377/98, BauR 2001, 222 (223); BeckOK-BauGB / Söfker, § 35, Rn. 92; Schröter, S. 596. 1082 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 1083 Scheidler, NuR 2010, 525 (530). 1084 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn.  94; Düsing / Martinez / Achelpöhler, § 35 BauGB, Rn. 194; Scheidler, NuR 2010, 525 (527, 530). 1085 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01; OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 46. 1080

214

B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

Es steht fest, dass Windenergieanlagen aufgrund ihrer gesetzgeberischen Privilegierung in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB bevorrechtigt im Außenbereich zulässig sind und das jeweilige Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht in Anspruch nehmen werden, insbesondere dann, wenn es sich um eine erstmalige Ansiedlung in einem bislang von Windenergieanlagen unbebauten Landschaftsteil handelt. In Anbetracht der anlagentypischen Besonderheiten ist besonders bei Windenergieanlagen für das Vorliegen eines „wegen seiner besonderen Schönheit oder Funktion schützenswerten Landschaftsbildes“ eine sorgfältige Prüfung angezeigt. Das Landschaftsbild muss eine Einzigartigkeit aufweisen, die nicht vielerorts ähnlich schön anzutreffen ist, wie etwa die markanten Züge der sächsischen Schweiz, die Kreidefelsen auf Rügen oder das Voralpengebiet.1086 Eine Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes folgt auch nicht allein aus dem Umstand, dass eine Windkraftanlage regelmäßig an exponierter Stelle und nicht etwa in einem Tal oder an sonst verdeckten Standorten errichtet wird.1087 Die in der Rechtsprechung gefestigte Begründung dafür, dass bei Windkraft­ anlagen allein das Vorliegen einer exponierten Lage noch nicht zu einer bodenrechtlich relevanten Verunstaltung des Landschaftsbildes führt, liegt darin, dass in Mittelgebirgslandschaften  – wie sie in Deutschland häufig vorkommen  – für Windkraftanlagen geeignete Standorte praktisch nur in exponierten Lagen in Betracht kommen.1088 Windkraftanlagen dürften andererseits im Einzelfall dann unzulässig sein und das Landschaftsbild verunstalten, wenn sie an einem exponierten Standort errichtet werden sollen und dadurch das Landschaftsbild über das zumutbare Maß hinaus dominieren, indem sie als Blickfang den Gesamteindruck einer Landschaft prägen – selbst wenn in der Umgebung nur geeignete Standorte in exponierten Lagen vorzufinden sind.1089 Dies ist dann der Fall, wenn die Errichtung und der Betrieb einer Windenergieanlage zu einer „Verspargelung“ eines bisher durch natürliche Begrenzungen der Landschaft am Horizont geprägten Landschaftsbildes führen.1090 Neben der exponierten Lage braucht daher nicht zwangsläufig ein besonders schützenswertes Landschaftsbild vorliegen, um zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes zu führen. Eine Gesamtbetrachtung mit anderen landschaftsästhetischen und -prägenden Gesichtspunkten – wie Vorbelastung, Bedeutung der Region für den Tourismus und Unberührtheit der Landschaft – kann jedoch zur Annahme einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führen.1091

1086

Birkemeyer, NuR 2016, 161 (163). BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295. 1088 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03; BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 37; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 1089 OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 55; Schröter, S. 598. 1090 VG Kassel, Urt. v. 02. 03. 2016 – 1 K 1122/13.KS, Rn. 65. 1091 Birkemeyer, NuR 2016, 161 (165). 1087

VII. Zusammenfassung  

215

Ist das Landschaftsbild in Hinblick auf seine Schönheit oder Funktion nicht besonders schutzwürdig und liegt zudem keine exponierte Lage des Vorhabens vor, wird bei privilegierten Vorhaben wie Windkraftanlagen eine Verunstaltung des Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) aus dem Gesichtspunkt der „Horizontverschmutzung“ nur schwer begründbar sein. So führt allein das Vorliegen einer bloßen „Horizontverschmutzung“ durch Windkraftanlagen noch nicht zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes. Eine bloße „Horizontverschmutzung“ liegt vor, soweit weder ein besonders schützenswertes Landschaftsbild noch eine exponierte Lage im Zusammenhang mit einem charakteristischen Landschaftsbild vorliegt – das ist regelmäßig der Fall bei einer durch landwirtschaftlichen Nutz­ flächen geprägten Landschaft, die ansonsten über keine nennenswerten schutzwürdigen Elemente verfügt. Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne einer „Horizontverschmutzung“ kann angenommen werden, soweit entweder das Vorhaben zu einem „krassen Gegensatz zu den gewissermaßen unterhalb des Horizonts bestehenden landwirtschaftlichen Gegebenheiten an dieser Stelle führt, die deren Liebreiz weitgehend entwertet“1092 oder die Horizontlinie bisher nicht durch optisch hervortretende technische Bauwerke beeinträchtigt ist.1093 Der Einwand einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ist im Genehmigungsverfahren regelmäßig dann abgeschnitten, wenn eine Windkraftanlage innerhalb einer ausgewiesenen Konzentrationszone im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verwirklicht werden soll.1094 Ein Vorhaben in einer ausgewiesenen Konzentrationszone kann allerdings dann das Orts- oder Landschaftsbild verunstalten, wenn besondere, von der Gemeinde in ihrer Planung nicht berücksichtigte Umstände vorliegen, die im Einzelfall einen massiven Eingriff in das Landschaftsbild darstellen, der die Privilegierung des Vorhabens zurücktreten lässt.1095 6. Die Verunstaltung des Ortsbildes und das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht Eine Verunstaltung des Ortsbildes ist möglich, wenn ein Außenbereichsvorhaben in Siedlungsnähe – etwa ein gewerblicher Betrieb, Baracken oder ähnliche Primitivbauten – die Ortssilhouette teilweise bis ganz verdeckt.1096 Eine Verunstaltung des Ortsbildes erfordert allerdings mehr als nur das Fehlen einer harmonischen Be-

1092

OVG NRW, Urt. v. 04. 12. 2006 – 7 A 568/06 = BauR 2007, 677 (680). OVG RhPf, Urt. v. 18. 05. 2006 – 1 A 11398/04, Rn. 23. 1094 BVerwG, NVwZ 2010, 1561, Rn. 45, 46. 1095 VG Göttingen, Urt. v. 23. 06. 2005 – 2 A 20/05, Rn. 24. 1096 BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn.  76; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 39. 1093

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B. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB

ziehung des Vorhabens zur vorhandenen Bebauung, wie sie in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorausgesetzt wird.1097 Das Gebot der Vermeidung von Ortsbildbeeinträchtigungen im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB zählt ebenso wie die Verunstaltungsverbote zu den negative ästhetische Wirkungen abwehrenden Anforderungen. Eine Beeinträchtigung ist bereits bei wesentlichen Benachteiligungen des Ortsbildes gegeben, sodass eine Verunstaltung des Ortsbildes noch nicht vorzuliegen braucht.1098 Nach der h. M. in der Rechtsprechung und Literatur muss das Ortsbild im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB eine besondere Wertigkeit und einen besonderen Charakter aufweisen, um im unbeplanten Innenbereich zu einer Unzulässigkeit eines – ansonsten sich gegebenfalls sogar in die Eigenart der näheren Umgebung einfügenden – Vorhabens zu führen. Die Funktion des Ortsbildschutzes liegt daher besonders darin, ein Vorhaben auch dann zu verhindern, wenn es sich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in eine durch negative Erscheinungen bereits „verseuchte“ Umgebung einfügen würde. Ein Abwehrrecht zugunsten der Gemeinde gegen die Zulassung von Vorhaben im Außenbereich besteht außerhalb des Anwendungsbereichs von § 36 BauGB nur dann, wenn die Gemeinde dem Vorhaben hinreichend konkrete Planungsabsichten entgegenhalten oder eine Verletzung ihres Selbstgestaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) geltend machen kann. Das Selbstgestaltungsrecht ist einfach-rechtlich als ungeschriebener öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB zu prüfen.1099 Eine Gemeinde kann sich auf ihr Selbstgestaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 GG mit Erfolg berufen, wenn sie durch Maßnahmen betroffen wird, die das Ortsbild entscheidend prägen und hierdurch nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken,1100 insbesondere den baulichen Aspekt des örtlichen Gepräges und die vorhandene städtebauliche Struktur von Grund auf verändern.1101 Das Vorliegen eines durch das Bauvorhaben verunstalteten Ortsbildes reicht hierfür regelmäßig nicht aus, vielmehr sind prägende Auswirkungen in einem größeren räumlichen Umfang erforderlich.1102 Daraus folgt sogleich, dass die Ge 1097

BVerwG, Urt. v. 22. 06. 1990 – 4 C 6.87, Rn. 26; Müller, K., S. 55. Kamp, S. 117; Kapell, S. 52 f.; Vilsmeier, S. 79 f. 1099 BayVGH, Beschl. v. 19. 02. 2009 – 22 CS 08.2672, Rn. 13; BayVGH, Beschl. v. 27. 08. 2013 – 22 ZB 13.927, Rn. 20. 1100 BVerwG, Beschl. v. 05. 12. 1996 = NVwZ-RR 1997, 339; BVerwG, Urt. v. 08. 01. 1997 – 11 VR 30/95 = NuR 1998, 221 f.; BVerwG, Beschl. v. 15. 04. 1999 – 4 VR 18/98 = NVwZ-RR 1999, 554 (555); Blümel, S. 35; Denecke, S. 39, 87. 1101 BVerwG, Urt. v.  18. 03. 1987  – 7 C 28.85 = BVerwGE 77, 128; BVerwG, Urt. v. 30. 08. 1993 – 7 C 14.93 = NVwZ 1994, 371; BVerwG, Beschl. v. 15. 04. 1999 – 4 VR 18/98 = NVwZ-RR 1999, 554 (555); BayVGH, Urt. v. 06. 06. 1989 = BayVBl. 1990, 48 (50); BayVGH, Beschl. v.  19. 11. 1985  – 20 CS 85 A.2304 = BayVBl. 1986, 370 (372); BayVGH, Beschl. v.  27. 08. 2013  – 22 ZB 13.927, Rn. 16; BayVGH, Beschl. v.  31. 10. 2008  – 22 CS 08.2369, Rn. 31; Denecke, S. 114, 130; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (230). 1102 BayVGH, Urt. v. 14. 03. 2002 – 20 A 01.40075; Blümel, S. 35 f.; Müller, K., S. 108. 1098

VII. Zusammenfassung  

217

meinde außerhalb einer möglichen Verletzung ihres Selbstgestaltungsrechtes keine ästhetischen Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes rügen kann, da der Landschaftsschutz nicht zum gemeindlichen Aufgabenkreis gehört. Das Selbstgestaltungsrecht kann schließlich in Ausgleich mit Bauvorhaben zu bringen sein, die die gemeindliche Identität verändern und den gestalterischen Bindungen städtebaulicher und bauordnungsrechtlicher Vorschriften aufgrund ihrer gesetzesvorbehaltlosen Grundrechtsgewährleistung nicht unterfallen.1103 Baukünstlerische Projekte dürfen allerdings unter Berufung auf das kommunale Selbstgestaltungsrecht nicht völlig unmöglich gemacht werden.1104 Aus der Anerkennung eines abwehrfähigen Selbstgestaltungsrechtes der Gemeinde als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) folgt, dass die das Ortsbild schützenden Verunstaltungsverbote ihre verfassungsrechtliche Legitimation im gemeindlichen Selbstgestaltungsrecht finden.1105

1103

Denecke, S. 114; Dreier / Pernice, 2004, Art. 5 Abs. 3, Rn. 41; Gaudernack, S. 215; Kamp, S. 91; Klein, S. 281; Manssen, DV 1991, 33 (45 f.); S / S/D / Stern, § 117, VII 4, S. 722 f. 1104 Kamp, S. 91; Vilsmeier, S. 56. 1105 Denecke, S. 150; Gaudernack, S. 217; a. A. Kapell, S. 279.

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und die Grundrechte der Kunst-, Eigentumsund der Glaubensfreiheit Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB kann grundsätzlich auch durch die Errichtung von Sakralbauten und von Baukunst im Außenbereich in Betracht kommen. Die folgende Ausarbeitung beschäftigt sich näher mit der Frage, inwieweit der Errichtung von Baukunst und von Kultusstätten im Außenbereich der optisch-ästhetische Landschaftsschutz auf verfassungsrechtlich tragfähiger Basis entgegen gehalten werden kann. Die verfassungsrechtliche Untersuchung des öffentlichen Belangs erlangt im Spannungsfeld mit der Kunst- (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) dadurch an Relevanz, dass nach der Wertung des Verfassungsgebers die Freiheitsgrundrechte in der Gemeinschaft möglichst unbeschränkt zur Geltung kommen sollen,1 was von vornherein einen Rückgriff auf nur schwer greifbare Kollektivgüter zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer Beschränkung der beiden vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte verbietet. Andererseits ist zum jetzigen Zeitpunkt die Vielschichtigkeit der Fallgestaltungen nicht absehbar, die sich möglicherweise in naher Zukunft für das Bauen im Außenbereich im Zusammenhang mit den beiden vorbehaltlos garantierten Freiheitsgrundrechten ergeben könnte: Es ist durchaus vorstellbar, dass erst noch aufkommende Naturreligionen die Errichtung von Kultstätten im Außenbereich fordern. Außerdem lässt sich heute aufgrund der Weite des „offenen“2 Kunstbegriffs kaum erahnen, welche Qualität an künstlerischer Aussage überhaupt noch einem Werk der Baukunst in naher Zukunft zukommen wird, das im Außenbereich errichtet werden soll und in einem grob anstößigen Kontrast zum Orts- oder Landschaftsbild steht.3 Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die Berufung des Bauherrn auf die Kunstbzw. die Glaubensfreiheit Einfluss auf die Auslegung des öffentlichen Belangs der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes nehmen kann. Rechtfertigt sogar die Berufung auf das jeweilige Grundrecht die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines baukünstlerischen bzw. sakralen oder weltanschaulich motivierten Vorhabens an einem konkreten Standort im Außenbereich? Dies ist entschieden zu verneinen, wobei jedoch klar sein sollte, dass aufgrund der herausragenden Bedeutung der Vorbehaltlosigkeit der entsprechenden Grundrechte diese auch in

1

Lenz / Leydecker, DÖV 2005, 841 (841). Mißling, S. 44; Schneider, S. 131. 3 Würkner, S. 121. 2

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

219

Zukunft bei der Rechtsanwendung des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots hinreichend gewürdigt und berücksichtigt werden müssen. Im folgenden Kapitel soll daher untersucht werden, inwieweit Werke der Baukunst und Kultusstätten im Außenbereich der einfachgesetzlichen Anforderung unterworfen werden können, nicht das Orts- oder Landschaftsbild zu verunstalten, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Grundrechtsdogmatisch wird zunächst die Kunstfreiheit abgehandelt und sodann – an die Ergebnisse zur Kunstfreiheit anknüpfend – die Glaubensfreiheit mit ihren spezifischen Besonderheiten in der Schrankenfrage. Die Schwierigkeit, den optisch-ästhetischen Landschaftsschutz und das verfassungsrechtlich gewährleistete Interesse an der Errichtung eines Werkes der Baukunst oder einer Kultusstätte im Außenbereich in Einklang zu bringen, liegt darin, dass sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, den Bereich außerhalb der Bebauungszusammenhänge von Gemeinden in der Regel von Bebauung freizuhalten. Im Außenbereich sind grundsätzlich nur solche Vorhaben zulässig, die ihrem Wesen nach allein im Außenbereich sinnvoll sind. Da in der Aufzählung des § 35 Abs. 1 BauGB nur funktionale Gesichtspunkte von Bedeutung und gerade gestalterische oder religiöse Aspekte für die etwaige Privilegierung eines Vorhabens nicht von Bedeutung sind, ist die Errichtung von baukünstlerischen Werken und von Kultusstätten im Außenbereich nicht bevorzugt zulässig, § 35 Abs. 2 BauGB. Die planungsrechtliche Zulässigkeit entsprechender Vorhaben richtet sich im Übrigen danach, dass sie öffentliche Belange nicht beeinträchtigen, § 35 Abs. 3 BauGB.4 Zu den für die hier zugrunde liegende Arbeit relevanten Belangen zählen namentlich die natürliche Eigenart der Landschaft und die Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 und Alt. 5 BauGB. Die praktische Notwendigkeit der grundsätzlichen Freihaltung des Außenbereichs ergibt sich nüchtern betrachtet zum einen aus dem Zweckcharakter von Architektur. So sprechen nämlich zahlreiche Aspekte gegen das Bauen im Außenbereich, die sich in den in § 35 Abs. 3 BauGB aufgezählten öffentlichen Belangen widerspiegeln. Zum anderen sprechen auch in ästhetischer Hinsicht Gründe gegen die Rechtfertigung von entsprechenden Vorhaben im Außenbereich, da sich der Außenbereich gerade dadurch auszeichnet, dass seine Räumlichkeit durch die Abwesenheit von Architektur definiert ist, sodass die Errichtung von Vorhaben einer ästhetisch schlüssigen Rechtfertigung bedarf.5 Gestalterische Anforderungen an baukünstlerische oder sakrale Außenbereichsvorhaben dürften jedenfalls – dem Ergebnis der hier zugrundeliegenden Untersuchung vorweggreifend – bis zu einem gewissen Grad gestellt werden können. Die baukünstlerische und sakrale Gestaltungsfreiheit findet schließlich dort ihre Grenze, wo die äußerste Grenze des gestalterisch Zumutbaren und in diesem Sinne die äu-

4

Schneider, S. 287. Schneider, S. 287.

5

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

ßerste Grenze einer grundrechtskonformen Auslegung des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots überschritten wird.

I. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) Bereits zu Weimarer Zeiten war es umstritten, ob und inwieweit bauästhetische Regelungen und Vorschriften mit der Kunstfreiheitsgarantie zu vereinbaren sind. So waren baupolizeiliche Vorschriften der Länder zur Abwehr von Verunstaltungen durch bauliche Anlagen das Erbe der Kaiserzeit, da in dieser geschichtlichen Epoche die deutschen Länder begannen, die Baupolizeibehörden mit der Wahrung des Stadt- und Landschaftsbildes zu beauftragen; mit einer Aufgabe also, die über die reine Gefahrenabwehr hinausging und keine eigentliche, sondern nur eine formell polizeiliche war.6 Während die herrschende Meinung die Kunstfreiheitsgarantie (des Art. 142 Weimarer Reichsverfassung (WRV)) unter den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze stellte,7 wurde in der Literatur bereits bezweifelt, dass bauästhetische Regelungen überhaupt gegenüber künstlerischen Bauten durchgreifen können, ohne den verfassungsrechtlichen Schutz der Kunstfreiheit leerlaufen zu lassen – nicht zuletzt auch mit Blick auf andere Länder wie beispielsweise die Vereinigten Staaten und Frankreich, denen eine „ästhetische Baupolizei“ fremd waren.8 In Bezug auf die baupolizeilichen Vorschriften zur Verunstaltungsabwehr wurde bemängelt, dass das „Kunstrichtertum der Polizei“ dazu führe, dass demjenigen, der gar keine ästhetischen Werte schaffen, sondern nur praktisch oder nur billig bauen will, künstlerische Gesichtspunkte aufgezwungen und demjenigen, der ästhetische Werte der Baukunst schaffen will, durch obrigkeitlichen Geschmack seinem Denken und Empfinden widerstrebende künstlerische (oder auch unkünstlerische) Gesichtspunkte aufgezwungen würden.9 Das BVerwG hat – diesem Umstand Rechnung tragend – in seiner frühen Rechtsprechung die positive gestalterische Baupflege auf die Verhinderung von Verunstaltungen abgewertet.10 Man könnte zweifelsohne meinen, dass geschichtlich betrachtet heute keine Notwendigkeit mehr besteht, dem künstlerischen Bauen durch bauästhetische Vorschriften Vorgaben machen zu müssen, wurden doch die bauästhetischen „Verunstaltungsgesetze“ gerade als Reaktion auf das Zeitalter des Liberalismus geschaffen,

6 Baltz / Fischer, S. 3; Büge / Zinkahn, S. 11 f.; Knies, Schranken, S. 228; Scheerbarth, S. 132, 181; Schultzenstein, DJZ 1902, S. 468 (469). 7 Erbel, S. 167. 8 Kitzinger, S. 475. 9 Kitzinger, S. 475. 10 Engelmann, S. 126; Scheerbarth, S. 134; Zinkahn, DÖV 1953, 161 (165).

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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in dem jeder nach seinem Gutdünken baute und nach seinem Geschmack Reklameschilder und dergleichen an sein Haus anbrachte.11 Die Diskussion um die verfassungsrechtliche Absicherung des Landschaftsschutzes wurde in der jungen Bundesrepublik neu befeuert, und es wurde, da es ein ausdrückliches Grundrecht auf Naturschönheit oder -genuss im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes  – anders als in Art. 141 Abs. 3 Bayer. Verfassung  – nicht gab,12 die Einführung eines Umweltgrundrechtes ausgiebig erörtert.13 Das Urteil des OVG Berlin14 betreffend die Erteilung einer Rodungsgenehmigung für das geplante Kraftwerk Oberhavel zur Energieversorgung von Westberlin bot zum einen reichlich rechtspolitischen Zündstoff. Die Zuerkennung eines investitionshemmenden Jedermannrechts im Sinne eines Quasirechts auf Erhaltung von Natur und Landschaft für jeden einzelnen der zwei Millionen Westberliner bedeutete juristische Anomalität im Vergleich mit den übrigen Bundesländern.15 Das Gericht war nämlich der Ansicht, dass unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf Erhaltung von Natur und Landschaft anzuerkennen sei, da zum Beispiel die Erhaltung von Natur und Erholungsflächen eine hohe sozial-physische und sozialpsychische Bedeutung für die geschützten rechtlichen Interessen der einzelnen Bürger von West-Berlin gem. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 1 BNatSchG habe.16 Die Bayer. Verwaltungsgerichtsbarkeit und das BVerwG beschäftigten sich schließlich im Zusammenhang mit einer Bebauungsplanung für ein Landschaftsschutzgebiet mit der Frage, inwieweit Personen ein Klagerecht zustehen kann, die in dem fraglichen Gebiet nicht wohnten, sondern sich in diesem nur erholen wollten.17 Der folgende Beitrag setzt sich im Kern mit der Frage auseinander, ob sich im konkreten Einzelfall der individualistische Charakter des vorbehaltlosen Grundrechts der Kunstfreiheit gegenüber kulturellen Belangen der Allgemeinheit (in Gestalt des öffentlichen Belangs der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes) durchsetzt und damit der Vorbehaltlosigkeit des Freiheitsrechtes größtmögliche Geltung verschafft wird oder die gleiche Sozialpflichtigkeit, die das Grundrecht der Eigentumsfreiheit begrenzt, auch die Kunstfreiheit in Form der Baukunst zu beschränken in der Lage ist.18 Als Ausgangsfall für die Aufarbeitung des verfassungsrechtlichen Verhältnisses zwischen dem öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Land 11

Scheerbarth, S. 132. BVerwG, Urt. v. 29. 07. 1977 – 4 C 51.75 = NJW 1978, 554; Calliess, S. 298; Kloepfer, S. 18. 13 Vgl. hierzu statt aller Calliess, S. 298; Dirnberger, S.  261; H / S/Heselhaus, Kap. 1, Rn. 68; Kloepfer, S. 9 ff. 14 OVG Bln, Urt. v. 02. 05. 1977 – 2 B 2.77 = NJW 1977, 2283 (2285). 15 Kloepfer, S. 1. 16 OVG Bln, Urt. v. 02. 05. 1977 – 2 B 2.77 = NJW 1977, 2283 (2285). 17 BVerwG, Urt. v. 29. 07. 1977 – 4 C 51.75 = NJW 1978, 554; BayVGH, Urt. v. 11. 06. 1975 – 4 IX 74, BayVBl. 1976, 83; VG München, Urt. v. 13. 12. 1973 – M 281 III 73 = BayVBl. 1974, 198 (226). 18 Mick, S. 78 f. 12

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

schaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) soll ein Beschluss des BVerwG aus dem Jahr 1995 dienen, in der sich das BVerwG mit der Frage auseinandersetzte, ob es die Berufung des Bauherrn auf das Grundrecht der Kunstfreiheit gebietet, eine Baugenehmigung für die Errichtung von Monumentalfiguren im Außenbereich selbst dann zu erteilen, wenn das Vorhaben öffentliche Belange – darunter die natürliche Eigenart der Landschaft und die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes – beeinträchtigt:19 Der Beschwerdeführer war als Kunstliebhaber Eigentümer eines im Außenbereich gelegenen Wochenendhauses auf einem Hanggrundstück, dessen Umgebung vorwiegend land- und forstwirtschaftlich genutzt wurde. Er erwarb zwei vermutlich Ende der 1930er Jahre entstandene Monumentalfiguren des Künstlers Arno Breker, die er auf seinem Grundstück aufstellen wollte. Die Figuren von Artemis und Aurora waren 6 m hoch und 7 m lang und sollten auf ca. 7 m hohen Sockeln aus Beton und Quadersteinen gesetzt werden. Der Bauantrag wurde abgelehnt und der Eigentümer erhob daraufhin Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung. Das Berufungsgericht wies die Klage ab, weil das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprochen, das Landschaftsbild verunstaltet und die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt habe, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 BauGB. Der Beschwerdeführer war hingegen der Auffassung, dass das Aufstellen der Figuren schon unter Berufung auf die Kunstfreiheit nicht unzulässig sein könne. Das BVerwG sah den Schutzbereich der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) eröffnet an, fand aber gleichzeitig verfassungsunmittelbare Schranken der Kunstfreiheit in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG und Art. 20a GG, deren einfachgesetzliche Ausprägung sich in den beiden öffentlichen Belangen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG finde. Sowohl der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft als auch das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot zählen nach Ansicht des BVerwG dazu. Das BVerwG ließ vor diesem Hintergrund das Grundrecht der Kunstfreiheit hinter den kollidierenden Verfassungsgütern zurücktreten. Das VG München20 beschritt einen anderen Weg in einem ähnlichen Fall, in dem mehrere Künstler Skulpturen im Außenbereich aufstellen wollten, um einen Kunstpark zu errichten. Die Klage einer Künstlerin gegen eine an sie adressierte Beseitigungsanordnung hatte Erfolg. Nach Einschätzung des Gerichts wog die Beeinträchtigung öffentlicher Belange durch das Aufstellen der Skulpturen nicht so schwer, als dass diese sich gegenüber der Kunstfreiheit hätten durchsetzen können. Die Besonderheit des Falles lag darin, dass die Skulpturen einen konkreten kunsthistorischen Bezug zum Landschaftsbild vorweisen konnten. Sie standen nämlich auf einem Hügel in direkter Blicklinie mittig zwischen zwei römischen Anlagen in Form einer römischen Straße und einer vormalig keltischen, dann frühkaiserzeitlichen römischen Höhensiedlung. Obwohl die Skulpturen auf einem Hügel errichtet

19 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70.95 – NJW 1995, 2648 = NuR 1995, 253 = UPR 1995, 309 = DVBl. 1995, 1008 = BauR 1995, 665 = ZfBR 1995, 273 – Arno Breker. 20 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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wurden, sodass sie weithin sichtbar waren, waren sie nach Ansicht des VG München nicht geeignet, die für diese Region typischen voralpenländischen Landschaftsbilder zu beeinträchtigen, da sie weder nachhaltig auf die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert einwirkten noch das Landschaftsbild verunstalteten. Bevor sich der folgende Beitrag mit der Frage auseinandersetzt, ob die Berufung auf das Grundrecht der Kunstfreiheit gebietet, eine Baugenehmigung auch dann noch zu erteilen, wenn das jeweilige Vorhaben öffentliche Belange – darunter auch die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes – beeinträchtigt, beschäftigt er sich zunächst mit der vorgelagerten Frage, wann Kunst im verfassungsrechtlichen Sinne vorliegt – unabhängig vom bauplanungsrechtlichen Vorhabenbegriff des § 29 Abs. 1 BauGB. Der Bauherr kann sich nämlich nur dann auf die Kunstfreiheit berufen, wenn es sich um ein Werk der Baukunst handelt. Handelt es sich hingegen nicht um ein Werk der Baukunst, ist nicht der Schutzbereich der Kunstfreiheit eröffnet, sondern nur der Schutzbereich der Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Für die Baufreiheit ist allgemein anerkannt, dass die baurechtlichen Vorschriften insoweit Inhalts- und Schrankenbestimmungen der Eigentumsgarantie darstellen, Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Soweit geklärt ist, dass der Schutzbereich der Kunstfreiheit eröffnet ist, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Baukunst auf verfassungsrechtlich tragfähiger Basis durch das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot beschränkt werden kann. Das BVerwG hat in seiner „Arno-Breker“-Entscheidung die Bedeutung der Kunstfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht hervorgehoben und Baubeschränkungen für Kunstwerke im Außenbereich – als Folge der Beeinträchtigung öffentlicher Belange – unter anderem unter Berufung auf den Verfassungsauftrag zum Schutze der Umwelt (Art. 20a GG) als gerechtfertigt angesehen. Weiterhin sah das BVerwG in dem Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) eine verfassungsmäßige Konkretisierung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG).21 Dogmatisch ist es allerdings überzeugender, nicht den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes, sondern den der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) als Ausprägung des Umweltstaatsprinzips zu sehen.22 Mit anderen Worten kann nicht der optisch-ästhetische, sondern nur der funktionelle Landschaftsschutz unter Berufung auf das Umweltstaatsprinzip verfassungsrechtlich legitimiert werden. Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Legitimation des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots kann – das Ergebnis der vorliegenden Arbeit vorweggreifend – unberücksichtigt bleiben, da dem Schutzgedanken des § 35 BauGB, den Außenbereich vor einer wesensfremden Bebauung zu schützen, auch einfach-gesetzlich durch eine verfassungskonforme Auslegung der beeinträchtigten öffentli 21

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (363).

22

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

chen Belange entsprochen werden kann. Die Errichtung von Baukunst im Außenbereich trägt grundsätzlich eine wesensfremde Bebauung in diesen hinein, sodass regelmäßig der Belang der Wahrung der natürlichen Eigenart der Landschaft einschlägig sein wird.23 Eine verfassungskonforme Auslegung der von dem Vorhaben beeinträchtigten öffentlichen Belange kommt dabei nach Ansicht des BVerwG nur dann in Betracht, soweit das Ergebnis einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung im jeweiligen Einzelfall eine verfassungskonforme Auslegung gebietet, in deren Rahmen das Interesse des Bauherrn an der Aufstellung bzw. Errichtung eines Werkes der Baukunst im Außenbereich und die berührten öffentlichen Belange in einen schonenden Ausgleich gebracht werden müssen.24 Der folgende Beitrag soll zeigen, dass ein subjektiv öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung, der unmittelbar aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit abgeleitet werden soll und der in der Lage sein soll, die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB (unter anderem die natürliche Eigenart der Landschaft und die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes) zu überwinden, im konkreten Einzelfall nur in engen Grenzen angenommen werden kann. Ein solcher Anspruch kann ausnahmsweise im Einzelfall durch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen baurechtlichen Vorschriften begründet werden, soweit dies das Ergebnis einer Abwägung der widerstreitenden Verfassungspositionen unter strenger Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugunsten der Kunstfreiheit gebietet. Nach der Rechtsprechung können ausnahmsweise auch subjektiv öffentlich-rechtliche Abwehransprüche eines Nachbarn auf die Versagung einer Baugenehmigung unmittelbar auf das Grundrecht der Kunstfreiheit gestützt werden.25 Es gilt allerdings zu bedenken, dass weder das in den Landesbauordnungen enthaltene bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot noch das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführte bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot grundsätzlich einem klagenden Nachbarn Drittschutz vermitteln.26 Die Literatur nimmt jedoch anstelle eines unmittelbaren Rückgriffs auf das Grundrecht der Kunstfreiheit eine verfassungskonforme Auslegung der bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote der Länder im Lichte der Kunstfreiheit dahingehend vor, dass diese dem Eigentümer eines besonders schützenswerten Bauwerks im Falle einer qualifizierten Betroffenheit Drittschutz vermitteln, soweit eine hinzukommende bauliche Anlage den Wirkbereich des besonders schützenswerten Bauwerks beeinträchtigt.27 23

Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.). BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 25 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650. 26 BayVGH, Beschl. v. 14. 06. 2013 – 15 ZB 13.612, Rn. 15; OVG Bln, Beschl. v. 29. 10. 1991 – 2 S 23/91 = LKV 1992, 26 (26) – Lenin-Denkmal; VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2651); Hoppenberg / de Witt / Rövekamp, Rn. 225. 27 Schütz, JuS 1996, 498 (505); Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607 f.). 24

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Es stellt sich die Frage, ob ausnahmsweise ein nachbarlicher Abwehranspruch auch aus dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot abgeleitet werden kann. Jedenfalls wird zu berücksichtigen sein, dass der Schutz des Orts- und Landschaftsbildes nicht der ausschlaggebende Anknüpfungspunkt eines derartigen nachbarlichen Abwehranspruchs sein darf und sich dieser Abwehranspruch nur auf Anforderungen erstrecken kann, die bauplanerisch auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB festsetzbar wären. 1. Sachlicher Schutzbereich der Kunstfreiheit In der „Arno-Breker“-Entscheidung des BVerwG brauchte nicht der Frage nach dem anwendbaren Kunstbegriff – formaler, materieller oder offener – nachgegangen werden, da die altertümlichen Figuren einer klassischen Kunstgattung, nämlich der Bildhauerei, angehörten. Es spiegelten sich in ihnen auch Eindrücke und Beobachtungen des Künstlers wider. Den Figuren konnten außerdem immer neue Interpretationen abgerungen werden. Damit lag Kunst im verfassungsrechtlichen Sinne vor, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.28 So zählt die Baukunst zu den traditionellen Formen künstlerischer Gestaltung.29 Auch die religiöse Kunst hat ebenso teil an der Kunstfreiheit und Kunstpflege des religiös-neutralen Staates.30 Der künstlerische Wert der Figuren wurde nicht etwa dadurch infrage gestellt, dass die Figuren aus der Zeit des Nationalsozialismus stammten.31 a) Definition der Baukunst In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur besteht bis heute Ungewissheit darüber, wann von einem Werk der „Baukunst“ zu sprechen ist – das in den Schutzbereich des Grundrechts der Kunstfreiheit fällt – oder beim Bauen nur von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Gebrauch gemacht wird. So gibt es Kunstwerke, die auch von einem ungeschulten Betrachter als solche erkennbar sind. Dies gilt insbesondere für herausragende historische Sakral- und Profanbauten wie für künstlerisch ambitionierte neuzeitliche Bauten, etwa Museen, Theater oder Privatvillen.32 Andererseits kann auch die kompositorische Zuordnung mehrerer Gebäude zueinander und ihre Beziehung zur Umgebung als kunst-

28

Sodan / Ziekow, § 33, Rn. 2, 4. Erbel, S. 169; Kapell, S. 152; Klein, S. 276 f.; Mick, S. 68 f.; Misera-Lang, S. 169; Moench  / ​ Schmidt, S. 53; Schneider, S. 43; Schütz, JuS 1995, 498 (499); Seybold, S. 104; Vilsmeier, S. 53; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (615); Watzke, S. 60; zur Bedeutung von Kunst in öffent­lichen Räumen Krieg, BBauBl. 1994, 699. 30 Heckel, S. 101. 31 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70.95 – NJW 1995, 2648 (2648). 32 Erbel, S. 165; Klein, S. 276; Looks, S. 85; Mick, S. 69; Müller, K., S. 87 f.; Seybold, S. 95 f. 29

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

schutzfähiger Ausdruck betrachtet werden.33 Der Umgebungsbezug kann sich schließlich auch in aktiver oder passiver Form qualitativ auswirken. Sowohl eine gestalterische Bezugnahme auf die Umgebung als auch eine gestalterische Enthaltsamkeit können künstlerische Aspekte aufweisen.34 Schwieriger wird die Einstufung eines Bauwerks als Werk der Baukunst, das nicht augenfällig als solches in Erscheinung tritt. So können auch weniger anspruchsvoll gestaltete Gebäude eine beeindruckende Architektursprache erkennen lassen oder verfügen zumindest über einzelne künstlerisch gestaltete Elemente.35 Es ist allerdings zu weitgehend, nahezu jedes Bauwerk als Kunstwerk zu begreifen – gegebenenfalls allein aufgrund der Farbauswahl des Außenwandanstrichs – und danach zu differenzieren, ob das Bauwerk den einen oder anderen künst­ lerischen Aspekt enthält und dementsprechend den verfassungsrechtlichen Schutz danach aufzusplittern, ob Teile eines einheitlichen Bauwerks unter Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG oder Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallen.36 Baukunst liegt ebenso nicht bei Bauwerken vor, bei denen die reine Funktionalität im Vordergrund steht und die jeden künstlerischen Anspruch missen lassen oder gar als hässlich empfunden werden, sog. reine Zweckbauten.37 Es ist allerdings unzutreffend, dass „Kunst“ im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nur dann vorliege, wenn gemäß den allgemeinen baugestalterischen Vorschriften in den Landesbauordnungen eine einwandfreie ästhetische Gestaltung gegeben ist. Es kann also durchaus vorkommen, dass baugestalterische Anforderungen mit der Grundrechtsverbürgung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG in Konflikt geraten.38 In der Literatur und in der Rechtsprechung wird zwar der Begriff der „Baukunst“ verwendet, jedoch bleibt unklar, wann diese gegeben sein soll und welche konkreten Anforderungen in architektonischer und städtebaulicher Hinsicht an sie zu stellen sind.39 Dass unter Kunst auch die Baukunst – also die innere und äußere Gestaltung eines Bauwerks – zu verstehen ist, dürfte unzweifelhaft sein.40 Immerhin ist man sich einig, dass sich die Baukunst Stadtästhetik zum Ziel gesetzt hat, wobei das Verlangen nach Stadtästhetik über das einzelne „schöne“ Haus hinausgeht. Die Baukunst bezieht sich nämlich auf das Wechselspiel zwischen Harmonie und Spannung des Bauwerks mit seiner Umgebung ebenso wie auf die öffentlichen Räume, die von den einzelnen Baukörpern gebildet werden.41 Da allerdings die immaterielle Qualität baukultureller Leistungen sich nicht in bloßer Ästhetik er 33 BGH, Urt. v. 29. 03. 1957 – I ZR 236/55 = BGHZ 24, 55 (65); Erbel, S. 165, Müller, K., S. 94. 34 Müller, K., S. 94; Schneider, S. 135. 35 Erbel, S. 165; Mick, S. 69; Seybold, S. 104 f. 36 Müller, K., S. 91, Fn. 589; a. A. Erbel, S. 165; Klein, S. 277; Looks, S. 85; Seybold, S. 104 f. 37 Klein, S. 277; Mick, S. 69; Vilsmeier, S. 53. 38 Manssen, S. 176. 39 Manssen, S. 172; Mick, S. 70; Schneider, S. 129 ff.; Seybold, S. 96 f.; Würkner, S. 123. 40 Seybold, S. 103 f.; Zinkahn, DÖV 1953, 161 (165). 41 Mick, S. 8 f.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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schöpft, sondern die Erlebniswelt einer städtischen oder dörflichen Umgebung auf vielschichtigen Merkmalskomplexen beruht,42 ist durch diese Definition nicht mehr an Erkenntnis gewonnen, wie Baukunst von dem nichtkünstlerischen Bauen abgegrenzt werden soll. An dieser Stelle genügt ein Hinweis auf einen Beschluss des BVerwG über das Verhältnis zwischen Baukunst und Bauordnungsrecht, in dem das BVerwG festhielt, dass „die Voraussetzungen, unter denen bei einem Werk der Baukunst – wie auch immer dies vom Baugeschehen im allgemeinen abzugrenzen sein mag – davon gesprochen werden dürfe, es füge sich gestalterisch nicht in die Bebauung der näheren Umgebung ein und wann ein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von Baugestaltungsvorschriften bestehe, sich gleichfalls nicht rechtsgrundsätzlich klären ließe“.43 Damit scheint das BVerwG den „schwarzen Peter“ eindeutig dem BVerfG zuzuweisen, Kunst – gerade auch auf dem Gebiet des Baurechts – zu definieren. Obwohl Werke der Baukunst nicht grundsätzlich von Anforderungen an ihre Gestaltung aufgrund baurechtlicher Normen freigestellt sein können, muss im konkreten Einzelfall eine Definition der „Baukunst“ möglich sein. Denn unter Zugrundelegung einer funktionalen Betrachtungsweise kann die Freiheitsverbürgung als individuales Abwehrrecht nur dann effektiven Schutz gewähren, wenn das zu schützende Verfassungsgut einzelfallübergreifend beschreibbar – und sei es nur konturierbar – ist.44 Gerade in Hinblick auf das bauliche Schaffen ist die Notwendigkeit einer begriffsinhaltlichen Eingrenzung der „Baukunst“ einsichtig, da Bauen nicht schlechthin als Kunst zu betrachten ist. Die Mehrzahl der Bauwerke wird von den Bedürfnissen an eine konkrete Funktionalitätserfüllung bestimmt, ohne dass ein kunstschöpferischer Anspruch erhoben wird.45 Aus der freiheitsschützenden Funktion des Grundrechts der Kunstfreiheit folgt schließlich ein Definitionsgebot der Kunst, zumal der Staat nicht schützen kann, was nicht definiert ist.46 Die durch das Grundgesetz bestimmte freiheitliche Staats- und Gesellschaftsordnung stellt andererseits die Autonomie des Individuums in das Zentrum der Verfassung, da das ästhetische Vermögen aus den Veranlagungen und Fähigkeiten des Einzelnen entsteht.47 Es ist daher an dem „offenen“ Kunstbegriff des BVerfG festzuhalten, der das „kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung 42

Mick, S. 9. BVerwG, Beschl. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); eingehend zum Begriff der „Baukunst“ und dem grundrechtsdogmatischen Verhältnis zwischen den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG siehe Kapitel C. II. 1. „Berührungspunkte zwischen der Kunst und der Grundeigentumsnutzung“. 44 Müller, K., S. 89; Würkner, S. 123. 45 Mick, S. 71. 46 So Arndt, NJW 1966, 25 (28); Knies, Schranken, S. 225; Pischel, S. 36; Seybold, S. 99 f.; ausführlich zu einem „Definitionsverbot“ eines qualitativen grundrechtlichen Kunstbegriffs Knies, Schranken, S. 217 ff. 47 Mick, S. 57. 43

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

darin sieht, dass es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, sodass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt“.48 Der verfassungsrechtliche Kunstbegriff muss in der Tat „offen“ sein und auch „offen“ bleiben für neue Erscheinungsformen der Kunst. Der Schutz darf also nicht von vornherein zur Einengung der Kreativität auf das Herkömmliche und Typische führen.49 Es kann allerdings ein gangbarer Weg darin gesehen werden, die Baukunst im verfassungsrechtlichen Sinne von einem reinen Funktionsbau abzugrenzen, indem von einem „eingeschränkt subjektiven Kunstbegriff“ ausgegangen wird. Ausschlaggebend für die Inanspruchnahme des Grundrechts ist folglich die sinngebende Zweckbestimmung zwischen dem Urheber der Gestaltung und dem Gestalteten selbst und zwar ohne Bewertung des Inhalts, Stils oder der künstlerischen Schaffenshöhe. Das Bauwerk muss außerdem erkennen lassen, dass es von einem künstlerischen Gestaltungswillen getragen wird.50 Der reine Funktionalbau unterfällt mithin ebenso wenig wie die Alltagsarchitektur und die triviale „Verschönerung“ in Ermangelung der subjektiv-finalen Voraussetzung dem Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.51 Daher kann nicht von vornherein angenommen werden, dass fast jedes Gebäude zumindest den einen oder anderen künstlerischen „Aspekt“ besitze, zum Beispiel die Farbauswahl für die Außenwände oder die äußere Proportionierung des Gebäudes.52 Für die Ermittlung des Kunstgehalts eines Bauwerks kann somit nicht allein auf die subjektive Sicht des Künstlers abgestellt werden, da dieses Abgrenzungskriterium nur einen Bruchteil der Bauwerke erfasst und keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen kann, da der Wille künstlerisch tätig zu werden, nur schwer nachvollziehbar sein wird. Ein möglicher Ansatzpunkt bietet sich zumindest in der Gegenüberstellung von Baukunst und dem reinen Bauhandwerk. Die Kreativität, die notwendig ist, um eigenschöpferisch zu gestalten, kann im Gegensatz zu den rein handwerklichen Fertigkeiten nicht in einem Lernprozess angeeignet werden, sondern ist vielmehr naturgegeben. Dieser Aspekt ist immerhin vielen Bauwerken fremd, da sich ihre schöpferische Gestaltung allein an konstruktionstechnischen Gegebenheiten erschöpft.53 48 BVerfG, Beschl. v. 17. 07. 1984 – 1 BvR 816/82 = BVerfGE 67, 213 (226 f.) – Anachronistischer Zug. 49 Seybold, S. 98 f.; Würkner, S. 124. 50 Erbel, DVBl. 1969, 863 (864); Klein, S. 277; Looks, S. 95; Manssen, S. 175; Mick, S. 71; Seybold, S. 104; Vilsmeier, S. 54. 51 Mick, S. 72; Moench / Schmidt, S. 53 f.; a. A. insoweit Looks, S. 95 f., der beispielsweise ein Einfamilienhaus selbst dann als Werk der Baukunst einstufen will, da sich der Bauherr „im Allgemeinen über die Funktionalität des Hauses hinaus um die Verwirklichung einer vollkommen architektonischen Form bemühen“ werde; insoweit geht Looks von einem subjektiven Kunstbegriff aus. 52 A. A. Erbel, S. 165; Looks, S. 85. 53 Moench / Schmidt, S. 53 f.; Müller, K., S. 92.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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In der Literatur ist es im Übrigen anerkannt, die in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Baukunst im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Urheberrechtsgesetzes (UrhG) auch auf die Baukunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu übertragen, da diese Indizien nicht nur für einen urheberrechtlichen, sondern auch für einen verfassungsrechtlichen Schutz sprechen.54 Im Regelfall wird demnach die Funktionalität von Architektur äußerst selten der Kunst gewidmet sein: Denn ein Bauwerk ist als Baukunst vom Schutzbereich der Kunstfreiheit erfasst, wenn der Gesamteindruck, den das Bauwerk vermittelt, auf eine besondere geistige schöpferische Leistung schließen lässt und die „Handschrift“ des Entwerfenden deutlich wird. Das Bauwerk muss sich daher als etwas Neues und Besonderes von der Masse des Alltäglichen absetzen55 oder sich zumindest als unüblich von durchschnittlichen Bauwerken unterscheiden.56 Ist der baugestaltungsrechtswidrige Zustand einer baulichen Anlage auf deren Verwahrlosung zurückzuführen, handelt es sich hingegen mangels schöpferischer Gestaltung grundsätzlich nicht um Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.57 Bei Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Außenbereich, die unmittelbar von umgebungsbezogenen Verunstaltungsverboten betroffen sind, ist es demgegenüber denkbar, dass es gerade der kontrastierende Bezug zur Umgebung sein soll, der die Originalität begründet und das Bauwerk dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterstellt.58 Es ist schlussendlich mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Frage, wann die Gestaltung von Bauwerken in den Schutzbereich des Grundrechts der Kunstfreiheit fällt und damit „Baukunst“ vorliegt, nicht um ein Scheinproblem handelt, bei dem eine Beschränkung auf die eigentumsrechtlichen Fragen aufgrund „der praktisch eingeschränkten Relevanz“ vertretbar erschiene.59 Denn im Gegensatz zum Bauordnungsrecht, in dem Befreiungen60 von bauordnungsrechtlichen Vorschriften oder von ortsgestalterischen Satzungen erteilt werden können und im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung der entsprechenden Befreiung die grundrechtliche Wertentscheidung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG miteinfließen kann, ist eine solche Befreiungsmöglichkeit im Rahmen der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich nicht möglich, vgl. § 35 BauGB.

54

Erbel, S.  165 ff.; M / D/Scholz, Art. 5, Rn. 72; Moench / Schmidt, S. 53 f.; Müller, K., S. 93; Schneider, S. 122; Seybold, S. 103 ff.; Zinkahn, DÖV 1953, 161 (165). 55 Müller, K., S. 93. 56 Kapell, S. 163. 57 Kapell, S. 163 f. 58 Kapell, S. 164. 59 So aber Manssen, S. 176. 60 Vgl. Moench / Schmidt, S. 57, die im Einzelfall einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von bauordnungsrechtlichen Gestaltungsanforderungen bei Vorliegen von Baukunst annehmen.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

b) Werke der Baukunst als privilegierte Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB? Eine andere Frage ist, ob es sich bei Werken der Baukunst um privilegierte Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB handelt. Der Kunstcharakter als solcher verschafft allerdings dem Bauvorhaben nicht den Status eines privilegierten Vorhabens im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB.61 Man könnte daran denken, dass Kunstobjekte im Außenbereich wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Umgebung oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen. Dies ist insbesondere in einem Fall wie in dem des VG München62 von Bedeutung, in dem die Kunstobjekte tatsächlich in einem konkreten Bezug zum Landschaftsbild errichtet wurden – was im Falle der Verkörperung der kulturhistorischen Prägung der Landschaft durch die Römerzeit, an die der Kunstpark erinnern sollte, gegeben war. Die Skulpturen des Kunstparks konnten jedoch ihre künstlerische Wirkung nicht nur im Zusammenhang mit der Aufstellung an genau dieser Stelle im Außenbereich erreichen. Ihre Aufstellung in einem Bereich entlang der historischen römischen Straße, der sogar bebaut bzw. beplant war, war schließlich noch ebenso sinnvoll und hätte ebenso die künstlerische Wirkung der Skulpturen entfalten lassen. Die Kunstfiguren waren nicht zwingend auf eine Errichtung im Außenbereich angewiesen; dies wären sie nur dann gewesen, wenn sie „hier und so sinngerecht“ nur im Außenbereich hätten untergebracht werden können.63 Für das Merkmal des Angewiesenseins spielte es weiterhin keine Rolle, dass die Skulpturen eine größere Wirkung erzielt hätten, wenn sie im Außenbereich errichtet worden wären. Die Errichtung der Skulpturen entlang der römischen Straße hätte schließlich genausogut durch die Situierung in einem kunsthistorischen Kontext die Bedeutung der Skulpturen verstärken können. Es ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass infolge einer kunstkonformen Auslegung des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ein Werk der Baukunst im Außenbereich bevorzugt zulässig sein kann. Dies dürfte nur in seltenen Ausnahmekonstellationen anzunehmen sein, wenn es gerade wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden „soll“. Dann müsste eine strikte Ortsgebundenheit anzunehmen sein und das Vorhaben dürfte nicht überwiegend im individuellen Interesse liegen. Es gelten dieselben Erwägungen, die noch später bei der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) zu § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ausführlich diskutiert werden.64 61

Schneider, S. 290. VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 63 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088; EZBK / Söfker, § 35, Rn. 55. 64 Im Zusammenhang mit der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) wird ausführlich im Abschnitt D.VII.1. b) bb) auf die Frage eingegangen, ob unter besonderen Voraussetzungen die Errichtung einer glaubens- oder weltanschaulich motivierten Kultstätte an einem bestimmten 62

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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c) Schutzbereichsimmanente Schranke der Kunstfreiheit aufgrund der „Sprayer-Entscheidung“ des BVerfG In der verwaltungsgerichtlichen Praxis werden oftmals lange Ausführungen zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen in die Kunstfreiheit angestellt, die insbesondere umfassende Abwägungen der widerstreitenden Grundrechte beinhalten.65 Dies ist Folge davon, dass einerseits die Kunstfreiheit ein vorbehaltsloses Grundrecht ist, andererseits das BVerfG dem „offenen“ Kunst­begriff sehr nahe steht, was eine Subsumtion des jeweiligen Sachverhalts unter den Kunstbegriff erleichtert. In der Literatur wurde deswegen diskutiert, den Schutzbereich der Kunstfreiheit dahingehend einzuschränken, dass die Kunstfreiheit nur künstlerisches Verhalten schützt, das auch von der Rechtsordnung erlaubt ist.66 Baukünstlerisches Handeln im Außenbereich fände bei Anwendung dieser Auffassung dann seine Grenze, wenn es verunstaltend im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB wirkt.67 Dieser Rechtsgedanke lässt sich aus dem „Sprayer von Zürich“ Beschluss des BVerfG ableiten, in dem mit Blick auf einen Konflikt zwischen Kunst- und Eigentumsfreiheit ausgeführt wurde, dass sich „die Reichweite der Kunstfreiheit von vornherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme oder Beeinträchtigung fremden Eigentums zum Zwecke der künstlerischen Entfaltung erstrecke“.68 Das BVerfG und die übrige Rechtsprechung haben diesen Ansatz jedoch zumeist nicht weiter verfolgt.69 Eine Ausnahme bildet die Entscheidung des BVerwG zum Aufstellen fremder Kunstwerke im Außenbereich, in der es ohne Entscheidungsrelevanz für den konkreten Fall betonte, dass sich die Kunstfreiheit von vornherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme fremden Eigentums oder die Beeinträchtigung sonstiger grundrechtlich geschützter Positionen erstrecke.70 Das BVerwG ist bislang hierauf nicht mehr zurückgekommen.71 In eine ähnliche Richtung weisen Bestrebungen, die zur Beschränkung der Baukunstfreiheit die Gewährleistungen des Art. 14 GG heranziehen.72

Standort im Außenbereich aufgrund seiner „besonderen Zweckbestimmung“ als privilegiertes Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB anzusehen ist. 65 Vesting, NJW 1996, 1111 (1112). 66 Vgl. statt aller Misera-Lang, S. 238 f. 67 Berg, S. 155 f. 68 BVerfG, Beschl. v. 19. 03. 1984 – 2 BvR 1/84 = NJW 1984, 1293 (1294). 69 Misera-Lang, S. 173. 70 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70.95 – NJW 1995, 2648 (2649). 71 Misera-Lang, S. 173. 72 BVerwG, Beschl. v.  10. 12. 1979  – 4 B 164.79 = BRS 35 Nr. 133; BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 183; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Karpen / Hofer, JZ 1992, 1060 (1064); M / D/ Scholz, Art. 5 Abs. 3, Rn. 72; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 469; Ropertz, S. 126; S / S/D / Stern, § 117, XV 3; Zinkahn, DÖV 1953, 161 (165).

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Von derartigen Erwägungen ist jedoch Abstand zu nehmen.73 Abgesehen von der Problematik, dass unter den Begriff des „auch sonst erlaubten Verhaltens“ dann auch nur solche Rechtsnormen fallen dürften, die sich selbst auf Grundrechte oder Verfassungsgüter von Rang zurückführen lassen müssten,74 liefe diese Einschränkung der Kunstfreiheit auf einen wie bei der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) normgeprägten Schutzbereich hinaus. Während in der Entscheidung des BVerfG über die Beschränkung der Kunstfreiheit das verfassungsrechtliche Schutzgut des Eigentums selbst herangezogen wurde, würden im Falle der Beschränkung der Baukunst die Schranken der Eigentumsgarantie herangezogen werden.75 Dieses Verständnis widerspricht auch dem Ansinnen der Väter des Grundgesetzes, die mit der Kunstfreiheit die Kunst möglichst umfassend schützen wollten. Die Kunstfreiheit ist folglich allein nach künstlerischen Definitionsansätzen zu bestimmen.76 Die vom BVerfG nur für das Eigentum getroffene Einschränkung der Kunstfreiheit lässt sich weiterhin nicht ohne weiteres verallgemeinern und auf die eigenmächtige Inanspruchnahme von fremden Leib und Leben, fremder Ehre und Freiheit erweitern.77 Es würde außerdem der Sache nach die allgemeine Schrankendogmatik zur Einschränkung von Grundrechten unterlaufen, deren Anliegen der sachgerechte Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechten respektive Verfassungsgütern ist, wobei jedes Gut für sich einen Anspruch darauf hat, in einer umfassenden Abwägung hinreichend berücksichtigt und gewichtet zu werden.78 Der Kunstfreiheit entgegenstehende Gegenrechte wie Grundrechte sind im Rahmen der Prüfung der Rechtfertigungsfähigkeit des staatlichen Eingriffs zu prüfen.79 Denn es kann nicht angehen, dass „mithilfe eines engen Kunstbegriffs künstlerische Ausdrucksformen, die in Konflikt mit den Rechten anderer kommen, von vornherein vom Grundrechtsschutz der Kunstfreiheit ausgeschlossen werden“.80 Obgleich das Ergebnis wünschenswert sein mag, einem Künstler nicht die Freiheit zuzubilligen, sich etwa das Eigentum anderer für seine künstlerische Betätigung anzumaßen, lässt eine derartige Schutzbereichsbeschränkung keinen Spielraum für Abwägungs- und Wertungsfragen und kann nur starr zwischen der Schutz-

73 Dreier / Wittreck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 49; HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 58; Hufen, § 33, Rn.  20; J / P/Jarass, Art.  5, Rn.  121; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 450; M / K/Wendt, Art. 5, Rn. 93; Vesting, NJW 1996, 1111 (1112); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (618). 74 Kapell, S. 169; ob sich der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) auf ein Verfassungsgut von Rang zurückführen lassen kann, wird im Abschnitt C. I.4. näher erörtert. 75 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (618). 76 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 58. 77 M / K/Wendt, Art. 5, Rn. 93. 78 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 58; Hufen, § 33, Rn.  20; J / P/Jarass, Art. 5, Rn. 121. 79 Dreier / Wittreck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 49. 80 BVerfG, Beschl. v. 13. 06. 2007 – 1 BvR 1783/05 = BVerfGE 119, 1 (23).

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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bereichseröffnung oder -verweigerung unterscheiden.81 Gerade im Falle der Baukunst, die sich gegebenenfalls im Grenzbereich einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes bewegt, stehen schwierige Wertungsfragen im Einzelfall anheim, sodass eine Entscheidung mit dem „Fallbeil“ nicht praxisgerecht wäre. Die Kunstfreiheit würde im Ergebnis schon unter einfachgesetzliche Schranken gestellt, wenn man den Übergriff auf fremde Rechtspositionen und das „Unerlaubte“ nicht als Schrankenfrage sähe.82 d) Schutzbereichsimmanente Schranke der Kunstfreiheit aufgrund der „Sachgesetzlichkeit“ der baukünstlerischen Kunstgattung Es scheitern ebenso Versuche, die der Baukunstfreiheit eine schutzbereichsimmanente Schranke kraft der „Sachgesetzlichkeit“ dieser Kunstgattung verleihen wollen.83 Das Kunstfreiheitsrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bezwecke nach dieser Ansicht den Schutz des intim-individuellen Entfaltungsbereichs in dem Umfang, in dem es als subjektives Individualfreiheitsrecht angesehen werden könne. Bei Einwirkungen in die Gemeinschaftssphäre hingegen, wie sie durch die Baukunst unvermeidbar seien, sei daher besonders eingehend zu prüfen, ob Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht schon deshalb tatbestandlich ausgeschlossen sei, weil die Baugestaltung in die gleichen Rechte der Nachbarn eingreife oder sogar allgemein die Rechte anderer verletzte und somit dem reinen Abwehrcharakter der Kunstfreiheitsgarantie widerspreche.84 Ästhetische Baubeschränkungen seien insofern aus dem Gedanken der Natur des Schutzgegenstandes „Baukunst“ heraus zu rechtfertigen, da es in künstlerischen Fragen trotz aller Meinungs- und Geschmacksdifferenzierungen einen „gewissen Bestand an grundlegenden bauästhetischen Ordnungsvorstellungen“ gebe, dessen Beachtung in Hinblick auf die „minimale äußere Harmonisierung des architektonisch-landschaftlichen Gesamtbildes“ beim Bauen in der Gemeinschaft von der Allgemeinheit als unverzichtbar angesehen werden müsse.85 Richtig an dieser Ansicht dürfte sein, dass kein Werk der Baukunst mehr vorliegen dürfte, soweit dessen Errichtung im Außenbereich zu einer derartigen Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führt, dass nicht mehr von Kunst gesprochen werden kann. Der „gewisse Bestand an grundlegenden bauästhetischen Ordnungsvorstellungen“ stellt damit die äußerste Grenze einer großzügigen, kunstkonformen Auslegung des Verunstaltungsverbotes dar, in deren Rahmen einem in

81

Dreier / Wittreck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 49. HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 58. 83 So bereits Berg, S. 155 f.; Ridder, S. 12, 19.  84 Berg, S. 155 f.; in diese Richtung auch Looks, S. 144, der die Einschränkbarkeit der Baukunstfreiheit auch daraus ableiten will, dass sich „das städtische Leben im sozialen Aggregatzustand der Öffentlichkeit vollzieht“. 85 Erbel, S. 170 ff. 82

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

ästhetischen Fragen aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachter ein optisch-ästhetisch nachteilhafter Eingriff in das Landschaftsbild noch zuzumuten sein dürfte. Das Argument der „Sachgesetzlichkeit“ verleitet jedoch auch zu einem gegenteiligen Schluss, da aus praktischen Gründen die Baukunst gegenüber anderer Bautätigkeit privilegiert ist, insofern sie seltener als verunstaltend empfunden wird.86 Der Hinweis auf die eigene Sachgesetzlichkeit der Baukunst zielt außerdem in erster Linie auf eine immanente sachliche Gewährleistungsschranke der Kunstfreiheit, die sich im Ergebnis nicht von den immanenten Grundrechtsschranken unterscheidet. Die „Natur der Sache“ wird damit als Mittel der Grundrechtsbegrenzung zu einem hermeneutischen Prinzip. Wenn man die Baukunstfreiheit an der umfassenden Garantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG teilhaben lässt, so erscheint es bedenklich, sie durch die „Hintertür“ der „vorgegebenen Realitäten“ wieder einschränken zu wollen.87 Es darf andererseits nicht übersehen werden, dass die Annahme einer schutz­ bereichsimmanenten Schranke des „allgemeinen guten Geschmacks“  – und um nichts anderes geht es hier – zurück in ein idealistisch-ästhetisierendes Kunstverständnis fällt, das der Gefahr der Willkür ausgesetzt ist.88 Gemeinschaftsbelange können weiterhin nur dann der Kunstfreiheit Grenzen aufzeigen, als in ihnen prinzipiell gleichrangige Verfassungsgüter zum Ausdruck kommen.89 e) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das ungeklärte, verfassungsdogmatische Verhältnis zwischen baukünstlerischer Gestaltungsfreiheit und bauästhetischen Ordnungsvorstellungen durch schutzbereichsimmanente Schrankenvorstellungen keiner befriedigenden Lösung zugeführt werden kann.90 2. Personeller Schutzbereich der Kunstfreiheit Selbst wenn die Breker’schen Figuren dem formalen Werktypus einer „Plastik“ unterfielen, war damit noch nicht gesagt, dass auch das Aufstellen dieser Figuren auf einem Wochenendgrundstück dem Schutzbereich der Kunstfreiheit zuzu­rechnen gewesen wäre.91 In zwei wegweisenden Entscheidungen hat nämlich das BVerfG klargestellt, dass der Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht nur die eigent-

86

Knies, Schranken, S. 229. Looks, S. 110. 88 Kapell, S. 177; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (618). 89 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (618). 90 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 91 Schütz, JuS 1996, 498 (498). 87

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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liche künstlerische Tätigkeit in Form der Schöpfung des Kunstwerks umfasst. Die Kunstfreiheit ist ein kommunikatives Grundrecht, sodass auch jede Form der Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks geschützt wird: der sog. Wirkbereich der Kunst.92 Als Grundrechtsträger der Baukunstfreiheit kommt wegen der engen Verbindung mit der Verfügungsbefugnis über das Grundeigentum in erster Linie der Eigentümer in Betracht.93 Folgt man dem eingeschränkt subjektiven Kunstbegriff,94 dann können sich auch andere natürliche oder juristische Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) auf die Kunstfreiheit im Zusammenhang mit baukünstlerischer Tätigkeit berufen. Es sind an einem Bauvorhaben schließlich regelmäßig mehrere Personen beteiligt: Architekt, Bauherr, Bauunternehmer und Handwerker. Allerdings steht nicht allgemein fest, wer letztlich die künstlerische „Objektivation“ bewirkt und sich auf das Grundrecht berufen kann. Die schöpferische Gestaltung und Sinngebung werden oft vom Architekten ausgehen, sodass er der genuine personale Träger des schöpferischen Prozesses beim Bauen ist;95 sie können hingegen aber ebenso auf Seiten anderer am Bau oder an der Verfügungsmacht über das Bauwerk beteiligter Personen feststellbar sein.96 Da allerdings der Verleger eines als Kunstwerk anzusehenden Druckwerks ebenso wie der Hersteller von Schallplatten, die ein Kunstwerk speichern, den Schutz des Grundrechts genießen kann,97 gilt dies gleichermaßen für den Grundstückseigentümer, der die Planungs- und Bauaufträge vergeben hat, um einen künstlerischen Wert zu schaffen oder das Kunstwerk auch nur zu besitzen.98 Eigentümer und Bauherr werden allerdings nur eingeschränkt in ihrer Kunst dienenden Funktion geschützt: Der Bauherr muss sich schließlich im Baugeschehen mit eigenen schöpferischen Vorstellungen einbringen, damit er selbst aus der Kunstfreiheit berechtigt sein kann.99 Die überwiegende Meinung in der Literatur lässt es ausreichen, dass der Bauherr leitend und letztentscheidungsbefugt in das Bauverfahren eingreifen kann, sich dadurch die künstlerischen Fertigkeiten und Ideen seines Architek-

92

BVerfG, Beschl. v. 24. 02. 1971 – 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173 = NJW 1971, 1645 – Mephisto; BVerfG, Beschl. v. 17. 07. 1984 – 1 BvR 816/82 = BVerfGE 67, 213 = NJW 1985, 261 – Anachronistischer Zug. 93 Gaudernack, S. 179; Kapell, S. 174 f.; Mick, S. 73; Schneider, S. 137; Zinkahn, DÖV 1953, 161 (165). 94 Siehe oben C. I. 1. a). 95 Gaudernack, S. 179; Kapell, S. 174; Klein, S. 278; Looks, S. 98; Müller, K., S. 95; Pischel, S. 54; Seybold, S. 106; Schneider, S. 136. 96 Erbel, S. 90 ff.; Mick, S. 73; Zinkahn, DÖV 1953, 161 (165). 97 BVerfG, Beschl. v. 24. 02. 1971 – 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173 (191) – Mephisto. 98 BVerwG, NJW 1995, 2648 (2648 f.); Erbel, S. 90 ff.; Mick, S. 73 f.; Moench / Schmidt, S. 55; Müller, K., S. 138; Pischel, S. 54; Seybold, S. 106; Schneider, S. 137; Vilsmeier, S. 54; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (286). 99 Kapell, S. 174; Looks, S. 97 f.; Schneider, S. 137 f.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

ten zu eigen macht und diesem deswegen hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Schutzes gleich steht.100 Der Einzelne muss also nicht zwangsläufig Künstler sein, vielmehr fallen auch Dritte, die die Kunstwerke von Künstlern der Öffentlichkeit darbieten, in den personellen Schutzbereich der Norm, weil sie insofern eine „unentbehrliche Mittlerfunktion“ zwischen Künstler und der Öffentlichkeit wahrnehmen. Das BVerwG rekurrierte hierauf auch im „Arno-Breker“-Fall, in dem es betonte, dass die Kunstfreiheit das Recht verbürgt, Kunstwerke darzubieten und zu verbreiten, wobei es gleichgültig ist, ob es sich hierbei um eigene oder fremde Kunstwerke handelt.101 Es ist jedoch gerade nicht so, wie es das BVerwG im „Arno-Breker“-Fall102 und ein Teil der Literatur103 annehmen, dass die Kunstfreiheit jede Möglichkeit schütze, „Werke der Baukunst an einem bestimmten Ort aufzustellen“ – und dies selbst unabhängig davon, ob es sich hierbei um eigene oder fremde Kunstschöpfungen handelt.104 Denn sowohl die „Mephisto“-Entscheidung als auch die Entscheidung des BVerfG zum „Anachronistischen Zug“, auf die das BVerwG105 rekurrierte, stellten maßgeblich zur Normbereichserweiterung der Kunstfreiheit in Hinblick auf den „Wirkbereich“ der Kunst auf die Funktion von Kunst in der Gesellschaft ab.106 In den beiden Entscheidungen des BVerfG stand die öffentliche Verbreitung und Darbietung von Kunst in Rede, wobei in den zugrundeliegenden Fällen der Zugang zum Publikum verhindert worden ist.107 Die öffentliche Darbietung und Verbreitung der Kunst wird in den Wirkbereich der Kunstfreiheitsgarantie als Ausdruck des kommunikativen Aspektes mit ein­ bezogen, weil die Begegnung mit dem Werk als ein kunstspezifischer Vorgang für die Entfaltung der Kunstfreiheit sachnotwendig ist und ansonsten das Grundrecht ohne die Erstreckung auch auf den Wirkbereich der Kunst weitgehend leer laufen würde.108 Denn Kunst ist der eigentümliche Fall einer Kommunikation ohne Spra 100 Gaudernack, S. 179; Kapell, S. 174 f.; Mick, S. 73 f.; Moench / Schmidt, S. 55; Müller, K., S. 96; Pischel, S. 54; Seybold, S. 106; Vilsmeier, S. 54; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (615); in diese Richtung wohl auch Klein, S. 278. 101 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648); siehe auch VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451; damit ist gerichtlich anerkannt, dass auch Zeugnisse vergangener Zeit wie die Monumentalfiguren ebenso wie historische Parks und Gärten als Zeugnisse der Gartenkunst als auch sonstige Kulturdenkmäler in die Grundrechtsgewährleistung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG einbezogen sind, Heckel, S. 76 f., Hönes, DÖV 1998, 491 (501), ders., NWVBl. 1998, 383 (388). 102 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). 103 Misera-Lang, S. 169; Sachs / Bethge, Art. 5, Rn. 198g. 104 Vesting, NJW 1996, 1111 (1111 f.); das BVerwG meint mit „Werken der Baukunst“ Kunstwerke, die wegen ihrer Größe zugleich Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB darstellen, Misera-Lang, S. 169. 105 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). 106 Vesting, NJW 1996, 1111 (1111 f.). 107 Schütz, JuS 1996, 498 (499). 108 BeckOK-GG / Kempen, Art. 5, Rn. 170.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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che. Mit Kunst soll etwas „Inkommunikables“ in die Kommunikation der Gesellschaft eingeführt werden.109 Das Grundrecht würde ansonsten ohne die Erstreckung auch auf den Wirkbereich weitgehend leerlaufen.110 Denn gerade dort, wo Kunst in den öffentlichen Raum tritt, ist die Gefahr staatlichen Zugriffs am Größten. Vor dem Hintergrund dieser Gefährdungslage ist Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG entstanden.111 Besonders bei der Baukunst bezieht sich das künstlerische Schaffen – im Gegensatz zu anderen Kunst­ gattungen wie die Literatur, Musik, Malerei oder das Theater – meist nicht nur auf das Kunstobjekt selbst, sondern, bisweilen sogar vorzugsweise, auf die Herbeiführung einer ästhetischen Wirkung durch Einfügung in die Umgebung oder durch kontrastierende Akzentsetzung.112 Wendet man diese Erwägungen stringent an, dann war der Schutzbereich der Kunstfreiheit in Bezug auf die Aufstellung von Monumentalfiguren auf einem Wochenendgrundstück im Außenbereich in zweierlei Hinsicht schon gar nicht erst eröffnet: Zum einen ging es dem Grundstückseigentümer im „Arno-Breker“-Fall gar nicht darum, gesellschaftliche Kommunikationsströme durch die Präsentation von Kunst zu irritieren und der Öffentlichkeit Zugang zu dem Kunstwerk zu verschaffen.113 Die Erstreckung des personalen Schutzbereichs der Kunstfreiheit auf Kunstmittler findet schließlich dort ihre Grenze, wo sich der Umgang mit fremden Kunstwerken allein im privaten Raum abspielt. Die Erstreckung des Schutzbereichs auf den Kunstmittler erfüllt nämlich dann nicht ihren Sinn und Zweck, die Begegnung von Kunst mit der Öffentlichkeit zu schützen. Hier fehlt es an der Gefährdungslage des erleichterten staatlichen Zugriffs auf die Kunst. Greift der Staat im privaten Raum in den Umgang mit fremden Kunstwerken ein, stört er gerade nicht den Kommunikationsprozess zwischen Künstler und Publikum. Er greift hingegen vielmehr in die Verfügungs- und Nutzungsbefugnisse des Eigentümers aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ein.114 Die Frage, ob Kunst im Sinne der Kunstfreiheit vorliegt und damit der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG eröffnet ist, beurteilt sich letztlich gerade nicht nach der subjektiven Sicht des vermeintlichen Künstlers oder der Mittlerperson, ob er bzw. sie das jeweilige Werk als Kunst betrachtet. Es verbietet sich mit Blick auf die von den Grundrechten und sonst im Grundgesetz vorgesehenen Deutungshoheit des BVerfG, die Definitionshoheit vollständig auf diese beiden Personen zu übertragen.115 Aus der Entscheidung des BVerfG,116 nach der der Schutzbereich 109

Vesting, NJW 1996, 1111 (1112). BeckOK-GG / Kempen, Art. 5, Rn. 170. 111 Schütz, JuS 1996, 498 (499). 112 Mick, S. 69. 113 Misera-Lang, S. 346 f., 359; Pischel, S. 163; Schütz, JuS 1996, 498 (499); Vesting, NJW 1996, 1111 (1112). 114 Schütz, JuS 1996, 498 (499). 115 BeckOK-GG / Kempen, Art. 5, Rn. 164. 116 BVerfG, Beschl. v. 27. 07. 2005 – 1 BvR 2501/04 = NJW 2006, 596. 110

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

der Kunstfreiheit nicht eröffnet ist, wenn ein Kunstmittler mit seiner konkreten Tätigkeit kein künstlerisches Konzept beabsichtigt, sondern lediglich kommerzielle Interessen gegenüber dem Künstler durchsetzen will, wird ersichtlich, dass die subjektive Sicht der sich auf die Kunstfreiheit berufenden Personen für die Beurteilung der Frage nach der Eröffnung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit nicht maßgeblich sein kann. Für den Grundstückseigentümer standen im „Arno-Breker“-Fall außerdem nur rein selbstbezogene Zwecke und nicht die Begegnung von Kunst und Publikum im Vordergrund. Es kann nicht Sinn der Kunstfreiheit sein, das Aufstellen fremder Kunstwerke durch Dritte auch dann noch zu schützen, wenn diese der Öffentlichkeit gar nicht zur Schau gestellt werden, sondern rein dem privaten Genuss dienen sollen.117 Aus der „Mephisto“-Entscheidung und der Entscheidung zum „Anachronistischen Zug“118 kann deswegen für den vorliegenden Fall nichts hergeleitet werden, weil diese Entscheidungen keinen staatlichen Eingriff zum Gegenstand hatten, der den Zugang zum Publikum verhindern sollte.119 Im Fall „Arno Breker“ konnte insoweit der Aspekt des Landschaftsschutzes als Schutzgut der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne des Art. 20a GG auch grundrechtsverengend wirken, indem der Schutzbereich der Kunstfreiheit zulasten des in die Landschaft Eingreifenden in dem hier verstandenen Sinne enger ausgelegt werden konnte.120 Das bloße Aufstellen von Monumentalfiguren im Außenbereich auf einem privaten Freizeitgrundstück ohne Öffentlickeitsbezug unterfällt damit nicht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG). Nur die Figuren selber unterfallen dem Kunstbegriff; dem Aufstellen der Plastiken kommt im entschiedenen Fall darüber hinaus kein eigenständiger interpretatorischer Anknüpfungspunkt zu, sodass der Verzicht auf eine konkrete Bestimmung der Kollisionslage daher zu einem vorschnellen Rückgriff des BVerwG auf die Schranke kollidierenden Verfassungsrechts führte.121 In einem überwiegend forst- und landwirtschaftlich genutzten Gebiet fehlt außerdem regelmäßig der kommunikative Bezug, der im Rahmen des Wirkbereichs der Kunst geschützt werden soll.122 In der Literatur wurde kritisch angemerkt, dass es „zutiefst widersprüchlich“ sei, dem Bauherrn den Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG mit der Begründung zu versagen, die Aufstellung der Breker’schen Monumentalfiguren auf dem Wochenendgrundstück betreffe nur den privaten Genuss und weise nicht den nötigen Öf 117

Pischel, S. 163; Vesting, NJW 1996, 1111 (1112). BVerfG, Beschl. v. 24. 02. 1971 – 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173 = NJW 1971, 1645 – Mephisto; BVerfG, Beschl. v. 17. 07. 1984 – 1 BvR 816/82 = BVerfGE 67, 213 = NJW 1985, 261 – Anachronistischer Zug. 119 Schütz, JuS 1996, 498 (499). 120 M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 91. 121 Misera-Lang, S. 346 f., 359; Pischel, S. 163; Schütz, JuS 1996, 498 (499); Vesting, NJW 1996, 1111 (1112); zustimmend Lenz, S. 274, Fn. 335. 122 Vesting, NJW 1996, 1111 (1112). 118

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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fentlichkeitsbezug eines künstlerischen Werkes auf, und zugleich das Vorhaben zu verbieten, weil es das Landschaftsbild verunstalte oder durch seine optische Wirkung die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtige. Reduziere man nämlich den Schutz des Wirkbereichs der Kunst auf kommunikative Handlungen, könne eine Tätigkeit nicht dem ungeschützten Bereich zugeordnet werden und zugleich aufgrund der sozialen Wirkung der Handlung, Unlustgefühle bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Betrachter hervorzurufen, unterbunden werden.123 Dem ist jedoch zu entgegnen, dass zwei voneinander getrennt zu beantwortende Fragestellungen vorliegen: Es geht zum einen um die Beurteilung, ob mit dem Aufstellen von Monumentalfiguren im Außenbereich Kunst im verfassungsrechtlichen Sinne vorliegt. Dies setzt – wie bereits dargestellt wurde – einen hinreichend kommunikativen Öffentlichkeitsbezug voraus. Klassische Baukunst, bei der eine Trennung von Werk- und Wirkbereich nicht möglich ist, liegt gerade nicht vor. Zum anderen geht es um die einfachrechtliche, bodenrechtliche Beurteilung, ob das Vorhaben die Landschaft verunstaltet. Es ist dabei maßgebend, was für den Durchschnittsmenschen von einem normal zugänglichen Standort – der nicht nur in ganz seltenen Fällen von Menschen aufgesucht wird – aus sichtbar ist.124 Wären die Skulpturen hingegen von Dritten nicht einsehbar, würde ihre Aufstellung immer noch dem Bauherrn selbst und möglicherweise auch den anderen Bewohnern und Besuchern des Grundstücks die kommunikative Auseinandersetzung mit den Werken ermöglichen.125 Sollte sich die Sachverhaltskonstellation im Außenbereich tatsächlich so gestalten, dass der Bauherr  – wenn auch nur einen geringen – Besucherverkehr auf seinem Grundstück erwartet und gar noch Nachbarn vorhanden sind, dann kommt mit der Aufstellung der kommunikative Gehalt der Kunst zum Tragen.126 Das Erfordernis einer öffentlichen Darbietung setzt nicht zwingend voraus, dass die Aufforderung zur Rezeption an die Allgemeinheit gerichtet sein muss.127 Eine andere rechtliche Beurteilung war im Fall des VG München128 angezeigt: Hier war der Schutzbereich der Kunstfreiheit in seiner Ausprägung des Wirkbereichs unproblematisch eröffnet. Die Skulpturen sollten in einem eigens angelegten Kunstpark errichtet werden und sollten der Öffentlichkeit zugänglich sein und dieser den Zusammenhang der Skulpturen mit dem kulturhistorischen Hintergrund der Landschaft vor Augen führen. Es handelte sich hierbei um wirkliche Baukunst, die sich als Ausdruck der architektonischen Freiheit auf die Kunstfreiheit berufen konnte. Baukunst zeichnet sich dadurch aus, dass eine Trennung von Werk- und Wirkbereich der Kunst nicht mög 123

Kapell, S. 166. Engelmann, S. 125; Kapell, S. 79; Schlez, § 11, Rn. 9. 125 Kapell, S. 167. 126 So auch Kapell, S. 167. 127 Kapell, S. 167. 128 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 124

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

lich ist.129 Beim Schöpfungsakt der Errichtung einer architektonisch gehaltvollen baulichen Anlage fallen der Werk- und der Wirkbereich der Kunstfreiheitsgarantie zusammen. Ein starkes Indiz für das Nichtvorliegen von Baukunst ist, dass eine Trennung zwischen dem Schöpfungsakt und dem Wirkbereich möglich ist.130 3. Eingriff in die Kunstfreiheit In die Kunstfreiheit kann im Rahmen der Errichtung von Bauwerken in dreierlei Hinsicht eingegriffen werden: Es liegt zum einen ein Eingriff vor, soweit dem Kunstliebhaber die Baugenehmigung zum Aufstellen der Figuren zum Zwecke ihrer Präsentation verweigert wird.131 Dem Kunstliebhaber wird damit seitens der Bauaufsichtsbehörde die Verwirklichung des Grundrechts in Hinblick auf den Wirkbereich der Kunstfreiheitsgarantie vereitelt. Für einen Eingriff reicht es nämlich aus, dass der Staat einen Grundrechtsträger entweder im Werk- oder Wirkbereich behindert.132 Die Errichtung einer baulichen Anlage kann zum anderen zugleich eine Betätigung der Kunstfreiheit darstellen, soweit es sich um die Errichtung von Werken der Baukunst in Form von künstlerischer Architektur handelt. Zuletzt ist es denkbar, dass auch die Schaffung von sonstigen Kunstobjekten an einem bestimmten Ort dem Schutzbereich der Kunstfreiheit unterfallen kann, soweit die Lokalisation Teil des Kunstwerks sein soll.133 4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Die Versagung einer Baugenehmigung muss verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, um dem Bürger seine Freiheitsrechte nehmen zu können. So ist etwa in der „Arno-Breker“-Entscheidung an die Freiheit des Künstlers zu denken, sein Werk oder das Werk eines Dritten in der Öffentlichkeit aufzustellen (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) oder an die Baufreiheit des Grundstückseigentümers (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG), die durch eine Versagung der Baugenehmigung eingeschränkt werden. Im Folgenden soll untersucht werden, ob die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) auf verfassungsrechtlich tragfähiger Basis durch den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB beschränkt werden kann. Das BVerwG hat die Bedeutung der Kunstfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht in der „Arno-Breker“-Entscheidung hervorgehoben und Baubeschränkungen für Kunstwerke im Außenbereich – als Folge der Beeinträchtigung

129

M / D/Scholz, Art. 5 Abs. 3, Rn. 72; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 451; Schütz, JuS 1995, 498 (499); S / S/D / Stern, § 117, VII 4. 130 Zur Abgrenzung zwischen Baukunst und nichtkünstlerischem Bauen siehe Kapitel C. I. 1. a). 131 Schütz, JuS 1996, 498 (500). 132 BeckOK-GG / Kempen, Art.  5, Rn.  175; J / P/Jarass, Art. 5, Rn. 123. 133 Schütz, JuS 1996, 498 (499).

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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öffentlicher Belange – unter anderem unter Berufung auf den Verfassungsauftrag zum Schutze der Umwelt (Art. 20a GG) als gerechtfertigt angesehen.134 Dogmatisch ist es allerdings überzeugender, nicht den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes, sondern den der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) als Ausprägung des Umweltstaatsprinzips zu sehen.135 Mit anderen Worten kann nicht der optisch-ästhetische, sondern nur der funktionelle Landschaftsschutz unter Berufung auf das Umweltstaatsprinzip verfassungsrechtlich legitimiert werden. a) Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie Die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) ist ein vorbehaltloses Grundrecht. Es kann daher nicht einfach die Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG zur Einschränkung der Kunstfreiheit herangezogen werden, da diesem Vorgehen systematische und entstehungsgeschichtliche Gründe entgegenstehen. Die Stellung des Art. 5 Abs. 2 bezieht sich systematisch nämlich auf die Rechte des Art. 5 Abs. 1 GG.136 Eine Schrankenleihe aus Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG ist ebenso nicht möglich;137 ebenso wenig kann Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG herangezogen werden, um einen Eingriff in die Kunstfreiheit verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Denn der Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheit liegt der Gedanke zugrunde, „dass die Grenzen der Kunstfreiheitsgarantie nur von der Verfassung selbst zu bestimmen sind“ und nicht mittels pauschaler Analogieschlüsse.138 Die Verfasser des Grundgesetzes sahen sich gerade als Reaktion auf die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Exzesse gegen „ent­artete Kunst“ und deren Künstler veranlasst, die Kunstfreiheit neuerlich und textlich vorbehaltlos zu verfassen.139 Es verbietet sich daher auch eine früher in den 1950er und 1960er Jahren in Literatur und Rechtsprechung verbreitete Ansicht, nach der die baukünstlerische Gestaltungsfreiheit ihre Grenze in den öffentlichen Gestaltungsvorschriften als Konkretisierung von Gesetzesvorbehalten fände, die an Art. 2 Abs. 1 GG orientiert

134

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (363). 136 Bamberger, S. 106; Dolderer, BauR 1999, 691 (694); Kapell, S. 177; Klein, S. 279; ­Moench / Schmidt, S.  55; S / S/D / Stern, § 117, VII 3; a. A. Knies, Schranken, S. 230 ff., 257 ff., 260 ff. 137 Bamberger, S. 105; BeckOK-GG / Kempen, Art. 5, Rn. 176; Dolderer, BauR 1999, 691 (694); Kapell, S. 176; Klein, S. 279; Knies, Schranken, S.  89 f.; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 450; Moench / Schmidt, S. 55; Sachs / Bethge, Art. 5, Rn. 197; Würkner, DÖV 1992, 150 (152); a. A. in Bezug auf den Bau von Kultstätten bspw. Brümmer, S. 80 f., 170. 138 BVerfG, Beschl. v. 17. 07. 1984 – 1 BvR 816/82 = BVerfGE 67, 213 (228); M / K/S / Starck / ​ Paulus, Art. 5 Abs. 3 GG, Rn. 450. 139 BGH, 02. 06. 1975 = NJW 1975, 1882 (1884); Hufen, § 33, Rn. 1; Kapell, S. 148; Mick, S. 74; Pischel, S. 32. 135

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

sind.140 Es kann außerdem nicht der Ansicht gefolgt werden, die eine Schranke der Kunstfreiheit in den „allgemeinen Gesetzen“ des Art. 5 Abs. 2 GG erblickte141 und zwischen der negativen und positiven baulichen Gestaltungspflege differenzierte. Hiernach beträfen Gestaltungsnormen, die lediglich die (negative) Verunstaltungsabwehr zum Gegenstand haben, künstlerische wie nicht künstlerische Bautypen. Die positiven Gestaltungsvorschriften hingegen, mit denen das Streben nach Schönheit im Bauen gefördert werden soll, seien keine allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG und seien deswegen verfassungswidrig.142 aa) Verfassungsimmanente Schranken Die Kunstfreiheit wird trotz fehlenden Gesetzesvorbehalts nicht schrankenlos gewährleistet. Die Kunstfreiheit findet nach der Rechtsprechung des BVerfG ihre Grenze in verfassungsimmanenten Schranken. Diese können sich aus den Grundrechten Dritter oder kollidierenden Verfassungsgütern von Rang ergeben.143 Nur kollidierende Grundrechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind schließlich mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen.144 Es ist immer in einem ersten Schritt zu fragen, ob die die Kunstfreiheit einschränkenden einfachgesetzlichen Rechtsnormen konkret auf Grundrechte Dritter oder Verfassungsgüter von Rang zurückgeführt werden können.145 Demnach ist zu fragen, ob der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB kollisionsfähige Verfassungsinhalte schützt. Im Unterschied zur Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) ist eine Einschränkung der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) unter einfachem Rückgriff auf bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Vorschriften wegen Fehlens eines ausdrücklichen Gesetzesvorbehalts nicht möglich.146 140

Vgl. statt aller Oppermann, S. 463, Fn. 93; allgemein zur Begrenzungsformel des BVerfG und zum bisherigen Verständnis der immanenten Schranken Misera-Lang, S. 143. 141 So aber Knies, Schranken, S. 230 ff., 257 ff., 260 ff. 142 Watzke, S. 86 f. 143 BVerfG, Beschl. v. 03. 11. 1987 – 1 BvR 1257/84 = BVerfGE 77, 240 = NJW 1988, 325; BVerfG, Beschl. v. 07. 03. 1990 – 1 BvR 266/86, 913/87 = BVerfGE 81, 278 = NJW 1990, 1982; BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = BVerwG, NVwZ 1991, 983 (983); BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648 f.); VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088; VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451; Bamberger, S. 11; Blaesing, S. 98 f.; Lenz, S. 206; Misera-Lang, S. 141 f. 144 BVerfGE 28, 243 (260 f.); Bamberger, S. 11; Klein, S. 279; zur Rechtfertigung der h. M. mit dem Menschenbild des Grundgesetzes sowie mit der Werteordnung und dem Prinzip der Einheit der Verfassung siehe Bamberger, S. 18 ff. 145 Schütz, JuS 1996, 498 (500); S / S/D / Stern, § 117, VII 3; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (618). 146 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Es muss daher bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten wie der Kunstfreiheit sorgfältig geprüft werden, ob die kollidierenden Verfassungsgüter – soweit es sich gerade nicht um Grundrechte Dritter, sondern um andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter handelt  – tatsächlich konkret benennbare Rechtsgüter schützen wollen.147 Um den Unterschied zwischen vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten und solchen mit einfachem Gesetzesvorbehalt nicht verschwimmen zu lassen, kann nämlich nicht jeder im Grundgesetz thematisierte Belang Anknüpfungspunkt für einen gegenüber vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten kollisionsfähigen Verfassungsinhalt sein.148 Dies gilt vornehmlich für weitmaschige und auf die einfachgesetzliche Ausformung durch den Gesetzgeber angewiesene allgemeine Verfassungsprinzipien wie das Rechtsstaats- oder das Sozialstaatsprinzip.149 Auch die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG, die sich dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verschrieben hat, ist bewusst sehr weit gefasst und auf die einfachgesetzliche Ausformung durch den Gesetzgeber angewiesen.150 Das Übermaßverbot und die Wechselwirkungslehre erlangen im Rahmen der Rechtsgüterabwägung im jeweiligen Einzelfall ihre herausragende Bedeutung gerade bei derart weit gefassten Verfassungsgütern.151 Keinesfalls genügt der pauschale Hinweis auf den Schutz der Verfassung.152 bb) Die Eignung von Staatszielbestimmungen als verfassungsimmanente Schranken Nach einer strengen Literaturansicht macht es einen Unterschied, ob Art. 20a GG zur Rechtfertigung eines Eingriffs in ein Grundrecht, das unter Vorbehalt steht, herangezogen werden soll, oder als verfassungsimmanente Schranke eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts wie der Kunstfreiheit dienen soll.153 Art. 20a GG könne insbesondere nicht zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Grundrechte

147

BVerfG, Beschl. v.  03. 11. 1987  – 1 BvR 1257/84 = BVerfGE 77, 240 (Ls. 2 und S. 255); BVerfG, Beschl. v. 07. 03. 1990 – 1 BvR 266/86, 913/87 = BVerfGE 81, 278 (293); BVerfG, Beschl. v. 13. 06. 2007 – 1 BvR 1783/05 = DVBl. 2007, 1425 (1427); BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = BVerwG, NVwZ 1991, 983 (984); Gaudernack, S. 166; HdBStaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (226); Lenz, S. 291; Lerche, S. 300, Fn. 163; Misera-Lang, S. 192; Moench / Schmidt, S. 56; Schütz, JuS 1996, 498 (500 f.); S / S/D / Stern, § 117, VII 3. 148 Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (226); Moench / Schmidt, S. 56; Lenz / Leydecker, DÖV 2005, 841 (841); Sachs, JuS 2016, 952 (953); Schütz, JuS 1996, 498 (501). 149 Sachs / Bethge, Art. 5, Rn. 198. 150 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 151 Sachs / Bethge, Art. 5, Rn. 198. 152 S / S/D / Stern, § 117, VII 3; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (618). 153 Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (363); BeckOK-GG / Huster / Rux, Art. 20a, Rn. 46; Lenz / Leydecker, DÖV 2005, 841 (845); Lenz, S. 266 ff., 273 f.; Misera-Lang, S. 357 f.; Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (31); zustimmend Kapell, S. 190 f.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

der Glaubens- (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) oder der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) herangezogen werden. Denn während es dem Gesetzgeber bei Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt freistehe, in dem ihm durch den jeweiligen Gesetzesvorbehalt vorgegebenen Rahmen den Umweltschutzbelangen durch gesetzgeberische Tätigkeit mehr oder weniger Gewicht zu verleihen, könne das Staatsziel des Art. 20a GG regelmäßig bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten nicht als verfassungsimmanente Schranke herangezogen werden, selbst wenn eine verfassungsimmanente Schranke grundsätzlich bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten anerkennt werde. Denn der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen entfalte sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 20a GG nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung und werde damit durch diese begrenzt; das Umweltschutzprinzip sei außerdem aufgrund seiner gegenüber dem Sozialstaatsprinzip noch größeren Unbestimmtheit auf eine Konkretisierung durch den Gesetzgeber angewiesen.154 Es geht dieser Auffassung letztlich darum, den Gewährleistungsgehalt vorbehaltloser Freiheitsrechte vollkommen  – wie vom Verfassungsgeber ursprünglich beabsichtigt – zur Geltung zu bringen, da vorbehaltlose Freiheitsrechte dem Bürger in bestimmten Bereichen absolute Freiheit versprächen und kollidierendes Verfassungsrecht in der Rechtspraxis allzu sehr die Funktion der textlich fehlenden Grundrechtsschranke übernehme.155 So verlangen die Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Funktion als Eingriffsverbote vom Staat ein Unterlassen jedes Grundrechtseingriffs. Eine Kollision mit diesem Unterlassungsgebot entstehe, wenn einer Verfassungsnorm ein Handlungsgebot zu entnehmen sei, welches einen Grundrechtseingriff verlange.156 Staatsstrukturprinzipien und Staatszielbestimmungen wie Art. 20 und Art. 20a GG könnten jedoch regelmäßig keine hinreichend konkrete Pflicht zu einem Grundrechtseingriff entnommen werden, sodass diese grundsätzlich nicht als kollidierendes Verfassungsrecht zur Legitimation eines Eingriffs in ein vorbehaltloses Freiheitsrecht herangezogen werden können.157 Nur wenn das Umweltstaatsprinzip (Art. 20a GG) einen Zugriff auf den Schutzgegenstand vorbehaltloser Grundrechte erzwänge, könne von einer Kollisionslage die Rede sein. In den bisher ergangenen Entscheidungen des BVerwG sei jedoch kein Anhaltspunkt dafür zu erkennen, dass Art. 20a GG den Staat verpflichte, einen kirchlichen Friedhof in einem Naturpark

154

Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (363); BeckOK-GG / Huster / Rux, Art. 20a, Rn. 46; Lenz / Leydecker, DÖV 2005, 841 (845 f.); Misera-Lang, S. 357. 155 Lenz / Leydecker, DÖV 2005, 841 (841); dem steht der reaktionäre, konservative Geist der 1968er Jahre gegenüber, der den Wunsch nach einer weitreichenden Beschränkbarkeit der Freiheitsgrundrechte zum Ausdruck brachte, vgl. Bettermann, S. 8 f. 156 Lenz / Leydecker, DÖV 2005, 841 (842); Lenz, S. 267. 157 Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (363); Bettermann, S. 18; Denecke, S. 75; Lenz / Leydecker, DÖV 2005, 841 (846); Lenz, S. 267, 273; Schneider, S. 109 u. 111; Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (31).

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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zu verhindern158 oder aus Gründen des Artenschutzes den Import von Elfenbein zu stoppen,159 noch das Aufstellen von überdimensionalen Statuen im bauplanungsrechtlichen Außenbereich zu versagen160.161 Art. 20 und Art. 20a GG besäßen insoweit keine grundrechtslimitierende Funktion, da sie von solcher Abstraktion und Komplexität seien, dass ihnen grundrechtsbeschränkende Aussagen nicht entnommen werden können. Sie seien deswegen als Gesetzgebungs- und nicht als Gesetzesvorbehalte zu verstehen.162 Es ist dieser Auffassung, die das Staatsziel des Art. 20a GG regelmäßig bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten nicht als verfassungsimmanente Schranke heranziehen will, jedenfalls im Ergebnis darin zuzustimmen, dass das Umweltstaatsprinzip nicht als „uferloser“ Eingriffstitel eingesetzt werden darf, um unzählige Grundrechtskollisionen zugunsten schwer fassbarer Kollektivgüter aufzulösen.163 cc) Grundgesetzliche Kompetenzverteilung als verfassungsimmanente Schranke Eine verfassungsrechtliche Schranke der Kunstfreiheit kann ebenfalls nicht aus der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung (Art. 70 ff. GG) abgeleitet werden.164 Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 und Nr. 29 GG weisen zwar dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das Bodenrecht und die Landschaftspflege zu. Aber es handelt sich hierbei um keine konkreten Schutzgüter, die als verfassungsunmittelbare Schranken dienen könnten.165 Es ist zum einen überaus fraglich, ob sich die erwähnten Gesetzgebungskompetenzen überhaupt auf das Gebiet der Bauästhetik erstrecken.166 Doch auch soweit man annimmt, dass die Gesetzgebungskompetenzen für das Bodenrecht, den Naturschutz und die Landschaftspflege ebenfalls ästhetisch motivierte Regelungen umfassen, kann diesen Kompetenzbestimmungen nicht als Verfassungsgut der Schutz vor ästhetischen Beeinträchtigungen durch Bauwerke entnommen werden.167 Denn diese Vorschriften dienen funktionell föderalen Vorgaben und besitzen demnach keinen eigenen materiellen Gehalt, indem sie dem Bund Sachmaterien zuweisen, 158

BVerwG, NVwZ 1998, 852 f. BVerwG, NJW 1996, 1163. 160 BVerwG, NJW 1995, 2648. 161 Lenz, S. 274. 162 Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (363); ders., S. 111; Denecke, S. 76; Kapell, S. 190 f.; Lenz, S. 267; Misera-Lang, S. 357 f.; Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (31); Winkler, S. 161, 165. 163 Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (355, 363); Sachs, JuS 2016, 952 (953); Schmidt, JZ 1997, 1042 (1043); Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 164 Gaudernack, S. 209; Kapell, S. 228. 165 So aber Büge / Zinkahn, S. 19. 166 Erbel, S. 170; Kapell, S. 228. 167 Kapell, S. 228. 159

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

wo der Verfassungsgeber ein spezifisches Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Gesetzregelung gesehen hat.168 Es finden sich in den ausführlichen Kompetenzkatalogen für derart viele Regelungskomplexe eine Gesetzgebungszuständigkeit, dass es geradezu einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt gleichkäme, wenn die Erwähnung einer Materie in einem Kompetenztitel für sich genommen genügen würde, um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht einzuschränken.169 Konfliktfälle zwischen vorbehaltloser Freiheit und Kompetenznormen können hingegen nicht auftreten, da den Gesetzgebungskompetenzen der Art. 73–75 GG keine Handlungspflichten entnommen werden können.170 Eine Gesetzgebungskompetenz kann letztlich nicht in zulässigerweise in eine Ermächtigung zu einem Eingriff in ein Grundrecht, das nicht unter einem Gesetzesvorbehalt steht, umgedeutet werden. Denn die Gesetzgebung des Bundes ist – wie die Gesetzgebung überhaupt – nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte „gebunden“, sodass nicht die Gesetzgebungskompetenzen die Grundrechte, sondern umgekehrt die Grundrechte die Ausübung der Gesetzgebungskompetenzen beschränken.171 Eine ernst zu nehmende materiale Kompetenzlehre müsste die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte zu Spezialnormen erklären, ein schon angesichts der Stellung der Grundrechte im Grundgesetz und des Grundsatzes „lex specialis derogat lex generalis“ kaum haltbares Resultat.172 dd) Abwägung der widerstreitenden Interessen Nachdem ein konkret benennbares Verfassungsgut herausgearbeitet wurde, das geeignet ist, die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) zu beschränken, kann in einem zweiten Schritt der Frage nachgegangen werden, wie die Kunstfreiheit und das kollidierende Verfassungsgut im Wege eines schonenden Ausgleichs in Einklang gebracht werden können.173 Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden verfassungsrechtlichen Rechtsgüter darf nicht einem Verfassungsgut von vornherein der Vorrang eingeräumt werden.174 Weder die Rechtsprechung des BVerfG 168

Denecke, S. 78; Gaudernack, S. 209; Kapell, S. 228 f.; Lenz, S. 278; Schneider, S. 108; Schütz, JuS 1996, 498 (501, Fn. 34); Selk, JuS 1990, 895 (897); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620). 169 Bamberger, S. 121; Gaudernack, S. 209; Misera-Lang, S. 323 f.; Selk, JuS 1990, 895 (897). 170 Lenz, S. 280–282. 171 Erbel, S. 170; Misera-Lang, S. 324. 172 Selk, JuS 1990, 895 (898). 173 BVerwG, Urt. v.  27. 06. 1991  – 4 B 138.90 = BVerwG, NVwZ 1991, 983 (984); Lenz, S.  291; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 453. 174 BVerfG, Beschl. v. 03. 11. 1987 – 1 BvR 1257/84 = BVerfGE 77, 240 (Ls. 2 und S. 255); BVerfG, Beschl. v. 07. 03. 1990 – 1 BvR 266/86, 913/87 = BVerfGE 81, 278 (293); Misera-Lang, S. 213; Schütz, JuS 1996, 498 (501); S / S/D / Stern, § 117, VII 3; Winkler, S. 363; bezogen auf den grundsätzlichen Gleichrang der Grundrechtsgarantien Bamberger, S. 55; die Unantastbarkeit

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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noch die Literatur hat eine Rangordnung der verfassungsrechtlichen Rechtsgüter vorgenommen, inwieweit die Kollision der Kunstfreiheit mit sonstigen Verfassungsgütern, die keine Grundrechte darstellen, aufzulösen ist.175 Das schließt Gewichtungsvorgaben allerdings nicht aus. Nicht anders zu verstehen ist auch die verfassungskonforme Auslegung eines Gesetzes in der Weise, dass es die Vorrangentscheidung im Einzelfall nicht generell-abstrakt vorwegnimmt, sondern Abwägungen zwischen Grundrechten und Verfassungsgütern für den Einzelfall offen hält, statt sie selbst abschließend vorwegzunehmen.176 Das BVerfG versuchte in der Vergangenheit im Konfliktfall zunächst das Verfassungsgut herauszuarbeiten, das im konkreten Fall das „höhere Gewicht“ besitzt. Dabei betonte es stets, dass das „schwächere“ Verfassungsgut nur soweit zurückgedrängt werden dürfe, solange sein sachlicher Kerngehalt respektiert werde.177 Die Annahme einer Rangordnung der Verfassungsgüter oder eine Gewichtung der Verfassungsgüter ist jedoch verfehlt, denn der Gedanke der Einheit der Verfassung verbietet eine derartige Rangordnung.178 Es ist demnach richtig, wenn die neuere Rechtsprechung des BVerfG bemüht ist, Lösungen im Konfliktfall anhand praktischer Konkordanz im Einzelfall zu finden,179 selbst wenn der entscheidenden Gerichtsbarkeit dabei ein nicht unerheblicher Grad an Eigenwertung eingeräumt und ihr damit ein Abwägungsspielraum eröffnet wird.180 Es muss vielmehr gewährleistet sein, dass die Rechtsgüter in der Weise einander zugeordnet werden, dass jedes von ihnen zu seiner Wirksamkeit gelangt. Dies ist Ausdruck des Prinzips der Verhältnismäßigkeit, das nicht nur bei der Einschränkung von Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt Bedeutung erlangt.181 Der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besagt nach der Rechtsprechung für diese Situation, dass von den Mitteln zur Beschränkung eines vorbehaltlosen Grundrechts nur des Menschenwürdegehalts und die Grundsätze des Art. 20 GG können aber das Zurücktreten auch der vorbehaltlos gewährleisteten Freiheit verlangen, vgl. Art. 79 Abs. 3 GG, Lenz, S. 294 f.; die in Art. 1 und Art. 20 GG genannten Grundsätze stehen gleichwohl ebensowenig wie Art. 79 Abs. 3 GG auf einer höheren Rangstufe als der Rest des Grundgesetzes, Winkler, S. 253–256. 175 Misera-Lang, S.  217; S / S/D / Stern, § 117, VII 3; Blaesing, S. 147, geht von einer Grundrechtsrangordnung aus, die sich in dem abgestuften System der Eingriffsvorbehalte zugunsten des einfachen Gesetzgebers niederschlage. 176 Winkler, S. 363 m. Verweis auf BVerfGE 47, 327 (380). 177 BVerfG, Beschl. v. 26. 05. 1970 – 1 BvR 83/69, 1 BvR 244/69, 1 BvR 345/69 = BVerfGE 28, 243 (261). 178 S / S/D / Stern, § 117, VII 3.  179 S / S/D / Stern, § 117, VII 3; ablehnend gegenüber dem auf Hesse zurückgehenden Prinzip der „praktischen Konkordanz“ Blaesing, S. 140 f., der die grundgesetzlich unterschiedliche Bewertung der Freiheitsgarantien betont. 180 S / S/D / Stern, § 117, VII 3.  181 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn.  89; J / P/Jarass, Art. 5, Rn. 129; Schütz, JuS 1996, 498 (501); kritisch gegenüber der mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung verbundenen Angemessenheitsprüfung Lenz, S. 285 f., da der Normbefehl des vorbehaltlosen Freiheitsrechts, das absolute Unterlassen jedes Grundrechtseingriffs, in den Befehl, Eingriffe möglichst zu unterlassen, abgewandelt würde.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Gebrauch gemacht werden darf, soweit dies zur Wahrung der entgegenstehenden verfassungsrechtlich geschützen Rechtsgüter erforderlich ist.182 Es muss „ein verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziel ihrer Optimierung gefunden werden“.183 Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kommt damit im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Verfassungsgüter die Bedeutung zu, die Kunstfreiheit und das grundrechtsbegrenzende Verfassungsgut verhältnismäßig zu gewichten.184 Dabei ist zu berücksichtigen, dass das die Kunstfreiheit einschränkende Gesetz wiederum im Lichte der einzuschränkenden Kunstfreiheit ausgelegt werden muss, sog. Wechselwirkungslehre.185 Dies gilt auch für die dem Schutz des Außenbereichs dienende einfachrechtliche Vorschrift des § 35 BauGB.186 Im Bereich der Baukunst stellen sich schwierige Abwägungsfragen zur Herstellung praktischer Konkordanz. Die Rechtsprechung billigte einem Kunstwerk auf Zeit im Stadtraum Umgebungsschutz vor beeinträchtigender, neu hinzukommender Bebauung zu, wobei die Grundrechtskollision zugunsten des kunstrechtlichen Umgebungsschutzes und zulasten der aus Art. 14 Abs. 1 GG resultierenden Baufreiheit des Nachbarn aufgelöst wurde. Ein Grundrechtskonflikt kam dadurch auf, dass ein anderes Vorhaben nicht nur in stadträumlicher, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht dem Kunstwerk auf Zeit im Stadtraum widersprach. Die praktische Konkordanz zwischen der Kunstfreiheit des Künstlers und der aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG resultierenden Baufreiheit des Nachbarn wurde in diesem Fall mit dem Grundsatz der Priorität hergestellt, nach dem dasjenige Kunstwerk einen höheren Schutz verdiene, dessen künstlerische Verwirklichung zeitlich länger geplant bzw. vor längerer Zeit erstrebt wurde.187 Die Schutzrichtung und damit die Abwägungsentscheidung kann sich andererseits auch umkehren und zugunsten des Nachbarn ausfallen, wenn zu seinen Gunsten ein baurechtliches Verunstaltungsverbot in Stellung gebracht werden kann, um gegen baukünstlerische Ambitionen des Bauherren vorzugehen.188 Die Kunstfreiheit kann jedenfalls aus Gründen der baurechtlichen Gefahrenabwehr regelmäßig eingeschränkt werden, während hohe Anforderungen an bauästhetische Einwände der Nachbarn oder anderer Beteiligter 182

BVerfGE 30, 173 (199); BVerwG, NVwZ 1991, 983 (984); OLG Hbg., NJW 1984, 1130 (Ls. 2). 183 BVerfG, Beschl. v. 07. 03. 1990 – 1 BvR 266/86, 913/87 = BVerfGE 81, 278 (293). 184 S / S/D / Stern, § 117, VII 3; zu den Begriffen des schonenden Ausgleichs und der praktischen Konkordanz Lenz, S. 287. 185 BVerfG, Beschl. v. 24. 02. 1971 – 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173 = NJW 1971, 1645; BVerfG, Beschl. v. 03. 11. 1987 – 1 BvR 1257/84 = BVerfGE 77, 240 = NJW 1988, 325; BVerfG, Beschl. v. 07. 03. 1990 – 1 BvR 266/86, 913/87 = BVerfGE 81, 278 = NJW 1990, 1982; VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088; HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89; Misera-Lang, S. 215. 186 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 187 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650; der Nachbar konnte sich außerdem ebenfalls auf das schrankenlose Grundrecht der Kunstfreiheit berufen. 188 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = BVerwG, NVwZ 1991, 983.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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wie Kommunen zu stellen sind, damit sich deren Einwände gegenüber der Kunstfreiheit durchsetzen können.189 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Auflösung von Konfliktlagen vorrangig anhand genereller Wertungen durch die Gesetzgebung erfolgen muss und nur nachrangig die Verwaltung und Rechtsprechung zur einzelfallbezogenen Abwägung berufen sind.190 Das BVerwG sieht dabei in § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB Schranken für die Zulässigkeit der Errichtung von Kunstwerken im Außenbereich,191 womit sich die vorliegende Arbeit im weiteren Verlauf näher auseinandersetzen wird.192 Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass dem Ansinnen des BVerwG, dass der Außenbereich von der Errichtung monumentaler Kunstwerke verschont bleiben soll, am besten dadurch Rechnung getragen werden kann, wenn man sich nicht an der Frage der verfassungsrechtlichen Legitimation des öffentlichen Belangs der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) „verzettelt“ und sich womöglich fernliegender Argumentationsmuster bemüht, um so das gewünschte Ergebnis zu erhalten; vielmehr bedarf es des Rückgriffs auf komplizierte Grundrechts- und Verfassungskollisionen schon gar nicht, wenn das einfachgesetzliche Recht bereits die Lösung bereithält.193 Während der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) richtigerweise nicht seine verfassungsrechtliche Grundlage im Umweltschutzprinzip des Art. 20a GG findet, lässt sich hingegen der öffentliche Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zurückführen, Art. 20a GG. Die Errichtung monumentaler Kunstwerke im Außenbereich trägt nämlich regelmäßig in diesen eine wesensfremde Bebauung hinein, sodass damit der öffentliche Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft einschlägig sein wird, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB.194 Die Schwierigkeit, verfassungsimmanente Schranken der Kunstfreiheit im Rahmen des Baurechts zu begründen, liegt darin, dass die bauordnungs- und bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbote nicht der Gefahrenabwehr im engeren Sinne dienen. Während das Bauordnungsrecht zum Beispiel bezüglich der Standsicherheit von Bauwerken der Kunstfreiheit zum Schutze von Leib und Leben ver 189

Dreier / Wittreck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 62. S / S/D / Stern, § 117, VII 3.  191 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648 f.). 192 Das BVerwG sieht in den öffentlichen Belangen der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) eine verfassungsmäßige Beschränkung der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), da die Belange Ausdruck eines staatlichen Schutzauftrags zugunsten des allgemeinen Wohlbefindens der Bürger (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG) und des Umweltstaatsprinzips (Art. 20a GG) seien. 193 Vesting, NJW 1996, 1111 (1114). 194 Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.). 190

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

fassungsrechtliche Grenzen setzen kann, kann dies bei den Verunstaltungsverboten nicht so einfach angenommen werden.195 Im Gegensatz zum bauplanungsrecht­ lichen Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) lässt sich noch bei den landesgesetzlichen Verunstaltungsverboten der Sinn und Zweck der Regelungen nachvollziehen, baukünstlerische Ambitionen hinter dem Interesse an der Ortsbildpflege zurücktreten zu lassen, da in einer industrialisierten Massengesellschaft mit hoher Siedlungsdichte gerade in den Ballungsräumen die urbane Welt für die menschliche Selbstverwirklichung im Vordergrund steht.196 Diese Erwägung kann man allerdings nicht ohne weiteres auf den Außenbereich übertragen. Im Bauplanungsrecht wird es hingegen noch schwieriger, kollidierende Verfassungsgüter konkret zu benennen.197 In der Literatur findet sich der „ketzerische“ Hinweis, dass einige Bemühungen in der Rechtsprechung und Literatur, bauplanungsrechtliche Vorschriften durch schwer fassbare Kollektivgüter verfassungsrechtlich zu legitimieren, inhaltlich noch hinter dem Kreuzberg-Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts (PrOVG) zurückblieben.198 Es bleibt jedenfalls bei nüchterner Betrachtung festzuhalten, dass eine staatliche Geschmackskontrolle in allen anderen Bereichen künstlerischer Betätigung außerhalb des Baurechts schnell auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt, während im Baurecht in jedem Einzelfall auf einfachgesetzlicher Ebene das Vorliegen einer Verunstaltung geprüft wird, ohne im Vorfeld eingehend der grundsätzlichen Frage nachzugehen, ob sich der ästhetische Landschaftsschutz überhaupt auf eine taugliche verfassungsrechtliche Eingriffsgrundlage berufen kann.199 An dieser Stelle hilft auch nicht der Hinweis weiter, dass der Staat die Befugnis besitze, aus ästhetischen Gründen Eigentumsbeschränkungen durchzuführen, da derartige, gestaltungs- und landschaftsschützende Beschränkungen seit jeher zum historischen, institutionellen Bestand des Eigentums gehören.200 Außerhalb des Baurechts neigt nämlich die Rechtsprechung dazu, jeden Zweifel über das Vorliegen von Kunst unter Hinweis auf eine offene pluralistische Gesellschaft und die Bedeutung der Kunstfreiheit für diese gar nicht erst aufkommen zu lassen, was sie im Bereich des Baurechts und der Baukunst ex aequo nicht stringent umsetzt.201 195 BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 183; für Gaudernack, S. 181 f., stellen die bauordnungsrechtlichen Vorschriften über die Stellplatzpflicht eine verfassungsmäßige Konkretisierung der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Gesundheits- und Eigentumsinteressen der Nachbarn der baulichen Anlage dar; vertiefend zur Frage der drittschützenden Wirkung der einfachgesetzlichen Verunstaltungsverbote siehe Kapitel C. I. 6. c). 196 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (614). 197 BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 184. 198 BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn.184; in diese Richtung schon Lerche, S. 300, Fn. 163. 199 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (614, 622). 200 Lerche, Werbung, S. 132. 201 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (614).

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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b) Psychisches Wohlbefinden der Bürger als Bestandteil des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG Das BVerwG202 verwies im „Arno-Breker“-Fall auf seine bisher zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot ergangene Rechtsprechung, nach dem Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dazu diene, „einen Beitrag zum allseitigen psychischen Wohlbefinden der Bürger sowie zum sozialen Frieden in der Gemeinschaft“ zu leisten,203 dem sich eine Mindermeinung in der Literatur204 anschließt. aa) Grundrecht auf Stadtgestaltung Das BVerwG lehnt sich damit argumentativ einer Mindermeinung in der Literatur an, die aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ein weitergehendes „Grundrecht auf Stadtgestaltung“ herleiten will. Dieses Grundrecht soll den Einzelnen dazu berechtigen, vom Staat die Herstellung einer gewissen baulichen Gestaltungsqualität verlangen zu können.205 Plausibler Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist, dass es dem Einzelnen in Bezug auf seine Umwelt meist nicht darum geht, vom Staat nicht in der Entfaltung seiner Grundfreiheiten gehindert zu werden, sondern darum, vom Staat diejenigen Voraussetzungen und Bedingungen zu erhalten, unter denen die Entfaltung seiner persönlichen Freiheiten überhaupt erst möglich wird.206 Ein ausgewogenes Stadtbild sei danach Teil der Selbstbestimmung des Bürgers, das seine Kommunikationsfähigkeit und seine gesamte kulturelle, soziale und wirtschaftliche Existenz fördere. Denn die ästhetisch-sinnliche Gestalt der baulichen Umgebung habe Bedeutung für die Persönlichkeitswerdung, da der Mensch durch eine verunstaltete Umgebung insoweit „fremdbestimmt“ werde, als er in einer bauästhetisch verunstalteten Umgebung keinen Anreiz finde, um sich dort weiter aufzuhalten.207 Die Fremdbestimmung beeinträchtige die individuelle Handlungsfreiheit 202

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649); anknüpfend hieran aus der aktuellen Rechtsprechung VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451. 203 BVerwG, Beschl. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138/90 = NVwZ 1991, 983. 204 Kloepfer, S. 28; Manssen, S. 179; Mayer-Tasch, S.  26; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn.  469; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 14. 205 Namgalies, S. 142 ff., S. 168 ff.; dem sich anschließend Mehlhorn, S. 9. 206 Looks, S. 121; Mick, S. 87; Rupp, JZ 1971, 401 (402); zusätzlich auf die sozialpsychische Funktion der architektonischen Stadtgestalt abstellend Looks, S. 142. Die These von der sozialpsychischen Funktion der architektonischen Gestalt der Stadt stützt sich vornehmlich auf eine Untersuchung von Lynch, der bemüht war, die Integrationsfunktion der Stadtgestalt empirisch zu belegen, siehe nur Lynch, S. 12 ff., 143 ff. 207 Mick, S. 9; Namgalies, S. 142 ff., S. 159 ff.; der Aspekt der Fremdbestimmtheit ist bei Lynch, S. 14 und Mitscherlich, S. 14, noch nicht zu finden.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

(Art. 2 Abs. 1 GG) und die Möglichkeit der Selbstverwirklichung des Menschen, Art. 1 Abs. 1 GG.208 Das Empfinden von Sicherheit, Orientierung und Identität mache in einem so verstandenen Sinne die „Heimat“ aus.209 Die ästhetische Erfahrung der gesamten Natur sei eine Begegnung des Menschen mit der Form des „guten“ Lebens, also eine „stark ethische, existentielle Erfahrung“.210 Als Leistungsgrundrecht soll das „Grundrecht auf Stadtgestaltung“ nicht nur dem ästhetisch unmittelbar beeinträchtigten Nachbarn einen Rechtsanspruch auf staatliches Handeln gewähren, sondern dehnt die subjektive Rechtsstellung auf alle Vertreter der Allgemeinheit aus, die von der Stadtgestalt betroffen sind.211 Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass Menschen Orte meiden, die sie als unwirtlich empfinden, wohl aber, dass dies nicht auf den eigenen Willensentschluss hin erfolge, sondern unbeherrschbare Folge einer die Verfügungsmacht des Menschen über sich selbst ausschließenden Einwirkung der baulichen Umwelt sei.212 Es ist außerdem nicht erkennbar, dass die Beeinflussung der menschlichen Willensentschließungsfreiheit durch die bauliche Umwelt im Vergleich zu anderen Einflüssen von herausragender Intensität wäre.213 Es existiert somit kein „Grundrecht auf Stadtgestaltung“,214 da sich kulturelle Interessen der Allgemeinheit außerdem nicht ohne weiteres als subjektive, an eine Person gebundene Rechte darstellen lassen. Des Weiteren ist nicht zu erkennen, worauf sich ein individualisierbarer Anspruch auf Stadtgestaltung konkret richten sollte.215 Es mangelt im Übrigen schon an der Gleichgerichtetheit der Interessen, da Ansprüche an die Stadtgestalt beliebig und häufig entgegengesetzt sind.216 Eine Interpretation der Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Grundrecht auf Stadtgestaltung überdehnt nach alledem den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich.217 Die Heranziehung eines solchermaßen universal weit gefassten Grundrechts zur Begrenzung vorbehaltloser Grundrechte führt schließlich zu einer Einplanierung des besonderen verfassungsrechtlichen Schutzes für vorbehaltlose Grundrechte. Die Grundrechtsschöpfung kollidiert weiterhin mit der einfachgesetzlichen Gesetzesdogmatik: Dem einzelnen Bürger kommt nämlich auf dem Gebiet der „positiven Gestaltungspflege“ weder im Bauplanungsrecht noch im Bauordnungsrecht ein Anspruch auf gestalterisches oder planerisches Tätigwerden zu. Ein Anspruch 208

Namgalies, S. 155. Lynch, S. 14, 146 f.; Mick, S. 9, 23; Mitscherlich, S. 10, 15. 210 Mauss, S. 107. 211 Namgalies, S. 95 ff. 212 Kapell, S. 212. 213 Kapell, S. 213. 214 Pischel, S. 141. 215 Kapell, S. 211; Manssen, S. 195; Mick, S. 77; ähnlich Gaudernack, S. 180. 216 Kapell, S. 212; Denecke, S. 74; Manssen, S. 195; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 217 Kapell, S. 212; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 209

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auf Bauleitplanung lässt weder das einfache Recht zu, noch lässt sich dieses vertraglich (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB) oder verfassungsrechtlich begründen. Vor diesem Hintergrund erweist sich ein einklagbarer Anspruch auf Stadtgestaltung als besonders abwegig. Das staatsaufsichtliche Handeln liegt schließlich ausschließlich im öffentlichen Interesse.218 bb) Körperliche Unversehrtheit im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG Soweit das BVerwG der Ansicht ist, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dazu diene, „einen Beitrag zum allseitigen psychischen Wohlbefinden der Bürger“ zu leisten, kann es nur das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG) meinen, da weder das Leben noch die Freiheit der Person in Rede stehen.219 Das BVerwG220 interpretiert dabei den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) als gesetzliche Konkretisierung einer allgemeinen Staatsaufgabe, ohne einen derartigen Schutzauftrag unmittelbar aus der Verfassung zu entnehmen.221 Der bauordnungsrechtlichen Fragestellung – auf die das BVerwG in seiner Entscheidung über die Breker’schen Monumentalfiguren Bezug nahm – lag das Ansinnen des BVerwG zugrunde, den Wirkbereich vorhandener baulicher Anlagen mit besonders erhaltenswerter äußerer Gestalt vor störenden Einwirkungen durch andere hinzutretende bauliche Anlagen zu schützen.222 Konkret ging es darum, dass der Kläger auf seinem Grundstück ein Flachdachgebäude mit einer Metall-GlasFassade neben einer in der Gründerzeit erbauten historisierenden Villa errichten wollte, die bis unmittelbar an die Grundstücksgrenze herangebaut war. Das BVerwG stellte heraus, dass besonders schützenswerte Nachbargebäude ebenfalls über den Gewährleistungsbereich der Kunstfreiheit Schutz genießen, damit ihre künstlerische Aussage weiterhin möglichst wirkungsvoll zur Geltung kommen kann.223 Das BVerwG versagte dem Kläger die Berufung auf die Kunstfreiheit. Denn sein Vorhaben habe sich unter anderem nicht hinsichtlich Form und Deckungsmaterial

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Müller, K., S. 99. Kloepfer, S. 27 f.; Schütz, JuS 1995, 498 (501, Fn. 48). 220 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. 221 Vesting, NJW 1996, 1111 (1112). 222 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 223 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); zum Schutze eines Einzeldenkmals vor einer benachbarten, bunt gestalteten Gebäudefassade führt hieran anknüpfend das VG Berlin aus, dass der Schutz widerstreitender Rechtsgüter mit Verfassungsrang (hier unter anderem die Kunstfreiheit des Denkmaleigentümers, die Denkmalpflege als Staatsaufgabe sowie das kommunale Recht zur Verunstaltungsabwehr im Rahmen der Ortsbildpflege) eine Beschränkung der Kunstfreiheit des Bauherrn gebieten können, wenn von der Kunstfreiheit ebenfalls geschützte Denkmale durch verunstaltende Baukunst beeinträchtigt werden, VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451. 219

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

an die Bebauung in der näheren Umgebung angepasst. Ziel des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbots sei es, „allgemein Verunstaltungen des Orts- und Landschaftsbildes durch bauliche Anlagen abzuwehren, um Unlustgefühle hervorrufende krasse Gegensätze und Widersprüche im Erscheinungsbild bebauter Gebiete“ innerhalb der Bevölkerung abzuwehren.224 Das BVerwG stellte dabei auf den im Bauordnungsrecht bereits entwickelten Definitionsansatz zum Verunstaltungsbegriff ab, nach dem Unlustgefühle „bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für gestalterische Eindrücke offenen Teil der Betrachter“ entstehen müssten, um zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes zu führen. Es ist eine Überlegung wert, dass bei der Auslegung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG) auch die Wertentscheidung des Art. 20a GG zu berücksichtigen ist, nach der der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und Rechtsprechung schützt. Die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG stellt eine verfassungsrechtliche Wertentscheidung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen dar. Diese Vorschrift ist auch bei der Auslegung und Interpretation anderer Verfassungsbestimmungen und einfachgesetzlicher Vorschriften zu beachten.225 Soweit man von einem weiten Begriffsverständnis der natürlichen Lebensgrundlagen ausginge und die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen vom weiten Umweltbegriff mitumfasst ansähe, um einen möglichst effektiven Schutz zu ermöglichen, dann könnte die Einbeziehung dieser Wertentscheidung des Art. 20a GG grundrechtserweiternd wirken, soweit es um den Schutzbereich von Grundrechten – wie das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG) – solcher Personen ginge, die durch eine Beeinträchtigung der natürlichen Lebensgrundlagen in ihren Grundrechten belastet sind.226 Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG würde damit die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen umfassend schützen und Art. 20a GG wäre insofern im Zusammenhang mit dieser grundgesetzlichen Vorschrift zu sehen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG nach heutigem Verständnis nicht nur ein Abwehrrecht gegen staatliche Maßnahmen enthält, die Leben oder körperliche Unversehrtheit beeinträchtigen bzw. hierzu geeignet sein könnten, sondern – als objektive Grundrechtsseite – auch die Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen; d. h. vor allem, das Leben auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren.227

224

BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 91. 226 Bernsdorff, NuR 1997, 328 (330); Kloepfer, DVBl. 1996, 71 (74); M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 91; Uhle, JuS 1996, 96 (101). 227 BVerfGE 39, 1 (42); 45, 187 (254 f.); 46, 160 (164). 225

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

255

Das BVerwG zog im „Arno-Breker“-Fall228 für das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) eine Parallele zu seiner zum Bauordnungsrecht ergangenen Rechtsprechung. Obwohl das bauplanungsrechtliche und die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote unterschiedliche Schutzrichtungen hätten, sei ihre allgemeine Zielrichtung insofern gleich, als sie einen unzumutbaren Anblick für einen nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für ästhetische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter unterbinden wollen, ganz unabhängig davon, ob die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote Anforderungen an die bauliche Anlage und ihre unmittelbare Umgebung stellen und das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot das Vorhaben und seine optische Wirkung auf die weitere Umgebung unabhängig von seiner Baugestaltung in den Blick nehme.229 Die herrschende Meinung in der Literatur230 teilt die Auffassung des BVerwG231 nicht, dass es zu den staatlichen Aufgaben gehöre, „einen Beitrag zum allgemeinen psychischen Wohlbefinden der Bürger sowie zum sozialen Frieden in der Gemeinschaft“ zu leisten. Das Grundgesetz schütze gerade nicht einen „gewissen Bestand an grundlegenden bauästhetischen Ordnungsvorstellungen“. Eine natürliche Grenze des allgemeinen guten Geschmacks falle zurück in ein idealistisch-ästhetisierendes Kunstverständnis, widerspreche damit der Offenheit des modernen Kunstbegriffs und verkenne, dass Gemeinschaftsbelange nur dann die Kunstfreiheit einschränken können, wenn sie ihr als prinzipiell gleichrangige Verfassungsgüter entgegen treten.232 Die Kritik an der Auffassung des BVerwG geht in zwei Richtungen: Einerseits lassen sich weder bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbote noch das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführte bauplanungsrechtliche Verunstaltungs­verbot auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG) zurückführen.233 Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit beinhaltet andererseits auch dann keinen allgemeinen Staatsauftrag, den Einzelnen vor jedweden psychischem Unwohlgefühl zu bewahren, wenn man unterstellt, dass sich das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG zurückführen ließe.234

228

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 230 BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 184; Calliess, S. 303; Denecke, S. 74 f.; Dolderer, BauR 1999, 691 (692); HdB-GrundR / Fink, § 88, Rn. 34; HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89; HdB-StaatsR / Müller-Terpitz, § 147, Rn. 44; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Heckmann, JZ 1996, 880 (885); Hufen, § 13, Rn.  4; J / P/Jarass, Art. 2, Rn. 83; Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (229); Misera-Lang, S. 346; Müller, K., S. 100; Pischel, S. 141; Schneider, S. 105 ff.; Steiger, S. 34; Vesting, NJW 1996, 1111 (1113); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 231 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 232 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (618). 233 Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (229); Schütz, JuS 1996, 498 (502). 234 HdB-StaatsR /von Arnauld, § 167, Rn. 78; Schütz, JuS 1996, 498 (502); Steiger, S. 34. 229

256

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Hinsichtlich des zuletzt genannten Gesichtspunktes ist anzumerken, dass sich zwar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG Schutzpflichten für den Staat ergeben, soweit spezifische Gefahren für Leib und Leben seiner Bürger vorliegen.235 Das Grundverständnis eines modernen demokratischen Staates lässt sich weiterhin als verfassungsrechtlich legitimierte Friedens- und Ordnungsmacht umschreiben, dessen Rechtfertigung sich auf das Vorhandensein von Freiheitsrechten zurückführen lässt.236 Eine Mindermeinung237 in der Literatur will daraus schließen, dass der Staat als verfasste Friedens- und Ordnungsmacht grundsätzlich das psychische Wohlbefinden seiner Bürger und allgemein den sozialen Frieden in der Gesellschaft schütze. Richtig hieran dürfte wohl insoweit sein, dass sich der Aufgabenbereich des Staates auch auf Reglementierungen im öffentlichen Bereich erstreckt, da ein geordnetes Zusammenleben schließlich eines übergeordneten Ganzen, das Grenzen zieht, um die öffentliche Ordnung zu wahren, bedarf. Eine gewisse Verantwortlichkeit des Staates für das Wohlbefinden seiner Bürger dürfte daher nicht von der Hand zu weisen sein.238 Es kann dem BVerwG allerdings nicht darin gefolgt werden, soweit es eine Schutzpflicht des Staates unterstellte, um einen allgemeinen Schutzauftrag für das allgemeine Wohlbefinden seiner Bürger zu konstruieren. Es ließen sich unzählige Grundrechtskollisionen im Sinne eines „uferlosen“ Eingriffstitels mit diesem universellen Schutzauftrag auflösen.239 Der Bürger könnte seinerseits unter Berufung auf sein gestörtes ästhetisches Empfinden aller staatlichen Gewalt die Maßstabsnorm des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG entgegenhalten.240 Es lösen sich sowohl die tatbestandlichen Konturen des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als auch die rechtlichen Grenzen staatlicher Schutzpflichten für Grundrechte durch eine solche Auslegung auf.241 Denn die Entscheidung des BVerwG verleitet zu der generalisierenden Annahme, dass alle gesetzlichen Regelungen, die einen hinreichenden Bezug zum Schutz des allgemeinen – auch optisch-ästhetischen – Wohlbefindens der Bürger oder zum Schutz der Umwelt aufweisen, durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG oder Art. 20a GG im Nachhinein verfassungsrechtlich überwölbt werden mit der Folge, dass sie mittelbar zu einer Erweiterung verfassungsimma-

235 BVerfG, Beschl. v. 14. 01. 1981 – 1 BvR 612/72 = BVerfGE 56, 54 (73 ff.); Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 236 BVerfG, Beschl. v.  01. 08. 1978  – 2 BvR 1013/77, 2 BvR 1019/77, 2 BvR 1034/77  = BVerfGE 49, 24 (56 f.) = NJW 1978, 2235 (2237); BVerwG, Urt. v. 07. 10. 1975 – 1 C 46/69 = BVerwGE 49, 202 (209) = NJW 1976, 490 (492). 237 Würkner, DÖV 1992, 150 (152); ders., S. 170. 238 Müller, K., S. 100. 239 Dirnberger, S. 267; Heckmann, JZ 1996, 880 (885); Kamp, S. 89; Kapell, S. 205 f.; Müller, K., S. 101; Pischel, S. 141; Sachs, JuS 2016, 952 (953); Schmidt, JZ 1997, 1042 (1043); Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 240 Misera-Lang, S. 346; Schütz, JuS 1996, 498 (502). 241 Der Staat entwickelt sich damit zu einem „Wohlfahrtsstaat absolutistischer Prägung“ zurück, Misera-Lang, S. 346.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

257

nenter Grundrechtsschranken führen.242 Das BVerfG stellte in Hinblick auf die schrankenlos gewährleistete Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) fest, dass das Pietätsgefühl der Allgemeinheit mangels hinreichender verfassungsrechtlicher Abstützung keinen Gemeinschaftswert von Verfassungsrang darstelle und damit nicht der Glaubensfreiheit entgegen gehalten werden könne.243 Das BVerfG zeigte damit Grenzen auf, aus dem Verfassungsrecht mehr oder weniger beliebig angeblich geschützte Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang als Grundlage für Grundrechtsbeschränkungen herzuleiten.244 Der verfassungsrechtliche Gesundheitsbegriff wurde allerdings in der Vergangenheit zunehmend extensiv interpretiert und auf den „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ bezogen und nicht nur auf das Freisein von Krankheiten und Gebrechen beschränkt.245 Außerdem wurde in der Literatur erwogen, für die Erholung in der Natur den weiter gefassten Art. 2 Abs. 1 GG heranzuziehen.246 Ein Verständnis von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dahingehend, aus ihm einen allgemeinen Schutzauftrag des Staates für das allgemeine – auch für das optisch-ästhetische – Wohlbefinden seiner Bürger herauszulesen, ist allerdings viel zu subjektiv und kaum einzugrenzen, gerade wenn es sich um subjektive Wahrnehmungen des Einzelnen handelt.247 Vielmehr arbeitete bereits das PrOVG heraus, dass es nicht Aufgabe des Staates auf dem Gebiet des Baurechts sein kann, baupolizeilich tätig zu werden und Gefahrenabwehr hinsichtlich baukünstlerischer Verunstaltungen zu betreiben, nur um die Öffentlichkeit vor jeglichem ästhetischen Unwohlsein zu schützen.248 Der Staat muss sich daher grundsätzlich nicht um der Unlustgefühle von Bürgern willen der Gefahrenabwehr baukünstlerischer Verunstaltungen annehmen. Die Schlussfolgerung aus dem Urteil des PrOVG lautet, dass der Kunst und Kultur fördernde Staat sich nicht zu einem „Kunstrichter“ generieren darf, sodass jegliche Freiheitsbeschränkung im Bereich der Baukultur nur sehr zurückhaltend und unter sorgfältiger Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf.249 Das Gericht wies daher darauf hin, dass eine Versagung einer Genehmigung in Hinblick auf eine „Verunstaltung“ als Baubeschränkung des Eigentümers gesehen werden müsse. Es könne in das Eigentumsrecht nicht mit dem Ziel eingegriffen werden, nur eine Förderung des allgemeinen Wohls zu erreichen. Eine Beschränkung des Eigentumsrechts ergebe sich jedenfalls unter Umständen aus der Erhaltung der Ruhe, Sicherheit und Ordnung zur Abwendung einer Gefahr.250 242 Schmidt, JZ 1997, 1042 (1043); ausführlich zur nachträglichen Kompetenzzuweisung siehe Fn. 1517. 243 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1807). 244 Sachs, JuS 2016, 952 (953). 245 Benda, UPR 1982, 241 (242); Rehbinder, ZRP 1970, 250 (252); Rupp, JZ 1971, 401 (402). 246 H / S/Heselhaus, Kap. 1, Rn. 74. 247 Gaudernack, S. 177 f.; Hufen, § 13, Rn. 4; Müller, K., S. 98. 248 PrOVG, Urt. v. 14. 06. 1882, Rep. II B. 23/82 = PrOVGE 9, 353 (381 f.) – Kreuzberg-Urteil. 249 Würkner, DÖV 1992, 150 (153); ders., S. 170. 250 PrOVG, Urt. v. 14. 06. 1882, Rep. II B. 23/82 = PrOVGE 9, 353 (381 f.) – Kreuzberg-Urteil.

258

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Dem in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführten Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes liegt daher nicht das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zugrunde. Denn bei Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG steht der Schutz der menschlichen Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne im Mittelpunkt.251 Der Wortlaut der Vorschrift („körperliche“ Unversehrtheit) bezieht sich nämlich recht eindeutig auf somatische Beeinträchtigungen.252 Unter dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit fällt nicht nur die Freiheit von physischen, sondern auch von psychischen Beeinträchtigungen, die sich irgendwie in einem Krankheitszustand äußern müssen.253 Der Wortlaut wirkt insoweit begrenzend, als dass er auf die „körperliche“ Unversehrtheit abstellt, was jedenfalls psychische Beeinträchtigungen voraussetzt, die eine den körperlichen Schmerzen vergleichbare Wirkung entfalten.254 Die jüngere Rechtsprechung des BVerfG geht dahin, die Eingriffsschwelle relativ tief anzusetzen und in dem Bereich niedriger Beeinträchtigungen dem Grundrecht aber lediglich eine Pflicht zur Berücksichtigung jener Auswirkungen zu entnehmen.255 Das BVerfG hat gleichwohl offengelassen, ob auch das bloße Wohlbefinden erfasst wird.256 Als Abgrenzungskriterium zwischen dem bloßen Unwohlsein, d. h. Empfindlichkeitsstörungen, gegen deren Verursachung Art. 2 Abs. 2 GG nicht herangezogen werden kann, und psychischer Krankheit ist die mit körperlichen Schmerzen vergleichbare psychosomatische Wirkung anerkannt.257 Ein Mindestbestand an Naturgenuss bzw. Erholung in der freien Natur ist in diesem eng begrenzten Verständnis gewährleistet.258 Die Einwirkungen auf die Psyche müssen sich jedenfalls irgendwie körperlich auswirken können, sodass der restriktive Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG nahelegt, dass andere Auswirkungen durch andere Grundrechte geschützt werden sollen.259 In Anlehnung an den Gesundheitsbegriff der 251

Burgi, S. 216; Denecke, S. 74; Kamp, S. 88; Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (229); Müller, K., S. 100; Murswiek, JuS 1995, 1131 (1132); Schneider, S. 105; Schütz, JuS 1996, 498 (502); Sodan / Sodan, Art. 2, Rn. 22; Steiger, S. 33 f. 252 Dirnberger, S. 266. 253 BVerfG, Beschl. v. 14. 01. 1981 – 1 BvR 612/72 = BVerfGE 56, 54 (73 ff.); Dirnberger, S. 268; Gaudernack, S. 177; HdB-GrundR / Fink, § 88, Rn. 35; HdB-StaatsR / Müller-Terpitz, § 147, Rn. 44; Heckmann, JZ 1996, 880 (885); Hermes, S.  223; H / S/Heselhaus, Kap. 1, Rn. 73, 75; J / P/Jarass, Art. 2, Rn. 83; Kamp, S. 89; Kapell, S. 206; Müller, K., S. 100; Murswiek, JuS 1995, 1131 (1132); Schneider, S. 105; Steiger, S. 34; Vesting, NJW 1996, 1111 (1113); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290). 254 Burgi, S. 216; Calliess, S. 304; Denecke, S. 74 f.; Dirnberger, S. 268; HdB-GrundR / Fink, § 88, Rn. 35; HdB-StaatsR / Müller-Terpitz, § 147, Rn. 44; Hermes, S.  224 f.; H / W/Antoni, Art. 2, Rn.  12; J / P/Jarass, Art. 2, Rn. 83; Kamp, S. 89; Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (229); Pischel, S. 142; Schütz, JuS 1996, 498 (502); Sodan / Sodan, Art. 2, Rn. 22; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 255 H / S/Heselhaus, Kap. 1, Rn. 73 mit einem Verweis auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 29. 07. 2009 – 1 BvR 1606/08. 256 BVerfG, Beschl. v. 14. 01. 1981 – 1 BvR 612/72 = BVerfGE 56, 54 (74 ff.). 257 Calliess, S. 304; Gaudernack, S. 177; Kapell, S. 206; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290). 258 Calliess, S. 304; Dirnberger, S. 269. 259 Kapell, S. 210; Sachs / Murswiek, Art. 2, Rn. 149; Schneider, S. 105.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

259

WHO werden denmnach weder das bloße, das soziale, noch das ästhetische Wohlbefinden von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt.260 Mit körperlichen Schmerzen vergleichbare psychische Beeinträchtigungen oder psychosomatische Störungen sind vielmehr als Folge von auf den Nachbarn abzielenden und diesen diffamierenden Gestaltungen denkbar.261 Da diese Beeinträchtigungen in ihrem Kern jedoch nicht auf ästhetischen Gründen beruhen, können derartige Kunstwerke im jeweiligen Einzelfall zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG) oder zum Schutz des Persönlichkeitsrechtes des Nachbarn (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) unterbunden werden.262 Die historische Betrachtung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit verdeutlicht ebenso, dass die Stoßrichtung dieser Vorschrift eine ganz andere ist als die der ästhetischen Verunstaltungsabwehr: Die Aufnahme des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG in das Grundgesetz erfolgte, um gegenüber den Gräueltaten des Nationalsozialismus ein Zeichen der Freiheitlichkeit zu setzen.263 Die weite Definition des Gesundheitsbegriffs der WHO war nämlich beim Entstehen des Grundgesetzes bereits bekannt; der Parlamentarische Rat wählte trotzdem statt des Begriffs der Gesundheit den der körperlichen Unversehrtheit, sodass man von einer bewussten Abgrenzung gegenüber dem weiten Verständnis der WHO ausgehen muss.264 In Anbetracht dieses historischen Befundes wird besonders deutlich, dass der Anblick baulicher Extravaganzen weiterhin zum allgemeinen Lebensrisiko eines jeden Bürgers zählt.265 cc) Ästhetische Beeinträchtigungen als Verletzung der körperlichen Unversehrtheit Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, wie eine in ihrer Gestalt defekte Wohnumwelt oder gar nur ein lediglich abstoßendes Bauwerk im Außenbereich Ursache von psychischen Erkrankungen und Sozialisationsstörungen sein soll.266 Im Normal 260

Burgi, S. 216; Calliess, S. 303; Dirnberger, S. 266; Dolderer, BauR 1999, 691 (692); Gaudernack, S. 177; HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89; HdB-StaatsR / Müller-Terpitz, § 147, Rn. 44; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Hermes, S.  223; J / P/Jarass, Art. 2, Rn. 83; Steiger, S. 34; Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 261 AG Grünstadt, Urt. v. 11. 02. 1994 = NJW 1995, 889 – „Frustzwerge in Nachbars Garten“; VGH BW, Urt. v.  25. 11. 1982 = BRS 39 Nr. 144 – Barrikadenzaun; AG Münster, Urt. v. 10. 05. 1983 = NJW 1983, 2886 – zielgerichtete Lagerung von Müll auf der dem Nachbargrundstück zugewandten Seite des Zaunes; LG Limburg, Urt. v. 19. 02. 1986 = NJW-RR 1987, 81 – zielgerichtete sittenwidrige Schädigung des Nachbarn durch Errichtung eines Galgens mit einer hängenden Puppe. 262 Kapell, S. 209. 263 Dirnberger, S.  267; M / D/Di Fabio, Art. 2, Rn. 55; Müller, K., S. 101; Steiger, S. 34. 264 Dirnberger, S. 266; Steiger, S. 34. 265 Müller, K., S. 101; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 266 Denecke, S. 74; Kamp, S. 89; Kapell, S. 207, 210; Pischel, S. 142; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290); dasselbe gilt für den Anblick einer als unästhetisch empfundenen Kultstätte, Gaudernack, S. 178; bejahend: Mayer-Tasch, S. 25; Mick, S. 93 f.

260

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

fall wird auch ein Eingriff in die natürliche Schönheit von Natur und Landschaft keinerlei Auswirkungen auf die Gesundheit des Einzelnen haben und daher auch nicht den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berühren.267 Es wird allerdings von Vertretern der Gestaltpsychologie als auch von Vertretern der Tiefenpsychologie immer wieder mit Nachdruck auf die individual- und sozialpsychologische Relevanz nicht nur der von der Natur, sondern auch der vom Menschen geschaffenen Umwelt hingewiesen. Die vom Menschen geschaffene Umwelt erscheine in dieser Hinsicht nicht nur als ein unverzichtbares Mittel zur Befriedigung der physischen Lebensbedürfnisse, sondern zugleich auch als unverzichtbares Medium der individuellen Bewusstseins- und Charakterbildung.268 Eine klar strukturierte architektonische Umwelt wird zugegebenermaßen von den Menschen als seelischer Ruhe- und Bezugspunkt erlebt. Eine solche Umwelt kann zu einer affektiven Anteilnahme an dieser Umwelt, zur Intensivierung des Lebensgefühls und zu einer erhöhten sozialen Kontaktbereitschaft führen.269 Ebenso richtig ist es, dass eine schlecht strukturierte architektonische Umwelt jedoch zu einer inneren Abkehr von dieser Umwelt, zu Unsicherheit, Kontaktarmut und unfruchtbaren Introversionen jeglicher Art führen kann.270 Eine baukulturelle Verunstaltung kann den Menschen allenfalls in seinem geistig-seelischen Bereich nervlich belasten.271 Die sinnliche Wahrnehmung der Natur und der ästhetische Genuss vereinen sich schließlich mit dem physischen Wohlbefinden und bilden als Gesamtheit das, was man als Erholung bezeichnen kann. Der Mensch verkümmert in einem so verstandenen Sinne ohne Natur körperlich, aber zunächst und zuvörderst psychisch.272 Ein die Umgebung verunstaltendes Vorhaben im Außenbereich, das so verabscheuungswürdig ist, dass seine Betrachtung schmerzensähnliche Zustände verursacht, ist hingegen nicht vorstellbar.273 Es ist insoweit richtig, dass der Schutz der Gesundheit auch Langzeitauswirkungen einbezieht und damit die grundsätzliche Möglichkeit einer Erholung, die zur Regeneration erforderlich ist, schützt.274 Sieht man hingegen auch eine gute Baukultur als Verfassungsgut an, müsste dies für eine Vielzahl von Lebenssituationen in gleicher Weise Geltung beanspruchen: So müsste der Staat etwa seine Bürger ebenfalls vor einer schlechten Fernsehprogrammauswahl mit unsittlichen Programmen schützen, damit seine Bürger nicht mit ihnen konfrontiert werden und keine potentielle Gefahr für die Entstehung von Sozialisationsstörungen besteht. Jeder 267

Dirnberger, S. 269. Mayer-Tasch, S. 23 f. m. w. N.; Mitscherlich, S. 9 ff., 14. 269 Kapell, S. 204 f.; Mayer-Tasch, S. 24 f.; bereits Schultzenstein, DJZ 1902, 468 (470), betonte den Wert einer landschaftlichen Schönheit für eine treffliche Erholung für Körper und Geist, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass diese Wirkung nicht überschätzt werden dürfe. 270 Mayer-Tasch, S. 24 f. m. w. N.; Mitscherlich, S. 13. 271 Kamp, S. 89; Kapell, S. 210; Steiger, S. 34. 272 Burgi, S. 217; Dirnberger, S. 299. 273 Kapell, S. 210; Denecke, S. 75. 274 H / S/Heselhaus, Kap. 1, Rn. 74. 268

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Mensch nimmt im Übrigen seine architektonische Umwelt unterschiedlich wahr. Für den Einzelnen können sogar gesellschaftliche Phänomene wie das Video- und Musikstreaming sowie Computerspiele eine viel größere Bedeutung erlangen als seine architektonische Umgebung. Es bliebe gleichzeitig im Einzelnen unklar, welche Tatbestände das psychische Wohlbefinden beeinträchtigen, da die Befindlichkeiten von Mensch zu Mensch nicht nur graduell unterschiedlich sind.275 Die Frage der baulichen Ästhetik ist überwiegend eine Frage subjektiven Geschmacks, dessen Spektrum gerade in diesem Bereich sehr breit ist.276 Dies soll verdeutlichen, dass eine „schlechte“ oder hässliche Baukultur oder ein „heruntergekommener“ Zustand eines Straßen- oder Ortsbildes nicht als Ursache der sozialen Frage in der Gesellschaft gesehen werden kann. Vielmehr spiegelt sich in der Baukultur einer Gesellschaft unter anderem deren innere Verfassung, Selbstverständnis, Wohlstand und der Zeitgeist jener Epoche wider. Ausgehend vom Begriff der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB), der einen nicht unbeträchtlichen Teil der Betrachter vor einem in ästhetischer Hinsicht unlusterregenden Bauwerk schützen soll, ist Schutzgut der Norm die Vermeidung ästhetischer Unlustgefühle und der Schutz vor rein psychischen Beeinträchtigungen. Ästhetische Unlustgefühle aufgrund von krassen Gegensätzen und Widersprüchen im Erscheinungsbild des Orts- und Landschaftsbildes können aber nicht eine Intensität erreichen, die ähnlich wie Lärmimmissionen mit denen eines körperlich wirkenden Schmerzes vergleichbar sind.277 Bauästhetische Beeinträchtigungen können genauso wenig zu einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) führen. Es mangelt dem Streben nach einer „menschenwürdigen Umwelt“ im Interesse eines geregelten Städtebaus als Gemeinwohlbelang an einer hinreichend greif­baren verfassungsrechtlichen Grundlage, sodass aus ihm keine verfassungsrechtlichen Schutzansprüche abgeleitet werden können.278 Es ist nicht Aufgabe des Staates, jeden Einzelnen vor einem allgemeinen Unwohlgefühl im Leben zu bewahren.279 Der Gewöhnungseffekt ist schließlich nicht 275

Denecke, S. 74; Kapell, S. 206. Denecke, S. 74; Dirnberger, S. 267. 277 Gaudernack, S. 177; HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (229); Schütz, JuS 1996, 498 (502); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290); daher können sich Nachbarn einer geplanten muslimischen oder sonstigen Kultstätte zur Abwehr gegen Beeinträchtigungen durch zusätzlichen Straßenverkehr oder Lärmimmissionen auf das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit berufen, das als Grundrecht der betroffenen Nachbarn eine zulässige Schranke der in Art. 4 Abs. 1, 2 GG gewährleisteten Glaubensfreiheit darstellt. Im Gegensatz zu den aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG resultierenden Schutzinteressen können sich auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG sämtliche Nachbarn, mithin auch die nur obligatorisch berechtigten Mieter und Pächter, berufen, vgl. Gaudernack, S. 176, 178. 278 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 279 Schütz, JuS 1996, 498 (502). 276

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

zu unterschätzen. Wird ein neuer Eindruck noch bewusst wahrgenommen und eventuell als hässlich empfunden, nimmt man schon bald den Reiz nicht einmal mehr wahr.280 Die Gewöhnungsbedürftigkeit eines Anblicks gehört vielmehr zu den täglichen und unvermeidbaren Erfahrungen eines jeden Menschen. Dies gilt selbst dann, wenn von einem Bauvorhaben für die überwiegende Mehrheit der Betrachter eine optisch abstoßende Wirkung ausgehen sollte.281 Selbst die negative Kunstzugangsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist nicht durch den Anblick eines verunstalteten Orts- oder Landschaftsbildes betroffen, die den Einzelnen schützen soll, nicht zur Kunstkonsumption gezwungen zu werden. Denn ein faktischer Zwang zur Wahrnehmung eines Bauwerks stellt unter normalen Umständen allein keinen Grundrechtseingriff dar. Optischen Reizen kann regelmäßig leicht durch bloßes Wegschauen ausgewichen werden.282 Eine besonders auffallende äußere Gestaltung kann keine andere Beurteilung nahelegen, denn eine über die erste Kontaktaufnahme hinausgehende Aufmerksamkeit kann auch nicht durch eine auffallende Gestaltung eines Bauwerks erzwungen werden, da auch hier der Passant seinen Blick von dem ihm unangenehmen Bauwerk abwenden oder einen anderen Weg nehmen kann.283 Eine umfassende Einbeziehung des psychischen Wohlbefindens in den Schutzbereich des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit würde ansonsten dessen Konturen auflösen und zu einem beliebig einsetzbaren Abwehrrecht werden, weil letztlich jede hoheitliche Belastung des Bürgers geeignet ist, bei ihm ein Unwohlbehagen auszulösen.284 Ein spezifischer Schutzauftrag des Staates, den Einzelnen vor relevanten Gesundheitsbeeinträchtigungen von Seiten Dritter zu schützen, kann nicht einfach in einen Schutzauftrag erweitert werden, den Einzelnen vor optischen Disharmonien im Orts- und Landschaftsbild zu schützen.285 Da selbst im Strafrecht das körperliche Wohlbefinden durch die Hinzufügung von ein paar blauen Flecken noch nicht erheblich beeinträchtigt wird, kann im Verfassungsrecht nicht bereits die Errichtung eines verunstaltenden Bauwerks schmerzensähnliche Zustände verursachen.286 Es käme ansonsten allen menschlichen Bedürfnissen über ein solches „Wohlfühl“-Grundrecht Verfassungsrang zu, sodass letztlich auch der besondere verfassungsrechtliche Schutz für vorbehaltlose Grundrechte obsolet würde.287 Die Literatur weist im Zusammenhang mit den aufgezeigten Überlegungen darauf hin, dass die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung dazu neigt, grundrechtliche Schutzbereiche zu weit auszudehnen, um anschließend mithilfe aufwendiger 280

Kapell, S. 208. Gaudernack, S. 178; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 282 Kapell, S. 202; ausführlich zur negativen Kunstzugangsfreiheit dies., S. 198 ff., und zum Parallelproblem der negativen Glaubensfreiheit als Abwehrrecht Gaudernack, S. 194 ff. 283 Kapell, S. 202 m. w. N. 284 Kamp, S. 89; Kapell, S. 205; Schütz, JuS 1996, 498 (502). 285 Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 286 Denecke, S. 75; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 287 Kapell, S. 206. 281

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Schrankenkollisionen das weit interpretierte Grundrecht wiederum auf ein Maß zurückzunehmen, das den Anforderungen in der Praxis gerecht wird. Dies dürfte auch die Konsequenz der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sein, die den Schutzbereich der Kunstfreiheit im Zweifel weit auslegt und damit unter Umgehung der begrifflichen Definitionsproblematik der Kunst rechtspragmatisch die Fragen der konkreten, rechtlichen Freiheitsbestimmung über eine umfassende und sorgfältige Abwägung mit widerstreitenden Interessen lösen will.288 Es sollten trotzdem nicht alle Bereiche des Verwaltungsrechts vorschnell mit Grundrechtskollisionen aufgeladen werden, soweit kein Anlass besteht.289 So entgeht man der Gefahr, auf komplizierte und nicht tragfähige Erwägungen auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs ausweichen zu müssen oder gar wie im vorliegenden Falle beiläufig einen uferlosen Eingriffstitel zur Einschränkung von Freiheitsrechten zu schaffen.290 Soweit vorbehaltlosen Grundrechten wie der Kunst- und Glaubensfreiheit unter Rückgriff auf kaum hinreichend konkretes, kollidierendes Verfassungsrecht großzügig Schranken gezogen werden, entfernt sich die Rechtsprechung immer weiter von dem Versprechen der vorbehaltlosen Freiheitsrechte, dem Bürger in bestimmten Bereichen absolute Freiheit einzuräumen.291 In der Gesamtbetrachtung erscheint es daher überzeugend, kein allgemeines Grundrecht auf Leben in einer gesunden Umwelt im Sinne eines allgemeinen „Wohlfühlgrundrechtes“ anzuerkennen, sondern an den spezifischen grundrechtlichen Verbürgungen anzusetzen und diese in Hinblick auf Umweltbelange vorsichtig auszubauen.292 c) Sozialer Frieden in der Gemeinschaft als verfassungsrechtliches Schutzgut Das BVerwG hat in den bereits angesprochenen Entscheidungen aus den Jahren 1991 und 1995 neben dem psychischen Wohlbefinden den „sozialen Frieden in der Gemeinschaft“ als verfassungsrechtliches Schutzgut herangezogen, um bauästhetische Beschränkungen auf dem Gebiet des Baurechts zu rechtfertigen. Es dürfte sich hierbei um eine vornehmlich aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) resultierende integrative Staatsaufgabe der gerechten Gestaltung pluraler Interessen handeln.293 Damit ist die Verpflichtung des Gesetzgebers gemeint, für einen 288

Mißling, S. 62 f. Lenz / Leydecker, DÖV 2005, 841 (841); Lerche, S. 300, Fn. 163; Vesting, NJW 1996, 1111 (1114). 290 Schmidt, NuR 1997, 1042 (1043); Vesting, NJW 1996, 1111 (1114). 291 Lenz / Leydecker, DÖV 2005, 841 (841); Lerche, S. 300, Fn. 163. 292 H / S/Heselhaus, Kap. 1, Rn. 97. 293 Denecke, S. 72; Kamp, S. 89; Kapell, S. 239; Looks, S. 120 ff.; Manssen, DV 1991, 33 (45); Müller, K., S. 101 f.; Parchmann, S. 22 f.; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 289

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Ausgleich der sozialen Gegensätze zu sorgen.294 Eine von Konsens und Akzeptanz geprägte gesellschaftliche Gesamtsituation soll geschaffen werden. Die pluralen Interessen, die hierbei gestaltet werden sollen, sind die Bau(gestaltungs)freiheit des Bauherrn und die Interessen der durch die optische Wirkung des Bauwerks betroffenen Betrachter. Die gesellschaftliche Situation, die durch Konsens und Akzeptanz geprägt sein soll, ist die Gestaltung des Orts- oder Landschaftsbildes durch das jeweilige Vorhaben.295 Die Herleitung eines Schutzauftrages des Staates zum sozialen Frieden in der Gemeinschaft ist jedenfalls nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Denn die Baukunst spielt sich als besondere Kunstform in der Öffentlichkeit ab und konfrontiert die Gemeinschaft mit dem Werk unumgänglich.296 Architektur ist eine klassische Kunstgattung, die sich im Gegensatz zu anderen Kunstgattungen als Werk der Baukunst nicht in isolierter Individualität wie die Dichtkunst oder die Malerei erschöpft oder für herkömmliche Aufführungen geschaffen und aufgeführt wird, sondern stets ein gegebenes Landschafts- oder Stadtbild vorfindet, in der sie sich einfügen muss – was auch entsprechende Konsequenzen auf die Umwelt und die Menschen haben kann, die sich des geschaffenen architektonischen Eindrucks nicht entziehen können.297 Looks leitete daran anknüpfend aus dem Sozialstaatsprinzip eine Legitimierung des Baurechts gegenüber der Kunstfreiheit her. Diesem Ansatz liegt – ähnlich wie bei dem „Grundrecht auf Stadtgestaltung“ – die Annahme einer sozialpsychischen Funktion der Architektur zugrunde. Baukunst sei die Grundlage für den Aufbau der psychischen Sozialstrukturen.298 Bauherr der Städte sei die Gesellschaft selbst. Da die Gesellschaft als solche aber nicht zu einer gestalterischen Ordnung der baulichen Umgebung in der Lage sei, sei der Staat verpflichtet, für ein positives architektonisch-landschaftliches Gesamtbild zu sorgen.299 Dieser Ansatz ist jedoch aus den bereits zum „Grundrecht auf Stadtgestaltung“ gemachten Ausführungen hinsichtlich der mangelnden Gleichgerichtetheit der Interessen und den schwer zu belegenden sozialpsychischen Auswirkungen abzulehnen.300

294

BVerfG, Urt. v. 18. 07. 1967 = BVerfGE 22, 180 (204) – Jugendwohlfahrt. BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 = BayVBl. 1992, 151 (152); Kamp, S. 90; Looks, S. 120 ff., 142; Manssen, DV 1991, 33 (45); Müller, K., S. 101 f.; Parchmann, S. 22 f.; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 296 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); BayVerfGH, Entsch. v. 20. 01. 1969, Vf. 78-VII-67 = GRUR 1970, 150 (151); Erbel, S. 170; Manssen, S. 179; Mick, S. 75; Oppermann, S. 460 f. 297 BayVerfGH, Entsch. v. 20. 01. 1969, Vf. 78-VII-67 = GRUR 1970, 150 (151); Erbel, S. 170; Mick, S. 5, 17, 75; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 469; Oppermann, S. 460 f.; die Baugestaltung als „Grundvoraussetzung für die Entfaltung einer städtischen Kommunikation“ betonend Looks, S. 137. 298 Looks, S. 134, 141 f., 150 f. 299 Looks, S. 141 f., 150 f. 300 Denecke, S. 77. 295

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Eine Legitimation von Baugestaltungsvorschriften als Konkretisierungen des sozialstaatlichen Prinzips setzt voraus, dass mit den Normen faktische Ungleichheiten zwischen Gruppen, Schichten oder Klassen und damit ihre nicht gleichberechtigte Teilhabe in Gesellschaft und Staat ausgeglichen werden sollen  – was allerdings von den Verunstaltungsverboten nicht behauptet werden kann.301 Die Herstellung einer gerechten Sozialordnung, der Ausgleich sozialer Ungleichheiten und der Schutz des sozial Schwachen zeichen den sozialen Staat aus.302 Bauästhetischen Anforderungen liegen jedoch keine sozial ungleichen Interessenlagen zugrunde, die entsprechende Normen als Ausdruck der sozialstaatlichen Forderung nach sozialer Gerechtigkeit kennzeichnen könnten.303 Die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote und das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) können des Weiteren nicht zur Einschränkung der Kunstfreiheit herangezogen werden, weil sie bauliche Tätigkeit mit dem ästhetischen Horizont der Durchschnittsbevölkerung in Einklang bringen wollen, also lediglich Allgemeinwohlbelange verfolgen.304 Es ist dem BVerwG freilich darin zuzustimmen, dass aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) ein allgemeiner Regelungsauftrag des Staates zur Vermeidung sozialer Spannungslagen folgt. Dies kann durch Schaffung von Konsens und Akzeptanz in einer pluralistischen Gesellschaft erreicht werden. Es ist jedoch nicht nur zuvörderste Aufgabe der baurechtlichen Verunstaltungsverbote zum sozialen Frieden in der Gesellschaft beizutragen. Denn letztlich verfolgt die weit überwiegende Mehrzahl staatlicher Regelungen im weiteren Sinne die sozialstaatliche Notwendigkeit, unterschiedliche gesellschaftliche Interessen in einen gerechten Ausgleich miteinander zu bringen.305 Ein staatlicher Regelungsauftrag an den Gesetzgeber zur Vermeidung sozialer Spannungslagen enthält darüber hinaus keine taugliche Eingriffslegitimation zur Einschränkung von vorbehaltlos gewährleisteten Freiheitsrechten.306 Das Sozialstaatsprinzip kommt vor dem Hintergrund seiner verschwommenen Konturen nach verbreiteter Auffassung in der Literatur als kollidierendes Verfassungsrecht allenfalls in extremen Ausnahmefällen in Betracht.307 Im Rahmen des § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB haben damit auch einfachrechtlich solche öffentlichen Belange Bedeutung, die nicht auf Art. 20a GG oder sonstige verfassungsimmanente Schranken rückführbar sind.308 301

Kapell, S. 242. Kapell, S. 241. 303 Kapell, S. 243; so auch Looks, S. 121. 304 Schütz, JuS 1996, 498 (503); vgl. auch Manssen, S. 176 ff. 305 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620). 306 Bamberger, S. 111 ff. m. w. N.; Kamp, S. 90; Kapell, S. 247; Müller, K., S. 102; Seybold, S. 132; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620). 307 Kapell, S. 246 f.; Mick, S. 98 f.; Seybold, S. 131 f.; Uhle, JuS 1996, 96 (99); seine Eignung als verfassungsimmanente Schranke gänzlich ablehnend Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (31). 308 Schütz, JuS 1996, 498 (503). 302

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Wenn man aber auf das Durchschnittsempfinden eines für optische Eindrücke offenen Betrachters abstellt, wird ein materiales Kriterium an den Kunstbegriff herangetragen. Während das Abstellen auf den Maßstab des durchschnittlichen Betrachters für die Erhaltung eines ausgeglichenen Miteinanders in der Gesellschaft geeignet sein mag, versperrt sich das vorbehaltlose Grundrecht der Kunstfreiheit gegen eine solche kunstrichterliche Bewertung. Es ist generell zweifelhaft, welcher mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswert materiale, ästhetische Anforderungen an die Baukunst im Außenbereich sollte rechtfertigen können. Damit verbleibt es bei dem Grundsatz, dass der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) nicht auf eine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage rückführbar ist.309 Es kommt ausnahmsweise der Schutz bereits vorhandener Bauwerke von besonders erhaltenswerter Gestalt in Betracht, deren „Wirkbereich“ durch ein hinzutretendes Vorhaben beeinträchtigt würde. Es handelt sich dabei zugleich um die Erfüllung einer aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG resultierenden Schutzpflicht zugunsten des „Wirkbereichs“ der vorhandenen Baukunst.310 Eine Pflicht des Staates zu einer ästhetischen Gestaltung von Stadt und Land kann daher zusammenfassend nicht aus dem Postulat der sozialen Gerechtigkeit hergeleitet werden und kann somit einen Eingriff in die Kunstfreiheit des Bauherrn und Architekten nicht legitimieren.311 d) Eigentum des Nachbarn, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Zu erwägen wäre noch eine Kollision der Baukunstfreiheit mit dem Eigentumsrecht des Nachbarn aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, das grundsätzlich nach der Rechtsprechung des BVerwG vor unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen durch die Bebauung angrenzender Grundstücke schützt.312 Das Grundrecht auf Eigentumsfreiheit könnte insofern als verfassungsimmanente Schranke der Baukunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) dienen. Da das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) nicht vor bauwerksbezogenen Verunstaltungen schützt, kommt eine umgebungsbezogene Beeinträchtigung des nachbarlichen Eigentums in Betracht. Voraussetzung ist, dass die Grundstückssituation eine nachhaltige Veränderung erfahren hat und der Nachbar dadurch „schwer und unerträglich“ betroffen ist.313 Es wird 309

Pischel, S. 154; Schütz, JuS 1996, 498 (505). BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983; Schütz, JuS 1996, 498 (505). 311 Kapell, S. 248; Looks, S. 121. 312 Gaudernack, S. 173; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (229) m. w. N.; Müller, K., S. 104; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620). 313 BVerwGE 32, 173 (179); BVerwGE 50, 282 (285 ff.); BVerwGE 52, 122; Dirnberger, S. 46; Kapell, S. 218; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (229); Müller, K., S. 104; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (289); die Kategorie der schweren und unerträglichen Be 310

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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in diesem Zusammenhang von dem baurechtlichen Nachbarbegriff ausgegangen, da es der Sache nach um den baurechtlichen Nachbarschutz geht. Bei Werken der Baukunst und Kultstätten ist insbesondere darauf zu achten, dass die grundstücksbezogene und nicht die persönliche Beeinträchtigung durch das Bauvorhaben entscheidend ist.314 Die Einschränkung der Baukunstfreiheit durch die Verunstaltungsverbote lässt sich jedoch nicht mit dem Eigentumsschutz der Nachbarn verfassungsrechtlich rechtfertigen. In der Regel ist zwar nur der Nachbar einer als hässlich empfundenen baulichen Anlage diesem ästhetischen Eindruck in einer Weise ausgesetzt, die zumindest intensiver sein kann als es üblicherweise der Fall ist. Es erscheint dennoch befremdlich, dass diese Situation zu pathologischen Zuständen führen können soll.315 Ästhetische Beeinträchtigungen von Nachbargrundstücken durch benachbarte Baukunstwerke lassen sich schließlich kaum objektivieren.316 Eine Wertminderung der Nachbargrundstücke wird sich daher kaum ausmachen lassen – auch vor dem Hintergrund des Geschmackwandels auf dem Grundstücksmarkt.317 Selbst wenn eine Wertminderung festzustellen sein sollte, wird üblicherweise kein Eingriff vorliegen, da lediglich eine erhebliche Wertminderung ein Indiz für eine schwere und unerträgliche Beeinträchtigung sein kann.318 Ästhetische Belange eines Werkes der Baukunst oder einer Kultstätte haben daher regelmäßig keine derartigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Nachbargrundstücke, dass sie durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt werden könnten.319 Das BVerwG ist außerdem inzwischen von dieser Rechtsprechung abgekommen. Die baurechtlichen Zulässigkeitstatbestände gelten hinsichtlich des Drittschutzes als abschließend, sodass kein Raum für weitere Abwehransprüche der Nachbarn unmittelbar aus dem Grundrecht der Eigentumsfreiheit ist.320 troffenheit wurde von den Gerichten als Ausnahmefall angesehen, in welchem sich der Nachbar unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 GG stützen kann und seine Rechte nicht auf eine Norm des einfachen Baurechts gründen muss; ablehnend gegenüber dieser Rspr. Gaudernack, S. 174 f. 314 Gaudernack, S. 173; sämtliche Nachbarn, mithin auch die nur obligatorisch berechtigten Mieter oder Pächter, können sich hingegen auf das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG) berufen, dies., S. 178. 315 Kapell, S. 209; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290). 316 Kamp, S. 90; Kapell, S. 218; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (229); Müller, K., S. 105; Pischel, S. 143; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290); dasselbe gilt für die äußere Ästhetik einer benachbarten Moschee oder einer sonstigen Kultstätte, Gaudernack, S. 175. 317 Gaudernack, S. 175; Kamp, S. 90; Kapell, S. 218; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (229); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290). 318 Gaudernack, S. 175; Kapell, S. 219; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290); der BGH hielt daher eine Umsatzeinbuße eines Hotelbetriebs durch eine vom Nachbargrundstück ausgehende ästhetische Beeinträchtigung für unerheblich, sodass ein Abwehranspruch nicht zuerkannt wurde, vgl. BGH, Urt. v. 15. 05. 1970 = NJW 1970, 1541 (1542). 319 Gaudernack, S. 175 f. 320 BVerwG, Urt. v.  26. 09. 1991  – 4 C 5.87 = NVwZ 1992, 977 (979); BVerwG, Urt. v. 23. 08. 1996 – 4 C 13.94 = NVwZ 1997, 384 (389); Müller, K., S. 104 m. w. N.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Eine weitere Überlegung spricht dagegen, dass die ästhetische Beschaffenheit der Umgebung von dem Gewährleistungsbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG mitumfasst ist. Denn diese wird gerade durch die Nutzungs- und Verfügungsbefugnis des Eigentümers umschrieben. Die Nutzungs- und Verfügungsbefugnis des Eigentümers wird vornehmlich näher durch die Eigentumsbestimmungen des BGB, insbesondere § 903 BGB, einfachgesetzlich ausgeformt und konkretisiert. Eigentum im Sinne des § 903 BGB zeichnet sich durch das umfassende Herrschaftsrecht an einer Sache aus.321 Diese Herrschaft wird nicht dadurch infrage gestellt, dass sich die Umgebung in einer bestimmten ästhetischen Gestalt präsentiert. Auch das bürgerliche Recht verleiht keine nachbarlichen Abwehransprüche gegen Nutzungen, die sich innerhalb der Grenzen des eigenen Eigentums halten und damit nicht grenzüberschreitend sind.322 Ein das ästhetische Empfinden beeinträchtigende Gebäude ist nach gefestigter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur als ideelle Immission keine Einwirkung auf das Eigentum am benachbarten Grundstück, deren Abwehr zu den Befugnissen des Eigentümers nach § 903 BGB und § 1004 BGB gehören würde.323 Außerdem spricht auch der Umstand, dass der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und die landesrechtlichen Verunstaltungsverbote einem Nachbarn keinen Drittschutz vermitteln,324 dafür, dass ein Nachbar durch ein verunstaltetes Nachbarvorhaben nicht derart in seinem psychischen Wohlbefinden verletzt sein kann, dass sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG) verletzt ist. Wenn schon ein Nachbar eine erteilte Baugenehmigung nicht wegen der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes angreifen kann, dann spricht dies dafür, dass hinter dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) gerade keine grundrechtlich verbürgte Rechtsposition des Nachbarn steht.325 Das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot des Landes Rheinland-Pfalz bezieht allerdings ausdrücklich auch den Schutz benachbarter baulicher Anlagen in seinen Gewährleistungsbereich mit ein. So lautet es in der entsprechenden Landesbauordnung, dass „bauliche Anlagen mit ihrer Umgebung so in Einklang zu bringen sind, dass sie benachbarte bauliche Anlagen sowie das Straßen-, Orts- oder 321

Palandt / Herrler, Überbl. v. § 903, Rn. 1–3, § 903, Rn. 1. BGH, Urt. v. 21. 10. 1983 = NJW 1984, 729; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26. 09. 1990 = MDR 1991, 57. 323 BGH, Urt. v. 15. 11. 1974 = NJW 1975, 170; BGH, Urt. v. 15. 05. 1970 = NJW 1970, 1541 (1542); BGH, Urt. v. 07. 03. 1969 = NJW 1969, 1208 (1209); BGH, Urt. v. 12. 07. 1985 = BGHZ 95, 307 (309); OLG Hamm, Urt. v.  21. 02. 1975 = NJW 1975, 1035; OLG Düsseldorf, Urt. v. 26. 09. 1990 = MDR 1991, 57; OLG Düsseldorf, Urt. v. 24. 11. 1993 = NJW-RR 1995, 469; KG Berlin, Beschl. v. 11. 09. 1987 = NJW-RR 1988, 586; OLG Frankfurt, Urt. v. 27. 10. 1988 = NJW-RR 1989, 464; Palandt / Herrler, § 903, Rn. 8, 10.  324 VGH BW, Urt. v. 04. 02. 1969 = BRS 22 Nr. 167; BayVGH, Urt. v. 12. 02. 1988 = BauR 1989, 187 (188); NdsOVG, Urt. v. 05. 09. 1985 = BRS 44 Nr. 118; OVG Saarl, Urt. v. 26. 06. 1985 = BRS 44 Nr. 162. 325 Kapell, S. 209; Schütz, JuS 1996, 498 (502). 322

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Landschaftsbild nicht verunstalten“, § 5 Abs. 2 Satz 1 Bauordnung Rheinland-Pfalz (RhPfBauO). Der Rechtsprechung des BVerwG326 folgend, nahm nunmehr auch das OVG Rheinland-Pfalz327 in einer Entscheidung über die baurechtliche Zulässigkeit einer Fassadenbemalung an, dass das landesrechtliche Verunstaltungsverbot neben der Ortsgestaltung auch dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke und dem allseitigen psychischen Wohlbefinden der Bürger sowie dem sozialen Frieden in der Gemeinschaft diene. Selbst wenn bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbote ausdrücklich den Schutz von Eigentümern benachbarter Grundstücke bezwecken, folgt daraus noch nicht, dass entsprechende einfachgesetzliche Vorschriften ihre verfassungsrecht­ liche Legitimation in dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit finden, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG. Dasselbe gilt für das entsprechende Freiheitsrecht in der Landesverfassung, Art. 3 Abs. 3 der Verfassung für Rheinland-Pfalz (Verf RP). Es kann ebenso aus der als Staatsaufgabe verfassten Staatszielbestimmung des Art. 1 Abs. 2 Verf RP, die dahin lautet, der Staat habe auch die Aufgabe, „das Wohlergehen des Einzelnen und der innerstaatlichen Gemeinschaften durch die Verwirklichung des Gemeinwohls zu fördern“, kein tauglicher landesverfassungsrechtlicher Eingriffstitel geschlossen werden, der eine Beschränkung der Baukunstfreiheit rechtfertigen könnte. Denn die Staatszielbestimmung ist inhaltlich viel zu unbestimmt, um hieraus eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in ein Freiheitsrecht begründen zu können. Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass, soweit eine bauliche Anlage das benachbarte Grundstück durch ihre optischen Wirkungen „erdrückt“, die ästhetische Beeinträchtigung regelmäßig beispielsweise von einer Missachtung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften oder einem Verstoß gegen die zulässige Art oder das zulässige Maß der baulichen Nutzung begleitet sein wird.328 Der Nachbarschutz richtet sich in diesen Fällen nach den allgemein anerkannten nachbarschützenden Vorschriften im Baurecht. e) Staatlicher Kulturauftrag als Verfassungsgut von Rang Die Idee einer Einschränkbarkeit der Baufreiheit und der Baukunst auf dem Gebiet der Bauästhetik entspringt letztlich auch aus Überlegungen heraus, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG einen objektiv-rechtlichen Gehalt in Form einer allgemei 326 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 327 OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1422); dem folgt auch das VG Berlin in einer aktuellen Entscheidung über die Zulässigkeit einer Fassadengestaltung. Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Bauordnung Berlin zwinge über die Anforderungen ihres Abs. 1 hinaus zur Rücksichtnahme auf die prägenden Merkmale der Umgebung, VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451. 328 Kapell, S. 219 f.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

nen Förderpflicht des Staates für Kunst und Kultur enthalte, der im Wesentlichen durch den Erlass von Gesetzen näher ausgeformt werde.329 Städtebau und Baukunst gehörten schließlich zu den großen kulturellen Leistungen einer Gesellschaft.330 Die allgemeine staatliche Förderpflicht für Kunst und Kultur erfuhr in der Rechtsprechung ihre Ausformung und Konturierung namentlich durch das VG Berlin in seinem „Christo“-Beschluss anlässlich einer künstlerischen Reichstagsverhüllung: Auch die „Kunst am Bau“ genieße den Schutz der Kunstfreiheit und bedürfe eines gewissen Umgebungsschutzes vor sie beeinträchtigenden Bauten und Kunstwerken, wobei der Konflikt nach dem Grundsatz der Priorität aufzulösen sei.331 Man wird jedoch andererseits nicht die Befugnis für den Staat aus dem Grundgesetz ableiten können, Kultur schlechthin und auf jedem Weg, also auch durch Grundrechtseingriffe zu „fördern“. Aufgabe des Staates ist es nur, für den Schutz und die Förderung der Freiheit der Kunst zu sorgen.332 In der Rechtsprechung und Literatur ist im Übrigen nicht angesprochen, ob die Kulturstaatlichkeit als Staatsziel geeignet ist, die Beschränkung kultureller Freiheiten zu legitimieren, da der Kulturstaat fast ausschließlich unter Förderungs- und Leistungsaspekten und damit als Modalität des Freiheitsschutzes erörtert wird.333 Für die verfassungsrechtliche Legitimation ästhetischer Gestaltungsvorgaben für Werke der Baukunst kann daher auch nicht das Argument eines staatlichen oder gar kommunalen Kulturauftrages fruchtbar gemacht werden.334 Für das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot käme aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Bodenrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) ausschließlich ein staatlicher „Kulturgestaltungsanspruch“ infrage. Dem Staat soll hiernach eine Baugestaltungsmacht zufallen, die ihn befähige, sich unter ästhetischen Gesichtspunkten der Baukultur anzunehmen. Anknüpfungspunkt einer solchen Baugestaltungsmacht des Staates sei dabei die Entscheidung des Grundgesetzes für die „Kulturstaatlichkeit“.335 Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG enthalte insoweit einen entsprechenden staatlichen Auftrag und eine Ermächtigung zu kultureller Förderung und positiver Pflege der 329 BVerfG, Urt. v. 05. 03. 1974 – 1 BvR 712/68 = BVerfGE 36, 321 (331); BVerfG, Beschl. v. 29. 11. 1989 – 1 BvR 1402/87, 1 BvR 1528/87 = BVerfGE 81, 108 (116); Dreier / Wittreck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 72; Erbel, S. 101, 174 f.; Kapell, S. 249 f.; Manssen, S.  180; M / K/Wendt, Art. 5, Rn. 93; Seybold, S. 68; für die Kulturdenkmalpflege Heckel, S. 95 ff. 330 Schneider, S. 111; zur Bedeutung von Kunst in öffentlichen Räumen siehe Krieg, BBauBl. 1994, 699. 331 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650. 332 Kapell, S. 254 f.; Manssen, S. 180. 333 Kapell, S. 254. 334 Looks, S. 149; Manssen, S. 180; Müller, K., S. 102; die Idee einer Staatsgestaltungsmacht der Kultur geht namentlich zurück auf Huber, E. R., S. 8 ff., 11 ff., 21 ff., 26 ff.; daran anknüpfend Knies, Schranken, S. 206 ff., insbes. S. 227 ff.; Seybold, S. 62 ff.; für die Annahme eines kommunalen Kulturauftrags: Mick, S. 78, 115. 335 Erbel, S. 174; Knies, Schranken, S. 227; Seybold, S. 62 ff.; zur Kulturstaatlichkeit allgemein Knies, S. 239 ff.

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Kunst, da das Grundgesetz das Recht zur staatlichen Kunstpflege als ein historisches, selbstverständliches und daher nicht formulierungsbedürftiges Recht des Kulturstaates ansehe.336 Das Fehlen einer ausdrücklichen Schrankenklausel erkläre sich daraus, dass die Verfassungsgeber in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG – wie auch in Art. 142 WRV  – in erster Linie nicht an individuelle Freiheitsrechte gedacht und deswegen zur Frage der Schranken individueller Kunstfreiheit geschwiegen haben.337 Der Auftrag zu einem Erlass beschränkender Vorgaben des kulturellen Lebens sei außerdem nicht ausschließlich in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verwurzelt, da der höchste Wert der Verfassung, die Menschenwürde, und die auf diesen Wert bezogene demokratische Herrschaft nur unter bestimmten kulturellen Voraussetzungen realisierbar seien.338 Es ist vor dem rechtshistorischen Hintergrund der Einführung von Verunstaltungsgesetzen in den deutschen Ländern verwegen, die seit dem Kreuzberg-Urteil des PrOVG als „wohlfahrtstaatlich“ verstandenen Bestimmungen der Baugestaltung als kulturstaatliche Aufgabe der Baupflege umzudeuten.339 Diese Vorschriften dienen nämlich nicht der klassischen polizeilichen Gefahrenabwehr,340 obgleich die Aufgabe der „Baupolizei“ dahin verstanden wurde, „im öffentlichen Interesse zwingend obrigkeitlich auf die Gestaltung der Bauten, ihr Verhältnis zueinander und ihre Benutzung einzuwirken“.341 Die Notwendigkeit von Baubeschränkungen wurde als Folge des in Mitleidenschaft gezogenen Interesses der Allgemeinheit gesehen, soweit der Einzelne unbeschränkt nach seinem Gutdünken von seinem Eigentumsrecht Gebrauch machen sollte.342 Die bauästhetisch motivierte Beschränkung der Kunstfreiheit ist daher nicht gleichzusetzen mit der Förderung von Kunst. Ästhetik und Kunst sind nämlich zwei voneinander zu unterscheidende Kategorien, da Schönheit weder ein Qualitätsmerkmal von Kunst, noch ein kunstbegründendes Merkmal ist.343 Seybold hatte bereits mit denselben Erwägungen, mit denen später Namgalies344 aus dem Grundgesetz ein „Grundrecht auf Stadtgestaltung“ abzuleiten versuchte, die Baugestaltungsmacht des Staates näher umschrieben: Diese erwachse aus der Bedeutung der Baukunst für das Gemeinwesen, da zwischen der Gestaltung der Bauten und Städte und der Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen ein erkennbarer Zusammenhang bestehe.345 Eine interessante Überlegung ist es in der Tat, die 336

Erbel, S. 174; Knies, S. 239 ff., 246 f.; Knies, Schranken, S. 212 f.; Seybold, S. 68, 134. Knies, Schranken, S. 231 f. 338 Seybold, S. 69, 134. 339 So aber Knies, Schranken, S. 227 f. 340 BVerfGE 3, 407 (431 f.); BVerwGE 2, 172 (175); Baltz / Fischer, S. 3; Büge / Zinkahn, S. 11 f.; Knies, Schranken, S. 228; Scheerbarth, S. 181; Schultzenstein, DJZ 1902, S. 468 (469). 341 Baltz / Fischer, S. 1. 342 Baltz / Fischer, S. 1. 343 Kapell, S. 255; Manssen, S. 181. 344 Namgalies, S. 142 ff., S. 168 ff. 345 Seybold, S. 75. 337

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Baugestaltungsmacht des Staates daraus herzuleiten, dass ohne eine geregelte Bauund Stadtgestaltung das eine Erwerbskultur beherrschende Prinzip der Rentabilität einen Ausfall der Kultur nach sich ziehen würde, insofern, als dass das bauästhetische Niveau auf ein Minimum herabgesetzt werden würde, sollte der Staat die Stadtgestaltung den Gesetzen des Marktes respektive der Rentabilität überlassen.346 Der optisch-ästhetische Orts- und Landschaftsschutz ließe sich tatsächlich unter eine verfassungsmäßige Kompetenz des Staates zur Baugestaltung subsumieren, soweit man von einem offenen Begriff der Kultur und entsprechend von einem demokratischen, freiheitlichen Begriff des Kulturstaates ausginge, der auch den Naturschutz und die Landschaftspflege mitumfassen würde.347 Besondere Konflikte zwischen individueller Baugestaltungsfreiheit und staatlicher Wohlfahrtspflege kämen insoweit nicht auf, wollte man die Lösung darin sehen, dass ein Baukunstwerk eines berühmten Architekten ebenso wie eine Mietskaserne den Baubeschränkungen eines staatlichen „Baugestaltungsanspruchs“ unterworfen ist. Es dürfte in letzter Konsequenz hinsichtlich der prinzipiellen Betroffenheit durch die Verunstaltungsverbote nicht nach der künstlerischen Qualität des Bauwerks differenziert werden.348 Die Anerkennung eines solchen Kulturauftrags als Staatszielbestimmung ist jedoch äußerst fraglich und umstritten.349 Im Bereich des Schutzes von konkreten Denkmälern der Kunst und Kultur ist jedenfalls eine staatliche Kultursorge anerkannt, die im Mittelalter und in der Antike den Zweck hatte, Kultstätten als Symbole weltlicher und geistlicher Macht zu erhalten, während im 19. Jahrhundert der Schutz des nationalen Erbes im Vordergrund stand. Die Idee des Schutzes von konkreten Denkmälern der Kunst und Kultur beruht heutzutage darauf, dass Denkmäler um ihrer selbst willen Schutz verdienen.350 Es überrascht daher nicht, dass die Weimarer Reichsverfassung in Art. 150 WRV den Schutz der Denkmäler der Kunst, Geschichte und Natur als staatliche Aufgabe ansah und den Schutz der Werke der Baukunst nicht als Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft wertete.351 Dieses enge Verständnis von der Idee eines Schutzes bestimmter Denkmäler lässt es zweifelhaft erscheinen, einen allgemeinen staatlichen Schutzauftrag zugunsten bauästhetischer Ordnungsvorstellungen aus dem Grundgesetz abzuleiten. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, der weitergehende „bauästhetische“ Anforderungen legitimieren soll, ist außerdem höchstens ein Argument gegen ein solches staatliches Tätigwerden. Gerade die Kunstfreiheit erfordert ein staatliches Identifikationsverbot.352 Dies ist auch vor dem Hintergrund der Weite des modernen und „offenen“ Kunstbe 346

Seybold, S. 76. HdB-VerfR / Maihofer, § 25, Rn. 50; Knies, Schranken, S. 229, Fn. 241. 348 PrOVG, Urt. v. 02. 03. 1922 = PrOVGE 77, 460 (463 f.); Knies, Schranken, S. 229. 349 Ablehnend Manssen, S. 180; Müller, K., S. 102; Pischel, S. 147; Nachweise bei Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620); ausführlich Mick, S. 99 ff. 350 Dreier / Wittreck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 5. 351 Pischel, S. 14, Fn. 18. 352 Denecke, S. 78; Manssen, S. 182. 347

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griffs des BVerfG zu sehen, einem Kunstwerk stets neue Deutungsformen abringen zu können.353 Man wird jedoch aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht die Befugnis für den Staat ableiten können, Kultur schlechthin und auf jedem Weg, also auch durch Grundrechtseingriffe in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte zu „fördern“. Aufgabe des Staates ist es nur, für den Schutz und die Förderung der Freiheit der Kunst zu sorgen. Die Bedeutung der Baukunst für das Gemeinwesen spricht in einem so verstandenen Sinne für eine gewisse Baugestaltungsmacht des Staates.354 Auch aus dem Staatsverständnis der Bundesrepublik Deutschland als einem Kulturstaat, dessen Aufgabe es ist, „ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern“,355 kann noch keine vom Verfassungsgeber geforderte Staatszielbestimmung abgeleitet werden. Denn das BVerfG hat sich bisher selbst nicht ausdrücklich zu einer solchen Staatszielbestimmung bekannt.356 Das Grundgesetz kennt auch nicht den Begriff einer „Kulturverfassung“, sodass aus ihm keine rechtlichen Verbürgungen abgeleitet werden können, die über die Freiheiten hinausgehen, die schon in Art. 5 GG garantiert sind.357 Die Bezeichnung der Bundesrepublik Deutschland durch das BVerfG358 als „Staat, der sich im Sinne einer Staatszielbestimmung auch als Kulturstaat versteht“, ist daher im heuristischen Sinne dahingehend zu interpretieren, dass sie den objektiv-rechtlichen Gehalt der Kunstfreiheit mit seinen Schutzund Förderpflichten zusammenfasst.359 Es ist daher im Ergebnis mehr als fraglich, ob aus dem objektiven Gehalt der Kunstfreiheit ein verbindlicher Verfassungsauftrag zur Förderung der Kunst herausgelesen werden kann.360 Die Artikel außerhalb des ersten Abschnitts des Grundgesetzes, die den Begriff „Kultur“ enthalten, wie Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a, Art. 23 Abs. 6 GG und Art. 29 Abs.1 Satz 2 GG, können im Übrigen weder als verbindliche Ausformung der Kunstfreiheit verstanden werden, noch können sie eine Basis dafür bieten, in Zusammenschau mit der Kunstfreiheitsgarantie von einem grundgesetzlichen Kulturstaatsprinzip ausgehen zu können.361 Die Aufnahme eines symbolischen Staatsziels „Kultur“ in das Grundgesetz schafft ebenfalls keinen Gewinn über die objektiv-rechtlichen Gehalte der Kunstfreiheit hinaus. Denn in der gerichtlichen Abwägungspraxis könnte ein derart unbestimmtes und symbolisches Staatsziel keine Steuerungswirkung entfalten.362 353 BVerfG, Beschl. v. 17. 07. 1984 – 1 BvR 816/82 = BVerfGE 67, 213 (226 f.) – Anachronistischer Zug; Manssen, S. 181. 354 Denecke, S. 78; Manssen, S. 180; Müller, K., S. 102 f.; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620). 355 BVerfG, Beschl. v. 05. 03. 1974 – 1 BvR 712/68 = BVerfGE 36, 321 (331); BVerfG, Beschl. v. 29. 11. 1989 – 1 BvR 1402/87, 1 BvR 1528/87 = BVerfGE 81, 108 (116). 356 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620). 357 M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 417. 358 BVerfG, Beschl. v. 05. 03. 1974 – 1 BvR 712/68 = BVerfGE 36, 321 (331); BVerfG, Beschl. v. 29. 11. 1989 – 1 BvR 1402/87, 1 BvR 1528/87 = BVerfGE 81, 108 (116). 359 Dreier / Wittreck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 75. 360 BeckOK-GG / Kempen, Art. 5, Rn. 167. 361 Dreier / Wittreck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 78. 362 Dreier / Wittreck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 11.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Entsprechende subjektive Ansprüche können gleichfalls nicht aus den Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 3 GG, der auch positive staatliche Leistungen umfasst, fließen.363 Soweit es schon bei einem schrankenlos gewährleisteten Grundrecht wie der Kunstfreiheit keinen subjektiven Anspruch auf bestimmte staatliche Leistungen geben kann, dann gewährleistet weder Art. 2 Abs. 1 GG noch Art. 20a GG einen subjektiven Anspruch eines jeden Bürgers auf Bewahrung eines bestehenden Orts- und Landschaftsbildes in ästhetischer Hinsicht, noch lässt sich dem Grundgesetz ein allgemeiner staatlicher Kulturauftrag entnehmen. „Der Verfassungsstaat schafft Kunst und Kultur nicht, er rezipiert oder fördert sie“ nur. Ein staatlicher Kulturauftrag ist damit vor dem Hintergrund abzulehnen, „dass staatliche Hoheitsträger nicht ihre eigenen ästhetischen Vorstellungen unter dem Deckmantel des Schutzes der Baukultur zum Maßstab und Korrektiv indivi­ duell-künstlerischer Leistungen in diesem Bereich erheben dürfen“.364 Die Freiheit der Kunst ist vielmehr Ausdruck für den Grad der Freiheitlichkeit einer Gesellschaft.365 Die Gefahr der Orientierung an staatlichen Vorgaben und damit die Gefahr eines „Kunstrichtertums“ allein gebieten Abstand von der Gewährung einer derart weitreichenden staatlichen Befugnis.366 f) Staatszielbestimmung Umweltschutz = Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Art. 20a GG Das BVerwG367 führte außerdem den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) verfassungsrechtlich auf die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG zurück. Nach Ansicht des BVerwG unterfiele der optische Landschaftsschutz dem Umweltschutz und damit dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, sodass auch Art. 20a GG die Grundlage dafür biete, die Grundrechtsgewährleistung der Kunstfreiheitsgarantie (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) im Bereich des Bauplanungsrechts einzuschränken.368 aa) Art. 20a GG als verfassungsimmanente Schranke der Kunstfreiheit Die Verpflichtung in Art. 20a GG, nach der die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen geschützt werden sollen, ist als Staatsziel ausgestaltet, das als objek­tiv-rechtlicher Verfassungssatz einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber 363

M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 418. Manssen, S. 182; Müller, K., S. 103; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620). 365 Hufen, § 33, Rn. 3. 366 Müller, K., S. 103; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (620). 367 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 368 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 364

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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enthält.369 Aus dem Gestaltungsauftrag und dem Umstand, dass Art. 20a GG gerade keine subjektiven Rechte begründet, folgt sogleich, dass der Umweltschutz keinen absoluten Vorrang unter den Verfassungsprinzipien genießt.370 Dies ergibt sich schon aus mehreren Gesichtspunkten: Im Gesetzeswortlaut des Art. 20a GG fehlt jeglicher Anhaltspunkt einer Vorrang- oder Zurückstellung des Belangs des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen. Dies ergibt sich außerdem aus seinem systematischen Zusammenhang. Art. 20a GG schließt sich den Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG an. Hinzukommt, dass Art. 20a GG auf seine Einbettung in die verfassungsmäßige Ordnung selber verweist und seine Entstehungsgeschichte nicht auf eine irgendwie geartete über- oder untergeordnete Stellung des Belangs der natürlichen Lebensgrundlagen im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes hinweist.371 Diese Gleichwertigkeit gilt jedenfalls nur für Rechtsgüter, die ebenfalls Verfassungsrang besitzen:372 Als verfassungsrechtliche Wertentscheidung ist Art. 20a GG in Ausgleich mit anderen kollidierenden Verfassungsprinzipien oder Grundrechtsverbürgungen zu bringen,373 da er nicht zu einem grenzenlosen Umweltund Tierschutz verpflichtet.374 Eingriffe in Grundrechte können demzufolge nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass sie in Vollzug des Umweltstaatsprinzips vorgenommen werden.375 Denn das Staatsziel Umweltschutz weist eine identische Rechtsstruktur zu dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip auf, bei dem anerkannt ist, dass die Grundrechte diesem weder prinzipiell vorgehen noch grundsätzlich nahgeordnet sind.376 Der Wortlaut des Art. 20a GG „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“ enthält des Weiteren einen gesetzgeberischen Konkretisierungsvorbehalt, der nicht auf das Erfordernis eines verhältnismäßigen Schutzgüterund Interessenausgleichs verzichten kann.377 Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber einzelnen Umweltschutzaspekten durch gesetzliche Regelungen, insbesondere bei Abwägungsprozessen, einen absoluten oder relativen Vorrang

369 Bamberger, S. 116; Bernsdorff, NuR 1997, 328 (330); Kloepfer, DVBl. 1996, 71 (74); ­ eters, NVwZ 1995, 555 (555); BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, P 2648 (2649). 370 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649); Bamberger, S. 116; Bernsdorff, NuR 1997, 328 (330); Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 20a, Rn. 88; Hönes, NWVBl. 1998, 383 (388); J / P/Jarass, Art. 20a, Rn. 14; Kloepfer, DVBl. 1996, 71 (74); Kuhlmann, NuR 1995, 1 (9); M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 47; Papier, NJW 1997, 2841 (2843); Stüer, Rn. 3073; Uhle, JuS 1996, 96 (96, 97); Uhle, UPR 1996, 55 (56). 371 M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 47; Papier, NJW 1997, 2841 (2843). 372 Groß, NVwZ 2011, 129 (132); M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 47. 373 M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 47; Schütz, JuS 1996, 498 (503); Uhle, UPR 1996, 55 (57). 374 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649); Bamberger, S. 116; Hönes, NWVBl. 1998, 383 (388); J / P/Jarass, Art. 20a, Rn. 14; Papier, NJW 1997, 2841 (2843); Uhle, UPR 1996, 55 (57). 375 Uhle, UPR 1996, 55 (57). 376 Uhle, UPR 1996, 55 (57). 377 Papier, NJW 1997, 2841 (2843); Uhle, UPR 1996, 55 (56).

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

gegenüber anderen Belangen einräumt, der dann auch bei der jeweiligen Rechtsanwendung zu berücksichtigen ist.378 Art. 20a GG kann andererseits auch die Beschränkung von Grundrechten legitimieren.379 Art. 20a GG kann damit schrankenlos gewährleisteten Grundrechten wie Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG oder Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG entgegengehalten werden.380 Bezüglich der Eingriffe in die Freiheitsrechte ist zu beachten, dass Art. 20a GG keine verfassungsunmittelbare Schranke bildet, sondern jeweils eine einfachgesetzliche Grundlage für Eingriffe vorliegen muss. Einfachrechtliche Gesetze sind allerdings unter ausreichender Beachtung des Art. 20a GG auszulegen, sodass gegebenenfalls unbestimmte Rechtsbegriffe für Belange des Umweltschutzes geöffnet werden.381 Art. 20a GG besitzt letztlich keine prinzipielle Nachrangigkeit gegenüber der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG).382 Dies bedeutet andererseits nicht, dass diese Grundrechte über die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG einem Gesetzesvorbehalt unterworfen werden.383 Da Art. 20a GG keine Aussage darüber trifft, wie sich die Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen zu anderen Staatszielen und sonstigen Verfassungssätzen verhält und sich diese regelmäßig nicht gleichgerichtet, sondern gegenläufig zueinander verhalten, ist Art. 20a GG mit anderen verfassungsrechtlichen Prinzipien und Staatszielbestimmungen im Rahmen der praktischen Konkordanz in Einklang zu bringen,384 genauso wie es auch für die Beschränkung von Grundrechten durch kollidierendes Verfassungsrecht gilt.385 Art. 20a GG ist dabei normativ knapp gehalten, um möglichst weitgehend alle unvorhergesehenen und komplexen Zielkonflikte im Zusammenhang mit dem Umweltschutzprinzip erfassen zu können. Damit wird sich zwar eine Vielzahl an Einzelfallentscheidungen auf Art. 20a GG stützen können, was allerdings dazu führt, dass sich die Be 378

M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 47. Bernsdorff, NuR 1997, 328 (330); Dreier / Schulze-Fielitz, Art.  20a, Rn.  87; H / S/Heselhaus, Kap.  1, Rn.  104; J / P/Jarass, Art. 20a, Rn. 15; Kloepfer, DVBl. 1996, 71 (78 f.); Uhle, JuS 1996, 96 (99); a. A. Bamberger, S. 117; zur grundsätzlichen Kritik am normativen Beschränkungsgehalt von Staatszielbestimmungen gegenüber vorbehaltlosen Grundrechten siehe näher Kapitel C. I. 4. a) bb). 380 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649); VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088; Bernsdorff, NuR 1997, 328 (330); Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 20a, Rn. 87; HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn.  126; H / S/Gellermann, Kap.  10, Rn.  25; H / S/Heselhaus, Kap.  1, Rn.  105; J / P/Jarass, Art. 20a, Rn. 15; Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (226, 229); M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 92; Murswiek, NVwZ 1996, 222 (230); Schütz, JuS 1995, 498 (503); Stüer, Rn. 3073; Wolf, KritV 80 (1997), 280 (300 f.). 381 H / S/Heselhaus, Kap. 1, Rn. 105. 382 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn.  126; J / P/Jarass, Art. 20a, Rn. 14; Sachs / Bethge, Art. 5, Rn. 198g. 383 Bernsdorff, NuR 1997, 328 (330); Murswiek, NVwZ 1996, 222 (230); Sachs / Murswiek, Art. 20a, Rn. 72. 384 Bernsdorff, NuR 1997, 328 (330); Kuhlmann, NuR 1995, 1 (9); M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 47; Schütz, JuS 1996, 498 (503); Uhle, JuS 1996, 96 (99). 385 M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 47. 379

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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rechenbarkeit und Rationalität der Rechtsanwendung nicht mehr leicht vorhersehen lässt.386 Es wird dennoch in Anbetracht der inhaltlichen Unbestimmtheit der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG nicht viele Fälle einer Beschränkung von Grundrechten unter Rückgriff auf Art. 20a GG als verfassungsimmanente Schranke geben, da gerade die mangelnde Bestimmtheit der Vorschrift zu einer restriktiven Auslegung des Umweltschutzprinzips anhält.387 Die Fähigkeit des Art. 20a GG als verfassungsimmanente Schranke zu dienen, hängt also von dem Grad an Konkretheit ab, den er durch die einfachgesetzliche Ausgestaltung widerfährt. Das Umweltstaatsprinzip dürfte diese Konkretheit im Bereich des Städtebaurechts aufgrund der vom BVerwG vorgenommenen Auslegung dieser Staatszielbestimmung grundsätzlich erlangt haben.388 So war denn auch in der „Arno-Breker“-Entscheidung des BVerwG unter anderem fraglich, ob der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) als einfachgesetzliche Konkretisierung des Umweltstaatsprinzips (Art. 20a GG) verstanden werden kann.389 Die Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen ist zwar als verfassungsrechtliche Wertentscheidung bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe zu berücksichtigen;390 es ließe sich daher tatsächlich erwägen, den Begriff der „Verunstaltung“ mit Aspekten des Umweltschutzprinzips des Art. 20a GG anzureichern. Dennoch wird sich später noch herausstellen, dass lediglich der funktionale, aber nicht der optisch-ästhetische Landschaftsschutz dem Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen unterfällt. Nur der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) kann daher im Einzelfall zur Einschränkung von Baukunst im Außenbereich herangezogen werden. Die Entscheidung des BVerwG über die Aufstellung der Breker’schen Monumentalfiguren391 war – soweit ersichtlich – die erste Entscheidung, in der sich das BVerwG zum neu in das Grundgesetz eingefügten Art. 20a GG äußern konnte.392 Die Formulierung des Art. 20a GG vom „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ macht bereits dem Leser auf den ersten Blick deutlich, dass der Begriff nur schwer fassbar ist. Der verfassungsrechtliche Begriffsinhalt kann dabei nur aus der Verfassung selbst geschöpft werden und nicht aus einfachen Gesetzen.393 Auch soweit es das Ziel des Naturschutzes ist, unter anderem die „Schönheit“ von Natur und Landschaft zu schützen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG), folgt daraus noch nicht, dass dem verfassungsrechtlichen Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20 a 386

Papier, NJW 1997, 2841 (2843). Uhle, UPR 1996, 55 (57). 388 Uhle, UPR 1996, 55 (57). 389 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 390 M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 91; Schmidt, JZ 1997, 1042 (1043); Schütz, JuS 1996, 498 (503). 391 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. 392 Murswiek, NVwZ 1996, 222 (230); Schütz, JuS 1996, 498 (503); Uhle, UPR 1996, 55 (55). 393 BerlinerKomm-GG / Kluth, Art. 20a, Rn. 73. 387

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

GG auch eine optisch-ästhetische Landschaftsschutzkomponente unterfällt. Das BNatSchG kann als einfaches Gesetzesrecht schließlich nicht den Begriffsinhalt von Art. 20a GG bestimmen.394 Es darf sich andererseits dem Begriff des „Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen“ jedoch insoweit genähert werden, wenn man sich vor Augen führt, dass die Formulierung nicht erstmalig verwendet wird, sondern schon in alten Fassungen des BauGB, ROG und BNatSchG Einzug gefunden hat. Dies legt ein weites verfassungsrechtliches Begriffsverständnis nahe, da dem Begriff aufgrund seiner Historie im einfachen Recht bereits Rechtsqualität zukommt.395 Dies darf aber dennoch nicht dazu verleiten, darüber hinwegzusehen, dass der einfachgesetzlich festgesetzte Naturschutz durchaus über den von Art. 20a GG angestrebten Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen hinausgeht. § 1 Abs. 1 BNatSchG differenziert nämlich zwischen Gütern, die als Lebensgrundlage, und anderen, die als Voraussetzung für des Menschen Erholung in Natur und Landschaft geschützt werden sollen. Das geltende Naturschutzrecht lässt daher gerade den gegenteiligen Schluss zu, dass die Schönheit der Landschaft nicht zu den natürlichen Lebensgrundlagen gehört.396 § 1 Abs. 5 Satz 2 BauGB führt aus, dass „die Bauleitpläne dazu beitragen sollen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln“. Interessanterweise heißt es dann weiter, dass „die Bauleitpläne die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln“ haben. Während § 1 Abs. 6 Nr. 5 BauGB als öffentlichen Belang die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes nennt, erfasst § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB den Belang des Naturschutzes. Die Aufgliederung zeigt, dass auch das BauGB als einfaches Gesetzesrecht zwischen dem Begriff des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen in Form des Umweltschutzprinzips einerseits und der Erhaltung der städtebaulichen Gestalt des Orts- und Landschaftsbildes andererseits unterscheidet, was wiederum dafür spricht, dass vom Wortlaut des BauGB her gesehen die beiden Begriffe in Bezug auf die ästhetische Erscheinung baulicher Anlagen nichts miteinander zu tun haben. Der verfassungsrechtliche Begriff des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne des Art. 20a GG ist hinsichtlich der vielfältigen Verwendung des Begriffs in einfachgesetzlichen Vorschriften weit zu verstehen.397 Die Gemeinsame Verfassungskommission hat den Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen bedeutungsgleich mit dem Begriff der bisherigen Umweltgesetzgebung verstanden.398 Der Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen umfasst damit in erster Linie die gesamte 394

Henneke, NuR 1995, 325 (328); Kapell, S. 233 u. 234; Schütz, JuS 1996, 498 (503, Fn. 83). Bernsdorff, NuR 1997, 328 (331); Henneke, NuR 1995, 325 (328 f.). 396 Kapell, S. 234. 397 Bernsdorff, NuR 1997, 328 (331); Henneke, NuR 1995, 325 (328 f.). 398 BerlinerKomm-GG / Kluth, Art. 20a, Rn. 75; Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 20a, Rn. 32. 395

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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natürliche Umwelt des Menschen, was die Umweltmedien Boden, Luft und Wasser, die Biosphäre und deren Beziehungen untereinander sowie zu den Menschen betrifft.399 Nach diesem Verständnis ist Natur alles, was nicht auf menschliche Schöpfung zurückzuführen ist. Die Gegenstände der Natur dürfen allerdings vom Menschen beeinflusst oder verändert sein, sodass auch vom Menschen kultivierte Landschaften „Natur“ sind.400 bb) Auffassung des BVerwG: Optischer Landschaftsschutz als Bestandteil der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen Das BVerwG401 und die überwiegende Meinung in der Literatur402 sehen die verfassungsrechtliche Grundlage des öffentlichen Belangs der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) auch in Art. 20a GG, wobei die Literatur zum größten Teil die Rechtsprechung des BVerwG ohne eigene Erwägungen rezipiert. Schutzgut ist nach Ansicht des BVerwG im Konflikt zwischen der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und dem in § 35 BauGB bezweckten Außenbereichsschutz „der Gemeinschaftsbelang der Wahrung der Inte­ grität von Natur und Landschaft“.403 Eine Verringerung natürlicher Ressourcen, wie etwa unversiegelter Böden, werde durch die Baukunst gefördert. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen stelle insbesondere im unbeplanten Außenbereich vielfach die einzige deklaratorische Bindung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG dar. Da die Gemeinde dort ihre gestalterischen Vorgaben noch nicht im Rahmen eines Bebauungsplanes konkretisiert habe, falle es ihr daher schwer, die Bebauung unter Berufung auf ihre Selbstverwaltungsgarantie zu verhindern.404 Auch die vom Menschen künstlich geschaffene Umgebung werde vom weitgefassten Begriff der „natürlichen“ Umwelt im Sinne des Art. 20a GG erfasst, um einen möglichst umfassenden Schutz der Umwelt, der Gesundheit und des Wohl-

399

BerlinerKomm-GG / Kluth, Art. 20a, Rn. 75; Henneke, NuR 1995, 325 (328 f.); Murswiek, NVwZ 1996, 222 (224 f.). 400 Sachs / Murswiek, Art. 20a, Rn. 28; Sodan / Leisner, Art. 20a, Rn. 4. 401 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 ff. 402 BerlinerKomm-GG / Kluth, Art. 20a, Rn. 78; Bernsdorff, NuR 1997, 328 (331); BonnerKomm-GG / Kloepfer, Art. 20a, Rn. 82; Dolderer, BauR 1999, 691 (692); Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 20a, Rn. 32; Hentschel, S.  137; H / S/Gellermann, Kap.  10, Rn.  14; H / S/Heselhaus, Kap. 1, Rn. 19, 23; J / P/Jarass, Art. 5, Rn. 131, Art. 20a, Rn. 3; Kloepfer, DVBl. 1996, 71 (76); Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (226); Kuhlmann, NuR 1995, 1 (9); Landmann / Rohmer / Gärditz, Art. 20a, Rn. 10, 69, 71; Mauss, S.  105 ff.; M / D/Scholz, Art.  20a, Rn.  36; M / K/S / Epiney, Art.  20a, Rn.  17; M / K/Sommermann, Art. 20a, Rn. 29; Müller, K., S. 103; Murswiek, NVwZ 1996, 222 (225); Peters, NVwZ 1995, 555 (555); Quambusch, BauR 2003, 635 (643); Sachs / ​ Bethge, Art. 5, Rn. 198g; Sachs / Murswiek, Art. 20a, Rn. 30; Schink, DÖV 1997, 221 (223 f.); Sodan / Leisner, Art.  20a, Rn.  4; S / S/D / Stern, § 117, VII 4; Uhle, UPR 1996, 55 (56 f.). 403 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 404 Pischel, S. 144, 152.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

befindens der Menschen zu gewährleisten.405 Wenn Siedlungen als Kulturlandschaft begriffen werden, verbänden sich damit Vorstellungen einer in Natur und Geschichte eingebundenen, menschenwürdigen Umwelt, die gleichzeitig offen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wie der Gesellschaft sei.406 Da die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG bei der Auslegung und Interpretation anderer verfassungsrechtlicher Bestimmungen und einfachgesetzlicher Normen zu beachten ist, kann die Einbeziehung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 20a GG auch grundrechtsverengend für den Schutzbereich der Grundrechte auf Seiten der die Umwelt Belastenden wirken.407 Sieht man vom weiten Umweltbegriff auch das Wohlbefinden des Menschen als mitgeschützt an,408 dann wären die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und die Baufreiheit als Ausfluss der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) grundrechtsverengend in Hinblick auf die verfassungsrechtliche Wertentscheidung zugunsten des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen auszulegen. Die Auslegung des Begriffs der natürlichen Lebensgrundlagen durch das BVerwG überrascht zunächst vom Wortlaut her betrachtet, da der Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen keinen Ansatzpunkt für eine Wahrung der Schönheit der Landschaft erkennen lässt. Die überwiegende Auffassung in der Literatur409 folgt dennoch dem BVerwG, denn „das Lebensgefühl, das die unbeeinträchtigte Natur vermittelt … gehöre sicherlich zu den psychischen Kraftquellen menschlichen Lebens“.410 Dieses könne empfindlich gestört sein, wenn es zu wenige von unästhetischer Bebauung unberührte Landschaftsflecke gebe, dafür aber zu viele die Landschaft verunstaltende bauliche Anlagen. Es sei außerdem schon immer das Anliegen deutschen Naturschutzrechts gewesen, die Landschaft auch aufgrund ihrer „auf den Menschen wohltuend wirkenden Schönheit“ zu erhalten.411 Die historische Argumentation überzeugt allerdings nicht. Es war sicherlich schon früh naturschutzrechtliche Intention, die Landschaft auch wegen ihrer auf den Menschen wohltuend wirkenden Schönheit zu schützen. Der ästhetische Landschaftsschutzgedanken wurde jedoch im geschriebenen Verfassungstext nicht allumfassend aufgenommen, denn Art. 150 Abs. 1 WRV schützte nur Naturdenkmäler vor Beschädigung, Zerstörung und Verunstaltung. Nach diesen Normen galten den Denkmälern der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie der Landschaft der Schutz und die Pflege des Staates. Die Diskussion um die Umweltproblematik

405

M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 17. Mick, S. 9. 407 M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 91. 408 M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 17. 409 Vgl. nur statt aller Murswiek, NVwZ 1996, 222 (224 f.). 410 Murswiek, NVwZ 1996, 222 (225); dem sich anschließend Mauss, S. 107; ebenso Kloepfer, DVBl. 1996, 73 (77); Schink, DÖV 1997, 221 (224): Die Bewahrung der Natur sei ein emotionales und ästhetisches Menschenbedürfnis. 411 Murswiek, NVwZ 1996, 222 (225). 406

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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wurde in den 1960er Jahren vielmehr als existentielle Lebensfrage verstanden. Eine ästhetische Schutzkomponente des Art. 20a GG kann daher nicht allein aus dem rechtshistorischen Ursprung des Naturschutzrechts abgeleitet werden.412 Die Auffassung, die den Schutz des Landschaftsbildes vor ästhetischer Verunstaltung unter den Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne des Art. 20a GG fallen lassen will, wendet sich geradezu vorwurfsvoll gegen diejenigen, die bezweifeln, ob Menschen überhaupt in ihrem psychischen Wohlbefinden aufgrund einer landschaftlichen Verunstaltung erheblich beeinträchtigt sein können. Diejenigen, die das ästhetische Erscheinungsbild der Landschaft nicht unter den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen subsumieren wollen, würden nämlich „ein verkürztes materialistisches Verständnis des Begriffs Lebensgrundlagen“ an den Tag legen, indem sie „nur auf physische Wirkungen auf das menschliche Leben abstellen und psychische ignorieren“.413 Die einschränkende Sichtweise auf den Umweltbegriff unterschätze augenscheinlich die Bedeutung des ästhetischen Umgangs des Menschen mit der Natur.414 An dieser Einschätzung mag vom Grunde her richtig sein, den Menschen als eine natürliche Einheit von Leib, Seele und Geist zu verstehen. Das darf aber nicht dazu führen, das gewünschte Ergebnis, den Schutz des Orts- und Landschaftsbildes vor optisch-ästhetischer Verunstaltung, vor der eigentlichen Begründung zu stellen. Wie bereits herausgearbeitet wurde, unterfällt das bloße psychische Wohlbefinden nicht dem Gewährleistungsbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Deswegen kann auch nicht hilfsweise versucht werden, den Aspekt des psychischen Wohlbefindens des Menschen in den Schutzbereich der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne des Art. 20a GG hineinzuinterpretieren.415 Um den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) dem Begriff des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) unterfallen zu lassen, griff das BVerwG im Fall der Breker’schen Monumentalfiguren letztlich auf allgemeine Erwägungen des Städtebaurechts in Hinblick auf seine Umwelt- und Landschaftsschutzrelevanz zurück.416 Das BVerwG stellte maßgeblich auf die Verpflichtung des Gesetzgebers ab, auf die Erhaltung der natürlichen Umwelt hinzuwirken. Dies sei vor dem Hintergrund der Begrenztheit der Ressourcen Natur und Boden zu sehen. Das Städtebaurecht lasse sich insoweit als einfachgesetzliche Ausformung dieses Schutzgedankens der natürlichen Lebensgrundlagen verstehen, da es verbindliche Regelungen zur Bodennutzung im Rahmen der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung aufstelle. Dem Gedanken an Ressourcenschonung Rechnung tragend, entschieden die Vorschriften

412

Kapell, S. 235. Sachs / Murswiek, Art. 20a, Rn. 30. 414 Mauss, S. 106. 415 M / D/Di Fabio, Art. 2, Rn. 56. 416 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 413

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben darüber, welche Flächen bebaut werden dürfen und in welchem Umfang.417 Die Bauleitplanung besitze außerdem eine herausragende Umweltrelevanz, insofern, als dass Bauleitpläne gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 und Nr. 7 BauGB dazu beitragen sollen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln. Auch außerhalb der Bauleitplanung verfolge der Gesetzgeber mit § 35 BauGB im Interesse der Erhaltung von Natur und Landschaft das Ziel, den Außenbereich über den Schutz vor optischen Verunstaltungen durch Bauwerke hinaus vor einem Eindringen wesensfremder Bebauung zu bewahren.418 Das BVerwG419 stellte in einem Beschluss aus dem Jahre 1997 abermals die Bedeutung von Umwelt- und Landschaftsschutz in der Bauleitplanung heraus. Bei der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans, der Eingriffe in Natur und Landschaft erwarten lässt, ist § 8a BNatSchG a. F. zu berücksichtigen, der nunmehr in § 18 BNatSchG aufgegangen ist. § 18 Abs. 1 BNatSchG verweist bei Bebauungsplänen, die Eingriffe in Natur und Landschaft erwarten lassen, für die Entscheidung über die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf das bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot in § 1 BauGB. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege keinen absoluten Vorrang vor anderen in der Bauleitplanung zu berücksichtigen Belangen haben.420 Die verfassungsrechtlich hervorgehobene Stellung des Naturschutzes und der Landschaftspflege in Art. 20a GG erfordert es aber, im Rahmen der Bauleitplanung über das ob und über den Umfang zu befinden, inwiefern für unvermeidbare Beeinträchtigungen in Natur und Landschaft Ausgleich und Ersatz zu leisten ist. Daraus folgt sogleich, dass eine Zurückstellung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nur zugunsten anderer entsprechend gewichtiger Belange erfolgen darf.421 Im Bereich der Bauleitplanung ist es allerdings bei einer Entscheidung zugunsten eines Eingriffs in Natur und Landschaft nicht zulässig, die Belange von Naturschutz und Landschaftspflege einfach zurückzustellen bzw. „wegzuwägen“. Es ist zwingend auch über Kompensationsmaßnahmen nachzudenken. Ein in der planerischen Abwägung allgemein „abstrakt höherer Rang“ der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege ist damit zu verneinen. Gleichzeitig ist der planaufstellenden Gemeinde eine Abwägung verschiedenster gegenläufiger Belange aufgegeben.422

417

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 419 BVerwG, Beschl. v. 31. 01. 1997 – 4 NB 27/96 = NVwZ 1997, 1213. 420 BVerwG, Beschl. v. 31. 01. 1997 – 4 NB 27/96 = NVwZ 1997, 1213 (1214). 421 BVerwG, Beschl. v. 31. 01. 1997 – 4 NB 27/96 = NVwZ 1997, 1213 (1215). 422 Uechtritz, NVwZ 1997, 1182 (1183). 418

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Ob die allgemeinen Erwägungen zur Bedeutung der Belange des Natur- und Landschaftsschutzes in der Bauleitplanung geeignet sind, das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) auf das Umweltstaatsprinzip des Art. 20a GG zurückzuführen, erscheint vor dem Hintergrund fraglich, als dass die Bauleitplanung auf eine flächenbezogene Gesamtplanung abzielt, während § 35 BauGB über die Zulassung bestimmter Einzelvorhaben entscheidet.423 Der Begriffsinhalt des Art. 20a GG darf andererseits nicht ohne weiteres einfachen Gesetzen entnommen werden.424 Ein Gesetz, das die Kunst- respektive die Kultusfreiheit einschränkt, wird nur dann von einem Verfassungsgut von Rang getragen, wenn es der besonderen Bedeutung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bzw. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG gerecht wird.425 Es ist bei dieser Betrachtung zwischen den verschiedenen Zielen zu unterscheiden, die das Bauplanungs- und Städtebaurecht sowie das Baugestaltungsrecht verfolgen. Die Allgemeinheit bedient sich sicherlich der Bauplanungsgesetze zur sinnvollen Entwicklung von Stadt und Land. Andererseits führt das öffentliche Interesse an einer geordneten Bauweise zum Erlass von Baugestaltungsvorschriften.426 Während die Anwendung des Bauplanungsrechts auf der Erkenntnis beruht, dass ein menschenwürdiges Zusammenleben eine geordnete Besiedlung notwendig macht, ist die Frage nach der Anwendbarkeit von Baugestaltungsrecht schwieriger zu beantworten.427 Nachdem das BVerwG im Falle der Breker’schen Monumentalfiguren den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes auf ein Verfassungsgut von Rang (Art. 20a GG) zurückgeführt hat, das nach Auffassung des BVerwG geeignet ist, die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit einzuschränken, betonte das BVerwG gleichzeitig, dass die Kunstfreiheit gegenüber dem Umweltstaatszielprinzip nicht einem Gesetzesvorbehalt unterworfen werde.428 Der Gesetzgeber sei mit Art. 20a GG vielmehr in die Lage versetzt worden, Maßnahmen zum Schutz von Natur und Landschaft zu ergreifen und von seinem Konkretisierungsauftrag Gebrauch zu machen. Die Bedeutung des Städtebaurechts zum Schutz von Natur und Landschaft sei nicht zu verkennen, was sich einerseits in der Umweltrelevanz im Rahmen der Bauleitplanung zeige und andererseits in der Funktion des Art. 20a GG als verfassungsrechtlicher Auslegungsgrundsatz für die öffentlichen Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB.429 Wenn das einfache Recht selbst – wie in § 1 Abs. 5 bzw. in § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB – an die Sicherung 423

Uechtritz, NVwZ 1997, 1182 (1183). Henneke, NuR 1995, 325 (328); Kapell, S. 234. 425 Brümmer, S. 87. 426 Brümmer, S. 86. 427 Brümmer, S. 88 f. 428 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 429 Uhle, UPR 1996, 55 (56). 424

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

der natürlichen Umwelt und Landschaft sowie an den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen anknüpfe, dann stelle es selbst die Relevanz seines Gesetzeszwecks für das Staatsziel des Art. 20a GG heraus. Damit stehe fest, dass das Verunstaltungsverbot des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB dem Umweltschutzprinzip diene.430 Das BVerwG griff damit Erwägungen auf, die einst in einer Zeit entwickelt wurden, in der die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG noch nicht existierte. Obwohl das Grundgesetz kein Grundrecht auf ästhetischen Landschaftsschutz kannte – und dieses auch nach der Einfügung der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG nicht kennt –,431 wurde in der Literatur ein Grundrecht auf Bau- und Stadtgestaltung als Leistungsrecht erwogen.432 In der Literatur wurde außerdem diskutiert, ob die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz als Umweltgrundrecht oder als Staatszielbestimmung erfolgen sollte. Dabei wurde der Ansatz vertreten, dass sich eine Art. 1 GG gerecht werdende menschenwürdige Umwelt nicht auf das physische Existenzminimum beschränke, sondern sich auch auf die volle psychische Gesundheit, eine bewohnbare, angenehme und freundliche Umgebung, auf Lebensgenuss und ästhetische Qualitäten erstrecke.433 Das BVerwG betonte im „Arno-Breker“-Fall schließlich noch die Bedeutung einer in jedem Einzelfall stattfindenden, umfassenden Güter- und Interessenabwägung, beginnend mit der Feststellung, welches Gewicht dem Interesse des Bauherrn an der Aufstellung bzw. Errichtung eines Kunstwerks im Außenbereich zukommen und welches Gewicht der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) besitzen soll.434 Die gegenseitigen Interessen müssten anschließend im Wege der praktischen Konkordanz in einen Ausgleich gebracht werden, wobei die dem Schutz des Außenbereichs dienende Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB im Lichte des einzuschrän­kenden Grundrechts, nämlich der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), auszulegen sei.435 Das BVerwG sprach gleichzeitig der Baukunst ein geringeres Gewicht als „dem Gemeinschaftsbelang der Wahrung der Integrität von Natur und Landschaft“ zu, weil sie in größerem Maße als andere Kunstformen durch einen stärkeren Gemeinschaftsbezug gekennzeichnet sei.436 Dieser Gemeinschaftsbezug ergebe sich aus der Sozialbindung des Eigentums, weil die Ausübung der Baukunst Grundeigentum vo 430

Uhle, UPR 1996, 55 (56). Bamberger, S. 60; Benda, UPR 1982, 241 (242); Kloepfer, S. 18; Mick, S. 89. 432 Namgalies, S. 150. 433 Benda, UPR 1982, 241 (242); Lücke, DÖV 1976, 289 (291); Namgalies, S. 150; Rehbinder, ZRP 1970, 250 (252). 434 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2650). 435 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649); BVerfG, Beschl. v. 24. 02. 1971 – 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173 = NJW 1971, 1645 – Mephisto; BVerfG, Beschl. v. 03. 11. 1987 – 1 BvR 1257/84, 1 BvR 861/85 = BVerfGE 77, 240 = NJW 1988, 325; BVerfG, Beschl. v. 07. 03. 1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87 = BVerfGE 81, 278 = NJW 1990, 1982. 436 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 431

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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raussetze, dessen Nutzung an strenge rechtliche Vorgaben geknüpft sei. Auch wenn beim künstlerischen Bauen nicht der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG eröffnet sei, sondern der des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, werde die Baukunst maßgeblich durch die Sozialbindung des Eigentums mitgeprägt.437 Damit bleibt festzuhalten, dass sich das Staatsziel des Umweltschutzes (Art. 20a GG) aus Sicht des BVerwG nicht von vornherein durchsetzt, sondern dieses stets in Ausgleich mit anderen Verfassungsprinzipen und -rechtsgütern zu bringen ist. Die Berufung auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) hindert andererseits grundsätzlich nicht daran, eine Baugenehmigung für die Errichtung von Baukunst im Außenbereich aufgrund eines Widerspruchs mit dem Schutz des Außenbereichs dienenden einfachgesetzlichen bauplanungsrechtlichen Vorschriften zu versagen. Für die Rechtsanwendung bliebe nach der Auffassung des BVerwG im „ArnoBreker“-Fall in jedem Einzelfall Raum, um die Kunstfreiheit und die Aspekte des Umweltschutzes unterschiedlich stark zu gewichten.438 Die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 GG ließen für eine Auslegung ausreichend Spielraum, die der Kunstfreiheit in jedem Einzelfall in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Rechnung trage, ohne die Kunstfreiheit selbst über Gebühr einschränken zu müssen. cc) Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot dient nicht dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Eine beachtliche Mindermeinung in der Literatur widerspricht der Ansicht des BVerwG, nach der der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung im Umweltstaatsprinzip des Art. 20a GG finde.439 Die Zurechnung der Landschaft zu den Schutzgütern des Art. 20a GG impliziert nämlich nicht, dass sie auch in ihrer ästhetischen Komponente grundgesetzlich geschützt ist.440 Eine Beeinträchtigung der ökologischen Ressourcen durch die bildende Kunst ist zudem nahezu ausgeschlossen.441 Diese Ansicht lehnt damit im Ergebnis einen allgemeinen „Baurechtsvorbehalt“ gegenüber der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) ab, 437

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2650). 439 AK-GG / Wolf, Art. 20a, Rn. 16; Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (363); ders., S. 115 f.; BeckOK-GG / Huster / Rux, Art. 20a, Rn. 46; BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 184; Gaudernack, S. 202 f.; Groß, NVwZ 2011, 129 (133); HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Hufen, JuS 1996, 454 (454); Kapell, S. 232 ff.; Lenz / Leydecker, DÖV 2000, 841 (845 f.); Pischel, S. 152; Schneider, S. 111; Schütz, JuS 1996, 498 (503); Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.); ­Waechter, Der Staat 30 (1991), 19 (31); Winkler, S. 165; Wolf, KritV 80 (1997), 280 (286); auf die Erholungsfunktion als natürliche Lebensgrundlage des Menschen abstellend, Calliess, S. 110. 440 Kapell, S. 233. 441 Bamberger, S. 117. 438

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

nach dem jede Inhaltsbestimmung des Eigentums zugleich zu einer gesetzlichen Schranke für die Freiheit der Kunst werden würde.442 Die Formulierung des BVerwG, § 35 BauGB schütze Natur und Landschaft, indem er „über die Abwehr von Verunstaltungen durch Bauwerke hinaus“ eine wesensfremde Bebauung verhindere, legt nämlich nicht zwingend den zweifelsfreien Schluss nahe, dass auch die Verunstaltungsabwehr dem Umweltschutz diene.443 Das BVerwG beschäftigte sich später444 erneut mit Art. 20a GG als Verfassungsgut zur naturschutzrechtlichen Eingrenzung des vorbehaltlosen Grundrechts der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) im Zusammenhang mit der Versagung einer bestattungsrechtlichen Genehmigung für die Errichtung eines Friedhofs innerhalb eines durch Verordnung festgesetzten Naturparks. Doch auch in diesem Beschluss wird der ästhetische Landschaftsschutz verfassungsrechtlich nicht ausdrücklich auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) zurückgeführt.445 Nach einer strengen Literaturansicht sind auf die umliegende Bebauung bezogene gestalterische Belange im Innenbereich aufgrund der begrifflichen Beschränkung auf die natürlichen Lebensgrundlagen nicht von Art. 20a GG erfasst. Dasselbe soll auch für die Verunstaltung des Ortsbildes durch Vorhaben im Außenbereich gelten, sodass ausschließlich das Verbot der Verunstaltung des Landschaftsbildes als baugestaltungsrechtliche, Art. 20a GG konkretisierende Anforderung in Betracht kommt.446 Dies ist insoweit konsequent, soweit man nicht die psycho-soziale, sondern nur die natürliche Umwelt als geschützt ansieht und unter Natur dabei alles versteht, was nicht auf menschlicher Hervorbringung beruht. Dann scheidet nämlich Art. 20a GG zum Schutz von durch Menschenhand geschaffenen Ortschaften von vornherein aus.447 Das Landschaftsbild verunstaltende Bauten mögen Böden versiegeln und damit die natürlichen Ressourcen als Schutzgut des Art. 20a GG verringern. Dies folgt jedoch nicht aus der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes, sondern aus der Bautätigkeit selbst.448 Das Umweltschutzprinzip (Art. 20a GG) dient dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Das Ziel des Umweltschutzprinzips ist also die Erhaltung von ökologischem Strukturreichtum, worunter der Schutz vor ästhetischer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes gerade nicht fällt.449 Umweltschutz ist schließlich 442

Hufen, JuS 1996. 454 (454). Kapell, S. 231. 444 BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852 = NuR 1997, 440. 445 Kapell, S. 232. 446 Dolderer, BauR 1999, 691 (696); Gaudernack, S. 202; Kapell, S. 232. 447 Gaudernack, S. 202. 448 Pischel, S. 152; Schütz, JuS 1996, 498 (502); Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 449 Bamberger, S. 117; Kapell, S. 236; Vesting, NJW 1996, 1111 (1113); Wolf, KritV 80 (1997), 280 (286). 443

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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immer auch Menschenschutz. Der Begriff der „natürlichen Lebensgrundlagen“ ist dagegen enger in dem Sinne, dass er einen Ökosystemschutz bezweckt.450 Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gilt als allgemeine physische „Überlebenssicherung“ zwar mittelbar auch dem Schutz der ökologischen Voraussetzungen der menschlichen Existenz, jedoch sind die Schutzgüter des Art. 20a GG spezifischer gefasst als die Schutzbereiche mancher einfachgesetzlicher Vorschriften des geltenden Umweltrechts, die weder genetisch noch funktional ihren unmittelbaren Bezug zum Menschenschutz negieren können.451 Zwar können auch Kulturlandschaften, die durch land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung geprägt sind, Lebensraum vielfältiger Tier- und Pflanzenarten und notwendiger Erholungsraum des Menschen sein. Insofern unterfiele dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch der Erhalt spezifischer Landschaftscharaktere und ihr Schutz gegen Verfremdung.452 Die ökologischen Bedingungs- und Wirkungszusammenhänge in den Biotopen müssen jedoch Ausgangspunkt des Begriffs der natürlichen Lebensgrundlagen sein. Ästhetische Gesichtspunkte, die dem Landschaftsbild aber erst durch den Menschen zugeschrieben werden, unterfallen daher nicht dem Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen, da sie nicht zu den ökosystemaren Funktionen der Landschaft als Lebensraum zählen.453 Das ästhetische Empfinden des Menschen besitzt keine Funktion im Rahmen dieser systemaren Zusammenhänge. Eine ästhetische Bedeutung wird dem Landschaftsbild erst durch den Menschen als Kulturwesen zugeschrieben. Die psycho-soziale Bedeutung der Umwelt für den Menschen spielt daher als Grundvoraussetzung für die Existenz, Fortexistenz und Evolution des biologischen Menschen keine Rolle.454 Art. 20a GG will letztlich ein ökologisches Existenzminimum für den Menschen gewährleisten, sodass die Erhaltung der überindividuellen ökologischen Kollektivgüter das alleinige Anliegen der Vorschrift ist. Daraus folgt sogleich, dass die natürlichen Lebensgrundlagen bereits begrifflich die individuellen Rechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit sowie den Schutz von Kultur- und Sachgütern nicht unmittelbar mitumfassen.455 Auch wenn der Mensch als eine natürliche Einheit aus Leib, Seele und Geist definiert wird, kann nicht jeder dieser Bereiche umfassend von Art. 20a GG geschützt sein, wenn schon Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht

450

Kapell, S. 236; Wolf, KritV 80 (1997), 280 (286). Wolf, KritV 80 (1997), 280 (286). 452 Schütz, JuS 1996, 498 (503); historische Parks und Gärten zählen jedenfalls wegen ihrer ästhetischen Werte wie die besondere Gestalt und Schönheit einer Landschaft zu den natür­ lichen Lebensgrundlagen des Menschen, Hönes, DÖV 1998, 491 (501), ders., NWVBl. 1998, 383 (388). Alle Umweltgüter, die in § 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) genannt sind, werden zu den natürlichen Lebensgrundlagen gezählt, d. h. neben der Landschaft auch Kultur- und sonstige Sachgüter. Die umweltspezifische Seite des Denkmalschutzes ist demzufolge ebenso gemeint, Hönes, DÖV 1998, 491 (499). 453 AK-GG / Wolf, Art. 20a, Rn. 16; Kapell, S. 236. 454 Kapell, S. 236. 455 AK-GG / Wolf, Art. 20a, Rn. 16. 451

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

jeden dieser Bereiche mit Blick auf das bloße oder soziale Wohlbefinden umfas­ send schützt.456 So sollen die natürlichen Lebensgrundlagen ein ökologisches Existenzminimum sichern. Daher muss der Schutzbereich des Art. 20a GG noch vor den im Grundgesetz verbürgten Grundrechten liegen und diese müssen vielmehr auf diesen aufbauen. Eine Ausbildung der spezifischen Schutzbereiche der Grundrechte und die aus ihnen abgeleiteten Schutzpflichten des Staates für das Leben und die körper­ liche Unversehrtheit kann nur dann erfolgen, wenn überhaupt die menschliche Umwelt im engeren Sinne als natürliche Lebensgrundlage garantiert wird, quasi als ein „Grundrechtsvoraussetzungsschutz“ erscheint und damit die Grundlage für die daran anknüpfenden Grundrechte bietet.457 Die Differenzierung der Schutzbereiche von Art. 2 Abs. 2 und Art. 20a GG ist nur die Kehrseite der Überlegung, dass der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gerade nicht im Grundrechtsschutz aufgeht.458 Ein ästhetisches Wohlbefinden oder ein allgemeines psychisches Wohlbefinden jedes Einzelnen kann von daher auch nicht auf Art. 20a GG gestützt werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Anwendungsbereich des Art. 20a GG selbst einer gesteigerten Unbestimmtheit unterliegt. So ist der Teil der Natur, der auf lange Sicht zu den „natürlichen Lebensgrundlagen“ zu rechnen sein soll, in Anbetracht der Komplexität des ökologischen Gesamtgefüges nahezu unmöglich zu bestimmen. Die weitgehende Unbestimmtheit des Art. 20a GG ergibt sich außerdem daraus, dass der aus dem Anwendungsbereich des Art. 20a GG konkretisierungsfähige Ausschnitt – der Gefahrbereich, der das Leben und die körperliche Unversehrtheit unmittelbar und konkret bedroht – bereits dem Grundrechtsartikel des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zugewiesen ist. Der originäre Anwendungsbereich des Art. 20a GG ist daher nicht quantifizierbar, soweit nicht Leben oder körperliche Unversehrtheit – mithin der Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – betroffen sind. Erweist sich aber die Bemessung des Individualbedarfs an gesunder Umwelt als nicht generell messbar, so scheidet zugleich ein Anspruch des Einzelnen auf ein außerhalb von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verankertes, abstraktes „ökologisches Existenzminimum – gerade auch in optisch-ästhetischer Hinsicht – aus.459 Es ist dem BVerwG460 auch nicht darin zuzustimmen, dass sich der optische Landschaftsschutz schon deswegen gegenüber der Kunstfreiheit durchsetze, weil die Baukunst durch den Gemeinschaftsbezug der Sozialbindung des Eigentums geprägt sei. Denn auch die für ein auskömmliches Miteinander der Menschen geschaffene städtebauliche Ordnung muss sich auf ein verfassungsrechtliches Rechtsgut zurückführen lassen, wenn ein Künstler von seiner grundrechtlich verbürgten Freiheit Gebrauch machen will. Auch wenn das Baurecht für das soziale Zusammen­leben 456

M / D/Di Fabio, Art. 2, Rn. 56. AK-GG / Wolf, Art. 20a, Rn. 16; Wolf, KritV 80 (1997), 280 (286). 458 Wolf, KritV 80 (1997), 280 (286). 459 Uhle, JuS 1996, 96 (101). 460 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 457

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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der Menschen durch die Verhinderung optischer Verunstaltungen eine wichtige Funktion erfüllen mag, findet der ästhetische Landschaftsschutz im Verfassungsrecht keine Stütze.461 Schlussendlich bleibt es dabei, dass der optische Landschaftsschutz nicht dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) dient und sich der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) nicht mit der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG verfassungsrechtlich legitimieren lässt. Es lässt sich an der Entscheidung des BVerwG außerdem bemängeln, dass sie zu dem generalisierenden Schluss nötigt, dass alle gesetzlichen Regelungen, die einen hinreichenden Bezug zum Schutz der Umwelt aufweisen, durch Art. 20a GG im Nachhinein verfassungsrechtlich aufgeladen werden können mit der Folge, dass sie mittelbar zu einer Erweiterung verfassungsimmanenter Grundrechtsschranken führen. Vor diesem Hintergrund mag die Heranziehung der Rechtsfigur einer „antezipatorischen Verfassungskonkretisierung“ nicht recht zu überzeugen.462 Denn die Begründung des BVerwG im „Arno-Breker“-Fall beruht ebenso darauf, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des Städtebaurechts quasi im „vorauseilenden Gehorsam“ den objektiven Rechtsgestaltungsauftrag des Art. 20a GG erfüllt habe.463 Etwas anderes ließe sich nur in den Bundesländern erwägen, deren Verfassung ausdrücklich die Landschaft unter Schutz stellt, wie beispielsweise Art. 141 Abs. 3 Satz 2 Bayer. Verfassung oder Art. 10 Abs. 3 Satz 1 Sächs. Verfassung. Rechtsgüter aus dem Landesverfassungsrecht können allerdings nur Vorschriften des Landes­ gesetzgebers rechtfertigen und sind damit nicht in der Lage, bundesverfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechte einzuschränken. Bundesrecht geht insoweit schon aufgrund von Art. 31 GG dem Landesrecht vor, sodass es im Geltungsbereich des Baugesetzbuchs beim Vorrang der Baukunstfreiheit vor dem ästhetischen Landschaftsschutz verbleibt.464

461

Schütz, JuS 1996, 498 (503). Bamberger, S. 117; Schmidt, JZ 1997, 1042 (1043); die gleiche Argumentation bietet sich im Falle nachträglicher Kompetenzzuweisungen an: Der verfassungsändernde Gesetzgeber macht sich häufig keine Gedanken über das Ob und Wie möglicher mit der Kompetenzwahrnehmung verbundener Grundrechtseinschränkungen. So wurden beispielsweise bei der Einfügung des Tierschutzes in Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG, mit dem eine umfassende Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers für diese Materie geschaffen werden sollte, im Rechtsausschuss des Bundestags eine mögliche Einschränkung der vorbehaltlosen Grundrechte nicht thematisiert. Gesetzgebungsvorbehalte sind außerdem nach der grundgesetzlichen Systematik im Gegensatz zu sonstigem Verfassungsrecht das adäquate Mittel, den Gesetzgeber zu Grundrechtseinschränkungen zu ermächtigen. Inwieweit der Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers bei der Prüfung von Kompetenznormen auf ihr Widerspruchspotential gegenüber vorbehaltlosen Grundrechten beachtlich ist, ist strittig, vgl. Misera-Lang, S. 352 f. 463 Schmidt, JZ 1997, 1042 (1043). 464 Bamberger, S. 46; Groß, NVwZ 2011, 129 (133); Moench / Schmidt, S. 57. 462

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

dd) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Baukultur respektive der optischästhetische Anblick eines Orts- oder Landschaftsbildes sicherlich zum allgemeinen Wohlbefinden der Bürger beitragen und gerade eine urbanisierte Welt zur Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen beisteuern kann. Bauen im öffentlichen Raum wirkt unweigerlich auf die Lebensbedingungen der Menschen ein.465 Der Genuss einer schönen Umgebung, der Anblick von formgebender Architektur und die ästhetisch befriedigende Gestaltung der Umwelt zählen aber nicht zu den unabdingbaren Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins und fallen damit nicht unter den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Art. 20a GG. Die menschliche Existenz ist nicht auf einen harmonischen Anblick eines Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes angewiesen.466 Ein physiologisch gesundes Leben – und nur die hierfür erforderlichen Grundlagen schützt Art. 20a GG – ist auch dann möglich, soweit landschaftsästhetische Reize beeinträchtigt, aber die ökologischen Funktionen der Landschaft nicht berührt werden.467 Es kann auch nicht Kant zur verfassungsrechtlichen Absicherung eines optischästhetischen Landschaftsschutzes herangezogen werden, nach dem das Beurteilungs­ vermögen des Menschen zu einem Geschmacksurteil fähig sei.468 Nur weil jeder Mensch fähig ist, für sich subjektiv zu bestimmen, was „schön“ ist und was nicht, folgt hieraus noch keine schlussfolgernde Notwendigkeit, dieser – von Mensch zu Mensch mit unterschiedlichen subjektiven Bedingungen ausgestatteten – Fähigkeit Verfassungsrang einzuräumen. Der Städtebau und eine gepflegte, in sich abgestimmte Baukultur können zugegebenermaßen zweifelsohne zum sozialen Wohlbefinden beitragen. Eine gestaltnegative Umgebung hat demzufolge Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Menschen.469 Die Zerstörungen infolge des Zweiten Weltkrieges und der Wiederaufbau der Nachkriegsjahre bewiesen jedoch, dass die Beurteilungsmaßstäbe einer verunstaltenden Wirkung durch bauliche Anlagen maßgeblich von der sozialen Lebens­ wirklichkeit der Bürger abhängen. Beim Wiederaufbau standen die Wohnungsnot und das kostengünstige Bauen im Vordergrund, sodass Straßenzüge in gleichförmiger, monotoner und farbloser Gestaltung in den zerbombten Städten neu errichtet wurden.470 Die städtische Neuordnung nach 1945 ging zudem äußerst planlos 465 Kapell, S. 18; Lynch, S. 14; insofern ist die Baukunst Grundlage für den Aufbau der psychischen Sozialstrukturen des Menschen. Vertiefend zur „Unwirtlichkeit unserer Städte“, die negativen Einfluss auf die gesunde Persönlichkeitsentwicklung besitzt, siehe nur Mitscherlich, S. 10, 14.  466 Kapell, S. 247; a. A. siehe nur Looks, S. 134 ff., insbes. S. 137, der die sozialpsychische Funktion der architektonischen Stadtgestalt als Grundvoraussetzung für die Entfaltung einer städtischen Kommunikation sieht; ebenso Mauss, S. 107. 467 Kapell, S. 237. 468 Mauss, S. 106. 469 Namgalies, S. 10, 151. 470 Engelmann, S. 3; Kapell, S. 18, 38; Müller, K., S. 8; Namgalies, S. 2 f.

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vonstatten.471 Hier standen offensichtlich die Funktionalität der Stadtgestaltung und die Not der Nachkriegszeit im Vordergrund, sodass das ästhetische Bauen und das allgemeine optisch-ästhetische Wohlbefinden aus der Perspektive der historischen und sozialen Lebenswirklichkeit nicht zu den Grundvoraussetzungen der mensch­lichen Lebensgrundlagen zählen können. Die Folgen des Krieges führten gleichwohl zu einem gesteigerten Interesse an Möglichkeiten zur weitgehenden Einschränkbarkeit der Baufreiheit zu ästhetischen Zwecken (insbesondere bei Anlagen der Außenwerbung).472 Eine ansprechende Baugestaltung des bauplanungsrechtlichen Innen- wie auch des Außenbereichs kann verfassungsrechtlich schon deswegen nicht abgesichert werden, da der Begriff der (negativen) Verunstaltungsabwehr selbst wandelbar ist, da er als unbestimmter Rechtsbegriff wandelbare ästhetische Vorstellungen des „gebildeten Durchschnittsbetrachters“ schützt.473 Er passt sich stets der Lebenswirklichkeit der Menschen und dem Zeitgeist der jeweiligen Epoche an. Auch die Lebensansprüche der Menschen verändern sich; jede Generation wächst mit ihren eigenen Vorstellungen und Ideen für die individuelle Gestaltung ihrer Umgebung auf. Normen, insbesondere unbestimmte Rechtsbegriffe, sind wandelbaren Inhalten und damit einer gleichermaßen zeit- wie verfassungsgemäßen Interpretation zugänglich.474 Der Verunstaltungsbegriff müsste ansonsten in jeder Epoche neu „angepasst“ werden, soweit es sich bei ihm nicht um einen unbestimmten Rechtsbegriff handeln würde, um den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz zu genügen. Dies ist aber nicht möglich. Ob ein Bauwerk den optischen Wert einer Landschaft schmälert, hebt oder unberührt lässt, kann nur aus einer Zusammenschau der ästhetischen Ansichten der heutigen Gesellschaft und damit nur für die Gegenwart ermittelt werden.475 So wies bereits das OVG Berlin in einem Beschluss aus dem Jahre 1984476 auf die Wandelbarkeit des Verunstaltungsbegriffs hin: Da sich seit dem Kriegsende das ästhetische Empfinden gewandelt habe, müsste das Augenmerk wieder stärker auf eine ansprechende Gestaltung des Orts- und Straßenbildes gerichtet werden. Häuserfassaden müssten sich dementsprechend nach dem heutigen ästhetischen Empfinden stärker an den Geboten der Stadtbildpflege und der architektonischen Harmonie ausrichten. Eine Verfassungswidrigkeit des 471

Kapell, S. 38; Looks, S. 1. Kapell, S. 38 f. 473 Engelmann, S. 5, 171; Kamp, S. 37; Kollmann, S. 357; ebso. BVerfG, NJW 2013, 3151 (3159), wonach unbestimmte Rechtsbegriffe die Vielgestaltigkeit des Lebens widerspiegeln. 474 Pischel, S. 157 f.; Goldschmidt, S. 12, betont „das mit dem wachsenden Wohlstand steigende Maß ästhetischer Bildung weiter Volkskreise und die im Zusammenhang damit wachsende Empfindlichkeit gegen eine ‚Verschandelung‘ landschaftlich schöner Gegenden“. 475 Kapell, S. 237. 476 OVG Bln, Beschl. v. 13. 01. 1984 = BauR 1984, 624; da der Verunstaltungsschutz wandelbaren ästhetischen Anschauungen unterliegt, kann er nicht schon deswegen verfassungswidrig sein, a. A. Moench / Schmidt, S. 21. 472

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Verunstaltungsbegriffs folgt allerdings nicht allein aus seiner Wandelbarkeit als unbestimmter Rechtsbegriff.477 Baukultur und Stadtgestaltung sind daher vielmehr im Zusammenhang mit der sozialen Frage, dem Wohlstand einer Gesellschaft,478 ihrem Selbstverständnis sowie im Zusammenhang mit dem jeweiligen Zeitgeist und der Lebensumstände der Bürger zu sehen.479 Dies wird besonders an der gesellschaftlichen Situation in Preußen zur Zeit der Jahrhundertwende deutlich, die zum Erlass der preußischen Verunstaltungsgesetze führte. In dieser Zeit stießen verschiedene gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen aufeinander. Der gewaltige wirtschaftliche Aufschwung durch die Industrialisierung führte zu einem starken Anwachsen der deutschen Städte. Dem dringenden Bedürfnis nach neuen Wohnungen wurde – wie in der Nachkriegszeit – durch den schnellen Bau vieler Mietskasernen entsprochen. Der neue Wohlstand führte demgegenüber zu dem Interesse, bürgerlichen Wohnhäusern und Stadtvillen ein ansprechendes Äußeres oder eine moderne Erscheinung zu geben. Die Reklameindustrie überzog jedoch das Orts- und Landschaftsbild mit Werbetafeln. Die Verstädterung führte gleichzeitig zu von breiten Volksschichten getragenen Bestrebungen um den Heimatschutz, der sich die Pflege heimatlicher Bauweise und die Erhaltung der Eigenart der Orts- und Landschaftsbilder zum Ziel gesetzt hat.480 In diesen vielschichtigen gesellschaftlichen Anliegen wird zum einen ersichtlich, dass Baukultur und Stadtgestalt Ausdruck der Lebenswirklichkeit der Menschen sind. Der verfassungsrechtliche Konflikt zwischen der Abwehr baulicher Verunstaltungen und dem Grundrecht der Kunstfreiheit wurde andererseits selbst in Weimarer Zeiten noch nicht gesehen.481 Baukultur und Stadtgestalt sind folglich Ausdruck der Lebenswirklichkeit einer Gesellschaft, sodass sich der Konflikt zwischen Baugestaltung und Umweltschutz auch in der nationalen Frage wiederfinden kann; insoweit sei abermals das OVG Berlin zitiert: „Wo sonst in der Bundesrepublik Deutschland die begrünte Umwelt beginnt, endet sie in Berlin-West, stößt der Berliner Bürger auf Mauern und Stacheldraht. Für ihn hat die Erhaltung von Natur und Erholungsflächen eine hohe sozialphysische und sozialpsychische Bedeutung, die unter dem Blickwinkel des Belastungsausgleiches auch einen gewissen Rechtswert gewinnt.“482 Eine weitere Kontrollüberlegung streitet zuletzt dafür, dass allein die Förderung von Ästhetik kein öffentlicher Belang sein kann, der ein öffentliches Interesse an einer Eigentumsbindung begründen könnte: Wenn die Förderung von Ästhetik ein öffentlicher Belang wäre, der eine Eigentumsbeschränkung rechtfertigen könnte, 477

A. A. Pischel, S. 157 ff., insbes. S. 159. Goldschmidt, S. 12; Namgalies, S. 151; eingehend auf den desintegrierenden Einfluss des sozialen Milieus auf die Persönlichkeitsentwicklung Mitscherlich, S. 98, 114. 479 Looks, S. 1; vertiefend: Schneider, NJW 2003, 642 ff. 480 Goldschmidt, S. 12, 15; Kapell, S. 28; Klein, S. 29. 481 Kitzinger, S. 475 ff. 482 OVG Bln, Urt. v. 02. 05. 1977 – II B 2.77 = NJW 1977, 2283 (2285). 478

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dann ist kein Grund dafür ersichtlich, warum nicht alle Gegenstände, die mit einem unterschiedlichen Aussehen geschaffen werden können, einer entsprechenden Eigentumsbeschränkung unterworfen werden. So könnte demnach der Gesetzgeber auch Vorschriften darüber erlassen, wie Wohnzimmer zu gestalten sind, welche Farben für Autos „schön“ sind und welche Krawatten ästhetischen Maßstäben am ehesten gerecht werden.483 ee) Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft als verfassungsrechtliche Ausprägung des Schutzgutes der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen Das BVerwG484 vermengte in seiner Entscheidung über die Breker’schen Monumentalfiguren im Außenbereich den Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) mit dem Belang der Verunstaltung des Ortsund Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB). Eine bloß pauschale verfassungsrechtliche Rückführung der öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB auf das Umweltschutzprinzip (Art. 20a GG) genügt allerdings nicht, um eine verfassungsimmanente Schranke der Kunstfreiheit dogmatisch begründen zu können.485 Denn § 35 Abs. 3 BauGB enthält auch öffentliche Belange, die weder Ausdruck des Art. 20a GG sind noch auf andere verfassungsimmanente Schranken zurückgeführt werden können.486 So handelt es sich um zwei verschiedene öffentliche Belange, die in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ausdrücklich geregelt werden: die natürliche Eigenart der Landschaft einerseits und die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes andererseits. Öffentliche Belange, die einem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht entgegen gehalten werden sollen, müssen zunächst konkret benannt werden487 und in einem zweiten Schritt ist anschließend zu fragen, inwieweit der herangezogene Belang Ausdruck kollidierenden Verfassungsrechts ist.488 Die Erhaltung des Landschaftsbildes unterfällt allerdings ausschließlich dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG). Der funktionale Schutz der Landschaft vor einer wesensfremden Bebauung ist in dem öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) verwirklicht.489 Der Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) schützt hingegen nur den ästhetischen Wert 483

Manssen, S. 178. BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 485 Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (363). 486 Schütz, JuS 1996, 498 (503). 487 BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 184; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Schütz, JuS 1996, 498 (503); S / S/D / Stern, §§ 117, XV 3; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (618). 488 Schütz, JuS 1996, 498 (503). 489 Kapell, S. 238; Schütz, JuS 1996, 498 (503); Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 484

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der Landschaft; er dient aber nicht der Schonung von Ressourcen. Das Verunstaltungsverbot kann daher nicht auf Art. 20a GG zurückgeführt werden.490 Der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft will eine qualitative Unvereinbarkeit der geplanten Nutzung eines Vorhabens mit der naturgemäßen Nutzungsweise der Landschaft verhindern.491 Die natürliche Eigenart der Landschaft wird dabei von der naturgegebenen Art der Bodennutzung, einschließlich der Eigentümlichkeiten der Bodenformation und ihrer Bewachsung, geprägt. Für jeden Einzelfall ist daher zu fragen, ob das jeweilige Vorhaben einen Bezug zur vorzufindenden Landschaft aufweist oder einen Fremdkörper darstellt.492 Regelmäßig spricht vieles dafür, dass das Aufstellen von Monumentalfiguren im Außenbereich in einer Umgebung, die land- oder forstwirtschaftlich geprägt ist, eine wesensfremde Bebauung darstellt. Die Errichtung von Monumentalfiguren widerspricht grundsätzlich der naturgemäßen Nutzung des Außenbereichs als Flächen für die Land- und Forstwirtschaft sowie als Erholungsmöglichkeit für die Allgemeinheit.493 Dieses Argumentationsmuster ist in sich schlüssiger als die Begründung des BVerwG,494 die auf den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes abstellt und sich auf nicht ganz zweifelsfreie verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlagen stützt.495 Ein im Außenbereich aufgestelltes Kunstobjekt darf jedoch nicht vorschnell allein aufgrund seiner Funktion als Kunstobjekt mit der Begründung abgelehnt werden, es werde im Falle seiner Aufstellung ein neuartiges Element in die Landschaft hineingetragen. Die Beantwortung der Frage, ob das Aufstellen von Kunstfiguren mit der funktionellen Bestimmung des Außenbereichs als unvereinbar anzusehen ist, beurteilt sich danach, inwieweit sich das neu hinzukommende Kunstobjekt auf die Qualität seiner Umgebung nachteilig auswirken kann. Es besteht nämlich kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Kunstobjekte etwas Wesensfremdes in den Außenbereich hineintragen.496 Das Abstellen auf den formalen Aspekt des funktionellen Landschaftsschutzes wird einerseits der Argumentation des BVerwG im „Arno-Breker“-Fall497 gerecht, den Außenbereich vor einer wesensfremden Bebauung zu schützen, als auch der ratio legis des Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB), denn regelmäßig wird mit der Errichtung von Kunstobjekten im Außenbereich eine wesensfremde Bebauung einhergehen.498 490

HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Schütz, JuS 1996, 498 (503). BVerwG, Beschl. v. 29. 04. 1968 – 4 B 77.67 = DVBl. 1969, 261; Scheidler, BauR 2019, 190 (195); Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 492 Schütz, JuS 1996, 498 (504). 493 Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 494 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 495 Vesting, NJW 1996, 1111 (1114). 496 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 497 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 498 Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.). 491

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ff) Abwägungsentscheidung im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanter Umstände im Lichte der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) Nachdem das BVerwG499 im „Arno-Breker“-Fall herausgearbeitet hat, dass sowohl der Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes als auch der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) einem allgemeinen Schutzauftrag des Staates zugunsten des „allgemeinen psychischen Wohlbefindens der Bürger sowie zugunsten des sozialen Friedens in der Gemeinschaft“ sowie dem Umweltstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG, Art. 20a GG) dienen, betonte das BVerwG weiterhin die Bedeutung einer Güterund Interessenabwägung im jeweiligen Einzelfall. Das Interesse des Bauherrn an der Aufstellung bzw. Errichtung eines Kunstwerks im Außenbereich und die berührten öffentlichen Belange müssen schließlich in einen schonenden Ausgleich gebracht werden.500 Der Ansatz, der in der Errichtung eines monumentalen Kunstwerks im Außenbereich regelmäßig nur eine dem Außenbereich wesensfremde Bebauung sieht und damit nur eine Beeinträchtigung des öffentlichen Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) annimmt, lässt allerdings ebenso eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles bei gleichzeitiger Auslegung des einfachgesetzlichen Belangs im Lichte der Kunstfreiheit zu.501 Das eigentliche Problem der Abwägung im Einzelfall liegt dabei in der Vielfalt der Kunst, wie sie nach außen hin in Erscheinung tritt. Das macht die Abwägung zum Kernproblem der Kollision von gegenläufigen Verfassungsgütern.502 Aus der Geltung der Grundrechte als objektives Recht folgt schließlich eine Ausstrahlungswirkung der Grundrechte in alle Bereiche der Rechtsordnung.503 Sie besteht darin, dass sie die einzelnen Rechtsbereiche und ihre Bestimmungen zwar als solche bestehen lässt, ihre Geltung aber im Sinne der Inhalte und Wertungen der Grundrechte prägt. Hieraus folgt der Grundsatz grundrechtskonformer Auslegung und Anwendung einfachgesetzlicher (und untergesetzlicher) Vorschriften. Da Normen, die nicht in inhaltlichen Einklang mit den höherrangigen Grundrechen und ihren Wertungen stehen, ungültig sind, bedarf es neben der materiell-inhaltlichen Grundrechtskonformität zur Erhaltung der Gültigkeit einfach- (und unter-)gesetzlicher Normen im Zweifel einer Anwendung und Auslegung, die den objektiven Wertgehalten der Grundrechte entspricht. Dort, wo Zweifel über Inhalt, Sinn oder 499

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649 f.). BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 501 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088; Schütz, JuS 1996, 498 (504). 502 S / S/D / Stern, § 117, VII 3. 503 BVerfG, Beschl. v. 01. 07. 1987 – 2 BvR 478/86, 2 BvR 962/86 = BVerfGE 76, 143 (161); Mißling, S. 33; Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607). 500

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Regelungsgehalt der unterverfassungsrechtlichen Norm besteht, bedarf es stets einer verfassungskonformen Auslegung, sofern dies möglich ist.504 Soweit Rechtsnormen mit dem Grundgesetz nicht in Einklang stehen, folgt nach alledem daraus nicht die Nichtigkeit dieser Normen schlechthin. Soweit der Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes gegebenenfalls in den Schutzbereich kollidierender, vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte eingreift, folgt aus alledem noch nicht die Nichtigkeit des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB. Denn das Verunstaltungsverbot stellt nicht auf Baukunstwerke ab, sondern regelt den „Normalfall“ architektonischer Gestaltung unterhalb der künstlerischen Ebene und damit den weiteren Bereich des verfassungsrechtlich unbedenklichen Gestaltungsrechts – die Verunstaltungsverbote stehen immerhin in Einklang mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und stellen insoweit zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmungen dar, Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.505 Um eine Nichtigkeit der Norm zu vermeiden, muss der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes kunstkonform ausgelegt werden, soweit er im Einzelfall in Konflikt mit den Gewährleistungen der Kunstfreiheitsgarantie (oder der Glaubensfreiheitsgarantie)  tritt. Es wird sich zeigen, dass ein Restanwendungsbereich des Verunstaltungsverbotes verbleibt, sodass sich die Baukunstfreiheit nicht zwangsläufig in jedem Einzelfall gegenüber dem ästhetischen Landschaftsschutz durchsetzt. Eine Verfassungswidrigkeit des Verunstaltungsbegriffs folgt allerdings nicht allein aus seiner Wandelbarkeit als unbestimmter Rechtsbegriff.506 Selbst wenn der Gesetzgeber bei Erlass des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB in Hinblick auf die öffentlichen Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes noch keinen Konflikt zwischen dem Landschaftsschutz und den Gewährleistungen der Kunstfreiheit gesehen haben mag, hat er die Abwägung zwischen Landschaftsschutz und Kunstfreiheit wenigstens unbewusst dahingehend entschieden, dem Landschaftsschutz den Vorrang einzuräumen. Denn der Gesetzgeber kann einzelnen Umweltschutzaspekten durch einfachgesetzliche Konkretisierungen einen Vorrang gegenüber anderen Belangen einräumen. In einem solchen Fall hat der Gesetzgeber bereits die jeweiligen Belange grundsätzlich miteinander und gegeneinander abgewogen und gelangte für die hier interessierende Fallgestaltung des Konflikts zwischen dem Landschaftsschutz und der Kunstfreiheit zu dem Ergebnis, dass Belange des Umweltschutzes vorrangig sind.507

504

Mißling, S. 33; für die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote vgl. Moench / Schmidt, S. 57; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (622). 505 Moench / Schmidt, S. 57. 506 A. A. Pischel, S. 157 ff., insbes. S. 159. 507 M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 49.

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So ist die Baukunst im Gegensatz zu anderen Kunstgattungen wie die Malerei, die Literatur, die Dichtkunst oder die Musik in besonderer Weise von der Gesetzgebung erfasst. Dies liegt daran, dass sie anders als die anderen Kunstgattungen in eine sichtbare Umgebung eines gegebenen Landschafts- oder Stadtbildes eingebettet ist und daher die Eigentümerrechte anderer beeinträchtigen kann oder baurechtlichen Vorschriften in Hinblick auf sicherheitsrechtliche oder bauästhetische Anforderungen an das konkrete Bauvorhaben genügen muss.508 Da sich die Baukunst in der Öffentlichkeit abspielt, ist es grundsätzlich gerechtfertigt, dass sie stärkeren Rechtsschranken unterliegt als andere Kunstformen.509 Der Begriff der Verunstaltung ist andererseits ein unbestimmter Rechtsbegriff.510 Als solcher ist er verfassungskonform im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 20a GG auszulegen.511 Trotz der grundsätzlichen Auslegungstendenz zugunsten des Landschaftsschutzes muss im Einzelfall immer noch die Möglichkeit gewährleistet bleiben, im konkreten Einzelfall die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter unter Wahrung strikter Verhältnismäßigkeit vornehmen zu können. Das BVerwG wies für den Bereich der Baukunst auf die Möglichkeit der Erteilung von Befreiungen von den bauordnungsrechtlichen Anforderungen im Einzelfall hin.512 Ähnliche Entscheidungen finden sich in Bezug auf die Kunstfreiheit auch in anderen Sachverhaltskonstellationen außerhalb des Baurechts: So legte beispielsweise das BVerwG in einer Entscheidung über ein Vermarktungsverbot für Elfenbein513 dar, dass es trotz der vom Gesetzgeber vorgenommenen einfachgesetzlichen Einräumung des Vorrangs zugunsten eines Verfassungsgutes wie Art. 20a GG in besonderen Einzelfällen die Möglichkeit verbleiben muss, dass die Kunstfreiheit doch dem Landschaftsschutz im Rang vorgeht. Die Abwägung der Kunstfreiheit mit dem Landschaftsschutz kann nämlich unter Wahrung des Prin-

508 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); BayVerfGH, Entsch. v.  20. 01. 1969, Vf. 78-VII-67 = GRUR 1970, 150 (151); M / D/Scholz, Art. 5 Abs. 3, Rn. 72; Mick, S. 5, 17, 75; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 469; Oppermann, S. 460 f.; Pischel, S. 15 f. 509 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649); BayVerfGH, Entsch. v. 20. 01. 1969, Vf. 78-VII-67 = GRUR 1970, 150 (151); M / D/Scholz, Art. 5 Abs. 3, Rn. 72; Mick, S. 5, 17, 75; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 469; Oppermann, S.  460 f.; S / S/D / Stern, § 117, VII 4; das VG Berlin stellt in einer aktuellen Entscheidung über die Zulässigkeit einer Fassadenbemalung maßgeblich darauf ab, dass im Gegensatz zu sonstigen künstlerischen Tätigkeiten die Kunst an Bauwerken durch die Sozialbindung des Eigentums mitgeprägt werde, sodass ihre Ausübung Grundeigentum voraussetze, dessen Nutzung an strengere rechtliche Vorgaben geknüpft sei als das bewegliche Eigentum, VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451. 510 PdK-BayBO, Art. 8, Rn. 2; Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 511 M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 93; Peters, NVwZ 1995, 555 (557). 512 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 513 BVerwG, Beschl. v. 21. 09. 1995 – 4 B 263/94 = NJW 1996, 1163.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

zips der verhältnismäßigen Gewichtung der widerstreitenden Verfassungsgüter in begründeten Einzelfällen anders ausfallen. Der „Elfenbein“-Entscheidung lag dabei der Sachverhalt zugrunde, dass der Beschwerdeführer eine Befreiung von einem naturschutzrechtlichen Vermarktungsverbot begehrte. Das BVerwG führte aus, dass die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) grundsätzlich nicht gewährleiste, Elfenbeinschnitzereien vom Vermarktungsverbot auszunehmen. Die Kunstfreiheit trete vielmehr in Kollision mit anderen Verfassungsgütern wie dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Art. 20a GG. Der Schutz der Arten genieße zwar keinen absoluten Vorrang gegenüber der Kunstfreiheit, der Gesetzgeber habe jedoch dem Artenschutz einfachgesetzlich den Vorrang eingeräumt.514 Dies schließe freilich nicht aus, dass in besonderen Einzelfällen die Kunstfreiheit dem Artenschutz vorgehen könne, dem durch die Erteilung einer im Gesetz zugelassenen Befreiung Rechnung getragen werden müsse. Das BVerwG brauchte dies jedenfalls im entschiedenen Fall nicht mehr zu prüfen, da es dem Beschwerdeführer nicht um die Anwendung des naturschutzrechtlichen Vermarktungsverbotes ging, sondern um die generelle Freistellung künstlerisch oder kunsthandwerklich verarbeiteten Elfenbeins.515 Während der Gesetzgeber hinsichtlich des naturschutzrechtlichen Vermarktungsverbotes die Möglichkeit von Befreiungen vorgesehen hat, sodass in besonders gelagerten Einzelfällen das Abwägungsergebnis zwischen der Kunstfreiheit und dem Artenschutz abweichend ausfallen kann als in den vom Gesetzgeber mit dem naturschutzrechtlichen Vermarktungsverbot vorgezeichneten Fällen, hat er eine derartige Befreiungsmöglichkeit in § 35 Abs. 3 BauGB nicht vorgesehen. Dies darf aber nicht zu der fälschlichen Annahme verleiten, dass die Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Landschaftsschutz zwingend zugunsten des Landschaftsschutzes ausfallen müsse. Das BVerwG präferierte in der „Arno-Breker“-Entscheidung also dahin, die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB im Lichte der Kunstfreiheit auszulegen. Der Kunstfreiheit sei deswegen in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise Rechnung zu tragen, da die einfachgesetzlichen Belange in Konkretisierung des in Art. 20a GG enthaltenen Schutzauftrages die Möglichkeit eröffnen, den Außenbereich wirksam zu schützen, ohne die Kunstfreiheit über die Grenzen hinaus einzuschränken, die ihr durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen seien.516 Es bestehen darüber hinaus verschiedene Lösungsansätze, in begründeten Einzelfällen der Kunstfreiheit den Vorrang vor dem Landschaftsschutz einzuräumen. Die Lösung kann zum einen darin gefunden werden, dass der Kunstfreiheit dann der Vorrang einzuräumen ist, soweit keine öffentlichen Belange im Sinne des § 35 514

BVerwG, Beschl. v. 21. 09. 1995 – 4 B 263/94 = NJW 1996, 1163. BVerwG, Beschl. v. 21. 09. 1995 – 4 B 263/94 = NJW 1996, 1163. 516 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). 515

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Abs. 3 BauGB in schwerwiegender Weise beeinträchtigt werden.517 Die gegenläufigen Verfassungsgüter können in diesem Sinne anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls gewichtet und im Wege der praktischen Konkordanz in einen schonenden Ausgleich miteinander gebracht werden.518 Der Begriff der „Verunstaltung“ kann zum anderen verfassungskonform im Lichte der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) ausgelegt werden. Es ist ebenfalls denkbar, dass Kunst gerade keine „Verunstaltung“ darstellt, sondern gerade das Gegenteil bewirken möchte. Zuletzt bietet es sich an, in zweifelsfreien Fällen eine Beseitigungsanordnung dann als ermessensfehlerhaft anzusehen, soweit öffentliche Belange durch ein Kunstwerk im Außenbereich nicht in schwerwiegender Weise beeinträchtigt werden. (1) Kunstkonforme Auslegung des Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) Das BVerwG519 erkannte in seinem Beschluss über das Verhältnis zwischen der Baukunst und dem bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot an, dass eine allgemeine Beschränkung der Kunstfreiheit zugunsten eines „Beitrags zum allseitigen psychischen Wohlbefinden der Bürger“ sowie „zum sozialen Frieden in der Gesellschaft“ zu weitgehend ist.520 Es darf daher „von dem Mittel einer Beschränkung der Freiheit der Baugestaltung nur mit äußerster Zurückhaltung und unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit Gebrauch gemacht werden, soweit es zur Wahrung der genannten verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter erforderlich ist“.521 Die Rechtsgüterabwägung muss dann so erfolgen, dass dem öffentlichen Interesse an der Wahrung des Landschaftsbildes ein nicht nur untergeordnetes Gewicht gegenüber der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit zugesprochen wird, da die Baukunst einen stärkeren Allgemeinbezug aufweist, da sie untrennbar mit dem Grund und Boden verbunden ist und als besondere Kunstform auf das Landschafts- oder Ortsbild eine erheblich größere Auswirkung haben kann als jede andere Kunstform. Insofern unterliegt die Baukunst größeren gesellschaftlichen Beschränkungen.522 517

VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. BVerfG, Beschl. v. 24. 02. 1971 – 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173 = NJW 1971, 1645 – Mephisto; BVerfG, Beschl. v. 03. 11. 1987 – 1 BvR 1257/84 = BVerfGE 77, 240 = NJW 1988, 325 – Herrnburger Bericht; BVerfG, Beschl. v. 07. 03. 1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87 = BVerfGE 81, 278 = NJW 1990, 1982 – Bundesflagge; BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649) – Arno Breker. 519 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 520 S / S/D / Stern, § 117, VII 4. 521 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 522 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649) – Arno Breker; BayVerfGH, Entsch. v. 20. 01. 1969, Vf. 78-VII-67 = GRUR 1970, 150 (151); Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (226); M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 469; Pischel, S.  15 f.; S / S/D / Stern, § 117, VII 4. 518

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Es ist allerdings nicht zwangsläufig so, dass jede Errichtung von Kunstwerken im Außenbereich einen Verstoß gegen öffentliche Belange – insbesondere dem der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes – zur Folge hat. Denn bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall kann eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB im Lichte der Bedeutung der – gerade auch bewusst vorbehaltlos ausgestalteten – Kunstfreiheitsgarantie angezeigt sein, die es gebietet, der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) gegenüber dem Landschaftsschutz (Art. 20a GG) den Vorzug zu geben und eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange zu verneinen.523 Das BVerwG524 argumentierte im Fall der Breker’schen Monumentalfiguren mit den Erwägungen zur Wechselwirkungslehre, die das BVerfG525 im Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und den es einschränkenden Gesetzen herausgearbeitet hat. Ziel sei es, „die dem Schutz des Außenbereichs dienenden einfachgesetzlichen Vorschriften des Baugesetzbuchs … ihrerseits wieder im Lichte des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG auszulegen, damit ein den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechender Ausgleich der widerstreitenden, verfassungsrechtlich geschützten Interessen gefunden werden kann“.526 Der einfachgesetzliche Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft lasse nach Ansicht des BVerwG deswegen Raum für eine Auslegung, die der Gewährleistung der Kunstfreiheit in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise Rechnung trage, da er – wie ebenfalls die anderen Tatbestandsalternativen des § 35 Abs. 3 BauGB – in Konkretisierung des in Art. 20a GG enthaltenen Schutzauftrages die Möglichkeit eröffne, den Außenbereich wirksam zu schützen, ohne die Kunstfreiheit über die Grenzen hinaus einzuschränken, die ihr durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen seien.527 Eine andere Gewichtung zwischen den Belangen des Umweltschutzes und denen der Kunstfreiheit lässt auch im Einzelfall die Ausgestaltung des § 35 Abs. 2 BauGB als Ermessensnorm zu.528 Es ist mit anderen Worten sogar denkbar, dass die Errichtung eines Kunstwerks im Außenbereich öffentliche Belange beeinträchtigt, dem Grundrecht der Kunstfreiheit aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung dennoch der Vorzug zu geben ist.529 Das OVG RhPf ging daher in einer Entscheidung 523 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2650) – Arno Breker; VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088; Schütz, JuS 1996, 498 (504); BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 184; HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78. 524 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 525 BVerfG, Beschl. v. 24. 02. 1971 – 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173 = NJW 1971, 1645 – Mephisto; BVerfG, Beschl. v. 03. 11. 1987 – 1 BvR 1257/84 = BVerfGE 77, 240 = NJW 1988, 325 – Herrnburger Bericht; BVerfG, Beschl. v. 07. 03. 1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87 = BVerfGE 81, 278 = NJW 1990, 1982 – Bundesflagge. 526 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 527 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 528 BonnerKomm-GG / Kloepfer, Art. 20a, Rn. 82. 529 Frenz, JuS 2009, 902 (905).

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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über die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit einer Fassadenbemalung eines Wohnhauses in einer Ortschaft von der zutreffenden Annahme aus, dass bei einem Verstoß gegen das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot des Landes (§ 5 Abs. 2 RhPfBauO) noch nicht feststehe, dass jeglicher Verstoß gegen das Verunstaltungsverbot auch eine Beschränkung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG rechtfertigen könne. Auch in diesem Falle sei eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Grundrecht der Kunstfreiheit und den durch § 5 Abs. 2 RhPfBauO geschützten Rechten Dritter vorzunehmen.530 Das einfache Recht steht ebenso wenig einer kunstkonformen Auslegung des Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft entgegen: Die Funktion dieses Belangs rechtfertigt es grundsätzlich, das Eindringen wesensfremder und der Erholungseignung abträglicher Nutzungen in den Außenbereich zu verhindern. Aus der grundsätzlichen Funktion dieses Belangs folgt aber noch nicht, dass solche Nutzungen schlechthin oder doch regelmäßig als mit der funktionellen Bestimmung des Außenbereichs unvereinbar zu qualifizieren sind. Es ist stets eine Einzelfallprüfung notwendig, ob sich das Vorhaben auf die Qualität der Umgebung nachteilig auswirken kann. Es lässt sich von daher weder ein Beleg noch ein Indiz für eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswertes allein daraus ableiten, dass durch ein Vorhaben ein neuartiges Element in die Landschaft hineingetragen wird.531 Soweit die Umstände des jeweiligen Einzelfalls nur auf eine geringfügige Beeinträchtigung öffentlicher Belange schließen lassen, ist daher im Kollisionsfall von Kunstfreiheit und Landschaftsschutz der ersteren der Vorzug zu geben.532 Die Kunstfreiheit setzt sich demnach gegenüber den sie beschränkenden anderen Verfassungsgütern und deren einfachgesetzliche Ausprägungen durch, soweit öffentliche Belange überhaupt nicht oder nicht in schwerwiegender Weise beeinträchtigt sind.533 Diese Sichtweise entspricht auch der Rechtsprechung des BVerfG, die im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Schranken der Kunstfreiheit die „hohe Bedeutung der Kunstfreiheit“ betont, die dazu führe, dass diese nur dann zurückzutreten habe, wenn es zu einer „schwerwiegenden Beeinträchtigung“ anderer Verfassungsgüter gekommen sei.534

530 OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1422 f.); die rheinlandpfälzische Bauordnung sieht unter anderem vor, dass bauliche Anlagen neben dem Straßen-, Orts- und Landschaftsbild auch benachbarte bauliche Anlagen nicht verunstalten dürfen, § 5 Abs. 2 RhPfBauO. Zur Frage, ob die Vorschrift einem Nachbarn Drittschutz vermitteln kann, siehe Kapitel C. I. 6. 531 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649 f.). 532 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 533 OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1422 f.); VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 534 BVerfG, Beschl. v. 17. 07. 1984 – 1 BvR 816/82 = BVerfGE 67, 213 (228) – Anachronistischer Zug; BVerfG, Beschl. v. 13. 06. 2007 – 1 BvR 1783/05 = BVerfGE 119, 1 (20 f.) – Roman Esra.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

(2) Für die kunstkonforme Auslegung relevante Gesichtspunkte Das BVerwG535 ließ in seiner Entscheidung über die Aufstellung monumentaler Figuren im Außenbereich allerdings unbeantwortet, welche besonderen Umstände im jeweiligen Einzelfall für die Abwägung zwischen dem Grundrecht der Kunstfreiheit und dem Landschaftsschutz eine Rolle spielen und wie im vorliegenden Fall ein schonender Ausgleich der Verfassungsgüter hätte aussehen können.536 Schon dem PrOVG fiel es in seinem berühmten „Kreuzberg“-Urteil schwer, die Interessen des Bauherrn und das öffentliche Interesse am Denkmalschutz unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit in einen schonenden Ausgleich zu bringen, obwohl Verfassungsvorschriften dem PrOVG keine Vorgaben machten.537 Auch das VG München rekurrierte in seiner Entscheidung über die Errichtung eines Skulpturenparks im Außenbereich auf eine sorgfältige Abwägung im jeweiligen Einzelfall.538 Jedenfalls hätte es im „Arno-Breker“-Fall einer Berücksichtigung und Erörterung bedurft, dass das Grundstück, auf denen die Skulpturen aufgestellt werden sollten, bereits mit einem Wochenendhaus bebaut war. Insofern hätte man der Frage nachgehen können, inwieweit das Landschaftsbild in Bezug auf die hinzukommenden Kunstfiguren überhaupt noch schutzwürdig war. Die Größe der Skulpturen mit ihrer Wirkung auf die Umgebung spielt bei dieser Betrachtung selbstverständlich eine gewichtige Rolle. Es wäre außerdem noch zu berücksichtigen gewesen, dass die 7 m hohen Sockel für die Skulpturen den Außenbereich noch zusätzlich in Anspruch genommen hätten.539 Der dem Urteil des VG München540 zugrunde liegende Sachverhalt betreffend die Errichtung eines Kunstparks im Außenbereich bot im Gegensatz zu dem vom BVerwG entschiedenen Fall über die Breker’schen Monumentalfiguren541 mehr Abwägungsgesichtspunkte dafür, die Kunstfreiheit gegenüber den beeinträchtigten öffentlichen Belangen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB nicht zurücktreten zu lassen. Soweit der Umstand, dass die Kunstskulpturen von der vorbeiführenden Straße frei einsehbar waren, für die Eröffnung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit insofern von Bedeutung war, als dass die Kunstfiguren der Öffentlichkeit frei zugänglich waren und damit der Wirkbereich der Kunstfreiheit eröffnet war, erhielt dieser Umstand im Rahmen der Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter eine für die Kunstfreiheit nachteilhafte Bedeutung. Denn mit der freien Sicht auf die Skulpturen ging eine Beanspruchung des Landschaftsbildes einher. Es kam allerdings dem Gesichtspunkt der freien Sicht keine für die Kunstfreiheit entscheidende nachteilige

535

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 – Arno Breker. Schütz, JuS 1996, 498 (504). 537 S / S/D / Stern, § 117, VII 4. 538 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 539 Schütz, JuS 1996, 498 (504). 540 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 541 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 – Arno Breker. 536

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Bedeutung zu, da die Figuren aufgrund ihrer Größe und Erscheinungsform nicht besonders auffällig in Erscheinung getreten seien.542 Soweit man nur auf den Gesichtspunkt der Größe eines im Außenbereich errichteten Kunstwerks abstellt, wird man bei Kunstwerken durchschnittlicher Größe eher nicht auf eine dem Außenbereich wesensfremde Bebauung schließen können, was hingegen bei der Errichtung größerer Monumente eher der Fall sein wird. Denn in Bezug auf die Errichtung kleinerer Kunstwerke ist es nicht einzusehen, warum sie vergleichbar mit Wochenendhäusern oder gewerblichen Anlagen die natürliche Eigenart der Landschaft nachhaltig beeinträchtigen können sollen.543 Hier muss sich richtigerweise die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) gegenüber dem in Art. 20a GG gewährleisteten funktionellen Landschaftsschutz durchsetzen, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen und die verschiedenen Interessen in einem schonenden Ausgleich miteinander zu bringen. Für die Frage, ob es gerechtfertigt ist, das Grundrecht der Kunstfreiheit zurückstehen zu lassen, soweit öffentliche Belange nicht schwerwiegend beeinträchtigt sind,544 kommt auch dem Gesichtspunkt der landschaftlichen Vorbelastung eine maßgebliche Rolle zu. Die Kunstfreiheit setzt sich jedenfalls bei kleineren und in ihrer Erscheinung nicht besonders hervorstechenden Kunstfiguren dann durch, wenn das benachbarte Grundstück mit einem Golfplatz bebaut ist und die nähere Umgebung damit bereits Veränderungen in ihrer natürlichen Eigenart der Landschaft erfahren hat.545 Neben dem Gesichtspunkt der Größe eines Kunstobjektes im Außenbereich ist auch dessen (An-)Zahl und Gestalt in der freien Landschaft entscheidend, um eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB im konkreten Einzelfall als geringfügig anzusehen. Das VG München stellte klar, dass eine Abwägungsentscheidung auch zulasten der Kunstfreiheit ausfallen kann, soweit es sich nicht um einige wenige Kunstobjekte, sondern um eine ganze Anhäufung von Kunstwerken handelt, die eine zusätzliche und prägende Belastung für das Landschaftsbild darstellen.546 Bei der Abwägung zwischen der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und dem Landschaftsschutz (Art. 20a GG) darf auch nicht die Bedeutung des Grundrechts der Kunstfreiheit verkannt werden. Eine Verkennung der Bedeutung des Grundrechts der Kunstfreiheit liegt dann vor, soweit sich die Behörde überhaupt nicht der vom Künstler künstlerisch gewollten und tatsächlich gegebenen lokalen Bezüge seines Kunstwerks bewusst wird. Eine Verkennung der Bedeutung der Kunstfrei-

542

VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.). 544 OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1423); VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 545 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 546 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 543

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

heit lag im vom VG München entschiedenen Fall deswegen vor, weil die Behörde auf die Möglichkeit der Errichtung des Kunstparks im beplanten Innenbereich mit der Begründung hinwies, es gebe „keinen sachlichen Grund“, warum der Kunstpark nicht im Innenbereich errichtet werde. Diese Begründung verkannte jedoch die Bedeutung der Synthese aus verschiedenen kunsthistorischen Epochen und Kulturen, die die Kunstfiguren in ihrer Einbettung im Landschaftsbild zum Ausdruck bringen wollten.547 Für die Frage nach der Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in die Kunstfreiheit ist im jeweiligen Einzelfall letztlich maßgeblich, als wie schwerwiegend sich der Eingriff erweist.548 Nach der Schwere des Eingriffs bemisst sich, inwieweit die Kunstfreiheit gegenüber den beeinträchtigten öffentlichen Belangen des § 35 Abs. 3 BauGB zurückzutreten hat.549 Denn die Entscheidung des Verfassungsgebers, die Kunstfreiheit schrankenlos zu gewährleisten, darf nicht bedeutungslos werden.550 Die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG kann nämlich nicht einen erheblichen Eingriff in ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht rechtfertigen.551 Das BVerfG erwog außerdem, die Schutzwürdigkeit der Kunstfreiheit danach zu differenzieren, ob im Einzelfall ein Eingriff in den Werk- oder in den Wirkbereich der Kunst vorliegt. Danach sei der Werkbereich dem „Kern der Kunstfreiheit“ zuzuordnen, weil er sich im Bereich des Schaffens abspiele. Das BVerfG leitete daraus eine „tatsächliche Vermutung“ ab, dass Eingriffe in den Werkbereich weniger zuzulassen seien als solche in den Wirkbereich. Es bliebe jedoch der fallbezogenen Entscheidung im jeweiligen Einzelfall vorbehalten, ob unter Beachtung dieser Grundsätze die jeweilige künstlerische Tätigkeit eingeschränkt werden dürfe. Der Prüfungsmaßstab bliebe nämlich derselbe, unabhängig davon, ob die jeweilige künstlerische Handlung in den Werk- oder Wirkbereich falle.552 Bei der Baukunst kommt eine Differenzierung hinsichtlich der Schutzwürdigkeit der Kunstfreiheit allerdings grundsätzlich nicht in Betracht, da eine Trennung von Werk- und Wirkbereich bei dieser nicht möglich ist.553 Als entscheidende Gesichtspunkte für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit künstlerischen Handelns stellte das BVerfG außerdem auf die tatsächlichen Umstände ab, auf den Grad der Außenwirkung der jeweiligen künstlerischen Tätigkeit und auf die Stärke des Kunstbezugs, die lediglich

547

VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. BVerfGE 77, 240 (254); BSGE 61, 158 (168); BSG, NJW 1983, 701 (703); VGH BW, NJW 1989, 1299 (1301); OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1422 f.); VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088; BeckOK-GG / Huster / Rux, Art. 20a, Rn. 46; Misera-Lang, S. 218. 549 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 550 J / P/Jarass, Art. 5, Rn. 129. 551 BeckOK-GG / Huster / Rux, Art. 20a, Rn. 46. 552 BVerfG, Beschl. v. 03. 11. 1987 – 1 BvR 1257/84 = BVerfGE 77, 240 (255) – Herrnburger Bericht. 553 Pischel, S. 79. 548

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die Gewichtung der verfassungsrechtlich geschützten Belange und damit das Abwägungsergebnis beeinflussen sollen.554 Damit strukturierte das BVerfG die Abwägungsentscheidung der Fachgerichte und gab ihnen Leitlinien an die Hand, anhand welcher Kriterien sie ihre Abwägung auszurichten haben.555 Außerdem ist damit noch nicht gesagt, dass dies die einzigen relevanten Gesichtspunkte für eine umfassende Abwägungsentscheidung im Verhältnis zwischen der Kunstfreiheit und den anderen Verfassungsgütern sein müssen. Eine kunstgerechte Abwägung hat in jedem Einzelfall stattzufinden.556 Soweit man tatsächlich das Aufstellen der Breker’schen Artemis und Aurora in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fallen lassen will, kommt man unter Zugrundelegung der aufgeführten Gesichtspunkte des BVerfG zu dem Ergebnis, dass die Skulpturen aufgrund ihrer beabsichtigten Errichtung im Außenbereich im Vergleich zu einer innerstädtischen Lage einen nur geringen Grad an Außenwirkung besaßen. Denn der Außenbereich weist regelmäßig keinen nennenswerten Publikumsverkehr auf. Der Sinn und Zweck der Errichtung einer Monumentalfigur ist auf die Wahrnehmung durch eine breite Öffentlichkeit ausgelegt, was vorliegend soweit ersichtlich nicht der Fall war.557 Der Grad der Außenwirkung kann daher bei der Frage nach der Beschränkbarkeit einer baukünstlerischen Tätigkeit eine Rolle spielen und die Bewertung als Eingriff in das Landschaftsbild anders ausfallen, je nachdem, wie sehr die „Verunstaltung“ von der Öffentlichkeit wahrnehmbar ist.558 Das gesamte Kunstwerk mit den entsprechenden Strukturmerkmalen der jeweiligen Kunstgattung ist schließlich bei der Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter zu berücksichtigen.559 Insoweit kann die Abwägung zwischen dem Landschaftsschutz und der Baukunstfreiheit in die eine oder andere Richtung ausfallen, soweit mit der Errichtung des baukünstlerischen Werkes irgendeine gestalterische Logik verfolgt wird. Insbesondere kann auch die Aufstellung einer Skulptur, die bisher dem Betrachter eine andere gestalterische Aussage vermitteln wollte, nunmehr durch ihre Neuaufstellung an einem anderen Standort eine neue gestalterische Logik vermitteln, was eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage von Kunst im Außenbereich erfordert: So steht beispielsweise etwa die Unzulässigkeit eines Kunstwerks im Umfeld von bereits bestehenden, historisierenden Monumentalfiguren durchaus nicht von vornherein fest. Soweit etwa neben einer kaiserzeitlichen Skulptur auf einem Weinberg des Rheins eine andere, heiter nach Frank-

554

BVerfG, Beschl. v. 03. 11. 1987 – 1 BvR 1257/84 = BVerfGE 77, 240 (255) – Herrnburger Bericht. 555 M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 452. 556 S / S/D / Stern, § 117, VII 4. 557 BVerfG, Beschl. v. 07. 03. 1990 – 1 BvR 1215/87 = BVerfGE 81, 298 (306); J / D/Jarass, Art. 5, Rn. 129. 558 Würkner, S. 171. 559 BVerfG, Beschl. v. 07. 03. 1990 – 1 BvR 1215/87 = BVerfGE 81, 298 (306); J / D/Jarass, Art. 5, Rn. 129.

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reich grüßende Germania-Skulptur hinzugefügt wird, dürfte sich die Kunstfreiheit gegenüber dem in den öffentlichen Belangen des § 35 Abs. 3 BauGB verankerten Landschaftsschutzgedanken durchsetzen.560 Von daher überrascht es auch nicht, dass der Aspekt der Lage und der Einsehbarkeit des jeweiligen Werkes der Baukunst ebenso Bedeutung für die Entscheidung erlangt, ob eine Fassadenbemalung in Gestaltung einer Graffiti-Malerei schwerwiegend in die Grundrechte der Grundstücksnachbarn sowie in sonstige, mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter – wie das allgemeine psychische Wohlbefinden der Bürger und der soziale Frieden – eingreift. Gerade im Bauordnungsrecht, wo die Frage nach einer verunstaltenden Baugestaltung im Vordergrund steht, erlangt der Aspekt Bedeutung, ob eine bauliche Anlage beispielsweise in einer Ortsrandlage gelegen und von einer losen Bebauung umgeben ist, die weder in der Bauweise noch in der Außengestaltung einheitlich ist, noch sonstige, das jeweilige Erscheinungsbild prägende Besonderheiten aufweist oder die Anlage im Ortsmittelpunkt, in der Nachbarschaft ortsbildprägender Bauwerke oder in einer Gemeinde, die ein spezifisches Ortsbild aufweist, gelegen ist.561 Selbst wenn man der bereits angesprochenen Entscheidung des BVerfG562 grundsätzlich keine Differenzierung in der Schrankenfrage dahingehend entnehmen will, dass der Wirkbereich der Kunst schwächer geschützt und damit leichter einschränkbar sei als der Werkbereich,563 darf im Falle der Errichtung der Breker’schen Monumentalfiguren im Außenbereich nicht verkannt werden, dass sich die Versagung der Baugenehmigung zur Aufstellung der Skulpturen gerade im Wirkbereich der Kunstfreiheit abspielte. Die Ratio der Entscheidung des BVerfG lautete, dass im Wirkbereich der Kunst eher eine Beschränkung der Kunstfreiheit möglich sei als im Werkbereich, wobei der Unterschied zwischen Werk- und Wirkbereich ohne eine nähere Betrachtung und Begründung nicht überschätzt werden sollte.564 Es liegt vielmehr grundsätzlich eine Gleichwertigkeit des Wirkbereichs im Verhältnis zum Werkbereich der Kunstfreiheit vor, da die Vermittlung eines Kunstwerks, die zwangsläufig Außenwirkung besitzt, mehr geeignet ist Rechte Dritter zu beeinträchtigen als die eigentliche Kunstschöpfung.565 Ein gutes Beispiel hierfür ist die Baukunst, die gerade in dicht besiedelten Regionen per se öffentlichkeitsorientiert ist und daher hohe Anforderungen an Baubeschränkungen aufgrund ihres kommunikativen Charakters zu stellen sind.566

560

Schneider, S. 290. OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1423). 562 BVerfG, Beschl. v. 03. 11. 1987 – 1 BvR 1257/84 = BVerfGE 77, 240 (255) – Herrnburger Bericht. 563 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn.  59 f.; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 452; Sachs / ​ Bethge, Art.  5, Rn.  198a; S / S/D / Stern, § 117, VII 3. 564 J / P/Jarass, Art. 5, Rn. 129. 565 Sachs / Bethge, Art. 5, Rn. 198a. 566 Würkner, DÖV 1992, 150 (153); ders., S. 171. 561

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Verfolgt der Grundstückseigentümer mit der Aufstellung der Skulpturen allerdings nur eigennützige Zwecke und ist die Umgebung des Außenbereichsgrundstücks land- oder forstwirtschaftlich geprägt, kommt dem Aufstellen der Skulpturen unter Umständen keine Außenwirkung zu. Denn gerade in der Öffentlichkeit entscheidet sich, ob die Kunstfreiheit zur Wirksamkeit gelangt.567 Gleiches gilt für abgelegene Baugrundstücke und dünn besiedelte Regionen. Ein gleichwertiger Schutzanspruch kann somit regelmäßig dem Wirkbereich der Kunstfreiheitsgarantie im Fall der Aufstellung von Monumentalfiguren im Außenbereich im Vergleich zum Werkbereich der Kunst nicht zugesprochen werden. Der „Arno-Breker“-Fall beweist, dass eine Beschränkung der Kunstfreiheit am ehesten in Betracht kommt, soweit es um die Modalitäten der Kunstausübung geht.568 Das BVerwG569 hätte daher seine Abwägungsentscheidung hinsichtlich des Zurücktretens der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) hinter dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) eingehender und detaillierter begründen müssen, um dem Grundsatz der verhältnismäßigen Zuordnung zu genügen.570 Im konkreten Fall wäre zu fragen gewesen, warum Monumentalfiguren in der Landschaft diese in ästhetischer Hinsicht mehr gefährden als zum Beispiel Windkraftanlagen, Versorgungsleitungen, landwirtschaftliche Gerätehallen oder Schweinemastanlagen.571 Der Umstand der Größe der Figuren ist dabei nur ein Teilaspekt einer etwaigen Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB. (3) „Verzahnung“ der öffentlichen Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Zusammenhang mit der Errichtung von Werken der Baukunst im Außenbereich Soweit man auf die Größe und das gigantische Ausmaß von Werken der Baukunst im Außenbereich abstellt, um eine wesensfremde Bebauung annehmen zu können, werden letztlich Gesichtspunkte des ästhetischen Schutzes der Landschaft und damit Gesichtspunkte des öffentlichen Belangs der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) dem Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) untergeschoben. Gerade dieser Umstand macht es nachvollziehbar, warum das BVerwG im Fall der Errichtung der Breker’schen Monumentalfiguren im Außenbereich eine optische Verunstaltung der Landschaft gleichzeitig als wesensfremde Nutzung des Außenbereichs ansah.572 567

Hufen, § 33, Rn. 20. J / P/Jarass, Art. 5, Rn. 129. 569 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 – Arno Breker. 570 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 127; Hufen, § 33, Rn. 54. 571 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 127; Hufen, § 33, Rn. 54. 572 Karpen / Nohe, JZ 2001, 801 (805); Vesting, NJW 1996, 1111 (1114). 568

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

In diesem Zusammenhang wird besonders deutlich, dass die beiden Grundrichtungen des ästhetischen und funktionalen Landschaftsschutzes nicht unverbunden zueinander stehen. Die enge Beziehung zeigt sich außerdem mit besonderer Deutlichkeit im Verhältnis zwischen dem „Bild und der Erholungseignung“ einer Landschaft. Landschaftsbilder werden vom Recht schließlich nicht um ihrer selbst willen geschützt, sondern vor allem deshalb, weil sie geeignet sind, die Erholungsfunktion einer Landschaft zu begründen oder zu stärken. Es verwundert daher nicht, dass „Natur und Landschaft“ gerade auch optisch „als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen“ so zu schützen sind, dass unter anderem der „Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert“ ist, § 1 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG. Von hier aus erklärt sich zugleich als legitim, dass § 26 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG die Festsetzung eines Landschaftsschutzgebietes selbstständig für eine Landschaft „wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Erholung“ ermöglicht.573 Dies führt letztlich zu einem Gleichlauf der Anwendungsbereiche der beiden verschiedenen öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Der Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes hätte demzufolge bei Werken der Baukunst keine Bedeutung mehr, wenn man die Gesichtspunkte der Größe und der daraus resultierenden Prägung der Landschaft unter dem Aspekt der wesensfremden Bebauung prüfen würde.574 Dieser Gleichlauf hebt jedoch den Unterschied zwischen jenen beiden Grundrichtungen des Landschaftsschutzes nicht auf. Es macht schließlich einen Unterschied, ob die „Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft“ oder die „nachhaltige Nutzungsfähigkeit der Naturgüter“ geschützt wird, § 1 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BNatSchG.575 Vielmehr spricht dies wiederum dafür, dass es einfachgesetzlich einfacher wäre, wenn man die Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung von Werken der Baukunst im Außenbereich ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbotes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) prüft, weil letztlich die Frage nach einer optischen Verunstaltung der Landschaft im Vordergrund steht und nicht der funktionelle Landschaftsschutz.576 (4) Kunstkonforme Auslegung des Belangs der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) Der Begriff der Verunstaltung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB kann auch im Lichte der Kunstfreiheit ausgelegt werden.577 Unbestimmte Rechtsbegriffe 573

Weyreuther, S. 82 f. Vesting, NJW 1996, 1111 (1114). 575 Weyreuther, S. 82. 576 Vesting, NJW 1996, 1111 (1114). 577 Müller, K., S. 119; Parchmann, S.  85 f.; S / S/D / Stern, § 117, VII 4; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (622); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (287); für Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB stellen die „öffentlichen Belange“ im Übrigen einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der nach Maßgabe der Freiheitsgewährleistung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG auszulegen ist, Brenner, Rn. 773; 574

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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dienen schließlich  – ebenso wie Generalklauseln  – als „Einfallstore des Verfassungsrechts“.578 Dies hat das BVerwG für alle in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB aufgeführten Tatbestandsalternativen klargestellt.579 Eine „Verunstaltung“, die verhindert werden soll, ist das Gegenteil von der („einwandfreien“) Gestaltung, die bis zur Grenze der Verunstaltung erlaubt sein soll.580 Da sich die bauästhetischen Vorschriften auf von Menschen errichtete bauliche Anlagen beziehen, kennzeichnet der Begriff der „Verunstaltung“ etwas ästhetisch Unwerthaftes.581 Die „Verunstaltung“ beschreibt daher einen „hässlichen, das ästhetische Empfinden des Betrachters verletzenden Zustand“. Bloße Beeinträchtigungen und Störungen, also bloße „Unschönheiten“, sind noch nicht in diesem Sinne verunstaltend.582 „Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten“, ohne dass die bauliche Gestaltung deswegen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen würde. Eine „Geschmacksdiktatur“ der Baugenehmigungsbehörden ist somit unzulässig.583 Da sich Kunst nicht nach den qualitativen Werten des Objekts bestimmen lässt, können verunstaltend wirkende Bauwerke von vornherein nicht von grundrechtlich geschützter Kunst unterschieden werden. Dies liegt zum einen daran, dass das BVerfG bereits in der Mephisto-Entscheidung und seitdem in ständiger Rechtsprechung zu Recht einen Qualitätsmaßstab für die Bestimmung des Kunstbegriffs für unzulässig erklärte.584 Das Erfordernis einer qualitativ neutralen Kunstdefinition ergibt sich nämlich Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (228); im Rahmen der gemeindlichen Gestaltungssatzungen ist das gleiche Ziel über die bauordnungsrechtliche Befreiung zu erreichen, deren unbestimmte Rechtsbegriffe im Lichte der Kunstfreiheitsgarantie auszulegen sind. In der Berücksichtigung der Baukunst über eine bauordnungsrechtliche Befreiung von den Vorgaben einer gemeindlichen Gestaltungssatzung liegt insofern eine Parallele zur Berücksichtigung baukünstlerischer Werke im Bauplanungsrecht über Ausnahmen und Befreiungen gem. § 31 BauGB, vertiefend insoweit Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (228); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (287 f.). Das BauGB hält damit verschiedene Möglichkeiten bereit, gebauter Kunst bzw. Baukunst und der sich in ihr zum Ausdruck kommenden Kunstfreiheit gebührend Rechnung zu tragen. Sind schließlich ein qualifizierter Bebauungsplan (§ 30 Abs. 1 BauGB) oder die Gebietsprägung eines homogenen Baugebiets im unbeplanten Innenbereich (§ 34 Abs. 2 BauGB) infolge ihrer typisierenden Abstraktionen nicht in der Lage, einem besonders gelagerten Einzelfall hinreichend Rechnung zu tragen, kommt eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB in Betracht. Das in § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB enthaltene Tatbestandsmerkmal der „städtebaulichen Vertretbarkeit“ ist im Lichte der Bedeutung der Grundrechte auszulegen. Gleichzeitig sind über das Merkmal der „nachbarlichen Interessen“ im Rahmen der durch die Kunstfreiheit determinierten Befreiung auch nachbarliche Interessen zu berücksichtigen. Auch der unbestimmte Rechtsbegriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB ermöglicht eine kunstkonforme Auslegung, vgl. zu alledem Brenner, Rn. 772. 578 Zeiss, ZfBR 1997, 286 (287). 579 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 580 Schneider, S. 169. 581 Kamp, S. 26; Looks, S. 19, 49. 582 Moench / Schmidt, S. 12; a. A. Pischel, S. 157 ff., insbes. S. 159. 583 Moench / Schmidt, S. 12; a. A. Pischel, S. 157 ff., insbes. S. 159. 584 BVerfGE 30, 173 (191); 67, 213 (224); 75, 369 (377); 81, 278 (291); 81, 298 (305); 83, 130 (139).

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

aus der Notwendigkeit, mit der juristischen Begriffsbildung der Eigengesetzlichkeit von Kunst gerecht zu werden.585 Neben dem künstlerischen Selbstverständnis ist es die erkenntnistheoretische Unbegründbarkeit objektiv gültiger Werte, die einer qualitativen Schutzbereichsbestimmung der Kunstfreiheit entgegensteht.586 Das (bauplanungsrechtliche) Verunstaltungsverbot ist nach alledem in dieser restriktiven und kunstgerechten Auslegung mit dem vorbehaltlosen Grundrecht der Kunstfreiheit von Bauherr und Architekt vereinbar.587 Es ist nämlich äußerst problematisch, dass bauliche Gestaltungsvorschriften des Staates Verfassungsrang haben sollen, weil ansonsten durch die „Hintertür“ genau das eintritt, was Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verhindern wollte: der Geschmack des durchschnittlich aufgeschlossenen Mittelmaßes als Grenze für die Kunstfreiheit.588 Es liegt weiterhin in der Natur der Sache, dass in der Praxis von dem wirklichen Baukunstwerk eine verunstaltende Wirkung auf das Orts- oder Landschaftsbild aufgrund seiner ästhetischen Qualität meist nicht ausgehen wird. Hier fehlt es schon am Tatbestandsmerkmal der Verunstaltung. Bauästhetische Regelungen sind insofern auch ohne Eingriff in die Kunstfreiheit möglich.589 Die Tatbestandsalternativen des § 35 Abs. 3 BauGB eröffnen schließlich nach Auffassung des BVerwG die Möglichkeit, den Außenbereich wirksam in Konkretisierung des in Art. 20a GG enthaltenen Schutzauftrages zu schützen, ohne die Kunstfreiheit über die Grenzen hinaus einzuschränken, die ihr durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen sind.590 Eine andere Frage ist, ob vor dem Hintergrund des Beschlusses des BVerwG über die Breker’schen Monumentalfiguren591 tatsächlich die Notwendigkeit besteht, der Baukunstfreiheit durch eine verfassungskonforme (und restriktive) Auslegung des Verunstaltungsbegriffs (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) zur Geltung zu verhelfen.592 Denn nach der Auffassung des BVerwG könne sich zwar der Kläger auf den Schutz des Wirkbereichs der Kunstfreiheit berufen, was jedoch nicht prinzipiell ausschieße, dass aus § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB Schranken für die Zulässigkeit der Errichtung von Kunstwerken im Außenbereich hergeleitet werden können. Die 585

Kapell, S. 147; Knies, Schranken, S. 170. Kapell, S. 147; Knies, Schranken, S. 136; Müller, S. 83 ff. 587 BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 184; Dreier / Pernice, 2004, Art. 5 Abs. 3, Rn. 41; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Kollmann, S. 380; Moench / Schmidt, S. 12; S / S/D / Stern, § 117, VII 4, S. 722 f.; auch ein Gesetz, das die Kultusfreiheit einschränkt, wird nur dann von der verfassungsmäßigen Ordnung getragen, wenn es der besonderen Bedeutung von Art. 4 Abs. 2 GG gerecht wird, Brümmer, S. 87; a. A. für die Verfassungswidrigkeit der Verunstaltungsverbote Denecke, S. 147 ff.; Kapell, S. 280; Pischel, S. 157 ff., insbes. S. 159. 588 S / S/Stern, III 4, S. 1390. 589 Das ergibt sich bereits daraus, dass bei weitem nicht jedes betroffene Bauwerk Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG darstellt, Kapell, S. 229. Das gleiche Unterworfensein von Baukunst und „Nicht-Kunst“ unter die Verunstaltungsverbote wird daher abgelehnt, in denen sich das die individuelle Kunstfreiheit beschränkende Baugestaltungsrecht des Staates äußert, a. A. Knies, Schranken, S. 229. 590 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 591 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 – Arno Breker. 592 Uhle, UPR 1996, 55 (55). 586

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Erwägung des BVerwG geht also dahin, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu einer verfassungskonformen Auslegung des Verunstaltungsbegriffs (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) nur dann zwingen würde, wenn das Verunstaltungsverbot als Schranke der Kunstfreiheit ausscheiden würde.593 Ergibt allerdings – wie das BVerwG in der Entscheidung über die Breker’schen Monumentalfiguren angenommen hat – die zur Auflösung der Kollision zwischen der Kunstfreiheit und dem Staatsziel Umweltschutz durchgeführte Interessenabwägung, dass die Kunstfreiheit gegenüber dem Umweltschutz zurückzustehen habe, dann bedarf es auch angesichts des in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verbürgten Grundrechts keiner verfassungskonformen Auslegung des Verunstaltungsbegriffs (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) mehr.594 Denn im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung einfachgesetzlicher Vorschriften ist auch Art. 20a GG zu beachten. Dies gilt insbesondere bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe,595 – wie der Begriff der Verunstaltung einer ist.596 Sieht man hingegen mit einem Großteil der Literatur den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) nicht als verfassungsmäßige Schranke der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) an, dann bleibt die Auslegung des Verunstaltungsbegriffs auch im Lichte der Kunstfreiheit grundsätzlich möglich. Im Rahmen einer verfassungskonformen (kunstgerechten) Auslegung des Verunstaltungsbegriffs sind die Rechtsgüter der künstlerischen Baugestaltungsfreiheit und die optisch-ästhetischen landschaftsgestalterischen Aspekte einander so zuzuordnen, dass jedes zur optimalen Wirksamkeit gelangt. Bei verschiedenen Lösungsmöglichkeiten hat der Gesetzgeber diejenige zu wählen, die beide Rechtsgüter am wenigsten beeinträchtigt. Diesem Prinzip der „praktischen Konkordanz“ entspricht nur ein Lösungsentwurf, der allein auf sozial- und landschaftsschädliche Auswüchse abzielt – und darum geht es hier – und der einen zügellosen Individualismus im Bauwesen bekämpft. Eine möglichst weitgehende individuelle baukünstlerische Entfaltung im Außenbereich ist also bis zur Grenze der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes gewährleistet.597 Der Staat darf sich zwar nicht mit einer bestimmten Kunstrichtung identifizieren, jedoch ist es ihm nicht untersagt, Kunst zu definieren, da der Kunstbegriff oftmals auch im einfachen Recht auftaucht und dort im Einzelfall definiert werden muss.598 593

Uhle, UPR 1996, 55 (55). Uhle, UPR 1996, 55 (55). 595 M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 93; Peters, NVwZ 1995, 555 (557). 596 PdK-BayBO, Art. 8, Rn. 2; Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 597 So Klein, S. 281, in Bezug auf die Kollision der Kunstfreiheit mit dem von einer örtlichen Bauvorschrift intendierten harmonischen Ortsbild und Looks, S. 157, in Bezug auf die Rechtsgüter der Baugestaltungsfreiheit und der städtebaulichen Ordnung. 598 BVerfG, Beschl. v. 17. 07. 1984 – 1 BvR 816/82 = BVerfGE 67, 213 (225); BVerfG, Beschl. v. 03. 06. 1987 – 1 BvR 313/85 = BVerfGE 75, 369 (377); Kapell, S. 144; Knies, Schranken, 594

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Wenn die Freiheit der Kunst schon eine Signalfunktion für die Freiheitlichkeit einer Gesellschaft besitzt,599 dann muss der Staat auch befugt sein, wahrnehmen und definieren zu können, was Kunst ist. Dann muss aber auch der Staat die „Verunstaltung“ als Gegenstück zur Kunst definieren können. Das Baugestaltungsrecht stellt sich schließlich als eine eigentümliche Mischung aus Elementen ordnender Eingriffsverwaltung (Abwehr von Verunstaltungen) und kulturgüterpflegender, fördernder Tätigkeit dar.600 Denn die Erstreckung bewahrender Kulturpflege über den Bereich von Menschenhand geschaffener Kunst hinaus auf die als Kunstwerk besonderer Art begriffene Natur sowie die aktive Landschaftsgestaltung haben in der Gegenwart ihren festen Platz unter den Staatsaufgaben eingenommen.601 Obwohl der optisch-ästhetische Landschaftsschutz nicht unter den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) fällt, nimmt dies nicht der Legislative die Möglichkeit, ästhetische Kriterien zu Leitbildern ihrer Gesetzgebung zu machen. Maßnahmen gegen verunstaltendes Bauen in Natur und Landschaft können sich jedoch entgegen der Ansicht des BVerwG auf Art. 20a GG nicht direkt berufen.602 Die Verfassungsmäßigkeit der negativen Verunstaltungsabwehr wird im Übrigen auch in der älteren Rechtsprechung und Literatur603 nirgends definitiv verneint. So führte schon das BVerwG in seinem Grundsatzurteil über § 1 BGVO aus, dass nur hinsichtlich der untersten Grenze, nämlich der Verunstaltung, von allgemeinverbindlichen Auffassungen gesprochen werden könne und insoweit die Gestaltungsnormen auch im verfassungsrechtlichen Sinne hinreichend bestimmbar seien.604 Eine „Verunstaltung“ ist unter dem gängigen Begriffsverständnis anzunehmen, wenn der Durchschnittsbetrachter das optische Erscheinungsbild als hässlich und gerade abstoßend empfindet.605 Das Verunstaltungsverbot kann damit nicht ohne ästhetische Werturteile existieren. Die „Schönheit“ eines Bauwerks bedingt dessen Folgen, ist aber selbst kein Wesensmerkmal des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs.606 Eine künstlerische Gestaltung eines Bauwerks kann daher auch in Hinblick auf seinen geplanten Standort in der Landschaft genau das Gegenteil im Sinn S. 225; Sachs / Bethge, Art. 5, Rn. 190; Schneider, S. 88; kritisch hierzu und zum Vorwurf des „Kunstrichtertums“ Knies, Schranken, S. 171 ff. 599 Hufen, § 33, Rn. 3. 600 Oppermann, S. 461. 601 Oppermann, S. 471. 602 Kapell, S. 238; Wolf, KritV 80 (1997), 280 (286). 603 Erbel, S. 170: „Die einzige Möglichkeit, ästhetische Baubeschränkungen in gewissem Umfange zu rechtfertigen, …“; Dolderer, BauR 1999, 691 (695 ff.); Engelmann, S. 212; ­Koenig /​ Zeiss, Jura 1997, 225 (228 ff.); Looks, S. 117 ff.; Mick, S. 74 ff.; Ropertz, S. 163 ff.; Seybold, S. 133 ff.; Watzke, S. 84 ff.; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290 f.); Zinkahn, DÖV 1953, 161 (165). 604 BVerwGE 2, 172 (176 f.). 605 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384; HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 53; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 44; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; Scheidler, BauR 2019, 190 (195). 606 Pischel, S. 154.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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haben, insbesondere von Geschmacksidealen ausgehen, die von der Mehrheitsmeinung abweichen. Dann muss dem weiten Kunstverständnis auch bei der Auslegung des Verunstaltungsbegriffs dadurch Rechnung getragen werden, dass der Abwägungsprozess zwischen der Kunstfreiheit und dem Landschaftsschutz nicht zulasten des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erfolgt.607 Geht man hingegen von einer funktionalen Definition der Kunst aus, nach der Kunst Kommunikation in einer das Verbale hinausgehenden Form bewirken will, die mehreren Deutungen offen und bedürftig ist, dann hätte dies zur Konsequenz, dass künstlerisches Bauen niemals verunstaltend wäre. Eine verunstaltende Bebauung wäre schließlich nur dann anzunehmen, wenn ein Bauwerk nicht dazu diente, Kommunikation in der durch die Kunstfreiheit voraussetzenden Weise herbeizuführen.608 Dieser Umstand darf aber nicht zum Anlass genommen werden, den Verunstaltungsbegriff als verfassungswidrig anzusehen.609 Selbst wenn man nämlich unterstellt, dass der Verunstaltungsbegriff verfassungswidrig wäre, dann wäre das Ergebnis auch bei unterstellter Verfassungswidrigkeit gegenüber der hier vertretenen Auffassung dasselbe: Künstlerisches Bauen ist niemals verunstaltend. Die Verunstaltung bildet jedoch die ultimative Grenze, die sich die baukünstlerische Freiheit anmaßen darf. Es stellt sich die Frage, wann die Errichtung eines Werkes der Baukunst im Außenbereich öffentliche Belange beeinträchtigt und dem Grundrecht der Kunstfreiheit trotz der Durchführung einer wertenden Gesamtbetrachtung kein Vorzug zu geben ist.610 Eine verfassungskonforme Auslegung der öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB im Lichte der Kunstfreiheit kommt nämlich dann nicht mehr in Betracht, soweit öffentliche Belange in schwerwiegender Weise beeinträchtigt sind.611 Für die Frage, ob es gerechtfertigt ist, das Grundrecht der Kunstfreiheit zurückstehen zu lassen, kommt es somit darauf an, ob öffentliche Belange des § 35 Abs. 3 BauGB in schwerwiegender Weise beeinträchtigt sind.612 Die Limitierung einer ungehinderten baukünstlerischen Gestaltungsfreiheit folgt bereits aus der Notwendigkeit, dass ein „gedeihliches Zusammenleben“ in der Gemeinschaft nur dann funktionieren kann, wenn auch beim Bauen ein von der Allgemeinheit als unverzichtbar angesehener „Bestand an grundlegenden bauästhetischen Ordnungsvorstellungen“ eingehalten wird.613 Dieser „Bestand an grundlegenden bauästhetischen Ordnungsvorstellungen“ bildet daher die äußerste Grenze einer kunstkonformen 607

S / S/D / Stern, § 117, VII 4, S. 722. Pischel, S 158. 609 So aber Pischel, S. 159. 610 OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1422 f.); Frenz, JuS 2009, 902 (905). 611 OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1422 f.); VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 612 OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1423); VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 613 Brümmer, S. 89 f.; Erbel, S. 171; Looks, S. 49; Ropertz, S. 125. 608

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Auslegung des Verunstaltungsbegriffs. Der Staat darf insofern ästhetische Zwecke im Allgemeinwohl verfolgen.614 Die vom Künstler mit seinem Werk der Baukunst beabsichtigten Intensionen und die von den Glaubensgemeinschaften festgestellten gottesdienstlichen Belange sind allerdings bei der Anwendung und Auslegung auf dem Gebiet des Baugestaltungsrechtes vorrangig zu beachten.615 Die staatlichen Behörden und Gerichte haben infolgedessen allein die Entscheidungen zu treffen, die in den entsprechenden Gesetzen vorgesehen sind. Die besondere Bedeutung der vorbehaltlos gewährleisteten Freiheitsgrundrechte wird dennoch nicht beeinträchtigt. Die Rechtmäßigkeit einer staatlichen Entscheidung hängt nämlich maßgeblich davon ab, ob sich die behördliche Entscheidung inhaltlich ausreichend mit den jeweils einschlägigen Freiheitsgrundrechten auseinandergesetzt hat.616 Die Behörden haben also zu prüfen, ob das Orts- oder Landschaftsbild durch das Kunstbauvorhaben oder Kultstättenvorhaben so erheblich beeinträchtigt würde, dass es auch unter Anerkennung der künstlerischen bzw. kultischen Bedürfnisse nicht geduldet werden kann.617 Das berühmt gewordene „Kreuzberg“-Urteil des PrOVG legt bereits nahe, dass von einer sehr weitreichenden architektonischen Baufreiheit als Ausdruck der Ausübung der Eigentümerbefugnisse ausgegangen werden muss. So wies das PrOVG darauf hin, dass „eine Verunstaltung dann nicht vorliegt, wenn nur eine vorhandene Formschönheit vermindert wird oder auch ganz verloren geht. Die künstlerische Anlage einer Straße oder eines Platzes kann auf das Niveau des gewöhnlichen herabgedrückt werden. Das ist noch keine Verunstaltung, geschweige denn eine ‚grobe‘. Auch nicht schon jede Störung der architektonischen Harmonie fällt unter jenen Begriff. Ein Gang durch die Gassen Berlins lässt selbst ein minder empfindliches Auge unschwer erkennen, dass das Polizeipräsidium sehr weit davon entfernt gewesen ist, jeder Störung der architektonischen Harmonie durch Bauten oder auch nur allen erheblicheren derartigen Störungen entgegenzutreten“.618 Die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kann daher im konkreten Einzelfall dazu führen, bauplanungsrechtliche Beschränkungen der eigentumsrechtlich geschützten Baufreiheit dann in Frage zu stellen, wenn die Anwendung der jeweiligen bauplanungsrechtlichen Vorschriften zu einer sachlich ungerechtfertigten oder unbilligen Beschränkung der Baufreiheit führen würde.619 Maßstab und Grenze baukünstlerischer Freiheit sind insoweit anhand allgemeiner Zumutbarkeitskriterien zu ermitteln.620 Einem Vorhaben wie beispielsweise der Errichtung eines Hexenhäuschens im Außenbereich kann nach alledem nicht 614

Schneider, S. 191. Brümmer, S. 91, 171. 616 Brümmer, S. 92. 617 Brümmer, S. 172. 618 PrOVG, Urt. v. 14. 06. 1882, Rep. II B. 23/82 = PrOVGE 9, 353 (381 f.). 619 M / K/S / Depenheuer / Froese, Art. 14, Rn. 298. 620 Kamp, S. 24. 615

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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abstrakt der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) entgegen gehalten werden. Ein solches Vorhaben sollte jedenfalls dann noch unter die Ausübung künstlerischer Baufreiheit fallen, soweit das Hexenhäuschen nicht an einem landschaftlich herausgehobenen Standort errichtet wird und seine Proportionen nicht außer Verhältnis zu der Kleingliedrigkeit seiner Umgebung stehen. Denn das PrOVG arbeitete bereits heraus, dass der Staat Gefahrenabwehr nicht mit dem ausschließlichen Ziel betreiben dürfe, um das Aufkommen von Unlustgefühlen seiner Bürger zu unterbinden.621 Das zumutbare Maß ist dann im konkreten Einzelfall überschritten, soweit das Hexenhäuschen respektive ein sonstiges Werk der Baukunst oder eine Kultstätte zu der Umgebung in einem unauflöslichen Widerspruch treten, den das Auge des Betrachters als störend empfindet. Die Grenze des künstlerisch noch Zumutbaren bilden erhaltenswerte landschaftsbildende Elemente, worunter eine vorhandene maßstabsbildende Umgebungsbebauung genauso gut zählen kann wie ein vorzufindendes Landschaftspanorama mit seinen spezifischen Charakteristika. Nur soweit sich das baukünstlerische oder kultische Vorhaben mit landschaftsbildenden Elementen in einem optischen Widerspruch setzt, sich damit nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist es unverträglich zum bestehenden Orts- oder Landschaftsbild und verunstaltet damit die Landschaft, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Der „Bestand an grundlegenden bauästhetischen Ordnungsvorstellungen“ lässt sich somit dahingehend umschreiben als die Summe derjenigen Bauprinzipien, durch die eine Verunstaltung des architektonisch-landschaftlichen Bildes verhindert wird.622 Dieser Grundbestand will damit nicht nur umgebungsunabhängige Außengestaltungen, die Relevanz im Zusammenhang mit dem bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot erlangen, sondern auch umgebungsabhängige Gestaltungen von Werken der Baukunst verhindern, die geeignet sind, krass störende Gegensätze zu benachbarten besonderen Baukunstdenkmälern wie Kirchen, Schlössern oder Fachwerkhäusern hervorzurufen, oder einen krassen Gegensatz zu einer besonders schutzwürdigen landschaftlichen Umgebung darstellen. Auch soweit davon ausgegangen werden muss, dass es heute in der Architektur, wie in der Kunst überhaupt, ein verbindliches Stilgefühl nicht mehr gibt, dürfte der Charakter der Kunst dann infrage gestellt werden können, soweit sich das Werk der Baukunst nicht mehr in ein vorgegebenes architektonisches oder landschaftliches Bild „einfügt“.623 Hier zeigt sich deutlich, dass die Berufung auf die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG keine schrankenlose sein kann, sondern wie jede Grundrechtsausübung unter dem Vorbehalt der Beachtung wesentlicher Gemeinschaftsgüter steht, der allen Grundrechten als Gemeinwohlgedanke innewohnt.624 Ist demnach der „Be 621

Würkner, DÖV 1992, 150 (152 f.). Erbel, S. 171; Looks, S. 49. 623 Erbel, S. 170 f. 624 Oppermann, S. 461; es gilt zwei verschiedene verfassungsdogmatische Fragestellungen zu unterscheiden: In den vorigen Abschnitten ging es darum, ob die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB überhaupt verfassungskonform im Lichte der Kunstfreiheit ausgelegt werden 622

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

stand an grundlegenden bauästhetischen Ordnungsvorstellungen“ verletzt, liegt eine schwerwiegende Beeinträchtigung öffentlicher Belange des § 35 Abs. 3 BauGB vor, sodass eine kunstkonforme Auslegung der öffentlichen Belange nicht mehr in Betracht kommt. Eine so verstandene „positive“ Baupflege ist schließlich anerkannt, die in Hinblick auf die grundrechtlichen Freiheiten als Ausdruck der jeweiligen zugunsten der Gemeinschaft bestehenden Grundrechtsvorbehalte zu verstehen ist – in diesem Sinne ist auch die Annahme von „sachimmanenten Grundrechtsschranken“625 zu verstehen.626 Aus der überragenden Bedeutung der Baukunstfreiheit folgt andererseits, dass die generelle Zulassung oder gar Anordnung bestimmter Baustile mit ebenso allgemeinem Verbot „unzulässiger“ Richtungen schlechthin ausgeschlossen ist.627 (5) Ermessen und Kunstfreiheit Soweit sich die Frage nach dem Erlass einer Beseitigungsanordnung eines baukünstlerischen Vorhabens im Außenbereich stellen sollte, besteht die Möglichkeit, dem Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) dadurch substantiell Raum zu verschaffen, indem die bereits herausgearbeiteten Abwägungsgesichtspunkte im Rahmen der Ermessensentscheidung im konkreten Einzelfall dahingehend berücksichtigt werden, gegebenenfalls von dem Erlass einer Beseitigungsanordnung abzusehen. Der ergehende Bescheid leidet andernfalls unter Umständen unter einem Ermessensfehler, soweit er die Ausstrahlungswirkung der Kunstfreiheit auf die Ermessensentscheidung verkennt.628 (6) Fazit der Untersuchung Festzuhalten bleibt, dass auch ohne Aufladung mit komplexen Grundrechtskollisionen auf der Ebene des einfachen Rechts eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) auf der einen und dem Landschaftsschutzgedanken können und welche Gesichtspunkte relevant sind, den Umweltschutz und die Baukunstfreiheit in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Das nunmehr gefundene Ergebnis zur Fragestellung, wie weit die vom baukünstlerischen Vorhaben beeinträchtigten öffentlichen Belange im Rahmen einer kunstkonformen Auslegung zurückgedrängt werden können, lässt sich insbesondere mit der früheren vom BVerwG vertretenen Rechtsprechung zum „Gemeinschaftsvorbehalt“ rechtfertigen. Nach dieser Rechtsprechung „gehört es zum Inbegriff aller Grundrechte, dass sie nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden“, BVerwGE 1, 48 (52); 1, 92 (94); 1, 165 (168); 1, 303 (307); 2, 85 (87); 2, 89 (94); 2, 295 (300); 2, 345 (346); 3, 21 (24); 4, 95 (96); 4, 167 (171); 5, 153 (158 f.); 5, 283; 6, 13 (17); 7, 125 (139); 16, 241 (248); BVerwG, DVBl. 1967, 149 (152); kritisch zum Gemeinschaftsvorbehalt Misera-Lang, S. 112 ff. 625 Erbel, S. 170 f. 626 Oppermann, S. 463 m. w. N. 627 Oppermann, S. 462; Zinkahn, DÖV 1953, 161 ff. 628 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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(Art. 20a GG) auf der anderen Seite erfolgen kann, wobei diese Abwägung unter Zugrundelegung aller Umstände des Einzelfalls bei kleineren und weniger auffälligen Kunstwerken ein gewichtiges Präjudiz für eine Abwägungsentscheidung zugunsten der Kunstfreiheit erkennen lassen sollte.629 Eine Lösung auf der Grundlage des einfachen Gesetzesrechts bietet sich insbesondere deswegen an, weil es sich bei dem Begriff der „Verunstaltung“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt.630 Die Rechtsprechung und die Verwaltung sind gehalten, den Verunstaltungsbegriff im Sinne des Gesetzgebers auszufüllen und zu präzisieren. Der Begriff der Verunstaltung ist hierbei im Lichte der Kunstfreiheit auszulegen und dem Gebot der praktischen Konkordanz durch Abwägung des beeinträchtigten Grundrechts mit dem einfachgesetzlich zu schützenden Rechtsgut ausreichend Rechnung zu tragen. Eine verfassungskonforme Auslegung der öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB kommt jedenfalls dann nicht mehr in Betracht, soweit öffentliche Belange in schwerwiegender Weise beeinträchtigt sind.631 Öffentliche Belange werden dann in schwerwiegender Weise beeinträchtigt, soweit durch die Errichtung des baukünstlerischen Vorhabens „ein Bestand an grundlegenden bauästhetischen Ordnungsvorstellungen“ verletzt wird, mit der Folge, dass eine verfassungskonforme Auslegung der öffentlichen Belange zugunsten der Kunstfreiheit nicht mehr in Betracht kommt. Bei der Ausfüllung von Ermessensermächtigungen ist außerdem Rücksicht auf die Kunstfreiheit zu nehmen.632 Der Kunstfreiheit muss letztlich bei der vorzunehmenden Abwägung grundsätzlich substantiell Raum verbleiben; ihre Verwirklichung darf nicht von vornherein unmöglich sein.633 gg) Zwischenergebnis über das Spannungsfeld zwischen dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot, dem Grundrecht der Kunstfreiheit und dem Umweltstaatsprinzip des Art. 20a GG Das BVerwG sieht in dem öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB eine verfassungsgemäße Konkretisierung des Umweltstaatsprinzips des Art. 20a GG. Demzufolge unterfiele auch der optisch-ästhetische Landschaftsschutz dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen. Der Belang der Verunstaltung des Orts- und

629

Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.). PdK-BayBO, Art. 8, Rn. 2; Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 631 OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422 (1422 f.); VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 632 M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 453 f. 633 HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (621). 630

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Landschaftsbildes ist damit geeignet, die gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete künstlerische Baufreiheit einzuschränken.634 Schutzgut ist nach Ansicht des BVerwG im Konflikt zwischen der Kunst­freiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und dem in § 35 BauGB bezweckten Außenbereichsschutz „der Gemeinschaftsbelang der Wahrung der Integrität von Natur und Landschaft“.635 Das BVerwG griff dabei in der „Arno-Breker“-Entscheidung auf allgemeine Erwägungen des Städtebaurechts in Hinblick auf seine Umwelt- und Landschaftsschutzrelevanz zurück. Das BVerwG stellte maßgeblich auf die Verpflichtung des Gesetzgebers ab, auf die Einhaltung der natürlichen Umwelt hinzuwirken.636 Allerdings dient lediglich der funktionale, nicht aber der optisch-ästhetische Landschaftsschutz dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen, Art. 20a GG. Daher kann allenfalls nur der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) zur Einschränkung der Baukunst im Außenbereich herangezogen werden. Denn Art. 20a GG möchte nur ein ökologisches Existenzminimum für den Menschen sichern, wobei ästhetische Aspekte nicht zu den ökosystemaren Funktionen der Landschaft als Lebensraum zählen.637 Das bloße psychische Wohlbefinden des Menschen unterfällt außerdem nicht dem Gewährleistungsbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Demzufolge kann auch nicht hilfsweise versucht werden, den Aspekt des psychischen Wohlbefindens des Menschen in den Schutzbereich der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne des Art. 20a GG hineinzuinterpretieren.638 Ein allgemeiner Regelungsauftrag an den Gesetzgeber zur Vermeidung sozialer Spannungen stellt außerdem noch keine taugliche Ermächtigungsgrundlage zur Einschränkung von vorbehaltlos gewährleisteten Freiheitsrechten dar.639 Im Rahmen des § 35 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB haben damit einfachrechtlich auch solche öffentlichen Belange Bedeutung, die nicht auf Art. 20a GG oder sonstige verfassungsimmanente Schranken rückführbar sind.640 Selbst wenn das Baurecht für das soziale Zusammenleben der Menschen durch Vorschriften zur Verhinderung optischer Verunstaltungen durch bauliche Anlagen eine wichtige Funktion erfüllen mag, findet der ästhetische Landschaftsschutz im Verfassungsrecht keine Stütze.641 Unabhängig von diesen verfassungsrechtlichen Erwägungen bietet sich eine Lösung auf der Ebene des einfachen Rechts an: Öffentliche Belange des § 35 Abs. 3 BauGB, die der Errichtung eines Werkes des Baukunst im Außenbereich entgegen 634

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 636 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 637 AK-GG / Wolf, Art. 20a, Rn. 16. 638 M / D/Di Fabio, Art. 2, Rn. 56. 639 Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619 f.). 640 Schütz, JuS 1996, 498 (503). 641 Schütz, JuS 1996, 498 (503). 635

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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stehen, können in einer verfassungskonformen Weise ausgelegt werden, die der Gewährleistung der Kunstfreiheitsgarantie in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise Rechnung trägt.642 Dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) unterfällt zum einen auch die Erhaltung des Landschaftsbildes im funktionalen Sinne. Der funktionale Schutz der Landschaft vor einer wesensfremden Bebauung ist in dem öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) verwirklicht.643 Für jeden Einzelfall ist daher zu fragen, ob das jeweilige Vorhaben einen Bezug zur vorzufindenden Landschaft aufweist oder einen Fremdkörper darstellt.644 Regelmäßig spricht vieles dafür, dass das Aufstellen von Monumentalfiguren im Außenbereich in einer Umgebung, die land- oder forstwirtschaftlich geprägt ist, eine wesensfremde Bebauung darstellt. Andererseits besteht kein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend, dass Kunst­ objekte etwas Wesensfremdes in den Außenbereich hineintragen.645 Der Verunstaltungsbegriff (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) kann zum anderen kunstkonform ausgelegt werden. Dabei ist von einer weitreichenden architektonischen Freiheit auszugehen. Die Schwelle zur Verunstaltung ist nur dann überschritten, wenn nicht nur eine Minderheit in der Bevölkerung das Vorhaben als grob unangemessen empfindet, sondern wenn es dem Orts- oder Landschaftsbild aus dem Blickwinkel eines objektiven Durchschnittsbetrachters grob unangemessen ist, was letztlich eine Frage der Zumutbarkeit darstellt. Bei dieser wertenden Beurteilung erlangt eine Güter- und Interessenabwägung im jeweiligen Einzelfall an Bedeutung, in der das Interesse des Bauherrn an der Aufstellung bzw. Errichtung eines Kunstwerks im Außenbereich und die berührten öffentlichen Belange in einen schonenden Ausgleich gebracht werden müssen.646 Auf diese Weise bekommt man auch den Fall in den Griff, in dem beispielsweise eine überdimensionale Kunstfigur vor einer Ortschaft errichtet werden soll. Die Interessenabwägung wird regelmäßig ergeben, dass die Kunstfreiheit hinter kollidierenden Grundrechten Dritter oder Verfassungsgüter von Rang zurückzutreten hat. Für die Abwägung spielt damit auch das kommunale Selbstgestaltungsrecht als Abwehrrecht eine Rolle, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Im Falle der Errichtung einer überdimensionalen Kunstfigur vor einer Ortschaft wird daher regelmäßig von einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes auszugehen sein. Anderes dürfte gelten, soweit etwa eine mittelgroße Kunstskulptur in Ortsrandlage im Außenbereich errichtet werden soll, die sich in das Orts- bzw. Landschaftsbild einfügt und bestenfalls einen hinreichend konkreten Ortsbezug vorweisen kann. Das Vorliegen einer Ortsrandlage ist im Vergleich zum übrigen Außenbereich ein ge-

642

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 644 Schütz, JuS 1996, 498 (504). 645 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 646 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 643

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

wichtiges Indiz dafür, dass ein hinreichend gewichtiger Besucherverkehr zu erwarten ist. Je mehr Außenbezug das Vorhaben aufgrund seines Standortes im Außenbereich vorweisen kann, desto eher spricht dieser Umstand für eine Zulassung des Vorhabens. Es spielt daher für die Zulassung eines Vorhabens eine bedeutende Rolle, ob das Vorhaben entlang gut ausgebauter landwirtschaftlicher Wege oder in der „freien“ Natur errichtet werden soll. Da sich die Baukunst in der Öffentlichkeit abspielt, ist es gerechtfertigt, dass ihr in der Güterabwägung mit dem Landschaftsschutz ein geringeres Gewicht zukommt.647 Trotz der grundsätzlichen Auslegungstendenz zugunsten des Landschaftsschutzes muss im Einzelfall immer noch die Möglichkeit gewährleistet sein, die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter unter Wahrung strikter Verhältnismäßigkeit vornehmen zu können. Denn nicht jede Errichtung von Werken der Baukunst im Außenbereich stellt zwangsläufig einen Verstoß gegen öffentliche Belange dar. Eine verfassungskonforme Auslegung im Lichte der Kunstfreiheit kann daher bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall dazu führen, dass der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) der Vorzug zu geben und eine erhebliche Beeinträchtigung öffentlicher Belange zu verneinen ist.648 Das BVerwG präferierte dabei in der „Arno-Breker“-Entscheidung dazu, die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB im Lichte der Kunstfreiheit auszulegen. Der Kunstfreiheit sei deswegen in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise Rechnung zu tragen, da die einfachgesetzlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB in Konkretisierung des in Art. 20a GG enthaltenen Schutzauftrages die Möglichkeit eröffnen, den Außenbereich wirksam zu schützen, ohne die Kunstfreiheit über die Grenzen hinaus einzuschränken, die ihr durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen seien.649 Vorrang ist der Kunstfreiheit im Rahmen der kunstkonformen Auslegung der öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB dann einzuräumen, soweit keine Belange durch die Errichtung des baukünstlerischen Vorhabens in schwerwiegender Weise beeinträchtigt werden.650 Die Kunstfreiheit setzt sich damit im Rahmen der Abwägung gegenüber den sie beschränkenden Rechtsgütern durch, soweit öffentliche Belange überhaupt nicht oder nicht in schwerwiegender Weise beeinträchtigt sind.651

647 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649); BayVerfGH, Entsch. v. 20. 01. 1969, Vf. 78–VII–67 = GRUR 1970, 150 (151); M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 469; S / S/D / ​ Stern, § 117, VII 4. 648 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2650) – Arno Breker; VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088; Schütz, JuS 1996, 498 (504); BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 184; HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78. 649 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). 650 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 651 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Verschiedene Umstände können im Rahmen der Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Landschaftsschutz eine Rolle spielen, die geeignet sind, das Abwägungsergebnis in die eine oder in die andere Richtung zu lenken. So muss der Frage nachgegangen werden, inwieweit das Landschaftsbild mit Blick auf die bauliche Vorbelastung überhaupt noch schutzwürdig ist. Selbstverständlich spielt bei dieser Betrachtung die Größe des baukünstlerischen Vorhabens mit seiner Wirkung auf die Umgebung eine gewichtige Rolle. Soweit man nur auf den Gesichtspunkt der Größe eines im Außenbereich errichteten Werkes der Baukunst abstellt, wird man bei Werken durchschnittlicher Größe eher nicht auf eine dem Außenbereich wesensfremde Bebauung schließen können, was hingegen bei der Errichtung größerer Monumente der Fall sein wird. In Bezug auf die Errichtung kleinerer Kunstwerke ist es nämlich nicht einzusehen, warum sie ebenso wie Wochenendhäuser oder gewerbliche Anlagen die natürliche Eigenart der Landschaft nachhaltig beeinträchtigen können sollen.652 Als entscheidende Gesichtspunkte für die Abwägung sind auch der Grad an Außenwirkung und die Stärke des Kunstbezugs heranzuziehen.653 Verfolgt der Grundstückseigentümer mit der Aufstellung von Kunstskulpturen allerdings nur eigennützige Zwecke und ist die Umgebung des Außenbereichsgrundstücks landund forstwirtschaftlich geprägt, kommt dem Aufstellen der Skulpturen keine Außenwirkung zu. Denn gerade in der Öffentlichkeit entscheidet sich, ob die Kunstfreiheit zur Wirksamkeit gelangt.654 Soweit einige der angeführten Gesichtspunkte in der Abwägung zwischen dem funktionalen Landschaftsschutz und der Kunstfreiheit herangezogen werden, kann dies unter Umständen zu einem Gleichlauf der Anwendungsbereiche der beiden verschiedenen öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB führen. Damit hätte der Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes bei Kunstwerken im Außenbereich keine Bedeutung mehr, wenn man die Gesichtspunkte der Größe und der daraus resultierenden Prägung der Landschaft unter dem Aspekt der wesensfremden Bebauung prüfen würde. Dies spricht dafür, dass es einfachgesetzlich überzeugender wäre, die Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung von Werken der Baukunst im Außenbereich ausschließlich dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) zuzuordnen, da letztlich die Frage nach der optisch-ästhetischen Verunstaltung der Landschaft im Vordergrund steht und nicht der funktionelle Landschaftsschutz.655

652

Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.). BVerfG, Beschl. v. 03. 11. 1987 – 1 BvR 1257/84 = BVerfGE 77, 240 (255) – Herrnburger Bericht. 654 Hufen, § 33, Rn. 20. 655 Vesting, NJW 1996, 1111 (1114). 653

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

g) Resümee über die verfassungsrechtliche Einschränkbarkeit des Grundrechts der Kunstfreiheit durch die öffentlichen Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) Für das künstlerische Bauen ist ebenso wie für alle anderen Kunstformen im Ansatz davon auszugehen, dass die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) nicht ausschließlich künstlerisches Verhalten schützt, das von der Rechtsordnung auch erlaubt ist, sodass baukünstlerisches Handeln im Außenbereich nicht bereits dann seine Grenze findet, wenn es verunstaltend im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB wirkt.656 Die Kunstfreiheit schützt allerdings nicht jede Möglichkeit, Werke der Baukunst im Außenbereich an einem bestimmten Ort aufzustellen.657 Der Schutzbereich der Kunstfreiheitsgarantie kann nämlich bei der Aufstellung von Kunstskulpturen oder sonstigen bereits fertiggestellten Werken der Baukunst nur dann eröffnet sein, soweit in den Wirkbereich der Kunst eingegriffen wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Öffentlichkeit durch das Aufstellen Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird. Der Wirkbereich der Kunst darf sich also nicht allein im privaten Raum abspielen. Greift der Staat im privaten Raum in den Umgang mit fremden Kunstwerken ein, stört er gerade nicht den Kommunikationsprozess zwischen Künstler und Publikum. Er greift dann vielmehr in die Verfügungs- und Nutzungsbefugnisse des Eigentümers gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ein,658 wobei die baurechtlichen Vorschriften Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums darstellen, Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Baukünstler kann sich hingegen im Falle der Errichtung von Baukunst ohne Einschränkungen auf die Kunstfreiheit berufen. Baukunst zeichnet sich dadurch aus, dass eine Trennung von Werk- und Wirkbereich der Kunst nicht möglich ist. Beim Schöpfungsakt der Errichtung einer architektonisch gehaltvollen baulichen Anlage fallen nämlich der Werk- und der Wirkbereich der Kunstfreiheitsgarantie zusammen. Außerdem wurde untersucht, ob die Baukunst als Kunstform der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) auf verfassungsrechtlich tragfähiger Basis durch den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB beschränkt werden kann. Das BVerwG hat in diesem Zusammenhang in der „Arno-Breker“-Entscheidung die Bedeutung der Kunstfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht hervorgehoben und Baubeschränkungen für Kunstwerke im Außenbereich  – als Folge der Beeinträchtigung öffentlicher Be-

656 Dreier / Wittreck, Art. 5 Abs. 3, Rn. 49; HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 58; Hufen, § 33, Rn.  20; J / P/Jarass, Art.  5, Rn.  121; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 450; M / K/Wendt, Art. 5, Rn. 93; Vesting, NJW 1996, 1111 (1112). 657 Vesting, NJW 1996, 1111 (1111 f.). 658 Schütz, JuS 1996, 498 (499).

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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lange – unter anderem unter Berufung auf den Verfassungsauftrag zum Schutze der Umwelt (Art. 20a GG) als gerechtfertigt angesehen.659 Es kann jedenfalls zur Einschränkung der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) im Unterschied zur Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) wegen des Fehlens eines ausdrücklichen Gesetzesvorbehalts von vornherein nicht auf bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Vorschriften zurückgegriffen werden.660 Das BVerwG sieht in dem Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) weiterhin eine verfassungsmäßige Konkretisierung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG). Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot diene ebenso wie die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote dazu, „einen Beitrag zum allseitigen psychischen Wohlbefinden der Bürger sowie zum sozialen Frieden in der Gemeinschaft“ zu leisten.661 Selbst wenn der soziale Bezug des Eigentums bei baulichen Anlagen besonders ausgeprägt sein mag und eine Notwendigkeit besteht, Inhalt und Schranken der Eigentümerbefugnisse hinsichtlich der Gestaltung baulicher Anlagen weitgehend festzulegen, kann in dem Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) keine Konkre­ tisierung eines allgemeinen Staatsauftrags gesehen werden.662 Es ist zum einen nicht Aufgabe des Staates, jeden einzelnen Bürger vor einem allgemeinen Unwohlgefühl zu bewahren.663 In dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit kann außerdem kein universeller Schutzauftrag gesehen werden, um einen „uferlosen“ Eingriffstitel zu schaffen.664 Denn ästhetische Unlustgefühle aufgrund von krassen Gegensätzen und Widersprüchen im Erscheinungsbild des Orts- und Landschaftsbildes können nicht eine Intensität erreichen, die ähnlich wie Lärmimmissionen mit denen eines körperlichen wirkenden Schmerzes vergleichbar sind.665 Dogmatisch ist es daher überzeugender, nicht den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes, sondern den der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) als Ausprägung des Umweltstaatsprinzips zu sehen. Mit anderen Worten kann nicht der optisch-ästhetische, sondern nur der funktionale Landschaftsschutz unter Berufung auf das Umweltstaatsprinzip verfassungsrechtlich legitimiert werden.

659

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89. 661 BVerwG, Beschl. v.  27. 06. 1991  – 4 B 138(90 = NVwZ 1991, 983; BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. 662 Vesting, NJW 1996, 1111 (1112). 663 Schütz, JuS 1996, 498 (502). 664 Sachs, JuS 2016, 952 (953); Vesting, NJW 1996, 1111 (1113). 665 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Koenig  / ​ Zeiss, JURA 1997, 225 (229); Schütz, JuS 1996, 498 (502); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619). 660

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Unabhängig von diesen verfassungsrechtlichen Erwägungen bietet sich eine Lösung auf der Ebene des einfachen Rechts an: Öffentliche Belange, die der Errichtung eines Werkes der Baukunst im Außenbereich entgegenstehen, können in einer Weise ausgelegt werden, die der Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise Rechnung trägt.666 Daher kann auch das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) kunstkonform ausgelegt werden. Das BVerwG präferierte dabei in der „Arno-Breker“-Entscheidung dazu, die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB im Lichte der Kunstfreiheit auszulegen. Der Kunstfreiheit sei deswegen in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise Rechnung zu tragen, da die einfachgesetzlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB in Konkretisierung des in Art. 20a GG enthaltenen Schutzauftrages die Möglichkeit eröffnen, den Außenbereich wirksam zu schützen, ohne die Kunstfreiheit über die Grenzen hinaus einzuschränken, die ihr durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gezogen seien.667 Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Legitimation des Belangs der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ist überdies unbeachtlich, da dem Schutzgedanken des § 35 BauGB, den Außenbereich vor der Errichtung wesensfremder Bebauung zu schützen, auch einfachgesetzlich mit dem Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft Rechnung getragen werden kann. Die Errichtung von Baukunst im Außenbereich trägt nämlich regelmäßig eine wesensfremde Bebauung in diesen hinein, sodass regelmäßig der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft einschlägig sein wird.668 Vorrang ist der Kunstfreiheit im Rahmen der kunstkonformen Auslegung der öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB dann einzuräumen, soweit keine Belange durch die Errichtung des baukünstlerischen Vorhabens in schwerwiegender Weise beeinträchtigt werden.669 Die Kunstfreiheit setzt sich damit im Rahmen der Abwägung gegenüber den sie beschränkenden Rechtsgütern durch, soweit öffentliche Belange überhaupt nicht oder nicht in schwerwiegender Weise beeinträchtigt sind.670

666

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). 668 Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.). 669 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 670 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 667

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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5. Bestehen eines unmittelbar aus der Kunstfreiheitsgarantie (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) abgeleiteten subjektiv öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Erteilung einer Baugenehmigung? Das vorangegangene Kapitel671 behandelte mit der Leitentscheidung des BVerwG zum „Arno-Breker“-Fall672 das Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Das BVerwG kam zu dem Ergebnis, dass auch die Berufung auf die Kunstfreiheit nicht bewirken kann, dass Monumentalfiguren an einem bestimmten Standort im Außenbereich zu genehmigen sind, soweit öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beeinträchtigt werden. So ist eine Berufung auf die Kunstfreiheit dann statthaft, wenn entweder das Vorhaben keine öffentlichen Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt oder die beeinträchtigten öffentlichen Belange verfassungskonform im Lichte der Kunstfreiheit ausgelegt werden können. Für das Verhältnis zwischen dem Baurecht und der Eigentumsfreiheit gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist geklärt, dass sich ein Einzelner nicht unmittelbar auf die Eigentumsgarantie berufen kann, soweit seine Eigentumsrechte einfachgesetzlich im Baurecht ausgeformt sind.673 Dies gilt grundsätzlich auch für das Verhältnis zwischen der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und dem Baurecht. Ein solcher Anspruch kann ausnahmsweise im Einzelfall durch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen baurechtlichen Vorschriften begründet werden, soweit dies das Ergebnis einer Abwägung der widerstreitenden Verfassungspositionen unter strenger Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugunsten der Kunstfreiheit gebietet. Eine äußerste Grenze der Baufreiheit wird allerdings dann erreicht sein und die Abwägung wird zugunsten der Grundrechte Dritter ausfallen, soweit die Kunstfreiheit dazu missbraucht wird, den Grundstücksnachbarn in seiner Ehre zu kränken und herabzuwürdigen, wie es beispielsweise in der Vergangenheit bei der Aufstellung von sogenannten „Frustzwergen“ im Nachbargarten angenommen wurde. Gartenzwerge, die beleidigende Posen zeigen, genießen daher nicht den Schutz der Kunstfreiheit, da sie in schwerwiegender Weise das Persönlichkeitsrecht des Nachbarn (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1  GG) in Abrede stellen.674 Eine äußerste Grenze kann ebenso der funktionelle Landschaftsschutz und nach Auffassung des BVerwG auch der optische Landschaftsschutz bilden, die in dem öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB einfachgesetzlich ausgestaltet sind.

671

Kapitel C. I. 4. BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. 673 BVerwG, Urt. v. 26. 09. 1991 – 4 C 5.87 = BVerwGE 89, 69 (78 f.) = NVwZ 1992, 977; Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2606 f.). 674 AG Grünstadt, Urt. v. 11. 02. 1994 – 2a C 334/93 = NJW 1995, 889. 672

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Dass grundsätzlich kein unmittelbarer subjektiv öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung unter Berufung auf die Freiheit der Kunst (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) besteht,675 zeigt schon eine Parallele zur Rechtsprechung des BVerwG in Hinblick auf das Verhältnis zwischen Straßenkunst und Straßenrecht. Das BVerwG geht in ständiger Rechtsprechung676 davon aus, dass die Eröffnung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit und das bloße Berufen auf diese die Erlaubnispflicht zur Sondernutzung einer öffentlichen Straße zur Ausübung der Kunst nicht entfallen lässt. So kommt es für denjenigen stets zu einer Interessenkollision mit den Grundrechten anderer, der in einer innerstädtischen Fußgängerzone Gemälde und Plastiken herstellen und ausstellen will. Denn dem Freiheitsrecht auf Ausübung der Straßenkunst stehen der störungsfreie Gemeingebrauch der öffentlichen Straße durch andere und die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs gegenüber, die in ihrem Kern durch die Grundrechte der Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet sind.677 Die letztgenannten Rechtsgüter rechtfertigen es unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, auch Straßenkunst in formeller Hinsicht einem behördlichen Kontrollverfahren zu unterwerfen.678 In materieller Hinsicht können die gegenläufigen Rechtsgüter auf der Ebene des Ermessens gegeneinander gewichtet und abgewogen werden, wobei der gerechte Ausgleich unter Umständen auch zu einer Ermessensreduzierung zugunsten der Kunstfreiheit führen mag.679 Die Gewährleistung der Kunstfreiheit in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zwingt zur Qualifizierung von Straßenkunst als Gemeingebrauch auch dann nicht, wenn die Kunstausübung die oben aufgezählten Grundrechte Dritter nicht konkret beeinträchtigt. In einem solchen Fall besteht aber regelmäßig ein Rechtsanspruch auf die Sondernutzungserlaubnis. Es ist also gerade nicht so, dass die Gewährleistung der Kunstfreiheit gebiete, dass der Gesetzgeber die Pflicht zur Einholung einer Erlaubnis erst dann vorsehen dürfe, wenn aufgrund einer Einzelfallprüfung feststehe, dass die konkrete Straßennutzung in Form der Straßenkunst Grundrechte anderer unverhältnismäßig beeinträchtigt.680 Denn die Inanspruchnahme der öffentlichen Straße zur Ausübung der Straßenkunst führt zu lösungsbedürftigen Konflikten mit anderen Straßenbenutzungen, zu deren Klärung das behördliche Kontrollverfahren der landesrechtlichen Sondernutzungserlaubnis ein mit der Kunstfreiheit auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vereinbares Mittel darstellt.681

675

Seybold, S. 142. BVerwG, Beschl. v.  07. 01. 1981  – 7 B 179.80 = DÖV 1981, 342; BVerwG, Beschl. v. 19. 12. 1986 – 7 B 144/86 = NJW 1987, 1836; BVerwG, Urt. v. 09. 11. 1989 – 7 C 81/88 = NJW 1990, 2011. 677 BVerwG, Beschl. v. 07. 01. 1981 – 7 B 179.80 = DÖV 1981, 342. 678 BVerwG, Beschl. v. 19. 12. 1986 – 7 B 144/86 = NJW 1987, 1836 (1837). 679 BVerwG, Beschl. v. 19. 12. 1986 – 7 B 144/86 = NJW 1987, 1836 (1837). 680 BVerwG, Urt. v. 09. 11. 1989 – 7 C 81/88 = NJW 1990, 2011. 681 BVerwG, Urt. v. 09. 11. 1989 – 7 C 81/88 = NJW 1990, 2011 (2012). 676

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Die Entscheidungen zum Verhältnis zwischen Straßenrecht und Kunst auf der Straße betonen stets, dass unter Berufung auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) bei der Erteilung einer straßenrechtlichen Erlaubnis nicht die „Sicht“ auf entgegenstehende Grundrechte Dritter und die Interessen der Allgemeinheit aus den Augen verloren werden dürfen. Genauso wie die Straßenkunst ist auch die Baukunst in Hinblick auf das Orts- und Landschaftsbild auf die Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit angelegt. Um weiterhin das reibungslose Zusammenleben in der Gesellschaft zu ermöglichen, kommt man nicht umher, der Baukunst dieselben strengen Maßstäbe wie der Straßenkunst aufzuerlegen. In einem formellen Baugenehmigungsverfahren sind also die materiellen Anforderungen, die an baukünstlerische Aktivitäten im Außenbereich zu stellen sind, zu prüfen und gegebenenfalls die beeinträchtigten öffentlichen Belange verfassungskonform auszulegen. 6. Bestehen eines auf die Verunstaltungsverbote gestützten Abwehranspruchs des Nachbarn auf Versagung einer nachbarlichen Baugenehmigung? Unter dem Begriff des Umgebungsschutzes werden üblicherweise Fragen des Schutzes der Umgebung vor baulichen Anlagen diskutiert. Gleichermaßen kann aber auch umgekehrt das Bedürfnis bestehen, Bauwerke vor ihrer Umgebung bzw. deren Veränderung zu schützen.682 Im Nachfolgenden soll untersucht werden, ob sich unmittelbar aus der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) oder aus den Verunstaltungsverboten ein Abwehrrecht des Nachbarn gegen das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltende bauliche Anlagen ergibt. Ausnahmsweise können nämlich subjektiv öffentlich-rechtliche Abwehransprüche des Nachbarn auf die Versagung einer nachbarlichen Baugenehmigung unmittelbar auf das Grundrecht der Kunstfreiheit gestützt werden.683 Da die Kunstfreiheit den „Wirkbereich“ der Kunst schützt, ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass bereits vorhandene, besonders schützenswerte bauliche Anlagen durch hinzukommende Anlagen auf benachbarten Grundstücken in ihrer Wahrnehmung beeinträchtigt werden können.684 Außenbereichsvorhaben müssen sich ebenfalls in Anbetracht der öffentlichen Belange (Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) in ein gegebenes Orts- oder Landschaftsbild einfügen.685 Hier 682

Ingold / Lenski, DÖV 2010, 797 (797). VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650; Mick, S. 76 f.; Schneider, S. 235; aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit kann sich im Einzelfall auch eine zulässige verfassungsimmanente Schranke der Religionsfreiheit ergeben, Gaudernack, S. 179. 684 Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607); es erscheint ebenso eine Beeinträchtigung des Wirkbereichs der in dem benachbarten Bauwerk verkörperten Kunst durch die Errichtung und den Betrieb eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhabens denkbar, Gaudernack, S. 179. 685 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 683

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

stellt sich die Frage, ob sich ein Grundstücksnachbar auf den Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) berufen kann, soweit ein – abgesehen von seinem verunstaltenden Charakter unbedenkliches – Bauvorhaben im Außenbereich verwirklicht werden soll. Da Bezugspunkt eines nachbarlichen Abwehrrechts gegen bauliche Anlagen beim bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot der Anblick des Vorhabens in Bezug auf seine weitere Umgebung und nicht wie bei den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten Anknüpfungspunkt die einzelne bauliche Anlage selbst und die nähere Umgebung ist, wird nachfolgend aufgezeigt, dass an die Annahme eines auf die Kunstfreiheit gestützten Abwehrrechtes des Nachbarn gegen ein das Ortsoder Landschaftsbild verunstaltendes Vorhaben besonders hohe Anforderungen an eine individuelle und qualifizierte Betroffenheit des Nachbarn zu stellen sind, damit nicht die Verunstaltungsabwehr, die im allgemeinen öffentlichen Interesse liegt, zu einem allgemeinen subjektiv öffentlich-rechtlichen Abwehrrecht des Nachbarn umgekehrt wird, um jegliche unerwünschte und gleichfalls unästhetische Nachbarbebauung zu unterbinden. Eine zivilrechtliche Entscheidung über „Frustzwerge in Nachbars Garten“ lässt sich ebenso zur Verdeutlichung heranziehen, dass der Freiheit der Kunst grundsätzlich Grenzen in entgegenstehenden Grundrechten Dritter gesetzt sind und diesen unter bestimmten Voraussetzungen ein Abwehrrecht zustehen muss. So kann ein unmittelbar aus der Menschenwürde des Nachbarn (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) folgender Abwehranspruch gegen Gartenzwerge im nachbarlichen Garten ins Feld geführt werden.686 In diesem Sinne sind auch Fälle denkbar, in denen mittels entsprechender Gestaltung eines im Außenbereich errichteten Bauwerks ein Nachbar oder eine bestimmte Person verächtlich gemacht oder bewusst das Ortsoder Landschaftsbild verunstaltet werden soll. a) Schutz eines Bauwerks vor seiner Umgebung Dass das Grundrecht der Kunstfreiheit als Abwehrrecht auch den Schutz vorhandener schützenswerter baulicher Anlagen gewährleistet, steht von vornherein nicht der „Sprayer von Zürich“-Beschluss des BVerfG687 entgegen, nach dem sich der Schutzbereich der Kunstfreiheit nicht auf die Inanspruchnahme oder die Beeinträchtigung fremden Eigentums zum Zweck der Kunstausübung erstrecke.688 Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf das Verhältnis von Kunstfreiheit und baurechtlichem Nachbarschutz hätte zur Folge, dass die anderen Grundstückseigentümer ihr Baugrundstück stets bebauen könnten, soweit ihre Vorhaben mit einfachgesetzlichen Bauvorschriften übereinstimmen. Ein Abwehrrecht für den 686

AG Grünstadt, Urt. v. 11. 02. 1994 – 2a C 334/93 = NJW 1995, 889. BVerfG, Beschl. v. 19. 03. 1984 – 2 BvR 1/84 = NJW 1984, 1293 (1294). 688 Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607). 687

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Grundstückseigentümer mit dem erhaltenswerten Bauwerk würde gleichzeitig nicht bestehen.689 Zu den Eigentumsgrundrechten anderer gehört nämlich auch, dass diese ihre Grundstücke, die dem erhaltenswerten Bauwerk benachbart sind, in Einklang mit den baurechtlichen Vorschriften nutzen und bebauen können.690 Ein Abwehranspruch des Grundstückseigentümers des vorhandenen schützenswerten Bauwerkes täte dieses bauliche Eigentums- und Nutzungsrecht beeinträchtigen. Der „Wirkbereich“ des schützenswerten Bauwerkes könnte somit nicht ein fremdes Grundstück und dessen Nutzungsbefugnis in Anspruch nehmen. Eine gewichtige Gegenmeinung691 in der Literatur zieht tatsächlich eine Parallele zum „Sprayer“-Beschluss des BVerfG und nimmt konsequent an, dass der grundrechtlich umfasste Wirkbereichsschutz der Kunstfreiheit nicht indiziere, dass der Schutzbereich der Kunstfreiheit durch die Vorgänge auf dem Nachbargrundstück, die optische Wirkungen auf das bestehende baukünstlerische Werk zeitigen, berührt werde. Der Umgebungsschutz eines Baukunstwerkes wird damit nicht als vom Wirkbereichsschutz der Kunstfreiheitsgarantie mitumfasst angesehen, da die Präsentation eines Baukunstwerkes erfordere, dass ein benachbartes Grundstück auf eine bestimmte Art und Weise bebaut bzw. nicht bebaut werde und damit dieses Nachbargrundstück in unzulässigerweise in Anspruch genommen werde, insofern der Nachbar in seiner Nutzungsbefugnis über das Grundstück behindert werde, dieses in Einklang mit den geltenden baurechtlichen Vorschriften bebauen zu dürfen.692 Im Falle von zwei sich künstlerisch widersprechenden Werken der Baukunst stünden sich jeweils die „positive“ und die „negative“ Kunstfreiheit gegenüber, also die positive Freiheit, Kunst zu schaffen und auszustellen, gegenüber der negativen Kunstfreiheit, Kunst nicht ausgesetzt zu sein. Der Gewährleistung der positiven Kunstfreiheitsgarantie gebühre insofern im Zweifel der Vorrang („in dubio pro libertate“).693 Die Kunstfreiheit beinhalte damit in Anwendung der im „Sprayer“Beschluss ergangenen Grundsätze des BVerfG keinen gegen private Dritte gerichteten Anspruch auf eine „künstlerische Bannmeile“.694 Eine Grundrechtskollision zwischen der Kunstfreiheit desjenigen, der die Wirkung seines Kunstwerks durch die Nachbarbebauung beeinträchtigt sieht und der Kunst- und Eigentumsfreiheit des Nachbarn bestehe deswegen nicht, da der Schutzbereich der Kunstfreiheit des Ersteren nicht berührt sei.695

689

So aber Kapell, S. 216 f. Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607). 691 Kapell, S. 216 f.; Hufen, JuS 1996, 454 (455); Sendler, NJW 1995, 2602; Schütz, JuS 1996, 498 (502); Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (289). 692 Dieser Ansicht liegt wohl der Gedanke zugrunde, dass die Berufung auf die Kunstfreiheit prinzipiell nicht die Beschränkung der Kunstfreiheit Dritter legitimiere. Nur die Verhinderung eines Kunstwerkes in seiner Existenz durch die Grundrechtsausübung Dritter könne eine Grundrechtskollision begründen. 693 Zeiss, ZfBR 1997, 286 (289). 694 Kapell, S. 216 f. 695 Kapell, S. 217. 690

330

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Aus dem selbstkritischen Hinweis, dass dieser Befund nicht uneingeschränkt gelten könne, da Konstellationen denkbar seien, bei denen eine gleichzeitige Realisierung verschiedener künstlerischer Projekte praktisch nicht möglich sei,696 folgt das Gegenargument gegen die aufgezeigte Ansicht: Kunst kann tatsächlich durch Gegenprojekte verhindert und die Wirkung eines Baukunstwerkes auf seine Umgebung konterkariert werden, sodass demjenigen, der die Wirkung seines Kunstwerks durch die Nachbarbebauung beeinträchtigt sieht, ein Abwehranspruch aus dem Gesichtspunkt des Umgebungsschutzes zugebilligt werden muss. Es sind außerdem erhebliche verfassungsdogmatische Bedenken gegenüber dem „Sprayer von Zürich“-Beschluss des BVerfG anzuführen,697 sodass Erwägungen aus diesem Beschluss einem unmittelbar aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit abgeleiteten Abwehranspruch nicht entgegen gehalten werden können. Das Bestehen eines nachbarlichen Abwehranspruchs kann auch nicht unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des BVerwG698 verneint werden, nach der sich die Ausübung der Kunstfreiheit bei der Errichtung baulicher Anlagen zugleich als Nutzung des Eigentums darstelle und aus ihr nicht die Befugnis erwachse, sich über die dem Eigentum zulässigerweise in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gezogenen Schranken hinwegzusetzen.699 Soweit man nämlich die Schranken der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) auf die Kunstfreiheit übertragen würde, dann wäre eine unmittelbar auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gestützte Nachbarklage mit dem Ziel der Versagung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Vorhabens, das das erhaltenswerte Nachbargebäude beeinträchtigen würde, als auch eine Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines künstlerischen Vorhabens undenkbar, da die Ausübung des „Wirkbereichs“ der Kunstfreiheit im Baurecht nur nach Maßgabe der die Befugnisse des Eigentümers und des Nachbarn ausgestaltenden baurechtlichen Vorschriften zulässig wäre.700 Aus der angesprochenen Entscheidung des BVerwG können auch deswegen keine Rückschlüsse auf das Bestehen eines unmittelbar auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) gestützten nachbarlichen Abwehranspruchs gezogen werden, da sich die Erwägungen des BVerwG auf eine unzulässige Verzerrung der Schrankensystematik der Grundrechte stützen. Die Schranken eines Grundrechts mit einfachem Gesetzesvorbehalt wie die der Eigentumsfreiheit können nicht auf ein vorbehaltloses Grundrecht wie der Kunstfreiheit übertragen werden.701 Die Entscheidung des BVerwG setzte sich außerdem nicht mit nachbarschützenden Abwehrrechten

696

Kapell, S. 217. Vgl. oben Abschnitt C. I. 1. c). 698 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 699 Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607). 700 Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607). 701 Schütz, JuS 1996, 498 (501); Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (617). 697

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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auseinander, sondern beschäftigte sich nur mit der materiellen Rechtslage, die die Erteilung einer Baugenehmigung zur Aufstellung monumentaler Figuren im Außenbereich zum Gegenstand hatte. b) Über die Abtragung des Lenin-Denkmals in Berlin, „Christo’s Reichstagsverhüllung“ und ihre Bedeutung für den Nachbarschutz Ob ein unmittelbar auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gestützter nachbarlicher Abwehranspruch anzuerkennen ist, ergibt sich im jeweiligen Einzelfall aus einer Abwägung der kollidierenden Grundrechte unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.702 Aus dem Ergebnis der Abwägung ergibt sich ebenso, wie weit der nachbarliche Umgebungsschutz zu ziehen ist. So liegt es in der Natur der Baukunst, dass ihr im Gegensatz zu allgemeinkünstlerischen Bestrebungen, deren Grenzen sich alleine aus dem Verhältnis der künstlerischen Aussage gegenüber den Positionen der Allgemeinheit ergeben, auf denen das „gedeihliche Zusammenleben“ beruht, eine weitere, ihr eigentlich wichtigere Korrespondenz gegenüber stehen kann. Denn die Grenzen baukünstlerischer Bestrebungen ergeben sich gerade auch aus bürgerlichen Freiheiten, die sich unter Umständen ebenfalls auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen können. Dies erfordert eine abwägende Wertung, soweit es um die gestalterische Verträglichkeit zweier kunstbezogener Bauwerke geht. Insofern kann diese abwägende Wertung zu dem Ergebnis gelangen, dass einer baukünstlerischen Bestrebung der Vorrang gegenüber einer anderen gebührt.703 Dies hat das VG Berlin704 in seinem „Christo“-Beschluss über die Kollision von zwei geplanten künstlerischen Veranstaltungen herausgestellt. Bei dieser Leitentscheidung handelt es sich – soweit ersichtlich – um den ersten Fall, in dem mit Erfolg eine verwaltungsgerichtliche Nachbarklage auf die Verletzung des Grundrechts der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) gestützt werden konnte.705 Das VG Berlin entschied im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die Anträge des Ehepaars Christo und der Veranstalterin des Projekts „Verhüllter Reichstag“, mit denen die Errichtung einer sogenannten ca. 12 m hohen „Rotunde“ in der Nähe des Reichstags zum Zeitpunkt seiner künstlerischen Verhüllung verhindert werden sollte.

702

Dreier / Pernice, 2004, Art. 5 Abs. 3, Rn. 41; Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607). Ropertz, S. 125 f.; a. A. Kapell, S. 216, die überhaupt in Zweifel zieht, ob die Grundrechtskollision durch bauästhetische Anforderungen an das störende Bauwerk aufgelöst werden kann. Eine Abwägung zwischen den beiden jeweils kollidierenden Grundrechten der Kunstfreiheit sei nämlich mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da eine qualitative Differenzierung zwischen den konkurrierenden Kunstwerken unzulässig sei. 704 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650. 705 Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2606). 703

332

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Der Reichstag sollte auf der Grundlage eines Vertrags zwischen den Künstlern Christo, Jeanne-Claude und dem Deutschen Bundestag für 14 Tage verhüllt werden. Die Künstler hatten auf die Festlegung des Zeitraums keinen Einfluss. Die Zeitschrift „Stern“ begann im Vorfeld vor der Vertragsanbahnung mit der Planung einer Ausgabe mit dem Thema „Hauptstadt Berlin“, die die Gestaltung von Stadtpanoramen in Anlehnung an historische Vorbilder durch den Architekten und Künstler Yadegar Azizi zum Gegenstand hatte. Die Stadtpanoramen sollten mit modernen medientechnischen Mitteln optisch in sogenannten „Rotunden“ dargestellt werden. Das Bezirksamt Mitte der Bundeshauptstadt Berlin genehmigte die Errichtung einer solchen ca. 12 m hohen „Rotunde“ etwa 100 m vom Reichstag und ca. 70 m vom Brandenburger Tor entfernt.706 Das VG Berlin stellte heraus, dass Kunstwerke auf Zeit im Stadtraum genauso Umgebungsschutz genießen wie Denkmale, wobei der Umfang des Schutzes im Wege der Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen zu ermitteln sei. Beeinträchtigt eine erteilte Baugenehmigung den ermittelten Umgebungsschutz, dann verletze sie den Künstler in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Der Grundsatz der Priorität sei bei Grundrechtskollisionen heranzuziehen, vor allem dann, wenn sich die Grundrechtsträger jeweils auf dasselbe Grundrecht berufen.707 Nach Auffassung des VG Berlin ergab sich die Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) unmittelbar aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), wobei die Rechtsverletzung in der Erteilung der Baugenehmigung gesehen wurde. Weder das in den Landesbauordnungen enthaltene bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot noch das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführte bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot vermitteln jedoch nach ständiger Rechtsprechung einem klagenden Nachbarn Drittschutz,708 sodass sich das VG Berlin nicht in der Lage sah, hieraus einen Abwehranspruch abzuleiten. Der Denkmalschutz dient weiterhin der Erhaltung vorhandener Baukultur für die Allgemeinheit, sodass im Falle der Verhüllung des Reichstags eine Klagebefugnis ebenfalls nicht aus einer Verletzung des Umgebungsschutzes gem. § 10 Abs. 1 und Abs. 2 Berliner Denkmalschutzgesetz (BerlDenkmSchG) hergeleitet werden konnte.709 Es besteht außerdem kein allgemeiner Abwehranspruch

706

VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2650). VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2650); a. A. Kapell, S. 215 f., die das Kriterium der zeitlichen Priorität zum einen deswegen in Abrede stellt, weil es dann untauglich sei, wenn es sich nicht nur um zeitlich beschränkte Kunstwerke wie im Fall der Reichstagsverhüllung handle, also nicht nur ein temporärer Verzicht in Rede stehe. Zum anderen könne die Priorität nicht als allein relevantes Kriterium herangezogen werden, da ansonsten der erste Baukünstler weitgehend freie Entscheidungsmacht über die Nutzbarkeit benachbarter Grundstücke hätte. 708 BayVGH, Beschl. v. 14. 06. 2013 – 15 ZB 13.612, Rn. 15; OVG Bln, Beschl. v. 29. 10. 1991 – 2 S 23/91 = LKV 1992, 26 (26) – Lenin-Denkmal; VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2651); Hoppenberg / de Witt / Rövekamp, Rn. 225. 709 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2651). 707

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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eines Nachbarn gegen Vorhaben, die im Außenbereich objektiv-rechtlich nicht genehmigungsfähig sind.710 Das VG Berlin711 verwies in seiner Argumentation, dass das Denkmalschutzrecht keinen Drittschutz für klagende Nachbarn verleihe, auf einen Beschluss des OVG Berlin aus dem Jahre 1991,712 der sich mit der Frage auseinander setzte, ob die Abtragung des Lenin-Denkmals in der Landeshauptstadt Berlin zu einer subjektiven Rechtsverletzung der Anwohner oder sogar von noch weiter vom Aufstellungsort entfernt lebenden Bürgern führen könnte. Die Erwägungen des OVG Berlin zum Umgebungsschutz eines unter Schutz gestellten Baudenkmals lassen sich auf die Frage übertragen, ob und inwieweit die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote in den Landesbauordnungen und das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) Drittschutz im Sinne der Schutznormtheorie713 verleihen. Das OVG Berlin führte aus, dass durch die Zulassung der Beseitigung eines unter Schutz gestellten Baudenkmals nach den Regelungen des Berliner Denkmalschutzgesetzes Rechte einzelner grundsätzlich nicht verletzt werden.714 Das OVG Berlin stellte in Bezug auf eine möglicherweise negative Veränderung des Erscheinungsbildes des Platzes infolge der Abtragung des Lenin-Denkmals fest, dass die Bestimmungen über den Verunstaltungsschutz grundsätzlich dem öffentlichen Interesse an der Wahrung bestimmter Mindestanforderungen an das Straßen- und Ortsbild dienen und gerade nicht dem Individualschutz.715 Die Unterschutzstellung einer baulichen Anlage oder eines Teils einer baulichen Anlage als Baudenkmal liege außerdem im öffentlichen Interesse an ihrer Erhaltung. Ein einzelner Bürger könne damit nicht als Angehöriger der interessierten Allgemeinheit auftreten und weder die Unterschutzstellung als Baudenkmal noch die Zustimmung zu dessen Veränderung oder Beseitigung erwirken. Die Zulassung eines solchen Rechtsschutzbegehrens stelle ansonsten eine unzulässige Popularklage dar.716 Dieselben Erwägungen gelten für die Verunstaltungsverbote, denn mit der Berufung

710

BVerwG, Beschl. v. 03. 04. 1995 – 4 B 47/95, Rn. 2; BVerwG, Beschl. v. 28. 07. 1999 – 4 B 38/99, Rn. 5. 711 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2651). 712 OVG Bln, Beschl. v. 29. 10. 1991 – 2 S 23/91 = LKV 1992, 26. 713 Zur Schutznormtheorie allgemein siehe nur BVerwG, Urt. v. 05. 12. 1958 – VII C 215.57 = BVerwGE 7, 354 (355); BVerwG, Urt. v.  28. 04. 1967  – IV C 10.65 = BVerwGE 27, 29 (32 f.); BVerwG, Urt. v. 25. 02. 1977 – IV C 22.75 = BVerwGE 52, 122 (129); BVerwG, Urt. v. 09. 12. 1983 – 4 C 44.80 = NJW 1984, 38; BVerwG, Urt. v. 19. 09. 1986 – 4 C 8.84 = NVwZ 1987, 409; BVerwG, Urt. v. 16. 09. 1993 – 4 C 28.91 = DVBl. 1994, 284 (286); Brenner, Rn. 885; Dirnberger, S. 43; Gaudernack, S. 182; Kamp, S. 145; Müller, K., S. 148; Weyreuther, S. 307; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (288). 714 OVG Bln, Beschl. v. 29. 10. 1991 – 2 S 23/91 = LKV 1992, 26 (26). 715 OVG Bln, Beschl. v. 29. 10. 1991 – 2 S 23/91 = LKV 1992, 26 (26). 716 OVG Bln, Beschl. v. 29. 10. 1991 – 2 S 23/91 = LKV 1992, 26 (26).

334

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

auf eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ließe sich eine Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO für eine Vielzahl von Anfechtungsklagen begründen. Interessanterweise erwog das OVG Berlin im „Lenin“-Fall, ob nicht für die unmittelbarsten Anwohner am Leninplatz eine qualifizierte und über die Betroffenheit der Allgemeinheit hinausgehende, spezifisch rechtliche Beziehung zum LeninStandbild bestand. Parallel dazu ließen sich auch für die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote klagefähige Rechte bei besonders schützenswerter Betroffenheit des Nachbarn erwägen. Der Wahrnehmungsbereich des Lenin-Standbildes war jedoch im konkreten Fall nicht nur auf die Wahrnehmung durch die unmittelbarsten Anwohner beschränkt. Der Aufstellungsort des Lenin-Monumentes wurde vielmehr derart inmitten des innerstädtischen Leninplatzes gewählt, dass jeder die bedeutende Durchgangsstraße Benutzende das Monument einsehen konnte.717 c) Nachbarschutz durch eine verfassungskonforme Auslegung des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbots Ein Teil der Literatur stellt ähnliche Erwägungen wie das OVG Berlin zum Lenin-Monument an. So wird nämlich vor dem Hintergrund der „Christo“-Entscheidung des VG Berlin718 anstelle eines unmittelbaren Rückgriffs auf das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) eine verfassungskonforme Auslegung des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbotes im Lichte der Kunstfreiheit befürwortet.719 Selbst wenn nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte und der deutlich überwiegenden Meinung in der Literatur die Verunstaltungsverbote keinen Drittschutz für den Nachbarn und für Gemeinden720 vermitteln, da sie ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einer einwandfreien Gestaltung dienen,721 sei es dennoch anerkannt, dass die Verunstal 717

OVG Bln, Beschl. v. 29. 10. 1991 – 2 S 23/91 = LKV 1992, 26 (26). VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650. 719 Kamp, S. 148; Schütz, JuS 1996, 498 (505); Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607 f.); Wahl, DVBl. 1996, 641 (644, 651); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (289). 720 BayVGH, Beschl. v. 03. 03. 2016 – 9 ZB 15.779; anderes gilt, wenn man aus der Anerkennung eines abwehrfähigen Selbstgestaltungsrechtes der Gemeinde als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Absatz 2 Satz 1 GG) folgert, dass die das Ortsbild schützenden – umgebungsabhängigen – Verunstaltungsverbote ihre verfassungsrechtliche Legitimation im gemeindlichen Selbstgestaltungsrecht finden, s. Denecke, S. 150, Gaudernack, S. 217, a. A. Kapell, S. 279; vgl. zum Ganzen Kapitel B. V. 2. b) a. E. 721 BayVGH, Beschl. v. 12. 02. 1988 – Nr. 2 CE 88.00071 = BauR 1989, 187 (188); VGH BW, Urt. v. 04. 02. 1969 – II 347/68 = BRS 22 Nr. 167; NdsOVG, Urt. v. 05. 09. 1985 – 6 A 104/83 = BRS 44 Nr. 118; OVG Saarl, Beschl. v. 26. 06. 1985 – 2 W 1331/85 = BRS 44 Nr. 162; Bender / Dohle, Rn. 251; Boeddinghaus, BauR 2001, 1675 (1676); Engelmann, S. 162; Finkelnburg / Ortloff / Otto, S. 248; Gaudernack, S. 182; Ingold / Lenski, DÖV 2010, 797 (804); Kapell, S. 213 f.; Kübler / Speidel, III, Rn. 58; Mayer-Tasch, S. 7, 16 f.; Mick, S. 154; Müller, K., S. 149; Schlez, § 9, Rn. 17; Schütz, JuS 1996, 498 (505); Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607 f.); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (288); a. A. Kamp, S. 148. 718

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

335

tungsverbote auch den Wirkbereich besonders erhaltenswerter baulicher Anlagen vor störenden Einwirkungen hinzukommender baulicher Anlagen schützen.722 Sieht man die Unterschutzstellung des Wirkbereichs schützenswerter baulicher Anlagen unter das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot als Ausdruck der aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG resultierenden staatlichen Schutzpflicht an,723 erscheint es vor dem Hintergrund des Zusammenspiels der Erwägungen des VG Berlin zum „Christo“-Fall,724 denen des OVG Berlin zum „Lenin“-Fall725 und denen des BVerwG726 zum Verhältnis zwischen Bauordnungsrecht und Baukunst vertretbar, Drittschutz für den Eigentümer eines besonders schützenswerten Bauwerks unmittelbar aus dem bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot im Falle einer qualifizierten Betroffenheit herzuleiten, soweit eine hinzukommende bauliche Anlage den Wirkbereich eines besonders schützenswerten Bauwerks beeinträchtigt.727 aa) Geltende Rechtslage zum nachbarschützenden Charakter der Verunstaltungsverbote Bisher wurde einhellig angenommen, dass die Verunstaltungsverbote nur dem öffentlichen Interesse an einer einwandfreien Einfügung eines Bauwerks in seine Umgebung dienen. Ihr unmittelbarer Zweck ist es nicht, auch konkret bestimmbare Individualinteressen eines abgrenzbaren Personenkreises zu schützen, sodass Privatpersonen die Verwaltungsgerichte nicht aus eigenem Recht für den Schutz des Orts- oder Landschaftsbildes in Anspruch nehmen können. Es ist vielmehr stets Aufgabe der zuständigen Bauaufsichtsbehörden, auf den Einklang eines Bauwerks mit seiner Umgebung zu achten.728 Die Erfolgsaussichten des Nachbarn in allen Fällen einer potentiellen Verunstaltungsklage im Lichte der bisherigen Rechtsprechung sind daher denkbar gering. Aussicht auf Erfolg hat die Klage nur dann, wenn das als verunstaltend gerügte Bauvorhaben zugleich auch noch gegen andere bauordnungs- oder planungsrechtliche Normen verstößt, die auch den Schutz des Nachbarn nach der Schutznormtheorie

722 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); angelehnt an die Entscheidung des BVerwG aus der aktuellen Rechtsprechung vgl. VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451. 723 Schneider, S. 235. 724 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650. 725 OVG Bln, Beschl. v. 29. 10. 1991 – 2 S 23/91 = LKV 1992, 26 (26). 726 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983; aus der aktuellen Rechtsprechung siehe auch VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451. 727 Schütz, JuS 1996, 498 (505); Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607 f.); Wahl, DVBl. 1996, 641 (644). 728 VGH BW, Urt. v. 04. 02. 1969 – II 347/68 = BRS 22 Nr. 167; NdsOVG, Urt. v. 05. 09. 1985 – 6 A 104/83 = BRS 44 Nr. 118.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

bezwecken.729 Umstrittene Fälle werden nach Maßgabe der Schutznormtheorie gelöst. Eine Rechtsvorschrift gewährt danach dann ein subjektives öffentliches Recht, wenn sie zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist.730 Im Rahmen des § 35 BauGB findet beispielsweise das Gebot der Rücksichtnahme seine Ausprägung in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB im Rahmen der „schädlichen Umwelteinwirkungen“. Die weiteren Belange des § 35 Abs. 3 BauGB sind hingegen nicht drittschützend. Dasselbe gilt für den Prüfungspunkt der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes. Auch der nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu prüfende Aspekt der Ortsbildbeeinträchtigung liegt nur im Allgemeininteresse und vermittelt keine subjektiven nachbarschützenden Rechte.731 Eine Nachbarklage des Eigentümers eines Fachwerkhauses in Rothenburg ob der Tauber, neben dem ein gelbviolett karierter Beton-Kubus errichtet werden soll, hat demnach keine Aussicht auf Erfolg, sofern sie sich lediglich auf die dadurch zu erwartende Verunstaltung des Straßen- oder Ortsbildes beschränkt.732 bb) Ansätze in der Literatur zur Begründung eines nachbarschützenden Charakters der Verunstaltungsverbote Ein nachbarschützender Charakter wird ausgesprochen oder unausgesprochen nur denjenigen bauordnungs- oder bauplanungsrechtlichen Vorschriften zugesprochen, die erkennbar auch der physischen Integrität der Nachbarn zugutekommen.733 Folgt man der Ansicht, dass der Anblick „schlechter“ Bauästhetik oder einer städtebaulichen oder landschaftlichen Disharmonie geeignet sei, als Frustrationsfolge beim Menschen unter Umständen eine übermäßige Resignations- oder Aggressionsbereitschaft hervorzurufen, die Ausdruck einer Störung der individuellen Bewusstseins- und Charakterbildung und somit ein neurotischer Befund sei,734 ist es nur stringent anzunehmen, dass sich ein Nachbar, der um eine verunstaltungs 729 Mayer-Tasch, S. 15; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290); die Frage der Abwehr von Baukunst ist insoweit in Bezug auf die Aspekte der Besonnung und Belüftung sowie schlafstörenden Licht- und Lärmimmissionen eine Frage des Regelungsgehalts von Abstandsflächen oder des Immissionsschutzes. Bei glaubens- oder weltanschaulich motivierten Bauvorhaben ist stets an die konkreten körperlichen Auswirkungen auf den menschlichen Körper durch Lärm zu denken, der durch deren Bau und Betrieb entstehen und Belästigungen durch zusätzlichen Straßenverkehr als auch durch Lärmimmissionen zur Folge haben kann, Gaudernack, S. 176. 730 Siehe nur BVerwG, Urt. v. 05. 12. 1958 – VII C 215.57 = BVerwGE 7, 354 (355); BVerwG, Urt. v. 28. 04. 1967 – IV C 10.65 = BVerwGE 27, 29 (32 f.); BVerwG, Urt. v. 25. 02. 1977 – IV C 22.75 = BVerwGE 52, 122 (129); BVerwG, Urt. v. 09. 12. 1983 – 4 C 44.80 = NJW 1984, 38; BVerwG, Urt. v. 19. 09. 1986 – 4 C 8.84 = NVwZ 1987, 409; BVerwG, Urt. v. 16. 09. 1993 – 4 C 28.91 = DVBl. 1994, 284 (286); Dirnberger, S. 43; Gaudernack, S. 182; Kapell, S. 213; Müller,  K., S. 148; Weyreuther, S. 307. 731 VG Augsburg, Beschl. v. 14. 04. 2016 – Au 5 S 16.460, Rn. 38, 41, 47. 732 Mayer-Tasch, S. 16. 733 Mayer-Tasch, S. 17. 734 Mayer-Tasch, S. 26.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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freie Gestaltung seiner Umgebung kämpft, auf seine psychische, eventuell sogar auf seine physische Integrität berufen kann.735 Dass der Nachbar jedenfalls nicht um die Erhaltung und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit „kämpft“ (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) und damit ein „Grundrecht auf Stadtgestaltung“ abzulehnen ist, wurde bereits festgestellt. Ein allgemeines ästhetisches Unwohlsein kann außerdem nicht zu psychischen Störungen führen, die sich körperlich auswirken können.736 Bei der Anerkennung einer allgemeinen „Verunstaltungsklage“ ergäben sich im Übrigen Abgrenzungsschwierigkeiten beim Nachbarschaftsbegriff, da sich die Verunstaltungsfolgen nicht mehr eindeutig lokalisieren ließen. Die durch verunstaltende Bauten verursachten Beeinträchtigungen der Nachbarschaft bleiben nämlich in aller Regel nicht auf die unmittelbaren Angrenzer beschränkt. Der Nachbarschaftsbegriff müsste also nach dem optischen Störradius bemessen werden. Zu diskutieren wäre demzufolge auch die Klagebefugnis von Mietern und Passanten.737 Es wird außerdem in der Literatur und bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass einem Nachbarn ausnahmsweise ein Abwehrrecht zustehen könne, soweit neben seinem Grundstück eine bauliche Anlage so sehr ihre Umgebung verunstaltet, dass sein Grundeigentum selbst schwer und unerträglich beeinträchtigt wird.738 Dies wird insbesondere für den Fall diskutiert, dass bei Doppelhäusern und Häusergruppen die mangelhafte Anpassung eines Gebäudes für den Nachbarn eine einschneidende Wertminderung seines Anwesens zur Folge haben könnte.739 So wird nämlich argumentiert, dass die Vorschriften der Bauordnungen über den Verunstaltungsschutz differenziert gesehen werden müssten: Soweit die jeweilige Bauordnung nicht die Verunstaltung der baulichen Anlage selbst, sondern die Verunstaltung der Umgebung dieser Anlage verbiete, handle es sich um eine typisch partiell nachbarschützende Vorschrift, weil im konkreten Anwendungsfall der Norm die Verhältnisse auf den Grundstücken in der Umgebung zu berücksichtigen seien. Die besonders herausgehobene Position eines betroffenen Nachbarn könne insofern subjektiv-rechtliche Ansprüche vermitteln.740 So wurde schon 735

Mayer-Tasch, S. 26. Zeiss, ZfBR 1997, 286 (290); siehe hierzu außerdem ausführlich oben Kapitel C. I. 4. b) cc). 737 Mayer-Tasch, S. 28 ff. 738 BVerwGE 32, 173 (179); BVerwGE 50, 282 (285 ff.); BVerwGE 52, 122; Bender / Dohle, Rn. 252; Dirnberger, S. 46; Kamp, S. 148; Kapell, S. 218; Kübler / Speidel, III, Rn. 61; Müller, K., S. 150 f.; Schlez, § 9, Rn. 17; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (289); ablehnend gegenüber dieser Rspr. Gaudernack, S. 174 f. 739 OVG Saar., Beschl. v. 26. 06. 1985 – 2 W 1331/85 = BRS 44 Nr. 162; OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 = NJW 1998, 1422; Kübler / Speidel, III, Rn. 61; Schlez, § 9, Rn. 17. 740 Finkelnburg / Ortloff / Otto, S. 248; Schlez, § 9, Rn. 17; dem zustimmend: OVG Bremen, Urt. v. 04. 05. 2001 – 1 A 436/00 = NVwZ-RR 2002, 488 (489); Müller, BauR 2009, 1536 (1545); Müller, K., S. 150 f.; Wahl, DVBl. 1996, 641 (644, Fn. 31); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (288); ablehnend Kapell, S. 218. 736

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

für eine besonders schutzwürdige Umgebung, etwa ein „gewolltes Denkmal“,741 oder zur Abwehr von Beeinträchtigungen von Bau- und Bodendenkmälern742 eine nachbarschützende Wirkung des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbotes angenommen. Diesen Gedankengang greifen schließlich landesrechtliche Verunstaltungsvorschriften auf, die in etwa anordnen, dass „auf bauliche Anlagen von geschichtlicher, baugeschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung, auf Naturdenkmale und erhaltenswerte Eigenarten der Umgebung“ Rücksicht zu nehmen sei.743 Es wird daher angenommen, dass aufgrund der räumlichen Nähe und des engen wechselseitigen Austauschverhältnisses bei einem Doppelhaus höhere Anforderungen an die Baugestaltung zu stellen seien, als bei räumlich getrennt stehenden Gebäuden.744 cc) Schutz eines Werkes der Baukunst vor seiner Umgebung Die Annahme, dass dem objektiv-rechtlich verstandenen Verunstaltungsverbot, dessen Inhalt eine negative ästhetische Bestandssicherung beabsichtigt, in Verbindung mit dem in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Rechtsgut ästhetischer Gestaltungsfreiheit ein gewisser subjektiver Anspruch auf staatlichen Schutz korrespondiert, ist die Konsequenz daraus, dass das öffentliche Recht unaufhaltsam subjektiviert wird, also objektives Recht zunehmend von subjektiven Rechtspositionen begleitet wird.745 Die Literatur geht teilweise so weit, überall dort eine „potentielle Schutznorm“ anzunehmen, wo eine gesetzliche Regelung vorliegt, die den Schutzbereich von Grundrechten eines Dritten berührt. Sobald grundrechtliche Schutzbereiche in Rede stehen, sei das subjektive öffentliche Recht vorgezeichnet und der Disposition des Gesetzgebers entzogen.746 Die landesrechtlichen Verunstaltungsverbote, die sich nicht auf konkret benennbare Rechtsgüter von Verfassungsrang zurückführen lassen, da die Verunstaltungsabwehr grundsätzlich nur allgemeine öffentliche Interessen verfolgt, können jedenfalls dann einem Nachbarn einfachgesetzlichen Drittschutz vermitteln, soweit sie in eng begrenzten Ausnahmefällen verfassungsrechtlich mit dem Grundrecht der

741 OVG Nds., NVwZ 1988, 375 = BRS 47 Nr. 124; das VG Berlin betont in einer aktuellen Entscheidung, dass das umgebungsbezogene Verunstaltungsverbot zur Rücksichtnahme auf die prägenden Merkmale der Umgebung zwinge und daher eine schreiend bunte, in besonderem Maße unruhig wirkende Fassadengestaltung nicht die gebotene Rücksicht auf den Wirkbereich eines Einzeldenkmals und seine Prägekraft für das Straßen- und Ortsbild nehme, vgl. VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451. 742 VGH BW, BRS 30 Nr. 37; BayVGH, BRS 33 Nr. 72; OVG Nds., BRS 32 Nr. 45. 743 Zeiss, ZfBR 1997, 286 (288). 744 Finkelnburg / Ortloff / Otto, S. 248; Zeiss, ZfBR 1997, 286 (288); a. A. Kübler / Speidel, III, Rn. 61. 745 Schneider, S. 234. 746 Huber, S. 281 f.

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Kunstfreiheit aufgeladen werden können.747 Ein darüber hinausgehendes nachbarliches Abwehrrecht gegen verunstaltende bauliche Anlagen erscheint jedenfalls dann überlegenswert, soweit den jeweiligen Bauordnungen entnommen werden kann, dass sie explizit den Schutz benachbarter baulicher Anlagen vor Verunstaltung in ihren Wortlaut der jeweiligen landesrechtlichen Vorschrift mit aufgenommen haben – wie es beispielsweise in der Bauordnung des Landes Rheinland-Pfalz bereits der Fall ist.748 Der Wortlaut der bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote beschränkt den durch sie vermittelten Drittschutz nicht nur auf den Eigentümer, sondern ist ebenso offen gegenüber obligatorisch Berechtigte.749 Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine Erstreckung des in den Verunstaltungsverboten begründeten Nachbarschutzes auch auf einen Nicht-Eigentümer zu einer Verzerrung der Schutznormtheorie und des baurechtlichen Nachbarbegriffs führen würde. Ein subjektiv-rechtlicher Anspruch des Nachbarn auf Schutz vor Verunstaltung durch bauliche Anlagen kann außerdem nicht den gesamten objektiv-rechtlichen Gehalt des Verunstaltungsverbotes umfassen.750 Für einen aus den Verunstaltungsverboten hergeleiteten Drittschutz muss daher einschränkend in Anlehnung an das Gebot der Rücksichtnahme751 zu fordern sein, dass der Nachbar (im baurechtlichen Sinne) aufgrund der Umstände des Einzelfalls in optisch-ästhetischer Hinsicht individuell und hinreichend qualifiziert durch die hinzukommende, das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltende bauliche Anlage betroffen ist, um die Reichweite des nachbarlichen Abwehrrechts nicht ausufern zu lassen. Das BVerwG erkennt schließlich außerhalb der Grenzen des Plangebiets bundesrechtlich Nachbarschutz nur im Rahmen des Rücksichtnahmegebots an.752 Es muss sich außerdem bei der besonders schützenswerten baulichen Anlage des Nachbarn um ein Werk der Baukunst handeln, um zum einen nicht jedes optisch ansehnliche Bauwerk als geschützt anzusehen und zum anderen den Schutzbereich 747 Nach der Auffassung des BVerwG finden in den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten und im bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot „normintern“ kollidierende Verfassungsgüter eine einfachgesetzliche Verankerung, insbesondere ergeben sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 20a GG bauordnungs- bzw. bauplanungsrechtlich norminterne, verfassungsimmanente Schranken der Baukunstfreiheit, vgl. auch Zeiss, ZfBR 1997, 286 (289). 748 Vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 BauO RhPf: „Bauliche Anlagen sind mit ihrer Umgebung so in Einklang zu bringen, dass sie benachbarte bauliche Anlagen sowie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalten und deren beabsichtigte Gestaltung nicht stören.“ 749 Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2608). 750 Schneider, S. 235. 751 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1977 gewährte das BVerwG den Klägern erstmals Drittschutz aufgrund der individualschützenden Seite des Rücksichtnahmegebots, BVerwGE 52, 122 (128 ff.). Das objektive Rücksichtnahmegebot entwickelte das BVerwG bereits in den 1960er Jahren, dabei lehnte es aber Drittschutz ausdrücklich ab, BVerwGE 28, 268 (274); 29, 286 (288); zum Gebot der Rücksichtnahme vgl. allgemein BVerwG, Urt. v.  05. 08. 1983 = BVerwGE 67, 339 (344); Brenner, Rn. 893; Gaudernack, S. 182 f. 752 BVerwG, NVwZ 2008 427 (428); BVerwG, NVwZ 2000, 552 (553).

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

des Grundrechts der Kunstfreiheit als tangiert anzusehen, damit gleichzeitig dem Gedanken an eine verfassungskonforme Auslegung des Verunstaltungsbegriffs im Lichte der Kunstfreiheit Rechnung getragen werden kann. Denn ein subjektiv öffentlich-rechtliches Klagerecht muss so präzise sein, dass das Verunstaltungsverbot bezogen auf einen örtlichen Anwendungsfall seinen Gehalt gerade aus der Existenz eines bestimmten Werkes der Baukunst beziehen kann.753 Dies bedeutet schlussendlich, dass ein Klagerecht dann anzunehmen ist, soweit der Schutz des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes auf die Prägung durch ein bestimmtes Werk der Baukunst zurückzuführen ist und dieses durch die hinzukommende bauliche Anlage verunstaltet wird.754 dd) Umgebungsschutz von Kunstwerken auf Zeit im Stadtraum Das VG Berlin nahm in Hinblick auf Kunstwerke auf Zeit im Stadtraum an, dass deren Schutzumfang vergleichbar sei mit dem Umgebungsschutz von Denkmälern, wobei der Umfang im Einzelnen und der Umgang mit entgegenstehenden Rechtsgütern im Wege der Abwägung unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu bestimmen sei.755 Ein unmittelbarer Rückgriff auf die Kunstfreiheit als schrankenlos gewährleistetes Grundrecht scheitere auch nicht daran, dass sich für ein ohne Vorbehalt gewährleistetes Grundrecht Schranken in den Grundrechten anderer ergeben. Subjektive Abwehrrechte des Nachbarn könnten nicht schon dann negiert werden, wenn Grundrechte aufeinanderstoßen. Sollte ansonsten immer das Recht des anderen vorgehen, würde sich auf diese Weise die Rechtsordnung selbst blockieren und ein effektiver Rechtsschutz wäre nicht möglich, falls in Fällen von Grundrechtskollisionen – wenn es sich sogar noch um dasselbe Grundrecht handelt – subjektivöffentliche Abwehransprüche nicht anerkannt würden.756 Ein unmittelbarer Rückgriff auf das Grundrecht der Kunstfreiheit erschien aufgrund der Rechtsprechung des BVerwG auch nicht ausgeschlossen. Für den hier interessierenden Bereich des Nachbarschutzes hat das BVerwG entschieden, dass „soweit drittschützende Regelungen des einfachen Rechts vorhanden sind, … ein weitergehender unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG beruhender Anspruch nicht bestehen“ könne.757 Da sich das VG Berlin dabei mit der herrschenden Rechtsprechung konfrontiert sah, wonach Verunstaltungsverbote keine drittschützende Wirkung haben, konnte das VG somit unmittelbar auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG rekurrieren. 753

Schneider, S. 235. Schneider, S. 235; die umgebungsbezogenen Gestaltungsanforderungen des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbots zwingen mithin zur Rücksichtnahme auf die prägenden Merkmale der Umgebung, VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451. 755 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2651). 756 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2651). 757 BVerwG, Urt. v. 26. 09. 1991 – 4 C 5.87 = BVerwGE 89, 69 (78). 754

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

341

Das VG Berlin wertete die Verhüllung des Reichstags als Zeichen für Vergänglichkeit und sah den Schutzbereich der Kunstfreiheit als eröffnet an.758 Selbst wenn es sich bei der Verhüllung des Reichstags nicht um Kunst in einem höheren Sinne handelte, sondern um die Ausübung der „Kunst der Public Relations“,759 wurde ihre Bedeutung bezogen auf den Standort des Kunstwerks durch die als aufdringlich wirkende Rotunde beeinträchtigt. Obwohl mittels der Rotunde Stadtpanoramen projiziert werden sollten, verletze die Rotunde den für Kunstwerke auf Zeit im Stadtraum geltenden Umgebungsschutz. So ist im Berliner Denkmalschutzgesetz in § 10 Abs. 1 BerlDenkmSchG eine Vorschrift zu finden, die Denkmälern Umgebungsschutz vermittelt. Diesen Rechtsgedanken übertrug das VG Berlin in analoger Anwendung auf Kunstwerke auf Zeit im Stadtraum und zog dabei das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme von sich konkurrierenden Kunstwerken heran.760 Das VG Berlin leitete den auch für Kunstwerke auf Zeit im Stadtraum geltenden Umgebungsschutz aus einer vergleichbaren Interessenlage zum Denkmalschutzrecht ab. Die Verhüllung des Reichstags symbolisiere die Kostbarkeit, Verletzlichkeit und Vergänglichkeit der Demokratie. Die kurze Zeitdauer der Verhüllung sei ein Denkanstoß im Sinne eines „Denk-Mal“, was die besondere Eigengesetzlichkeit des Kunstwerks ausmache, wobei Werk- und Wirkbereich zusammenfielen. Der Eigengesetzlichkeit der Verhüllung könne in zeitlicher und örtlicher Dimension nur ausreichend Rechnung getragen werden, wenn man eine örtliche und geistige Bannmeile anerkenne. Konkurrierende Künstler müssten Abstände einhalten.761 Das VG Berlin zog zur Bestimmung des Umfangs des Umgebungsschutzes die von den Antragstellern und der Antragsgegnerin vereinbarte „Christo-Bannmeile“ heran, die die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen im Bereich des Reichstags im Zeitraum von dessen Verhüllung unterbinden sollte. Das VG Berlin sah dies im konkreten Fall als angemessen an, da sich die streitgegenständliche Rotunde 100 m vom Reichstagsgebäude entfernt befand, diese zumindest teilweise den Blick vom Pariser Platz auf das Reichstagsgebäude verdeckt habe und sowohl die Rotunde als auch der Reichstag von vielen Standorten aus gleichzeitig sichtbar gewesen seien.762 Es muss einer urteilskritischen Auffassung in der Literatur, die den vom VG Berlin gezogenen Umgebungsschutz deswegen bemängelt, da er zu einer Unzulässigkeit jedweden Bauwerks in der Nachbarschaft und zu einem Nutzungsverbot führe sowie jeden angemessenen Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen vermissen lasse,763 entgegengehalten werden, dass eine Grundrechtskollision nur von einer solchen baulichen Anlage ausgelöst werden kann, die entweder die Sicht auf 758

VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2652). Sendler, NJW 1995, 2602 (2603). 760 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2652). 761 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2652). 762 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2652). 763 Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2608). 759

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

das Kunstwerk beeinträchtigt oder die selbst einen Blickfang darstellt und damit den Wirkbereich des Kunstwerks infrage stellt. So ist das Klagerecht eines Künstlers gegen die Erteilung einer Baugenehmigung nur dann gegeben, wenn diese den Umgebungsschutz des Kunstwerks nicht hinreichend beachtet.764 Das VG Berlin wog sowohl die jeweilige Bedeutung des Grundrechts auf Kunstfreiheit eines jeden der beiden Künstler, als auch alle beachtlichen Umstände des jeweiligen Einzelfalles gegeneinander unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ab und kam zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Künstlers Azizi und des Stern hinter dem Interesse der Antragsteller an der Verhüllung des Reichstags aus örtlichen, inhaltlichen als auch zeitlichen Gründen zurückzutreten haben.765 Die Literatur weist darauf hin, dass die Ausstellung und Verbreitung von Kunstwerken eines Malers in den Rotunden diese selbst noch nicht zu Kunstwerken mache, worauf auch die wenig präzise Formulierung des Gerichtsbeschlusses hinweise, nach der das geplante Vorhaben der Errichtung der Rotunde dem Schutz der Kunstfreiheit unterfallen soll, „weil auch hier vermittelt über technische Medien künstlerische Inhalte transportiert werden“.766 Neben einem räumlich-optischen Konflikt der beiden Kunstprojekte lag darüber hinaus auch ein inhaltlicher Konflikt vor, denn während Christo als Idee einer zeitlosen Demokratie die offene Umgebung des Reichstages benötigte, wollte der Stern und Azizi ein künftiges Stadtbild zu einem bestimmten Stichtag zeigen, sodass insoweit einer der beiden geplanten Kunstvorhaben jedenfalls im Zeitraum der geplanten Verhüllung auszuweichen hatte.767 Da die Ausstellung von Stadtpanoramen für ihre künstlerische Wirkung keiner zeitlich-begrenzten Komponente wie für die kurzzeitige Verhüllung des Reichstags als Zeichen der Vergänglichkeit bedurfte – was damit einen temporären Verzicht auf die Präsentation der Panoramen während der Dauer der Reichstagsverhüllung als zumutbar erscheinen ließ –, konnte das VG Berlin die Grundrechtskollision anhand des Grundsatzes der Priorität auflösen. Während Christo und Jeanne-Claude die Reichstagsverhüllung seit 24 Jahren planten, entwickelte der Stern nach Ansicht des VG erst nach der Entscheidung des Bundestages über die Verhüllung des Reichstagsgebäudes die Ideen zum Entwerfen der Stadtpanoramen, um sich den im Zeitraum der Verhüllung erwarteten Zulauf an Touristen und Besuchern des Reichstags für Vermarktungszwecken zunutze zu machen. Für das VG Berlin setzte sich nach dem Grundsatz der Priorität die Reichstagsverhüllung durch, weil ein Hineindrängen der Rotunden in den unmittelbaren Nahbereich des Reichstagsgebäudes in Anbetracht der sensiblen geistigen Eigengesetzlichkeit der Verhüllung als unzumutbar erschien.768 764

Sendler, NJW 1995, 2602 (2602). VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2652). 766 Sendler, NJW 1995, 2602 (2602). 767 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2652). 768 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2652). 765

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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ee) Kritik an der nachbarschützenden Funktion des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbotes und des Grundrechts der Kunstfreiheit Zugegebenermaßen ist die Ansicht, die den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten eine nachbarschützende Funktion in den Fällen zugestehen will, in denen es um die Erhaltung von besonders schützenswerten Bauwerken geht, nicht frei von jeglicher Kritik der Literatur. Dasselbe gilt ebenso für die Annahme eines unmittelbar aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit abgeleiteten Abwehrrechts: Während das VG Berlin im Fall der Reichstagsverhüllung zur Begründung eines unmittelbar auf dem Grundrecht der Kunstfreiheit gestützten nachbarlichen Abwehranspruchs auf eine Parallele zum Umgebungsschutz denkmalgeschützter Bauwerke abstellte, habe es zugleich hinsichtlich des Maßstabs als auch hinsichtlich der Schutzrichtung strukturelle Unterschiede des Wirkbereichs der Kunst zum Denkmalschutzrecht unberücksichtigt gelassen. Der denkmalschutzrechtliche Umgebungsschutz weise zwar mit seinem Bezug zum äußeren Erscheinungsbild zunächst Nähen zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot auf. Es gehe jedoch dem Denkmalschutzrecht nicht um einen optisch-ästhetischen, auf äußere Schönheit abstellenden Maßstab zur Begründung eines Umgebungsschutzes, sondern um den Schutz des denkmalschutzrechtlichen Wertes und damit insbesondere um den Schutz des historischen und künstlerischen Gehalts. Das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot normiere außerdem im Gegensatz zum denkmalschutzrechtlichen Umgebungsschutz einen Schutz der Umgebung, nicht einen Schutz vor der Umgebung. Die Umwelt selbst werde demnach durch die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote geschützt und und nicht jede andere bauliche Anlage.769 Die Herleitung eines subjektiv öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Beachtung des denkmalschutzrechtlichen Umgebungsschutzes sei außerdem die notwendige Kehrseite der umfangreichen Sozialbindung des Eigentums durch das Denkmalschutzrecht.770 Die Anerkennung eines subjektiv öffentlich-rechtlichen Anspruchs beruhe nämlich auf der Überlegung, dass der Gesetzgeber widersprüchlich handle, soweit er erhebliche Beeinträchtigungen der Denkmalwürdigkeit eines Denkmals 769 Ingold / Lenski, DÖV 2010, 797 (803, 804); die Wirkung eines Denkmals hängt ganz wesentlich von der Gestaltung seiner Umgebung ab, sodass die Ziele des Denkmalschutzes häufig nur erreicht werden können, wenn auch die Umgebung eines denkmalgeschützten Gebäudes entsprechend beschränkt wird. Neue Bauten müssen sich zwar weder völlig an vorhandene Baudenkmäler anpassen, noch unterbleiben, wenn eine Anpassung nicht möglich ist. Sie müssen sich aber an dem vom Denkmal gesetzten Maßstab messen lassen, dürfen es nicht gleichsam erdrücken, verdrängen, übertönen oder die gebotene Achtung gegenüber den im Denkmal verkörperten Werten vermissen lassen, siehe nur VG Augsburg, Urt. v. 31. 08. 2017 – Au 5 K 16.1559, Rn. 25 m. w. N. – Beeinträchtigung eines Denkmals und Verkehrsgefährdung durch großformatige Wechselwerbeanlage. 770 Ingold / Lenski, DÖV 2010, 797 (804).

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

durch Vorhaben in der Umgebung ohne Weiteres zulasse, andererseits die Unterschutzstellung eines Kulturdenkmals allein im öffentlichen Interesse liege und der Eigentümer des Denkmals zur Verfolgung dieses Interesses mit umfangreichen Pflichten zur Erhaltung und Pflege des Denkmals belastet werde. Die Verhältnismäßigkeit der dem Eigentümer auferlegten Pflichten sei deshalb nur gewahrt, wenn dieser auch selbst die Einhaltung des Umgebungsschutzes durchsetzen könne.771 Soweit es hingegen um den Schutz besonders erhaltenswerter Bauwerke vor verunstaltenden baulichen Anlagen gehe, fehle es hier an dem Umstand, dass dem Eigentümer besondere Pflichten durch die Allgemeinheit aufgebürdet werden. Der denkmalschutzrechtliche Verunstaltungsschutz diene daher ausschließlich dem Eigentümer eines Denkmals als Kompensation für die weitgehenden Eingriffe in seine Eigentümerbefugnisse, die mit der Unterschutzstellung verbunden seien.772 Folgt man der Kritik aufgrund der genannten strukturellen Unterschiede, wäre somit der Schutz des Künstlers in seinem von der Grundrechtsgewährleistung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG umfassten „Wirkbereich“ der Kunst weder vom denkmalschutzrechtlichen noch vom bauordnungsrechtlichen Umgebungsschutz erfasst. Was das Denkmalschutzrecht angeht, leitet sich nämlich die Denkmaleigenschaft eines Bauwerks aus öffentlichen Interessen her und gerade nicht aus der besonderen künstlerischen Bedeutung des Bauwerks. Soweit die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einer ästhetischen Mindestanforderungen genügenden Bauumgebung dienen, dann vermitteln sie auch dem Künstler keinen Schutz.773 Aus den unterschiedlichen Schutzrichtungen des denkmalschutzrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Umgebungsschutzes folgt allerdings gerade nicht, dass auf dem bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot kein Abwehranspruch des Nachbarn gestützt werden könnte.774 Denn während es dem denkmalschutzrecht­ lichen Umgebungsschutz genügt, dass die geplante Anlage je nach landesrechtlicher Ausgestaltung nicht die Eigenart und das Erscheinungsbild des Denkmals „wesentlich“ oder „erheblich“ beeinträchtigt, setzt das bauordnungsrechtliche Abwehrrecht eine verunstaltende Wirkung durch die hinzukommende Anlage auf das besonders erhaltenswerte Bauwerk und seine Umgebung voraus. Eine derart massive Störung wie eine Verunstaltung wird für das Einsetzen des Umgebungsschutzes im Denkmalrecht dagegen nicht verlangt.775 Der Prüfungsmaßstab ist damit ein anderer als im Denkmalschutzrecht, sodass Vergleiche nichts über die Anerkennung eines nachbarlichen, aus dem bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot hergeleiteten Abwehrrechts aussagen können.

771

BVerwG, Urt. v. 21. 04. 2009 – 4 C 3/08 = NVwZ 2009, 1231 (1233). Ingold / Lenski, DÖV 2010, 797 (804). 773 Ingold / Lenski, DÖV 2010, 797 (804). 774 A. A. Ingold / Lenski, DÖV 2010, 797 (804). 775 Müller, BauR 2009, 1536 (1541). 772

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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Eine subjektive Rechtsposition des Nachbarn zum Schutz besonders erhaltenswerter Bauwerke vor verunstaltenden baulichen Anlagen lässt sich des Weiteren aus den weiter oben dargestellten Erwägungen – insbesondere der fortschreitenden Subjektivierung des einfachen Gesetzesrechtes – herleiten. Eine Aufladung der Verunstaltungsverbote mit dem Grundrecht der Kunstfreiheit erfolgt unabhängig von der Rechtslage im Denkmalschutzrecht. Die Verunstaltungsverbote haben schließlich nach der Rechtsprechung des BVerwG776 auch den Zweck, bereits vorhandene Bauwerke von besonders erhaltenswerter Gestalt zu schützen, deren „Wirkbereich“ durch ein hinzutretendes Bauwerk beeinträchtigt wird.777 Ein Blick in die Rechtsgeschichte spricht vielmehr dafür, dass ein Schutz des Bauwerks vor seiner Umgebung bereits von den preußischen Verunstaltungsgesetzen gewährleistet wurde. So konnte unter anderem durch Ortsstatut gem. § 2 des Gesetzes gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden von 1907 vorgeschrieben werden, dass die baupolizeiliche Genehmigung zur Errichtung von Bauten in der Umgebung von Bauwerken mit geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung zu versagen ist, wenn ihre Eigenart oder der Eindruck, den sie hervorrufen, durch die Bauausführung beeinträchtigt würde.778 Ein subjektives öffentliches Recht erwächst also aus den Verunstaltungsverboten aus sich selbst heraus, sodass ein unmittelbarer Rückgriff auf das Grundrecht der Kunstfreiheit zur Annahme eines subjektiven Abwehrrechtes an sich gar nicht nötig ist. Da die Verunstaltungsverbote in einem so verstandenen Sinne Drittschutz vermitteln können, kommt es auch nicht mehr darauf an, ob die Grundrechte eine unmittelbare Grundlage subjektiver öffentlicher Rechte eines Dritten vermitteln können oder die Vermittlung von Drittschutz grundsätzlich eine gesetzliche Abwägungsentscheidung und damit eine Ausformungsbedürftigkeit voraussetzt.779 d) Übertragung der Erwägungen auf das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot Obwohl die „Christo“-Entscheidung das Bauordnungsrecht zum Gegenstand hatte, lassen sich die vom VG Berlin herausgearbeiteten Grundsätze auch auf das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) übertragen. Es ist denkbar, dass sich ein bereits vorhandenes baukünstlerisches Vorhaben entweder hinsichtlich seiner Lage oder seiner äußeren Gestaltung in ein gegebenes Orts- oder Landschaftsbild einfügt und damit gleichzeitig Bestandteil dieses Ortsbzw. Landschaftsbildes wird. Es ist hierbei jedoch zu beachten, dass im Unterschied 776 BVerwG, NVwZ 1991, 983 (984), NJW 1995, 2648 (2649); hieran anknüpfend aus der aktuellen Rechtsprechung VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451. 777 Wahl, DVBl. 1996, 641 (644). 778 Baltz / Fischer, S. 179. 779 Wahl, DVBl. 1996, 641 (644 f.).

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

zu den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten der Länder Bezugspunkt des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbotes nicht die Ansicht der bau­lichen Anlage in Bezug auf ihre nähere Umgebung ist, sondern auf die Ansicht des Vorhabens in Bezug auf seine weitere Umgebung abgestellt wird. Wenn nun ein Bauherr ein Vorhaben im Außenbereich realisieren will, das sich störend auf dieses Orts- oder Landschaftsbild auswirkt, muss der Nachbar einen Abwehranspruch aus dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot als Schlussfolgerung sowohl aus den „Christo“- und „Lenin“-Entscheidungen als auch aus der Entscheidung des BVerwG über das Verhältnis von Baukunst und Bauordnungsrecht in Bezug auf eine 1911 errichtete historisierende Villa780 ableiten können. Um das Abwehrrecht nicht ausufern zu lassen und damit nicht eine verfassungskonforme Auslegung im Lichte der Kunstfreiheit zu überinterpretieren, ist auch hier wieder eine individuelle und qualifizierte Betroffenheit im Sinne des Gebots der Rücksichtnahme781 und das Vorliegen eines besonders erhaltenswerten Werkes der Baukunst zu fordern. Der Anknüpfungspunkt des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots an die Ansicht des Vorhabens in Bezug auf seine weitere Umgebung trägt weiterhin dazu bei, den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Ortsund Landschaftsbildes nicht zu einem allgemeinen subjektiv öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch des Nachbarn im Außenbereich umzudeuten. Der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes stellt in diesem eng begrenzten Ausnahmefall eine Konkretisierung der sich aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergebenden Schutzpflicht zugunsten des Wirkbereichs vorhandener Baukunst dar.782 7. Zusammenfassung über das Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Kunstfreiheit und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot Das BVerwG kam im Fall „Arno-Breker“ zu dem Ergebnis, dass auch die Berufung auf das Grundrecht der Kunstfreiheit nicht bewirken kann, dass Monumentalfiguren an einem bestimmten Standort im Außenbereich zwingend zu genehmigen sind, soweit öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beeinträchtigt werden. Die Ausübung der Baukunstfreiheit kann allerdings nicht an diejenigen Schranken gebunden werden, die auch jedem anderen bauwilligen Eigentümer durch öffentliche Baugesetze gezogen sind. So kann die Kunstfreiheit nicht unter einen allgemeinen „Baurechtsvorbehalt“ gestellt werden, mit der Konsequenz, dass

780 BVerwG, Beschl. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138/90 = NVwZ 1991, 983; zu einer ähnlich gelagerten Sachverhaltskonstellation siehe VG Berlin, Urt. v. 17. 06. 2020 – 19 K 572.17, openJur 2020, 46451. 781 Zum Gebot der Rücksichtnahme vgl. allgemein BVerwG, Urt. v. 05. 08. 1983 = BVerwGE 67, 339 (344); Brenner, Rn. 893; Gaudernack, S. 182 f. 782 Schütz, JuS 1996, 498 (505).

I. Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) 

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jede Inhaltsbestimmung des Eigentums zugleich eine gesetzliche Schranke für die Freiheit der Kunst darstellen würde.783 Es wurde damit herausgearbeitet, dass ein subjektiv öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung, der unmittelbar aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit abgeleitet werden soll und der in der Lage sein soll, die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 BauGB zu überwinden, im konkreten Einzelfall nur in engen Grenzen angenommen werden kann. Ein solcher Anspruch kann sich ausnahmsweise im Einzelfall durch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen baurechtlichen Vorschriften ergeben, soweit dies das Ergebnis einer Abwägung der widerstreitenden Verfassungspositionen unter strenger Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugunsten der Kunstfreiheit gebietet. Eine kunstkonforme Auslegung des Privilegierungstatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB kann außerdem in seltenen Ausnahmekonstellationen dazu führen, dass Werke der Baukunst im Außenbereich privilegiert zulässig sind. Zu denken ist etwa an Kunstwerke, die aufgrund ihres kulturhistorischen Ortsbezugs nur an einem bestimmten Standort errichtet werden können, weil sie nur dort sinnvoll zur Geltung kommen. Subjektiv öffentlich-rechtliche Abwehransprüche eines Nachbarn auf die Versagung einer Baugenehmigung können darüber hinaus ausnahmsweise unmittelbar auf das Grundrecht der Kunstfreiheit gestützt werden.784 Da die Kunstfreiheit den „Wirkbereich“ der Kunst schützt, ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass bereits vorhandene besonders schützenswerte bauliche Anlagen durch hinzukommende Anlagen auf benachbarten Grundstücken in ihrer Wahrnehmung beeinträchtigt werden können.785 Ob im Einzelfall ein unmittelbar auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gestützter nachbarlicher Abwehranspruch anzuerkennen ist, ergibt sich im jeweiligen Einzelfall aus einer Abwägung der kollidierenden Grundrechte unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.786 Aus dem Ergebnis der Abwägung ergibt sich ebenso, wie weit der nachbarliche Umgebungsschutz zu ziehen ist. Die Literatur nimmt jedoch anstelle eines unmittelbaren Rückgriffs auf das Grundrecht der Kunstfreiheit eine verfassungskonforme Auslegung der bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote der Länder im Lichte der Kunstfreiheit dahingehend vor, dass diese dem Eigentümer eines besonders schützenswerten Bauwerks im Falle einer qualifizierten Betroffenheit Drittschutz vermitteln, soweit eine hinzukommende bauliche Anlage den Wirkbereich des besonders schützenswerten Bauwerks beeinträchtigt.787 Für einen aus den Verunstaltungsverboten hergeleiteten Drittschutz muss allerdings einschränkend in Anlehnung an die Schutznormtheo 783

Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (363); Hufen, JuS 1996, 454 (454). VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650. 785 Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607). 786 Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607). 787 Schütz, JuS 1996, 498 (505); Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607 f.). 784

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

rie zu fordern sein, dass der Nachbar durch die hinzukommende störende bauliche Anlage individuell und hinreichend qualifiziert betroffen ist und es sich bei der besonders schützenswerten baulichen Anlage um ein Werk der Baukunst handelt, um nicht jedes optisch ansehnliche Bauwerk als geschützt anzusehen. Ein nachbarlicher Abwehranspruch lässt sich in diesem Sinne auch aus dem öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ableiten. Es ist denkbar, dass sich ein bereits vorhandenes baukünstlerisches Vorhaben entweder hinsichtlich seiner Lage oder seiner äußeren Gestaltung in ein gegebenes Orts- oder Landschaftsbild einfügt und damit gleichzeitig Bestandteil dieses Orts- bzw. Landschaftsbildes wird. Anknüpfungspunkt eines aus den Verunstaltungsverboten abgeleiteten nachbarlichen Abwehrrechts darf keinesfalls per se der Schutz des Orts- und Landschaftsbildes sein. Denn der Schutz des Orts- und Landschaftsbildes vor verunstaltenden baulichen Anlagen dient dem öffentlichen Interesse und nicht dem privaten Interesse einzelner Bürger. Zur Begründung eines auf die Verunstaltungsverbote gestützten Abwehrrechts des Nachbarn gegen das Orts- und Landschaftsbild verunstaltende bauliche Anlagen sind allerdings besonders hohe Anforderungen an eine individuelle und qualifizierte Betroffenheit des Nachbarn zu stellen, damit nicht die Verunstaltungsabwehr, die im allgemeinen öffentlichen Interesse liegt, zu einem allgemeinen subjektiv öffentlichrechtlichen Abwehrrecht des Nachbarn umgekehrt wird, um jegliche unerwünschte und gleichfalls unästhetische Nachbarbebauung zu unterbinden. Denn weder das in den Landesbauordnungen enthaltene bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot noch das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführte bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot vermitteln grundsätzlich einem klagenden Nachbarn Drittschutz.788 So sind die Verunstaltungsverbote keine nachbarschützenden Normen des Bauordnungs- bzw. Bauplanungsrechts, denn sie dienen zumindest nicht auch den Interessen der Nachbarn. Sie bezwecken vielmehr eine geordnete Baugestaltung im Interesse der Allgemeinheit.789 Die Möglichkeit der Aktivierung der Verunstaltungsverbote in seltenen Ausnahmefällen zum Schutze besonders schützenswerter und erhaltenswerter Werke der Baukunst vor hinzukommenden sie verunstaltenden Bauwerken beweist zugleich, dass die Verunstaltungsverbote selbst Ausdruck eines aus der Kunstfreiheitsgarantie (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) abgeleiteten Abwehrrechts sind. Können die Verunstaltungsverbote im Lichte der Kunstfreiheit zur Abwehr verunstaltender Bauwerke herangezogen werden, dann spricht dies wiederum dafür, dass der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht in anderen Verfassungsgütern wie Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG oder Art. 20a GG findet, um 788

BayVGH, Beschl. v. 14. 06. 2013 – 15 ZB 13.612, Rn. 15; OVG Bln, Beschl. v. 29. 10. 1991 – 2 S 23/91 = LKV 1992, 26 (26) – Lenin-Denkmal; VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2651); Hoppenberg / de Witt / Rövekamp, Rn. 225. 789 VG Berlin, Beschl. v. 26. 05. 1995 – 19 A 831/95 = NJW 1995, 2650 (2651).

II. Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) 

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das allgemeine Wohlgefühl der Bürger vor das Orts- oder Landschaftsbild optisch verunstaltenden Bauvorhaben zu schützen. Denn der Belang dient dem optischästhetischen Landschaftsschutz. Da die Verunstaltungsabwehr baulicher Anlagen nicht der Gefahrenabwehr im engeren Sinne dient, sondern „ästhetische oder der allgemeinen Wohlfahrt dienende Absichten“ verfolgt,790 können die Verunstaltungsverbote allenfalls in Hinblick auf ihre Funktion zur „Abwehr gegen Gefährdungen ästhetischer Belange“ mit verfassungsrechtlichen Erwägungen zum Kunstbegriff des Grundgesetzes aufgeladen werden.

II. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) Ein Spannungsfeld zwischen dem Grundrecht der Kunstfreiheit und anderen Rechtsgütern ergibt sich im Bereich der Baukunst: Die Besonderheit besteht darin, dass zwei Grundrechte miteinander konkurrieren – bei der Errichtung baulicher Anlagen stellt sich nämlich die Ausübung der Kunstfreiheit zugleich als Nutzung des Eigentums dar, dessen Inhalt und Schranken gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG der Gesetzgeber bestimmt.791 In diesem Kapitel wird daher untersucht, ob die Schutzbereiche der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) nebeneinander angewandt und eingeschränkt werden können. Es ist schließlich denkbar, dass sich die Schranke des Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG im Wege der Schrankenkonkurrenz auch gegenüber Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durchsetzt. Die Frage der Schrankenkonkurrenz stellt sich insofern immer dann, wenn sich ein Grundrechtsträger für ein und dasselbe Verhalten auf zwei oder mehrere Grundrechte berufen kann, die sich durch ihre unterschiedliche Einschränkbarkeit unterscheiden.792 Dies ist im Ergebnis – der Entscheidung des BVerwG im „Arno-Breker“-Fall folgend – abzulehnen: Die vorbehaltlose Garantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und damit das stärkere Grundrecht setzt sich im Konfliktfall schrankendivergierender Grundrechtskonkurrenz durch und verhilft damit dem unter Vorbehalt stehenden Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu einer Aufwertung, soweit der Bauherr neben dem Schutz der Eigentumsgarantie auch den Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG für sein Bauwerk beanspruchen kann, da die Schrankenbestimmung des weniger einschränkbaren Grundrechts maßgeblich ist.793 In diesem Zusammenhang soll auch 790 BVerfG, Rechtsgutachten vom 16. 06. 1954 – 1 PBvV 1/52 = BVerfGE 3, 407 (430–432); BVerwG, Urt. v. 11. 10. 2007 – 4 C 8.06, Rn. 23. 791 Karpen / Hofer, JZ 1992, 1060 (1064); Looks, S. 70; Pischel, S. 87; Seybold, S. 120; Watzke, S. 60. 792 Seybold, S. 120 f. 793 Berg, S. 82 f., 155; Erbel, S. 128, 134 f., 168 ff.; Heß, S. 71, 245 m. w. N.; Müller, K., S. 117 f.; Seybold, S. 129; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (616); für den geschützten Verhaltensbereich bedeutet dies, dass sich der Schutzumfang nach beiden anwendbaren Grundrechten

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

eine Abgrenzung zwischen der Baukunst, die Ausdruck der Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist und im baurechtlichen Außenbereich nur aufgrund der im vorangegangenen Kapitel794 herausgearbeiteten Kriterien beschränkt werden kann, und dem nichtkünstlerischen Bauen vorgenommen werden, das lediglich Ausdruck der Eigentumsgarantie ist. 1. Berührungspunkte zwischen der Kunst und der Grundeigentumsnutzung Es stellt sich die Frage, ob die Schutzbereiche der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) nebeneinander angewandt und eingeschränkt werden können. Dies soll vor dem Hintergrund des „Arno-Breker“-Beschlusses des BVerwG795 näher untersucht werden. Vorweg ist anzumerken, dass sich die Rechtsprechung des BVerwG im Falle der Berührung zwischen dem künstlerischen Bauen und der Grundeigentumsnutzung grundlegend gewandelt hat und das BVerwG zu dieser Problematik der Grundrechtskonkurrenzen unterschiedliche Rechtsmeinungen vertrat. Das BVerwG ging nämlich zunächst davon aus, dass in Fällen der Baukunst das Grundrecht der Kunstfreiheit durch das Grundrecht der Eigentumsfreiheit verdrängt werde.796 Denn das Recht, ein Grundstück zu bebauen, gehöre zum Inhalt des Eigentums. Die verfassungsrechtlichen Grenzen dieses Rechts seien daher allein aus der Sondervorschrift des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG – gleichsam eines lex specialis für den Bereich des Baugestaltungsrechts – zu entnehmen, die insoweit der Vorschrift des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorgehe.797 Diese Konstruktion wurde wohl von der Absicht getragen, den in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG fehlenden Gesetzesvorbehalt durch die Herstellung eines Konkurrenzverhältnisses zu gewinnen.798 Das Gegenteil scheint jedenfalls eher der Fall zu sein, denn da Gegenstand des baukünstlerischen Schaffens notwendig immer ein Bauwerk ist, ließe sich die These durchaus auch dahingehend umdrehen, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG eine Sondervorschrift bestimmt, sog. Schrankenkumulation. Die Idealkonkurrenz entspricht dabei dem Grundfall der kumulativen Grundrechtskonkurrenz. Entscheidend wird also die Rechtsfolge der stärksten Grundrechtsnorm. Heß, S. 69 ff., liefert einen Überblick über die Begründungsansätze. A. A. z. B. Zinkahn, DÖV 1953, 161 (165), der der Ansicht ist, dass Bauherr und Architekt von den Eigentumsschranken nicht befreit seien, denn es sei „eine Selbstverständlichkeit, dass auch die Baukunst nicht schrankenlos ausgeübt werden könne“. 794 Vgl. Kapitel C. I. 4. f) ff). 795 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. 796 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53 = BVerwGE 2, 172 (179). 797 BVerwG, Urt. v. 28. 06. 1955 – 1 C 146.53 = BVerwGE 2, 172 (179); dieser älteren Rechtsprechung des BVerwG folgend BVerwG, Urt. v. 27. 01. 1959 = NJW 1959, 1194 f.; OVG NRW, VerwRspr 5, 568 (572); HessVGH, VerwRspr 6, 483 (487); BayVGH, BayVBl. 1958, 176 ff. 798 Kapell, S. 179; Knies, Schranken, S. 83 f.; Looks, S. 72; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (617); Watzke, S. 70, Fn. 2.

II. Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) 

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gegenüber Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG darstellt.799 Diese Rangfolge kann außerdem auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass sich die ein anderes Rechtsgebiet berührende Kunst der gesetzlichen Ordnung fügen müsse, die der Gesetzgeber unter Beachtung der für dieses Rechtsgebiet grundrechtlich gezogenen Schranken errichtet habe, sondern behauptet sie lediglich.800 Das BVerwG urteilte später, dass sich der Baukünstler gleichzeitig sowohl auf das Grundrecht der Kunstfreiheit als auch auf das der Eigentumsfreiheit berufen könne. Denn die Errichtung von Werken der Baukunst stelle sich neben der Kunstfreiheitsausübung zugleich als Nutzung des Eigentums dar, dessen Inhalt und Schranken gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG der Gesetzgeber bestimme. Aus der Kunstfreiheit erwachse allerdings aufgrund der besonders ausgeprägten sozialen Bindung des Eigentums im Baugeschehen nicht die Befugnis, sich über die dem Eigentum zulässigerweise gezogenen Schranken hinwegzusetzen.801 Daran anknüpfend stellt sich die Frage, ob die Schranken der Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG überhaupt auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) übertragbar sind. Das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG schützt grundsätzlich auch die Nutzungsbefugnis des Eigentümers, also die Befugnis, mit seinem Eigentum nach freien Belieben zu verfahren. Eine Nutzung des Eigentums unterfällt dann aber nicht mehr dem Schutzbereich der Eigentumsgarantie, wenn sie sich gleichzeitig als Ausübung eines anderen Freiheitsrechtes darstellt.802 Das BVerwG ging dementsprechend in seiner Entscheidung über die Breker’schen Monumentalfiguren trotz der angeführten Prägung der Baukunst durch die Sozialbindung des Eigentums richtigerweise davon aus, dass beim künstlerischen Bauen nicht anhand des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern anhand des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu beurteilen ist, welche Schranken sich der Einzelne gefallen lassen muss.803 Auch die jüngere verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung geht nunmehr davon aus, dass die Freiheit der Baukunst Ausdruck des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist und die Grenzen der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit nur von der Verfassung selbst her zu bestimmen sind.804 In diesem Zusammenhang bietet sich zunächst eine grundlegende Unterscheidung zwischen der „Baukunst“ und dem nichtkünstlerischen Bauen an. 799 Kapell, S. 180; Knies, Schranken, S. 81 f.; Lerche, S. 127; Looks, S. 72 f.; nach dem spezifischen Sinngehalt der Normen zu urteilen, hat weder das eine noch das andere Grundrecht eine stärkere sachliche Beziehung zu dem zu beurteilenden Sachverhalt der Errichtung von Baukunst; dasselbe gilt für das Parallelproblem des Baus einer Kultstätte und der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG, vgl. Gaudernack, S. 142. 800 Kapell, S. 180. 801 BVerwG, Beschl. v. 10. 12. 1979 – 4 B 164.79 = BRS 35 Nr. 133; BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 802 BeckOK-GG / Axer, Art. 14, Rn. 29. 803 BVerwG, Beschl. v.  13. 04. 1995  – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649); zustimmend ­Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (226). 804 OVG RhPf, Urt. v. 24. 07. 1997 – 8 A 12820/96 = NJW 1998, 1422; VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

a) Baukunst und nichtkünstlerisches Bauen im verfassungsrechtlichen Sinne § 35 Abs. 3 BauGB schränkt zwar den Grundstückseigentümer in seiner Verfügungs- und Nutzungsbefugnis über sein Grundstück ein, wenn man ihm das Aufstellen von Plastiken verbietet. Auf Grundrechtsschutz gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG kann er sich aber nur dann berufen, wenn auch der private Umgang mit Kunst selbst kreativen Charakter hat.805 Das kommt regelmäßig bei der Schaffung von Baukunst in Betracht.806 Baukunst ist künstlerische Architektur,807 die immer dann vorliegt, wenn eine Trennung von Werk- und Wirkbereich der Kunst nicht möglich ist.808 Die Architektur zeichnet sich dabei durch ihre Zweckdienlichkeit aus. Sie dient an einem bestimmten Ort einer Vielzahl von Zwecken sowohl öffentlicher als auch privater Natur. Da die Architektur selbst keine Antwort auf die Fragen hat, welche Zwecke sinnvollerweise verfolgt werden sollen oder wer über die Zweckverfolgung zu entscheiden hat,809 bietet sich eine verfassungsrechtliche Definition der Baukunst an, die sich an die von dem Grundrecht der Kunstfreiheit gewährleisteten Schutzbereiche orientiert. Bei der Aufstellung von Plastiken ist der schöpferische Akt bereits abgeschlossen; eine Trennung von Werk- und Wirkbereich ist hier möglich. Selbst wenn das Aufstellen von Plastiken ein nach §§ 29 ff. BauGB bauplanungsrechtlich relevanter Vorgang sein kann, folgt daraus noch nicht, dass es sich um Baukunst im verfassungsrechtlichen Sinne handeln muss.810 Die Plastiken können auch isoliert von ihrer Umgebung aufgestellt werden, worin der entscheidende Unterschied zur Baukunst liegt. Dies gilt selbst dann, wenn die Skulpturen auf einen eigens im Außenbereich geschaffenen 7 m hohen Sockel errichtet werden sollen. Denn der Sockel und die Befestigung stellen ein dem Kunstwerk „sekundäres Moment“ dar.811 Baukunst in Form der Architektur ist hingegen ortsgebunden und fügt sich stets in ein gegebenes Landschafts- oder Ortsbild ein. Das BVerwG812 wählte damit eine terminologische Bezeichnung, die, soweit sie das Aufstellen der Breker’schen Monumentalfiguren als „Werke der Baukunst“ bezeichnete, von dem hier dargestellten Definitionsansatz abweicht. Dem Akt des

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Schütz, JuS 1995, 498 (499). M / D/Scholz, Art. 5 Abs. 3, Rn. 71 f.; Schütz, JuS 1995, 498 (499). 807 Schneider, S. 43; Schütz, JuS 1995, 498 (499). 808 Kapell, S. 164; Klein, S.  278; M / D/Scholz, Art. 5 Abs. 3, Rn. 72; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 451; Moench / Schmidt, S. 54; Müller, S. 127; Müller, K., S. 95; Pischel, S. 17; Schütz, JuS 1995, 498 (499); Seybold, S.  140; S / S/D / Stern, § 117, VII 4; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (619, Fn. 67); Würkner, S. 167. 809 Erbel, S. 165; Pischel, S. 55; Schneider, S. 50. 810 Schütz, JuS 1995, 498 (499). 811 Schütz, JuS 1995, 498 (499). 812 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). 806

II. Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) 

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bloßen Aufstellens der Breker’schen Skulpturen kam in dem der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt mit seinen besonderen Umständen im Außenbereich nicht die Qualität der Errichtung eines Bauwerkes zu, dessen Architektur dem verfassungsrechtlichen Begriff der Baukunst hätte unterfallen können.813 Die Ansicht, die gebaute Kunst (Baukunst) vom nichtkünstlerischen Bauen danach unterscheiden will, ob eine Trennung von Werk- und Wirkbereich der Kunst möglich ist,814 wird allerdings scharf kritisiert. Denn eine Trennung von Werk- und Wirkbereich sei nicht nur ein spezifischer Ausdruck der Baukunst, sondern komme auch bei anderen Kunstgattungen in Betracht. So sei ebenso regelmäßig bei kommunikativen Künsten wie der Straßenkunst oder dem öffentlichen Musizieren eine Trennung von Werk- und Wirkbereich nicht möglich.815 Zur Abgrenzung von Baukunst und dem nichtkünstlerischen Bauen müsse vielmehr die bodenrechtliche Relevanz (§§ 1 Abs. 5, 9 Abs. 1 BauGB) der gebauten Kunst herangezogen werden. Das Kunstwerk müsse über seine unmittelbarste Umgebung hinaus städtebaulich oder landschaftsgestaltend wirken und sein Bestand müsse auf Dauer angelegt sein.816 Diese Auffassung hat zur Folge, dass bodenrechtlich unbedeutendes (nichtkünstlerisches) Bauen nur den Vorschriften des Bauordnungsrechts unterliegt. Dies gilt insbesondere für Fälle wie der Aufstellung von Frustzwergen im nachbarlichen Garten oder „Christos“ Reichstagsverhüllung.817 Die auf Dauer angelegte Aufstellung von Monumentalfiguren im Außenbereich besäße demnach bodenrechtliche Relevanz und wäre nach dieser Ansicht als Baukunst einzustufen. Es geht jedoch nicht darum, das künstlerische Bauen dem Bauordnungs- oder Bauplanungsrecht zuzuordnen. Das BVerwG betonte bereits in diesem Sinne, dass angesichts der prinzipiellen Weite des verfassungsrechtlichen Begriffs der Kunst für eine besondere Heraushebung eines nur schmalen Bereichs von Bauwerken aus dem allgemeinen Baugeschehen und ihre Privilegierung als Werke der Baukunst im engeren Sinne kein Raum sei.818 Es muss vielmehr dasjenige künstlerische Bauen im verfassungsrechtlichen Sinne herausgearbeitet werden, das sich auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) berufen kann. Es bietet sich daher besser eine am Verfassungsrecht orientierte Differenzierung zwischen Baukunst und dem nichtkünstlerischen Bauen anhand des Werk- und Wirkbereichs der Kunst an. 813 Schütz, JuS 1995, 498 (499); zur Frage, inwieweit der Vorgang des Aufstellens von Skulpturen im Außenbereich dem Wirkbereich der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) unterfällt, soweit der private Umgang mit Kunst selbst kreativen Charakter aufweist bzw. der Aufsteller der Skulpturen als Kunstmittler auftritt, siehe Kapitel C. I. 2. 814 Pischel, S. 56. 815 Dolderer, BauR 1999, 691 (693); Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (227). 816 Brenner, Rn. 771; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (227). 817 Dies bedeutet, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG im Rahmen der bauordnungsrechtlichen Bestimmungen des Verunstaltungsverbots wie auch der gemeindlichen Gestaltungsvorschriften zu berücksichtigen ist, s. Brenner, Rn. 771; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (227). 818 BVerwG, Beschl. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138/90 = NVwZ 1991, 983.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Zur Abgrenzung zwischen „Baukunst“ und dem nichtkünstlerischen Bauen kann folglich auch nicht das Kriterium des Schwergewichts der angestrebten Nutzung herangezogen werden: So kann nämlich auch gebaute Kunst vorrangig zum Wohnen genutzt werden, um den Wirkbereich des Kunstwerks „lebendig“ zu gestalten. Auch eine Differenzierung danach, ob das Kunstobjekt sinnvoll von dem Bau abgetrennt werden könne, ohne die Eigenschaften seines zugedachten Wirk- und Werkbereichs zu verlieren, hilft zur Lösung der eigentlichen Problemstellung nicht weiter.819 Da alle aufgeführten Ansichten zur Abgrenzung zwischen Baukunst und dem nichtkünstlerischen Bauen nicht kritikfrei sind, zugegebenermaßen auch die, die danach differenziert, ob eine Trennung von Werk- und Wirkbereich der Kunst möglich ist, ist es nicht verwunderlich, dass bereits das BVerwG seine Schwierigkeiten mit der Abgrenzung hatte: So ließen sich die Voraussetzungen, unter denen bei einem Werk der Baukunst – wie auch immer dieses vom Baugeschehen im allgemeinen abzugrenzen sein mag – davon gesprochen werden dürfe, es füge sich gestalterisch nicht in die Bebauung der näheren Umgebung ein, nicht rechtsgrundsätzlich klären.820 b) Gemeinschaftsbezogenheit der Baukunst, Grundrechtskumulationen und Schrankenleihe Es stellt sich nun allerdings die Frage, ob die Schranken der Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG überhaupt auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) übertragbar sind. Eine Schrankenleihe bzw. -übertragung ist jedoch nicht möglich. Es verbietet sich somit eine frühere in Rechtsprechung und Literatur vertretene Auffassung,821 die die Schutzbereiche der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) nebeneinander anwenden und einschränken wollte. Diese Auffassung sah die Baukunst nicht isoliert vom Eigentum, den Schranken des Eigentums und seiner Sozialbindung. Sie ließ die Kunstfreiheit hinter die Sozialbindung des Eigentums zurücktreten, weil sie die bauplanungsrechtlichen Be-

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Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (227). BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 821 BVerwG, Beschl. v.  10. 12. 1979  – 4 B 164.79 = BRS 35 Nr. 133; BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 183; HdB-StaatsR /von Arnauld, § 167, Rn. 78; Karpen / Hofer, JZ 1992, 1060 (1064); M / D/ Scholz, Art. 5 Abs. 3, Rn. 72; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 469; Ropertz, S. 126; S / S/D / Stern, § 117, XV 3; Zinkahn, DÖV 1953, 161 (165); im Ergebnis auch Oppermann, S. 461, der davon ausgeht, dass die Berufung auf das Grundrecht der Kunstfreiheit keine schrankenlose sein könne, sondern wie jede Grundrechtsausübung unter dem Vorbehalt der Beachtung wesentlicher Gemeinschaftsgüter stehe. 820

II. Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) 

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stimmungen als Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums ansah, Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.822 Diese Auffassung wurde wahrscheinlich durch die „Nassauskiesungsentscheidung“ des BVerfG823 bekräftigt. Denn im Zuge der dieser Entscheidung nach­ folgenden Rechtsprechung zur Abgrenzung von Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) und Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) wurden vom BGH824 in Hinblick auf die Freiheit der baulichen Nutzung Regeln zur „Situationsgebundenheit“ des Eigentums entwickelt, die sich als relativ verlässliche Abgrenzungskriterien auch auf die Gemeinschaftsbezogenheit der Baugestaltungsfreiheit übertragen ließen:825 „Jedes Grundstück wird durch seine Lage und Beschaffenheit sowie seine Einbettung in die Landschaft und Natur geprägt. Darauf muss der Eigentümer bei der Ausübung seiner Befugnisse in Hinblick auf die Sozialbindung des Eigentums Rücksicht nehmen. Daher lastet auf jedem Grundstück gleichsam eine aus der Situationsgebundenheit abzuleitende Beschränkung der Rechte des Eigentümers, aus der sich Schranken seiner Nutzungs- und Verfügungsmacht, vor allem in Bezug auf die Erfordernisse des Natur- und Denkmalschutzes ergeben. Wie diese Grenzen im Einzelfall zu ziehen sind, ist jeweils aufgrund einer wertenden Beurteilung der Kollision zwischen den berührten Belangen des Gemeinwohls und den betroffenen Eigentümerinteressen festzustellen.“ 826 Es war schließlich das zentrale Anliegen der Gestaltungsbemühungen demokratischer Innenpolitik im 20. Jahrhundert, Antworten auf die „soziale Frage“ zu finden. Eine der gegebenen Antworten bestand insoweit in der Einhegung und Inpflichtnahme des Privateigentums aufgrund seiner Gemeinschaftsbezogenheit.827 Baukunst sei nach diesem Verständnis immer gemeinschaftsbezogene Kunst, da sie auf ihre Umgebung einwirke. Sie verbleibe fast nie in der Privatheit des Besitzers oder Betrachters; vielmehr werde immer auch die Öffentlichkeit mit ihr konfrontiert, weil die Nachbarn und meist auch die Bewohner der Stadt ein statisch an seinem Standort fixiertes Bauwerk nicht negieren könnten.828 Mit einer erhöhten Sozialbezogenheit der Baukunst gingen deshalb eine stärkere soziale Verantwortung und damit strengere Freiheitsschranken einher.829 Soweit die Ausübung der Kunstfreiheit als Eigentumsausübung erfolge, gebe die Kunstfreiheit aufgrund der besonders ausgeprägten sozialen Bindung des Eigentums nicht die Befugnis, sich über die dem 822 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); Karpen / Hofer, JZ 1992, 1060 (1064); M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 469. 823 BVerfG, Beschl. v. 15. 07. 1981 – 1 BvL 77/78 = BVerfGE 58, 300. 824 BGH, Urt. v. 08. 06. 1978 – 3 ZR 161/76 = BGHZ 72, 211 (216); BGH, Urt. v. 09. 10. 1986 – 3 ZR 2/85 = DVBl. 1987, 568 (570); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 13. 06. 1969 – 4 V 234.65 = BVerwGE 32, 173 (178). 825 Seybold, S. 80. 826 BGH, Urt. v. 09. 10. 1986 – 3 ZR 2/85 = DVBl. 1987, 568 (570). 827 Schneider, NJW 2003, 642 (642 f.). 828 Erbel, S. 170; Mick, S. 75. 829 Mick, S. 75.

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Eigentum zulässigerweise gezogenen Schranken hinwegzusetzen.830 So könne es schließlich nicht angehen, dass die Baukunst praktisch nicht beschränkbar wäre, soweit man sie alleine dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterstellen ließe. Diese Ansicht ging damit von einer Idealkonkurrenz zwischen den Grundrechten der Kunst- und Eigentumsfreiheit aus, wobei jedoch bei der Auflösung der Grundrechtskollision zu beachten sei, dass sich die Baukunst im Gegensatz zu den übrigen künstlerischen Äußerungen eines anderen Mittels in Form des Eigentums bediene, das aufgrund eines Verfassungsentscheids unter einem Vorbehalt stehe, der jeweils zu berücksichtigen sei.831 Diese Auffassung beruft sich insbesondere darauf, dass bei der Baukunst der Werkbereich notwendig mit dem Wirkbereich zusammenfalle und es deswegen gerechtfertigt sei, die Baukunst den Schranken der Eigentumsgarantie in verstärktem Maße zu unterwerfen.832 Denn die Notwendigkeit von Beschränkungen im Bauwesen ergäben sich auch aus der Überlegung heraus, dass sich die Grenzen allgemein-künstlerischer Bestrebungen alleine aus dem Verhältnis zwischen dem Individuum mit seiner künstlerischen Aussage und der Allgemeinheit mit ihren darauf beruhenden Positionen, die das „gedeihliche Zusammenleben“ betreffen, ergäben, während der baukünstlerischen Bestrebung eine weitere, ihr eigentlich wichtigere Korrespondenz gegenüberstehe: dem dialektischen Verhältnis zum anderen Bauwerk, das ebenfalls wieder gestalterische und unter Umständen künstlerische Aspekte aufweise.833 Die sich aus dem Sozialbezug des Eigentums ergebenden Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG – in Form der baurechtlichen Gestaltungsvorschriften – könnten daher die Einschränkung der Kunstfreiheit rechtfertigen.834 Auch das BVerwG folgte noch vor der „Arno-Breker“-Entscheidung der Ansicht, dass man die Schranken des Eigentumsgrundrechts auch auf die Kunstfreiheit übertragen könne.835 Es vertrat die Ansicht, dass die Ausübung der Kunstfreiheit bei der Errichtung baulicher Anlagen zugleich eine Nutzung des Eigentums darstelle. Aufgrund des starken sozialen Bezugs eines Bauwerks könnten dessen Inhalt und Schranken detailliert festgelegt werden. Die Kunstfreiheit könne sich infolgedessen nicht über die dem Eigentum gezogenen Schranken hinwegsetzen.836 So könne „aus der besonders ausgeprägten sozialen Bindung des Eigentums im Baugeschehen gefolgert werden, dass, soweit die Ausübung der Kunstfreiheit als Eigentumsausübung erfolge, aus der Kunstfreiheit nicht die Befugnis erwachse, sich über die dem Eigentum zulässigerweise gezogenen Schranken hinwegzusetzen“.837 Das 830

BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). Ropertz, S. 125. 832 S / S/D / Stern, § 117, VII 4. 833 Ropertz, S. 125. 834 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 835 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 836 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 837 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984). 831

II. Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) 

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BVerwG838 nahm später in seiner „Arno-Breker“-Entscheidung von dieser Rechtsprechung Abstand – wenn auch nicht ausdrücklich – und rekurrierte auf die „Mephisto“-Entscheidung des BVerfG,839 nach der die Kunstfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht nur durch kollidierende Grundrechte Dritter oder Verfassungsgüter von Rang beschränkt werden kann. Zwar erkennt die Auffassung, die im Falle der Baukunst die Schranken der Eigentumsfreiheit auf die Kunstfreiheit übertragen will, dass die Eigentumsgarantie einem einfachen Gesetzesvorbehalt unterliegt und die Freiheit der Kunst schrankenlos gewährleistet ist.840 Da allerdings das künstlerische Bauen in den Schutzbereich zweier Grundrechte fällt, ist die Grundrechtsüberschneidung nach den Grundsätzen aufzulösen, die im Falle schrankendivergierender Grundrechte entwickelt wurden. Es muss demzufolge vom Zweck des Grundrechtes her, insbesondere von der historisch immanenten Schutzrichtung der Kunstfreiheitsgarantie, geprüft werden, ob die künstlerische Entfaltung speziell durch das Medium der Architektur an der vollen Schutzintensität der Kunstfreiheitsgarantie teilhaben soll und muss – was deswegen der Fall ist, da die Baukunst von alters her eine der klassischen und auch typischen Ausdrucksformen künstlerischen Schöpfergeistes ist.841 Grundrechtsdogmatisch gesehen sind daher beim künstlerischen Bauen nicht die Eigentumsschranken, sondern vielmehr die Kunstfreiheitsschranken maßgeblich, sodass die Schranken des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht auf das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) übertragen werden können.842 Auch der Hinweis auf die Sozialbindung des Eigentums führt gegenüber der Kunstfreiheit nicht weiter.843 Denn vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte können nicht den geschriebenen Schranken anderer Grundrechte unterworfen werden, da ansonsten der vom Gesetzgeber beabsichtigte Freiheitsschutz weitgehend ausgehöhlt würde.844 Zur Rechtfertigung einer Schrankenübertragung kann auch nicht der „Sprayer-vonZürich“-Beschluss des BVerfG845 herangezogen werden, nach dem das Eigentumsgrundrecht eine Verbürgung von Freiheit enthalte und „nach den vom Grundgesetz getroffenen Wertungen“ nicht prinzipiell hinter der Freiheit der Kunst zurückstehe. Diese These kann jedoch gerade bei Vorliegen einer Grundrechtskumulationslage (der Baukünstler kann sich gleichzeitig auf das Grundrecht der Kunstfreiheit und auf die Eigentumsgarantie berufen) nicht dazu führen, dass der Grundrechtsschutz 838

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649). BVerfG, Beschl. v. 24. 02. 1971 – 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173 = NJW 1971, 1645. 840 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn.  89; S / S/D / Stern, § 117, VII 4. 841 Erbel, S. 168 f. 842 Dolderer, BauR 1999, 691 (694 f.); Erbel, S. 169; HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89; Müller, K., S. 116 f.; Schütz, JuS 1995, 498 (504); Würkner, S. 169. 843 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89. 844 Dolderer, BauR 1999, 691 (695); Klein, S. 280; Müller, K., S. 116; Schütz, JuS 1995, 498 (501); Seybold, S. 124 f.; Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (617); Würkner, DÖV 1992, 150 (152). 845 BVerfG, Beschl. v. 19. 03. 1984 – 2 BvR 1/84 = BVerfG, NJW 1984, 1293 (1294). 839

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG – trotz eigentlich gegebener „Wertkumulation“ – reduziert wird.846 Eine Einschränkung der Kunstfreiheit als vorbehaltslos gewährleistetes Grundrecht darf jedenfalls nur aufgrund von Schranken erfolgen, die die Verfassung selbst bereithält. Nicht jede Berührung von Werk- und Wirkbereich und Grundeigentumsnutzung darf zu einer Schrankenkumulation in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG führen.847 Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG stellt außerdem gegenüber der Kunstfreiheit das schwächere Grundrecht dar, sodass die Eigentumsfreiheit nicht die Schranken für ein stärkeres Grundrecht liefern kann.848 Niemand käme ferner bei anderen künstlerischen Ausdrucksweisen auf das offensichtlich unhaltbare Ergebnis, die Kunstfreiheit unterstünde den Vorbehalten der Eigentumsgarantie. Wegen der grundrechtssichernden Funktion der Eigentumsgewährleistung liegt damit in letzter Konsequenz immer eine Idealkonkurrenz der Eigentumsfreiheit mit anderen Freiheitsrechten vor, womit der Vorbehalt einfacher Gesetze des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auf jedes andere Grundrecht Anwendung finden müsste.849 Der Baukünstler, der nicht gleichzeitig Eigentümer des jeweiligen Grundstücks ist, auf dem er seine Baukunst verwirklichen möchte, kann sich allerdings auf das Grundrecht der Kunstfreiheit berufen.850 Bei ihm kann daher nicht ohne weiteres die (frühere) Rechtsprechung des BVerwG851 herangezogen werden, nach der sich die Ausübung der Kunstfreiheit gleichzeitig als Nutzung des Eigentums darstelle, mit der Folge, dass sich die Kunstfreiheit nicht über die dem Eigentum zulässigerweise gezogenen Schranken hinwegsetzen könne. Die Schranken der Eigentumsfreiheit können damit beim Baukünstler, der nicht gleichzeitig auch Eigentümer des jeweiligen Grundstücks ist, nicht auf das Grundrecht der Kunstfreiheit übertragen werden. Es kann aber nicht angehen, dass bei demjenigen, der gleichzeitig Eigentümer und Künstler ist, eine Kumulation von Grundrechtsschranken eine Minimierung seines Grundrechtsschutzes zur Folge hat.852 Ein doppelter Schutz müsste eher zu einer Verstärkung als zu einer Verrin-

846

Würkner, DÖV 1992, 150 (152); ders., S. 169. Heß, S. 71, 76; Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (226); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (617). 848 BonnerKomm-GG / von Arnauld, Art. 5, Rn. 184; HdB-StaatsR / von Arnauld, § 167, Rn. 78; Müller, K., S. 116. 849 Pischel, S. 98. 850 VG München, Urt. v. 16. 09. 2004 – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088; Müller, K., S. 117. 851 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983. 852 Kapell, S.  180; M / D/Scholz, Art. 5, Rn. 72; Müller, K., S. 117; Pischel, S. 96; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (617); Würkner, DÖV 1992, 150 (151); bezogen auf das Verhältnis zwischen Kunstfreiheit und Berufsfreiheit im Ergebnis auch Knies, Schranken, S. 78 f. und Looks, S. 83; bezogen auf das Parallelproblem zwischen dem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht der Glaubensfreiheit und der Eigentumsgarantie Gaudernack, S. 143. 847

II. Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) 

359

gerung der grundrechtlichen Garantie führen.853 Auch diese Überlegung spricht dagegen, im Falle der Baukunst die sich aus der Nutzung des Eigentums ergebenden Schranken aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auf das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) zu übertragen, da dies den Baukünstler, der gleichzeitig Eigentümer des jeweiligen Grundstücks ist, schlechter stellen würde als wenn er nicht gleichzeitig Grundstückseigentümer wäre. Der zugrunde liegende „Arno-Breker“-Fall veranschaulicht, dass das Vorliegen von Grundrechtskumulationen nicht über eine „Schrankenleihe“ gelöst werden kann, sondern für jeden Grundrechtseingriff die verfassungsrechtliche Rechtfertigung nach der für dieses Grundrecht geltenden Schrankenregelung ohne Berücksichtigung anderer, ebenfalls von der staatlichen Maßnahme betroffener Grundrechte zu beurteilen ist.854 Im Ergebnis ist damit für die Verfassungsmäßigkeit der Maßnahme insgesamt die Schranke des stärker geschützten Grundrechts maßgeblich.855 2. Sozialbindung von Grund und Boden als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Die Eigentümerbefugnisse finden im Falle einer ästhetischen Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes durch einen Rückgriff auf bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Vorschriften ihre Grenze, die im Rahmen des Gesetzesvorbehalts des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die Eigentumsfreiheit inhaltlich konkretisieren und einschränken.856 Die Situationsgebundenheit des Grundeigentums erfasst jedenfalls auch die optisch-ästhetischen Funktionen eines Bauwerks als einen wichtigen Gemeinwohlbelang.857 Der Gesetzgeber überschreitet daher nicht die Grenzen einer zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, insbesondere nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn er besonders reizvollen und prägenden Merkmalen der Bau- und Stadtgestalt den Vorrang vor der Baufreiheit einräumt.858 Die Verunstaltungsverbote – sowohl die bauordnungsrechtlichen der Länder als auch das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot – stellen eine solche Inhaltsund Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.859 So können Vorschriften wie § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, die zudem 853

Bleckmann / Wiethoff, DÖV 1991, 722 (729); Pischel, S. 96; Würkner, DÖV 1992, 150 (152). 854 Kapell, S. 182 f.; Würkner, DÖV 1992, 150 (151). 855 Kapell, S. 183. 856 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89; Hufen, § 38, Rn. 9; Müller, K., S. 81. 857 BVerwG, Urt. v. 13. 04. 1983 – 4 C 21/79 = DVBl. 1983, 895; Mick, S. 64 f. 858 Mick, S. 65, 67. 859 BVerwG, Urt. v. 27. 06. 1991 – 4 B 138.90 = NVwZ 1991, 983 (984); Looks, S. 67; Schütz, JuS 1995, 498 (500); S / S/D / Stern, § 117, XV 3; Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (616).

360

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

nach Auffassung des BVerwG das Umweltstaatsprinzip konkretisieren, mit dem Gewicht der in Art. 20a GG geschützten Umweltbelange die Einschränkung von Freiheitsgrundrechten wie Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG rechtfertigen.860 Das BVerfG erkennt schließlich Grund und Boden als „unvermehrbar und unentbehrlich“ an, sodass „die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen sind als bei anderen Vermögensgütern“.861 Die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im konkreten Einzelfall kann jedenfalls dazu führen, bauplanungsrechtliche Beschränkungen der eigentumsrechtlich geschützten Baufreiheit dann in Frage zu stellen, wenn die Anwendung der jeweiligen bauplanungsrechtlichen Vorschriften zu einer sachlich ungerechtfertigten oder unbilligen Beschränkung der Baufreiheit führt.862 Die ästhetischen Anforderungen an bauliche Anlagen, die sich allein aus dem Sozialbezug des Eigentums legitimieren, resultieren aus der Erwägung, dass Bauen letztlich bedeutet, von der Freiheit des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) Gebrauch zu machen. Der soziale Bezug des Eigentums ist schließlich bei baulichen Anlagen besonders ausgeprägt; eine weitgehende und detaillierte Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums ist daher gerechtfertigt. Regelungen, die Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder Verunstaltungen der Umgebung durch bauliche Anlagen abwehren sollen, sind damit mit der Institutsgarantie des Eigentums vereinbar.863 3. Zusammenfassung über das Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Eigentumsfreiheit und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot Beim künstlerischen Bauen ist nicht anhand des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern anhand des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu beurteilen, welche Schranken sich der Einzelne gefallen lassen muss. Denn die Baukunst ist Ausdruck der Kunstfreiheit und nach ihrer sozialen Funktion diesem Grundrecht zuzuordnen. Baukunst ist künstlerische Architektur, bei der eine Trennung von Werk- und Wirkbereich der Kunst nicht möglich ist.864 Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG kann auch im Falle des nichtkünstlerischen Bauens Bedeutung erlangen – beispielsweise im Falle des Aufstellens von Monumentalfiguren im Außenbereich. Dies gilt allerdings nur dann, soweit der private Umgang mit der

860

Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 20a, Rn. 87. BVerfG, Beschl. v. 12. 01. 1967 – 1 BvR 169/63 = BVerfGE 21, 73 (82 f.); BVerfG, Beschl. v. 23. 09. 1992 – 1 BvL 15/85 = BVerfGE 87, 114 (146). 862 M / K/S / Depenheuer / Froese, Art. 14, Rn. 298. 863 BVerwG, Urt. v. 11. 04. 1989 – 4 B 65/89 = NJW 1989, 2638. 864 M / D/Scholz, Art. 5 Abs. 3, Rn. 72; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 451; Schütz, JuS 1995, 498 (499); S / S/D / Stern, § 117, VII 4. 861

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

361

Kunst selbst kreativen Charakter hat.865 Hier muss also die Tangierung des Schutzbereichs der Kunst in ihrem Wirkbereich positiv festgestellt werden. Die beiden Schutzbereiche der Kunst- und Eigentumsfreiheit können außerdem nicht nebeneinander angewandt und eingeschränkt werden, da nicht jede Berührung von Werk- und Wirkbereich der Kunstfreiheit einerseits und der Grundeigentumsnutzung andererseits zu einer Schrankenkumulation in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG führen darf.866 Eine frühere Ansicht vertrat nämlich, dass die Baukunst im Falle einer optischästhetischen Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes durch einen Rückgriff auf bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Vorschriften ihre Grenze finde, da diese die Eigentumsfreiheit im Rahmen des einfachen Gesetzesvorbehalts des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG inhaltlich konkretisieren und einschränken867 und sich die ästhetischen Anforderungen an bauliche Anlagen allein aus dem Sozialbezug des Eigentums legitimieren ließen.868

III. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot und das Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) In einem ersten Schritt ist bei künstlerisch motivierten Bauvorhaben im Außenbereich zu prüfen, ob überhaupt der Schutzbereich der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) eröffnet ist. Diese erste Annäherung an das Konfliktfeld zwischen dem Landschaftsschutz auf der einen und der Kunstfreiheit auf der anderen Seite bewegte sich also nicht im Bauplanungsrecht, sondern im Verfassungsrecht. Gleiches gilt für glaubens- oder weltanschaulich motivierte Bauvorhaben im Außenbereich. Bei ihnen ist zunächst zu klären, ob der konkrete Vortrag des Bauherrn und damit die Baubeschreibung seines Vorhabens von der Grundrechtsgewährleistung der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) mit umfasst ist. Dies wird insbesondere dann von Bedeutung, wenn ein Privater, insbesondere ein Landwirt, im Außenbereich eine Kapelle errichten möchte. Für den personellen Schutzbereich erlangt in diesem Zusammenhang die Unterscheidung an Bedeutung, ob es sich bei dem Bauvorhaben um dasjenige eines Privaten, einer Religionsgemeinschaft oder einer öffentlich-rechtlich verfassten Kirche handelt. Es macht für die Eröffnung des Schutzbereichs der Glaubensfreiheit keinen Unterschied, welche Religion oder Glaubenseinstellung dem Bauvorhaben zugrunde liegt, sodass die Erwägungen über die nachfolgend besprochenen Gerichtsentscheidungen, denen katholisch und freikirchlich motivierte Bauvorhaben 865

Schütz, JuS 1995, 498 (499). Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (226); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (617). 867 HdB-GrundR / Hufen, § 101, Rn. 89; Hufen, § 38, Rn. 9. 868 M / D/Scholz, Art.  5, Rn.  72; M / K/S / Starck / Paulus, Art. 5 Abs. 3, Rn. 469. 866

362

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

zugrunde liegen, auch auf andere Konfessionen, Glaubensrichtungen und Welt­ anschauungen übertragbar sind. Dies folgt schon aus dem für den Staat verbindlichen Gebot weltanschaulich-religiöser Neutralität, nach dem sich die Freiheit der Glaubensausübung nicht nur auf christliche Kirchen, sondern auch auf andere Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften erstreckt.869 Für das Spannungsverhältnis zwischen Glaubensfreiheit und Bauplanungsrecht stellt sich vor allem die bedeutsame verfassungsrechtliche Frage, ob einem Bauherrn, der sich auf seine Glaubensfreiheit berufen kann, ein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung zusteht oder ob sich der Bauherr wenigstens im Falle rechtswidrig errichteter glaubens- oder weltanschaulich motivierter Vorhaben auf einen aus der Glaubensfreiheit ableitbaren Duldungsanspruch berufen kann. Diese Fragestellung wird unter dem Kapitel870 „Zulässigkeit einer privaten Kapelle als sonstiges Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB in der Genehmigungspraxis“ behandelt. Die Fragestellung ist vor allem im katholisch geprägten Süden Deutschlands relevant, denn hier wird regelmäßig der gesellschaftliche Druck der Öffentlichkeit sehr groß sein, falls eine Behörde mittels einer Beseitigungsverfügung gegen eine von privater Seite baurechtswidrig errichtete Kapelle vorgehen will. Es stellt sich zuletzt wie bei der Kunstfreiheit die generelle Frage nach der verfassungsrechtlichen Einschränkbarkeit der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG). Soweit es um die Errichtung von sakralen oder sonstigen weltanschaulich motivierten Vorhaben im Außenbereich geht, kollidiert die Glaubensfreiheit unverkennbar wie die Kunstfreiheit mit dem optisch-ästhetischen Landschaftsschutz, sodass wiederum als verfassungsrechtliche Grundrechtsschranke Art. 20a GG in Betracht kommt. Es stellt sich auch hier die Frage, ob Art. 20a GG nur das Landschaftsbild in funktioneller Hinsicht oder auch in ästhetischer Hinsicht schützen will. Es stellen sich letztendlich hier wie dort dieselben Fragen nach der praktischen Konkordanz, wie also die kollidierenden Verfassungsgüter in einem schonenden Ausgleich in Einklang zu bringen sind, sodass – wie bei der Kunstfreiheit näher dargestellt wurde – die Umstände des jeweiligen Einzelfalles für die abschließende Abwägungsentscheidung zugunsten des einen oder des anderen Verfassungsgutes berücksichtigt werden müssen. Unterschiede bezüglich der verfassungsrechtlichen Einschränkbarkeit zwischen den beiden vorbehaltlos garantierten Freiheitsgrundrechten ergeben sich aber hinsichtlich der Frage, inwieweit die Glaubensfreiheit durch die allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten eingeschränkt werden kann. Es stellt sich damit die Frage nach der Fortgeltung des Art. 136 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) als einfacher Gesetzesvorbehalt für die Glaubensfreiheit des Grundgesetzes. Dieser Problemkreis erlangt praktisch dadurch an Brisanz, dass viele einfachge-

869

BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236; Leibholz / Rinck / Burghart, Art. 4, Rn. 196. 870 Siehe unten Kapitel D. VII. 2. c).

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

363

setzliche Bauvorschriften gerade nicht dem Schutz von Grundrechten Dritter oder Verfassungsgüter von Rang dienen – man denke etwa an die Verunstaltungsabwehr, die die Abwehr allgemein optisch-ästhetischer Beeinträchtigungen durch bauliche Anlagen bezweckt und namentlich an den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Es sollen diesem Beitrag zwei Gerichtsentscheidungen als Leitentscheidungen zur verfassungsrechtlichen Abhandlung der Glaubensfreiheit im Bauplanungsrecht dienen. Eine dieser beiden Entscheidungen hatte im Zusammenhang mit Marienerscheinungen im Außenbereich ein daraus abgeleitetes überirdisches Kapellenbaugebot zum Gegenstand – was im Ergebnis verneint wurde – und die andere eine bestattungsrechtliche Genehmigung zur Errichtung eines Friedhofs, die letztlich abgelehnt wurde, da das Vorhaben in einer Schutzzone eines Naturparks lag. So lag dem Urteil des OVG Rheinland-Pfalz (OVG RhPf) der Fall zugrunde, dass ein Verein mit rund 270 Mitgliedern eine Kapelle errichten wollte, da auf einem benachbarten Grundstück in den Jahren 1949 bis 1952 Marienerscheinungen stattgefunden haben sollen, bei denen die Gottesmutter mehrfach den Bau einer Kapelle ihr zum Andenken gefordert haben soll. Der Verein nannte als Zweckbestimmung der Kapelle in erster Linie die Befolgung des Auftrages der Gottesmutter. Die Kapelle habe deswegen nur am Ort der Marienerscheinungen ihre Bestimmung erfüllen können. In der Kapelle sollte eine lebensgroße Marienstatue errichtet werden, die für die Gläubigen eine Annäherung an den von ihnen als gläubig angenommenen Auftrag der Gottesmutter bieten sollte, an jenem Ort zu ihrem Andenken eine Kapelle errichtet und ihr gedacht zu haben. Der Bauantrag umfasste zunächst eine Grundfläche von 20,34 m² zur Aufnahme von 12 Personen, die allerdings später vom Verein auf 16 m² reduziert wurde. Die katholische Kirche verweigerte den Marienerscheinungen ihre Anerkennung und lehnte deswegen den Plan ab, am Ort der angeblichen Erscheinungen eine Kapelle zu bauen. Die katholische Kirche missbilligte andererseits nicht das bloße Gebet an der bereits vorhandenen Andachtsstelle.871 Die Entscheidung des OVG RhPf ist ein Beispiel dafür, dass die Rechtsprechungspraxis im Bereich der Glaubensfreiheit bemüht ist, die Lösung schwieriger Grundrechtsfragen auf der Ebene des einfachen Rechts zu lösen – was allerdings wie im konkreten Fall dazu führen kann, dass die Bedeutung der Grundrechte verkannt wird. Das gewünschte Ergebnis, ein bestimmtes Vorhaben nicht zuzulassen, darf der Lösung nicht vorangestellt werden. Die Verkennung der Grundrechtsrelevanz kann dazu führen, dass gegenüber der Glaubensfreiheit sachfremde Erwägungen angestellt werden. Es mangelt dann an einer verfassungskonformen Auslegung im Lichte der Glaubensfreiheit. Auch dort, wo das einfache Recht selbst Raum für flexible Lösungen im Einzelfall belässt, wird schließlich die Bedeutung der Glaubensfreiheit verkannt.

871

OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305).

364

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Es ist nämlich im Falle eines überirdischen Baugebots an einem bestimmten Standort zu kurz gegriffen, wenn man – wie es das OVG RhPf872 tat – darauf abstellt, dass die Glaubensfreiheit nicht gebiete, dass das Interesse an der Erhaltung der natürlichen Eigenart der Landschaft hinter dem Interesse an der Befolgung eines überirdischen Baugebots zurücktreten müsse.873 Diese allgemeine Aussage hätte jedenfalls unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips einer näheren Konkretisierung bedurft.874 Die zweite abzuhandelnde Entscheidung betrifft einen Beschluss des BVerwG,875 in dem es um eine bestattungsrechtliche Genehmigung zur Errichtung eines Friedhofs auf einem Grundstück ging, das in der Landschaft lag, Teil eines reizvollen, reich gegliederten Landschaftsbildes war und zur Schutzzone des durch entsprechende Verordnung festgesetzten Naturparks Fränkische Schweiz-Veldensteiner Forst gehörte. In diesem Fall setzte sich Art. 20a GG gegenüber Art. 4 Abs. 1 GG durch. 1. Sachlicher Schutzbereich der Glaubensfreiheit Die in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistete Glaubensfreiheit umfasst einen einheitlichen Schutzbereich, der die Gewährleistungen der Freiheit des Glaubens, des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sowie der Religionsausübung umfasst.876 Auf diese Weise entsteht ein Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seiner religiösen Überzeugung auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln.877 Das glaubensgeleitete oder weltanschauliche Selbstverständnis des Grundrechtsträgers ist dabei maßgeblich für die Beurteilung der Eröffnung des Schutzbereichs der Glaubensfreiheit und des Vorliegens eines Eingriffs in diese heranzuziehen.878 872

OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (306). Hohmann, BauR 2007, 858 (858 f.). 874 Hohmann, BauR 2007, 858 (859). 875 BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852 = NuR 1997, 440. 876 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236 (245 f.); Bock, S. 135; Gaudernack, S. 144; kritisch zu diesem extensiven Schutzbereichsverständnis Muckel / Tillmanns, S. 242 f.; Schoch, S. 154 f., 158 f.; ausführlich zur Kontroverse Borowski, S. 373 ff., 381, 388. 877 BVerfGE 32, 98 (106); 41, 29 (49); 93, 1 (15); BayVGH, NVwZ 1987, 706 (708); BayVGH, DÖV 2000, 559 (560); OVG NRW, NVwZ 1992, 77 (78); Borowski, S. 381, 388; Gaudernack, S. 78 f. 878 BVerfG, Beschl. v.  16. 10. 1968  – 1 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236 (247 f.); BVerfG, Beschl. v. 11. 04. 1972 – 2 BvR 75/71 = BVerfGE 33, 23 (29); BVerfG, Beschl. v. 25. 03. 1980 – 2 BvR 108/76 = BVerfGE 53, 366 (401); BVerfG, Beschl. v. 24. 09. 2003 – 2 BvR 1436/02 = BVerfGE 108, 282 (298 f.); BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13, Abs. 72 f.; BVerfG, Beschl. v. 27. 10. 2016 = NVwZ 2017, 461, Abs. 102; BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 18; Bock, S. 136; Brümmer, S. 67; Gaudernack, S. 79, 111 f.; HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 54; HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 93; Muckel / Tillmanns, S. 246. 873

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

365

So berührt beispielsweise die Frage, ob für eine Moschee die Errichtung eines Minaretts als zwingend notwendig angesehen wird, das Selbstbestimmungsrecht der jeweiligen islamischen Glaubensgemeinschaft.879 Das Grundgesetz enthält allerdings kein an staatliche Stellen gerichtetes Verbot, die Begriffe Religion und Weltanschauung näher zu definieren. Staatliche Stellen sind hierzu vielmehr aus vielfältigen Gründen verpflichtet, insbesondere um Dritte vor Beeinträchtigungen ihrer Rechte zu schützen sowie die Souveränität des Staates gegenüber religiösen Kräften abzugrenzen.880 Die Rechtsprechung interpretiert dabei die Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ einheitlich als „eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens“.881 Objekt des Glaubens ist eine wie auch immer geartete Gottesvorstellung, die sich in einem Vertrauen-Schenken in die göttliche Heilserwartung manifestiert.882 Selbst wenn ein weltanschauliches Bekenntnis keine Gottesvorstellung zum Gegenstand haben sollte, muss es sich jedenfalls mit ethischen Fragen auseinandersetzen, metaphysische Gedankensysteme garantieren sowie über eine ähnliche Geschlossenheit und Breite verfügen wie im abendländischen Kulturkreis herkömmlicher Religionen, damit nicht Art. 4 GG zu einer zweiten allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) herabgestuft wird.883 Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu fordern, dass nach dem extensiven Schutzbereichsverständnis der herrschenden Auffassung jede in irgendeiner Weise religiös motivierte Handlung ausreicht, um unter die grundrechtliche Gewährleistung zu fallen. In der Literatur wurde deswegen kritisch angemerkt, dass das Grundrecht der Glaubensfreiheit im Ergebnis zu einer allgemeinen religiösen Handlungsfreiheit zusammengefasst und fortentwickelt worden sei.884

879

H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56. HdB-StaatsR / Mückl, § 161, Rn. 53 f.; Muckel / Tillmanns, S. 234 f. 881 BVerwG, Urt. v. 27. 03. 1992 – 7 C 21/90 = BVerwGE 90, 112 (115); zur Unterscheidung zwischen Glaube und Weltanschauung siehe Borowski, S. 410 ff. 882 Hufen, § 22, Rn.  6 f.; M / D/Herzog, Art. 4, Rn. 66; Sachs / Kokott, Art.  4, Rn.  21; S / S/D / ​ Stern, § 118, III 3 a. 883 J / P/Jarass, Art.  4, Rn.  8; M / D/Herzog, Art. 4, Rn. 67; Sachs / Kokott, Art. 4, Rn. 18 f.; reichlich umstritten ist die sogenannte „Kulturadäquanzformel“ des BVerfG, vgl. BVerfGE 12, 1 (4); 24, 236 (245 f.) (referierend): „Das Grundgesetz hat nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat.“ Diese Rspr. zielte wohl darauf ab, „unsittliche“ Praktiken nicht dem Schutzbereich der Glaubensfreiheit unterfallen zu lassen. Solche Praktiken können allerdings über entgegenstehende Grundrechte Dritter auf der Schrankenebene eingeschränkt werden. Der Islam zählt jedenfalls zu den „Kulturvölkern“ im Sinne der Kulturadäquanzformel, Gaudernack, S. 72 f.; ähnlich Brümmer, S. 83 f. Das BVerfG hat diese Begrenzung des Schutzbereichs in späteren Entscheidungen nicht mehr aufrechterhalten, vgl. Bock, S. 135. 884 Muckel / Tillmanns, S. 243; Schoch, S. 155; ausführlich hierzu Gaudernack, S. 80 ff. 880

366

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Der Glaube ist letztlich etwas Persönliches und Subjektives, der sich mit objektiven Maßstäben nicht nachprüfen lässt.885 Es ist daher richtigerweise nur von einer Glaubens- und nicht von einer Religionsfreiheit zu sprechen.886 Während in der Weimarer Reichsverfassung der Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit noch als Art. 135 systematisch Bestandteil der Vorschriften über „Religion und Religionsgesellschaften“ (Art. 135 bis 141) war, wird die Herauslösung der Glaubensgarantie aus ihrem religionsgesellschaftlichen Umfeld als Klarstellung verstanden, dass die Inanspruchnahme des Freiheitsrechts unabhängig von der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft und insbesondere auch unabhängig von deren Glaubensvorstellungen ist.887 Es geht letztlich darum, ob der Einzelne eine Wahrheitsüberzeugung und Handlungsanleitung einer Welt-, Lebens-, Sinn- und Werteordnung für sich als verpflichtend annimmt. Es muss für ihn damit auf die „Sinndeutung der Welt im Ganzen“ ankommen.888 Dies erlangt in Fällen Bedeutung, in denen sich ein Einzelner bei der Errichtung von Vorhaben im Außenbereich auf glaubens- oder religiös geleitete Motive beruft, deren Bezug auf die Glaubensfreiheit auf den ersten Blick nur schwer zu erkennen ist. Die Auslegung des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG muss sich freilich grundsätzlich offen halten für neu aufkeimende religiöse oder weltanschauliche Strömungen.889 Der Schutzbereich darf damit nicht auf das Bild der historisch, kulturell und gesellschaftlich in Deutschland verwurzelten christlichen Konfessionen begrenzt werden.890 Es sind allerdings Fälle denkbar, in denen sich ein Privater auf die Glaubensfreiheit beruft, weil er beispielsweise eine kleine Kapelle zur Andacht an einen schwerkranken Familienangehörigen auf seinem Anwesen im Außenbereich errichten möchte. Die Errichtung einer Kapelle im Außenbereich und die Andacht dürften dann unter den Schutzbereich der Glaubensfreiheit zu subsumieren sein. Solche Fälle werden in der Praxis nur schwer von den Konstellationen zu unterscheiden sein, in denen sich ein Privater auf den „Deckmantel“ der Glaubensfreiheit beruft, 885

Hufen, § 22, Rn. 6. Das Grundrecht der Glaubensfreiheit stellt damit ebenso wie die anderen Grundrechte ein in erster Linie individuelles Recht dar, vgl. Borowski, S. 403; a. A. Gaudernack, S. 66, die explizit im Zusammenhang mit der Betätigung muslimischer Personen und Organisationen den Begriff der Religionsfreiheit verwendet. 887 Steiner, JuS 1982, 157 (157). 888 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 14. 889 Vor dem Hintergrund eines Menschenbildes, „das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstständigkeit und Eigenverantwortung geprägt ist“, gebietet das Grundgesetz „Offenheit gegenüber dem Pluralismus weltanschaulich-religiöser Anschauungen“. Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes gewährt nach den Ausführungen des BVerfG in dieser Offenheit seine religöse und weltanschauliche Neutralität, BVerfGE 41, 29 (50); ebs. BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 15; HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 93. 890 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 16; Gaudernack, S. 66 ff.; HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 93. 886

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

367

um seine tatsächlich beabsichtigten Motive zu verbergen. Die Glaubensfreiheit darf nämlich nicht als „Blankoargument“ herangezogen werden, um in Wirklichkeit andere Zwecke zu verfolgen. Dies dürfte regelmäßig dann vorliegen, wenn sich jemand nachträglich auf die Glaubensfreiheit beruft und sein ursprünglich als „Schwarzbau“ errichtetes Vorhaben nachträglich zu einer Kapelle umbaut.891 Ebenso liegen die Dinge, wenn eine Kapelle unter dem Vorwand der Erinnerung an die Neugründung eines Pfarrverbandes errichtet werden soll und es dem Bauherrn in Wahrheit nur um die Verhinderung einer Autobahn geht.892 Es steht außer Zweifel, dass diese Zweckbestimmung auch auf andere Weise als durch die Errichtung einer Kapelle im Außenbereich verwirklicht werden kann.893 Es wird regelmäßig die Aufgabe der Verwaltung und der Gerichte sein, ein Verhalten unter Berücksichtigung des vorgetragenen Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers unter den Schutzbereich der Glaubensfreiheit zu subsumieren.894 Das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers kann allerdings nicht alleiniger Maßstab der Bewertung sein, ob ein Verhalten der nur schwer bzw. gar nicht einschränkbaren Glaubensfreiheit unterfällt oder ansonsten der leicht einschränkbaren allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Ein Einzelner könnte ansonsten jedes beliebige Verhalten mit der im Allgemeinen nur schwer nachweisbaren Behauptung, es handle sich um seine Glaubensausübung, unter den Schutz der Glaubensfreiheit fallen lassen.895 Daher ist eine Konnexität zwischen religiöser Überzeugung und dem entsprechenden Handeln des Grundrechtsträgers zu fordern, da der Staat seine Rechtsordnung nicht zur Disposition einzelner womöglich unkontrollierbarer Glaubensgemeinschaften ausliefern lassen kann.896 Die tatsächlichen Begleitumstände sind richtigerweise auch bei Bauvorhaben im Außenbereich und bei der konkreten Ausgestaltung des Vorhabens mit zu berücksichtigen. Es muss sich bei dem Vorhaben seinem geistigen Gehalt und seinem äußeren Erscheinungsbild nach um 891 Zeitungsartikel im Merkur vom 26. 09. 2017, Landkreis Miesbach, „Verrückt: Warngauer baut diese illegale Kapelle mitten in den Wald“, www.merkur.de/lokales/region-holzkirchen/ warngau-ort66932/verrueckt-warngauer-baut-illegale-kapelle-mitten-in-wald-8716883.amp.html, zuletzt abgerufen am 19. 06. 2019. 892 BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. 893 VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. 894 BVerfG, Beschl. v.  16. 10. 1968  – 1 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236 (247 f.); BVerfG, Beschl. v.  24. 09. 2003  – 2 BvR 1436/02 = BVerfGE 108, 282 (298 f.); BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 2015 – 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 = NJW 2015, 1359, Rn. 86; BerlinerKommGG / Muckel, Art. 4; Hufen, § 22, Rn.  6; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 10; Muckel / Tillmanns, S. 234; Sachs / Kokott, Art. 4, Rn. 19. 895 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 18.1; HdB-StaatsR / von Campenhausen, Art. 4, Rn. 94; Hufen, § 22, Rn.  6; M / D/Herzog, Art. 4, Rn. 17, 105; Sachs / Kokott, Art. 4, Rn. 18. 896 BVerfGE 34, 165 (195); 50, 256 (262); Bock, S. 136; Classen, Rn. 85; Gaudernack, S. 79, 111 f.; HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 94; ausführlich zu einem verfassungsrechtlichen Definitionsverbot im Zusammenhang mit der Glaubensfreiheit Bock, S. 172 ff.

368

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

eine bauliche Anlage zum Zwecke der Glaubensausübung handeln.897 Es dürfen außerdem keine Zweifel an der religiösen Motivation der Bautätigkeit bestehen.898 Die Notwendigkeit der Errichtung eines glaubensmotivierten Vorhabens an einem konkreten Standort im Außenbereich muss sich daher plausibel aus einer religiösen Überzeugung ableiten lassen.899 Das BVerfG hat jüngst in einem Fall, in dem eine Glaubensgemeinschaft eine Begräbnisstätte für Gemeindepriester in einer Krypta unter einer Kirche in einem Industriegebiet errichten wollte, herausgestellt, dass die Frage, welchen Grad an Bedeutung eine Glaubensgemeinschaft einer Glaubensregel zumesse, eine genuin religiöse sei, die als solche der selbstständigen Beurteilung durch die staatlichen Gerichte entzogen sei. Es sei in Fragen des religiösen Selbstverständnisses allenfalls nur eine Plausibilitätskontrolle zulässig.900 Im Zusammenhang mit der Kunstfreiheit wurde ausgeführt, dass staatliche Organe nicht vorgeben dürfen, was Kunst ist. Gleiches gilt auch für die Glaubensfreiheit. Die objektive Dimension der Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit setzt nämlich die religiöse und weltanschauliche Neutralität staatlichen Handelns voraus.901 Es wird insbesondere dem Selbstverständnis des jeweiligen Grundrechtsträgers nicht gerecht, dass die Berufung auf die Glaubensfreiheit davon abhängig gemacht wird, ob eine bestimmte glaubensgeleitete Überzeugung von einer staatlich anerkannten Kirche gebilligt oder auch so vertreten wird.902 Denn inhaltliche Vorgaben und die Bewertung von Glauben, Religion und dessen Ausübung sind dem religiös neutralen Staat in jedem Einzelfalle untersagt.903 Der Begriff der Glaubensausübung im Sinne des Art. 4 Abs. 2 GG ist außerdem offen für in Deutschland neu aufkommende Formen religiös motivierten Verhaltens.904 Es ist weiterhin kein konkreter Umfang an Komplexität von den vom Grundrechtsträger vorgetragenen Glaubensinhalten zu fordern.905 Ausreichend ist, dass zum Nachweis der Existenz einer zwingenden Glaubensregel substantiiert und nachvollziehbar dargelegt wird, 897 BVerfG, Beschl. v.  05. 02. 1991  – 2 BvR 263/86 = BVerfGE 83, 341 (353); BeckOKGG / Germann, Art. 4, Rn. 18.1; Hufen, § 22, Rn. 7; Sachs / Kokott, Art. 4, Rn. 19. 898 Gaudernack, S. 96. 899 BVerwG, Urt. v. 14. 11. 1980 – 8 C 12.79 = BVerwGE 61, 152 (159 f.); Gaudernack, S. 79 f.; HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 94. 900 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1808). 901 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 79; HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 55, 79; HdBStaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn.  93; L / J/R, S.  37; M / D/Herzog, Art. 4, Rn. 19, 71; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 9; Muckel / Tillmanns, S. 235. 902 HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 55; Hufen, § 22, Rn. 8; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1552); a. A. Fischer / Groß, DÖV 2003, 932 (938 f.); zur Frage, inwieweit auf die Ermittlung der subjektiven Überzeugungen des Einzelnen verzichtet werden kann, wenn er – wie ganz regelmäßig – einer religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft angehört, vgl. hierzu Borowski, S. 403 ff. 903 HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 79; HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 93. 904 BerlinerKomm-GG / Muckel, Art. 4, Rn. 32; BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 100; H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56; Muckel / Tillmanns, S. 246. 905 HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 55.

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

369

dass die in Rede stehende Verhaltensweise nach gemeinsamer Glaubensüberzeugung als verpflichtend angesehen wird.906 Der Schutz religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen ist ebenfalls unabhängig von der Zahlenstärke ihrer Anhänger und ihrer sozialen Relevanz.907 Nach alledem ist der Begründung des OVG RhPf908 entschieden entgegenzutreten, soweit das OVG die Beurteilung einer bestimmten religiösen Überzeugung – im konkreten Fall Marienerscheinungen und ein daraus resultierender überirdischer Bauauftrag – davon abhängig machte, ob die katholische Kirche dem Ereignis ihre Anerkennung zubilligt oder verweigert. Die Missbilligung eines sakralen Ereignisses durch eine anerkannte Glaubensgemeinschaft darf verfassungsrechtlich nicht zu einer Versagung der Berufung auf die Glaubensfreiheit führen, nur weil regelmäßig für die Beantwortung der Frage, was Glaube ist und was materiell zur freien Glaubensausübung gehört sowie zur Auslegung staatlicher Vorschriften die Ansichten und das Selbstverständnis einer verbreiteten Kirche oder einer anderen bekannten Religionsgemeinschaft zugrunde gelegt werden.909 Das BVerfG wies darauf hin, dass die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft nicht dazu führen dürfe, die Glaubensfreiheit auf von der Religionsgemeinschaft statuierte oder für verbindlich erklärte Lehren zu verengen. Auch der von einer herrschenden Lehre Abweichende genieße den Schutz der Glaubensfreiheit.910 Ein Abweichen von der Glaubensüberzeugung einer öffentlich-rechtlich verfassten Glaubensgemeinschaft kann daher nicht primär zur Versagung der Berufung anderer Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaften auf die Glaubensfreiheit herangezogen werden. Behörden dürfen sich vor allem auch nicht in religiöse Meinungsverschiedenheiten einmischen, soweit unterschiedliche Lehren zur „wahren“ Glaubensausübung innerhalb einer Religion bestehen, die die Mitglieder der jeweiligen Glaubensgemeinschaften jeweils für sich als verbindlich erachten.911 Die Wertungsfrage, ob die Errichtung eines sakralen Bauwerks im Außenbereich noch unter den Schutzbereich der Glaubensfreiheit fällt, dürfte maßgeblich von einer Konsistenzprüfung zu beantworten sein. Eine Berufung auf die Glaubensfreiheit ist nur möglich, wenn sich der Grundrechtsträger nicht zu seinem sonstigen Verhalten in Widerspruch setzt. Es handelt sich letztlich um eine Plausibilitätsprü 906 BVerfG, Beschl. v. 15. 01. 2002 – 1 BvR 1783/99 = BVerfGE 104, 337 (354 f.); BVerfG, Beschl. v.  09. 05. 2016  – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1808); BVerwG, Urt. v. 25. 08. 1993 – 6 C 8.91 = BVerwGE 94, 82 (87 f.). 907 BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1971 – 1 BvR 387/65 = BVerfGE 32, 98 (106). 908 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). 909 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236 (247); BerlinerKommGG / Muckel, Art. 4, Rn. 32; Hufen, § 22, Rn.  9; M / D/Herzog, Art. 4, Rn. 102. 910 BVerfG, Beschl. v. 11. 04. 1972 – 2 BvR 75/71 = BVerfGE 33, 23 (28 f.); BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 2015 – 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 = BVerfGE 138, 296 Rn. 89 f.; BVerwG, Urt. v. 25. 08. 1993 – 6 C 8/91 = BVerwGE 94, 82 (87); BerlinerKomm-GG / Muckel, Art. 4, Rn. 32; Hufen, § 22, Rn. 8; Muckel / Tillmanns, S. 247. 911 HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 95, Fn. 230.

370

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

fung, ob der Vortrag desjenigen, der sich auf die Glaubensfreiheit beruft, nicht auf sachfremden Erwägungen beruht.912 Das BVerfG führte in der Bahá’i-Entscheidung aus, dass sich das vom Grundrechtsträger behauptete Selbstverständnis einer religiösen Überzeugung auch auf sonstige objektive Kriterien stützen lassen müsse, sodass es sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild um einen Glauben und eine Glaubensgemeinschaft handeln müsse.913 Diese Grundsätze sind vor dem Hintergrund eines nur wirtschaftlichen Interesses des Grundrechtsträgers entwickelt worden, infolgedessen sich derjenige nicht auf die Glaubensfreiheit berufen kann, bei dem das wirtschaftliche Interesse zum Selbstzweck wird.914 Die hierzu entwickelten Grundsätze sind jedenfalls auch auf das Vorbringen von Bauherren zu übertragen, die im Außenbereich eine Kultstätte errichten wollen. Es ist verfassungsrechtlich nicht haltbar, die Berufung auf die Glaubensausübungsfreiheit mit der Begründung abzulehnen, dass eine Glaubensüberzeugung bei objektiver Betrachtung nicht nachweisbar sei und dabei gleichzeitig auf die Durchführung einer Konsistenzprüfung verzichtet wird, ohne die maßgeblichen tatsächlichen Umstände ermittelt und bewertet zu haben. Das OVG RhPf915 verneinte mit dieser Begründung die Eröffnung des Schutzbereichs der Glaubensfreiheit. Die religiöse Überzeugung von Marienerscheinungen und einem daraus folgenden Kapellenbaugebot ließ sich hingegen tatsächlich damit begründen, dass eine Marienstatue in der geplanten Kapelle errichtet werden sollte, was für eine gewisse Plausibilität des Vorhabens spricht. Der bloße Hinweis, dass auch andere Personen zur Rechtfertigung ihrer Außenbereichsvorhaben entsprechende Verpflichtungen religiöser oder weltanschaulicher Art heranziehen könnten, kann dabei keine Rolle spielen. Denn in erster Linie ist das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers heranzuziehen, das anhand von sonstigen objektiven Umständen des jeweiligen Einzelfalles untermauert wird. 2. Personeller Schutzbereich der Glaubensfreiheit Insbesondere im Bauplanungsrecht muss vor dem Hintergrund der herausragenden Bedeutung des Gebots der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs zwischen Bauvorhaben öffentlich-rechtlich anerkannter Kirchen, loser Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaften und Privater unterschieden werden, bei denen baurechtsspezifisch jeweils andere Anforderungen für die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhabens im Außenbereich gelten.

912

BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 24.3; Gaudernack, S. 79; HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 54, 78; Sachs / Kokott, Art. 4, Rn. 19. 913 BVerfG, Beschl. v. 05. 02. 1991 – 2 BvR 263/86 = BVerfGE 83, 341 (353). 914 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 25, 25.3. 915 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305).

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

371

Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) die Grundrechtsgewährleistung beinhaltet, glaubens- oder weltanschaulich geleitete Überzeugungen sowohl einzeln als auch in der Gemeinschaft mit anderen zu haben und zu betätigen. Hierbei unterscheidet man zwischen der individuellen und kollektiven Glaubensfreiheit.916 Relevant ist insbesondere die Frage, ob Personengemeinschaften als solche Träger der Freiheitsrechte des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG sein können.917 Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG berechtigt Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaften selbst mit der korporativen Glaubensfreiheit. Dies ist besonderer Ausdruck des in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV statuierten Selbstbestimmungsrechts der Glaubensgemeinschaften.918 a) Individuelle Glaubensfreiheit Jeder Mensch ist grundsätzlich Träger der Glaubensfreiheit.919 Der einzelne Gläubige kann sich als Bauherr auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit berufen, wenn er ein Vorhaben zur religiösen Nutzung errichten möchte.920 Die Erteilung der Baugenehmigung wird dennoch in der Praxis natürlichen Personen als Bauherren sakraler Vorhaben im Außenbereich regelmäßig verweigert. Denn die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhabens im Außenbereich wird regelmäßig unter Heranziehung des § 35 Abs. 2 BauGB nicht genehmigungsfähig sein. So werden regelmäßig öffentliche Belange entgegenstehen. Ein Privater hat daher keinen Rechtsanspruch auf die Errichtung einer Kapelle oder eines sonstigen Sakralbaus im Außenbereich; etwas anderes kann im Einzelfall nur bei Landwirten angenommen werden, die unter den Voraussetzungen der Hofnähe, geringen Größe der Kapelle und den Vorgaben des § 35 Abs. 2 BauGB diese unter Umständen auf ihrem Hof errichten können. In den nachfolgenden Ausführungen921 über die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in die Glaubensfreiheit wird sich zeigen, dass die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) eine verfassungsimmanente Schranke in Art. 20a GG findet, soweit man die Entscheidung „Arno-Breker“ des BVerwG auf Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG überträgt. Auch eine großzügige Auslegung der Vorschrift des § 35 Abs. 2 BauGB zugunsten eines Privaten kommt nicht in Betracht. Denn Grund und Boden weisen über Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einen stärkeren Allgemein 916

BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 22. HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 65. 918 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 22. 919 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1968 – 2 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236 (245 f.); BeckOKGG / Germann, Art. 4, Rn. 26; Bock, S. 135; Borowski, S. 361; Gaudernack, S.  112; J / P/Jarass, Art.  4, Rn.  18; M / D/Herzog, Art. 4, Rn. 33. 920 Gaudernack, S. 112. 921 Siehe unten Abschnitt C. III. 4. c). 917

372

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

bezug auf und rechtfertigen es, dass sich Private im Außenbereich grundsätzlich nicht unter Berufung auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit über einfachrechtliche Bauvorschriften hinwegsetzen können. Auch in der Baunutzungsverordnung sind Anlagen für religiöse Zwecke nur in bestimmten Gebietskategorien und dort teilweise – wie in §§ 3 und 8 BauNVO – auch nur ausnahmsweise zugelassen. Dies zeigt, dass die Glaubensfreiheit im Baurecht nicht schrankenlos gewährleistet wird. Die Vorschrift des § 1 Abs. 6 Nr. 6 BauGB unterstreicht ebenso das Ergebnis, dass die Glaubensausübung des Einzelnen in baulicher Hinsicht nicht uneingeschränkt gewährleistet wird.922 So spricht die Vorschrift für die Bauleitplanung nur davon, dass insbesondere die von den Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts festgestellten Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge bei der Aufstellung von Bauleitplänen zu berücksichtigen sind. b) Korporative Glaubensfreiheit Inländische juristische Personen können sich auch auf die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit in allen ihren Formen gemeinschaftlicher Glaubensausübung berufen. Aus den Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 19 Abs. 3 GG ergibt sich die korporative Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit.923 Denn eine überindividuelle Dimension der Gemeinschaft im Glauben, Bekennen und Handeln ist immer einem Glauben oder einer Weltanschauung immanent.924 Die korporative Glaubens- und Gewissensfreiheit ließe sich aus diesem Gedanken bereits ohne Rückgriff auf Art. 19 Abs. 3 GG rechtfertigen.925 Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG soll den einzelnen Grundrechtsträger gerade auch das gemeinschaftliche Handeln ermöglichen. Das BVerfG bezieht die Kultusfreiheit gem. Art. 4 Abs. 2 GG auf die Eigenständigkeit und Selbstständigkeit aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.926 Die in Art. 19 Abs. 3 GG festgeschriebene Bindung der Grundrechtssubjektivität von Vereinigungen darf allerdings nicht durch einen unmittelbaren Rückgriff auf Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG überspielt werden.927 Der Begriff der „juristischen Person“ im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG besitzt einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Gehalt. Er steht unabhängig von einer 922

VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. BVerfGE 19, 129 (132); 24, 236 (246 f.); 42, 312 (323); 53, 366 (386 ff.); 57, 220 (240 f.); 61, 82 (102); 70, 138 (161); 83, 341 (353 ff.); BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 29; Borowski, S. 371; Brümmer, S. 57, 61; HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn.  65; M / D/Herzog, Art. 4, Rn. 36; das BVerfG greift dabei nicht ausdrücklich auf Art. 19 Abs. 3 GG zurück, sondern gewinnt dieses Ergebnis bereits aus der Interpretation des Art. 4 Abs. 1, 2 GG allein, vgl. BVerfGE 24, 236 (245 f.). 924 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 29; Brümmer, S. 61; Classen, Rn. 233 ff.; Gaudernack, S.  114; M / D/Herzog, Art. 4, Rn. 36. 925 Im Ergebnis so auch Borowski, S. 371 f.; a. A. Gaudernack, S. 113. 926 Bock, S. 134. 927 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 29; HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 65. 923

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

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zivilrechtlichen Rechtsform und setzt voraus, dass eine zu einer tatsächlichen gemeinsamen Willensbildung und Grundrechtsausübung fähige, nicht notwendig rechtsfähige Organisation vorliegt.928 Die Rechtsform der Vereinigung spielt für den Grundrechtsschutz keine Rolle.929 Die Glaubensausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) ist auch ihrem Wesen nach auf Glaubensgemeinschaften anwendbar, Art. 19 Abs. 3 GG; so können Glaubensgemeinschaften durch ihre Organe und Mitglieder religiöse Handlungen vornehmen,930 worunter auch die Errichtung von Kirchen und sonstigen Gotteshäusern fällt. Insbesondere öffentlich-rechtlich verfasste Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften fallen hierunter, Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV.931 Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV bringt zum Ausdruck, dass die Ausübung des Art. 4 GG zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen gehört und dass Art. 4 GG daher seinem Wesen nach auch auf sie anzuwenden ist.932 Die Belange von Glaubensgemeinschaften sind andererseits auch bei der Ermittlung öffentlicher Belange in der Bauleitplanung gem. § 1 Abs. 6 BauGB zu berücksichtigen, die nicht den Status einer öffentlichrechtlichen Körperschaft haben.933 Auch diese können sich auf ihre Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) berufen, die bei der Anwendung und Auslegung baurechtlicher Vorschriften zu berücksichtigen ist – sodass der Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft für das Baurecht grundsätzlich unerheblich ist.934 Nur die Kirchen mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts können ihre Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge in der Bauleitplanung selber festlegen, § 1 Abs. 6 Nr. 6 BauGB.935 Das BVerfG936 arbeitete in der Entscheidung „Aktion Rumpelkammer“ heraus, dass das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG nicht nur Kirchen, Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften zusteht, sondern auch Vereinigungen, die sich nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen oder weltanschaulichen Lebens verschrieben haben. Das BVerfG stellte in dieser Entscheidung, in der eine Vereinigung katholischer Landjugend im gesamten Bundesgebiet 928 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 31; Borowski, S. 372; Classen, Rn. 247; Gaudernack, S. 114; HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 65. 929 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1968, 1 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236 (247); BVerfG, Beschl. v. 13. 10. 1998 – 2 BvR 1275/96 = BVerfGE 99, 100 (118); BVerfG, Beschl. v. 19. 12. 2000 – 2 BvR 1500/97 = BVerfGE 102, 370 (383); Gaudernack, S. 114. 930 HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 65. 931 BVerfG, Beschl. v. 28. 04. 1965 – 1 BvR 346/61 = BVerfGE 19, 1 (5); BVerfG, Beschl. v. 02. 05. 1967 – 1 BvR 578/63 = BVerfGE 21, 362 (374); BVerfG, Beschl. v. 21. 09. 1976 – 2 BvR 350/75 = BVerfGE 42, 312 (321 f.); BVerfG, Beschl. v. 11. 10. 1977 – 2 BvR 209/76 = BVerfGE 46, 73 (83); BVerfG, Beschl. v. 17. 02. 1981 – 2 BvR 384/78 = BVerfGE 57, 220 (240 f.); BVerfG, Beschl. v.  04. 06. 1985  – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 = BVerfGE 70, 138 (160 f.); Borowski, S. 372; Classen, Rn. 251; Gaudernack, S. 114. 932 M / D/Herzog, Art. 4, Rn. 40. 933 BayVGH, Beschl. v. 29. 08. 1996 – 26 N 95.2983 = NVwZ 1997, 1016 (1017 f.). 934 Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 60. 935 BayVGH, Beschl. v. 29. 08. 1996 – 26 N 95.2983 = NVwZ 1997, 1016 (1017 f.). 936 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1968, 1 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236.

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

gebrauchte Kleider, Lumpen und Altpapier sammelte und verkaufte, um den Erlös anschließend der Landjugend in unterentwickelten Ländern zukommen zu lassen, die Kriterien dar, anhand derer die „juristische Person“ mit eigenständigem verfassungsrechtlichen Gehalt näher präzisiert werden kann. Denn soweit der Beschluss des BVerfG nur auf die partielle Pflege des religiösen Lebens der Mitglieder einer Vereinigung abstellt, dann muss dies erst recht für das umfassende religiöse Leben bzw. für die umfassende Glaubensausübung gelten. Demnach können sich einerseits organisatorisch oder institutionell mit Kirchen verbundene Vereinigungen auf die Glaubensfreiheit berufen. Andererseits gilt dies auch für andere selbstständige oder unselbstständige Vereinigungen, wenn und soweit ihr Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder die Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder zum Gegenstand hat.937 Es ist auf das Ausmaß der institutionellen Verbindung mit einer Religionsgemeinschaft oder auf die Art der mit der Vereinigung verfolgten Ziele als Beurteilungskriterium für das Vorliegen einer solchen Vereinigung abzustellen. Die genannten Vereinigungen, Kirchen und sonstigen Glaubensgemeinschaften besitzen allerdings ebenso wie Private und lose Personenvereinigungen keinen Rechtsanspruch auf die Errichtung einer Kultusstätte im Außenbereich;938 da jedoch die Belange sowohl öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften (§ 1 Abs. 6 Nr. 6 BauGB) als auch die Belange solcher Religionsgemeinschaften ohne Körperschaftsstatus in der Bauleitplanung zu berücksichtigen sind,939 dürfte bei der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Außenbereichsvorhabens eine wohlwollende verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen baurechtlichen Vorschriften zugunsten der Religionsgemeinschaften angezeigt sein. 3. Eingriff in die Glaubensfreiheit Die Glaubensfreiheit soll vor Eingriffen in die beschriebenen Schutzbereiche schützen. Eingriffe sind dabei solche Einwirkungen, die eines der vom Schutzbereich erfassten Interessen beeinträchtigen und der öffentlichen Gewalt zuzurechnen sind.940 Darunter fällt auch die – nicht nur – rechtswidrige Versagung einer Baugenehmigung, wenn es darum geht, die baulichen Voraussetzungen zur Glaubensausübung erst zu schaffen.941 Es handelt sich nämlich bei der Versagung um ein 937

BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1968, 1 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236 (236 f.); ausführlich zur Streitfrage, inwieweit sich Personenzusammenschlüsse auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit berufen können, wenn sie nicht die umfassende Glaubensausübung, sondern sich nur einen Teilbereich zum Ziel gesetzt haben, siehe Gaudernack, S. 115 f. 938 Gaudernack, S. 117. 939 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2011 – 4 C 10.09 = NVwZ 2011, 748 (750); BayVGH, Beschl. v. 29. 08. 1996 – 26 N 95.2983 = NVwZ 1997, 1016 (1017 f.). 940 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 36. 941 Beckmann / Hoppe, DVBl. 1992, 188 (190); Gaudernack, S. 117; Troidl, BauR 2012, 183 (190).

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

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Verbot, ein durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschütztes Verhalten auszuüben.942 Das Erfordernis einer Baugenehmigung stellt außerdem bereits einen Eingriff in den Schutzbereich aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG dar.943 Um beurteilen zu können, ob eine Baugenehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhabens rechtswidrig versagt wurde, insbesondere, ob die Bedeutung des Grundrechts auf Glaubensfreiheit von den staatlichen Behörden verkannt wurde, ist – ebenso wie bei der Zurechnung einer religiösen Handlung zum Schutzbereich der Glaubensfreiheit – das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers hinreichend zu berücksichtigen.944 Das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers muss sich allerdings wiederum einer Plausibilitäts- und Konsistenzprüfung unterziehen lassen.945 Ein mittelbarer Eingriff in die Glaubensfreiheit liegt vor, wenn sich dieser nicht unmittelbar gegen die Glaubensgemeinschaft oder einen Gläubigen richtet, sich aber gleichermaßen einschränkend auf die Glaubensfreiheit auswirkt. Dabei ist an Fälle zu denken, in denen eine Baugenehmigung oder immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines störenden Gewerbebetriebs erteilt wird, der den Gottesdienstbetrieb bzw. das religiöse Leben einer kirchlichen Anlage erheblich stört.946 4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Wie bereits weiter oben947 zur Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) dargestellt wurde, stellt das Bauplanungsrecht mit seinen öffentlichen Belangen für die Zulässigkeitsprüfung von Außenbereichsvorhaben – insbesondere der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) – einen Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger dar, soweit ihre Baufreiheit unter Berufung auf die genannten Belange verweigert wird. Es stellt sich im Kern wieder wie bei der Kunstfreiheit die Frage, ob sich die genannten öffentlichen Belange auf Grundrechte Dritter oder Gemeinschaftsgüter von Rang zurückführen lassen können. Ein Unterschied zum Grundrecht der Kunstfreiheit ergibt sich allerdings in Hinblick auf die verfassungsrechtliche Einschränkbarkeit der Glaubensfreiheit: Bleiben nämlich die allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten tatsächlich von der Ausübung der Glaubensfreiheit unberührt (Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV), dann stellen bauordnungs- und 942

M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 81. Gaudernack, S. 118. 944 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 40. 945 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 40. 946 Hufen, § 22, Rn. 24. 947 Siehe oben Kapitel C. I. 4. 943

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

bauplanungsrechtliche Vorschriften Beschränkungen der Glaubensausübungsfreiheit dar. Insofern könnten sowohl eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft als auch eine Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) der Errichtung einer Kultusstätte oder einem sonstigen weltanschaulich motivierten Bauvorhaben entgegen gehalten werden und zwar unabhängig davon, ob beide Belange öffentliche Interessen verfolgen, die Verfassungsrang besitzen. a) Schranken der Glaubensfreiheit Zunächst ist der Frage nachzugehen, ob die Glaubensfreiheit überhaupt eingeschränkt werden kann, denn Art. 4 GG stellt die Glaubensfreiheit nicht unter einen Gesetzesvorbehalt.948 Die verfassungsrechtliche Normierung einer Schranke war bereits im Parlamentarischen Rat umstritten, da die Befürchtung bestand, dass durch einen Schrankenvorbehalt der Grundrechtsschutz völlig ausgehöhlt werden könnte. Auf die Normierung eines Schrankenvorbehalts wurde im Ergebnis verzichtet. Es bestand allerdings Einigkeit, dass die Anwendung bau- oder seuchenpolizeilicher Vorschriften nicht ausgeschlossen sein sollte.949 aa) Vorbehaltlosigkeit der Glaubensfreiheit Andere Gesetzesvorbehalte können aufgrund des verfassungsrechtlichen Prinzips der Schrankenspezialität nicht auf die Glaubensfreiheit übertragen werden.950 Es ist heute insbesondere unbestritten, dass der einfache Gesetzesvorbehalt der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG oder der qualifizierte Gesetzesvorbehalt der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 2 GG auf Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG nicht anwendbar sind.951 Eine Leihe der Schranken von Art. 2 Abs. 1 GG scheidet insbesondere deswegen aus, weil die Auslegung der Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung“ zu einer weiten Beschränkbarkeit der wiederum selbst weit gefassten allgemeinen Handlungsfreiheit führt. Dieses weite Verständnis der 948

AK-GG / Preuß, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 28; BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 47; Borowski, S. 482; Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 130; Gaudernack, S.  120; M / K/Mager, Art. 4, Rn. 35; die gesellschaftliche Notwendigkeit einer Einschränkbarkeit auch vorbehaltloser Grundrechte betonend Bettermann, S. 7 f. 949 M / K/Mager, Art. 4, Rn. 35. 950 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 47; Dolderer, BauR 1999, 691 (694); Gaudernack, S. 138 ff.; HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn.  108; M / K/Mager, Art. 4, Rn. 35. 951 BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1971 – 1 BvR 387/65 = BVerfGE 32, 98 (107); BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1979 – 1 BvR 647/70, 1 BvR 7/74 = BVerfGE 52, 223 (246); AK-GG / Preuß, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 28; BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 47 f.; Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 123; HdBStaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn.  108; M / K/Mager, Art.  4, Rn.  35; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 85 f.; Sachs / Kokott, Art. 4, Rn. 135; ausführlich zu dieser aus den 1950er Jahren stammenden klassischen Lehre der Schrankenübertragung Borowski, S. 483 ff.

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

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allgemeinen Handlungsfreiheit lässt sich nicht schlechterdings auf Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG übertragen.952 Wenn man eine Analogie der Glaubensfreiheit zur allgemeinen Handlungsfreiheit deswegen als gegeben ansieht, weil es sich bei der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) um eine Handlungsfreiheit im engeren Sinne handle,953 sodass eine Übertragung der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht komme, dann könnte das Baurecht die Glaubensfreiheit als Bestandteil der „verfassungsmäßigen Ordnung“ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG einschränken und es bedürfte an dieser Stelle keiner weitergehenden Betrachtung mehr.954 Die Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG sahen allerdings seit jeher in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG ein schrankenloses Grundrecht.955 Obwohl über Art. 140 GG die Art. 136–139 und Art. 141 WRV in das Grundgesetz inkorporiert seien,956 folge aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV noch kein einfacher Gesetzesvorbehalt des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG dahingehend, dass die Ausübung der Glaubensfreiheit unter dem Vorbehalt der „bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten“ stünde.957 bb) Schrankenbestimmung in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 GG? Die Befürworter958 einer Schrankenbestimmung in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 GG sehen vor allem im Wortlaut der „bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ eine allgemeine Gesetzesbefolgungspflicht,959 sodass mit 952

M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 85. M / D/Herzog, Art.  4, Rn.  114; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 85 mit Verweis auf die 2. Auflage. 954 Die Anwendung der Schrankentrias aus Art. 2 Abs. 1 GG in Bezug auf das Verhältnis von Kirchenbau und Baurecht bejahend Brümmer, S. 80 f., 170. 955 BVerfG, Beschl. v. 11. 04. 1972 – 2 BvR 75/71 = BVerfGE 33, 23 (30 f.); BVerfG, Beschl. v. 19. 12. 2000 – 2 BvR 1500/97 = BVerfGE 102, 370 (387); BVerfG, Beschl. v. 24. 09. 2003 – 2 BvR 1436/02 = BVerfGE 108, 282 (297, 311); BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 2015 – 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 = NJW 2015, 1359, Rn. 98; BVerwG, Urt. v. 21. 12. 2000 – 3 C 20.00 = BVerwGE 112, 314 (318); BVerwG, Urt. v. 04. 07. 2002 – 2 C 21.01 = BVerwGE 116, 359 (360); BVerwG, Urt. v. 24. 06. 2004 – 2 C 45.03 = BVerwGE 121, 140 (148); auf der anderen Seite hat das BVerfG aber im „Volkszählungsurteil“ die spezielle Schrankenklausel aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV auf die Bekenntnisfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 GG übertragen, vgl. BVerfGE 65, 1 (39); einer Schrankenübertragung hat sich auch das BVerwG in seiner ersten Entscheidung zum Schächten angeschlossen, BVerwGE 112, 227 (231). 956 BeckOK-GG / Germann, Art.  4, Rn.  47.2 f.; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 87; S / B/ Kästner, Art. 4, Rn. 214. 957 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 47.3; HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 111; S / S/D / Stern, § 118, VII 1.  958 AK-GG / Preuß, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 30; BerlinerKomm-GG / Muckel, Art. 4, Rn. 52 f.; HdBGrundR / Muckel, § 96, Rn.  100; J / P/Jarass, Art. 4, Rn. 32; Lenz, S.  28 ff.; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 88–92; Muckel / Tillmanns, S. 248; Sachs / Kokott, Art.  4, Rn.  132; S / B/Kästner, Art. 4, Rn. 214, 216; Schoch, S. 163; ausdrücklich ablehnend noch BVerfGE 33, 23 (30 f.). 959 BerlinerKomm-GG / Muckel, Art.  4, Rn.  52; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 88; ­Muckel  / ​ Tillmanns, S. 249. 953

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

einem solchen Vorbehalt die materiellen Wirkungen von Akten der Glaubensfreiheit wie das kirchliche Glockengeläut, der lautsprecherverstärkte muslimische Gebetsruf oder die Errichtung sakraler Bauwerke den Anforderungen der allgemeinen Gesetze genügen müssten. Die Landesbauordnungen und das Baugesetzbuch können nach dieser Ansicht zu einer Einschränkung der Glaubensfreiheit führen, da sie nicht speziell die Ausübung der Glaubensfreiheit zum Gegenstand haben und daran besondere Rechte und Pflichten knüpfen.960 Im Übrigen sei nicht einzusehen, warum der in das Grundgesetz inkorporierte Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV, der nicht ohne weiteres auf den Schutz von Verfassungsgütern rückführbar sei, als Schranke der Glaubensfreiheit einhellig anerkannt sei, jedoch Art. 136 Abs. 1 WRV keine Anwendung finde.961 Der Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rates habe zwar die Streichung eines ursprünglich vorgesehenen allgemeinen Gesetzesvorbehalts der Religionsfreiheit beschlossen. Die Ausschussmehrheit sei aber davon ausgegangen, dass die Religionsausübung ohnehin nur „im Rahmen der öffentlichen Ordnung“ gewährleistet werde und den Vorbehalten des Art. 2 Abs. 1 GG unterstehe. Das heutige Verständnis von der Bedeutung eines grundrechtlichen Schrankenvorbehalts habe damit damals noch nicht vorgeherrscht.962 Art. 136 Abs. 1 WRV sei daher nicht nur als einfacher Gesetzesvorbehalt zu lesen, da er vielmehr auch Ausdruck des Grundsatzes staatlicher Neutralität sei. Die Formulierung, nach dem die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden, besage, dass diese Rechte und Pflichten sowohl in ihrer Formulierung wie auch in ihrem Zweck und ihrer Wirkung glaubens- und weltanschauungsneutral sein müssen. Derartige neutrale Rechte und Pflichten beanspruchen dann allerdings Geltung gegenüber „jedermann“. Eine ungerechtfertigte Privilegierung eines anderen gleichartigen glaubens- oder weltanschaulich motivierten Verhaltens werde damit bei der Anwendung im Einzelfall vermieden.963 Das BVerwG964 stellte in einer Entscheidung über das religiöse Schächten von Tieren heraus, dass Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV das Grundrecht der freien Religionsausübung unter den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze stelle, jedoch mit Ausnahme derjenigen Gesetze, die speziell die Ausübung der Religionsfreiheit zum Gegenstand haben und daran besondere Rechte und Pflichten knüpfen. So heißt es in der Entscheidung: „Angesichts des weiten und subjektiv geprägten Schutzbereichs des Grundrechts der Religionsfreiheit geht es nicht an, alle aus einer Glaubensüberzeugung gespeisten Verhaltensweisen generell von der Verpflichtung 960 Gaudernack, S. 136; HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 100; Muckel / Tillmanns, S. 255; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1553). 961 M / K/Mager, Art. 4, Rn. 36. 962 Muckel / Tillmanns, S. 249. 963 M / K/Mager, Art. 4, Rn. 37. 964 BVerwG, Urt. v. 23. 11. 2000 – 3 C 40.99 = BVerwGE 112, 227 (231 f.).

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

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zur Einhaltung der allgemeinen Gesetze freizustellen, soweit nicht ein von der Verfassung selbst geschütztes anderes Rechtsgut in Mitleidenschaft gezogen wird.“ 965 Die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Schranke in Form einer allgemeinen Gesetzesbefolgungspflicht kann darin gesehen werden, dass nicht auszuschließen sei, dass im Bereich Glaube und Weltanschauung neue Entwicklungen und Strömungen entstehen können, die von den bisher üblichen Verhaltens- und Grundwerten der Gesellschaft erheblich abweichen. Es müsse dem Staat unbenommen bleiben, beim Auftreten neuer religiöser Strömungen die Befolgung der geltenden Gesetze einzufordern.966 Die Ansicht, die in den Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV eine Schrankenbestimmung der Glaubensfreiheit sieht, stellt außerdem darauf ab, dass die Fortgeltung von Art. 140 GG verständlich mache, wieso Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG keine Schrankenregelung enthielten. Art. 140 GG behielte als Schrankenregelung auch dann seine Berechtigung, selbst wenn zur Erfüllung des Begriffs der „allgemeinen Gesetze“ auf andere grundgesetzliche Vorschriften zurückgegriffen werden müsse.967 So gelten als „allgemeine Gesetze“ gem. Art. 136 Abs. 1 WRV solche, die sich nicht gegen die geistige Wirkung von Glauben, Bekenntnis und Glaubensausübung als solche richten und damit kein spezifisches Sonderrecht zur Einschränkung der Glaubensfreiheit darstellen.968 Der Begriff des „allgemeinen Gesetzes“ sei damit genauso zu interpretieren wie in Art. 5 Abs. 2 GG und Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV.969 Damit führt die Ansicht, die in Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt der Glaubensfreiheit sehen will, zu einem Gleichlauf mit der Auffassung, die in Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in dem Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes in der gem. Art. 140 GG zur Anwendung kommenden Vorschrift des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV eine Einschränkung der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) für Religionsgemeinschaften zusätzlich zur Beschränkung aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts sieht.970 In eine ähnliche Richtung geht ein Ansatz in der Literatur, nach dem das Konkurrenzproblem der Glaubensfreiheit mit kollidierenden Rechtgütern nicht auf der Ebene der Schranken, sondern bereits auf der Ebene des Schutzbereichs gelöst werden soll. Nach einer engen Auslegung gewährleistet die Glaubensfreiheit nur eine geistige Freiheit als „subjektiv-rechtlich vermittelte kommunikative Freiheit“. 965

BVerwG, Urt. v. 23. 11. 2000 – 3 C 40.99 = BVerwGE 112, 227 (231 f.). M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 88. 967 M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 88. 968 AK-GG / Preuß, Art. 4, Rn. 30; BerlinerKomm-GG / Muckel, Art. 4, Rn. 53. 969 AK-GG / Preuß, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 30; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 91; S / S/D / ​ Stern, § 118, III 3.  970 J / P/Jarass, Art.  4, Rn.  31; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 87–89; ablehnend Borowski, S. 340. 966

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Der Schutzbereich wäre demnach entsprechend eng auszulegen, sodass baurechtliche Vorschriften keine Eingriffe in die Glaubensfreiheit darstellen, da sie den von Art. 4 GG gewährleisteten Schutzbereich nicht berühren würden.971 Die Annahme eines allgemeinen Gesetzesvorbehalts in Art. 136 Abs. 1 WRV bedeutet nach Ansicht des BVerwG aber nicht, dass die Auslegung und Anwendung der Vorschriften der allgemeinen Gesetze eine etwaige Beschränkung des Grundrechts der Religionsfreiheit unberücksichtigt lassen könnten.972 Damit nicht alle auf der Ebene des einfachen Rechts erfassten Interessen über die Schrankenvorschrift des Art. 136 Abs. 1 WRV die Ausübung des Grundrechts auf Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) praktisch unmöglich machen können, ziehen die Befürworter einer Schrankenbestimmung des Art. 136 Abs. 1 WRV den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit heran.973 Es müsse ein Ausgleich der gegenläufigen Positionen im Wege eines schonenden Ausgleichs gefunden werden, wobei der Glaubensfreiheit einerseits kein Vorrang aufgrund ihres Verfassungsrangs eingeräumt werden dürfe, da dem Gesetzgeber beim Erlass von allgemeinen Gesetzen ein weiter Handlungsspielraum zustehe. Die allgemeinen Gesetze wie das Baurecht müssten andererseits auch als Schrankennormen den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, was eine Güterabwägung zwischen der Selbstbestimmung der Glaubensgemeinschaft und dem begrenzenden allgemeinen Gesetz erforderlich mache.974 Dies laufe auf eine Wechselwirkung zwischen Schrankeninterpretation und Grundrecht hinaus, die das BVerfG zu Art. 5 Abs. 2 GG entwickelt hat.975 Verfassungsdogmatische Bedenken sprechen allerdings gegen die Annahme eines allgemeinen Gesetzesvorbehalts der Glaubensfreiheit (Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 GG).976 So wird seitens der Gegenmeinung in der Literatur mit überzeugenden Argumenten angeführt, dass Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG in die Schrankensystematik der Art. 2 bis Art. 19 GG eingebettet ist. Während das Grundgesetz einerseits vorbehaltlose Grundrechte kennt, ist einem Grundrecht mit Gesetzesvorbehalt andererseits regelmäßig gesetzestechnisch die jeweilige Schrankenbestimmung innerhalb seines Grundrechtsartikels unmittelbar nachgeordnet.977 Der Verfassungs 971

AK-GG / Preuß, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 29. BVerwG, Urt. v. 23. 11. 2000 – 3 C 40.99 = BVerwGE 112, 227 (231 f.). 973 BerlinerKomm-GG / Muckel, Art. 4, Rn. 58; HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn.  100; J / P/Jarass, Art.  4, Rn.  32; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 89; M / K/Mager, Art. 4, Rn. 37; Muckel  / ​ Tillmanns, S.  255; S / B/Kästner, Art. 4, Rn. 216. 974 BerlinerKomm-GG / Muckel, Art. 4, Rn. 58; HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 100; Muckel  / ​ Tillmanns, S.  255; J / P/Jarass, Art.  4, Rn.  32; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 89; S / B/Kästner, Art. 4, Rn. 216. 975 M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 89 mit Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 15. 01. 1958 = 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198 (209). 976 Bamberger, S. 16; BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 47.3 f.; BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 162; Borowski, S. 352 f., 487 ff., 505; Brümmer, S. 73; Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 124; Fischer / Groß, DÖV 2003, 932 (937 f.); Gaudernack, S. 144 ff.; Heß, S. 210 f.; Hufen, § 22, Rn.  27; Leibholz / Rinck / Burghart, Art. 4, Rn. 196; Misera-Lang, S. 52; Winkler, S. 249 ff. 977 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 47.3 f.; Fischer / Groß, DÖV 2003, 932 (936). 972

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

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geber stellte außerdem die Grundrechte im Grundgesetz bewusst voran, sodass es fragwürdig erscheint, warum er eine geschriebene Schranke der Glaubensfreiheit in einer entlegenen Stelle im Abschnitt über die „Übergangs- und Schlussbestimmungen“ in einer Verfassungsnorm, die die Fortgeltung der Weimarer Reichsverfassung anordnet, vorgesehen haben soll.978 Art. 136 Abs. 1 WRV kann daher den Art. 4 GG nicht begrenzen, sondern er wird umgekehrt von dem vorbehaltlos gestellten Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit überlagert.979 Die in Art. 135 WRV gewährleistete Religionsfreiheit wurde ferner unter den Vorbehalt der „allgemeinen Staatsgesetze“ gestellt. Art. 135 WRV wurde als ursprüngliche Bezugsnorm des Art. 136 Abs. 1 WRV allerdings nicht von Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporiert.980 Dann kann Art. 136 Abs. 1 WRV jedoch nicht nachträglich die Funktion eines einfachen Gesetzesvorbehaltes zugesprochen werden, die er ursprünglich nicht besaß.981 Der Parlamentarische Rat sprach sich weiterhin bewusst gegen einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt der Glaubens- und Gewissensfreiheit aus. Art. 136 Abs. 1 WRV kam erst in der Schlussredaktion ohne jede Sachdebatte hinzu, was nicht als Revision jener Entscheidung verstanden werden kann.982 Damit sollte vielmehr eine ausdrückliche Stärkung religiöser Freiheiten auch in Abkehr zur Paulskirchen- und Weimarer Reichsverfassung in Konsequenz aus der religionsfeindlichen Einstellung des Nationalsozialismus einhergehen.983 Art. 136 Abs. 1 WRV knüpft des Weiteren an die Glaubensausübungsfreiheit an und lässt hingegen die Gewissensfreiheit außen vor, sodass die Schranke der Vorschrift auch nur insoweit ohne Einbeziehung der Gewissensfreiheit gelten könnte.984 cc) Schranken in der grundgesetzlichen Wertordnung Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt können sich allerdings nicht schrankenlos entfalten, da alles menschliche Handeln die Rechtssphäre der Mitmenschen verletzen kann und deswegen ein rechtlicher Ausgleich der kollidierenden Interessen gefunden werden muss.985 Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt finden daher ihre Schranken in der grundgesetzlichen Wertordnung,986 die anhand kollidierender 978

Fischer / Groß, DÖV 2003, 932 (936). HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 111. 980 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 47.3; BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 162; Brümmer, S.  73; Leibholz / Rinck / Burghart, Art. 4, Rn. 196; Winkler, S. 250. 981 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 47.3; BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 162. 982 BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 162; Heß, S. 211. 983 Gaudernack, S. 145. 984 BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 162. 985 Gaudernack, S.  120; M / K/S / Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 84. 986 BVerfG, Beschl. v.  08. 11. 1960  – 1 BvR 59/56 = BVerfGE 12, 1 (4); BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1971 – 1 BvR 387/65 = BVerfGE 32, 98 (107 f.); BVerfG, Beschl. v. 08. 02. 1977 – 1 BvR 329/71, 1 BvR 217/73, 1 BvR 237/73 = BVerfGE 44, 37 (50 ff.). 979

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Grundrechte Dritter oder anhand von sonstigem Verfassungsrecht zu ermitteln ist.987 Das Prinzip der Einheit der Verfassung fordert auch hier, die einschlägigen Verfassungsgüter in einem schonenden Ausgleich miteinander zu bringen, was letztlich auf eine verhältnismäßige Gewichtung und Zuordnung der einzelnen Positionen hinausläuft.988 Die kollektive Ausübung der Glaubensfreiheit unterliegt ebenfalls den verfassungsimmanenten Schranken.989 Das BVerfG entwickelte in seiner „Gesundbeter“-Entscheidung990 im Anschluss an seine „Mephisto“-Entscheidung991 betreffend die Kunstfreiheit seinen Ansatz über die Einschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte in Hinblick auf die Glaubensfreiheit fort und betonte gleichzeitig die vom Grundgesetz anerkannte Gemeinschaftsbindung des Individuums, die auch vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten einer gewissen äußersten Grenzziehung zugänglich macht.992 Die vom BVerfG zur Kunstfreiheit entwickelte Lehre vom schonenden Ausgleich soll allgemein auf alle vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte und damit auch auf die Glaubensfreiheit angewandt werden.993 Dieser Rechtsprechung folgend ist stets zu fordern, dass Vorschriften des Bauordnungs- und Bauplanungsrechts die Glaubensfreiheit nur dann einschränken können, soweit sie als Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts anzusehen sind.994 Der durch eine extensive Schutzbereichsauslegung angestrebte weitgehende Grundrechtsschutz darf dann aber nicht aufgrund pauschaler Betrachtungen des Verfassungsranges allgemeiner Ideen oder Leitprinzipien des Grundgesetzes oder durch die Hochstufung legitimer einfachgesetzlicher Belange 987

Für die Errichtung von Kultstätten im Bereich des Baurechts vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1806); allgemein: H / W/Wolff, Art. 4, Rn. 12; Sachs / Kokott, Art. 4, Rn. 138; Schröter, S. 310; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1553); Steiner, JuS 1982, 157 (162); ablehnend gegenüber der Formel des BVerfG Borowski, S. 540 f., der die Glaubensfreiheit vielmehr unter einen ungeschriebenen allgemeinen Gesetzesvorbehalt sieht, da im Parlamentarischen Rat zu keiner Zeit und an keiner Stelle die Rede davon gewesen sei, dass nur Grundrechte anderer oder sonstige Rechtswerte von Verfassungsrang als Schrankengründe infrage kämen, ders., S. 537. Die Diskussion um die Einschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte, die zunächst um mögliche immanente Schranken aller Grundrechte kreiste, erhielt durch den Beschluss des BVerfG zu Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG vom 26. 05. 1970 eine grundsätzlich neue Richtung, vgl. BVerfGE 28, 243 (261), ausführlich zur Begrenzungsformel des BVerfG Misera-Lang, S. 141 ff. 988 BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1971 – 1 BvR 387/65 = BVerfGE 32, 98 (107 f.); BVerfG, Beschl. v. 08. 02. 1977 – 1 BvR 329/71, 1 BvR 217/73, 1 BvR 237/73 = BVerfGE 44, 37 (49 f.); BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1979 – 1 BvR 647/70, 1 BvR 7/74 = BVerfGE 52, 223 (246 f.); BVerfG, Beschl. v. 24. 09. 2003 – 2 BvR 1436/02 = BVerfGE 108, 282 (297); BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 48; Gaudernack, S. 168 f.; HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn.  109; H / W/Wolf, Art.  4, Rn.  12; S / S/D / Stern, § 118, VII 2.  989 BeckOK-GG / Germann, Art.  4, Rn.  35.1; M / D/Herzog, Art. 4, Rn. 118. 990 BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1971 – 1 BvR 387/65 = BVerfGE 32, 98 (108). 991 BVerfG, Beschl. v. 24. 02. 1971 – 1 BvR 435/68 = BVerfGE 30, 173 (193). 992 BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1971 – 1 BvR 387/65 = BVerfGE 32, 98 (108). 993 Hohmann, BauR 2007, 858 (858 f.); S / S/D / Stern, § 117, VII 3, § 118, VII 2.  994 Für die Errichtung von Kultusstätten ausdrücklich BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1806); Gaudernack, S. 156 f., 166; Hufen, § 22, Rn.  27; J / P/Jarass, Art. 4, Rn. 28.

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

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auf Verfassungsrang zunichte gemacht werden. Die dem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht entgegenstehenden Verfassungsbelange müssen vielmehr hinreichend konkretisiert werden.995 Für die Abwägung im Sinne praktischer Konkordanz ist dabei auch bedeutsam, ob es sich um zwingende Glaubensregeln handelt.996 Die Vorbehaltlosigkeit der Glaubensfreiheit dient aus praktischer Sicht dem Schutz der religiösen Minderheit davor, dass die jeweilige parlamentarische Mehrheit unter dem Deckmantel der Verfolgung religionsneutraler Ziele ihre eigenen religiösen Vorstellungen der Minderheit aufbürdet, wobei diese Gefahr durch die verfassungsimmanenten Schranken verringert wird, indem sie zur Rechtfertigung von Eingriffen das Vorliegen von Rechtsgütern mit Verfassungsrang fordern.997 Eine multireligiöse Gesellschaft und eine methodisch saubere Lösung des jeweiligen Einzelfalles gebieten es weiterhin, besonders bedacht auf die Feststellung der mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgüter und deren Abwägung mit der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) sowie auf eine verhältnismäßige Zuordnung der gegenläufigen Verfassungsgüter zu nehmen.998 Dabei ging es letztlich einerseits um die Bedeutung der Versagung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Kultusstätte im Außenbereich für die Grundrechtsverwirklichung der Glaubensgemeinschaft nach ihrem jeweiligen Selbstverständnis und andererseits um die Bedeutung der Versagung für die Verwirklichung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Landschaftsschutzes. dd) Die Schrankenfrage mit Blick auf die vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit In der Rechtspraxis kann in Bezug auf die Problematik der verfassungsrechtlichen Einschränkbarkeit der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) durch den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) eine Parallele zur vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) gezogen werden: Während noch das BVerwG999 betreffend das religiösen Schächten von Tieren darauf abstellte, dass die Glaubensfreiheit ihre verfassungsimmanente Schranke in den Bestimmungen der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten finde, die nicht spezifisch die Ausübung der Glaubensfreiheit zum Gegenstand haben und daran besondere Rechte oder Pflichten knüpfen – worunter auch die Vorschriften des Bauordnungs- und Bauplanungsrechts zu zählen wären – führte das BVerfG1000 aus, dass „zu den (verfassungs-)immanenten Schranken der 995

Gaudernack, S. 166. BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1809). 997 Fischer / Groß, DÖV 2003, 932 (937). 998 Sachs / Kokott, Art.  4, Rn.  139; S / S/D / Stern, § 118, VII 2.  999 BVerwG, Urt. v. 23. 11. 2000 – 3 C 40.99 = BVerwGE 112, 227 (231 f.). 1000 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; dem folgend: OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (442); Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133; HdB-GrundR III / Merten, § 60, Rn. 64. 996

384

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Glaubens- und Bekenntnisfreiheit für die Errichtung von Kultusstätten anerkanntermaßen die Beschränkungen, die im Bauordnungs- und Bauplanungsrecht ihren Ausdruck“ finden, gehören. Eine Freistellung von den baurechtlichen Vorschriften kann Art. 4 Abs. 2 GG daher nicht erzwingen, denn auch für diese streiten verfassungsrechtliche Ordnungsprinzipien, namentlich das Staatsziel Umweltschutz des Art. 20a GG. Überträgt man die Grundsätze der „Arno-Breker“-Entscheidung des BVerwG auf die Glaubensfreiheit, schränkt sowohl der funktionale als auch der optisch-ästhetische Landschaftsschutz (verankert unter anderem im öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) die Glaubensfreiheit ein. Die verfassungsrechtliche Einschränkbarkeit der Glaubensfreiheit auf dem Gebiet des Baurechts ist damit nach höchstrichterlicher Rechtsprechung regelmäßig unbedenklich. Die baurechtliche Prüfung muss allerdings verfassungskonform im Lichte der Glaubensausübungsfreiheit stattfinden, ohne dass daraus schon ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung jedweden glaubens- oder weltanschaulich motivierten Bauvorhabens im Außenbereich erwächst.1001 b) Schutz des psychischen Wohlbefindens der Bevölkerung, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG Überträgt man die zur Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) entwickelte Rechtsprechung des BVerwG1002 über die Aufstellung monumentaler Kunstfiguren im Außenbereich auf die Errichtung sakraler Bauwerke, findet sich eine einfachgesetzliche Beschränkung der Glaubensfreiheit in den öffentlichen Belangen der natürlichen Eigenart der Landschaft und in der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Die Kunstfreiheit darf sich nämlich nicht schrankenlos entfalten. Sie findet ihre Grenze nach Auffassung des BVerwG unter anderem in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit schütze auch das psychische Wohlbefinden und ist demnach durch den Erlass von entsprechenden Gesetzen in der Lage, die vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit einzuschränken und das Orts- oder Landschaftsbild verunstaltende Werke der Baukunst zu unterbinden. Diese Rechtsprechung lässt sich aufgrund der Vergleichbarkeit beider schrankenlos gewährleisteter Grundrechte auch auf die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) übertragen.1003

1001

S / S/D / Stern, § 118, III 3.  BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. 1003 Gaudernack, S. 177; Schröter, S. 310; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1554). 1002

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

385

Aufgrund der bereits weiter oben1004 aufgezeigten Vorbehalte gegenüber der Annahme eines aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gefolgerten Schutzauftrags zugunsten des allgemeinen psychischen Wohlbefindens der Bevölkerung sei an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen verwiesen. „Unlustgefühle“, die gegebenenfalls beim Anblick einer als unästhetisch empfundenen Kultstätte beim Betrachter auftauchen, können nämlich kaum die Intensität einer körperlichen Beeinträchtigung erreichen, die für eine Gleichstellung mit echten körperlichen Eingriffen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erforderlich ist.1005 Insbesondere der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) kann daher nicht von vornherein der Errichtung einer Kultusstätte im Außenbereich entgegen gehalten werden, da sich der optisch-ästhetische Landschaftsschutz nicht als Verfassungsgut von Rang auf das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit zurückführen lässt. Der Begriff der Verunstaltung ist jedoch verfassungskonform im Lichte der Bedeutung der Glaubensfreiheit für den einzelnen Grundrechtsträger auszulegen. Das Gewicht der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit ist im Rahmen der rechtsgüterbezogenen Interessenabwägung als nicht gering zu veranschlagen. c) Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) Art. 20a GG kann als verfassungsimmanente Schranke Eingriffe des Gesetz­ gebers in solche Grundrechte legitimieren, die keinem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt unterliegen.1006 Dies hat das BVerwG im „Arno-Breker“-Fall in Bezug auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) ausdrücklich klargestellt. Dies muss folgerichtig auch übertragen auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) als ebenfalls schrankenloses Grundrecht gelten.1007 Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat mit Art. 20a GG in unbewusster Klarsichtigkeit zukünftigen potentiellen Umweltkonflikten vorgebeugt, denn es ist denkbar, dass sich neue Glaubensrichtungen herausbilden, deren Kult die Umwelt in schwerwiegender Weise in Mitleidenschaft ziehen könnte.1008 Vorab muss festgehalten werden, dass das Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen gem. Art. 20a GG keinen absoluten Vorrang gegenüber dem Grundrecht der Glaubensfreiheit genießt.1009 Dies lässt sich bereits am Wortlaut des Art. 20a GG 1004

Vgl. oben Kapitel C. I. 4. b). Gaudernack, S. 178. 1006 Dreier / Schulze-Fielitz, Art.  20a, Rn.  88; H / W/Wolff, Art.  4, Rn.  12; M / K/S / Epiney, Art. 20a, Rn. 92; Sachs / Kokott, Art. 4, Rn. 141. 1007 Hufen, § 22, Rn. 32; Murswiek, NVwZ 1996, 222 (225); Schröter, S. 310; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1553); S / S/D / Stern, § 118, VII 2.  1008 Murswiek, NVwZ 1996, 222 (225). 1009 Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 20a, Rn. 88; Sachs / Kokott, Art.  4, Rn.  141; S / S/D / Stern, § 118, VII 2.  1005

386

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

ablesen, nach dem der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nur „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ gewährleistet wird. Es bedarf letztlich einer konkreten Abwägung im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der Bedeutung der Glaubensfreiheit.1010 In der obergerichtlichen Rechtsprechung finden sich – soweit ersichtlich – bisher keine Hinweise, wie die öffentlichen Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und die Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) im Verhältnis zur Glaubensfreiheit zu sehen sind. Das BVerfG positionierte sich neuerdings dahingehend, dass die Beschränkungen, die im Bauordnungs- und Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden, für die Errichtung von Kultusstätten zu den verfassungsimmanenten Schranken zählen.1011 aa) Die Entscheidung des BVerwG über die Errichtung eines Friedhofs in einem Naturpark und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV Erste Anhaltspunkte über das Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und dem Staatsziel Umweltschutz bietet ein Beschluss des BVerwG aus dem Jahr 1997,1012 dem der Sachverhalt zugrunde lag, dass eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte Religionsgemeinschaft eine bestattungsrechtliche Genehmigung zur Errichtung eines Friedhofs auf einem Grundstück im Außenbereich begehrte, das in der Schutzzone eines Naturparks lag. Das BVerwG1013 stellte heraus, dass Art. 20a GG als verfassungsimmanente Schranke des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG herangezogen werden könne. Art. 20a GG habe sich insbesondere dem rechtlichen Schutz von besonderen Landschaftsflächen verschrieben. Es könne daher keine bestattungsrechtliche Genehmigung zur Errichtung des Friedhofs erteilt werden, der in einer Schutzzone einer Naturparkverordnung errichtet werden soll. Die Entscheidung des BVerwG beruhte offenbar auf derselben Überlegung wie in seiner Entscheidung über das Vermarktungsverbot von Elfenbein: Das BVerwG1014 hatte nämlich in dieser Entscheidung herausgestellt, dass der Gesetzgeber durch die nähere Ausgestaltung des Naturschutzrechtes eine einfachgesetzliche Entscheidung zugunsten des Landschaftsschutzes getroffen habe, die die Kollision der Verfassungsgüter der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und des Schutzes der natür 1010

S / S/D / Stern, § 118, VII 2.  BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; dem folgend: OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (442); Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133; HdB-GrundR III / Merten, § 60, Rn. 64. 1012 BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852 = NuR 1997, 440. 1013 BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852 = NuR 1997, 440. 1014 BVerwG, Beschl. v. 21. 09. 1995 – 4 B 263/94 = NJW 1996, 1163. 1011

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

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lichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) zugunsten des Landschaftsschutzes auflöse. In diesem Sinne ist auch die Aussage des BVerwG in der Entscheidung über die bestattungsrechtliche Genehmigung zu verstehen, nach der „das Grundgesetz einen Vorrang der Religionsfreiheit gegenüber den in Rede stehenden landesrechtlichen Rechtsvorschriften über den Schutz von Natur und des Landschaftsbildes nicht begründe“.1015 Das BVerwG stellte zur Begründung, dass der Landesgesetzgeber die Kollision zwischen dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und dem Landschaftsschutz mit Erlass der einschlägigen landesrechtlichen Bestattungsvorschrift zugunsten des Art. 20a GG aufgelöst habe, maßgeblich auf die Begründung eines Beschlusses des BVerfG1016 über die Zulässigkeit einer kirchengesetzlichen Regelung betreffend die Unvereinbarkeit von Kirchenamt und Abgeordnetenmandat ab. Das BVerwG las aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV heraus, dass die Glaubensfreiheit nicht in allen Bereichen schrankenlos gewährleistet werde. Gem. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Die Vorschrift gewährleistet die Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung. Die Religionsgemeinschaften besitzen diese Organisations-, Normsetzungs- und Verwaltungsbefugnis sowohl hinsichtlich ihrer körperschaftlichen Organisation und ihrer Ämter als auch hinsichtlich aller Einrichtungen, die nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche wahrzunehmen.1017 Obwohl die Glaubensfreiheit als schrankenloses Grundrecht diese Norm überlagere, lasse sich nach Ansicht des BVerwG aus Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV immerhin der Gedanke entnehmen, dass eine Religionsausübung dort enden müsse, wo sie in den Bereich des durch das staatliche Recht geregelten Zusammenlebens der Bürger hineinwirke und damit insoweit den staatlichen Gesetzen unterliege.1018 Da sowohl die einschlägige landesrechtliche Bestattungsvorschrift als auch die Vorschriften des Bauordnungs- und Bauplanungsrechts Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht „härter“ träfen als „jedermann“, seien sie insoweit auch auf Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften als „für alle geltenden Gesetze“ anwendbar.1019 Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wird durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 GG gesichert und zugleich unter den Vorbehalt des „für alle geltenden Gesetzes“ gestellt. Da der Bau, die Gestaltung und Ausstattung von Kirchen Bestandteil der eigenen kirchlichen Verwaltung ist, stellt sich die Problematik des Kirchenbaurechts tatsächlich nicht nur im Bereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gem. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV. Das Grundgesetz schützt nämlich 1015

BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852. BVerfG, Beschl. v. 21. 09. 1976 – 2 BvR 350/75 = BVerfG, NJW 1976, 2123. 1017 BVerfGE 46, 73 (Ls. 1, 85 f.); 53, 366 (391 f.); 57, 222 (242 ff.); Misera-Lang, S. 52. 1018 BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852 (853). 1019 BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852 (853). 1016

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C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

die Errichtung von Kult- oder weltanschaulich motivierten Vorhaben ebenso durch die Freiheit der Glaubensausübung gem. Art. 4 Abs. 2 GG, auf die sich auch die Glaubensgemeinschaften kollektiv berufen können.1020 Die Schrankenformel des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV bedarf daher einer näheren Untersuchung, um die Anwendungsbereiche der beiden verfassungsrechtlichen Vorschriften voneinander abgrenzen zu können. Die Schrankenformel des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ bringt das Grundverständnis der Trennung von Staat und Kirche zum Ausdruck.1021 Die Vorschrift will den staatlichen vom innerkirchlichen Bereich trennen, weil der Staat nicht in die innerkirchlichen Angelegenheiten eingreifen darf und umgekehrt. Die Kirchen sind schließlich innerhalb der eigenen Angelegenheiten nicht an das für alle geltende staatliche Gesetz gebunden.1022 Die Vorschrift will damit gewährleisten, dass die Bestimmung der inneren Organisation der Religionsgesellschaft bei dieser verbleibt.1023 Die Bedeutung der Schrankenformulierung des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ war schon zu Zeiten der Weimarer Republik umstritten.1024 Das BVerfG stellte klar, dass es sich bei Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV nicht um einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt der Glaubensfreiheit handelt.1025 Das BVerfG verstand darunter frühzeitig alle Gesetze, die gegenüber den Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften dieselben Vorschriften machen als gegenüber „jedermann“1026 und sie damit nicht härter treffen, insbesondere nicht ihren geistig-religiösen Auftrag beschränken. Neutrale Gesetze sind demnach solche, die weder die Glaubenswahrheit, deren Verkündung noch Kultusangelegenheiten zum Inhalt haben oder betreffen. Dieser Ansatz besagt, dass es nur solche Gesetze sein können, die nicht gerade wegen der Besonderheiten

1020

Beckmann / Hoppe, DVBl. 1992, 188 (190); BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 24.6; BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 101; Brümmer, S. 56 ff., 124; Dolderer, BauR 1999, 691 (694); Gaudernack, S. 79, 96 f., 111; J / P/Jarass, Art.  4, Rn.  15; M / K/Mager, Art. 4, Rn. 50; Muckel / Tillmanns, S.  247; S / S/D / Stern, § 118, III 3; Troidl, BauR 2012, 183 (183); Vilsmeier, S. 60; Wieshaider, S. 159. 1021 BVerfG, Beschl. v. 21. 09. 1976 – 2 BvR 350/75 = BVerfG, NJW 1976, 2123 (2125). 1022 BVerfG, Beschl. v. 21. 09. 1976 – 2 BvR 350/75 = BVerfG, NJW 1976, 2123 (2126). 1023 BVerfG, Beschl. v. 05. 02. 1991 – 2 BvR 263/86 = BVerfGE 83, 341 (357); Hufen, § 23, Rn. 9. 1024 Hufen, § 23, Rn. 9. 1025 BVerfG, Beschl. v. 21. 09. 1976 – 2 BvR 350/75 = BVerfGE 42, 312 (333) = NJW 1976, 2123 (2125); bestätigend u. a. Hufen, § 22, Rn.  27; M / K/Mager, Art. 4, Rn. 49. 1026 BVerfG, Beschl. v. 13. 12. 1983 – 2 BvL 13, 14, 15/82 = BeckRS 1983, 107429; Bock, S. 171, 292 und Hufen, § 23, Rn. 9, überzeugen mit ihrer kritischen Anmerkung, dass die Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht enger sein können als diejenigen der Glaubensausübungsfreiheit, deren Ausdruck das kirchliche Selbstbestimmungsrecht letztlich ist. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht kann daher – wie Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG – nicht unter einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt stehen, sondern kann nur durch verfassungsimmanente Schranken eingeschränkt werden.

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

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der Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaften eine Ausnahmeregelung erforderlich machen oder der jeweilige Einzelfall eine Ausnahme erfordert.1027 Soweit man die beiden wesentlichen Begriffe des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV „ihre Angelegenheiten“ und „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ einander für eine Interpretation der Verfassungsnorm gegenüber stellt, hat dies die nachteilige Konsequenz, dass es nicht gelingt, durch die Verfassungsnorm alle Angelegenheiten im Verhältnis von Staat und Kirche eindeutig einzuordnen.1028 Der Wortlaut der Verfassungsnorm des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV darf schließlich nicht überbewertet werden. Der Verfassungsgeber von Weimar hatte wegen auseinandergehender Meinungen keine eindeutige Formulierung gewählt und die Übernahme der Formel in das Grundgesetz stellte ebenfalls einen Kompromiss dar, da man sich nicht auf eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche einigen konnte.1029 Die systematische Trennung zwischen dem Grundrecht und der verfassungsgestaltenden Grundentscheidung lässt sich aus dem historischen Ursprung beider Vorschriften erklären. Die Glaubensausübungsfreiheit sollte dem Einzelnen individuelle Freiheiten vermitteln, die einer höchstpersönlichen Glaubensüberzeugung entspringen – selbst dann, wenn sich eine Glaubensgemeinschaft als „Einzelner“ diese Freiheit für sich in Anspruch nimmt. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV steht für ein Ende einer Ära staatlicher Bevormundung der Kirchen. Diese war geprägt durch den Erlass besonderer Kirchenbaugenehmigungen durch staatliche Stellen. Die Kirchen durften ihre Angelegenheiten nicht verwalten, da staatliche Verwaltungsbehörden über Bau und Gestaltung von Kirchengebäuden entschieden. Die kirchliche Ordnung sollte mit dem verfassungsrechtlich verbürgten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht selbstständig neben der staatlichen gestellt werden.1030 Aus der Systematik und des geschichtlichen Ursprungs der beiden Vorschriften ergibt sich das Verhältnis zwischen der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV) im Bereich des Kirchenbaurechts: Das Verhältnis zwischen Kirchenbau und allgemeinem Baurecht wird richtigerweise nicht durch Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, sondern durch Art. 4 Abs. 2 GG geregelt. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV bezweckt die Einordnung des Kirchenbaus in die gewährleistete freie Organisation der Kirche, 1027

M / K/Mager, Art. 4, Rn. 49. Brümmer, S. 114 f., setzt sich mit den verschiedenen in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Interpretationen auseinander. Es besteht zum einen die Gefahr, alle Fragen in die Interpretation eines Begriffes einzubeziehen und den anderen bedeutungslos werden zu lassen oder es werden die undeutlichen Begriffe des Verfassungswortlauts durch andere unklare Begrifflichkeiten erläutert; ausführlich zum „Bereichsscheidungsmodell“, zur „Jedermannsklausel“ und zum Abwägungsmodell Bock, S. 181 ff. 1029 Brümmer, S. 116 m. w. N. 1030 Brümmer, S. 125 f. 1028

390

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Art. 4 Abs. 2 GG den Schutz ihres im Kirchengebäude äußerlich sichtbaren öffentlichen Auftretens.1031 Art. 4 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV stehen vielmehr nebeneinander, sodass faktisch jeweils die Rechtsposition zum Tragen kommt, die inhaltlich den weitest gehenden Rechtsschutz vermittelt.1032 Die Problematik um das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht kann im Bereich der Errichtung von Kultusstätten bauplanungsrechtlichen Außenbereich durch Glaubensgemeinschaften auch deswegen dahinstehen, da Art. 20a GG nach Ansicht des BVerwG als Staatszielbestimmung geeignet ist, die schrankenlos gewährleistete Glaubensfreiheit einzuschränken. Eines argumentativen Rückgriffs auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gem. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV bedurfte es infolge der „Arno-Breker“-Entscheidung des BVerwG damit nicht.

1031

Brümmer, S. 126–128; im Ergebnis auch Hufen, § 22, Rn. 27; ähnlich AK-GG / Preuß, Art. 4 Abs. 1, 2, Rn. 30 a. E. 1032 Es ist daher richtigerweise mit der Auffassung des BVerfG und Teilen der Literatur davon auszugehen, dass der sachliche Gewährleistungsbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht bereits durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG garantiert wird. Während sich die von dem Grundrecht der Glaubensausübungsfreiheit garantierte kollektive Kultusfreiheit auf die gemeinsame Kultusausübung beschränkt, also die Glaubensausübung im engeren Sinne umfasst, wird diese kollektive Freiheit in Bezug auf die Organisation, Verwaltung der eigenen Angelegenheiten und Normsetzung um das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ergänzt, vgl. nur BVerfGE 53, 366 (401); 72, 278 (289); BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 35.1; Classen, Rn. 262; Heß, S.  215; J / P/Jarass, Art. 4, Rn. 31; Misera-Lang, S. 52 f.; ausführlich hierzu Bock, S. 137 f. Nach anderer Auffassung schützt Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG mit der kollektiven Glaubensausübungsfreiheit auch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, sodass die in das Grundgesetz inkorporierte Verfassungsnorm nichts weiteres sei als eine spezielle Begrenzungsregelung für den durch Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV konkretisierten Teilbereich des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, Nachweise bei Heß, S. 213, Fn. 195. Der zuletzt genannten Ansicht ist zuzugeben, dass Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG auch ein gewisses Maß an religiöser Vereinigungs- und Organisationsfreiheit gewährleistet, sodass die Glaubensausübungsfreiheit in Teilbereichen mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht identisch ist. Es ist jedoch nicht der gesamte von Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV geschützte Bereich zugleich von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG mitumfasst. Beispielsweise sind die dienst- und arbeitsrechtlichen Beziehungen oder die vielfältigen wirtschaftlichen Betätigungen der Kirchen häufig Teil ihres Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrechtes und gerade nicht Ausdruck glaubensgeleiteter Tätigkeiten. Der Gewährleistungsbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ist daher auch weiter gezogen als das Grundrecht der Glaubensausübungsfreiheit, Heß, S. 214 f. Kirchliche Regelungen, die rein innerkirchliche Angelegenheiten darstellen und zugleich keine unmittelbaren Rechtswirkungen in den staatlichen Zuständigkeitsbereich haben, können demnach nicht durch ein staatliches Gesetz beschränkt werden, BVerfGE 18, 385 (386 ff.); 42, 312 (334); 66, 1 (20); 72, 278 (289); Misera-Lang, S. 53, Fn. 211. Grundrechte können ebenso wenig als für alle geltende Gesetze innerkirchliches Handeln beschränken, vgl. Bock, S. 290 ff.

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

391

bb) Übertragung der „Arno-Breker“-Entscheidung des BVerwG auf die Glaubensfreiheit Das OVG RhPf hat in einer Entscheidung über den Bau einer Marienkapelle im Außenbereich ausgeführt, dass die Berufung auf die Glaubensfreiheit nicht gebiete, dass das Interesse an der Erhaltung der natürlichen Eigenart der Landschaft hinter dem Interesse an der Befolgung eines überirdischen Baugebots zurück­zutreten habe.1033 Das Gericht versäumte dabei allerdings, seinen dogmatischen Ansatz offenzulegen, wie es zu dieser Annahme kam.1034 Das OVG RhPf führte jedoch im Ergebnis die im „Arno-Breker“-Fall entwickelten Grundsätze des BVerwG1035 über die Beschränkung der Kunstfreiheit zugunsten des Außenbereichsschutzes fort und übertrug sie auf die Beschränkung der Glaubensausübungsfreiheit. Eine Übertragung der Rechtsprechung war deswegen möglich, da es sich sowohl bei der Kunst- als auch bei der Glaubensfreiheit um vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte handelt.1036 Diesen beiden Gerichtsentscheidungen lässt sich die Kernaussage entnehmen, dass die Beeinträchtigung öffentlicher Belange den baurechtlichen Zulassungsanspruch des Bauherrn gem. § 35 Abs. 2 BauGB auch dann beschränken kann, wenn dieser sich auf den Schutzbereich eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts – wie die Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) – beruft.1037 Nach Auffassung des OVG RhPf gilt dies selbst dann, wenn die Errichtung des Vorhabens an dem konkreten Standort aus zwingenden religiösen oder weltanschaulichen Gründen erforderlich ist.1038 cc) Optisch-ästhetischer Landschaftsschutz als Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Art. 20a GG? Ob der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) geeignet ist die Glaubensfreiheit des Bauherrn einzuschränken, ist davon abhängig, ob man den optisch-ästhetischen Landschaftsschutz mit der in der „Arno-Breker“-Entscheidung vom BVerwG vertretenen Rechtsauffassung als einfachgesetzliche Ausprägung der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG ansieht.1039 Wie bereits im Zusammenhang mit der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) aufgezeigt wurde,1040 lässt sich jedenfalls der öffentliche Belang der natürlichen 1033

OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (306). Schwemer, BauR 2008, 1551 (1551). 1035 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. 1036 Schwemer, BauR 2008, 1551 (1553 f.). 1037 Schwemer, BauR 2008, 1551 (1555). 1038 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304. 1039 Bejahend Dolderer, BauR 1999, 691 (692). 1040 Siehe oben Abschnitt C. I. 4. f) ee). 1034

392

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Eigenart der Landschaft im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB in Hinblick auf seine funktionell landschaftsschützende Komponente auf Art. 20a GG zurückführen und stellt damit vor dem Hintergrund der „Arno-Breker“-Entscheidung des BVerwG1041 ein Rechtsgut mit Verfassungsrang dar,1042 während sich das ebenfalls in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführte bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot in Hinblick auf seine optisch-ästhetisch landschaftsschützende Komponente nicht auf Art. 20a GG stützen lässt. Was im Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Kunstfreiheit und den in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB normierten öffentlichen Belangen des Außenbereichsschutzes als verfassungsimmanente Schranke gilt, muss wegen des Prinzips der Einheit der Verfassung auch im Verhältnis zum vorbehaltlosen Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) gelten.1043 d) Abwägungsentscheidung im jeweiligen Einzelfall unter besonderer Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung des Grundrechts der Glaubensfreiheit Im Rahmen einer fallbezogenen Abwägung sind die gegenläufigen Verfassungsgüter des Landschaftsschutzes und die religiösen Belange des Bauherrn in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen.1044 Die Beschränkungen, die im Bau­ ordnungs- und Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden, gehören schließlich zu den verfassungsimmanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit.1045 Die Auslegung und Anwendung der einfachgesetzlichen Vorschriften können somit eine etwaige Beschränkung des Grundrechts der Glaubensfreiheit nicht unberücksichtigt lassen.1046 Die für das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) entwickelten Abwägungskriterien zwischen dem öffentlichen Interesse am funktionellen Landschaftsschutz auf der einen und der Bedeutung der Kunstfreiheit für die Grundrechtsverwirklichung des Bauherrn auf der anderen Seite sind ebenso für die Abwägung zwischen der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem funktionellen Landschaftsschutz heranzuziehen.1047 Es muss am Ende des Abwägungsprozesses die Kontrollfrage gestellt werden, inwieweit ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Grundrechtsträgers und den öffentlichen Interessen gefunden wurde: Die Glaubensfreiheit soll einerseits dem Nonkonformisten

1041

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. Gaudernack, S. 202 f.; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1553). 1043 Schwemer, BauR 2008, 1551 (1554 f.). 1044 Gaudernack, S. 202. 1045 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; dem folgend: OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (442); Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133; HdB-GrundR III / Merten, § 60, Rn. 64. 1046 BVerwG, Urt. v. 23. 11. 2000 – 3 C 40.99 = BVerwGE 112, 227 (231 f.). 1047 Siehe oben Abschnitt C. I. 4. f) ff). 1042

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

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mit seiner abweichenden Glaubensüberzeugung das zufriedene Leben in einer offenen Gesellschaft ermöglichen, während eine glaubens- oder weltanschaulich motivierte Sozialunverträglichkeit andererseits nicht das friedliche und geordnete Zusammenleben der Gesellschaft unmöglich machen darf.1048 Auch im Bauplanungsrecht stellt sich die Frage, inwieweit ein sakrales Vorhaben im Außenbereich für die Gemeinschaft noch tolerabel und zumutbar ist, wobei die Schwere des Eingriffs in das Landschaftsbild insoweit eine entscheidende Rolle bei dieser Wertungsfrage spielen dürfte. Im Rahmen der Abwägung müsste danach gefragt werden, warum die Kultstätte ausgerechnet an einem bestimmten Standort im Außenbereich errichtet werden soll. Das größere Gewicht wird regelmäßig dem Landschaftsschutz zukommen, da in diesem Zusammenhang vor allem die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, den Außenbereich zum Schutz von Umwelt und Natur von Bebauung freizuhalten, zu berücksichtigen sein wird und schwerlich spezifisch religiöse Gründe vorstellbar sind, warum ein glaubens- oder weltanschaulich motiviertes Vorhaben im Außenbereich errichtet werden sollte.1049 Bei der Abwägung müssen außerdem die mit dem Betrieb der Kultstätte verbundenen zusätzlichen Belastungen – insbesondere mit Blick auf den An- und Abfahrtsverkehr – für die Umwelt einbezogen werden. Bezieht man schlussendlich noch diesen Aspekt in die Abwägung ein, dürfte sich der im Außenbereichsschutz konkretisierte Umweltschutz erst recht nahezu ausschließlich gegenüber der Glaubensfreiheit durchsetzen.1050 aa) Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung aufgrund eines Vergleichs mit anderen Kollisionslagen aus dem Verfassungsrecht Während das Artenschutzrecht hinsichtlich des Vermarktungsverbotes von Elfenbein noch Befreiungen kannte, gibt es im Baurecht mit Blick auf die öffentlichen Belange keine Möglichkeit, auf der Ebene des einfachen Rechts eine Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, falls die äußeren Umstände des Einzelfalls doch für eine Entscheidung zugunsten der Glaubensfreiheit sprechen – aber eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB nicht verhindert werden kann. Nach geltendem Recht ist eine Kultusstätte im Außenbereich unzulässig, soweit das Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtigt, § 35 Abs. 2 BauGB. Um der Bedeutung der Glaubensfreiheit für den einzelnen Grundrechtsträger Geltung zu verschaffen, müssen die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB im Lichte der Glaubensfreiheit ausgelegt werden.

1048

HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 94. Gaudernack, S. 208 f. 1050 Dies., S. 208. 1049

394

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

Als dogmatischer Ansatz muss hierfür nicht erst auf die Elfenbein-Entscheidung des BVerwG1051 rekurriert werden – die in erster Linie das Verhältnis zwischen der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und den Artenschutz betraf – um zu verdeutlichen, dass trotz der gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung zugunsten des Landschaftsschutzes durch Erlass des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB noch Raum für eine verfassungskonforme Auslegung der Norm im Lichte der Glaubensfreiheit ist. Denn Schlussfolgerungen für eine Auflösung des Konfliktes zwischen dem Interesse einer Glaubensgemeinschaft an der Errichtung einer Kultusstätte im Außenbereich und dem Landschaftsschutz bzw. des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen lassen sich auch aus der dogmatischen Herleitung ziehen, wie eine Kollision zwischen dem Interesse Gläubiger an dem religiösen Schächten von Tieren und dem Tierschutz aufzulösen ist. Art. 20a GG umfasst auch den Tierschutz. Der Tierschutz kann als Belang kollidierenden Verfassungsrechts grundsätzlich auch ein Verbot des religiösen Schächtens von Tieren rechtfertigen. In § 4a Abs. 2 Nr. 2 Tierschutzgesetz (TierSchG) ist allerdings eine Ausnahmeregelung vorgesehen, um eine Abwägung im Einzelfall zwischen dem Verfassungsgut Tierschutz und der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs.1 und Abs. 2 GG) zuzulassen.1052 Ein Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung kann unter Umständen bei grundrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift erwachsen.1053 Eine vergleichbare Ausnahmevorschrift fehlt allerdings in § 35 BauGB, die eine Abweichung und damit ein Zurückstehen öffentlicher Belange in den Fällen vorsieht, in denen die Glaubens- als auch die Kunstfreiheit eine solche Abweichung gebietet. Dies schließt allerdings eine verfassungskonforme Auslegung baurechtlicher Vorschriften wie § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB in begründeten Einzelfällen nicht von vornherein aus. Denn dass dem Landschaftsschutz gegenüber der Glaubensfreiheit kein uneingeschränkter Vorrang zukommt, lässt sich aus der Rechtslage zum grundsätzlichen Verbot des Schächtens von Tieren entnehmen: Nach der Aufnahme des Tierschutzes als Staatszielbestimmung in Art. 20a GG wies das BVerwG darauf hin, dass sich nichts an der Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG im Lichte der Glaubensfreiheit geändert habe. Das gesetzgeberische Ziel, den Grundrechtsschutz gläubiger Juden und Muslime zu wahren, ohne damit die Grundsätze und Verpflichtungen eines ethisch begründeten Tierschutzes aufzugeben, könne nicht erreicht werden, wenn man dem Tierschutz uneingeschränkten Vorrang einräume.1054 Überträgt man die Aussagen des BVerwG auf das Verhältnis zwischen der Glaubensfreiheit und dem Landschaftsschutz, wird deutlich, dass sich der in bauplanungsrechtlichen Vorschriften wie § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB enthaltene Landschaftsschutz nicht in jedem Einzelfalle gegenüber der Glaubensfreiheit durchsetzen kann, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Gesetzgeber mit dem 1051

BVerwG, Beschl. v. 21. 09. 1995 – 4 B 263/94 = NJW 1996, 1163. BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 52. 1053 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 52.1. 1054 BVerwG, Urt. v. 23. 11. 2006 – 3 C 30.05 = BVerwGE 127, 183 (187). 1052

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

395

öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft eine gewisse Wertentscheidung zugunsten des Landschaftsschutzes getroffen hat. bb) Einzelfallentscheidungen Im Fall der Errichtung eines Friedhofs in einem Naturpark stellte das BVerwG klar, dass das Selbstbestimmungsrecht einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft bei der Anwendung und Auslegung einer naturschutzrechtlichen Befreiungsvorschrift wie Art. 49 a. F. Bayerisches Naturschutzgesetz (BayNatSchG) i. V. m. der entsprechenden Vorschrift der Naturparkverordnung nicht die Annahme eines besonderen Falles oder eine besondere Härte begründe, die es rechtfertigen, dass eine bestattungsrechtliche Genehmigung für die Errichtung eines kirchlichen Friedhofs zu erteilen sei.1055 Die Berufung auf die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) gebiete keine zwingende Auslegung der landesrechtlichen Vorschrift zugunsten der Glaubensfreiheit, weil zum einen die in der Naturparkverordnung verwirklichten Rechtsgüter ebenfalls Verfassungsgüter von Rang seien und zum anderen die Glaubensfreiheit keinen Anspruch auf die Errichtung eines Friedhofs an einem bestimmten Standort vermittle.1056 Das BVerwG wies zu Recht darauf hin, dass das Interesse an der Errichtung eines Friedhofs in einem Naturpark im Außenbereich nicht notwendigerweise erfordere, einen eigenen Friedhof für die Glaubensangehörigen einer Religionsgemeinschaft mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts auf einem landschaftlich besonders reizvollen und naturschutzrechtlich in besonderer Weise geschützten Grundstück anzulegen.1057 Zwar seien die von der Klägerin angeführten Umstände für die Ausübung ihrer Glaubensfreiheit relevant und müssen in der Genehmigungsentscheidung im Einzelfall gewürdigt werden. So führte die klagende Freikirche an, dass sich im Nachbarort ein stark frequentierter Wallfahrtsort der katholischen Kirche befinde und der gewählte Standort sich deswegen anbiete, weil die im nahe gelegenen Gut wohnenden Glaubensangehörigen den Friedhof betreuen könnten. Die Lage fern einer Ortschaft diene auch der Rücksichtnahme auf andere Konfessionen. Diese beachtenswerten Argumente zur Wahl dieses Grundstücks beanspruchen jedoch auch bezogen auf andere, landschaftlich weniger anspruchsvolle und rechtlich weniger geschützte Grundstücke Geltung, sodass sie keinen Anspruch auf einen konkreten Standort vermitteln können.1058 Die vom OVG RhPf1059 bezüglich der Errichtung einer Marienkapelle im Außenbereich vorgenommene Abwägung zwischen dem Landschaftsschutz und der Glau 1055

BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852 (853). BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852 (853). 1057 BayVGH, Urt. v. 04. 07. 1996 – 4 B 95.758, BeckRS 1996, 15141. 1058 BayVGH, Urt. v. 04. 07. 1996 – 4 B 95.758, BeckRS 1996, 15141. 1059 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304. 1056

396

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

bensfreiheit brachte die widerstreitenden verfassungsrechtlich geschützten Interessen hingegen nicht mit überzeugenden Erwägungen in Ausgleich, geschweige denn führte sie zu einem Überwiegen des Landschaftsschutzes. So verkennt die auch von der Literatur1060 befürwortete Abwägungsentscheidung zugunsten des Landschaftsschutzes die Bedeutung des Grundrechts auf Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG). Soweit gegen die Zulässigkeit der Marienkapelle angeführt wird, dass es im konkreten Fall nicht darauf angekommen sei, ob die Marienkapelle auffällig in Erscheinung getreten oder durch Bäume und Hecken weitgehend der Sicht entzogen worden sei, die natürliche Eigenart der Landschaft an dem vorgesehenen Standort schon durch die vorhandene Andachtsstelle entwertet worden sei und außerdem bereits durch die vorhandene Andachtsstelle die Möglichkeit zur Glaubensbetätigung bestanden habe,1061 hätte dennoch die Bedeutung des überirdischen Baugebots für das Selbstverständnis der Gläubigen ausreichend in Rechnung gestellt und gewürdigt werden müssen. In diesem Zusammenhang kann auch nicht dem Hinweis in der Literatur gefolgt werden, nach dem eine Verpflichtung zur verfassungskonformen Auslegung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB deswegen ausscheide, weil der öffentliche Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft als Schranke der Glaubensausübungsfreiheit diene.1062 Denn nach der Wechselwirkungslehre des BVerfG sind auch die ein Grundrecht beschränkenden Gesetze wiederum im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts auszulegen und in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder einzuschränken.1063 5. Zusammenfassung über das Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot Das glaubensgeleitete oder weltanschauliche Selbstverständnis des Grundrechtsträgers ist maßgeblich für die Beurteilung der Eröffnung des Schutzbereichs der Glaubensfreiheit und des Vorliegens eines Eingriffs in diese heranzuziehen.1064 Dies erlangt in Fällen Bedeutung, in denen sich ein Einzelner bei der Errichtung von 1060

Schwemer, BauR 2008, 1551 (1555). Schwemer, BauR 2008, 1551 (1555). 1062 Schwemer, BauR 2008, 1551 (1552 ff.). 1063 St. Rspr. seit BVerfG, Urt. v. 15. 01. 1958 – 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198 (208 f.); BVerfG, Urt. v. 03. 12. 1985 – 1 BvL 15/84 = BVerfGE 71, 206 (214). 1064 BVerfG, Beschl. v. 16. 10. 1968 – 1 BvR 241/66 = BVerfGE 24, 236 (247 f.); BVerfG, Beschl. v. 11. 04. 1972 – 2 BvR 75/71 = BVerfGE 33, 23 (29); BVerfG, Beschl. v. 25. 03. 1980 – 2 BvR 108/76 = BVerfGE 53, 366 (401); BVerfG, Beschl. v. 24. 09. 2003 – 2 BvR 1436/02 = BVerfGE 108, 282 (298 f.); BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13, Abs. 72 f.; BVerfG, Beschl. v. 27. 10. 2016 = NVwZ 2017, 461, Abs. 102; BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 18; Gaudernack, S. 157; HdB-GrundR / Muckel, § 96, Rn. 54; HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 93. 1061

III. Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG)

397

Bauvorhaben im Außenbereich auf glaubens- oder religiös geleitete Motive beruft, deren Bezug auf die Glaubensfreiheit auf den ersten Blick nur schwer zu erkennen ist. Im Zweifel gilt zu seinen Gunsten der Grundsatz „in dubio pro libertate“ – im Zweifel für die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit.1065 Kirchen und sonstige Glaubensgemeinschaften besitzen ebenso wie Private und lose Personenvereinigungen keinen Rechtsanspruch auf die Errichtung einer Kultusstätte im Außenbereich;1066 jedoch ist bei der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Außenbereichsvorhabens zugunsten von Religionsgemeinschaften eine wohlwollende verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen baurechtlichen Vorschriften angezeigt. Die Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG sahen seit jeher in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG ein schrankenloses Grundrecht.1067 Für die Errichtung von Kultusstätten zählen zu den verfassungsimmanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit anerkanntermaßen die Beschränkungen, die im Bauordnungsund Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden.1068 Die öffentlichen Belange der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes und der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) sind dementsprechend geeignet, die Glaubensausübungsfreiheit zu beschränken und können demzufolge der Errichtung einer Kultusstätte oder eines sonstigen weltanschaulich motivierten Bauvorhabens im Außenbereich entgegen gehalten werden. Da Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 GG schließlich keinen einfachen Gesetzesvorbehalt für das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit bereithält,1069 können Vorschriften des Bauordnungs- und Bauplanungsrechts die Glaubensfreiheit einschränken, soweit sie als Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts anzusehen sind.1070 Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot stellt  – wie bereits im Zu­ sammenhang mit der Kunstfreiheit ausgeführt1071 – keine verfassungsmäßige Kon 1065

Gaudernack, S. 157. Gaudernack, S. 117, 156. 1067 BVerfG, Beschl. v. 11. 04. 1972 – 2 BvR 75/71 = BVerfGE 33, 23 (30 f.); BVerfG, Beschl. v. 19. 12. 2000 – 2 BvR 1500/97 = BVerfGE 102, 370 (387); BVerfG, Beschl. v. 24. 09. 2003 – 2 BvR 1436/02 = BVerfGE 108, 282 (297, 311); BVerfG, Beschl. v. 27. 01. 2015 – 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 = NJW 2015, 1359, Rn. 98; BVerwG, Urt. v. 21. 12. 2000 – 3 C 20.00 = BVerwGE 112, 314 (318); BVerwG, Urt. v. 04. 07. 2002 – 2 C 21.01 = BVerwGE 116, 359 (360); BVerwG, Urt. v. 24. 06. 2004 – 2 C 45.03 = BVerwGE 121, 140 (148). 1068 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; dem folgend: OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (442); Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133; HdB-GrundR III / Merten, § 60, Rn. 64. 1069 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 47.3 f.; BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 162; Dreier / ​Morlok, Art. 4, Rn. 124; Fischer / Groß, DÖV 2003, 932 (937 f.); Gaudernack, S. 144 ff.; Hufen, § 22, Rn.  27; Leibholz / Rinck / Burghart, Art. 4, Rn. 196. 1070 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; Rn. 53; Gaudernack, S.  156 f.; J / P/Jarass, Art. 4, Rn. 28. 1071 Vgl. oben Kapitel C. I. 4. b). 1066

398

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

kretisierung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG) dar. Die Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) kann hingegen grundsätzlich als verfassungsimmanente Schranke der Glaubensfreiheit herangezogen werden.1072 Die öffentlichen Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) verfolgen das Allgemeinwohlinteresse des ästhetischen und funktionalen Landschaftsschutzes – das jedenfalls in seiner funktionalen Komponente verfassungsrechtlich in Art. 20a GG mit dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen abgesichert ist. Das OVG RhPf 1073 führte in seiner Entscheidung über den Bau einer Marienkapelle im Außenbereich insofern die im „Arno-Breker“-Fall entwickelten Grundsätze des BVerwG1074 über die Beschränkung der Kunstfreiheit zugunsten des Außenbereichsschutzes fort und übertrug sie auf die Errichtung von Kultusstätten im Außenbereich. Diesen beiden Gerichtsentscheidungen lässt sich die Kernaussage entnehmen, dass insbesondere die öffentlichen Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes den baurechtlichen Zu­lassungsanspruch des Bauherrn aus § 35 Abs. 2 BauGB auch dann beschränken können, wenn er sich auf die Gewährleistungen der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) beruft.1075 Ob das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot geeignet ist die Glaubensfreiheit des Bauherrn zu beschränken, ist davon abhängig, ob man den optischästhetischen Landschaftsschutz mit der in der „Arno-Breker“-Entscheidung vom BVerwG vertretenen Rechtsauffassung als einfachgesetzliche Ausprägung der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG begreift. Wie bereits im Zusammenhang mit der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) aufgezeigt wurde,1076 lässt sich jedenfalls der öffentliche Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB in Hinblick auf seine funktionell landschaftsschützende Komponente auf Art. 20a GG zurückführen und stellt damit vor dem Hintergrund der „Arno-Breker“-Entscheidung des BVerwG1077 ein Rechtsgut mit Verfassungsrang dar,1078 während sich das ebenfalls in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB aufgeführte bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot in Hinblick auf seine optisch-ästhetisch landschaftsschützende Komponente 1072

BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852; Hufen, § 22, Rn. 32; Murswiek, NVwZ 1996, 222 (225); Schröter, S. 310; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1553); S / S/D / Stern, § 118, VII 2.  1073 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304. 1074 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. 1075 Schwemer, BauR 2008, 1551 (1555). 1076 Siehe oben Abschnitt C. I. 4. f) ee). 1077 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648. 1078 Schwemer, BauR 2008, 1551 (1553).

IV. Resümee 

399

nicht auf Art. 20a GG stützen lässt. Was im Verhältnis zwischen der Kunstfreiheit und den in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB normierten öffentlichen Belangen des Außenbereichsschutzes als verfassungsimmanente Schranke gilt, muss wegen des Prinzips der Einheit der Verfassung auch im Verhältnis zum vorbehaltlosen Grundrecht der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) gelten.1079 Dem Bedürfnis der Rechtspraxis, angesichts des weiten und subjektiv geprägten Schutzbereichs der Glaubensfreiheit nicht alle aus einer Glaubensüberzeugung gespeisten Verhaltensweisen generell von der Verpflichtung zur Einhaltung der allgemeinen Gesetze freizustellen, ohne die Subsumtion des jeweiligen Sachverhalts unter die einschlägigen baurechtlichen Bestimmungen mit schwierigen verfassungsdogmatischen Fragen zu überfrachten,1080 kann auch dadurch entsprochen werden, dass auf der Ebene des einfachen Rechts im Rahmen einer fallbezogenen Abwägung die gegenläufigen Verfassungsgüter in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden.1081 Die für die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) entwickelten Abwägungskriterien zwischen dem öffentlichen Interesse am Landschaftsschutz auf der einen und der Bedeutung der Kunstfreiheit für die Grundrechtsverwirklichung des Bauherrn auf der anderen Seite sind dabei ebenso für die Abwägung zwischen der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem Landschaftsschutz heranzuziehen.1082 So bietet sich in geeigneten Einzelfällen insbesondere eine verfassungskonforme Auslegung der landschaftsschützenden Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB an. Der in bauplanungsrechtlichen Vorschriften wie § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB enthaltene Landschaftsschutz kann sich nicht von vornherein gegenüber dem Grundrecht der Glaubensfreiheit durchsetzen, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Gesetzgeber mit dem öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft eine gewisse Wertentscheidung zugunsten des Landschaftsschutzes getroffen hat.

IV. Resümee über das Verhältnis zwischen den Grundrechten der Kunst- und Glaubensfreiheit und dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot In den vorangegangenen Kapiteln wurde untersucht, ob der Errichtung von Baukunst und Kultusstätten im bauplanungsrechtlichen Außenbereich auf verfassungsrechtlich tragfähiger Basis einfachgesetzliche Grenzen durch den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB gesetzt sind. Die Grundrechte der Kunst- und Glaubensfreiheit sind vorbe-

1079

Schwemer, BauR 2008, 1551 (1554 f.). BVerwG, Urt. v. 23. 11. 2000 – 3 C 40.99 = BVerwGE 112, 227 (231 f.); Gaudernack, S. 146. 1081 Gaudernack, S. 157. 1082 Siehe oben Abschnitt C. I. 4. f) ff). 1080

400

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

haltlose Grundrechte. Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot dient dem optisch-ästhetischen Landschaftsschutz. Für die Rechtsanwendungspraxis steht im Ergebnis fest, dass sowohl die Berufung auf die Kunst- als auch auf die Glaubensfreiheit es nicht gebieten, dass das Interesse an der Erhaltung der natürlichen Eigenart der Landschaft und das Interesse am optisch-ästhetischen Landschaftsschutz grundsätzlich hinter dem Interesse eines Bauherrn an der Schaffung von Baukunst oder der Errichtung einer Kultusstätte an einem bestimmten Standort im Außenbereich zurücktreten müssen. Das BVerwG sah in seiner „Arno-Breker“-Entscheidung Baubeschränkungen für Kunstwerke im Außenbereich – als Folge der Beeinträchtigung öffentlicher Belange – unter anderem unter Berufung auf den Verfassungsauftrag zum Schutze der Umwelt (Art. 20a GG) als gerechtfertigt an. Die Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) wurden damit als verfassungsmäßige Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG und Art. 20a GG angesehen.1083 Das BVerfG zählt zu den verfassungsimmanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit auch die Beschränkungen, die im Bauordnungs- und Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden.1084 Dogmatisch ist es allerdings überzeugender, nicht den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes, sondern den der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) als Ausprägung des Umweltstaatsprinzips (Art. 20a GG) zu sehen. Mit anderen Worten kann nicht der optisch-ästhetische, sondern nur der funktionelle Landschaftsschutz unter Berufung auf das Umweltstaatsprinzip verfassungsrechtlich legitimiert werden. Die Errichtung von Baukunst im Außenbereich trägt nämlich regelmäßig in diesen eine wesensfremde Bebauung hinein, sodass regelmäßig der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft einschlägig sein wird.1085 Dem allgemeinen Bedürfnis der Rechtspraxis, angesichts der weiten und recht subjektiv geprägten Schutzbereiche beider vorbehaltslos gewährleisteter Grundrechte nicht alle Verhaltensweisen generell von der Verpflichtung zur Einhaltung der allgemeinen Gesetze freizustellen, ohne die Subsumtion des jeweiligen Sachverhalts unter die einschlägigen baurechtlichen Bestimmungen mit schwierigen verfassungsdogmatischen Fragen zu überfrachten,1086 kann auch dadurch entsprochen werden, dass auf der Ebene des einfachen Rechts im Rahmen einer fallbezogenen Abwägung die gegenläufigen Verfassungsgüter in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. 1083

BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; dem folgend: OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (442); Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133, HdB-GrundR III / Merten, § 60, Rn. 64. 1085 Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.). 1086 BVerwG, Urt. v. 23. 11. 2000 – 3 C 40.99 = BVerwGE 112, 227 (231 f.). 1084

IV. Resümee 

401

Dabei sind die für die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) entwickelten Abwägungskriterien zwischen dem öffentlichen Interesse am Landschaftsschutz auf der einen und die Bedeutung der Kunstfreiheit für die Grundrechtsverwirklichung des Bauherrn auf der anderen Seite ebenso für die Abwägung zwischen der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem Landschaftsschutz heranzuziehen.1087 Ausnahmsweise kann ein unmittelbar aus dem Grundrecht der Kunst- oder Glaubensfreiheit abgeleiteter Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung im Einzelfall durch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen baurechtlichen Vorschriften begründet werden, soweit dies das Ergebnis einer Abwägung der widerstreitenden Verfassungspositionen unter strenger Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugunsten des jeweiligen Grundrechts gebietet. Die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB können schließlich verfassungskonform ausgelegt werden. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist es ebenfalls anerkannt, dass Grundrechte beschränkende einfachgesetzliche Normen ihrerseits wiederum im Lichte der Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts ausgelegt und angewandt werden müssen. Es bietet sich insbesondere eine verfassungskonforme Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Verunstaltung an. Jedenfalls ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Statuierung der öffentlichen Belange eine gewisse Wertentscheidung zugunsten des Landschaftsschutzes getroffen hat. Eine verfassungskonforme Auslegung des Privilegierungstatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB kann außerdem in seltenen Ausnahmekonstellationen dazu führen, dass Werke der Baukunst sowie sakrale Kultusstätten und sonstige weltanschaulich motivierte Vorhaben im Außenbereich als privilegierte Vorhaben anzusehen sind. Bei der Errichtung von Werken der Baukunst oder religiös bzw. weltanschaulich motivierter Vorhaben ist im Übrigen nicht anhand des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern anhand des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bzw. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG zu beurteilen, welche Schranken sich der Einzelne gefallen lassen muss. Die Baukunst ist schließlich auch in ihrer sakralen Komponente nach ihrer sozialen Funktion den entsprechenden Freiheitsgrundrechten zuzuordnen. Die Schutzbereiche des jeweiligen Grundrechts und der Eigentumsfreiheit können daher nicht nebeneinander angewandt und eingeschränkt werden, da nicht jede Berührung von Werk- und Wirkbereich der (sakralen) Baukunstfreiheit einerseits und der Grundeigentumsnutzung andererseits zu einer Schrankenkumulation in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG führen darf.1088 Die Ausübung der Baukunst darf demzufolge keinesfalls an die­jenigen Schranken gebunden werden, die auch jedem anderen bauwilligen Eigentümer durch öffentliche Baugesetze gezogen sind. So können die Kunst- sowie die Glaubensfreiheit nicht unter einen allgemeinen „Baurechtsvorbehalt“ gestellt 1087

Siehe oben Abschnitt C. I. 4. f) ff). Koenig / Zeiss, JURA 1997, 225 (226); Voßkuhle, BayVBl. 1995, 613 (617).

1088

402

C. Bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot

werden, sodass jede Inhaltsbestimmung des Eigentums zugleich zu einer gesetzlichen Schranke für die jeweilige Grundfreiheit würde.1089 Einfachgesetzliche Bauvorschriften  – wie die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 GG – sind allerdings nicht schon deswegen verfassungswidrig, weil die eigentumsrechtlichen Schranken nicht auf das jeweilige Grundfreiheitsrecht übertragen werden können. Die entsprechenden Bauvorschriften und öffentlichen Belange sind vielmehr verfassungskonform auszulegen. Es werden letztlich nur entsprechend gewichtige künstlerische sowie religiöse Belange dafür sprechen, ein Bauvorhaben im bauplanungsrechtlichen Außenbereich auch dann noch zuzulassen, soweit das Vorhaben das Orts- bzw. Landschaftsbild in erheblicher Weise in Anspruch nimmt. Insbesondere bei das Ortsbild erheblich beeinträchtigenden Vorhaben wird auch das Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) zu berücksichtigen sein.

1089

Bamberger, Der Staat 39 (2000), 355 (363); Hufen, JuS 1996, 454 (454).

D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) für die Errichtung von Kultusstätten Die Herstellung der baulichen Voraussetzungen für die Glaubensausübung fällt unter den Schutz der Glaubensausübungsfreiheit,1 weshalb insbesondere die Errichtung sakraler Bauten wie Kirchen, Moscheen und Synagogen gewährleistet wird.2 Sakrale Bauten können daher nicht nur die Eigentumsfreiheit ihres Bauherrn (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) für sich in Anspruch nehmen, sondern auch die Glaubensfreiheit ihrer Gläubigen (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG).3 Die Kunstfrei­heit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) konkurriert außerdem mit der Glaubensfreiheit „ideal“, sodass dem religiös motivierten Kunstwerk zweifacher Grundrechtsschutz zukommt.4 Geschützt wird damit die Möglichkeit, die Gebäude zu errichten, die nach dem Selbstverständnis der Mitglieder der Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften für deren individuelle Glaubensausübung erforderlich sind.5 Es ist dabei Sache der Glaubens- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft und richtet sich damit nach deren Selbstverständnis von Glaube, Religion oder Weltanschauung, mit welcher Ausstattung das Kirchengebäude oder die sonstige Kultusstätte im Einzelnen zu versehen ist.6 Schutzgut der Glaubensfreiheit ist nämlich auch die „ungestörte Re 1 Beckmann / Hoppe, DVBl. 1992, 188 (190); BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 24.6; BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 101; Brümmer, S. 56 ff.; Dolderer, BauR 1999, 691 (694); Gaudernack, S. 79, 96 f., 111; J / P/Jarass, Art.  4, Rn.  15; M / K/Mager, Art. 4, Rn. 50; Muckel / ​Tillmanns, S.  247; S / S/D / Stern, § 118, III 3; Troidl, BauR 2012, 183 (183); Vilsmeier, S. 60; Wieshaider, S. 159; a. A. Schoch, S. 159, der zur Schutzbereichsbestimmung auch Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 2 WRV heranziehen will; zum Vorrang der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) gegenüber der Glaubensfreiheit im baurechtlichen Bereich vgl. nur Gaudernack, S. 87 f., die insbesondere auf das Parallelproblem der Grundrechts­konkurrenzen im Zusammenhang mit künstlerisch motivierten Gebäudegestaltungen hinweist. 2 BonnerKomm-GG / Mückl, Art.  4, Rn.  101; J / P/Jarass, Art. 4, Rn. 15; Sachs / Kokott, Art. 4, Rn. 60; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1552). 3 BVerwG, Urt. v. 27. 02. 1992 – 4 C 50.89 = NJW 1992, 2170 (2171); Troidl, BauR 2012, 183 (183, 190). 4 Gaudernack, S. 102; Heß, S. 205 f. m. w. N.; Würkner, S. 172; zur Frage, ob ein Nachbar im baurechtlichen Sinne optisch-ästhetische Beeinträchtigungen durch die äußere Gestaltung einer Moschee oder sonstigen Kultstätte aufgrund einer Verletzung nachbarlicher Belange aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geltend machen kann, siehe Kapitel C. I. 4. d). 5 BayVGH, Urt. v. 29. 08. 1996 – 26 N 95.2983 = NVwZ 1997, 1016 (1018); Goerlich / Zimmermann, JuS 2013, 1117 (1122); Gaudernack, S. 103, 111; Muckel / Tillmanns, S. 255; Wieshaider, S. 159. 6 BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 101.

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit

ligionsausübung“ gem. Art. 4 Abs. 2 GG. Diese umfasst nach dem BVerfG „nicht nur die (innere) Freiheit zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren“. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebiete „dem Staat Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern“.7 Für die bauplanungsrechtliche Beurteilung eines sakralen Vorhabens ist es irrelevant, welche Religion, Konfession, Weltanschauung sowie organisatorische Rechtsform dem Bauvorhaben zugrunde liegt.8 Alle Religionen und Weltanschauungen besitzen nämlich im freiheitlichen Verfassungsstaat das Recht auf gleiche öffentliche Präsenz. Ihr Grundrecht auf freie Glaubensausübung wird nicht dadurch infrage gestellt, dass gegebenenfalls Vorbehalte innerhalb der Bevölkerung gegen die Massivität und Modalität des Aufkommens neuer bzw. fremder Religionen bestehen.9 Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes gilt insbesondere für die Verwaltung und für die Gerichte, nach dem eine Ungleichbehandlung von Bauvorhaben aus religiösen Gründen ausgeschlossen ist. Eine Diskriminierung eines Bauvorhabens wegen seiner religiösen Zweckbestimmung kommt damit gem. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht in Betracht. Islamische Bauten wie Moscheen und Minarette dürfen beispielsweise baurechtlich nicht anders behandelt werden als vergleichbare glaubensmotivierte Vorhaben, insbesondere christliche Kirchen.10 Die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) vermittelt regelmäßig keinen Anspruch auf die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Bauvorhabens an einem konkreten Standort, insbesondere dann nicht, wenn sich die einfachgesetzliche Verbotsnorm auf ein Verfassungsgut von Rang – wie Art. 20a GG – zurückführen lassen kann.11 Es gelten daher für Kultusstätten grundsätzlich die für alle gleichen Anforderungen an ein konkretes Vorhaben wie Abstandsflächen, Stellplätze, Gebäudehöhe oder die Erschließung.12 Denn Vorschriften des Baurechts können die Glaubensausübungsfreiheit einschränken, soweit sie jedenfalls als Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts einzustufen sind.13 Das OVG RhPf brachte dies deutlich zum Ausdruck: Die Berufung auf die Glaubensfreiheit „gebiete es nicht, dass das Interesse an der Erhaltung der natürlichen Eigenart der Landschaft hinter dem Interesse … an der Befolgung eines überirdischen Bau­gebots zurücktreten müsse“.14 7

BVerfG, Beschl. v. 17. 12. 1975 – 1 BvR 63/68 = BVerfGE 41, 29 (49). Dolderer, BauR 1999, 691 (693); H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 54; Wieshaider, S. 162. 9 BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 101; Wieshaider, S. 162. 10 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 54. 11 BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852 (853); BonnerKommGG / Mückl, Art.  4, Rn.  101; S / S/D / Stern, § 118, III 3.  12 BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 101; Muckel / Tillmanns, S. 255. 13 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804, Rn. 53; Dreier / Morlok, Art.  4, Rn.  133; J / P/Jarass, Art. 4, Rn. 28. 14 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (306). 8

D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit

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Dass dieses Ergebnis richtig sein muss, zeigt bereits die Kontrollüberlegung, dass die Abhaltung von Gottesdiensten in baufälligen Kultusstätten aufgrund entsprechender Vorschriften untersagt werden können muss.15 In der Rechtsprechung und Literatur wurde herausgearbeitet, dass sowohl das liturgische Glockenläuten als auch der Ruf des Muezzins durch Grundrechte der von den Emissionen betroffenen Nachbarn eingeschränkt werden können. Die betroffenen Grundrechte der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG), der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie gegebenenfalls das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sind jedenfalls dann nicht entscheidend berührt, soweit sich die jeweiligen Glaubensausübungen an die Lärmgrenzen halten, die ihnen durch das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) gezogen sind.16 Im letzten Kapitel wurde näher dargestellt, dass eine Beschränkung des schrankenlos gewährleisteten Grundrechts der Glaubensfreiheit nur aufgrund entgegenstehender Grundrechte Dritter oder Gemeinschaftsgüter mit Verfassungsrang erfolgen kann und nur unter Wahrung striktester Verhältnismäßigkeit zulässig ist, wobei in jedem Einzelfalle die Verfassungsgüter konkret herauszuarbeiten und zu benennen sind – was das OVG RhPf in seinem Urteil über die Zulässigkeit einer Marien­ kapelle im Außenbereich bezüglich des zuletzt genannten Aspekts nicht näher dargelegt hat.17 Für die Glaubensfreiheit gilt, dass zwischen ihr und der kollidierenden Verfassungsnorm eine Abwägung im Sinne praktischer Konkordanz zu erfolgen hat, mit dem Ziel, die Verfassungsgüter in einen schonenden Ausgleich zu bringen.18 Ein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung eines glaubensoder weltanschaulich motivierten Bauvorhabens besteht nur dann, wenn die im einfachen Recht geregelten Voraussetzungen erfüllt sind.19 Dies hat das BVerfG im Falle der Versagung der nachträglichen Einrichtung einer Begräbnisstätte in einer Kirche zum Ausdruck gebracht: Die Beschränkungen, die im Bauordnungs- und Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden, gehören in Bezug auf die Errichtung von Kultusstätten zu den verfassungsimmanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit.20 Im Ergebnis steht jedenfalls fest, dass der Glaubensausübungsfreiheit Grenzen aus dem staatlich gesetzten Verfassungsrecht gezogen sind. Art. 6 EGBGB, der fremde Rechtsnormen nicht anwendbar sein lässt, „wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist“, lässt sich dabei analog auch für die Ebene des Verfassungs 15

Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 131. Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 132. 17 Hohmann, BauR 2007, 859; Troidl, BauR 2012, 183 (190). 18 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804, Rn. 53, 67; J / P/ Jarass, Art. 4, Rn. 30. 19 BayVGH, Urt. v.  04. 07. 1996  – 4 B 95.758, BeckRS 1996, 15141; BonnerKomm-GG / ​ Mückl, Art. 4, Rn. 101. 20 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804. 16

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

rechts heranziehen: Ein religiös und weltanschaulich neutraler Verfassungsstaat kann nicht hinnehmen, dass unter Berufung auf die Glaubensfreiheit seine wesentlichen Ordnungs- und Verfassungsprinzipien infrage gestellt werden.21 Dies hindert jedoch nicht daran, bauplanungsrechtliche Vorschriften im Lichte der Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit auszulegen und anzuwenden. Daraus folgt allerdings noch kein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung.22 In der Praxis kann dies vor allem bei der Ausnahmevorschrift des § 31 Abs. 1 BauGB und der Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB relevant werden.23 Die Errichtung eines Sakralbaus ist aus bauordnungsrechtlicher Sicht genehmigungsbedürftig wie jedes andere vergleichbare soziale oder kulturelle Bauvorhaben.24 Da die Errichtung von kirchlichen Anlagen unter die Freiheit der Glaubensausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) fällt, sind auch bauordnungsrechtliche Vorschriften im Lichte der Glaubensfreiheit auszulegen und anzuwenden.25 Unterhalb der Ebene des Verfassungsrechts stellt sich auf der Ebene des einfachen Rechts die Frage, ob die Glaubensfreiheit auf das einfache Recht derart einwirkt, dass bei glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhaben stets von einem privilegierten Bauvorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB auszugehen ist, um diesen von vornherein ein gesteigertes Durchsetzungsvermögen gegenüber entgegenstehenden öffentlichen Belangen einzuräumen.

I. Die Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) für die Errichtung von Kultusstätten Der grundgesetzlich verbürgte Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) besitzt in Bezug auf die Errichtung von Kultusstätten zwei zentrale Bedeutungen. Bauvorhaben unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften müssen einerseits denselben bauplanungsrechtlichen Anforderungen unterliegen. Nur soweit baurechtliche Vorschriften, insbesondere diejenigen des Bauplanungsrechts, religionsneutral im Einzelfall angewandt werden – wenn also dem Paritätsprinzip des Art. 4 GG Rechnung getragen wird – sind die durch das Baurecht der Glaubensfreiheit gezogenen Grenzen verfassungsrechtlich unbedenklich.26 Eine Ungleichbehandlung liegt aber dann nicht vor, soweit die Sachverhalte verschiedene Baugebiete betreffen und dasselbe Vorhaben in den verschiedenen Baugebieten in tatsächlicher Hinsicht einer anderen bauplanungsrechtlichen Beurteilung unterliegt. So unterliegt die Zu 21

S / S/D / Stern, § 118, III 3.  BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; Sachs, JuS 2016, 952 (952); S / S/D / Stern, § 118, III 3.  23 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; Sachs, JuS 2016, 952 (952). 24 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 55. 25 OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (442). 26 Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133. 22

I. Die Bedeutung für die Errichtung von Kultusstätten 

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lässigkeit einer Begräbnisstätte in einem Industriegebiet anderen Maßstäben als in einem Kerngebiet.27 Identische Bauvorhaben derselben Glaubensgemeinschaft dürfen andererseits baurechtlich nicht unterschiedlich behandelt werden. Die baurechtlichen Vorschriften besitzen insofern eine integrative Funktion in der Gesellschaft, als dass sie für die unterschiedlichsten Glaubensrichtungen die Grundlage für eine einvernehmliche und gleiche Behandlung entsprechender glaubensmotivierter Bauvorhaben schaffen.28 Dem widerspricht es allerdings, soweit ein Bebauungsplan Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche dahingehend trifft, ein Minarett für eine bereits bestehende und genehmigte Moschee zu verhindern. Der BayVGH stellte fest, dass eine Festsetzung in einem Bebauungsplan, die die überbaubare Fläche auf die bereits bebaute Fläche begrenzt, nichtig sei, da sie auf offensichtlichen Fehlern im Abwägungsvorgang beruhe, die auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen seien, § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB. Denn die planende Stadt habe das Gewicht der für das Bauvorhaben sprechenden Belange unzutreffend eingeschätzt und damit die Gewichtung der verschiedenen Belange nicht in einer Weise vorgenommen, die zum objektiven Gewicht der widerstreitenden Belange in einem angemessenen Verhältnis stehe; sie habe insbesondere nicht die Bedeutung des Minaretts für das Selbstverständnis des Islam als eine dem Kirchturm im christlichen Glauben vergleichbare Symbolik berücksichtigt.29 Dieser grundrechtskonformen Auslegung kann nicht die Behauptung entgegen gehalten werden, dass Minarette Ausdruck politischer Macht- und Geltungsansprüche der Muslime in Deutschland seien, denn für die grundrechtskonforme Interpretation ist die religiöse Symbolik des Minaretts entscheidend.30 Der Symbolwert des Minaretts für den Islam und seine Bedeutung für die einzelne Gemeinde rechtfertigen daher die Berücksichtigung des Interesses an der Errichtung des Minaretts als sozialer und kultureller Belang in der Bauleitplanung. Denn bei der Anwendung des Städtebaurechts sind die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung zu berücksichtigen, § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BauGB. Es ist auf die Gesamtheit der in einem Ort ansässigen Bevölkerung abzustellen.31 Zwar gehört das Minarett nicht von Anfang an zu den charakteristischen Elementen einer Moschee bzw. wird dessen bauliche Erforderlichkeit nicht über den Koran überliefert. Das Minarett gehört aber jedenfalls zur islamischen Bautradition von Moscheen.32

27

BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1810). H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 55. 29 BayVGH, Beschl. v. 29. 08. 1996 – 26 N 95.2983 = NVwZ 1997, 1016 (1017 ff.). 30 Goerlich / Zimmermann, JuS 2013, 1117 (1122). 31 OVG RhPf, Beschl. v. 20. 11. 2000 – 8 A 11739/00 = NVwZ 2001, 933. 32 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56; Goerlich / Zimmermann, JuS 2013, 1117 (1122). 28

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

II. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit in der Bauleitplanung Obwohl sich das Bauplanungsrecht religionsneutral verhält, da es für alle Bauherren die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Zulässigkeit eines Vorhabens schafft, nimmt die Bauleitplanung Rücksicht auf die Interessen und Belange der Glaubensgemeinschaften. Denn Glaubensgemeinschaften mit dem Status des öffentlichen Rechts haben bei der Aufstellung von Bauleitplänen das Recht, ihre Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge für die gemeindliche Bauleitplanung als in die Abwägung einfließender Belang selbst festzustellen und einzubringen, § 1 Abs. 6 Nr. 6 BauGB.33 Diese Vorgaben können dann von der planenden Gemeinde als solche nicht mehr infrage gestellt, sondern allenfalls im Rahmen der plane­ rischen Abwägung abweichend gewichtet werden. Die Belange dürfen aber trotzdem nicht über eine Abwägung prinzipiell in Zweifel gezogen werden.34 Die kirchliche Bedarfsfeststellung kann auch auf einen in der weiteren Zukunft liegenden Bedarf gerichtet sein. Die Gewichtigkeit des kirchlichen Belangs in der planerischen Abwägung wird dabei umso höher sein, je konkreter und je näher der geltend gemachte Bedarf zu erwarten ist.35 Die Gemeinde hat allerdings Spielraum bei der Frage, wo sie Flächen für bestimmte Vorhaben ausweist. Wie weit dieser geht, hängt maßgeblich vom Einzugsbereich der betreffenden Einrichtung ab.36 Ein Recht auf Standortfestlegung folgt daraus zwar noch nicht, doch sind die diesbezüglichen Wünsche einer Religionsgesellschaft im Planungsermessen entsprechend zu berücksichtigen.37 Die damit einhergehende Privilegierung der öffentlich-rechtlich organisierten Glaubensgemeinschaften ist verfassungsrechtlich aufgrund der Sonderstellung öffentlich-rechtlich organisierter Glaubensgemeinschaften nicht zu beanstanden, weil sie sich ausschließlich auf die Feststellung des Eigenbedarfs für Gottesdienst und Seelsorge bezieht und nicht mit einer Besserstellung ihrer spezifischen Belange einhergeht.38 Eine tragfähige Begründung für die geltende Rechtslage folgt aus der zu den Verleihungsvoraussetzungen des Körperschaftsstatus gehörenden Rechtstreue. Nur diese liefert die Grundlage dafür, einer Religionsgemeinschaft das Recht ohne staatliche Nachkontrolle einzuräumen, die relevanten Belange unmittelbar mit verbindlicher Wirkung für die gemeindliche Bauleitplanung festzustellen.39 33

Siehe hierzu näher BayVGH, Beschl. v. 29. 08. 1996 – 26 N 95.2983 = NVwZ 1997, 1016 (1017); Brümmer, S. 143 ff.; Classen, Rn.  384; H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 54. 34 Classen, Rn.  384; L / J/R, S.  38. 35 Beckmann / Hoppe, DVBl. 1992, 188 (191). 36 Classen, Rn. 384. 37 Wieshaider, S. 158; ausführlich Beckmann / Hoppe, DVBl. 1992, 188 (192 f.); Brümmer, S. 143–147. 38 Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133. 39 Classen, Rn. 386.

III. Kultusstätten und die Baugebietstypen der BauNVO  

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Der staatskirchenrechtliche Grundsatz der Parität erfordert allerdings, dass im Ergebnis auch die Erfordernisse für die Glaubensausübung von Glaubensgemeinschaften ohne den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts in gleicher Weise in die Abwägung der Bauleitplanung mit einfließen müssen.40 Dass deren Interessen ebenso Berücksichtigung in der Bauleitplanung finden müssen, folgt schon daraus, dass gem. § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der im Ort beheimateten Bevölkerung als öffentlicher Belang zählen.41 Die in den Glaubensvorstellungen wurzelnden Belange privatrechtlich organisierter Glaubensgemeinschaften sind jedenfalls als kulturelle Bedürfnisse der Bevölkerung gem. § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB oder als ein nicht ausdrücklich erwähnter öffentlicher Belang in dem nicht abschließenden Katalog des § 1 Abs. 6 BauGB zu berücksichtigen.42 Es ist dabei zu fordern, dass die betreffende Glaubensgemeinschaft eine nicht unbedeutende Mitgliederzahl besitzt, damit sie ein Abbild der kulturellen und sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung als öffentlicher Belang wiedergeben kann.43 Will daher eine islamische Gemeinde eine Moschee im Bauleitplan berücksichtigen lassen, so kann der Bedarf von der Kommune angezweifelt werden und das Ansinnen der Muslime abgewiesen werden, soweit beispielsweise der Moscheeverein „zu wenige Mitglieder“ hat.44

III. Kultusstätten und die Baugebietstypen der BauNVO  Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines sakralen oder weltanschaulich bedingten Vorhabens richtet sich im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans nach den allgemeinen Anforderungen des § 30 Abs. 1 BauGB.45 Das sakrale Vorhaben ist dann bauplanungsrechtlich zulässig, wenn es den Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung sowie die überbaubaren Grundstücksflächen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ist zu berücksichtigen, dass in allgemeinen und besonderen Wohngebieten, Dorfgebieten, Mischgebieten, urbanen Gebieten sowie in Kerngebieten Anlagen für kirchliche und kulturelle Zwecke gem. §§ 4 Abs. 2 Nr. 3, 4a Abs. 2 Nr. 5, 5 Abs. 2 Nr. 7, 6 Abs. 2 Nr. 5, 6a Abs. 2 Nr. 5, 7 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO allgemein zulässig sind, soweit die Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets

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H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 55. BayVGH, Beschl. v. 29. 08. 1996 – 26 N 95.2983 = NVwZ 1997, 1016 (1017 f.); BonnerKomm-GG / Mückl, Art. 4, Rn. 101; Classen, Rn. 386; Dreier / Morlok, Art.  4, Rn.  133; H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 55; L / J/R, S. 38 f.; Wieshaider, S. 158. 42 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2011 – 4 C 10.09 = NVwZ 2011, 748 (750); BayVGH, Beschl. v. 29. 08. 1996 – 26 N 95.2983 = NVwZ 1997, 1016 (1017 f.); L / J/R, S. 38 f.; für die Berücksichtigung als ungeschriebener Belang Gaudernack, S. 230. 43 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2011 – 4 C 10.09 = NVwZ 2011, 748 (750). 44 L / J/R, S.  38. 45 Gaudernack, S.  59; L / J/R, S.  40 f.; Wieshaider, S. 160. 41

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

dem nicht entgegensteht.46 Ein Blick auf die übliche Städteplanung zeigt, dass sowohl die reinen Wohn-, als auch die Gewerbe- und Industriegebiete eher am Rande von Ortschaften geplant und angelegt sind, die einen der Ruhe und sonstigen Immissionsarmut wegen, die anderen, um mit ihren Immissionen keine Nachbarn zu stören. Kirchliche Anlagen sind daher in den zentraleren Ortsräumen zu errichten, was auch dem Bedürfnis der Menschen entspricht, die diese Stätten nutzen.47 Dasselbe gilt für glaubens- und weltanschaulich motivierte Bauvorhaben in faktischen Baugebieten gem. § 34 Abs. 2 BauGB. Die Errichtung von Sakralbauten ist schließlich auch ohne ein Bauleitplanverfahren und damit ohne ein Bürgerbeteiligungsverfahren zulässig, soweit die Kultusstätte als „Anlage für kirchliche Zwecke“ im unbeplanten Innenbereich und dort in einem faktischen Baugebiet vorgesehen ist.48 Das Baurecht und insbesondere die BauNVO sind als Ausfluss der staatlichen Neutralität weltanschaulich neutral auszulegen, sodass Anlagen für kirchliche Zwecke beispielsweise Kirchen und Moscheen sein können.49 Einschlägige Bauten sind aber nicht nur Kirchen, sondern auch etwa religiöse Gemeindezentren oder konfessionelle Kindergärten. Da für kirchliche, kulturelle und soziale Zwecke dieselben Anforderungen gelten, ist eine eindeutige Zuordnung in der Regel nicht nötig.50 In diesen Baugebieten besteht daher grundsätzlich ein Anspruch auf Genehmigung der Anlage für kirchliche Zwecke – vorbehaltlich der übrigen bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen. Von besonderer praktischer Relevanz erweisen sich dabei oft die Vorschriften über die Stellplätze.51 Dies gilt nicht nur unabhängig von der Glaubensrichtung, sondern auch unabhängig davon, ob die Anlage für Zwecke einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft oder einer anderen religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft genutzt wird, sodass der Begriff der „kirchlichen Zwecke“ in den §§ 2–9 BauNVO nicht organisationsrechtlich, sondern religionsrechtlich zu verstehen ist.52 Denn 46

H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 54; L / J/R, S. 40 f.; Wieshaider, S. 161. Wieshaider, S. 161. 48 Gaudernack, S. 61; Wieshaider, S. 160; für allgemeine Wohngebiete und Mischgebiete siehe nur: VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175; VG Darmstadt, Beschl. v.  12. 07. 2005  – 2 G 1000/05; VG Gelsenkirchen, Urt. v.  07. 09. 2005  – 10 K 5015/02; VG Düsseldorf, Urt. v. 28. 02. 2008 – 4 K 945/07; VG Berlin, Urt. v. 18. 02. 2009 – 19 A 355.04. 49 VG Frankfurt a. M., NVwZ-RR 2002, 175 (176); Classen, Rn. 383; Gaudernack, S. 59 f.; Guckelberger / Heimpel, LKRZ 2010, 276 (279); L / J/R, S. 41; Muckel / Tillmanns, S. 256; Troidl, BauR 2012, 183 (191). 50 Wieshaider, S. 161; auch die ausschließlich zu sozialen Zwecken genutzten Räume einer Moschee fallen – ebenso wie ein christliches Gemeindehaus – in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit; gleiches gilt für die wirtschaftlichen, an einen Gebetsraum angegliederten Nebennutzungen, vgl. Gaudernack, S. 107 f. 51 L / J/R, S.  44 f.; Muckel / Tillmanns, S. 256. 52 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = LKV 2007, 471 (472); Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133. 47

III. Kultusstätten und die Baugebietstypen der BauNVO  

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der freiheitliche Staat ist geprägt von Offenheit gegenüber der Vielfalt religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen. Eine Bevorzugung bestimmter Bekenntnisse ist ebenso untersagt wie die Ausgrenzung Andersgläubiger.53 Eine Wortlautauslegung, die die „kirchlichen Zwecke“ eng an ihrem Wortsinn interpretieren und in organisationsrechtlicher Hinsicht auffassen würde, verstieße daher gegen die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG). Denn das Baurecht dient nicht dem Schutz und Erhalt stadtkultureller Milieus und kann daher Kultusstätten einer religiösen Minderheit von seinem Anwendungsbereich nicht ausnehmen.54 Das VG Frankfurt a. M. entschied in einem Fall, in dem es um die Errichtung einer Moschee im Bereich einer Ortseinfahrt eines Ortsteils mit ca. 1000 Einwohnern ging, von dem keiner Mitglied der entsprechenden Glaubensgemeinschaft war, dass der Umstand der fehlenden Religionszugehörigkeit rechtlich nur relevant sei, wenn es sich bei der näheren Umgebung um ein reines Wohngebiet handelt.55 Denn in einem reinen Wohngebiet sind Anlagen für kirchliche Zwecke nur ausnahmsweise zulässig und nur soweit sie den Bedürfnissen der Bewohner dieses Gebiets dienen, § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauGB. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass Moscheen angesichts der bislang noch verhältnismäßig geringen Ausstattung mit Moscheen regelmäßig einen größeren Einzugsbereich für Gläubige und Besucher aufweisen als christliche Kirchen.56 In diesen Fällen muss zwischen der Glaubensfreiheit des Bauherrn und den geschützten Nachbarinteressen abgewogen werden. Dem Grundstückseigentümer steht in einem reinen Wohngebiet das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Recht auf Bewahrung des Gebietscharakters zu.57 Ein Minarettbauvorhaben ist hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung zulässig, wenn sich das Vorhaben in einer Gemengelage bestehend aus einem allgemeinen Wohngebiet, einem Mischgebiet und einem Gewerbegebiet befindet.58 Anlagen für kirchliche, kulturelle und soziale Zwecke sind gem. § 4a Abs. 2 Nr. 5 BauNVO in einem besonderen Wohngebiet allgemein zulässig. Ihre Zulässigkeit steht allerdings unter dem Vorbehalt der Wohnnutzungsverträglichkeit. Denn § 4a Abs. 1 Satz 2 BauNVO schreibt vor, dass besondere Wohngebiete vorwiegend dem Wohnen dienen; sie dienen auch der Unterbringung von Gewerbebetrieben und sonstigen Anlagen im Sinne der Absätze 2 und 3, soweit diese Betriebe und Anlagen nach der besonderen Eigenart des Gebiets mit der Wohnnutzung vereinbar sind. Bei der Bestimmung des zulässigen Störgrades wird bei § 4a BauNVO – nicht wie bei den anderen Gebietstypen – von einem typisierenden Standard ausgegangen. Die Schutzwürdigkeit des Wohnens richtet sich vielmehr nach den konkreten Verhält 53

OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = LKV 2007, 471 (472). Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133. 55 VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (176). 56 VG München, Beschl. v. 07. 06. 2005 – M 8 SN 05.1628; Gaudernack, S. 185. 57 Gaudernack, S. 185. 58 VG Minden, Urt. v. 22. 04. 2010 – 9 K 981/09. 54

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

nissen wie Vorbelastungen, anderen tatsächlichen Verhältnissen und gegebenenfalls den Festsetzungen des jeweiligen Bebauungsplans. Gebietsunverträglichkeiten können sich insbesondere bei kirchlichen, kulturellen und sozialen Anlagen aus dem zu erwartenden An- und Abfahrtsverkehr und der besonderen Schutzwürdigkeit während der Nachtzeit von 22:00 bis 6:00 Uhr ergeben.59 Die Ermittlung des Störgrades und der Wohnnutzungsverträglichkeit setzt voraus, dass die Baugenehmigung hinreichend bestimmt ist. Das OVG RhPf entschied, dass eine Gemeinde in ihrer gemeindlichen Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) verletzt werde, soweit sich wegen Bestimmtheitsmängeln einer Baugenehmigung nicht beurteilen lasse, ob das Vorhaben den bauplanungsrechtlichen Vorschriften entspricht. Eine Baugenehmigung muss deshalb auch bei Anlagen für kirchliche Zwecke Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit sowohl der Bauherr als auch betroffene Dritte Inhalt und Ausmaß der genehmigten Bandbreite zweifelsfrei feststellen können.60 Das OVG RhPf konstatierte im zugrundeliegenden Fall, dass aufgrund der Unbestimmtheit der vorliegenden Baugenehmigung die Gebietsverträglichkeit der geplanten Moschee nicht zweifelsfrei habe ermittelt werden können: Denn die Moschee sollte nicht nur für Gebete, sondern auch für kulturelle und soziale Veranstaltungen genutzt werden. Die geplante Moschee weise aber eine Größe auf, bei der sich eine eindeutige Störfreiheit ohne nähere Eingrenzung der Nutzerzahl und der Nutzungszeiten auch in Hinblick auf den zu erwartenden An- und Abfahrtsverkehr der Besucher nicht bestimmen lasse. Es könne außerdem aufgrund der vorhandenen Vorbelastungen im fraglichen Gebiet in Form von zwei angrenzenden Landstraßen, einer bereits vorhandenen Moschee auf dem Nachbargrundstück und der vorhandenen Gewerbebetriebe nicht ausgeschlossen werden, ob die genehmigte Nutzung mit der vorhandenen Wohnnutzung gebietsverträglich ist. Die hinreichende Bestimmtheit einer Genehmigung setze letztlich voraus, dass sich in ihr eindeutige Regelungen finden, die die Nutzung des Vorhabens nach Art, Umfang und Zeitdauer so klar beschreiben, dass eine Einschätzung der Auswirkungen des Vorhabens auf die Nachbarschaft mit hinreichender Zuverlässigkeit möglich ist.61 Das OVG RhPf wies außerdem darauf hin, dass auch die Glaubensfreiheit der Glaubensgemeinschaft nicht ausschließe, dass zur Gewährleistung der Wohnnutzungsverträglichkeit im Sinne des § 4a BauNVO die Nutzerzahl und der Nutzungsumfang der Moschee in der Baugenehmigung beschränkt werden könne oder sonstige Auflagen für das Vorhaben in der Genehmigung vorgesehen werden können. Die Beschränkungen, die im Bauordnungs- und Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden, zählen schließlich für die Errichtung von Kultusstätten zu den immanenten Schranken der Glaubensfreiheit. Soweit man diese unter Berücksichtigung

59

OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (440). OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (440). 61 OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (441 f.). 60

III. Kultusstätten und die Baugebietstypen der BauNVO  

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der Tragweite der Glaubensfreiheit auszulegen und anzuwenden habe, seien auch gegenläufige betroffene Schutzgüter in die Auslegung einzubeziehen, zu denen unter anderem das Eigentumsgrundrecht der betroffenen Nachbarn zähle.62 Das OVG RhPf erkennt damit in dem Merkmal der „Wohnnutzungsverträglichkeit“ einen unbestimmten Rechtsbegriff, der durch die gegenläufigen Grundrechte verfassungsrechtlich aufgeladen wird – was letztlich auf eine Güter- und Interessenabwägung hinausläuft, bei der die widerstreitenden Verfassungswerte in einem schonenden Ausgleich gebracht werden müssen. Anlagen für kirchliche Zwecke sind in einem Mischgebiet nach Auffassung des VG München dann zulässig, soweit sie nicht kerngebietstypisch sind und keinen überörtlichen Einzugsbereich aufweisen. Zentrale kirchliche Einrichtungen mit einer gewissen baulichen Größe und Kapazität zur Aufnahme von Gläubigen wider­sprächen häufig dem Gebietscharakter und seien nur unter Wahrung einer „passenden Größenordnung“ in einem Mischgebiet zulässig.63 Bedenken an dieser Auffassung gehen dahin, dass die BauNVO bei bestimmten Vorhaben wie etwa bei Vergnügungsstätten hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Anforderungen zwischen einem Mischgebiet (§ 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO) und einem Kerngebiet (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) differenziert. Eine ausdrückliche Differenzierung fehlt in der BauNVO bei Anlagen für kirchliche Zwecke ebenso wie eine Beschränkung der Zulässigkeit auf „kerngebietstypische“ Vorhaben. Die BauNVO regelt außerdem ausdrücklich den räumlichen Einzugsbereich kirchlicher Anlagen insofern, als sie deren Zulässigkeit in reinen Wohngebieten auf die Gebietsversorgung beschränkt, § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO.64 Anlagen für kirchliche oder kulturelle Zwecke können ausnahmsweise (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) in einem Gewerbegebiet zugelassen werden, soweit nicht der Gebietscharakter des Gewerbegebietes verfremdet bzw. gestört wird.65 Ähnliches gilt in einem Industriegebiet: Dort sind Anlagen für kirchliche Zwecke ausnahmsweise (§ 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) zulässig, wobei sich die ausnahmsweise Zulässigkeit nur auf solche Anlagen bezieht, die gebietsverträglich sind. Dies ist dann der Fall, soweit sie nicht störempfindlich sind und nicht mit dem Hauptzweck des Industriegebiets in Konflikt geraten können. Diese Voraussetzung erfüllt regelmäßig eine Kirche bei typisierender Betrachtung nicht. Allerdings sind nicht alle Anlagen für kirchliche Zwecke in gleicher Weise störempfindlich.66 Eine Kirche mit Krypta fällt zwar grundsätzlich unter die im Industriegebiet (§ 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) ausnahmsweise zulassungsfähigen Anlagen für kirchliche Zwecke, allerdings kann eine Ausnahme aufgrund der Gebietsunverträglich 62

OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (442). VG München, Urt. v. 12. 02. 2007 – M 8 K 06.3625. 64 Troidl, BauR 2012, 183 (192). 65 VG Sigmaringen, Urt. v. 11. 06. 2008 – 1 K 275/07; VG Karlsruhe, Urt. v. 12. 05. 2009 – 2 K 4011/08. 66 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10.09 = NVwZ 2011, 748 (750). 63

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

keit der sakralen Nutzung mit dem typischen Charakter eines Industriegebiets nicht erteilt werden.67 Eine Krypta, die untrennbar mit der Kirche verbunden ist und zur Bestattung von Gemeindepriestern dienen soll, die nach der Glaubensvorstellung der Glaubensgemeinschaft nur in einem geweihten kirchlichen Raum beigesetzt werden dürfen, ist dabei selbst eine Anlage für kirchliche Zwecke im Sinne des § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Eine Kirche mit oder ohne Krypta erfüllt bei typisierender Betrachtung der Baugebietsvorschrift des § 9 Abs. 1 BauNVO nicht das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Gebietsverträglichkeit in § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO, das der Einzelfallprüfung auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 BauNVO vorgelagert ist. Denn der Verordnungsgeber der BauNVO wollte durch die Zuordnung von Nutzungen zu den näher bezeichneten Baugebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die Bodennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinne überlegter Städtebaupolitik bringen.68 Das BVerwG stellte die Gebietstypik eines Industriegebiets dahingehend heraus, dass ein Industriegebiet (§ 9 Abs. 1 BauNVO) ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben dient. Dabei stehen vorwiegend solche Gewerbebetriebe im Vordergrund, die in anderen Baugebieten unzulässig sind. Da Gewerbegebiete (§ 8 Abs. 1 BauNVO) der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben dienen, bleibt die Unterbringung erheblich störender Gewerbebetriebe deshalb dem Industriegebiet vorbehalten und stellt gleichzeitig dessen Hauptzweck dar.69 In Anbetracht dieses Hauptzwecks sind nur solche Anlagen ausnahmsweise (§ 9 Abs. 3 BauNVO) zulässig, die weder störempfindlich sind noch mit dem Hauptzweck des Industriegebiets in Konflikt geraten können. Es liegt auf der Hand, dass der religiöse Charakter einer Kirche als Ort der Stille und Besinnung dieser typisierenden Betrachtung zuwiderläuft. Dem steht auch nicht entgegen, dass § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO leer liefe, da nicht alle Anlagen für kirchliche Zwecke in gleicher Weise störempfindlich sind.70

IV. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gem. § 31 BauGB Die in Art. 4 Abs. 2 GG gewährleistete Glaubensausübungsfreiheit kann im Einzelfall Einfluss auf die Auslegung und Anwendung einfachen Baurechts nehmen. Insbesondere wenn es um die Frage nach einer Ausnahme oder Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gem. § 31 BauGB geht, sind die berechtigten Interessen der Glaubensgemeinschaft und ihrer Angehörigen mit dem jeweiligen 67

BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (749). BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (749 f.). 69 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (750). 70 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (750). 68

IV. Die Bedeutung für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen 

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Gewicht ihrer Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung ihrer Angehörigen in Rechnung zu stellen.71 Das BVerfG stellte in einem Fall heraus, in dem eine als eingetragener Verein organisierte Pfarrgemeinde der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien die Baugenehmigung für eine nachträgliche Einrichtung einer Begräbnisstätte für Gemeindepriester in einer Kirche in einem Industriegebiet begehrte, dass von der Glaubensausübungsfreiheit auch der Wunsch geschützt werde, die Geistlichen in einer Krypta unter der Kirche zu bestatten und dies bei der Anwendung der Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB berücksichtigt werden müsse. Die Versagung der nachträglichen Einrichtung der Begräbnisstätte verletze die Glaubensgemeinschaft in ihrem Grundrecht auf Glaubensfreiheit, denn diese umfasse allgemein auch das Feiern und andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens sowie die Bestattung kirchlicher Würdenträger nach bestimmten glaubensgeleiteten Riten und dementsprechend auch die Totensorge. So sei der Gemeindepriester mit seiner ganzen Persönlichkeit auch über seinen Tod hinaus an seine Gemeinde gebunden. Aufkommende Grundrechtskonflikte seien im Wege der praktischen Konkordanz zu lösen.72 1. Die Krypta im Industriegebiet Folgender Sachverhalt lag dabei dem Beschluss des BVerfG73 betreffend die Versagung der nachträglichen Einrichtung einer Begräbnisstätte in der syrischorthodoxen Kirche zugrunde: Die syrisch-orthodoxe Pfarrgemeinde stellte 1994 einen Bauantrag zur Errichtung einer Kirche, wobei die Bauzeichnung für das Untergeschoss eine „Krypta“ mit zehn Grabkammern vorsah. Das Baugrundstück lag im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der das gesamte Plangebiet als Industriegebiet festsetzte. In den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans waren Ausnahmen (§ 9 Abs. 3 BauNVO) und Nebenanlagen (§ 14 BauNVO) zugelassen. Die Beklagte erteilte die Baugenehmigung für das Kirchengebäude und lehnte gleichzeitig den Bauantrag hinsichtlich der Krypta unter Hinweis auf das versagte gemeindliche Einvernehmen ab. Die Pfarrgemeinde ersetzte daraufhin im laufenden Widerspruchsverfahren in der Bauzeichnung ihres Bauantrags die Zweckbestimmung „Krypta“ für das Untergeschoss durch „Abstellraum“ und strich die Grabkammern. Die Beklagte hob daraufhin den ablehnenden Teil des Genehmigungsbescheides auf. Die Krypta wurde auf Anregung des Regierungspräsidiums Stuttgart einem Nachtragsbaugenehmigungsverfahren vorbehalten. Zwischenzeitlich wurde die Kirche errichtet und als solche genutzt, als im Jahre 2005 die Pfarrgemeinde einen Bauantrag für den betreffenden Raum im Untergeschoss der Kirche stellte und eine Krypta „als privaten Bestattungsplatz ausdrücklich ausschließlich für ver 71

Sachs, JuS 2016, 952 (952). BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804. 73 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804. 72

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

storbene Geistliche“ beantragte. Entsprechend der ursprünglichen Planung war der Einbau von zehn Grabkammern in Wandnischen vorgesehen, wobei die Krypta nur von außen zugänglich sein sollte. Die Beigeladene versagte wiederum ihr gemeindliches Einvernehmen und die Beklagte lehnte den Bauantrag nach erfolglosem Widerspruchsverfahren ab.74 Das VG Stuttgart75 verpflichtete auf die von der Pfarrgemeinde erhobene Klage hin die Baubehörde zur Neubescheidung des Umnutzungsantrags. Der VGH BadenWürttemberg76 (VGH BW) änderte das verwaltungsgerichtliche Urteil und wies die Klage ab. Auf die vom VGH zugelassene Revision der Pfarrgemeinde hob das BVerwG77 das Urteil auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den VGH zurück. Der VGH78 wies die Klage nach Fortführung des Berufungsverfahrens erneut unter Änderung des Urteils des VG ab. Die gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegte Beschwerde der Pfarrgemeinde wies das BVerwG79 zurück. Auf die von der Pfarrgemeinde eingelegte Verfassungsbeschwerde hob das BVerfG das Urteil des VGH BW vom 20. 07. 2011 auf und verwies die Sache zurück an den VGH.80 Der VGH BW beachtete die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) und erkannte einen Anspruch der klagenden Pfarrgemeinde auf Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 31 Abs. 2 BauGB) an.81 2. Die Ausnahme- und Befreiungsmöglichkeiten von den Festsetzungen eines Bebauungsplans, § 31 BauGB Interessante Aufschlüsse zur Anwendung des § 31 BauGB im Zusammenhang mit Anlagen für kirchliche Zwecke bietet das Urteil des BVerwG:82 Das BVerwG stellte zunächst fest, dass die Änderung einer Kirche mit Abstellraum in eine Kirche mit Krypta eine Nutzungsänderung im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB darstellt. Denn eine Nutzungsänderung liege auch dann vor, wenn das bisherige charakteristische Nutzungsspektrum durch die Änderung der Nutzung erweitert werde. Nach diesem Kriterium ist die Nutzung als Begräbnisstätte heute nicht mehr für eine Kirche charakteristisch. Die baurechtliche Prüfung kann auch nicht auf die Krypta beschränkt werden, weil es sich um kein selbstständiges Vorhaben handelt, das von dem Vor-

74 BVerfG, Beschl. v.  09. 05. 2016  – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (748). 75 VG Stuttgart, Urt. v. 15. 04. 2008 – 5 K 2146/06 = BeckRS 2011, 46825. 76 VGH BW, Urt. v. 09. 11. 2009 – 3 S 2679/08 = BeckRS 2009, 41275. 77 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748. 78 VGH BW, Urt. v. 20. 07. 2011 – 3 S 465/11 = BeckRS 2011, 53591. 79 BVerwG, Beschl. v. 27. 06. 2013 – 4 B 43/11 = BeckRS 2013, 53010. 80 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1804). 81 VGH BW, Urt. v. 23. 11. 2016 – 3 S 1184/16 = ZfBR 2017, 273. 82 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748.

IV. Die Bedeutung für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen 

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haben im Übrigen abtrennbar ist. Soweit es um die Änderung einer Nutzung geht, dürfen die bauliche Anlage und ihre Nutzung nicht getrennt beurteilt werden.83 Das BVerwG sah die Nutzungsänderung des Abstellraums im Untergeschoss der Kirche in eine Krypta für Gemeindepriester nicht im Wege einer Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 31 Abs. 1 BauGB) aufgrund der fehlenden Gebietsverträglichkeit als genehmigungsfähig an, hielt aber eine Befreiung gem. § 31 Abs. 2 BauGB für möglich.84 Von den Festsetzungen eines Bebauungsplans kann insbesondere gem. § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Nicht nur spezifisch bodenrechtliche Belange können Gründe des Wohls der Allgemeinheit im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB sein. Vielmehr fallen darunter alle Belange, die gemeinhin als öffentliche Belange oder öffentliche Interessen verstanden werden, wie sie beispielhaft in § 1 Abs. 5 und Abs. 6 BauGB zu finden sind. Die Erfordernisse von Gottesdienst und Seelsorge privatrechtlich organisierter Kirchen und Glaubensgemeinschaften sind daher als kulturelle und soziale Belange der Bevölkerung gem. § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB oder als sonstige öffentliche Belange gem. § 1 Abs. 6 BauGB erfasst.85 Gründe des Wohls der Allgemeinheit erfordern die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 31 Abs. 2 BauGB) nicht erst dann, wenn die kirchliche Anlage nur am vorgesehenen Standort errichtet werden und damit den Belangen der Allgemeinheit auf eine andere Weise als durch eine Befreiung nicht entsprochen werden kann. Allgemeinwohlgründe erfordern eine Befreiung vielmehr bereits dann, wenn die Befreiung zur Wahrung des öffentlichen Interesses „vernünftigerweise geboten“ ist, das Vorhaben an der vorgesehenen Stelle zu verwirklichen. Dies ist letztlich eine Frage der Zumutbarkeit.86 Unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten könne nach Ansicht des BVerwG nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich bei der Nutzungsänderung von der Nutzung als Abstellraum hin zu dem Ausbau als Begräbnisstätte um eine Nutzungserweiterung handle, die zwar nach typisierender Betrachtungsweise gebietsunverträglich sei, aber „vernünftigerweise“ an ein Kirchengebäude anknüpfe, das aufgrund bestandskräftiger Genehmigung formell legal weitergenutzt werden dürfe. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass die bestandskräftige Kirchennutzung im Einvernehmen mit der Gemeinde genehmigt wurde und diese damit selbst den „Keim für vernünftigerweise gebotene Nutzungserweiterungen“ gesetzt habe.87 83

BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (749). BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (750). 85 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (750). 86 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (750). 87 BVerwG, Urt. v.  18. 11. 2010  – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (751); VGH BW, Urt. v. 23. 11. 2016 – 3 S 1184/16 = ZfBR 2017, 273 (276). 84

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Es komme außerdem für die Frage der Zumutbarkeit darauf an, ob der Glaubens­ gemeinschaft tatsächlich zu nicht unangemessenen Bedingungen ein besser geeignetes Grundstück für die Errichtung einer Kirche mit Krypta zur Verfügung gestanden oder ob sie sich bewusst auf die Errichtung einer Kirche ohne Krypta eingelassen habe. Davon konnte das BVerwG im zugrunde liegenden Fall nicht ausgehen. Eine Bestattung der Gemeindepriester in einem 500 Kilometer entfernten Kloster konnte der Pfarrgemeinde nicht zugemutet werden. Das Regierungspräsidium regte ausweislich der Verwaltungsvorgänge hingegen selber an, dass über die Zulässigkeit der Krypta im Rahmen eines Nachtragsbaugesuchs entschieden werden solle.88 Die Annahme eines Befreiungstatbestandes gem. § 31 Abs. 2 BauGB konnte auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Krypta an der vorgesehenen Stelle bauplanungsrechtlich unzulässig sei – vor allem dann nicht, wenn anzunehmen sei, dass die bestandkräftig genehmigte Kirche selbst nicht bau­ planungsrechtlich zulassungsfähig gewesen wäre. An die Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB sei hingegen gerade dann zu denken, wenn das Vorhaben nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans entspreche und auch eine Ausnahme gem. § 31 Abs. 1 BauGB nicht in Betracht komme.89 Als öffentliche Belange gem. § 31 Abs. 2 BauGB kamen nach Ansicht des BVerwG auch der Achtungsanspruch der Verstorbenen und das Recht der Angehörigen und Trauernden auf ein würdevolles Gedenken in Betracht, wobei maßgebend zu prüfen sei, ob im konkreten Einzelfall die Erteilung einer Befreiung für eine Begräbnisstätte in einem Industriegebiet den sich aus der Würde der Toten und der Trauernden ergebenden städtebaulichen Anforderungen genüge. Nach Einschätzung des BVerwG fehlten allerdings vor dem Hintergrund, dass die Krypta von der Außenwelt abgeschirmt im Kircheninnern gelegen war, Feststellungen dazu, inwieweit die geplante Krypta durch die Betriebsamkeit der industriellen Umgebung konkret beeinträchtigt werden könnte. Denn allein auf die Feststellung, dass das Trauern und Gedenken auch außerhalb des Kirchengebäudes stattfinden könnte, konnte die Ablehnung einer Befreiung nicht gestützt werden, weil dieses Argument auch auf die in einer Kirche ohne Krypta abgehaltenen Beerdigungs- und Trauergottesdienste zuträfe.90 Das BVerwG bezweifelte außerdem, dass die Krypta einerseits Grundzüge der Planung (§ 31 Abs. 2 BauGB) berühre und andererseits der Plankonzeption ein typisches Industriegebiet ohne konfliktträchtige Ausnahmenutzungen zugrunde gelegen habe. Denn die Plangeberin habe in den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans ausdrücklich Ausnahmenutzungen gem. § 9 Abs. 3 BauNVO zugelassen – auch wenn diese Festsetzung nicht über das hinausgehen mochte, was gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB i. V. m. § 9 Abs. 3 BauNVO auch ohne die Festsetzung ge 88

BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (750). BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (750). 90 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (751 f.). 89

IV. Die Bedeutung für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen 

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golten hätte. Die planende Gemeinde habe sich jedenfalls gleichwohl zu einer entsprechenden textlichen Festsetzung veranlasst gesehen und auch ihr gemeindliches Einvernehmen (§ 36 Abs. 1 BauGB) zur Errichtung der Kirche erteilt. Dies seien Umstände, die eine starke Indizwirkung für eine auch gegenüber konfliktträch­tigen Ausnahmenutzungen offene Plankonzeption besitzen. Außerdem spreche viel dafür, dass die planerische Grundkonzeption schon deswegen nicht mehr durch die Erteilung einer Befreiung gestört werden könne, da bereits die bisherige tatsächliche Entwicklung im Baugebiet den mit der Planung verfolgten Interessenausgleich nachhaltig gestört habe. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass bereits durch die Errichtung und Nutzung der Kirche die Grundzüge der Planung nachhaltig gestört wurden und deshalb durch das Hinzutreten der Krypta nicht mehr entscheidend berührt werden können.91 3. § 31 BauGB und die Glaubensfreiheit Bei der Frage nach der Erteilung einer Ausnahme gem. § 31 Abs. 1 BauGB oder einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gem. § 31 Abs. 2 BauGB92 im Zusammenhang mit der Errichtung einer Kultusstätte ist in jedem Einzelfall die Bedeutung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit zu berücksichtigen und im Rahmen der Auslegung der in den entsprechenden Vorschriften enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe hinreichend Rechnung zu tragen.93 Das BVerfG stellte klar, dass die Glaubensfreiheit zwar nicht schrankenlos gewährleistet werde, sondern die Beschränkungen, die im Bauordnungs- und Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden, zu den verfassungsimmanenten Schranken für die Errichtung von Kultusstätten gehören. Die Ausnahmeregelung des § 31 Abs. 1 BauGB und die Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB stellen insoweit eine zulässige Schranke der Glaubensfreiheit dar. Dennoch sind Vorschriften, die unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, einer Auslegung und Anwendung zugänglich, die sich an der Bedeutung und Tragweite der Grundrechte – wie im Falle der Glaubensfreiheit – orientieren.94 Unbestimmte Rechtsbegriffe können auch das Einfallstor für die Prüfung und Abwägung gegenläufiger verfassungsrechtlich verankerter Rechtsgüter sein. Auftretende Spannungsverhältnisse kollidierender Grundrechte müssen demnach im Wege praktischer Konkordanz gelöst werden.95 Bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans (§ 31 Abs. 2 BauGB) für die nachträgliche Errichtung einer Krypta in einer Kirche in einem Industriegebiet kommt eine Abwägung mit dem 91

BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (752). Zur Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB im Zusammenhang mit Kultstätten vgl. ausführlich Gaudernack, S. 219 ff. 93 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804. 94 Gaudernack, S. 219. 95 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1806). 92

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der Glaubensfreiheit der antragstellenden Glaubensgemeinschaft (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und den kollidierenden Grundrechten der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) und der Berufsfreiheit der Grundstücksnachbarn (Art. 12 Abs. 1 GG) in Betracht. Nach Ansicht des BVerfG stehen der Glaubensausübungsfreiheit weder der postmortale Persönlichkeitsschutz, die Totenruhe der verstorbenen Pfarrer noch das Pietätsgefühl der Hinterbliebenen und der Allgemeinheit in Hinblick auf die infolge des Maschinenbetriebs auf benachbarten Grundstücken hervorgerufenen Immissionen entgegen.96 So sei weder der Schutzbereich des postmortalen Achtungsanspruchs der Verstorbenen (Art. 1 Abs. 1 GG) noch der ebenfalls über Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Schutzbereich der Totenruhe in eingriffserheblicher Weise tangiert; denn im Vordergrund stehe der gegebenenfalls auch nur mutmaßliche Wille des vermeintlich Betroffenen als Gemeindepriester, mit seiner Persönlichkeit über den Tod hinaus an seine Gemeinde gebunden zu sein.97 Der Beschluss des BVerfG betrat in Hinblick auf den postmortalen Grundrechtsschutz gegen den auch nur mutmaßlichen Willen eines Verstorbenen Neuland, da selbst in der Rechtsprechung98 lange Zeit die Frage, ob Belange eines voll verantwortungsfähigen Betroffenen rechtfertigen können, ihm einen Grundrechtsschutz wider Willen aufzudrängen, nicht abschließend geklärt war.99 Nunmehr ist geklärt, dass die Menschenwürdegarantie nicht „zu einer staatlichen Eingriffsermächtigung verkehrt“ werden darf. „Ansonsten würde der Schutz der Menschenwürde gegen ihren personalen Träger gewendet mit der Konsequenz, diesem gerade diejenige individuelle Autonomie abzusprechen, die ihm Art. 1 Abs. 1 GG garantieren will.“100 Das über Art. 2 Abs. 1 GG und gegebenenfalls auch über Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützte Totengedenken der Hinterbliebenen stehe nach Ansicht des BVerfG ebenso wenig der Verwirklichung der Glaubensausübungsfreiheit der Pfarrgemeinde in Form der Errichtung der Krypta in einem Industriegebiet entgegen. In Fällen, in denen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit berührt ist, habe sich der Staat bei nur drohenden Lärmbelästigungen betreffend die Frage nach einem pietätsvollen Totengedenken zurückzuhalten. Das Pietätsempfinden der Allgemeinheit sei nicht in der Lage, die Glaubensausübungsfreiheit der Pfarrgemeinde einzu­ schränken, da es keinen Gemeinschaftswert von Verfassungsrang darstelle, der geeignet wäre, die schrankenlos gewährleistete Glaubensfreiheit einzuschränken.101 96

BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1804). BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1806 f.). 98 BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1971 – 1 BvR 387/65 = BVerfGE 32, 98 (110) = NJW 1972, 327 (330); BVerfG, Beschl. v. 26. 01. 1982 – 1 BvR 1295/80 = BVerfGE 59, 275 (278 f.) = NJW 1982, 1276; BVerfG, Beschl. v. 16. 03. 1982 – 1 BvR 938/81 = BVerfGE 60, 123 (132) = NJW 1982, 2061. 99 Sachs, JuS 2016, 952 (952). 100 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1806 f.). 101 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1807). 97

IV. Die Bedeutung für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen 

421

Das BVerfG stellte heraus, dass der Glaubensausübungsfreiheit der Pfarrgemeinde (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) als kollidierende Grundrechtspositionen das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) sowie die Berufsausübungsfreiheit der Grundstücksnachbarn (Art. 12 Abs. 1 GG) gegenüber stehen. Eine Glaubensgemeinschaft habe also nicht schon dann einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gem. § 31 BauGB, nur weil sie sich auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit bezüglich der Verwirklichung ihres sakralen Bauvorhabens berufen könne. Die kollidierenden Grundrechtspositionen seien vielmehr im Wege der praktischen Konkordanz auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts in einem schonenden Ausgleich zu bringen.102 Im Falle der nachträglichen Einrichtung einer Begräbnisstätte für Gemeindepriester in einer Kirche in einem Industriegebiet seien das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) und die Berufsausübungsfreiheit der Grundstücksnachbarn (Art. 12 Abs. 1 GG) deswegen berührt, da das Eigentumsgrundrecht das Recht des Eigentümers schütze, über die Art der Nutzung seines Grundstücks frei zu entscheiden. Dies gelte nicht nur in Hinblick auf das Recht, sein Grundstück im Rahmen der Gesetze zu bebauen, sondern auch in Hinblick auf eine umfassende Nutzungsbefugnis der auf dem Grundstück errichteten Produktionsanlagen. Diese Nutzungsbefugnis könne dadurch beeinträchtigt werden, dass künftig bei unterstellter Zulassung des kirchlichen Vorhabens die Pfarrgemeinde die Verhängung von Auflagen – insbesondere Lärmschutzauflagen – fordern oder verursachen könnte, die zur Folge hätten, dass benachbarte Betriebe ihre Einrichtungen nur noch unter bestimmten Maßgaben oder zu gewissen Zeiten oder gar nicht mehr betreiben dürfen. Dies würde zugleich die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsausübungs­ freiheit der Betriebsinhaber einschränken.103 Die Inhaber benachbarter Betriebe könnten sich allerdings gegen die Zulassung der Krypta nur unter Berufung auf den Gebietserhaltungsanspruch wehren. Sie könnten sich insofern auf den Gebietscharakter und auf die Festsetzung im Bebauungsplan hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung berufen. Dieser Abwehranspruch entstehe dann, soweit durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unverträglichen Vorhabens das nachbarliche Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Baugebiets eingeleitet werde. Die Inhaber benachbarter Betriebe könnten sich hingegen gegen die Verhängung von ordnungsrechtlichen Auflagen – insbesondere Lärmschutzauflagen – nicht wehren. Denn immissionsschutzrechtliche Grundpflichten seien während der gesamten Dauer des Betriebs zu erfüllen. Ihnen könne damit nicht der baurechtliche Bestandsschutz entgegen gehalten werden.104 Denn ein baurechtlicher Bestandsschutz könne sich nur in den Grenzen entfalten, die ihm das Immissionsschutzrecht vorgebe. Das Immissionsschutzrecht sei allerdings dynamisch angelegt und die in § 22 Abs. 1 Satz 1 102

BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1808). BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1808). 104 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1808). 103

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Bundesimmissionsschutzgesetz (BImschG) statuierten Grundpflichten seien nicht nur im Zeitpunkt der Errichtung einer Anlage, sondern während der gesamten Betriebsphase zu erfüllen.105 Die Frage, ob die Zulassung einer Krypta in einem Industriegebiet unter Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans (§ 31 Abs. 2 BauGB) gebietsunverträglich ist und damit nachbarliche Interessen berührt, ist einzelfallbezogen danach zu beurteilen, inwieweit die Zulassung des Vorhabens erheblich störend in den durch den Bebauungsplan bewirkten Interessenausgleich eingreift. Eine Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen erscheint in Anbetracht künftiger Lärmschutzauflagen nicht ausgeschlossen. Damit wird das Tatbestandsmerkmal des § 31 Abs. 2 BauGB, nach dem ein Vorhaben auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, für eine Auflösung der Grundrechtskollisionen im Wege der praktischen Konkordanz relevant.106 Im Ergebnis hielt das BVerfG eine Verletzung des Grundrechts auf Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) durch die Nichtzulassung des Vorhabens für gegeben. Denn dem BVerfG erschien es ebenso wie dem BVerwG nicht plausibel, dass die nachträgliche Einrichtung von Begräbnisstätten unterhalb der Kirche versagt werden soll, obwohl nicht konkret dargelegt worden sei, inwieweit die Einrichtung der Krypta über die Nutzung der Kirche hinaus nennenswerte Auswirkungen auf den mit der ursprünglichen Planung verfolgten Interessenausgleich habe.107 Das BVerfG stellte noch heraus, dass eine Glaubensvorschrift als Allgemeinwohlgrund im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB angesehen werden könne und es selbst bei der Annahme einer nicht zwingenden Glaubensregel nicht ausgeschlossen sei, einen die Erteilung einer Befreiung erfordernden Allgemeinwohlgrund in Hinblick auf die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit annehmen zu können.108 Der VGH BW109 urteilte im Anschluss an den Beschluss des BVerfG,110 dass die klagende Pfarrgemeinde wegen des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf die Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans gem. § 31 Abs. 2 BauGB habe und dass das der Baugenehmigungsbehörde eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Erteilung der Befreiung auf Null reduziert sei. Denn erhebliche Nachteile kommen für die Gemeinde durch eine Zulassung des Vorhabens nicht in Betracht, sodass sich das Ermessen bei Vorliegen 105

BVerwG, Urt. v. 23. 09. 1999 – 4 C 6/98 = BVerwG 109, 314 (324 f.) = NVwZ 2000, 1050 (1053). 106 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1808). 107 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1808). 108 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1808); zweifelnd hierüber Gaudernack, S. 219 und Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (227), die vielmehr § 31 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BauGB als einschlägig erachten, da die Grundrechtsverwirklichung durch Einzelne vom Wohl der Allgemeinheit abzugrenzen sei. 109 VGH BW, Urt. v. 23. 11. 2016 – 3 S 1184/16 = ZfBR 2017, 273 (277). 110 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804.

IV. Die Bedeutung für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen 

423

der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Befreiung dahingehend verdichte, dass die Behörde zur Erteilung der Befreiung verpflichtet sei. Auch sonstige erhebliche öffentliche Belange lägen nicht vor, die gegen die Zulassung des Vorhabens sprechen könnten. Der Glaubensausübungsfreiheit komme demgegenüber als öffentlicher Belang ein besonderes Gewicht zu, sodass sich jede andere Entscheidung als die Befreiung letztlich als rechtswidrig erweise.111 Der VGH BW hielt außerdem fest, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zulassung einer Ausnahme von einer Veränderungssperre (§ 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB) auch dann vorlägen, wenn ein bestehender Anspruch auf Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans durch eine beabsichtigte Bebauungsplanänderung nicht berührt werde. Dies könne allerdings nicht als Bezugsfall für andere Vorhaben dienen, denn im konkreten Fall werde das Planungsziel, Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke gem. § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zukünftig im Plangebiet auszuschließen, nicht von der Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans in Bezug auf die Krypta berührt. Das planerische Grundkonzept eines Industriegebietes werde zum einen auch ohne die eingeleitete Bebauungsplanänderung durch die Erteilung der Befreiung nicht entscheidend infrage gestellt – auch in Anbetracht des Umstands, dass die Gemeinde selbst ihr Einvernehmen zur störempfindlichen und damit auch nicht ausnahmsweise zulassungsfähigen Kirche erteilte. Das planerische Grundkonzept werde zum anderen infolge der beabsichtigten Bebauungsplanänderung im Wesentlichen nicht infrage gestellt, denn es verbleibe bei dem planerischen Grundzug, im fraglichen Industriegebiet die Unterbringung erheblich störender Betriebe zu ermöglichen.112 Es bleibt allerdings festzuhalten, dass die Errichtung von Kultusstätten nicht bereits unter Berufung auf religiöse oder weltanschauliche Gründe baurechtlich zulässig ist, sodass die Eröffnung des Schutzbereichs der Glaubens- und Welt­ anschauungsfreiheit solche Vorhaben noch nicht von vornherein zulässig macht.113 Dies gilt auch für die Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gem. § 31 BauGB. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans müssen vielmehr vorliegen und es dürfen keine beachtlichen öffentlichen Belange der Glaubensausübungsfreiheit entgegenstehen.114 Das berechtigte Interesse einer Glaubensgemeinschaft und deren Angehörigen an der Errichtung eines glaubensmotivierten Vorhabens führt jedenfalls dann nicht zu einem strikten Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von den Festsetzungen eines Bebauungsplans, wenn sich die Nachbarn erfolgreich auf den Gebietserhal 111

VGH BW, Urt. v. 23. 11. 2016 – 3 S 1184/16 = ZfBR 2017, 273 (277). VGH BW, Urt. v. 23. 11. 2016 – 3 S 1184/16 = ZfBR 2017, 273 (277). 113 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305); Schröter, S. 310; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1552 f.). 114 VGH BW, Urt. v. 23. 11. 2016 – 3 S 1184/16 = ZfBR 2017, 273 (277). 112

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

tungsanspruch berufen können. Das VG Sigmaringen hob eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Moschee samt Minarett für 400 Gläubige nebst Veranstaltungssaal für ca. 600 Personen in einem Gewerbegebiet unter Zulassung einer Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO auf, weil die Moschee aufgrund ihrer Größe und des räumlichen Einzugsbereichs generell geeignet sei, den Gebietscharakter, also die Funktionsfähigkeit des Gewerbegebietes, zu stören. Das Vorhaben müsse jedenfalls den von ihm hervorgerufenen Stellplatzbedarf selbst bewältigen und könne diesen nicht auf das übrige Baugebiet abwälzen.115

V. Nachbarschutz und Schutz der Gemeinden gegen die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Sakralbaus  Nachbarn können sich unter zwei Gesichtspunkten gegen die Errichtung einer Anlage für kirchliche Zwecke wehren: Zum einen ist die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens hinsichtlich der zulässigen Nutzungsart zu hinterfragen und zum anderen können sich Nachbarn auf das Rücksichtnahmegebot berufen, das Bestandteil des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist, soweit sie wegen Immissionen oder sonstigen Beeinträchtigungen, die im Zusammenhang mit der Nutzung der kirchlichen Anlage stehen, in individualisierter und qualifizierter Weise betroffen sind.116 Im letzteren Falle richtet sich die Schutzwürdigkeit der betroffenen Nachbarn nach der Intensität der Beeinträchtigung, der Bedeutung der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) für den Bauherrn und nach dem, was den Beteiligten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, was letztlich im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen ist.117 Nachbarn können sich in einem faktischen Mischgebiet auf den Gebietserhaltungsanspruch aus § 34 Abs. 2 BauGB und § 6 BauNVO stützen und sich auf die unmittelbar nachbarschützende Art der baulichen Nutzung berufen, um sich mit Erfolg gerichtlich gegen die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Moschee mit Nebengebäuden für rund 800 Gläubige zu wehren. Ein solches Vorhaben mit zwei 35 m hohen Minaretten ist nach Ansicht des VG München nicht gebietsverträglich und fügt sich damit nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Ein derartiges Vorhaben sei vielmehr kerngebietstypisch, weil es sowohl eine zentrale Anlage darstelle als auch einen überregionalen Einzugsbereich aufweise.118

115

VG Sigmaringen, Urt. v. 11. 06. 2008 – 1 K 275/07. Der Nachbar hat einen Anspruch auf Bewahrung der Gebietsart vor artfremder, konfliktbegründender Bebauung, vgl. ausführlich Gaudernack, S. 184 ff., 187 ff. 117 BVerwG, Urt. v. 27. 02. 1992 – 4 C 50.89 = NJW 1992, 2170 (2170); Gaudernack, S. 185 ff. 118 VG München, Urt. v. 12. 02. 2007 – M 8 K 06.3625. 116

V. Nachbarschutz und Schutz der Gemeinden  

425

Sind sakrale Bauten als Anlagen für kirchliche Zwecke in einem Baugebiet allgemein zulässig, dann steht deren Gebietsverträglichkeit in der Regel fest. Die Gebietsverträglichkeit einer Nutzung ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, das bei Vorhaben, die nach der BauNVO in unterschiedlichen Baugebieten zulässig sein können, besonders zu berücksichtigen ist.119 Gerade bei den Vorhaben, die von der BauNVO mit gleichem Wortlaut für – ganz – verschiedene Baugebiete zugelassen werden, also bei denen gebietsspezifische Korrektive – wie beispielsweise das Erfordernis, der Versorgung des Gebiets dienen zu müssen – fehlen, muss das ungeschriebene Merkmal der Gebietsverträglichkeit deswegen besonders sorgfältig geprüft werden, da anders das vom Verordnungsgeber durch typisierende Zuordnungen verfolgte Ziel nicht zu erreichen ist, bestimmte Nutzungen nebeneinander zuzulassen und gleichwohl zu einem gedeihlichen Nebeneinander beizutragen.120 Ist ein Vorhaben als Anlage für kirchliche Zwecke in einem Baugebiet hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung allgemein zulässig, dann sind seine baulichen Besonderheiten als Ausdruck seiner spezifischen Nutzung hinzunehmen; dies gilt auch für die Kuppel einer Moschee, die die übrige Bebauung überragt.121 Ebenso haben die Nachbarn die mit der Nutzung eines Vorhabens üblicherweise verbundenen Beeinträchtigungen wie den An- und Abfahrtsverkehr der Besucher hinzunehmen, soweit die Anlage für kirchliche Zwecke in einem Baugebiet allgemein zulässig ist.122 Diese mit einem Vorhaben typischerweise verbundenen Nachteile sind im Rahmen der Gebietsverträglichkeit zu berücksichtigen. Die Besonderheit besteht insoweit darin, dass dieser Gesichtspunkt nicht erst aufgrund einer Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO und damit in Abhängigkeit von den tatsächlichen, gegebenenfalls durch Sachverständige zu ermittelnden Auswirkungen zu berücksichtigen ist, sondern schon auf der vorhergehenden Prüfungsstufe.123 Liegt der gewählte Standort für ein religiös oder weltanschaulich motiviertes Vorhaben im Bereich der Ortseinfahrt eines Ortsteils an einer Landstraße und wird ein Großteil des Stadtgebietes vom An- und Abfahrtsverkehr der Besucher aufgrund der Standortwahl nicht berührt, dann hat der Bauherr regelmäßig alles dafür getan, Beeinträchtigungen der Nachbarschaft durch An- und Abfahrtsverkehr zu ver­ meiden. „Denn eine noch geringere Beeinträchtigung von Wohnbebauung durch beispielsweise eine Moschee ließe sich nur durch die Wahl eines Standortes in

119

BVerwG, Beschl. v. 28. 02. 2008 – 4 B 60.07 = NVwZ 2008, 786 (787 f.); NdsOVG, Beschl. v. 07. 12. 2009 – 1 LA 255/08 = BauR 2010, 433 (434). 120 NdsOVG, Beschl. v. 07. 12. 2009 – 1 LA 255/08 = BauR 2010, 433 (434). 121 VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (177); VG Darmstadt, Beschl. v. 12. 07. 2005 – 2 G 1000/05; Gaudernack, S. 187. 122 BVerwG, Urt. v. 27. 02. 1992 – 4 C 50.89 = NJW 1992, 2170 (2170 ff.); NdsOVG, Beschl. v. 07. 12. 2009 – 1 LA 255/08 = BauR 2010, 433 (434); VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (177); VG Düsseldorf, Urt. v. 28. 02. 2008 – 4 K 945/07; Gaudernack, S. 187. 123 NdsOVG, Beschl. v. 07. 12. 2009 – 1 LA 255/08 = BauR 2010, 433 (434).

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

einem Gewerbegebiet oder dergleichen erreichen, wohin christliche Kirchenbauten üblicherweise auch nicht ausgelagert werden.“124 Der Gesetzgeber hat geringfügige Beeinträchtigungen der Nachbarn in Hinblick auf die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) durch die Festlegung der Art der baulichen Nutzung und der damit einhergehenden grundsätzlichen Gebietsverträglichkeit in Kauf genommen. Beeinträchtigungen können beispielsweise in Hinblick auf eine zeitliche Komponente dann als geringfügig angesehen werden, soweit sie innerhalb eines bestimmten Jahreszeitraums als auch innerhalb eines schutzwürdigen Tageszeitraums vorübergehend auftreten.125 Das Interesse der Nachbarn daran, vor Beeinträchtigungen durch An- und Abfahrtsverkehr der Besucher einer Moschee verschont zu bleiben, hat auch dann zurückzutreten, soweit das Morgengebet in wesentlichen Teilen des Jahres in die stärkeren Schutz genießende Ruhezeit vor 6 Uhr fällt, soweit regelmäßig von einer zahlenmäßig eher bescheidenen Nutzungsintensität am frühen Morgen auszugehen ist.126 Ausnahmelagen wie die Ramadan-Zeit und das -fest sowie das Opferfest bleiben mit ihren entsprechend erhöhten Besucherzahlen als seltene Ausnahmeereignisse in Hinblick auf die Zumutbarkeit von nachbarlichen Beeinträchtigungen außer Betracht oder sind jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung mit geringerem Gewicht in die Bewertung einzustellen.127 Denn der Gesetzgeber hat in der Baugebietstypik der BauNVO neben der Zulässigkeit von Anlagen für kirchliche Zwecke auch solche für soziale Zwecke zugelassen und damit bewusst in Kauf genommen, dass anlässlich hoher Festtage der jeweiligen Glaubensgemeinschaft ein höheres Maß an Beeinträchtigungen für die Bewohner der näheren Umgebung hingenommen werden muss.128 Für die Frage, ob Beeinträchtigungen durch die Nutzung einer kirchlichen Anlage üblich und damit unbeachtlich sind, kann es im Einzelfall auch auf die geographische Lage des Baugrundstücks ankommen. Bei muslimischen Vorhaben erlangt insbesondere der Zusammenhang zwischen den Gebetszeiten  – mit einhergehenden An- und Abfahrtszeiten der Gläubigen  – und der Lage des Baugrundstücks in Hinblick auf Sonnenauf- und -untergang an Bedeutung.129 Die Glaubensausübungsfreiheit vermag jedenfalls beachtliche Beeinträchtigungen der Nachbarn, die von dem sakralen Vorhaben ausgehen, nicht zu rechtfertigen. Dies kann entweder anhand des Merkmals der typischen Gebietsverträglichkeit oder am Rücksichtnahmegebot mit anschließender Güterabwägung im Rahmen des § 15 124

VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (177). BVerwG, Urt. v.  27. 02. 1992  – 4 C 50.89 = NJW 1992, 2170 (2171); OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = LKV 2007, 471 (472); Gaudernack, S. 186 f. 126 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = LKV 2007, 471 (472); Gaudernack, S. 187. 127 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = LKV 2007, 471 (472); Troidl, BauR 2012, 183 (195). 128 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = LKV 2007, 471 (472). 129 Troidl, BauR 2012, 183 (194 f.). 125

V. Nachbarschutz und Schutz der Gemeinden  

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Abs. 1 Satz 2 BauNVO festgestellt werden. In beiden Fällen ist die Ausstrahlungswirkung der Glaubensausübungsfreiheit auf das einfache Recht in Rechnung zu stellen und die Bedeutung der jeweiligen Beeinträchtigung als  – gegebenenfalls unverzichtbarer  – Bestandteil der jeweiligen Glaubensgemeinschaft zu berücksichtigen.130 Beim Bau eines islamischen Minaretts sind daher die Interessen der Nachbarn im Baugenehmigungsverfahren zu berücksichtigen. Die Glaubensausübungsfreiheit gewährleistet insbesondere keinen Anspruch auf Duldung mehrerer Muezzin-Rufe am Tag.131 Bei der Ermittlung einer qualifizierten Störung für die Umgebung und einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind lediglich bodenrechtliche Umstände, nicht aber sonstige Erwägungen Einzelner, maßgeblich.132 Die Unzumutbarkeit muss sich auf das Baugebiet oder dessen Umgebung beziehen, § 15 Abs. 1 BauNVO. Gem. § 15 Abs. 2 BauNVO hat die Beurteilung dieser Unzumutbarkeit unter Zugrundelegung der städtebaulichen Ziele und Grundsätze des § 1 Abs. 6 BauGB zu erfolgen. Nach dessen Nr. 3 sind aber bei der Aufstellung der Bauleitpläne insbesondere die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, nach Nr. 6 die von den Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts festgestellten Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge zu berücksichtigen. Milieuschutz fällt hingegen nicht unter die städtebaulichen Ziele.133 Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit der islamischen Gemeinde ist in jedem Falle mit dem Ruhebedürfnis der Nachbarn gegeneinander abzuwägen.134 Den Interessen der Nachbarn ist ein umso größeres Gewicht einzuräumen, soweit sie Nichtmuslime sind und gegebenenfalls eine niedrigere Toleranzgrenze gegenüber den mit dem Gebetsruf verbundenen Immissionen besitzen als gläubige Muslime. Bezogen auf das Einfügegebot des § 34 Abs. 1 BauGB bedeutet dies, dass ein Nachbar keine Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Genehmigung eines Minaretts hat, soweit sich das Minarett nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung einfügt und unzumutbare Immissionen durch die jeweilige Nutzung des Vorhabens nicht zu erwarten sind.135 Ein behaupteter Eingriff in den Schutzbereich der negativen Glaubensfreiheit der Nachbarn der näheren Umgebung kann schließlich nicht in die Interessenabwägung zwischen dem Schutz der Nachbarn vor Beeinträchtigungen und der Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit für den Bauherrn und die Gläubigen eingestellt werden. Denn die durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützte Freiheit gewährt nur das Recht, keine religiöse Überzeugung zu haben. Es beinhaltet aber nicht das Recht in einer Gesellschaft, die unterschied-

130 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = LKV 2007, 471 (472); Troidl, BauR 183 (192 f.). 131 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56. 132 Guckelberger / Heimpel, LKRZ 2010, 276 (279). 133 Wieshaider, S. 161. 134 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56; Troidl, BauR 2012, 183 (193). 135 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56.

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

lichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, vom Kontakt mit fremden Glaubensüberzeugungen und Handlungen völlig verschont zu bleiben.136 Es bleibt allerdings den Nachbarn im Falle unzumutbarer Beeinträchtigungen unbenommen, sich auf § 15 Abs. 1 BauNVO und das Gebot der Rücksichtnahme zu berufen. Ein Grundstücksnachbar hat jedenfalls in einem faktischen Baugebiet die von der Anlage für kirchliche Zwecke üblicherweise ausgehenden Beeinträchtigungen grundsätzlich hinzunehmen, soweit sie in diesem faktischen Baugebiet hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung allgemein zulässig ist.137 Eine Nutzungsänderung einer ehemaligen Fabrikhalle in ein islamisches Zentrum ist auch im Falle einer Gemengelage nach der Art der baulichen Nutzung zulässig, wobei der VGH BW darauf verwies, dass sich bewältigungsbedürftige Spannungen durch Zuund Abfahrtsverkehr sowie Stellplatzbedarf im Baugenehmigungsverfahren durch den Nachweis ordnungsgemäßer Erschließung und ausreichender Stellplätze lösen ließen, ohne die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung grundsätzlich in Frage stellen zu können.138 Eine Verletzung der Verpflichtung zur Errichtung notwendiger Stellplätze kann deswegen allein ohne das Vorliegen einer darüber hinausgehenden besonderen qualifizierten und individualisierten Betroffenheit nicht zu einem Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme gem. § 15 BauNVO führen.139 Obwohl in einem allgemeinen Wohngebiet Anlagen für kirchliche und kulturelle Zwecke (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) zulässig sind, ist die Erweiterung eines Gebäudes als Moschee und kulturelle Begegnungsstätte unzulässig, wenn das Vorhaben auch bei Berücksichtigung der Bedeutung, die das Nachtgebet für Muslime hat, umfangreiche Nutzungen während der Nachtzeit vorsieht. Ist eine Vielzahl von Nutzungen in der Zeit zwischen 22.00 und 6.00 Uhr vorgesehen, dann führt dies zu einer nicht typischen Störung der Ruhe im allgemeinen Wohngebiet, sodass sich das Vorhaben als nicht mehr gebietsverträglich erweist.140 Die verfassungsrechtlich in Art. 28 Abs. 2 GG verbürgte kommunale Planungshoheit der Gemeinden gesteht diesen ein Abwehrrecht gegen jene Vorhaben zu, die den planerischen Voraussetzungen eines Bebauungsplans widersprechen. Davon wird gleichzeitig das Recht der Gemeinden umfasst, dass auch sakrale Vorhaben mit Blick auf die für die bauplanungsrechtliche Prüfung relevanten Merkmale ausreichend bestimmt sein müssen. Das OVG RhPf hat für eine Moschee in einem besonderen Wohngebiet herausgearbeitet, dass Anlagen für kirchliche, kulturelle und soziale Zwecke gem. § 4a Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauNVO das Merkmal der Wohnnutzungsverträglichkeit aufweisen müssen.141 136

OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = LKV 2007, 471 (473). BVerwG, Urt. v.  27. 02. 1992  – 4 C 50.89 = NJW 1992, 2170; VGH BW, Beschl. v. 10. 01. 2008 – 3 S 2773/07 = BauR 2009, 470 (471). 138 VGH BW, Urt. v. 29. 09. 1999 – 3 S 1163/99. 139 VGH BW, Beschl. v. 10. 01. 2008 – 3 S 2773/07 = BauR 2009, 470. 140 NdsOVG, Beschl. v. 07. 12. 2009 – 1 LA 255/08. 141 OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16.OVG = NVwZ-RR 2017, 439 (440). 137

VI. Sakrale Bauten und das Einfügungsgebot  

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VI. Sakrale Bauten und das Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB Sakrale oder weltanschaulich motivierte Bauten können selbstverständlich auch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils errichtet werden, der nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt, der die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 BauGB erfüllt, wenn sie sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen und die Erschließung gesichert ist, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Das Ortsbild darf insbesondere nicht beeinträchtigt werden, § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB. Für sakrale Bauten ist es besonders relevant, dass sie sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen.142 Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung gem. § 34 Abs. 2 BauGB allein danach, ob es in diesem faktischen Baugebiet allgemein zulässig wäre. Auf die ausnahmsweise zulässigen Vorhaben nach der BauNVO ist § 31 Abs. 1 BauGB anzuwenden und in den übrigen Fällen § 31 Abs. 2 BauGB. Weist die Eigenart der näheren Umgebung hingegen kein „homogenes“ Baugebiet auf, richtet sich die Zulässigkeit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung danach, ob das Vorhaben sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.143 Zur Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung sind die Merkmale der Baugebiete der BauNVO heranzuziehen. Im Übrigen ist es maßstabsbestimmend, ob die nähere Umgebung von einer bereits vorhandenen Kirche bzw. Anlage für kirchliche Zwecke mitgeprägt wird.144 Einfügen bedeutet dabei aber nicht zwangsläufig, dass in der Umgebung beispielsweise schon Kultstätten oder andere religiöse Einrichtungen vorhanden sein müssen. Entscheidend ist, dass die Kultstätte als das hinzutretende Vorhaben keine wesentlichen bodenrechtlichen Spannungen begründet oder verstärkt und die Nachbarn – entsprechend dem Rücksichtnahmegebot des § 15 BauNVO – nicht unzumutbar beeinträchtigt.145 Die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Anlage für kirchliche Zwecke lässt sich allerdings nicht pauschal unter Berufung auf die zunehmende Multikulturalität in Deutschland rechtfertigen. Die Genehmigung eines sakralen Vorhabens hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalles ab. Gesichtspunkte wie die Einpassung in die örtlichen Verhältnisse, Rücksichtnahme auf das Stadtbild sowie Toleranzgebote bei den Mitbewohnern sind dabei in Hinblick auf kulturelle Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse innerhalb der Wohnbevölkerung zu beachten.146 142

H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 54. Gaudernack, S. 61; Guckelberger / Heimpel, LKRZ 2010, 276 (279); Troidl, BauR 2012, 183 (192). 144 Gaudernack, S. 225; Troidl, BauR 2012, 183 (192). 145 Gaudernack, S. 61, 225. 146 S / S/D / Stern, § 118, III 3.  143

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Für die Frage des Sich-Einfügens ist entscheidend, ob die nach außen sichtbare Erscheinung des Vorhabens im Verhältnis zur Umgebungsbebauung die städtebauliche Harmonie wahrt.147 Überschreitet die geplante Kultusstätte nach Art oder Maß der Bebauung oder der überbaubaren Grundstücksfläche den vorhandenen Rahmen, kann sie sich gleichwohl ausnahmsweise einfügen, wenn durch den Bau keine bodenrechtlichen Spannungen begründet oder erhöht werden.148 Allerdings bildet Maßstab des Einfügungsgebots gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB die Eigenart der näheren Umgebung, die im Wesentlichen von der Umgebungsbebauung geprägt wird. Für das Einfügungsgebot bedeutet dies, dass das Vorhaben insbesondere nicht in Hinblick auf die Art und das Maß der baulichen Nutzung in Bezug auf die vorhandene Umgebungsbebauung gebietsunverträglich sein darf. Die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit hat sich dabei auf alle vier in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannten Kriterien zu erstrecken, wobei anhand der näheren Umgebung jeweils zu fragen ist, inwieweit sich das Vorhaben noch in diesem tatsächlich vorgefundenen Rahmen hält. Der Grad der Verunstaltung muss dabei jedenfalls noch nicht erreicht sein. An die bauplanungsrechtliche Zulässigkeitsvoraussetzung des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB, nach der das sakrale Vorhaben nicht das Ortsbild „beeinträchtigen“ darf, sind geringere Anforderungen zu stellen als an eine „Verunstaltung“ im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Um eine Ortsbildbeeinträchtigung annehmen zu können, ist es ausreichend, dass das Vorhaben zur Nachbarbebauung in einen unharmonischen Widerspruch tritt.149 Während beim Begriff des Einfügens nur die nähere Umgebung eines Vorhabens einbezogen wird, ist bei der Frage nach einer Beeinträchtigung des Ortsbildes tatsächlich der gesamte Ort relevant.150 Es sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen erfasst, die bodenrechtliche Relevanz haben und potentiell planerisch auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB festsetzbar wären.151 Rein bauordnungsrechtlich zu beurteilende Gestaltungsfragen sind insoweit, schon aus kompetenzrechtlichen Gründen, irrelevant.152 Eine Ortsbildbeeinträchtigung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB liegt im Übrigen nach der Rechtsprechung des BVerwG erst dann vor, wenn sich das Ortsbild selbst als besonders schutzwürdig erweist.153 Eine Beeinträchtigung des Ortsbildes gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB liegt nicht allein deswegen vor, weil eine Moschee mit Minarett in ländlicher Umgebung eine architektonische Fremdartigkeit aufweist.154 Denn Anlagen für kirchliche 147

VG Düsseldorf, Urt. v. 23. 08. 2007 – 9 K 1672/05 = NWVBl. 2008, 157 (158). Gaudernack, S. 61 f., 226. 149 BVerwG, Urt. v. 22. 06. 1990 – 4 C 6.87, Rn. 26; siehe hierzu Kapitel B. V. 1. 150 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 = NVwZ 2000, 1169 (1170); Gaudernack, S. 227. 151 Gaudernack, S. 227; vgl. hierzu ausführlich Kapitel B. III. 5. und B. V. 1. 152 Gaudernack, S. 227. 153 Gaudernack, S. 227. 154 Gaudernack, S. 225 f. 148

VI. Sakrale Bauten und das Einfügungsgebot  

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Zwecke besitzen in der näheren Umgebung von der Art des Bauwerks und seiner Ausführung gewöhnlicherweise keinen Solitär und erscheinen damit regelmäßig als von der Umgebung abgesetztes Sonderbauwerk. Jedenfalls liegt kein disharmonischer Widerspruch zu den umliegenden ein- bis zweigeschossigen Wohnhäusern vor, soweit das sakrale Vorhaben eine Höhe von 9,50 m nicht übersteigt.155 Gerade mit Blick auf die abendländisch-christlich geprägte Kulturlandschaft ist festzuhalten, dass das Bauplanungsrecht hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung keinen „Milieuschutz“ gewährleistet, sodass eine Moschee oder ein Minarett nicht wegen des „fremdländischen“ Aussehens baurechtlich unzulässig sind.156 Das Baurecht dient nicht dem Schutz und Erhalt stadtkultureller Milieus und kann daher nicht Kultusgebäude einer religiösen Minderheit von seinem Anwendungsbereich ausnehmen.157 Dies hat das BVerwG bereits in Hinblick auf die von der heimischen Wohnbevölkerung abweichenden Lebensgewohnheiten der Bewohner eines Asylbewerberheims herausgestellt.158 Auch im Geltungsbereich eines Bebauungsplans können sich Nachbarn nicht mit Erfolg auf ihre negative Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) berufen, um sich gegen die Erteilung einer Ausnahme von den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu wehren: Die negative Glaubensfreiheit gibt „kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen und Handlungen völlig verschont zu bleiben“.159 Das Einfügungsgebot gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird in der Praxis vor allem bei Minaretten relevant. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Minaretten richtet sich ebenso wie die von Moscheen nach den Bestimmungen des Bau­gesetzbuchs und der Baunutzungsverordnung.160 Es wird regelmäßig die Höhe eines Minaretts in Bezug auf die Umgebungsbebauung problematisch sein, oftmals verbunden mit der Forderung der ortsansässigen Wohnbevölkerung, dass das Minarett den christlichen Kirchturm nicht übersteigen dürfe.161 Das Bauplanungsrecht kennt jedenfalls keinen Milieuschutz; das muslimische Minarett ist insofern hinsichtlich seiner Symbolik mit Rücksicht auf die Glaubensausübungsfreiheit einem 155

HessVGH, Urt. v. 24. 06. 2005 – 3 ZU 2720/04. H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56. 157 Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133; jedoch sind im Rahmen des Rücksichtnahmegebots (§ 15 Abs. 1 BauNVO) die Befürchtungen der Nachbarn einer geplanten Kultstätte, es werde zu terroristischen oder neonazistischen Anschlägen kommen, baurechtlich zu berücksichtigen. Bodenrechtliche Relevanz kann nämlich jeder Gesichtspunkt erlangen, der die Bodennutzung betrifft und sich auf diese auswirkt. In der Bauleitplanung sind die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung hinreichend zu berücksichtigen, § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB. § 15 Abs. 1 BauNVO dient ebenso wie die Abwägungsgebote im Bauleitplanverfahren der städtebaulichen Konfliktbewältigung, str., siehe Gaudernack, S. 189. In der Regel wird jedoch keine über eine unspezifizierte Be­sorgnis hinausgehende Gefährdungslage vorliegen, BVerwG, Urt. v. 25. 01. 2007 = NVwZ 2007, 587 (588). 158 BVerwG, Urt. v. 23. 08. 1996 – 4 C 13/94 = NVwZ 1997, 384 ff. 159 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = DVBl. 2007, 645 (646). 160 Guckelberger / Heimpel, LKRZ 2010, 276 (280). 161 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56. 156

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

christlichen Kirchturm vergleichbar.162 In Deutschland darf in den seltensten Fällen von einem Minarett aus ein realer Gebetsruf nach außen erschallen, sodass die Minarette am ehesten der optischen Repräsentation dienen.163 Liegt ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil vor, muss sich das Minarett in die vorhandene Bebauung einfügen, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Eine grundsätzliche Genehmigung von Moscheen, allerdings ohne Minarett, ist wegen Verstoßes gegen die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) unzulässig.164 Ein Minarett fügt sich andererseits nicht allein schon deswegen in die Eigenart der näheren Umgebung ein, soweit die Moschee als Hauptbaukörper für sich genommen bauplanungsrechtlich zulässig ist. Das Minarett ist vielmehr genauso wie die Moschee und unabhängig von ihr auf seine Vereinbarkeit mit den baurechtlichen Vorschriften zu prüfen.165 Ein Gebetsturm fügt sich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht mehr in die Umgebungsbebauung ein, wenn er 25 m betragen soll und die nähere Umgebung nur eine Bebauung von 12 m aufweist. An diesem Ergebnis ändert es auch nichts, soweit das Minarett nach der Art der baulichen Nutzung im Baugebiet zulässig ist.166 Schließlich können auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung bodenrechtlich beachtliche Spannungen entstehen, soweit das Vorhaben den ge­gebenen Rahmen in unangemessener Weise überschreitet.167 Sind allerdings in der näheren Umgebung bauliche Anlagen mit vergleichbarer Höhenentwicklung vorhanden, – wie im Falle eines 22,50 m hohen Schornsteins bei einem 19,22 m hohen begehbaren Minarett – dann fügt sich das Minarett hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.168 Die Ausstrahlungswirkung der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) ist auch bei der Anwendung und Auslegung des Einfügungsgebots gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 GG in Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung zu berücksichtigen. So rechtfertigt die Bedeutung des Minaretts für eine muslimische Gemeinde als Ausdruck der spezifischen Nutzung des religiösen Gebäudes, dass sowohl Kuppel sowie Minarett als einzige einige Häuser in der Nachbarschaft überragen.169 Das VG Frankfurt a. M. setzte sich dabei mit der Frage auseinander, inwieweit sich eine Moschee in die bestehende Umgebungsbebauung eines kleinen Ortsteils einfügt. Dabei zog es zur Beurteilung der Vereinbarkeit einer Moschee mit dem Maß der baulichen Nutzung das vorhandene Ortsbild heran. Es verglich das Vorhaben 162 BayVGH, Beschl. v. 29. 08. 1996 – 26 N 95.2983 = NVwZ 1997, 1016 (1017 ff.); OVG RhPf, Beschl. v.  20. 11. 2000  – 8 A 11739/00 = NVwZ 2001, 933; VG Minden, Urt. v. 22. 04. 2010 – 9 K 981/09. 163 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56. 164 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56. 165 VG Düsseldorf, Urt. v. 23. 08. 2007 – 9 K 1672/05. 166 VG Düsseldorf, Urt. v. 23. 08. 2007 – 9 K 1672/05. 167 BVerwG, Urt. v. 15. 12. 1994 – 4 C 19.93 = NVwZ 1995, 897 (898). 168 VG Minden, Urt. v. 22. 04. 2010 – 9 K 981/09. 169 VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (177); VG Darmstadt, Beschl. v. 12. 07. 2005 – 2 G 1000/05.

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

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mit den vorhandenen Baukörpern. Die Moschee besaß einen flachen Baukörper, der mit einer Kuppel abschloss, die in einer Höhe von 6,50 m endete. Das Gericht sah darin eine nicht unübliche Traufhöhe von zweigeschossigen Wohngebäuden. Unter Berücksichtigung der Spitze der Moschee und dem höchsten Punkt des Minaretts entsprach das Vorhaben dem Dachfirst eines benachbarten Mehrfamilienhauses, wobei das VG konstatierte, dass das Vorhaben weniger massig wirken werde als das Mehrfamilienhaus. Das VG billigte schlussendlich den Umstand, dass Kuppel sowie Minarett als einzige einige Häuser in der Nachbarschaft überragen werden. Obwohl es sich um einen kleinen Ortsteil handelte, sah es das VG als entscheidend an, dass es sich bei der Moschee um ein religiöses Gebäude handelte, dessen Kuppel und Minarett als Ausdruck der spezifischen Nutzung eines Vorhabens  – das hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung zulässig ist – hinzunehmen sind. Denn die BauNVO ist religionsneutral anzuwenden – so führte das VG aus: „Beim Bau einer christlichen Kirche würde die Forderung, ihr Kirchturm dürfe benachbarte Wohnhäuser nicht überragen, als abwegig abgetan werden.“170 Damit steht nicht von vornherein fest, dass ein glaubens- oder weltanschaulich motiviertes Vorhaben – auch soweit es nicht von einer der großen Staatskirchen errichtet werden soll  – in einer kleinen Ortschaft dessen Ortsbild im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB beeinträchtigt, soweit es als einziges Bauwerk einige Häuser in der Nachbarschaft überragt. Aus diesem Umstand kann erst recht nicht auf eine Verunstaltung des Ortsbildes geschlossen werden. Aufgrund der religiösen Neutralität des Baurechts müssen die für die ländliche Region ungewöhnlichen Besonderheiten wie Kuppeldach und Minarett unberücksichtigt bleiben – selbst wenn diese bei der Annäherung an den Ortsteil die Aufmerksamkeit auf sich ziehen mögen – und stellen damit auch nicht eine ästhetische Störung des sich bietenden Gesamtbildes dar. Im vorliegenden Fall war die geplante Moschee weder so massig, noch war der Ortseingang markant und es bot sich auch kein geschlossenes Ortsbild, sodass das VG nicht von einer erdrückenden Wirkung des Vorhabens auf die angrenzenden Häuser ausgehen konnte.171

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB Anlagen für kirchliche und kulturelle Zwecke zählen im bauplanungsrecht­lichen Außenbereich nicht zu den gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben, sondern stellen sonstige Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB dar.172 Die Errichtung 170

VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (177). VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (177). 172 Gaudernack, S.  62, 207; H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 55; soweit auch heute noch der Typ der Dorfkirche überwiegen mag, werden heute unter Veränderung in der Art der Seelsorge in zunehmenden Maße Kultstätten in unbesiedelten Gebieten errichtet. Zu denken ist etwa an kleine Ausflugskapellen oder gar an Kultstätten, die dem Massentourismus an der See oder im Gebirge gewachsen sind. An den Autobahnen entstehen Autobahnkirchen, Brümmer, S. 164. 171

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

von Sakralbauten im Außenbereich ist damit bauplanungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Der überindividuelle Charakter jeder Rechtsordnung schließt bereits einen Anspruch auf die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich bedingten Vorhabens an einem konkreten Standort im Außenbereich unter Berufung auf die Glaubensfreiheit aus, weil ansonsten jede Rechtsordnung durch grenzenlose Anerkennung individueller Rechte gesprengt werden könnte.173 Eine weitere Überlegung zeigt ebenso, dass ein Bauherr keinen Anspruch auf die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Bauvorhabens an einem bestimmten Standort haben kann: Selbst dort, wo religiöse Gebote zu einer bestimmten Religionsausübung wie im Falle des Schächtens von Tieren zwingen, ist der Staat nicht daran gehindert, die Ausgestaltung der jeweiligen Glaubensausübung näher zu regeln. Obgleich im Einzelfall eine grundrechtskonforme Auslegung im Lichte der Glaubensfreiheit die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom grundsätzlichen Verbot des Schächtens von Tieren erforderlich macht, kann die Glaubensfreiheit nicht verhindern, dass der Staat die näheren Zulässigkeitsvoraussetzungen zur Ausübung der Glaubensfreiheit regelt.174 Aus dieser Überlegung heraus lässt sich auch herleiten, warum der Staat mittels Ausgestaltung der bauplanungsrechtlichen Vorschriften die Errichtung eines sakralen Bauvorhabens im Außenbereich näher regeln darf. Der bloße Umstand, dass ein Verhalten unter dem Schutzbereich der Glaubensfreiheit fällt, kann  – wie auch bei der Aufstellung von Kunstwerken im Außenbereich  – nicht dazu führen, zu diesem Zwecke Kultusstätten im Außenbereich entgegen bauplanungsrechtlicher Vorschriften errichten zu dürfen.175 Später wird in diesem Zusammenhang noch näher auf die Entscheidung des OVG RhPf eingegangen, nach der die Absicht, einem überirdischen Auftrag im Außenbereich durch die Errichtung einer Kapelle entsprechen zu wollen, noch nicht zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines sakralen Vorhabens führen können soll.176 Im Falle der Versagung einer Baugenehmigung muss in jedem Einzelfall dargelegt werden, aufgrund welcher Grundrechte Dritter oder Gemeinschaftswerte von Rang die Beschränkung der Glaubensausübungsfreiheit erfolgt.177

173

HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 105. HdB-StaatsR / von Campenhausen, § 157, Rn. 95. 175 Schröter, S. 310. 176 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). 177 Troidl, BauR 2012, 183 (190). 174

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

435

1. Glaubens- oder weltanschaulich motivierte Vorhaben im Außenbereich als privilegierte Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB? Bei glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhaben im Außenbereich stellt sich die Frage – unabhängig davon, welche Religion, welchen Glauben oder welche Weltanschauung die Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft besitzt –, ob der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) verfassungsrechtlich eine so starke Bedeutung zukommt, dass ein glaubens- oder weltanschaulich motiviertes Vorhaben im Außenbereich gem. § 35 Abs. 1 BauGB bevorrechtigt zulässig ist. Die Frage muss in zweierlei Hinsicht untersucht werden, nämlich einerseits dahingehend, ob auf dem Wege des einfachen Rechts glaubens- oder weltanschaulich motivierte Vorhaben unter einem der Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 BauGB subsumiert werden können und andererseits, ob das Verfassungsrecht zu einer solchen Auslegung des einfachen Rechts zwingt. Je nach Fallgestaltung könnte man freilich auf die Idee kommen, die Errichtung eines glaubensmotivierten Vorhabens wie einer Kapelle im Außenbereich gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dann als bevorzugt anzusehen, soweit es einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nicht nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt. Ebenso ließe sich daran denken, ein glaubens- oder weltanschaulich motiviertes Vorhaben wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung als nur im Außenbereich zulässig zu erachten, § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Dabei haben sich  – soweit ersichtlich  – drei Gerichtsentscheidungen mit der Frage beschäftigt, ob es sich bei einer im Außenbereich zu errichtenden Kapelle um ein privilegiertes Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB handelt. Das BVerwG178 hatte bereits im Jahr 1974 über die Frage der Privilegierung einer Außenbereichskapelle gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zu entscheiden. Eine Religions­ gesellschaft wollte ein sogenanntes „Schönstattzentrum“, das unter anderem eine Kapelle, ein Jugend- und Erwachsenenbildungshaus sowie eine Gruppe von Familienferienhäusern umfassen sollte, errichten. Das BVerwG sah es schon damals als nicht gegeben an, dass eine Kapelle gerade wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Das BVerwG sah dabei das „Schönstattzentrum“ bauplanungsrechtlich als einheitlich zu beurteilende Gesamtanlage. Der BayVGH179 löste in einem Fall, in dem ein Landwirt eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Kapelle auf einem landwirtschaftlich genutzten Grundstück begehrte, das Kollisionsproblem von Landschaftsschutz und Glaubensfreiheit auf der Ebene des einfachen Rechts. Das erstinstanzliche Urteil des VG München180 178

BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – IV C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882. BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898. 180 VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. 179

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

verneinte bereits die Eröffnung des Schutzbereichs der Glaubensfreiheit, wobei das VG im Wesentlichen die Grundzüge der Argumentation des Urteils des BVerwG aus dem Jahr 1974181 übernahm. Sowohl die erste als auch die zweite Instanz sahen im Ergebnis die Privilegierungsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 BauGB als nicht gegeben an. Das OVG RhPf 182 nahm zuletzt noch zur Frage der Privilegierung einer Kapelle im Außenbereich gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB Stellung, die es jedoch unter Verkennung der Bedeutung der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) verneinte. Das OVG sah in der Errichtung der Kapelle auch dann kein gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiertes Vorhaben, obgleich ihre Errichtung an dem konkreten Standort aus glaubensgeleiteten Gründen gefordert wurde. a) Hofkapellen als einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dienende Vorhaben, § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB Soweit sich ein Landwirt mit Erfolg auf die Gewährleistungen der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) berufen kann – was einen nachvollziehbaren Sachvortrag erfordert, der einer Konsistenzprüfung standhält – und eine Kapelle im Außenbereich errichten möchte, stellt sich zunächst die Frage, ob die Errichtung einer Kapelle als privilegiertes Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB angesehen werden kann, soweit sie einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt. Das VG München183 sah eine Kapelle als Hofkapelle im Außenbereich dann als genehmigungsfähig an, soweit sie in einem engen räumlichen Zusammenhang mit der Hofstelle steht und nur einen untergeordneten Teil der Hoffläche einnimmt. Der Hintergrund dieser Rechtsprechung mag wohl der gerade in den ländlich geprägten Gegenden Süddeutschlands verbreitete bäuerlich-religiöse Katholizismus und die daraus resultierende althergebrachte Tradition gewesen sein. Das VG unterschied in Hinblick auf die Frage nach einer Privilegierung der Errichtung einer Kapelle im Außenbereich zwischen hoffernen und hofnahen Vorhaben.184 Auf den ersten Blick erscheint es überzeugend, eine Kapelle als Annex zu der im Außenbereich gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB bevorzugt zulässigen landwirtschaftlichen Nutzung anzusehen.185 Jedoch wird sich zeigen, dass die Privilegierung einer Kapelle unter anderem an dem Merkmal des „Dienens“ (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) scheitern wird.

181

BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – IV C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882. OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 ff. 183 VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. 184 VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. 185 VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. 182

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Zweifelsohne erscheint es ohne nähere Betrachtung überzeugend, die Errichtung einer Kapelle im Außenbereich als privilegiertes Vorhaben anzusehen, das einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dient: Denn es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Bundesrepublik Deutschland – gerade mit Blick auf den katholisch geprägten südlichen Landesteil – eine über ihre Geschichte und auch über ihr überliefertes bäuerlich-religiöses Brauchtum generationsübergreifend gewachsene Werte- und Kulturgemeinschaft darstellt. Auch die Landschaftspflege ist ein Teil dieser Werte- und Kulturgemeinschaft, sodass man sie als „aktive“ Heimatpflege verstehen kann, soweit man die Errichtung von Hofkapellen als land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben dienende Vorhaben zulässig erachtet. Der Gesetzgeber beabsichtigte jedenfalls mit der Normierung der öffentlichen Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und der Verunstaltung des Ortsund Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) keine aktive Landschaftsgestaltung. Denn das Wort „Gestaltung“ ist das Gegenteil der „Verunstaltung“. Die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB sollen die Landschaft vor einer negativen Veränderung in funktionaler und ästhetischer Hinsicht bewahren. Es erscheint hingegen zu weitgehend, das Verständnis von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB über Gebühr aufzuladen, um eine aktive Landschaftspflege zu betreiben. Dies ist nicht Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Differenzierung des VG München zwischen hofnahen und hoffernen Kapellen scheitert außerdem an dem Begriffsmerkmal des „Dienens“ in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB und ist daher richtigerweise mit dem VGH München186 abzulehnen. Die Privilegierung eines Vorhabens steht nämlich unter der Prämisse, dass „ein vernünftiger Landwirt – auch und gerade unter Berücksichtigung des Gebots größtmöglicher Schonung des Außenbereichs  – dieses Vorhaben mit etwa gleichem Verwendungszweck und mit etwa gleicher Gestaltung und Ausstattung für einen entsprechenden Betrieb errichten würde und das Vorhaben durch diese Zuordnung zu dem konkreten Betrieb auch äußerlich erkennbar geprägt wird“.187 Dies legt eine objektivierbare wirtschaftliche Betrachtungsweise nahe, inwieweit das konkrete Vorhaben den land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb in kommerzieller Hinsicht fördern soll. Eine Kapelle hat auf die Erzielung von Einkünften durch den land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb jedoch keinen Einfluss.188 Es muss maßgeblich auf den Nutzen des Vorhabens für die Bodenertragsnutzung abgestellt werden, sodass insoweit die Frage nach der Hofnähe der Kapelle irrelevant ist.189 Die Hofnähe eines Vorhabens erlangt schließlich nur dann Bedeutung, wenn zwar das Vorhaben für sich betrachtet für die Bodenertragsnutzung des land- oder

186

VGH München, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 10. BVerwG, Urt. v. 03. 11. 1972 – IV C 9.70. 188 BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 10. 189 BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 10. 187

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

forstwirtschaftlichen Betriebs nützlich ist oder sie erleichtert oder fördert, aber das Vorhaben aufgrund seiner zu großen Entfernung zur Hofstelle den wirtschaftlichen Erfolg des Betriebs nicht fördern kann.190 Die dogmatische Herleitung einer Annex-Zulässigkeit für Hofkapellen eines landwirtschaftlichen Betriebs ist zudem fraglich. Denn „mitgezogene Betriebsteile“ sind über § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zwar anerkannt, setzen aber neben dem Zusammenhang mit der Bodenertragsnutzung stets eine gewerbliche oder handwerkliche (Neben-)Tätigkeit voraus. Ein verallgemeinerbarer Annextatbestand würde auch voraussetzen, dass die sakrale Nutzung der Kapelle regelartig und ihrem Wesen nach in Verbindung mit einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb steht. Der bäuerlich-religiöse Katholizismus prägt jedenfalls nicht mehr – wie im hier entschiedenen Fall – die südbayerische Kulturlandschaft, sodass eine Kapelle schon ihrem Wesen nach nicht mehr zu dem gewöhnlichen Erscheinungsbild eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs gehört. Eine Hofkapelle kann auch nicht als eine untergeordnete Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO angesehen werden. Solche Anlagen sind funktionell dem landwirtschaftlichen Betrieb untergeordnet,191 was jedoch eine funktionale Zuordnung der Hofkapelle zum landwirtschaftlichen Betrieb voraussetzt. Kapellen stehen demgegenüber in keinem funktionalen Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Tätigkeit. Obgleich der Flächennutzungsplan sowohl die Hofstelle als auch den beabsichtigten Standort der Kapelle als landwirtschaftliche Fläche darstellt, folgt daraus noch nicht, dass ein Vorhaben an jener Stelle im Außenbereich zugelassen werden muss. Denn bei mitgezogenen Betriebsteilen ist es anerkannt, dass diese stets nur in räumlicher Nähe zur Hofstelle und nicht in völlig unbebauter Landschaft verwirklicht werden dürfen.192 Der BayVGH führte außerdem gegen die Ansicht, die nach hofnahen und hoffernen Kapellen differenzieren will, an, dass mit dieser Differenzierung in der Rechtspraxis Abgrenzungsschwierigkeiten einhergehen.193 Dieses Argument vermag jedenfalls nicht recht zu überzeugen, denn Abgrenzungsschwierigkeiten sind in der Praxis vielmehr hinzunehmen, da sowohl die räumliche als auch die funktionale Zuordnung eines Vorhabens für die Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens dem Gesetz nicht unbekannt ist. So hält das Gesetz in § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe e) BauGB weitere 190 BVerwG, Urt. v.  16. 05. 1992  – 4 C 2/89 = NVwZ-RR 1992, 400; BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 10. 191 BVerwG, Urt. v. 17. 12. 1976 – IV C 6.75 = NJW 1977, 2090; BVerwG Urt. v. 28. 04. 2004 – 4 C 10.03 = NVwZ 2004, 1244. 192 EZBK / Söfker, § 35, Rn. 35. 193 BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 10.

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

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Konstellationen bereit, in denen es auf eine funktionale und räumliche Zuordnung eines Vorhabens zur Hofstelle oder zum vorhandenen Betrieb ankommt. Da die Errichtung einer Kapelle im Außenbereich an der Hofstelle eines landwirtschaftlichen Betriebes keine Relevanz für die Einkünfteerzielung des Betriebs besitzt und damit die Privilegierung einer Hofkapelle eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ausscheidet, kommt es auch nicht mehr auf die Frage an, ob Landwirte aufgrund einer Privilegierung von Hofkapellen im Außenbereich gegenüber anderen Berufsgruppen in unzulässigerweise bevorzugt würden und deswegen schon eine Privilegierung von Hofkapellen gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ausgeschlossen wäre. Der BayVGH194 nahm zwar eine Ungleichbehandlung der anderen Berufsgruppen gegenüber den Landwirten an, da sie sich nicht auf § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB berufen könnten. Dies wäre aber letztlich vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten der erleichterten Zulässigkeit landwirtschaftlicher Vorhaben im Außenbereich hinzunehmen. b) Privilegierung aufgrund der „besonderen Zweckbestimmung“, § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB Gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist ein Vorhaben im Außenbereich dann zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachhaltigen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Ein glaubensmotiviertes Vorhaben wie eine Kapelle oder andere Sakralbauten können aber nur in seltenen Konstellationen unter den Ausnahmetatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB fallen und damit ein privilegiertes Vorhaben sein. Strenge Voraussetzungen sind nämlich an die Merkmale der „besonderen Zweckbestimmung“ zu stellen und der Gesetzeswortlaut ist, nach dem das Vorhaben „nur im Außenbereich ausgeführt werden soll“, ernst zu nehmen. Diese Voraussetzungen werden jedenfalls regelmäßig nicht vorliegen, sodass in den meisten Fällen auch eine Privilegierung gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ausscheiden wird.195 Denn es muss sich bei § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB stets um ein solches Vorhaben handeln, das in bestimmter Weise zur Erreichung des mit ihm verfolgten Zwecks auf einen Standort im Außenbereich angewiesen ist.196 Im Gegensatz zu den übri 194

BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 10. BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667; Gaudernack, S. 62; Hoppenberg / de Witt / Rövekamp, §§ 33, 35, Rn. 163. 196 BVerwG, Urt. v.  03. 11. 1972  – 4 C 9/70; BVerwG, Urt. v.  07. 05. 1976  – 4 C 43/74; BVerwG, Urt. v.  18. 02. 1983  – 4 C 19/81; BVerwG, Beschl. v.  27. 06. 1983  – 4 B 206/82; BVerwG, Urt. v. 16. 06. 1994 – 4 C 20.93; EZBK / Söfker, § 35, Rn. 55. 195

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

gen Privilegierungstatbeständen, die eine bestimmte Funktion des Vorhabens voraussetzen, kommt es hier allein auf die Frage an, ob nach Lage der Dinge die Verwirklichung im Außenbereich geboten ist.197 § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB setzt dabei voraus, dass neben den drei umgebungsbezogenen Merkmalen – wie die besonderen Anforderungen an die Umgebung, die nachteiligen Wirkungen auf die Umgebung oder eine besondere Zweckbestimmung – zusätzlich der Umstand vorliegen muss, dass das Vorhaben wegen einer dieser Merkmale „nur im Außenbereich ausgeführt werden soll“.198 aa) Grundsatz Eine Kapelle oder ein anderer Sakralbau wird regelmäßig schon wegen ihrer bzw. seiner fehlenden besonderen Zweckbestimmung nicht unter diese Vorschrift fallen.199 Denn die Kultusstätte müsste dann einen besonderen Außenbereichsbezug aufweisen, was dann der Fall wäre, wenn sie von ihrer Zweckbestimmung her der natürlichen Funktion des Außenbereichs entspräche. Sie müsste also sinnvollerweise nur im Außenbereich verwirklicht werden können.200 Die tatbestandliche Umschreibung, nach der ein Vorhaben nur unter engen Voraussetzungen im Außenbereich ausgeführt werden „soll“, läuft letztlich auf die Frage hinaus, ob das Vorhaben unter Billigkeitsgesichtspunkten bevorzugt im Außenbereich zuzulassen ist.201 Die Reichweite der drei umgebungsbezogenen Merkmale soll damit auf ein sachangemessenes Maß reduziert werden.202 Obgleich der Bauherr billigenswerte Interessen an der Errichtung eines sakralen Vorhabens im Außenbereich haben mag, ist sein Vorhaben dennoch nicht schützenswert, soweit es nicht auf die Außenbereichslage angewiesen ist und die Möglichkeit besteht, das Vorhaben im Innenbereich bei annähernd gleicher Zweckbestimmung zu errichten.203 Dies ist letztlich ein Gesichtspunkt des Außenbereichsschutzes, schonend und sparsam mit unversiegeltem Boden umzugehen. Die enge Auslegung des Begriffs des „Sollens“ im Gesetzeswortlaut des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist zweifelsohne der Tatsache geschuldet, dass der Gesetzgeber die privilegierten Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB dem Außenbereich in 197

BVerwG, Urt. v. 14. 03. 1975 – 4 C 41/73 = NJW 1975, 2114; BVerwG, Urt. v. 28. 04. 1978 – 4 C 53/76; EZBK / Söfker, § 35, Rn. 55. 198 BVerwG, Urt. v. 14. 03. 1975 – 4 C 41.73 = NJW 1975, 2114. 199 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667; Gaudernack, S. 62; Hoppenberg / de Witt / Rövekamp, §§ 33, 35, Rn. 163; Weyreuther, S. 279. 200 VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. 201 BVerwG, Urt. v. 14. 03. 1975 – 4 C 41/73 = NJW 1975, 2114. 202 BVerwG, Urt. v.  14. 05. 1969  – 4 C 19.68; BVerwG, Urt. v.  03. 05. 1974  – 4 C 10.71; BVerwG, Beschl. v. 12. 04. 2011 – 4 B 6.11; EZBK / Söfker, § 35, Rn. 55. 203 VG München, Urt. v.  20. 12. 2011  – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671; Weyreuther, S. 379.

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

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einer dem § 30 Abs. 1 BauGB vergleichbaren planähnlichen Art zugewiesen hat, sodass sich ihre Realisierung im Außenbereich offenkundig für jedermann aufdrängen muss.204 Eine einschränkende Auslegung des Auffangtatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist vor allem auch deswegen geboten, da die Vorschrift abstrakter gefasst ist als die anderen Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BauGB.205 Wenn nun der Gesetzgeber, der mit dem Regelungsinstrument des § 35 BauGB strenge Anforderungen an die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich stellt, sogar die kraft gesellschaftshistorischer Tradition und Verbundenheit zum Boden als Land- und Forstwirtschaft privilegiert zulässigen Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB unter die Bedingung stellt, das sie zum einen einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb „dienen“ und zum anderen nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnehmen dürfen, dann müssen erst recht strenge Kriterien an die Zulässigkeit von Vorhaben gestellt werden, die ihre Zulässigkeit auf § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB als subsidiären Auffangtatbestand stützen wollen.206 Die Rechtsprechung geht davon aus, dass Sakralbauten keine im Außenbereich privilegierte Vorhaben sind, weil ihre Besucher regelmäßig nicht darauf angewiesen sind, ihre Religion im Außenbereich in einem Kultusgebäude auszuüben.207 Es mangelt insofern schon an einer besonderen Beziehung zum Außenbereich, weil keines der drei umgebungsbezogenen Merkmale, insbesondere die besondere Zweckbestimmung, erfüllt sind. Das BVerwG wies außerdem darauf hin, dass selbst dann, wenn ein Vorhaben seinen Zweck vorteilhaft und am Besten im Außenbereich erfüllen kann, dieser Umstand allein nicht ausreicht, um den Auffangtatbestand zu erfüllen. Es gibt nämlich zahlreiche Betätigungen, die ihren Zweck am Besten im Außenbereich erfüllen, ohne dass gleichzeitig eine dem Außenbereich dienliche Anlage vorliegt.208 Das BVerwG hat dies namentlich für Wochenendhäuser, Golfanlagen und Windenergieanlagen erwogen.209 Der Gehalt des Tatbestandsmerkmals „soll“ wird schließlich vor allem durch den Gleichheitssatz geprägt. Jeder Privilegierung ist nämlich eigen, dass mit ihr die Gleichbehandlung durchbrochen wird, was einer Rechtfertigung bedarf. Der Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz tritt bei Bauvorhaben, die der individuellen Erholung dienen sollen, deutlich zutage.210

204 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. 205 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). 206 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882. 207 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667; Weyreuther, S. 279. 208 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328. 209 EZBK / Söfker, § 35, Rn. 55. 210 Weyreuther, S. 383.

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Es bedarf stets einer prinzipiellen Rechtfertigung für die jeweilige Art von Vorhaben in jedem Einzelfall.211 Damit reicht es auch nicht aus, dass Kapellen oder andere Kultusstätten hinsichtlich ihres Standortes im Außenbereich „besonders gut“ wirken und ausgeführt werden können.212 Ferienhäuser einer Glaubensgemeinschaft können daher im Außenbereich selbst dann nicht zugelassen werden, wenn ihnen eine Kapelle oder eine Bildungseinrichtung hinzugefügt wird, da ansonsten der Tatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB überdehnt würde.213 Das BVerwG legte im Falle der Errichtung eines „Schönstattzentrums“ mit Bildungseinrichtungen im Außenbereich den Grundstein dafür, dass es für eine Privilegierung gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nicht ausreichend ist, wenn ein Vorhaben besonders gut im Außenbereich zu verwirklichen ist. Selbst wenn sich das geplante Schönstattzentrum genauso innerhalb eines bebauten Ortsteils verwirklichen ließe, sei es zweifelsohne so, dass eine religiöse Tagungsstätte im ruhigen und ungestörten Außenbereich besonders gut zu realisieren sei. Die Annahme einer Privilegierung scheiterte daher aufgrund des Fehlens einer besonderen Zweckbestimmung. So bestand nämlich die Möglichkeit, das Vorhaben in einer kleinen Ortschaft in Ortsrandlage zu verwirklichen, um seiner Funktion als Tagungsort in ruhiger und ungestörter Lage gerecht werden zu können.214 Für die Annahme der Privilegierung einer Kultusstätte im Außenbereich genügt ebenso nicht der Umstand, dass typischerweise Kapellen im Außenbereich – zumindest in Bayern und im Voralpenland – vorzufinden sind.215 Es liegt außerdem keine Ungleichbehandlung mit anderen und vor allem älteren Bauvorhaben vor. Die Rechtmäßigkeit der Errichtung einer neuen Kapelle richtet sich stets nach geltendem Bauplanungsrecht; es ist unerheblich, ob andere Kapellen formell und oder materiell rechtmäßig errichtet wurden oder nach heutigen Maßstäben so nicht mehr genehmigt werden könnten. Sie stammen oftmals noch aus einer Zeit, in der bundesdeutsche Baugesetze gar nicht existierten. Die Begründung ist daher bereits nicht schlüssig, nach der die Errichtung einer Kapelle im Außenbereich an den Zusammenschluss von Pfarrgemeinden bzw. an die Neugründung eines Pfarrverbandes erinnern soll und deshalb das Vorhaben im Außenbereich privilegiert zulässig sein soll. Warum ausschließlich die Errichtung im Außenbereich an den Zusammenschluss erinnern soll, ergibt sich nicht von selbst. Diese Begründung rechtfertigt es nicht, das Vorhaben notwendigerweise im Außenbereich zu realisieren.216 211

EZBK / Söfker, § 35, Rn. 55. BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006, NVwZ-RR 2007, 304; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667; BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn. 44. 213 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328. 214 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882. 215 VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667. 216 VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667. 212

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

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Sakralbauten können vielmehr jederzeit sowohl im Innen- als auch im Außenbereich angebunden an Siedlungssplitter errichtet werden.217 Dies ist gleichzeitig auch Ausdruck des in dem öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft verankerten funktionalen Landschaftsschutzgedankens. Auch das BVerwG betonte diesen Aspekt im Falle des „Schönstattzentrums“, indem es darauf hinwies, dass die Zulassung eines religiösen oder weltanschaulichen Tagungszentrums im Außenbereich dann auch genauso gut für eine Vielzahl von Vorhaben dieser oder ähnlicher Art gelten müsste. Namentlich müssten dann nicht nur Tagungsstätten von anderen religiösen, glaubens- oder weltanschaulich geleiteten Vereinigungen unter Berufung auf das jeweils einschlägige Grundrecht zugelassen werden, sondern eine Zulassung müsste ebenso für Vorhaben von Gewerkschaften, politischen, sportlichen oder rein gesellschaftlichen Vereinigungen erfolgen.218 Eine solche Auslegung, die alleine darauf abstellt, ob das Vorhaben mit seiner Zweckbestimmung „noch besser“ im Außenbereich verwirklicht werden könnte, würde den Außenbereichsschutz aushöhlen und dem Freihaltebedürfnis des Außenbereichs vor wesensfremder Bebauung unter Berücksichtigung der naturgegebenen Nutzung für die Land- und Forstwirtschaft sowie als Erholungslandschaft für die Allgemeinheit nicht gerecht werden. Es würde vielmehr einer umfangreichen Bebauung des Außenbereichs zu Erholungszwecken „Tür und Tor geöffnet werden“.219 Bereits der Wortlaut des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB steht der Errichtung eines Schulungszentrums, einer Bildungseinrichtung oder eines ähnlichen Freizeitzentrums im Außenbereich entgegen. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um eine Glaubensoder Weltanschauungsgemeinschaft, eine politische Partei, eine Gewerkschaft oder eine ähnliche soziale Einrichtung handelt. In allen Fällen kann bezweifelt werden, ob ein derartiges Vorhaben „nur“ im Außenbereich errichtet werden „soll“. Hierbei steht nicht nur die Betrachtung im Vordergrund, ob eine besondere Zweck­ bestimmung die Errichtung im Außenbereich erforderlich macht, sondern zusätzlich muss auch die städtebauliche Situation im Innenbereich in den Blick des Betrachters genommen werden. Die besondere Zweckbestimmung des Vorhabens muss eine in ihrer Eigenart besondere Beziehung zum Außenbereich aufweisen. Daran fehlt es allerdings, wenn sich die Beziehung zum Außenbereich in rein graduellen Vorzügen erschöpft.220

217

VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667. BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882. 219 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882. 220 BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn. 44. 218

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

bb) Verfassungskonforme Auslegung im Lichte der Glaubensfreiheit in besonders gelagerten Einzelfällen Sakralbauten stellen grundsätzlich keine im Außenbereich privilegierten Vorhaben dar, da sie regelmäßig auf die Lage im Außenbereich nicht angewiesen sind.221 Fraglich ist, ob dies auch dann zu gelten hat, soweit ihre Errichtung aus religiösen, glaubensgeleiteten oder weltanschaulichen Gründen an dem jeweiligen Außenbereichsstandort gefordert wird. Das OVG RhPf vertritt die Auffassung, dass ein sakrales Vorhaben auch dann nicht gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB bevorrechtigt zulässig ist, soweit die Errichtung aus religiösen, glaubensgeleiteten oder weltanschaulichen Gründen an dem jeweiligen Standort gefordert wird.222 Die Literatur folgt ebenso dieser Auffassung.223 Eine derart pauschale Aussage, nach der eine Privilegierung eines sakralen Vorhabens selbst dann ausscheiden soll, soweit die Errichtung aus religiösen, glaubensmotivierten oder weltanschaulichen Gründen an dem jeweiligen Standort gefordert wird, wird der Bedeutung des Grundrechts der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) nicht gerecht. Im Rahmen der Wechselwirkungslehre ist es gerade anerkannt, dass Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2  GG die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts beeinflusst – auch solcher Gesetze, die sich auf Art. 20a GG zurückführen lassen.224 Eine verfassungskonforme Auslegung des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB hätte jedenfalls in dem vom OVG RhPf225 entschiedenen Fall über die Marienerscheinungen und dem daraus abgeleiteten Kapellenbaugebot in dieser besonderen Konstellation zu der Bejahung eines privilegierten Vorhabens führen müssen, um der Bedeutung der Glaubensfreiheit gerecht zu werden. Das OVG RhPf erkannte dabei in der Vergangenheit selbst einige Fallkonstellationen an, in denen in Ausnahmefällen von einer Privilegierung sakraler Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB auszugehen sein kann.226 Wenn man nun die Urteilsbegründung des OVG RhPf im Falle der Errichtung einer Kapelle zur Befolgung eines als überirdisch empfundenen Bauauftrags227 näher untersucht, so kristallisieren sich zwei maßgebliche Erwägungen heraus, die das OVG als entscheidend ansah, um eine Bevorzugung der Kapelle gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zu verweigern. Das OVG sah die Gesichtspunkte als ausschlaggebend an, dass eine Zulassung des Vorhabens einerseits eine erhebliche Vorbildwirkung 221

BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667; Hoppenberg / de Witt / Röve­ kamp, §§ 33, 35, Rn. 163. 222 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 ff. 223 Hohmann, BauR 2007, 858 (858). 224 H / W/Wolff, Art. 4, Rn. 12; Sachs / Kokott, Art. 4, Rn. 141. 225 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). 226 OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280. 227 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305).

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für gleichgelagerte Sachverhalte zur Folge haben könnte – was vor allem vor dem Hintergrund einer objektiv nicht oder nur schwer nachweisbaren Glaubensüberzeugung zu sehen ist – und andererseits, dass schon die katholische Kirche den Marienerscheinungen ihre Anerkennung verweigert hatte. Während nachfolgend der Einwand der Vorbildwirkung für gleichgelagerte religiöse oder weltanschauliche Sachverhalte im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB abgehandelt werden soll, wird hinsichtlich der Aspekte der nur schwer nachweisbaren Glaubensüberzeugung und der Missbilligung seitens der katholischen Kirche auf die weiter oben bereits dargestellten Ausführungen zur Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs der Glaubensfreiheit verwiesen.228 (1) Das Durchsetzungsvermögen privilegierter Vorhaben und die Bedeutung der Glaubensfreiheit Die Sichtweise des OVG RhPf verschließt sich im Ergebnis der herausragenden Bedeutung der Glaubensfreiheit – was sich noch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zeigen wird. Das Urteil des OVG hat außerdem zur Folge, dass glaubens- oder weltanschaulich motivierte Bauvorhaben im Außenbereich bei Vorliegen eines hinreichend konkreten Ortsbezugs von vornherein nicht realisierbar wären, sobald das sakrale Vorhaben öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt. Das Urteil des OVG RhPf soll deswegen die Grundlage für eine verfassungsrechtliche Untersuchung bieten, wobei sich herausstellen wird, dass die Vorschrift des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in bestimmten Konstellationen im Lichte der Glaubensfreiheit verfassungskonform ausgelegt werden muss, um der Bedeutung des Grundrechts gerecht zu werden. Im Gegensatz zu privilegierten Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB ist die Errichtung eines sakralen Vorhabens grundsätzlich gem. § 35 Abs. 2 BauGB bereits dann unzulässig, soweit eine Beeinträchtigung eines nachteilhaft berührten öffentlichen Belangs vorliegt, während bei privilegierten Vorhaben öffentliche Belange dem Vorhaben entgegenstehen müssen, um zu einer Unzulässigkeit des Vorhabens führen zu können; ein gesteigertes Durchsetzungsvermögen kommt daher privilegierten Vorhaben gegenüber nachteilig berührten öffentlichen Belangen zu. Ist jedenfalls eine verfassungskonforme Auslegung des subsidiären Auffangtatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB im Lichte der Bedeutung der Glaubensfreiheit möglich, dann muss der Glaubensfreiheit im konkreten Einzelfall zu diesem gesteigerten Durchsetzungsvermögen eines privilegierten Vorhabens verholfen werden, soweit der Bauherr ein berechtigtes Interesse an der Errichtung einer Kultusstätte oder eines sonstigen glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhaben an einem bestimmten Standort im Außenbereich besitzt.

228

Siehe oben Kapitel C. III. 1.

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

(2) Der Standortbezug bei sakralen Vorhaben und seine Bedeutung für die Privilegierung Die Entscheidung des OVG RhPf zu § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB und über den als überirdisch empfundenen Bauauftrag ist aber auch auf der Ebene des einfachen Bauplanungsrechts zu kritisieren, da der Wortlaut des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB unabhängig von der Aufladung des Sachverhalts mit Verfassungsrecht nicht unbedingt erfordert, dass als überirdisch empfundene Aufträge zur Errichtung einer Kapelle von der Vorschrift auszunehmen sind. Es ist dem OVG in seiner Herleitung darin zu folgen, dass der Außenbereich grundsätzlich von einer Bebauung freizuhalten ist und demnach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB einen weit gefassten Auffangtatbestand darstellt, der eng ausgelegt werden muss, damit der Schutz des Außenbereichs nicht ausgehöhlt wird.229 Obwohl das Gericht die Anforderungen des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB sorgfältig herausarbeitete, nach denen ein Vorhaben nur wegen seiner besonderen Zweckbestimmung im Außenbereich ausgeführt werden soll, dürfte die vorgenommene Subsumtion des zugrundeliegenden Sachverhalts unter die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht sachgerecht vorgenommen worden sein. So begründete das OVG die Versagung der Anerkennung des Privilegierungs­ tatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB mit drei Erwägungen: Ein als überirdisch empfundener Auftrag genüge zum einen nicht, um zu rechtfertigen, dass ein Vorhaben nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Die Marienkapelle besitze zum anderen keinen „singulären Charakter“, um eine Vorbild- bzw. Nachahmwirkung auszuschließen. Das Vorhaben diene außerdem nur den individuellen Interessen eines bestimmten Personenkreises.230 Ein Vorhaben muss, um in den Genuss der Privilegierung gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zu kommen, wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich realisierbar sein und „soll“ deswegen auch nur im Außenbereich ausgeführt werden. Während das Merkmal der besonderen Zweckbestimmung aussagen will, dass das Vorhaben nur sinnvollerweise im Außenbereich seiner bestimmungsgemäßen Funktion gerecht wird,231 bringt das Wort „sollen“ Billigkeitsgesichtspunkte ins Spiel und dient als zweites einschränkendes Korrektiv, was Vorhaben ausscheiden soll, die deswegen nicht schützenswert sind, weil sie auf die Lage im Außenbereich nicht angewiesen sind und ebenso gut im Innenbereich errichtet werden können.232 Ein konkreter Standortbezug zum Außenbereich lag jedenfalls in den eingangs des Kapitels dargestellten Entscheidungen des BVerwG233 und des BayVGH234 nicht 229

OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). 231 VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. 232 BVerwG, Urt. v. 14. 03. 1975 – 4 C 41/73 = NJW 1975, 2114; Weyreuther, S. 379. 233 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882. 234 BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898. 230

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

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vor. Das religiöse Tagungszentrum oder die Kapelle, die an die Neugründung eines Pfarrverbandes erinnern sollte, mussten nicht im Außenbereich realisiert werden, da diese Vorhaben genauso gut in bebauten Ortsteilen, Ortsrandlagen oder Siedlungssplittern hätten verwirklicht werden können. Es ist dem OVG RhPf deshalb vom Ansatz her zu folgen, wenn es als Auslegungsgrundsatz ausführte, dass dem Merkmal des „Sollens“ ein „singulärer Charakter“ zukomme, um eine Vorbildwirkung für andere Vorhaben auszuschließen.235 Der Aspekt der Vermeidung einer Vorbildwirkung dient letztlich dem Schutz des Außenbereichs vor einer ihm wesensfremden Bebauung. Daraus kann jedenfalls nicht gefolgert werden – wie es das OVG RhPf tat –, dass die Absicht, einem überirdischen Auftrag zu entsprechen, nicht den Anforderungen genüge, die an das Merkmal der besonderen Zweckbestimmung zu stellen sind.236 Denn zum einen gibt der Wortlaut des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nicht vor, dass überirdisch empfundene Verpflichtungen nicht als besondere Zweckbestimmung angesehen werden können, mit der Folge, dass ein Vorhaben sinnvollerweise nur im Außenbereich ausgeführt werden muss. Ein „singulärer Charakter“ kommt zum anderen den Marienerscheinungen tatsächlich zu  – was auch das OVG RhPf in seinem Urteil ausdrücklich anerkannte.237 So war die geplante Marienkapelle aufgrund des für verbindlich erachteten Kapellenbaugebots im Gegensatz zu den angeführten Entscheidungen des BVerwG und des BayVGH durch einen einmaligen Standortbezug gekennzeichnet. So sollte das Vorhaben auf einem Nachbargrundstück errichtet werden, auf dem in der Vergangenheit Marienerscheinungen stattgefunden haben sollen. Die Errichtung einer Kapelle an jenem Standort war für die Gläubigen nur dort sinnvoll, um den als verbindlich empfundenen Auftrag der Gottesmutter gerecht werden zu können. Das Vorhaben konnte wegen seiner besonderen Zweckbestimmung sinnvollerweise nur an jenem konkreten Ort verwirklicht werden. Eine Ortsgebundenheit zeichnete sich gerade dadurch aus, dass das Vorhaben seinem Wesen nach ausschließlich nur an der fraglichen Stelle errichtet werden konnte.238 Denn eine Ortsgebundenheit liegt beispielsweise dann vor, wenn das Vorhaben auf die geographische Eigenart des Standortes angewiesen ist, weil es an einem anderen Ort seinen Zweck verfehlen würde.239 Es standen dem Vorhaben auch keine sonstigen Billigkeitsgesichtspunkte entgegen, um die Errichtung des Sakralbaus zum Schutze des Außenbereichs vor weiterer Bodenversiegelung in bebaute Gebiete oder in den Innenbereich verweisen zu können. So zeigte der Bauherr Kompromissbereitschaft und verkleinerte

235

OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). 237 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). 238 BVerwG, Urt. v. 16. 06. 1994 – 4 C 20/93 = NVwZ 1995, 64 (65). 239 BVerwG, Urt. v. 16. 06. 1994 – 4 C 20/93 = NVwZ 1995, 64 (65). 236

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

die geplante Kapelle um ca. 20 % an Grundfläche. Die Kapelle fiel entsprechend ihrem Zweck recht klein aus; sie sollte lediglich 12 Personen aufnehmen können. Die Zumutbarkeit, eine Bodenversiegelung auf das absolut notwendige Maß zu begrenzen, war damit auch unter Billigkeitsgesichtspunkten gewahrt. Der Eingriff in das Landschaftsbild war folglich verhältnismäßig im engeren Sinne. Gleichzeitig wäre es möglich gewesen, die gegenläufigen Verfassungsgüter in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Unter gleichzeitiger Verwirklichung des Interesses der Glaubensgemeinschaft an der Schaffung einer Marienkapelle wäre der Eingriff in das Landschaftsbild geringfügig gewesen, da auch kein besonders schutzwürdiges Landschaftsbild vorlag. (3) Die „besondere Zweckbestimmung“ des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB und sakrale Vorhaben in der Rechtsprechung Der Begriff der „besonderen Zweckbestimmung“ in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist verfassungskonform auszulegen, um der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) hinreichendes Gewicht zu verleihen. Das OVG RhPf hat selbst noch in einem Beschluss aus dem Jahre 2003240 angenommen, dass Kapellen in Sonderfällen bevorzugt gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zulässig sein können. Sakralbauten könnten unter bestimmten Voraussetzungen wegen ihrer nur im Außenbereich zu verwirklichenden besonderen Zweckbestimmung im Einzelfall bevorrechtigt zulässig sein. Dies gelte namentlich für öffentlich zugängliche, einfache Flurkapellen, die Wanderern oder auch Jägern als Andachtsort dienen sollen oder für Votivkapellen am Ort einer Rettung.241 Votivkapellen sind dabei solche sakralen Bauwerke, die als Zeichen des Dankes für die Rettung aus einer Notlage oder im Falle einer Gebetserhörung im Zusammenhang mit der vorherigen Abgabe eines Gelübdes einem Heiligen zum Dank errichtet werden.242 Hierunter fiele auch ein als überirdisch empfundener Bauauftrag im Zusammenhang mit Marienerscheinungen. Selbst wenn im Einzelfall eine besondere Zweckbestimmung im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nach den genannten zwei Fallgruppen gegeben sein mag, darf die Größe und Massivität des Sakralbaus nach dem Beschluss des OVG RhPf nicht mehr in das Landschaftsbild eingreifen und damit außer Verhältnis zu diesem stehen, als dies zur Erfüllung einer privilegierungsfähigen Zweckbestimmung unbedingt erforderlich ist.243 Ausschlaggebend ist dabei, ob das sakrale Bauwerk auch ohne nennenswerten Verlust seiner Zweckbestimmung im Innenbereich errichtet werden kann. Eine Errichtung im Außenbereich kann daher nicht schon damit gerechtfertigt werden, dass das Vorhaben einem bestimmten Heiligen geweiht sein 240

OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280. OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280. 242 „Votivkapelle“ in Duden online, https://www.duden.de/node/200136/revision/200172, abgerufen am 24. 07. 2019. 243 OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280. 241

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soll. Dies erschließt sich vor allem dann nicht, wenn in vielen deutschen Städten und Dörfern Gotteshäuser mit dem Namenspatron des jeweiligen Heiligen existieren.244 (4) Die Nutzungsänderung einer Almgaststätte und ihre Bedeutung für die Frage nach der Privilegierung sakraler Vorhaben Der Beschluss des OVG RhPf,245 der in Sonderfällen die Errichtung von Kapellen im Außenbereich gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB für bevorrechtigt zulässig hält, rekurrierte auf einen Beschluss des BVerwG,246 der sich zuvor mit einer Nutzungsänderung einer „Almgaststätte“ auseinander gesetzt hatte. Dieser Beschluss gibt wiederum Aufschluss darüber, wie eng die Anforderungen zur Annahme der Privilegierung einer Gaststätte im Außenbereich gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zu ziehen sind. Die vom BVerwG aufgezeigten Kriterien beanspruchen gleichzeitig auch Gültigkeit für die Errichtung sakraler Bauwerke im Außenbereich, vornehmlich für die vom OVG RhPf247 aufgezählten Flurkapellen als Andachtsort für Wanderer und Jäger sowie Votivkapellen am Ort einer Rettung. Das BVerwG kam in dem Beschluss des BVerwG über die Nutzungsänderung einer „Almgaststätte“ zu dem Ergebnis, dass es die Funktion einer Gaststätte als „Versorgungsstützpunkt“ für Skiläufer und Wanderer nach den Umständen des konkreten Einzelfalls mit sich bringen kann, den Gaststättenbetrieb in der Baugenehmigung auch in jahreszeitlicher Hinsicht zu beschränken, um ein Überschreiten dieser Funktion und damit zugleich des Rahmens der privilegierten Zulässigkeit dieses Vorhabens im Außenbereich gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zu vermeiden.248 Eine Gaststätte kann in Gebirgslage auch dann wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich an einem konkreten Standort geführt werden, wenn sich der gastronomische Betrieb auf das beschränkt, was erforderlich ist, um Skifahrer und Wanderer mit Speis und Trank angemessen und auf üblicher Weise zu versorgen. Dies gilt auch dann, wenn als zweites wirtschaftliches Standbein ein herkömmlicher Gaststättenbetrieb geführt wird, soweit er noch durch die Gastronomie für Wanderer geprägt wird.249 Im Falle der Nutzungsänderung einer Almgaststätte wurde die Beschränkung auf das erforderliche Maß in einer jahreszeitlichen Limitierung des Gaststättenbetriebes gesehen. Übertragen auf die Errichtung eines sakralen Bauwerks im Außenbereich bedeutet dies, dass ein sakrales Vorhaben auch hinsichtlich seiner Größe, seiner Proportionen und seiner Kubatur nicht das für Wanderer und Jäger erforderliche

244

OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280. OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280. 246 BVerwG, Beschl. v. 06. 09. 1999 – 4 B 74/99 = NVwZ 2000, 678. 247 OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280. 248 BVerwG, Beschl. v. 06. 09. 1999 – 4 B 74/99 = NVwZ 2000, 678 (679). 249 BVerwG, Beschl. v. 06. 09. 1999 – 4 B 74/99 = NVwZ 2000, 678. 245

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Maß überspannen darf. Der Charakter einer Flurkapelle muss jedenfalls gewahrt bleiben. So führte das BVerwG aus, dass die erforderliche Beschränkung des Gaststättenbetriebes dann überschritten sei, soweit der Betrieb nicht mehr auf die Versorgung von Skifahrern und Wanderern abziele, sondern darauf ausgerichtet sei, die besondere Erholungseigenschaft des Standorts auszunutzen, um die Nachfrage von anderen Gastgruppen wie Autofahrern, Reise- und sonstigen geschlossenen Gruppen zu befriedigen oder erst noch zu erzeugen.250 Wiederum übertragen auf die Errichtung sakraler Bauwerke bedeutet dies, dass im Außenbereich nicht die bauliche Infrastruktur einer Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft in der Weise entstehen darf, dass sich diese Gemeinschaft die Räumlichkeiten für ihre gemeinsame Glaubensausübung im Außenbereich erst noch schaffen muss. Dies kann in erster Linie nur durch eine Beschränkung der Größe des religiösen oder weltanschaulichen Bauwerks unterbunden werden. Die Schlussfolgerung, die aus den Erwägungen des BVerwG zur Nutzungsänderung einer Almgaststätte251 zu ziehen ist, lautet dahin, dass die Zweckbestimmung des Außenbereichs als Erholungsort für die Allgemeinheit und als Flächen für die Land- und Forstwirtschaft nicht dadurch konterkariert werden darf, dass sich eine Glaubensgemeinschaft, deren Glaubensüberzeugung möglicherweise (auch) im Zusammenhang mit der Natur steht, die allgemein irgendeinen Bezug zum Außenbereich aufweist oder die sich die Errichtung sakraler Bauwerke im Außenbereich zum Glaubensmotiv gemacht hat, die Voraussetzungen für ihre eigene Glaubensausübung durch die Errichtung von sakralen Vorhaben im Außenbereich gerade erst schaffen will. (5) Der „singuläre Charakter“ eines sakralen Vorhabens im Außenbereich Das Vorhandensein einer inneren Glaubensüberzeugung des Bauherrn kann jedenfalls – wie im vom OVG RhPf entschiedenen Fall des als überirdisch empfundenen Bauauftrags – nicht erfolgreich mit der Erwägung bestritten werden,252 dass entsprechende Verpflichtungen wie der überirdische Auftrag zum Bau einer Kapelle auch von anderen Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaften zur Rechtfertigung der Errichtung von Außenbereichsvorhaben herangezogen werden könnten. Das OVG wollte zugleich mit dieser Argumentation den aufgrund der lokalen Marienerscheinungen angenommenen „singulären Charakter“ des Vorhabens wieder bestreiten. Die Rechtsprechung des BVerwG verneint zwar das Vorliegen eines „singulären Charakters“, soweit dasselbe Vorhaben eine große Zahl an Folgefällen erwarten 250

BVerwG, Beschl. v. 06. 09. 1999 – 4 B 74/99 = NVwZ 2000, 678 (679). BVerwG, Beschl. v. 06. 09. 1999 – 4 B 74/99 = NVwZ 2000, 678 f. 252 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). 251

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

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lässt.253 Maßgeblicher Gesichtspunkt ist dabei, dass § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB als Auffangtatbestand nicht zugleich Einfallstor für eine bauliche Entwicklung des Außenbereichs sein darf.254 Dies ist mit Blick auf das Erfordernis einer geregelten Bauleitplanung im jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Die Glaubensfreiheit gewährleistet allerdings auch das Recht, die Gebäude und Räumlichkeiten für die Glaubensausübung erst noch zu schaffen.255 Diese ver­fassungsrechtlich verbürgte Freiheit kann nicht deswegen negiert werden, um potentielle Nachahmer zu verhindern, also „um eine unübersehbare Vorbildwirkung für Vorhaben an bestimmten Stellen im Außenbereich auszuschließen“.256 Der Aspekt einer etwaig zu befürchtenden Vorbildwirkung und Nachahmungsgefahr kann nicht dazu dienen, auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeitsentscheidung Einfluss zu nehmen. Dieser Aspekt verlangt allenfalls eine sehr genaue Prüfung, ob sich der Bauherr wirklich auf seine Glaubensfreiheit berufen kann. Eine potentielle Missbrauchsgefahr ist für eine pluralistische offene Gesellschaft gerade dann hinzunehmen, wenn es sich um ein so sensibles Freiheitsrecht wie das der Glaubensfreiheit handelt. Der zugrundeliegende Sachverhalt der Marienerscheinungen mit dem für verbindlich empfundenen Baugebot war auch sehr speziell, sodass nicht zu erwarten gewesen wäre, andere Grundrechtsträger könnten sich die Erwägungen der klagenden Glaubensgemeinschaft für die Errichtung eigener Vorhaben zu eigen machen. Das Verhältnis zwischen dem Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB und der bauplanungsrechtlichen Absicherung von Vorhaben durch Bauleitplanung auf der einen und § 34 BauGB auf der anderen Seite wird geprägt durch die Funktion des § 35 BauGB. § 35 BauGB soll sicherstellen, dass sich die bauliche Entwicklung auf der Grundlage von Bebauungsplänen vollzieht.257 Das BVerwG stellt daher im Rahmen des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB darauf ab, ob das Vorhaben in einem Gebiet mit einem Bebauungsplan gem. § 30 BauGB oder im unbeplanten Innenbereich gem. § 34 BauGB ausgeführt werden könnte.258 Der Aspekt einer geordneten städtebaulichen Entwicklung besitzt im Falle der Marienerscheinungen und dem für verbindlich erachteten Baugebot keine Relevanz, da die Erscheinungen für die Gläubigen nur an einem bestimmten Standort stattfinden und damit einmalig sind, sodass folglich auch keine nennenswerte Nachahmungsgefahr durch andere Bauherren besteht. 253

BVerwG, Urt. v. 16. 06. 1994 – 4 C 20/93. EZBK / Söfker, § 35, Rn. 55a. 255 BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 24.6; BonnerKomm-GG / Mückl, Art.  4, Rn.  101; J / P/ Jarass, Art.  4, Rn.  15; M / K/Mager, Art. 4, Rn. 50; Schröter, S. 310; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1552 f.); S / S/D / Stern, § 118, III 3; Troidl, BauR 2012, 183 (183). 256 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). 257 EZBK / Söfker, § 35, Rn. 55b. 258 BVerwG, Urt. v.  14. 03. 1975  – 4 C 41/73; BVerwG, Urt. v.  07. 05. 1976  – 4 C 62/74; BVerwG, Urt. v.  09. 06. 1976  – 4 C 42/74; BVerwG, Beschl. v.  27. 06. 1983  – 4 B 201/82; BVerwG, Beschl. v. 12. 04. 2011 – 4 B 5/11. 254

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Das OVG RhPf259 ging zutreffend davon aus, dass die Rechtsprechung260 und auch die Literatur261 eine bevorzugte Zulassung eines Außenbereichsvorhabens auch dann ablehnen, wenn das Vorhaben vornehmlich dazu dient, individuelle Bedürfnisse einer bestimmten Person zu befriedigen. Ein Vorhaben kann allerdings dann zulässig sein, wenn seine Errichtung neben individuellen Interessen gleichzeitig auch im überwiegenden öffentlichen oder allgemeinen Interesse liegt.262 Ein Vorhaben liegt beispielsweise unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausschließlich im privaten Interesse des Bauherrn, wenn der durch ein Vorhaben erzeugte Strom zu einem Fünftel der Versorgung des Betriebs des Bauherrn dient und zu vier Fünfteln in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden soll und der Bauherr damit hauptsächlich einen kommerziellen Vorteil für die Einspeisung erzielen will.263 Denn der als unbefriedigend eingeschätzten Ertragslage des Betriebs des Bauherrn als Individualinteresse steht kein gewichtiges Gemeinwohlinteresse gegenüber.264 Dem OVG RhPf kann allerdings darin nicht gefolgt werden, soweit es ausführte, dass die geplante Marienkapelle in erster Linie nur den individuellen Interessen eines ganz bestimmten Personenkreises in Form eines Vereins, der sich des über­ irdischen Bauauftrages verschrieben habe, diene.265 Immerhin gehörten dem Verein rund 270 Personen an. Jedes glaubens- oder weltanschaulich motivierte Vorhaben im Außenbereich könnte ansonsten mit dem Argument des OVG praktisch abgelehnt werden. Der Ansatz des OVG ist insoweit von der Überlegung zu unterscheiden, inwieweit dem sakralen Vorhaben tatsächlich eine nachweisbare bzw. nachprüfbare Glaubensüberzeugung zugrunde liegt. Die Vereinsmitgliederzahl von rund 270 Personen ist jedenfalls als nicht nur unerheblich einzuordnen; das OVG hätte damit nicht einfach seine eigene Überzeugung vom wahren Glauben an die Stelle der Anschauung der Mitglieder der Glaubensgemeinschaft setzen dürfen. Wie bereits im Rahmen des personellen Schutzbereichs der Glaubensfreiheit aufgezeigt wurde,266 macht es einen Unterschied, ob sich ein einzelner Privater oder eine Gemeinschaft von Gläubigen auf die Glaubensfreiheit beruft. Das hat zur Folge, dass auch bei Vorliegen der Privilegierungsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB das Vorhaben eines Privaten nicht zulässig ist. Wie aufgezeigt wurde, sind die Anforderungen an ein sakrales Vorhaben einer Einzelperson ex­ trem restriktiv auszulegen, um den funktionalen Landschaftsschutz praktisch nicht unterlaufen zu lassen.

259

OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). BVerwG, Urt. v. 16. 06. 1994 – 4 C 20/93 = NVwZ 1995, 64. 261 BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn.  43; E / Z/B / K/Söfker, § 35, Rn. 55. 262 BVerwG, Urt. v.  04. 11. 1977  – 4 C 30/75; EZBK / Söfker, § 35, Rn. 55a; Weyreuther, S. 384 f. 263 BVerwG, Urt. v. 16. 06. 1994 – 4 C 20/93 = NVwZ 1995, 64 = NVwZ 1995, 64 (67). 264 BVerwG, Urt. v. 16. 06. 1994 – 4 C 20/93 = NVwZ 1995, 64 = NVwZ 1995, 64 (67). 265 OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). 266 Vgl. oben Kapitel C. III. 2. 260

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Eine Glaubensgemeinschaft von einigem Gewicht kann sich jedenfalls ohne Bedenken unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB auf eine Privilegierung des sakralen Vorhabens berufen – was auch bei rund 270 Personen angenommen werden kann – und vor allem dann, wenn das Vorhaben für die Allgemeinheit zugänglich ist. Dieser Ansatz wird auch dem Prinzip der praktischen Konkordanz gerecht, kollidierende Verfassungsgüter in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Öffentlichkeit für das religiöse oder weltanschauliche Bauwerk Interesse zeigen wird. Das Grundrecht der Glaubensfreiheit will gerade auch erst neu aufkommenden religiösen Strömungen die Möglichkeit geben, sich zu verbreiten. Wird der Öffentlichkeit die Möglichkeit eingeräumt das Vorhaben aufzusuchen und ist es damit sogar der Öffentlichkeit frei zugänglich, dann kann dem Vorhaben jedenfalls nicht entgegengehalten werden, es diene nur individuellen Interessen. Das OVG RhPf nahm außerdem an, dass das Vorhaben auch deswegen den individuellen Interessen eines begrenzten Personenkreises diene, weil nicht angenommen werden könne, dass alle Besucher der bereits vorhandenen Andachtsstelle auch ein Interesse an der Errichtung einer Kapelle hätten, selbst wenn sie ihnen offen stehen würde.267 Das OVG verkannte hierbei, das immerhin rund 270 Personen ein großes Interesse an der Realisierung des Vorhabens hatten. Für die Glaubensfreiheit des Einzelnen oder einer Glaubensgemeinschaft spielt es weiterhin keine Rolle, ob andere Personen sein oder ihr Glaubensverständnis gleichfalls als verpflichtend ansehen oder nicht. Die Ausübung der Glaubensfreiheit kann nicht davon abhängig gemacht werden, wie andere Personen zu einer konkreten Glaubensvorstellung und -ausübung stehen. Gläubigkeit und Weltanschauung spielen sich im Inneren eines Menschen ab, sodass nur der Einzelne eine bestimmte innere Überzeugung als für sich verpflichtend empfinden kann. Das OVG verkannte damit, dass Glaube und Weltanschauung immer nur den Einzelnen betreffen und diesem daher nicht zum Nachteil gereichen können, wenn er sich auf seine Glaubensfreiheit beruft. Das OVG RhPf vertrat zudem die Ansicht, ein allgemeines Interesse am Kapellenbau könne auch deswegen ausgeschlossen werden, weil bereits zum damaligen Zeitpunkt die Zahl an Besuchern der Andachtsstelle gering sei.268 Wie bereits ausgeführt, machte das OVG keine Überlegungen über die Bedeutung und die Tragweite des Grundrechts auf Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG). Lässt man nun verfassungsrechtliche Einwände gegen die Ansicht des OVG außen vor, bestehen gegen die Ansicht des OVG auch auf der Ebene des Bauplanungsrechts Bedenken. Denn es dreht sich letztlich nicht um die Frage, inwieweit ein allgemeines Interesse an der Errichtung der Kapelle besteht, sondern vielmehr darum, ob eine weitere Bodenversiegelung des Außenbereichs zumutbar ist. Der Verein als Bauherr hatte die Grundfläche nochmals reduziert. Es handelte sich nicht um ein besonders schützenswertes Landschaftsbild. Damit sprach auch auf der Ebene des 267

OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305). OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (305).

268

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

einfachen Rechts nicht viel dagegen, das Bauplanungsrecht verfassungskonform im Lichte der Glaubensfreiheit auszulegen und in diesem besonderen Einzelfall der Glaubensausübungsfreiheit den Vorzug zu geben. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch Sakralbauten oder sonstige glaubens- oder weltanschaulich motivierte Vorhaben wegen ihrer nur im Außenbereich zu verwirklichenden besonderen Zweck­ bestimmung im Einzelfall gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB bevorzugt zulässig sein können. Der Begriff der „besonderen Zweckbestimmung“ in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist insoweit verfassungskonform im Lichte der Bedeutung der Glaubensfreiheit auszulegen. Ob dabei eine „besondere Zweckbestimmung“ die Errichtung eines Vorhabens an einem bestimmten Standort im Außenbereich erfordert, richtet sich nach dem Selbstverständnis der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen des Bauherrn, die sich freilich einer Plausibilitätskontrolle unterziehen lassen müssen. Jedenfalls muss hinsichtlich der Größe, der Kubatur und der Proportionen der Charakter einer Flurkapelle gewahrt bleiben. 2. Glaubensfreiheit und öffentliche Belange, § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB Nachdem herausgearbeitet wurde, dass nur in besonderen Einzelfallkonstellationen die Glaubensfreiheit zu einer verfassungskonformen Auslegung des Privilegierungstatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zwingt – was dann der Fall ist, wenn ein starker religiöser oder weltanschaulicher Ortsbezug des sakralen Vorhabens zu einem konkreten Außenbereichsstandort besteht  – bleibt ansonsten festzuhalten, dass die Berufung auf die Glaubensfreiheit nicht dazu führt, bei glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhaben von einem privilegierten Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 BauGB auszugehen. Im Regelfall stellt der Bau einer Kapelle oder eines ähnlichen sakralen Bauwerks ein sonstiges Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB dar. Für die Zulässigkeit einer Kultusstätte gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 oder Abs. 2 BauGB stellt sich die Frage, wie sich das jeweilige sakrale Vorhaben zu den öffentlichen Belangen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB) verhält und ob unter Umständen eine verfassungskonforme Auslegung dazu führt, dass ein solches Vorhaben öffentliche Belange nicht beeinträchtigt. a) Widerspruch des Vorhabens zu den Darstellungen eines Flächennutzungsplans, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB Eine Kapelle oder ein sonstiges sakrales Vorhaben im Außenbereich wird regelmäßig den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprechen, insbesondere dann, wenn dieser Flächen für die Land- oder Forstwirtschaft ausweist, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB.

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

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Eine derartige Darstellung schließt grundsätzlich bauliche Anlagen, die keinem landwirtschaftlichen Zweck dienen, aus. Dies gilt grundsätzlich auch für Kapellen oder sonstige sakrale Vorhaben, insbesondere auch für Feldkapellen. Eine Feldkapelle stellt jedenfalls nach heutigem Verständnis keine landwirtschaftstypische Bebauung dar, nur weil sie möglicherweise vor allem im süddeutschen Raum traditionellem, katholisch geprägtem bäuerlichen Denken entspricht.269 Sähe man dies anders – und stellte man damit auf die religiös geprägte bäuerliche Tradition ab – dann müsste man sich mit der Folgefrage beschäftigen, ob dieses Verständnis nicht eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Religionen, Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen zur Folge hätte, die keine religiös geprägte bäuerliche Tradition vorzuweisen haben. Es kann allerdings im Ergebnis nicht richtig sein, dass Kapellen und ähnliche Kultusstätten mit Blick auf die Bedeutung des Grundrechts der Glaubensfreiheit grundsätzlich den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprechen. Eine verfassungskonforme Auslegung des Belangs im Lichte der Glaubensfreiheit zwingt demgegenüber auch nicht zwangsläufig dazu, dass ein Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans einem religiösen oder weltanschaulichen Vorhaben nicht entgegengehalten werden könnte, da der Glaubensfreiheit selbst über den Art. 20a GG verfassungsimmanente Schranken gezogen sind. Das BVerwG brachte in seiner Entscheidung über die Breker’schen Monumentalfiguren zum Ausdruck, dass die Tatbestandsalternativen des § 35 Abs. 3 BauGB Raum für eine Auslegung ließen, die der Gewährleistung der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise Rechnung trägt. Dies gilt auch für den Belang des Widerspruchs des Vorhabens zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans. Denn anders als die Festsetzungen eines Bebauungsplans sind die Darstellungen eines Flächennutzungsplans nicht ohne weiteres wie Rechtssätze anwendbar, da sie die künftige Bodennutzung nur in den Grundzügen wiedergeben. Da sie insofern noch keine endgültigen Aussagen treffen, sind sie für die abschließende Beurteilung eines Einzelvorhabens von vornherein nur beschränkt geeignet. Letztlich kann die Frage, ob eine Abweichung den in § 35 Abs. 3 BauGB vorausgesetzten Grad des Widerspruchs erreicht, nur anhand einer wertenden Prüfung beantwortet werden, bei der in weitem Umfange auf die Verhältnisse des Einzelfalls abzustellen ist.270 Übertragen auf das ebenfalls vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Glaubensfreiheit bedeutet dies, dass in der anzustellenden Wertung, ob eine Abweichung von den Darstellungen des Flächennutzungsplans den Grad eines Widerspruchs im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB erreicht, die Glaubensfreiheit in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise hinreichend berücksichtigt werden muss. 269

VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649).

270

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Folgende Grundsätze sind dabei zu berücksichtigen: Als Maßstab für die Wertung bietet sich die Größe des Vorhabens an. Hierbei sind der Grad an Bodenversiegelung, das Freihaltebedürfnis des Außenbereichs zugunsten privilegierter Vorhaben und zugunsten der Allgemeinheit zu Erholungszwecken sowie allgemein die Bedeutung des Landschaftsschutzes hinreichend in Rechnung zu stellen. Die Glaubensfreiheit gebietet bei kleineren sakralen Vorhaben zu einer Auslegung, die das absolute Freihaltebedürfnis zurückstellt und zwischen störenden und weniger störenden Vorhaben unterscheidet. Wird bei der Errichtung kleinerer Kultusstätten die landwirtschaftliche Nutzung – ebenso wie bei der Errichtung kleinerer Skulpturen, die sich auf den Schutz der Kunstfreiheit berufen können – nur unerheblich beeinträchtigt, dann können dem Vorhaben die widersprechenden Darstellungen des Flächennutzungsplans nicht entgegengehalten werden.271 Der durch Besucher zu erwartende An- und Abfahrtsverkehr ist ebenso zu berücksichtigen. Der BayVGH272 lieferte hierfür auf der Ebene des einfachen Rechts eine überzeugende Begründung: Er stellte klar, dass der formale Widerspruch eines sakralen Vorhabens zu der Darstellung als landwirtschaftliche Fläche in dem einschlägigen Flächennutzungsplan (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) keine absolute Schranke bilde. Denn schon das BVerwG273 habe festgestellt, dass eine Art „Abwägung“ im Zusammenhang mit § 35 Abs. 3 BBauG in Betracht kommen könne, wenn es um die Gewichtigkeit der durch ein Vorhaben berührten öffentlichen Belange gehe. Die Gewichtigkeit der berührten Belange sei für die Frage entscheidend, ob überhaupt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB vorliege. Der BayVGH274 verwies außerdem auf den Unterschied zwischen den „grobmaschigen“ Darstellungen eines Flächennutzungsplans, die im Gegensatz zu den parzellenscharfen Festsetzungen eines Bebauungsplans keinen Rechtsnormcharakter haben. So darf beispielsweise eine Festsetzung eines Bebauungsplans in gewissem Umfang von den Darstellungen des Flächennutzungsplans abweichen. Daraus schlussfolgerte der BayVGH, dass, soweit ein Vorhaben nicht mit den Darstellungen des Flächennutzungsplans übereinstimmt, dies nicht automatisch und schematisch zu einer Beeinträchtigung eines öffentlichen Belangs führen dürfe. Anhand der tatsächlichen Gegebenheiten sei in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vorliege. Es bestehe jedenfalls regelmäßig eine widerlegbare Vermutung für eine Beeinträchtigung, soweit das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht. Dies ist nach Auffassung des BayVGH275 dann nicht der Fall, wenn die geringe Größe der Kapelle nicht

271

BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 13. BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 13. 273 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – IV C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882. 274 BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 13. 275 BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 13. 272

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

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befürchten lässt, dass die landwirtschaftliche Nutzung des jeweiligen Grundstücks nachhaltig beeinträchtigt wird. b) Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB Der Umstand, dass vornehmlich der süddeutsche Raum größtenteils durch traditionelles, religiös geprägtes bäuerliches Denken gekennzeichnet ist, spielt beim öffentlichen Belang des Widerspruchs zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) keine Rolle, weil es hier grundsätzlich nur auf das formale Erfordernis einer landwirtschaftlichen Nutzung ankommt. Alle bisher ergangenen Urteile im Zusammenhang mit Kapellen im Außenbereich gingen allerdings – soweit ersichtlich – nicht ausführlich auf das Verhältnis zwischen den Kapellen und dem öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) ein. Der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft dient dem funktionellen Landschaftsschutz und soll den Außenbereich vor einem Eindringen wesensfremder Bebauung schützen. Land- und forstwirtschaftliche Nutzungen gehören dabei grundsätzlich in den Außenbereich, sowie Bauten, die der Allgemeinheit zur Erholung dienen. Vorhaben mit einer anderen als einer land- oder forstwirtschaftlichen Bestimmung sind deswegen zumeist unzulässig.276 Im Gegensatz zum Belang des Widerspruchs zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans muss bei der Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft der Umstand, dass der lokale Raum durch traditionelles, religiös geprägtes bäuerliches Denken gekennzeichnet sein kann, tatsächlich Einzug in die Betrachtung finden. Denn die Funktion dieses Belangs möchte grundsätzlich das Eindringen wesensfremder Bebauung und der Erholungseignung abträglicher Nutzungen verhindern, woraus aber noch nicht folgt, dass solche Nutzungen schlechthin oder doch regelmäßig als mit der funktionellen Bestimmung des Außenbereichs unvereinbar zu qualifizieren sind. Vielmehr ist die Prüfung anzustellen, ob sie sich auf die Qualität der Umgebung nachteilig auswirken können. Dementsprechend kann es weder als Beleg noch als Indiz gewertet werden, dass durch eine Anlage ein neuartiges Element in eine Landschaft hineingetragen wird, das die natürliche Eigenart oder die Erholungsfunktion beeinträchtigt.277 So kann auch die nähere Umgebung einen bestimmenden Charakter und besondere Nutzungen aufweisen, die für die Zulässigkeit eines neu hinzukommenden Vorhabens eine Rolle spielen können. Ist die nähere Umgebung in einer bestimmten Hinsicht geprägt, kann ein Vorhaben, dass derselben Prägung angehört, die natür­ 276 BayVGH, Beschl. v. 28. 12. 2016 – 15 CS 16.1774, Rn. 48; Scheidler, BauR 2019, 190 (194 f.). 277 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2649 f.).

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

liche Eigenart der Landschaft nicht mehr stören, weil es sich selber in den Charakter der Landschaft einfügt und gerade nicht wesensfremd ist. Ist demnach die nähere Umgebung traditionell bäuerlich religiös geprägt, dann kann dies dazu führen, dass eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft durch die hinzukommende Kapelle im jeweiligen Einzelfall nicht angenommen werden kann. Dies muss entgegen der Auffassung des OVG RhPf278 gerade dann gelten, wenn es sich um einen kleinen Sakralbau handelt, der in der vorzufindenden Kulturlandschaft eingebettet ist. Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Kunstfreiheit und funktionellem Landschaftsschutz ist bereits weiter oben279 herausgearbeitet worden, dass im Rahmen einer Abwägung dem Grundrecht auf Kunstfreiheit ausreichend Rechnung getragen werden muss. Gerade kleinvoluminöse Vorhaben sprechen für eine Auslegung des öffentlichen Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft im Lichte der Kunstfreiheit. Dieselben Erwägungen sind auch auf das Verhältnis zwischen dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und dem funktionellen Landschaftsschutz heranzuziehen. Eine nachhaltige Beeinträchtigung des Landschaftsbildes dürfte umso eher zu verneinen sein, je kleiner die Kultusstätte ist. c) Zulässigkeit einer privaten Kapelle als sonstiges Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB in der Genehmigungspraxis In der Genehmigungspraxis werden gelegentlich  – namentlich im Voralpenraum – private Kapellen und sakrale Bauwerke als sonstige Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB genehmigt.280 Der Konflikt mit der Glaubensfreiheit wird in der Praxis dadurch vermieden, dass die Baugenehmigungsbehörden die Beeinträchtigung öffentlicher Belange (§ 35 Abs. 3 BauGB) durch das jeweilige Vorhaben genau prüfen. Maßgeblicher Leitgedanke ist dabei die Verhinderung weiterer Bodenversiegelung. Die Frage, welche öffentlichen Belange regelmäßig durch eine Kultusstätte beeinträchtigen werden, stellt sich dabei nicht nur bei christlichen Bauvorhaben, sondern auch bei Vorhaben anderer Religions- und Weltanschauungsrichtungen. Da ein Bauherr, der sich auf die Freiheitsverbürgungen der Glaubensfreiheit beruft, grundsätzlich keinen strikten Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Baugenehmigung für einen Sakralbau besitzt, stellt sich die Frage, ob ihm wenigstens ein Duldungsanspruch zusteht, falls er eine Kultusstätte errichtet hat, diese aber in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften steht. In einem ersten Schritt ist immer zu fragen, ob es sich bei der Errichtung eines Sakralbaus im Außenbereich  – insbesondere einer Hofkapelle  – um eine bloße Nachverdichtung oder um die Errichtung eines Vorhabens auf einem bereits ver 278

OVG RhPf, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 10519/06 = NVwZ-RR 2007, 304 (306). Vgl. oben Abschnitt C. I. 4. f) ff). 280 Nachfolgende Ausführungen über die aktuelle Genehmigungspraxis beruhen auf einer Befragung oberbayerischer Landratsämter. 279

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

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siegelten, aber ansonsten ungenutzten Boden handelt, der keiner sinnvollen landwirtschaftlichen Nutzung mehr zugeführt werden kann. In beiden Fällen bestehen keine Einwände gegen das Vorhaben unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung von weiterer Bodenversiegelung im Außenbereich. Bei dieser wertenden Betrachtung spielt auch der Gesichtspunkt eine Rolle, ob es sich um einen wertvollen Ackerboden oder um landwirtschaftlich wertlosen Boden handelt. Anders liegen die Dinge, wenn das Vorhaben auf einem bisher unberührten Mutterboden verwirklicht werden soll. Ist bereits absehbar, dass die Fläche, auf der die Kapelle errichtet werden soll, in Zukunft für die Verwirklichung landwirtschaftlicher Hallen benötigt werden wird – weil beispielsweise eine Expansion des landwirtschaftlichen Betriebs zu erwarten ist – oder auch dann, wenn der Betrieb aus Gründen des technischen Fortschritts erweitert werden muss, um konkurrenzfähig zu bleiben, wird die Kapelle an jenem Standort regelmäßig bauplanungsrechtlich unzulässig sein. Für die Frage nach einer Beeinträchtigung öffentlicher Belange durch ein sakrales Vorhaben spielt es außerdem eine Rolle, wie schützenswert das Landschaftsbild ist und ob gegebenenfalls durch die Errichtung des sakralen Bauwerks das Landschaftsbild verunstaltet wird. Für die Beeinträchtigung öffentlicher Belange ist auch die Größe des Vorhabens bedeutsam. So stellen kleine Hofkapellen auf landwirtschaftlichen Gehöften eine seit Jahrhunderten bestehende überlieferte Tradition dar, sodass diese gem. § 35 Abs. 2 BauGB im Einzelfall zulässig sein können. Auch die Errichtung von Feldkreuzen dürfte regelmäßig verfahrensfrei möglich sein, wobei deren bauplanungsrechtliches Gewicht ebenso regelmäßig irrelevant sein dürfte. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange wird umso eher abzulehnen sein, je mehr sich das sakrale Vorhaben einem land- oder forstwirtschaftlichen Anwesen, einem Gehöft oder einem Schloss räumlich zuordnen lässt und je mehr es diesem baulich untergeordnet ist. Für den Aspekt der Vermeidung weiterer Bodenversiegelung ist es nämlich bedeutsam, ob der Bauherr das sakrale Vorhaben angebunden an eine Hofstelle und damit im Zusammenhang mit bereits bebauten Bereichen errichten kann. Das räumliche Anbindungs- und funktionale Unterordnungsgebot wird maßgeblich von folgender Überlegung getragen: Privilegierte Vorhaben gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zeichnen sich dadurch aus, dass mit ihrer gesetzlichen Privilegierung keine konkrete Standortauswahl getroffen wurde, sondern der Bauherr innerhalb des Außenbereichs stets den schonendsten Standort auszuwählen hat. Dies ist Ausdruck des Merkmals des „Dienens“, wonach nur das Vorhaben „dient“, dass ein vernünftiger Landwirt unter Berücksichtigung des Gebots der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs an dem gewählten Standort errichten würde. Bei privilegierten Mobilfunkmasten gem. § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB wird außerdem eine sogenannte Gebietsgebundenheit verlangt, während privilegierte Biomasseanlagen

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

gem. § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB einer räumlich-funktionalen Anbindungspflicht an eine Hofstelle unterliegen. Wenn schon eine Anbindungspflicht zur Verhinderung weiterer Bodenversiegelung für privilegierte Vorhaben gilt, dann muss diese Pflicht erst recht für sonstige Vorhaben Geltung beanspruchen, die im Vergleich zu privilegierten Vorhaben eine viel geringere Durchsetzungskraft gegenüber öffentlichen Belangen besitzen. Aus den vorstehenden Gesichtspunkten lässt sich ableiten, dass ein Bauherr, der sich auf seine Glaubensfreiheit berufen kann, keinen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung im Außenbereich besitzt. Er hat insbesondere keinen Anspruch auf die Errichtung eines sakralen Vorhabens an einem konkreten Standort. Er muss sich vielmehr bei einer Beeinträchtigung öffentlicher Belange auf einen anderen Standort verweisen lassen oder die Beeinträchtigung führt zu einer Unzulässigkeit des Vorhabens – soweit sich bei der Anwendung und Auslegung der öffentlichen Belange unter Berücksichtigung der Bedeutung der Glaubensfreiheit nichts anderes ergibt. Die Glaubensfreiheit selbst gebietet auch nicht einen solchen strikten Rechtsanspruch. Wie weiter oben281 gezeigt wurde, ist die Glaubensfreiheit – wie die Freiheit der Kunst – ein vorbehaltsloses Grundrecht, das sich aber ebenso wie die Kunstfreiheit an verfassungsimmanenten Schranken messen lassen muss. Art. 20a GG ist geeignet, auch die Glaubensfreiheit einzuschränken.282 Damit ist gleichzeitig auch gesagt, dass ein Bauherr unter Berufung auf seine Glaubensfreiheit keinen Duldungsanspruch besitzt, falls er eine Kultusstätte baurechtswidrig errichtet hat. 3. Zwischenergebnis über sakrale Kultusstätten im Außenbereich Anlagen für kirchliche und kulturelle Zwecke zählen nicht zu den gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben, sondern stellen sonstige Vorhaben dar, § 35 Abs. 2 BauGB.283 Die Errichtung von Sakralbauten im Außenbereich ist damit planungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Ein Bauherr besitzt schließlich regelmäßig keinen Anspruch auf die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhabens an einem bestimmten Standort. Hofkapellen können auch dann nicht als einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dienende Vorhaben (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) angesehen werden, soweit sie in einem engen räumlichen Zusammenhang mit der Hofstelle stehen und nur einen untergeordneten Teil der Hoffläche einnehmen. Denn eine Hofkapelle „dient“ schon nicht einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb, da sie diesen nicht in kommerzieller Hinsicht fördern kann.284 281

Siehe oben Abschnitt C. III. 4. c). Hufen, § 22, Rn. 32; Murswiek, NVwZ 1996, 222 (225); Schröter, S. 310; Schwemer, BauR 2008, 1551 (1553); S / S/D / Stern, § 118, VII 2.  283 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 55. 284 BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 10. 282

VII. Sakrale Bauten im Außenbereich, § 35 BauGB 

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Glaubens- oder sonstige weltanschaulich motivierte Vorhaben wie Kultusstätten können allerdings in seltenen Ausnahmefällen unter den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB fallen. Dessen Voraussetzungen werden jedenfalls in den meisten Fällen nicht vorliegen, da eine Kapelle oder eine sonstige Kultusstätte regelmäßig nicht aufgrund ihrer besonderen Zweckbestimmung an einem konkreten Standort im Außenbereich errichtet werden muss.285 Obgleich der Bauherr billigenswerte Interessen an der Errichtung eines sakralen Vorhabens im Außenbereich haben mag, ist sein Vorhaben dennoch nicht schützenswert, soweit es nicht auf die Außenbereichslage angewiesen ist und die Möglichkeit besteht, das Vorhaben im Innenbereich bei annähernd gleicher Zweckbestimmung zu errichten.286 Die Rechtsprechung geht davon aus, dass Sakralbauten im Außenbereich nicht privilegiert zulässig sind, weil ihre Besucher regelmäßig nicht darauf angewiesen sein werden, ihre Religion in einem Kultusgebäude im Außenbereich auszuüben.287 Ist hingegen eine verfassungskonforme Auslegung des subsidiären Auffangtatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB im Lichte der Bedeutung der Glaubensfreiheit möglich, dann muss der Glaubensfreiheit im konkreten Einzelfall zu diesem gesteigerten Durchsetzungsvermögen eines privilegierten Vorhabens verholfen werden, soweit der Bauherr ein berechtigtes Interesse an der Errichtung einer Kultusstätte oder einem sonstigen glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhaben an einem bestimmten Standort im Außenbereich hat. Der Begriff der „besonderen Zweckbestimmung“ in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist insoweit verfassungskonform auszulegen, um der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) hinreichendes Gewicht zu verleihen. Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Sakralbauten wegen ihrer nur im Außenbereich zu verwirklichenden besonderen Zweckbestimmung im Einzelfall bevorzugt zulässig sein. Dies gilt namentlich für öffentlich zugängliche, einfache Flurkapellen, die Wanderern oder auch Jägern als Andachtsort dienen sollen, für Votivkapellen am Ort einer Rettung,288 oder für die Errichtung eines Vorhabens im Außenbereich infolge eines als verbindlich empfundenen überirdischen Baugebots. Die Größe und Massivität des Sakralbaus darf dann allerdings nicht mehr in das Landschaftsbild eingreifen und damit außer Verhältnis zu diesem stehen, als es unbedingt zur Erfüllung einer privilegierungsfähigen Zweckbestimmung erforderlich ist.289 Das sakrale Vorhaben darf insofern hinsichtlich seiner Größe, seiner Proportionen und seiner Kubatur nicht das für Wanderer und Jäger erforderliche Maß überspannen. Jedenfalls muss der Charakter einer Flurkapelle gewahrt bleiben. 285

BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667; Hoppenberg / de Witt / Röve­ kamp, §§ 33, 35, Rn. 163. 286 VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 46671. 287 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667. 288 OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280. 289 OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280.

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Eine verfassungskonforme Auslegung des Begriffs der besonderen Zweck­ bestimmung in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB darf aber nicht dazu führen, dass im Außenbereich die bauliche Infrastruktur einer Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft in der Weise entsteht, dass sich diese Gemeinschaft im Außenbereich erst die Räumlichkeiten für ihre gemeinsame Glaubensausübung schafft. Dies kann in erster Linie nur durch eine Beschränkung der Größe des religiösen oder weltanschaulichen Bauwerks unterbunden werden. Die Zweckbestimmung des Außenbereichs als Erholungsort für die Allgemeinheit und als Flächen für die Land- und Forstwirtschaft darf daher nicht dadurch konterkariert werden kann, dass sich eine Glaubensgemeinschaft, deren Glaubensüberzeugung möglicherweise (auch) im Zusammenhang mit der Natur steht, die allgemein irgendeinen Bezug zum Außenbereich aufweist oder sich die Errichtung sakraler Bauwerke im Außenbereich zum Glaubensmotiv gemacht hat, die Voraussetzungen für ihre eigene Glaubensausübung durch die Errichtung von sakralen Vorhaben im Außenbereich gerade erst schaffen will. Eine Kapelle oder ein sonstiges sakrales Vorhaben im Außenbereich wird regelmäßig den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprechen, nämlich dann, wenn dieser Flächen für die Land- oder Forstwirtschaft ausweist, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Wird hingegen bei der Errichtung kleinerer Kultusstätten die landwirtschaftliche Nutzung – ebenso wie bei der Errichtung kleinerer Skulpturen, die sich auf den Schutz der Kunstfreiheit berufen können – nur unerheblich beeinträchtigt, dann können dem Vorhaben die widersprechenden Darstellungen des Flächennutzungsplans nicht entgegengehalten werden.290 Im Gegensatz zum Belang des Widerspruchs zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans muss bei dem Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft der Umstand, dass der lokale Raum durch traditionelles, religiös geprägtes bäuerliches Denken gekennzeichnet sein kann, tatsächlich Einzug in die bauplanungsrechtliche Prüfung eines Vorhabens finden. Ist demnach die nähere Umgebung traditionell bäuerlich religiös geprägt, dann kann dies dazu führen, dass eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft durch die hinzukommende Kapelle im jeweiligen Einzelfall nicht angenommen werden kann. In der aktuellen Genehmigungspraxis zeigt sich, dass öffentliche Belange (§ 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB) durch die Errichtung einer Kapelle im Außenbereich regelmäßig dann nicht nachteilig berührt werden, soweit es sich um eine bloße Nachverdichtung oder um die Errichtung auf einem bereits versiegelten, aber ansonsten ungenutzten Boden handelt, der keiner sinnvollen landwirtschaftlichen Nutzung mehr zugeführt werden kann. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange wird umso eher abzulehnen sein, je mehr sich das sakrale Vorhaben einem land- oder forstwirtschaftlichen Anwesen, einem Gehöft oder einem Schloss zuordnen lässt und je mehr es in seiner Erscheinung diesem baulich untergeordnet ist. Ein Bauherr 290

BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 13.

VIII. Resümee  

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hat unter Berufung auf seine Glaubensfreiheit nach diesen Grundsätzen ebenso keinen Duldungsanspruch für eine bereits errichtete Kultusstätte, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurde.

VIII. Resümee über die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) für die Errichtung von Kultusstätten Die Herstellung der baulichen Voraussetzungen für die Glaubensausübung fällt unter den Schutz der Glaubensausübungsfreiheit.291 Damit gilt für die Verwaltung und für die Gerichte der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes, nach dem eine Ungleichbehandlung von Bauvorhaben aus religiösen Gründen ausgeschlossen ist.292 Der staatskirchenrechtliche Grundsatz der Parität erfordert, dass im Ergebnis auch die Erfordernisse für die Glaubensausübung von Glaubensgemeinschaften ohne den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts in die Abwägung der Bauleitplanung mit einfließen müssen.293 Es ist hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in der BauNVO zu berücksichtigen, dass in allgemeinen und besonderen Wohngebieten, Dorfgebieten, Misch­ gebieten, urbanen Gebieten sowie in Kerngebieten Anlagen für kirchliche und kulturelle Zwecke gem. §§ 4 Abs. 2 Nr. 3, 4a Abs. 2 Nr. 5, 5 Abs. 2 Nr. 7, 6 Abs. 2 Nr. 5, 6a Abs. 2 Nr. 5, 7 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO allgemein zulässig sind, soweit die Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets dem nicht entgegensteht.294 Der Umstand der fehlenden Religionszugehörigkeit der Bewohner in der näheren Umgebung des Vorhabens zur Religion des Bauherrn kann im Zusammenhang mit einem reinen Wohngebiet Bedeutung erlangen, da dort kirchliche Anlagen nur ausnahmsweise zulässig sind und nur soweit sie den Bedürfnissen der Bewohner dieses Gebiets dienen, § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauGB.295 In einem besonderen Wohngebiet sind Anlagen für kirchliche, kulturelle und soziale Zwecke gem. § 4a Abs. 2 Nr. 5 BauNVO allgemein zulässig. Ihre Zulässigkeit steht allerdings unter dem Vorbehalt der Wohnnutzungsverträglichkeit. In einem Mischgebiet sind Anlagen für kirchliche Zwecke nur solange zulässig, soweit sie nicht kerngebietstypisch sind und keinen überörtlichen Einzugsbereich aufweisen.296

291

BeckOK-GG / Germann, Art. 4, Rn. 24.6; BonnerKomm-GG / Mückl, Art.  4, Rn.  101; J / P/ Jarass, Art.  4, Rn.  15; M / K/Mager, Art.  4, Rn.  50; S / S/D / Stern, § 118, III 3; Troidl, BauR 2012, 183 (183). 292 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 54. 293 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 55. 294 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 54. 295 VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (176). 296 VG München, Urt. v. 12. 02. 2007 – M 8 K 06.3625.

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Anlagen für kirchliche oder kulturelle Zwecke können außerdem in einem Gewerbegebiet ausnahmsweise (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) zugelassen werden, soweit nicht der Gebietscharakter des Gewerbegebietes verfremdet bzw. gestört wird.297 Ähnliches gilt in einem Industriegebiet: Dort sind Anlagen für kirchliche Zwecke ausnahmsweise (§ 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) zulässig, wobei sich die ausnahmsweise Zulässigkeit nur auf solche Anlagen bezieht, die gebietsverträglich sind. Jedenfalls erfüllt eine Kirche mit oder ohne Krypta bei typisierender Betrachtung der Baugebietsvorschrift des § 9 Abs. 1 BauNVO nicht das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Gebietsverträglichkeit in § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO.298 Eine Gemeinde kann in ihrer gemeindlichen Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 GG) verletzt werden, soweit sich wegen Bestimmtheitsmängeln einer Baugenehmigung nicht beurteilen lässt, ob das Vorhaben den bauplanungsrechtlichen Vorschriften entspricht. Eine Baugenehmigung muss deshalb auch bei Anlagen für kirchliche Zwecke Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit sowohl der Bauherr als auch betroffene Dritte Inhalt und Ausmaß der genehmigten Bandbreite zweifelsfrei feststellen können.299 Die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) vermittelt regelmäßig keinen Anspruch auf die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Bauvorhabens an einem konkreten Standort, insbesondere dann nicht, wenn sich die einfachgesetzliche Verbotsnorm auf ein Verfassungsgut von Rang – wie Art. 20a GG – zurückführen lassen kann.300 Zu den verfassungsimmanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in Bezug auf die Errichtung von Kultusstätten zählen nach einer jüngeren Entscheidung des BVerfG die Beschränkungen, die im Bauordnungs- und Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden.301 Ein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Bauvorhabens besteht daher nur dann, wenn die im einfachen Recht geregelten Voraussetzungen erfüllt sind.302 Dies hindert jedenfalls nicht daran, bauplanungsrechtliche Vorschriften im Lichte der Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit auszulegen und anzuwenden. Daraus folgt allerdings noch kein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung.303 Insbesondere wenn es um die Frage nach einer Ausnahme oder Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gem. § 31 BauGB geht, sind die berechtigten Interessen der Glaubensgemeinschaft und 297 VG Sigmaringen, Urt. v. 11. 06. 2008 – 1 K 275/07; VG Karlsruhe, Urt. v. 12. 05. 2009 – 2 K 4011/08. 298 BVerwG, Urt. v. 18. 11. 2010 – 4 C 10/09 = NVwZ 2011, 748 (749 f.). 299 OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (440). 300 BVerwG, Beschl. v. 07. 03. 1997 – 3 B 173/96 = NVwZ 1998, 852 (853); BonnerKommGG / Mückl, Art.  4, Rn.  101; S / S/D / Stern, § 118, III 3.  301 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804. 302 BayVGH, Urt. v.  04. 07. 1996  – 4 B 95.758, BeckRS 1996, 15141; BonnerKomm-GG / ​ Mückl, Art. 4, Rn. 101. 303 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; Sachs, JuS 2016, 952 (952); S / S/D / Stern, § 118, III 3. 

VIII. Resümee  

465

ihrer Angehörigen mit dem jeweiligen Gewicht ihrer Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung ihrer Angehörigen in Rechnung zu stellen.304 Die Frage, ob die Zulassung einer Krypta in einem Industriegebiet unter Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans (§ 31 Abs. 2 BauGB) gebietsunverträglich ist und damit nachbarliche Interessen berührt, ist einzelfallbezogen danach zu beurteilen, inwieweit die Zulassung des Vorhabens erheblich störend in den durch den Bebauungsplan bewirkten Interessenausgleich eingreift. Damit wird das Tatbestandsmerkmal des § 31 Abs. 2 BauGB, nach dem ein Vorhaben auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, für eine Auflösung der Grundrechtskollisionen im Wege der praktischen Konkordanz relevant.305 Das berechtigte Interesse der Glaubensgemeinschaft und deren Angehörigen an der Errichtung eines glaubensmotivierten Vorhabens führt jedenfalls dann nicht zu einem strikten Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von den Festsetzungen eines Bebauungsplans, wenn sich die Nachbarn erfolgreich auf den Gebietserhaltungsanspruch berufen können. Nachbarn können sich unter zwei Gesichtspunkten gegen die Errichtung einer Anlage für kirchliche Zwecke wehren: Zum einen ist die bauplanungsrechtliche Beurteilung hinsichtlich der zulässigen Nutzungsart zu hinterfragen und zum anderen können sich Nachbarn auf das Rücksichtnahmegebot berufen, das Bestandteil des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und § 34 Abs. 1 BauGB ist, soweit sie wegen Immissionen oder sonstigen Beeinträchtigungen, die im Zusammenhang mit der Nutzung der kirchlichen Anlage stehen, in individualisierter und qualifizierter Weise betroffen sind. Im letzteren Falle richtet sich die Schutzwürdigkeit der betroffenen Nachbarn nach der Intensität der Beeinträchtigung, der Bedeutung der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) für den Bauherrn und nach dem, was den Beteiligten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, was letztlich im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen ist.306 Ist ein Vorhaben als Anlage für kirchliche Zwecke in einem Baugebiet hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung allgemein zulässig, dann sind seine baulichen Besonderheiten als Ausdruck seiner spezifischer Nutzung hinzunehmen; dies gilt auch für die Kuppel einer Moschee, die die übrige Bebauung überragt.307 Ebenso haben die Nachbarn die mit der Nutzung des Vorhabens üblicherweise verbundenen Beeinträchtigungen wie den An- und Abfahrtsverkehr der Besucher hinzunehmen, soweit die Anlage für kirchliche Zwecke in einem Baugebiet allgemein zulässig ist.308 304

Sachs, JuS 2016, 952 (952). BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804 (1808). 306 BVerwG, Urt. v. 27. 02. 1992 – 4 C 50.89 = NJW 1992, 2170 (2170). 307 VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (177); VG Darmstadt, Beschl. v. 12. 07. 2005 – 2 G 1000/05. 308 BVerwG, Urt. v.  27. 02. 1992  – 4 C 50.89 = NJW 1992, 2170 (2170 ff.); VG Frankfurt a. M., Urt. v.  27. 08. 2001  – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (177); VG Düsseldorf, Urt. v. 28. 02. 2008 – 4 K 945/07. 305

466

D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Geringfügige Beeinträchtigungen der Nachbarn hat der Gesetzgeber in Hinblick auf die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) durch die Festlegung der Art der baulichen Nutzung und der damit einhergehenden grundsätzlichen Gebietsverträglichkeit in Kauf genommen.309 Die Glaubensausübungsfreiheit vermag jedenfalls beachtliche Beeinträchtigungen der Nachbarn, die von dem sakralen Vorhaben ausgehen, nicht zu rechtfertigen.310 Gerade mit Blick auf die abendländisch-christlich geprägte Kulturlandschaft ist festzuhalten, dass das Bauplanungsrecht hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung keinen „Milieuschutz“ gewährleistet, sodass eine Moschee oder ein Minarett niemals wegen des „fremdländischen“ Aussehens baurechtlich unzulässig ist.311 Die Ausstrahlungswirkung der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) ist außerdem auch bei der Anwendung und Auslegung des Einfügungsgebots gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 GG in Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung zu berücksichtigen. So rechtfertigt es die Bedeutung des Minaretts für eine muslimische Gemeinde als Ausdruck der spezifischen Nutzung des religiösen Gebäudes, dass sowohl Kuppel als auch Minarett als einzige einige Häuser in der Nachbarschaft überragen.312 Damit führt die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhabens in einer kleinen Ortschaft noch nicht zu einer Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB, soweit es als einziges Bauwerk einige Häuser in der Nachbarschaft überragt. Aus diesem Umstand kann erst recht nicht auf eine Verunstaltung des Ortsbildes geschlossen werden. Anlagen für kirchliche und kulturelle Zwecke zählen nicht zu den gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben, sondern stellen sonstige Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB dar.313 Die Errichtung von Sakralbauten im Außenbereich ist damit planungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Ein Bauherr hat somit regelmäßig keinen Anspruch auf die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhabens an einem bestimmten Standort. Hofkapellen können auch dann nicht als einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dienende Vorhaben (§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) angesehen werden, soweit sie in einem engen räumlichen Zusammenhang mit der Hofstelle stehen und nur einen untergeordneten Teil der Hoffläche einnehmen.314 Glaubens- oder sonstige weltanschaulich motivierte Vorhaben wie Kultusstätten können jedenfalls in seltenen Ausnahmekonstellationen unter den Privilegierungs 309

BVerwG, Urt. v.  27. 02. 1992  – 4 C 50.89 = NJW 1992, 2170 (2171); OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = LKV 2007, 471 (472). 310 OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 30. 03. 2007 – 2 N 249/05 = LKV 2007, 471 (472); Troidl, BauR 183 (192 f.). 311 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56. 312 VG Frankfurt a. M., Urt. v. 27. 08. 2001 – 3 E 815/01 = NVwZ-RR 2002, 175 (177); VG Darmstadt, Beschl. v. 12. 07. 2005 – 2 G 1000/05. 313 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 55. 314 BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 10.

VIII. Resümee  

467

tatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB fallen. Diese Voraussetzungen werden allerdings regelmäßig nicht vorliegen, da eine Kapelle oder eine sonstige Kultusstätte gewöhnlicherweise nicht aufgrund ihrer besonderen Zweckbestimmung an einem konkreten Standort im Außenbereich errichtet werden muss, sodass in den meisten Fällen auch eine Privilegierung gem. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ausscheiden wird.315 Denn die Rechtsprechung geht davon aus, dass Sakralbauten nicht im Außenbereich privilegiert sind, da ihre Besucher regelmäßig nicht darauf angewiesen sein werden, ihre Religion im Außenbereich in einem Kultusgebäude auszuüben.316 Ist hingegen eine verfassungskonforme Auslegung des subsidiären Auffangtatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB im Lichte der Bedeutung der Glaubensfreiheit möglich, dann muss der Glaubensfreiheit im konkreten Einzelfall zu diesem gesteigerten Durchsetzungsvermögen eines privilegierten Vorhabens verholfen werden, soweit der Bauherr ein berechtigtes Interesse an der Errichtung einer Kultusstätte oder einem sonstigen glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhaben an einem bestimmten Standort im Außenbereich hat. Unter bestimmten Voraussetzungen können nämlich auch Sakralbauten wegen ihrer nur im Außenbereich zu verwirklichenden besonderen Zweckbestimmung im Einzelfall privilegiert zulässig sein. Dies gilt namentlich für öffentlich zugängliche, einfache Flurkapellen, die Wanderern oder auch Jägern als Andachtsort dienen sollen, für Votivkapellen am Ort einer Rettung,317 oder für die Errichtung eines Vorhabens im Außenbereich infolge eines als verbindlich empfundenem überirdischen Baugebots. Dann darf allerdings die Größe und Massivität des Sakralbaus nicht mehr in das Landschaftsbild eingreifen und damit außer Verhältnis zu diesem stehen, als dies zur Erfüllung einer privilegierungsfähigen Zweckbestimmung unbedingt erforderlich ist.318 Eine verfassungskonforme Auslegung des Begriffs der besonderen Zweckbestimmung in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB darf aber nicht dazu führen, dass im Außenbereich die bauliche Infrastruktur einer Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft in der Weise entsteht, dass sich diese Gemeinschaft im Außenbereich erst die Räumlichkeiten für ihre gemeinsame Glaubensausübung schafft. Dies kann in erster Linie nur durch eine Beschränkung hinsichtlich der Größe des religiösen oder weltanschaulichen Bauwerks unterbunden werden. Eine Kapelle oder ein sonstiges sakrales Vorhaben im Außenbereich wird regelmäßig den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprechen, nämlich dann, wenn dieser Flächen für die Land- oder Forstwirtschaft ausweist, § 35 Abs. 3 Satz 1 315

BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667; Hoppenberg / de Witt / Rövekamp, §§ 33, 35, Rn. 163. 316 BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667. 317 OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280. 318 OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280.

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D. Die Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit 

Nr. 1 BauGB. Wird hingegen bei der Errichtung kleinerer Kultusstätten die landwirtschaftliche Nutzung – ebenso wie bei der Errichtung kleinerer Skulpturen, die sich auf den Schutz der Kunstfreiheit berufen können – nur unerheblich beeinträchtigt, dann können dem Vorhaben die widersprechenden Darstellungen des Flächennutzungsplans nicht entgegengehalten werden.319 Im Gegensatz zum Belang des Widerspruchs zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans muss bei der Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft der Umstand, dass der lokale Raum durch traditionelles, religiös geprägtes bäuerliches Denken gekennzeichnet sein kann, tatsächlich Einzug in die Betrachtung finden. Ist demnach die nähere Umgebung traditionell bäuerlich religiös geprägt, dann kann unter Umständen auch die hinzukommende Kapelle nicht mehr die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen. In der aktuellen Genehmigungspraxis zeigt sich, dass öffentliche Belange durch die Errichtung einer Kapelle im Außenbereich gem. § 35 Abs. 2 BauGB regelmäßig dann nicht nachteilig berührt werden, soweit es sich um eine bloße Nachverdichtung oder um die Errichtung auf einem bereits versiegelten, aber ansonsten ungenutzten Boden handelt, der keiner sinnvollen landwirtschaftlichen Nutzung mehr zugeführt werden kann. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange wird umso eher abzulehnen sein, je mehr sich das sakrale Vorhaben einem land- oder forstwirtschaftlichen Anwesen, einem Gehöft oder einem Schloss zuordnen lässt und je mehr es in seiner Erscheinung baulich untergeordnet ist.

319

BayVGH, Beschl. v. 02. 04. 2012 – 1 ZB 12.142 = BeckRS 2012, 25898, Rn. 13.

E. Zusammenfassende Darstellung über das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot, das verfassungsrechtliche Spannungsverhältnis zwischen diesem und den Grundrechten der Kunstund der Glaubensfreiheit sowie die Besonderheiten der Errichtung von sakralen Vorhaben im Außenbereich Die primären Anliegen der vorliegenden Arbeit waren es einerseits, das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) einfachgesetzlich näher darzustellen und andererseits zu untersuchen, ob baukünstlerische sowie sakrale Vorhaben aufgrund ihrer gesetzesvorbehaltlosen Grundrechtsgewährleistung den gestalterischen Bindungen des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots unterfallen. Die nähere Betrachtung des gemeindlichen Selbstgestaltungsrechts erwies sich bei der Bearbeitung der beiden Aspekte als besonders hilfreich. Es stellte sich nämlich die Frage, ob überhaupt und in welchem Umfang der Gemeinde ein verfassungsrechtlich gewährleistetes, einfachrechtlich abgesichertes Abwehrrecht zusteht, über das Ortsbild bzw. das Ortsgepräge selber zu bestimmen, das auch der Errichtung eines baukünstlerischen oder sakralen Vorhabens entgegengehalten werden kann. Ein Exkurs zur allgemeinen Bedeutung der Glaubensausübungsfreiheit im öffentlichen Baurecht beschäftigte sich insbesondere mit den Besonderheiten der Errichtung von sakralen und sonstigen weltanschaulich motivierten Vorhaben im Außenbereich.

I. Zusammenfassende Aussagen über das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot Der öffentliche Belang der Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB dient dem optisch-ästhetischen Landschaftsschutz zugunsten einer im Einzelfall schutzwürdigen Landschaft – und dies unabhängig davon, ob die Landschaft im Einzelfall förmlich aufgrund von naturoder landschaftsschutzrechtlichen Vorschriften unter Schutz gestellt wurde. Nur die förmlich unter Schutz gestellte Landschaft ist dabei vor jeglicher Beeinträchtigung der Landschaft geschützt. Für die nicht unter förmlichen Schutz gestellten Außenbereichslandschaften bedeutet dies, dass sie nur vor qualifizierten Beeinträchtigungen in Gestalt des Verunstaltungsverbots geschützt sind.1 1

BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95, Rn. 20; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11.

470

E. Zusammenfassende Darstellung

Eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes ist gegeben, wenn „das jeweilige Bauvorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird“.2 Ob die Schwelle zur Verunstaltung überschritten ist, hängt von den konkreten Umständen der jeweiligen Situation ab.3 Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung muss das Orts- oder Landschaftsbild „wegen seiner Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdig“ sein oder es muss ein „besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild“ vorliegen.4 Ein Landschaftsbild ist wegen seiner Schönheit dann besonders schützenswert, wenn sich das Landschaftsbild durch prägende, unverwechselbare und einzigartige landschaftsbildende Elemente auszeichnet.5 Bei der Prüfung, ob eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes vorliegt, ist allein auf das rein tatsächliche Orts- oder Landschaftsbild abzustellen.6 Schutzgegenstand des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots ist  – in Abgrenzung zu den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten der Länder – nicht die bauliche Anlage und ihre Auswirkungen auf die unmittelbare Umgebung, sondern unabhängig von der Baugestaltung die Wirkung des Vorhabens auf die weitere Umgebung.7 Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot kann daher nur im Bodenrecht wurzelnde Verunstaltungen abwehren.8 Da es sich bei den §§ 34 und 35 BauGB um planersetzende Vorschriften handelt, lassen sich die maßgeblichen Kriterien für die Feststellung einer Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB) und einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) gleichermaßen sowohl aus der Lage und Stellung des Vorhabens, als auch aus der Art und dem Maß der baulichen Nutzung, aus der Gestaltung des Vorhabens nach überbauter Grundfläche, Baumasse, Gebäudehöhe und der Zahl der Vollgeschosse entnehmen, die sich hypothetisch durch planerische Festsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB regeln lassen.9 Unbebaute Gebiete müssen nicht zwangsläufig schutzwürdig sein  – dies gilt auch dann, wenn „weite Teile des übrigen Kreisgebiets durch ein hohes Maß an 2

BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384; HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 53; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 44; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; Scheidler, BauR 2019, 190 (195). 3 BVerwG, Beschl. v. 13. 11. 1996 – 4 B 210.96 = BauR 1997, 444. 4 BayVGH, Urt. v.  30. 06. 2005  – 26 B 01.2833, Rn. 34; BayVGH, Urt. v.  01. 10. 2007  – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03, ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; OVG LSA, Urt. v. 06. 02. 2004 – 2 L 5/00. 5 Scheidler, NuR 2010, 525 (527). 6 OVG Bln-Bbg., Urt. v. 14. 12. 2006 – 11 B 11.05. 7 BVerwG, Urt. v. 11. 05. 2000 – 4 C 14.98. 8 Schröter, S. 594. 9 Kapell, S. 52; Kollmann, S. 398, 402; Moench / Schmidt, S. 5.

I. Zusammenfassende Aussagen über das Verunstaltungsverbot 

471

Zersiedlung geprägt sind“.10 Bei einer bisher weitgehend von menschlicher Siedlungstätigkeit unberührten Landschaft müssen weitere schützenswerte Umstände hinzutreten, die das naturbelassene Landschaftsbild als besonders schutzbedürftig erscheinen lassen. Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 5 BauGB) beschränkt sich daher nicht auf die nähere Umgebung einer Gemeinde, sondern bezieht als Beurteilungsmaßstab bei Vorhaben mit Fernwirkung auch einen Fernblick auf das Vorhaben oder vom Vorhabenstandort mit ein.11 Nennenswerte Vorbelastungen des Landschaftsbildes durch bauliche Anlagen, die in ihren Auswirkungen auf das Orts- oder Landschaftsbild den erwarteten Auswirkungen ähneln, die vom geplanten Vorhaben ausgehen, oder diese gar noch übertreffen, können den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) ausräumen.12 Der bloße Umstand, dass Windkraftanlagen aufgrund ihrer Größe weithin sichtbar sind und sich daraus zwangsläufig eine dominierende Wirkung auf ihre Umgebung ergibt, ist für sich allein genommen nicht ausreichend, um eine Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB annehmen zu können.13 Allerdings können die anlagentypischen Drehbewegungen der Rotorblätter einer Windkraftanlage als Blickfang für die wertende Beurteilung, ob „die Schwelle zur Verunstaltung“ überschritten ist, nicht außer Betracht bleiben.14 Die in der Rechtsprechung gefestigte Begründung dafür, dass bei Windkraftanlagen allein das Vorliegen einer exponierten Lage noch nicht zu einer bodenrechtlich relevanten Verunstaltung des Landschaftsbildes führt, liegt darin, dass in Mittelgebirgslandschaften – wie sie in Deutschland häufig vorkommen – für Windkraftanlagen geeignete Standorte praktisch nur in exponierten Lagen in Betracht kommen.15 Windkraftanlagen dürften andererseits im Einzelfall dann unzulässig sein und das Landschaftsbild verunstalten, wenn sie an einem exponierten Standort errichtet werden sollen und dadurch das Landschaftsbild über das zumutbare Maß hinaus dominieren, indem sie als Blickfang den Gesamteindruck einer Landschaft prägen – selbst wenn in der Umgebung nur geeignete Standorte in exponierten Lagen 10

OVG NRW, Urt. v. 05. 09. 2006 – 8 A 1971/04, NuR 2007, 215. Stüer, S. 599. 12 EZBK / Söfker, § 35, Rn. 99; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 86. 13 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03, BauR 2004, 295; OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05; Brügelmann / Dürr, § 35, Rn.  94; Düsing / Martinez / Achelpöhler, § 35 BauGB, Rn. 194; Scheidler, NuR 2010, 525 (527, 530). 14 BVerwG, Beschl. v. 15. 10. 2001 – 4 B 69.01; OVG Bln-Bbg., Beschl. v. 20. 11. 2006 – 2 N 162.05; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01, Rn. 46. 15 BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03; BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 37; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 11

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E. Zusammenfassende Darstellung

vorzufinden sind.16 Dies ist dann der Fall, wenn die Errichtung und der Betrieb einer Windenergieanlage zu einer „Verspargelung“ eines bisher durch natürliche Begrenzungen der Landschaft am Horizont geprägten Landschaftsbildes führen.17 Eine Verunstaltung des Ortsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist möglich, wenn ein Außenbereichsvorhaben – etwa ein gewerblicher Betrieb, Baracken oder ähnliche Primitivbauten – in Siedlungsnähe die Ortssilhouette teilweise bis ganz verdeckt.18 Eine Verunstaltung des Ortsbildes erfordert allerdings mehr als nur das Fehlen einer harmonischen Beziehung des Vorhabens zur vorhandenen Bebauung, wie sie in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorausgesetzt wird.19

II. Das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht als Abwehrrecht der Gemeinde  Ein Abwehrrecht zugunsten der Gemeinde gegen die Zulassung von Vorhaben im Außenbereich besteht außerhalb des Anwendungsbereichs von § 36 BauGB nur dann, wenn die Gemeinde dem Vorhaben hinreichend konkrete Planungsabsichten entgegenhalten oder eine Verletzung ihres Selbstgestaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) geltend machen kann. Das Selbstgestaltungsrecht ist einfach-rechtlich als ungeschriebener öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB zu prüfen.20 Eine Gemeinde kann sich auf ihr Selbstgestaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG mit Erfolg berufen, wenn sie durch Maßnahmen betroffen wird, die das Ortsbild entscheidend prägen und hierdurch nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken,21 insbesondere den baulichen Aspekt des örtlichen Gepräges und die vorhandene städtebauliche Struktur von Grund auf verändern.22 Das Vorliegen eines verunstalteten Ortsbildes reicht hierfür regelmäßig nicht aus, vielmehr sind prägende Auswirkungen in einem größeren räumlichen

16

OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99, Rn. 55; Schröter, S. 598. VG Kassel, Urt. v. 02. 03. 2016 – 1 K 1122/13.KS, Rn. 65. 18 BerlinerKomm-BauGB / Roeser, § 35, Rn.  76; S / B/Dirnberger, Art. 8 BayBO, Rn. 39. 19 BVerwG, Urt. v. 22. 06. 1990 – 4 C 6.87, Rn. 26; Müller, K., S. 55. 20 BayVGH, Beschl. v. 19. 02. 2009 – 22 CS 08.2672, Rn. 13; BayVGH, Beschl. v. 27. 08. 2013 – 22 ZB 13.927, Rn. 20. 21 BVerwG, Beschl. v. 05. 12. 1996 = NVwZ-RR 1997, 339; BVerwG, Urt. v. 08. 01. 1997 – 11 VR 30/95 = NuR 1998, 221 f.; BVerwG, Beschl. v. 15. 04. 1999 – 4 VR 18/98 = NVwZ-RR 1999, 554 (555); Blümel, S. 35; Denecke, S. 39, 87. 22 BVerwG, Urt. v. 18. 03. 1987 – 7 C 28.85 = BVerwGE 77, 128; BVerwG, Urt. v. 30. 08. 1993 – 7 C 14.93 = NVwZ 1994, 371; BVerwG, Beschl. v.  15. 04. 1999  – 4 VR 18/98 = NVwZRR 1999, 554 (555); BayVGH, Urt. v.  06. 06. 1989 = BayVBl. 1990, 48 (50); BayVGH, Beschl. v.  19. 11. 1985  – 20 CS 85 A.2304 = BayVBl. 1986, 370 (372); BayVGH, Beschl. v.  27. 08. 2013  – 22 ZB 13.927, Rn. 16; BayVGH, Beschl. v.  31. 10. 2008  – 22 CS 08.2369, Rn. 31; Denecke, S. 114, 130; Koenig / Zeiss, Jura 1997, 225 (230). 17

III. Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot  

473

Umfang erforderlich.23 Daraus folgt sogleich, dass die Gemeinde außerhalb einer möglichen Verletzung ihres Selbstgestaltungsrechtes keine ästhetischen Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes rügen kann, da der Landschaftsschutz nicht zum gemeindlichen Aufgabenkreis gehört.

III. Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot als gestalterische Bindung baukünstlerischer und sakraler Vorhaben Das BVerwG sah in seiner „Arno-Breker“-Entscheidung Baubeschränkungen für Kunstwerke im Außenbereich  – als Folge der Beeinträchtigung öffentlicher Belange – unter anderem unter Berufung auf den Verfassungsauftrag zum Schutze der Umwelt (Art. 20a GG) als gerechtfertigt an. Der Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) wird damit als verfassungsmäßige Konkretisierung der Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG und Art. 20a GG angesehen.24 Das BVerfG zählt zu den verfassungsimmanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit auch die Beschränkungen, die im Bauordnungsund Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden.25 Für die Rechtsanwendungspraxis steht damit im Ergebnis fest, dass sowohl die Berufung auf die Kunst- als auch auf die Glaubensfreiheit es nicht gebieten, dass das Interesse am optisch-ästhetischen Landschaftsschutz grundsätzlich hinter dem Interesse eines Bauherrn an der Schaffung von Baukunst oder der Errichtung einer Kultusstätte an einem bestimmten Ort im Außenbereich zurücktreten muss. Die gegenläufigen Verfassungsgüter können auf der Ebene des einfachen Rechts im Rahmen einer fallbezogenen Abwägung in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Dogmatisch ist es allerdings überzeugender, nicht den Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes, sondern den der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) als Ausprägung des Umweltstaatsprinzips (Art. 20a GG) zu sehen.26 Ein unmittelbar aus dem Grundrecht der Kunst- oder Glaubensfreiheit abgeleiteter Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung kann ausnahmsweise im Einzelfall durch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen baurechtlichen Vorschriften begründet werden, soweit dies das Ergebnis einer Abwägung der widerstreitenden Verfassungspositionen unter strenger Wahrung des Verhält 23

BayVGH, Urt. v. 14. 03. 2002 – 20 A 01.40075; Blümel, S. 35 f.; Müller, K., S. 108. BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). 25 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; dem folgend: OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (442); Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133; HdB-GrundR III / Merten, § 60, Rn. 64. 26 Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.). 24

474

E. Zusammenfassende Darstellung

nismäßigkeitsgrundsatzes zugunsten des jeweiligen Grundrechts gebietet. Die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB können schließlich verfassungskonform ausgelegt werden. Es bietet sich insbesondere eine verfassungskonforme Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Verunstaltung an. Jedenfalls ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Statuierung der öffentlichen Belange eine gewisse Wertentscheidung zugunsten des Landschaftsschutzes getroffen hat. Einfachgesetzliche Bauvorschriften  – wie die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 GG – sind allerdings nicht schon deswegen verfassungswidrig, weil die eigentumsrechtlichen Schranken auf das jeweilige vorbehaltlos gewährleistete Grundfreiheitsrecht nicht übertragen werden können. Die entsprechenden Bauvorschriften und öffentlichen Belange sind vielmehr verfassungskonform auszulegen. Es werden letztlich nur entsprechend gewichtige künstlerische sowie religiöse Belange dafür sprechen, ein Bauvorhaben im bauplanungsrechtlichen Außenbereich dann noch zuzulassen, soweit das Vorhaben das Orts- bzw. Landschaftsbild in erheblicher Weise in Anspruch nimmt. Insbesondere bei Vorhaben, die das Ortsbild beeinträchtigen, wird auch das Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) zu berücksichtigen sein. Das Selbstgestaltungsrecht kann nämlich insoweit in Ausgleich mit Bauvorhaben zu bringen sein, die die gemeindliche Identität verändern und den gestalterischen Bindungen städtebaulicher und bauordnungsrechtlicher Vorschriften aufgrund ihrer gesetzesvorbehaltlosen Grundrechtsgewährleistung nicht unterfallen.27 Baukünstlerische Projekte dürfen allerdings unter Berufung auf das kommunale Selbstgestaltungsrecht nicht völlig unmöglich gemacht werden.28 Aus der Anerkennung eines abwehrfähigen Selbstgestaltungsrechtes der Gemeinde als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) folgt, dass die das Ortsbild schützenden Verunstaltungsverbote ihre verfassungsrechtliche Legitimation im gemeindlichen Selbstgestaltungsrecht finden.29

IV. Bauen im Außenbereich und die Glaubensfreiheit Anlagen für kirchliche und kulturelle Zwecke zählen nicht zu den gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben, sondern stellen sonstige Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB dar.30 Die Errichtung von Sakralbauten im Außenbereich ist damit planungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Ein Bauherr hat somit regelmäßig keinen Anspruch auf die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhabens an einem bestimmten Standort. Glaubens- oder sonstige weltanschaulich 27 Denecke, S. 114; Dreier / Pernice, 2004, Art. 5 Abs. 3, Rn. 41; Gaudernack, S. 215; Kamp, S. 91; Klein, S. 281; Manssen, DV 1991, 33 (45 f.); S / S/D / Stern, § 117, VII 4, S. 722 f. 28 Kamp, S. 91; Vilsmeier, S. 56. 29 Denecke, S. 150; Gaudernack, S. 217; a. A. Kapell, S. 279. 30 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 55.

IV. Bauen im Außenbereich und die Glaubensfreiheit  

475

motivierte Vorhaben wie Kultusstätten können jedenfalls in seltenen Ausnahmekonstellationen unter den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB fallen. Diese Voraussetzungen werden allerdings regelmäßig nicht vorliegen, da eine Kapelle oder eine sonstige Kultusstätte gewöhnlicherweise nicht aufgrund ihrer besonderen Zweckbestimmung an einem konkreten Standort im Außenbereich errichtet werden muss.31 Unter bestimmten Voraussetzungen können nämlich auch Sakralbauten wegen ihrer nur im Außenbereich zu verwirklichenden besonderen Zweckbestimmung im Einzelfall privilegiert zulässig sein. Dies gilt namentlich für öffentlich zugängliche, einfache Flurkapellen, die Wanderern oder auch Jägern als Andachtsort dienen sollen, für Votivkapellen am Ort einer Rettung,32 oder für die Errichtung eines Vorhabens im Außenbereich infolge eines als verbindlich empfundenem überirdischen Baugebots. Dann darf allerdings die Größe und Massivität des Sakralbaus nicht mehr in das Landschaftsbild eingreifen und damit außer Verhältnis zu diesem stehen, als dies zur Erfüllung einer privilegierungsfähigen Zweckbestimmung unbedingt erforderlich ist.33 Eine verfassungskonforme Auslegung des Begriffs der besonderen Zweckbestimmung in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB darf aber nicht dazu führen, dass im Außenbereich die bauliche Infrastruktur einer Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft in der Weise entsteht, dass sich diese Gemeinschaft im Außenbereich erst die Räumlichkeiten für ihre gemeinsame Glaubensausübung schafft. In der aktuellen Genehmigungspraxis zeigt sich, dass öffentliche Belange durch die Errichtung einer Kapelle im Außenbereich gem. § 35 Abs. 2 BauGB regelmäßig dann nicht nachteilig berührt werden, soweit es sich um eine bloße Nachverdichtung oder um die Errichtung auf einem bereits versiegelten, aber ansonsten ungenutzten Boden handelt, der keiner sinnvollen landwirtschaftlichen Nutzung mehr zugeführt werden kann. Die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Kultusstätten im Außenbereich hat dabei verfassungskonform und wohlwollend zugunsten dieser Vorhaben zu erfolgen. Insbesondere bei der Beurteilung, ob öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB durch das Vorhaben beeinträchtigt werden, liegt das Augenmerk der Prüfung auf die Tatbestandsmerkmale des „Widerspruchs“ zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans und der „Eigenart“ der Landschaft. Das Bauplanungsrecht gewährleistet hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung keinen „Milieuschutz“, sodass weder eine Moschee oder ein Minarett, noch ein sonstiges glaubens- oder weltanschaulich motiviertes Vorhaben allein aufgrund sei 31

BVerwG, Urt. v. 03. 05. 1974 – 4 C 10.71 = BauR 1974, 328 = BeckRS 1974, 31280882; VG München, Urt. v. 20. 12. 2011 – 1 K 11.4648 = BeckRS 2012, 4667; Hoppenberg / de Witt / Röve­ kamp, §§ 33, 35, Rn. 163. 32 OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280. 33 OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280.

476

E. Zusammenfassende Darstellung

nes möglicherweise „fremdländischen“ Aussehens baurechtlich unzulässig ist.34 Die Errichtung eines glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhabens führt damit in einer kleinen Ortschaft weder zu einer Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB, geschweige denn zu einer Verunstaltung des Ortsbildes, soweit es als einziges Bauwerk einige Häuser in der Nachbarschaft überragt.

34

H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 56.

F. Resümee „Bauästhetische Ordnungsvorstellungen zählen zu den althergebrachten Regelungsmaterien des deutschen Baurechts“, lautet es in der Einleitung der vorliegenden Arbeit. Der öffentliche Belang der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) klingt zugegebenermaßen altmodisch. Tatsächlich erinnert die Entstehungsgeschichte des altehrwürdigen Begriffs der Verunstaltung mehr an preußisches Ordnungsdenken als an modernes Bauplanungsrecht, das nach heutigen Maßstäben einerseits weitreichende Baufreiheit garantieren und andererseits nicht den Blick auf das öffentliche Interesse am schonenden Umgang mit Grund und Boden verlieren soll. Umso fragwürdiger erscheint es, dass eine von staatlicher Wohlfahrtspflege getragene Bauordnungsvorschrift mit dem Ziel der Aufrechterhaltung einer ansehnlichen Bauästhetik Einzug in ein modernes Baugesetzbuch hielt. Es drängt sich vor diesem Hintergrund geradezu die Fragestellung auf, ob der öffentliche Belang der „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB überhaupt noch relevant und zeitgemäß ist. Tatsächlich erlebt die Bedeutung des optisch-ästhetischen Landschaftsschutzes für die Erhaltung von Natur und Landschaft in der heutigen Zeit, in der unbebaute und unberührte Landschaften zunehmend rar werden, eine Renaissance. Die voranschreitende Globalisierung mag möglicherweise auch ihren Beitrag dazu leisten, dass in vielen Menschen ein verstärktes Gefühl von Heimat, Kontinuität und Zuflucht hervorgerufen wird, für das heutzutage mehr denn je symbolisch auch das lokale Landschaftsbild steht. Gemeinden, Bürgerinitiativen und sonstige Ver­ einigungen setzen sich verstärkt für die Erhaltung des Landschaftsbildes ein und berufen sich regelmäßig zur Verhinderung von Bauvorhaben im Außenbereich auf eine befürchtete Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes.1 Besonders emotional und lebhaft wird mitunter die Diskussion um die Errichtung von Windkraftanlagen und Solarparks geführt.2 1

Beispielsweise seien die Gründung einer Bürgerinitiative gegen die geplante Zulaufstrecke zum Brenner-Basistunnel genannt, https://www.rosenheim24.de/rosenheim/rosenheim-stadt/ rosenheim-gruendungsversammlung-buergerinitiative-brennero-brenner-nordzulauf-10805803. html (abgerufen am 29. 09. 2020) und die Gründung einer Bürgerinitiative gegen die Errichtung eines Hotels direkt am Main, https://www.mainpost.de/regional/kitzingen/Buerger-entscheidenueber-Hotelbau-Argumente-fuer-den-Sonntag;art773,10019271 (abgerufen am 29. 09. 2020). 2 Vgl. nur exemplarisch den Streit um die Errichtung eines Solarparks, für den sich stellvertretend das wiedergegebene Zitat anführen lässt „Ich will mir meine Heimat nicht zerstö-

478

F. Resümee

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich in ihrem ersten Teil mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der „Verunstaltung“. Die Schwierigkeiten, die sich in der Rechtsanwendungspraxis bei der Anwendung und Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe ergeben, lassen sich durch eine Kategorisierung und Katalogisierung der hierzu ergangenen Rechtsprechung beseitigen. Es zeigte sich letztendlich, dass der Verunstaltungsbegriff auch in der heutigen Rechtsanwendungspraxis seine Relevanz nicht eingebüßt hat, zumal er aufgrund seiner Unbestimmtheit einer Auslegung zugänglich ist. Vor dem Hintergrund der im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden größtmöglichen Freiheitsverwirklichung durch die Grundrechtsgewährleistung vorbehaltloser Grundrechte dürfte die verfassungskonforme Auslegung des Verunstaltungsbegriffs zukünftig weiter im Spannungsfeld zwischen den widerstreitenden Eigentümerinteressen und dem öffentlichen Interesse am Landschaftsschutz an Bedeutung gewinnen, die der historische Gesetzgeber damals noch nicht vorausgesehen hat und im Übrigen schon gar nicht voraussehen konnte. Mit der überkommenen Definition liegt eine Verunstaltung dann vor, soweit „das jeweilige Bauvorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird“.3 Damit steht fest, dass eine Verunstaltung stets mit einem Werturteil verbunden ist und dass es sich um „krasse“ Ausnahmefälle handeln muss, die gegen das Verunstaltungsverbot verstoßen und damit geeignet sind, ein Vorhaben im Außenbereich unzulässig zu machen. Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB dient dem optisch-ästhetischen Landschaftsschutz zugunsten einer im Einzelfall schutzwürdigen Landschaft – und dies unabhängig davon, ob die Landschaft im Einzelfall förmlich aufgrund von natur- oder landschaftsschutzrechtlichen Vorschriften unter Schutz gestellt wurde. Verstößt ein Vorhaben in nicht durch Ausnahmegenehmigungen oder Befreiungen zu behebender Weise gegen die Vorgaben einer Landschaftsschutzverordnung, ist gleichzeitig auch eine Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes gegeben. Damit ist die förmlich unter Schutz gestellte Landschaft vor jeglicher Beeinträchtigung der Landschaft geschützt. Für die nicht förmlich unter Schutz gestellten Außenbereichslandschaften bedeutet dies, dass sie nur vor qualifizierten Beeinträchtigungen in Gestalt des Verunstaltungsverbotes geschützt sind.4

ren lassen“, Solarpark Dörnhof, Landkreis Kulmbach, https://www.infranken.de/lk/kulmbach/ streit-um-den-geplanten-solarpark-doernhof-art-3616597 (abgerufen am 29. 09. 2020). 3 BVerwG, Beschl. v.  18. 03. 2003  – 4 B 7.03 = BauR 2004, 295; BayVGH, Urt. v. 18. 06. 2009 – 22 B 07.1384; HessVGH, Urt. v. 24. 05. 1996 – 4 UE 2683/93; OVG NRW, Urt. v. 12. 06. 2001 – 10 A 97/99; OVG NRW, Urt. v. 18. 11. 2004 – 7 A 3329/01; ThürOVG, Urt. v. 14. 05. 2007 – 1 KO 1054/03 = ZfBR 2008, 60 (61); VGH BW, Urt. v. 16. 10. 2002 – 8 S 737/02; VGH BW, Urt. v. 30. 09. 2011 – 8 S 1947/11; Scheidler, BauR 2019, 190 (195). 4 BVerwG, Urt. v. 15. 05. 1997 – 4 C 23.95, Rn. 19 f.

F. Resümee

479

Zahlreiche Beispiele aus der Rechtsprechungspraxis belegen, dass nennenswerte Vorbelastungen des Landschaftsbildes durch bauliche Anlagen, die in ihren Auswirkungen auf das Orts- oder Landschaftsbild den erwarteten Auswirkungen ähneln, die vom geplanten Vorhaben ausgehen, oder diese gar noch übertreffen, den öffentlichen Belang der Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes ausräumen können.5 Bei der Beurteilung einer Verunstaltung des Landschaftsbildes durch Windkraftanlagen ist der Umstand zu berücksichtigen, dass allein das Vorliegen einer exponierten Lage noch nicht zu einer bodenrechtlich relevanten Verunstaltung des Landschaftsbildes führt. In den deutschen Mittelgebirgslandschaften kommen für Windkraftanlagen schließlich nur geeignete Standorte in exponierten Lagen in Betracht.6 Aus demselben Grund kann eine bloße „Horizontverschmutzung“ durch die Errichtung von Windkraftanlagen für sich allein genommen noch nicht zu einer relevanten Verunstaltung des Landschaftsbildes führen, was regelmäßig der Fall ist bei einer durch landwirtschaftliche Nutzflächen geprägten Landschaft, die ansonsten über keine nennenswerten landschaftsprägenden Elemente verfügt. Die Folge des stärkeren Durchsetzungsvermögens privilegierter Vorhaben (§ 35 Abs. 1 BauGB) gegenüber den sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) ist, dass die Obergerichte den Verunstaltungsbegriff bei privilegierten Vorhaben einschränkend auslegen. Danach muss das Orts- oder Landschaftsbild „wegen seiner Schönheit oder Funktion besonders schutzwürdig“ sein oder es muss ein „besonders grober Eingriff in das Landschaftsbild“ vorliegen.7 Für die Beurteilung der Frage, ob die Errichtung eines Vorhabens an einem bestimmten Standort im Außenbereich zu einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes führt und insofern einen öffentlichen Belang „beeinträchtigt“ (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB), kommt die vorliegende Arbeit zu dem Ergebnis, dass es nicht darauf ankommt, ob es sich um ein privilegiertes Vorhaben oder ein sonstiges Vorhaben handelt. Die Kriterien, die an eine „Verunstaltung“ zu stellen sind, sind bei allen Vorhaben grundsätzlich dieselben. Die anschließend anzustellende Abwägungsentscheidung, ob die Verunstaltung zu einer „Beeinträchtigung“ öffentlicher Belange führt oder öffentliche Belange dem Vorhaben „entgegenstehen“, ist im Anschluss an die Prüfung des Vorliegens einer Verunstaltung vorzunehmen.8 Ob sich diese Ansicht ergänzend zu der herrschenden Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls dürften die in der vorliegenden Arbeit herausgearbeiteten Fallgruppen und Bewertungskriterien zum bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot die Beurteilung einer Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes im Einzelfall erleichtern und Ab 5

EZBK / Söfker, § 35, Rn. 99; PraxKom / Sander / Kellermann, § 35, Rn. 86. BVerwG, Beschl. v. 18. 03. 2003 – 4 B 7.03; BayVGH, Urt. v. 30. 06. 2005 – 26 B 01.2833, Rn. 37; BayVGH, Urt. v. 01. 10. 2007 – 15 B 06.2356; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 7 Vgl. statt aller BayVGH, Urt. v.  30. 06. 2005  – 26 B 01.2833, Rn. 34; SächsOVG, Urt. v. 18. 05. 2000 – 1 B 29/98. 8 OVG NRW, Urt. v. 30. 07. 2009 – 8 A 2358/08, Rn. 79. 6

480

F. Resümee

grenzungsschwierigkeiten des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsbegriffs von den bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverboten und sonstigen das Ortsbild schützenden Vorschriften erleichtern. Abzuwarten bleibt auch, ob und in welchem Umfang Literatur und Rechtsprechung Gemeinden über den Anwendungsbereich des § 36 BauGB hinaus adäquate Rechtsschutzmöglichkeiten zum Schutze vor das Ortsbild möglicherweise verunstaltenden bzw. in erheblicher Weise beeinträchtigenden Bauvorhaben zur Ver­ fügung stellen werden. In der Literatur wird jedenfalls bereits konstatiert, dass das „gemeindliche Selbstgestaltungsrecht“ einen eigenen und abgrenzbaren Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) darstelle.9 Die Zukunft wird zeigen, ob eine nähere Eingrenzung des gemeindlichen Selbstgestaltungsrechtes innerhalb der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gelingen wird und hieraus klar abgrenzbare Abwehransprüche der Gemeinde gegenüber den sie nachhaltig prägenden Bauvorhaben abgeleitet werden können. Nicht nur das BauGB bezweckt mit seinen Vorschriften über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben den Schutz des Orts- und Landschaftsbildes – hier sind insoweit § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB und § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zu nennen –, sondern auch die Verunstaltungsverbote der Landesbauordnungen. Die Gemeinden können außerdem in einer Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen, die auch gestalterische Anforderungen an bauliche Anlagen enthalten können. Die Rechtsgrundlage dafür findet sich in der entsprechenden Vorschrift der jeweiligen Landesbauordnung. Die vorliegende Arbeit hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, die Reichweite der einzelnen, beim ersten Lesen recht ähnlich lautenden Vorschriften der bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote und der planersetzenden Vorschriften der § 34 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 BauGB – „Ortsbildbeeinträchtigung“ – und § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB – „Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“ – voneinander abzugrenzen. Festzuhalten bleibt, dass das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot nur im Bodenrecht wurzelnde Verunstaltungen abwehren kann, deren maßgebliche Kriterien zur Feststellung sich hypothetisch durch planerische Festsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB hypothetisch regeln lassen.10 Die verfassungsrechtliche Abhandlung über das Baurecht mit der vor allem hier interessierenden Materie bauästhetischer Ordnungsvorstellungen im zweiten Teil der Arbeit erscheint zunächst eher abwegig zu sein. Die verfassungsrechtliche Betrachtung über eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für den Erlass von bauordnungs- und bauplanungsrechtlichen Vorschriften wurde in den frühen Jahrzehnten der Bundesrepublik recht stiefmütterlich in Hinblick auf die Grundrechtsgewährleistung vorbehaltloser Grundrechte behandelt.

9

Blümel, S. 30, 33; Denecke, S. 147; Mick, S. 115 ff., 188 ff.; ders., DÖV 1991, 623 (628). Vgl. statt aller Schröter, S. 594.

10

F. Resümee

481

Es erschien zwar möglich, dass private Bautätigkeit unter Umständen in Konflikt mit staatlichen bauästhetischen Vorstellungen geraten könnte, jedoch wurde diesem Ansatz unter einfachem Hinweis darauf, dass die Baufreiheit ihre Grenze in den Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums finde (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), keine weitere Beachtung geschenkt. In jüngster Zeit hat die Rechtswissenschaft die Bedeutung vorbehaltlos gewährleisteter Freiheitsgrundrechte auch im Baubereich erkannt und setzte sich mit ihr infolge einiger wegweisender Entscheidungen intensiv auseinander. An dieser Stelle genügt der Verweis auf die „Arno-Breker“-Entscheidung des BVerwG oder die Diskussion um Christo’s Reichstagsverhüllung. Künstler, Bauherren und Architekten werden sich bei der Errichtung von Baukunst oder von Kultusstätten regelmäßig auf die einschlägigen, vorbehaltlos gewährleisteten Freiheitsgrundrechte (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG oder Art. 4 Abs. 2 GG) berufen. Die Rechtsprechung11 und Literatur12 beschäftigte sich ausgiebig mit der Frage, inwieweit der Errichtung von Baukunst im Außenbereich – und damit im Ergebnis auch der Errichtung von sakraler Baukunst – der in dem bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zum Ausdruck kommende optisch-ästhetische Landschaftsschutzgedanke auf verfassungsrechtlich tragfähiger Basis entgegengehalten werden kann. Nach Auffassung des BVerwG stellen die Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und das Verunstaltungsverbot im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB verfassungsmäßige Konkretisierungen der Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 GG und Art. 20a GG dar.13 Das BVerfG zählt zu den verfassungsimmanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit auch die Beschränkungen, die im Bauordnungs- und Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden.14 Dogmatisch ist es allerdings überzeugender, nicht das Verunstaltungsverbot, sondern den Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft als Ausprägung des Umweltstaatprinzips (Art. 20a GG) zu sehen.15 Die Errichtung von (sakraler) Baukunst dürfte allerdings regelmäßig in diesen eine wesensfremde Bebauung hineintragen, sodass im Ergebnis keine Unterschiede zur Auffassung des BVerwG bestehen. Für die Rechtsanwendungspraxis steht jedenfalls im Ergebnis fest, dass sowohl die Berufung auf die Kunst- als auch auf die Glaubensfreiheit es nicht gebieten, dass das Interesse an der Erhaltung der natürlichen Eigenart der Landschaft und 11

Ausgiebig das BVerwG in der Entscheidung „Arno Breker“, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 und das VG München, Urt. v.  16. 09. 2004  – M 11 K 03.1745 = BeckRS 2004, 33088. 12 Siehe unter anderem nur die zahlreichen Fundstellen in den Fußnoten 1285, 1457, 1494. 13 BVerwG, Beschl. v. 13. 04. 1995 – 4 B 70/95 = NJW 1995, 2648 (2648). 14 BVerfG, Beschl. v. 09. 05. 2016 – 1 BvR 2202/13 = NVwZ 2016, 1804; dem folgend OVG RhPf, Beschl. v. 31. 01. 2017 – 8 B 11605/16 = NVwZ-RR 2017, 439 (442); Dreier / Morlok, Art. 4, Rn. 133; HdB-GrundR III / Merten, § 60, Rn. 64. 15 Vesting, NJW 1996, 1111 (1113 f.).

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F. Resümee

das Interesse am optisch-ästhetischen Landschaftsschutz grundsätzlich hinter dem Interesse eines Bauherrn an der Schaffung von (sakraler) Baukunst an einem bestimmten Standort im Außenbereich zurücktreten müssen. Jedenfalls kann im Einzelfall ausnahmsweise ein unmittelbar aus dem Grundrecht der Kunst- oder der Glaubensfreiheit abgeleiteter Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung durch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen baurechtlichen Bestimmungen begründet werden, soweit dies das Ergebnis einer Abwägungsentscheidung der widerstreitenden Verfassungspositionen unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugunsten des jeweiligen Grundrechtsträgers gebietet. Insofern können auch die öffentlichen Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB – und mithin das Verunstaltungsverbot – verfassungskonform ausgelegt werden. Ausgehend von der Prämisse, dass aufgrund der herausragenden Bedeutung der Vorbehaltlosigkeit der entsprechenden Grundrechte diese auch zukünftig bei der Anwendung einfachrechtlicher Bauvorschriften hinreichend gewürdigt und berücksichtigt werden müssen, zeigt die vorliegende Arbeit Möglichkeiten auf, wie die Berufung eines Bauherrn auf die Kunst- bzw. die Glaubensfreiheit bei der Auslegung und Anwendung des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots angemessen berücksichtigt werden kann. Künstlerische und sakrale Baugestaltungsfreiheit endet jedoch dort, wo die äußerste und noch mit dem Verunstaltungsverbot in Einklang zu bringende Grenze einer grundrechtskonformen Auslegung überschritten wird. Aus der Anerkennung eines abwehrfähigen Selbstgestaltungsrechtes der Gemeind­ e als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) folgt, dass die das Ortsbild schützenden Verunstaltungsverbote ihre verfassungsrechtliche Legitimation im gemeindlichen Selbstgestaltungsrecht finden.16 Das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht kann insoweit in Ausgleich mit Bauvorhaben zu bringen sein, die die gemeindliche Identität verändern und den gestalterischen Bindungen städtebaulicher und bauordnungsrechtlicher Vorschriften aufgrund ihrer gesetzesvorbehaltlosen Grundrechtsgewährleistung nicht unterfallen.17 Nach der herrschenden Meinung sind die baurechtlichen Verunstaltungsverbote nicht drittschützend im Sinne des nachbarlichen Rechtsschutzes, sondern bestehen im öffentlichen Interesse. Es finden sich in der Literatur demgegenüber aber auch Ansätze zur Begründung eines nachbarschützenden Charakters der Verunstaltungsverbote. So wird vertreten, dass jedenfalls die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote verfassungskonform im Lichte der Kunstfreiheitsgarantie ausgelegt werden müssten, da es schließlich anerkannt sei, dass die Verunstaltungsverbote

16

Denecke, S. 150; Gaudernack, S. 217; a. A. Kapell, S. 279. Denecke, S. 114; Dreier / Pernice, 2004, Art. 5 Abs. 3, Rn. 41; Gaudernack, S. 215; Kamp, S. 91; Klein, S. 281; Manssen, DV 1991, 33 (45 f.); S / S/D / Stern, § 117, VII 4, S. 722 f. 17

F. Resümee

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auch den Wirkbereich besonders erhaltenswerter baulicher Anlagen vor störenden Einwirkungen der hinzukommenden baulichen Anlagen schützen.18 Die landesrechtlichen Verunstaltungsverbote können richtigerweise dann einem Nachbarn einfachgesetzlichen Drittschutz vermitteln, soweit sie in eng begrenzten Ausnahmefällen verfassungsrechtlich mit dem Grundrecht der Kunstfreiheit aufgeladen werden können. Ein anerkennenswertes Klagerecht ist jedenfalls dann anzunehmen, soweit der Schutz des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes auf die Prägung durch ein bestimmtes Werk der Baukunst zurückzuführen ist und dieses durch die hinzukommende bauliche Anlage verunstaltet wird.19 Ein nachbarlicher Abwehranspruch auf die Versagung einer Baugenehmigung lässt sich im vorbezeichneten Sinne auch auf das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) übertragen. Es ist denkbar, dass sich ein bereits vorhandenes baukünstlerisches Vorhaben entweder hinsichtlich seiner Lage oder seiner äußeren Gestaltung in ein gegebenes Orts- oder Landschaftsbild einfügt und damit Bestandteil dieses Orts- bzw. Landschaftsbildes wird. Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot stellt in diesem eng begrenzten Ausnahmefall eine Konkretisierung der sich aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergebenden Schutzpflicht zugunsten des Wirkbereichs vorhandener Baukunst dar.20 Die Aktivierung der Verunstaltungsverbote in seltenen Ausnahmefällen zum Schutze besonders schützenswerter und erhaltenswerter Werke der Baukunst vor hinzukommenden sie und das Orts- bzw. Landschaftsbild verunstaltenden Bauwerken beweist zugleich, dass die Verunstaltungsverbote selbst Ausdruck eines aus der Kunstfreiheitsgarantie (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) abgeleiteten Abwehrrechtes sind. Der dritte große Teil der Arbeit setzt sich vor allem vertieft mit der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung von Kultusstätten im Außenbereich auseinander. In diesem Zusammenhang stellt sich unter anderem die Frage, ob die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG) derart auf das einfache Recht einwirkt, dass bei glaubens- oder weltanschaulich motivierten Vorhaben von einem privilegierten Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB auszugehen ist. Dieselbe Frage lässt sich auch auf die Errichtung von Werken der Baukunst in Bezug auf die Kunstfreiheitsgarantie (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) übertragen. Grundsätzlich gilt, dass Anlagen für kirchliche und kulturelle Zwecke nicht zu den gem. § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben zählen, sondern sonstige Vorhaben gem. § 35 Abs. 2 BauGB darstellen.21 Jedenfalls können unter engen Voraussetzungen Sakralbauten und Werke der Baukunst privilegierte Vorhaben sein, soweit sie wegen ihrer nur im Außenbereich 18

Kamp, S. 148; Schütz, JuS 1996, 498 (505); Uechtritz, NJW 1995, 2606 (2607 f.); Wahl, DVBl. 1996, 641 (644, 651); Zeiss, ZfBR 1997, 286 (289). 19 Schneider, S. 235. 20 Schütz, JuS 1996, 498 (505). 21 H / H/Hofmann, Art. 4, Rn. 55.

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F. Resümee

zu verwirklichenden Zweckbestimmung im Einzelfall dort verwirklicht werden können. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist insofern verfassungskonform auszulegen. Dies gilt namentlich für öffentlich zugängliche, einfache Flurkapellen, die Wanderern oder auch Jägern als Andachtsort dienen sollen, für Votivkapellen am Ort einer Rettung22 oder für die Errichtung einer Kultusstätte infolge eines als verbindlich empfundenen überirdischen Baugebots. Ebenso können Kunstwerke aufgrund ihres kulturhistorischen Ortsbezuges nur an einem bestimmten Standort sinnvollerweise errichtet werden. Die insoweit vorzunehmende verfassungskonforme Auslegung der besonderen Zweckbestimmung im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB darf aber nicht dazu führen, dass im Außenbereich durch die Zulassung eines entsprechenden Vorhabens die bauliche Infrastruktur einer Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft in der Weise entsteht, dass sich diese Gemeinschaft mit der Errichtung des Vorhabens im Außenbereich die wesentliche Grundlage für ihre gemeinsame Glaubensausübung erschafft. Zu denken ist etwa an unter Umständen neu aufkommenden Naturreligionen sowie anderen ökologisch motivierten Vereinigungen, beispielsweise Blumenkind-Bewegungen oder Hippie-Kommunen, die sich möglicherweise auf die Weltanschauungsfreiheit zur Verwirklichung ihres Vorhabens berufen. Aus den letzten Zeilen wird besonders deutlich, dass das einst als preußisches „Verschandelungsverbot“ verstandene bauästhetische Verunstaltungsverbot auch heute noch seine gesellschaftspolitische Relevanz besitzt. Es steht heute mehr denn je im Spannungsfeld zwischen der Aufrechterhaltung einer gepflegten städtebaulichen Ordnung und der größtmöglichen Öffnung zugunsten individueller Baugestaltungsfreiheit.

22

OVG RhPf, Beschl. v. 07. 05. 2003 – 8 A 10592/03 = BeckRS 2003, 18280.

G. Thesen – Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB dient dem optisch-ästhetischen Landschaftsschutz zugunsten einer im Einzelfall schutzwürdigen Landschaft – und dies unabhängig davon, ob die Landschaft im Einzelfall förmlich aufgrund von natur- oder landschaftsschutzrechtlichen Vorschriften unter Schutz gestellt wurde. – An das Vorliegen einer Verunstaltung des Orts- oder Landschaftsbildes sind sowohl bei privilegierten Vorhaben (§ 35 Abs. 1 BauGB) als auch bei sonstigen Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) dieselben Anforderungen zu stellen. – Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot kann nur im Bodenrecht wurzelnde Verunstaltungen abwehren, deren maßgeblichen Kriterien zur Feststellung sich durch planerische Festsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB hypothetisch regeln lassen. – Es gibt ein abwehrfähiges Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) außerhalb des Anwendungsbereichs des § 36 BauGB, das einfach-rechtlich als ungeschriebener öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zu berücksichtigen ist. – Das bauplanungsrechtliche Verunstaltungsverbot lässt sich – entgegen der Ansicht des BVerwG – nicht auf ein Verfassungsgut von Rang zurückführen. Die Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) dient nicht dem optisch-ästhetischen Landschaftsschutz, sondern enthält lediglich einen funktionalen Landschaftsschutzgedanken, sodass nur der Belang der „natürlichen Eigenart der Landschaft“ im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB Ausdruck dieser Staatszielbestimmung ist. – Es kann sich im Einzelfall ausnahmsweise ein unmittelbar aus dem jeweiligen Grundrecht abgeleiteter Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung durch eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen baurechtlichen Vorschriften ergeben. Es bietet sich insbesondere eine verfassungskonforme Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Verunstaltung an. – Das bauplanungsrechtliche als auch die bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbote können einem Nachbarn einfachgesetzlichen Drittschutz vermitteln, soweit sie in eng begrenzten Ausnahmefällen verfassungsrechtlich mit dem Grundrecht der Kunstfreiheit aufgeladen werden können. Hieraus resultiert für Werke der Baukunst ausnahmsweise aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit ein Abwehranspruch gegenüber in ihrer Wirkung konkurrierende Werke der Baukunst.

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G. Thesen

– Eine verfassungskonforme Auslegung des Privilegierungstatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB kann in seltenen Ausnahmekonstellationen dazu führen, dass Werke der Baukunst und sakrale Kultusstätten sowie sonstige weltanschaulich motivierte Vorhaben im Außenbereich als privilegierte Vorhaben anzusehen sind.

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Sachwortverzeichnis Abgrabungen 93 Abwägung – Abwägungsentscheidung  33, 90, 295 ff. – Abwägungsvorgang  88, 407 – nachvollziehende  48, 60 f., 82, 84, 141 – Unterschiede zwischen privilegierten und sonstigen Vorhaben  60 f., 82 ff., 122 Abwehransprüche des Nachbarn  224, 327 ff. Allgäu 181 Anpflanzungen und sonstige optisch unauffällige Gestaltung  33, 71, 80 Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung  224, 325 ff. An- und Abfahrtsverkehr  425 f., 456 Arno-Breker-Entscheidung  222, 277, 302, 310, 371, 385, 391 Auengehölz 47 Auslegung 39 – verfassungskonforme 45 Ausnahmen und Befreiungen  414 ff., 419 ff. Außenbereich 27 – optischer Außenbereichsschutz  29 Aussiedlerhof  48 f., 75, 130 Baudenkmäler s. Denkmäler Baugebietstypen  409 ff. Baugebot, überirdisches 363 f., 369 f., 391, 396, 434, 444 ff., 448 Baugestaltungsrecht  28, 31 Baugestaltungsverordnung von 1936  44 ff. Baukunst  39, 174, 223, 225, 284, 355 – Abgrenzung zum nichtkünstlerischen Bau­en  352 ff. – Abwägungsfragen 248 – Schutz vor der Umgebung  338 ff. Bauleitpläne, Aufstellung 30, 45, 372 ff., 408 f., 427, 431 Bauordnungsrecht 75 Bauplanungsrecht 46 Baupolizeirecht 61 Baurechtsnovelle von 1976  46

Bauvorschriften, örtliche  45, 174 Bayerischer Wald  121 Bebauungsfreiheit 119 Bebauungsplan  45, 66 Beeinträchtigungen – ästhetische 34 – der natürlichen Eigenart der Landschaft ​ 34 – öffentlicher Belange  35 – qualifizierte 38 – von Blickachsen  72 – zeitlich vorübergehende  61, 92 ff., 130 Befreiungsmöglichkeit  229, 297, 309 Bergisches Land  184 Berufsausübungsfreiheit 421 Bestandsschutz 74 Bestimmtheitsgebot 55 Betrachtungsweise, funktionelle  58 f. Bienenhaus  49, 123 Biosphärenreservat Rhön  181 Biotop 47 Blickfang 122 Bodennutzung  49, 59 Bodenrecht, verfassungsrechtlicher Begriff ​31, 36, 62 Brandenburg  193, 198 Dachlandschaft 68 Denkmäler  116, 172, 343 Denkmalschutzrecht  54, 341, 343 ff. Donauschleife 47 Drittschutz 224, 268, 332, 334 ff., 343 ff., 424 ff. Durchschnittsbetrachter  53 ff., 96 Eigentumsfreiheit  223, 325, 349 ff. – Idealkonkurrenz  356 ff. – Nutzungsbefugnis 421 – Schrankenleihe 354 – Sozialbindung  359 f. Eigentumsrecht des Nachbarn  266 ff.

Sachwortverzeichnis Einfügungsgebot  63, 65, 424, 427, 429 ff. – Abgrenzung zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot 157 Eingriffsregelung, naturschutzrechtliche ​95  f., 100 Einvernehmen, gemeindliches  162 ff. Einzelfallprüfung  52, 111, 193, 429 Emsniederung 125 Entlegene Gebiete  132 Entstehungsgeschichte 34 Erhaltungsinteresse  51, 72, 105 f. Erhaltungssatzung  32, 44 f., 67, 76 Erholungsfunktion 112 Erholungslandschaft  99, 101, 132, 141 ff. Ermessen  43, 316 Erscheinungsbild, äußeres  50, 62 Erweiterung eines Vorhabens  48, 52, 74 f. Exponierter Standort  48 f., 112, 121 ff., 128, 133, 136, 139, 177, 182 ff. Fachplanungen, überörtliche  167 f. Fallgruppen  87, 89, 91, 111 Fassadenbemalung  174, 269, 301, 306, 338 Fernblick  73, 129, 133, 141 Festsetzungen eines Bebauungsplans  45, 63, 66 ff., 158, 407, 418, 430, 456 Flächennutzungsplan 117, 119, 182, 189 f., 438, 454 ff. Flusslandschaft  47, 125 Flusstäler 113 Fremdkörper  49, 51, 63, 115, 133 Friedhof  386 ff., 395 Gärrestebehälter 102 Gebietserhaltungsanspruch  421, 423 f., 426 Gebietsverträglichkeit 425 Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs  69, 82 f., 91, 121, 126 Gebot weltanschaulich-religiöser Neutralität ​ 362, 378, 404, 410 f. Gefahrenabwehr  248 f. Gefildelandschaft  118, 197 Gesamteindruck, städtebaulicher  32, 50, 69, 135 Gesetzgebungskompetenz  36, 60 ff., 69 Gestaltungspflege – aktive / positive  37, 44, 56, 77, 173, 220, 437

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– Instrumente  44 f. – negative 44, 174, 312 Gestaltungsvorschriften 67 Gipsabbau 130 Glaubensfreiheit  361 ff. – Abwägungsentscheidung  392 ff. – Einschränkung durch die kommunale Planungshoheit 165 – grundgesetzliche Wertordnung  381 ff. – negative 431 – personeller Schutzbereich  370 ff. – Prinzip der praktischen Konkordanz  405, 415, 419 f. – sachlicher Schutzbereich  364 ff. – Schranken  376 ff., 419 – und öffentliche Belange  454 ff. – verfassungskonforme Auslegung 374, 384 f., 419, 444 ff., 455 Gleichbehandlungsgrundsatz  404, 406 f. Grenzen  112, 119, 129, 198 Grundgesetzliche Kompetenzverteilung ​245 f. Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ​ 253, 384 ff. – Verletzung durch ästhetische Beeinträchtigungen  259 ff., 385 Grundrecht auf Stadtgestaltung  251 ff. Grundrechte – Einschränkung durch das kommunale Selbstgestaltungsrecht  172 ff. – Einschränkung durch die kommunale Planungshoheit 165 – Prinzip des schonenden Ausgleichs ​246 ff., 392 ff. – verfassungsimmanente Schranken 165, 277, 382 – verfassungskonforme Auslegung 247, 295 f., 393 ff., 406 – vorbehaltlose 165 Grundsatz der Priorität  248, 270, 342 Güter- und Interessenabwägung  246 ff., 284, 295 ff., 392 ff., 413 Gutshof 31 Harz 113 Hotzenwald 144 Inaugenscheinnahme 43 Innenbereich, Ortsbild  31 f.

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Sachwortverzeichnis

Jurahöhenzug  118, 121 Kapellen  93, 116, 363, 366 f., 371, 433, 436 ff., 440, 448 ff., 455, 458 ff. Kfz-Werkstattbetrieb 50 Kiesabbau 140 Kirchenbaurecht  389 f. Kompensation öffentlicher Belange  94 f. Kraichgau 195 Kreidefelsen auf Rügen  181 Kreuzberg-Urteil des PrOVG 37, 39, 250, 271, 302, 314 Krypta  368, 413 f., 415 ff. Kulturlandschaften  30, 73, 116, 120 f., 130, 133, 178, 181, 194, 431, 438, 458 Kultusstätten  393, 403 ff., 409 ff. Kunstfreiheit – Baukunstfreiheit  165, 174, 296 – bauplanungsrechtliches Verunstaltungsverbot  220 ff. – Begriff der Baukunst  223, 225 ff. – Einschränkung durch die kommunale Planungshoheit 165 – kommunikativer Bezug  238 f. – kunstkonforme Auslegung  230, 233, 284, 296, 302 ff., 308, 325, 334 ff., 346 – Öffentlichkeitsbezug 238 – Prinzip der praktischen Konkordanz  248, 284, 311 – Schutzbereiche  225 ff. – Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde ​173 – verfassungsimmanente Schranken  242 f., 274 ff. – Vorbehaltlosigkeit  241 ff. – Werk- und Wirkbereich  239 f., 304, 306, 335, 344, 346 Kunstrichtertum  56, 220, 257 Kunstwerke auf Zeit  248, 340 ff. Landesentwicklungsprogramm Bayern  117 Landschaftsbild  29 f., 35 – besonders grober Eingriff  112, 145 ff. – besonders schützenswertes  111 f., 113 ff., 133, 180 ff. – landschaftlich reizvolle Gebiete  59 – Landschaftspanoramen  56, 183 – unberührtes  133, 193 ff., 198 – Wertigkeit  128, 133, 137

Landschaftspflegerischer Begleitplan  117 Landschaftsschutz – förmlicher  34 f., 37, 95 ff. – funktionaler  34 f., 137, 277, 443, 457 – naturschutzrechtlicher 95 – optisch-ästhetischer  27, 35 f., 37, 47, 59, 96, 102, 277, 279 ff. Landschaftsschutzgebiete 100 ff., 114, 124, 194 Landschaftsschutzgebietsverordnung  97, 99 f., 185 Landschaftsübliche und funktionsgerechte Bauweise  33, 47 ff., 112, 121, 123 Landwirtschaftliche Betriebe  47, 57 Lenin-Denkmal Berlin  333 f. Lützelalb  130, 139, 179, 184, 189 Maintal 104 Marienerscheinungen s. Baugebot, überirdisches Maßstabsbildender Bereich  63, 126 ff. Mastanlage 47 Mecklenburgische Seenlandschaft  102, 118 Merkmal des „Dienens“  48, 57, 436 f., 441 f., 459 Merkmal des „Sich-Einfügens“  57 Milieuschutz 431 Minarett  407, 411, 427, 431 f. Mittelgebirgslandschaft  134, 140, 172, 179, 185 f., 192 f., 194 Moschee  424 f., 428, 430 f., 432 Nachbarschutz s. Drittschutz Nassauskiesungsentscheidung 355 Natürliche Eigenart der Landschaft, Belang ​ 34 ff., 47, 81 f., 100, 137, 222, 241, 277, 457 f. – Abgrenzung zum Belang Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes 58  f., 293 f. Naturpark  117, 185, 364, 386 ff., 395 Naturparkverordnung  99, 101, 364 Naturschutz und Landschaftspflege – Gesetzgebungskompetenz 34 – öffentlicher Belang  37 f., 96 ff., 99 f., 102, 104 Naturschutzrecht  96 f. Nebenbestimmungen  77, 94

Sachwortverzeichnis Norddeutsches Tiefland 81, 113, 179, 183, 197 f. Nutzung einer baulichen Anlage  50, 59 – landschaftstypische 133 Nutzungsänderung  36, 416 f., 428 Oberes Mittelrheintal  181 Ordnungsvorstellungen, bauästhetische  233, 255, 313 ff. Ortsbild  30 ff., 70, 170, 173 f., 430, 432 f. Ortsbildbeeinträchtigung  55, 60, 63, 131, 430, 432 f. – Abgrenzung zum bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot  63 ff. – Abgrenzung zum bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbot  152 ff., 430, 433 – Abgrenzung zum Einfügungsgebot ​158 ff. Ortsrandlage  50, 70, 105, 138, 171 f. Ortsteile 31 Orts- und Landschaftsbild – Abwägungsentscheidung 33 – Schönheit oder Funktion  33 Pferdepensionsbetrieb  48, 130 Planersatz  66, 69, 84 Planungshoheit, kommunale  162 ff., 167 ff., 412, 428 Privilegierte Vorhaben  33, 48, 72, 82 ff., 92 ff., 94 f., 101, 130 – sakrale Bauten  433 ff., 439 ff., 444 ff. – Werke der Baukunst  230 Ravensberger Hügelland  119 Rechtsgutachten des BVerfG von 1954  60 ff. Rechtsschutz der Gemeinde  161 ff. – außerhalb der Standortgemeinde  167 ff. – der Nachbargemeinde  168 f. – der Standortgemeinde  162 Regionalplan  117, 191 ff., 341  f., Reichstagsverhüllung 270, 331  353 Rheinsilhouette  131, 153 Riesengebirge 113 Rotorblätter 78 Rücksichtnahmegebot  336, 339, 346, 424 ff., 429 Sachverständiger  44, 53, 55 f.

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Sächsische Schweiz  180 Satteldach  64, 70 Sauerland  73, 113, 127, 133, 188 Schächten von Tieren, religiöses  394, 434 Schlossanlage 50 Schloss Hämelschenburg  116 Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ​ 274 ff., 385 f. – optisch-ästhetischer Landschaftsschutz 279 ff., 391 f. – Schutz vor einer wesensfremden Bebauung ​293  f. Schutzgebietsausweisung  96, 105 Schutzgegenstand 40 Schutznormtheorie  335 f. Schutzwürdigkeit der Landschaft  51 Schwarzwald  106, 144 Selbstbestimmungsrecht, kirchliches  386 ff. Selbstgestaltungsrecht, kommunales  167, 169, 172 ff. – Verunstaltungsverbote  173 f. Selbstverwaltungsgarantie, kommunale ​162 ff. Sichtbarkeitsstudien 132 Siektäler 119 Skulpturen im Außenbereich  222, 302 Sonstige Vorhaben  82 ff., 87 ff., 91 f., 92 ff. Sozialer Frieden  263 ff. Spannband 62 Splittersiedlung  31, 71, 443 Staatlicher Kulturauftrag  269 ff. Staatszielbestimmungen 243 Stahlgitterbauweise 70 Stall  47, 49, 51, 70, 123, 125, 155, 203 – Schweinestall mit Massentierhaltung ​113, 145 Standortalternativen  85, 112, 129 f. Standortbezogene Vorprüfung  115 Standortbezug eines Vorhabens  446 ff. Standortgebundenes Vorhaben  93, 130 Steinbruch 137 Sternliedsberg  138, 182 Störfaktor  70, 87, 187 f. Straßenbild  31, 65 Subjektivität  52, 54 Taunus 181 Teutoburger Wald  118 Thüringer Wald  113, 141

502

Sachwortverzeichnis

Tierschutz 394 Tourismusregion 99 Trockenkiesabbau 93 Umgebung, Begriff – im Bauordnungsrecht  64 f. – im Bauplanungsrecht  68, 70 Umgebungsrahmen s. maßstabsbildender Bereich Umgebungsschutz  248, 327 ff., 340 f., 343 f. Umweltstaatsprinzip s. Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Unangemessenheit, grobe  46 f., 49, 51 Unbestimmter Rechtsbegriff  38, 44 f., 53 ff., 89, 291, 297, 308 f., 413, 419 Vereins- und Wanderheim  75 Verhältnismäßigkeitsprinzip  77, 247 f., 405 Verunstaltung – Abgrenzung Bauordnungs- und Bauplanungsrecht  60 ff., 65 f. – Anforderungen 33 – Begriff  32 ff., 38 ff., 430 – Beurteilungskriterien  69 ff., 74 ff. – Beurteilungszeitpunkt 74 – Blickwinkel  130 ff. – Definition  37, 40 f., 46 – des Landschaftsbildes  111 ff. – des Ortsbildes  151 ff. – privilegierte Vorhaben  33, 82 ff. – Rechtshistorie 42 – Schwelle zur  35 f., 40, 52 f., 72, 75, 88, 90, 103, 106, 115, 122, 178, 185 – unbeachtliche Beeinträchtigungen  51 f. – Unterschiede im Bauordnungs- und Bauplanungsrecht  40, 49 f. – Verfassungskonformität des Begriffs  54 f., 296, 310 f. – verfassungsrechtliche Rechtfertigung 173 f. – Wandelbarkeit des Begriffs  52, 291 f., 196 Verunstaltungsabwehr, negative  45 f., 51, 54 Verunstaltungsverbot, bauordnungsrechtliches ​ 28, 32 f., 38 ff., 46, 66, 69 – nachbarschützende Funktion  334 ff., 343 ff. – verfassungskonforme Auslegung  334 ff. Verunstaltungsverbot, bauplanungs­recht­liches ​ 27 ff., 32 f., 46 – nachbarschützende Funktion  345 f.

– verfassungskonforme Auslegung  223 f., 296 f., 308 ff. – verfassungsrechtliche Legitimation  223 Verwahrlosung 229 Villa  50, 253 Voralpengebiet  108, 181, 442, 458 Vorbelastung, bauliche 48, 52, 104, 112, 134 ff. – durch außenbereichsfremde Nutzungen ​ 137, 204 – durch Bauten, die der Erholung und sportlichen Betätigungen dienen  140, 204 – durch Hochspannungsleitungen 136, 201 ff. – durch Infrastruktureinrichtungen  202 f. – durch privilegierte Vorhaben  137 – durch Siedlungstätigkeit  133 f., 193 – durch Straßen  138 – durch Windkraftanlagen  199 ff. – unerhebliche Vorbelastungen  203 Vorbildwirkung 95 Vorrangflächen  117, 189 f. Wald 71 Wartburg 179 Weiler  48 f., 70, 133 f. Weinbaubetrieb  50, 70, 88, 141 Werbeanlagen  28, 41, 56, 61 f. Werbeschild 63 Wesensfremde Bebauung  35 Wesensfremde Nutzung  59 Windenergie 94 Windkraftanlagen 72, 78 ff., 94, 117, 127, 134, 143 f., 174 ff. – Entfernung 179 – exponierte Lage  73, 182 ff., 186 ff. – farbliche Gestaltung  79 – Fernblick  177, 183 f., 187, 196 – Fernwirkung  79 f., 178, 195 – Größe  79, 176 ff. – Horizontverschmutzung  125, 182, 192 ff., 196 ff. – Konzentrationszonen  81, 100, 189 ff. – Landschaftsschutzgebiete  101 f., 104 – optischer Riegel  171 f. – Repowering  200 f. – Tageskennzeichnung  179 f., 190 f. – Verspargelung der Landschaft  189 Winzeraussiedlung  48, 53, 70

Sachwortverzeichnis Wittgensteiner Land  181 Wohlbefinden der Bürger  253 ff. Wohlfahrtspflege 41

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Ziele der Raumordnung  117 Zweckbau  47, 49, 51, 70 f., 123 Zweckbestimmung, besondere  230, 439 ff.