Die Verklärung im Tode [Reprint 2019 ed.] 9783111458021, 9783111090689

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Die Verklärung im Tode [Reprint 2019 ed.]
 9783111458021, 9783111090689

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Vorwort
Gott ist das Leben
Der Leib ist Form
Die Seele ist Wesen
Die Welt ist Wirklichkeit

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Die

Verklärung im Tode.

V o »

Friedrich Wilhelm Heidenreich.

Berlin, 1837. B e L

G.

Reimer.

meiner Gattin

(Achaue

freundlich

nieder

aus dem himmlischen

Lichte, zu dem so früh Du cingegangen! Wechselnd war Dein Dasein zwischen Freude

und Schmerz, beglückend deine Liebe, aber schnell

vergänglich wie alles Irdische. Viel littest Du zuletzt und lange, und endlich

erschien der Trennung Stunde, Du eiltest von der schönen Erde

Hinab in jenes dunkle Haus.

Doch hast Du es bei Deinem Scheiden ver­

heißen, ein schöner Stern zu fein, der meiner Zu­ kunft leuchten soll.

Und Du wirst cs sein;

denn

wer in seiner Nachwelt Geiste lebendig wirket und lebet ist schon aufcrstandcn von den Todten. Diese

Blätter —

dem Tode, leben;

und auch

sie

suchen das Leben in

in ihrem Geiste wirst Du

denn der Geist ist das Leben, Macht dich auf ewig wieder jung.

Vorwort.

Nichts Endliches ist für die Ewigkeit geschaffen und Alles was da ist, blühet und lebet, muß ttn tergehen, verwelken und sterben in ewigem Wechsel. Astes irdische Dasein endet sein Tod. Der Wechsel selbst aber der endlichen Gestal­ ten ist ewig, es gibt keinen Tod, der Tod ist neueS Leben. Was ist mehr der Endlichkeit und Vergäng­ lichkeit unterworfen als das menschliche Leben? und wer macht mehr Ansprüche auf die Unendlichkeit und Ewigkeit als gerade der Mensch?

Wir sehen vor unsern Augen das irdische Da­ sein enden, den Leib verwesen und in Staub zer-

vni fallen,

und dvch glauben wir Alle fest in unserm

Herzen an unserer Seele Ewigkeit und Unsterb­

lichkeit. Leib aber und Seele sind Eines, bilden nur

ein Leben, jener die Erscheinung, diese das Wesen,

und nichts vermag sie zu scheiden, keines kann be­

stehen, keines untergehen, ohne das andere.

Wer enthüllet uns nun des Lebens und Ster­

bens Geheimniß?

Wir suchen diese Erkenntniß, wir forschen nach dem Verhältniß des Zeitlichen und Ewigen,

wir

fragen was der Tod sei, ob er Vernichtung bringe oder Verklärung? Wir suchen ihn zu überwinden,

denn der Sieger über

den Tod erringt sich die

Unsterblichkeit.

Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode

scheut und von der Vernichtung rein bewahrt, son­ dern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist

das Leben des Geistes.

Ist aber die Ueberwindung des Todes wesent­

lich der Rückblick des Individuums in seine ganze Vergangenheit,

die Uebersicht über all' sein Thun

und Leiden, die Rechenschaft über erfüllte oder ver-

XI

fehlte Bestimmung, die Selbsterkenntniß gestatteter Freiheit oder drängender Nothwendigkeit, das Zu­

sammenfasten Daseins,

des

vollen Inhalts seines irdischen

die Versöhnung mit dem Schicksal und

Leben — so ist die Idee der Todesüberwindung allerdings an das Ende der individuellen Entwick­

lung,

in den Augenblick des Todes selbst gesetzt.

Denn Niemand ist vor seinem Tode glücklich zu preisen und kein Sterblicher ist seines Schicksals ge­ wiß, ehe cs geendet hat. Der Weise und Gute kann in Irrthum und

Fehler verfallen, der Böse kann bereuen und Gu­

tes thun, den Glücklichen kann Ungemach und Kum­ mer prüfen, dem Tiefgebeugten die Freude lächeln — keine Entwicklung ist vollendet, ehe sie geschlof­

fen ist.

Wenn aber die Klarheit der Erkenntniß mit

dem nahenden Tode getrübt wird, wenn durch körper­ liches Leiden die geistige Kraft gelähmt, wenn das

Drgan des Geistes von physischem Drucke gepreßt,

von Krankheit und Zerstörung ergriffen,

oder von

fieberhaft wallendem und in seiner Mischung zer­

setzten Blute umstuthet wird, wenn qualvolle Schmer­

zen martern, oder noch Kummer und Sorgen des Erdenlebens, bewußt oder in dunkeln Träumen, den

Scheidenden erfüllen,

oder der letzte

noch glim­

mende Lcbcnsfunkc selbst dem Erlöschen nahe ist —

dann ist es nicht mehr Zeit den Tod zu bekämpfen,

der uns ereilt, der «ns schön faßt — die SterbeStunde selbst wird uns der Sieg über den Tod nicht sein.

Der Tod muß vor dem Tode

überwunden

werden.

Mit voller Kraft muß der Mensch zu retten suchen was ihm das Höchste ist, das Leben.

Es hat daher auch Sinnesänderung in den letzten Lebensaugenblickcn keinen Werth,

weil deö

Geistes Kraft gebrochen ist, und ein Wanken in der

Todesstunde kann über wahre

Lebensansicht

kein gültig Zeugniß geben.

Der Weg des Todes ist dunkel, denn noch kein Sterblicher hat den Stein gewälzt von des Grabes Thür, und keiner von den Todten ist zurückgekom­

men, um uns zu sagen was Jenseits ist.

So sucht nun diese Abhandlung darzuthun,

daß wenn der Mensch schon in diesem Leben den

Tod überwunden hat,

am Schluffe der zeitlichen

Entwicklung und Ende seines irdischen Daseins das

von selbst eintritt, was er im Leben errungen hat, daß also der letzte Moment deö Erdenlebens, der Tod selbst, zu ewiger Verklärung werde.

XI

Dazu bedarf es aber einer Zusammenstellung

des gestimmten Inhaltes menschlicher Natur,

des

Leibes und der Seele, um zu erkennen welchen Reichthum der Entwicklung und des Daseins das

menschliche Leben bietet, was davon, an die Orga­

nisation gebunden,

im ewigen Wechsel der Dinge

der Vernichtung unterliegt, und was den Tod über­

stehend eingeht zur Unsterblichkeit.

Wir fühlen es wohl, wie "nahe wir vorüber­

gehen an

dem

Begriffe des an sich Guten und

Bösen und dem Glauben an zukünftige Vergeltung, und wie wir selbst das Gebiet der Theodizee be­

rühren.

Wir überlasten diese Resultate der eigenen Ent­ wicklung jedes Denkers.

Der ganze Verlauf der

Abhandlung zeigt aber,

wie im Allgemeinen und

eben so im Individuum Philosophie und Religion,

Wissenschaft und Glaube in Eines zusammenfallen.

Ist dieses Schriftchen

auch ursprünglich aus

dem Gemüthe und der Stimmung hervorgegangcn,

so strebt es dennoch nur nach aufwärts zum Geiste lmd zum Licht der Erkenntniß.

Wir haben über unsern Gegenstand einige we­ nige Schriften, die uns zu Gebote standen, gelesen,

xn und dem Kundigen wird cs nicht entgehen.

Ansicht

und Darstellung halten wir für eigenthümlich und

scheuen uns aber nicht zu gestehen, Vieles erborgten.

daß wir auch

Nur wollen wir uns nicht mit

Namen und Zitaten schmücken, wo wir aber dem Sinne nach oder sogar wörtlich erborgten, gewähren wir Jedem recht gerne das Seine.

Alles Wesen bedarf seiner Form um zur Er­ scheinung zu kommen,

chen.

und so auch unser Schrift-

Auch dieses muß sich mit einer Form beklei­

den, wenn es in das Leben treten soll.

Aber auch hier wird

der Kundige leicht die

Schule und deren Meister erkennen, und wir haben

für unser ganzes Leben zuviel aus den Lehren und Schriften eines Mannes geschöpft, und auch für

den vorliegenden Gegenstand seinem Organon der

menschlichen

Erkenntniß

wörtlich entnommen,

zu viel und

zum Theil

als daß wir den Namen I.

I. Wagner hier nicht nennen müßten.

Die

Schrift eines geistvollen uns freundlich

verwandten Denkers über einen ähnlichen Gegen­ stand ist ohne Namen erschienen, so daß wir die Aner­ kennung dessen, was wir hieraus entnommen haben, auch nur auf diese Weise aussprechcn dürfen.

Gott ist das Leben. Gott ist das Leben. liche, Ewige, Alle.

Er ist der Eine/ Unend­

Er ist es, der in aller Natur

und allem Geiste sich offenbart,

ihn glauben alle

Völker, ihn verehren die Frommen, ihn zu erkennen

streben die Weisen, an seinem Dasein mag es kei­ nen wahren Zweifler geben.

Dieser

allgemeine

Nationen ist

boren,

dem

Glaube aller Zeiten und

menschlichen

Geschlechte einge­

er ist überall angenommen und stets gehei-

liget; so daß fast Allen ihres Gottes Dasein unbe­

stritten gilt und über allen Zweifel erhaben ist.

Wenige nur stnd es die Beweise suchen.

So Wenige aber auch deren sind, so verdient dieses

Suchen

alle Achtung;

dennoch

menschliche Geist,

denn

der

seinem Urbilde, dem göttlichen,

nachstrebend, fordert Selbstständigkeit des Erkennens und Wissens.

Nicht zufrieden mit lichen

Gefühle,

mit

dem ursprünglich natür­

welchem

alle

Welt

ihren

Schöpfer ahnet, sucht er Erkenntniß, um seinen Gott

14 nicht allein in Demuth und im Glauben zu vereh­

ren — verlangt er Gewißheit, um ihn auch

im

Geiste und in seiner Wahrheit zu erkennen. So entspringt ihm der Zweifel, und ist ein­

mal der erste Glaube verloren, so muß der Mensch

durch Zweifel und Forschen sich durcharbeiten biö er zum Schauen gelangt,

Schauen ist aber der nach

Ueberwindung des Zweifels durch das Forschen geläu­

terte Glaube. Man hat verschiedene Beweise für GotteS Da­

sein aufgestellt.

Wir entheben aus der gewöhnlichen philosophi­ schen Ansicht den kosmologischen: Die Welt und Alles,

Grund nicht in sich selbst, ist Folge einer Ursache.

was da ist,

hat ihren

ist zufällig.

Die Welt

Da nun der Grund der

Welt nicht in ihr selbst liegt, so muß er wohl aus­

ser ihr liegen und in Gott gesetzt werden,

den theologischen: Die Welt ist zu Zwecken bestimmt,

ist nach

Innen gegliedert, nur das bewegende bestimmende Glied fehlt. zurück,

Dieses weißt auf das Bestimmende

welches die Welt und sich selbst bestimmt,

den ontologischen:

Der Begriff des allervollkommensten Wesens weiset auf das objektive Dasein desselben, weil die-

15 seS ohne Dasein nicht das allervollkommenste Wesen

sein könnte, den moralischen:

Es ist ein moralische- Prinzip, ein Sittcngeseh, welches zum unbestechlichen Richter das Ge­

wissen hat, uns eingeboren.

Da dieses Sittengcseh

oft im Widerspruch geräth mit der sinnlichen Natur

und stets über diese sich geltend macht, so muß ihm

eine gewisse Superiorität eingcräumt werden,

die

auf das höchste Wesen zurückführt.

Man hat freilich wiederum gesagt, VerstandesBeweise für das Dasein Gottes sind nichts Ande­

res, als Seufzer der Seele nach der Gemeinschaft

mit Gott. Warum sollte aber nun diese Gemeinschaft zu suchen nicht vergönnt sein, um auch in der Eckennt-

niß und im Geiste zu erfassen,

was den ganzen

Glauben und das Gemüth erfüllt?

Wir versuchen

diese

Darstellung auf unsere

Weise, ohne gerade das größte Verdienst unserer

Abhandlung in diese Beweißführung zu sehen, deren Schwierigkeit wir wohl erkennen und deren mögliche Unvollkommenheit wir einer tiefern Erkenntniß zur

Berichtigung überlassen. Man fange vom Niedersten an, was die Er­

kenntniß bietet, vom empirisch Gegebenen, von der Wahrnehmung der äußern Sinne, z. B. dem Sinne

des Tastens, Hörens, Sehens u. s. w., so entsteht

16 hier der Gegensatz des Wahrnehmenden und Wahr­

genommenen, das selbstständige Jndividualleben wird zurückgedrängt von der Einwirkung der Aussenwelt,

und es entsteht der Gegensatz des Subjektes und

Objektes. Das Wahrnehmende, Subjektive,

das Ich,

führt zurück auf das Geistige, Intelligente, und so­ mit zur

absoluten zur

höchsten Intelligenz,

das

Wahrgenommene, Objektive, das Nicht-Ich führt

zurück zur Materie, zur Ursubstanz, und somit leitet das erstere auf das Denken oder den Geist,

das

letztere auf das Sein oder die Natur zurück. Ob aber der Vorstellung das Ding außer ihr entspreche, und das Ding ausser der Vorstellung auch

wirklich sei,

dieser Zweifel wird gelöst

Bestimmung der Vorstellung selbst;

durch die

denn Vorstel­

lung ist reiner Abdruck der Form und Bestimmt­

heit des Objektes im Subjekte.

Vorstellung

ist

also gar nicht möglich, ohne daß die Dinge ausser

ihr wirklich sind, und das Subjekt schon zur Un­ terscheidung des Aeussern und Innern gelangt ist.

Nur einer rein subjektiven Ansicht kann das Ding als Erkenntnißbild erscheinen und diese Frage

möglich werden.

Es war dieses der objektive Weg zu Denken und Sein, oder Geist und

Natur zu gelangen.

Diesem gegenüber steht der subjektive und verfährt

ungefähr folgendermaßen.

17 Um gar Nichts von Bornen herein anzuneh­

men oder vorauszusehen,

sei der Glaube an die

gesammte Aussenwelt und alles andere Dasein zu­ rückgewiesen.

diese Zurückweisung ist nicht

Aber

einfach, sie besteht

1) aus einer geistigen Thätig­

keit, die ohne bestimmte Richtung auf einen Ge­ genstand, selbst unbestimmt, inhaltslos ist, sie heiße mit der neuern philosophischen Schule das Denken,

und als inhaltslos ,

das reine Denken;

aus dem Gegenstände,

und 2)

der zurückgewiesen werden

soll, und es mußte das ursprüngliche, inhaltslose

reine Denken durch irgend etwas sollizitirt worden

sein, um zum bestimmten Denken, z. 23, zum Zurückweisen des Gegebenen zu gelangen.

Dadurch aber, daß das Denken sein Vorausgesehes, sein Anderes zurückweiset, hat es dasselbe

selbst als ausser ihm gesetzt und gegeben anerkannt. Der unbekannte Gegenstand aber, der zurück­

gewiesen wird,

von dem wir nicht wissen was er

ist, ist das Unbestimmte, Inhaltslose; das inhalts­ lose Andere aber ist das Bestehen, das Sein, und

eben weil cs inhaltslos ist, das reine Sein. Man sieht,

daß wir das Sein, welches wir

als empirisches aufheben wollten, nun als ideelles wieder anerkennen müssen,

und es ist Alles wie­

derum auf Denken und Sein, oder Geist und Na­

tur zurückgeführt.

18 Dieses Verfahren beruht aber auf Vorausseh-

ungen. Unser objektiver Weg seht das Dasein, subjektiver das Denken voraus.

unser

Der erstere ent­

wickelt im wirklich Gegebenen die Gegensätze

von

Subjekt und Objekt, der letztere findet in fich selbst

seine Entwicklung,

der daS Gegebene

der erstere,

anschaut, sucht das Denken, um das Vorhandene

in Subjekt und Objekt zu zerlegen, der letztere sucht das Sein, um was ihm als Thätigkeit gegeben ist

auch im Bestehen zu haben;

beide

Wege führen

uns aber zu einen letzten Resultate zu Denken und

Sein oder Geist und Natur. Dieses sind die beiden letzten Prinzipien, die der

menschliche Geist

höchste Prinzipien

zu

erkennen vermag,

kann es

aber

neben

zwei

einander

nicht geben, man muß also suchen Eines über das

Andere zu sehen und Eines vom Andern abzuleiten, oder beide auf ihre gemeinschaftliche Einheit zurückzuführen.

Haben wir aber nun Denken und Sein oder Geist und Natlir auf diesen zwei entgegengeschten

Wegen als die lehten unmittelbarsten Momente ge­ funden,

so kann versucht werden aüs dem Geiste

die Natur, oder aus der Natur den Geist abzulei-

ten, wie beides oftmals geschehen ist. Es

Denken

kann ist

gesagt

das Erste;

werden:

der

Geist,

das

denn das Denken schließt

19 das Sein in sich.

so ist

Wenn das Denken ist,

auch das Sein gegeben.

Es kann aber auch gesagt werden: die Natur, das Sein, ist das Erste, wenn es ein Sein nicht

giebt, so kann es auch kein Denken geben. Für den ersten Fall hat man gesagt,

wenn

der Geist, das Thätige, gegeben ist, so schafft er sich

seine Natur, für den zweiten aber kann gesagt wer­ den,

daß das Thätige

nicht denkbar ist,

als in

Beziehung und Verhältniß zum Ruhenden z

denn

wenn ein Ruhendes nicht ist, so giebt es auch kein Thätiges. Man sieht also, Geist und Natur haben glei­

chen Werth, sind daher Gegensätze,

mittlung suchen.

die ihre Ver­

Sie sind gleich ursprüngliche Prin­

zipien, gleich unmittelbare höchste Prinzipien, und als solche stehen sie sich im Gegensatze gegenüber

und

müssen

sich

auf ihre

Einheit

zurückführen

lassen. Jeder Gegensatz setzt nämlich sein Erstes, seine

Einheit voraus,

in welcher die

später

durch die

Entwicklung getrennten und gegenübergestellten Mo­ mente noch Eins und ungetrennt sind,

Letztes,

worinnen

und

sein

diese Momente ihre Auslösung

finden und wieder verschwinden.

Die Einheit aber, aus der der Gegensatz Na­ tur und Geist oder Sein und Denken hervorgeht,

ist Gott, und die Auflösung,

in welcher derselbe

20 vermittelt

wird

und wieder verschwindet,

ist die

Welt.

Geist, Denken, «st lebendige Thätigkeit, Natur,

Sein,

ist ruhiges Bestehen;

die Wissenschaft deS

Geistes ist die Jdcalphilosophie, die Wissenschaft der

Natllr ist Natmvhilosophke.

Keine dieser Wissen­

schaften ist vollständig für sich, sie weisen beide zu­

rück auf ihren' Ausgangspunkt und führen zu dessen vollendeter Entwicklung,

sic liegen zwischen Gott

und Welt.

Nun könnte freilich noch gefragt werden, giebt es denn außer Gott und Natur oder Denken und Sem nichts Weiteres, finb diese die einzigen Mo­

mente, die von Gott ausgehen d oder hier nament­

lich auf ihn zurückführen? Gäbe cö aber ein solches drittes Moment ober

mehrere, so müßte ein solches von höherem Range oder vom niedrigerem sein, oder gleich stehen dem

Denken und Seim Höherer und niederer Rang ist unmöglich, da

die Materialisten das Sein oder die Natur,

die

Idealisten das Denken oder den Geist als das letzte

oder immittelbarste Moment setzen,

oder wie wir

gezeigt haben, beide im Gegensatze, dem Range nach

sich gleich, die höchsten unmittelbaren Momente bil­ den, und wäre ein weiteres neues Moment diesem

gleich, so würde hier der Gegensatz nicht zwischen

21 den Gliedern einer Vielheit,

Vielheit selbst und

sondern zwischen der

der Einheit bestehen,

wie in

einer Blumenkrone z. B. dreierlei Blüthen auf den

nur einen Fruchtboden,

oder in der Chemie zwei

Basen und eine Säure auf die Eiirheit des Tripel­ salzes Hinweisen.

Daß

die

menschliche

Erkenntniß

ein

solches

drittes und weiteres Moment bis seht nicht gefun­

den hat, ist kein Bcwciß für dessen Unmöglichkeit;

da aber die oft gedachten Prinzipien höchste Prinzi­ pien sind, und alle Entwicklung in aufwärts oder

abwärts steigender Richtung an den Gegensatz ge­ bunden ist, und dieser nur in der Zweizahl bestehen so ist dadurch die Möglichkeit eines dritten

kann,

und weiteren Momentes abgcwiesen.

Gäbe cs aber wirklich einen ernstlichcu Zweisier

an dem

Dasein

Gottes und seinem

würde man diesen durch

eigenen,

so

einige Fragen über die

Bestimmtheit seines Daseins,

und ob er an dem

Zweifel seines Zweifelns zweifle? zu einem Posi­ und

tiven

dadurch

zum

Absoluten

zurücktreiben

können. Dieses Positive ist auch das Letzte, was «och zu begründen ist, wenn ein Skeptiker in den vorher­

gehenden Untersuchungen an den» Dasein und der Möglichkeit des Denkens zweifeln uiib sie läugnen

wollte.

Voraussetzung deö

die

Hiemit ist nun auch

Daseins und des Denkens/ von der oben noch die Rede war, nachgewiesen und begründet,

und wie

wir glauben diese Untersuchung geschloffen.

Wir gingen vom empirischen Dasein aus und

kamen von der sinnlichen Wahrnehmung zurück auf Geist und Natur, wir gingen von geistiger Thätig­

keit aus und tarnen durch das reine Denken und daö reine Sein zurück auf Geist und Natur, wir haben

diese

als Gegensätze

von gleichem

Range

einander gegenübergestellt, sie zurückgeführt auf ihr

Eins und ihr All, auf Gott und Welt, haben so­ mit vom Glauben an die Gottheit ausgehend,

die

Möglichkeit des Zweifels durch wissenschaftliche Un­ tersuchung zu bekämpfen gesucht,

und sind wieder

zu unserem Ausgangspunkte zurückgekehrt; wir die

und

Gottheit

und deren Dasein

voraussetzcnd

auS

ihr

nun

so daß

anerkennend zu

entwickeln

suchen. Die Idee der

Gottheit

ist selbstständig

und

über Alles erhaben.

Gott ist aber der lebendige Gott und das Le­ ben, welches er den idealen und realen Dingen ver­ liehen hat, ist ihre Grundlage.

Gott offenbart sich als Natur und als Geist, jene ist die

Idealität;

absolute Realität,

diese die absolute

die Natur ist das Ruhende, das Sein,

der Geist das Thätige, das Werden, und ihre Wech-

LS seldurchdringung ist das Leben, welches alle Dinge erfüllt.

Hat sich aber in Gott der Gegensah zwi­

schen Geist und Natur als zwischen Wesen und Form geoffenbart, und ist anerkannt, daß der Geist,

als das Wesen, in der Natur , als der Form, zur Wirklichkeit und Erscheinung komme,

so

geht die

Entwicklung weiter fort in das Einzelne bis zur Unendlichkeit.

Das Leben der Natur erscheint im

ewigen Dildungs - und Rückbildungs-Prozeß und

die Thätigkeit des Geistes wird zum lebendigen Er­

kennen und Begreifen. Das einzelne Ding ist in dieser allgemeinen Entwicklung an einer besondern Stelle gescht, und

besonderes Sein an einer bestimmten

Stelle des

allgemeinen ist Dasein.

So ist auch der Mensch zum Dasein gekom­ men, der in Leib und Seele ein lebendiges Abbild des Geistes und der Natur der Gottheit ist.

Mit der Unendlichkeit des Weltalls und dessen Ewigkeit in Gott kann der menschliche d. h. end­

liche Geist ssch nur schwer befassens

denn das Un­

endliche und Ewige liegt über das Beschränkte und

Bestimmte hinaus, und kann der endliche Geist ssch

des unendlichen Seins und ewigen Werdens nicht bemächtigen, so sucht er sich davon eine Form, deren

Dualitäten auch für ihn etwas haben, ein Endliches und Begränztes,

neben Unendlichem und Ewigem,

um solches leichter zu erfassen.

24 Gott offenbart sich aber als Natur, als Sein, als Substanz, und deren Erscheinungsform ist der Raum. Gott offenbart sich als Geist, als Werden, als Intelligenz, und

dessen Erscheinungsform ist die

Zeit.

Raum und

Zeit sind aber

dem Menschen

leichter zu erfassen, als Geist und Natur,

oder

Unendliches und Ewiges, weil jene Erscheinungs­

formen auch ihr Endliches und Zeitliches an sich

haben, und das Ewige und Unendliche mit diesem

vermitteln.

Kommt es aber nun darauf an, Raum und Zeit

als

Abstraktionen der göttlichen Offcn-

die

barungsformen darzustellcn, und nachzuweisen, daß diese Abstraktionen auch wirklich das All' erfüllen

und umfassen, so ist auch zu zeigen, daß Geist und Natur die einzigen Offenbarungsformen und Zeit

und Raum

also auch die einzigen

Abstraktionen

derselben sind. Es ist nun dieselbe Aufgabe wie oben, nur

umgekehrt.

Wie wir nämlich vom Empirischen und

Ideellen ausgehend auf die Gottheit zurückwiescn,

Denken und Sein, Geist und Natur als die Fak­

toren erkennend,

so suchen wir dasselbe zu begrün­

den, nur aus der Gottheit jetzt ableitend.

Das Leben ist das Wesen der Dinge und sic

selbst sind dieses Wesens unendlich endliche Form,

25 Wesen und Form sind aber die ersten Urbegriffe, von denen die Erkenntniß ausgehen muß.

DaS

Wesen als Leben ist allen Dingen gemeinschaftlich und in sich Eines,

die Form aber jedem Dinge

eigenthümlich und selbst Ursache der Vielheit.

We­

sen und Fonn sind also Urbegriffe aller El-kennt-

niß.

Diese beiden Urbegriffe sind sich aber entge­

gengesetzt und werden durch das Leben vermittelt.

Dadurch

entstehen

Urbegriffen

zwischen den

zwei neue, Gegensatz und Vermittlung, so daß die beiden Urbegriffe einander entgegengesetzt sind und

die Mittelbegriffe ebenfalls, verschlungene

Gegensätze,

als 'zwei ineinander

ein

unvermittelter

und

ein vermittelter, wodurch die Urbcgriffe in ihren Ur­ verhältnissen ausgedrückt sind, und dieses Urschema als

Satz

Dinge

ausgesprochen

heißt:

das

Wesen

geht durch vermittelte Gegensätze über

der

in

ihre Form. Ein anschauliches Bild dieser Verhältnisse ge­

währt uns

die Bewegung der Erde.

Die

Be­

wegung um die Sonne giebt den nord-südlichen, die Bewegung um ihre Achse

Gegensatz,

jene den

den ost-westlichen

Wechsel von Sommer

Winter, diese von Tag und Nacht,

einander

verschlungene

und

was zwei in

Gegensätze sind,

die noch

dazu an den Polen in einander fallen. Dieses Schema der Urbcgriffe von seinem Er­

finder allerdings nur für die Erkenntniß der endli-

26 chen Dinge entwickelt,

aller Erkenntniß.

ist aber dennoch Urfchema

Wird es nun von unS auf die

höchsten Ideen übertragen,

so vermögen wir mit

menschlicher d. h. endlicher Intelligenz nicht anders zu schließen,

als der absolute Gegensatz wird ver­

mittelt durch den relativen, oder mit andern Wor­ ten,

das höchste Wesen geht durch entgegengesetzte

Mittelglieder über in die höchste Form, oder Gott offenbart sich durch Natur und Geist als Welt. Natur, das Sein, das ruhende Bestehen, die

Substanz, und Geist, das Werden, die Thätigkeit, die Intelligenz, sind also die Offenbarungsformen

der Gottheit.

Wir sind nicht im Zirkel des Beweises befan­ gen;

denn oben vom empirisch Gegebenen so wie

von der spekulativen Ansicht ausgehend, haben wir den Gegensatz gefunden, von dem wir zum Wesen

der Gottheit aufstiegen;

jetzt, diese vorausgesetzt,

hat uns die Entwicklung und Construktion in der

Wissenschaft dasselbe gelehrt, und wir sind wiederum auf zwei Wegen zu demselben Resultate gelangt. Sind nun aber die beiden Offenbarungsformen,

Natur und Geist, als die einzigen und den Inhalt

des

Alls

erschöpfenden

nachgewiesen,

so

müssen

auch die Abstraktionen davon, Raum und Zeit, den

vollständigen einzigen,

sums sein.

Inhalt der Welt umfassen und die

aber erschöpfenden Faktoren des Univer­

27 lange die Philosophie

Zeit und Raum

Anschauungen im Ich und

durch dieses nur

So

als

produzirt setzte, hat man es kaum gewagt, Raum und Zeit auch ausser uns anzuschauen.

Man hielt

sie für subjektive Produkte des Ich, und ging so weit,

Zeit und Raum erst mit dem Bewußtsein

des Ich entstehen und vergehen zu lassen,

so daß

ausser dem Ich Zeit und Raum es gar nicht geben sollte, und das Ich erklärte man für ewig, weil es über Raum und Zeit erhaben,

beide erst schaffen,

produzircn müsse.

Ja man fragte, ob Zeit

Aussenwelt

wären?

nicht

ohne Objektivität in

bloße Vorstellungen in uns, der

und Raum

und

ob

überhaupt

den

Vorstellungen in uns eine Realität ausser uns ent­ spreche ?

Diese Fragen werden aber dadurch abgewiesen, daß man die Vorstellung als Nachbildung objekti­

ver Weltform im Subjekte

erkannt hat,

was die

erste Stufe der Erkenntniß ist, und nur durch den

in das Leben getretenen Gegensatz von Subjekt und

Objekt möglich wird.

Dadurch wird aber auch die

in der Geschichte der Philosophie berüchtigte Frage, ob den Vorstellungen etwas ausser ihnen entspräche,

völlig sinnlos, und es war diese Frage auch nur

dadurch

möglich,

daß

die

Philosophirenden' statt

ihren Standpunkt in der Idee des Lebens über­ haupt zu nehmen, ihn in der erkennenden Subjek-

SS tivität genommen haben, in welcher allerdings auch das selbstständigste Objektive nur als Erkenntnlßbild vorkommen kann. Man übersah den Widerspruch,

daß ja daS

Ich in Zeit und Raum bestehe, entstehe und ver­ als Thätiges selbst nur in der Zeit bestehen

gehe,

könne, und als Thätigkeit selbst der Zeit bedürfe,

um nur seine eigne Anschauung zu sehen. Kann man aber im Leben und in der Wirk­

lichkeit Geist und Materie nicht trennen, kann also

das Denken, Vorstellen, Anschauen, von seiner Leib­ lichkeit dem Nervensystem, dem Gehirne, und dieses

vom Schädel und

übrigen Körper nicht getrennt

werden, so gilt das Gleiche auch vom Raume, und

das körperliche Ich mußte auch im Raume lange physisch begründet und ziemlich herangewachsen sein, ehe es als philosophirendes Individuum dieselben

sich durch Anschauung und Vorstellung produziren konnte.

Wollte man aber auch diese, etwas derb ma­ terielle Ansicht nicht gelten lassen, und nur die un-

körpcrlichc

Thätigkeit

des Denkens

annehmen, so

liegt diese ja in — und bedarf der Zeit und seht

diese also voraus, wie so eben nachgewiesen wurde. Ja

der

transscendentale

Idealismus

selbst

mußte sein Zeit und Raum produzirendcs Ich an irgend einen Punkt der Zeit ausser ihm anheftcn,

es in ihr entstehen und

vergehen lassen,

um cs

29 zum endlichen zu machen;

also stillschweigend we­

daß es eine Zeit gebe auch

nigstens zugestehen,

außer dem Ich.

Man hatte aber dabei übersehen,

daß

alle

Elkenntniß nur nachgebildete Form der Aussenwelt

daß also auch

fei,

Zeit und

Raum auch ausser

uns eristircn und durch das Denken selbst erst auf

uns übertragen werden. Nehmen wir nun unsern Standpunkt weder

'm Subjektivität noch Objektivität, sondern im Le­ ben selber, so sehen wir das Leben der Dinge, als

als Sein und Werden,

Natur und Geist,

von

denen Raum und Zeit die Nachbildungen in un­

serem Innern sind.

Die ruhende Form der Er­

scheinung der Dinge, Ausdehnung

und Begränzung,

schreitende Form, Entstehen

danke

das Sein, die Natur, giebt

das Werden,

und Vergehen

davon

die thätige, fortder Geist,

bietet

und der abstrahirte Ge­

erscheint uns alK

der Begriff von

Raum und Zeit.

Zeit und produzirt,

Raum

sind daher nicht von uns

nicht als Resultate unserer Anschauung

geschaffen, sondern, von der Erscheinung der Dinge

abstrahirt, auf unser Inneres übertragen, sie sind die Formen des objektiven Daseins.

Wir sind nun zu dem Resultate gelangt, daß die Begriffe von Raum uud Zeit zwar als 2lbstraktionen von der Erscheinung der Dinge gebildet

30 werden, daß sie aber die einzigen Abstraktionen der

einzigen Offenbarungsformen Gottes sind, und so­ mit auch den Inhalt deS Weltalls umfassen. Das Bestehen des Gegebenen in ruhigem Da­

sein liegt der Idee des Raumes zu Grunde. Die Worte des Raumes sind:

Punkt,

Unend­

Begränzung,

Ausdehnung,

lichkeit.

Der Punkt ist das Erste des

Raumes,

ist

eigentlich gar kein Raum, selbst ohne Richtung, die Möglichkeit aller Richtungen.

nach Raum

dem Wesen

Der Punkt ist nur

Ausdehnung und

ohne

ohne Begränzung, der in sich zusammengedrängte, unentwickelte Raum.

Die Richtung der Ausdehnung strebt zur Un­ endlichkeit, die Richtung der Begränzung in ihrer

Unendlichkeit ist der Punkt.

Aufhebung aller Rich­

tungen mit der Möglichkeit zu allen, von allen,

Daher ist

ist der Punkt.

die Einheit

der Punkt

auch überall. Man unterscheidet aber im Leben einen Be­

stirnten

Raum,

Entfernung

Hier die Einheit

dieses ist

eine

die

Lange dieses Zimmers,

Baumes

von

Ausdehnung

des Punktes hat sich

einer Richtung. durch

die

jenem

die

Hause.

hervorgetreten, entfaltet

nach

Diese Richtung ist aber bestimmt

Gränze,

und

die

Ausdehnung selbst

31 hat

ihren

die

erweckt,

Gegensatz

Begränzung.

Begränzte Ausdehnung ist aber bestimmter Raum,

ist die Unendlichkeit.

Des Raumes Höchstes

Die Möglichkeit des Punktes ist entfaltet, Ausdeh­

nung und Begränzung verschwinden in der Allheit

der Richtungen — das All wird nur umfaßt von der Unendlichkeit. Wir messen den bestimmten Raum mit un­

sern Gliedern, und Fuß und Elle haben davon Be­ deutung und Namen.

Wir messen mit dem Te­

leskop die Entfernung der Sterne und Milchstrassen nach Erdhalbmeffern und Firsternweiten,

und er­

kennen durch das Mikroflop Dlutkügelchen, sorien

und

Monaden.

Nähern

sich

diese

Infu­ dem

Punkte, so gränzen jene an die Unendlichkeit, ohne aber je dieselbe

zu

erreichen,

und

bleiben

stetS

bestimmter Raum.

Wer wollte aber den Punkt messen, der ohne Ausdehnung ist,

wer die Unendlichkeit berechnen,

die keine Gränzen hat?

Aus

dem körperlich ge­

wordenen Punkte aber daS Leben zu entwickeln,

aus der Anlage das Dasein,

aus der Möglichkeit

die Wirklichkeit zu schaffen, aus dem Saamenkorn den Baum wachsen zu lassen, und den gewaltigen

Baum in das Saamenkorn zurückzudrängen, auS einem Funken den ungeheuern Brand zu erwecken,

ein Schleimtröpfchen mit Lebenshauch zu befruchten,

daß es einen

lebendigen Organismus bilde

und

32 ein denkendes Wesen, den unendlichen Weltraum mit Stoffen zu erfüllen,

mit leuchtenden Sonnen

zu bevölkern und mit lebendigen Kräften zu durch­

dringen, ist ein Thun, das nur Offenbarung der

Gottheit ist. Ausdehnung und Begränzung sind aber be­

stimmter oder menschlicher Raum,

Punkt und Un­

endlichkeit sind unbestimmter oder göttlicher Raum. In

Punkt

dieser und

unbegränzter

Unendlichkeit

Raumerfüllung

als

für

die

liegen

Gott

Eigenschaften der Allgegenwart und Unendlichkeit.

Fortschreitend bewegte Thätigkeit liegt der Idee der Zeit zu Grunde. Die Worte der Zeit sind:

Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft, Ewigkeit. Gegenwart ist die einfache, unentwickelte, in sich zusammengedrnägtc Zeit,

Zeit;

eigentlich gar keine

denn sie ermangelt des Fortschreitens,

aber die Anlage,

ist

die Möglichkeit, zu aller Zeit,

dem Punkte im Raume vergleichbar.

Sie ist die

unaufgeschloffene Einheit der Zeit, von ihr gehen die Richtungen rückwärts und vorwärts. Man unterscheidet aber im Leben eine bestimmte

Zeit, was gewesen ist und im Erscheinen der Dinge vorbei

ist und

vorübergegangen,

und

was

sein

wird, was erst noch kommen soll. So entsteht uns

die Vergangenheit und die Zukunft,

und die Ge­

genwart ist ihre Gränze und Scheidewand.

Vcr-

33 gangenheit ist was von der Gegenwart abgeschieden

rückwärts liegt in verlaufener Entwicklung, Zukunft ist was vor ihr liegt nnd noch entstehen und sich

gestalten soll. Der Zeit Höchstes aber ist die Ewigkeit.

sie umfasset alle

ist die aufgeschlossene Gegenwart, Richtungen der Zeit,

Sie

in ihr als dem Ganzen der

Zeit verschwinden Vergangenheit und Zukunft, sie

selbst ist unvergängliche Zeit,

die vollständig ent­

wickelte, nie verschwindende Gegenwart. Wir messen die bestimmte Zeit nach Achsen­

drehungen der Erde und Umläufen um die Sonne und die Eintheilungen,

die in diese Bewegungen

gebracht worden sind, kurze Momente der Vergan­ genheit und Zukunft,

nähern sich der Gegenwart

ohne je sie zu sein.

Während ich eines Wortes

Laute spreche, liegt der eine in der Vergangenheit, der andere in der Zukunft, ein Pulsschlag liegt in der Vergangenheit, während der nächste in der Zu­ kunft steht.

Urwcltliche Schöpfungsgeschichten und

einstige Entwicklungsperioden,

magnetische Jahre,

Achsenerhcbungen und Bahnenvercngerungen unsers

Sphärenshstcms, so groß sie immer sein mögen, grän­

zen an die Ewigkeit, aber erreichen sie nicht.

Sie

bleiben immer bestimmte Zeit. Wer mag aber die Gegenwart fesseln, daß sie

halte und nicht verfließe?

Wem

ist alle Zeit nur

Eine? Wer hat nicht Vergangenheit mib Zukunft?

3

34 Nur Er, dem Gegenwart Ewigkeit und die Ewig­ keit Gegenwart ist, dessen Eigenschaften in dieser Hinsicht sind Ewigkeit und Unveränderlichkeit.

Vergangenheit und Zukunft sind aber bestimmte ober menschliche Zeit, Gegenwart und Ewigkeit sind

unbestimmte oder göttliche Zeit. Wo ober Zeit und Raum sich durchdringen,

dort ist Bewegung, und Bewegung ist Leben.

Das Einssein im Punkte und Gegenwart geht über in das Nebeneinandersein, als ausgedehnt und

begränzt

sein,

dieses in

das Nacheinander sein,

als vergangen und zukünftig sein, und diese Ent­ wicklungen schließen im Zugleichsein, alS unendlich

und ewig sein,

und die beiden

mittlern Glieder

sind wieder in Raum und Zeit, als bestimmtes, menschliches, endliches Sein, ist

unbestimmt,

als

das erste und lehtc

unendliches,

als

göttliches

Sein. Vereinigt

Zeit,

sich endlicher Raum

mit endlicher

so ist ihre Wechseldurchdringung Bewegung;

bestimmter Raum verändert sich in bestimmter Zeit,

ein Stern verändert in einer Nacht seine Stellung

zu andern Sternen,

der Zeiger der Uhr rückt in

einer Stuilde von einer Ziffer zur andern; aber göttlicher Raum und

göttliche Zeit,

wenn ewiges

Sein und unendliches Werden sich durchdringen,

so ist es das ewig unendliche Leben aller Dinge.

35 Wir haben aber diese Abstraktionen der gött­ lichen Offendarungsformen ausgesucht und verfolgt, weil sic in dieser Art das Endliche vermitteln dem

Unendlichen, daö Zeitliche hinübcrführen zur Ewig­ keit.

Gott ist der Alle, der Allumfasser, der Aller­ halter,

in ihm durchdringt sich Geist und Natur,

und Eines ist in Allem und Alles in Einem.

Gott ist alle Dinge,

wie sie in ihrem Wesen

und ihrer Wahrheit sind.

Alle Dinge sind aus Gott herausgetrctcn und kehren zu ihm zurück; denn nur Er ist der Unend­

liche, der Ewige,

und alle Dinge sind zeitlich und

endlich.

Gäbe es ausser Gott noch ein Leben, das un­

endlich und ewig wäre,

so wäre Gott mcht das

absolute Leben, nur dadurch,

daß alles andere Le­

ben aus Gott entsteht und in ihm untergeht, ist

Gott das wahre Leben. Der Tod aller endlichen Dinge ist also Noth­

wendigkeit. Alles endliche Ding kommt durch seine Ent­

wicklung,

seine

Natur und seine Geschichte,

zur

möglichster Vollendling, was aber vollendet ist muß

seine Entwicklung rückwärts antreten;

denn sonst

müßte es stehen bleiben, ein Ding aber, das un­ verändert stehen bliebe, wäre ausser Gott, ein sol­ ches Leben giebt es nicht.

3*

36 Nur das Alt ist ein vollendetes Ganzes, aus dem die Einzelheiten hervmtreten und zu ihm zn-

rückkehren. Alles also, was feine Perioden der Entwick­

lung durchlaufen hat, alles endliche Wesen und Le­ ben, muß untergehen,

und dieser

Untergang ist

sein Tod.

Naturwissenschaft und Weltgeschichte bezeugen diese- in jedem ihrer Momente.

Dieses ist die allgemeine Nothwendigkeit des

Todes und daran hängt die Frage,

was ist der

Tod.? Der Tod ist die Richtung der bildenden Kräfte

nach dem All, einzelnen Der

Tod

während diese Richtung nach dem

Mittelpllnkte ist

das

individuelle Leben ist.

Rückkehr des individuellen

Lebens

zum All.

Das Dasein ist einer Thermometcrskala ver­ gleichbar,

die Leben heißt, und von welcher der

Tod der Nullpunkt ist,

der das individuelle Leben

schließt und das universelle beginnen läßt. Der Tod ist ein Divistonserempel gegenüber der Multiplikation des individuellen Lebens.

Der Tod ist kein Spiegel,

der dasselbe Bild

nur hinter seiner Fläche zeigt, er ist ein Brennglas, das die getrennten Strahlen zur Einheit sammelt. Was »vir gemeinhin Tod nennen, ist nur der Ucbergang zu neuem Leben.

Die Uulkehrung der

37 Organisation wird Destruktion, die Umkehrung der Endlichkeit

und

Zeitlichkeit

wird

Ewigkeit

und

Unendlichkeit — der Tod ist Rückkehr des Einzel­ nen zum All.

Alle

Dinge

lichen Wesen,

ftitb

ausgenommen

im

gött­

alle Dinge sind in Gott, denn sie

sind nur herausgetreten zu ihrer Entwicklung als besondere, und sind Offenbarung Gottes. Der

Mensch

aber ist ein Ding

unter

den

Dingen, ein Wesen unter den Wesen, als Abbild der Gottheit selbst ist er hemusgetrcten

aus dem

göttlichen Allleben mit selbstständiger selbstbewußter

Individualität, und das göttliche Schema des uni­ versalen Lebens:

Gott, Natur,

Geist,

Welt, in

das Endliche und Menschliche her abgezogen heißt:

Individualität, Leib, Seele, Person. Die Aufgabe des Menschen, sein Wesen durch Entwicklung seiner Natur und seiner Geschichte zur

Vollendung zu bringen,

d. h. die Individualität

durch Entwicklung des Leibes und der Seele alö

Person zu vollenden,

kann nicht vom Einzelnen,

kann nur von der Gattung gelöst

werden.

Das

Individuum ist nur das Einzelne, die Gattung ist

das Ganze. Die Fortdauer des Individuums würde

die

Gattung aufheben, der Untergang der Individuen

ist nur die Reproduktion der Gattung.

Wie der

organische Leib fortwährend Stoffe aufnimmt, um-

38 wandelt und ausscheidet, und sein Leben bei diesem Stoffwechsel sich gleich und dasselbe bleibt, eben so ist die Gattung in steter Erneuerung, Umwandlung und Ausstoßung ihrer Glieder begriffen. Die

Gottes,

Menschheit ist ein

Gedanke

im Geiste

ein Moment im göttlichen Leben.

Wie

ein jedes Organ deö Leibes wird, indem es ist,sö daß das Werden ohne ein Sein,

so wird auch die Gattung

das Werden nicht ist,

indem sie ist,

das Sein ohne

und ist, indem sie wird,

werdend

durch bestimmtes Sein, seiend in ewigem Wechsel. Die Gattung als Ganzes ist bleibend, die Indivi­

duen als Einzelne wechseln.

lebt in der Gattung fort,

Die Menschheit

aber

die

werden geboren,

Einzelnen

müssen sterben.

leben und

Daher ist der menschliche Tod zu­

nächst Rückkehr zur Gattung.

Die

Nothwendigkeit

liegt

aber

chen

Leibes.

in

auch Der

der

Leib

des menschlichen

Natur

deö

zu Grunde geht,

menschli­

besteht aus Elementen,

deren Prozesse in der Zeit sich aufreibcn, der Leib endlich durch

Todes

so daß

den Egoismus der Stoffe

aus lauter Streben sich zu be­

festigen und zu erhalten, wie der Tod aus wahrer

Altersschwäche und Entkräftung durch Verknöcherung

der Arterien, Steifwcrden der Glieder, Abstumpfung

der Sinne u. s. w.

39 Der Mensch muß auch sterben wenn die Ent­

wicklung seiner Seele vollendet ist.

Welches Indi­

viduum könnte leben in einem andern Jahrhundert,

als dem seinigen?

nur diese Begriffe

passen für

diese Periode, nur dieser Geist greift erkennend und

handelnd ein in diese Zeit, und fremd und unsicher, wie in ein fernes Zaubcrland, schaut schon der Geist

des Greises herab auf die neue Generation.

Und

wenn der alternde Geist glänzend war und sie ent­ wickeln half diese neue

jugendliche Epoche, er ist

nicht mehr für diese Zeit,

er muß abfallcn und

heimgehen aus dem Garten des Lebens — denn die schönste

goldne Frucht heurigen Herbstes steht

nicht wohl mehr unter des nächsten Lenzes Blü­

then. Diese

vierfache

Nothwendigkeit des

Todes,

daß außer Gott es ein ewiges Leben nicht gebe, daß die Gattung nur bestehe durch den Wechsel der Individuen, daß die Elemente des Leibes selbst sich

verzehren

muß

vom

und

endlich

Schauplahe

auch seines

der

Geist

abtrcten

Wirkens — diese

Nothwendigkeit des Todes fuhrt zu dessen Wirk­ lichkeit. Aber cs giebt keinen Tod, der Tod ist neues

Leben. Nichts geht verloren, Sterne verlieren ihr Licht und verschwinden, er ist aber nur scheinbar ihr Tod,

ihr Wesen geht nicht unter im Weltenraume;

Pla-

40 neten zersplittern,

ober

die Trümmer kreisen in

eigenen Bahnen, sie sind nicht vernichtet; uhb mö­

gen auch «Sterne erlöschen und Planeten bersten,

das Weltall bleibt unerschüttert. Was irdisch ist ist dem irdischen Menschen kla­

rer,

und

die einfachsten Darstellungen

aus

der

Physik und Chemie beweisen es noch leichter, wie nichts im

Raume zu Grunde geht oder verloh-

ren ist. Die Auflösung des Zuckers in Thee, des Sal­

zes in Wasser, eines Metalles in einer Säure, macht den Stoff verschwinden, sie ändert aber nur seine Form.

Die

Verdunstung des Weingeistes,

des Quecksilbers, löst den Körper auf in der Luft,

sie vermag ihn aber nicht zu zerstören.

Die Ver­

wandlung des Wassers in Dampf, seine Zersetzung

in Gas, ändert dessen Gestalt, hebt aber sein We­ sen nicht auf. tung,

Verbrennung ist scheinbare Vernich­

es geht aber

nichts

zu Grunde,

nur die

Theile und Stoffe mischen sich anders; einige bin­ den sich, einige werden frei. So verhalten sich Licht,

Wärme,

Elektrizität,

Magnetismus, u. s. w. so

verhalten sich alle Stoffe mit ihren Kräften, und

Physik und Chemie sind

die lebendigen Beweise

des ewigen Formenwechsels. Welche vorweltliche Thiergeschlechter hat nicht

die Wissenschaft

resten,

auferweckt aus einigen Knochen­

die sie in Höhlen fand? Was heißt todt?

41 Welches

ist

Sie

eine vergrabene Vegetation,

ist

das

Leben

einer

Steinkohlenmine?

Feuer und

Wasser haben sie verschlungen und die Erde hat sie

verschüttet, aber welche Stoffe und Kräfte schlum­ mern in ihr, wenn sie aufgeschlossen wird und er­ weckt zu neuem Leben!

Ja unsere lebende Pflanzenwelt geht unter im Herbste und erwacht wieder aus sich selbst im näch­ sten Lenze, viele Thiere schlummern im Winter in träger Ruhe und erwachen im Frühling zu neuem

Leben,

und so auch die Geschlechter der sterblichen

kein Stoff, keine Kraft geht verloren,

Menschen z alle

sind

nur

Glieder

der

großen

Kette

des

Ganzen. So auch der Leib des Menschen.

Kein Stäub­

chen, kein Element geht verloren im ewigen Wechsel der Formen.

Was von dem Leibe gilt als Stoff, gilt von

der Seele, als Kraft.

Ihre Erscheinung als Men­

schenseele hat aufgehört im Tode, aber nur die äußere

Erscheinung ist verschwunden, die Kraft ist ausgenom­ men in die allgemeine, in die absolute Kraft, und

lebt in ihr ein neues Leben. Warum sollte man ihn fürchten den Tod?

Sein oder Nichtsein — das ist allerdings die Frage — wer aber die Wahrheit erkannt hat, weiß,

daß es einen Tod nicht giebt, nur unendliches Sein uiib ewiges Werden, unvergängliches Leben in Gott.

42 die

Man hat

Unsterblichkeit deS Menschen,

oder strenger genommen der Seele, zu beweisen ge­ sucht aus ihrer Triplizität, als Leib, Seele, Geist;

Individualität,

Persönlichkeit;

Bewußtsein,

Ei»l-

fachheit, Unendlichkeit, Denken. Die neuere Philosophie sucht die Unsterblichkeit

zu begründen durch die Aufnahme

der Seele in

den Logos, oder die Versöhmmg, und eine große

Schule bemüht sich,

unter Deutung

nach

ihrem

Sinne, die Worte der heiligen Schriften mit ihrem Systeme zu vereinigen. Man hat nicht nur die Unsterblichkeit im All­

gemeinen sondern sogar die persönliche Fortdauer zu

beweisen gesucht,

Geschöpf von dacht wird,

ungefähr wie folgt:

dem

Schöpfer

als

wenn das

denkend

ge­

so denkt auch das Geschöpf, weil cs

nicht allein von Gott gedacht, sondern von dem

Denkenden deswegen

als

denkend

denkt es

gedacht

Gott;

ist,

aber eben

oder deutlicher,

Gott

der Denkende wird von dem Geschöpf, als dem

denkend gedachten wieder gedacht. Folgt nun aber daraus des menschlichen Den­ kens und individuellen Bewußtseins Ewigkeit?

Die Zweifel über

die Fortdauer

Tode liegen aber nur darin,

nach dem

daß der Zeit eine

Herrschaft über das Individuum zugeschrieben wird.

Die Furcht

des Menschen

Tode ist im Grunde

nur

vor dem

die Furcht vor

ewigen

seiner

43 eigenen, erwiesen,

menschlichen

d. h. endlichen Zeit;

wäre

daß der Tod ausserhalb der Zeit, d. i.

der endlichen fällt, so wäre auch die Unsterblichkeit

gewiß. Die Läugnung der Unsterblichkeit liegt ferner

darin, daß dem Sein, der räumlichen Existenz, der Vorzug vor dem Werden, oder der geistigen, hiemit

eine Herrschaft über

dieselbe

zugcschrieben

wird,

daß also der Natur eine Uebermacht über den Geist

ausdrücklich oder heimlich,

bewußt oder unbewußt

eingeräumt ist.

Beruhen nun alle Zweifel an der Unsterblich­

keit in der Furcht vor den» Untergang in der Zeit und der Vernichtung im Raume, so ist dieses nur

die

endliche Zeit und der endliche Raum.

Der

Untergang in der Zeit ruht nur in der endlichen Zeit, denn nur diese hat ihr Maaß, ihre

Vergangenheit und Zukunft,

Dauer,

die Vernichtung im

Raume ruht nur im endlichen Raume, nur dieser

hat eine Schranke seines Umfanges, Ausdehnung und Degränzung.

Nun

ist gezeigt,

daß Raum und Zeit die

Abstraktionen der Dffcnbarungsformen Gottes sind, der Natur und des Geistes,

daß sie

also gleich

unendlich und ewig sind, wie diese, wie Gott selber.

Sind wir aber im Leben der Dinge, so sind

wir in Gott, in der ewigen Zeit und im unendli­ chen Raume.

Können wir nicht aus Gott heraus-

44 treten,

so können wir nicht aus dem Leben treten,

denn Gott ist daS Leben. Gott ist aber nicht befangen in der endlichen Zeit und im beschränkten Raum, sein Raum ist die Unendlichkeit

und

seine Zeit

die

Ewigkeit,

und

dieses Raumes und dieser Zeit Unendlichkeit und Ewigkeit sind

auch für unS die

Bürgen unserer

eigenen Unsterblichkeit. Die Erscheinung des LebenS hat zwar im Tode ailfgehört, ist nicht mehr vorhanden, aber sie ist ausge­

nommen in Gott, im Leben Gottes lebend, hat sie Theil an seines Lebens Unendlichkeit und Ewigkeit. Der Tod besteht im Nichtsein, mithin, da das

Nichtsein nicht ist, darin daß er selbst nicht ist. Der Tod ist aufgehoben;

denn die in Gott

sterben, werden das Leben haben.

45

Der Leib ist Form. Gott offenbart sich als Natur.

Diese ist das

Sein, das Ruhende, Passtve, Stoff, Masse, Ma­

terie, und ihre leere Abstraktionsform der Raum. Die Natur ist die Aeußerlichkeit Gottes gegenüber

seiner Innerlichkeit,

das göttliche

Sein und Be­

stehen im Gegensatze zum Schaffen und Werden,

nach menschlichen Begriffen sein Leib im Gegensatze zu seiner Seele, wie der Dichter sagt: So schaff ich am saußenden Webstuhl der Zeit

Und webe der Gottheit lebendiges Kleid. Man darf aber die Natur nicht als todt und

leblos betrachten, sie läßt, auch wenn wir cs woll­ ten, von ihrem Geiste sich nicht trennen und bildet

mit ihm die Welt.

Nur der Abstraktion und Dar­

stellung möge es gelingen, als zwei und getrennt

zu betrachten, was in der That ungetheilt und nur Eines ist.

46 Die Natur ist groß, sie ist unendlich wie der göttliche Geist, schauen wir das Universum an in seiner Ausdehnung, oder die wir besser kennen un­

sere Sphäre in innerlicher Entfaltung ihres Inhal­

tes und Reichthums.

Und wie wenig wissen

wir dennoch

davon!

Die Masse ist das Erste der Natur und kommt vom Geiste erregt zur Bewegung.

Die Materie ist nicht ohne Kraft, die Kraft nicht ohne Materie, beide werden nur wie Geist

und Natur zur Darstellung getrennt.

Die Natur ist vom Geiste belebt, aber nicht

selbst das Leben des Geistes, die Quelle und Ur­ sache des Lebens liegt ausser ihr und ihre Entwick­ lungen sind nur Folgen des Lebens.

Die Kraft

entsteht nicht aus der Masse, die Masse nicht aus der Kraft, sondern beide sind gleichzeitig, sich wech­ selseitig

durchdringende

Offenbarungsformcn

der

Gottheit, durch welche alle Dinge zur Erscheinung kommen.

Die Urmaterie ist der Aether, unendlich dünn und leicht, den ganzen Weltenraum erfüllend, der

Urstoff, aus dem alle Dinge sich gestalten. und in ihm bilden sich die Sphären.

Aus

Wir erkennen

Sonnen, Planeten, Trabanten und Kometen. Es ist dem menschlicheir Geiste allerdings ge­

lungen, die äußern Gesetze wenigstens zu erkennen, die unser Sphärensystem auseinander und zusam-

47

men halten, und die Kräfte zu bemessen, die jene himmlischen Körper tragen und bewegen. Die Mathemathik, die die Verhältnisse deö Raumes und der Zeit ermittelt, hat uns dieses gelehrt, aber ausser diesen, den Bahnen, der Umlaufszeit und Größe dieser Weltkörper, ihrem Glanz Bewegung, Dichtig­ keit, wissen wir nicht viel weiter von ihnen, und diese Momente nur von den nächsten Sphären un­ seres Systemes, fernere sind uns unbekannt. Kaum daß wir noch Berge und Meere im Monde und den uns nächsten Planeten vermutheil, an einem andern einen Ring zu sehen glauben, vier Asteroiden für die Trümmer eines großen Wandel­ sternes halten — welchen Einwirkungen aber diese Himmelskörper unterliegen, zu welchen Resultaten ihre Prozesse führen, welches ihre Entwicklungen sind, ihre Zwecke, ihre Bewohner u.' s. w. geht über die Gränzen unserer Erkenntniß, und unser Wissen giebt uns nur Hypothesen und Vermuthungen. Und könnten wir die Natur unseres ganzen Sonnensystems durchschauen, was wäre dieses ge­ gen die Milchstrasse, die ein Meer von Sonnen­ systemen ist? Der Sirius soll über sieben und zwan­ zig tausendmal weiter als die Sonne von uns stehen, die Milchstrasse wird zu fünfzig Millionen Sonnen angenommen, und schenkt man den ge­ wöhnlichen Berechnungen Glauben, so enthält die Milchstrasse zwei hundert fünfzigtausend Millionen

48 Weltkörper.

Die Nebelsterne sollen acht tausend

Siriusweiten von uns entfernt fein, man zählt sechs

hundert

Nebelsterne

und jeder soll

wieder

eine

Milchstrasse sein.

Und dieses sind Erscheinungen,

die doch nur

von einem einzigen endlichen Sinnorgan, dem Au­ ge, beobachtet werden.

Es ist aber Zeit dieses Gebiet zu verlassen, um zu unserer Erde zurück zu kehren, auf der unser Wissen heimischer ist.

Unsere Erde ist ein Stern unter den Sternen, ein Planet, in unserem Sonnensysteme der Zahl

nach der dritte. Wie unser

Sonnensystem und

unsere Erde

entstand, auch darüber wissen wir nicht viel.

Aus

dem Aether bildeten sich Luft, Wasser und Festes, und in der allgemeinen Bewegung eine Beziehung

zu sich selbst und ihrem Zentralkörper ergreifend, als Feuerkugel glühend in noch ungeregelter Bahn im Raume sich fortwälzend, mag unser Planet in

langen Perioden sein Verhältniß zur Sonne und seine Achsenneigung geordnet haben.

das

Das Feuer,

in wilden Ausbrüchen an dem Gerippe der

Erde zerrte und Berge und Felsen hob, hatte aus­

gewüthet, nun kam das Wasser, durch die Hitze

bisher zu Dunst und Dampf verflüchtigt, fluthcte über den Gebirgen und bildete den letzten und ober­

sten Niederschlag,

49 Was das Feuer nicht zerklüftet hatte mit to­ benden Flammen,

das spülte das Wasser aus in

brausenden Strömungen, und die Oberfläche war der Kampfplatz gährcnder Elemente. Als

die Achsenneigung

der

Erde

und

ihre

Bahn um die Sonne geregelt war, legte sich dieser Kampf, cs schwiegen Flammen und Fluthcn, und

Ruhe und Stille trat ein auf der

wild bewegten

Sphäre. Das Feuer trat nach Innen zurück,

nur in

Feucrbergen oder als Erdbeben noch ausbrechend.

Das Meer sank in seine Tiefen und bildete gere­ gelte Ebbe und Fluth,

es gab eine Athmosphäre

und es befreundeten sich die Elemente.

Allmählig verkühlte sich die Erde, wohl zuerst

an den Polen, die wechselsweise am Längsten des Sonneneinflußes, der Beleuchtung und Erwärmung

entbehren, und nun versuchte die Natur ihre ersten

Schöpfungen.

In der feuchten Wärme erhob sich die Vege­ tation riesengroß, denn es war für dieses Land die

Periode der Farren und Palmen, und geringe Reste

überraschen durch die kolossalen Bildungen urwelt­ licher Pflanzenzeit. Klein war wohl die Zahl der Thiere,

riesig ihre Gestalt,

über

und nur die lebensvolle Kraft

der jungen Erde vermochte die gewaltigen Schöpfun­

gen zu erzeugen,

die

von jener Vorwelt Zeiten 4

__ 50 Zeuge waren, und deren zertrümmerte Reste durch

Größe und Seltsamkeit die Bewunderung des For­

schers erwecken. Immer wieder, wenn auch nicht in der ersten Wuth chaotischer Kämpfe, tobten die Elemente, und

vernichteten alles Geschaffene.

Vorweltliche Vege­

tation und Thierwclt wurden verschüttet und begra­

ben, und werden jetzt nur in Lehm und Kalk ge­ funden. Wie viele solcher urwcltlicher Schöpfungs - und

Zerstörungs-Perioden sich gefolgt, ist ungewiß, end­ lich aber legte sich der Sturm der Elemente, die Wärme zog gegen den Aequator hin, ruhiger er­

folgte das Fortschreiten der Entwicklung, eine neue

Vegetation erwuchs, die Meere und Wälder bevöl­ kerten sich

mit Thieren bis

zur Schöpfung des

Menschen. Die Erde war ein Theil der Welt, ihr Geist,

aus Gott geboren, empfangen,

in ihrer Masse,

dem Chaos,

und dieser brausete in elcmentarischcn

Kämpfen, wie der Geist eines stürmenden Jünglings,

zuerst in physischer Kraft sich versuchend, bis nach Entwicklung

dieser Periode er ruhig zurückkehrtc

zu höherer aber sanfterer Thätigkeit.

Erst als der Geist aus der Sphäre los sich riß von den Stoffen, und zum Menschen wurde,

die Masse aber sich gestaltete

znm Niederschlag,

kam Ruhe und Friede über unsere Erde.

51 Sei dem nun auch wie ihm wolle, seit dem Dasein der Menschen hat die Erde keine so großen elementarischen Katastrophen erlebt, keine so gewal­ tigen Revolutionen mehr gesehen, und es ist keincs-

weges erwiesen, daß der Mensch jener urweltlichen

Dildungs - und Zerstörungs-Prozesse Zeuge war. Seit jener Zeit, als der Mensch auftrat, im

Gebiete der irdischen Schöpfungen, waren die Erd­ als Erdbeben,

revolutionen

Feuerberge,

Waffer-

fluthen, u. s. w. nur partiell. dieses Geschichtliche

Aber auch

liegt

noch

unserer Erde

in tiefem Dunkel und man hat über

alle diese Entwicklungsperioden nur Vermuthungen — keine Gewißheit.

Doch es ist Zeit auch davon abzubrechen und zur Gegenwart uns zu wenden, die unS sicherern Haltpunkt reicht.

Nachdem

erlangt und

die

Erde selbstständige

Gestaltung

regelmäßige Bewegung sich

angeeig-

nct hatte, und durch einen Mittelpunkt, Achse und

Qucerachse, Meridian und Aequator erworben und zur Kugel sich gebildet hatte, gestalteten sich Zonen

und Klimate und ihre Produkte, und auf der Ober­

fläche der Erde entwickelte sich daS höhere Leben der Organisation in seinen verschiedenen Stufen. Der Erdkörper selbst in seinem jetzigen Bestehen ist Mineral,

die tiefste Stufe

des Daseins,

4*

an

52 der die höher» Bildungen sich entwickeln, und auf ihr als ihrer Basis ruhen.

Die Erdsphäre ist ein Ganzes von Stoffen und

Kräften und hat als Ganzes

Leben und Entwicklung.

selbstständiges

Sie zeigt aber in ihrer

äußeren Form größtcntheils ruhiges Bestehen der Stoffe und ihrer Verhältnisse zu einander, und es

ist hier nur wenig vom innern Leben und der Ent­

wicklung, mehr vom ruhigen Dasein die Rede. In dieser Hinsicht ist der Erdkörper Mineral, das Unorganische.

In Beziehung auf dessen Ent­

stehung und Entwicklung, namentlich in Betreff der

Oberfläche nimmt man vier Perioden an, die Pe­ riode der Urbildung, des Uebcrgangcs,

der Flöhe

und des aufgcschwcmmtcn Landes, und theilt die Gebirgsarten darnach ein in Urgcbirge, Uebcrgangsgebirgc, Flöhformation und aufgcschwemmtes oder

Alluvial-Land. Jede Klasse ist charakterisirt durch das Vor-

kommen eigenthümlicher nur ihr angehörcnder Mi­

neralien.

Es gehört aber dieses mehr zur Ent-

stehungs- und Bildungs-Geschichte, und cs handelt sich hier mehr um das Nebcneinanderbestehen.

Man hat in dieser letztem Hinsicht die Mine­ ralien nach verschiedenen Prinzipien cingethcilt, wo­ bei man namentlich auf die äußere Form und Ge­

stalt, die hier besonders in geometrischer Struktur

hervorgehoben ist,

oder aus den chemischen Gehalt

53 und das innere gegenseitige Verhältniß der Stoffe und Elemente Rücksicht genommen hat.

In dieser

Beziehung wurden Mineral-Systeme nach der Kri-

stallisationsform und nach der chemischen Qualität aufgestellt.

Bei

unserer

genüge es,

Betrachtung

eine Eintheilung

des des

Gegenstandes Minerales

in

Metall, Gestein, Erde und Salz aufzustellen. Metalle, Erden und Salze nimmt fast jede

Eintheilung an, möge es uns vergönnt fein,

die

Combustibilien, die man sonst noch als besondere Klaffe

aufführt,

unter

den Begriff Gestein

weitern Sinne ' zu fassen,

im

da ja doch der Name

schon z. B. Steinkohlen, sie dahin stellt, auch in chemischer Hinsicht als noch

und sie

vom Sauer­

stoffe zu bearbeitende, Orydations und Säuerungs­

fähige Basen,

wie z, B. der Schwefel sich ver­

halten. Jedes einfache Mineral ist ein einfacher selbst­

ständiger Grundstoff und bildet mit seinen Erzen und Verbindungen eine eigene Welt, die als Grup­

pen , Sippen, Geschlechter und Arten verschieden sind, von denen aber das in Rede stehende Mine­

ral selbst der Mittelpunkt ist.

Das Metall ist das Einfache, Unentwickelte, am Meisten Elementarische,

für sich Bestehende,

innerlich gleichförmig an Gestalt, Stoff und Eigen­

schaften, für sich ein Ganzes, in Glanz und Klang

54 sein Licht

und

seine

Stimme

besitzend/

in

der

Capazität für Wärme/ in seiner Cohäsion, Elastizi­

tät/ Schwere u. s. w. seine eigenthümlichen Quali­ täten und Eigenschaften entwickelnd.

Je selbstständiger ein Metall ist, um so weni­ ger hat eS Verwandtschaft zum Sauerstoff, und diese nannte man die edeln.

von Schlacken und wandelnden Gewalt

Ist ein Metall frei

hergesteüt auö der alles um­

deS

Orygens,

so

heißt es

König, nnd wie ein König seinen Hof, versammelt

es seine Erze um sich her in buntem Glanze.

Es

wird aber nur selten regulinisch gefunden und die­

ses um so weniger, als es, wie z. B. unser häu­

figstes und am Meisten verarbeitetes Metall, das Eisen, dem Sauerstoffe näher verwandt ist, so daß

cs Metalle gibt, die auf einfachen Qrydationsstufen

schon zu Säuren übergehen, während andere auf den Stufen ihrer Durchdringung vom Sauerstoffe Oryde, Kasten und Erden bilden.

Gesteine

sind zusammengesetzte

Gebilde und

vielfach, selten daß eine einfache Masse ein Gestein bildet.

Sie bestehen aus vielen nähern und fernern

Bestandtheilen,

als Orydationsstufen früherer ur­

sprünglicher Metalle.

Nicht selten führen sie

letzten Uebergänge von Erzen,

die

mehr oder minder

reichhaltig, näher oder ferner verwandt, eingesprengt.

Sie sind mannigfaltiger Mischung,

Produkte viel­

facherer Thätigkeit der Erde, haben Umwandlungen,

Veränderungen, Mischungen ihrer Bestandtheile er­ fahren, und ihre Masten sind mechanisch und che­

misch vielfach vereinigt, verbunden,

gemengt, ge­

mischt.

Hat hier der Orydations-Prozeß schon eingegriffcn,

so hat er

dennoch

nur

säuerungsfähige

Basen erzeugt und das Fortschreiten geht weiter. Die Erden sind umgewandclte Metalle und

Gesteine, durch den Orydationsprozeß vollends zer­ fallen und ihrem Ursprünge entfremdet.

Bei vielen

Erden ist die Wiederherstellung des ursprünglichen

Metalles gelungen, was diese

Ansicht begründet

hat, bei andern wird die Reduktion noch möglich

werden. Was im Metalle Eins war und gleichförmig

und durch den Prozeß getrennt wurde, den alles

Ding zu seiner Entwicklung eingehen muß, vereinigt sich wieder zlir

Einheit im

Salz.

Schon unter

den Metallen wurde angedeutet, wie der Stoff in den chemischen Gegensatz von

Base und

Säure

auseinander geht, im Salze aber ist Wechseldurch­ dringung beider,

Base

und

Bildung des Salzes erloschen,

Säure sind in

der

und das Salz ist

wieder gleichförmige Einheit nach dem Verschwin­

den der Gegensätze.

Es entsteht

damit

in den

meisten Fällen eine rein geometrische Gestalt in der Krpstallisationsform, und es hat nicht leicht etwas den

Uebergang

des Wesens

durch

Prozeß

und

56 Produkt zur Form so klar nachgewiesen,

alS das

Metall, umgewandelt durch den chemischen Prozeß

zum Salzkristall. Die Erde aber

alS Alles

tragende

Mutter

bleibt nicht In der starren Welt der Kristalle,

die

sie am vollkommensten in ihrem dunkeln Schooße und in ihrer Tiefe bildet — mit dem äußern Leben

in Verkehr und Wechselwirkung gesetzt geht sie zu reicherer Entfaltung höhern Inhalts über. Das Erdstäubchen, welches dem Einflüße der

Cohäsion und Schwere gehorchend, nur zum Kry­ stall erstarrt,

geht unter der Einwirkung des Lich­

tes, der Luft und des Wassers über zu Organi­ sation.

Das Leben der Erde ist nur ein Ganzes und entwickelt sich nach dem Gesetze des Gegensatzes, es erscheint unter der Gestalt der Kraft und der Masse,

die belebende Kraft aber reißt sich los aus dem

Schooße der Erde,

und diese selbst sinkt in ihrer

Tiefe immermehr zur leblosen starren Materie herab, jemchr die höhern Bildungen aus dem Dunkel der kalten

unterirdische!:

Nacht

heraustreten

an

die

Oberfläche und zu des Tages freundlichem Lichte.

2(ber auch hier ist kein Sprung, nur Uebergang und zwar ein doppelter. Die Organisation selbst in ihren beiden Ge­

gensätzen als Pflanze und Thier,

Ruhendes

und

Bewegtes ist schon angedeutet in der unorganischen

57 Natur, und ein geistvoller Naturforscher hat schon längst ausgesprochen,

daß die Pflanze ihren Ur­

sprung nehme aus dem Thon, wie das Thier aus

dem Kalk,

und die Urpflanze

das Thongebirge,

das Urthier das Kalkgebirge sei.

Die ruhende Pflanze ist vorgebildet durch die dendritischen Formen an manchen Mineralien z. B.

an Schiefern, und den Metallbaum, der durch Re­ duktion d. h. Hydrogenisation des gesäuerten Me­

talles, meist Blei, erziell wird, welches in Baum­ gestalt anschießt,

diese

und

Richtung

vegetative

geht so weit, daß sie sich noch im Höchsten der physischen Bildung der Thiere und des Menschen, im Gehirne selbst, als Lebensbaum wieder findet.

Die zweite Richtung, durch welche das unor­ ganische Leben zum organischen des bewegten Thie­ res übergeht, ist eine andere physikalische Erschei­ nung.

Kalium oder Natrium in Wasser gebracht

nimmt Kugelgestalt an,

wobei die Kügelchen

in

großer Schnelligkeit nicht nur scheinbar willkührlich

hin und her,

sondern auch drehend sich bewegen.

Kleine Stückchen Kampher, in ein metallenes Ge­ fäß nut Wasser geworfen, zeigen dasselbe. Diese

der

Bewegung hat große Aehnlichkeit mit

Bewegung

der kleinen

die den Prozeß der

einfachen

Monaden,

Infusorienbildung einzuleiten

und zu beschließen pflegen.

Dieses Metall

aber

sucht im Wasser sich zu orydiren, und diese Bewe-

58 gung

erinnert

an die Be­

thierischen Leben

im

wegung der Blutkügelchen, die mittelst des Athmens

ebenfalls ihre Oxydation suchen, während die Bil­ dung des Metallbaumes,

wie die der gesammten

Vegetation, in einer Hydrogenisation besteht. So ist im Unorganischen schon die Anlage zu

höherer Bildung, zu Pflanze und Thier, Gränze

der

Organisation

angedeutet

an der

und

vor­

gebildet, wo das Leben von der Masse sich loö reißt. Die Organisation begreift das höhere Leben oder das Leben im engeren Sinne in sich, und le­

bendig ist, was ein inneres Prinzip der Bewegung in sich selber hat.

chemischer

Ist der Metallbaum nur nach

Reduktion

angeschosscn unter

magneti­

schen Gesehen, die nicht in ihm selber liegen, haben die Mctallkügelchen unter elektrochemischen Verhält­

nissen sich gedreht und orydirt, so liegt der Grund dieser Prozesse nicht in ihnen selber; in den Orga­ nismen herrscht selbstständiges Leben, und organisch

ist nur, was den Grund seiner Bewegung, seines Wer­

dens und Seins d.i. seines Lebens in sich selber trägt. Cs giebt an der Gränze des Organischen und

Unorganischen allerdings einen Punkt,

in welchem

Pflanze und Thier in ihren ersten Rudimenten in einander überzugehen scheinen, und man hat diesen Punkt der Indifferenz als eine Art von Mittel­ reich, aus welchem in divergirender Richtung die Pflanzenwelt

und

das

Thierreich,

wie aus der

59 Spihe eines Winkels

dessen

beide Schenkel, sich

hervorentwickeln/ betrachtet, und Protorganismen ge­ nannt. In einem Wasser z. B., in

welchem man

eine große Menge Jnfusionsthierchen wahrnimmt,

verschwinden sie zuweilen in kurzer Zeit fast alle,

und nun

zeigt sich

eine größere Menge

grüner

Umgekehrt stellen sich wie­

vegetabilischer Materie.

der Infusorien ein, wenn man die grüne Materie zerstört. in

Es ist keinem Zweifel unterworfen,

diesen

Erscheinungen

ein

daß

Ucbergang aus der

Animalisation zur Vegetation und wieder umgekehrt

aus der Vegetation zur Animalisation Statt finde. Wie freilich aus den vom Thiere verzehrten Pflanzentheilen im Innern des Thieres thierischer

Stoff sich bilde, und aus den thierischen Ausleerun­ gen wieder Pflanzen sich erzeugen,

des

Forschers

verborgen, obgleich

ist dem Auge

die Thatsache

allgemein ist. Die niedrigsten Organismen sind nichts Ande­

res als ein seröses Bläschen, sie sind aber weder Pflanze noch Thier,

heit beider.

sondern die rudimentäre Ein­

Man hat sie Protorganismen, Urbla­

sen, genannt und als ein für sich bestehendes Reich

der losgeriffenen Formelemente der höhern Organi­ sation betrachtet.

Der Zellstoff ist im Organischen das Erste, sowohl der Zeit nach,

als das am Frühsten Auf-

60 tretende, wie dem Raum nach, als das am Meisten

Verbreitete. Wie nun aber aus dem Zellstoffe die übrigen

organischen Gewebe, so bildet sich

ganischen Urreiche dellen,

aus diesem or­

der frei bestehenden

Zellstoffs­

als aus ihrer ursprünglichen Einheit,

die

gestimmte Welt der Pflanzen und Thiere, je nach­ dem nämlich ein Theil der Urblase als Wurzel in die Erde wächst, oder sich als inneres Hautsystem,

als Darm, in sich selbst zurückschlägt.

Der Gegensatz des innern und äußern Haut­ systems oder, wie es sonst hieß,

das Vorhanden­

sein einer Mundöffnung ist der allgemeinste Cha­ rakter der Thierheit, der Gegensatz eines oberirdi­

schen und unterirdischen Theiles d. h. das Vorhan­ densein einer organischen Continuität mit der Erde

ist

der

allgemeinste

Charakter der

Pflanzenwelt.

Was bei den Thieren Innen ist, Darm,

das ist

bei der Pflanze Unten, Wurzel.

Pflanzen und Thier also treten aus dem Un­ organischen hervor, sind in ihrem ersten Erscheinen einen Augenblick Eins und jene entwickelt sich ge­ gen

das Licht,

als den äußern Mittelpunkt der

Schöpfung, dieses gegen den innern, Die Pflanzenwelt

hat

einen

äußern

die Seele. allgemeinen

Mittelpunkt im Lichte, während jedes Thier seinen

besondern Mittelpunkt in sich selber trägt.

61 Daher steht die höchste Pflanze am Weitesten vom höchsten Thiere ab, und die niedrigste Pflanze

ist dem niedrigsten Thiere am

Aehnlichsten;

und

Pflanze und Thier sind in ihrer entwickelten Voll­

kommenheit

schärfer

getrennt,

als an

ihren

Ur­

sprüngen. Protophyten oder unvollkommene Pflanzen, in denen aber die vegetative Richtung schon deutlich ausgesprochen ist, sind die Pilze, Flechten u. s. w.

gleichsam aufgeblähte Eier; Protozoen oder unvoll­

kommene Thier, in denen aber die animalische Rich­ tung schon deutlich ausgesprochen ist,

fusorien,

sind die In­

an denen schon ein Inneres Hautsystem

Statt findet. Nachdem der Ucbergang

der Protorganismen

zur Pflanzenwelt durch Protophyten, wie jener zum Thierreichc durch die Protozoen angedeutet ist,

er­

scheint die Vegetation in ihrer vollen Entwicklung

und Ausbildung.

Pflanzen sind organische Wesen, und man be­

merkt an ihnen eine Reihe von Erscheinungen und Veränderungen,

welche von Innen heraus durch

eigene Lebens- oder Bildungs-Kraft bewirkt werden, die sich als Umlauf von Säften, in der Entfaltung

verschieden gestalteter Theile und in der Fortpflan­ zung äußert. Das Pflanzenleben ist der Durchgang des all­

gemeinen Lebens durch die Gränzen einer besondern

62 Cohäsion, wodurch das vdn Außen Aufgenommene

stets wieder umgewandelt und ausgestoßen wird, in fortwährender Selbsterneuerung und Stoffwechsel,

durch

Aufnahme,

Aneignung,

Umwandlung und

Ausscheidung, und darin, wie in der Fortpflanzung,

liegt die Bedeutung der Vegetation. Das Pflanzenleben ist Wafferzersehung unter

dem Einfluß des Lichtes,

Vegetation,

aller

Bedingung

und Licht ist die erste ist

der

allgemeine

Mittelpunkt der gesammten Pflanzenwelt, um den sie zu ihrer Einheit versammelt wird.

Die Lebensverrichtungen der Pflanzen gesche­ hen durch besondere Gebilde und Organe, die sich mit mehr oder weniger Vollständigkeit und Aus­

dehnung in ihnen entwickeln, namentlich die Saft­

gefäße und Schraubcngänge und

Fortpflanzung,

die Organe der

die Staubgefäße und Griffel, die

Nektarien u. s. w.

Der

Lcbcnsprozeß der

Allgemeinen in

Pflanzen

besteht

im

ihrem Verhältniß zu Licht, Luft,

Elektrizität und Waffer, und in der Aufnahme und Ausscheidung von Stoffen. Die Pflanze ist aber verschieden vom Thiere,

es fehlt ihr die willkührliche Bewegung, oder es ist

dieselbe höchstens nur sehr unvollkommen angedeutet, die Pflanze ist äußerlich durch ihren Mittelpunkt,

den sie im

Lichte hat,

während denselben jedes

Thier in sich selber trägt, die Pflanze ist Sauerstoff

63 aushauchend/ Evolution, das Thier Sauerstoff ver­ zehrend,

Involution,

der

Pflanze ist Kohlenstoff,

Grundbestandtheil

der

und der vegetative Prozeß

Hydrogenisation des Kohlenstoffes, derHauptbestandtheil des Thieres ist Stickstoff, und der animalische

Lebensprozeß

ist

Oxydation des Stickstoffes,

die

Pflanze tragt ihre Systeme und Organe äußerlich,

das Thier innerlich, und- cs ist die Entwicklung des

Saamcns, mit welcher sie entweder ganz, oder we­ nigstens für den Iahreszyklus zusammcnstnkt, wah­ rend die höher» Thiere an diesen Rhythmus der

Zeit weniger gebunden stnd. Selbst im Tode noch stnd Pflanze und Thier verschieden, indem der Pflanzentod im Verdorren

und Vertrocknen besteht, während der thierische Tod

Fäulniß und Verwesung ist. Ob den Pflanzen die Priorität der Entstehung vor den Thieren zuzuerkennen sei, fragt sich noch sehr, denn wie oben gezeigt, entspringen die nieder­

sten Thiere und Pflanzen gleichzeitig aus dem Un­

organischen.

Bei den höheren Thieren könnte das

spätere Auftreten der

Fall gewesen sein, da die

Pflanze dem Thier zur Nahrung dienen muß.

Die Kleid,

Pflanzenwelt ist

der

Erde

die Vegetation selbst der Erde äußerste lung ist.

natürliches

das ihr hier auf dem Leibe wächst,

weil

Entwick­

64 Der Reichthum

ist dargestellt:

der gesummten Pflanzenwelt

in Kryptogam, Gras, Kraut und

Baum, deren erstes ohne sichtbare Fortpflanzungs­

organe, die Moose, Flechten, Algen, Pilze, Farren u. s. w., deren zweites die Gräser, Schilfe, Rohre,

Getraide u. s. w.,

deren

drittes

die

unendliche

Mannigfaltigkeit der verschiedensten Gewächse, und

letztes

deren

die

Vollendung

der Vegetation in

Entwicklung ihrer mächtigsten Gebilde der Sträu-

cher und Bäume umfaßt. Das Thier steht über der Pflanze ruht aber auf seiner pflanzlichen Organisation.

Was bei der

Pflanze Aeußcrlichkeit ist, und was sie außer sich sucht und anzieht,

Licht und Wärme,

das ist bei

dem Thiere Innerlichkeit, trägt das Thier in sich selber.

Das Verdauungs- und Ernährungs-System,

als Stoffwechsel, durch Aufnahme, Aneignung, Um­

wandlung und Ausscheidung, hat auch das Thier

mit der Pflanze gemein,

es tritt aber auf dieser

Stufe ein neuer Faktor hinzu, das Nervensystem, erst an daS Gefäßsystem gebunden, als Ganglion,

bald aber seinen eigenen Zentralpunkt im

Hirne

findend, und so erscheint das Thier mit Sinnlichkeit und Willkühr. Von der niedersten Stufe der Protozoen an

hat das Thier eine vielfache Metamorphose durch

zu machen, bis es sich auf seinen höchsten Stufen

65 in der äußern Organisation dem Menschen nähert, den es jedoch niemals zu erreichen vermag. In einzelnen Funktionen z. B. der Kraft der

Muskeln,

der Schärfe

Sinnen,

der

mag

das

Thier dem Menschen überlegen sein, cs kaun der Adler durch das Gesicht, der Haase durch das Ge­

hör, der Hund durch den Geruch, der Affe durch das Greifen, das Pferd im Laufe, es dem Men­ schen zuvorthun, die Muskelstärke reißender Thiere

ist ohnehin genugsam bekannt — aber die mensch­

liche

Vollendung

in

der

Persönlichkeit

erreicht

das Thier niemals, wenn gleich entwickelter In­ stinkt, Kunsttricbe und Fertigkeiten der Thiere es oft zum Unglaublichen bringen, so wie der thierische

Urzustand der Völker in ihrem gesammten Verhal­

ten, sowohl an Muskelkraft und Schärfe der Sin­ nen, als in Urkultur und Rohheit ebenfalls an das

Unglaubliche gränzt.

Mit dem Nervensystem aber als dem physisch Höchsten der organischen Bildung, welches den ma­ teriellen Vorläufer der geistigen Vollendung darstellt, erscheint auch die Individualität des Thieres;

cs

ist das Thier ein Subjekt, den Objekten der äußern Welt gegenüber, und so erwachsen ihm auch zwei

mittlere Systeme zwischen Vegetation und Nerven, nämlich das Glieder- und das Sinnen-System,

Artikulation und Sensualität;

so daß es mit dem

66 einen die Erscheinungen der Außenwelt aufnimmt,

mit dem andern aber dagegen zurückwirkt. Hierdurch entstehen dem Thiere Empfindung, Vorstellung, Gefühl und Trieb, indem die durch das Sinnensystem aufgefaßte Einwirkung der Außenwelt wahrgenommen

wird als Empfindung, und das

thätige Prinzip im Thiere reagirt dagegen durch

willkührliche Bewegung.

Auf diese Weise ist dem Thiere durch Subjekt - Objektivitätsverhältniß

das

sein

Bewußtsein

geworden, und es hat fich das Thier vom Gegen­

stand zum Individuum erhoben. Der

Mannigfaltigkeit hat

Thiere unendliche

man unter Strahlthier, Weichthier, Gliederthier und Wirbelthier zusammengesteüt. Strahlthiere als Asterien, Seesterne u. s. w.

haben fast nur eine Magenhöhle, kaum ein Gefäß — und

höchstens

von

Spuren

einem

Nerven­

system. Weichthiere, Mollusken, Muscheln, Würmer h.

s. w. haben entwickeltere Nerven und Berdau-

ungswerkzeuge, auch Respirations - und GeschlechtsOrgane, sind ziemlich entwickelt. Gliederthiere sind die Infekten. Unter Zurück­

finken

tritt

des Nerven die

äußere

und

Zirkulations- Systems,

Gliederung

in

Freßwerkzeugen,

Kneipzangen, Füßen, Flügeln, hörnernen Panzern,

67 so wie

die Entwicklung

der Sinnesorgane,

na­

mentlich der Augen mehr hervor.

Wirbelthiere endlich entwickeln sich alö Fische,

Reptilien, Vögel und Säugthiere. allen

diesen Stufen der Entwicklung

steht der Mensch.

Der Mensch umfaßt den Inhalt

Ueber

der gestimmten Organisation, was im Minerale tief und still versunken lag, was Vegetation und Am-

malisation in buntem Relchthume entwickelten. —

Alles ist hier in seiner Vollendung zusammengestellt, und der Geist als Seele in die Natur des Leibes cingekehrt.

Die Gestalt aber des Menschenleibes und feine

Natur, von der hier die Rede ist, ist thierisch und daher auch eine genauere Darstellung der thierischen

Organisation bis hieher verspürt worden. Das

menschliche Leben

ist nicht das längste,

aber das reichste an Inhalt in der sichtbaren Natur, und der Mensch ist im Ganzen von den Thieren

unterschieden, nicht im Einzelnen, denn sonst wäre er im Einzelnen weniger von dem Thiere getrennt, als manche Gattungell der Thiere selbst von ein­

ander.

Der Mensch steht über dem Thiere durch die

Selbstständigkeit seiner Seele und die Gesammtheit

seiner Organisation z die Vollständigkeit aller einzel­ nen Verhältnisse ist zur Einheit vollendet, und es

ist die Mcnschennatur ausgezeichnet

durch die Sy-

5*

«8 rnctrie

der

Gestalt.,

Vollzähligkeit

der

Organe

und vollkommene Entwicklung des Gehirns.

Durch die Selbstständigkeit der Seele werden

die Funktionen der Ernährung nnb Zeugung vom vegetativen System und seinem Stoffwechsel losge­

rissen, und durch diese Unabhängigkeit in die Mög­ lichkeit gesetzt zu anderweitigen körperlichen und gei­

stigen Thätigkeiten. Durch die Herrschaft des Rückgrathes kn seiner aufgerichteten Stellung erhält der Kopf großes Uebergewicht über Brust und Bauch,

ilnd aus dieser aufrechten Stellung entsteht Frei­

lassung der Oberglieder vom Dienste der Ortsbe­

wegung, und es gewinnt die Hand Gelegenheit zu

Durch

vielfacher Uebung und Bildung.

hebung

die Er­

des Schädels von der Erde erlangt das

Auge größere Unabhängigkeit.

Die

vielfache

Freilassung

der

Organe

des

menschlichen Leibes vom Dienste der Ernährung, und das über die Nothdurft

der

Reproduktion,

überschüssige Leben gestattet Ausbreitung der Sin­ nenthätigkeit und deren Wiederholung im Innern,

Herrschaft über die Vorstellungen und Vorstellungs­ mäßiges Rückwirken auf die Außenwelt, Sprache

u. s. w.

Unser Zweck erfordert es hier uns zur Anato­

mie zu wenden, also nur von der Natur zu spre­ chen, vom Geistigen soll später die Rede sein; denn

in der Erscheinungswelt, von welcher hier zunächst

69 es sich handelt, ist der ideelle 'Pol zurückgedrängt

und nur der materielle hervorgehöben. Ist aber der Mensch Schlußpunkt der irdischen

Organisation, wie aller endlichen Bildung überhaupt,

so muß er auch alle vorhergehende Entwicklung in seinem Inhalte zufammenfaßen, also die Ernährung der Pflanze und die Bewegung und Sinnlichkeit

des Thieres, zu welchen er noch die Beseelung, als

das rein Menschliche, hinzufügt. Dieses giebt in der leiblichen Erscheinung, von

der hier die Rede ist,

vier Systeme im Orga­

nismus. Das thierische Leben, mithin auch das mensch­

liche, entspringt entweder wie das erstemal aus un­

mittelbarer Zeugung der Natur, als Erzeugung der Gattung, dann aber immer aus der Gattung durch

die Zeugung der Geschlechter, denen die Natur die

Fortpflanzung der Individuen übertragen hat. Der anatomische Bau des Menschenleibes zer­ fällt in vier große Systeme, den Stufen der Außen-

natur gegenüber.

Es sind diese vier Systeme das

Ernährungs- oder Bildungs - System, das Glieder­ oder Bewegungs-System, das Wahrnehmungs- oder

Sinnen- System, das Beseelungs - oder Nerven System.

Es beginnt diese Darstellung mit demjenigen Systeme, welches am Ersten und das

Thier charakterisirt

und

Bestimmtesten

konstituirt,

mit der

70 Verdauung, es ist daö innere Hautsystem/ der Darm,

nur in seiner vollständigen Entwicklung.

Bildungssystem. Das Bardauungs-, Ernährungs-, DildungS-,

oder Vegetations-System

ist das erste

thierische

System, welches den übrigen das Material und den

Stoff liefert. Des

Thieres

Ursprung

auS

der

niedersten

Stufe der Thierreiche ist eine Höhle, die Magen, Herz und Geschlechtsorgan zu gleicher Zeit ist, daö Erste des Thieres ist also der Darm,

oder der

Vcrdauungs - Apparat. Die Stoffe aber, die der Verdauungsapparat

ouö der Außennatur zuführt,

müssen umgewandelt

und durch ein weiteres belebendes Prinzip begci-

stet

werden, so

vorgeschritten ist,

bald ihre Umwandlung so weit

daß dieses geschehen kann.

Die

neue Belebung des aufgenommenen und sluidisirten

Stoffes erfolgt durch die Respiration. Verdauung und Athmen sind also zwei um«

wandelnde Prozesse,

die sich auch als Aufnahme

und Ausscheidung bestimmt gegebener oder modifizir-

ter und neu gebildeter Stoffe verhalten. Beide aber werden vermittelt und hängen zu­ sammen durch das Blut,

welches die Indifferenz

zwischen beiden bildet, es giebt also drei untergeord-

tiefe Systeme im Bildungssysteme selbst,

ein aus­

nehmendes und ausscheidendes in der Nutrition und Respiration, und ein drittes allgemeines als Zirku­

lation.

Da nun in der Dildungsgeschichte des in­

dividuellen

Organismus

dieses

allgemeine

oder

Blutsystem den beiden andern vorhcrgeht und diese erst aus ihm sich entwickeln, so steht es auch hier diesen billig voran.

Erst spat, nach übrigens schon geschehener kör­

perlicher Entwicklung und Vollendung entsteht das Geschlechtssystem, welches früher mehr in der An­ lage gegeben war.

Das.Blutsystcm oder die Zirkulation ist also, wie

das Allgemeine und chronologisch Frühere, auch hier das Erste,

das Serualsystem,

als das

Indivi­

duellste, das Letzte, und zwischen beiden stehen Ver­ dauung und Athmen, so. daß es also im Bildungs­

systeme

untergeordnete

vier

Systeme

giebt,

die

Zirkulation, Nutrition, Respiration und Produktion. 1. Zirkulation. Die Zirkulation ist der Mittelpunkt des bil­

denden Lebens im Körper, vereinigt die Produkte

des Affinnlations - und Respirations-Prozesses und theilt an

alle

Stoff aus,

Gebilde

so daß sich

nährenden

und bildenden

der Zeugungsprozeß des

Körpers im Allgemeinen immerfort aus diesem Sy­

steme wiederholt, und das Blut

die allgemeinste

n Flüssigkeit ist,

während gegenüber das Geschlechts­

organ die individuelle Zeugung vermittelt und die

Saamenslüßigkeiten die individuellsten Fluida sind. Das Blutsystem oder die Zirkulation zerfällt

in

Urgefäß,

das

Blutgefäß

Lymphgefäß,

und

Herz.

Urgefäß verstehen wir hier die ersten

Unter

Rudimente und Anfänge, oder wenn man lieber

anders will,

die letzten Endigungen der Gefäße,

die ein früherer Forscher mit dem Namen Haarge­ ein ganz neuerer mit dem Namen periphe­

fäße,

rische Gefäße bezeichnete; oder was man überhaupt

unter

Benennung

der

intermediäres

Gefäßnetz,

Maschen - oder Schlingen - Gefäßnch betrachtete.

Diese letzten Endigungen oder ersten Ursprünge der Gefäße,

oder das Borkonunen eines mittleren

Gefäßsystems zwischen beiden, haben allerdings noch

manches Dunkle, und sind noch nicht so genau ent­ deckt,

daß ein allgemein gültiger Kanon darüber

aufgestellt unserer

werden

könnte,

daher

dieser

Anfang

anatomischen Darstellung auch gerade der

dunkelste und schwierigste Punkt derselben bleibt. Ob diese Gefäße mit oder ohne Wandungen

bestehen,

ob die Flüßigkeit unmittelbar im Thier­

stoffe ohne Gcfäßwandung frei sich bewege,

ob

diese Wandungen

dieser kleinsten

unendlich zart und dünne sind,

oder

Gefäße nur

wie die neuesten

Forscher behaupten, ist noch nicht völlig ermittelt,

TS dennoch aber anerkannt, daß hierin diesen Gefäßen das Blut dem Nerveneinfluße unterliege, und daß

hier die Aufnahme, Aneignung, Umwandlung und Ausscheidung der Stoffe, mit einem Worte die or­

ganische Metamorphose vor sich gehe. Uns genüge es bei der Unbedeutenheit dieser

Gefäße selbst mehr ihren Inhalt zu betrachten, als auf den Streit über Geschloffen - oder Nichtgeschlos­

sen-sein

des

Blutumlaufes

einzugehen,

um die

organisch lebendige Umwandlung der Stoffe in die­ ser Gcfäßparthie,

der mechanischen Bewegung des

Blutes im Herzen gegcnübcrzustcllen und den Lebens­

prozeß der Säfte im Urgefäße anzucrkcnnen, wäh­ rend in den andern Gefäßen die Flüßigkeit, wie in

Röhren eingeschlossen, erst zu diesem Heerde ihrer

organisch lebendigen Thätigkeit geleitet wird.

Es theilt sich aber das Blut selbst, als Lebens­ quell, in Lymphe, Chylus, Venenblut und Arterien­ blut, und eben so nehmen wir als erstes Rudiment

der Gefäße ein lymphatisches, chylöses, venöses und arterielles Urgcfäß an, in welchem wir nach dieser

Vicrheit des Blutes selbst die ursprünglichsten Umwandlungsprozeffe verlaufend glauben. Das Lymphgefäß besteht aus dem Brustgang,

Milchgefäß, Sauggefäß und Drüsen.

ren sind

Diese letzte­

wieder wesentlich die Lymphdrüsen,

Schilddrüse,

die

die

Nebennieren und Gekrösdrüscn,

indem alle diese Drüsen nur als Verschlingungen

74 von Gefäßen, als wahre Gefäßganglien, zu betrach­ ten sind.

DaS Blutgefäß theilt sich in Lungengefäß, Ar­ terie, Vene und Körpergefäß; denn das arterielle

Blut beginnt in den Lungen und endet im Körper, während das venöse im Körper beginnt und sein

Ende findet in der Respiration. Das Herz hat seine vier Kammern, Hohlve­

nen -

Vorhof,

Lungen-Kammer,

Vorhof, Hauptgefäß-Kammer.

entgegengesetzte

Lungenvenen -

Diese in sich selbst

Vierkammerigkeit deS Herzens ist

auch für sich selbst klar, und ihre Bedeutung liegt darin, das Blut geschieden als Druck - und Saug­

werk mechanisch in seinem Laufe zu fördern, wäh­ rend im Urgefäß, als den dem Herzen entgegenge­ setzten Gefäßen,

der organische Lebensprozeß und

die lebendige Umwandlung vor sich geht.

2. Nutrition. Die Nutrition zerfällt in die Aneignungs-, Berarbeitungs -,

Umwandlungs -

und

Ausschei­

dungs-Gebilde. Die Aneignungs-

oder

Ingestions-Organe,

die die Nahrung ergreifen, sind: Kiefer nnd Zähne,

Lippen und Zunge, Rachen und Schlundkopf,

die

Speiseröhre.

Verarbeitungsorgan ist der Magen mit seinem

Magenmund und Pförtner, Pförtner-Hälfte.

seiner Mund - und

75 Umwandlungsgebilde sind die Verdauungsdrü­ sen, als Speicheldrüsen, Milz, Leber und Pankreas,

durch ihre Säfte die aufgelößten und verflüßigten

Stoffe zersetzend.

Ausscheidungsgebild

sowohl

für

den

Körper

selbst, das Nutzbare in die Gefäße, als das Un­

brauchbare auf dem gewöhnlichen Wege als Rück­ gabe an die Außennatur, ist der Darmkanal, als Dünn-, Dick-, Blind-, Mast-Darm.

Diese

Theile

des

Darmkanals können auch

ihrer Struktur nach jedes wieder cingetheilt werden

in seine seröse Haut, muskulöse Haut, Schleimhaut und eigenthümlichen Drüsen. Der Mensch nicht geschloffen in sich, sondern

mit der Außenwelt zusammenhängend durch die in­ nere Haut als Nutrition und Respiration, hat auch

an jedem dieser Systeme einen Anhang. Als Anhang an das

Nutritionssystem heftet

sich zwischen dieses und die Geschlechtsorgane das Harnsystem, bestehend aus den Nieren Harnleitern,

der Blase und Harnröhre. 3. Respiration. Die Respiration geschieht durch die Lungen, und man theilt die Athmungsgebilde ein in das

Zellgewebe, Luftgefäße, Blutgefäße und Membranen. Das Zellgewebe als konstituirendes Vehikel ist

das Lungenparenchym,

das Luftgefäß ist vierfach,

76 als Kehlkopf, Trachea, Bronchien, Luftzellen.

Das

Blutgefäß ist Lungcngefäß und Bronchialgefäß, und beides arteriell und venös.

Membranen sind die Schleimhaut der Luft­ Lungenzellen,

wege und

und die serösen Blätter

des Brustfelles, als Rippen - nnd Lungen-Pleura. Als Anhang an die Respiration heften sich

die Organe der Stimme und Sprache, als Knor­

peln , Bänder, Muskeln und Häute.

Diese Or­

gane der Sprache und Stimme gehören aber nur in so weit hkeher, als sie das Material der Stim­

me,

die

Luft zum Tone liefern,

die eigentliche

Thätigkeit des Sprechens, Singens u. s. w. gehört zur Bewegung, und daher zum Gliedersystem.

4. Produktion. Die Natur hat die Produktion der Gattung

übertragen,

mit

und diese in den beiden Geschlechtern

besonderen

Theilen und

Organen versehen.

Diese Theile und Gebilde sind verschieden nach dem

Geschlechte, aber im Allgemeinen: Saamenzeugend: Hoden und Eierstöcke;

Saamenzuleitcnd:

Saamengänge und

9)iuf-

Saamenbläschen

und

terröhren; Saamenbewahrcnd:

Fruchthalter; Saamenausleitend: Ruthe und Scheide.

n Die Erzeugung ist aber doppelt, und der Erzeugung

nesis

ren:

neben

des Individuums besteht die Ge­

der Gattung.

Hier sind die ersten Fakto­

Thierstoff, Blut, Nerve, Organismus, oder

schon spezieller geworden, Zellgewebe, Faser, Mem­ bran, Gefäß. DaS Zellgewebe ist das Allgemeinste und Er­

ste, am Frühesten Vorhandene, ist überall zugegen,

das Indifferente, Oualitätslose, Urstoff aller thieri­ schen Bildung, entspringen,

aus welchem alle thierische Gebilde

und zu welchem alle sie zurückkehren.

Von den verschiedenen Einthcilungen des Zell­ gewebes ijl hier aufzustellcn:

das parenchymatöse,

freie, leitende, athmosphärische, das erste als bil­

dendes Grundgcwebe der Theile, das zweite als Verbindungsmittel getrennter Gebilde, als begleitendes Gewebe

das

dritte

einzelner besonderer Or­

gane und Theile, und das vierte als äußere Um­ gebung einzelner Organe, oder den ganzen Körper

umhüllend.

Die Faser, als Längenpolarität aus dem Zell­

gewebe herausgebildet,

verhält sich als Knochen-,

Knorpel -, Sehnen - und Muskel-Faser, unter wel­

cher die Muskelfaser sich wiederum entwickelt als:

Gefäß-,

Schleimhaut-,

Ring -

und

Längen­

muskel.

Die Membranen, zur Längenpolarität noch die

der Breite annehmend,

bilden sich in die Fläche

78 und, entwickeln sich als Wafferhaut, Schleimhaut,

Faserhaut und Bedeckungshaut. Die Wasserhaut oder seröse Haut ist des thie­

rischen Leibes erste Haut und ursprüngliche,

das

Zellgewebs-Kügelchen ist ein seröses Bläschen, wie

die niedersten Thiere seröse Blasen sind. Wasserhäute giebt es für alle Systeme, für die

Artikulation die Synovialsäcke, für die Sinnen die

serösen Häute des

Auges und

Ohres,

Nervensystem die seröse Haut des

für

das

GehirneS und

Rückenmarkes, für das Bildungssystcm selbst Brust­ fell, Herzbeutel, Bauchfell, Scheidenhaut der Ho­

den , so daß jeder Unterabtheilung des Vegctations-

systemes seröse Häute zukommen, von denen wieder

in

der Brusthöhle die Lungen - und Rippenfelle

und die Mittelfelle, in der Unterleibshöhle die bei­

den Blätter des Bauchfelles, die Rehe und Ge­

kröse unterschieden werden. Die Schleimhaut ist weniger allgemein, aber

in größer« Zügen uud weiterer Ausbreitung vor­

kommend, fast einzig nur für das vegetative Sy­ stem,

und nur wenig für die Sinnen, wo diese

dem ernährenden und bildenden Systeme sich an­

schließen.

Sie ist die innere Hautfläche für die

Verdauung, Uropoese, Genitalien und Respiration.

Die Faserhaut ist für

alle

Systeme.

Für

das Gliedersystem besteht sie als Kapselband und

Beinhaut, für das Sinncnsystem als Faserhaut des

19 Auges, für das Nervensystem als harte Haut des Gehirnes

und Rückenmarkes und für die Vegeta­

tion endlich selbst als fibröse Häute des Milz, der Nieren, der Hoden u. f. w.

Die Dedeckungshaut ist die äußerste Umhüllung

Hat es ein Ding zur Individualität

des Leibes.

gebracht, so sucht cs auch seine Degränzung,

und so gestaltet sich

Organischen seine Umhüllung,

die Dedeckungshaut. Lederhautgewebe,

im

Sie selbst zerfällt wieder in Absonderungsorgane,

überzug und Horngebild,

Schleim­

und dieses letztere theilt

sich wieder in Epithelium, Haare, Nägel,

Ober­

haut.

Hat sich nun Zellgewebe,

Faser und Mem­

bran entwickelt, so kommt es zum Gefäße, und es entsteht das Gefäß zuerst als Höhle in der Masse,

aus der die Wandungen allmählig sich entwickeln,

und das Bildungssystem ist nun sprünge, zum Gefäße,

zu seinem

Ur­

von welchem unsere Dar­

stellung ausging, zurückgekehrt.

Die ausgebildeten

Gefäße bestehen aus Zellgewebe, Fasern und Häu­

ten.

Ist die erste Zelle seröses Bläschen, einfache

qualitätslose Indifferenz, so ist das Herz entwickelte

vierkammerige Kugel,

die

die höchste Indifferenz

des versiüßigten organischen Leibes, das Blut, me­ chanisch

nur

daß

in

Kammern

das

geschieden

in

sich

faßt,

Zellstoffbläschen in Ruhe liegt in

verwaltendem stillen Sein,

und das Herz

ewig

80 sich

bewegt

in

ermüdender,

nie

überwiegender

Thätigkeit.

Gliedersystem. Stoffwechsel

und

Reproduktion,

Aneignung, Umwandlung

und

Materie hat auch

die Pflanze,

eben

System

abgehandelte

Aufnahme,

Ausscheidung

auch

der

weßhalb das so

das

vegetative

heißt — Willkühr und Sinnlichkeit hat nur das Thier; — daher Sinnesorgane und Bewegungs­

glieder nur dem Thiere zukommen, und die Funk­ tionen des animalen Lebens oder Beziehungslebens heißen;

denn

Empfindung

und

Bewegung

ist

Wechselwirkung des Individuums mit der äußern Natur.

Das

Gliedersystem, Bewegungssystcm,

die Artikulation vermittelt die willkührliche

oder

Bewe­

gung des Organismus und ist die aktive Seite des Beziehungslcbens, in welcher das Individuum thä­ tig gegen die Aussenwelt zurückwirkt.

Es steht zwar diese Bewegung in dem Thier­ reiche im Dienste der Vegetation, und Ernährung,

und ist in den niederen Thiergattungen an dieselbe gebunden, man vergleiche die Kneipzangcn, überhaupt

die Freßwerkzeuge der Insekten, bald aber reißt sie

sich in den höhern Thieren von dieser Funktion los.

81 ist der Willkühr unterworfen, bei dem Menschen

endlich der Vernunft freigegebcn und edleren Ver­ richtungen dienstbar. Indem in diesem Systeme nur die Ausfüh­

rung der Bewegung, nur ihre Möglichkeit betrach­ tet wird, und die Thätigkeit der Bewegung selbst

vom Nervensystem als dem belebenden Prinzipe,

als dem Organe des Willens abhängig ist,

und

nur diesem gehorcht, so ist dieses System das me­ Der Knochen ist die Last, der Muskel

chanische.

die Kraft,

das Band die Vermittlung und das

Gelenke der Stützpunkt, somit der ganze Vorgang

einer

Bewegung

in

eine Hebel­

einem Gelenke

aktion.

Alles Wesen hat seinen Mechanismus,

den es sich stützt und der cs trägt, senreihcn für die Erde,

auf

und was Fel-

was Holzfasern für die

das ist das Knochensystem für das

Pflanze sind,

Thier, es ist die Grundfeste, auf welcher cs als

auf seiner Basis mechanisch ruht.

Man vergleiche hiezu den Bau der Knochen, die Anheftung der Muskeln,

Gelenke

u.

s.

w.

Man

die Construktion der betrachte

z.

B.

den

Bau der Halswirbel, des Ellenbogenknochens, der Armspeiche mit ihren Muskeln und sonstigen Bc-

wegungsapparatcn, und cs wird sich leicht ergeben, daß das gesammte Gliedcrsystem ein System von

Hebeln ist, deren Aktion dem höher» Einflüße des Willens, als der äußern Kraft gehorcht. Die Ernährung des Gliedersystems gehört eben

so wenig hieher, alö die Wirkung der Nerven, von

beiden ist an seinem Orte die Rede.

In den niedern Thieren, als den Seesternen, noch fast zum Krystall erstarrt, in den Korallen als steinerne Faser, an Schnecken und Muscheln als knöchernes Gehäuse, hat die Artikulation nur wenig

Bedeutung, bis sic bei den Insekten als Freßwerk­

zeuge

und

Bewcgungsglicder

in

Kncipzangcn,

Flügeln, Flügeldecken, Füßen, Panzern, u. s. w. mehr hervortritt, und erst bei den Wirbclthieren wird

das vollendete

Skelett

in das Innere der

weichen Umhüllung ausgenommen. Selbst der Ton der Stimme ist Anfangs äusser­

lich z durch die Bewegung der hörnernen Flügel und

Flügeldecken entsteht das Sumsen der Mücken, das Schwirren der Cicaden — bis auf höheren Stufen

auch die Erzeugung des Tones, der Stimme und Sprache in das Innere des Thieres

ausgenom­

men wird.

Das Gliedersystem besteht aus Knochen, Bän­ dern, Muskeln und Gelenken.

1. Die Knochen. Sie zerfallen in Fasern, Knorpel, Beinhaut und Mark.

83 2. Die Bänder.

Sie theilen sich in Gelenk-, Knochen-, Vcrstärkungs- und Kapsel-Bänder. 3. Die Muskeln. Der Muskel zerfällt in Faser, Flechsenhaut,

Sehnen und Scheiden. Die Elementarkügelchen der

Muskeln bilden

in ihrer Verbindung das feinste Muskelfädchen, diese Fäden durch Vereinigung die Fasern, und diese Muskelfasern durch Zellstoff vereint die Bündel. 4. Die Gelenke.

Die Gelenke werden hier als besonderes Sy­

stem betrachtet, überall

in so

gleichförmig

ferne ihr

eigenthümlicher

vorkommcnder

Apparat

sie

dazu erhebt. Nicht

nur

her genannten

das

Zrsammentreten

aller bis­

Gebilde des Gliedcrsystems,

son­

dern auch das Hinzutrcten eigenthümlicher neuer und die hohe Bedeutung der Funktion berechtigen

dazu, das Gelenk als Zentralpunkt des Gliedersy­

zu betrachten.

stems

Es ist das höchste Gebild

im organischen Mechanismus. Der Bauart, Zusammensetzung und Beweg­

lichkeit

tcn,

nach unterscheidet

verschiedene

man

der Struktur nach sind die 6*

Ar-

eigenthümlichen

84 Gebilde des Gelenkes die Synovialmembran,

der

Gelenkknorpel/ das Gelenkfett, die Synovia.

Sinnensystem. Das dritte Hauptsystem des ganzen Körpers

und zweite

Glied

Sinnensystem.

des Beziehungslebens ist das

Während

das

die

Gliedersystem

eine Seite des Jndividuallebcns mit der Aussen­

die

vermittelt, vollendet das Sinnensystem

welt

andere,

und cs ist daö Sinnensystem durch seine

Wahrnehmung das Ausnehmende, Empfangende,

während das Gliedersystem das Aktive, das Thä­ tige ist.

Sinnorgane sind diejenigen Gebilde, die die Eindrücke der Aussenwelt in sich aufnchmen und ihre Wahrnehmung dem Bewußtsein mittheilen. Die Aussennatur hat aber vier Stufen,

die

sie dem Individuum gegenüberstcllt, den Mechanis­

mus, den Chemismus, die Dynamik und die Or­ ganisation; und so giebt es auch einen Sinn für

daö Mechanische, als Form, Gestalt, Härte, Weich­ heit, Glätte, Rauhheit, überhaupt für den Wider­

stand der Masse; Auflösung,

einen Sinn für die chemische

Verflüßigung

und

Umwandlung

der

Stoffe, für das Saure, Süße, Bittere, Milde,

Herbe; Beben

einen Sinn für der Dinge,

das

innere Leben

und

deren innere Bewegung sich

offenbart als Schall, Ton, Stimme, Sprache; und

___ 85 einen Sinn für den Gesammteindruck der Gegen­ stände im Reflexe des Lichtes. In gewisser Hinsicht stehen die Sinne auch den

Systemen des Leibes gegenüber,

so daß der me­

chanische Sinn der Sinn des Gliedersystcms ist,

auf dessen Artikulation er wurzelt, der chemische

Sinn der Sinn des Bildungs - und Ernährungs­

systemes ist,

in

dessen Schleimhäuten er

Sih sich aufgeschlagen;

seinen

der dynamische Sinn alS

der Sinn für das Sinnensystem selber auftritt, und der Lichtsinn den Sinn für die gcsammte Organi­

sation für das Nervensystem ausmacht. Die

Sinne

sind

Hören und Sehen,

also

und

Tasten,

Schmecken,

fe edler ein Sinn ist,

um so zusammengesehter ist sein Bau und um so

höher steht das Medium, das ihn vermittelt. Tasten an starrer Masse ist unmittelbare

Das

Wahr­

nehmung, während das Schmecken durch das Was­ ser, das Hören durch die Luft und das Sehen durch das Licht seine Vermittlung findet.

Uebrigens ist

alle Sinneswahrnehmung nur ein veredeltes Tasten, indem das Ohr durch den Schall - das Auge durch den Licht-Strahl den zu vernehmenden Gegenstand tastend berührt.

1.

Gctaste.

Das Gctaste als mechanischer Sinn ist an den Händen vornämlich aber an den Fingerspitzen ent-

86 wickelt,

und

eS

gehet daS

Gliedersystem

mit

Knochen und Muskeln als das Tragende und Be­ wegende, die Oberhaut als das Deckende, die Le­

derhaut als das ernährende Organ darauf ein. 2. Schmecken.

Der Schmecksinn, chemische Sinn, Schleim­ hautsinn, ist doppelt für das liquid und für daS

elastisch Flüßige, seine Einheit aber liegt schon in

der Sprache, indem an vielen Orten die Bezeich­ nung von Geruch und Geschmack nur durch ein

Wort, nämlich schmecken, geschieht.

Wie aber die

Stoffe zur chemischen Umwandlung auf doppeltem Wege zum Organismus gelangen, zur Nutrition

und Respiration, so sitzt auch dieser Sinn doppelt,

gleichsam als Pförtner,

an

den Eingängen

des

Speisekanales, an Mund und Nase.

Im

Allgemeinen

besteht

dieser

Sinn

auö

Knochen, Knorpeln und Muskeln als Gliedern des Dewegungssystemes, Schleimhaut und Drüschen, Wärzchen und Schleim.

Im Munde ist es namentlich die Zunge mit

Muskeln Schleimhaut, Wärzchen und Schleim, in der Nase sind es Knochen und Knorpeln, Schleim­ haut, Wärzchen und Schleim.

3.

Gehör.

Das Gehör ist der Sinn für das innere Lc-

ben der Dinge, für das dynamische.

Es besteht

nicht wie Tasten und Schmecken in so unmittel­

barer Berührung mit den Dingen, ist aber dafür um so ausgedehnter und weiterreichend.

Die vorzüglichsten Organe des Ohres sind die Muschel, der Gchörgang, die Paukenhöhle und daS Labyrinth. Die Muschel besteht aus Knorpeln, Bändern,

Muskeln und Haut, und ihre Theile sind die Ohr­ leisten, die Kahnförmige Grube,

die eckigen Her-

vorragungcn und das Läppchen. Der

Gehörgang besteht

aus Knochen - und

Knorpel-Struktur, aus kleidender Haut, aus Talg­ drüsen, und schließt mit dem Trommelfelle.

Zur Pauckenhöhlc gehört die Eustachische Röhre, der

Zihcnfortsah,

die Ohrknöchclchen mit

ihren

Muskeln und die beiden Fenster. Das Labyrinth, etwas schwierig zu untersuchen

durch Kleinheit und Zartheit des Baues und tiefe möchte sich eintheilen lassen in den Vorsaal

Lage,

mit seinen Vertiefungen, Wasscrgcfäßen unb Nervcnkanälcnz in die eigentlich knöchernen GchörweckSchnecke

zcugc,

und

Halbkreiskanäle z

in dem

häutigen Labyrinth als Ausbreitung des Hörner­

ven,

und in die Labyrinthflüßigkeir mit den Oto-

konien.

88 4.

Gesicht.

Die Organe des Gesichtes werden im Allgemeinen eingetheilt in die Augenhöhle, die Weichge­ bilde, die Thränenorgane und den Augapfel. Die Augenhöhle,

aus

gebaut,

Knochen

zu

denen namentlich das Stirnbein, Keilbein, Ober­

kiefer- und Sieb-Bein gehören, ist stützend und tragend, die Weichgebilde sind schützend, umhüllend, bedeckend und bewegend, als Augenbrauen, Augen­

fett, Augenliedcr, Augenmuskeln; die Thränenor­ gane sind Thräncnerzeugend, zuleitend, aufnehmend

und abführend, als Thränendrüse, deren Ausfüh­ rungsgänge, Thränensee, Kanälchen und Sack, und

Nasenkanal. Der Augapfel selbst zerfällt

seiner Gestaltung,

der

die Organe

in

Blendung, der

Brechung

und Wahrnehmung.

Bildungsorgane sind die weiße Faserhaut, die

Spknnenwebenhaut, die Hornhaut und Bindehaut. Blendungsorgane

Strahlenkörper;

bogenhaut ;

Flüssigkeit, Glaskörper;

haut.

das

sind

die

Linse,

die

Strahlenband,

Brechungsgebilde die

Gefäßhaut,

die

sind

die

Regen­

wässerige

Kapselsiüßigkeit,

Wahrnehmungsorgan

ist

der

die

der Netz­

89

Nervensystem. Nachdem wir die Reproduktion als das erste

Moment, als Bildung und Erhaltung betrachtet, die Bewegung und Sinnlichkeit als zuerst noch an

die Ernährung gebunden, bald aber von ihr sich

losreißend erkannt haben, kommen wir nun an das letzte Glied der thierischen Organisation, an das

Nervensystem,

welches die Bedingung der Selbst­

ständigkeit, das Belebende, das Lcbcnsprinzip des Ganzen, beim Menschen das

Organ

des Gei­

stes ist.

Nerven und Blut sind die ursprünglichen Ele­

mente des animalischen Lebens, die nach der Zeu­ gring zuerst, aber beide gleichzeitig, aus dem beleb­ ten Thierstoffe sich entwickeln,

und aus diesen ur­

sprünglichen Faktoren bilden sich alle Organe und

Systeme. Der

Nerv ist das Solare,

Ruhende,

das

Blut das Planetarische, Bewegte, der Nerv der ideelle, konzentrirende Pol, das Blut der materielle crpandirende, und beide gleichweit im Organismus

verbreitet;

das Blut ist der Mittelpunkt der Ve­

getation, der Nerv das Zentrum der Sensibilität

und

aller

lebendigen

Thätigkeit,

das

Prinzip für den ganzen Organismus.

belebende

90 DaS Nervensystem ist ein Ganzes, kein Ner-

vcngebild wächst aus dem andern hervor, alle sind

zugleich da, zugleich entsprungen,

stehen aber in

Kein

innigster Verbindung und Zusammenhang.

Gebild verdankt dem andern seinen Ursprung, und

so kann auch das Hirn nicht als Effloreszenz des

Rückenmarkes betrachtet werden.

Jedes

Gebilde

ist selbstständig für sich, kann aber nur neben und in Wechselwirkung mit den andern bestehen. So gewiß es ist, daß das Nervensystem das

belebende Prinzip für den ganzen Organismus sei,

so

kann man

Seele erkennen.

keine Stelle für das Organ der

Die Seele ist kein Ding,

das

ausser dem Körper wäre, ist nur belebende Kraft, die das Ganze beherrscht. Die Haupteintheilung des Nervensystems ge­

staltet sich nach den vier Systemen des Leibes, so daß eine Parthie der Ernährung dient, eine zweite

die Bewegung leitet, eine dritte die Wahrnehmung

vermittelt, eine vierte das Ganze zur Einheit sam­ melt.

Es gibt also Ganglien für die Vegetation,

Bewegungsnerven für das Gliedcrsystem, Sinnes­ nerven für das

Sinnensystem uud Zentralmasscn

als Mittelpunkte für das Nervensystem selber.

Jede dieser Parthieen zerfällt wieder in ihre eigenen Unterabtheiluligcn.

91 1.

Ganglien.

Das Gangliensystem ist für sich ein Ganzes, daö Zentrum der gesammten Vegetation.

Es ist

den Organen der Vegetation innig angebildet, so

daß cs bei den niedern Thieren die Stelle des Gehirnes und gesammten übrigen Nervensystemes vertritt.

Es besteht aus einzelnen Knoten, dem

aufsteigenden und herabtretenden Berbindungsstrange,

und den Geflechten. Ein einzelnes Ganglion, ein Ganglienknoten,

ist eine für sich bestehende Nervenmasse, ein rund­ lich

eckiger Knoten, mit einer

zogen,

röthlich aussehend,

Membran über­

grauliche

Masse

ent­

haltend, auS innig verwebten Markfäden bestehend. Die beiden Hauptsträngc sind der große sym­

pathische Nerve, der eigentlich nicht vom Gehirne, sondern vom Gangliensystcme ausgehend, von die­

sem nach Oben hinaufsteigt und sich vielfältig mit den übrigen Hirnnerven, auch in der Schädelhöhle

selbst noch verbindet. Der andere Strang, den das Gehirn herab­

sendet, ist der pneumogastrische Nerve.

Es ist die­

ser Nerv durch seinen Einfluß auf Respiration und Verdauung und durch die Geflechte, die er bildet, ein wahrer Ganglicnnerv, seiner Funktion nach zur

Vegetation gehörend, zumal da er nicht mehr als Bewegungsnerv«: gelten kann, und der Beinerve als

92 Dewegungsnerve für Kehlkopf und Stimmorgane,

für Stimme und Sprache zu betrachten ist.

Bildet

das

Gangliensystem eine große dem

Hirne entgegengesetzte Masse, so sind die sympathi­

schen und pneumogastrischen Nerven die vermitteln­ den Stränge zwischen beiden, jener vom Ganglien­

system zum Hirne hinauf -, dieser vom Hirne zum Gangliensysteme herabsteigend. Das Zentrum des Gangliensystemes selbst ist

das

Sonnengeflechte,

Geflechte

cs

aber

giebt

verschiedene

für alle

des Gangliensystemes

einzelne

Gebilde der Vegetation, und jedes Geflechte kann wiederum als ein

Ganzes der einzelnen Knoten

und Vcrbindungsfädcn angesehen werden. Das Gangliensystem ist ein Sammelplatz der wichtigsten Nerven, mit allen Provinzen des Kör­

pers in Verbindung stehend, und seine Verzweigun­ gen sehen es mit andern

Nerven

gleichsam

mit

seiner Außenwelt in Verbindung.

Es ist aber ein Ganzes für sich

und wirkt

belebend nnd bethätigend auf die Organe der Ve­ getation,

die durch dasselbe angeregt,

eigenthümlichen Struktur nen verrichten.

So sind

ihre

nach ihrer

besondern Funktio­

die Nierengcflechte nicht

Harnnerven, die Lebergeflechte nicht Gallenncrven, sondern es ist dieses Nervensystem nur das Bele­

bende im Allgemeinen, was jedes Einzelne zur be­ sondern Thätigkeit antreibt.

SS 2. Bewegungsnerven. Die Glieder - oder Bewegungs-Nerven ent­

springen aus Hirn - und

ihre

durch

doppelte

Rückenmark und sind

Wurzel Bewegungs -

Empfindungs - Nerven zugleich,

indem

und

wohl der

Muskel, als so vielfacher freier Funktion unterlie­ gend , Empfindung

haben muß und gegen Reiz

nicht fühüos sein darf, um für die von verschiede­ nen Seiten ihm kommenden Eindrücke empfänglich

sein und gegen dieselben reagiren zu können. Ihre Eintheilung ist in Bewegungsnerven und Empfin­

dungsnerven

und

zwar ist jede Parthie

wieder­

doppelt, indem fie entweder aus dem Gehirne oder aus dem Rückcnmarke ihren Ursprung nehmen.

Ihr Zweck ist für die Bewegung der Glieder, namentlich des Rumpfes und

sic

sind aber auch Hülfsnerven

der Extremitäten,

für die Sinne;

für das Kauen, die Respiration, Sprache u. s. w. 3.

Sinnesnervcn.

Der Sinnesnerv vermittelt die wahrgenomme­ nen Eindrücke mit dem Gehirn und dadurch mit dem Bewußtsein,

er selbst aber ist unempfindlich

für Reiz und Schmerz und für Eindrücke anderer

Art,

so hat z. B. der Sehnerv

lichkeit

für

den

Schall,

der

keine Empfind­

Riechnerv

keine

für die Farbe, ja der Sinnesnerve ist sogar un­

empfänglich gegen Eindrücke seiner

eigenen

Art,

94 so daß der Sehnerve selbst daS Licht,

den

nerve

Geruch

der Riech-

nicht wahrnimmt,

und

die

SinneSempfindung und Wahrnehmung erst im Or­

gane, in welches der Nerv sich verbreitet, entsteht.

Man theilt die Nerven der Sinnorgane in den spezifischen, den vermittelnden oder empfinden­

den, den bewegenden und den Gangliennerv. Aber nur die vollkommen entwickelten Sinnen

haben diese vier Nervengattungcn wie z. B. Auge und Ohr, bei den andern sind sie wenigstens min­ der deutlich. Die einzelnen Sinnesnerven theilen sich ein

nach den Sinnorganen selbst.

Der Tastnerve ist einfach, mit den Bewegungs­ nerven verschmolzen, und die Möglichkeit des Ge­

fühles und der Empfindung nur durch den doppel­ ten Ursprung der Wurzeln zu erklären,

Getrenntheit des

empfindenden

und

und die

bewegenden

Nerven trotz ihrer Verschmelzung, ist dennoch durch

die Erscheinung

nachgcwiesen,

daß bei manchen

Krankheitszufällen die Empfindung verloren werden und die Bewegung fortdauern, oder die Bewegung aufgehoben werden, und die Empfindung beharren kann.

Ob in den Gefühlswärzchen des Tastorgancö ein spezifischer Nerve für das Tasten bestehe,

ist

zur Zeit noch problematisch, wäre dieses der Fall, so wäre, weil Ganglicnnerven mit den feinsten

95 Gefäßen zutreten, auch hier schon die Vierheit deS spezifischen, empfindenden, bewegenden und Gang­

lien-Nerven im Sinnorgane gegeben. Bei dem Schmeckfinne hat man wie doppelte

Organe so auch doppelte Nerven.

2(it der Zunge ist der spezifische Nerve der Zungcnschlundkopfnerve, der bewegende der Zungen-

flcischncrvc,

der empfindende oder vermittelnde ist

der Zungcnast vom dritten Stamme des fünften Paares, und das Ganglion ist angedeutct im Kic-

ferganglion desselben Nerven.

Für die Nase ist als Ganglion zu betrachten das Ganglion sphönopalatinum, welches durch seine

Zweige

mit

dem Geruchsorgane

steht, bewegender Nerv,

in Verbindung

so weit Bewegung hier

nöthig wird, ist der Antlihnerv, vermittelnde Ner­ ven sind der Augenhöhlen- Nasennerv, so wie der

Hintere Scitennasennerv, wozu noch mehrere Zweige

des fünften Parres kommen, und spezifischer Nerv ist der Geruchsnerve. Das Ohr hat als spezifischen Nerven den Ge­

hörnerv, der begleitet ist vom Antlihnervcn als sei­ nen bewegenden, welcher durch die Paukensaite mit

den Vidischcn und Jakobsonschen Nerven, nnd da­

durch mit den Aestcn des Drillingsnerven als ver­ mittelnden in Verbindung tritt, und als Ganglion besteht das neuentdeckte, noch viel bestrittene Gan­

glion oticum.

96 Für das Auge ist diese Vierheit der Nerven am Klarsten ausgesprochen, spezifischer Nerv ist der Sehnerv,

bewegend find der Augenmuskel - und

Roll-Nerv und der abziehende Nerv, vermittelnd die verschiedenen Aeste

am

deutlichsten tritt

hier das Ganglion

des

Drillingsnerven

unter allen

und

Sinnesorganen

als Ciliarganglion mit seinen

Ciliarncrven hervor.

4. Hirngebilde. Die Hirngebilde oder Zentralmassen, bei dem

Menschen am Meisten entwickelt,

das höchste Ge­

bild der materiellen Schöpfung,

find Träger der

Thätigkeit des Lebens, des Bewußtseins und Wil­ lens, insoweit dieses für ein einzelnes Organ zu­

gegeben werden kann, und es hat das Hirn seine hohe Bedeutung als Vermittler der geistigen Exi­ stenz, die den Menschen erst zum Menschen macht.

Hier handelt cs fich mehr darum, als Träger

das Hirn

des organischen Lebens zu betrachten,

und das gcsammtc Nervensystem ist nur ein Gan­ zes und das Hirn dessen Zentralorgan und Mit­

telpunkt.

Es theilen fich aber die Zentralparthien des

Nervensystems ganz

natürlich in Hirn - und Rü­

ckenmark, und das Hirn unbestritten wieder in das große und das kleine.

91 DaS Rückenmark theilt sich in das eigentliche

Rückenmark und das verlängerte Mark.

Dieses

anzunehmen ist ebenfalls nicht willkührlich, auch ist es ein höherer Grund als seine Lage im Schädel,

das verlängerte Mark vom übrigen Rückcnmarke zu trennen. Betrachtet man nämlich das obere Ende des

Rückenmarkes,

wo die Hirnschenkel für das große

und kleine Gehirn entspringen, und untersucht man die Entfaltung

der Rückenmarksstränge aus dem

verlängerten Marke, und sieht man, wie auch fast

alle Hirnnervcn aus diesen Strängen entspringen,

so ist das verlängerte Mark als Nervenheerd für das ganze Cerebral- und Spinal-System anzu­ sehen, es ist Zentrum der Zcntralmassen.

Betrachtet man nun den Hirnknoten selbst als

Ganglion, welches die Schenkel für das große und kleine Hirn durch sich hindurchtrcten läßt und an Maße verstärkt, und die Brückenartigc Commissur

der

Hemisphärien

des kleinen Gehirns —

wie

diese Queerfasern mit den Hirnschenkeln sich kreuzen und verflechten — so ist wohl klar, daß hier Aus­

strahlung und Conzentration zusammentreffen, und

diese Gebilde einen Bereinigungspunkt der Hirnge­

bilde und zugleich Punkt der beginnenden periphe­ rischen Verbreitung konstatiren.

Diese zerfallen

Gebilde

die

als Basilargebildc ausgestellt,

sämmtlichen

Zentralmaffen 7

in Ba-

98 silargebilde, großes Hirn,

kleines Hirn, Rücken­

mark. Diese Zentralmassen tufycn, aus verschiedenen

Substanzen bestehend,

in

mannigfaltige Formen

gestaltet, von verschiedenen Membranen umkleidet,

von einem dunstförmigen Hauche umfloßen, in knö­ chernen Höhlen, der Schädelhöhle und dem Wir­

belkanal. Wollte man eine solche Gintheilung der Zentral­ massen noch weiter verfolgen, so könnte man km Hirne eine Jnsich-Conzentration als eine Reihe von Hirn­

ganglien, Vierhügel, Sehhügel, Streifcnkörper u. s. w.,

und eine Entwicklung zur Erpansion als Entfaltung

der Hemisphärien, und zwischen diesen Richtungen

wieder

ein Schenkclsystem und

ein Balkensystem

unterscheiden u. s. w. Diese Skizze der menschlichen Anatomie mö­

ge diesen Abschnitt beschließen; von den Thätig­

keiten wird also bald die Rede sein.

Ueberblickt

man aber diese unsere Zusammenstellung der ge-

sammten Natur, so müßen wir nur mit dem Dich­ ter sprechen: Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem Andern wirkt und lebt!

99

Die Seele ist Wesen. Gott offenbart sich als Geist,

er erfüllt die

Welt mit seiner lebendigen Kraft, ist ihr Leben und

ihr Wesen. Diese geistige Offenbarungsform steht gegen­ über der Natur, sie durchdringend und belebend,

und die Erscheinung deö Geistes ist Wirken und Thätigkeit, und über das All verbreitet

kann sie

Weltseele genannt werden.

Ihre leere Abstraktion ist die Zeit.

Die Kraft ist

aber nicht getrennt von

der

Masse, sondern diese ist durchdrungen vom Leben deS

Geistes, und

Geist

und Natur bilden

die

Welt. Hätten wir diese Erkenntniß erlangt, ten wir auch erkannt:

Was die Welt Im Innersten zusammenhält.

V-

so hät­

100 Die Welt ist aber voll göttlichen Geistes und seiner Kraft, mögen Milchstraßen und Nebelstern­

systeme, Sonnengebiete mit Irr-

und

sternen sich aus dem Aether bilden,

Wandel­

oder werden

diese Bildungen auf einer Sphäre bis zum Ein­

zelnen und Kleinsten fortgesetzt — so sind sie er­ füllt von lebendiger Kraft und durchdrungen vom

göttlichen Geiste. Schaut man auf die großen Bildungen des

Weltenreiches,

von

denen

Astronomie unS lehrt,

einige

Kenntniß

die

so ergeben sich uns Kräfte,

die dem Gesetze der Mathematik gehorchen;

oder

vielmehr das Gesetz der Mathematik ist von ihnen abstrahirt. Es war oben von Sonnen,

Planeten, Tra­

und Kometen die Rede.

So wenig wir

banten

aber wissen von ihrem innern Reichthum der Ge­

stalten,

so wenig wissen wir von der Art ihrer

Entstehung und Entwicklung, und nur Ort und Zeit

ihres Umlaufes ist uns bekannt. Wir sehen zwar, daß Sterne die Farbe und

den Glanz ihres Lichtes ändern, ganz verschwinden

und wiederkchren,

wir

sehen an

unserer Sonne

Sonnenfackeln als hellere, Sonnensiecken als dun­ klere Stellen, wir bemerken an einigen Planeten

hellere und dunklere den Himmelskörper umgebende Streifen,

die nicht selten sich ändern sollen.

inneres Leben ist uns unbekannt.

Ihr

101 Die Kräfte aber,

stens

äußerliche Leben

die das allgemeine, wenig­ dieser

Körper

vermitteln,

Pud uns einigermaßen bekannt, cs sind die Schwere,

die Attraktion, die Repulsion und die Schwunghaft.

Diese Kräfte sind das Wesen, und sollte auch ein Theil der Himmelskörper,

die ihrem Gesetze

unterliegen, zu Grunde gehen oder sich verändern,

diese Kräfte sind ihr Leben,

so weit der Erdbe­

wohner dieses kennt. Schwere ist die einfache Kraft, das Streben der Materie nach Einheit, nach Einssein; Repul­

sion ist das Ausdchnende,

Abstoßende; Attraktion

das Zusammendrängende, Vereinigende, und beide

Faktoren,

von

nur

denen

in

der

Attraktion

das Streben nach Contraktion, in der Repulsion der Drang nach Erpansion die Oberhand gewinnt, Diese Schwungkraft, die

bilden die Schwungkraft.

die Sphären um ihre eigene Achse wälzt und krei­

send um ihren Zentralkörper treibt, ist das Resul­ tat dieser Kräfte, und durch diese Bewegung wird

die Einheit des Ganzen in Zeit und Raum wie­

der hergestellt. Näher auf unsere Erde bezogen entwickelt sich auf dieser unserer Sphäre

Masse drängt sich um

selbst das Leben.

Die

den Mittelpunkt und die

Schwere erscheint als Cohäsion.

Die Sphäre be­

kommt eine Achse, und deren Pole,, im Gegensatz, erzeugen den Magnetismus;

Polarität überhaupt

102 und das gegenseitige Anziehen und Abstoßen der Pole ist nur Attraktion und Repulsion in Bezieh­

ung auf unsere Erde.

Die Achse und deren oberflächliche Erscheinung, der Meridian, werden gekreuzt durch die Queerachse, die oberflächlich alS Aequator erscheint,

diese seht

der Länge die Breite hinzu, wird also zur Fläche und entwickelt die Elektrizität, und die ganze kör­

perlich gewordene Kugel entfaltet ihr innerliches Le­ ben im Chemismus, aus welchem sich daS höhere Le­ ben entwickelt. Chemismus ist aber körperliche Wechsel­

durchdringung entgegengesehtcr Stoffe, Umwandlung zweier entgegengesehtcr zu einem neutralen dritten. Das Leben der Erde ist ein Theil vom Leben

GotteS,

seiner Natur

und seines Geistes.

Die

Masse ist nicht vom Leben erzeugt, das Leben nicht von der Masse, das Leben kommt nur durch die Ma­ terie zur Wirklichkeit.

Es war die Masse mit dem

Geiste früher inniger verbunden, und selbst das äl­ teste Menschengeschlecht der Erde naher verwandt,

bis es sich loöriß durch die Entwicklung des Gei­ stes.

Je tiefer nun auf der einen Seite das Le­

ben der Erde hinabsinkt, so daß in den festruhen-

dcn Grundpfeilern, den Felsen, Gesteinen, Metallen und Erzen für die äußere Erscheinung cs fast ganz erlischt, und je mehr die todte Masse sich nach der

Tiefe senkte,

um so freieres Leben entwickelte sich

an der Oberfläche.

103 Die Lebensärmere Materie

trennt sich vom

höhern Wesen, der Geist reißt sich loS und gestaltet

sich zu Bildungen edleren Lebens.

Die Masse,

des innewohnenden Geistes verlustig, geht den Weg der Niederschläge, das höhere Leben sucht den Pfad

der Jndividualisirung auf. Die Organisation erscheint, Pflanzen wurzeln,

Thiere

leben auf dem durch

Licht und Wärme,

Lust und Wasser modifizirten Mineral, sie wachsen

und leben, sind aber das Höchste nicht.

Der lebende Erdgeist, das alte Chaos ist noch nicht zu sich selbst gekommen, nur Pflanzen und Thiere sind da, sic gehen aber verschiedentlich unter in Erdrevolutioncn und zeugen durch ihre riesigen

Reste von der Borzeit schöpferischer Bildungskraft.

Die Gottheit selbst schafft sich ein Wesen, das ihr gcgenüberstehe als eigenes Abbild,

in dem sie

sich selbst als in einem Spiegel beschaue.

Dieser

Spiegel muß aber das Urbild selbst zurückgeben,

muß unendlich sein, frei, bewußt, wie der Schöpfer selbst, und dieses Bild ist der Mensch.

Jetzt hat der Geist von der Masse sich losge-

riffen, sie ruht in tiefer friedlicher Stille, und er selber geht den Weg unendlicher Entwicklung. Der

Geist aber durch

die

Entwicklung

ge­

trennt, sucht seine Erde stets wieder, und erhält ihr das Leben in den

Stufen:

Mineral,

Pflanze,

104 Thier und Mensch.

Er bleibt in stetem Verhält­

niß zu seiner Erde, nur daß daS ursprüngliche Ver­ umkehrt in seinem Fortschreiten,

halten sich

eine Mutter

ihr hülfloses Kind

erst

trägt

wie und

pflegt, bald aber der erwachsene Sohn die alternde Mutter stützt. Mineral hat

Das

seine Bedeutung uur in

rnhigcm stillen Sein, die Pflanze wächst,

ist Or­

ihr Lebensprozeß das Wachsen tritt in

ganismus,

Erscheinung durch den Stoffwechsel, uud sie durchläuft

ihre Perioden im Keimen, Grünen, Blühen und

Reifen.

Das Thier lebt

und ist Individuum.

Zum Stoffwechsel der Pflanze tritt auf dieser Stufe Willkühr und Sinnlichkeit, daS Thier lebt in Ge­

fühl und Trieb. Der Schlußpunkt der irdischen Schöpfung ist

der Mensch.

Der Mensch denkt uud ist Person.

In ihm vollendet sich das mineralische Sein, das

pflanzliche Wachsen und das thierische Leben zum

Denken. Nur der Mensch hat eine vollendete Seele. ES hat der Mensch in seiner leiblichen Or­

ganisation die vier Systeme: die Vegetation, und diese entspricht dem Chemismus in der Zersetzung

und Umwandlnng der Stoffe; die Artikulation ge­

genüber dem Magnetismus der Außennatur,

Funktion der Faser in Längenpolarität; sualität

eine Thätigkeit größtentheils

als

die Sen-

der Häute,

also der Flächen, mithin der Elektrizität entsprechend,

105 und das Nervensystem als daS BekebungSprinzip

für das Ganze. Die

Vegetation

erhält und

reproduzirt den

Orgauismus durch die Aufnahme von Nahrung, indem ste den gewonnenen Stoff in die Indifferenz des Blutes leitet, und vom Hauche der Luft begeistet, als neu erzeugte Materie zu Theilen des

Organismus umwandelt.

Wie aus dieser Indiffe­

renz des Blutes der individuelle Leib erwächst, so erzeugt die Indifferenz der Geschlechter im Begat­

tungsakte das neue Individuum. Diese Funktionen sind alle noch thierisch, aber das Verhältniß des Beziehungslebens zur Vegetation

und zur Beseelung unterscheidet den Menschen vom

Thiere. Es ist das Dezichungslcben, als Bewegung

und Sinnlichkeit, allerdings zuerst und auch bei dem

Menschen an die Ernährung gebunden, bald aber reißt cs sich los und wird frei. Die Thätigkeit des Gliedcrsystems entspringt

aus der Aneignung der Nahrung, die Funktionen der

Sinnorgane aus der Unterscheidung, welche Nahrung

anzueignen sei, diese Thätigkeiten gehen also von der Ernährung aus, gränzen aber an den Geist,

die Sinnen mehr an das Bewußtsein, die Be­ wegung mehr an den Willen.

Anfänglich steht also das Beziehungsleben im Dienste der Vegetation,

allmählig aber wird es

von diesem Dienste frcigelasscn, und die Vollendung

106 deS Bezlchuug-leben- ist für daS Sinnensystem die Wissenschaft,

für

daS

Gliedersystem

die

Kunst.

Je mehr nun im Menschen diese Funktionen von der Ernährung sich losreißen,

um so mehr wird

die freie Thätigkeit selbstständig.

Alle Wissenschaft

alle Erkenntniß verklärt sich durch den Geist;

die

Kunst aber vom Gliedersysteme ausgehend ist An­

fangs

mechanische Kunst

der

Taschenspieler

und

Äquilibristen, Ballet- und Seiltänzer und vollen­

det sich endlich in der Fertigkeit der Darstellung, des

Musikers, Malers, Bildhauer«, ja als Deklamation und Gesang. Wenn aber

die Thätigkeit der Glieder mit

der Anschauung der Sinne sich wechselseitig durch­

dringet und Eins das Andere ergänzt und unter­ stützt, dann muß auch anerkannt werden, menschlicher Natur,

Wissenschaft

und

daß in

Kunst des

Beziehungslebens Hochpunkt sei.

Würde man fragen,

durch

Mensch so hoch erhoben wurde,

was

denn

der

und wodurch wir

des Thieres tiefen Standpunkt erkennen, so müssen wir antworten: durch die Sprache. Das Thier hat Erinnerung und Gedächtniß,

cs gedenkt seiner Pflicht und seiner Rechte,

der

Wohlthat und der Strafe, es hat Gefühl für Dank­

barkeit und Liebe, für Furcht und Rache, hat sinn­ liche Wahrnehmung,

oft schärfer als der Mensch,

101 es gehorcht aber auch dem blinden Triebe, erman­

gelt der frei bewußten Selbstbestimmung. Vergleiche

Menschen,

man

mir

die

Entwicklung

des

wenn das Kind mit seiner Sprache

noch auf gleicher Stufe

mit

den Thieren steht,

und großer Aufschluß wird über deö Thieres Phy­ siologie erwachsen. Man hört am Thiere wie am Kinde Töne

und Laute des Gefühles und des Bedürfnisses, das

Brüllen des Löwen ist der Trieb nach Beute, das Winseln des Hundes ist das Gefühl von Schmerz, der Schlag

der

Nachtigall ist der

Seufzer der

Liebe — aber Sprache ist es nicht.

Wir gehen erwächst

hier

nun über zur Psychologie und es

vor

Allem die

Frage,

was

die

Seele sei? Soll

diese

Frage

beantwortet

müssen wir etwas weiter ausholen, men wir auf das Urschcma zurück:

werden,

so

und so kom­

Gott offenbart

sich in Natur und Geist als Welt, und dieses in das Menschliche herabgezogen heißt:

das Indivi­

duum erscheint durch Leib und Seele als Person.

Der Leib ist Erscheinung, ist Form, die Seele ist

Thätigkeit, ist Wesen. Das Leben des Leibes greift aber so in das

Leben der Seele ein und umgekehrt, daß Besondere und Zwei in Einem zu unterscheiden unmöglich ist.

Leib und Seele sind eben so verschmolzen,

wie in

108 einem

vollkommen

Neutralsalze Base

gesättigten

und Säure, so daß nicht mehr angegeben werden kann, welche Eigenschaft dem Einem oder dem An-

dern zukomme, eben weil Beide zu Einem gewor­

den sind.

Die Seele ist nicht in

den

Körper cingc-

schloffen und kann doch auch nicht aus ihm heraus­ treten,

denn in beiden Fällen wäre sie räumlich

und körperlich. Die Seele ist kein Ertrakorporeum, daher gibt eS auch kein Organ der Seele, sondern

Alles an ihr ist lebendige Thätigkeit.

Daß das

Nervensystem vornämlich die Funktionen der Sensi­

bilität vermittelt, ist klar, es kann aber nicht geradezu, und noch weniger irgend ein Gebilde des Nerven­

systems oder gar Organ des Gehirns als Sitz der Seele betrachtet werden,

eben so gut könnte man

mit der

Ansicht

altcrthümlichen

Seele im Blute

sitze,

sagen,

daß

die

weil nach Blutverlust die

Seelencrscheinung aufhört, oder mit gleichem Rechte könnte man sagen,

Magen sein,

der Sitz der Seele müße im

weil der Mensch ohne Verdauung

nicht leben kann.

Die Seele ist Leben, ist Kraft

und Thätigkeit, es ist daher nicht anzugeben,

wo

die Wirksamkeit der Seele endige und die Erschei­

nung des Leibes beginne, in welcher Funktion die Thätigkeit der Seele erlischt und die des Leibes beginnt, weil alle Thätigkeit Aktion der Seele ist.

Die Gränze zwischen Physiologie und Psychologie

109 ist ganz willkührlich, eigentlich gar keine, die Wis­

senschaft aber hat gewisse Stufen geschieden, die sie der einen und andern zugetheilt hat. Der Mensch ist nun der Schlußpunkt der Or­

ganisation

und steht

der

wie

Erde,

Geist der

Masse gegenüber.

Wenn nun nach dem Schema: Mensch, Leib,

Seele, Person, die Persönlichkeit das Wesen der Menschheit ist, und Leib und Seele deren Faktoren,

der Leib der materielle räumliche,

die Seele der

ideelle zeitliche, jener das Bestehende und Erschei­ nende, dieser das Thätige und Handelnde, so geht

die Definition dahin:

daß die Seele die Urfraft

des Lebens sei. Die Seele ist die Thätigkeit, die die höchsten

Vernunftidcen

und

Phantasiegebilde

bis zu

den

niedrigsten Funktionen der Bewegung, Assimilation

und Verdauung trägt, und alles Leben, Thun und

Handeln ist der Seele Werk, der Leib ist der Trä­ ger und das Organ der Kraft, durch die sie selbst zur Wirklichkeit kommt.

genwärtige

unendliche

Sie ist das überall ge­ Prinzip

des

menschlichen

Lebens. Die Seele ist die Einheit aller Thätigkeit im

Organismus, von welcher die besondern Funktionen

und Verrichtungen Brechungen sind,

wie der ein­

fache Lichtstrahl durch das Prisma gebrochen wird zur Vielheit der Farben. Der Leib ist das Prisma,

110 in welchem

der

ungeteilte Lichtstrahl der Seele

zur Vielheit der Erscheinungen entfaltet wird.

Im Prisma aber liegt der Grund und die

Art der Brechung,

so im Leibe die verschiedenen

Ursachen zu verschiedenen Offenbarungen der Seele; wie aber aus Stärke und Glanz des Lichtstrahls

und Klarheit und Reinheit des Prismas das Helle

kräftige Farbenbild entsteht, so entspringt aus der Thätigkeit der Seele und Beschaffenheit des Leibes

die Quantität und Qualität der Funktionen. Die Materialisten haben Unrecht, das Denken,

überhaupt die Seele, als Resultat der Materie zu erklären; denn dieses wäre nur möglich dadurch,

daß man dem an sich Unthätigen, Bildsamen, Leb­ losen, die Thätigkeit und das Leben zuschriebe, und die Möglichkeit sich so weit zu organisiren und zu entwickeln,

daß

das

Denken

daraus

entstehen

könnte.

Liegt aber diese Kraft in ihr, so ist sie nicht rohe leere Materie, sic ist schon vom Geiste durch­

drungen oder der Geist selber in seiner Verkör­ perung.

Die Seele ist also nicht die Effloreszenz des Organismus, aber ihr Träger ist der organische Leib. Hinderniße in der Entwicklung des Körpers,

Säfteverlust, Stumpfheit der Sinnen, Mangel von Organen, hemmen die Entwicklung und Erschei-

111 nung der Seele, die durch vortheilhafte körperliche

Einflüße begünstiget wird. Hierin

liegt das Verhältniß

des Leibes zur

Seele.

Aber auch die Idealisten haben Unrecht, wenn sie sagen, daß die Seele ihren Körper baue.

Der

Leib baut gerade eben so gut seine Seele, z. D. der

Taubstumme hat keinen

Sinn für Musik.

Hier

hindert die Organisation des Leibes die Entwick­

lung der Seele,

weil der Mangel des

diesen Sinn unkultivirt lassen muß.

Gehöres

Denn es wird

doch wohl kaum eine taubstumme Seele geben, die

sich einen Leib ohne Gehör baut? Es müßte denn

in solchen Fällen bei organischen nnd Bildungs­ fehlern des Leibes die Seele selbst unvollkommen und mangelhaft sein,

was aber schon von selbst

darin seine Widerlegung findet,

daß bei großer

körperlicher Verkrüppelung oft eine große und er­ habene Seele zugegen ist.

Es verhält sich also hier, wie anderwärts ge­ sagt worden ist,

daß der Organismus die Basis,

aber nicht das Prinzip der Seelenthätigkeiten sei.

So zwar

daß auf dem Organismus

die Seele

wohl erblühe, aber nicht von ihm ausgehe, so daß

wer den Leib zerstört auch die Seelcnthätigkeit auf­ hebt, weil er das Organ vernichtet, durch welches dieselbe erscheinen muß.

112

Die Seele ist nun ba, wie kommt aber der Mensch zur Seele? wie entsteht sie, wächst sie ober wirb sie erworben? Wie ber erste Mensch zur Seele kam ent­ wickelt bie Schöpfungsgeschichte. Es mußte ein Schlußpunkt ber endlichen Schöpfung entstehen, ein Abbild und Spiegel der Gottheit, eine Vollendung der irdischen Kreatur. Dieses konnte aber nur ge­ schehen, indem zur materiellen Schöpfung die gei­ stige hinzutrat, oder auch aus ihr heraus sich ent­ wickelte. Als die Beseelung aus dem Erdchaos schied und dieses zur trägen Masse sich niederschlug, rief die Gottheit den Geist und er flüchtete sich zum Menschen, und der Mensch gewann die Seele. Nur die Jugendkraft der Erde vermochte Menschen zu bilden und ihnen eine lebendige Seele zu verleihen. Nachdem aber die erste Menschheit ihre Seele erhalten hatte und dastand, eigene Seele zu haben, und Seele der Erde zu sein, so mußte es bleiben, und wie die Menschheit sich erhält so erhalt sie auch ihre Seele, und wie jedes Individuum, jeder Einzelne die ganze Menschheit barstellt, so auch jede Seele. So wie nun der leibliche Mensch aus der Vermischung der Geschlechter durch Zeugung ent­ steht und leibliche Keime zur Bildung des Leibes

113 von den Zeugenden sich ablösen, eben so geht auch

der Keim der Seele als

geistige Thätigkeit

auf

das neue Wesen über, der geistige Theil des Men­ giebt im Zeugungsakte

schen

eben sowohl

Bestandtheil zum neuen Produkt

als

der

einen

orga­

nische. Dieses Ueberströmen der Seele der Zeugenden giebt dem neuen Wesen die Seele,

und

es kann

mit Recht gesagt werden, die höchste Intensität der Lust sei die geistige Mitgabe für das neu geschaf­ fene Leben.

Jede Zeugung, jede Geburt,

ist ein fortge­

setzter Akt der göttlichen Schöpfung, Leibes und der

Seele, die der Gattung übertragen ist, nachdem die Gottheit selbst ihr unmittelbares Schaffen beendigt hatte.

Die Seele

wird also auf diese Weise dem

neuen Individuum als Fortschreiten des Allgemei­

nen zum Besondern aus der Gattung geschaffen, entspringt aus

der Vereinigung

der Geschlechter,

und hat, wie der Leib, aus der Menschheit hervor­

gegangen, also auch den Inhalt der Menschheit. Ist nun in

den ersten Menschen eine Seele

gesetzt, so pflanzt sie sich fort von Geschlechte zu Geschlechte, und es ist bei der Zeugung mit dem

organischen auch zugleich der Keim der Seele ge­ geben, und sie entwickeln beide sich gleichzeitig, und

man sicht die Größe des Schöpfungsaktes aus der

8

114 körperlichen und geistigen Größe, zu welcher das

aus beiden Zeugungsslüßigkciten gemischte geistbe­ lebte Schleimklümpchen sich zu entwickeln und zu

erheben vermag. Nach diesen Betrachtungen über die Seele im Allgemeinen suchen wir nun deren Einzelnheiten. Die Seele ist zwar die Summe aller im Körper

enthaltenen Thätigkeit und Kraft,

hier wird

sie

aber dennoch von den niedern Funktionen geschie­

den, von denen in der Physiologie die Rede zu sein hat. Es wird hier nicht genetisch verfahren,

wie

gewöhnlich, und die Thätigkeiten der Seele in ihrer

Entwicklung verfolgt;

sondern es wird der Reich­

thum der Erscheinungen und die Mannigfaltigkeit der Seele dargcstellt, wie sie in der Natur neben

einander entfaltet liegen, und wir heben die Haupt­ punkte mit ihren Unterabtheilungen nebeneinander hervor, wie der Botaniker, dem eine Pflanze gege­

ben ist, Alles Zugleich überblickt, vorerst aber die Blüthe ansieht, ehe er Blätter, Stengel und Zweige

betrachtet — oder

überhaupt wie

wir bei Dar­

stellung der menschlichen Anatomie verfahren sind. Bewußtsein,

Gemüth,

Geist und Wille sind

aber die vier Hauptglieder der Psychologie. Das Bewußtsein ist das erste; denn ans freier

bewußter Thätigkeit muß Alles quellen, was den Menschen zum Menschen macht.

115 Nur durch das

Bewußtsein gelangt der Mensch

zur Persönlichkeit, wenn er selbst sich als sein Ich anerkennt.

Das Bewußtsein ist das Element des

Menschen, im Bewußtsein wurzeln alle andere Seclenthätigkeiten, aller Gedanke, aller Sinnescindruck,

alle Vorstellung und Anschauung. Alles Phantasie und Kunstprodukt,

jede

einzelne Handlung muß

auf das Bewußtsein bezogen werden,

muß zum

Bewußtsein kommen oder von ihm ausgehen. Es ist aber das Bewußtsein nicht der Consiur aller Seelenthätigkeitcn, sondern ihrEinheits- und Ausgangspunkt.

Der Wille ist das Thätige und Handelnde im

Menschen,

Freiheit und Selbstständigkeit, die ur­

sprünglichen Prärogative des Menschen, sind nur

Der Wille geht Allem vor­

vom Willen bedingt.

aus.

Der Wille muß erst den Gedanken wollen,

geht also allem Denken, Fühlen und Vorstcücn vor­ her.

Durch den Willen offenbart sich die Seele.

Nur der Wille macht frei und gibt die Fähigkeit

über sich selbst zu herrschen. Das Bewußtsein

Subjekt die Richtung,

Bewußtsein schweben, richten kann;

ist vom Gegenstände zum der

Gegenstand

muß im

ehe der Wille darauf sich

das Wissen muß aber auch gewollt

werden, das Bewußtsein durch den Willen nach

dem Gegenstände gezogen werden.

Wissen

und

des Seelenlebens,

Wollen sind die Grundfaktoren

und nur was das Bewußtsein

116 inne wird/ darauf handelt der Wille, und der Wille

strebt die Dinge in das Bewußtsein aufzunehmen. Sie stnb auch Eins in ihren Attributen der

Freiheit und Nothwendigkeit; denn die Freiheit ist beiden

nothwendig, und in ihrer Nothwendigkeit

sind sie beide frei.

Wille ist daher nicht, wo kein Bewußtsein ist, und Bewußtsein nicht, wo kein Wille ist.

Diese

beiden Momente bedingen sich und sind die Pole

des Seelenlebens. Zwischen beiden jenes

stehet

Gemüth

mehr daS Empfangende,

mehr das

und

Geist,

Ruhende, dieser

Handelnde und Wirkende, jenes dem

aufnehmenden Bestehen des Bewußtseins sich an­

schmiegend, dieser den strebenden Willen verfolgend.

Das Gemüth ist daS Fühlende, Empfindende, der Geist das Denkende, Erkennende, beide aber be­ stehend nur durch ihre Beziehung zu Bewußtsein

und Willen.

Wie kann ich fühlen und empfinden,

wie erkennen und denken, ohne meiner selbst und der Äinge außer mir bewußt zn sein? ich aber fühlend

und empfindend,

wie kann

erkennend und

denkend thätig sein ohne zu wollen? dafür liegt

aber auch der erkennende Geist näher dem handeln­ den Willen und das empfangende Gemüth näher dem

ruhenden Bewußtsein.. Aber auch das Gemüth und

dessen Fühlen und Empfinden ist vom Willen ab-

117 hängig;

denn diese

find so

Funktionen

einfach

nicht, wie bald gezeigt werden soll.

Da aber Bewußtsein und Wille dem Denken und Borstellen wie dem Fühlen und Empfinden

vorhergehen müßen, so steht auch richtig Geist und zwischen beiden.

Gemüth das

Ruhende,

Das

Bewußtsein

in sich selbst Eine,

als

Ungetheilte,

die erste ursprüngliche Einheit der Seele,

umfaßt

den ganzen geistigen Menschen wie dieser sich offen­ bart in Gemüth und Geist,

und das stille Sein

des Bewußtseins geht durch die Ruhe des vollen­ deten Gemüthes über zum Streben des verklärten Geistes, und dieser schließt im Willen, der wieder

das Ganze umfaßt. Auf diese Weise ist aber der Inhalt der See­

leufunktionen erschöpft.

Bewußtsein. Bewußtsein ist die ursprüngliche Einheit der

Seele, es ist dem Range wie der Entstehungszeit nach das Erste im geistigen Leben, es ist nicht In­ differenz, nicht Durchschnittspunkt, sondern Mittel­

punkt

des

Seelenlebens

sondern

Seelenlebens,

und

die

find nicht synthetisch

analytisch

Radien

des

hineingezogen,

daraus entwickelt.

Das Be-

118 wußtsein

ist nicht Bereinigung der Vielheit zur

Allheit, sondern Einheit als Ausgangspunkt der ven-

schiedenen Seelenthätigkeiten.

Die Betrachtung des Bewußtseins ist uns hier besonders wichtig, weil von dessen Fortdauer oder Aufhören im Tode auch die Fortdauer oder das Aufhören

Individualität

der

und

Persönlichkeit

abhängig ist. Das Bewußtsein kommt nicht durch das Den­

denn man denkt im Bewußtsein,

ken zu Stande;

wie der Vogel in der Luft fliegt,

der Fisch im

Wasser schwimmt, daö Bewußtsein ist das Element, in

welchem

Seelenwesen

alle

Mensch kann nicht anders

leben,

denn

der

denken als im Gegen­

satze und in Beziehung zu dem Objekte.

ist

Bewußtsein

schon

dem Worte nach ein

Das Denken weiß vom Sein,

Wissen vom Sein.

der Geist von der Natur.

Es besteht aber ein

Gegensatz zwischen Wissendem und Seiendem und Daher

das Bewußtsein ist dessen Ausgleichung.

ist auch in Gott

er

die

absolute

das

höchste

Indifferenz

Bewußtsein,

weil

ist von Natur und

Geist. Bewußtsein ist Subjektobjektivitätsverhältniß,

eine Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt. Einheit des Subjektes und Objektes, Indifferenz

des

Subjektes

und

Objektes — Aufnahme des

Seins in das Wissen, ist Bewußtsein.

Daö Be-

119 wußtsein hat verschiedene Stufen, als Weltbewußt­

sein, empirisches Bewußtsein, Selbstbewußtsein und

Gottesbewußtscin.

1. Weltbewußtsein. Wenn das Individuum dahin gekommen ist, daß cs sich selbst von dem Gegenstände außer ihm

unterscheidet, daß das Ich sein Anderes von sich geschieden weiß, d. h. Subjekt und Objekt, ihr Ge­

gensatz und ihre Aufnahme in einander in das Le­ ben getreten sind, aber um in der Sprache des ge­

wöhnlichen Lebens zu reden, so zu sagen unbewußt, und das Bewußtsein selbst zu dunkel ist, um die

Art des Gegenstandes zu erkennen, und daher der

eine unbestimmte Gegenstand ihm alle Gegenstände ist, der Gegenstand also, das Andere, welches dem In­

dividuum gegenüber steht, die gesammte Außenwelt

für dasselbe ist;

so ist dieses das Weltbewußtsein;

denn cs ist der eine ununterschiedene Gegenstand die ganze Welt, die im Bewußtsein liegt.

Dieses ist

das Bewußtsein des Fötus oder des neugebohrnen Kindes.

Da aber Sein und Werden der Gegensatz ist, der im eben erzeugten Wesen sich ausspricht,

Kraft und Stoff,

und

Geist und Natur sich verhaltcil

wie Subjekt und Objekt, so ist klar, daß diese Mo­

mente sich vereinigen, die Rückwirkung des Stof­ fes auf die Kraft, in

die Kraft,

das

die

Aufnahme

Bewußtsein

des

ist,

Stoffes

aber

wie

120 eS sonst genannt wird,

schlafende;

daS latente, dämmernde,

während die Wirkung der Kraft auf

den Stoff der Wille ist,

im FötuSzustande der

Bildungstrieb. Das Subjektobjektivitätsverhältniß, der Gegensatz

des StoffeS und der Kraft, beginnt aber schon mit

der Zeugung, und daher auch, auf freilich niederster Stufe, das Bewußtsein als Weltbcwußtsein,

ihm gegenüber der Wille,

und

auf dieser Stufe als

Entwicklungskraft, als Bildungstrieb. 2. Empirisches Bewußtsein. Hat das Subjekt stch so weit fortentwickelt,

daß es sich selbst von Gegenständen unterscheidet,

sein eigenes Sein vom Sein der Dinge trennt, unter diesen eine Vielheit anerkennt, sich selbst aber wenn gleich noch als Gegenstand unter Gegenstän­

den,

doch als die fortlaufende Einheit betrachtet,

welche bei dem Wechsel der verschiedenen Objekte

dieselbe bleibt, die Identität des Subjektes erhält bei dem Wechsel der Objekte, und die fortlaufenden

Gegenstände auf sich bezieht, sich selbst als bleiben­ den Gegenstand unter den vorübergehenhen betrach­

tend;

so ist dieses das empirische Bewußtsein. Das

Kiud

auf dieser Stufe spricht:

Karl

wollen Aepfel essen; Julie heißer Ofen wehe thun;

oder die Menschheit auf kindlicher Stufe wird mit dem

Ureinwohner

Indiens sprechen:

wenn

der

121 weiße Mann durstig ist, wird -er rothe ihn zur

Quelle führen.

Hier fehlt noch die Persönlichkeit.

3. Selbstbewußtsein. Sobald aber die Individualität sich so weit

entwickelt hat, daß sie sich selbst als ihr Andere-

erkennt, sich selbst zum Objekte wird, so ist das

Selbstbewußtsein gefunden.

Ich hin Ich, mir sel­

ber gleich und setze mich

selber, gilt hier ohne

Spott.

Das Ich kommt nur durch den Akt des

Selbstbewußtseins zu Stande, ist außer ihm Nichts,

und nur dieser Akt selbst. 4. Gottesbewußtsein.

Die Indifferenz des Subjektes und Objektes in das Höchste gesetzt, ist das absolute Bewußt­

sein in der

Gottheit selbst,

hervorgchen.

Findet aber nun daS Subjekt nur

aus dem alle Dinge

mehr das Objekt in sich, und das Subjekt außer sich und dessen Wahrheit im höchsten Subjekte, so

verklärt sich das Selbstbewußtsein zum Gottesbe­ wußtsein, und die Seele tritt in ihr Verhältniß zu Gott.

Dieses

Aufgeben eigener Subjektivität und

Aufgehen in Gott erscheint dem Menschen in die­

sem Leben nur in dunkler Ahnung, und tritt voll­ kommen ein erst mit dem Tode.

122 Wenn nämlich der Mensch selbst Objekt für ein höheres Bewußtsein geworden ist,

so hat er

aufgehort selbst Subjekt zu sein.

Weltbewußtsein und Gottesbewußtsein bestehen aber als PoK deS Bewußtseins im Allgemeinen,

von welchen jenes hereindämmert und dieseö hinaus aus diesem Leben. Das WeÜbewußtsem ist mit der Zeugung ge­

geben, das GottrSbewußtsein ist das Verschwinden menschlicher Persönlichkeit, das Aufgehen der Seele in Gott.

Empirisches Bewußtsein und Selbstbe­

wußtsein werden durch Entwicklung erworben und sind nur für dieses Leben. In Kürze wiederholt sind diese Stufen fol­

gende :

Das

Weltbewußtsein entwickelt

Zeugung und

sich mit der

verharrt in ruhigem stillen Sein,

man heiße es Seelenschlaf, Allsinn, Zentralleben oder welchen Namen man ihm geben will.

werdenden Subjekte gegenüber

ist ihm

Den»

sein Leib

die ganze Welt, und so ist das Versunkensein in diesen das Weltbewußtsein. Wird das Kind geboren, so kommen fciü Ein­

drücke der Außenwelt, es erwacht mit der Empfin­

dung und Vorstellung Gefühl und Trieb, lernt das Kind

scheiden,

und so

eine Vielheit von Objekten unter­

welchen

gegenüber cs selbst die Einheit

123 ist, und es ist also zum empirischen Bewußtsein gelangt.

Bei noch höherem Fortschreiten der Entwick­

lung, wenn der innere Reichthum so groß gewor­ den ist, daß das Individuum, das Ich, sich selbst,

als Objekt anzuschauen vermag, entsteht das Selbst­ bewußtsein.

Das

Gottesbewußtsein tritt ein,

wenn das

Individuum diese Stufen durchlaufen hat und in

geistiger Versenkung, oder in der That und Wahr­ heit zurückkehrt zum Sein alles Seins, zum Wesen

aller Wesen.

Keine Art des Bewußtseins, wenn sie einmal entwickelt ist,

geht mehr unter.

Es versteht sich

daß hier vornämlich vom empirischen und Selbst­

bewußtsein die Rede sei.

Man hat den natürli­

chen Schlaf, das Schlafreden, Nachtwandeln, Fie­

berhitze, Raserei, Ohnmacht, Delirium, Scheintod, ja die Trunkenheit angeführt, um daraus den Beweiß zu führen, daß das Bewußtsein periodisch untergche und wiederkchre.

Aber in den meisten wo nicht in allen Fällen, in welchen das Bewußtsein sollte verloren gegan­ gen sein,

ist es nur Mangel des Gcdächtyißes,

fehlende Erinnerung, der Mensch weiß nicht mehr, er gedenkt, er erinnert sich dessen nicht, was in sol­ chen Zuständen mit ihm vorgcgangen, was er ge­

than, was er gewollt hat und was geschehen ist.

124 Das Schlafreden und der Traum und selbst die verschiedenen Stufen der Entäußerung mensch­ licher Würde durch Trunkenheit sind die Beweise, daß das Bewußtsein nicht verloren war.

Das Er­

wachen des Scheintodten mit Erinnerung an Alles

Vorgegangene ist der klarste Beweis, und wir be­ haupten es, daß in andern Fällen nicht das 95es wußtsein, nur die Erinnerung fehle. Der Mensch lebt, handelt in solchen Fällen

bewußt fort,

aber das klare Bewußtsein ist um­

dämmert vom Nebel der Leiblichkeit, es wird dun­

kles, latentes Bewußtsein, oder nach unserer Ansicht

das Selbstbewußtsein sinkt zum empirischen, ja bis zum Wcltbewußtsein herab. Das Bewußtsein selbst aber geht nicht unter

im ganzen Leben und dauert vom Ende des Zeu­

gungsaktes bis zum Anfänge des Todesschlafs.

Gemüth. Gemüth ist diejenige Thätigkeit unserer Seele,

die der inhaltvollen Tiefe entspricht, die dem Be­

wußtsein und seiner Ruhe näher, durch Empfangen von Außen her ein Empfinden und Fühlen, das Zuständlsche

ihrer

der

Seele bezeichnet,

Entwicklung

im

einzelnen

und geht

in

Individuum,

125 wie

im ganzen Geschlechte,

der Entfaltung des

Geistes der Zeit noch voraus, während der Geist

als das Thätige und nach Außen Handelnde spä­ ter erscheint, und näher

an dem Willen gelegen

besteht.

Gemüth und Geist, die mittleren Faktoren des

Seelenlebens,

stehen

sich gegenüber zwischen Be­

wußtsein und Wille, wie Bewegung und Sinnlich­

keit zwischen Bildungs - und Nervensystem. Der Inhalt des Gemüthes ist Empfindung,

diese

vier

Stufen machen den gesammten Inhalt des

Ge­

Gefühl,

Trieb und Stimmung, und

müthes aus.

1.

Empfindung.

Das Empfinden ist eine Zurückdrängung des Strebens

des Individuums

von der Außenwelt,

und dieses Zurückdrängen geschieht im Sinnorgan. Die Möglichkeit zu empfinden ist der Sinn,

der

Eindruck geht vom Gegenstände aus und der erste Reiz der Außenwelt giebt den ersten Eindruck.

Die Formen der Empfindung sind die Lebens­ empfindung, gußere und innere Sinnes - und die

Allgemein - Empfindung. Ehe verschiedene Sinne

sich

entwickeln und

verschiedener einzelner Eindrücke fähig werden, giebt der Gesammteindruck von Luft, Wärme, Licht, Schall

u. s. w. bei unentwickeltem oder ungeübtem Sinn-

126 Organ oder bei Undeutlichkeit des Eindruckes eine Gesammtempfindung, welche Lebens- oder DaseinsEmpfindung heißt.

Diese ist eine einfache Empfin­

dung, geht aber über in die Empfindung des äus­ ser» und innern Sinnes.

Die äußere Sinnesem-

pfindung wird bedingt von dem Eindruck der Aus­ senwelt, in der innern Sinnesempfindung

ist das

Subjekt selbst thätig und die Empfindung vollendet

sich in der Allgemeincmpfindung, die nach Entwick­ lung der Sinnen mehrere oder alle Eindrücke kon-

zentrirt und nur von der Lebensempfindung dadurch verschieden ist, daß jene vor, diese nach Entwicklung

der einzelnen Sinnen cintritt. Da die Lebenscmpfindung eine

so ist sie selbst dunkel

unbestimmt,

einfache ist,

analog dem

Wcltbewußtsein, und da die Vielheit qualitativer

Verschiedenheit bei noch nicht geschehener Entwick­ lung der Sinnen nicht vorhanden ist, so hat diese Empfindung nur quantitative Differenz, als: Alienation, Depression, Eraltation, Modifikation des vorhandenen Zustandes, da die äußere Einwirkung

nur unbestimmte qualitätslose Wahrnehmung ver­

anlassen kann. Der äußere Sinn und

die äußere Sinnes­

empfindung besteht im Tasten, Schmecken, Hören und Sehen,

wie bei der Darstellung der Anato­

mie des Sinnensystems schon gezeigt worden ist.

127

Was die innere Sinnesempfindung sei, das ist nun die Frage. Man hat viel vom innern Sinne gesprochen, ohne sich darüber klar zu werden Der innere Sinn ist aber ebenfalls Wahrnehmung wie der äußere, und seine Worte sind: Erregbarkeit, Aufmerksamkeit, Beurtheilung und Unterscheidung. Wie passend diese Eintheilung des innern Sinnes sei, ergiebt sich daraus, daß die innern Zustände des Individuums durch die angegebenen Funktionen beobachtet und empfunden werden. Es kann schon der äußere Sinn von äußern Eindrücken keine Wahrnehmung gewähren, ohne diese Funktionen des innern Sinnes; wird aber erst das Individuum mit seinen innern Zuständen sich selbst Gegenstand der Wahrnehmung, so kann es nur durch diesen innern Sinn geschehen. Man sieht aber auch hier sogleich, wie neben dem Bewußtsein auch der Wille schon in die ersten Glieder des Gemüthes, in die Empfindung, han­ delnd eingreift; denn, wenn auch der erste Ein­ druck der Außenwelt unwillkührlich ist, so ist die Aufmerksamkeit und Beurtheilung stets schon Re­ sultat des Willens. Die Allgemeinempfindung, die wieder eine einfache und zusammenfaßende ist, ist eine qualita­ tive, eraltirte, deprimirte, quantitative. Es ergiebt sich aber hier wie in der Vor­ stellung, von der bald die Rede sein wird, wie

128 alle Erkenntniß von der Sinnlichkeit ausgeht, und

alles geistige Leben sich aus äußerm und innerm Sinne entwickelt.

2.

Gefühl.

Das Gefühl entspringt auS der Empfindung, indem

diese sich bewußt

wird und

nehmung eines Zustandes giebt.

die Wahr­

Das Gefühl ist

dadurch verschieden von der Empfindung,

daß die

Empfindung ein Vermögen der Seele ist, hingezogen oder affizirt zu werden von äußern oder innern

Objekten und zum Auffaßen derselben, welches Auf­ faßen Statt findet ohne das Angenehme oder Un­

angenehme

davon wahrzunehmen.

Dadurch steht

das Gefühl um eine Stufe höher als die Empfin­ dung, daß hier der Empfindung die Beziehung des

empfundenen Gegenstandes zur wahrnehmcnden Per­ son beigeseüt wird.

Die Empfindung nimmt den Gegenstand wahr, da- Gefühl bestimmt sein Verhältniß zum wahr­

nehmenden Subjekte,

und das

Wahrnehmen be­

stimmter Zustände einer erhaltenen oder ermangeln­ den geistigen oder körperlichen Bestimuiuiig ist das Gefühl. Jeder Zustand des Individuums ist körperlich

oder geistig und dem Individuum zusagend oder

nicht.

Körperliches und geistiges Gefühl mit Lust

oder Unlust sind also die vier Arten der Gefühle,

129 Das erste ist Selbstgefühl

in Wahrnehmung indl-

vidueüer Persönlichkeit, körperlicher oder einzelner,

das letzte ist Wcltgefühl,

Wahrnehmung geistiger

oder universeller Zustände, beide aber unter dem Charakter der Lust und des Schmerzes, so daß das

Schema der Gefühle heißt: Selbstgefühl, Schmerz­ gefühl, Lustgefühl, Weltgefühl. Das Selbstgefühl als Gefühl leiblichen Da­

seins und

erscheinender Persönlichkeit im fühlen­

den Subjekte, und verschieden von der Lebenscm-

psi'ndung dadurch, daß alle erhaltene Bestimmungen auf das fühlende Subjekt selbst bezogen werden,

theilt sich in Lcbensgefühl, Zustandsgefühl, Wir­

kungsgefühl und Befriedigungsgefühl.

Die unter dem Selbstgefühle bezeichneten Ge­ fühle gehen nun auf die physische Natur des Sub­

jektes über, z. D. das Befriedigungsgcfühl,'als Sättigung nach Hunger und Durst, Ruhe nach Er­

müdung, Befriedigung der Geschlechtslust u. s. w.,

während

diese Momente vorher als Zustandsge­

fühle erschienen waren — sie verlieren sich aber

allmählig in die Physiologie, deren Abgränzung von der

Psychologie, wie oben schon gezeigt wurde,

willkührlich ist.

Das Lustgefühl ist erschöpft in Liebe, Freude, Hoffnung und Entzücken.

Liebe das Umfassendste, die allgemeinste An­ ziehung der Natur und des Geistes, des Menschen

9

130 höchstes Gebot und Bedürfniß; Freude daS wohl­ thuende Gefühl über die Erreichung deß geliebten

Gegenstandes, Hoffnung die Erwartung künftiger Freude, und das Entzücken verklärt alle drei alS

höchster Ausdruck erlangten Wunsches. Das Schmerzgefühl steht gegenüber, als Haß Traurigkeit, Furcht, Entsehen. Haß als Abneigung eng sich abschließend wo

Liebe sich erweitert,

abstoßend wo jene anzieht,

Traurigkeit das Mißbehagen über gegenwärtigen

Schmerz, Furcht Besorgniß vor zukünftigem Uebel,

Entsehen höchster Ausdruck des Schmerzes. Weiter verfolgt zerfallen diese

Glieder des

Lust - und Schmerzgefühles wicdennn: Liebe in Verehrung, Zuneigung, Anziehung, Freundschaft,

Freude in Zufriedenheit, Fröhlichkeit, Heiter­ keit, Lebenslust, Hoffnung in Sehnsucht, Duldung,

Glaube,

Zuversicht,

Entzücken in Ueberraschung, Erfüllung, Ge­

währung, Stetigkeit; und gegenüber diesen lieblichen Töchtern dtr

Lust die Kinder des Schmerzes: Haß in Verachtung, Abneigung, Widerwillen,

Feindschaft,

Traurigkeit in Trübsinn,

Schwermuth,

Kummer,

Gram,

131 Furcht in Bangigkeit, Angst, Ahnung, Verzagen,

Entsetzen in Schrecken, Grauen, Verzweiflung Ohnmacht. Die entsprechende Stellung dieser Worte, daß,

z. D. die Glieder der Hoffnung wie die der Furcht

in der Zukunft liegen,

Seeligkeit und Ohnmacht

als die Extreme der Lust und des Schmerzes Zeit und Raum aufheben u. s. w., lehrt mehr als wei­

tere Erklärung. Das letzte Glied des Gefühles, das Weltge­

fühl, entfaltet sich als Naturgefühl, Kunstgefühl, Wis­ senschaftsgefühl, Religkonsgcfühl. Unter Naturgefühl ist das höhere verstanden,

das Kunstgefühl ist das ästhetische, das Wissenschafts­ gefühl das scientifische,

giebt der Wissenschaft sich

hin ohne sie klar zu erkennen,

und beide gehören

unter das Weltgefühl, weil sowohl die Kunst in

plastischer Schöpfung als die Wissenschaft in ratio­ neller Erkenntniß die Nachbildung der Welt ver­

suchen, und das Religionsgefühl zieht die Idee deS

Glaubens und der Gottheit an.

3. Trieb. Das Gefühl stellt eine Lage, einen Zustand

des Subjektes dar,

der nach dem Charakter alles

Fuhlens angenehm oder unangenehm ist.

Es will

nun das fühlende Subjekt im Zustande der Wohl­ behaglichkeit verbleiben, oder der Unannehmlichkeit

sich entwinden.

Dieses erweckt eine Aktion, ein 9’-*

132 Begehren.

Das

gefühlte Bedürfniß erstrebt der

Trieb. Aller Trieb erscheint als Selbsttrieb/ abstoßen­ der Trieb, anziehender Trieb und Welttricb. Der Selbsttrieb beschrankt sich blos auf die

nächste Beziehung des Individuums als individuel­ les Begehren für die eigene Existenz, und zerfällt in den Lcbenstricb, Erhaltungstrieb, Bewegungs­

trieb und Geschlcchtstricb. Der Lebcnstrieb ist der Trieb da zu sein und

schließt die Bedürfnisse des Leibes in sich, soweit diese aus der Physiologie hieher gezogen werden

wollen,

der Erhaltungstrieb strebt, den erlangten

behaglichen Zustand zu erhalten, der Bewegungs­

trieb strebt das Uebel abzuwenden,

und der Gc-

schlechtstrieb ist das Streben, das an die Endlichkeit

gebundene und daher der Vernichtung unterworfene Individuum durch die Gattung zu erhalten,

und

steht somit dein Lebcnstriebe gegenüber, in welchem das

Individuum

durch

Befriedigung

natürlicher

Bedürfnisse sich selbst erhält.

Der abstoßende Trieb zerfällt in Zerstörungs­ sucht, Rachsucht, Wildheit, Wuth.

Die Zerstörungssucht strebt alles Unangenehme zu vernichten, die Rachsucht sucht Böses mit Bösem zu vergelten, Wildheit bedeutet hier das, was man

mit Unkultur bezeichnen möchte, und ist ein Begriff, für den mehr die Stufe als das Wort gefunden

133 ist.

Wuth ist der aus sich selbst herausgctrctenc

bis zum Aeußersten gesteigerte Trieb zu vernichten

und zu schaden. Der anziehende Trieb zieht Alles an,

was

der Mensch will, und in wessen Besitz er zu treten

wünscht, und gestaltet sich als Freßsucht, Habsucht, Herrschsucht, Hochmuth.

Die Frcßsucht auf der niedersten Stufe will Alles in sich selbst aufnehmen, verschlingen, und

bei Kindern und bei Geistesarmen ist cs das ein­

zige Streben gegen die Außenwelt, sie zu essen. Was

die Freßsucht

nicht verschlingen

kann,

will die Habsucht besitzen, und was die Habsucht nicht besitzen kann, das will die Herrschsucht ihrer

Willkühr unterordnen,

will cs beherrschen.

WaS

sich aber auf keine Weise untcrordnen und sich be­

herrschen läßt, darüber erhebt sich und setzt sich selbst

im eitlen

der Hochmuth

Dünkel über

die

Außenwelt. Diese Stufen

der Triebe zerlegen sich aber

weiter gleich den Gliedern der Gefühle. Im abstoßenden Triebe zerfällt: Die Zerstörungssucht in Uebermuth, Ausge­

lassenheit, Rohheit, Prahlerei,

die Rachsucht in Unwillen, Zorn, Bosheit, Schadenfreude, Die Wildheit in Unbarmherzigkeit, Grausam­

keit, Blutgier, Hartherzigkeit,

134 die Wuth in Mordlust, Sreitsucht, Raufsucht,

Raserei.

Gegenüber zertheilen sich die Glieder des an­ ziehenden Triebes: Die

Freßsucht

in

Unmäßigkeit,

Völlcrci,

Schlemmerei, Näscherei, die Habsucht

in Geiz,

Betrug,

Eigennutz,

Neid,

die Herrschsucht in Unverträglichkeit, Bedrückung, Despotismus,

Tyrannei,

der Hochmuth in Anmaßung,

Stolz,

Ein­

bildung, Eitelkeit. Daß in der Stellung dieser Worte das ideelle,

am

Meisten

geistige

Glied als

das

letzte

und

höchste gesetzt ist, und auch Trieb und Leidenschaft

sich durch den Geist vollenden, bedarf wohl kaum bemerkt zu werden. Man wird hier die besondere Aufzählung der

Leidenschaften vermissen, so wie im Vorhergehenden

Es möge aber genü­

die Berührung der Affekte.

gen anzuführen, daß Affekte nichts sind, als beson­

ders hervorgehobene Gefühle, und Leidenschaft nichts ist,

als

der

bis

zum

Erzcntrischen

gesteigerte

Trieb.

Der Welttrieb geht auf die Gesammtheit der äußern Welt, oder sucht dieselbe im Innern des Individuums

nachzubilden.

Es ist dieser

Trieb

135 die Richtung dcö Lebens, über seine eigne Indivi­ dualität hinaus auf das Ganze zu wirken,

oder

dieses im Einzelnen zu begreifen und nachzubildcn. Es

ist dieser Welttrieb

Naturtrieb,

Kunsttrieb,

Wissenschaftstrieb, Rcligionstrieb. Der Naturtrieb ist der veredelte, der Zug die Neigung zur Natur, gegenüber dem Naturgcfühl;

der Kunsttrieb ist entweder

der plastisch produzi-

rende oder der genießende, der Wissenschaftstrieb ist das Streben nach Erkenntniß, und der Religions­ trieb der Drang nach

dischcn,

dem Erhabenen, Ueberir-

Göttlichen.

4. Stimmung. Das Letzte des Gemüthes ist die Stimmung. Diese faßt zusammen, was im ganzen Gemüthe enthalten ist, und giebt den Gesammteindruck des

ganzen Gemüthes.

Je nachdem die Empfindung den Stoff ge­ währt, das Gefühl diesen behaglich oder unbehag­ lich findet, und der Trieb das Angenehme zu errei­

chen, das Schmerzliche zu entfernen vermag, dem­ nach fällt die Stimmung aus.

Die Stimmung

ist Totalaffektion des Gemüthes, die wie oben ge­ zeigt, dessen ganzen Inhalt zusammenfaßt. Man theilt auch die Stimmung in eine finn-

liche, künstlerische, wissenschaftliche, religiöse.

136 Die sinnliche Natur aber zerfällt in Mineral, Pflanze, Thier und Mensch; die Kunst in Poesie, Musik, Malerei und Plastik;

die Wissenschaft in

Jurisprudenz, Medizin, Theologie;

Philosophie,

die Religion in Naturreligion, Bcrnunftreligion, Aberglaube, Offenbarung, und nach dieser Stufen­

eintheilung lassen sich auch die Funktionen des Ge­ müthes,

die Empfindungen, Gefühle, Triebe und

Stimmungen bezeichnen. Diese Eintheilungen gewinnen aber mehr km

Folgenden

bei

Entwicklung

Idee erst

ihre

Seelenlebens ist

der

der

wahre Bedeutung.

G e i ft. Die

dritte Stufe des

Geist, dem empfangenden Gemüthe gegenüber das

Handelnde, Erkennende, Zeugende.

Geist ist Licht,

Gemüth ist Warme, daher auch die Sprache rich­

tig von heißem, warmen Gemüthe und Hellem kla­ ren Geiste redet.

Abgesehen von allen andern Be­

deutungen, die man sonst dem Worte Geist unter­

legen könnte,

ist er hier das erkennende und den­

kende Prinzip der Seele.

Der Inhalt des Geistes besteht in Vorstellung, Anschauung, Begriff und Stufen sind

Idee, nnd

diese

vier

die Entwicklungen des Geistes und

machen seinen vollen Reichthum aus.

137

1. Vorstellung.

Vorstellung ist die erste Stufe der Nachbildung objektiver Wcltform im Subjekte, und ist nur mög­ lich durch den in das Leben getretenen Gegensatz von Subjekt und Objekt, also Bewußtsein; Vor­ stellung ist aber dadurch verschieden vom Bewußt­ sein, daß dieses die allgemeine Athmosphäre ist, in welcher alles geistige Leben sich regt, Vorstellung aber nur das (Einzelne. Bewußtsein ist das All­ gemeine , die Möglichkeit aller besondern Geistes­ thätigkeiten, aus welcher die einzelnen in ihrer Geschiedenheit hervortreten. Diese erste Stufe des Geistes, die Vorstellung, ist elementarisch, sie faßt die Elemente der Dinge auf, bezieht sich auf Einzelnheiten, führt den Ge­ genstand dem Geiste vor, wie er ihr selbst objektiv geworden ist, sei er innerlicher oder äußerlicher; sie liefert, sie erzeugt dem Geiste Stoff und Material. Die Glieder der Vorstellung sind: AuffaßungsVermögen, äußerer Sinn, innerer Sinn, Erkennt­ nißvermögen. Zum Vorstellen ist erforderlich das geistige Subjekt, ein Objekt, die Richtung des Geistes da­ rauf, und das daraus entstandene Produkt, wodurch der Gegenstand dem Geiste zur Erkenntniß wird, ist die Vorstellung. Das Objekt ist immer etwas Sinnliches in der Wirklichkeit Gegebenes, vom vorstellenden Sub-

138 feste Geschiedenes, obgleich int höhern Denken der Geist stch selbst Objekt werden kann. das Objekt äußeres,

Es ist also

wenn es aus der sinnlichen

Welt kommt, und inneres, wenn das Denken selbst

sich zum Gegenstände wird.

Soll nun der Mensch

in seiner Vorstellung

nachbilden was in und außer ihm eristirt, so muß auch Innen - und Außenwelt der Vorstellung offen

liegen. Die Fähigkeit die Gegenstände in den Geist

aufzunehmen, heißt Auffaßungsvermögenz

ist aber

aller Gegenstand, welcher immerhin der Vorstellung geboten werden mag,

stets ein sinnlich gegebener,

und dieser äußerer oder innerer, so wird der äußere

Gegenstand vom äußern,

der innere vom innern

Sinne aufgefaßt, und das Resultat dieser Auffaß-

ung durch äußere und

innere Sinnlichkeit ist die

Erkenntniß. Das Auffaßungsvermögcn also und seine bei­

den Richtungen auf das äußere und innere Objekt,

als äußerer und innerer Sinn,

mit der daraus

entspringenden Erkenntniß machen den Inhalt der Vorstellung aus. Das

Auffaßungsvermögen selbst könnte wie­

derum, je nachdem es die äußere oder innere Rich­

tung verfolgt,

und geistigen oder sinnlichen Ein­

druck zu perzipiren hat, eingetheilt werden in sinn­

liches, äußeres, inneres, geistiges.

139 Der äußere Sinn

zerfällt in Gctaste, Ge­

schmack, Gehör, Gesicht, wie unter Darstellung der Anatomie schon gezeigt wurde, und wir vernehmen mit doppelten Sinnorgancn einfach, weil die Vor­

stellung des Gegenstandes eine einfache ist, und das

wahrnehmende Subjekt auch von doppelten Sinnes­ eindrücken nur einfach modifizirt wird. Dem innern Sinne gaben wir bei Abhandlung der Empfindung die Prädikate, die der Sinn­

lichkeit im Allgemeinen mehr zukommcn.

und der höheren um so

Diese sind

Erregbarkeit durch

den Eindruck, wodurch das freie Prinzip zur Ge-

gcnwirksamkeit gereizt wird, und diese erscheint ver­

möge des darauf gerichteten Willens als Aufmerk­ samkeit; dieser folgt, ebenfalls veranlaßt vom freien Prinzipe, die Beurtheilung, und nun ergiebt sich die

Unterscheidung, wodurch erst das Wesen der Wahr­ nehmung erschöpft wird.

Wie sich aus dem vorhergehenden ergiebt, ist der äußere und innere Sinn auch das zweite und dritte Glied der Empfindung,

stellung.

wie hier der Vor­

Empfindung und Vorstellung sind aber

die ersten Stufen,

jene des Gemüthes, diese des

Geistes, Gemüth und Geist entspringen lalso aus

gleicher Wurzel, der äußern und innern Sinnlich­ keit.

Diese

äußere und innere

Sinnlichkeit er­

scheint hiemit in genetischer Entwicklung als Ur­ sprung und Wurzel aller Seelenthätigkeiten, und

140 nachdem der Einfluß von Bewußtsein und Wille auf Empfindung und Vorstellung nachgcwiescn wor­ den ist, so

ist durch die Darstellung dieser beiden

Stufen auch der Beweis geliefert,

daß alle See-

lenfunktionen zwischen Bewußtsein und Wille schwe­ ben und diese wirklich die Grundfaktoren alles See­

lenlebens sind. Der Vorstellung viertes Glied ist das Erkennt­

nißvermögen.

In der Erkenntniß verschwinden die

aufgcfaßten Einzelnheiten der Gegenstände und bil­

den ein Ganzes. Das Mannigfaltige ist hier schon,

so weit es für diese Stufe paßt, zur Einheit ver­ knüpft, und das Erkenntnißvermögen selbst ist em­

pirisches, objektives, subjektives, rationales.

2. Anschauung.

Was die Vorstellung als Einzclnhcit aus dem

Leben der Dinge in sich ausgenommen hat, wird in der

Anschauung zusammen in

betrachtet,

ruhigem

Bestehen

ehe der trennende Begriff es zerreißt

und sondert.

Die Anschauung tritt hier in höherer

Würde als gewöhnlich auf.

Sie

entfaltet das von der Vorstellung gelie­

ferte nach seinem ganzen Umfange, betrachtet den Gegenstand

nach

allen

Seiten

und Richtungen,

legt dem Geiste das Material zur Uebersicht und Untersuchung dar, hebt Dieses oder Jenes beson-

141

ders hervor, ist gleichsam das Magazin des Gei­ stes, woraus er sein Bedürfniß wählt. Die Glieder der Anschauung sind die Ein­ bildungskraft, Erinnerung, Gedächtniß und Phan­ tasie, unter denen Einbildungskraft und Phantasie nur Neues schaffen, zum vollständigen Reichthum des Geistes aber Erinnerung und Gedächtniß das 2(fte wiederholen. Die Einbildungskraft durch eigene innere Thätigkeit, ohne Wechselwirkung der äußern Sinnen und Gegenstände, Bilder hcrvorrufend und der Anschauung darstellend, mehr der räumlichen Er­ scheinung entsprechend, lieber Bilder als Thaten betrachtend, zerfällt in die unwillkuhrliche, produk­ tive, reproduktive und freischaffende.

Die reproduktive kann dem Geiste gehabte Bilder zurückrufen, schließt sich der Erinnerung an, die produktive erschafft selbst Neues, gränzt an die Phantasie, beide aber stehen unter dem Charakter der Unfreiheit und der Willkühr, ob nämlich die Bilder und Anschauungen sich nach der Bestimmung des freien Willens oder unwillkührlich, wie meist bei poetischen Produktionen, entwickeln. Erinnerung wie das Gedächtniß, mehr in die zeitliche Entwicklung eingehend, mehr an Ercigniße und Begebenheiten sich haltend, vermittelt die Vergangenheit mit der Gegenwart.

142 Wesentlich kommen allerdings diese Momente

auch dem Gedächtniß zu, es unterscheidet sich aber die Erinnerung von dem Gedächtniß dadurch, daß

erstere die Dinge nur unwillkührlich wiederholt, den

Gegenstand oft nur unvollständig giebt,

während

das Gedächtniß mehr der Freiheit und Wiükühr untergeordnet ist und die Dinge vollständig rcproduzirt.

Die Erinnerung zerfällt in Achtsamkeit, An­ reihung, Wiederholung und Verknüpfung, und die­ ses sind die Momente, namentlich die beiden mitt­

leren, welche oft gegen Wunsch und Absicht Dinge reproduziren, die man der Vergessenheit zu über­ lassen wünschte, oft aber auch das Gesuchte nur mi-

deutlich und unvollständig wiedcrgeben.

Das Gedächtniß gestaltet sich als Personen Orts - Zahlen - und

Sachgcdächtniß;

denn alles

Ding ist entweder Person oder Sache uud eristirt in Zeit und Raum.

Die Phantasie ist das Vermögen der Ideale. Sie unterscheidet sich dadurch von der Einbildungs­ kraft, daß ihre Produkte das Gepräge der Allheit,

Universalität und

Vollständigkeit an

sich tragen,

während die Formen und Bilder der Einbildungs­ kraft mehr auf dem Boden der Einzelnheit und Beschränktheit wurzeln.

Die Glieder der Phanta­

sie sind: Ersindungsgeist,

Künstlergenie,

schaftssinn und Begeisterung,

Wissen­

143 Selbst die Entwicklung ihrer Gliederung trennt und erhebt die Phantasie bei

Weitem über

die

Einbildungskraft. 3.

Begriff. ist

Diese Stufe

die

wisienschaftliche,

wenn

man die vorhergehende die künstlerische nennen will. Es enthält diese dritte Stufe

höhere Denkvermögen,

des

Geistes

das

weil das Denken jetzt mit

sich selbst in Wechselwirkung tritt. Es ist aber hier nicht vom gewöhnlichen Begriffe die Rede, sondern es handelt sich von der ganzen Stufe des konsequenten

wiffenschaftlichen Denkens, der logischen Geistesthätig-

keitcn, und es verhält sich diese Stufe des Denkens

zum gewöhnlichen Denken ungefähr wie das Selbstbe­

wußtsein zum gewöhnlichen Bewußtsein, indem hier das Denken sich selbst zum Gegenstände des Ge­

dachtwerdens wird.

Der gcrvöhnliche

Begriff zeichnet sich

durch

Sichten und Sondern aus, sondert nach Gattungs­ und Geschlechtsmerkmalen, sammelt das Vorgestellte und Angeschaute

nach allgemeinen Regeln

durch

Verbindung und Trennung und Beziehung der we­ sentlichen und unwesentlichen Unterschiede.

Diese eben bezeichneten Verhältnisse des ge­

wöhnlichen Begriffes kommen zwar auch auf die­

ser Stufe vor, jedoch nur untergeordnet, für dieselbe nicht erschöpfend.

und sind

144 Vorstellung

ist

das

Verknüpfen der Wahr­

nehmungen zur Einheit, Begriff ist das Verknüpfen

der Vorstellungen zur Einheit. Die

Glieder

des Begriffes

stnd

Verstand,

Klugheit, Urtheilskraft, Vernunft Der Verstand ist das Vermögen des Einvcr-

stehens, Zusammenfassens,

des Begreifens,

Zersetzens eines Gegenstandes

des

in einzelne Merk­

male und des Verbindens derselben zu neuen all­ gemeinen Begriffen.

Der Verstand selbst wie er hier bezeichnet ist, zerfällt in die Perzeption, als

Zusammenfaffen,

Erhebung einer Theilvorstellung zum Ganzen, Ber-

standeserkenntniß;

in

die

Reflexion, eine Ver­

gleichung der gemeinschaftlichen Merkmale, ein Gegenüberstcllcn der einzelnen Thcilvorstellungcn, wo

jede einzelne gegen die andere abgewogen mit ihr

verglichen wird; in die Abstraktion, als das eigent­

liche Absondern oder zusammenfassendc Vergleichung

der einzelnen gemeinschaftlichen Merkmale und Un­

terschiede, wobei die wesentlichen übereinstimmen­

den Eigenschaften hcrausgehoben, die unwesentlichen disharmonirenden beseitigt werden;

in die Com­

bination, in welcher Vorstellungen, die sich sonst ausschließen, durch Aufnahme in eine höhere Ein­

heit wieder verbunden werden. Klugheit. Dieser Begriff, von dem mehr die Stufe

als das rechte Wort gefunden ist, bedeutet hier prak-

I4L tische Urthellskraft gegenüber der wissenschaftlichen. In geistigen Prozessen ohne

völlig klar zu werden,

sich

deiiüwch

des Herganges

beit

Gegenstand

richtig zu beurtheilen, ist die Sache der Klugheit

— was man sonst mit Lcbensklughcit, praktischem Sinn u. s. w. bezeichnet. Diese Klugheit ist das Weibliche,

wie das

Gemüth, und häufiger bei dem Weibe, als beim Mann, sie macht den Charakter des Weibes aus,

verhält sich zu der ihr gcgcnüberstehendcn Urtheils­

kraft, wie das Gemüth zum Geiste.

Ihre Glieder sind Sinn, Wih, Scharfsinn und Tiefsinn.

Der Sinn ist hier als Anlage, als Kopf, Takt

u. s. w. zu begreifen, als Fähigkeit ohne langes Denken und klares Bewußtsein bald das Rechte zu finden;

der Witz

ist es,

der mit obersiächlichen

Aehnlichkeitcn ohne tiefe innere Begründung spielt;

der Scharfsinn findet Aehnlichkeitcn und Diffirenzcn der Dinge, die der gewöhnliche Verstand nicht mehr sicht; und der Tiefsinn, aber nicht der hy­

pochondrische und melancholische, sondern der wirk­ lich tief blickende, ist es, der das Gründliche und

Wahre der Dinge erkennt. Die Urtheilskraft

steht der praktischen Klug­

heit als das Gebiet des theoretischen Wissens ge­

genüber, und sie ist das Feld der Logik.

Es han­

delt sich aber hier nicht um die logische Form des 10

146 Urtheil- und dessen Hergang, fonbcm um die gei­

stigen Funktionen, dasselbe zu erzeugen. Zum Urtheile gehören zwei VorsteÜungen, die

von der Anschauung dem Geiste vorgehalteu werden müßen, von denen die eine eine allgemeine ist, weitere Ausdehnung hat, die andere eine besondere

ist,

geringere

Ausdehnung besitzt;

entsteht noch kein Urtheil;

aber dadurch

sondern erst durch das

flufmerffame Betrachten, die wechselseitige Beziehung und die freie Bestimmung,

wodurch Verbindung

oder Trennung ausgesprochen wird, wird das Ur­ theil gebildet.

Dieses

geschieht unter

dem Verhältnisse der

Ähnlichkeit und Uebereinstimmung, oder der Ver­

schiedenheit und des Gegensatzes,

ist das Urtheil verbindend,

von

was

der

im ersten Falle

im zweiten trennend,

freien vergleichenden Bestimmung

ausgeht, die zuletzt den Ausschlag giebt. Das Erwägen im Geiste ist des Urtheils Erstes,

dann

tritt

die

gegenseitige Beziehung und

Be­

trachtung verbindend und trennend ein, und end­

lich führt die Vergleichung zum Resultate, so daß also die Glieder der Urtheilskraft bestehen: in Denk­ kraft,

Verhindungs- und Trcnnungs- und Ver-

gleichungs - Vermögen.

Die Vernunft ist das Vermögen, das Man­ nigfaltige zu noch höherer Einheit zu verbinden.

147 als es durch Verstand, Klugheit und Urtheilskrast ge­ schehen kann. Der Verstand wird Einheit der Vorstel­

lungen durch den Begriff im gewöhnlichen Sinn, die Vernunft ist Einheit der Begriffe durch Prinzipien.

Wenn der Verstand auf unserer Begriffsstufe Gedanken und Anstchten bildet,

die die Lebensklugheit unbe­

wußt, die Urtheilskraft aber mit Bewußtsein und

Klarheit nach Grundsätzen ordnet, trennt und ver­ einigt, also Urtheile bildet z so erhebt sich die Ver­

nunft zu

Schlüßen, und vollendet hiedurch die

höchste Form der relativen Wahrheit, die aus For­ men des menschlichen Denkens gebildet, nur in so

ferne wahr ist, als der Grundsatz richtig ist, von

dem sie abgeleitet wurde. Die Vernunft hat schon Totalität der Bestim­

mungen, während im Verstände nur noch Partialität herrschend ist.

In dieser Hinsicht ist also die Vernunft das Vermögen der Prinzipien, Prinzip aber ist, waS

ein ganzes System von Begriffen zur Einheit ver­

bindet.

Das Prinzip hat Totalität für den gege­

benen Fall, aber noch keine absolute Wahrheit und

Universalität, diese liegt erst in den Ideen. Die Vernunft ist es, und durch

die die Urtheile prüft

Schluffe sich zur Erkenntniß verhilft.

Ihre Glieder sind daher Forschungsgeist, Unterordnung, Ausschließung, Schlußvermögen.

14$ 4- Idee. Die Idee ist das Höchste, wozu der Geist sich

erhebt, in der er Alles umfaßt, was ihm gegeben

worden ist.

Die Idee ist universell, geht von den

höchsten Prinzipien aus, sammelt die Einzelnheiten zur Vollständigkeit und Allseitigkeit und

vollendet

alles Wissen durch Zurückführung auf die Univer­

salität aller Erscheinungen und Entwicklungen des

Geistes und der Natur. Unsere Stufe der Vorstellung sammelt einzelne

Dinge, Gegenstände und ihre Erscheinungsformen, ist Einzelnhcit;

die Anschauung legt ihren erhal­

tenen oder sclbstgeschaffenen Inhalt und Reichthum dem Geiste vor, ist Mannigfaltigkeit; der Begriff

begränzt und beschränkt das Gegebene zur Geschlos­

senheit eines Ganzen, ist Zusammenfassung;

die

Zdee ist höchste Einheit, Universalität, und vollendet durch

ihre

Allseitigkeit

und

Vollständigkeit

die

Erkenntniß der Dinge.

Die

höchste

Mannigfaltigkeit

findet in der

Idee ihre höchste Einheit, und aus dieser lcztcn Einheit entwickelt sich wiederum die reichste Man­

nigfaltigkeit. Im ersten Falle ist die Idee Schlußpunkt, und die Entwicklung Synthesis, im zweiten ist die Idee

Ausgangspunkt, und die Entwicklung Analysis.

Ideen sind aber Gedanken im Verhältniß zu den Ertremen des Weltalls und

man kommt zu

ihnen durch Ableitung von der Uridee.

149 Die Zahl der Ideen

unendlich , ein jedes

Ding hat seine Idee, denn? sonst wäre cs nicht; cs giebt also soviel Idexg, als es Dinge gibt, d. h. eine Unendlichkeit. Die erste Idee aber ist Gott.

Gott hat sich

geoffenbart als Welt, dieses giebt zwei Ideen. Die Offenbarungsform ist aber doppelt, als Natur und

Geist, also sind vier Ideen.

Gott, Natur, Geist

und Welt sind die Grundideen, und jede derselben

kann sich wieder weiter entwickeln. Menschlicherweise genommen ist das ideelle Verhältniß zu Gott ein religiöses, die plastisch-ideelle

Nachbildung des sichtbaren Weltalls ist künstlerisch, die ideelle Auffaßung der Natur und des GcisteS ist wissenschaftlich, und die Welt selbst als Außen­

natur erscheint

dem Menschen als

Somit sind nun Religion,

Sinnlichkeit.

Kunst, Wissenschaft

uud Sinnlichkeit die ersten Ideen des Menschen. Es ist bereits oben am Ende der Entwicklung

des Gemüthes, bei Darstellung

der

Stimmung

angedeutet worden und wird hier wiederholt,

wie

die Religion in Naturreligion, Vernunftreligion,

Aberglaube und Offenbarung,

die Wissenschaft in

Philosophie, Jurisprudenz, Medizin und Theologie;

die Kunst in Poesie, Musik, Malerei und Plastik; und endlich die Sinnlichkeit in ihrer irdischen Er­

scheinung in Mineral, Pstanze, Thier und Mensch zerfalle — und was im Gemüthe pon der Stim-

150 mung galt, das gilt noch mehr im Geiste von der Idee, daß nämlich diese Stufen Ableitungen sind

von den Grundideen, und fortgesetzt werden können bis in das Einzelnste.

Wille. Der Wille ist

der

andere Grundfaktor der

Seele, während das Bewußtsein der erste ist. Ohne Willen ist keine Freiheit und somit kein menschlich­

Es versteht sich von selbst, daß

persönliches Wesen.

hier nur von dem freien vernünftigen Willen die Rede ist,

der sonst auch Vernunftwille, Selbstbe­ Autonomie,

stimmung,

u. s. w. ge­

Autokratie

nannt wird. Der Wille kann nicht unter das Denken ge­

stellt werden, denn er ist selbst zum Denken noth­

wendig, der Mensch bedarf zu Allem den Antrieb

des Willens und der sclbstbcstimmenden Kraft; der Wille

ist

auch

vor

dem

Gedanken

da,

denn

selbst das Denken kann nicht ohne Wille geschehen, und auch der Gedanke muß gewollt werden. Der Wille geht auch nicht vom Triebe aus;

denn wo blinder Trieb, «»gebändigt hinreißende Leidenschaft herrscht, überhaupt Trübung des Be­ wußtseins eingetreten oder dasselbe nicht zur vollen Klarheit entwickelt

ist,

auch nicht die Rede sein.

kann von

freiem Willen

151 Wenn im unentwickelten Zustande z. B. im Kinde oder bei einer Nation auf tiefer Stufe der

Kultur nur der Trieb hervortritt, ist es nicht der Wille, der aus dem Triebe entspringt, sondern es

ist der Trieb nur eine unvollkommene Offenbarung des Willens. Der Wille geht also nicht aus vom Geiste

oder der Erkenntniß, er geht nicht aus vom Ge­

müthe,

Gefühl

oder Trieb,

sondern er ist eine

Scelenfunktion für sich, und wie er der Empfin­ dung und Vorstellung vorhergehe, auf diese iiifluire, und die Wahrnehmungen des äußern und innern Sinnes, die die Wurzeln alles. Gemüthes und al­

les Geistes sind, beherrsche, ist bereits gezeigt und nachgcwiescn worden.

Wille ist aber bewußtes, selbstständiges Han­ deln ,

freie Selbstbestimmung. Die Seele steht in einem Subjekt-Objektivi­

täts-Verhältniße zur Außenwelt, diese Außenwelt als das Objekt in

und

das Subjektive

aufzunchmen

darnach bestimmt zu werden, ist das Be­

wußtsein; und die Rückwirkung des Subjektes auf

das Objekt ist

der Wille.

Beide sind ein und dasselbe Verhältniß, nur die Bestimmbarkeit ist verschieden.

Im Bewußt­

sein ist das Subjekt das Bestimmbare und das Objekt das Bestimmende, im Willen ist es umge-

152 kehrt, und daS Subjekt ist daS Bestimmende und

das Objekt das Bestimmbare.

Der Wille selbst offenbart sich in Selbstbe­ stimmung,

Nothwendigkeit,

Freiheit und

Welt­

wirkung. 1. Selbstbestimmung.

Die Richtung des Willens geht vom Subjekte auf das Objekt.

Ist es das Subjekt selbst wie­

derum, auf welches, als zum Objekte geworden,

der Wille wirkt, so daß derselbe auf das sich selbst objektiv gewordene Subjekt gerichtet ist; so ist die­ ses die Selbstbestimmung, und ihre Glieder sind

Sclbstgesehgebung, Mäßigung, Festigkeit, Selbstbe­

herrschung.

Es handelt sich hier darum, sich selbst

sein Verhältniß zu bestimmen, dasselbe aber dann

auch einzuhalten und zu erfüllen.

2. Nothwendigkeit.

Die Thätigkeit des Willens kann aber Statt finden unter zweierlei Modifikationen, der Gebun­

denheit und der Selbstständigkeit, der Nothwendig­ keit und der Freiheit.

Die Nothwendigkeit ist Abhängigkeit und Be­ stimmtheit des Einzelnen vom Ganzen. Die Glie­

der der Nothwendigkeit sind Unvermeidlichkeit, Ge­ bundenheit, Beschränkung, Zwang.

153 3.

Freiheit.

Freiheit ist Beziehungslosigkeit des Einzelnen dadurch,

daß das Einzelne innerlich selbst wieder

ein Ganzes ist, und so ist der Mensch frei, weil

er, wenn gleich äusserlich

in das Ganze verschlun­

gen, dennoch innerlich eine Totalität für sich selber bildet. Die Glieder der Freiheit sind: Selbstständig­

keit/ Ungcbundenheit, Eigenmächtigkeit, Willkühr. 4. Weltw irkung.

Wirkt der Wille auf ein Acußercs, auf das wirkliche Objekt, als Einzclnheit oder Vielheit oder Allheit der

Gegenstände, so

ist dieses die Welt­

wirkung ; denn dem Ich gegenüber steht das Nicht-

Jch, dem denkenden wollenden Subjekte gegenüber die Welt. Die Glieder der Weltwirknng sind eine sinn­

liche, nach dem Erdverhältniß gekehrte Richtung,

eine leiblich materielle, eine geistig ideelle und eine

religiöse nach dem Göttlichen gewandte. Die Wcltwirkung ist nur an die Individuali­

tät gebunden, kann daher auch vom Thiere geschehen, Selbstbestimmung aber erfordert reine Persönlichkeit.

Nothwendigkeit und Freiheit gehen in einan­ der über, wie z. B. der Glaube an eine frei er­

kannte Wahrheit nothwendige Ueberzeugung wird, und umgekehrt

die erkannte

Nothwendigkeit

und

Unvermeidlichkeit zur freien Wahl sich umgestaltet.

154 In der Gottheit fällt absolute Freiheit und

Nothwendigkeit zusammen.

Freiheit

und

Noth­

wendigkeit verhalten sich aber wie Zeit und Raum, Eines wird durch das Andere gemessen, Eines ist durch das Andere bestimmt, und beide sind in Gott unendlich, für den Menschen beschrankt;

da nun

der Mensch in sich selber ein Ganzes bildet,

aber

äußerlich in das große Ganze verflochten bleibt, so

ist

auch Freiheit

und

Nothwendigkeit

bei

ihm

nur relativ. Wie

oben vom Weltbewußtsein nachgewicsen

wurde, so erscheint auch der Wille sogleich mit der Zeugung;

denn er ist der andere Faktor des Le­

bens, die Rückwirkung des Thätigen auf das Ma­

terielle, der Seele auf ihren Leib, und er erscheint ans dieser Stufe als Bildungstrieb. Wollten wir auf die Ansichten der gewöhnlichen Psychologie eingehen,

so möchten wir ihn hier den latenten Willen heißen, gleichwie cs ein latentes Bewußtsein geben soll. Hat sich

aber der Wille als Bildungstrieb

entwickelt, ist das Kind geboren, und wirken Ein­ flüße der Außenwelt auf dasselbe ein, so erwacht der Trieb, und erst bei vorgeschrittener Entwicklung mit

dem Eintritt des Selbstbewußtseins tritt auch der Wille als Selbstbestimmung auf, und das Indivi­

duum erscheint nun als Person.

Wie das Bewußtsein nicht untergeht so lange der Mensch am Leben ist, so auch der Wille nicht,

155 und der Mensch bleibt frei bei aufgedrungener oder

selbstverschuldeter Entäußerung seiner ursprünglichen Würde.

Wie aber das Bewußtsein umdämmcrt

werden, und das Selbstbewußtsein zum empirischen, oder gar zum Weltbcwußtscin hcruntersteigcn kann,

so kann auch der Wille zum unbezwingbaren Triebe hcrabsinkcn, oder als glühende Leidenschaft als ra­

sende Wuth

hervorbrechend die Freiheit scheinbar

vernichten, und cö ist die selbstbestimmcnde Persön­

lichkeit zum wcltwirkenden Individuum geworden.

So lange der Mensch

noch handelt hat er

Bewußtsein und Freiheit nicht verloren; Menschliche

kann

zwar,

um

in

der

das rein

Sprache

der Psychologen zu reden, latent geworden,

oder

nach unserer Ansicht kann die Persönlichkeit zur In­ dividualität hcrabgcsunkcn sein,

untergchen können

sie aber nicht. In moralischer und strafrechtlicher Beziehung

hat

dieses

freilich eine ganz andere Bedeutung,

als in rein menschlicher und wissenschaftlicher.

Bewußtsein und Wille sind jedoch unzertrenn­ lich

und begleiten den

Menschen

vom Anfänge

seines Lebens bis zu dessen Ende.

Der Mensch scheint aber dem Schicksal und der Außenwelt zum Spiele hingegebcn, und muß oft er­ fahren, wie der Zufall seinen Willen bricht. Es kann allerdings der Mensch durch

sein

äußeres Verhältniß, Zeit und Ort seiner Geburt,

156 Umstände, Anlage, Triebe, Neigungen, Leidenschaf­

ten, Erziehung, Krankheiten, Lebensweise u. s. w. das nicht erreichen, was in seinen Wünschen liegt, oder er wird zu etwas ganz Anderem hingczogen,

als was er mit der ganzen Kraft seines WillenS erstrebte z der Einstuß der Verhältniße ist zu mäch­

tig,

der Kampf übersteigt seine Kräfte, die Er­

reichung des Zieles ist unmöglich — je höher aber der Kampf und das Streben, um so größer und

herrlicher ist die Tugend, und die menschliche Frei­

heit bleibt gerettet, wenn sie auch kämpfend unter­ liegt.

Am Schlüße unserer Psychologie müßen wir von

dem menschlichen

Wesen sagen, was ander­

wärts vom absoluten gemeint ist: Aus dem Kelche dieses Geisterrckchcs

Schäumt ihm die Unendlichkeit.

157

Die Welt ist Wirklichkeit. Das unendliche Leben ist Eines, allen Raum umfaßend, Wirklichkeit.

alle Zeit

erfüllend, unendlich ewige

Geist und Natur sind nicht getrennt,

sondern in ihrer Wcchscldurchdringung bilden sie

das All der Welt.

Die in Gottes Wesen gesetzte

Möglichkeit ist durch unendlichen Raum und ewige

Zeit geworden zur Wirklichkeit.

Wir haben eine

göttliche Welt, eine vom Geiste belebte Natur, einen die Natur befruchtenden Geist, und das Ur- und

erste Schema ist vollkommen entwickelt, Gott offen­ bart sich in Natur und Geist als Welt. Alles aber, was in der Welt erscheint,

Wirklichkeit, und so auch der Tod. über uns Alle kommt,

ist

Der Tod, der

ist nicht theilweiser nicht

scheinbarer Tod, sondern wahrer Tod, er vernichtet

das Individuum völlig,

und wie Alles

in der

Welt Wirklichkeit ist, so ist es auch Untergang und

Vernichtung.

158 Von der Nothwendigkeit des Todes war schon

oben die Rede,

jetzt handelt eS

sich von dessen

wahrem Vorhandensein. Der Untergang des ganzen Menschen ist also

nicht scheinbar sondern wirklich.

Außer Gott giebt

cs kein Leben, und der wahre Tod fuhrt das End­

liche zum Unendlichen, das Zeitliche zum Ewigen. Der Mensch ist nur in Raum und Zeit und

endet in ihnen, sie sind die Gränzen seines Seins und

Werdens;

als

endliches

Wesen kann

der

Mensch nicht sein, außer endlichem Raum und end­

licher Zeit, er endet daher auch in deren Schran­ ken, in bestimmtem Raum und bestimmter Zeit,

ist also nur in diesem Leben.

Wenn

wir

mit

allen unsern

Sinnen

uns

überzeugen, daß das Leben aufgehört hgt, wenn Tasten und Fühlen uns die erweichten modernden Stoffe zeigen, die den Körper im Leben bildeten;

wenn der Geruch die Fäulniß und Verwesung be­ kundet; wenn das Ohr die gährenden Bewegungen chemischer Zersetzung vernimmt; das Auge die ge-

sammte Vernichtung erblickt und den Leib in Staub

und Asche zerfallen sicht,

sollen wir dann an den

Tod nicht glauben?

Wenn das Auge erloschen ist und das Ohr erstorben, zerstört,

wenn

die

Verwesung den Gliederbau

wenn die Gebilde sich ausiösen und die

Gewebe zerreißen, sollte da noch Leben sein?

159 Das Mut ist zersetzt, die Lunge verweset, Ma­

gen und Darm ist zerstört,

das Hirn erweicht,

Herzschlag und Athem stehen still, die Glieder sind starr, alle Sinnen sind erstorben — wo sollte noch

Thätigkeit und Leben, wo Denken und Wirken sein? Der Leib, der Mensch ist todt —

Wir haben gesagt,

daß ein Wesen nicht er­

scheinen kann ohne Form, eine Form nicht ohne Wesen;

wie ein Stein nicht gedacht werden kann

ohne Cohäsion und Schwere, so kann das Indivi­ duum nicht gedacht werden ohne Leib und Seele. Ist aber der Leib todt, sollte nun die Seele

leben? sollte die Seele,

die den Körper dirigirt,

eine andere sein, als die, welche denkt? sollte die Seele,

die die Ernährung und Bewegung leitete,

verschieden sein von der,

die Wahrnehmung und

Bcwußtsetn vermittelte?

Dann gäbe es aber zwei Seelen, und man

kann ja nicht zwei oder mehrere annchmen;

denn

gerade dadurch wäre die Einheit aufgehoben,

in

der doch das Wesen der Seele besteht.

Es müßte ja dann eine Seele für die Funk­ tionen der Ernährung und Bewegung, eine andere für die Thätigkeiten des Geistes geben.

Die Seele als die Summe der Thätigkeiten ihres Körpers stirbt auch mit ihrem Leibe;

denn

alle ihre Funktionen und Verrichtungen hören mit dem Tode auf.

160 Faßt man den Punkt auf, wo alles gemüthliche Empfinden und Fühlen und alles geistige Vorstellen

und Anschaucn. aus der äußern und innern Sinn­

lichkeit sich hcrvorbildct, denn die Sinne sind das Verdauungsshstem für die Seele, die die Einflüße

der Außenwelt aufnehmen und assimiliren, so ist

auch bewießen, daß alle Gemüthes - und Geistes­ thätigkeit mit dem Erlöschen der Sinne zu Grunde

So wie eine Seelcnthätigkeit bei mangeln­

geht.

dem Sinne z. B. das Hören und die Musik bei dem Taubstummen gar nicht zum Vorschein kommt, so kann sie auch nicht fortdauern, wenn ihr Organ

vernichtet ist,

man beachte nur als einfaches Bei­

spiel die Veränderung der Sprache bei Taubgc-

wordenen. Es sind also die Seclenthätigkciten Folge der

Entwicklung und der Organisation, und müssen mit ihr zu Grunde gehn. Wollten wir mit den Supernaturalisten sagen,

die Seele reißt sich los vom Körper, sie trennt sich im Tode von ihm,

so würden wir sie zu etwas

Körperlichem machen, sie wäre ihrer Jmmaterialität, ihrer Einheit und Untheilbarkeit verlustig, was

gerade wiederum den Charakter der Seele

aus­

macht. Die Formelemente

des Leibes bleiben nicht

ohne Thätigkeit, sie verwesen, sie wandeln sich um, ihre Masse ist nicht ohne alles Leben, der Prozeß

161 der Verwesung, Gährung, Fäuliüß selbst ist nur Pro­

dukt fortdauernder Thätigkeit und Lebens, das unbe­ streitbar bei uns in den Theilen des Leibes bleibt —

sollte sich also ein anderer Theil der Seele losrcißen,

so hätten wir wiederum zwei — und Einheit und Unthcilbarkcit der Seele wäre

für immer aufge­

hoben. Oder sollen wir mit grellem Materialismus glauben, daß die Seele als Efslorcszcnz des Lei­ bes, als Produkt der Materie und der Stoffe übrig

bleibe, wenn diese wieder zerfallen; soll vielleicht die Materie ihre Seele schaffen, soll vielleicht Er­

nährung und Sinnlichkeit eine Seele erzeugen, wie sich aus Säure und Weingeist Acther bildet, und

soll diese Seele, wenn sie fertig geworden, nach dem Untergange ihres Körpers übrig bleiben? Man sicht, so lange Geist und Natur, Leib

und Seele sich gegenübcrstehen, wie die Pole eines

Magneten, kann Keines leben, Keines sterben ohne das Andere.

Es muß die Seele mit ihrem Leibe zu Grunde gehn.

Dian hat sich zur Rettung der persönlichen

Unsterblichkeit

an

das Bewußtsein gehalten

und

von diesem die individuelle Fortdauer abzuleiten gesucht, cs ist jedoch schon oben durch ausführliche Darstellung des Bewußtseins und dessen Formen

angedeutet worden, wie es um die große Katastrophe,

die wir Tod nennen, mit ihm stehen möge.

162 Das

Gottesbewußtsein tritt ein, wenn

der

Mensch die durchlaufenen Stufen des Bewußtseins aufgiebt und zurückkehrt zu Gott, in welchem sein

bisheriges Sein als Subjekt, seine Individualität,

zum Objekte des höchsten Subjekts wird.

Hat es die erste Stufe, das Weltbewußtsein, noch nicht zur Individualität und Persönlichkeit ge­ bracht, und bcgicbt sich auf der vierten das Got-

tesbewußtsein seiner Subjektivität d. h. Individuali­ tät und Persönlichkeit, um im allgemeinen Bewußt­

Gottes zu verschmelzen, so ist klar, daß in

seyn

diesen beiden Stufen individuelles Bewußtsein und Bewußtsein einer einzelnen bestimmten Persönlich­ keit weder vor, noch nach den, Tode Statt finden

könne. Die zweite und dritte Stufe aber, das empi­

rische und Selbstbewußtsein,

sind nur Momente

fortschreitender Entwicklung. Sie treten auf in der endlichen Zeit mit vollkommenerer Ausbildung des

gcsammtcn Leibes und namentlich

des Gehirnes,

sind bedingt von dieser fortschreitenden Entwicklung

der Organisation, und die normale Fehlerfreie Bil­ dung des Gehirnes muß bis zu einer ziemlichen Reife gediehen sein, ehe das Selbstbewußtsein er­ scheinen kann. Es kann nun aber durch Organisations- und

Bildungsfchler ein Individuum in seiner Entwick­ lung gehindert, ja sein ganzes Leben lang auf der

163 Stufe des empirischen oder gar des Weltbewußt­

zuruckgehaltcn werden,

seins

ohne es je bis zum

Selbstbewußtsein bringen zu können. Man vergleiche

hieher

angeborne

Dildungsfchler,

Hemmungsbil­

dungen oder Krankhcitsprodukte, und es wird sich daraus der Beweist ergeben,

daß das empirische

und Selbstbewußtsein an die Organisation gebunden sei.

Sind sie aber an die Organisation gebunden

und von dieser bedingt, so müssen sie auch mit ihr zu Grunde gehn» Ist das Weltbewußtsein gar noch

Individualität gelangt,

nicht zur

hat das Gottesbewußtscin

sie aufgegeben, und geht die des empirischen und

Selbstbewußtseins mit der Organisation zu Grunde,

so ist wohl klar, daß nach dem Tode kein individuelles Bewußtsein sei. Wohl werden manche zartfühlende oder fromm­

gläubige Seelen schaudern um dieser Worte willen, und doch gehört nicht einmal Resignation zu dieser

Ansicht, die nur das Wissen und der Geist uns giebt.

Was' ist es, das wir vermissen im Tode? Bewußtsein, Selbstständigkeit. —-

Glaubt nicht Jedermann, daß er im Schlafe ohne Bewußtsein sei?

bewcißen,

und mußten wir nicht erst

daß das Bewußtsein im Schlafe nicht

anfhöre? Wir mußten zeigen, daß nicht Krankheit oder Verletzung cs so unmittelbar vernichten, als

11*

164 cs gewöhnlich angenommen wird, und doch fürchtet

man

dessen Verlust so sehr.

Das Gemüth fühlt

Freude und Schmerz in diesem Leben, der Geist

lebt für die Erkenntniß, die Sinnen freuen sich des

Genusses, mit dem Tode hört aber Alles auf, und wo kein Sinnorgan mehr ist, ist auch kein Gefühl,

keine Lust und kein Schmerz, aber auch kein Be­

dürfniß und kein Streben mehr. Wir haben -oben den Tod aufgehoben und ge­

sagt, daß in Gott keinen Tod cs gebe, und haben

nun gesczt den Tod als Wirklichkeit, der den gan­ zen Menschen vernichtet, wir haben oben gesczt den

Menschen außer der Endlichkeit des Raumes und

der Zeit, und jezt innerhalb derselben, wie

löset

sich der Widerspruch? Im völligen Untergang, im wahren Tode liegt aber schon von selbst die Unsterblichkeit. Alle Dinge

vergehen, aber nicht im Raume und

in der Zeit,

sondern in Gott, und das Höchste, was das In­

dividuum erreichen kann, ist Versenkung und Aufge-

lößtsein in Gott, das ganze Individuum, was cs als Mensch war, geht auf in Gott.

Die Vielheit

der Gestalten und Wesen findet ihre Vollendung in der Allheit des Universums, und so auch das mensch­

liche Lebenz das Individuum hört im Tode auf, gerade dadurch, daß ■ es ganz aufhört, versinkt cs in Gott.

Bliebe nur etwas vom

Leben übrig,

so

hätte es keine Unsterblichkeit. Nur durch den wah-

165

reit Tod und die völlige Auflösung sind wir kn Gott, und haben Theil an seinem Leben, seinem Bewußtsein und seiner Unsterblichkeit. Das Indi­ viduum hört auf für sich selbst zu sein, es ist aber in Gott. Dieses ist die allgemeine Unsterblichkeit. Der Leib kehrt zurück zu den Elementen, aus denen er entstanden war, und selbst das Begraben und Bestatten der Todten, überhaupt die LeichenBegangniffe aller Völker, sind symbolische Gebrauche, die Rückgabe des Individuums an die Elemente andeutend, und das Individuum wird, wie in der That und Wirklichkeit, so durch den geheiligten Ge­ brauch der bewußtlosen Allgemeinheit überliefert. Das Leben wirkt nach synthetischen, der Tod nach analytischen Gesetzen, daher ist der Tod des Leibes nichts Anderes, als ein analytisches Auseinanderfallen der Formelementc des Organismus, ein Abtrünnigwerden der Stoffe von der Einheit der Organisation, eine Jndividualisirung der einzelnen Stoffe. Im Tode werden die Stoffe nach eigenen einzelnen Prozessen zersetzt und umgebildet, und der Leib geht zu niederern Bildungen, zu Infusorien zurück und zerfällt in Gasarten, Wasser, Erden u. s. w. aus denen er unter der Einheit der wir­ kenden Kraft der Organisation zusammentrat. So wird der individuelle Leib vernichtet und in seine Urelemente aufgelößt.

166 Wurde durch die zeugenden Geschlechter in der Mischung der Saamenflüffigkeiten belebte Materie gesezt als der neu zu schaffende Mensch, so entwickelt

sich in dieser der Thierstoff durch Blut und Nerven

zum Organismus; das Leben das Fötus offenbart

sich als Zcntrallcben, Ernährungsthätigkeit, Ncr-

venthätigkeit und DllyungMrch, und daraus ge­ staltet sich durch Fortschreiten und Vervielfältigung

der Entwicklung der gesammte Inhalt des Leibe-

und der Seele im vollendeten Menschen, Muß nun aber die Seele mit der Entwick­

lung ihres Reichthums von Funktionen, mit der Menge seiner Systeme, Organe, Gebilde und Ge­

webe zu Grunde gehen, wie er entsteht, so crgicbt sich doch, daß er durch Materie und Thätigkeit zum

Leben kommt, und Materie und Thätigkeit, also Leib und Seele nur

in veränderter Form,

auch

nach dem Tod übrig bleiben. Rcduzirt man den Inhalt der Seele und des

Leibes auf die früheren niedrigen Stufen, die noch

ihrem Ursprünge näher gelegen sind,

so geht der

gesammte Leib mit allen Gebilden, die wir als

Vegctation, Artikulation, Sensualität und Nerven­ system dargcstellt haben, und die Seele, deren Inhalt wir als Bewußtsein, Gemüth, Geist und Wille entwik-

keltcn, in dem Schema auf, welches heißt: Zentral­

leben, Ebnährungsthätigkeit Ncrvcnthätigkeit, Bil­ dungstrieb ; Zentrallebeu

und

Bildungstrieb hier

167 als unentwickeltes Bewußtsein und Wille, als Fak­

toren der Seele, Ernährung und Nervenlebcn als

Faktoren des Leibes, aus denen die

übrigen Ge­

bilde sich entwickeln. Auch Dieses ist aber schon Entwicklung und sezt

Seelenthätigkcit so

wie Leibbildung

voraus,

wir müssen also auf eine noch frühere Stufe zurück­ die sich als die früheste anatomisch und

kehren,

physiologisch begründen läßt, und diese heißt: Thier­

stoss, Blut, Nerve, Organisation. Hier verhält sich der Thierstoff stoff des

als der Zeugungsschleim, als Ur­

neuen Wesens, Nerve und Blut haben

sich im Gegensatze gegeneinander und unter dem Ein­ flüsse des Lebens gebildet, und aus ihnen, den Ner­

ven als belebenden und dem Blute als bildenden Fak­ toren,

entwickelt sich der gesaminte Organismus,

indem sich zwischen diese beiden extremen Pole thie­ rischen Lebens die beiden mittleren des Beziehungs­ lebens, Glieder- und Sinnensystem legen, und so

den Körper vollenden.

Aber auch in diesem Schema: Thierstoff, Blut, Nerve, Organismus, hat das Leben schon thätig eingcwirkt auf den einfachen Urstoff, und aus ihm bereits Blut und Nerven und wenigstens die ru­

dimentäre Anlage zum Organismus gebildet —

man wird also noch weiter zurückgetricben auf das

ursprünglichste Schema der menschlichen wie aller

Natur: Materie, Sein, Werden, Leben,

Belebte

168 Materie ist und wird -er Organismus des Men­

schen/ und aus ihr entwickelt sich alles vorwärts/

wie wir cs so eben rückwärts nachgcwießen haben.

Sind wir aber in dem Schema: Materie/ Sein, Werden, Leben, bis auf den ersten Ursprung oder das lezte Ende des menschlichen Lebens zu-

rückgekommcn, so ist dieses bleibend, und die belebte Materie wird in Zeit und Raum nicht untergehen.

Hier stehen wir an der Gränze des endlichen

Lebens, also am Anfänge des ewigen.

Der Mensch als Mensch wird im Tode ver­ nichtet, was aber im menschlichen Individuum Leib

und Seele war, erscheint hier, freilich unter anderer Form, als Kraft und Materie, Leib und Seele

hören zwar

im Tode auf zu erscheinen, sie hören

aber nicht auf zu sein.

Leib und Seele werden

wirklich erhalten als Kraft und Materie, für diese

giebt es keine Vernichtung,

sie können nicht untcr-

Hchn.

Die Stoffe, die den individuellen menschlichen Organismus

bilden, mit den

ihnen

einwohnen-

den Thätigkeiten werden zerlegt, zersetzt, vereinzelt,

ueu verbunden, umgcwandelt — aber untergchcn kön­ nen sic nicht. Der Tod ist keine Vernichtung, er ist nur Wech­

sel des Seins, — Formcnwechsel. Dieses ist die materielle Unsterblichkeit.

Dieser äußern materiellen Unsterblichkeit steht

169

gegenüber die innere ideelle/ die das Individuum sich selbst bereitet. Diese ideelle Unsterblichkeit ist die Todesüberwindung und individuelle Unsterblichkeit, wie das Individuum sie sich selber schafft, und darin liegt es auch, in jedem Glauben fertig zu werden. In der Bildungsstufe des Individuums liegt dessen Zukunft. Die Todesüberwindung im Allgemeinen ist Ueberblick und Aufklärlmg über sich selbst, Rechen­ schaft über erfüllte oder verfehlte Bestimmung u. s. w. wie es schon in der Einleitung angegeben wurde, möge diese Erkenntniß nun Ruhe und Freude ge­ währen, oder Kummer und Gingst und Vorwurf über die durchlaufene Lebensbahn. Im engern Sinne ist die Todesüberwindung das Sterben. Sterben ist aber das Ringen des Lebens mit dem Tode, der Streit der Endlichkeit und Ewigkeit um das Individuum, die Rückkehr des Zeitlichen zur Unendlichkeit, und ist Handlung des Individuums, während der Tod selbst als Akt, als Moment erscheint. Insofern aber das Ster­ ben Handlung und Thätigkeit des Sterbenden sel­ ber ist, zu scheiden aus der Gewohnheit des Da­ seins, ist dieses Scheiden mehr Wunsch und Wille oder Kampf und Zwang, und die Handlungsweise sehr verschieden. Körperlich geschieht es während der Kreislauf

MO stockt, der Nerv erlahmt, die Sinne schwinden, die

Glieder erstarren-—und die Erscheinungen deö Le­

bens haben aufgehört, und es giebt kein sicheres Zeichen

des wahren Todes, als die Verwesung,

d. i. neues Leben,

Die Seele aber stirbt im Glauben, Zweifeln, Forschen oder Schauen. Der Glaube ist daö

Erste und

das Lezte,

denn er ist das, was in das Gemüth gepflanzt ist, und was ein Jeder sicher erkannt hat und bewährt weiß, glaubt er wieder, und im Schauen kehrt der

verklärte Glaube zurück. 21(lc Versuche die Fortdauer oder Vernichtung

nach dem Tode zu crwcißcn, sind nur verschiedene Glaubensbckenntnißc, mit denen das Individuum

hinüber geht. Der Glaube ist also das Erste, er ist es, der

dem menschlichen Gemüthe eingcprägt, von Natur dem Menschen angeboren ist.

So der Glaube an

das höchste Wesen, der Glaube an die ewige Fort­

dauer nach dem Tode, dieser Glaube liegt tief in

der Menschennatur. Darum hat er so großen Werth, ob er gleich die Gründe nicht weiß, warum er glaubt. Er wird

in der Form der Offenbarung dem

kindlichen Sinne gelehrt und von diesem- ausgenom­ men als göttliche Wahrheit.

Wie in kindlich reinem Gemüthe sich noch kein

171

Zweifel regt, so stirbt der fromme Gläubige, er hat den Glauben seiner Jugend durch das ganze Leben bis zum Tode erhalten und geht ruhig und Gottergeben hinüber in das andere Leben, das ihm in seinem Glauben verheißen ist, Glücklich die, die mit Freudigkeit den Tag begrüßen, der sie ins bessere Leben führt, sie haben ihre Unschuld bewahrt, ober im Glauben an die göttliche Verheißung den Frieden der Seele wieder erlangt, und von ihnen gilt was anderwärts der Dichter sagt; Wohl dem der ohne Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele. Er aber, der vor zwei tausend Jahren für seine Lehre starb, hat den Weg des Heils gezeigt im Glauben, hat aber das Forschen überlassen der Wissenschaft künftiger Tage. Der Geist nun in der Entwicklung der Welt­ geschichte sucht zu ergründen und zu erkennen, er geht über den Glauben hinaus, und so entsteht der Zweifel. Die Natur des Zweifels ist das Rüt­ teln an einer Wahrheit, auf welche ein Wiederver­ schwinden des Zweifels und am Ende Rückkehr der Wahrheit erfolgt. Der Zweifler ist unglück­ lich, der aus seinem Glauben gewichen ist, und der Zweifel kann zur Verzweiflung werden, wenn Erkenntniß nicht wieder zurückführt zum Glauben. Jener armselige Trost: ich müßte ein Thor

172 sein, dich zu fürchten Tod; denn so lange ich bin, bist du nicht, und wenn du bist, bin ich nicht, ist

nur der Trost des Zweiflers, der den Glauben ver­ loren hat, ohne zum Schauen gelangt zu sein. Der Zweifel ist aber nicht bleibend, denn in

der Ungewißheit des Zweifels selbst liegt das For­

schen.

Forschen ist ein Suä^en, und

der mensch­

liche Geist strebet nach Erkenntniß und Gewißheit. Aber, auch das Forschen ist noch nicht am Ziele; denn.Forschen ist ein Suchen, und der Forscher hat

sie noch nicht gefunden, die er erstrebet, Gewißheit,

Klarheit, Ueberzeugung.

Doch nähert er sich dem

Ziele und in unbewußtem Ahnen in dunklem Gefirfilc berührt ihn oft die Wahrheit, nach deren kla­

rer Erkenntniß ihn verlangt. Hat das Forschen sein Ziel erreicht, so ist der

Zweifel völlig überwunden, und der Glaube kehrt wieder als Schauen.

und

Der Mensch hat den Gott

in diesem den Frieden wieder gefunden, den

er im Zweifel verließ. sich selbst und

Wenn so das Individuum

sein ganzes Verhältniß

in

seiner

Wahrheit überschaut, so ist es Weisheit, und wer so zum Tode geht, der stirbt den Tod des Weisen

und Gerechten. Dieses ist die ideelle Unsterblichkeit. Der Zweck der Menschheit ist nicht der Ein­

zelne oder das Individuum, sondern er ist das Ganze, die Entwicklung des Ganzen, und den Zweck

I7S der Gattung zu fördern, ist die Aufgabe des Ein­ zelnen.

Die gesummte Menschheit ist nur ein Ganzes und ihre Aufgabe ist die Weltgeschichte. Geschichte hat die

Menschheit nur, weil sic eine Einheit ist, ihre In­ dividuen nur ein Ganzes ausmachcn, Geschichte ist

aber Entwicklung des Einzelnen, damit sich das Ganze vollende.

Hierin hat jeder Einzelne Zweck,

Stelle und Bestimmung. Das Individuum

ist

ausgenommen

in

die

Gattung, tritt tni Leben hervor und sinkt im Tode

zurück.

Wie im organischen Leibe die Stoffe wech­

seln, ausgenommen werden, sich

umwandeln

und

ausgeschicdcn werden, das Leben aber bei allem Wechsel der Stoffe immer dasselbe bleibt,

so die

Jndividucm in der Gattung.

Die Menschheit selbst aber ist ausgenommen in das Wesen Gottes,

hat darin ihre Unsterblich­

keit, und da jedes Individuum ein Glied der Mensch­

heit ist, so findet cs auch hierin seinen Theil an

der Unvcrgänglichkeit und Ewigkeit. Und wenn auch die gesammte Menschheit selbst in

einem

höhern

Ganzen untergchen sollte, wie

das Individuum in der Menschheit, so wäre den­ noch die Unsterblichkeit

gerettet.

Und wenn

der

Erdball untcrginge, und das ganze Sonnensystem vernichtet wurde, der. Mensch verlöre nichts an sei­ ner Unsterblichkeit.

H4 Die Entwicklung der Menschheit ist die Ge­ nach

schichte ,

unseren

Begriffen,

Weltgeschichte.

Geschichte des Individuums aber in anderem Sinne

ist das Leben im Geiste der Nachwelt, die sich des Thuns und Wirkens ihrer Ahnen freut. Geht nun

ein Individuum im Tode unter, so tritt das eigene Wissen aus ihm heraus und wird ein Wissen An­ derer von ihm, wird seine Erinnerung und sein

Gedächtniß.

Je höher nun die Otufe eines Individuums, je reicher sein Inhalt,

Nachwelt.

um

so

größer

ist

seine

War es in seinem Leben der Mittel­

punkt seiner Zeit, seines Volkes, seiner Stadt, so

bleibt es auch als solches in der Geschichte, sein Wir­

ken hört nicht auf, und die Weltgeschichte feiert und

verehrt ihre Herrscher, Helden, Dichter Und Weise. Wie

aber

das Große

lebet, so auch

das

Kleine. Wie die Herrscher leben in der Geschichte,

die am Nil die Pyramiden bauten, und das Volk nie wird vergessen werden, das Wissenschaft und

Kunst zuerst bei sich erblühen ließ, wie der Weisen Worte sich erhalten in Wort und Schrift und die Helden

aller Zeiten leben in Liedern — so hat

auch jedes Individuum seine Nachwelt, sein Volk, seinen Stamm, seine Stadt, seine Familie, deren

Glied es ist, in deren Kreise es bleibet, und das ist seine Geschichte, daß es im Gedächtniß der Sei-

nigen lebe.

175 Dieses ist die Unsterblichkeit der Geschichte.

Jetzt ist unsere Aufgabe gelöst und aller Wi­ derspruch gehoben.

Wir haben gesagt, daß in Gott keinen Tod cs gebe,

und haben den Tod aufgehoben.

Wir

haben den Tod als völlige Vernichtung wieder eingcsczt und die Unsterblichkeit nachgewießcn.

Der Mensch, das Individuum, die Person, erlischt als

solcher völlig, geht unter im wahren

Tode, Leib und Seele hören auf zu sein, es giebt

kein Bewußtsein und keinen Willen mehr. Das Individuum geht aber dadurch ein zur

Unsterblichkeit, cs

versinkt in Gott, und nur durch

den völligen Untergang seiner Individualität und

Persönlichkeit

hat

cs

Theil

an dem Bewußtsein

Gottes, an dessen Unvcrgänglichkeit und Ewigkeit.

Kraft sltet und Materie bleiben ewig und so Leib und Seele, sie können nicht untergehn, sie er­ scheinen

nur

in

veränderter

Gestalt.

Der Leib

in seiner Erscheinung war Form, die Seele Wesen,

die Natur der Form ist aber der Geschichte des

beide

Wesens

verschwistert und

Hand.

Je reicher die Thätigkeit der einen war,

gehen

Hand an

um so feiner und zusammengeseztcr sind die Stoffe

der

andern.

Wie

der geistige Inhalt des Men­

schen der höchste ist unter den Wesen dieser Erde, so

ist auch der Stoff seines

Körpers der reichste

176 und feinste, und um so größer die Zersetzung und

das Zerfallen in neue Schöpfungen. Jezt hat cs seinen wahren Sinn, wenn wir sagten, der Leib ist Erscheinung, die Seele Thätig­ keit und der Tod ist Formcnwechscl; denn während

die Stoffe auseinander fallen, werden sie umgewan­

delt zu neuen Wesen,

und Thiere entstehen

und

Blumen erblühen auf unsern Gräbern.

Es verwittert das Gestein, es vertrocknet die

Pflanze, cs verweset

das Thier, aber dem selbst­

ständigen Individuum mit Bewußtsein und Willen

muß daran gelegen sein, den Tod zu überwinden; denn

wie kann der unterliegen,

darin liegt

aber

der Unterschied

der Sieger ist?

des Todes

der

Menschen von dem Untergänge und der Vernichtung anderer Geschöpfe, daß der Mensch den Tod über­

windet.

Aufdicse Weise hat der Mensch seine Individuali­

tät gerettet, und hier erscheint der Satz: Ich bin

Ich, in seiner furchtbarsten Wahrheit. Diese Individualität

wird

aber erhalten in

der Geschichte.

Wir haben nun eine vierfache Unsterblichkeit nachgewießen, eine allgemeine

in Gott, eine ma­

terielle der Stoffe und Thätigkeiten in der Natur, eine

ideelle in der Todesüberwindung des Individuums

und eine Unsterblichkeit in der Geschichte.

irr Die ersteren beiden Arten sind allgemeine/ die sezieren individuell. Sinkt nun die materielle Unsterblichkeit zurück

U die allgemeine/ in Gott, und seine Offenbarung zunächst als Natur, so tritt die ideelle hervor als Aufnahme des Individuums in die Gattung und somit in lebet

deren Geschichte,

und das Individuum

als Leib und Seele in der Natut

wieder

lind im Geist.

Nicht alle können zu Weisen werden, nicht alle die Vollendung erreichen.

Die aber im Le­

ben nicht zur vollen Entwicklung kommen, die frühe Verstorbenen, Kinder, Embryonen, die an Krank­

heiten und Mißbildungen leiden, sie sind abgefallen

vom Baume

geistig und

des Lebens,

körperlich

ihre Entwicklung

war nicht höher bestimmt»

Die in Leiden, Armuth und Unglück leben, ja die

als Verbrecher ausgcstoßen sind aus der menschli­

chen Gesellschaft, Alle stehen im Zusammenhänge

des großen Ganzen, nur mit Ursachen und Grün­

den, die der endliche Geist nicht kennt.

So ist auch das Schicksal Derer, die die Ele­ mente vernichten, die Seuchen dahin raffen, die im Kriege fallen, es geschieht im Sinne und zu

Zwecken des Ganzen nach unabänderlichen Geschert

des Weltalls, und ihre Todesüberwindung ist die

Hingebung und die Kraft, mit der sie ihrer Be­ stimmung entgegen tretem

Der

Menschenfreund,

der

Flammen oder Fluchen sich

auf Hülferuf in

stürzt,

und Rettung

versuchend selbst zu Grunde geht; der Held, der den tödtlichen Pfeil in der Brust zurückhält, bis er

des Sieges Botschaft

empfängt,

Seele mit dem Blute entfliehen

nm

dann

die

zu lassen;

der

treue Diener, der für den Herrn sich opfert; die

Mutter, die für ihr Gebornes stirbt s ja der Ver­ brecher, den auf dem Blutgerüste das Schwerdt des

Gesetzes trifft, wenn er erkennt, daß mit Recht er sein Verschulden büße, hat seine Todesüberwindung. Dem Schöpfer ist es gleichgültig, wie sein GcschöpfderTod ereilt. Erruft es in das Leben, bestimmt

ihm Thun und Leiden

und

nimmt es weg am

Ende seiner Entwicklung nach ewig unwandelbaren

Gesetzen.

Der Tod, gefürchtet oder ungefürchtct. Kommt unaufhaltsam, und so ist es Sache des vernünftigen Menschen

mit Willen, Bewußtsein und Freiheit zu werden, was er doch am Ende zu sein gezwungen wird. Wenn ein Individuum bewußt oder

unbewußt erkennt,

daß cs seine Entwicklung vollendet habe, so sehnt

es sich nach dem Tode, verlangt nach ihm, so daß, was im menschlichen Dasein am Meisten erzwun­

gen scheint, der Tod, durch vernünftige Freiheit

selbst zum Akt der freien Wahl und des Wunsches

wird;

179

Denn, im Tode, der unfehlbar annaht, Tauscht der Mensch zuletzt den eignen Willen Mit dem Willen Gottes um. Diese Ergebung aber, mitunter allerdings wohl nach langer Krankheit, in hohem Alter, oder nach Uebcrstchung vieler Mühseligkeit, aus Stlimpfheit entsprungen, soll nicht aus Gleichgültigkeit, Kleinmuth, Verachtung der Gegenwart oder Zukunft entstehen, sondern die frei erkannte Nothwendigkeit, daß jezt das Sterben unvermeidlich sei, soll den Tod als willkommenen Freund empfangen. Alles, was geschieht, geschieht zunächst um seiner selbst willen, und eine ängstliche Teleologie ist ein armseliges Streben. Gut und Böse ist zunächst an sich, und der Unendliche, der das Gute scztc, mußte auch das Böse setzen. Beide sind aber verschlungen in die Harmonie des Ganzen und verschwinden in ihr. Die Beurtheilung des Guten und Dösen hängt vom Standpunkte der Ansicht ab, beide verschwinden auf dem absoluten göttlichen Standpunkte, stehen sich gegenüber auf dem relativen menschlichen. In seiner beschränkten Freiheit aber stets das Rechte thun, ist die Vollendung des Menschen. Das individuelle Sein erlischt im Tode. Er­ lischt es aber und mit ihm Sinnen und Bewußt­ sein, so haben wir auch keine individuelle Sehn­ sucht mehr. Wie wir nicht die Gestalt mehr sehen,

186 den Leib mehr fühlen, die Stimme vernehmen, so suchen mir auch nicht mehr die Individualität, weil wir selbst nicht mehr Individuen sind,

Wird aber die Nacht des Todes uns drücken,

wenn unser Sinn für das Lichterloschen ist? wird uns die Stille des Sarges ängstigen, wenn unser Ohr erstorben ist? werden wir die Kühle des Gra­

bes fühlen,

wenn unsere Gefühlsorgane in Staub

zerfallen sind?

Wir

sprechen

und handeln als Individuen,

so lange wir selbst noch Individuen sind, werden

wir aber der Individualität

unserer

Nebenmcn-

schen bedürfen und diese suchen wenn sie, wie wir selbst, indipidualitätslos geworden sind?

Und jene himmlischen Gestalten

Sie fragen nicht nach Mann noch Weib, Hat das Individuum aufgehört Individuum

fein, so suchen wir nicht die Individuen, son­ dern das Wesen, und finden unsere Geliebten wie­

der im Wesen aller Wesen, in Gott,

Der Tod ist zwar Trennung der Geliebten, er besteht im Aufhören der Verbindung, er ist aber

keineswegs das Aufhörcn des Seins. Die

völlige Vernichtung ist vernichtet durch

die wirkliche Vernichtung, der gänzliche Untergang

ist abgewiesen durch den

wahren Untergang, der

absolute Tod ist aufgehoben durch den realen Tod, und siegend kehrt wieder das Leben ein.

181 Der Tod ist nicht schreckend mehr, er ist der liebreichste Vater, Israels Kinder kommen in Abrahams Schoos z ex ist ein wackerer Genosse, Muhameds Gläubige schmanßen an frohen Mahlen, In­

diens Urbewohner jagen in den Hainen des großen

Geistesz der Tod ist der treueste Freund, denn der Christ entschlummert in seinem Erlöser, welcher ihm

ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Sind nun die Schrecken des Todes gehoben und haben Sarg und Grab ihren Schauder ver­

loren, so betrachten wir auch den Tod in fteundlichen Bildern. Wir werden nicht vom Tode gemäht wie die

Halmen, wir kommen ihm entgegen, wie das Kind

der Mutter, die

cs am Abend zur

Ruhe legt.

Darum verschwinde der bleiche Todtenschädel und das dürre Knochengerippe mit Sense und Stun­ denglas. Wir verschmähen, sy lange wir Individuen

find und im irdischen Leben wallen,

die heitere

Ansicht nicht, unsere Verklärten in den Wohnungen

der Seeligen wieder zu finden,

wo sie in schat­

tigen Palmenhainen ruhen, die Lebensmüden.

Stehen wir unsern Vorangegangenen im Geiste

so nahe, so dürfen wir auch freundlich zu ihnen treten, und es ist ein beruhigender Gedanke, einst zu den Seinen versammelt zu werden.

Ja wir

182 freuen uns wirklich des Glaubens an die Wieder­

vereinigung mit unsern Geliebten. Der Tod ist

der Bruder des Schlafes, der

wirklich, wie der Schlaf nur scheinbar, das Bewußt­

sein unserer Cinzelnhcit löset,

und unsere leztcn

Träume umschweben uns wie Friedcnsengcl, die

uns, wenn auch oft nach Schmerz und Angst und

schwerem Todeskampfe, hinüber tragen in das Land der Verklärung. Die Pforte ist dunkel z denn stc gehet durch

Grabcsnacht, aber sie führt zum Anschauen Got­

tes, zum himmlischen Licht.

Wer daö Leben erfasset wird den Tod nicht, sehen in Ewigfeit.