Die Gottesvorstellung im Markusevangelium [Reprint 2013 ed.] 3110181290, 9783110181296

Die Gottesvorstellung im Markusevangelium wird unter Verwendung diachroner und synchroner Methoden untersucht. Sie wird

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Die Gottesvorstellung im Markusevangelium [Reprint 2013 ed.]
 3110181290, 9783110181296

Table of contents :
Vorwort
1 Einleitung
1.1 Hinführung
1.2 Zur Begrifflichkeit
1.3 Zum Forschungsstand
1.4 Das Vorhaben
2 Gott als der Herr der Geschichte
2.1 Die Bedeutung des Alten Testaments für die Gottesvorstellung
2.2 Gottes Handeln in der Geschichte
3 Gott als Gesetzgeber
3.1 Die Hervorhebung der Bedeutung des Willens Gottes in Mk 12,1-12 und Mk 3,31-35
3.2 Der Wille Gottes und die Gebote
4 Die Macht und Allmacht Gottes
4.1 Πάντα δυντά: Die unbegrenzten Möglichkeiten Gottes
4.2 Der Gott der Lebenden: Mk 12,18-27
4.3 Zusammenfassung
5 Gott und das Böse
5.1 Die monistische Betrachtungsweise
5.2 Die dualistische und die ethische Betrachtungsweise
6 Die Einzigkeit Gottes und ihr Verhältnis zur Christologie
6.1 Die Vereinbarkeit von Monotheismus und Christologie
6.2 Das Messiasgeheimnis im Horizont des Konflikts zwischen Monotheismus und Christologie
6.3 Zusammenfassung
7 Zusammenfassung und Ertrag
7.1 Textbestand und „Story“
7.2 Kategorien der „Gotteslehre“
7.3 Aufnahme alttestamentlicher Traditionen
7.4 Der Beitrag des Markusevangeliums zur Frage nach Gott
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anhang: Indices

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Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

Herausgegeben von

James D. G. Dunn • Carl A. Holladay Hermann Lichtenberger • Jens Schröter Gregory E. Sterling • Michael Wolter

Band 123

W G DE

Walter de Gruyter • Berlin • New York

Gudrun Guttenberger

Die Gottesvorstellung im Markusevangelium

W G DE

Walter de Gruyter • Berlin • New York

@ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-018129-0 BMografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © Copyright 2004 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2003 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Habilitationsschrift im Fach Neues Testament angenommen. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Horn, der das Erstgutachten verfasst hat. Herr Prof. Dr. Dr. Otto Böcher hat kurz vor seiner Emeritierung das Zweitgutachten angefertigt. Ich fühle mich ihm deswegen besonders verbunden. Die Kollegen des Fachbereichs Evangelische Theologie waren mir anregende, ermutigende und kritische Gesprächspartner, eigens sind die KoUegen und die Kollegin im Fach Neues Testament sowie Herr Prof. Dr. Wolfgang Zwickel und Herr PD Dr. Michael Tilly zu erwähnen. Herr Referendar Bernhard Schencke hat mir beim Korrekturlesen sehr geholfen. Die Arbeit an der Habilitationsschrift konnte ich 1998 beginnen, als ich auf eine auf die Initiative der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hin am Fachbereich Evangelische Theologie eingerichtete Sonderpfarrstelle zur Vertretung feministischer Theologie und Frauenforschung in der Lehre berufen wurde. Mit der Beauftragung ging die Möglichkeit und Aufgabe einher, mit einer Habilitationsschrift zu beginnen. An der Einrichtung dieser Stelle waren die EKHN, der Verein zur Förderung feministischer Theologie und Frauenforschung (heute: Verein zur Förderung feministischer Theologie in Forschung und Lehre) sowie der Fachbereich Evangelische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz beteiligt. Diese Stelle innehaben und das Habilitationsprojekt angehen zu können hat mich mit großer Dankbarkeit erfüllt. Im Jahr 2001 wurde ich als Professorin an die Evangelische Fachhochschule Hannover berufen. Seither vertrete ich im Studiengang Religionspädagogik und Diakonie die Fächer biblische Theologie und Religionspädagogik. Meine Schwester Edith Gottwald und mein Schwager Volker Gottwald haben mich in den Jahren der Entstehung dieser Arbeit auf vielfältige Weise und mit großer Beständigkeit unterstützt. Insbesondere hat mir Volker Gottwald bei der Erstellung der Druckvorlagen sehr geholfen. Beiden gilt mein tiefempfundener Dank. Zu danken habe ich schließlich Herrn Prof Dr. Michael Wolter und dem Herausgeberkreis für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe BZNW. Dem Verlag de Gruyter danke ich für die Betreuung.

Inhalt Vorwort 1 Einleitung 1.1 Hinfuhrung

1

1.2 Zur Begrifflichkeit

4

1.3 Zum Forschungsstand

4

1.3.1 Zum Interpretationsrahmen 1.3.2 Die Gottesvorstellung und das Verhältnis von Christologie und Monotheismus im Markusevangelium 1.4 Das Vorhaben

5 14 22

1.4.1 Die Fragestellung 22 1.4.2 Kategorien der „Gotteslehre" 24 1.4.3 Die Fohe und der Hintergrund in der Theologie und Religion des Alten Testaments 25 1.4.4 Die Gliederung der Untersuchung 32 1.4.5 Zur Methode 33 1.4.6 Einleitungswissenschaftliche Arbeitshypothesen 39 2 Gott als der Herr der Geschichte 2.1 Die Bedeutung des Alten Testaments für die Gottesvorstellung

49

2.2 Gottes Handeln in der Geschichte

55

2.2.1 Anfang und Ende der Geschichte: Mk 1,1-15 und Mk 13,3-37 . 55 Der theozentrische Evangelienbeginn: Mk 1,1-15 56 Die Vorstellung vom Handeln Gottes am Ende der Zeiten: Mk 13 74 2.2.2 Gott in der Geschichte Jesu 85 Die Vorstellung von der Immanenz und Präsenz Gottes in der Beziehung zu Jesus 85 Die Vorstellung von der Distanz Gottes in der Beziehung zu Jesus 94 2.2.3 Zusammenfassung 115 3 Gott als Gesetzgeber 3.1 Die Hervorhebung der Bedeutung des Willens Gottes in Mk 12,1-12 und Mk 3,31-35 117 3.2 Der Wille Gottes und die Gebote 125

VIII

Inhalt 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7

Die Streitgespräche über den Sabbat: M k 2,23-28; 3,1-6 Die Reinheitsgebote: M k 7,1-23 Gespräche über die Ehescheidung: M k 10,2-11 Gespräche über den Reichtum: M k 10,17-27.28-31 Gespräch über das höchste Gebot: M k 12,28-34 Die Tempelaktion: M k 11,15-19 Zusammenfessung

125 133 147 150 152 156 161

4 Die Macht und Allmacht Gottes 4.1 ndvxa övuarä: Die unbegrenzten Möglichkeiten Gottes

183

4.1.1 Gespräche über den Reichtum: M k 10,17-27.28-31

184

4.1.2 Jesu Gebet in Gethsemane: M k 14,32-42

185

4.2 Der Gott der Lebenden: M k 12,18-27

209

4.3 Zusammenfassung

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5 Gott und das Böse 5.1 Die monistische Betrachtungsweise

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5.2 Die dualistische und die ethische Betrachtungsweise

225

5.2.1 Die dualistische Betrachtungsweise Jesus und Satan: M k l , 1 2 f und M k 3,22-30 Jesus und die Dämonen: Die Exorzismen Jesu 5.2.2 Die ethische Betrachtungsweise: Der Glaube Die Einsicht der Menschen paganer Herkunft Die Einsicht der Menschen jüdischer Herkunft 5.2.3 Zusammenfassung

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6 Die Einzigkeit Gottes und ihr Verhältnis zur Christologie 6.1 Die Vereinbarkeit von Monotheismus und Christologie 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4

Der Beginn des Konflikts: ßJlaaipr^ßel Der Höhepunkt des Konflikts: fiKOVoaze Tfi. Solange dieser Ausdruck parallel zu Kup 105 steht, ist unzweifelhaft Gott gemeint. In Vers 3 ist er jedoch durch auxoO ersetzt. Die Veränderung des Schriftzitats führt zu der Interpretationsoffenheit. M.E. entspricht diese Offenheit der Absicht des Textes. Durch die Beziehung des Begriffs KvpwQ auf Gott wird die Gleichsetzung Jesu mit dem KvpwQ darüber hinaus nur dann vermieden, wenn der Genitiv Kvpiov als Genitiv des Ursprungs verstanden wird; wird er hingegen auf das Kommen Gottes bezogen, lässt sich die Schlussfolgerung, dass Gott in Jesus kommt, kaum umgehen. In der Aufeinanderfolge der Verse 7f und 9 wiederholt sich diese Struktur: Johannes kündigt den loxupoxepog an und verwendet dabei eine Gonesprädikation. Die Ansage erfüllt sich durch das Auftreten Jesu: Jesus repräsentiert G o t t . "

Das Schriftzitat erweist Gott als den Sendenden, der Johannes zu seinem Boten macht und der dem in Vers 2 in der 2. Person Angesprochenen, Jesus, dem Sohn, besonders nahe steht und diesen mit dem Metonym KvpiOQ in engen Kontakt bringt. Jesus wird, das wird bereits in dem Schriftzitat erkennbar, Gott in einzigarti-

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KüpLO? als Wiedergabe des Gonesnamens wird nur in chrisdichen Septuaginta-Handschriften verwendet. Vgl. Fitzmyer, Hintergrund, 280f Die neutestamendiche Gewohnheit, den JHWH-Namen in alttestamendichen Zitaten mit KÜpWQ wiederzugeben, geht wahrscheinlich auf den Sprachgebrauch griechisch sprechender Juden in Palästina zurück. Vgl. Fitzmyer, Hintergrund, 288-296; Frenschkowski, Art. Kyrios, 5f

85 86

Vgl. Malbon, Space, 68-71; Klauck, Vorspiel, 84; van lersel, Mark, 93. Auch wenn der (cupioc-Titel im Markusevangelium Jesus zugeordnet werden kann, gehört er nicht zu den häufigen und wichtigen Titeln Jesu. Das wird zum Beispiel von Lührmann, Markusevangelium, 34, gegen die Möglichkeit, in Vers 3 Jesus zu erkennen, eingewandt. Diese Einschätzung muss vor dem Hintergrund der Bestimmung der Christologie des Markusevangeliums vom leidenden Gerechten her durch Lührmann verstanden und relativiert werden. Klauck, Vorspiel, 85, macht darauf aufmerksam, dass Markus den Titel aufSerhalb der erzählten Geschichte, also in der Überschrift des Prologs, unbefangener verwenden könnte, als er es in Bezug auf den „Irdischen" zu tun bereit ist. Vgl. weiterhin Mk 12,35-37 als Ausdruck für die Diskussion des /fupiof-Titels in der markinischen Gemeinde. S. unten, S. 305ff.

87

Vgl. Grundmann, Markus, 38.

Gottes Handeln in der Geschichte

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ger Weise repräsentieren. Von Gott wird nicht zu sprechen sein, ohne über Jesus zu sprechen. Und: Von Jesus wird nicht zu sprechen sein, ohne über Gott zu sprechen. Die Christologie des Evangeliums ist eng an seine Gottesvorstellung geknüpft.'®

Der Evangelienbeginn im traditions- und zeitgeschichtlichen

Kontext

Das Profil der Gottesvorstellung im Prolog lässt sich schärfer zeichnen, wenn traditions- und zeitgeschichdiche Implikationen berücksichtigt werden. Die Aufeinanderfolge der Vorstellung des Anfangs und eines diesen Anfang begründenden Gotteswortes in den Versen 1 und 2f wird die mit biblischer Tradition vertrauten Lesenden eventuell an Gen 1 erinnern.'' Diese Anspielung macht erkennbar, dass Gott bei dieser Sendung als Schöpfer handelt.'" Die Vorliebe des Markus für Jesaja und die Entstehungssituation im Umfeld des jüdischen Krieges machen auf weitere Bedeutungsnuancen des Begriffs Evangelium aufmerksam. Jes 40,9 " verwendet das Verb euay yeAi^cj für die Ankündigung der mit dem eschatologischen Kommen Gottes verbundenen Heilszeit; dieses Kommen kann mit Vorstellungen beschrieben werden, die aus dem militärischen Bereich kommen,'^ und steht in der Tradition des Königtums Gottes. Auch außerhalb des Alten Testaments ist der Begriff ehayykXLOU mit Herrschern und dem mit ihnen kommenden Heil verbunden; das gilt auch für die römischen Kaiser: Locus classicus ist die Priene-Inschrift, die die Geburt des „Gottes Augustus" als „Evangelium für die Welt" bezeichnet.'^ Die Nachrichten von der Erhebung des Vespasian zum Kaiser bezeichnet Jos (Bell IV 618) als eüayyeAta.'^ Es ist schwer nachzuweisen, ob und in welchem Maß den Lesern und Leserinnen des Markusevangeliums diese biblischen und politischen Bedeutungsnuancen bewusst waren.

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91 92 93 94

Vgl. Klauck, Vorspiel, I I I ; Boring, Beginning, 63; Breylenbach, Christologie, 173. Vgl. Myers, Binding, 122; Klauck, Vorspiel, 77f, mit Verweis auf die Verwendung von hpx'n in Mk 10,6; 13,19. Die Parabel von den Pächtern des Weinbergs (Mk 12,1-12) nimmt das Motiv der Sendung in besonders deutlicher Weise auf. Auch in diesem Text wird die Sendung der Boten und des Sohnes mit dem anfänglichen Handeln des Gutsbesitzers am Weinberg in Verbindung gebracht und durch dieses begründet. Vgl. Jes 52,7; 60,6; 61,1. Zur Bedeutung des Jesajabuchs s. oben, S. 53. Vgl. Marcus, Mark, 146; Boring, Beginning, 56. OGIS 458,32-41. Damit ist belegt, dass der Sprachgebrauch Juden vertraut war. Evans, Function, 678f, zeigt, dass Josephus diese Vorstellungen verwendet hat, um Simson und David zu charakterisieren. Zu einer Interpretation des Evangeliumsbegriffe von außerbiblischen Bezügen her verhalten sich in unmissverständlicher Deutlichkeit ablehnend Hengel/Schwemer, Paulus, 154. Ein engagierter Vertreter der Relevanz des politischen Hintergrunds ist erwartungsgemäß Myers, Binding, 123f.

68

Gott als der Herr der Geschichte

Das Mischzitat Mk 1,2f verwendet Verse, die in den Kontext der Wüstenwanderung Israels (Ex 23,20), der Ankündigung der kommenden Gerichtsepiphanie Gottes (Mal 3,1) und der Ansage des neuen Exodus (Ex 40,3) gehören. Gott wird in diesen Texten als Begleiter und Schützer sowie als Führer auf dem Weg ins Land gezeichnet, als Richter beschrieben und als Befreier und Erlöser begrüßt. Das Maleachi-Zitat steht im Zusammenhang der Ankündigung des bevorstehenden Gerichtstages. Der Bote hat die Au%abe, dieses Kommen Gottes zum Gericht vorzubereiten. Bereits im Maleachibuch wurde dieser Bote mit Elia identifiziert (Mal 3.230. Mit der Wiederkunft des Elia wird die Wiederherstellung Israels erwartet, seine Aufgabe ist es, den Zorn Gottes von Israel abzuwenden." In Sir 48,10-12 werden die Herbeiführung der Umkehr und die pohtische Restituienmg als Konkretisierungen dieser vorbereitenden Funktion Elias gefasst.'^ Mk 6,15; 8,28; 9,11 lassen vermuten, dass die Erwartung Elias volkstümlich war. Im Markusevangelium wird Johannes der Täufer als Elias redivivus dargestellt; erstmals wird das durch die Beschreibung der Kleidung des Täufers in Mk 1,6 erkennbar, die an diejenige Ehas, wie sie in IIReg 1,8 beschrieben wird, erinnert.

Die Vorstellung vom Zorn Gottes, wie sie mit Mal 3,1 und der Charakterisierung Elias als Retter vor diesem Zorn verbunden ist, ist im Markusevangelium nicht aufgenommen worden. Das Kommen des Kvpiot;, sei diese Bezeichnung nun auf Jesus oder Gott zu beziehen, ist nicht durch den Zorn Gottes, sondern durch die in Mk l.Mfalseüayye/liot' rov 6eov bezeichnete frohmachende Botschaft von der Nähe der ßaoiXeia charakterisiert. In Jesaja 40 wird das Motiv vom Kommen Gottes von der Wüste her mit der Erwartung eines neuen Exodus und einer neuen Landnahme verbunden. Gott erscheint als Befreier aus Unterdrückung und Garant eines eigenständigen Lebens im Land. Bereits in der Septuaginta ist die Ortsbestimmung hv rij epWW »uf den Rufenden bezogen und nicht wie im Masoretischen Text als Ort der Wegbereitung verstanden.'' Die Aktualisierung der Tradition vom neuen Exodus geht mit der Übernahme einer Perspektive von außen einher. Der Standpunkt ist in der Wüste; der Blick richtet sich auf das Land. Gott wird nicht in Blickrichtung, im Land erwartet, sondern im Rücken des Sprechers vermutet: Er kommt von der Wüste in das Land; die Landnahme vollzieht sich erneut. Vorausgesetzt ist damit, dass Gott im Land nicht anzutreffen ist: Mit der Aktualisierung der Exodustradition ist eine kritische Haltung gegenüber dem Tempelkult, als dem institutionalisierten Ort der Gottesbegegnung verbunden. Jes 40,3 spielte für die Widerstandsbewegungen gegen die römische Vorherrschaft zur Prokuratorenzeit möglicherweise eine Rolle (vgl. Jos,

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Gese, Elia, 147; Ohler, Elia. 4f Vgl. Schürer II. 515f; Ohler. Elia, 6-12; ders., Elijah. 461-464. Vgl. zur Gestalt Elias im MarkusevangeUum weiterhin Dautzenberg. Elija; Stegemann. Erwägungen. 4Q176a. Fragm 1.6.7 und IQSVIII12-14 bezieht „in der Wüste" wie auch der Masoretische Text auf den Ort der Wegbereitung. Im Targum und in der Peschitta hingegen wird die Zäsur des Satzes verändert und die Ortsangabe wie in der Septuaginta auf die Stimme bezogen. Zu den Verständnistraditionen von Jes 40.1-5 vgl. Snodgrass. Stream, 25-32; zur markinische Textform ebd.. 34f

Gones Handeln in der Geschichte

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Ant X X 97-99.167-168.169-172.188; Bell VII 4 3 7 f ) . " Die Täuferbewegung war von solchen Vorstellungen mitgeprägt."

Im Markusevangelium wird das Motiv der politischen Befreiung im Kontext der Exorzismuserzählungen aufgegriffen, jedoch nicht explizit verhandelt.'"® In der Frage nach der Steuer (Mk 12,13-17) wird das Verhältnis von Gott und Kaiser thematisiert, aber nicht eindeutig bestimmt."" Das Jesajabuch und insbesondere die Verkündigung Deuterojesajas spielen im Markusevangelium eine beträchdiche Rolle, so dass anzunehmen ist, dass die Vorstellung von Gott als Befreier die Gottesvorstellung im Markusevangelium mitgeprägt hat. Die Art und Weise dieser Prägung ist jedoch andersartig als die Aufnahme der Vorstellung in den jüdischen Widerstandsbewegungen. Die Orientierung an der Herrschaft Gottes erfordert im Markusevangelium nicht den gewaltsamen Kampf gegen die römische Verwaltung.'"^ Theozentrisch ist der Beginn der Evangelienerzählung nicht nur wegen der Aussage und Perspektive des eröffnenden Satzes des Prologs, sondern auch aufgrund der den Prolog umschließenden Inclusio: Die Verse I4f formulieren Jesu Verkündigung in einem Summarium, welches die ßaaiXela roD Oeov als Schlüsselbegriß"der Verkündigung Jesu erweist. Die Bedeutung dieses Schlüsselbegriffs fiir die Gottesvorstellung im Markusevangeüum ist nun zu bestimmen. Die Bedeutung der Reich-Gottes-Verkündigungfur

die Gottesvorstellung

Die Verkündigung Jesu stellt Gott ins Zentrum: Er verkündigt die Nähe der Gottesherrschaft und das Evangelium Gottes. Dechow entwickelt - an der Markusinterpretation von Vouga orientiert - am Verhältnis von M k 1,1 und 1,14 seine These von der „Theozentrik" des MarkusevangeUums, worunter er die Ausrichtung des Evangehums auf die Verkündigung von der nahe gekommenen Gottesherrschaft ver-

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Vgl. Schwanz, Temple, passim. Zur Klärung der Bedeutung von Jes 40,3 bezieht sich Schwartz vor allem auf I Q S V I I I 1 3 - 1 6 und I X 19.20. Marcus, Mark, 143 (vgl. ders., Way,13-15), weist darauf hin, dass dort die beiden einleitenden Worte von Jes 40,3 (Stimme des Rufenden) fehlen. Dies schränkt aber die Bedeutung des Verses für das Selbstverständnis der Qumran-Gemeinschafi nicht ein. Kritisch diskutiert Longenecker, Wilderness, passim, die von Schwartz und Marcus vorgelegte Interpretation. Vgl. zur Bedeutung der Wüste für das Selbstverständnis der Qumrangemeinde weiter Safrai/Eshel, Art. Economic Life, 229; Knibb, Art. Rule o f Community, 794. Zu den Verständnistraditionen von Jes 40,1-5 vgl. Snodgrass, Streams.

99

Vgl. Schwartz, Temple, 38; Webb, John, 377f. Zur Bedeutung der Wüste vgl. weiter Rhoads/Michie, Mark, 6 5 6 Malbon, Space, 72f. Tilly, Was seid ihr, 279, erklärt die Wahl der Wüste als Ort des Wirkens von Johannes in Hinsicht auf seine Botschaft als neue Offenbarung antitypisch zu derjenigen im Zusammenhang des Wüstenaufenthalts der Israeliten und in Hinsicht auf seine Person als deren Legitimierung als neuer Mose.

100

S. dazu unten, S. 2 4 4 und 266.

101

S. unten, S. 307.

102

Vgl. Evans, Function, 679; Myers, Binding, 124-127. Marcus, Mark, 139f, sieht den Prolog von der prä-apokalyptischen Theologie Deuterojesajas geprägt und erkennt darin einen Reflex der vom jüdischen Krieg geprägten Entstehungssituation des Markusevangeliums.

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Gott als der Herr der Geschichte

steht, und die Bestimmung der Christologie als eine diese Botschaft legitimierende Größe: „Das fi-ohmachende Evangelium von Jesus, dem Christus und Gottessohn liegt darin, daß dieser selbst eine frohmachende Botschaft zu verkünden hat - das Evangelium Gottes von der Erfüllung der Zeit und der Nähe der Herrschaft Gottes. Es ist nicht die hoheidiche Identität des Verkündigers... sondern eben diese Verkündigung, bezüglich derer die Rezipiemen zu einer Stellungnahme herausgefordert werden.""" Auch wenn M k l , 1 4 f d e n BegrifF„Evangelium Gottes" auf die Verkündigung Jesu bezieht, darf doch nicht übersehen werden, dass dieser Ausdruck Bestandteil der fnihchrisdichen Missionssprache i s t ' " und das Christusereignis bezeichnet. Es ist deswegen nicht möglich, den Ausdruck auf Jesu Verkündigung vom Reich Gottes in einer die Christologie ausschließenden und sich von dieser abgrenzenden Weise zu beziehen. Die Verkündigung Jesu und das Christuskerygma fließen im Evangeliumsbegriff zusammen; eine scharfe Trennung ist meines Erachtens ebenso wenig textangemessen wie eine Gleichsetzung vom Evangelium Gottes und Christologie."" Die ältere These, dass nämlich das Markusevangelium mit Hilfe des Evangeliumsbegriffs die Logienüberlieferung integrierte, die Gewichtung also anders ist als von Dechow vorge-

103

Dechow, Gottessohn, 42.

104

Vgl. IThess 2,2.8; IIKor 11,7; Rom 1,1; IPett4,17; ITim 1,11; Act 2,24; vgl. Kertelge, Epihanie, 261; Frankemölle, Evangelium, 159.

105

Vgl. zum Beispiel Marxsen, Markus, 131.134. Dechow untersucht das Evangelium synchron und will sich daran orientieren, was das Evangelium wie und in welcher Reihenfolge erzähle (Dechow, Gottessohn, 10-17). Die folgenden Ergänzungen und daraus entstehenden Modifikationen möchte ich vorschlagen: (1) Beachtet man, wie Dechow es fordert, die Reihenfolge der Erzählung und berücksichtigt dabei die Parallelisierung von Johannes und Jesus, ist zu würdigen, dass Johannes der Täufer in Vers 6 als Elias redivivus beschrieben wird. Die Erzählung interessiert sich eben nicht nur für seine Tauftätigkeit und seine Verkündigung, sondern durchaus auch für seine Person. Die Beschreibung der Person des Johannes steht zwischen der Darstellung seiner Tauftätigkeit sowie der damit verbundenen Verkündigung (Mk l,4f) und seiner Ankündigung des kommenden Stärkeren (Mk 1,7f). Z u erwanen ist also, dass auch hinsichdich der Gestaltjesu ein Interesse an seiner Person und nicht nur an seiner Verkündigung geweckt wird. Unterstützt wird diese Erwartung dadurch, dass Johannes den laxvpözfpoi; ankündigt; Stärke ist die Eigenschaft einer Person, nicht die einer Botschaft; sie zeigt sich außerdem eher am Wirken einer Person als an deren Verkündigung. Die Darstellung des Johannes weckt meines Erachtens das Interesse an der Person Jesu mindestens ebenso sehr wie an seiner Verkündigung. N u n ließe sich, wenn man die methodischen Grundsätze nicht rigide handhabt, die These Dechows mit dem Hinweis darauf verteidigen, dass „der Stärkere" im Sprachgebrauch der Septuaginta Gott bezeichnet (Jes 27,12f; Jer 13,24; Mal 3,19 U.Ö.). Wenn diese Bedeutung durchgehalten und der Stärkere nicht mit Jesus identifizien vrärde, verhielte sich Johannes zu Jesus so wie Jesus zu Gott, die Charakterisierung jesu diente mithin der „Steigerung" der Würde der Personen in ihrer Funktion als Ankündigenden. Dagegen ist aber einzuwenden, dass Johannes im Markusevangelium der direkte Vorläufer Jesu und nicht der indirekte Vorläufer Gottes ist; der Neueinsatz in M k 1,9 und die Vorstellung einer Ablösung des Johannes durch Jesus in M k 1,14 deuten daraufhin, dass die Erzählung Jesus mit dem „Stärkeren" identifiziert, wie es auch Dechow, ebd., annimmt. Hinzuzufügen ist, dass nach Auskunft des Markusevangeliums die Ankunft des Reiches Gottes mit der Ankunft des Menschensohns und nicht Gottes einhergeht (Mk 8,38-9,1; 13,27; 14,62; eine Ausnahme bildet die Vorstellung in M k 12,9; der Vers ist aber noch Teil der Parabel). (2) Wie Dechow anerkennt, entspricht die Verwendung des Begrif]^ „Evangelium" in M k 1,1; 13,10; 14,9 dem frühchrisdichen Gebrauch und bezeichnet das Kerygma. Z u Recht weist er daraufhin, dass die Verwendung in M k 8,38; 10,29 auf eine Unterscheidung zwischen Jesus und dem EvangeUum hinweist. Er führt diese darauf zurück, dass in M k 8,38; 10,29 Jesus selbst der Sprecher ist. Aus diesem Befund schließt er, dass nur Jesus als der Sohn Gottes autorisiert sei, das Evangelium vom nahenden Gottesreich zu verkündigen (ebd, 281) und dieses Evangelium von anderen Menschen, also der Gemeinde, nur verkündet werden könne, wenn sie zugleich Jesus als Sohn Gottes verkündigten: „Die Jünger können die eschatologische

Gottes Handeln in der Geschichte

71

schlagen, erscheint weiterhin plausibler. Die Interpretation Dechows kann weiterhin in den Auslegungen der Perikopen, die die Hoheit Jesu und die Passion thematisieren, nicht übetzeugen'»' A n g e s i c h t s d e r g r o ß e n Z a h l a n A r b e i t e n z u m M a r k u s e v a n g e l i u m ist es v e r w u n d e r lich, dass eine n e u e r e U n t e r s u c h u n g d e r R e i c h - G o t t e s - V o r s t e l l u n g i m M a r k u s e v a n g e l i u m f e h l t . D i e b e i d e n letzten U n t e r s u c h u n g e n v o n A l o y s i u s A m b r o z i c u n d W e r n e r H . K e l b e r s i n d i n d e n 7 0 e r J a h r e n erschienen.'"^ T r o t z d e r h e r a u s g e h o b e n e n Position v o n M k 1 , 1 4 f u n d der theozentrischen Akzentuierung der V e r k ü n d i g u n g J e s u e r s c h l i e ß t d i e R e d e v o m R e i c h G o t t e s die G o t t e s v o r s t e l l u n g n u r geringfügig. D a f ü r s i n d die f o l g e n d e n G r ü n d e z u n e n n e n : ( 1 ) D i e ß a o L X e i a e r s c h e i n t i m E v a n g e l i u m e h e r als e i n R a u m d e n n als ein G e s c h e h e n k o n z i p i e r t z u sein, sie i n also e h e r m i t K ö n i g r e i c h als m i t K ö n i g s h e r r s c h a f t z u übersetzen: M a n k a n n sie b e t r e t e n ( M k 9 , 4 7 ; 1 0 , 2 3 - 2 5 ) , i h r n a h e sein ( M k 1 2 , 3 4 ) u n d i n i h r W e i n t r i n k e n ( M k 1 4 , 2 5 ) . " " D i e A u s s a g e n b e t r e f f e n m i t h i n w e n i g e r d e n j e n i g e n , d e r die H e r r s c h a f t ausübt, G o t t , als v i e l m e h r d e n R a u m , i n d e m sie a u s g e ü b t w i r d . " " (2) A u f d e r Z e i t e b e n e ist die ßaoLÄeia

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vov Geov e h e r eine z u k ü n f t i g e als e i n e g e g e n w ä r t i g e G r ö ß e ( M k 1 , 1 4 ;

Botschaft nicht selbst weitergeben, sie können aber von dem verkündigenden Jesus reden und so die eschatologische Verkündigung als eine weiterhin aus dem Munde Jesu ergehende Botschaft weitertragen." (ebd., 282). Diese Schlussfolgerung ist meines Erachtens nicht zwingend und auch nicht sachgemäß: M k 10,29 ist nicht auf die Zeit der Wirksamkeit Jesu beschränkt. Die beobachtete Unterscheidung zwischen Jesus und dem Reich Gottes ist nicht darin begründet, dass nur Jesus dieses Evangelium verkünden könnte. Die Aussendung der Jünger erfolgt in M k 6,7-13, nachdem Jesus in Nazareth abgelehnt wurde und bevor die Erzählung im Rückblick den Tod Johannes des Täufers schildert, mithin in einem Kontext, der auf die Passion Jesu und die nachösterliche Situation verweist. Die Jünger erhalten die Vollmacht, unreine Geister auszutreiben und den Auftrag zu verkündigen {KT}pvaoüi)-, als Inhalt ihrer Verkündigung wird der Umkehrruf genannt (Mk 6,12). Das Verb kommt im Markusevangelium nur dreimal vor: i n M k 1,4.14 und 6,12. Die Verkündigung des Täufers ging nicht mit Exorzismen einher, so dass vermutlich nicht auf M k 1,4 rekurriert wird; dieser Befund macht es doch sehr wahrscheinlich, dass die Zwölf beauftragt wurden, die Botschaft von M k l,14f zu verkündigen. Von M k 9,38 her ist es nicht unwahrscheinlich, dass dies im Namen Jesu geschah, aber wohl kaum in der Weise, dass sie den das Evangelium Gottes verkündigenden Gottessohn verkündeten. Es ist nicht nur Jesus, der die Botschaft vom kommenden Gottesreich verkündigt. Vgl. dazu Guttenberger, Rezension Dechow. Zu erwähnen wäre allen&lls France, Government. Die Studie arbeitet das Profil der marldnischen Verwendung jedoch nicht heraus. Die Arbeiten von Kelber und Ambrozik haben wenig Resonanz geftinden und werden im Kommentar von Marcus nur noch beiläufig besprochen; Witherington erwähnt die Veröffentlichungen nicht einmal mehr. Gegen Dechow, Gottessohn, 62, der entgegen seinen methodischen Grundsätzen für ein bildliches Verständnis des Verbs daepxoßUL auf den Sprachgebrauch bei Matthäus, Lukas, Johannes und im Hebräerbrief hinweist. Dabei berücksichtigt er nicht hinreichend, dass an den angeflihrten Stellen eine bildliche Bedeutung nahe gelegt wird, weil mit dem Verb keine Substantive mit örtlicher Bedeutung korrespondieren. BaoiAeLa kann hingegen eine örtliche Bedeutung haben; in Verbindung mit f lo€pxo|iai wird diese aktualisiert, eine übertragene Bedeutung für das Verb anzunehmen ist unnötig. Zur Traditions- und Überlieferungsgeschichte der Worte von „Hineingehen" vgl. Horn, Einlasssprüche. Gegen France, Government, 13. France, Government, 12-15, argumentiert von allgemeinem frühchristlichen und alttestamentlichen Sprachgebrauch in den JHWH-Königspsalmen her; die

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9,1).'"" In der Gegenwart der Erzählung ist die ßaaiXeia als Geheimnis gegeben und mit der Verkündigung in Gleichnissen verbunden (Mk 4,11).'" In M k 4 , 1 1 stehen va Trauva und fivavripLOU rijf ßaaiXeiaQ parallel, va wauza lässt sich nicht auf die Verkündigung allein einschränken, sondern bezeichnet die gesamte „Story" des Evangeliums."^ Anders als die Logienquelle deutet das Markusevangelium Jesu Wirken nicht ausdrücklich als Realisierung der Gottesherrschaft. Kein einziger Beleg begegnet in einem auch nur losen Zusammenhang mit Jesu Wundertätigkeit."' Aus Jesu Wirken kann nicht unmittelbar auf die Eigenart der ßaaLXeia tov 9eov zurückge-

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räumlichen Vorstellungen im Markusevangelium notiert er zwar, übersieht aber die Spannungen zur Übersetzung des Ausdrucks ßaoiXeia TOi) deoti mit Herrschaft bzw. government. Vgl. Marxsen, Evangelist, 89; Strecker, füayyfAioi'-Begriff, 78f; Scholtissek, Sohn Gottes, 71; Dechow, Gottessohn, 43-49; 61; Schenke, Markusevangelium, 120. Gegen Haenchen, Weg, 73; Gnilka, Markus 1,67; France, Government, 24f; Ambrozic, Kingdom, 21, und Kelber, Kingdom, lOf. Ambrozic, Kingdom, 21, und Kelber, Kingdom, lOf, verstehen Mk 1,15 von dem Ausdruck irewi^pojTai b KCCLpöc her als präsentische Aussage: „the eschatological time has been fiilfilled and the Kingdom of God has arrived." (Kelber, Kingdom, 10). Diese Aussage bestimmt Kelber als Kern der markinischen Theologie (vgl. ebd., 11). Es ist jedoch keineswegs zwingend, dass Mk 1,15 als synthetischer Parallelismus zu verstehen ist; anzunehmen ist vielmehr, dass die beiden Aussagen verschiedene Gegenstände haben, aus der präsentischen Aussage über den Zeitpunkt also nicht auf die Präsenz des Reiches Gottes geschlossen werden darf. Vgl. Marcus, Mark, 173. Die Interpretation der Parabeltheorie hat eine umfengreiche Literatur hervorgebracht und ist insbesondere fiir die „Messiasgeheimnistheorie" von Relevanz. S. unten, S. 314. Vgl. das Kapitel zur Parabeltheorie bei Räisänen, Secret, 76-143. Vgl. zum Beispiel Breytenbach, Nachfolge, 158f. Vgl. Koch, Wundererzählungen, 174-176; Lindemann, Erzählung, 199; Vouga, Habt Glauben, 94. Chilton, Transfiguration, 120, bestimmt zu Recht die Einsicht in die wahre Würde Jesu als das Verbindungsglied zwischen Reich-Gottes-Verkündigung und Wundertätigkeit. Vgl. die (über das Ziel hinausschießende) kreuzestheologische und zugleich „modalistische" Zuspitzung dieser These bei Chronis, Veil, 103. Oft wird das Verhältnis von Jesu Wirken und dem Reich Gottes nicht mit hinreichender Differenzierung wahrgenommen, vgl. die Positionen von Hahn, Verständnis, 55-57; Kee, Christology, 195; Breytenbach, Nachfolge, 205; Eckey, Markusevangelium, 32. Ausdrücklich interpretiert Scholtissek, Sohn Gottes, 73f, den markinischen Befund von der Logienquelle bzw. von Lukas und Matthäus her: „Die markinische Darstellung deckt sich mit der Intention Jesu nach Lk 11,20 und entfaltet sie narrativ." Kelber, Kingdom, 23; 41-43, verbindet die Wundertätigkeit Jesu mit der Reich-Gottes-Vorstellung mittels der Interpretation einer präsentischen Eschatologie: Die Präsenz des Reiches Gottes werde in den Wundern Jesu greifbar. Die Ambivalenz des eschatologischen Sachverhalts trägt Kelber über den Begriff des Geheimnisses des Reiches Gottes (Mk 4,11; vgl. Kelber, Kingdom, 42) wieder ein: In der Gegenwan ist das Reich Gottes verborgen. Diese Verborgenheit begründet er durch die dualistische Interpretation des Evangeliums zugespitzt zur These, dass das Reich Gottes zu unterliegen drohe (ebd., 41). Beide Hypothesenanteile die präsentische Deutung von Mk 1,14f und die dualistische Deutung, haben schwerwiegende Argumente g ^ e n sich (s. unten, S. 228 und 243), die Vermutung, dass das Reich Satans übermächtig zu werden drohe oder auch nur aggressiv agiere, ist nicht zu halten. S. unten, S. 252ff zum Motiv der Gegenwehr der Dämonen. Eine ähnliche Position vertritt Ambrozic, Kingdom, 44f; 244-247. Das mythische dualistische Element spielt bei ihm eine geringere Rolle, die ßaoiXfia setzt er mit Jesu Wirken in eins, vgl. ebd., 247. Ein Ausgleich mit der christologi-

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schlössen werden. Gleichwohl besteht eine „geheimnisvolle" Beziehung zwischen diesen Größen. Für die Zukunft erwartet das Evangelium das Kommen der ßaaiXda eu öuv&jj.ei}^'^ Das Verhältnis von der in der Erzählung gegenwärtigen und der zukünftigen Gestalt der ßaaiAeia kann nicht nur durch das Begrifispaar „verborgen — offenbar" beschrieben werden. Neben dieser Kategorie der Beschreibung, die sich auf M k 4,22 beziehen kann, müssen die Metapher der „Entwicklung" (Wachstumsgleichnisse) und der Begriff ef ovaia sowie sein Korrelat treten. Für die Fragestellung dieser Arbeit erbringt dieser Themenkomplex also keine inhaldiche Klärung, sondern eine Beschreibung der Unklarheit als ein intentionales Geschehen, als Geheimnis. (3) Im Markusevangehum werden nur zwei Reich-Gottes-Gleichnisse überliefert (Mk 4,26.30). Beide verwenden Vegetationsmetaphern, soziomorphe Metaphern fehlen."'

sehen Zielsetzung und der Bedeutung der Passionstradition erfolgt in beiden Ansätzen nicht. Die markinischen Wundererzählungen haben einen starken christologischen Akzent; das ist eine richtige Beobachtung der Vertreter der These, dass die Wundererzählungen eine 0e"iof i f Tjp-Christologie vertreten. Zu den mit der Verwendung dieses Begriffs notwendigen Kautelen vgl. Frenschkowski, Offenbarung II, 187-191. 114

Dass die Verklärungserzählung (Mk 9,2-8) der Ankündigung des Eintreffens des Reiches Gottes noch in dieser Generation (Mk 9,1) folgt, will die Nähe des Reiches Gottes nicht vorwegnehmen und ist nicht als Erfüllung der Ansage zu verstehen. Vgl. Lührmann, Markusevangelium, 153.

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Die Anspielung in Mk 4,29 aufJoel 4,13 lässt eine Identifizierung des Bauern mit Gott als möglich erscheinen. (Die allegorische Deutung der Gleichnisse auf der Ebene der markinischen Redaktion ist durch Mk 4,13-20 hinreichend belegt; vgl. weiter Mk 8,14-21). Marcus, Mystery, 172f, hat die Argumente, die diese Deutung unwahrscheinlich machen, genannt: Der Bauer ist vor allem durch seine Untätigkeit und seinen Schlaf gekennzeichnet. Insbesondere das Motiv des Schlafs lässt sich mit der biblischen Gottesvorstellung nicht vereinbaren. Darüber hinaus repräsentiert die Erde die Leben und Wachstiun verleihende Kraft. Ihre Rolle ließe sich, würde der Bauer mit Gon identifiziert, nicht mehr hinreichend beschreiben: „Thus the ,automatic' earth, not the farmer, is the divine actor in the parable and it is unlikely that Mark intended the farmer to be understood as God." (Marcus, Mystery, 173). Mk 4,3-9 ist kein Reich-Gottes-Gleichnis und gehört deswegen nicht in diesen Zusammenhang. Es soll aber erwähnt werden, dass auch in diesem Gleichnis Gott nicht durch eine Person repräsentiert wird: Gott ist nicht der Sämann. Es verhält sich wie in Mk 4,26-29: Gott steht hinter dem Wachstum auf dem guten Boden und damit als Kraft des Gelingens und Lebens gegen die Kräfte des Scheiterns und des Todes. Vgl. Marcus, Blanks, 254f, der sich jedoch schließlich für eine „composite identity" des Sämanns ausspricht, an der Gort, Jesus und die Jünger ihren Anteil haben (ebd., 259f). Mk 12,1-12, wo eine soziomorphe Metapher für Gott verwendet ist, ist bezeichnenderweise kein Reich-Gottes-Gleichnis. Es ist weiterhin festzuhalten: Mk 12,1-12 interpretiert die Evangelienerzählung und verzichtet dabei auf die Vorstellung vom Reich Gottes: Jesus unterscheidet sich von den Propheten hinsichtlich seines Verhältnisses zu Gott, nicht jedoch in Bezug auf seinen Auftrag. Neben die Hochschätzung von Mk l , l 4 f - und damit neben die Rolle der Reich-Gottes-Verkündigung für die Konzeption des Evangeliums muss die durch M k l 2 , l - 1 2 erfolgende Interpretation der Erzählung treten. Eine Harmonisierung sollte nicht voreilig erfolgen; gegen Rhoads/Michie, Mark, 74: „It is at this point in the Störy world that the narrative opens, with the lord of the vineyard beginning something new by sending his son to the vineyard. What is new is the beginning of God's rule over the world."

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Damit wird der Akzent auf den Prozess gelegt;"® weder die Rolle Gottes noch die Gestalt des Gottesreiches werden anschaulich beschrieben. Gott erscheint als lebensspendende Kraft. Die „Person" Gottes hat auf Bildebene kein Pendant, gewiss keinen personalen Repräsentanten."'' Die Rede von der kommenden Königsherrschaft Gottes bleibt also umrisshaft; eine Annäherung an die Gottesvorstellung ist über die Ansage seiner königlichen Herrschaft hinaus nicht möglich. Die Gottesvorstellung wird in der Darstellung des Markusevangeliums in Mk 1,14 nicht näher beschrieben."® Die Vorstellung vom Handeln Gottes am Ende der Zeiten: M k 1 3 Die Erwartung, das Ende des Evangeliums werde analog zu seinem Anfang in Beziehung auf die Schrift Aussagen über Gott machen und es damit dem Lesenden ermöglichen, einen Kreis zu schließen, nach der Darstellung von Gottes Handeln in und an Jesus wieder bei Gott anzukommen und in ihm denselben zu erkennen, von dem die Erzählung ausgegangen war, wird enttäuscht. In Mk 16,1-8 tritt zwar ein Bote Gottes an einem unwirtlichen Ort auf, so dass in Bezug auf den Prolog ein Rahmen um das Evangelium zu erkennen ist, von Gott ist aber eben nicht die Rede und auf das Alte Testament wird nicht einmal angespielt."' Mk 16,1-8 ist für das Markusevangelium anscheinend nicht „das Ende", dieses wird vielmehr in Mk 13 thematisiert.'^" In Mk 13 greift der Verfesser des Evangeliums wahrscheinlich auf eine schriftliche Quelle zurück, die die Verse 7.8.14-20.24-27 enthielt."' Dass der Verfasser des Evangeliums diese Vorlage aufnimmt, setzt voraus, dass er in ihr eine Weissagung erkannte, die seine Zeit auslegte. Die Aussagen dieser Verse müssen seiner Wahrnehmung nach seine Gegenwart beschreiben. Markus ist verantwortlich für die Verbindung der apokalyptischen Vorlage mit der Weissagung der Tempelzerstörung in den Versen 3f sowie für die mit den traditionellen paränetischen Logien in den Versen 28-37. Die Aufnahme der Verse 9-13 und 21-23, die mit ihren Themen der Verfolgung der Ge-

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Vgl. Scholtissek, Sohn Gottes, 71.82, und die Interpretation des AusdrucksTCnXiipUTaLö Kaipoi; von Dechow, Gottessohn, 64-68. Die Aussage von Grundmann, Markus, 52, das Neue der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu im Vergleich zu zeitgenössischen jüdischen Vorstellungen bestehe in der „Zuversicht des nahen Gottes ..." trifft also die Position des Markusevangeliums nicht. Diese Beschreibung steht in einem deudichen Widerspruch zur Darstellung von France, Government, 13-15 (s. oben, S. 17), der die markinischen Besonderheiten meines Erachtens harmonisierend übergeht. Vgl. Anderson, Old Testament, 281. Vgl. Marxsen, Evangelist, 142f; Breytenbach, Nachfolge, 162; ders., Erzählung, 154. Vgl. die ausfuhrliche Analysen bei Brandenburger, Markus 13,21-42, undTheißen, Lokalkolorit, 133-145.Die These von einer schriftlichen Vorlage geht auf Hölscher, Ursprung, zurück. Für eine schriftliche Quelle spricht vor allem Mk 13,14 mit der Anrede des Lesenden. Markus bevorzugt als Aufmerksamkeitsrufe und Deuteappelle ßifnfie (Mk 4,24; 13,5.9.23.33) und uKoveve (Mk 4,3.24). Diese richten sich an Zuhörende. Mk 13,14 setzt offenbar andere Rezeptionsbedingungen voraus als das übrige Evangelium.

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rechten und dem Auftreten von Messiasprätendenten und Propheten durchaus in „die apokalyptische Denkstruktur"gehören, könnten ihre Platzierung Markus verdanken."' Mk 13 ist in zwei Szenen zu gliedern: Mk 13,If und 3-37; die beiden Szenen sind mit Einleitungen versehen (Mk 13,la.3f). Die zweite Szene wird durch eine Jüngerfrage eröffnet und kennzeichnet das Folgende als esoterische Jüngerunterweisung, die durch Vers 37 abgeschlossen vrird. Das Corpus dieser von Markus als Jüngerunterweisung gekennzeichneten Rede lässt sich wiederum in zwei große Teile unterteilen: Mk 13,5-27 und 28-36. Die Verse 5-27 geben einen Geschichtsüberblick,"'' die Verse 28-36 kommentieren und reflektieren die Folgen auf paränetischer Ebene: Sie erläutern, wie mit diesem Geschichtsüberblick umzugehen ist. Die Verse 5-27 lassen sich in drei Szenen, die durch drei paränetische Abschnitte getrennt werden, gliedern: Die Verse 5f leiten die Rede mit einer Warnung vor illegitimer Offenbarungsrede ein. Die Verse 7f schildern eine erste Phase des eschatologischen Geschehens: den Anfang der Wehen. Der zweite paränetische Abschnitt reicht von Vers 9 bis zu Vers 13 und thematisiert das Verhalten in Verfolgungssituationen. Der Höhepunkt der eschatologischen 9A.ii(ii.