Die Verfassungsbindung der politischen Parteien [1 ed.] 9783428477500, 9783428077502

Die sich verstärkende Tendenz, parteipolitisches Wirken unmittelbar an der Verfassung zu messen, gibt dazu Anlaß und läß

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Die Verfassungsbindung der politischen Parteien [1 ed.]
 9783428477500, 9783428077502

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Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft

Band 74

Die Verfassungsbindung der politischen Parteien Von

Georg König

Duncker & Humblot · Berlin

GEORG KÖNIG

Die Verfassungsbindung der politischen Parteien

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 74

Die Verfassungsbindung der politischen Parteien Von

Georg König

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

König, Georg: Die Verfassungsbindung der politischen Parteien / von Georg König. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 74) Zug!.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07750-4 NE:GT

D6

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-07750-4

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Sommersemester 1992 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen worden. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Walter Krebs, der die Arbeit angeregt und betreut hat. Für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens bin ich Herrn Professor Dr. Ingwer Ebsen sehr verbunden. Ferner danke ich Herrn Professor Dr. Hans-Uwe Erichsen und den Mitherausgebern für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft". Ich widme die Arbeit meinen Eltern zum Dank für ihre Förderung und Unterstützung.

Warendorf, im Dezember 1992

Georg König

Inhaltsverzeichnis

A.

Einleitung...................................................... 13 I.

Die Verfassungsbindung der politischen Parteien als verfassungsdogmatisches Problem ..................................................... 13

11. Mögliche Bindungsgrade ......................................... 14 III. Bedeutung der Verfassungsbindung für die politischen Parteien .............. 15

B.

Globale Verfassungsbindung der politischen Parteien - Art. 20 ßI GG ......... 17 I.

Zuordnung der Parteien zu Staat oder Gesellschaft als Ausgangspunkt der Beantwor· tung der Frage nach der Verfassungsbindung der politischen Parteien .......... 17

11. Die politischen Parteien als außerhalb der organisierten Staatlichkeit stehende Gruppierungen ................................................ 21

C.

Einzelnonnanalyse................................................ 26 I.

Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I.

Parteien und mittelbare Drittwirkung der Grundrechte ................ . . 26

2.

Durch Art. 21 I 3 GG vermittelte Einwirkung der Grundrechte auf das Handeln der Parteien ............................................... 31 a)

Repräsentation und moderne Massendemokratie ................... 32

b) Instrumentale Hilfe der Parteien bei der politischen Willensbildung des Vol· kes als notwendige Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit repräsentativer Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 c)

Notwendigkeit innerparteilicher Demokratie als Folge der unverzichtbaren Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes .. 34

d) Grenzen innerparteilicher Demokratie .......................... 37 e) Grundrechte und innerparteiliche Demokratie ..................... 38 aa) Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 (1) Meinungsbildungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

(2) Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 (a) Ehrverletzende. verfassungsfeindliche und unsachliche Äußerungen ................................... 42

Inhaltsverzeichnis (b) Zulässigkeit der Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber der Öffentlichkeit ....................... 43 (c) Grenzen der Meinungsfreiheit jenseits ehrverletzender und unsachlicher Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 bb) Gleichheitsgebot ...................................... 49 (I) Beziehung "Partei - Mitglied" I "Mitglied - Mitglied" ........ 51

(a) Allgemeiner Gleichheitssatz ........................ 51 (b) Besondere Gleichheitssätze (Art. 3 11, 3 III GG) . . . . . . . . . . 53 (aa) Politische und religiöse Anschauungen, Glaube . . . . . . . 53

(bb) Art. 3 11, 3 III 1. Fan GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a)

Normativer Gehalt der Art. 3 11, 3 III 1. Fall GG ..... 55

aa) Wortlautauslegung ........................... 61

ßß) Entstehungsgeschichte ........................ 63

m

Systematische Auslegung ...................... 66

Oö) Rechtfertigung rechtlicher Ungleichbehandlungen von Männem und rrauen durch das Sozialstaatspnnzip? . . . . 69 ß)

Anwendung der Art. 3 11, 3 III 1. Fall GG im innerparteilichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

(ce) Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft ...... 73 (c) Wahlrechtsgleichheit und übrige Wahlrechtsgrundsätze ..... 74 (aa) Allgemeinheit, Freiheit und Gleichheit der Wahl ...... 74 a)

Allgemeinheit der Wahl ....................... 75

ß)

Freiheit der Wahl ............................ 76

n

Gleichheit der Wahl .......................... 77

(bb) Unmittelbarkeit der Wahl ...................... 78 (ce) Wahlgeheimnis ............................. 79 (2) Geltung der Wahlrechtsgleichheit und der übrigen Wahlrechtsgrund-

sätze bei der Aufstellung von Parteibewerhem für Parlamentswahlen ............................................. 80

(3)

~~ft'!ße~!~~iC~~~i~s~~t~ ~~ .~e~ .~e~~e.h~~~ .P~~i. -:.~~t~~i~~-.

83

ce) Vereinigungsfreiheit ................................... 84 (I) Internvereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

(2) Extemvereinigungen ................................ 85 dd) Versammlungsfreiheit .................................. 88

11. Bindung der Parteien an Verfassungsnormen außerhalb des Grundrechtsteils ..... 89 1.

Art. 21 GG ................................................ 89 a)

Art. 21 I 1 GG .......................................... 89

b) Art. 21 I 2 GG .......................................... 92

Inhaltsverzeichnis

9

c)

Art. 21 I 3 GG .......................................... 94

d)

Art. 21 I 4 GG .......................................... 97

e)

Art. 21 11 1 GG .......................................... 97

2.

Art. 26 I GG .............................................. 100

3.

Art. 38 I I GG

100

4.

Art. 38 I 2 GG

104

a)

Verbotscharakter des Art. 38 I 2 GG .......................... 105

b) Bindung der Parteien an Art. 38 I 2 GG

107

aa) Wortlaut und Entstehungsgeschichte

107

bb) Systematische Auslegung ............................... 108

D.

5.

Art. 39 I I GG ............................................ 111

6.

Art. 48 I, 11 GG ........................................... 114

7.

Art. 65 GG ............................................... 116

Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 119 I.

Fehlen einer eine Globalbindung der politischen Parteien anordnenden Verfassungsbestimmung ................................................. 119

11. Grundrechtsbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 119 111. Bindung an die Verfassungs vorschriften außerhalb des Grundrechtsteils ....... 122 IV. Bei der Analyse der Verfassungsmäßigkeit von Handlungen der politischen Parteien zu unterscheidende Untersuchungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 124 V. Bindung der Parteien an die Verfassung .............................. 124 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127

Abkürzungsverzeichnis AcP

Archiv für die civilistische Praxis

AfP

Archiv für Presserecht

AK-GG

Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAGE

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

BayVBI.

Bayerische VerwaItungsbläuer

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BWahlR

Bundeswahlrecht

BWG

Bundeswahlgesetz

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DuR

Demokratie und Recht

DVBI.

Deutsches Verwaltungsblau

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

GG

Grundgesetz

HA

Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates

Hamb.VerfG

Hamburgisches Verfassungs gericht

HdbDStR

Handbuch des Deutschen Staatsrechts

HdbStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

HdbVerfR

Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland

HessStGH

Hessischer Staatsgerichtshof

JA

Juristische Arbeitsblätter

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

Abkürzungsverzeichnis JR

Juristische Rundschau

Jura

Jura, Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

MittHV

Mitteilungen des Hochschulverbandes

Nds.StGH

Niedersächsischer Staatsgerichtshof

Nds.Verf.

Vorläufige Niedersächsische Verfassung v. 13.4.1951

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

11

NWVBL

Nordrhein-WestfaIische Verwaltungsblätter

OVG

Oberverwaltungsgericht

OVGE

Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg

ParlR

Parlamentarischer Rat

ParteiG

Gesetz über die politischen Parteien

PVS

Politische Vierteljahresschrift

SRP

Sozialistische Reichspartei

VerwArch.

Verwaltungsarchiv

VG

Verwaltungsgericht

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WPrüfG

Wahl prü fungsgericht

WRV

Weimarer Reichsverfassung

ZfP

Zeitschrift für Politik

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht

ZIAS

Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht

ZParl

Zeitschrift für Parlamentsfragen

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZTR

Zeitschrift flir Tarifrecht

A. Einleitung I. Die Verfassungsbindung der politischen Parteien als verfassungsdogmatisches Problem Das Handeln der politischen Parteien wurde in der Vergangenheit zum wiederholten Male an der Verfassung gemessen. Den Gegenstand der Erörterungen bildete dabei nicht nur die Verfassungswidrigkeit parteipolitischen Wirkens in seiner Gesamtheit (Art. 21 11 1 GG), sondern es wurden auch einzelne Maßnahmen, in erster Linie Parteitagsbeschlüsse, auf ihre Vereinbarkeit mit den Bestimmungen des Grundgesetzes hin überprüft, ohne daß man gleichzeitig die Verfassungsmäßigkeit der jeweils betroffenen Partei als solcher in Zweifel zog. So standen in den sechziger Jahren etwa Koalitionsvereinbarungen in der verfassungsrechtlichen Diskussion!, während es in jüngster Zeit vor allem sogenannte Rotationsbeschlüsse2 und Quotierungsregelungen3 waren. Die sich verstärkende Tendenz, parteipolitisches Wirken unmittelbar an der Verfassung zu messen, gibt dazu Anlaß und läßt es als sinnvoll und lohnenswert erscheinen. sich mit der Frage auseinanderzusetzen. inwieweit die Verfassung generell verbindliche Maßstäbe für die Parteien setzen kann, inwieweit diese an die Verfassung gebunden sind. Eine Bindung an die Verfassung - in ihrer Gesamtheit - ist im Grundgesetz nur an einer Stelle ausdrücklich normiert, und zwar in Art. 20 III GG: Danach ist die Gesetzgebung an die velfassungsmäßige Ordnung und die vollziehende

1 Vgl. dazu die Nachweise bei Stern I. § 13 IV 3 Fn. 142 u. § 22 III 2 Fn. 199 f. sowie unten S. 116 Fn. 498 ff. Zum Begriff der Koalitionsvereinbarung vgl. unten S. 116 Fn. 496.

2 Zum Begriff vgl. unten S. 101 Fn. 414. Zur "Rotationsdiskussion" vgl. die umfangreichen Nachweise bei Schreiber. § 46 Rdnr. 11 Fn. 52 sowie Dehne. Rotation und Verfassungsrecht. passim.

3 Zu Quotierungsregelungen politischer Parteien vgl. Ebsen. S. I ff.; Henke. in Bonner Kommentar. Art. 21 Rdnr. 289; Heyen, DÖV 1989.649 ff.; Oebbecke. JZ 1988. 176 (179 ff.); Lange. NJW 1988. 1174 ff.: Maidowski. S. 184 ff.; v. Mangoldt / Klein / Achterberg / Schulte. Art. 38 Rdnr. 147 ff.; Schreiber. § 27 Rdnr. 13a. Zum Begriff der Quotierungsregelung vgl. unten S. 25 bei Fn. 41.

14

A. Einleitung

Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. Der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung bezeichnet hier den Gesamtbestand der Normen des Grundgesetzes4 • Die "Bindung" des Gesetzgebers an diesen Normenbestand beinhaltet die Verpflichtung, jedes Gesetz so zu gestalten, daß es mit den Inhalten der Bestimmungen des Grundgesetzes in Einklang steht. Ebenso wie die Gesetzgebung sind auch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an die VeIfassung gebunden, denn die in Art. 20 III GG angeordnete Bindung dieser Zweige der Staatsgewalt an "Gesetz und Recht" umfaßt auch die an das Grundgesetz5• Jegliche Staatstätigkeit hat sich also in dem durch die VeIfassung vorgegebenen Rahmen zu bewegen und ist an deren Bestimmungen zu messen 6• Für den Bereich der politischen Parteien fehlt es hingegen an einer Art. 20 III GG vergleichbaren Vorschrift, die deren globale Verfassungsbindung entsprechend der staatlichen vorschreibt. Eine die Parteien betreffende Bindung wird zwar möglicherweise durch Art. 21 I 3 GG statuiert. Diese bezieht sich in jedem Falle jedoch nicht auf die Verfassung schlechthin, sondern nur auf die "demokratischen Grundsätze" und des weiteren auch nicht auf das Handeln der Parteien im allgemeinen, sondern lediglich auf deren "innere Ordnung". Das Fehlen einer ausdrücklichen Bindungsanordnung schließt indes nicht von vornherein aus, daß auch das Wirken der Parteien in gleicher oder ähnlicher Weise wie staatliches Handeln an der Verfassung zu messen ist. Inwieweit das allerdings tatsächlich der Fall ist, bedarf einer genauen Analyse. Vor deren Vornahme ist zunächst ein Blick auf das Spektrum abstrakt denkbarer Bindungsgrade zu werfen und darüber hinaus darzulegen, welche Bedeutung der Verfassungsbindung für die politischen Parteien zukommt.

11. Mögliche Bindungsgrade

Eine umfassendere Bindung an die Verfassung als die durch Art. 20 III GG für den Staat angeordnete ist nicht vorstellbar. Die staatliche Bindung bildet den

4

Herzog, in Maunz I Dürig, Art. 20, VI., Rdnr. 9; Schnapp, in v. Münch I Kunig, Art. 20 Rdnr.

35: v. Mangoldt / Klein, Art. 20 Anm. VI 4 e; larass, in Jarass I Pieroth. Art. 20 Rdnr. 23: Stem

I, § 20 IV I; Stein, § 18 III I; Seifert. in Seifert I Hömig, Art. 20 Rdnr. 9.

50ssenbühl, HdbStR III. § 61 Rdnr. 27; lG/·ass. in Jarass I Pieroth. Art. 20 Rdnr. 26: Herzog. in Maunz I Dürig, Art. 20, VI., Rdnr. 51; Sc/1111idt-Aßmanll, HdbStR I. § 24 Rdnr. 24. 6 Darüber besteht heute Einigkeit, vgl. - statt aller - Mall/IZ / Zippelius. § 12 III 3; Herzog, in Maunz I Dürig, Art. 20, VI., Rdnr. 24.

111. Bedeutung der Verfassungsbindung für die politischen Parteien

15

Endpunkt eines Spektrums möglicher Bindungsintensität, das seinen Anfang bei der Bindungslosigkeit hat. Irgendwo innerhalb dieses Spektrums sind die politischen Parteien angesiedelt. Es ist einerseits vorstellbar, daß sie einer ähnlich oder genauso umfassenden Bindung unterliegen wie der Staat. Dies hätte zur Folge, daß sie ihr Handeln ausnahmslos an allen Verfassungsbestimmungen auszurichten haben, die ein bestimmtes Verhalten vorschreiben und die denkmöglich an die Parteien adressiert sein können. Eine Bindung an Bestimmungen des Grundgesetzes, bei denen letzteres nicht der Fall ist, scheidet hingegen von vornherein aus. Es ist andererseits aber ebensogut auch denkbar, daß das Grundgesetz für das Wirken der Parteien nur in geringem Maße von Bedeutung ist; daß sich ihr Handeln dagegen völlig unbeeinflußt durch die Verfassung vollzieht, erscheint bereits im Hinblick auf Art. 21 GG als ausgeschlossen.

III. Bedeutung der Verfassungs bindung für die politischen Parteien

Die Bindung an die Verfassung verpflichtet die Bindungsunterworfenen, ihr Verhalten an dem im Grundgesetz Normierten auszurichten. Handeln sie entgegen den dort niedergelegten Regeln, so verletzen sie die Verfassung. Die Verfassungsbindung hat zur Folge, daß das Grundgesetz zum Verhaltensmaßstab für die Bindungsadressaten wird. Das bedeutet jedoch längst nicht, daß jede einzelne Verfassungsbestimmung überhaupt oder in gleicher Weise für einen bestimmten Bindungsunterworfenen Relevanz erlangt. Dafür sind die Bestimmungen des Grundgesetzes zu unterschiedlich: Man denke hier nur an generalklauselartige wie etwa die Grundrechte oder Alt. 20 I GG, die von immenser Tragweite und praktischer Relevanz sind, einerseits und solche, deren Anwendungsbereich eher gering ist, etwa Art. 22 GG oder Art. 27 GG, andererseits. Im Rahmen einer Bindung an die Verfassung relevant werden, d. h. als Prüfungsmaßstab herangezogen werden, können nur solche Bestimmungen, die zum einen Verhaltensdirektiven statuieren und als deren Adressat der Bindungsunterworfene zum anderen denkmöglich in Betracht kommt. Eine Bestimmung, die demgegenüber nichts vorschreibt, die kein Ge- oder Verbot enthält, kann auch nicht verletzt werden. Ebensowenig kann eine Vorschrift, die ausdrücklich eine Verpflichtung nur an einen bestimmten Adressatenkreis richtet, ihn also abschließend bezeichnet, durch außerhalb dieses Kreises stehende Rechtssubjekte verletzt werden. Analysiert man die Bestimmungen des Grundgesetzes unter diesen beiden Geso ergibt sich, daß ein großer Teil von ihnen im Rahmen einer Verfassungs-

16

A. Einleitung

bindung der politischen Parteien ohne Relevanz bleibt. Dies gilt vor allem für Vorschriften des achten und der folgenden Abschnitte des Grundgesetzes, aber auch etwa für Bestimmungen wie Art. 34 bis 37 GG. Eine Bindung ist dagegen zum Beispiel denkbar bei den Grundrechten - einmal abgesehen von den rein staatsgerichteten Bestimmungen7 • Weitere Vorschriften, die im Rahmen einer Verfassungsbindung der Parteien Bedeutung erlangen können bzw. bei denen dies zumindest in Betracht zu ziehen ist, sind etwa Art. 38 I I GG, Art. 38 I 2 GG, Art. 65 GG sowie - dies versteht sich von selbst - Art. 21 GG. Wenn auch die Zahl der Bestimmungen, die dem Grunde nach als Verhaltensdirektiven für die Parteien in Betracht kommen, im Vergleich zum Gesamtbestand der Normen des Grundgesetzes eher gering ist, so lohnt es sich trotzdem, der Frage nachzugehen, inwieweit die Parteien an diese Vorschriften gebunden sind, denn wie die genannten Beispiele gezeigt haben, zählen zu den betreffenden Regelungen nicht nur solche von untergeordneter Bedeutung, sondern gerade die Fundamentalnormen des Grundgesetzes.

7 So kann etwa das in Art. 16 I GG statuierte Verbot des Entzugs der deutschen Staatsangehörigkeit sich nur an staatliche Stellen richten. und zwar auch nur an solche. die zu einem Entzug dem Grunde nach in der Lage sind. und zu diesen zählen die politischen Parteien ohne Zweifel nicht. Vgl. dazu auch Blecknuum. S. 175; Geiger. S. 9 f.; Böckenjörde. Grundrechtsgeltung. S. 77 (88).

B. Globale Verfassungs bindung der Parteien Art. 20 III GG I. Zuordnung der Parteien zu Staat oder Gesellschaft als Ausgangspunkt der Beantwortung der Frage nach der Verfassungs bindung der politischen Parteien Ordnet man die politischen Parteien, so wie von Teilen des älteren Schrifttums l befürwortet, dem Bereich organisierter Staatlichkeit zu oder qualifiziert man sie als "quasi öffentliche Gewalt" bzw. als "staatsorganähnliche Gebilde"2, so liegt es nahe, sie auch als einer globalen Verfassungs bin dung unterworfen anzusehen, und zwar entweder in direkter Anwendung des Art. 20 III GG oder aber, soweit es sich als unmöglich erweisen sollte, sie einer der hier genannten Adressatengruppen zuzuordnen, in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift. Kommt man demgegenüber zu dem Ergebnis, die Parteien seien nicht dem staatlichen, sondern dem nichtstaatlichen bzw. gesellschaftlichen Bereich zuzuordnen, so bedeutet das, daß sie grundSätzlich auch wie alle anderen nichtstaatlichen Rechtssubjekte an die Verfassung gebunden sind. Es erhebt sich dann weiter die Frage, ob sich für die Parteien eine gegenüber sonstigen gesellschaftlichen Gruppen verschärfte oder, dies ist zumindest theoretisch denkbar, privilegierte Verfassungsbindung bejahen läßt. Als normativer Anknüpfungspunkt für einen divergierenden Bindungsgrad der politischen Parteien kommt Art. 21 GG in Betracht, da sie durch diese Vorschrift aus dem Kreis der anderen gesellschaftlichen Gruppierungen herausgehoben werden. Ist der exakte Grad der Verfassungsbindung der Parteien unter Rückgriff auf Art. 21 GG ermittelt, so kann er wiederum einen Anhaltspunkt bei der Bestimmung des genauen Standorts der Parteien innerhalb des gesellschaftlichen Bereichs bzw. bei der Feststellung des Umfangs ihrer Annäherung an den Staat liefern.

1

Vgl. unten S. 21 Fn. 18.

2

Vgl. unten S. 22 Fn. 28 f.

2 König

18

B. Globale VerfasslIngsbindllng der politischen Parteien - Art. 20 III GG

Man könnte Bedenken haben, ob es sinnvoll oder überhaupt zulässig ist, die Beantwortung der Frage nach der Verfassungsbindung der politischen Parteien von ihrer Einordnung in die Kategorien Staat - Gesellschaft her zu entwickeln. Diese Bedenken können zum einen dahin gehen, daß bei einer derartigen Vorgehensweise kein ausreichender Normbezug gewahrt werden kann und zu stark auf außerrechtliche Aspekte zurückgegriffen werden .muß. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß keineswegs von vornherein ausgeschlossen ist, daß das Grundgesetz eindeutige Vorgaben für die Zuordnung der politischen Parteien zu einem der bei den Bereiche enthält. Weiter könnte man einwenden, daß der Grad der Verfassungsbindung der politischen Parteien auch ohne eine Standortbestimmung im vorstehend dargestellten Sinne ermittelt werden kann. Auch dieser Einwand ginge jedoch fehl. Zwar ist die Standortfrage dort belanglos, wo gesellschaftliche Gruppen gleichermaßen wie der Staat an die Verfassung gebunden sind, beispielsweise hinsichtlich der in Art. 26 I GG statuierten Friedensptliche. Nicht mehr umgehen läßt sie sich jedoch dort, wo die Bindungsgrade staatlicher und nichtstaatlicher Stellen divergieren, vornehmlich im Bereich der Grundrechte. Hinsichtlich der Grundrechte ist der Staat einer durch Art. 1 III GG noch einmal ausdrücklich unterstrichenen umfassenden Bindung unterworfen, während sich für Private nach überwiegender und zutreffender Auffassung aus den Grundrechten grundsätzlich keine unmittelbaren Verhaltensanforderungen ergeben4 • Zwar ist denkbar, daß einige Grundrechte vermittelt durch Art. 21 I 3 GG den Parteien gegenüber Anwendung finden können. Der Anwendbarkeit sind in diesem Falle jedoch insoweit Grenzen gesetzt, als Art. 21 13 GG über das Verhältnis Partei - Mitglied hinaus zwar möglicherweise noch die Beziehung Partei - Mitgliedschaftsbewerber erfaßt, es aber als ausgeschlossen erscheint, daß auch das Verhältnis zu Außenstehenden durch Art. 21 I 3 GG abgedeckt wird, da hier nur von "innerer" Ordnung die Rede ist. Die Frage, ob die Parteien auch im Verhältnis zum letztgenannten Personenkreis unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind, läßt sich demnach nur beantworten, indem man sich Klarheit über ihre Zuordnung zu den Kategorien Staat und Gesellschaft verschafft. Gegen eine Vorgehensweise, bei der die Einordnung in eine der beiden vorgenannten Kategorien zum Ausgangspunkt der Beantwortung der Frage nach der Verfassungsbindung der politischen Parteien gemacht wird, könnte schließ-

3

Vgl. unten S. 100.

4

Vgl. unten S. 26 ff.

I. Zuordnung der Parteien zu Staat oder Gesellschaft

19

lieh sprechen, daß die Unterscheidung Staat - Gesellschaft als solche heute überholt ist. In der Tat wird nicht nur von politikwissenschaftlicher, sondern auch von rechtswissenschaftlicher Seite6 die Berechtigung einer derartigen Unterscheidung im Zeichen der modernen Demokratie in Zweifel gezogen. Mit dem Denken in den Kategorien "Staat" und "Gesellschaft" seien die modernen Probleme der "Staats- und Verfassungstheorie" gedanklich nicht zu bewältigen7 . Die Grundschwierigkeit, die die begriffliche Trennung der beiden Größen mit sich bringe, bestehe darin, daß ihnen derselbe menschliche Verband zugrundeliege8 • Angesichts letztgenannter Erkenntnis sei die Infragestellung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft unabdingbar9 • Die vorgenannte Auffassung ruft die ohne Zweifel zutreffende Einsicht ins Bewußtsein, daß heute zwischen Staat und Gesellschaft zahlreiche Wechselbeziehungen und Verschränkungen bestehen JO • Von einer strikten Trennung beider Bereiche kann nicht mehr die Rede seinII. Der Umstand, daß die Gesellschaft nicht staatsfrei und der Staat nicht frei von gesellschaftlichen Einflüssen ist, läßt ihre verfassungstheoretische Unterscheidung allerdings nicht obsolet werden. Die Differenzierung zwischen Staat und Gesellschaft wird vielmehr vom Grundgesetz vorausgesetzt und festgeschrieben, und zwar insbesondere durch die Gewährleistung ausgedehnten Grundrechtsschutzes 12 •

5

Vgl. etwa v. Krockow. PVS 1965. 118 ff.

6 Ehl1lke, Festgabe f. Smend, S. 23 (24 f.); ders., Wirtschaft und Verfassung. S. 5 f.; Lipphardt, S. 551 ff.; Abendroth. Fs. f. Bergstraesser. S. 279 (287 ff.); Lennartz. S. 68; Naßmacher. aus politik und zeitgeschichte 1984 / B 8. 27 (31). 7

Ehl1lke, Festgabe f. Smend, S. 23 (24).

8

Ehl1lke. Festgabe f. Smend. S. 23 (24 f.); Lipphardt. S. 551.

9

Lipphardt, S. 551. Gegen Lipphardt überzeugend Kleffl1lanll, S. 28.

10 Vgl. Böckenförde, Staat und Gesellschaft, S. 395 (406 f., 408 f.); Karpen. JA 1986,299 (304); Kel1lpen, Formenwahlfreiheit, S. 35; EMers. S. 42; Meyer. Parteienrecht. S. 40; Klein, aus politik und zeitgeschichte 1974/ B 50. 3 (8); vgl. ferner Isensee, in Böckenförde. S. 317 (323); Hesse. VVDStRL 17 (1959).11 (19); Maurer, JuS 1991.881 (882). 11 Zur Geschichte der maßgeblich auf Hegel und Lorenz von Stein zurückgehenden Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft vgl. Zippelius. Allgemeine Staatslehre. § 27 I; Rupp, HdbStR I, § 28 Rdnr. 3 ff.; Angenllann, ZfP N. F. 10 (1963), 89 (89 ff.); weitere Nachweise bei Lipphardt. S. 552 Fn. 352.

12 Herzog. in Maunz / Dürig, Art. 20. 1.. Rdnr. 47; Kloepfer. S. 53 (60); Kleffmann. S. 28 f.; Meyer, Parteienrecht, S. 40; Kel1lpen, Formenwahlfreiheit. S. 32 f.; vgl. ferner v. Al7lil1l. StaatIehre. S. 174; Seifert. S. 17; Klein. aus politik und zeitgeschichte 1974/ B 50. 3 (8); Henke, NVwZ 1985, 616 (618); Halbe. S. 32 f.

20

B. Globale Verfassungsbindung der politischen Parteien - Art. 20 III GG

Indem das Grundgesetz die Demokratie als rechtsstaatliche und freiheitliche konstituiert (Art. 20 11 GG und Art. 28 GG), die Verbindlichkeit der Grundrechte auch für den Gesetzgeber anordnet (Art. 1 III GG) und sie in ihrem Kerngehalt (Art. 19 11, 79 III GG) für unantastbar erklärt, verbürgt es eine doppelte Freiheitssicherung l3 : Zum einen wird die Freiheit der Mitwirkung im demokratischen Entscheidungsprozeß, an Entscheidungen der Staatsgewalt sichergestellt, zum anderen aber auch die Freiheit gegenüber dem demokratischen Prozeß l4 • Eine solche zweifache Freiheitssicherung setzt notwendig die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft voraus. Wird diese Unterscheidung aufgehoben, so bedingt dies gleichzeitig die Beseitigung der zweiten der vorstehend genannten Freiheitsdimensionen, und es bleibt allein die Mitwirkungsfreiheit im demokratischen Prozeß. Die damit geschaffene totale Demokratie ist nicht mehr die des Grundgesetzes, denn ein grundrechtlich geschützter Bereich eigenverantwortlicher Lebensgestaltung ist hier nicht mehr denkbar. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ist mithin Bedingung individueller Freiheit l5 • Aber nicht nur in den Grundrechtsnormen und den sie flankierenden Schutzbestimmungen (Wesensgehaltsgarantie, Übermaßverbot, Art. 79 III GG usw.), sondern auch an anderer Stelle der Verfassung kommt zum Ausdruck, daß dem Grundgesetz die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft zugrundeliegt: Ohne eine solche Differenzierung wären die Kompetenzvorschriften der Art. 74 Nr. I GG, wo von "bürgerlichem Recht" die Rede ist, und der Art. 74 Nr. 12 GG einerseits sowie Art. 73 Nr. 8, 75 Nr. 1 GG andererseits, wo zwischen Arbeitsrecht und öffentlichem Dienstrecht unterschieden wird, nicht zu begreifen l6 . Auch und gerade unter dem Grundgesetz ist mithin die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft beizubehalten.

13 Böckenjörde, Staat und Gesellschaft, S. 395 (412); Karpell. JA 1986. 299 (306); Kempell, Formenwahlfreiheit, S. 36 f. 14 Böckenjörde, Staat und Gesellschaft, S. 395 (412); Ka/pen, JA 1986.299 (305 f.); Kempen. Fonnenwahlfreiheit, S. 36 f. - vgl. dort auch zum folgenden.

15 Rupp, HdbStR I, § 28 Rdnr. 27; Böckelljörde, Staat und Gesellschaft, S. 395 (407); Ka/pell. JA 1986,299 (302 u. passim); differenzierend Hesse, DÖV 1975,437 (440 ff.). 16 Herzog, in Maunz I Dürig, Art. 20, 1., Rdnr. 46; Kempell. Fonnenwahlfreiheit, S. 39 u. ebd. Fn. 20 i. V. m. S. 6 Fn. 14.

II. Politische Parteien als außerhalb der organisierten Staatlichkeit stehende Gruppierungen 21

11. Die politischen Parteien als außerhalb der organisierten Staatlichkeit stehende Gruppierungen Nunmehr ist auf die eingangs aufgeworfene Frage nach der Zuordnung der Parteien zu einem dieser Bereiche zurückzukommen und die These von der Staatlichkeit der politischen Parteien zu erörtern. Am nachdrücklichsten ist diese These von Leibholz vertreten worden: Mit der Aufnahme des Art. 21 GG in das Grundgesetz seien die Parteien zum ersten Male - auf Bundesebene - als die politisch und soziologisch notwendigen Instrumente für die Aktivierung des Volkes von der Verfassung rechtssatzmäßig anerkannt worden. Sie seien verfassungsmäßig legalisiert worden und hätten dadurch ihren früheren extra-konstitutionellen Status verloren. Die Parteien erschienen jetzt verfassungsmäßig als die Organisationen, die bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken haben. Damit seien sie zugleich zu Elementen des staatlichen Bereichs und der staatlichen Willensbildung gemacht worden 17. Die verfassungsmäßige Legalisierung der Parteien habe zugleich ihre Legitimierung zur Folge. Sie seien als "legitime politische Organisationen in das Staatsgefüge eingebaut worden"18. Auch in der frühen Rechtsprechung des BVerfG, die durch Leibholz beeinflußt wurde 19, sind Tendenzen einer Zuordnung der Parteien zur Staatsorganisation erkennbar. So führt das BVerfG in seiner ersten Entscheidung aus dem Bereich des Rechts der politischen Parteien aus, durch Art. 21 GG sei von Bundes wegen der moderne demokratische Parteien staat legalisiert und seien die Parteien in die Verfassung "eingebaut" worden. Ein solcher "Einbau" enthalte die Anerkennung, daß die Parteien nicht nur politisch und soziologisch, sondern auch rechtlich relevante Organisationen sind. Sie seien zu integrierenden Bestandteilen des Verfassungsaufbaus und des verfassungsrechtlich geordneten politischen Lebens geworden. Zwar seien sie "keine formierten »obersten Staatsorgane« in dem Sinne, wie es Landtag und Landesregierung" seien, jedoch "Staatsorgane ... , »Kreationsorgane« im Sinne Georg Jellineks,ao. In einer wenig später ergangenen Entscheidung heißt es, Art. 21 I GG habe die Parteien

17

Leibholz. Strukturprobleme, S. 72; ders., DVBL 1950, 194 (195).

Leibholz, Strukturprobleme, S. 72; ders., DVBL 1950, 194 (195); vgL ferner dens., Repräsentation, S. 245; auch Giese, AöR 80 (1955 I 56), 377 (378) bezeichnet die Parteien als "Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland". 18

19

VgL Seifert, S. 81; Henke, in Bonner Kommentar, Art. 21 Rdnr. 57, 58 u. 254.

20

BVerfGE I, 208 (225).

22

B. Globale Verfassungsbindung der politischen Parteien - Art. 20 111 GG

"aus dem Bereich des Politisch-Soziologischen in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution" erhoben 21 • Auch in seiner neueren Rechtsprechung greift das BVerfG zur Charakterisierung des Status der Parteien auf die Bezeichnung "Rang einer verfassungsrechtlichen Institution" zurück22 , betont nunmehr jedoch gleichzeitig deutlich die Nichtzugehörigkeit der Parteien zum staatlichen Bereich23 und ihre Verwurzelung im gesellschaftlichen Raum 24 •

Menger zufolge beinhaltet Art. 2 I GG eine Beleihung der politischen Parteien mit besonderen verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten. Durch diese Beleihung sei die ,,»Ära der verfassungsmäßigen Inkorporation« der Parteien eingetreten". Sie seien "Institutionen des öffentlichen Rechts,,25. Nach Bachof handelt es sich um "teilrechtsfähige Verbände des öffentlichen Rechts,,26. Ferner findet sich die Auffassung, die Parteien seien aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen inneren Organisation und der durch sie erfolgenden Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben als ,,»Vereinigungen« des öffentlichen Rechts sui generis" anzusehen27 • Darüber hinaus werden die Parteien als "quasi öffentliche Gewalt" charakterisiert. Eine derartige Klassifizierung finde ihre Rechtfertigung darin, daß eine verfassungsrechtIich begründete AufgabensteIlung und die Möglichkeit, einseitig rechtsgestaltend gegenüber dem Bürger tätig zu werden, einerseits wichtige Merkmale des StaatshandeIns, andererseits zugleich aber auch Merkmale des HandeIns der politischen Parteien seien, da diesen zum einen der verfassungsrecht\iche Auftrag zukomme, das staatliche Entscheidungshandeln zu beeinflussen, und sie zum zweiten jedenfalls insoweit einseitig rechtsgestaltend in die Grundrechtsausübung des Parteimitgliedes eingreifen könnten, als es um die Möglichkeit innerparteilicher Betätigung gehe 28 • Schließlich sind die politischen Parteien als "staatsorganähnliche Gebilde" bezeichnet worden 29 , wobei sowohl aus dieser als auch aus der Charakterisie-

21

BVerfGE 2, I (73).

22

Vgl. etwa BVerfGE 73, 40 (85); 44, 125 (145); 41, 399 (416); 20, 56 (100).

23

Vgl. BVerfGE 78, 350 (363); 73, 40 (85); 52, 63 (85); 20, 56 (101).

24

BVerfGE 20, 56 (101).

25

Menger, AöR 78 (1952/53), 149 (161 f.).

26

BacllOJ, AöR 83 (1958), 208 (274 Fn. 88).

28

Schneider, in Tsatsos / Schefold / Schneider, S. 151 (186). Hasenritter, S. 25 f.

29

Leisner, S. 381.

21

11. Politische Parteien als außerhalb der organisierten Staatlichkeit stehende Gruppierungen 23

rung als "quasi öffentliche Gewalt" ausdrücklich Konsequenzen für die Verfassungsbindung der Parteien, in concreto für ihre Grundrechtsbindung gezogen wurden: Letztere wurde unter Verweis auf die vorgenannten Charakterisierungen bejaheo. Die Befürworter der soeben dargelegten Auffassungen, die die Parteien entweder als Teil der Staatsorganisation ansehen oder sie zumindest in deren Nähe rücken, stützen sich bei der Begründung ihres Standpunktes maßgeblich auf die Verfassungsbestimmung des Art. 21 GG. Durch diese Vorschrift wird aber möglicherweise gerade eine gegenteilige Konzeption, nämlich die strikte Trennung von organisierter Staatlichkeit und Parteien und die Zuordnung der Parteien zum gesellschaftlichen Bereich, vorgegeben. Grundlage für die ausschließliche Verortung der Parteien im gesellschaftlichen Raum könnte zum einen der Grundsatz der Parteienfreiheit (Art. 21 I 2 GG) sein. Dieses Prinzip schließt jede staatlich-institutionalisierte Verfestigung31 der Parteien und ihre Einbeziehung in die Staatsorganisation aus 32 • Die Parteienfreiheit verlangt staatsfreie Parteien. Sie kann allein in Formen des Privatrechts verwirklicht werden, und die nach bürgerlichem Recht gegründeten Parteien bleiben Gebilde dieser Rechtskategorie 33 • Art. 21 I 2 GG liefert mithin eine erste wichtige verfassungsrechtliche Vorgabe für die Ansiedlung der politischen Parteien im gesellschaftlichen Raum. Darüber hinaus spricht die in Art. 21 I 3 GG getroffene Regelung für die Nichtzugehörigkeit der Parteien zum staatlichen Bereich. Diese Regelung wäre wenig sinnvoll, wenn die Parteien bereits als Teile des Staates dem Demokratiegebot verpflichtet wären. Ferner belegt auch der weitreichende Schutz vor staatlichen Parteiverboten durch das Parteienprivileg des Art. 21 11 GG die Staatsfreiheit der Parteien34 • Die Parteien nehmen weder bei ihrer Einflußnahme auf die Meinungsbildung im Volk noch bei ihrer Teilnahme an Wahlen organschaftliche Kompetenzen wahr, sondern vielmehr eine ihnen verfassungsrechtlich zugewiesene eigene Aufgabe 35 •

30

Leisller. S. 381; Hasellriuer, S. 26.

31

Hesse, VVDStRL 17 (1959). 11 (33).

32 Seifert, S. 78; Kirchhof, S. 303; Martells. S. 156; Starck. in v. Mangoldt I Klein I Starck. Art. 1 Rdnr. 159; Hellke. S. 18. Zur Verneinung des Status der politischen Parteien als Staatsorgane. öffentlichrechtliche Körperschaften oder sonstige Formgebilde der öffentlichen Gewalt vgl. auch die bei Seifert. S. 78 Fn. 66 ff. Genannten. 33

Martells. S. 156.

34

Kircllhof, S. 303; Seifert. S. 83.

35

Martells, S. 153; vgl. auch Maurer, JuS 1991,881 (889).

24

B. Globale Verfassungsbindung der politischen Parteien - Art. 20 III GG

Diese Aufgabe kann man als "öffentliche" bezeichnen36, wobei allerdings darüber Klarheit herrschen muß, daß dieser Begriff dann in einem umfassenden Sinne gebraucht wird, denn ein "als juristisch relevante Qualifizierung verstandener öffentlicher Status" kommt den Parteien nicht ZU 37 , und sie sind nicht Träger öffentlicher Gewalt38 • Nach allem sind die Parteien nicht dem staatlichen, sondern dem nichtstaatlichen Bereich zugehörig. Daher scheidet ihre Globalbindung gemäß Art. 20 III GG aus. Aus ihrer Verortung im außerstaatlichen Raum ist vielmehr zu folgern, daß sie im Grundsatz in gleicher Weise wie andere gesellschaftliche Gruppen an die Verfassung gebunden sind. Allerdings schließt der private Rechtsstatus der Parteien nicht aus, daß ihnen noch weitergehende Bindungen auferlegt sind39 • Eingedenk des Umstandes, daß Art. 20 III GG für die politischen Parteien keine Geltung erlangt und diese Vorschrift die einzige der Verfassung ist, in der eine Globalbindung angeordnet wird, erhellt sich die Verfassungsbindung der Parteien nur im Wege einer Analyse der Einzelbestimmungen des Grundgesetzes. Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für eine gegenüber sonstigen gesellschaftlichen Gruppen veränderte Grundgesetzbindung der Parteien kann dabei einzig Art. 21 GG sein, da die Parteien allein durch ihre explizite Erwähnung in dieser Vorschrift aus dem Kreis der übrigen dem nichtstaatlichen Bereich Zugehörigen herausgehoben werden. Namentlich Art. 21 I 3 GG kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, da es denkbar erscheint, daß diese Norm die Anwendbarkeit anderer Verfassungsbestimmungen, die für Private generell keine Geltung erlangen können, vermittelt. Die Auslegung des Art. 21 13 GG rückt damit in den Mittelpunkt der Bindungsfrage, und sie beeinflußt maßgeblich ihre Beantwortung. Verfehlt wäre es demgegenüber, bei der Beantwortung der Frage nach der Verfassungsbindung der politischen Parteien eine Vorgehensweise zu wählen, bei der zunächst der genaue Standort der Parteien innerhalb des nichtstaatlichen Raumes bzw. das Maß ihrer Annäherung an den Staat ermittelt und anschließend aus dieser Positionszuordnung der exakte Umfang ihrer Verfassungsbindung hergeleitet wird, denn hierbei könnte nur sehr bedingt ein verfassungs-

36

Vgl. § I 12 ParteiG; BVerfGE 52. 63 (85).

37

Martens. S. 155; vgl. dort auch S. 153 Fn. 449.

38

Pierotlz. in larass I Pieroth. Art. 21 Rdnr. I.

39

Vgl. Martens. S. 156.

11. Politische Parteien als außerhalb der organisierten Staatlichkeit stehende Gruppierungen 25

rechtlicher Normbezug gewahrt werden, und es erscheint ausgeschlossen, daß ein solches Verfahren im konkreten Einzelfall einer ein bestimmtes Parteihandeln betreffenden Bindungsfrage überzeugende Ergebnisse liefern kann40 • Ziel der nachfolgend durchzuführenden Einzelnormanalyse ist es zum einen, die Grundlage für generelle Aussagen über die Verfassungsbindung der politischen Parteien zu schaffen. Daneben soll sie aber auch konkrete Antworten auf praxisrelevante Bindungsfragen geben, etwa solche, die im Zusammenhang mit Quotierungsregelungen, also Regelungen, die darauf abzielen, einen bestimmten Mindestanteil an zu besetzenden Positionen Frauen zukommen zu lassen 4J , auftauchen. Um diese Untersuchungs ziele zu verwirklichen, bedarf es nicht der Analyse aller für die politischen Parteien als bindend in Betracht kommenden Verfassungsbestimmungen. Die Einzelnormanalyse soll denn auch vornehmlich auf solche Vorschriften erstreckt werden, bei denen sich die Anwendungsfrage bereits einmal in Praxis erhoben hat bzw. es naheliegt, daß sie sich dort erheben könnte. Bestimmungen, bei denen sie nur geringe oder gar keine praktische Relevanz erlangen kann, bleiben dagegen außer Betracht.

40

Vgl. auch Kllnig, HdbStR 11, § 33 Rdnr. 81.

41

Vgl. Ebsen, JZ 1989, 553 (553); vgl. ferner unten S. 56 Fn. 162.

C. Einzelnormanalyse I. Grundrechtsbindung

Zunächst ist der Frage nachzugehen, inwieweit die Grundrechte als rechtlicher Maßstab für das Wirken der Parteien herangezogen werden können. Die Grundrechte haben verpflichtenden Charakter, d. h. sie statuieren jeweils bestimmte Ge- oder Verbote. Aus diesem Grunde kommt ihnen die Qualität eines Verhaltensmaßstabes zu, so daß sie prinzipiell auch im Rahmen der Verfassungsbindung der politischen Parteien Relevanz erlangen können. Die einzelnen Grundrechtsbestimmungen selber nennen die Adressaten der in ihnen niedergelegten Verhaltensregeln niche. Eine Aussage über ihren Adressatenkreis trifft vielmehr Art. 1 III GG. Danach binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Zu den in Art. 1 III GG genannten Zweigen der Staatsgewalt können die Parteien allerdings nicht gezählt werden. Sie werden vom Anwendungsbereich des Art. 1 III GG ebensowenig erfaßt wie von dem des Art. 20 III GG, da es sich nicht um staatliche, sondern dem nichtstaatlichen Bereich zuzurechnende Gebilde handele. Der privatrechtliehe Status der politischen Parteien bedingt, daß sie prinzipiell in gleicher Weise wie sonstige privatrechtliehe Organisationen an die Verfassung gebunden sind. Für ihre Grundrechtsbindung folgt daraus, daß diese im Grundsatz mit der anderer Privater identisch ist.

1. Parteien und mittelbare Drittwirkung der Grundrechte

Das könnte bedeuten, daß die Grundrechte als Verhaltensmaßstab für die Parteien in der Regel nicht unmittelbar herangezogen werden können. Voraussetzung dafür ist, daß die in Rechtsprechung und Schrifttum vorherrschende Auffassung, wonach die Grundrechte Streitigkeiten Privater grundSätzlich nicht

1

Vgl. dazu auch Bleckmann. S. 184 und 189.

2

Vgl. oben S. 23 f.

l. Grundrechtsbindung

27

konkret entscheiden3, Privaten gegenüber also, in der herkömmlichen Terminologie ausgedrückt, keine unmittelbare Drittwirkung entfalten 4 , sich als zutreffend erweist. Gegen die unmittelbare Geltung der Grundrechte in der Relation Bürger Bürger könnte zum einen die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes sprechen. In den Stellungnahmen der Mitglieder des parlamentarischen Rates kommt zum Ausdruck, daß sie die Grundrechte entsprechend der herkömmlichen Sichf als Begrenzungen der Staatsgewalt verstanden, von ihrer auch horizontalen Wirkung, abgesehen von Art. 9 III 2 GG, hingegen nicht ausgingen 6 • Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der schriftliche Bericht des Abg. Dr. v. Mangoldt über die Grundrechte im Entwurf des Grundgesetzes 7 , wo es heißt: "Vielmehr sahen die Beteiligten ihre Aufgabe darin, die Grundrechte im Sinne der alten klassischen Grundrechte zu gestalten ... In den Grundrechten sollte also das Verhältnis des Einzelnen zum Staate geregelt werden, der Allmacht des Staates Schranken gesetzt werden, damit der Mensch in seiner Würde wieder anerkannt werde." Mit der Genese der Grundrechte steht die These von ihrer unmittelbaren Drittwirkung demnach nicht in Einklang. Hervorzuheben ist darüber hinaus ein systematisches Argument: Der Umstand, daß durch die Hinzufügung des Art. 9 III 2 GG zu Art. 9 III 1 GG die Drittwirkung der Koalitionsfreiheit ausdrücklich angeordnet wurde 8 , sich dagegen

3

Vgl. Pierotll / Seil link. Rdnr. 210.

" So etwa BVerfGE 7. 198 (204 f.); 42. 143 (148 f.); 73. 261 (269); Diirig. in Maunz I Dürig. Art. lAbs. 3 Rdnr. 127 ff.; Starck. JuS 1981.237 (243 ff.); Hesse. Rdnr. 351 ff.; Pierotll / Schlink, Rdnr. 204 ff.; Doehring. S. 184 ff.; Bleckmann. S. 184 ff.; Klein. in Schmidt-Bleibtreu I Klein. Vorb. v. Art. I Rdnr. 6; Jarass. in Jarass I Pieroth, Art. I Rdnr. 24; Canaris. AcP 184 (1984). 201 ff. Von der unmittelbaren Anwendbarkeit zumindest einiger Grundrechte im Privatrechtsverkehr gehen demgegenüber aus: BAGE I. 185 (191 ff.); I. 258 (262 ff.); 4. 240 (242 ff.); 4. 274 (276 f.); 7.256 (260): 13. 168 (174 ff.); 16.95 (l0Q f.); 24. 438 (441); Enneccerus / Nipperdey. S. 92 ff.; Nipperdey. Grundrechte und Privatrecht. S. 14 ff.; ders .• DVBI. 1958.445 (446 ff.); Leisner. S. 285 ff.; v. Miinell. Grundbegriffe I. Rdnr. 190 f. In bezug auf Art. 10 GG hat sich das BAG nunmehr allerdings gegen eine unmittelbare und für eine lediglich mittelbare Drittwirkung ausgesprochen. vgl. BAG. NJW 1987.674 (676). S

Vgl. dazu Vogt, S. 23.

6

Vgl. dazu näher Stern III I I. § 76 I 4 a.

7

ParIR. Schriftlicher Bericht. S. 5.

8 BAGE 19.217 (223); Dietz. Grundrechte III I I. S. 417 (425); Mazlllz / Zippelius, § 24 IV a. E.; Seifert. in Seifert I Hömig, Art. 9 Rdnr. 16; Schellner, in Weber I Scheuner I Dietz. S. 29 (47).

28

C. Einzelnormanalyse

bei keinem der übrigen Grundrechte ein Art. 9 III 2 GG entsprechender Zusatz findet, läßt darauf schließen, daß den Grundrechten im allgemeinen eine unmittelbare Drittwirkung nicht zukommen sollte9 • Zu bedenken ist weiter, daß eine unmittelbare Grundrechtsdrittwirkung im Ergebnis eine Kompetenzverschiebung nach sich zöge. Die durch Gewaltenteilung und Gesetzesvorbehalt primär der Legislative zugewiesene Aufgabe der Konkretisierung der Grundrechtsinhalte fiele bei Bejahung einer unmittelbaren Grundrechtsdrittwirkung den Instanzgerichten und letztlich dem BVerfG zu, so daß die Ordnung der Beziehungen der Bürger untereinander nicht mehr durch gesetzliche, sondern durch richterliche Entscheidung erfolgte lO • Fraglich ist ferner, ob sich als Argument gegen eine unmittelbare Drittwirkung auch anführen läßt, daß in Art. I III GG als Adressaten der durch die Grundrechte statuierten Verhaltensdirektiven nur die Zweige der öffentlichen Gewalt genannt werden ll . Im Hinblick auf den Umstand, daß in der Weimarer Zeit die Frage der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers umstritten war l2 , liegt indes die Annahme nahe, Ziel des Art. I III GG sei es nur sicherzustellen, daß jedenfalls der Staat in aB seinen Funktionen an die Grundrechte gebunden ist, während ein Ausschluß der Grundrechtsbindung Privater durch diese Vorschrift nicht bezweckt wird 13 • Art. I III GG ist mithin nicht als abschließende Festlegung des Kreises der Grundrechtsverpflichteten zu verstehen. Sprechen auch die vorstehend genannten Argumente - bis auf das zuletzt erörterte - gegen die unmittelbare Grundrechtsgeltung im Privatrechtsverkehr, so läßt sich diese doch möglicherweise aus der Grundrechtsbindung der Recht-

9 Schon unter der WRV gab es unmittelbar drittwirkende Grundrechte. etwa An. 159 S. 2 WRV - dieser entspricht weitgehend An. 9 III 2 GG - (vgl. Allschiit:. An. 159 Anm. I u. 7.; Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten. An. 159 § 3 II I. (S. 403); Richter. VerwArch. 32 (1927), I (10)) und An. 1181 WRV (vgl. Allschiitz. An. 118 Anm. 5). Man verstand diese Vorschriften jedoch allgemein als Ausnahmen und sah die Grundrechte im übrigen als rein staatsgerichtet an (vgl. Anschiitz. Art. 117 Anm. 2, An. 118 Anm. 5).

10 Vgl. Erichsell I, S. 43; Bleckmallll, S. 189 f. u. 194; Hem/es, S. 104; Starck, JuS 1981, 237 (246). 11 So Starck, JuS 1981,237 (244); Stem III 1 I, § 76 III 2 b; Pieroth / Schlillk. Rdnr. 202. 204; Canaris, AcP 184 (1984),202 (204); JQI'ass, in Jarass 1 Pieroth, An. I Rdnr. 24; Kirchhof, S. 519 f.; Pietzcker, Fs. f. Dürig, S. 345 (347). 12 Vgl. dazu näher Stem III /1, § 72 1 3 b, c und § 73 I 2 sowie die Nachweise bei Krebs, Jura 1988, 617 (620 Fn. 32).

Il

Bleckmann, S. 189, 184; vgl. ferner Nipperdey, Grundrechte 11, S. I (21); Leist/er, S. 315.

I. Grundrechtsbindung

29

sprechung ableiten 14 • Für die Anwendung der Grundrechte gegenüber Privaten ist indes nicht der Gesichtspunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend, sondern das dieser Entscheidung zugrundeliegende materielle Rechtsverhältnis 15 • Die These, die unmittelbare Grundrechtsbindung der Rechtsprechung bedinge gleichzeitig eine entsprechende Bindung Privater, ist deshalb zu verwerfen. Abzulehnen ist schließlich auch die Auffassung, die Grundrechte erlangten, obschon prinzipiell nicht unmittelbar drittwirkend, ausnahmsweise bei Vorliegen "sozialer Macht" unmittelbare Geltung 16, denn die soeben dargelegten gegen eine unmittelbare Drittwirkung im allgemeinen sprechenden Argumente behalten auch hinsichtlich der Bindung gesellschaftlich mächtiger Gruppierungen ihre Gültigkeit. Auch das Handeln in Ausübung einer gesellschaftlichen Machtstellung bleibt privates Handeln I7 und steht unter dem Schutz der Grundrechte 18. Mit diesem Schutz ist die Annahme einer unmittelbaren Grundrechtsbindung von Trägern gesellschaftlicher Macht nicht vereinbar, denn insoweit wäre deren eigene Grundrechtsinhaberschaft notwendigerweise ausgeschlossen, und als Bereich grundrechtlich legitimierter individueller und gesellschaftlicher Freiheit bliebe letztlich nur mehr der Bereich persönlich-privater Betätigung übrig 19 • Erhebliche Bedenken wirft die These von der unmittelbaren Grundrechtspflichtigkeit gesellschaftlich mächtiger Gruppen nicht zuletzt auch deshalb auf, weil der Begriff der "sozialen Macht" aufgrund seiner Konturenlosigkeit als juristische Kategorie problematisch iseo. Nach allem kommt den Grundrechten gegenüber Privaten, abgesehen vom Grundrecht der Koalitionsfreiheit, eine unmittelbare Drittwirkung nicht zu. Folglich wirken diese Bestimmungen auch gegenüber den Parteien grundsätzlich

14

So Schwabe, S. 213.

Doehring, S. 209; Dürig, Fs. f. Nawiasky, S. 157 (159); v. Mündl, in v. Münch 1 Kunig, Vorb. Art. 1-19, Rdnr. 33; Stern III 1 1, § 76 III 1; vgl. ferner Leisner, S. 315. 15

16 So etwa Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 ff.; Reichenbaum, S. 143; Klein, Grundrechte, S. 60; Hesse, Rdnr. 357; Nicklisch, JZ 1976, 105 (108). Gegen diese Auffassung etwa Canaris, AcP 184 (1984), 201 (206 f.); Böckenförde, Grundrechtsgeltung, S. 77 (84 ff.); Kirchhof, S. 521; Stern III 1 1, § 76 IV 8 c, vgl. dort aber auch § 76 IV 8 e; Ebsell, S. 5. 17

Vgl. Stern III 11, § 76 IV 8 e.

18

Vgl. Bäckenfärde, Grundrechtsgeltung, S. 77 (84).

19

Bäckenförde, Grundrechtsgeltung, S. 77 (84, 86).

20

Canaris, AcP 184 (1984), 201 (207); vgl. ferner Kirchhof, S. 521.

30

C. Einzelnormanalyse

nicht unmittelbar, da die Parteien, wie festgestellt, dem privatrechtlichen Bereich zuzuordnen sind. Die Verwerfung der These von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte bedeutet jedoch nicht, daß diese Vorschriften im Privatrechtsverkehr bedeutungslos wären. Das Grundgesetz hat vielmehr, wie das BVerfG zutreffend feststellt, in seinem Grundrechtsabschnitt "Elemente objektiver Ordnung aufgerichtet..., die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung haben, mithin auch das Privatrecht beeinflussen.'