Die verdrängte Krise: Studien zum »inferioren« deutschen Roman zwischen 1750 und 1770 9783787341665, 9783787341627

Die in dieser Studie unternommene historische Analyse auf der Grundlage von über einhundert zuvor nicht systematisch erf

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Die verdrängte Krise: Studien zum »inferioren« deutschen Roman zwischen 1750 und 1770
 9783787341665, 9783787341627

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Barbara Potthast Die verdrängte Krise Studien zum »inferioren« deutschen ­Roman zwischen 1750 und 1770

BARBARA

POTTHAST

Die verdrängte Krise

STUDIEN ZUM ACHTZEHNTEN

JAHRHUNDERT

Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Band 21

FELIX MEINER VERLAG

- HAMBURG

BARBARA

POTTHAST

Die verdrängte Krise Studien zum »inferioren« deutschen Roman zwischen 1750 und 1770 Ä

FELIX

MEINER

VERLAG

- HAMBURG

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen ­Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche ­Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-4162-7 ISBN eBook 978-3-7873-4166-5

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1997. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

Für meine Familie und für Gunther

INHALT

VORBEMERKUNG . . . • • • • • . . . . . . . . . . . • . . . . . . . • . • • • • . • . . • • . • • • •

IX

EINLEITUNG . . . . . . . . . • . . . • . . • • . . • . . • . . • . . . • • • . • • • • • . • • • • • • • •

1

l. DAS PROBLEM: ÄSTHETIK UND PSYCHE IM 18. JAHRHUNDERT 1. Die klassizistischen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Christian Wolffs Dichtungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Johann Christoph Gottscheds literarisches Reformprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der »deutsch-schweizerische Literaturstreit« . . . . . . . . . . . . . 5. Die Begründung einer neuen Ästhetik durch Alexander Gottlieb Baumgarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Psychische Strukturen im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . .

5 5 7

20 23

II. DIE METHODE: DIE BEDEUTUNG DER »INFERIOREN« LITERATUR . . . . . • • • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . • . • . . . . . . . . . . 1. Aporien der Geistesgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das unbewußte Bewußtsein und die »inferiore« Literatur . . 3. Die Dichotomisierung der Literatur nach 1750 . . . . . . . . . . . 4. Literatur jenseits der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 31 38 45 59

III. DER ROMAN DES BAROCK UND DER AUFKLÄRUNG . • . • • • • . • • . 1. Die Romantheorie des 17. und 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . 2. Die Romantypen des Barock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der deutsche Originalroman 1750-1770 . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 61 71 74

IV. GESCHICHTEN VOM LEBEN UND LIEBEN: DAS SPEKTRUM DER ROMANE ZWISCHEN 1750 UND 1770 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Lebensgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das deskriptive Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das präskriptive Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das reflektierte Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das phantastische Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Aufsteiger-Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Das Aussteiger-Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93 93 95 99 102 105 107 112

10 13

vi

Inhalt

2.

V.

Die Liebesgeschichten

.............2ceeecsseeeeeeennen

118

a) Die siegreiche allegorische Liebe ..................... b) Die Liebe gegen Normen ...........-.e22esserenenen

122 127

c) Die Liebe in der Ehe ..........22222sceeeeeeseneeene

132

LEBEN

ZWISCHEN

ANSPRUCH

UND

VERMÖGEN

...ccccccee ne.

137

1. Die Macht der Dynamik: Der getriebene Held ...........

137

2. Die Macht der Triebe: Der Konflikt zwischen Natur

und Tugend ..........2.222ceeeereenereeenesenenenenne 3. Die Macht der Ordnungen: Der Held zwischen Resignation und

Aufbruch

.........cccceeeeeeeeeeeseneneeeeennnn

146 194

4. Die Macht der Möglichkeiten: Zum Gesellschaftsbild der

Romane

.....ccceeeeeeeeeenneseseeneeeseeseenenee

5. Die Macht der Wünsche: Zum glückseligen Romanschluß VI.

165

169

Schuss: ÄSTHETISIERUNGEN DER KRISE — DER »INFERIORE« ROMAN, DIE GESCHICHTE DES AGATHON UND WERTHERS LEIDEN

......2 2 oc ceeeeeeeeeeseeeneneeneeneeeneneneeeeeene

1/D

LITERATURVERZEICHNIS .. oo cc ceeeeeeeeeeuneeneeeeeeneneenenene

189

1. Romane

2.

Weitere

......:0ccceeeeeeeeeeeeereserenerersserenene

Quellen

189

.......2.22u22sseeeeeeeeeeeeneeennnnen

198

3. Sekundärliteratur .......0 oc ccoeeeeeeeeeseenensennnnnee

201

SIGLENVERZEICHNIS

vo. ccceeeeeeeeeeueeeeeeeeeeeerneereenenn

223

1. Zeitschriften „0.0.00 cc oooeeeeeeeeeeeneeeeeeeneeennn 2. Bibliotheken .......cccoceeeeeeeenennnnnneenenenennnn

223 224

PERSONENREGISTER ... oc cc eeeeeeeeeeennneeeneeeneneeerennn

225

VORBEMERKUNG

Die zu Ende gehende Moderne nimmt sich heute, am Ausgang ihrer Ent­ wicklung, als zutiefst krisenhafte Epoche wahr. Aus der Fragwürdigkeit um die eigene moderne Identität, aus der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Orientierungslosigkeit einer an Komplexität rapide zunehmen­ den westlichen Massenzivilisation erwächst am Ende dieses Jahrhunderts ein intensives Bedürfnis nach verstehender Selbstvergewisserung und Selbstaufklärung in der eigenen Tradition. Der nach Erklärungen und Ursachen forschende Blick zurück auf Vergangenes läßt uns hoffen, nicht eingelöste Optionen, verpaßte Chancen zu erkennen. Glatte, lineare Fort­ schrittsmodelle haben ihre Evidenz verloren, die diskontinuierlichen Pro­ zesse unter der gründlich erforschten Oberfläche sind die Gegenstände gegenwärtigen Interesses. Meine Studie über den »inferioren« Roman zwi­ schen 1750 und 1770 versucht, zu diesem Erkenntniszusammenhang bei­ zutragen. Der - mit Ausnahme Wielands - traditionell geringgeschätzte deutsche Roman zwischen Gellerts Schwedischer Gräfin (1747/48) und Goethes Werther (1774) macht gerade in seiner Abweichung von den etablierten Standards der Aufklärungsästhetik die Brüche zwischen theoretischer Norm und empirischer Lebenswelt, zwischen Idee und Mentalität deutlich, die die Epoche der Aufklärung in besonderer Weise prägten. Die historische Analyse der zumeist anonym erschienenen Romane die­ ses Zeitraums legt eine krisenhafte Anthropologie frei, die den Tugend- und Glückseligkeitskonzeptionen der Aufklärung in spezifischer Weise entge­ gengesetzt ist. Die von unlösbaren inneren W idersprüchen gezeichneten Helden der Lebens- und Liebesgeschichten sind in der Welt unbehaust und orientierungslos, fast immer erweisen sich ihre Wünsche und Ansprüche an das Leben als unvereinbar mit der Realität. Da das Selbst, die anderen und die Welt als unkontrollierbar und unergründlich erfahren werden, muß so­ wohl die Disziplinierung des eigenen Inneren wie die planvolle Bewältigung des äußeren Lebens durch Normen und Regeln mißlingen. Die von der Aufklärung in die Welt gesetzten Verheißungen scheitern am eigenen in­ neren Unvermögen. Das Syndrom einer existentiellen Bewußtseinsspaltung zwischen An­ spruch und Vermögen bleibt in den zwei Dekaden nach der Jahrhundert­ mitte ohne eigene Sprache und Form. Noch artikuliert es sich auf epigonale,

x

Vorbemerkung

zahlreiche narrative Traditionen verbindende Weise und wird erst am Ende des Jahrhunderts seinen bewußten, expliziten Ausdruck finden. Doch bereits um die Jahrhundertmitte, als sie das geistige und künstlerische Leben

ihrer Zeit dominieren, werden die moralischen Theoreme der Aufklärung bedroht von der unbewußten Ahnung ihrer Unvereinbarkeit mit der lebensweltlichen, kontingenten Erfahrung, die durch den Verlust der Providenz neuer Gewißheiten und Sinnstiftungen bedarf. Wie sehr dieses aus der literarischen Öffentlichkeit verdrängte krisenhafte Bewußtsein gleichzeitig

nach Ausdruck drängt, legt die vermehrte Produktion von »inferioren« Romanen seit der Jahrhundertmitte nahe. Diese Studie lag dem Fachbereich für Philosophie und Sozialwissen-

schaften der Technischen Universität Carolo Wilhelmina zu Braunschweig ım Sommersemester 1996 als Dissertation vor und wurde für die Drucklegung geringfügig überarbeitet. Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Gotthardt Frühsorge, danke ich für die Freiheit, mit der er mich meinen Gegenstand selbst wählen und mich meine

eigenen Fragen verfolgen ließ, und auch für seine Zuversicht, als mir die hier behandelten Romantexte zunächst nichts als ihre bloße Inferiorität preisgaben. Vielfältige Anregung und Bestärkung gaben mir meine Braunschweiger akademischen Lehrer Prof. Dr. Helmut Henne und Dr. Eberhard Rohse. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Jürgen Stenzels großer, liebenswürdiger Hilfsbereitschaft und seiner instruktiven Analyse meiner Dis-

sertation sowie Prof. Dr. Drs. h.c. Paul Raabes entgegenkommender Förderung. Dem Felix Meiner Verlag und der Deutschen Gesellschaft für die

Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe »Studien zum achtzehnten Jahrhundert«. Auf

kompetente und sehr freundliche Weise unterstützten mich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bibliotheksbereichs der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Christian Hogrefes bibliothekarischer Kunst schulde ich die Lösung zahlloser Probleme. Meine Freunde halfen mir mit

ihrem immer bewiesenen Interesse und Verständnis für meine Studien. Dr. Volker Bauer, Hannover, gab mir begleitend strenge Kritik und kluge Impulse. Vor allen anderen gilt jedoch mein tiefster Dank meinen Eltern Wolfgang

und Hildegard Potthast, Möhnesee, die mir immer und in jeder erdenklichen Hinsicht geholfen haben.

Heidelberg, im Sommer 1997

B.P.

EINLEITUNG

Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts war eine intellektuell-literarische Bewegung, Wort und Text waren die Instrumente ihrer Ideen und Ziele. Die

für die Moderne richtungsweisenden psychologischen, gesellschaftlichen und politischen Impulse - Subjektivierung, Verbürgerlichung, Demokratisierung — wurden im 18. Jahrhundert nicht ın der Praxis, jedoch in Texten theoretisch und ästhetisch vollzogen. Daß das Schrifttum der Aufklärung damit nicht zeitgenössische Lebensrealität und kollektives zeitgenössisches Bewußtsein wiedergibt, sondern zu diesen in komplexer Beziehung steht, ist häufig übersehen worden.! Dichtung nahm innerhalb der Aufklärung, die autoritäten- und traditionsverneinend auf fundamentale Umwertungen der alten Gefühls- und Verhaltensnormen in allen Lebensbereichen hinwirken wollte, eine neuralgische Position ein — sie war Instrument wie Bedrohung aufklärerischer Philosophie. Nicht zuletzt wegen ıhres diffizilen Verhältnisses zur Theorie ist die Aufklärungsdichtung ein eher vernachläs-

sigter Gegenstand ın der deutschen Literaturgeschichte. Dem übermächtigen normativen Anspruch, der ıhr von Philosophie und Kunsttheorie ent-

gegengebracht wurde, vermochte sich die Poesie nur unter nuancierten Zugeständnissen und in komplizierten Brüchen entgegenzustellen. Sie ist ın ihrer oft kaum sichtbaren Eigenständigkeit, auch Widerständigkeit gegen die Norm für den Historiker ein komplizierter Gegenstand. Treffend schreibt Armand Nivelle in seinem Beitrag für das Neue Handbuch der Literaturwissenschaft 1974: »Der heutige Leser kann sich ab und zu des Eindrucks kaum erwehren, als sei die Dichtung im Geiste der damaligen Theoretiker eine Philosophie für Unterentwickelte, d.h. für Leute, die der

Abstraktion nicht fähig sind und denen durch die Anschaulichkeit der Dichtung ein Ersatz für die Philosophie,

mit der sie nichts anzufangen

wüßsten, geboten werden soll.«? ! Z.B. in der grundlegenden Darstellung von Peter Pütz: »Die Literaturgeschichte der Aufklärung ist nicht nur ein Teil der Sozialgeschichte, sondern die deutsche Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts manifestiert sich primär als Literaturgeschichte.« Peter Pütz: Die deutsche Aufklärung. Darmstadt 1991, 4. Auflage. [Erträge der Forschung Band 81], S.135.

? Armand Nivelle: Literaturästhetik. In: Walter Hinck (Hrg.): Europäische Aufklärung. 1. Teil. Herausgegeben von W. H. in Verbindung mit Alfred Anger. Frankfurt/M. 1974. [Neues Handbuch der Literaturwissenschaft Band 11], S.15-56; S.21.

2

Einleitung

Die deutsche Aufklärungsdichtung profitierte wenig von dem Aufschwung der Aufklärungsforschung in den vergangenen Jahren. Jüngere Aufklärungsforschung interessiert sich, nach der Phase traditionsstiftender Affirmation in den siebziger Jahren, vor allem für die immanenten Widersprüche, die Grenzen des Diskurses, für die Wurzeln des Dilemmas zwischen Anspruch und Wirkung als Ursache des Scheiterns der Aufklärung.? Der alte synthetisierende Ansatz und hohe Allgemeinheits- und Abstraktionsgrad, der für den mittlerweile beinahe ausgerotteten rein rationalıstischen Aufklärungsbegriff verantwortlich war, wich in den vergangenen Jahren dem Bewußtsein für die innere Komplexität der Aufklärung.* Trotzdem werden nach wie vor vor allem die bereits bekannten kulturproduzierenden und

-rezipierenden

Personen, Schichten und Institutionen zur Untersu-

chung herangezogen, was Einsichten ın die — auch soziale — Vielschichtigkeit der Epoche kaum dienlich ist. Die literarischen Texte sınd, nicht zuletzt wegen ihrer ästhetischen Unzugänglichkeit und Sprödigkeit, längst nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. Die Auffassung, nach der Aufklärung als Endpunkt einer endgültig zu überwindenden Epoche erscheint, gegen die sıch die Klassik antinomisch absetzt, Goethes Verdikt der »wäß-

rigen, weitschweifigen, nullen Epoche« aus dem siebten Buch von Dichtung und Wahrheit sınd für die bürgerliche Literaturwissenschaft programmatisch geworden.? Die das eigene ästhetische Konzept affırmierende RückprojJizierung eines autonomie- und genieästhetischen Dichtungsbegriffs be-

wirkte die Selektion aufklärerischer Poesie ım Sinne weniger »dichterischer« Texte sowie die Kanonisierung einiger weniger >großer Dichter< der Aufklärung: Gellert, Lessing, Wieland, Klopstock. Es gilt aber vielmehr, die ° Vgl. Werner Schneiders’ Urteil ın seiner jüngsten Aufklärungsstudie: Hoffnung auf Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland. Hamburg

1990, S.170f.

* Vgl. hierzu Schneiders’ »mittelfesten, d.h. provisorischen und revidierbaren, flexiblen und zugleich praktikablen Aufklärungsbegriff« ebd., S.18. ° Vgl. Wilfried Barner: Goethes Bild von der deutschen Literatur der Aufklärung. Zum Siebenten Buch von Dichtung und Wahrheit. In: Wolfgang Frühwald, Alberto Martino (Hrg.): Zwischen Aufklärung und Restauration. Sozialer Wandel in der deutschen Literatur (1700-1848). Festschrift für Wolfgang Martens. Unter Mitwirkung von Ernst Fischer und Klaus Heydemann herausgegeben von W. F. und A. M. Tübingen 1989. [Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur Band 24], S.283-305; $.286ff. und Kurt Wölfel: Zur Geschichtlichkeit des Autonomiebegriffs.

In: Walter Müller-Seide! (Hrg.):

Historizität in Sprach- und Literaturwissenschaft. Vorträge und Berichte der Stuttgarter Germanistentagung 1972. In Verbindung mit Hans Fromm und Karl Richter herausgegeben von W. M.-S. München 1974, S.563-577; S.565 sowie Helmut Schanze: Goethe: »Dichtung und Wahrheits, 7. Buch. Prinzipien und Probleme einer Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts. In: GRM

55 NF 24 (1974), S.44-56; S.53 ff.

Einleitung

3

Dichtung jener Epoche an ıhren eigenen Kriterien zu messen, ihre eigene undichterische< ästhetische Signatur herauszuarbeiten und ıhr spezifisches Spannungsverhältnis zur nicht-fiktionalen Literatur der Aufklärung zu erschließen. Dabei ist nicht nur die »gehobene« Kategorie der Dichtung zu hinterfragen, sondern die des Genres der schönen Literatur schlechthin. Der Primat der Philosophie vor der Literatur ist neu ın Frage zu stellen und die Literatur als Literatur und in ihrem besonderen Spannungsverhältnis zur Theorie wahrzunehmen. Aufklärungsdichtung lädt um so mehr dazu ein, weil sie — eben nicht nur Erfüllungsgehilfin der Theorie, »Vehikel intendierter Wirkung«,° Zweckform — eine elementare Kraft gegen Dogmen und Regeln entfaltet: schließlich ist die Aufklärung die Epoche der Ablösung und Umwälzung jahrhundertealter Gattungsnormen und Redeweisen, die tiefe Brüche zwischen Poetik und Poesie zeitigt. Die Ideen einer Zeit werden nicht von ihrer Philosophie erst in die Welt gebracht, sie sind vorher und gleichzeitig da, unsystematisch, lebendig, kraftvoll -— wie ın Hegels berühmtem Wort: »Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.«’ Es bleibt also Thomas P. Saines Stoßseufzer in seinem vielzitierten Aufsatz Was ıst Aufklärung? auch heute, nach über zwanzig Jahren, kaum etwas entgegenzuhalten: »Vor allem fehlt es uns an Kenntnissen. Es gehört zu meiner Grundüberzeugung, daß die Zeit der Positivisten, der Stoffhuber,

infolge der geisteswissenschaftlichen Reaktion viel zu früh zu Ende ging. In Archiven ließe sıch manches wiederentdecken, wenn man sıch entschließen

könnte, entdeckungslustig nach Spuren des 18. Jahrhunderts zu fahnden. [...] Wir haben uns ın diesem Jahrhundert, und in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg zunehmend, auf das rein Literarische, das »Dichterische« spezialisiert, und der Gedankenaustausch mit unseren Kollegen hat sıch ın

eine Einbahnstraße von uns weg verwandelt. Es gibt wohl viele deutsche Theologen,

Philosophen,

Historiker,

Naturwissenschaftler,

die einen Be-

griff von der deutschen Literatur haben. Wie viele Germanisten wird es dagegen geben, die sich die Kenntnisse solcher Gelehrten für den Zeitraum

° Pütz 1991, S.3.

’ Vorrede zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts vom 25. Juni 1820. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlıchen Zusätzen. Frankfurt/M. 1970. [Werke. Herausgegeben von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Band 7], S.28.

4

Einleitung

der deutschen Aufklärung zunutze machen? Unsere These ist eine sehr einfache: wir wissen nicht genug über das 18. Jahrhundert und die Aufklärung. Weiter, wir werden solange nicht genug über diesen Zeitraum wissen, wir werden die Kulturströmungen der Aufklärung, dieser angehenden

Moderne, solange nicht verstehen, bis wir bereit sind, tiefer zu graben und zu sichten, einige ästhetische Vorurteile beiseitezulassen, und uns dıe Hände staubig zu machen.«®

8 Thomas P. Saine: »Was ist Aufklärung% Kulturgeschichtliche Überlegungen zu neuer Beschäftigung mit der deutschen Aufklärung. In: ZfdPh 93 (1974) 4, S.522-545; $.526. Vgl. zur Aktualität dieses Zitats auch Uwe Steiner: Neue Vorschläge zur Beantwortung der Frage: Was ıst Aufklärung? Anmerkungen zu Thomas P. Saines Studien zur deutschen Aufklärung. In: Daphnis 20 (1991) 3-4, S.717-747, S.718-721.

I. Das PROBLEM: ASTHETIK UND PsycHE IM 18. JAHRHUNDERT

1. Die klassizistischen Voraussetzungen Die kunsttheoretische Überwindung der von rationalistischer Philosophie und klassizistischer Antikerezeption bestimmten Kunstauffassung des 17. Jahrhunderts vollzog sıch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ın z.T. komplizierten Frakturen und dialektischen Überlagerungen von traditionellen Normen und innovativen Impulsen. Die europäische Kunsttheorie

der Jahrhundertwende bewegte sich innerhalb des Rahmens, den die rationalistische Metaphysik ihr vorgab: einer Welt verstanden als geschlossenes, streng final geordnetes System, das durch die Gesetze der Logik geordnet ist und ın dem die einzelnen Elemente in komplexen mechanistisch-kau-

salen Beziehungen zueinander stehen. Da die logische Ordnung der Welt keine Wahrheit kennt, die nicht durch einen vernünftigen, »zureichenden« Grund erklärbar wäre, setzt auch die Produktion wie Rezeption von Kunst

intellektuelle, begrifflich-logische Erkenntnis des abzubildenden Gegenstandes voraus. Die Wahrheiten ın der Kunst sind durch die logischen Wissenschaften bestimmt? — die schönen Künste und die Wissenschaften sind bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ungeschieden. Das zentrale kunsttheo-

retische wie poetologische Postulat der ersten Jahrhunderthälfte - die Naturnachahmung - ist nur unter dieser Voraussetzung zu verstehen.!® Dich-

tung — als Medium der Einbildungskraft im cartesianischen System immer angreifbar, denn sein rationalistischer Wahrheits- und Erkenntnisbegriff implizierte elementare Zweifel an der Wahrheitsfähigkeit des Sinnlichen - legitimierte sich durch eine streng regelhafte, mathematisch-szientistische Struktur und das mimetische Prinzip. Sie setzte gründliches Wissen über den Gegenstand der Nachahmung und rationale Fähigkeit voraus. Produk° Vgl. hierzu auch Eberhard Reichmann, der in seinem Aufsatz: Die Begründung der deutschen Aufklärungsästhetik aus dem Geist der Zahl. (In: Monatshefte 59 (1967) 3, $.193-203) und später in seiner Studie: Die Herrschaft der Zahl. Quantitatives Denken in der deutschen Aufklärung. Stuttgart 1968. [Dichtung und Erkenntnis Band 69] die quantitativ-logische Komponente der frühen Aufklärungsästhetik herausstellt. Vgl. Herbert Dieckmann: Die Wandlung des Nachahmungsbegriffes in der französischen Ästhetik des 18. Jahrhunderts. In: Hans Robert Jauß (Hrg.): Nachahmung und Illusion. Kolloquium Gießen Juni 1963. Vorlagen und Verhandlungen. München 1969, 2. Auflage. [Poetik und Hermeneutik Band 1], 5.28-59.

6

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert

tion wie Rezeption sollten unter der Dominanz der Vernunftkräfte stehen,

Gefühle und Einbildungskraft diszipliniert oder ganz unterdrückt werden. Bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert gab es jedoch Zweifel an dem rationalistischen Kunstideal der cartesianischen Kulturtheorie und Anzeichen

für eine Übergangsphase in der europäischen Ästhetik. Die Querelle des Ancıens et des Modernes brachte im Verlauf der Auseinandersetzung um den Rang der zeitgenössischen bildenden Künste, Beredsamkeit, Wissenschaft und Dichtung im Vergleich mit den Leistungen der Antike Impulse für eine (erst im 18. Jahrhundert endgültig vollzogene) Trennung von Künsten und Wissenschaften wie für eine Verselbständigung des Systems der

fünf schönen Künste hervor und vollzog die Annäherung an ein relatıves, historisches Verständnis von Kunst (Beau relatif).'! Auf seiten der Modernes entwarf man erste Ansätze zur Psychologisierung der Kunst und ihrer

Rezeption, indem erstmals ästhetische Probleme in anthropologischem Kontext behandelt wurden. Für die europäische Dichtungstheorie gingen aus diesen Überlegungen ganz neue Paradigmen hervor: Rezeptionsaspekte wurden neben Werk- und Gattungsproblematik relevant, Geschmack, »das scandalon der klassizistischen Ästhetik«,!? wurde eine ästhetische Zentral-

kategorie. Die deutsche Querelle-Rezeption zeichnete sich durch besonders enge Anlehnung an die Argumente der französischen Diskussion aus, ihr mangelten Originalität und distanzierte Kritik.'? !! Sie begründete auch, wie Zelle in einem Aufsatz zeigte, die doppelte Ästhetik des Schönen und des Erhabenen. Vgl. Carsten Zelle: Schönheit und Erhabenheit. Der Anfang doppelter Asthetik bei Boileau, Dennis, Bodmer und Breitinger. In: Christine Pries (Hrg.): Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Mit Beiträgen von Klaus Bartels u.a. Weinheim 1989. [Acta Humaniora], S.55-73. Zur Historisierungsproblematik vgl. Hans Robert Jauß: Antiqu/moderni (Querelle des Anciens et des Modernes). In: Karlfried Gründer, Joachim Ritter (Hrg.): Historisches Wörterbuch der Philo-

sophie. Basel, Stuttgart 1971ff., Band 1, Sp. 410-414; Sp. 413. !2 Hans Freier: Kritische Poetik. Legitimation und Kritik der Poesie in »Gottscheds Dichtkunst«. Stuttgart 1973, S.10. 3 Vgl. Peter K. Kapıtza: Ein bürgerlicher Krieg ın der gelehrten Welt. Zur Geschichte der Querelle des Anciens et des Modernes in Deutschland. München 1981 und Hans Gerd Rötzer: Traditionalität und Modernität in der Europäischen Literatur. Ein Überblick vom Attizismus-Asianıamus-Streit bis zur »Querelle des Anciens et des Modernes«. Darmstadt 1979, S.100f. Gottsched übernimmt zahlreiche Gedanken und Argumente der Querelle, ohne daß er sich der Position einer der beiden Parteien zuordnen liesse. Vgl. hierzu Thomas Pago: Gottsched und die Rezeption der Querelle des Anciens et des Modernes ın Deutschland. Untersuchungen zur Bedeutung des Vorzugsstreits für die Dichtungstheorie der Aufklärung.

Frankfurt/M., Bern, New

York, Paris 1989. [Europäische Hochschul-

schriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur Band 1142] und Peter K. Kapıtza: Der Zwerg auf den Schultern des Riesen. In: Rhetorik 2 (1981), S.49-58; S.51f.

Wolffs Dichtungstheorie

7

2. Christian Wolffs Dichtungstheorie In der deutschen Dichtungstheorie, innerhalb der europäischen kulturtheoretischen Debatte der ersten Jahrhunderthälfte insgesamt eher empfangend denn Impulse gebend, waren zunächst die eigenen philosophischen Systeme unmittelbar bestimmend - in erster Linie Christian Wolff. Auch für die Wolffsche Morallehre gilt das traditionelle rationalistische Theorem, Sinne

und Einbildungskraft seien Haupthindernisse für ein tugendhaftes Leben, dem Endzweck menschlichen Daseins und Zustand höchster menschlicher

Vollkommenheit, der Glückseligkeit. Daher muß ıhr Einfluß zugunsten der oberen Erkenntnisvermögen, Verstand und Vernunft, zurückgedrängt werden: »$. 183. Die Herrschafft der Sinnen, der Einbildungs-Krafft und Affecten machet die Sclaverey des Menschen aus [...]. Da wir nun durch diese Herrschafft gehindert werden, daß wir das Gute unterlassen, und das Böse

vollbringen [...]; so ist die Sclaverey die Hinderniß, daß der Mensch das Gesetze der Natur nicht beobachtet [...], und folgends seine Glückseeligkeit verabsäumet [...], hingegen sich unglückseelig machert. [...]. $. 184. Wer demnach dieses Hinderniß aus dem Wege räumen will, der muß seinen Sinnen, der Einbildungs-Krafft und Affecten wiederstehen, und sich also von der Sclaverey loß machen, und die Freyheit, welche ihr entgegen gesetzet ist [...] versetzen können.«!? Jedoch, konzediert Wolff, sind die meısten Menschen eher und tiefer durch sinnliche Eindrücke als durch Ver-

nunftschlüsse zu beeindrucken, wenn sie durch sinnliche Wahrnehmung auch nicht die Wahrheit erkennen können. Die Vorstellung der Tugend ist mit Lust verbunden," die durch die Vorstellung von Vollkommenheit evoChristian Wolff: Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseeligkeit. Mit einer Einleitung von Hans Werner Arndt. Hildes-

heim, New York 1976. (Faksımiledruck Frankfurt, Leipzig 1733, 4. Auflage). [Gesammelte Werke. Herausgegeben und bearbeitet von J. Ecole u.a. 1. Abteilung: Deutsche Schriften. Band 4: Vernünfftige Gedancken (3): (Deutsche Ethik)], S.111-113. 15 „6. 404. Indem wir die Vollkommenheit anschauen, entstehet bey uns die Lust, daß demnach die Lust nıchts anders ıst, als ein Anschauen der Vollkommenheıt: [...].« Ver-

nünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt.

Mit einer Einleitung und

einem

kritischen Apparat von

Charles

A. Corr.

Hildesheim, Zürich, New York 1983. (Faksimiledruck Halle 1751, 4. Auflage). [Gesammelte Werke. I. Abteilung, Band 2: Vernünftige Gedanken (2): (Deutsche Metaphysik))], S.247. Vgl. hierzu auch Dieter Kimpel: Christian Wolff und das aufklärerische Programm

der literarischen Bildung. In: Werner Schneiders (Hrg.): Christian Wolff 1679-1754. Interpretationen zu seiner Philosophie und deren Wirkung.

Mit einer Bibliographie der

Wolff-Literatur. Hamburg 1983. [Studien zum achtzehnten Jahrhundert Band 4], S.203236; S.223f.

8

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert

zierte Lust läßt den Menschen

die eigene Vollkommenheit erstreben, sie

wird Motor tugendhafter Handlungen, wie umgekehrt die mit der Vorstellung von Unvollkommenheit verbundene Unlust ihn an lasterhaften Handlungen hindert.!° Die sinnliche Vorstellung der Tugend und des durch sie verursachten Vergnügens und die abschreckende Darstellung des Lasters und darauf folgenden Unglücks sind von Wolff zugelassene Instrumente zur Beförderung der Glückseligkeit — hierin liegt die Legitimation von Kunst gegenüber allen anderen zeitgenössischen Wissenschaften. »$. 166. Wer einen suchet zu überführen, der will ihn gewiß machen, daß etwas wahr oder falsch, wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sey [...]. Derowegen wer den Menschen

überführen will, was aus Beobachtung des Ge-

setzes der Natur für Gutes erfolge, und für Lust und Freude für ıhn daraus erwachsen kan, hingegen aus dessen Übertretung für Böses zugezogen werde, und was für Unlust und Traurigkeit daraus entspringe; der muß ihn dahin bringen, daß er dieses alles mit ungezweiffelter Gewißheit erkennet.

Da nun alle Erkäntniß entweder aus der Erfahrung, oder der Vernunfft kommet [...], die Erfahrung, aber erlanget wird, wenn wir darauf acht haben, was wır empfinden [...]; so muß der Mensch theils auf Exempel geführet werden, darinnen sich dieses alles klärlich zeiget, theils muß man ıhn ordentlich lehren [...], was hierzu dienliches oben [...] erwiesen worden.

$. 167. Weil die Exempel uns zu einer anschauenden Erkäntniß, die Vernunfft aber nur zu einer figürlichen bringet [...], die anschauende Erkäntnıß aber bey vielen einen grösseren Eindruck machet, als die Vernunfftt [...],

absonderlich wenn Lust und Unlust nebst hefftigen Affecten daraus entstehen [...]; so richtet man mit Exempeln hier öfters mehr aus, als mit 16 „8 131. Was hier von der Beständigkeit und der Veränderung der Lust, auch von ihren Graden erwiesen wird, das hat grossen Nutzen in der Moral. Denn wenn man einen wozu lencken will, so ıst das erste, worauf man zu sehen hat, daß man ıhm Lust darzu machet.« »$. 133. Mangel der Lust und Unlust hat man in der Moral wohl von einander zu unter-

scheiden. Denn wenn man den Menschen von dem Bösen abbringen will; so ist nicht genug, daß man ıhn bloß in den Stand setzet, da er keine Lust daran hat, sondern man

muß es bis dahin bringen, da er gar Unlust oder Mißfallen daran hat. Denn ım ersten Falle höret er noch den Verführer, und lässet sich wohl gar bis dahin bringen, daß er an dem Bösen Lust gewinnet: in dem andern Falle kan er davon nicht hören, und es fället schweer, wenn man ıhm erst den Wider-Willen, den er daran hat, benehmen soll, ehe er

dem Verführer Gehöre geben kan.« Der vernünfftigen Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, anderer Theil, bestehend in ausführlichen Anmerckungen. Mit einer Einleitung und einem Kritischen Apparat von Charles A. Corr. Hildesheim, Zürıch, New York 1983. (Faksımiledruck Frankfurt 1740, 3. Auflage). [Gesammelte Werke. 1. Abteilung, Band 3: Anmerkungen zur deutschen Me-

taphysik], S.312, 217.

Wolffs Dichtungstheorie

9

vielen weitläufftigen Vorstellungen, wenn sie noch so vernünfftig sind. Es kommet noch diese besondere Ursache dazu: In Exempeln siehet man die

Gewißheit augenblicklich, wann man sie recht erweget; hingegen wenn man durch Gründe überführet werden soll, muß man mit ıhnen so zu reden erst

bekand werden, und vorher eine gewisse Geschicklichkeit besitzen, die von seiten dessen erfordert wird der sich durch einen Beweiß soll überführen lassen [...]. Und hat man demnach den Menschen darzu zu gewöhnen, daß er auf sein Thun und Lassen so wohl als auf anderer Leute ıhres, und dessen

Erfolg genau acht habe. Da nun der Erfolg durch die Vernunfft am besten beurtheilet wird [...], diese aber aus dem Verstande kommet [...]; so wer-

den die Exempel eine viel lebhafftere Vorstellung geben, wenn Verstand und Vernunfft sich mit der Erfahrung vereinbahren. Sonst zeiget zwar das Exempel Dinge, die aus einander kommen, mit einander, aber man siehet nıcht

gleich, daß eines aus den andern kommen sey.«!? Künstlerische Gestaltung berührt augenblicklich die Gefühle. Die gefühlshafte Erfahrung ist Jedoch nur ein vorläufiger Weg, um die Gesetze der Natur zu erkennen (»anschauliche Erkenntnis«), die Vernunfterkenntnis (»figürliche Erkenntnis«), die nicht durch Kunst, sondern durch Lehre ver-

mittelt wird, muß hinzutreten. Die besondere Bedeutung der anschaulichen Erkenntnis liegt darin, daß sie, da sie »Lust und Unlust nebst hefftigen Affecten« auslöst, »bey vielen« »einen grösseren Eindruck« als die »Geschicklichkeit« voraussetzende Lehre bewirkt und daß sıe darüber hinaus augenblickliche intuitive Gewißheit von einem Problem zu vermitteln ver-

mag. Diese durch anschauliche Erkenntnis gewonnene Gewißheit von Tugendhaftigkeit jedoch ins Lebenspraktische umzusetzen, und das ist die letzte Absicht von jeglicher Kunst (»Erfolg«), bedarf es des Verstandes und der Vernunft. Um eine »lebhafftere Vorstellung« zu erzeugen, muß das Gefühlte am Ende vernünftig analysiert werden, die Gründe seiner Wirkung und Bedeutung sollten erkannt werden. Die wirksamste, höchste Erkennt-

nis vom Gesetz der Natur wäre demnach diejenige, die die mit tiefen Gefühlen verbundene anschauliche Erkenntnis vernünftig zu erklären und tu-

gendhaften Nutzen für das eigene Leben daraus abzuleiten vermag. Diese zweifache Funktion vermag nach Wolff das künstlerische Exempel zu erfüllen, in ihr liegt die spezifische Überlegenheit der Kunst gegenüber theo-

retisch-rationaler Lehre begründet.

17 Deutsche Ethik, S.99-101.

10

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert

3. Johann Christoph Gottscheds literarisches Reformprogramm Wolft gab den deutschen Poetikern der ersten Jahrhunderthälfte den theoretischen Rahmen vor für die Funktion einer Poesie, die durch anschauliche, die Sinne und Affekte berührende Beispiele von Tugend und Untugend den Menschen zu einem besseren Leben führen sollte. In diesen Rahmen stellte Wolffs Schüler Johann Christoph Gottsched, der die deutsche Dich-

tungsproduktion und -theorie zwischen 1730 und 1760 ausgesprochen beeinflußte, seine umfassende Dichtungstheorie.'? Wie für Wolff war für Gottsched

die

Philosophie

Grundlage

jeglicher

wissenschaftlichen

und

künstlerischen Tätigkeit, sie enthielt »die ersten Grundsätze aller übrigen Künste und Wissenschaften«.!? Der Poesie räumte er unter ıhnen den Rang »de[s] vornehmste[n] Theil[s] der Gelehrsamkeit«?° ein. Ihre Funktion und

Leistung ın Abgrenzung zu Philosophie und Historie stellte Gottsched in der Fabeltheorie der Critischen Dichtkunst heraus: »28. $. Aus dem allen

erhellet nun sonder Zweifel, wie man mit Grunde der Wahrheit sagen könne, daß die Fabel das Hauptwerk der ganzen Poesie sey; indem die aller-

wichtigsten Stücke derselben einzig und allein darauf ankommen. Es ist aber auch daraus abzunehmen, mit wıe vielem Grunde Arıstoteles von der

Dichtkunst sagen können, daß sie weit philosophischer sey, als die Historie, und viel angenehmer, als die Philosophie. Denn ein Gedichte hält ın der That das Mittel zwischen einem moralischen Lehrbuche, und einer wahr-

haftigen Geschichte. Die gründlichste Sittenlehre ist für den großen Haufen

der Menschen vıel zu mager und zu trocken. Denn die rechte Schärfe ın Vernunftschlüssen ist nıcht für den gemeinen Verstand unstudirter Leute. Die nackte Wahrheit gefällt ihnen nicht: es müssen schon philosophische Köpfe seyn, die sich daran vergnügen sollen. Die Historie aber, so angenehm sie selber den Ungelehrten zu lesen ist, so wenig ist sie ihm erbaulich. Sie erzählt lauter besondre Begebenheiten, die sıch das tausendstemal nicht auf den Leser schicken; und wenn sie sich gleich ohngefähr einmal schick'®_ Vgl. Joachim Birke: Gottscheds Neuorientierung der deutschen Poetik an der Philosophie Wolffs. In: ZfdPh 85 (1966) 4, S.560-575; bes. S.567-575. ” Erste Gründe der Weltweisheit. Theoretischer Theil. Einleitung zur Weltweisheit

überhaupt $ 15. Johann Christoph Gottsched: Erste Gründe der gesammten Weltweisheit. Theoretischer Teil. Berlin, New York 1983. [Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Joachim Birke, Brigitte Birke und Philipp Marshall Mitchell. Band V, Teil 1]. [Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVII. Jahrhunderts Band 107], S.127. 2° Critische Dichtkunst: Das I. Capitel. Vom Ursprunge und Wachsthume der Poesie überhaupt. $ 1. Ausgewählte Werke Band VI, Teil 1, S.115. (Dieser Ausgabe liegt die dritte Auflage aus dem Jahr 1742 zugrunde).

Gottscheds literarisches Reformprogramm

11

ten; dennoch viel Verstand zur Ausdeutung bey ıhm erfordern würden. Die Poesie hergegen ist so erbaulich, als die Morale, und so angenehm, als die Historie; sıe lehret und belustiget, und schicket sich für Gelehrte und Ungelehrte: darunter jene die besondere Geschicklichkeit des Poeten, als eines

künstlichen Nachahmers der Natur, bewundern; diese hergegen einen beliebten und lehrreichen Zeitvertreib ın seinen Gedichten finden.«?! Epische

Dichtung steht zwischen Historie und Philosophie: indem sie sowohl Geschehnisse veranschaulicht wie die Historie als auch philosophische Ideen vermittelt wie die Philosophie, vermag sıe die spezifischen, aus der jewei-

ligen Einseitigkeit erwachsenden Nachteile der beiden Gattungen zu überwinden. Der berühmte >»Rezeptsatz< ıst für den Dichter dıe Grundregel zur

Herstellung von tugendwirksamer Literatur: eine moralische Wahrheit wird in eine fiktionale Handlung

eingekleidet und präsentiert sich so für ein

breites Publikum verständlich und angenehm.?? Analog regelhaft und vollständig auf der Grundlage der Wolffschen Erkenntnistheorie definiert Gottsched auf der Rezeptionsseite Geschmack: da jedes Kunstwerk, das mımetisch die zweckhaft-mathematisch angeordnete Natur abbildet, wie die

Natur in einzelne Merkmale und Regeln zerlegt werden kann, denen auf der Erkenntnisseite jeweils Begriffe entsprechen, ist jede Erkenntnis von Kunst zuletzt Begriffserkenntnis. Gottsched strebt eine der Klarheit und Deutlichkeit der Merkmale eines Gegenstandes möglichst nahekommende Erkenntnis an, seın Geschmacksurteil rückt damit in unmittelbare Nähe

zum Verstandesurteil und steht losgelöst von anthropologischen Aspekten. Das Schöne wird ın der Struktur der Dinge gesucht, in der Natur wie ım Kunstwerk.?” Die Rezeption eines Kunstwerkes ist ein rationaler Vorgang,

»der Leser oder Betrachter eines Werkes kann dessen objektiv vorliegende Schönheit lediglich erkennen oder nicht erkennen und dementsprechend * Ebd. Das IV. Capitel. Von den dreyen Gattungen der poetischen Nachahmung, und insonderheit von der Fabel. $ 28, S.220f.

22 Ebd. $$ 21,22, S.214f.

” Ebd. Das III. Capitel. Vom guten Geschmacke eines Poeten. $ 9, S.174. Zu Gottscheds Schönheitsbegriff s. auch die >III. Akademische Rede, oder 2te Rede, Zur Vertheidigung Gottes und des menschlichen Geschlechts< (1730). Ausgewählte Werke Band IX, Teıl 2, S.427-439; S.428f. Vgl. hierzu auch Peter Borjans-Heuser: Bürgerliche Pro-

duktivität und Dichtungstheorie. Strukturmerkmale der poetischen Rationalität im Werk von Johann Christoph Gottsched. Frankfurt/M., Bern 1981. [Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur Band 448], S.152-156 und Joachim Birke: Christian Wolffs Metaphysik und die zeitgenössische Literatur- und Musiktheorie: Gottsched, Scheibe, Mizler. Im Anhang: Neuausgabe zweier musiktheoretischer Traktate

aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Berlin 1966. [Quellen und Forschungen zur Sprachund Kulturgeschichte der germanischen Völker NF Band 21], S.29-48.

12

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert

richtige oder falsche Urteile darüber abgeben.«?* Die ständisch-privilegierte

Fähigkeit zum Geschmack wird dadurch in der Theorie aufgehoben: Laie und Kunstrichter unterscheiden sich in ihrer Regelkompetenz, die sie durch

ästhetische Erziehung immer verbessern können, nicht jedoch in ihrem prinzipiellen Vermögen der Kunstrezeption. Trotz und gerade mit Hilfe dieser klassizistisch-traditionellen Dichtungskonzeption stellt Gottscheds literaturtheoretisches Hauptwerk, die Critische Dichtkunst,? den umfassenden Versuch einer Dichtungsreform

dar,

durch die Dichtung neben der Philosophie als notwendiger 'Ieıl eines bürgerlich-aufklärerischen Bildungsprogramms institutionalisiert werden soll. Die »strategische Struktur« (Freier) der Critischen Dichtkunst zielt auf Legitimation und Verselbständigung der schönen Literatur gegenüber ıhren

traditionellen repräsentativen Oppositionssystemen Kirche und Staat durch ihre Neudefinition nach der antiken Poetik (Arıstoteles, Horaz) und dem

französischen Klassizismus entnommenen Normen und Regeln für literarische Produktion und Kritik. Dichtung soll mit Hilfe der wissenschaftlichen Methode zum aufklärerischen Instrument werden, zum Medium einer

bürgerlichen Morallehre im Kontext der Etablierung einer räsonierenden bürgerlichen Öffentlichkeit. Gottsched beabsichtigt damit in den Jahrzehn-

ten eines gerade entstehenden literarischen Marktes eine funktionale Umstrukturierung der gesamten literarischen Institution, ihrer ökonomischen, sozialen, kulturpolitischen und literarisch-künstlerischen Aspekte: die Etablierung einer gelehrten Literaturkritik wie einer ungelehrten Laienkritık, die Aufwertung der sozialen Position des Dichters in der Gesellschaft,

die Orientierung der schönen Literatur auf ein neues, breites Publikum hin.

# Pago 1989, $.236. ® Die »Critische Dichtkunst« lag im Oktober 1729 abgeschlossen vor. Vgl. auch Werner Rıieck (Zur Entstehungsgeschichte und zur Anlage von Gottscheds »Critischer Dichtkunst« In: WZPHP

12 (1968), S.711-722), der der These von Alfred Pelz (Die vier Auf-

lagen von Gottscheds Critischer Dichtkunst in vergleichender Betrachtung. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte. Diss. Breslau 1929) von der Weiterentwicklung der »Critischen Dichtkunst< widerspricht, wenn er ausführt, daß sich die vier Auflagen nur unwesentlich voneinander unterschieden und Gottsched mit »Starrheit« (S.718) inhaltlich und formal an seinem System von 1729 festhielte.

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Der »deutsch-schweizerische Literaturstreit«

13

4. Der »deutsch-schweizerische Literaturstreit« Einem immer noch verbreiteten literaturhistorischen Gemeinplatz zufolge änderte sich die Funktionsbestimmung von Dichtung innerhalb der deut-

schen poetologischen Diskussion mit dem »deutsch-schweizerischen Literaturstreit«. Der simplifizierenden, teleologischen Fortschritts-Perspekti-

ve, aus der heraus die widerspruchsvolle poetologische Entwicklung der Epoche, der komplizierte Prozeß einer »Entflechtung von Ethik und Ästhetik« (Zelle),2° als lineare tendenzielle Abwendung von der Rhetorik und Annäherung an subjektphilosophische, autonomieästhetische >Klassık«Modelle des ausgehenden Jahrhunderts betrachtet wurde, ist die differen-

zierte Wahrnehmung, die die Gleichzeitigkeit.des Ungleichzeitigen aufzeigt, gewichen. Die vereinfachende Vorstellung von Ablösemechanismen wurde überwunden durch das Bewußtsein für das Nebeneinander divergierender ästhetischer Entwürfe.

So ging mit der Neueinschätzung von Gottscheds dichtungstheoretischer Stellung zwischen Traditionalismus und Reformismus in den vergangenen zwanzig Jahren?” eine intensive Forschungsdebatte um den >»deutschschweizerischen Literaturstreit, um Analogien und Differenzen ın den Positionen beider Parteien einher, in der immer wieder neue Aspekte der

Abgrenzung oder Verbundenheit Bodmers und Breitingers mit Gottsched betont wurden. Die Problematik der Debatte scheint vor allem darın zu liegen, daß weder Gottscheds noch Bodmers und Breitingers poetologische Entwürfe

ın sich konsistente Systeme darstellen, beide lassen, indem sie

Widersprüchliches vereinen, Anbindungen an Altes wie Neues zu. Unbestritten messen Bodmer und Breitinger dem Sinnlichen, Irrationalen und

Phantastischen in der Poesie größeren Eigenwert zu als Gottsched. Im dritten Abschnitt von Breitingers Critischer Dichtkunst, der Antwort auf Gottscheds dichtungstheoretisches Hauptwerk, Von der Nachahmung der Natur, wird das Changierende der Schweizer Poetik zwischen Mimesis und Poiesis, zwischen Bindung an die Realität und Freiheit der Phantasieschöpfung besonders greifbar: die Begriffe des Wunderbaren, des Möglichen, Wahrscheinlichen und Wirklichen bleiben undeutlich voneinander abgegrenzt.?® In einigen Passagen von Breitingers Poetik wird dem durch Dich?6 Carsten Zelle: »Angenehmes Grauen«. Literaturhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schrecklichen im achtzehnten Jahrhundert. Hamburg 1987. [Studien zum achtzehnten Jahrhundert Band 10], S. XV. ”7 Bes. durch die Arbeiten von Werner Rieck (Johann Christoph Gottsched. Eine kritische Würdigung seines Werkes. Berlin (Ost) 1972) und Hans Freier 1973.

28? „Zudem wird diese poetische Mahler-Kunst ın Ansehung ihrer Materie und Erfin-

14

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert

tung hervorgerufenen Vergnügen selbst moralischer Nutzen zugesprochen:

» Alleine dieser Streit läßt sich leicht beylegen, wenn man einmahl bedenkket, daß die Poesie, insoweit sie eine Kunst ist, die in der Nachahmung bestehet, nothwendig ergetzen muß, und dann ferner, daß alle Künste und Wissenschaften zu der Beförderung der Glückseligkeit müssen gebrauchet werden; dergestalt, daß folglich das Ergetzen selbst ein Mittel abgeben muß, das Wohlseyn des Menschen zu befödern, gleichwie in der That die

edleren Künste durch das Ergetzen den Wohlstand des Gemüthes, die mechanischen suchen.«??

Künste aber die Vollkommenheit

des äusserlichen Zustandes

Ist damit die frühaufklärerische Poesiekonzeption, nach der Tugend durch anschauliche, sinnliche Beispiele in der Dichtung lehrbar ist, überwunden ? Liegt hier die Ablösung und Verselbständigung der durch sınnliche Darstellung hervorgerufenen Affekte von funktionalen Bestimmungen vor? Hat Dichtung eine neue Funktion erhalten, wıe Paul Böckmann ın seiner Formgeschichte der deutschen Dichtung schreibt: »Nicht nur das

Stoffgebiet der Dichtung ändert sich, sondern auch ihre Aufgabe ?«?° In Karl-Heinz Stahls Studie aus dem Jahr 1975?! wird diese Frage ausdung eben darum die Dicht-Kunst genennet, weil sie sich auf das Wahrscheinliche gründet; denn was ist Dichten anders, als sich ın der Phantasie neue Begriffe und Vorstellun-

gen formieren, deren Originale nicht in der gegenwärtigen Welt der würcklichen Dinge, sondern in irgend einem andern möglichen Welt-Gebäude zu suchen sind. Eın jedes wohlerfundenes Gedicht ıst darum nicht anderst anzusehen, als eine Historie aus einer andern

möglichen Welt: Und in dieser Absicht kömmt auch dem Dichter alleine der Nahme [...], eines Schöpfers, zu, weil er nicht alleine durch seine Kunst unsichtbaren Dingen sichtbare

Leiber mittheilet, sondern auch die Dinge, die nicht für die Sinnen sınd, gleichsam erschaffet, das ist, aus dem Stande der Möglichkeit in den Stand der Würcklichkeit hin-

überbringet, und ihnen also den Schein und den Nahmen des Würcklichen mittheilet.« Johann Jacob Breitinger:

Critische Dichtkunst.

Faksımiledruck

nach der Ausgabe von

1740. Mit einem Nachwort von Wolfgang Bender. Stuttgart 1966. [Deutsche Neudrucke. Texte des 18. Jahrhunderts, Band 19,1.2], S.59f. ? Critische Dichtkunst. Der vierte Abschnitt: Von der Wahl der Materie, S.100f.

°° Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung. Band 1: Von der Sinnbildsprache zur Ausdruckssprache. Der Wandel der literarischen Formensprache vom Mittelalter zur Neuzeit. Hamburg 1949, S.570. U Karl-Heinz Stahl: Das Wunderbare als Problem und Gegenstand der deutschen Poetik des 17. und

18. Jahrhunderts. Frankfurt/M.

1975, S.80-112

(Gottsched); S.174-182

(Bodmer, Breitinger). Vgl. zur Frage von Gottscheds Rhetorikrezeption auch den wenig ergebnisreichen Aufsatz von Rosemary Scholl: Die Rhetorik der Vernunft. Gottsched und die Rhetorik ım frühen 18. Jahrhundert. In: Leonard Forster, Hans-Gert Roloff (Hrg.): Akten des V. Internationalen Germanisten-Kongresses Cambrıdge 1975. Heft 3. Bern, Frankfurt/M. 1976. [Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A: Kongreßberichte. Band 2], S.217-221.

Der »deutsch-schweizerische Literaturstreit«

15

drücklich bejaht. Stahl betrachtet die Kategorie des Wunderbaren innerhalb

des für beide Seiten verpflichtenden Wirkungsbezugs und Mimesis-Gebotes als neuralgischen Punkt in der Auseinandersetzung und konfrontiert Gottscheds

»rhetorische«

Poetik

mit

der

»psychologischen
historical perspectivism< [which] cuts through the century begin-

ning with the querelle«.”” Kowalik zeigt, wie dieser von der Querelle ausgehende »strand«, an den Gottsched, »who proceeded from a concept of nature based on static and timeless geometrical relations«°® und der ın einer engen Verpflichtung gegenüber Wolff stand, nicht anknüpft, für Breitingers Poetik außerordentlich wichtig wird. Von der Querelle übernimmt er ein

für das 18. Jahrhundert neues, historisch-distanziertes Verständnis für Sprache, Stil und Dichtung sowie die Psychologisierung der Dichtung durch

den ästhetisch produktiven Rezeptionsakt (Du Bos’ Reflexions crıtiques,

1717).

Das Gemeinsame vor dem Trennenden betonend eröffnet Horst-Michael Schmidt 1982 eine andere Perspektive auf den Literaturstreit, indem er vom

rationalistischen Erfahrungsbegriff ausgeht, der die ausschließlich zweckrationale Definition der Sinnlichkeit einschließt, und behauptet, die ästhe-

verpflichtet. Diese Wahrheit der objektiven Natur sei Nachahmungsgegenstand, die durch sinnliche Erfahrung erkennbaren Einzeldinge an sich unbedeutend. Vgl. auch die Kritik von Friedrich Gaede (Gottscheds Nachahmungstheorie und die Logik. In: DVjs 49 (1975) Sonderheft »18. Jahrhundert«, S.105-117; bes. S.115-117.), der Herrmanns Nachahmungsbegriff für zu formal verstanden und die logisch-ontologischen Implikationen ver-

nachlässigend hält und Gerlinde Bretzigheimers Kritik an Herrmanns Naturbegriff bes. ın bezug auf die Schweizer (Johann Elias Schlegels poetische Theorie im Rahmen der Tradition. München 1986, S.4-10). Für Bretzigheimer finden sich erste Ansätze zur Überwindung der Rhetorik erst ın J.E. Schlegels Poetik, der, Baumgarten rezipierend, sinnlichanthropologische Aspekte hervorhebe. Die Autorin kommt allerdings zu dem Ergebnis, daß Schlegel demselben rhetorisch-rationalen, zwischen Vorbild und Bild unterscheidenden Nachahmungsbegriff wie Gottsched und die Schweizer verpflichtet ıst. (S.77ff.,

95 ff.).

3° Herrmann 1970, S.276. 7” Jıll Anne Kowalik: The Poetics of Historical Perspectivism: Breitinger’s Critische

Dichtkunst and the Neoclassic Tradition. Chapel Hill, London 1992. [University of North Carolina Studies in the Germanic Languages and Literatures No. 114], 5.7. 3” Ebd., S.50.

Der »deutsch-schweizerische Literaturstreit«

17

tische Erfahrung unterscheide sich in der ersten Jahrhunderthälfte noch nicht von sinnlicher Erfahrung wie von vernünftiger Erkenntnis und der Kunst-Begriff sei von den freien Künsten und den Wissenschaften noch

ungeschieden.? Vor der »Wende in der Geschichte der Wahrnehmung«®’ und ihrer philosophischen Bestimmung in der zweiten Jahrhunderthälfte seien Gottsched, Bodmer, Breitinger und Baumgarten in ıhren jeweiligen Kunst-, Natur- und Mimesiskonzepten gleichermaßen einem rationalistischen Erfahrungsbegriff verpflichtet. Dabei liege die Rolle der Schweizer darin, »den rhetorisch verstandenen Wirkungsaspekt der Poesie [...] eigens [zu] thematisieren und über den kategorialen Apparat der rationalistischen Erkenntnispsychologie kritisch aufzuklären [zu] suchen.« Indem die Position der Schweizer, so Schmidt,

»die poetologische Argumentation

verla-

gert von der Begründung der poetischen Inhalte auf die Problematisierung des Wechselbezuges von poetischen Darstellungsprinzipien und poetischen Rezeptionseinstellungen«, eröffnen sie den Auflösungsprozeß der klassizistischen Kunsttheorie.*! Den neben der rationalistischen Philosophie wir-

kungsmächtigen Einfluß der Rhetorik auf die deutsche Dichtungstheorie der Frühaufklärung und die Spannung zwischen beiden Systemen hebt Angelika Wetterer ın ihrer 1982 erschienenen programmatisch betitelten Arbeit Publikumsbezug und Wahrheitsanspruch. Der Widerspruch zwischen rhetorıschem Ansatz und philosophischem Anspruch bei Gottsched und den Schweizern hervor und verleiht damit der Debatte erneute Wendung.*? Wet-

terer begreift die Poetiken Gottscheds wie der Schweizer als eigenständiges frühaufklärerisches poetologisches Paradigma, das vor dem Problem steht,

” Horst-Michael Schmidt: Sinnlichkeit und Verstand. Zur philosophischen und poetologischen Begründung von Erfahrun: und Urteil in der deutschen Aufklärung. (Leibnız, Wolff, Gottsched,

Bodmer

und Breitinger, Baumgarten).

München

1982. [Theorie

und Geschichte der Literatur und der schönen Künste. Texte und Abhandlungen Band

63].

* Ebd., S.20.

1 Ebd., S.140. Karl-Heinz Finken bestätigt in seiner Dissertation aus dem Jahr 1993, die er als Ergänzung zu Schmidts Studie versteht (S.181), ausdrücklich Schmidts Ergebnisse: »Die literaturtheoretische Aufwertung der Kategorie des Wunderbaren, gemeinhin als wesentlicher Beitrag der Schweizer zur Entwicklung der Literaturtheorie des 18. Jahr-

hunderts angesehen, steuert nichts Wesentliches zur wahrheitstheoretischen Fundierung der Literatur bei und hat lediglich begrenzte rezeptionsästhetische Implikationen.« KarlHeinz Finken: Die Wahrheit der Literatur. Studien zur Literaturtheorie des 18. Jahrhun-

derts. New York u.a. 1993. [Studies in Modern German Literature. Vol. 58], S.88. *2 Angelika Wetterer: Publikumsbezug und Wahrheitsanspruch. Der Widerspruch zwischen rhetorischem Ansatz und philosophischem Anspruch bei Gottsched und den Schweizern. Tübingen 1981. [Studien zur deutschen Literatur Band 68).

18

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert

Ansätze aus der Rhetorik mit denen der Aufklärungsphilosophie zu verbinden. Daß die aufklärerische Dichtungstheorie mit der Rhetorik, die zur Erzielung der persuasio ein immer noch machtvolles System zur sinnlichaffektiven Manipulierung bereitstellte, in der Instrumentalisierung der Affekte konvergierte, war ın der Forschung seit Dockhorn* durchaus Gemeinplatz. Der Widerspruch zwischen rhetorischem Wirkungsbezug und dem publikumsunabhängigen aufklärerischeu Wahrheitsanspruch sei für beide poetologischen Systeme konstitutiv — wenn auch nıcht bewußt, sondern immanent gestaltet —, denn in vielen Aspekten herrsche eine »Reziprozität von poetologischer Tradition und zeitgenössischer Philosophie« — »ınsbesondere [in] der instrumentalisierten Rolle der Sinnlichkeit« ım Kontext einer »persuasiven Kommunikationsstruktur« vor.‘* Der präzise

Konflikt liege in der aufklärerischen Forderung an die rhetorische ars docta, zur ars popularis zu werden: bei Gottsched ın dem Dilemma, daß die mo-

ralisch nützliche Poesie als streng regelhaft-vernünftige eben doch nur das gelehrte, bereits vernünftige Publikum zu erreichen vermag und aufgrund ihrer durch die enge Bindung an die Vernunft eingeschränkten sinnlich-affektiven Anschaulichkeit nicht das geeignete aufklärerische Instrument ıst, an den noch nicht vernünftigen »gemeinen Mann« zu appellieren — bei den Schweizern in der Kehrseite, wenn sie nämlich, um sich an den »größten Haufen« richten zu können, den Bedürfnissen des Publikums nach Sinn-

lichkeit größeren Raum als jemals zuvor zugestehen. »Das eine Mal wird die wahre Schönheit als vorgängige Norm gesetzt, das andere Mal die Bezugnahme auf den Horizont des Publikums, das eine Mal ist dementsprechend der Publikumsbezug das quasi »nachträglich< herzustellende, das an*% Klaus Dockhorn: Die Rhetorik als Quelle des vorromantischen Irrationalismus ın der Literatur- und Geistesgeschichte. In: Klaus Dockhorn: Macht und Wirkung der Rhe-

torik. Vier Aufsätze zur Ideengeschichte der Vormoderne. Bad Homburg v.d.H., Berlin, Zürich 1968. [Respublica Literaria Band 2], S.46-95.

* Wetterer 1981, S.63 u. 61f. Vgl. zur Rhetorikrezeption der ersten Jahrhunderthälfte die Studie von Uwe Möller (Rhetorische Überlieferung und Dichtungstheorie ım frühen 18. Jahrhundert. Studien zu Gottsched, Breitinger und G. Fr. Meier. München 1983), die,

obwohl zwei Jahre später erschienen, weit hinter Wetterers Analysen, die der Autor nicht zur Kenntnis genommen hat, zurückgeht. Möller resümiert am Ende Bekanntes: »[...] so versucht die vorliegende Arbeit zu beweisen, daß rhetorische Argumentationszusammen-

hänge sowohl für die Ausbildung der inneren Systematik der Asthetik als auch für die ‚Wendung zum Subjektivismus< der Kunst von nicht unerheblicher Bedeutung gewesen sind.« (S.102). Schließlich wies bereits drei Jahre zuvor auch Wolfgang Bender in einem gründlichen Aufsatz »die hervorragende Bedeutung der Rhetorik für die Begründung der

Asthetik« nach. Wolfgang Bender: Rhetorische Tradition und Asthetik ım 18. Jahrhundert: Baumgarten, Meier und Breitinger. In: ZfdPh 99 (1980) 4, S.481-506; S.501.

Der »deutsch-schweizerische Literaturstreit«

19

dere Mal die Wahrheit das »nachträglich« zu suchende und sicherzustellende Moment.«®

Wetterers interessante Überlegungen können hier nicht im einzelnen diskutiert werden, ihr Wert liegt für den vorliegenden Zusammenhang vor allem darin, den immanenten Widerspruch im Konzept der moralisch nütz-

lichen Poesie der ersten Jahrhunderthälfte nachdrücklich herausgearbeitet und damit auf ein Grundproblem in der frühaufklärerischen Theorie hingewiesen zu haben. Hinter der Unmöglichkeit, die vernünftige Poesie mit ihrem Anspruch auf Wahrheit und Vernünftigkeit und das unvernünftige Publikum zusammenzubringen, liegt das Dilemma des Vernunftbegriffes und Menschenbildes der praktischen Philosophie der Frühaufklärung: eın Vernunftbegriff, der an alle Menschen appellieren soll, aber doch nur die wenigsten zu erreichen vermag — ein Menschenbild, das theoretisch die Gleichheit aller Menschen fordert, der Erfahrung von deren realer Ungleichheit aber nicht zu begegnen vermag. Solange Kunst sich darauf einläßt, ihre ästhetischen Möglichkeiten diesen Normen vollkommen unter-

zuordnen, werden von ıhr keine neuen Impulse ausgehen. Wenn allerdings das Lebensweltliche, die sinnliche Erfahrung und Wahrnehmung der Welt mit deren begrifflich-reflektierter, wissenschaftlicher Erkenntnis einhergeht, wıe Schmidt behauptet, wäre die letzte Ursache der Krise der frühauf-

klärerischen Ästhetik weniger ein Problem der Kunst, die ihr Publikum verfehlt, denn ein Wahrnehmungsphänomen, ein Phänomen der Welterfah-

rung: unter der alles dominierenden Herrschaft eines rationalistischen Systems der Welterklärung könnte in der ersten Jahrhunderthälfte eine über sie hinausgehende Kunst weder theoretisch entworfen noch produziert und rezipiert werden, denn der philosophische Vernunftbegriff reflektiere die Möglichkeiten und Grenzen der Realitätserkenntnis seiner Epoche. Der Mensch nähme die Welt als vernünftig geordnetes System wahr und wäre daher zu keiner anderen Gestaltung und Theorie der Welt fähig, bedürfe ihrer aber auch nicht. Philosophie, sinnlich-visuelle Wahrnehmung der Welt, Kunst und Kunsttheorie bedingten einander, wären Ausdruck von-

einander. Es liegt auf der Hand, daß hier Zweifel anzumelden sind.

» Wetterer 1981, S.223.

20

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert

5. Die Begründung einer neuen Ästhetik durch Alexander Gottlieb Baumgarten

Noch für Christian Wolff war die Konfrontierung von Philosophie und Kunst

in der rationalistischen Theorie

aufzuheben,

war

das irrationale

Schöne als Instrument der Tugendvermittlung innerhalb der logisch-metaphysischen Welterklärung rational legitimierbar — es mußte nur systematisch und unter utilitären Gesichtspunkten in das System eingegliedert werden: »$. 369. Es wäre demnach nützlich, wenn man die Künste in Wis-

senschaften brächte; so könnte ein jeder sich leicht davon bekannt machen, was ıhm nützlich wäre. Alleın da es uns noch an richtigen Beschreibungen derselben fehlet; so ist diese Erkäntnis viel schwerer zu erlangen. Wären erst solche Beschreibungen vorhanden, dadurch man vollständige Begriffe von den Künsten hätte; so würden diejenigen, welche eine gründliche Erkäntnis ın der Weltweisheit erreichet, auch leicht die Wissenschaft der Kün-

ste ausarbeiten können.«* Um die Jahrhundertmitte vermag diese hierarchische Eingliederung der Kunst in die praktische Philosophie nicht mehr zu genügen - Kunst, Wahrnehmung/Erkenntnis und deren Theorie treten ın ein neues Verhältnis zueinander. Der Impuls für das neue Paradigma geht aus von veränderten erkenntnistheoretischen Prämissen, von einer theoretischen Neukonzeption

und -bewertung der menschlichen Wahrnehmungs- und Erkenntnisweisen. Alexander Gottlieb Baumgarten strukturiert in seiner Aesthetica (1750),

mit der er eine neue, systematische Ästhetik begründen will, die bei Leibniz und Wolff angelegte Hierarchie der menschlichen Erkenntnisvermögen von den nıederen, dunklen zur höchsten Stufe von Verstand und Vernunft neu,

indem er das analogon rationis als Prinzip der sinnlichen Erkenntnisfähigkeit der Seele (im Unterschied zu den äußeren sinnlichen Wahrnehmungen), das ebenso wie die Vernunft zu Vollkommenbheit fähig ist, dem Prinzip

der Vernunfterkenntnis gleichwertig zuordnet.* Der rationalen cartesianıschen Erkenntnismethode, so Baumgarten, entgeht bei der Aneignung der Welt die Fülle der komplexen, irrationalen Phänomene der Wirklichkeit, zu

** Deutsche Ethik, S.244. Theoretische Asthetik. Die grundlegenden Abschnitte aus der >Aesthetica« (1750/58).

Übersetzt und herausgegeben von Hans Rudolf Schweizer. Lateinisch-deutsch. Hamburg 1983. [Philosophische Bibliothek Band 355]. *% Zu Baumgartens

Ästhetik vgl. bes. die grundlegende

Studie von Ursula Franke:

Kunst als Erkenntnis. Die Rolle der Sinnlichkeit ın der Ästhetik des Alexander Gottlieb Baumgarten. Wiesbaden 1972. [Studia Leibnitiana Band IX].

Begründung einer neuen Ästhetik durch Baumgarten

21

deren Wahrnehmung der Mensch doch mit sensitivem Empfindungsvermögen ausgestattet wurde. Die nur deutliche, logische Erkenntnis bedingt einen eingeschränkten Erkenntnisbereich: »$ IV. [...] So wie kein Philo-

soph zu einer solchen Tiefe gelangt, daß er mit dem reinen Verstand alles durchschaut, wobei er niemals an einer verworrenen Vorstellung von ir-

gendwelchen Dingen haften bleibt, ebenso ist nahezu keine Rede so ausschließlich wissenschaftlich und intellektuell, daß nicht doch irgendeine sensitive Idee in dem ganzen Zusammenhang vorkäme.«®” Das analogon rationis hat Erkenntnisfunktion, es ist Medium der fühlenden, sinnlichen

Weltvergegenwärtigung wie »Ort der Schönheit«,?’ denn es vermag Schönheit, die Abbild der vollkommenen Ordnung der Welt ist, gefühlshaft zu erkennen und zu beurteilen.?! Die gefühlshaft-sinnlich erfahrene Wahrheit wird ergänzt durch die durch logisches Denken

gewonnene Verstandes-

Wahrheit,? stellt jedoch mehr als eine erkenntnistheoretische Vorstufe für diese — wie bei Leibniz und Wolff - dar.’? *” Meditationes philosophicae de nonullis ad poema pertinentibus. Philosophische Betrachtungen über einige Bedingungen des Gedichtes. Übersetzt und mit einer Einleitung herausgegeben von Heinz Paetzold. Lateinisch-Deutsch. Hamburg 1983. [Philosophische Bibliothek Band 352], S.9f. Vgl. auch Aestetica $ 560: »So entstehen die Gegenstände methodischen Denkens und wissenschaftlicher Darstellung, und zwar in Form von All-

gemeinbegriffen. Und es erwächst daraus im Geist der wissenschaftlich Gebildeten eine durchaus vollkommene, oft schöne und auch im engern Sinne logische Wahrheit. Und doch stellt sich die Frage, ob die metaphysische Wahrheit diesem Allgemeinbegriff äquivalent sei, so wie sie dem individuellen Gegenstand entspricht, der ın dem Allgemeinbegriff enthalten ıst. Ich wenigstens glaube, es müßte den Philosophen völlig klar sein, daß nur mit einem großen und bedeutenden Verlust an materialer Vollkommenheit all das hat erkauft werden müssen, was ın der Erkenntnis und in der logischen Wahrheit an besondrer formaler Vollkommenbheit enthalten ist. Denn was bedeutet die Abstraktion anderes als einen Verlust? Man kann, um einen Vergleich heranzuziehen, aus einem Marmorblock von unregelmäßiger Gestalt nur dann eine Marmorkugel herausarbeiten, wenn man einen Verlust an materialer Substanz ın Kauf nimmt, der zum mindesten dem höheren Wert der regelmäßig runden Gestalt entspricht.« ($.144f.)

°° Ursula Franke: Analogon rationis. In: Gründer, Ritter 1971ff., Band 1, Sp. 229. °! Vgl. Ursula Frankes Aufsatz (Von der Metaphysik zur Ästhetik. Der Schritt von Leibniz zu Baumgarten. In: Akten des Internationalen Leibniz-Kongresses Hannover, 17.-22. Juli. Band III: Metaphysik. Ethik. Ästhetik. Monadenlehre. Wiesbaden 1975. [Studıa Leibnitiana Supplementa Vol. XIV], S.229-240), ın dem die Autorin zeigt, daß Baumgartens »analogon rationis< das Leibnizsche monadologische Verständis der Seele zugrundeliegt, das die harmonische Ordnung und Schönheit des Universums widerspiegelt. 2 Aesthetica $ 12. »[...] Die unteren Erkenntnisvermögen haben keine Gewaltherr-

schaft, sondern eine sichere Führung nötig.« (1983, S.7-9). > Vgl. Brigitte Scheer: Baumgartens Ästhetik und die Krise der von ıhm begründeten Disziplin. In: Philos Rd 22 (1976), S.108-119; S.113f.

22

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert Die »Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis«, die Baumgarten neben die

Logik stellt und analog zu ıhr gliedert,?* verbindet daher dreierlei: sie ist Theorie der Kunst, Begriff des Schönen und Theorie sensitiver Erkenntnis.

[Aesthetica] »$ 1. Die Ästhetik (als Theorie der freien Künste, als untere Erkenntnislehre, als Kunst des schönen Denkens und als Kunst des der Ver-

nunft analogen Denkens) ıst die Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis.«°° Baumgarten geht aus von neuen anthropologischen, erkenntnistheoretischen Überlegungen, die die sinnlich-intuitive Wahrnehmung und Erkenntnıs der vielfältigen, auch irrationalen Phänomene der Realität gleichberechtigt — nicht als Vorstufe! — der rationalen Erkenntnis zuordnen. Dem eigenen Anspruch nicht eigentlich gerecht werdend, geht es ihm nicht wirklich um eine Theorie der Künste — die Künste stehen vielmehr, wie Dieter Kımpel bemerkt, »paradiıgmatisch für solche Dinge oder Sachverhalte, die vom durchgängig analytisch bestimmenden nomologischen Verstand Wolffs

nıcht belangbar sind«° — also alles das Irrationale, niedrige Triebhaft-Dunkle, das bisher von der Philosophie als feindlich ausgegrenzt und gerade durch seine Tabuisierung so mythisch und bedrohlich erfahren wurde. Baumgarten spricht der Kunst etwas zu — und darın liegt eine entscheiden-

de Peripetie sowohl in dieser »psychologischen Dialektik der Aufklärung« (Grimminger)” wie ın der Dialektik zwischen aufklärerischer Philosophie ’* Aesthetica $ 13. (1983, S.9). Baumgarten hatte eine solche Wissenschaft bereits 1735 ın den Meditationes gefordert: »$ CXV. Die philosophische Poetik ıst nach $ 9 eine Wissenschaft, welche die sensitive Rede zur Vollkommenheit hinlenkt. Da wir aber beim

Sprechen diejenigen Vorstellungen haben, welche wir mitteilen, so unterstellt die poetische Philosophie beim Dichter ein unteres Erkenntnisvermögen. Es wäre nun Aufgabe der Logik in einem allgemeineren Sinne, dieses Vermögen beim sensitiven Erkennen der Dinge zu lenken. Wer indessen unsere Logik kennt, weiß genau, wie unbearbeitet dieses Feld ist. Wie aber, wenn die LOGIK

durch ihre eigene Definition in diese allzu engen

Grenzen gezogen wäre, in die sie in der Tat eingeschlossen ist, gilt sie doch für eine Wissenschaft, etwas philosophisch zu erkennen bzw. für eine Wissenschaft, die das obere Erkenntnisvermögen bei der Erkenntnis der Wahrheit leitet? Dann wäre den Philosophen die Gelegenheit gegeben, nicht ohne außerordentlichen Vorteil auch diejenigen Künste zu untersuchen, bei denen die niederen Erkenntniskräfte verfeinert, geschärft und glücklicher

zum Nutzen der Welt geübt werden könnten. Da die Psychologie feste Prinzipien gibt, zweifeln wir nicht, daß es eine Wissenschaft geben kann, die das untere Erkenntnisvermögen lenkt, bzw. eine Wissenschaft, wie etwas sensitiv zu erkennen ist.« (1983, $.85) >> Aesthetica 1983, S.2. 56 Kımpel 1983, S.216. .

” Rolf Grimminger: Aufklärung, Absolutismus und bürgerliche Individuen. Über den notwendigen Zusammenhang von Literatur, Gesellschaft und Staat in der Geschichte des 18. Jahrhunderts. In: Rolf Grimminger (Hrg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Band 3: Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680-1789. München, Wien 1980, S.15-99; 835-845; S.23.

Psychische Strukturen ım 18. Jahrhundert

23

und Kunst -, das dem Verstand fremd ıst: sie dient der vollkommenen

Erkenntnis, der ganzheitlichen Erfahrung des Menschen wie der sinnlichen Repräsentation der ganzen Welt. Ästhetik hat daher instrumentellen Charakter — »Die neue Wissenschaft ıst eine Rechtfertigung der Sinnlichkeit.« schreibt Alfred Bäumler 1923 in seinem berühmten Buch.°® Dies wird umso deutlicher, da Baumgarten die Ästhetik »als zweite Instrumentalphilosophie neben die Logik stellt«°’ — er macht sie zur »Logik des Undeutlichen«.°° Baumgartens Aesthetica reflektiert die Spannung zwischen der frühaufklärerischen Formel einer zweckhaft-planvollen Ordnung der Welt und des Menschen und dem in der Realität seine Entfremdung und Entmachtung existentiell und mit allen Sinnen wahrnehmenden, psychologisch differenzierten, widersprüchlichen Subjekt, derer sich die Philosophie nun bewußt geworden ist. In der Mitte des Jahrhunderts hat sıe erkannt, daß ihre Weltformel nicht mehr zur Welterfahrung paßt und sie weist der Kunst, die sie sich bisher als ihr Instrument gehalten hatte, die Rolle zu, die aufgebro-

chenen Widersprüche auszutragen.

6. Psychische Strukturen im 18. Jahrhundert

Das 18. Jahrhundert gilt als Ära eines tiefgreifenden seelischen Wandels. Für die idealistische Geistesgeschichte stellt er sich im Sinne einer linearen Fortschrittsbewegung als teleologischer Vorgang dar, in dem das Individuum einen psychogenetischen Prozeß der Subjektivierung, Individualisierung und Gefühlsautonomisierung vollzieht — »vom Rationalismus über die Empfindsamkeit zum Subjektivismus«.‘' Jedoch, der Mensch dieser Epoche wird nicht nur aus der Bevormundung und Beherrschung durch Kirche und

Staat, aus jahrhundertealten bedrückenden

Ordnungen,

Bindungen und

Konventionen, die der kritischen Vernunft nicht mehr standhalten, sondern auch aus vertrauten, schützenden Werten, Ideen, Mythen und Bildern entlassen. Er wird tiefer Verstörung und Furcht ausgeliefert und soll doch aus sıch selbst heraus kraft seiner Vernunft Selbstbewußtsein, Mut und Auto-

nomie erlangen — dieser spannungsvoll-instabile psychische Zustand muß 58 Alfred Bäumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis zur Kritik der Urteilskraft. Mit einem Nachwort zum Neudruck 1967. Darmstadt 1967. [Reprint der 2. Auflage 1967]. [1. Auflage Halle a.d.$.1923], S.208.

” Franke 1975, $S.232. Vgl. auch dies. 1972, S.29ff. 6% Adler 1988, $.205.

1 Paul Mog: Ratio und Gefühlskultur. Studien zur Psychogenese und Literatur im 18. Jahrhundert. Tübingen 1976. [Studien zur deutschen Literatur Band 48], S.2.

24

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert

Brüche, Rückfälle, existentielle Bedrängnis und Sinnkrisen zeitigen. Dazu kommen neue, mit den aufklärerischen Verhaltensnormen konvergierende gesellschaftliche Anforderungen, die die sich konsolidierende bürgerlichkapitalistische Leistungsgesellschaft an den Menschen stellt: zweckorientiertes, rationell-ökonomisches, formalısiertes Handeln und Arbeiten als

Voraussetzung für ein erfolgreiches bürgerliches Leben. Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg hatten Horkheimer und Ador-

no in ıhrer geschichtsphilosophischen Studie ein kultur- und zivilisationskritisches Menschen- und Gesellschaftsbild entworfen, das seinen Ausgangspunkt ın der Aufklärung nahm - von ihr gingen die Entfremdung und

Beherrschung des Menschen und die Entzauberung der Welt aus. In den letzten Jahren entstandene Arbeiten machen wieder auf die dunklen, ab-

gründigen Seiten der Aufklärung und die Brüchigkeit und Widersprüchlichkeit des Aufklärungsoptimismus aufmerksam, freilich streng historisch

bezogen. Georg Stanitzeks begriffs- und lıteraturgeschichtliche Arbeıt Blödigkeit. Beschreibungen des Individuums im 18. Jahrhundert‘ stellt Blödigkeit als zentrale Kategorie zur Selbstbeschreibung des Individuums am

Übergang zur Moderne heraus. Mit dem Verlust der alten Ordnungen auf sich selbst verwiesen und gleichzeitig einer ungewissen Zukunft gegenüber, gerät es zwischen den neuen Ansprüchen an das Innere und deren gefor-

derter Übertragung auf das äußere, öffentliche Leben in einen Zustand der Unsicherheit und Instabilität, der Kehrseite des aufklärerischen Emanzı-

pationsprozesses. Das hieraus erwachsene Selbstverständnis wird von Stanitzek an der Bedeutungsentwicklung von Blödigkeit aufgezeigt — über die Stationen Melancholie, Empfindsamkeit und Genie-/Autonomieästhetik. Die Überwindung des Konfliktes gelingt zuerst Rousseau, der den sozialen Bezug löst und die innere Blödigkeit zum produktiven Impuls des Künstlers umformuliert. Christian Begemanns Studie Furcht und Angst im Prozess der Aufklärung‘* verfolgt die breite, allerdings in anderen Diskursen %2 Norbert Elias’ Zivilisationstheorie zeigt die Ursprünge der Disziplinierung psychi-

scher Strukturen in der höfiıschen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts und die damit verbundene Abgrenzung der Eliten auf, verfolgt jedoch die gesellschaftliche Ausbreitung und Radikalisierung von Verhaltenskontrolle und Selbstdistanz in der bürgerlichen Gesellschaft nicht weiter. Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Band 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Band 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Frankfurt/M. 1991, 16. Auflage. % Georg Stanıtzek: Blödigkeit. Beschreibungen des Individuums im 18. Jahrhundert. Tübingen 1989. [Hermea NF Band 60].

% Christian Begemann: Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung. Zu Literatur und Bewußtseinsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Frankfurt/M. 1987.

Psychische Strukturen ım 18. Jahrhundert

25

(Arbeit, Geselligkeit, Sexualität, Natur) verborgene Thematisierung der Angst im 18. Jahrhundert. Für Begemann ist die Aufklärung ein Zeitalter der Angst: die aufklärerische Bewegung trat an, die Angst von den Menschen zu nehmen und hat sie doch neu geschaffen. Mit der Eskalierung der Angst vollzog sich »in allen Gattungen des Schrifttums [...] als Konsens der Epoche die oft radıkale Abwertung der Furcht als schädlich, verächtlich, unverständlich, unangemessen und überdies die innerweltliche Glück-

seligkeit, Endzweck der Aufklärung, vereitelnd.«.° Begemann vermag in den vielfältigsten Kontexten aufzuzeigen, wie sich Furcht und Angst wandeln, wie dieselbe aufklärerische Psychostruktur, die den Menschen

alte

Ängste und Vorurteile gegenüber Erscheinungen der äußeren Natur überwinden läßt, gleichzeitig Quelle einer neuen, »inneren< Angst wird: »Alles, was bisher als selbstverständlich und fraglos wahr gegolten hatte, kann, ja muß jetzt prinzipiell in Zweifel gezogen werden; bislang unbezweifelte sinnstiftende Weltdeutungen geraten ins Wanken, und es bleibt dem alleın auf seine Vernunft gestellten einzelnen überlassen, neue Sicherheiten und neuen Sinn in die Welt zu bringen. Durch Aufklärung und Mündigkeit gewinnt das Individuum nicht nur, es erleidet auch Verluste. Was es verliert, ist zwar nur der »Irrtum«, immerhin aber ein sinngebender und bequemer Irrtum innerhalb dessen es sıch in relativer Sicherheit hatte leben lassen.«® Begemanns Aufklärungsprozeß ist ein spiralförmiger: der aufklärerische

Diskurs reagiert auf die von ıhm selbst hervorgebrachten und ihn gleichzeitig selbst gefährdenden psychischen Kräfte, indem er sie integriert. Aufklärung ist daher »ımmer vom Rückfall bedroht, von der Wiederkehr dessen, was sie bekämpft, oder der Flucht ihrer Subjekte in neue, selbst nıcht

mehr der Kritik unterzogene Sicherheiten.«” Die kollektive krisenhafte Erfahrung des Widerspruchs innerer, verdrängter Bilder und verinnerlichter moralischer Normen,

»die Begegnung

mit sich selbst als dem Fremden«®®

ist am Ende des Jahrhunderts zum Syndrom geworden; sie ist Folge der von der Aufklärung geforderten rational dominierten, selbstdisziplinierten, von sıch selbst distanzierten Psyche, ın der alle Impulse und Bewegungen, die sich nicht mit vernünftigen und nützlichen Zwecken vereinbaren lassen, unterdrückt, tabuisiert werden müssen. Die aufklärerischen Normen stellen

höchste Forderungen an das Individuum, deren Verletzung, sind sıe zu inneren Geboten geworden, tiefe Gewissens- und Triebangst evoziert. Die % Fbd., S.6. % Ebd., S.19.

Ebd., S.20. % Ebd., S.310.

26

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert

Schizophrenie des Menschen am Ende der Epoche ist, wie Begemann zeigen konnte, »von Angst durchtränkt«. Zu der von Begemann hervorgehobenen, sich steigernden immanenten

Krisenhaftigkeit der Aufklärung tritt am Ausgang des 18. Jahrhunderts die politisch-gesellschaftliche Resignation: die Utopien der nützlichen, moralischen und ästhetischen Vernunftordnung sind zu einem Ende gekommen, das Vertrauen in den kontinuierlichen Fortschritt der vernünftigen Öffentlichkeit ist gebrochen, die Auflösung der gesuchten Verbindung von Vernunftmoral und Glück nicht mehr zu leugnen.”? Der Mensch der zweiten Jahrhunderthälfte ıst einer zweifachen und konträr wirksamen Zwangsherr-

schaft unterworfen: er soll mit Hilfe der subjektiven inneren Herrschaft der Tugend die objektive äußere Herrschaft in Ständegesellschaft und absolutistischem Staat kritisieren und überwinden helfen. Die Konflikte und Zwänge treiben ihn zur Spaltung seiner Seele, zur Neurotisierung, zur Selbstzerstörung. Der schiızoide Typ des ausgehenden Jahrhunderts ist —

anders als vorangehende Generationen - sich seiner selbst bewußt, vermag seinen Zustand zu reflektieren und zu gestalten, ebenso wie sein nicht min-

der pathologischer Bruder, der Libertin, dem das innere und äußere Chaos die Legitimation gıbt, nur noch seiner Lust zu leben und alle Normen und

Ideale hinter sich zu lassen. Zwar sind Philosophie und Kunsttheorie der zweiten Jahrhunderthälfte

bestimmt durch das hochgradige Bewußtsein des Widerspruchs von Kopf und Herz und überwinden den ausschließlich rationalistischen Vernunftbegriff zugunsten

eines

Gleichgewichtes

ın der sinnlichen

Tugendemp-

findung. Doch bis zu Kant gehört die Kontrolle und Modellierung von Neigungen, Affekten und Leidenschaften zu den Voraussetzungen des Denkens, Urteilens und Handelns. Die Norm der Aufklärung früherer Jahrzehnte,

der

disziplinierte,

leistungs-

und

vernunftbetonte,

nüchtern-

asketische Charakter, mußte beı ihrer Verinnerlichung ein unfreies Subjekt

hervorbringen, beherrscht von inneren Kämpfen zwischen Laster und Tugend, Natur und Vernunft, »Pflicht« und »Neigungs«, ın ständigem Bewußstsein seiner Gefährdung durch sich selbst. Die von der Aufklärung ın die

9 Ebd., 8.311. ” Vgl. zu den folgenden Gedanken bes. Rolf Grimminger: Die nützliche gegen die schöne Aufklärung. Konkurrierende Utopien des 18. Jahrhunderts ın geschichtsphilosophischer Sicht. In: Wilhelm Voßkamp (Hrg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. 3 Bände. Stuttgart 1982. Band 3, $.125-145 und Christoph Siegrist: Aufklärung und Sturm und Drang: Gegeneinander oder Nebeneinander? In: Walter Hinck (Hrg): Sturm und Drang. Ein literaturwissenschaftliches Studienbuch. Kronberg/Ts. 1978, S.1-13.

Psychische Strukturen ım 18. Jahrhundert

27

Welt gesetzten Verheißungen und Bilder eines selbstbestimmten, repressionsfreien Lebens (Autonomie, Glückseligkeit) mußten mit dem alten, tiefen Gefühl der Geborgenheit und Verwurzelung in überkommenen politi-

schen und religiösen Sinnstrukturen in Konflikt geraten. Dieses Bewußtsein blieb bis zum Ende der ersten Jahrhunderthälfte unklar, vielleicht halbbewußt, verwirrt, unbegrifflich.

Wenn Baumgarten um die Jahrhundertmitte dem »ordnungsgemäß funktionstüchtigen Zwangscharakter« (Grimminger)”! einen »felix aestheticus«

entgegensetzt, der seine ungeteilte Individualität glückhaft im Kunstwerk erfährt, drückt er damit die Sehnsucht nach Befreiung des Menschen von bedrohlichen psychischen Konflikten durch ästhetische Erfahrung aus. Seine Ideen waren für die Dichtung wie Kunsttheorie der zweiten Jahrhunderthälfte von kaum zu unterschätzender Wirkung.’? Sie sind Zeichen eines dringlichen, allgemeinmenschlichen Bedürfnisses nach Ausdruck für differenzierte, ganzheitliche Welt- und Selbsterfahrung, für das Irrationale,

Unbewußte, das nach jahrzehntelangem Vernunftdiktat durch die Philosophie endlich in deren Bewußtsein gelangt ist. Sie sind als Versuch zu verstehen, so Odo

Marquard,

»einen jahrhundertmittespezifischen

Lebens-

weltverlust des Menschen zu kompensieren: daß ım 18. Jahrhundert die einsetzende Versachlichung die Welt entzaubert, wird folgerichtig gerade dort kompensiert durch die Ausbildung des Organs einer neuen Verzauberung: des Ästhetischen.«’? Innerhalb des das Jahrhundert umspannenden Diskurses über das Wesen des Schönen, ın dem sich die Sehnsucht nach

einer Synthese von vernünftiger Disziplin und natürlichem Bedürfnis Ausdruck verleiht, eröffnet Baumgarten einen neuen Abschnitt, indem er die ästhetischen Vernunftordnungen der ersten Jahrhunderthälfte, die die Sub-

limierung der Sinnlichkeit durch Vernunft in der Kunst zum Zwecke von Handlungsrationalität und Situationsbewältigung forderten, in der Theorie überwindet. Rolf Grimminger hat an verschiedener Stelle verdeutlicht, wel-

che integrative Funktion das Schöne ım Zusammenhang mit den Aporien 7! Grimminger 1982, S.133.

.

7? Vgl. Hans Reiss: Die Einbürgerung der Ästhetik in der deutschen Sprache des achtzehnten Jahrhunderts oder Baumgarten und seine Wirkung. In:Jb DSG 37 (1993), S.109138. Für Roman Gleissner ıst Baumgartens Ästhetik »das erste große Manifest der ästhetischen Humanitätsidee der deutschen Aufklärung.« Roman Gleissner: Die Entstehung der ästhetischen Humanitätsidee ın Deutschland. Stuttgart 1988, S.29. 7° Odo Marquard: Der angeklagte und der entlastete Mensch in der Philosophie des 18. Jahrhunderts. In: Bernhard Fabian, Wilhelm Schmidt-Biggemann, Rudolf Vierhaus (Hrg.): Deutschlands kulturelle Entfaltung. Die Neubestimmung des Menschen. [Studien zum achtzehnten Jahrhundert 2/3 (1980)], S.193-209; S.195.

28

Ästhetik und Psyche im 18. Jahrhundert

der Aufklärung hat: »Das Schöne eint, was sonst in Widersprüche

zer-

bricht, nämlich Vernunft und Natur, rationale Regelmäßigkeit und anarchische

Sinnlichkeit,

»obere
untere
hohe, intellektuelle Literatur für eine Bildungselite und eine >niederemittlere< Literatur, der es wıe ın Frankreich oder England gelänge, bei den ungebildeten Massen des deutschen Volkes politisches Bewußtsein zu erzeugen. Für ıhn lagen die Ursachen der deutschen Dichotomisierung ın der politischen und sozialen Struktur der bürgerlichen

Gesellschaft: in der fehlenden politischen Öffentlichkeit und dem ständisch-privilegierten Erwerb von Bildung und Geschmack.!?® 133 Christa Bürger: Einleitung: Die Dichotomie von hoher und niederer Literatur. Eine Problemskizze. In: Christa Bürger, Peter Bürger, Jochen Schulte-Sasse (Hrg.): Zur Dichotomisierung von hoher und niederer Literatur. Mit Beiträgen von Christa Bürger u.a. Frankfurt/M.

1982. [Hefte für Kritische Literaturwissenschaft 3], S.9-39; S.20. Vgl. zur

Entstehung der bürgerlichen Bildungsideologie aus der Autonomieästhetik der Weimarer Klassık Christa Bürger: Der Ursprung der bürgerlichen Institution Kunst. Literatursoziologische Untersuchungen zum klassischen Goethe. Frankfurt/M. 1977 und dies.: Literarischer Markt und Öffentlichkeit am Ausgang des 18. Jahrhunderts in Deutschland.

In: Chr. Bürger, P. Bürger, Schulte-Sasse 1980, S.162-212. 4 Horst Rüdiger: Was ist Literatur ? In: Horst Rüdiger (Hrg.): Literatur und Dichtung. Versuch einer Begriffsbestimmung. Mit Beiträgen von Pierre Bertaux u.a. Stuttgart, Berlın, Köln, Mainz 1973. [Sprache und Literatur Band 78], S.26-32; S.27.

5 Über dıe Unterhaltungsliteratur, insbesondere der Deutschen. (1847) In: Robert [Eduard] Prutz: Schriften zur Literatur und Politik. Ausgewählt und mit einer Einführung herausgegeben von Bernd Hüppauf. Tübingen 1973. [Deutsche Texte Band 27], S.10-33; 5.21.

136 „Die Konsequenzen

hiervon für die besondere Stellung der deutschen Unterhal-

tungsliteratur sınd leicht zu ziehen. Sind die Unterschiede der Bildung, der Bruch zwischen Literatur und Leben, zwischen Autor und Publikum in Deutschland größer als

54

Die Bedeutung der »inferioren« Literatur Auch

die intensive

Erforschung

»trivialerniederer«,

»Unterhaltungs-«

Literatur der vergangenen zweı Jahrzehnte, die um eine Rehabilitation ihres Gegenstandes bemüht ist, geht über weite Strecken ahistorisch vom kategorialen Anderssein ihres Gegenstandes gegenüber >hoher< Dichtung aus. Vergleichende und nuancierende Ansätze in synchronischer Perspektive sind häufig theoretisch gefordert, selten praktisch durchgeführt worden. In den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war die deutsche Literaturwissenschaft bewegt von der Suche nach überzeitlichen verbindlichen ästhetischen Werten, die sie einem kleinen Kanon traditionell etab-

lierter, komplex strukturierter und vielfältig interpretabler Werke — der »Dichtung« — mittels streng werkimmanenter Analyse entnahm. »Das sprachliche Kunstwerk lebt als solches und in sich«, schreibt Wolfgang Kayser 1948.17’ Als Ende der sechziger Jahre erste Fragen nach den gesellschaftlichen Implikationen, Funktionen und Wirkungen von Literatur gestellt wer-

den und sich in den folgenden Jahren das Interesse der Germanisten darauf

richtet, Literaturwissenschaft als Gesellschaftswissenschaft neu zu begründen, vollzieht sich mit der Rehistorisierung der Literaturwissenschaft, mit

der Erfindung von Kommunikationstheorien, der Rekonstruktion von Produktions-, Rezeptions- und Wirkungsgeschichte von Literatur auch die Hinwendung zur literarischen Durchschnittsproduktion und Trivialliteratur. Trivialliteratur wurde zu einem Modethema der Literaturwissenschaft

der siebziger Jahre.'?® Die soziologisch orientierte Trivialliteraturforschung irgendwo, und hat die deutsche Literatur sich einseitig auf eine abstrakte Höhe gesteigert, wo sie wenigern verständlich ist und von wenigern genossen werden kann als irgend eine: so folgt daraus mit Notwendigkeit, daß auch das Bedürfnis einer zweiten, untergeordneten Literatur, einer Literatur, mit der man sıch verständigen kann, auch ohne Autor

oder Kritiker oder überhaupt Gelehrter zu sein und Paragraphen der Asthetik inne zu haben - mit einem Worte also: das Bedürfnis einer Unterhaltungsliteratur in Deutschland

größer ist als irgendwo. Rechnen wir dazu, daß uns, wie gesagt, jede großartige Offentlichkeit gebricht, daß infolge dessen auch unsre Geselligkeit nur sparsam und ohne eigentliches Leben ist und daß mithin in Deutschland eine größere Menge als anderwärts sich auf die einsame Unterhaltung der Lektüre angewiesen sieht: und wir werden aufhören, uns über die ungeheure Masse von »Lektürebüchern« zu verwundern, welche Deutschland jährlich konsumiert.« Ebd., S.24. 7 Wolfgang Kayser: Das sprachliche Kunstwerk. Eine Einführung ın die Literaturwissenschaft. Bern 1948, S.388. Vgl. auch Wilhelm Emrich: Wertung und Rangordnung lıterarischer Werke. In: STZ 12 (1964), S.974-991. Vgl. zur Geschichte der >Staiger-Schule«

Wilfried Barner: Literaturwissenschaft — eine Geschichtswissenschaft? München 1990. [Schriften des Historischen Kollegs. Vorträge Band 18], S. 11-14. 8 Die Trivialliteraturforschung der sechziger und siebziger Jahren findet sich zusammengefaßt und systematisiert in der Dissertation von Fetzer 1980 und ın dem Forschungsüberblick von Nusser 1991.

Dichotomisierung der Literatur nach 1750

55

war getragen von der Euphorie, die Krise der Germanistik zu überwinden. Jedoch indem sie die am Umgang mit Dichtung gewonnenen, für die Interpretation der Irivialliteratur funktionslosen ästhetischen Kritierien bloß

durch soziologische ersetzte, schrieb sie die alten dichotomischen Denkmuster fort. Hans Dieter Zimmermann formulierte 1972 seine Kritik mit unverhohlener Ironie: »Massenhaft verbreitete Literatur hat eine soziale Bedeutung, eben wegen ihrer außerordentlichen Popularität, nach deren sozialen Ursachen es zu forschen gilt. So bietet sıch für die Trivialliteratur

die soziologische Fragestellung an. Die bisherigen ästhetischen Kategorien der Literaturwissenschaft können also leicht durch soziologische ersetzt werden, ohne daß der Verlust allzu spürbar wird. Neue ästhetische Kategorien brauchen nicht gesucht zu werden. Dies ist also der Ausweg: man sucht einen Gegenstand, der bisher nicht beachtet wurde, man übernimmt einen Aspekt, der bisher bei der Betrachtung von Literatur vernachlässigt wurde, und ıst aus der Krise heraus. Das bisherige Feld der Untersuchung mit den bisherigen Methoden überläßt man der älteren Generation, läßt es also brach liegen.«!?? Übersehen wird dabei, daß die alten ästhetischen Kategorien die Prämissen der Gegenstandskonstitution determinieren. Solange die vorgängigen Normen vom genuinen Wesen von Dichtung und Trivialliteratur übernommen werden, wırd man sie, egal mit welcher Methode,

immer wieder bestätigen. Bereits ein flüchtiger Blick aus synchronischer Perspektive auf das differenzierte, nuancenreiche literarische Spektrum innerhalb eines begrenzten Zeitraums, auf die komplexen »trivialisierenden« oder »ästhetisierenden< Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Texten macht die Problematik der dichotomischen Tradition deutlich. Helmut Kreuzer hatte 1967 in einem vielbeachteten Aufsatz auf den der traditio-

nellen wie jüngeren Trivialliteraturforschung zugrundeliegenden zirkularen methodologischen Mechanismus aufmerksam gemacht.'*° Trivialliteratur

19 Hans Dieter Zimmermann: Das Vorurteil über die Trivialliteratur, das ein Vorurteil

über die Literatur ıst. In: Akzente 5 (1972), S.386-408; S.390. #0 „Statt ästhetische Familien verwandter, geschichtlich und gattungsmäßig zusammengehöriger Werke oder Stilphänomene — unabhängig von ihrer traditionellen Einordnung in Literatur oder Trivialliteratur — vertikal in der Betrachtung zusammenzufassen und vergleichend in ıhrem Rang zu differenzieren, gegeneinander abzuwägen, läßt man sıch von der Dichotomie dazu verführen, daß man in der Untersuchung ausschließlich Werke,

die man für schlecht hält, lediglich horizontal — »unter dem Strich« — zusammenfaßt, um sie in ihrer Gesamtheit, undifferenziert, einem scheinbar geschlossenen Kollektiv der Dichtungen negativ zu konfrontieren. Während eine vertikale Betrachtung sehr vielfältige Gesichtspunkte und Kriterien der abgestuften immanenten Differenzierungen zu entwikkeln hätte, gerade weil sıe kategoriale Gleichheit voraussetzt, ıst die horizontale innerhalb

56

Die Bedeutung der »inferioren« Literatur

hat für ıhn nur als historische Kategorie Gültigkeit, »als Bezeichnung eines

Literaturkomplexes, den die dominierenden Geschmacksträger einer Zeitgenossenschaft ästhetisch diskriminieren.«!*! Kreuzers Thesen von der Historızität der Wertungskategorien wurde und wird allenthalben beigepflichtet,

praktische Anwendung in entsprechenden synchronischen Studien fanden sie bis heute kaum.'*? Die der Aufklärung entstammenden dichotomischen

Wertungsstrukturen sind in der Germanistik manifest etabliert und kaum zu erschüttern. Sie kamen der selektiven Methode der Geistesgeschichte sehr entgegen, denn sıe fand dort die Legitimation, sich dem Höhenkamm

der >hohen« Literatur als einem scheinbar ın sıch geschlossenen System zuzuwenden.!* So entstand ım 19. Jahrhundert eine entwicklungsgeschicht-

liche Historiographie der Literatur, die auf der Grundlage eines kleinen, bereits instituierten Textkanons einen ıdeengeschichtlichen Zusammenhang konstruierte und auf die gesamte Literatur der Epoche übertrug. Der größte Teil der literarischen Produktion des jeweiligen Zeitraums blieb unberück-

sichtigt, ohne daß dies den Literaturhistorikern als Problem bewußt geworden wäre. Im Gegenteil — die Wertungsimplikationen des dichotomischen

Modells'** gestatteten es, die in Auseinandersetzung

mit hoher

des Ghettos der Trivialliteratur auf kollektive Charakterisierung gerichtet, weil sie das kategoriale Anderssein der Trivialliteratur voraussetzt.« Helmut Kreuzer: Trivialliteratur als Forschungsproblem. Zur Kritik des deutschen Trivialromans seit der Aufklärung. In: Helmut Kreuzer: Veränderungen des Literaturbegriffs. Fünf Beiträge zu aktuellen Problemen der Literaturwissenschaft. Göttingen 1974, S.7-26; $.101-105; S.10f.

“1 Ebd., S.17. 2 Vel. zur anhaltenden Aktualität von Kreuzers Thesen Günther Fetzer 1980, S.126; Christa Bürger 1982, S.14; Peter Nusser 1991, S.10. Eines der wenigen praktischen Un-

ternehmen zur theoriegeleiteten synchronisch-historischen Analyse ist die Konferenz »Populäre Literatur um 1800«, die Anfang 1992 ın Postdam stattfand. Vgl. dazu auch Horst Hartmann, Regina Hartmann: Skizze zum Dichotomieproblem in der Literaturentwicklung um 1800. Zur Vorbereitung der Konferenz »Populäre Literatur um 1800 (1780-1830) vom 11. bıs 13.2.1992 in Neubrandenburg. In: ZfG 3 (1991), S.645-651. #5 Rosenberg hat am Beispiel Menzels und Prutz’ gezeigt, wie »der Widerspruch zwischen einer tendenziell kulturgeschichtlichen und einer tendenziell ideengeschichtlichen Interessenbestimmung in der Literaturgeschichtsschreibung seit Menzels Zeiten immer vorhanden war.« Rainer Rosenberg: Literatur — Unterhaltungsliteratur — Dichtung. Literaturbegriff und Literaturgeschichtsschreibung. In: WB 2 (1989) 35, S.181-207; S.191. # Vgl. deren Zusammenfassung bei Günther Fetzer und Jörg Schönert: Zur Trivialhiteraturforschung 1964-1976. In: IASL 2 (1977), S.1-39; $.23£. »Hochgewertet wird der freie Schriftsteller? fentlichter Konstanzer Antrittsvorlesung vom 13. Aprıl 1967 (Konstanz 1967, 1. Auflage;

1969, 2. Auflage. [Konstanzer Universitätsreden Band 3]), die 1970 ın einem Sammelband seiner Schriften erschien. Ebd., S.169. 148 „Vorverständnis der Gattung, [...] Form und Thematik zuvor bekannter Werke, [...] Gegensatz von poetischer und praktischer Sprache«. Ebd. $.173f.

"9 „Ein entsprechender Prozeß fortgesetzter Horizontstiftung und Horizontveränderung bestimmt auch das Verhältnis vom einzelnen Text zur gattungsbildenden Textreihe. Der neue Text evoziert für den Leser (Hörer) den aus früheren Texten vertrauten Hori-

zont von Erwartungen und Spielregeln, die alsdann variiert, korrigiert, abgeändert oder auch nur reproduziert werden. Variation und Korrektur bestimmen den Spielraum, Abänderung und Reproduktion die Grenzen einer Gattungsstruktur.« Ebd. S.175.

150 Ebd., S.170.

1 Vgl. die Kritik an den verschiedenen Bedeutungsimplikationen des Begriffs »Erwartungshorizont« bei Jauß in dem Aufsatz von Heinrich Anz: Erwartungshorizont. Ein Diskussionsbeitrag zu H.R. Jauß’ Begründung einer Rezeptionsästhetik der Literatur. In: Euphorion 70 (1976) 4, S.398-408. "52 „Das literarische Werk ist kein für sich bestehendes Objekt, das jedem Betrachter zu jeder Zeit den gleichen Anblick darbietet. Es ıst kein Monument, das monologisch sein zeitloses Wesen offenbart. Es ist vielmehr wie eine Partitur auf die immer erneuerte Resonanz der Lektüre angelegt, die den Text aus der Materie der Worte erlöst und ıhn zu aktuellem Dasein bringt [...]«. Jauß 1970, S.171f. 153 Ebd., S.184.

Literatur jenseits der Aufklärung

59

4. Literatur jenseits der Aufklärung Die Aufklärung war in ihrem Ziel, mit ihren Vorstellungen in alltägliche Lebensbereiche vorzudringen, in weiten Teilen erfolgreich. Sie stellt unbe-

stritten eine Disziplinen und Lebensbereiche umschließende Kulturrevolution dar, die mit Hilfe eines ausdifferenzierten literarischen Systems literarischer

Markt,

Zeitschriften,

literarische

Kritik,

Lesekultur

— und

durch die gesellschaftliche Institutionalisierung einer bürgerlichen Öffentlichkeit — Salons, Kaffeehäuser,

gelehrte Gesellschaften,

Lesezirkel, Ge-

heimbünde - die private bürgerliche Lebenssphäre zu durchdringen vermochte und langsam auch weitere gesellschaftliche Kreise bewegte. Rudolf Vierhaus spricht von einem »Wandel der Vorstellungen«: »Es mußte Auswirkungen haben, wenn man anfıng, die Menschen als von Natur mit Freiheit ausgestattete Individuen zu verstehen, die um ihrer Sicherheit und Freiheit willen Herrschaft benötigen, Herrschaft also nicht als Selbstzweck,

sondern als Mittel zur Ermöglichung des individuellen und allgemeinen Wohls, Regierung und Verwaltung als Instrumente zur Erreichung dieses Ziels, Gesetzgebung als gestaltendes Mittel zu begreifen. Es konnte nicht

ohne Folgen bleiben, wenn sıch das Bild des Herrschers zum Bild des wohlwollenden, aufgeklärten Amitsträgers, Verwalters, 'Ireuhänders des Staats wandelte, obwohl er noch keine institutionelle Beschränkung seiner prak-

tischen Machtvollkommenheit erfuhr. Und es konnte nicht folgenlos sein,

daß öffentlich nicht mehr nur über Fragen der individuellen, sondern der gesellschaftlichen Moral und der sozialen Ordnung über das Wesen von Herrschaft, die Eigenschaften eines guten Fürsten und die Aufgaben der Minister, Räte und Beamten, über Rechte und Pflichten der Menschen, über

Gerechtigkeit und Unterdrückung gesprochen und geschrieben wurde.«!5? Doch der aufklärerische Anspruch ging -— auch jenseits von ständischer Differenzierung — ın zentralen Aspekten an der Lebensrealität des Menschen des 18. Jahrhunderts vorbei. Diese Tatsache ist im Gefolge von Habermas’ Modell einer Kontinuierung von literarischer und politischer Öffentlichkeit häufig übersehen worden.'?” Den im Laufe des Jahrhunderts immer tiefer und deutlicher sichtbar werdenden Brüchen zwischen Theorie

54 Rudolf Vierhaus: Kulturelles Leben im Zeitalter des Absolutismus ın Deutschland. In: »Die Bildung des Bürgers«. Die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft und die Gebildeten im 18. Jahrhundert. Weinheim, Basel 1982. [Geschichte des Erziehungs- und Bildungswesens in Deutschland Band 2], S.11-37; S.31.

155 Türgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied, Berlin 1962. [Politica Band 4].

60

Die Bedeutung der »inferioren« Literatur

und Leben, zwischen Norm

und Alltag vermochte die Aufklärung trotz

innerer Entwicklung nur unvollkommen zu begegnen, da die Grundstrukturen ihres Menschen-, Welt-, Moral- und Kunstverständnisses

über die

Epoche hinweg statisch blieben. Die aufklärerische Denkfigur des In-FrageStellens, der eigentliche Motor der Aufklärung, richtete sich nicht gegen

sich selbst und die eigenen Prämissen — weshalb sie eine zutiefst dialektische Bewegung geblieben ist. Die Brüche von Theorie und Leben sind in den theoretischen Werken der Aufklärung kaum zu finden, ihre Spuren sind

vielmehr besonders dort zu suchen, wo jenseits des gelehrten aufklärerischen Diskurses die lebensweltliche Sphäre Gestalt wird. Die ab 1750 entstehende »inferiore< Belletristik kann ein bevorzugter Gegenstand solcher Spurensuche

nach

dem

erlebten,

nıcht stilisierten und

reflektierten,

auch

unbewußten, auch verdrängten Selbst- und Weltbewußtsein jenseits und gegen die Norm seın, weil sie sich als Kunst unabhängig von der aufklärerischen Norm — gegen sie oder sie nicht erreichend ? — durchsetzt.

Ill. Der RoMAN DES BAROCK UND DER AUFKLÄRUNG

1. Die Romantheorie des 17. und 18. Jahrhunderts In der Jahrhundertmitte, der »Sattel-Zeit«, wıe Koselleck sie nennt,!?® wer-

den fokussierend die bis dahin von der Aufklärung ausgegangenen Impulse als weitgreifende Umstrukturierungsprozesse der traditionellen Wissenschaftsdisziplinen und des gesamten literarischen Systems sichtbar. Gleichzeitig löst sich der seit dem Humanismus gültige rhetorische Gattungskanon auf. Die klassischen Normen von den drei genera dicendi (grande, medium, humile) und der Zuordnung von res und verba, in der Frühauf-

klärung noch streng verbindliche Tradition, werden schrittweise überwunden durch verschiedene, z.T. nur kurzfristig erfolgreiche poetologische Neuansätze. Wichtigste Errungenschaften dieses Prozesses sind der »mittlere« Roman und das bürgerliche Trauerspiel. Die klassizistische Dichtungstheorie ignorierte den Roman jahrhundertelang bis zu seiner allmählichen ästhetischen Akzeptanz im 18. Jahr-

hundert. In seiner Unabhängigkeit von antiken Gesetzen war er in permanentem Wandel begriffen und kann daher als sich selbst konstituierende Gattung beschrieben werden. Gattungen sind, und dies wird seit der Überwindung des alten ontologischen Literaturverständnisses durch einen kommunikativen Textbegriff in den siebziger Jahren nicht mehr bestritten, keine »Naturformen der Dichtung« ım Sinne Emil Staigers,!”” sondern labile Konventionen, die sich ın einer historisch spezifischen Kommunika-

tionssituation zwischen Autor und Rezipient prozeßhaft herausbilden. Sie sind permanent instabil und in Umstrukturierungsprozessen begriffen. Gattungsbildung und -wandel finden statt in der komplementären Spannung zwischen Gattungserwartung und Werkantwort und sind Indizien für ıdeen-, bewußtseins- und sozialgeschichtliche Prozesse."?® Der Roman war

136 Reinhart Koselleck: Richtlinien für das Lexikon politisch-sozialer Begriffe der Neuzeit. In: AB

11 (1967), S.81-99; S.82.

157 Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik. Zürich 1946. 58 Vgl. Wilhelm Voßkamp: Gattungen als lıterarisch-soziale Institutionen. (Zu Problemen sozial- und funktionsgeschichtlich orientierter Gattungstheorie und -historie). In: Walter Hınck (Hrg.): Textsortenlehre - Gattungsgeschichte. Mit Beiträgen von Alexander von Bormann u.a. Heidelberg 1977. [medium literatur Band 4], S.27-44; S.27-32.

62

Der Roman des Barock und der Aufklärung

zu diesen Prozessen immer in besonderer Affinität, da er sie aufgrund seiner fehlenden Bindung an Konventionen, seiner strukturalen Offenheit und seiner Möglichkeiten der Stoffkomplexität in besonderer Weise zu reflektieren vermochte. »Die fortwährende Wandelbarkeit des Romans«, schreibt

Wilhelm Voßkamp zu Beginn seiner Romantheorie in Deutschland (1973), »bedingt eine stete Herausforderung für die Romantheorie. So wenig der Roman unter ein allgemeingültiges poetologisches Gesetz gestellt werden kann, so sehr erzeugt die Vielgestaltigkeit seiner Ausprägungen immer neue Versuche theoretischer Rechtfertigungen und ästhetischer Selbstvergewisserungen, die Theoretikern und Kritikern um so nötiger erscheinen, als dem Roman eine historisch verbürgte Legitimation altehrwürdiger, durch die klassische Kunsttheorie geheiligter Gattungen fehlt.«!°? Methodisch zwingt

die spezifische Spannung zwischen Theorie und Praxis bei der Untersuchung der scheinbar traditionslosen Gattung Roman zu präziser, zunächst streng getrennter Betrachtung beider Ebenen. In der Geschichte der deutschen Romantheorie klaffte lange eine Lücke zwischen den Barockpoetiken und Blanckenburg (1774). Dieser Zeitraum wurde traditionell im Sinne einer mangelhaften Rezeption avancierter engliıscher und französischer Romanmodelle

und -theorien beurteilt. In der

Folge des literaturwissenschaftlichen Paradigmen-Wechsels zu einem kommunikativen Textbegriff gelang es vor rund zwanzig Jahren einer Reihe von literaturhistorischen Studien, die Epoche deutscher Dichtungstheorie vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis ca. 1770 zu rehabilıtieren, indem die gesamte historische Kommunikationssituation um den Roman rekonstruiert wurde und erstmals romantheoretische Aussagen jenseits der Ästhetiken und Poetiken aus den Romanen selbst, ıhren Titeln, Vorreden und textim-

manenten Reflexionen zur Gattung, aber auch aus Zeitschriften, moralıschen Wochenschriften, Lexikonartikeln, Rezensionen, eigenständigen Traktaten wie aus theologischer und pädagogischer Literatur herangezogen wurden.!e° Die wichtigsten Zeugnisse wurden gleichzeitig in mehreren Quellenanthologien zugänglich gemacht.!e! Es entstand das Bild einer ei9 Wilhelm Voßkamp: Romantheorie in Deutschland. Von Martin Opitz bis Friedrich von Blanckenburg. Stuttgart 1973. [Germanistische Abhandlungen Band 40], S.1. 160 Dies hatte ın Ansätzen schon Walter Ernst Schäfer in seinem Aufsatz: Tugendlohn und Sündenstrafe in Roman und Simpliciade. (In: ZfdPh 85 (1966) 4, S.481-500) versucht und bereits 1926 stellte Martin Sommerfeld fest: »[...] die Theorie des Romans hat demgemäß - von einer Ausnahme abgesehen (Blankenburg) - eigentlich bis zur Höhe der Klassık nur eine unterirdische Geschichte gehabt.« Martin Sommerfeld: Romantheorie und Romantypus der deutschen Aufklärung. In: DVjs 4 (1926), S.459-490; S.463. 161 "Theorie und Technik des Romans ım 17. und 18. Jahrhundert. Herausgegeben von

Die Romantheorie des 17. und 18. Jahrhunderts

63

genständigen und dichten Romandiskussion in der Aufklärung. Abseits von den autorisierenden Organen der klassizistisch-rhetorischen Poetik gab es intensive Bemühungen um Vermittlung zwischen einer ständig anwachsenden, populären, lebendigen und vielgestaltigen Praxis und einer in antiken Vorstellungen erstarrten Theorıe.!% Im Zentrum standen gattungspoetologische Legitimationsstrategien, weniger spezifische ästhetische Probleme. Durch die Einbeziehung neuer Quellen zeichnete sich darüber hinaus erstmals eine >Theorie< des >nıederen< Avanturier- und Pikaroromans

ab, den

die ausschließlich mit dem »hohen«, höfisch-heroischen Roman befaßten Poetiken ignorierten — und mit ıhm einen großen Teil zeitgenössischer Ro-

manpraxis, denn im ausgehenden 17. Jahrhundert waren sowohl der heroische wie der pıkareske Roman florierende Spielarten der Gattung. Wie jegliche Kunst und Literatur bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts

ist auch der heroische Roman durch die Vermittlung außerästhetischer Zwecke legitimiert: die klassizistische Dichtungstheorie fordert von ihm die Repräsentation des christlichen Tugendsystems und — als dessen exemplaDieter Kıimpel und Conrad Wiedemann. Band 1: Barock und Aufklärung. Band 2: Spätaufklärung, Klassik und Frühromantik. Tübingen 1970. [Deutsche Texte Band 16, 17). Romantheorie. Dokumentation ihrer Geschichte in Deutschland 1620-1880. Herausgegeben von Eberhard Lämmert u.a. Köln, Berlin 1971. [Neue Wissenschaftliche Bibliothek Band 41]. Texte zur Romantheorie. Mit Anmerkungen, Nachwort und Bibliographie von Ernst Weber. Band 1: (1626-1731). Band 2: (1732-1780). München 1974, 1981. 162 Weber (Ernst Weber: Die poetologische Selbstreflexion im deutschen Roman des 18.

Jahrhunderts. Zu Theorie und Praxis von »Roman«, »Historie« und pragmatischem Roman. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz

1974. [Studien zur Poetik und Geschichte der Li-

teratur Band 34]) trennt, anders als Voßkamp (1973), die Untersuchung von Poetiken und romanımmanenten Reflexionen (Vorrede, Erzählerkommentar, Romangespräch etc.) bei der Gliederung seiner Untersuchung wegen ihres unterschiedlichen Praxisbezuges. Während ın den Poetiken ein vorgefaßter Gattungsbegriff formuliert werde, bestehe eine bedeutend engere Verbindung zwischen Romanreflexion und Roman, die sich zueinander verhielten wie Intention und Durchführung. Wahrenburg (Fritz Wahrenburg: Funktionswandel des Romans. Die Entwicklung seiner Theorie in Deutschland bis zur Mitte des 18.

Jahrhunderts. Stuttgart 1976. [Studien zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft Band 11]) setzt ın der Frage des Gattungswandels und der Theorie-PraxisRelation gegen beide seine »Funktionsgeschichte des Romans«, mit der er die Wirkung sozial- und ideenhistorischer Faktoren auf Literatur und Literaturtheorie herausstellt. Beide methodologischen Prämissen werden aber von Voßkamp nicht geleugnet und sınd Leitlinien seiner Analysen. Die folgenden Ausführungen zur Romantheorie des ausgehenden Barock und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts folgen eng Voßkamps Quellenstudien, da es ıhm gelingt, auf einer breiten Textbasıs die großen Entwicklungslinien dieses Zeitraums präzise und in ihren argumentativen Funktionen nachzuzeichnen und gleichzeitig die unterschiedlichen pragmatischen Implikationen der jeweiligen Aussagen zum Roman darzustellen.

64

Der Roman des Barock und der Aufklärung

rıscher Teil — der höfischen Welt mit ıhren Idealen und Werten. Im höfischen Roman stellt sich die durch göttliche Providenz geordnete, sittliche

Welt ın ıhrer Struktur und Mechanik dar als eine vielgestaltige, verwickelte Liebes- und Staatsaffäre, die nach Verwirrung bis zur scheinbaren Unauf-

lösbarkeıt des Knotens am Ende eine »glückliche« und »gerechte< Auflösung findet. Entsprechend den Anforderungen der rhetorischen Wirkungsästhetık geht es im höfiıschen Roman, trotz der ın vielen Zügen getreuen Wie-

dergabe des realen Hoflebens und seiner Rollen und Verhaltensmechanismen, nicht um die künstlerische Darstellung von Wirklichkeit. Der höfische

Roman

zeigt nicht die Lebensrealität der repräsentativen Öffentlichkeit,

sondern ein Ideal. Er stellt die selbstdefinitorische wie präskriptive Präsentation von transzendental legitimierten Werten und Verhaltensnormen

feudaler Herrschaft dar. Die intendierte Leserwirkung ist von rhetorischdidaktischen Zielsetzungen bestimmt (prodesse et delectare/ movere — delectare — docere). Das gesamte Geschehen muß — wie jegliche Dichtung in der barocken Theorie — logisch-regelhaft aufgebaut und dem MimesisPrinzip unterworfen sein. Die Romanfıktion muß mit der heilstheologisch

begründeten rationalistischen Metaphysik kompatibel sein und sich als hıstorisch Wahrscheinliches im Sinne transzendentaler Providenz präsentieren. Die Natur wird nicht beschrieben, wie sie ıst, sondern wie sie sein soll. Unter Bezug auf die Autorität des Arıstoteles, der die historische Stoffe verarbeitende Tragödie als die vollkommenste betrachtet, doch auch die den

Gesetzen der Wahrscheinlichkeit folgende, fiktive Handlung

zugelassen

hatte, bemühte man sıch in Vorreden, Traktaten und Poetiken, Vorbehalte

gegenüber freier Phantasieerfindung im Roman vor allem von theologischer Seite zu entkräften. Anders als der >hohe« höfische Roman ıst der »nıedere« Pıkaroroman kaum Gegenstand poetologischer Reflexionen.!® Er entspricht keiner der grundlegenden Forderungen der neoaristotelischen Dichtungstheorie: weder repräsentiert er die Werte des barocken Tugend- und Weltsystems, noch prätendiert er mimetische Wahrscheinlichkeit, noch dient er rhetorischer Lehr- und Zweckhaftigkeit. Vielmehr definiert sich der Pıkaroroman in

seinen Vorreden programmatisch als satirischer Gegenentwurf zum »hohen« Roman.

Er will die Darstellung des höfisch-heroischen Lebens und den

zugrundeliegenden geschichtstheologischen Wahrheits- und Tugendbegriff 16 Auf die dichtungstheoretische Problematik des pikarıschen Romans weist Gerhart Hoffmeister hin: Zur Problematik der pikarischen Romanform.

Der

deutsche

Schelmenroman

ım

europäischen

Kontext:

In: Daphnis

Rezeption,

Bibliographie. Herausgegeben von Gerhart Hoffmeister, $S.3-12.

5 (1987):

Interpretation,

Die Romantheorie des 17. und 18. Jahrhunderts

65

durch die Demonstration der Unzulänglichkeit der Welt entlarven, indem er dem arıstotelischen Wahrscheinlichkeitspostulat polemisch die Behaup-

tung strenger Wahrhaftigkeit entgegensetzt und dem Schema von Tugendlohn und Sündenstrafe durch göttliche Providenz mit der Beschreibung eines chronologisch erzählten, kontingenten Handlungsverlaufes ohne transzendentale Legitimation und Interpretierbarkeit begegnet. Ihre wahrhaftige Authentizität stellt die pıkareske Geschichte unter Beweis, indem sie sich in der Form eines autobiographischen Berichtes präsentiert, in der ein

Ich aus der Schreibgegenwart in die Vergangenheit zurückblickt und das Erlebte noch einmal erzählt. Die pikareske Prätention der Wahrhaftigkeit wie die heroische Prätention

der Wahrscheinlichkeit sind als ästhetische Strategien gegen den Hauptvorwurf der heftigen calvinistischen und pietistischen Romankrıtik im 17. Jahrhundert zu verstehen. Er trıfft den »Lügencharakter< der dichterischen Fıktion gegenüber der Faktizität der Wirklichkeit, die als Zeugnis göttlicher Providenz verstanden wird.! Die Moraltheologie duldet Kunst nur als

strenge Nachahmung der Weltheilsgeschichte und als Verherrlichung der gerechten Regierung Gottes. »Wer Romans lıst/ der list Lügen«, schreibt der Schweizer

Calvinist Gotthard

Heidegger

in seinem Discours

1698, ın

dem er die theologischen Argumente des zurückliegenden Jahrhunderts gegen den Roman bündelt.!% Die didaktisch-moralische Zweckhaftigkeit des Romans bleibt seine stärkste Waffe gegen die bis ın die vierziger Jahre des 18. Jahrhunderts immer wieder erhobenen Angriffe auf seine Gottesläster-

lichkeit. Um dem höfisch-heroischen Roman - der pikareske als seine Antithese bietet hierzu keinerlei Ansätze — ästhetische Eigenständigkeit und poetologische Dignität über die defensiven Strategien hinaus zu verschaffen, werden Konzepte entwickelt, ıhn ın das kanonisierte klassizistische Gat-

tungsgefüge zu integrieren. Der für die deutsche Romantheorie folgenreichste Entwurf stammt von dem französischen Bischof Pierre Daniel Huet: Traıte de l’origine des romans (1670).!% In der Querelle auf seiten der An1 Zur calvinistisch-reformierten Kritik am Roman vgl. Walter Ernst Schäfer: Hinweg nun Amadıs und deinesgleichen Grillen! Die Polemik gegen den Roman ım 17. Jahrhundert. In: GRM 46 NF 15 (1965), S.366-385.

165 Gotthard Heidegger: Mythoscopia Romantica oder Discours von den so benanten Romans. Faksımileausgabe nach dem Originaldruck von 1698. Herausgegeben von Walter Ernst Schäfer. Bad Homburg v.d.H., Berlin, Zürich 1969. [Ars poetica. Reihe 1: Texte, Band 3], S.71. 1% Pierre Daniel Huet: Traite de l’origine des romans. Faksimiledrucke nach der Erstausgabe von 1670 und der Happelschen Übersetzung von 1682. Mit einem Nachwort von

Hans Hinterhäuser. Stuttgart 1966. Zur deutschen Huet-Rezeption vgl. den Abschnitt

66

Der Roman des Barock und der Aufklärung

ciens, geht Huet ım Traite den klassisch-antiken Wurzeln der zeitgenössischen französischen Romanliteratur nach. Er schreibt eine Apologie des

Romans mit retrospektiven, aber auch prospektiven Tendenzen. Streng nach den Geboten der doctrine classique überträgt er ıhr grundlegendes Gesetz, das prodesse et delectare, sowie weitere zentrale Regeln und Strukturprinzipien des Epos auf den Roman und kann so beider Gleichberech-

tigung proklamieren. Er situiert den Roman eigenständig zwischen den etablierten Gattungen Epos, Historie und Fabel als niedere Ausprägung der epischen Gattung. Da der Roman dem Epos ın einigen Regeln ähnelt, sich aber hinsichtlich des Stoffes, der Prosaform und der Fiktionalıtät von diesem unterscheidet, wird er als Liebesroman definiert, das Epos nur noch als Heldengedicht. Die >hohe< Stillage wird ausschließlich dem Epos zuge-

schrieben, der Roman dagegen wird auf eine mittlere Stillage festgelegt. Das arıstotelische Wahrscheinlichkeitspostulat (vraisemblance) trennt den Ro-

man von der reinen Fiktionalität der Fabel und des Epos und bringt ıhn ın die Nähe

zur Faktıziıtät der Historie, der er durch seinen dichterischen

Fiktionsspielraum wiederum überlegen ıst. Im 18. Jahrhundert werden an den Roman neue Anforderungen gestellt, denen er durch Ausbildung vielfältiger neuer Formen begegnet. Voßkamp spricht von der »Kontinuität der Diskontinuität« vom 17. zum 18. Jahrhundert.! In den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende entstehen erst-

mals Romane, die sich mit der Alltagsrealität mittlerer, bürgerlicher Schichten beschäftigen und sich als Instrument zur Vermittlung von intellektuellen

und psychischen Fähigkeiten verstehen. Unter Vernachlässigung der alten romanästhetischen Probleme (Mimesis, Fiktion, moralischer Zweck) stellt

sich der Roman ın den Dienst der nützlichen Lehre und pragmatischen Lebensbewältigung. Christian Weises politischer Roman, der eine Flut von Nachahmungen auslöst, richtet sich gezielt an das sıch im Dienst des absolutistischen Staates emanzıpierende Bürgertum, um diesem höfısch-galante Umgangs- und Lebensformen und Weltklugheit zu vermitteln.

Nur zögernd und mit Rückschritten (Schillers Romanverdikt in Über naive und sentimentalische Dichtung (1795)) vollzieht die Gattungstheorie dıe Emanzipation des Romans vom Epos und überwindet ıhre ästhetische Geringschätzung.!® Die Normen der Gattungspoetik lockern sıch langsam >Huet ın Deutschland< bei Volker Meid: Der deutsche Barockroman. Stuttgart 1974, S.36-38. 167 Voßkamp

1973, S.121.

168 Vgl. Helmut Koopmann: Vom Epos und vom Roman. In: Helmut Koopmann (Hrg.): Handbuch des deutschen Romans. Düsseldorf 1983, $S.11-30; S.13-21 und Jürgen

Die Romantheorie des 17. und 18. Jahrhunderts

67

zugunsten einer empirischen Orientierung der Theorie an der Romanpraxıs. Gottsched achtet aufgrund seiner engen Bindung an die doctrine classique

den Roman als poetische Gattung noch gering. Die Argumente sind bekannt: der Erfindungsreichtum des Barockromans widerspricht den klassizistischen Voraussetzungen jeglicher Dichtung — dem rationalıstischen Mimesisprinzip wie der moralischen Zweckhaftigkeit. In enger Anlehnung an Huets Traite entwirft Gottsched einen systemorientierten Kompromiß: in der Erzählhaltung und -struktur nähert er den Staatsroman dem an die historische Faktizität gebundenen epischen Heldengedicht, in ihrer dıdak-

tischen Moralität »die adelichen und bürgerlichen Romanen« der äsopischen Fabel, in denen auch Irreales und Phantastisches geschehen kann. Anders als ın Epos und Fabel darf im Roman allerdings das Moment des

delectare überwiegen — deshalb ist er prädestiniert für das Erzählen von Liebesbegebenheiten.!°° Bodmer und Breitinger beurteilen wie Gottsched den Roman nicht als vollwertige Gattung, da er tendenziell dem mimetischen Prinzip widerspricht. Sie werten ihn jedoch Gottsched gegenüber deutlich auf, da sie in seiner auf Empfindung und Rührung zielenden Wirkungsabsicht wie in der romanhaften Erfindung möglicher, wahrscheinlicher Welten ihre poetologische Kategorie des Wunderbaren bestätigt finden. Während in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die gattungstheoretische Zuordnung des Romans den klassizistischen Grundsätzen des 17. Jahrhunderts verhaftet bleibt, erfahren die Romantexte — und mit ihnen die

romanästhetischen Reflexionen in Vorreden und Traktaten — innovative Impulse von den großen zeitgenössischen englischen und französischen Romanen

(Marivaux, Prevost, Richardson). Der heroische Idealmensch der

höfisch-repräsentativen Sphäre wird vom bürgerlichen, privaten Protagonisten verdrängt. Das Tugend-Laster-Schema findet Anwendung in lebens-

weltlichen, pragmatischen Bezügen. Romane, nach wie vor Lehrbücher der Moral, stellen statt politisch-öffentlicher Tugenden nun häuslich-private Tugenden vor, die vorbildhaft für alle Schichten der Gesellschaft sein sollen. Das damit entstandene neue wirkungsästhetische Problem, eine Identifika-

tion mit Gefühlen und Verhalten der bürgerlichen Protagonisten zu bewirken, also emotionale Betroffenheit und Rührung zu erreichen, kennzeichnet

die romanpoetologischen Überlegungen um die Jahrhundertmitte. Identifikation soll ermöglicht werden durch die kausalgenetische PsychologisieJacobs: Das Verstummen der Muse. Zur Geschichte der epischen Dichtungsgattungen ım XVII. Jahrhundert. In: Arcadıa 10 (1975), S.129-146. 19 Gottsched, Critische Dichtkunst, 1. Abschnitt, 5, Hauptstück: Von milesischen Fabeln, Ritterbüchern und Romanen. (Ausgewählte Werke Band V1/2, S.453-477).

68

Der Roman des Barock und der Aufklärung

rung und Emotionalisierung der Handlung und ihrer Figuren — durch sie

erfährt das Tugend-Laster-Modell einen konkreten Lebensbezug und realistische Plausibilität. Doch wie beim bürgerlichen Drama (Lessings Mitleidsästhetik im Briefwechsel über das Trauerspiel mit Mendelssohn und Nicolai (1756/57)) bleibt auch bei der Neudefinition des Romans die Dar-

stellung des seelischen Geschehens - im rhetorischen Sinne — dem moralischem Zweck untergeordnet. Die Motivation zur Tugend über psychologische Verinnerlichung literarischer Bilder ist nur möglich, so lange die

Empfindung ausschließlich dem moralischen Zweck dient. Steigert sich das Gefühl

zu

einer Intensität,

in der es sich von

der Moralität

nicht

mehr

instrumentalisieren läßt, kollidieren die individuellen Bedürfnisse nach ab-

soluter Selbstverwirklichung

mit der bürgerlichen

Moral,

wie dies in

Deutschland 1774 mit Werther erstmals geschieht. Emotionalıität soll aber

nicht nur an ihren Einklang mit der Moralität gebunden sein, sondern auch an die logische Kausalität der inneren und äußeren Handlung. Beide Anforderungen an eine Psychologisierung des Romans — Moralität wie Kausalıtät - sind Leitlinien des Dichtungskonzeptes der Aufklärung. Beide stehen in latenter Spannung

zueinander, werden

aber ın den theoretischen

Texten gleichzeitig postuliert, ohne daß man sich des Widerspruches zwischen ihnen bewußt wäre. Kausalıtät impliziert eın gewisses, ın der histo-

rischen Situation und ıhrer Vorgeschichte begründetes gesetzmäßiges Verhalten des Menschen, während dem Prinzip der Moralität die Vorstellung von der Stabilität menschlicher Natur zugrunde liegt, die die Grundlage für einen überzeitlichen, verbindlichen Tugendbegriff darstellt. Kausalität, ın

der Zeit mit dem Begriff »Pragmatismus« beschrieben, wird nach der Jahrhundertmitte zum neuen theoretischen Standard in der Fiktionsproblema-

tik, der dem alten barocken Mimesispostulat gegenübergestellt wird. Er impliziert das Genetische, Entwicklungslogische wie rational Kausale für die innere, psychische, wie äußere Entwicklung des Geschehens. Mit Wielands Geschichte des Agathon (1766/1767), einer an Fieldings und Sternes Romanen geschulten »pragmatisch-critischen Geschichte«, erscheint der erste deutsche Originalroman, der die Synthese dieser innovativen, jahrhun-

dertealte Anschauungen überwindenden Konzepte versucht. Wieland erzählt — präzise historisch — das Leben des Agathon als Exempel eines im Zusammenspiel innerer und äußerer Vorgänge kausallogisch begründeten Entwicklungsprozesses und reflektiert diesen Prozeß gleichzeitig im Roman. Der tendenzielle Widerspruch von Kausalität und Moralität ın der gleichzeitigen Darstellung innerer Vorgänge und der Anwendung des Tugend-Laster-Schemas wird dabei ästhetisch ausbalanciert, indem beide auf

unterschiedlichen Erzählebenen angeordnet werden: im fiktiven griechi-

Die Romantheorie des 17. und 18. Jahrhunderts

69

schen Manuskript-Text bestätigen sich — wenn auch unter vorübergehenden

Zweifeln — Agathons empfindsame Tugendideale, im fingierten Herausgeberkommentar dagegen werden sie durch Konfrontation mit der Realıtät immer wieder desavouiert. Sieben Jahre nach dem Erscheinen des Agathon

und wenige Monate vor der Veröffentlichung des Werther faßt Friedrich von Blanckenburg in seinem Versuch über den Roman (1774)'7? diese neuen gestalterischen Ansätze zusammen. Blanckenburg definiert den Roman als »innere Geschichte des Menschen«. Vom Helden werden zwar nach wie vor

Musterhaftigkeit und Vorbildlichkeit gefordert, doch statt der ıdealen moraldidaktischen Charaktertypen soll ein »natürlicher« Mensch mit vermischten Eigenschaften und mit psychologisch nachvollziehbaren Gefühlen im Mittelpunkt der Romanhandlung stehen, wie er bereits im bürgerlichen Trauerspiel und ın Wielands Romanen aufgetreten war. Das schematisierende Dozieren und der Tugendexempel-Stil der alten Romane müssen ihre eigentliche aufklärerische Absicht — die Bildung und Entwicklung des Lesers — verfehlen, denn Identifikation entsteht durch emotive Berührung, nicht durch rationale Didaktık. Blanckenburg setzt einen Kausalnexus zwi-

schen äußerem Geschehen, psychischer Disposition des Helden und rezeptiver Reaktion voraus: um auf die Empfindungen des Lesers zu wirken, muß das innere Werden des Helden anschaulich, d.h. in seinem Scheitern und seinen Krisen wie auch ın seinen detaillierten Lebensumständen und

Lebenseinflüssen vorgeführt werden. Dabei sollen die äußeren Begebenheiten der genetischen Entwicklung des Charakters zugeordnet und in ihrer Wechselwirkung und Interdependenz mit ihm dargestellt werden.'’’! »Der Dichter muß bey jeder Person seines Werks gewisse Verbindungen voraussetzen, unter welchen sie in der wirklichen Welt das geworden ist, was sıe ist. Und hat er sie in seiner kleinen Welt geboren und erzogen werden lassen: so ist sie unter denen Verbindungen, die sich in seinem Werke befinden, und deren Grundlage immer aus der wirklichen Welt gekommen ist, das geworden, was sıe ist. Durch diese Verbindungen nun, das heißt, mit 0 Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman. Faksımiledruck der Originalausgabe von 1774. Mit einem Nachwort von Eberhard Lämmert. Stuttgart 1965. 171 Jürgen Jacobs weist darauf hin, wıe Blanckenburg im »Versuch« einige Entwicklungsebenen des Helden im »Agathon« überhaupt nicht wahrnimmt: »Vor allem übersah Blankkenburg, daß Wieland seinen Helden auch einen politischen Bildungsgang durchmachen ließ. Das verinnerlichte Gattungskonzept des Versuchs über den Roman entspricht mit seinem abstrakten, von allen historischen und sozialen Bestimmungen gelösten Begriff des »Menschen« den empfindsamen Tendenzen des 18. Jahrhunderts [...].« Jürgen Jacobs: Die Theorie und ihr Exempel. Zur Deutung von Wielands » Agathon« ın Blanckenburgs »Versuch über den Roman«. In: GRM 62 NF 31 (1981), S.32-42; $.40.

70

Der Roman des Barock und der Aufklärung

andern Worten, durch die Erziehung, die sie erhalten, durch den Stand, den sie bekleidet, durch die Personen, mit denen sie gelebt, durch die Geschäfte, welchen sie vorgestanden, wird sie gewisse Eigenthümlichkeiten erhalten;

und diese Eigenthümlichkeiten in ıhren Sıtten, in ihrem ganzen Betragen, werden einen Einfluß auf ihre Art zu denken, und ıhre Art zu handeln, auf die Aeußerung ihrer Leidenschaften, u.s.w. haben; so daß all’ diese kleinen

Züge aus ıhrem Leben und aus ihrem ganzen Seyn, mit dem Ganzen dieser Person, in der genauesten Verbindung als Wirkung und Ursache stehen, — und wir folglich auch viel von diesen kleinern Zügen sehen müssen, so viel nämlich, als mıt dem Hauptgeschäft der Personen bestehen kann, wenn wir nicht ein Skelet vom

Charakter vor uns haben, sondern die völlige, runde

Gestalt derselben erkennen, und uns Rechenschaft von ıhrem ganzen Thun und Lassen geben sollen. Denn die bloße Äußerung der Leidenschaften einer Person, ıhr bloßes Thun der Sache, so wıe es ohngefehr aus dem Temperament und der jetzigen Lage der Person erfolgen kann, ist dem

guten Dichter so wenig genug, — obgleich bey den mehrsten so sehr gewöhnlich — daß er lieber von der Person gar nichts, als nur diese flache

Oberseite zeigen wird. Es ıst unmöglich, daß ohne diese kleinen Züge, das Gemälde aus dem Grunde hervortreten, und die Ründung erhalten könne,

vermöge deren wir es nur als lebend, als wirklich erkennen.«'’? Anschaulichkeit evozieren nicht zuletzt auch die Möglichkeiten des neuen bürger-

lichen Dramas, an dessen Entwicklung in den zurückliegenden zwanzig Jahren Blanckenburg mit dem Roman in »gattungstheoretischer Parallelisierung«'’? anschließen will, denn hier werden in direkter Rede und szeni-

scher Darstellung Empfindungen als Handlungsmotivationen konkret. »Es kömmt überhaupt nicht auf die Begebenheiten der handelnden Personen, sondern auf ihre Empfindungen an.«'”* Organısierendes Prinzip des Erzählvorganges ist die psychische Entwicklung der Zentralfigur. Die Welt ıst nicht mehr Ort exemplarischer tugendhafter Bewährung, sondern Erfahrungsraum des Helden. Mit Blanckenburg wird der Roman die genuine Gattung zur Darstellung der individuellen Vervollkommnung eines Menschen durch seine Lebensumstände.

172 Blanckenburg, Versuch 1774, $.208. 13 Voßkamp 1973, S.145. 17% Blanckenburg, Versuch 1774, S.60.

Romantypen des Barock

71

2. Die Romantypen des Barock Die drei barocken Romantypen, der höfisch-historische, der pikareske und der Schäferroman, leben bis weit in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts ın

den europäischen Nationalliteraturen fort. Ihre Formtraditionen - historische Ursprünge, typologische Herausbildung und Genese, »Reinform«< und >Prototyp«, europäische Binneneinflüsse und -rezeptionen, Schwund- und

Mischformen, Epigonentum und Verfall - sind gründlich erforscht, ebenso ihre jeweiligen typologischen Eigenarten ın Erzählstruktur und Erzählerrolle, in Milieu, Welthaltigheit und Realıtätsvorstellung, in Motivik, Topik und Personal, in Sprache, Publikum und didaktischer Absicht.!”

Am Anfang des deutschen höfisch-historischen Romans im 17. Jahrhundert stand eine Reihe von Übersetzungen vorbildhafter englischer und französischer Romane und die programmatische Abwendung von eigenen Erzähltraditionen vorangehender Jahrhunderte.

Martin

Opitz

übertrug

ım

Rahmen seines Reformprogrammes für die zeitgenössische deutsche Dichtung auch John Barclays Argenis (1621, übersetzt 1626) und Philip Sidneys The Countesse of Pembroke’s Arcadia (1590/1593, übersetzt 1629) in eine neue Kunstprosa. In den vierziger Jahren wurden ın Deutschland zahlreiche weitere Übersetzungen auch französischer und italienischer Romane veröffentlicht. Von besonderer Musterhaftigkeit war der französische roman he-

roique. In Frankreich hatten Madeleine de Scudery und Gautier des Costes de La Calprenede Romane geschrieben, die ın Einklang standen mit den ästhetischen Gesetzen der neoaristotelischen Tradition und in denen die

Normen des moralischen Nutzens, der Angemessenheit und Regelhaftigkeit (bienseance) und der Wahrscheinlichkeit (vraisemblance) gleicherma-

ßen erfüllt wurden. Ausgehend von Barclay, der den hellenistischen Ro7 Zum Roman des 17. Jahrhunderts vgl. Richard Alewyn: Der Roman des Barock. In: Helmut Heidenreich (Hrg.): Pikarische Welt. Schriften zum europäischen Schelmenroman. Darmstadt

1969. [Wege der Forschung

163], S.397-411, Hans

Gerd Rötzer: Der

Roman des Barock. 1600-1700. Kommentar zu einer Epoche. München 1972, Urs Herzog: Der deutsche Roman des 17. Jahrhunderts. Eine Einführung. Stuttgart, Berlin, Köln,

Mainz 1976. [Sprache und Literatur Band 98], Volker Meid 1974 und die Beiträge ım von Helmut Koopmann herausgegebenen >»Handbuch des deutschen Romans< 1983: Volker Meid: Der höfische Roman des Barock, S.90-104, Wilhelm Voßkamp: Der deutsche Schäferroman des 17. Jahrhunderts, S.105-116, Hans Geulen: Der galante Roman, $.117-130,

Hans Gerd Rötzer: Der Schelmenroman und seine Nachfolge, S.131-150 sowie Jürgen Jacobs: Der deutsche Schelmenroman. Eine Einführung. München, Zürich 1983 und ders.: Das Erwachen des Schelms. Zu einem Grundmuster des pikaresken Erzählens. In: Daphnis 5 (1987): Der deutsche Schelmenroman im europäischen Kontext: Rezeption, Interpretation, Bibliographie. Herausgegeben von Gerhart Hoffmeister, $.61-75.

72

Der Roman des Barock und der Aufklärung

mantypus

der verwickelten

Liebes-

und

Staatsgeschichte

zur adäquaten

Darstellung der feudalabsolutistischen Herrschafts- und Weltordnung angewandt hatte, wurde das Heliodor-Schema verbindlich für den deutschen höfischen Roman. Nach einem unvermittelten medias-in-res-Beginn der

weitläufigen historischen oder biblischen Handlung folgt die sukzessive Aufhellung der Vorgeschichte, mit deren Hilfe die Handlungszeit begrenzt gehalten wird. Im Mittelpunkt der Haupthandlung der sehr umfangreichen Romane steht ein junges Liebespaar, das gegen seinen Willen getrennt wird

und zahlreiche schicksalhafte Widrigkeiten zu überstehen hat, um am Ende wieder vereint zu werden. Die handelnden Figuren sind Standespersonen, Könige, Fürsten, Prinzen und Prinzessinnen, daher haben ihre Liebesge-

schichten immer auch eine politische Dimension. Liebesgeschichte und politische Geschichte sind eins. Durch die Erfindung mehrerer Paare — ın Anton Ulrichs Aramena 27 — entsteht eın dichtes Geflecht von Nebenhandlungen, die immer wieder unterbrochen und mit der Haupthandlung verbunden werden. Die endliche glückliche Eintracht der Paare nach schick-

salhaften Gefährdungen wird im Roman gedeutet als der durch Gott gewährte Lohn für Tugendhaftigkeit und Beständigkeit. Verwechslungen, Überfälle,

Entführungen,

Gefangenschaften,

Schiffbrüche,

Zweikämpfe,

Feldzüge, Staatsverträge, Friedensverhandlungen sind Prüfungen zur Bewährung und Normerfüllung. Die Romanhandlung ist eine Apotheose der labyrinthischen sittlich-göttlichen Weltordnung, die nur Gott zu überschauen vermag. Wahrheit und göttliche Providenz bleiben ım irdischen Dasein verborgen, dort ist moralische Bewährung die Aufgabe des Menschen. Die Protagonisten sind, entsprechend dem normativen Tugendsystem, schematisierte »gute< und »böse< Charaktertypen ohne psychologische

Differenzierung und Entwicklung. Der Erlesenheit und Kostbarkeit der Figuren, der Ausstattung und Schauplätze entspricht eine rhetorischhyperbolische, prunkend geschmückte Sprache. Der Erzähler ist neutral,

unpersönlich, vom Geschehen distanziert und ohne eigenen Standpunkt. Er kommentiert nicht und sucht nicht den Kontakt zum Leser. Leser und Erzähler begegnen sich nur im Rahmen der geschaffenen Fiktion — »Helio-

dors Erzähler tritt am Anfang mit dem Leser zusammen vor den aufgehenden Vorhang.«!’® Mitten aus dem Geschehen berichtet dagegen der Erzähler des Schelmenromans,!7’ der der Held selbst ıst. Pıkaro - sein Urbild ıst La Vida de 17% Norbert Miller: Der empfindsame Erzähler. Untersuchungen an Romananfängen des 18. Jahrhunderts. München

1968. [Literatur als Kunst], S.67.

177 Als Gattungstyp wird der Schelmenroman einerseits als auf das Barock beschränkte

Romantypen des Barock

73

Lazarillo de Tormes (1554, deutsch 1617) — erzählt seine Lebensgeschichte

als wahrhaftige Historie, als eine Reihe aufeinanderfolgender Episoden ab ovo. Aus obskuren Verhältnissen stammend, gesellschaftlicher Außenseiter

ohne soziale Gebundenheit, erfährt er im Leben nur Niederlagen und Rückschläge und lernt, sich ın einer feindlichen Umgebung

zu behaupten.

Sein Milieu ist das der Unterprivilegierten, des Gesindes, der Bettler, Diebe und Huren, der Nichtseßhaften, Soldaten, Quacksalber, Komödianten und

Schausteller. Die pikarische Welt ıst schlecht, in ıhr regieren Bosheit, Egoismus und Gewalt. Mit Tugend und Gottvertrauen kann man nicht reüssieren -— man muß zum Schelm werden. Pikaro analysiert und durchschaut die Gesellschaft und ihre Mechanismen und erkennt, daß die betrügerische Welt betrogen sein will. Der Mensch ist nicht, wie im höfischen Roman, ın

der gerechten göttlichen Weltregierung geborgen, sondern an die unberechenbare fortuna verloren. Diese Erkenntnis

hat der Held oft in einem

Desillusionierungs-Erlebnis, nach welchem er sein Vertrauen in die moralische Ordnung der Welt endgültig verliert und seinen typenhaften Charakter erwirbt. Seine Lebensmaximen sınd Mißtrauen, unsentimentale Härte,

moralische Skrupellosigkeit und Brutalität. Er ist gefühlskalt in der Liebe und liebt, weil er überleben muß, nur sich selbst. Doch trotzdem verfällt er im Roman nicht der Kritik - er »ist [...] Sünder in einer sündigen Welt, er

tut nichts, was die meisten nıcht auch täten.«'’® Pikaro hat die Sympathie des Lesers, er ist trotz seiner Unmoral eine Identifikationsfigur und stößt mit seinen Streichen auf Verständnis. Die Kritik des Schelmenromans gilt indessen der Welt, die den Helden zwingt, unmoralisch zu leben. Am Ende

schließt sich sein Zwiespalt mit der Welt entweder durch Selbstkritik, moralische Läuterung und religiös-erleuchtete Weltverneinung im Eremitendasein (Simplicissimus) oder in resignierter Rückkehr und Integration ın die Gesellschaft (Lazarillo). Die Welt des Schäferromans scheint dagegen zunächst frei von Konventionen. Das ideale Leben der Hirten und Schäfer in der Natur fernab vom Hof, in privater Geselligkeit, genügsamer Einfachheit, gelassener Kontemepochale Erzählgattung mit den Prototypen Lazarıllo und Simplicissimus verstanden, andererseits auch ın einer weiteren Bedeutung als flexibles, die Adaption durch andere Epochen und Nationalliteraturen nahelegendes Erzählmuster definiert, das bis in die Gegenwart wirkt (Felix Krull, Oskar Matzerath). In diesem letzten Sinne fassen zwei neuere Studien den Schelmenroman auf: Matthias Bauer: Im Fuchsbau der Geschichten. Anatomie des Schelmenromans. Stuttgart, Weimar 1993 und Johannes Roskothen: Hermetische Pikareske. Beiträge zu einer Poetik des Schelmenromans.

Frankfurt/M. u.a. 1992.

[Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur Band 1358]. 178 Jacobs 1987, S.64.

74

Der Roman des Barock und der Aufklärung

plation und reiner, tugendhafter Liebe — Topoi der antiken Bukolik (Theokrit, Vergil) -'”?, kontrastiert hart mit der Realität der höfischen Gesellschaft. Pastorale und höfische Welt sind polar aufeinander bezogen. Damit sind zwei ästhetische Funktionen eröffnet: schafft der konventionslose

gesellschaftliche Freiraum Entlastung und eine Rückzugssphäre von der höfischen Sozialdisziplinierung für Adel, Beamten- und Stadtbürgertum, so wird gleichzeitig die Kritik der höfisch-repräsentativen Lebensformen möglich. Die arkadische Gegenwelt zur Welt des Hofes besteht jedoch meistens nur vorübergehend: das Schäferdasein ist dem Einflußbereich des Höfisch-

Politischen nicht vollkommen entzogen. Häufig werden Liebende zum Verzicht aus politisch-gesellschaftlichen Rücksichten gezwungen. Am Ende bleibt den ın ıhren Verbindungen gescheiterten Figuren Melancholie und Resignation.

3. Der deutsche Originalroman 1750-1770

Die Aufklärung setzt dem Vertrauen ın das verborgene, planvolle göttliche Wirken die Hoffnung auf selbstbestimmtes Handeln und Gestaltung der Welt durch den Menschen entgegen. In einem Prozeß der Autonomisierung

soll sich der Mensch aus jahrhundertealter Heteronomie befreien. Mit der Hinwendung zur empirischen Realität verliert die alte göttliche Heilsordnung langsam ihre Gültigkeit. Das deduktive Denken, das die sichtbare Realität aus der höchsten

Idee, dıe selbst als höchste Realität verstanden

wird, rational ableitet, wird in der Aufklärung abgelöst durch das induktive,

an den Erscheinungen der Welt orientierte Prinzip. Die Idee hat sich nun durch empirische Beobachtung der Wirklichkeit zu beweisen. Das mittelalterliche Semiotik-Konzept, nach dem eine von Gott verbürgte Ähnlichkeit und Übereinstimmung zwischen den Ideen und den sie repräsentierenden

Zeichen

besteht,

wırd

überwunden

durch

eine

Empirisierung

der

Wahrnehmung. Die Wirklichkeit ist im neuzeitlichen Denken nicht mehr die Qualität der Dinge selbst, sondern das Ergebnis subjektiver Prozesse, die Wirklichkeit jeweils hervorbringen. Auch das Tugendsystem gestaltet

7? "Thematische, strukturelle und motivische Impulse kamen von lacopo Sannazaros >Arcadia< (1480-85 schriftliche Ausgaben, erster vom Autor autorisierter Druck 1504, ım 17. Jahrhundert nicht ıns Deutsche übersetzt), Jorge de Montemayors »Los Siete Libros de la Diana« (1559, übersetzt 1619), Philip Sidneys »The Countesse of Pembroke’s Arcadia« (1590/1593, übersetzt 1629) und Honore d’Urfes >»L’Astree« (1607-1625, 1. Band übers. 1619).

Der deutsche Originalroman 1750-1770

75

sich grundlegend um: es bezieht seine Legitimation und Sinngebung nicht mehr von traditionellen religiösen Werten, sondern hat sich ım alltäglichen, diesseitigen Leben zu bewähren. Die Fragen der Moralität im gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen sınd die drängenden neuen Fragen

der Epoche. Mit der prozeßhaften Ablösung aus religiösen und sozialen Bindungen entsteht ein neues Bild vom Menschen als einmaliges, selbstbestimmtes Indıviduum. Der Mensch wird als befähigt gedacht, sich aus den alten Repressionen zu befreien, doch die Verheißung der Freiheit bringt auch Verunsi-

cherung und Angst hervor. Die neu gewonnene Welt wird auch als fremde, feindliche erlebt, in der der Mensch seinen angestammten, geborgenen Platz

verloren hat. Die verwirrende Vielfalt und der undurchschaubare Zusammenhang der Phänomene sind neu zu erfahren und zu erklären ın dem Moment, ın dem die alten Evidenzen verloren gehen. Die Welt ıst, nachdem

ihre alte Ordnung zerstört wurde, undurchschaubarer als zuvor. So wird die Selbstbehauptung des Ich ın der Welt zum Zentralproblem des 18. Jahrhunderts. Der Roman spiegelt die neuen diesseitigen Glücksbilder, Visionen und Wünsche der Aufklärung, aber auch die evozierten Ängste und Phobien.

Indem er sıch gleichzeitig immer weiter aus religiöser und herrschaftslegitımatorischer Funktionalisierung und den damit verbundenen ästhetischen Normen befreit, erzählt er nicht mehr von den überindividuellen Ordnun-

gen und Mechanismen der Welt, sondern von der individuellen, »privaten« Geschichte eines Menschen und den besonderen Begebenheiten seines Lebens. Der Roman des 18. Jahrhunderts sucht neue Wahrheiten in kausaler

Deutung der Erscheinungen der Welt. Er versteht sich als »Geschichte«, prätendiert Historizität und Wahrhaftigkeit und wendet sich programmatisch von den barocken »Roman«-Erzählformen und ihrem alten MimesisKonzept ab. Der Mensch im Roman der Jahrhundertmitte ist nicht mehr

die repräsentative Standesperson, nicht mehr Rollenfigur — »Ritter —- Hirt — Schelm«

(Jolles)'®° -, sondern er ist vor allem Mensch

als Mensch,

dessen

physische und metaphysische Bindungen seiner Individualität untergeordnet sind. War er bisher Teil einer großen, undurchschaubaren, viele

Schauplätze, Schicksale und Gestalten umgreifenden kosmischen Handlung und seine Existenz durch seine Teilhabe am Weltgeschehen definiert, so ist dıe Handlung nun auf ıhn bezogen, ıst er Ausgangspunkt und Spiegelung der Handlung. Wurde der Mensch des Barockromans durch seine von der 180 Andre Jolles: Die literarischen Travestien. Ritter — Hirt — Schelm. In: Heidenreich 1969, S.101-118.

76

Der Roman des Barock und der Aufklärung

Vorsehung bestimmte Rolle ım großen Gefüge beschrieben, so steht er ım 18. Jahrhundert als Ursache und Wirkung seines Handelns im Zentrum des Romans. Der barocke Romanheld war definiert durch das, was er tat, sein

Handeln und seine Persönlichkeit waren kongruent, seine Gefühle und seelischen Bewegungen verstanden als letztlich unergründliche Effekte überpersönlicher Mächte. Seine personale Identität ging, unabhängig von

historischen und sozialen Bedingungen, hervor aus seiner individuellen Beziehung zu Gott, aus seiner gottgewollten Rolle im Weltgefüge. Daher war seine ästhetische Gestaltung ın Charakter, Handlungsweise und Ausdruck immer typenhaft. Mit der langsamen Erosion der alten Welt- und Menschenvorstellung werden ım Laufe des 18. Jahrhunderts die komplexen Beziehungen zwischen dem Innen und Außen der literarischen Figuren differenziert, werden Gefühle und Handlungsmotivationen als persönliche Eigenschaften eines Individuums verstanden und ausgedrückt. Erst gegen Ende des Jahrhunderts wird diese Spannung in ihrer psychologischen Tiefendimension ın der Literatur gestalterisch erschlossen, was ein bis dahin neues, identifikatorisch-affektives Rezeptionsverhalten auslöst. Aber bereits die innovativen realistischen Tendenzen vorangehender Jahrzehnte, Umstand, daß wie auch ım neuen, bürgerlichen Drama ım Roman

der der

nicht-höfische Mensch nun tragische Konflikte erleben, tiefe Gefühle zeigen, hohe menschliche Ziele und Ideale verfolgen darf, berührt die zeitgenössischen Leser unmittelbar und tief. Dies zeigt Diderots Bemerkung ın

seiner Eloge de Richardson aus dem Jahr 1762: »Cet auteur ne fait point couler le sang le long des labmbrıis; il ne vous Egare point dans des förets; ıl ne vous transporte point dans des contrees &loign&es; ıl ne vous expose point A &tre devore par des sauvages; il ne se renferme point dans des lieux

clandestins des debauche; il ne se perd jamais dans les regions de la feerie. Le monde ot nous vıvons le lieu de sa scene; le fond de son drame est vraı;

ses personnages

ont toute la realıte possible; ses caracteres sont pris du

milieu de la societe; ses ıncıdents sont dans les moers de toutes les nations

policees; les passions qu’il peint sont telles que je les &prouve sont les m&mes objets quil les emeuvent, elles ont l’Energie connais; les traverses et les afflıctions de ses personnages sont de celles qui me menacent sans cesse; ıl me montre le cours choses quı m’environnent. Sans cet art, mon äme se pliant avec

en moi; ce que je leur de la nature general des peine ä des

bıaıs chimeriques, P’ıllusion ne serait que momentane, et l’ımpression faible

et passagere.«!?! 181 Denis Diderot: Oevres completes. Edition critique et annotee pr&sentee par Herbert Dieckmann et Jean Varloot avec Jacques Chouillet et autres. Paris 1975ff. Tome XIII: Arts

Der deutsche Originalroman 1750-1770

77

Die neuen Vorstellungen erscheinen nicht plötzlich in den Romanen. Die großen Barockromane werden noch weit bis in das 18. Jahrhundert hinein

neu aufgelegt, fortgesetzt und überarbeitet. Heinrich Anselm von Zigler und Kliphausens Die Asiatische Banise oder das blutig-doch mutige Pegu war ım 18. Jahrhundert eın vielgelesenes Buch, das in seiner ersten Ausgabe von 1689 neun Mal wieder aufgelegt!?? und ın einer zweiten, überarbeiteten Fassung aus dem Jahr 1753 bis 1764 weiter gedruckt wurde. Es gab zahl-

reiche Fortsetzungen,

Nachahmungen

und

dramatische

Bearbeitungen,

auch für die Puppenbühne und die Oper.'® In den in der ersten Jahrhunderthälfte erscheinenden Transformationen barocker Romanmuster vermischen sıch alte Klischees und neue, säkularısierte Motive und Strukturelemente miteinander.!#? Eine Zeitlang besteht in den Romanen eine Spannung

zwischen dem Wunsch nach Autonomie des Individuums und dem SichFügen ın die alten Heteronomien der Existenz. So münden teleologische Erzählverläufe am Ende häufig noch in die Gewißheit des göttlichen providenten Wirkens.'® Nur langsam und zögernd lösen sich bis zur Mitte des et lettres (1739-1766). Critique I. Paris 1980, S.193f. »Richardson läßt kein Blut an Wandverkleidungen entlangfließen; er entführt Sie nicht in ferne Länder; er setzt Sie nicht der

Gefahr aus, von Wilden verspeist zu werden; er verweilt nicht an den heimlichen Stätten der Ausschweifung; er verliert sich nie in eine Feenwelt. Sein Schauplatz ist die Welt, ın der wır leben; der Inhalt seines Dramas ist wahr; seine Gestalten haben die volle Realıtät, die möglıch ıst; seine Charaktere sind mitten aus der Gesellschaft herausgegriffen; seine

Verwicklungen entsprechen den Sitten aller gebildeten Nationen; die Leidenschaften, die er schildert, erlebe ich ın mır selbst; sie werden von denselben Gegenständen erregt wie bei mır und haben genau die Kraft, die ıch an ihnen kenne; die Widerwärtigkeiten und

Kümmernisse, die seinen Gestalten begegnen, sind von derselben Natur wie diejenigen, die mir unaufhörlich

drohen;

er zeigt mir den allgemeinen

Lauf der Dinge, die mich

umgeben. Besäße der Autor nicht diese Kunst, so müßte ihm meine Seele mühsam auf phantastischen Abwegen folgen; die Illusion, die entstünde, dauerte nur einen Augenblick, der Eindruck wäre schwach und vergänglich.« Übersetzung: Asthetische Schriften.

Herausgegeben von Friedrich Bassenge. Aus dem Französischen übersetzt von Friedrich Bassenge und Theodor Lücke. 2 Bände. Frankfurt/M. 1968. Erster Band, 5.404. 182 1690, 1700, 1707, 1716, 1721, 1728, 1733, 1738 und 1753.

S.403-418;

189 Hans Kuhnert Kettler: Baroque Tradition in the Literature of the German Enlightenment 1700-1750. Studies ın the determination of a literary period. Cambridge [1943], S.95-120.

1# Vgl. Gerhart Hoffmeister: Transformationen von Zieglers Asiatischer Banise: Zur Trivialisierung des höfisch-historischen Romans. In: GQ

49 (1976), S.181-190.

185 Werner Frick schränkt dies in seiner Studie »Providenz und Kontingenz« freilich ein: »Gleichwohl bleiben Konfiguration und Funktion des Göttlichen ım Text von den skizzierten Umbruchsentwicklungen nicht unbetroffen, gerät der Rekurs auf providentielle Interventionen ım Kontext eines empirisch-wirklichkeitsnahen Erzählens unter stärkeren

78

Der Roman des Barock und der Aufklärung

Jahrhunderts die Normen der klassizistischen dichtungstheoretischen Po-

larıtät von hoher und niederer Literatur auf. In der hybriden Vielgestaltigkeit des Romans der Jahrhundertmitte sind sie allerdings kaum noch auszumachen. War der — heroische, pikareske, schäferliche - Romantyp des Barock der singulären literarischen Form immer übergeordnet, so findet im

18. Jahrhundert ein Prozeß der Autonomisierung, Differenzierung und Individualisierung der Formen

statt. Zwar bringt dieser Prozeß wiederum

neue Typen und Muster hervor, doch die strenge Normativität der ästhetischen Konventionen des 17. Jahrhunderts ist überwunden. Die Germanistik hat zahlreiche Versuche unternommen, Kontinuitäten

zwischen der barocken Romantypologie und den Romanen des 18. Jahrhunderts zu finden.!3° Solange aber die Romane der »Zwischenzeit« nur hinsichtlich der Tradierung von Altem oder der Antizipation von Neuem interessieren, wird der bei weitem größte Teil der Texte keine Beachtung finden können. Bruno Hillebrand schreibt im Handbuch des Romans (1983): »Der Zeitraum zwischen Lohensteins Arminius (1689) und dem vielleicht einzigen bedeutenden Rokokoroman in Deutschland, Wielands Don Sylvio (1764),

kann forschungsmäßig als terra incognita gelten. Daran ändert auch Schnabels Insel Felsenburg (1731) und Gellerts Schwedische Gräfin (1747) nichts, immer wieder angeführt für die Romanprogression der ersten Jahrhundert-

hälfte.«'3° Obwohl seit etwa 1750 Romane in bisher nicht gekannten, hohen Publikationsraten erscheinen, wırd der Roman erst nach etwa 1770 von der gelehrten Literaturkritik ernst genommen. Die französischen und englı-

Begründungs- und Plausibilitätsdruck, kommt es zu Reibungen zwischen der jedem Provıdentialismus

ınhärenten

Vorstellung

menschlicher

Heteronomie

und

dem

Anspruch

neuer, bürgerlich geprägter Ethiken auf Autonomie und rationale Selbstbestimmung des innerweltlichen, innergesellschaftlichen Handelns.« Werner Frick: Providenz und Kontingenz. Untersuchungen zur Schicksalssemantik im deutschen und europäischen Roman des 17. und 18. Jahrhunderts. Tübingen 1988. [Hermea NF Band 55], $.102.

#6 Tohn A. McCarthy hat 1985 ın einem Aufsatz die Problematik der »Lücke« zwischen Barockroman und dem Roman der Jahrhundertmitte vor dem Hintergrund des alten Forschungsstandes (Singer, Hirsch) umfassend aufgearbeitet. Er vertritt die Auffassung, daß der Aufklärungsroman in zentralen, durch die Moralischen Wochenschriften vermittelten Aspekten — Realismus ın der Darstellung von bürgerlichem Leben und Familienszenen, von psychologisch komplexeren Figuren — an den galanten Roman anschließe. Nur durch die Zwischenphase der galanten Romane seı der Erfolg Richardsons ın Deutschland zu erklären. John A. McCarthy: The Gallant Novel and the German Enlightenment (1670-

1750). In: DVjs 59 (1985) 1, S.47-78.

7 Bruno Hillebrand: Theorie des Romans. Erzählstrategien der Neuzeit. Stuttgart, Weimar 1993, 3., erweiterte Auflage, S.34.

Der deutsche Originalroman 1750-1770

79

schen Romane verlieren nach 1770 ihre Vorbildhaftigkeit und die Übersetzungswelle der fünfziger und sechziger Jahre verebbt. 1774 forciert Goethe

in Die Leiden des jungen Werthers durch die Darstellung radikaler Subjektivität die Kollision mit rationalistischen und utilitaristischen Ordnungsvorstellungen. Der bürgerliche Individualismus erweist sich im Werther als ein Leistungs- und Besitzansprüchen unterworfenes Konzept, das die wırk-

liche Entfaltung individueller Lebenswünsche verhindert. »Goethes »Originalroman«, schreibt Klaus Rüdiger Scherpe, »setzte sich wie kein anderes Dichtwerk der Zeit über den durchschnittlichen Erwartungshorizont des bürgerlichen Publikums hinweg, indem er die Erwartung der jungen Generation — Nonkonformismus als Rebellion der Gefühle — erfüllte. Die Exponenten bürgerlicher Moral und die Lehrmeister praktischer Lebensführung sahen sich genötigt, ihre Wertmaßstäbe offensiv zu verteidigen.«188 Werther verletzt wıe kein anderes Buch im 18. Jahrhundert Rezeptions-

gewohnheiten und mit den ausgelösten heftigen Reaktionen verändern sich die Wahrnehmungsweisen und Erwartungshaltungen gegenüber Romanen. Nach dem Werther erscheinen Texte, die der Romanform völlig neue Ausdrucksmöglichkeiten

Eduard

Allwills

erschließen.

Briefsammlung

Mit

Siegwart

(J.M.

Miller,

1774),

(F.H. Jacobi,

1775)

und Anton

Aus

Reiser

(K.Ph. Moritz, 1785-1790) wird im Roman eine Differenzierung der Empfindungen gestaltet, die bis zur Entgrenzung der Affekte reicht, zur Zer-

rüttung des Subjekts, zu Wahnsinn, Selbstzerstörung und Todessehnsucht. Die aufklärerische Utopie des mit der Welt harmonischen, tugendhaften Daseins wırd ausdrücklich pervertiert, der Roman wird zum Medium der gescheiterten Utopie. Doch weiterhin erscheinen als Organe des Philan-

tropismus und der Volksaufklärung aufklärungsoptimistische Romane von Friedrich Nicolai, Johann Heinrich Pestalozzi, Johann Heinrich Cam-

pe, Christian Gotthilf Salzmann.!® Um 1770, nach der Überwindung der Verwüstungen des Siebenjährigen Krieges, floriert der Buchmarkt wieder

und reproduziert seriell kommerziell erfolgreiche Romankonventionen. Die Romane werden umfangreicher, mehrstimmige Briefromane und episodenreiche Familienromane kommen in Mode und mit den achtziger Jahren 188 Klaus Rüdiger Scherpe: Werther und Wertherwirkung. Zum Syndrom bürgerlicher Gesellschaftsordnung im 18. Jahrhundert. Anhang: Vier Wertherschriften aus dem Jahre 1775 ın Faksimile. Bad Homburg v.d.H., Berlin, Zürich 1970, S.16.

19 Vol. dazu die Arbeit von Helmut Germer: The German Novel of Education from 1764 to 1792. A complete Bibliography and Analysıs. Bern, Frankfurt/M. 1982. [Europäische Hochschulschriften. Reihe 1, Band 550]. Germer liefert eine detaillierte Bibliographie mit Rezensionsnachweisen sowie eine formale, inhaltliche und literatursoziologische Erschließung.

80

Der Roman des Barock und der Aufklärung

reüssieren auch Räuber- und Kriminalromane, Geister- und Schauerromane und Romane mit historischen und märchenhaften Stoffen auf dem Markt.!”° Die Dichotomisierung der Romanliteratur konsolidiert sich und die Romane wenden sıch expliziter als zuvor spezifischen Lesergruppen mit un-

terschiedlichen Rezeptions- und Bildungsvoraussetzungen zu. Erste Klagen über »Lesesucht« und »Empfindelei« werden laut. Die große »Romanflut« bricht erst nach 1770 über Deutschland herein.'?! Von den mehreren hundert zwischen 1750 und 1770 erschienenen deut-

schen Originalromanen finden wenige die Aufmerksamkeit und kaum einer die Zustimmung der zeitgenössischen Literaturkritiker. Im Gegenteil — die Kritik ist meistens

außerordentlich

heftig. In einer Rezension

des 1763

anonym erschienenen Romans Freywel. Die beglückte Tugend heißt es: »Möchte doch eine Lauge scharf genung seyn, solchen Verfassern und ihren gefälligen Lesern allen Unrath aus ihrem Gehirn wegzubeitzen !«!% In diesen Jahren geht die ständige Klage über die Rückständigkeit der deutschen Romanautoren gegenüber den avancierten neuen Erzählmodellen Frankreichs und Englands und über das Fehlen eines deutschen National-

romans von Rang, der deutsche Zustände wiedergebe statt ausländische Vorbilder zu ımitieren. Friedrich Gabriel Resewitz schreibt im 294. der

Briefe, die neueste Litteratur betreffend (23.8.1764): »Einen deutschen Fielding wünschten Sie einmahl zu sehn ? der die Sitten der Deutschen eben so genau zeichnete, als iener die Sitten der Engelländer gezeichnet hat? Ja, wenn unsre Schriftsteller nur erst die Sitten der Deutschen kenneten; wenn sie nur wüsten, worinn sie überhaupt den Charakter ıhrer Nation suchen

sollten. Es ist noch einem Genie vorbehalten, die charakteristischen Züge, wodurch sıch unsre Nation von andern unterscheidet, nach dem Leben zu schildern, und die mannigfaltigen Schattirungen, darınn sie sıch ın den ver-

schiedenen Provinzen dieses grossen Reichs abändern, treffend darzustellen.

Dann,

und

dann

erst

werden

wir

Fieldings

haben.«'”

Doch

als

1%0 Vgl. Marion Beaujean: Der Trivialroman in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Ursprünge des modernen Unterhaltungsromans. Bonn 1964. [Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft Band 22].

1 Vgl. Schenda 1970, S.36-39 sowie Christine Mithal und Ernst Weber: Deutsche Originalromane zwischen 1680 und 1780. Eine Bibliographie mit Besitznachweisen. (Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik). Berlin 1983, S.80. 92 In: Briefe, die Neueste Litteratur betreffend. Herausgegeben von Gotthold Ephraim Lessing, Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai. Teil 1-24. Berlin: bey Friedrich Nicolaı: 1759-1765.

19. Teil (1764), S.188. Vgl. auch Lieselotte E. Kurth: Formen der Ro-

mankritik ım achtzehnten Jahrhundert. In: MLN 83 (1968), S.655-693. 93 Briefe, die Neueste Litteratur betreffend. 17. Teil (1764), S.159f.

Der deutsche Orıginalroman 1750-1770

81

1766/1767 mıt Wielands Agathon ein deutscher Roman erscheint, der in der Komplexität des Welt- und Menschenverständnisses, im Niveau der philosophischen Reflexion und im Perspektivenreichtum der Erzählweise mit den deutschen Romanen seiner Zeit inkomparabel ist, wird er kein Markterfolg. Die über zweihundert von der aufklärerischen Kritik gescholtenen oder ignorierten Texte entsprechen mehr dem Geschmack des deutschen Publikums als Wielands an Fieldings und Sternes Erzähltechniken geschulter wie auch die traditionellen Erzählformen von Utopie, Abenteuer- und

Staatsroman raffiniert verarbeitender Roman. Das deutsche Publikum der sechziger Jahre scheint von den Romanen etwas anderes zu erwarten als das Nachdenken über Aufklärung. Die breite Wertschätzung der Romane vom Range eines Agathon beginnt erst Jahre nach dessen Erscheinen, er ıst daher wirklich, wie es in Lessings Rezension heißt, »für das deutsche Publicum

noch viel zu früh geschrieben.«!” Aus einer komplexen Vorstellung von Realität, aus dem Wissen um die Relativität der Wahrheit und die Unergründlichkeit des Menschen kritisiert Wieland ım Agathon die aufklärerischen Tugendvorstellungen, indem er ın der Handlung Widersprüche zwischen Tugend und Liebe, zwischen Moral und Polıtik entwickelt. Agathon, der gefühlvolle Schwärmer für die Tugend, erfährt, wie schwierig es ist, in einer korrupten Welt der Tugend treu zu bleiben. Die Tugend als System von Geboten und Ideen wird ın der Konfrontation mit der Realität problematisch. Der zentrale Konflikt zwischen Kopf und Herz, zwischen Agathons schwärmerischer Menschenliebe und dem rationalistischen, eigennützigen Zweckdenken des Sophisten Hippias spiegelt den philosophischen Antagonismus von Shaftesburys bürgerlichem Tugendoptimismus und Helvetius’ und LaMettries höfıschmaterialistischer Anthropologie. Am Ende ist Agathons Schwärmertum zwar ernüchtert, aber sein Ideal der Tugend geläutert, sein Glauben an die grundsätzliche Moralität der Menschen ungebrochen. Nicht zuletzt die differenzierte Darstellung der Auseinandersetzung des Helden mit der Welt und seiner ernüchternden Erfahrungen mit der Skrupellosigkeit und Selbstsüchtigkeit der Menschen ım Sinne eines lebensgeschichtlichen psychologischen Reifungs- und Läuterungsprozesses machen Wielands Agathon zu einem singulären Text in der Romanliteratur seiner Zeit. Agathon ist für die Literaturwissenschaftler der erste deutsche »Bildungsroman.”. 19% Hamburgische Dramaturgie, 69. Stück (29.12.1767). In: Werke und Briefe ın zwölf Bänden. Hreg. v. Wilfried Barner u.a. Frankfurt/M. 1985ff. [Bibliothek deutscher Klassıker]. Band 6: Werke 1767-1769. Hrg. v. Klaus Bohnen. Frankfurt/M. 1985, 5.531. 1% Zu dem in jüngerer Zeit zunehmend als problematisch beurteilten literaturwissen-

82

Der Roman des Barock und der Aufklärung

Dagegen hebt Wolfgang Kayser 1954 in seinem Essay Entstehung und Krise des modernen Romans!” besonders die innovative Erzähltechnik Wie-

lands hervor, die seitdem Kennzeichen des modernen Romans sei. Für Kayser beginnt mıt Der Sıeg der Natur über die Schwärmerery, oder die Abentheuer des Don Sylvio von Rosalva (1764) und Agathon der moderne Ro-

man ın Deutschland. Erst Wieland löse die barocke Romantypik ab. Noch bei Richardson und Gellert spreche »der Erzähler [...] ın der gleichen Kälte und Unbewegtheit des Wissenden wıe der Erzähler des hohen Barockromans.«!” Kaysers Modell, in dem die neue Erzähltechnik den Paradigmenwechsel vom traditionellen zum modernen Roman bewirkt, machte in der

Literaturwissenschaft Schule. Entgegenzuhalten ist ihm die in Romanen der ersten Jahrhunderthälfte -— vor Wieland - vollzogene Wende zu einem neuen, nach-barocken Wirklichkeitsverständnis, das bereits von den kon-

kreten Gegenständen der Sinneswahrnehmung ausgeht.!”® Von der Kritik muß Kaysers überzeugende Analyse der Wielandschen Erzähltechnik hingegen ausgenommen bleiben: an Fielding geschult erschafft Wieland einen persönlichen, fiktiven Erzähler, der das Geschehen vermittelt, strukturiert und den Leser einbezieht. Neben die Fıktion des Romangeschehens tritt die

des Erzählers. Der Erzähler überblickt bereits am Anfang die gesamte Geschichte und erzählt im Bewußtsein und Wissen um ihren weiteren Verlauf. Er wechselt häufig die Perspektive - zum Helden, zum Leser, zu weiteren

Figuren, zum Gesamten der Erzählung - und erreicht damit eine große Lebendigkeit des Erzählten. Er kann über längere Passagen losgelöst vom Handlungsverlauf über ein Problem, auch über persönliche Erfahrungen reflektieren. Der Leser wird zu seinem Partner, den er unmittelbar anspricht, den er vertrauensvoll mit ın das Erzählen einbezieht, mit dem er

aber auch zu spielen vermag. Erzähler und Leser sind den Figuren und dem Geschehen überlegen und durchschauen es. Ein verändertes Verhältnis zur Sprache ist impliziert: sie ist nicht mehr eindeutiges Instrument der Mitteilung, sondern wird im Bewußtsein ihrer Mehrdeutigkeit verwandt, Andeuschaftlichen Modell des »Bildungsromans« vgl. Hartmut Bildungsroman« in der deutschen Literaturwissenschaft. ten Modellbildung und ein Gegenentwurf. In: Michael literarischen Strukturwandels. Tübingen 1991. [Studien

Laufhütte: »Entwicklungs- und Die Geschichte einer fehlerhafTitzmann (Hrg.): Modelle des und Texte zur Sozialgeschichte

der Literatur Band 33], S.299-313.

1%6 Wolfgang Kayser: Entstehung und Krise des modernen Romans. Stuttgart 1955. 197 Ebd., S.12. 198 So zeichnet z.B. Ian Watt für England den » Aufstieg einer Gattung« nach. Ian Watt: Der bürgerliche Roman.

Aufstieg einer Gattung. Defoe — Richardson — Fielding. Aus

dem Englischen von Kurt Wölfel. Frankfurt/M. 1974.

Der deutsche Originalroman 1750-1770

83

tungen und Ironisierungen sind möglich. Eine zweite Bedeutungsdimension erschließt sich: der Erzähler vermag die Perspektive der Handelnden zu zeigen, aber auch von ihr losgelöst die Romanfıguren zu kritisieren, zu durchschauen, liebevoll zu ironisieren, was die Vertrautheit mit dem Leser

noch steigert. An den Leser werden neue Anforderungen gestellt: er muß die Rollenspiele und Perspektivenwechsel des Erzählers und das Verhalten der Romanfıguren durchschauen, darf dem Wort des. Erzählers nicht mehr blind vertrauen, muß seine Andeutungen verstehen. Dieser Unterscheidung von Sein und Schein liegt ein differenziertes Verständnis der Welt und der Menschen zugrunde, wie Kayser ausführt: »Das wahre Sein, ihre (der Figuren im >Don SylvioRoman-Typen« zuzuordnen. Die Romane dieser Übergangszeit sind jeweils im einzelnen auf ihre Uminterpretation hin zu analysieren, von vielen Seiten her einzukreisen, aber kaum eindeutig klassifizierbar.« (S.42). 29% Max Götz: Der frühe bürgerliche Roman in Deutschland (1720-1750). Diss. München 1958 [Masch.], S.21, 23.

Der deutsche Originalroman 1750-1770

85

daß, aufgrund der schrittweisen Befreiung aus poetologischen Normen, das Charakteristische des Romans ım 18. Jahrhundert sein Synkretismus und seine Adaptionsfähigkeit darstellen. Gerade weil sich das Einzelne häufig scheinbar leicht subsummieren läßt, sollte es den wissenschaftlichen Argwohn erwecken. Der moralische Robinson, erschienen 1724, ist kein Roman,

sondern eine gelehrte moraltheoretische Abhandlung, die mit der ausgesprochenen Beliebtheit der Robinsonaden beim Publikum spekuliert.?% Doch von derlei marktorientierten »Verkleidungen« ganz abgesehen: nichtfıktionale lebenspraktische, gesellschaftliche, auch technische Expositionen in einer Vermischung mit Fiktionalem widersprechen um die Mitte des Jahrhunderts nicht der Gattungserwartung. Als Romane figurieren in den zeitgenössischen Buchmarkt-Katalogen Reiseberichte, Lebensbeschreibungen, Biographien, Briefwechsel gelehrter und erbaulicher Art, kulturkritische Reflexionen, Erzählungen in Anlehnung an traditionelle Erzählstoffe, aber auch Dramen, Epen und Verserzählungen. Weder ın der Romanpraxis noch in der Theorie war »Roman« ım 18. Jahrhundert ein präziser Begriff, vielmehr war eine Vielzahl von Termini in Gebrauch. Die Romantıitel tragen Bezeichnungen wie »Historie«, »Geschichte«, »Leben«, »Erzählung«,

»Begebenheiten« oder »Briefe«. Die Romane mußten sich dem Käufer so vielversprechend wıe möglich präsentieren, denn das Buch erschien ın der Regel anonym und wurde in nicht aufgeschnittenen Lagen verkauft. Die Vielfältigkeit der literarischen Praxis zeigt ihre gewonnene Unabhängigkeit und eigenständige Behauptung gegenüber poetologischen und lıteraturkritischen Normen und gerade darın liegt ihre spezifische Bedeutung für bewußtseinshistorische Fragestellungen. Den Bibliographen dagegen stellt der fluktuierende Charakter der Gattung vor erhebliche Probleme. Die erste deutsche Romanbibliographie für das 18. Jahrhundert, die sich ein wissenschaftliches, historisch-kritisches Gattungsverständnis zugrundelegt, wurde von Christine Mithal und Ernst Weber erstellt. Weber und Mithal erfassen in ihrer Bibliographie Deutsche Originalromane zwischen 1680 und 17802% alle in den zeitgenössischen bibliographischen Quellen als Romane verzeichneten Texte und kennzeichnen diejenigen, die von dem durch die zeitgenössische poetologische und literaturkritische Diskussion festgeschriebenen Gattungskonsens abweichen. Durch diesen Theorie wie Praxis berücksichtigenden weiten Rahmen wird eine vorschnelle Gattungsdefinition vermieden und nähere wissenschaftliche Klassifikation ermöglicht.?” ?® Hierauf weisen Mithal und Weber in ihrem Vorwort hin. 1983, S.59. 20° Mithal, Weber 1983. 277 Ebd., S.53-68. Vgl. auch Ernst Weber: Wechselwirkungen zwischen Gattungsbiblio-

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Der Roman des Barock und der Aufklärung

Mit den flexiblen Gattungsgrenzen ist nicht das einzige Problem der Romanbibliographen des 18. Jahrhunderts benannt. Es ist immer wieder dar-

auf hingewiesen worden, daß jegliche Zahlen zu Umfang und Differenzierung der Buchproduktion ım 18. Jahrhundert unpräzise sein müssen, sofern sie auf den beiden großen, Anfang des 19. Jahrhunderts entstandenen Bibliographien zur Buchproduktion ım 18. Jahrhundert, Kayser und Heinsius, beruhen. Beide Werke sind erstellt auf Grundlage der Frankfurter und Leipziger Meßkataloge und vernachlässigen daher den Teil der real erschienenen Publikationen, der abseits der großen Messen gehandelt wurde.2%8 Häufig ist deswegen eine bedeutend höhere Romanproduktion als die bibliographisch überlieferte angenommen worden. Mithal und Weber haben aus diesem Grunde zu den Meßkatalogen weitere Quellen hinzugezogen: Sortiments- und Lagerkataloge der Buchhändler, Meßverzeichnisse, Auktionskataloge von Privatbibliotheken, Gattungsbibliographien, Buchhändlerzeitschriften, Verlagsanzeigen im Anhang von Romanen, Rezensıonsorgane. Vor allem die Lager- und Sortimentskataloge, die als Universalkataloge konzipiert und auf Vollständigkeit hin angelegt waren, erwiesen sich als zentrale bibliographische Quellen. Bei ihrer Auswertung stellte Weber fest: »Ein Vergleich der Romanlisten in den genannten Katalogen mit Bibliotheksbeständen, Antiquariatskatalogen, Katalogen von Privatsammlungen bzw. Auktionskatalogen des 18. Jahrhunderts führt zur Korrektur des verbreiteten Irrtums, daß ım 18. Jahrhundert Romane auf den

Markt gekommen seien, die bibliographisch nicht mehr nachweisbar sind. Das Interesse der Verleger, ihren finanziellen Einsatz mit Gewinn zurückzuerhalten, ließ sich nur durch überregionale Werbung, wie sie die genannten Kataloge darstellen, erreichen. Von daher ıst die Annahme, es habe eine

Diskrepanz zwischen Romanproduktion und bibliographischer Notierung

graphie und Literaturwissenschaft am Beispiel einer Bibliographie zum Roman des 18. Jahrhunderts. In: Hans-Henrik Krummacher (Hrg.): Beiträge zur bibliographischen Lage in der germanistischen Literaturwissenschaft. Referate eines Kolloquiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft Deutsches Literaturarchiv Marbach a.N. 5.-7. März 1980. Im Auftrag der Ständigen Arbeitsgruppe für germanistische Bibliographie herausgegeben von H.-H. K. Boppard 1981. [Kommission für Germanistische Forschung. Mitteilung 3], $.257-279; 5.275.

208 Vgl. Helmuth Kiesel, Paul Münch: Gesellschaft und Literatur ım 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Markts ın Deutschland. München 1977, S.180 und Hans-Joachim Koppitz: Zur Bibliographie der deutschen Buchproduktion des 18. Jahrhunderts. In: ZBB 9 (1962), S.18-30 sowie Martin Fontius: Zur lıterar-

historischen Bedeutung der Messekataloge im 18. Jahrhundert. In: WB S.607-616.

7 (1961) 3-4,

Der deutsche Originalroman 1750-1770

87

bestanden, ziemlich unwahrscheinlich.«?® Mithal und Weber zeigen, wie

die beiden Dekaden vor 1770 sich als eigenständige Phase in der Romangeschichte des 18. Jahrhunderts abzeichnen. In den Jahrzehnten 1750-1770 erfolgt beinahe eine Verdoppelung der Veröffentlichung von deutschen Originalromanen gegenüber den vorangehenden zehn Jahren: 144 Romane (davon 57 nicht mehr nachweisbar) 1750-1759 gegenüber 74 (davon 30 nicht mehr nachweisbar) 1740-1749. Seit 1690 war die Rate relatıv konstant

bei einer Publikation von um die 50 Titel pro Jahrzehnt geblieben und nur nach 1740 leicht angestiegen auf 74. In der Dekade zwischen 1760 und 1769 ist ein leichter Rückgang der Romane von 144 auf 110 (davon 41 nicht mehr nachweisbar) zu verzeichnen, vermutlich als Folge des Siebenjährigen Krieges. Eine erneute Verdoppelung gegenüber dem Sprung nach 1750 gibt es nach 1770: bis 1780 erscheinen 284 Romane (davon 106 nicht mehr nach-

weisbar).?!° Insgesamt sind nach den Berechnungen der beiden Bibliographen noch etwa zwei Drittel der ermittelten Originalromane ın deutschen Bibliotheken nachweisbar. Wenn, wıe ın den meisten Fällen, nur noch eın

Exemplar eines Titels existiert, so sind die erheblichen Kriegsverluste der Grund und nicht die immer wieder angeführte Behauptung, Romane seien im 18. Jahrhundert keine Sammelobjekte gewesen, denn alle Bücher waren im 18. Jahrhundert teuere Wertgegenstände. Ein weiterer Problemkomplex für die wissenschaftliche Bibliographierung des deutschen Romans im 18. Jahrhundert ist ebenso durch traditionelle Fehlurteile belastet. Im Zusammenhang mit der Geringschätzung der eigenen Literatur und Dichtung dieser Epoche ging man in Deutschland lange Zeit von der Abhängigkeit des deutschen Romans von englischen und französischen Vorbildern aus.?!! Obwohl die Forschung zum 18. Jahrhun29 Weber 1981, S.272. Mithal und Weber konnten zeigen, daß Kayser und Heinsius zwischen zwei Drittel und drei Viertel der von ihnen verifizierten Originalromane enthalten. (1983, $.23; $.50-53). Koppitz (1962) war davon ausgegangen, daß Heinsius für

die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts nur etwa 20% und Kayser für die zweite Jahrhunderthälfte ca. ein Drittel der angenommenen real erschienenen deutschen Buchproduktion erfaßt. 210 Mıthal, Weber 1983, S.79. 1 Die alte Auffassung findet sich pointiert bei Martin Greiner: Die Entstehung der modernen Unterhaltungsliteratur. Studien zum Trivialroman des 18. Jahrhunderts. Herausgegeben und bearbeitet von Therese Poser. Reinbek 1964, $S.24. Vgl. auch F.H. Oppenheim: Der Einfluß der französischen Literatur auf die deutsche. In: Wolfgang Stammler (Hrg.): Deutsche Philologie im Aufriß. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von W. S.3 Bände. Berlin 1957-1969, 2., überarbeitete Auflage. Band 3. 1962, Sp. 1-106; Sp. 47-65 und ebd. Horst Oppel: Der Einfluß der englischen Literatur auf die deutsche. Sp. 201-307; Sp. 230-244.

88

Der Roman des Barock und der Aufklärung

dert heute die Eigenständigkeit der nationalen Kulturen erkannt hat, sprechen nach wie vor Forschungsbeiträge von deutscher »Rückständigkeit« oder »Verspätung«.?!? Sowohl die charakteristische Prägung und der Verlauf der einzelnen nationalen Aufklärungen als auch die Entwicklung der jeweiligen Nationalliteraturen waren so unterschiedlich wie die jeweiligen Gesellschaften, in denen diese Prozesse stattfanden. In Deutschland wurde eine politisch aktive Aufklärung erschwert durch die politische, kulturelle und religiöse Zerrissenheit des Landes. Die deutsche Aufklärung konzentrierte sich einerseits auf das Reformerische und Praktikabel-Erreichbare, andererseits auf die theoretische Durchstrukturierung und Fundamentalisierung ihrer Ideen.?!3 Selbstverständlich darf die Betrachtung literarischer Phänomene 12 Z.B. Peter Uwe Hohendahl: Der europäische Roman der Empfindsamkeit. Wiesbaden 1977, S.65. Vgl. hierzu auch das Vorwort zu der Anthologie »Gallo-Germanica«, in der die Herausgeber zwar den »übernationalen Geist« und die »Internationalisierung der Germanistik« seit 1945 loben, aber die »punktuellen Darstellungen« wie die »großangelegten Synthesen« kritisieren, die »gerade ın der Vergangenheit nur allzuoft dazu gedient haben, die vermeintliche Überlegenheit des einen Landes über das andere nachzuweısen.« »Viele der bei solchen Beweisführungen angewandten Kategorien,« so Heftrich und Valentin, »wie etwa »Verspätung«, »Vorsprung« etc. werden noch heute ın aller Naivität benützt, obwohl

man ıhnen wissenschaftliche Relevanz absprechen muß.« E. Heftrich,

J.-M. Valentin (Hrg.): Gallo-Germanica. Wechselwirkungen und Parallelen deutscher und französischer Literatur. (18.-20. Jahrhundert). Nancy 1986, S.3-5; $.3f. 213 Werner Schneiders (1990) beklagt die Geringschätzung der deutschen Aufklärung und plädiert für deren eigenständige Identität: »Die Aufklärung scheint für manche geradezu eine englisch-französische Bewegung gewesen zu sein, die erst später auch nach Deutschland übergriff und dort, wie Freunde und Feinde der Aufklärung gelegentlich unisono suggeriert haben, aus irgendwelchen Gründen mehr schlecht als recht nachgeahmt wurde. Sie war ein später Import in ein unterentwickeltes Land, wobei sie, wie nicht wenige meinen, zu einer sogenannten gemäßigten Aufklärung depotenziert und vor allem in politischer Hinsicht (angeblich mangels Mannesmut vor Fürstenthronen) verwässert wurde. [...] Falls man also nicht mit einem doppelten Aufklärungsbegriff arbeiten will, nämlich mit einem weiten für England bzw. Frankreich (Aufklärung seit Bacon oder Descartes) und einem engen für Deutschland (Aufklärung seit Wolff oder Lessing), läßt sich die deutsche Aufklärung in ihrer Eigenart und Eigenständigkeit weitgehend aus sich selbst verstehen [...].« ($.29f.) Vgl. auch Schneiders’ Aufsatz »Akademische Weltweisheit. Die deutsche Philosophie im Zeitalter der Aufklärung«, ın dem er das Typische der deutschen Aufklärung mit den Philosophien Frankreichs und Englands kontrastiert. (In: Gerhard Sauder, Jochen Schlobach (Hrg.): Aufklärungen. Frankreich und Deutschland im 18. Jahrhundert. Band 1. Heidelberg 1986. [Annales Universitatis Saraviensis. Reihe: Philosophische Fakultät Band 19], S.25-44) sowie zur generellen Problematik eines Vergleichs der nationalen Aufklärungen die Anthologie: Siegfried Jüttner, Jochen Schlobach (Hrg.): Europäische Aufklärung(en). Einheit und nationale Vielfalt. Hamburg 1992. [Studien zum achtzehnten Jahrhundert Band 14].

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nicht bei den eigenen nationalen Grenzen stehenbleiben und den übernationalen kulturellen Horizont ausblenden. »Eine bestimmte Nationalliteratur«, schreibt der große Komparatist Werner Krauss, »steht in jedem Augenblick ıhrer Entwicklung in einem von andern nationalen Literaturen gebildeten Einflußfeld. Es genügt nicht, ihr Werden allein aus ihrem Verhältnis zur eigenen Tradition und Geschichte herzuleiten.«?! Doch eindimensionale, qualitative Vorstellungen von Niveauunterschieden und gelingenden oder ausbleibenden Normerfüllungen führen am Problem vorbei. Ein Phänomen der »Fehlrezeption«?"? ist nicht existent. Literarische Rezeption ist jeweils als Einzelprozeß zu untersuchen, in dem ein Werk in den differenziertesten Frakturen und Amalgamierungen angeeignet wird. Ausbleibende Rezeption von Fremdem ist eher Zeichen nationaler Eigenständigkeit als Zeichen des Tiefstandes einer Kultur, bloße Nachahmung eher Zeichen kultureller Defizite als Zeichen des Einklanges mit der internationalen intellektuellen Avantgarde. Die national eigenständigen Formen sind keine »Fehlformen«, sondern Ausdruck des spezifischen Be-

wußtseinszustandes einer nationalen Gesellschaft. Ä Die deutsche Frankophilie der ersten Jahrhunderthälfte, die vor allem ın der höfischen Kultur gepflegt wurde, wich seit der Mitte des Jahrhunderts langsam einer bürgerlich orientierten Anglophilie. Die deutsche Dichtungstheorie begann schrittweise mit den Dogmen des französischen Klassizismus zu brechen, gleichzeitig wurde die englische Literatur und Philosophie vorbildhaft.?!° Doch englische und französische Einflußsphäre durchdrangen einander noch bis weit ın die zweite Hälfte des Jahrhunderts. In der Romanliteratur unterscheidet sich Deutschland im 18. Jahrhundert

von Frankreich und England wie in kaum einer anderen Kunstform oder Gattung, daher sind die Romane hervorragende Quellen der spezifischen deutschen Bewußtseinslage ım 18. Jahrhundert. Unbestritten erreichten weder die deutschen Übersetzungen noch die Bearbeitungen und Adaptionen der großen französischen und englischen Romane die ästhetische Komplexität ihrer Vorbilder. Hugo Friedrich zeigte 1929 ın seiner Untersuchung über Prevost in Deutschland, wie die subtile Psychologie in der Histoire du 214 Werner Krauss: Probleme der vergleichenden Literaturgeschichte. In: Werner Krauss: Perspektiven und Probleme. Zur französischen und deutschen Aufklärung und andere Aufsätze. Neuwied, Berlin 1965, S.9-22; S.12.

75 Walter Göbel: Über einige Widersprüche der englischen Empfindsamkeit im europäischen Vergleich. In: Arcadıa 23 (1988), S.42-63; S.63. 216 Vgl. Peter Michelsen: Entgrenzung. Die englische Literatur im Spiegel der deutschen im 18. Jahrhundert. In: Peter Michelsen: Der unruhige Bürger. Studien zu Lessing und zur Literatur des achtzehnten Jahrhunderts. Würzburg 1990, $.283-314.

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Der Roman des Barock und der Aufklärung

Chevalier des Grieux et de Manon Lescault (1731) in Deutschland ignoriert wurde. Die Anarchie der Affekte, die bedingungslose, existentielle Leidenschaft zwischen Manon und Des Grieux wurde in der Übersetzung wie in der Umarbeitung des Romans ausgeblendet und transformiert. »Im deutschen Roman«, so Hugo Friedrich, »ıst das keine Liebe aus Dämonie und

aus den Unfaßbarkeiten des Sympathischen, nicht eine Beziehung des Mannes von Stand und Ehre zu einer Frau von Schönheit und Grazie, sondern

die verinnerlichte Achtung des Rechtschaffenen vor der Sittsamen.«?'7 Die deutschen Romanautoren, die sich die Romane von Richardson,?'8

Fielding,?!°? Marivaux??° und Prevost??! aneignen, sind etablierte Literaten wie Gellert, Wieland und La Roche, die die Texte in ihrer Originalsprache

lesen. Ihnen steht die große, anonyme Zahl derjenigen Autoren gegenüber, in deren Texten englisch und französisch Entlehntes selten und nur oberflächlich, als Trıbut an eine literarische Mode erscheint. Einer undifferen-

zierten >»Höhenkamm«-Rezeptionsgeschichte müssen solche >inferioren« Phänomene notgedrungen entgehen. Bezeichnenderweise finden die wenigen ans Plagiatorische grenzenden Romane, für den vorliegenden Zeitraum dıe Texte von Hermes, Musäus und Opitz als Nachahmer Fieldings, Rıchardsons und Sternes,??? durchaus die Aufmerksamkeit der Forschung, da der literaturwissenschaftliche Vergleich mit den Originalen einen schnellen, probaten und ergebnisreichen Zugriff garantiert. Im Sinne der altbewähr217 Hugo Friedrich: Abbe& Prevost ın Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Empfindsamkeit. Heidelberg 1929. [Beiträge zur neueren Literaturgeschichte NF 12], S.84. 218 Vgl. Lawrence Marsden Price: On the Reception of Richardson ın Germany. In: JEGP 25 (1926), S.7-33 und ders.: Die Aufnahme englischer Literatur in Deutschland 1500-1960. Bern, München

1961, S.169-186.

21% Vgl. Kathleen Harris: Beiträge zur Wirkung Fieldings in Deutschland (1742-1792). Diss. Göttingen

1960, S.59-64 und Harald Bräuner: Die Suche nach dem

»Deutschen

Fielding«. Englische Vorlagen und deutsche Nachahmer in Entwürfen des Originalromans (1750-1780). Stuttgart 1988. [Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik Band 199]. 220 Vgl. Roswitha Kramer: Marıvaux’ Romane in Deutschland. Ein Beitrag zur Rezeption des französischen Romans in Deutschland im 18. Jahrhundert. Heidelberg 1976. [Studia Romanıca Heft 29]. 221 Vgl. Friedrich 1929. #22 Johann Timotheus Hermes: Geschichte der Miß Fanny Wilkes so gut als aus dem Englischen übersetzt. Leipzig: bey Johann Friedrich Junius: 1766 und Sophiens Reise von Memmel nach Sachsen. Leipzig: bey Johann Friedrich Junius: 1770-1772; Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. R*** in Briefen entworfen. Eisenach: Verlegts Michael Gottlieb Griesbach: 1760-1762; Christian Opitz: Geschichte des Herrn Wilhelm von Hohenberg und der Fräulein Sophia von Blumenthal. Nach dem Geschmak Herrn Fieldings, ın vier Büchern beschrieben. Langensalza: ın Johann Christian Martini Verlag: 1758.

Der deutsche Originalroman 1750-1770

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ten, traditionellen Einflußphilologie liegen hier - neben Wieland - die lıterarischen Höhepunkte der Epoche, während die zahllosen übrigen Romane kaum Anlaß zu näherer Untersuchung geben. Dagegen müssen mentalitätshistorische Fragestellungen, die an der Differenzierung von national spezifischen Bewußtseinslagen interessiert sind, umgekehrt die Iıterarische Imitation vernachlässigen zugunsten der — wenn auch nach etablierten ästhetischen Maßstäben geringzuschätzenden — national eigenständigen und eigenartigen literarischen Produktion. Ohne Zweifel war das Interesse der deutschen Romanleser an den Werken des Auslands groß, das zeigen die rasche Übersetzung der Romane Richardsons, Marıvaux’ und Prevosts zwischen 1730 und 17602? und der

erhebliche Anteil von Übersetzungen an der gesamten Romanproduktion. Zwischen 1750 und 1770 waren etwa die Hälfte der in Deutschland erscheinenden Romane Übersetzungen.??* Neben Direktübersetzungen gab es zahlreiche Weiterübersetzungen englischer Literatur aus dem Französischen - ins Französische wurde wegen der entwickelten französischen Übersetzungskultur schnell und intensiv übersetzt -, aber auch viele Titel, die als

Übertragungen oder Bearbeitungen aus dem Englischen deklariert wurden, doch von französischen Autoren stammten.2??° In Deutschland, das ım 18.

Jahrhundert keine Übersetzungstheorien oder -schulen besaß,22° gab es Übersetzungen in Kenntnis des Originals, Übertragungen aus beiden Sprachen mit mehreren Textvorlagen und stark plagiatorische Bearbeitungen anderer Übersetzungen. Es ist evident, daß besonders zwischen 1750 und 1770, einer Phase der Gleichzeitigkeit von französischer und englischer Romanmode, der gesamte Komplex von Übersetzung, Bearbeitung, Zweitübersetzung und marktstrategisch fingierter Übersetzung zwischen den drei europäischen Nationalkulturen den Bibliographen vor erhebliche Schwie-

> Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux: La vie de Marianne ou Les aventures de madame la comtesse de ***. 1731-1742, erste Übersetzung 1738. Antoine-Francois Prevost d’Exiles: Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescault. 1731, erste Über-

setzung 1756. Samuel Richardson: Pamela, or Virtue Rewarded. 1740, erste Übersetzung 1742. Clarissa; or the History of a Young Lady. 1748, erste Übersetzung 1748-1751. The History of Sir Charles Grandison. 1753/1754, erste Übersetzung 1754/1755. 224 Mıthal, Weber 1983, S.70f. > Vgl. die Bibliographie von Wilhelm Graeber und Genevieve Roche: Englische Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts in französischer Übersetzung und deutscher Weiterübersetzung. Eine kommentierte Bibliographie. Herausgegeben und eingeleitet von Jürgen von Stackelberg. Tübingen 1988. 22° Vgl. ın der von Jürgen von Stackelberg verfaßten Einleitung der oben genannten Bibliographie $.17-19.

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Der Roman des Barock und der Aufklärung

rigkeiten stellt, und dies um so mehr, da Verleger und Buchhändler häufig

keinerlei Angaben über Übersetzungen machten. Die Epigonalıtät des deutschen Romans zwischen der Mitte und dem Ende des 18. Jahrhunderts kann, ebensowenig wie die übrigen etablierten literaturhistorischen Verdikte, nicht ohne die Analyse zahlreicher individueller Einzelphänomene behauptet werden. Doch weil die beharrlichen traditionellen Kategorien niemals wirklich in Frage gestellt wurden, blieb eine solche Untersuchung bisher aus. Im folgenden soll der Versuch gemacht werden, den germanistischen Teufelskreis von immer wieder sich selbst bestätigenden Wertungen zu durchbrechen, indem nicht zuletzt besonderer Wert auf diejenigen Aspekte eines Textes gelegt werden soll, ın denen er von Normen abweicht — seien sie nun zeitgenössischer oder literaturwissenschaftlicher Provenienz.

IV. GESCHICHTEN VOM LEBEN UND LIEBEN: DAS SPEKTRUM DER ROMANE ZWISCHEN 1750 unD 1770

1. Die Lebensgeschichten Der größte Teil der zwischen 1750 und 1770 erschienenen Romane erzählt eine Lebensgeschichte — die Lebensgeschichte ist der dominierende narrative Iyp dieses Zeitraums. Gattungsgeschichtlich gehört er der niederen Historien-Tradition an. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts knüpfen die Avanturierromane, die von dem Lebensweg eines gesellschaftlichen Aufsteigers handeln, noch deutlich an die pikarische Erzähltradition des 17. Jahrhunderts an. Ihre Bezeichnung geht zurück auf den 1695 erschienenen Roman Den Vermakelyken Avanturier des Holländers Nicolaas Heinsius,

der 1714 unter dem Titel Der kurtzweilige Avanturier ins Deutsche übersetzt wird. Mit dem Erfolg von Daniel Defoes The Life and strange surprizing adventures of Robinson Crusoe (1719), dessen Übersetzung 1720 von fünf Verlagen gleichzeitig herausgebracht wird und rasch zahlreiche Neuauflagen erlebt, erfährt die Avanturiermode in Deutschland einen kräftigen Impuls. Die historisch-typologische Abgrenzung der beiden Romantypen Avanturierroman und Robinsonade - beiden liegt das Erzählmodell

der Lebensgeschichte zugrunde - bereitet spezifische Schwierigkeiten. Die germanistische Diskussion definiert Robinsonaden ım Sinne des Defoeschen Prototyps durch eine insulare Situation im funktionalen Zentrum der

Erzählstruktur, die den Helden vor die materielle und psychische Problematik des Überlebens

in der wilden Isolation stellt. Avanturierromane, in

denen die Insel nur als Motiv, als ein episodisches Element ihres AbenteuerRepertoires ohne spezifische Funktion für die Handlung erscheint, sollen davon unterschieden werden.??” Doch ım zeitgenössischen Verständnis sind beide Romantypen kaum zu trennen: so erscheint 1724 ein Nachdruck des Avanturiers von Heinsius unter dem Titel Der Niederländische Robinson.2? »Die Robinsonade«, schreibt Jürgen Fohrmann in seiner RobinsonadenMonographie, »geht ganz in der abenteuerlichen Lebens- und Reisegeschichte auf.«?? 27 Vgl. Jürgen Fohrmann: Abenteuer und Bürgertum. Zur Geschichte der deutschen

Robinsonaden im 18. Jahrhundert. Stuttgart 1981. Fohrmann diskutiert die Literatur zur Gattungsproblematik S.8-18 und S.48-54. 228 Vol. Jacobs 1983, $.75. 2? Fohrmann 1981, S.48.

94

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

Vom pikarıschen Roman übernehmen die Avanturierromane die elementare Erzählform: die dynamische episodische Struktur mit häufigem Schauplatzwechsel (das Leben als Reise), die autobiographische Ich-Erzäh-

lerhaltung und die prätendierte Faktizität (»wahrhaftige Begebenheiten«). Doch die in ıhnen verarbeiteten Ideen gehören ganz dem Bewußtsein des

18. Jahrhunderts an. Der frühere Sınn geht verloren, wenn die alte Form mit neuen Vorstellungen gefüllt wird. Der Avanturier ist nicht mehr gesellschaftlicher Außenseiter wıe der Pıkaro, er stammt vielmehr aus wohlha-

bender bürgerlicher Familie und findet durch seine weltliche Klugheit am Ende zu einer angesehenen, stabilen Position ın der Gesellschaft. Der Sinn

seines Lebens ıst nicht der Betrug der betrügerischen Welt — er glaubt mehr an Vernunft und Tugend als an das Schicksal und gestaltet sein Leben selbst. Er handelt aktiv, ist nicht mehr passiv der Macht der fortuna ausgeliefert.

Schicksalsschlägen begegnet er mit Rationalıtät, constantia und Gelassenheit. Er lebt nicht im unüberbrückbaren Zwiespalt mit der Welt, sein am Ende erreichtes Ziel ist vielmehr die Integration ın die Gesellschaft, ıst die

stabile bürgerliche Existenz. Besteht die Moral des Pikaro ın Betrug und Brutalität, so sind die moralischen Ideale des Avanturiers Ehrbarkeit, Red-

lichkeit, Fleiß und Erwerbsstreben, Solıidität und Reputation. Er stellt sie ın einer Anzahl von Fährnissen und Abenteuern — Seereisen, Schiffbruch, Duell, Krieg, Gefangenschaft, Liebesaffären, Berufswechsel — unter Beweis.

Die grausame, undurchschaubare fortuna-Regierung der pikarischen Welt wird im Avanturierroman ersetzt durch ein höhere, gerechte Vorsehung, die die arbeitsame Redlichkeit des Helden mit dem Erreichen seines Zieles belohnt.”

Noch klarer dominiert die Lebensgeschichte nach der Jahrhundertmitte das zeitgenössische Gattungsverständnis.??”! Unter dem Namen der Lebensgeschichte versammelt sich Disparates: phantastische, märchenhaft-groteske Abenteuergeschichten ebenso wie milıieurealistische, leitbildhafte Karrierelaufbahnen für Studenten, Handwerker und Kaufleute, dramatische Lie-

besverwicklungen, Ehegeschichten und Reisebeschreibungen ebenso wie Reflexionen über das Leben,

die, anhand

exemplarischer

Lebensstationen

angestellt, die Romanhandlung in den Hintergrund drängen können. Das

20 Vgl. Dieter Reichardt: Von Quevedos »Buscon< zum deutschen »Avanturier«. Bonn 1970. [Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatıstik Band 7], S.108-139. ”1 Vgl. hier auch Freudenreich, die behauptet, daß der Roman als Lebensgeschichte bereits in den vierziger Jahren im »Zentrum der Gattungsauffassung« stehe. Carla Freudenreich: Zwischen Loen und Gellert. Der deutsche Roman $.52.

1740-1747. München

1979,

Die Lebensgeschichten

95

Profil des Romans zwischen der Jahrhundertmitte und 1770 ist geprägt durch ein breites Spektrum von Mischformen verschiedenster Erzähltraditionen, die sich fast alle die narrative Struktur der Lebensgeschichte geben. Barocke Sprach- und Dichtungsformen verbinden sich mit Motiven der Avanturierromane wie der großen englischen und französischen Aufklärungsromane, mit volkshaften Erzählelementen und Formeln der zeitgenössischen moraltheoretischen Traktatliteratur. Im Ganzen betrachtet überwiegt Uniformität die Originalität. Wegen der ausgeprägten Konventionalität werden die scheinbar geringfügigen individuellen Nuancen eines Textes entscheidend für sein Verständnis und seine Beurteilung. Gerade darin liegt die spezifische Problematik einer Ordnung und Interpretation der Romane zwischen 1750 und 1770. Das Nicht-Konforme, Neue und Eigenständige ist hinter der prätendierten Konformität mit den bewährten, sanktionierten Erzählnormen nur schwierig wahrzunehmen. Da das Typische der Romanliteratur zwischen 1750 und 1770 gerade ihr Synkretismus darstellt, ist eine ausschließliche Anordnung kaum zu erstellen. Die folgende Gruppierung von Romanen ist daher nicht im Sinne einer strengen Typo-

logie zu verstehen, sondern als Darstellung zentraler Tendenzen, von denen ein Text immer mehrere auf sıch vereinigt. Viele Romane weisen sowohl deskriptive, präskriptive wie reflektierende Passagen auf, ein Aussteiger-

Held kann nach seiner Rückkehr von der Insel noch zum Aufsteiger werden und eine Liebesgeschichte kann gleichzeitig auch Lebensgeschichte sein. a) Das deskriptive Leben Im Zentrum dieser Romane steht die realistische, detaillierte Beschreibung

der verschiedenen Orte und gesellschaftlichen Milieus, die der Held auf seiner Lebens-Reise kennenlernt. Die Landschaften und Städte mit ıhren Sehenswürdigkeiten und historischen Gegebenheiten,

ihrer Kultur, ihren

Sitten und ihrer Mentalität, ihrer Geschichte und Regierungsform werden ebenso beschrieben wıe die Lebensumstände einzelner Menschen, deren Elternhaus, Erziehung, Ausbildung, Liebesverbindungen, Begegnungen

und Schicksalsschläge. Soziale Bedingungen werden so aufmerksam

und

gründlich mitgeteilt wie geographische, historische und kulturelle Zusammenhänge.??? 2 Starke deskriptive Tendenz weisen neben den hier zitierten Romanen ebenfalls auf: Der Reisende Buchbindergeselle, oder merckwürdige und höchstbewundernswürdige FATA eines Reisenden Buchbindergesellen, so ıhm in Deutschland, Franckreich Holland,

%

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

Der Roman Die wirkliche Geschichte eines Teutschen bey der dreyzehnjährıgen Entfernung von seinem Vaterlande?? beschreibt die dreizehnjährige Reise eines Leipziger Posamentierers durch Deutschland, Österreich,

Ungarn, die Schweiz und Italien, zunächst als Handwerker, später als Soldat in kaiserlichen, schweizerischen, spanischen und neapolitanischen Diensten. Der Reisende, als Sohn »redlicher« lutherischer Eltern am 7. April

1724 ın Leipzig geboren, lernt das Seidensticken und geht 1742 auf Wanderschaft. Als es bei einem Posamentierer in Berlin zu Auseinandersetzun-

gen mit einem Handwerkskameraden kommt, zieht er weiter nach Breslau und von dort, auf einen »Verschreibungsbrief« des kaiserlichen Hofposamentierers Carlipp hin, nach Wien. Von Carlıpp wechselt er bald zu einem neuen Meister, Herrn Kuhn. Er verliebt sich ın dessen Tochter und erweckt,

als er ihre Gegenliebe erfährt, den Neid des alteingesessenen Lehrlings Lindauer. Dieser intrigiert mit Erfolg beim Meister gegen den Leipziger Kollegen, so daß der Erzähler weiterzieht. Seine Reise führt ihn nach Preßburg, wo er einen Kaufmann kennenlernt, mit dem er auf der Donau nach

Ungarn weiterreist. Zurück in Wien geht er ın den Dienst des französischen Meisters Werchier. Nachdem sein alter Dienstherr Kuhn doch noch in die

Heirat mit seiner Tochter eingewilligt hat, stellt sich plötzlich ein reicher Bewerber aus Edinburgh ein. Kuhn bricht sein Wort und zeigt den Erzähler beim Rat von Wien als Verführer seiner Tochter an. Dieser versteckt sıch,

wird gefunden, gefangengenommen und verhört. Durch Bemühungen eines Advokaten kommt er frei, wırd aber aus dem Gefängnis von einem Soldatenwerber gewaltsam nach Baden weggeführt. Er wird »durch Oesterreich, Steyermark, Kärnthen, Crayn, Tyrol, das Venetianische, Mantuanische, bis

Parma« gebracht und dort »bey dem Regimente Piccolomini enroulliret«. Auf einem Feldzug ın Italien desertiert er, reist zurück nach Wien und begibt sich auf Wanderschaft in die Schweiz. Er läßt sich dort vom spanischen Heer anwerben,

desertiert wieder und wandert weiter, geht in kai-

serliche, und, nach einigen kriegerischen Aktionen, wieder in spanische Dienste und kämpft mit den Spaniern ın Italien. Nach Belagerungen, Eroberungen und Verwüstungen befährt er als Soldat das tyrrhenische und das Engeland, Italien und sonderlich in Portugall ın der heiligen Inquisition begegnet, und wie er durch Vorbitte der Königin alda vom Feuer erlöset worden, von ıhm selbst aufgesetzt. Stockholm

1753; Leben und Begebenheiten

des Herrn

Otto

Carls von Moldau,

eines

Teutschen Edelmanns, Seiner Merckwürdigkeit halber heraus gegeben von D.G.V. Dresden, Leipzig: bey Friedrich Hekel: 1752; Leben des Mastrichter Mahler Michaels. welcher sowohl seine besonderen Reisen als merkwürdige Begebenheiten zum Vergnügen der Welt vor Augen leget. Dresden: bey Johann Nicolaus Gerlach: 1756. 29 Frankfurt, Leipzig: ın der Biesterfeldischen Buchhandlung: 1759.

Die Lebensgeschichten

97

adriatische Meer, zuerst von Genua aus für die Spanier, dann von Neapel aus für die neapolitanischen Truppen. Nach seiner Rückkehr nach Neapel nımmt er endgültig Abschied vom Heer und reist nach Rom. Von dort aus wendet er sich der Heimat zu und kehrt, nach zweijährigem Aufenthalt im Dienst des Generals von Henneberg in München, nach Hause zurück, wo

er sich als Handwerker niederläßt: »Ich kannte noch die redlichen Mienen meines alten Vaters, die unveränderten Züge in dem Gesichte meiner Mutter, und unterscheidete noch die Bildung meiner Geschwistere. Nur ich war einem jeden von ıhnen unkenntlich und fremde. Mein Herz wallte bey ihrer

Ungewißheit Freude, und mein Auge floß in sanften Thränen. Ich umarmte erst den grauen Alten, und sprach: mein Vater! Er weinte, und sagte: mein Sohn. Ich küssete dıe wertheste Mutter, und küßte ohne zu reden. Sıe

thränte und küßte wieder. Nun kannte sie mich, und sprach: — —- ach Sohn! Um mich her hiengen Brüder und Schwestern ın zärtlichen Umarmungen. So rührend war der lange Augenblick, der uns anıtzo einander wieder gab. Wir wurden mit jeder Minute vertraulicher, und jedes war begierig, meine Schicksale zu hören. Ich erzehlte dieselbigen in etwas, und erzehlte eine halbe Nacht. Die Meinigen hörten unter Thränen zu, und bedauerten meine mühseligen Jahre. Doch wir beruhigten uns in unserm Leben. Ich belieb einige Zeit zu Hause; sodann fand ich in dem nährenden Leipzig, welches arbeitsame Fremdlinge mildthätig erhält, mein ruhiges Brod, allwo ich nach dem Rathe der Vorsehung, mein Grab erwarten werde.«?”* Auch der Erzähler des Romans Der reisende Weltweise oder wunderbare Begebenheiten und seltsame Schicksale M.*** P.’* mit nutzbaren Anmerkungen und merkwürdigen Nachrichten?” fühlt sich strenger Sachlichkeit verpflichtet und beschreibt genau seine Lebensstationen und Reisen. In der Vorrede heißt es: »So gros die Menge dererjenigen Romänen, Liebesbegebenheiten, seltsamen Schicksale, Robinsons und dergleichen, welche, nach

dem heutigen Geschmack der Welt heraus kommen, auch ist, so gering ist doch die Anzahl derer, welche zugleich nützlich und lesenswürdig sind. Ein gros Theil dieser Bücher bestehen aus einer Sammlung übel gedachter und

wenig zusammenhängender Erdichtungen, die sogleich beweisen, daß es lauter Träume des Verfertigers sind. [...] Eine Begebenheit, die Liebhaber finden soll, muß wohl zusammenhängende Begebenheiten, nützliche An-

merkungen, und eine feine fliessende Schreibart ın sich fassen und geringe Umstände auf das geschwindeste vorüber gehen. [...] Sonderlich werden die Beschreibungen des Zustands auswärtiger Völker, der Verfassung blü24 Ebd., S.221f. 25 Frankfurt, Leipzig 1766.

98

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

hender Städte und Länder dem Leser zugleich nützlich und angenehm seyn.«?°° Nach Absolvieren eines Studiums der Philosophie heiratet der Erzähler, doch er verliert Frau und neugeborenes Kind bei der Geburt. Mit diesem Verlust treibt es ıhn ın die Welt, seitdem läßt er sich nirgendwo mehr lange nieder und bleibt immer ein Reisender. Er bereist die Niederlande, Belgien, Portugal, dıe kanarischen Inseln, Ostindien, einige afrikanische In-

seln und dort aus wärtiger sozialen

England. Am Ende des Romans zurück in Amsterdam plant er von weitere Reisen. Ebenso mitteilungswürdig wie »der Zustand ausVölker, die Verfassung blühender Städte und Länder« sind ihm die Umstände eines Lebens. Besonders diejenigen der Jugendzeit fin-

den seine Aufmerksamkeit. Auf einer Schiffsreise nach Portugal lernt er den

Reisenden und Abenteurer Herrn Stephani kennene, dessen Lebensgeschichte so beginnt: »Gros zu thun ist gar meine Sache nicht, fing er zu erzählen an. Ich könnte meine Eltern, von denen ıch herstamme, wohl zu Kauf-Leuten machen. Aber, die Wahrheit zu sagen, sie waren von geringem

Stande. Mein Vater war ın einem grossen Dorfe ein fleissiger Drescher, welcher sich’s sauer werden lies, um sıch, sein Weib und Kinder ehrlich

hinzubringen. [...] Meine Mutter aber war gerade das Gegentheil vom Vater. Sie war würklich das in ihrem ganzen Umfange, was man eine Schlappe und Brandteweins-Bulle in Deutschland nennt! [...] Sie sorgte daher gar

wenig vor den Haushalt und wenn ıch nebst meiner Schwester nackend hätte laufen sollen. [...] Wir Kinder gingen zerlumpt umher; [...] Er kehrte

also das Rauhe heraus, und fing sie an Knebel tüchtig zu klopfen. Weil sie wurde er noch hitziger, und ein Schlag und tod niederstürzen eins war. Der

mit dem an seinem Gürtel hangenden aber allerhand Bewegungen machte, gerith am Kopf so übel, daß schlagen Vater huckte sie auf, trug sie nach

Hause, legte sie aufs Bett. Aber da war kein Leben mehr zu spühren, ohnerachtet niemand von uns oder den Nachbarn dergleichen geglaubt hatte. [...] Er lies sie also liegen, zog seinen besten Kittel an, und ging zum Haus

hinaus in die weite Welt, ohne uns etwas zu sagen, befahl vielmehr uns, auf die Mutter acht zu haben. Er kam auch nicht wieder zum Vorschein, sondern nach etlichen Wochen sagte man im Dorfe, daß er unter die kayserli-

chen Soldaten in einer bekannten Stadt gegangen sey. [...] Nun waren wir Kinder ın den elendesten Umständen. [...] Endlich erbarmte sich die Fräuleıin auf dem Schloß noch über meine Schwester und nahm solche zu sich, weil sie 13 Jahr und ganz gut aussahe. Ich war nur 12 Jahr, doch grösser wie

dieselbe. Meiner nahm sich niemand an. Ich logirte in der Schenke und

26 Ebd., S.3f.

Die Lebensgeschichten

99

wartete den Gästen auf. Weil ich auch von meinem Vater auf der Zitter ein paar Stückgen klimpern lernen, so leyerte ich den Gästen was vor, welche mir dann und wann einen Dreyer dafür gaben.«?”

Die Lebensgeschichten mit ausgeprägter >deskriptiver< Tendenz nehmen ihren Ausgang häufig von einer Lebenssituation, die dem Leser vertraut ist: es sind sehr oft Handwerker und Kaufleute, die sich auf Reisen begeben. Indem sıe fremde Länder und neue Milieus erfahren, ihre individuelle Le-

benswelt erweitern, demonstrieren sie eine gewisse soziale Mobilität und Initiative. Sie schreiten über den ihnen zugewiesenen Platz in der gottgewollten altständischen Ordnung hinaus, gestalten ihr Leben selbst und erfahren auf ihren Reisen andere Formen der Lebensbewältigung. Anderer-

seits deutet die Logik von Ruhe, Unruhe und eventuell wiedergefundener Ruhe in einer Lebensgeschichte auf innere Instabilität und Ungewißheit. Fast immer begibt sich der Held nach einer tiefen Enttäuschung (verlorene Liebe, falsche Anschuldigungen, Intrigen) fluchtartig auf Reisen. Häufig kommt er nach mühevollen Jahren erschöpft da wieder an, wo er aufgebrochen ist. Das Ich ist sıch seiner selbst, seines Ziels und Plans ın der Welt

nicht gewiß und verkörpert genau das Gegenbild zum aufklärerischen Menschenideal, das bewußt und rational handelt. Die Romane neigen explizit weder zu der einen noch zu der anderen Deutung, sie beschreiben bloß. Doch gerade darın liegt ihre spezifische, neue Aussage. Die einzelnen un-

vorhersehbaren Begebenheiten und Umstände geben die Erklärungen für ein Leben — nıcht mehr übergeordnete metaphysische Prinzipien. b) Das präskriptive Leben Einige Lebensgeschichten stellen ein Milieu des zeitgenössischen Alltags ın ihr Zentrum. Ihre Absicht ist konkrete Lebensbewältigung ın einem spezifischen gesellschaftlichen Bereich. Die Zentralfigur ist kein rastloser Reisender auf der Suche nach neuen Erfahrungen, sondern eine Figur des All-

tags, ein Kaufmann, Student oder Handwerker, der von den Problemen und Konflikten seines konkreten Lebens berichtet. Deren Darstellung soll dem

Leser ın ähnlicher Situation Orientierungshilfe geben. So heißt es in der Vorrede von Karl Friedrich Troeltschs Geschichte eines Kandidaten oder die Sıtten und Schicksale junger Gelehrten in Zween Theilen von T.2?®: »Studirende und Kandidaten werden viel nüzliches hierinne lesen. Sie werden 27 Ebd., S.104-107.

28 Frankfurt, Leipzig: bey Georg Peter Monath: 1753.

100

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

für den Thorheiten des akademischen Lebens gewarnet. Man zeiget ihnen,

wie man auf Akademien eine wahre Freiheit und ein glükseeliges Leben haben könne. Vielleicht können ıhnen auch die Begriffe vom Studiren nüzen.«?”?

Pragmatische Nützlichkeit und didaktische Zweckhaftigkeit sind die Zentralforderungen der zeitgenössischen Romantheorie und gehören zum

Standard der Romanvorreden. Doch die Romane des fraglichen Zeitraums lösen diesen Anspruch nur selten im Sinne einfacher Applikabilität von aufklärerischen Verhaltensnormen ein. Ihre Hauptfiguren sınd fast immer krisenhafte Gestalten, angetrieben von einer unsteten, ziellosen Suche nach Glückseligkeit. Die Nützlichkeitsbekundungen kontrastieren nur zu häufig mit dem Romangeschehen und sind offensichtliche Konzessionen an die Forderungen von Kritik und Theorie. Nur wenige Romane übersetzen die Forderungen nach Pragmatismus und Didaxe im Sinne von Verhaltensempfehlungen in konkreten Lebenssituationen unmittelbar ın die Fıktion. Es sind dies Romane, dıe sich den Charakterportraits der Moralischen Wochenschriften annähern. Nicht selten bedienen sich auch die Moralischen Wochenschriften der Selbstportraits und Lebensläufe, um Themen des gesellschaftlichen Lebens darzustellen.” Wie sie präsentieren auch die Ro-

mane mit ausgeprägter »präskriptiver< Tendenz lehrhaft nützliche Wahrheiten aus dem häuslichen und beruflichen Lebensbereich. So thematisiert Troeltschs Geschichte eines Kandidaten die Schwierigkeiten, als Jurist eine sozial und ökonomisch stabile Position in der Gesell-

schaft zu erwerben.?*! Der Roman beginnt mit dem Verhängnis des Vaters, das den Sohn wie eine Bedrohung durch sein Leben begleitet: »Mein Vatter war ein Candidat, der es endlich mit unendlichen Harren dahin gebracht,

daß man ıhm die Anwartschaft auf ein mittel mässiges Amt verlieh; wiewohl er den grösten Theil seines Vermögens daran wenden muste. Dieses so ungewisse Glücke bewog doch seinen Nachbar, daß er ihm seine Tochter

zur Ehe gab, welche meinen Vater ausserordentlich liebte. Eine geringe Hülfe von meinen mütterlichen Groß-Eltern erhielt diesen liebreichen Eheleuten das Leben. Nach deren Tod waren ıhre Umstände noch betrübter,

und alles was sie ererbten, war nicht mehr als 1000. Gulden. Dieses geringe 29 Ebd., Bl. 11f. 240 Vgl. Martens 1968, S.285-287 und ders.: Moralische Charaktere. In: Wolfram Grod-

deck, Ulrich Stadler (Hrg.): Physiognomie und Pathographie. Zur literarischen Darstellung von Individualität. Festschrift für Karl Pestalozzı zum 65. Geburtstag. Berlin, New York 1994, S.1-15.

#1 Vgl. auch Ernst Webers Bemerkungen zu Troeltschs Roman 1974, S.150-155.

Die Lebensgeschichten

101

Geld machte ihre ganze Hofnung aus, und es war eine unschuldige Ursach an meiner Eltern Tode. Die grosse Mühe, die sich mein Vater gab, solche

einzufodern, als er sıe eben nicht entbehren konnte, raubte ıhm das Leben.

Er war bei der Eintreibung dieses Geldes mit seinem Schuldner in einen starken Wortwechsel

gerathen, welcher ın Thätlichkeiten

ausbrach, und

meinen unglücklichen Vater in den schönsten Jahren tödete. Ich war damahls nur 2. Jahre alt, und hate das Unglück meine Mutter kurz darauf zu verliehren, welche ihren liebenswürdigen Ehegatten nicht gar 4. Wochen überlebt, so sehr hatte sıe dessen Verlust niedergeschlagen.«?? Der Sohn schlägt die Laufbahn des Vaters ein und erfährt dieselben Rückschläge und

Widrigkeiten: Abbruch des Studiums aus Geldmangel, schlechtbezahlte Hofmeister-, Erzieher- und Übersetzerstellen, Ablehnungen, Korrumpierungsversuche. Doch weil er trotz Krisen tugendhaft bei Ehrlichkeit, Un-

bestechlichkeit und Fleiß bleibt, kann er das väterliche Schicksal abwenden: er bringt es schließlich zu einem Gut, zu Vermögen, Ansehen und einer

Stelle als Jurist. Das Ende des Romans ist eine selbstgefällige Apologie seıner belohnten Tugendhaftigkeit und Verdienste: »Gott hat uns bisher die Gnade angethan, alle Unglüks-Fälle von uns abzuwenden. [...] Nichts störet unsere Ruhe, da wir gesund, einig und bemittelt snd. Ich empfinde ohne Unterlaß die Annehmlichkeiten einer geliebten Frau. Ich bin kein Müssiggänger. Ich studire, ich schreibe, ich prakticire. [...] Meine Zufriedenheit äussert sich insonderheit darinnen, daß ich nichts mehr wünsche, und daß

ich glaube den höchsten Gipfel einer zeitlichen Glükseligkeit erreichet zu haben. Wenn man gesund ist, Geld, eine vollkommene Frau und Freunde hat, und einen guten Ansaz hat, so ist man gewiß ın diesem Zustande. Meine Dankbarkeit flieset theils aus meiner Zufriedenheit, theils aus den Pflichten, die ich so wol überhaupt, als insbesondere unter meinen Umständen zu beobachten habe. [...] Gott erweise mir ferner die Gnade, die er mir so reichlich verliehen hat! Er erfülle mein Herz allezeıt mit einer ächten Zufriedenheit. Ich sei ihm allezeit dankbar, indem ich die Pflichten der Religion zu seinem Vergnügen ausübe. Ich wünsche, daß diese Geschichte zur Aufnahme der Tugend etwas beitrage, weil sie solche zum Zwek hat. Wolgesittete Kandidaten mögen daraus lernen, daß es zwar schwär sei, durch blose Verdienste glüklich zu werden, daß aber dieses

Glüke unausbleiblich seı, und daß es eine wahre Glükseligkeit in sich begreiffe. ENDE.«2*”

#42 'Troeltsch, Geschichte eines Kandidaten 1753, S.1f. 3 Ebd., S.808.

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Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

Troeltschs Geschichte eines Kandidaten ist einer der wenigen Romane nach 1750, der realistische, alltäglich-lebensnahe Tugend-Exempel präsen-

tiert und damit den gattungspoetologischen Forderungen der zeitgenössischen Aufklärung vollkommen entspricht.?* Es wirft ein bezeichnendes Licht auf Lessing als Aufklärer, daß er in seiner Rezension in der Berlinischen privilegierten Zeitung (83. Stück, 12. Juli 1753) Troeltschs Roman als Werk von Rang lobt: »Der Verfasser muß ein eben so schöner als gründlicher Geist seyn; er erzählt, er schildert, er moralisiert, so daß er Lesern

von Geschmack gefallen wird. Studirende und Kandidaten werden sehr viel nützliches aus seiner Geschichte lernen können. Er warnt sie für den Thor-

heiten des akademischen Lebens, und zeigt ihnen wie man auf Akademien eine wahre Freyheit und ein glückseeliges Leben haben könne. Auch die eingestreueten Begriffe vom Studiren sind so beschaffen, daß sie nicht ohne Nutzen seyn werden.«?*

c) Das reflektierte Leben

Die einfache, lineare Struktur der Lebensgeschichte erlaubt es dem Erzähler, über längere Passagen ein Problem zu erörtern, ohne daß damit das

Romangeschehen verwirrt oder gestört würde. Reflektierendes GewißWerden über das eigene und anderer Menschen Leben gehört zur immanenten Poetologie vieler Lebensgeschichten nach der Jahrhundertmitte. Doch es werden nicht nur grundsätzliche anthropologische Probleme thematisiert, sondern auch alltägliche lebensweltliche Fragen.?*

24 Tjeselotte E. Kurth, die in ihrem Aufsatz über Troeltschs Romane vor allem auf

deren romantheoretische Vorreden eingeht, schreibt über die »Geschichte eines Kandidaten»hohen«

literarischen

Traditionen,

Motiven und Bildern mit historischen und naturwissenschaftlich-geographischen Gegebenheiten und Zusammenhängen. Bereits die Titel und In-

haltsangaben der Romane veranschaulichen dies: Wunderbare Reisen eines Philosophen in die sehr unbekannten Länder des Mondes, der Lampeninsel, der schwimmenden Inseln, der glückseligen Inseln, der Hölle, der Insel der

Träume, der Antipoden, in die Republik der Thiere, in die Insel der Pyrandrier, ın das Land der Arpactier, in das Königreich Numisamcıa, in die Insel

der Poeten, und ın die Insel der Pygmeen.?°° »Innhalt der Reisen. Absicht des Verfassers. Er steigt ins Schiff; kommt ın eine Insel des Oceans. Seine Reise in den Mond. Seine Ankunft in der Lampenisel. Er wird von einem Wallfisch verschlungen und hält sich einige Zeit darinn auf. Streit der schwimmenden Inseln. Fortsetzung der Reise. Ankunft in den glücklichen Inseln. Beschreibung der Hölle. Insel der Träume. Verschiedne erstaunende

Begebenheiten. Ankunft bey den Antipoden. Die Republik der Thiere. Die Huldigung, die sie dem Fenix leisten. Ankunft des Verfassers bey den Antipoden. Schlacht zwischen den Thieren und den Wilden. Durch Vermittlung des Verfassers wird Friede gemacht. Ankunft in der Insel der Pyran-

drier. Das Königreich Numismacıa. Insel der Poeten; Insel der Pygmeen. Rückkunft des Verfassers in seine Heymath durch Hülfe der Zauberer.«?°! Sehr häufig wird die Darstellung der Realıtät durchdrungen von irrealmärchenhaften Elementen, die an Unterhaltungs- und Volkslesestoffe vor-

angehender Jahrhunderte erinnern. So erzählen Des zu Wasser und Lande weit und breit herumreisenden und weltberühmten

LEONHARDI MIRIFICI,

eines Americanischen Passagiers, seltsame und sehr merckwürdige Begeben-

#0 Frankfurt, Leipzig 1765. #1 Ebd.,$.4. Vgl. auch: Der auf einem ledernen Gaul weit und breit herum reitende aber nicht allzuweit gekommene Ritter von Hasenfuß, Worinnen nicht alleın Dessen sehr wunderliche Lebens-Art sondern auch gethane curieuse und lächerliche Reisen beschrieben sind, Welche dem begierigen Leser zum Vergnügen entworfen. Frankfurt, Leipzig: 1751.

106

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

heiten,

Worinnen

nicht allein dessen wunderliche

mit vornehmen

Frauen-

zimmer gespielte Liebes-Händel angemercket, sondern auch dessen ausgeübte Heldenthaten ausführlich zu lesen sind, Welche der curieusen Welt zum Vergnügen entworffen D. N. H.>? von Leonhards Abenteuern, die ıhn von Frankreich nach Spanien und Portugal führen, von dort auf die Inseln Teneriffa, Palma, »auf die Bermudischen Insuln«, auf die »Insul Bahama« und

schließlich in das Königreich Florida, wo er als General des Königs seın Leben beendet. Er schließt Freundschaften und Ehen, gerät in Duelle und Gefangenschaften,

fährt als Kapıtän, später als Admiral

zur See. Auf den

Bermudas wird er wegen falscher Anklage zum Galgen verurteilt und befreit, aber als Sklave auf die Insel Bahama gebracht. Aus dieser tiefsten Lebenskrise gerät er durch ein Wunder: ihm wird »auf der Insul Bahama des Nachts von einem Geiste ein Schächtlein mit einer kostbaren Salbe

übergeben [...], wormit er der Gräfin de Reina Hirsch-Geweyhe, welches aus ihrer Stirn gewachsen, vertreibet«.??? Mit solcherart Zauberkräften ausgerüstet wird Leonhard zum Günstling der Könige. In Florida heilt er »eine vornehme Weibes-Person« von demselben Leiden, und als er als General

die Kanadischen Armeen besiegt, kann er sıch der Ehre des Hofes von Florida gewiß seın. Nicht selten weisen Lebensgeschichten, die ausgeprägte Züge von diesseitigem, pragmatischem Realismus und detailgetreuer Zeitgenossenschaft tragen, gleichzeitig phantastisches Repertoire auf: Geister und Kobolde, die Gespenster von Verstorbenen, Zauberer in Zauberwäldern, Zwerge und Riesen als Bewohner ferner Territorien, verwunschene Tiere, Wassermänner und Wasserfrauen, mit einem geheimnisvollen Zauberfluch belegte Schlösser, Universalmedizinen und Wunderkuren, sonderbare Krankheiten und alchımistische Tinkturen, aus denen man Gold herstellen kann.?”* Die Wunder-Erscheinungen werden als kausale und pragmatische Elemente bruchlos in das irdische Geschehen integriert, weder der Erzähler noch die

Romanfiguren stellen die Geschlossenheit der erzählten Fiktion ın Frage. »2 Frankfurt, Leipzig 1751. >>

Ebd., S.116.

+ Vgl. auch: Lebensbeschreibung der Europäischen Robinsonetta in einem moralischen Roman, zum Nutzen und vergönneten Zeitvertreib, nach allen ihren wahrhaften Umständen entworfen, von V —. Frankfurt, Leipzig 1752. Sonderbare Lebensgeschichte der Deutschen Baniese. Leipzig: bey Friedr. Gotthold Jacobäern: 1752. Der jüdische Robinson beschrieben durch Jezer Ben Achrach Pfleger der Schulen zu Constantinopel, ın India, Arabia, Persien und Egypten, und Deutinger der Juden Gesez-Buchs und Dolmetscher aller Sprachen in Orient. Trankebar: im Jahr der Welt: 5808 [Leipzig: Müller:

1759]

Die Lebensgeschichten

107

e) Das Aufsteiger-Leben

Der Aufstieg zu sozialem und beruflichem Erfolg ist ein häufiges Thema in den Lebensgeschichten-Romanen. Der Erzähler des Romans Die bewundernswürdige Gunst des Glücks, oder wahrhaftige und ganz zuverläßige Lebens-Beschreibung eines Menschen, welcher von dem niedrigsten Stande bis fast zum höchsten Gipfel der Ehren gestiegen ist, und der seine Tage erst gegen die Mitte des jetzigen Jahrhunderts beschlossen hat. Nebst verschiedenen geheimen Umständen einiger sehr beträchtlichen Staaten?” zieht, dem

Sterben

nahe,

das

Resümee

seines

Lebens.

Obwohl

er

es

vom

schweizerischen Bauernsohn zum Gemahl der Kaisertochter von Persien gebracht hat, beginnt er seine Lebensbeschreibung mit den Worten: »Ich bin niemals vollkommen glücklich gewesen, ohngeachtet ich mit den Gütern des Glücks überschüttet war.«2°° Was er ın seinem Leben entbehrt hat,

ist die Nähe und Anerkennung seiner Familie ın der Heimat: »Ich habe

jederzeit gewünschet, vor den Augen meiner Anverwandten reich und mächtig zu seyn, und sie bey mir zu sehen, um mit ihnen meinen Reichthum theilen zu können; man mag nun diese Eitelkeit oder Zärtlichkeit für

dieselben nennen. So lange ich mit dem Glücke kämpfte, begehrte ich nıchts mehr, als daß mein Haus meinen Ehrgeiz und meinen Fortgang erführe; allein so bald ıch mich in einem Stande befand, welcher weit erhabener ist,

als ich jemals zu hoffen mich erkühnt hätte: so ist dieses Begehren, meine Freunde als Zeugen und Mitgenossen bey mir zu haben, eine Leidenschaft

geworden, und es wiederfuhr mir nichts glückliches, welches durch die Empfindung dieser Leidenschaft nicht war verbittert worden.«?”” Zum Schlüsselerlebnis im Leben des Erzählers wird die in seinen Jugendjahren offenbar gewordene hochadlige Abkunft. Eines Tages finden er und sein Bruder nämlich im väterlichen Haus eine Pergamentrolle mit fremdartigen, arabisch aussehenden Zeichen, die sie zu einem Asien-Kenner in Amsterdam, dem in Ostindien zu großem Reichtum gekommenen Herrn Kalb, bringen. Dieser teilt den Brüdern nach Untersuchung des Schriftstücks mit: »Erlaubet, daß ıch ın euch einen der ältesten Edelleute von der Welt umar-

me. Ich weıß keinen Adel, der so alt, als der eurige wäre, ausser nur bey den

Juden. Eure Vorfahren haben über mehr, als 2000. Jahre vor der Regierung des erstern Cyrus, auf dem Throne gesessen.«?°® Er überredet den Erzähler, > Frankfurt, Leipzig 1762. 36 Ebd., S.1.

#7 Ebd., S.1f. >8 Ebd., S.17.

108

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

mit ıhm nach Batavıa zu reisen, um dort ein reicher Mann zu werden. Kalb stirbt auf der Reise nach Java. In der Batavischen Kolonie angekommen,

überbringt der Erzähler Kalbs Witwe die schlimme Nachricht. Er verliebt sich ın deren Tochter, doch als diese seine Zuneigung erwidert, verhindert die Mutter mit einer Intrige die Verbindung, weıl sie sich selbst in den Besucher verliebt hat. Ihm werden Verführung, Betrug und Blutschande vorgeworfen, er wird angeklagt und gefoltert. Durch eine lebhafte Verteidigungsrede kann er die Räte von Batavia von seiner Unschuld überzeugen. »Von diesem Augenblick an«, schreibt er, »fieng ich an, mich nicht mehr, als den Sohn eines Bauers aus unserm Dorfe, zu betrachten. Ich erhob mich bis

zu den Vorfahren, welche uns unser Buch zueignete, und faßte den Entschluß, mich so hoch, als sie, zu schwingen,

oder ın der Bemühung

um-

zukommen.«?°° Er studiert Befestigungsbau und Heeresformation, reist nach Persien und gerät dort ın kriegerische und diplomatisch-politische Verwicklungen. Durch seine ehrgeizige Tüchtigkeit und Loyalität erwirbt er die Gunst des Kaisers. Als der Kaiser bemerkt, daß seine Schwester dem

Europäer zugetan ıst und erfährt, daß dieser »der Abkömmling von den ältern Königen einer Asiatischen Landschaft« ist,2° macht er ıhn 1742 zu seinem Schwager und versieht ihn mit hohen Hofämtern und militärischen

Kommandogewalten. Als nach drei Jahren Ehe seine Frau stirbt, wünscht sıch der Erzähler nichts mehr, als seinen Bruder wieder bei sıch zu ha-

ben. Sein Ehrgeiz und der Anspruch, seiner hochadligen Abstammung gerecht zu Ansehen,

werden, sein Ringen um Erfolg, um Reichtum, Macht und haben ihn auch im Alter nicht zu einem zufriedenen, glück-

lichen Menschen gemacht - im Gegenteil: »Ich bin niemals vollkommen glücklich gewesen, ohngeachtet ich mit den Gütern des Glücks überschüttet war.« — Was wäre aus dem »erlauchten Bauern«?°! geworden, wenn er nie von seiner königlichen Geburt erfahren hätte? Was, wenn er seine hohe Abkunft ignoriert hätte, statt sie als Anspruch und Verpflichtung zu verstehen ? Hätte er dann ein glückliches Leben geführt? Der Roman ımpliziert Fragen, ohne Antworten

anzudeuten.

Die einzige Gewißheit,

die er

vermittelt, ist die, daß hoher gesellschaftlicher Stand, Verdienste, Reichtum und Ansehen keine Glücksgarantien sind. Die bewundernswürdige Gunst des Glücks ist eine gesellschaftliche Erfolgsgeschichte mit krisenhaftem Unterton.

9 Ebd., S.46. 260 Ebd., S.267. 261 Ebd., S.1.

Die Lebensgeschichten

109

Auch die Lebensgeschichte Heinrich Löwenthals wahrhaffte und wunderbare Begebenheiten, Welche sich mit ıhm auf seinen Reisen in Deutschland, Pohlen, Franckreich, Holl- und Engelland; ingleichen in Afrika ereignet haben. Von ihm selbst beschrieben?® ist eine Aufsteigergeschichte mit kritischer Distanz zu dem am Ende erreichten gesellschaftlichen Stand. Heinrich bringt es vom Gastwirtssohn aus der Oberlausitz nach vielen Abenteuern, Reisen und Verwirrungen zum Schwiegersohn eines polnischen Magnaten und reichen Schloßherrn. Als sein Vater von dem Liebesverhältnis der Mutter mit dem Informator des Sohnes erfährt, ersticht er

den Nebenbuhler und flieht. Heinrich beginnt ein Medizinstudium und wird Leibarzt eines polnischen Magnaten. Er verliebt sich in dessen Tochter Victorine und wird, als er mit ıhr zusammen

entdeckt wird, zum Tode

verurteilt. Doch ıhr Vater begnadigt Heinrich auf dem Sterbebett und willigt in die Verbindung mit seiner Tochter ein. Victorine ist schwanger, sie und Heinrich heiraten und verlassen Polen. Auf der Reise werden sie überfallen und getrennt. Beide werden sich erst nach langen Jahren und vielen Reisen — am Ende des Romans — wieder begegnen. Heinrich wird Soldat und trifft irgendwann seinem Vater wieder. Als der Vater in die Lausitz zurückkehrt und dem Sohn von der Familie berichtet, nimmt Heınrıch dies zum Anlaß, über das Verhältnis von Glück und Stand zu reflek-

tieren. Seine Gedanken widersprechen jeder Aufsteigermentalität. »Ich erhielt des Morgens, nachdem ich aufgestanden war, einen Brief von meinen

Vater, in welchen er mich von einer glücklichen Ankunfft zu Hause benachrichtigte. [...] Diese Nachricht von meiner Familie war mir ungemein angenehm, und ich wünschte, daß ich mich mit meinen Geschwister in glei-

chen Umständen befinden möchte. Ich beneidete ihre Glückseeligkeit, welche sie in ıhren niedrigen Stande genießen konten, da ich hingegen weit unglückseeliger war, weıl ich mich in einen höhern setzen wollen. Der Leser wırd nicht übel nehmen, wenn ich hier die Frage aufwerffe, welcher

Mensch am aller glückseeligsten könne leben ? Man hat hierauf schon längst geantwortet: daß man nur in dem Mittelstande am vergnügtesten und glückseeligsten leben könne. Aber die tägliche Erfahrung zeiget das Ge-

gentheil, daß nehmlich der Mittelstand der allerelendeste und unglückseeligste sey. Wollen wir dem ersten Stand, in welchen sich Fürsten und Regenten befinden, ansehen, und solchen nach ihrer Unruhe Arbeit und Ge-

fahr betrachten, so muß ein jedweder, der nicht von deren Hoheit geblendet ist, gestehen, daß er der elendeste und unglückseeligste sey. Dennoch gehet

262 (0.0.] 1754.

110

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

der Mittelstand demselben am Elend, Verdruß und Arbeit vor. Denn, wie

blutsauer muß man es sich werden lassen, ehe man sich von denen gemeinen Menschen durch Ehre und Ansehen absondert? Wie vielem Verdruß muß man nicht ausgesetzt seyn, wenn man bald von Hohen und bald von Geringern an seiner mit vieler Arbeit erlangten Ehre und Ansehen gekräncket, gedruckt und verkleinert wird ? Und wie groß ist das Elend, wenn man sich

wegen der Ehre von denen meisten Menschen absondern, wenn man ihren unschuldigen Ergötzlichkeiten sich entziehen muß, und wenn man mit seinen Zustande nicht vergnüget und zufrieden ist. Denn die Menschen sind

von Natur so geartet, daß sie immer nach mehr Ehre trachten, wenn sie selbige einmahl geschmecket haben. So bleibet also der letzte und niedrige Stand der allerglückseeligste, ın welchem man der wenigsten Gefahr und Verdruß unterworffen ist, und wo man sich aller unschuldigen Ergötzlichkeit ohne Scheu bedienen kan. [...] Sind nicht die glückseeligsten Zeiten diese gewesen, da die eitle Ehrsucht, die Menschen noch nicht beherschte?

da man ohne Ehrsucht allen Menschen gleich war? Dieses waren meine Gedancken, welche ich über den Brief meines Vaters von dem vergnügten Zustande meiner Familie hatte, und den meinigen mit den ihrigen vergleichte. Sie hätten beynahe gemacht, daß ich aus Paris gegangen wäre, um mich ihres Zustandes theilhafftig zu machen, wann mich nicht die Liebe zu meiner Victorine davon abgehalten hätte.«2° Heinrich verurteilt den Ehrgeiz und den Wunsch nach gesellschaftlichem Aufstieg. Der niedrige Stand scheint ihm der angenehmste, weil der Mensch dort ohne Legitimierungsund Diskriminierungsanstrengungen wirklich glückselig leben kann. Hinter seiner Option für das einfache Leben steht die Sehnsucht nach der ursprünglichen

gesellschaftlichen

Gleichheit

aller Menschen.

Heinrich

ist

nicht nur der erfolgreiche Parvenu, sondern auch ein an seinen Lebensidealen zweifelnder Mensch, dessen enormer gesellschaftlicher Aufstiegswille und Ehrgeiz gebrochen werden durch das Bewußtsein von der Krisenhaftigkeit des gesellschaftlichen Zustandes. Neben Aufsteiger-Lebensläufen mit subversiven Akzenten gibt es auch eindimensional-lineare Karrieren wie die des »reisenden Edelmanns«, der

mit ungebrochenem adligen Standesbewußtsein versehen ist: Beschreibung eines reisenden Edelmanns, Welcher auf seiner Reise viele Fatalıtäten und Unglücksfälle ausgestanden; Endlich aber wieder zu hohen Ehren gekommen. Herausgegeben von H. N. D.?* Seine Reise und seine überstandenen Abenteuer dienen der Bestätigung seines edlen Menschentums. »Ich, als eın 29 Ebd., S.332-335.

24 [0.0.] 1756.

Die Lebensgeschichten

111

Edelmann,« beginnt die Vorrede, »der ich nicht willens war meine LebensZeit in meinem Vaterlande zu zubringen, sondern ın der Welt mir etwas versuchen und mein Glücke machen wolte. Ich war gebohren zu Flandern, und mein Vater war Rittmeister bey einen hohen Potentaten. Da ıch nun etwas erwachsen und meine Eltern mich in aller Stille auferzogen, und zu meinem Verstande gelangte, so gefiel mir das stille einsame Leben nicht, sondern wagete mich aus meinem Vaterlande, in fremde Länder hinaus,

wobey ich aber auf meiner Reise viele Fatalitäten und Unglücks-Fälle so wohl von Menschen als wilden und grausamen Thieren habe erfahren müssen, wie ich jetzo gleich den Anfang meiner Erzehlung machen will.«2% So endet seine Lebensreise entsprechend mit einem hohen Amt am königlichen Hof in England, nachdem er ın Wien von Kaiser Karl VI. in den Grafen-

stand erhoben wurde. Der reisende Edelmann reist zur weiteren Erhöhung seines hohen Standes, er reist im Bewußtsein, alle Widrigkeiten und Her-

ausforderungen des Lebens zu meistern und sein Schicksal gibt ihm recht. Zum hochgeehrten politischen Berater an einem Königshof avancıert auch der Erzähler des folgenden Romans, allerdings stammt er aus denkbar anderem Milieu als der »reisende Edelmann«. In den Wunderbare/n] und

seltsame[n] Begebenheiten eines Africanischen Schuster-Sohnes, Welcher zu Wasser und zu Lande viele Proben seiner Tapfferkeit und Großmuth gezeiget, durch solche sich bey Königen und Potentaten der Welt in grosses Ansehen gesetzet, und einen fast unsterblichen Ruhm

dadurch erlanget; Zu-

gleich aber auch vieles Elend und Dürftigkeit erfahren müssen, doch aber bis an sein Lebens-Ende, welches sehr wunderbar, voll auf zu geniessen gehabt, zum erstenmal ans Licht gestellet von Dem wohlbekaNnten Herausgeber:° werden die frühaufklärerischen Tugenden vorgeführt: Christentum, Initiative, Fleiß und Tüchtigkeit. Der afrikanische Held wird getauft,

lernt ein Handwerk, geht auf Reisen, bewährt sich im Krieg bis zum Generalsrang, übersteht mit Klugheit Intrige und Gefangenschaft und wird am Ende ein mit Reichtum versehener Freund des Königs von Arabien. Der Romanautor weiß sich sicher im Besitz der Begriffe von Anstand und

Nützlichkeit: »Meın Endzweck und Haupt-Absehen bey Herausgebung dieser wunderbaren und seltsamen Begebenheiten, zielen ebenfalls, gleichwiıe alle andere historische Schriften, dahin ab, nemlich die Gemüther derer

Menschen, und insonderheit die melancholischen Temperamente, welche wohl die schädlichsten und unangenehmsten sind, von ihrem unanständigen Wesen abzubringen, und in ihnen ein aufgemuntertes und erfreuliches Ge-

265 Ebd., 5.3. 26 Frankfurt, Leipzig 1750.

112

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

müthe zu erwecken, welches aus gegenwärtigen Vortrage selbsten mit meh-

rern erfolgen wird, welches alles denen Liebhabern nachstehender Historie von Hertzen anwünschet, D.N.HE.

Autor.«2

f) Das Aussteiger-Leben Die Robinsonade steht als Romantyp in enger Affinität zum Avanturierroman, der nicht selten auch eine Inselepisode enthält. Bei der Definition

der Robinsonade hat daher die Funktion der Insel für die narrative Struktur des Romans besondere Bedeutung. Ist sie bloß ein Motiv in einer Reihe von

zu bestehenden Widrigkeiten und Abenteuern? Oder thematisiert sie als Ort der »Abgeschlossenheit, Begrenztheit und »Dauer««?% anthropologische Fragen nach menschlichen Bedürfnissen und menschlicher Lebensbewiälti-

gung und damit die Konflikte von Gesellschaft und Isolation, von Zivilisation und Wildheit? Jürgen Fohrmann hat gezeigt, daß die Hochzeit der Robinsonadenmode in Deutschland ın dem hier untersuchten Zeitraum zwischen 1750 und 1770 liegt?° und daß nach 1770 eine neue Phase der Robinsonadenproduktion beginnt, die die Idee der Separationsutopie in ganz andere Bahnen lenkt und von Psychologisierung, Didaktisierung und prinzipiellem Optimismus ge-

prägt ıst.?7° Die deutschen Robinsons vor 1770 begeben sich, noch vom pikarischen Erbe geprägt, aus ganz unterschiedlich definierten Notsituationen heraus auf die Reise und folgen damit nicht Defoes Helden, der als Hasardeur sein wohlhabendes Elternhaus verläßt. Während beı Defoe die inneren,

psychischen und äußeren, technischen Vorgänge Robinsons bei der Lebensbewältigung im Zentrum stehen und am Ende die europäische Sozialordnung mit

ihren

bürgerlichen

Werten

der

Rationalıtät,

Klugheit,

Nützlichkeit

und Arbeit durch Robinsons Inselerfahrung als gottgefällig bestätigt wird, liegt der Schwerpunkt der deutschen Robinsonaden bei den insularischen Gemeinschaften, bei der Problematik des Zusammenlebens einer Gruppe vom Schicksal zusammengeführter Menschen in der Abgeschlossenheit.?”!

27 Ebd., S.7E. 268 Horst Brunner: Die poetische Insel. Inseln und Inselvorstellungen in der deutschen Literatur. Stuttgart 1967, S.237. 299° Fohrmann 1981, S.20-23.

2% Ebd., S.130-132.

?71 Vgl. Dietrich Grohnert: Robinson zwischen Trivialität und Sozialutopie. Bemerkungen zu Entstehung und Autorenabsicht deutscher Robinsonaden. In: WZPHP 16 (1972) 2, S.411-421 und Kurt Bartsch: Die Robinsonade im 18. Jahrhundert. Zur Rezeption des

Die Lebensgeschichten

113

Wie schon in Schnabels Insel Felsenburg geht es in den Robinsonaden zwischen 1750 und 1770 um soziale und psychologische Aspekte der menschlichen Gemeinschaft, um Liebe, Freundschaft und Gesellschaftsordnung. Die von Christian Gotthold Hauffe verfaßten Bewundernswürdige/n] Begebenheiten eines Uhrmachers, wie auch Dessen Reisen, Glück und Un-

glücksfälle auf dem Meere und unbewohnten Insuln, ingleichen Seine glückliche Zurückkunft in Deutschland?’? erzählen von Dietrich, dem Sohn eines Rechtsgelehrten,

den

der Vater

zum

Jurastudium

bestimmt

hatte.

Als

Dietrich eine Uhrmacherlehre beginnt, verflucht der Vater »alle meine Gebeine und Unternehmungen«, doch der Sohn ist mit seinem Entschluß »vollkommen zufrieden«.??”? Eines Tages heiratet sein gerade verwitweter,

über fünfzigjähriger Meister ein fünfzehnjähriges reiches Mädchen, Kunigunda. Die nur wenig ältere Tochter des Meisters, Louyse, in die Dietrich verliebt ist, verläßt daraufhin ıhr zu Hause und reıst zu ihrer Muhme nach

Minorca. Dietrich folgt Louyse, trifft sie aber auf Minorca nıcht an und wartet ein halbes Jahr vergeblich auf sie. Er heuert auf einem Schiff an, das in Richtung Antillen fährt und in eine Seeschlacht gerät. Beim Schiffbruch kann sich Dietrich mit einem Mitreisenden, Sıbildon, auf eine Insel retten.

Beide richten sich ein, bauen eine Hütte, jagen. Eines Tages werden Kisten an die Insel gespült, in denen Menschen sitzen: Afra, eine vornehme junge Frau, und ıhr Diener Caspari. Afra erzählt, daß sie die Braut eines türkischen Bassa gewesen ist. Eines Tages habe sie entdeckt, daß ihre Dienerin

Louyse sowohl mit ihrem Bräutigam wie mit ihrem Vater im Einverständnis war. »Da ich aber überlegte«, so Afra, »daß sie mit meinem Vater und Liebsten

eine Freundschaft

unterhielt,

welche

ich doch

fürchten

mußte,

konnte sie meine Freundinn nicht seyn, denn dieses ist wider die Regeln und Pflichten der Freundschaft.«?”* Als Afra Louyse zur Strafe auf eine

Insel bringen wollte, geriet das Schiff in Not und sie wurde an Dietrichs Insel geschwemmt. Dietrich erkennt durch weiteres Fragen, daß Afras Die-

nerin nur seine ÜUhrmachermeisterstochter Louyse sein kann und ist verzweifelt über deren Verhalten. Auf einer Erkundungstour durch die Insel trıfft er auf einen alten, frommen Einsiedler, Floscard, dem er sıch anvertraut. »Also ist meine Liebe unglücklich, und meine Reise vergebens. Der

»Robinson Crusoe« ın Deutschland. In: Uwe Baur, Zdenko Skreb (Hrg.): Erzählgattun-

gen der Trivialliteratur. Innsbruck 1984. [Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe Band 18], S.34-52. 272 Regensburg: bey Johann Leopold Montag: 1770. 3 Fbd., S.8. 2% Ebd., $.65.

114

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

Einsiedler antwortete: Gemeiniglich kommt unser Unglück von der Falschheit und Untreue oder ıhrer gar zu großen Tugend her, und dennoch lieben wir noch immer die Quelle unsers Unglücks. Ich aber habe mit ihrer Freundinn ein wahres Mitleiden, da sie in solche Hände gefallen, wo man weder auf Stand, noch Gottesfurcht und Tugend siehet, sondern nur den Wollüsten fröhnet. [...] Ich kenne ihr Gemüthe noch nıcht, antwortete ıch ıhm,

viel weniger ihre Gesinnungen. Und es heißt meines Erachtens viel gewagt, wenn man eine Person liebet, die man nicht kennet.«?” Als Dietrich zu seinen Freunden zurückkehrt, berichtet ihm Afra, daß Sibildon während

Dietrichs Abwesenheit gegen ıhn intrigiert und sie umschmeichelt habe. »Jetzt nun erzählte sie mir dessen Reden, und noch weit garstigere Sachen, an die ich nie gedacht. Ich sahe, daß die Liebe die Freundschaft aufhebet, und die Pflichten derselben nıcht beobachtet.«?° Unter dem Vorwand,

Schutz zu suchen, gelingt es Afra, Dietrich zu verführen — beide verbringen die folgende Nacht miteinander. »Weil die Sonne sehr heiß schien, setzten wir uns beyde unter einen Baum, und Afra sagte: Ich hörte diese schlimme Reden ohne Erröthen an, aber mein Herz litte doch gewaltig; weil er nun nicht aufhörte von Ihnen übel zu sprechen, so merkte ich fast, daß es Bosheit sey. [...] Nach meinem Schicksal konnten sie mich auch so beurtheilen.

Aber diese Brust (hier schlug sıe sich mit der Hand etwas stärker darauf, als sonst ein Frauenzimmer nicht thut, weil sie keine Schnürbrust trug) und mein Leib und alles, womit man Laster treiben kann, müßen bey meinem

Leben verfaulen, und alles stückweise abfallen, wenn eine Mannsperson etwas davon gesehen, oder mit meiner Bewilligung und Unvorsichtigkeit berühret hat. [...] Was aber mir künftig von ihrem Freunde widerfahren oder begegnen könnte, und wozu er, solches zu erlangen, meinen Bedienten selbst auf seine Seite zu bringen sich bemühet, und ich ihre geführte Reden selbst, ihnen unwissend, mit angehöret, ist mir bedenklich. Dahero gieng ich aus sie aufzusuchen, weil ich mich bey ihnen, da sie mich haßten, sıcherer zu seyn glaubte. Wäre es mir nun nicht gelungen, hätte ich mır einen

andern Aufenthalt auch bey den größten Gefahren gesucht, wäre aber selbiger von mır nıcht gefunden worden, so hätte ich mich gewis ersäuft. Denn

meine Ehre bey einem unbefleckten Leibe ist mein liebster und größter Schatz. Wie lange wollen sie denn, wertheste Afra, fragte ich sie, diesen Schatz noch bewahren ? Bis ein Würdiger kommt, der solches Gut zu schätzen weis, antwortete sie mır.«?’’ Das Paar beschließt, zusammen 5 Ebd., S.79f. ”° FEbd., S.82. 77 Ebd., S.82-84.

mit Flos-

Die Lebensgeschichten

115

card zu leben. Als Afra Floscard von Sıbildons Vertrauensbruch erzählt,

zeigt der alte Einsiedler wiederum Verständnis: »Sıbildon ist wahrhaftig, sagte Floscard, noch euer wahrer Freund, denn eine flüchtige Liebe macht nur öfters krumme Sprünge, dieweil sie blind ıst. Nun er sieht, daß er angeführt und von ihr hintergangen worden ist, meynt es seine Freundschaft gewis redlich, und seine Ankunft soll mir erfreulich seyn. Beschämte

und gewitzigte Freundschaft ist gemeiniglich die dauerhafteste. Ich habe hier, antwortete meine Gemahlınn, an ihrer und meines Gemahls Freund-

schaft genung, und also bin ich um jene unbekümmert. Meine Hochachtung wird gegen jene niemals sonderlich seyn. Ich werde sie wohl nicht hassen, aber auch nicht lieben. Um desto sicherer, sagte ich, macht man sich einen

Freund verbindlich, wenn man seine Vergehungen vergißt und sie nie erwähnet. Und dies heisset grosmüthig. Recht so, mein werther Dietrich, sagte Floscard.«?7® Man versöhnt sich und alle fünf ziehen gemeinsam ın die komfortable

Eremitenbehausung.

»Wir

[...]

unterhielten

eine

redliche

Freundschaft. Dabey vergassen wir, daß wir von der menschlichen Gesellschaft abgesondert leben mußten.«?”” Afra bekommt einen Sohn von Dietrich: Philipp Anton. Eines Tages verlassen Afra, Sıbildon und Casparı heimlich und ohne jede Ankündigung die Insel. Floscard stirbt aus Kummer über diesen Vertrauensbruch. Dietrich bleibt allein mit seinem Sohn auf der Insel zurück. Nach einem Unwetter trifft er auf eine Gruppe Frauen, denen er seinen Schutz anbietet. Zwei Schwestern, Livia und Antonia, machen Dietrich einen Antrag: »Wir wollen, wie sie, mit der Werbung keine

Weitläuftigkeiten machen und übergeben ihnen unsre Herzen ewig zum Besitze, Liebe und Hochachtung. Ich erstarrte über den unvermutheten doch höchst angenehmen Antrag, und konnte mich auch nicht einmal zum Reden entschlüßen. Seyn sie nun, fragte mich Antonia, ruhig und mit uns zufrieden ? Ich antwortete: Ja, und küßte sie beyde, welches sie gleichfalls

thaten, und also wurde dies merkwürdige und seltne Bündniß ertrotzet und lieblich geschlossen.«28° Als ein schweres, tagelang anhaltendes Unwetter hereinbricht,

sieht Dietrich

den

Zorn

Gottes

über

sich und

seine

zwei

Frauen hereingebrochen: »Itzt erwartete ich für mich mit stillem Geiste die gerechten Gerichte des Allmächtigen über die Sünden derer, die sich doch

seine Kinder nennen. Dahero glaubte ich, daß mein vertrauter Umgang mit 2 Frauenzimmern zugleich ıhm wohl nicht gefallen könne. [...] Sie waren itzt alle bey mir im Zelte, eine weinte, die andre seufztete, andre zitterten, 8 Fbd., S.99f. ?? Ebd., S.119. 23° Ebd., S.190.

116

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

und einige rungen dıe Hände. Antonia war unter allen die vergnügteste und geruhigste, so wie die Livia eine von den verzagtesten. [...] Nein, sagte

Antonia, darüber erzittert meine Tugend nicht einmal. Verbindungen und Gelübde müßen gehalten werden, so schwer sie uns auch ankommen sollten. [...] Unempfindlich oder von Eisen bin ich nicht, sondern ich weis, daß

ich zur menschlichen Gesellschaft erkohren bin. Ich billigte ihr Suchen, nur Livia sagte die wahre Beschaffenheit. Es komme, wie es wolle, meine Tu-

gend bleibt unbeweglich, will der Himmel sie wieder zu sich nehmen, hier ist sie ohne Furcht und Murren. Meine Freundschaft und Hochachtung ist gegen sıe die edelste, redlichste und aufrichtigste, und so verlangt es der Himmel; wie sollte er tadeln, was er gebiethet? Und warum sollte ich meiner Freundinn, die bey und neben mir manche Stunden durchwacht und manche Gefahr besiegen helfen, nicht gleiche Glückseligkeit gönnen ? wenn anders hier eine wahre Ruhe und feste Zufriedenheit zu hoffen ist.«2®! Die

glückliche Ehe zu dritt wird durch Livias plötzlichen Tod beendet. Antonia kommt mit einer Tochter nieder, Antonia Augusta. Eines Tages findet eine Seeschlacht zwischen französischen und englischen Schiffen vor den Ufern der Insel statt und die Seeleute kommen an Land, um ihre Schiffe auszu-

bessern. Auf einem der Schiffe befinden sich Antonias Bruder und Vater. Mit ıhnen verlassen Dietrich und seine Familie die Insel. Sie leben zuerst eine Zeitlang auf Minorca und lassen sich dann in London nieder. Als seine

Frau Antonia stirbt, geht Dietrich wieder auf Reisen. Eines Tages hört er von Sibildon und Afra. Er sucht Sıbildon auf, um die alte Freundschaft zu

erneuern und fragt nach Afra: »Ach, antwortete er: Sie ıst gegen mich die

artige und gefällige Afra gar nicht mehr, sondern meine Hölle und Fegfeuer auf der Welt worden.«?# Dietrich vermittelt zwischen den beiden Freunden, hilft bei ihrer Scheidung, regelt ihre Vermögensverhältnisse. Er und Afra empfinden immer noch Zuneigung füreinander. Am Ende leben die beiden in Gemeinschaft mit den Freunden: »Und wer würde auch nicht Freunde lieben und hoch halten, die redlich für unser Glück sorgen. Die Begünstigung des Himmels begleitet uns bey unsrer Redlichkeit, und wir hoffen, ja wir leben schon ın gewisser Zuversicht, daß unser Zustand so

dauren werde bis an das Ende.«?® Das glückliche Leben im Kreise der Freunde, Standard-Ende so vieler Romane des 18. Jahrhunderts, gerät hier ganz besonders unmotiviert.

Schließlich waren Dietrichs Bewundernswürdige Begebenheiten vor allem 281 Ebd., S.198f. 2822 Ebd., S.317.

23 Ebd., S.404.

Die Lebensgeschichten

117

tiefste menschliche Enttäuschungen, die er von Geliebten und Freunden erfahren hat: der Freund verrät ıhn aus Liebe zu einer Frau, die Frau verläßt

ihn und ıhr Kind plötzlich und unerwartet mit dem Freund. Freundschaft und Liebe sind im Leben aller Romanfiguren vorübergehende, kurzlebige Zustände. Das glückselige Inselleben in harmonischer Gemeinschaft währt nur kurz, denn dıe Gefühle der Menschen füreinander ändern sıch schnell. Es gibt keine (felsenburgische) Entgegensetzung vom insularen »Asyl der Redlichen« (Schnabel) und der unmoralischen europäischen Gesellschaft -

überall und jederzeit ist das Verhalten der Menschen unvorhersehbar und undurchschaubar. Die insularische Gesellschaft ist jederzeit bedroht von Fatalitäten, dıe die ihren Gefühlen unterworfenen Menschen selbst erzeu-

gen. Da den Romangestalten die innere Tiefendimension fehlt, läßt sıch ıhre Psychologie ausschließlich aus ihrem Handeln erschließen. Als Gefühlswesen handeln sie unberechenbar und unerklärlich und sind damit das Gegenteil von Exempelfiguren, die ein Handlungs- oder Lebensprinzip verkörpern. In ihrem Zusammenleben gibt es keine dauerhaften Sicherheiten und Gewißheiten. Liebe und Freundschaft sind flüchtig — dies zu zeigen ıst die Bedeutung der Inselperiode im Roman. Tugendhaftigkeit in der Liebe

beschreibt keine präzise Norm - ım Gegenteil: Liebe gegen Normen kann tugendhaft sein. Wird die Dreiecks-Liebe von Dietrich zuerst als tief unmoralisch verworfen, ist er verzweifelt über Louysas Beziehung zu zwei Männern, so erscheint ihm später, ın seiner Verbindung mit Livıa und Au-

gusta, die Dreiecksbeziehung »edel«, »redlich«, »aufrichtig« und »glückselig«, als ein Zustand »wahrer Ruhe und fester Zufriedenheit«. Das plötzlich über die drei Liebenden hereingebrochene Unwetter verzieht sich, seine mögliche Bedeutung als Zeichen göttlichen Zorns wird negiert. Die Ehe zu dritt — zentrales Tabu der christlich-bürgerlichen Sexualethiık — wird als Liebes- und Lebensform von traditionellen metaphysischen Wert- und Ordnungsvorstellungen losgelöst durch die Gefühle der Menschen. weil alle drei Eheleute füreinander dies auch gelobten. Die Gefühle

und erfährt weltimmanente Legitimation Die Dreiecks-Ehe ist für Dietrich redlich, aufrichtige, liebevolle Gefühle hegen und der Menschen werden zur neuen, norm-

gebenden Instanz. Tugend steht über alten Moralideen und wird verstanden als am Menschen und seinen Gefühlen orientiertes Prinzip. Die Themen des Romans sind Liebe und Freundschaft, soziale Bezie-

hungen als lebensgestaltende Kräfte. Sie sind immer von plötzlichem Verlust und Zerstörung bedroht. Aufrichtige Liebe und Falschheit liegen eng nebeneinander, die eine wie die andere unvorhersehbar, unerklärlich. Tie-

fere Ursachen, kausale und entwicklungslogische Erklärungen fehlen. Die Begriffe zur Erklärung des Unerklärlichen sind unbeholfen und formelhaft

118

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

wie ın den Worten Floscards: »Gemeiniglich kommt unser Unglück von der Falschheit und Untreue oder ıhrer [der Liebe. B.P.] gar zu großen

Tugend her, und dennoch lieben wir noch immer die Quelle unsers Unglücks.« In seiner gestalterischen Simplizität kann ein Text wie die Bewundernswürdigen Begebenheiten eines Uhrmachers nur Fragen stellen, keine Antworten geben. Er zeigt Menschen, dıe nicht typisiert tugendhaft oder un-

tugendhaft, sondern ın innerer, widersprüchlicher Entwicklung begriffen sind. Freunde üben Verrat und werden wieder Freunde. Geliebte werden untreu und wieder Geliebte. Da dem Erzähler aber das Gestaltungsvermögen für die inneren Zustände und Prozesse fehlt und die Figuren ohne psychologische Vertiefung bleiben, entzieht sich ıhr Handeln Erklärungen. Nicht nur seine Geliebte, auch Dietrich selbst ıst sich eın Rätsel: »Ich kenne ihr Gemüthe

noch

nicht«, antwortet er dem

Floscard,

»viel weniger ihre

Gesinnungen. Und es heißt meines Erachtens viel gewagt, wenn man eine Person lıebet, die man nıcht kennet.«

2. Die Liebesgeschichten Die Kollision von Liebe und Tugend ist ein zentrales Thema des 18. Jahr-

hunderts. Liebe als der stärkste aller Affekte entzieht sıch ın besonderer Weise der von der Aufklärung geforderten Kontrolle und Normierung von Gefühlen und Verhalten. Wie soll tugendhafte Liebe aussehen ? Wie kann sie sich vor den Anfechtungen der menschlichen Leidenschaft und Trieb-

haftigkeit, die immer zur Liebe gehört, schützen ? Solche Fragen sınd für die Aufklärung um so problematischer, da bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ein tieferes psychologisches Verständnis für die komplexe Natur der Liebe fehlt. Nur auf der Grundlage einer schematischen Liebes-Vorstellung

kann die Konzeption einer vernünftigen Gefühlsbeherrschung Plausibilität beanspruchen. In den Romanen nach der Jahrhundertmitte werden die Liebenden plötz-

lich und unvermutet von der Liebe ergriffen. Es gibt keine Erklärung, selten eine Entwicklung. So schlagartig wie die Liebe kommt, kann sie auch wieder gehen. Warum gerade diese Frau oder dieser Mann Gegenstand der Liebe ıst, warum nach ıhm eın anderer und wieder ein anderer, was die

individuelle Einmaligkeit einer Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen ausmacht, warum Liebe überhaupt beginnt und endet — die Romane haben

kein Bewußtsein von der psychologischen Dimension der Liebe. Doch ihre

Ursache liegt, wenn auch unergründlich, immer im Menschen. Liebe ist

Die Liebesgeschichten

119

nicht mehr, wie ım 17. Jahrhundert, kosmisch-metaphysische Energie ım Einklang mit einer göttlich determinierten Weltordnung. Von der Individualität der Liebe und ihrer machtvollen Wirkung auf den Menschen überzeugt zu sein, sie aber gleichzeitig in ihrem Wesen nicht erfassen zu können — diese Spannung prägt zahlreiche der Romane nach 1750. Einige sind sich dieser Problematik ausgesprochen bewußt, ohne sich ıhr entziehen zu können. Sie bemühen sich mit unbeholfenen Worten und Bildern um das Geheimnisvolle, nur Vermutete, noch nicht Sagbare: »Es ist ein geheimer natürlicher Trieb, da ein Mensch vor eine Person immer mehr Liebe, als vor

die andere hat, davon aber doch keine Ursache anzugeben weıß. Die Gleichheit der Gemüther soll nach der Meynung vieler Personen die Quelle dieser geschwinden Freundschafft seyn, und man vermuthet, daß Gemüther

von gleichen natürlichen Gaben gleichsam eine Freymäurergesellschafft unter sich aufgerichtet. Wie die Glieder von erst gedachter Gesellschafft sich alsobald erkennen sollen, ob sie gleich niemahls Bekanntschafft mit einander gehabt, so gehet es öffters hier, da der erste Anblick zureichend ist, eine

wahre Liebe und Vereinigung zuwege zu bringen.«?®* Liebe steht im Zentrum des Handelns: sie ist Motor fast aller Lebensgeschichten, Antrieb fast aller Reisen, Ursache fast aller Unglücksfälle und

Fatalitäten. Die Glückseligkeits-Vision am Ende findet immer ın den Armen des geliebten Ehegatten statt. Die Romanhelden sind oft bis zum Ende Getriebene aus Liebe, der Liebe Unterworfene. Sie leben mit dem Scheitern

ihrer Liebe und erträumen ıhr Gelingen. Doch je mehr Liebe in das Zentrum des Lebens rückt und je mehr die Protagonisten einen Anspruch auf erfüllte Liebe erheben, desto mehr werden die moralischen Ansprüche an sie zum

Problem.

Die

geforderte

Unterordnung

des

Affektiven

unter

moralische Normen scheint das Eigenrecht des Gefühls geradezu herauszufordern. Die Liebesheirat als gesellschaftliches Leitbild entsteht ım 18. Jahrhundert - als die äußere, gesellschaftliche und innere, psychische Reglementierung der Beziehung zwischen Mann und Frau ihren Höhepunkt erreicht. Gellert, geschult an Richardson und Prevost, vollzieht mit der Schwedischen Gräfin 1747 für den deutschen Roman eine »anthropologische Wende«

der Liebe, die den psychologischen Reduktionismus der frühen Aufklärung überwindet.28 Liebe wird hıer verstanden als ein individuelles, existentielles 23 [eben und Begebenheiten des Herrn Otto Carls von Moldau 1752, S.25f. 285 Vgl. zur Liebesvorstellung in der »>Schwedischen Gräfin« zuletzt Peter Rau: Speculum amoris. Zur Liebeskonzeption des deutschen Romans ım 17. und 18. Jahrhundert. München 1994, S.497-533.

120

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

Gefühl zwischen zwei Menschen, das seinen Ausdruck in erotischer Lust findet und das jede Vernunftregung außer Kraft setzen kann. Die Heirat

zwischen der Gräfin und ihrem Mann ist eine Verbindung aus Liebe, sie ıst erfüllt von Freude an den gegenseitigen körperlichen Vorzügen, an Zärtlichkeiten und Liebkosungen. Liebe ıst bei Gellert als leibseelisches Phänomen ohne Sexualität unvollkommen. Sexualität ıst kein Tabu, sie ist kein lasterhafter, unkontrollierter Trieb und hat ıhren Sınn nicht in der moraltheo-

logischen Forderung nach bloßer Fortpflanzung, sondern in dem selbstverständlichen Ausdruck von seelischer Liebe. Als solche ist sie gottgefällig und mit christlicher Moralität vereinbar. »Der Körper«, heißt es ın der Schwedischen Grafin, »gehört so gut als die Seele zu unserer Natur. Und wer uns beredet, daß er nichts als die Vollkommenheiten des Geistes an einer Person liebt, der redet entweder wıder sein Gewissen, oder er weiß gar nicht, was er redet. Die sinnliche Liebe, die bloß auf den Körper geht, ist eine Beschäftigung kleiner und unfruchtbarer Seelen. Und die geistige

Liebe, die sich nur mit den Eigenschaften der Seele gattet, ist ein Hirngespinste hochmütiger Schulweisen, die sich schämen, daß ihnen der Himmel

einen Körper gegeben hat, den sie doch, wenn es von ihren Reden zu der Tat käme, um zehn Seelen nicht würden fahren lassen.«28° Liebe kann, wie

das Anagnorisis-Motiv ın der Schwedischen Gräfin drastisch veranschaulicht, die vollkommene Ohnmacht der christlichen und vernünftigen Tu-

gendordnung bedeuten. Weder Mariane noch Carlson, früh getrennte Kinder des Grafen aus einer ersten Verbindung mit der Bürgerlichen Karoline, können, nachdem ihre Verwandtschaft offenbar wird, von ıhrer tiefen Leıdenschaft füreinander lassen und werden erst durch schicksalhafte Verwicklungen getrennt. Gellert richtet nicht über ihre blutschänderische Liebe, er

zeigt die Geschwisterliebe vielmehr als zutiefst tragischen, ausweglosen Existenzkonflikt.27° Zwar sollte seine Idealvorstellung von Liebe — gepaart mit den Tugenden der Gelassenheit, der Toleranz und des Verzeihens - von

vernünftiger Rücksicht kontrollierbar sein. So versuchen die Eheleute Herr R. und die Gräfin ihre Liebe füreinander wieder in Freundschaft zu ver-

wandeln, als der erste, totgeglaubte Gatte der Gräfin zurückkehrt. Aber die

28° Christian Fürchtegott Gellert: Werke. Herausgegeben von Gottfried Honnefelder. 2 Bände. Frankfurt/M. 1979. Band 2: Roman, Abhandlungen, Briefe, S.35.

#7. Goethe wird später in seinem für das Weimarer Liebhabertheater geschriebenen Einakter »>Die Geschwister< (1776) unter dem Eindruck seiner hoffnungslosen Liebe zu Frau

von Stein die Verhältnisse umkehren: aus zunächst geschwisterlicher Zuneigung zwischen Marianne und Wilhelm wird, nachdem sich ıhre Verwandtschaft als vermeintliche heraus-

stellt, eine erotische Beziehung.

Die Liebesgeschichten

121

versuchte gelassene Liebe ist permanent bedroht von der Macht der alten Gefühle. Über das nacheheliche Verhältnis der Gräfin und des Herrn R. heißt es im Roman: »Er war oft ganze Tage bei mir allein. Ich glaube, daß ich so viel Schwachheit gehabt hätte, ihn anzuhören, wenn er an die vorigen Zeiten gedacht hätte. Und wer weiß, ob ich ihm nıcht wider meinen Willen

durch manchen Blick ein stummes Bekenntnis von meiner Liebe getan habe, so gewissenhaft ich auch mit ıhm umging, und so sehr ich meinen Gra-

fen liebte.«288 Als zutiefst menschliche Regung steht Liebe bei Gellert immer über ständischen Konventionen. Die bürgerliche erste Geliebte des Grafen wäre vom Hof nie als Ehefrau akzeptiert worden, doch ihre Bekanntschaft läßt die Gräfin bemerken: »Ich sah beinahe keinen Vorzug, den ich vor ıhr hatte, als daß ich adlig geboren war.«2# Gellerts am >natürlichen< Gefühl orientierte Liebesethik, deren Komplexität keiner der »niederen< Romane nach der Jahrhundertmitte erreicht, wird

nicht zuletzt durch eine bewußt konzipierte, neue Gefühlssprache ermöglicht. Die Sprache der Schwedischen Gräfin ist geprägt von einfacher, prägnanter Syntax, realistischer, auch heftig emotional bewegter wörtlicher Rede und differenziertem Wortschatz. Gellerts Modell einer natürlichen Schreibart, wıe er sie in den brieftheoretischen 'Traktaten Gedanken von

einem guten deutschen Briefe?” und Praktische Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen?”! entworfen hat, ist für ıhn auch Leitvorstellung jedes epischen Erzählens. Die noch vom Stilideal des Barock geprägte prunkvolle, schwülstig-hyperbolische, steife Sprache des frühen 18. Jahrhunderts soll durch einen natürlichen Sprachstil abgelöst werden, der klar, sparsam, verständlich, zwang- und schmucklos ist. Die neue Sprache soll das Gefühl kommunizierbar machen, soll unmittelbarer Ausdruck des Ge-

fühls sein, »aus dem Innersten des Herzens«?”? kommen: »Wer recht gerührt, recht betrübt, recht froh, recht zärtlich ist, dem verstattet seine Empfindung nicht, an das Sinnreiche, oder an eine methodische Ordnung, zu

denken. Er beschäftigt sich mit nichts, als mit seinem Gegenstande. Von diesem ist er voll, und seine Gedanken sind geschwinde und abgedrungene

Abdrücke seiner Empfindungen.«?”

#38 Gellert 1979, S.57. 29 FEbd., S.17. ”° Ebd., S.129-136. ?1 Ebd., S.137-187. 22 Ebd., S.180.

> Ebd., S.169.

122

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

a) Die siegreiche allegorische Liebe Die folgenden Romane stellen ein formelhaft-abstraktes, rationalistisches Liebes-Prinzip vor, das mit Hilfe von flach und schemenhaft gezeichneten, allegorischen Figuren demonstriert wird. Tugendhafte Liebe ist vernünftig beherrschbar und entsagungsbereit, lasterhafte Liebe ist unkontrolliert und triebhaft. Die Figuren verkörpern entweder eine der beiden Seiten oder sie

sind vorübergehend verblendet und finden am Ende wieder zu ihrer eigentlichen Tugendhaftigkeit zurück. In Johann Christian Brandes’ Roman Die Folgen der Großmuth und Redlichkeit, In der Lebensgeschichte des Herrn BS. Von ihm selbst entworfen?”* wird der Konflikt zwischen rationaler Tugend-Liebe und der Macht der Leidenschaften als Handlung typenhafter Figuren gestaltet. Der Erzähler Herr BS., Sekretär im Dienste des Ministers von H., verliebt sich ın Caroline, die seine Liebe erwidert. Doch Caroline wırd auch von seinem

Dienstherrn, dem Minister von H., begehrt. Als die junge Witwe Emilie von der bevorstehenden Heirat zwischen Carolıne und BS. hört, bricht sie zusammen und BS. erkennt, daß sie ıhn liebt. Ihr Gespräch ist das zweier

edler, entsagungsbereiter Tugend-Heroen: »Ach, wenn es wahr ist, so vergessen Sie, wofern es möglich seyn kann, einen Undankbaren, der über sein Herz nicht mehr Meister ist. Würdigen sie mich ihrer Freundschaft, diese wird für mich das schätzbarste Gut seyn! — - Nein, ich will Ihnen wenigstens ein Opfer bringen. Da ich Ihnen mein Herz nıcht schenken kann, so will ich der Verbindung mit Carolinen entsagen, die Liebe soll der Freundschafft weichen, und ıch will dieselbe ın Ihrer angenehmen Unterhaltung zu vergessen suchen. Nein, rief sie, nein! mit diesen Bedinge erhalten Sie meine Freundschaft nicht. Es ıst wahr, ıch liebe sie, ihr Glück ıst das Meinige; allein, da sie Carolinen lieben, so muß dieses auch mein Wille seyn, und wo

ich noch was bey ihnen gelte, so erfüllen sie die Verbindung mit deroselben,

und gönnen mir ihre Freunschaft, diese wird mır den Mangel ihrer Liebe einigermaßen ersetzen.«?” Es folgen dramatische Liebes-Verwicklungen: der Minister entführt Caroline, die wıeder befreit wird, aber dann stirbt. BS.

begibt sich verzweifelt auf Reisen, lernt ın A. eine junge Frau kennen und lieben, die jedoch, wie sich herausstellt, seine Schwester ist. Beiden gelingt die vernünftige Beherrschung ihrer Gefühle: »Wie schwer ist es doch, eine

Liebe so wie die unsrige, so plötzlich zu bezwingen. Jedoch es war nötig, und ich mußte diesen Zwang gleichfalls erfahren. Die Vernunft erhielt nach 4 Breslau, Leipzig: Bey Daniel Pietsch, Buchhändler: 1762. 5 Ebd., S.29f.

Die Liebesgeschichten

123

einem harten Kampfe endlich ihren Platz wieder. Ich übersahe mit kälterem Blute alle die Folgen einer solchen Verbindung, und entschloß mich, den Platz der Liebe einer zärtlichen Freundschaft einzuräumen. Wir umarmten uns nunmehro aus Freundschaft, und verursachten dadurch dieser liebrei-

chen Mutter ein ungemeines Vergnügen.«2” Als BS. auch noch in finanzielle Not gerät, verfällt er in tiefe Depression. Er reist weiter und trifft Caroline, die in Wahrheit nicht tot ist und ıhn gesucht hat. Die ın BS. verliebte Frau von Merval versucht durch Gewalt und Intrige, ihn und Caroline auseinan-

derzubringen. Unmittelbar vor der mit Waffen erzwungenen Trauung zwischen BS. und Frau von Merval bringt Caroline sich um. BS. ist verzweifelt und geht wieder auf Reisen. Er trifft Emilie, die ihm gefolgt war und die ıhn immer noch liebt. BS. wird sich immer deutlicher seiner Liebe zu Emilie bewußt und beide finden schließlich zusammen. »Nunmehr war unser Glück vollkommen; jedermann war vergnügt, und jedermann, der uns kannte nahm Theil an unserer Freude. Wir erwarteten den Tag unsers Glücks mit Ungedult. Endlich erschien derselbe. Die Freude belebte nunmehr unsere Gesichter, da ein jeder sich das Vergnügen ın dem neuen Stande auf das lebhafteste vorstellte. Meine lieberiswürdige Braut versicherte mich tausendmal ıhrer zärtlichsten Liebe, und ich unterließ nıcht, ıhr eben

so oft dasselbe zu versichern.«?” Irotz Sieg und Vereinigung des tugendhaften Heldenpaares ist Die Folgen der Großmuth und Redlichkeit keine reine Tugend-Apotheose. Denn neben BS. und Emilie, die sıch ın ihrer Entsagungsbereitschaft und Beherrschung aller zerstörerischen Leidenschaften bereits am Anfang zu erkennen gegeben haben, fällt die dritte ebenbürtige Tugendgestalt, Caroline, der Gewalt der Leidenschaft der Frau von Merval zum Opfer. Indem Brandes eine dritte, ın ihrer Tugendhaftigkeit scheiternde Figur hinzufügt, stellt er den Sieg der Gewalt neben den der Tugend. Die Tugend siegt zwar am Ende, aber nicht ohne daß vorher ihre Schwäche und Überwindlichkeit gezeigt wurde. Die Geschwisterliebe, im barocken Staats- und Liebesroman fester Teil des Fatalitäten-Motivkanons, erscheint noch ın Schnabels Insel Felsen-

burg als providentielles Signum der Sünde und Perversion in Gestalt des tückischen, lasterhaften Schiffskapitäns Lemelie, der sterbend gesteht, der

Liebhaber seiner Schwester gewesen zu sein. In Die Folgen der Großmuth und Redlichkeit wird das metaphysische Verhängnis profaniert und dient zum Anlaß der heroischen rationalen Bewältigung der Gefühls-Krise. Fünfzehn Jahre zuvor hatte Gellert das traditionelle Motiv bereits im humanen,

individualistischen Sinn umgedeutet: in der Schwedischen Gräfin scheitert 6

Ebd., S.56.

27 Ebd., S.217f.

124

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

die Lösung des Inzests als Konfrontation von Gefühl und rational-moralischer Ordnung, weil die Gefühle der Liebenden zu tief sind. Gellert verurteilt die tiefe Leidenschaft zwischen den Geschwistern Marıane und

Carlson nicht, im Roman wird ım Gegenteil immer wieder deren schicksalhafte Offenbarung

beklagt.

Ihre Liebe

steht für das Verhängnis

der

schuldlos Schuldigen, für die Tragık menschlichen Liebens schlechthin. Gellert pervertiert die Perversion — das jahrhundertelang Amoralische wird gezeigt als edle menschliche Regung. Die ergreifende Darstellung der Bedrängnis der Liebenden gelingt ihm mit Hilfe seiner neuen Sprache zur Darstellung des Gefühlshaften, die mit nur wenigen der »niederen< Romane

bis 1770 vergleichbar ist. »Es war erbärmlich anzusehen, wie sıch diese beiden Leute gegeneinander bezeigten. Die Religion hieß sie die Liebe der Ehe ın Schwester- und Bruderliebe verwandeln, und ıhr Herz verlangte das

Gegenteil. Sie hatten einander unbeschreiblich geliebt. Sie waren noch in dem

Frühlinge

zerreißen. [...]

ihrer Ehe,

und

sie sollten dieses Band

itzt ohne

Anstand

> Ach, mein Bruder, rief Marıane einmal über das andere

aus, >verlaßt mich, verlaßt mich! Unglückseliger Gemahl, fangt mich an zu hassen. Ich bin Eure Schwester. Doch nein! Mein Herz sagt mir nichts davon. Ich bin Euer, ich bin Euer. Uns verbindet dıe Ehe. Gott wird uns

nicht trennen.< Ihr Gemahl war nicht besser gesinnt. Er hörte die Stimme der Leidenschaften, um den Befehl der Religion nicht zu hören. Er hütete sich genau, sie nicht seine Schwester zu nennen. Er hieß sie seine Mariane. Er war beredt und unerschöpft ın Klagen, die bis ın das Herz drangen, weil sie das Herz hervorbrachte.«?%

Auch in Christoph Heinrich Korns Die tugendhafte und redliche Frau am Hofe in der Geschichte der Henriette von Rivera?” wird der Konflikt

zwischen Liebe und Tugend schematisiert und, wie in Pamela, durch Bekehrung der Untugend gelöst.’ Titel und Handlungsmuster — beharrliche

8 Gellert 1979, S.41. ?® Frankfurt, Leipzig; bey August Lebrecht Stettin: 1770. 0 Richardsonsche Motive finden sich auch in der »Geschichte der Miß Sophia Woodcock.< (Kopenhagen: bey Johann Gottlob Rothe, ın No. 8. auf der Börse: 1769): die arme, verwaiste Pachterstochter Sophia wird von der kinderlosen Lady Rowles an Tochters Statt angenommen. Ihr Neffe Lord Baltimore stellt Sophia lange nach, bis es ıhm gelingt, sıe zu vergewaltigen. Doch die tugendhafte Sophia ıst damit nicht entehrt. Sir Davis, Kaufmannsdiener aus London, heiratet sie trotzdem, weil er sie liebt und ihre Tugendhaftigkeit erkennt. Davis strengt einen Prozeß gegen Baltimore an, der ıhr, weıl das Verfahren sich lange hinzieht, tausend Pfund Entschädigung anbietet. Von diesem Geld eröffnen Davis und Sophia einen Laden für Moden und Galanteriewaren. In Hans Ernst von Teuberns: Louise, oder dıe Macht der weiblichen Tugend, eine Erzählung. (Leipzig: bey Weidmanns

Die Liebesgeschichten

125

bürgerliche Tugendhaftigkeit setzt sich glorreich gegen höfische Korruption und Lasterhaftigkeit durch - sind Johann Michael von Loens Erfolgsroman Der Redliche Mann am Hofe; oder die Begebenheiten des Grafen von Rıvera (1740) entlehnt. Doch was bei von Loen im politisch-staatsreformeri-

schen Bereich exemplifiziert wird, überträgt Korn, ganz im Sinne von Richardsons virtue in distress, in die Sphäre des Erotischen. Henriette kommt als Verlobte von Palmfelds an den Hof des Prinzen, der sich ın sıe verliebt und ihr nachstellt. Sein Vertrauter, der falsche und boshafte Herr von Scheingut, unternimmt alles, um Henriette in dessen Arme zu liefern, will sie jedoch in Wahrheit am Ende für sich selbst gewinnen. Zusammen mit

ihm führt der Prinz unermüdlich neue Anschläge auf ihre Tugend und Treue

aus, doch

ihre aufrichtige Liebe

zu von

Palmfeld

widersteht

allen

Intrigen, Drohungen und Erpressungsversuchen. Nachdem der Fürst Henriette als Hofdame seiner Frau an den Hof gebunden hat, läßt er zunächst

Lügen über von Palmfelds Heirat mit einer anderen verbreiten, schließlich von Palmfeld gefangennehmen. Auch als von Scheingut sie mit dem Mord an

ihrem

Verlobten

erpreßt,

bleibt

Henriette

unerschütterlich

ın ıhrer

Treue: »So lang ich meine Ehre und meine Tugend nicht beleidigen darf, sagte Henriette, so werde ich alles anwenden, was in meinen Kräften steht,

alle wiedrige Zufälle von meinem Geliebten abzuwenden. Ja ich würde mein Leben willig zu Erhaltung des seinigen aufopfern. Allein, wollte ich solches auf Kosten meiner Tugend und unsrer Liebe thun, so würde er eben dadurch

aus Gram

sein Leben verlieren. Nichts

ın der Welt ist, das mich

von diesem Entschlusse abbringen kann. Gehen Sie, und hinterbringen Sie dieses Ihrem Herrn. Sagen Sie ıhm, daß ıch alle Fürsten in der Welt verachte, wenn Sie meine Tugend zu beleidigen suchen. Und noch mehr hasse und verachte ich diejenigen, welche sich zu niederträchtigen Unterhändlern ge-

brauchen lassen, um mich zu Ausübung des Lasters zu bereden.«?’! Beeindruckt von Henriettes Tugend, läßt der Fürst ıhren Verlobten befreien und die Heirat der beiden in seiner und der Fürstin Gegenwart vollziehen. Doch auch danach kann er seine Liebe zu Henriette nicht zügeln. Als sein Favorit von Scheingut ıhn drängt, seinen Liebesantrag zu erneuern, zeigt

sıch, daß das Herz des Fürsten zwar »tugendhaft und grosmüthig«, aber »doch zu schwach, der Leidenschaft zu widerstehen, von welcher es beherrschet wurde.«’” Nachdem die Fürstin stirbt -— man munkelt, sıe sei Erben und Reich: 1768) gewinnt die junge Landadlige Louise durch ihre Tugend die Liebe eines weltgewandten Grafen. 1

Die tugendhafte und redliche Frau am Hofe 1770, Teil 1, S.241.

22 Ebd., Teil 2, S.20.

126

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

vergiftet worden -, hält der Fürst auf Anraten von Scheinguts um Henriettes Hand an und setzt ıhr zu, sıch scheiden zu lassen. Als sie ıhn abermals zurückweist, schlägt der Günstling als letztes Mittel vor, »die stolze Schöne

durch Drohungen zu schrecken«.?® »Mit grosen Zügen schlukte der aufgebrachte Fürst den Gift, welchen ıhm sein Vertrauter darreichte, in sich.

Seine sonst so aufgeklärte Vernunft war nicht mächtig genug, sich seiner aufgebrachten Leidenschaft zu wiedersetzen.«?%* Selbst als der Prinz ihren Vater entführen und auf ihren Ehemann einen scheiternden Mordanschlag verüben läßt, bleibt Henriette weiter standhaft. Schließlich bringt man sie zum Fürsten. Im Angesicht von so viel Tugend geht etwas ın ıhm vor - er beginnt, Henriettes Tugendhaftigkeit zu bewundern und »so fiengen doch die edle Regungen, deren Saamen allzeit in seinem Herzen verborgen gelegen, und durch seine Ausschweifungen erstikt worden war, wieder an, hervorzusprossen«:?® »Gewohnt über alle Schönen, welche er antraf, zu siegen, hatte er sıch nicht einbilden können, jemals bey einer einen solchen

Widerstand anzutreffen, wie er bey ıhr fand. Die Stärke ıhrer Tugend fieng an, ihn zu rühren. Er betrachtete sie mıt Bewunderung, und sahe nun wohl ein, daß ihre Tugend in keinem gezierten und verstellten Wesen bestand, sondern ihren Sitz würklich in ihrem Herzen hatte. Wir haben schon bemerkt, daß er, die Schwachheiten, welche er in Ansehung des schönen

Geschlechts begieng, ausgenommen, eine edle Seele besas. Er empfand Mitleiden mit der Frau von Palmfeld, indem er sein Verfahren gegen ihr betrachtete; Er verwunderte sich selbst, daß er einer Person, welche er liebte,

solche Schmerzen hätte verursachen können, und in dem Augenblick beschlos er, sie nicht mehr zu quälen.«?’% Am Ende empfinden alle Sympathie füreinander. Der Fürst erkennt von Scheinguts wahres Gesicht, verbannt ihn vom Hof und erhebt Henriette und ihren Gemahl zu den höchsten Ehrenstellen. So setzt Die tugendhafte und redliche Frau am Hofe das Tugend-Laster-Schema bruchlos in Romanhandlung um. Der Roman läßt sich, noch ganz ım Sinne des Gottsched-

schen Rezeptsatzes, auf eine sehr allgemeine lehrhafte Sentenz reduzieren, die er am Schluß auch selbst liefert: »So mußte endlich das Laster, nachdem

es lang genug die Tugend verfolgt hatte, zu Grunde gehen: So stieg die Tugend endlich mit verdoppeltem Glanze wieder ın die Höhe, wie ein Palmbaum, der seine Aeste um desto mehr ausbreitet, wenn er gedrücket ’® ’* »® >%

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

Teil Teil Teil Teil

2, 2, 2, 2,

S.58. S.58f. S.165. S.157f.

Die Liebesgeschichten

127

worden ist. Und Henriette empfand nunmehr mit völliger Zufriedenheit,

die Wahrheit dessen was der Dichter sagt: Aus der Tugend fließt der wahre Friede, Wollust eckelt, Reichthum

machet müde, Kronen drücken, Ehre

blendt nicht immer, Tugend fehlet nimmer.«?” Anders als Henriette ist die Heldin des Romans Seltsame Begebenheiten und Schicksale der schönen Charlotte von Leipzig. Eine moralische Geschichte’® bürgerlicher Herkunft und macht sıch durch ihre unbeirrbare Tugend einem Adligen ebenbürtig. Die reduzierte Typenhaftigkeit ıhres Charakters, die wie auch in den vorangehenden Liebesromanen die Monotonie der Texte ausmacht, ist ausdrückliches Programm: »Alle Abbildungen der schönen Charlotte von L.... sind sich in allen Zügen beständig gleich, und die Verwirrung der Begebenheiten, verändert derselben Schönheit nicht in einem Zuge.«’” Charlotte, deren Eltern ihr »gleichsam mit der Muttermilch die Regungen der Tugend ein[... ]flößen«,?!° erzählt, wie sie an Stelle ihrer verstorbenen Mutter den Haushalt für den kranken Vater führen muß. In Geldnöten begibt sie sich in den Schutz des scheinbar wohlmeinenden Herrn Faune, der zuerst mit Überredung, später mit Gewalt versucht, sie für sich zu gewinnen. Als ihr Vater plötzlich stirbt, läßt Charlotte alles hinter sich und bricht in Mannskleidern nach England auf. Ihr Londoner Dienstherr, Herr von Lorillon, durchschaut sie als verkleidetes

Frauenzimmer und verliebt sıch ın sie. Charlotte zögert zunächst auf seine Liebeserklärung hin und hört dann auf den Rat der mütterlichen Mylady L., Lorillons Antrag anzunehmen. »Wertheste Leser und Leserinnen!«, so endet Charlotte ihre Geschichte, »hier endigen sich meine Begebenheiten, die ich bis auf den glücklichen Augenblick gehabt habe, da ich die Liebste des großmüthigen und liebenswerthen Herrn von Lorillon geworden bin. Lebet Allerseits wohl, und folget meinem tugendhaften Beyspiel; denn Tugend bleibt nicht unbelohnt.«°'! b) Die Liebe gegen Normen

Friedrich Adolf Kritzingers Die Gräfin von R*** geschildert von einem Liebhaber Gellertischer Schriften?!? liegt bereits eine differenziertere Liebeskonzeption zugrunde. Der Roman folgt eng seiner literarischen Vorlage, 7

Ebd., Teil 2, S.190.

0 Frankfurt, Leipzig 1767. »® Ebd., S.4. >10 Ebd., S.5.

31 Ebd., 5.150.

312 Amsterdam 1762, 2. Auflage.

128

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

der Novelle La fuerza de la sangre aus den 1613 erschienenen Novelas ejemplares des Cervantes Saavedra. Kritzingers Roman spielt in Spanien zur

Zeit Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragon. Der Adlige Don Luis reist mit seiner Tochter Leocadıa nach Toledo, um sie dort erziehen zu lassen. Rudolph, eın junger Edelmann, verliebt sich in Leocadias Schönheit

und entführt sie mit Hilfe seiner Freude. Er bringt die Ohnmächtige in sein Haus ın Toledo und vergewaltigt sie. »Weil er nun nicht Willens war, dieses Fräulein aufzumuntern, nahm er sie in seine Arme, stieg sachte vom Pferde und trug sie in sein Zimmer, wo er sich verschloß und im Dunkeln den schändlichen Vorsatz, den ihm diese junge Schönheit fassen lassen, vollführte. Das Verbrechen war kaum begangen so fieng er an nachzudenken, die lange Ohnmacht der Schöne, ließ ıhm genug Zeit dazu übrig.«°!? Er bereut

bereits unmittelbar nach der Tat: »Sıe kam noch nicht zu sıch, und nachdem

er seine viehische Hitze gekühlet und seine ausschweifenden Begierden gestillt, fand sich bei ihm eine solche Reue, die ihn so heftig quälete, als sein

unkeusches Verlangen ihn vorher unbändig gemacht hatte [...].«?'* Leocadia erwacht und versucht vergeblich zu fliehen. Als Rudolph sie wieder aufsucht, drückt sie ihre Abscheu vor ıhm aus und fordert ihre Freilassung. Rudolph zeigt ihr seine tiefe Reue für das begangene Verbrechen. Er verbindet ıhr die Augen und setzt sie ın der Stadt aus. Leocadia kehrt nach Hause zurück und berichtet ihrem Vater von ıhrer Schande. Doch für den Vater bleibt sie keusch und tugendhaft: »Leocadia, diß Verbrechen gehet nur

denjenigen

an, der es begangen,

dein zugestoßnes

Unglück,

schadet

deiner Keuschheit nichts, du bist dem ohngeachtet des Geblüts, woraus du herstammest, als auch meiner zarten Vaterliebe noch eben wıe zuvor werth,

gieb dich zufrieden und laß’ dich diese Wahrheit beruhigen; Was deine Rache anberrifft, so erfodert unsere Ehre, diese Gelegenheit geduldig zu erwarten.«°!5 Leocadia ist schwanger. Sie gesteht ihrer Freundin Lucia, wie sehr »die Ehrfurcht und Reue, so ihr Entführer bei seiner letzten Handlung gezeiget hatte, ihr Herz gerühret hätte«.?!° Eines Tages wird ıhr Sohn, Don

Carlos, von der Kutsche des Grafen und der Gräfin Rıbeyros überrollt. Sie nehmen den Jungen, dessen Aussehen sıe an ıhren Sohn erinnert, mit in ıhr Palais. Als Leocadia hınzukommt, erkennt sie das Haus ıhrer Entehrung wieder. Sıe entdeckt dem Grafen und der Gräfin ihre Geschichte und die

Ribeyros nehmen Mutter und Sohn in ıhre Familie auf. Man schickt nach »D 4 5 16

Ebd., S.8. Ebd. Ebd., S.17. Ebd., S.20.

Die Liebesgeschichten

129

dem in Gent lebenden Rudolph, der trotz zahlreicher Reisen und Ablen-

kungen sieben Jahre lang seine Liebe zu Leocadia und seine Schuld nicht überwinden konnte. Bei einer Gegenüberstellung in Toledo erkennen sich Leocadia und Rudolph und bezeugen sich ihre gegenseitige Liebe. »In diesem Augenblick erschallte das Gräfliche Palais von jauchzendem Freudengeschrei, und diese fünf Personen wurden ganz besonders vergnüget; die lebhaftesten Ausdrücke würden kaum dero sämmtliches Vergnügen zu beschreiben zureichend sein.«?!? Ob La fuerza de la sangre auch Anregung zu Heinrich von Kleists Novelle Die Marquise von O... (1808) gab, ist fraglich, das Motiv der Liebe

zwischen Vergewaltiger und Opfer ist in der Weltliteratur verbreitet. Indem Kleist den Verführer, einen russischen Offizier, gleichzeitig zum Beschützer

der bedrängten Frau macht, der die Marquise vor seiner Tat vor der Vergewaltigung durch russische Soldaten rettet, eröffnet er die Novelle mit der dialektischen Spannung von Verfehlung und Unschuld. Die Konflikte von Reue und Rache, Gewalt und Entsagung, Gefühl und Konvention werden

in der folgenden Handlung kunstvoll weiter entwickelt. Im Zentrum der Novelle steht der Bewußtseinsprozeß der Marquise, die erkennt, wie ıhr

authentisches Gefühl diese Spannungen einschließt und gleichzeitig in sich aufhebt. Auch Leocadia überwindet, unterstützt von ihrem Vater, ıhr anfängliches Schuldbewußtsein über die verlorene Keuschheit und wendet

ihre Abscheu und Rachegefühle Liebe. Doch anders als bei Kleist der Figur: Leocadias psychische sind vor allem als ıhr Handeln über christlich-moralischen

Leocadias schränkten

gegen Rudolph in gibt es nur geringe Prozesse werden veräußerlicht. Ihre

Konventionen,

das Eingeständnis ıhrer Einblicke ın das Innere nur kurz benannt und Tugendhaftigkeit steht

sie findet ihren Ausdruck

äußere Tabus wie innere Konflikte überwindenden Liebesfähigkeit.

Indem

Rudolph

seine Tat sofort

in

uneinge-

tief bereut,

zeigt auch er sein tugendhaftes Inneres. Sein Fehltritt ist Ausdruck seiner unbezwingbaren, übergroßen Leidenschaft für Leocadia. Trotz Gewaltsamkeit und Zerstörung (der Unschuld) ist Rudolphs Liebe tief, beständig, treu und damit tugendhaft. Kritzingers Roman entwirft ein Liebesmodell, das

sich über fundamentale gesellschaftliche Normen erhebt und auch Impulse von Gewalt, Triebhaftigkeit, Haß, Leid und Rache einschließt. Wirkliche

Liebe vermag die Schande des Opfers wie die Schande des Täters zu überwinden. Beide, Leocadia wie Rudolph, sind in ihrer Tugendhaftigkeit versehrt, gewinnen aber eine höhere Stufe der Tugend durch ıhre Liebe fürein-

»7 Ebd., S.63f.

130

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

ander, einem Gefühl, das sich Normierungen, Kontrollen und Erklärungen entzieht. Kritzinger bewegt sich mit dieser >natürlichen< Liebesvorstellung in die enge Nähe Gellerts, auf dessen Vorbildhaftigkeit er zweifach - ın Titel und Autorenumschreibung - hinweist. Wie dieser den Inzest so transformıert Kritzinger die literarisch bei Cervantes vorgegebene Vergewaltigung als traditionelles Tabu der bürgerlichen Sexualethik zum Prüfstein der menschlichen Empfindungen. Was ıhn von Gellert unterscheidet, sind seine reduzierte Figurengestaltung und eine noch barocker Formelhaftigkeit verhaftete, mythologisch-bildliche Sprache für die psychischen Prozesse der Romangestalten: »Des Fräuleins Stimme hatte was angenehmes und die Furcht machte solche so rührend, daß ihre Ausdrücke lauter Pfeile waren, der sıch Amor bediente, das Herz ihres Entführers nur mehr anzuflammen,

es war aber keine so verwegne und unbändige Liebesneigung, davon er zuvor entzündet gewesen, seine vorige Wuth und Verwegenheit war gänzlıch verloschen, [...].«?'®

und

an ihrer statt fand sıch Reue

und

Ehrfurcht

eın;

Im Roman Die falsche Galanterie der heutigen Welt, in vermeinter Wahrnehmung der rechten Zeit?!” scheitert die Liebe an der Ehe. Am Anfang steht die politische Heirat des Herrn von Dornefeld mit dem Fräulein

von Glieben: »Zu der Zeit, als man mit einem höchstwichtigen und weltbekannten Friedenswerk beschäftiget war, bemüheten sich verschiedene vornehme Personen an einem sehr berühmten Hofe zwey von denen älte-

sten und besten Familien, so von langer Zeit her ın sehr großer Feindschaft gelebet, wieder zu vereinigen, und damit der alte Groll völlig aufgehoben, und ihnen zugleich alle Gelegenheit, in ihre vorige Uneinigkeit wieder zu verfallen, abgeschnitten werden möchte, so wurde ihnen der Vorschlag gethan, sich untereinander, durch ein angenehmes und genaueres Bildnis, unauflößlich zu verknüpfen.«?2° Der Ritter von Gräfenthal verliebt sich in die Frau von Dornefeld und erklärt sich ıhr. Als sie ihm ihre Gegenliebe zeigt,

bereut sie ihr übereiltes unvernünftiges Verhalten: »Die Schwachheit, welche sie gegen den Ritter hatte blicken lassen, setzte sie in die äußerste Verwirrung. Sie verwieß sich ihre Empfindung,

nicht anders, als ob sıe das

größte Laster begangen, und betrachtete zugleich die Verdrießlichkeit und die Gefahr, worınn sıe allem Ansehen nach durch dieses Liebesverständnis gestürtzet werden. Sie fassete also den Entschluß, sich vor den Anfällen der Liebe äußerst zu schützen, und glaubte, daß die Vernunft leichtlich über >18 Ebd., S.13. ?P Frankfurt, Leipzig 1756. >20 Ebd., S.1.

Die Liebesgeschichten

131

ihre Affecten die Oberhand behalten würde. Mit einem Wort, sie wollte von der Zärtlichkeit ıhres Herzens nicht mehr wissen, und schrieb ihren gezeigten geringen Widerstand lediglich derjenigen Verwirrung zu, worein sie

durch des Ritters unvermuthete Gegenwart gesetzet worden.«??! Nach ıhrer Rückkehr von einer Badekur fest entschlossen, ihre Zeichen der Zuneigung zurückzunehmen, trifft sie sich mit von Gräfenthal und beschwört ıhn, um

ihrer Seelenruhe und ihrer Ehe willen »ihr nicht weiter mit seiner Liebe zuzusetzen«.”?? Doch der Ritter überzeugt sie, daß seine »mit der allergrößten Ehrerbietung verknüpfte Liebe«, so lange sie verborgen bleibt, ihr nicht schaden kann. Beide leben nun ım Einverständnis, schreiben sich

Briefe, besuchen einander. Ihre tiefe Liebe übersteht zwei Intrigen des in die Gräfin verliebten Herrn von Freyburg. Eines Tages überrascht der betrogene Ehemann von Dornefeld das Liebespaar beim Beisammensein. Erfüllt »von den allergewaltsamsten Leidenschaften, so sich jemalen in einem menschlichen Gemüthe gereget«??? droht er seiner Frau, sie zu ermorden.

Doch Frau von Dornefeld liebt den Ritter tiefer als jemals, »ihr Herze aber war dennoch gegen denselben so voller Liebe, daß sie ihn unmöglich daraus verstoßen, oder aber die Flammen, die sie in seiner Seelen angezündet, miß-

billigen konnte.«??* Von Gräfenthal wird von Schwermut erfaßt. Er beschließt, zum Wohl seiner Geliebten dieser Liebe abzuschwören und das Land zu verlassen, obwohl er weiß, »daß er seine übrige Lebenszeit in

stetem Kummer und Elende würde zubringen müßen«.?? Frau von Dornefeld wird schwächer und schwächer. Sıe entsagt ihrem Ehemann gegenüber ıhrer Liebe zu dem Ritter, spricht von »einer unschuldigen Neigung«.??6 Gleichzeitig weiß sie, daß es für ıhr weiteres Leben nur zwei Möglichkeiten gibt: ein Leben in leidvoller, unerfüllter Liebe oder den Tod. »Diese Liebe benahm ıhr alle Lust zu leben. Sıe sahe, daß sıe solche ın

ihrem Herzen nimmer wieder dämpfen könnte, wenn sie gleich zu ıhrer vorigen Gesundheit wieder gelangte.«”” Langsam werden ıhre Kräfte »durch die gewaltsame Bewegung ihrer Affecten«?2 erschöpft — sie stirbt, weil sie nıcht mehr leben will.

2 Ebd., 5.11. 22 Ebd., S.14. »3 Fbd., 5.59.

4 >35 26 »7 »*

Ebd., S.60. Ebd., S.61. Fbd., S.62. Ebd. Fbd.

132

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

Der Roman handelt von der Absolutheit der Liebe und von ihrer Unvereinbarkeit mit der Realität. Die Liebe zwischen dem Ritter von Gräfenthal und der Frau von Dornefeld ist stärker als alle Lügen und Intrigen und alle vernünftige Rücksicht. Sie scheitert an gesellschaftlichen Normen, an einer aus staatspolitischen Gründen geschlossenen Ehe ohne Rücksicht auf Gefühle. Aus diesem Konflikt zwischen Vernunft und Gefühl deutet der Roman keinerlei Ausweg an, es gibt nur ein Leben in leidvoller Entsagung oder den Tod. Der Tod ıst die Erfüllung der Liebe, die im Leben keine Berechtigung hat. Der Roman überwindet damit die reduzierten, schablonenhaften Vorstellungen vom Sieg der tugendhaften Liebe: Liebe und

Norm sind unvereinbar, Affektkontrolle ist nicht möglich, tugendhafte Liebe wird zur Formel. Als psychischer Vorgang bleibt Liebe schemenhaft, doch sie dominiert emotionale wie rationale Vermögen und ist als Gefühl bedingungslos existentiell.

c) Die Liebe ın der Ehe

Ein eigenes Thema ın den Romanen nach 1750 stellt die eheliche Liebe dar. Diese Ehe-Romane tragen zahlreiche Züge der volksliterarischen Tradition der Ehe-Schulen und Ehe-Spiegel, wie sie auch noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu finden sind.?”

Die Ehe kann zum gesellschaftlichen und ökonomischen Aufstieg oder Ruin führen, sıe kann zur Erfüllung einer Liebe werden

aber ebenso zur

unerträglichen Tortur, zum lebenslangen Krieg zwischen Mann und Frau. Sie kann aus Liebe geschlossen werden oder aus gesellschaftlich-familiären und politischen Gründen - beides ist keine Garantie für ıhr Gelingen. Der Roman Der vom Frauenzimmer unschuldig verfolgte, geplagte und endlich ins gröste Elend gestürtzte Gelehrte oder wahrhaffte Geschichte ei-

nes nicht unbekannten Rechts-Gelehrten, einer grossen und Welt-berühmten Hansee-Stadt, aus dessen eigenhändigen hinterlassenen Nachrichten ans »? 7.B.: Der Spiegel unglücklicher Eheleute, welcher die abscheuliche Gestalt zanksüchtiger Männer und beissiger Weiber, diesen zur Beschämung und Besserung, andern aber zum Abscheu und Warnung, lebhaft vor Augen stellet. Nebst den gewissesten Mitteln, welche diesem Unheil gänzlich abhelffen und solches verhüten werden. Haarburg 1756; Das Gehörige Verhalten in dem ehelichen Leben in einer Reihe von Briefen, entworfen von Frau Juliana Susanna Seymour, für eine Junge Lady, ihre Verwandtinn, welche

jüngstens verheyrathet worden. Aus dem Englischen übersetzt. Erster Theil. Von den Mitteln zur Erhaltung eines glücklichen Ehestandes. Berlin, Leipzig: Verlegt von Johann Heinrich Rüdigern, dem Jüngern, privilegirten Buchhändler: 1759.

Die Liebesgeschichten

133

Licht gestellet, von Tarıno?° macht die Bosheit der Frauen verantwortlich für das Ehe-Leiden der Männer. Er erzählt die Geschichte des schönen und

intelligenten, bei den Frauen erfolgreichen Aquilius, den die Heirat mit der falschen Frau in den Tod treibt. Als er nach mehreren Liebschaften die wohlhabende junge Witwe eines Advokaten kennenlernt, verliebt sie sich ın ihn und bringt ıhn dazu, sie zur Frau zu nehmen. Zu Anfang genießt er, vom Geld seiner Frau studierend, die Ehe: seine Frau ist »willig, gefällig und von guter Aufführung«.?”! Doch nach einem Jahr beginnt ihre Eifersucht und seitdem lebt Aquilius mit ıhr in ständigem Zank. Sie macht ihm Vorwürfe, kontrolliert, reglementiert und verdächtigt ıhn. »[...] sie verfiel auch nunmehro auf den unbesonnenen Einfall, daß Aquilius nicht mehr aus dem Hause gehen dorffte ohne ihre Erlaubnuß. Dieses einzuraumen war

Aquilius nicht gewilliget, dahero kam es zu öfftern Verdrüßlichkeiten. Sie warff ihm mit den hefftigsten Worten vor, in welchen Umständen er vor dem gewesen, und ihm vorrückte, wie er als ein s. v. Betteljung zu ıhr

gekommen und von ıhr nach Nothdurfft versorget und erhoben worden wäre, nunmehro da er zu Kräfften gekommen über sie herrsche, und sie als

eine Magd tractiren wollte; Aquilius begegnete ihr mit aller Gelassenheit, der innerliche Kummer und Gram aber sezte ihm so sehr zu, daß er anfieng an Kräfften abzunehmen, und da er weder Tag noch Nacht Ruhe hatte, ın solche Umstände verfiel, daß er sein Lebens Ende, täglich entgegen sehen

muste.«°2 Statt ıhn zu pflegen und ihm im Siechtum beizustehen, verläßt seine Frau den Sterbenden. »Also muste der geschickte Aquilius, da er der Welt nur zur Lust gemacht zu seyn schiene endlich auf eine so verdrüßliche Art sein mühseeliges Leben beschließen.«?? Wie die Umkehrung der - im selben Jahr erschienenen - Geschichte des Aquilius erscheint Die misvergnügte Ehe ın Adaliens Lebensgeschichte.” Beschrieben wird die Problematik der höfischen Ehe, nicht einer bürgerlichen, angeklagt wird der Mann, nicht die Frau, das Ende ist versöhnlich,

nicht tragisch. Doch auch hier wird der Ehestand als Verhängnis des Lebens verstanden: »Adalie war stetig misvergnügt, und dieses mehrentheils, weil

ihr ın ıhrer Ehe stetig ein Wehe die misvergnügtesten Stunden zuzohe. Sie wird durch ihr Exempel sattsam zeigen, daß der Ehestand einem Sodomsapfel gleiche, welcher von ausen herrlich anzusehen, allein inwendig

°° Frankfurt, Leipzig: in Commißion der Buchnerschen Handlung: 1754. 1

Ebd., S.76.

»2 Ebd., S.77f. >> Ebd., S.78. 3 Frankfurt, Leipzig 1754.

134

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

mit Asche angefüllet ist. Was ist der Ehstand doch ? Ein rechtes Vogelhaus, Die drausen wollen nein, Die drinnen wollen raus.«°° Adalie, geboren im

Jahr 1700 in Neumark ın Bayern als Tochter reicher adliger Eltern, heiratet vier Mal und bringt es durch ihre Eheschließungen bis zur mächtigen regierenden Fürstin und Mutter eines großen Fürstengeschlechtes. Da alle ihre Ehemänner Mätressen und uneheliche Kinder haben, lernt Adalie, in

Heiratsfragen selbst rigoros zu handeln: vom ihrem zweiten eigensinnigen und untreuen Ehemann läßt sıe sich scheiden, den vierten, den alten und häßlichen Fürsten von Terceran, heiratet sie, inzwischen bereits Fürstin von

Solo, aus reiner Staatsraison. Sie erwirbt diese Ehe-Praxıs in ihrer ersten

Ehe mit dem Herrn von Molinde, Kammerherr am churbayrischen Hof in München, die damit beginnt, daß der Bräutigam in der Hochzeitsnacht mit Adaliens Haushofmeisterin Clara schläft. Die Braut ist tief verletzt: »Lieber

Kammerherr! ıch habe diese genaue Bekanntschaft mit der Clara geraume Zeit wahrgenommen, und daß ich ıhrer Vertraulichkeit mit meinen Augen zugesehen, können sie nicht leugnen. [...] Warum wolte man das für einen

Eigensinn halten, wenn eine treue Gemahlin verlanget, ihr Gemahl soll ihr treu und beständig bleiben, und seine Ehre rein und unbefleckt erhalten. [...] Der Kammerherr von Molinde hat seine eheliche Treue gebrochen,

und ich werde hiermit der Claren gern gestatten, ihnen auch des Nachts als eine Beyschläferin Gesellschaft zu leisten. Ich gebe ihnen mein Wort, daß ich das durch ihre Untreue befleckte Ehebette niemals wieder betreten wer-

de. [...] Ich bin einmal eine unglückselige Gemahlin eines galanten Hofmannes, der seiner Gemahlin Ammen aus ihren Mägden machet.«??® Auch der Briefroman Die Braut bis ins Alter, in der nachdenklichen Ge-

schichte Jungfer Julchens aus L*** Von ıhr selbst in vertraulichen Briefen an eine Muhme beschrieben’? erzählt die Lebensgeschichte einer Frau, die nie das Eheglück gefunden hat — diesmal allerdings im bürgerlichen Ambiente. Die reife und lebenserfahrene Heldin Julchen schreibt in Briefen an ıhr Jungfer Mühmchen,

ein Kammermädchen,

über ihr Leben und ihre Erleb-

nisse mit Männern. Trotz zahlreicher Bewerber blieb Julchen unverheiratet. Dafür hat sie in ihrem Leben vieles erprobt: lukrative Verbindungen ohne Liebe, tiefe Leidenschaft, Liebesverhältnisse mit zweı Männern zugleich, mehrere Jahre wilder Ehe, Verlobungen, Betrogen- und Verlassenwerden.

Ihre Analysen am Ende aller Erfahrungen gelten der weiblichen Diskriminıerung in der Geschlechtermoral, sie sind klar und ıllusionslos: »Daß eın 5 Ebd., S.5f. 6

FEbd., S.114-116.

7 In zwey Theilen verfasset. Mit Kupfern. [0.O.] 1764/1765.

Die Liebesgeschichten

135

Frauenzimmer sich merken lässet, daß sie gerne einen Mann haben möchte,

ist thöricht gehandelt. Die Sıttsamkeit, welche unserm Geschlecht zu einer Pflicht geworden ist, verlanget, daß wir dieses unser Anliegen geheim halten müssen; wir müssen uns vielmehr anstellen als ob wır keine Lust zur Liebe

empfänden. Alleın wenn wir auch wirklich keine Neigung zum Ehestand hätten, so sehe ich dennoch nicht ein, was der ledige Stand einem Frauen-

zimmer viel nützet. Vor ledigen Mannspersonen ist es ein anderes. Die machen es in dem Punkte wıe der Kukuk, der seine Eyer ın ein anderes Nest leget. Buhlschaften schänden vor der Welt nicht den Geber, sondern den Nehmer, und dieser ıst unser Geschlecht. Ein alter Junggeselle ist eine fast

rühmliche Person. Ein Hagestoltz pranget unterm Namen eines Philosophen, eines Helden. Aber eine alte Jungfer, ein galantes Alterthum, ist wie

eine angefaulte Aprikose. Jeder, der Große, der Vornehme und der Pöbel

klügelt, es müsse bey ıhr einen Hacken haben, ıhr Gemüth oder ihre Aufführung müsse nıchts taugen, weil sie sitzen geblieben. Sie wird verachtet

und berupfet. Der Kranz stehet nur schön über einem hübschen Gesichte; die Haube ist die Decke der abgeblüheten Reizungen. Man muß aber darnach greifen, wenn man die noch hat, sonst erwischet man kaum einen Strohhuth. Schminke und Großthun führen zwar zuweilen Einen ıns Garn,

aber wenn der Betrug sıch offenbaret, entstehen gemeiniglich Nachwehen daraus. Verschlagen Sie Sich, Madmosell, also keine vortheilhafte Parthie, die Ihnen das Glück anbeut. Mustern Sie nicht zu sehr, wie scheinkluge Spröden.«??® Anders als die ım reifen Alter reiche, angesehene und mächtige

Fürstin Adalie ist das bürgerliche Julchen als alternde Abenteuerin ohne Ehemann dem allgemeinen Gespött preisgegeben, »verachtet und berupfet«. Nun bereut sie, die sıch früher nie für einen Mann entscheiden konnte und

keine Leidenschaft ausließ, nicht geheiratet zu haben. Kluger Pragmatismus,

Selbstbeherrschung und sittsame Verstellung führen nach ihrer altersweisen Erkenntnis in den Ehestand, Leidenschaft dagegen verhindert jede kluge

eheliche Verbindung. Um

gesellschaftliche Reputation zu erfahren, muß

eine Frau sich in die ungerechte Doppelmoral fügen und ihre erniedrigende geschlechtsspezifische Rolle annehmen. Und doch überzeugt Julchens späte Einsicht nur halb, glaubwürdiger denn als weiblicher Tugendapostel ist sie als pıcara der Erotik, nicht zuletzt weil die Reue zum Schluß unvermittelt

und pikarisch-formelhaft über sie kommt (»bin ich endlich in mich gegangen, und habe allen diesem Leben gute Nacht gesagt«°?”). Als bis ins Alter vitale, selbstbestimmte Frau predigt sie Tugendregeln, die ihr zutiefst we-

”® Ebd., S.351f. 9 Ebd., S.528.

136

Das Spektrum der Romane zwischen 1750 und 1770

sensfremd sind und die daher ım Kontext ihrer Lebensgeschichte wenig Nachdruck erfahren. Ihre Affırmation der gesellschaftlichen Rollenzuwei-

sungen für Männer und Frauen erscheint eher wie späte Resignation oder ein formelhaftes Lippenbekenntnis denn wie eine tief verinnerlichte Überzeugung. Zwar proklamiert sıe die Normen der zeitgenössischen Ehe- und Geschlechtermoral, doch ın einem ausgesprochen kritisch-mockierenden, distanzierten Ton. Julchen, »dıe Braut bis ıns Alter«, ist daher keine exem-

plarische, geläuterte Tugendfigur, sondern eine ın sich zwiespältige, zerrissene Heldin, »nachdenklich«, wıe es ım Titel heißt, über die Unvereinbarkeit von Norm

und Leben.

V. LEBEN ZWISCHEN ANSPRUCH UND VERMÖGEN

1. Die Macht der Dynamik: Der getriebene Held

Werner Frick hat ın seiner Studie über die Schicksalssemantik in Romanen des

Barock

und

der Aufklärung

(Providenz

und Kontingenz)

die den

Abenteuerromanen des frühen 18. Jahrhunderts zugrundeliegende frühbürgerliche Ideologie am Beispiel von Robinson Crusoe dargelegt." Sıe ist gekennzeichnet von der immanenten Dichotomie von Providenz und Kontingenz, von der spannungsvollen Gleichzeitigkeit von aktiver, teleologi-

scher Diesseitsbewältigung und Vertrauen in providentielle Lenkung. Robinson Crusoe liegt eine physiko-theologische Providenz-Konzeption zugrunde, nach der sıch der göttliche Wille in dem vollkommen geordneten Vernunftgebäude der Schöpfung offenbart. Die alten, biblisch überlieferten

Vorstellungen der orthodoxen Theologie von über den kausalen Gesetzen der Natur wirksamen göttlichen »Wundern« treten ın den Hintergrund. Aus der bewundernden Anschauung des rationalen, kausalmechanischen

Weltkörpers und seinem analytischen Nachvollzug durch den Menschen wird Gottes providentieller Plan sichtbar. Die implizierte Wende zum An-

thropozentrismus unterwirft den Menschen trotz seiner begrenzten Einsicht ın das göttliche Walten hinter den Dingen der Pflicht, durch empirische und rationale Analogieschlüsse aus der beobachteten Lebenspraxis die

göttlichen Prinzipien und Dekrete abzuleiten und diese seinem Handeln und seiner individuellen Lebensplanung zugrundezulegen. Die puritanische frühbürgerliche Schicksalssemantik verbindet sich mit einer neuen Verhaltensethik, die aktives, rationales Handeln nach Kriterien der Umsicht, Planung, Kontrolle und Disziplinierung der alten schicksalsergebenen constantia entgegensetzt. »Ihe wısdom of providence« ist bei Defoe eine rational

kalkulierbare ethische Kontrollinstanz. Jedes gelingende menschliche Handeln steht im Einklang mit der Schöpfung und mit Gottes Plan und Willen, jedes scheiternde Handeln ist unklug, unvernünftig und gleichzeitig unmoralisch. Robinsons Insel, dem allen möglichen natürlichen wie mensch-

lichen

Kontingenzen

ausgesetzten

Gegenbild

geordneten zivilisierten Gesellschaftsordnung,

0

Frick 1988, $S.103-153.

zur

hierarchisch-rational

erzwingt vom

Helden

die

138

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

Disziplinierung der inneren wie der äußeren Natur: Robinson muß seine Begierden und Leidenschaften bezwingen und in seiner Umgebung

nach

Kriterien der Rationalität und ökonomischen Zweckhaftigkeit eine gesetzmäßige Ordnung herstellen. Die Inselperiode gerät so, wie Frick schreibt, »zur Apotheose einer providentiell interpretierten Ordnung, sie ist Ausdruck »eines (implizit philosophischen) Modus praktischer Weltaneignung".

Die frühbürgerlichen Abenteuerromane wie Robinson Crusoe demonstrieren, daß ein strebsames, diszipliniertes Leben innerhalb der Normen und Regeln der bestehenden, providentiell-gottgefälligen Sozialordnung ein

glückliches Leben sein muß. Außerhalb dieser Normen bleibt der Mensch unglücklich: er ıst der Virtualität der Kontingenzen ausgeliefert — den in ihm wohnenden Leidenschaften und Affekten wie den äußeren Fatalitäten

des Lebens. Doch die Lebensgeschichten nach der Jahrhundertmitte sind sich der Prinzipien und Normen für ein glückliches Leben keinesfalls mehr sicher.

Hier tritt ein meist aus dem gehobenem Bürgertum stammender IchErzähler vor den Leser, der, nachdem er sich vorgestellt hat, die Schilde-

rung seines Lebens beginnt. Nach der Beschreibung seiner Eltern, deren Herkunft, Stand und Beruf berichtet er von seiner Jugend, Erziehung und Ausbildung. Es folgt die lineare, chronologische Schilderung der Begebenheiten seines Lebens, die mit der Erzählgegenwart endet, aus der der Erzähler Rückschau hält. Die Lebenslage, in der er sein wechselvolles Leben, die Widrigkeiten und Glücksumstände Revue passieren läßt, ist immer die

endlich erreichte Glückseligkeit im Kreise des geliebten Ehepartners, der Kinder

und

Freunde.

Sein

bisheriges

Leben

verlief

ereignisreich,

oft

abenteuerlich, immer ruhelos. Unglücksfälle und Fatalitäten, glückliche Koinzidenzen,

Hoffnungen

und Enttäuschungen

reihen sıch aneinander.

Lebensphasen, ın denen der Erzähler glaubt, alles erreicht zu haben, wech-

seln sich ab mit Krisen, Verlusten und Enttäuschungen. Seine Lebenskrisen sınd immer existentiell, die Konflikte unlösbar. Sıe treiben den Erzähler ın Zustände tiefster Verzweiflung: »Nunmehr war ich in einem Zustande, der

kaum zu beschreiben ıst, das Glück hatte mich stuffenweise fallen lassen, und nun glaubte ich, die letzte erreicht zu haben. Durch so viele Unglücks-

fälle getroffen schien es, als ob mich eine gewisse Art von Fühllosigkeit beherrschte. Mein Herz nahm zu gewissen Zeiten an nichts Antheil. Kein Vorwurf brachte mich in Bewegung, und zu einer andern Zeit würkte die

1

Ebd., S.144.

Der getriebene Held

139

Vorstellung meines Unglücks um so viel stärker in meiner Seele. Die gepreßte Wehmuth brach in lauten Klagen aus, welche selbst die Unempfindlichkeit erweicht haben würde.«’*? Aus solcher Ausweglosigkeit vermag das Ich nur noch zu fliehen: nach einer Enttäuschung begibt es sich auf Reisen, die es ın die ganze Welt, an entlegenste Schauplätze führen und es mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenbringen. Häufig gewinnt der Erzähler wieder Freundschaft, Vertrauen, Liebe, Geborgenheit, und wieder verliert er alles ohne eigenes Verschulden. Er erfährt erneut Verrat, Täu-

schung, Betrug, Intrige, Grausamkeit und Tod. Erneut ist er am Ende seiner Kräfte und flieht weiter. Viele der Protagonisten sind Fliehende und Getriebene, die Phasen höchsten, intensivsten Glücks erleben und nach dessen

plötzlichem Verlust Zustände unbeschreiblichen seelischen Leides. Sehr oft gibt es nur diese drei Seelenzustände: kurzes, vorübergehendes Glück, tiefste Verzweiflung und ein gefühlloses Sich-Treiben-Lassen von den Fährnis-

sen der Lebens-Reise. Nie kommt der Held zur Ruhe und zur Besinnung über das, was

ihm widerfahren

ist, er ist vielmehr in ständiger,

rastloser

Bewegung durch die Welt. Seine Reisen sind Fluchten, keine Abenteuerreisen. Das, wonach er sucht und die Glückseligkeit nennt, gewinnt erst am Ende, nachdem er es gefunden hat, Konturen: dauerhafte, vertrauensvolle menschliche Beziehungen zum Lebenspartner, zu den Kindern und Freunden, stabile soziale und ökonomische Verhältnisse, Heimat, Ruhe und Ge-

borgenheit. Doch wie das Ich diese Glückseligkeit gewonnen hat, kommt nicht wirklich zum Ausdruck. Der Held der Lebensgeschichten

ist keine Exempelfigur,

die ein be-

stimmtes Lebensprinzip verkörpert. Sein Prinzip ist ein Fliehen und Getrieben-Werden auf der Lebens-Reise, nicht die Selbstbehauptung. Die Figuren der Lebensgeschichten sind weder vorbildhaft gut noch abschreckend schlecht, es gibt kein gutes Handeln, das belohnt, kein lasterhaftes, das bestraft würde. Die Impulse der Lebensgestaltung gehen vom Menschen aus, doch wie und warum, wird nicht deutlich. Der Handlungsgang, der sich nach

dem

Schema

>...

und

dann

... und

dann

... und

dann«

fort-

schreibt, läßt Kausalitäten nur erahnen. Antriebe und Wendepunkte der Lebens-Reise sind immer Liebe, Freundschaft, Schuld, Täuschung und Verrat, ıhr unbekanntes,

am Ende erreichtes Ziel ist soziale Harmonie.

Doch

weder Rationalität, tugendhafte Bewährung noch Gelassenheit gegenüber den Schicksalsschlägen des Lebens sınd als Handlungsprinzipien des Helden erkennbar. Die endlich erreichte Glückseligkeit ıst keine finale Beloh-

2 Brandes, Die Folgen der Großmuth und Redlichkeit 1762, $.66.

140

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

nung für Bewährung, sie ist vielmehr wie ein tiefer Wunsch, wie die Lebens-Sehnsucht des Protagonisten zu verstehen, über deren Erfüllung es auf einer Reise ohne Ziel - keine Gewißheit gibt. Auch im Bewußtsein, das lang Gesuchte endlich gefunden zu haben, hat das Ich keine Gewißheit von der Dauerhaftigkeit dieses Zustandes. »Wie lange wird wohl meine jetzige Glückseeligkeit dauern %« fragt sich der Erzähler des von Christoph Gottlieb Richter verfaßten Romans Die Schwachheit des menschlichen Herzens bei den Anfallen der Liebe?" am Ende. Sein Leben war bis dahin eine Aneinanderreihung tiefster menschlicher Enttäuschungen gewesen. »Ich weiß nichts von Gedult, Seufzern, Briefen, Liedern, und andern zärtlichen Bemühungen,« schreibt er in seiner Vorrede, »welche sonsten einen Romanhelden machen. Mein Werk war eine redliche Einfalt in meinen verderbten Wegen. Ich hatte ein gutes Herz, und war ein

Feind von Verstellung. Es war also kein Wunder, daß ich an die Klippen der Liebe so oft gestossen, und meine Geschichte eine Reihe von allerhand sich

widersprechenden Begebenheiten ausmachen.«?* Er betrachtet sein Leben wie eine Kette von widersprüchlichen Begebenheiten, deren Verbindung und Zusammenhang, deren Ursachen und Wirkungen ihm verborgen bleiben. Das Verhalten der Menschen, die ihm begegneten, erscheint ıhm auch

im Nachhinein noch undurchschaubar und unverständlich. Was Tugend und Laster ım Leben bedeuten und woran man sie erkennt, sınd keinesfalls

Einsichten, die in den Erfahrungen eines wechselvollen Lebens erworben wurden: »Nichts destoweniger darf ich auch der Tugend selbsten dieses Buch empfehlen. Sıe hat den Verdruß ın unsern Tagen, daß man sie nicht

eher erkennet, als wenn sie mit dem Laster umgeben ist. So hat sich ıhr Bild erst bey mir erkläret, da ich müde worden, mit ihrer Feindin mich gegen sıe

aufzulehnen. Sie hat mich zulezte ergriffen, da mir das Laster nicht den gehörigen Sold gezahlet, und mich in ihren Dienst aufgenommen, da ich anfangen wollte, der Welt Abschied zu geben, und bey dem Aberglauben meine Hülfe zu suchen. [...] Ich habe gezeigt, wie ein Mensch, der sıch seinem

eigenen

Hang

überlässet, eine Creatur

seye, so mit Lust auf den

Fluren der verderbten Welt weydet; wie er Regungen bey sich empfinde, die sein Gewissen wider seinen Willen aufwecket; und wıe bisweilen eine

höhere Langmuth sich so gar sehr um den Menschen bemühe, daß sıe ihn zu bessern Begriffen bringe, daßß das Glück eben so wohl seinen Lastern ein Ziel setze, als es die Tugend belohnet.«°# ’® Frankfurt, Leipzig: verlegts Georg Peter Monath: 1755. »# Ebd., S.3f. »» Fbd., S.3-6.

Der getriebene Held

141

Die Passivität gegenüber Lebenskrisen, die Fluchten vor Enttäuschungen und Konflikten lassen eine wachsende Verwirrung zurück. Der Held erkennt immer weniger, wie er handeln soll, um glückselig zu werden. Die am

Ende erlebte Tugend und Glückseligkeit sind nicht erworben, der Erzähler stellt sie vielmehr wie ein höheres Geschenk dar, das ıhn ın der Phase der Resignation und Weltabkehr nach einer langen leidvollen Lebens-Reise

»ergriffen« und »in ihren Dienst aufgenommen« hat. Erst in der erinnernden Rückschau erscheint sein früheres Verhalten als »redliche Einfalt ın meinen verderbten Wegen«°*, erst am Ende wird dem Protagonisten deut-

lich, was in seinem Leben tugendhaft, was lasterhaft war. Tugend und Laster sind hier Kategorien, die nicht empirisch, durch Lebenserfahrung

Bedeutung

erhalten,

sondern

die wie

metaphysische,

pseudo-religiöse

Norminstanzen einem Leben nachträglich Sinn geben, es deuten und bewerten. Der Mensch ist zwar Herr seiner Entscheidungen und seiner Le-

bensgestaltung und mit »Regungen«, mit »Lust«, »Gewissen« und »Willen« ausgestattet, doch er ist nicht aus sich selbst heraus ın der Lage, Glück und

Tugend zu erlangen. Glück und Tugend kommen vielmehr über ıhn, wenn er es am wenigsten erwartet. In Die Schwachheit des menschlichen Herzens wird die Opazität des menschlichen Lebens anhand der Liebe demonstriert. Der Erzähler, geboren 1696 ın Aıx en Provence

aus einem vornehmen

französischen

Ge-

schlecht, lernt in Paris das Kriegshandwerk und wird sıiebzehnjährig Mitglied des Malteser-Ordens und Ritter von Belicourt. Zu dieser Zeit verliebt er sich heftig in die Kaufmannstochter Justine, die seine Liebe erwidert. Doch der Vater Belicourts verbietet diese Liaison wegen der »Unanständigkeit und Ungleichheit meiner Liebe mit meiner Geburt und Stand«°”. Er

schickt den jungen Ritter auf Reisen und Justine in ein Kloster. Auf Zureden seines Dieners entführt der Erzähler Justine aus dem Kloster und das junge Paar läßt sich mit vom Vater des Ritters gestohlenen Geld in Paris nieder, wo es eine glückliche, verliebte Zeit erlebt. Auf Reisen lernen beide den reichen englischen Kaufmannssohn

Baron Wequerk

kennen,

mit dem

Justine eines Tages, während der Erzähler in Parıs Kleider für sıe einkauft, heimlich und mit einem großen Teil des ritterlichen Vermögens nach Eng-

land fährt. Dem Betrogenen bleibt nurmehr ein »mittelmäßiges Kapiıtal«. In einem »elenden Zustand« fragt er sich, »wie ich so grausam von einer Person betrogen worden, für die ich alles aufgeopfert« und wie sich »unter dem Schein der zärtlichsten Liebe die schändlichste Untreue verbergen kan«.?*® »# Ebd., S.3. 7 Ebd., S.28. ’”# Fbd., S.46.

142

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

Er verläßt seine Heimat und begibt sich als Garde-Marineoffizier auf Reisen ın afrıkanische und amerikanische Gewässer. Zurück in Frankreich lebt er einige Zeit bei seinem vertrauten Freund Baron von L* in Lyon und verliebt sıch dort in Susette, deren Eltern sich auf seinen Antrag hin eine

Woche Bedenkzeit ausbitten und ihre Tochter währenddessen mit einem alten Offizier verheiraten. »Meine aufgebrachte Wuth über diesen mir wiederfahrnen Streich war ganz ausgelassen, man glaubte lange Zeit, daß ich hierüber den Verstand oder mein Leben einbüssen würde. Endlich verrauchten diese heftigen Bewegungen in Vorwürfe, ın Verwünschungen wi-

der meine Freunde, und die, so mich meiner Meynung nach betrogen, gegen mich selbsten, und gegen die ganze Welt. Die Zeit, so allgemach mich wieder zu sänftern Gedanken brachte, hatte meinen grossen Schmerzen fast um gar nichts verringert; und die Narben eines Herzens, die sich durch die Länge der Jahre überwachsen, sind auch jetzo noch so empfindlich, da ich

diesen betrübten Umstand meines unglückseeligen Lebens beschreibe; ich kan mich auch jetzt nicht enthalten, Thränen zu vergiessen.«’” Als ıhm kurz darauf die Ehefrau seines Freundes ıhre Liebe erklärt, reagiert der

Erzähler mit »Abscheu auf eine so ausgelassene Art an dem liebsten Freund von der Welt mich zu versündigen«.?? »Ich bedauerte ihn, daß ich ihn der allerärgsten Untreue einer Person ausgesetzt sahe, von der er glaubte, so

zärtlich geliebt zu seyn. Ich verfluchte mehr, als einmal die Weiber.«?! Schon bald bekommt der Ritter von Belicourt die Rache aus verschmähter Liebe zu spüren: zweı Mordanschläge der Baronın von L* scheitern. Ihr Kammermädchen berichtet, daß die Baronin Susettes Briefe unterschlagen

und die Nachricht, Susette hätte einen alten Offizier geheiratet, erfunden habe. Erst als sich der Ritter zurückzog, habe Susette diesen wirklich zum Mann genommen. Der Erzähler verläßt fluchtartig Lyon und nımmt sich in Paris ein Zimmer. Er lernt eine in der Nachbarschaft wohnende junge Frau kennen,

verliebt sich ın sıe, stellt sich ihrer Familie vor. Sıch bereits

als

Mitglied der Familie betrachtend bietet er seiner Verlobten Geld an, das

diese auch annimmt. Doch am nächsten Morgen sind die Leute ohne Auskunft über ihren Verbleib verschwunden und lassen nur ein Billet zurück: »>Jeder nährt sich mit seiner Kunst und Handwerk; das Unsrige besteht darınn, daß wir jungen Leuten, so ın die Welt ausfliegen, lernen, wie sie

vorsichtig leben sollen. Diese Lection hat allerdings ıhren Werth, wie das wunderbare Geheimnifß, so wir besitzen, eine spate Erfahrung zu beschleu> Ebd., S.71. 0° Fbd., 5.77. >! Ebd., S.78.

Der getriebene Held

143

nigen. Es ist uns endlich zu Herzen gegangen, euch, werther Freund, noch länger in Irrthum zu lassen, und wir setzen Hundert gegen Eins, daß die

baldıge Würkung unseres Mittels euch helfen wird, künftig nicht mehr dieser Krankheit unterworfen zu seyn. Lebet wohl, gebt euch zufrieden;

es

nutzet euch nichts, vergebliche Nachforschung um uns anzustellen.««?? Wieder werden Liebe und Vertrauen, Hoffnungen und Erwartungen des Erzählers enttäuscht. Verrat und Intrige widerfahren ıhm gerade von den Menschen, denen er sıch nahe glaubt. Dieses letzte Erlebnis demonstriert ihm schlagend seine Arglosigkeit. Betrug und Mißtrauen werden hier zur wohlmeinenden

Lebens-»Lection«, zum »wunderbaren Geheimniß«, ihre

Verbreitung als »Kunst und Handwerk« verstanden. Verzweiflung, Scham und Rache treiben den fast mittellosen, sozial deklassierten Erzähler wıeder

auf Reisen. Nach verschiedenen Erlebnissen wird er Soldat. Als er krank und pflegebedürftig ist, verliebt sich die verwitwete Spitalverwalterin in ıhn. Die Frau ist bereit, ihn beim Regiment auszulösen und ıhn zu heiraten,

doch vorher flieht er mit ihren tausend Franken Vermögen. Damit ist, ohne daß dies im Roman irgendwo ausdrücklich gesagt oder reflektiert würde,

die vorangegangene »Lection« erfolgreich gewesen: der Betrogene ıst, dem alten pikarischen Desillusions-Prinzip entsprechend, zum Betrüger geworden. Doch auch jetzt nehmen seine Fatalitäten kein Ende - ım Gegenteil. Als der Erzähler in England seine erste betrügerische Geliebte Justine wiedertrifft, zeigt sie sich plötzlich voll Reue und Liebe. Beide bleiben zusammen und reisen zurück nach Frankreich. Ein alter Seekapıtän wirbt um Justine und als der Ritter von Belicourt mit ihm im Kampf aneinandergerät, kommt der Rivale ums Leben. Der Erzähler wird daraufhin enteignet und zum Tode verurteilt, es gelingt ihm jedoch vorher zu fliehen. Justine stirbt vor Kummer. Der Held flieht nach Spanien, verliebt sich dort in eine Nonne, schreibt ihr einen Liebesbrief und wird für fünf Jahre in ein Gewölbe

eingesperrt. Zurück ın Frankreich verschafft ihm ein Freund eine Stelle ın einer »Finanzstube« in Metz, wo er eine schöne junge Witwe kennenlernt und heiratet. Doch nach einem Jahr glücklichen Zusammenlebens stellt sich durch einen Zufall heraus, daß die Ehegatten in Wahrheit Geschwister sınd. Beide beschließen, als solche weiter zusammenzuleben und ıhre Verwandt-

schaft vor anderen zu verschweigen. Nach dem frühen Tod der Schwester

verkauft der Erzähler beider Besitz und lernt das Apothekerhandwerk. Er verliebt sich ın die Witwe eines Patienten, die sıch als seine alte Liebe Susette zu erkennen gibt. Beider Verbindung war vor vielen Jahren an der

»2 Ebd., S.96.

144

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

Intrige der verliebten

Baronin

von

L*

zerbrochen.

Sie heiraten

in Paris,

wo der Erzähler auch seinen Bruder, der lange in Afrıka gelebt hat, wiedertrıfft. Im Kreise weiterer Freunde verleben die drei eine glückliche, harmonische Zeit. Als Susette dıe Güter des befreundeten Herrn de la Biche erbt,

ist man aller finanziellen Sorgen ledig. Doch der Erzähler ist vorsichtig: »Wie lange wird wohl meine jetzige Glückseeligkeit dauern %« fragt er am Ende. Die Schwachheit des menschlichen Herzens hinterläßt den Eindruck der Konfusion, der atemlosen, sich steigernden Dynamik der Ereignisse. Trotz

einfachster linearer Erzählstruktur wirkt die Handlung unübersichtlich, verwirrend, kumulierend. Der Grund dafür liegt in der vollkommenen Unmotiviertheit und kausalen Unverbundenheit der Geschehnisse. Hand-

lungsmotivationen der Personen sind zu erahnen, nie mit Gewißheit zu erkennen. Bestimmend bleibt der Ausdruck des Getriebenseins des Erzäh-

lers, der Halt- und Ruhelosigkeit, der Beliebigkeit der Ereignisse. Den Protagonisten treiben seine Affekte in immer neue Krisen. Alle Schicksalsschläge im Roman

— Betrug, Intrige, Kampf,

Gefangenschaft

— entstehen

aus Liebe. Die Liebe ergreift den Erzähler psychologisch unmotiviert, in »Anfällen«, wıe es bereits ım Titel heißt. Sie ıst der Motor seines Handelns, macht ıhn aber auch passıv, schwach, verletzbar, fliehend vor den erfahrenen Fatalitäten, ın die die Liebe in geführt hat. Anders

als Schnabels /m

Irr-Garten der Liebe herum taumelnder Cavalıer (1738), der — noch ganz

Schelm - trotz schlimmer Erfahrungen in seinen wechselnden

Liebes-

Avanturen immer wıeder Lust und Genuß sucht und findet, ıst der Erzähler hier der Liebe leidvoll unterworfen, ist die Liebe sein Verhängnis. Sein

ganzes Leben erscheint dem Erzähler, wie er in der Vorrede schreibt, undurchschaubar, ohne Erklärung und tieferen Sınn. Vertrauen, Liebe, Freundschaft, Betrug, Verletzung und Intrige wıderfahren dem Menschen

und bleiben ihm rätselhaft. Gleichzeitig sind nur sie verantwortlich für die Dynamik der Handlung. Die Affekte sind handlungsmotivierend und lebensgestaltend, ohne daß der Mensch verstehen kann, warum und wie. So muß dem Erzähler, wie er in der Vorrede schreibt, sein Leben widersprüch-

lich erscheinen. Wenn aber bereits die einzelne Lebenssituation als undeutbar erlebt wird, so muß dies umsomehr für die moralischen Kategorien Tugend und Laster gelten. Tugend und Laster geben der kontingenten,

dynamischen Lebensbahn keine sinnstiftende Tiefendimension. Ihre Beschreibung ın der Vorrede ist abstrakt, formelhaft und losgelöst von den

Ereignissen des Romans. Die Tugend->Erleuchtung« des Erzählers am Ende erscheint ebenso unmotiviert wie jedes andere Ereignis seines Lebens: sie ergriff ihn, als er am wenigsten an sıe glaubte.

Der getriebene Held

145

Zahlreiche Handlungselemente und Motive von Die Schwachheit des menschlichen Herzens erinnern an Prevosts Manon Lescault und lassen auf dessen Vorbildhaftigkeit schließen???: von Belicourt ist wie Prevosts Chevalier des Grieux Ritter des Malteserordens und verliebt sich wie dieser als Jüngling leidenschaftlich und unstandesgemäß. Justine erwidert wie Manon seine Liebe heftig und wird daraufhin ıns Kloster geschickt. Wie des Grieux entführt auch von Belicourt seine Geliebte von dort und zieht mit ıhr nach

Paris, wo das junge Paar eine glückliche Zeit verlebt. Justine wird wıe Manon plötzlich und unvermutet untreu, und wie des Grieux verzeiht von Belicourt der Geliebten wieder. Wie des Grieuxs ıst auch von Belicourts Leben begleitet von finanziellen Krisen und schrittweiser sozialer Deklassierung, wie des Grieux zwingt auch ıhn das Leben zu Betrug und Falschheit. Von den zahlreichen Einzelmotiven abgesehen ist es der Grundimpuls des Helden, der Die Schwachheit des menschlichen Herzens mıt Manon Lescault verbindet — seine ohnmächtige, fatale Getriebenheit durch Passionen, dıe absolute Herrschaft der Leidenschaften über sein Handeln. Doch

anders als in Manon Lescault, wo dıe Passıon zu einer Frau unaufhaltsam zum Ruin des Helden führt, erlebt von Belicourt immer wieder neue Lieben und findet zuletzt bei Susette Ruhe und Erfüllung. Die semantisch

komplexe Gestaltung der existentiellen erotischen Besessenheit des Grieuxs von Manon ist mit der vordergründig-flachen Darstellung der Lieben des Ritters von Belicourt kaum zu vergleichen. Dessen Liebesbindungen sınd

austauschbar, dıe Frauenfiguren bleiben ohne Plastizität und erhalten lediglich durch ihre Namen Individualität. Gemeinsam ist beiden Helden, daß

ihr Leben bestimmt wird durch leidenschaftliche Gefühle, die jede Vernunft und Ordnung außer Kraft setzen und denen ständische und ethische Rücksichten zum Opfer fallen. An die Stelle der Providenz tritt die leidenschaft-

liche Liebe als höchstes Prinzip und neue Schicksalssemantik. Des Grieux beschreibt in den Selbstdeutungen seines Lebens seine Passion als Schicksal, dem er ohnmächtig ausgeliefert und verfallen ist.”°* Er wird durch seine Leidenschaften zum passiven Spielzeug der fortuna ohne selbständige Handlungsfähigkeit und ıst der Verantwortung und Schuldhaftigkeit für sein Leben entzogen. Sein Lebensweg und dessen schließliche Katastrophe scheinen unabwendbar und vorherbestimmt — wodurch, bleibt unklar und

verworren. Prevosts Roman versammelt eine Vielzahl von widersprüchli>> Vgl. zur Prevost-Rezeption in »Die Schwachheit des menschlichen Herzens« Friedrich 1929, S.104-107.

+ Vgl. zur Providenz- und Schicksalssemantik in »Manon Lescault« die Interpretation von Werner Frick ın »Providenz und Kontingenz< 1988, S.153-186.

146

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

chen Deutungen. Des Grieuxs Erklärungen für sein Leben sind willkürlich, eklektisch und formelhaft, er macht gleichzeitig das Schicksal, das Verhängnis, die

Götter

und

Gott

verantwortlich,

er interpretiert

sich

als den

unbekannten Gewalten seiner Leidenschaft ausgeliefert.?° Durch die Einkleidung seiner seelischen Abhängigkeit von Manon in traditionelle, aber sinnentleerte Schicksalsformeln wird die Passion ins Metaphysische verwie-

sen, doch indem Prevost die Voraussetzungen und die Entwicklung der seelischen und sexuellen Hörigkeit ins Zentrum stellt, erhält des Grieuxs

Leidenschaft eine psychologische Vertiefung und Komplexität, die dem deutschen Roman vollkommen fehlt. Des Grieuxs in der Mythisierung seiner Leidenschaft erkennbares Unvermögen, Erklärungen für sein fatales Schicksal zu finden, ıst Ausdruck seiner selbstgewählten totalen Auslieferung an seine Passion, seines Verzichtes auf Autonomie des Handelns.’ In Die Schwachheit des menschlichen Herzens sınd dagegen, von der Vorrede

abgesehen, selbstdeutende Aussagen des Erzählers selten. Von Belicourt erfährt sich und die Menschen, denen er begegnet, als von ihren Affekten

geleitete Subjekte, deren Handeln jedoch, da den Figuren jede psychologische Vertiefung fehlt, unergründlich, unverständlich, unvorhersehbar bleibt. Die Menschen haben keine Kontrolle über sich und ıhr Handeln, ın rastloser Dynamik und ohne erkennbaren Sinn nähern sie sich an und stoßen sich wieder voneinander. Die Motivation ıhres Fühlens und Handelns

bleibt im Diesseits verborgen. Menschliche Beziehungen, Freundschaft wie Liebe, haben die Qualität von Fatalitäten. Liebe, Liebesentzug, Betrug und Verrat sind unerklärliche Phänomene und gleichrangig mit der schicksalhaft offenbarten Geschwisterliebe. Die Welt ist unergründlich, »eine Reihe von

allerhand sich widersprechenden Begebenheiten«, wie der Erzähler im Vorwort schreibt, das glückliche Ende bleibt ohne Sinn. 2. Die Macht der Triebe: Der Konflikt zwischen Natur und Tugend Johann Gottlob sıch von vielen Romane durch Helden ab. Die

Benjamin Pfeils Die Geschichte des Grafen von P.?? hebt der ın den fünfziger und sechziger Jahren erscheinenden die differenzierte Darstellung psychischer Vorgänge des inneren Konflikte sind dort vor allem durch ihr Handeln

35 Frick schreibt, sie »erwecken den Eindruck willkürlich und nach Bedarf herbei-

assoziierter rhetorischer Beglaubigungs- und Pathosformeln.« (1988, S.179). > Ebd., S.180f. »7 Leipzig: in Lankischens Buchhandlung: 1756.

Der Konflikt zwischen Natur und Tugend

147

und Reagieren beschrieben. Pfeils Graf von P. gibt dagegen seinen Gefühlen sprachlich nuancıert Ausdruck. Dabei ähnelt seine Lebensgeschichte sehr denen seiner literarischen Zeitgenossen: von P. ist, wie so viele Romanhelden dieser Zeit, eın von der Liebe Getriebener, der Liebe Unterworfener,

dessen Lebensproblematik aus der unergründlichen Macht seiner Gefühle über seine Entscheidungen entsteht. Aus Liebe gerät von P. von einer Krise in die nächste. Er erfährt mehrere tiefe Lieben, erlebt die gleichzeitige Passıon für zwei Frauen und das unerwartete Aufflammen einer alten Leiden-

schaft. Von Geliebten widerfahren ıhm Betrug und Intrige. Ihm begegnet treue Freundschaft ebenso wıe Freundesverrat, an dem er verzweifelt. Sein

Leben ist verwirrt, weil er impulsiv und unkontrolliert seinen starken Emotionen nachgibt. Er empfindet Haß, Rache, Eifersucht, Neid und Leidenschaft, immer auf tiefste, existentielle Weise. Seine Lebensgeschichte ist eın

Bekenntnis dieser »Schwachheiten«: »Ich übergebe hierdurch der Welt ein ordentliches Verzeichnis meiner Schwachheiten. Die wenigsten Scenen mei-

nes Lebens enthalten etwas Rühmliches für mich. Was wird sie für ein Urtheil über meine Unternehmung fällen ? Doch sie, die so oft stolz darauf ist, sich ihrer Laster zu rühmen, wird mir erlauben, die meinigen zu gestehen, um vor diejenigen Tiefen zu warnen, in welchen ich ohne eine höhere Hülfe versunken seyn würde. Ich habe mich nicht geschämt Fehler zu begehen, warum will ich mich schämen sie zu bekennen % °°® Die Kette der Liebesverhängnisse beginnt damit, daß der Graf sich als Jüngling in seine Cousine Carolina verliebt, die seine Zuneigung auch erwıdert. Während eines Aufenthaltes mit seinem Hofmeister ın Paris lernt er den Engländer Worden kennen und entbrennt in Liebe zur Tochter der Hauswirtin, Julie, die ihn zwar lıebt, seine Zärtlichkeiten aber zurück weist.

Nach einiger Zeit gelingt es dem Qualen der Leidenschaft ausstehenden Grafen, ihren tugendhaften Widerstand zu brechen. Julie wird schwanger, sie wird ın eın Kloster gebracht, das Kind wird später von ıhr getrennt. Den Heiratsantrag des Grafen lehnt sie ab, weil sie der auf einem »Fehltritt« beruhenden Verbindung zwischen einer Bürgerlichen und einem Grafen keine Zukunft gibt. Doch von P. verliebt sich schon bald wieder leidenschaftlich. Fanchon bezaubert den Grafen so, daß er ihr seine Hand anbietet. Die

Warnungen

des

Freundes

Worden,

die Geliebte

sei eine Dirne,

beachtet er nicht. Als er erfährt, daß Fanchon auf Wordens Veranlassung hın festgenommen und nach Le Havre gebracht worden ist, reist er unverzüglich dorthin, um sie zu befreien. Die beiden heiraten und leben eine

8 Ebd., S.1.

148

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

Zeitlang in Vergnügen und Wohlstand. Weil es einem Onkel gelingt, die im

Ausland geschlossene Ehe seiner Eltern für ungültig zu erklären, verliert der Graf von einem Tag auf den anderen sein gesamtes Vermögen. Er be-

ginnt zu spielen und macht Schulden, um Fanchon weiterhin ein Leben in Luxus

bieten zu können, doch als das Geld weniger wird, veranlaßt Fan-

chon seine Einsperrung ın den Schuldturm. Zu spät und erst nach einigen Verwicklungen erkennt von P., daß Fanchon eine Mätresse und Betrügerin in schöner, tugendhafter Gestalt ıst, die sıch und ıhren als Abt und Bruder ausgegebenen Geliebten von ihren getäuschten Liebhabern aushalten läßt. Von Rachegefühlen erfüllt überfällt er sie und ıhren Bruder, schießt auf beide und flieht. Nun folgt eine Phase tiefster Depression, in der von P. sein unglückliches Leben beklagt. Der Zufall verhindert seinen Selbstmord, den er gemeinsam mit einem lebensüberdrüssigen Engländer begehen will. Von P. zieht nach Haag, verliebt sich dort in Frau Wells, eine Witwe. Als er seine

erste Liebe, Cousine Carolıne, wiedertrifft, erwachen seine alten Gefühle wieder. Doch kurz vor der Verlobung mit Caroline merkt von P., daß er

Frau Wells noch liebt. In leidenschaftlicher Umarmung mit ihr werden beide von Freund Worden überrascht, der in Frau Wells seine verschwundene Ehefrau erkennt. Das Ehepaar findet wieder zusammen und von P. gelingt

es kaum, die Eifersucht mit der Freundesliebe zu besiegen. Als Caroline dann den reichen Baron von K. heiratet, schlägt von P.s Liebe zu ihr um ın

glühende Rachegefühle. Er überfällt beide mit bewaffneter Gefolgschaft und spielt mit dem Gedanken, den Baron zu töten. Doch Caroline bittet für ihren Mann, dem sıe sich, obwohl sıe ıhn nicht liebt, als Ehefrau verpflichtet

fühlt. Als von P. sieht, daß er Caroline nicht zurückgewinnen kann, verfällt er erneut in tiefe Schwermut. Auch bei Gelehrsamkeit und Philosophie findet er keine Hilfe. Am Ende, ın Gesellschaft von Ehefrau, den Freunden Herrn F. und Worden mit ıhren Frauen und der ehemaligen Geliebten Julie, findet von P. doch noch die Tugend. »Ich erwachte endlich, wie aus einem Traume, von der Unempfindlichkeit, in welche mich mein kläglicher Zu-

stand gestürzt hatte.«°°? Von P.s geläuterte Sıcht auf das Leben ist nıcht das Ergebnis eines psychisch-mentalen Prozesses, seine endliche Bekehrung zur Tugend vollzieht sich vielmehr wie eine Inspiration — plötzlich und unerwartet. Es ist

die göttliche Gerechtigkeit, die seinem verzweifelten Leben mit allen Leidenschaften und Enttäuschungen nachträglich Sinn geben soll. »Was würde ich ohne Religion unter der Last meiner Schmerzen geworden seyn? Aber

359 Ebd., S.359.

Der Konflikt zwischen Natur und Tugend

149

sie allein unterstützte mich. Sie lehrte mich die Wege der Vorsehung anbeten, und die Gerechtigkeit erkennen, mit der ich gestraft wurde.«’° Sein finales Bekenntnis zur Religion geht einher mit einer Flucht in die Einsamkeit, mit Weltverneinung als Lebensprinzip. »Ich legte auf einmal alle meine Würden nieder, um in der Einsamkeit, und in meinem eignen Herzen das

Glück des weisen und tugendhaften Mannes zu finden. Weder die Bitten meines Königs, noch der Spott der Thoren änderten meinen Vorsatz. Ich floh mit meiner Gemahlin in die Arme meines Wordens und seiner Freun-

din, aus der Einsamkeit auf eine ganze lärmende Welt gelassen hinab zu sehen. Fern von den Flüchen des Neids und dem noch gefährlichern Lobe

des Schmeichlers, habe ıch endlich hier die Ruhe gefunden, die ich in so verschiedenen Gegenständen mein ganzes Leben hindurch vergeblich gesucht habe. Ich Thor! warum habe ich doch erst diese Ruhe durch eine unzähliche Menge von Verdruß erkaufen müssen %«?%! Von P.s abrupte

Wende ıns Metaphysische steht zunächst losgelöst von seinen Erfahrungen im Leben. Seine Lebensgeschichte führt zum schrittweisen Verlust des ursprünglichen, durch Erziehung erworbenen Glaubens an die menschliche Tugendhaftigkeit. Bei seiner Desillusionierung über das Wesen des Men-

schen war ıhm die Religion bisher keine Hilfe gewesen. Im Gegenteil: lange Zeit scheint ihm ein Selbstmord der einzige Ausweg aus seinen Leiden.

Als naiver Jüngling zum ersten Mal heftig verliebt weiß er noch nichts vom Widerspruch zwischen Natur und Tugend, der sein Leben bestimmen soll. Er liebt seine Cousine zwar, aber ohne Ahnung von der Macht und Gewaltsamkeit der Leidenschaften über den Menschen. Noch ist Liebe für

ihn eine stärkere Form der Freundschaft, noch gehen Liebe und Tugend zusammen. »Wie? sagte ıch, sollte dasjenige, was ıch für Carolinen empfinde, Liebe, diese Leidenschaft seyn, die mir Herr F. und andre weise Männer so häslich abbilden ? Beschreibt man mir nicht diese Liebe als eine Feindin

der Tugend. Und ist mir die Tugend weniger lieb gewesen, seitdem ich Carolinen gesehen habe? Nein! nein! Es ist bloß Freundschaft, was ich für sıe fühle. Ich fühle sie nur ın einem etwas stärkern Grade, als sie Herr F.

und die andern Weisen gekannt haben.«? In seiner Liebe zu Julie spürt von 60 Ebd. Eckhardt Meyer-Krentler macht ın seiner Interpretation von Pfeils Roman darauf aufmerksam, daß die Erzählerhaltung »in manchem an die Selbstbeobachtung des Geläuterten im pietistischen Erweckungsbericht [erinnert]«. Eckhardt Meyer-Krentler: Ein Plagiat macht sich selbständig. Pfeils »Geschichte des Grafen von P.< ım Verhältnis zu Prevost und Gellert. In: ZfdPh 96 (1977) 4, S.481-508; S.496. Vgl. zur Prevost-Rezeption ın Pfeils Roman außerdem Friedrich 1929, S.108-114.

361 Pfeil, Die Geschichte des Grafen von P. 1756, S.360. 22 Ebd., S.20f.

150

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

P., daß dies nicht mehr die kindliche Zuneigung eines Heranwachsenden,

sondern die Liebe eines begehrenden Mannes ist: »Ich eröffnete der Neigung für Julien mein ganzes Herz. Wie ungestüm war nicht schon dieses Herz geworden.«°® Als Julie ihm strenge Keuschheit entgegenhält, steigert sich sein Verlangen noch. »Sie wissen, sprach sie, was ich Ihrem Stande und

Sie meiner Tugend schuldig sind. Ich gestehe, daß ich Sie liebe. Schmeicheln

Sıe sich nicht, daß ich Sıe auf Kosten dieser Tugend lieben werde. Es giebt eine Vereinigung der Seele, bey welcher nichts Körperliches seinen Einfluß hat. Diese allein ist uns erlaubt.«°* Seine Verführung ist, nachdem sie ihn nach ersten Küssen bittet, »diese gefährliche Freundschaft auf[zu]heben«,

gewaltsam: »Ich war nicht mehr Herr über meine Regungen. Ich drückte sie ın meine Arme und rächte mich für den Zwang, den sie mir angethan

hatte.«?®5° Als Fanchon, die ıhm anfangs zu tugendhaft erscheint (»Ich wünschte, daß sie weniger tugendhaft seyn möchte, als sie zu seyn schien. Abscheulicher

Wunsch !«?), ihn um seine Liebe, sein Geld und seine Frei-

heit betrügt, verzweifelt er. Nach dieser Erfahrung der Verstellung und Scheinhaftigkeit der Tugend haßt er sıch selbst, die Menschen und das Leben. »Ich beschäfftigte mich mit nichts, als mit meinen Unglücksfällen. Ganze Tage brachte ich ın einem elenden Zimmer, wo ich mich aufhielt, mit

Klagen zu. Die Ungerechtigkeit meines Oncles, die Treulosigkeit der Fanchon, die Schande, mit der mich diese unglückliche Verbindung überhäufte, und der Kummer,

zu einem elenden und niedrigen Leben verdammt

zu

seyn, waren die beständigen Gegenstände meiner Seufzer. Ich haßte mich, ich haßte das ganze menschliche Geschlecht. Sie sind alle Heuchler, oder Bösewichter! rief ich. Seyd glücklich, und sie sind eure Sklaven; seyd unglücklich, und sie sind eure Tyrannen. Erwartet nichts von ihnen, als Haß,

und fürchtet sie mehr als sonst, wenn sıe euch am meisten schmeicheln. Sie scheinen bloß erschaffen worden zu seyn, einander zu quälen. Ihre Menschenliebe ist ein philosophischer Traum. Ehrgeiz ist von ıhren guten und ihr eignes Herz von ıhren bösen Handlungen die Triebfeder.«’ Der Freund Worden kann einen Selbstmord durch sein unvermutetes Erscheınen verhindern. In der Freundschaft zu Julie und in Gesprächen mit Worden schöpft von P. neuen Lebensmut. Doch auch seine Lieben zu Caroline

und Frau Wells scheitern und er bleibt von heftigen Affekten getrieben, von >» ’»# »5 6

Ebd., Fbd., FEbd., Ebd.,

S.36. 5.37. S.42. S.59.

7

Ebd., S.152f.

Der Konflikt zwischen Natur und Tugend

151

Liebe, Leidenschaft, Rache, Haß und Verzweiflung. Gleichzeitig wird er

von tiefster Reue und Selbsthaß über sein unkontrolliertes Wesen erfüllt. Auch nach vielfältigen Begegnungen und Gesprächen mit Menschen und der Erfahrung extremster Gefühlszustände empfindet von P. sein Leben nach wie vor als dem Zwiespalt von Emotion und Rationalität unterworfen: »Wie oft wünschte ıch mir die glückliche Gleichgültigkeit, mit der ich so viele Creaturen bey Hofe den Gegenstand ihrer Liebe in einer Stunde zuerst umarmen, ihm Beständigkeit schwören, und ıhn eben so gelassen vergessen sah, als sie selbst vergessen wurden. Ich hatte diese kaltsinnigen Empfindungen ehedessen ein Laster, und eine Entweihung der Liebe gescholten. Die wahre Zärtlichkeit schien mir an ihrer Stelle ıtzund Thorheit zu seyn. Man überlasse sie, sprach ich bey mir selbst, der Einbildungskraft der Dichter, eben so, wie die Vollkommenheit der Tugend den Lobsprüchen der Moralisten. Man ıst in der Welt weder bey den Vergnügungen der Zärtlichkeit, noch bey den Annehmlichkeiten der Tugend vollkommen zufrieden. Sie machen uns meistentheils unglücklich. Man seufzt, indem man sie genießt, und man muß aufhören, ein Mensch zu seyn, wenn man sie ohne

Seufzer genießen will. Wie oft war ich von dem Gegentheil dieser Betrachtungen überzeugt gewesen, wenn ich sie mit einem gehörigen Kaltsinn angestellt hatte !«?%8 Graf von P. vollzieht keine innere Entwicklung. Als Mensch, der seine starken Gefühle nicht beherrschen kann und deshalb Krisen und Verluste erfährt, ist ihm Gefühlskontrolle gleichzeitig Verheißung und Unmöglichkeit. In der Leidenschaft ohne Erfüllung ist er als Leidenschaftlicher unfähig, anders zu leben. Immer schwankt er zwischen Rationalität und Emotionalität. Er scheint wie gefangen zwischen zwei Lebensprinzipien, durch die er sich selbst und die anderen erfährt und beurteilt. Liebe gelingt ın seinem Leben nicht, weil seine Frauen - die kalte Betrügerin Fanchon ausgenommen - seiner Leidenschaft normkonformes, rationales Verhalten entgegensetzen: Julie entsagt aus Keuschheit, dann aus Standesbewußtsein und Caroline bleibt in Treue bei ihrem ungeliebten Ehemann. Von P.s Hoffnung, beı den Wissenschaftlern und Philosophen Antwor-

ten zu finden, bleibt ohne Befriedigung. »Ich fand, daß die Gelehrsamkeit kein sicherer Schutz wider alle Gebrechen des menschlichen Herzens sey. Sie hatten eben die Leidenschaften, und sehr oft noch größre, als andre Menschen, und sie waren also eben so thöricht, und sehr oft noch thörichter, als sie. Ich bemerkte bey ihnen eben so viel Stolz, als Schmeicheley, und

8 Ebd., S.296f.

152

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

der Unwissendste unter ihnen besaß von beyden jederzeit am meisten. Jeder hatte einen andern Gott, den er anbetete, und der war er selbst. Meine Philosophen maßen Hımmel und Erde aus, redten in einer Sprache, die sie und ıch nicht verstunden, und zählten die verschiednen Theile eines

Wurms, den sie kaum durch das Vergrößerungsglas kannten, und alsdenn wohl nur noch blos ın der Einbildung sahen. Aber wie man ein vernünftiger und tugendhafter Mann werden könnte, davon hörte ich wenig; oder gaben sie einige trockne Regeln, so widerlegten sie solche durch ihre Aufführung.’ [...] Alle ihre Wissenschaften, auf die sie so stolz thaten, ließen das Herz von allen Empfindungen leer.«?””° Auch ın den Wissenschaften regiert

der Antagonismus von Natur und Vernunft. Sie formulieren rationale Regeln, die nicht auf das Leben anzuwenden sind. Das Leben scheint zu komplex, zu verworren

und unergründlich,

als daß die anerzogenen

'Tugend-

Regeln und -Gesetze beı seiner Bewältigung helfen könnten. Der Konflikt zwischen natürlicher Individualität und den Normen,

denen das Indivi-

duum in Gefühlen, Bewußtsein und Handlungen entsprechen soll, ist unüberbrückbar. Bis zum Ende bleıbt von P. auf der Suche nach Orientierung, nach innerer Ausgeglichenheit, nach Harmonie zwischen sich und den anderen. Doch seine Fremdheit in der Welt wird mit seinen Erfahrungen nicht kleiner. Von P.s tiefste Antriebe und Wünsche sind die aller Menschen:

Sinnlichkeit und Genuß, erfüllte Liebe, Freundschaft und AngenommenWerden,

Integration. Er begeht seine Fehler, weil er nicht anders kann.

Seine unkontrollierte Emotionalität ist begleitet von tiefsten Selbstzweifeln und Reue. Von P. repräsentiert als schizophrene Gestalt den anthropologischen Grundkonflikt einer Subjekts- und Gesellschaftskonzeption, die das Individuum Forderungen unterwirft, die es nicht einlösen kann. Der Zwiespalt zwischen Menschen-Natur und Vernunft-Norm, zwischen

»Pflicht« und »Neigung« ıst unlösbar, lebensbestimmend, existentiell, er zeitigt, da er in der Jugend anerzogen und tief verinnerlicht wurde, deformierte, selbstentfremdete Subjektivität.””’! Wie ein Omen, von dem er sıch nicht befreien kann, steht über seinem Leben der Rat des alten, sterbenden

Grafen für seinen Sohn: »Fürchte dein eignes Herz als deinen gefährlich-

9

Ebd., S.304.

© Ebd., S.307. 7X Hierin weiche ich von Meyer-Krentlers Interpretation ab, der Pfeils Roman enger an die optimistische rationalistische Aufklärung anbindet und ım Grafen von P. »die sittliche Gefährlichkeit und Unangemessenheit zu starker Emotionalität, die nicht ständig rational unter Anwendung der Tugendnormen kontrolliert und gebremst wird« (1977, S.493) verkörpert sieht.

Der Konflikt zwischen Natur und Tugend

153

sten Feind.«?”? Von P.s Schizophrenie, sein Leiden am Leben mündet ın

Selbstzerstörung. Auch als der Selbstmord durch Zufall verhindert wird, bleibt er eine fortwährende Versuchung: »Der Eckel zu leben war noch nicht ausgerottet. Ich kehrte bisweilen zu meiner ersten Thorheit zurück, mein eigner Mörder zu werden.«’”

Erst Werther wird der Selbstmord gelingen. Werthers gesteigerte Emotıionalität mit, wie er schreibt, »Leidenschaften [...] nie weit vom Wahn-

sinn«,’”* seine psychische Spaltung und sein Entzweitsein mit der Welt sind, obwohl unvergleichlich vertieft und differenziert gestaltet, dem von P.schen Leiden an der Welt nahe verwandt. Pfeil versagt seinem Helden die Auslöschung des eigenen Lebens, doch auch seine Lösung ist Rückzug aus dem Leben, ist Wirklichkeitsflucht. Von P.s harmonische Idylle mutet an wie ein paradiesischer Zustand, der mit den diesseitigen Bedrängnissen nichts mehr gemein hat. Sein Erwachen aus dem Traum - »Ich erwachte endlich, wie aus einem Traume, von der Unempfindlichkeit, in welche mich mein kläglicher

Zustand gestürzt hatte« - ist ın Wahrheit das Verfallen an einen Traum. »Dafß das Leben des Menschen nur ein Traum sei, ist manchem schon so vorgekommen, und auch mit mir zieht dieses Gefühl immer herum«,

schreibt Werther an Wilhelm.?’® Von P. macht sich die unerträgliche Realität zum Traum und träumt sich eine neue, verklärte Realität. Legitimation erfährt seine endlich gefundene Glückseligkeit von der Religion: sie gibt seinen früheren Qualen nachträglich einen Sinn. Indem von P. nach dem Erleben einer Art göttlichen Gnaden-Inspiration in seiner Lebensgeschichte die Wirkung der gerechten, aber unerforschlichen göttlichen Providenz zu erkennen

glaubt, ordnet sich ihm sein Leben

ın der Rückschau

neu nach

religiösen Kategorien. Als Sünder von Schuld beladen waren seine Schmerzen sinnvoll, sie waren Strafe und Sühne für seine Sünden. Erst nachdem sıe durchlitten sind, kann die Erleuchtung der Weisheit und Tugend über ıhn

kommen. Doch diese göttlich inspirierte Tugend hat in der Welt keinen Platz, sie ıst kein Instrument der Lebensbewältigung. Ihre Voraussetzung ist Weltverneinung, ıhr Ort die allen Lebenskonflikten entzogene Einsamkeit. Die Tugend, die von P. am Ende seines Lebens erfährt, ist spirituell

und transzendent, als weltimmanentes Lebensprinzip vermag sie kaum zu überzeugen. Der Text wird dominiert von der qualvollen Zerrissenheit des Helden, die finale religiöse Sinnstiftung ist dagegen untergeordnet, sie ist 72 Pfeil, Die Geschichte des Grafen von P. 1756, S.26. >> Ebd., S.164.

>’%* Hambuger Ausgabe Band 6, 5.47. 5

FEbd., S.13.

154

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

gestaltet wie eine versöhnliche, halbherzige Lösung eines eigentlich unlös-

baren Konfliktes. Pfeil geht seinen Weg des Aufklärungspessimismus nicht bis zum radikalen Ende, er findet für das Leiden seines Helden eine rückwärtsgewandte, überlebte, formelhaft-sinnentleerte Wendung. Im Zentrum

steht dagegen der Mensch in seiner Schwachheit und Brüchigkeit, in seiner Unfähigkeit, den Aufklärungsnormen zu genügen. Wie sehr sich Pfeil dieser eigentlichen Aussage des Romans bewußt ist, zeigen seine einleitenden Worte: »Der Stolz des Menschen wird wenig Schmeichelhaftes für sich in den folgenden Blättern finden. Er findet darinne das menschliche Herz mehr nach seinen Schwächen als nach seiner oft eingebildeten Größe gezeichnet. Ich weıs nicht, welches zum Unterricht des Menschen nützlicher

ist, das Herz des Menschen so zu schildern, wie es wirklich ıst, oder wie es

seyn sollte.«?”® 3. Die Macht der Ordnungen: Der Held zwischen Resignation und Aufbruch Die Glücks- und Unglücksfälle Martin Speelhovens, eines Kaufmanns aus dem Clevischen gebürtig, welche ihm sowohl in seiner Jugend, als auch auf Reisen nach Amerika begegnet, nebst dessen Gefangennehmung und Flucht, wie auch achtzehnjährigen Aufenthalt auf einer damals noch nie besuchten

Insel und endlichen Befreyung, von ıhm selbst beschrieben?”’ erzählen die Lebensgeschichte eines Mannes »von der niedrigsten Classe entsprungen«’”8, der auf eine Insel verschlagen wurde und nur dort jemals glücklich war. Der fiktive Herausgeber stellt Martins Geschichte den Brief eines Studienfreundes aus Emden voran, der in den Papieren seines Vaters eın Manuskript mit Martin Speelhovens Lebensgeschichte gefunden hat, das er dem Herausgeber zusammen mit dem Brief übersendet. In diesem Brief

wird der Verfasser der Lebensbeschreibung eingeführt als »ein. Mensch von besonderen Naturel«, der sich nach seiner Rückkehr von der Insel ın die europäische Gesellschaft nicht mehr intergrieren konnte: »Der Mann hat 76 Pfeil, Geschichte des Grafen von P. 1756, Bl. 3. Meyer-Krentler hat gezeigt, daß gerade die Motive von Prevost und Gellert plagiierende Komposition des Romans eine adäquate Form für Pfeils Changieren zwischen progressiver Aufklärungskritik und Traditionsgebundenheit darstellt. 77 Dresden, Leipzig: bey Joh. Nicol. Gerlach und Sohn: 1763. Fohrmann (1981, S.41) gibt Otto Bernhard Verdion als Verfasser an. Er weist auch darauf hin, daß dieser Roman eine (bisher ausgebliebene) breitere Darstellung verdiene ($.264f. Anmerkung 183). 378 Die Glücks- und Unglücksfälle Martin Speelhovens 1763, S.1.

Der Held zwischen Resignation und Aufbruch

155

zwar zu meinen Zeiten nicht mehr gelebet, mein Vater aber hat ihn noch sehr wohl gekannt, und mein Großvater ist ein besonderer Freund von ıhm gewesen, welcher auch als der Einzige in ganz Embden einen vertrauten Umgang mit ihm gepflogen. [...] In der Vorstadt hatte er einen wohl angelegten Garten, welchen ich in meiner Jugend noch so, wie er denselben verlassen, oft gesehen, am hintern Theil desselben hatte er ein Gebäudgen,

nach dem Muster desjenigen auf der Insel, auf welcher er achtzehn Jahre hingebracht, aufführen lassen; es war nach dem Winkel gebauet, welches

nunmehro aber gänzlich weggerissen ıst. So lange es die Witterung gestatten wollen, habe er sich daselbst aufgehalten, niemals, oder doch selten, einen Besuch

angenommen,

außer, wie erwähnet,

meinen

Großvater.

Eine

alte

Magd, so lange bey seiner Pflegemutter gedienet, hatte zwar den Einkauf der Speisen besorget, das Essen aber hatte er sich mehrentheils selbst zurechte gemacht, mit dem Vorgeben, niemand sey so geschickt, es ıhm nach seinem Geschmack zuzurichten. Er hatte sich auch das Getränke, eine Art von Bier, so wie er es auf der Insel gebrauet, selbst bereitet, und ob es ihm, nach seiner Aussage, gleich nicht so gut, als damals gerathen wollen, (worzu

nach meiner Beurtheilung das Wasser vieles beytragen mag,) hat er sich doch dessen bedienet, mein Großvater sagte, es sey an Geschmack noch so ziemlich gewesen. Ohn Unterlaß hat er gewünschet, die liebe Insel, wie er

sich ausgedrücket, noch einmal zu sehen.«?” Speelhoven hat nach eigener Anschauung kein glückliches Leben geführt. Dies scheint mit seiner geringen Herkunft zusammenzuhängen, doch sein Bekenntis dazu ist widersprüchlich und uneindeutig: »[...] man überwinde

sich einmal etwas von einem Menschen zu lesen, der, seines geringen Herkommens ungeachtet, gleichwohl das erfahren müssen, was Leute von Ach-

tung nie erlebet haben, auch wohl nicht zu erleben wünschen.«°®° Er schämt sich nicht der armseligen Verhältnisse seiner Kindheit, im Gegenteil, er hält seine Begebenheiten gerade darum für besonders mitteilungswürdig. Geboren ist Speelhoven »auf einem geringen Dorfe, unweit Wesel am Rhein«, wo seine Eltern »der Handarbeit nach[giengen]«.??! Sein Vater ıst ein Irinker, der sich mit der Mutter häufig zankt. Eines Tages kommt es wieder zu einem Streit, bei dem der Vater die Mutter heftig schlägt und danach die

Familie verläßt, um als Spielmann zu den Soldaten zu gehen. Die Mutter stirbt einige Monate später an den Folgen des Schlages. Der zehnjährige Martın ist nun alleın, mittellos und lebt von den Almosen der Dorfleute. Er 3” Ebd., Vorrede, Bl. 2.2.-3.2.

0 Ebd., S.1. #1 Ebd.

156

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

macht sich auf die Suche nach seinem Vater, fragt beim Regiment herum, wird hin- und hergestoßen, findet den »versoffenen Spielmann Merten«

aber nicht. Ein Pfarrersehepaar nımmt sich seiner an und als der Pfarrer stirbt, schickt die Witwe Martin zu einem befreundeten Kaufmann nach

Emden, wo er erfolgreich das Kaufmannshandwerk lernt. Nach sieben Jahren geht er ın neue Dienste nach Amsterdam, wo er nach einiger Zeit beschließt, in den ostindischen Kolonien sein Glück zu machen. Am 5. Mai 1601 sticht sein Schiff in See. Vor der Küste von Sofale gerät es in Gefangenschaft der Portugiesen. Martın kann sich ın der Nacht befreien, entdeckt ein Boot und hofft, auf dem Meer wieder zu seiner Flotte zu stoßen. Doch

er findet sein Schiff nıcht mehr und gerät ırgendwann an das Ufer einer fruchtbaren Insel. In den nächsten Monaten ist er damit beschäftigt, die

Gegend zu erkunden und sich durch landwirtschaftliche und handwerkliche Technik alle nur mögliche Bequemlichkeit zu verschaffen. Er baut ein Haus, legt einen Garten und Vorräte an, betreibt Jagd, Vieh- und Fischzucht, braut Bier, gewinnt Salz, backt Brot, erntet Tabak. In den Trümmern eines zerschellten Schiffes findet er Kleider und andere nützliche Gegenstände und Instrumente. Fast drei Jahre lebt Martin so, bis er eines Tages, einer Herde Schafe folgend, auf Spuren menschlichen Lebens stößt: er findet eine Erntestange an einen Pomeranzenbaum gelehnt, einen Steg, ein Bohnenfeld, dann verschiedene Hütten und Gebäude. Schließlich erblickt er einen alten Mann, »welcher mich mit funkelnden Augen ansahe«, dem er sich voll Ehrfurcht mit der Bitte um Aufnahme nähert. »Nach einer tiefen Verbeugung redete ich ıhn folgender Gestalt an: Ehr-

würdiger Vater, ich freue mich in dieser Einsamkeit einen Menschen anzutreffen, welcher dem Vermuthen nach einerley Schicksal mit mir unterworffen, nehmet mich auf, ich verspreche euch nach aller Möglichkeit an die Hand

zu gehen. An statt der Antwort, stund er auf, und wies mit der

Hand nach der Thüre. Ey Vater, redete ich weiter, wollet ihr euch denn nicht über einen Unglückseligen erbarmen ? Als er mir mit einem grimmigen Blick noch einmal die Thüre gewiesen, und ich nicht gehorsamen woll-

te, griff er nach der Flinte, welche an der Wand hieng. Hier war weiter nichts zu machen, als das Leben nach Möglichkeit zu retten, ich war daher mit einem Sprung zur Thüre hinaus, nahm meine Flinte, und lief so geschwind,

als es in meinem

Vermögen

stund. Ehe ich es mir aber versahe,

geschahe ein Schuß, daß mir die Kugel vor den Ohren vorbey pfiff.«?%2 Martin spricht den Alten als Vater an, ohne zu wissen, daß der Mann wirklich sein Vater ist. Der wurde nämlich, nachdem er das Regiment verlassen 82 Fbd., S.145.

Der Held zwischen Resignation und Aufbruch

157

hatte und zur See fuhr, bei einer Meuterei auf der Insel ausgesetzt. Ob der Vater in Martin seinen Sohn erkannt hat, bleibt offen. Aus seinen Aufzeich-

nungen, die Martin nach dessen Ableben findet, geht jedenfalls deutlich hervor, daß er sich den Tod des Jüngeren geschworen hat. Der Alte verfolgt ihn mit Haß, verbrennt Martins Ernte und stirbt schließlich, als er, ıhn von oben belauernd, mit’ der Decke ın dessen Haus stürzt.

Die Bedeutung der Vater-Sohn-Episode in Martins Lebensgeschichte ist rätselhaft. Der Vater erschlägt die Mutter und verläßt den Sohn, er zerstört die Familie. Der Sohn ıst, noch Kind, aus der Sicherheit der alten haus-

väterlichen Ordnung und Führung entlassen und in der Welt fremd, orientierungslos und auf sich gestellt. Er bildet sich aus, macht Erfahrungen, erwirbt Kenntnisse und Fähigkeiten und lernt, sein Leben selbst unter denkbar härtesten Bedingungen durch planvolle Arbeit und Vernunft autonom zu bewältigen. Und doch bedarf er noch immer der verlorengegangenen Autorität: ohne den Alten zu kennen, nähert sich Martın ihm mit der Geste eines Sohnes, bereit zu Gehorsam, Demut und Devotion gegenüber einer übermächtigen patriarchalen Gewalt. Seine Rede ähnelt der Sprache eines Gebetes mit der Bitte um seelische Stärkung und spirituell-religiöse Erfahrung: »Ehrwürdiger Vater, [...] nehmet mich auf, [...] wollet ihr euch

denn nicht über einen Unglückseligen erbarmen « Doch der Vater weist ihm dıe Tür. Indem er dabei stumm bleibt, erhält diese Geste ein beson-

deres herrscherliches Pathos. Der alte Mann auf der Insel ist eine unergründliche, feindliche Gestalt, die keine Annäherung und Kommunikation duldet, selbst dann nicht, wenn diese voller Unterwürfigkeit und Dienst-

fertigkeit geschieht. Und mehr noch: indem der Alte, nachdem er seine Frau erschlug, nun auch seinem Sohn nach dem Leben trachtet, stellt er die Umkehrung einer Leben zeugenden und beschützenden Vaterfigur vor. Statt hausväterliche Sorge um die Lebenserhaltung geht von ihm Lebens-

bedrohung und -zerstörung aus. Die patriarchale allumfassende Herrschaft des Hausvaters über den physischen und psychischen Menschen sowie die innere Verfassung und Mechanik des Hauses mit den jeweiligen Rollen und

Funktionen seiner Angehörigen werden ım 18. Jahrhundert in Analogie zur kosmischen Ordnung der Schöpfung und der providentiellen Allgewalt Gottes definiert. Wie auch den Fürstenhof beschreibt man den hausväterlichen Haushalt als verkleinerte analoge Repräsentation der hierarchischen göttlichen Weltordnung. Umgekehrt wird Gottes Weltregierung auch mit

der patriarchalen Rolle des Hausvaters gleichgesetzt, ebenso wie die fürstliche Herrschaft mit der des Hausvaters parallelisiert wird.?® Der hausvä383 Vgl. Bengt Algot Soerensen: Die Vater-Herrschaft in der früh-aufklärerischen Li-

158

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

terliche Gott-Vater ist Erzeuger und unanfechtbare Autorität, der seinen hierarchischen Welt-Haushalt nach seinem ureigenen verborgenen Plan regiert, Schutz und Versorgung gewährleistet und dafür bedingungslose Unterordnung, Liebe und Verehrung, unbedingten Gehorsam und Erfüllung der übertragenen Aufgaben fordert. Für Martin, dem als Kind der Verlust der hausväterlichen Ordnung widerfuhr, ist die Rückkehr in die alte göttlich-patriarchale Schutzbefohlenheit abgeschnitten, die emotionale Bindung an die alte Gott-Vater- Autorität zerstört. Doch der Grund dafür bleibt ihm verborgen — ebenso, ob der Vater den Sohn jemals erkannt hat. Gerade diesen Umstand empfindet Martin als tief verletzend: »und da ich die Ursache nicht einsehen konnte, warum er seinen Haß gegen mich so weit trieb, so kränkte es mich um so viel mehr.«?**

Die Begegnung mit dem Vater bleibt in Martins Lebensgeschichte ein ungelöstes, tief verstörendes Rätsel. Es gelingt nicht, die alte heteronome psychologische Ordnung und die mit ihr verbundenen Vater-Sohn-Identitäten wieder herzustellen. Die frühere Vater-Sohn-Beziehung ist zerstört. Vater und Sohn bleiben sich fremd, so fremd, daß nicht einmal die gegenseitige Fremdheit mit Gewißheit behauptet werden kann: »Ob er mich aber als seinen Sohn gekannt, ziehe ich billig in Zweiffel [...].«.°% Es gibt keine Kommunikation, kein gegenseitiges Erkennen mehr, selbst nicht unter Bedingungen, die dies geradezu zu erzwingen scheinen. Was bleibt, ist die unerklärliche Erfahrung des Identitätsverlustes, der Fremdheit und des Zurückgewiesen-Seins, ja des existentiellen Bedroht-Seins in einer Situation der psychischen Bedrängnis und Bedürftigkeit. Der Verlust des Vaters ist in Martins Lebensgeschichte nicht anders als der Verlust der Evidenz der metaphysischen, heteronomen Weltordnung zu deuten. Seine Begegnung mit dem Vater stellt die Begegnung mit der alten Sohn-Rolle dar, die Fremdbestimmtheit und Gehorsam, aber auch psychische Geborgenheit und emo-

tionale Stabilität bedeutete. Auf der Insel ohne menschliche Gesellschaft wird Martin, obwohl er sich als tätiger, lebenspraktischer, kreativ und intelligent inventierender Erwachsener in einer Krisensituation bewährt hat, diese alte, überwundene Kinder-Rolle wieder zur Verheißung. Obwohl er, nachdem er die Suche nach dem Vater aufgegeben hatte, mündig und selbteratur. In: Wilfried Barner (Hrg.): Tradition, Norm, Innovation. Soziales und literarisches Traditionsverhalten in der Frühzeit der deutschen Aufklärung. Herausgegeben von W. B. unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner. München 1989. [Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 15], S.189-212. »8#* Die Glücks- und Unglücksfälle Martin Speelhovens 1763, S.158. 5

Ebd., S.231.

Der Held zwischen Resignation und Aufbruch

159

ständig einen Platz und eine Aufgabe in der Welt gefunden und in einer anthropologischen Extremsituation überlebt und sich behauptet hat, bedarf er offenbar nach wie vor des Schutzes und der Fürsorge durch den VaterGott und seine patriarchale Herrschaft. Martin verkörpert eine gespaltene

Anthropologie: vollkommen ımstande, die eigenen leiblich-physischen Forderungen zu erfüllen, sind seine seelischen Bedürfnisse ungestillt. Er erkennt die metaphysische Bedeutung seiner Vater-Begegnung selbst: » Außerdem muß man es als etwas übernatürliches ansehen, Vater und Sohn an

einem so entfernten Ort, von aller menschlichen Gesellschaft aus geschlossen, beysammen anzutreffen.«?8° Martins Lebensgeschichte repräsentiert den spezifischen Bewußtseinszustand des Menschen der Mitte des 18. Jahrhunderts: qua Initiative und Intellekt entlassen und emanzipiert aus der Abhängigkeit der mittelalterlichen hierarchischen Weltordnung, hat er sich psychisch noch nicht von ihr gelöst. Obwohl der Mensch die Welt selbst erfahren und sich befähigt hat, sıe für seine Zwecke zu nutzen, sucht er wieder »Aufnahme« und »Erbar-

men« in der fürsorglichen Allmacht des Gott-Vaters und seiner Ordnung. Autonom agierend ist er psychisch noch der Heteronomie bedürftig. Doch als weltzugewandter, autonomer Mensch ist er nicht mehr ın der Lage, mit den früheren Allgewalten zu kommunizieren. Vielleicht ist er zu selbständig und erwachsen, zu mächtig geworden. Der Grund für die Fremdheit mit dem Gott-Vater bleibt unerklärt. Die Lebensbedrohung, in die die Fremdheit mündet, zeigt Martin drastisch, daß er auf der Insel - und das

heißt in der Welt - vollkommen alleingelassen ist. Sein Leben ist in Zukunft ohne »Erbarmen«. Doch für einige Zeit soll Martins Einsamkeit in der Welt vergessen sein. Sieben Jahre nach seiner Ankunft auf der Insel rettet er eine Frau vor der

Vergewaltigung durch einen gerade mit ihr kämpfenden Mann. Im Schutze Martins bringt die Frau ıhren Gegner kurzerhand mit einem Schuß aus Martins Gewehr um. Caroline, so ıhr Name, erzählt ihre Lebensgeschichte: sie ist die Tocher eines englischen Lords, »Vice-Commendant« von Jamaica,

der seine Tochter von einem portugiesischen Diener auf eine nahe Insel bringen läßt, um ihrer geplanten Entführung durch zwei seiner Offiziere zuvorzukommen. Doch durch die Unfähigkeit und Gleichgültigkeit des Dieners treiben beide schnell aufs offene Meer und geraten schließlich ans Ufer von Martins Insel. Als ihr Begleiter unverhohlen seine sexuellen Wünsche zum Ausdruck bringt, weist Caroline ihn mit Bestimmtheit zurück.

6 Ebd., S.231f.

160

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

Schließlich versucht er mit ıhr zu diskutieren: »Was wollten Sıe, hub er an, zum Vorwand nehmen, mır eine solche Kleinigkeit auszuschlagen ? wir sind arme Insulaner, die Umstände in denen wir uns befinden, heben die Gesetze, so man an einem bevölkerten Ort zur Vorschrift hat, völlig auf, wollen Sie die Ungleichheit des Standes vorschützen, so dienet zur Nachricht, ıch bin eines Capıtains Sohn, und Sie sind die Tochter eines Mannes von

gleichem Range, ja, ich sage noch mehr, mein Vermögen in Portugal hält dem ıhrıgen allemal das Gleichgewicht. Und wenn ıhr eines Fürsten Sohn,

und ich eines Tagelöhners Tochter wäre, soll mich dieses doch nicht blenden, euch nur die geringste Gunstbezeigung, so wider meine Ehre läuft,

einzuräumen, versetzte ich dagegen. Ey, fieng er das Wort auf, Ehre hın, Ehre her, wer wird es uns denn ansehen, wenn wir einmal befreyet werden ? ıch schwöre es Ihnen zu, niemand wird uns auf unsere beobachtete Keuschheit einen Heller werth borgen, es ist weiter nichts als eın närrischer Ei-

gensinn.«°®’ Mit dieser Episode wird die Problematik von Liebe, Sexualität und Gesellschaft in Martins Geschichte eingeführt, die sein weiteres Leben bis zur

Insel-Eremitage ın der Vorstadt von Emden tragisch bestimmen wird. Im Disput zwischen Caroline und dem Portugiesen, der damit endet, daß Caroline ihm mit dem Messer droht, bündeln sich die zentralen Fragen: Welche Sexual- und Liebesmoral gilt auf der Insel? Orientiert sie sich an christlichen Geboten von vor- und außerehelicher Keuschheit? Sind die

liebesethischen Normen der ständischen Gesellschaft auch hier in Geltung? Oder sind in der insularen Abgeschiedenheit sämtliche abendländischen Moralvorstellungen außer Kraft? Wird die Begegnung zwischen Mann und Frau hier nur noch von Triebhaftigkeit bestimmt ? Gibt es eine Liebe unab-

hängig von gesellschaftlichen Normvorstellungen? Vorläufig löst sich das Problem durch einen Zufall: als der Portugiese die spröde Caroline schließlich vergewaltigen will, kommt Martin hinzu und

rettet sie. Doch später wird der Konflikt im resignativ-pessimistischen Sinne entschieden: Martins tiefe und einzige Liebesbeziehung zu Caroline wird an ständischen Normen scheitern. In der europäischen Gesellschaft

hat die Mesalliance zwischen der Tochter eines mächtigen englischen Lords und dem Sohn eines trinkenden Spielmanns keine Berechtigung. Obwohl er selbst von der gesellschaftlichen Ebenbürtigkeit aller Menschen überzeugt ist, ahnt Martin,

daß auch unter ınsularen Lebensumständen

die anthro-

pologischen Diskriminierungen der ständischen Gesellschaft weiter wirk-

37 Ebd., S.273f.

Der Held zwischen Resignation und Aufbruch

161

sam sind und verhält sich danach: »Auf ıhr Anhalten hatte ich meine Lebensgeschichte auch erzählet, nur verschwieg ich, daß der Alte mein Vater

gewesen, und ich von einen so niedrigen Herkommen sey; hierzu hatte ich meine Ursachen. Ich glaubte mir durch den Unterschied des Standes eine Geringschätzung auf den Hals zu ziehen, wiewohl ich eben nicht sagen

kann, was es vor Eindruck bey ihr gemacht haben würde. Es ist doch leider allzu wahr, daß, wenn eine Person alle Verdienste besäße, sich aber keiner besondern Geburt rühmen kann, sie dennoch nicht leicht ın Betracht ge-

zogen wird. Allein hier ıst nur die Rede von derjenigen Art von Leuten, welche

von

der Einbildungskraft

eingenommen

hoch

zu denken;

diese

Denkungsart verräth sie selbst, daß sie von sehr seichter Einsicht sind. Aus vorher gesetzten Grunde verschwieg ich meine Geburt.«?® Wieder ist Martins Bewußtseinszustand gespalten: als Mann von Ver-

nunft, von Fähigkeiten und Verdiensten verachtet er die dem Feudalsystem inhärente Hierarchisierung der Menschen als »seichte Einsicht«, bestätigt

sie aber gleichzeitig durch das ängstliche Verschweigen seines Herkommens. Die weitere Entwicklung der Ereignisse gibt ihm recht: Caroline wird, zurück in England, einen von ihr gehaßten Major heiraten und auch

nach dessen Tod nicht zu Martin zurückkommen. Doch zunächst erleben sie und Martin, nachdem Caroline ihre anfängliche Distanz abgelegt hat, Jahre der vollkommenen,

liebevollen Harmonie, für Martin, wie er immer

wieder betont, die glücklichste Zeit seines Lebens. Er erfährt, nachdem sei-

ne Identitätssuche bei Gott gescheitert ist, daß es eine weltimmanente Glückseligkeit gibt, die ıhn als ganzen Menschen mit Leib und Seele erfüllt

—- ın der erwiderten Liebe zu einer Frau. Caroline liebt und umsorgt ıhn und scheint ıhr ständisches Selbstbewußtsein ihm gegenüber abgelegt zu haben. Und doch wird sie nach einiger Zeit von etwas tief gequält: »Da sie vorher nicht gerne zwanzig Schritte von mir wich, suchte sie nach aller Möglichkeit sich zu entfernen, ihre ganze Handlungen zeigten ein gezwungnes Wesen, verschiedene mal schlich ich ıhr nach, hinter die wahre Ursach ihres niedergeschlagenen Gemüths zu kommen, nicht ohne Rührung sahe ıch, daß sie die Hände rang, und Thränen vergoß. Dieses mit

gleichgültigen Augen anzusehen, war mir unmöglich, sie hatte mich wahrgenommen, ıch gieng auf sie zu, sie wollte eine Verstellung annehmen, und reichte mir mit einer lächelnden Miene die Hand, mit der andern aber suchte sie unvermerkt die Thränen abzutrocknen.«?#? Schließlich erfährt Martin den Grund ihrer Verzweiflung: »So muß denn unter einer so unzehlbaren #8 Ebd., S.280. 9

Ebd., S.300.

162

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

Menge Menschen, so den Erdboden bewohnen, ich die einzige seyn, welche

nicht würdig ist gesellschaftlich mit ıhres gleichen umzugehen ? womit habe ich doch dieß alles verschuldet? Sie gerieth fast außer sich, und war nicht mehr vermögend sich zu fassen; ja die Heftigkeit womit sie sich ausdrückte, war außerordentlich, daß es einer Verzweiflung ähnelte.«°” So wie Martin vor Caroline lange Zeit seine geringe Abkunft verbirgt, versucht sie vor ihm — allerdings erfolglos - ihre Sehnsucht nach ebenbürtiger adliger Gesellschaft zu verbergen. Es wird deutlich, daß die von Martin als glückselig empfundene Lebenssituation für Caroline eigentlich eine verzweifelte ist. Ihr fehlt ın der ınsularen Isolation die Gesellschaft »ihres gleichen« und deshalb wünscht sie, trotz ıhrer Liebe zu Martin, nıchts so sehr, wie die

Insel verlassen zu können. Auch auf der Insel, fernab von der europäischen Gesellschaft, sind deren Normen und Wertvorstellungen virulent, weil sie psychisch tief verinnerlicht wurden. Als eines Tages am Ufer ein englisches Schiff vor Anker liegt und sein

Kommandant den beiden Insulanern entgegengeht, sinkt Caroline ohnmächtig zu Boden - es ıst ıhr Vater Lord von D****. Der hält Martin zunächst für den untreuen Portugiesen und schießt auf ıhn, rehabilitiert ıhn aber dann, als Carolıne ıhn über dessen wahre Identität aufklärt. Mit dem

Erscheinen des Lords, der zweiten machtvollen Vatergestalt dieser Lebensgeschichte, nimmt die Liebesbeziehung zwischen Martin und Caroline, von

einigen kurzfristig Hoffnung verheißenden Episoden unterbrochen, ihr eigentliches Ende. Noch schwört Caroline, die von ihrem Vater schon als

junges Mädchen einem Leutnant versprochen worden ist, keinen anderen als Martin heiraten zu wollen. Beide erklären einander ihre unauslöschliche Liebe und Treue. Der Lord ernennt Martin zum »Unter-Schiffslieutenant«

und bietet ihm als Lebensretter seiner Tochter die Freundschaft an. Doch beide Liebenden ahnen, daß die Zeit des Paradieses vorbei ist. Carolınes alter Kummer ist durch einen neuen, viel größeren ersetzt: »Es ist war, ich trug eın sehnliches Verlangen, meinen Herrn Vater zu sehen, mein Wunsch

ist zwar in seine Erfüllung gegangen. allein halte ich die gegenwärtige Lebensart gegen die vorige, welche wir in einer Einsamkeit, jedoch in einer zufriednen Stille hingebracht, so kann ich nicht anders sagen, als wir sind

einer Glückseligkeit beraubet. Derselbigen länger zu genießen, wollte ich alles Uebrige, was tausend Andre als eine Glückseligkeit anpreisen, mit dem größten Vergnügen ausschlagen, und in diesem irrdischen Paradies meın Leben beschliessen. Ich fürchte, und das nicht ohne Grund, es wartet ın England ein Ungewitter auf uns, ja ich sage noch mehr, es thürmet sich >% Ebd., S.304.

Der Held zwischen Resignation und Aufbruch

163

vielleicht schon auf.«??! Das »Ungewitter« kündigt sich schon im »irrdischen Paradies« an, denn der Lord bricht mit Schiff und Tochter heimlich von der Insel auf und läßt den verzweifelten Martın zurück, nicht ohne

einen Brief zu hinterlegen, in dem er verspricht, ihn nach einem Jahr holen zu lassen. Doch das Schiff kehrt zurück, nachdem es orientierungslos und Stürmen ausgesetzt auf dem Meer herumgeirrt war. Martin rettet die ausgehungerte Mannschaft mit seinen Vorräten und wird nun mit nach Eng-

land genommen. Mit dem Verlassen der Insel wird Martin schwermütig und »verdrüßlich«. Mit seiner neuen Rolle als Leutnant kann er sich kaum ıdentıfizieren. Im Schloß des Lords, von Dienern umschwärmt, sehnt er sich nach seiner alten Lebensweise zurück. Caroline und er leben zwar unter einem Dach, sehen einander aber selten und nur unter Aufsicht des Vaters. Der Lord führt einen neuen Heiratskandidaten, einen Kapitän, ein und ersinnt immer wieder Intrigen, um Martin von seiner Tochter zu trennen.

»Du bist mir nach deinem eignen Geständniß Gehorsam schuldig,« sagt er zu ihr, »[...] also ıst mein Wille, daß du dich denselben unterziehest. Der Wohlstand erfordert es deiner närrischen Einbildung ein Ziel zu setzen; ja,

ich will noch mehr sagen, meine und deine Ehre leidet dabey. Ganz England würde dafür ausspeyen, wenn du dich so weit herunter ließest; verstehe, du hast dir vorgesetzt den Kaufdiener zu heirathen, allein du kannst

dir sichere Rechnung drauf machen, daß ich nach meiner väterlichen Gewalt mich dawider setzte, und den Capitain zu heirathen anbefehle.«?” Der

Lord beruft sich auf die konstitutionellen Grundlagen der traditionellen patriarchalen Herrschaft: »mein Wille«, »Ehre«, »väterliche Gewalt« und

»Gehorsam«. Zur »Ehre« des Vaters und seines Hauses muß »sein Wille« geschehen, »Gehorsam« wird mit »Gewalt« erzwungen. Zwar beteuert Caroline immerzu ıhre unauslöschliche Liebe zu Martin, aber sie handelt am

Ende doch wie eine gehorsame Tochter. Auch Martın fügt sich resignativ in die machtvolle väterliche Ordnung: er verläßt England und reist zuerst nach Holland, später in seine Heimatstadt Emden, wo er bis zur Niederschrift seiner Lebensgeschichte bleiben wird. Caroline teilt er mit, daß er sie liebe und

nach ihr keine andere Frau mehr

lieben werde,

aber höhe-

re Mächte hätten wohl beschlossen, daß sie beide nicht zusammenkom-

men sollen. Zwei Monate später erhält er die Nachricht, daß sie den von ihr gehaßten Kapitän nach ihres Vaters Willen geheiratet habe. Martin und Caroline schreiben und Carolıines Tod.

9 Ebd., 5.339. 2 Ebd., S.429f.

besuchen

einander freundschaftlich bis zu

164

Leben zwischen Anspruch und Vermögen Dieses resignativ-versöhnliche Ende scheint zunächst das Merkwürdigste

an Martins Lebensgeschichte. Er, der bereits als Kind auf sich gestellt, sich aus eigener Kraft im Leben bewährte, einen Beruf erlernte und erfolgreich ausübte, zur See fuhr, alleın auf einer Insel überlebte und mit seinen Vor-

räten eine ganze Schiffsbesatzung vor dem 'Iod rettete, der Aktivität, Autonomie und Mündigkeit verkörperte, zieht sich nach der Rückkehr von der Insel und dem Scheitern seiner Liebe aus dem Leben und der Gesellschaft zurück. Der einsiedlerische Einzug in das »Gebäudgen, nach dem Muster desjenigen auf der Insel, auf welcher er achtzehn Jahre hingebracht«, spiegelt die Umkehrung des aktiven, dynamischen, weltzugewandten Auszugs in das Leben nach der Vertreibung aus dem Vater-Haus. Die Autonomiebestrebungen Martins, der durch den vorübergehenden Verlust der alten Ordnungs- und Machtstrukturen von Anfang an Selbstdenken und Selbsthandeln gelernt hat, geraten durch dieselben Machtstrukturen an ihre Grenze. Die Reintegration in eine Gesellschaft, deren Normen seine Selbsterfüllung verhindern, ist nicht möglich. Was ıhm bleibt, ist die melancholische Erinnerung an das einstige freie, nicht entfremdete Leben und vor

allem an die glückselige Liebe mit Caroline, in der er die Erfüllung seiner seelischen Bedürfnisse fand. Nie, nicht einmal ın Gedanken, macht Martin den Versuch, gegen Carolines Vater und die Zwänge, die seine Glückselig-

keit verhindern, zu handeln. Von Anfang an fügt er sich ın das scheinbar Unabänderliche, Ausweglose. Gleich bei der Ankunft des Lords auf der Insel gibt er seine Liebe verloren: »Ich werde sie nicht mehr sehen, beklagte ich mich selbst, noch weniger sprechen, ohne in Gegenwart ıhres Vaters. Der Unterschied des Geschlechts verbindet sie, sich standsmäßig zu verheyrathen, ich werde es als eine besondere Gnade ansehen sollen, daß ich mit Ihnen zugleich Europa wieder betrete; alleın, da mir das angenehme entzogen wird, bin ich daselbst überflüßig; Ihr Anerbieten, daß sie mich mit an Bord nehmen wollen, will ich großmüthig ausschlagen, es ıst um eın vierthel Jahr zu thun, so ıst alles vergessen.«?”? Martins Melancholie und Handlungshemmung sind die Folge seines ınneren Gespalten-Seins zwischen dem tiefen Wunsch nach ganzheitlicher,

leibseelischer Autonomie und Selbstverwirklichung und anthropologischgesellschaftlichen Machtstrukturen. In ihm geraten Bilder eines freien, selbstbestimmten, glückseligen Lebens mit jahrhundertelang tradierten Rollen- und Wertvorstellungen ın Konflikt, die zu übermächtig empfunden

werden, um veränderbar zu sein. Seine Melancholie ıst das Ergebnis seiner

»» Ebd., S.325f.

Der Held zwischen Resignation und Aufbruch

165

nicht realisierbaren Glückseligkeit in Gestalt einer erfüllten Liebesbezie-

hung. Die Widerstände gegen sie, an denen er leidet, liegen in ıhm selbst: in seinem die repressiven anthropologischen Strukturen affırmierenden Bewußtsein. Dieses melancholische Leiden erlebt das Subjekt als tiefe, existentielle Identitätskrise, als Zerissen-Sein zwischen Anspruch und Vermögen. Das Subjekt erfährt die Gewißheit seiner ganzheitlichen, leibseelischen Identität, um zugleich zu erkennen, daß es sie mit den eigenen, iden-

titätskonstitutiven Bewußtseinsstrukturen verhindert. Martin und auch Caroline sind typische Figuren dieser spezifischen Schizophrenie nach der

Jahrhundertmitte, die erfahren und erkennen müssen, »daß der Gegner des Selbst ım Ich sitzt« (Mauser).?”* In Speelhovens Lebensgeschichte bleibt das Melancholie-Syndrom noch

unbewußt und unbegrifflich. Für Martins psychische Zuständlichkeit findet der Romanautor stattdessen ausdrucksstarke, verstörende Bilder wie die drohende, todbringende Vaterfigur und die nachgebaute Insel-Idylle ın der Vorstadt von Emden. Indem Martins Lebensbericht versöhnlich, fast zu-

frieden endet und ihm die kontemplative Erinnerung an die vergangene, zeitlich und räumlich begrenzte Glückseligkeit zum alleinigen Lebenszweck

wird,

bleibt er bis zum

Schluß

tief in seiner eigenen psychischen

Zerrissenheit befangen. Gerade durch die Unfähigkeit zu Analyse und Krıtik wird eindringlich deutlich, wie tief Martins krisenhafte Identität von der Gewißheit der eigenen Inferiorität und Determiniertheit durch verinner-

lichte Machtstrukturen durchdrungen ist. 4. Die Macht der Möglichkeiten: Zum Gesellschaftsbild der Romane Wenn der Romanheld am Ende seiner Lebens-Reise die Glückseligkeit er-

fährt, so ist diese in der Handlungslogik der Romane nur selten Folge seines tugendhaften Agıerens. Die finale Glückseligkeit ist vielmehr visionärer Ausdruck

seiner Sehnsucht

nach

einem

Zustand,

in dem

alle unerfüllten

Lebenswünsche befriedigt werden. Fast allen Lebensgeschichten nach 1750 mangeln Vernunft, Gelassenheit, Planung und Ziel - insofern stellen sie die Umkehrung der Abenteuerromane des frühen 18. Jahrhunderts dar. Das

nomadisierende Ich ist nicht im Besitz der (Tugend-)Mittel, sein Leben aktiv zu gestalten, es ist in der Welt unbehaust und orientierungslos. Auch ?# Wolfram Mauser: Melancholieforschung des 18. Jahrhunderts zwischen Ikonographie und Ideologiekritik. Auseinandersetzung mit den bisherigen Ergebnissen und Thesen zu einem Neuansatz. In: LY 13 (1981), S.253-277; $.274. Vgl. auch ders. 1990, S.52-55.

166

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

die Glückseligkeits-Vision verbindet sich nicht mit konkreten gesellschaftlichen Vorstellungen. Statt Integration ın die zeitgenössische Gesellschaft steht am Ende die Gesellschaftsflucht ın die ideale Gemeinschaft.

Zwar

gehören Wohlstand und Reputation zuweilen zum Inszenierungsrepertoire der finalen Glückseligkeit, doch sıe sind keinesfalls Glücksgarantien.?” Die zahlreichen Aufsteiger unter den Romanhelden analysieren selten ihre soziale Situation, sind nicht sozial Unzufriedene, die gezielte Anstrengungen

unternehmen, um ıhren alten Stand zu verlassen und eine höhere gesellschaftliche Position zu erwerben. Der Impuls, von ihrem angestammten Platz in der Welt auszubrechen, beruht vielmehr fast immer auf psychischen Krisen — nach der Auflösung der Familie, dem Tod eines geliebten Menschen, dem Zerbrechen einer Liebe, der Schuld, Täuschung und Intrige. Ihr sozialer Aufstieg verdankt sich meistens zufälligen Begegnungen oder Liebesbeziehungen. Der ausgeblendeten Wahrnehmung der realen gesellschaftspolitischen Komplexität und ihrer Unterdrückungsmechanismen steht in den Romanen andererseits das kritische Bewußtsein um die Determiniertheit des individuellen Lebens durch realpolitische Herrschaftsverhältnisse gegenüber. Schließlich beschreiben sehr viele der Romane einen Aufbruch des Helden aus den angeborenen sozialen Verhältnissen und einen dynamischen Prozeß sozialer Mobilität, führen viele Lebens-Reisen durch verschiedene Stände

und gesellschaftliche Sphären. Der Lebensweg eines Menschen ist nicht mehr providentiell vorherbestimmt und der durch Geburt erworbene Stand kann aus eigener Kraft verlassen werden. Doch die Lösung der Romanhelden aus alten Bindungen geschieht weniger durch planvolles gesellschaftsbezogenes Handeln als durch zufällige zwischenmenschliche Begegnungen. Gesellschaftliche Konflikte und Zwänge kommen nur als zwischenmenschliche Konflikte ins Bild, die gesellschaftliche Realıtät wird subjektiviert und auf die individuelle Lebensgeschichte bezogen. Das zeigt sich nicht zuletzt

darın, daß gesellschaftliches Milieu präzise und detailliert vor allem dort beschrieben wird, wo es den Erzähler am unmittelbarsten betrifft: bei Her-

kunft und Kindheit wie bei Ausbildung und Beruf. In den meisten Roma-

nen dominieren die subjektiven Erfahrungen des Helden die Auseinandersetzung mit der äußeren Realität, Ich-Geschichte und Ich-Findung ste-

hen im Zentrum, nicht Gesellschaftsanalyse, Gesellschaftskritik oder gar bürgerlicher Machtanspruch. Die Subjektivierung der gesellschaftlichen 5 Vgl. Kapitel IV.1.e.: »Ich bin niemals vollkommen glücklich gewesen, ohngeachtet ich mit den Gütern des Glücks überschüttet war.« Die bewundernswürdige Gunst des Glücks 1762, S.1.

Zum Gesellschaftsbild der Romane

167

Realität zeigt sich besonders deutlich in den Wunschkarrieren. Viele Romane drücken den Wunsch nach Wandlung der gesellschaftlichen Zustände aus, ohne diese konkret ın den Blick genommen zu haben. Aufstiege wie

der vom Gastwirtssohn zum adligen Schloßherren sind Traum-Lebensläufe jenseits jeder politischen Realıtät. Umgekehrt sind Geschichten von sozialer Deklassierung wie die des Ritters von Belicourt, der durch seine Liebschaften Stand und Vermögen verliert, in einer Finanzstube arbeiten muß

und schließlich das Apothekerhandwerk lernt,?” Ausdruck der durch die neue gesellschaftliche Instabilität und funktionale Differenzierung evozierten Ängste und Verunsicherungen. Die naiven Gesellschaftsbilder der Romane zeigen, daß sich dem Menschen Entscheidungs- und Handlungsspielräume eröffnet haben, ın denen der Protagonist nicht sicher und autonom

zu agieren vermag. Das durch dıe Aufklärung ins Leben gesetzte Bewußtsein der Selbstverantwortung und des Selbstwertes verbindet sich mit dem Unvermögen,

die eigenen

realen Handlungsmöglichkeiten

zu erkennen.

Aus dieser Schizophrenie entspringen die ziellose Dynamik der Romane und die irrealen Wunschbilder von Adel, Reichtum und Glückseligkeit. Der Mensch, ın der Gewißheit, daß nur er selbst für seine individuelle Lebens-

geschichte verantwortlich ıst,?”” erfährt die neue Verantwortung für seine Individualität zugleich als Befreiung und Überforderung. Das Grundthema der Romane zwischen der Mitte und dem Ende des 18. Jahrhunderts ist die orientierungslose, selbstreflektorische Suche der Menschen nach neuen Verbindlichkeiten. Der Mensch »bleibet sich selber das größte Problem«, er erfährt sich selbst und die Welt als fremd, unverständlich, ohne Gewißheiten. Tugend und Laster sind als ethische Kategorien keine Glücksgarantien, weil die innere wie die äußere Welt ın ıhrer Widersprüchlichkeit und Unergründlichkeit keine Normierungen zuläßt. Metaphysische Sinnstiftungen, »Verhängnis«, »Zufall«, »Vorsehung«, »Schicksal«, erscheinen nur noch formelhaft und sinnentleert. Dem vernünftig denkenden, fragenden Menschen sind sie für seine diesseitige Lebensbewältigung bedeutungslos, gleichzeitig ist er sich jedoch bewußt, daß seine Vernunft

nicht so weit

reicht, das neue,

selbst erzeugte

Sınnvakuum

zu

füllen. Sein »eingeschränkter Verstand« vermag das Leben und seine Phänomene niemals vollständig zu erklären. Die von der Aufklärung geforderte 3% Richter, Die Schwachheit des menschlichen Herzens bei den Anfällen der Liebe 1755.

977 „So ıst und bleibt der Mensch seines Glücks und Unfalls selbst eigner Urheber und Bewegungsursache.« Nirgends närrischer als in der Welt dennoch aber Nichts von Ohngefähr dieses beweiset die Geschichte eines Fürst. Amts-Rathes zu ***. Blankenburg: bey Christoph August Reußer: 1768, S.2.

168

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

Autonomie stößt an ihre Grenzen, der gesuchten Selbstgestaltung des Lebens stehen äußere Ordnungsstrukturen und innerpsychisches Unvermögen entgegen. Gleichzeitig ıst das auf sich gestellte Individuum zur Diesseitsbewältigung gezwungen, nachdem sein Lebensweg nicht mehr von Ge-

burt an von Gott vorherbestimmt ist. Da es nun alle seine Handlungen vor sich legitimieren muß, sucht es nach Erklärungen und Prinzipien. Warum verlaufen die individuellen Lebensgeschichten unterschiedlich und wie weit kann das Subjekt auf ihren Verlauf Einfluß nehmen? Welche Kräfte sind verantwortlich für die Lebensumstände außerhalb des menschlichen Ver-

mögens ? Wie kann der Mensch seinen angeborenen Stand verlassen ? Wie hängen gesellschaftliche Position und Glückseligkeit zusammen? Die Roman-Geschichten beschreiben einen kollektiven Frage-Zusammenhang, sie liefern — als »Begebenheiten,« »Schicksale« und »Lebensgeschichten« — das

Material zum Individuationsprozeß des Menschen in der Krise nach der Jahrhundertmitte: »So weit auch der menschliche Forschtrieb in dem Rei-

che der Wahrheiten eingedrungen ist, bleibet sich doch der Mensch selber das größte Problem. Er ist es sich ın seinem Daseyn, er ist es sich in dem

Schicksale. Dieses nennet nach getheilten Begriffen der Heyde das Verhäng-

nıß, der Fatalist den Zufall, der Andächtige die Vorsehung. Der gemeine Haufe

saget, niemand

könne

seinem Schicksale entgehen.

[...] Eben

so

schwankend klinget das Sprüchwort, daß jeder seines Glücks und Unglücks Schmid sey. Im Letztern kann er es seyn, ım erstern müßte er aber einen nicht

so eingeschränkten

Verstand

haben,

als ihm

nur verliehen

ist, um

damit alle Dinge voraus zu sehen, die sich außer ıhm in seine Handlungen

mischen, und ihnen einen Ausschlag geben, welchen doch zu bestimmen nicht in seiner Macht stehet.«°” »Jeder Mensch hat seine Schicksale, wie sie

auch ein Wurm und, nach dem Hauptbuche unserer Religion, die Vögel unter dem Himmel

haben; wie kömmt es aber, fraget nicht selten unser

forschendes Nachdenken, daß ein Theil Menschen so merkliche wundersam

geschlungene Schicksale haben, anstatt daß der andere Theil derselben mit ihrem Daseyn nur das gemeine Pflanzenleben zu beherzigen scheinet: sie

werden, sie vegetiren und gehen gleichsam in ihre Elemente wieder zurück, ohne sich fast selber bewußt gewesen zu seyn %«°?”

398 Geschichte eines reisenden Deutschen. Oder: der Gesellschafter seiner selbst in der Einsamkeit, mit sittlichen Betrachtungen über das Seltsame der menschlichen Schicksale. Leipzig 1769, S.1-3. »” Ebd., S.52f.

Zum glückseligen Romanschluß

169

5. Die Macht der Wünsche: Zum glückseligen Romanschluß

Glückseligkeit, Zentralbegriff der Aufklärung, bezeichnet einen anthropologisch-gesellschaftlichen Idealzustand, den der autonom und mündig gedachte Mensch durch bewußtes Handeln selbständig herbeiführen soll. Im theoretischen Zusammenhang der Aufklärung schafft er sich seine Glückseligkeit durch tätige Initiative, die er aus reflektierter Welt-Erfahrung gewınnt. Als neue, diesseitige Identitäts- und Sinnkategorie löst Glückseligkeit die jahrhundertealte eschatologische Heils- und Erlösungsvorstellung ab, nach der Sündhaftigkeit mit providentieller Strafe, unbeirrter Glaube und Standhaftigkeit im Ertragen von Leid mit göttlicher Gnade beantwortet werden. Glückseligkeit bezeichnet als anthropozentrisches Analogon der

theologischen Heilskonzeption gleichzeitig ihre radikale Zerstörung. Mit ihr verbindet sich die Erosion der metaphysisch-spirituell orientierten Identıtät des 17. Jahrhunderts und ıhre Wende zum weltimmanenten, pragmatischen Selbstbewußstsein. Nur in ganz wenigen Romanen zwischen 1750 und 1770 ıst der Held der selbstbewußte Kreator seiner Glückseligkeit, der sie am Ende - streng ım Sinne der Aufklärung - durch tugendhafte Bewährung im Leben erwirbt. In diesen Texten werden jegliche natürlichen Widerstände, die sich dem Prinzip der vernünftigen Tugendhaftigkeit entgegensetzen könnten, ausgeblendet. Entsprechend solcher einfachen Semantik sind die Charaktere flache, unnatürlich-modellhafte Gestalten, die lediglich Prinzipien verkörpern. Doch in den meisten Romanen nach der Jahrhundertmitte wird Glückse-

ligkeit in einer Weise dargestellt, die den Aufklärungsoptimismus in spezifischer Hinsicht unterläuft. Fast immer kommt die Glückseligkeit von außen über den Helden, erfährt er, leiıdend an einem Leben, ın dem er rastlos von Krise zu Krise, von Liebe zu Liebe geflohen ıst, am Ende die Glück-

seligkeit wie eine unerklärliche Inspiration. Die Glückseligkeit ıst der schlagartig und unvermutet gewonnene Sinn seines Lebens, ist die Erfüllung aller seiner tiefsten Sehnsüchte und Bedürfnisse. Sie stellt — innerlich wıe äußerlich, psychisch wıe physisch — die genaue Umkehrung seiner alten Existenz

dar,

indem

sie

dem

bisher

haltlos

getriebenen

Helden

Ruhe,

Gleichmaß, Gelassenheit, Sicherheit und Dauerhaftigkeit gibt. Die ziellose

Dynamik der Lebens-Reise mit ıhrer Fülle an Begegnungen und Erlebnissen mündet in kontemplative Einkehr und statische Isolation. Der bisher von einer menschlichen Enttäuschung zur nächsten Taumelnde, an mensch-

lichen Beziehungen Leidende erfährt plötzlich und unmotiviert die unbeirrte Gewißheit von erwiderter, tiefer Liebe und treuer Freundschaft. Damit beschreibt die finale Glückseligkeit einen Wunschzustand, frei von allen

170

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

psychischen und sozialen Konflikten, die bisher das Leben des Helden bestimmt haben. Sıe entwirft das Idealbild eines Daseins jenseits der Wirklichkeit, in dem die Momente der Realität, an denen der Protagonist bisher litt,

ausgeblendet, ja umgekehrt werden. Glückseligkeit wird zur Apotheose der Abwesenheit aller bisher erlittenen Nöte und Konflikte, der Erfüllung aller

bisher unerfüllten Wünsche: »Konnte mein Glück nunmehr wohl einen Zuwachs erhalten %« % »Nun gebe ich zu bedenken, ob in denen GemüthsVerfaßungen, worinnen wir uns befinden, ein solcher Aufenthalt nicht un-

endliche Reizungen vor uns haben müße. Wir bringen alda die vergnügtesten Stunden zu, und unsere Ruhe wird von keinen Leidenschaften unterbrochen. Die zärtlichste Liebe, die vollkommenste Freundschaft machen

uns glückseelig. Unsere Bediente erheben täglıch ihr Glücke, bei uns zu sein, und wır freuen uns daß wir solche Bedienten haben. Nichts, was das Wol meiner Unterthanen befördern kan, wird von uns unterlaßen. Alles

was sie uns an den Augen ansehen können, wird von ihnen mit Eifer verrichtet. Mit einem Worte, wir sınd alle glücklich.«*!

Mit der hyperbolischen Idealisierung der Glückseligkeits-Vision vollziehen die Romane eine Wende ins Metaphysische, die an überlebte eschatologische Vorstellungen erinnert. Die Glückseligkeit erscheint wie eine transzendente Erlösung aus allen diesseitigen Bedrängnissen, in denen der Mensch befangen bleibt und an denen er nichts ausrichten kann. In Die Folgen der Großmuth und Redlichkeit heißt es am Ende: »Wenn die ungezweifelte Erfüllung unserer Wünsche noch so wie vor alten Zeiten Mode wäre, so würde ıch einem jeden rechtschaffenen und redlichen Manne ein so vollkommenes Glück wünschen. Da dieses aber nicht ist, so wird ein jeder

nur mit der Vorstellung und Erzehlung desselben zufrieden seyn müssen.«*’%2 Im Zeitalter der Vernunft glaubt niemand mehr, wie noch »vor alten Zeiten«, an die »ungezweifelte Erfüllung unserer Wünsche« — nun muß der Mensch »nur mit der Vorstellung und Erzehlung desselben zufrieden seyn«. Hier schließt ein Roman mit seiner literarisch-ımaginativen Vision einer

Glückseligkeit, in der alle diesseitigen anthropologischen Zwänge aufgehoben sınd, bewußt an den alten, überlebten Glauben an eine metaphysısche Erlösung aus irdischen Nöten an. Die Literatur übernimmt ausdrücklich die spirituelle Erlösungsfunktion, die »vor alten Zeiten« die Religion #0 Brandes, Die Folgen der Großmuth und Redlichkeit 1762, S.221f.

#1 Begebenheiten .eines Moscowiters. Frankfurt, Leipzig: Verlegts Johann Gottfried Bauer: 1752. Straßburg: Gedruckt beı Johann Heinrich Heitz, S.406. #02 Brandes, Die Folgen der Großmuth und Redlichkeit 1762, S.221f.

Zum glückseligen Romanschluß

171

innehatte, indem sie die existentiellen Wünsche und Nöte der Menschen in sich aufnimmt und darstellt. Sie weiß, daß die alten Medien der Glücksver-

heißung nicht mehr ın Geltung sind und macht sıch selbst zum neuen Träger menschlicher Wunschvorstellungen. Wie und warum die Glückseligkeit am Ende über den Helden kommt, bleibt in den Romanen offen. Der Held erfährt in seinen Leiden keine

transzendente Erlösung, kann sich aber auch nicht selbst erlösen. Dem Anspruch der Aufklärung, Glückseligkeit durch tugendhafte Bewährung selbst zu erfüllen, kann er nicht genügen, weil er seinem inneren Vermögen wi-

derspricht. Der Held ist ein seinen Affekten Unterworfener, der sich nach der Aufhebung seines Leidens am Leben sehnt, aber nicht befähigt ıst, danach zu handeln. Die Welt ıst für ıhn nicht Raum für Erfahrungen, aus deren Anwendung er sie bewältigen kann, sie ist vielmehr undurchschaubar

und in ihrer Komplexität unerklärlich. Der Held erträumt sich die Erfüllung der Glückseligkeit, weiß aber gleichzeitig um ihre Nicht-Erfüllbarkeit. Die innere Autonomie- und Glücksunfähigkeit ihrer Helden und die Unvereinbarkeit von Wunsch und Wirklichkeit kommen ın den Lebens- und

Liebesgeschichten nicht zuletzt darin zum Ausdruck, daß die finale Glückseligkeits-Vision ins Irrationale überhöht wird. Das Bild eines weltentrückten, konfliktfreien Daseins im Kreise der Freunde und der Familie vermag die spezifische Spannung zwischen

Lebens-Wünschen und Lebens-Realität nur eine Zeitlang aufzuheben. Gleichzeitig versuchen andere Romane, Erklärungen für diese Spannung zu finden. Zu Beginn der von Christoph Heinrich Korn verfaßten Lebensgeschichte Die Ausländer ın der Schweiz oder Begebenheiten des Herrn von Tarlo und seiner Freunde*” heißt es: »Wie schwach und veränderlich ıst doch das menschliche Herz! Wie betrügerisch ist es nicht! Wie leicht lässet es sıch von den sich empörenden Leidenschaften dahin reissen! Wenn diese wüten, so verlieret die Vernunft die Herrschaft, und es ist kein Mittel, ihnen zu widerstehen. Da ist alle Einsicht, alle Liebe zur Tugend, der vesteste Vorsatz, ihr zu folgen, alles ist umsonst. [...] Endlich habe ich gefunden, daß es ohnmöglich ist Herr über seine Leidenschaften zu werden, und daß alle Weisheit darinnen bestehet, die Gelegenheiten zu vermeiden, bey welchen sie aufgebracht werden können. Dazu ist aber kein andres Mittel, als

die Flucht. So lange man in dem Tumulte der Welt lebet, ereignen sich unzähliche Vorfälle, wodurch unser veränderliches Herz gerühret und auf-

gebracht wird. Mit aller meiner eingebildeten Weisheit und Tugend habe ich

+3 Ulm: bey Albrecht Friederich Bartholomäi: 1770.

172

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

eine betrübte Erfahrung davon gehabt; und ich habe zugleich gelernet, daß die Falschheit und Bosheit des menschlichen Herzens

allgemein, und bey

allen Völkern, und unter allen Zonen einerley ist. Der redlichste Mann kann nicht tugendhaft bleiben, wenn er sich nicht von dem Getümmel der Menschen entfernet, und, so viel sich thun lässet, ın einer stillen Einsamkeit

lebet. Da allein kann man so weise und so tugendhaft werden, als es in diesem Leben möglıch ist; da allein finden die Leidenschaften keine Gelegenheit, aufrührısch zu werden, und die Ruhe unsers Gemüthes zu stöhren.

Meine Geschichte kann dasjenige, was ich bisher gesagt habe, durch ein würkliches Beyspiel bestätigen. Hingerissen von tobenden Leidenschaften, hintergangen von meinem eignen Herzen, betrogen von falschen Freuden,

habe ich endlich gelernet, daß das menschliche Herz allenthalben falsch und betrüglich ıst, und daß ein redlicher Mann nie eine ware Ruhe finden kann, als in einer gänzlichen Entfernung von der Welt.«*%*

Für Korns Romanhelden sind Tugendhaftigkeit und Glückseligkeit ın der Welt nicht möglich. Mensch und Welt sind in fortwährender, unerklärlicher

Veränderung und Bewegung und das Ich ist diesen »Tumulten« und »Vorfällen« hilflos ausgeliefert. Das Subjekt leidet an sich und den anderen, weil sein Inneres und die äußere Welt dem Glückseligkeits-Wunsch entgegenstehen. Einerseits wird es durch die Schwachheit des eigenen Herzens ımmer wieder »gerühret und aufgebracht«. Seine Triebe sind so machtvoll, daß

es unfähig ist, seine Natur im Sinne der Tugend zu beherrschen. Die eigene Subjektivität wird als unkontrollierbar und unberechenbar empfunden, sie wird regiert, ja »hingerissen« von »tobenden«, »wütenden« Leidenschaften,

an denen jeder Tugend-Vorsatz scheitern muß. Andererseits werden die anderen — sogar die Freunde - als falsch, boshaft und betrügerisch erlebt,

und dies ıst »bey allen Völkern, und unter allen Zonen einerley«. Die Natur des Menschen

ist schlecht, er ist des anderen Feind, undurchschaubar, un-

verständlich. Tugend und Glückseligkeit sind in der Welt leere Ideale. Nur außerhalb der Welt kann das Ich Ruhe finden. Zu seiner Glückseligkeit gibt es »kein andres Mittel, als die Flucht«. Die Erfahrung der Welt läßt den Helden die Welt fliehen, weil er von ıhrer Unerklärlichkeit bedroht wird.

Tugendhaftigkeit kann es nur »in einer stillen Einsamkeit« geben. Es ist von dort nur noch ein kleiner Schritt, um »die stille Einsamkeit« ın

ihrer vermeintlichen Tugendhaftigkeit und Glückseligkeit endgültig und ausdrücklich zu entlarven. Johann Karl Wezel beginnt seinen Belphegor (1776) mit den folgenden Zeilen: »So lange ein Mann, dem die Natur gleich

+ Fbd., S.4f.

Zum glückseligen Romanschluß

173

viel Feuer ın die Einbildungskraft und in die Empfindung gelegt hat, die Erfahrungen zu seinen Begriffen blos aus seinem guten Herzen und dem kleinen Zirkel simpathisirender Freunde hernimmt, so lange wird er sich

mit schönen Illusionen hintergehen, der Mensch wird ıhm ein Geschöpf höherer Ordnung, geschmückt mit den auserlesensten moralischen Vollkommenheiten, und dıe Welt der reizende Aufenthalt der Harmonie, der

Zufriedenheit, der Glückseligkeit seyn. Man stoße ıhn aus seiner ıdealen Welt ın die wirkliche; man lasse ıhn die vergangnen Zeiten, die Geschichte der Menschheit und der Völker durchwandern; man werfe ıhn ın den Wirbel des Eigennutzes, des Neides und der Unterdrückung, in welchem seine

Zeitgenossen herumgetrieben werden: wie wird sich die ganze Scene ın seinem Kopfe verwandeln! — die blumichten Thäler und lachenden Auen,

voll friedsamer freundlicher Geschöpfe, die ihr Leben ın gutherziger Eintracht dahintanzen, werden zurückfahren, und statt ihrer Wälder und Ge-

birge mit zusammengerotteten auflauernden Haufen hervorspringen, worunter Jeder des andern Feind ıst und nur durch Besorgniß für sein Interesse

abgehalten wird, es öffentlich zu seyn, wo jeder Auftritt das Theater mit Blute besudelt, ın jedem eine Grausamkeit begangen wird: — das wird ıhm ızt die Welt, und der Mensch ein listiger oder gewaltthätiger Räuber seyn,

der auf sein Ich eingeschränkt, mit verschiedenen Waffen wider die übrigen ficht, keinen irgend worinne über sich dulden, und gern über alle seyn will — eine Maschine des Neides und der Vorzugssucht.«*® Die Glückseligkeits-Visıon ın »dem kleinen Zirkel simpathisirender Freunde«, stehendes Klischee der Romane nach der Jahrhundertmitte, stellt

einen Rückzug vor den als übermächtig empfundenen Anforderungen der Aufklärung dar, die nur noch unter idealen Bedingungen — dem kleinen

Kreis guter Herzen - Plausibilität beanspruchen können. Die Absage an die Welt bedeutet das Ende aller aufklärerischen Autonomiebestrebungen, die die existentiellen Wünsche

und Bedürfnisse der Menschen

nach repres-

sionsfreier Individualität und Soziabilität beschreiben. Die Flucht aus dem wirklichen Leben in die Glückseligkeits-Idylle ist eine Illusion — es gibt keinen denkbar größeren Kontrast zwischen der idealen und der wirklichen Welt. Damit ıst der gesellschaftliche Anspruch des Tugendkonzeptes, den die Aufklärung impliziert hatte, aufgegeben. Tugend wird als mit der Natur unvereinbar erlebt. In Wahrheit ist der Mensch kein »Geschöpf höherer Ordnung, geschmückt mit den auserlesensten moralischen Vollkommenheiten«, sondern

»eine Maschine

des Neides

und der Vorzugssucht«,

die

*% Johann Karl Wezel: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Leipzig: bey Siegfried Lebrecht Crusius: 1776. Band 1, Bl. III-V.

174

Leben zwischen Anspruch und Vermögen

Welt nicht »der reizende Aufenthalt der Harmonie, der Zufriedenheit, der

Glückseligkeit«, sondern ein »Wirbel des Eigennutzes, des Neides und der Unterdrückung«, wo »jeder des andern Feind ist«, wie Wezel 1776 schreibt. Die Romane zwischen 1750 und 1770 tragen bereits deutliche Anzeichen dieses Bewußstseins — vor allem indem sie Wünsche und Ansprüche an das Leben mit der Realität ın eine unüberbrückbare Spannung setzen. Erst nach etwa 1770 wird der Aufklärungspessimismus pointiert und radıkal formuliert werden, doch das Bewußtsein um ihn ist schon ın den Jahren nach der

Jahrhundertmitte vollkommen präsent und findet seinen Ausdruck in den brüchigen, durchscheinenden Inszenierungen eines irrealen Glücks. Bei dem Versuch, die Glückseligkeit zu beschwören, ist dessen Vergeblichkeit nicht mehr zu überspielen. Schließlich, wie bei Wezel, fällt alles schroff und unvereinbar auseinander — was bleibt, ist der maschinenhaft-entseelte, grau-

sam-monströse Mensch, der gegen alle ıst und alle zerstört. Statt Gesellschaft, Integration, Kommunikation herrschen Chaos, Auflösung, Tod.

VI. SCHLUSS: ASTHETISIERUNGEN DER KRrIsE — DER »INFERIORE« ROMAN, DIE GESCHICHTE DES AGATHON UND WERTHERS LEIDEN Das Menschenbild des >inferioren< Romans zwischen der Mitte und dem Ausgang des 18. Jahrhunderts stellt in vielen Zügen die Umkehrung der aufklärerischen Anthropologie dar. Der im Zentrum stehende Mensch erfährt das eigene Selbst, die anderen und die Welt als widersprüchlich und unergründlich. Daher mißlingt sowohl die Disziplinierung des eigenen Inneren wie die planvolle Bewältigung des äußeren Lebens durch Normen und Regeln. Tugend ist eine leere Formel, Glückseligkeit eine ideale Vision jenseits der Realıtät. Die krisenhaften, selbstzerrissenen Helden

können

ihre Wünsche und Bedürfnisse häufig nur imaginieren, aber nicht realisieren. Die von der Aufklärung in die Welt gesetzten Verheißungen scheitern am eigenen inneren Unvermögen.

Nur sehr wenige der Romane zwischen 1750 und 1770 fügen sich ın das aufklärerische Kunstprogramm und stellen nützliche, »pragmatische« mo-

ralische Wahrheiten anschaulich dar, indem sie tugendexemplarische Figuren vorführen, denen die Disziplinierung ihrer Sinnlichkeit im Sinne vernünftig-moralischer Verhaltensnormen gelingt. Dagegen sind fast alle Helden Menschen, deren Emotionalität und Triebhaftigkeit unkontrollierbar und handlungsleitend sind. Die eigenen Gefühle sind Handlungsimpulse — ebenso machtvoll wie unerklärlich. Dabei fehlt jede Innenperspektive auf den Menschen: psychisch-emotive Prozesse werden übersetzt in äußeres Geschehen, Krisen werden mit Fluchten beantwortet, innere Erregung fındet ıhren Ausdruck in äußerer Dynamik. Die Individualität der Figuren gestaltet sich in ihrem individuellen Handeln, kaum durch Einblicke in ihr Bewußtsein. Das eigene wie das Seelenleben der anderen ist fremd, unfaßbar. Deshalb werden Freundschaft und Liebe oft wie rätselhafte Kontingenzen erfahren, deshalb sind Verrat, Betrug, Enttäuschung und Intrige häufige zentrale Wendepunkte der Lebensgeschichten, deshalb kann sich

die Entwicklung einer Figur nur in heftigen Peripetien und Umkehrungen vollziehen. Liebe, fast immer im Zentrum der Handlung, ist Ausdruck der

Subjektivität, nicht objektive Wirkung providentiell-metaphysischer Prozesse. Als leibseelisches Phänomen steht sie über christlichen und aufklärerischen Tugendnormen, daher ist Sexualität häufig kein Tabu, sondern

Ausdruck individueller Liebe. Doch gerade weil sie auf den individuellen Menschen bezogen wird, wird Liebe nun zum Problem. Da die psychischen Prozesse und ihre kausale Wechselwirkung mit der äußeren Welt nur ver-

176

Ästhetisierungen der Krise

gröbert und vereinfacht erfaßt werden, bleibt Liebe rätselhaft und auch bedrohlich.

Fast alle Romane zwischen 1750 und 1770 entziehen sich den Forderungen der aufklärerischen Romantheorie, die Psychologie der Protagonisten

in den Dienst des moralischen Zwecks zu stellen. Für die Texte dieses Zeitraums sind im Gegenteil die Antagonismen von Emotionalität, Kausalıtät und Moralıtät konstitutiv: die Gefühle des Menschen entziehen sich Normierungen, er ist zwar Ursache und Wirkung seines Handelns, doch ohne das Bewußtsein für die kausale Wechselwirkung zwischen innerem und äußerem Geschehen. Erst ın Wielands Geschichte des Agathon (1766/67) wird die Psychologie der Charaktere differenziert und einer im kausalen Zusammenspiel innerer und äußerer Vorgänge sich vollziehenden Entwicklung unterworfen. Mit dem Erschließen der Innerlichkeit des Protagonisten entsteht eine »natürlicheinferioren< Romane tiefe innere Widersprüche, freilich gestaltet mit Hilfe hochgradig raffinierter, an avancıerter englischer und französischer Romanliteratur geschulter narratıver Strukturen. Ebenso wie die gleichzeitig erscheinenden einfachen Lebens- und Liebesgeschichten verarbeitet die Geschichte des Agathon literarisch die Aporien des Aufklärungsprojektes, wenn auch auf einem bisher in Deutschland nicht gekannten kritischreflexiven literarischen Niveau.

%

Blanckenburg, Versuch 1774, S.208.

#7 Vgl. Walter Erhart: Entzweiung und Selbstaufklärung. Christoph Martın Wielands »Agathon«-Projekt. Tübingen 1991. [Studien zur deutschen Literatur Band 115] und Frick 1988, S.383-495.

Ästhetisierungen der Krise

177

Zum Zeitpunkt ihres Erscheinens entsprach die Geschichte des Agathon nicht dem Geschmack des breiten Publikums und auch die Aufnahme bei

den Kritikern war weitgehend geprägt von Verständnislosigkeit.?% »Inzwischen urtheilen die deutschen Kunstrichter von meinen Schriften, als ob ich, wie die mehresten unter ıhnen, sonst nichts zu thun hätte, als die Presse

seufzen zu machen.« schreibt Wieland an Geßner am 7. May 1768 und fährt fort: »Insonderheit wird der arme Agathon so abscheulich gelobt, und so dumm getadelt, daß man nicht weiß, ob man lachen, weinen oder nach dem

spanischen Rohre greifen soll. [...] Das Lustigste ist, daß keiner, auch nicht ein einziger, die Absicht und den Zusammenhang gemacht hat.«*”

des Ganzen

ausfindig

Ein wichtiger Grund für die kritische Aufnahme des Romans lag beı der neuen, an den europäischen Nationalliteraturen geschulten Erzähltechnik Wielands und gerade darum sahen ıhn auch die wenigen positiv urteilenden Rezensenten, unter ihnen Lessing mit seinem berühmten Verdikt, als ein innerhalb der hier nachgezeichneten »flachen Landschaft< der deutschen

Romanprosa herausragendes Werk an. In der Geschichte des Agathon werden zahlreiche überkommene Modelle, Genres, Konventionen und Topoı

der europäischen Erzählliteratur miteinander verblendet. Ihre jeweilige herkömmliche Semantik deutet sich jedoch nur an und kommt nicht zur voll-

kommenen Entfaltung, da sie konfrontiert wird mit anderen bekannten Sinnbildungen des erzählerischen Kanons. So entsteht ein dekonstruktivistischer Text, der von Brüchen, Ambiguitäten, Paradoxien, Verkehrungen und Widerlegungen geprägt ist — »ein Spiel der Gegensätze«, wıe Walter

Erhart ın seiner

Agathon-Monographie schreibt.*!° Das Empfinden der par-

odierenden Bedeutungsebene, die durch die Konfrontation von etablierten narratıven Textmustern entsteht, setzt einen literaturkundigen, intellektuellen Leser voraus, dessen Rezeptionshorizont das Bewußtsein von der synkretistischen Signatur der zeitgenössischen Romanliteratur einschließt. Der #8 Vgl. zur Rezeptionsgeschichte Erich Groß: C.M. Wielands »Geschichte des Agathon«. Entstehungsgeschichte. Berlin 1930. [Germanische Studien 86], S.159-179, Klaus

Manger: Wirkung der ersten Ausgabe. In: Christoph Martin Wieland: Geschichte des Agathon. Herausgegeben von Klaus Manger. Frankfurt/M. 1986. [Werke ın zwölf Bänden. Herausgegeben von Gonthier-Louis Fink u.a. Band 3], $.858-871 und Erhart 1991, S.180-187.

+9 Wielands Briefwechsel. Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Literaturgeschichte durch Hans Werner Seiffert. Berlin (Ost) 1963 ff. Band 3: Briefe der Biberacher Amtsjahre (6. Juni 1760 — 20. Mai 1769). Berlin

1975, Nr. 522, S.511f.; S,512. +10 Erhart 1991, S.125.

178

Ästhetisierungen der Krise

naive, ungelehrte Leser, der diesen Horizont nicht teilt, ist geneigt, die parodierenden Textsignale jeweils ın Sinne der Semantik der ihm bekannten

>Originale< zu interpretieren und muß daher bei einem Romankonzept, das die Collagierung von verschiedenen, heterogenen Prosa-Texttypen und -formeln zum Strukturprinzip macht, ırrıtiert und überfordert reagieren. Bereits die ersten Worte des »Vorberichts« von 1766 schlagen einen iro-

nısierend-parodierenden Ton an: »Der Herausgeber

der gegenwärtigen

Geschichte siehet so wenig Wahrscheinlichkeit vor sich, das Publicum überreden zu können, daß sıe in der Tat aus einem alten Griechischen Ma-

nuskript gezogen seı; daß er am besten zu tun glaubt, über diesen Punkt gar nichts zu sagen, und dem Leser zu überlassen, davon zu denken, was er will.«*

Prätendierte Authentizität als traditioneller romanpoetologischer Standard wird hier spielerisch um ihre alte Geltung gebracht. Sie wird in einer sich selbst ad absurdum führenden Weise vorgetragen, indem ihr oberflächlich entsprochen wird, um sie gleichzeitig ironisch zu entlarven. »Dem Le-

ser zu überlassen, davon zu denken, was er wıll« bedeutet, von ıhm kriti-

sches Bewußtsein und selbständige Reflexion der Fıktionsproblematik zu erwarten. Doch den meisten Lesern blieben die textkonstitutiven Widersprüche und Vieldeutigkeiten wie die ironische Dimension des Romans, die

ja auch die eigene distanzlose Rezeptionsweise ironisiert, verborgen. Wenn das ım Vorwort — neben verschiedenen anderen textuellen Anspielungen — angekündigte poetologische Programm eines »pragmatischen« Romans, ın dessen Verlauf sich nach Prüfungen und Läuterungen des Helden moralphilosophische Normen im Sinne einer teleologischen Korrelation von Psychologie, Kausalität und Moralität als verbindlich erweisen sollen, in der Entwicklung der Geschichte als schrittweise Desillusionierung des Helden systematisch pervertiert wird, so werden damit die Erwartungen derjenigen Leser, die diesen programmatischen Textsignalen vertrauten, getäuscht. Immer wieder wurde daher — neben der erotischen Freizügigkeit, der Re-

lıgionskritik und den Erzählerkommentaren im Roman - verwirrt und ver-

ständnislos das Fehlen exemplarisch-pragmatischer Tugendmodelle kritisiert. Offenbar waren nur wenige Leser fähig, zu erkennen, wie gerade die anhaltende, unlösbare Spannung von moralischer Norm und lebensweltlicher Wirklichkeit das strukturbildende Gestaltungsprinzip darstellt. Und gerade diese spezifische Erwartungshaltung der Leser an Literatur, ästhe+1 Christoph Martin Wieland: Geschichte des Agathon. Herausgegeben von Klaus Manger. Frankfurt/M. 1986. [Werke ın zwölf Bänden. Herausgegeben von GonthierLouis Fink u.a. Band 3] [Bibliothek deutscher Klassiker], S.11

Ästhetisierungen der Krise

179

tische Lösungen und praktikable Formeln zu präsentieren, macht Wieland

durch sein Spiel mit tradierten literarischen Verbindlichkeiten zum Thema des Romans. Indem Wieland etablierte literarische Muster und Formeln in ihrer traditionellen Semantik dekonstruiert, stehen sie im Roman für ihren eigenen

Sinn- und Plausibilitätsverlust. Durch die semantische Entwertung der poetologischen Konzeptionen zur ästhetischen Harmonisierung der aufklärerischen Antagonismen von Natur und Tugend, Providenz und Kontingenz,

von Ich und Gesellschaft entsteht eine neue, brüchige Form, in der die Antithesen wieder offen auseinandertreten — genuin der aporetischen Krisenhaftigkeit des Aufklärungsprojektes nach der Jahrhundertmitte. Erhart nennt Wielands Agathon-Projekt eine »Versuchsanordnung«,®!? ein »literarısches Experiment über die Selbstthematisierungen moderner Existenz«*°. Wieland depraviert im Agathon die alten, von der aufklärerischen Kunsttheorie sanktionierten, die Aporien von Norm urtd Leben teleologisch versöhnenden Wunsch-Projektionen, entwirft aber kein neues Ziel, entwickelt keine Synthese. Der Diskurs bleibt am Ende offen, die geschlossenen, idealısierenden Redeweisen werden entlarvt, indem ihre idealen Tugend- und

Glücksmodelle bis zum Schluß mit der empirischen Realıtät konfrontiert werden. Diese strukturbildende Konfrontation findet ihren Ausdruck ın der antithetischen Figuration von Erzählperspektive und Handlungsstruktur.

Agathon, der laut »Vorbericht« sowohl psychologische Empirie wie normative Tugend in sich vereinigen soll, erfährt immer wieder, wie die Versuche, sein gefühlshaftes Ideal von Tugend in der sozialen Wirklichkeit zu realisieren, scheitern. Als zutiefst krısenhafter Held befindet er sich ım

Verlaufe seiner Geschichte in den widersprüchlichsten psychischen Verfassungen, er schwankt zwischen Enthusiasmus und Resignation, Liebe und Misanthropie,

naivem

Optimismus

und

zynischer

Weltkenntnis.

Seine

Lebensgeschichte teilt sich ın zwei antithetische, komplementäre Geschehensverläufe: die »steigende Linie< der glücklichen Fügungen und des Optimismus, die vom Tugendprinzip bestimmt wird, verschränkt sich mit der

fallenden Linie< der Desillusionierung, ın der das Prinzip der lebensweltlichen Empirie dominiert. Der Dichotomie der Handlungslinien entspricht

als analoges narratives Strukturprinzip die der Erzählerrollen: der griechische Autor des antiken Manuskripts erzählt engagiert die Geschichte des Helden Agathon, der — bei allen Krisen und Rückschlägen — seine Über#12 Erhart 1991, S.92. +3 Ebd., S.17.

180

Ästhetisierungen der Krise

zeugung von der moralischen menschlichen Natur und seine empfindsamenthusiastischen Tugendideale schließlich verwirklicht und bestätigt findet, der Manuskript-Herausgeber dagegen kommentiert ironisch und bemerkt kritisch-distanziert, wıe der Held an seinen moralischen Idealen in der Rea-

lität resigniert (»Er wurde weiser, aber auf Unkosten seiner Tugend.»inferioren< Romanen dagegen ist ıhr eschatologischer Charakter unbeabsichtigt, unbewußt, er entsteht nicht — wie bei Wieland — durch Reflexion der

Aporıe, sondern aus unreflektierter, empfundener glückseligen Idealzustand.

Ahnung

von

einem

184

Ästhetisierungen der Krise

Darüber hinaus sınd >philosophischer< und »>inferiorer< Roman durch ihre spezifische, inkohärente Schicksalssemantik verbunden. In beiden fügen sıch die Providenz- und Kontingenztopoi nicht zu einem stringenten, handlungslegitimatorischen Sinn- und Bezugssystem, sie erscheinen vielmehr als

varıierende, bezuglose, eklektische Vorsehungsinstanzen. Werner Frick hat gezeigt, wie ım Agathon der inflationäre, stereotype Gebrauch von konventionellen, auch widersprüchlichen Teleologiesignalen zur klischeehaften Unverbindlichkeit und Deutungsbeliebigkeit tendiert.*?* Zunächst scheinen die dem höfisch-heroischen wie dem Abenteuerroman entlehnten Schicksalsgarantien als glückhafte Zufälle dem Verlauf von Agathons Geschichte

einen metaphysisch beglaubigten Sınn zu unterstellen. Sie legitimieren Agathons ıdealen Tugendenthusiasmus, indem sie jede durch seine Tugend ver-

ursachte Niederlage durch providentielle Fügung wieder ausgleichen und so seinen Erfolg im Leben garantieren. Auf diese Weise erhalten sie die werkkonstitutive Spannung von kausaler Empirie und transzendenter Koinzidenz aufrecht, die ihre makrostrukturale Ausprägung in der Antithese von

kontingent-desillusionierender »fallender Linie« und providentiell-optimistischer »steigender Linie< findet. Doch wie ım »inferioren< Roman sınd auch ım Agathon die zahlreichen unterschiedlichen Providenzmetaphern nicht

systematisch aufeinander abgestimmt und häufig auch widersprüchlich, so daß ihr traditionelles semantisches Potential, ihr Bezug auf ein geschlossenes transzendentes Sinn- und Ordnungssystem, verlorengeht und sie beliebig, formelhaft, obsolet und damit sınnentleert werden. Frick hat ausgeführt, wie sich im Agathon »die heterogene Skala jener transzendenten Instanzen« »unverbindlich, vage und diffus« liest*?° und »[...] gerade dieser

ostentative Traditionsbezug [...] sich oft genug durch unverhüllte Formelhaftigkeit in seinem Zitatcharakter zu erkennen [gibt].«** Die klischeehafte, brüchige Schicksalssemantik im >philosophischen< und im >inferioren< Roman unterscheidet sich wie die jeweilige finale Glückseligkeitsvision wiederum durch jeweils epigonal-unbewußte bzw. ironisch-bewußte Implikationen. Durch offene, ironische Distanzierungen des fiktiven Herausgebers von der Manuskript-Fabel schafft Wieland im Agathon eine spezifische Ambivalenz, in der offen bleibt, ob die providentielle Semantik noch im metaphysisch-transzendenten Sinn oder als bewußte erzählerische Setzung

zu verstehen ist. Die Kommentare des Manuskript-Herausgebers desavouıeren die traditionellen Zufallskonstruktionen als epische Erfindungen mit +4 Frick 1988, S.463-466.

*> Ebd., S.447. 26 Ebd., S.446.

Ästhetisierungen der Krise

185

Funktionalität für die finale Plausibilität und Logik des Geschehens. Indem beide narrativen Ebenen bis zum offenen Schluß gleichberechtigt nebeneinander bestehen, bleibt der ontologische Status der Schicksalssemantik ın der

Schwebe. Ist sie Ausdruck des auktorialen Glaubens an metaphysische Sinnund Ordnungszusammenhänge, die das Romangeschehen lenken oder beruht sie auf der souveränen Setzung des Erzählers — »Ist der Erzähler ın der Souveränität seiner Verfügungen noch immer [...] der bloße Exekutor oder

Imitator der geschichtsmächtigen Providenz, oder sind die »Unsterblichen«, die Agathons Schicksal leiten, ihrerseits nur noch zitathafte Setzungen eines auktorialen Arrangeurs, der, indem er Vorsehung spielt, auch mit der Vorsehung nur noch spielt « (Frick)*”” Wielands antithetische, experimentelloffene Erzählweise läßt diese Frage unentschieden und macht sie dem Leser

zur Aufgabe, sie ist Ausdruck eines reflexiven, kritischen Bewußtseins vom Plausibilitätsverlust der traditionellen providentiellen Geschehenslegitimation und -deutung. Die »inferioren< Romane reflektieren diesen Verlust nicht, doch ihre stereotyp-sinnentleerte Providenztopik steht für dasselbe Krisenbewußtsein. »Verhängnis«, »Zufall«, »Vorsehung«, »göttliche Len-

kung« und »Schicksal« sind dem Helden ın seiner diesseitigen Lebensbewältigung leere, bedeutungslose Formeln, das durch ihren Geltungsverlust erzeugte Sinnvakuum, das der krisenhafte Held nicht aus eigener Autonomie und Vernunft heraus zu füllen vermag, verursacht seine Ziel- und Orı-

entierungslosigkeit, seine Konfusion und fluchtartige Ruhelosigkeit ım Leben. Dem auf sıch gestellten Subjekt sind das eigene Selbst und die Welt unergründlich, die Wechselhaftigkeit seiner Fährnisse — höchstes Glück und

tiefstes Leid, Aufstieg und Fall — verweist nicht mehr auf die Wirkung der alten numinosen Gewalten, sondern bleibt rätselhaft, unerklärlich, bedroh-

lich. Der »inferiore« Roman gestaltet dieses Gefühl existentieller Verlorenheit unreflektiert, direkt und unmittelbar, indem er die tradierten Formen

nıcht mehr ım Sinne ihrer hergebrachten, ordnungsstiftenden Bedeutung verwendet, sondern nur noch wie leere, überlebte Phrasen — Wieland dagegen treibt im Agathon eın raffıniertes ıronisch-intellektuelles Spiel mit dem Erwartungshorizont

seines

literarisch

gebildeten

Publikums,

er versucht,

»die Krisenerfahrung eines traumatischen Verlustes der Weltorientierung« (Frick)*?8 durch die experimentell-offene Form des Romans zu subjektivie-

ren, bewußt zu machen. Beide vollziehen damit — der eine analytisch-bewußst und kritisch, die anderen unbewußt und unvollkommen-epigonenhaft — die Überwindung derjenigen theoriegeleiteten ästhetischen Modelle, die

7 Ebd., S.466. 28 FEbd., S.472.

186

Ästhetisierungen der Krise

die Aporien von lebensweltlicher Erfahrung und theoretischer Norm ım Rahmen ihrer poetischen Konzeption zu vermitteln suchen, bleiben jedoch gleichzeitig formal den Normen

verpflichtet, indem sie sich, wenn

auch

synkretistisch verblendet, der hergebrachten Formensprache dieser Erzählmodelle bedienen. Die poetische Lösung der Spannung von Normüberwindung bei gleichzeitiger formaler Normverpflichtung vollzieht sich, wenn Goethe 1774 im Werther eine bisher nicht gekannte Tiefe und Komplexität des Inneren eröffnet: »Ich kehre ın mich selbst zurück, und finde eine Welt!«*?? Werthers Syndrom — Orientierungslosigkeit, gesteigerte Emotionalität, scheiternde

menschliche Beziehungen, Tugendverweigerung, Handlungshemmung und Überdruß der Existenz - findet sich vorgeprägt in der Psychologie der Figuren der unmittelbar vorangehenden »inferioren< Lebens- und Liebes-

geschichten, die freilich ohne Innenperspektive bleibt und lediglich durch äußere Handlung und Dynamik vermittelt wird. Auch Werther ıst ein Unsteter, haltlos Getriebener, der seine psychische Instabilität durch Fluchten beantwortet — »Wie froh bin ıch, daß ich weg bin!« lautet der erste Satz des Romans.*° Auch er empfindet, wie fast alle >»inferioren< Helden, die menschliche Psyche rätselhaft und fremd: »Wie denn auf dieser Welt keiner leicht den andern versteht.«*?! Doch anders als seine noch einfach struktu-

rierten, traditionsverhafteten Vorläufer vermag er sich mit den Mitteln einer neuen Sprache zur Beschreibung und Darstellung des Seelischen seiner Krise differenziert bewußt zu werden. Wieland hatte in der Konfrontation der Aufklärungstheoreme mit lebensweltlicher Realıtät die ästhetischen Kompensationsbedürfnisse der Zeitgenossen bloßgelegt, ohne jedoch Synthesen anzudeuten. Indem Goethe dıe Krise individualisiert und emotionalisiert,

werden die ästhetische Disziplinierung und damit die Erlösung des Subjekts aus den verinnerlichten Machtstrukturen, die seiner Selbstverwirklichung entgegenstehen, als basale poetische Konzeption der Aufklärung endgültig obsolet: Autonomieideal und Glückseligkeitsutopie verkehren sıch ın ıhr

radıkales Gegenteil — das zerrissene, krisenhafte Subjekt erlöst sich selbst durch Selbstauslöschung.

Ab etwa 1770 vollzieht sich die Diffusion des bıs dahin ın seinen Universalien geschlossenen Dichtungsprogramms der Aufklärung. Die neuen

poetischen und poetologischen Paradigmen von Sturm und Drang und Genie-Ästhetik setzen der rational-normativen Aufklärungsästhetik die Auf12 Hamburger Ausgabe Band 6, $.13. © Ebd., S.7. 1

Ebd., S.50.

Ästhetisierungen der Krise

wertung man, als dert ein sich bis

187

der Affekte, des Irrationalen und Natürlichen entgegen. Der Rotraditionslose, sich selbst konstituierende Gattung im 18. Jahrhunspezifischer Indikator bewußtseinshistorischer Prozesse, bedient zum Ende der Aufklärungsepoche vielfältiger tradierter Erzähl-

muster. Dabei unterwerfen sıch in der zweiten Jahrhunderthälfte nur sehr

wenige Romane den geforderten tugenddidaktischen Denk- und Redenormen. Überaus zahlreiche der von der Aufklärungstheorie diskriminierten inferioren< Romane dieser Jahre bedienen sıch der Schemen und Bilder der

Aufklärung vielmehr in synkretistisch gebrochener, pervertierender Form. Sie formulieren als Medien eines aus dem existentiellen Zwiespalt zwischen Selbstverwirklichungserwartungen und virulenten inneren und äußeren Disziplinierungsstrukturen erwachsenen kollektiven Selbst- und Weltzweifels und Orientierungsverlustes ein Wissen, das noch unbewußt und unreflektiert ist und noch keine eigene, neue epische Form und Sprache be-

sitzt. Gerade in der spezifischen Differenz der untersuchten Texte von der zeitgenössischen Norm zeigt sich ihre tiefere Bedeutung. Das Verhältnis zwischen

Abweichung

und

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zwischen

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— Tugendlohn

und Sündenstrafe in Roman

(1966) 4, $.481-500.

|

und Simpliciade. In: ZfdPh

85

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Der

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Erhabenheit.

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Anfang

doppelter

Ästhetik

bei Boileau,

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SIGLENVERZEICHNIS

1. Zeitschriften AB AGB ASSL BDB DVjs EG GQ GRM HZ IASL

Archiv für Begriffsgeschichte Archiv für Geschichte des Buchwesens Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen Börsenblatt für den deutschen Buchhandel Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Etudes Germaniques The German quarterly Germanisch-romanische Monatsschrift Historische Zeitschrift Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen

JAAC

Literatur Journal of aesthetics and art criticism

Jb DSG JEGP

Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft Journal of English and Germanıc Philology

LiLi

Zeitschrift für Literatur und Linguistik

LY MLN Philos Rd SG STZ

Lessing Yearbook Modern Language Notes Philosophische Rundschau Studium generale Sprache im technischen Zeitalter

VSW WB WZPHP

Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Weimarer Beiträge Wissenschaftliche Zeitschrift der pädagogischen Hochschule

ZBB

Potsdam Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie

ZfdPh ZIG

Zeitschrift für deutsche Philologie Zeitschrift für Germanistik

WZUHW

224

Siglenverzeichnis

2. Bibliotheken 1 la 3

7 9

12 15 16 18 19

Deutsche Staatsbibliothek Berlin Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin _ Uhiversitäts- und Landesbibliothek Halle

Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Uhniversitätsbibliothek Greifswald

Bayerische Staatsbibliothek München Uhniversitätsbibliothek Leipzig Universitätsbibliothek Heidelberg _ Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Universitätsbibliothek München

21 22 23

Universitätsbibliothek Tübingen Staatliche Bibliothek Bamberg Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel

28 29 30

Universitätsbibliothek Rostock Universitätsbibliothek Erlangen Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M.

45

Landesbibliothek Oldenburg

154

Staatliche Bibliothek Passau

355 DI1

Uhniversitätsbibliothek Regensburg Studienbibliothek Dillingen

Bibliothek der Deutschen Literatur. Mikrofiche-Gesamtausgabe nach Angaben

des Taschengoedeke. Eine Edition der Kulturstiftung der Länder. Bearbeitet unter der Leitung von Axel Frey. München, New 1995.

Providence, London, Paris

PERSONENREGISTER

Recte gesetzte Seitenzahlen verweisen auf den Haupttext, kursive auf den Anmerkungstext. Adorno, Theodor W.

24, 28, 29

Flıas, Norbert

24, 25, 26

Anton Ulrich von Braunschweig-Lü-

Engelsing, Rolf 45, 46

neburg 72 Aristoteles 10, 12, 64, 65, 66, 71

Erhart, Walter

Asop 67

Fetzer, Günther 56

Bacon, Francis 88 Baumgarten, Alexander Gottlieb 76, 17, 20, 21, 22, 23, 27, 48, 49, 50 Bäumler, Alfred 23

Fielding, Henry 68, 80, 81, 82, 90 Finken, Karl-Heinz 17 Fohrmann, Jürgen 93, 112 Freier, Hans 12, 47 Freud, Sigmund 38, 39, 40, 41, 42, 43

Barclay, John 71

Freudenreich, Carla 94

Begemann, Christian 24, 25, 26 Bender, Wolfgang 18 Blanckenburg, Friedrich von 29,

Frick, Werner 77, 78, 137, 181, 182, 184, 185 Friedrich, Hugo 89, 90

62,

177, 179, 181, 182

138,

146,

69, 70, 84, 176

Böckmann, Paul 14 Bodmer, Johann Jacob

13, 15, 16, 17,

18, 67

82, 84, 90,

Brandes, Johann Christian 122, 139, 170, 171 Braudel, Fernand 33 Breitinger, Johann Jacob 13, 14, 15, 16, 17, 18, 67 Brunner, Horst

119,

120,

121,

2, 78,

123,

124,

130, 154, 182 Geßner, Salomon 177 Göbel, Walter 89 Goethe, Johann Wolfgang von 2, 68, 69, 79, 84, 120, 153, 186

Bretzigheimer, Gerlinde

76

Gottsched,

112

Christoph

79, 88

Miguel

de 128,

130

Götz, Max 84 Grimmelshausen,

10,

Hans

Jacob

Chri-

stoph 73 Grimminger, Rolf 22, 27, 28 Gumbrecht, Hans Ulrich 36

Darnton, Robert 45 Defoe, Daniel 93, 112, 137 Descartes, Rene 5, 6, 20, 44, 88 Diderot, Denis 76 Dinzelbacher, Peter 34

Habermas, Jürgen 59 Hauffe, Christian Gotthold 113 Heftrich, E. 88 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich

Dockhorn, Klaus 18

Heidegger, Gotthard 65

Du Bos, Jean-Baptiste

6,

67, 126

Campe, Joachim Heinrich

Saavedra,

Johann

11, 12, 13, 15, 16, 17, 18, 47, 48, 50,

Bürger, Christa 53 Cervantes

Gaede, Friedrich 16 Gellert, Christian Fürchtegott

16, 50, 51

Heinsius, Nicolaas

93

3, 39

226

Personenregister

Heinsius, Wilhelm

86, 87

Marquard, Odo

Heliodor 72

27, 39

Martens, Wolfgang 32

Helvetius, Claude Adrien

81

Mauser, Wolfram

31, 32, 165

Hermes, Johann Timotheus 90

Mauvillon, Jakob 51

Herrmann, Hans Peter Hillebrand, Bruno 78

McCarthy, John A. 78 Meier, Georg Friedrich 49, 50

15

Hohner, Ulrich 15 Home, Henry 51 Horaz 12

Meinhard, Johann 51 Mendelssohn, Moses 68 Menzel, Wolfgang 56

Horkheimer, Max 24, 28, 29 Huet, Pierre Daniel 65, 66, 67 Hughes, H. Stuart 35 Hutton, Patrıck H. 32

Meyer-Krentler, Eckhardt 149, 152 Miller, Johann Martin 79 Miller, Norbert 72, 83 Mithal, Christine 85, 86, 87

Jacobi, Friedrich Heinrich 79 Jacobs, Jürgen 69, 73

Mog, Paul 23 Möller, Uwe 18 Montemayor, Jorge de 74

Jauß, Hans Robert 32, 57, 58

Moritz, Karl Philipp

Jolles, Andre 75

Musäus, Johann Karl August 90

Jung, Carl Gustav Kant, Immanuel

40, 41

79

Muschg, Walter 43

26

Nicolai, Friedrich

68, 79

Kayser, Christian Gottlieb 86, 87

Nipperdey, Thomas

Kayser, Wolfgang

Nivelle, Armand

1

Opitz, Christian

90

54, 82, 83

37

Kimpel, Dieter 22, 84 Kleist, Heinrich von

129

Klopstock, Friedrich Gottlieb 2

Opitz, Martin 71

Korn, Christoph Heinrich Koselleck, Reinhart 61

Pestalozzi, Johann Heinrich

Kowalik, Jıll Anne

16

Krauss, Werner 89 Kreuzer, Helmut 55, 56, 58 Kritzinger, Friedrich Adolf 129, 130 Kurth, Lieselotte E. 102

La

Calprenede,

124, 125, [171,172

Gautier

de 71 LaMettrie, Julien Offray de La Roche, Sophie von 90 Leibniz, Gottfried Wilhelm Lessing, Gotthold Ephraim 68, 81, 88, 102, 177 Loen, Johann Michael von

79

Pfeil, Johann Gottlob Benjamin 146. 127, 128,

des

Coste

81 20, 21 2, 29, 52, 84, 125

149, 152, 153, 154 Prevost d’Exiles, Antoine-Francois 67, 89, 90, 91, 119, 145, 146, 154 Prutz, Robert 53, 56 Pütz, Peter 1

Reik, Theodor 41 Resewitz, Friedrich Gabriel 80 Richardson, Samuel 67, 76, 77, 78, 82. 84, 90, 91, 119, 124, 125 Richter, Christoph Gottlieb 140 Riecks, Annette 33 Rosenberg, Rainer 56 Rousseau, Jean-Jacques 24, 45

Lohenstein, Daniel Casper von 78

Rüdiger, Horst 53

Marcuse, Ludwig 38 Marıvaux, Pierre Carlet de Chamblaın de 67, 90, 91

Saine, Thomas P. 3, 4 Salzmann, Christian Gotthilf 79 Sannazaro, Iacopo 74

Personenregister

Schenda, Rudolf 45 Scherpe, Klaus Rüdiger 79

227

Unzer, Ludwig August 51 Urfe, Honore d’ 74

Schiller, Friedrich 66

Schlegel, Johann Elias 76

Valentin, J.-M. 88

Schmidt, Horst-Michael 16, 17, 19 Schnabel, Johann Gottfried 78, 84, 112, 117, 123, 144 Schneiders, Werner 2, 29, 30, 88

Verdion, Otto Bernhard 754 Vergil 74 Vierhaus, Rudolf 59 Voßkamp, Wilhelm 62, 63, 66,

Schönert, Jörg 56 Schulte-Sasse, Jochen 47, 48 Scudery, Madeleine de 71

70 Wahrenburg, Fritz 63

Sellin, Volker 34, 35

Weber, Ernst 63, 85, 86, 87

Shaftesbury, Anthony Asley Cooper

Wehler, Hans-Ulrich 42, 43

Sidney, Philip 71, 74 Sommerfeld, Martin 62 Stahl, Karl-Heinz 14, 15 Staiger, Emil 61

Weise, Christian 66 Wetterer, Angelika 17, 18, 19 Wezel, Johann Karl 172, 174 Wieland, Christoph Martin 2, 29, 68,

Stanitzek, Georg

[81

24, 30

Starobinski, Jean 44 Sterne, Laurence

68, 81, 90

Sulzer, Johann Georg 28 Teubern, Hans Ernst von 124 Theokrit 74 Tieck, Ludwig 84 Titzmann, Michael 57 Troeltsch, Karl Friedrich 99, 100, 102, 103

69, 78,

81,

177, 178,

82,

83, 84, 90,

179,

180,

182,

91,

176,

183,

184,

185, 186

Winckler, Lutz 47 Wolff, Christian 21, 22, 29, 88

7, 8, 9, 10, 11, 16, 20,

Zelle, Carsten 13 Zigler und Kliphausen, Heinrich Anselm von 77 Zimmermann, Hans Dieter 55