Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen [1 ed.] 9783428531950, 9783428131952

Zunehmende Auslandseinsätze der Bundeswehr werfen neue zu beantwortende Fragen auf. So beispielsweise, ob Deutschland au

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Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen [1 ed.]
 9783428531950, 9783428131952

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Schriften zum Völkerrecht Band 190

Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen

Von

Niclas von Woedtke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

NICLAS VON WOEDTKE

Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen

Schriften zum Völkerrecht Band 190

Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen

Von

Niclas von Woedtke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-13195-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Aber wir sagen klar nein zu dieser Zäsur, die Sie heute anstreben. Wir wollen keine neue deutsche Außenpolitik, die die Selbstbeschränkung aufgibt …“ Joschka Fischer (Grüne), MdB, am 30. Juni 1995 im Bundestag zur Haltung seiner Partei bezüglich des Antrags der Bundesregierung, deutsche Tornados nach Jugoslawien zu entsenden „Es gab nie eine Alternative.“ Außenminister Joschka Fischer (Grüne) zu den NATO-Luftschlägen im Kosovo 1999, an denen sich die Bundeswehr mit Tornados beteiligte

Vorwort In Zeiten, in denen sich die Bundeswehr nicht mehr auf eine Verteidigung der Landesgrenzen beschränkt, sondern an entlegene Orte entsandt wird und dabei – entgegen der Beteuerung mancher Politiker – zur Erfüllung ihrer Missionen auch mit militärischen Mitteln „kämpfen“ muss, ist das Risiko, dass unbeteiligte ausländische Zivilisten bei eben diesen Kämpfen zu Schaden kommen, um ein Vielfaches gestiegen. Noch weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte der BGH bereits Ende 2006 über NATO-Luftangriffe mit Bundeswehr-Beteiligung zu entscheiden, bei denen serbische Staatsangehörige aus dem Ort Varvarin zu Schaden bzw. umgekommen waren. Die von einem deutschen Oberst befohlene Bombardierung eines Tanklastzugs Anfang September 2009 in Afghanistan, bei der vermutlich zahlreiche Zivilisten zu Tode gekommen sind, hat das Thema der Entschädigung ausländischer Zivilisten nunmehr endgültig in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Ob und unter welchen Voraussetzungen Deutschland ausländischen und bei militärischen Handlungen der Bundeswehr zu Schaden gekommenen Zivilisten zu Schadensersatz verpflichtet ist – diese Fragestellung soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit in völkerrechtlicher, aber auch in nationaler, staatshaftungsrechtlicher Hinsicht untersucht werden. Im Ausgangspunkt stehen sich dabei zwei völlig gegenläufige Interessen gegenüber: Auf der einen Seite das Bedürfnis der Geschädigten bzw. deren Angehörigen nach Gerechtigkeit für das erlittene Unrecht in Form einer materiellen oder immateriellen Wiedergutmachung; und auf der anderen Seite das Interesse der Exekutive an militärischen, nicht-justiziablen Handlungsspielräumen zur Verteidigung von Gemeinwerten.

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Vorwort

Vor dem Hintergrund dieses Interessenkonfliktes versucht die vorliegende Arbeit einen Weg einzuschlagen, der den Belangen der Opfer gerecht wird (unter besonderer Berücksichtigung aktueller völkerrechtlicher Entwicklungen wie den Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission, die Kriegsopfern ein Recht auf Schadensersatz zusprechen), ohne jedoch die Augen vor den Besonderheiten bewaffneter Konflikte und vor dem Interesse der deutschen Exekutive an handlungsfähigen und schlagkräftigen Streitkräften für den Einsatz in Krisenregionen dieser Welt zu verschließen. Die Arbeit wäre in der vorliegenden Form ohne die zahlreichen Helfer, denen ich sehr zu Dank verpflichtet bin, nicht zu realisieren gewesen: Zunächst sei den Mitarbeitern der Rechtsabteilung des Bundesministeriums der Verteidigung auf der Hardthöhe gedankt, die mir bei manch kniffligen völkerrechtlichen Fragestellungen zu helfen wussten. Des Weiteren danke ich denjenigen Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums aus dem Bendlerblock, die mir bei der Aufschlüsselung der Befehls- und Kommandostränge bei internationalen Operationen mit Bundeswehr-Beteiligung behilflich waren. Ganz besonders danken möchte ich Dr. Dieter Fleck, der mir einige wertvolle Publikationen zur Verfügung gestellt hat, Dr. Ulrich Karpenstein von der Kanzlei Redeker Sellner Dahs & Widmaier für sehr aufschlussreiche Anmerkungen zum Gegenstand der Untersuchung sowie Dr. Robert Heinsch vom Deutschen Roten Kreuz in Berlin, dessen Hinweise zur Problematik der Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht mir sehr weitergeholfen haben. Überdies möchte ich besonders dem Auswärtigen Amt danken, das sich mit einem großzügigen Betrag an den Druckkosten für diese Arbeit beteiligt hat. Mortimer Bohn und Dr. Björn Maronde danke ich für den Zusammenhalt und die Unterhaltung während der unzähligen Stunden, die wir zusammen im Rechtshaus in Hamburg von Anfang 2007 bis Mitte 2008 verbracht haben. Ebenso gebührt den Herren Dr. Thomas Balzer, Dirk Zuhorn, Johannes Jacobs und Hubertus Witte für das kritische und unermüdliche Korrekturlesen der Arbeit Dank. Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Stefan Kadelbach von der Universität Frankfurt/ Main, danke ich für die sehr professionelle Betreuung und die zügige Erstellung des Erstgutachtens. Ebenso sei Prof. Dr. Rainer Hofmann für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens gedankt. Abschließend möchte ich meiner Familie, allen voran meinem Vater, der einem auf dem bisweilen beschwerlichen Weg zur Fertigstellung eines Vorhabens wie einer Promotion immer mit Rat und aufbauenden Worten zur Seite stand, dafür danken, dass dieses Vorhaben verwirklicht werden konnte. Hamburg, im Oktober 2009

Niclas von Woedtke

Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einleitung, Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

19

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Hintergrund und Bedeutung der Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Entwicklungslinien der Bundeswehr-Auslandseinsätze: Von der Armee zur Landesverteidigung zur Interventionsarmee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Aktuelle sicherheitspolitische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 III. Konsequenzen des gewandelten Aufgabenspektrums und der aktuellen Entwicklungen für die vorliegende Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 C. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

Teil 2 Völkerrechtliche Ansprüche

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A. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts . 63 I. Systematik der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 II. Klärung der Begrifflichkeiten und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes . 66 1. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bzw. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Verstöße gegen Normen des Völkerrechts: Die verwendeten Begriffe . . . . . . . 68 3. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten und von anderen Völkerrechtssubjekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

8

Inhaltsverzeichnis III. Überblick: Prüfungsfolge völkerrechtswidrige Handlung und daraus resultierende Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 IV. Völkerrechtswidrige Handlung (internationally wrongful act) gemäß Art. 1 der ILC-Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Bruch einer völkerrechtlichen Verpflichtung (breach of international law) . . . 74 a) Allgemeine Aussagen zur Feststellung eines Völkerrechtsbruches . . . . . . . . 75 b) Bandbreite des (Fehl-)Verhaltens von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Verletzte Normen des humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Einzelne verletzte Vorschriften des humanitären Völkerrechts . . . . . . . . 92 d) Verletzte Normen der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Anwendungsbereich der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Einzelne verletzte menschenrechtliche Bestimmungen der EMRK . . . . 117 e) Völkerrechtsverbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 f) Zusammenfassung: Anwendbare und verletzte Vorschriften des Völkerrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Zurechnung eines Verhaltens (attribution of conduct) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Handeln eigener Organe (Art. 4 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Beihilfe zur völkerrechtswidrigen Handlung eines anderen Staates (Art. 16 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Auslandseinsatz der Bundeswehr unter Führung einer Internationalen Organisation – völkerrechtliche Organleihe zwischen BRD und Internationaler Organisation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 aa) Auslandseinsätze der Bundeswehr und dabei als Zurechnungssubjekte in Betracht kommende Internationale Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Organisationsstrukturen und Verfahren der Einsatzplanung und -ausführung bei NATO, EU und UN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Voraussetzungen einer völkerrechtlichen Organleihe . . . . . . . . . . . . . . . 149 (1) Völkerrechtsfähigkeit der UN, NATO und EU . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (2) Regelung der Befehlsgewalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen der NATO, EU oder UN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (3) Das Urteil des EGMR in den Fällen Behrami und Saramati und seine Auswirkungen auf die vorliegende Arbeit im Bereich der völkerrechtlichen Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Inhaltsverzeichnis

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d) Zugehörigkeit zu einer Internationalen Organisation (NATO, EU oder UN) als Anknüpfungspunkt für eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD 183 e) Zusammenfassung: Zurechenbare Verletzungen des Völkerrechts . . . . . . . . 190 V. Weitere Voraussetzungen und Elemente der Staatenverantwortlichkeit . . . . . . . . . 191 1. Weitere Voraussetzungen der Staatenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Unrechtsausschließungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 VI. Rechtsfolgen einer völkerrechtswidrigen Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 VII. Die Beteiligten der infolge der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates entstehenden Rechtsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Parameter der Untersuchung eines völkerrechtlichen Individualanspruches wegen Kriegsschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 II. Übertragung des allgemeinen Verantwortlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . 206 III. Grundlage für einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden im Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Völkervertragliche Grundlage für einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Theoretische Grundlagen: Methoden der Auslegung im Völkerrecht . . . . . . 216 b) Ermittlung des Individualrechtscharakters von Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I anhand der völkerrechtlich anerkannten Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . 220 2. Völkergewohnheitsrechtliche Grundlage für einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Theoretische Grundlagen: Entstehung völkergewohnheitsrechtlicher Regeln 231 b) Völkergewohnheitsrechtlich relevante Entwicklungen im Hinblick auf einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Internationale Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Nationale Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 c) Bewertung der Entwicklungen aus der internationalen und nationalen Praxis im Hinblick auf das Vorliegen eines völkergewohnheitsrechtlichen Individualanspruches wegen Kriegsschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 IV. Betrachtungen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 V. Ausblick und Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

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Inhaltsverzeichnis Teil 3 Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

305

A. Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 I. Kollisionsrechtliche Anknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 II. Verdrängung durch das Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Exklusivität der völkerrechtlichen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 2. Spezieller völkerrechtlicher Individualanspruch wegen Kriegsschäden . . . . . . . 309 3. Entgegenstehende völkerrechtliche Entschädigungsregelungen . . . . . . . . . . . . . 310 III. Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts in Zeiten bewaffneter Konflikte . . . . . . . 311 1. Aspekte der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Suspendierung des Amtshaftungsrechts in Zeiten bewaffneter Konflikte . . . . . 315 3. Öffentliche-rechtliche Entschädigungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 IV. Ergebnis zur Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG 325 I. Dogmatik der Amtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 II. Vorliegen der Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruches gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Handelnder Amtsträger – „Jemand“ (Art. 34 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 2. In Ausübung eines öffentlichen Amtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 3. Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 a) Verletzung einer Amtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 b) Drittschutz der verletzten Amtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 aa) Pflichten der Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz: Die Amtspflicht zu humanitärrechtmäßigem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 bb) Gegenüber jedermann bestehende Amtspflichten: Die allgemeine Amtspflicht zur Unterlassung deliktischer Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . 343 (1) Amtsausübung führt zu Rechtsgutsverletzung gemäß § 823 I BGB . 343 (2) Amtsausübung stellt Amtsmissbrauch dar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 c) Ergebnis zur Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht . . . . . . . . . . . . . 348

Inhaltsverzeichnis

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4. Kausaler Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 5. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 6. Zurechnung der Amtspflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 III. Inhalt des Amtshaftungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 IV. Haftungsausschlüsse und -beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 V. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 VI. Haftende Körperschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 VII. Prozessuale Durchsetzung des Amtshaftungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 1. Verteilung der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 2. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 C. Anderweitige öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 I. Subjektivierung des völkergewohnheitsrechtlichen Schadensersatzanspruches für zurechenbare Verletzungen des Völkerrechts über Art. 25 S. 2 HS 2 GG . . . . . . . 363 II. Ansprüche aus Aufopferung und enteignungsgleichem Eingriff . . . . . . . . . . . . . . 365 III. Folgenbeseitigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Teil 4 Schlussbetrachtung

371

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

Abkürzungsverzeichnis a.A. a. F./n. F. ABl. AJIL AJPIL al. Alt. Anm. APuZ ArchÖR ArchVR AULR AWD Az. BdDGfV BEG Berlin/BonnG

betr. BGB BGBl. BGH BJIL BK BMVg BR BRD BTBVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BYIL BzaöRV bzgl. bzw. c. ca.

andere Ansicht alte/neue Fassung Amtsblatt American Journal of International Law Austrian Journal of Public and International Law et alii (und andere) Alternative Anmerkung Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament) Archiv des Öffentlichen Rechts Archiv des Völkerrechts American University Law Review Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Aktenzeichen Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung Berlin/Bonn-Gesetz (Langtitel: Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands) betreffend Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Berkeley Journal of International Law Bonner Kommentar Bundesministerium der Verteidigung Bundesrepublik Bundesrepublik Deutschland BundestagsBundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichtes Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts The British yearbook of international law Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerecht bezüglich beziehungsweise contre circa

Abkürzungsverzeichnis CDU CILJ CIMIC CJIL CJTL CMC CSP CWRJIL DDO d. h. diesbzgl. DJILP DÖV DPKO DSACEUR DVBl. e.a. EAG ECR Ed./Eds. e.g. EGBGB EGKS EGMR Einl. Einl. PrALR EinsFüKdoBw EJIL EMRK EPIL ESVP EU EUFOR EuGRZ EUMC EUMS EuR EUV/EGV EuZW f. FAS FAZ FDP ff. Fn.

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Christlich Demokratische Union Cornell International Law Journal Civil-Military Co-operation (zivil-militärische Zusammenarbeit) Chinese Journal of International Law Columbia Journal of Transnational Law Crisis Management Concept (Krisen-managementkonzept im Rahmen der ESVP) Contemporary Security Policy Case Western Reserve Journal of International Law Dienstälteste Deutsche Offiziere das heißt diesbezüglich Denver Journal of International Law and Policy Die öffentliche Verwaltung Department of Peacekeeping Operations (Abteilung für Peacekeeping-Operationen bei der UN) Deputy Supreme Allied Commander Europe (Stellvertretender NATO-Oberbefehlshaber in Europa) Deutsches Verwaltungsblatt ed altri (und andere) Europäische Atomgemeinschaft Electronic Combat Reconnaissance Editor/Editors (Herausgeber) exempli gratia (zum Beispiel) Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht Einsatzführungskommando European Journal of International Law Europäische Menschenrechtskonvention Encyclopedia of Public International Law Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europäische Union European Union Force Europäische Grundrechte-Zeitschrift EU Military Committee (EU Militärausschuss) EU Military Staff (Militärstab der EU) Europarecht (Zeitschrift) EU-/ EG-Vertrag Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und folgende Seite Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei und folgende Seiten Fußnote

14 FS GA-I

Abkürzungsverzeichnis

Festschrift I. Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde GA-II II. Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See GA-III III. Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen GA-III III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949 GA-IV IV. Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gem. gemäß GG Grundgesetz grds. grundsätzlich GYIL German Yearbook of International Law HA-IV IV. Haager Abkommen von 1907 HdStR Handbuch des Staatsrechts h.L. herrschende Lehre HLKO Haager Landkriegsordnung von 1907 HRLR Human Rights Law Review Hrsg. Herausgeber HS Halbsatz HUV-I Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften IAGMR Inter-Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte IAKMR Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte IAP Informationen – Analysen – Perspektiven, Unabhängiger Informations- und Hintergrunddienst ICC International Criminal Court (Internationaler Strafgerichtshof) ICLQ International Comparative Law Quarterly ICTY International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (Jugoslawien-Tribunal) i. e. id est (das heißt) IFOR Implementation Force IGH Internationaler Gerichtshof IGH-St Statut des Internationalen Gerichtshofes IKRK Internationales Komitee vom Roten Kreuz ILA International Law Association ILC International Law Commission ILM International Legal Materials ILR Israel Law Review Informationsdienst W & F Informationsdienst Wissenschaft und Frieden insb. insbesondere IP Internationale Politik IPBPR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPrax Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts IRRC International Review of the Red Cross

Abkürzungsverzeichnis ISAF IStGH i.S.v./i.S.d. i.V.m. IYHR IYIL JAIL JCSL JFC HQ Jh. JICJ JuS k.A. Kap. KdB KFOR KSK KtgtFhr i.E LG LJIL MC MdB MDR MLR MSO MüKo m.w.N. NAC NATO NJ NJOZ NJW NQHR NVwZ NZWehrR o.ä. OEF ONUC OPLAN OSZE OVG PCIJ PDS PJZS PRLPJ

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International Security Assistance Force Internationaler Strafgerichtshof im Sinne von/im Sinne des in Verbindung mit Israel Yearbook on Human Rights The Italian Yearbook of International Law Japanese Annual of International Law Journal of Conflict and Security Law Joint Force Command Headquarters (operative Führungskommandos der NATO) Jahrhundert Journal of International Criminal Justice Juristische Schulung keine Angabe (des Verfassers) Kapitel Konzeption der Bundeswehr Kosovo Force Kommando Spezialkräfte Kontingentführer im Einsatzgebiet Landgericht Leiden Journal of International Law Military Committee (Militärausschuss der NATO) Mitglied des Bundestages Monatsschrift für Deutsches Recht Military Law and the Law of War Review / Revue de Droit Militaire et de Droit de la Guerre Military Strategic Option (militärstrategische Option) Münchener Kommentar (zum Bürgerlichen Gesetzbuch) mit weiteren Nachweisen North Atlantic Council (Nordatlantikrat) North Atlantic Treaty Organisation (Nordatlantikvertrag-Organisation) Neue Justiz Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Netherlands Quarterly of Human Rights Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht oder ähnliches Operation „Enduring Freedom“ Opration des Nations Unies au Congo Operationsplan Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Oberverwaltungsgericht Permanent Court of International Justice Partei des Demokratischen Sozialismus Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Pacific Rim Law & Policy Journal

16 PRT PSK RabelsZ RBDI RBHaftG RdC Rd Congo RDI RDIPP Rdn. RDPSP RECCE RGDIP RHDI RICR ROE RömSt S+F s. S. SACEUR SFOR SHAPE sog. SOR SPD StGB StIGH SZ SZIER TJICL TK FüEinsBw u. a. UBWV UC¸K UN UNAMID UN Doc. UNEF UNFICYP UNIFIL UNMEE

Abkürzungsverzeichnis Provincial Reconstruction Team Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue belge de droit international Reichsbeamtenhaftungsgesetz Recueil des cours / Acadmie de Droit International de La Haye Rpublique dmocratique du Congo (Demokratische Republik Kongo) Rivista di Diritto Internazionale Rivista di Diritto Internazionale Privato e Processuale Randnummer Revue du droit public et de la science politique en France et  ltranger Reconnaissance Revue gnrale de droit international public Revue hellnique de droit international Revue internationale de la Croix Rouge Rules of Engagement Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofes Sicherheit und Frieden siehe Seite Supreme Allied Commander Europe (NATO-Oberbefehlshaber in Europa) Stabilisation Force Supreme Headquarters Allied Powers Europe (NATO-Hauptquartier in Europa) so genannte/so genannter/so genanntes Statement of Requirement (Anforderungskatalog erarbeitet vom NATO-Oberbefehlshaber in Europa) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Süddeutsche Zeitung Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Tulane Journal of International and Comparative Law Teilkonzeption der Führung von Einsätzen der Bundeswehr unter anderem Unterrichtsblätter für die Bundeswehrverwaltung Ushtria C¸lirimtare e Kosovs (Befreiungsarmee des Kosovo) United Nations (Vereinte Nationen) United Nations-African Union Hybrid Mission in Darfur UN Document United Nations Emergency Force (in Ägypten) United Nations Peacekeeping Force in Cyprus United Nations Interim Force in Lebanon United Nations Mission in Ethiopia and Eritrea

Abkürzungsverzeichnis UNMIK UNOMIG UNOSOM UNPROFOR UNTAC UNTS USA u. U. v. v. a. vgl. VJIL VMBl. VN Vol. VwGO WILJ WRV WTO WVK YIHL YJIL ZaöRV z. B. ZDv ZEuS Ziff. ZÖR ZP-I

ZP-II

ZPO ZRP z. Zt.

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United Nations Mission in Kosovo United Nations Observer Mission in Georgia United Nations Operation in Somalia United Protection Force United Nations Transitional Authority in Cambodia United Nations Treaty Series United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika) unter Umständen versus; vom vor allem vergleiche Virginia Journal of International Law Ministerialblatt des Bundesministeriums der Verteidigung Vereinte Nationen (Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen) Volume (Band) Verwaltungsgerichtsordnung Wisconsin International Law Journal Weimarer Reichsverfassung World Trade Organisation Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge von 1969 Yearbook of International Humanitarian Law Yale Journal of International Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zentrale Dienstvorschrift Zeitschrift für europarechtliche Studien Ziffer Zeitschrift für öffentliches Recht Erstes Zusatzprotokoll vom 08. 06. 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte Zweites Zusatzprotokoll vom 08. 06. 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 über den Schutz der Opfer nicht-internationaler bewaffneter Konflikte Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zur Zeit

Teil 1

Einleitung, Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik A. Einleitung I. Hintergrund und Bedeutung der Thematik 13. Juni 1999, Prizren, Kosovo: Hunderte Albaner feiern den Abzug der Serben aus dem Kosovo. Ein gelber Lada nähert sich, einer der serbischen Insassen schießt auf die Menge. Bundeswehr-Soldaten geben Warnschüsse ab. Die Männer in dem Lada reagieren nicht, woraufhin die Soldaten sie unter Feuer nehmen. Die beiden Angreifer werden schwer verletzt und sterben an Ort und Stelle.1 Es waren die ersten Schüsse, die Bundeswehr-Soldaten bei ihrem Einsatz im auseinander fallenden Jugoslawien abgaben.2 Zehn Jahre vorher wäre ein solcher Vorgang, eine deutsche Beteiligung an Kampfhandlungen auf dem Balkan, nahezu unvorstellbar gewesen.3 Mittlerweile sind humanitäre und militärische Auslandseinsätze der Bundeswehr ein selbstverständliches Instrument deutscher Außenpolitik.4 Deutsche Soldaten sind derzeit an elf Auslandseinsätzen beteiligt.5 Den Schwerpunkt bilden dabei – gegenwärtig und auf absehbare Zeit – Einsätze der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus, die in den organisatorischen Rahmen der NATO, EU und UN eingebettet sind.6 Diese konfliktverhütenden und krisenbewältigenden Einsätze mit BundeswehrBeteiligung finden oftmals vor dem Hintergrund anhaltender bewaffneter Auseinan1 Pergande, Der gelbe Lada, immer wieder der gelbe Lada, in: FAZ vom 31. 12. 2005, S. 3; Burghardt, Vormarsch in ein gefährliches Blumenmeer, in: SZ vom 14. 6. 1999, S. 3. 2 s. Demmer, Krieg im Keller, in: Der Spiegel 24/2006, S. 42 [42]. 3 Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 214 f. 4 Gareis, Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik, S. 179; Rauch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 13; Buchsteiner, Deutschlands neuer Auftritt, in: FAS vom 30. 12. 2001, S. 6; Kister, Deutsche Soldaten am Hindukusch, in: SZ vom 31. 12. 2001, S. V3/15. 5 Stand: 25.07.2009. Zu den aktuellen und abgeschlossenen Auslandseinsätzen der Bundeswehr s. die vom Bundesministerium der Verteidigung eingerichtete Internet-Seite zur Bundeswehr im Einsatz, die unter www.einsatz.bundeswehr.de verfügbar ist. 6 s. Konzeption der Bundeswehr (KdB) vom 09. 08. 2004, S. 14; Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, S. 12.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

dersetzungen statt und lassen den Bundeswehr-Soldaten zur Durchführung ihres Auftrages und zur eigenen Verteidigung keine andere Wahl als den Einsatz von Waffengewalt. Dass sich der Einsatz von Waffengewalt im Rahmen bewaffneter Konflikte nicht immer ausschließlich gegen militärische Ziele und Gegner richtet, sondern auch unbeteiligte Zivilisten trifft, gehört – selbst im Zeitalter moderner Präzisionswaffen und hochentwickelter Aufklärungsmethoden – zur traurigen Realität militärisch ausgetragener Konflikte. Und es ist mit Blick auf die Diskussionen über den Einsatz deutscher Soldaten im schwer umkämpften Süden Afghanistans und die bereits erfolgte Übernahme der „Quick Reaction Force“ im Norden des Landes für die Zukunft absehbar, dass die Intensität der Einsätze der Bundeswehr in Krisenregionen eher zu- als abnehmen wird, womit sich gleichzeitig das Risiko von Verlusten unter der Zivilbevölkerung durch militärische Operationen der Bundeswehr erhöhen dürfte [s. dazu ausführlich Teil 1, Gliederungspunkt B. II. und Gliederungspunkt B. III.]. In Anbetracht dieser gegenwärtigen Ausgangslage und sich abzeichnender zukünftiger Entwicklungen drängt sich die Frage auf, ob die BRD für die durch Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen verursachten Schäden unter der Zivilbevölkerung rechtlich verantwortlich ist und ob sich aus dieser Verantwortlichkeit Individualansprüche der geschädigten Opfer herleiten lassen. Diese Frage, die den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bildet, ist in (völker-)rechtlicher, aber auch in moralischer und politischer Hinsicht von Bedeutung: In (völker-)rechtlicher Hinsicht liegt die Bedeutung der dieser Arbeit zugrundeliegenden Fragestellung darin, die materiell-rechtlichen Grundlagen für eine Verantwortlichkeit Deutschlands für das Handeln seiner Truppen im Auslandseinsatz und daraus resultierende Individualansprüche geschädigter Zivilisten frei zu legen. Bei Auslandseinsätzen agiert die Bundeswehr keineswegs im „rechtsfreien“ Raum. Sie ist im Rahmen bewaffneter Konflikte verpflichtet, die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts zu beachten und kann darüber hinaus – je nach Sachlage – an völkerrechtliche Menschenrechte gebunden sein. Handeln deutsche Soldaten im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes humanitär- und menschenrechtlichen Bestimmungen zuwider, dann könnte sich aus eben diesen völkerrechtlichen Bindungen sowohl auf völkerrechtlicher als auch auf national-rechtlicher Ebene womöglich eine Verantwortlichkeit Deutschlands und entsprechende Individualansprüche geschädigter Zivilisten ergeben. In moralischer Hinsicht ist die Frage nach der Verantwortlichkeit eines Staates für das Handeln seiner Truppen im Auslandseinsatz und nach sich daraus ergebenden Individualansprüche geschädigter Zivilisten insofern bedeutsam, als dass eine materielle und immaterielle Wiedergutmachung an diejenigen unschuldigen Zivilisten, die infolge der Auslandseinsätze großes persönliches und physisches Leid erlitten haben, einen Beitrag zur Gerechtigkeit leisten könnte. In politischer Hinsicht könnte eine Wiedergutmachung an geschädigte Zivilisten womöglich zu einer Befriedigung und Stabilisierung der Gesamtsituation beitragen

A. Einleitung

21

und somit die weiterhin im Einsatz befindlichen Soldaten vor Vergeltungsmaßnahmen schützen. Mit Blick auf die Politik wird man sich im Zusammenhang mit einer auf völkerrechtlichen Normen basierenden Verantwortlichkeit eines Staates für seine Truppen im Auslandseinsatz überdies aber auch die Frage stellen müssen, ob ein der hoheitlichen Sphäre zuzurechnendes Handeln eines Staates wie die Entsendung von Truppen zu Auslandseinsätzen nicht vornehmlich nach politischen Gesichtspunkten zu betrachten ist und insofern einer rechtlichen Bewertung – und einer möglicherweise damit verbundenen Feststellung von Individualansprüchen geschädigter Zivilisten – nicht zugänglich ist. Die Aktualität der Fragestellung führen in tatsächlicher Hinsicht nicht zuletzt die Angriffe der in Afghanistan eingesetzten internationalen Truppen auf Einheiten und Stellungen der Taliban vor Augen, bei denen immer wieder auch unbeteiligte Zivilisten zu Schaden bzw. zu Tode kommen. So sollen im Juli 2008 bei zwei zeitlich dicht aufeinander folgenden US-Luftangriffen zahlreiche Zivilisten umgekommen sein, die in keinerlei Verbindung zu den Taliban oder dem Terrornetzwerk Al-Quaida standen, sondern unter anderem eine Hochzeit feierten [s. zu den zivilen Verlusten in Afghanistan ausführlich Teil 1, Gliederungspunkt B. II.].7 Ende August 2008 erregte ein Vorfall in der Nähe der nordafghanischen Stadt Kunduz Aufsehen, bei dem Bundeswehr-Soldaten unbeteiligte Zivilisten töteten.8 In (völker-)rechtlicher Hinsicht wird die Aktualität der Fragestellung zum einen dadurch unterstrichen, dass sich im Völkerrecht in jüngerer und jüngster Zeit verstärkt Entwicklungen verzeichnen lassen, die ein Individualrecht auf Wiedergutmachung für Opfer schwerer Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts anerkennen bzw. fordern.9 Diese Entwicklungen sind insofern bemerkenswert, als dass die klassische – und lange Zeit unangefochtene – Lehre im Völkerrecht allein Staaten als Völkerrechtssubjekte einordnet und Individuen die Eigenschaft aberkennt, Inhaber von völkerrechtlichen Rechten und damit auch von Rechten infolge völkerrechtswidriger Schäden zu sein. Zum anderen wird die Aktualität der Fragestellung in (völker-)rechtlicher Hinsicht durch das Urteil des BGH in der Rechtssache Varvarin unterstrichen, das Ende 2006 ergangen ist.10 Im Gegensatz zu dem 2003 gefällten Distomo-Urteil,11 7 s. Dutzende tote Zivilisten bei US-Luftangriff (Nachricht vom 11. 07. 2008), verfügbar im Internet auf der Website von Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,565238,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Gebauer/Najafizada, US-Armee tötet 30 Zivilisten bei Angriff (Nachricht vom 14. 07. 2008), verfügbar im Internet auf der Website von Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,565845,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 8 s. dazu Gebauer, „Das Problem ist erledigt“, in: Der Spiegel 37/2008, S. 116 f. 9 s. zu diesen Entwicklungen jüngst Hofmann, in: ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Preliminary Remarks, S. 2 (im Internet verfügbar unter http://www.ila-hq.org/, Stichwort: „Committees“ › „List of Committees“ › „Compensation for Victims of War“, nachgesehen am 25. 07. 2009). 10 BGH, Urteil vom 02. 11. 2006, Az. III ZR 190/05 = BGHZ 169, 348 ff.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

in dem der BGH die Verantwortlichkeit Deutschlands für ein 1944 von SS-Truppen im griechischen Ort Distomo verübtes Massaker zu beurteilen hatte und nach Maßgabe der 1944 geltenden Rechtslage zu dem Ergebnis kam, dass den Klägern sowohl unter völkerrechtlichen als auch unter national-rechtlichen Gesichtspunkten keine Ansprüche zustünden, geht es im Varvarin-Fall um Kriegsschäden, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg ereignet haben: Serbische Staatsangehörige nehmen Deutschland für die Folgen von während des Kosovo-Krieges durchgeführten NATO-Luftoperationen auf eine in der serbischen Kleinstadt Varvarin gelegene Brücke in Anspruch. Der BGH würdigt in seinem Urteil zwar Entwicklungen im Völkerrecht, wonach der Einzelne mittlerweile als (partielles) Völkerrechtssubjekt anerkannt wird, lehnt aber auf völkerrechtliche Normen gestützte Individualansprüche ab.12 Auf die in den Vorinstanzen problematisierte Frage der Anwendbarkeit des nationalen Staatshaftungsrechts in Zeiten bewaffneter Konflikte geht der BGH gar nicht ein.13 Er belässt es bei der Feststellung, dass ein staatshaftungsrechtlicher Anspruch der geschädigten Zivilisten gegen Deutschland mangels Amtspflichtverletzung im konkreten Falle ausscheide.14 Bereits die Zusammenschau der aktuellen Entwicklungen im Völkerrecht und des Varvarin-Urteils des BGH verdeutlicht die Problematik der aus Verletzungen des Völkerrechts herrührenden Individualansprüche geschädigter Zivilisten, die in zwei maßgeblichen Fragestellungen kulminiert. Erstens: Hat das Völkerrecht einen Entwicklungsgrad erreicht, dass den Zivilisten, die infolge staatlicher militärischer und das Völkerrecht verletzender Handlungen zu Schaden kommen, entsprechende völkerrechtliche Ansprüche gegen den verantwortlichen Staat zustehen? Und zweitens: Ist das deutsche Staatshaftungsrecht in Zeiten bewaffneter Konflikte anwendbar und – wenn ja – können dessen Voraussetzungen bei Vorliegen völkerrechtswidrig zustande gekommener Kriegsschäden als erfüllt angesehen werden?

II. Gang der Darstellung Ausgehend von der Prämisse, dass Verletzungen völkerrechtlicher Bestimmungen im Rahmen bewaffneter Konflikte möglicherweise auf völkerrechtlicher als auch auf nationaler, staatshaftungsrechtlicher Ebene Individualansprüche geschädigter Zivilisten zur Folge haben können, wird – nach der Darstellung der politischen Rahmenbedingungen und der Eingrenzung der Thematik [s. Teil 1, Gliederungspunkte B. und C.] – in Teil 2 der Arbeit als erstes untersucht, ob und wann die BRD für das Verhalten von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz nach Maßgabe des Völkerrechts verantwortlich ist [Teil 2, Gliederungspunkt A.]. Die Darstellung der völkerrechtlichen 11 12 13 14

s. BGH NJW 56 (2003), 3488 ff. BGHZ 169, 348 [352 f., Ziff. 8, 9]. BGHZ 169, 348 [358, Ziff. 20]. BGHZ 169, 348 [358, Ziff. 20].

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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Verantwortlichkeit der BRD basiert auf dem Prinzipien-Katalog der International Law Commission (ILC) zur Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen und auf den zu diesem Themenkreis existierenden völkergewohnheitsrechtlichen Regeln. Im Anschluss an die Darstellung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit wird sich die Arbeit der – oben angesprochenen – Problematik völkerrechtlicher Individualansprüche aufgrund völkerrechtswidriger Handlungen staatlicher Militärs zuwenden [Teil 2, Gliederungspunkt B.]. In Teil 3 wird dann der Frage nachgegangen, welche nationalen, staatshaftungsrechtlichen Konsequenzen eine Verletzung völkerrechtlicher Bestimmungen während bewaffneter Konflikte nach sich zieht. Dies wird – wie oben in den Ausführungen zur Problematik völkerrechtlicher Individualansprüche angedeutet – im Hinblick auf die Amtshaftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zum einen eine Auseinandersetzung mit der Frage erfordern, ob das deutsche Amtshaftungsrecht generell in Zeiten bewaffneter Konflikte anwendbar ist [Teil 3, Gliederungspunkt A.]. Nach Klärung der Frage der Anwendbarkeit soll dann zum anderen ergründet werden, ob die im Zuge von Auslandseinsätzen unter Verletzung völkerrechtlicher Bestimmungen verursachten Schäden an Zivilisten zum Vorliegen der Voraussetzungen eines auf § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gestützten und gegen die BRD gerichteten Amtshaftungsanspruchs führen [Teil 3, Gliederungspunkt B.]. Als letztes werden anderweitig in Betracht kommende öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche untersucht [Teil 3, Gliederungspunkt C.].

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung Im Fokus der Untersuchung der Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und den sich daraus ergebenden Individualansprüchen geschädigter Zivilisten stehen Bundeswehr-Einsätze zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus [s. auch Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes in Teil 1, Gliederungspunkt C.]. Mit dieser Ausrichtung orientiert sich die Arbeit an den in der Konzeption der Bundeswehr (KdB) vom 9. August 200415 und im Weißbuch 2006 der Bundesregierung16 definierten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen17 und Aufgaben der Bundes-

15

Konzeption der Bundeswehr vom 09.08.2004. Weißbuch 2006 des Bundesministeriums der Verteidigung zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr. 17 KdB 2004, S. 7 ff.; Weißbuch 2006, Kapitel 1 [Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik], S. 19 ff. 16

24

Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

wehr18, wonach Einsätze der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus auf absehbare Zeit zu den vornehmlichen Aufgaben der Bundeswehr gehören werden.19 Die konfliktverhütenden, krisenbewältigenden und den Terror bekämpfenden Auslandeinsätze der Bundeswehr sind multilateral angelegt und finden – mit Ausnahme der US-geführten Operation „Enduring Freedom“ – im Rahmen der NATO, EU oder UN statt. Aktuelle Beispiele für Auslandseinsätze der Bundeswehr in von Konflikten und Krisen heimgesuchten Regionen sind die Einsätze deutscher Soldaten in Afghanistan als Teil der ISAF-Mission oder die Einsätze auf dem Balkan als Teil der internationalen KFOR- und EUFOR-Truppe. Aus der Vergangenheit ist insbesondere die Beteiligung deutscher Soldaten an der NATO-geführten Operation „Allied Force“ im Kosovo 1999 zu nennen. Mit den nachfolgenden Ausführungen sollen eben diese Bundeswehr-Auslandseinsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen der NATO, EU und UN historisch und politisch verortet [Teil 1, Gliederungspunkt B. I.], aktuelle Entwicklungen nachgezeichnet [Teil 1, Gliederungspunkt B. II.] und die daraus folgenden Konsequenzen für die vorliegende Arbeit aufgezeigt werden [Teil 1, Gliederungspunkt B. III.].

I. Entwicklungslinien der Bundeswehr-Auslandseinsätze: Von der Armee zur Landesverteidigung zur Interventionsarmee Vor dem Hintergrund der Schrecken, die im Zweiten Weltkrieg von deutschem Boden ausgingen, und des sich in den folgenden Jahrzehnten abzeichnenden OstWest-Konfliktes war die westdeutsche Außen- und Sicherheitspolitik in den Jahren nach 1949 von militärischer Selbstbeschränkung geprägt.20 Bis zum weltpolitischen Umbruch 1989/90 stand außer Frage, dass die Bundeswehr ihre Legitimität aus der Aufgabe der Landesverteidigung bezog und sich nicht an darüber hinausgehenden militärischen Einsätzen beteiligen sollte.21 Diese Umstände bereiteten auch dem sog. „sicherheitspolitischen Konsensus“ den Boden – eine Rechtsauffassung, die auf einer restriktiven Auslegung des Grundgesetzes fußte und zu Beginn der 80er 18

KdB 2004, S. 14 ff.; Weißbuch 2006, Kapitel 3 [Vorgaben und Rahmenbedingungen], S. 67 f. 19 KdB 2004, S. 14; Weißbuch 2006, Kapitel 3 [Vorgaben und Rahmenbedingungen], S. 67. Andere mögliche Einsatzformen der Bundeswehr sind laut KdB 2004, S. 15 ff. und Weißbuch 2006, Kapitel 3 [Vorgaben und Rahmenbedingungen], S. 67: Einsätze zur Unterstützung von Bündnispartnern; Einsätze zum Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger; Einsätze zur Rettung und Evakuierung; Hilfeleistungen der Bundeswehr. 20 Rauch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 53. 21 Schwelling, Die Außenpolitik der Bundesrepublik und die deutsche Vergangenheit, in: Schmidt/Hellmann/Wolf (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik, S. 104.

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

25

Jahre während der Regierungszeit Schmidts (SPD) vom Bundessicherheitsrat eingenommen, zu Beginn der Kanzlerschaft Kohls (CDU) bestätigt wurde und bis zur Wiedervereinigung die maßgebliche Rechtsmeinung blieb.22 Nach dieser Auffassung waren militärische Einsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Bereiches grundsätzlich unzulässig, „es sei denn, es läge ein Konflikt zugrunde, der sich gleichzeitig als ein völkerrechtswidriger Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland darstellt.“23 Ausgenommen von dieser Grundregel waren humanitäre Hilfsmaßnahmen,24 ein Bereich, in dem sich die Bundeswehr bereits seit 1960 engagiert.25 • Wende 1989/90; Zweiter Irak-Krieg Im Zuge der weltpolitischen Wende 1989/90 erlangte Deutschland seine uneingeschränkte außenpolitische Souveränität zurück.26 Während Beamte beider deutscher Staaten unter Hochdruck noch an den letzten Details des Einigungsvertrags feilten und noch bevor überhaupt der „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ am 12. September 1990 unterzeichnet war, marschierten irakische Truppen am 2. August 1990 in Kuwait ein und begannen mit der Besetzung des Landes. Die Ereignisse am Golf führten den Deutschen gleichsam über Nacht vor Augen, dass sich ihre sicherheitspolitische Lage dramatisch gewandelt hatte.27 Die internationale Gemeinschaft, allen voran die USA,28 erwarteten deutsche Unterstützung. Plötzlich und völlig unvorbereitet sah sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik mit der drängenden Frage eines deutschen militärischen Beitrags konfrontiert. Organisatorisch unvorbereitet, weil die Politik während des Beginns der Golf-Krise ihre volle Aufmerksamkeit auf den Prozess der Wiedervereinigung 22 Philippi, Bundeswehr-Auslandseinsätze als außen- und sicherheitspolitisches Problem des geeinten Deutschland, S. 60 ff., die auch daraufhin hinweist, dass das Grundgesetz damit ohne Not von der Politik restriktiver interpretiert wurde als von seinerzeitigen Verfassungsrechtlern und sich die Bundesregierung verfassungsrechtliche Fesseln anlegte, aus denen sie erst 1994 durch das Bundesverfassungsgericht befreit wurde; Siedschlag, Die aktive Beteiligung Deutschlands an militärischen Aktionen zur Verwirklichung kollektiver Sicherheit, S. 35. 23 Beschluss des Bundessicherheitsrates vom 03. 11. 1982, zitiert nach: Nikutta/Thomas, Die BRD als „normale“ militärische Macht?, in: Informationsdienst W & F 9 (1991), 8. 24 Siedschlag, Die aktive Beteiligung Deutschlands an militärischen Aktionen zur Verwirklichung kollektiver Sicherheit, S. 7; Wölfle, Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 11. 25 Rauch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 47; Überblick zu den seit 1960 unternommenen humanitären Hilfsaktionen unter www.einsatz.bundeswehr.de, Stichwort: „Abgeschlossene Einsätze“ › „Die Bundeswehr an der Katastrophenfront“ (nachgesehen am 25. 07. 2009). 26 Baumann, Deutschland als Europas Zentralmacht, in: Schmidt/Hellmann/Wolf (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik, S. 67. 27 Gareis, Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik, S. 168. 28 Mit einem Schreiben vom 20. 8. 1990 bat der US-amerikanische Verteidigungsminister Cheney seinen deutschen Kollegen Stoltenberg (CDU) um Unterstützung und nannte dabei unter anderem die Entsendung von deutschen Streitkräften, die Bereitstellung von Luft- und Seetransportkapazität und logistische Hilfe als mögliche Unterstützungsmaßnahmen, s. dazu Inacker, Unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Die Deutschen in der Golfallianz, S. 84.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

gerichtet hatte.29 Geistig unvorbereitet, weil die Zerschlagung des Deutschen Reiches und die des deutschen Nationalstaates am Ende des Zweiten Weltkriegs zu einem konsequenten Abschied von allem Machtdenken geführt hatten30 und man sich von jeder Form der militärischen Machtausübung fernhalten wollte, was auch im oben angeführten „sicherheitspolitischen Konsensus“ der Bundesregierung zum Ausdruck kam. So verwundert es kaum, dass die Bundesregierung während der Golf-Krise alles daran setzte, dem Ausland unter Beweis zu stellen, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen würde. Hinzu kam, dass innerhalb der Bundesregierung die verfassungsrechtliche Zulässigkeit (irgend-)eines deutschen Militärbeitrags außerhalb des NATO-Gebiets heftig umstritten war31 – eine Kontroverse, die erst mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 einen Abschluss fand. Die Forderung nach einem deutschen Minenräumverband für den Persischen Golf, und damit in unmittelbarer Nähe zu den Kämpfen, wurde am 20. August 1990 konsequenterweise abgelehnt.32 Und dennoch rang sich die Bundesregierung angesichts der Golfkrise und des internationalen Drucks am 2. Januar 1991 letztlich dazu durch, auf einen Beschluss des NATO-Rates hin deutsche Kampfjets zur Unterstützung der NATO-Luftabwehr in die Türkei zu entsenden.33 Bei weitem im Vordergrund standen allerdings die finanziellen Zahlungen, die Deutschland zur militärischen Lastenteilung leistete, weswegen die damalige deutsche Außenpolitik auch als „Scheckbuch-Diplomatie“ bezeichnet wird.34 Nach dem Ende des Golf-Kriegs, aber vor Ende des offiziellen Waffenstillstandes wurde ein Minenräumverband – entgegen der Entscheidung der Bundesregierung vom 20. August 1990 – dann doch noch zur Minenbeseitigung in den Persischen Golf entsandt.35 Spätestens mit der Entsen-

29 Philippi, Bundeswehr-Auslandseinsätze als außen- und sicherheitspolitisches Problem des geeinten Deutschland, S. 76; Rauch, Auslandseinsätze der Bundeswehr S. 95 ff. 30 Philippi, Bundeswehr-Auslandseinsätze als außen- und sicherheitspolitisches Problem des geeinten Deutschland, S. 79; Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 207; vgl. auch Joffe, Der Frieden und sein Preis, in: SZ vom 02. 12. 1995, S. 4, und von Bredow, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 201. 31 Zu den Meinungsstreitigkeiten innerhalb der Bundesregierung s. Philippi, BundeswehrAuslandseinsätze als außen- und sicherheitspolitisches Problem des geeinten Deutschland, S. 69 f. und Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 29 f. 32 Philippi, Bundeswehr-Auslandseinsätze als außen- und sicherheitspolitisches Problem des geeinten Deutschland, S. 70. 33 Inacker, Unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Die Deutschen in der Golfallianz, S. 108 ff.; Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 11. 34 Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 205; zum Umfang der deutschen Finanzleistungen s. Inacker, Unter Ausschluss der Öffentlichkeit? Die Deutschen in der Golfallianz, S. 87 ff., 103 ff. 35 Rauch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 107 ff.; zur Minenräumoperation s. auch Leder, Internationale Minenräumoperationen im Arabischen Golf, in: Goebel (Hrsg.), Von Kambodscha bis Kosovo. Auslandseinsätze der Bundeswehr seit Ende des Kalten Krieges, S. 31 ff.

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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dung der Minensuchschiffe in den Persischen Golf war die Regierung damit von der Rechtsauffassung des „sicherheitspolitischen Konsensus“ abgerückt.36 • Einsätze der Bundeswehr in Kambodscha und Somalia Diese Einsätze deutscher Soldaten im Zuge der Irak-Krise sollten allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass die verfassungsrechtlichen und politischen Bedenken gegen Auslandseinsätze noch längst nicht ausgeräumt waren. Die Weltpolitik nahm auf diese innerdeutschen Prozesse und Befindlichkeiten jedoch keine Rücksicht: Die Konfliktherde auf der Welt häuften sich, die Völkergemeinschaft war immer stärker bei der Lösung gefordert und immer häufiger klopften ihre Vertreter auch an das Tor des – jüngst wiedervereinigten – Deutschlands.37 Dabei hatte sich bereits während des (Zweiten) Golfkriegs abgezeichnet, dass die Partner eine Abstinenz der Bundeswehr von Kampfeinsätzen immer weniger akzeptieren würden.38 Die Bundesregierung versuchte sich – vor dem Hintergrund der umstrittenen verfassungsrechtlichen Grenzen – eine Zeit lang mit der Begründung zu behelfen, dass es sich bei der Entsendung von Bundeswehr-Soldaten nach Kambodscha und nach Somalia um „humanitäre“ Einsätze unterhalb der Schwelle des Art. 87 a II GG und nicht etwa um Kampfeinsätze handele.39 Im Rahmen der UN-Mission in Kambodscha, UNTAC,40 wurde eine 22.000 Mann starke Friedenstruppe aufgestellt, die die Bürgerkriegsparteien entwaffnen, das Land übergangsweise verwalten und freie Wahlen vorbereiten sollte.41 Deutschland stellte Sanitätssoldaten der Bundeswehr zur Verfügung, die für die medizinische Versorgung des UNTAC-Personals sorgten.42 Im Rahmen der UN-Mission in Somalia, zunächst UNOSOM I43 und später dann die erweiterte UNOSOM II,44 wurden UN-Friedenstruppen in das Land entsandt. Anfangs ging es darum, den Waffenstill36

Siedschlag, Die aktive Beteiligung Deutschlands an militärischen Aktionen zur Verwirklichung kollektiver Sicherheit, S. 38 ff. 37 Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 210. 38 Haftendorn, Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung, S. 392. 39 Clement, Die neue Bundeswehr als Instrument deutscher Außenpolitik, in: APuZ, Heft B 11/2004, S. 40; Dau, Auslandseinsätze zwischen Politik und Verfassungsrecht, in: Goebel (Hrsg.), Von Kambodscha bis Kosovo. Auslandseinsätze der Bundeswehr seit Ende des Kalten Krieges, S. 24; Haftendorn, Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung, S. 392. 40 UNTAC = United Nations Transitional Authority in Cambodia, basierend auf Resolution 745 des UN-Sicherheitsrates vom 28. 2. 1992 (UN Doc. S/Res/745). 41 Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 211; s. auch die ausführliche Darstellung zur UNTAC-Mission bei Hufnagel, Die UN-Friedensoperationen der zweiten Generation, S. 85 ff. 42 Rauch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 135 f.; Casdorff, Soldaten, die Geschichte schreiben sollen, in: SZ vom 01. 06. 1992, S. 3. 43 UNOSOM = United Nations Operation in Somalia, basierend auf der Resolution 751 des UN-Sicherheitsrates vom 24. 04. 1992 (UN Doc. S/Res/751). 44 UNOSOM II basierte auf der Resolution 814 des UN-Sicherheitsrates vom 26. 03. 1993 (UN Doc. S/Res/814).

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

stand zu sichern und die Verteilung humanitärer Hilfsgüter zu gewährleisten. Die erweiterte Mission hatte unter anderem die Repatriierung von Flüchtlingen und den Wiederaufbau der Infrastruktur zum Ziel. Die Bundeswehr beteiligte sich zunächst an der Luftbrücke für Somalia (August 1992–März 1993) und leistete später dann aufgrund eines Beschlusses der Bundesregierung vom 21. April 199345 logistische Unterstützung für UN-Truppen in Belet Uen (August 1993–März 1994). • Der Zerfall Jugoslawiens; die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 Der seit dem Golf-Krieg angestoßene und durch die Einsätze in Kambodscha und Somalia fortgesetzte innerdeutsche „Umdenkprozess“46 hinsichtlich der Zulässigkeit von Bundeswehreinsätzen außerhalb des NATO-Gebiets wurde durch den sich im Herzen Europas ab 1991 ereignenden Jugoslawien-Konflikt noch beschleunigt. Die Jugoslawien-Krise spitzte aus deutscher Sicht das Dilemma zwischen den verfassungsrechtlich und politisch vermeintlich vorgegebenen Beschränkungen auf der einen Seite und dem Druck der Ereignisse und den Erwartungen der Bündnispartner auf der anderen Seite zu:47 Einerseits hatte die Wehrmacht noch vor 50 Jahren auf dem Balkan gestanden. Konnte man angesichts dieser historischen Vorbelastung ernsthaft einen militärischen Beitrag Deutschlands in Betracht ziehen? Andererseits: Die Vertreibungen, Vergewaltigungen, Morde serbischer Einheiten kamen einem Genozid nahe und ereigneten sich gerade einmal eine Flugstunde von Deutschland entfernt. Wollte man da wirklich tatenlos zusehen? Aus Solidarität mit den Verbündeten48 entschloss sich die Bundesregierung letztlich, an zwei Operationen auf dem Balkan mitzuwirken: Die Entscheidung (Beschluss der Bundesregierung vom 15. Juli 1992) über eine Beteiligung an der NATO-geführten Operation „Sharp Guard“ zur Überwachung eines UN-Embargos49 verlief noch relativ geräuschlos, da der Einsatz innerhalb des Bündnisgebietes stattfand.50 Des Weiteren beteiligte sich die Bundeswehr auf einen Beschluss der Bundesregierung vom 2. April 1993 hin an der NATO-Operation „Deny Flight“, die zur Durchsetzung eines von der UN verhängten Flugverbotes über Bosnien-Herzegowi45 Gegen den Beschluss der Bundesregierung erhob die SPD-Fraktion am 15. 6. 1993 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim BVerfG (Somalia-Verfahren), über den das Gericht am 23. 6. 1993 entschied (= BVerfGE 88, 179 ff.), was jedoch keinen – tatsächlichen – Einfluss auf die Beteiligung der Bundeswehr an der UN-Operation hatte. 46 Haftendorn, Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung, S. 392. 47 s. zu diesem Dilemma auch Calic, Ex-Jugoslawien, in: Schmidt/Hellmann/Wolf (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik, S. 474. 48 Philippi, Bundeswehr-Auslandseinsätze als außen- und sicherheitspolitisches Problem des geeinten Deutschland, S. 149 f. 49 Das UN-Embargo basierte auf den Resolutionen 713 vom 25. 09. 1991 (UN Doc. S/Res/ 713) und 757 vom 30. 05. 1992 (UN Doc. S/Res/757) des UN-Sicherheitsrates. 50 Gleichwohl erhob die SPD-Fraktion am 21. 07. 1992 Verfassungsklage gegen den Beschluss der Bundesregierung vom 15. 07. 1992 (Adria-Verfahren).

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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na51 erfolgte. Hierbei stellte die Bundesluftwaffe einen Teil des Personals für den Einsatz der AWACS-Aufklärungsflugzeuge. Der Einsatz fand allerdings außerhalb des Bündnisgebietes statt, zudem war Gewaltanwendung gegen Störer des Flugverbots durch Abfangjäger zulässig – Umstände, die eine heftige innenpolitische Diskussion auslösten.52 Diese Debatte nahm sich aber nicht nur realitätsfern aus, sie ließ auch Zweifel an der Bündnistreue Deutschlands aufkommen.53 Anfang 1993 sah es zwischenzeitlich so aus, als müssten die deutschen Besatzungen aus den AWACS-Flugzeugen der NATO aussteigen und am Boden bleiben.54 Das angerufene Bundesverfassungsgericht konnte immerhin die vermeintlichen verfassungsrechtlichen Hürden für Auslandseinsätze der Bundeswehr beseitigen. Es lehnte zunächst die Anträge der (mitregierenden) FDP-Fraktion und (oppositionellen) SPD-Fraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet gegen den Regierungsbeschluss vom 2. April 1993 (AWACS-Überwachung), ab.55 Mit seinem Urteil vom 12. Juli 199456 erklärte es Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen der UN und der NATO endgültig für verfassungsgemäß und zog so einen Schlussstrich unter die jahrelange Diskussion um die Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr (sog. „out-of-area“-Debatte).57 Art. 24 II GG ermächtige den Bund nämlich „nicht nur zum Eintritt in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“, sondern biete auch die Grundlage für die „Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem solchen System typischerweise verbundenen Aufgaben“, zum Beispiel der Beteiligung an militärischen Operationen.58 Jeder Einsatz der Streitkräfte bedürfe aber eines (konstitutiven) Beschlusses des Bundestages.59 Das vermeintlich juristische Argument gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr war nunmehr vom Tisch. Und dennoch bedeutete der juristische Abschluss der „outof-area“-Debatte keineswegs eine vollständige und allseits akzeptierte Rehabilitierung von militärischer Gewalt als außenpolitischem Instrument, wie die Debatten60 um die nachfolgenden Einsätze der Bundeswehr noch zeigen würden.

51 Das UN-Flugverbot basierte auf der Resolution 781 vom 09. 10. 1992 des UN-Sicherheitsrates (UN Doc. S/Res/781). 52 Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 60 f. 53 Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 215. 54 Schöllgen, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 215. 55 BVerfGE 88, 173 ff. (AWACS-Verfahren). 56 BVerfGE 90, 286 ff. = NJW 47 (1994), 2207 ff. Hierbei wurden die AWACS-, Somaliaund Adria-Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. 57 s. Bewertung von Dau/Wöhrmann, in: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. V. 58 BVerfGE 90, 286 [345]. 59 BVerfGE 90, 286 [387 f.]. 60 Ausführlich zu diesen Debatten Schwab-Trapp, Kriegsdiskurse, S. 113 ff., 149 ff., 224 ff., 255 ff.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

Bereits 1995 kam es im Zusammenhang mit der Zuspitzung der Lage in BosnienHerzegowina zu einem erneuten Engagement der Bundeswehr auf dem Balkan: Zum Schutz der in große Bedrängnis geratenen UN-Schutztruppe UNPROFOR61 beschloss der Deutsche Bundestag, 14 ECR- und RECCE-Tornados in die Krisenregion zu entsenden.62 Dabei leisteten die Tornados auch aufklärende Unterstützung für die NATO-Luftangriffe gegen bosnisch-serbische Stellungen, indem sie konkrete Aufklärung von taktischen Bodenzielen betrieben.63 Deutschland beteiligte sich damit indirekt an den Kampfhandlungen. Im Vergleich zu vorherigen Missionen der Bundeswehr hatte der deutsche Beitrag zu den NATO-geführten Operationen nunmehr eine neue Qualitätsstufe erreicht.64 Diese neue Qualität des Einsatzes veranlasste die Opposition dazu, die Entsendung der Tornados während der entscheidenden Abstimmung im Bundestag als Bruch mit der lange konsensfähigen Politik der militärischen Selbstbeschränkung zu bezeichnen, den Deutschland aufgrund seiner Vergangenheit nicht vornehmen dürfe.65 Doch bereits zwei Monate später veranlassten die serbischen Gräueltaten von Srebrenica im Juli 1995 gewichtige Stimmen der Opposition, allen voran Joschka Fischer, zu einem Umdenken.66 Dabei stand erneut die deutsche Vergangenheit im Vordergrund – nur diesmal als Argument für eine militärische Intervention.67 Die nationalsozialistische Vergangenheit begründe die moralische Verpflichtung, gravierende Menschenrechtsverletzungen in Europa ein für allemal zu verhindern und somit in Jugoslawien militärisch zu intervenieren.68 Die innenpolitische Auseinandersetzung um Srebrenica und die dabei vorgetragenen Argumente sollte künftigen Debatten um Einsätze der Bundeswehr, insbesondere während des Kosovo-Krieges, noch den Weg weisen. Der vom vereinten Deutschland eingeschlagene Weg, auch militärische Beiträge zu multilateralen Friedensmissionen zu leisten, setzte sich nach Abschluss des Friedensvertrages von Dayton, der das Ende des Krieges in Bosnien besiegelte, im Dezember 1995 fort. Deutschland beteiligte sich ebenso wie seine Bündnispartner UNPROFOR = United Protection Force, basierend auf der Resolution 743 des UNSicherheitsrates vom 21. 02. 1992 (UN Doc. S/Res/743). 62 Beschluss des Bundestages vom 30. 06. 1995, s. BT-Plenarprotokoll, 13/48, 30. 06. 1995, S. 4017. Zu den Einzelheiten des Einsatzes Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 61 f. 63 Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 62. 64 s. Einschätzung bei Knapp, Vereinte Nationen, in: Schmidt/Hellmann/Wolf (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik, S. 738. 65 So z. B. der grüne Abgeordnete Joschka Fischer, der sich im Bundestag gegen den Einsatz der Tornados vor dem Hintergrund der historischen Last Deutschlands aussprach, s. BT-Plenarprotokoll 13/48, 30. 06. 1995, S. 3973 f. 66 Speziell zum grünen Diskurs im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Srebrenica s. Schwab-Trapp, Kriegsdiskurse, S. 153 ff. 67 Schwab-Trapp, Kriegsdiskurse, S. 203. 68 s. J. Fischer, Die Katastrophe in Bosnien und die Konsequenzen für unsere Partei, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 40 (1995), S. 1141 [1148 ff.]. 61

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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zur militärischen Durchsetzung dieses Abkommens an der in Bosnien-Herzegowina unter dem Oberbefehl der NATO stehenden und mit UN-Mandat ausgestatteten Implementierungstruppe (IFOR).69 Im Gegensatz zur UNPROFOR-Truppe war der IFOR-Verband ermächtigt, die Implementierung des Dayton-Abkommens notfalls auch mit Waffengewalt durchzusetzen.70 Das UN-Mandat war zeitlich auf ein Jahr begrenzt.71 Mit der IFOR-Beteiligung wurde aus deutscher Sicht insofern sicherheitspolitisches Neuland betreten, da die Bundesrepublik erstmalig von Anbeginn in eine multilaterale militärische Operation zur Absicherung eines Friedensabkommens eingebunden war.72 Die Bundeswehr wurde allerdings vorrangig zur Versorgung und Logistik der IFOR-Truppe eingesetzt.73 Sie war mit dem eigentlichen Missionsauftrag, der Umsetzung des Dayton-Abkommens, nicht befasst.74 Im Verlaufe der innenpolitischen Diskussion um die deutsche Beteiligung am IFOR-Einsatz zeigte sich, dass eine wachsende Anzahl von Vertretern der Oppositionsparteien den deutschen Einsatz befürwortete, ein Protest in der Öffentlichkeit blieb aus.75 Es gab mithin – anders als noch bei den Tornado-Einsätzen im Juni 1995 – einen breiten Konsens bezüglich eines deutschen militärischen Engagements in Bosnien. Das völkerrechtliche Mandat für die IFOR-Truppe endete mit Ablauf des 20. Dezember 1996. Eine Bewertung der Lage ergab, dass der bewaffnete Konflikt zwar beendet werden konnte, jedoch die Voraussetzungen für einen sich selbst tragenden, stabilen Friedensprozess in Bosnien-Herzegowina noch nicht vorlagen und bei der Implementierung der zivilen Aspekte des Dayton-Abkommens noch viel zu tun sei.76 In Anbetracht dessen kamen die Außenminister der NATO-Staaten überein, zur Stabilisierung des Friedens eine Nachfolgetruppe (SFOR) in die Region zu entsenden.77 Am 12. Dezember 1996 erteilte der UN-Sicherheitsrat ein entsprechendes, auf zwei Jahre befristetes Mandat.78 Auf dieser Grundlage beschloss der Bundestag IFOR = Implementation Force, basierend auf der Resolution 1031 des UN-Sicherheitsrates vom 15. 12. 1995 (UN Doc. S/Res/1031); zu den Einzelheiten der IFOR-Mission s. Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 62 ff. 70 Resolution 1031 des UN-Sicherheitsrates (UN Doc. S/Res/1031), Nr. 15. 71 Resolution 1031 des UN-Sicherheitsrates (UN Doc. S/Res/1031), Nr. 13. 72 Forsteneichner, Bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr – Deutschlands neue Rolle in einem veränderten sicherheitspolitischem Umfeld, IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Sonderheft 10/2002, S. 7. 73 Donner, Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: HUV-I 10 (1997), 63 [69]. 74 Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 64. 75 Zur Diskussion über den deutschen IFOR-Einsatz s. Schwab-Trapp, Kriegsdiskurse, S. 211 ff. 76 Donner, Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: HUV-I 10 (1997), 63 [73]. 77 s. Bulletin der Bundesregierung, Bonn, den 09. 01. 1997, Nr. 3/S. 23 f. 78 Resolution 1088 des UN-Sicherheitsrates vom 12. 12. 1996 (UN Doc. S/Res/1088). 69

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

eine Beteiligung der Bundeswehr an der SFOR-Truppe.79 Der Auftrag der Bundeswehr bestand zum einen in der weiteren militärischen Absicherung des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina.80 Zum anderen wurde die Bundeswehr im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit (CIMIC) mit dem Ziel eingesetzt, die Infrastruktur des Landes wiederaufzubauen und damit die Sicherheitslage grundlegend zu verbessern.81 Der SFOR-Einsatz war aus deutscher Sicht insofern von Bedeutung, da die Bundeswehr erstmals voll an einem multilateralen Einsatz beteiligt war und direkt – im Gegensatz zur IFOR-Beteiligung – zur Umsetzung des Abkommens von Dayton beitragen konnte.82 Wegen unzureichenden Fortschritts wurde der SFOR-Einsatz immer wieder verlängert. Ende 2004 wurde die SFOR-Truppe durch die EUFORTruppe im Rahmen der Operation „Althea“, einer 6900-Mann-Truppe der Europäischen Union, abgelöst.83 • Unruhen im Kosovo und die „humanitäre Intervention“ der NATO Die Hoffnungen auf einen stabilen Frieden auf dem Balkan in der Phase nach dem Dayton-Abkommen zerschlugen sich alsbald, als im Herbst 1997 im Kosovo Unruhen ausbrachen.84 Die Proteste der Kosovo-Albaner gegen die permanenten Repressionen der serbischen Zentralregierung in Belgrad wurden lauter und heftiger. Erstmals trat die „Befreiungsarmee des Kosovo“ namens UC¸K in Erscheinung, eine politische motivierte Terrororganisation, die sich dem gewaltsamen Widerstand gegen das serbische Regime verschrieben hatte. In der Folge kam es zu Kämpfen zwischen UC¸K und serbischen Polizei- und Militäreinheiten. Der Ausbruch der Kämpfe und das unverhältnismäßige Vorgehen der serbischen Sicherheitskräfte riefen die internationale Gemeinschaft auf den Plan, die das Treiben des serbischen Staatspräsidenten Milosˇevicˇ im Kosovo jedoch anfangs nicht zu unterbinden vermochte. 79

Beschluss des Bundestages vom 13. 12. 1996, s. BT-Plenarprotokoll 13/149, 13. 12. 1996, S. 13519; Einzelheiten zum SFOR-Einsatz der Bundeswehr bei Hermsdörfer, Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO-geführten Operation SFOR in Bosnien und Herzegowina, in: UBWV 44 (2005), 101 ff. 80 Hermsdörfer, Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO-geführten Operation SFOR in Bosnien und Herzegowina, in: UBWV 44 (2005), 101 [102 f.]; Rauch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 157. 81 Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 65. 82 Forsteneichner, Bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr – Deutschlands neue Rolle in einem veränderten sicherheitspolitischem Umfeld, IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Sonderheft 10/2002, S. 7. 83 EUFOR = European Force, basierend auf der Resolution 1575 des UN-Sicherheitsrates vom 22. 11. 2004 (UN Doc. S/Res/1575). Dem war die Annahme einer „Gemeinsamen Aktion“ (Council Joint Actions) durch den Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen der EU am 12. 07. 2004 vorausgegangen, mit der die Bereitschaft der EU konkretisiert wurde, in Bosnien und Herzegowina eine militärische Operation im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) auf Basis der „Berlin Plus“-Vereinbarungen durchzuführen (Council Joint Action 2004/570/CFSP, 12. 07. 2004, ABl. EU 2004 L 252/10). 84 Einen Überblick über die Entwicklungen im Kosovo und die diplomatischen Bemühungen gibt Friedrich, Die deutsche Außenpolitik im Kosovo-Konflikt, S. 35 ff.

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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Als sich im September 1998 die Flüchtlingslage im Kosovo dramatisch verschärfte und die Kämpfe an Heftigkeit zunahmen, verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1199.85 In ihr wurden die Konfliktparteien zu einem sofortigen Waffenstillstand aufgerufen und ein sofortiger Rückzug von (serbischer) Sonderpolizei und Armee aus der Krisenregion gefordert. Gleichzeitig wurde die Situation im Kosovo als Bedrohung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit gemäß Art. 39 der UN-Charta eingestuft. Somit wurde zwar auf Kapitel VII der Charta Bezug genommen, auf eine ausdrückliche Erwähnung militärischer Zwangsmaßnahmen aber verzichtet. In der Vergangenheit waren es insbesondere die USA gewesen, die auf ein militärisches Eingreifen drängten. Russland lehnte ein militärisches Vorgehen strikt ab. Es war daher absehbar, dass es ein (ausdrückliches) UN-Mandat zum Ergreifen militärischer Zwangsmaßnahmen nicht geben würde, worin die USamerikanische Regierung allerdings kein Hindernis für ein militärisches Eingreifen der NATO sah. Vor dem Hintergrund dieser weltpolitischen Entwicklungen gingen aus den Bundestagswahlen vom 27. September 1998 Sozialdemokraten und Grüne als Sieger hervor. Die sich bald abzeichnende rot-grüne Bundesregierung war noch nicht einmal offiziell im Amt, da musste sie sich bereits – im Zusammenwirken mit der alten Bundesregierung – mit einem militärischen Eingreifen der NATO im Kosovo ohne entsprechendes UN-Mandat befassen. Am 30. September 1998 beschloss die amtierende Regierung in Abstimmung mit der künftigen Regierung Schröder (SPD), der NATO mehrere Tornado-Kampfflugzeuge zur Verfügung zu stellen.86 Am 8. Oktober 1998 billigte der NATO-Rat in Brüssel die Operation „Allied Force“ für Luftangriffe gegen serbische Einheiten, die angesichts der drohenden humanitären Katastrophe im Kosovo unabwendbar sei. Schließlich trat am 16. Oktober 1998 der alte Bundestag noch einmal zusammen, um über die Entsendung der deutschen Tornados im Rahmen der NATO-Operation abzustimmen, die konstituierende Sitzung des neuen Bundestags war erst für Ende Oktober geplant.87 Eine große Mehrheit, die auch von den – formell noch in der Opposition – befindlichen Abgeordneten der SPD und der Grünen mitgetragen wurde, stimmte für den Einsatz.88 Nach dem Scheitern der von US-Sonderbotschafter Holbrooke mit Milosˇevicˇ vereinbarten OSZE-Mission und einer ergebnislosen letzten diplomatischen Verhandlungsoffensive im französischen Rambouillet (Frühjahr 1999) begann die NATO dann am 24. März 1999 mit der Bombardierung von Zielen im Kosovo und in Serbi-

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Resolution 1199 des UN-Sicherheitsrates vom 23. 09. 1998 (UN Doc. S/Res/1199). s. Antrag der Bundesregierung, 12. 10. 1998, BT-Drucksache 13/11469. 87 Der designierte Bundeskanzler Schröder (SPD) und der designierte Bundesaußenminister Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) konnten sich mit ihrer Forderung, die Entscheidung – aus Rücksicht auf die im Gange befindliche Regierungsbildung – dem neuen Bundestag vorzubehalten, nicht durchsetzen, s. Friedrich, Die deutsche Außenpolitik im Kosovo-Konflikt, S. 52. 88 s. BT-Plenarprotokoll 13/248, 16. 10. 1998, S. 23161 ff. 86

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

en.89 Dabei wurden zunächst Luftangriffe auf militärische Ziele (unter anderem Flugabwehrstellungen, Radaranlagen, Kampfflugzeuge in der Luft, mechanisierte Kräfte im Kosovo, Materiallager, Kasernen) geflogen,90 später wurden die Angriffe auf die Infrastruktur (unter anderem Brücken, Elektrizitätswerke, Rundfunk- und Fernsehanlagen) ausgedehnt.91 Allerdings wurden bereits Anfang April Zweifel hinsichtlich Strategie und Zielauswahl der NATO-Luftoperation laut. Diese Zweifel am Vorgehen der NATO wurden durch die Häufung sog. Kollateralschäden92 noch verstärkt.93 Mit vermeintlichen Kollateralschäden an Zivilpersonen, die während der NATO-Luftschläge 1999 verursacht worden waren, und der Frage, ob den Geschädigten bzw. Hinterbliebenen Schadensersatzansprüche gegen die BRD zustünden, hatte sich auch der BGH im November 2006 im – bereits angesprochenen – Fall Varvarin auseinander zu setzen.94 Die Bundeswehr beteiligte sich an der NATO-Operation „Allied Force“ mit zehn ECR-Tornados und vier RECCE-Tornados, die zur Ausschaltung der jugoslawischen Luftabwehr und zur Aufklärung über dem Zielgebiet eingesetzt wurden.95 Die Beteiligung an den Luftangriffen bedeutete aus deutscher Sicht einen abermaligen Qualitätssprung der Auslandseinsätze der Bundeswehr: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg nahmen deutsche Soldaten aktiv an Kriegshandlungen teil,96 und zudem ge89 Zu den Einzelheiten der Operation „Allied Force“ s. Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 73 ff.; Ausführungen zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der NATO-Luftangriffe als „humanitärer Intervention“ finden sich bei Thürer, Der Kosovo-Konflikt im Lichte des Völkerrechts, in: ArchVR 38 (2000), 1 [4 ff.]. 90 Diese Angriffe wurden als Phase 1 und 2 bezeichnet, s. Friedrich, Die deutsche Außenpolitik im Kosovo-Konflikt, S. 90. 91 Hierbei handelte es sich um Angriffe der Phase 3, s. Friedrich, Die deutsche Außenpolitik im Kosovo-Konflikt, S. 90. 92 Diesen Begriff hat insbesondere der – während der NATO-Luftoperation im Kosovo eingesetzte – Pressesprecher der NATO, Jamie Shea, geprägt, s. Kinkel, Jamie Shea und der Kollateralschaden, Sprache der Politik (I), verfügbar im Internet auf der Website des Stern unter http://www.stern.de/politik/deutschland/555308.html?nv=ct_cb (nachgesehen am 25. 07. 2009). 93 Friedrich, Die deutsche Außenpolitik im Kosovo-Konflikt S. 92, 98; Rudolf, Germany and the Kosovo Conflict, in: Martin/Brawley (Eds.), Alliance Politics, Kosovo, and NATOs War: Allied Force or Forced Allies, S. 136; Angaben zu den – der Bundesregierung bekannten – Opfern und Schäden verursacht durch die NATO-Luftangriffe enthält die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der PDS, BT-Drucksache 14/5677, S. 5 f., 27, die sich auf einen Bericht des Internationalen Strafgerichtshofes für das frühere Jugoslawien (ICTY) vom 13. 06. 2000 stützt, der unter http://www.un.org/icty/pressreal/nato061300.htm abrufbar ist (nachgesehen am 25. 07. 2009). Zur zweifelhaften Moral von Luftangriffen westlicher Mächte aus einer für den Angreifer sicheren Höhe (ca. 15.000 Fuß) vgl. Kissinger, Die Herausforderungen Amerikas, Weltpolitik im 21. Jh., S. 334. 94 BGHZ 169, 348 ff. 95 Friedrich, Die deutsche Außenpolitik im Kosovo-Konflikt, S. 93. 96 Vielfach wird davon gesprochen, dass sich deutsche Soldaten während der NATOLuftangriffe im Kosovo (1999) zum ersten Male seit dem Zweiten Weltkrieg im „Kampfeinsatz“ befanden, so z. B. Friedrich, Die deutsche Außenpolitik im Kosovo-Konflikt, S. 86;

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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schah dies alles ohne gesicherte völkerrechtliche Grundlage, das heißt ohne UN-Mandat. Und dennoch war in der innenpolitischen Debatte ein breiter Konsens bezüglich einer deutschen Beteiligung an der NATO-Operation zu verzeichnen: So opponierten die künftigen Regierungsparteien nicht etwa gegen einen deutschen Beitrag wie seinerzeit bei der Entsendung deutscher Tornados 1995, sondern trugen die Entscheidung des Bundestags mit.97 Hauptargument war die Verhinderung einer „humanitären Katastrophe“.98 Zudem wurde ein veränderter Umgang mit der deutschen Vergangenheit deutlich, so wie er sich bereits in den Diskussionen um Srebrenica abgezeichnet hatte: Als „Lehre aus unserer Geschichte“ dürfe man nicht tatenlos zusehen, sondern müsse der „Kriegstreiberei“ ein Ende setzen.99 Die NATO-Luftschläge zeigten zunächst jedoch nicht die gewünschte Wirkung: Milosˇevicˇ dachte nicht an ein Einlenken. In dieser Situation startete die deutsche Bundesregierung eine diplomatische Offensive. Sie brachte den – unter Federführung des Auswärtigen Amtes ausgearbeiteten – „Fischer-Plan“ ins Spiel, mit dem auch Russland für ein gemeinsames Vorgehen gegen die serbische Führung zurückgewonnen werden konnte.100 Auf der Grundlage des Fischer-Plans verabschiedeten die G-8-Außenminister am 6. Mai 1999 eine Prinzipienerklärung zur Lösung der Kosovo-Krise. Kernelemente waren die Installierung einer UN-Übergangsverwaltung, die Stationierung einer internationalen Friedenstruppe unter Führung der NATO, die mit einem „robusten“ Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta ausgestattet werden sollte und ein genauer Zeitplan für den Abzug der serbischen Militär- und Polizeieinheiten.101 Auf der Grundlage dieser Forderungen nahmen der russische Jugoslawien-Beauftragte Viktor Tschernomyrdin und der EU-Beauftragte Martti Ahtisaari mit der serbischen Regierung Gespräche auf. Diese verliefen erfolgreich, Milosˇevicˇ stimmte den Kernpunkten des Forderungskatalogs zu.102 Der nächste Schritt war am 9. Juni 1999 ein militärisch-technisches Abkommen zwischen der NATO und Vertretern der jugoslawischen Armee sowie der paramilitärischen Polizeikräfte über den Abzug der ser-

Schöllgen, Augenhöhen, in: FAZ vom 21. 10. 2005, S. 8; Schwab-Trapp, Kriegsdiskurse, S. 289. Allerdings hatte sich die BRD bereits schon vorher an militärischen Einsätzen mit der Ermächtigung zum Einsatz (militärischer) Zwangsmittel beteiligt, so dass der erste „Kampfeinsatz“ der Bundeswehr wohl schon früher stattgefunden haben dürfte, vgl. Philippi, Bundeswehr-Auslandseinsätze als außen- und sicherheitspolitisches Problem des geeinten Deutschland, S. 81. 97 Zum Ergebnis der Abstimmung s. BT-Plenarprotokoll 13/248, 16. 10. 1998, S. 23161 ff. 98 So z. B. – der noch im Amt befindliche – Bundesaußenminister Kinkel (FDP) in der Debatte im Bundestag vom 16. 10. 1998, s. BT-Plenarprotokoll 13/248, 16. 10. 1998, S. 23128. 99 So argumentierte zumindest der designierte grüne Außenminister Fischer, s. BT-Plenarprotokoll 13/248, 16. 10. 1998, S. 23141 f.; ähnlich auch der künftige sozialdemokratische Bundeskanzler Schröder, s. BT-Plenarprotokoll 13/248, 16. 10. 1998, S. 23137. 100 Friedrich, Die deutsche Außenpolitik im Kosovo-Konflikt, S. 103. 101 Haftendorn, Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung, S. 418. 102 Friedrich, Die deutsche Außenpolitik im Kosovo-Konflikt, S. 118 f.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

bisch-jugoslawischen Einheiten aus dem Kosovo.103 Nachdem die serbische Seite mit dem Abzug begonnen hatte, stellte die NATO ihre Luftangriffe ein (10. Juni 1999). Am selben Tag verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1244,104 die auf der Grundlage der Prinzipien der G-8-Außenminister vom 6. Mai 1999 die Aufgaben und Kompetenzen der Übergangsverwaltung UNMIK und der Friedenstruppe KFOR regelte. Im Rahmen der KFOR-Mission wurden zu Anfang ca. 50.000 Soldaten in den Kosovo entsandt.105 Gemäß der Resolution 1244 waren die KFOR-Soldaten unter anderem dafür zuständig, erneute Feindseligkeiten zu unterbinden, den Waffenstillstand zu überwachen, den Abzug serbischer Einheiten zu gewährleisten, ein sicheres Umfeld für die Rückkehr der Flüchtlinge sicherzustellen und die Infrastruktur wiederaufzubauen (Nr. 9 der Resolution 1244). Zur Durchsetzung des Auftrags war der Einsatz bewaffneter Gewalt zulässig (Nr. 7 der Resolution 1244). Der Auftrag der KFOR-Truppen wurde eng mit der UN-Übergangsverwaltung UNMIK verzahnt, die unter anderem eine Herstellung substanzieller Autonomie und Selbstverwaltung fördern, grundlegende zivile Verwaltungsaufgaben wahrnehmen und die Entwicklung demokratischer Strukturen organisieren sollte (Nr. 11 der Resolution 1244). Der Kosovo wurde in fünf verschiedene Sektoren aufgeteilt, die von multi-nationalen Brigaden verwaltet werden sollten und denen je eine Führungsnation vorstehen sollte.106 Am 11. Juni 1999 stimmte der Bundestag einer Beteiligung von bis zu 8.500 Bundeswehrsoldaten an der KFOR-Mission zu.107 Aufgrund der vollständigen Unterstützung der in Resolution 1244 beschriebenen Maßnahmen gestalteten sich die Aufgaben der Bundeswehr entsprechend umfangreich.108 Die Bundeswehr stellte unter anderem Soldaten für die Führung des Einsatzes, Kampftruppen und Personal für die zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) zur Verfügung. Erstmals übernahm die Bundeswehr im Rahmen einer multilateralen Friedensoperation die Verantwortung für einen eigenen Sektor und damit auch die Aufgabe, Truppenteile aus mehreren Ländern in eine multinationale Brigade einzubinden – eine abermalige qualitative Ausweitung militärischer Auslandseinsätze der Bundeswehr.109 . 103 Das militärisch-technische Abkommen (Military Technical Agreement) ist im Internet verfügbar unter http://www.nato.int/kosovo/docu/a990609a.htm (nachgesehen am 25. 07. 2009). 104 Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom 10. 06. 1999 (UN Doc. S/Res/1244). 105 Forsteneichner, Bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr – Deutschlands neue Rolle in einem veränderten sicherheitspolitischem Umfeld, IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Sonderheft 10/2002, S. 9. 106 Rauch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 189. 107 Vgl. Antrag der Bundesregierung, BT-Drucksache 14/1133, 11. 06. 1999, S. 1 – 4. 108 s. zu den Aufgaben der Bundeswehr im Rahmen des KFOR-Einsatzes Antrag der Bundesregierung, BT-Drucksache 14/1133, 11. 06. 1999, S. 3. 109 Knapp, Vereinte Nationen, in: Schmidt/Hellmann/Wolf (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik, S. 738; Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 80.

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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• Krise in Mazedonien Im Sommer 2001 sah sich die rot-grüne Bundesregierung mit erneuten krisenhaften Entwicklungen auf dem Balkan konfrontiert, diesmal in der südlich an das Kosovo angrenzenden ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Grundlage des Konfliktes war das angespannte Verhältnis zwischen der slawomazedonischen Mehrheitsbevölkerung und der albanischen Minderheit. Die Ansprüche der Albaner wurden unter anderem von der extremistischen „mazedonischen Befreiungsarmee“ (UC ¸ K) artikuliert, die auch terroristische Anschläge verübte. Die Folge waren gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen mazedonischer Ordnungsmacht und der UC¸K, die das Land an den Rand eines Bürgerkriegs führten und Tausende von Menschen zur Flucht veranlassten. In dieser Situation wandte sich der mazedonische Regierungschef Trajkovski am 14. Juni 2001 an die NATO, um die Entsendung von NATO-Truppen zur Unterstützung bei der Entwaffnung der albanischen Extremisten zu erbitten.110 Die NATO entwickelte daraufhin den Operationsplan „Essential Harvest“.111 Den im Rahmen der Operation einzusetzenden Soldaten wurde unter anderem der Auftrag zugewiesen, freiwillig von der UC¸K abgegebene Waffen einzusammeln, diese abzutransportieren und zu zerstören.112 Nach erfolgreicher Beendigung der 30-tägigen Operation „Essential Harvest“ (26. September 2001) beschloss die NATO die Folgeoperation „Amber Fox“, die den Schutz der in Mazedonien – zur Überwachung eines zwischen Slawen und Albanern geschlossenen Rahmenabkommens – eingesetzten internationalen Beobachter der EU und der OSZE gewährleisten sollte.113 Nach entsprechenden Beschlüssen des Deutschen Bundestags114 beteiligte sich die Bundeswehr sowohl an der Operation „Essential Harvest“ als auch an der Folgeoperation „Amber Fox“. Zudem übernahm die Bundeswehr die Führung der Operation „Amber Fox“ als „Lead-Nation“ (bis zum 26. Juni 2002) und trug damit die Gesamtverantwortung für die NATO-Operation.115 2003 wurde der NATO-Einsatz durch die EU-Operation „Concordia“, dem ersten von der EU geführten Militäreinsatz, abgelöst.116 . . 110

Vgl. Antrag der Bundesregierung, BT-Drucksache 14/6830, 23. 08. 2001, S. 1. Zu den Einzelheiten der Operation „Essential Harvest“ s. Hermsdörfer, Die NATOgeführte Operation Harvest in der Republik Mazedonien, in: NZWehrR 46 (2004), 23 ff. 112 Vgl. Antrag der Bundesregierung, BT-Drucksache 14/6830, 23. 08. 2001, S. 2. 113 Vgl. Antrag der Bundesregierung, BT-Drucksache 14/6970, 27. 09. 2001, S. 1 f. 114 s. BT-Plenarprotokoll 14/184, 29. 08. 2001, S. 18210, und BT-Plenarprotokoll 14/190, 27. 09. 2001, S. 18569. 115 Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 86. 116 Zu Einzelheiten der EU-Operation „Concordia“ (Rechtsgrundlagen, Einsatzzweck, Einsatzbefugnisse etc.) s. Hermsdörfer, Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, in: HUV-I 17 (2004), 17 [27 f.]. 111

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

• Der 11. September 2001 und der US-geführte Krieg gegen den Terror Zehn Jahre nach den ersten Auslandseinsätzen ließ sich konstatieren, dass die Bundeswehr in Krisenregionen Asiens, Afrikas und Europas zum Einsatz gekommen war. Damit spiegelten die bis dato erfolgten Auslandseinsätze der Bundeswehr auch die seit 1989/90 veränderte globale Sicherheitslage wieder: Mit dem Ende des OstWest-Konflikts dominierte nicht mehr die wechselseitige (nukleare) Abschreckung die Sicherheitspolitik, sondern neue Konflikte und Herausforderungen waren zu bewältigen.117 Diese neuen Konflikte waren bzw. sind vor allem durch zwei Entwicklungen gekennzeichnet: Zum einen durch handlungsschwache Staaten, die dem vermehrten Auftauchen parastaatlicher und privater Akteure, die durch ethnische oder religiöse Motive getrieben werden, nichts entgegen zu setzen haben (Entstaatlichung kriegerischer Gewalt); und zum anderen durch asymmetrische Konfliktkonstellationen, bei denen sich nicht mehr ausschließlich Staaten, sondern in ihren Kräften und Strategien ungleiche Gegner gegenüberstehen (Asymmetrisierung).118 Gerade der Terrorismus hat in den Jahren nach 1989/90 zu einer verstärkten Asymmetrisierung der Konfliktaustragungen geführt. Zunächst war dieser als „ethno-nationaler“ Terrorismus noch auf bestimmte territoriale Konflikte begrenzt, bei denen es um Gebietsansprüche oder Autonomieforderungen ging.119 Doch die Internationalisierung des Terrorismus und das Eindringen religiös-fundamentalistischer Motive in den neunziger Jahren haben die territoriale Selbstbegrenzung aufgebrochen und zu einer Ausweitung der Ziele und Opfer terroristischer Gewalt geführt.120 Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA offenbarten diese neue Qualität des Terrorismus.121 Sie verdeutlichten bzw. verdeutlichen, dass das staatliche Monopol der (Kriegs-)Gewalt nicht mehr unangefochten ist und Staaten im 21. Jahrhundert nicht mehr die einzigen Akteure sein werden, die Gewalt in den internationalen Beziehungen ausüben können.122 Bereits einen Tag nach den Anschlägen verurteilte der UN-Sicherheitsrat die Terrorakte, bezeichnete Akte des internationalen Terrorismus als Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 UN-Charta und verwies auf das – in Art. 51 UN-Charta aner117 Gareis, Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik, S. 166; von Bredow, Neue Herausforderungen, in: Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert, Informationen zur politischen Bildung, Heft 291, S. 4 ff. 118 Münkler, Die neuen Kriege, S. 33 ff. (Entstaatlichung), 48 ff. (Asymmetrisierung), 57; zu den neuen Gefährdungen und den damit verbundenen Konsequenzen für Einsätze der Bundeswehr s. Krause, Die Zukunft der Bundeswehr in einer sich verändernden Welt, in: Krause/Irlenkaeuser (Hrsg.), Bundeswehr – Die nächsten 50 Jahre, S. 19 ff. 119 Hirschmann, Internationaler Terrorismus, in: Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert, Informationen zur politischen Bildung, Heft 291, S. 24 [25]. 120 Münkler, Die neuen Kriege, S. 184 ff.; Uhrlau, „Terror ohne Ende?“ – Aktuelle Entwicklungen im islamistisch motivierten Terrorismus, in: IP 05/2007, S. 52 [52 f.]. 121 Bruha/Bortfeld, Terrorismus und Selbstverteidigung, in: VN 49 (2001), 161. 122 Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, in: ArchVR 40 (2002), 183.

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kannte – Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung.123 Die USA bewerteten die Anschläge von Beginn an als „bewaffneten Angriff“ und beriefen sich folglich auf das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UN-Charta, um militärische Maßnahmen gegen Afghanistan, wo die Urheber des Terrors vermutet wurden, rechtfertigen zu können.124 Problematisch an der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gegen Afghanistan war vor allem die Frage, ob die vermeintlich vom islamischen Terrornetzwerk Al-Quaida durchgeführten Angriffe Afghanistan zugerechnet werden konnten.125 Nachdem amerikanische Untersuchungen scheinbar den Nachweis der Zurechnung erbracht hatten, erklärte der NATO-Rat am 4. Oktober 2001 den Bündnisfall gemäß Art. 5 des Nordatlantikvertrags – als Anwendungsfall des (kollektiven) Selbstverteidigungsrechts.126 Am 7. Oktober 2001 begann die Operation „Enduring Freedom“: Streitkräfte der USA und Großbritanniens unternahmen Luftangriffe auf Einrichtungen des Taliban-Regimes und Ausbildungslager Al-Quaidas.127 Ziel der Operation war es, „Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten“ sowie „Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen.“128 Die Besonderheit der Operation bestand darin, dass sie auf dem (kollektiven) Recht der Selbstverteidigung fußte und dabei weder unter der Führung der NATO erfolgte noch von den UN (ausdrücklich) autorisiert war.129 123 Resolution 1368 des UN-Sicherheitsrates vom 12. 09. 2001 (UN Doc. S/Res/1368). Streitig war mit Blick auf die Resolution 1368, ob sie eine Ermächtigung zur Durchführung militärischer Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta beinhaltete oder nicht, s. Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, in: ArchVR 40 (2002), 183 [184]; dagegen z. B. Heintschel von Heinegg/Gries, Der Einsatz der deutschen Marine im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“, in: ArchVR 40 (2002), 145 [151]. 124 Die Debatte um die Zulässigkeit der US-amerikanischen Maßnahmen nach dem 11. 09. 2001 in Afghanistan konzentrierte sich daher auf die Frage, ob die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts gem. Art. 51 UN-Charta gegeben waren, s. dazu Bruha/Bortfeld, Terrorismus und Selbstverteidigung, in: VN 49 (2001), 161; Conte, Security in the 21st Century – The United Nations, Afghanistan and Iraq, S. 41 ff.; Heintschel von Heinegg/Gries, Der Einsatz der deutschen Marine im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“, in: ArchVR 40 (2002), 145 [153 ff.]; Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, in: ArchVR 40 (2002), 183 [188 ff.]; Ruffert, Terrorismusbekämpfung zwischen Selbstverteidigung und kollektiver Sicherheit, in: ZRP 2002, 247 [247 f.]. 125 s. Ruffert, Terrorismusbekämpfung zwischen Selbstverteidigung und kollektiver Sicherheit, in: ZRP 35 (2002), 247 [248]. 126 s. Secretary Generals Statement to the Press on the North Atlantic Council Decision on Implementation of Article 5 of the Washington Treaty Following the 11 September Attacks against the US, 4 October 2001, verfügbar im Internet auf der Website der NATO unter http:// www.nato.int/docu/speech/2001/s011004b.htm (nachgesehen am 25. 07. 2009). 127 von Baratta (Hrsg.), Der Fischer-Weltalmanach 2003, Stichwort: „Afghanistan“, S. 54 f. 128 Vgl. Antrag der Bundesregierung vom 07. 11. 2001, BT-Drucksache 14/7296, S. 3, Nr. 3. 129 R. Müller, Das Parlament und sein Heer, in: FAZ vom 09. 11. 2001, S. 3. Überwiegend ging man davon aus, dass die Resolution 1368 des UN-Sicherheitsrates keine Ermächtigung zur Gewaltanwendung enthielt s. schon Fn. 109.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

Die deutsche Reaktion auf die Terroranschläge fiel zunächst unmissverständlich aus: Einen Tag nach den Anschlägen erklärte der Bundeskanzler im Bundestag die „uneingeschränkte Solidarität“ Deutschlands mit den USA.130 Am 16. November 2001 stimmte dann der Bundestag über einen Antrag der Bundesregierung131 zur Beteiligung der Bundeswehr an der US-geführten Operation „Enduring Freedom“ ab. Dabei sah sich Bundeskanzler Schröder (SPD) allerdings dazu gezwungen, den Antrag der Bundesregierung mit der Vertrauensfrage132 zu verknüpfen, um sowohl den zahlreichen Zweiflern in der eigenen Partei als auch den mitregierenden Grünen eine Zustimmung zu dem Bundeswehr-Einsatz abzutrotzen. Am Ende stimmte eine knappe Mehrheit der Abgeordneten für den Einsatz.133 Auf der Grundlage des BundestagsBeschlusses wurde ein deutscher Marineverband zur Sicherung der Seewege vor Terroristen am Horn von Afrika vor Somalia eingesetzt, ABC-Spürpanzer waren in Kuwait stationiert und Spezialkräfte (KSK) operierten in Afghanistan.134 Der Einsatz wurde zunächst auf ein Jahr begrenzt,135 später mehrmals verlängert.136 Der deutsche Beitrag im Rahmen von „Enduring Freedom“ umfasste damit – abgesehen von den KSK-Einheiten – ausschließlich defensive oder unterstützende Maßnahmen.137 Deutschland wollte sich von den direkten militärischen Auseinandersetzungen mehr oder weniger fernhalten,138 was sich auch bei den späteren Diskussionen um

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Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder (SPD) vor dem Deutschen Bundestag zu den Terroranschlägen in den USA, BT-Plenarprotokoll 14/186, 12. 09. 2001, S. 18293. 131 Antrag der Bundesregierung vom 07. 11. 2001, BT-Drucksache 14/7296. 132 s. Rede des Bundeskanzlers Schröder (SPD) vor dem Bundestag aus Anlass der Abstimmung über die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Operation „Enduring Freedom“, BT-Plenarprotokoll 14/202, 16. 11. 2001, S. 19857. 133 s. BT-Plenarprotokoll 14/202, 16. 11. 2001, S. 19893 ff. 134 Vgl. Antrag der Bundesregierung vom 07. 11. 2001, BT-Drucksache 14/7296, S. 3, Nr. 5. Zu Einzelheiten der Operation „Enduring Freedom“ s. Forsteneichner, Bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr – Deutschlands neue Rolle in einem veränderten sicherheitspolitischem Umfeld, IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Sonderheft 10/2002, S. 12 ff.; zu Einzelheiten der deutschen Beteiligung an der Operation „Enduring Freedom“ s. Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 89 ff.; zum Einsatz speziell der deutschen Marine am Horn von Afrika s. Heintschel von Heinegg/Gries, Der Einsatz der deutschen Marine im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“, in: ArchVR 40 (2002), 145 ff.; zum Einsatz der KSK-Soldaten s. Koelbl/Neef/Szandar, „Höllisch Aufpassen“, in: Der Spiegel, 10/2002, 31 [32]. 135 Vgl. Antrag der Bundesregierung vom 07. 11. 2001, BT-Drucksache 14/7296, Nr. 4. 136 s. BT-Plenarprotokoll 15/11, 15. 11. 2002, S. 667; BT-Plenarprotokoll 15/76, 14. 11. 2003, S. 6577; BT-Plenarprotokoll 15/139, 12. 11. 2004, S. 12799; BT-Plenarprotokoll 16/2, 08. 11. 2005, S. 57; BT-Plenarprotokoll 16/64, 10. 11. 2006, S. 6331; BT-Plenarprotokoll 16/ 126, 15. 11. 2007, S. 13111. 137 Wölfle, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 92. 138 Carstens, Baustelle Sicherheit, in: FAZ vom 05. 09. 2006, S. 1; zur Schwierigkeit, eine direkte Beteiligung der Bundeswehr an einem Kriegseinsatz in Deutschland zu vermitteln s. auch Käppner, Das letzte Kommando, in: SZ vom 02. 01. 2002, S. 2.

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die Ausweitung militärischer Unterstützung in Afghanistan noch bemerkbar machen sollte (s. unten).139 • Die ISAF-Mission in Afghanistan Die am 7. Oktober begonnene Operation „Enduring Freedom“ führte innerhalb kurzer Zeit zum Erfolg: Mitte November zogen sich die Taliban aus Kabul zurück und einen Monat später gaben sie auch ihre Hochburg Kandahar auf, womit die Taliban-Herrschaft endgültig beendet war.140 Dies machte den Weg frei für eine politische Neuordnung Afghanistans. Vom 27. November bis zum 5. Dezember 2001 fanden auf dem Petersberg bei Bonn unter der Leitung der UN Gespräche über die Zukunft Afghanistans statt, an denen Vertreter verschiedener afghanischer Bevölkerungsgruppen teilnahmen. Am Ende der Gespräche wurde das sog. „Bonner Abkommen“ von den afghanischen Volksvertretern unterzeichnet.141 Hierin einigte man sich auf die Einrichtung einer Übergangsverwaltung, unter anderem bestehend aus einer Übergangsregierung unter Führung des paschtunischen Hamid Karzai,142 sowie auf die Einberufung einer (verfassungsgebenden) „Loya Jirga“ innerhalb von 18 Monaten, um eine neue Verfassung für Afghanistan zu beschließen.143 Des Weiteren wurde der Sicherheitsrat der UN ersucht, die baldige Entsendung einer UN-Schutztruppe zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit in Kabul und Umgebung zu beschließen.144 In Reaktion auf das Bonner Abkommen genehmigte der UN-Sicherheitsrat mit Resolution 1386 vom 20. Dezember 2001 dann die Einrichtung einer Internationalen Sicherheitsbeistandstruppe (ISAF).145 Der Auftrag der Truppe bestand darin, die afghanische Übergangsverwaltung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung zu unterstützen, um so ein sicheres Arbeitsumfeld für Übergangsverwaltung und UN-Personal zu gewährleisten.146 Die Resolution beruhte auf Kapitel VII der UN-Charta und ermächtigte ISAF, alle zur Erfüllung des Mandats notwendigen Maßnahmen, also auch bewaffnete Gewalt, zu ergreifen.147 Wenngleich 139 Das Unbehagen an einer Verwicklung in Kampfhandlungen kam z. B. in der Diskussion über eine unmittelbare Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfhandlungen im Süden Afghanistan im November 2006 zum Ausdruck, s. von Hammerstein/Hoyng/Schlamp/Szandar, Das Afghanistan-Abenteuer, in: Der Spiegel 47/06, S. 20 [22 ff.]; Beste/von Hammerstein/ Schlamp/Szandar, Verbündete auf Sinnsuche, in: Der Spiegel 48/06, S. 30 ff. 140 von Baratta (Hrsg.), Der Fischer-Weltalmanach 2003, Stichwort: „Afghanistan“, S. 55. 141 Das „Bonner Abkommen“ ist einem Brief des UN-Generalsekretärs Kofi Annan an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 05. 12. 2001 beigefügt, s. UN Doc. S/2001/1154, S. 2 ff.; zu den Einzelheiten des „Bonner Abkommens“ s. Marauhn, Konfliktfolgenbewältigung in Afghanistan zwischen Utopie und Pragmatismus, in: ArchVR 40 (2002), 480 [491 ff.]. 142 UN Doc. S/2001/1154, Abschnitt I, Nr. 2, 4, und 5, Anhang 4. 143 UN Doc. S/2001/1154, Abschnitt I, Nr. 6. 144 UN Doc. S/2001/1154, Anhang I, Nr. 3. 145 ISAF = International Security Assistance Force, basierend auf der Resolution 1386 des UN-Sicherheitsrates vom 20. 12. 2001 (UN Doc. S/Res/1386). 146 Resolution 1386 des UN-Sicherheitsrates, S. 2, Nr. 1. 147 Resolution 1386 des UN-Sicherheitsrates, S. 2, Nr. 3.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

auch Einheiten von „Enduring Freedom“ nach dem Sturz der Taliban in Afghanistan operierten, so unterschieden sich die US-geführte Operation und die internationale ISAF-Mission jedoch in ihren Rechtsgrundlagen.148 Zudem waren die Oberkommandos beider Einsätze strikt getrennt.149 Auf der Grundlage des UN-Mandats beschloss der Bundestag dann die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der ISAF-Truppe.150 Der Bundestagsbeschluss sah eine zahlenmäßige Obergrenze von 1.200 Soldaten vor und begrenzte den Einsatz zunächst auf die Dauer von sechs Monaten.151 Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von ISAF wurde vom Bundestag mehrfach verlängert.152 Trotz anfänglicher Ablehnung seitens der Bundesregierung übernahm Deutschland vom 10. Februar bis zum 11. August 2003 nach entsprechendem Beschluss des Bundestages153 im Verbund mit den Niederlanden die „Lead-Nation“-Verantwortung für die ISAF-Mission. Infolge einer Erweiterung des dem ISAF-Einsatz zugrunde liegenden UN-Mandats154 stimmte der Bundestag zudem Ende 2003 einer erweiterten Bundeswehr-Beteiligung zu.155 Dies hatte zur Folge, dass (zusätzliche) deutsche Streitkräfte nun auch in den Norden Afghanistans in die Region Kunduz entsandt wurden, um das dortige, bislang US-geführte „Provincial Reconstruction Team“ (PRT) zu übernehmen.156 148 Die Operation „Enduring Freedom“ wurde auf das (kollektive) Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta gestützt; ISAF beruhte hingegen auf einer Kapitel VII-Resolution des UN-Sicherheitsrates. Zu den unterschiedlichen Rechtsgrundlagen des OEF- und des ISAFEinsatzes s. Hermsdörfer, Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, in: HUV-I 17 (2004), 17 [25]. 149 Käppner, Das letzte Kommando, in: SZ vom 02. 01. 2002, S. 2; zur Problematik des Nebeneinanders beider Operationen s. auch Koelbl/Neef/Szandar, „Höllisch aufpassen“, in: Der Spiegel, 10/2002, 30 [32]. 150 Zum Mandat der deutschen Beteiligung vgl. Antrag der Bundesregierung vom 21. 12. 2001, BT-Drucksache 14/7930; zur Abstimmung im Bundestag s. BT-Plenarprotokoll 14/210, 22. 12. 2001, S. 20850 ff. 151 Vgl. Antrag der Bundesregierung vom 21. 12. 2001, BT-Drucksache 14/7930, Nr. 4 und Nr. 8. 152 s. BT-Plenarprotokoll 14/243, 14. 06. 2002, S. 24479; BT-Plenarprotokoll 15/17, 20. 12. 2002, S. 1332; BT-Plenarprotokoll 15/70, 24. 10. 2003, S. 6009; BT-Plenarprotokoll 15/129, 30. 09. 2004 , S. 11759; BT-Plenarprotokoll 15/187, 28. 09. 2005, S. 17585; BT-Plenarprotokoll 16/54, 28. 09. 2006, S. 5226; BT-Plenarprotokoll 16/119, 12. 10. 2007, S. 12373. 153 Vgl. Antrag der Bundesregierung vom 03. 12. 2002, BT-Drucksache 15/128, S. 1. 154 s. Resolution 1510 des UN-Sicherheitsrates vom 13. 10. 2003 (UN Doc. S/Res/1510), derzufolge der erweiterte ISAF-Einsatz zum Ziel hat, die vorläufigen Staatsorgane Afghanistans und ihre Nachfolgeinstitutionen bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit auch außerhalb Kabuls und Umgebung zu unterstützen (Hervorhebung durch den Verfasser). 155 Zum erweiterten Mandat vgl. Antrag der Bundesregierung, BT-Drucksache 15/1700, 15. 10. 2003, S. 1; zur Abstimmung im Bundestag s. BT-Plenarprotokoll 15/70, 24. 10. 2003, S. 6009. 156 Vgl. Antrag der Bundesregierung, BT-Drucksache 15/1700, 15. 10. 2003, S. 2 f. Das PRT in Kunduz besteht aus Bundeswehr-Soldaten, Vertretern des Auswärtigen Amts, des Bundesinnenministeriums und des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Aufgabe der deutschen Soldaten im Rahmen des PRT in Kunduz ist es, Entwicklungshelfer beim

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Die Beteiligung an der ISAF-Truppe war und ist für die Bundeswehr eine große Herausforderung: Von Anfang an sah sich die Bundeswehr in Afghanistan einem ganzen Bündel unkontrollierbarer Risiken gegenüber.157 Die Sicherheitslage in Kabul und im Norden Afghanistans, den Einsatzgebieten der Bundeswehr war anfänglich noch einigermaßen ruhig, verschlechterte sich aber zusehends: 2003 wurden beispielsweise durch einen Anschlag auf einen Bus mit Bundeswehr-Soldaten vier Soldaten getötet, 29 schwer verletzt. Bei keinem anderen abgeschlossenen bzw. noch laufenden Auslandseinsatz musste die Bundeswehr bislang so viele Tote hinnehmen.158 Und dennoch machte sich im Verlaufe des ISAF-Einsatzes – und später bei den Diskussionen um eine Entsendung deutscher Soldaten in den Süden Afghanistans – bemerkbar, dass sich die deutschen Soldaten vorwiegend um den Wiederaufbau und die Stabilisierung des Landes kümmerten, während sie sich von direkten militärischen Auseinandersetzungen, und damit „Kampfeinsätzen“ größtenteils fernhielten (s. unten). • Die Irak-Krise 2002/03 Erst Kosovo, dann Afghanistan: Seit dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung (1998) hatte sich die Bundeswehr bereits zweimal an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt – eine rasante Entwicklung, die zu Beginn der Legislaturperiode so nicht abzusehen war.159 Doch damit hatte es nicht sein Bewenden. Im Windschatten der US-Operation „Enduring Freedom“ zeichnete sich bereits die nächste Herausforderung ab, der sich die deutsche Bundesregierung zu stellen hatte. Neokonservative Denker, die sich nun in den Reihen der US-Regierung unter George W. Bush wieder fanden, hatten bereits seit Jahren an Plänen zu militärisch erzwungenen Regimewechseln in sog. „Schurkenstaaten“ („rogue states“) geschmiedet.160 Diese Pläne fanden ihren Niederschlag in der „National Security Strategy“ der USA vom Brunnenbau, Regierungsberater bei der Unterweisung afghanischer Behörden und Polizeibeamte bei der Ausbildung lokaler Ordnungshüter zu schützen und zu unterstützen. Hinter dem Konzept der PRT steht der Gedanke, dass nur der Aufbau ziviler Strukturen und der Infrastruktur, bei gleichzeitiger Gewährleistung eines sicheren Umfelds durch militärische Einheiten, zu einer dauerhaften, sich selbst tragenden Stabilität in zerrütteten Ländern wie Afghanistan führen kann. 157 Zu den unterschiedlichen Risiken s. Fröhlingsdorf/von Hammerstein/Koelbl/Szandar/ Thielke, Die überforderte Armee, in: Der Spiegel 11/2002, S. 172 [175] (Tod zweier Bundeswehr-Soldaten bei Entschärfung einer Rakete); Dahlkamp/Koelbl/Mascolo, Mohn, Steine, Scherben, in: Der Spiegel 46/2003, S. 42 [43] (Drogenanbau); Demmer, Krieg im Keller, in: Der Spiegel 24/2006, S. 42 [44] (Vier tote Bundeswehr-Soldaten bei Selbstmordattentat); Szandar, Eine schwache Truppe, in: Der Spiegel 29/2006, S. 32 [35] (Korruption). 158 Demmer/Koelbl/Sandberg/Szandar, Exzess am Hindukusch, in: Der Spiegel 44/2006, S. 68 [70]. 159 s. auch die Bewertung der Rot-Grünen Sicherheitspolitik bei Wagener, Auslandeinsätze der Bundeswehr. Normalisierung statt Militarisierung deutscher Sicherheitspolitik, in: Maull/ Harnisch/Grund (Hrsg.), Deutschland im Abseits, Rot-Grüne Außenpolitik 1998 – 2003, S. 33, der angesichts der zunehmenden Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen von einer „Normalisierung“ der deutschen Sicherheitspolitik spricht. 160 s. Fukuyama, Scheitert Amerika? Supermacht am Scheideweg, S. 23 ff.

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September 2002.161 Sie beansprucht präventive Optionen schon weit im Vorfeld eines bewaffneten Angriffs, nämlich bei jeder zu einem nicht absehbaren Moment realisierbaren Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen in den Händen von (Schurken-) Staaten und terroristischen Gruppen.162 Im Rahmen des in Afghanistan begonnenen Kampfes gegen den Terror (US-Operation „Enduring Freedom“) sahen die neokonservativen Kräfte der US-Regierung ihre Chance, die militärischen Maßnahmen auf andere Staaten – gestützt auf die Präventivdoktrin – auszudehnen. Dabei geriet zunehmend der Irak ins Visier der Militärstrategen. Mitte 2002 ließen die Äußerungen führender US-Politiker kaum Zweifel daran, dass die USA – notfalls auch ohne UN-Mandat – bereit waren, militärisch gegen den Irak vorzugehen.163 Angesichts des Szenarios eines bevorstehenden Irak-Krieges stand die deutsche Bundesregierung vor einer schwierigen innenpolitischen Situation. Zweimal innerhalb von nur zweieinhalb Jahren hatte die Bundeswehr unter der Verantwortung von Rot-Grün an Kriegshandlungen, zuerst im Kosovo, dann in Afghanistan, mitgewirkt. Für den Afghanistan-Einsatz hatte der Bundeskanzler nur eine knappe parlamentarische Mehrheit gewinnen können – mittels Vertrauensfrage. Würde die Regierungskoalition ein drittes Mal eine Beteiligung der Bundeswehr an einer militärischen und zudem völkerrechtlich umstrittenen164 Intervention aushalten? Früh, vermutlich auch aus wahltaktischen Gründen, legte sich Bundeskanzler Schröder (SPD) auf eine Ablehnung einer deutschen militärischen Beteiligung fest.165 Konsequenz dieser Position war, dass deutsche Streitkräfte bei den – am 20. März 2003 begonnenen – Kampfhandlungen im Irak nicht eingesetzt wurden.166 161 Die „National Security Strategy of the United States of America“ vom September 2002 ist im Internet zu finden unter www.whitehouse.gov/nsc/nss.pdf (nachgesehen am 25. 07. 2009). 162 „The National Security Strategy of the United States of America“, Abschnitt V, S. 15. 163 s. H. Müller, Der Irak-Krieg und die Folgen, in: von Baratta (Hrsg.), Der Fischer Weltalmanach 2004, S. 45. Dabei stellte die Rechtfertigungsstrategie der USA vor allem auf die militärische Bedrohung durch den Irak (Besitz von Massenvernichtungswaffen; Verbindungen zum Terrorismus) ab, s. Bothe, Der Irak-Krieg und das völkerrechtliche Gewaltverbot, in: ArchVR 41 (2003), 255 [257]. 164 s. Bothe, Der Irak-Krieg und das völkerrechtliche Gewaltverbot, in: ArchVR 41 (2003), 255 [261 ff.]. 165 s. Rede Schröders vor dem Deutschen Bundestag am 13. 09. 2002, BT-Plenarprotokoll 14/253, 13. 09. 2002, S. 25583: „Unter meiner Führung wird sich Deutschland an einer militärischen Aktion nicht beteiligen“; zur Haltung der Bundesregierung bzgl. einer militärischen Intervention im Irak s. auch Gerlach, Legitimationsideen Rot-Grüner Sicherheitspolitik. Die Out-of-Area-Einsätze der Bundeswehr, S. 173 – 177; eine Chronologie der Haltung der Bundeswehr zum Irak-Krieg findet sich in: Die Bundesregierung und der Irak-Krieg. Alles eine Frage der Begleitumstände, in: FAZ vom 31. 12. 2002, S. 2. 166 Die Bundesrepublik war an den Kampfhandlungen zwar nicht direkt beteiligt. Sie hat die militärischen Aktionen der Alliierten im Irak aber in vielfältiger Hinsicht unterstützt oder erleichtert (Gewährung von Überflugrechten; Bewachung amerikanischer Militäreinrichtungen; Beteiligung deutscher Soldaten am Einsatz der AWACS-Flugzeuge zur Überwachung des türkischen Luftraumes). Zu diesen indirekten Unterstützungshandlungen s. Bothe, Der IrakKrieg und das völkerrechtliche Gewaltverbot, in: ArchVR 41 (2003), 255 [266].

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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Die Position der deutschen Regierung führte zu schweren Verstimmungen in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Indem die Bundesregierung ein militärisches Vorgehen gegen den Irak von vorneherein kategorisch ausschloss, selbst im Falle einer Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat,167 schwächte sie zudem den Aufbau einer militärischen Drohkulisse durch die USA und Großbritannien, die den Irak am Ende womöglich doch noch zu einem Einlenken bewegt hätte.168 • EU-geführte Friedensmissionen in Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und im Kongo Neben der Verschlechterung der deutsch-amerikanischen Beziehungen zeigte die Irak-Krise aber auch, dass Europa bzw. die EU keine außen- und sicherheitspolitische Einheit darstellte.169 Angesichts dieses Befundes stand die Umsetzung einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (ESVP), dringlicher als noch zuvor, auf der europäischen Tagesordnung.170 Auf europapolitischer Ebene setzte sich langsam die Überzeugung durch, dass die EU künftig in der Lage sein müsse, gegebenenfalls aus eigener militärischer Kraft und in eigener politischer Verantwortung zu handeln,171 um eigene sicherheitspolitische Ambitionen außerhalb der NATO und unabhängig von den USA verwirklichen zu können. Die Übernahme der NATO-Friedensmission in Mazedonien im April 2003 war bereits der erste Testfall für die ESVP.172 Im Dezember 2004 ging der SFOR-Einsatz der NATO in Bosnien-Herzegowina zu Ende. Es folgte die EU-Operation „Althea“, die bislang größte militärische Operation im Rahmen der ESVP. Allerdings wollte sich die EU in ihrem militärischen Engagement nicht auf den eigenen Kontinent beschränken. So autorisierte der UN-Sicherheitsrat im April 2006 eine viermonatige Militärmission der EU in der Demokratischen Republik Kongo, nachdem sich die EU – auf eine Anfrage der UN hin – zur Entsendung einer EU-geführten Truppe bereit erklärt hatte.173 Der Auftrag der Truppen der 167 Vgl. Busse, Die Entfremdung vom wichtigsten Verbündeten. Rot-Grün und Amerika, in: Maull/Harnisch/Grund (Hrsg.), Deutschland im Abseits? Rot-Grüne Außenpolitik 1998 – 2003, S. 19 [30]. 168 Hacke, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, S. 509; Schöllgen, Die Zukunft der deutschen Außenpolitik liegt in Europa, in: APuZ, Heft B 11/2004, S. 9 [10]. 169 Vgl. Link, Grundlinien der außenpolitischen Orientierung Deutschlands, in: APuZ, Heft B 11/2004, S. 3 [6]. 170 Schöllgen, Der Auftritt. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne, S. 163. 171 Schöllgen, Die Zukunft der deutschen Außenpolitik liegt in Europa, in: APuZ, Heft B 11/ 2004, S. 9 [13]. 172 Zu Rechtsgrundlagen, Einsatzzweck und Einsatzbefugnissen der EU-geführten Operation „Concordia“ in Mazedonien s. Hermsdörfer, Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, in: HUV-I 17 (2004), 17 [27]. 173 s. Resolution 1671 des Sicherheitsrates vom 25. 04. 2006 (UN Doc. S/Res/1671), die den Einsatz der EUFOR-Truppe im Kongo autorisierte.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

„EUFOR Rd Congo“174 bestand darin, die seit dem Jahr 2000 im Kongo etablierte UN-Friedensmission MONUC zu unterstützen und damit zur Schaffung eines sicheren Umfelds zur Durchführung der Wahlen im Kongo beizutragen.175 Auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta waren die EU-Truppen ermächtigt, zur Durchsetzung ihres Auftrags „alle erforderlichen Maßnahmen“, also auch bewaffnete Gewalt, einzusetzen.176 Am 1. Juni 2006 stimmte der Deutsche Bundestag einer Beteiligung der Bundeswehr an der EU-geführten Operation „EUFOR Rd Congo“ für die Dauer von vier Monaten zu.177 Der Bundeswehr kam unter anderem die Aufgabe zu, gegebenenfalls Evakuierungen durchzuführen, um Einzelne aus Gefahrenlagen zu verbringen.178 Der Einsatz war demzufolge mit nicht unerheblichen Risiken für die Bundeswehr-Soldaten verbunden.179 Das EUFOR-Kontingent umfasste insgesamt 800 Mann und stand unter deutschem Kommando.180 • UN-Mission UNIFIL im Libanon Einen weiteren Abschnitt des innerdeutschen Prozesses der Gewöhnung an Auslandseinsätze markierte die Beteiligung der Bundeswehr an der UN-Mission UNIFIL im Libanon: Nach palästinensisch gesteuerten Angriffen auf israelischem Boden und der Invasion Israels in den Libanon wurde die UNIFIL-Truppe 1978 ursprünglich zu dem Zweck errichtet, den Abzug der israelischen Truppen zu bestätigen, den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und der Regierung des Libanons bei der Wiederherstellung ihrer tatsächlichen staatlichen Autorität in der Region zu helfen.181 In Reaktion auf die Eskalation der israelisch-libanesischen Feindseligkeiten Mitte des Jahres 2006 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 11. August die Resolution 1701,182 welche die volle Einstellung der Kämpfe des monatelangen Krieges, namentlich auf der Grundlage „der unverzüglichen Einstellung aller Angriffe durch die Hisbollah und der unverzüglichen Einstellung aller offensiven Militäroperationen durch Israel“ im Libanon forderte.183 Die Re174

Zur EU-Mission „EUFOR Rd Congo“ im Zusammenhang mit einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik s. Weber, Die EU-Mission im Kongo, in: EuR 41 (2006), 879 ff. 175 s. Resolution 1671, S. 2, Nr. 1 und 2 und Antrag der Bundesregierung vom 17. 05. 2006, BT-Drucksache 16/1507, S. 2, Nr. 3. 176 s. Resolution 1671, S. 2, Nr. 8. 177 Vgl. Antrag der Bundesregierung vom 17. 05. 2006, BT-Drucksache 16/1507; zur Abstimmung im Bundestag s. BT-Plenarprotokoll 16/37, 01. 06. 2006, S. 3259. 178 s. Antrag der Bundesregierung vom 17. 05. 2006, BT-Drucksache 16/1507, S. 2, Nr. 3. 179 Vgl. auch Blechschmidt, Freundliches Desinteresse, in: SZ vom 10. 04. 2006, S. 4. 180 Vgl. Antrag der Bundesregierung vom 17. 05. 2006, BT-Drucksache 16/1507, S. 2, Nr. 1; Blechschmidt, Qualen vor den Wahlen, in: SZ vom 05. 07. 2006, S. 8. 181 s. Resolution 425 des Sicherheitsrates vom 19. 03. 1978 (UN Doc. S/Res/425), Nr. 3. 182 Resolution 1701 des Sicherheitsrates vom 11. 08. 2006 (UN Doc. S/Res/1701). 183 Resolution 1701, S. 2, Nr. 1.

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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solution ordnete die Erhöhung der UNIFIL-Truppenstärke auf bis zu 15.000 Soldaten an.184 Das bisherige Mandat der UNIFIL-Truppen gemäß der Resolution 425 von 1978 wurde deutlich erweitert und ergänzt. Unter anderem kam den UNIFIL-Truppen nunmehr die Aufgabe zu, die libanesische Regierung – auf deren Ersuchen hin – bei der Sicherung ihrer Grenzen zu unterstützen, um so die Einfuhr von Waffen in den Libanon ohne Wissen und Zustimmung der Regierung zu unterbinden.185 Zur Erfüllung ihrer Aufgaben wurden die UNIFIL-Truppen ermächtigt, „alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen“, also auch bewaffnete Gewalt einzusetzen.186 In Deutschland war man sich von Anfang an einig, dass – aufgrund der historischen Verantwortung – keine Lage entstehen dürfe, in der ein deutscher Soldat aus Versehen oder auf Befehl auf einen Israeli schießt.187 Ein Einsatz deutscher Soldaten in der Pufferzone zwischen dem Norden Israels und der angrenzenden Region des Libanons wurde somit von der Bundesregierung ausgeschlossen.188 Stattdessen einigte man sich innerhalb der Regierung auf die Entsendung deutscher Seestreitkräfte zur Sicherung der seeseitigen libanesischen Grenzen.189 Ein nach Nr. 11 und 14 der Sicherheitsrats-Resolution 1701 erforderliches Ersuchen der libanesischen Regierung lag am 6. September vor. Zugleich erklärte man sich zur Führung der maritimen Operationen im Rahmen des UNIFIL-Einsatzes bereit.190 Am 20. September 2006 dann stimmte der Bundestag dem Antrag der Regierung zu und autorisierte damit die Entsendung von Bundeswehr-Soldaten in die Nahost-Region.191 Im September 2006 war die Gewöhnung an Auslandseinsätze der Bundeswehr offenbar so weit fortgeschritten, dass selbst die erstmalige Entsendung von Bundeswehr-Soldaten zu einem robusten Einsatz in den Nahen Osten, laut Bundeskanzlerin Merkel (CDU) ein Einsatz von „historischer Dimension“192, ohne größere Diskussionen hingenommen wurde. • Neue Entwicklungen in Afghanistan Während in den ersten Jahren des Afghanistan-Einsatzes die Aufgabenteilung zwischen der ISAF-Mission und der US-geführten Operation „Enduring Freedom“ noch klar definiert war, führte das Erstarken der Taliban zu einem Kurswechsel der anfänglich zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau eingesetzten ISAF-Truppe: Im Rahmen der im Sommer 2006 angelaufenen Operation „Medusa“ jagten und bekämpften ISAF-Soldaten erstmals Einheiten der Taliban und Al-Quaidas im instabi-

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Resolution 1701, S. 3, Nr. 11. Resolution 1701, S. 3 f., Nr. 11 f. und Nr. 14. 186 Resolution 1701, S. 3, Nr. 12. 187 s. Kister, Auch im deutschen Interesse, in: SZ vom 16. 08. 2006, S. 4. 188 s. Beste/Bornhöft/von Hammerstein/Knaup/Nelles/Neukirch/Pfister, Abenteuer Nahost, in: Der Spiegel 34/2006, S.24 [26]. 189 s. Antrag der Bundesregierung vom 13. 09. 2006, BT-Drucksache 16/2572, S. 3. 190 s. Antrag der Bundesregierung vom 13. 09. 2006, BT-Drucksache 16/2572, S. 3. 191 s. zur Abstimmung im Bundestag BT-Plenarprotokoll vom 20. 09. 2006, 16/50, S. 4845. 192 Zitiert nach: FAZ vom 14. 09. 2006, S. 1. 185

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

len Süden Afghanistans.193 Die Verluste auf beiden Seiten waren hoch. Die – vormals klaren – Grenzen zwischen OEF und ISAF begannen zu verwischen.194 In Anbetracht der Verluste, die kanadische, niederländische, britische und amerikanische ISAFTruppen im Süden des Landes erlitten, während sich Deutschland im vergleichsweise ruhigen Norden eingerichtet hatte, nahm der außenpolitische Druck auf die Bundesregierung, sich zur gleichmäßigen Lastenteilung an den Kämpfen im Süden zu beteiligen, stetig zu.195 Doch Berlin widersetzte sich dem Drängen der Verbündeten und schloss auf der NATO-Tagung in Riga (November 2006) eine Bereitstellung von Kampftruppen für den umkämpften Süden aus.196 Die NATO ließ indes nicht locker: Zur Unterstützung der soeben angelaufenen Offensive „Falcons Summit“ im Süden Afghanistans forderte die NATO im Dezember 2006 deutsche Tornadojets zur Aufklärung militärischer Ziele und Gegner an.197 Um nicht weiteren Unmut der NATO-Partner auf sich zu ziehen einigte sich die Bundesregierung schließlich auf die Entsendung von sechs Tornado-Aufklärungsjets zur Unterstützung der in Süd-Afghanistan kämpfenden ISAF-Truppen.198 Am 9. März 2007 stimmte der Bundestag zu.199 Der Einsatz der Tornados war durchaus umstritten, vor allem in den Reihen der die Große Koalition mittragenden SPD.200 Von Seiten der Regierung hob man zwar immer wieder hervor, dass die Entsendung der Tornados nicht zur Beteiligung an einem Kampfeinsatz führe, sondern lediglich „Aufklärungszwecke“ verfolge.201 Aber auch diese rhetorischen Versuche, den Tornado-Einsatz herunterzuspielen, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland mit der Entsendung der Aufklärungstornados in die bewaffneten Auseinandersetzungen im 193 Heinzle, Von der Schutztruppe zur Kampftruppe, verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau unter http://www.tagesschau.de/ausland/meldung51482.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 194 Heinzle, Grenzen zwischen Isaf und OEF verwischen, verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau, unter http://www.tagesschau.de/ausland/meldung29042.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 195 von Hammerstein/Hoyng/Schlamp/Szandar, Das Afghanistan-Abenteuer, in: Der Spiegel 47/06, S. 20 [22]. 196 Bacia, Eine Allianz hält inne, in: FAZ vom 30. 11. 2006, S. 3. 197 Koelbl/Szandar, Geheimsache Tornado, in: Der Spiegel 52/2006, S. 20. 198 s. Antrag der Bundesregierung vom 08. 02. 2007, BT-Drucksache 16/4298. 199 Zur Abstimmung s. BT-Plenarprotokoll 16/86, 09. 03. 2007, S. 8711. 200 Das verdeutlicht das Ergebnis der Abstimmung im Bundestag über den Antrag der Bundesregierung vom 08. 02. 2007: Knapp ein Drittel der SPD-Abgeordneten stimmte gegen den Antrag, s. BT-Plenarprotokoll 16/86, 09. 03. 2007, S. 8712 ff. 201 s. Rede des Bundesaußenministers Steinmeier (SPD) anlässlich der Beratung des Antrags der Bundesregierung zur Entsendung der Aufklärungstornados im Bundestag, BT-Plenarprotokoll 16/81, 28. 02. 2007, S. 8129: „Wie ich weiß, haben manche im Bundestag die Sorge, dass die Bundeswehr Zug um Zug in eine mehr oder weniger unkontrollierte militärische Auseinandersetzung hineinschlittert. Ich teile diese Sorge nicht. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir bestimmte Formen des Einsatzes der Tornados, nämlich den unmittelbaren Kampfbezug, ausdrücklich ausgeschlossen haben. Wir stellen die Tornados nur für Aufklärungszwecke zur Verfügung (Hervorhebung des Verfassers).“

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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Süden Afghanistans verstrickt worden war: Die Erstellung von Fotos militärischer Einrichtungen durch die Aufklärungskameras der Tornados und die Weitergabe der Fotos an die im Süden kämpfenden NATO-Staaten lief und läuft auf eine (mittelbare) deutsche Beteiligung an den Kampfhandlungen in Süd-Afghanistan hinaus.202 Die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan blieb nicht nur auf den Süden des Landes beschränkt: Im Mai 2007 wurden drei deutsche Bundeswehr-Soldaten Opfer eines Selbstmordanschlages auf einem Marktplatz in der nordafghanischen Stadt Kunduz. Der Selbstmordanschlag entfachte in der Bundespolitik eine heftige Debatte über den Sinn und Zweck des deutschen Afghanistan-Engagements.203 Zahlreiche Politiker äußerten Zweifel an der für den Herbst 2007 anstehenden Verlängerung der drei Afghanistan-Mandate der Bundeswehr, also der Beteiligung an der ISAF-Truppe der NATO, den Einsatz von sechs Aufklärungstornados und die Bereitstellung von bis zu hundert KSK-Soldaten für die US-geführte OEFMission. Trotz der Opfer in den Reihen der Bundeswehr und der gestiegenen Zweifel wurden alle drei Mandate durch den Bundestag um ein weiteres Jahr bis Oktober 2008 verlängert.204 Am 16. Oktober 2008 hat der Bundestag das ISAF-Mandat um weitere 14 Monate verlängert.205 Die Beteiligung an der OEF-Mission in Afghanistan mit Spezialkräften ist für die Zukunft nicht mehr vorgesehen, wenngleich deutsche Seestreitkräfte weiterhin am Horn von Afrika und in angrenzenden Seegebieten (unter anderem im Golf von Aden) zur Sicherung der Seewege eingesetzt werden.206 • Fazit Die veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen haben dazu geführt, dass sich die Bundeswehr in den Jahren seit 1989/90 an zahlreichen internationalen Einsätzen zur Friedenswahrung und Friedenschaffung in konfliktträchtigen Regio202 s. auch Bemerkung des MdB Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), der auf das Problem hinwies, dass – nach der Entsendung der Aufklärungs-Tornados erfolgte – Bombardierungen von vermeintlichen militärischen Zielen in Afghanistan, bei denen Zivilisten umkommen, auch auf Grundlage der von den Tornados gelieferten Fotos und Daten erfolgt sein könnten, s. BTPlenarprotokoll 16/86, 09. 03. 2007, S. 8699. Polemisch zugespitzt findet sich der Zusammenhang zwischen (deutscher) Aufklärung und (alliierter) Bombardierung in der Bemerkung des MdB Hinz (SPD) während der Bundestagsdebatte anlässlich der Abstimmung über die Entsendung der Tornados wieder, s. BT-Plenarprotokoll 16/86, 09. 03. 2007, S. 8775: „Nach den Lagebildern werden die Bomben fallen.“ 203 s. Beste/von Hammerstein/Szandar, Eingeschränkte Solidarität, in: Der Spiegel 22/ 2007, S. 20 [21]. 204 Zur Abstimmung des Bundestages über die Verlängerung der Beteiligung an der ISAFTruppe und über den Einsatz der Aufklärungstornados s. BT-Plenarprotokoll 16/119, 12. 10. 2007, S. 12373 ff.; zur Abstimmung des Bundestages über die Verlängerung der Bereitstellung von KSK-Soldaten für die OEF-Mission s. BT-Plenarprotokoll 16/126, 15. 11. 2007, S. 13111 ff. 205 Zur Abstimmung des Bundestages s. BT-Plenarprotokoll 16/183, 16. 10. 2008, S. 19515 ff. 206 Vgl. Antrag der Bundesregierung vom 29. 10. 2008, BT-Drucksache 16/10720, S. 2 f., 4.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

nen dieser Welt engagiert hat. Die durch den „sicherheitspolitischen Konsensus“ auferlegte Beschränkung auf Einsätze zur Landesverteidigung gehört der Vergangenheit an. Das gewandelte Aufgabenspektrum der Bundeswehr kommt im Weißbuch 2006 des Bundesministeriums der Verteidigung207 offiziell zum Ausdruck: Das Weißbuch aus dem Jahre 2006 schreibt fest, dass sich die Bundeswehr vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Veränderungen in den letzten 15 Jahren zu einer „Armee im Einsatz“ (S. 9) gewandelt habe, die zur Zeit in unterschiedlichen Regionen der Welt operiere (S. 82 ff.). Dabei bestehe die Aufgabe der Bundeswehr vor allem in der „internationale[n] Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus“ (S. 12). Zur Lösung internationaler Konflikte sei ein „umfassender vernetzter“ Ansatz erforderlich, der „zivile und militärische Instrumente“ wirksam verbinde (S. 13, 84). So seien zum Beispiel die „Provincial Reconstruction Teams“ (PRT) die Grundlage für den Wiederaufbau staatlicher Strukturen in Afghanistan in einem gesicherten Umfeld (S. 83). Die Bundeswehr werde – traditionsgemäß – im Rahmen mulilateraler Operationen der NATO, EU oder UN tätig (S. 9 ff.). Trotz der Anpassung des Aufgabenspektrums der Bundeswehr an die sicherheitspolitischen Gegebenheiten der Zeit und die damit konsequente Ausrichtung auf Einsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im multilateralen Rahmen ist der seit 1989/90 beschrittene „Weg in die Wirklichkeit“ indes noch nicht zu Ende.208 Die Bundeswehr ist in der Vergangenheit auf dem Balkan oder in Afghanistan vornehmlich zur Stabilisierung der Lage und zum Wiederaufbau eingesetzt worden. Aus Kampfeinsätzen hat man sich dagegen jedoch weitestgehend rausgehalten – eine Haltung, die insbesondere während der Diskussionen um eine Unterstützung der im Süden Afghanistans kämpfenden NATO-Staaten durch Bundeswehr-Soldaten hervortrat (s. oben).209 In der Politik, aber auch in der Bevölkerung, läßt sich ein ausgeprägtes Unbehagen verzeichnen, die Bundeswehr als Truppe anzusehen, die in – unter Umständen auch verlustreiche – Kampfeinsätze zieht. Dieses Unbehagen kommt auf politischer Ebene auch darin zum Ausdruck, dass man bislang sorgsam darauf bedacht war, für laufende Auslandseinsätze das Wort „Kampfeinsatz“ zu vermeiden.210 Allerdings kann diese Rhetorik schon jetzt nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass 207 Das Weißbuch 2006 ist auf der Internet-Seite des Bundesministeriums der Verteidigung unter www.bmvg.de, Stichwort: „Sicherheitspolitik“ › „Grundlagen“› „Weißbuch 2006“ verfügbar (nachgesehen am 25. 07. 2009). 208 Lohse, Noch ist es immer glimpflich ausgegangen, in: FAZ vom 18. 03. 2007, S. 3. 209 s. auch Koelbl, „Wie ein Kameradenschwein“, in: Der Spiegel 48/2006, S. 32, wonach NATO-Partner im Verlauf der Kampfhandlungen in Süd-Afghanistan 2006 mehrfach, wenngleich vergeblich, deutsche Hilfe für den umkämpften Süden Afghanistans angefragt haben. 210 s. von Hammerstein/Hoyng/Schlamp/Szandar, Das Afghanistan-Abenteuer, in: Der Spiegel 47/06, S. 20 [23]; von Hammerstein/Koelbl/Szandar/Yousafzai, K wie Krieg, in: Der Spiegel 37/2008, S. 114 [115]; Szandar, Gefallen für den Frieden, in: Der Spiegel 44/2008, S. 132.

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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die etwa im Norden Afghanistans eingesetzten deutschen ISAF-Soldaten nicht nur zum Brunnenbauen und Patrouillieren vorgesehen sind, sondern angesichts der verschärften Sicherheitslage auch kämpfen müssen.211 Und die nach Afghanistan verlegten Tornado-Jets bekämpfen zwar nicht direkt militärische Stellungen und Einheiten durch Bombardements, liefern mit ihren Bildern aber die Grundlage für die durch andere NATO-Partner durchgeführten Angriffe und sind damit – mittelbar – an den Kampfhandlungen im Süden des Landes beteiligt.212

II. Aktuelle sicherheitspolitische Entwicklungen Die Bundeswehr ist gegenwärtig mit rund 7.000 Soldaten auf drei Kontinenten der Welt im Einsatz.213 Die Bundeswehr ist derzeit im Rahmen der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung unter anderem auf dem Balkan (KFOR und EUFOR), vor der Küste Libanons (UNIFIL) und Somalias (OEF) und in Afghanistan (ISAF) aktiv. Während die Einsätze auf dem Balkan und im Nahen Osten momentan nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen, beherrschen in letzter Zeit vor allem die Afghanistan-Einsätze die Nachrichten und die politische Debatte. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor sehr angespannt.214 Die ISAF-Soldaten der NATO sind – neben den Truppen der OEF – in weiten Teilen des Landes in heftige Kämpfe verstrickt,215 und auch für die Bundeswehr-Soldaten im Norden wird die Lage gefährlicher.216 Die Gefechte zwischen der NATO und den aufständischen Taliban fordern auf 211 s. etwa Weiland, Der weichgespülte Kampfeinsatz, verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,527869,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 212 s. auch Heinzle, Deutsche Jets sollen Angriffe vorbereiten, verfügbar im InternetNachrichtenarchiv der Tagesschau unter http://www.tagesschau.de/ausland/meldung51476. html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 213 Zu den derzeit laufenden Auslandseinsätzen der Bundeswehr s. Internet-Seite des Bundesministeriums der Verteidigung zu den Bundeswehr-Einsätzen, verfügbar unter www.bundeswehr.einsatz.de, Stichwort: „Aktuelle Einsätze“. 214 s. etwa Fichtner, Ein dritter Weltkrieg, in: Der Spiegel 22/2008, S. 122 ff.; von Hammerstein/Koelbl/Szandar/Yousafzai, K wie Krieg, in: Der Spiegel 37/2008, S. 114 [115 ff.]. 215 Koelbl, Marschbefehl ins Ungewisse, Bericht vom 12. 10. 2007, verfügbar auf SpiegelOnline unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,511166,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Gebauer, Taliban fordern NATO heraus, Bericht vom 17. 06. 2008, verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,560156,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Großoffensive gegen Taliban in Südafghanistan (Nachricht vom 18. 06. 2008), verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau unter http://www.tagesschau. de/ausland/afghanistan384.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 216 Seliger, Der Tod kommt im Corolla, in: FAS vom 29. 06. 2008, S. 8 f.; s. auch Deutsche Soldaten bei Anschlag schwer verletzt (Nachricht vom 27. 03. 2008), verfügbar auf SpiegelOnline unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,543700,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); von Hammerstein/Koelbl/Szandar/Yousafzai, K wie Krieg, in: Der Spiegel 37/

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

beiden Seiten Verluste: NATO-Soldaten töten Taliban-Kämpfer, aber immer wieder führen Hinterhalte oder Überfälle auch zu Opfern unter den internationalen Koalitionstruppen.217 Die Angriffe der ISAF-Verbände und OEF-Truppen haben sich jedoch nicht nur auf die Bekämpfung der Taliban und Al-Quaidas beschränkt. Sie forderten bzw. fordern nach wie vor auch zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung.218 Die NATO 2008, S. 114 [115 ff.]; Gebauer, Neue Angriffe der Taliban auf Bundeswehr, Bericht vom 09. 09. 2008, verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,577090,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Gebauer/Koelbl, Tödlicher Einsatz, in: Der Spiegel 44/2008, S. 130 ff. 217 s. Dutzende Tote bei NATO-Angriff auf Talibanstellung (Nachricht vom 15. 05. 2007), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,482918,00. html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Zwei NATO-Soldaten sterben – Dutzende tote Taliban (Nachricht vom 07. 06. 2007), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/poli tik/ausland/0,1518,487277,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Bericht über Dutzende Tote bei Kämpfen zwischen NATO-Truppen und Taliban (Nachricht vom 18. 06. 2007), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,489296,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Isaf-Soldaten bei Anschlag in Afghanistan getötet (Nachricht vom 04. 03. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,539219,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Zwei NATO-Soldaten bei Selbstmordattentat getötet (Nachricht vom 31. 05. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http:// www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,556965,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Schwerste US-Verluste seit drei Jahren (Nachricht vom 14. 07. 2008), verfügbar auf SpiegelOnline unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,565630,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Dutzende Taliban bei Luftangriff getötet (Nachricht vom 25. 07. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,568130,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Taliban töten zehn französische Soldaten (Nachricht vom 19. 08. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,572957,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). Zur Anzahl der durch Gewalteinwirkung getöteten Soldaten der internationalen Koalitionstruppen seit Ausweitung der Kampfhandlungen Mitte Juni 2006 s. etwa von Hammerstein/Koelbl/Szandar/Yousafzai, K wie Krieg, in: Der Spiegel 37/2008, S. 114 [115]. 218 Heinzle, 1000 Tote durch Terror und NATO-Angriffe (Nachricht vom 16. 04. 2007), bezogen auf das Jahr 2006, verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau unter http://www.tagesschau.de/ausland/meldung17110.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Jung ruft NATO-Truppen zur Mäßigung auf (Nachricht vom 14. 05. 2007), verfügbar auf SpiegelOnline unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,482865,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Erneut viele zivile Opfer bei Nato-Einsatz? (Nachricht vom 07. 07. 2007), verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau unter http://www.tagesschau.de/ausland/ meldung15414.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Isaf tötet Aufständische – Politiker sprechen von vielen toten Zivilisten (Nachricht vom 18. 03. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,542298,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Dutzende tote Zivilisten bei US-Luftangriff (Nachricht vom 11. 07. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,565238,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Gebauer/Najafizada, US-Armee tötet 30 Zivilisten bei Angriff (Nachricht vom 14. 07. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/poli tik/ausland/ 0,1518,565845,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Polizisten und Zivilisten sterben bei Isaf-Fehlangriffen (Nachricht vom 20. 07. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,566928,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Bauern und Kinder zwischen den Fronten, in: Der Spiegel 31/2008, S. 89; UN bestätigen Tod

B. Politische Rahmenbedingungen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr

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überlegte zwischenzeitlich angesichts der hohen Verluste unter der Zivilbevölkerung kleinere Bomben in Afghanistan abzuwerfen.219 Und auch die Bundeswehr hält sich aus den Kämpfen in Afghanistan nicht mehr vollends fern: Nach der Entsendung von Aufklärungstornados und der damit einhergehenden mittelbaren Beteiligung an den Kampfhandlungen im Süden Afghanistans Anfang 2007 [s. Teil 1, Gliederungspunkt B. I.] hat die Bundeswehr auf Bitten der NATO hin zum 1. Juli 2008 die Führung der 250 Mann starken schnellen Eingreiftruppe („Quick Reaction Force“) übernommen.220 Bei der schnellen Eingreiftruppe handelt es sich um einen Kampfverband, der militärisch unter Druck geratene regionale Aufbauteams (PRTs) unterstützt. Mit der Übernahme des Kampfverbandes wird auch deutlich, dass sich die bisherige Linie der deutschen Regierung, sich aus direkten Kampfhandlungen in Afghanistan fernzuhalten, bereits jetzt nicht mehr aufrecht erhalten lässt. Was die Zukunft der Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung generell anbelangt, so steht zu erwarten, dass es neue Anfragen der NATO, EU und UN nach deutschen Beiträgen bei internationalen Kriseninterventionen geben wird,221 zumal globale Unsicherheitsfaktoren wie Hungersnöte und Klimakatastrophen und dadurch ausgelöste politische Instabilitäten eher zu- als abnehmen dürften.222 Jüngstes Beispiel ist der (geplante) EU-Einsatz „Atalanta“: Die EU hat beschlossen, fünf bis sieben Schiffe und See-Aufklärungsflugzeuge in den Golf von Aden und die Gewässer von Somalia zu entsenden, um die zunehmenden Überfälle von Piraten auf Handelsschiffe zu unterbinden. Die Bundeswehr, die bereits im Rahmen der OEF-Mission mit Seestreitkräften am Horn von Afrika operiert, wird sich an diesem Einsatz beteiligen.223 Zudem will die NATO – unter Zuhilfenahme der

von 90 Zivilisten (Nachricht vom 26. 08. 2008), in: FAZ vom 27. 08. 2008, S. 1; Fünf Kinder sterben bei Nato-Einsätzen in Afghanistan (Nachricht vom 01. 09. 2008), verfügbar auf SpiegelOnline unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,575678,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009); Schlamp, „Notwendig und angemessen“, in: Der Spiegel 46/2008, S. 146 f. 219 Nato will kleinere Bomben in Afghanistan werden (Nachricht vom 30. 07. 2007), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,497141,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 220 Bundeswehr hat schnelle Eingreiftruppe übernommen (Nachricht vom 30. 06. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,563078,00. html (nachgesehen am 25. 07. 2009); zur möglichen Aufstockung der „Quick Reaction Force“ von 200 auf 600 Soldaten s. Mehr Kampftruppen, in: Der Spiegel 50/2008, S. 18. 221 s. Perthes, Wie? Wann? Wo? Wie oft?, in: IP 62 (05/2007), S. 16 zu möglichen zukünftigen Einsätzen der Bundeswehr in Darfur oder Somalia. 222 Zu Klimaverschiebungen und dadurch ausgelösten Konflikten s. Welzer, Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. 223 s. Bundestag beschließt Marine-Einsatz gegen Piraten (Nachricht vom 19. 12. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,597550,00. html, nachgesehen am 25. 07. 2009). Zum Auftrag der deutschen Soldaten s. Antrag der Bundesregierung vom 10. 12. 2008, BT-Drucksache 16/11337.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

Bundeswehr – ihren Einsatz gegen somalische Piraten auf den gesamten Golf von Aden ausdehnen.224 Das Risiko, das unbeteiligte Zivilisten bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu Schaden kommen, besteht damit auch für die Zukunft fort.

III. Konsequenzen des gewandelten Aufgabenspektrums und der aktuellen Entwicklungen für die vorliegende Untersuchung Das gewandelte Aufgabenspektrum der Bundeswehr und die in letzter Zeit gestiegene Intensität der Auslandseinsätze, die oftmals vor dem Hintergrund bewaffneter Auseinandersetzungen in Krisengebieten stattfinden und damit eine indirekte (Aufklärungstornados in Afghanistan) oder direkte (schnelle Eingreiftruppe in Nordafghanistan) Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfhandlungen zur Folge haben können, ist für die vorliegende Arbeit insofern bedeutsam, da beide Faktoren das Risiko, dass unschuldige Zivilisten durch Handlungen deutscher Soldaten im Auslandseinsatz zu Schaden kommen, deutlich erhöht haben. Somit dürfte es auch in Zukunft zu Fällen wie dem Varvarin-Fall kommen, in denen durch Militärhandlungen der Bundeswehr geschädigte Zivilisten die Bundesrepublik Deutschland auf Wiedergutmachung der erlittenen Schäden, möglicherweise in der Form von Schadensersatz, in Anspruch nehmen. Zur Illustration sei der – bislang hypothetische – Fall angeführt, dass deutschen Aufklärungstornados bei der Aufklärung militärischer Ziele Ungenauigkeiten unterlaufen und die fehlerhaften, an die NATO-Partner weitergegebenen Fotos Grundlage für alliierte Bombardements sind, bei denen es zu zivilen Verlusten kommt. Es wäre überdies auch denkbar, dass deutsche Soldaten der schnellen Eingreiftruppe ihre Angriffe fälschlicherweise nicht gegen Taliban und Al-QuaidaKämpfer richten, sondern wehrlose und unbeteiligte Zivilisten verletzen oder töten. Jüngstes Beispiel für die Inanspruchnahme Deutschlands auf Wiedergutmachung ist der Brief des Bremer Anwalts Karim Popal an das Verteidigungsministerium, in dem er für die Opfer der Bombardierung des Tanklastzugs in Afghanistan Anfang September 2009 eine Entschädigung der Bundesregierung fordert.225

C. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes Der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, also die Verantwortlichkeit Deutschlands für das Verhalten seiner Streitkräfte im Auslandseinsatz und daraus resultieren-

224 Deutschland verspricht mehr Einsatz gegen Piraten vor Somalia (Nachricht vom 21. 11. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,591753,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 225 Moreno, Eine schwierige Mission, in: Der Spiegel 46/2009, S. 70.

C. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

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de Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen, bedarf in mehrerer Hinsicht einer Eingrenzung: Bei der Untersuchung wird es um die Rechtsstellung von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen gehen. Damit sind hier Individualpersonen fremder Staatsangehörigkeit aus der Zivilbevölkerung gemeint, die in nachteiliger Weise von deutschen Militärhandlungen betroffen sind. Eine Untersuchung der Rechte und Ansprüche etwa von Bundeswehr-Soldaten, die bei kriegerischen Handlungen oder einem „Einsatzunfall“ zu Schaden kommen, findet im Rahmen dieser Arbeit daher nicht statt.226 Dem Inhalte nach sind die untersuchten Individualansprüche auf eine Zahlung von Schadensersatz, also eine materielle Kompensation für die erlittenen Einbußen gerichtet. Diese Schadensersatzansprüche können ihre Grundlage im Völkerrecht oder aber im nationalen Staatshaftungsrecht haben. Ein auf die Beseitigung der Folgen hoheitlichen Handelns gerichteter Anspruch wie der Folgenbeseitigungsanspruch [s. dazu Teil 3, Gliederungspunkt C. III.] ist daher nicht vom Untersuchungsbereich der vorliegenden Arbeit erfasst. Die Ansprüche der zivilen Individualpersonen richten sich gegen Deutschland. Ansprüche gegen einzelne Angehörige der Bundeswehr oder der Bundesregierung werden damit nicht eingehend untersucht. Die Frage, ob und inwieweit geschädigten Zivilisten Ansprüche gegen die – bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr involvierten – Internationalen Organisationen zustehen, eine Frage, die jüngst zum Beispiel durch die Klage bosnischer Opfer des Massakers von Srebrenica gegen die UN vor dem Landgericht Den Haag aufgeworfen wurde,227 wird ebenfalls nicht weiter vertieft.

226 Für solche Fälle gilt das Soldatenversorgungsgesetz (BGBl I 2002, S. 1258 ff.), das in § 63 I bestimmt, dass Schäden, die einem Soldaten während einer besonderen Auslandsverwendung im Sinne des § 63c Abs. 1 infolge von besonderen, vom Inland wesentlich abweichenden Verhältnissen, insbesondere infolge von Kriegshandlungen, kriegerischen Ereignissen, Aufruhr, Unruhen oder Naturkatastrophen oder als Folge eines Einsatzunfalls im Sinne des § 63c Abs. 2 entstehen, ihm in angemessenem Umfang ersetzt werden. 227 s. Klage der Anwälte Axel Hagedorn und Marco Gerritsen von der Amsterdamer Kanzlei Van Diepen Van der Kroef im Namen der Hinterbliebenen des Massakers von Srebrenica vor dem Landgericht Den Haag. Die Klageschrift ist abrufbar im Internet unter http://www.vandi epen.com/media/srebrenica/pdf/srebrenica-klage.pdf (nachgesehen am 25.07.2009). Zu den Hintergründen der Klage s. Ludwig/Mertin, Sträfliche Untätigkeit, in: Der Spiegel 23/2007, S. 126 ff. Die Klage wurde allerdings vom Gericht in Den Haag gestützt auf das Argument der Immunität der UN vor nationalen Gerichten abgewiesen, s. Srebrenica-Opfer können UNO nicht verklagen (Nachricht vom 10.07.2008), verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau unter http://www.tagesschau.de/ausland/prozess100.html (nachgesehen am 25.07.2009). Die von einer anderen niederländischen Kanzlei erhobene Klage gegen die Niederlande im Zusammenhang mit den Geschehnissen von Srebrenica wurde vom LG Den Haag ebenfalls abgewiesen, und zwar mit dem Argument, dass die Soldaten unter dem Kommando der UN gestanden hätten und der Truppensteller-Staat dementsprechend nicht haftbar für das Verhalten der Soldaten sei, s. Staat für „Srebrenica“ nicht haftbar, in: FAZ vom 11.09.2008, S. 5.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

Die hier untersuchten Schadensersatzansprüche geschädigter Zivilisten gegen die Bundesrepublik Deutschland sollen aus einer Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, wo es zu Opfer[n] deutscher Militärhandlungen kommt, resultieren. Zunächst müsste sich also eine Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte konstruieren lassen. Möglicherweise könnte Deutschland das – völkerrechtswidrige – Verhalten seiner Streitkräfte [zu den möglichen völkerrechtswidrigen Verhaltensweisen von Bundeswehr-Soldaten s. ausführlich Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b)] rechtlich zugeordnet, das heißt zugerechnet werden. Anknüpfungspunkt für eine Zurechnung könnte sein, dass die Streitkräfte in die Exekutive eines Staates eingegliedert sind und hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Dies könnte die Streitkräfte als „Organ“ [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. a)] bzw. als „Amtsträger“ [s. Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 1.] Deutschlands erscheinen lassen, womit sich dann das Handeln der Streitkräfte auf völkerrechtlicher bzw. auf nationaler, staatshaftungsrechtlicher Ebene Deutschland zuordnen ließe. Die Begrenzung auf die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte impliziert, dass in dieser Arbeit nicht untersucht wird, ob sich Deutschland etwa das Verhalten angeheuerter privater Sicherheitsdienste, wie dies zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Tätigwerden der US-amerikanischen Sicherheitsfirma „Blackwater“ im Auftrag der US-Regierung im Irak diskutiert wird, zurechnen lassen muss.228 Im Übrigen impliziert die Begrenzung auf die Verantwortlichkeit Deutschlands für das Handeln seiner Streitkräfte, dass es in dieser Arbeit um das Einstehenmüssen Deutschlands für das Handeln seiner (militärischen) Organe, also gewissermaßen um eigenes Verhalten Deutschlands geht. Deswegen wird zum einen die Möglichkeit des – zusätzlichen – Einstehenmüssens einer bei einem Auslandseinsatz involvierten Internationalen Organisation neben Deutschland für das Handeln deutscher Soldaten (sog. „doppelte Zurechnung“)229 angesprochen, aber nicht weiter thematisiert [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (2)]; zum anderen ist die – für diesen Fall ohnehin eher theoretische – Frage eines subsidiären Einstehenmüssens Deutschlands für das Handeln einer Internationalen Organisation nicht weiter Gegenstand der Untersuchungen.230 Überdies müssten sich die Streitkräfte, für die Deutschland verantwortlich sein soll, im Auslandseinsatz befinden. Die Bundeswehr kann – im Rahmen der grundgesetzlichen Vorgaben231 und entsprechend den deutschen sicherheits- und verteidi228 Zu dieser Frage s. etwa Boldt, Outsourcing war – private military companies and international humanitarian law, in: GYIL 47 (2004), S. 502 [514 ff., 523 ff.]. 229 s. zu dieser Möglichkeit etwa Hofmann, Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer/Oeter/Stadler (Hrsg.), Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, BdDGfV, Bd. 42, S. 1 [29]; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 105. 230 s. zu dieser Frage etwa Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1128. 231 Ausführlich zu den grundgesetzlichen Vorgaben von Auslandseinsätzen der Bundeswehr: Sigloch, Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr. Verfassungsrechtliche Möglich-

C. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

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gungspolitischen Zielsetzungen – auf vielfältige Art und Weise im Ausland zum Einsatz kommen:232 Sie kann in Krisengebieten zur Konfliktverhütung und Krisenbewälkeiten und Grenzen, S. 27 ff. und Beck, Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte. Materiellrechtliche Bindungen aus Völkerrecht und Grundgesetz, insb. zum Schutz des Lebens, S. 292 ff. Die zentralen Normen, die Aussagen zum Einsatz der Bundeswehr enthalten, sind Art. 87 a II GG und Art. 24 II GG. Nach Art. 87a II GG kann die Bundeswehr „zur Verteidigung“ eingesetzt werden oder aber dann, wenn es das Grundgesetz „ausdrücklich zulässt“. Die juristische Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr war jahrelang umstritten [sog. „out-of-area Debatte, s. oben, Teil 1, Gliederungspunkt B. I.]. Die Streitigkeiten rankten sich um die Reichweite und Auslegung der Begriffe des Art. 87a II GG und des Art. 24 II GG sowie um das Verhältnis von Art. 24 II GG zu Art. 87a II GG. Das Urteil des BVerfG vom 12.07.1994 hat zu einer – teilweisen – Klärung der Frage der Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr beigetragen (= BVerfGE 90, 286 ff. = BVerfG NJW 1994, 2207 ff.). Auf den Streit um den Anwendungsbereich und die Begrifflichkeiten des Art. 87a II GG geht das BVerfG in seinem Urteil nicht ein (s. BVerfGE 90, 286 [355 f.]). Grundlage für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen Internationaler Organisationen zur Friedenssicherung und Friedensschaffung ist laut BVerfG Art. 24 II GG: Art. 24 II GG ermächtige den Bund „nicht nur zum Eintritt in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“, sondern biete auch die Grundlage für die „Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem solchen System typischerweise verbundenen Aufgaben“, z. B. der Beteiligung an militärischen Auslandsoperationen (BVerfGE 90, 286 [345]). Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit sind damit nach Art. 24 II GG (oder: nach Art. 87a II GG i.V.m. Art. 24 II GG, wenn man Art. 24 II GG als Vorschrift ansieht, die einen Auslandseinsatz „ausdrücklich“ zulässt) zulässig. Als „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ werden unstreitig die UN angesehen. Die NATO ist der Entscheidung des BVerfG zufolge ebenso ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit, da für Art. 24 II GG einzig entscheidend sei, ob das System dem Zweck der Friedenswahrung diene, was auch bei Systemen kollektiver Selbstverteidigung wie der NATO der Fall sein könne (BVerfGE 90, 286 [350 f.]). Was die gegenwärtige sicherheitspolitische Ausrichtung der NATO anbelangt, so ist im Übrigen festzuhalten, dass die ursprünglich auf eine kollektive Verteidigung angelegte NATO sich infolge der welt- und sicherheitspolitischen Umbrüche seit 1990 zu einem international agierenden Sicherheitsbündnis, das militärische Einsätze in Krisenregionen außerhalb des Territoriums der NATO-Staaten durchführt, fortentwickelt hat – eine Fortentwicklung, der die BRD, so das BVerfG, mit dem Zustimmungsgesetz zum Nordatlantikvertrag vom 4. April 1949 nach Art. 24 II und Art. 59 II 1 GG zugestimmt hat (BVerfGE 104, 151 [199 ff., 203 ff.]). Mit gutem Grund kann man mittlerweile auch die EU als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit ansehen, da diese sich der Wahrung des (internationalen) Friedens verschrieben hat und mittlerweile über eigene, wenngleich eingeschränkte, Strukturen verfügt, um den Frieden notfalls mit militärischen Mitteln durchzusetzen, vgl. Wiefelspütz, Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland, in: ArchÖR 132 (2007), S. 44 [84]. Die in der Praxis zu verzeichnenden Auslandseinsätze der Bundeswehr, die unter der Führung der UN (z. B. UNIFIL) oder mit UN-Mandat unter der Führung der NATO (z. B. ISAF) oder der EU (z. B. EUFOR in Bosnien-Herzegowina) ablaufen, sind damit ohne weiteres gem. Art. 24 II GG verfassungsrechtlich zulässig, was ebenfalls für militärische Operationen zur Unterstützung eines Bündnispartners im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, der Ziel eines terroristischen Angriffes war (Operation „Enduring Freedom“), gilt. Ob darüber hinaus auch Einsätze der Bundeswehr unter der Führung der NATO ohne entsprechendes UN-Mandat zur Abwendung schwerer Menschenrechtsverletzungen, sog. „humanitäre Interventionen“, als verfassungsrechtlich zulässig einzustufen sind (z. B. Operation „Allied Force“ 1999 im Kosovo), ergibt sich aus den Ausführungen des BVerfG indes nicht. 232 s. KdB, S. 14; Weißbuch 2006, Kapitel 3 [Vorgaben und Rahmenbedingungen], S. 67.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

tigung eingesetzt werden; sie kann im Ausland gegen den internationalen Terrorismus vorgehen; sie kann Bündnispartner unterstützen; sie kann deutsche Staatsangehörige im Ausland retten und evakuieren, wie zum Beispiel 1997 im Rahmen der „Operation Libelle“, als deutsche Staatsangehörige aus der deutschen Botschaft im albanischen Tirana von Bundeswehr-Soldaten gerettet wurden;233 sie kann im Ausland Aufgaben der Partnerschaft und Kooperation wahrnehmen, worunter unter anderem die Teilnahme an multinationalen Aktivitäten und Übungen fällt; und schließlich kann sie im Ausland bei Hungersnöten und Naturkatastrophen humanitäre Hilfeleistungen erbringen. In der vorliegenden Arbeit konzentriert sich die Betrachtung auf Einsätze der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus [s. schon Teil 1, Gliederungspunkt B.]. Das sind Einsätze, die im Zusammenhang mit einem abgeschlossenen, noch andauernden oder drohenden bewaffneten Konflikt in einem ausländischen Krisengebiet erfolgen und zur Sicherung eines brüchigen Friedens oder Schaffung eines noch nicht vorhandenen Friedens beitragen. Diese Einsätze finden im Rahmen Internationaler Organisationen (NATO, UN und EU) statt und sind damit multilateral eingebettet. Die grundsätzliche verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher konfliktverhütender und krisenbewältigender Einsätze ergibt sich aus Art. 24 II GG, der Auslandsoperationen der Bundeswehr im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, worunter die UN, die NATO und mittlerweile auch die über militärische Mittel verfügende EU fallen, den Weg ebnet.234 Anhand der bislang erfolgten und derzeit noch laufenden Einsätze der Bundeswehr lässt sich folgende Einteilung der Einsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Ausland mit Bundeswehr-Beteiligung vornehmen: Auf der einen Seite gibt es UN-geführte Operationen mit Bundeswehr-Beteiligung. Die UN-Operationen zur Friedenssicherung und Friedensschaffung lassen sich unterteilen in „peace-enforcement missions“, das sind auf Kapitel VII der UN-Charta gestützte Missionen, die zur Anwendung militärischer Zwangsmaßnahmen ermächtigt sind,235 und in „peace-keeping missions“, die eine friedliche Streitbeilegung etwa durch die Überwachung von Waffenstillständen und die Bildung von Pufferzonen,236 in jüngerer Zeit auch durch den Aufbau ziviler und administrativer

233

Zur verfassungsrechtlichen Problematik der „Operation Libelle“ s. auch Dau, Die militärische Evakuierungs-operation „Libelle“, in: NZWehrR 40 (1998), S. 89 ff. 234 s. auch Ausführungen zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr auf der vorangegangenen Seite. 235 Brenner/Hahn, Bundeswehr und Auslandseinsätze, in: JuS 41 (2001), 729 [731]; Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 107 ff.; Sigloch, Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr. Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen, S. 240. 236 Brenner/Hahn, Bundeswehr und Auslandseinsätze, in: JuS 41 (2001), 729 [731]; Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 118 ff.; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 168 f.

C. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

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Strukturen fördern sollen,237 wobei Waffengewalt nur zur Selbstverteidigung eingesetzt werden darf.238 Da die peace-keeping-Truppen den an sie gestellten Anforderungen in der Vergangenheit nicht immer gerecht geworden sind, werden friedenserhaltene Operationen mittlerweile zum Teil durch die Ermächtigung zum Ergreifen von Zwangsmaßnahmen (zum Beispiel den Einsatz von Waffengewalt zum Schutz von Hilfslieferungen) flankiert, was man auch als „robustes“ peace-keeping bezeichnet.239 Die Bundeswehr ist seit 1990 an zahlreichen peace-keeping-Operationen der UN beteiligt gewesen, unter anderem in Kambodscha (UNTAC) zur Wiederherstellung einer zivilen und demokratischen Ordnung und zur Vorbereitung freier Wahlen. Sie ist zurzeit unter anderem an den UN-Beobachtermissionen in Äthiopien und Eritrea (UNMEE) zur Überwachung des zwischen beiden Ländern ausgehandelten Waffenstillstands und in Georgien (UNOMIG) zur Entschärfung des dortigen Konfliktes zwischen den ethnischen Gruppen der Georgier und der Abchasen beteiligt. Darüber hinaus war und ist die Bundeswehr in robuste peace-keeping-Einsätze der UN involviert: von 1993 bis 1994 in Somalia (UNOSOM II) und derzeit mit Seestreitkräften vor der Küste Libanons (UNIFIL). Auf der anderen Seite stehen UN-mandatierte Operationen, die unter der Führung der NATO oder der EU ablaufen.240 Aktuelle UN-mandatierte Operationen unter der Führung der NATO, bei denen Bundeswehr-Soldaten zum Einsatz kommen, sind zum Beispiel die ISAF-Mission in Afghanistan und die KFOR-Mission im Kosovo. Einen Sonderfall, da nicht UN-mandatiert, bildet die 1999 erfolgte Operation „Allied Force“ der NATO, die mit dem Argument der Abwendung einer humanitären Katastrophe gerechtfertigt wurde und im Rahmen derer deutsche Tornados zum Einsatz kamen. Mittlerweile ist auch die EU in der Lage, militärische Operationen – autonom oder unter Rückgriff auf NATO-Mittel – durchzuführen: So hat die EU Ende 2004 mit der Operation „Althea“ in Bosnien-Herzegowina, die die NATO-geführte SFORMission ablöste, ihre bislang größte militärische Operation übernommen und greift dabei auf NATO-Mittel zurück. Der EU-geführte und UN-mandatierte Einsatz im Kongo (EUFOR Rd Congo), im Zuge dessen Bundeswehrsoldaten die ersten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen seit mehr als 40 Jahren in dem durch Bürgerkrieg destabilisierten afrikanischen Land sicherten, fand autonom, also ohne Inanspruchnahme von NATO-Mitteln statt.

237

Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 128 f.; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 170. 238 Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 124; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 168. 239 Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 120, 130; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 170 f.; Sigloch, Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr. Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen, S. 259 f. 240 Zur Haltung zahlreicher Industriestaaten, die Abstellung von Truppen an die UN zu verweigern und stattdessen eigene Operationen im Rahmen der NATO oder der EU durchzuführen s. Gareis/Varwick, Frieden erster und zweiter Klasse, in: IP 62 (05/2007), S. 68 [71 f.].

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

Aus dieser Einteilung in UN-geführte und UN-mandatierte Operationen fällt die Beteiligung der Bundeswehr an der Operation „Enduring Freedom“ (OEF), einer Operation zur Verteidigung und zur Unterstützung eines Bündnispartners, nämlich der USA, im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, bei der nicht auf Bündnisstrukturen zurückgegriffen wird, heraus. Da es sich bei den untersuchten Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht nur um Einsätze zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung handeln muss, sondern es überdies im Rahmen dieser Einsätze zu Opfer[n] deutscher Militärhandlungen gekommen sein muss und es damit um die Frage des (normativen) Schutzes der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen deutscher militärischer Handlungen gehen wird [s. auch Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) bb)], rücken zwangsläufig solche konfliktverhütende und krisenbewältigende Auslandseinsätze der Bundeswehr im multilateralen Rahmen in den Vordergrund, bei denen die Bundeswehr mit militärischen Mitteln zur Friedenssicherung und Friedenswahrung beiträgt. Exemplarisch seien hier aus der Vergangenheit die Operation „Allied Force“, bei der NATO-Kampfjets militärische und infrastrukturelle serbische Ziele bombardierten, und aus der Gegenwart die ISAF-Mission, die sich im Verlaufe der Entwicklungen in Afghanistan von einem Einsatz zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau Afghanistans in manchen Gebieten zu einem Kampfeinsatz gegen aufständische Taliban gewandelt hat [s. bereits oben Teil 1, Gliederungspunkt B. II.], genannt. UN-Beobachtermissionen (zum Beispiel UNOMIG in Georgien) oder UN-Beratungs- und Unterstützungsmissionen (zum Beispiel UNAMID im Sudan) mit Bundeswehr-Beteiligung werden in dieser Arbeit folglich nicht weiter berücksichtigt. Regelungen zum (normativen) Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen deutscher militärischer Handlungen finden sich vor allem im humanitären Völkerrecht, das das Vorliegen eines „bewaffneten Konfliktes“ voraussetzt (ius in bello), möglicherweise aber auch in völkerrechtlichen Menschenrechtsverträgen wie der EMRK. Kommt es infolge militärischer Handlungen von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz zu Opfern unter der Zivilbevölkerung, könnte darin eine Verletzung humanitär- und menschenrechtlicher Bestimmungen zu sehen sein [s. zu den verletzten humanitär- und menschenrechtlichen Bestimmungen ausführlich Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) bb) und Gliederungspunkt A. IV. 1. d) bb)]. Die Verletzung eben dieser völkerrechtlichen Bestimmungen könnte dann Grundlage für Schadensersatzansprüche geschädigter Zivilisten sowohl auf völkerrechtlicher Ebene [s. Teil 2] als auch auf nationaler, staatshaftungsrechtlicher Ebene [s. Teil 3] sein. Inwieweit im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr, bei denen es zu Opfern deutscher Militärhandlungen kommt, eine Verletzung des ius ad bellum, also des Rechts zum Ergreifen militärischer Maßnahmen gegeben sein könnte,241 und 241

Dies könnte v. a. bei der Operation „Allied Force“ im Kosovo 1999 der Fall gewesen sein, als die NATO ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates und ohne vorherigen Angriff von serbischer Seite aus Luftangriffe auf militärische und infrastrukturelle Ziele in Serbien unternahm und dies mit dem Argument der Abwendung einer humanitären Katastrophe (sog. „humanitäre

C. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

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ob und inwieweit aus einer solchen Verletzung Schadensersatzansprüche geschädigter Zivilisten hervorgehen könnten, soll allerdings nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Dabei sei angemerkt, dass es für die Untersuchung einer Verletzung des im bewaffneten Konflikt geltenden Rechts, also des humanitären Völkerrechts, ohnehin keinen Unterschied macht, ob im konkreten Fall ein Verstoß gegen das ius ad bellum vorliegt oder nicht. Das humanitäre Völkerrecht wird gleichmäßig auf alle bewaffneten Konflikte angewandt ohne Rücksicht auf Ursprung oder Art des Konflikts.242 Was schließlich das Forum zur Geltendmachung der – an dieser Stelle einmal unterstellten – Schadensersatzansprüche geschädigter Zivilisten anbelangt, so ist im Hinblick auf Individualansprüche resultierend aus einer Verletzung humanitär- und menschenrechtlicher Bestimmungen theoretisch denkbar, diese entweder vor einem entsprechenden internationalen Forum oder aber vor nationalen Foren durchsetzen zu können. Bezüglich der Geltendmachung auf internationaler Ebene wird an den entsprechenden Stellen dieser Arbeit aufgezeigt, ob und inwieweit Verletzungen humanitärund menschenrechtlicher Bestimmungen vor internationalen Foren gerügt werden können [zur Geltendmachung von Verletzungen der EMRK und der damit – eventuell – verbundenen Möglichkeit der Durchsetzung humanitärer Verbote s. etwa Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa)]. Bezüglich der Geltendmachung auf nationaler Ebene ist festzustellen, dass es in der Theorie dem geschädigten Kläger möglich sein könnte, seine – auf eine Verletzung humanitär- und menschenrechtlicher Bestimmungen gestützten – Ansprüche entweder vor den Gerichten seines Heimatstaates, vor den Gerichten des Schädigerstaates (hier also deutsche Gerichte) oder aber möglicherweise auch vor Gerichten eines Staates, zu dem die Parteien der Klage bzw. die Tat keinerlei Bezug haben, geltend zu machen. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich vornehmlich auf die Geltendmachung von – völkerrechtlichen und staatshaftungsrechtlichen – Individualansprüchen vor deutschen (Zivil-)Gerichten: Im Falle des Bestehens eines auf völkerrechtliche Rechtsverletzungen gestützten völkerrechtlichen und staatshaftungsrechtlichen Schadensersatzanspruches dürften die geschädigten Kläger grundsätzlich keine Pro-

Intervention“) rechtfertigte. Zur Rechtfertigung der NATO-Operation gestützt auf das Argument der humanitären Intervention s. nur Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 22, m.w.N. in Fn. 92. 242 Dieser anerkannte Grundsatz findet seinen Ausdruck in der Präambel des Ersten Zusatzprotokolls von 1977 (ZP-I) zu den Genfer Abkommen von 1949, worin bekräftigt wird, dass „die Bestimmungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949 und dieses Protokolls unter allen Umständen uneingeschränkt auf alle durch diese Übereinkünfte geschützten Personen anzuwenden sind, und zwar ohne jede nachteilige Unterscheidung, die auf Art und Ursprung des bewaffneten Konflikts oder auf Beweggründen beruht, die von den am Konflikt beteiligten Parteien vertreten oder ihnen zugeschrieben werden“.

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Teil 1: Politische Rahmenbedingungen und Abgrenzung der Thematik

bleme haben, diesen vor deutschen Gerichten durchzusetzen [vgl. Teil 2, Gliederungspunkt B. V. und Teil 3, Gliederungspunkt B. VII. 2.]. Tendenzen aus der amerikanischen Rechtsprechung, wonach ein durch Völkerrechtsverletzungen geschädigtes Individuum – unabhängig vom konkreten Bezug der Tat zur amerikanischen Gerichtsbarkeit – Verletzungen des Völkerrechts vor amerikanischen Gerichten geltend machen kann, sollen bei der Darstellung der nationalen Praxis im Zusammenhang mit dem Bestehen völkerrechtlicher Individualansprüche [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) bb)] aufgezeigt werden. Die sich im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die BRD vor ausländischen Gerichten stellende Problematik der Staatenimmunität soll an den entsprechenden Stellen der Arbeit zwar angedeutet, aber keineswegs eingehend vertieft werden [s. etwa Teil 3, Gliederungspunkt B. VII. 2.].243

243 Ausführlich zur Durchbrechung der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen s. Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, S. 84 ff., 114 ff., 137 ff., 183 ff., 238 ff., 273 ff.

Teil 2

Völkerrechtliche Ansprüche Die Untersuchung der Schadensersatzansprüche geschädigter Zivilisten gegen die BRD auf völkerrechtlicher Ebene beinhaltet sowohl eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die BRD für das Verhalten ihrer Soldaten unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten einzustehen hat, mithin verantwortlich ist [s. nachfolgenden Gliederungspunkt A. „Völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten“], als auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob völkerrechtswidriges Verhalten von Bundeswehr-Soldaten entsprechende Ansprüche der geschädigten Zivilisten begründet [s. Gliederungspunkt B. „Völkerrechtliche Rechte des Individuums“]. Die – der Untersuchung des Bestehens völkerrechtlicher Individualansprüche vorangehende – Darstellung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates unter Gliederungspunkt A. soll im Wesentlichen frei legen, welche völkerrechtlichen Normen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr verletzt sein könnten und unter welchen Voraussetzungen die Verletzung völkerrechtlicher Normen durch Bundeswehr-Soldaten, insbesondere bei Beteiligung einer Internationalen Organisation, der BRD völkerrechtlich zurechenbar ist. Im Anschluss daran soll die Untersuchung des Bestehens völkerrechtlicher Individualansprüche unter Gliederungspunkt B. ergründen, ob bereits die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates für das völkerrechtswidrige Handeln seiner militärischen Organe individuelle Schadensersatzansprüche der infolge des staatlichen Handelns geschädigten Einzelnen begründet oder ob es für die Annahme solcher individuellen Ansprüche einer eindeutigen völkervertraglichen oder völkergewohnheitsrechtlichen Regelung bedarf.

A. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts Das Regime der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten regelt, wann ein Staat für eine Verletzung des Völkerrechts – völkerrechtlich – verantwortlich ist und welche Rechtsfolgen sich aus dieser Verantwortlichkeit ergeben.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

I. Systematik der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit In Staatenpraxis, internationaler Rechtsprechung und Völkerrechtslehre herrscht Einigkeit über den Grundsatz, dass die Verletzung des Völkerrechts durch einen Staat oder ein anderes Völkerrechtssubjekt dessen völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründet.1 Im Chorzw Factory-Fall führte der Ständige Internationale Gerichtshof, aus: „It is a principle of international law, and even a general conception of law that any breach of an engagement involves an obligation to make reparation.“2

Ausgangspunkt für die Eröffnung des Anwendungsbereiches der Normen über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit ist die Verletzung von völkerrechtlichen Normen, die die internationalen Beziehungen durch die Begründung von Rechten sowie von (Handlungs- und Unterlassungs-)Pflichten regeln.3 Diese Rechte und Pflichten werden auch als Primärnormen bezeichnet. Die Voraussetzungen, unter denen ein Völkerrechtssubjekt für eine Verletzung solcher Primärnormen einzustehen hat, und die Rechtsfolgen, die sich an die Verletzung anschließen, bilden den Gegenstand der Normen über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit.4 Insofern stellen die Normen über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit sog. Sekundärnormen dar. Aus der Verletzung völkerrechtlicher Primärnormen resultieren zwischen dem verletzenden und dem verletzten Völkerrechtssubjekt neue Rechtsbeziehungen,5 ausgestaltet durch die Regeln der Staatenverantwortlichkeit. Diese neuen Rechtsbeziehungen begründen (neue) Ansprüche des Verletzten und entsprechende (neue) Pflichten des verantwortlichen Völkerrechtssubjektes.6 Idealtypisch tritt neben bzw. an die Stelle des Anspruches des Verletzten auf rechtmäßiges Verhalten in der Zukunft (Primärebene) der Anspruch auf Wiedergutmachung – und zwar in Form der Wiederher-

1 Wolfrum, Internationally Wrongful Acts, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 2, S. 1398; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 433 f.; Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 1 Rdn. 3, S. 78 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 173 I 1; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary international humanitarian law, Bd. 1, Rule 149, S. 530; Herdegen, Völkerrecht, § 58 Rdn. 1; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 1, 4; Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 12; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1101; Verdross/Simma, Völkerrecht, § 1262; Schröder, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VII Rdn. 6. 2 StIGH, Factory at Chorzw, Judgment of 13. 09. 1928, Series A, No. 17, S. 29 (im Internet verfügbar unter http://www.icj-cij.org/pcij/serie_A/A_17/54_Usine_de_Chorzow_Fond _Arret.pdf, nachgesehen am 25. 07. 2009). 3 Herdegen, Völkerrecht, § 58 Rdn. 1; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 6. 4 Herdegen, Völkerrecht, § 58 Rdn. 1; Schröder, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VII Rdn. 4. 5 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 7. 6 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 173 II 2.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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stellung des status quo ante oder in Form des Schadensersatzes zum Ersatz materieller Schäden bzw. der Genugtuung zum Ersatz immaterieller Schäden (Sekundärebene).7 Die Völkerrechtskommission der UN („International Law Commission“) hat sich über Jahre der Aufgabe gewidmet, die Regeln zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten zu kodifizieren.8 Im Jahre 2001 gelangten die Arbeiten der ILC mit der Vorlage eines Entwurfes zur Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln zu einem Abschluss.9 Entgegen der ursprünglichen Absicht wurde der erarbeitete Entwurf der ILC nicht als (verbindlicher) völkerrechtlicher Vertrag ausgestaltet, sondern von der UN-Generalversammlung lediglich in Form einer (unverbindlichen) Resolution angenommen.10 Damit stellen die Regelungen der ILC-Artikel nur insofern bindendes Völkerrecht dar, als sie Völkergewohnheitsrecht kodifizieren.11 Dennoch wird den von der ILC zur Staatenverantwortlichkeit kodifizierten Artikeln in der internationalen Rechtsprechung bereits große Bedeutung beigemessen – eine Tendenz, die sich in Zukunft weiter verfestigen wird.12 Die Artikel der ILC zur Staatenverantwortlichkeit umfassen vier Teile: (1) Voraussetzungen der Entstehung der Staatenverantwortlichkeit (Art. 1 – 27 der ILC-Artikel); (2) Rechtsfolgen völkerrechtlicher Verantwortlichkeit (Art. 28 – 41 der ILC-Artikel); (3) Geltendmachung der Staatenverantwortlichkeit (Art. 42 – 54 der ILC-Artikel); (4) Allgemeine Bestimmungen (Art. 55 – 59 der ILC-Artikel). 7

Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 173 II 2. Zur Geschichte der Arbeiten der ILC s. Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, S. 1 ff.; Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 41 ff. 9 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, Text of the Draft Articles, abgedruckt in: Report of the International Law Commission, 53rd Session (2001), Official Records of the General Assembly, 56th Session, Supplement No. 10 (UN Doc. A/56/10), S. 26 ff. Für die deutsche Fassung der ILC-Artikel s. Resolution 56/83 der UN-Generalversammlung vom 12. 12. 2001 zur Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen, abgedruckt in: Resolutionen und Beschlüsse der 56. Tagung der UN-Generalversammlung, Band I: Resolutionen (2001), Offizielles Protokoll der Generalversammlung, 56. Tagung, Beilage 49 (UN Doc. A/56/49), S. 530 ff. Eine umfassende Kommentierung der ILC-Artikel findet sich bei Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility; eine Besprechung der Artikel findet sich bei Czaplinski, UN Codification of Law of State Responsibility, in: ArchVR 41 (2003), 62 ff. 10 Resolution 56/83 der UN-Generalversammlung vom 12. 12. 2001 (UN Doc. A/Res/56/ 83); bestätigt durch Resolution 59/35 vom 16. 12. 2004 (UN Doc. A/Res/59/35). 11 Die ILC hat den Artikeln eine umfassende Kommentierung beigefügt, die auch als Hilfsmittel für die Feststellung der bestehenden völkergewohnheitsrechtlichen Regeln herangezogen werden kann, s. Text of the Draft Articles with Commentaries thereto, abgedruckt in: Report of the International Law Commission, 53rd Session (2001), Official Records of the General Assembly, 56th Session, Supplement No. 10 (UN Doc. A/56/10), S. 31 ff. Diese Kommentierung ist auch abgedruckt bei Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, S. 74 ff. 12 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 173 I 2. 8

66

Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Art. 1 der ILC-Artikel knüpft die Staatenverantwortlichkeit an ein völkerrechtswidriges Handeln: „Jede völkerrechtswidrige Handlung eines Staates hat die völkerrechtliche Verantwortlichkeit dieses Staates zur Folge (Hervorhebung des Verfassers).“13

Insoweit bildet Artikel 1 das bereits bestehende – und oben skizzierte – Völkergewohnheitsrecht ab. Art. 2 der ILC-Artikel nennt die Voraussetzungen für ein solches völkerrechtswidriges Handeln: „Eine völkerrechtswidrige Handlung eines Staates liegt vor, wenn ein Verhalten in Form eines Tuns oder eines Unterlassens a) dem Staat nach dem Völkerrecht zurechenbar ist und b) eine Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung des Staates darstellt (Hervorhebungen des Verfassers).“14

Diese Definition eines Völkerrechtsverstoßes ist in Praxis und Schrifttum allgemein anerkannt.15

II. Klärung der Begrifflichkeiten und Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes 1. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bzw. Haftung Unter Gliederungspunkt B. des völkerrechtlichen Teils dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob den bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr geschädigten Individualpersonen völkerrechtliche Ansprüche gegen die BRD zustehen. Ein solcher Individualanspruch könnte sich aus der Tatsache ergeben, dass die BRD für das gegen Völkerrecht verstoßende Verhalten ihrer Soldaten völkerrechtlich verantwortlich ist. Soweit aber die rechtlichen Folgen einer Verletzung des Völkerrechts behandelt werden, wird in deutschsprachigen Arbeiten nicht nur der Begriff der völkerrechtlichen „Verantwortlichkeit“, sondern auch der Begriff der völkerrechtlichen „Haftung“ verwendet.16 Auffallend dabei ist, dass die beiden Begriffe nicht trennscharf verwen-

13 Englische Fassung des Art. 1: „Every internationally wrongful act of a State entails the international responsibility of that State.“ 14 Englische Fassung des Art. 2: „There is an internationally wrongful act of a State when conduct consisting of an action or an omission: (a) is attributable to the State under international law; and (b) constitutes a breach of an international obligation of the State.“ 15 s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 174 I 1. 16 s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 173 VII 1; Fischer/Köck, Allgemeines Völkerrecht, Rdn. 790; Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 9 ff.; Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „PeaceKeeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 45 f.; s. zum Ganzen auch Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 35 ff.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

67

det werden. Teilweise werden die Begriffe als Synonyme aufgefasst,17 teilweise als unterschiedlich angesehen.18 Die internationale Vertragspraxis lässt überdies keine klaren Strukturen im Hinblick auf den Umgang mit den Begriffen „responsibility“ (Verantwortlichkeit) und „liability“ (Haftung) erkennen.19 Die vorliegende Arbeit trägt den Titel „Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen“. Mit „Verantwortlichkeit“ ist dabei zunächst sowohl die Verantwortlichkeit auf völkerrechtlicher als auch auf national-rechtlicher Ebene gemeint [s. bereits Teil 1, Gliederungspunkt C.]. Es geht also in jedem Falle um eine Verantwortlichkeit im rechtlichen Sinne – nicht um eine im moralischen oder politischen Sinne. Was nun den völkerrechtlichen Abschnitt der vorliegenden Arbeit anbelangt, so liegt diesem Abschnitt folgender Gedankenschritt zugrunde: Schritt 1 [= Gliederungspunkt A.] – Darlegung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit Deutschlands; Schritt 2 [= Gliederungspunkt B.] – Sich auf der Grundlage der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit Deutschlands für völkerrechtswidriges Handeln ergebende Individualansprüche fremder Staatsangehöriger. „Völkerrechtliche Verantwortlichkeit“ (Schritt 1) in dem dieser Arbeit zugrunde gelegten Verständnis meint dabei das System der Rechtsbeziehungen zwischen zwei Völkerrechtssubjekten infolge einer Verletzung des Völkerrechtes durch eines dieser Völkerrechtssubjekte – und zwar so wie es sich zwischen Staaten herausgebildet hat und mittlerweile in den Artikeln der ILC zur Staatenverantwortlichkeit kodifiziert ist. Ebendieses System der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit sieht Regelungen zu den Voraussetzungen vor, unter denen eine Verletzung des Völkerrechts vorliegt, und zu den Rechtsfolgen, die sich aus einer Verletzung des Völkerrechts ergeben. Im Kern geht es bei der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten letztlich damit um die Frage des Einstehenmüssens (von Staaten) für die Verletzung völkerrechtlicher Vorschriften,20 also, wenn man so will, um die Frage, ob bzw. inwieweit der Staat für einen Verstoß gegen Völkerrecht „haftet“. Das heißt: Sowohl bei der völkerrechtlichen „Verantwortlichkeit“ als auch bei der völkerrechtlichen „Haftung“ dreht es sich um das Einstehenmüssen eines Völkerrechtssubjektes für eine – zurechenbare – Verletzung des Völkerrechts.21 17

Ginther, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen gegenüber Drittstaaten, S. 81; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, Vor § 39 Rdn. 2. 18 Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 9 ff. 19 Vgl. dazu die Ausführungen von Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 35 ff., 40. 20 So auch Fischer/Köck, Allgemeines Völkerrecht, Rdn. 790. 21 Hierbei sei auch auf die Ausführungen von Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen nach Völkerrecht, S. 43 f., verwiesen, demzufolge zwischen Verantwortlichkeit und Haftung kein konzeptioneller Unterschied bestehe, wenn man Haftung – dem „verbreiteten

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Ein wichtiger Unterschied zwischen beiden Begriffen besteht jedoch darin, dass mit dem Begriff der Haftung kein bestimmtes rechtliches Haftungskonzept verbunden ist, anders als dies beim Begriff der Verantwortlichkeit der Fall ist (s. oben).22 2. Verstöße gegen Normen des Völkerrechts: Die verwendeten Begriffe Bei Verstößen gegen Normen des Völkerrechts wird – unter anderem – von einer „Verletzung von Völkerrecht“23, von einem „völkerrechtlichen Delikt“24, von einer „Pflichtverletzung“25 oder aber von einem „Völkerrechtsverstoß“26 gesprochen. In dieser Arbeit wird – unter Rückgriff auf die deutsche Übersetzung der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit27 – der Begriff „völkerrechtswidriges Handeln“ zur Umschreibung der einem Staat zurechenbaren Verletzung des Völkerrechts verwandt (s. Art. 2 der deutschen Fassung der ILC-Artikel). In der Sache dürften allerdings zwischen dem hier gebrauchten Begriff und den übrigen in der Lehre verwendeten Begriffen keine Unterschiede bestehen. 3. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Völkerstrafrecht Ausgangspunkt der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten ist stets menschliches Verhalten. Mittels Zurechnung dieses Verhaltens [s. dazu Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2.] wird die Verantwortlichkeit des entsprechenden Staates ausgelöst. Die Völkerrechtsordnung beschränkt sich nun aber nicht darauf, das Verhalten eines Einzelnen über den Weg der Zurechnung zu einem Staat ausschließlich als Staatenunrecht anzusehen. Schwerwiegende Verletzungen des Völkerrechts durch menschliches Handeln können als kriminelles Unrecht eingestuft werden, für das dann natürliche Personen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.28 Diese (völker-)strafrechtliche Sprachgebrauch“ in der Völkerrechtslehre entsprechend – die Bedeutung eines „Einstehenmüssens für Rechtsverletzungen“ zukommen lasse. 22 s. Wolf , Die Haftung der Staaten für Privatpersonen nach Völkerrecht, S. 43. 23 s. Schröder, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VII Rdn. 1. 24 s. von Münch, Das völkerrechtliche Delikt, S. 11; Ziegler, Fluchtverursachung als völkerrechtliches Delikt, S. 85; jüngst BGHZ 169, 348 [351, Ziff. 5]. 25 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 32. 26 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 174 I 1. 27 s. Resolution 56/83 der UN-Generalversammlung vom 12. 12. 2001 zur Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen, abgedruckt in: Resolutionen und Beschlüsse der 56. Tagung der UN-Generalversammlung, Band I: Resolutionen (2001), Offizielles Protokoll der Generalversammlung, 56. Tagung, Beilage 49 (UN Doc. A/56/49), S. 530 ff. 28 Schröder, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VII Rdn. 1.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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Verantwortlichkeit, die ihrer Eigenart nach nur natürliche Personen treffen kann,29 bildet den Gegenstand des Völkerstrafrechts.30 Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der (völkerrechtlichen) Verantwortlichkeit der BRD für das Handeln der Bundeswehr im Auslandseinsatz [s. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes in Teil 1, Gliederungspunkt C.], wobei es schwerpunktmäßig um die Verletzung von Vorschriften des humanitären Völkerrechts durch Bundeswehr-Soldaten geht. Demzufolge steht die Verantwortlichkeit eines als Verbandseinheit strukturierten Völkerrechtssubjekts für zugerechnetes, menschliches Handeln im Mittelpunkt (völkerrechtliche Verantwortlichkeit) – und nicht kriminelles, nur natürlichen Personen vorwerfbares Unrecht (Völkerstrafrecht).31 Allerdings ist zu bedenken: Die Begehung von Kriegsverbrechen durch Bundeswehr-Soldaten zieht nicht nur eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des einzelnen Soldaten nach sich. Kriegsverbrechen stellen die schwerwiegendste Form der Verletzung des humanitären Völkerrechts dar, führen somit – neben einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit – mittels Zurechnung gleichfalls zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der BRD.32 Aufgrund dessen wird die Arbeit auch völkerstrafrechtliche Tatbestände in Form von Kriegsverbrechen und die dadurch ausgelöste völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD in die Betrachtung mit aufnehmen [s. dazu Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. e)]. 4. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten und von anderen Völkerrechtssubjekten Aus der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes in Teil 1, Gliederungspunkt C. sowie den – vorangehenden – Ausführungen unter Gliederungspunkt A. II. 3. ergibt sich, dass sich die vorliegende Arbeit auf einen Staat als verantwortliches Subjekt konzentriert.

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s. Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, Vor § 39 Rdn. 3. s. allgemein zum Völkerstrafrecht Cryer, An introduction to international criminal law and procedure; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 189–§ 199; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerstrafrecht, § 42; Schröder, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VII Rdn. 37 ff. 31 Zur Unterscheidung zwischen Unrechtstatbeständen, die Staaten zugerechnet werden und Verbrechen, für die einzelne Menschen zur Verantwortung gezogen werden s. auch Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 173 IV 4. 32 s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 173 IV 4; A. Zimmermann, Responsibility for Violations of International Humanitarian Law, International Criminal Law and Human Rights Law, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 216. 30

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Es sei an dieser Stelle allerdings bereits vorweggenommen, dass im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht ausschließlich die BRD als verantwortliches Subjekt in Frage kommt. Die Bundeswehr wird in der Regel unter Einbeziehung einer Internationalen Organisation (NATO, EU oder UN) im Ausland eingesetzt. Demzufolge ist auch die jeweils einbezogene Internationale Organisation als – möglicherweise allein – verantwortliches Subjekt für das Handeln deutscher Streitkräfte im Ausland in Betracht zu ziehen [s. dazu ausführlich Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c)]. Auch wenn die Regeln zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit ursprünglich im Hinblick auf Staaten entwickelt wurden,33 so hat sich mit dem Anwachsen des Kreises der Völkerrechtssubjekte zugleich der Anwendungsbereich des völkerrechtlichen Verantwortlichkeitsprinzips erweitert.34 Erkennt das Völkerrecht neben Staaten auch andere Akteure als Träger von Rechten und Pflichten an, zum Beispiel Internationale Organisationen, so müssen diese ebenfalls im Falle einer Verletzung des Völkerrechts dem Regime der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit unterworfen sein.35 Art. 57 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit stellt allerdings fest, dass Fragen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit einer Internationalen Organisation von den ILC-Artikeln ausgeklammert bleiben. Konstellationen, bei denen sich die Frage stellt, ob entweder die Internationale Organisation oder aber der die Streitkräfte zur Verfügung stellende Staat als völkerrechtlich verantwortlich für das Verhalten bestimmter militärischer Verbände anzusehen ist, lassen sich mit Hilfe der Bestimmungen der ILC zur Staatenverantwortlichkeit allein daher nicht abschließend beurteilen. Deswegen sollen – den Artikeln zur Staatenverantwortlichkeit nachfolgende – Arbeiten der ILC zur Thematik der „responsibility of international organizations“36, so33

s. Wolfrum, Internationally Wrongful Acts, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 2, S. 1398. Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 4. 35 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 4; s. auch die Klage der Anwälte Axel Hagedorn und Marco Gerritsen von der Amsterdamer Kanzlei Van Diepen Van der Kroef im Namen der Hinterbliebenen des Massakers von Srebrenica vor dem LG Den Haag: In der Klageschrift versuchen die Anwälte angesichts unterlassener Rettungsmaßnahmen u. a. eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der UN zu konstruieren, s. Rdn. 338 ff. der Klageschrift (abrufbar im Internet unter http://www.vandiepen.com/media/srebrenica/pdf/srebrenica-klage. pdf, nachgesehen am 25. 07. 2009). 36 Auf das Ersuchen der UN-Generalversammlung hin (Resolution 56/82 vom 12. 12. 2001 [UN Doc. A/Res/56/82]) beschloss die ILC, das Thema in ihr Arbeitsprogramm aufzunehmen, und ernannte Giorgio Gaia als „Special Rapporteur“. In der Folge legte Mr. Gaia der ILC mehrere Berichte zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von internationalen Organisationen vor: „First report on responsibility of international organizations“ vom 26. 03. 2003 (UN Doc. A/CN.4/532); „Second report on responsibility of international organizations“ vom 02. 04. 2004 (UN Doc. A/CN.4/541); „Third report on responsibility of international organizations“ vom 13. 05. 2005“ (UN Doc. A/CN.4/553); „Fourth report on responsibility of international organizations“ vom 28. 02. 2006 (UN Doc. A/CN.4/564); „Fourth report on responsibility of international organizations, Add.1“ vom 12. 04. 2006 (UN Doc. A/CN.4/564/Add.1); „Fourth report on responsibility of international organizations, Add.2“ vom 20. April 2006 (UN Doc. A/ 34

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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weit sie zur Klärung der Frage des Zurechnungssubjektes bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr unter dem Dach einer Internationalen Organisation beitragen können, zusätzlich in die Untersuchung mit einbezogen werden.

III. Überblick: Prüfungsfolge völkerrechtswidrige Handlung und daraus resultierende Rechtsfolgen Im Völkerrecht gilt – wie oben unter Gliederungspunkt A. I. ausgeführt – der Grundsatz, dass das völkerrechtswidrige Handeln („internationally wrongful act“) eines Staates dessen völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründet. Dieser Grundsatz wird durch Art. 1 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit kodifiziert. In Völkerrechtspraxis und Völkerrechtslehre ist man sich weiterhin einig darüber, dass ein völkerrechtswidriges Handeln eines Staates dann vorliegt, wenn das Handeln a) dem Staat zuzurechnen ist und b) den Bruch einer völkerrechtlichen Verpflichtung darstellt.37 Diese völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Voraussetzungen eines völkerrechtswidrigen Handelns geben die Artikel der ILC zur Staatenverantwortlichkeit in Art. 2 wieder. Die – gemäß Art. 2 der ILC-Artikel – zur Begründung der Staatenverantwortlichkeit erforderlichen Voraussetzungen zeichnen die in der vorliegenden Arbeit gewählte Prüfungsfolge vor: Unter Gliederungspunkt A. IV. werden zunächst die Voraussetzungen für das Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Handlung untersucht. Als erstes wird dazu unter Gliederungspunkt A. IV. 1. die Verletzung völkerrechtlicher Rechte und Pflichten untersucht. Aussagen hierzu finden sich in den Art. 12 – 15 der ILC-Artikel. Anknüpfungspunkt für die Verletzung völkerrechtlicher Vorschriften sind potentielle (Fehl-)Verhaltensweisen von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz [s. Gliederungspunkt A. IV. 1. b)]. Dabei könnten möglicherweise Vorschriften des humanitären Völkerrechts, Menschenrechte oder aber Bestimmungen des Völkerstrafrechts verletzt worden sein [s. Gliederungspunkte A. IV. 1. c) bis A. IV 1. e)]. Als nächstes wird unter Gliederungspunkt A. IV. 2. der Frage nachgegangen, inwieweit die Verletzung völkerrechtlicher Pflichten durch Soldaten der Bundeswehr CN.4/564/Add.2); „Fifth report on responsibility of international organizations“ vom 02. 05. 2007 (UN Doc. A/CN.4/583). Die Arbeiten der ILC sind indes noch nicht zu einem Abschluss gelangt. Der bisherige Stand (letztmalig nachgeprüft am 25. 07. 2009) des vorläufigen Entwurfes zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von internationalen Organisationen ist nachzulesen in: Text of the draft articles on responsibility of international organizations provisionally adopted so far by the Commission, abgedruckt in: Report of the International Law Commission 59th Session (2007), Official Records of the General Assembly, 62nd Session, Supplement No. 10 (UN Doc. A/62/10), Kapitel VIII, S. 184 ff. 37 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 174 I 1; Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen nach Völkerrecht, S. 42.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

der BRD zurechenbar ist. Regelungen zur Zurechenbarkeit im System der Staatenverantwortlichkeit finden sich in den Art. 4 – 11 der ILC-Artikel. In der Regel finden die Auslandseinsätze der Bundeswehr unter Einbeziehung einer Internationalen Organisation statt. Dieser Umstand macht es erforderlich, die Beziehungen zwischen Internationaler Organisation und der truppenstellenden BRD offen zu legen, sprich aufzuzeigen, wer für das Handeln der Bundeswehr-Soldaten letztlich verantwortlich ist. Dabei muss man berücksichtigen, dass sich die Bundeswehr im Rahmen verschiedener Internationaler Organisationen (NATO, UN, oder EU) engagiert und im Rahmen einer jeden Organisation an verschiedenen Einsätzen teilnimmt bzw. teilnehmen kann – beides Umstände, die sich auf die Frage der Zurechenbarkeit des Handelns deutscher Soldaten auswirken könnten. Im Anschluss hieran wird unter Gliederungspunkt A. V. untersucht, ob der Begründungstatbestand der Staatenverantwortlichkeit neben einer zurechenbaren Völkerrechtsverletzung weitere Voraussetzungen erfordert und ob das Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Handlung unter bestimmten Umständen ausgeschlossen sein kann. Soweit die Arbeit zur Bejahung einer völkerrechtswidrigen Handlung der BRD kommt, schließt sich daran die Darstellung der möglichen Rechtsfolgen völkerrechtswidrigen Handelns unter Gliederungspunkt A. VI. an. Regelungen zu Rechtsfolgen völkerrechtswidrigen Handelns finden sich in den Art. 28 – 41 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit. Schließlich wird unter Gliederungspunkt A. VII. der Frage auf den Grund gegangen, ob die in dieser Promotion relevanten Akteure (BRD einerseits – Einzelpersonen andererseits) als Beteiligte der – durch die Verletzung völkerrechtlicher Vorschriften entstandenen – „sekundären“ Rechtsbeziehungen angesehen werden können. Es sei abschließend darauf hingewiesen, dass bei den nachfolgenden Ausführungen unter Gliederungspunkt A. auf das Konzept der Staatenverantwortlichkeit abgestellt wird, wie es in den Artikeln der ILC zur Staatenverantwortlichkeit seinen Ausdruck gefunden hat. Dieses Konzept ist vorwiegend auf die Wiederherstellung der völkerrechtsgemäßen Lage im zwischenstaatlichen Verkehr gerichtet und nimmt den Einzelnen als Opfer völkerrechtswidrigen Handelns eines Staates und potentiellen Inhaber primärer und sekundärer Rechte nicht in den Blick.38 38 s. zu dieser Ausrichtung der Artikel der ILC auch Tomuschat, Individual Reparation Claims in Instances of Grave Human Rights Violations: The Position under General International Law, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 1 [2 ff.]. Insofern sind die Artikel, wie auch Tomuschat bemerkt (S. 3), auf einer Linie mit der traditionellen völkerrechtlichen Sichtweise, wonach im Falle eines völkerrechtswidrigen Handelns, bei dem ein Individuum zu Schaden kommt, nicht das Individuum, sondern dessen Heimatstaat als Objekt der Völkerrechtsverletzung gilt [s. ausführlich zu dieser traditionellen Sichtweise im Völkerrecht unten Teil 2, Gliederungspunkt B.]. Indes wird die Möglichkeit individueller Primär- und Sekundärrechte durch die ILC-Artikel nicht ausgeschlossen, s. Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 28 Rdn. 3.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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Art. 33 II der ILC-Artikel stellt lediglich fest, dass die Artikel der ILC Individualrechte, die sich aus der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates ergeben und die dem Einzelnen unmittelbar erwachsen, unberührt lassen.39 Ausgehend von den Artikeln der ILC werden die in Betracht kommenden völkerrechtlichen Vorschriften aus den Bereichen des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts alleinig daraufhin untersucht, ob sie im konkreten Falle durch Bundeswehr-Soldaten verletzt worden sind [s. Gliederungspunkte A. IV. 1. c) bis A. IV. 1. e)] und ob die Verletzung dieser humanitär-, menschen- und völkerstrafrechtlichen Normen der BRD zurechenbar ist [s. Gliederungspunkt A. IV. 2.]. Die Qualität der humanitär-, menschen- und völkerstrafrechtlichen Normen und ihre Aussagen im Hinblick auf die (Primär- und Sekundär-)Rechtsstellung des geschädigten Individuums sollen bei der Darstellung des Systems der Staatenverantwortlichkeit unter Gliederungspunkt A. – zunächst – ausgeblendet werden. Unter Gliederungspunkt B. sollen dann aber die jüngeren und jüngsten Entwicklungen im Bereich des völkerrechtlichen Individualschutzes beleuchtet werden und der Frage nachgespürt werden, ob völkerrechtswidriges Handeln nicht nur – wie im herkömmlichen System der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit vorgesehen – Rechtswirkungen im zwischenstaatlichen Verkehr begründet, sondern darüber hinaus auch entsprechende Rechte geschädigter Individuen begründet.

IV. Völkerrechtswidrige Handlung (internationally wrongful act) gemäß Art. 1 der ILC-Artikel Nach der in Praxis und Schrifttum anerkannten Definition des Art. 2 der ILC-Artikel liegt ein Völkerrechtsverstoß eines Staates, der eine entsprechende völkerrechtliche Verantwortlichkeit nach sich zieht (s. Art. 1 der ILC-Artikel), nur dann vor, wenn das Handeln oder Unterlassen diesem Staat zuzurechnen ist [s. dazu Gliederungspunkt A. IV. 2.] und den Bruch einer dem Staat obliegenden völkerrechtlichen Verpflichtung [s. dazu Gliederungspunkt A. IV. 1.] darstellt.40 Dass eine zurechenbare Verletzung des Völkerrechts eine Verantwortlichkeit des jeweiligen Staates und entsprechende Rechtsfolgen nach sich zieht – diese völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Grundaussage der ILC-Artikel gilt auch für Bestimmungen des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte und des Völkerstraf-

39 Englische Fassung des Art. 33 II: „This Part is without prejudice to any right, arising from the international responsibility of a State which may accrue directly to any person or entity other than a State.“ 40 Zur Staatenverantwortlichkeit speziell für Verletzungen des humanitären Völkerrechts s. auch Sassli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC 84 (2002), 401 ff.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

rechts,41 unabhängig von ihren unterschiedlichen Regelungszusammenhängen und ihrer unterschiedlichen Normqualität. Es wird in der Völkerrechtslehre zwar vereinzelt vertreten, dass das humanitäre Völkerrecht ein sog. „self-contained regime“ darstelle,42 was zur Folge hätte, dass die allgemeinen Regeln der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten dann nicht gelten würden.43 Die Einordnung des Rechtsgebietes des humanitären Völkerrechts als „self-contained regime“ ist aber abzulehnen. Zwar gelten für das humanitäre Völkerrecht – teilweise – besondere Regelungen. So sehen zum Beispiel die Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I eine weitergehende Verantwortlichkeit für Völkerrechtsverletzungen von Streitkräften vor als es die allgemeinen Regeln der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit tun. Daraus folgt jedoch nicht die generelle Unanwendbarkeit der allgemeinen Regeln der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten.44 Vielmehr gilt der lex-specialis Grundsatz (s. auch Art. 55 der ILC-Artikel): Eine von den allgemeinen Regeln der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit abweichende Bestimmung des humanitären Völkerrechts ist als lex specialis einzuordnen, die insoweit die allgemeinen Regeln verdrängt. 1. Bruch einer völkerrechtlichen Verpflichtung (breach of international law) Ein Völkerrechtsbruch ist dann gegeben, wenn das konkrete Verhalten eines Staates nicht mit seiner völkerrechtlichen Sollensverpflichtung in Einklang steht. Diesen – völkergewohnheitsrechtlichen – Grundsatz gibt Art. 12 des ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit wieder: „Eine Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung seitens eines Staates liegt vor, wenn eine Handlung dieses Staates nicht im Einklang mit dem steht, was die Verpflichtung, unabhängig von ihrem Ursprung oder Wesen, von ihm verlangt.“45

41 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 149: „A State is responsible for violations of international humanitarian law attributable to it …“; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 139; Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 50. 42 s. etwa Kamenov, The origin of State and entity responsibility for violations of international humanitarian law in armed conflicts, in: Kalshoven/Sandoz (Eds.), Implementation of International Humanitarian Law, S. 169 [170]. 43 s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 138. 44 Sassli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC 84 (2002), 401 [404]. 45 Englische Fassung des Art. 12: „There is a breach of an international obligation by a State when an act of that State is not in conformity with what is required of it by that obligation, regardless of its origin or character.“

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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a) Allgemeine Aussagen zur Feststellung eines Völkerrechtsbruches Als Rechtsgrundlage verletzter völkerrechtlicher Pflichten kommen alle völkerrechtlichen Rechtsquellen in Betracht.46 Auf dem Weg zur Feststellung einer Verletzung des Völkerrechts ist also entscheidend, die normativen Verpflichtungen der BRD zu bestimmen. Im Verlaufe der Arbeit werden die Verpflichtungen der BRD aus dem Bereich des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts dargelegt [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) bis Gliederungspunkt A. IV. 1. e)]. Diesen Verpflichtungen ist das tatsächliche Verhalten der BRD gegenüberzustellen. Durch diese Gegenüberstellung lässt sich das Vorliegen einer Völkerrechtsverletzung feststellen. Wann ein Völkerrechtsverstoß vorliegt – diese Feststellung erfolgt ausschließlich nach völkerrechtlichen Maßstäben.47 Das heißt: Ein Völkerrechtsverstoß kann grundsätzlich nicht auf einen Verstoß gegen nationales Recht gestützt werden, und ein Staat kann sich nicht darauf berufen, ein bestimmtes Verhalten sei nach seinem nationalen Recht erlaubt. Was die Gültigkeit völkerrechtlicher Maßstäbe anbelangt, so ist grundsätzlich die völkerrechtliche Situation im Zeitpunkt der fraglichen Handlung oder Unterlassung entscheidend.48 Die völkerrechtliche Verpflichtung, gegen die die BRD verstoßen haben könnte, kann unterschiedlicher Natur sein.49 So kann die BRD entweder zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen (Verhaltenspflicht) oder aber zum Erreichen eines bestimmten Erfolges (Erfolgspflicht) verpflichtet sein. Ein völkerrechtlicher Verstoß gegen eine Verhaltenspflicht liegt dann vor, wenn das tatsächliche nicht dem normativ geforderten Verhalten entspricht. Bei Erfolgspflichten ist hingegen Voraussetzung für das Vorliegen einer Völkerrechtsverletzung, dass ein anderer als der vorgesehene Erfolg eintritt. Aber nicht nur – eigenes – völkerrechtswidriges Verhalten kann eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit auslösen, sondern auch die Unterstützung einer völkerrechtswidrigen Handlung eines anderen Völkerrechtssubjekts [s. dazu Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. b)]. In Art. 16 der ILC-Artikel heißt es hierzu: „Ein Staat, der einem anderen Staat bei der Begehung einer völkerrechtswidrigen Handlung Beihilfe leistet oder Unterstützung gewährt, ist dafür völkerrechtlich verantwortlich, a) wenn er dies in Kenntnis der Umstände der völkerrechtswidrigen Handlung tut und b) wenn die Handlung völkerrechtswidrig wäre, wenn er sie selbst beginge.“

46 47 48 49

Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 174 I 2. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 174 I 2. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 174 II 8. Eingehend zu diesem Komplex Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 174 II.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Mit der Frage der Unterstützung einer völkerrechtswidrigen Handlung durch deutsche Soldaten musste sich beispielsweise auch der BGH im Fall Varvarin auseinandersetzen.50 Schließlich ist bei der Darstellung allgemeiner Grundsätze zu völkerrechtswidrigem Handeln auf Ansätze im Völkerrecht hinzuweisen, wonach neben der Verletzung „gewöhnlicher“ völkerrechtlicher Pflichten die schwerwiegende Verletzung bestimmter völkerrechtlicher Pflichten gesondert im Rahmen der Regelungen zur Staatenverantwortlichkeit zu berücksichtigen sei.51 Im Zusammenhang mit Pflichten, die sich von „gewöhnlichen“ völkerrechtlichen Pflichten unterscheiden, wird von Normen des Ius Cogens oder Erga-omnes Verpflichtungen oder – im Falle ihrer Verletzung – von „international crimes of states“ gesprochen.52 Auch die ILC-Artikel sehen für „schwerwiegende Verletzungen von Verpflichtungen, die sich aus zwingenden Normen des allgemeinen Völkerrechts ergeben“53, besondere Rechtsfolgen vor, und zwar im zwischenstaatlichen Verkehr, s. Art. 40 und 41 der ILC-Artikel.54 50 BGHZ 169, 348 ff. Da der BGH auf völkerrechtlicher Ebene den Standpunkt einnahm, dass – nach traditioneller Sichtweise – geschädigten Individuen kein völkerrechtlicher Anspruch auf Wiedergutmachung gegen den betroffenen Staat zustehe, setzte sich der BGH mit der Frage der Unterstützung einer völkerrechtswidrigen Handlung eines anderen Staates durch Soldaten der Bundeswehr als Anknüpfungspunkt für eine Haftung der BRD auf nationaler, staatshaftungsrechtlicher Ebene auseinander. Der BGH verneinte letztlich eine vorwerfbare Amtspflichtverletzung, da deutsche Tornado-Piloten in Einzelheiten der durch sie unterstützten Luftangriffe nicht eingeweiht gewesen seien (BGHZ 169, 348 [359 f., Ziff. 23]). 51 De Hoogh wirft die Frage auf, ob man dem qualitativen Unterschied von „ordinary norms“ im Vergleich zu Normen des Ius Cogens nicht insoweit Rechnung tragen müsste, als dass man zwei Systeme der Staatenverantwortlichkeit (eines für die Verletzung gewöhnlicher Pflichten; das andere für die Verletzungen von Pflichten des Ius Cogens) aufstellt, s. de Hoogh, The Relationship between Jus Cogens, Obligations Erga Omnes and International Crimes: Peremptory Norms in Perspective, in: AJPIL 42 (1991), 183 [191]. Tams setzt sich mit den besonderen rechtlichen Konsequenzen von „serious breaches of peremptory norms“ im Rahmen des Systems der Staatenverantwortlichkeit auseinander, s. Tams, Do Serious Breaches Give Rise to Any Specific Obligations of the Responsible State?, in: EJIL 13 (2002), 1161 ff. LambertAbdelgawad versucht Besonderheiten eines Rechtsregimes für die Entschädigung von „international crimes“ im Gegensatz zu den Regelungen der Staatenverantwortlichkeit für „normales“ völkerrechtswidriges Handeln herauszuarbeiten, s. Lambert-Abdelgawad, La spcificit des rparations pour crimes internationaux, in: Tomuschat/Thouvenin (Eds.), The Fundamental Rules of the International Legal Order, S. 167 ff. 52 s. de Hoogh, The Relationship between Jus Cogens, Obligations Erga Omnes and International Crimes: Peremptory Norms in Perspective, in: AJPIL 42 (1991), 183 [184]; zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser Konzepte s. Jørgensen, The Responsibility of States for International Crimes, S. 96 f. 53 Überschrift zu Kapitel III der ILC-Artikel; englische Fassung: „Serious breaches of obligations under peremptory norms of general international law.“ 54 Es war in der ILC äußerst umstritten, ob im Hinblick auf völkerrechtswidriges Handeln qualitative Abstufungen vorzunehmen sind, s. Report of the International Law Commission,

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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Inwiefern schwerwiegende Verletzungen grundlegender völkerrechtlicher Verpflichtungen Bedeutung im zwischenstaatlichen Verkehr entfalten, ist indes nicht Gegenstand dieser Arbeit.55 Es wird auch nicht weiter vertieft, inwiefern „international crimes of states“ möglicherweise eine spezielle völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit des jeweiligen Staates nach sich ziehen können.56 Denn zum einen liegt der Schwerpunkt der Arbeit im Auffinden „ziviler“Anspruchsgrundlagen für Ausgleichszahlungen an geschädigte Zivilpersonen – und nicht darin, eine völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit des jeweiligen Staates und entsprechende völkerstrafrechtliche Sanktionen zu konstruieren. Und zum anderen sucht das Konzept der „international crimes of states“ eher Fälle zu erfassen, in denen es zu schwerwiegenden und flächendeckenden Verletzungen elementarer Bestimmungen des Völkerrechts kommt, hinter denen ein staatlicher Plan steckt.57 Das Element systematischen staatlichen Handelns findet sich im Übrigen auch in Art. 40 II der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit, der den Anwendungsbereich der besonderen Rechtsfolgen der Art. 40, 41 auf „schwerwiegende“ Verletzungen völkerrechtlicher Vorschriften beschränkt: Die Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung wird gemäß Art. 40 II dann als „schwerwiegend“ bezeichnet, „wenn sie eine grobe oder systematische Nichterfüllung der Verpflichtung durch den verantwortlichen Staat bedeutet.“ Soweit die vorliegende Arbeit aber schwere Verletzungen des (humanitären) Völkerrechts, sog. Kriegsverbrechen, und die dabei ausgelöste individuelle (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeit mit in 53rd Session (2001), Official Records of the General Assembly, 56th Session, Supplement No. 10 (UN Doc. A/56/10), Kommentierung zu Kapitel III, Art. 40 – 41, S. 278, m.w.N. Zur zunächst von der ILC vorgenommenen Einteilung völkerrechtswidriger Handlungen in „delicts“ (Verletzung gewöhnlicher Pflichten) und „crimes“ (Verletzung fundamentaler Normen) s. Hofmann, Zur Unterscheidung Verbrechen und Delikt im Bereich der Staatenverantwortlichkeit, in: ZaöRV 45 (1985), 195 [200 ff.]. 55 Sassli, demzufolge Verletzungen von Vorschriften des humanitären Völkerrechts als „serious breaches of peremptory norms“ angesehen werden können, untersucht die entsprechenden Rechtsfolgen im zwischenstaatlichen Verkehr nach Maßgabe des Systems der Staatenverantwortlichkeit, s. Sassli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC 84 (2002), 401 [420 ff.]. 56 Zum Konzept der „crimes of state“ und möglichen völkerstrafrechtlichen Konsequenzen für den jeweiligen Staat s. beispielsweise Malekian, International Criminal Law, Bd. 1, S. 30 ff. (allgemein zur völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten), 146 ff. (zur völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten für Kriegsverbrechen). Das Konzept der „crimes of state“ und einer daraus resultierenden völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten ist umstritten, zudem haben sich keine bislang keine Strukturen etabliert, um eine etwaige völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten durchzusetzen, s. Nollkaemper, Concurrence between individual responsibility and state responsibility in international law, in: ICLQ 52 (2003), 615 [625]. 57 s. Beispiele für „crimes of state“ bei CanÅado Trindade, Complementarity Between State Responsibility and Individual Responsibility for Grave Violations of Human Rights, in: Ragazzi (Ed.), International Responsibility Today, S. 253 [254 f.]; allgemein zur Frage der Verwicklung des Staates bei „crimes of state“ s. Jørgensen, The Responsibility of States for International Crimes, S. 112 f.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

die Betrachtung einbezieht [s. zu Kriegsverbrechen Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. e)], geht es dabei um Fälle, in denen lediglich einzelne Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen Schäden an Zivilpersonen verursachen, ohne dass dies flächendeckend geschehen und dahinter ein bestimmter staatlicher Plan der Regierung oder hoher militärischer Führungsebenen stehen würde [zur Bandbreite völkerrechtswidrigen Verhaltens bei Auslandseinsätzen s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b)]. Das Anwendungsgebiet der Art. 40, 41 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit und das Konzept der „crimes of state“ werden in der vorliegenden Arbeit folglich nicht näher berücksichtigt. Ebenfalls nicht weiter thematisiert werden in dieser Arbeit die Konzepte des Ius Cogens und der Erga-Omnes-Verpflichtungen.58 Denn das Konzept des Ius Cogens auf der einen Seite hat die Nichtigkeit bestimmter, gegen zwingende Normen des Völkerrechts verstoßende Verträge zur Folge (s. Art. 53 WVK), während das Konzept der Erga-Omnes-Verpflichtungen auf der anderen Seite das Recht eines von einer Völkerrechtsverletzung nicht unmittelbar betroffenen Staates zur Durchsetzung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des Verletzerstaates zum Inhalt hat – ohne dabei jedoch Aussagen zu Auswirkungen schwerer Verletzungen bestimmter völkerrechtlicher Normen auf das Bestehen eines Individualanspruches zu treffen. Es sei allerdings angemerkt, dass es nicht ausgeschlossen erscheint, dass die schwere Verletzung bestimmter elementarer völkerrechtlicher Pflichten – in dieser Arbeit sind das schwere Verletzungen humanitär- und menschenrechtlicher Normen – besondere Auswirkungen auf das Bestehen eines völkerrechtlichen Individualanspruches für Kriegsschäden haben kann.59 Aus diesem Grund werden völkerrechtliche Entwicklungen im Zusammenhang mit den Folgen der Verletzung elementarer völkerrechtlicher Pflichten bei der Untersuchung eines sekundären Individualanspruches wegen Kriegsschäden in Teil 2, Gliederungspunkt B. zusätzlich berücksichtigt. b) Bandbreite des (Fehl-)Verhaltens von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz Seit 1990 hat die Bundeswehr an zahlreichen Auslandseinsätzen teilgenommen [s. bereits Teil 1, Gliederungspunkt B.]. Zurzeit ist die Bundeswehr unter anderem in Afghanistan, vor der Küste Libanons, am Horn von Afrika und auf dem Balkan im Einsatz.60 Weitere zukünftige Auslandsengagements sind absehbar.61 58

Zu diesen Konzepten s. Kadelbach, Jus Cogens, Obligations Erga Omnes and other Rules – The Identification of Fundamental Norms, in: Tomuschat/Thouvenin (Eds.), The Fundamental Rules of the International Legal Order, S. 21 ff. 59 Was die Verletzungen von Menschenrechten anbelangt, so vertritt z. B. Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 204 f., dass die Verletzung „absolut“ geschützter Menschenrechte – im Gegensatz zur Verletzung „relativer“ Menschenrechte – einen gewohnheitsrechtlichen Wiedergutmachungsanspruch des Einzelnen gegen den verantwortlichen Staat begründe. 60 s. www.einsatz.bundeswehr.de, Stichwort: „Aktuelle Einsätze“ (Stand: 25. 07. 2009).

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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Bei all diesen – abgeschlossenen, aktuellen und zukünftigen – Auslandseinsätzen sind unzählige Konstellationen denkbar, bei denen Bundeswehr-Soldaten völkerrechtliche Verpflichtungen verletzen und Individualpersonen aufgrund dessen Schäden erleiden. Es kann allerdings nicht Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein, alle denkbaren Varianten tatsächlichen Verhaltens von Bundeswehr-Truppen im Ausland durchzuspielen und auf mögliche Anknüpfungspunkte für Verletzungen völkerrechtlicher Normen und daraus resultierende Individualansprüche hin zu untersuchen. Im Fokus der vorliegenden Arbeit sollen vor allem die Auswirkungen militärischer Operationen auf die Zivilbevölkerung und damit Kampfhandlungen mit BundeswehrBeteiligung im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes stehen [s. bereits Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes in Teil 1, Gliederungspunkt C.]. Regelungen zum – normativen – Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen finden sich vor allem in den Art. 48 – 71 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen von 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte [s. zu diesen Vorschriften Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) bb)]. Mit den folgenden Beispielen soll der Versuch unternommen werden zu illustrieren, auf welch unterschiedliche Art und Weise es im – unmittelbaren oder mittelbaren – Zusammenhang mit Kampfhandlungen der Bundeswehr im Auslandseinsatz zu Verletzungen des Völkerrechts und Schädigungen von Individualpersonen kommen kann: • In Anlehnung an den Varvarin-Fall62 sind Konstellationen denkbar, bei denen ausländische Staatsangehörige durch Luftschläge, an denen deutsche Tornados – unmittelbar oder mittelbar – beteiligt sind, zu Schaden kommen. Genügend Anschauungsmaterial für Konstellationen, bei denen die Bundeswehr – zumindest mittelbar – an der Schädigung von Zivilpersonen durch Luftangriffe beteiligt sein könnte, bietet der derzeitige Einsatz von Aufklärungs-Tornados in Afghanistan (Beispiel 1).63 • Es kann ferner zu Fällen kommen, die nach dem Muster ablaufen, dass Bundeswehr-Soldaten auf belebten Plätzen von lokalen Rebellen mit Waffengewalt angegriffen werden, daraufhin das Feuer erwidern, wobei sich die Rebellen hinter Zivilisten als Schutzschilden verschanzen und es infolge der Unübersichtlichkeit der Lage und des emotionalen Stresses der Soldaten in der konkreten Situation zu zivilen Opfern kommt. Ähnlich gelagert ist zum Beispiel der Vorfall in der Nähe der nordafghanischen Stadt Kunduz Ende August 2008: Soldaten der Bundeswehr 61 s. Perthes, Wie? Wann? Wo? Wie oft?, in: IP 62 (05/2007), S. 16 zu möglichen zukünftigen Einsätzen der Bundeswehr in Darfur oder Somalia. 62 BGHZ 169, 348 ff. 63 s. auch Heinzle, Deutsche Jets sollen Angriffe vorbereiten, verfügbar im InternetNachrichtenarchiv der Tagesschau, Stichwort: „Ausland“ › „Weitere Dossiers“ › „Dossier: ,Tornados gegen Gotteskrieger“ (http://www.tagesschau.de/ausland/meldung51476.html, nachgesehen am 25. 07. 2009).

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

zielten auf einen PKW, um einen darin befindlichen vermeintlichen Selbstmordattentäter zu töten, erschossen dabei jedoch eine unbeteiligte Frau und deren zwei Kinder (Beispiel 2).64 • Schließlich sind Abläufe denkbar, bei denen einzelne Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz – außerhalb der Befehlskette und ohne in irgendeiner Form angegriffen worden zu sein – willkürlich Individualpersonen schädigen (zum Beispiel: vorsätzliche Tötung, Folter oder Vergewaltigung). Exemplarisch seien hier die Geschehnisse in der irakischen Stadt Haditha am 19. November 2005 genannt: Im Zuge einer Vergeltungsaktion für den Tod eines getöteten Kameraden töteten Soldaten der US-Marines 24 irakische Zivilisten (Beispiel 3).65 Diese drei Beispiele geben in etwa das Spektrum des Verhaltens von BundeswehrSoldaten wieder, das den Rahmen für die nachfolgende Untersuchung verletzter völkerrechtlicher Normen vorgibt [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) „Verletzte Normen des humanitären Völkerrechts“; Gliederungspunkt A. IV. 1. d) „Verletzte Normen der Menschenrechte“; Gliederungspunkt A. IV. 1. e) „Völkerrechtsverbrechen“]. Als Anknüpfungspunkte sind den der Untersuchung zugrunde liegenden Beispielen grundsätzlich gemeinsam: Zum einen muss es zu Schädigungen von Individualpersonen bei Kampfhandlungen im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes im Ausland gekommen sein [zum Begriff des bewaffneten Konfliktes s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) aa)]. Bei den Beispielen 1 und 2 ist es offensichtlich, dass zwischen Kampfhandlung mit Bundeswehr-Beteiligung und Schädigung von Zivilisten ein Zusammenhang besteht. Bei Beispiel 3 handelt es sich insoweit um eine Ausnahme: Die Schädigung der Zivilperson(en) erfolgt zwar im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes, jedoch ist sie nicht als eine direkte Auswirkung einer militärischen Operation einzustufen. Beispiel 3 soll vor allem eine – normative – Erweiterung der vorliegenden Untersuchung ermöglichen: Neben den Art. 48 – 71 des ZP-I, die den Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen von Kampfhandlungen normieren, sollen – zusätzlich – auch Bestimmungen des Völkerstrafrechts (insbesondere Art. 8 II a) i), ii), xxii) RömSt) und Bestimmungen der Menschenrechte (insbesondere Art. 2 und 3 der EMRK) mit in die Betrachtung einbezogen werden. Hinter dieser Erweiterung steht insbesondere folgender Gedanke: Einerseits könnte die im Völkerstrafrecht vorgesehene individuelle Strafbarkeit für schwere Völkerrechtsverstöße den Schluss erlauben, den Einzelnen umgekehrt auch als Träger von entsprechenden Wiedergutmachungs- und Schadensersatzansprüchen anzusehen, und andererseits könnten die menschenrechtlichen Bestimmungen der EMRK womöglich das humanitäre Völkerrecht in der 64 65

s. dazu Gebauer, „Das Problem ist erledigt“, in: Der Spiegel 37/2008, S. 116 f. s. Hoppe, Ein Massaker für Mikey, in: Der Spiegel 22/2007, S. 122 ff.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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Frage der primären und sekundären Individualberechtigung im Völkerrecht verstärken [s. zu diesen Aspekten auch Teil 2, Gliederungspunkt B. IV.]. Zum anderen muss es sich, was die Gemeinsamkeiten anbelangt, um Schädigungen in überschaubarem Kontext handeln – und nicht um Massenfälle wie großflächige Genozide oder Kriege. Im Hinblick auf die nachfolgenden zwei Kriterien unterscheiden sich allerdings die drei beispielhaft genannten Schädigungshandlungen von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz, was unterschiedliche Rechtswirkungen sowohl auf völkerrechtlicher Ebene (Teil 2) als auch auf national-rechtlicher Ebene (Teil 3) nach sich ziehen kann (s. Hinweise an den entsprechende Stellen): Erstens im Hinblick auf den Kontext der Schädigungshandlungen: Handelt es sich um den Vollzug eines Befehls, gegebenenfalls im Rahmen eines vorher festgelegten Operationsplans (Ausführungsphase Beispiel 1)? Oder wird der Soldat situationsabhängig und aufgrund eigener Gefahreneinschätzung tätig (Beispiel 2 und 3)? Und zweitens im Hinblick auf die subjektive Wahrnehmung der Soldaten: In der Ausführungsphase des Beispiels 1 wird es vor allem um die Frage gehen, ob der Soldat in Kenntnis eines zugrunde liegenden Befehls und in Kenntnis des konkreten Einsatzziels handelt. In Beispiel 2 wird der Soldat aufgrund einer aus seiner Sicht als Gefährdung einzustufenden Situation und einer dadurch ausgelösten emotionalen Stresssituation tätig – eine Situation, die das völkerrechtswidrige Verhalten möglicherweise rechtfertigen könnte. Und in Beispiel 3 handelt der Soldat zwar stressbedingt, aber hauptsächlich aufgrund willkürlicher, niederer Motive, zum Beispiel Rache für den Tod eines Kameraden.

c) Verletzte Normen des humanitären Völkerrechts Wenn und soweit die völkerrechtlichen Regeln zur Verhinderung von Gewalt (ius ad bellum)66 die militärische Austragung von Konflikten nicht verhindern können, so sollen die militärischen Auseinandersetzungen zumindest durch rechtliche Regeln (ius in bello) in Grenzen gehalten werden. Am Beginn der Kodifikation kriegsrechtlicher Regeln steht die erste Genfer Konvention „betreffend die Linderung des Loses der im Felde verwundeten Militärpersonen“ von 1864. Der in der ersten Genfer Konvention angelegte Schutz von Kriegsopfern wurde im Laufe der Zeit durch nachfolgende völkerrechtliche Abkommen erweitert und an aktuelle Entwicklungen angepasst – bis hin zu den heute maßgeblichen vier Genfer Abkommen von 1949 sowie den zwei Zusatzprotokollen von 1977 (Genfer Recht).67 Parallel dazu entwickelte sich ein anderer Strang kriegsvölkerrechtlicher Regeln zu Mitteln und Methoden der Kriegsführung, worunter auch das IV. Haager 66

Bothe etwa spricht von ius contra bellum, s. Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 2. 67 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 39.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Abkommen über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1907 fällt (Haager Recht).68 Unter dem Einfluss völkerrechtlicher Menschenrechte wurde nach 1945 der Schutz des Einzelnen vor den Auswirkungen militärischer Handlungen in den Mittelpunkt kriegsvölkerrechtlicher Abkommen gestellt. Wegen dieses menschenschützenden Grundanliegens wurde für das Recht kriegerischer Auseinandersetzungen der Begriff „humanitäres Völkerrecht“ geprägt.69 Die gegenwärtig geltenden Abkommen haben sich dabei vom formalen Kriterium einer Kriegserklärung gelöst und finden – unabhängig vom Bestehen eines Kriegszustandes – in Fällen „bewaffneter Konflikte“ Anwendung.70 Das geltende Recht geht überdies davon aus, dass grundsätzlich auf beiden Seiten Staaten als Konfliktparteien auftreten71 und enthält somit ein dichtes Regelwerk für internationale, das heißt zwischen Staaten ausgetragene, bewaffnete Konflikte. Mit Gasser lässt sich humanitäres Völkerrecht – in seiner gegenwärtigen Gestalt – definieren als Gesamtheit jener „internationalen Regeln welche aus humanitären Gründen der Anwendung von Gewalt in einem bewaffneten Konflikt zwischen Staaten oder innerhalb eines Staates Grenzen setzen. Diese Regeln schränken zum einen das Recht der Konfliktparteien in der Wahl von Mitteln und Methoden der Kriegsführung ein. Zum anderen verbieten sie […] die Anwendung von Gewalt gegen die an militärischen Operationen nicht […] beteiligten Personen, namentlich die Angehörigen der Zivilbevölkerung.“72 Aus dieser Definition ergibt sich, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts nur in Zeiten bewaffneter Konflikte anwendbar sind.73 Dabei unterscheidet sich der gewährte Schutz ganz wesentlich danach, ob der Konflikt international oder nichtinternational ist.74 Unter dem nachfolgenden Gliederungspunkt A. IV. 1. c) aa) soll zuerst der Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts ausgeleuchtet werden. Dies beinhaltet – nach der Klärung des Begriffes „bewaffneter Konflikt“ – zum einen eine Auseinandersetzung mit der Frage, welche Vorschriften des humanitären Völkerrechts, für den Fall dass sich nationale und internationale Konfliktkomponenten mischen anwendbar sind (sog. gemischte Konflikte). Zum anderen soll der Frage nachgegangen werden, ob humanitäres Völkerrecht auf Bundeswehr-Auslandseinsätze, die in den

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Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 39. Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 60. 70 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 65 Rdn. 5 f. 71 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 64 Rdn. 1. 72 Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 22. 73 Greenwood, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 2, Rdn. 201 – 211; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 139. 74 Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 22; zu den rechtlichen Auswirkungen s. Greenwood, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 2, Rdn. 201 und 211. 69

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organisatorischen Rahmen einer Internationalen Organisation eingebettet sind, anwendbar ist. Nachdem die Frage der Reichweite des Anwendungsbereiches geklärt worden ist, werden dann unter Gliederungspunkt A. IV. 1. c) bb) diejenigen Verpflichtungen aus dem Bereich des humanitären Völkerrechts dargestellt, welche den Schutz der an militärischen Operationen nicht beteiligten Personen, also Zivilpersonen, gewährleisten sollen (insbesondere die Art. 48 – 71 des ZP-I) und welche – im konkreten Fall – durch Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz verletzt sein könnten.

aa) Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts Der größte Teil des humanitären Völkerrechts knüpft an die Situation eines internationalen, zwischen Staaten ausgetragenen bewaffneten Konflikts an.75 Für nicht-internationale bewaffnete Konflikte, das heißt Auseinandersetzungen innerhalb eines Staates (zum Beispiel Bürgerkriege), hält das humanitäre Völkerrecht eine geringere Anzahl von vertraglichen Regelungen bereit.76 Unabhängig von den Kategorien international und nicht-international finden die Vorschriften des humanitären Völkerrechts in jedem Fall nur bei Vorliegen eines bewaffneten Konflikts Anwendung.77 Wann aber liegt ein solcher bewaffneter Konflikt vor? Die Genfer Abkommen selber helfen nicht weiter, da sie den Begriff nicht definieren. Laut Greenwood liegt ein internationaler bewaffneter Konflikt vor, wenn „eine Konfliktpartei gegen eine andere Konfliktpartei Waffengewalt einsetzt“, wobei die Handlungen eine Intensität erreichen müssten, die die von „isolierten Zusammenstöße[n]“ übersteige.78 Bei einem nicht-internationalen bewaffneten Kon75 Im Falle eines – internationalen – bewaffneten Konfliktes sind anwendbar: IV. Haager Abkommen betr. die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges (HA-IV) mit Anlage zur Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges (Haager Landkriegsordnung – HLKO); die vier Genfer Abkommen von 1949 (GA I–IV); Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (ZP-I). Eine Zusammenstellung der im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Rechtsnormen findet sich auch bei Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts, 2. Kap., S. 15 ff. 76 Anwendbar sind im Falle eines – nicht-internationalen – bewaffneten Konfliktes: der gemeinsame Art. 3 der Genfer Abkommen sowie das Zusatzprotokoll II zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (ZP-II). Eine Zusammenstellung der im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Rechtsnormen findet sich auch bei Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts, 3. Kap., S. 77 ff. 77 Greenwood, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 2, Rdn. 201; s. auch Formulierung in den gleichlautenden Art. 2 und 3 der vier Genfer Abkommen. Zur Geltung humanitärer Prinzipien auch außerhalb von bewaffneten Konflikten s. Fleck, Law Enforcement and the Conduct of Hostilities, in: Fischer-Lescano/Gasser/Marauhn/Ronzitti (Hrsg.), Frieden in Freiheit – Peace in Liberty – Paix en libert. Festschrift für Michael Bothe, S. 391 [399 ff., 406]. 78 Greenwood, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 2, Rdn. 201.

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flikt handele es sich um „eine mit Waffengewalt innerhalb eines Staatsgebietes ausgetragene Auseinandersetzung zwischen der bestehenden Staatsgewalt und dieser Staatsgewalt unterworfenen Personengruppen, welche die Größenordnung eines bewaffneten Aufruhrs oder eines Bürgerkriegs“ erreiche.79 Die Feindseligkeiten erfordern demzufolge – ob international oder nicht-international – eine bestimmte Art der Gewaltanwendung, nämlich den Einsatz von Waffen,80 und müssen eine bestimmte Intensität erreichen.81 Sobald die Bundeswehr also in militärische Auseinandersetzungen zwischen Staaten oder zwischen einem Staat und einem nicht-staatlichen Gegner involviert ist und nicht lediglich als Teil einer internationalen Truppenpräsenz polizeiliche Aufgaben wahrnimmt, kommt die Anwendung von Vorschriften des humanitären Völkerrechts in Frage.82 Wie eingangs erwähnt gibt es allerdings für bewaffnete Konflikte im Völkerrecht zwei unterschiedliche rechtliche Regime: Zum einen das für internationale bewaffnete Konflikte, zum anderen das für nicht-internationale bewaffnete Konflikte.83 Das Problem bei vielen Konflikten der letzten Jahrzehnte besteht darin, dass sich internationale und nationale Konfliktkomponenten mischen, etwa wenn ein ausländischer Staat auf der Seite der Regierung oder aber gegen die Regierung in den Konflikt zwischen Regierung und Aufständischen eingreift. Man spricht hierbei von gemischten Konflikten.84 Als Beispiel für einen solchen gemischten Konflikt lässt sich die Konstellation in Afghanistan im Herbst 2001 anführen:85 Während die USA mit britischer Unterstützung die Truppen der Taliban-Regierung und Kämpfer der AlQuaida aus der Luft angriffen, kämpften gleichzeitig am Boden Soldaten der afghanischen Nord-Allianz gegen die Taliban. Ein weiteres Beispiel für einen gemischten,

79 Greenwood, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 2, Rdn. 210. 80 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 66 Rdn. 5. 81 s. Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 62; Vöneky, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf terroristische Akte und ihre Bekämpfung, in: Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorrismusbekämpfung durch Streitkräfte, S. 147 [149]. 82 Vgl. Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 150. 83 Kritisch zu dieser Unterscheidung Stewart, Towards a single definition of armed conflict in international humanitarian law: A critique of internationalized armed conflict, in: IRRC 85 (2003), 313 ff. 84 In der englischsprachigen Völkerrechtslehre wird der Begriff „internationalized (internal) armed conflict“ verwendet. Ausführlich zur Problematik der gemischten Konflikte: Gasser, Internationalized non-international armed conflicts: Case studies of Afghanistan, Kampuchea and Lebanon, in: AULR 31 (1982), 911 ff. und Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts, 5. Kapitel, S. 143 ff. 85 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 144; Zechmeister, Die Erosion des humanitären Völkerrechts, S. 160.

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also durch internationale und interne Komponenten geprägten Konflikt ist die Intervention der NATO im Kosovo im Jahre 1999.86 Auch die Bundeswehr hat sich bereits an gemischten Konflikten, unter anderem an der US-Offensive in Afghanistan, beteiligt.87 Insofern ist es für diese Arbeit durchaus von Bedeutung, welche Auswirkungen das Vorliegen eines gemischten Konfliktes hat. Über das rechtliche Regime, das bei gemischten Konflikten zur Anwendung kommt, besteht Uneinigkeit: Es finden sich zunächst Stimmen, die im Falle gemischter Konflikte die Gesamtheit der Regeln des humanitären Völkerrechts anwenden wollen, was zur Folge hätte, dass die Regeln für internationale bewaffnete Konflikte auch für gemischte Konflikte einschlägig wären.88 Anders gehen die Verfechter der sog. Komponententheorie vor. Ihnen zufolge müsse der gemischte Konflikt in internationale und nicht-internationale Komponenten aufgeteilt werden, das heißt, es müsste für jede Situation geprüft werden, wer gegen wen kämpft.89 Dabei seien folgende zwei Fälle zu unterscheiden: Kämpfen sowohl ein ausländischer Staat als auch die Aufständischen gegen eine Regierung, dann laufen parallel ein internationaler (ausländischer Staat – Regierung) und ein nicht-internationaler Konflikt (Aufständische – Regierung).90 Hilft demgegenüber der ausländische Staat der Regierung im Kampf gegen Aufständische, dann liegt keine zwischenstaatliche Konfrontation

86 Stewart, Towards a single definition of armed conflict in international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 313 [315]. 87 Die Bundeswehr hat sich mit KSK-Truppen an der US-Offensive zur Bekämpfung der Taliban und Al-Quaida-Kämpfern in Afghanistan 2001 beteiligt [s. Teil 1, Gliederungspunkt B.]; bei der Konstellation in Bosnien 1995, in die die NATO u. a. durch Zuhilfenahme von Bundeswehr-Tornados eingriff [s. Teil 1, Gliederungspunkt B.], handelte es sich ebenfalls um einen gemischten Konflikt, s. Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 143. 88 So z. B. Meron, Classification of armed conflict in the former Yugoslavia: Nicaraguas fallout, in: AJIL 92 (1998), 236 [238]; weitere Nachweise bei Stewart, Towards a single definition of armed conflict in international humanitarian law: A critique of internationalized armed conflict, in: IRRC 85 (2003), 313 [334]. 89 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 144; Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts, 5. Kap., S. 159 ff. Kritik an dieser Aufteilung in internationale und nicht-internationale Elemente übt Stewart, Towards a single definition of armed conflict in international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 313 [333 f.], da eine Aufteilung in der Praxis kaum möglich sei. 90 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 144; Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts, 5. Kap., S. 162. Als Beispiel sei die bereits oben erwähnte Konstellation in Afghanistan im Jahr 2001 bestehend aus den drei Konfliktparteien USA (ausländischer Staat), Taliban-Regierung (etablierte Regierung) und Nord-Allianz (Aufständische) genannt. Zur Aufteilung des Kosovo-Konfliktes in einen nicht-internationalen Teil (Bundesrepublik Jugoslawien – UC ¸ K) und einen internationalen Teil (NATO – Bundesrepublik Jugoslawien) s. Kröning, Kosovo and International Humanitarian Law, in: HUV-I 13 (2000), 44 [46] und Egorov, The Kosovo crisis and international humanitarian law, in: IRRC 82 (2000), 183 [189].

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vor, sondern ein nicht-internationaler Konflikt.91 Das Jugoslawien-Tribunal wiederum hat im Fall Tadic´ unter anderem entschieden, dass ein interner Konflikt dadurch international – oder zumindest in einigen Aspekten international – werde, wenn ein anderer Staat mit seinen Truppen in den Konflikt eingreife.92 Insgesamt ist also anerkannt, dass Kampfhandlungen, an denen ausländische Truppen beteiligt sind, nach den Regeln internationaler bewaffneter Konflikte zu beurteilen sind – zumindest für den Fall, dass ausländische Truppen (unabhängig von oder aber auf Seiten von Aufständischen) in Kämpfe gegen eine etablierte Regierung involviert sind.93 Fazit der Ausführungen zu gemischten Konflikten: Kampfhandlungen von Bundeswehr-Soldaten im Rahmen einer militärischen Intervention in einen internen Konflikt führen zur Anwendbarkeit der Regeln für internationale bewaffnete Konflikte. Da deutsche Bundeswehr-Soldaten ohnehin sämtliche Regeln des humanitären Völkerrechts in jederlei Art von bewaffnetem Konflikt zu beachten haben,94 ist die – zumindest für die Komponententheorie entscheidende – Frage, ob Bundeswehr-Soldaten im konkreten Falle nun gegen eine etablierte Regierung oder aber auf deren Seite kämpfen (s. oben), für den vorliegenden Fall von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist somit vornehmlich das Vorliegen bewaffneter Auseinandersetzungen für die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr (s. dazu vor allem die Ausführungen zum Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes im Zusammenhang mit der ISAF-Mission unter diesem Gliederungspunkt). Hinzu kommt, dass sich die starren Grenzen zwischen dem Recht der internationalen und dem Recht der nicht-internationalen Konflikte mittlerweile insoweit aufgelöst haben, als dass die grundlegenden Normen des Vertragsrechts, zum Beispiel die in Art. 48 – 71 des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen normierten Prinzipien zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen, inzwischen gewohnheitsrechtlichen Charakter erhalten haben und somit für alle Arten von bewaffneten Auseinandersetzungen gelten [s. dazu auch Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) bb)]. . 91 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 144; Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts, 5. Kap., S. 159 ff. 92 ICTY, Prosecutor v. Tadic´, Appeals Chambers judgement, Case no. IT-94-1-A, 15. 07. 1995, Ziff. 84 (im Internet abrufbar unter http://www.un.org/icty/tadic/appeal/judgement/tadaj990715e.pdf, nachgesehen am 25. 07. 2009). 93 Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 65; Hess, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts, 5. Kap., S. 162; für Afghanistan s. Aldrich, The Taliban, Al Qaeda and the Determination of Illegal Combatants, in: AJIL 96 (2002), 891 [893]. 94 Ausdrücklich in Bezug auf die Bundeswehr Greenwood, in: Fleck (Ed.), Handbook of Humanitarian Law (1. Auflage – 1995), Kap. 2, Rdn. 211. In der 2. Auflage von 2008 ist von „regular armed forces“ die Rede, worunter letztlich aber auch die Bundeswehr fällt.

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Neben der Problematik gemischter Konflikte stellt sich als nächstes die Frage, ob das humanitäre Völkerrecht auf bewaffnete Konflikte, an denen UN-Streitkräfte mit Beteiligung von Bundeswehr-Soldaten beteiligt sind, anwendbar ist.95 Zu unterscheiden sind dabei folgende Situationen: – Der UN-Sicherheitsrat ermächtigt – gestützt auf Kapitel VII der UN-Charta – Staaten, allein oder zusammen mit anderen militärisch gegen einen Staat vorzugehen, der durch sein Verhalten den internationalen Frieden bedroht bzw. gebrochen hat. In diesem Falle sind die ermächtigten Staaten in einen bewaffneten Konflikt involviert und als solche voll an das humanitäre Völkerrecht gebunden.96 – Nach dem Ende einer – durch den UN-Sicherheitsrat autorisierten – militärischen Operation und der Einsetzung einer neuen Regierung ändern sich die rechtlichen Verhältnisse: Bleiben die internationalen Truppen zur Stabilisierung der innenpolitischen Lage im Land, so kämpfen sie fortan nicht mehr gegen die Regierung (zwischenstaatlicher Konflikt), sondern unterstützen eben diese Regierung in ihrem Kampf gegen aufständische Gruppierungen (interner Konflikt). Was das geschriebene Recht anbelangt, so hat dies zur Folge, dass nicht das Recht der internationalen bewaffneten Konflikte, sondern das der nicht-internationalen bewaffneten Konflikte zur Anwendung gelangt (gemeinsamer Art. 3 der Genfer Abkommen und Zusatzprotokoll II) – allerdings nur solange noch militärische Auseinandersetzungen stattfinden.97 – „Peace-keeping“-Truppen, die vom UN-Sicherheitsrat eingesetzt werden, um vor allem Beobachter- und Überwachungsmissionen sowie die Sicherung von Pufferzonen zwischen den Konfliktparteien durchzuführen,98 bestehen aus Kontingenten, die den UN von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden und unterstehen desweiteren dem operativen Kommando der UN und werden in der Praxis als Truppen der UN angesehen [s. dazu ausführlich Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (2)]. Da sie nicht Konfliktpartei sind, sondern eher polizeiliche Aufgaben erfüllen, und die UN nicht Vertragspartei der Genfer Abkommen sind, ist die Bindung der UN-Truppen an das humanitäre Völkerrecht in solchen Fällen auf den ersten Blick nicht klar. Unabhängig von der Frage der Bindung der UN an das humanitäre Völkerrecht bei peace-keeping-Operationen99 ist aus 95

Zur Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf UN-peace-keeping- und UNpeace-enforcement-Operationen s. auch Fleck, Law Enforcement and the Conduct of Hostilities, in: Fischer-Lescano/Gasser/Marauhn/Ronzitti (Hrsg.), Frieden in Freiheit – Peace in Liberty – Paix en libert. Festschrift für Michael Bothe, S. 391 [397 f.]. 96 Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 62; Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 67 f.; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 150. 97 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 150. 98 Herdegen, Völkerrecht, § 41 Rdn. 27a. 99 Im Jahr 1999 veröffentlichte der damalige UN-Generalsekretär einen Erlass, der die Bindung von UN-Truppen an das humanitäre Völkerrecht bestätigt und zugleich die wichtigsten Bestimmungen aufzählt, die auch bei einer Friedensmission im Namen der UN zu beachten

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

deutscher Sicht jedenfalls entscheidend, ob im Zusammenhang mit dem Blauhelm-Einsatz eine Ausgliederung der deutschen Soldaten aus den heimatlichen Streitkräften stattgefunden hat [zur Ausgliederung von deutschen Soldaten im Wege der völkerrechtlichen Organleihe s. ausführlich Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c)].100 Ist dies nicht der Fall, so gelten die völkergewohnheitsrechtlichen und völkervertragsrechtlichen Pflichten der BRD auch weiterhin für das nationale Truppenkontingent.101 Wenn also im Rahmen einer peace-keeping-Operation der UN Situationen entstehen, die als bewaffnete Konflikte betrachtet werden können, dann sind die an dieser Operation beteiligten deutschen Bundeswehr-Soldaten – sofern sie nicht ausgegliedert wurden – an die Vorgaben des humanitären Völkerrechts gebunden. Ob – konkret – zum Beispiel die Seestreitkräfte der Bundeswehr, die im Rahmen der UNIFIL-Mission zur Absicherung der seeseitigen Grenzen des Libanon eingesetzt werden,102 an das humanitäre Völkerrecht gebunden sind, hängt – neben der Frage der Ausgliederung der Bundeswehr-Einheiten – in erster Linie davon ab, ob die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel und der vom Libanon aus operierenden Hisbollah als beendet anzusehen sind. Die Einstellung der Kampfhandlungen und der am 14. August 2006 zwischen der Hisbollah und Israel vereinbarte Waffenstillstand dürften wohl zu einer Beendigung des bewaffneten Konfliktes geführt haben.103 Bestimmungen des humanitären Völkerrechts kämen somit für das UNIFIL-Bundeswehr-Kontingent nicht zur Anwendung. Fazit der Ausführungen zu bewaffneten Konflikten mit UN-Beteiligung: Bundeswehr-Soldaten, die als Teil einer „peace-enforcement“-Operation der UN (erster Spiegelstrich) oder als Teil einer UN-„peace-keeping“-Truppe (dritter Spiegelstrich) eingesetzt werden, sind an die Bestimmungen des Rechts der internationalen bewaff-

sind, s. Bulletin on the Observance by United Nations Forces of International Humanitarian Law (UN Doc. ST/SGB/1999/13). In der Völkerrechtslehre ist weitestgehend anerkannt, dass die UN an die gewohnheitsrechtlichen Bestimmungen des humanitären Völkerrechts gebunden sind, s. Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 62; Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 68. Ausführlich zur Frage, inwieweit die UN an das humanitäre Völkerrecht gebunden sind, s. auch die Untersuchungen von Schwendimann, Rechtsfragen des humanitären Völkerrechts bei Friedensmissionen der Vereinten Nationen, S. 39 ff., insb. 50 (Bindung an das gewohnheitsrechtliche humanitäre Völkerrecht) und Zwanenburg, Accountability of Peace Support Operations, S. 131 ff. 100 Vgl. Hermsdörfer, Zur Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts bei Einsätzen von Friedenstruppen der Vereinten Nationen, in: NZWehrr 40 (1998), 100 [106]. 101 s. ZDv 15/2 der Bundeswehr, Nr. 208: „Die Regeln des humanitären Völkerrechts sind auch bei friedenssichernden Maßnahmen und anderen militärischen Einsätzen der Vereinten Nationen zu beachten.“ 102 s. Antrag der Bundesregierung vom 13. 09. 2006 zur Begründung der Entsendung von Marine-Soldaten der Bundeswehr, BT-Drucksache 16/2572, S. 3. 103 Vgl. Greenwood, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 2, Rdn. 246, 232 und 249.

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neten Konflikte gebunden, wenn sie im Rahmen des Einsatzes in bewaffnete Auseinandersetzungen hineingezogen werden.104 Schließlich bedarf es genauerer Untersuchung, inwieweit das humanitäre Völkerrecht im Rahmen von NATO-Operationen, an denen Soldaten der Bundeswehr mitwirken, anwendbar ist: – Wenn die NATO militärisch in einem internen bewaffneten Konflikt interveniert (zum Beispiel: NATO-geführte Operation „Allied Force“ im Kosovo 1999), dann ist – nach dem oben Gesagten – unproblematisch, dass die an der Intervention beteiligten Bundeswehr-Soldaten in solchen Fällen an das Recht internationaler bewaffneter Konflikte gebunden sind. – Im Falle (UN-mandatierter) Truppen der NATO, wie zum Beispiel KFOR oder SFOR, die nach dem Ende militärischer Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppierungen aufgestellt werden und dabei zum Ziel haben, erneute Feindseligkeiten zu unterbinden, den Abzug militärischer Einheiten zu gewährleisten, ein sicheres Umfeld zu schaffen und den Wiederaufbau ziviler und administrativer Strukturen voranzutreiben,105 kommt das humanitäre Völkerrecht nicht mehr zur Anwendung – und zwar mangels bewaffneter Konfliktsituationen.106 Bei solchen Einsätzen könnten die Bundeswehr-Soldaten allerdings an die Vorschriften der EMRK gebunden sein [s. unten zum Anwendungsbereich der EMRK Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. d) aa)]. Ob sich diese Aussagen etwa zum KFOR-Einsatz – kein bewaffneter Konflikt, daher keine Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts; möglicherweise aber Anwendbarkeit der EMRK – auch in Bezug auf den UN-mandatierten ISAF-Einsatz der NATO treffen lassen, hängt entscheidend davon ab, ob und inwieweit militärische Auseinandersetzungen in Afghanistan fortdauern [zum Fortdauern militärischer Auseinandersetzungen in Afghanistan s. bereits Teil 1, Gliederungspunkt B. II.].107

104 s. auch Bulletin on the Observance by United Nations Forces of International Humanitarian Law (UN Doc. ST/SGB/1999/13), Abschnitt 1, 1.1 (Anwendungsbereich). 105 Das waren u. a. die Aufgaben der KFOR-Truppe im Kosovo, s. Resolution 1244 des UNSicherheitsrates vom 10. 06. 1999 (UN Doc. S/Res/1244), Nr. 9 sowie Antrag der Bundesregierung vom 11. 06. 1999, BT-Drucksache 14/1133, S. 2. 106 Burger, International humanitarian law and the Kosovo crisis, in: IRRC 82 (2000), 129 [138]. Brächen die Feindseligkeiten indes wieder aus, dann käme, laut Burger (S. 138) eine erneute Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts in Betracht. Zu den Unterschieden der einerseits bei der Durchführung von Kampfhandlungen in bewaffneten Konflikten anwendbaren Regeln und der andererseits bei Operationen zur Durchsetzung von Recht und Ordnung (z. B. KFOR) anwendbaren Regeln s. auch Fleck, Law Enforcement and the Conduct of Hostilities, in: Fischer-Lescano/Gasser/Marauhn/Ronzitti (Hrsg.), Frieden in Freiheit – Peace in Liberty – Paix en libert. Festschrift für Michael Bothe, S. 391 [393 ff.]. 107 Dass es entscheidend auf das Vorliegen einer bewaffneten Auseinandersetzung für die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr ankommt, dazu s. bereits oben unter diesem Gliederungspunkt.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 führten die militärischen Maßnahmen am Boden und in der Luft durch Einheiten der US-geführten Operation „Enduring Freedom“ zur Bekämpfung der Taliban und Al-Quaidas zum Vorliegen eines internationalen bewaffneten Konfliktes – und folglich zur Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts.108 Die ISAF-Schutztruppe wurde dann nach dem Sturz des Taliban-Regimes aufgestellt, um die neue afghanische (Übergangs-)Regierung bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zu unterstützen und den afghanischen Staatsorganen als auch dem Personal der Vereinten Nationen und anderem internationalen Zivilpersonal ein sicheres Arbeitsumfeld zu ermöglichen.109 Trotz der Verdrängung der Taliban von der Regierungsmacht im Jahr 2001 ist der Kampf gegen das terroristische Netzwerk Al-Quaida und gegen die Taliban in Afghanistan bis heute nicht abgeschlossen.110 Dieser Kampf wird von Truppen der Operation „Enduring Freedom“ (OEF) geführt, die – neben den zunächst zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung eingesetzten ISAF-Soldaten – in Afghanistan operieren. Hinsichtlich Mandat und Organisation sind OEF und ISAF anfänglich strikt voneinander getrennt gewesen.111 Nimmt man diese beiden Aspekte – Auftrag von ISAF sowie „Arbeitsteilung“ zwischen OEF und ISAF – zusammen, müsste man dann nicht zu dem Schluss kommen, dass ISAF nicht in militärische Auseinandersetzungen zugunsten der afghanischen Regierung gegen Taliban und Al-Quaida verwickelt ist und somit das Wirken der ISAF-Soldaten nicht vom Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts erfasst ist? Eine solche Schlussfolgerung lässt sich mit Blick auf die tatsächlichen Umstände kaum aufrechterhalten: Denn zunächst sind – wie oben bereits erwähnt – OEF-Truppen nach wie vor in Kämpfe mit wieder erstarkten Taliban und Anhängern von AlQuaida verwickelt, die mit militärischen Mitteln ausgetragen werden.112 Es finden 108

Schmidt-Radefeldt, Terrorismusbekämpfung zwischen Krieg und Frieden, in: Pradetto (Hrsg.), Human Security und Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 165 [174]; Vöneky, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf terroristische Akte und ihre Bekämpfung, in: Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, S. 147 [150 f., 156 f.]; Zechmeister, Die Erosion des humanitären Völkerrechts, S. 160. 109 s. Resolution 1386 des UN-Sicherheitsrates vom 20. 12.2001 (UN Doc. S/Res/1386), Nr. 1. 110 Schetter, Lokale Macht- und Gewaltstrukturen in Afghanistan, in: APuZ, Heft 39/2007, S. 3; Khalatbari, Afghanistan unter dem Terror der Taliban, in: APuZ, Heft 39/2007, S. 21; s. auch Homepage zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, verfügbar unter www.einsatz.bundeswehr.de, Stichwort: „Aktuelle Einsätze“ › „Afghanistan (ISAF)“ › „Der Einsatz in Afghanistan“ (nachgesehen am 25. 07. 2009). 111 s. Hermsdörfer, Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, in: HUV-I 17 (2004), 17 [25]. 112 Zweifel, ob der Kampf von OEF-Truppen gegen die Taliban und Al-Quaida das Ausmaß bewaffneter Auseinandersetzungen im Sinne des humanitären Völkerrechts erreicht, äußert indes Schmidt-Radefeldt, Terrorismusbekämpfung zwischen Krieg und Frieden, in: Pradetto (Hrsg.), Human Security und Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 165 [175 f.].

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also immer noch bewaffnete Auseinandersetzungen auf afghanischem Boden statt. Die deutschen OEF-Streitkräfte in Afghanistan, allen voran die KSK-Soldaten, sind somit in jedem Falle an sämtliche Bestimmungen des humanitären Völkerrechts gebunden – ungeachtet der Tatsache, dass die Auseinandersetzungen zwischen OEFEinheiten auf der einen Seite und Taliban und Al-Quaida auf der anderen Seite wohl mittlerweile als nicht-internationaler Konflikt einzustufen sind.113 Und an eben diesen militärischen Auseinandersetzungen auf afghanischen Boden sind die vormals zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau eingesetzten ISAF-Truppen – trotz anfänglich strikter Trennung der ISAF- und OEF-Mandate – keinesfalls unbeteiligt: Die Unterstellung von ISAF unter NATO-Kommando im August 2003 hat zu einer Annäherung von ISAF und OEF geführt.114 Mitte Oktober 2008 hat der ISAF-Kommandeur (zur Zeit US-General Stanley McChrystal) auch das Kommando über alle übrigen in Afghanistan operierenden US-Kräfte, also auch über die Soldaten, die bislang unter dem OEF-Mandat eingesetzt waren, übernommen, womit die Trennung zwischen OEF und ISAF dann de facto aufgehoben ist.115 Ende 2006 sind britische, US-amerikanische, holländische und kanadische ISAF-Truppen selbst im Süden des Landes in verlustreiche Gefechte verwickelt gewesen.116 Mitte 2007 hat ISAF im Rahmen der Operation „Medusa“ im Süden Afghanistans mehrfach Stellungen der Taliban aus der Luft bombardiert, wobei zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen.117 Bei einem Überfall der Taliban auf einen US-Militärstützpunkt im Nordosten des Landes sind im Juli 2008 neun amerikanische ISAF-Soldaten getötet worden.118 Manchen Beobachtern zufolge hat sich die ISAF-Truppe von einer „Schutztruppe“ zur „Kampftruppe“ gewandelt;119 der Afghanistan-Feldzug wird zum Teil als verlustreicher als der IrakEinsatz der US-Truppen eingestuft.120 113

s. Zechmeister, Die Erosion des humanitären Völkerrechts, S. 161 f. Heinzle, Grenzen zwischen Isaf und OEF verwischen, verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau, unter http://www.tagesschau.de/ausland/meldung29042.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). Baraki spricht sogar von einer „Aufgabenvermischung“, s. Baraki, Nation-building in Afghanistan, in: APuZ, Heft 39/2007, S. 12. Auch K. Hommelhoff äußert Zweifel, ob die Trennung zwischen OEF und ISAF aufrechterhalten werden kann und soll, s. K. Hommelhoff, Eine afghanische Trias – Deutschland zwischen Wiederaufbau und Kampfeinsatz, in: HUV-I 20 (2007), 179 [182]. 115 Vgl. von Hammerstein/Koelbl/Szandar/Yousafzai, K wie Krieg, in: Der Spiegel 37/2008, S. 114 [117]. 116 von Hammerstein/Hoyng/Schlamp/Szandar, Das Afghanistan-Abenteuer, in: Der Spiegel 47/06, S. 20 [22]. 117 Petersmann, Angeblich 130 Tote bei Luftangriff in Afghanistan, verfügbar im InternetNachrichtenarchiv der Tagesschau unter http://www.tagesschau.de/ausland/meldung17416. html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 118 Schwerste US-Verluste seit drei Jahren (Nachricht vom 14. 07. 2008), verfügbar im Internet auf der Website von Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,565630,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 119 Heinzle, „Von der Schutztruppe zur Kampftruppe“, verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau unter http://www.tagesschau.de/ausland/meldung51482.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 114

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Was das deutsche ISAF-Engagement anbelangt, so zeigt die Entsendung von Aufklärungs-Tornados, dass auch deutsche ISAF-Soldaten – zumindest mittelbar durch Aufklärung der anzugreifenden Ziele – an den Kämpfen gegen Taliban und Al-Quaida beteiligt sind.121 Die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan, vor allem die deutsche Übernahme der „Quick Reaction Force“ (QRF), bedeuten für die im Norden des Landes zum Wiederaufbau eingesetzten Soldaten der Bundeswehr im Jahr 2008 vor allem eines: „mehr Kampfeinsatz“.122 Demzufolge sprechen gewichtige Gründe dafür, im Hinblick auf die deutschen ISAF- Truppen – trotz ihres ursprünglich polizeiähnlichen Auftrages und der eigentlichen Trennung zwischen OEF und ISAF – sämtliche Bestimmungen des humanitären Völkerrechts anzuwenden, soweit ISAF-Soldaten der Bundeswehr Taliban oder Al-Quaida-Sympathisanten mit militärischen Mitteln bekämpfen.123 Fazit der Ausführungen zu NATO-Operationen: Bundeswehr-Soldaten, die an einer NATO-geführten Militäroperation beteiligt sind, müssen das humanitäre Völkerrecht beachten, wenn sie im Rahmen des Einsatzes in einen bewaffneten Konflikt involviert werden. Ähnliches dürfte für deutsche Bundeswehr-Soldaten, die an EUgeführten Konfliktverhütungs- und Krisenbewältigungseinsätzen beteiligt sind, gelten. bb) Einzelne verletzte Vorschriften des humanitären Völkerrechts Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf den Auswirkungen von Kampfhandlungen der Bundeswehr im Rahmen bewaffneter Auslandskonflikte auf die Zivilbevölkerung [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b)] und daraus möglicherweise resultierenden individuellen Schadensersatzansprüchen. Damit ist die Richtung im Hinblick auf die Untersuchung von Vorschriften des humanitären Völkerrechts, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr verletzt sein könnten, vorgegeben: Es werden unter diesem Gliederungspunkt vornehmlich diejenigen Vorschriften des humanitären Völkerrechts in den Blick genommen, die den Schutz der Zivilpersonen vor den Auswirkungen militärischer Operationen der Bundeswehr näher ausgestalten.124 120 Afghanistan-Einsatz blutiger als Irak-Krieg (Nachricht vom 01. 07. 2008), verfügbar im Internet auf der Website von Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,563149,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009). 121 Die Möglichkeit der Übermittlung von Aufklärungsergebnissen an OEF ist – wenn auch restriktiv zu handhaben – im deutschen Mandat zur Entsendung der Tornados ausdrücklich vorgesehen, s. Antrag der Bundesregierung vom 08. 02. 2007, BT-Drucksache 16/4298, S. 3. 122 Löwenstein, Schleichender Wandel in Afghanistan, in: FAZ vom 02. 01. 2008, S. 4. 123 s. auch Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law facing New Challenges, S. 171 [187]; dagegen wohl Zechmeister, Die Erosion des humanitären Völkerrechts, S. 162. 124 Es wird z. B. nicht näher eingegangen auf Vorschriften des humanitären Völkerrechts zu folgenden Bereichen: Vorschriften zum Schutz von Zivilpersonen in der Gewalt des Gegners (GA-IV; Art. 42 – 56 HLKO; Art. 68 – 79 ZP-I; Art. 4 – 6 und 13 – 18 ZP-II) mit Ausnahme des Art. 75 ZP-I und vereinzelten Bestimmungen des GA-IV. Ferner wird von der Darstellung von

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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Eine Verletzung eben dieser Vorschriften ist vor allem bei den – unter Gliederungspunkt A. IV. 1. b) dargestellten – Beispielen 1 (Luftangriffe) und 2 (Geschehen auf dem Marktplatz) in Betracht zu ziehen. Bestimmungen zum Schutz von Zivilpersonen vor den Auswirkungen militärischer Operationen während internationaler bewaffneter Konflikte finden sich in folgenden vertraglichen Rechtsgrundlagen: – Die Haager Landkriegsordnung von 1907 (HLKO),125 die als Anlage zum IV. Haager Abkommen (HA-IV) über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs angenommen wurde, enthält Bestimmungen zu Mitteln und Methoden der Kriegsführung, von Bedeutung sind hier die Art. 22 – 28 HLKO. – Das IV. Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (GA-IV)126 enthält Bestimmungen über den Schutz von Zivilpersonen, die sich in der Gewalt des Gegners befinden, von denen zum Beispiel Art. 3 oder Art. 27 – 34 GA-IV von Bedeutung für die vorliegende Arbeit sind. – Das Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (ZP-I)127, das den Schutz der Zivilbevölkerung über das IV. Genfer Abkommen hinaus durch Vorschriften zur Kriegsführung erweitert, enthält sowohl Bestimmungen zu Mitteln und Methoden der Kriegsführung (Art. 35 – 42 ZP-I) als auch Bestimmungen zum Schutze der Zivilbevölkerung (Art. 48 – 71 ZP-I).128 Art. 75 ZP-I enthält „Grundlegende Garantien“, die – den in der Gewalt einer am Konflikt beteiligten Partei befindlichen – (Zivil-)Personen zugute kommen sollen.

Vorschriften zum Schutz der Verwundeten, Kranken und Kriegsgefangenen (GA I–III; Art. 8 – 34 und 43 – 47 ZP-I; Art. 7 – 12 ZP-II) abgesehen. Das hat im Endeffekt für die vorliegende Arbeit aber keine größeren Auswirkungen. Denn die Arbeit hat vor allem das Auffinden völkerrechtlicher (und in Teil 3 auch nationalrechtlicher) Anspruchsgrundlagen wegen Individualschäden infolge militärischer Operationen zum Ziel. Die vertraglichen Vorschriften, die als Grundlage für einen solchen Individualanspruch wegen bei Kampfhandlungen erlittenen Schäden in Betracht kommen, Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1.], verlangen, dass – irgendwelche – Bestimmungen der „Ordnung“ bzw. des „Protokoll[s]“ verletzt worden sind – unabhängig davon, ob dies nun während einer Besatzungssituation oder in Verletzung der Vorschriften zum Schutz der Verwundeten, Kranken und Verwundeten passiert ist oder eben nicht. 125 IV. Haager Abkommen über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs mit Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (Haager Landkriegsordnung) als Anlage zum Abkommen vom 18. 10. 1907, RGBl. 1910, S. 107 ff. 126 Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, BGBl. 1954 II, S. 917; BGBl. 1956 II, S. 1586. 127 Zusatzprotokoll vom 08. 06. 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. 08. 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I), BGBl. 1990 II, S. 1550 ff. 128 Die Bestimmungen der Art. 61 – 71 ZP-I zum Zivilschutz und zu Hilfsmaßnahmen zugunsten der Zivilbevölkerung werden allerdings ausgelassen.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

– Schließlich trifft das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (RömSt)129 in Art. 8 RömSt Regelungen zur individuellen völkerrechtlichen Strafbarkeit für schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts, so genannte Kriegsverbrechen. Als Kriegsverbrechen gelten nach Art. 8 RömSt unter anderem schwere Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949. Bestimmungen zu schweren Verletzungen des IV. Genfer Abkommens enthalten die Art. 146 und Art. 147 GA-IV [zu Art. 8 RömSt s. ausführlich Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. e)]. Die BRD ist als Vertragspartei des IV. Haager Abkommens samt Haager Landkriegsordnung130, des IV. Genfer Abkommens von 1949131 und des Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte132 an die Bestimmungen dieser Vertragswerke gebunden. Aber nicht nur in vertraglichen Rechtsgrundlagen finden sich Bestimmungen zum Schutze der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen. Nach wie vor spielt das Gewohnheitsrecht für die Regelung – internationaler und nicht-internationaler – bewaffneter Konflikte eine bedeutende Rolle.133 Insbesondere für den Bereich des Luftkriegsrechts ist das Gewohnheitsrecht von Bedeutung, da die vertragsrechtliche Regelungsdichte hier – bislang – lückenhaft geblieben ist.134 Die Verletzung von Vorschriften der HLKO als auch von Vorschriften des ZP-I kann zu entsprechenden Schadensersatzansprüchen gemäß Art. 3 HA-IV bzw.

129 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofes vom 17. 07. 1998, BGBl. 2000 II, S. 1394 ff. 130 Das Deutsche Reich ratifizierte das IV. Haager Abkommen vom 18. 10. 1907 am 27. 11. 1909, s. Internet-Datenbank des IKRK zu Verträgen und Dokumenten des humanitären Völkerrechts, verfügbar unter www.icrc.org/ihl), Stichwort: „Treaties and Documents by topic“ › „Methods and Means of Warfare“ › „Convention (IV) respecting the Laws and Customs of War on Land and its annex: Regulations concerning the Laws and Customs of War on Land. The Hague, 18 October 1907“ › „State parties“ (nachgesehen am 25. 07. 2009). 131 Die BRD ratifizierte das IV. Genfer Abkommen am 03. 09. 1954, s. Internet-Datenbank des IKRK zu Verträgen und Dokumenten des humanitären Völkerrechts, verfügbar unter www.icrc.org/ihl, Stichwort: „Treaties and Documents by topic“ › „Victims of Armed Conflicts“ › „Convention (IV) relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War. Geneva, 12 August 1949“ › „State parties“ (nachgesehen am 25. 07. 2009). 132 Die BRD ratifizierte das Zusatzprotokoll am 14. 02. 1991, s. Internet-Datenbank des IKRK zu Verträgen und Dokumenten des humanitären Völkerrechts, verfügbar unter www.icrc.org/ihl, Stichwort: „Treaties and Documents by topic“ › „Victims of Armed Conflicts“ › „Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of International Armed Conflicts (Protocol I), 8 June 1977“ › „State parties“ (nachgesehen am 25. 07. 2009). 133 s. Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 57. Das IKRK hat im Jahre 2005 eine umfangreiche Expertenstudie zu den gewohnheitsrechtlichen Grundlagen des humanitären Völkerrechts publiziert. Die Studie ist veröffentlicht unter Henckaerts/DoswaldBeck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1. 134 Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 57.

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Art. 91 ZP-I führen.135 Eine entsprechende Verpflichtung zum Schadensersatz für Verletzungen des IV. Genfer Abkommens ist in dem Regelungswerk von 1949 nicht enthalten. Ziel dieses Gliederungspunktes ist es, diejenigen Vorschriften aus dem Bereich des humanitären Völkerrechts aufzuzeigen, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr verletzt sein könnten – bevor dann im Verlaufe der Arbeit in Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. der Frage nachzugehen sein wird, inwieweit Individualpersonen aufgrund von Verletzungen des humanitären Völkerrechts völkervertragliche Schadensersatzansprüche gemäß Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I gegen die BRD zustehen. Den – vertragsrechtlichen und gewohnheitsrechtlichen – Bestimmungen des humanitären Völkerrechts liegt der Gedanke zugrunde, dass die Existenz bewaffneter Auseinandersetzungen als Realität hinzunehmen ist.136 Gleichwohl prägt sie das Bemühen, einen Ausgleich zwischen den militärischen Interessen einerseits und dem Schutz der Zivilbevölkerung andererseits zu finden.137 Das einzige legitime Ziel einer bewaffneten Auseinandersetzung darf es sein, den Gegner in seiner militärischen Widerstandskraft zu schwächen.138 Nur die militärische Gewalt, die zur Erreichung eben dieses einzig legitimen Ziels erforderlich ist, wird als zulässig erachtet (Grundsatz der militärischen Notwendigkeit).139 Eine Konsequenz dieser Ausrichtung auf das militärisch Notwendige ist zunächst der Grundsatz der Unterscheidung in Personen und Sachgüter, die angegriffen werden dürfen (Kombattanten; militärische Ziele), und solchen, die nicht angegriffen werden dürfen (Zivilbevölkerung; zivile Objekte).140 Dieser Grundsatz der Unterscheidung beinhaltet einen weiteren Grundsatz des humanitären Völkerrechts, den Grundsatz des Schutzes der Zivilbevölkerung, indem er besagt, dass Angriffe eben nur gegen militärische Ziele, nicht aber gegen die Zivilbevölkerung gerichtet werden dürfen.141 Flankiert wird dieser Schutz der Zivilbevölkerung von dem Verbot unter135 Dass ein Staat für Verletzungen des humanitären Völkerrechts Wiedergutmachung und somit Schadensersatz zu leisten hat, ist auch gewohnheitsrechtlich anerkannt, s. Studie zu den gewohnheitsrechtlich anerkannten Prinzipien des humanitären Völkerrechts von Henckaerts/ Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 150: „A state responsible for violations of international humanitarian law is required to make full reparation for the loss or injury caused (Hervorhebung durch den Verfasser).“ 136 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 39. 137 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 39 f. 138 s. bereits Präambel der St. Petersburger Erklärung von 1868. In der Präambel der Erklärung heißt es, „dass das einzige rechtmäßige Ziel, welches sich ein Staat in Kriegszeiten stellen kann, die Schwächung der Streitkräfte des Feindes ist“. 139 Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 63; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 161; Fleck, Law Enforcement and the Conduct of Hostilities, in: Fischer-Lescano/Gasser/Marauhn/Ronzitti (Hrsg.), Frieden in Freiheit – Peace in Liberty – Paix en libert. Festschrift für Michael Bothe, S. 391 [401]. 140 Der Grundsatz der Unterscheidung zwischen Kombattanten/militärischen Zielen und Zivilbevölkerung/zivile Ziele ist vertraglich geregelt in Art. 48, 51 II und 52 II ZP-I. 141 s. Art. 48 und 51 II ZP-I.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

schiedsloser Angriffe142 und dem Gebot der Verhältnismäßigkeit.143 Schließlich begrenzt die militärische Notwendigkeit Mittel und Methoden der Kriegsführung, indem zum Beispiel die Verursachung überflüssiger Leiden verboten ist.144 Vor allem bei den in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b) zuerst genannten Beispielen für mögliche (Fehl-)Verhaltensweisen deutscher Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz (Beispiel 1 und Beispiel 2) kann es zur Verletzung folgender Vorschriften des humanitären Völkerrechts kommen:145 (1) Zunächst könnten die Soldaten gegen die Verpflichtung verstoßen haben, Angriffe nur gegen Kombattanten, nicht gegen Zivilpersonen zu richten. Diese Verpflichtung ist vertraglich festgehalten in Art. 48, 51 II ZP-I. Sie ist gewohnheitsrechtlich anerkannt.146 Mit dem Begriff „Angriff“ ist nach Art. 49 I ZP-I sowohl ein offensiver als auch ein defensiver Einsatz militärischer Gewalt gegen einen Gegner gemeint. Darunter fällt unter anderem jede militärische Operation gegen eine Person, welche die Tötung oder sonstige physische Neutralisierung zum Ziel hat.147 Zusatzprotokoll I erfasst jede Form von Angriffen – also auch Angriffe aus der Luft.148 „Kombattanten“ sind Angehörige der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei, die als solche an Feindseligkeiten teilnehmen dürfen (Art. 43 II ZP-I).149 Sie stellen legitime Ziele für gegnerische militärische Operationen dar und dürfen bekämpft und gefangen genommen werden.150 „Zivilperson“ wiederum ist jede Person, die nicht Mitglied der Streitkräfte ist (Art. 50 I ZP-I), alle Zivilpersonen zusammen genommen machen dann die „Zivilbevölkerung“ aus (Art. 50 II ZP-I).151

142

Das Verbot unterschiedsloser Angriffe ist geregelt in Art. 51 IV ZP-I. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit ist vertraglich festgehalten in Art. 51 V b) ZP-I und wird wiederholt in Art. 57 II a) iii) ZP-I. 144 Das Verbot überflüssiger Leiden ist normiert in Art. 35 II ZP-I und Art. 23 e) HLKO. 145 Das soll nicht heißen, dass eine Verletzung der Vorschriften der Art. 48 ff. ZP-I in Beispiel 3 nicht vorliegen könnte, wenngleich in Beispiel 3 aufgrund der – verwerflichen – subjektiven Gesinnung der Soldaten v. a. eine Verletzung völkerstrafrechtlicher Normen in Betracht zu ziehen ist, s. unten unter diesem Gliederungspunkt. 146 s. auch Studie zu den gewohnheitsrechtlich anerkannten Prinzipien des humanitären Völkerrechts von Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 1: „The parties to the conflict must at all times distinguish between civilians and combatants. Attacks may only be directed against combatants. Attacks must not be directed against civilians.“ 147 Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 146. 148 Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 146. 149 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 3: „All members of the armed forces of a party to the conflict are combatants, except medical and religious personnel.“ 150 Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 74. 151 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 5: „Civilians are persons who are not members of the armed forces. The civilian population comprises all persons who are civilians.“ 143

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Vor allem in Anlehnung an das unter Gliederungspunkt A. IV. 1. b) genannte zweite Beispiel möglichen (Fehl-)Verhaltens im Auslandseinsatz sind Konstellationen denkbar, bei denen Soldaten der Bundeswehr auf belebten Plätzen angegriffen werden, daraufhin das Feuer erwidern und es infolge dessen zu zivilen Opfern kommt, was eine Verletzung der in den Art. 48, 51 II ZP-I verbürgten Verpflichtung bedeuten würde. Ein eindeutiger Verstoß gegen das Prinzip, Angriffe nur gegen Kombattanten, nicht gegen Zivilpersonen zu richten, liegt im dritten Beispiel (willkürliche Schädigungen von Individualpersonen) vor. Der vorsätzliche Verstoß gegen dieses Prinzip kann (völker-)strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen [s. Art. 8 II b) i) RömSt – dazu unten Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. e)]. (2) Eng mit dieser erst genannten Verpflichtung hängt die Verpflichtung zusammen, nur militärische Ziele, nicht hingegen zivile Objekte anzugreifen. Ihre vertragliche Grundlage findet diese Verpflichtung in den Art. 48, 52 II ZP-I. Sie ist ebenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannt.152 Von zentraler Bedeutung ist dabei insbesondere, was als „militärisches Ziel“ anzusehen ist. Als Ausgangspunkt dient die Vorschrift des Art. 52 II ZP-I. Militärische Ziele sind danach „nur solche Objekte, die auf Grund ihrer Beschaffenheit, ihres Standortes, ihrer Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitragen und deren gänzliche oder teilweise Zerstörung, deren Inbesitznahme oder Neutralisierung einen unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt.“153

Zentral für die Bestimmung eines militärischen Ziels sind demnach zum einen die militärische Zweckbestimmung des Angriffsobjekts, zum anderen der eindeutige militärische Vorteil, den die Bekämpfung des Objekts erbringen muss.154 Es versteht sich von selbst, dass sowohl militärische Einrichtungen und Streitkräfte des Gegners als auch Rüstungsbetriebe als militärische Ziele im Sinne des Art. 52 II ZP-I angesehen

152 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 7: „The parties to the conflict must at all times distinguish between civilian objects and military objectives. Attacks may only be directed against military objectives. Attacks must not be directed against civilian objects.“ 153 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 8: „In so far as objects are concerned, military objectives are limited to those objects which by their nature, location, purpose or use make an effective contribution to military action and whose partial or total destruction, capture or neutralisation, in the circumstances ruling at the time, offers a definite military advantage.“ 154 De Mulinen, Distinction between Military and Civilian Objects, in: Tomuschat (Ed.), Kosovo and the International Community, S. 103 [106 ff.]; Dinstein, Legitimate Military Objectives Under The Current Jus in Bello, in: Wall (Ed.), Legal and Ethical Lessons of NATOs Kosovo Campaign, S. 139 [143]; Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 83; Pilloud/Pictet, in: Sandoz/Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 52 ZP-I Rdn. 2018; Solf, in: Bothe/Partsch/Solf (Eds.), Art. 52 ZP-I Nr. 2.4.1.

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werden.155 Was die zivile Infrastruktur (Straßen, Eisenbahnen, Brücken, Kommunikationsanlagen, Stromkraftwerke)156 anbelangt, so kann es sich hierbei ebenfalls um militärische Ziele handeln, wenn die zwei – oben genannten – Kriterien des Art. 52 II ZP-I erfüllt sind.157 Bestimmte Transportverbindungen wie zum Beispiel Eisenbahnlinien oder Straßen können im konkreten Fall von militärisch überragender Bedeutung und somit zulässige Angriffsziele sein.158 Allerdings kann es im Einzelfall oftmals schwierig sein zu bestimmen, wann eine militärische Zweckbestimmung und wann ein eindeutiger militärischer Vorteil bei einem an sich der zivilen Infrastruktur zugehörigen Objekt gegeben sind.159 Vor allem im Rahmen von Luftangriffen, an denen deutsche Soldaten – direkt oder indirekt – beteiligt sind (Beispiel 1), kann es zu Fällen kommen, in denen gegen die in Art. 48, 52 II ZP-I statuierte Verpflichtung verstoßen wird, indem beispielsweise Ein155 Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 65; Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 83; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 2, Teil 1, S. 190 ff., 195 ff., 201 ff.; Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 443; Pilloud/Pictet, in: Sandoz/Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 52 ZP-I Rdn. 2017, 2020; Solf, in: Bothe/Partsch/Solf (Eds.), Art. 52 ZP-I Nr. 2.4.2. 156 Im englischen Sprachgebrauch benutzt man das Wort „dual-use objects“, s. Bothe, Targeting, in: Wall (Ed.), Legal and Ethical Lessons of NATOs Kosovo Campaign, S. 173 [177]. 157 De Mulinen, Distinction between Military and Civilian Objects, in: Tomuschat (Ed.), Kosovo and the International Community, S. 103 [121]; Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 84; Rowe, Kosovo 1999: The air campaign, in: IRRC 82 (2000), 147 [149]; Solf, in: Bothe/ Partsch/Solf (Eds.), Art. 52 ZP-I Nr. 2.4.2.; welche „dual-use objects“ in der Staatenpraxis als militärische Ziele angesehen werden dazu s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 2, Teil 1, S. 204 ff. 158 Dinstein, Legitimate Military Objectives Under The Current Jus in Bello, in: Wall (Ed.), Legal and Ethical Lessons of NATOs Kosovo Campaign, S. 139 [147, 150]; Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 443, Ziff. 6; Pilloud/Pictet, in: Sandoz/Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 52 ZP-I Rdn. 2021. 159 s. Bothe, Targeting, in: Wall (Ed.), Legal and Ethical Lessons of NATOs Kosovo Campaign, S. 173 [177 f.]; Burger, International humanitarian law and the Kosovo crisis, in: IRRC 82 (2000), 129 [133 f.]; sehr ausführlich Dinstein, Legitimate Military Objectives Under The Current Jus in Bello, in: Wall (Ed.), Legal and Ethical Lessons of NATOs Kosovo Campaign, S. 139 [145 – 158]; Pilloud/Pictet, in: Sandoz/Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 52 ZP-I Rdn. 2020 – 2024; Rowe, Kosovo 1999: The air campaign, in: IRRC 82 (2000), 147 [151 f.]; Solf, in: Bothe/Partsch/Solf (Eds.), Art. 52 ZP-I Nr. 2.4.2.–2.4.4. Die NATOLuftangriffe während des Kosovo-Krieges 1999 richteten sich vielfach gegen sog. „dual-use objects“, nachdem die Bombardierung serbischer Truppen und Militäreinrichtungen keine entscheidenden Vorteile gebracht hatte, s. dazu Kröning, Kosovo and International Humanitarian Law, in: HUV-I 13 (2000), 44 [47]. Bothe z. B. spricht sich aber im Zusammenhang mit der Kosovo-Intervention der NATO gegen eine „schematische Gleichsetzung“ von militärischem Ziel und Infrastruktur aus, s. Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 65. Ob die Schwächung der Moral der Bevölkerung als militärischer Vorteil im Sinne des Art. 52 II ZP-I angesehen werden kann, so wie es manche NATO-Generäle während des Kosovo-Krieges vertraten (dazu s. z. B. Kröning, Kosovo and International Humanitarian Law, in: HUV-I 13 (2000), 44 [47] unter Berufung auf ein Interview im Philadelphia Inquirer vom 21. 05. 1999), darf indes bezweifelt werden.

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richtungen der Infrastruktur angegriffen werden, deren militärische Zweckbestimmung zweifelhaft ist und/oder deren Zerstörung keinen eindeutigen militärischen Vorteil mit sich bringt. Vorsätzliche Angriffe auf zivile Objekte haben völkerstrafrechtliche Konsequenzen zur Folge (s. Art. 8 II b) ii) RömSt). (3) Der Schutz der Zivilbevölkerung, dem sich das humanitäre Völkerrecht verschrieben hat, wird flankiert vom Verbot unterschiedsloser Angriffe. Dieses Verbot ist vertraglich fixiert in Art. 51 IV ZP-I und gewohnheitsrechtlich anerkannt.160 Ein Angriff wird dann als „unterschiedslos“ eingestuft, wenn er entweder nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet wird (Art. 51 IV a) ZP-I), wenn er nicht gegen ein bestimmtes Ziel gerichtet werden kann (Art. 51 IV b) ZP-I) oder wenn sich dessen beabsichtige Wirkungen nicht auf das militärische Ziel begrenzen lassen (Art. 51 IV c) ZP-I).161 Art. 51 IV a) ZP-I verlangt zum einen, dass sich der Angreifer – durch Aufklärungsmittel – darüber Gewissheit verschafft, dass das Objekt, gegen das sich der Angriff richtet, tatsächlich ein militärisches Ziel ist;162 zum anderen muss der Angreifer sein Feuer gezielt auf die erkannten militärischen Ziele richten.163 Unter Art. 51 IV c) ZP-I können Einsätze von flächig wirkenden Waffen, vor allem sog. „cluster bombs“, subsumiert werden.164 Als eine Art Regelbeispiel benennt Zusatzprotokoll I auch solche Angriffe als unterschiedslos, bei denen mehrere deutlich voneinander zu trennende militärische Einzelziele in einem Ort als ein einheitliches militärisches Ziel angegriffen werden (Art. 51 V a) ZP-I).165 Diese Vorschrift betrifft sog. „Flächenbombardements“ – eine Taktik, die vor allem im Zweiten Weltkrieg ver-

160 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 11: „Indiscriminate attacks are prohibited.“ 161 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 12: „Indiscriminate attacks are those: (a) which are not directed at a specific military objective; (b) which employ a method or means of combat which cannot be directed at a specific military objective; or (c) which employ a method or means of combat the effects of which cannot be limited as required by international humanitarian law.“ 162 Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 455, Ziff. 2; Pilloud/Pictet, in: Sandoz/Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 51 ZP-I Rdn. 1952. 163 Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 455, Ziff. 2. 164 Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 455, Ziff. 4; zum Gebrauch von „cluster bombs“ im Kosovo-Krieg 1999 durch die NATO s. „Final Report to the Prosecutor by the Committee Established to Review the NATO Campaign Against the Federal Republic of Yugoslavia“, veröffentlicht am 13. 06. 2000, verfügbar auf der Seite des Jugoslawien-Tribunals unter http://www.un.org/icty/latest-e/index.htm, Gliederungspunkt IV. A. iii. des Berichts (nachgesehen am 25. 07. 2009). 165 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 13: „Attacks by bombardment by any method or means which treats as a single military objective a number of clearly separated and distinct military objectives located in a city, town, village or other area containing a similar concentration of civilians or civilian objects are prohibited.“

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folgt wurde.166 Gebiete, in denen sich militärische Anlagen in bewohnten Gebieten befinden, dürfen demzufolge nicht flächendeckend angegriffen werden. Vielmehr muss der Angriff immer gegen die einzelnen getrennten Ziele militärischer Art gerichtet sein. Insbesondere bei Luftangriffen mit deutscher Beteiligung (Beispiel 1) kann es zu unterschiedslos wirkenden Kampfhandlungen kommen. Aber auch im Zusammenhang mit dem zweiten Beispiel (Geschehen auf dem Marktplatz) sind Situationen denkbar, in denen deutsche Soldaten – nach dem gegen sie gerichteten Angriff – das Feuer erwidern und dabei unterschiedslos militärisch relevante Objekte und unbeteiligte Zivilpersonen treffen. (4) Trotz dieser Vorkehrungen, also der Beschränkung von Angriffen auf militärische Ziele und des Verbots unterschiedsloser Angriffe, kann das humanitäre Völkerrecht realistischerweise nicht verhindern, dass es auch bei – noch so professionellen und regelkonformen – Angriffen gegen militärische Ziele zu Opfern unter der Zivilbevölkerung kommt.167 Ist der Angriff gegen das militärische Ziel dennoch erlaubt? Art. 51 V b) ZP-I zieht die Grenze zwischen dem Gebot des Schutzes der Zivilbevölkerung und der militärischen Notwendigkeit, indem er Angriffe, die „Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte […], die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen“,

verursachen, für verboten erklärt. Das hierin zum Ausdruck kommende Verhältnis mäßigkeitsprinzip ist auch gewohnheitsrechtlich anerkannt.168 In praxi wären auf der einen Seite zum Beispiel Angriffe auf militärische Einheiten in freiem Gelände auch mit Waffen von hoher Sprengkraft zulässig, wenn sich einzelne Zivilisten in der Nähe derselben befinden und mit Sicherheit durch den Angriff getötet werden.169 Auf der anderen Seite wäre zum Beispiel ein Angriff auf einzelne Soldaten, wenn diese sich in einer großen Menge von Zivilpersonen befinden, unzulässig.170 Zivile Verluste und Zerstörungen als Folge militärischer Operationen sind somit in den Grenzen, die das Gebot der Verhältnismäßigkeit setzt, als unvermeidbar und dementsprechend als zulässig zu erachten. Diese Schäden werden einhellig als 166 Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 149 f.; Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 456, Ziff. 1; Pilloud/Pictet, in: Sandoz/Swinarski/ B. Zimmermann (Eds.), Art. 51 ZP-I Rdn. 1968; Solf, in: Bothe/Partsch/Solf (Eds.), Art. 51 ZPI Nr. 2.6.1. 167 Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 66; Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 150; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 39. 168 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 14: „Launching an attack which may be expected to cause incidental loss of civilian life, injury to civilians, damage to civilian objects, or a combination thereof, which would be excessive in relation to the concrete and direct military advantage anticipated, is prohibited.“ 169 Beispiel bei Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 66. 170 Beispiel bei Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 66.

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„Kollateralschäden“ bezeichnet.171 Dabei ist nicht zu übersehen, dass in der Kriegswirklichkeit zwangsläufig die Gefahr besteht, dass die durch Kampfhandlungen verursachten Schäden unter der Zivilbevölkerung oftmals als unvermeidbar und damit als (erlaubte) Kollateralschäden gerechtfertigt werden.172 Welche zivilen Begleitschäden als noch verhältnismäßig und welche schon als unverhältnismäßig anzusehen sind, entzieht sich einer genaueren allgemeinen Betrachtung und muss für den Einzelfall gesondert bestimmt werden.173 Besondere Probleme werfen die Angriffe auf die Infrastruktur von Großstädten auf.174 Denn selbst der gezielte Angriffe auf solche Einrichtungen der Infrastruktur, die als militärisches Ziel eingestuft werden können, kann erhebliche – mittelbare – Folgen für die Zivilbevölkerung nach sich ziehen,175 was wiederum in die Verhältnismäßigkeitsprüfung des Angriffs einfließen muss. Wiederum sind es Luftangriffe mit deutscher Beteiligung (Beispiel 1), bei denen denkbare Anknüpfungspunkte für eine Missachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorliegen können. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass – selbst bei der Verwendung sog. „smart weapons“176 – die Auswirkungen von Angriffen aus weiter Entfernung oftmals kaum vorherzusehen ist, zumal die Genauigkeit von Angriffen aus der Luft von einem ganzen Bündel von Faktoren abhängt,177 die womöglich in den Angriffsplanungen nicht immer ausreichend berücksichtigt werden (können).

171 Burger, International humanitarian law and the Kosovo crisis, in: IRRC 82 (2000), 129 [132]; Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 151; Rowe, Kosovo 1999: The air campaign, in: IRRC 82 (2000), 147 [152]. 172 s. hierzu L. Kinkel, Jamie Shea und der Kollateralschaden (Sprache der Politik (I)), im Internet verfügbar unter http://www.stern.de/politik/deutschland/555308.html?nv=ct_cb (nachgesehen am 25. 07. 2009), der die Außendarstellung der NATO-Luftoperationen während des Kosovo-Krieges 1999 analysiert. Während der täglich stattfindenden Pressekonferenzen informierte der damalige Pressesprecher der NATO, Jamie Shea, die Öffentlichkeit über die Kampfhandlungen. Erstmals wurden unvermeidbare zivile Schäden öffentlich als „Kollateralschäden“ bezeichnet und gerechtfertigt. Eine Zusammenstellung der die NATO-Luftangriffe begleitenden täglichen Pressekonferenzen findet sich auf der Website der NATO unter http:// www.nato.int/kosovo/all-frce.htm#mb (nachgesehen am 25. 07. 2009). 173 Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 66; Faktoren, die in die Einzelfall-Entscheidung einfließen können, finden sich bei Solf, in: Bothe/Partsch/Solf (Eds.), Art. 51 ZP-I Nr. 2.6.2., der „(1) the forseeable extent of incidental or collateral civilian casualties or damage, and (2) the relative importance of the military objective as a target“ als maßgeblich erachtet; Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 150 f., stellt gleichfalls auf „die Bedeutung des militärischen Ziels“ und die „die wahrscheinliche Zahl von Opfern“ ab. 174 s. etwa Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 66. 175 Beispiele für solche mittelbaren Folgen bei Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 66; Rowe, Kosovo 1999: The air campaign, in: IRRC 82 (2000), 147 [152]. 176 Zum Gebrauch von „smart weapons“ vgl. Ausführungen von Rogers, Zero-casualty warfare, in: IRRC 82 (2000), 165 [170 ff.]. 177 s. Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 457, Ziff. 4.

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Eine vorsätzliche Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kann völkerstrafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (s. Art. 8 II b) iv) RömSt). (5) Der Schutz der Zivilbevölkerung wird erweitert durch das Gebot, Vorsichtsmaßnahmen bei Angriffshandlungen zu treffen. Dieses Gebot ist vertraglich fixiert in Art. 57 ZP-I und gleichzeitig gewohnheitsrechtlich anerkannt.178 Die Verpflichtung, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, gilt für alle Phasen einer militärischen Operation – von deren Planung über die Entscheidung der anzugreifenden Ziele bis hin zur Durchführung.179 Art. 57 ZP-I ist insbesondere in Fällen wie in Beispiel 1 geschildert während der Planungsphase von Bedeutung (s. auch unten Ausführungen zur NATO-Intervention im Kosovo). Das allgemeine Gebot, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, wird in den Absätzen 2 bis 5 des Art. 57 ZP-I näher ausgestaltet. Dabei muss derjenige, der „eine militärische Operation plant oder beschließt“, die in Art. 57 II a) i)–iii) ZP-I festgelegten Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Diese einleitende Formel macht deutlich, dass sich die Maßnahmen des Buchstaben a) nur an planende Stäbe und über die Operation entscheidende Kommandostellen richten.180 Gemäß Art. 57 II a) i) ZP-I muss „alles praktisch Mögliche“ getan werden, um sicherzustellen, dass die Angriffsziele – ausschließlich – militärische Ziele im Sinne des Artikels 52 II sind.181 Art. 57 II a) i) ZP-I statuiert vor allem eine Aufklärungspflicht: Die den Einsatz planenden und befehlenden Stellen müssen sich um eine Ausschöpfung aller zur Verfügung stehender Aufklärungs- und Nachrichtenmittel bemühen, um sich über den militärischen Charakter des Ziels Gewissheit zu verschaffen.182 Die Anforderungen an die Erfüllung dieser (Aufklärungs-)Verpflichtung variieren naturgemäß mit der Art der militärischen Operation: (Luft-)Angriffe aus der Entfernung basieren vor allem auf Luftaufklärung, deren Genauigkeit einer eingehenden Prüfung unterzogen werden muss; im Bodenkampf wird der zuständige Befehlshaber seine Befehle zumeist auf Informationen seiner eigenen Truppen stützen, die in direkte Kampfsituationen mit dem Feind verwickelt sind.183 178 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 15: „In the conduct of military operations, constant care must be taken to spare the civilian population, civilians and civilian objects. All feasible precautions must be taken to avoid, and in any event to minimise, incidental loss of civilian life, injury to civilians and damage to civilian objects.“ 179 Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 157. 180 Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 457, Ziff. 3; Solf, in: Bothe/Partsch/Solf (Eds.), Art. 57 ZP-I Nr. 2.4.3. 181 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 16: „Each party to the conflict must do everything feasible to verify that targets are military objectives.“ 182 Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 457, Ziff. 3; Solf, in: Bothe/Partsch/Solf (Eds.), Art. 57 ZP-I Nr. 2.5. 183 Pilloud/Pictet, in: Sandoz/Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 57 ZP-I Rdn. 2195 f.

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Zudem sind gemäß Art. 57 II a) ii) ZP-I bei der Wahl der Angriffsmittel und -methoden „alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen“ zu treffen, um zivile Verluste zu minimieren.184 Die in dieser Vorschrift geforderten Maßnahmen beziehen sich vor allem auf die Auswahl und die genaue Festlegung des Ziels sowie die damit verbundene Auswahl der zur Bekämpfung des Ziels verwendeten Waffen und Munition.185 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei der Zielerfassung immer eine Restunsicherheit hinsichtlich der militärischen Relevanz des Ziels verbleiben wird186 und die Präzision des jeweiligen Angriffes von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängen kann.187 Diese Umstände müssen von den die Operation planenden und befehlenden Stellen berücksichtigt werden. Sie müssen aber auch letztlich in die Beurteilung einbezogen werden, ob den verantwortlichen Kommandeuren und Stäben eine Missachtung der in Art. 57 II a) ZP-I festgelegten Verpflichtungen vorgeworfen werden kann. Schließlich haben Kommandostellen und Stäbe gemäß Art. 57 II a) iii) ZP-I sicherzustellen, dass von militärischen Operationen, bei denen mit unverhältnismäßigen zivilen Verlusten zu rechnen ist, Abstand zu nehmen ist.188 Insbesondere lässt sich anhand der NATO-Intervention im Kosovo 1999 illustrieren, dass die Verpflichtungen des Art. 57 II a) ZP-I in der Kriegswirklichkeit durchaus eine Rolle spielen können. Aufgrund der umstrittenen Rechtfertigung der Luftangriffe stand das Vorgehen der NATO von Anfang an unter verschärfter öffentlicher Aufmerksamkeit. Es ergaben sich vielfach Zweifel, inwieweit die NATO gewillt war, ihre Angriffe im Einklang mit Art. 57 II a) ZP-I durchzuführen. So wurde der NATO vorgehalten, dass die Angriffshöhe von 15.000 Fuß vor allem der Sicherheit der NATOPiloten diene und das Risiko eines Fehlschlags auf die Zivilbevölkerung abwälze.189 In der Tat kam es bei mehreren Angriffen zu – unbeabsichtigten – zivilen Verlusten,

184 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 17: „Each party to the conflict must take all feasible precautions in the choice of means and methods of warfare with a view to avoiding […] incidental loss of civilian life, injury to civilians and damage to civilian objects.“ 185 Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 457, Ziff. 4; Pilloud/Pictet, in: Sandoz/Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 57 ZP-I Rdn. 2200. 186 Bothe, Targeting, in: Wall (Ed.), Legal and Ethical Lessons of NATOs Kosovo Campaign, S. 173 [183]. 187 Laut Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 457, Ziff. 4 können eine Rolle spielen: Lage und Beschaffenheit des Ziels, Anwesenheit von Zivilbevölkerung und Vermengung mit zivilen Objekten, das Ausmaß der Verteidigung des Zieles und die damit drohenden eigenen Verluste, die Qualität des eigenen Waffenmaterials, Bomben oder Lenkwaffen, Trainingszustand und allgemeine Verfassung der beteiligten Soldaten, das Wetter und u. U. auch einzelne Details der „rules of engagement“. 188 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 18: „Each party to the conflict must do everything feasible to assess whether the attack may be expected to cause incidental loss of civilian life […], which would be excessive in relation to the concrete and direct military advantage anticipated.“ 189 Vgl. Rowe, Kosovo 1999: The air campaign, in: IRRC 82 (2000), 147 [157].

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die in der Öffentlichkeit Aufsehen erregten.190 Von Seiten der NATO wurde immer wieder hervorgehoben, dass alle denkbaren Maßnahmen unternommen würden, um zivile Opfer und Schäden auf ein Minimum zu beschränken.191 Die Angriffsplanungen der NATO wurden eingehenden – internen – Prüfungen unterzogen, wobei militärische, politische und juristische Aspekte in die abschließenden Bewertungen einflossen.192 Die Frage, inwieweit deutsche Stellen im Zusammenhang mit der NATO-Intervention im Kosovo die Vorgaben des humanitären Völkerrechts zur Planung von Angriffen eingehalten haben, beschäftigte bereits deutsche Gerichte: Im Fall Varvarin 190 Detaillierte Ausführungen zu bestimmten Vorfällen im Verlaufe der NATO-Luftschläge, bei denen es zu Opfern unter der Zivilbevölkerung kam, finden sich im „Final Report to the Prosecutor by the Committee Established to Review the NATO Campaign Against the Federal Republic of Yugoslavia“ vom 13.06.2000. Es kam u. a. bei folgenden Angriffen zu zivilen Opfern: (1) Am 12. 04. 1999 wurde ein Passagierzug von NATO-Kampfjets angegriffen (s. Gliederungspunkt IV. B. i. des Berichts); Stellungnahme der NATO: s. Aussagen von General Wesley Clark auf der Pressekonferenz der NATO vom 13. 04. 1999 (im Internet abrufbar unter: http://www.nato.int/kosovo/press/p990413a.htm, nachgesehen am 25. 07. 2009). (2) Am 14. 04. 2007 wurde in der Nähe von Prizren ein Flüchtlingskonvoi angegriffen (s. Gliederungspunkt IV. B. ii. des Berichts); Stellungnahme der NATO: s. Pressekonferenz von Brigadegeneral Dan Leaf (im Internet abrufbar unter: http://www.nato.int/kosovo/press/p990419b. htm, nachgesehen am 25. 07. 2009). (3) Am 05. 05. 1999 wurde die chinesische Botschaft in Belgrad angegriffen (s. Gliederungspunkt IV. B. iv. des Berichts); Stellungnahme der NATO: s. Aussagen des Generalmajors Walter Jertz auf der Pressekonferenz der NATO vom 08. 05. 1999 (im Internet abrufbar unter: http://www.nato.int/kosovo/press/p990508b.htm, nachgesehen am 25. 07. 2009). 191 s. z. B. folgende Aussagen auf Pressekonferenzen der NATO: Nach der versehentlichen Bombardierung der chinesischen Botschaft betonte der Generalsekretär der NATO, Javier Solana: „As you know, extraordinary care is taken to avoid damage to other than legitimate military and military-related targets“ (im Internet abrufbar unter: http://www.nato.int/kosovo/ press/p990508b.htm, nachgesehen am 25. 07. 2009). Im Anschluss an die Bombardierung eines Flüchtlingskonvois am 14. 04. 1999 wies NATO-Pressesprecher Jamie Shea darauf hin: „NATO pilots have orders to strike only at military targets. We have taken every possible precaution to avoid causing harm to civilians […] There has never been a military operation in history in which so many stringent measures have been taken to minimise harm to civilian lives and civilian property“ (im Internet abrufbar unter: http://www.nato.int/kosovo/press/p990415a. htm, nachgesehen am 25. 07. 2009). Am 13. 04. 1999 – nach der Bombardierung eines Passagierzuges – hob General Wesley Clark hervor: „… we dont want to hurt innocent people, innocent civilians in this campaign, so we are working very, very hard to prevent collateral damage. One of the things we are doing is we are using precision weaponry. This campaign has the highest proportion of precision weaponry that has ever been used in any air operation anywhere. We are going after militarily significant targets and we are avoiding, taking all possible measures to avoid civilian damage“ (im Internet abrufbar unter: http://www.nato.int/ kosovo/press/p990413a.htm, nachgesehen am 25. 07. 2009). 192 Burger, International humanitarian law and the Kosovo crisis, in: IRRC 82 (2000), 129 [134 f.]; de Mulinen, Distinction between Military and Civilian Objects, in: Tomuschat (Ed.), Kosovo and the International Community, S. 103 [123]; Priest, Target Selection Was Long Process, in: The Washington Post, Ausgabe vom 20. 09. 1999, S. A11; kritisch zum Einfluss der Vorschriften des ZP-I auf die Angriffsplanungen der NATO: Rowe, Kosovo 1999: The air campaign, in: IRRC 82 (2000), 147 [159].

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musste sich der BGH unter anderem mit der deutschen Mitwirkung an der Zielauswahl im NATO-Rahmen befassen.193 Er kam bei der Prüfung eines Amtshaftungsanspruches gemäß Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB allerdings zu dem Ergebnis, dass das konkrete Verhalten deutscher Stellen nicht als amtspflichtwidrig anzusehen sei.194 (6) Was die Verwendung bestimmter Waffen anbelangt, so sieht das humanitäre Völkerrecht ein Verbot von Waffen vor, die überflüssige Leiden verursachen. Dieses Verbot ist völkervertragsrechtlich sowohl in Art. 23 e) HLKO als auch in Art. 35 II ZP-I festgehalten und darüber hinaus gewohnheitsrechtlich anerkannt.195 Überflüssige Leiden sollen dann hervorgerufen werden, wenn die zu erwartende Beeinträchtigung erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten militärischen Vorteil steht.196 Im Vertrags- und zum Teil im Gewohnheitsrecht haben sich konkrete Waffenverbote entwickelt.197 Als Beispiele für verbotene Kampfmittel i.S.d. Art. 23 e) HLKO und des Art. 35 II ZP-I gelten unter anderem Anti-Personen-Minen und chemische und biologische Waffen.198 Möglicherweise sind auch sog. „depleted uranium“-Geschosse erfasst.199 Diese Munition wurde während der NATO-Intervention im Kosovo verwendet, zeichnet sich zwar durch eine besondere Härte der Geschosse aus, kann aber auch radioaktive Strahlung verbreiten,200 was wiederum nachteilige – möglicherweise überflüssige Leiden verursachende – Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung nach sich zieht. Es versteht sich von selbst, dass deutsche Soldaten bei der Verwendung der oben genannten, eindeutig als verbotene Kampfmittel einzustufenden Waffen (bzw. Munition) gegen das in Art. 23 e) HLKO und in Art. 35 II ZP-I verankerte Verbot der Verursachung überflüssiger Leiden verstoßen. (7) Außerhalb der eigentlichen Vorschriften zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen stehen die Art. 75 ZP-I und Art. 27 – 34 GA-IV, die den Schutz der Zivilbevölkerung, die sich in den Händen des Gegners be193

BGHZ 169, 348 ff. BGHZ 169, 348 [360 ff., Ziff. 25 ff.]. 195 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 70: „The use of means and methods of warfare which are of a nature to cause superfluous injury or unnecessary suffering is prohibited.“ 196 Oeter, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law, Kap. 4, Rdn. 402. 197 s. hierzu Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 72 ff. 198 s. Beispiele in Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, zu Rule 70, S. 244. 199 Kröning, Kosovo and International Humanitarian Law, in: HUV-I 13 (2000), 44 [48 f.]; offen gelassen von Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Fn. 377; gegen einen Konsens im derzeitigen Völkerrecht, dass der Gebrauch von „depleted uranium“-Geschossen Vorschriften des humanitären Völkerrechts verletzt: „Final Report to the Prosecutor by the Committee Established to Review the NATO Campaign Against the Federal Republic of Yugoslavia“, veröffentlicht am 13. 06. 2000, Gliederungspunkt IV. A. ii. des Berichts. 200 Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Fn. 377; Egorov, The Kosovo crisis and the law of armed conflicts, in: IRRC 82 (2000), 183 [185 f.]. 194

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finden, normieren. Art. 75 ZP-I, der in seiner Formulierung an völkerrechtliche Menschenrechte erinnert, enthält „Grundlegende Garantien“, die gegenüber allen Personen, die sich in der Gewalt des Gegners befinden und von einem bewaffneten Konflikt betroffen sind, zu achten sind: Absatz 1 verpflichtet die Kriegsparteien zur „Menschlichkeit“ gegenüber den Angehörigen der Gegenpartei, die in ihre Hände gefallen sind; Absatz 2 enthält einen Katalog von allseits verbotenen Handlungen zum Schutz von Leib und Leben des Einzelnen, worunter zum Beispiel die vorsätzliche Tötung (Art. 75 II a) i) ZP-I) oder Folter (Art. 75 II a) ii) ZP-I) fällt. Auch nach Art. 27 I GAIV sollen Zivilpersonen in der Hand des Gegners mit „Menschlichkeit“ behandelt werden. Art. 3 Nr. 1 GA-IV bestimmt für nicht-internationale Konflikte, dass die Zivilpersonen „unter allen Umständen mit Menschlichkeit“ behandelt werden und Angriffe auf Leib und Leben (s. Art. 3 Nr. 1 a) GA-IV) und die erniedrige Behandlung von Personen (s. Art. 3 Nr. 1 c) GA-IV) untersagt sind. Überdies sind nach Art. 33 I GA-IV Kollektivstrafen und nach Art. 34 GA-IV Geiselnahmen verboten. Abschließend lässt sich folgendes Fazit im Hinblick auf die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr verletzten Bestimmungen des humanitären Völkerrechts ziehen: - Im Rahmen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr kann es bei Kampfhandlungen (s. vor allem Beispiel 1 und Beispiel 2) ohne weiteres zu Situationen kommen, in denen Bestimmungen aus den – die Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen schützenden – Art. 48 – 60 ZP-I durch deutsche Soldaten verletzt werden und Individualpersonen infolge dessen getötet bzw. geschädigt werden. Die Feststellung der Verletzung einer Bestimmung des humanitären Völkerrechts ist – neben der Voraussetzung der „Zurechnung“ der Verletzung – eine erforderliche Voraussetzung im System der Staatenverantwortlichkeit, um eine Verantwortlichkeit des betreffenden Staates und einen darauf gestützten Wiedergutmachungsanspruch gegen eben diesen Staat zu begründen [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV.]. – Schwere Verletzungen von Bestimmungen des humanitären Völkerrechts, sog. Kriegsverbrechen, auf die im nachfolgenden Gliederungspunkt A. IV 1. e) einzugehen sein wird, fallen aus diesem System der Staatenverantwortlichkeit insoweit heraus, als sie zu einer – im herkömmlichen System der Staatenverantwortlichkeit nicht vorgesehenen – individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Exemplarisch für solche Fälle individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist vor allem die in Beispiel 3 (willkürliche Schädigungshandlungen wie vorsätzliche Tötung, Folter oder Vergewaltigung) skizzierte Situation, was aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen soll, dass die – vorsätzliche – Verletzung mancher der Bestimmungen der Art. 48 – 60 ZP-I in den Beispielen 1 und 2, zum Beispiel die vorsätzliche Missachtung des Verbotes von Angriffen auf die Zivilbevölkerung (s. oben), gleichfalls als Kriegsverbrechen anzusehen ist und demzufolge ebenfalls eine individuelle (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet.

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– Eine andere Frage ist es, wer aus den Verpflichtungen der Art. 48 – 60 ZP-I eigentlich Rechte herleiten kann. Ohne die Frage an dieser Stelle endgültig vorwegzunehmen zu wollen, ist kaum zu übersehen, dass die Regelungen der Art. 48 ff. ZP-I, insbesondere Art. 75 ZP-I, mehrfach auf die „einzelne Zivilperson“ abstellen und damit menschenrechtsähnliche Formulierungen enthalten.201 Ob Individualpersonen aus dem humanitären Völkerrecht auf der völkerrechtlichen Primärund Sekundärebene berechtigt werden, ist Gegenstand von Gliederungspunkt B. des völkerrechtlichen Teils dieser Arbeit.

d) Verletzte Normen der Menschenrechte Neben den Vorschriften des humanitären Völkerrechts können bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr möglicherweise auch Bestimmungen aus dem Bereich der Menschenrechte verletzt worden sein. Die BRD ist als Vertragspartei an die Bestimmungen der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) gebunden.202 Im Folgenden sollen unter dem nachfolgenden Gliederungspunkt A. IV. 1. d) aa) die Bindungswirkung der EMRK für deutsche Soldaten bei Auslandseinsätzen und unter Gliederungspunkt A. IV. 1. d) bb) möglicherweise bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr verletzte Bestimmungen der EMRK untersucht werden. aa) Anwendungsbereich der EMRK Der Anwendungsbereich der EMRK bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist bereits eingehend und erschöpfend untersucht worden,203 weswegen sich die nachfolgenden Ausführungen auf die wesentlichen Grundaussagen beschränken. .

• Sachlicher Anwendungsbereich In sachlicher Hinsicht stellt sich zunächst die Frage, ob die menschenrechtlichen Bestimmungen der EMRK auch in Zeiten bewaffneter Konflikte gelten. Wie bereits gezeigt wurde, unterfallen bewaffnete Konflikte an sich dem Regelungsbereich des humanitären Völkerrechts [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) aa)]. 201 s. Dörr, „Privatisierung“ des Völkerrechts, in: JZ 60 (2005), 905 [908]; Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, in: ZaöRV 66 (2006), 699 [713]. 202 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 04. 11. 1950, BGBl. 1952 II, S. 685 ff. 203 s. z. B. Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK; Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für sein Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 ff.; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Das klassische Völkerrecht nimmt eine strikte Trennung zwischen humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten vor – mit der Konsequenz, dass im bewaffneten Konflikt ausschließlich das humanitäre Völkerrecht gelten soll.204 Und tatsächlich sind die konzeptionellen Fundamente beider Rechtsregime unterschiedlich: Das humanitäre Völkerrecht regelt von seinem Ursprung her die Beziehung vor allem zwischen Staaten, die in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, und will dabei vorwiegend die fremden, der anderen Konfliktpartei zugehörigen Personen schützen.205 Hingegen beziehen sich die Menschenrechte vornehmlich auf das Verhältnis Staat – (eigene) Staatsangehörige in Zeiten des Friedens.206 Die unterschiedlichen konzeptionellen Ansätze spiegeln sich auch in der unterschiedlichen Entstehungsgeschichte207 beider Rechtsregime wieder, die sich lange getrennt voneinander entwickelten: Während sich die Entwicklung des Kriegsvölkerrechts auf völkerrechtlicher Ebene zwischen Staaten vollzog, fanden Menschenrechte gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunächst Eingang in nationale Verfassungen (zum Beispiel: Virginia Bill of Rights von 1776; französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789).208 Im zwischenstaatlichen Verhältnis spielten Menschenrechte im 18. und 19. Jahrhundert indes kaum eine Rolle.209 Herrschend

204 Meyrowitz, Le droit de la guerre et les droits de lhomme, in: RDPSP 88 (1972), 1059 [1095 ff.]; Provost, International Human Rights and Humanitarian Law, S. 7. 205 Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 35; Provost, International Human Rights and Humanitarian Law, S. 7. 206 Mushkat, The Development of International Humanitarian Law and the Law of Human Rights, in: GYIL 21 (1978), 150 [166]; Provost, International Human Rights and Humanitarian Law, S. 7. 207 Dazu s. auch Bothe, The Historical Evolution of International Humanitarian Law, International Human Rights Law, Refugee Law and International Criminal Law, in: Fischer/ Froissart/Heintschel von Heinegg/Raap (Hrsg.), Krisensicherung und humanitärer Schutz – Crisis Management and Humanitarian Protection. Festschrift für Dieter Fleck, S. 37 [40]; Doswald-Beck/Vit, Le droit international humanitaire et le droit des droits de lhomme, in: RICR 1993, 99 [100 ff., 107 ff.]; Eide, The laws of war and human rights – Differences and convergences, in: Swinarski (Ed.), tudes et essais sur le droit international humanitaire et sur les principes de la Croix-Rouge en lhonneur de Jean Pictet, S. 675 [676 ff.]. 208 Bothe, The Historical Evolution of International Humanitarian Law, International Human Rights Law, Refugee Law and International Criminal Law, in: Fischer/Froissart/ Heintschel von Heinegg/Raap (Hrsg.), Krisensicherung und humanitärer Schutz – Crisis Management and Humanitarian Protection. Festschrift für Dieter Fleck, S. 37 [40]; Droege, The Interplay between International Humanitarian Law and Human Rights Law in Situations of Armed Conflict, in: ILR 40 (2007), 310 [313]; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 5 f. 209 s. auch Bothe, The Historical Evolution of International Humanitarian Law, International Human Rights Law, Refugee Law and International Criminal Law, in: Fischer/Froissart/ Heintschel von Heinegg/Raap (Hrsg.), Krisensicherung und humanitärer Schutz – Crisis Management and Humanitarian Protection. Festschrift für Dieter Fleck, S. 37 [40].

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war die Auffassung von der absoluten Souveränität der Staaten, eine Einmischung in innere Angelegenheiten eines anderen Staates wurde für verboten gehalten.210 Das Elend und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges führten indes zu der Erkenntnis, dass man dem Individuum – unabhängig von seinem schutzunfähigen oder schutzunwilligen Heimatstaat – Rechte und Pflichten auf internationaler Ebene gewähren und die Souveränität der Staaten insoweit beschränken müsste. Im Lichte dieser Erkenntnis wurden die Menschenrechte nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Völkerrechtsebene gehoben – auf universeller Ebene durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948), auf regionaler Ebene unter anderem durch die EMRK (1950).211 Der Etablierung eines völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes und der damit verbundenen Ausrichtung auf den Schutz des Individuums nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich das Kriegsvölkerrecht, das seit den 50er Jahren als humanitäres Völkerrecht bezeichnet wird,212 nicht entziehen: Unter dem Einfluss der Menschenrechte wurden zunehmend der Gedanke der Menschlichkeit und der Schutz des Einzelnen vor den Auswirkungen kriegerischer Handlungen in den Vordergrund gestellt.213 Der humanitäre, opferschützende Charakter war bereits in den vier Genfer Abkommen von 1949 angelegt. Deutliche Bezüge zu den Menschenrechten finden sich dann in den Zusatzprotokollen von 1977, die den Individualschutz der Genfer Abkommen verstärken, wieder: Art. 75 ZP-I beinhaltet einen Katalog „grundlegende[r] Garantien“, die bei bewaffneten Auseinandersetzungen mindestens zu gewähren sind; Art. 72 ZP-I verweist ausdrücklich auf den „Schutz grundlegender Menschenrechte in einem internationalen bewaffneten Konflikt“. Aber nicht nur das gegenwärtige humanitäre Völkerrecht nimmt auf die Menschenrechte Bezug und ist durch sie beeinflusst. Umgekehrt enthalten die Menschenrechte Vorschriften, die Aussagen zur Fortgeltung menschenrechtlicher Bestimmungen während bewaffneter Konflikte, dem eigentlichen Regelungsbereich des humanitären Völkerrechts, treffen: Gemäß Art. 15 I EMRK können die Bestimmungen der Konvention im Kriegs- oder Notstandsfall, soweit unbedingt erforderlich, außer Kraft gesetzt werden. Art. 15 II ERMK enthält Rechte, von denen auch im Kriegs- oder Notstandsfall nicht abgewichen bzw. nur bei Vorliegen „rechtmäßiger Kriegshandlungen“ abgewichen werden darf. Daraus ergibt sich, dass die EMRK

210 Droege, The Interplay between International Humanitarian Law and Human Rights Law in Situations of Armed Conflict, in: ILR 40 (2007), 310 [313]; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 7. 211 Ausführlich zur Entwicklung des Menschenrechtsschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg auf Völkerrechtsebene Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 104 ff. 212 s. Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 33; vgl. auch Bothe, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VIII Rdn. 60. 213 Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 38.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

grundsätzlich auch, möglicherweise aber eingeschränkt, während bewaffneter Konflikte fortgelten soll.214 Diese skizzierten wechselseitigen Bezugnahmen verdeutlichen, dass zwischen Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht – trotz historischer und konzeptioneller Unterschiede – mittlerweile eine enge Verzahnung besteht.215 Beide Rechtssysteme teilen dasselbe Grundanliegen: Schutz des Einzelnen vor den Auswirkungen staatlichen Handelns.216 Angesichts der wechselseitigen Einfluss- und Bezugnahme wird heute an der – klassischen – Aufteilung in Friedens- und Kriegsvölkerrecht nicht mehr festgehalten.217 Vielmehr können sich während bewaffneter Konflikte die sachlichen Anwendungsbereiche beider Rechtsgebiete überschneiden. So hat denn auch der IGH im Gutachten zum Gutachten zum Gebrauch von Nuklearwaffen zur Anwendbarkeit der Menschenrechte während bewaffneter Konflikte festgestellt: „The Court observes that the protection of the International Covenant of Civil and Political Rights does not cease in times of war […].“218

Damit ist zum sachlichen Anwendungsbereich der EMRK festzuhalten: Die Menschenrechte, unter anderem die Garantien der EMRK, gelten grundsätzlich auch in Zeiten bewaffneter Konflikte.219 Sie sind somit kumulativ und nicht alternativ zum humanitären Völkerrecht anwendbar. 214 s. auch Schmahl, Der Menschenrechtsschutz in Friedenszeiten im Vergleich zum Menschenrechtsschutz im Krieg, in: Hasse/Müller/Schneider (Hrsg.), Humanitäres Völkerrecht, S. 41 [71 ff.]. 215 Donner, Die Begrenzung bewaffneter Konflikte durch das moderne jus ad bellum, in: ArchVR 33 (1995), 168 [193]. 216 Meron, Convergence of International Humanitarian Law and Human Rights Law, in: Warner (Ed.), Human Rights and Humanitarian Law, S. 97 [100]. 217 Heintze, Zum Verhältnis von Menschenrechtsschutz und humanitärem Völkerrecht, in: HUV-I 16 (2003), 172 [172]; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 65 Rdn. 21. 218 s. IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion of 08. 07. 1996, Ziff. 25 (verfügbar auf der Website des IGH unter http://www.icj-cij.org/homepage/ index.php?lang=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „1993“, nachgesehen am 25. 07. 2009). Diese Auffassung hat der IGH in seinem Gutachten zum israelischen Mauerbau in den besetzten palästinensischen Gebieten bekräftigt, s. IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09. 07. 2004, S. 178, Ziff. 106 (verfügbar auf der Website des IGH unter http://www.icj-cij.org/homepage/ index.php?lang=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „2003“, nachgesehen am 25. 07. 2009): „More generally, the Court considers that the protection offered by human rights conventions does not cease in case of armed conflict, save through the effect of provisions for derogation of the kind to be found in Article 4 of the International Covenant on Civil and Political Rights.“ 219 So auch Bothe, The Historical Evolution of International Humanitarian Law, Intern ational Human Rights Law, Refugee Law and International Criminal Law, in: Fischer/Froissart/ Heintschel von Heinegg/Raap (Hrsg.), Krisensicherung und humanitärer Schutz – Crisis Management and Humanitarian Protection. Festschrift für Dieter Fleck, S. 37 [41]; Droege, The Interplay between International Humanitarian Law and Human Rights Law in Situations of

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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• Räumlicher Anwendungsbereich Die Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen der UN und NATO finden weltweit statt. In Anbetracht dessen stellt sich die Frage, ob die EMRK überhaupt dazu angelegt ist, auch bei außerhalb des Territoriums der Vertragsstaaten stattfindenden militärischen Operationen Geltung zu entfalten, oder ob sie nicht als regionaler Menschenrechtspakt auf das – europäische – Hoheitsgebiet ihrer Mitgliedsstaaten beschränkt bleibt. Zentrale Norm für die Untersuchung des räumlichen Anwendungsbereiches der EMRK ist Art. 1 EMRK. Dieser bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die Rechte und Freiheiten der Konvention allen Personen garantieren, die sich unter ihrer „Hoheitsgewalt“220 befinden. Die Bestimmung dieses Begriffes ist damit entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob die EMRK auch Bindungswirkung über das Territorium der Mitgliedsstaaten hinaus entfaltet. Der Begriff der Hoheitsgewalt beschreibt im Völkerrecht die Befugnis des Staates, die Rechts- und Lebensverhältnisse von natürlichen und juristischen Personen umfassend zu regeln, wobei dem Staat als Regelungsmechanismen alle Maßnahmen der gesetzgebenden, der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt zur Verfügung stehen.221 Die Hoheitsgewalt eines Staates beinhaltet dabei eine räumliche und eine persönliche Komponente: In räumlicher Hinsicht wird Hoheitsgewalt grundsätzlich über das Staatsgebiet ausgeübt (Gebietshoheit), in persönlicher Hinsicht erstreckt sich die Hoheitsgewalt des Staates auf seine Staatsangehörigen (Personalhoheit).222 Von der Grundregel der räumlichen Beschränkung werden aber Ausnahmen gemacht: Unter anderem ist im Völkerrecht anerkannt, dass ein Staat im Fall der Besetzung oder aufgrund einer Einladung oder Zustimmung des jeweiligen Staates Hoheitsgewalt auf fremden Staatsgebiet ausüben kann.223 Demnach ist es also in gewissem Umfang möglich, dass ein Staat auf fremdem Staatsgebiet fremde Staatsangehörige seiner Hoheitsgewalt unterwirft. Armed Conflict, in: ILR 40 (2007), 310 [324] mit Verweis auf die entsprechende internationale Rechtsprechung und Staatenpraxis; Frowein, The Relationship between Human Rights Regimes and Regimes of Belligerent Occupation, in: IYHR 28 (1998), 1 [8]; Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für sein Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [693]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 96. 220 In der englischen und französischen Fassung der EMRK wird für Hoheitsgewalt der Begriff „jurisdiction“ bzw. „juridiction“ verwandt. 221 Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für sein Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [671]; Oxman, Jurisdiction of States, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 3, S. 55 – 60; Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht, S. 29, mit weiteren Nachweisen in Fn. 53. 222 Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 6; Oxman, Jurisdiction of States, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 3, S. 56 f. 223 Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 8; Hailbronner, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. III Rdn. 240; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 123 f., 127; Oxman, Jurisdiction of States, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 3, S. 57.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

In der Rechtssache Bankovic´ scheint der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) an diese Vorgaben des allgemeinen Völkerrechts anzuknüpfen: Der Gerichtshof betont zunächst, dass Art. 1 EMRK die Geltung der Konvention territorial begrenze.224 Er präzisiert aber auch, unter welchen Voraussetzungen ein extraterritoriales Handeln ausnahmsweise als Ausübung von Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates anzusehen ist: Laut EGMR begründet extraterritoriales Handeln dann die Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates, wenn dieser die „tatsächliche Kontrolle“ über ein außerhalb seiner Grenzen liegendes Gebiet ausübt.225 Unter tatsächlicher Kontrolle über ein Gebiet versteht der Gerichtshof einen Zustand, bei dem der jeweilige Staat „aufgrund einer militärischen Besetzung oder nach Zustimmung, Aufforderung oder Einwilligung der Regierung“ des betroffenen Gebietes „alle oder einige Gewalten übernimmt“, die gewöhnlich in die Prärogativen dieser Regierung fallen.“226 Allein die Tatsache, dass jemand unter „negativen Folgen einer einem Vertragsstaat anzulastenden Handlung“ zu leiden hat, zum Beispiel durch den Abwurf von Bomben, reicht für die Begründung von Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK nicht aus.227 Das extraterritoriale Handeln des Staates muss letztlich aus der Sicht des EGMR eine Situation begründen, in der die Organe des Staates Personen oder Sachen derart kontrollieren, dass die Hoheitsausübung außerhalb des eigenen Staatsgebietes der Hoheitsausübung auf eigenem Staatsgebiet vergleichbar ist.228 Bei einer militärischen Besetzung, wie im Falle Nordzyperns durch die Türkei, liegt – laut EGMR – eine solche tatsächliche Kontrolle über ein Gebiet vor, so dass demzufolge Hoheitsgewalt ausgeübt wird und die Garantien der EMRK zur Geltung gelangen.229 Die Bombardierung einer serbischen Radio-Station durch NATO-Kampfjets, um die es im Fall Bankovic´ ging, führt hingegen dem EGMR zufolge nicht zu einer tatsächlichen Kontrolle über ein Gebiet, begründet somit keine Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK.230 Demzufolge waren – laut EGMR – die NATO-Luftangriffe während des Kosovo-Krieges 1999 nicht an den Vorgaben der EMRK zu messen. 224

EGMR (Große Kammer), Bankovic´ u. a. gegen Belgien u. a., Nr. 52207/99, Entscheidung vom 12. 12. 2001 = EuGRZ 29 (2002), 133 [139 f., Ziff. 59 ff.]. 225 EGMR (Große Kammer), Bankovic´ u. a. gegen Belgien u. a., Nr. 52207/99, Entscheidung vom 12. 12. 2001 = EuGRZ 29 (2002), 133 [141, Ziff. 71]. 226 EGMR (Große Kammer), Bankovic´ u. a. gegen Belgien u. a., Nr. 52207/99, Entscheidung vom 12. 12. 2001 = EuGRZ 29 (2002), 133 [141, Ziff. 71]. 227 EGMR (Große Kammer), Bankovic´ u. a. gegen Belgien u. a., Nr. 52207/99, Entscheidung vom 12. 12. 2001 = EuGRZ 29 (2002), 133 [141, Ziff. 75]. 228 Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [672]. 229 EGMR (Große Kammer), Bankovic´ u. a. gegen Belgien u. a., Nr. 52207/99, Entscheidung vom 12. 12. 2001 = EuGRZ 29 (2002), 133 [140, Ziff. 70] mit Verweis auf Rechtsprechung in der Rechtssache Loizidou (s. EGMR, Loizidou gegen Türkei, Nr. 40/1993/435/514, Entscheidung vom 18. 12. 1996 = EuGRZ 24 (1997), 555 ff.). 230 EGMR (Große Kammer), Bankovic´ u. a. gegen Belgien u. a., Nr. 52207/99, Entscheidung vom 12. 12. 2001 = EuGRZ 29 (2002), 133 [141 ff., Ziff. 74 ff., 82]. Befürwortend:

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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Entscheidungen des EGMR, die der Bankovic´-Entscheidung zeitlich nachfolgten, deuten daraufhin, dass allerdings nicht sämtliche extraterritoriale Akte von Organen eines Konventionsstaates dem Anwendungsbereich der EMRK entzogen seien sollen: So kam die Erste Kammer des EGMR in der Rechtssache Öcalan zu dem Schluss, dass die Verhaftung des früheren Anführers der PKK durch türkische Sicherheitskräfte zur Begründung „effektiver türkischer Hoheitsgewalt“ im Sinne des Art. 1 EMRK geführt habe – auch wenn die Verhaftung auf kenianischem Territorium erfolgt war.231 Im Fall Issa betonte die Zweite Kammer des EGMR, dass im Falle extraterritorialer Handlungen nicht nur die tatsächliche Kontrolle über ein außerhalb des Territoriums des Vertragsstaates gelegenes Gebiet Hoheitsgewalt begründe, sondern auch die Ausübung von „authority and control“ über einzelne Personen auf fremdem Staatsgebiet zur Verantwortlichkeit des jeweiligen Staates führe.232 Stellt man sich auf den Standpunkt des EGMR, wie er ihn im Fall Bankovic´ dargelegt hat,233 so kommen bei Kampfhandlungen (zum Beispiel: NATO-Luftangriffe Bothe, Die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention in bewaffneten Konflikten – eine Überforderung?, in: ZaöRV 65 (2005), 615 [617]; Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [673]; Röben, Außenverfassungsrecht, S. 412; Schmidt-Radefeldt, Die Menschenrechtsverpflichtungen von Streitkräften bei anti-terroristischen Maßnahmen im Ausland, in: Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, S. 101 [109]. Die Sicht des EGMR ist indes nicht unangefochten. Denn es lässt sich durchaus argumentieren, dass die Anwendung von Gewalt in Form von Luftangriffen, da staatlich angeordnet und von Soldaten ausgeführt, als Ausübung von Hoheitsgewalt anzusehen ist, wie es z. B. Erberich tut, s. Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 30. Gegen die Bankovic´-Entscheidung des EGMR und für eine Anwendbarkeit der EMRK bei Kampfhandlungen auf fremden Staatsgebiet ohne Gebietskontrolle sprechen sich auch aus: Altiparmak, Bankovic´ : an obstacle to the application of the European Convention on Human Rights in Iraq?, in: JCSL 9 (2004), 213 [223 ff.]; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 130 f., die die Ermittlung der „Hoheitsgewalt“ mit Zurechenbarkeitsregeln des Rechts der Staatenverantwortlichkeit gleichsetzen, wie es auch Schwager tut, s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 100; Lawson, Life after Bankovic: On the Extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, in: Coomans/Kamming (Eds.), Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, S. 83 [109 ff.]; Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht, S. 31 ff. Mit den Argumenten der Kritiker der EGMR-Rechtsprechung im Fall Bankovic´ setzt sich ausführlich auseinander: Ress, State Responsibility for Extraterritorial Human Rights Violations. The Case of Bankovic, in: ZEuS 6 (2003), 73 [82 ff.]. 231 EGMR (Erste Kammer), Öcalan gegen Türkei, Nr. 46221/99, Entscheidung vom 12. 03. 2003 = EuGRZ 30 (2003), 472 [475 Ziff. 93]. 232 EGMR (Zweite Kammer), Issa u. a. gegen Türkei, Nr. 31821/96, Entscheidung vom 16. 11. 2004, S. 23, Ziff. 71. 233 So wohl auch Standpunkt der Bundesregierung zur Menschenrechtsbindung deutscher Streitkräfte im Auslandseinsatz. Gegenüber dem UN-Menschenrechtsausschuss hat die Bundesregierung im Jahr 2005 folgendes erklärt (s. UN Doc. CCPR/CO/80/DEU/Add.1, S. 3): „Wherever its police or armed forces are deployed abroad […], Germany ensures to all persons that they will be granted the rights recognized in the Covenant, insofar as they are subject to its jurisdiction (Hervorhebung durch den Verfasser).“ Die Formulierung „insofar as they are subject to its jurisdiction“ könnte durchaus im Sinne der Bankovic´-Entscheidung verstanden werden. s. zur Stellungnahme der Bundesregierung vor dem UN-Menschenrechtsausschuss

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

im Kosovo 1999; Luftangriffe im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“ gegen Taliban- und Al-Quaida-Anhänger im Herbst 2001 bis zur Verdrängung von der Macht) die Verpflichtungen der EMRK zumeist nicht zur Anwendung – mangels tatsächlicher Kontrolle über ein Gebiet oder mangels Kontrolle über eine Person.234 In diesen Fällen wären dann die Vorschriften des humanitären Völkerrechts, die den Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen näher ausgestalten (Art. 48 – 71 ZP-I), allein anwendbar. Viele der UN- und NATO-Missionen, an denen sich die Bundeswehr beteiligt und die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegen, finden aber in der Regel mit dem Einverständnis des Aufenthaltsstaates statt und/oder beinhalten eine tatsächliche Gebietskontrolle. Dazu gehört auch die Ausübung gewisser hoheitlicher Befugnisse (zum Beispiel: polizeiliche Aufgaben). In solchen Fällen sind – auch nach der Bankovic´-Entscheidung – die Verpflichtungen der EMRK gemäß Art. 1 EMRK anwendbar. Was die konkreten Einsätze der Bundeswehr anbelangt, so sind etwa die KFORTruppen im Kosovo an die EMRK gebunden, da sie regelmäßig hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, zum Beispiel Durchsuchung von Personen und Gebäuden, Festnahme von Personen und Verhängung von Ausgangssperren,235 die normalerweise von der heimischen kosovarischen Regierung wahrzunehmen wären.236 Ähnliches gilt für EUFOR in Bosnien.237 Was wiederum die ISAF-Mission in Afghanistan anbelangt, so ist festzustellen, dass ISAF – im Gegensatz zu KFOR und EUFOR – die afghanische Regierung bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit lediglich unterstützt, nicht aber

auch Fleck, Schutz der Menschenrechte bei Auslandseinsätzen: eine Herausforderung für Friedenstruppen, Entsendestaaten und internationale Organisationen, in: NZWehrR 50 (2008), 164, Fn. 1. 234 Gegen eine Anwendung der Bestimmungen der EMRK bei Kampfhandlungen auch Fleck, Schutz der Menschenrechte bei Auslandseinsätzen: eine Herausforderung für Friedenstruppen, Entsendestaaten und internationale Organisationen, in: NZWehrR 50 (2008), 164 [165]. 235 Zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben durch KFOR: Büllesbach, Aufgaben öffentlicher Sicherheit für KFOR-Soldaten im Kosovo, in: HUV-I 14 (2001), 83 [87 f.]; Dreist, Rechtliche Aspekte des KFOR-Einsatzes, in: NZWehrR 43 (2001), 1 [6]; Häußler, KFOR: Current Legal Issues, in: HUV-I 20 (2007), 24 [25]. 236 Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [675 f.]. 237 Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [676]. Die Autorin bezieht sich dabei zwar auf die SFOR-Truppen. Allerdings ist das Mandat der EUFOR-Truppen identisch mit dem der SFORMission (= militärische Absicherung des Friedensvertrages von Dayton, s. Antrag der Bundesregierung vom 22. 11. 2004, BT-Drucksache 15/4245, S. 1 ff.), weswegen die Ausführungen der Autorin zu SFOR in puncto Ausübung von Hoheitsgewalt im Sinne von Art. 1 EMRK auf den Fall der EUFOR-Truppen übertragen werden können.

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an deren Stelle regelmäßig hoheitliche Gewalt im Sinne des Art. 1 EMRK ausübt.238 Die ISAF-Soldaten sind allerdings – angesichts anhaltender bewaffneter Auseinandersetzungen mit den Taliban und Anhängern von Al-Quaida – an das humanitäre Völkerrecht gebunden [s. oben Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) aa)]. Formulierungen, die denen des ISAF-Mandats ähneln, finden sich auch bei der Erweiterung des UNIFIL-Mandats wieder, wonach die internationale Sicherheitspräsenz die libanesische Regierung bei der Ausübung ihrer Staatsgewalt – lediglich – unterstützt.239 Die Einsatzregeln für UNIFIL ermöglichen allerdings im Bereich der Marineoperation, an der sich die Bundeswehr mit Seestreitkräften beteiligt,240 eine vorläufige Festnahme von Waffenschmugglern und Beschlagnahme von Gegenständen.241 Falls es zu solchen Festnahmen kommen sollte, nähmen Bundeswehr-Soldaten in gewissem Umfang hoheitliche Aufgaben wahr und übten dabei tatsächliche Kontrolle über einzelne Personen außerhalb des deutschen Staatsgebietes im Sinne des EGMR aus.242 Dies würde zur Begründung von Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK führen.243 Die Behandlung der Gefangenen hätte sich damit an den Vorgaben der EMRK zu orientieren.

238 In der Bonner Vereinbarung vom 05. 12. 2001 (UN Doc. S/2001/1154) wird eingangs die „national sovereignty“ Afghanistans betont und hervorgehoben, dass diese durch die Interimsregierung ausgeübt werde (Gliederungspunkt I. 3., S. 3 des Abkommens). Die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liege überdies bei den Afghanen selbst (Annex I, Nr. 1, S. 9). Zur internationalen Schutztruppe wird festgehalten (Annex I, Nr. 3, S. 9): „This force will assist in the maintenance of security for Kabul and ist surrounding areas (Hervorhebung durch den Verfasser).“ In der Resolution 1386 des UN-Sicherheitsrates vom 20. 12. 2001 (UN Doc. S/Res/1386), die auf die Bonner Vereinbarung Bezug nimmt und die zur Aufstellung der ISAF-Truppe in Afghanistan ermächtigt, heißt es unter Nr. 1: „Authorizes, as envisaged in Annex 1 to the Bonn Agreement, the establishment for 6 months of an International Security Assistance Force to assist the Afghan Interim Authority in the maintenance of security in Kabul and its surrounding areas, so that the Afghan Interim Authority as well as the personnel of the United Nations can operate in a secure environment (Hervorhebung durch den Verfasser).“ 239 Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates vom 11. 08. 2006 (UN Doc. S/Res/1701), Nr. 12: „Acting in support of a request from the Government of Lebanon to deploy an international force to assist it to exercise its authority throughout the territory, authorizes UNIFIL to take all necessary action in areas of deployment of its forces (Hervorhebung durch den Verfasser).“ 240 s. Antrag der Bundesregierung vom 13. 09. 2006, BT-Drucksache 16/2572, S. 4. 241 s. Weingärtner, Das UNIFIL-Mandat der Bundeswehr, in: HUV-I 20 (2007), 116 [119]. 242 Vgl. Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [697]. 243 Allerdings hat sich die Befugnis zur Festnahme auf den Einsatz der Bundeswehr bislang nicht ausgewirkt, da nach dem Einsatzkonzept für Unifil und den Absprachen mit der libanesischen Regierung Beschlagnahmen und Festnahmen durch libanesische Streitkräfte erfolgen sollen, s. Weingärtner, Das UNIFIL-Mandat der Bundeswehr, in: HUV-I 20 (2007), 116 [119].

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Auch die im Rahmen der OEF-Mission eingesetzten deutschen (Spezial-)Kräfte haben unter anderem die Aufgabe, Verhaftungen von Terroristen durchzuführen.244 Insoweit würde Hoheitsgewalt nach Art. 1 EMRK ausgeübt, die Behandlung etwaiger Gefangener hätte sich nach den menschenrechtlichen Bestimmungen der EMRK zu richten. Zum räumlichen Anwendungsbereich der Regelungen der EMRK lässt sich insgesamt festhalten: – Bei Kampfhandlungen sind die Regelungen der EMRK in der Regel nicht anwendbar, da in diesen Fällen – nach der Auffassung des EGMR – zumeist keine Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK begründet wird. – Sind die Kampfhandlungen beendet und fällt der militärischen Mission mit Bundeswehr-Beteiligung die tatsächliche Kontrolle über ein Gebiet zu (s. KFOR- und EUFOR-Einsatz), so ist das Handeln der Bundeswehr-Soldaten an den Vorgaben der EMRK zu messen. – Kommt es bei einem Auslandseinsatz zur Gefangennahme einer oder mehrerer Personen, befinden sich also Personen in der Hand von Bundeswehr-Soldaten, so sind ebenfalls die menschenrechtlichen Garantien der EMRK einzuhalten. • Anwendbarkeit bei der Beteiligung internationaler Organisationen Schließlich stellt sich im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich der EMRK die Frage, ob eine Anwendbarkeit der Regelungen der EMRK bei Operationen unter dem Dach einer Internationalen Organisation, an der sich die Bundeswehr beteiligt, gegeben ist. Es soll an dieser Stelle nicht untersucht werden, ob neben den Vertragsstaaten auch eine Internationale Organisation grundsätzlich an die EMRK gebunden ist,245 denn im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird nicht die Verantwortlichkeit einer internationalen Organisation, sondern die Verantwortlichkeit der BRD für völkerrechtswidriges Verhalten von Bundeswehr-Soldaten untersucht [s. bereits Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes in Teil 1, Gliederungspunkt C.]. Es soll an dieser Stelle auch nicht untersucht werden, ob das völkerrechtswidrige Verhalten von Bundeswehr-Soldaten unter dem Dach einer internationalen Organisation als Akt ebendieser internationalen Organisation und nicht als Akt der BRD erscheint. Diese Frage gehört

244

s. Antrag der Bundesregierung vom 07. 11. 2001 zur Begründung der deutschen Beteiligung an der Operation „Enduring Freedom“, BT-Drucksache 14/7296, S. 3; Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses vom 14. 11. 2001 zur Beteiligung deutscher Soldaten an der Operation „Enduring Freedom“, BT-Drucksache 14/1447, die eine Erklärung des Bundesaußenministers enthält, wonach die Aufgabe der KSK-Soldaten auch „polizeilichmilitärische Aufgaben wie z. B. Geiselbefreiung, Verhaftungen o.Ä.“ (S. 4) umfasse. 245 Zur Bindung Internationaler Organisationen an die EMRK s. Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 95.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

117

thematisch in den Bereich der völkerrechtlichen Zurechnung [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c)]. Die Tatsache, dass eine militärische Maßnahme, an der sich die Bundeswehr beteiligt, unter dem Dach einer internationalen Organisation stattfindet, kann letztlich aber nichts an der Bindung der deutschen Soldaten an die Regelungen der EMRK ändern: Die BRD kann sich als Vertragsstaat der EMRK nicht durch eine Delegation von hoheitlichen Kompetenzen an internationale Organisationen ihrer Verpflichtung zur Beachtung der Garantien der EMRK entledigen.246 bb) Einzelne verletzte menschenrechtliche Bestimmungen der EMRK Wie bereits unter Gliederungspunkt A. IV. 1. b) und Gliederungspunkt A. IV. 1. c) bb) angesprochen, richtet sich das Augenmerk der vorliegenden Arbeit vorwiegend auf den – normativen – Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen, also Kampfhandlungen der Bundeswehr. Als Musterfall aus der Praxis, in dem es um die Frage des Schutzes von Zivilisten vor den Auswirkungen von Kampfhandlungen geht, ist vor allem die NATO-Intervention im Kosovo von März bis Juni 1999 hervorzuheben. Im Rahmen solcher Kampfhandlungen wird allerdings, wie unter Gliederungspunkt A. IV. 1. d) aa) soeben herausgearbeitet, nach der Auffassung des EGMR mangels tatsächlicher Gebietskontrolle zumeist keine Hoheitsgewalt begründet – anders als bei Einsätzen der Bundeswehr wie dem KFOR-Einsatz, bei dem deutsche Soldaten polizeiliche Aufgaben wahrnehmen und dementsprechend Hoheitsgewalt gemäß Art. 1 EMRK ausüben.247 Das hat zur Folge, dass die Regelungen der EMRK im Zusammenhang mit den Auswirkungen von Kampfhandlungen nicht anwendbar sind, geschädigte Zivilisten also in diesen Fällen keine Verletzung der in der EMRK verbürgten Rechte geltend machen können. Vorschriften zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Kampfhandlungen finden sich hingegen im humanitären Völkerrecht in den Art. 48 – 71 ZP-I [s. zu diesen Vorschriften Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) bb)]. Aus dem Blickwinkel der vorliegenden Arbeit wird es somit bei der Untersuchung eines eventuellen Schadensersatzanspruches von individuellen Rechtssubjekten, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr geschädigt worden sind, schwerpunktmäßig um die Frage gehen, ob bzw. inwieweit das humanitäre Völkerrecht Individuen mit völkerrechtlichen Primär- und Sekundärrechten ausstattet [s. Teil 2, Gliederungspunkt B.].

246

s. zu diesem Argument Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 95, die auf die Rechtsprechung des EGMR zu dieser Frage verweisen. 247 Bei Einsätzen wie dem KFOR-Einsatz sind allerdings humanitäre Bestimmungen und damit die Art. 48 ff. ZP-I – mangels Vorliegens eines bewaffneten Konfliktes – nicht anwendbar.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Gleichwohl sind außerhalb von eigentlichen Kampfhandlungen vereinzelt Konstellationen während eines bewaffneten Konflikts denkbar, in denen sowohl das Rechtsregime des humanitären Völkerrechts als auch das Rechtsregime der Menschenrechte zur Anwendung gelangen können. Hierbei wird es sich um Fälle handeln, in denen sich eine Person in der „tatsächlichen Kontrolle“ einer Konfliktpartei befindet und diese Kontrolle spezifisch mit einem bewaffneten Konflikt zusammenhängt.248 Sollten etwa – um das dritte von Bothe genannte Beispiel aufzugreifen – deutsche Bundeswehr-Soldaten im Rahmen der OEF-Mission vermeintliche Terroristen festnehmen und/oder foltern, so geschähe dies im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt (Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts), und zugleich wäre die Festnahme und/oder die Folterung des Gefangenen als Ausübung von Hoheitsgewalt anzusehen (Anwendbarkeit der EMRK). Solche Fälle gleichzeitiger Anwendbarkeit von humanitärem Völkerrecht und EMRK sollen in dieser Arbeit nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, weswegen das Regime der völkerrechtlichen Menschenrechte in Gestalt der EMRK in die vorliegende Arbeit miteinbezogen wird. Hinter dieser Einbeziehung der völkerrechtlichen Menschenrechte steht die Überlegung, in Teil 2, Gliederungspunkt B. auch zu untersuchen, ob bzw. inwieweit menschenrechtliche Bestimmungen und die entsprechenden Durchsetzungsmechanismen – bei paralleler Anwendbarkeit – womöglich das humanitäre Völkerrecht in der Frage der primären und sekundären Individualberechtigung verstärken können.249 Bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr kann es zu Vorfällen kommen, bei denen Zivilisten infolge von Handlungen deutscher Soldaten im Zusammenhang mit militärischen Operationen getötet werden, durch deutsche Soldaten der Freiheit beraubt werden oder aber von ihnen gefoltert werden [s. zur Bandbreite des Fehlverhaltens von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz auch Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b)]: Die Tötung von Zivilisten könnte womöglich gegen das in Art. 2 EMRK verankerte Recht auf Leben verstoßen. Art. 2 I 1 EMRK normiert den Schutz des Rechts auf Leben. Es heißt dort: „Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt.“ In Art. 2 I 2 EMRK heißt es weiter: „Niemand darf absichtlich getötet wer248 s. Fälle bei Bothe, Humanitäres Völkerrecht und Schutz der Menschenrechte: Auf der Suche nach Schutzlücken, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 63 [77]. Zu den Fällen, in denen sowohl Menschenrechte als auch humanitäres Völkerrecht anwendbar sind, zählt Bothe: „im Rahmen eines nicht internationalen Konflikts die Kontrolle der Regierung über das Staatsgebiet; im Rahmen eines internationalen Konflikts die Kontrolle der Besatzungsmacht über das besetzte Gebiet und die sich auf diesem Gebiet befindlichen Personen; Freiheitsentzug in Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt“. 249 Positiv bzgl. der Verstärkung des humanitären Völkerrechts in der Frage der primären und sekundären Individualberechtigung durch menschenrechtliche Bestimmungen äußert sich beispielsweise Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [303].

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

119

den.“ Das heißt: Töten Bundeswehr-Soldaten absichtlich ausländische Zivilisten, so liegt eine Verletzung des in Art. 2 EMRK verankerten Rechts auf Leben vor. Art. 2 II EMRK sieht gleichwohl Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der Tötung eines Menschen vor. Eine Tötung führt unter anderem dann nicht zu einer Verletzung des Art. 2 EMRK, wenn sie „unbedingt erforderlich ist, um (a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen …“ Bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr kann es ferner zu Vorfällen kommen, im Zuge derer Zivilisten von Bundeswehr-Soldaten gefangen genommen werden. Die Gefangenschaft von Zivilpersonen führt aufgrund der Begründung tatsächlicher Kontrolle zur Anwendbarkeit der Bestimmungen der EMRK – unabhängig davon, ob der Freiheitsentzug auf dem Gebiet einer Vertragspartei (hier: BRD) oder anderswo erfolgt. Im Falle eines Freiheitsentzugs durch Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz könnte möglicherweise Art. 5 EMRK verletzt sein. Art. 5 I 1 EMRK statuiert: „Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.“ Art. 5 I 2 a)–f) EMRK normiert Gründe, aufgrund derer einer Person die Freiheit entzogen werden kann. So kann gemäß Art. 5 I 2 c) EMRK eine Person dann festgenommen werden, wenn „hinreichender Verdacht besteht, dass eine Person eine Straftat begangen hat“. Schließlich kann es bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu Vorfällen kommen, bei denen Zivilpersonen gefoltert werden. Aufgrund der Begründung tatsächlicher Kontrolle ist in solchen Fällen das Regelungswerk der EMRK ohne weiteres anwendbar. Die Folterung von (Zivil-)Personen verstößt gegen Art. 3 EMRK. Ausnahmen von diesem Verbot gibt es keine (s. Art. 15 II EMRK). Sollte es im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes tatsächlich zur Ausübung deutscher Hoheitsgewalt durch Soldaten der Bundeswehr kommen, so wären sowohl die menschenrechtlichen Bestimmungen der EMRK als auch die Vorschriften des humanitären Völkerrechts anwendbar. Damit würde sich die Frage nach dem Verhältnis von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht stellen. Dabei soll das Verhältnis zwischen Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht bei gleichzeitiger Anwendbarkeit nicht in allen Einzelheiten, sondern nur im Hinblick auf die oben dargestellten, möglicherweise bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr verletzten menschenrechtlichen Bestimmungen der EMRK erörtert werden.250 Generell besteht nach Art. 15 I EMRK in Notstandsfällen zunächst die Möglichkeit der Derogation der menschenrechtlichen Garantien der EMRK. Dieser Notstand muss von den Vertragsstaaten gegenüber dem Generalsekretär des Europates explizit erklärt werden, s. Art. 15 III EMRK. Entsendestaaten von UN- oder NATO-Soldaten 250 Ausführlich zum Verhältnis Menschenrechte – humanitäres Völkerrecht s. z. B. Droege, The Interplay between International Humanitarian Law and Human Rights Law in Situations of Armed Conflict, in: ILR 40 (2007), 310 [335 ff.]; Heintze, Zum Verhältnis von Menschenrechtsschutz und humanitärem Völkerrecht, in: HUV-I 16 (2003), 172 ff.; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 169 ff.; Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht, S. 35 ff., 43 ff.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

befinden sich in der Regel allerdings nicht im Notstand,251 und aus der Staatenpraxis der Auslandseinsätze ist bislang noch kein Fall bekannt, in dem ein Vertragsstaat der EMRK für den Auslandseinsatz seiner Streitkräfte nach Art. 15 III EMRK den Generalsekretär des Europarates über wegen Notstandes unbedingt erforderliche Abweichungen von der Konvention unterrichtet hätte.252 Was konkret das Verhältnis zwischen EMRK und humanitärem Völkerrecht bei gleichzeitiger Anwendbarkeit bezogen auf das Recht auf Leben gemäß Art. 2 EMRK anbelangt, so lässt sich festhalten, dass gemäß Art. 15 II EMRK im Falle „rechtmäßiger Kampfhandlungen“ von den Vorgaben des Art. 2 EMRK abgewichen werden darf. Was eine rechtmäßige Kampfhandlung ist, kann jedoch nicht die EMRK beantworten, sondern nur das – das Recht der Kampfführung regelnde – humanitäre Völkerrecht. Die EMRK verweist also für die Zulässigkeit der Aufhebung des Rechts auf Leben auf das anwendbare humanitäre Völkerrecht. Vorschriften des humanitären Völkerrechts, die zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Kampfhandlungen herangezogen werden können, finden sich insbesondere in den Art. 48 ff. ZP-I [s. ausführliche Darstellung in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c) bb)]. Die Verletzung ebendieser Vorschriften schlösse die Rechtmäßigkeit von Kampfhandlungen gemäß Art. 15 II EMRK aus. Damit wäre dann das in Art. 2 EMRK verankerte Recht auf Leben verletzt. Auch der EGMR scheint in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2005 in der Rechtssache Isayeva nach humanitärem Völkerrecht geprägte Maßstäbe zu verwenden, um zur Feststellung einer Verletzung des Rechts auf Leben nach Art. 2 EMRK gelangen zu können [s. unten Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa)]. Was das Verhältnis zwischen EMRK und humanitärem Völkerrecht bei gleichzeitiger Anwendbarkeit bezogen auf das Recht auf Freiheit gemäß Art. 5 EMRK anbelangt, so ist zu berücksichtigen, dass es im humanitären Völkerrecht drei unterschiedliche Regelungskomplexe zur Gefangennahme von Personen und deren Behandlungsweise gibt: Regeln über die Kriegsgefangenschaft (GA-III); Regeln über Zivilinternierte (GA-IV); und schließlich allgemeine Bestimmungen über gefangen genommene Personen (Art. 11, 75 ZP-I). Vor allem die Vorschriften über Kriegsgefangene des GA-III enthalten gegenüber den menschenrechtlichen Bestimmungen der EMRK zum Freiheitsentzug speziellere Regelungen und dürften diesen somit als lex specialis vorgehen.253 Hinsichtlich des Grundes der Gefangennahme und der Behandlung von Zivilpersonen enthalten die Vorschriften über die Internierung von Zivilisten gegenüber den Bestimmungen der EMRK teilweise speziellere Regelungen, im Übrigen gilt aber die parallele Anwendung von humanitärem Völkerrecht

251

Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 60. Weingärtner, Menschenrechtsbindung bei Out-Of-Area-Einsätzen der Bundeswehr, in: Weiß (Hrsg.), Menschenrechtsbindung bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Expertengespräch, S. 9 [12 f.]. 253 Bothe, Humanitäres Völkerrecht und Schutz der Menschenrechte: Auf der Suche nach Schutzlücken, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 63 [85]. 252

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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und Bestimmungen der EMRK.254 Auch Art. 75 ZP-I, der grundlegende Bestimmungen zum Umgang mit gefangenen (Zivil-)Personen enthält, ist auf parallele Anwendbarkeit mit menschenrechtlichen Garantien angelegt.255 Was schließlich das Verhältnis zwischen EMRK und humanitärem Völkerrecht bei gleichzeitiger Anwendbarkeit bezogen auf das Verbot der Folter gemäß Art. 3 EMRK anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass auch das humanitäre Völkerrecht eine Reihe von Folterverboten vorsieht: So normiert unter anderem Art. 75 II a) ii) ZP-I ein Verbot der Folter. Dies führt zu dem Schluss, dass – bezogen auf das Verbot der Folter – von einer parallelen Anwendbarkeit der EMRK und des humanitären Völkerrechts auszugehen ist.256 Zusammenfassend zu Gliederungspunkt A. IV. 1. d) „Verletzte Normen der Menschenrechte“ lässt sich festhalten: – Infolge der Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes werden dem Einzelnen auf der Ebene des Völkerrechts mittlerweile Rechte zuerkannt, die er im Falle ihrer Verletzung vor völkerrechtlichen Instanzen und Gerichten wie dem EGMR geltend machen kann. – Der „Siegeszug“ der völkerrechtlichen Menschenrechte hat auch das nach 1945 kodifizierte humanitäre Völkerrecht beeinflusst, indem zum Beispiel menschenrechtsähnliche Formulierungen Eingang in das ZP-I gefunden haben. – Die Entwicklungen im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes und die Beeinflussung des humanitären Völkerrechts durch die Menschenrechte könnten sich womöglich günstig auf die Rechtsstellung des bei Kriegshandlungen geschädigten Individuums auswirken – beispielsweise dergestalt, dass die Bestimmungen der Art. 48 ff. ZP-I individualrechtsfreundlich auszulegen sind. Überdies hat sich unter Gliederungspunkt A. IV. 1. d) gezeigt, dass es im Rahmen bewaffneter Konflikte durchaus vereinzelt zu Konstellationen kommen kann, in denen das humanitäre Völkerrecht und die Bestimmungen der EMRK parallel anwendbar sind. In solchen Fällen stellt sich dann die – eingangs aufgeworfene – Frage, ob bzw. inwieweit die menschenrechtlichen Bestimmungen der EMRK und deren Durchsetzungsmechanismen das humanitäre Völkerrecht in der Frage der primären und sekundären Individualberechtigung verstärken (können). Diesen Fragen soll in Teil 2, Gliederungspunkt B. ausführlich nachgegangen werden. 254

Bothe, Humanitäres Völkerrecht und Schutz der Menschenrechte: Auf der Suche nach Schutzlücken, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 63 [85]. 255 Bothe, Humanitäres Völkerrecht und Schutz der Menschenrechte: Auf der Suche nach Schutzlücken, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 63 [84]. 256 Bothe, Humanitäres Völkerrecht und Schutz der Menschenrechte: Auf der Suche nach Schutzlücken, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 63 [86].

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

– Bezüglich des Rechts auf Leben gemäß Art. 2 EMRK ist festzustellen: Die Schutzwirkung des Rechts auf Leben, ausgeformt durch Art. 2 EMRK, vor Tötungshandlungen durch Bundeswehr-Soldaten im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes ist als begrenzt anzusehen. Dies hat nichts mit der Frage zu tun, ob das humanitäre Recht bezogen auf das Recht auf Leben lex specialis ist. Die begrenzte Schutzwirkung hängt mit der Tatsache zusammen, dass bei Kampfhandlungen, in die Bundeswehr-Soldaten involviert sind und die den Schwerpunkt dieser Arbeit bilden, zumeist keine Hoheitsgewalt der BRD im Sinne des Art. 1 EMRK begründet wird [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. d) aa)], somit das Recht auf Leben des Art. 2 EMRK auch nicht verletzt sein kann. Es gelten dann alleinig die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts zum Schutz von zivilen Personen vor den Auswirkungen militärischer Operationen aus Art. 48 – 71 ZP-I (s. oben). – Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die schwere Verletzung von Menschenrechten – wie bereits für schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts angedeutet – in Gestalt von Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen kann [s. nachfolgender Gliederungspunkt A. IV. 1. e)]. e) Völkerrechtsverbrechen Wie oben bereits angedeutet können schwere Verstöße gegen Kernbestimmungen des humanitären Völkerrechts, sog. Kriegsverbrechen, insoweit aus dem System der Staatenverantwortlichkeit herausfallen, als dass sie eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit begründen. Auch die schwere Verletzung von Menschenrechten führt in Gestalt der Verbrechen gegen die Menschlichkeit257 zu einer völkerrechtlichen Strafbarkeit des Individuums. Ebendiese individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit für schwere Verletzungen elementarer Bestimmungen des Völkerrechts bildet den Regelungsgegenstand des Völkerstrafrechts.258 Historisch gesehen259 stand am Anfang der Verrechtlichung individueller Strafbarkeit auf Völkerrechtsebene die Errichtung des Internationalen Militärgerichtshofes von Nürnberg zur Aburteilung der nationalsozialistischen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs. Erst die Mitte der 90er Jahre eingerichteten Ad-hoc-Gerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda forcierten dann die Durchsetzung des Völkerstrafrechts weiter. Den Höhepunkt und vorläufigen Abschluss der Kodifikati257

Die nachfolgenden Ausführungen unter Gliederungspunkt A. IV. 1. e) wenden sich der Begehung schwerer Verstöße gegen elementare Bestimmungen des humanitären Völkerrechts, also Kriegsverbrechen, zu. Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit bleibt ausgeklammert. 258 Zum Begriff des Völkerstrafrechts s. Schröder, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VII Rdn. 38; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, § 11 Rdn. 1 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rdn. 81 ff. 259 Ausführlich zur historischen Entwicklung des Völkerstrafrechts Werle, Völkerstrafrecht, Rdn. 5 ff.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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on völkerstrafrechtlicher Normen markiert das 2002 in Kraft getretene Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes.260 Das Rechtsregime des Völkerstrafrechts ist für die beiden bereits dargestellten Rechtsregime des humanitären Völkerrechts [Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c)] und der Menschenrechte [Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. d)] von – nicht zu unterschätzender – Bedeutung: Die gegen Individuen gerichteten Sanktionsmöglichkeiten verhelfen Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zur Durchsetzung und ergänzen den durch diese beiden Rechtsregime gewährten Individualschutz.261 Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht indes nicht der Bereich der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit bzw. des Völkerstrafrechts, sondern der Bereich der Staatenverantwortlichkeit infolge von Verletzungen von Bestimmungen des humanitären Völkerrechts zum Schutz des Individuums vor den Auswirkungen militärischer Operationen [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. II. 3.]. Ausgangspunkt der Staatenverantwortlichkeit aber auch der völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit ist stets ein menschliches Verhalten: Mittels Zurechnung führt das menschliche Verhalten zur Begründung der staatlicher Verantwortlichkeit; wird das menschliche Verhalten als kriminelles Unrecht eingestuft, führt es zur Begründung völkerstrafrechtlicher Verantwortlichkeit. Angesichts dieser – im Völkerstrafrecht vorgesehenen – strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines individuellen Rechtssubjektes, die in dieser Arbeit nicht weiter thematisiert werden soll, lassen sich Völkerstrafrecht einerseits und Staatenverantwortlichkeit andererseits im Hinblick auf das verantwortliche Subjekt und im Hinblick auf die Rechtsfolgen abgrenzen.262

260 Im Hinblick auf die Aktivitäten des IStGH sei angemerkt: Der erste Angeklagte des Gerichts ist seit August 2006 Thomas Lubanga. Ihm wird zu Last gelegt, als Gründer und Führer der bewaffneten Miliz der Union des Patriotes Congolais (UPC) im Kongo Kinder zwangsrekrutiert und in kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt zu haben (zur Übersicht der derzeit beim IStGH anhängigen Fälle s. Internet-Seite des IStGH, abrufbar unter: http://www. icc-cpi.int/, Stichwort: „Situations and cases“). Am 14. Juli 2008 hat Luis Moreno-Ocampo, der Chefankläger des IStGH, erstmals gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt, den sudanesischen Staatschef Umar Hasan Ahmad al-Baschir, Haftbefehl wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen beantragt, s. Prosecutors Statement on the Prosecutors Application for a warrant of Arrest under Article 58 Against Omar Hassan Ahmad Al Bashir, The Hague, 14. 07. 2008, verfügbar auf der Internet-Seite des IStGH unter http://www. icc-cpi.int/library/organs/otp/ICC-OTP-ST20080714-ENG.pdf (nachgesehen am 25. 07. 2009). 261 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 41; Werle, Völkerstrafrecht, Rdn. 122 ff. 262 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 189 II 3; Werle, Völkerstrafrecht, Rdn. 107.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Allerdings schließen sich Völkerstrafrecht und Staatenverantwortlichkeit keineswegs aus,263 sondern zumeist wird ein menschliches Verhalten, das völkerrechtlich kriminalisiert ist und damit eine individuelle (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet, zugleich – mittels Zurechnung – die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates auslösen.264 Das hat zur Folge, dass schwere Verletzungen grundlegender völkerrechtlicher Bestimmungen (und die dadurch ausgelöste individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit) auch im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit von Relevanz sind. Überdies könnte die Tatsache, dass das Völkerrecht eine individuelle Verantwortlichkeit für schwere Völkerrechtsverstöße statuiert, möglicherweise den (Umkehr-)Schluss erlauben, den Einzelnen auch als Träger von entsprechenden Wiedergutmachungs- und Schadensersatzansprüchen anzusehen.265 Außerdem ist im Zusammenhang mit individuellen Wiedergutmachungsansprüchen für Kriegsschäden bemerkenswert, dass in Art. 75 RömSt – eine Vorschrift, auf die in Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa) noch genauer einzugehen sein wird – die Möglichkeit vorgesehen ist, Opfern von Völkerrechtsverbrechen (und damit auch Opfern von Kriegsverbrechen) eine Wiedergutmachung zuzusprechen.266 263 s. in diesem Zusammenhang auch Art. 58 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit: „Diese Artikel lassen Fragen der individuellen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Personen, die im Namen eines Staates handeln, unberührt“ und Art. 25 Abs. 4 des RömSt: „Die Bestimmungen dieses Statuts betreffend die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit berühren nicht die Verantwortung der Staaten nach dem Völkerrecht.“ Inwieweit es bei der Begehung von Kriegsverbrechen in kleinerem Rahmen sinnvoll sein kann, dass neben der (völker-)strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Individuums eine Verantwortlichkeit des entsprechenden Staates besteht, dazu s. Nollkaemper, Concurrence between individual responsibility and state responsibility in international law, in: ICLQ 52 (2003), 615 [622]. 264 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, Vor § 39 Rdn. 3; Mohr, Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Staatenverantwortlichkeit für internationale Verbrechen, in: Hankel/Stuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, S. 401 [406 f.] spricht von einer „DoppelVerantwortlichkeit“; Nollkaemper, Concurrence between individual responsibility and state responsibility in international law, in: ICLQ 52 (2003), 615 [618 ff.]; Schröder, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VII Rdn. 38; Werle, Völkerstrafrecht, Rdn. 108; A. Zimmermann, Responsibility for Violations of International Humanitarian Law, International Criminal Law and Human Rights Law, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 203 [216]. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 des IV. Haager Abkommens und Art. 91 ZP-I, die eine Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des humanitären Völkerrechts vorsehen, nicht zwischen schweren Verstößen gegen Kernbestimmungen des humanitären Völkerrechts (also Kriegsverbrechen und der damit zugleich ausgelösten individuellen (völker-)strafrechtlichen Verantwortlichkeit) einerseits und einfachen Verstößen gegen sonstiges humanitäres Völkerrecht andererseits differenzieren. 265 So z. B. Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 204. Inwieweit sich die individuelle (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeit (z. B. für Kriegsverbrechen) im System der Staatenverantwortlichkeit auswirken kann dazu s. auch Nollkaemper, Concurrence between individual responsibility and state responsibility in international law, in: ICLQ 52 (2003), 615 [632 ff.]. 266 s. Art. 75 I RömSt: „Der Gerichtshof stellt Grundsätze für die Wiedergutmachung auf, die an oder in Bezug auf die Opfer zu leisten ist, einschließlich Rückererstattung, Entschädigung und Rehabilitierung. Auf dieser Grundlage kann der Gerichtshof in seiner Entscheidung entweder auf Antrag oder unter außergewöhnlichen Umständen aus eigener Initiative den

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Diese Aspekte – also zum einen die Zusammenhänge zwischen humanitärem Völkerrecht, Menschenrechten und Völkerstrafrecht und zum anderen die mögliche Ausstrahlungswirkung des Völkerstrafrechts auf das humanitäre Völkerrecht im Hinblick auf individuelle Wiedergutmachungsansprüche – rechtfertigen es, völkerstrafrechtliche Normen mit in die Bearbeitung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten in Teil 2 dieser Arbeit aufzunehmen. Tatsächlicher Hintergrund für schwere Verletzungen elementarer Bestimmungen aus dem Bereich des humanitären Völkerrechts und damit Kriegsverbrechen sind vor allem Konstellationen in bewaffneten Konflikten mit deutscher Beteiligung, wie sie in Beispiel 3 (willkürliche Schädigungshandlungen wie vorsätzliche Tötung, Folter oder Vergewaltigung) in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b) angeführt worden sind – wenngleich auch die schwere Verletzung mancher der Bestimmungen aus den Art. 48 – 60 ZP-I, wie sie in Beispiel 1 oder 2 erfolgt sein könnte, eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit begründen kann (s. unten). Auch wenn es bislang zu keinen – der Öffentlichkeit bekannten – Vorfällen gekommen ist, bei denen deutsche Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz in schwerwiegender Weise gegen bedeutende humanitäre Vorgaben verstoßen haben, so sind durch deutsche Soldaten begangene Kriegsverbrechen für die Zukunft keineswegs ausgeschlossen. Beispielhaft für eine Begehung von Kriegsverbrechen aus der jüngeren Zeit sei das Verhalten USamerikanischer Marines in der irakischen Stadt Haditha am 19. November 2005 genannt.267 In völkerrechtlicher Hinsicht ist in Bezug auf die Begehung von Kriegsverbrechen zunächst festzustellen, dass es völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist, dass die Begehung von Kriegsverbrechen eine (völker-)strafrechtliche individuelle Verantwortlichkeit nach sich zieht.268 Dieser völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Grundsatz ist überdies in Art. 25 i.V.m. Art. 5 RömSt und in Art. 7 I i.V.m. Art. 2 und 3 des Statuts des Jugoslawien-Tribunals verankert. Über die völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Strafbarkeit von Kriegsverbrechen hinaus stellt sich die Frage, welche Verstöße gegen Regeln des humanitären Völkerrechts als Kriegsverbrechen anzusehen sind. In Art. 8 II RömSt269 werden Kriegsverbrechen als „schwere Verstöße gegen die […] im internationalen / nicht-internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche“ definiert. Die Vorschrift beinhaltet einen Katalog zentraler Verstöße gegen humanitäres Völker-

Umfang und das Ausmaß des Schadens, Verlustes oder Nachteils feststellen, der den Opfern oder in Bezug auf die Opfer entstanden ist, wobei er die Grundsätze nennt, aufgrund deren er tätig wird.“ 267 s. Hoppe, Ein Massaker für Mikey, in: Der Spiegel 22/2007, S. 122 ff. 268 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 151: „Individuals are criminally responsible for war crimes they commit.“ 269 Zur Entstehungsgeschichte von Art. 8 RömSt s. Cottier, in: Triffterer (Ed.), Art. 8 RömSt Rdn. 4.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

recht, die als Kriegsverbrechen anzusehen sind,270 und gleichzeitig Völkergewohnheitsrecht verkörpern271 und unterscheidet vier Kategorien von Kriegsverbrechen. Um vom Vorliegen eines Kriegsverbrechens ausgehen zu können, müssen mit Blick auf die zentrale Vorschrift des Art. 8 II RömSt und mit Blick auf die Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals generell folgende objektive Merkmale erfüllt sein: (i) Es muss sich um einen Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht handeln.272 Diese Voraussetzung verdeutlicht, dass das Völkerstrafrecht stets auf das humanitäre Völkerrecht Bezug nimmt und beide Rechtsmaterien miteinander zusammenhängen.273 (ii) Es müssen alle Voraussetzungen zur Anwendbarkeit einer völkerstrafrechtlichen Norm erfüllt sein.274 Bei Vertragsrecht muss also insbesondere die völkerrechtliche Bindung der beteiligten Staaten gegeben sein. (iii) Es können nur gewichtige Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht als Kriegsverbrechen eingestuft werden und damit die völkerrechtliche Strafbarkeit von Individuen nach sich ziehen. Wann diese Schwelle im Einzelnen überschritten ist, ist nicht immer leicht zu bestimmen. In der Praxis werden Verstöße gegen das humanitäre Völkerrechts vor allem dann als gewichtig eingestuft, wenn die körperliche Integrität einer geschützten Person verletzt oder ihr Leben gefährdet wird oder wichtige humanitäre Werte missachtet werden.275 Zur Bestimmung eines schweren Verstoßes gegen humanitäre Vorschriften lassen sich auch die entsprechenden Bestimmungen der Genfer Abkommen von 1949, unter anderem Art. 146 GA-IV, heranziehen, auf die Art. 8 RömSt Bezug nimmt (s. unten). Neben den objektiven Merkmalen eines Kriegsverbrechens ist in subjektiver Hinsicht erforderlich, dass die Elemente, die die innere Tatseite eines Kriegsverbrechens 270 s. auch Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals im Fall Tadic´ : Das Tribunal formulierte folgende Voraussetzungen für seine Zuständigkeit, aus denen sich zugleich die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Kriegsverbrechens folgern lassen: „(i) the violation must constitute an infringement of a rule of international humanitarian law; (ii) the rule must be customary in nature or, if it belongs to treaty law, the required condition must be met […]; (ii) the violation must be ,serious, that is to say, it must constitute a breach of a rule protecting important values, and the breach must involve grave consequences for the victim […]; (iv) the violation of the rule must entail […] the individual criminal responsibility of the person breaching the rule“ (ICTY, Prosecutor v. Tadic´, Appeals Chamber, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, Case no. IT-94-1-A, 02. 10. 1995, Ziff. 94, im Internet verfügbar unter: http://www.un.org/icty/tadic/appeal/decision-e/51002.htm, nachgesehen am 25. 07. 2009). 271 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 156, S. 574 – 603; Werle, Völkerstrafrecht, Rdn. 932. 272 Cottier, in: Triffterer (Ed.), Art. 8 RömSt Rdn. 1 f. 273 Werle, Völkerstrafrecht, Rdn. 935. 274 s. dazu Werle, Völkerstrafrecht, Rdn. 935. 275 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 156, S. 569 f.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

127

ausmachen, vorliegen.276 Das heißt, der Täter muss die objektiven Merkmale eines Kriegsverbrechens vorsätzlich verwirklicht haben (s. Art. 30 RömSt).277 Diese Voraussetzung ist für die Annahme einer individuellen (völker-)strafrechtlichen Verantwortlichkeit unerlässlich, für die Begründung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des hinter dem Täter stehenden Staates hingegen nicht erforderlich [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. V. 1. zum im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit nicht erforderlichen Merkmal schuldhaften Verhaltens], weswegen die Voraussetzungen der inneren Tatseite an dieser Stelle – mit Blick auf den Gegenstand der Untersuchung – nicht weiter vertieft werden sollen. Welche Verstöße gegen humanitäre Normen im Einzelnen als Kriegsverbrechen eingeordnet werden können, läßt sich etwa der bereits genannten Vorschrift des Art. 8 II RömSt entnehmen.278 Art. 8 II RömSt zählt in vier Kategorien Kriegsverbrechen auf, die der Gerichtsbarkeit des IStGH279 unterliegen. Von Bedeutung im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit sind die ersten beiden Kategorien (Art. 8 II a) und b) RömSt): In Art. 8 II a) RömSt werden „schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949“ aufgezählt. Darunter fallen unter anderem „vorsätzliche Tötung“ (Art. 8 II a) i) RömSt) und „Folter“ (Art. 8 II a) ii) RömSt). Diese Aufzählung deckt sich mit der Vorschrift des Art. 146 GA-IV, der unter anderem die vorsätzliche Tötung und Folterung als „schwere Verletzung“ des GA-IV benennt. In Art. 8 II b) RömSt werden „andere schwere Verstöße gegen die […] im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche“ aufgezählt. Darunter fallen „vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung“ (Art. 8 II b) i) RömSt), „vorsätzliche Angriffe auf zivile Objekte“ (Art. 8 II b) ii) RömSt), „vorsätzliches Führen eines Angriffes“, und zwar „in der Kenntnis“, dass dieser unverhältnis276

Zu den Elementen der inneren Tatseite von Kriegsverbrechen s. Bothe, War Crimes, in: Cassese/Gaeta/Jones (Eds.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Bd. 1, S. 379 [389 f.]; Werle, Völkerstrafrecht, Rdn. 979 ff. 277 Zu den Voraussetzungen der inneren Tatseite gem. Art. 30 RömSt s. ausführlich Piragoff/Robinson, in: Triffterer (Ed.), Art. 30 RömSt. 278 Eine umfassende Kommentierung zu Art. 8 des RömSt findet sich bei Dörmann, Elements of War Crimes under the Rome Statute of the International Criminal Court sowie bei Triffterer (Ed.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court; zu Einzelheiten der Begehung von Kriegsverbrechen s. auch Bothe, War Crimes, in: Cassese/ Gaeta/Jones (Eds.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Bd. 1, S. 379 [392 ff.]. 279 Gem. Art. 8 I RömSt erstreckt sich die Gerichtsbarkeit des IStGH auf „Kriegsverbrechen“, und zwar „insbesondere wenn diese als Teil eines Plans oder einer Politik oder als Teil der Begehung solcher Verbrechen in großem Umfang verübt werden.“ Laut Bothe sollen folglich isolierte individuelle Akte einzelner Mitglieder der Streitkräfte eines Landes, die ein Kriegsverbrechen begründen, den IStGH gewöhnlich nicht beschäftigen, da diese die internationale Gemeinschaft nicht „als Ganzes“ berühren (Art. 5 I RömSt), s. Bothe, War Crimes, in: Cassese/Gaeta/Jones (Eds.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Bd. 1, S. 379 [380]. Diese Aussage zur Gerichtsbarkeit des IStGH ändert aber nichts am Vorliegen oder Nicht-Vorliegen eines Kriegsverbrechens.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

mäßige zivile Verluste verursacht (Art. 8 II b) iv) RömSt), „die Verwendung von Waffen […], die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen“ (Art. 8 II b) xx) RömSt), „eine entwürdigende und erniedrigende Behandlung“ (Art. 8 II b) xxi) RömSt) und „Vergewaltigung“ (Art. 8 II b) xxii) RömSt). Zusammenfassend lässt sich zu Gliederungspunkt A. IV. 1. e) festhalten: – Bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr kann es – neben „gewöhnlichen“ Verstößen – auch zu schweren Verstößen gegen elementare Bestimmungen des humanitären Völkerrechts, also Kriegsverbrechen, kommen. Exemplarisch für die Begehung von Kriegsverbrechen steht die in Beispiel 3 genannte Konstellation. Aber auch die – vorsätzliche – Verletzung von humanitären Regeln wie etwa dem Verbot von Angriffen auf die Zivilbevölkerung (Art. 48, 51 II ZP-I), wie sie in den Beispielen 1 und 2 erfolgt sein könnte, lässt sich mit Blick auf die Vorschrift des Art. 8 RömSt als Kriegsverbrechen einstufen. – In Anbetracht des dadurch erlittenen schweren Leids stellt sich die Frage, ob die Begehung von Kriegsverbrechen nicht über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates hinausgehende Konsequenzen entfaltet und möglicherweise einen völkerrechtlichen Individualanspruch der durch die Kriegsverbrechen geschädigten Zivilpersonen gegen die BRD begründet [s. dazu ausführlich Teil 2, Gliederungspunkt B.]. – Es soll schließlich hervorgehoben werden, dass die vorliegende Arbeit unterstellt, dass etwaige Kriegsverbrechen nicht als Teil eines Planes oder einer Politik oder als Teil der Begehung solcher Verbrechen in großem Umfang auf Seiten der BRD (s. Art. 8 I RömSt) erfolgt sind, sondern von einzelnen Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz verübt worden sind.

f) Zusammenfassung: Anwendbare und verletzte Vorschriften des Völkerrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr Betrachtet man die aktuellen und abgeschlossenen Auslandseinsätze der Bundeswehr, so ergibt sich im Hinblick auf die dabei anwendbaren und verletzten Vorschriften des Völkerrechts zusammenfassend folgendes Bild: Was die aktuellen Auslandsengagements angelangt, so sind im Falle des KFOREinsatzes im Kosovo und des EUFOR-Einsatzes in Bosnien die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts mangels ersichtlichen bewaffneten Konfliktes nicht anwendbar. Hingegen sind die Bestimmungen der EMRK in diesen beiden Einsätzen aufgrund der Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse anwendbar. Im Falle des ISAF-Einsatzes wird man aufgrund der tatsächlichen Umstände vom Vorliegen andauernder bewaffneter Auseinandersetzungen und damit von der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts ausgehen können, wohingegen die menschenrechtli-

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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chen Garantien der EMRK mangels Ausübung hoheitlicher Befugnisse nicht zur Geltung gelangen. Auch die OEF-Truppen sind in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt und damit an humanitäre Bestimmungen gebunden; in Situationen, in denen es zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse kommt, sind die OEF-Soldaten zur Beachtung der EMRK verpflichtet. Mit Blick auf den UNIFIL-Einsatz deutscher Seestreitkräfte lässt sich die Situation eines bewaffneten Konfliktes angesichts des ausgehandelten Waffenstillstandes nicht feststellen. In Einzelfällen, wie etwa Gefangennahmen, könnte es aber zur Anwendbarkeit der EMRK kommen. Was abgeschlossene Auslandseinsätze der Bundeswehr anbelangt, so ist vor allem – mit Blick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand – die Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-geführten Operation „Allied Force“ im Kosovo 1999 zu nennen. Hier lag eindeutig ein bewaffneter Konflikt vor. Die eingesetzten Bundeswehr-Soldaten waren damit zur Beachtung der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts, vor allem zur Beachtung der Art. 48 – 60 ZP-I, gehalten. Mangels Ausübung von Hoheitsgewalt waren bei dieser Operation die Bestimmungen der EMRK nicht anwendbar. Aus dieser zusammenfassenden Betrachtung ergibt sich, dass nur vereinzelt humanitäre und menschenrechtliche Bestimmungen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gleichzeitig anwendbar sind. Neben herkömmlichen Verstößen gegen Bestimmungen des humanitären Völkerrechts kann es überdies im Verlauf von Auslandseinsätzen im Rahmen bewaffneter Konflikte zu schweren Verstößen gegen elementare Bestimmungen aus dem Normregime des humanitären Völkerrechts, sprich Kriegsverbrechen, kommen, die sowohl eine völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit der betreffenden Bundeswehr-Soldaten als auch eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD auslösen (können).

2. Zurechnung eines Verhaltens (attribution of conduct) Die Begründung der Staatenverantwortlichkeit setzt neben der Verletzung völkerrechtlicher Vorschriften gemäß Art. 2 lit. a) der ILC-Artikel voraus, dass die Verletzung dem Staat zurechenbar ist [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV.].280 Die Zurechenbarkeit ist das Ergebnis einer rechtlichen Operation, mittels derer ein tatsächliches, von Menschen verursachtes Geschehen (= Verhalten von BundeswehrSoldaten im Auslandseinsatz) einem Staat (= BRD) rechtlich zugeordnet wird.281 Unter welchen Voraussetzungen ein tatsächliches, von Menschen gesteuertes Geschehen einem Staat – völkerrechtlich – zugeordnet wird und damit die Zurechenbar280 Englische Fassung des Art. 2 ILC: „There is an internationally wrongful act of a State when conduct consisting of an action or an omission: (a) is attributable to the State under international law … (Hervorhebung durch den Verfasser).“ 281 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 176 III 1; Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisationen, S. 78; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 39.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

keit begründet, wird in den Art. 4 – 11 (Kapitel II) der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit näher bestimmt. Ausgehend von den Regelungen der Art. 4 – 11 der ILC zur Staatenverantwortlichkeit wird unter Gliederungspunkt A. IV. 2. untersucht, ob und inwieweit das – gegen völkerrechtliche Bestimmungen verstoßende und Schäden an Zivilpersonen verursachende – Verhalten von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz der BRD völkerrechtlich zurechenbar ist. In erster Linie wird einem Staat gemäß Art. 4 der ILC-Artikel das Handeln seiner Organe zugerechnet [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. a)]. Zudem zeichnet sich ein Staat gemäß Art. 16 der ILC-Artikel für die völkerrechtswidrige Handlung eines anderen Staates, zu deren Begehung er Beihilfe geleistet hat, verantwortlich [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. b)]. Stellt ein Staat einem anderen Staat gemäß Art. 6 des ILC-Artikel ein Organ zur Verfügung, kann dies eine sog. Organleihe begründen, wonach das Verhalten des Organs dem entleihenden Staat zugerechnet wird [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c)]. In der Praxis tritt die Organleihe allerdings weniger zwischen Staaten auf, sondern vielmehr zwischen Staaten und Internationalen Organisationen. Angesichts der gängigen Einbindung der Bundeswehr in multinationale Militäreinsätze unter dem Dach einer Internationalen Organisation (UN, NATO oder EU) soll unter Gliederungspunkt A. IV. 2. c) schwerpunktmäßig untersucht werden, ob deutsche Soldaten bei Auslandseinsätzen der jeweils federführenden Internationalen Organisation im Wege der Organleihe zur Verfügung gestellt werden – mit der Folge, dass das Verhalten der Soldaten dann der Internationalen Organisation und nicht dem entleihenden Staat zuzurechnen wäre. Bei der Untersuchung der (eventuellen) Zurechenbarkeit des Verhaltens von Bundeswehr-Soldaten zu der entsprechenden Internationalen Organisation soll auch der – mittlerweile – vom ILC vorgelegte Entwurf zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen282 berücksichtigt werden. Im Zusammenhang mit Schäden, die sich bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr unter Leitung einer Internationalen Organisation ereignen, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob die BRD nicht allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der jeweils leitenden Internationalen Organisation als verantwortlich für die Schäden anzusehen ist – unabhängig von der Nationalität des konkreten Verursachers [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. d)].

282

Text of the draft articles on responsibility of international organizations provisionally adopted so far by the Commission, abgedruckt in: Report of the International Law Commission, 59th Session (2007), Official Records of the General Assembly, 62nd Session, Supplement No. 10 (UN Doc. A/62/10), Kapitel VIII, S. 184 ff.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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a) Handeln eigener Organe (Art. 4 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit) Der Staat handelt durch seine Organe.283 Dementsprechend wird dem Staat in erster Linie das Handeln seiner Organe zugerechnet – gleichgültig, welche Funktion das entsprechende Organ ausübt, und gleichgültig, welche Stellung es einnimmt (Art. 4 Nr. 1 der ILC-Artikel).284 Als „Organ“ definieren die ILC-Artikel jede Person („person“) oder Einheit („entity“), die diesen Status kraft des innerstaatlichen Rechts des Staates innehat (Art. 4 Nr. 2 der ILC-Artikel). Ob ein bestimmtes tatsächliches Geschehen von einem Organ der BRD verursacht worden ist, bestimmt sich also nach deutschem Recht.285 Das innerstaatliche deutsche Recht ist allerdings nur für die Feststellung der Organeigenschaft maßgeblich. Die eigentliche Zurechenbarkeit, also die rechtliche Verknüpfung von Organverhalten mit dem Staat, beurteilt sich nach Völkerrecht.286 Bei völkerrechtswidrigem Handeln staatlicher Organe auf fremdem Staatsgebiet bleibt die Verknüpfung von (Herkunfts-)Staat und Staatsorgan bestehen.287 Das heißt: Trotz der Gebietshoheit des fremden Staates ist die Organeigenschaft im Verhältnis zum Herkunftsstaat maßgeblich288 und bestimmt somit die Zurechenbarkeit des Organhandelns. Überdies wird das Verhalten seiner Organe einem Staat nur dann zugerechnet, wenn sie in amtlicher Eigenschaft handeln.289 Insoweit zurechenbare Handlungen 283

s. Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 5; vgl. auch Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 104 ff. 284 Zu diesem gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatz s. auch Brownlie, Principles of Public International Law, S. 445 ff.; Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 4 Nr. 3; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 176 I, II 8; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 5; Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 55; Schröder, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VII Rdn. 23; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1109; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1270. Speziell zur Zurechnung von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht im System der Staatenverantwortlichkeit s. Sassli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC 82 (2002), 401 [404 ff.]. Ist das Verhalten dem Staat – mangels Organeigenschaft des Handlungssubjektes – nicht zurechenbar, besteht allerdings die Möglichkeit, dass ein Verstoß gegen Vorschriften des humanitären Völkerrechts eine individuelle (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet, s. dazu Sassli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC 82 (2002), 401 [404]. 285 s. auch von Münch, Das völkerrechtliche Delikt, S. 170. 286 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 4; Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 56; Schröder, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VII Rdn. 23. 287 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1111. 288 de Hoogh, Articles 4 and 8 of the ILC Articles on state responsibility, the Tadic´ case and attribution of acts of Bosnian Serb authorities to the Federal Republic of Yugoslavia, in: BYIL 72 (2001), 255 [286]. 289 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 176 III 3; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 3.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

sind nur diejenigen, die ein Organ im Auftrag des Staates oder zumindest in Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit vornimmt. Handeln außerhalb dieses Bereichs ist als privates Handeln der das Organ bildenden Individuen dem Staat grundsätzlich nicht zurechenbar.290 Von der Frage des Handelns in amtlicher Eigenschaft zu unterscheiden ist die Frage, ob dem Staat auch ein kompetenzüberschreitendes Verhalten eines seiner Organe zurechenbar ist (sog. ultra-vires-Handeln). Art. 7 der Artikel der ILC zur Staatenverantwortlichkeit kodifiziert den völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatz, dass Organhandeln dem Staat völkerrechtlich zuzuordnen ist, selbst wenn es seinen (national-rechtlichen) Kompetenzen oder Weisungen zuwiderhandelt.291 Ob speziell die Bundeswehr ein Organ ist, das die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD auszulösen vermag, lässt sich anhand der (wehrverfassungsrechtlichen) Konzeption des Grundgesetzes bestimmen: Die Bundeswehr ist als militärisches Instrument zur Verteidigung des Landes vorgesehen und in die Verfassung integriert.292 Die Streitkräfte der BRD werden der vollziehenden Gewalt, der Exekutive zugeordnet.293 Damit ist die Bundeswehr letztlich Teil des Organisationsgefüges, in dem sich die BRD verwirklicht und somit „Organ“ im Sinne des Art. 4 der ILC-Artikel.294 Das hat zur Folge, dass dienstliches Verhalten295 von Angehörigen der Bundeswehr – unter Einschluss von Handlungen, die diese unter Verletzung des deutschen Rechts (zum Beispiel: Missachten von Befehlen) begehen – der BRD nach völkerrechtlichen Gesichtspunkten ohne weiteres zurechenbar ist.296

290

Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 176 III 3; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 29; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1117. Ausführungen zur Verantwortung des Staates für das Handeln von Privatpersonen finden sich bei Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 177. Die Art. 8 (von einem Staat geleitetes oder kontrolliertes Verhalten), Art. 9 (Verhalten im Falle der Abwesenheit oder des Ausfalls der staatlichen Stellen) und Art. 11 (Verhalten, das ein Staat als sein eigenes anerkennt und annimmt) der ILCArtikel erfassen die wesentlichen Fallgruppen, in denen eine Haftung des Staates für das Handeln Privater ausnahmsweise in Betracht kommt. 291 Englische Fassung des Art. 7: „The conduct of an organ of a State or of a person or entity empowered to exercise elements of the governmental authority shall be considered an act of the State under international law if the organ, person or entity acts in that capacity, even if it exceeds its authority or contravenes instructions.“ 292 Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 858. 293 Erhardt, Befehls- und Kommandogewalt, S. 99; F. Kirchhof, in: Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdStR, Bd. IV, § 84 Rdn. 7; Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 854. 294 s. auch Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 7. 295 Zur Abgrenzung der dienstlichen Sphäre gegenüber dem rein privaten Verhalten bei Handeln von Streitkräften s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 176 VII 1. 296 Zur völkerrechtlichen Zurechnung des Handelns von Streitkräften zu dem dahinter stehenden Staat s. auch Brownlie, Principles of Public International Law, S. 450; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 176 VII 1.

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133

Eine gegenüber den ILC-Artikeln weitergehende Zurechenbarkeit von Völkerrechtsverstößen der Streitkräfte ist in Art. 3 des IV. Haager Abkommens und in Art. 91 ZP-I für den Fall bewaffneter Auseinandersetzungen vorgesehen [s. bereits zu vom Recht der Staatenverantwortlichkeit abweichenden Vorschriften im humanitären Völkerrecht Teil 2, Gliederungspunkt A. IV.]: Danach sind die Vertragsstaaten für „alle“ von Angehörigen ihrer Streitkräfte begangenen Verstöße gegen das Abkommen bzw. das Protokoll verantwortlich. Dies schließt ohne weiteres diejenigen Fälle mit ein, in denen Soldaten ihre Kompetenzen überschreiten bzw. Weisungen zuwiderhandeln (s. bereits Art. 7 der ILC-Artikel).297 Dies schließt aber auch diejenigen Fälle mit ein, in denen Angehörige der Streitkräfte völlig außerhalb der dienstlichen Sphäre handeln (privates Handeln).298 In Fällen bewaffneter Auseinandersetzungen muss sich ein Staat somit auch Exzesse und Verbrechen seiner Truppen völkerrechtlich zurechnen lassen, die in keinerlei Zusammenhang zum dienstlichen Bereich stehen. Lässt man den Umstand der Einbindung einer Internationalen Organisation bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zunächst einmal außer Betracht [dazu s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c)], so ergibt sich aus den dargestellten völkerrechtlichen Regeln zur Zurechenbarkeit im Rahmen des Systems der Staatenverantwortlichkeit: Das Handeln von Soldaten der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen ist der BRD unmittelbar völkerrechtlich zurechenbar, und kann somit eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD für durch Bundeswehr-Soldaten infolge der Verletzung völkerrechtlicher Vorschriften verursachte Schäden an Zivilpersonen auslösen. b) Beihilfe zur völkerrechtswidrigen Handlung eines anderen Staates (Art. 16 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit) Die Artikel der ILC enthalten auch besondere Bestimmungen für die Verwicklung eines Staates in einen Völkerrechtsverstoß eines anderen Staates (Kapitel IV, Art. 16 – 19 der ILC-Artikel).299 So trifft einen Staat gemäß Art. 16 der ILC-Artikel für die Beihilfe („aid“) oder Unterstützung („assistance“) eines anderen Staates bei

297 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 176 VII 3; Henckaerts/DoswaldBeck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 149, S. 533; Sassli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC 82 (2002), 401 [405]; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1110. 298 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 176 VII 3; Kamenov, The origin of State and entity responsibility for violations of international humanitarian law in armed conflicts, in: Kalshoven/Sandoz (Eds.), Implementation of International Humanitarian Law, S. 169 [174 f.]; Kalshoven, State responsibility for warlike acts of armed forces, in: ICLQ 40 (1991), 827 [837 f.]; Sassli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC 82 (2002), 401 [405 f.]. 299 Ausführlich zur Beihilfe im Recht der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit Felder, Die Beihilfe im Recht der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit, S. 117 ff.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

der Begehung einer Völkerrechtsverletzung eine eigene300 völkerrechtliche Verantwortlichkeit. Diese Verantwortlichkeit des Unterstützers ist allerdings vom – kumulativen – Vorliegen folgender Voraussetzungen abhängig: Erstens muss der unterstützende Staat Kenntnis von den Umständen haben, die zur Völkerrechtswidrigkeit der Handlung des unterstützten Staates führen (Art. 16 a) der ILC-Artikel); zweitens muss der Staat Kenntnis von dem Umstand haben, dass sein Verhalten die Begehung der – völkerrechtswidrigen – Handlung erleichtert;301 und drittens müsste die – unterstützte – Handlung ebenfalls völkerrechtswidrig sein, wenn der – unterstützende – Staat sie selber beginge (Art. 16 b) der ILC-Artikel).302 Dass die – vorsätzliche – Unterstützung einer völkerrechtswidrigen Handlung eines anderen Staates gemäß Art. 16 der Artikel der ILC zur Staatenverantwortlichkeit eine eigene völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Unterstützers begründet, ist in der Staatenpraxis allgemein anerkannt.303 Beispielhaft für das Anwendungsgebiet des Art. 16 der ILC-Artikel ist die Konstellation, die dem Fall Varvarin zugrunde lag: Eine eigene schädigende Handlung durch deutsche Soldaten, die eine Amtspflichtverletzung im Rahmen von § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG begründen würde, lag nicht vor.304 Als Anknüpfungspunkt für eine zurechenbare und vorwerfbare Amtspflichtverletzung der BRD kam indes eine objektiv unterstützende Beteiligung an einer unerlaubten Handlung eines anderen gemäß § 830 BGB in Betracht.305 Während der Angriffe auf die Brücke von Varvarin durch US-Kampfjets gewährten deutsche Kampfflugzeuge Luftraumschutz. Da deutsche Stellen aber keine Kenntnis von der Völkerrechtswidrigkeit der Angriffe hatten, verneinte der BGH das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung – mangels Vorwerfbarkeit.306 Zwar beziehen sich die Ausführungen des BGH auf die Zurechnung einer unerlaubten Handlung eines anderen gemäß § 830 BGB. Zieht man jedoch Art. 16 der ILC-Artikel als Maßstab zur Beurteilung der Unterstützungshandlung heran, so kommt man für die völkerrechtliche Seite der Zurechnung ebenfalls zu dem Ergebnis, 300

Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1112; s. auch E. Klein, Beihilfe zum Völkerrechtsdelikt, in: von Münch (Hrsg.), Staatsrecht – Völkerrecht – Europarecht. Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, S. 425 [427] zur Vorgängervorschrift von Art. 16 der ILC-Artikel. 301 So zumindest Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 16 Nr. 3, 5. 302 Hintergrund für diese – einschränkende – Voraussetzung ist das völkerrechtliche Prinzip, kodifiziert in Art. 34 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge von 1969 (WVK), wonach ein völkerrechtlicher Vertrag, der einen Staat bindet (hier: unterstützter Staat), für einen anderen Staat (hier: unterstützender Staat) ohne dessen Zustimmung weder Pflichten noch Recht begründet, s. Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Vor Art. 16 Nr. 8. 303 s. auch Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 16 Nr. 7. 304 BGHZ 169, 348 [358, Ziff. 21]. 305 BGHZ 169, 348 [358, Ziff. 21; 359 f., Ziff. 23]. 306 BGHZ 169, 348 [359, Ziff. 23].

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dass die im vorliegenden Falle durch deutsche Soldaten geleistete Unterstützung zu einer völkerrechtswidrigen Handlung eines anderen Staates keine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD nach Art. 16 der ILC-Artikel begründet, und zwar mangels Kenntnis der Völkerrechtswidrigkeit des Angriffs auf deutscher Seite.

c) Auslandseinsatz der Bundeswehr unter Führung einer Internationalen Organisation – völkerrechtliche Organleihe zwischen BRD und Internationaler Organisation? Konstitutives Merkmal der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist die internationale Einbindung der Bundeswehr.307 In historischer Hinsicht lässt sich dieses Grundprinzip auf die – vor allem in Folge des Zweiten Weltkriegs gewonnene – Einsicht zurückführen, keine militärischen Alleingänge zu unternehmen.308 In praktischer Hinsicht beruht die internationale Einbindung der Bundeswehr auf der Erkenntnis, umfassende Sicherheit damals wie heute nicht allein nationalstaatlich gewährleisten zu können: Vor dem Hintergrund der Ost-West-Konfrontation erfolgte die Einbindung der Bundeswehr in die NATO anfänglich unter anderem zu dem Zweck, potentielle Aggressoren durch die – in Art. 5 des NATO-Vertrages309 vorgesehene – Beistandsverpflichtung abzuschrecken.310 Die durch das Ende des Kalten Krieges ausgelösten Umwälzungen haben das sicherheitspolitische Umfeld für die BRD in der Zwischenzeit grundlegend verändert: Eine Gefährdung deutschen Territoriums durch konventionelle Streitkräfte erscheint derzeit unwahrscheinlich, die Sicherheit Deutschlands wird zunehmend durch die destabilisierenden Folgen regionaler Krisen und durch den internationalen Terrorismus beeinträchtigt.311 Auf der Grundlage der Erkenntnis, dass diesen globalen Risiken nur im Zusammenwirken mit Verbündeten und Partnern begegnet werden kann, ist die deutsche Sicherheitsund Verteidigungspolitik aber – nach wie vor – auf ein multinationales Zusammen307

Aßmann, Konzeptionelle Vorgaben durch internationale Einbindung, in: Krause/Irlenkaeuser (Hrsg.), Bundeswehr – Die nächsten 50 Jahre, S. 39 [39]; s. auch Weißbuch 2006 des Bundesministeriums der Verteidigung zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Kapitel 2 [Deutsche Sicherheitspolitik im internationalen Rahmen], S. 30. 308 s. Rauch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, S. 41. 309 Art. 5 des NATO-Vertrages lautet: „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, […].“ 310 Hellmann, Sicherheitspolitik, in: Schmidt/Hellmann/R. Wolf (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik, S. 605 [608]; Varwick, Nordatlantische Allianz, in: Schmidt/Hellmann/R. Wolf (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Außenpolitik, S. 763 [764, 767]. 311 KdB 2004, Gliederungspunkt 2., S. 7; Weißbuch 2006, Kapitel 1 [Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik], S. 21.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

wirken in internationalen Organisationen ausgerichtet und der Einsatz der Bundeswehr primär im Rahmen internationaler Bündnisse vorgesehen.312 Die heutige Bundeswehr ist gegenwärtig nicht mehr eine Armee, deren zentraler Auftrag in der „Landesverteidigung“ besteht, sondern vielmehr eine Armee, die im Rahmen internationaler Organisationen (NATO, EU oder UN) in ausländischen Krisengebieten zur Herstellung von Stabilität und Sicherheit eingesetzt wird [s. bereits Teil 1, Gliederungspunkt B. I.].313 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die transatlantischen Beziehungen – laut KdB und Weißbuch – die entscheidende Grundlage für die deutsche (und europäische) Sicherheit darstellen.314 Die NATO als Rückgrat dieser Beziehungen ist der „stärkste Anker“ der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.315 Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der NATO sind somit von überragender Bedeutung für die Umsetzung deutscher Sicherheitspolitik. Daneben ist die Schaffung einer eigenständigen militärischen Handlungsfähigkeit der EU ein wesentlicher Beitrag zur Gewährleistung deutscher Sicherheit.316 Die Fortentwicklung der durch den Europäischen Rat von Köln im Juni 1999 aus der Taufe gehobenen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) hat zur Herausbildung institutioneller Strukturen317 und operativer Kapazitäten318 geführt, die die EU mittlerweile in die Lage versetzen – unter Rückgriff oder ohne Rückgriff auf NATO-Mittel – militärische Operationen durchzuführen. Art. 42 I des am 13. Dezember 2007 unterzeichneten Vertrages von Lissabon, der an die Stelle des bisherigen Art. 17 II EUV treten soll, spricht von einer „auf zivile und militärische Mittel gestützte[n] Operationsfähigkeit“, auf die die EU bei Missionen zur Friedenssiche312 Aßmann, Konzeptionelle Vorgaben durch internationale Einbindung, in: Krause/Irlenkaeuser (Hrsg.), Bundeswehr – Die nächsten 50 Jahre, S. 39 [39]; s. auch KdB 2004, Gliederungspunkt 2., S. 7; Weißbuch 2006, Kapitel 2 [Deutsche Sicherheitspolitik im internationalen Rahmen], S. 30. 313 s. Weißbuch 2006, Kapitel 4 [Die Bundeswehr im Einsatz], S. 89. Die aktuell laufenden Auslandseinsätze der Bundeswehr werden auf der Internet-Seite www.einsatz.bundeswehr.de, Stichwort: „Aktuelle Einsätze“, aufgeführt. 314 KdB 2004, S. 7; Weißbuch 2006, Kapitel 2 [Deutsche Sicherheitspolitik im internationalen Rahmen], S. 30. 315 Weißbuch 2006, Kapitel 2 [Deutsche Sicherheitspolitik im internationalen Rahmen], S. 30. 316 KdB 2004, S. 8; vgl. auch Weißbuch 2006, Kapitel 2 [Deutsche Sicherheitspolitik im internationalen Rahmen], S. 40 ff. Zur Geschichte der Entwicklung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik s. Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 326 ff.; Whitman, NATO, the EU and ESDP: an emerging division of labour, in: CSP 25 (2004), 430 [431 ff.]. Zur Frage, ob die EU durch die Herausbildung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ihr Zivilmachtskonzept aufgegeben hat und sich zu einer Militärmacht gewandelt hat, s. Kappler, Zivilmacht oder Militärmacht? 317 s. dazu Dietrich, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 340 ff. 318 s. dazu Dietrich, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 395 ff.; Streinz, Europarecht, Rdn. 752.

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rung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit zurückgreifen kann.319 EU-Operationen mit Bundeswehr-Beteiligung gewinnen für die Verwirklichung deutscher Sicherheitspolitik zunehmend an Bedeutung. Darüber hinaus beteiligt sich Deutschland sowohl an der Konfliktprävention als auch an multinationalen Friedensmissionen im Rahmen der UN, indem es unter anderem Bundeswehr-Soldaten bereitstellt.320 Diese Einbindung der Bundeswehr in militärische Operationen unter dem Dach Internationaler Organisationen321 könnte sich möglicherweise auf die völkerrechtliche Zurechenbarkeit des Verhaltens von Bundeswehr-Soldaten in Auslandseinsätzen zur BRD auswirken: Der BRD ist – wie in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. a) ausgeführt – in erster Linie das Handeln ihrer Organe, und somit das ihrer Streitkräfte zurechenbar (s. Art. 4 der ILC- Artikel). Stellt die BRD nun der NATO, EU oder UN Bundeswehr-Soldaten – zur Errichtung einer multinationalen Friedenstruppe – bereit, so schließt sich die Frage an, ob die Bundeswehr-Soldaten weiterhin als Organ der BRD anzusehen und ihr Handeln der BRD zurechenbar ist, oder aber ob die Zurverfügungstellung von Soldaten an eine Internationale Organisation zur Folge hat, dass das Handeln Soldaten der jeweiligen Internationalen Organisation zurechenbar ist. Ein tatsächliches, von Menschen verursachtes Geschehen, und damit das Verhalten von Streitkräften, ist einer Internationalen Organisation zurechenbar, wenn die

319 Zu den Neuerungen durch den Vertrag von Lissabon auf dem Gebiet der Europäischen bzw. Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik s. Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, S. 124 ff. 320 KdB 2004, S. 9; Weißbuch 2006, Kapitel 2 [Deutsche Sicherheitspolitik im internationalen Rahmen], S. 54. Kritisch zur Haltung führender Industriestaaten, sich vornehmlich an Militäroperationen der NATO und der EU zu beteiligen von Hippel, NATO, EU, and ad hoc coalition-led peace support operations: The end of UN peacekeeping or pragmatic subcontracting, in: S + F 22 (2004), 12 ff. 321 In dieser Arbeit werden Einsätze der Bundeswehr im Rahmen einer multinationalen Truppe unter Führung der NATO, UN oder EU in einem ausländischen Krisengebiet behandelt. Nicht behandelt wird indes die Verwendung der Bundeswehr in sog. „multinationalen Verbänden“, wie z. B. die Deutsch-Französischen Brigade, das Eurokorps oder das Deutsch-Niederländische Korps. Zu solchen multinationalen Verbänden: Fleck, Befehls- und Kommandogewalt über deutsche Streitkräfte in multinationalen Verbänden, in: Geiger (Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund zunehmender Verdichtung der internationalen Beziehungen, S. 163 ff.; F. Kirchhof, Deutsche Verfassungsvorgaben zur Befehlsgewalt und Wehrverwaltung in multinationalen Verbänden, in: NZWehrR 40 (1998), 152 ff.; Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 260 ff.; Stein, Rechtsformen multinationaler Verbände, in: NZWehrR 40 (1998), 143 ff.; Wieland, Ausländische Vorgesetzte deutscher Soldaten in multinationalen Verbänden, in: NZWehrR 41 (1999), 133 ff.; Wieland, Die Beteiligung der Bundeswehr an gemischtnationalen Einheiten, in: Grawert (Hrsg.), Offene Staatlichkeit. Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde, S. 219 ff.

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Handelnden als Organ der Internationalen Organisation anzusehen sind.322 Streitkräfte ließen sich dann als Organ(e) einer Internationalen Organisation einordnen, wenn sie Teil des Organisationsgefüges (geworden) wären, in dem sich die Internationale Organisation verwirklicht.323 Die Bereitstellung von Truppen von einem Mitgliedsstaat an eine Internationale Organisation und die Eingliederung ebendieser Truppen in das Organisationsgefüge der Internationalen Organisation könnten im Wege der völkerrechtlichen Organleihe erfolgt sein.324 Die Existenz einer Organleihe ist auch für den Bereich des Völkerrechts weitgehend anerkannt.325 Die Rechtsfigur der völkerrechtlichen Organleihe ist auf Konstellationen zugeschnitten, in denen ein Staat einem anderen Völkerrechtssubjekt (Staat oder Internationaler Organisation) ein Organ für spezifische Zwecke zur Verfügung stellt.326 Rechtsfolge einer solchen Organleihe ist ein Wechsel des Zurechnungsobjektes: Das Handeln des überlassenen Organs ist nicht mehr als Handeln des Herkunftsstaates, sondern als Handeln des begünstigten Völkerrechtssubjektes anzusehen.327 Das hat zur Folge, dass Handlungen des entliehenen Organs ausschließlich dem entleihenden Völkerrechtssubjekt, nicht aber dem verleihenden Staat zurechenbar sind.328 Allerdings lösen sich die Beziehungen des Organs zum Herkunftsstaat nicht vollständig auf: Denn „formell“ gesehen besteht die – ursprüngliche – Organstellung zum Herkunftsstaat für den Zeitraum der Überstellung fort bzw. ruht, wenn-

322

Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 6; Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 76. 323 Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 7, 16, 33; Werner, Die Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 175. 324 Für andere Formen der internationalen Kooperation (und entsprechend abweichende Zurechnungskriterien) s. Ohler, Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 223 ff. Ein knapper Überblick zu unterschiedlichen Konstruktionen im Hinblick auf die völkerrechtliche Zurechenbarkeit bei Beteiligung einer Internationalen Organisation an einer Militäroperation findet sich bei Wagner, Zu Grenzen des Menschenrechtsschutzes bei Auslandsfriedenseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: NZWehrR 49 (2007), 1 [6]. 325 Ohler, Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 240; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 103. Bestritten wird die Existenz der Organleihe im Völkerrecht von Nolte, Bundeswehreinsätze in kollektiven Sicherheitssystemen. Zum Urteil des BVerfG vom 12. Juli 1994, in: ZaöRV 54 (1994), 652 [668]. 326 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 179 I 1; Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 95; Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 40 Rdn. 20; Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 78; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 103; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1123; Werner, Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 176. 327 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 179 I 3; Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 40 Rdn. 22. 328 Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 40 Rdn. 22; Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 245; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1124.

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gleich – „materiell“ gesehen – das Handeln des Organs nunmehr dem entleihenden Völkerrechtssubjekt zugeordnet wird.329 Stellt die BRD nun der NATO, EU oder UN Bundeswehr-Soldaten für multinationale Friedenstruppen zur Verfügung, so ähnelt dieser Vorgang der soeben skizzierten Konstellation einer Organleihe. Folge einer – an dieser Stelle einmal unterstellten – Organleihe wäre, dass das Verhalten der bereitgestellten Bundeswehr-Soldaten nicht mehr der BRD, sondern der jeweils begünstigten Internationalen Organisation (NATO, EU oder EU) zuzurechnen wäre und damit eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit, mithin ein – haftungsrechtliches – Einstehenmüssen der BRD für das Verhalten der Soldaten nicht in Betracht käme. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsfolge einer völkerrechtlichen Organleihe ist es Ziel der nachfolgenden Ausführungen, Auslandseinsätze der Bundeswehr eingebettet in den operativen Rahmen einer Internationalen Organisation auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer völkerrechtlichen Organleihe hin zu untersuchen. Um zur Analyse der für eine Organleihe erforderlichen Voraussetzungen und zur Prüfung ebendieser Voraussetzungen im konkreten Fall allerdings vorstoßen zu können, ist allerdings eine gewisse „Vorarbeit“ unerlässlich: Unter Gliederungspunkt A. IV. 2. c) aa) soll geklärt werden, welche Internationalen Organisationen (NATO, EU oder UN) als Zurechnungssubjekte bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, auf die diese Arbeit ausgerichtet ist, in Betracht kommen. Im Anschluss daran sollen – dem besseren Verständnis halber – unter Gliederungspunkt A. IV. 2. c) bb) die Organisationsstrukturen und Abläufe in der NATO, EU und UN dargestellt werden. Nach dieser Vorarbeit werden unter Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) die Voraussetzungen herausgearbeitet, die für die Annahme einer völkerrechtlichen Organleihe erfüllt sein müssen. Unter Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (1) und unter Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (2) werden dann die entsprechenden Auslandseinsätze der Bundeswehr auf das Vorliegen der – unter Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) herausgearbeiteten – Voraussetzungen einer Organleihe hin untersucht. aa) Auslandseinsätze der Bundeswehr und dabei als Zurechnungssubjekte in Betracht kommende Internationale Organisationen Die vorliegende Arbeit orientiert sich an dem in der Konzeption der Bundeswehr vom 9. August 2004 und im Weißbuch 2006 dargelegten Aufgabenspektrum der Bundeswehr und ist demzufolge auf Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus ausgerichtet [s. Teil 1, Gliederungspunkt C.].

329 Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 95 f.; vgl. auch Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 243.

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Diese – aktuellen und abgeschlossenen – Auslandseinsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sind entweder in den operativen Rahmen der NATO, der EU oder aber der UN eingebettet.330 Dementsprechend kommen also diese drei Internationalen Organisationen jeweils als potentielle Zurechnungssubjekte in Folge einer völkerrechtlichen Organleihe anstelle der BRD in Betracht. In Fällen wie zum Beispiel der – nicht von den UN abgesegneten – NATO-geführten Operation „Allied Force“, wäre somit denkbar, dass das (völkerrechtswidrige) Verhalten der von den Staaten zur Verfügung gestellten Truppenkontingente der NATO völkerrechtlich zurechenbar ist. Es gibt allerdings auch militärische Operationen, bei denen zwei Internationale Organisationen in Erscheinung treten und somit als Zurechnungssubjekte in Frage kommen: Im Falle des SFOR-, KFOR- und ISAF-Einsatzes waren bzw. sind dies die UN und die NATO. Allerdings scheiden die UN als Zurechnungssubjekt in diesen Einsätzen von vorneherein aus, da sich ihre Rolle auf die Autorisierung der Einsätze beschränkt.331 Es wird in diesen Fällen keine eigene UN-Friedenstruppe mit entsprechender Befehlsgewalt der UN errichtet. Was SFOR und KFOR anbelangt, so hat der UN-Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten ermächtigt, unter Rückgriff auf die entsprechende Internationale Organisation (hier NATO) einen militärischen Verband zur Erreichung des in der Resolution vorgegebenen Ziels aufzustellen.332 Was wiederum ISAF anbelangt, so hat der UN-Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten zur Aufstellung einer Schutztruppe ermächtigt.333 Deren Führung hat im August 2003 die NATO übernommen. Damit kommt beim SFOR-, KFOR- und ISAF- Einsatz – neben der BRD – die NATO und nicht etwa die UN als potentielles Zurechnungssubjekt in Betracht.

330 Die bereits mehrmals angesprochene Operation „Enduring Freedom“, an der sich die Bundeswehr beteiligt, wird von den USA angeführt und erfolgt ohne Einbindung einer Internationalen Organisation. Demzufolge müssen im Hinblick auf diesen Einsatz die Auswirkungen der Beteiligung einer Internationalen Organisation auf die völkerrechtliche Zurechenbarkeit nicht erörtert werden. Zu den Rechtsgrundlagen der Operation „Enduring Freedom“ s. Hermsdörfer, Die Auslandseinsätze der Bundeswehr, in: HUV-I 17 (2004), 17 [25 f.]. 331 Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 127, 156 (für SFOR und ISAF); Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [678 f.] (für SFOR und KFOR); Lüder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Nordatlantiksvertrags-Organisation bei der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: NZWehrR 43 (2001), 107 [114] (für SFOR). Zum Urteil des EGMR in den Fällen Behrami und Saramati und der dort vorgenommenen Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen NATO, UN und Mitgliedstaaten s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (3). 332 Für SFOR: Resolution 1088 des UN-Sicherheitsrates vom 12. 12. 1996 (UN Doc. S/Res/ 1088), S. 5, Nr. 18, worin auf Annex 1-A des Dayton-Abkommens (s. UN Doc. S/1995/999) Bezug genommen wird, das in Art. I Nr. 1 b) ausdrücklich die NATO ermächtigt, eine Friedenstruppe zu errichten; für KFOR: Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom 10. 06. 1999 (UN Doc. S/Res/1244), S. 2, Nr. 7. 333 Resolution 1386 des UN-Sicherheitsrates vom 20. 12. 2001 (UN Doc. S/Res/1386), S. 2, Nr. 1.

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Ähnlich scheint es sich auch bei EU-geführten Krisenreaktionseinsätzen zu verhalten: Das entsprechende Mandat des UN-Sicherheitsrates bildet „nur“ die völkerrechtliche Legitimationsgrundlage für den Einsatz, die eigentliche Durchführung obliegt der EU.334 Damit käme also grundsätzlich die EU als verantwortliches Subjekt in Betracht. Jedoch ist bei EU-geführten militärischen Operationen zusätzlich zu berücksichtigen: Die Herausbildung einer militärischen Komponente im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) soll die NATO auf dem Gebiet der Krisenreaktionseinsätze nicht ersetzen, sondern ergänzen. EU-geführte Operationen kommen nur „in den Fällen, in denen die NATO als Ganzes nicht beteiligt ist“ in Frage.335 Die Bestimmungen des Lissabonner Vertrages stellen den Vorrang der aus der Mitgliedschaft bestimmter EU-Staaten in der NATO resultierenden Verpflichtungen nicht in Frage, s. Art. 42 III des Lissabonner Vertrages. Die Grundlagen für die Kooperation der EU und der NATO, insbesondere die Modalitäten für den Zugang der EU zu Mitteln und Fähigkeiten der NATO, werden in den sog. „Berlin-Plus-Vereinbarungen“ näher ausgestaltet.336 Ein Aspekt der politischen Grundentscheidung, dass der militärische Arm der EU nicht in Konkurrenz zur NATO treten soll, ist die Vorgabe, eine Verdoppelung der bereits bei der NATO angesiedelten militärischen Kapazitäten im Rahmen der ESVP zu vermeiden.337 Diese Vorgabe wirkt sich auch auf die konkreten Einsätze der EU aus. So sind zwei Varianten von EU-Operationen zu unterscheiden: Es gibt zum einen EU-Operationen, die unter Rückgriff auf Mittel und Fähigkeiten der NATO erfolgen (zum Beispiel: EUFOR in Bosnien-Herzegowina und die Operation „Concordia“ in Mazedonien), es gibt zum anderen aber auch

334

Für die dem SFOR-Einsatz nachfolgende EUFOR-Mission in Bosnien-Herzegowina (Operation „Althea“) s. Resolution 1575 des UN-Sicherheitsrates vom 22. 11. 2004 (UN Doc. S/ Res/1575), S. 4, Nr. 10; für EUFOR Rd Congo s. Resolution 1671 des UN-Sicherheitsrates vom 25. 04. 2006 (UN Doc. S/Res/1671), S. 2, Nr. 2); für die Operation „Concordia“ in Mazedonien, die die NATO-geführte Operation „Allied Harmony“ ablöste s. Resolution 1371 des UN-Sicherheitsrates vom 26. 09. 2001 (UN Doc. S/Res/1371), S. 2, Nr. 5. 335 s. Europäischer Rat am 10./11. 12. 1999 in Helsinki, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage 1 zu Anlage IV, Einleitung, Abs. 2 (im Internet verfügbar auf der Website des Europäischen Rates, abrufbar unter http://europa.eu/european_council/index_de.htm, Stichwort: „Schlussfolgerungen des Vorsitzes“, nachgesehen am 25. 07. 2009). Zu diesem Vorrang der NATO s. auch von Buttlar, The EUs new relations with NATO shuttling between reliance and autonomy, in: ZEuS 6 (2003), 399 [423 ff.]. 336 Zum Verhältnis zwischen EU und NATO und zu den „Berlin-Plus-Vereinbarungen“ s. Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 376 ff.; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 179 ff.; von Buttlar, The EUs new relations with NATO shuttling between reliance and autonomy, in: ZEuS 6 (2003), 399 [408 ff.]; Weißbuch 2006, Kapitel 2 [Deutsche Sicherheitspolitik im internationalen Rahmen], S. 49 f. 337 s. Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 378; Weißbuch 2006, Kapitel 2 [Deutsche Sicherheitspolitik im internationalen Rahmen], S. 43.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

EU-Operationen, ohne dass dabei Mittel und Fähigkeiten der NATO in Anspruch genommen werden (zum Beispiel: EUFOR Rd Congo).338 Damit wäre bei EU-Operationen – zumindest für den Fall, dass die EU auf Strukturen und Einrichtungen der NATO zurückgreift – auch denkbar, die NATO anstelle der EU als potentiell verantwortliches Subjekt anzusehen. Dafür spräche vor allem, dass durch die Einschaltung des DSACEUR (Stellvertretender NATO-Oberbefehlshaber in Europa) als Kommandeur und durch die Inanspruchnahme von Strukturen und Einrichtungen der NATO die operative Durchführung und Leitung einer militärischen (EU-)Operation de facto bei der NATO angesiedelt ist.339 Schaut man sich die Verantwortlichkeiten bei EU-geführten Operationen unter Rückgriff auf NATO-Mittel indes genauer an, so lässt sich zunächst feststellen, dass die politische Kontrolle und die strategische Ausrichtung einer konkreten EUOperation dem unterhalb des Rates der EU angesiedelten Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) obliegt.340 Der auf der militärstrategischen Ebene angesiedelte Militärausschuss der EU (EUMC) ist derweil für die Überwachung der Durchführung der militärischen Operationen zuständig.341 Vor allem aber ist hervorzuheben, dass die Befehlskette („chain of command“) unter der Kontrolle der EU steht und der Kommandeur der EU-Operation (DSACEUR) ausschließlich EU-Einrichtungen über den Verlauf der Operation berichtet.342

338

Europäischer Rat in Nizza, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage VII der Anlage VI, Gliederungspunkt III. (im Internet unter http://register.consilium.eu.int/pdf/en/00/st13/13957r1en0.pdf verfügbar, nachgesehen am 25. 07. 2009); s. zur Einteilung in Operationen unter Rückgriff auf NATO-Mittel und Operationen ohne Rückgriff auf NATO-Mittel s. auch: Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Broschüre der Bundesregierung (Hrsg. vom Bundesministerium der Verteidigung und Auswärtigem Amt), S. 30; Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 392 f.; von Buttlar, The EUs new relations with NATO shuttling between reliance and autonomy, in: ZEuS 6 (2003), 399 [424]. 339 s. Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 393 f. 340 s. Art. 25 II des EU-Vertrages in der Fassung vom 29.12.2006. In seinen Beschlüssen zu den Einsätzen in Mazedonien (Operation „Concordia“) und in Bosnien-Herzegowina (Operation „Althea“) bekräftigt der Rat der EU, dass die politische Kontrolle und strategische Ausrichtung der EU-Operationen beim PSK liege: Council Joint Action 2003/92/CFSP, 27. 01. 2003, ABl. EU 2003 L 34/26, Art. 4 Nr. 1 (Operation „Concordia“); Council Joint Action 2004/ 570/CFSP, 12. 07. 2004, ABl. EU 2004 L 252/10, Art. 6 Nr. 1 (Operation „Althea“). Die Beschlüsse sind auf der Website des Rates der EU (http://www.consilium.europa.eu) verfügbar, Stichwort: „Policy“ › „Security and Defence“ › „EU Operations“ › „ALTHEA/BiH“ bzw. „CONCORDIA/FYROM“ › „Legal Basis“ (nachgesehen am 25. 07. 2009). Einzelheiten zum PSK bei Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 341 ff. 341 s. Council Joint Action 2003/92/CFSP, 27. 01. 2003, ABl. EU 2003 L 34/26, Art. 5 Nr. 1 (Operation „Concordia“); Council Joint Action 2004/570/CFSP, 12. 07. 2004, ABl. EU 2004 L 252/10, Art. 8 Nr. 1 (Operation „Althea“). Einzelheiten zum EUMC bei Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 345 ff. 342 s. Council Joint Action 2003/92/CFSP, 27. 01. 2003, ABl. EU 2003 L 34/26, Art. 10 Nr. 2 (Operation „Concordia“); Council Joint Action 2004/570/CFSP, 12. 07. 2004, ABl. EU 2004 L 252/10, Art. 13 Nr. 2 (Operation „Althea“).

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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Diese Aspekte dürften wohl zu dem Schluss führen, dass bei EU-Operationen unter Rückgriff auf NATO-Mittel letztlich die EU als potentielles Zurechnungssubjekt in Erscheinung tritt. In jedem Falle ist die EU bei Operationen ohne Rückgriff auf NATO-Mittel, bei denen die NATO allenfalls über den Verlauf der Operation informiert wird,343 als potentielles Zurechnungssubjekt für das Verhalten der nationalen Truppenkontingente auszumachen. bb) Organisationsstrukturen und Verfahren der Einsatzplanung und -ausführung bei NATO, EU und UN Wie soeben unter Gliederungspunkt A. IV. 2. c) aa) hervorgehoben gehören Auslandseinsätze der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, eingebettet in den operativen Rahmen der NATO, EU oder UN, zu den in der Zukunft wahrscheinlicheren Aufgaben der Bundeswehr und bilden den Schwerpunkt dieser Arbeit. Ziel der nachfolgenden Ausführungen soll es sein, die Organisationsstrukturen und Verfahren der Planung und Ausführung bei Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung bei NATO, UN und EU darzustellen, um damit Art und Umfang der Einbindung der Bundeswehr in diese drei Organisationen zu erhellen. Die NATO-Organisation344 besteht im Wesentlichen aus folgenden politischen Gremien und militärischen Einrichtungen: Oberhalb der militärischen Führungsstrukturen ist der North Atlantic Council (NAC)345 das höchste politische und strategische Gremium der NATO. Er wird auf Regierungsebene der Mitgliedstaaten in der Regel zweimal im Jahr einberufen. Der Generalsekretär der NATO ist Vorsitzender des NAC. Unterhalb des NAC ist das Military Committee (MC)346 als höchste militärische Instanz der NATO eingerichtet. Das MC berät den NAC in militärischen Angelegenheiten. Es setzt sich regelmäßig zusammen aus den militärischen Repräsentanten der Mitgliedstaaten und kommt zweimal jährlich auf der Ebene der Stabschefs der Mitgliedstaaten zusammen. Das MC führt die nachgeordneten militärstrategischen Befehlshaber mit Weisungen. Es ist somit Bindeglied zwischen politischen Entscheidungsprozessen auf der Ebene des NAC und der militärischen Führungsstruktur der NATO, die mit der Ausführung konkreter militärischer Operationen betraut ist. An der Spitze der militärischen Führungsstruktur der NATO steht das Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) im belgischen Mons, angeführt vom 343 s. Europäischer Rat in Nizza, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage VII der Anlage VI, Gliederungspunkt III. (C). 344 Ausführlich zur Organisationsstruktur der NATO: NATO-Handbook (Version 2005/06), Abschnitt II und III (im Internet verfügbar unter http://www.nato.int/docu/handbook/2006/hben-2006.pdf, nachgesehen am 25. 07. 2009). 345 Zum NAC s. NATO-Handbook, S. 34 ff. 346 Zum MC s. NATO-Handbook, S. 37, 85 f.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Supreme Allied Commander Europe (SACEUR).347 Der SACEUR ist der oberste Befehlshaber der NATO und der militärstrategischen Ebene zuzuordnen. Er ist für die Führung aller Operationen der NATO zuständig. Er ist ferner gegenüber dem MC verantwortlich und führt die ihm unterstellten Hauptquartiere mit militärstrategischen Weisungen. Die operative Führung von Operationen der NATO wird in der permanenten NATO-Struktur durch drei Führungskommandos wahrgenommen, und zwar die Joint Force Command Headquarters (JFC HQ) in Brunssum, Neapel und Lissabon, denen auf der taktischen Ebene jeweils Luft-, Land- und Seekommandos untergeordnet sind.348 Das JFC HQ Brunssum beispielsweise ist auf der operativen Ebene für die Führung der ISAF-Mission in Afghanistan verantwortlich.349 Das NATO-Verfahren350 zur Planung und Ausführung eines konkreten Einsatzes zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung beginnt auf Weisung des NAC. Der Planungs- und Entscheidungsprozess in der NATO für Krisenreaktionsoperationen wird durch die zuständigen deutschen Stellen im Auswärtigen Amt und im Bundesministerium der Verteidigung begleitet. SHAPE erarbeitet daraufhin ein Operationskonzept, das durch den MC bewertet wird und den Mitgliedstaaten zur Mitzeichnung vorgelegt wird. Nach der Billigung des Operationskonzeptes durch die Mitgliedstaaten und den NAC weist der NAC den SACEUR durch eine „Force Activation Directive“ an, das Verfahren zur Aktivierung von Kräften der Bündnispartner einzuleiten und gleichzeitig einen Operationsplan (OPLAN) zu entwickeln, der ebenfalls von den Mitgliedstaaten gebilligt werden muss. Der SACEUR initiiert den „Force Activation“- Prozess mit der „Activation Warning“ an die Nationen, woraufhin die Nationen informelle Truppenzusagen geben. Die informellen Truppenzusagen der Nationen werden dann im Rahmen einer „Force Generation Conference“ – unter Berücksichtigung der Erfordernisse des konkreten Einsatzes – abgestimmt und vom SACEUR in einem „Statement of Requirement“ (SOR) zusammengefasst. Als nächsten Schritt gibt der SACEUR einen „Activation Request“ an die Nationen heraus, worin die Nationen gebeten werden, formell Kräfte entsprechend der Vorgaben im SOR bereitzustellen. Nach der formellen Truppenzusage durch die Mitgliedstaaten, die in Deutschland auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des Deutschen Bundestages erfolgt, und der Inkraftsetzung des OPLAN durch den NAC erteilt der NAC die „Executive Directive“ zur Auftragsdurchführung. Mit der „Activation Order“ an die truppenstellenden Nationen leitet der SACEUR schließlich die Freigabe der nationalen Kontingente und die Übertragung der Befehlsgewalt, den „Transfer of Authority“, auf den NATO-Befehlshaber ein [s. auch Teil 2, 347

Zum SACEUR und SHAPE s. NATO-Handbook, S. 87 ff., 93. Zur operativen Struktur der NATO s. NATO-Handbook, S. 93 f. 349 s. Internet-Seite der Operation ISAF unter http://www.nato.int/isaf/index.html, Stichwort: „Topics – ISAF-Mission“› „ISAF Command Structure“ (nachgesehen am 25. 07. 2009). 350 Die Darstellung des NATO-Verfahrens orientiert sich an den Ausführungen der Teilkonzeption der Führung von Einsätzen der Bundeswehr (TK FüEinsBw) vom 10.03.2005. 348

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Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (2) zu den Auswirkungen des „Transfer of Authority“ auf die deutsche Befehlsgewalt]. Die EU-Organisation im Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) stellt sich wie folgt dar: Entscheidungen mit militärischem Bezug im Rahmen der GASP und der ESVP werden durch den Rat der EU getroffen, wenn er in der Formation als Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen, bestehend aus den Außenministern und soweit angebracht den Verteidigungsministern der EU-Staaten, zusammentritt.351 Die zentrale Rolle des Rates der EU im Rahmen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik hebt auch der Lissabonner Vertrag hervor: Nach Art. 43 II des Lissabonner Vertrages ist es der Rat, der Beschlüsse über militärische Missionen zur Konfliktverhütung und zur Erhaltung des Friedens erlässt, in denen sowohl Ziel und Umfang der Missionen festgelegt als auch entsprechende Durchführungsbestimmungen aufgestellt werden. Das – bereits angesprochene – PSK352 nimmt im Auftrag des Rates der EU auf der politischen Ebene die zentrale Rolle bei der Führung von EU-Militäreinsätzen wahr. Ihm obliegt die politische Kontrolle und strategische Leitung von EU-Krisenreaktionseinsätzen (Art. 25 II EUV). Es setzt sich aus nationalen Vertretern auf der Ebene der hohen Beamten oder Botschafter zusammen.353 Das PSK gibt strategische Weisungen an die – nachgeordnete – militärstrategische Ebene. Die militärstrategische Ebene der EU wird durch den EUMC354 gebildet. Der EUMC setzt sich aus den Generalstabchefs der Mitgliedstaaten zusammen (für Deutschland: Generalinspekteur der Bundeswehr) und ist damit das höchste militärische Gremium in der EU.355 Der EUMC berät – im Normalfall – das PSK in allen militärischen Belangen und hat – im Krisenfall – die Leitung aller militärischen Aktivitäten der EU inne.356 Indem er dem Militärstab der EU (EUMS)357 auf Ersuchen 351

Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 337 f. Das PSK wurde durch Beschluss des Rates vom 22. 01. 2001, ABl. EU 2001 L 27/1, eingesetzt (im Internet abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm, Stichwort: „Amtsblatt“ › „Jahr wählen: 2001“ › „Monat: Januar“ › „L027“, nachgesehen am 25. 07. 2009). Dort sind auch die Aufgaben und Funktionen des PSK beschrieben. Zum PSK s. auch Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 341 ff.; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 152 f., 160. 353 Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 338. 354 Der EUMC wurde durch Beschluss des Rates vom 22. 01. 2001, ABl. EU 2001 L 27/4, eingesetzt (im Internet abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm, Stichwort: „Amtsblatt“ › „Jahr wählen: 2001“ › „Monat: Januar“ › „L027“, nachgesehen am 25. 07. 2009). Dort sind auch die Aufgaben und Funktionen des EUMC beschrieben. Zum EUMC s. auch Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 345 ff.; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 153 f. 355 Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 346; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 153. 356 Dietrich, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 346, 347; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 154. 352

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

des PSK militärische Leitvorgaben für die Ausarbeitung militärischer Optionen erteilt, fungiert er als Bindeglied zwischen dem PSK und dem EUMS.358 Die vom EUMS erarbeiteten militärischen Optionen werden vom EUMC geprüft und – verbunden mit einer Beurteilung des EUMC – an das PSK weitergeleitet.359 Die vom PSK – im Auftrag des Rates der EU – gewählte militärische Option wird durch den EUMC in eine grundsätzliche Planungsanweisung an den „Operation Commander“, den Oberbefehlshaber der konkreten EU-Operation, übersetzt.360 Vorrangige Aufgabe dieses Operation Commander ist es, auf Basis der Planungsanweisung des EUMC das Operationskonzept und den Operationsplan (OPLAN) auszuarbeiten.361 Da der EU zur Führung von Operationen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung bislang keine permanenten HQ zur Verfügung stehen, stützt sich die EU dazu entweder auf Mittel und Fähigkeiten (und damit auch auf die Kommandostruktur) der NATO oder nutzt durch Mitgliedstaaten im Einzelfall bereitgestellte HQ [s. bereits oben Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) aa)]. Greift die EU bei militärischen Einsätzen auf Mittel und Fähigkeiten der NATO zurück, dann wird in der Regel als Operation Commander des Einsatzes der stellvertretende NATO-Oberbefehlshaber in Europa, der „Deputy Supreme Allied Commander Europe“ (DSACEUR), benannt.362 Soweit während der EU-Operation keine NATO-Mittel und NATO-Fähigkeiten in Anspruch genommen werden, wird der Operation Commander von den EU-Staaten gestellt.363 Die dem Operation Commander des Einsatzes nachgeordnete operative Ebene wird durch ein in das jeweilige Einsatzgebiet verlegbares „Forces Headquarter“ (FHQ) wahrgenommen. Für die Operation „Althea“ beispielsweise ist dies das EUFOR HQ im Camp Butmir in Sarajevo.364 Auch das EU-Verfahren zur Planung und Entscheidung im Rahmen der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung wird – wie bei der NATO – durch die zuständigen deutschen Stellen begleitet. 357 Der EUMS wurde durch Beschluss des Rates vom 22. 01. 2001, ABl. EU 2001 L 27/7, eingesetzt (im Internet abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm, Stichwort: „Amtsblatt“ › „Jahr wählen: 2001“ › „Monat: Januar“ › „L027“, nachgesehen am 25. 07. 2009). Zum EUMS s. auch Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 348 ff.; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 154 f. 358 Dietrich, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 347. 359 Dietrich, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 347. 360 Dietrich, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 347. 361 Dietrich, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 347. 362 Dietrich, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 347. 363 Dietrich, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), S. 347. 364 Zur Führungsstruktur von EUFOR in Bosnien-Herzegowina s. entsprechende Graphik auf der Internet-Seite von SHAPE, abrufbar unter http://www.nato.int/shape, Stichwort: „SHAPE – EU“ › „Background: EUFOR Structure“ › „Structural Diagram“ (nachgesehen am 25. 07. 2009).

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Kommt das PSK im Zuge der Feststellung einer internationalen Krise zu dem Schluss, dass eine – zivile und/oder militärische – EU-Aktion angezeigt sein könnte, gibt es zunächst den Entwurf eines Krisenmanagementkonzeptes („Crisis Management Concept“) in Auftrag. Ein solches CMC enthält eine allgemeine politische Bewertung und umfassende Handlungsoptionen, die sämtliche für die spezifische Krise relevanten Mittel und Fähigkeiten der EU berücksichtigen. Zur Erarbeitung eines CMC wird ein ad-hoc „Crisis Response Coordinating Team“ mit militärischer Beteiligung eingerichtet. Das CMC wird im PSK abgestimmt und dann dem Rat der EU zur Billigung vorgelegt. Bei Fortschreiten der Krise wird das CMC vom Rat verabschiedet. Nach Verabschiedung des CMC durch den Rat setzt das PSK das CMC in strategische Weisung an das nachgeordnete EUMC um. Das EUMC beauftragt daraufhin den EUMS mit der Erarbeitung militärstrategischer Optionen („Military Strategic Option“). Die vom EUMS vorgelegten militärischen Optionen werden durch den EUMC geprüft und – zusammen mit einer Bewertung und einer Handlungsempfehlung – an das PSK übermittelt. Hat sich das PSK nun auf eine Handlungsoption geeinigt, erfolgt die formale Entscheidung, die Festlegung des „Operation Commander“, und der Rat der EU autorisiert die Ausgabe der „Initiating Military Directive“ (IMD) an den Operation Commander. Eine IMD beinhaltet die eindeutige Beschreibung der politischen Zielsetzungen des EU-Krisenmanagements sowie der beabsichtigten militärischen Operationen zum Erreichen dieser Zielsetzungen. Erarbeitet wird eine solche IMD vom EUMS, die dann vom EUMC an den Operation Commander ausgegeben wird. Entsprechend der IMD erstellt der Operation Commander das Operationskonzept. Nach Bewertung durch das EUMC/PSK und Billigung durch den Rat wird auf der Basis dieses Konzeptes durch den Operation Commander der Operationsplan (OPLAN) entwickelt. Dieser OPLAN unterliegt dem gleichen Genehmigungsverfahren wie das Operationskonzept. Zeitgleich zur Erarbeitung des OPLAN wird der Streitkräftegenerierungsprozess durch den Operation Commander eingeleitet. EU-Staaten und die NATO (falls EU-Operation unter Inanspruchnahme der NATO) bestätigen Art und Umfang ihrer Beiträge ähnlich wie bei der NATO auf einer „Force Generation Conference“. Ist der OPLAN einmal gebilligt und liegen sämtliche Voraussetzungen vor (insbesondere Generierung der Streitkräfte), dann entscheidet der Rat der EU über den Beginn der Durchführung der EU-Militäroperation. An der Spitze der UN-Organisation steht der UN-Sicherheitsrat. Er ist das höchste permanente Entscheidungsgremium der UN auf der politischen Ebene. Er beschließt unter anderem den Einsatz sowie die Zielsetzung einer UN-peace-keeping-Truppe.365 Ihm obliegt die umfassende politische Kontrolle eines friedenserhaltenden Einsatzes.366 Das UN-Generalsekretariat mit dem Generalsekretär an der Spitze unterstützt 365

Sucharipa-Behrmann, Die friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen, in: Cede/Sucharipa-Behrmann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen, S. 85 [95]; zu den übrigen Aufgaben des Sicherheitsrates s. Fischer, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 60 Rdn. 6 ff. 366 Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 95; Fischer, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 60 Rdn. 29;

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den Sicherheitsrat in allen Bereichen der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Hierzu steht dem Generalsekretär für die Planung und Führung von peace-keepingOperationen das „Department of Peacekeeping Operations“ (DPKO)367 zur Verfügung.368 Das DPKO kann sowohl militärstrategische als auch operative Aufgaben wahrnehmen. Die operative und taktische Führung eines peace-keeping-Einsatzes obliegen einem – durch den Generalsekretär ernannten – „Force Commander“.369 Peace-keeping-Truppen fungieren in der Regel als Nebenorgane des UN-Sicherheitsrates gemäß Art. 29 der UN-Charta.370 Das UN-Verfahren der Planung und Führung einer militärischen Operation zur Krisenbewältigung und Konfliktverhütung gliedert sich in drei Phasen, die durch die zuständigen deutschen Stellen im Auswärtigen Amt und im Bundesministerium der Verteidigung begleitet werden: Die „Initiation“-Phase, die den Beginn des Planungsprozesses eines UN-Friedenseinsatzes markiert, wird entweder durch ein Mitglied des UN-Sicherheitsrates, durch den UN-Generalsekretär oder durch einen UNMitgliedstaat eingeleitet. Im Rahmen der darauf folgenden „Preparation“-Phase werden Mitarbeiter der UN zur Beobachtung und Lagefeststellung in das geplante Operationsgebiet entsandt. Durch die im Krisengebiet eingesetzten UN-Mitarbeiter wird ein Erkundungsbericht zur Information der Mitglieder des Sicherheitsrates erstellt, der bereits Grundzüge eines Operationskonzeptes und erste Aussagen zu den benötigten Truppenteilen enthält. Mögliche truppenstellende Nationen werden über Art und Umfang ihrer Beiträge befragt. Der UN-Generalsekretär, vertreten durch das DPKO stellt – auf der Grundlage des Erkundungsberichts und der Rückmeldungen der UN-Mitgliedstaaten – eine UN-peace-keeping-Truppe zusammen. Der deutsche Beitrag und die entsprechenden Bedingungen der deutschen Beteiligung werden in einem Schriftwechsel zwischen der Bundesregierung und dem UN-Generalsekretariat vereinbart.371 Mit der Genehmigung der geplanten UN-Operation durch den Si-

Sucharipa-Behrmann, Die friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen, in: Cede/ Sucharipa-Behrmann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen, S. 85 [95]. 367 Zum Auftrag und zur Organisationsstruktur des DPKO s. auch Internet-Seite der UN zum UN-peace-keeping, abrufbar unter http://www.un.org/Depts/dpko/dpko/, Stichwort: „Department of Peacekeeping Operations“ (nachgesehen am 25. 07. 2009). 368 Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 124; Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 95 f.; Sucharipa-Behrmann, Die friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen, in: Cede/ Sucharipa-Behrmann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen, S. 85 [95]. 369 Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 124; Sucharipa-Behrmann, Die friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen, in: Cede/Sucharipa-Behrmann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen, S. 85 [95]. 370 Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [687]; Sucharipa-Behrmann, Die friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen, in: Cede/Sucharipa-Behrmann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen, S. 85 [86]. 371 Zum Schriftwechsel zwischen der UN und der Bundesregierung im Vorfeld des SomaliaEinsatzes s. Ausführungen des Bevollmächtigten der Antragsteller, Bothe, in seinem Schriftsatz

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cherheitsrat wird ein „Force Commander“ ernannt und das entsprechende UN-Mandat erteilt. Die Phase des „Deployment, Mission Execution and Redeployment“ beginnt mit dem Eintreffen der Truppen im Operationsgebiet und der nationalen Freigabe der Kräfte durch den „Transfer of Authority“ [s. auch Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (2) zu den Auswirkungen des „Transfer of Authority“ auf die deutsche Befehlsgewalt]. Der Generalsekretär übernimmt im Namen des Sicherheitsrates das Kommando über die eingesetzten Kräfte; die militärische Führung im Einsatz obliegt dem Force Commander. cc) Voraussetzungen einer völkerrechtlichen Organleihe Eine völkervertragliche Regelung zur Organleihe zwischen Staaten findet sich in Art. 6 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit. Nach Art. 6 ist das „Verhalten eines Organs, das einem Staat von einem anderen Staat zur Verfügung gestellt wird, als eine Handlung des ersteren Staates im Sinne des Völkerrechts zu werten, wenn das Organ in Ausübung hoheitlicher Befugnisse des Staates handelt, dem es zur Verfügung gestellt wird.“372

Damit vom Vorliegen einer Organleihe gemäß Art. 6 der ILC-Artikel gesprochen werden kann, das Verhalten des Organs des Verleihers also als Verhalten des Entleihers angesehen wird, kommt es entscheidend darauf an, dass das entliehene Organ in das Organisationsgefüge des entleihenden Staates eingebunden wird und der entleihende Staat somit in der Lage ist, das Verhalten des Organs zu steuern.373 Die Fähigkeit, das Verhalten des eingegliederten Organs zu steuern, wird in der englischen Völkerrechtslehre als „effective control“ bezeichnet.374 Diese in Art. 6 getroffene Regelung zur Organleihe zwischen Staaten, bei der es im Kern um die Frage geht, in wessen Organisationsverband das handelnde Organ eingebunden ist, wird – zum Teil – als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts angesehen, da die Regelung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit im Allgemeinen entspreche.375 im Somalia-Verfahren in der Hauptsache, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 609. 372 Englische Fassung des Art. 6: „The conduct of an organ placed at the disposal of a State by another State shall be considered an act of the former State under international law if the organ is acting in the exercise of elements of the governmental authority of the State at whose disposal it is placed.“ 373 Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 6 Nr. 2, 4; Lüder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Nordatlantikvertrags-Organisation bei der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: NZWehrR 43 (2001), 107 [112]; Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 243; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1124. 374 s. z. B. Hirsch, The Responsibility of International Organizations Toward Third Parties, S. 64. 375 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 179 I 3; ablehnend: Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 22; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 1124.

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Im Hinblick auf die in der Praxis häufiger auftretende – und in dieser Arbeit allein interessierende – Organleihe zwischen Staaten und Internationalen Organisationen hat sich indes noch kein Satz des Gewohnheitsrechts herausgebildet.376 Die ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit klammern die Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen und somit auch die Organleihe zwischen Staaten und Internationalen Organisationen vollständig aus.377 Jedoch lässt sich der Rechtslogik und dem völkerrechtlichen Effektivitätsprinzip378 entnehmen: Ausgehend von dem Grundsatz, dass einer Internationaler Organisation wie oben bereits angesprochen das Handeln ihrer Organe zurechenbar ist,379 dürfte das Verhalten eines Organs eines Mitgliedsstaates, das dieser einer Internationalen Organisation zur Verfügung stellt, eben dieser Internationalen Organisation – unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Effektivitätsgesichtspunkte – dann zurechenbar sein, wenn das staatliche Organ derart in die Organisationsstruktur der Internationalen Organisation eingebunden ist und von dieser gesteuert wird, dass das Handeln des staatlichen Organs als Handeln der Internationalen Organisation angesehen werden kann.380 Diese Fähigkeit der Steuerung des Organverhaltens durch eine Internationale Organisation wird zum Teil auch – genau wie im Recht der Staatenverantwortlichkeit – als „effektive Kontrolle“381 bzw. „effective control“382 bezeichnet. 376 Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [677]; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 22. Zu den Lücken des Völkergewohnheitsrechts im Hinblick auf die Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen s. auch Hirsch, The Responsibility of International Organizations Toward Third Parties, S. 185 f. 377 s. Art 57 der ILC-Artikel: „Diese Artikel lassen Fragen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit einer internationalen Organisation oder eines Staates für das Verhalten einer internationalen Organisation unberührt.“ 378 Zum völkerrechtlichen Effektivitätsprinzip s. Doehring, Effectiveness, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 2, S. 43 ff.; Krieger, Das Effektivitätsprinzip im Völkerrecht. 379 s. z. B. Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht internationaler Organisationen, S. 88 ff.; Hirsch, The Responsibility of International Organizations Toward Third Parties, S. 62. 380 Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 33, 87; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 22; vgl. auch im Hinblick auf das völkerrechtliche Effektivitätsprinzip Krieger, Das Effektivitätsprinzip im Völkerrecht, S. 80, wonach das völkerrechtliche Effektivitätsprinzip besage, dass das „tatsächliche Ausüben von Herrschaftsgewalt die Begründung von entsprechenden Rechtspositionen unter dem Völkerrecht“ bewirke. Übertragen auf die vorliegende Konstellation (= Staat stellt Internationaler Organisation Organ zur Verfügung) heißt das: Die Kontrolle über das Verhalten eines Organs begründet die Zurechenbarkeit des Organverhaltens zur Internationalen Organisation. 381 Hofmann, Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer/Oeter/Stadler (Hrsg.), Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, BdDGfV, Bd. 42, S. 1 [28]. 382 Hirsch, The Responsibility of International Organizations Toward Third Parties, S. 64 ff.; Stein, Kosovo and the International Community. The Attribution of Possible Internationally Wrongful Acts: Responsibility of NATO or its Member States?, in: Tomuschat (Ed.),

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Ein Vergleich zwischen der Organleihe zwischen Staaten und der Organleihe zwischen Staaten und Internationalen Organisationen ergibt also: Die Grundsätze, die oben bereits für die zwischenstaatliche Organleihe aufgezeigt wurden, müssen auch im Falle der Organleihe zwischen Staaten und Internationalen Organisationen gelten.383 Das – für die Organleihe zwischen Staaten und Internationalen Organisationen somit ebenfalls maßgebliche – Kriterium der Steuerungsfähigkeit bzw. effektiven Kontrolle über das entliehene Organ wird auch in Art. 5 der bislang verabschiedeten Entwurfsartikel der ILC zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen aufgegriffen.384 Art. 5 dieser Entwurfsartikel lautet: „The conduct of an organ of a State or an organ or agent of an international organization that is placed at the disposal of another international organization shall be considered under international law an act of the latter organization if the organization exercises effective control over that conduct (Hervorhebung durch den Verfasser).“385

Ungeachtet der entscheidenden Voraussetzung der Einbindung eines staatlichen Organs in die Organisationsstruktur einer Internationalen Organisation setzt die Zurechenbarkeit eines Organverhaltens zu einer Internationalen Organisation in jedem Falle voraus, dass die jeweilige Internationale Organisation überhaupt als Zurechnungsobjekt in Betracht kommt, also Völkerrechtsfähigkeit besitzt.386 Für die Zurechenbarkeit des Verhaltens von Bundeswehr-Soldaten zu der jeweils einsatzführenden Organisation müssen demnach folgende zwei Voraussetzungen vorliegen: Kosovo and the international community, S. 181 [184]; Zwanenburg, Accountability of Peace Support Operations, S. 99. 383 So auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 179 I 3; Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 95; Herrmann, Aktueller Fall: Recht auf Leben nicht einklagbar? Das Varvarin-Urteil des LG Bonn vom 10. 12. 2003, in: HUV-I 17 (2004), 79 [84 f.]. 384 Im Jahre 2000 hat die ILC das Thema der Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen in ihr längerfristiges Arbeitsprogramm aufgenommen (s. UN Doc. A/55/10, S. 131, Ziff. 726). 2002 wurde Giorgio Gaja zum Sonderberichterstatter ernannt (s. UN Doc. A/57/10, S. 228). Bis zum August 2007 hat die ILC 45 Entwurfsartikel zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen verabschiedet, die Art. 4 – 7 enthalten dabei Regelungen zur Zurechenbarkeit (s. UN Doc. A/62/10, S. 184 ff.). Die ILC konnte sich dabei auf die Vorarbeiten Gajas stützen (First Report, UN Doc. A/CN.4/532; Second Report, UN Doc. A/CN.4/541; Third Report, UN Doc. A/CN.4/553; Fourth Report, UN Doc. A/CN.4/564; Fifth Report, UN Doc. A/CN.4/583). Informationen zur Arbeit der ILC zur Verantwortlichkeit internationaler Organisationen finden sich auf der Internet-Seite der ILC, abrufbar unter http://www.un.org/ law/ilc/index.htm, Stichwort: „Research“ › „Summaries“ › „9.11 Responsibility of international organizations“ (nachgesehen am 25. 07. 2009). 385 s. auch Ausführungen von Gaja in seinem Second Report (UN Doc. A/CN.4/541), S. 14 ff., der – unter Bezug auf die Völkerrechtslehre – das Kriterium der „effective control“ als entscheidendes Kriterium für die Zurechenbarkeit benennt, und die Kommentierung zu Art. 5 im Bericht der ILC (UN Doc. A/59/10), S. 110 ff. 386 s. nur Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 9.

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Erstens muss die Internationale Organisation völkerrechtsfähig sein.387 Lässt sich dies bejahen, wird es zweitens – wie bereits ausgeführt – darauf ankommen, ob die Handlungen der unterstellten Bundeswehr-Soldaten als Handlungen der Internationalen Organisation anzusehen sind. Dies ist der Fall, wenn den Bundeswehr-Soldaten – im Rahmen einer Organleihe – Aufgaben der Organisation, der sie überstellt werden, zugewiesen sind und sie in die Struktur der Organisation eingebunden sind und ihr Verhalten durch die Organisation gesteuert wird. Die Problematik der Völkerrechtsfähigkeit soll in den nachfolgenden Ausführungen indes nur kurz thematisiert werden. Der Schwerpunkt dieses Abschnittes liegt eindeutig darin herauszuarbeiten, ob die Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen – im Wege einer Organleihe – in das Organisationsgefüge einer Internationalen Organisation derart eingebunden sind und von dieser gesteuert werden, dass ihre Handlungen als Handlungen der Organisation einzuordnen sind. Ausgangspunkt zur Beantwortung der schwerpunktmäßig interessierenden Frage, ob das Handeln der Bundeswehr-Soldaten im konkreten Falle als Handeln der Internationalen Organisation angesehen werden kann, soll das ursprüngliche – also das vor der Unterstellung bestehende – Verhältnis von Bundeswehr-Soldaten zur BRD sein. Zunächst sind die Streitkräfte, also die Gesamtheit der Soldaten des Heeres, der Luftwaffe und Marine, nach völkerrechtlichen Maßstäben als Organ der BRD anzusehen [s. oben Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. a)]. Diese Stellung von Personen oder Personengruppen als Organ eines Staates ist in Zusammenhang mit der staatlichen Organisationsgewalt388 zu sehen. Die staatliche Organisationsgewalt umfasst unter anderem die Befugnis, einzelne organisatorische Einheiten zu schaffen, deren sachlichen Aufgabenkreis zu bestimmen und deren innere Ordnung näher auszugestalten.389 So gehören zur staatlichen Organisationsgewalt im militärischen Bereich beispielsweise die Gliederung der Streitkräfte, der Aufbau der militärischen Organisation (einschließlich der militärischen Spitzengliederung) und die Regelung der Unterstellungsverhältnisse.390 Ausfluss dieser staatlichen (deutschen) Organisationsgewalt im militärischen Bereich ist auch, dass der einzelne Soldat in einem öffentlich-rechtlichen Sonderrechtsverhältnis, einem sog. „Wehrdienstverhältnis“ (s. § 1 I SoldatenG), zu seinem Dienstherrn, der BRD, steht.391 Die Besonderheit des Wehrdienstverhältnisses besteht darin, dass der Soldat die „Befehle“ seines „Vorgesetzten“ zu befolgen hat 387

Zur Rechtsfähigkeit Internationaler Organisationen s. Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 9 ff. 388 Ausführlich zur staatlichen Organisationsgewalt s. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 21 ff., 38 ff., 55 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 82. 389 Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 82 Rdn. 8. 390 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 162. 391 Scherer/Alff/Poretschkin, § 1 SoldatenG Rdn. 1 ff.; Walz/Eichen/Sohm, § 1 SoldatenG Rdn. 24.

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(§ 11 I 2 SoldatenG). Höchster (militärischer) Vorgesetzter der Soldaten der Bundeswehr ist der Bundesminister der Verteidigung als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt gemäß Art. 65a GG.392 Jede Befehlsgewalt über Soldaten lässt sich damit letztlich auf den Bundesminister der Verteidigung zurückführen, es besteht mithin eine – lückenlose – nationale Befehlskette.393 Diese – zunächst in nationalen Händen liegende – Befehlsgewalt könnte nun durch eine Eingliederung von Bundeswehr-Soldaten in eine multinationale Truppe unter Führung einer Internationalen Organisation eingeschränkt oder aber gar auf die Organisation übertragen worden sein. Eine solche Einschränkung bzw. Übertragung der Befehlsgewalt könnte als Anknüpfungspunkt für eine völkerrechtliche Organleihe zugunsten der Internationalen Organisation dienen, die zur Folge hätte, dass die Handlungen der zur Verfügung gestellten Bundeswehr-Soldaten als Handlungen der Internationalen Organisation anzusehen wären (s. oben). Für das Vorliegen einer völkerrechtlichen Organleihe bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen der NATO, UN oder EU wird es daher entscheidend darauf ankommen, wie im konkreten Fall die Befehlsgewalt über die deutschen Soldaten ausgestaltet ist.394 Unter dem zunächst folgenden Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (1) soll in der gebotenen Kürze die erste Voraussetzung einer völkerrechtlichen Organleihe, die Völkerrechtsfähigkeit derjenigen Internationalen Organisationen (NATO, UN und EU), in deren Rahmen Auslandseinsätze der Bundeswehr eingebettet werden, thematisiert werden. Unter Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (2) wird dann die bisherige und aktuelle Praxis der Auslandseinsätze der Bundeswehr im multilateralen Rahmen im Hinblick auf eine mögliche Einschränkung oder Übertragung der Befehlsgewalt auf eine Internationale Organisation untersucht. Diese Untersuchung soll eine Feststellung des Vorliegens oder Nicht-Vorliegens der zweiten Voraussetzung einer völkerrechtlichen Organleihe ermöglichen – um somit am Ende die Ausgangsfrage beantworten zu können, ob das Verhalten der Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen trotz Beteiligung einer Internationalen Organisation der BRD völkerrechtlich zugerechnet werden kann. Unter Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (3) sollen schließlich die Aussagen des EGMR vom 2. Mai 2007 im Fall Behrami und Saramati mit in die Betrachtung der Beteiligung einer Internationalen Organisation an Auslandseinsätzen der Bundes392 Erhardt, Befehls- und Kommandogewalt, S. 68, 89; F. Kirchhof, in: Isensee/P. Kirchhof, HdStR, Bd. VII, § 84 Rdn. 24; Scherer/Alff/Poretschkin, § 1 SoldatenG Rdn. 48; Walz/Eichen/ Sohm, § 1 SoldatenG Rdn. 56. 393 Poretschkin, Befehlsgewalt internationaler Kommandeure, in: NZWehrR 48 (2006), 247 [248]; Scherer/Alff/Poretschkin, § 1 SoldatenG Rdn. 49. 394 s. auch Lüder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Nordatlantiksvertrags-Organisation bei der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: NZWehrR 2001, 107 [112 f.].

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

wehr einbezogen werden und die aus dieser Entscheidung zu ziehenden Schlüsse im Hinblick auf die Frage der völkerrechtlichen Zurechenbarkeit untersucht werden. (1) Völkerrechtsfähigkeit der UN, NATO und EU Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung finden im Rahmen der NATO, UN oder EU statt, so dass diese drei Internationalen Organisationen jeweils als Zurechnungssubjekte in Folge einer völkerrechtlichen Organleihe in Betracht kommen. Grundvoraussetzung einer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für völkerrechtswidriges Tun und damit einer völkerrechtlichen Organleihe ist die Völkerrechtsfähigkeit derjenigen Einheit, der ein völkerrechtswidriges Verhalten zugerechnet werden soll. Völkerrechtsfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit, Träger völkerrechtlicher (Primärund Sekundär-)Rechte und Pflichten zu sein.395 Ohne weiteres sind Staaten – unbeschränkt – völkerrechtsfähig.396 Neben Staaten als originären Völkerrechtssubjekten ist allgemein anerkannt, dass auch Internationale Organisationen Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten und damit völkerrechtsfähig sein können.397 Im Hinblick auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Völkerrechtsfähigkeit einer Internationalen Organisation anzunehmen ist, lassen sich zwei grundsätzliche Positionen unterscheiden: die subjektive (Willens-)Theorie und die objektive Theorie.398 Die subjektive Theorie stützt sich auf den Willen der Gründungsstaaten, wie er im Gründungsvertrag Ausdruck gefunden hat: Wenn die Mitgliedsstaaten beabsichtigen, die von ihnen aus der Taufe gehobene Organisation mit Völkerrechtsfähigkeit auszustatten, dann soll eben diese Organisation völkerrechtsfähig sein.399 395 Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisationen, S. 13; Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 4 vor Rdn. 1.; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 45; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rdn. 0303. Ausführlich zum Begriff der Völkerrechtsfähigkeit s. Hempel, Die Völkerrechtssubjektivität internationaler nichtstaatlicher Organisationen, S. 56 ff. 396 s. nur Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 4 Rdn. 7. 397 Bothe, Die Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 9; Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisationen, S. 13; Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 6 Rdn. 2; Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 31 ff. 398 s. auch Überblick zu den grundsätzlichen Positionen bei Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 9 f.; Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisationen, S. 13 ff.; Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 34 ff.; Zwanenburg, Accountability of Peace Support Operations, S. 65 f. 399 Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 10 f.; E. Klein, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. IV Rdn. 94; Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rdn. 0307, 0310. Zu den Schwächen der subjektiven Theorie s. Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organi-

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Damit ist die Völkerrechtsfähigkeit der Internationalen Organisation nach der subjektiven Theorie aus dem Willen der Gründerstaaten abgeleitet.400 Der Gründungsvertrag und die dadurch verliehene Völkerrechtsfähigkeit entfalten im Verhältnis zu Drittstaaten keinerlei Wirkung.401 Die objektive Theorie geht davon aus, dass eine Internationale Organisation dann zur Entstehung gelangt, wenn sie gewisse (objektive) Mindestkriterien erfüllt: Sie muss über eigene Organe verfügen; und diese Organe müssen souveräne, also selbständige, vom Willen der Mitgliedsstaaten losgelöste Handlungen im Namen der Organisation vornehmen können.402 Ist die Internationale Organisation – infolge des Vorliegens der Mindestvoraussetzungen – einmal zur Entstehung gelangt, so kommt der Internationalen Organisation nach der objektiven Theorie eine originäre, vom Willen der Mitgliedsstaaten unabhängige Völkerrechtsfähigkeit zu.403 Die Völkerrechtsfähigkeit der Internationalen Organisation ist dann auch gegenüber Drittstaaten relevant.404 Von grundlegender Bedeutung für die Frage der Völkerrechtsfähigkeit Internationaler Organisationen ist das Bernadotte-Gutachten des IGH.405 Dieses Gutachten enthält Anhaltspunkte sowohl für die subjektive als auch für die objektive Theorie. Tatsächlicher Hintergrund des Gutachtens war die Ermordung des UN-Gesandten Graf Bernadotte. Um die Frage einer Ersatzforderung der UN gegen die für die Ermordung verantwortliche Regierung zu klären, musste der mit dem Fall befasste IGH vorab prüfen, ob die UN überhaupt Völkerrechtsfähigkeit besitzt. Zur Beantwortung der Frage stützte sich der IGH zum einen auf die Satzung der UN und die Absicht der Gründerstaaten, hob zum anderen aber auch bestimmte – objektive – Merkmale der UN hervor, um im Endeffekt zur Bejahung der Völkerrechtsfähigkeit der UN zu gelangen.406 sationen, S. 16; Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 36 f. 400 E. Klein, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. IV Rdn. 93; Seidl-Hohenveldern/ Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rdn. 0310. 401 s. nur Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rdn. 0321. 402 Seyersted, Objective international personality of intergovernmental organizations, S. 46 f.; s. auch Brownlie, Principles of Public International Law, S. 677. Zu den Schwächen der objektiven Theorie: Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 36 f.; gegen die objektive Theorie z. B. Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 10. 403 Seyersted, Objective international personality of intergovernmental organizations, S. 45. 404 Seyersted, Objective international personality of intergovernmental organizations, S. 44 f. 405 IGH, Reparation for injuries suffered in the service of the United Nations, Advisory Opinion of 11. 04. 1949 (verfügbar auf der Website des IGH unter http://www.icj-cij.org/ homepage/index.php?lang=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „1948“, nachgesehen am 25. 07. 2009). 406 s. Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 32, mit Verweis auf die entsprechenden Passagen des Gutachtens des IGH.

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Die soeben skizzierten Theorien schließen sich jedoch keineswegs aus, sondern beide beschreiben unterschiedliche Aspekte eines einheitlichen Komplexes (= Völkerrechtsfähigkeit Internationaler Organisationen):407 Internationale Organisationen entstehen anfänglich aus dem Willen ihrer Gründungsstaaten, weshalb es einerseits folgerichtig erscheint, die Völkerrechtsfähigkeit einer Internationalen Organisation unter Berücksichtigung dieses – subjektiven – Willens der Gründerstaaten zu bestimmen. Andererseits zieht die Gründung einer Internationalen Organisation objektive Konsequenzen nach sich, nämlich die Schaffung einer rechtlich eigenständigen Einheit mit eigenen Rechten gegenüber den Mitgliedstaaten, von denen die Organisation – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad – emanzipiert ist. Auf der Basis subjektiver und objektiver Gesichtspunkte ist der Status der UN als völkerrechtsfähiges Subjekt völlig unstreitig.408 Die Völkerrechtsfähigkeit der UN gilt auch erga omnes, das heißt gegenüber Dritten ohne deren Anerkennung.409 Im Falle der NATO lässt sich konstatieren, dass der Gründungsvertrag die NATO mit einem eigenen Aufgabenbereich, der im Verlaufe der Zeit an neue sicherheitspolitische Herausforderungen angepasst worden ist, und mit eigenen Organen (zum Beispiel NAC) zur Durchführung der Aufgaben ausstattet. Sowohl die objektive als auch die subjektive Theorie kämen also dazu, die Völkerrechtsfähigkeit der NATO zu bejahen. Allerdings wäre die Völkerrechtsfähigkeit der NATO nach der subjektiven Theorie lediglich eine relative, das heißt eine nur gegenüber den Mitgliedstaaten und anerkennenden Drittstaaten bestehende Völkerrechtsfähigkeit.410 Mittlerweile ist die NATO jedoch selbständig als Vertragspartner aufgetreten411 und sie wird in 407 s. auch Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 36 ff. 408 s. Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 34; zur Völkerrechtsfähigkeit einzelner Organe der UN s. auch Brownlie, Principles of Public International Law, S. 678. 409 Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 34; s. auch E. Klein, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. IV Rdn. 96 und Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rdn. 0702, die darauf hinweisen, dass sich die Ansicht des IGH zur objektiven Völkerrechtsfähigkeit der UN im Bernadotte-Gutachten nicht auf andere Internationale Organisationen übertragen lasse. 410 Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 11; Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisationen, S. 16; E. Klein, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. IV Rdn. 96; Seidl-Hohenveldern, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rdn. 0321. Zur Bedeutung der Anerkennung einer Internationalen Organisation im Hinblick auf ihre Völkerrechtsfähigkeit gegenüber Drittstaaten s. Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 39 ff. 411 So ist die NATO z. B. im Rahmen der militärischen Absicherung des Friedensvertrages von Dayton den Staaten Bosnien-Herzegowina und Kroatien als eigenständiger Vertragspartner gegenüber getreten und hat mit diesen Staaten Abkommen über den Status der NATO und ihres Personals abgeschlossen, s. Agreement Between the Republic of Bosnia and Hercegovina and the North Atlantic Treaty Organisation (NATO) Concerning the Status of NATO and its Personnel sowie das Agreement Between the Republic of Croatia and the North Atlantic Treaty Organisation (NATO) Concerning the Status of NATO and its Personnel, Appendix B des Annexes 1-A des Dayton-Abkommens, abgedruckt in: ILM 35 (1996), 102 ff.

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der Staatenpraxis als Zurechnungssubjekt angesehen,412 so dass von einer weitreichenden Anerkennung der NATO im internationalen Rechtsverkehr ausgegangen werden kann.413 Was schließlich die EU anbelangt, so ist die Frage der Völkerrechtsfähigkeit der EU414 – im Gegensatz zur UN und NATO – ungleich schwerer zu bestimmen: Durch den Vertrag von Maastricht vom 1. November 1991 wurde die „Europäische Union“ (EU) gegründet, deren Grundlage die bislang drei Europäischen Gemeinschaften (EG, EAG und EGKS), ergänzt durch die mit dem Maastrichter Vertrag eingeführten intergouvernementalen Elemente auf den Gebieten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS), sein sollten.415 Einige Vertreter im Schrifttum sahen bereits auf Basis dieses Maastrichter Vertrages ausreichende Anhaltspunkte für eine implizite Verleihung internationaler Rechtsfähigkeit an die EU vorhanden.416 Die wohl herrschende Meinung sprach der (Maastrichter) EU hingegen die Völkerrechtsfähigkeit ab.417 Die später durch Amsterdam (1997) und Nizza (2000) vorgenommenen Vertragsänderungen konnten den Streit um die Völkerrechtsfähigkeit der EU – mangels ausdrücklicher vertraglicher Verleihung der Völkerrechtsfähigkeit

412 So argumentierte beispielsweise Frankreich im Bankovic´-Verfahren (= EuGRZ 29 (2002), 133 ff.) vor dem EGMR, dass die Bombardierung serbischer Einrichtungen nicht den einzelnen Staaten, sondern der NATO anzulasten sei, einer internationalen Organisation, deren Rechtspersönlichkeit sich von der der Mitgliedstaaten unterscheide (s. EuGRZ 29 (2002), 133 [136, Rdn. 32]). Zur völkerrechtlichen Praxis im Hinblick auf die Völkerrechtsfähigkeit der NATO s. auch Zwanenburg, Accountability of Peace Support Operations, S. 67. 413 Kritisch zur Völkerrechtsfähigkeit der NATO indes Stein, Kosovo and the International Community. The Attribution of Possible Internationally Wrongful Acts: Responsibility of NATO or its Member States?, in: Tomuschat (Ed.), Kosovo and the international community, S. 181 [186 f.]. 414 Ausführlich zur Frage der Völkerrechtsfähigkeit der EU: Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, S. 36 ff., insb. 55 ff.; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 169 ff. 415 s. Art. 1 III EUV: „Grundlage der Union sind die Europäischen Gemeinschaften, ergänzt durch die mit diesem Vertrag eingeführten Politiken und Formen der Zusammenarbeit.“ Zur Entstehungsgeschichte der EU s. Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der EU, S. 26 ff. 416 Friedrichs, Zur Frage der Völkerrechtssubjektivität der EU, S. 153; Ress, Ist die Europäische Union eine juristische Person, in: EuR, Beiheft 2/1995, 27 [34 ff.]; von Bogdandy/ Nettesheim, Die Verschmelzung der Europäischen Gemeinschaften in der Europäischen Union, in: NJW 48 (1995), 2324 [2327]; s. auch Wichard, Wer ist Herr im europäischen Haus?, in: EuR 34 (1999), 170 [171], mit weiteren Nachweisen in Fn. 5. 417 Bleckmann, Europarecht, Rdn. 164; Herdegen, Europarecht, Rdn. 82 f. (2. Auflage – 1999); Oppermann/Classen, Die EG vor der Europäischen Union, in: NJW 1993, 5 [10]; Pechstein/Koenig, EU, Rdn. 64, 85; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdn. 66 (5. Auflage – 1996); Streinz, Europarecht, Rdn. 121 b (4. Auflage – 1999); s. auch Wichard, Wer ist Herr im europäischen Haus?, in: EuR 34 (1999), 170 [172], mit weiteren Nachweisen in Fn. 7. Ausführlich zum Meinungsstand hinsichtlich der Völkerrechtsfähigkeit der EU auf der Basis des Maastrichter Vertrages s. Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der EU, S. 39 ff.

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an die EU – nicht entscheiden:418 Die Befürworter einer Völkerrechtsfähigkeit der EU verwiesen auf den – durch Amsterdam neu eingefügten – Art. 24 EUV, wonach der Europäische Rat die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) erhielt.419 Der Wortlaut von Art. 24 I 2 EUV („Solche Übereinkünfte werden vom Rat […] geschlossen.“) ließ zwei Deutungen, nämlich entweder Verpflichtung der Gesamtheit der Mitgliedstaaten420 oder aber Verpflichtung der EU als insoweit selbständiges Völkerrechtssubjekt,421 zu.422 Für die zweite Deutungsvariante, und damit die Völkerrechtsfähigkeit der EU, sprach insbesondere der durch Nizza neu eingefügte Absatz 6 des Art. 24 EUV, wonach die nach Maßgabe des Art. 24 EUV geschlossenen Übereinkünfte die „Organe der Union“ binden.423 Allerdings machte der entgegenstehende Wille der Mitgliedstaaten, wonach der EU keine Völkerrechtsfähigkeit zukommen sollte, die Annahme einer Völkerrechtsfähigkeit der EU mehr als fraglich.424 Mehr sprach dafür, den Analysen zu folgen, welche – auch unter Berücksichtigung der durch Amsterdam und Nizza vorgenommenen Änderungen – eine Völkerrechtsfähigkeit der EU verneinten.425 Auf vertragliche Anhaltspunkte ließ bzw. lässt sich die Annahme einer (partiellen) Völkerrechtsfähigkeit der EU somit bislang kaum stützen.

418

Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, S. 61; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 169, mit weiteren Nachweisen in Fn. 622 und 624. 419 Ukrow, Die Fortentwicklung des Rechts der Europäischen Union durch den Vertrag von Amsterdam, in: ZEuS 1 (1998), 141 [173]; Wichard, Wer ist Herr im europäischen Haus?, in: EuR 34 (1999), 170 [173 ff.]. 420 Pechstein/Koenig, EU, Rdn. 83; Streinz, Aufbau, Struktur und Inhalt des Vertrages von Amsterdam, in: Hummer (Hrsg.), Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 47 [60]; Vedder, Die EU und internationale Organisationen – Perspektiven nach dem Vertrag von Amsterdam, in: Benedek/Isak/Kicker (Hrsg.), Development and developing international and European law, S. 501 [509]. 421 Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, S. 74 f.; Trüe, Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union nach den Vertragsänderungen von Amsterdam, in: ZEuS 3 (2000), 127 [168 f.]; Wichard, Wer ist Herr im europäischen Haus?, in: EuR 34 (1999), 170 [174]. 422 Zur Möglichkeit dieser beiden Deutungsvarianten s. auch Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Art. 24 EUV Rdn. 7. 423 Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Art. 24 EUV Rdn. 7; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, S. 66. Es sei aber angemerkt, dass beide mit Blick auf die Regelung des Art. 25 HS 1 EUV letztlich von einer Verpflichtung der Gesamtheit der Mitgliedstaaten ausgehen. 424 Auf den entgegenstehenden mitgliedstaatlichen Willen weisen hin: Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der EU, S. 381; Herdegen, Europarecht, Rdn. 82 f.; Pechstein/Koenig, EU, Rdn. 65. 425 So z. B. Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, S. 70; Pechstein/Koenig, EU, Rdn. 85.

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Etwas anderes könnte sich womöglich aber aus einem Blick in die völkerrechtliche Praxis426 ergeben: Die EU hat in der jüngeren Zeit vermehrt mit dritten Parteien Verträge geschlossen, die dem Wortlaut nach vorsehen, dass die EU im eigenen Namen gehandelt hat und selbst Vertragspartei geworden ist. Das legt die Vermutung nahe, dass sich die EU – zumindest faktisch – als völkerrechtliches Rechtssubjekt etabliert hat. Als Beispiele seien hier insbesondere die bisherigen Krisenreaktions-Einsätze der EU genannt, die in Ausführung der ESVP unternommen worden sind bzw. unternommen werden. So wurde in dem zwischen der EU und Mazedonien geschlossenen Abkommen über die EU-geführte Operation „Concordia“ die EU selbst als Vertragspartei genannt.427 Auch in den Beschlüssen des Rates der EU zur EUFOR-Mission in Bosnien (Operation „Althea“) und im Kongo (EUFOR Rd Congo) wurde die EU selbst als beteiligte Partei hervorgehoben.428 Die veränderte internationale Wahrnehmung der EU als eigenständiges außenpolitisches Handlungssubjekt lässt sich zusätzlich anhand des Vorgangs untermauern, dass die UN in Vorbereitung der EUFORMission im Kongo den kompletten Schriftwechsel ausschließlich an die EU und nicht an einzelne Staaten der EU gerichtet hat.429 Und schließlich ist nicht zu vernachlässigen, dass sowohl der Vertrag über eine Verfassung für Europa vom 29. Oktober 2004 als auch der Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 davon sprechen, dass die EU „Rechtspersönlichkeit“ besitzt (s. Art. I-7 des Verfassungsvertrages bzw. Art. 47 des Vertrages von Lissabon).430 Diese vor allem faktischen Entwicklungen dürften letztlich den Schluss zulassen, die EU als internationalen Akteur mit einer partiellen, vor allem auf das Gebiet der ESVP bezogenen Völkerrechtsfähigkeit zu bezeichnen.431

426 Ausführlich zur völkerrechtlichen Praxis im Hinblick auf die EU als eigenständige Vertragspartei s. Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, S. 70 ff. 427 s. Beschluss 2003/222/GASP des Rates der EU vom 29. 03. 2003 (ABl. EU 2003, Nr. L82/45), Art. 1 I. 428 Council Joint Action 2004/570/CFSP, 12. 07. 2004, ABl. EU 2004 L 252/10 (Operation „Althea“); Council Joint Action 2006/319/CFSP, 27. 04. 2006, ABl. EU 2006 L 116/98 (EUFOR Rd Congo). 429 s. Schreiben des UN-Untergeneralsekretärs für friedenserhaltende Maßnahmen, Guheno, vom 29. 12. 2005, das ausdrücklich und allein an die EU gerichtet ist (UN Doc. S/2006/ 219, Annex I, S. 2 f.), woraufhin die EU – vertreten durch die damalige österreichische Ratsvorsitzende Plassnik – mit Schreiben vom 28. 03. 2006 positiv antwortete (Annex II, S. 4 f.). 430 Art. 1 – 7 des Verfassungsvertrages und Art. 47 des Vertrages von Lissabon haben denselben Wortlaut. Sie lauten: „Die Union besitzt Rechtspersönlichkeit.“ Am 13. 11. 2009 wurde die tschechische Ratifikationsurkunde als letzte der 27 Urkunden der Mitgliedstaaten zum Vertrag von Lissabon bei der italienischen Regierung in Rom hinterlegt. Der Reformvertrag tritt damit am 01. 12. 2009 in Kraft. 431 So auch Brownlie, Principles of Public International Law, S. 678; Hilmes, Die Europäische Union als Partei völkerrechtlicher Verträge, S. 81 f.; Kleine, Die militärische Komponente der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 175.

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(2) Regelung der Befehlsgewalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen der NATO, EU oder UN Basisdokument für die Führung von (Auslands-)Einsätzen der Bundeswehr und damit die konkrete Ausgestaltung der Befehlsgewalt bei solchen Einsätzen ist die „Teilkonzeption Führung von Einsätzen der Bundeswehr“ (TK FüEinsBw), die am 10. März 2005 vom Generalinspekteur der Bundeswehr erlassen worden ist. Sie ist in Zusammenhang mit der (Gesamt-)„Konzeption der Bundeswehr“ (KdB) zu sehen, die am 9. August 2004 vom damaligen Bundesminister der Verteidigung, Peter Struck (SPD), erlassen wurde. Ziel der KdB ist es, die Bundeswehr auf die – sich aus den neuen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen ergebenden – wahrscheinlicheren Aufgaben in der Zukunft, also Einsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, auszurichten. Mit Blick auf dieses in der Gesamt-Konzeption skizzierte gewandelte Aufgabenspektrum der Bundeswehr stellt die TK FüEinsBw Grundsätze zur Führung von (Auslands-)Einsätzen der Bundeswehr auf – unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Strukturen und Verfahren bei militärischen Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung [s. dazu bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) bb)]. Die nationale Führungsorganisation für (Auslands-)Einsätze der Bundeswehr gliedert sich gemäß der TK FüEinsBw in folgende Ebenen: Zunächst werden auf der politischen Ebene der angestrebte politische Zielzustand definiert sowie Zielsetzungen und Rahmenbedingungen für einen Bundeswehr-Einsatz festgelegt.432 Die politische Ebene wird durch die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag wahrgenommen.433 Auf der militärstrategischen Ebene werden die militärischen Zielsetzungen zur Erreichung des politischen Zielzustandes festgelegt sowie der politischen Ebene auf der Grundlage der vorgegebenen Rahmenbedingungen militärische Handlungsoptionen vorgeschlagen und diese Optionen in militärstrategische Weisungen an die nachgeordnete (operative) Ebene umgesetzt.434 Die militärstrategische Ebene wird wahrgenommen durch den Bundesminister der Verteidigung als Inhaber der Befehlsund Kommandogewalt (Art. 65 a GG) und den Generalinspekteur der Bundeswehr, der – als ranghöchster Soldat – dem Minister gegenüber verantwortlich ist für die Planung, Vorbereitung und Führung von Einsätzen der Bundeswehr.435 Auf der operativen Ebene werden militärische Optionen zur Realisierung der politischen Absichten und militärstrategischen Vorgaben erarbeitet. Dazu werden die notwendigen Fähigkeiten, Kräfte und Mittel identifiziert, entsprechende Einsatzkon-

432 433 434 435

TK FüEinsBw, S. 11 f. TK FüEinsBw, S. 12. TK FüEinsBw, S. 12. TK FüEinsBw, S. 12.

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tingente aufgestellt und operative Zielsetzungen festgelegt.436 Die Aufgaben der Einsatzplanung und -führung auf der operativen Ebene werden grundsätzlich durch das Einsatzführungskommando (EinsFüKdoBw) wahrgenommen.437 Auf der taktischen Ebene werden dann letztlich militärische Operationen im Einsatzgebiet durchgeführt, um die durch die operative Ebene vorgegebenen militärischen Zielsetzungen zu erreichen.438 Die Einsatzkontingente werden in der Regel mit Verlegung in das Einsatzgebiet dem Kontingentführer im Einsatzgebiet (KtgtFhr i.E.) unterstellt, der seine nationalen Befehle und Weisungen vom EinsFüKdoBw erhält.439 Merkmal dieser grob skizzierten nationalen Führungsorganisation ist, dass – zunächst – eine nationale Befehlskette besteht, die vom Bundesminister der Verteidigung als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt bis hin zu den Einsatzkräften auf der taktischen Ebene reicht [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc)].440 Dasselbe gilt für die truppendienstlichen Unterstellungsverhältnisse.441 Die Einbettung eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr in den operativen Rahmen der NATO, EU oder UN hat nun zur Folge, dass die für den Auslandseinsatz bereit gestellten Bundeswehr-Soldaten einem Befehlshaber der jeweils beteiligten Internationalen Organisation unterstellt werden. Diese Unterstellung unter den Befehlshaber einer Internationalen Organisation wird als „Transfer of authority“ bezeichnet.442 Mit „Transfer of authority“ erhält der Befehlshaber einer multinational zusammengesetzten und unter dem Dach einer Internationalen Organisation operierenden Truppe die Befugnis zur Erteilung von Weisungen und Befehlen an die ihm unterstellten Kräfte.443 Im Regelfall wird dabei die sog. „operational control“ auf den internationalen Befehlshaber übertragen.444 Die Unterstellung lässt allerdings die truppendienstlichen Unterstellungsverhältnisse unberührt.445 Im Übrigen verbleiben gewisse Aufgaben (zum Beispiel: Verlegung/Rückverlegung des nationalen Kontingents, Logistik, sanitätsdienstliche Versorgung) in nationaler Verantwortung.446 Um – auch nach der Unterstellung von Bundeswehr-Soldaten unter einen internationalen Befehlshaber – das Einbringen deutscher Auffassungen, die nationale Teil436 437 438 439 440 441 442 443 444 445 446

TK FüEinsBw, S. 15 f. TK FüEinsBw, S. 12. TK FüEinsBw, S. 12, 18. TK FüEinsBw, S. 18. TK FüEinsBw, Anhang 10. TK FüEinsBw, Anhang 10. TK FüEinsBw, S. 15. TK FüEinsBw, S. 19. TK FüEinsBw, Anhang 10. TK FüEinsBw, S. 23. TK FüEinsBw, S. 23.

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habe an Entscheidungsprozessen in multinationalen Organisationen und die Einhaltung deutscher Mandatsvorgaben zu gewährleisten, bestehen auf den drei militärischen Ebenen der Einsatzführung, also der militärstrategischen, der operativen und der taktischen Ebene, Schnittstellen zu multinationalen Organisationen.447 Dies gilt insbesondere für NATO-Einsätze: So hält das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) auf der militärstrategischen Ebene die Verbindungen zur NATO über einen Deutschen Militärischen Vertreter bei der NATO und einen nationalen militärischen Vertreter bei SHAPE.448 Das EinsFüKdoBw hält grundsätzlich über sog. Dienstälteste Deutsche Offiziere (DDO) Verbindung zu den – operativen – Hauptquartieren.449 Ist ein multinationales Hauptquartier in einem Einsatzgebiet eingerichtet, hält das EinsFüKdoBw die Verbindung zu diesem Hauptquartier über den KtgtFhr i.E. und DDO.450 Auf der taktischen Ebene ist der deutsche KtgtFhr i.E. über DDO mit dem entsprechenden multinationalen Hauptquartier im Einsatzgebiet verbunden.451 Diese Schnittstellen zu der jeweiligen Internationalen Organisation sind zum Beispiel auf der taktischen Ebene insofern von Bedeutung, als dass der KtgtFhr i.E. alle bindenden – nationalen – Vorgaben zur Einsatzführung berücksichtigen muss.452 Stehen nationale Einsatzvorgaben einer Weisung eines internationalen Befehlshabers womöglich entgegen, so kann der KtgtFhr i.E. die deutschen Positionen in internationalen Hauptquartieren über DDO vertreten – und damit auf eine mit den deutschen Vorgaben konforme Weisung hinwirken. Die Aussagen der TK FüEinsBw zur Befehlsgewalt über deutsche Soldaten bei Auslandseinsätzen im Rahmen der NATO, EU oder UN lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Im Regelfall wird dem Befehlshaber der Internationalen Organisation die sog. „operational control“ über die ihm unterstellten (Bundeswehr-)Soldaten eingeräumt. Die – nationale – Befehlsgewalt wird also relativiert. – Die truppendienstliche Unterstellung und andere Aufgaben verbleiben aber in nationaler Verantwortung. Die Unterstellung unter den internationalen Befehlshaber ist also nicht vollkommen. – Schließlich werden das Einbringen deutscher Auffassungen und die Überwachung deutscher Mandatsvorgaben auch nach der Unterstellung der Soldaten unter einen internationalen Befehlshaber über Schnittstellen auf den entsprechenden Ebenen zu den Internationalen Organisationen sichergestellt.

447 448 449 450 451 452

TK FüEinsBw, S. 19 f. TK FüEinsBw, Anhang 9. TK FüEinsBw, Anhang 9. TK FüEinsBw, Anhang 9. TK FüEinsBw, Anhang 9. TK FüEinsBw, S. 23.

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In einem ersten Schritt muss nun der Umfang der auf den internationalen Befehlshaber gemäß der TK FüEinsBw übertragenen Befehlsgewalt präzisiert werden, bevor in einem zweiten Schritt dann eine Bewertung der übertragenen Befugnisse im Hinblick auf das Vorliegen einer völkerrechtlichen Organleihe vorgenommen wird (s. unten), um somit die Frage der Zurechenbarkeit des Verhaltens von Bundeswehr-Soldaten bei militärischen Operationen Internationaler Organisationen abschließend beantworten zu können. Was erstens den Umfang der übertragenen Befehlsgewalt anbelangt, so wird bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung unter dem Dach einer Internationalen Organisation einem internationalen Befehlshaber im Regelfall – wie bereits angesprochen – die sog. „operational control“ über Bundeswehr-Soldaten eingeräumt.453 Der Begriff „operational control“ stammt aus der NATO-Terminologie, ist aber auch bei militärischen Operationen der EU und der UN gebräuchlich. Im Rahmen der NATO sind bei multinationalen Streitkräfteverwendungen unterschiedliche Formen der Führung und Kontrolle von nationalen Truppenkontingenten vorgesehen, die von „tactical control“ über „operational control“ bis hin zu „operational command“ reichen. „Full command“ hingegen verbleibt stets in nationaler Verantwortung. Die mit diesen Begriffen verbundenen Befugnisse werden im „NATO Glossary of Terms and Definitions“ definiert und präzisiert.454

453 TK FüEinsBw, Anhang 10. Von der Übertragung von „operational control“ gehen auch aus: BVerfGE 90, 286 [352, 355] (für UNOSOM II, Adria-Einsatz und AWACS-Verband); Donner, Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: HUV-I 10 (1997), 63 [67] (für IFOR); Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 131, 140 (für SFOR und KFOR); Ipsen, Neue Entwicklungen im humanitären Völkerrecht, in: HUV-I 7 (1994), 112 [117] (für UNOSOM II); Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [680] (für SFOR und KFOR); Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 115 (für UNOSOM II); Lüder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Nordatlantiksvertrags-Organisation bei der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: NZWehrR 43 (2001), 107 [115] (für SFOR); Millotat, Operatives Denken und Führen in der Bundeswehr auf dem Weg zur Einsatzarmee, in: ÖMZ 44 (2006), 275 [275, 282]; General Petrovsky in der mündlichen Verhandlung zu den AWACS-, Somalia- und Adria-Verfahren in der Hauptsache, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 735 (für UNOSOM II); Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 482 f. (für UNOSOM II); Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis der Bundesrepublik Deutschland, Rdn. 1257 (für Einsätze im Rahmen der UN oder NATO); Vad, Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte, in: HUV-I 10 (1997), 74 [78] (für „Nicht-Art. 5Operationen“ der NATO); s. ferner Zwanenburg, Accountability of Peace Support Operations, S. 45, 47, 48 zur Praxis der truppenstellenden Staaten bei SFOR, KFOR und ISAF, den NATOBefehlshaber mit „operational control“ auszustatten. 454 NATO Glossary of Terms and Definitions, AAP-6 2007 (im Internet verfügbar unter http://www.nato.int/docu/stanag/aap006/aap-6-2007.pdf, nachgesehen am 25. 07. 2009).

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

„Full command“ ist die alle Gebiete des militärischen Bereichs umfassende Befehlsgewalt.455 Diese umfassende Befehlsgewalt steht nur nationalen militärischen Führern zu und wird von den truppenstellenden Staaten keinesfalls auf die NATO übertragen.456 So verbleibt zum Beispiel die truppendienstliche Unterstellung stets in nationaler Verantwortung.457 Truppenstellende Staaten übertragen hingegen entweder „operational command“ oder aber „operational control“ auf den NATO-Befehlshaber:458 „Operational command“ bezeichnet die einem (NATO-)Befehlshaber übertragene Befugnis, unterstellten Führern Aufträge zu erteilen oder Aufgaben zuzuweisen, Truppenteile zu dislozieren, die Unterstellung von Kräften neu zu regeln sowie „operational control“ und/ oder „tactical control“ je nach Notwendigkeit selbst auszuüben oder zu übertragen. Truppendienstliche oder logistische Befugnisse sind darin nicht eingeschlossen.459 Das dem „operational command“ untergeordnete „operational control“ beinhaltet die einem (NATO-)Befehlshaber übertragene Befugnis, ihm unterstellte Kräfte so zu führen, dass er bestimmte Aufträge oder Aufgaben erfüllen kann, die im allgemeinen nach Art, Zeit und Raum begrenzt sind, sowie die Truppenteile zu dislozieren und „tactical control“ über diese Truppenteile selbst auszuüben oder zu übertragen. Es umfasst weder die Befugnis, den gesonderten Einsatz von Teilen dieser Truppenteile anzuordnen, noch sind darin truppendienstliche oder logistische Führungsaufgaben mit eingeschlossen.460 455 „Full command“ wird im NATO Glossary of Terms and Definitions, S. 2-F-7, definiert als: „The military authority and responsibility of a commander to issue orders to subordinates. It covers every aspect of military operations and administration and exists only within national services.“ 456 s. Definition „full command“ im NATO Glossary of Terms and Definitions, S. 2-F-7. So auch Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 100; Fleck, Befehls- und Kommandogewalt über deutsche Streitkräfte in multinationalen Verbänden, in: Geiger (Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund zunehmender Verdichtung der internationalen Beziehungen, S. 163 [170]; Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 89. 457 TK FüEinsBw, S. 11. 458 s. Definition „full command“ im NATO Glossary of Terms and Definitions, S. 2-F-7. So auch Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 101; Lüder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Nordatlantiksvertrags-Organisation bei der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: NZWehrR 43 (2001), 107 [114]. 459 „Operational command“ wird im NATO Glossary of Terms and Definitions, S. 2-O-3, definiert als: „The authority granted to a commander to assign missions or tasks to subordinate commanders, to deploy units, to reassign forces, and to retain or delegate operational and/or tactical control as the commander deems necessary. […] It does not include responsibility for administration.“ 460 „Operational control“ wird im NATO Glossary of Terms and Definitions, S. 2-O-3, definiert als: „The authority delegated to a commander to direct forces assigned so that the commander may accomplish specific missions or tasks which are usually limited by function, time, or location; to deploy units concerned, and to retain or assign tactical control of those units. It does not include authority to assign separate employment of components of the units concerned. Neither does it, of itself, include administrative or logistic control.“

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Der – wesentliche – Unterschied zwischen „operational command“ und „operational control“ besteht darin, dass der Befehlshaber bei „operational command“ die Befugnis hat, Einsatzaufträge im Rahmen des Gesamtkonzeptes eines Einsatzes abzuändern, während er bei „operational control“ nicht die Befugnis hat, Einsatzaufträge abzuändern, sondern nur im Rahmen eines – nach Art, Zeit und Raum – festgelegten Einsatzspektrums nachgeordnete Kräfte anweisen kann, bestimmte Einsatzaufträge durchzuführen.461 Es gibt zwar durchaus Verwendungen der Bundeswehr im Rahmen der NATO oder aber der UN, bei denen der entsprechende Internationale Befehlshaber mit „operational command“ ausgestattet werden kann.462 Bei den hier – schwerpunktmäßig – interessierenden Auslandseinsätzen der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen einer Internationalen Organisation wird aber regelmäßig „nur“ die „operational control“ übertragen (s. oben). Die mit der Übertragung von „operational control“ verbundenen Befugnisse des internationalen Befehlshabers lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der internationale Befehlshaber hat nicht die Befugnis, Einsatzaufträge selbständig abzuändern. Er hat im Rahmen eines festgelegten Einsatzspektrums die Befugnis, die ihm unterstellten Truppen so zu führen, dass er bestimmte Aufträge durchführen kann. Dazu kann der Befehlshaber die unterstellten Soldaten anweisen, bestimmte Einsatzaufträge durchzuführen. Er kann zudem – innerhalb der zeitlich und räumlich vorgegebenen Grenzen – den Aufmarsch, die Verlegung und die Einsatzbewegung der Soldaten anordnen.463 Vereinfacht formuliert heißt das für die unterstellten Bundeswehr-Soldaten: Eine Weisung des internationalen Befehlshabers, die sich im vorher vereinbarten Rahmen bewegt, ist für die nationalen Truppenkontingente verpflichtend.464 In einem zweiten Schritt soll nun eine Bewertung der – soeben dargestellten – Befugnisse des internationalen Befehlshabers im Hinblick auf das Vorliegen einer völkerrechtlichen Organleihe vorgenommen werden: Für die Bewertung der Befugnisse, die einem Befehlshaber der NATO, EU oder UN mit der Übertragung von „operational control“ zustehen, könnte womöglich die Perspektive des deutschen Verfassungsrechts von Bedeutung sein: Die dem internationalen Befehlshaber eingeräumten Befugnisse könnten als „Übertragung“ von Hoheitsrechten gemäß Art. 24 I GG einzuordnen sein.465 461 s. Aussage von General Naumann in der mündlichen Verhandlung zum Somalia-Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 268. 462 s. z. B. Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 147 f. 463 Donner, Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: HUV-I 10 (1997), 63 [67]. 464 s. Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 131. 465 s. auch Nolte, Die „neuen Aufgaben“ von NATO und WEU, in: ZaöRV 54 (1994), 95 [115], der aus dem Pershing-Urteil des BVerfG den Schluss zieht, dass die Befehls- und Kommandostrukturen der NATO als Fall des Art. 24 I GG anzusehen sind.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Die Rechtswirkung einer Übertragung von Hoheitsrechten gemäß Art. 24 I GG liegt in der Entstehung eines neuen Hoheitsträgers mit eigenständigen, das heißt vom Empfangsstaat unabhängigen Regelungsbefugnissen.466 Für die – völkerrechtliche – Zurechnung des Verhaltens von Bundeswehr-Soldaten nach Unterstellung unter den Befehlshaber einer Internationalen Organisation würde das bedeuten: Das Verhalten der Soldaten, das auf einem Befehl des internationalen Befehlshabers beruht, wäre dann nur der Internationalen Organisation zurechenbar.467 Eine Übertragung von Hoheitsrechten soll nach überwiegender Meinung dann vorliegen, wenn die vom Adressaten der Übertragung (hier wären das: NATO, EU oder UN) gesetzten Rechtsakte unmittelbar, das heißt ohne gesonderten staatlichen Umsetzungsakt, im innerstaatlichen Bereich (hier: BRD) wirken (sog. „Durchgriffswirkung).468 Auch das BVerfG scheint das konstitutive Merkmal einer Hoheitsrechtsübertragung gemäß Art. 24 I GG in der dem Adressaten zugewiesenen Kompetenz zu sehen, Hoheitsbefugnisse „mit unmittelbarer Wirkung“ im deutschen Rechtsraum auszuüben.469 466

Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Art. 24 I GG Rdn. 55; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 89. 467 Zu dieser Konsequenz einer Übertragung von Hoheitsrechten gem. Art. 24 I GG s. auch Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 259. 468 Classen, in: von Mangoldt/F. Klein/Starck (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 5 f.; Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 5; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 20; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Art. 24 I GG Rdn. 30; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 20; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 13; Tomuschat, in: BK, Art. 24 GG Rdn. 8 f. 469 s. BVerfGE 90, 286 [346 f.] (Urteil vom 12. 07. 1994 zum Adria-, AWACS- und SomaliaEinsatz der Bundeswehr). Das Pershing-Urteil des BVerfG vom 18. 12. 1984 [= BVerfG 68, 1 ff.] hatte indes Zweifel am Erfordernis des Durchgriffs im Rahmen von Art. 24 I GG genährt. Das Urteil betraf die Frage, ob die Zustimmung der BRD zur Aufstellung von amerikanischen Atomwaffen auf deutschem Boden und das damit untrennbar verbundene Entscheidungsrecht des US-amerikanischen Präsidenten zum Einsatz ebendieser Waffen eine Übertragung von Hoheitsrechten darstellte (s. BVerfGE 68, 1 [91]). Das BVerfG führte in seinem Urteil aus, Art. 24 I GG könne nicht entnommen werden, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten immer nur dann anzunehmen sei, wenn der zwischenstaatlichen Einrichtung eine Durchgriffsbefugnis gegenüber Einzelnen eingeräumt werde (BVerfGE 68, 1 [94]). Stattdessen stellte das Gericht darauf ab, dass ein zuvor ausschließliches Herrschaftsrecht der BRD zugunsten fremder Hoheitsgewalt zurückgenommen werde (BVerfGE 68, 1 [90 f.]). Dementsprechend kam das Gericht zu dem Schluss, dass die dem US-Präsidenten übertragene Befugnis, über den Einsatz der Atomwaffen zu entscheiden, und die damit einhergehende Beeinträchtigung der Gebietshoheit der BRD als Übertragung von Hoheitsrechten gem. Art. 24 I GG anzusehen sei (BVerfGE 68, 1 [91], in der Begründung klargestellt durch BVerfGE 90, 286 [350]). Als Folge des Urteils des BVerfG könnte man auch das Recht zu schlicht-hoheitlichem Tätigwerden im deutschen Hoheitsbereich als Gegenstand eines Übertragungsaktes i.S.v. Art. 24 I GG ansehen (so zumindest Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 6). Ob das Urteil jedoch allgemeine Schlussfolgerungen zur Reichweite des Art. 24 I GG dergestalt zulässt, dass grds. auch schlicht-hoheitliches Handeln von Art. 24 I GG erfasst ist, ohne dass es dabei auf das Erfordernis des Durchgriffs ankäme, erscheint zweifelhaft. Somit wird denn auch – trotz der Aussagen des BVerfG im Pershing-Urteil – überwiegend am Erfordernis des Durchgriffs bei Art. 24 I GG festgehalten (so z. B. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Art. 24 I GG Rdn. 42;

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Ausgehend vom Merkmal des Durchgriffs als relevantem Kriterium wird nun – ganz überwiegend – eine Übertragung von Hoheitsrechten gemäß Art. 24 I GG im Hinblick auf die Einräumung von Befehlsgewalt über deutsche Soldaten im Rahmen internationaler Militäroperationen abgelehnt. Dies wird – zum einen – damit begründet, dass den Befehlsbefugnissen eines Befehlshabers einer Internationalen Organisation ohne den von deutscher Seite aus an die eigenen (Bundeswehr-)Soldaten erteilten „Befehl zur Kooperation“, also ohne einen staatlichen Umsetzungsakt, keine Rechtswirkung zukomme.470 Das Erfordernis eines solchen deutschen Befehls zur Kooperation, der sich an die im multinationalen Rahmen eingesetzten Bundeswehr-Soldaten richtet, wird mit Verweis auf die Besonderheiten des deutschen Wehrrechts konstruiert: Eine Delegation deutscher Hoheitsbefugnisse an Soldaten verbündeter Staaten dürfe nicht dazu führen, dass die umfassende Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers der Verteidigung gemäß Art. 65 a GG eingeschränkt werde.471 Der (ausländische) Befehlshaber einer Internationalen Organisation könne dementsprechend nicht „militärischer Vorgesetzter“ im Sinne des § 1 III 1 SoldatenG sein, seine Anordnungen seien daher auch keine „Befehle“ gemäß § 2 Nr. 2 WehrstrafG.472 Um dennoch die Arbeitsfähigkeit deutscher Soldaten im Rahmen multinational zusammengesetzter Truppen zu gewährleisten, würden die für den Einsatz vorgesehenen Bundeswehr-Soldaten durch Befehl des nationalen Vorgesetzten zur Zusammenarbeit mit den zuständigen internationalen Stellen angewiesen.473 Dieser Befehl zur Kooperation löse die allgemeine nationale Verpflichtung des Bundeswehr-Soldaten zum treuen Dienen in dem ihm zugewiesenen Bereich gemäß § 7 SoldatenG aus474 und stelle so die Erfüllung militärischer Aufträge Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 24 GG GG Rdn. 21). Was jedenfalls den – hier relevanten – Fall der Übertragung von Befehlsbefugnissen über deutsche Soldaten auf einen internationalen Befehlshaber anbelangt, so dürfte das Urteil des BVerfG vom 12. 07. 1994 zu den Auslandeinsätzen der Bundeswehr gezeigt haben, dass sich zumindest für diesen Fall keine Schlüsse aus dem Pershing-Urteil im Hinblick auf das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen einer Hoheitsrechtsübertragung gem. Art. 24 I GG ziehen lassen (so aber Nolte, Die „neuen Aufgaben“ von NATO und WEU, in: ZaöRV 54 (1994), 95 [115]). 470 Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 119; Poretschkin, Befehlsgewalt internationaler Kommandeure, in: NZWehrR 48 (2006), 247 [248]; Gegenäußerung der Bevollmächtigten der Bundesregierung Frowein und Ipsen im Adria-Verfahren vor dem BVerfG, abgedruckt bei: Dau/ Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 513 f. s. zu diesem Argument auch Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 105 f. 471 Hucul, in: Walz/Eichen/Sohm, § 1 SoldatenG Rdn. 55; Poretschkin, Befehlsgewalt internationaler Kommandeure, in: NZWehrR 48 (2006), 247 [248]. 472 Scherer/Alff/Poretschkin, § 1 SoldatenG Rdn. 59 f.; Walz, in: Walz/Eichen/Sohm, § 7 SoldatenG Rdn. 25; Walz, Die Bundeswehr und die NATO, in: NZWehrR 28 (1986), 89 [97]. 473 Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 112; Poretschkin, Befehlsgewalt internationaler Kommandeure, in: NZWehrR 48 (2006), 247 [248]. 474 Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 112; Poretschkin, Befehlsgewalt internationaler Komman-

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des internationalen Befehlshabers sicher. Diese Konstruktion eines Befehls zur Zusammenarbeit und die darauf gestützte Ablehnung einer Hoheitsrechtsübertragung gemäß Art. 24 I GG ist freilich nicht ganz ohne Widerspruch.475 Die Ablehnung einer Übertragung von Hoheitsrechten gemäß Art. 24 I GG wird – zum anderen – damit begründet, dass die Entscheidung zur Unterstellung deutscher Bundeswehr-Soldaten unter einen internationalen Befehlshaber und die damit verbundene Übertragung von „operational control“ widerruflich sei.476 Allerdings ist auch dieses zweite Argument, das zur Ablehnung einer Hoheitsrechtsübertragung vorgebracht wird, keineswegs unumstritten: Vor allem mit Blick auf das Pershing-Urteil wird betont, dass eine Übertragung nach Art. 24 I GG nicht die Unwiderruflichkeit der Zurücknahme deutscher Hoheitsgewalt voraussetze.477 deure, in: NZWehrR 48 (2006), 247 [248]; Walz, in: Walz/Eichen/Sohm, § 7 SoldatenG Rdn. 27; Walz, Die Bundeswehr und die NATO, in: NZWehrR 28 (1986), 89 [97]; Gegenäußerung der Bevollmächtigten der Bundesregierung Frowein und Ipsen im Adria-Verfahren vor dem BVerfG, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 514. 475 So steht Nolte auf dem Standpunkt, dass der (nationale) Befehl zur Zusammenarbeit mit den internationalen Befehlshabern in der Sache nichts anderes sei als eine „Widerrufsbefugnis“. Die Übertragung eines Hoheitsrechts gem. Art. 24 I GG setze aber nicht voraus, dass dieser Vorgang widerruflich sei (s. Nolte, Die „neuen Aufgaben“ von NATO und WEU, in: ZaöRV 54 (1994), 95 [115]). Wieland indessen erkennt die Konstruktion eines Befehls des deutschen Vorgesetzten zur Zusammenarbeit an, will aber in diesem Befehl bereits eine Übertragung von Hoheitsrechten erblicken, da der deutsche Vorgesetzte mit dem Befehl dem ausländischen Vorgesetzten einen Teil seiner Befugnisse abtrete, s. Wieland, Ausländische Vorgesetzte deutscher Soldaten in multinationalen Verbänden, in: NZWehrR 41 (1999), 133 [136 f.]). Kritisch zu dieser Konstruktion auch F. Kirchhof, Deutsche Verfassungsvorgaben zur Befehlsgewalt und Wehrverwaltung in multinationalen Verbänden, in: NZWehrR 40 (1998), 152 [157]. 476 Ipsen, Rechtsgrundlagen und Institutionalisierung der atlantisch-westeuropäischen Verteidigung, S. 208 ff.; F. Kirchhof, in: Isensee/P. Kirchhof, HdStR, Bd. IV, § 84 Rdn. 44; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 44, der wegen der Widerruflichkeit der Unterstellung der deutschen Soldaten im konkreten Fall eine Übertragung von Hoheitsrechten mangels Dauer und damit Festigkeit ablehnt, nicht jedoch vertritt, dass eine Übertragung nach Art. 24 I GG generell unwiderruflich sein müsse (s. Rdn. 34); Walz, Die Bundeswehr und die NATO, in: NZWehrR 28 (1986), 89 [96]; Gegenäußerung der Bevollmächtigten der Bundesregierung Frowein und Ipsen im Adria-Verfahren vor dem BVerfG, abgedruckt bei: Dau/ Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 470. Zum Argument der Widerruflichkeit s. auch Zimmer, Einsätze der Bundeswehr im Rahmen kollektiver Sicherheit, S. 92, m.w.N. in Fn. 479. 477 Im Pershing-Urteil hatte das BVerfG auch herausgestellt (s. BVerfGE 68, 1 [93]), dass Art. 24 I GG nicht voraussetze, „dass die Zurücknahme deutscher Hoheitsgewalt zugunsten der zwischenstaatlichen Einrichtung unwiderruflich ist.“ Dementsprechend gegen das Erfordernis der Unwiderruflichkeit bei Art. 24 I GG: Deiseroth, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 57; Nolte, Die „neuen Aufgaben“ von NATO und WEU, in: ZaöRV 54 (1994), 95 [115], der auch die praktische Ausübbarkeit einer Widerrufsbefugnis im Krisenfall bezweifelt; Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 258, der ebenfalls die praktische Möglichkeit eines Widerrufs einer Unterstellung nationaler Truppen unter einen Befehlshaber einer Internationalen Organisation mit Blick auf die damit verbundenen politischen Schwie-

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Aus dem Lager derjenigen, die eine Übertragung von Hoheitsrechten gemäß Art. 24 I GG ablehnen, sind wiederum manche der Ansicht, dass die Eingliederung von Bundeswehr-Soldaten in multinationale Truppen unter dem Dach einer Internationalen Organisation aber als „Beschränkung“ von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 24 II GG zu werten ist.478 Es gibt allerdings auch Stimmen, die – mit unterschiedlichen Begründungen – die Einräumung von Befehlsgewalt über deutsche Soldaten als Gegenstand eines Übertragungsaktes gemäß Art. 24 I GG einordnen.479 Das BVerfG hat indes in seinem Urteil zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr die Unterstellung von Bundeswehr-Soldaten unter die Befehlsgewalt eines Internationalen Kommandeurs nicht als Übertragung, sondern als Beschränkung von Hoheitsrechten gemäß Art. 24 II GG eingestuft.480 Eine Hoheitsrechtsübertragung gemäß Art. 24 I GG liege insofern nicht vor, da die Teilnahme der Bundeswehr an militärischen Operationen der NATO oder der UN nicht zur Folge habe, dass die jeweilige Internationale Organisation nunmehr die Kompetenz habe, Hoheitsbefugnisse „mit unmittelbarer Wirkung“ im innerstaatlichen Bereich der BRD auszuüben.481 Die Darstellung der unterschiedlichen Meinungen und Begründungen zeigt, dass die verfassungsrechtliche Beurteilung der Unterstellung von Bundeswehr-Soldaten unter einen internationalen Befehlshaber („Transfer of authority“) und die dem Befehlshaber dabei eingeräumte „operational control“ keineswegs eindeutig ausfällt,482 rigkeiten in Zweifel zieht; Wieland, Ausländische Vorgesetzte deutscher Soldaten in multinationalen Verbänden, in: NZWehrR 41 (1999), 133 [138]. 478 So z. B. Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 44, 89. Für eine „Beschränkung“ i.S.d. Art. 24 II GG sprechen sich auch aus: F. Kirchhof, Deutsche Verfassungsvorgaben zur Befehlsgewalt und Wehrverwaltung in multinationalen Verbänden, in: NZWehrR 40 (1998), 152 [153]; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 71 ff. 479 Manche wollen aus dem Pershing-Urteil des BVerfG den Schluss ziehen, dass die Unterstellung von Bundeswehr-Soldaten unter einen internationalen Befehlshaber und dessen Ausstattung mit „operational command“ oder „operational control“ eine Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 I GG darstelle, s. Deiseroth, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Art. 24 GG Rdn. 129; Nolte, Die „neuen Aufgaben“ von NATO und WEU, in: ZaöRV 54 (1994), 95 [115]. Laut Ohler handelt es sich bei der im Zuge von „transfer of authority“ eingeräumten Befehlsgewalt nicht um eine Beschränkung, sondern um eine Übertragung von Hoheitsrechten gem. Art. 24 I GG, da die Weisungen des (NATO-)Befehlshabers nach der Unterstellung der Soldaten „ohne unmittelbare Mitwirkung“ deutscher Stellen ergehen, s. Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 259. Auch der Bevollmächtigte der Antragsteller im Adria-Verfahren in der Hauptsache vor dem BVerfG, Bothe, sieht in der Übertragung von „operational command“ und „operational control“ eine „Übertragung“ i.S.d. Art. 24 I GG, s. Aussagen Bothes vor dem BVerfG, abgedruckt bei: Dau/ Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 400. 480 BVerfGE 90, 286 [346 ff.]. 481 BVerfGE 90, 286 [346 f.]. 482 Ein Überblick zu den unterschiedlichen Auffassungen im Hinblick auf die Einräumung von Befehlsgewalt über deutsche Soldaten und die Frage des Vorliegens einer „Übertragung“ i.S.v. Art. 24 I GG findet sich bei Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und

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wenngleich zu konstatieren ist, dass überwiegend, auch vom BVerfG, eine Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 I GG abgelehnt wird. Allerdings ist die verfassungsrechtliche Einordnung auch nur einer von mehreren Aspekten, um der Frage nachzugehen, ob das Verhalten der einer Internationalen Organisation zur Verfügung gestellten Soldaten letztlich dem truppenstellenden Staat oder aber der Organisation – völkerrechtlich – zurechenbar ist. Denn für das Vorliegen einer völkerrechtlichen Organleihe, die eine Zurechenbarkeit des Verhaltens von Bundeswehr-Soldaten zu einer Internationalen Organisation begründen kann, kommt es entscheidend darauf an, ob der Internationalen Organisation die „effektive Kontrolle“ über die nationalen Truppen eingeräumt ist [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc)] – nicht hingegen, ob die Befugnisse der Organisation nun unter den Begriff der „Übertragung“ (Art. 24 I GG) oder der „Beschränkung“ (Art. 24 II GG) von Hoheitsrechten zu subsumieren sind. Eine exakte verfassungsrechtliche Einordnung der Einräumung von Befehlsgewalt über deutsche Soldaten bei Auslandseinsätzen hilft somit bei der Untersuchung der völkerrechtlichen Auswirkungen einer Unterstellung deutscher Soldaten unter das Kommando eines internationalen Befehlshabers nicht zwingend weiter. In tatsächlicher Hinsicht ist indes keineswegs zu verkennen, dass die – wie die verfassungsrechtliche Besprechung bereits hat erkennen lassen – deutsche Befehlsgewalt bei der Übertragung von „operational control“ eingeschränkt wird. In der Theorie können die neben der nationalen deutschen Befehlskette aufgebauten internationalen Weisungsketten zwar nur insofern und solange existieren, als sichergestellt bleibt, dass im Zweifel der vom Bundesminister der Verteidigung abgeleitete, also der nationale Befehlsstrang Vorrang hat.483 Aber – faktisch gesehen – bestimmt der Internationale Befehlshaber nach Übergang von „operational control“ im Hinblick auf die Einsatzführung das Verhalten der ihm unterstellten deutschen Soldaten, solange sich seine Weisungen im vorher vereinbarten Rahmen bewegen (s. oben).484 Dieser Befund kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der BRD bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen der NATO, EU oder UN gewichtige Einflussmöglichkeiten verbleiben: Zunächst ist zu beachten, dass sich die der jeweiligen Internationalen Organisation mit „operational control“ übertragenen Befugnisse auf die Führung des konkreten Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, S. 463 ff.; Zimmer, Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen kollektiver Sicherheit, S. 90 ff. 483 Poretschkin, Befehlsgewalt internationaler Kommandeure, in: NZWehrR 48 (2006), 247 [248]. 484 Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 131; Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragsteller im Adria-Verfahren in der Hauptsache vor dem BVerfG, Bothe, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 400. Allgemein zu den faktischen Befugnissen eines internationalen Befehlshabers ohne expliziten Bezug auf die Auswirkungen des Übergangs von „operational control“: Poretschkin, Befehlsgewalt internationaler Kommandeure, in: NZWehrR 48 (2006), 247 [250].

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Einsatzes beschränken. Die truppendienstliche Unterstellung und weitere Aufgaben (zum Beispiel: Logistik und sanitätsdienstliche Versorgung) bleiben stets in nationaler Verantwortung (s. oben).485 Überdies gewährleisten Schnittstellen zu der jeweiligen einsatzführenden Internationalen Organisation (s. oben) das Einbringen deutscher Auffassungen und die Überwachung deutscher Mandatsvorgaben während der Planung und Führung der Einsätze.486 Mittels dieser Verbindungen werden die deutschen Interessen und Mandatsvorgaben auch in multinationalen Hauptquartieren im Einsatzgebiet vertreten und eingebracht.487 Dadurch ist sichergestellt, dass sich die Weisungen des internationalen Befehlshabers in der Regel im Rahmen dessen bewegen werden, was nach deutschem Recht und deutschem Mandat zulässig ist. Darüber hinaus muss aber auch der KtgtFhr i.E. alle bindenden Vorgaben zur Einsatzführung, insbesondere die sog. „Rules of engagement“ (ROE), die die Anwendung militärischer Gewalt durch die Streitkräfte entsprechend den operativen, politischen und rechtlichen Vorgaben festlegen,488 beachten489 und müsste somit eine Weisung eines internationalen Befehlshabers, die gegen die deutschen Einsatzvorgaben verstößt, zurückweisen.490 Demzufolge kontrolliert die BRD die Einsatzführung von Bundeswehr-Soldaten im Rahmen Internationaler Organisationen ganz maßgeblich – sowohl im Vorfeld als auch während des Einsatzes. Auch den Prozess der Entstehung der bereits erwähnten ROE begleiten die entsprechenden deutschen Stellen entscheidend mit. Im Rahmen der NATO beispielsweise erfolgen die Verhandlungen über Operationspläne und deren Annexe (unter anderem ROE) unter Beteiligung der truppenstellenden Nationen.491 Auf deutscher 485

TK FüEinsBw, S. 11; zum Verbleib der truppendienstlichen Befugnisse in nationaler Verantwortung s. auch Walz, Die Bundeswehr und die NATO, in: NZWehrR 28 (1986), 89 [96]. 486 TK FüEinsBw, S. 19; s. auch schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Pflüger (CDU) vom 18. 04. 2006 auf eine Frage des Abgeordneten Stinner (FDP) zur Nachvollziehbarkeit der Befehlsgebung in multinationalen Verbänden, abgedruckt in: BT-Drucksache 16/1268, S. 24. 487 TK FüEinsBw, S. 12. 488 Weber, Rules of Engagement, in: HUV-I 14 (2001), 76 [77]. 489 TK FüEinsBw, S. 23. 490 Vgl. auch Donner, Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: HUV-I 10 (1997), 63 [67]; Vad, Auslandseinsätze deutscher Streitkräfte – Erfahrungen bei der Implementierung von Friedensvereinbarungen am Beispiel IFOR/SFOR, in: HUV-I 10 (1997), 74 [79], der für den SFOREinsatz darauf hinweist, dass der „Nationale Befehlshaber im Einsatzgebiet“ u. a. zu prüfen habe, ob eine Weisung eines internationalen Befehlshabers mit deutschem Recht, dem Mandat und sonstigen Auflagen vereinbar sei; Aussage von General Naumann in der mündlichen Verhandlung zum Somalia-Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 268. 491 Weber, Rules of Engagement, in: HUV-I 14 (2001), 76 [77].

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Seite ist die Bundesregierung mit allen betroffenen Ressorts (unter anderem Auswärtiges Amt, Bundesministerien der Verteidigung, des Inneren und der Justiz) beteiligt.492 Die Nationen prüfen die Operationspläne samt Anhängen.493 Sie haben dabei die Möglichkeit der Mitgestaltung, indem sie gegebenenfalls abweichende nationale Positionen als Fußnoten in den Operationsplan und seine Anhänge einbringen oder die Planung durch Einspruch stoppen können.494 Die von der jeweiligen Internationalen Organisation letztlich entwickelten ROE bedürfen in Deutschland noch der nationalen Umsetzung: Durch einen Befehl des Bundesministers der Verteidigung werden sie in Kraft gesetzt.495 Erst durch diese nationale Umsetzung erhalten die multinationalen ROE aus deutscher Sicht die Rechtsqualität eines militärischen Befehls.496 Das skizzierte Procedere – also die Beteiligung an der Entstehung und die nationale Umsetzung – stellt sicher, dass die ROE an die rechtlichen und politischen Vorgaben seitens der BRD angepasst sind. Nimmt man nun diese in nationaler Verantwortung verbleibenden Befugnisse – truppendienstliche Unterstellung; Beteiligung an Entscheidungsprozessen der Internationalen Organisation; fortwährendes Überwachen der Mandatsvorgaben – zusammen, so ergibt sich daraus, dass die BRD auf die Führung deutscher Soldaten bei militärischen Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen Internationaler Organisationen maßgeblichen Einfluss ausübt. Dadurch ist auch sichergestellt, dass eine Weisung eines internationalen Befehlshabers an das deutsche Kontingent im Einsatzgebiet mit deutschen Mandatsvorgaben und deutschem Recht konform ist. Die deutschen Bundeswehr-Soldaten bleiben somit – auch nach Unterstellung unter das Kommando eines internationalen Befehlshabers durch Einräumung von „operational control“ – in die nationale Führungsorganisation mit dem Bundesminister der Verteidigung als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt an der Spitze eingebunden. Aufgrund dessen sind die Soldaten nach wie vor völkerrechtliche Organe der BRD. Ihr Handeln ist damit – auch im operativen Rahmen einer Internationalen Organisation – als Ausübung deutscher Staatsgewalt anzusehen. Eine Einbindung der Bundeswehr-Soldaten in die Struktur der jeweils einsatzführenden Internationalen Organisation und eine Steuerung durch diese dergestalt, dass das Verhalten der Soldaten – ausschließlich – als Verhalten der Internationalen Organisation anzusehen ist, die Organisation mithin die „effektive Kontrolle“ über die deutschen Truppen ausübt, ist hingegen nicht auszumachen. Damit besteht auch 492 Dreist, Rules of Engagement in multinationalen Operationen, in: NZWehrR 49 (2007), 99 [112]. 493 Weber, Rules of Engagement, in: HUV-I 14 (2001), 76 [77]. 494 Weber, Rules of Engagement, in: HUV-I 14 (2001), 76 [77]. 495 Dreist, Rules of Engagement in multinationalen Operationen, in: NZWehrR 49 (2007), 99 [113]; Weber, Rules of Engagement, in: HUV-I 14 (2001), 76 [77]. 496 Dreist, Rules of Engagement in multinationalen Operationen, in: NZWehrR 49 (2007), 99 [114 f.]; Weber, Rules of Engagement, in: HUV-I 14 (2001), 76 [77].

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kein Raum für die Annahme einer völkerrechtlichen Organleihe und eines dadurch ausgelösten Wechsels des Zurechnungsobjektes im Falle des Übergangs von „operational control“ auf den internationalen Befehlshaber.497 Dies erlaubt die Schlussfolgerung, dass das (völkerrechtswidrige) Verhalten von Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen der NATO, EU oder UN der BRD als truppenstellender Staat völkerrechtlich zurechenbar ist.498

497 Gegen eine Organleihe auch: Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr EMRK, S. 109 f. (für UNOSOM II), 136 (für SFOR), 142 (für KFOR), 156 (für ISAF, allerdings noch vor der Beteiligung der NATO); Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [682 f.] (für SFOR und KFOR); Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“Missionen der Vereinten Nationen, S. 119 (für UNOSOM II); Lüder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Nordatlantiksvertrags-Organisation bei der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: NZWehrR 14 (2001), 107 [116 f.] (für SFOR); Schweitzer/Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis der Bundesrepublik Deutschland, Rdn. 1256 f. (für Einsätze im Rahmen der UN oder NATO); gegen das Vorliegen einer Organleihe wohl auch Bevollmächtigte der Bundesregierung Frowein und Ipsen in ihrem Schriftsatz im Somalia-Verfahren in der Hauptsache vor dem BVerfG, abgedruckt bei: Dau/ Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 640, die auf die nicht erfolgte Ausgliederung des deutschen Kontingents aus dem Hoheitsverband der BRD hinweisen; a.A. (= für eine Organleihe bei Übergang von „operational control“): Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 549, mit der Begründung, dass die Prüfung der Vereinbarkeit einer Weisung eines internationalen Befehlshabers mit den vom truppenstellenden gebilligten Einsatzvorgaben durch den Kommandeur eines nationalen Kontingents nichts an der Zurechnung der militärischen Handlungen zur Internationalen Organisation ändere. 498 s. auch Klage der BR Jugoslawien gegen zehn Mitgliedstaaten der NATO vor dem IGH wegen der NATO-Luftangriffe im Kosovo 1999: Der jugoslawische Prozessbevollmächtigte Etinski machte geltend, dass die Streitkräfte Organe der Mitgliedstaaten seien und ihr Verhalten dem jeweiligen Mitgliedstaaten zuzuschreiben sei, s. IGH, Case concerning Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Belgium), Request for the Indication of Provisional Measures, Öffentliche Sitzung am 10. 05. 1999, CR 99/14, Ziff. 5.1 (verfügbar auf der Website des IGH unter http://www.icj-cij.org/homepage/index.php?lang=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „1999“ › „Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Belgium)“ › „Oral Proceedings“, nachgesehen am 25. 07. 2009). Selbst als Teil einer integrierten NATO-Truppe seien die nationalen Kontingente unter der Kontrolle und Leitung des jeweiligen Mitgliedstaates (Ziff. 5.5.). Der IGH hat sich indes zur Frage der Zurechnung des Verhaltens der nationalen Truppenkontingente nicht geäußert und die Klage im Dezember 2004 im Hinblick auf Art. 35 I und II des IGH-St als unzulässig abgewiesen, s. IGH, Case concerning Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Belgium), Preliminary Objections, Judgment of 15. 12. 2004, S. 48, Ziff. 113 (verfügbar auf der Website des IGH unter http://www.icj-cij.org/home page/index.php?lang=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „1999“ › „Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Belgium)“ › „Judgments“, nachgesehen am 25. 07. 2009). Auch der EGMR geht im Rahmen der Beschwerde jugoslawischer Staatsangehöriger gegen 17 NATO-Mitgliedstaaten wegen der Luftangriffe nicht auf die Frage der Zurechnung des Verhaltens (zu den Mitgliedstaaten) ein, s. EGMR (Große Kammer), Bankovic´ u. a. gegen Belgien u. a., Nr. 52207/99, Entscheidung vom 12. 12. 2001 = EuGRZ 29 (2002), 133 ff.

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Über die Zurechnung zum truppenstellenden Staat hinaus möchten manche in Fällen, in denen eine Internationale Organisation das Verhalten der ihr unterstellten Soldaten (mit-)bestimmt, zusätzlich eine Zurechnung zu der entsprechenden Internationalen Organisation vornehmen.499 Die generelle Möglichkeit einer doppelten Zurechenbarkeit mag im Völkerrecht zwar anerkannt zu sein.500 Gleichwohl muss diese Frage in dieser Arbeit aber nicht weiter vertieft werden, da es hier einzig auf die – soeben festgestellte – Zurechenbarkeit des Verhaltens von Bundeswehr-Soldaten zum Völkerrechtssubjekt BRD ankommt [s. bereits Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes in Teil 1, Gliederungspunkt C.]. Das vorgefundene Ergebnis – Zurechenbarkeit zur BRD; keine Zurechenbarkeit zur Internationalen Organisation – soll indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass es durchaus Fälle der Unterstellung nationaler Kontingente unter das Kommando einer Internationalen Organisation gibt, die sich als völkerrechtliche Organleihe einstufen lassen. Im Schrifttum wird beispielsweise angenommen, dass die klassischen UN-peacekeeping-Operationen der ersten Generation501 einen Fall der Organleihe darstellen und damit das Verhalten der von den Nationen zur Verfügung gestellten Truppen letztlich der UN zuzurechnen sei.502 499 So z. B. Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisationen, S. 105; Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 111 (für UNOSOM II), 136 (für SFOR); Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 485 (für UNOSOM II); für eine doppelte Zurechnung bei NATO-Einsätzen wohl auch Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 260. 500 Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 55; Hofmann, Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer/Oeter/Stadler (Hrsg.), Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft, BdDGfV, Bd. 42, S. 1 [29]; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 23; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 105. 501 Zur Entwicklung bzw. Einteilung der peace-keeping-Operationen in unterschiedliche Generationen s. Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 118 ff.; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 167 ff.; Werner, Die Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 183. 502 Für eine Zurechnung zur UN aufgrund des Vorliegens einer Organleihe: Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 75 ff., 96; Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [687]; Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“Missionen der Vereinten Nationen, S. 105; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 105. In der völkerrechtlichen Literatur wird einhellig angenommen, dass das Verhalten nationaler Streitkräfte im Rahmen von peace-keeping-Operationen den UN zuzurechnen ist, ohne dass dabei immer explizit auf das Vorliegen einer Organleihe abgestellt wird: Bothe z. B. rekurriert in seiner Untersuchung zu gemeinsamen Aktionen von Streitkräften verschiedener Staaten (= Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen) nicht explizit auf das Institut der völkerrechtlichen Organleihe, gelangt aber für UN-peace-keeping-Truppen zu einer – ausschließlichen – Zurechenbarkeit des Verhaltens nationaler Streitkräfte zur UN, da die nationalen Truppenteile angesichts der Unterstellung unter die alleinige Befehlsgewalt der UN (S. 39 ff., 43) und den von den Beteiligten im Außenverhältnis gewollten Folgen (S. 49 ff.) als „Organe“ der UN (S. 57) anzusehen seien. Auch Hartwig stellt nicht ausdrücklich auf das

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Grundlegend im Hinblick auf die organisatorische und rechtliche Struktur von UN-peace-keeping-Truppen waren die Operationen UNEF I in Ägypten (1956), ONUC im Kongo (1960 – 64) und UNFICYP auf Zypern (seit 1964).503 Zu diesen Operationen zählen zahlreiche, die Aus- und Eingliederung der nationalen Kontingente betreffende Dokumente, unter anderem so genannte, vom UN-Generalsekretär erlassene „Regulations“. Aus den Regulations für UNEF I,504 ONUC505 und UNFICYP506 ergab sich folgendes Bild: Die UN-peace-keeping-Truppen wurden als „subsidary organ“ der UN eingerichtet.507 Der Oberbefehlshaber der jeweiligen Operation wurde von den UN angestellt, und nicht von den Staaten zusammen mit einem Truppenkontingent zur Verfügung gestellt.508 Vor allem war ihm die ausschließliche Befehlsgewalt über die nationalen Kontingente zur Ausführung des jeweiligen Mandates eingeräumt.509 Aufgrund der dem UN-Oberbefehlshaber zugeordneten ausschließlichen Befehlsgewalt hatten die UN daher die umfassende Kontrolle über die jeweilige UN-peace-keeping-Truppe inne, wenngleich die Integration nationaler Kontingente in die Organisation der UN unvollständig war, da truppendienstliche Befugnisse, insbesondere die Straf- und Disziplinargewalt, in den Händen der TruppenVorliegen einer Organleihe ab und sieht in der „Organ“-Eigenschaft der UN-peace-keepingTruppen den Grund für die Zurechnung des Verhaltens der Truppen zur UN, s. Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für die Internationalen Organisationen, S. 230 f. 503 Zum geschichtlichen Hintergrund von UNEF I, ONUC und UNFICYP s. Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 122 ff. 504 Regulations for the United Nations Emergency Force vom 20. 02. 1957, abgedruckt bei Siekmann, Basic documents on United Nations and related peace-keeping forces, S. 37 ff. 505 Regulations of the United Nations Force in the Congo vom 15. 07. 1963, abgedruckt bei Siekmann, Basic documents on United Nations and related peace-keeping forces, S. 89 ff. 506 Regulations of the United Nations Force in Cyprus vom 25. 04. 1964, abgedruckt bei Siekmann, Basic documents on United Nations and related peace-keeping forces, S. 175 ff. 507 So hieß es z. B. in Nr. 6 der Regulations zu UNEF (abgedruckt bei Siekmann, Basic documents on United Nations and related peace-keeping forces, S. 38): „The United Nations Emergency Force is a subsidary organ of the United Nations …“ 508 Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 40; Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 78; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 219 f.; Seyersted, United Nations Forces in the Law of Peace and War, S. 92. 509 Mit Blick auf die Regulations zu UNEF I, ONUC und UNFICYP kommen zu diesem Ergebnis: Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 43; Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr EMRK, S. 79, 88, 90; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 219 f., 300 f., 407 f.; Siekmann, National Contingents in United Nations PeaceKeeping Forces, S. 111 f., 119; Werner, Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 185 f. So hieß es in Nr. 6 der Regulations zu UNEF (abgedruckt bei Siekmann, Basic documents on United Nations and related peace-keeping forces, S. 38): „… The members of the Force although remaining in their national service, are, during the period of their assignment to the Force, international personnel under the authority of the United Nations and subject to the instructions of the Commander through the chain of command …“ In Nr. 11 (S. 38) hieß es weiter: „The Commander has full command authority over the Force. He is operationally responsible for the performance of all functions assigned to the Force by the United Nations, and for the deployment and assignment of troops placed at the disposal of the Force.“

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steller verblieben.510 Auch im Außenverhältnis wurden die UN-peace-keeping-Truppen der UN zugeordnet, zum Beispiel wurde die UN als verantwortlich für die von den Truppen begangenen Verletzungen des Völkerrechts angesehen.511 Diese Aspekte – ausschließliche Befehlsgewalt; Verantwortlichkeit im Außenverhältnis – zusammengenommen erlauben für die klassischen UN-peace-keeping-Operationen die Annahme einer völkerrechtlichen Organleihe und somit einer ausschließlichen Zurechnung des Verhaltens der Streitkräfte zur UN. Angesichts dieses Befundes stellt sich nun die Frage, ob auch bei – abgeschlossenen und aktuellen – UN-peace-keeping-Operationen mit deutscher Beteiligung die Voraussetzungen einer Organleihe vorlagen bzw. vorliegen: Was abgeschlossene peace-keeping-Operationen mit deutschen Soldaten anbelangt, so wurden die Beteiligung der Bundeswehr an einem UN-peace-keeping-Einsatz und damit zusammenhängende Regelungen hinsichtlich der Art und Weise der Unterstellung deutscher Soldaten unter einen UN-Befehlshaber ausführlich im Somalia-Verfahren in der Hauptsache vor dem BVerfG thematisiert.512 Das Verfahren betraf die Entsendung deutscher Bundeswehr-Soldaten nach Somalia im Rahmen der – abgeschlossenen – UNOSOM II-Friedensmission. UNOSOM II ging über das oben angesprochene klassische peace-keeping insofern hinaus, da das Mandat UN-Friedenstruppen erstmals ermächtigte, zur Erfüllung ihrer Aufgaben militärischen Zwang anzuwenden (sog. „robustes“ peace-keeping).513

510 s. z. B. Nr. 13 der Regulations zu UNEF (abgedruckt bei Siekmann, Basic documents on United Nations and related peace-keeping forces, S. 39): „… Responsibility for disciplinary action in national contingents provided for the Force rests with the commanders of the national contingents …“ In Nr. 34 a) (S. 41) hieß es: „Members of the Force shall be subject to criminal jurisdiction of their respective national States in accordance with the laws and regulations of those States …“ 511 Bothe, Streitkräfte internationaler Organisationen, S. 49, 53; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 179 I 2; Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 81 f.; Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für die Internationalen Organisationen, S. 230 ff.; Hirsch, The Responsibility of International Organizations Toward Third Parties, S. 69 f.; Kamenov, The origin of state and entity responsibility for violations of international humanitarian law in armed conflicts, in: Kalshoven/Sandoz (Eds.), Implementation of International Humanitarian Law, S. 169 [189 f.]; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 248 f.; Seyersted, United Nations Forces in the Law of Peace and War, S. 119; Werner, Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 186; Zwanenburg, Accountability of Peace Support Operations, S. 98 ff. 512 Die Schriftsätze der Antragsteller und Antragsgegner, die mündliche Verhandlung und das Urteil des BVerfG im Somalia-Verfahren finden sich bei Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 597 ff., 652 ff., 895 ff. 513 s. Resolution 814 des UN-Sicherheitsrates vom 26. 03. 1993 (UN Doc. S/Res/814), die unter anderem auf die Resolution 794 (UN Doc. S/Res/794) verweist, die in Nr. 10 zur Erfüllung des Auftrags „all necessary means“, also alle notwendigen Maßnahmen und damit – gemäß der UN-Terminologie – den Einsatz militärischen Zwangs autorisiert. Teilt man die UN-peacekeeping-Operationen in Generationen ein (s. oben), dann war der UNOSOM II-Einsatz der

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Dieser Unterschied hielt die Antragsteller im Somalia-Verfahren indes nicht davon ab, sich auf den Standpunkt zu stellen, dass im Falle des UNOSOM II-Einsatzes das klassische, durch UNEF I, ONUC und UNFICYP geprägte peace-keepingKonzept verwirklicht sei.514 Dies habe zur Folge, dass die für das klassische peacekeeping entwickelten Grundsätze zur Befehls- und Organisationsstruktur einer UN-Friedenstruppe auch für UNOSOM II gelten würden.515 Auf dieser Grundlage argumentieren die Antragsteller, dass die ausschließliche Befehlsgewalt über die von deutscher Seite zur Verfügung gestellten Soldaten bei der UN gelegen habe.516 Das Verhalten deutscher UNOSOM II-Soldaten wäre somit – den Antragstellern zufolge – der UN völkerrechtlich zurechenbar gewesen. Auch das BVerfG schien sich in seinem Urteil zum Adria-, AWACS- und SomaliaEinsatz der Bundeswehr in die Richtung der Argumentation der Antragsteller zu bewegen: Es stellte fest, dass sich die deutsche Beteiligung an UNOSOM II in die bisherige Praxis der Aufstellung von UN-peace-keeping-Truppen einordne, die unter einheitlichem Kommando der UN operieren.517 Ungeachtet der Erweiterung des Mandats von UNOSOM II im Vergleich zu klassischen peace-keeping-Operationen kann jedoch keineswegs die Rede davon sein, dass die UN im Falle des Somalia-Einsatzes die ausschließliche Befehlsgewalt über die unterstellten deutschen Soldaten innehatten: Im Zuge des „Transfer of authority“ übertrug Deutschland „operational control“ auf die UN518 – und zwar „ope„Dritten Generation“, also peace-keeping plus Ermächtigung zur Ausübung militärischen Zwangs, zuzuordnen, s. Gareis/Varwick, Die Vereinten Nationen, S. 120, 130. 514 Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragsteller im Somalia-Verfahren in der Hauptsache vor dem BVerfG, Bothe, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 608; s. auch Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 484. 515 Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragsteller im Somalia-Verfahren in der Hauptsache vor dem BVerfG, Bothe, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 608 f.; so auch Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 485, die im UNOSOM II-Einsatz eine Beibehaltung der „traditionelle[n] Kommandostruktur“ der UN erblickt. 516 Ergänzungsschriftsatz des Bevollmächtigten der Antragsteller im Somalia-Verfahren in der Hauptsache vor dem BVerfG, Bothe, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 629. 517 s. BVerfGE 90, 286 [353]. Ob dies aber als Festlegung dahingehend verstanden werden kann, dass der UN-Befehlshaber speziell die ausschließliche Befehlsgewalt über das deutsche UNOSOM II-Kontingent innehatte, darf bezweifelt werden. Denn hätte der UN-Befehlshaber die ausschließliche Befehlsgewalt über das deutsche Kontingent inne, hätte dies zur Folge, dass das Verhalten der deutschen Soldaten den UN völkerrechtlich zurechenbar wäre (s. oben). Dieses Ergebnis kann vom BVerfG, das in der Unterstellung deutscher Soldaten unter UNKommando lediglich eine „Beschränkung“ (Art. 24 I GG), nicht eine „Übertragung“ von deutschen Hoheitsrechten (Art. 24 I GG) sah (s. BVerfGE 90, 286 [346 f., 351]), aber kaum gewollt gewesen sein. 518 Schreiben des UN-Generalsekretärs Boutros-Ghali an die Bundesregierung vom 28. 04. 1993, angeführt im Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragsteller im Somalia-Verfahren in der Hauptsache vor dem BVerfG, Bothe, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Aus-

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rational control“ im Sinne der NATO-Terminologie.519 „Operational command“ hingegen sollte ausdrücklich beim Bundesminister der Verteidigung verbleiben.520 Mit „operational control“ hat ein internationaler Befehlshaber – wie oben dargelegt – allerdings nur die Befugnis, im Rahmen eines nach Art, Zeit und Raum festgelegten Einsatzspektrums nachgeordnete Kräfte anzuweisen, bestimmte Einsatzaufträge durchzuführen. Das bedeutete für UNOSOM II verglichen mit dem im Rahmen des klassischen peace-keeping in der Regel übertragenen „operational command“521 eine deutliche Einschränkung der Befehlsbefugnisse des UN-Befehlshabers. Zudem musste der deutsche Befehlshaber im Einsatzgebiet die vom UN-Kommandeur erhaltenen Aufträge daraufhin überprüfen, ob sie sich im Rahmen der zwischen Deutschland und den UN ausgehandelten Überstellungsvereinbarung und im Rahmen deutscher Einsatzrichtlinien hielten; bei darüberhinausgehenden Aufträgen musste er sich an den Bundesminister der Verteidigung als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt wenden.522 Diese für UNOSOM II skizzierten Einschränkungen sprachen gegen das Vorliegen einer ausschließlichen Befehlsgewalt der UN, wie sie im Rahmen des klassischen peace-keeping sonst üblich gewesen war.523 Aus diesem Grunde kam eine völkerlandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 609; s. auch Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 117. 519 General Petrovsky in der mündlichen Verhandlung zu den AWACS-, Somalia- und Adria-Verfahren in der Hauptsache, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 735, 743. 520 Schreiben des UN-Generalsekretärs Boutros-Ghali an die Bundesregierung vom 28. 04. 1993, angeführt im Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragsteller im Somalia-Verfahren in der Hauptsache vor dem BVerfG, Bothe, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 609. 521 s. Aussagen General Petrovskys in der mündlichen Verhandlung zu den AWACS-, Somalia- und Adria-Verfahren in der Hauptsache, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 734. 522 s. Aussagen General Naumanns in der mündlichen Verhandlung zum Somalia-Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 268. 523 A.A. Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 484 f., die bei UNOSOM II keinen Eingriff in die „traditionelle UN-Kommandostruktur“ erkennen kann. Sie stützt diese Sicht auf UN-Quellen, wonach der damalige UN-Generalsekretär bei UNOSOM II das klassische peace-keeping-Konzept des „United Nations Command“ verwirklicht sah (S. 484), wohingegen dem Beharren Deutschlands auf der Übertragung von „operational control“ in seinen Schreiben an die UN lediglich terminologische Relevanz zukomme (S. 485). Diese Sicht vermag allerdings nicht zu überzeugen: Denn in tatsächlicher Hinsicht bedeutet die Übertragung von „operational control“ auf den UN-Befehlshaber im Vergleich zur beim klassischen peace-keeping üblichen ausschließlichen Befehlsgewalt eine Einschränkung der Befugnisse des UN-Befehlshabers – und damit einen Eingriff in die „traditionelle UN-Kommandostruktur“. Überdies bestätigte der UN-Generalsekretär in seinem Schreiben vom 28. 04. 1993 ja gerade die Übertragung von „operational control“ auf den UN-Befehlshaber (s. Dau/ Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 609), stimmte somit einer Einschränkung der Befehlsgewalt zu. Aufgrund dessen ist nicht ersichtlich, warum der UNGeneralsekretär mit Blick auf das deutsche Kontingent von einer traditionell ausschließlichen

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rechtliche Organleihe und damit die ausschließliche Zurechenbarkeit des Verhaltens des deutschen UNOSOM II-Kontingents zur UN nicht in Betracht.524 Was aktuelle UN-peace-keeping Operationen mit Bundeswehr-Beteiligung anbelangt, so ist die BRD unter anderem an der Operation UNIFIL mit Seestreitkräften vor der Küste Libanons beteiligt. Mit Blick auf die Vorgaben der TK FüEinsBw dürfte die BRD indes nur „operational control“ auf den UNIFIL-Befehlshaber übertragen haben,525 so dass bei UNIFIL eine ausschließliche Befehlsgewalt der UN und eine (ausschließliche) Zurechenbarkeit des Verhaltens deutscher Soldaten zur UN in Folge einer völkerrechtlichen Organleihe ebenfalls nicht in Betracht kommen. (3) Das Urteil des EGMR in den Fällen Behrami und Saramati und seine Auswirkungen auf die vorliegende Arbeit im Bereich der völkerrechtlichen Zurechenbarkeit In seinem Urteil in den Fällen Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a.526 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt, dass er für Beschwerden gegen die an den internationalen Friedensmissionen im Kosovo als Truppensteller beteiligten Staaten unzuständig rationae personae sei, da die streitigen Handlungen bzw. Unterlassungen nicht den Staaten, sondern den UN zuzurechnen seien. Im Fall Behrami hatten Kinder eine – während der NATO-Luftschläge 1999 abgeworfene und nicht detonierte – Streubombe gefunden, die beim Spielen explodierte und ein Kind in den Tod riss. Die Beschwerdeführer rügten, dass es die internationalen Friedenstruppen versäumt hätten, die noch nicht detonierte Streubombe zu markieren oder zu entschärfen. Die Kampfmittelbeseitigung fiel – laut EGMR – in den VerantBefehlsgewalt der UN ausgegangen sein soll. Es ist darüber hinaus auch nicht verständlich, warum dem Beharren Deutschlands auf der Übertragung von „operational control“ lediglich terminologische Bedeutung zukommen soll. Denn die UN ließen sich ja auf die Übertragung von „operational control“ explizit ein. Und dabei war man sich auf Seiten der UN wohl bewusst darüber, dass die Übertragung von „operational control“ eine Abweichung von den üblichen, bei peace-keeping-Operationen sonst übertragenen Befehlsbefugnissen darstellte, s. Aussage General Petrovskys in der mündlichen Verhandlung zu den AWACS-, Somalia- und AdriaVerfahren in der Hauptsache, abgedruckt bei: Dau/Wöhrmann (Hrsg.), Der Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte, S. 734 f. 524 So auch Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 109 f.; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 21; Ipsen, Neue Entwicklungen im Humanitären Völkerrecht, in: HUV-I 7 (1994), 112 [117]; Lüder, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peace-Keeping“-Missionen der Vereinten Nationen, S. 119. 525 TK FüEinsBw, Anhang 10; s. auch Brief des UN-Generalsekretärs an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 01. 12. 2006 (UN Doc. S/2006/933), S. 4, indem er unter anderem darauf hinweist, dass die UNIFIL-Seestreitkräfte „under the operational control“ des UN-Force Commanders stehen. 526 EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 ff.

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wortlichkeitsbereich der zivilen Verwaltung des Kosovo, UNMIK (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo).527 UNMIK war und ist ein (Neben-)Organ der UN. Die konsequente Zurechnung des Unterlassens eines UN-Organs zur UN durch den EGMR528 bringt indes für den Bereich der völkerrechtlichen Zurechenbarkeit bei Internationalen Organisationen nichts Neues und soll hier nicht weiter vertieft werden. Im Fall Saramati rügte der Beschwerdeführer seine auf Befehl des KFOR-Kommandanten, zu der Zeit ein norwegischer Offizier, erfolgte Inhaftierung; die Haft wurde später von einem französischen General als nachfolgendem KFOR-Kommandanten verlängert. Auch diese Inhaftierung des Beschwerdeführers durch KFOR-Soldaten rechnete der EGMR den UN zu – und nicht etwa der NATO oder den truppenstellenden Mitgliedstaaten. Angesichts der vom EGMR im Fall Saramati vorgenommen Zurechnung des Verhaltens von KFOR-Soldaten zu den UN stellt sich die Frage, inwieweit die Ausführungen des EGMR für die vorliegende Arbeit im Bereich der völkerrechtlichen Zurechenbarkeit des Verhaltens von Streitkräften bei Beteiligung einer Internationalen Organisation von Bedeutung sind. Der EGMR geht in drei Schritten vor: Erst stellt er fest, dass KFOR mandatiert war, Verhaftungen vorzunehmen; zweitens untersucht er, ob die konkrete Verhaftung durch KFOR-Soldaten der UN zugerechnet werden kann; und schließlich prüft der Gerichtshof, ob er zur Aburteilung von Handlungen, die der UN zugerechnet werden, zuständig ist.529 Ausgangspunkt der – im zweiten Schritt vorgenommenen – Untersuchung der Zurechnung des Verhaltens der KFOR-Soldaten zu den UN sind die Befugnisse des UNSicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta.530 Der EGMR stellt fest, dass der UN-Sicherheitsrat auf der Grundlage von Kapitel VII einsatzbereiten Organisationen und Staaten die Befugnis übertragen habe, eine internationale Sicherheitspräsenz aufzustellen und deren operatives Kommando einzurichten.531 Im Rahmen dieser Über527 EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 [538, Ziff. 127]. 528 EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 [541, Ziff. 142 f.]. 529 s. EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 [537, Ziff. 121]. 530 EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 [538 f., Ziff. 128 ff.]. 531 EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 [539, Ziff. 129].

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tragung von Kapitel VII-Befugnissen müsse allerdings die endgültige Entscheidungsgewalt („ultimate authority and control“) beim Sicherheitsrat verblieben sein, und es dürfe nur die operative Befehlsgewalt übertragen worden sein.532 Der EGMR kommt zu der Überzeugung, dass der UN-Sicherheitsrat hier die endgültige Entscheidungsgewalt behalten und nur die operative Befehlsgewalt auf die NATO übertragen habe, da – unter anderem – die Befehlshaber von KFOR dem Sicherheitsrat gegenüber verpflichtend waren, über den Verlauf des Einsatzes Rechenschaft abzulegen.533 Aufgrund des Verbleibens der endgültigen Entscheidungsgewalt beim UN-Sicherheitsrat übe KFOR rechtmäßig vom Sicherheitsrat übertragene KapitelVII-Befugnisse aus, so dass das Verhalten der Truppe den UN zuzurechnen sei.534 Dabei sei angemerkt, dass der EGMR für sein Verständnis von „Zurechnung“ die Art. 3 und Art. 5 der Entwurfsartikel der ILC zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen535 zugrunde legt.536 Es sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, dass gemäß Art. 5 das Handeln eines fremden Organs einer Internationalen Organisation dann zurechenbar ist, wenn sie die „effective control“ über dieses Organ ausübt. Die Ausführungen des EGMR im Hinblick auf die Zurechnung des Verhaltens von KFOR zu den UN sind jedoch aus mehreren Gründen nicht haltbar: Als erstes ist einzuwenden, dass die Einordnung der übertragenen Befugnisse in den Rahmen des Kapitels VII der UN-Charta für die Frage der völkerrechtlichen Zurechnung allenfalls von untergeordneter Bedeutung ist, da der UN grundsätzlich das Handeln von Friedenstruppen zugerechnet werden kann, unabhängig davon, ob diese nun auf der Grundlage von Kapitel VII operieren oder nicht.537 Zweitens führt das vom EGMR aufgestellte Erfordernis, dass bei der Übertragung von Kapitel VII-Befugnissen die endgültige Entscheidungsgewalt beim UN-Sicherheitsrat verbleiben müsse, die operative Befehlsgewalt hingegen auf die NATO über532 EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 [539, Ziff. 133]. 533 EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 [540, Ziff. 134]. 534 EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 [539 f., Ziff. 134; 540, Ziff. 141]. 535 Zu den bislang von der ILC verabschiedeten Entwurfsartikel zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen s. Text of the draft articles on responsibility of international organizations provisionally adopted so far by the Commission, abgedruckt in: Report of the International Law Commission 59th Session (2007), Official Records of the General Assembly, 62nd Session, Supplement No. 10 (UN Doc. A/62/10, Kapitel VIII, S. 184 ff.). 536 EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 [526, Ziff. 29 – 31]. 537 s. auch Sari, Jurisdiction and International Responsibility in Peace Support Operations: The Behrami and Saramati Cases, in: HRLR 8 (2008), 151 [162 f.].

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tragen werden dürfe, ins Abseits. Zunächst kann eine Übertragung operativer Befehlsgewalt vom UN-Sicherheitsrat auf die NATO, von der der EGMR scheinbar ausgeht, nicht stattfinden.538 Der Sicherheitsrat kann nicht Befugnisse übertragen, die ihm gar nicht zustehen. Die Ausübung militärischer Befehlsgewalt über Truppen fällt aber in die Prärogative desjenigen Staates, zu dem die Truppen gehören.539 Anhaltspunkte dafür, dass die Truppensteller den UN-Sicherheitsrat etwa mit militärischer Befehlsgewalt über ihre Truppen ausgestattet hätten, gibt es allerdings keine. Vor allem aber verhält es sich – wie in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) aa) bereits angesprochen – beim KFOR-Einsatz so, dass sich die Rolle der UN auf die bloße Autorisierung des Einsatzes beschränkt, wohingegen die Ausführung und die militärische Leitung des Einsatzes der NATO obliegen.540 Die UN hat den Einsatz mehr oder weniger aus der Hand gegeben und keinen Einfluss auf die eigentliche Ausführung des in der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates541 formulierten Mandats, das die Aufstellung einer KFOR-Schutztruppe legitimiert.542 Aber selbst wenn man wie der EGMR zu der Feststellung gelangen sollte, dass die endgültige Entscheidungsgewalt („ultimate authority and control“) über KFOR beim UN-Sicherheitsrat verblieben ist, so handelt es sich bei dem Kriterium „endgültige Entscheidungsgewalt“ nicht um das für die völkerrechtliche Zurechnung fremden Organhandelns maßgebliche Kriterium. Bei der Zurechnung fremden Organhandelns wird nämlich auf die „effective control“ über das fremde Organ abgestellt (s. auch Art. 5 des ILC-Entwurfes zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen). Das Abstellen des EGMR auf das Kriterium der endgültigen Entscheidungsgewalt erscheint umso unverständlicher vor dem Hintergrund, dass der EGMR seinem Begriffsverständnis von Zurechnung unter anderem Art. 5 der Entwurfsartikel der ILC zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen zugrunde gelegt hat,543 der das Kriterium der „effective control“ ausdrücklich benennt. Im vorliegenden Falle liegt 538 Dazu s. auch Sari, Jurisdiction and International Responsibility in Peace Support Operations: The Behrami and Saramati Cases, in: HRLR 8 (2008), 151 [164]. 539 s. Fleck, Schutz der Menschenrechte bei Auslandseinsätzen: eine Herausforderung für Friedenstruppen, Entsendestaaten und internationale Organisationen, in: NZWehrR 50 (2008), 164 [169]. 540 Dörr, Die Vereinbarungen von Dayton/Ohio, in: ArchVR 35 (1997), 129 [149]; Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 127; Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [678]; Lüder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Nordatlantiksvertrags-Organisation bei der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: NZWehrR 43 (2001), 107 [114]. 541 Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom 10. 06. 1999 (UN Doc. S/Res/1244). 542 Dass die militärische Führung bei KFOR nicht von den UN ausgeübt wird sieht auch Fleck so, s. Fleck, Schutz der Menschenrechte bei Auslandseinsätzen: eine Herausforderung für Friedenstruppen, Entsendestaaten und internationale Organisationen, in: NZWehrR 50 (2008), 164 [169]. 543 s. EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 [526, Ziff. 30].

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die „effective control“ über die KFOR-Truppe nicht bei den UN, da den UN gerade nicht die militärische Leitungs- und Befehlsgewalt über die Soldaten der Truppensteller eingeräumt wurde (s. oben). Der Umstand, dass der KFOR-Befehlshaber (COMKFOR) dem UN-Sicherheitsrat gegenüber verpflichtet war, über den Verlauf des Einsatzes zu berichten, dürfte für eine Begründung von „effective control“ kaum ausreichen. Aufgrund dieser Einwände kann die Argumentation des EGMR im Hinblick auf die Zurechnung des Handelns der KFOR-Soldaten zur UN nicht überzeugen544 – und ist für diese Arbeit im Bereich der völkerrechtlichen Zurechenbarkeit des Handelns von Streitkräften bei Beteiligung einer Internationalen Organisation nicht weiter von Bedeutung. Eine Zurechnung des Handelns der KFOR-Soldaten zur UN findet – mangels „effective control“ der UN – nicht statt.545 Es bleibt dabei, dass in Fällen wie dem KFOREinsatz allenfalls einzig die NATO als potentielles Zurechnungssubjekt neben der BRD in Betracht kommt [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) aa)]. d) Zugehörigkeit zu einer Internationalen Organisation (NATO, EU oder UN) als Anknüpfungspunkt für eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD Neben der Verantwortlichkeit für das Handeln eigener Organe [Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. a)], auch bei Beteiligung einer Internationalen Organisation [Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c)] sowie für Beihilfe an völkerrechtswidrigen Handlungen [Teil 2, Gliederungspunkt, A. IV. 2. b)] könnte man schließlich einen weiteren Anknüpfungspunkt für eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD 544 So auch Fleck, Schutz der Menschenrechte bei Auslandseinsätzen: eine Herausforderung für Friedenstruppen, Entsendestaaten und internationale Organisationen, in: NZWehrR 50 (2008), 164 [169]; gegen die Entscheidung des EGMR und die Zurechnung des Verhaltens der KFOR-Soldaten zur UN auch Hafner, The ECHR torn between the United Nations and the States: The Behrami and Saramati Cases, in: Fischer-Lescano/Gasser/Marauhn/Ronzitti (Hrsg.), Frieden in Freiheit – Peace in Liberty – Paix en libert. Festschrift für Michael Bothe, S. 103 [111]. 545 Gegen eine Zurechnung zur UN auch: Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 127; Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, in: ZaöRV 62 (2002), 669 [678]; Lüder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Nordatlantiksvertrags-Organisation bei der militärischen Absicherung der Friedensvereinbarung von Dayton, in: NZWehrR 43 (2001), 107 [114]; s. auch Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 554 ff., die in ihrer Untersuchung der Zuordnung des SFOR-/KFOR-Verbandes auf die UN als Zurechnungssubjekt gar nicht erst eingeht. Dass der UN ein Verhalten von Friedenstruppen nur dann zugerechnet wird, wenn die UN „effective control“ über diese ausüben, wird auch in der Klageschrift gegen die UN und die Niederlande, die die Anwälte Hagedorn und Gerritsen von der Amsterdamer Kanzlei Van Diepen & Van der Kroef im Namen der Opfer des Massakers von Srebrenica verfasst haben und am 04. 06. 2007 beim LG von Den Haag eingereicht haben, anerkannt, Rdn. 349 f. (abrufbar im Internet unter http://www.vandiepen.com/ media/srebrenica/pdf/srebrenica-klage.pdf, nachgesehen am 25. 07. 2009).

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in Betracht ziehen: die schlichte Zugehörigkeit der BRD zu einer Internationalen Organisation, unter deren Dach eine schadensverursachende militärische Operation gemeinsam, also auch von der BRD, beschlossen und durchgeführt wird, ohne dass die BRD bzw. ihre Truppen dabei an der konkreten Schadensverursachung beteiligt sind. So haben die Kläger im Fall Varvarin vorgebracht: Da die Luftoperation durch die Mitgliedstaaten der NATO-Gemeinschaft beschlossen und durchgeführt worden sei, müssten sich Schadensersatzansprüche wegen einer Kampfhandlung unter Verletzung von Schutzrechten der Zivilbevölkerung, ohne dass der konkrete Verursacher für die Geschädigten zu ermitteln sei, gegen jeden Mitgliedstaat der NATO richten.546 Der BGH prüft das Vorbringen der Kläger lediglich im Rahmen eines Amtshaftungsanspruches: Aufgrund der personalen Konstruktion der Amtshaftung seien hoheitliche Handlungen von Streitkräften anderer Staaten der BRD amtshaftungsrechtlich nicht zuzurechnen. Die Relevanz der Überlegungen der Kläger im Hinblick auf einen völkerrechtlichen Ersatzanspruch läßt der BGH hingegen offen.547 Auch Stein spricht sich dafür aus, dass alle Mitgliedstaaten der NATO für völkerrechtswidrige Handlungen während der NATO-Operation „Allied Force“ einzustehen haben.548 Hinter dem Vorbringen der Kläger und damit für die Haftung der BRD für eine Militäraktion der NATO, bei der an Zivilpersonen ein Schaden verursacht worden ist und sich der konkrete Verursacher des Schadens nicht ermitteln lässt, steht ein nicht von der Hand zu weisendes schlagkräftiges Argument: Dem infolge einer Kriegshandlung eines militärischen Bündnisses Geschädigten wird es angesichts der komplexen, von außen undurchsichtigen Strukturen eines militärischen Bündnisses mehrerer Staaten und angesichts der Unübersichtlichkeit einer Kriegssituation oftmals nicht möglich sein darzulegen, durch welche konkreten Streitkräfte welchen konkreten Landes er geschädigt wurde.549

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s. zu diesem Aspekt des Klägervorbringens BGHZ 169, 348 [363, Ziff. 29]. BGHZ 169, 348 [363, Ziff. 30]. 548 Stein, Kosovo and the International Community. The Attribution of Possible Internationally Wrongful Acts: Responsibility of NATO or its Member States?, in: Tomuschat (Ed.), Kosovo and the international community, S. 181 [191 f.]: „The only reasonable solution seems to be that all NATO Member States are responsible for possible internationally wrongful acts during ,Operation Allied Force … (Hervorhebung durch den Verfasser)“; s. ferner auch Diskussionsbeitrag von Stein zur Diskussuion „Can a Coalition Member Be Held Responsible for the Actions of Other Members?“, in: Wall (Ed.), Legal and Ethical Lessons of NATOs Kosovo Campaign, S. 387 f. Auch Graefrath vertritt den Standpunkt, dass die Verantwortlichkeit der BRD für die während der NATO-Operation verursachten Schäden unabhängig davon sei, ob „im konkreten Fall der völkerrechtswidrige Schaden durch deutsche, amerikanische oder britische Bomber“ verursacht worden ist und begründet dies mit der Mitwirkung der BRD an den Entscheidungen zum Einsatz militärischer Mittel und zur Auswahl der militärischen Ziele auf der Planungsebene, s. Graefrath, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des humanitären Völkerrechts, in: HUV-I 14 (2001), 110 [120]. 549 s. Schriftsatz der Rechtsanwältin Pinar vom 29. 08. 2004 zur Begründung der Berufung vor dem OLG Köln, Gliederungspunkt 4.1. 547

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Gesetzt den Fall, dass sich bei einer von einem internationalen Bündnis beschlossenen und durchgeführten militärischen Operation nun der konkrete Verursacher des Schadens nicht ermitteln lässt – dann würde die Ausweitung von Schadensersatzansprüchen gegen jeden Staat des Bündnisses eine deutliche Aufwertung der Position des geschädigten Zivilisten bedeuten.550 Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Forderung der Kläger nach einer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der BRD für schadensverursachendes Verhalten im Rahmen einer militärischen Operation eines Bündnisses, die von den Mitgliedstaaten gemeinsam beschlossen und durchgeführt worden ist, ohne dass die BRD an der konkreten Schadensverursachung beteiligt ist, auch mit dem geltenden Völkerrecht vereinbar ist. Grundsätzlich verhält es sich so, dass ein Staat nur für die Handlungen seiner eigenen Organe völkerrechtlich verantwortlich ist.551 Dieser Grundsatz findet seinen Niederschlag in Art. 1 und 2 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit. Möglicherweise muss dieser Grundsatz, also die Verantwortlichkeit für eigene Handlungen, beim Zusammenwirken mehrerer Staaten unter dem Dach einer Internationalen Organisation aber dergestalt modifiziert werden, dass ein Mitgliedsstaat einer Internationalen Organisation für (jedwedes) völkerrechtswidriges Handeln im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Internationalen Organisation einzustehen hat.552 Diese Modifikation würde eine Verantwortlichkeit der BRD für ein schadensverursachendes Geschehen im Rahmen eines militärischen Bündnisses ermöglichen, ohne dass dabei die konkrete Schadensverursachung durch deutsche Soldaten nachgewiesen werden kann. Die generelle Möglichkeit des Einstehenmüssens eines Mitgliedsstaates für völkerrechtswidriges Handeln einer Internationalen Organisation bzw. die Haftung des Mitgliedsstaates für Verbindlichkeiten der Organisation ist unbestritten.553 550 Dabei sei die Primär- und Sekundärberechtigung eines Individuums bei Verletzungen des humanitären Völkerrechts [s. dazu ausführlich Teil 2, Gliederungspunkt B.] einmal unterstellt. 551 s. nur Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 48 f. 552 Diese Überlegung soll allerdings nicht das in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (2) erzielte Ergebnis in Frage stellen, wonach die BRD für das Verhalten ihrer Soldaten auch bei Einschaltung einer Internationalen Organisation verantwortlich bleibt. Die Überlegung soll eine Erweiterung der Verantwortlichkeit der BRD für den Fall möglich machen, dass nicht nachweisbar ist, dass die konkrete Schadensverursachung deutschen Soldaten anzulasten ist. 553 s. Amerasinghe, Liability to Third Parties of Member States of International Organizations, in: AJIL 85 (1991), 259 ff.; Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisation, S. 121; Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 296 ff.; Heller, Der Haftungsdurchgriff im Völkerrecht, S. 165 ff.; Meng, Internationale Organisationen im völkerrechtlichen Deliktsrecht, in: ZaöRV 45 (1985), 324 [338 ff.]; Seidl-Hohenveldern, Responsibility of Member

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Es stellt sich aber vor allem die Frage, ob die Mitverantwortlichkeit bzw. Mithaftung der Mitgliedsstaaten automatisch, also qua ihrer Mitgliedschaft, gegeben ist oder ob sie an das Vorliegen gewisser Voraussetzungen geknüpft ist. Die völkerrechtliche Diskussion zu der Frage, inwieweit Mitgliedsstaaten für völkerrechtswidriges Verhalten bzw. Verbindlichkeiten Internationaler Organisationen einzustehen haben, wird vorwiegend in Fällen geführt, bei denen eine Internationale Organisation einen Vertrag mit einem Drittstaat geschlossen hat und möglicherweise nicht die zur Befriedigung der vertraglichen und deliktischen Ansprüche des Vertragsstaates erforderlichen Finanzmittel mangels entsprechender Ausstattung durch die Mitgliedsstaaten aufbringen kann.554 Ohne die angesprochene Diskussion an dieser Stelle in ihrer ganzen Breite darstellen zu wollen,555 erscheint es im Endeffekt jedenfalls überzeugender, das Einstehenmüssen des Mitgliedsstaates für die völkerrechtswidrige Handlung der Internationalen Organisation vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen abhängig zu machen.556 States of an International Organization for Acts of that Organization, in: Seidl-Hohenveldern, Collected Essays on International Investments and on International Organizations, S. 63 ff.; Wenckstern, Die Haftung der Mitgliedstaaten für internationale Organisationen, in: RabelsZ 61 (1997), 95 [97 ff.]. 554 s. Heller, Der Haftungsdurchgriff im Völkerrecht, S. 54 ff.; Meng, Internationale Organisationen im völkerrechtlichen Deliktsrecht, in: ZaöRV 45 (1985), 324 [338]. Die der Diskussion zugrundliegende Situation (primäre Haftung der Organisation; Organisation fällt als Haftende aber aus; möglicherweise subsidiäre Haftung des Mitgliedsstaates) ist mit der vorliegenden Problematik (Verantwortlichkeit des Mitgliedsstaates grds. gegeben, nur im vorliegenden Fall nicht nachweisbar; möglicherweise Verantwortlichkeit für völkerrechtswidriges Handeln im Zusammenhang mit Tätigkeit der Internationalen Organisation) nicht identisch, aber gleichwohl aufschlussreich im Hinblick auf die Frage, ob das Einstehenmüssen für ein völkerrechtswidriges Handeln im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Internationalen Organisation automatisch qua Mitgliedschaft erfolgt oder vom Vorliegen gewisser Voraussetzungen abhängig ist. 555 Ausführlich zur Problematik der Haftung der Mitgliedsstaaten für Verbindlichkeiten Internationaler Organisationen Heller, Der Haftungsdurchgriff im Völkerrecht, S. 49 ff. 556 s. z. B. Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisation, S.136 ff., der drei „Schnittstellen“ (Gründung – Beschlussfassung – Vollzug) nennt, die den Mitgliedsstaaten die Einflussnahme auf die Tätigkeit einer Internationalen Organisation eröffnen und damit eine Verantwortlichkeit der Mitgliedsstaaten für Organisationsverhalten begründen können; s. auch Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, der vertritt, dass sich im Völkerrecht keine Anhaltspunkte dafür finden würden, dass die Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation unmittelbar die Haftung der Mitgliedsstaaten nach sich ziehe (S. 293), sondern dass Staaten nur haften würden, soweit sich eine entsprechende „Haftungsgrundlage“ finde (S. 296); auch Heller, Der Haftungsdurchgriff im Völkerrecht, S. 78 ff., 163 f., geht davon aus, dass eine „Durchgriffsgrundlage“ erforderlich sei, die die Voraussetzungen für eine Mithaftung der Mitgliedsstaaten normiere; a.A. (= für eine generelle [subsidiäre] Einstandspflicht des Mitgliedstaates): Meng, Internationale Organisationen im völkerrechtlichen Deliktsrecht, in: ZaöRV 45 (1985), 324 [338 ff.]; Wenckstern, Die Haftung der Mitgliedstaaten für internationale Organisationen, in: RabelsZ 61 (1997), 95 [97]. Das entscheidende Argument der Gegenansicht für eine generelle, automatische Einstandspflicht, nämlich dass sich Staaten nicht durch Einschaltung einer In-

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Dabei hat sich im Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht bislang keine generelle Regelung hinsichtlich der Voraussetzungen des Einstehenmüssens eines Mitgliedsstaates für das völkerrechtswidrige Verhalten einer Internationalen Organisation herausgebildet.557 Bezüglich der Voraussetzungen für das Einstehenmüssens eines Mitgliedsstaates ergibt sich im Völkerrecht stattdessen folgendes Bild: Unter dem Stichwort der „mittelbaren Haftung“558 gehen manche Völkerrechtler der Frage nach, wann ein Völkerrechtssubjekt für das Verhalten eines anderen haftet. Eine (mittelbare) Haftung für das Verhalten eines anderen Völkerrechtssubjekts soll unter anderem dann gegeben sein, wenn das mittelbar haftende Völkerrechtssubjekt das Verhalten des anderen „in ganz wesentlichem Umfang“ bestimmt.559 Dold zufolge ist die durch „Schnittstellen“ eines Mitgliedsstaates zu einer Internationalen Organisation ausgeübte Einflussnahme des Mitgliedsstaates ein Anknüpfungspunkt für eine Mitverantwortlichkeit des Mitgliedsstaates für völkerrechtswidriges Handeln der Organisation.560 Als Schnittstelle zur Einflussnahme kommt unter anderem die Beschlussfassung561 im Rahmen der Organisation in Betracht.562 Heller wiederum knüpft – unter anderem – an die Maßstäbe der Staatenverantwortlichkeit an, um Voraussetzungen für eine Mithaftung eines Mitgliedsstaates zu entwickeln.563 Aus diesen Ausführungen wird man den Schluss ziehen können, dass eine Mitverantwortlichkeit eines Mitgliedsstaates für das Verhalten einer Internationalen Organisation wohl ein gewisses Maß an Einflussnahme und Kontrolle über das Verhalten der Organisation voraussetzt; eine völkerrechtliche Regel mit dem Inhalt einer autoternationalen Organisation ihrer Haftung entziehen können sollen (s. Meng, Internationale Organisationen im völkerrechtlichen Deliktsrecht, in: ZaöRV 45 (1985), 324 [339]), greift in der vorliegenden Konstellation aber ohnehin nicht: Durch Eingliederung in die NATO, EU oder UN zur Durchführung von Auslandseinsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung entzieht sich die BRD nicht ihrer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für völkerrechtswidriges Verhalten der Bundeswehr-Soldaten, das Verhalten der unterstellten Truppen ist der BRD – nachwievor – zurechenbar [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (2)]. An der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für völkerrechtswidriges Verhalten eigener Truppen hat sich damit im Vergleich zu vorher, also zur Situation vor Unterstellung der Bundeswehr-Soldaten unter das Kommando eines internationalen Befehlshabers, nichts geändert. 557 So zumindest Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisation, S.127; s. zum Ganzen auch Heller, Der Haftungsdurchgriff im Völkerrecht, S. 78 ff., 165. 558 s. dazu ausführlich Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 56 ff. 559 s. zu dieser Voraussetzung der mittelbaren Haftung sowie zu anderen Voraussetzungen Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 76. 560 Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisation, S.136 ff. 561 Ausführlich zur Beschlussfassung im Rahmen Internationaler Organisationen: Schermers/Blokker, International Institutional Law, Kap. 6 (Decision-making process). 562 Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisation, S.141 ff. 563 Heller, Der Haftungsdurchgriff im Völkerrecht, S. 122, 165.

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matischen Mitverantwortlichkeit qua Mitgliedschaft in einer Internationalen Organisation kann dagegen nicht ausgemacht werden. Ein entsprechender Anknüpfungspunkt für eine deutsche Einflussnahme zum Beispiel während der NATO-Luftangriffe im Kosovo im Jahr 1999 könnte in der Beteiligung deutscher Repräsentanten an der Beschlussfassung im NATO-Rahmen auf Planungsebene zu erblicken sein. Es würde hier zwar zu weit führen, das NATO-Beschlussverfahren hinsichtlich des Ergreifens militärischer Mittel und der Auswahl militärischer Ziele in seiner ganzen Breite darzustellen.564 Charakteristisch für die Auswahl militärischer Ziele während der Operation „Allied Force“ auf NATO-Ebene war aber vor allem der Umstand, dass die Auswahl der Ziele einstimmig zu erfolgen hatte.565 Geht man von diesem Erfordernis der Einstimmigkeit einmal aus, dann würde man den Einfluss eines Mitgliedsstaates überdehnen, wenn man die positive Entscheidung eines Staates für die Bombardierung eines bestimmten Zieles als ausreichend für die Zurechnung der später durch die Bombardierung verursachten Schäden ansähe.566 Denn unterstellt man einmal eine positive Entscheidung der BRD zur Bombardierung eines bestimmten Ziels, dann reicht eine solche positive Entscheidung der BRD noch nicht aus, um einen entsprechenden Beschluss zur Bombardierung des Ziels herbeizuführen, da für einen derartigen Beschluss – bei vorausgesetzter Einstimmigkeit – zusätzlich zur Stimme der BRD die Stimmen sämtlicher anderer Mitgliedstaaten erforderlich sind. Der BRD war es also im Kosovo-Einsatz allenfalls möglich, das Verhalten der Organisation – durch eine Ablehnung eines militärischen Ziels – zu verhindern, nicht aber es positiv zu gestalten.567

564 Nähere Einzelheiten zum NATO-Beschlussverfahren während der Operation „Allied Force“ bei Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 547 f. 565 s. Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisationen, S. 145; Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 547 f. 566 So aber Dold, Vertragliche und ausservertragliche Verantwortlichkeit im Recht der internationalen Organisation, S. 145; Graefrath, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des humanitären Völkerrechts, in: HUV-I 14 (2001), 110 [120]; Stein, Kosovo and the International Community. The Attribution of Possible Internationally Wrongful Acts: Responsibility of NATO or its Member States?, in: Tomuschat (Ed.), Kosovo and the international community, S. 181 [191 f.]; für eine Verantwortlichkeit des Mitgliedsstaates bei einstimmiger Beschlussfassung wohl auch Bothe/Fischer-Lescano in ihrem Gutachten für die Verfassungsbeschwerde in der Rechtssache Varvarin, s. Schriftsatz der Rechtsanwälte Hilbrans und Kaleck aus der Kanzlei Hummel – Kaleck vom 22. 02. 2007 an das BVerfG, S. 52. 567 s. Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 292.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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Die Beteiligung an der NATO-Beschlussfassung reicht demzufolge also nicht aus, eine Mitverantwortlichkeit der BRD für die durch die NATO-Luftoperation verursachten Schäden zu begründen.568 Dieser Befund wird im Übrigen auch durch die Kommentierung zu Art. 25 der – bislang verabschiedeten – Entwurfsartikel der ILC zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen569 bestätigt:570 Eine Verantwortlichkeit eines Mitgliedsstaates für die Gewährung von Unterstützung an eine Internationale Organisation bei der Begehung eines völkerrechtswidrigen Aktes soll danach nicht bereits durch die Teilnahme am Entscheidungsprozess ebendieser Organisation begründet werden.571 Insgesamt lässt sich damit festhalten: Ein Einstehenmüssen der BRD für völkerrechtswidriges Handeln im Zusammenhang mit der Tätigkeit einer Internationalen Organisation bereits qua Mitgliedschaft der BRD in dieser Organisation hat im geltenden Völkerrecht keine ausreichende Grundlage. Eine Verantwortlichkeit der BRD für völkerrechtswidrige Schäden im Zusammenhang mit militärischen Aktionen eines Bündnisses, ohne dass nachweisbar ist, dass die konkrete Verursachung des Schadens durch deutsche Bundeswehr-Soldaten erfolgte, kommt daher – entgegen dem Standpunkt der Kläger im Fall Varvarin und mancher Rechtsgelehrter – nicht in Frage.572 Vielmehr wird eine Verantwortlichkeit der BRD für völkerrechtswidriges 568 Gegen eine Zurechnung basierend auf der Beteiligung an der Beschlussfassung auch Schmalenbach, Die Haftung Internationaler Organisationen, S. 548; Hartwig, Die Haftung der Mitgliedstaaten für Internationale Organisationen, S. 292. 569 Art. 25 lautet: „A State which aids or assists an international organization in the commission of an internationally wrongful act by the latter is internationally responsible for doing so if: (a) That State does so with knowledge of the circumstances of the internationally wrongful act; and (b) The act would be internationally wrongful if committed by that State.“ Die ILC hat bislang 45 Entwurfsartikel zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen verabschiedet (s. UN Doc. A/62/10, S. 184 ff.). 570 Die Kommentierung der ILC u. a. zu Art. 25 ist abgedruckt in: Report of the International Law Commission, 58th Session (2006), Official Records of the General Assembly, 61st Session, Supplement No. 10 (UN Doc. A/61/10), S. 279 f. 571 s. Kommentierung zu Art. 25 der Entwurfsartikel der ILC zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen, S. 279 Rdn. 2. 572 Dieses Ergebnis wird auch nicht durch den Verweis von Bothe/Fischer-Lescano in ihrem Gutachten für die Verfassungsbeschwerde der Varvarin-Opfer auf Artikel 47 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit (s. Schriftsatz der Rechtsanwälte Hilbrans und Kaleck aus der Kanzlei Hummel – Kaleck vom 22. 02. 2007 an das BVerfG, S. 52) erschüttert. Art. 47 Abs. 1 lautet: „Sind mehrere Staaten für dieselbe völkerrechtswidrige Handlung verantwortlich, so kann in Bezug auf diese Handlung die Verantwortlichkeit eines jeden Staates geltend gemacht werden (Hervorhebung durch den Verfasser).“ Ausweislich seines Wortlautes setzt Art. 47 Abs. 1 eine Verantwortlichkeit des betreffenden Staates an dem gemeinsam, mit anderen Staaten begangenen völkerrechtlichen Unrecht voraus. Eine solche Verantwortlichkeit setzt aber gerade eine dem Staat zurechenbare Verletzung des Völkerrechts voraus (s. Art. 1 und 2 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit). In Fällen wie dem vorliegenden, wo nicht nachweisbar ist, dass die konkrete Verursachung des Schadens auf Bundeswehr-Soldaten zurückzuführen ist, dementsprechend keine zurechenbare Verletzung des Völkerrechts durch deutsche Soldaten (und damit keine Verantwortlichkeit des betreffenden Staates) vorliegt, hilft Art. 47

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Handeln, das im Zusammenhang mit dem Tätigkeitsbereich einer Internationalen Organisation steht, ein gewisses Maß an Einflussnahme und Kontrolle seitens der BRD über das Verhalten der Internationalen Organisation voraussetzen. Ein solches Maß an Einflussnahme ist zum Beispiel bei Beteiligung der BRD an der Beschlussfassung im Rahmen einer Internationalen Organisation, die Einstimmigkeit voraussetzt, nicht erreicht. e) Zusammenfassung: Zurechenbare Verletzungen des Völkerrechts Ohne weiteres wird einem Staat das Handeln eigener Organe und damit auch das Handeln seiner Streitkräfte zugerechnet [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. a)]. Darüber hinaus kann die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates im Zusammenhang mit der völkerrechtswidrigen Handlung eines anderen Völkerrechtssubjektes ausgelöst werden, wenn der Staat zu der völkerrechtswidrigen Handlung des anderen Völkerrechtssubjektes Beihilfe leistet [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. b)]. Was die Zurverfügungstellung von eigenen Soldaten an eine Internationale Organisation anbelangt, so wurden in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) Einsätze der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen der NATO, EU und UN auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer völkerrechtlichen Organleihe und eines dadurch erfolgten Wechsel des Zurechnungssubjektes hin untersucht. Bei solchen Einsätzen wird die deutsche Befehlsgewalt durch die Übertragung von „operational control“ auf den internationalen Befehlshaber zwar relativiert. Für die Annahme einer völkerrechtlichen Organleihe und eines dadurch ausgelösten Wechsel des Zurechnungssubjektes reicht die Übertragung von „operational control“ allerdings nicht aus. Schließlich haftet die BRD nicht qua Mitgliedschaft in einer Internationalen Organisation für völkerrechtswidrige Schäden im Zusammenhang mit der Tätigkeit dieser Organisation, ohne dass die BRD bzw. ihre Truppen an der konkreten Schadensverursachung beteiligt sind [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. d)]. Eine die Verantwortlichkeit der BRD indes auslösende Einflussnahme auf das Verhalten der Internationalen Organisation liegt bei Beteiligung an einer einstimmigen Beschlussfassung nicht vor.

Abs. 1 also auch nicht weiter. Ausführlich zur Mehrheit verantwortlicher Staaten und zu Art. 47: Besson, La pluralit dEtats responsables, in: SZIER 17 (2007), 13 ff.; Noyes/Smith, State Responsibility and the Principle of Joint and Several Liability, in: YJIL 13 (1988), 225 ff.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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V. Weitere Voraussetzungen und Elemente der Staatenverantwortlichkeit In Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. wurden die beiden zentralen Voraussetzungen zur Begründung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates dargestellt: die Verletzung des Völkerrechts [Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1.] und die Zurechnung ebendieser Völkerrechtsverletzung zu einem Staat [Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2.]. Ausgehend von diesen beiden Voraussetzungen käme man für alle in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b) dargestellten Beispiele möglichen Fehlverhaltens deutscher Soldaten im Auslandseinsatz zu dem Ergebnis, dass eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD vorläge. Denn in jedem einzelnen Beispiel lässt sich eine Verletzung von Normen des humanitären Völkerrechts feststellen, die der BRD auch zugerechnet werden kann. Ob sich nun die Unterschiedlichkeiten der einzelnen Beispiele im Hinblick auf den Kontext der Schädigungshandlungen und die subjektive Wahrnehmung der Soldaten im System der Staatenverantwortlichkeit niederschlagen werden, wird erstens davon abhängen, ob die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD für Verhalten von Bundeswehr-Soldaten – neben einer zurechenbaren Völkerrechtsverletzung – weitere Voraussetzungen erfordert [s. nachfolgender Gliederungspunkt A. V. 1.], und zweitens, ob und inwieweit bestimmte Umstände zu einem Ausschluss der Völkerrechtswidrigkeit des Verhaltens der Bundeswehr-Soldaten führen können [s. nachfolgender Gliederungspunkt A. V. 2.]. 1. Weitere Voraussetzungen der Staatenverantwortlichkeit Ob die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates neben einer (objektiv) zurechenbaren Völkerrechtsverletzung womöglich ein (subjektiv) vorwerfbares, das heißt schuldhaftes Verhalten erfordert, war in der Völkerrechtslehre, der internationalen Rechtsprechung und der Staatenpraxis lange Zeit umstritten.573 Auf die Einzelheiten des Meinungsstreits soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.574 Die Artikel der ILC zur Staatenverantwortlichkeit jedenfalls zählen schuldhaftes Verhalten nicht zum Begründungstatbestand der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit.575 Es dürfte wohl letztlich auch geltendem Völkergewohnheitsrecht 573 s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 183 I 1; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 34; Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 18. 574 Einzelheiten zu dem Meinungsstreit finden sich etwa bei Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 35 ff. 575 s. auch Kommentierung von Crawford zu Art. 2 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit (= Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 2 Rdn. 10): „… In the absence of any specific requirement of a mental element in terms of the primary obligation, it is only the act of the State that matters, independently of any intention.“

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

entsprechen, das Vorliegen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates nicht vom Nachweis eines schuldhaften Verhaltens abhängig zu machen.576 Ausgehend von dieser gewohnheitsrechtlichen Rechtslage macht es im Hinblick auf die in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b) dargestellten Beispiele daher für die Begründung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der BRD keinen Unterschied, ob die Verletzung humanitärer Normen auf schuldhaftem Verhalten von BundeswehrSoldaten beruht (s. Beispiel 2 und 3) oder nicht (s. Beispiel 1, unter der Maßgabe, dass der Luftangriff ausführende Pilot von der Völkerrechtswidrigkeit des Angriffs nichts wusste). Diese für die Staatenverantwortlichkeit der BRD getroffene Feststellung soll allerdings nicht den Blick dafür versperren, dass subjektiv vorwerfbares Verhalten von Bundeswehr-Soldaten nicht „nur“ eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD begründet, sondern überdies eine individuelle (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeit der Soldaten nach sich ziehen kann, worin der gesteigerte kriminelle Unwertgehalt des Verhaltens zum Ausdruck kommt.577 Überdies kann völkerstrafrechtlich nicht nur auf diejenigen Akteure zugegriffen werden, die unmittelbar an der Begehung von Völkerrechtsverbrechen [s. zu Völkerrechtsverbrechen Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. e)] beteiligt sind, sondern auch auf die Vorgesetzten ebendieser Akteure, wenn sie von der Begehung der Verbrechen durch ihre Untergebenen Kenntnis hatten oder hätten haben müssen.578 576 So z. B. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 183 I 4; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 38. 577 s. auch Art. 30 RömSt, der die für die Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit erforderlichen subjektiven Tatbestandsmerkmale normiert. In Art. 30 I RömSt heißt es: „Sofern nichts anderes bestimmt ist, ist eine Person für ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen nur dann strafrechtlich verantwortlich und strafbar, wenn die objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich und wissentlich verwirklicht wurden (Hervorhebungen durch den Verfasser).“ Ausführlich zu den für eine Begründung individueller völkerstrafrechtlicher Verantwortlichkeit erforderlichen subjektiven Tatbestandsmerkmalen: Eser, Mental Elements, in: Cassese/Gaeta/Jones (Eds.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Bd. 1, S. 889 ff.; Roßkopf, Die innere Tatseite des Völkerrechtsverbrechens. Ein Beitrag zur Auslegung des Art. 30 IStGH-Statut. 578 s. Art 28 RömSt: „Neben anderen Gründen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgrund dieses Statuts für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterliegende Verbrechen gilt Folgendes: a) ein militärischer Befehlshaber […] ist strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshof unterliegende Verbrechen, die von Truppen unter seiner […] Befehlsgewalt […] als Folge seines […] Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Truppen auszuüben, wenn i) der betreffende militärische Befehlshaber […] wusste oder […] hätte wissen müssen, dass die Truppen diese Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren …“ Ausführlich zur völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit von Vorgesetzten im Völkerstrafrecht: Ambos, Superior Responsibility, in: Cassese/Gaeta/ Jones (Eds.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Bd. 1, S. 823 ff.; Burghardt, Die Vorgesetztenverantwortlichkeit im völkerrechtlichen Straftatsystem; Stein, Zur international-strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Befehlshabers einer multi-nationalen Streitmacht, in: Frowein/Scharioth/Winkelmann/Wolfrum (Hrsg.), Verhandeln für den Frieden, Liber Amicorum Tono Eitel, S. 449 ff.

A. Verantwortlichkeit von Staaten für Verletzungen des Völkerrechts

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Darüber hinaus ist der Eintritt eines Schadens kein zusätzliches Element, das zur Begründung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates erforderlich wäre. Denn im Recht der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit ist jede Verletzung eines völkerrechtlichen Rechts zugleich ein – materieller oder immaterieller – Schaden des betroffenen Völkerrechtssubjektes.579 Der Schaden tritt also uno actu mit der Rechtsverletzung ein und ist demzufolge kein besonderes Tatbestandselement der Staatenverantwortlichkeit. 2. Unrechtsausschließungsgründe Eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD für eine durch BundeswehrSoldaten begangene Völkerrechtsverletzung läge dann nicht vor, wenn sich die BRD auf etwaige Unrechtsausschließungsgründe berufen könnte.580 Die ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit für völkerrechtswidrige Handlungen nennen in Kapitel V (Art. 20 – 27) folgende Unrechtsausschließungsgründe: die Einwilligung des geschädigten Staates; Selbstverteidigung; Gegenmaßnahme infolge einer vorangegangenen völkerrechtswidrigen Handlung eines anderes Staates; höhere Gewalt; Notlage der handelnden Person; und schließlich (Staats-)Notstand. Allerdings scheidet eine Berufung auf Unrechtsausschließungsgründe dann aus, wenn die Verletzung des Völkerrechts einen Verstoß gegen eine zwingende Norm des Völkerrechts beinhaltet (Art. 26 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit).581 Was das in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b) skizzierte Beispiel 2 (Geschehen auf dem Marktplatz) anbelangt, so könnte die Situation der Bundewehr-Soldaten als Notlage gemäß Art. 24 der ILC-Artikel anzusehen sein – mit der Folge, dass das völkerrechtliche Unrecht (hier: Verstoß gegen das Verbot von Angriffen auf die Zivilbevölkerung) ausgeschlossen wäre. Nach Art. 24 I der ILC-Artikel ist die Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung dann nicht völkerrechtswidrig, wenn der Handelnde in der konkreten Notlage keine andere geeignete Möglichkeit hat, sein eigenes Leben zu retten.582 Mit Blick auf die bereits kurz angesprochene Regelung des Art. 26 stellt sich allerdings die Frage, ob grundlegende Regeln des humanitären Völkerrechts nicht als zwingende Normen des Völkerrechts („peremptory norms“) angesehen werden müs579 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 184 I; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 43. 580 s. zu Unrechtsausschließungsgründen auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 180; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 53 ff. 581 Englische Fassung des Art. 26: „Nothing in this Chapter precludes the wrongfulness of any act of a State which is not in conformity with an obligation arising under a peremptory norm of general international law.“ 582 Englische Fassung des Art. 24 I: „The wrongfulness of an act of a State not in conformity with an international obligation of that State is precluded if the author of the act in question has no other reasonable way, in a situation of distress, of saving the authors life or the life of other persons entrusted to the authors care.“

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

sen – mit der Folge, dass die Verletzung des (humanitären) Völkerrechts durch Bundeswehr-Soldaten in Beispiel 2 trotz an sich nach Art. 24 I der ILC-Artikel bestehender Notlage doch nicht ausgeschlossen wäre.583 Hinter der Regelung des Art. 26 steht insbesondere folgende Überlegung:584 Unrechtsausschließungsgründe beruhen letztlich auf einer Abwägung zwischen den Belangen des Verletzten (hier: Zivilisten) und den Belangen des Verletzers (hier: BRD mittels Bundeswehr-Soldaten), die, zum Beispiel auf Grund einer Notlage des Verletzers, zunächst erst einmal zugunsten des Verletzers ausfällt. Es kann nun aber nach Art. 26 – überragend wichtige – völkerrechtliche Positionen geben, die einer solchen Abwägung nicht zugänglich sind, so dass ein Ausschluss des völkerrechtlichen Unrechts bei Verletzung eben dieser Positionen nicht in Frage kommt. Der Sonderberichterstatter der ILC, James Crawford, vertritt in seiner Kommentierung der ILC-Artikel,585 die auch im Abschlussbericht der ILC zu den Arbeiten auf dem Gebiet der Staatenverantwortlichkeit enthalten ist,586 die Auffassung, dass die grundlegenden Regeln des humanitären Völkerrechts als zwingende Normen des Völkerrechts einzuordnen sind.587 Stuft man die in Beispiel 2 durch Bundeswehr-Soldaten verletzte Regel, nämlich den Verstoß gegen das Verbot von Angriffen gegen die Zivilbevölkerung (Art. 48, 51 II ZP-I), also als grundlegende Bestimmung des humanitären Völkerrechts ein, so hat die Ansicht Crawfords und des Jugoslawien-Tribunals für das Beispiel 2 zur Folge, dass das Verhalten der Bundeswehr-Soldaten – trotz der Notlage – letztlich doch als völkerrechtswidrig einzuordnen ist. Dass die Verletzung humanitärer Bestimmungen in Beispiel 3 (willkürliche Schädigungshandlungen) in mehrfacher Hinsicht nicht gerechtfertigt werden kann, da a) keine Notlage besteht und b) überdies schwerwiegende Verletzungen grundlegender Bestimmungen des humanitären Völkerrechts vorliegen, dürfte kaum überraschen. Am Ende der Darstellung von Unrechtsausschließungsgründen sei angemerkt, dass sich aus dem nationalen Recht des Staates, der seine völkerrechtlichen Verpflich583

s. z. B. Sassli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC 84 (2002), 401 [423 f.], der auf die – von IGH, Jugoslawien-Tribunal und ILC geteilte – Auffassung verweist, wonach die grundlegenden Regeln des humanitären Völkerrechts als zwingende Normen des Völkerrechts („peremptory norms“) anzusehen sind. Das JugoslawienTribunal stellt beispielsweise fest: „Furthermore, most norms of international humanitarian law, in particular those prohibiting war crimes, crimes against humanity and genocide, are also peremptory norms of international law or jus cogens, i. e. of a non-derogable and overriding character“, s. ICTY, The Prosecutor v. Kupresˇkic´ u. a., Case No. IT-95-16-T, Trial Chamber II, Judgment of 14. 01. 2000, Rdn. 520. 584 s. auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 180 VII. 585 Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility. 586 s. Report of the International Law Commission, 53rd Session (2001), Official Records of the General Assembly, 56th Session, Supplement No. 10 (UN Doc. A/56/10, S. 31 ff.). 587 Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 40 Rdn. 5.

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tungen verletzt hat, keine völkerrechtlichen Unrechtsausschließungsgründe ergeben können [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. a)].588 So könnte sich die BRD etwa in Beispiel 1 nicht auf den Standpunkt stellen, dass ihr bei der Planung eines Luftangriffes nach nationalem deutschen Recht ein nicht-justiziabler Beurteilungsspielraum zustehe, der die Verletzung humanitärer Vorschriften entfallen lasse.589

VI. Rechtsfolgen einer völkerrechtswidrigen Handlung Die Funktion der Regelungen zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten, deren Anwendungsbereich bei zurechenbarer Verletzung einer völkerrechtlichen (Primär-)Norm eröffnet ist, liegt in der Wiederherstellung der völkerrechtsgemäßen Lage, also in der Wiederherstellung des status quo ante.590 Diese Wiederherstellung der völkerrechtsgemäßen Lage erfolgt im System der Staatenverantwortlichkeit durch Wiedergutmachung („reparation“). Die infolge der Verletzung völkerrechtlicher (Primär-)Normen entstehende Pflicht zur Wiedergutmachung eines Staates ist gewohnheitsrechtlich anerkannt.591 Dieses allgemein völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Prinzip der Wiedergutmachung findet sich den Artikeln der ILC zur Staatenverantwortlichkeit in Art. 31 I wieder.592 Als Formen der Wiedergutmachung kommen – gemäß Art. 34 der ILC-Artikel – in Betracht: Restitution („restitution“),593 Schadensersatz („compensation“) und Ge588 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 180 VIII. Vgl. auch die Regelung des Art. 32 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit, indem es heißt: „The responsible State may not rely on the provisions of its internal law as justification for failure to comply with ist obligations under this Part.“ 589 Im Fall Varvarin hat der BGH bei der Prüfung eines Amtshaftungsanspruches gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG die Amtspflichtwidrigkeit des Handelns deutscher Stellen u. a. mit Hinweis auf einen nicht-justiziablen Beurteilungsspielraum bei der Auswahl militärischer Ziele im Rahmen eines NATO-Luftangriffes verneint, s. BGHZ 169, 348 [360 ff., Ziff. 25 ff.]. 590 Bollecker-Stern, Le prjudice dans la thorie de la responsabilit internationale, S. 10; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 185 I; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 16; Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 67; Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 51 f. 591 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 65; bezogen auf Verletzungen des humanitären Völkerrechts: Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 150: „A State responsible for violations of international humanitarian law is required to make full reparation for the injury or the loss suffered.“ 592 Englische Fassung des Art. 31 I: „The responsible State is under an obligation to make full reparation for the injury caused by the internationally wrongful act.“ Allgemein zu den Rechtsfolgenregelungen der ILC-Artikel s. auch Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 85 ff. 593 Eng mit der der Restitutionspflicht hängt die Pflicht des Verletzers zusammen, die Verletzung des Völkerrechts zu beenden bzw. nicht zu wiederholen (s. Art. 30 der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit). Bei der Pflicht des Verletzers, die Verletzung des Völkerrechts zu beenden, handelt es sich allerdings nicht um eine Rechtsfolge der völkerrechtlichen Ver-

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

nugtuung („satisfaction“),594 wobei diese Formen der Wiedergutmachung ebenfalls völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sind.595 Was die Formen der Wiedergutmachung im Einzelnen anbelangt, so ist festzuhalten: Ein für völkerrechtswidriges Handeln verantwortlicher Staat ist dann verpflichtet, Restitution zu leisten, also den vor der Handlung herrschenden Zustand herzustellen, falls die Restitution nicht tatsächlich unmöglich ist und falls die Restitution nicht mit einer unverhältnismäßigen Belastung im Vergleich zur Leistung von Schadensersatz verbunden ist (Art. 35 der ILC-Artikel).596 Ist die Restitution nicht möglich oder unverhältnismäßig, so erfolgt der Ausgleich materieller Schäden durch Schadensersatz (Art. 36 der ILC-Artikel)597 und der Ausgleich immaterieller Schäden in Form der Genugtuung (Art. 37 der ILC-Artikel).598 Die Verpflichtung, für durch Völkerrechtsverletzungen erlittene Schäden Schadensersatz zu leisten, ist gewohnheitsrechtlich anerkannt und für Verletzungen des humanitären Völkerrechts etwa in Art. 3 des IV. Haager Abkommens und Art. 91 ZP-I normiert.599 Der Ausgleich materieller Schäden in Form von Schadensersatz ist darauf angelegt, den Geschädigten wirtschaftlich so zu stellen, als ob das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.600 Demzufolge beschränkt sich der Schadensantwortlichkeit, sondern um eine Primärpflicht aus dem verletzten Vertragsverhältnis oder der verletzten Gewohnheitsrechtsnorm. 594 Englische Fassung des Art. 34: „Full reparation for the injury caused by the internationally wrongful act shall take the form of restitution, compensation and satisfaction, either singly or in combination, in accordance with the provisions of this Chapter.“ 595 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 68. 596 Englische Fassung des Art. 35: „A State responsible for an internationally wrongful act is under an obligation to make restitution, that is, to re-establish the situation which existed before the wrongful act was committed, provided and to the extent that restitution: (a) is not materially impossible; (b) does not involve a burden out of all proportion to the benefit deriving from restitution instead of compensation.“ Ausführlich zur Restitution als Rechtsfolge der Staatenverantwortlichkeit s. auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 185; Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 65, 91 f. 597 Englische Fassung des Art. 36 I: „The State responsible for an internationally wrongful act is under an obligation to compensate for the damage caused thereby, insofar as such damage is not made good by restitution.“ Ausführlich zum Schadensersatz als Rechtsfolge der Staatenverantwortlichkeit s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 186; Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 65 ff., 93 ff. 598 Englische Fassung des Art. 37 I: „The State responsible for an internationally wrongful act is under an obligation to give satisfaction for the injury caused by the insofar as it cannot be made good by restitution or compensation.“ Ausführlich zum Genugtuung als Rechtsfolge der Staatenverantwortlichkeit s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 187; Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 78 ff. 599 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, Rule 150, S. 539. 600 Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 36 Rdn. 4; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 186 III 1; Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 72.

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ersatz auf einen „finanziell messbaren Schaden“ (Art. 36 II der ILC-Artikel).601 Dabei kann es sich sowohl um Schäden handeln, die der Staat selbst erleidet, als auch um Schäden, die Angehörige des Staates erlitten haben, und die der Staat im Wege des diplomatischen Schutzes602 gegenüber dem Schädigerstaat geltend macht.603 Schadensersatz wurde in der Vergangenheit für völkerrechtswidrige Vorfälle wie zum Beispiel den Abschuss von Flugzeugen oder die Versenkung von Schiffen geleistet, bei denen Menschen verletzt oder aber getötet wurden.604 Oftmals wird die Zahlung von Schadensersatz vertraglich zwischen den staatlichen Akteuren und nicht gerichtlich geregelt.605 Die Wiedergutmachung immaterieller Schäden erfolgt schließlich in Form der Genugtuung (Art. 37 der ILC-Artikel). Eine Genugtuung kommt dann in Betracht, wenn durch völkerrechtliches Unrecht erlittene Nachteile nicht durch Restitution oder Schadensersatz ausgeglichen werden können (Art. 37 I der ILC-Artikel). Die Genugtuung besteht zumeist in der ausdrücklichen Übernahme der Verantwortung für das völkerrechtswidrige Verhalten sowie in der förmlichen Erklärung des Bedauerns durch den entsprechenden Staat.606 Eine Genugtuung kann aber auch mittels finanzieller Leistungen erfolgen.607 Der Unterschied zum Schadensersatz besteht dann in dem jeweils verfolgten Zweck: Während die Leistung von Schadensersatz den

601 Englische Fassung des Art. 36 II: „The compensation shall cover any financially assessable damage including loss of profits insofar as it is established.“ 602 Unter diplomatischen Schutz versteht man den Schutz natürlicher Personen gegenüber völkerrechtswidrigen Handlungen eines fremden Staates durch den Heimatstaat, s. Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 24 Rdn. 31. Die Ausübung diplomatischen Schutzes für Schäden von Staatsangehörigen ist im Zusammenhang mit der traditionellen Konzeption des Völkerrechts zu sehen, die das Individuum typischerweise als einen sich im Ausland aufhaltenden „Fremden“ kennt [s. ausführlich zur traditionellen Konzeption des Völkerrechts unten Teil 2, Gliederungspunkt B. II.]. Diesem Fremden gegenüber gelten im Aufenthaltsstaat gewisse Mindeststandards (sog. Fremdenrecht), die der Heimatsstaat im Falle der Verletzung eben durch Ausübung diplomatischen Schutzes gegenüber dem Verletzerstaat geltend machen kann. 603 Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 36 Rdn. 5; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 186 II 1. 604 Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 36 Rdn. 8 ff.; zu Beispielen, in denen gerichtlich oder vertraglich die Zahlung von Schadensersatz für völkerrechtswidrige Todesfälle festgelegt wurde, s. auch Shelton, Remedies in International Human rights Law, S. 66 ff. 605 Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 73; auf entsprechende vertragliche Übereinkommen verweist Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 186 V, Fn. 49. 606 Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 37 Rdn. 6; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 187 III 1; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 40 Rdn. 67; Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 75. 607 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 186 III 1; Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 75.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

wirtschaftlichen Ausgleich von erlittenen Nachteilen bezweckt, kommt der Geldleistung im Rahmen der Genugtuung bloß symbolische Wirkung zu.608 Wie bereits in Teil 2, Gliederungspunkt A. III. im Überblick zur Prüfungsfolge der Staatenverantwortlichkeit kurz skizziert sind die Regelungen der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit auf die Wiederherstellung der völkerrechtsgemäßen Lage im zwischenstaatlichen Verkehr ausgerichtet und nehmen die (Primär- und Sekundär-)Rechtsstellung des infolge völkerrechtswidrigen Handelns eines Staates geschädigten Individuums nicht mit in die Betrachtung auf. Dementsprechend handelt es sich bei den hier unter Gliederungspunkt A. VI. dargestellten Rechtsfolgen völkerrechtswidrigen Handelns, die den Gegenstand des Zweiten Teil der ILC-Artikel ausmachen, um solche, die vornehmlich im Verhältnis zwischen Staaten, unter anderem durch Ausübung diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat des verletzten Individuums gegenüber dem Verletzerstaat (s. oben), geltend gemacht werden.

VII. Die Beteiligten der infolge der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates entstehenden Rechtsbeziehungen Die Beteiligten der infolge der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit entstehenden Rechtsbeziehungen sind einerseits das Völkerrechtssubjekt, durch dessen Verhalten das Völkerrecht verletzt worden ist (hier: BRD), und andererseits das Völkerrechtssubjekt, das von der Völkerrechtsverletzung betroffen ist.609 Betroffen und damit passiv beteiligtenfähig ist derjenige, dessen völkerrechtliches (Primär-)Recht durch das Verhalten des anderen Völkerrechtssubjektes verletzt worden ist.610 Entscheidend für die passive Beteiligtenfähigkeit ist also die (Primär-)Rechtsträgerschaft des vom Handeln eines anderen Völkerrechtssubjektes betroffenen Subjektes. Als Passivbeteiligte der infolge der Staatenverantwortlichkeit entstehenden neuen Rechtsbeziehungen kommen somit alle Subjekte in Betracht, die von der Völkerrechtsordnung unmittelbar mit eigenen Rechten ausgestattet werden.611 In Bezug auf – durch das militärische Handeln von Staaten – betroffene Individuen hieße das: Sind diese mit (Primär-)Rechten ausgestattet, dann folgt daraus denknot608 Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 36 Rdn. 4; Dahm/Delbrück/ Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 186 III 1; Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 75. 609 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 173 VI 1; Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 17. 610 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 17. 611 Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 22 f.

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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wendig die Verletzbarkeit dieser Rechte, womit Individuen als passivbeteiligt und somit als Deliktsobjekt anzusehen wären.612 Ob dies in Bezug auf Individuen aber tatsächlich der Fall ist, ob sie also als (Primär-)Rechtsträger und damit als Deliktsobjekt im Völkerrecht in Betracht kommen – diese Frage soll ausführlich in Teil 2, Gliederungspunkt B. untersucht werden. Was die ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit jedenfalls anbelangt, so sind Individuen als Inhaber von (Primär-)Rechten und damit als Beteiligte der infolge einer Völkerrechtsverletzung entstehenden neuen (sekundären) Rechtsbeziehungen im System der Staatenverantwortlichkeit nicht vorgesehen [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. III.], wenngleich die ILC-Artikel auch nicht die Möglichkeit ausschließen, dass ein völkerrechtswidriges Handeln eines Staates auch Rechtswirkungen im Verhältnis dieses Staates zu einem Völkerrechtssubjekt, bei dem es sich nicht um einen Staat handelt, entfaltet (s. Art. 33 II der ILC-Artikel).

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden Unter Gliederungspunkt B. des völkerrechtlichen Teils dieser Arbeit wird es im Kern darum gehen herauszuarbeiten, ob im Völkerrecht ein völkervertraglicher oder aber völkergewohnheitsrechtlicher Individualanspruch wegen Kriegsschäden besteht, die aus einer Verletzung des (humanitären) Völkerrechts herrühren, und der sich gegen den verantwortlichen Staat, hier: BRD, richtet. Die ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit, die der unter Gliederungspunkt A. des Ersten Teils vorgenommenen Darstellung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der BRD für das Verhalten von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz zugrunde liegen, nehmen einzig – wie bereits angedeutet – die infolge einer Verletzung des Völkerrechts entstehenden Rechtsbeziehungen zwischen dem verletzten Staat und dem verletzenden Staat in den Blick.613 Insofern sind die ILC-Artikel auf einer Linie mit der klassischen Sicht des Völkerrechts,614 wonach allein den Staaten Völkerrechtssubjektivität zuerkannt wird und im Falle der Verletzung eines Staatsangehörigen nicht etwa von einer Verletzung des Individuums, sondern von einer Ver612 s. auch Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 30; Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 23. Für eine passive Beteiligtenfähigkeit von Individuen sprechen sich beispielsweise aus: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 173 VI 3. 613 s. auch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 140. 614 Diese Ansicht vertritt z. B. Schröder, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. VII Rdn. 32; s. zu dieser – traditionellen – Ansicht im Völkerrecht auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 173 VI 3, § 182 III 1; Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 7 Rdn. 1 ff.; Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 24 f.; Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 59. Zur traditionellen völkerrechtlichen Sicht bezogen auf Verletzungen des humanitären Völkerrechts s. auch Sassli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC 84 (2002), 401 [418].

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

letzung des Heimatstaates auszugehen ist, die dieser durch Ausübung diplomatischen Schutzes gegenüber dem Verletzerstaat geltend macht. Unter Gliederungspunkt B. soll nun die derzeitige Völkerrechtslage daraufhin untersucht werden, ob dem infolge einer Völkerrechtsverletzung durch BundeswehrSoldaten im Auslandseinsatz geschädigten Individuum mittlerweile ein völkerrechtlicher Individualanspruch gegen die BRD erwächst. Dass die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates für zurechenbares völkerrechtswidriges Verhalten möglicherweise auch Rechtsfolgen gegenüber dem geschädigten Individuum entfalten kann, wird auch durch die – auf die Folgen völkerrechtswidrigen Handelns im zwischenstaatlichen Verkehr ausgerichteten – ILC-Artikel nicht in Frage gestellt: Art. 33 II der ILC-Artikel erkennt die Möglichkeit eines individuellen Entschädigungsanspruches gegen den verantwortlichen Staat an, der unabhängig von der Mitwirkung des Heimatstaates mittels Ausübung diplomatischen Schutzes geltend gemacht werden kann.615 Grund dafür, dass Staaten nicht mehr als die einzigen Völkerrechtssubjekte anzusehen sind und Individuen womöglich als Rechtsträger auf völkerrechtlicher Ebene und damit als Beteiligte von Sekundärrechtsbeziehungen in Betracht kommen, sind jüngere Entwicklungen im Völkerrecht: Allgemein betrachtet hat die Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes nach 1945 [s. auch Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. d) aa)] auf universeller und regionaler Ebene zur Herausbildung völkerrechtlicher Individualrechte geführt. Die – insbesondere durch die Kriegsverbrecherprozesse im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda vorangetriebene – Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. e)] komplementiert den völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz, indem sie für schwere Verfehlungen von Individualpersonen, unter anderem schwere Verletzungen der Menschenrechte, eine individuelle völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit vorsieht. Angesichts dieser Entwicklungen sprechen manche gar von einer „Humanisierung“616 oder „Privatisierung“617 des Völkerrechts. Konkret betrachtet, also bezogen auf völkerrechtliche Individualansprüche wegen Kriegsschäden, haben unter anderem die „Basic principles and guidelines“618 der UN-Menschenrechtskommission (UNCHR) der These, dass das Völkerrecht für kriegsgeschädigte Individuen einen Anspruch gegen den verantwortlichen Staat bereithält,619 weitere Nahrung gegeben 615

s. Crawford, The ILCs Articles on State Responsibility, Art. 33 Rdn. 4; auch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 141. 616 Meron, The Humanization of International Law. 617 Dörr, „Privatisierung“ des Völkerrechts, in: JZ 60 (2005), 905 ff. 618 „Basic principles and guidelines on the right to a remedy and reparation for victims of gross violations of international human rights law and serious violations of international humanitarian law“, die am 13. 04. 2005 von der UN-Menschrechtskommission verabschiedet wurden (s. UN Doc. E/CN.4/2005/L.48) und am 24. 10. 2005 dann von der UN-Generalversammlung angenommen wurden (s. UN Doc. A/C.3/60/L.24). 619 So jüngst Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [301 ff.; 331; 376].

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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– eine These, die in der Völkerrechtsliteratur seit einiger Zeit kontrovers diskutiert wird.620 Aus deutscher, aber auch aus völkerrechtlicher Sicht ist vor allem die Ent620 s. dazu: Alam, Is there any Right to Remedy for Victims of Violations of International Humanitarian Law?, in: HUV-I 19 (2006), 178 [179 ff.]; DArgent, Compliance, Cessation, Reparation and Restitution in the Wall Advisory Opinion, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 463 [473 f.]; Bassiouni, International Recognition of Victims Rights, in: HRLR 6 (2006), S. 203 ff.; Baufeld, Die schadensersatzrechtliche Stellung ziviler Opfer von militärischen Operationen, in: JZ 62 (2007), 502 [503 ff.]; Bong, Compensation for Victims of Wartime Atrocities, in: JICJ 3 (2005), 187 ff.; Gasser, Humanitäres Völkerrecht, S. 222; Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [190 ff.]; Frulli, When are States Liable Towards Individuals for Serious Violations of Humanitarian Law? The Markovic´ Case, in: JICJ 1 (2003), 406 ff.; Gillard, Reparation for violations of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 529 [535 ff.]; Graefrath, Schadensersatzansprüche wegen Verletzungen des humanitären Völkerrechts, in: HUV-I 14 (2001), 110 [113 ff.]; Greenwood, International Humanitarian Law, in: Kalshoven (Ed.), The Centennial of the First International Peace Conference, S. 161 [250]; Hagelberg, Die völkerrechtliche Verfügungsbefugnis des Staates über Rechtsansprüche von Privatpersonen, S. 182 ff.; Heintschel von Heinegg, Entschädigungen für Verletzungen des humanitären Völkerrechts, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 1 [25 f., 32 f., 39, 49]; Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [132 ff.]; Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 ff.; Igarashi, Post-war Compensation Cases, Japanese Courts and International Law, in: JAIL 43 (2003), 45 ff.; Kadelbach, Staatenverantwortlichkeit für Angriffskriege und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/ Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 63 [81 ff.]; Kalshoven, State Responsibility for Warlike Acts of the Armed Forces, in: ICLQ 40 (1991), 827 [836]; N. Klein, State Responsibility for International Humanitarian Law Violations and the Work of the Eritrea Ethiopia Claims Commission So Far, in: GYIL 47 (2004), 214 [218 ff.]; Lee, The Right of Victims of War to Compensation, in: Macdonald (Ed.), Essays in honour of Wang Tieya, S. 489 ff.; McDonald, The Development of a Victim-centered Approach to International Criminal Justice for Serious Violations of International Humanitarian Law, in: Carey/Dunlap/Pritchard (Eds.), International Humanitarian Law, Bd. 3: Prospects, S. 237 [246 ff.]; Pisillo Mazzeschi, Reparation Claims by Individuals for State Breaches of Humanitarian Law and Human Rights: An Overview, in: JICJ 1 (2003), 339 [340 ff.]; Provost, International Human Rights and Humanitarian Law, S. 45 ff.; Ronzitti, Compensation for violations of the law of war and individual claims, in: IYIL 12 (2002), 39 ff.; Sassli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC 84 (2002), 401 [418 ff.]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 80 ff.; Selbmann, Entschädigungsansprüche bei Verstößen gegen das Völkerrecht, in: NJ 61 (2007), 102 [103]; Terwiesche, Kriegsschäden und Haftung der Bundesrepublik Deutschland, in: NVwZ 23 (2004), 1324 ff.; Tomuschat, Reparation in Favour of Individual Victims of Gross Violations of Human Rights and International Humanitarian Law, in: Kohen (Ed.), Promoting justice, human rights and conflict resolution through international law. Liber Amicorum Lucius Caflisch, S. 569 [576 ff.]; Tomuschat, Individual Reparation Claims in Instances of Grave Human Rights

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

scheidung des BGH vom 2. November 2006 in der Rechtssache Varvarin von Bedeutung, in der der BGH das Bestehen eines völkerrechtlichen Individualanspruches wegen Kriegsschäden allerdings verneint.621 Es soll in dieser Einführung zudem nicht unterschlagen werden, dass das Thema „Völkerrechtliche Individualansprüche wegen Kriegsschäden“ naturgemäß eine gewisse politische Brisanz in sich birgt [s. dazu auch die Rechtsprechung nationaler Gerichte zu völkerrechtlichen Individualansprüchen in Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) bb)]. Auf der einen Seite stehen die Belange der geschädigten und unschuldigen zivilen Opfer, die durch die Kampfhandlungen der ausländischen Soldaten verletzt oder gar getötet worden sind. Auf der anderen Seite stehen die Belange der an den Kampfhandlungen teilnehmenden Staaten oder Allianzen, die auf die Notwendigkeit des Einsatzes von Waffengewalt und damit zwangsläufig verbundene – wenn auch nicht beabsichtigten – Verluste unter der Zivilbevölkerung sowie ihren (außen-)politischen Handlungsspielraum verweisen werden. Außerdem ließe sich von Staatenseite die nicht unbegründet erscheinende Sorge ins Feld führen, dass ein vor nationalen Gerichten durchsetzbarer völkerrechtlicher Individualanspruch womöglich zu einer Überforderung der nationalen Gerichtsbarkeit in quantitativer und qualitativer Hinsicht führen könnte. Während sich also unter (völker-)rechtlichen Gesichtspunkten die Frage stellt, ob der derzeitige Entwicklungsgrad des Völkerrechts bereits Raum für die Annahme eines Individualanspruches wegen Kriegsschäden bietet, so stellt sich vor dem Hintergrund des soeben grob skizzierten politischen Interessenkonflikts vor allem die Frage, ob ein – etwa vor nationalen Gerichten durchsetzbarer – völkerrechtlicher Individualanspruch wegen Kriegsschäden tatsächlich einen Beitrag zu einem vernünftigen, interessengerechten Ausgleich und einer Befriedigung der Gesamtsituation leisten kann. Zum Schluss dieser Einführung in das Thema der völkerrechtlichen Rechte von kriegsgeschädigten Individuen soll das weitere methodische Vorgehen unter Gliederungspunkt B. auf dem Weg zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines völkerrechtlichen Individualanspruches wegen Kriegsschäden offengelegt werden:

Violations, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 1 [13, 25]; Tomuschat, Reparation for Victims of Grave Human Rights Violations, in: TJICL 10 (2002), 157 [161 ff., 173 f.]; van Dyke, The Fundamental Human Right to Prosecution and Compensation, in: DJILP 29 (2001), 77 ff.; Zegveld, Remedies for victims of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 497 [503 ff.]; A. Zimmermann, Responsibility for Violations of International Humanitarian Law, International Criminal Law and Human Rights Law, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 215 [220 f.]; s. außerdem die für das ILA-Komitee „Compensation for Victims of War“ erstatteten Berichte von Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report und von Schwager/Bank, An Individual Right to Compensation for Victims of Armed Conflicts, die beide im Internet unter www.ila-hq.org/html/layout_committee.htm verfügbar sind (nachgesehen am 25. 07. 2009). 621 BGHZ 169, 348 [351, Ziff. 5, 352 f., Ziff. 9].

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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Unter Gliederungspunkt B. I. werden zunächst die Parameter festgelegt, die die Vorgaben für die weitere Untersuchung bilden. Unter Gliederungspunkt B. II. wird dann der Versuch unternommen, herauszuarbeiten, ob bzw. inwieweit der allgemeine Verantwortlichkeitsgrundsatz, der sich zunächst im zwischenstaatlichen Verkehr entwickelt hat und besagt, dass die Verletzung eines völkerrechtlichen Primärrechts ein entsprechendes Sekundärrecht nach sich zieht, auf das Verhältnis (verantwortlicher) Staat – (geschädigtes) Individuum übertragbar ist. Im Anschluss werden unter Gliederungspunkt B. III. sowohl das Völkervertragsrecht [s. Gliederungspunkt B. III. 1.] als auch das Völkergewohnheitsrecht [s. Gliederungspunkt B. III. 2.] nach Normen durchkämmt, die einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden vorsehen. Daran schließt sich unter Gliederungspunkt B. IV. zunächst eine Bewertung der Situation de lege lata an, während unter Gliederungspunkt B. V. nach Lösungen de lege ferenda Ausschau gehalten wird.

I. Parameter der Untersuchung eines völkerrechtlichen Individualanspruches wegen Kriegsschäden Völkerrechtssystematisch gesehen handelt es sich bei einem Individualanspruch wegen Kriegsschäden, der aus einer Verletzung eines völkerrechtlichen (Primär-)Rechts resultiert und auf eine (materielle und/oder immaterielle) Wiedergutmachung der erlittenen Schäden in Form der Restitution, des Schadensersatzes oder der Genugtuung gerichtet ist, um einen Sekundäranspruch [s. zur Systematik völkerrechtlicher Primär- und Sekundärnormen bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. I.]. Unter Gliederungspunkt B. wird das Bestehen eines solchen Sekundäranspruches wegen Kriegsschäden untersucht. Dabei soll vor allem die materielle Rechtsgrundlage für einen solchen Sekundäranspruch anhand des Völkervertragsrechts und Völkergewohnheitsrechts ausfindig gemacht werden – ohne indes näher auf das vermeintliche Erfordernis einer prozessualen Befugnis auf völkerrechtlicher Ebene, also der Möglichkeit einer Geltendmachung eines unterstellten Sekundäranspruches resultierend aus Verletzungen des humanitären Völkerrechts in einem völkerrechtlichen Verfahren, eingehen zu wollen.622 Sollte das Ergebnis dieser individualrechtli622 Es ist in der Völkerrechtslehre umstritten, ob eine völkerrechtliche Individualberechtigung zusätzlich zur Inhaberschaft völkerrechtlicher Primär- und Sekundärrechte auch die prozessuale Befugnis erfordert, die eigenen Rechte in einem völkerrechtlichen Verfahren geltend zu machen. Für eine Übersicht dieses Streits s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 83 ff. Gegen das Erfordernis einer solchen prozessualen Befugnis spricht sich z. B. Randelzhofer aus, s. Randelzhofer, The Legal Position of the Individual under Present Law, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 231 [233 f.]. Ihm folgen u. a. Pisillo Mazzeschi, Reparation Claims by Individuals for State Breaches of Hu-

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

chen Untersuchung unter Gliederungspunkt B. positiv ausfallen, das Völkerrecht also genug materielle Anhaltspunkte für das Bestehen eines individuellen Sekundäranspruches hergeben, dann könnten beispielsweise (ausländische) Zivilisten, die bei manitarian Law and Human Rights, in: JICJ 1 (2003), 339 [343] und Provost, International Human Rights and Humanitarian Law, S. 16, 42 ff. Gegen das Erfordernis einer solchen prozessualen Erfordernis auf völkerrechtlicher Ebene s. auch jüngst Kommentierung von Hofmann zu Art. 6 des ILA-Entwurfes zu völkerrechtlichen Prinzipien der Entschädigung von Kriegsopfern, abgedruckt in: ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Draft Declaration of International Law Principles on Compensation for Victims of War, S. 8 (im Internet verfügbar unter http://www.ila-hq.org/, Stichwort: „Committees“ › „List of Committees“ › „Compensation for Victims of War“, nachgesehen am 25. 07. 2009). Demgegenüber spricht sich beispielsweise Epping für das Erfordernis einer prozessualen völkerrechtlichen Befugnis aus, da nur eine „verfahrensmäßige Durchsetzbarkeit“ zur „Rechtsverwirklichung“ führe, s. Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 7 Rdn. 5. Wie Epping bekräftigt auch Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [328 ff., 342], dass von einem Individualrecht nur bei entsprechender Befugnis zur Durchsetzung des Rechts in einem völkerrechtlichen Verfahren ausgegangen werden könne und widerspricht damit der individualrechtlichen Auslegung von Art. 36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen durch den IGH im LaGrand-Fall, der in dieser Entscheidung von dem Erfordernis des verfahrensrechtlichen Schutzes für die Annahme eines Individualrechtes abrückt. Neue Entwicklungen zum diplomatischen Schutz wie die ILC Draft Articles on Diplomatic Protection zeigen aber, dass das Bestehen eigener Rechte des Individuums durchaus unabhängig von der prozessualen Befugnis zur Geltendmachung dieser Rechte sein kann, s. Kommentierung zu Art. 1 Ziff. 4 – 5 der ILC Draft Articles on Diplomatic Protection, abgedruckt in: Report of the International Law Commission, 58th Session (2006), Official Records of the General Assembly, 61st Session, Supplement No. 10 (UN Doc. A/61/10), S. 22 ff.; zu diesen Entwicklungen im Bereich des diplomatischen Schutzes s. auch Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/ Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [171 f.]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 86. Dörr etwa verweist auf die Rechtsprechung des StIGH in der Rechtssache „Courts of Danzig“, wonach subjektive Rechte Einzelner in einem völkerrechtlichen Vertrag begründet werden könnten und dafür auf den entsprechenden Willen der Vertragsparteien – und nicht etwaige prozessuale Durchsetzungsmechanismen – abzustellen sei, s. Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10. 12. 2003, in: JZ 59 (2004), 574 [575]. Überdies dürfte gerade für den Bereich des humanitären Völkerrechts fraglich sein, ob an dem vermeintlichem Erfordernis einer prozessualen Befugnis auf völkerrechtlicher Ebene festgehalten werden kann: Denn es gibt – das sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen – kein internationales Forum, vor dem ausdrücklich Verletzungen des humanitären Völkerrechts geltend gemacht werden können (s. nur Provost, International Human Rights and Humanitarian Law, S. 50), und es erscheint auch für die Zukunft überaus zweifelhaft, ob ein solches Verfahren etabliert werden wird (s. Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [192]). Dieser Befund hätte aber – mit Epping – zufolge, dass das humanitäre Völkerrecht nach derzeitigem Stand und in Zukunft dem Individuum keine völkerrechtliche Rechte gewährt bzw. gewähren wird – eine These, die sich, wie noch zu zeigen sein wird, so nicht aufrecht erhalten lässt. Insgesamt lässt sich also festhalten, dass im Völkerrecht zunehmend Individualrechte anerkannt werden, ohne dass es hierfür eines völkerrechtlichen Durchsetzungsmechanismus bedürfte. In diesem Sinne mit Blick auf die zitierten Entscheidungen des StIGH und des IGH auch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 87.

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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Auslandseinsätzen der Bundeswehr unter Verletzung humanitärrechtlicher Bestimmungen geschädigt wurden, Ansprüche auf Schadensersatz gegen die BRD vor nationalen, deutschen Gerichten geltend machen.623 Was die erstrebte Rechtsfolge, also die Zahlung von Schadensersatz, anbelangt, so sei – in terminologischer Hinsicht – darauf hingewiesen, dass „compensation“ bzw. Schadensersatz im Völkerrecht eine Form der „reparation“ darstellt. „Reparation“ wird im deutschen Sprachgebrauch mit „Wiedergutmachung“ übersetzt.624 Sofern in dieser Arbeit mit dem Begriff der Wiedergutmachung (bzw. der „reparation“) gearbeitet wird, ist Wiedergutmachung daher als Oberbegriff der sich aus völkerrechtswidrigem Handeln ergebenden Rechtsfolgen (Restitution; Schadensersatz; Genugtuung) zu verstehen. Es sollte keiner besonderen Hervorhebung bedürfen, dass das Bestehen eines Individualanspruches wegen Kriegsschäden nach dem gegenwärtigen Stand des Völkerrechts beurteilt wird. Diese Maßgabe gilt sowohl für die Auslegung völkervertraglicher Vorschriften (hier: Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I), die nicht beim zur Zeit der Entstehung der Vorschriften vorherrschenden Völkerrechtsverständnis verharren darf,625 als auch für die Analyse völkergewohnheitsrechtlicher Entwicklungen. Schwerpunktmäßig wird unter Gliederungspunkt B. das Normregime des humanitären Völkerrechts auf Anhaltspunkte für das Bestehen eines Individualanspruches wegen Kriegsschäden hin untersucht [s. auch bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. d) bb)]. Das heißt allerdings nicht, dass die – bereits in Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. d) bzw. Gliederungspunkt A. IV. 1. e) behandelten – menschenrechtlichen und völkerstrafrechtlichen Bestimmungen im Rahmen der Ermittlung eines Sekundäranspruches außer Betracht bleiben: Es soll an den entsprechenden Stellen zum einen dargelegt werden, inwiefern die Menschenrechte und das Völkerstrafrecht die Gestalt des humanitären Völkerrechts bis zum heutigen Zeitpunkt beeinflusst haben, und zum anderen der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich aus den Wertungen der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts möglicherweise Auswirkungen im Hinblick auf das Bestehen eines Individualanspruches wegen Kriegsschäden ergeben können. Wie sich aus dem Titel der Promotion unschwer ergibt, ist das Augenmerk der Arbeit auf die Untersuchung von Individualansprüchen gegen den für die Verletzung des humanitären Völkerrechts verantwortlichen Staat gerichtet. 623 Es bestünde dann auch die Möglichkeit einer Klage gegen die BRD vor nationalen, ausländischen Gerichten. Dieser Weg würde allerdings Fragen der Staatenimmunität aufwerfen [s. unten Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) bb) sowie Teil 3, Gliederungspunkt B. VII. 2.]. 624 s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 80; zur Illustrierung s. deutsche und englische Fassung des Art. 31 I der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit: In der deutschen Fassung des Art. 31 I heißt es: „Der verantwortliche Staat ist verpflichtet, volle Wiedergutmachung für den […] Schaden zu leisten.“ In der englischen Fassung heißt es: „The responsible State is under an obligation to make full reparation for the injury […].“ 625 s. Art. 31 III lit. b) WVK, wonach „jede spätere Übung“ bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages zu berücksichtigen ist.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Aber nicht nur in völkerrechtlicher Hinsicht, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht muss eine Justierung des Untersuchungsblickwinkels vorgenommen werden: Den tatsächlichen Gegenstand der Untersuchung bilden zahlenmäßig überschaubare Fälle, in denen es zu Verletzungen des humanitären Völkerrechts und Schädigungen der Zivilbevölkerung kommt – und nicht etwa Fälle massenhafter Verletzungen des Völkerrechts wie zum Beispiel ethnische Säuberungen in einem Staat durch eingefallene ausländische Soldaten [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b)].626 Das hat für die Untersuchung unter anderem zur Folge, dass – über rein völkerrechtliche Kategorien hinausgehende – Erwägungen, die im Zusammenhang mit Fällen massenhafter Verletzungen des Völkerrechts anzustellen sind,627 allenfalls angedeutet, keinesfalls aber eingehend vertieft werden können.

II. Übertragung des allgemeinen Verantwortlichkeitsgrundsatzes In systematischer Hinsicht sei zunächst rekapituliert, dass der Anwendungsbereich der Normen über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit und daraus resultierender Ansprüche auf Restitution, Schadensersatz oder aber Genugtuung erst bei Verletzung völkerrechtlicher Primärnormen, das sind Normen, die Rechte sowie (Handlungs- und Unterlassungs-)Pflichten begründen, eröffnet ist, weswegen die Normen zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit auch als Sekundärnormen bezeichnet werden. Ausgehend von dieser Systematik kann somit konstatiert werden, dass einem Völkerrechtssubjekt dann ein Sekundärrecht erwachsen müsste, wenn es durch das völkerrechtswidrige Handeln eines anderen Völkerrechtssubjektes in einem seiner Primärrechte verletzt worden ist. Auf den hier interessierenden (sekundären) Individualanspruch wegen Kriegsschäden bezogen heißt das: Will man dem im Zuge der Verletzung humanitärrecht626 s. zu dieser Differenzierung zwischen zahlenmäßig überschaubaren Fällen und massenhaften, großflächigen Verletzungen des humanitären Völkerrechts im Hinblick auf einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden auch Tomuschat, Reparation for Victims of Grave Human Rights Violations, in: TJICL 10 (2002), 157 [183]. 627 Zu diesen Erwägungen im Zusammenhang mit Fällen massenhafter Verletzungen des (humanitären) Völkerrechts s. auch: Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [174]; Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 [358 f.]; Tomuschat, Individual Reparation Claims in Instances of Grave Human Rights Violations, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 1 [18 ff.]. Es wird u. a. geltend gemacht, dass in solchen Fällen die Abwicklung von Individualansprüchen wegen Kriegsschäden aufgrund der schieren Masse praktisch unmöglich sein und im Übrigen die Gewährung von Individualansprüchen kein angemessenes Instrument sei, um eine Befriedigung der Gesamtsituation zu erreichen.

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licher Bestimmungen geschädigten Individuum einen Sekundäranspruch auf Wiedergutmachung und damit Schadensersatz gegen den verantwortlichen Staat einräumen, so setzt dies – nach der Systematik der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit – zunächst voraus, dass das Individuum in einem ihm durch das humanitäre Völkerrecht eingeräumten (Primär-)Recht verletzt worden ist. Es stellt sich dementsprechend die Frage, ob Individuen generell als Träger völkerrechtlicher (Primär-)Rechte in Betracht kommen: Nach der traditionellen zwischenstaatlichen Konzeption des Völkerrechts wurden allein Staaten als Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten angesehen, wohingegen Individualpersonen die Eigenschaft abgesprochen wurde, Inhaber von Rechten und Adressaten von Pflichten auf der Ebene des Völkerrechts zu sein.628 Im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit wurden bei völkerrechtswidrigem Handeln eines Staates, das Schäden an Individualpersonen zu Folge hatte, nicht etwa die geschädigten Individualpersonen,629 sondern der Heimatstaat als verletzt betrachtet, und zwar in seinem Recht darauf, dass das Völkerrecht in der Person seiner Staatsangehörigen beachtet werde.630 Im Wege des diplomatischen Schutzes machte der Staat dann den ihm infolge der Schädigung seiner Staatsangehörigen und Verletzung seines eigenen Rechts erwachsenden Anspruch auf Wiedergutmachung geltend. Das Individuum war also nur über seinen Heimatstaat mit dem Völkerrecht verbunden und damit durch diesen gewissermaßen „mediatisiert“.631 628 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, § 109 I 1; Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 7 Rdn. 1; Franck, Individuals and Groups of Individuals as Subjects of International Law, in: Hofmann (Ed.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, S. 97 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 12 Rdn. 1; Herrmann, Aktueller Fall: Recht auf Leben nicht einklagbar? Das Varvarin-Urteil des LG Bonn, in: HUV-I 17 (2004), 79 [81]; Partsch, Individuals in International Law, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 2, S. 958; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 81; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 494. 629 s. z. B. Anzilotti, La responsabilit internationale des Etats  raison des dommages soufferts par des trangers, in: RGDIP 13 (1906), 5: „Il suit de l que la conduite dun Etat, toute contraire quelle soit au droit international, ne saurait jamais donner naissance  un droit de lindividu  la rparation du dommage souffert; en dautres termes, il ny a pas de responsabilit de lEtat envers lindividu fonde sur le droit international.“ 630 s. Rechtsprechung des StIGH, The Mavrommatis Palestine Concessions, Judgment of 30. 08. 1924, Series A, No. 2, S. 12 (im Internet verfügbar unter http://www.icj-cij.org/pcij/ index.php?p1=9, nachgesehen am 25.07.2009): „… by taking up the case of one its subjects and by resorting to diplomatic action or international judicial proceedings on his behalf, a state is in reality asserting its own rights – its rights to ensure, in the person of its subjects, respect for the rule of international law.“ Diese (Eigenrechts-)Theorie lässt sich wohl auf Überlegungen des Schweizer Völkerrechtlers de Vattel zurückführen, vgl. de Vattel, Le Droit des gens ou principes de la loi naturelle, S. 132: „Quiconque maltraite un Citoyen offense indirectement lEtat qui doit proteger ce Citoyen.“ Zum Vattelschen System s. auch Franck, Individuals and Groups of Individuals as Subjects of International Law, in: Hofmann (Ed.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, S. 97 ff. 631 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, § 109 I 1; Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 7 Rdn. 1; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 494; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 81.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Die Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes nach 1945 hat die Mediatisierung des Individuums durch seinen Heimatstaat aufgebrochen:632 Erstmals wird Individualpersonen die Befugnis zuerkannt, vor völkerrechtlichen Instanzen und Gerichten die Verletzung eigener (völkervertraglicher) Rechte geltend zu machen.633 Bereits 1928 in seinem Gutachten in der Rechtssache Jurisdiction of the Courts of Danzig hatte sich der StIGH auf den Standpunkt gestellt, dass subjektive Rechte Einzelner in einem völkerrechtlichen Vertrag begründet werden können.634 Das Völkerstrafrecht komplementiert diese Entwicklung auf der Pflichtenseite, indem der Einzelne für sein (kriminelles) Handeln völkerstrafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Heute ist allgemein akzeptiert, dass Individuen in einzelnen, vor allem menschenrechtlichen Regelungsbereichen als völkerrechtliche Rechts- und Pflichtenträger und damit als partielle Völkerrechtssubjekte einzuordnen sind.635 Das Urteil des IGH im Fall LaGrand636 ebnet den Weg hin zur Anerkennung von Individualrechten auch jenseits der Menschenrechtsgarantien.637 Generell lässt sich also im Hinblick auf die Rechtsträgerschaft von Individuen die Feststellung treffen: Der Einzelne kann nach dem gegenwärtigen Stand des Völkerrechts Inhaber völkerrechtlicher (Primär-)Rechte sein.638

632 s. auch Müller, Wo Souveränität endet, in: FAZ vom 16.05.2008, der davon spricht, dass der Mensch „vom Rand in die Mitte“ des Völkerrechts gerückt sei. 633 Dörr, „Privatisierung“ des Völkerrechts, in: JZ 60 (2005), 905 [906 f.]; Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 7 Rdn. 3; Hailbronner, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. III Rdn. 218. 634 s. StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig, Advisory Opinion of 03.03.1928, Series B, No. 15, S. 17 f. (im Internet verfügbar unter http://www.icj-cij.org/pcij/index.php?p1=9, nachgesehen am 25.07.2009). 635 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2, § 109 II; Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 7 Rdn. 3; Herdegen, Völkerrecht, § 12 Rdn. 2; Meron, The Humanization of International Law, S. 318; Partsch, Individuals in International Law, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 2, S. 958; Randelzhofer, The Position of the Individual under Present International Law, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 231 [235]; Stein/ von Buttlar, Völkerrecht, Rdn. 493. Für die Anerkennung der Rechtsträgerschaft von Individuen auf Völkerrechtsebene spricht sich auch der BGH in seinem Urteil in der Rechtssache Varvarin aus, s. BGHZ 169, 348 [351, Ziff. 7]. 636 IGH, LaGrand Case (Germany v. United States of America), Judgment of 27.06.2001 (verfügbar auf der Website des IGH unter http://www.icj-cij.org/homepage/index.php?lan g=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „1999“, nachgesehen am 25.07.2009) [= EuGRZ 28 (2001), 287 ff.]. 637 Zu dieser Bewertung des LaGrand-Urteils gelangt Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [313 f.]. 638 s. auch Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [301 f.]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 82 f.; Tomuschat, Individual Reparation Claims in Instances of Grave Human Rights Violations: The Position under General International Law, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 1 [10 ff.].

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Ob sich die Feststellung – Individuum ist Inhaber völkerrechtlicher Primärrechte – auch konkret für das Normregime des humanitären Völkerrechts aufrecht erhalten lässt, erscheint weit weniger eindeutig. Im humanitären Völkerrecht findet sich eine unübersichtliche Gemengelage vor aus althergebrachten Normen, die von dem Individuum als Völkerrechtssubjekt noch nichts wissen konnten, und aus solchen Bestimmungen neueren Datums, die den Einzelnen als Rechtsträger sehr wohl kennen. Auch für das humanitäre Völkerrecht wird man als Ausgangspunkt eine traditionelle, staatenorientierte Sicht zugrundelegen müssen, wonach Rechte und Pflichten ausschließlich den staatlichen Konfliktparteien zustehen.639 So wird es angesichts des um die Jahrhundertwende vorherrschenden Völkerrechtsverständnisses640 schwierig sein, der als Anhang zum IV. Haager Abkommen beigefügten Haager Landkriegsordnung von 1907 subjektive Rechte Einzelner zu entnehmen, was nicht zuletzt in Art. 2 HA-IV zum Ausdruck kommt [s. dazu auch Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. b)]. Aber nicht nur im menschenrechtlichen Bereich, sondern auch im humanitären Völkerrecht hat die staatenorientierte Sicht auf das Völkerrecht seit 1945 Risse bekommen: So spricht die – zeitlich der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nachfolgende und in deren Geist zu interpretierende – IV. Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen in Art. 8 von den „Rechte[n]“ der geschützten Personen, die diesen verliehen werden und auf die diese nicht verzichten können.641 Die erst recht von den menschenrechtlichen Entwicklungen der Nachkriegszeit geprägten Zusatzprotokolle von 1977 weisen Bestimmungen auf, die menschenrechtsähnlich formuliert und als Individualberechtigungen zu verstehen sind: So enthält zum Beispiel Art. 75 ZP-I grundlegende Garantien, die gegenüber allen von einem bewaffneten Konflikt betroffenen Personen einzuhalten sind, und stellt damit eine Art „allgemeiner Menschenrechtskatalog“642 für die besondere Situation eines bewaffneten Konfliktes dar.

639 s. zu diesem anfänglichen Verständnis im Bereich des humanitären Völkerrechts auch Aldrich, Individuals as Subjects of International Humanitarian Law, in: Makarczyk (Ed.), Theory of International Law at the Threshold of the 21st Century. Essays in honour of Krzysztof Skubiszewski , S. 851; Provost, International Human Rights and Humanitarian Law, S. 27; Zegveld, Remedies for victims of violations of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 497 [503]. 640 s. auch Randelzhofer, The Position of the Individual under Present International Law, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 231 [232]: „Until the beginning of the century the quality of the individual as a subject of public international law was not even raised as a question.“ 641 Zur Gewährung von Individualrechten durch die Genfer Abkommen von 1949 s. auch Meron, The Humanization of Humanitarian Law, in: AJIL 94 (2000), 239 [251 ff.]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 92. 642 s. Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 65.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Für die vorliegende Arbeit stellt sich insbesondere die Frage, ob die – dem Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen dienenden – Vorschriften der Art. 48 ff. ZP-I individuelle (Primär-)Rechte gewähren. Der vermeintliche Individualrechtscharakter der Art. 48 ff. ZP-I ist durch Auslegung näher zu ermitteln [ausführlich zu den theoretischen Grundlagen der Auslegung im Völkerrecht s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. a)]. Ausgehend vom heute herrschenden objektiven Ansatz, der ebenfalls Art. 31 WVK zugrunde liegt, ist eine völkervertragliche Norm vorrangig nach ihrem Wortlaut, nach ihrem systematischen Zusammenhang mit anderen Bestimmungen und gemäß ihrem Zweck und Ziel auszulegen.643 Was zum Beispiel Art. 51 ZP-I anbelangt, der das gewohnheitsrechtlich verfestigte Verbot von militärischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung und einzelne Zivilpersonen kodifiziert, so ist dort mehrfach die Rede von „einzelne[n] Zivilpersonen“ – eine Formulierung, die die Individualgerichtetheit von Art. 51 ZP-I nahelegt. In systematischer Hinsicht geben indes die Präambel und Art. 1 des ZP-I zu bedenken, dass durch das Erste Zusatzprotokoll allein die staatlichen Vertragsparteien verpflichtet werden. Allerdings dürfte dahinter wohl mehr das völkerrechtliche Konsensprinzip stehen als denn Überlegungen hinsichtlich eines Ausschlusses subjektiver Rechte des Individuums.644 Die Stellung von Art. 51 ZP-I im ersten Abschnitt des vierten Teils über den „Schutz [der Zivilbevölkerung; Anm. des Verfassers] vor den Auswirkungen von Feindseligkeiten“ könnte als weiteres Indiz für die Bezugnahme auf den Einzelnen zu deuten sein. Schließlich kommt es bei der Ermittlung von Ziel und Zweck des Art. 51 ZP-I entscheidend auf die Beantwortung der Frage an, ob Art. 51 ZP-I als Individualberechtigung oder aber als an die Staaten gerichteter Verhaltensmaßstab während der Austragung bewaffneter Konflikte aufzufassen ist. Auf der einen Seite ist anzuerkennen, dass Art. 51 ZP-I den Schutz der Zivilbevölkerung und „einzelne[r] Zivilpersonen“ vor den Auswirkungen militärischer Operationen beabsichtigt. Ausgehend vom völkerrechtlichen Effektivitätsgrundsatz645 könnte eine individualrechtliche Auslegung von Art. 51 ZP-I den intendierten Schutz von Zivilisten verbessern.646 Auch die zeitliche Einordnung des Ersten Zusatzprotokolls von 1977 und der damit nicht zu leug-

643

Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 I 3; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 5 ff.; Jennings/Watts (Eds.), Oppenheims International Law, Bd. I/2 – 4, S. 1271 ff. 644 Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10.12.2003, in: JZ 59 (2004), 574 [575]. 645 Zum völkerrechtlichen Effektivitätsgrundsatz im Rahmen der Auslegung völkerrechtlicher Verträge s. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 16. 646 s. zum Argument des besseren Schutzes des Einzelnen vor Völkerrechtsverletzungen durch eine – individualrechtliche – Auslegung von Art. 36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen durch den IGH im LaGrand-Fall Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [326 f.].

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nende Einfluss menschenrechtlicher Entwicklungen nach 1945647 würden vermuten lassen, dass – unter anderem – Art. 51 ZP-I als individualberechtigend einzuordnen ist.648 Auf der anderen Seite ist allerdings auch nicht zu verkennen, dass an vielen Stellen des Ersten Zusatzprotokolls die Vorstellung der Vertragsparteien durchschimmert, wonach die Bestimmungen des Zusatzprotokolls vor allem den Konfliktparteien Beschränkungen hinsichtlich der Art und Weise der militärischen Kriegsführung auferlegen649 und allenfalls vereinzelte Vorschriften650 individualrechtlich zu verstehen sind [zur Bestimmung des Drittschutzes von Art. 51 ZP-I im Rahmen der Amtshaftung s. Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 3. b) aa)]. Vor diesem teleologischen Hintergrund spricht einiges dafür, Art. 51 ZP-I als Vorschrift zu verstehen, die – vermittelt durch das Verbot von Angriffen auf die Zivilbevölkerung – letztlich der zwischenstaatlichen Kriegsführung Schranken setzt651 und dabei, gewissermaßen als Reflex, zum Schutz der Zivilpersonen beiträgt, nicht aber Individualrechte gewährt.652 Gleichwie man sich im Hinblick auf Art. 51 ZP-I in der Frage der Individualberechtigung aber auch entscheidet: Es steht außer Frage, dass das humanitäre Völkerrecht nach gegenwärtigem Stand der Dinge individuelle (Primär-)Rechte gewährt, wie zum Beispiel in Art. 75 ZP-I, die womöglich als Basis für entsprechende Sekundärrechte gerichtet auf Wiedergutmachung der erlittenen Schäden herhalten könnten.653 Nach der Anerkennung humanitärrechtlicher Primärrechte stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, ob aus der Verletzung individualbezogener Primärrechte zwangsläufig entsprechende Sekundärrechte des Individuums hervorgehen.

647 s. zum Einfluss der Menschenrechte auf die Genfer Abkommen von 1949 und die Zusatzprotokolle von 1977 auch Meron, The Humanization of Humanitarian Law, in: AJIL 94 (2000), 239 [245]. 648 Vgl. Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, in: ZaöRV 66 (2006), 699 [714]. Auch der BGH scheint in seinem Urteil zum Fall Varvarin Art. 51 ZP-I als individuelles Primärrecht einordnen zu wollen, s. BGHZ 169, 348 [353, Ziff. 11]. 649 Vgl. Aldrich, Individuals as Subjects of International Humanitarian Law, in: Makarczyk (Ed.), Theory of International Law at the Threshold of the 21st Century. Essays in honour of Krzysztof Skubiszewski , S. 851 [856]; Provost, International Human Rights and Humanitarian Law, S. 29 – 32. 650 Das sind vor allem die Art. 11, 45 und 75 des ZP-I. 651 s. z. B. auch UK Ministry of Defence, The Manual of the law of armed conflict, S. 51 ff. [= Handbuch des britischen Verteidigungsministeriums zum Recht des bewaffneten Konfliktes], das die Regeln zum Schutze der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen dem Kapitel „Conduct of hostilities“, also der Kriegsführung, zuordnet. 652 s. Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10.12.2003, in: JZ 59 (2004), 574 [575], der die individualrechtliche Lesart von u.a Art. 51 ZP-I mit dem Argument ablehnt, dass die Bestimmung nicht als subjektive Berechtigung, sondern als „objektiv-rechtliche[s] Verbot“ formuliert sei und der Schutz der in Art. 51 ZP-I als „Zivilbevölkerung“ umschriebenen Personengruppe in personeller Hinsicht zu unbestimmt sei, um einzelne Zivilisten zu Trägern eines entsprechenden subjektiven Rechts zu machen. 653 s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 92 ff.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Für diesen Automatismus spräche, dass es eigentlich in der Konsequenz des individualschützenden Charakters des jeweiligen Primärrechts liegen müsste, dass auch das korrespondierende Sekundärrecht individualschützend wäre.654 Ob sich aber der Grundsatz völkerrechtlicher Verantwortlichkeit, der besagt, dass die Verletzung völkerrechtlicher (Primär-)Rechte entsprechende Sekundärrechte des Verletzten nach sich zieht, wirklich ohne weiteres auf die Rechtsbeziehungen zwischen (verantwortlichem) Staat und (betroffenem) Individuum übertragen lässt, erscheint in mehrerer Hinsicht fraglich. Zwar kann der Zweck der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, der vornehmlich in der Wiedergutmachung und Genugtuung für völkerrechtliches Unrecht besteht,655 auch dann erfüllt werden, wenn Individuen – und nicht nur Staaten – als Inhaber von Sekundärrechten angesehen werden, da auch Individuen gegenüber Wiedergutmachung und Genugtuung erbracht werden können.656 Bedenken im Hinblick auf eine Übertragung des Verantwortlichkeitsgrundsatzes auf die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Individuum ergeben sich aber zum einen aus der dogmatischen Herleitung des Verantwortlichkeitsgrundsatzes: Der Grundsatz der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für völkerrechtswidriges Tun hat sich im Rahmen des herkömmlichen, auf zwischenstaatliche Beziehungen ausgerichteten Völkerrechts herausgebildet.657 Ausgehend von diesem historischen Kontext muss man die Entwicklung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit vor dem Hintergrund einer durch das Postulat der Staatengleichheit geprägten Völkerrechtsordnung sehen.658 Diese durch die Staatengleichheit geprägte Völkerrechtsordnung ist auf zwischenstaatlichen Konsens angelegt und beruht letztlich auf der gegenseitigen Beachtung völkerrechtlicher Rechte und Pflichten durch die Staaten.659 Dabei soll das Regime der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, also die Regelungen zum Einstehenmüssen des Rechtsbrechers für die Völkerrechtsverletzung, die den Staaten aufgegebene gegenseitige Beachtung völkerrechtlicher Rechte und Pflichten absichern.660 Legt man diese hinter dem Grundsatz der völkerrechtlichen Verantwort654 So z. B. Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [303]; Schwager, The Right to Compensation for Victims of Armed Conflicts, in: CJIL 4 (2005), 417 [428]. Dörr, „Privatisierung“ des Völkerrechts, in: JZ 2005, 905 [909] begründet den Automatismus mit den „allgemeinen Grundsätzen des völkerrechtlichen Deliktsrechts“ unter Berufung auf Schröders Bearbeitung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit im Völkerrechtslehrbuch von Vitzthum. 655 s. zu diesem Zweck der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 147. 656 Mit diesem Argument befürwortet Schwager eine Übertragung des Verantwortlichkeitsgrundsatzes auf Individuen, die in ihren völkerrechtlichen (Primär-)Rechten verletzt sind, s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 147. 657 Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 198. 658 s. Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 3. 659 Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 198. 660 Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 3.

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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lichkeit stehende Dogmatik zugrunde, so wird deutlich, dass der Verantwortlichkeitsgrundsatz eng mit der „klassischen“ Struktur des Völkerrechts als einer zwischenstaatlichen Ordnung zusammenhängt und sich somit nur schwerlich auf die seit 1945 nach und nach aufkeimenden Beziehungen zwischen einem Staat und einem dessen Hoheitsgewalt unterworfenem Individuum übertragen lässt.661 An dieser Stelle ließe sich womöglich noch einwenden, dass sich mit dem Anwachsen des Kreises der Völkerrechtssubjekte (unter anderem durch Einbeziehung von Individuen) eigentlich auch der Anwendungsbereich des Verantwortlichkeitsgrundsatzes erweitert haben müsste.662 Dieser Einwand erscheint mit Blick auf die aktive Beteiligtenfähigkeit im System der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, also die Täterseite, und die Herausbildung eines Völkerstrafrechts, das eine individuelle (völkerstrafrechtliche) Verantwortlichkeit vorsieht, auch nicht ganz unberechtigt. Der unbestreitbare normative Fortschritt auf der Täterseite wird aber keineswegs von einer entsprechenden Entwicklung auf der Ebene der passiven Beteiligtenfähigkeit, also der Opferseite, begleitet. Denn was Verletzungen des (humanitären) Völkerrechts anbelangt, so kommt man – nach wie vor – nicht umhin, ein Ungleichgewicht zwischen einem fortgeschrittenen Täterregime und einem im Vergleich dazu unterentwickelten Opferregime konstatieren zu müssen.663 Zum anderen ergeben sich Bedenken aus der Überlegung, dass ein Automatismus, wonach die Verletzung eines individuellen Primärrechts zwangsläufig ein individuelles Sekundärrecht hervorbringt, das Völkerrecht auf eine qualitativ höhere Stufe heben würde664 – eine Stufe, die aber angesichts der in Bezug auf einen individuellen Wiedergutmachungsanspruch bestehenden Zurückhaltung der Staaten noch nicht als erreicht angesehen werden kann.665 661

Gegen dieses auf die dogmatische Herleitung des Verantwortlichkeitsgrundsatzes gestützte Argument aber Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 146 f. 662 Vgl. Ipsen, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 39 Rdn. 4. 663 s. zu diesem Ungleichgewicht: Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [204 f.]; A. Zimmermann, Responsibility for Violations of International Humanitarian Law, International Criminal Law and Human Rights Law, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 215 [220]. 664 s. Tomuschat, Individual Reparation Claims in Instances of Grave Human Rights Violations, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 1 [13]. 665 Zur Zurückhaltung der Staaten in puncto individuelle Wiedergutmachungsansprüche s. Dörr, „Privatisierung“ des Völkerrechts, in: JZ 60 (2005), 905 [909] und Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [179, 190 ff.]. Auch Schwager, die dafür plädiert, den Verantwortlichkeitsgrundsatz auf die Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Individuum zu übertragen und demzufolge der Meinung ist, dass eine Verletzung von Primärrechten des Individuums entsprechende Sekundärrechte des Individuums begründet, muss einräumen, dass die Staatenwelt eine Übertragung des Verantwortlichkeitsgrundsatzes bislang nicht anerkennt, s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 149. Auf das Erfordernis einer entsprechenden völkergewohnheitsrechtlichen Regel für

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Es ist also keineswegs so, dass die Verletzung indvidualschützender Primärrechte aus dem humanitären Völkerrecht einen Mechanismus in Gang setzen würde, der zur automatischen Begründung entsprechender Sekundärrechte des Individuums führen würde.666 Damit ist unter Gliederungspunkt B. II. festzuhalten: Auf die Verletzung eines individualbezogenen Primärrechts kann die Herleitung eines individuellen Wiedergutmachungsanspruches wegen Kriegsschäden nicht gestützt werden. Ein Automatismus dergestalt, dass die Verletzung völkerrechtlicher Primärrechte entsprechende Sekundärrechte des Individuums nach sich zieht, kommt nicht in Betracht.

III. Grundlage für einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden im Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht Im Völkerrecht besteht – wie soeben ausgeführt – die Schwierigkeit, dass die Existenz individualschützender Primärrechte nicht automatisch zur Existenz entsprechender individualschützender Sekundärrechte führt. Für den Verlauf der Prüfung bedeutet das: Das Bestehen eines (völkerrechtlichen) Individualanspruches wegen Kriegsschäden lässt sich also nur dann annehmen, wenn es hierfür eine entsprechende völkerrechtliche Anspruchsgrundlage gibt.667 Als Rechtsquellen für das Auffinden einer solchen Anspruchsgrundlage sind nach Art. 38 I IGH-St sowohl das Völkervertragsrecht [s. dazu Gliederungspunkt B. III. 1.] als auch das Völkergewohnheitsrecht [s. dazu Gliederungspunkt B. III. 2.] heranzuziehen.

einen aus der Verletzung von Primärrechten automatisch resultierenden individuellen Wiedergutmachungsanspruch weist ausdrücklich hin: Hagelberg, Die völkerrechtliche Verfügungsbefugnis des Staates über Rechtsansprüche von Privatpersonen, S. 184. 666 s. Hagelberg, Die völkerrechtliche Verfügungsbefugnis des Staates über Rechtsansprüche von Privatpersonen, S. 183; Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 [357]; Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 31; Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 200; Tomuschat, Individual Reparation Claims in Instances of Grave Human Rights Violations, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 1 [13]; Zegveld, Remedies for victims of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 497 [507]. 667 s. Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/ Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 [357]; Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 31.

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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1. Völkervertragliche Grundlage für einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden Als völkervertragliche Grundlagen für einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden kommen Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I in Betracht. Die Begründung eines Individualrechts des (geschädigten) Einzelnen gegen den (verantwortlichen) Staat durch eine völkervertragliche Norm setzt zweierlei voraus: Zunächst muss die entsprechende Norm – subjektiv-rechtlich – den Charakter eines Individualrechts haben,668 Ob eine völkerrechtliche Vorschrift als individualrechtlich einzuordnen ist, muss aus dem Vertragstext erschlossen werden, das heißt, die vertragliche Vorschrift muss ausgelegt werden. Überdies muss die völkervertragliche Regelung – objektiv-rechtlich – unmittelbar anwendbar sein.669 Eine Vorschrift ist dann unmittelbar anwendbar, wenn sie ihrem Gehalt nach selbständig angewendet werden soll, was in der Regel der Fall ist, wenn die Regelung inhaltlich so weitgehend bestimmt ist, dass sie zu ihrem Vollzug keiner Konkretisierung durch weitere – internationale oder nationale – Rechtsakte bedarf.670 Das objektive Erfordernis der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I wirft keine größeren Probleme auf: Die Vorschriften sind klar und bestimmt formuliert und damit ohne weiteres unmittelbar anwendbar.671 Entscheidend wird sein, ob die Bestimmungen auch inhaltlich auf die Gewährung individueller (Schadensersatz-)Ansprüche gerichtet sind. Die vermeintliche Individualgerichtetheit von völkerrechtlichen Bestimmungen ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Um die zur Ermittlung des Inhalts von Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I erforderliche Auslegung durchführen zu können, muss vorab festgestellt werden, welchen Regeln die Auslegung völkerrechtlicher Vorschriften generell zu folgen hat. Die Darstellung der theoretischen Grundlagen der Auslegung im Völkerrecht soll im nachfolgenden Gliederungspunkt B. III. 1. a) vorgenommen werden. Mit Hilfe der unter Gliederungspunkt B. III. 1. a) herausgearbeiteten Auslegungsregeln soll dann unter Gliederungspunkt B. III. 1. b) konkret der Frage nachgegangen werden, ob Art. 3 HA-IVund Art. 91 ZP-I Individualrechtscharakter beizumessen ist.

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Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [318]. Zu diesem Erfordernis s. z. B. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [318]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 264. 670 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 159 f.; Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [318]. 671 Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 265; vgl. auch Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [318]. 669

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

a) Theoretische Grundlagen: Methoden der Auslegung im Völkerrecht Nach dem heute herrschenden objektiven Ansatz672 ist eine völkervertragliche Norm anhand des Vertragstextes auszulegen.673 Ausgehend von diesem objektiven Ansatz ist der Wortlaut eines völkerrechtlichen Vertrages oder einer völkerrechtlichen Norm der Ausgangspunkt der Auslegung im Völkerrecht. Im Rahmen der Wortlautauslegung ist der Inhalt des Textes nach der gewöhnlichen Bedeutung der Worte zu erschließen.674 Dabei ist von der Bedeutung der Worte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auszugehen.675 Das heißt allerdings nicht, dass sich der Text des Vertrages oder der Norm nicht einem Bedeutungswandel öffnen kann (s. unten Ausführungen zur dynamischen Auslegung völkerrechtlicher Verträge). Eng verbunden mit der Wortlautauslegung ist die systematische Auslegung. Im Rahmen der systematischen Auslegung wird untersucht, welche Rückschlüsse sich im Hinblick auf die (Be-)Deutung einer Norm bzw. eines Begriffes aus dem Zusammenhang mit anderen Bestimmungen des Vertrages bzw. Begriffen ziehen lassen.676

672

Vgl. Brownlie, Principles of Public International Law, S. 631. Ausführlich zum Streit zwischen objektiver und subjektiver Theorie im Hinblick auf den Gegenstand der Auslegung: Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 32 ff. Für die entgegengesetzte subjektive Theorie ist bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages hingegen der Parteiwille ausschlaggebend. Dass bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages die – von der objektiven Theorie für vorrangig erklärten – Methoden der Wortlautauslegung, der systematischen Auslegung und der teleologischen Auslegung verwendet werden, stellt zwar auch die subjektive Theorie nicht in Abrede. Allerdings räumt die subjektive Theorie – im Vergleich zur objektiven Theorie – der „historischen“ Auslegung, also der an den Vertragsmaterialien (travaux prparatoires) und den Umständen des Vertragsschlusses orientierten Auslegung, einen anderen Stellenwert ein: Während die objektive Theorie den Rückgriff auf die historische Auslegung nur dann zulässt, wenn sich eine völkervertragliche Norm unter Anwendung der wörtlichen, systematischen und teleologischen Auslegung keiner klaren Deutung zuführen lässt, also nur subsidiär auf diese Auslegungsmethode zurückgreift, räumt hingegen die subjektive Theorie der historischen Auslegungsmethode den gleichen Stellenwert ein wie den anderen, am Vertragstext orientierten Auslegungsmethoden. 674 Bernhardt, Interpretation in International Law, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 2, S. 1416 [1420]; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 632 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 II 1 a); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 6; Jennings/Watts (Ed.), Oppenheims International Law, Bd. I/2 – 4, S. 1272; Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 47; Vitzthum, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. I Rdn. 123. 675 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 633; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 II 1 a); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 6. 676 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 II 1 a); Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 49 f. 673

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

217

In die systematische Auslegung sind überdies die Präambel eines Vertrages sowie dessen Anlagen mit einzubeziehen.677 Schließlich ist im Rahmen der teleologischen Auslegung zu untersuchen, welche Rückschlüsse im Hinblick auf den Normtext aus dem mit dieser Norm und dem gesamten Vertrag verfolgten Ziel gezogen werden können. Die teleologische Auslegung verläuft in zwei Schritten:678 Zunächst müssen die von den Vertragsparteien mit einem Vertrag und seinen einzelnen Bestimmungen verfolgten Ziele und Zwecke anhand des Vertragstextes ermittelt werden.679 Im Anschluss an die Ziel- und Zweckermittlung muss untersucht werden, wie sich der – zuvor herausgearbeitete – Vertragsoder Normzweck auf das Verständnis der auszulegenden Vorschrift oder des auszulegenden Begriffes auswirkt.680 Grundsätzlich ist dabei so zu verfahren, dass unter den möglichen Auslegungen des Vertragstextes diejenige herangezogen wird, die der Erreichung der Vertrags- und Normziele am besten dient.681 Eng mit der teleologischen Auslegungsmethode hängt das völkerrechtliche Effektivitätsprinzip als ein bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge zu berücksichtigender Grundsatz zusammen. Das Effektivitätsprinzip besagt, dass diejenige Auslegung des Vertragstextes vorzuziehen ist, die Ziele und Zwecke des Vertrages am wirksamsten zum Tragen bringt,682 und ist damit – nahezu – identisch mit der Rahmen der telelogischen Auslegung Pflicht zur bestmöglichen Beachtung von Ziel und Zweck des Vertrages.683 Wenn sich eine völkervertragliche Norm unter der Anwendung der wörtlichen, systematischen und teleologischen Auslegung keiner klaren Deutung zuführen lässt, dann kann – dem objektiven Ansatz zufolge – subsidiär684 auf die Vertragsma677 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 633; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 9; Jennings/Watts (Ed.), Oppenheims International Law, Bd. I/2 – 4, S. 1273. 678 s. Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 52 f. 679 Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 52; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 10. 680 Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 53. 681 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 II 2; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 10; Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 53. 682 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 II 3; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 16. 683 Zu dem zwischen teleologischer Auslegung und Effektivitätsprinzip bestehenden Unterschied s. Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 66 f. 684 Die subsidiäre Heranziehung der Vertragsmaterialien und Umstände bei Vertragsschluss unterscheidet die objektive Theorie von der subjektiven, die den Vertragstext nur als Ausgangspunkt bei der Erforschung des Parteiwillens betrachtet und neben den text-orientierten

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

terialien (travaux prparatoires) und die Umstände bei Vertragsschluss zurückgegriffen werden.685 Diese Methode wird auch als „historische Auslegung“ bezeichnet.686 Zu den Vertragsmaterialien zählen die schriftlichen Aufzeichnungen der Verhandlungen, die dem Vertragsschluss vorangehen, die Protokolle der Vollversammlungen und der Komitees der Konferenz, die einen Vertragsentwurf annimmt, sowie die aufeinander folgenden Vertragsentwürfe.687 Vom Maßstab des objektiven Ansatzes aus ist die historische Auslegung, die Vertragsmaterialien und die Umstände bei dem Vertragsschluss berücksichtigt, freilich nicht unproblematisch: Was die Einbeziehung von Vertragsmaterialien anbelangt, so ist unter anderem zu berücksichtigen, dass im Laufe der Vertragsverhandlungen eine Vielzahl von unterschiedlichen Ansichten geäußert wird, die Eingang in die Vertragsmaterialien finden. Das hat zur Folge, dass sich für nahezu alle bei der Auslegung eines Vertragstextes vertretenen Ansichten vermeintliche Nachweise in den Materialien zu dem Vertrag finden lassen.688 Was die Einbeziehung von Umständen bei dem Vertragsschluss anbelangt, so ist die Grenze zwischen solchen – objektiven – Umständen, die zur Auslegung herangezogen werden können, und solchen – subjektiven – Vorstellungen der Parteien, die außen vor zu bleiben haben, schwierig zu ziehen und damit das Tor für subjektive Wertungen, die sich von dem eigentlichen Vertragstext verabschieden, weit geöffnet. Ebenfalls kann ergänzend die zur Zeit des Vertragsabschlusses geltende Völkerrechtsordnung als Erkenntnisquelle im Rahmen der Vertragsauslegung herangezogen werden:689 Lässt sich die Auslegung einer völkerrechtlichen Norm nicht mit den objektiven, text-orientierten Auslegungsmethoden klären, dann kommt die Vermutung zum Tragen, dass die Parteien von den geltenden Regeln des Völkerrechts nicht abweichen wollten, soweit sie dies nicht explizit im Vertragstext vereinbart haben.690

Auslegungsmethoden die Vertragsmaterialien und die Umständen bei dem Vertragsschluss gleich gewichtet, s. oben. 685 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 II 4; Jennings/Watts (Ed.), Oppenheims International Law, Bd. I/2 – 4, S. 1275 ff.; Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 57 f. 686 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 II 4; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 9; Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 58. 687 Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 58. 688 Jennings/Watts (Ed.), Oppenheims International Law, Bd. I/2 – 4, S. 1277 f. 689 Jennings/Watts (Ed.), Oppenheims International Law, Bd. I/2 – 4, S. 1281. 690 Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 60 f.

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Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge und Normen darf allerdings, insbesondere aus Sicht der objektiven Theorie,691 nicht bei einem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorherrschenden und möglicherweise im Laufe der Zeit überkommenen Begriffsverständnis verharren, sondern muss die spätere Praxis der Vertragsparteien in Bezug auf den Vertragstext würdigen und damit dynamisch sein.692 So können etwa eine spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrages oder eine spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages, aus der die Übereinstimmung der Parteien über die Auslegung hervorgeht, Aufschluss über ein gewandeltes Verständnis im Hinblick auf den Vertragstext geben.693 Allerdings ist eine dynamische Vertragsauslegung nur in engen Grenzen zulässig und muss den Konsens der Vertragsparteien als Geltungsgrund des Vertrages wiedergeben.694 Die herausgearbeiteten Auslegungsregeln sind – größtenteils – in den Art. 31 und 32 WVK kodifiziert worden. Die allgemeine Auslegungsregel des Art. 31 I WVK besagt, dass ein Vertrag „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes“

auszulegen ist. Art. 31 III a) und b) WVK ermöglichen durch Berücksichtigung späterer Übereinkünfte der Parteien bzw. der späteren Übung bei der Anwendung des Vertrages eine dynamische Auslegung des Vertragstextes. Art. 32 WVK regelt die Heranziehung „ergänzende[r] Auslegungsmittel“, insbesondere der vorbereitenden Arbeiten und der Umstände des Vertragsabschlusses. Damit folgen die Art. 31 f. WVK insgesamt der objektiven Theorie, die den Vertragstext und damit die text-orientierten Auslegungsmethoden bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge in den

691

Zur unterschiedlichen Berücksichtigung des Wandels des Verständnisses völkerrechtlicher Begriffe im Laufe der Zeit im Rahmen der subjektiven Theorie auf der einen Seite und im Rahmen der objektiven Theorie auf der anderen Seite s. Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 55 f. 692 Bernhardt, Interpretation in International Law, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 2, S. 1416 [1421]; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 633 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 IV 1, 2; Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [324]; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 21; Jennings/Watts (Ed.), Oppenheims International Law, Bd. I/2 – 4, S. 1274. 693 Bernhardt, Interpretation in International Law, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 2, S. 1416 [1421]; Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [324 f.]; Jennings/Watts (Ed.), Oppenheims International Law, Bd. I/2 – 4, S. 1274; Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 56. 694 Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [324 f.]; Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 56.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Vordergrund stellt und der historischen Auslegungsmethode eine subsidiäre Rolle zuweist.695 Im Hinblick auf die gewohnheitsrechtliche Akzeptanz der in diesem Abschnitt skizzierten Auslegungsregeln hat sich – zumindest – in der internationalen Rechtsprechung die Ansicht durchgesetzt, dass neben den Auslegungsregeln der Art. 31 und 32 WVK inhaltlich gleich lautende, völkergewohnheitsrechtlich verfestigte Auslegungsregeln existieren, die immer dann zur Anwendung gelangen, wenn die Regeln der Vertragsrechtskonvention nicht einschlägig sind.696 Für den Verlauf der nachfolgenden Auslegung von Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I unter Gliederungspunkt B. III. 1. b) lässt sich festhalten: Zunächst ist der Vertragstext anhand der wörtlichen, systematischen und teleologischen Auslegungsmethoden zu untersuchen. Lässt sich der Vertragstext unter Anwendung der text-orientierten Auslegungsmethoden keiner klaren Deutung zuführen, muss auf ergänzende Auslegungsmethoden und Erkenntnisquellen, wie zum Beispiel die historische Auslegung oder die Einbettung in die geltende Völkerrechtsordnung zurückgegriffen werden. b) Ermittlung des Individualrechtscharakters von Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I anhand der völkerrechtlich anerkannten Auslegungsmethoden Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I statuieren eine Verpflichtung der Kriegsparteien, für Verletzungen humanitärrechtlicher Bestimmungen Schadensersatz zu leisten. Inwieweit diese Normen als individualberechtigend und damit als Grundlage für einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden angesehen werden können – diese Frage soll Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen sein. .

• Individualanspruch aus Art. 3 HA-IV Weit vor der Herausbildung eines modernen humanitären Völkerrechts infolge der Schrecken und Gräuel zweier Weltkriege, das dem Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen eine hervorgehobene Stellung einräumt, haben sich die Staaten im Jahre 1907 im Rahmen des Haager Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges (IV. Haager Abkommen) auf eine Entschädigungspflicht für Verletzungen des im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Völkerrechts geeinigt. . 695

Brownlie, Principles of Public International Law, S. 631 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 II 1 a); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 11 Rdn. 5, 11 ff. 696 s. Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 87.

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221

Art. 3 HA-IV lautet: „Die Kriegspartei, welche die Bestimmungen der bezeichneten Ordnung [= als Anlage beigefügte Haager Landkriegsordnung; Anmerkung des Verfassers] verletzen sollte, ist gegebenen Falles zum Schadensersatze verpflichtet. Sie ist für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden.“697

Durch die Vorschrift wird die Geltung des Prinzips der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit auf dem Gebiet des ius in bello bekräftigt und insofern ausgeweitet, als ein Staat auch für evident kompetenzwidriges Verhalten seiner Soldaten verantwortlich ist [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. a)]. Was den Wortlaut der Vorschrift anbelangt, so ist festzustellen, dass die in Art. 3 HA-IV gewählte Formulierung keinen Aufschluss über eine eventuelle Berechtigung von Individualpersonen gibt. Art. 3 HA-IV benennt den Verpflichteten (= die Kriegspartei), den Inhalt der Verpflichtung (= Schadensersatz), den Grund der Verpflichtung (= Verletzungen der Bestimmungen der HLKO) und die Dimension der Verpflichtung (= alle Handlungen von den zur Kriegspartei gehörenden Personen), äußert sich aber nicht zum Berechtigten.698 Im Hinblick auf den Wortlaut muss man damit konstatieren: Zwar schließt Art. 3 HA-IV das Bestehen eines Individualrechtes nicht aus, allerdings – und das dürfte im Rahmen der vorliegenden Untersuchung entscheidend sein – kann aus dem Wortlaut mangels ausdrücklichen Hinweises auch nicht das Bestehen eines Individualrechtes gefolgert werden.699 In systematischer Hinsicht fällt als erstes Art. 2 HA-IV ins Auge, wonach die Bestimmungen der HLKO und des HA-IV „nur zwischen den Vertragsmächten“, also den kriegsführenden Staaten Anwendung finden. Die in Art. 2 HA-IVenthaltene Aussage hinsichtlich des (zwischenstaatlichen) Anwendungsbereiches sowohl des Abkommens als auch der Landkriegsordnung spricht eher gegen eine in Art. 3 HA-IV verankerte Individualberechtigung.700 Weiterhin wird in der Präambel des Haager Abkommens unter anderem der Wunsch der Vertragsparteien geäußert, den „Interessen der Menschlichkeit“ und den „sich immer steigernden Forderungen der Zivilisa697

Die englische Fassung von Art. 3 HA-IV lautet: „A belligerent party which violates the provisions shall, if the case demands, be liable to pay compensation. It shall be responsible for all acts committed by persons forming part of its armed forces.“ 698 s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 122; Zegveld, Remedies for victims of violations of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 497 [507]. 699 So auch Heintschel von Heinegg, Entschädigungen für Verletzungen des humanitären Völkerrechts, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 1 [31]; Tomuschat, Human Rights – Between Realism and Idealism, S. 294. Das müssen mit Blick auf den Wortlaut auch Schwager und Bank in ihrem für das ILA-Komitee „Compensation for victims of war“ erstatteten Bericht anerkennen, s. Schwager/Bank, An Individual Right to Compensation for Victims of Armed Conflicts, S. 20. 700 s. Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10.12.2003, in: JZ 59 (2004), 574 [575]; Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 8.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

tion“ zu dienen. Außerdem sollen die Bestimmungen des Abkommens und der als Anlage angehängten Landkriegsordnung laut Präambel den Kriegsparteien als „allgemeine Richtschnur für ihr Verhalten in den Beziehungen untereinander und mit der Bevölkerung“ dienen. Aus der Präambel wird somit deutlich, dass schon die Vertragsparteien des IV. Haager Abkommens die militärische Notwendigkeit nicht als die einzige Determinante eines internationalen bewaffneten Konfliktes angesehen haben, sondern für den Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen durchaus sensibilisiert waren. Allerdings wird aus der Präambel auch deutlich, dass die Bestimmungen des Abkommens und der Ordnung eben nur als „Richtschnur“ für das Verhalten der Vertragsparteien im Krieg konzipiert wurden – und nicht etwa als Gewährleistungen von Individualrechten.701 Die telelogische Auslegung von Art. 3 HA-IV fördert zutage, dass das Ziel der Norm darin besteht, Verstöße gegen die Bestimmungen des Abkommens und der Ordnung zu sanktionieren.702 Eine solche Sanktionierung von Verstößen dient der Beachtung der Bestimmungen durch die Vertragsparteien – ein Gedanke, der auch hinter dem allgemeinen Grundsatz der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Tun steht [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. II.]. Da die dem Haager Abkommen als Anlage beigefügte Landkriegsordnung auch Vorschriften enthält, in denen die Zivilbevölkerung eine Rolle spielt, trägt die in Art. 3 HA-IV vorgesehene Sanktionierung genauso zur Beachtung ebendieser Vorschriften bei und fördert somit – mittelbar – den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten.703 Vor dem Hintergrund dieses (mittelbaren) individualbezogenen Ziels von Art. 3 HA-IVund der im Rahmen der teleologischen Auslegungsmethode bestehenden Verpflichtung des Interpreten, diejenige Auslegung einer völkerrechtlichen Vorschrift zu bestimmen, die der Erreichung des Ziels der Vorschrift am besten dient [s. oben Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. a)] stellt sich die Frage, zur welchen Auslegung man im Hinblick auf die Vorschrift des Art. 3 HA-IV gelangt. Der in Art. 3 HA-IV zumindest mittelbar verankerte Schutz der Zivilbevölkerung könnte dazu veranlassen, die Vorschrift individualrechtsfreundlich auszulegen und damit Individuen als Berechtigte anzusehen. Ein solches Auslegungsergebnis lässt sich im Rahmen der teleologischen Auslegung jedoch nicht aufrechterhalten: Die telelogische Auslegung ist an den Vertragstext gekoppelt und darf diesen nicht überspielen.704 Die Auslegung des Wortlautes und vor allem des Kontextes von Art. 3 HA-IV sprechen aber, wie oben herausgearbeitet wurde, gegen die Gewährleistung eines Individualrechtes. Würde man nun 701 Zu einem anderen Ergebnis im Rahmen der systematischen Auslegung von Art. 3 HAIV gelangen Schwager/Bank, An Individual Right to Compensation for Victims of Armed Conflicts, ILA Committee on Compensation for victims of war, S. 20 f. 702 s. auch de Preux, in: Sandoz/Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 91 ZP-I Rdn. 3646. 703 Von einer solchen mittelbaren Individualschutzrichtung des Art. 3 HA-IV gehen auch Hofmann und Riemann in ihrem für das ILA-Komitee „Compensation for Victims of War“ erstatteten Bericht vom 17.03.2004 aus, s. Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 8. 704 s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 II 2.

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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im Rahmen der teleologischen Auslegung ein durch Art. 3 HA-IV gewährleistetes Individualrecht annehmen, so wäre dies mit der objektiven Auslegungstheorie, die auf dem Vertragstext aufbaut, schlichtweg nicht in Einklang zu bringen. Fasst man die Erkenntnisse aus der wörtlichen, systematischen und teleologischen Auslegung zusammen, so kommt man nicht umhin, Art. 3 HA-IV den Charakter eines Individualrechtes abzusprechen. Mit Hilfe der text-orientierten Auslegungsmethoden kann die Vorschrift des Art. 3 HA-IV somit einer klaren Deutung zugeführt werden. Angesichts des aus dem Vertragstext gewonnenen klaren Auslegungsergebnisses wäre ein Rückgriff auf ergänzende Auslegungsmittel wie die Vertragsmaterialien, die Umstände des Vertragsschlusses und die Einbettung in die geltende Völkerrechtsordnung vom Standpunkt der objektiven Theorie aus eigentlich versperrt.705 Es gibt aber Stimmen in der Völkerrechtsliteratur, angeführt von Frits Kalshoven,706 die anhand der Vertragsmaterialien zu den Haager Abkommen ein Individualrecht aus Art. 3 HA-IV ableiten wollen. Diese Sicht stützt sich insbesondere auf einen Vorschlag des deutschen Delegierten auf der II. Haager Friedenskonferenz, Generalmajor von Gündell, der im Zusammenhang mit der auf der Konferenz letztlich verabschiedeten Regelung des Art. 3 HA-IV steht. Dieser deutsche Vorschlag, der auf der vierten Plenarsitzung der Konferenz eingebracht wurde, besteht aus zwei Artikeln, die Regelungen zur Entschädigung von Verletzungen des Kriegsrechts beinhalten.707 705

Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3, § 153 II 4 a). Konsequent aber insoweit Schwager, die Wortlaut, Kontext und Telos des Art. 3 HA-IV kein eindeutiges Ergebnis entnehmen kann und demzufolge auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift abstellt, s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 128 ff. 706 Kalshoven, State Responsibility for Warlike Acts of the Armed Forces, in: ICLQ 40 (1991), 827 ff. Im Anschluss an Kalshoven haben zahlreiche Autoren die These vertreten, dass Art. 3 HA-IV als Rechtsgrundlage für Individualansprüche wegen Kriegsschäden konzipiert worden sei: Baufeld, Individuelle Ersatzansprüche bei kriegsrechtswidrigen Schädigungen, in: HUV-I 17 (2004), 93 [96]; Baufeld, Die schadensersatzrechtliche Stellung ziviler Opfer von militärischen Operationen, in: JZ 62 (2007), 502 [503 f.]; Boelaert-Suominen, Iraqi War Reparations and the Laws of War, in: ZÖR 50 (1996), 225 [294 f.]; Frulli, When are States Liable Towards Individuals for Serious Violations of Humanitarian Law? The Markovic´ Case, in: JICJ 1 (2003), 406 [416 f.]; Graefrath, Schadensersatzansprüche wegen Verletzungen des humanitären Völkerrechts, in: HUV-I 14 (2001), 110 [116]; Greenwood, International Humanitarian Law, in: Kalshoven (Ed.), The Centennial of the First International Peace Conference, S. 161 [250]; Pisillo Mazzeschi, Reparation Claims by Individuals for State Breaches of Humanitarian Law and Human Rights, in: JICJ 1 (2003), 339 [341]; Schwager, The Right to Compensation for Victims of an Armed Conflict, in: CJIL 2005, 417 [422]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 128 ff.; Zegveld, Remedies for victims of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 497 [506 f.]. 707 Die von deutscher Seite vorgeschlagenen Artikel sind abgedruckt in: Deuxime Confrence Internationale de la Paix, Actes et Documents, Vol. I, S. 103. Art. 1 lautet: „La Partie belligrante qui violera les dispositions de ce Rglement, au prjudice de personnes neutres, sera tenue de ddommager ces personnes du tort qui leur a t caus. Elle sera responsable de

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Inhaltlich gesehen nehmen die von deutscher Seite vorgeschlagenen Artikel erstens eine Unterscheidung zwischen neutralen und gegnerischen Geschädigten im Hinblick auf die Art und Weise der Entschädigung vor: Einerseits sind Staaten, die kriegsrechtliche Bestimmungen verletzt haben, angehalten, neutrale Geschädigte zu entschädigen (Art. 1 S. 1); andererseits soll die Entschädigung für gegnerische Geschädigte in einem Friedensvertrag geregelt werden (Art. 2). Zweitens wird die Verantwortlichkeit der Staaten für alle von den Angehörigen ihrer Streitkräfte begangenen Handlungen statuiert (Art. 1 S. 2). von Gündell begründete seinen Vorschlag, dass ein Staat für alle von den Angehörigen seiner Streitkräfte begangenen Handlungen verantwortlich sei, wie folgt: Nach der so genannten, von von Gündell angeführten Theorie der subjektiven Vorwerfbarkeit708 wäre eine Regierung nur für Schadensfälle verantwortlich, in denen ihr eine Sorgfaltspflicht- oder Überwachungspflichtverletzung angelastet werden könnte.709 In der Mehrzahl der (Schadens-)Fälle sei einer Regierung allerdings keine Fahrlässigkeit nachweisbar und geschädigte Einzelne müssten sich somit an die jeweils schuldigen Soldaten wenden, was allzu oft zur Folge hätte, dass den Geschädigten die Möglichkeit einer ihnen zustehenden Entschädigung genommen wäre.710 Aus diesem Grunde müsse eine Regierung für alle von den Angehörigen ihrer Streitkräfte begangenen rechtswidrigen Handlungen verantwortlich sein.711 Im Zusammenhang mit dieser Verantwortlichkeit einer Regierung für alle Handlungen der Angehörigen ihrer Streitkräfte beruft sich von Gündell auf ein – von ihm behauptetes – Prinzip des Privatrechts, wonach derjenige, der sich im Hinblick auf die Rechte eines anderen nicht vorschriftsmäßig verhalte, diesem anderen gegenüber zur Wiedergutmachung des durch sein Verhalten entstandenen Schadens verpflichtet sei.712 Der Berichterstatter der vierten Plenarsitzung der Konferenz, Baron Giesl von Gieslingen, fasste die auf den deutschen Vorschlag folgenden Reaktionen der Delegierten wie folgt zusammen: Das Prinzip des deutschen Vorschlags, wonach der (Geschäfts-)Herr für seine Beauftragten oder Angestellten verantwortlich sei, habe keinen Widerspruch erfahren.713 Im Laufe der vierten Plenarsitzung der Konferenz habe man sich schließlich – unter Auslassung der Unterscheidung zwischen neutralen und gegnerischen Geschädigten – dann auf folgende Sprachregelung einigen können:

tous actes commis par les personnes faisant partie de sa force arme … (Hervorhebungen durch den Verfasser).“ Art. 2 lautet: „En cas de violation au prjudice de personnes de la Partie adverse, la question de lindemnisation sera rgle lors de la conclusion de la paix (Hervorhebung durch den Verfasser).“ 708 Laut von Gündell handelt es sich um die „thorie de la faute subjective“, s. Deuxime Confrence Internationale de la Paix, Actes et Documents, Vol. III, S. 145. 709 Deuxime Confrence Internationale de la Paix, Actes et Documents, Vol. III, S. 145. 710 Deuxime Confrence Internationale de la Paix, Actes et Documents, Vol. III, S. 145. 711 Deuxime Confrence Internationale de la Paix, Actes et Documents, Vol. III, S. 145. 712 Deuxime Confrence Internationale de la Paix, Actes et Documents, Vol. III, S. 145. 713 Deuxime Confrence Internationale de la Paix, Actes et Documents, Vol. I, S. 103.

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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„La Partie belligrante qui violera les dispositions du prsent rglement sera tenue  indemnit, sil y a lieu. Elle sera responsable de tous actes commis par les personnes faisant partie de sa force arme.“714

Diese auf der vierten Plenarsitzung gefundene Sprachregelung ist mit dem von der Konferenz letztlich verabschiedeten Art. 3 HA-IV identisch. Es ist das – hinter dem deutschen Vorschlag stehende – Motiv, das Völkerrechtler wie Kalshoven und die Anhänger seiner auf die Vertragsmaterialien zum IV. Haager Abkommen gestützten These dazu bewegt, Art. 3 HA-IV individualrechtlich auszulegen.715 Die grundsätzlichen Bedenken gegen die Heranziehung der Vertragsmaterialien und einer darauf aufbauenden Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages, wenn Wortlaut, Kontext und Telos der Vorschrift bereits zu einem eindeutigen Ergebnis führen, wurden bereits in der Einführung in die theoretischen Grundlagen der Auslegung im Völkerrecht in Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. a) vorgetragen. Zwar mögen diese grundsätzlichen Bedenken im vorliegenden Falle angesichts der auf den deutschen Vorschlag folgenden Einigkeit unter den Delegierten nicht allzu sehr ins Gewicht fallen. Gleichwohl ist festzustellen, dass sich – auch unter Heranziehung der Vertragsmaterialien – ein eindeutiger Nachweis einer von den Vertragsparteien beabsichtigten Individualberechtigung nicht erbringen lässt: Sowohl in der Begründung von Gündells zum deutschen Vorschlag als auch in den Reaktionen der übrigen Delegierten fehlen ausdrückliche Hinweise auf ein in Art. 3 HA-IV verankertes Individualrecht geschädigter Personen. Was das von von Gündell ins Spiel gebrachte Prinzip des Privatrechts der Verantwortlichkeit des (Geschäfts-)Herren für seine Untergebenen anbelangt, so ist aus Sicht von Gündells, aber vor allem aus Sicht der übrigen Delegierten nur klar, dass der Staat nicht allein in den Fällen, in denen er die erforderliche Sorgfalt oder aber Überwachung seiner Organe missachtet, zur Rechenschaft gezogen werden soll, sondern für alle durch die Angehörigen seiner Streitkräfte verursachten Schäden verantwortlich sein soll.716 Ob darüber hinausgehend beabsichtigt war, dass diese Verantwortlichkeit eines Staates für alle von den Angehörigen seiner Streitkräfte begangenen Handlungen eine entsprechende völkerrechtliche Berechtigung der geschädigten Personen nach sich ziehen sollte, lässt sich der Begründung von Gündells und den entsprechenden Reaktionen 714

Deuxime Confrence Internationale de la Paix, Actes et Documents, Vol. I, S. 104. Baufeld, Individuelle Ersatzansprüche bei kriegsrechtswidrigen Schädigungen, in: HUV-I 17 (2004), 93 [96]; Frulli, When are States Liable Towards Individuals for Serious Violations of Humanitarian Law? The Markovic´ Case, in: JICJ 1 (2003), 406 [417]; Kalshoven, State Responsibility for Warlike Acts of the Armed Forces, in: ICLQ 40 (1991), 827 [832 f.]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 129; Schwager/Bank, An Individual Right to Compensation for Victims of Armed Conflicts, ILA Committee on Compensation for Victims of War, S. 22. 716 A.A. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 129 f., derzufolge dem Vorschlag von Gündells und den anschließenden Erörterungen zu entnehmen sei, dass Staaten für jedwedes Verhalten ihrer Streitkräfte gegenüber einem Individuum haften. 715

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

der Delegierten, die sich auf eine Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn für das Handeln seiner Untergebenen und eine diese Verantwortlichkeit festhaltende Vorschrift [= Art. 3 HA-IV] einigen konnten, aber nicht entnehmen.717 Im Übrigen ist in den Vertragsmaterialien eine auf den deutschen Vorschlag bezogene Äußerung des englischen Delegierten, Lord Reay, bemerkenswert, in der er zwar die Verpflichtung einer Kriegspartei, die Opfer einer Verletzung kriegsrechtlicher Bestimmungen zu entschädigen, anerkennt, aber gleichzeitig hervorhebt, dass es an den Staaten sei, dieses „Problem“, also die Entschädigung von Kriegsopfern, zu beheben718 und damit erkennbar die Frage der Kriegsentschädigungen der zwischenstaatlichen Ebene zuordnet. Und wenn man schon das Tor für die Heranziehung ergänzender Auslegungsmittel – entgegen den Vorgaben der objektiven Theorie zur Auslegung völkerrechtlicher Vorschriften – öffnet, so darf man überdies als Erkenntnisquelle im Rahmen der Auslegung des Art. 3 HA-IV nicht die das IV. Haager Abkommen im Jahre 1907 umgebende Völkerrechtsordnung außer Acht lassen [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. a)]: So stellte der italienische Völkerrechtler Anzilotti zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest, dass das Individuum aus dem Völkerrecht keine Rechte herleiten könne und völkerrechtswidriges Handeln eines Staates keinesfalls zu einem individuellen Recht auf Wiedergutmachung für die erlittenen Schäden führen könne.719 Sollte man dem Vertragstext bzw. den Vertragsmaterialien – entgegen der obigen Ausführungen – keine (eindeutige) Aussage im Hinblick auf ein durch Art. 3 HAIV gewährtes Individualrecht zumessen, so spricht zumindest die Völkerrechtsordnung, in die Art. 3 HA-IV zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eingebettet gewesen ist, eine deutliche Sprache. Die sich an die Feststellung der damaligen Völkerrechtsordnung anschließende Vermutung, dass die Vertragsparteien von den damals geltenden Völkerrechtsregeln nicht abweichen wollten, wird hier aufgrund fehlender expliziter Regelungen im Vertragstext bzw. in der Norm selbst auch nicht entkräftet.

717 So auch Heintschel von Heinegg, Entschädigungen für Verletzungen des humanitären Völkerrechts, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 1 [32]. 718 Deuxime Confrence Internationale de la Paix, Actes et Documents, Vol. III, S. 147. 719 Anzilotti, La responsabilit internationale des tats  raison des dommages soufferts par des trangers, in: RGDIP 13 (1906), 5: „Lindividu […] nest pas tenu  lobservance des rgles du droit international; pareillement, il ne peut pas en tirer des droits. Il suit de l que la conduite dun tat, toute contraire quelle soit au droit international, ne saurait jamais donner naissance  un droit de lindividu  la rparation du dommage souffert; en dautres termes, il ny a pas de responsabilit de ltat envers lindividu fonde sur le droit international.“; s. zum Anfang des 20. Jahrhunderts vorherrschenden Völkerrechtsverständnis auch Randelzhofer, The Position of the Individual under Present International Law, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 231 [232]; gegen das Argument der z. Zt. der Entstehung von Art. 3 HA-IV zwischenstaatlich geprägten Völkerrechtsordnung aber Schwager, Ius bello confecto et bello durante, S. 130.

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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Zieht man die hier aus der text-orientierten Auslegung sowie aus den ergänzenden Auslegungsmitteln (Vertragsmaterialien und geltende Völkerrechtsordnung) gewonnenen Erkenntnisse zusammen, so muss man zu dem Schluss kommen, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die überwiegenden Gründe gegen eine individualrechtliche Auslegung des Art. 3 HA-IV sprechen.720 • Individualanspruch aus Art. 91 ZP-I 70 Jahre und zwei Weltkriege später hat die Diplomatische Konferenz zur Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts721 zwei Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen von 1949 angenommen, von denen das Erste Zusatzprotokoll über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte in Art. 91 eine Regelung zur Entschädigung für Verletzungen des humanitären Völkerrechts enthält. Art. 91 ZP-I lautet wörtlich: „Eine am Konflikt beteiligte Partei, welche die Abkommen [= Genfer Abkommen von 1949; Anmerkung des Verfassers] oder dieses Protokoll verletzt, ist gegebenenfalls zum Schadensersatz verpflichtet. Sie ist für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihren Streitkräften gehörenden Personen begangen werden.“722

Angesichts des mit Art. 3 HA-IV nahezu identischen Wortlauts dürfte die Anwendung der text-orientierten Auslegungsmethoden bei Art. 91 ZP-I im Vergleich zu Art. 3 HA-IV eigentlich nicht viel Neues bringen. Allerdings lassen (systematische) Faktoren wie die im Vergleich zum Haager Abkommen deutlich modernere und stärker individualbezogene Diktion des Ersten Zusatzprotokolls dann doch Zweifel an der Deutung des Art. 91 ZP-I als gleichbedeutend mit Art. 3 HA-IV in puncto Individualberechtigung aufkommen – Zweifel, die vor dem Hintergrund der zwischen dem Haager Abkommen von 1907 und dem Ersten Zusatzprotokoll von 1977 erfolgten weltpolitischen und völkerrechtlichen Umbrüche [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkte B. und B. II.] eher noch verstärkt werden. Angesichts dieser im Hinblick auf die text-orientierte Auslegung des Art. 91 ZP-I bestehenden Unsicherheiten erscheint es an dieser Stelle durchaus sinnvoll, auf er720 So auch Tomuschat, Reparation in Favour of Individual Victims of Gross Violations of Human Rights and International Humanitarian Law, in: Kohen (Ed.), Promoting justice, human rights and conflict resolution through international law. Liber Amicorum Lucius Caflisch, S. 569 [576]. Ausdrücklich gegen eine individualrechtliche Auslegung von Art. 3 HA-IV aus der Perspektive der zur Zeit des Vertragsschlusses geltenden Völkerrechtsordnung spricht sich auch Strupp in seinen 1914 erschienenen Erläuterungen der Artikel des Haager Abkommens aus, s. Strupp, Das internationale Landkriegsrecht, S. 29. 721 Eine Darstellung zur Vorbereitung und zum Ablauf der von 1974 bis 1977 tagenden Konferenz findet sich bei Bothe, in: Bothe/Partsch/Solf (Eds.), Einl. zu ZP-I, S. 1 ff. 722 Die englische Fassung von Art. 91 ZP-I lautet: „A Party to the conflict which violates the provisions of the Conventions or of this Protocol shall, if the case demands, be liable to pay compensation. It shall be responsible for all acts committed by persons forming part of its armed forces.“

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

gänzende Auslegungsmittel wie die Art. 91 ZP-I im Zeitpunkt des Vertragsschlusses umgebende Völkerrechtsordnung als auch die Vertragsmaterialien zu der Vorschrift zurückzugreifen: Was die Art. 91 ZP-I umgebende Völkerrechtsordnung anbelangt, so ist diese maßgeblich von dem nach 1945 einsetzenden „Triumphzug“723 der Menschenrechte auf internationaler Ebene und der damit verbundenen Ausstrahlungswirkung auf den Bereich des Rechts bewaffneter Konflikte, fortan unter dem Begriff „humanitäres Völkerrecht“ firmierend, geprägt. Bereits das IV. Genfer Abkommen von 1949 enthielt einen umfassenden Katalog an Vorschriften zum Schutz der Zivilbevölkerung im Krieg. Dieser im IV. Genfer Abkommen angelegte Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten wurde in den Zusatzprotokollen zu den Genfer Abkommen deutlich erweitert, indem etwa im Ersten Zusatzprotokoll Vorschriften zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen (Art. 48 – 71 ZP-I) aufgenommen wurden. Trotz dieser Entwicklungen und der entsprechenden Anerkennung der (Primär-)Rechtsträgerschaft von Individuen im Bereich des humanitären Völkerrechts [s. oben Teil 2, Gliederungspunkt B. II.] ist – ohne an dieser Stelle die nachfolgenden Ausführungen vorweg nehmen zu wollen – das Bestehen eines aus Verletzungen des humanitären Völkerrechts herrührenden (sekundären) Individualanspruches vom Standpunkt des gegenwärtigen Völkerrechts, gelinde gesagt, umstritten, und eine entsprechende Kodifikation eines solchen Sekundäranspruches hätte zumindest im Jahre 1977 das Beschreiten neuer völkerrechtlicher Pfade bedeutet. Dass die Bereitschaft zur Beschreitung eben solcher Pfade im Jahre 1977 aber (noch) nicht vorhanden war, verdeutlicht ein Blick in die zu Art. 91 ZP-I vorliegenden, gleichwohl spärlichen Vertragsmaterialien: Mit Unterstützung Algeriens und Jugoslawiens brachte der vietnamesische Delegierte einen Vorschlag bezüglich einer Verpflichtung zur Wiedergutmachung von Verstößen gegen das Erste Zusatzprotokoll ein, mit dem, so die Begründung des Delegierten, das bereits in Art. 3 HA-IV verankerte Prinzip der Wiedergutmachung wiederaufgegriffen werden sollte.724 Der vietnamesische Vorschlag wurde ohne größere Diskussionen und Abänderungen von einer Arbeitsgruppe in der Form des jetzigen Art. 91 ZP-I angenommen725 – ein Vorgang, der deutlich macht, dass man während der Genfer Konferenz allenfalls daran dachte, die durch Art. 3 HA-IV festgeschriebene Rechtslage, also die allseits anerkannte Verpflichtung zur Wiedergutmachung von Verstößen gegen humanitärrechtliche Bestimmungen auf zwischenstaatlicher Ebene, zu bestätigen, aber keines723

s. Gasser, in: Haug (Hrsg.), Menschlichkeit für alle, Kap. IV, S. 509. s. Official records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974 – 1977), Vol. 9, S. 355; s. auch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 132. 725 s. Official records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Geneva (1974 – 1977), Vol. 10, S. 215. 724

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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falls im Sinne hatte, einen für damalige Verhältnisse bahnbrechenden individuellen (Sekundär-)Anspruch im Bereich des humanitären Völkerrechts aus der Taufe zu heben.726 Diese – anhand der Vertragsmaterialien getroffene – Schlussfolgerung erscheint um so nahe liegender, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass es im Jahre 1977 bereits durchaus völkerrechtliche Regelungen gab, die ausdrücklich individuelle Ersatzansprüche vorsahen (zum Beispiel Art. 5 V EMRK), und die Vertragsparteien der Zusatzprotokolle bei entsprechender Regelungsabsicht somit ähnliche, auf einen Individualanspruch ausdrücklich hinweisende Formulierungen hätten verwenden können. Am Ende der Ausführungen zu Art. 91 ZP-I ist also festzuhalten: Trotz der moderneren Diktion des Ersten Zusatzprotokolls insgesamt sowie der zwischen dem Haager Abkommen von 1907 und dem Ersten Zusatzprotokoll von 1977 zu den Genfer Abkommen erfolgten tatsächlichen und rechtlichen Umwälzungen muss man auch Art. 91 ZP-I zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Charakter eines Individualrechtes absprechen.727 • Nachfolgende Staatenpraxis und Auslegung durch nationale Gerichte im Zusammenhang mit Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I Die unter diesem Gliederungspunkt vorgenommene und auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogene Auslegung von Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I schließt jedoch nicht aus, dass die Vorschriften durch nachfolgende Staatenpraxis und Auslegung durch nationale Gerichte einen Bedeutungswandel im Hinblick auf die Frage der Individualberechtigung erfahren haben.

726

Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 14; vgl. auch de Preux, in: Sandoz/ Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 91 ZP-I Rdn. 3657, der in seiner Kommentierung zu Art. 91 ZP-I zu dem Ergebnis kommt, dass sich Personen, die durch gegen humanitäres Völkerrecht verstoßendes Verhalten eines Staates geschädigt wurden, grds. an ihre eigene Regierung wenden müssten, die dann ihrerseits die individuellen Beschwerden auf zwischenstaatlicher Ebene gegenüber dem verantwortlichen Staat anbringen werde. Selbst Kalshoven räumt ein, dass mit Art. 91 ZP-I allenfalls die Regelung der einem Staat oder der Gesamtheit eines Volkes zustehenden Wiedergutmachungsleistung für im Krieg erlittene Zerstörungen und Verwüstungen beabsichtigt war, s. Kalshoven, State Responsibility for Warlike Acts of the Armed Forces, in: ICLQ 40 (1991), 827 [846]. A.A. jedoch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 133 unter der Prämisse, dass bereits Art. 3 HA-IV als individualbezogen auszulegen war, und dementsprechend eine Bezugnahme auf Art. 3 HA-IV für die Annahme der Individualgerichtetheit von Art. 91 ZP-I ausreichte. 727 Ausdrücklich gegen eine individualrechtliche Auslegung des Art. 91 ZP-I nach dem in den 1970er Jahren vorherrschenden Völkerrechtsverständnis auch Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 [350].

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Im Rahmen der dynamischen Auslegung völkerrechtlicher Normen ist gemäß Art. 31 III lit. b) WVK der spätere Umgang der Staaten mit den Bestimmungen des Art. 3 HA-IVund des Art. 91 ZP-I zu berücksichtigen [s. dazu bereits Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. a)]. Von einem Bedeutungswandel wird allerdings nur dann die Rede sein können, wenn die Praxis der Vertragsparteien im Hinblick auf Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I und eine aus diesen Bestimmungen abzuleitende Individualberechtigung ein gewisses Maß an Einheitlichkeit und Konsistenz aufweist.728 Ob diese Schwelle aus der Perspektive der gegenwärtig vorfindbaren Völkerrechtsordnung als erreicht angesehen werden kann, soll im Anschluss an die Darstellung der bis dato im Hinblick auf Individualrechte völkergewohnheitsrechtlich relevanten Entwicklungen beantwortet werden [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. c)].729 2. Völkergewohnheitsrechtliche Grundlage für einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden Da sich die im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand zunächst einschlägig erscheinenden völkervertraglichen Bestimmungen der Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I – zumindest im Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses – als nicht individualberechtigend erwiesen haben, kommt als weitere Rechtsgrundlage für die Herleitung eines Individualanspruches wegen Kriegsschäden das Völkergewohnheitsrecht in Betracht (Art. 38 I lit. b) IGH-St). Jüngste Entwicklungen im Völkerrecht lassen es auf den ersten Blick nicht unmöglich erscheinen, dass das Völkergewohnheitsrecht mittlerweile einen normativen Anknüpfungspunkt für das Bestehen eines Individualanspruches wegen Kriegsschäden bereithält.730 Im Rahmen der Untersuchung eines völkergewohnheitsrechtlichen Individualanspruches wegen Kriegsschäden werden unter Gliederungspunkt B. III. 2. a) zunächst die theoretischen Grundlagen zur Feststellung des Bestehens oder Nicht-Bestehens eines völkergewohnheitsrechtlichen Rechtssatzes freigelegt.

728 s. Schollendorf, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge in der Spruchpraxis des Appellate Body der Welthandelsorganisation (WTO), S. 56, mit weiteren Nachweisen in Fn. 185. 729 Zur Auslegung der Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I im Lichte des Völkergewohnheitsrechtes s. auch Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [375 f.]. 730 So gelangt z. B. Fischer-Lescano aufgrund der von ihm angeführten und aus seiner Sicht völkergewohnheitsrechtlich relevanten Entwicklungen zu dem Ergebnis, dass im Völkergewohnheitsrecht eine „allgemeine Regel“ bestehe, nach der den Opfern von Verletzungen des Völkerrechts Schadensersatzansprüche gegen den Schädigerstaat zukommen würden, s. Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [331].

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

231

An diese Freilegung der theoretischen Grundlagen schließt sich unter Gliederungspunkt B. III. 2. b) eine Darstellung jüngerer und jüngster Entwicklungen im Völkerrecht an, die – in der Summe – womöglich zur Herausbildung eines völkergewohnheitsrechtlichen Individualanspruches wegen Kriegsschäden geführt haben können. a) Theoretische Grundlagen: Entstehung völkergewohnheitsrechtlicher Regeln Trotz der Schwierigkeiten bei der Fixierung der Regeln über die Entstehung des Völkergewohnheitsrechts731 sollte es als weitestgehend anerkannt betrachtet werden, dass die Herausbildung einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel zwei Elemente voraussetzt: Zum einen die allgemeine Übung der Rechtssubjekte (usus) und zum anderen die Anerkennung dieser Übung als Recht (opinio iuris sive necessitatis).732 Die erforderliche allgemeine Übung der Rechtssubjekte wird auch als objektives Element, die erforderliche Rechtsüberzeugung auch als subjektives Element des Völkergewohnheitsrechts bezeichnet.733 Beide Merkmale finden sich in der Definition des Art. 38 I b) IGH-St.734 Ausgehend von diesen beiden Voraussetzungen der Entstehung völkergewohnheitsrechtlicher Normen muss damit als erstes eine allgemeine Übung der Staaten 731

s. zu diesen Schwierigkeiten ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 2 f., Ziff. 2 – 3 der Einführung (im Internet verfügbar unter http://www.ila-hq.org/, Stichwort: „Committees“ › „List of Committees“ › „Formation of Customary (General) International Law“, nachgesehen am 25.07.2009). 732 Bernhardt, Customary International Law, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 1, S. 898 [899]; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, § 4 II 2; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 16 Rdn. 2; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxii der Einführung; Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [195]; Vitzthum, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. I Rdn. 131; IGH, North Sea Continental Shelf Cases, Judgment of 20.02.1969, S. 44 Rdn. 77 (verfügbar auf der Website des IGH unter http://www.icj-cij.org/homepage/index. php?lang=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „1967“, nachgesehen am 25.07.2009); mit gewissen Modifikationen im Hinblick auf das Erfordernis der opinio iuris s. auch ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 9 f., Regel 1 sowie S. 32 f., Regel 16. Über diese beiden vorausgesetzten Elemente hinaus besteht angesichts unterschiedlicher Erklärungsversuche zur dogmatischen Einordnung beider Elemente und zur Bestimmung ihres Verhältnisses zueinander wenig Übereinstimmung, vgl. Verdross, Entstehungsweisen und Geltungsgrund des universellen völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts, in: ZaöRV 29 (1969), 635 [636 ff.]. 733 s. Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [195]. 734 Art. 38 I IGH-St lautet: „Der Gerichtshof […] wendet an […] b) das allgemeine Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung.“ Die Formulierung ist allerdings missverständlich: Nicht das Gewohnheitsrecht ist Ausdruck einer allgemein als Recht anerkannten Übung, vielmehr ist umgekehrt die allgemeine Übung Ausdruck von Gewohnheitsrecht.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

oder anderer zur Rechtssetzung befugter Völkerrechtssubjekte zu verzeichnen sein.735 Die Analyse der Staatenpraxis auf dem Weg zur Herausarbeitung einer völkergewohnheitsrechtlich existierenden Regel umfasst zwei Aspekte: Zunächst muss eine Auswahl derjenigen Staatenpraxis getroffen werden, die zur Entstehung des Völkergewohnheitsrechts beitragen kann; dann muss eine Bewertung ebendieser ausgewählten Staatenpraxis im Hinblick auf die Herausbildung einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm (hier: Individualanspruch wegen Kriegsschäden) erfolgen. Bei der – als erstes vorzunehmenden – Auswahl völkergewohnheitsrechtlich relevanter Staatenpraxis lassen sich folgende Leitlinien aufstellen: – Sowohl physisch sich auswirkendes Verhalten (zum Beispiel: Verhalten der Truppen auf dem Schlachtfeld)736 als auch verbal vernehmbares Verhalten können zur Herausbildung des Völkergewohnheitsrechts beitragen.737 Verbal vernehmbares Verhalten eines Staates erfasst etwa diplomatische Äußerungen, Regierungserklärungen, Pressemitteilungen, Aussagen in offiziellen, zum Beispiel militärischen Handbüchern, Anweisungen an die Streitkräfte, Kommentare von Regierungen zu Vertragsentwürfen, nationale Gesetzgebung, Entscheidungen nationaler Gerichte und Behörden, vor internationalen Gerichten vorgetragene Klagebegründungen oder Klageerwiderungen, Äußerungen im Rahmen Internationaler Organisationen und Standpunkte der Regierungen zu Resolutionen solcher Organisationen.738 Bei dem Verhalten, ganz gleich ob physisch oder verbal, muss es sich in jedem Fall um offizielles Verhalten handeln.739 – Wie bereits im vorherigen Spiegelstrich bei der Präzisierung verbal vernehmbaren Verhaltens angedeutet, ist die Praxis sowohl exekutiver als auch legislativer und judikativer Organe eines Staates im Rahmen der Analyse völkergewohnheitsrecht-

Nach der h.L. ist die allgemeine Übung konstitutive Voraussetzung der Entstehung des Gewohnheitsrechts, wohingegen die allgemeine Übung nach a.A. das Vorhandensein des Gewohnheitsrechts lediglich bestätigt und zum Ausdruck bringt, s. Vitzthum, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. I Rdn. 131. 736 Zu solchen tatsächlichen Akten s. auch Bleckmann, Zur Feststellung und Auslegung von Völkergewohnheitsrecht, in: ZaöRV 37 (1977), 505 ff. 737 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxii der Einführung; ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 14, Regel 4. 738 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxii der Einführung; Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [204 ff.]: Zemanek, What Is „State Practice“ and who Makes It?, in: Beyerlin/ Bothe/Hofmann/Petersmann (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung. Festschrift für Rudolf Bernhardt, S. 289 [293 ff.]; ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 14, Regel 4. 739 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxiii der Einführung. 735

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

233

lich relevanter Staatenpraxis zu berücksichtigen.740 Dies ist für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand insofern von Bedeutung, da in jüngerer Zeit vermehrt Entscheidungen nationaler Gerichte ergangen sind,741 in denen es um völkerrechtliche Ansprüche von Kriegsopfern ging und die möglicherweise Auswirkungen auf die Herausbildung eines entsprechenden völkergewohnheitsrechtlichen Rechtssatz haben [s. zu diesen Entscheidungen nationaler Gerichte auch unten Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) bb)]. – Die Handlungen staatlicher Organe werden nur dann berücksichtigt, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangen.742 Das heißt allerdings nicht, dass die staatliche Praxis weltweit veröffentlicht oder kommuniziert werden müsste. Eine allgemeine Veröffentlichung (zum Beispiel: beschlossene Gesetze im Bundesgesetzblatt) dürfte ausreichen. Interne Memoranden oder aber unter Verschluss gehaltene Regierungsauffassungen stellen indes keine völkergewohnheitsrechtlich relevante Staatenpraxis dar. Im Bereich des humanitären Völkerrechts sollten staatliche Auffassungen nach Möglichkeit dem IKRK übermittelt worden sein. – Was Entscheidungen internationaler Gerichte oder Tribunale anbelangt, so können diese nicht als Staatenpraxis betrachtet werden, da es sich bei internationalen Gerichten – im Gegensatz zu nationalen Gerichten – nicht um staatliche Organe handelt.743 Dennoch kommt insbesondere den Entscheidungen des IGH eine nicht zu leugnende Bedeutung bei der Feststellung und Fortentwicklung des Völker(gewohnheits)rechts zu: Auch wenn die Entscheidungen des IGH formal gesehen 740 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, § 4 II 2 a); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 16 Rdn. 18; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxiv der Einführung; Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [198 ff.]; ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 17, Regel 9. Von einigen Autoren, z. B. Strupp, Les rgles gnrales du droit de la paix, in: RdC 47 (I-1934), S. 259 [313 f.], wurde früher zum Teil die These vertreten, dass nur die von zur völkerrechtlichen Vertretung eines Staates befugten Organen vorgenommen Handlungen als Staatenpraxis im völkerrechtlichen Sinne anzusehen seien. Mit Blick auf die Veränderungen bei der Entstehung des Völkergewohnheitsrechts, s. dazu ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 3, Ziff. 3 der Einführung, ist diese Sichtweise indes nicht mehr haltbar. 741 s. jüngst BGHZ 169, 348 [351 ff.]. 742 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxiv der Einführung; ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 15, Regel 5. 743 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxiv der Einführung; Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [202]; ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 18, Regel 10.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

„nur für die Streitparteien und nur in bezug auf die Sache bindend [sind], in der entschieden wurde“ (s. Art. 59 IGH-St), so geht von einem Befund des IGH, dass eine bestimmte Regel völkergewohnheitsrechtlich verankert sei, zweifelsohne eine gewisse Überzeugungskraft aus.744 – Was die Praxis Internationaler Organisationen anbelangt, so ist festzustellen, dass Internationale Organisationen – zumindest zum Teil – völkerrechtsfähig sind und dass diese selber und unabhängig von ihren Mitgliedstaaten internationale Beziehungen mitgestalten und an solchen Beziehungen mitwirken können.745 Insofern kann ihre Praxis zur Herausbildung völkergewohnheitsrechtlicher Regeln beitragen. Im Bereich des humanitären Völkerrechts können insbesondere offizielle Erklärungen des IKRK, das als völkerrechtsfähig anzusehen ist, für die Feststellung und Herausbildung von Gewohnheitsrecht von Bedeutung sein.746 – Im Hinblick auf die von Internationalen Organisationen verabschiedeten Resolutionen sei abschließend angemerkt, dass sowohl aus dem Verhalten der Staaten während der Beratungen (zum Beispiel: Regierungserklärungen zu Entwurfsartikeln) als auch aus dem anschließenden Umgang der Staaten mit den Resolutionen entsprechende Schlussfolgerungen im Hinblick auf die völkergewohnheitsrechtliche Relevanz der Resolutionen gezogen werden können. Als Faustregel läßt sich dabei aufstellen: Je breiter die (staatliche) Unterstützung für die Resolution – desto größer ihre (völkergewohnheitsrechtliche) Bedeutung.747 Dieser Zusammenhang wird insbesondere bei den Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission, auf die in Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa) eingegangen wird, eine Rolle spielen. Nach der Auswahl der völkergewohnheitsrechtlich relevanten Staatenpraxis erfolgt – als zweites – eine Bewertung ebendieser Staatenpraxis, die am Ende die Feststellung des Bestehens oder aber des Nicht-Bestehens eines völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtssatzes ermöglichen soll. Im Kern geht es bei dieser Bewer-

744 Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [202]; ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 19, Regel 10. 745 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxv der Einführung; ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 19, Regel 11. 746 Auch die Studie von Henckaerts/Doswald-Beck zu den gewohnheitsrechtlichen Grundlagen des humanitären Völkerrechts bezieht offizielle Erklärungen des IKRK in ihre Darstellung mit ein, s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxv der Einführung. 747 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxvi der Einführung.

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tung um die Frage, ob die zu verzeichnende Staatenpraxis die nötige „Dichte“748 aufweist, um von einer völkergewohnheitsrechtlich verfestigten Regel sprechen zu können. Die – vorhandene oder nicht vorhandene – Dichte der Staatenpraxis wird anhand der folgenden Kriterien beurteilt: Einheitlichkeit der Staatenpraxis; Verbreitung der Staatenpraxis; Dauer der Staatenpraxis.749 Die Staatenpraxis muss sich also zunächst durch ihre Einheitlichkeit auszeichnen. Das Erfordernis der Einheitlichkeit der Praxis ist erfüllt, wenn das Verhalten verschiedener Staaten in einem bestimmten Bereich als konsistent einzustufen ist.750 Eine solche Konsistenz lässt sich dann ausmachen, wenn sich das Verhalten der verschiedenen, in einem bestimmten Bereich tätig werdenden Staaten nicht grundlegend unterscheidet.751 Kommt es lediglich in Einzelfällen zu Abweichungen, wird dadurch das Merkmal der Einheitlichkeit nicht beeinträchtigt. Über die Einheitlichkeit hinaus muss die Staatenpraxis in dem jeweiligen Bereich ein gewisses Maß an Verbreitung erfahren haben, um letztlich vom Vorliegen einer „allgemein“ anerkannten Norm ausgehen zu können. Für eine solche allgemeine Anerkennung ist zwar nicht die einhellige Praxis aller Staaten erforderlich.752 Exakte Zahlen- oder Prozentangaben im Hinblick auf den erforderlichen Grad der Verbreitung, um von einer allgemeinen Anerkennung sprechen zu können, lassen sich hingegen auch nicht machen.753 Man wird von der allgemeinen Anerkennung einer bestimmten Praxis aber wohl dann ausgehen können, wenn sie das Verhalten derjenigen 748 Diese Formulierung stammt von Waldock, General Course on Public International Law, in: RdC 106 (1962), S. 1 [44]. 749 Bernhardt, Customary International Law, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. 1, S. 898 [900]; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, § 4 II 2 a); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 16 Rdn. 8 ff.; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxvi der Einführung; Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [209 ff.]; Vitzthum, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. I Rdn. 132; ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 20, Regel 12. 750 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 16 Rdn. 10. 751 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxvi der Einführung; Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [212]; s. auch Entscheidung des IGH in der Rechtssache Fisheries Case, in der der Gerichtshof u. a. die Frage der gewohnheitsrechtlichen Akzeptanz einer 10-Meilen-Basislinie für Buchten klären musste und diese angesichts der Tatsache, dass bestimmte Staaten von einer 10-Meilen-Regel ausgingen, während andere Staaten einen davon abweichenden Grenzwert propagierten, verneinte (IGH, Fisheries Case, Judgment of 18.12.1951, S. 131 (verfügbar auf der Website des IGH unter http://www.icj-cij.org/homepage/index.php?lan g=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „1949“, nachgesehen am 25.07.2009). 752 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 16 Rdn. 11. 753 ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 25, Regel 14.

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Staaten umfasst, deren Interessen besonders berührt sind.754 Ob die Interessen eines Staates besonders berührt sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Was beispielsweise die Herausbildung völkergewohnheitsrechtlicher Regeln im Bereich des humanitären Völkerrechts anbelangt, so dürften vor allem die Interessen all derjenigen Staaten, die sich an militärischen Auseinandersetzungen beteiligen, als besonders berührt zu betrachten sein.755 Im Hinblick auf die zur Entstehung einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm erforderliche Dauer einer bestimmten Praxis lassen sich keine abstrakten und generellen Aussagen treffen. Normalerweise wird einige Zeit verstreichen müssen, damit man die Praxis von Staaten in einem bestimmten Bereich als gewohnheitsrechtlich akzeptiert ansehen kann.756 Das soll zwar nicht heißen, dass das Verstreichen einer geringen Zeitspanne der Annahme einer gewohnheitsbegründenden Staatenpraxis von vorneherein entgegensteht.757 Überdies ist auch zuzugeben, dass die Beschleunigung zwischenstaatlicher Kommunikation durch moderne Kommunikationsmittel den Prozess der Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht generell verkürzt haben dürfte.758 Damit aber die Erfordernisse der Einheitlichkeit und der Verbreitung im oben dargelegten Sinne als erfüllt angesehen werden können, ist gleichwohl auch im Zeitalter beschleunigter internationaler Kommunikationswege der Ablauf einer gewissen Zeitspanne unerlässlich.759 Die – sich aus völkergewohnheitsrechtlich relevanten Handlungen zusammensetzende und die nötige Dichte aufweisende – Staatenpraxis muss, wie eingangs angedeutet, von dem Bewusstsein der rechtlichen Verpflichtung, der sog. opinio iuris, begleitet sein, um das Bestehen einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel annehmen zu können. Die Art und Weise, wie diese Überzeugung einer Rechtspflicht zum Ausdruck kommt, hängt von dem Inhalt der vermeintlichen völkergewohnheitsrechtlichen Regel ab.760 Hat die Regel etwa eine Verpflichtung – hier: (staatliche) Verpflichtung, für Kriegsschäden Wiedergutmachung zu leisten – zum Inhalt, dann ließe sich eine 754

s. IGH, North Sea Continental Shelf Cases, Judgment of 20.02.1969, S. 43 Rdn. 74. s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxix der Einführung. 756 s. auch Aussage bei Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [209]: „… for something to become ,customary it must have become ,habitual, and habits normally take at least some time to develop.“ 757 Vgl. IGH in seiner Entscheidung zu den Nordsee-Festlandsockel-Fällen (= IGH, North Sea Continental Shelf Cases, Judgment of 20.02.1969, S. 43 Rdn. 74): „Although the passage of only a short period of time is not necessarily, or of itself, a bar to the formation of a new rule of customary international law …“ 758 Vgl. Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [347 ff.]. 759 So auch Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 16 Rdn. 9. 760 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xxxvi der Einführung. 755

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entsprechende Rechtsüberzeugung in der Völkerrechtsgemeinschaft beispielsweise an staatlichen Äußerungen, in denen die Notwendigkeit des Handelns betont wird, oder aber an der Kritik anderer Staaten im Hinblick auf Staaten, die der Verpflichtung zuwiderhandeln, ablesen.761 Elemente der Staatenpraxis und der opinio iuris lassen sich oftmals kaum auseinanderhalten. Das ist insbesondere bei verbal vernehmbarem Verhalten der Fall, das zum einen als Nachweis von Staatenpraxis gilt und zum anderen oftmals die staatliche Rechtsüberzeugung ausdrückt. Diese Schwierigkeit des Auseinanderhaltens fällt allerdings bei Vorliegen ausreichend dichter Staatenpraxis nicht ins Gewicht: In solchen Fällen darf vermutet werden, dass die einheitliche und verbreitete Staatenpraxis Ausdruck einer dahinterstehenden Rechtsauffassung ist.762 Ist die Staatenpraxis hingegen nicht eindeutig, kann die opinio iuris gleichwohl eine entscheidende Rolle spielen, um zu bestimmen, ob die zu verzeichnende Staatenpraxis zur Herausbildung einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel geführt hat oder nicht.763 b) Völkergewohnheitsrechtlich relevante Entwicklungen im Hinblick auf einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden Nachdem unter dem vorangegangenen Gliederungspunkt B. III. 2. a) der Maßstab für die Herausbildung eines völkergewohnheitsrechtlichen Rechtssatzes aufgestellt wurde, sollen unter diesem Gliederungspunkt jüngere und jüngste völkerrechtliche Entwicklungen im Bereich der Wiedergutmachung von Kriegsschäden infolge von Verletzungen des humanitären Völkerrechts dargestellt werden. Am Ende der Darstellung dieser Entwicklungen soll in Gliederungspunkt B. III. 2. c) die Beantwortung der Frage stehen, ob das Völkergewohnheitsrecht – ausgehend von dem unter B. III. 2. a) aufgestellten Maßstab – nach gegenwärtigem Stand einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden vorsieht. Die Darstellung der vermeintlich völkergewohnheitsrechtlich relevanten Entwicklungen unter diesem Gliederungspunkt deckt den Zeitraum von der Annahme des IV. Haager Abkommens im Jahre 1907 bis zum heutigen Tage ab. Dabei wird eine Zweiteilung vorgenommen: Zunächst wird – in chronologischer Reihenfolge – 761

s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xl der Einführung. 762 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1, § 4 II 2 b); Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xl der Einführung; ILA, Final Report of the Committee on the Formation of Customary (General) International Law, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law, S. 33, Regel 16. 763 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, S. xl der Einführung.

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die internationale Praxis im Hinblick auf die Entstehung eines Individualanspruches wegen Kriegsschäden nachgezeichnet [s. nachfolgender Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa)]; im Anschluss daran wird die nationale Praxis ausgesuchter Staaten, die vor allem von Gerichtsentscheidungen zu aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Kriegsschäden dominiert wird, beleuchtet [s. Gliederungspunkt B. III. 2. b) bb)]. aa) Internationale Praxis In der modernen internationalen Praxis ist, insbesondere seit den 1990er Jahren, das Thema individueller Kompensationsansprüche wegen Kriegsschäden verstärkt in den Blickpunkt gerückt. Als Reaktion auf die gestiegene Aufmerksamkeit hat die ILA Mitte 2003 ein Komitee mit dem Arbeitstitel „Compensations for victims of war“ zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas eingesetzt.764 Zuletzt haben die im April 2005 von der UN-Menschenrechtskommission verabschiedeten765 und im März 2006 von der UN-Generalversammlung angenommenen766 „Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law“ der Sicht, wonach im Völkerrecht den bei kriegerischen Auseinandersetzungen geschädigten Individualpersonen Ansprüche auf Wiedergutmachung zustehen, neuen Auftrieb gegeben. .

• Vom Haager Abkommen von 1907 zu den Friedensregelungen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg Wie in Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. bb) bereits herausgearbeitet, brachte Art. 3 des IV. Abkommens von 1907 zunächst keine Abkehr vom traditionellen Prinzip staatengerichteter Ansprüche767 infolge von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts.768

764 Für die jüngsten Arbeitsergebnisse dieses ILA-Komitees s. International Law Association, Rio de Janeiro Conference (2008), Compensation for Victims of War, Draft Report (im Internet abrufbar auf der Internet-Seite der ILA unter http://www.ila-hq.org, Stichwort: „Committees“ › „Compensation for Victims of War“ › „Draft Conference Report Rio 2008“, nachgesehen am 25.07.2009). Zu der von Hofmann für diese Konferenz erarbeiteten „Draft Declaration of International Law Principles on Compensation for Victims of War“, die in dem Konferenz-Bericht enthalten ist (S. 2 ff.), s. unten unter diesem Gliederungspunkt. 765 Beschluss der UN-Menschenrechtskommission vom 13.04.2005 (UN Doc. E/CN.4/ 2005/L.48). 766 Resolution der UN-Generalversammlung vom 21.03.2006 (UN Doc. A/Res/60/147). 767 s. zu diesem traditionellen Prinzip auch Dolzer, The Settlement of War-Related Claims: Does International Law Recognize a Victimss Private Right of Action?, in: BJIL 20 (2002), 296 [306 ff.].

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Auch die im Rahmen der Abwicklung der Schäden des Ersten Weltkriegs geschlossenen Friedensregelungen konnten an diesem Prinzip nicht grundlegend rütteln: So wurden im Versailler Friedensvertrag von 1919 zwar vereinzelt individuelle Ansprüche eingeräumt. Gemäß Art. 297 lit. e) des Versailler Vertrages von 1917 hatten alliierte Staatsangehörige etwa einen Anspruch auf Entschädigung für die Schäden an ihren Gütern, Rechten und Interessen, die ihnen während des Krieges durch außerordentliche Kriegsmaßnahmen und Übertragungsanordnungen des Deutschen Reiches entstanden waren.769 Die alliierten Restitutions- und Entschädigungsansprüche wurden von einer paritätisch besetzten Kommission festgestellt. Diese vereinzelten Individualansprüche können allerdings nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Abwicklung von Kriegsschäden zur damaligen Zeit vornehmlich eine zwischenstaatliche Angelegenheit war:770 So wurde nur der Siegerstaat – und nicht etwa einzelne Individuen – als berechtigt angesehen, Wiedergutmachung für Schäden an Einzelpersonen zu verlangen.771 Eine besondere Bezugnahme auf Verletzungen des Kriegsvölkerrechts erfolgte dabei nicht, vielmehr fußte die Verpflichtung zur Wiedergutmachung auf einer Verletzung des ius ad bellum.772 Sofern der Versailler Friedensvertrag überhaupt auf Individualschäden Bezug nahm, kam diesen nur die Bedeutung als Rechnungsposten bei der Ermittlung der zwischenstaatlichen Reparationsforderungen zu.773 Die Geschehnisse nach dem Zweiten Weltkrieg waren von zwei Entwicklungen gekennzeichnet: Während im Rahmen der völkerstrafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen des Zweiten Weltkrieges das Individuum und sein Handeln in den Mittelpunkt gerückt wurde [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. e)], erfolgte

768 Das soll allerdings nicht heißen, dass nach dem gegenwärtigen Stand des Völkerrechts eine individualrechtliche Auslegung des Art. 3 HA-IV ausgeschlossen ist [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. b)]. 769 s. zu dieser ausnahmsweisen Möglichkeit der Geltendmachung privater Schäden aufgrund außerordentlicher Kriegsmaßnahmen oder Forderungen aus Vorkriegsverträgen auch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 123. 770 s. Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 10; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 123. 771 Dolzer, The Settlement of War-Related Claims: Does International Law Recognize a Victimss Private Right of Action?, in: BJIL 20 (2002), 296 [310]; Heintschel von Heinegg, Entschädigungen für Verletzungen des humanitären Völkerrechts, in: Heintschel von Heinegg/ Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 1 [23]. 772 De Preux, in: Sandoz/Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 91 ZP-I Rdn. 3647; Gillard, Reparation for violations of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 529 [533]. 773 Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [134].

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die finanzielle Abwicklung der Kriegsschäden vornehmlich auf zwischenstaatlicher Ebene. .Im Rahmen der finanziellen Kriegsfolgenabwicklung schlossen die siegreichen Alliierten zunächst Friedensverträge mit den Achsenmächten, also den ehemaligen Verbündeten des Deutschen Reiches während des Zweiten Weltkrieges ab,774 die dem Regelungsmuster der Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg folgten: Die besiegten Staaten mussten an die siegreichen Staaten Reparationen zahlen, die als Pauschalsumme nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit festgelegt wurden.775 Alle Friedensverträge, sowohl die Pariser Friedensverträge von 1947 als auch der Friedensvertrag von 1951 mit Japan, enthielten Verzichtklauseln, in denen der Verzicht der früheren Achsenmächte auf eigene Ansprüche und die ihrer Staatsangehörigen gegenüber den Alliierten für sämtliche Kriegsschäden festgelegt wurde.776 Der Prozess der Abwicklung der Kriegsschäden mit der deutschen Seite gestaltete sich deutlich schwieriger und umfasste eine Vielzahl von Abkommen.777 Die Schwierigkeiten lagen darin begründet, dass Deutschland nach der Kapitulation im Mai 1945 keine handlungsfähige Regierung mehr hatte. Überdies wurde die Frage deutscher Reparationsleistungen zusehends von dem heraufziehenden Ost-West-Konflikt überschattet: Konnten sich die USA, Großbritannien und die Sowjetunion auf der Konferenz von Potsdam (Juli/August 1945) noch auf die Grundzüge deutscher Reparationen einigen,778 gingen die Westmächte einerseits und die Sowjetunion andererseits ab 1946 getrennte Wege.

774 Das waren zum einen die Pariser Friedensverträge von 1947 zwischen den Alliierten und Italien, Bulgarien, Finnland, Rumänien und Ungarn; zum anderen schlossen die Alliierten 1951 mit Japan einen Friedensvertrag ab, s. Dolzer, The Settlement of War-Related Claims: Does International Law Recognize a Victimss Private Right of Action?, in: BJIL 20 (2002), 296 [310 ff.]. Ein kurzer Überblick zu den Reparationsregelungen nach dem Zweiten Weltkrieg findet sich bei Seidl-Hohenveldern, Reparations after World War II, in: EPIL, Bd. 4, S. 180 ff. 775 Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [136, 139]. 776 Dolzer, The Settlement of War-Related Claims: Does International Law Recognize a Victimss Private Right of Action?, in: BJIL 20 (2002), 296 [311, 312]; Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/ Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [137, 139]. 777 Ein kurzer Überblick findet sich bei Dolzer, Multilaterale Grundlagen der deutschen Reparationspflicht nach 1945, in: P. Kirchhof/Lehner/Raupach/Rodi (Hrsg.), Staaten und Steuern. Festschrift für Klaus Vogel, S. 265 ff. 778 s. zu diesen Grundzügen der Konferenz von Potsdam: Dolzer, The Settlement of WarRelated Claims: Does International Law Recognize a Victimss Private Right of Action?, in: BJIL 20 (2002), 296 [316 f.]; Seidl-Hohenveldern, Reparations after World War II, in: EPIL, Bd. 4, S. 180 [181].

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Die sog. Westmasse, also die Entnahme von Vermögenswerten aus den westlichen Besatzungszonen, wurde in drei Schritten geregelt: im Pariser Reparationsabkommen (1946),779 im Überleitungsvertrag der Bonner Verträge (1952/54)780 und im Londoner Schuldenabkommen (1953).781 Das Pariser Reparationsabkommen regelte im Wesentlichen den Umfang der zu verteilenden Westmasse, die prozentuale Aufteilung unter den Alliierten und das Verfahren der Verteilung durch eine Internationale Reparationsagentur. Art. 2 A des Pariser Abkommens zufolge deckte der einem Staat zugesprochene Anteil an den Reparationen sowohl die Forderungen des Staates als auch die Forderungen aller seiner Staatsangehörigen gegen die ehemalige deutsche Regierung ab, die aus den Kriegsverhältnissen entstanden waren. Art. 2 B (ii) des Abkommens stellte klar, dass es sich bei dem Pariser Abkommen nur um eine vorläufige Regelung bezüglich der von deutscher Seite zu leistenden Reparationsleistungen handelte. Mit den Bonner Verträgen von 1952/1954782 wurde die Bundesregierung als Vertreterin Westdeutschlands an den Verhandlungen über deutsche Reparationen erstmals beteiligt. Im Hinblick auf den Komplex der deutschen Reparationen traf der Überleitungsvertrag, der Teil der Bonner Verträge war, unter anderem folgende Regelungen: Die Alliierten verzichteten auf die Entnahme weiterer Reparationen bis zum Abschluss eines (endgültigen) Friedensvertrages (Art. 1 des sechsten Kapitels des Überleitungsvertrages); dieser Reparationsverzicht wurde – zum Teil – durch die vertraglich festgelegte Verpflichtung Deutschlands kompensiert, eine angemessene Entschädigung für die Opfer des NS-Regimes zu gewährleisten (viertes Kapitel des Überleitungsvertrages); in den Vertrag wurden sowohl staatliche als auch private Ansprüche aufgenommen (neuntes Kapitel des Überleitungsvertrages). Die hohe Summe der noch ausstehenden Forderungen gegen Deutschland einerseits und das Bestreben der Westmächte andererseits, durch Kreditzusagen den Wiederaufbau Deutschlands voranzubringen, führten im Jahre 1953 dann zum Abschluss des Londoner Schuldenabkommens, das den Abschluss der vorläufigen Regelung der 779 Agreement on reparation from Germany, on the establishment of an Inter-Allied Reparation Agency and on the restitution of monetary gold, 14.01.1946, abgedruckt in: UNTS, Vol. 555, Nr. 8105, S. 69 ff. 780 Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (in der gemäß Liste IV zu dem am 23.10.1954 in Paris unterzeichneten Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland geänderten Fassung), BGBl. 1955 II, S. 303, 405 ff. 781 Abkommen über deutsche Auslandsschulden, London, den 27.02.1953, BGBl. 1953 II, S. 333 ff. 782 Die im Mai 1952 in Bonn zwischen den drei Westmächten (USA, Großbritannien und Frankreich) und Deutschland geschlossenen Verträge konnten zunächst nicht in Kraft treten, da das mit den Verträgen zusammenhängende Projekt der Errichtung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft scheiterte. Zweieinhalb Jahre und etliche Verhandlungen später wurde eine überarbeitete Version der Bonner Verträge im Oktober 1954 in Paris unterzeichnet, die im Mai 1955 in Kraft trat. Zum Ganzen s. Kewenig, Bonn and Paris Agreements on Germany (1952 and 1954), in: EPIL, Bd. 1, S. 422 ff.

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deutschen Reparationen markiert. Das Londoner Abkommen stellte alle bis dato nicht erledigten, aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Krieg befunden hatten, und deren Staatsangehörigen gegen Deutschland bis zum endgültigen Abschluss der Reparationsfrage durch einen Friedensvertrag mit Gesamt-Deutschland zurück (Art. 5 II des Londoner Abkommens).783 In den folgenden Jahren kam die Bundesrepublik den ihr in den Verträgen auferlegten Verpflichtungen nach und erließ zum Beispiel mit dem sog. Bundesentschädigungsgesetz (BEG) Vorschriften zur Entschädigung für Opfer des NS-Regimes.784 Daneben schloss die Bundesregierung in den 50er und 60er Jahren mit mehreren Staaten, unter anderem mit Israel,785 bilaterale Vereinbarungen ab, in denen sich Deutschland verpflichtete, diesen Staaten Gelder zur Verteilung an die Opfer des NS-Regimes zur Verfügung zu stellen.786 Als sich schließlich Ende 1989 die Wiedervereinigung Deutschlands abzeichnete, schien die Zeit für den Abschluss eines Friedensvertrages, auf den das Londoner Schuldenabkommen verwiesen hatte, gekommen. Der zwischen den Besatzungsmächten und den beiden deutschen Teilstaaten geschlossene „2+4-Vertrag“787 wurde jedoch bewusst nicht als Friedensvertrag tituliert; eine Aussage zu der Frage der Reparationen fehlte. Allerdings statuierte Art. 12 der Präambel des Vertrages, dass der Vertrag nicht als vorläufige Regelung, sondern als „abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ anzusehen sei. Damit wurde festgelegt, dass kein weiterer Friedensvertrag abgeschlossen werden sollte.788 Im Lichte des 2+4-Vertrages sowie der Zahlung erheblicher Wiedergutmachungsleistungen und eines Zeitablaufes von 50 Jahren seit dem Kriegsende betonte die Bundesregierung nach der Wiedervereinigung immer wieder, dass sich aus ihrer Sicht die Frage der Reparationen erledigt habe.789 Dass dies eine Fehleinschätzung war, zeigten 783 Im Zusammenhang mit Klagen von privaten Gläubigern entschied der BGH in ständiger Rechtsprechung, dass Art. 5 II des Londoner Abkommens eine gerichtliche Prüfung der erfassten Ansprüche ausschloss, s. BGHZ 16, 207 ff.; BGHZ 18, 22 ff.; BGHZ 19, 258 ff. 784 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG), BGBl. 1953 I, S. 1387 ff. Ausführlich zur deutschen Wiedergutmachungsgesetzgebung s. auch Brodesser/Fehn/Franosch/Wirth, Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation, S. 31 ff. 785 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel, BGBl. 1953 II, S. 37 ff. 786 s. Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 12. 787 Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12.09.1990, BGBl. 1990 II, S. 1318 ff. 788 Rauschning, Beendigung der Nachkriegszeit mit dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, in: DVBl. 105 (1990), 1275 [1279]. 789 s. Unterrichtung durch die Bundesregierung – Umfassender Bericht über bisherige Wiedergutmachungsleistungen deutscher Unternehmen, BT-Drucksache, 03.06.1996, S. 2;

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die alsbald nach Abschluss des 2+4-Vertrages einsetzenden Klagen früherer NSZwangsarbeiter in den USA und in Deutschland [s. auch Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) bb)].790 Ungeachtet dieser Klagen zeigt die Praxis deutscher Reparationen in den Jahren 1945 – 1990, dass die Abwicklung von Kriegsschäden vornehmlich auf zwischenstaatlicher Ebene erfolgte – und nicht etwa individualbezogene Schäden vor nationalen Gerichten verfolgt wurden.791 Dabei ist die sich abzeichnende und in den Abkommen mit den Achsenmächten als auch in den Friedensregelungen mit Deutschland getroffene Unterscheidung zwischen staatlichen Reparationsansprüchen und individuellen, aus dem Krieg herrührenden Forderungen nicht zu verkennen. Aus dieser Unterscheidung kann jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich dem Völkerrecht bei Kriegsschäden entsprechende individuelle Ansprüche entnehmen lassen.792 Ihre Grundlage bieten vielmehr etwaige völkerrechtliche Verträge oder aber nationales Recht (zum Beispiel: BEG; Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ vom 2. August 2000).793 • Die Genfer Abkommen von 1949 und ihre Zusatzprotokolle von 1977 Im Lichte der Schrecken und Verbrechen des Zweiten Weltkrieges wurde das Recht internationaler bewaffneter Konflikte mit den Genfer Abkommen von 1949 auf eine neue Basis gestellt: Der Schutz des menschlichen Wesens rückte in den Mittelpunkt der Regelungen, was auch die Begriffsprägung „humanitäres Völkerrecht“ zur Folge hatte [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. c)]. Vor allem das IV. Genfer Abkommen mit seinen Vorschriften zum Schutz der in Feindeshand befindAntwort der Bundesregierung auf Kleine Anfrage von Abgeordneten der PDS zum Thema Entschädigung für jüdische Zwangsarbeiterinnen, BT-Drucksache 13/8840, 27.10.1997, S. 2; Antwort der Bundesregierung auf Kleine Anfrage von PDS-Abgeordneten zum Thema Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern für erlittenes Unrecht durch Verbrechen von Betrieben der deutschen Wirtschaft im NS-Regime, BT-Drucksache 14/1786, 13.10.1999, S. 8. Für eine Erledigung der Reparationsfrage durch den Abschluss des 2+4Vertrages auch Dolzer, Multilaterale Grundlagen der deutschen Reparationspflicht nach 1945, in: P. Kirchhof/Lehner/Raupach/Rodi (Hrsg.), Staaten und Steuern. Festschrift für Klaus Vogel, S. 265 [274 f.]; Rauschning, Beendigung der Nachkriegszeit mit dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, in: DVBl. 105 (1990), 1275 [1279]. 790 Eine Dokumentation der eingereichten Klagen und ergangenen Urteile findet sich bei Barwig/Saathoff/Weyde (Hrsg.), Entschädigung für NS-Zwangsarbeit, S. 248 ff. 791 s. Dolzer, The Settlement of War-Related Claims: Does International Law Recognize a Victimss Private Right of Action?, in: BJIL 20 (2002), 296 [338]. 792 Kadelbach, Staatenverantwortlichkeit für Angriffskriege und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 63 [82]; vgl. auch Eichhorn, Reparation als völkerrechtliche Deliktshaftung, S. 78. 793 Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/ Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 [349].

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

lichen Zivilpersonen gegen Willkür und Gewalt beschritt völkerrechtliches Neuland. Eine Vorschrift, die – ähnlich Art. 3 HA-IV – eine Entschädigungspflicht für Verletzungen der Konventionen aufstellte, sucht man in den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 indes vergebens.794 Im ersten Zusatzprotokoll von 1977 zu den Genfer Abkommen, das den Schutzbereich der Abkommen um Vorschriften zum Schutz der Zivilbevölkerung gegen die unmittelbaren Folgen der Kriegsführung erweiterte, wurde dann mit Art. 91 ZP-I zwar eine – sich von Art. 3 HA-IV nur gering fügig unterscheidende – Regelung aufgenommen, die eine staatliche Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz für Verletzungen der Bestimmungen des Zusatzprotokolls vorsah. Gerade vor dem Hintergrund der in den 1970er Jahren geltenden Völkerrechtsordnung konnte diese Bestimmung jedoch (zunächst) nicht als Individualberechtigung aufgefasst werden [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. b)]. • Universelle und regionale Menschenrechtsverträge Parallel zu den Entwicklungen im Bereich des humanitären Völkerrechts setzten sich infolge des Zweiten Weltkriegs die – traditionell in den nationalstaatlichen Verfassungen verankerten – Menschenrechte auf völkerrechtlicher Ebene durch. Anfänglich noch in allgemeinen Grundsatzerklärungen proklamiert795 wurden die Menschenrechte in den Folgejahren durch regionale796 und universelle797 Abkommen – zumindest teilweise – als juristisch verbindlich anerkannt und für ihre Einhaltung entsprechende Überwachungssysteme (zum Beispiel: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) eingerichtet. Aus individueller Sicht hatte die Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes – allgemein betrachtet – zur Folge, dass einzelne Menschen fortan als unmittelbar aus dem Völkerrecht berechtigt und damit als partielle Völkerrechtssubjekte angesehen wurden – eine Entwicklung, die auf die Stellung des Individuums im Bereich des humanitären Völkerrechts ausstrahlte [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkte A. IV. 1. d) aa) und B. II.]. Die Bedeutung des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes – speziell – für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand, also für (sekundäre) Individualansprüche im Bereich des humanitären Völkerrechts, liegt nun darin, dass beispielsweise die EMRK erstens dem über die Einhaltung der EMRK wachenden EGMR im Rahmen einer Individualbeschwerde die Möglichkeit einräumt, einem in seinen Konventions794 Eine implizite Anerkennung einer Entschädigungspflicht für Verletzungen der Bestimmungen der Genfer Abkommen findet sich in den Art. 51 GA-I, Art. 52 GA-II, Art. 131 GA-III und Art. 148 GA-IV. 795 s. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 (UN Doc. A/RES/217). 796 Z.B. (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (BGBl. 1952 II, S. 686 ff.) in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.05.2002, BGBl. 2002 II, S. 1055 ff. 797 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966, BGBl. 1973 II, S. 1534 ff.

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rechten verletzten Individuum eine gerechte Entschädigung zuzusprechen (Art. 41 EMRK), und zweitens die Vorschriften der EMRK während eines bewaffneten Konfliktes, also dem eigentlichen Regelungsbereich des humanitären Völkerrechts, grundsätzlich anwendbar bleiben (Art. 15 I EMRK).798 In der Theorie heißt das: Wird eine Person im Zuge eines bewaffneten Konfliktes getötet und verstößt diese Tötung etwa gegen das Verbot unterschiedsloser Angriffe (Art. 51 IV ZP-I), dann liegt – unterstellt die EMRK ist auf den bewaffneten Konflikt anwendbar – aufgrund der völkerrechtswidrigen Kampfhandlung zugleich eine Verletzung des Art. 2 EMRK vor, s. Art. 15 II EMRK. Für die Rechtsnachfolger der getöteten Individualperson bestünde dann im Rahmen einer vor dem EGMR angestrengten Individualbeschwerde gemäß Art. 41 EMRK die Möglichkeit, für die Verletzung des Art. 2 EMRK – und die davon nicht zu trennende Verletzung des Art. 51 IV ZP-I – eine gerechte Entschädigung zugesprochen zu bekommen. Das würde bedeuten: Über den „Umweg“ der Beschwerde vor dem EGMR würde das infolge von Verletzungen des humanitären Völkerrechts geschädigte Individuum bzw. dessen Rechtsnachfolger Schadensersatz für die erlittenen Kriegsschäden erlangen können [s. zu diesem Aspekt auch Teil 2, Gliederungspunkt B. V.].799 So weit die Theorie. Was die Praxis des EGMR800 anbelangt, so ist zunächst zu konstatieren, dass sich aus Sicht des Gerichtshofes der Anwendungsbereich der EMRK nicht auf unmittelbare Kampfhandlungen im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes erstreckt [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. d) aa)] und somit eine Fruchtbarmachung der Schutzmechanismen der EMRK für eine Durchsetzung humanitärrechtlicher Vorschriften in diesen Fällen nicht erfolgen kann. In seinen übrigen Entscheidungen im Zusammenhang mit individuellen Schäden durch Handlungen staatlicher Militärs hat es der EGMR überdies bisher vermieden, die von ihm zu beurteilenden Situationen als bewaffnete Konflikte einzuordnen und ausdrücklich auf Bestimmungen des humanitären Völkerrechts Bezug zu nehmen, um die Verletzung von Rechten der EMRK feststellen zu können.801 Und dennoch 798 Für eine Anwendbarkeit von Menschenrechten während eines bewaffneten Konflikts s. auch IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion of 08.07.1996, Ziff. 25 (verfügbar auf der Website des IGH unter http://www.icj-cij.org/homepage/ index. php?lang=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „1993“, nachgesehen am 25.07.2009): „The Court observes that the protection of the International Covenant of Civil and Political Rights does not cease in times of war, except by operation of Article 4 of the Covenant whereby certain provisions may be derogated from in a time of national emergency …“ 799 s. auch Heintze, The European Court of Human Rights and the Implementation of Human Rights Standards During Armed Conflicts, in: GYIL 45 (2002), 60 [62]. 800 Eine umfassende Analyse der Rspr. des EGMR zu Konstellationen, die vom Regime des humanitären Völkerrechts erfasst sind findet sich bei Sassli, La Cour europenne des droits de lhomme et les conflits arms, in: Breitenmoser/Ehrenzeller/Sass li/Stoffel/Wagner Pfeifer (Eds.), Human Rights, Democracy and the Rule of Law. Liber Amicorum Luzius Wildhaber, S. 709 [714 ff.]. 801 Sassli, La Cour europenne des droits de lhomme et les conflits arms, in: Breitenmoser/Ehrenzeller/Sass li/Stoffel/Wagner Pfeifer (Eds.), Human Rights, Democracy and the

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

schimmern in Entscheidungen des EGMR wie in den Fällen Ergi802 oder aber Isayeva803 humanitärrechtlich geprägte Abwägungskriterien durch, die das Gericht einsetzt, um etwa eine Verletzung des Rechts auf Leben gemäß Art. 2 EMRK zu diagnostizieren:804 Im Fall Ergi machte die Beschwerdeführerin angesichts der vermeintlich unrechtmäßigen Tötung ihrer Schwester durch türkische Einheiten im Rahmen der gewalttätigen kurdisch-türkischen Auseinandersetzungen eine Verletzung des Art. 2 EMRK geltend. Der Gerichtshof prüfte, inwieweit die Tötung „absolut erforderlich“ im Sinne des Art. 2 II EMRK gewesen war. Um der Erforderlichkeitsprüfung des Art. 2 II EMRK standzuhalten, müsse die eingesetzte und tödlich wirkende Gewalt im Hinblick auf den angestrebten Zweck „strictly proportionate“,805 also verhältnismäßig sein. Darüber hinaus müsse der jeweilige Staat bei der Wahl der Mittel und Methoden für eine gefahrenbeseitigende Operation „all feasible precautions“806, also alle in seiner Macht stehenden Vorsichtsmaßnahmen treffen, um zufällige Verluste unter der Zivilbevölkerung zu minimieren. Diese vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien zur Feststellung einer Verletzung des Art. 2 EMRK ähneln den im humanitären Völkerrecht verankerten Prinzipien der Verhältnismäßigkeit (s. Art. 51 V lit. b) ZP-I) und des Ergreifens von Vorsichtsmaßnahmen (s. Art. 57 II ZP-I).807 Im Falle Isayeva ging es um den Tod des Sohnes der Beschwerdeführerin, der sich bei einem russischen Raketenangriff auf einen Bus, der Zivilisten aus einer zwischen Russen und Tschetschenen umkämpften Stadt bringen sollte, ereignete. Auch hier prüfte der EGMR im Rahmen des Art. 2 II EMRK, ob von russischer Seite „all feasible precautions“808 ergriffen worden waren, um zivile Verluste zu verhindern. Er erRule of Law. Liber Amicorum Luzius Wildhaber, S. 709 [714]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 96 f.; zu den möglicherweise hinter der Entscheidung des EGMR im Fall Isayeva stehenden politischen Einflüssen s. Fleck, Schutz der Menschenrechte bei Auslandseinsätzen: eine Herausforderung für Friedenstruppen, Entsendestaaten und internationale Organisationen, in: NZWehrR 50 (2008), 164 [166 f.]. 802 EGMR, Ergi gegen Türkei, Nr. 66/1997/850/1057, Entscheidung vom 28.07.1998. 803 EGMR, Isayeva gegen Russland, Nr. 57950/00, Entscheidung vom 24.02.2005. 804 Zu weiteren Entscheidungen des EGMR, in denen es im Zusammenhang mit individuellen Schäden durch Handlungen staatlicher Militärs um die Frage der Verletzung des Rechts auf Leben gem. Art. 2 EMRK geht s. Orakhelashvili, The Interaction between Human Rights and Humanitarian Law: Fragmentation, Conflict, Parallelism, or Convergence?, in: EJIL 19 (2008), 161 [169 ff.]. 805 EGMR, Ergi gegen Türkei, Nr. 66/1997/850/1057, Entscheidung vom 28.07.1998, S. 24, Ziff. 79. 806 EGMR, Ergi gegen Türkei, Nr. 66/1997/850/1057, Entscheidung vom 28.07.1998, S. 25, Ziff. 79. 807 s. auch Einschätzung von Heintze, The European Court of Human Rights and the Implementation of Human Rights Standards During Armed Conflicts, in: GYIL 45 (2002), 60 [74]. 808 EGMR, Isayeva gegen Russland, Nr. 57950/00, Entscheidung vom 24.02.2005, S. 41, Ziff. 176.

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kannte zwar an, dass die Situation in Tschetschenien nach „exceptional measures“,809 also nach außergewöhnlichen Maßnahmen verlange, kam aber mit Blick auf den – aus seiner Sicht – nicht vorliegenden Kriegszustand zu dem Ergebnis, dass die Wahl der Waffen in einer so dicht besiedelten Gegend nicht dem erforderlichen Grad an Vorsicht entspreche und stellte demzufolge eine Verletzung von Art. 2 EMRK fest.810 Angesichts der Verletzung von unter anderem Art. 2 EMRK sprach der EGMR der Beschwerdeführerin auf der Grundlage des Art. 41 EMRK eine finanzielle Entschädigung zu. Was hingegen die Praxis der Interamerikanischen Kommission und Gerichtshofes für Menschenrechte im Hinblick auf den Umgang mit dem Regime des humanitären Völkerrechts anbelangt,811 so fällt diese im Vergleich zur Rechtsprechung des EGMR deutlich humanitärrechtsfreundlicher aus: Während die Kommission im sog. Tablada-Fall noch davon ausging, in ihren Entscheidungen das Regime des humanitären Völkerrechts direkt anwenden und somit Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949 feststellen zu können,812 kam der Gerichtshof in den zeitlich nachfolgenden Fällen Las Palmeras und Bmaca-Velsquez zu der Überzeugung, dass er ausdrücklich befugt sei, nur Verletzungen der Amerikanischen Konvention für Menschenrechte festzustellen,813 die jeweils relevanten Bestimmungen der Genfer Abkommen aber mit in die Untersuchung von Verletzungen der Amerikanischen Konvention einfließen lasse könne.814 Festzuhalten bleibt somit: Die Einrichtung eines menschenrechtlichen Überwachungssystems, das für Verletzungen von Menschenrechten eine Entschädigungsklausel vorsieht, sowie die allgemein anerkannte Anwendbarkeit des Regimes der Menschenrechte im bewaffneten Konflikt hat, zumindest für den europäischen – und den panamerikanischen – Rechtsraum, die Möglichkeit eröffnet, in Einzelfällen für Verletzungen des Völkerrechts, die gleichzeitig eine Verletzung des humanitären 809 EGMR, Isayeva gegen Russland, Nr. 57950/00, Entscheidung vom 24.02.2005, S. 41, Ziff. 180. 810 EGMR, Isayeva gegen Russland, Nr. 57950/00, Entscheidung vom 24.02.2005, S. 44, Ziff. 191 und S. 47, Ziff. 201; s. auch Einschätzung von Orakhelashvili, The Interaction between Human Rights and Humanitarian Law: Fragmentation, Conflict, Parallelism, or Convergence?, in: EJIL 19 (2008), 161 [171 f.]. 811 s. Überblick bei Söfker, The Inter-American Commission and the Court of Human Rights: Enforcement Mechanisms of International Humanitarian Law, in: HUV-I 20 (2007), 33 ff. 812 IAKMR, Abella v. Argentina, 18.11.1997, No. 11.137, Report No. 55/97, Ziff. 157 ff. (verfügbar im Internet auf der Website der IAKMR unter http://www.cidh.org/, Stichwort: „Annual Reports“ › „1997“, nachgesehen am 25.07.2009). 813 IAGMR, Las Palmeras v. Colombia, Judgment of 04.02.2000 (Preliminary Objections), Series C No. 67, Ziff. 32 – 33 (verfügbar im Internet auf der Website des IAGMR unter http:// www.corteidh.or.cr/, „Jurisprudence“ › „Decisions and Judgments“, nachgesehen am 25.07.2009). 814 IAGMR, Bmaca-Velsquez v. Colombia, Judgment of 25.11.2000 (Merits), Series C No. 70, Ziff. 208 – 209.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Völkerrechts darstellen würden, geschädigten Individuen eine finanzielle Entschädigung zuzusprechen. Inwieweit die vermeintliche „Verschränkung“ von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht im Bereich der Kriegsschäden gar zu einer allgemeinen „völkergewohnheitsrechtlich geltenden Regel […], dass Individuen gegenüber dem Verletzerstaat Schadensersatz einfordern können“815 geführt hat, soll in dieser Arbeit der abschließenden Bewertung der im Hinblick auf das Bestehen eines völkerrechtlichen Individualanspruches völkergewohnheitsrechtlich relevanten Entwicklungen in Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. c) vorbehalten bleiben. . • Ad-Hoc Claims Commissions, insbesondere die Eritrea-Ethiopia Claims Commission vom 12. Dezember 2000 Während in den Jahren des Kalten Krieges selten völkerrechtliche Vereinbarungen mit entsprechenden Reparationsverpflichtungen abgeschlossen wurden, erlebten in den 1990er Jahren völkerrechtliche Reparationsregelungen mit der Einrichtung sog. Ad-Hoc Claims Commissions eine Renaissance.816 Diese Ad-Hoc Claims Commissions gingen entweder auf bilaterale bzw. multilaterale Verträge zurück, wie zum Beispiel die durch den Friedensvertrag zwischen Eritrea und Äthiopien vom 12. 12. 2000 eingerichtete Eritrea-Ethiopia Claims Commission (EECC),817 oder wurden wie im Falle der UN Claims Commission (UNCC) durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrates818 eingesetzt. Während die 1991 nach dem Zweiten Golfkrieg eingesetzte UNCC dazu vorgesehen war, über staatliche und individuelle Ansprüche „for any direct loss, damage, including environmental damage and the depletion of natural resources […] as a result of Iraqs unlawful invasion […] of Kuwait“,819 also über Ansprüche im Zusammenhang mit der Verletzung des ius ad bellum durch den Irak zu entscheiden, wurde die EECC eingerichtet, um über Ansprüche im Zusammenhang mit Verletzungen des

815

So zumindest Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [317]. 816 Ein knapper Überblick der zahlreichen eingerichteten Ad-Hoc Claims Commissions findet sich bei Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [193 ff.]. 817 Agreement between the Government of the Federal Democratic Republic of Ethiopia and the Government of the State of Eritrea (UN Doc. A/55/686 – S/2000/1183), Art. 5 Nr. 1 = ILM 40 (2001), 260 ff. 818 s. Resolution 692 des UN-Sicherheitsrates vom 20.05.1991 (UN Doc. S/Res/692), Ziff. 3, die auf den Entschluss des Sicherheitsrates in Resolution 687 vom 03.04.1991 (UN Doc. S/Res/687), Ziff. 18, Bezug nimmt; zur UNCC s. auch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 115 ff. 819 s. Resolution 687, Ziff. 16, 18.

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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humanitären Völkerrechts während des eritreisch-äthiopischen Krieges (1998 – 2000)820 zu entscheiden.821 Das Mandat der EECC war in Art. 5 Ziff. 1 des eritreisch-äthiopischen Friedensvertrages wie folgt umschrieben: „The mandate of the Commission is to decide through binding arbitration all claims for loss, damage or injury by one Government against the other, and by nationals (including both natural and juridical persons) of one party against the Government of the other party […] that are (a) related to the conflict […], and (b) result from violations of international humanitarian law, including the 1949 Geneva Conventions, or other violations of international law [Hervorhebung des Verfassers].“

Die Antragstellung erfolgte dabei gemäß Art. 5 Ziff. 8 des Friedensvertrages durch die jeweilige Vertragspartei – und zwar „on its own behalf and on behalf of its nationals, including both natural and juridical persons [Hervorhebung des Verfassers].“ In der Folgezeit meldeten die Regierungen, die einzig vor der EECC auftreten konnten, Forderungen sowohl im eigenen Namen als auch im Namen ihrer Staatsangehörigen bei der EECC an. Die EECC teilte die angemeldeten Forderungen in sechs Kategorien ein, wovon die ersten fünf Kategorien in einem standardisierten Massenverfahren abgewickelt werden sollten.822 Im Juli 2003 erließ die EECC ihre ersten Entscheidungen zu Forderungen der Vertragsparteien im Zusammenhang mit der (völkerrechtswidrigen) Behandlung von Kriegsgefangenen durch die Gegenseite.823 Seitdem hat die EECC – unter anderem – Entscheidungen zu Forderungen im Zusammenhang mit vermeintlich völkerrechtswidrigen, da gegen die Bestimmungen der Art. 48, 51, 52, 57 ZP-I verstoßenden Luftbombardements und zu Forderungen im 820 Einen kurzen historischen Überblick zum Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien liefern z. B. Gray, The Eritrea/Ethiopia Claims Commission Oversteps Its Boundaries: A Partial Award?, in: EJIL 17 (2006), 699 [700 ff.]; Kidane, Civil Liability for Violations of International Humanitarian Law: The Jurisprudence of the Eritrea-Ethiopia Claims Commission in The Hague, in: WILJ 25 (2007), 23 [27]; N. Klein, State Responsibility for International Humanitarian Law Violations and the Work of the Eritrea Ethiopia Claims Commission So Far, in: GYIL 47 (2004), 214 [216]. 821 Auf diesen zwischen UNCC und EECC bestehenden Unterschied weist auch hin: Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 134. 822 EECC, Decision No. 2: Claims Categories, Forms and Procedures (im Internet verfügbar auf der Website des Ständigen Schiedshofes unter http://www.pca-cpa.org, Stichwort: „Cases“ › „Eritrea-Ethiopia Claims Commission“, nachgesehen am 25.07.2009); s. zu dieser Einteilung auch Kidane, Civil Liability for Violations of International Humanitarian Law: The Jurisprudence of the Eritrea-Ethiopia Claims Commission in The Hague, in: WILJ 25 (2007), 23 [34 ff.]. 823 EECC, Partial Award between The State of Eritrea and The Federal Democratic Republic of Ethiopia (Prisoners of War – Eritreas Claim 17), 01.07.2003; EECC, Partial Award between The Federal Democratic Republic of Ethiopia and The State of Eritrea (Prisoners of War – Ethiopias Claim 17), 01.07.2003 (im Internet verfügbar auf der Website des Ständigen Schiedshofes unter http://www.pca-cpa.org, Stichwort: „Cases“ › „Eritrea-Ethiopia Claims Commission“, nachgesehen am 25.07.2009).

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Zusammenhang mit dem Missbrauch von Zivilpersonen durch gegnerische Soldaten getroffen.824 Aus den soeben zitierten Art. 5 Ziff. 1 und Art. 5 Ziff. 8 wird deutlich, dass das eritreisch-äthiopische Vertragswerk sowohl Individualforderungen resultierend aus Verletzungen des humanitären Völkerrechts anerkennt825 als auch zwischen Individualforderungen und staatlichen Forderungen unterscheidet, wenngleich die Antragsstellung für die Individualforderungen letztlich nur durch den jeweiligen Heimatstaat erfolgen kann. Diese Anerkennung und Berücksichtigung von Individualforderungen durch die EECC könnte der Sicht, wonach Opfern von Verletzungen des humanitären Völkerrechts generell ein Anspruch auf Ersatz der erlittenen Schäden zusteht, durchaus Auftrieb geben.826 Allerdings bestehen auch gewisse Zweifel, ob die Berücksichtigung von Individualforderungen wegen Verletzungen des humanitären Völkerrechts im Rahmen der Abwicklung von Kriegsschäden durch eine (Ad-Hoc) Claims Commission als Nachweis für eine generelle Regel einer Individualberechtigung bei Verletzungen des humanitären Völkerrechts herangezogen kann. Denn: Aufgrund des Ad-Hoc-Charakters der eingerichteten Kommissionen gibt es für Opfer von Kriegen keine von vorneherein bestehende Garantie im Hinblick auf die Einrichtung einer Kommission, die sich am Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen mit ihren individuellen Kriegsschäden befasst.827 Vielmehr ist die Einrichtung einer solchen Schadenskommission davon abhängig, ob und inwieweit sie sich politisch realisieren lässt.828 Eine auf bilateraler Ebene fußende Kommission wie etwa die EECC ist an die Entschlossenheit der am Konflikt beteiligten Parteien gebunden, eine schadensregulierende Kommission einzurichten und diese mit entsprechenden finanziellen Mitteln auszustatten.829 Solange aber die Konfliktparteien bzw. die internationale Gemeinschaft einen nicht unerheblichen politischen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Einrichtung 824 EECC, Partial Award between The State of Eritrea and The Federal Democratic Republic of Ethiopia (Western Front, Aerial Bombardement and Related Claims – Eritreas Claims 1, 3, 5, 9 – 13, 14, 21, 25 & 26), S. 6 ff., 24 ff., 31 ff. 825 Eine Anerkennung von Individualforderungen findet sich auch im Regelwerk der UNCC, s. Provisional Rules for Claims Procedure (UN Doc. S/AC.26/1992/10), Art. 5 Ziff. 1 lit. a). 826 s. etwa Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [320]; Schwager, The Right to Compensation for Victims of an Armed Conflict, in: CJIL 4 (2005), 417 [425 f.]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 134 f. 827 Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 19. 828 Zegveld, Remedies for victims of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 497 [523]. 829 s. Gillard, Reparation for violations of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 529 [551].

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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einer die Schäden eines bewaffneten Konfliktes regulierenden Kommission haben, solange wird sich die Effektivität völkerrechtlicher Wiedergutmachungsmechanismen zugunsten kriegsgeschädigter Individuen kaum verbessern.830 Und dennoch dürfte die Praxis der Einrichtung von Ad-Hoc Claims Commissions seit Anfang der 1990er Jahre, insbesondere die der EECC, die Individualforderungen wegen Verletzungen des humanitären Völkerrechts anerkannte, letztlich als ermutigend im Hinblick auf die – in dieser Arbeit interessierende – Entstehung eines Individualanspruches wegen Kriegsschäden zu betrachten sein.831 • Art. 75 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes, in Kraft getreten am 1. Juli 2002 Wie bereits oben kurz angedeutet wurden die Schrecken und Verbrechen des Zweiten Weltkrieges nicht nur reparationsrechtlich, sondern auch völkerstrafrechtlich aufgearbeitet: Vor den Internationalen Militärgerichtshöfen in Nürnberg und Tokio wurden nach dem Zweiten Weltkrieg hochrangige deutsche und japanische Persönlichkeiten aus Militär, Regierung und Wirtschaft unter anderem wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Während die nachfolgenden Bemühungen der ILC, die Entwicklung des Völkerstrafrechts voranzutreiben, an den zwischenstaatlichen Spannungen des Kalten Krieges scheiterten, gelang es Anfang der 1990er, gestützt auf Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, Straftribunale für das frühere Jugoslawien und Ruanda einzurichten, vor denen die jugoslawischen und ruandischen Täter für die von ihnen begangenen völkerrechtlichen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurden. Die in den Statuten der beiden Straftribunale vorgesehene Stellung der Opfer blieb indes – in zweierlei Hinsicht – lückenhaft: Es gab keine verfahrensmäßigen Mitwirkungsrechte für die Opfer und überdies keine Möglichkeiten, eine materielle oder immaterielle Wiedergutmachung für die erlittenen Schäden zu erlangen.832 Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes, das am 17. Juli 1998 von der Diplomatischen Konferenz in Rom verabschiedet wurde und am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist, scheint diese beiden Lücken schließen zu wollen: Es räumt dem Opfer zum einen gewisse verfahrensmäßige Rechte ein.833 Zum anderen enthält das 830 Vgl. Zegveld, Remedies for victims of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 497 [523]. 831 s. auch Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [197, Merksatz 20], der angesichts der Einrichtung zahlreicher Schadenskommissionen von einer „encouraging practice“ für die Frage der völkerrechtlichen Wiedergutmachung spricht. 832 s. zu diesen Lücken Jorda/de Hemptinne, The Status and Role of the Victim, in: Cassesse/Gaeta/Jones (Eds.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Bd. 2, S. 1387 f. 833 Zu diesen – verfahrensmäßigen – Rechten s. Fleck, Reparation for War Victims in Todays Perspective, Symposium of the Stichting Japanse Ereschulden/Foundation of Japanse

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Römische Statut mit Art. 75, der an die von Theodor van Boven ursprünglich konzipierten „Basic Principles and Guidelines on the Right to Reparation for Victims of Gross Violations of Human Rights and International Humanitarian Law“ angelehnt ist und auf die an späterer Stelle unter diesem Gliederungspunkt noch zurückzukommen ist,834 eine Vorschrift, die eine Wiedergutmachung für Opfer völkerrechtlicher Verbrechen ermöglicht. Die hier interessierende Vorschrift des Art. 75 RömSt ist – im Einzelnen – wie folgt gestaltet: Gemäß Art. 75 I RömSt stellt der IStGH „Grundsätze für die Wiedergutmachung“ auf, die an oder in Bezug auf die Opfer zu leisten ist, einschließlich der Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung. Auf dieser Grundlage, also anhand der aufgestellten Grundsätze kann der Gerichtshof „entweder auf Antrag oder aus eigener Initiative den Umfang und das Ausmaß des Schadens, Verlustes oder Nachteils feststellen, der den Opfern oder in bezug auf die Opfer entstanden ist, wobei er die Grundsätze nennt, aufgrund derer er tätig wird.“ Gemäß Art. 75 II RömSt kann er eine „Anordnung zur Wiedergutmachung unmittelbar gegen den Verurteilten“, also gegen den jeweiligen individuellen Straftäter erlassen. Gegebenenfalls kann er auch anordnen, dass die zuerkannte Wiedergutmachungsleistung über den in Art. 79 vorgesehenen Treuhandfonds erfolgt, der sich aus Geldstrafen und Einziehungen speist. Unterzieht man Art. 75 RömSt einer kritischen Würdigung, so ist festzustellen, dass die Vorschrift nicht staatengerichtet ist, sondern ausschließlich den (individuellen) Verurteilten trifft.835 Dass das Römische Statut insgesamt auf den Komplex der individuellen völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit ausgerichtet ist und keine

Honorary Debts (Scheveningen 1 – 3 October 2008), S. 1 [2 f.]; Jorda/de Hemptinne, The Status and Role of the Victim, in: Cassesse/Gaeta/Jones (Eds.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Bd. 2, S. 1387 [1405 f.]; McDonald, The Development of a Victim-centered Approach to International Criminal Justice for Serious Violations of International Humanitarian Law, in: Carey/Dunlap/Pritchard (Eds.), International Humanitarian Law, Bd. 3: Prospects, S. 237 [265 ff.]. 834 Zur Beeinflussung der Regelung des Art. 75 RömSt durch die Arbeiten van Bovens s. auch McDonald, The Development of a Victim-centered Approach to International Criminal Justice for Serious Violations of International Humanitarian Law, in: Carey/Dunlap/Pritchard (Eds.), International Humanitarian Law, Bd. 3: Prospects, S. 237 [269 f.]; McKay, Are Reparations Appropriately Addressed in the ICC Statute?, in: Shelton (Ed.), International Crimes, Peace, and Human Rigths: The Role of the International Criminal Court, S. 163 [165]. 835 Donat-Cattin, in: Triffterer (Ed.), Art.75 RömSt Rdn. 5; Ferstman, The Reparation Regime of the International Criminal Court, in: LJIL 15 (2002), 667 [684]; Heintschel von Heinegg, Entschädigungen für Verletzungen des humanitären Völkerrechts, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 1 [43]; McDonald, The Development of a Victim-centered Approach to International Criminal Justice for Serious Violations of International Humanitarian Law, in: Carey/Dunlap/Pritchard (Eds.), International Humanitarian Law, Bd. 3: Prospects, S. 237 [272]; Ingadottir, The Trust Fund of the ICC, in: Shelton (Ed.), International Crimes, Peace, and Human Rigths: The Role of the International Criminal Court, S. 149 [159].

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Aussagen zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des hinter dem kriminellen Täter stehenden Staates trifft, ergibt sich aus Art. 25 IV RömSt.836 Der IStGH ist auf Grundlage des Art. 75 RömSt damit nicht berechtigt, Staaten zu einer Entschädigungsleistung zu verpflichten. Auch die der endgültigen Fassung des Art. 75 RömSt vorangehenden, zum Teil heftig geführten Debatten837 verdeutlichen, dass die an den Vertragsverhandlungen beteiligten Staaten die Option eines staatengerichteten Individualanspruches auf Wiedergutmachung aufgrund völkerrechtlicher Verbrechen ausdrücklich verworfen haben.838 Für die Zukunft bleibt abzuwarten, wie der IStGH von der in Art. 75 Abs. 1 verankerten Befugnis, Grundsätze für die Wiedergutmachung aufzustellen und Anordnungen zur Wiedergutmachung gegen die Verurteilten zu erlassen Gebrauch machen wird. Abgesehen davon ist Art. 75 RömSt – obgleich die Vorschrift nicht als staatengerichtete Wiedergutmachungsregelung konzipiert ist und damit nicht als Nachweis einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel, die einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden gegen den verantwortlichen Staat festschreibt, angesehen werden kann – als Teil einer völkerrechtlichen Entwicklung hin zu einem „victim-centered approach“839 zu sehen, wonach die Belange des Einzelnen, der kriegerischen Ereignissen ausgesetzt ist, mehr und mehr Berücksichtigung finden. Diese Entwicklung hatte sich bereits mit der Errichtung der Ad-Hoc Claims Commissions und der dortigen Anerkennung von Individualforderungen wegen Kriegsschäden angedeutet. Die dem Inkrafttreten des Römischen Statuts zeitlich nachfolgenden Vorgänge im Völkerrecht (Gutachten des IGH zum Bau einer Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten; Bericht der Commission of Inquiry on Darfur; Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission – s. dazu nachfolgende Ausführungen), die diesen „victim-centered approach“ weiter fortschreiben, erkennen zum Teil sogar ausdrücklich ein Individualrecht auf Wiedergutmachung bei Kriegsschäden gegenüber dem verantwortlichen Staat bzw. eine staatliche Entschädigungspflicht gegenüber den geschädigten Individuen an: 836 Wortlaut des Art. 25 IV RömSt: „Die Bestimmungen dieses Statuts betreffend die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit berühren nicht die Verantwortung der Staaten nach dem Völkerrecht.“ 837 s. McKay, Are Reparations Appropriately Addressed in the ICC Statute?, in: Shelton (Ed.), International Crimes, Peace, and Human Rigths: The Role of the International Criminal Court, S. 163 [168]. 838 Muttukumaru, Reparations to Victims, in: Lee (Ed.), The International Criminal Court, S. 262 [263 f., 267 ff.]; ein Überblick zur Entwicklung des Wortlautes des Art. 75 RömSt findet sich bei Bassiouni (Ed.), The Legislative History of the International Criminal Court, Bd. 2, S. 544 ff. 839 s. McDonald, The Development of a Victim-centered Approach to International Criminal Justice for Serious Violations of International Humanitarian Law, in: Carey/Dunlap/ Pritchard (Eds.), International Humanitarian Law, Bd. 3, S. 237 ff.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

• Gutachten des IGH zum Bau einer Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten vom 9. Juli 2004 Nach einem Beschluss des israelischen Kabinetts wurde im Jahre 2003 mit dem Bau israelischer Sperranlagen begonnen. Mit diesen Sperranlagen verfolgte die Regierung Israels das Ziel, das israelische Kernland von dem – zu den palästinensischen Autonomiegebieten zugehörigen – Westjordanland zu trennen und damit vom Westjordanland ausgehende Terroranschläge durch palästinensische Selbstmordattentäter auf israelischem Staatsgebiet zu verhindern.840 Die UN-Generalversammlung beschäftigte sich in mehreren Sitzungen mit dem – international überwiegend verurteilten – Bauvorhaben und forderte unter anderem einen sofortigen Baustopp.841 Am 8. Dezember 2003 beschloss die UN-Generalversammlung, beim IGH in Den Haag ein Rechtsgutachten (s. Art. 65 IGH-St) zu der Frage nach den rechtlichen Konsequenzen („legal consequences“) des Baus der Sperranlagen, die die Generalversammlung und später der IGH einmütig als „Mauer“ („wall“) bezeichneten, durch den Staat Israel auf dem besetzten palästinensischen Gebiet anzufordern.842 Am 9. Juli 2004 verkündete der IGH dann sein zu den rechtlichen Konsequenzen des israelischen Mauerbaus verfasstes Rechtsgutachten.843 In dem Gutachten kam der IGH zu dem Schluss, dass der Bau der Mauer gegen Völkerrecht verstoße und Israel dementsprechend verpflichtet sei, die Bauarbeiten einzustellen und rückgängig zu machen sowie die natürlichen Personen entstandenen Schäden – in Form der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes oder durch Zahlung von Schadensersatz – wiedergutzumachen.844 Unter Anerkennung der Ausführungen des Gerichtshofes forderte die UN-Generalversammlung daraufhin Israel mit überwältigender Mehrheit auf, seinen im Rechtsgutachten des IGH dargelegten völkerrechtlichen Pflichten nachzukom840 Zum Hintergrund der Errichtung und zum Verlauf der israelischen Sperranlagen s. den am 24.11.2003 veröffentlichten Bericht des UN-Generalsekretärs gemäß der Resolution ES-10/ 13 der UN-Generalversammlung vom 21.10.2003 (UN Doc. A/ES-10/248), S. 2 f., Ziff. 4 – 8. 841 s. Resolution der UN-Generalversammlung vom 21.10.2003 (UN Doc. A/RES/ES-10/ 13), S. 2, Ziff. 1. 842 Die exakte Formulierung der dem IGH vorgelegten Frage lautete (s. Resolution der UNGeneralversammlung vom 08.12.2003, UN Doc. A/RES/ES-10/14, S.3): „What are the legal consequences arising from the construction of the wall being built by Israel, the occupying Power, in the Occupied Palestinian Territory, including in and around East Jerusalem, as described in the report of the Secretary-General, considering the rules and principles of international law, including the Fourth Geneva Convention of 1949, and relevant Security Council and General Assembly resolutions?“ 843 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004 (verfügbar auf der Website des IGH unter http:// www.icj-cij.org/homepage/index.php?lang=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „2003“, nachgesehen am 25.07.2009). 844 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 198, Ziff. 152, 153 sowie S. 201 f., Ziff. 163.

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men.845 Überdies wurde der UN-Generalsekretär im Zusammenhang mit den Ausführungen des IGH zur Wiedergutmachung der Schäden ersucht, ein Register der Schäden zu erstellen, die der Mauerbau natürlichen Personen bislang zugefügt hatte.846 Was den Inhalt des Gutachtens des IGH im Einzelnen anbelangt, so sind für die vorliegende Arbeit vor allem die Ausführungen des Gerichtshofes zu den anwendbaren und verletzten (humanitär- und menschenrechtlichen) Vorschriften847 von Bedeutung sowie die Ausführungen zu den sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen.848 Vorab sei dabei angemerkt, dass die materiell-rechtlichen Aussagen des Gutachtens auf der Grundannahme beruhen, dass es sich bei den Gebieten, innerhalb derer die Mauer errichtet worden ist, um besetzte palästinensische Gebiete handelt und Israel folgerichtig den Status einer Besatzungsmacht hat.849 Im Hinblick auf die auf den Sachverhalt anwendbaren humanitärrechtlichen Vorschriften kommt der IGH als erstes zu dem Schluss, dass Israel an die gewohnheitsrechtlich verankerten Vorschriften der HLKO, die dem IV. Haager Abkommen von 1907 beigefügt sind, gebunden sei.850 Daneben seien die Bestimmungen des IV. Genfer Abkommens von 1949 in den besetzten palästinensischen Gebieten anwendbar.851 Im Hinblick auf die auf den Sachverhalt anwendbaren menschenrechtlichen Vorschriften stellt der IGH zunächst fest, dass Israel als Vertragspartei des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) an dessen Bestimmungen

845 Resolution der UN-Generalversammlung vom 20.07.2004 (UN Doc. A/RES/ES-10/15), S. 4, Ziff. 2. 846 Resolution der UN-Generalversammlung vom 20.07.2004 (UN Doc. A/RES/ES-10/15), S. 4, Ziff. 4. In seinem Bericht vom 17.10.2006 an die UN-Generalversammlung führte der Generalsekretär dann den aus seiner Sicht erforderlichen institutionellen Rahmen („institutional framework“) für die Einrichtung eines solchen Schadensregisters auf, s. Bericht des UNGeneralsekretärs gemäß der Resolution ES-10/15 der UN-Generalversammlung vom 20.07.2004 (UN Doc. A/ES-10/361), S. 3 ff. 847 s. IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 172 ff., Ziff. 89 – 101 (anwendbare humanitäre Vorschriften), S. 177 ff., Ziff. 102 – 113 (anwendbare menschenrechtliche Vorschriften) sowie S. 184 ff., Ziff. 123 – 137 (verletzte humanitärrechtliche und menschenrechtliche Vorschriften). 848 s. IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 197 ff., Ziff. 149 – 153. 849 s. IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 167, Ziff. 78, wo der Begriff der Besetzung im Lichte des Art. 42 HLKO bestimmt wird. 850 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 172, Ziff. 89. 851 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 177, Ziff. 101.

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gebunden sei.852 Unter Bezugnahme auf sein zum Gebrauch von Nuklearwaffen erstattetes Gutachten aus dem Jahre 1996 betont der IGH, dass die Bindung an die menschenrechtlichen Bestimmungen des IPBPR nicht nur für hoheitliche Handlungen außerhalb des Staatsgebietes,853 sondern darüber hinaus auch grundsätzlich während eines bewaffneten Konfliktes fortbestehe.854 Die sich infolge dieser Fortgeltung der Menschenrechte im bewaffneten Konflikt konsequenterweise stellende Frage nach dem Verhältnis zwischen humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten beantwortet der IGH dann wie folgt: Um die rechtlichen Folgen des Mauerbaus bestimmen zu können, werde das Gericht beide Normregime, also Menschenrechte und, als lex specialis, humanitäres Völkerrecht, berücksichtigen.855 Nach der Erörterung der anwendbaren völkerrechtlichen Bestimmungen fährt der IGH unter anderem mit der Untersuchung der durch den Mauerbau verletzten humanitär- und menschenrechtlichen Normen fort: Der Bau habe zur Zerstörung oder aber Requisition von Grundstücken im Widerspruch zu Art. 46, 52 HLKO und Art. 53 GAIV geführt.856 Außerdem habe die Errichtung der Mauer zu einer substantiellen Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bewohner der besetzten palästinensischen Gebiete geführt und stelle damit eine Verletzung des Art. 12 IPBPR dar.857 Nach der Erledigung der „Vorarbeiten“, also der Untersuchung anwendbarer und verletzter humanitär- und menschenrechtlicher Vorschriften und der damit einhergehenden Feststellung der (völkerrechtlichen) Verantwortlichkeit Israels, wendet sich der IGH dann den aus den Verletzungen resultierenden Rechtsfolgen und damit dem Kern der Anfrage der UN-Generalversammlung zu. Er unterscheidet dabei zwischen den – hier interessierenden – Rechtsfolgen für Israel und – hier nicht weiter relevanten – Rechtsfolgen für andere Staaten.858 Laut IGH sei Israel zunächst verpflichtet, sein völkerrechtswidriges Handeln zu beenden und damit die Arbeiten an der Mauer einzustellen.859 Daneben sei Israel verpflichtet, die Schäden, die den betroffenen natür-

852 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 177, Ziff. 103. 853 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 180, Ziff. 111. 854 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 177 f., Ziff. 105 – 106. 855 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 178, Ziff. 106. 856 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 189, Ziff. 132. 857 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 189, Ziff. 133 sowie S. 191 f., Ziff. 134. 858 s. IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 197, Ziff. 148. 859 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 197, Ziff. 150 – 151.

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lichen Personen entstanden seien, wiedergutzumachen („reparation“).860 Diese Wiedergutmachung beinhalte eine Rückgabe der zum Zwecke des Baus der Mauer in Besitz genommenen Ländereien, Obstplantagen und Olivenhaine („restitution“).861 Für den Fall, dass eine solche Wiederherstellung des ursprünglichen, völkerrechtlich gebotenen Rechtszustandes aber nicht möglich sei, obliege Israel nach Völkerrecht die Verpflichtung, die betroffenen Personen aufgrund der erlittenen Schäden zu entschädigen („to compensate“).862 Es stellt sich nun die Frage nach der Einordnung der Aussagen des IGH zu den rechtlichen Folgen des Mauerbaus im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand. Der IGH hat festgestellt, dass Israel nach Völkerrecht verpflichtet ist, die betroffenen Personen zu entschädigen (s. Ziff. 153 des Gutachtens). Diese Feststellung des IGH ist überaus bemerkenswert und revolutionär: Denn vom klassischen Standpunkt aus gesehen werden nicht etwa den geschädigten Individuen, sondern nur den Staaten (sekundäre) Entschädigungsansprüche wegen Verletzungen völkerrechtlicher (Primär-)Pflichten eingeräumt [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. II.].863 DArgent zufolge sei es das erste Mal, dass sich eine für das Völkerrecht maßgebliche Institution wie der IGH in Bezug auf ein Recht individuell Geschädigter, für Verletzungen des Völkerrechts eine Entschädigung zu erhalten, geäußert habe.864 Im Übrigen ist

860

IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 198, Ziff. 152, wo es heißt: „… Israel has the obligation to make reparation for the damage caused to all the natural or legal persons concerned (Hervorhebung durch den Verfasser).“ 861 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 198, Ziff. 153. 862 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 198, Ziff. 153, wo es heißt: „In the event that such restitution should prove to be materially impossible, Israel has an obligation to compensate the persons in question for the damage suffered. The Court considers that Israel has an obligation to compensate in accordance with the applicable rules of international law, all natural or legal persons having suffered any form of material damage as a result of the walls construction (Hervorhebungen durch den Verfasser).“ 863 Diese Einschätzung teilen DArgent, Compliance, Cessation, Reparation and Restitution in the Wall Advisory Opinion, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 463 [473 ff.] und Zyberi, The Development and Interpretation of International Human Rights and Humanitarian Law Rules and Principles through the Case-law of the International Court of Justice, in: NQHR 25 (2007), 117 [130]. 864 s. DArgent, Compliance, Cessation, Reparation and Restitution in the Wall Advisory Opinion, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 463 [474]. Der Beitrag DArgents ist in der Festschrift für Christian Tomuschat erschienen, die im September 2006 veröffentlicht worden ist, und berücksichtigt bereits die 2005 von der UN-Menschenrechtskommission verabschiedeten „Basic principles and guidelines on the right to a remedy and reparation for victims of gross violations of international human rights law and serious

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

die Formulierung des IGH sehr weit gefasst und scheint nahezulegen, dass jedwede Verletzung völkerrechtlicher Regeln eine staatliche Entschädigungspflicht gegenüber dem betroffenen Individuum begründet.865 Die konkrete Bedeutung der Feststellung des IGH für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand, also Individualansprüche wegen Kriegsschäden, die aus einer Verletzung des humanitären Völkerrechts resultieren, erschließt sich allerdings nicht ohne weiteres. Fischer-Lescano deutet die Aussagen des IGH so, dass das Gericht das Bestehen einer generellen völkerrechtlichen Regel, wonach durch Verletzungen des (auch: humanitären) Völkerrechts betroffene Individuen zu entschädigen seien, anerkannt habe.866 Ob die Aussagen des IGH aber wirklich den Schluss einer staatlichen Entschädigungspflicht für Verletzungen des humanitären Völkerrechts zulassen, darf bezweifelt werden.867 Denn: Der IGH vermeidet es, den konkreten normativen Anknüpfungspunkt für die von ihm statuierte Entschädigungspflicht des Staates Israel gegenüber geschädigten Individuen offen zu legen.868 Er hat zwar in seinen Vorarbeiten eine Verletzung bestimmter humanitär- und menschenrechtlicher Vorschriften angenommen, begnügt sich aber in seinen Ausführungen zu den rechtlichen Folgen mit der Feststellung, dass Israel zur Entschädigung der betroffenen Personen verpflichtet sei „in accordance with the applicable rules of international law“.869 Ob Israel also verpflichtet ist, die geschädigten Individuen für die begangenen Verletzungen der Menschenrechte oder aber für die Verletzungen des humanitären Völkerrechts zu entschädigen, kann somit nicht endgültig festgestellt werden.870 violations of international humanitarian law“, auf die unter diesem Gliederungspunkt noch zurückzukommen sein wird. 865 s. DArgent, Compliance, Cessation, Reparation and Restitution in the Wall Advisory Opinion, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 463 [475]; Schwager, The Right to Compensation for Victims of an Armed Conflict, in: CJIL 4 (2005), 417 [429]. 866 Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [326 f.]; in diese Richtung auch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 153 f. 867 Diesbezügliche Zweifel meldet auch an: OKeefe, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, in: RBDI 37 (2004), 92 [137]. 868 s. auch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 153. 869 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 198, Ziff. 153. 870 Zu den Unklarheiten der Aussage des IGH in bezug auf die Entschädigungspflicht Israels nimmt auch die an dem Gutachten mitwirkende Richterin Higgins in ihrer „Separate Opinion“, die dem Gutachten beigefügt ist, Stellung (s. IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 213, Ziff. 24): „… Further, the structure of the Opinion, in which humanitarian law and human rights law are

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Ein möglicher Schlüssel zur Auslegung der – unklaren – Aussage des IGH im Hinblick auf die israelische Entschädigungspflicht könnte vermutlich in dem vom Gerichtshof zugrundegelegten Verhältnis zwischen Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht in Zeiten bewaffneter Konflikte liegen (s. bereits oben): Während eines bewaffneten Konfliktes ist laut IGH die Verletzung von Menschenrechten anhand der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts als lex specialis zu beurteilen – ein Vorgehen, das der IGH bereits in seinem Nuklearwaffen-Gutachten von 1996, auf das sich der Gerichtshof im aktuellen Gutachten bezieht, anhand des Rechts auf Leben (Art. 4 IPBPR) illustriert hatte.871 Einen vergleichbaren Weg wählt beispielsweise auch der IAGMR in den Fällen Las Palmeras und Bmaca-Velsquez (s. bereits oben). Wendet man diesen Ansatz nun auf den vorliegenden Fall an, dann könnte die vom IGH angenommene Entschädigungsverpflichtung Israels auf eine Verletzung von Menschenrechten, die anhand des Maßstabs des einschlägigen humanitären Völkerrechts zu bestimmen war, zurückgeführt werden.872 Eine solche staatliche Entschädigungspflicht für Menschenrechtsverletzungen ist zwar gewohnheitsrechtlich (noch) nicht anerkannt, allerdings in einzelnen völkerrechtlichen Normen (s. Art. 5 V, Art. 41 EMRK, Art. 63 IAMRK) durchaus vorgesehen873 und wäre weitaus weniger revolutionär als eine staatliche Entschädigungspflicht für Verletzungen des humanitären Völkerrechts.874 Ausgehend vom Verständnis des IGH zum Verhältnis zwischen humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten wäre es also naheliegender anzunehmen, dass die vom IGH im Gutachten zum israelischen Mauerbau angenommene Entschädigungspflicht Israels direkt aus einer Verletzung menschenrechtlicher Bestimmungen erwächst und nur – mittelbar – auf eine Verletzung humanitärrechtlicher Bestimmungen zurückzuführen ist. not dealt with separately, makes it in my view extremely difficult to see what has exactly been decided by the Court.“Auch OKeefe beklagt die Unklarheiten des IGH-Gutachtens, s. OKeefe, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, in: RBDI 37 (2004), 92 [140]. 871 s. IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of 09.07.2004, S. 178, Ziff. 105 – 106 unter Bezug auf IGH, Legality of the Threat of the Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion of 08.07.1996, S. 240, Ziff. 25: „… the right not arbitrarily to be deprived of ones life [= Art. 4 IPBPR; Anm. des Verfassers] applies also in hostilities. The test of what is an arbitrary deprivation of life, however, then falls to be determined by the applicable lex specialis, namely, the law applicable in armed conflict which is designed to regulate the conduct of hostilities.“ 872 Zu dieser Lesart des Gutachtens des IGH s. auch OKeefe, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, in: RBDI 37 (2004), 92 [138 f.]. 873 s. zum Ganzen Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 197 – 208; Traßl, Die Wiedergutmachung von Menschenrechtsverletzungen im Völkerrecht, S. 38 ff., 53 ff., insb. 58. 874 s. OKeefe, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, in: RBDI 37 (2004), 92 [137].

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Gleichwie man das Gutachten des IGH zum Mauerbau in den besetzten palästinensischen Gebieten aber auch deutet – die vom IGH getroffene Feststellung und gewählte Formulierung ist im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand ohne Zweifel bedeutsam. Zwar kommt einem Gutachten des IGH keine rechtliche Bindungswirkung zu.875 Allerdings besitzen Gutachten des IGH für das Völkerrecht zumeist eine gewisse Autorität, an der nur schwer vorbeizukommen ist, und tragen damit zur Entwicklung des Völkerrechts bei.876 Was die Reaktionen auf das IGH-Gutachten anbelangt, so hat die anfragende UNGeneralversammlung das Gutachten des Gerichts zum israelischen Mauerbau mit großer Zustimmung aufgenommen. Sie hat überdies in Zusammenhang mit den Ausführungen des Gerichtshofes zu der Pflicht Israels, die durch den Mauerbau entstandenen Schäden – in Form der Restitution oder der Entschädigung – wiedergutzumachen (Ziff. 152 und 153 des Gutachtens), den UN-Generalsekretär aufgefordert, ein Register der Schäden der betroffenen Personen zu errichten (s. oben). Nachdem der Generalsekretär der Versammlung über den aus seiner Sicht erforderlichen institutionellen Rahmen eines solchen Schadensregisters Bericht erstattet hatte, hat sich die UN-Generalversammlung in einer Resolution vom 15. Dezember 2006 dann entschlossen, ein „United Nations Register of Damage caused by the Construction of the Wall in the Occupied Palestinian Territory“ und eine damit betraute Behörde zu errichten.877 Das alles deutet daraufhin, dass zumindest die UN der durch den IGH statuierten israelischen Entschädigungspflicht gegenüber den durch den Mauerbau betroffenen Personen zur Durchsetzung verhelfen will. Was die Reaktionen der Staatenwelt auf das IGH-Gutachten und damit die – im Rahmen der Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht erforderliche – Staatenpraxis anbelangt, so ist bislang festzustellen, dass diejenigen Staaten, die sich gegenüber dem IGH in schriftlichen Stellungnahmen zu den aus ihrer Sicht aus dem Mauerbau resultierenden rechtlichen Folgen geäußert haben, allenfalls vereinzelt von einer Entschädigungspflicht Israels gegenüber den betroffenen Personen ausgehen.878 Der zu875 Frowein/Oellers-Frahm, in: A. Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm (Eds.), Art. 65 IGH-St Rdn. 43; Thirlway, Advisory Opinions of International Courts, in: Bernhardt (Ed.), EPIL, Bd. I, S. 38. 876 Frowein/Oellers-Frahm, in: A. Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm (Eds.), Art. 65 IGH-St Rdn. 45; ausführlich zum Beitrag von Gutachten des IGH zur Entwicklung des Völkerrechts s. Aljaghoub, The Advisory Function of the International Court of Justice 1946 – 2005, S. 155 ff. 877 Resolution der UN-Generalversammlung vom 15.12.2006 (UN Doc. A/ES-10/L.20/ Rev.1), S. 2, Ziff. 3 und S. 3, Ziff. 4. 878 s. z. B. schriftliche Stellungnahme des Libanon, S. 10, Ziff. 48: „Lastly, Israel must compensate those persons who have suffered from the construction of the wall.“ Die schriftlichen Stellungnahmen der übrigen Staaten, die sich zu den rechtlichen Konsequenzen des Mauerbaus geäußert haben (Das sind: Saudi-Arabien; Arabische Liga; Indonesien; Frankreich; Malaysia; Kuba; Schweden), kommen – mit Ausnahme Malaysias – nicht auf eine staatliche Entschädigungspflicht gegenüber betroffenen Individualpersonen zu sprechen. Die schriftlichen Stellungnahmen der Staaten sind auf der Website des IGH unter http://www.icj-

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künftige Umgang der Staatenwelt mit den Aussagen des IGH zu den rechtlichen Konsequenzen des Mauerbaus in den besetzten palästinensischen Gebieten bleibt abzuwarten, könnte womöglich aber durch das Verhalten der UN-Generalversammlung infolge des IGH-Gutachtens und der von dieser beschlossenen Errichtung eines Schadensregisters beeinflusst werden.879 • Bericht der International Commission of Inquiry on Darfur vom 25. Januar 2005 Angesichts des Darfur-Konfliktes wies der UN-Sicherheitsrat den Generalsekretär mit Resolution 1564 vom 18. September 2004 an, eine Kommission zur Untersuchung der sich im Konfliktgebiet bereits ereigneten und weiter ereignenden Verstöße gegen Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht einzurichten.880 Die folglich eingerichtete Untersuchungskommission („Commission of Inquiry on Darfur“) legte ihren Abschlussbericht dem UN-Generalsekretär am 25. Januar 2005 vor.881 Gemäß dem von der Kommission selbst definierten Arbeitsauftrag finden sich in dem Bericht unter anderem Ausführungen zu den von allen Konfliktparteien begangenen Verletzungen humanitär- und menschenrechtlicher Bestimmungen (Abschnitt 1)882 sowie Ausführungen zu den möglichen Mechanismen, die Verantwortlichen für die begangenen Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen (Abschnitt 4).883 Von Bedeutung für die vorliegende Arbeit sind insbesondere die Ausführungen der Kommission zu den vom UN-Sicherheitsrat zu ergreifenden Maßnahmen unter Abschnitt 4.884 Darin schlägt die Kommission dem Sicherheitsrat vor, nicht nur von dem Internationalen Strafgerichtshof Gebrauch zu machen, sondern überdies im Sinne der Opfer eine „Compensation Commission“ aufzustellen. Im Zusammenhang mit dem Vorschlag zur Aufstellung einer solchen Compensation Commission stellt der Bericht ausdrücklich fest, dass die schwere Verletzung humanitär- und menschenrechtlicher

cij.org, Stichwort: „Cases“ › „List of all cases“ › „2003: Legal Consequences of the Construc tion of a Wall in the Occupied Palestinian Territory“ › „Written statements“ verfügbar (nachgesehen am 25.07.2009). 879 Vgl. Frowein/Oellers-Frahm, in: A. Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm (Eds.), Art. 65 IGH-St Rdn. 44. 880 s. Resolution 1564 des UN-Sicherheitsrates vom 18.09.2004 (UN Doc. S/RES/1564), S. 3, Ziff. 12. 881 Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the Secretary-General, 25.01.2005 (UN Doc. S/2005/60). 882 Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the Secretary-General, Section I (The Commissions Findings of Violations of International Human Rights Law and Humanitarian Law by the Parties), S. 26 ff. 883 Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the Secretary-General, Section IV (Possible Mechanisms to Ensure Accountability for the Crimes Committed in Darfur), S. 144 ff. 884 Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the Secretary-General, Section IV, S. 145 – 153.

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Vorschriften eine Entschädigungspflicht des verantwortlichen Staates gegenüber den individuellen Opfern nach sich zieht (Ziff. 593 des Berichts).885 Bei der näheren Erläuterung dieser gegenüber geschädigten Individuen angenommenen Entschädigungspflicht eines Staates wird im Bericht zwar eingeräumt, dass die aus einer Völkerrechtsverletzung resultierende Entschädigungspflicht ursprünglich nur zwischenstaatlicher Natur war.886 Allerdings hätte die nach 1945 einsetzende Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes einen nachhaltigen Einfluss auf den Bereich zwischenstaatlicher Entschädigungspflichten für Verletzungen des Völkerrechts ausgeübt: Zahlreiche völkerrechtliche Verträge hätten ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf („right to an effective remedy“) und ein – damit einhergehendes – Recht auf Wiedergutmachung („right to reparation“) in ihre Bestimmungen aufgenommen.887 Der seinerzeitige Präsident des Jugoslawien-Tribunals, Claude Jorda, habe – richtigerweise – hervorgehoben, dass die universelle Anerkennung eines Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelfs die völkerrechtlichen Bestimmungen zur Staatenverantwortlichkeit für Kriegsverbrechen und andere völkerrechtliche Verbrechen in einem neuen Lichte erscheinen lasse und die vormals staatenzentrierten Bestimmungen sich nunmehr auch als Verpflichtungen gegenüber individuellen Opfern auslegen ließen.888 Das Ergebnis dieser Entwicklungen sei: Im Falle schwerer Menschenrechtsverstöße (vor allem Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord) bestehe ein (gewohnheitsrechtliches) Recht der Opfer auf Entschädigung gegenüber dem verantwortlichen Staat.889 Unter Berücksichtigung der Ausführungen der Darfur-Untersuchungskommission ist im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit festzuhalten: Nachdem es das IGH-Gutachten noch vermieden hatte, den normativen Anknüpfungspunkt für die von ihm angenommene Entschädigungspflicht des Staates Israel gegenüber den geschädigten Individuen explizit zu benennen, stellt der Bericht der Darfur-Kommission – zumindest unter Ziff. 593 (s. oben) – also ausdrücklich fest, dass die schwere Verletzung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht eine staatliche Wiedergutmachungspflicht gegenüber den geschädigten Opfern

885 s. Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the Secretary-General, Section IV, S. 150, Ziff. 593, wo es heißt: „Serious violations of international humanitarian law and human rights law can entail […] the international responsibility of the State […]. This international responsibility involves that the State must pay compensation to the victim (Hervorhebung durch den Verfasser).“ 886 Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the Secretary-General, Section IV, S. 150, Ziff. 594. 887 Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the Secretary-General, Section IV, S. 150, Ziff. 595 und 596. 888 s. Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the Secretary-General, Section IV, S. 150, Ziff. 597. 889 Report of the International Commission of Inquiry on Darfur to the Secretary-General, Section IV, S. 150, Ziff. 597 und 598.

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bzw. ein Individualrecht auf Entschädigung zur Folge hat.890 Zu einem solchen Ergebnis (staatliche Wiedergutmachungspflicht bei schweren Verstößen gegen Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht) kommen auch die – im Anschluss an den Bericht der Kommission noch zu besprechenden – „Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law“ der UN-Menschenrechtskommission. Allerdings vermag die von der Darfur-Untersuchungskommission zu den von ihr angenommen staatlichen Wiedergutmachungspflichten bzw. Individualrechten mitgelieferte Begründung kaum zu überzeugen.891 Diese mangelnde Überzeugungskraft hängt damit zusammen, dass die von der Kommission genannten völkerrechtlichen Bestimmungen nicht den Nachweis einer rechtlich fundierten Wiedergutmachungspflicht zugunsten geschädigter Individuen erbringen können: Art. 21 der UN-„Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power“, auf den sich die Darfur-Kommission in ihrer Argumentation beispielsweise bezieht, spricht allenfalls davon, dass die UN-Mitgliedsstaaten Rechte und Rechtsbehelfe für Opfer entwickeln sollen;892 Art. 2 III lit. a) IPBPR, auf den sich die Kommission ebenfalls bezieht, beinhaltet zwar einen individuellen Rechtsbehelf, aber nur die Art. 9 V und Art. 14 VI des IPBPR statuieren einen Anspruch auf Entschädigung, es gibt also im IPBPR keine Bestimmung, die für jedwede Verletzung der Bestimmungen des IPBPR die Möglichkeit einer Entschädigung statuiert; und auch die in Bezug genommenen Bestimmungen des RömSt sprechen zwar von individuellen Verfahrensrechten (s. Art. 19 III und 68 III RömSt), die Bestimmungen der Art. 75 und 79 RömSt, die die Möglichkeit einer Entschädigung für völkerrechtliche Verbrechen vorsehen, können aber – wie oben bereits gezeigt – nicht als Nachweis für ein individuelles Recht auf Entschädigung gegen den verantwortlichen Staat herhalten. Im Übrigen spricht der in dem Bericht zitierte Richter des Jugoslawien-Tribunals wohlgemerkt von einer Tendenz („tendency“), an geschädigte Opfer eine Entschädigung zu leisten, und von einem Trend („trend“) hin zur Anerkennung eines Individualrechtes auf Entschädigung – aber eben nicht von einer allgemein anerkannten Ent-

890 Zustimmend zum Ergebnis der Darfur-Untersuchungskommission im Hinblick auf das Bestehen eines Individualrechts: Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 159, die aber auch darauf hinweist, dass der Bericht nicht ausreichend zwischen einem völkerrechtlichen Individualrecht auf Entschädigung und einer staatlichen Verpflichtung, nach nationalem Recht ein Recht auf Entschädigung zu gewähren, unterscheidet. 891 Ausführlich setzt sich mit der Argumentation der Darfur-Kommission im Hinblick auf staatliche Wiedergutmachungspflichten für schwere Verstöße gegen Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht auseinander: Tomuschat, Darfur – Compensation for the Victims, in: JICJ 3 (2005), 579 [582 ff.]. 892 s. Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power, verabschiedet von der UN-Generalversammlung am 29.11.1985 (UN Doc. A/RES/40/34): „States […] should develop and make readily available appropriate rights and remedies for victims of such acts (Hervorhebung durch den Verfasser).“

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schädigungspflicht des für die Schädigung verantwortlichen Staates bzw. vom Bestehen eines individuellen Entschädigungsrechtes.893 • Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission, angenommen am 19. April 2005 Am – vorläufigen – Ende der Entwicklung eines „victim-centered approach“ und der damit verbundenen Anerkennung oder Forderung nach einem individuellen Recht auf Entschädigung gegen den verantwortlichen Staat bzw. einer staatlichen Entschädigungspflicht gegenüber den von den Verletzungen betroffenen Individuen stehen die bereits erwähnten Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission. Am 19. April 2005 hat die UN-Menschenrechtskommission die Resolution 2005/ 35 unter dem Titel „Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law“ verabschiedet.894 Die UN-Generalversammlung hat die Basic Principles mit ihrer Resolution 60/147 vom 16. Dezember 2005 angenommen.895 Der endgültigen Version der Basic Principles waren jahrelange Arbeiten der Völkerrechtsexperten Theodor van Boven und M. Cherif Bassiouni sowie zahlreiche Konsultationen, bei denen Staaten und Internationale Organisationen ihre Auffassungen einbringen konnten, vorausgegangen:896 Der von der – der UN-Menschenrechtskommission untergeordneten – Kommission zur Verhinderung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten anfänglich eingesetzte Sonderberichterstatter van Boven legte seinen Abschlussbericht zum Recht von Opfern schwerer Menschenrechtsverstöße auf Restitution, Entschädigung und Rehabilitation 1993 vor.897 Dieser Abschlussbericht van Bovens enthielt unter der Überschrift „Proposed Basic Principles and Guidelines“ einen Katalog an Prinzipien

893 s. Letter dated 12 October 2000 from the President of the International Tribunal for the Former Yugoslavia addressed to the Secretary-General (UN Doc. S/2000/1063), S. 11, Ziff. 20: „… There is a strong tendency towards providing compensation not only to States but also to individuals based on State responsibility. Moreover, there is a clear trend in international law to recognize a right of compensation in the victim to recover from the individual who caused his or her injury … (Hervorhebungen durch den Verfasser)“. 894 s. Resolution 2005/35 vom 19.04.2005, abgedruckt in: Commission on Human Rights, report on the 61st session, 14 March-22 April 2005 (UN Doc. E/2005/23 – E/CN.4/2005/135), S. 136 – 143. 895 Resolution 60/147 der UN-Generalversammlung vom 16.12.2005 (UN Doc. A/RES/60/ 147). 896 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte der Basic Principles s. Bassiouni, International Recognition of Victims Rights, in: HRLR 6 (2006), 203 [247 ff.]; Zwanenburg, The Van Boven/Bassiouni Principles, in: NQHR 24 (2006), 641 [642 ff.]. 897 Study concerning the right to restitution, compensation and rehabilitation for victims of gross violations of human rights and fundamental freedoms – Final report submitted by Mr. Theo van Boven, Special Rapporteur (UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1993/8).

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betreffend die Rechte von Opfern schwerer Menschenrechtsverstöße.898 Im Januar 1997 stellte van Boven der Unterkommission eine überarbeitete Fassung seiner Prinzipien von 1993 vor, die Anmerkungen und Beobachtungen von Mitgliedern der entsprechenden Arbeitsgruppe der Unterkommission aufnahm.899 Nachdem die Unterkommission den überarbeiteten Entwurf der von van Boven konzipierten Prinzipien an die UN-Menschenrechtskommission zur Befassung weiterverwiesen hatte,900 wurde M. Cherif Bassiouni von eben dieser Menschenrechtskommission als neuer Sonderberichterstatter eingesetzt und damit betraut, die Arbeit van Bovens zum Thema der Rechte von Opfern schwerer Menschenrechtsverstöße weiterzuführen und zu vervollständigen.901 Unter Einbeziehung von Regierungsauffassungen und Anmerkungen Internationaler Organisationen präsentierte Bassiouni der UN-Menschenrechtskommission im Januar 2000 seinen Abschlussbericht, dem eine abermals überarbeitete Version der von van Boven erarbeiteten Prinzipien beigefügt war, die deutlich umfangreicher als die ursprüngliche Fassung ausfiel und nun auch Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht mitberücksichtigte.902 In der Folge fanden unter dem Dach der UN-Menschenrechtskommission immer wieder Beratungen über die endgültige Fassung des von van Boven und Bassiouni entworfenen Prinzipien-Katalogs statt, in die Staaten und Internationale Organisationen miteinbezogen waren, bis der endgültige Entwurf dann am 19. April 2005 von der UN-Menschenrechtskommission verabschiedet werden konnte. Inhaltlich gesehen bestehen die auf van Boven und Bassiouni zurückgehenden und am 19. April 2005 verabschiedeten Basic Principles aus einer Präambel und 13 Abschnitten, die insgesamt 27 Prinzipien enthalten. Die Präambel der Basic Principles ruft in ihrem ersten Absatz sowohl die Bestimmungen in Erinnerung, die für Opfer von Verletzungen der Menschenrechte ein Recht auf einen Rechtsbehelf („right to a remedy“) vorsehen, als auch diejenigen Bestimmungen, die für Opfer von Verletzungen des humanitären Völkerrechts ein solches Recht auf einen Rechtsbehelf vorsehen, und nennt dabei unter anderem Art. 3 898

Study concerning the right to restitution, compensation and rehabilitation for victims of gross violations of human rights and fundamental freedoms – Final report submitted by Mr. Theo van Boven, Special Rapporteur (UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1993/8), Proposed Basic principles and guidelines, S. 56 ff. 899 Basic principles and guidelines on the right to reparation for victims of [gross] violations of human rights and international humanitarian law (UN Doc. E/CN.4/1997/104), S. 3 ff. (Hervorhebungen durch den Special Rapporteur). 900 s. Resolution 1996/28 der Unter-Kommission vom 29.08.1996, abgedruckt in: UN Doc. E/CN.4/1997/2 – E/CN.4/Sub.2/1996/41, S. 69 f. 901 s. Resolution 1998/43 der UN-Menschenrechtskommission vom 17.04.1998, abgedruckt in: UN Doc. E/1998/23–E/CN.4/1998/177, S. 150 f. 902 The right to restitution, compensation and rehabilitation for victims of gross violations of human rights and fundamental freedoms – Final report of the Special Rapporteur, Mr. M. Cherif Bassiouni (UN Doc. E/CN.4/2000/62), Basic Principles and guidelines on the right to a remedy and reparation for victims of violations of international human rights and humanitarian law, S. 5 ff.

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HA-IVund Art. 91 ZP-I. Der sechste Absatz legt die Anwendung der Basic Principles auf grobe („gross“) Verletzungen der Menschenrechte und schwerwiegende („serious“) Verletzungen des humanitären Völkerrechts fest. Absatz 7 der Präambel hebt hervor, dass die Basic Principles keine neuen völkerrechtlichen oder nationalrechtlichen Verpflichtungen mit sich bringen würden, sondern Mechanismen, Modalitäten, Prozeduren und Methoden für die Durchsetzung bestehender menschen- und humanitärrechtlicher Verpflichtungen aufzeigen würden. Der letzte Absatz der Präambel bestimmt die grundlegende Ausrichtung der Basic Principles im Sinne einer „victim-oriented perspective“. Von den der Präambel nachfolgenden Abschnitten sind insbesondere der Abschnitt 1 und die Abschnitte 7 und 9 von Bedeutung: Prinzip 1 aus Abschnitt 1 zufolge entspringt die Verpflichtung, die Bestimmungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zu (be)achten und durchzusetzen, aus a) von einem Staat geschlossenen völkerrechtlichen Verträgen, aus b) Völkergewohnheitsrecht und c) aus dem nationalen Recht des jeweiligen Staates. Prinzip 11 aus Abschnitt 7 zufolge, der mit „Victims right to remedies“ überschrieben ist, würden Rechtsbehelfe („remedies“) für grobe Verletzungen der Menschenrechte und schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts wie im Völkerrecht vorgesehen („as provided for under international law“) ein Recht des Opfers zu – unter anderem – einer wirksamen und sofortigen Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden beinhalten („victims right to […] reparation“).903 Prinzipien zu dieser Wiedergutmachung finden sich dann in Abschnitt 9, der mit „Reparation for harm suffered“ überschrieben ist: Nach Prinzip 15 soll („shall“) ein Staat gemäß seinem nationalen Recht und seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen („in accordance with …“) Opfern seiner ihm zurechenbaren und gegen Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht verstoßenden Handlungen eine Wiedergutmachung ermöglichen. Außerdem sollten („should“) Staaten in Fällen, in denen die für die Verletzung und den Schaden verantwortliche Partei nicht in der Lage oder nicht willens ist, ihren Verpflichtungen nachzukommen, bestrebt sein, nationale Wiedergutmachungsprogramme für die Opfer aufzulegen (Prinzip 16). Auch sollen („shall“) die Staaten inländischen Gerichtsurteilen, in denen für Verletzungen und Schäden verantwortliche Individuen zur Wiedergutmachung verurteilt werden, zur Durchsetzung verhelfen (Prinzip 17). Die folgenden Prinzipien 19 – 23 legen dann den Inhalt der zu leistenden Wiedergutmachung fest, die unter anderem in der Form einer Restitution (Prinzip 19), Entschädigung (Prinzip 20) oder Genugtuung (Prinzip 22) erfolgen kann.

903 In der englischen Originalfassung des Prinzips 11 des Abschnitts 7 heißt es: „Remedies for gross violations of international human rights law and serious violations of international humanitarian law include the victims right to the following as provided for under international law: … b) Adequate, effective and prompt reparation for the harm suffered […] (Hervorhebungen durch den Verfasser).“

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Im Rahmen einer kritischen Würdigung der Basic Principles ist als erstes die „victim-oriented perspective“ (s. Präambel, letzter Absatz) hervorzuheben, von der die Basic Principles durchdrungen sind. Indem die Basic Principles ihren Fokus auf die Bedürfnisse und Rechte der Opfer von Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts richten, führen sie eine Entwicklung im Völkerrecht fort, die sich bei der Errichtung der Ad-Hoc Claims Commissions bereits abzeichnete und maßgeblich dann durch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes angestoßen wurde, das nicht nur auf die Bestrafung einzelner Täter angelegt ist, sondern auch die Stellung der Opfer in Form von Möglichkeiten der Verfahrensbeteiligung (s. Art. 68 RömSt) und der Wiedergutmachung (s. Art. 75, 79 RömSt) berücksichtigt. Mit dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes gemein ist den Basic Principles die Schwelle gravierender Verstöße gegen Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht: Während das Statut des Gerichtshofes dessen Gerichtsbarkeit auf die „schwersten Verbrechen“ (Art. 5 RömSt) beschränkt, befassen sich die Basic Principles mit Verletzungen von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht, die „gross“ bzw. „serious“ sind.904 Dahinter dürfte der Gedanke stehen, dass es Völkerrechtsverletzungen gibt, die schwerer als andere wiegen und die internationale Gemeinschaft besonders erschüttern und die dementsprechend von, wenn man so will, „besonderen“ völkerrechtlichen Rechtsfolgen begleitet sein müssen. Die Bedürfnisse des Opfers und die Schwere bestimmter Völkerrechtsverletzungen gewissermaßen als Grundkonstanten nehmend statuieren die Basic Principles in Prinzip 11 dann ein Recht des Opfers zu angemessener, wirksamer und sofortiger Wiedergutmachung („victims right to […] adequate, effective and prompt reparation“). Heißt das nun, dass die Basic Principles ein Recht von Individualpersonen auf Wiedergutmachung und damit einen Individualanspruch wegen Kriegsschäden anerkennen? Die Basic Principles wurden im Rahmen einer Resolution der UN-Menschenrechtskommission und im Rahmen einer Resolution der UN-Generalversammlung verabschiedet. Resolutionen dieser beiden UN-Organe sind als Empfehlungen anzusehen, ihnen kommt im Verhältnis zu den Staaten keine Bindungswirkung zu.905 Das schließt allerdings nicht die Möglichkeit aus, dass die Resolutionen, die selbst als bloße Empfehlungen gelten, völkerrechtliche Prinzipien wiederholen und bekräftigen, die auf der Grundlage anderer Völkerrechtsquellen für die Staaten bindend

904 Zu dieser Anwendungsschwelle der Basic Principles s. auch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 157. 905 Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [356]; Tomuschat, Reparation in Favour of Individual Victims of Gross Violations of Human Rights and International Humanitarian Law, in: Kohen (Ed.), Promoting Justice, Human Rights and Conflict Resolution through International Law. Liber Amicorum Lucius Caflisch, S. 569 [571]; Zwanenburg, The Van Boven/Bassiouni Principles, in: NQHR 24 (2006), 641 [652].

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sind.906 Dies scheint im Übrigen auch die hinter den Basic Principles stehende Überzeugung zu sein, die keine neuen völkerrechtlichen Verpflichtungen begründen, sondern Verfahren und Methoden der Durchsetzung – bereits – bestehender Verpflichtungen aufzeigen wollen (Präambel, Absatz 7).907 Einen Aufschluss über die in Betracht kommenden Völkerrechtsquellen, aus denen sich ein Recht der Opfer auf Wiedergutmachung ergeben könnte, liefern die Basic Principles in Prinzip 1 selbst: Die Verpflichtung, Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht zu beachten und durchzusetzen, geht aus (völkerrechtlichen) Verträgen, Völkergewohnheitsrecht und dem nationalen Recht eines Staates hervor. Bezogen auf das in Prinzip 11 statuierte individuelle Recht auf Wiedergutmachung heißt das: Ein solches Recht wird nicht durch die Basic Principles selber begründet, sondern ergibt sich entweder aus Völkervertragsrecht, Völkergewohnheitsrecht oder aber nationalem Recht.908 Die Basic Principles verweisen somit auf die zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung geltende Völkerrechtslage, die sich wie folgt darstellt: Die für ein individuelles Recht auf Wiedergutmachung für Kriegsschäden in Betracht kommenden Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I sind im Ausgangspunkt nicht individualrechtlicher Natur und können damit – entgegen der Aussage der Basic Principles in Absatz 1 der Präambel – nicht als Rechtsgrundlage für ein aus einer Verletzung des humanitären Völkerrechts erwachsendes Individualrecht herangezogen werden [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. b)]. Ob sich aus dem Völkergewohnheitsrecht, das bekanntermaßen als unverzichtbares Element eine entsprechende Staatenpraxis voraussetzt, ein individuelles Recht auf Wiedergutmachung für Verletzungen des humanitären Völkerrechts destillieren lässt, erscheint im Jahre 2005, dem Jahr der Annahme der Basic Principles, keinesfalls als ausgemacht.909 Ohne das endgültige Ergebnis der Ausführungen zum Bestehen eines völkergewohnheitsrechtlichen Individualanspruches wegen Kriegsschäden in Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. c) an dieser Stelle schon vorwegnehmen zu wollen, ergeben sich insbesondere aus den Aussagen zahlreicher Staaten zu den Basic Principles Zweifel an einem (völkergewohnheitsrechtlichen) Recht auf Wiedergutmachung, auf das sich die Basic Principles hätten in Prinzip 11 stützen können.910 Zwar stimmten 906 Mendelson, The Formation of Customary International Law, in: RdC 272 (1998), S. 165 [360]; Zwanenburg, The Van Boven/Bassiouni Principles, in: NQHR 24 (2006), 641 [652]. 907 Diese hinter den Basic Principles stehende Überzeugung wird auch durch die Aussage des chilenischen Vertreters MuÇoz während des 39. Treffens des Dritten Komitees der UNGeneralversammlung bestätigt, abgedruckt in: Official Records of the General Assembly, 60th Session, (UN Doc. A/C.3/60/SR.39), S. 2, Ziff. 5. 908 s. auch Zwanenburg, The Van Boven/Bassiouni Principles, in: NQHR 24 (2006), 641 [653]. 909 Zu diesbezüglichen Zweifeln s. auch Zwanenburg, The Van Boven/Bassiouni Principles, in: NQHR 24 (2006), 641 [653 – 655]. 910 Für die Anerkennung der Existenz eines individuellen Sekundärrechts durch die Basic Principles hingegen Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 158.

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40 Staaten für die Verabschiedung der Basic Principles, wohingegen sich 13 der Stimme enthielten.911 Dieses Ergebnis kann aber über die von vielen Staaten – im Hinblick auf die Anerkennung eines Individualrechtes auf Wiedergutmachung – vorgetragenen Bedenken nicht hinwegtäuschen: So äußerte beispielsweise der deutsche Vertreter, der sich der Stimme enthalten hatte, dass die Basic Principles das Völkergewohnheitsrecht ungenau wiedergeben würden.912 Zwar würden im Bereich der Menschenrechte manche Instrumente zur Geltendmachung von Individualrechten bestehen, für den Bereich des humanitären Völkerrechts sei dies aber nicht der Fall.913 Die Behauptung in den Basic Principles, wonach ein solches Recht etwa im Ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen von 1949 (= Art. 91 ZP-I) bestehe, sei völlig unbegründet.914 Für den Bereich der Menschenrechte kann sich die UN-Menschenrechtskommission zumindest in völkervertraglicher Hinsicht auf einige Bestimmungen wie beispielsweise Art. 5 V, Art. 41 EMRK oder Art. 63 IAMRK stützen, die die Möglichkeit einer Entschädigung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen vorsehen. In völkergewohnheitsrechtlicher Hinsicht ist allerdings ebenso wenig wie für den Bereich des humanitären Völkerrechts zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Basic Principles ausgemacht, dass für Opfer von Menschenrechtsverletzungen ein allgemeines Recht auf Wiedergutmachung besteht.915 Was die diesbezüglichen Äußerungen der Staaten anbelangt, so ist immerhin zu konstatieren, dass sich im Verlaufe der Arbeiten und Beratungen zu den Basic Principles eine Reihe von Staaten dafür ausgesprochen haben, dass die Verletzung von Menschenrechten ein Recht des Opfers zu einer entsprechenden Entschädigung zur Folge haben solle,916 wenngleich allerdings 911 s. Commission on Human Rights, Report of the 61st Session (UN Doc. E/2005/23 – E/ CN.4/2005/135), Kap. II, Abschnitt A, Resolution 2005/35, S. 137. 912 Aussage des deutschen Vertreters Koenigs in Bezug auf die Resolution E/CN.4/2005/ L.48 [= Basic Principles; Anm. des Verfassers], abgedruckt in: Commission on Human Rights, 61st Session, Summary Record of the 57th Meeting (UN Doc. E/CN.4/2005/SR.57), Ziff. 38. 913 Aussage Koenigs, abgedruckt in: Commission on Human Rights, 61st Session, Summary Record of the 57th Meeting (UN Doc. E/CN.4/2005/SR.57), Ziff. 38. 914 Aussage Koenigs, abgedruckt in: Commission on Human Rights, 61st Session, Summary Record of the 57th Meeting (UN Doc. E/CN.4/2005/SR.57), Ziff. 38. 915 s. Dörr, „Privatisierung“ des Völkerrechts, in: JZ 2005, 905 [909]. Zur Frage eines gewohnheitsrechtlich anerkannten Individualrechtes auf Wiedergutmachung für Verletzungen menschenrechtlicher Bestimmungen s. auch Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 197 ff. 916 s. z. B. Textvorschlag Uruguays (1994), abgedruckt in: UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1994/7, S. 8, Ziff. 3 a): „Paragraph 1: Under international law, the violation of human rights […] gives rise to a right for reparation for the victim …“; Erklärung Chiles (1997), abgedruckt in: UN Doc. E/CN.4/1998/34, S. 6, Ziff. 21: „It seems appropriate to include in the set of basic principles and guidelines a specific provision establishing the States immediate, direct liability for compensation …“; Erklärung Kroatiens (1997), abgedruckt in: UN Doc. E/CN.4/1998/34, S. 8, Ziff. 6: „It is clear that the right to claim reparation for violations of human rights and international humanitarian law should be given primarily to the direct victim …“; Erklärung der Philippinen (1997), abgedruckt in: UN Doc. E/CN.4/1998/34, S. 11, Ziff. 1: „… the granting of

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nicht immer klar ist, ob dieses Recht in nationalen Vorschriften oder aber im Völkerrecht eine Grundlage haben soll.917 Im Übrigen fällt an der Sprache der Basic Principles, insbesondere an den in Richtung der Staaten gerichteten Formulierungen wie „shall“ oder „should“, auf, dass die Basic Principles eher auf die Initiative der Staaten zu verweisen scheinen, Rechtsschutzmöglichkeiten und Wiedergutmachungsregelungen für Kriegsopfer zur Verfügung zu stellen, um damit Lücken des derzeitigen humanitären Völkerrechts zu schließen, als das Bestehen und den Umfang von völkerrechtlichen Individualrechten nachzuweisen und zu konkretisieren.918 • ILA-Komitee zur Frage der „Compensations for victims of war“ (eingerichtet im Mai 2003) Die „International Law Assocation“ hat auf diese völkerrechtlichen Vorgänge, die die Frage nach einer Wiedergutmachung für Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen aufgeworfen haben, im Mai 2003 mit der Errichtung eines Komitees unter dem Titel „Compensations for victims of war“ reagiert. Dieses Komitee verfolgt als Ziel die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas individueller Wiedergutmachungsansprüche für Verletzungen menschen- und humanitärrechtlicher Vorschriften. Am Ende der Arbeiten des Komitees soll eine Erklärung zu völkerrechtlichen Prinzipien der Wiedergutmachung für Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen stehen, die dem ILA zur Annahme auf der für 2010 in Den Haag geplanten Konferenz vorgelegt werden soll. Bislang haben mehrere Völkerrechtsexperten wie Rainer Hofmann und Frank Riemann unter dem Dach des Komitees Untersuchungen zu dem Thema erstellt.919 Diese Untersuchungen bildeten die Grundlage einer ersten Arbeitssitzung des Komitees in Toronto 2006.920 compensation […] is not discretionary, but should be given to the victims of human rights violations upon demand and as a matter of right.“ 917 s. z. B. Aussage des indischen Delegierten Saha zur Situation von in ihren Rechten verletzten Opfern in Indien, abgedruckt in: Commission des droits de lhomme, 61e session, Compte rendu analytique de la 56e sance (UN Doc. E/CN.4/2005/SR.56), Ziff. 112. Eine im Zusammenhang mit den überarbeiteten Van Boven-Prinzipien abgegebene Erklärung Deutschlands, abgedruckt in: UN Doc. E/CN.4/1998/34, S. 8, Ziff. 1, nimmt z. B. ausdrücklich auf nach nationalem Recht gewährte Entschädigungen Bezug, um somit das Bestreben, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu entschädigen, zu unterstreichen: „… In the domestic field the Federal Government has, over the past years, particularly tried to grant reparation […] to the numerous victims of human rights violations in the former German Democratic Republic …“ 918 s. Fleck, Reparation for War Victims in Todays Perspective, Symposium of the Stichting Japanse Ereschulden/Foundation of Japanse Honorary Debts (Scheveningen 1 – 3 October 2008), S. 1 [3]. 919 s. Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, 17.03.2004. 920 s. ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Toronto Conference (2006), im Internet verfügbar unter http://www.ila-hq.org/, Stichwort: „Committees“ › „List of Committees“ › „Compensation for Victims of War“, nachgesehen am 25.07.2009.

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2008 ist das ILA-Komitee in Rio de Janeiro zusammengekommen, um über den – von Hofmann erarbeiteten – Entwurf einer Erklärung zu völkerrechtlichen Prinzipien zum Thema der Entschädigung von Opfern bewaffneter Konflikte zu beraten.921 Der Entwurf Hofmanns nimmt die aktuellen – und in dieser Arbeit aufgezeigten – Entwicklungen im Völkerrecht auf, die ein Individualrecht auf Wiedergutmachung von Kriegsschäden anerkennen bzw. fordern. Dem Entwurf liegt die Annahme eines bestehenden Individualrechtes auf Entschädigung für Kriegsschäden zugrunde (s. Art. 6 der ILA-Entwurfserklärung), wenngleich Hofmann in seinen einführenden Bemerkungen einräumt, dass das Völkerrecht bis zum jetzigen Zeitpunkt – trotz eines sich andeutenden Wandels – kein solches Individualrecht vorsehe.922 Der Anwendungsbereich der Entwurfsprinzipien ist – im Einklang mit den aufgezeigten völkerrechtlichen Entwicklungen – an das Vorliegen einer Verletzung grundlegender („core“) Normen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte923 und an das Vorliegen aus der Verletzung resultierender schwerwiegender Nachteile („serious harm“) gekoppelt.924 • Zwischenfazit I – internationale Praxis Am Ende der Darstellung der im Hinblick auf das Bestehen eines Individualanspruches wegen Kriegsschäden relevanten internationalen Praxis lässt sich das Zwischenfazit ziehen, dass auf internationaler Ebene zusehends die Belange der Opfer von (schweren) Verletzungen menschen- und humanitärrechtlicher Normen berücksichtigt werden – eine Entwicklung, die auch als „victim-centered approach“ bezeichnet wird. Dieser opferbezogene Ansatz beinhaltet teilweise die Forderung oder Anerkennung eines individuellen Rechts auf Entschädigung gegen den verantwortlichen Staat bzw. einer staatlichen Entschädigungspflicht gegenüber den von den Verletzungen betroffenen Individuen nach nationalem Recht. Inwieweit diese auf internationaler Ebene zu verzeichnende Entwicklung bereits als Nachweis einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel, wonach infolge von Verletzungen des humanitären Völkerrechts geschädigte Personen einen Anspruch auf Wiedergutmachung gegen den verantwortlichen Staat haben, herangezogen werden kann, erscheint indes in quantitativer und qualitativer Hinsicht zweifelhaft:

921 Der Entwurf der Erklärung von Hofmann ist abgedruckt in: ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Draft Declaration of International Law Principles on Compensation for Victims of War, S. 2 ff. (im Internet verfügbar unter http://www.ila-hq.org/, Stichwort: „Committees“ › „List of Committees“ › „Compensation for Victims of War“, nachgesehen am 25.07.2009); zu dieser Entwurfserklärung s. auch Fleck, Reparation for War Victims in Todays Perspective, Symposium of the Stichting Japanse Ereschulden/Foundation of Japanse Honorary Debts (Scheveningen 1 – 3 October 2008), S. 1 [4]. 922 s. Hofmann, in: ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Preliminary Remarks, S. 2. 923 Art. 3 Abs. 1 der Entwurfserklärung. 924 Art. 4 Abs. 1 der Entwurfserklärung.

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In quantitativer Hinsicht insofern, weil das Thema der individuellen Wiedergutmachungsansprüche erst seit Ende der 1990er Jahre an Momentum gewonnen hat und sich somit die Fälle, in denen geschädigten Individuen auf internationaler Ebene eine Wiedergutmachung durch den verantwortlichen Staat gewährt wurde, bislang rein zahlenmäßig in Grenzen halten. In qualitativer Hinsicht erscheinen die auf internationaler Ebene zu verzeichnenden Vorgänge, zuletzt die von der UN-Menschenrechtskommission im April 2005 verabschiedeten Basic Principles, insofern nicht für den Nachweis einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel geeignet, da sie bislang nicht von entsprechenden Maßnahmen und Reaktionen der Staatenwelt begleitet werden.925 Sofern sich zu dem Fragenkreis individueller Wiedergutmachungsansprüche wegen Kriegsschäden gegen die verantwortlichen Staaten überhaupt Äußerungen von Staaten vorfinden lassen, tendieren diese eher in Richtung einer Ablehnung individueller Opferansprüche (s. oben). Wie vor allem die Diskussionen um die Regelung des Art. 75 RömSt verdeutlichen ist man von Staatenseite zwar bereit, eine gegen individuelle Straftäter gerichtete Wiedergutmachung zuzulassen, nicht aber eine gegen für Völkerrechtsverletzungen verantwortliche Staaten gerichtete Wiedergutmachung. Angesichts dieser in quantitativer und qualitativer Hinsicht bestehenden Zweifel könnte insbesondere das Vorliegen des für die Herausbildung von Gewohnheitsrecht konstitutiven Merkmals der Verbreitung der Staatenpraxis fraglich erscheinen [s. dazu unten Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. c)]. Ob sich dieses für die internationale Praxis gewonnene Zwischenfazit auch unter Einbeziehung der nationalen Praxis im Hinblick auf Individualansprüche wegen Kriegsschäden aufrecht erhalten lässt, soll mit den nachfolgenden Ausführungen unter Gliederungspunkt B. III. 2. b) bb), die insbesondere die judikative Praxis Japans, der USA und Deutschlands beleuchten, geklärt werden. bb) Nationale Praxis Ziel der Ausführungen unter Gliederungspunkt B. III. 2. b) bb) wird es sein, die im Hinblick auf das Bestehen eines völkerrechtlichen Individualanspruches wegen Kriegsschäden, die aus einer Verletzung des (humanitären) Völkerrechts herrühren, relevante nationale Praxis zu analysieren und damit die Darstellung der – für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand bedeutsamen – völkergewohnheitsrechtlichen Entwicklungen abzurunden [zu der für die Herausbildung von Gewohnheitsrecht relevanten nationalen Praxis s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. a)].

925 Zu dem Problem fehlender Staatenpraxis s. auch Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law,?, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 [356].

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Die Analyse wird sich auf die nationale Praxis derjenigen Staaten konzentrieren, die sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem in judikativer, aber auch in legislativer Hinsicht, am intensivsten mit der Frage von Individualansprüchen wegen Kriegsschäden auseinandergesetzt haben, nämlich Japan, die USA und Deutschland. Thematisch gesehen sei dabei vorab angemerkt, dass sich die japanischen, amerikanischen und deutschen Gerichte ganz überwiegend mit den aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Kriegsfolgen wie zum Beispiel durch deutsche Soldaten verübte Massaker (Distomo-Fälle) oder Zwangsarbeit befasst haben.926 Der im November 2006 vom BGH entschiedene Varvarin-Fall, in dem es um die Ansprüche jugoslawischer Staatsangehöriger gegen die BRD im Zusammenhang mit einem 1999 erfolgten NATO-Luftangriff während des Kosovo-Krieges ging, bildet insofern eine Ausnahme und soll den Schlusspunkt der Ausführungen zur nationalen (deutschen) Praxis markieren. • Rechtsprechung japanischer Gerichte927 Der 1963 vom Tokyo District Court (Chiho¯-saiban-sho) entschiedene ShimodaFall war der erste in der japanischen Rechtsprechung zu verzeichnende Fall, in dem es um eine Entschädigung für Opfer von Verletzungen des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Rechts ging.928 Die Kläger, Geschädigte der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945, machten geltend, dass die japanische Regierung mit dem Abschluss des Friedensvertrages von San Francisco (1951) auf das Recht der Kläger, von den USA für den kriegsrechtswidrigen Einsatz der Atombombe eine Entschädigung zu verlangen, verzichtet habe und damit selber entschädigungspflichtig werde.929 Der Tokyo District Court räumte zwar ein, dass der Einsatz der Atombombe kriegsrechtswidrig sei, stellte aber fest, dass Individuen nur in bestimmten Fällen als Rechtsträger im Völkerrecht in Betracht kommen würden.930 Einem infolge völkerrechtswidriger Kampfhandlungen geschädigten Individuum stehe kein Weg offen, auf völkerrechtlicher Grundlage auf Schadensersatz für die erlittenen Schäden zu klagen.931

926 Überblicksweise Zusammenstellung der Rechtsprechung japanischer, amerikanischer und deutscher Gerichte zu Ansprüchen wegen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs herrührender Kriegsschäden bei Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 124 ff. 927 Eine ausführliche Analyse der japanischen Rechtsprechung zu aus dem Zweiten Weltkrieg herrührender Kriegsschäden findet sich bei Bong, Compensation for Victims of Wartime Atrocities, in: JICJ 3 (2005), 187 ff.; Gao, Overdue Redress: Surveying and Explaining the Shifting Japanese Jurisprudence on Victims Compensation Claims, in: CJTL 45 (2007), 529 ff.; Igarashi, Post-war Compensation Cases, Japanese Courts and International Law, in: JAIL 43 (2000), 45 ff. 928 Tokyo District Court, Shimoda et al v. Japan, Judgment of 07.12.1963, Hanrei Jiho¯ [Law Cases Reports], Vol. 355, S. 17 ff., abgedruckt in: JAIL 8 (1964), 212 ff. 929 Tokyo District Court, Shimoda et al v. Japan, in: JAIL 8 (1964), 212 [220]. 930 Tokyo District Court, Shimoda et al. v. Japan, in: JAIL 8 (1964), 212 [227]. 931 Tokyo District Court, Shimoda et al. v. Japan, in: JAIL 8 (1964), 212 [227].

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

1998 war der Tokyo District Court mit einer Klage niederländischer Kriegsgefangener932 und einer Klage philippinischer, von japanischen Soldaten während des Zweiten Weltkrieges vergewaltigter Frauen (sog. „Comfort Women“933) befasst, die sich beide gegen den japanischen Staat richteten.934 Die holländischen Kriegsgefangenen stützten ihren Anspruch wegen der während der japanischen Kriegsgefangenschaft erlittenen Schäden auf Art. 3 HA-IV und Völkergewohnheitsrecht.935 Das Tokioter Gericht stellte zunächst fest, dass das Völkerrecht darauf angelegt sei, Beziehungen zwischen Staaten zu regeln und dementsprechend vornehmlich Rechte und Pflichten von Staaten statuiere.936 Nur in Ausnahmefällen finde man völkerrechtliche Verträge, die Individuen ausdrücklich bestimmte Rechte einräumen (zum Beispiel Menschenrechtsverträge), vor.937 Im Rahmen der Auslegung und Einbeziehung der travaux preparatoires des Art. 3 HA-IV kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Vorschrift nur festlege, dass Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet seien.938 Der Vorschrift könne hingegen nicht entnommen werden, dass Individuen berechtigt seien, Schadensersatz für völkerrechtswidrige Akte eines Staates zu fordern.939 Auch die nachfolgende Staatenpraxis, unter anderem ein Urteil des OVG Münster aus dem Jahre 1952, auf das bei der Besprechung der deutschen Praxis noch zurückzukommen sein wird (s. unten), habe bislang kein auf Art. 3 HA-IV gestütztes Recht geschädigter Individuen, vor Gerichten des Schädigerstaates Ansprüche auf Schadensersatz einzufordern, hervorgebracht.940 Auch die philippinischen „Comfort Women“ stützten ihre Klage gegen den japanischen Staat vornehmlich auf Art. 3 HA-IV und Völkergewohnheitsrecht.941 Genau 932 Während der japanischen Besatzung der ehemals niederländischen Ostindischen Inseln (heute Indonesien) wurden ca. 300.000 niederländische Staatsangehörige Opfer massiver und systematischer Menschenrechtsverletzungen begangen von japanischen Soldaten. Die „Stichting Japanse Ereschulden“ (Stiftung japanischer Ehrenschulden), die den Status einer Nichtregierungsorganisation (NGO) besitzt, hat sich dem Fall der niederländischen Opfer angenommen und fordert von der japanischen Regierung eine Erklärung des Bedauerns und finanzielle Wiedergutmachung für die Opfer. 933 Zum Hintergrund des „Comfort Women“-Systems s. Gao, Overdue Redress: Surveying and Explaining the Shifting Japanese Jurisprudence on Victims Compensation Claims, in: CJTL 45 (2007), 529 f. 934 Tokyo District Court, Dutch Nationals v. Japan, Judgment of 30.11.1998, Hanrei Taimuzu [Law Times Report], Vol. 991, S. 262 ff., abgedruckt in: JAIL 42 (1999), 143 ff.; Tokyo District Court, Filipina Comfort Women v. Japan, Judgment of 09.10.1998, abgedruckt in: JAIL 42 (1999), 170 ff. 935 Tokyo District Court, Dutch Nationals v. Japan, in: JAIL 42 (1999), 143. 936 Tokyo District Court, Dutch Nationals v. Japan, in: JAIL 42 (1999), 143 [145]. 937 Tokyo District Court, Dutch Nationals v. Japan, in: JAIL 42 (1999), 143 [145]. 938 Tokyo District Court, Dutch Nationals v. Japan, in: JAIL 42 (1999), 143 [146]. 939 Tokyo District Court, Dutch Nationals v. Japan, in: JAIL 42 (1999), 143 [146]. 940 Tokyo District Court, Dutch Nationals v. Japan, in: JAIL 42 (1999), 143 [150]. 941 Tokyo District Court, Filipina Comfort Women v. Japan, in: JAIL 42 (1999), 170 [171].

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wie in seiner Entscheidung im Fall der holländischen Kriegsgefangenen kam der Tokyo District Court hier zu dem Ergebnis, dass Art. 3 HA-IV nicht als Vorschrift, die geschädigten Individuen das Recht einräume, Schadensersatz zu verlangen, interpretiert werden könne942 und sich aus der nachfolgenden Staatenpraxis bislang auch kein solches Individualrecht herausfiltern lasse.943 Der in beiden Fällen angerufene Tokyo High Court (Ko¯to¯-saiban-sho) bestätigte die Entscheidungen des District Court, indem er feststellte, dass sowohl Art. 3 HA-IV als auch das Völkergewohnheitsrecht den infolge kriegerischer Handlungen geschädigten Opfern kein Recht an die Hand gebe, Schadensersatz direkt vom verantwortlichen Staat zu fordern.944 In einer Entscheidung vom 18. März 2005 hat der Tokyo High Court eine Klage chinesischer Frauen, die vortrugen, während des Zweiten Weltkrieges von japanischen Soldaten gefangen genommen und vergewaltigt worden zu sein, ebenfalls abgewiesen.945 Er stützte seine Ablehnung in diesem Fall auf den zwischen der Volksrepublik China und Japan geschlossenen Friedensvertrag, mit dem auf die Geltendmachung von Forderungen chinesischer Staatsangehöriger im Zusammenhang mit aus dem Zweiten Weltkrieg herrührender Schäden verzichtet worden sei.946 Abgesehen von diesen relativ eindeutigen Entscheidungen sind zum Teil aber auch Entscheidungen japanischer Gerichte ergangen, mit den zwar die Klagen von Kriegsopfern gegen die japanische Regierung abgewiesen wurden, deren Aussagen aber durchaus Raum für Interpretationen lassen. So hat beispielsweise der Tokyo High Court in einer Entscheidung aus dem Jahre 1996947 seine Ablehnung eines Individualrechtes auf Schadensersatz wegen Kriegsschäden mit dem Argument der zur Zeit des Zweiten Weltkrieges geltenden Rechtslage begründet.948 Mit dieser auf die damalige Rechtslage gestützten Begründung hat der High Court letztlich offen gelassen, ob er ausgehend von der gegenwärtigen völkerrechtlichen Rechtslage zum selben 942

Tokyo District Court, Filipina Comfort Women v. Japan, in: JAIL 42 (1999), 170 [173]. Tokyo District Court, Filipina Comfort Women v. Japan, in: JAIL 42 (1999), 170 [177]. 944 Tokyo High Court, Dutch Nationals v. Japan, Judgment of 08.02.2001, abgedruckt in: JAIL 45 (2002), 142 [144]; Tokyo High Court, Filipina Comfort Women v. Japan, Judgment of 06.12.2000, abgedruckt in: JAIL 44 (2001), 174 f. 2005 hat der Tokyo High Court mit derselben Argumentation die Klage eines chinesischen Staatsbürgers, der infolge durch den Staat Japan angeordneter Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges zu Schaden gekommen war, verworfen, s. Tokyo High Court, Japan v. Y, Judgment of 23.06.2005, abgedruckt in: JAIL 50 (2007), 194 [198 ff.]. 945 Tokyo High Court, X et al.v. Japan, Judgment of 18.03.2005, abgedruckt in: JAIL 49 (2006), 149 ff. 946 Tokyo High Court, X et al.v. Japan, Judgment of 18.03.2005, abgedruckt in: JAIL 49 (2006), 149 [152]. 947 Tokyo High Court, X et al. v. Japan, Judgment of 07.08.1996, abgedruckt in: JAIL 40 (1997), 116 f. 948 Tokyo High Court, X et al. v. Japan, Judgment of 07.08.1996, abgedruckt in: JAIL 40 (1997), 116 [117]. 943

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

Schluss, also zur Ablehnung eines Individualrechtes, oder aber zu einem anderen Ergebnis gelangen würde. Zudem sind mittlerweile ganz vereinzelt sogar Urteile japanischer Untergerichte, wie zum Beispiel das des Yamaguchi Lower Court (Kani-saiban-sho) im Ko Otsu Hei-Fall, ergangen, in denen die japanische Regierung aufgrund von durch japanische Soldaten während des Zweiten Weltkrieges erzwungener Prostitution zu Zahlungen an drei koreanische „Comfort Women“ verpflichtet worden ist.949 Der Yamaguchi Lower Court war überzeugt, dass die fraglichen Handlungen eine schwere Verletzung der Menschenwürde der „Comfort Women“ darstellen würden,950 und sich damit für die japanische Regierung aus der japanischen Verfassung die Pflicht ergebe, die geschädigten Opfer zu entschädigen.951 Dieser verfassungsrechtlichen Entschädigungspflicht sei die Regierung bis zum heutigen Tage nicht nachgekommen, so dass die Forderung der drei koreanischen „Comfort Women“ nach Schadensersatz vom japanischen Staat berechtigt sei.952 Dieses Urteil des Yamaguchi Lower Court ist allerdings im März 2001 vom Hiroshima High Court wieder aufgehoben worden – mit dem Argument, dass es sich bei der Entscheidung über Nachkriegsentschädigungen um eine politischen Entscheidung handele, die der Einschätzungsprärogative der Legislative vorbehalten sei.953 Zusammengefasst lässt sich damit für die japanische Rechtsprechung zu völkerrechtlichen Individualansprüchen konstatieren, dass die Gerichte, die mit Klagen von Kriegsopfern befasst waren, eine Reihe von Gründen wie die traditionelle Konzeption des Völkerrechts oder aber den Abschluss von Friedensverträgen vorgebracht haben, um die Klagen abzuweisen. • Rechtsprechung amerikanischer Gerichte Bei der Rechtsprechung amerikanischer Gerichte zu – auf Verletzungen des humanitären Völkerrechts gestützten und gegen Staaten gerichteten – Individualansprüchen von Kriegsopfern ergibt sich folgendes Bild:

949 Yamaguchi Lower Court, Ha Sun-nyo et al. v. Japan, Judgment of 27.04.1998, Hanrei Jiho¯ [Law Cases Reports], Vol. 1642, S. 24 ff., abgedruckt in: PRLPJ 8 (1999), 63 ff.; zu – den bislang noch raren – Anzeichen eines Schwenks in der japanischen Nachkriegsentschädigungsrechtsprechung s. auch Gao, Overdue Redress: Surveying and Explaining the Shifting Japanese Jurisprudence on Victims Compensation Claims, in: CJTL 45 (2007), 529 [538 ff.]. 950 Yamaguchi Lower Court, Ha Sun-nyo et al. v. Japan, in: PRLPJ 8 (1999), 63 [99 f.]. 951 Yamaguchi Lower Court, Ha Sun-nyo et al. v. Japan, in: PRLPJ 8 (1999), 63 [101]. 952 Yamaguchi Lower Court, Ha Sun-nyo et al. v. Japan, in: PRLPJ 8 (1999), 63 [103]. 953 Hiroshima High Court, Ha Sun-nyo et al. v. Japan, Judgment of 29.03.2001, Hanrei Jiho¯ [Law Cases Reports], Vol. 1081, S. 91 ff.; eine englische Zusammenfassung des Urteils inklusive des vom Gericht angeführten Arguments des Vorbehalts der Politik findet sich bei Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 2, Ziff. 200.

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Im Goldstar-Fall954 verwarf ein amerikanisches Berufungsgericht eine von panamaischen Staatsangehörigen gegen die US-Regierung erhobene Klage. Hintergrund der Klage war die Plünderung der Geschäfte der Kläger während der amerikanischen Invasion in Panama.955 Die Kläger argumentierten, dass Art. 3 HA-IV ihnen ein Recht zur Geltendmachung ihrer infolge der Invasion entstandenen Schäden vor US-Gerichten gebe.956 Dagegen wandte sich das Gericht, indem es feststellte, dass das Haager Abkommen nicht „self-executing“ sei.957 Generell sei ein völkerrechtlicher Vertrag nur dann „self-executing“, wenn der Vertragstext die Absicht durchblicken lasse, ein privates Klagrecht („private right of action“) zur Verfügung zu stellen, was bei dem Haager Abkommen aber nicht der Fall sei.958 Auch wenn im Fall Handel et al. gegen Artukovic959 die Kläger nicht gegen einen Staat, sondern gegen einen individuellen Beklagten vorgingen, so ist die dazu ergangene Entscheidung eines US-Bezirksgerichtes aus dem Jahre 1985 für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand insofern von Bedeutung, als dass das Gericht die von den Klägern erhobenen Ansprüche mit der Begründung ablehnte, dass sowohl das Haager Abkommen von 1907 als auch die Genfer Kriegsgefangenenkonvention von 1929, auf die die Kläger ihre Begehren gestützt hatten, keine rechtlich durchsetzbaren Verpflichtungen enthielten und damit nicht „self-executing“ seien.960 Die Klagen von Kriegsopfern vor US-Gerichten sind in der Vergangenheit allerdings nicht nur an der vermeintlich fehlenden Durchsetzungsmöglichkeit humanitärrechtlicher Bestimmungen gescheitert. Bei gegen Deutschland und Japan geführten Prozessen stützen sich die Gerichte auf das Argument der Staatenimmunität, um die vorgebrachten Klagen abzuweisen: Im Fall Princz961 begehrte der Kläger, ein amerikanischer Staatsangehöriger jüdischen Glaubens, von der BRD Schadensersatz für seine Gefangenschaft in einem Konzentrationslager während des Zweiten Weltkrieges und die dabei entstandenen Traumata. Der Kläger machte geltend, dass er sich in den Jahren nach seiner Gefangenschaft unter anderem um die Zahlung einer Pension 954 US Court of Appeals (4th Circuit 1992), Goldstar (Panama) S.A. v. U.S., 16.06.1992, 967 F.2d 965. 955 US Court of Appeals (4th Circuit 1992), Goldstar (Panama) S.A. v. U.S., 16.06.1992, 967 F.2d 965. 956 US Court of Appeals (4th Circuit 1992), Goldstar (Panama) S.A. v. U.S., 16.06.1992, 967 F.2d 965 [968]. 957 US Court of Appeals (4th Circuit 1992), Goldstar (Panama) S.A. v. U.S., 16.06.1992, 967 F.2d 965 [966, 968 f.]. 958 US Court of Appeals (4th Circuit 1992), Goldstar (Panama) S.A. v. U.S., 16.06.1992, 967 F.2d 965 [966, 968]. 959 US District Court (C.D. California 1985), Leo Handel v. Andrija Artukovic, 31.01.1985, 601 F.Supp. 1421. 960 US District Court (C.D. California 1985), Leo Handel v. Andrija Artukovic, 31.01.1985, 601 F.Supp. 1421 [1425]. 961 US District Court (District of Columbia 1992), Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, 23.12.1992, 813 F.Supp. 22.

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nach dem deutschen BEG bemüht habe, mit seinem Begehren von den deutschen Stellen unter Hinweis auf seine amerikanische Staatsbürgerschaft während der Gefangenschaft aber abgewiesen worden sei.962 Angesichts der Verletzung fundamentaler Menschenrechte, die der Kläger im Konzentrationslager erlitten habe,963 stellte das mit dem Fall zunächst befasste US-Bezirksgericht fest, dass es der BRD verwehrt sei, sich auf amerikanisches Recht und damit auf das Recht der Staatenimmunität nach dem „Foreign Sovereign Immunities Act“ zu berufen.964 Der Kläger sei dementsprechend berechtigt, seinen Fall vor ein amerikanisches Gericht zu bringen und gegen die BRD vorzugehen.965 Diese Entscheidung wurde jedoch vom zuständigen US-Berufungsgericht 1994 aufgehoben.966 Nach Meinung des Berufungsgerichtes komme im vorliegenden Falle keine der im „Foreign Sovereign Immunities Act“ vorgesehenen Ausnahmen vom Recht der Staatenimmunität in Betracht.967 Die von „Comfort Women“ gegen Japan beim US-Bezirksgericht für den District of Columbia eingereichte Klage wurde im Oktober 2001 ebenfalls mit dem Argument der Staatenimmunität abgewiesen.968 Darüber hinaus wurde die amerikanische Gerichtsbarkeit seit Mitte der 1990er Jahre für die juristische Aufarbeitung der Folgen von Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs im national-sozialistisch regierten Deutschland in Anspruch genommen. Die aufgrund von Zwangsarbeit gegen deutsche Unternehmen erhobenen (Sammel-)Klagen969 sind zwar außerhalb der Reichweite dieser – auf gegen Staaten gerichtete Individualansprüche fokussierten – Arbeit, wenngleich im Zusammenhang mit diesen Klagen zumindest die Begründung der Abweisung der Klagen durch die amerikanischen Gerichte durchaus erwähnenswert ist: So hat das mit dem Fall Burger-Fischer et al. v. Degussa AG and Lichtman et al. v. Siemens AG970 befasste US-Bezirksgericht – neben dem Verweis auf den Ausschluss privater Forde962 US District Court (District of Columbia 1992), Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, 23.12.1992, 813 F.Supp. 22 [24]. 963 US District Court (District of Columbia 1992), Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, 23.12.1992, 813 F.Supp. 22 [25]. 964 US District Court (District of Columbia 1992), Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, 23.12.1992, 813 F.Supp. 22 [26]. 965 US District Court (District of Columbia 1992), Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, 23.12.1992, 813 F.Supp. 22 [27]. 966 US Court of Appeals (District of Columbia Circuit 1994), Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, 01.07.1994, 26 F.3d 1166. 967 US Court of Appeals (District of Columbia Circuit 1994), Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, 01.07.1994, 26 F.3d 1166 [1168, 1171 ff.]. 968 US District Court (District of Columbia 2001), Hwang Geum Joo et al. v. Japan, 04.10.2001, 172 F.Supp.2d 52 [58 ff.]. 969 Z.B. US District Court (D. New Jersey 1999), Burger-Fischer et al. v. Degussa AG and Lichtman et al. v. Siemens AG, 13.09.1999, F.Supp.2d 248. 970 Eine Besprechung des Urteils im Fall Burger-Fischer et al. v. Degussa AG and Lichtman et al. v. Siemens AG findet sich bei Ryf, Burger-Fischer v. Degussa AG: U.S. Courts Allow Siemens and Degussa to Profit from Holocaust Slave Labour, in: CWRJIL 33 (2001), 155 ff.

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rungen durch die nach dem Zweiten Weltkrieg mit Deutschland vereinbarten Reparationsregelungen – vorgebracht, dass es sich zum einen als einzelnes Gericht nicht in der Lage sehe, einen gerechten und einheitlichen Standard für die Verteilung von finanziellen Ressourcen an die unterschiedlichen Gruppen von Opfern zu entwickeln,971 und dass es sich zum anderen bei der Verteilung von Geldern an Kriegsopfer um eine Entscheidung handele, die der Außenpolitik und damit der Exekutive vorbehalten sei (sog. „political question“-Doktrin).972 Auf ein ähnliches Argument hat sich – das sei hier am Rande erwähnt – auch das italienische Kassationsgericht im Fall Markovic´ gestützt, in dem es um die Beteiligung italienischer Soldaten an den NATO-Luftangriffen im Kosovo 1999 und eine durch diese begangene Verletzung des humanitären Völkerrechts ging: Das Gericht war der Überzeugung, dass die Mittel und Methoden der Kriegsführung als Handeln der Regierung anzusehen und damit nicht justiziabel seien (sog. „act of government“Doktrin).973 Im Zusammenhang mit den auf der Grundlage von Zwangsarbeit gegen deutsche Unternehmen erhobenen Klagen vor US-Gerichten sei angemerkt, dass trotz der Abweisung von Klagen wie im Fall Burger-Fischer et al. v. Degussa AG and Lichtman et al. v. Siemens AG Ende der 1990er immer noch eine Vielzahl von Fällen vor amerikanischen Gerichten mit ungewissem Ausgang anhängig waren. Der juristische Schwebezustand und der steigende (außen-)politische Druck veranlassten die Bundesregierung im Einvernehmen mit der deutschen Wirtschaft letztlich per Bundesgesetz vom 2. August 2000 eine Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zu errichten, die „Finanzmittel zur Gewährung von Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter und von anderem Unrecht aus der Zeit des Nationalsozialismus Betroffene“ (§ 2 I StiftungsG) bereitstellen sollte.974 Vorangegangen war diesem Bundesgesetz 971

US District Court (D. New Jersey 1999), Burger-Fischer et al. v. Degussa AG and Lichtman et al. v. Siemens AG, 13.09.1999, F.Supp.2d 248 [284]. 972 US District Court (D. New Jersey 1999), Burger-Fischer et al. v. Degussa AG and Lichtman et al. v. Siemens AG, 13.09.1999, F.Supp.2d 248 [284]. Zum Argument der „political question“-Doktrin im Urteil des US-Bezirksgerichts von New Jersey im Fall Burger-Fischer et al. v. Degussa AG and Lichtman et al. v. Siemens AG s. Ryf, Burger-Fischer v. Degussa AG: U.S. Courts Allow Siemens and Degussa to Profit from Holocaust Slave Labour, in: CWRJIL 33 (2001), 155 [172 ff.]. 973 Corte Suprema di Cassazione (Sezioni Unite Civili), Marcovic c. Presidenza del Consiglio dei Ministri e altri, Verfügung (ordinanza) vom 05.06.2002, Nr. 8157, abgedruckt in: RDIPP 40 (2004), 311 [312]. Zum Urteil des italienischen Kassationsgerichtes s. auch Frulli, When are states liable towards individuals for serious violations of humanitarian law? The Markovic´ case, in: JICJ 1 (2003), S. 406 ff. Die gegen das Urteil des italienischen Gerichts vor dem EGMR erhobene und auf eine Verletzung von Art. 6 I EMRK gestützte Individualbeschwerde hat der EGMR mit dem Argument, dass eine Verletzung des Art, 6 I EMRK im konkreten Fall nicht gegeben sei, abgewiesen, s. EGMR (Große Kammer), Markovic u. a. gegen Italien, Nr. 1398/03, Entscheidung vom 14.12.2006 = NJOZ 8 (2008), 1086 ff. 974 s. auch Überblick zum Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ und dessen Hintergrund bei Hahn, Individualansprüche auf Wiedergutmachung von Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg, in: NJW 53 (2000), 3521 ff.

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ein Regierungsabkommen zwischen den USA und der BRD, worin sich Deutschland verpflichtete, die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zu errichten, und sich die USA im Gegenzug dazu verpflichteten, mittels eines „Statement of Interest“ Einfluss auf die US-Gerichte in Richtung einer Beendigung der anhängigen Verfahren auszuüben.975 Mittlerweile sind auch erste Entscheidungen amerikanischer Gerichte zu den Maßnahmen, die im Zusammenhang mit den in Afghanistan und im Irak geführten US-Militäroperationen stehen, ergangen, die die Linie der US-Gerichte in den Fällen Goldstar etc. fortführen: Im Fall Hamdi v. Rumsfeld ging es um die Gefangennahme eines vermeintlichen Al-Quaida-Kämpfers während der militärischen Operation in Afghanistan durch amerikanische Truppen.976 Der mittlerweile in Norfolk (Virginia) gefangen gehaltene Hamdi stellte beim zuständigen Gericht einen Antrag auf Erlass eines Vorführungsbefehls zur Haftprüfung („petition for writ of habeas corpus“), den er unter anderem auf Art. 5 des Genfer Abkommens über die Behandlung von Kriegsgefangenen von 1949 stützte, der eine Bestimmung seines Status als Kämpfer durch ein zuständiges Gericht vorschreibt. Das letztlich mit dem Fall befasste US-Berufungsgericht des vierten Bezirks verwarf den auf Art. 5 gestützten Antrag, indem es – ähnlich wie die Gerichte in den Fällen Goldstar und Handel et al. gegen Artukovic – feststellte, dass die Bestimmungen des III. Genfer Abkommen nicht „selfexecuting“ seien, da sie nicht von der Absicht zeugen würden, ein privates Klagerecht bereitzustellen.977 Diese Sicht hat das US-Bezirksgericht für den District of Columbia 2007 in Bezug auf das (IV.) Genfer Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten von 1949 bestätigt, als es in einem Fall, in dem es um die Gefangennahme und angebliche Folterung ausländischer Staatsangehöriger durch US-Soldaten im Irak und in Afghanistan ging, sich auf den Standpunkt stellte, dass die Bestimmungen des IV. Genfer Abkommens ebenfalls nicht „self-executing“ seien und keine individuellen, vor amerikanischen Gerichten durchsetzbaren Rechte gewähren würden.978 Mehr Potential scheinen indes vor US-Gerichten erhobene Klagen aufzuweisen, in denen sich die Kläger, die infolge von Verletzungen des Völkerrechts zu Schaden gekommen sind, auf nationales amerikanisches Recht basierend auf dem Grundsatz universeller Zivilgerichtsbarkeit („universal civil jurisdiction“) berufen. Beispiele hierfür sind der U.S. „Alien Tort Claims Act“ und der „Torture Victims Protections Act“. Der „Alien Tort Claims Act“ begründet dem Wortlaut nach die sachliche Zuständigkeit der US-Bundesgerichte für Klagen von Ausländern gestützt 975 s. Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [201]. 976 US Court of Appeals (4th Circuit 2003), Hamdi v. Rumsfeld, 08.01.2003, 316 F.3d 450. 977 US Court of Appeals (4th Circuit 2003), Hamdi v. Rumsfeld, 08.01.2003, 316 F.3d 450 [468 f.]. 978 US District Court (District of Columbia 2007), Ali et al. v. Pappas et al. (In re: Iraq and Afghanistan Detainees Litigation), 27.03.2007, 479 F.Supp.2d 85 [115 ff.].

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auf das amerikanische Zivilrecht wegen Verletzungen von Völkerrecht – und zwar unabhängig davon, ob die Parteien bzw. die Tat einen Bezug zu den USA haben oder nicht.979 Die zum „Alien Tort Claims Act“ ergangene Rechtsprechung ist zwar nicht zum eigentlichen „Einzugsbereich“ der – auf völkerrechtliche Ansprüche ausgelegten – Untersuchung unter Gliederungspunkt B. zu zählen. Überdies richten sich Klagen nach dem „Alien Tort Claims Act“ vornehmlich gegen für Völkerrechtsverletzungen verantwortliche Individuen oder transnational agierende Firmen, nicht aber gegen ausländische Staaten, die in den Genuss des „Foreign Sovereign Immunity Act“ kommen, der nur in engen Fällen eine Durchbrechung vom Grundsatz der Staatenimmunität vorsieht (s. § 1605–§ 1607 des „Foreign Sovereign Immunity Act“). Dennoch lassen sich der zum „Alien Tort Claims Act“ ergangenen Rechtsprechung einige interessante Aussagen im Hinblick auf den Gegenstand der aus Verletzungen völkerrechtlicher Bestimmungen hervorgehenden (Individual-)Ansprüche entnehmen. Für die vorliegende Untersuchung ist vor allem die von den US-Gerichten thematisierte Frage von Interesse, ob die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte nach dem „Alien Tort Claims Act“ bei einer Verletzung völkerrechtlicher Vorschriften eröffnet ist oder erst dann, wenn die verletzten völkerrechtlichen Vorschriften zusätzlich eine Klagebefugnis vorsehen:980 Das 1980 mit dem Fall Filartiga gegen Pena Irala befasste US-Berufungsgericht des zweiten Bezirks kam zu der Überzeugung, dass das Völkerrecht allen Menschen fundamentale Rechte gegenüber dem eigenen Staat einräume (zum Beispiel das Recht, keiner Folter ausgesetzt zu sein),981 und dass der „Alien Tort Claims Act“ selber keine Rechte an ausländische Staatsangehörige verleihe, sondern US-Bundesgerichte bloß mit der Zuständigkeit ausstatte, über Verletzungen von „well-established, universally recognized norms of international law“ zu urteilen.982 Richter Bork argumentierte hingegen im zeitlich nachfolgenden Fall Tel Oren v. Libyan Arab Republic, dass die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte nach dem

979 Wortlaut des „Alien Tort Claims Act“ (28 U.S.C. § 1350): „The district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States.“ 980 s. Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 33; s. auch US Court of Appeals (District of Columbia Circuit 1984), Tel Oren et al. v. Libyan Arab Republic, 03.02.1984, 726 F.2d 774 [777], wo sich Richter Edwards mit den entgegengesetzten Positionen des US-Berufungsgerichts im Fall Filartiga v. Pena-Irala und des Richters Bork im Fall Tel Oren et al. v. Libyan Arab Republic auseinandersetzt. 981 US Court of Appeals (2nd Circuit 1980), Filartiga v. Pena-Irala, 30.06.1980, 630 F.2d 876 [885]. 982 US Court of Appeals (2nd Circuit 1980), Filartiga v. Pena-Irala, 30.06.1980, 630 F.2d 876 [887 f.].

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„Alien Tort Claims Act“ nur dann eröffnet sei, wenn dem (Individual-)Kläger nach Völkerrecht eine Klagebefugnis eingeräumt sei.983 Ausgehend vom Ansatz des US-Berufungsgerichtes des zweiten Bezirks im Fall Filartiga v. Pena-Irala haben mehrere amerikanische Gerichte in der Folge den „Alien Tort Claims Act“ auf von Individualklägern erhobene Klagen angewandt, in den es um die Verletzung etablierter und allgemein anerkannter Normen des Völkerrechts ging.984 Zu etablierten und allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts, die die Zuständigkeit der US-Zivilgerichtsbarkeit nach dem „Alien Tort Claims Act“ eröffnen, haben die US-Gerichte bislang unter anderem das Verbot der Piraterie, des Völkermordes, der Sklaverei sowie Kernbereiche des humanitären Völkerrechts gezählt.985 Das abermals angerufene US-Bezirksgericht des zweiten Bezirks hat in seinem Urteil im Fall Kadic gegen Karadzˇic´ seine Zuständigkeit nach dem „Alien Tort Claims Act“ unter anderem aufgrund der an den bosnischen Kroaten und Muslimen verübten Kriegsverbrechen durch bosnisch-serbische Militäreinheiten unter Führung von Radovan Karadzˇic´ angenommen.986 Überdies hat das Gericht erklärt, dass das Völkerrecht im Allgemeinen keine privaten Klageansprüche („private cause of action“) zur Abhilfe von Völkerrechtsverletzungen vorsehe.987 Vielmehr überlasse es jedem Staat selbst, die verfügbaren Rechtsmittel im Falle einer Verletzung des Völkerrechts einzurichten, und ein solches Rechtsmittel für die von den Klägern behaupteten Verletzungen des Völkerrechts, wie etwa Kriegsverbrechen scheine der „Alien Tort Claims Act“ bereitzustellen.988 Diese Aussage des US-Bezirksgerichts bekräftigt die im Fall Filartiga gegen Pena-Irala getroffene Feststellung, wonach die Eröffnung der Gerichtsbarkeit auf Grundlage des „Alien Tort Claims Act“ die Verletzung einer

983 s. „concurring Opinion“ des Richters Bork, in: US Court of Appeals (District of Columbia Circuit 1984), Tel Oren et al. v. Libyan Arab Republic, 03.02.1984, 726 F.2d 774 [817]; dagegen: „concurring opinion“ des Richters Edwards, in: US Court of Appeals (District of Columbia Circuit 1984), Tel Oren et al. v. Libyan Arab Republic, 03.02.1984, 726 F.2d 774 [777 ff.]. 984 s. Baldwin, International human rights plaintiffs and the doctrine of forum non conveniens, in: CILJ 40 (2007), 749 [752]. 985 Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [177 f.]. 986 US Court of Appeals (2nd Circuit 1996), Kadic v. Karadzˇic´, 06.01.1996, 70 F.3d 232 [243]. 987 US Court of Appeals (2nd Circuit 1996), Kadic v. Karadzˇic´, 06.01.1996, 70 F.3d 232 [246]. 988 US Court of Appeals (2nd Circuit 1996), Kadic v. Karadzˇic´, 06.01.1996, 70 F.3d 232 [246].

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etablierten und allgemein anerkannten Völkerrechtsnorm, nicht aber eine zusätzliche Klagebefugnis nach Völkerrecht voraussetzt.989 Der US-Supreme Court, also das höchste Gericht der USA, hat sich das erste und bislang einzige Mal im Jahre 2004 mit dem „Alien Tort Claims Act“ und der Geltendmachung von Völkerrechtsverletzungen auseinandergesetzt: Im Fall Sosa gegen Alvarez-Machain et al. hat er sich auf den Standpunkt gestellt, dass der „Alien Tort Claims Act“ zwar nur als Zuständigkeitsvorschrift zu sehen sei und keinen gesetzmäßigen Klageanspruch begründe.990 Allerdings habe der „Alien Tort Claims Act“ zum Zeitpunkt seines Erlasses die US-Bundesgerichte immerhin ermächtigt, über eine sehr begrenzte Kategorie von Fällen, bestimmt durch das Völkerrecht und anerkannt im Common Law, zu verhandeln.991 Die Begrenzung der die Zuständigkeit der USGerichtsbarkeit nach dem „Alien Tort Claims Act“ auslösenden Völkerrechtsverstöße erfolge dadurch, dass die verletzte völkerrechtliche Norm in der zivilisierten Welt anerkannt und der Inhalt der Norm genau, den Maßstäben des Entstehungszeitraumes des „Alien Tort Claims Act“ entsprechend, gefasst sein müsse.992 Fazit der US-Rechtsprechung zum „Alien Tort Claims Act“: Auch nach der Entscheidung des US Supreme Court im Fall Sosa gegen Alvarez-Machain et al. können also in begrenzten Fällen ausländische Staatsangehörige, die Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen geworden sind, auf der Grundlage des „Alien Tort Claims Act“ vor US-Gerichten auf Wiedergutmachung gegen nicht-staatliche Akteure klagen.993 • Deutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung deutscher Gerichte Wie bereits angesprochen wurden in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehrere Gesetze zur Entschädigung von Opfern des Krieges und des Holocaustes verabschiedet:994 1953 wurde das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) verabschiedet, das Regelungen für die Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung in Deutschland enthielt. Aufgrund vor US-Gerichten anhängiger Klagen früherer Zwangsarbeiter und außenpolitischen Drucks sah sich die Bundesregierung im Jahr 2000 dazu veranlasst, in einem mit den USA abgeschlossenen Regierungsabkommen die Verpflichtung einzugehen, eine Stiftung „Verantwortung, Erinnerung und Zukunft“ zur Gewährung finanzieller Zuwendungen an Opfer von Zwangsarbeit in Deutschland während der NS-Herrschaft ins Leben zu rufen, die durch ein entsprechendes Bundesgesetz vom 2. August 2000 errichtet wurde. 989 s. Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 34. 990 US Supreme Court, Sosa v. Alvarez-Machain, 29.06.2004, 214 S.Ct 2739 [2743, 2754]. 991 US Supreme Court, Sosa v. Alvarez-Machain, 29.06.2004, 214 S.Ct 2739 [2743, 2754]. 992 US Supreme Court, Sosa v. Alvarez-Machain, 29.06.2004, 214 S.Ct 2739 [2754, 2765]. 993 s. auch Baldwin, International human rights plaintiffs and the doctrine of forum non conveniens, in: CILJ 40 (2007), 749 [752]. 994 Knapper Überblick zur deutschen Nachkriegsentschädigungsgesetzgebung bei Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 2, Ziff. 182, 183.

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Im Zusammenhang mit deutschen Gesetzen zur Entschädigung von Opfern des Zweiten Weltkrieges und des Holocaustes haben die Bundesregierungen immer wieder betont, dass es sich dabei aus ihrer Sicht um „moralische“995 bzw. „politische“996 Verpflichtungen handele – und nicht um völkerrechtliche Verpflichtungen. Die Analyse der Rechtsprechung deutscher Gerichte fördert vereinzelte Urteile zu gegen Staaten gerichtete, aus Verletzungen des humanitären Völkerrechts herrührenden Individualansprüchen zu Tage: Das OVG Münster hatte 1952 über die Klage eines deutschen Staatsbürgers, der bei einem Verkehrsunfall mit einem Fahrzeug einer alliierten Besatzungsmacht zu Schaden gekommen war, zu entscheiden.997 Das OVG kam zu der Überzeugung, dass der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Besatzungsmacht nicht nur öffentlich-rechtlichen, sondern auch völkerrechtlichen Ursprungs sei.998 Die Haftung der Besatzungsmacht für den von ihren Truppen verursachten Schaden ergebe sich auch aus Art. 3 HA-IV, der – unbestritten – eine Erfolgshaftung des besetzenden Staates für Handlungen, die von Angehörigen seiner Besatzungsmacht begangen worden sind, begründe.999 In seinem Urteil vom 26. Februar 1962, in dem es um die Klage eines während des Zweiten Weltkrieges zur Zwangsarbeit in einem Konzentrationslager verpflichteten Polen gegen die BRD ging, stellte der BGH fest, dass die Prüfung der Forderungen des Kläger nach Sinn und Zweck des Art. 5 II des Londoner Schuldenabkommens von 1953 unterbleiben und der „endgültigen Reparationsregelung“ vorbehalten bleiben solle.1000 Nach dem Abschluss des „2+4-Vetrages“, der „abschließende[n] Regelung in Bezug auf Deutschland“ (s. Art. 12 der Präambel des Vertrages), wurden Anfang der 1990er Jahre im Zusammenhang mit Forderungen früherer Zwangsarbeiter zwei Musterprozesse gegen die Bundesregierung angestrengt, die schließlich zu Vorlagen an das BVerfG gemäß Art. 101 II GG führten. Dabei kam das – unter anderem – vorlegende LG Bonn1001 zu der Überzeugung, dass Art. 5 II des Londoner Schuldenabkommens den Zahlungsansprüchen nicht mehr entgegenstehe, da der 2+4-Vertrag 995 Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/ Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 [349]. 996 Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [200, Fn. 703]. 997 OVG Münster NJW 5 (1952), 1030 f. 998 OVG Münster NJW 5 (1952), 1030. 999 OVG Münster NJW 5 (1952), 1030 [1031]. 1000 BGH MDR 17 (1963), 492 [493]. 1001 LG Bonn, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 02.07.1993, Az. 1 O 134/92.

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die endgültige Regelung der Reparationsfrage treffe.1002 Zweifelhaft sei aber, ob den geltend gemachten Ansprüchen eine allgemeine Regel des Völkerrechts entgegenstehe, die eine „Exklusivität“ des völkerrechtlichen Ausgleichs für Kriegsfolgen festschreibe und damit nationale Ausgleichsvorschriften verdränge.1003 Aufgrund dieser Zweifel legte das LG Bonn dem BVerfG die Frage vor, ob eine allgemeine Regel des Völkerrechts bestehe, nach der Ansprüche aus innerstaatlichem Recht, die auf Kriegsereignissen beruhen würden, nicht individuell durchsetzbar seien, sondern nur auf zwischenstaatlicher Ebene geltend gemacht werden könnten.1004 Zwar wich das angerufene BVerfG der Fragestellung des LG Bonn aus, indem es die Vorlage zur Frage der Exklusivität des völkerrechtlichen Ausgleichs für unzulässig erklärte.1005 In einem ausführlichen obiter dictum erklärte das Gericht aber, dass nach Völkerrecht nicht ausgeschlossen sei, dass einem infolge kriegerischer Ereignisse Geschädigten sowohl völkerrechtliche als auch national-rechtliche Ansprüche erwüchsen, und verwarf damit die These der Exklusivität.1006 So gewähre beispielsweise das Bundesentschädigungsgesetz individuelle Ansprüche, die nicht durch das Völkerrecht überlagert würden.1007 Diese Aussagen des BVerfG zur Exklusivität des völkerrechtlichen Ausgleichs sind für die hier interessierenden Individualansprüche auf der Grundlage völkerrechtlicher Bestimmungen allerdings eher von untergeordneter Bedeutung; sie sind aber vor allem für die in Teil 3 zu thematisierende Frage des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und nationalem Amtshaftungsrecht von Bedeutung [s. dazu Teil 3, Gliederungspunkt A. II. 1.]. Wegweisende Ausführungen zu völkerrechtlichen Individualansprüchen lassen sich hingegen dem Urteil des BGH im Fall Distomo vom 26. Juni 2003 entnehmen:1008 Griechische Staatsangehörige klagten gegen die BRD auf Schadensersatz aufgrund einer von SS-Einheiten im griechischen Dorf Distomo 1944 begangenen Vergeltungsaktion. Bei dieser Vergeltungsaktion wurden die Eltern der Kläger ermordet und deren Häuser niedergebrannt. Der letztlich mit dem Fall befasste BGH musste auch zu aus völkerrechtswidrigen Handlungen herrührenden Schadensersatzforderungen Stellung nehmen.1009 Ausgehend von der zum Tatzeitpunkt (= 1944) geltenden Rechtslage und auf dem Boden der traditionellen Konzeption des Völkerrechts kam der BGH zu dem Schluss, dass bei „völkerrechtlichen Delikten durch Handlungen gegenüber fremden Staatsangehörigen“ ein Anspruch nicht dem Betroffenen

1002 1003 1004 1005 1006 1007 1008 1009

s. BVerfGE 94, 315 [320]. s. BVerfGE 94, 315 [321]. s. BVerfGE 94, 315. BVerfGE 94, 315 [328]. BVerfGE 94, 315 [330 f.]. BVerfGE 94, 315 [331]. BGH NJW 56 (2003), 3488 ff. s. BGH NJW 56 (2003), 3488 [3491, Gliederungspunkt B. IV. 1.].

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selbst, sondern nur dessen Heimatstaat zustehe.1010 Auch Art. 3 HA-IV komme als Grundlage für Einzelansprüche nicht in Betracht, da er dem in seinen Rechten verletzten Individuum nicht die Befugnis einräume, von einem Staat in einem gerichtsförmigen Verfahren Schadensersatz zu verlangen.1011 Die daraufhin eingelegte Verfassungsbeschwerde der vor dem BGH unterlegenen griechischen Kläger blieb ebenfalls erfolglos.1012 Im Hinblick auf die von den Beschwerdeführern vorgetragene Verletzung des Art. 14 I GG, die unter anderem mit der Versagung von völkerrechtlichen Entschädigungsansprüchen gegen die BRD begründet wurde, führte das BVerfG aus, dass Art. 3 HA-IV „keinen unmittelbaren individuellen Entschädigungsanspruch bei Verstößen gegen das Kriegsvölkerrecht“ begründe.1013 Dagegen spreche der Wortlaut der Vorschrift, wonach eine Kriegspartei für einen Verstoß gegen die HLKO „gegebenen Falles“ zum Schadensersatz verpflichtet sei.1014 Angesichts dieses einschränkenden Zusatzes sei Art. 3 HA-IV nicht „self-executing“ und lasse somit die unmittelbare Anwendbarkeit vermissen, die für ein Verständnis der Vorschrift als Anspruchsgrundlage für Individualansprüche erforderlich sei.1015 Im Übrigen würden nach traditionellem Völkerrechtsverständnis „sekundärrechtliche Schadensersatzansprüche wegen völkerrechtswidriger Handlungen eines Staates gegenüber fremden Staatsangehörigen“ – ungeachtet von Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte – grundsätzlich „nach wie vor“ nur dem Heimatstaat des Geschädigten zustehen,1016 wobei eventuelle Rechtsentwicklungen auf völkerrechtlicher Ebene in der Zeit nach 1945 für die Beurteilung von Geschehnissen aus dem Jahre 1944 ohnehin außer Betracht zu bleiben hätten.1017 Bevor der Fall Distomo die deutsche Gerichtsbarkeit erreicht hatte, hatten sich bereits griechische Gerichte mit den Forderungen der durch das SS-Massaker geschädigten Griechen ausführlich befasst. Bemerkenswert im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand ist vor allem die Entscheidung des LG Leivadia vom 30. 07. 1997,1018 das als Eingangsinstanz zuerst mit der Klage der griechischen Staatsangehörigen (vertreten durch die Präfektur von Voiotia) gegen Deutschland befasst war. Das Gericht stellte zunächst fest, dass Deutschland sich nicht auf den Grundsatz der Immunität berufen und damit keine Befreiung von der griechischen Gerichtsbarkeit für hoheitliches Handeln beanspruchen könne, da die in Rede stehenden Handlungen der SS-Einheiten eine Verlet1010

BGH NJW 56 (2003), 3488 [3491]. BGH NJW 56 (2003), 3488 [3491]. 1012 s. BVerfG DVBl. 121 (2006), 622 ff. 1013 BVerfG DVBl. 121 (2006), 622 [623]; so auch BVerfG NJW 57 (2004), 3257 [3258]. 1014 BVerfG DVBl. 121 (2006), 622 [623]. 1015 BVerfG DVBl. 121 (2006), 622 [623]. 1016 BVerfG DVBl. 121 (2006), 622 [623]. 1017 BVerfG DVBl. 121 (2006), 622 [623]. 1018 LG Leivadia (Polymeles Protodikeio Leivadias), Präfektur Voiotia gegen Bundesrepublik Deutschland, 30.10.1997, Nr. 137/1997, abgedruckt in: RHDI 50 (1997), 595 ff. 1011

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zung von Normen des ius cogens darstellen würden.1019 Nachdem das LG Leivadia das Hindernis der Staatenimmunität überwunden hatte, führte es aus, dass die auf Art. 3 HA-IV gestützte Klage rechtmäßig sei und von den Staatsangehörigen selber, also ohne Zwischenschaltung ihres Heimatstaates erhoben werden könne.1020 Im Ergebnis gab das Gericht der Klage in Teilen statt und billigte den Klägern eine teilweise Entschädigung zu.1021 Der von der unterlegenen BRD daraufhin angerufene griechische Oberste Gerichtshof (Areios Pagos) hielt die Entscheidung des LG Leivadia aufrecht, indem er argumentierte, dass die in Distomo begangenen Völkerrechtsverbrechen nicht vom Anwendungsbereich der Staatenimmunität erfasst seien und damit die Gerichtsbarkeit griechischer Gerichte im vorliegenden Falle gegeben sei.1022 Letztlich scheiterte es jedoch an der Vollstreckung des Urteils, da der seinerzeitige griechische Justizminister nach abermaliger Intervention der BRD seine für die Vollstreckung des Urteils erforderliche Zustimmung verweigerte.1023 Besondere Erwähnung verdient zuletzt das im November 2006 ergangene Urteil des BGH im Fall Varvarin,1024 das – im Gegensatz zu den vorangegangenen Gerichtsurteilen – nicht Verletzungen des zur Zeit des Zweiten Weltkriegs geltenden humanitären Völkerrechts, sondern Verletzungen des gegenwärtig geltenden humanitären Völkerrechts betrifft. Tatsächlicher Hintergrund des Falles Varvarin ist ein NATO-Luftangriff während des Kosovo-Krieges 1999, bei dem es infolge eines Brückenbeschusses durch NATOKampfjets zu zahlreichen Toten und Verletzten unter der Zivilbevölkerung gekommen ist. Als Anspruchsgrundlagen zieht der BGH – neben dem deutschen Amtshaftungsrecht – die humanitärrechtlichen Bestimmungen des Art. 3 HA-IV und des Art. 91 ZP-I in Betracht: In Bezug auf Art. 3 HA-IV kommt er zu dem Schluss, dass die Vorschrift – auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Rechtsentwicklungen auf völker-

1019

LG Leivadia (Polymeles Protodikeio Leivadias), abgedruckt in: RHDI 50 (1997), 595

[599]. 1020

LG Leivadia (Polymeles Protodikeio Leivadias), abgedruckt in: RHDI 50 (1997), 595

[601]. 1021

LG Leivadia (Polymeles Protodikeio Leivadias), abgedruckt in: RHDI 50 (1997), 595

[601]. 1022 Oberster Gerichtshof (Areios Pagos), Präfektur von Voiotia gegen Bundesrepublik Deutschland, 04.05.2000, Nr. 11/2000, abgedruckt in: AJIL 95 (2001), 198 [200]. 1023 s. Müller, Griechischer Justizminister gegen Zwangsvollstreckung, in: FAZ vom 14.09.2001, S. 4. 1024 BGH, Urteil vom 02.11.2006, Az. III 190/05 = BGHZ 169, 348 ff.

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rechtlicher Ebene – „keinen unmittelbaren individuellen Entschädigungsanspruch bei Verstößen gegen das Kriegsvölkerrecht“ begründe.1025 In Bezug auf Art. 91 ZP-I führt er aus: Möglicherweise lasse sich den hier in Betracht kommenden verletzten Vorschriften des Ersten Zusatzprotokolls von 1977 (vor allem Art. 51 ZP-I) ein (Primär-)Recht der betroffenen einzelnen Zivilpersonen auf Einhaltung des dort statuierten Verbotes entnehmen, ein individueller sekundärer Anspruch auf Wiedergutmachung ergebe sich aus Art. 91 ZP-I jedenfalls nicht.1026 Diese Sichtweise untermauert der BGH anhand des Wortlautes, der Entstehungsgeschichte und der bisherigen Handhabung des Art. 91 ZP-I: Was den Wortlaut anbelange, so stimme Art. 91 ZP-I nahezu wörtlich mit Art. 3 HA-IV überein, weswegen es allgemeiner Ansicht entspreche, dass Art. 91 ZP-I nur die bereits nach Art. 3 HA-IV geltende Rechtslage bestätige.1027 Auch den Berichten über die Konferenz, in deren Rahmen die Zusatzprotokolle erarbeitet worden seien, würden sich keine Anhaltspunkte im Hinblick auf eine über Art. 3 HA-IV hinausgehende Bedeutung entnehmen lassen.1028 Nachfolgende Entwicklungen wie zum Beispiel der ILC-Entwurf zur Staatenverantwortlichkeit, der nur die Berechtigung des verletzten Staates zur Geltendmachung der Verantwortlichkeit eines anderen Staates vorsehe, seien ein Indiz dafür, dass sich in der Zeit nach der Verfassung der Zusatzprotokolle noch keine gegenteilige, auf das Bestehen eines Individualrechtes wegen Völkerrechtsverletzungen hindeutende Überzeugung herausgebildet habe.1029 Forderungen in der Literatur nach der Anerkennung einer Ausübung von Rechten durch einzelne Personen würden allenfalls die „Äußerung einer in die Zukunft gerichteten, in der Praxis des Völkerrechts so aber jedenfalls noch nicht umgesetzten Idealvorstellung“ beinhalten.1030 Auch den UN Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission könne man nicht mehr als „zukunftsgerichtete Bestrebungen“ entnehmen.1031 • Zwischenfazit II – nationale Praxis Die Durchsicht der nationalen Rechtsprechung fördert zutage, dass die Gerichte ganz überwiegend auf völkerrechtliche Grundlagen gestützte Ansprüche von Kriegsopfern abgelehnt haben.1032 Dies gilt vor allem für die aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Kriegsfolgen. Was die aus gegenwärtigen kriegerischen Konflikten resultierenden Folgen anbelangt, so spricht zumindest das Urteil des BGH im Fall Varvarin eine deutliche Spra1025

BGHZ 169, 348 [353, Ziff. 10]. BGHZ 169, 348 [353 f., Ziff. 11]. 1027 BGHZ 169, 348 [354, Ziff. 12]. 1028 BGHZ 169, 348 [354, Ziff. 12]. 1029 BGHZ 169, 348 [355, Ziff. 13]. 1030 BGHZ 169, 348 [356, Ziff. 14]. 1031 BGHZ 169, 348 [356, Ziff. 15]. 1032 s. zur Haltung der nationalen Gerichte auch Zegveld, Remedies for victims of international humanitarian law, in: IRRC 85 (2003), 497 [512]. 1026

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che. Der Ausgang der derzeit noch beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerde der Opfer von Varvarin, die sich unter anderem auf das Bestehen einer allgemeinen Regel des Völkerrechts, wonach Geschädigte von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht einen individuellen Entschädigungsanspruch haben, und damit eine Verletzung der Vorlagepflicht durch den BGH gemäß Art. 100 II GG stützt,1033 ist ungewiss.1034 Dabei haben die Gerichte unterschiedliche Gründe angeführt, um die Klagen der Kriegsopfer abzuweisen: Größtenteils wurde auf die traditionelle Konzeption des Völkerrechts abgestellt, die einem durch Verletzungen des Völkerrechts geschädigten Individuum keine Ansprüche gegen den verantwortlichen Staat einräume; die Bestimmungen humanitärrechtlicher Verträge wurden überdies teilweise als nicht „selfexecuting“, also als nicht unmittelbar anwendbar angesehen. Ausgehend von diesen Ansätzen wurde dann beispielsweise Art. 3 HA-IV die Qualität eines Individualanspruches abgesprochen. Zum Teil wurden auch Friedensabkommen als Ausschlussgrund für Individualansprüche genannt. Manche Gerichte ließen auch durchblicken, dass die Frage der Regelung von Kriegsfolgen der Politik vorbehalten sei bzw. stuften das Handeln als nicht justiziables Regierungshandeln ein und wiesen die Klagen dementsprechend ab („political question“- bzw. „act of government“-Doktrin). Wurde der für die Verletzung völkerrechtlicher Vorschriften verantwortliche Staat vor einem Gericht eines fremden Staates verklagt, zog sich das angerufene Gericht zumeist auf das Argument der Staatenimmunität zurück, um die Klage nicht weiter zu verhandeln. Diese unterschiedlichen Ablehnungsgründe, insbesondere die zuletzt genannten Gründe des Vorbehalts der Politik und der Staatenimmunität, verdeutlichen, dass es vor den Gerichten und hinter den Kulissen nicht immer nur um rein völkerrechtliche Aspekte, sondern oft auch um die (außen-)politischen Folgewirkungen eines Urteilsspruches ging. So führte beispielsweise das Urteil des griechischen Oberstes Gerichtshofes im Fall Distomo, in dem der Gerichtshof eine allgemeine Immunitätsausnahme bei schweren Menschenrechtsverletzungen anerkannte und eine Restitutionspflicht der Bundesrepublik für im Zweiten Weltkrieg begangene Kriegsverbrechen feststellte, woraufhin griechische Behörden mit vollstreckungsvorbereitenden Handlungen begonnen, zu schweren diplomatischen Verstimmungen zwischen Griechenland und Deutschland. Der griechische Justizminister verweigerte auf Intervention der Bundesregierung hin letztlich seine Zustimmung zur Vollstreckung des Urteils. Wie außenpolitisch heikel die Klagen von individuellen Opfern von Völkerrechtsverletzungen gegen den verantwortlichen Staat vor ausländischen Gerichten sind, verdeutlicht jüngst das Urteil des obersten italienischen Gerichtshofes (Corte Supre1033 s. Schriftsatz der Rechtsanwälte Hilbrans und Scharmer von der Berliner Rechtsanwaltskanzlei Hummel/Kaleck vom 22.02.2007 an das BVerfG, S. 26, 28 ff. 1034 Die gegen die Entscheidung des BGH gerichtete Verfassungsbeschwerde ist beim Zweiten Senat des BVerfG unter dem Az. 2 BvR 487/07 anhängig. Derzeit sei noch nicht abzusehen, wann in diesem Verfahren eine Entscheidung ergehen könne, so der Präsidialrat des BVerfG auf Anfrage des Verfassers in einem Schreiben vom 29.01.2008.

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ma di Cassazione) im Mai 2008:1035 Die italienischen Richter haben mehreren Dutzend ehemaligen italienischen Zwangsarbeitern und griechischen NS-Opfern, die von Deutschland Schadensersatz verlangen, Recht gegeben. Auf seine Staatenimmunität durfte sich Deutschland dabei nicht berufen. Im Oktober haben die Richter der ersten Strafsektion des obersten italienischen Gerichtshofes Deutschland zu 800.000 Euro Schadensersatz für ein SS-Massaker in der Toskana verurteilt.1036 Seitdem droht die Pfändung deutschen Eigentums in Italien. Damit will sich die Bundesregierung jedoch nicht abfinden. Die Bundesregierung will beim IGH in Den Haag Klage gegen Italien erheben und dabei geltend machen, dass hoheitliches Handeln von Staaten durch den Grundsatz der Staatenimmunität geschützt sei.1037 Ein solcher Prozess Deutschland gegen Italien vor dem IGH würde das italienisch-deutsche Verhältnis, das durch die Entscheidungen des obersten italienischen Zivilgerichtes ohnehin angespannt ist,1038 nach Expertenmeinung indes schwer belasten. c) Bewertung der Entwicklungen aus der internationalen und nationalen Praxis im Hinblick auf das Vorliegen eines völkergewohnheitsrechtlichen Individualanspruches wegen Kriegsschäden Würde man im Anschluss an die unter den Gliederungspunkten B. III. 2. b) aa) und B. III. 2. b) bb) vorgenommene Darstellung der internationalen und nationalen Praxis zu der Bewertung kommen wollen, dass eine „allgemeine Regel des Völkergewohnheitsrechts, nach der den Opfern von Verletzungen des Völkerrechts Schadensersatzansprüche gegen den Schädigerstaat zukommen“1039, existiert, so würde dies den Nachweis erfordern, dass die zu verzeichnenden internationalen und nationalen Vorgänge die für das Bestehen einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel nötige „Dichte“, also ein bestimmtes Maß an Einheitlichkeit, Verbreitung und Dauer aufweisen [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. a)].

1035 Corte Suprema di Cassazione (Sezioni Unite Civili), Mantelli e.a. c. Republica federale di Germania, Verfügung (ordinanza) vom 29.05.2008, Nr. 14201/08; s. auch Seisselberg, Deutschland drohen mehr als 100.000 Klagen (Meldung vom 17.06.2008), verfügbar auf http:// www.tagesschau.de/ausland/zwangsarbeiter6.html (nachgesehen am 25.07.2009). 1036 Schmiese/H.-J. Fischer, Deutschland zu Schadensersatz verurteilt, in: FAZ vom 23.10.2008, S. 5; s. zu diesem Urteil auch H.-J. Fischer, Das Entschädigungs-Urteil, in: FAZ vom 24.10.2008, S. 5. 1037 Klage gegen Italien, in: Der Spiegel 45/2008, S. 22; Berlin will Ansprüche wegen NSMassakern klären, in: FAZ vom 03.11.2008, S. 5. 1038 s. Beste, Steinmeier plant als Versöhnungsgeste Besuch in ehemaligem KZ (Nachricht vom 15.11.2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,590583,00.html (nachgesehen am 25.07.2009); H.-J. Fischer, Deutschland und Italien gründen Historiker-Kommission, in: FAZ vom 19.11.2008, S. 6. 1039 So Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [331].

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Ob die unter B. III. 2. b) aa) zu verzeichnende internationale Praxis und unter B. III. 2. b) bb) zu verzeichnende nationale Praxis aber derart einheitlich, verbreitet und dauerhaft sind, um die Schwelle der nötigen Dichte als erreicht anzusehen, darf – wie bereits in den Zwischenfazits angedeutet – bezweifelt werden. Auf internationaler Ebene sind die Bemühungen, die völkerrechtliche Stellung von Opfern schwerer Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch die Gewährung von Verfahrensrechten und Ansprüchen auf Wiedergutmachung aufzuwerten, unübersehbar („victim-centered approach“).1040 Für den Bereich schwerer Menschenrechtsverletzungen gehen manche in der Völkerrechtslehre bereits vom Vorliegen eines gewohnheitsrechtlichen Individualanspruchs auf Wiedergutmachung aus.1041 Und dennoch lässt sich mit diesen bislang auf internationaler Ebene zu verzeichnenden Vorgängen nicht der Nachweis für eine ausreichend verdichtete völkerrechtliche Regel, wonach durch Verletzungen des humanitären Völkerrechts zu Schaden gekommene Individuen einen Anspruch auf Wiedergutmachung gegen den verantwortlichen Staat haben, führen: Es ist zwar richtig, dass völkervertragliche Menschenrechtsschutzsysteme wie die EMRK die Möglichkeit bereitstellen, für Verletzungen des Völkerrechts eine Entschädigung zu erlangen – aber eben nur für eine Verletzung der vertraglich verbürgten Menschenrechtsgarantien, und nicht für Verletzungen humanitärrechtlicher Bestimmungen [s. auch Teil 2, Gliederungspunkt B. IV. zur (potentiellen) zukünftigen Rolle des EGMR bei der Durchsetzung des humanitären Völkerrechts]. Mit der Einrichtung von Ad-Hoc Claims Commissions wie der Eritrea-Ethiopia Claims Commission wurde für die Opfer von Verletzungen des humanitären Völkerrechts vereinzelt ein Forum geschaffen, vor dem sie ihre erlittenen Schäden geltend machen können. Allerdings hängt die Einrichtung einer solchen Schadenskommission wie der EECC von der politischen Realisierbarkeit im Einzelfall ab und ist weit entfernt davon, eine allgemein verbindliche Regel mit dem Inhalt einer staatlichen Entschädigungspflicht für Kriegsopfer zu begründen oder nachzuweisen. Art. 75 RömSt ist insofern bahnbrechend, da er ausdrücklich die Anordnung einer Wiedergutmachungsleistung an die Opfer von schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts (= Kriegsverbrechen) vorsieht – eine Anordnung, die sich allerdings gegen den verurteilten Kriegsverbrecher und nicht gegen den verantwortlichen Staat richtet.

1040 s. zu diesen Entwicklungen auch Zusammenfassung bei Hofmann, Kommentierung zu Art. 6 des ILA-Entwurfes zu völkerrechtlichen Prinzipien der Entschädigung von Kriegsopfern, abgedruckt in: ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Draft Declaration of International Law Principles on Compensation for Victims of War, S. 9 ff., Ziff. 2 d)-m). 1041 s. z. B. Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 204.

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Das IGH-Gutachten zum israelischen Mauerbau in den besetzten palästinensischen Gebieten, der Bericht der UN-Darfur-Untersuchungskommission und die Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission gehen – im Vergleich zu den vorgenannten Vorgängen – noch weiter, indem sie ausdrücklich ein Recht des infolge von Verletzungen des Völkerrechts Geschädigten auf Wiedergutmachung bzw. eine staatliche Verpflichtung zur Wiedergutmachung anerkennen. Aber auch diese Anerkennung eines individuellen Rechts auf Wiedergutmachung ist mit Einschränkungen zu versehen: Das IGH-Gutachten zum einen stellt nicht explizit fest, dass auch Verletzungen des humanitären Völkerrechts entsprechende Individualrechte auslösen. Der Bericht der Darfur-Kommission und die Basic Principles zum anderen bleiben den Nachweis des von ihnen anerkannten Rechts der Opfer von Verletzungen des humanitären Völkerrechts auf eine Entschädigung schuldig, was sich für die Basic Principles auch an den entsprechenden Reaktionen der an den Verhandlungen beteiligten Staaten zeigt. Auf nationaler Ebene lassen sich – mit Ausnahme der Urteile des OVG Münster aus dem Jahre 1952 und des LG Leivadias aus dem Jahre 1997 – keine Gerichtsurteile ausmachen, die zum Beispiel aus Art. 3 HA-IVeinen Individualanspruch auf Wiedergutmachung der infolge von Verletzungen des humanitären Völkerrechts erlittenen Schäden herleiten würden. Solange Kriegsopfer auf nationalem Wege in den Genuss einer Entschädigung gekommen sind, ist dies auf nationalrechtlicher, und nicht auf völkerrechtlicher Gesetzesgrundlage erfolgt. Für die Untersuchung des Bestehens einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel ist damit festzuhalten: Es lassen sich zwar vereinzelt Fälle bzw. Verfahren feststellen, in denen den Opfern bewaffneter Auseinandersetzungen eine Entschädigung zu Teil geworden ist.1042 Eine Verdichtung zu einer allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Regel, nach der den Opfern von Verletzungen des humanitären Völkerrechts ein gegen den verantwortlichen Staat gerichteter Wiedergutmachungsanspruch in Form von Schadensersatz zusteht, hat dabei jedoch – vor allem mangels Verbreitung einer entsprechenden Staatenpraxis – (noch) nicht stattgefunden.1043 Eher lässt sich von einer „Tendenz“1044 hin zu einem sekundären Individualanspruch wegen Kriegsschäden sprechen – aber „tendencies and developments are not yet results.“1045 1042 s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary international humanitarian law, Bd. 1, Rule 150, S. 541. 1043 s. jüngst Hofmann, in: ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Preliminary Remarks, S. 2: „… I think that there is still not sufficient state practice to allow for such a right [= individual right to reparation; Anm. des Verfassers] to be considered as constituting customary international law (Hervorhebung durch den Verfasser)“; Wolfrum/Fleck, in: Fleck (Ed.), Handbook of International Humanitarian Law (2nd Edition – 2008), Rdn. 1417, Nr. 6. Allgemein gegen einen gewohnheitsrechtlich anerkannten individuellen Wiedergutmachungsanspruch auf Völkerrechtsebene auch Hagelberg, Die völkerrechtliche Verfügungsbefugnis des Staates über Rechtsansprüche von Privatpersonen, S. 195. 1044 s. De Preux, in: Sandoz/Swinarski/B. Zimmermann (Eds.), Art. 91 ZP-I Rdn. 3659: „… since 1945 a tendency has emerged to recognize the exercise of rights by individuals

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Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch das Ergebnis der 30. Konferenz des Internationalen Roten Kreuzes im November 2007: Fand sich im Resolutionsvorschlag der Arbeitsgruppe „Reaffirmation and Implementation of International Humanitarian Law“ noch der Hinweis auf eine an Opfer von Verletzungen humanitärrechtlicher Bestimmungen zu leistende Wiedergutmachung („reparation“), die unter anderem in Form der Restitution („restitution“) oder des Schadensersatzes („compensation“) erfolgen könne,1046 so fehlte in der schließlich von der Konferenz verabschiedeten Resolution ein solcher Hinweis auf eine Wiedergutmachungsleistung.1047 In Anbetracht dieser für das Völkergewohnheitsrecht gewonnenen Erkenntnis ergibt sich für die Auslegung der Bestimmungen der Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I auch im Lichte der „spätere[n] Übung bei der Anwendung des Vertrags“ gemäß Art. 31 III lit. b) WVK kein neues, von dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abweichendes Ergebnis [zur Auslegung der Bestimmungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1. b)]: In der Staatenpraxis finden sich bislang nur vereinzelt Anhaltpunkte für eine individualrechtliche Auslegung der Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I, die ein Abrücken von der ursprünglich staatengerichteten Lesart der beiden Vorschriften (noch) nicht zulassen.1048

(Hervorhebung durch den Verfasser).“ Auch Schwager spricht im Hinblick auf die zu verzeichnende Staatenpraxis von einer „Tendenz“ zur Anerkennung von Individualansprüchen, s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 149. 1045 Randelzhofer, The Position of the Individual under Present International Law, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 231 [242]. 1046 30th International Conference of the Red Cross and Red Crescent, 26. – 30.11.2007, Reaffirmation and Implementation of International Humanitarian Law („Preserving Human Life and Dignity in Armed Conflict“), Background Document (30IC/07/8.1), S. 9 (verfügbar im Internet auf der Website des Internationalen Roten Kreuzes unter http://www.icrc.org, Stichwort: „Focus“ ›„RC Movement“›„International Conference“›„30th Conference“› „Background Documents and Reports“, nachgesehen am 25.07.2009). 1047 s. 30th International Conference of the Red Cross and Red Crescent, 26. – 30.11.2007, Resolution 3: Reaffirmation and Implementation of International Humanitarian Law („Preserving Human Life and Dignity in Armed Conflict“), Ziff. 34 (verfügbar im Internet auf der Website des Internationalen Roten Kreuzes unter http://www.icrc.org, Stichwort: „Focus“ ›„RC Movement“ › „International Conference“ › „30th Conference“ › „Key Document – Resolutions: Council of Delegates 2007 and 30th International Conference of the Red Cross and Red Crescent“, nachgesehen am 25.07.2009). 1048 So im Lichte der nachfolgenden Staatenpraxis auch z. B. Frulli, When are States Liable Towards Individuals for Serious Violations of Humanitarian Law? The Markovic´ Case, in: JICJ 1 (2003), 406 [421]; a.A. Fischer-Lescano, Subjektivierung völkerrechtlicher Sekundärregeln, in: ArchVR 45 (2007), 299 [376] aufgrund der von ihm angenommenen völkergewohnheitsrechtlichen Entwicklung hin zum Bestehen eines Individualanspruches für Verletzungen des Völkerrechts gegen den verantwortlichen Staat.

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IV. Betrachtungen de lege lata Zieht man die zur völkervertraglichen [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 1.] und zur völkergewohnheitsrechtlichen [s. Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2.] Situation gewonnenen Erkenntnisse einmal zusammen, so kommt man im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand, also gegen den verantwortlichen Staat gerichtete sekundäre Individualansprüche wegen aus einer Verletzung des humanitären Völkerrechts herrührender Kriegsschäden [s. Teil 2, Gliederungspunkt B.], zu dem Resümee, dass in diesem Bereich nach wie vor ein stark traditionell verankertes, sprich staatengeprägtes Völkerrechtsverständnis vorherrscht und Kriegsopfern keine völkerrechtlichen Individualansprüche auf Schadensersatz zugestanden werden.1049 Auf nationaler Ebene können geschädigte Individuen vor den Gerichten des Schädigerstaates damit bislang keine auf völkerrechtliche Rechtsgrundlagen gestützten Ansprüche geltend machen. Jüngstes Beispiel ist der Fall Varvarin. Verklagen Kriegsopfer den Schädigerstaat vor einem ausländischen Gericht, sehen sie sich überdies mit dem Problem der Staatenimmunität konfrontiert [s. zur Staatenimmunität auch Teil 3, Gliederungspunkt B. VII. 2.].1050 Auf internationaler Ebene kommt erschwerend hinzu, dass für den Bereich des humanitären Völkerrechts, mal abgesehen von der Möglichkeit, dass der IStGH gestützt auf Art. 75 RömSt eine Anordnung zur Wiedergutmachung gegen den individuellen Verurteilten erlassen kann, und der Tatsache, dass der EGMR vereinzelt vermeintlich humanitärrechtlich geprägte Abwägungskategorien in seine Entscheidungen einfließen lässt, keine etablierten Durchsetzungsmechanismen existieren1051 – ein Umstand, an dem auch diejenigen, die wie Fleck1052 und Schwager1053 vom Bestehen von sekundären Individualrechten für Verletzungen des humanitären Völkerrechts ausgehen,

1049 s. Hofmann, in: ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Preliminary Remarks, S. 2: „In view of the relevant state practice and taking note of a strong majority among scholars, I have come to the conclusion that, until most recently, international law did not provide for any right to reparation, including monetary compensation, for victims of violations of the rules of armed conflict […] (Hervorhebungen durch den Verfasser).“ 1050 s. Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 42. 1051 s. Stammler, Paradigmenwechsel im deutschen Staatshaftungsrecht – OLG Köln läutet das Ende der „Nachkriegsrechtsprechung“ ein, in: HUV-I 18 (2005), 292 [293]. 1052 Fleck, Reparation for War Victims in Todays Perspective, Symposium of the Stichting Japanse Ereschulden/Foundation of Japanse Honorary Debts (Scheveningen 1 – 3 October 2008), S. 1; zurückhaltender im Hinblick auf Individualrechte aber noch in seinem Beitrag aus Anlass eines Symposiums zu Ehren von Knut Ipsen im Juni 2005 s. Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [190, 192]. 1053 Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 162.

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nicht vorbeikommen.1054 Fleck spricht somit auch von „imperfect rights“.1055 Und es erscheint fraglich, ob sich an diesem Zustand, also an dem Zustand fehlender humanitärrechtlicher Durchsetzungsmechanismen auf internationaler Ebene, in naher Zukunft etwas ändern wird.1056 Dennoch ist nicht zu verkennen, dass die Bestrebungen, die Stellung der Opfer kriegerischer Konflikte aufzuwerten, deutlich zunehmen,1057 wie dies zuletzt die UN-Basic Principles und – auf nationaler Ebene – die Handhabung des „Alien Tort Claims Act“ durch die US-Gerichte zugunsten von Opfern schwerer Menschenrechtsverletzungen verdeutlicht haben [s. zum möglichen – zukünftigen – Einfluss der UN-Basic Principles auch den nachfolgenden Gliederungspunkt B. V.]. Bei all diesen individualbezogenen Entwicklungen ist allerdings auffällig, dass das Völkerrecht nach wie vor stärker auf die Täter völkerrechtlicher Verbrechen als auf die Opfer ausgerichtet ist,1058 wobei das Römische Statut diese „täterlastige“ Ausrichtung mit seinen individuellen Mitwirkungs- und Entschädigungsbestimmungen zum Teil abgeschwächt hat. . 1054 s. Fleck, Reparation for War Victims in Todays Perspective, Symposium of the Stichting Japanse Ereschulden/Foundation of Japanse Honorary Debts (Scheveningen 1 – 3 October 2008), S. 1 f.; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 262 f.; s. ferner Pisillo Mazzeschi, Reparation Claims by Individuals for State Breaches of Humanitarian Law and Human Rights: An Overview, in: JICJ 1 (2003), 339 [343]. Zu den auf internationaler Ebene vermeintlich in Betracht kommenden Foren für Verletzungen des humanitären Völkerrechts s. Hofmann/Riemann, Compensation for victims of war, Background Report für ILA, Committee on Compensation for Victims of War, S. 37 ff. 1055 Fleck, Reparation for War Victims in Todays Perspective, Symposium of the Stichting Japanse Ereschulden/Foundation of Japanse Honorary Debts (Scheveningen 1 – 3 October 2008), S. 1. 1056 Zu diesbezüglichen Zweifeln s. auch Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [192 f.]. 1057 s. Hofmann, in: ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Preliminary Remarks, S. 2: „I submit, however, that the situation [= no individual right to reparation; Anm. des Verfassers] is changing: There are increasing examples of international bodies proposing the existence of, or the need to establish, such a right […] (Hervorhebungen durch den Verfasser)“; s. dazu auch die bereits zitierten Aussagen des seinerzeitigen Präsidenten des Jugoslawien-Tribunals, Claude Jorda, in: Letter dated 12 October 2000 from the President of the International Tribunal for the Former Yugoslavia addressed to the Secretary-General (UN Doc. S/2000/1063), S. 11, Ziff. 20: „… There is a strong tendency towards providing compensation not only to States but also to individuals based on State responsibility. Moreover, there is a clear trend in international law to recognize a right of compensation in the victim to recover from the individual who caused his or her injury …“ (Hervorhebungen durch den Verfasser). 1058 s. zu dieser „täterlastigen“ Ausrichtung des Völkerrechts auch A. Zimmermann, Responsibility for Violations of International Humanitarian Law, International Criminal Law and Human Rights Law, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 215 [220].

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Auch wenn man mit Blick auf die gegenwärtige Völkerrechtslage demnach kaum an der Feststellung vorbeikommt, dass zur Zeit nicht vom Bestehen eines Individualanspruches wegen aus einer Verletzung des humanitären Völkerrechts herrührender Kriegsschäden ausgegangen werden kann, ist diese Feststellung mit Blick auf die Normregime der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts nicht ganz frei von Wertungskonflikten. Denn das humanitäre Völkerrecht ist mit den Normregimen der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts verzahnt. Diese drei Regime, die sich gegenseitig beeinflusst haben, ähneln sich zum einen in ihrem Grundanliegen, nämlich dem Schutz des Einzelnen vor staatlicher Willkür in Friedens- oder Kriegszeiten, und überschneiden sich zum anderen in ihren Anwendungsbereichen. Tötet beispielsweise ein Soldat der Bundeswehr einen ausländischen Zivilisten während einer bewaffneten Auseinandersetzung, stellt dies zunächst einmal eine Verletzung des Art. 51 ZP-I dar. Je nach Lage der Dinge kann diese Tötung aber zusätzlich auch eine Menschenrechtsverletzung begründen (Verletzung des Rechts auf Leben gemäß Art. 2 EMRK, weil Zivilist der „Hoheitsgewalt“ Deutschlands unterstand) und ein Kriegsverbrechen darstellen (weil absichtlich erfolgt). Aus diesen teilweisen Überschneidungen der Anwendungsbereiche von humanitärem Völkerrecht, Menschenrechten und Völkerstrafrecht ergeben sich im Hinblick auf die Stellung des Opfers nun folgende Wertungskonflikte: Stellt die Tötungshandlung „nur“ eine Verletzung des Art. 51 ZP-I dar, erwachsen daraus nach dem oben Gesagten keine individuellen Ansprüche gegen die BRD. Stellt die Tötungshandlung neben der Verletzung des Art. 51 ZP-I zusätzlich eine Verletzung des Art. 2 EMRK dar, so eröffnet sich für den Getöteten bzw. dessen Rechtsnachfolger die Möglichkeit, eine Entschädigung zu erlangen (s. Art. 41 EMRK). Warum der eine Fall im Vergleich zu dem anderen Fall unterschiedliche völkerrechtliche Konsequenzen haben soll, ist allerdings nicht ersichtlich.1059 Ein weiterer Wertungskonflikt ergibt sich, wenn die – gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßende – Tötungshandlung zugleich ein Kriegsverbrechen darstellt und damit die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters begründet. Denn wenn das Völkerrecht schon zur Begründung einer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen, also schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts übergeht, dann müsste das Opfer solcher Verletzungen – gewisserma1059

Zu diesem Widerspruch s. auch Droege, The Interplay between International Humanitarian Law and International Human Rights Law in Situations of Armed Conflict, in: ILR 40 (2007), 310 [353]; Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 [357]; A. Zimmermann, Responsibility for Violations of International Humanitarian Law, International Criminal Law and Human Rights Law, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 215 [221].

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ßen spiegelbildlich – eigentlich auch zum Träger entsprechender Wiedergutmachungsansprüche aufsteigen,1060 was bislang aber – von der noch nicht praxiserprobten Regelung des Art. 75 RömSt einmal abgesehen – nicht der Fall ist. Ungeachtet dieser Wertungskonflikte darf bei aller auf die völkerrechtliche Analyse verwendeten Akribie letztlich auch nicht ausgeblendet werden, dass der Untersuchungsgegenstand der Individualansprüche wegen Kriegsschäden nicht losgelöst von politischen Erwägungen gesehen werden kann, woraus sich unter anderem die ablehnende Haltung der Staatenwelt erklärt.1061 Dass der vorliegende Untersuchungsgegenstand mit politischen Belangen verwoben ist, wird insbesondere an der nationalen und internationalen Rechtsprechung zu von Kriegsopfern geltend gemachten Individualansprüchen deutlich. Zum Teil haben die Gerichte sogar ausdrücklich erklärt, dass die Abwicklung von Kriegsfolgen der (Außen-)Politik vorbehalten sei bzw. dass Regierungsakte nicht justiziabel seien („political question“- bzw. „act of government“-Doktrin). Größtenteils haben die Gerichte aber augenscheinlich rein (völker-)rechtliche Kategorien wie die Staatenimmunität, die traditionelle Konzeption des Völkerrechts oder die fehlende Hoheitsgewalt bemüht, um die Klagen der Kriegsopfer abzuweisen. Allerdings lassen diese rechtlichen Kategorien auch genug Raum, um sozusagen „durch die Hintertür“ politische Vorstellungen, in diesem Falle die ablehnende Haltung gegenüber der gerichtlichen Geltendmachung von Individualansprüchen wegen Kriegsschäden, in die schließlich getroffenen Entscheidungen einfließen zu lassen. Trotz dieser Verquickung des Untersuchungsgegenstandes mit politischen Vorstellungen muss dies jedoch nicht heißen, dass die Berücksichtigung solcher politischer Vorstellungen automatisch stets zu Lasten der individuellen Opfer geht. Denn die hinter den rechtlichen Kategorien stehenden politischen Vorstellungen können sich mit der Zeit durchaus wandeln: So ist die Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes auch der politisch nach 1945 gereiften Überzeugung geschuldet, dass Individuen vor staatlicher Willkür geschützt werden müssen. Hinter den Bestrebungen, eine (individuelle) völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit und entsprechende strafbare Tatbestände zu kodifizieren, steht die in der Staatenwelt seit den 1990er Jahre aufkommende Überzeugung, dass Tyrannen wie Slobodan Milosˇevicˇ, Charles Taylor oder der im Juli 2008 gefangen genommene Radovan Karadzˇic´ für ihre Verbrechen, die die internationale Gemeinschaft als Ganzes erschüttern, bestraft werden müssen. Und was im Völkerrecht als unumstößlich erscheinende Grundsätze wie beispielsweise den Grundsatz der Staatenimmunität anbelangt, so lassen sich selbst hier in letzter Zeit verstärkt Entwicklungen verzeichnen, die dem Grundsatz der Staatenimmunität für hoheitliches Handeln zumindest erste Risse zugefügt haben dürften, 1060

So auch Seegers, Das Individualrecht auf Wiedergutmachung, S. 204. Auf den Zusammenhang zwischen Individualansprüchen wegen Kriegsschäden und politischen Erwägungen weist auch hin: Fleck, Reparation for War Victims in Todays Perspective, Symposium of the Stichting Japanse Ereschulden/Foundation of Japanse Honorary Debts (Scheveningen 1 – 3 October 2008), S. 1 [7]. 1061

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wenn es um schwere Verletzungen fundamentaler Menschenrechte geht [s. aber auch Teil 3, Gliederungspunkt B. VII. 2.].1062

V. Ausblick und Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda Die vorangegangenen Ausführungen haben sowohl jüngste gewohnheitsrechtliche Entwicklungen, die ein Individualrecht auf Wiedergutmachung bei Verletzungen des humanitären Völkerrechts bzw. eine staatliche Wiedergutmachungspflicht anerkennen [s. dazu Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa)], als auch Wertungskonflikte zwischen dem Normregime des humanitären Völkerrechts und dem der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts [s. dazu Teil 2, Gliederungspunkt B. IV.] ans Licht gebracht. Bevor man sich jedoch auf die Suche nach denkbaren Lösungsmöglichkeiten zur Berücksichtigung der individualrechtsanerkennenden Entwicklungen und zur Aufhebung der Wertungskonflikte macht, sollte man sich von vorneherein des Umstandes vergewissern, dass Staaten gerade bei militärischen Operationen geneigt sind, deren Ausnahmecharakter zu betonen,1063 und dementsprechend einer fortschreitenden Verrechtlichung der Kriegsführung auch in Zukunft eher skeptisch gegenüber stehen werden. Eine denkbare, die jüngsten gewohnheitsrechtlichen Entwicklungen berücksichtigende Lösung könnte in einer dynamischen Auslegung der Art. 3 HA-IVund Art. 91 ZP-I nach Maßgabe des Art. 31 III lit. b) WVK zu sehen sein.1064 Sollten etwa die UN

1062 s. zur Diskussion, inwieweit die Verletzung von Normen des ius cogens eine Ausnahme vom Grundsatz der Staatenimmunität begründet Gattini, War Crimes and State Immunity in the Ferrini Decision, in: JICJ 3 (2005), 224 [234 ff.]. Was die Durchbrechung der Regel der Staatenimmunität bei schweren Völkerrechtsverletzungen anbelangt, so findet sich beispielsweise in der jüngsten Entwurfserklärung des ILA-Komitees „Compensation for Victims of War“ zu völkerrechtlichen Prinzipien der Entschädigung von Kriegsopfern u. a. ein Artikel (= Art. PS-1), der festschreibt, dass sich ein Staat, gegen den Klagen vor ausländischen Gerichten anhängig sind, bei ihm zurechenbaren Verletzungen des ius cogens nicht auf das Argument der Staatenimmunität zurückziehen kann, s. ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Draft Declaration of International Law Principles on Compensation for Victims of War, S. 21 (im Internet verfügbar unter http://www. ila-hq.org/, Stichwort: „Committees“ › „List of Committees“ › „Compensation for Victims of War“, nachgesehen am 25.07.2009). 1063 s. Fleck, Zur Rolle des einzelnen im Völkerrecht, in: Ipsen/Raap/Stein/Steinkamm (Hrsg.), Wehrrecht und Friedenssicherung. Festschrift für Klaus Dau, S. 73 [82]. 1064 Für eine solche dynamische Vertragsauslegung sprechen sich auch aus: Frulli, When are States Liable Towards Individuals for Serious Violations of Humanitarian Law? The Markovic´ Case, in: JICJ 1 (2003), 406 [426]; Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als

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Basic Principles, denen zufolge Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I Individualrechte für Opfer von Verletzungen des humanitären Völkerrechts gewähren (Erster Absatz der Präambel), in der Staatenpraxis zukünftig Rückhalt und Anerkennung erfahren,1065 dann wäre der Weg frei für eine dynamische, individualrechtliche und an die Gegebenheiten der Zeit angepasste Auslegung von Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I. Art. 31 III lit. b) WVK statuiert ausdrücklich, dass bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages „jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages“ zu berücksichtigen ist. Der IGH kommt in seinem Namibia-Gutachten (1971) zu der Überzeugung, dass eine völkerrechtliche Übereinkunft im Lichte der sie zur Zeit der Auslegung umgebenden Völkerrechtsordnung zu interpretieren ist: „Moreover, an international instrument has to be interpreted and applied within the framework of the entire legal system prevailing at the time of the interpretation. In the domain to which the present proceedings relate, […] the corpus iuris gentium has been considerably enriched, and this the Court […] may not ignore.“1066

In systematischer Hinsicht hätte eine solche dynamische Auslegung den Vorteil, dass sie die im Verhältnis zu den Normregimen der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts bestehenden Wertungskonflikte [s. zu diesen Wertungskonflikten oben Teil 2, Gliederungspunkt B. IV.] auflösen würde. In teleologischer Hinsicht könnte die individualrechtliche Auslegung von Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I die Stellung und den Schutz der Opfer von Verletzungen des humanitären Völkerrechts verbessern. Dabei ist zu unterscheiden: Auf internationaler Ebene würde die individualrechtliche Auslegung für die geschädigten Individuen zu keiner wirklichen Verbesserung führen, da völkerrechtliche, für die Verletzungen von humanitärrechtlichen Bestimmungen zuständige Überwachungsorgane, vor denen Individuen ihre Fälle vorbringen könnten, auf absehbare Zeit nicht vorhanden sind.1067 Auf nationaler Ebene würde die individualrechtliche Auslegung von Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I aber insofern eine Verbesserung für die geschädigten Individuen bedeuten, da sie nunmehr etwa vor den Gerichten des Schädigerstaates

Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 [357]. 1065 Skeptisch zu einem zukünftigen „shift of attitude“ der Staaten bezüglich Individualansprüchen wegen Verletzungen des humanitären Völkerrechts aber Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [192 f.]. 1066 IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion of 21.06.1971, S. 19 f., Ziff. 53 (verfügbar auf der Website des IGH unter http:// www.icj-cij.org/homepage/index.php?lang=en, Stichwort: „Cases“ › „List of All Cases“ › „1971“, nachgesehen am 25.07.2009). 1067 s. insoweit auch Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [329].

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

gestützt auf Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I eine staatliche Wiedergutmachungsleistung einklagen könnten.1068 Allerdings wäre eine dynamisch, individualrechtliche Auslegung der Bestimmungen der Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I nicht ohne Hindernisse:1069 Geht der individuell Geschädigte gegen den verantwortlichen Staat vor nationalen Gerichten anderer Staaten vor, dann wird seine Klage zwangsläufig dem Hindernis der Staatenimmunität ausgesetzt sein. Geht der individuell Geschädigte gegen den verantwortlichen Staat vor dessen Gerichten vor, dann wird er zwar um das Problem der Staatenimmunität herumkommen. Allerdings wirft eine Klage vor nationalen Gerichten die grundsätzliche Frage auf, ob ein erstinstanzliches nationales Gericht einem Verfahren, in dem es um Spitzfindigkeiten militärischer Operationen und deren Beurteilung nach humanitärem Völkerrecht geht, kompetentiell überhaupt gewachsen ist. Überdies stellt sich die Frage, ob ein nationales Gericht in einem politisch heiklen Bereich wie Einsätzen des nationalen Militärs frei von politischem Druck entscheiden kann. In der Völkerrechtsliteratur wird die Sinnhaftigkeit der „Individualisierung“ der finanziellen Abwicklung kriegerischer Ereignisse durch die Anerkennung individueller Rechte auf Wiedergutmachung zum Teil generell in Zweifel gezogen. Die dabei angestellten Überlegungen beziehen sich jedoch auf Fälle massenhafter Verletzungen des humanitären Völkerrechts, zum Beispiel in Ruanda oder in Darfur, und den durch die Anerkennung von Individualrechten drohenden Kollaps der nationalen Gerichtsbarkeit und nationalen Volkswirtschaft.1070 Solche Überlegungen erübrigen sich aber dann, wenn es wie bei den NATO-Luftangriffen im Kosovo 1999 um zwar schwerwiegende, aber zahlenmäßig überschaubare Fälle von Verletzungen humanitär-

1068 Allerdings ist diese Möglichkeit, vor Gerichten des Schädigerstaates eine auf Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I gestützte Wiedergutmachungsleistung einzuklagen, davon abhängig, dass das zuständige Rechtsprechungsorgan auch bereit wäre, der individualrechtlichen Lesart der völkerrechtlichen Vorschriften zu folgen, s. Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, in: ArchVR 43 (2005), 312 [338]. 1069 Die Schwierigkeiten für die Opfer, ihren Schadensfall zu dokumentieren und nachzuweisen, sollen an dieser Stelle ausgeklammert bleiben. 1070 s. Frulli, When are States Liable Towards Individuals for Serious Violations of Humanitarian Law? The Markovic´ Case, in: JICJ 1 (2003), 406 [422]; Hofmann, Victims of Violations of International Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung – Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 341 [359]; Schwager, The Right to Compensation for Victims of an Armed Conflict, in: CJIL 4 (2005), 417 [435 f.]; Tomuschat, Individual Reparation Claims in Instances of Grave Human Rights Violations, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 1 [18 ff.]; Tomuschat, Reparation for Victims of Grave Human Rights Violations, in: TJICL 10 (2002), 157 [177]; A. Zimmermann, Responsibility for Violations of International Humanitarian Law, International Criminal Law and Human Rights Law, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 215 [221].

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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und menschenrechtlicher Bestimmungen geht, die durchaus vor den Gerichten des verantwortlichen Staates behandelt werden können.1071 Eine Alternative zur individualrechtlichen Auslegung der Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I könnte darin liegen, zur Behandlung von durch Auslandseinsätze staatlicher Militärs verursachten Individualschäden eine entsprechende nationale Schadenskommission einzusetzen, was die USA zum Beispiel mit einer „Foreign Claims Commission“ im Irak praktizieren. Im Zusammenhang mit dieser „Foreign Claims Commission“ steht das für den Irak vorgesehene „Commanders Emergency Response Programm“ (CERP), das den dortigen US-Befehlshabern erlaubt, in Ausnahmefällen für zivile Individualschäden, die infolge von Gefechtssituationen mit US-Beteiligung entstanden sind, eine Entschädigung zu zahlen,1072 was aufgrund der „combat activities exclusion“-Regel des – ansonsten auf von US-Militärs verursachte Schäden bei Auslandseinsätzen anwendbaren – „Foreign Claims Act“ nicht möglich wäre.1073 Das Problem mit einer solchen nationalen Kommission wäre aber, dass ihre Einrichtung von der politischen Realisierbarkeit im jeweiligen Staate abhinge und somit für die Opfer von militärischen Operationen ausländischer Staaten keine letztverbindliche Sicherheit bestünde, ob sie eine Entschädigung erhalten oder nicht. Gleiches, also die Abhängigkeit von den jeweiligen politischen Umständen gilt für ex gratia-Zahlungen, die keinesfalls Ausdruck einer entsprechenden Rechtsverbindlichkeit zur Zahlung sein wollen: So erfolgte beispielsweise die Entschädigung der zivilen Opfer der Bombardierung der chinesischen Botschaft im Zuge der NATOLuftangriffe auf einer ex gratia-Basis, nachdem auf die USA, deren Soldaten den Fehler bei der Zielauswahl zu verantworten hatten, massiver außenpolitischer Druck ausgeübt worden war und unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dass die Zahlung an die chinesische Regierung „entirely voluntary“ sei.1074 Ähnlich dürfte es sich mit der von der BRD an die Hinterbliebenen eines Vorfalls Ende August 2008 in der nord-afghanischen Stadt Kunduz gezahlte Entschädigung verhalten: Bei dem Vorfall waren afghanische Zivilisten infolge von Schüssen von Bundeswehr-Soldaten getötet 1071

Das sieht für isolierte Fälle („isolated cases“) auch Tomuschat, der ansonsten gegen die Sinnhaftigkeit der Anerkennung von individuellen Rechten für Kriegsopfer argumentiert, so, s. Tomuschat, Individual Reparation Claims in Instances of Grave Human Rights Violations, in: Randelzhofer/Tomuschat (Eds.), State Responsibility and the Individual, S. 1 [18]. 1072 Captain Tackaberry, Judge Advocates Play a Major Role in Rebuilding Iraq: The Foreign Claims Act and Implementation of the Commanders Emergency Response Program, in: The Army Lawyer 2004 (Issue 2), 39 [41, 43]. 1073 s. Captain Ford, The Practice of Law at the Brigade Combat Team (BCT): Boneyards, Hitting for the Cycle, and all Aspects of a Full Spectrum Practice, in: The Army Lawyer 2004 (Issue 12), 22 [34 f.]; Captain Tackaberry, Judge Advocates Play a Major Role in Rebuilding Iraq: The Foreign Claims Act and Implementation of the Commanders Emergency Response Program, in: The Army Lawyer 2004 (Issue 2), 39 [40]. 1074 s. zu den Umständen der Zahlung der USA an die chinesische Regierung Bilder, The Role of Apology in International Law and Diplomacy, in: VJIL 46 (2006), 433 [445, mit weiteren Nachweisen in Fn. 25].

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

worden.1075 Die Hinterbliebenen erhielten von der BRD eine Entschädigung, wenngleich ein Sprecher des BMVg hervorhob, dass die Zahlung kein Schuldeingeständnis sei.1076 Eine weitere denkbare Lösung, die in der Theorie möglich wäre, in der Praxis so aber noch nicht umgesetzt werden konnte, liegt in der Durchsetzung humanitärrechtlicher Prinzipien über den „Umweg“ des Individualbeschwerdeverfahrens vor dem EGMR [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa)]:1077 In Fällen, in denen sich die Anwendungsbereiche der Normregime des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte überschneiden und die Normen des humanitären Völkerrechts als lex specialis zur Bestimmung der Verletzung von Rechten der EMRK herangezogen werden können, würde eine vor dem EGMR eingelegte Individualbeschwerde, die bei Obsiegen des Beschwerdeführers die Möglichkeit einer staatlichen Entschädigung beinhaltet, mittelbar zur Durchsetzung humanitärrechtlicher Grundsätze beitragen. In der Praxis allerdings hat sich der EGMR der Möglichkeit der Einbeziehung des humanitären Völkerrechts in seine Rechtsprechung bislang weitestgehend verschlossen:1078 Was unmittelbare Kampfhandlungen im Rahmen eines Auslandseinsatzes und damit den Betrachtungsgegenstand dieser Arbeit anbelangt, so hat sich der Gerichtshof auf den Standpunkt gestellt, dass in solchen Fällen der Staat, dem die Kampfhandlungen zurechenbar seien, keine „Hoheitsgewalt“ im Sinne des Art. 1 EMRK begründe. Im Übrigen schimmerten in Entscheidungen, in denen es um die Beurteilung von militärischen Aktionen eines Staates ging, dessen Hoheitsgewalt in diesen Fällen vorlag, weil sich die Aktionen auf dem Staatsgebiet ereigneten (Isayeva-Fall) bzw. weil eine besatzungsähnliche Situation gegeben war (Ergi-Fall), zwar humanitärrechtlich geprägte Abwägungskriterien durch. Eine aus-

1075

s. zu diesem Vorfall und der von deutscher Seite gezahlten Entschädigung Gebauer, „Das Problem ist erledigt“, in: Der Spiegel 37/2008, S. 116 f.; zur Aufnahme staatsanwaltlicher Ermittlungen in diesem Falle und zur Frage der Einrichtung einer Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für Rechtsverletzungen bei Auslandseinsätzen s. Lohse, Vor dem Schuss, in: FAS vom 16.11.2008, S. 3. 1076 Deutschland zahlt Entschädigung für Tod von drei Afghanen (Nachricht vom 03.09.2008), verfügbar im Internet auf der Website von Spiegel-Online unter http://www. spiegel.de/politik/ausland/0,1518,576076,00.html (nachgesehen am 25.07.2009); zur Zahlung der afghanischen Regierung an die Hinterbliebenen von durch US-Luftangriffe getöteten Zivilisten s. Schlamp, „Notwendig und angemessen“, in: Der Spiegel 46/2008, S. 146 [147]. 1077 Diese Möglichkeit schlägt auch vor: Pisillo Mazzeschi, Reparation Claims by Individuals for State Breaches of Humanitarian Law and Human Rights: An Overview, in: JICJ 1 (2003), 339 [343 f.]. 1078 Zu den Hindernissen der Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts bei militärischen Einsätzen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung durch menschenrechtliche Überwachungssysteme wie dem IAGMR oder dem EGMR s. auch Zwanenburg, Accountability of Peace Support Operations, S. 270 ff.

B. Völkerrechtliche Rechte des Individuums bei Kriegsschäden

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drückliche Bezugnahme auf Bestimmungen des humanitären Völkerrechts erfolgte jedoch nicht.1079 Überdies ließe sich der Menschenrechtsschutz bei Auslandseinsätzen – und damit womöglich mittelbar der Schutz humanitärrechtlicher Garantien – möglicherweise dadurch optimieren, dass allgemeine Regeln des Menschenrechtsschutzes bei internationalen Konfliktverhütungs- und Krisenbewältigungseinsätzen verabschiedet werden, so wie dies die EU für ihre Operationen bereits beschlossen hat.1080 Notwendiger Bestandteil solcher Regeln wäre die Einrichtung eines Beschwerdewegs durch die mit dem Einsatz jeweils betraute Internationale Organisation, der vor Ort, also im Krisengebiet, beginnen und rechtsstaatlichen Anforderungen genügen müsste.1081 In der Theorie wäre auch denkbar, einen völkerrechtlichen Mechanismus zu implementieren, der die Errichtung einer Ad-Hoc Claims Commission am Ende eines bewaffneten Konfliktes vorsieht.1082 So hat etwa das ILA-Komitee, das sich mit der Frage der Entschädigung von Kriegsopfern befasst, auf seiner jüngsten Konferenz 2008 in Rio de Janeiro einen Modell-Entwurf für die Satzung einer internationalen Ad-Hoc Claims Commission erarbeitet, die sich Schadensersatzforderungen von Kriegsopfern annehmen soll.1083 Der Vollständigkeit halber soll schließlich auf Ideen in der Völkerrechtsliteratur zur Einrichtung einer sog. „Individual Complaints Procedure“ hingewiesen werden.1084 Andere Autoren haben die Idee eines „Reporting System“ für den Bereich des humanitären Völkerrechts vorgeschlagen.1085 Hinter beiden Konzepten steht 1079

s. auch Fleck, Schutz der Menschenrechte bei Auslandseinsätzen: eine Herausforderung für Friedenstruppen, Entsendestaaten und internationale Organisationen, in: NZWehrR 50 (2008), 164[166]. 1080 Council of the European Union, Generic Standards of Behaviour for ESDP Operations, 18.05.2005 (8873/3/05REV 3). 1081 s. Fleck, Schutz der Menschenrechte bei Auslandseinsätzen: eine Herausforderung für Friedenstruppen, Entsendestaaten und internationale Organisationen, in: NZWehrR 50 (2008), 164 [170]. 1082 Zur Möglichkeit der Durchsetzung des humanitären Völkerrechts durch Ad-Hoc Claims Commissions s. auch Pisillo Mazzeschi, Reparation Claims by Individuals for State Breaches of Humanitarian Law and Human Rights: An Overview, in: JICJ 1 (2003), 339 [344]. 1083 s. Draft Model Statute of an Ad-Hoc International Commission, abgedruckt in: ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, S. 23 ff. (im Internet verfügbar unter http://www.ila-hq.org/, Stichwort: „Committees“ › „List of Committees“ › „Compensation for Victims of War“, nachgesehen am 25.07.2009). 1084 Kleffner, Improving Compliance with International Humanitarian Law Through the Establishment of an Individual Complaints Procedure, in: LJIL 15 (2002), 237 [239, 242 ff.]; Kleffner/Zegveld, Establishing an Individual Complaints Procedure for Violations of International Humanitarian Law, in: YIHL 3 (2000), 384 [390 ff.]. 1085 Drzewicki, The Possible Shape of a Reporting System for International Humanitarian Law: Topics to be Addressed, in: Bothe (Ed.), Towards a Better Implementation of International Humanitarian Law, S. 73 ff.; Spieker, The Possible Shape of a Reporting System for IHL (Composition and Status of an Evaluating Body), in: Bothe (Ed.), Towards a Better Implementation of International Humanitarian Law, S. 83 ff.

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Teil 2: Völkerrechtliche Ansprüche

der Gedanke der Einrichtung eines internationalen Organs zur Überwachung des humanitären Völkerrechts, die entweder als Beschwerdeforum für Opfer von Verletzungen des humanitären Völkerrechts („Individual Complaints Procedure“) oder aber als Stelle zur Überwachung nationaler Maßnahmen zur Implementierung und Durchsetzung humanitärrechtlicher Vorschriften („Reporting System“) konzipiert ist. Ob und wann diese aus der Lehre stammenden, bislang hypothetischen Konzepte eine Chance haben realisiert zu werden, darf allerdings bezweifelt werden.1086 Mit Blick auf den sich an den völkerrechtlichen Teil nun anschließenden nationalrechtlich ausgerichteten Teil 3 dieser Arbeit sei abschließend hervorgehoben, dass es dem Schädigerstaat natürlich offensteht, sein nationales Recht so ausgestalten, dass Individuen, die bei Auslandseinsätzen der Armee des Staates infolge von Verletzungen zu Schaden gekommen sind, eine staatliche Entschädigungsleistung erhalten, und damit eine vom derzeitigen Völkerrecht abweichende, für das geschädigte Individuum günstigere Rechtsposition zu bewirken.1087 Dies erschiene insbesondere vor dem Hintergrund aktueller völkerrechtlicher Entwicklungen wie zum Beispiel den UN Basic Principles, die die Staaten – wenngleich rechtlich unverbindlich – auffordern, bei schweren, den Staaten zurechenbaren Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des nationalen Rechts (finanzielle) Wiedergutmachung an die Opfer zu leisten (s. Prinzip 15 der UN Basic Principles), begrüßenswert.

1086

Zweifel zu den Chancen der Realisierbarkeit eines internationalen Organs zur Durchsetzung des humanitären Völkerrechts meldet insbesondere an: Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [192 f.]. 1087 s. etwa Heintschel von Heinegg, Entschädigungen für Verletzungen des humanitären Völkerrechts, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 1 [25].

Teil 3

Ansprüche nach innerstaatlichem Recht Kriegsschäden, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr unter Verletzung der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts verursacht worden sind, können womöglich auf nationaler, deutscher Ebene Ansprüche nach sich ziehen. So scheint es nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass eine Verletzung humanitärer Vorschriften durch deutsche Soldaten als schuldhafte Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht durch einen Amtswalter zu qualifizieren ist und damit den Tatbestand der Amtshaftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG erfüllt. Die Frage, ob das völkerrechtswidrige Verhalten von Bundeswehr-Soldaten amtshaftungsrechtliche Konsequenzen entfaltet, hat mittlerweile auch deutsche Zivilgerichte erreicht: Ende 2006 hatte der BGH über eine Klage serbischer Staatsangehöriger gegen die BRD wegen Kriegsschäden im Rahmen des Kosovo-Konflikts zu entscheiden, die auf völkerrechtliche und amtshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt wurde (Varvarin-Fall). Was die Amtshaftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG anbelangte, ging der BGH auf die in den Vorinstanzen problematisierte Frage der Anwendbarkeit des nationalen Staatshaftungsrechts in Zeiten bewaffneter Konflikte nicht ein.1 Er beließ es bei der Feststellung, dass ein amtshaftungsrechtlicher Anspruch der geschädigten Zivilisten gegen Deutschland mangels Amtspflichtverletzung durch deutsche Stellen im konkreten Falle nicht in Betracht komme.2 Vor dem Hintergrund des BGH-Urteils im Fall Varvarin soll im dritten Teil dieser Arbeit zunächst die Amtshaftung der BRD für hoheitliches Unrecht untersucht werden. Dabei soll zum einen der Frage nachgegangen werden, ob das deutsche Amtshaftungsrecht bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr generell anwendbar ist [s. Teil 3, Gliederungspunkt A.], und zum anderen der Frage auf den Grund gegangen werden, ob eine Verletzung der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts durch deutsche Bundeswehr-Soldaten und eine dabei eingetretene Schädigung unbeteiligter Zivilisten die Voraussetzungen des Tatbestandes der Amtshaftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG erfüllt [s. Teil 3, Gliederungspunkt B.]. Im Anschluss an die Untersuchung der Amtshaftung werden weitere Anspruchsgrundlagen aus dem Recht der öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen in Betracht gezogen [s. Teil 3, Gliederungspunkt C.].

1 2

BGHZ 169, 348 [358, Ziff. 20]. BGHZ 169, 348 [358, Ziff. 20].

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

A. Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr I. Kollisionsrechtliche Anknüpfungen In Anbetracht der Tatsache, dass sich die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr eingetretenen Schäden auf ausländischem Boden ereignet haben, stellt sich in kollisionsrechtlicher Hinsicht die Frage, ob das deutsche (Amtshaftungs-)Recht für die Regelung der Schäden überhaupt einschlägig ist. Nach Art. 40 EGBGB unterliegen Ansprüche aus unerlaubten Handlungen dem Recht des Handlungsstaates oder wahlweise dem Recht des Erfolgsstaates der unerlaubten Handlung (sog. Tatortprinzip). Rechtssystematisch gehört die Amtshaftung zum Bereich der unerlaubten Handlung,3 sodass bei einer Tötung unbeteiligter Zivilisten durch Bundeswehr-Soldaten auf beispielsweise afghanischem Territorium an sich also afghanisches Recht anzuwenden wäre. Die Tatortregel wird jedoch von der gesonderten Anknüpfung der Amtshaftung verdrängt, wonach bei hoheitlichem Handeln auf das Recht des Amtsstaates abzustellen ist.4 Die kollisionsrechtliche Sonderbehandlung wird mit dem völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Staatensouveränität begründet, wonach ein Staat das hoheitliche Handeln eines anderen Staates nicht seiner legislativen, judikativen und exekutiven Gewalt unterwerfen darf.5 Ob die Amtspflichtverletzung im Inland oder Ausland begangen wurde, ist also unerheblich.6

II. Verdrängung durch das Völkerrecht Der Rückgriff auf das deutsche Amtshaftungsrecht ist nur unter der Bedingung möglich, dass das Völkerrecht die Entstehung nationalrechtlicher Ansprüche bzw. deren Geltendmachung nicht ausschließt. Ein solcher Ausschluss durch das Völkerrecht ist in mehrerer Hinsicht denkbar: Denkbar ist zum einen, dass die Völkerrechtsordnung für bewaffnete Konflikte insgesamt als exklusiv anzusehen ist und damit die Entstehung individueller nationalrechtlicher Ausgleichsansprüche infolge kriegerischer Ereignisse von vorne herein ausschließt. Denkbar erscheint zum anderen, dass das Völkerrecht spezielle (sekun3

Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 10. Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [207]; Heldrich, in: Palandt, Art. 40 EGBGB Rdn. 15; Kämmerer, Kriegsrepressalie oder Kriegsverbrechen?, in: ArchVR 37 (1999), 283 [310]; Junker, in: MüKo, Art. 40 EGBGB Rdn. 196; BGH NJW 56 (2003), 3488 [3491]; OLG Köln NJW 52 (1999), 1555 [1556]. 5 Junker, in: MüKo, Art. 40 EGBGB Rdn. 196. 6 s. auch OLG Köln NJW 58 (2005), 2860 [2861]. 4

A. Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen

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däre) Schadensersatzansprüche für Verletzungen des humanitären Völkerrechts vorsieht, mit der Folge, dass national-rechtliche Ansprüche verdrängt werden. Schließlich könnten auf völkerrechtlicher Ebene getroffene Entschädigungsregelungen der Geltendmachung von Ansprüchen kraft nationalen Rechts entgegenstehen. 1. Exklusivität der völkerrechtlichen Rechtsordnung In der – deutschen – Völkerrechtsliteratur finden sich vereinzelt Stimmen, die vertreten, dass die Regelung von Kriegsschäden dem Völkerrecht vorbehalten sei und zivilrechtliche Forderungen einzelner Geschädigter demzufolge ausgeschlossen seien.7 Die Überlegung, dass Kriegsschäden und die daraus resultierenden Reparationen allein in Friedensverträgen von Staat zu Staat geregelt würden, beinhalte die „völkerrechtliche Rechtsnorm“, dass die schadensrechtliche Abwicklung von Kriegsfolgen allein auf völkerrechtlicher Ebene erfolge.8 Diese Regel der Exklusivität der völkerrechtlichen Schadensabwicklung bewahre im Übrigen vor dem „rechtlichen Chaos“, das durch eine Anerkennung zivilrechtlicher Ansprüche einzelner Geschädigter gegen den feindlichen Staat entstünde.9 Es entspricht mittlerweile gefestigter Rechtsprechung, dass es eine solche von Faux de la Croix behauptete Regel der Exklusivität völkerrechtlicher Schadensregulierung nicht gibt: Das BVerfG hat in einer Entscheidung vom 13. Mai 199610 auf Vorlage des LG Bonn hin das Bestehen eines völkerrechtlichen Grundsatzes, wonach die Regelung von Kriegsschäden auf völkerrechtlicher Ebene zu erfolgen habe und Ansprüche nach deutschem Recht folglich ausgeschlossen seien, verneint [s. bereits Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) bb)].11 Das Nebeneinander völkerrechtlicher 7

Faux de la Croix, Schadensersatzansprüche ausländischer Zwangsarbeiter im Lichte des Londoner Schuldenabkommens, in: NJW 13 (1960), 2268 [2269]; Gurski, Kriegsforderungen, in: AWD 7 (1961), 12 [14 f.]. Eine andere Frage ist, ob auf völkerrechtlicher Ebene getroffene Kriegsfolgenregelungen der Anwendbarkeit deutscher (Zivil-)Rechtsvorschriften entgegenstehen, s. dazu den nachfolgenden Gliederungspunkt A. II. 3. 8 Faux de la Croix, Schadensersatzansprüche ausländischer Zwangsarbeiter im Lichte des Londoner Schuldenabkommens, in: NJW 13 (1960), 2268 [2269]. 9 Faux de la Croix, Schadensersatzansprüche ausländischer Zwangsarbeiter im Lichte des Londoner Schuldenabkommens, in: NJW 13 (1960), 2268 [2269]. 10 BVerfGE 94, 315 ff. = BVerfG NJW 49 (1996), 2717 ff. 11 BVerfG NJW 49 (1996), 2717 [2718 f.]. Diese Entscheidung hat das BVerfG 2004 in einem Verfahren, in dem es um die Ansprüche italienischer Militärinternierter wegen Zwangsarbeit ging, bestätigt, s. BVerfG NJW 2004, 3257 [3258]. Die in der Folge mit den Klagen von Opfern deutscher Kriegshandlungen während des Zweiten Weltkriegs befassten Zivilgerichte sind der Entscheidung des BVerfG im Hinblick auf die nicht vorhandene Exklusivität völkerrechtlicher Schadensregulierung gefolgt und haben dementsprechend Ansprüche der Geschädigten nach deutschem Recht, vor allem § 839 BGB i.V.m. Art. 131 WRV bzw. Art. 34 GG in Betracht gezogen, s. BGH NJW 56 (2003), 3488 [3491]; OLG Köln NJW 58 (2005), 2860 [2861]. In seiner Entscheidung im Fall Varvarin (= BGHZ 169, 348 ff.), dem die Bombardierung einer Brücke in einer serbischen Kleinstadt durch die NATO während des Kosovo-Krieges 1999 zugrunde lag, hat der BGH die vermeintliche Exklusivität der Völker-

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Ansprüche des Heimatstaates und nationalrechtlicher Ansprüche des geschädigten Individuums zeige sich bereits am Beispiel des diplomatischen Schutzes: Ein Staat dürfe diplomatischen Schutz erst dann ausüben, wenn der betroffene Staatsangehörige den innerstaatlichen Rechtsweg erschöpft habe.12 Damit werde die Möglichkeit eines eigenen Anspruchs des betroffenen Individuums auch nach nationalem Recht vorausgesetzt.13 Zudem weist das BVerfG darauf hin, dass es einem Staat, der das Völkerrecht verletzt, unbenommen bleibe, der verletzten Person Ansprüche aufgrund des eigenen nationalen Rechts zu gewähren.14 Das Nebeneinander von Völkerrecht und nationalem Recht besteht laut BVerfG erst recht, wenn ein nationalrechtlicher Anspruch eines geschädigten Kriegsopfers nicht aus einem nationalen Sonderrecht für Kriegsfolgen (z. B. Bundesentschädigungsgesetz) abgeleitet werde, sondern aus einem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.15 Der Absage des BVerfG an die Exklusivitätstheorie ist beizupflichten: Die Gegenmeinung bleibt den Nachweis der von ihr behaupteten völkerrechtlichen Rechtsnorm, der zufolge die Regelung von Kriegsschäden dem Völkerrecht vorbehalten sein soll, schuldig. Soweit die Staaten in Friedensverträgen auf Ansprüche ihrer Staatsangehörigen gegen den gegnerischen Staat verzichteten, wird hierdurch nicht etwa die Exklusivität der völkerrechtlichen Schadensregulierung, sondern vielmehr das grundsätzliche Nebeneinander völkerrechtlicher (Staaten-)Ansprüche und national-rechtlicher (Individual-)Ansprüche bestätigt.16 Darüber hinaus unterscheidet die Exklusivitätstheorie nicht genügend zwischen dem materiell-rechtlichen Anspruch und seiner verfahrensmäßigen Geltendmachung. Bewaffnete Konflikte können zwar ohne weiteres massenhafte Schadensfälle auslösen, deren Abwicklung dann verfahrensmäßige Besonderheiten erfordert. Das hat in der Praxis oftmals zur Folge, dass Individualklagen durch völkerrechtliche Regulierungsmechanismen verdrängt werden.17 Aus dem Umstand der schieren Masse der Schadensfälle kann jedoch nicht gefolgert werden, dass nationalrechtliche Ansprüche der geschädigten Individuen a priori nicht zur Entstehung gelangen.18

rechtsordnung gar nicht erst problematisiert und amtshaftungsrechtliche Ansprüche der Opfer der NATO-Luftangriffe ohne weitere Ausführungen zu dieser Problematik geprüft. 12 BVerfG NJW 49 (1996), 2717 [2719]. 13 BVerfG NJW 49 (1996), 2717 [2719]. 14 BVerfG NJW 49 (1996), 2717 [2719]. 15 BVerfG NJW 49 (1996), 2717 [2719]. 16 s. auch Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 195. 17 So wurde z. B. nach dem Ende des Zweiten Golfkriegs (1991) die United Nations Claims Commission (UNCC) errichtet, die über Anträge kriegsgeschädigter Einzelpersonen auf Entschädigungsleistungen aus dem der UNCC zur Verfügung stehenden Reparationsfonds zu entscheiden hatte. 18 Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [116]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 218.

A. Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen

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Anknüpfend an die Argumentation des BVerfG, derzufolge es einem das Völkerrecht verletzenden Staat unbenommen bleibe, der verletzten Person aufgrund des eigenen, nationalen Rechts Entschädigungsansprüche zu gewähren, ließe sich gegen die vermeintliche Exklusivität der völkerrechtlichen Schadensregulierung schließlich zusätzlich vorbringen, dass mitunter sogar völkerrechtliche Verpflichtungen bzw. Gebote bestehen, bei einem Verstoß gegen völkerrechtliche (Fundamental-) Normen eine Entschädigung nach nationalem Recht zu gewähren.19 2. Spezieller völkerrechtlicher Individualanspruch wegen Kriegsschäden Ein spezieller völkerrechtlicher Individualanspruch für aus Verletzungen des humanitären Völkerrechts herrührende Kriegsschäden, der nationalrechtlichen Ansprüchen nach dem lex specialis-Grundsatz vorgehen könnte, besteht nach den Ausführungen in Teil 2 unter den Gliederungspunkten B. III. 1. und B. III. 2. zur derzeitigen völkervertraglichen und völkergewohnheitsrechtlichen Rechtslage (noch) nicht. Eine Verdrängung nationaler, amtshaftungsrechtlicher Ansprüche geschädigter Kriegsopfer kommt aus diesem Gesichtspunkt daher nicht in Betracht.20 Aber selbst wenn man wie zum Beispiel Schwager zu dem Ergebnis kommt, dass das Völkerrecht genügend Anhaltspunkte für das Bestehen individueller Entschädigungsansprüche für Verletzungen des humanitären Völkerrechts bietet,21 dann scheint ein Nebeneinander völkerrechtlicher und nationalrechtlicher Schadensersatzansprüche geschädigter Individuen in solchen Fällen durchaus möglich.22

19 s. auch z. B. die in Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa) besprochenen „Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law“ der UN-Menschenrechtskommission vom 19. 04. 2005 (UN Doc. E/CN.4/2005/L.48), wo es im neunten Abschnitt („Reparation for harm suffered“) in Prinzip 15 heißt: „… In accordance with its domestic laws and international legal obligations, a State shall provide reparation to victims for acts or omissions which can be attributed to the State and constitute gross violations of international human rights law or serious violations of international humanitarian law (Hervorhebung durch den Verfasser).“ 20 s. auch Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [198 ff.]. 21 Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 111 ff., 120 ff., 137 ff. 22 s. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 193. Es sei darauf hingewiesen, dass die – zuvor in Teil 3, Gliederungspunkt A. II. 1. angesprochene – Zwangsarbeiter-Entscheidung des BVerfG vom 13. 05. 1996 keine expliziten Aussagen zum Verhältnis völkerrechtlicher und nationalrechtlicher Schadensersatzansprüche geschädigter Individuen beinhaltet. Denn ausgehend von der traditionellen Sichtweise, wonach das Völkerrecht grds. nur Staaten berechtigt und verpflichtet, untersucht das BVerfG das Verhältnis völkerrechtlicher Ansprüche eines Staates und nationaler Ansprüche eines Staates infolge kriegerischer Ereignisse.

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

3. Entgegenstehende völkerrechtliche Entschädigungsregelungen Trotz Fehlens einer völkerrechtlichen Rechtsnorm, nach der Kriegsschäden allein völkerrechtlich geregelt werden können, sowie Fehlens spezieller völkerrechtlicher Individualansprüche wegen Kriegsschäden ist es nicht ausgeschlossen, dass auf völkerrechtlicher Ebene getroffene Entschädigungsregelungen amtshaftungsrechtlichen Ansprüchen nach deutschem Recht entgegenstehen können.23 So haben in der Nachkriegszeit deutsche Zivilgerichte Amtshaftungsklagen von während des Zweiten Weltkrieges geschädigten Individuen gegen Deutschland unter Bezugnahme auf die Regelung des Art. 5 II des Londoner Schuldenabkommens aus dem Jahre 1953 abgewiesen.24 Art. 5 II des Abkommens stellte alle bis dato nicht erledigten, aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Krieg befunden hatten, und deren Staatsangehörigen gegen Deutschland bis zum endgültigen Abschluss der Reparationsfrage durch einen Friedensvertrag mit Gesamt-Deutschland zurück. Das BVerfG weist in seiner Zwangsarbeiter-Entscheidung vom 13. Mai 1996 darauf hin, dass einzelne Verzichtserklärungen oder völkerrechtliche Verträge (wie zum Beispiel das Londoner Schuldabkommen oder der 2+4-Vertrag von 1990) nationalrechtliche Ansprüche Einzelner zum Erlöschen bringen können.25 Auch in neuerer Staatenpraxis finden sich mehrere Beispiele für völkerrechtliche Verträge zur Schadensregulierung im Zusammenhang mit militärischen Handlungen: So hat die US- mit der italienischen Regierung 1999 eine Vereinbarung zur Entschädigung der Angehörigen der 20 Opfer des Seilbahnunglücks von Cavalese getroffen, um weitere Klagen gegen die US-Regierung abzuwenden.26 Zu dem Unglück war es gekommen, als ein amerikanisches Militärflugzeug am 3. Februar 1998 im Tiefflug das Kabel einer Seilbahn durchtrennt und eine Gondel mit 20 Insassen in die Tiefe gerissen hatte. Darüber hinaus lassen sich die UNCC und die EECC als Beispiele aus jüngerer Zeit für die Regulierung von Kriegsschäden auf völkerrechtlicher 23

Dazu auch Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [204 f.]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 279 ff. 24 BGHZ 16, 207 [208 ff.]; BGHZ 18, 22 [25 ff.]; BGHZ 19, 258 [263]; BGH NJW 11 (1958), 1390 [1391]; BGH NJW 26 (1973), 1549 [1550 f.]; vgl. auch OVG Münster NJW 51 (1998), 2302 f.; OLG Köln, Urteil vom 27. 08. 1998, Az. 7 U 167/97, Ziff. 54. 25 BVerfG NJW 49 (1996), 2717 [2720]. Zur „Unanwendbarkeit“ des deutschen Rechts aufgrund des Londoner Schuldenabkommens s. Hahn, Individualansprüche auf Wiedergutmachung von Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg, in: NJW 53 (2000), 3521; zum „Erlöschen“ von Ansprüchen kraft nationalen Rechts durch Abschluss des 2+4-Vertrages s. Külpmann, Entschädigung für die Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg, in: DÖV 54 (2001), 417 [419 f.] 26 Murphy (Ed.), Contemporary Practice of the United States Relating to International Law (Peaceful Settlement of Disputes: Compensation for Collision with Italian Ski Gondola), in: AJIL 94 (2000), 516 [541].

A. Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen

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Ebene anführen. Die fehlende Exklusivität des völkerrechtlichen Regulierungsverfahrens im Fall der UNCC führte allerdings dazu, dass US-amerikanische und europäische Zivilgerichte parallel zu den anhängigen Verfahren vor der UNCC über Schadensersatz- und Herausgabeansprüche geschädigter Kuwaitis zu entscheiden hatten.27

III. Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts in Zeiten bewaffneter Konflikte Aus der – unter Gliederungspunkt A. II. – dargelegten möglichen parallelen Existenz völkerrechtlicher (Staaten-)Ansprüche und nationaler, amtshaftungsrechtlicher (Individual-)Ansprüche folgt noch nicht, dass das Amtshaftungsrecht zwangsläufig in Zeiten bewaffneter Konflikte anwendbar ist. Maßgebend sind insoweit die deutsche Rechtsordnung und die konkrete Ausgestaltung des deutschen Amtshaftungsrechts.28 1. Aspekte der Gewaltenteilung Gegen eine Anwendung des Amtshaftungsrechts in Zeiten bewaffnete Konflikte bzw. auf militärische Verhaltensweisen könnten zunächst Gesichtspunkte der Gewaltenteilung vorgebracht werden. Was den Bereich der Exekutive anbelangt, so könnte für bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen – in Anlehnung an die Rechtsprechung australischer und englischer Gerichte – möglicherweise auf das Konzept der „combat immunity“ zurückgegriffen werden.29 Auf der Grundlage dieses Konzeptes wären Handlungen der Streitkräfte während eines bewaffneten Konfliktes dann von einer gerichtlichen Nachprüfung ausgenommen, womit Deutschland von eventuellen Amtshaftungsansprüchen verschont bliebe.30 Hinter dem Konzept der „combat immunity“ steht das 27 s. Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [156]. 28 s. BVerfG NJW 57 (2004), 3257 [3258]. 29 s. Schwager, Ius bello confecto et bello durante, S. 203. In dieselbe Richtung gehen auch die Aussagen von Steins, der seinerzeit den Streitkräften ein rechtsfreies Betätigungsfeld zuerkannte: „Im Bereich kriegerischer Notwendigkeit kann die Kommandogewalt nicht an Rechtsschranken gebunden sein“, s. von Stein, Die Lehre vom Heerwesen, S. 13. Zum Konzept der „combat immunity“ s. auch High Court of Justice, Queens Bench Division, Leeds District Registry, Bici and Bici v. Ministry of Defence, 07. 04. 2004, [2004] EWHC 786 (QB), Ziff. 84 ff. In diesem Fall ging es um die Tötung und Verletzung zweier kosovarischer Staatsbürger durch britische KFOR-Truppen im Kosovo 1999. Der mit der Klage der geschädigten Kosovaren befasste Richter Elias prüfte u. a., ob der Geltendmachung der zivilen Ansprüche das Konzept der „combat immunity“ entgegenstehe. 30 Vgl. High Court of Justice, Queens Bench Division, Leeds District Registry, Bici and Bici v. Ministry of Defence, 07. 04. 2004, [2004] EWHC 786 (QB), Ziff. 94 und 95.

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Argument, dass die Streitkräfte im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes einen Freiraum zum Agieren brauchen.31 Auf den ersten Blick scheint dieses Argument angesichts der für Kampfhandlungen typischen Intensität und Unübersichtlichkeit der Lage durchaus nachvollziehbar. Ob militärische Handlungen während eines bewaffneten Konfliktes aber tatsächlich von einer gerichtlichen Überprüfung auszunehmen sind, also eines rechtsfreien Raumes bedürfen, erscheint bei näherer Betrachtung zweifelhaft: Denn das humanitäre Völkerrecht trägt den Besonderheiten eines bewaffneten Konfliktes und den dabei erforderlichen militärischen Verhaltensweisen bereits ausreichend Rechnung, indem es die militärische Notwendigkeit als – wenngleich nicht allein maßgebliche – Determinante bewaffneter Konflikte anerkennt. Anhand dieser humanitären Vorgaben ist das Verhalten deutscher Streitkräfte im bewaffneten Konflikt nach deutschem Recht zu beurteilen: Lässt sich ein Verhalten deutscher Soldaten aufgrund der – durch das humanitäre Völkerrecht präzisierten – militärischen Notwendigkeit rechtfertigen, so findet dies seinen Niederschlag darin, dass das Verhalten der Soldaten keine nationalen Ansprüche, geschweige denn eine Strafbarkeit der betreffenden Soldaten (vgl. § 8 VStGB) nach sich zieht. Eine Ausnahme des Handelns deutscher Soldaten im Rahmen bewaffneter Konflikte von einer (zivil-)gerichtlichen Überprüfung mit dem Argument des im Gefecht benötigten Freiraums zum Agieren ist daher nicht angezeigt.32 Im Zusammenhang mit dem Konzept der „combat immunity“ ist auch der sog. „politische Beurteilungsspielraum“ zu sehen, den der BGH beispielsweise in seiner Entscheidung im Varvarin-Fall ins Spiel gebracht hat. Der BGH hat einen solchen Beurteilungsspielraum der Politik aber nicht argumentativ für eine generelle Nicht-Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts auf militärische Verhaltensweisen in bewaffneten Konflikten verwandt, sondern zur Beurteilung des Vorliegens einer Amtspflichtverletzung im konkreten Fall eingesetzt [s. ausführlich zum Argument des politischen Beurteilungsspielraums Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 3. a)]. Aus dem Bereich der Exekutive könnte als weiteres Argument gegen die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen womöglich die Beeinträchtigung der Bündnisfähigkeit Deutschlands und damit eine Einflussnahme auf die – der Exekutive vorbehaltene – Außenpolitik vorgebracht werden.33 Die Einordnung Deutschlands in friedenswahrende Systeme ist verfassungsrechtlich in Art. 24 II GG geschützt; nach Art. 32 I GG steht die Pflege

31 Vgl. High Court of Australia, Shaw Savill and Albion Company Ltd v. The Commonwealth, 05. 12. 1940, 66 CLR 344 [355 f.]. 32 Vgl. auch Werner, Die Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 118. 33 s. zu diesem Argument Jungholt, Versteckte Warnung für die Bundeswehr (Nachricht vom 03. 11. 2006), verfügbar auf http://www.welt.de/print-welt/article91972/Versteckte_War nung_fuer_die_Bundeswehr.html (nachgesehen am 25. 07. 2009).

A. Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen

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der internationalen Beziehungen dem Bund zu, wobei Trägerin der äußeren Gewalt innerhalb des Bundes grundsätzlich die Exekutive ist.34 Hinter dem Argument der Beeinträchtigung der Bündnisfähigkeit und der Einflussnahme auf die Außenpolitik steht zum einen die Überlegung, dass bei Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf militärische Verhaltensweisen während bewaffneter Konflikte die Befehlshaber der Bundeswehr damit rechnen müssen, dass militärische Maßnahmen (zivil-)gerichtlich überprüft werden, und demzufolge Auslandseinsätze von Bundeswehr-Soldaten aufgrund des Haftungsrisikos eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen werden könnten. Dieses Argument dürfte aber deutlich an Schlagkraft verlieren, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Anwendbarkeit der Amtshaftung auf militärische Verhaltensweisen keine neuen Verpflichtungen für die Bundeswehr mit sich bringt. Die Bundeswehr ist im bewaffneten Konflikt ohnehin an die Vorschriften des humanitären Völkerrechts gebunden.35 Werden die Verletzungen des humanitären Völkerrechts nunmehr zivilrechtlich sanktioniert, ändert sich nicht der Umfang der Verpflichtungen der Soldaten, sondern die Wirksamkeit der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts wird verstärkt. Dieser Effekt kann aber aus Sicht einer Bundeswehr, deren Handeln in den Rahmen des Grundgesetzes eingebettet ist und die ihre Soldaten anweist und ausbildet, im Einklang mit den Vorgaben des humanitären Völkerrechts zu handeln,36 nicht als Besorgnis erregend eingestuft werden. An der Einsatzrealität der Soldaten im Ausland dürfte sich demzufolge – abgesehen von der wünschenswerten verstärkten Verpflichtung zur Achtung der Vorgaben des humanitären Völkerrechts – nicht allzu viel ändern. Zum anderen steht hinter dem Argument der Beeinträchtigung der Bündnisfähigkeit Deutschlands und der Einflussnahme auf die Außenpolitik die Überlegung, dass die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf militärische Verhaltensweisen der Bundeswehr im Rahmen von im Bündnis durchgeführten Konfliktverhütungs- und Krisenbewältigungseinsätze die Beziehungen Deutschlands zu anderen Bündnispartnern belasten könnte. Denn gesetzt den Fall, dass ein eigenes schädigendes Verhalten deutscher Soldaten im konkreten Fall nicht vorläge, bestünde im Rahmen der Amtshaftung noch die Möglichkeit der Zurechnung einer unerlaubten Handlung eines anderen gemäß § 830 BGB.37 Das würde aber vor deutschen Zivilgerichten die inzidente 34 s. Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [214]. 35 s. ZdV 15/2 (Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten – Handbuch), Ziff. 135. 36 s. ZdV 15/2 (Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten – Handbuch), Ziff. 135 und 137. 37 Dass es sich bei der Zurechnung einer unerlaubten Handlung eines anderen Bündnispartners gemäß § 830 BGB im Rahmen der Überprüfung militärischer Verhaltensweisen der Bundeswehr im Auslandseinsatz nicht um eine rein hypothetische, sondern um eine tatsächlich bereits eingetretene Konstellation handelt, verdeutlicht der vom BGH entschiedene VarvarinFall (= BGHZ 169, 348 ff.). Ein eigenes amtspflichtwidriges Verhalten deutscher Soldaten konnte der BGH nicht feststellen und prüfte dementsprechend eine Zurechnung fremden Ver-

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Überprüfung des (hoheitlichen) Handelns eines anderen Bündnispartners zur Folge haben und womöglich die Immunität dieses Partners beeinträchtigen, was das außenpolitische Verhältnis Deutschlands zu diesem Partner nachhaltig belasten könnte. Ob die inzidente Überprüfung der militärischen Handlung eines Bündnispartners dessen völkerrechtlich anerkannte Immunität aber wirklich beeinträchtigt, darf bezweifelt werden: Der Grundsatz der Staatenimmunität verbietet Klagen gegen fremde Staaten wegen hoheitlicher Handlungen.38 Kommt es zu einer inzidenten Überprüfung des Handelns eines anderen Staates vor deutschen (Zivil-)Gerichten wird an diesem Grundsatz indes nicht gerüttelt. Darüber hinaus darf die Immunität eines anderen Staates Deutschland nicht zum Vorteil gereichen, was allerdings dann der Fall wäre, würde man eine (zivil-)gerichtliche Überprüfung unterstützender Handlungen der Bundeswehr im Bündnis mit dem Argument der womöglich tangierten Immunität des Bündnispartners abweisen. Eine Beeinträchtigung der Bündnisfähigkeit Deutschlands wäre also nach den vorangegangen Ausführungen zur Frage der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf militärische Verhaltensweisen deutscher Soldaten in bewaffneten Konflikten nicht zu befürchten. Die verfassungsrechtlich in Art. 24 II GG verankerte Möglichkeit des Bundes, sich einem friedenswahrenden System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen und sich darin zu betätigen, bleibt damit gewahrt. Und dennoch wird man nicht die Augen davor verschließen können, dass eine positive Entscheidung in der Frage der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. auf militärische Verhaltensweisen auf politischer Ebene nicht folgenlos bleiben würde, weswegen auch in Zukunft Zivilgerichte, die mit Amtshaftungsklagen gegen Deutschland aufgrund militärischer Handlungen der Bundeswehr im Auslandseinsatz befasst sind, geneigt sein könnten, die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts für bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen abzulehnen. Was schließlich den Bereich der Legislative anbelangt, so könnte die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen mit dem Grundsatz der Haushaltsprärogative des Gesetzgebers kollidieren.39 Die Rechtsprechung geht davon aus, dass die Zuerkennung von Entschädigungs- und Ausgleichsansprüchen in Haftungskonstellationen mit weitreichenden Konsequenzen für die Staatsfinanzen nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung dem parlamen-

haltens über § 830 BGB aufgrund einer eventuellen unterstützenden Beteiligung deutscher Soldaten (BGHZ 169, 348 [358 ff., Ziff. 21 – 24]). 38 s. Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [127]. 39 Zum Argument der Haushaltsprärogative des Gesetzgebers s. Ossenbühl, ÖffentlichRechtliche Entschädigung in Verfassung, Gesetz und Richterrecht, in: DVBl. 109 (1994), 977 [979].

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tarischen Gesetzgeber zur Entscheidung vorbehalten bleibt.40 Für die vorliegende Arbeit ließe sich argumentieren: Bewaffnete Konflikte können oftmals massenhaft Schadensfälle hervorrufen. Eine Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf solch zahlreiche Fälle belastet demzufolge den Staatshaushalt über Gebühr, sodass eine Regelung solcher Masseschäden dem Gesetzgeber vorbehalten bleibt. Es wurde jedoch bereits oben unter Gliederungspunkt A. II. 1. dargelegt, dass aus dem Umstand der Masse der Schadensfälle nicht gefolgert werden kann, dass nationalrechtliche, und damit amtshaftungsrechtliche Ansprüche der geschädigten Individuen a priori nicht zur Entstehung gelangen.41 Und selbst wenn man das Argument der Masseschäden im Rahmen der Überprüfung der Vereinbarkeit der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung zuließe, so müsste man im Hinblick auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung konstatieren, dass diese bislang nicht massenweise zu Schäden an ausländischen Zivilisten geführt haben, deren gerichtliche Geltendmachung den Bundeshaushalt etwa überstrapazieren könnte.42 Im Hinblick auf die Frage der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen lässt sich somit im Lichte des Grundsatzes der Gewaltenteilung feststellen, dass sich aus diesem Grundsatz keine Bedenken im Hinblick auf eine Anwendbarkeit der Amtshaftung ergeben. 2. Suspendierung des Amtshaftungsrechts in Zeiten bewaffneter Konflikte In der deutschen Rechtsprechung werden auf amtshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen gestützte Klagen wegen Kriegsschäden zum Teil mit dem Argument abgewiesen, dass die deutsche Rechtsordnung in Zeiten bewaffneter Konflikte suspendiert sei, weshalb militärische Handlungen von der innerstaatlichen Haftung ausgenommen seien. So hat das LG Bonn, das als Eingangsinstanz mit dem Fall Varvarin befasst war, entschieden: „Das deutsche Staatshaftungsrecht kommt in Zeiten bewaffneter Konflikte nicht zur Anwendung. Es wird durch die Regelungen des internationalen Kriegsrechts überlagert. Bewaffnete Auseinandersetzungen sind nach wie vor als völkerrechtlicher Ausnahmezustand anzusehen, der die im Frieden geltende Rechtsordnung weitgehend suspendiert.“43

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s. von Danwitz, in: von Mangoldt/F. Klein/Stark (Hrsg.), Art. 34 GG Rdn. 26. Solche massenhaften Schadensfälle können allerdings verfahrensmäßige Besonderheiten erfordern, deren Regelung dem Gesetzgeber vorbehalten bleibt. 42 s. auch Johann, Amtshaftung und humanitäres Völkerrecht, in: HUV-I 17 (2004), 86 [91]. 43 LG Bonn NJW 57 (2004), 525 [526]. 41

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Mit derselben Argumentation hat das OLG Köln, das als Berufungsinstanz über die Klage der Opfer des SS-Massakers im griechischen Ort Distomo zu Ende des Zweiten Weltkriegs zu entscheiden hatte, einen amtshaftungsrechtlichen Anspruch der griechischen Kläger gegen die BRD verneint.44 In Anbetracht der Ausführungen des OLG Köln für Schadensfälle zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges und der Ausführungen des LG Bonn für heutige Schadensfälle stellt sich die Frage, ob eine solche „Überlagerungsthese“45 im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen überzeugen kann. Rückhalt für die Überlagerungsthese scheint auf den ersten Blick das Urteil des BGH im Fall Distomo zu bieten.46 Der BGH kommt in diesem Fall – ebenso wie die Berufungsinstanz des OLG Köln – zu dem Ergebnis, dass den Opfern des SS-Massakers von 1944 keine Ansprüche nach deutschem Amtshaftungsrecht zustehen würden. Zwar sieht der BGH sämtliche Tatbestandselemente des Amtshaftungsanspruches gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 131 WRV47 als erfüllt an.48 Aber „nach dem Verständnis und Gesamtzusammenhang des zur Tatzeit (1944) geltenden Rechts waren die dem Deutschen Reich völkerrechtlich zurechenbaren militärischen Handlungen während des Kriegs im Ausland von dem Amtshaftungstatbestand des § 839 BGB i.V.m. Art. 131 WRV ausgenommen.“49 Dabei führt der BGH aus, dass das Berufungsgericht – zutreffend – festgestellt habe, dass der Krieg nach der zur damaligen Zeit vorherrschenden Sicht als „völkerrechtlicher Ausnahmezustand“ gesehen wurde, der die im Frieden geltende Rechtsordnung weitgehend suspendiere.50 Aus dieser damaligen Sicht lag die Vorstellung fern, ein Staat könne sich durch unerlaubte Handlungen seiner Streitkräfte während eines bewaffneten Konfliktes im Ausland gegenüber den (ausländischen) Opfern schadensersatzpflichtig machen.51 Das Ergebnis, dass es zumindest nach der damaligen Rechtsauffassung ausgeschlossen erscheine, dass das Deutsche Reich den durch militärische Verhaltensweisen seiner Soldaten im Krieg geschädigten Ausländern amtshaftungsrechtliche Schadensersatzansprüche einräumen wollte, sieht der BGH vor dem Hintergrund damals geltender Rechts44

OLG Köln, Urteil vom 27. 08. 1998, Az. 7 U 167/97, Ziff. 59. Diesen Begriff verwendet z. B. Johann, Amtshaftung und humanitäres Völkerrecht, in: HUV-I 17 (2004), 86 [87]. 46 BGH NJW 56 (2003), 3488 ff. 47 Art. 131 I WRV, an dessen Stelle mit der Verabschiedung des Grundgesetzes Art. 34 GG getreten ist, lautete: „Verletzt ein Beamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht […].“ Sachlich besteht zwischen beiden Vorschriften, die die Haftung des Beamten auf den Staat überleiten, kein Unterschied, s. Wurm, in: Staudinger § 839 BGB Rdn. 6. 48 BGH NJW 56 (2003), 3488 [3492]. 49 BGH NJW 56 (2003), 3488 [3492]. 50 BGH NJW 56 (2003), 3488 [3492]. 51 BGH NJW 56 (2003), 3488 [3492]. 45

A. Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen

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vorschriften, unter anderem § 7 RBHaftG (a.F.) bestätigt: Nach § 7 RBHaftG (a.F.) stand den Angehörigen eines auswärtigen Staates ein Ersatzanspruch auf Grund dieses Gesetzes gegen das Deutsche Reich nur insoweit zu, als durch die Gesetzgebung des ausländischen Staates oder durch Staatsvertrag die Gegenseitigkeit verbürgt war. Dieses Erfordernis der Gegenseitigkeit lag in Bezug auf Griechenland zum damaligen Zeitpunkt aber nicht vor.52 Ob nach dem heutigen Amtshaftungsrecht ähnliches zu gelten habe, militärische Verhaltensweisen der Bundeswehr also ebenfalls vom Amtshaftungstatbestand des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ausgenommen seien, lässt der BGH ausdrücklich offen.53 Hinsichtlich der Aussagekraft des Distomo-Urteils des BGH zur Beurteilung heutiger Schadensfälle, wie sie etwa dem Varvarin-Fall zugrunde lagen, lässt sich feststellen: § 7 RBHaftG hat im Jahr 1993 eine neue Fassung erhalten. Auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit, auf deren Fehlen der BGH im Distomo-Urteil noch den Ausschluss der Amtshaftung gestützt hatte, kommt es nicht mehr an. Zudem hat der BGH nicht die generelle Nichtanwendbarkeit des Amtshaftungsrechts in bewaffneten Konflikten festgestellt, sondern für heutige Schadensfälle ausdrücklich offen gelassen, ob diese ebenfalls vom Amtshaftungsrecht auszunehmen sind. Damit kommt dem Distomo-Urteil insgesamt nur eine bedingte Aussagekraft im Hinblick auf die Beurteilung heutiger Schadensfälle und die Frage der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts zu. Ungeachtet der Argumentation des BGH im Distomo-Urteil stellt sich für heutige Schadensfälle aber dennoch die Frage, ob bewaffnete Konflikte etwa als Ausnahmezustand einzustufen sind und demzufolge militärische Handlungen der Bundeswehr während bewaffneter Konflikte vom Amtshaftungstatbestand des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ausgenommen sind. Das als Berufungsinstanz mit dem Fall Varvarin befasste OLG Köln hat 2005 entschieden, dass jedenfalls das deutsche Amtshaftungsrecht auch in Zeiten bewaffneter Konflikte generell anwendbar sei und sich dabei auf die Wertungen des GG und den zwischenzeitlich erfolgten Wandel des (humanitären) Völkerrechts gestützt.54 Der Entscheidung des OLG Köln ist zuzustimmen. Eine Suspension des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen kommt sowohl in völkerrechtlicher als auch in nationalrechtlicher Hinsicht nicht in Betracht: Unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten lässt sich die Überlagerungsthese aus mehrerlei Gründen nicht aufrechterhalten: Anknüpfend an die in Teil 3, Gliederungspunkt A. II. 1. bereits besprochene Zwangsarbeiter-Entscheidung des BVerfG wäre eine weitgehende Suspension des Amtshaftungsrechts in Zeiten bewaffneter Konflikte kaum mit der vom BVerfG postulierten Parallelität völkerrechtlicher und national52

s. Johann, Amtshaftung und humanitäres Völkerrecht, in: HUV-I 17 (2004), 86 [88]. BGH NJW 56 (2003), 3488 [3493]. 54 OLG Köln NJW 58 (2005), 2860 [2862 f.]. Ausführliche Besprechung des Urteils des OLG Köln bei Stammler, Paradigmenwechsel im deutschen Staatshaftungsrecht – OLG Köln läutet das Ende der „Nachkriegsrechtsprechung“ ein, in: HUV-I 18 (2005), 292 ff. 53

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

rechtlicher Ansprüche in Einklang zu bringen.55 Im Übrigen wäre die Suspendierung des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG und damit dessen Nichtbeachtung völkerrechtlich nur dann geboten, wenn der Amtshaftungstatbestand im Widerspruch zu einer völkerrechtlichen Norm stünde. Ein amtshaftungsrechtlicher Schadensersatzanspruch für Verletzungen des humanitären Völkerrechts steht aber keineswegs im Widerspruch, sondern im Einklang mit diesem Rechtsregime. Das wird vor allem dann deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass – wie das OLG Köln zutreffend hervorhebt und wie in dieser Arbeit in Teil 2 unter Gliederungspunkt B. an mehreren Stellen herausgearbeitet wurde – seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Wandel des humanitären Völkerrechts dahingehend zu verzeichnen ist, dass mehr und mehr die Rechte und den Schutz des Einzelnen in den Vordergrund treten. Einzelne Bestimmungen des ZP-I lassen erkennen, dass sie einen primären Anspruch Einzelner auf Einhaltung verbotener staatlicher Verhaltensweisen begründen und damit konkret dem Schutz des Einzelnen dienen. Zur Einhaltung und Durchsetzung der im ZP-I festgeschriebenen Verbote haben sich die Vertragsparteien und damit Deutschland verpflichtet (Art. 1 I ZP-I). Deutschland muss der Einhaltung der Normen des ZP-I demzufolge Rechnung tragen und kann angesichts dieser Verpflichtung eine Verletzung der Normen des ZP-I nicht sanktionslos lassen. Manche völkerrechtlichen Abkommen wie zum Beispiel die Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission gehen bereits soweit, dass sie für schwere Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts eine Verpflichtung der Staaten anmahnen, eine Entschädigung nach nationalem Recht vorzusehen [s. Prinzip 15 der Basic Principles – s. dazu Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa)]. § 8 VStGB verdeutlicht bislang auf (national-)strafrechtlicher Ebene, dass die Begehung (schwerer) Verletzungen des humanitären Völkerrechts in der deutschen Rechtsordnung nicht folgenlos ist. Von einer völkerrechtlichen Warte aus gesehen würde sich eine Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen damit nicht in Widerspruch zur völkerrechtlichen Rechtsordnung setzen. Im Gegenteil: Eine Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts in Zeiten bewaffneter Konflikte würde völkerrechtlich verbürgten Garantien zur Durchsetzung verhelfen und ist damit aus Sicht des Völkerrechts besonders angezeigt. Unter national-rechtlichen Gesichtspunkten kann an einer Ablehnung der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf heutige Schadensfälle mit Blick auf die Garantien des GG und die Funktion des Amtshaftungsrechts ebenfalls nicht festgehalten werden: Das Grundgesetz garantiert die Würde und Persönlichkeit des Menschen (Art. 1 I, 2 I GG) und stellt damit den Einzelnen in den Mittelpunkt.56 Das BVerwG hat die Subjektstellung des Einzelnen, der nicht lediglich als Gegenstand staatlichen Handelns, sondern als selbständige Persönlichkeit und damit als Träger von Rechten und Pflich-

55 56

s. auch Schwager, Ius bello confecto et bello durante, S. 211. So auch OLG Köln NJW 58 (2005), 2860 [2862].

A. Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen

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ten einzuordnen sei, als „Leitidee“ des GG bezeichnet.57 Diese vom GG postulierte Subjektstellung findet ihren Niederschlag unter anderem in den subjektiv-öffentlichen Rechten des Einzelnen, auf die er sich gegenüber der Staatsgewalt berufen kann und aus denen er Befugnisse ableiten kann.58 Auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips ist die Staatsgewalt, und damit auch die Exekutive an die Grundrechte des Einzelnen (Art. 1 III GG) und an dessen subjektiv-öffentliche Rechte (Art. 20 III GG) gebunden. Die Durchsetzung der grundrechtlich verankerten subjektiv-öffentlichen Rechte und die Sicherung des Rechtsstaatsprinzips wird dadurch gewährleistet, dass der von hoheitlichem Unrecht betroffene Einzelne gemäß Art. 19 IV GG gerichtlichen Rechtsschutz ersuchen kann (primärer Rechtsschutz).59 Dieser primäre Rechtsschutz wird in Deutschland ergänzt durch das Recht der öffentlichen Ersatzleistungen, das – zusätzlich zu einer gerichtlichen Überprüfung – die Möglichkeit einräumt, Ersatz für die erfolgte Beeinträchtigung der Rechtsgüter zu fordern (sekundärer Rechtsschutz).60 Eine Haftung für hoheitliches Unrecht sieht Art. 34 S. 1 GG vor – eine Vorschrift, die sowohl die Haftung des Staates bei rechtswidrigem, öffentlich-rechtlichem Verhalten seiner Amtswalter begründet als auch eine institutionelle Garantie der Staatshaftung enthält.61 Der Amtshaftungstatbestand des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bildet im Rahmen des Rechts der Staatshaftung die zentrale Anspruchsgrundlage für hoheitliches Unrecht.62 Die Regelung des § 7 RBHaftG n.F. verdeutlicht, dass grundsätzlich die Haftung der BRD für Amtspflichtverletzungen von (Bundes-)Beamten auch gegenüber Ausländern besteht.63 Würde man nun dem von hoheitlichem Unrecht bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr betroffenen Einzelnen den Weg zur Amtshaftung versperren, würde man ihm nicht nur die zentrale Haftungsnorm des Staatshaftungsrechts nehmen und die institutionelle Garantie der Staatshaftung in Art. 34 S. 1 GG unterhöhlen, sondern überdies die grundrechtlich verbürgten subjektiv-öffentlichen Rechte leer laufen lassen und das Rechtsstaatsprinzip aufweichen.64 Ein solches Ergebnis ist auch in Zeiten bewaffneter Konflikte nicht tragbar: Denn auch in Zeiten bewaffneter Konflikte er57

BVerwGE 1, 159 [161]. Scherzberg, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rdn. 6 f. 59 Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 2; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdn. 5; Scherzberg, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rdn. 7. 60 Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 2. 61 Bonk, in: Sachs (Hrsg.), Art. 34 GG Rdn. 2; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 34 GG Rdn. 1 f.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 34 Rdn. 13, 87; von Danwitz, in: von Mangoldt/F. Klein/Starck (Hrsg.), Art. 34 GG Rdn. 43. 62 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 34 GG Rdn. 3; OLG Köln NJW 58 (2005), 2860 [2862]. 63 s. Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 359. 64 Zum Zusammenhang der Staatshaftung mit dem Schutz der Grundrechte und der Wahrung des Rechtsstaatsprinzips s. auch Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 34 GG Rdn. 82, 84; Röder, Die Haftungsfunktion der Grundrechte, S. 181. 58

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

lischt die Bindung des Staates an das Recht nicht, zumal das Risiko, Opfer hoheitlichen Unrechts zu werden, und damit die Schutzbedürftigkeit der militärischen Handlungen ausgelieferten Zivilisten um ein Vielfaches höher ist. Überdies ist die Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 IV GG, die das Rechtmäßigkeitsprinzip und die Gewährung von Individualrechten auf primärer Ebene absichert und an sich der sekundären Staatshaftung vorgeht,65 bei – durch militärische Handlungen geschaffenen – vollendeten Tatsachen mehr oder weniger wirkungslos. Vor dem Hintergrund der grundrechtlich verbürgten subjektiv-öffentlichen Rechte und des Rechtsstaatsprinzips, denen die in § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG normierte Amtshaftung zur Durchsetzung verhilft, und vor dem Hintergrund der besonderen Schadensgeneigtheit bewaffneter Auseinandersetzungen ist eine generelle Suspendierung des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. auf militärische Handlungen abzulehnen und eine grundsätzliche Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts in solchen Fällen anzunehmen.66 Eine Bestätigung dieser Schlussfolgerung findet sich in der Regelung des Art. 115 c II GG zur Einschränkung von Grundrechten im Verteidigungsfall: Art. 115 c II GG zufolge ist selbst im Verteidigungsfall, der Auslandseinsätze der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Hinblick auf die Intensität und das Ausmaß der Kampfhandlungen um einiges übertreffen dürfte, eine Einschränkung der Grundrechte des GG nur in engen Grenzen möglich und somit die Gewährung von subjektiv-öffentlichen Rechten an Einzelne keinesfalls aufgehoben. Mit dieser in Art. 115 c II GG getroffenen Regelung ist eine generelle Suspendierung des Amtshaftungsrechts in Zeiten bewaffneter Konflikte nicht zu vereinbaren und dementsprechend von dessen grundsätzlicher Fortgeltung auszugehen.67 Nicht zuletzt mit Blick auf die Entscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit (s. insbesondere Art. 23 bis Art. 26 GG) und die daraus folgende Völkerrechtsfreundlichkeit des deutschen Rechts wäre eine Suspension des Amtshaftungsrechts bei militärischen Operationen deutscher Streitkräfte bedenklich: Ausfluss des Verfassungsziels der internationalen Zusammenarbeit ist, dass das Grundgesetz nicht nur den geltenden völkerrechtlichen Normbestand respektiert und achtet, indem es ihm innerstaatliche Geltung verschafft, sondern zudem darauf ausgerichtet ist, „im innerstaatlichen Rechtsraum die Befolgung völkerrechtlicher Gebote zu fördern und zu erleichtern“68. Prinzip 15 der Basic Principles der UN-Men65

s. zur Nachrangigkeit des schadensersatzrechtlichen Sekundärrechtsschutzes z. B. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 34 Rdn. 83. 66 So auch Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, in: ZaöRV 66 (2006), 699 [712]; Dutta und Schwager kommen u. a. mit Blick auf das im Grundgesetz verankerte Rechtsstaatsprinzip zum selben Ergebnis, s. Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [213]; Schwager, Ius bello confecto et bello durante, S. 214 f. 67 So auch Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [218]. 68 Tomuschat, in: Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdStR, Bd. VII, § 172 Rdn. 8.

A. Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen

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schenrechtskommission etwa richtet an die Staaten das Gebot, Opfern von schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, die den Staaten zuzurechnen sind, eine Wiedergutmachung bereitzustellen (s. bereits oben). Ein Ausklammern militärischer Operationen der Bundeswehr in ausländischen Krisengebieten vom Anwendungsbereich des Amtshaftungsrechts wäre aber mit diesem völkerrechtlichen Gebot kaum in Einklang zu bringen – und liefe letztlich auf eine Missachtung des zum Verfassungsziel erhobenen Grundsatzes der internationalen Zusammenarbeit hinaus. Nun könnte man gegen die aufgrund der Wertungen des Grundgesetzes bejahte Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf militärische Handlungen der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen womöglich einwenden, dass der historische Gesetzgeber die Verwendung der Bundeswehr zu Auslandseinsätzen und die dabei verursachten Schäden an unbeteiligten Zivilisten im Zeitpunkt der Erarbeitung der Vorschrift des Art. 34 GG nicht vorhergesehen habe und eine Ausdehnung des Amtshaftungsrechts auf diese Schadensfälle nicht intendiert gewesen sei. Allerdings lässt sich auch dieses Argument entkräften, ohne dabei indes die Thematik der Geltung von Grundrechten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten69 in ihrer ganzen Breite abhandeln zu wollen: Zwar ist das gegenwärtige Ausmaß der internationalen Einbindung Deutschlands, zu der seit 1990 auch Auslandseinsätze der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung hinzukommen sind, im Jahre 1949 für den Parlamentarischen Rat, der mit der Ausarbeitung des GG betraut war, wohl kaum vorhersehbar gewesen.70 Trägt man aber sowohl dem tatsächlichen Umstand Rechnung, dass angesichts der heutigen internationalen Verflechtung der klassische Zusammenhang zwischen Staatsgebiet und Staatsgewalt relativiert wird und somit die Ausübung von Staatsgewalt über das Staatsgebiet hinausgeht, als auch der grundgesetzlichen Vorgabe des Art. 1 III GG, der eine umfassende Bindung deutscher Hoheitsträger an die Grundrechte des GG anordnet, so wird man daraus ableiten können, dass die Geltung der Grundrechte nicht räumlich auf den Bereich des Bundesgebietes beschränkt ist, zumal Vorschriften wie zum Beispiel Art. 24 II GG dem Bund eine internationale, grenzenüberschreitende Zusammenarbeit gerade ermöglichen.71 Mit dieser extraterritorialen Geltung der Grundrechte muss die Gewähr69 Ausführlich zur Bindung der Bundeswehr an die Grundrechte im Auslandseinsatz s. Werner, Die Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 75 ff., 96 f., 117 ff. Allgemein zur Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte bei grenzüberschreitenden Sachverhalten s. etwa Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte. 70 Vgl. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 1 f., 11. 71 Die Geltung der Grundrechte bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist in der Lehre einhellig anerkannt, s. z. B. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 23, 28 f.; Quaritsch, in: Isensee/P. Kirchhof, HdStR, Bd. V, § 120 Rdn. 73; Schröder, Wirkkraft der Grundrechte des Grundgesetzes bei Sachverhalten mit grenzüberschreitenden Elementen, in: von Münch (Hrsg.), Staatsrecht – Völkerrecht – Europarecht. Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer, S. 137 [138]; Werner, Die Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 97 f., 111. Ein Überblick zum Meinungsstand in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und im verfassungsrechtlichen Schrifttum findet sich bei Hofmann,

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

leistung primärer und sekundärer Rechtsschutzmöglichkeiten einhergehen, um den materiell-rechtlichen Gewährleistungen der Grundrechte auch zur Durchsetzung verhelfen zu können. Daher kann das Argument, der historische Gesetzgeber habe eine Verwendung der Bundeswehr zu Auslandseinsätzen und die dabei verursachten Schäden an unbeteiligten Zivilisten nicht vorhersehen können und dementsprechend eine Erstreckung des Amtshaftungsrechts auf diese Schadensfälle nicht intendiert, nicht gegen eine Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen vorgebracht werden. Im Lichte der herausgearbeiteten völkerrechtlichen und national-rechtlichen Gesichtspunkte, die eine Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen nahelegen, kann letztlich auch der Verweis auf die Möglichkeit der Ausübung diplomatischen Schutzes durch den Heimatstaat des geschädigten Opfers keinen anderen Schluss als die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen zulassen: Würde man den Geschädigten auf den Weg des diplomatischen Schutzes verweisen, so steht diesem nur ein subjektiver Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung zu, der angesichts des weiten Ermessensspielraums einer Regierung in auswärtigen Angelegenheiten in der Regel nicht realisierbar ist.72 Kann der Geschädigte sich nun – mangels Anwendbarkeit – nicht auf das nationale Amtshaftungsrecht stützen und sind auch keine sondergesetzlichen öffentlich-rechtlichen Anspruchsgrundlagen in Sicht, wäre er daher schutzlos gestellt. Dies kann aber weder im Interesse einer Völkerrechtsordnung liegen, die mehr und mehr Rechte des Einzelnen begründet und die Staaten dazu verpflichtet bzw. anhält, Entschädigungen nach nationalem Recht für Verletzungen völkerrechtlicher individualbezogener Normen zu gewähren, noch im Sinne des Grundgesetzes sein, das die Subjektstellung des Einzelnen und dessen subjektiven Rechte als Leitbild hat (s. oben).73 3. Öffentliche-rechtliche Entschädigungsregelungen Das hier erzielte Ergebnis – grundsätzliche Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen – steht dem Erlass abweichender, in Zeiten bewaffneter Konflikte einschlägiger Regelungen durch den Gesetzgeber nicht entgegen, solange dabei die institutionelle Garantie der Staatshaftung und damit die Sicherung grundrechtlich verbürgter individueller Rechte und des Rechtsstaatsprinzips gewahrt bleibt. Durch einfach-gesetzliche Regelungen kann Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 12 – 23 sowie bei Werner, Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 80 – 87. Zur Frage des Umfangs der Anwendbarkeit der Grundrechte bei grenzüberschreitenden Sachverhalten s. etwa Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 30 ff. 72 s. Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, in: ZaöRV 66 (2006), 699 [711]. 73 s. auch OLG Köln NJW 58 (2005), 2860 [2862].

A. Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen

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der Gesetzgeber die Staatshaftung und damit auch die Haftung Deutschlands für durch Amtswalter begangene schuldhafte Verletzungen drittschützender Amtspflichten gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG abändern bzw. Ausnahmen von der Staatshaftung vorsehen. Diese Befugnis zu Modifikationen und Ausnahmen ist durch den Wortlaut des Art. 34 GG gedeckt, wonach der Staat „grundsätzlich“ für die Verletzung drittschützender Amtspflichten durch einen Amtswalter verantwortlich ist.74 So hat der deutsche Gesetzgeber in der Nachkriegszeit und nach der Wiedervereinigung mit dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) und dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (StiftG) sondergesetzliche öffentlich-rechtliche Entschädigungsregelungen erlassen, die einen pauschalen Schadensausgleich für die vom NS-Regime Geschädigten vorsehen und weitergehende Ansprüche nach den allgemeinen Regeln ausschließen.75 Gestützt auf die Regelung des § 8 I BEG hat unter anderem das OLG Köln eine Klage ehemals polnischer Staatsangehöriger, die im Zweiten Weltkrieg zu menschenverachtender Zwangsarbeit herangezogen worden waren, gegen die BRD abgewiesen: Zwar seien die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruches der Kläger erfüllt, eine Geltendmachung dieses Anspruches aber durch § 8 I BEG ausgeschlossen.76 Was konkret Auslandseinsätze der Bundeswehr anbelangt, so ist eine Regelung, die Ansprüche von geschädigten Zivilisten gegen die BRD nach dem Recht der öffentlichen Ersatzleistungen ausschließt, bislang nicht in Sicht. § 7 RBHaftG n.F. verdeutlicht, dass grundsätzlich keine Einschränkungen der Staatshaftung gegenüber Ausländern bestehen [s. bereits oben Teil 3, Gliederungspunkt A. III. 2.] Daher ist zu konstatieren, dass öffentlich-rechtliche Entschädigungsregelungen, die der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts im vorliegenden Falle entgegenstehen könnten, gegenwärtig zumindest nicht vorliegen.

IV. Ergebnis zur Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr Die Untersuchung der Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr hat gezeigt, dass das Amtshaftungsrecht in solchen Fällen zur Anwendung gelangt.

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s. nur Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 336. s. z. B. § 8 I BEG: „Ansprüche gegen das Deutsche Reich, die Bundesrepublik Deutschland und die deutschen Länder können unbeschadet der in § 5 genannten und der durch § 228 Abs. 2 aufrechterhaltenen Vorschriften nur nach diesem Gesetz geltend gemacht werden, wenn sie darauf beruhen, daß durch Maßnahmen, die aus den Verfolgungsgründen des § 1 getroffen worden sind, Schaden entstanden ist.“ 76 OLG Köln NJW 52 (1999), 1555 [1556]. Zum Ausschluss aus dem Krieg herrührender Forderungen auf Grund des StiftG s. BVerfG NJW 57 (2004), 3257 [3258]. 75

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

In kollisionsrechtlicher Hinsicht wurde herausgearbeitet, dass bei hoheitlichem Handeln – entgegen dem Tatortprinzip – auf das Recht des Amtsstaates abzustellen ist [s. Teil 3, Gliederungspunkt A. I.]. Die Regelungen des deutschen Amtshaftungsrechts werden auch nicht durch das Völkerrecht verdrängt, da die Völkerrechtsordnung insgesamt nicht als exklusiv gegenüber dem deutschen Recht anzusehen ist [s. Teil 3, Gliederungspunkt A. II. 1.], und bis dato ein spezieller völkerrechtlicher Individualanspruch auf Sekundärebene, der womöglich amtshaftungsrechtlichen Ansprüchen vorgehen könnte, nicht existiert [s. Gliederungspunkt A. II. 2.]. Der Umstand eines bewaffneten Konfliktes steht der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts ebenfalls nicht entgegen: Im Rahmen der Untersuchung der Vereinbarkeit der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. auf militärische Verhaltensweisen mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung wurde deutlich, dass die überwiegenden Gründe für eine Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts sprechen [s. Teil 3, Gliederungspunkt A. III. 1.]; eine Suspendierung des Amtshaftungsrechts gestützt auf das Argument des in bewaffneten Konflikten herrschenden Ausnahmezustandes kommt – entgegen der Entscheidung des LG Bonn im Fall Varvarin – nicht in Betracht [s. Teil 3, Gliederungspunkt A. III. 2.]. Daher ist eine Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf bewaffnete Konflikte bzw. militärische Verhaltensweisen in völker- und national-rechtlicher Hinsicht unbedenklich, angesichts des Wandels des Völkerrechts und der Vorgaben des GG sogar wünschenswert. Ob die (Zivil-)Gerichte, die in Zukunft über die Klagen von bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr geschädigten Zivilisten zu entscheiden haben, dieser Linie auch folgen werden, erscheint allerdings ungewiss. Denn die Anwendbarkeit des deutschen Amtshaftungsrechts auf Auslandseinsätze der Bundeswehr dürfte – wie bereits in Teil 3, Gliederungspunkt A. III. 1. angedeutet – ungeachtet ihrer rechtlichen Zulässigkeit politische Implikationen haben, sei es dass von Bundeswehr-Seite geltend gemacht wird, die Durchführung von Auslandseinsätzen sei angesichts des unübersehbaren Haftungsrisikos nicht mehr möglich, sei es dass verbündete Bündnispartner monieren, die Bundeswehr sei aufgrund des Damokles-Schwertes der Haftung nur noch bedingt bündnis- und kampfeinsatzfähig. Diese politischen Implikationen lassen eine Einflussnahme auf die Gerichtsbarkeit und dementsprechend gefärbte Entscheidungen als nicht ganz fernliegend erscheinen.

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG I. Dogmatik der Amtshaftung Der Grundsatz der Haftung des Staates für einem Dritten widerfahrenes, durch einen Amtswalter verübtes hoheitliches Unrecht ist in Art. 34 S. 1 GG verankert.77 Das Recht der Staatshaftung umfasst das Institut der Amtshaftung. Neben der Amtshaftung haben Rechtsprechung und Lehre eine Reihe weiterer öffentlich-rechtlicher Haftungs- und Entschädigungsinstitute entwickelt, mit denen Haftungslücken, die aus der beschränkten Regelungsperspektive des § 839 BGB und des Art. 34 GG resultieren, im Wege der richterrechtlichen Rechtsfortbildung geschlossen worden sind.78 Dazu zählen unter anderem der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff, der Anspruch aus Aufopferung sowie der Folgenbeseitigungsanspruch [s. zu diesen Ansprüchen Teil 3, Gliederungspunkt C. sowie zu den Konkurrenzen Gliederungspunkt B. V.]. Die geltende Rechtsgrundlage für den Anspruch aus Amtshaftung bildet § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Dabei begründet § 839 BGB die Haftung des Beamten für die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, wohingegen Art. 34 GG diese Haftung auf den Staat überleitet.79 Diese personale Konstruktion des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bringt es zum einen mit sich, dass der Amtshaftungsanspruch nur solche Forderungen erfassen kann, die der Beamte auch selbst als Privatperson erfüllen kann.80 Sie hat zum anderen zur Konsequenz, dass der Staat nur unter den Voraussetzungen haftet, unter denen auch der Beamte persönlich gemäß § 839

77 s. auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 1 sowie von Danwitz, in: von Mangoldt/F. Klein/Starck (Hrsg.), Art. 34 GG Rdn. 1, die auf die Bereiche des Rechts der öffentlichrechtlichen Ersatzleistungen hinweisen, die durch die Festlegung des Art. 34 GG auf hoheitliches Unrecht und damit auf eine rechtswidrige Ausübung öffentlicher Gewalt thematisch nicht erfasst werden. Außerhalb der Regelungsperspektive des Art. 34 GG sind neben den Entschädigungsansprüchen aus Enteignung und Aufopferung wegen rechtmäßigen hoheitlichen Handelns, der Haftung wegen privatrechtlichen Handelns sowie der Haftung aus verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen auch eine Gefährdungshaftung von Hoheitsträgern und die öffentlich-rechtliche Erstattung. 78 s. zu diesen richterrechtlichen Haftungs- und Entschädigungsinstituten Bonk, in: Sachs (Hrsg.), Art. 34 GG Rdn. 33 ff.; Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 44; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 34 GG Rdn. 3; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 25 ff.; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 428 ff. Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Institute findet sich auch bei Ossenbühl, Staatshaftungsrecht. 79 Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 12; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 20; BVerfGE 61, 149 [198]. 80 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 11.

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

BGB ohne Haftungsüberleitung haften würde.81 So haftet der Staat insbesondere nur dann, wenn den Beamten ein Verschulden trifft. Das Zusammenspiel von § 839 BGB und Art. 34 GG führt zu einer Einschränkung und einer Erweiterung des Anwendungsbereiches des § 839 BGB, der für sich betrachtet nur privat-rechtliches Handeln eines Beamten erfasst:82 Die Einschränkung liegt darin, dass § 839 BGB lediglich die Verletzung einer einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht voraussetzt, während Art. 34 GG zusätzlich fordert, dass dies „in Ausübung eines […] öffentlichen Amtes“ geschehen ist. Die Wahrnehmung privat-rechtlicher Belange des Staates ist von Art. 34 GG also nicht erfasst.83 Die Erweiterung erfolgt dadurch, dass nach Art. 34 GG nicht ein „Beamter“ wie in § 839 BGB, sondern „jemand“ gehandelt haben muss. Art. 34 GG geht also insoweit über § 839 BGB hinaus, als die Vorschrift nicht nur Beamte im engeren Sinne wie § 839 BGB erfasst (staatsrechtlicher Beamtenbegriff), sondern alle öffentlichen Amtsträger (haftungsrechtlicher Beamtenbegriff).84 Rechtssystematisch gehört die in § 839 BGB und Art. 34 GG normierte Amtshaftung zum Bereich der unerlaubten Handlungen.85 Das Delikt besteht in der Verletzung einer Amtspflicht, die einem Dritten gegenüber zu beachten ist. Aufgrund der Zuordnung des Amtshaftungsanspruches gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zum Bereich der unerlaubten Handlungen finden grundsätzlich die allgemein für unerlaubte Handlungen geltenden Vorschriften, unter anderem § 830 BGB, Anwendung.86 Gesetzt den Fall, dass deutsche Stellen im Rahmen eines Auslandeinsatzes unter dem Dach eines internationalen Bündnisses keine Verletzung drittschützender Amtspflichten begangen haben, besteht damit immer noch die Möglichkeit der Zurechnung einer unerlaubten Handlung eines anderen Bündnispartners gemäß den Vorgaben des § 830 BGB [s. dazu unten Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 6.].87

81 Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 121; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 12; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 23; BGHZ 146, 385 [388 f.]. 82 Vgl. Grezeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 39; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 16. 83 Grezeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 6; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 122; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 15; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 32. 84 Grezeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 15; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 15; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 127; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 32. 85 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.10; zu den Erweiterungen und Einschränkungen, die die Vorschrift des § 839 BGB im Vergleich zur Anwendung der allgemeinen deliktsrechtlichen Vorschriften der §§ 823 ff. BGB mit sich bringt, s. Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 28 f. 86 Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 30. 87 s. etwa BGHZ 169, 348 [358 ff., Ziff. 21 – 24].

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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II. Vorliegen der Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruches gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr Die Begründung eines Amtshaftungsanspruches gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG setzt voraus, dass (1) jemand, also ein Beamter im engeren Sinne oder ein sonstiger öffentlicher Amtsträger, (2) in Ausübung eines öffentlichen Amtes (3) eine ihm gegenüber einem Dritten obliegende Amtspflicht verletzt, diese Amtspflichtverletzung einen (4) kausalen Schaden hervorruft und (5) schuldhaft erfolgt.88 Den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit bilden Auslandseinsätze der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung [s. Teil 1, Gliederungspunkt C.]. Die im Rahmen solcher konfliktverhütenden und krisenbewältigenden Auslandseinsätze denkbaren bzw. tatsächlich erfolgten militärischen Handlungen reichen von der Planung bzw. Ausführung von Luftangriffen über Kampfhandlungen auf belebten, städtischen Plätzen bis hin zu willkürlichen Schädigungs- und Tötungshandlungen [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. b)]. Solche militärische Handlungen der Bundeswehr können zu einer Verletzung humanitärer und menschenrechtlicher Normen führen [s. Teil 2, Gliederungspunkte A. IV. 1. c) bis A. IV. 1. e)]. Es soll nunmehr untersucht werden, ob die durch militärische Handlungen der Bundeswehr im Rahmen von Auslandseinsätzen zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zum Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen führen und dementsprechend ein Amtshaftungsanspruch der geschädigten Zivilisten gegen die BRD gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG wegen der erlittenen Schäden begründet wird. 1. Handelnder Amtsträger – „Jemand“ (Art. 34 GG) Wie oben bereits in Teil 3, Gliederungspunkt B. I. angedeutet, wird vom Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht nur das Handeln von Beamten im staatsrechtlichen Sinne, sondern darüber hinausgehend auch das Verhalten all derjenigen Personen ohne Rücksicht auf ihre staatsrechtliche Qualifikation erfasst, die hoheitliche Aufgaben ausüben, die ihnen vom Staat oder einer sonstigen Körperschaft anvertraut worden sind (haftungsrechtlicher Beamtenbegriff).89 Für diesen haftungsrechtlichen Beamtenbegriff ist die nach außen wahrgenommene Funktion, nicht das persönliche Rechtsverhältnis des schädigenden Amtsträgers zum Staat maßgeblich.90 Damit kommen auch Personen, die nicht in einem beamten88

s. nur Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 100. Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 101; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 13 f.; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 130; Pfab, Staatshaftung in Deutschland, S. 70 f.; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 15; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 37. 90 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 14; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 131. 89

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis, sondern in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder in einem privat-rechtlichen Dienstverhältnis zum Staat stehen, als handelnde Amtsträger im Sinne des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht.91 In einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Staat stehen etwa Richter und Zivildienstleistende.92 Auch Soldaten stehen in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur BRD, und zwar in einem „Wehrdienstverhältnis“ (§ 1 I SoldatenG)93, gleichviel ob es sich um Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit oder um Wehrdienstleistende handelt.94 Die im Rahmen von Auslandseinsätzen eingesetzten Bundeswehr-Soldaten sind damit Amtsträger, deren Handeln einen Amtshaftungsanspruch geschädigter Zivilisten gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegen die BRD begründen kann.95 2. In Ausübung eines öffentlichen Amtes Die schädigende Handlung der Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz müsste „in Ausübung eines […] anvertrauten öffentlichen Amtes“ erfolgt sein. Ein bestimmtes Verhalten einer Person ist dann als Ausübung eines öffentlichen Amtes anzusehen, wenn die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinne die Person tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und wenn zwischen dieser – hoheitlichen – Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die schädigende Handlung ebenfalls noch als vom Bereich hoheitlicher Betätigung umfasst angesehen werden muss.96 Dementsprechend handelt in Ausübung eines anvertrauten öffentlichen Amtes unter anderem jeder, der hoheitliche Aufgaben auf dem Gebiet der vollziehenden Gewalt wahrnimmt.97 Das Tätigwerden eines Bundeswehr-Soldaten im Rahmen eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung unter dem Dach der NATO, EU oder UN könnte eine solche Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben auf dem Gebiet der vollziehenden Gewalt sein.

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Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 101; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 131; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 42. 92 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 13; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 131; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 42. 93 § 1 I SoldatenG lautet: „Soldat ist, wer auf Grund der Wehrpflicht oder freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis steht.“ 94 Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 43. 95 Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 733. 96 BGHZ 42, 176 [179]; BGHZ 68, 217 [218]; BGHZ 69, 128 [130 f.]; BGHZ 108, 230 [232]; BGHZ 118, 304 [305]; BGHZ 147, 169 [171]. 97 Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 81.

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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Die vollziehende Gewalt bzw. Exekutive eines Staates ist vornehmlich mit der Ausführung und dem Vollzug von Gesetzen betraut, kann aber neben dieser ordnenden Funktion auch planerische Aufgaben wahrnehmen (vgl. § 1 V BauGB).98 Die Bundeswehr nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als sie in Organisation, Handeln und Recht nicht von Elementen wie der ordnenden und planerischen Gestaltung des Gemeinwesens bestimmt wird, sondern sich an der Bekämpfung eines äußeren Feindes mit militärischen Mitteln ausrichtet.99 Trotz dieser Sonderstellung ist die Bundeswehr aber letztlich in die Exekutive der BRD als Gesamtheit einbezogen und nicht etwa als „vierte Gewalt“ im Staate anzusehen.100 Der hoheitliche bzw. verfassungsrechtliche Aufrag der zur vollziehenden Gewalt zugehörigen Bundeswehr besteht zunächst in der Verteidigung Deutschlands gegen eine äußere Bedrohung (Art. 87 a II GG).101 Der in Art. 87 a II GG niedergelegte Auftrag der Bundeswehr zur (Landes-)Verteidigung ist jedoch infolge der welt- und sicherheitspolitischen Umbrüche seit 1990 in den Hintergrund getreten. Der – politisch definierte – Auftrag der Bundeswehr besteht gegenwärtig vor allem darin, die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands zu sichern und einen Beitrag zur Stabilität im europäischen und globalen Rahmen zu leisten.102 Die gemäß dieses Auftrags erfolgenden Auslandseinsätze der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen der NATO, EU und UN gehören auf absehbare Zeit zu den wahrscheinlicheren Aufgaben der Bundeswehr.103 Die verfassungsrechtliche Grundlage für solche konfliktverhütenden und krisenbewältigenden Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der NATO, EU und UN liefert Art. 24 II GG, der ausdrücklich zwar nur die „Einordnung“ der BRD in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zulässt, nach der Auslandseinsatzentscheidung des BVerfG aber auch zum Einsatz der Bundeswehr in einem solchen System ermächtigt.104 Damit lassen sich – im Lichte der gegenwärtigen politischen Vorgaben und der verfassungs98

s. Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 46 I. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 155; F. Kirchhof, in: Isensee/P. Kirchhof, HdStR, Bd. VII, § 84 Rdn. 8. Zu den Schwierigkeiten der Einordnung der Bundeswehr in das Gefüge der drei Staatsgewalten s. auch Werner, Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 120 f. 100 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 157; F. Kirchhof, in: Isensee/P. Kirchhof, HdStR, Bd. VII, § 84 Rdn. 7, 15, der zur Begründung die Stellung des Art. 87 a GG im VIII. Abschnitt des GG, die u. a. die Bundesverwaltung behandelt, sowie die Änderung des Wortlautes der Vorschrift des Art. 1 III GG durch das Gesetz zur Ergänzung des GG vom 19. 03. 1956 heranzieht; Werner, Grundrechtsbindung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, S. 124. 101 F. Kirchhof, in: Isensee/P. Kirchhof, HdStR, Bd. VII, § 84 Rdn. 13 f. 102 s. KdB 2004, S. 14; Weißbuch 2006, Kapitel 3 [Vorgaben und Rahmenbedingungen], S. 65. 103 KdB 2004, S. 14 f.; Weißbuch 2006, Kapitel 3 [Vorgaben und Rahmenbedingungen], S. 67. 104 BVerfGE 90, 286 [345], wonach – konfliktverhütende und krisenbewältigende – Einsätze der Bundeswehr im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit von Art. 24 II GG gedeckt sind. Zu weiteren Einzelheiten s. Teil 1, Gliederungspunkt C. 99

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

rechtlichen Verankerung – Auslandseinsätze der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen der NATO, EU oder UN als hoheitliche Aufgabe auf dem Gebiet der vollziehenden Gewalt einordnen. Was den einzelnen Soldaten und damit potentiellen Amtsträger betrifft, so steht dieser in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zum Staat [s. oben Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 1.] und ist als Angehöriger der Bundeswehr Teil der vollziehenden Gewalt. Kommt er im Zuge eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung zum Einsatz, nimmt er dementsprechend eine hoheitliche Aufgabe auf dem Gebiet der vollziehenden Gewalt wahr. Grundsätzlich wird ein Bundeswehr-Soldat damit bei Auslandseinsätzen in Ausübung eines anvertrauten öffentlichen Amtes gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG handeln. Es könnte aber an dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen – hoheitlicher – Aufgabe und – schädigender – Handlung dann fehlen, wenn der BundeswehrSoldat im Auslandseinsatz seine gesetzlichen oder dienstrechtlichen Befugnisse überschreitet. Dazu ist festzustellen: Grundsätzlich agiert ein Amtswalter nicht schon deshalb außerhalb seiner dienstlichen Tätigkeit, weil er gesetzlichen Bestimmungen oder Dienstvorschriften zuwider handelt.105 So ist zum Beispiel der gesetzes- oder dienstvorschriftswidrige Einsatz einer Schusswaffe zu dienstlichen Zwecken dennoch als Tätigkeit „in Ausübung“ eines öffentlichen Amtes anzusehen.106 Die Soldaten der Bundeswehr sind kraft Gesetz und Dienstvorschrift (= ZdV 15/2) gehalten, die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten zu beachten [s. unten Teil 2, Gliederungspunkt B. II. 3. a)]. Kommt es in Fällen wie in Beispiel 1 oder 2 zu einem nach humanitärem Völkerrecht untersagten Schusswaffengebrauch, indem etwa Bundeswehr-Soldaten anstelle von militärischen Zielen im Sinne des Art. 52 II ZP-I zivile Ziele bombardieren oder anstelle von Kombattanten Zivilpersonen im Sinne des Art. 50 I ZP-I unter Beschuss nehmen, und damit zu einer Übertretung gesetzlicher und dienstvorschriftlicher Vorgaben, dann entfällt dadurch nicht der zwischen hoheitlicher Tätigkeit und schädigender Handlung erforderliche Zusammenhang. Etwas anderes könnte für den Fall gelten, dass sich die schädigende und gegen Verbote des humanitären Völkerrechts verstoßende Handlung als Missbrauch darstellt.107 Ein solcher den inneren Zusammenhang zwischen Hoheitsausübung und Schädigung unterbrechender Missbrauch könnte insbesondere bei der Begehung von Kriegsverbrechen durch Bundeswehr-Soldaten, worunter auch willkürliche Schädigungs- und Tötungshandlungen wie in Beispiel 3 fallen, gegeben sein. 105

Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 8; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 189; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 92 ff. 106 Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 189 unter Bezugnahme auf BGHZ 11, 181 ff. 107 s. Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 8.

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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Von einem missbräuchlichen, den inneren Zusammenhang ausschließenden Gebrauch einer (Dienst-)Waffe geht der BGH zum Beispiel dann aus, wenn ein Beamter zwar während des Dienstes, aber aus rein persönlichen Gründen, zum Beispiel aus Rache, mit seiner Dienstwaffe auf eine Person schießt.108 Ob sich aber etwa Kriegsverbrechen tatsächlich in die vom BGH gebildete Fallgruppe „Handeln aus persönlichen Gründen ohne jede Beziehung zur Amtsausübung bzw. zur Amtspflicht“ einordnen lassen und demzufolge bei einer Begehung von Kriegsverbrechen der erforderliche Zusammenhang zwischen Amtsausübung und Schädigung entfällt, erscheint zweifelhaft: Zwar erscheint es nicht völlig ausgeschlossen, dass sich kriegsverbrecherische Handlungen mit persönlichen Antriebsgründen mischen. Allerdings ist auch zu bedenken, dass im Auslandseinsatz befindlichen Bundeswehr-Soldaten im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen die (Amts-)Pflicht obliegt, die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts einzuhalten (s. Bestimmungen der ZDv 15/2). Ausgehend von diesem Pflichtenstatus würde die Begehung von Kriegsverbrechen, also schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts, ein unmittelbares Zuwiderhandeln gegen die den Bundeswehr-Soldaten obliegende Amtspflicht bedeuten. Damit steht die Begehung von Kriegsverbrechen nicht außerhalb und ohne jede Beziehung zum Pflichtenstatus der im Ausland eingesetzten Soldaten, sondern im direkten – negativen – Zusammenhang mit einer den Bundeswehr-Soldaten obliegenden Amtspflicht. Außerdem ist die Begehung von Kriegsverbrechen während eines bewaffneten Konfliktes, so verwerflich sie auch sein mögen, nicht derart vom hoheitlichen Tätigkeitskreis der Soldaten im Auslandseinsatz, der Erzwingung bzw. Wahrung von Frieden in Krisengebieten, losgelöst, dass die verbrecherischen Handlungen als völlig außerhalb der Amtsausübung liegend erscheinen: So stellt die Folter von Personen zwar unstreitig ein Kriegsverbrechen dar, dient aber zumeist der Erzwingung von Aussagen über Verstecke und Aufenthaltsorte von gegnerischen Aufständischen und steht damit zwangsläufig im Zusammenhang mit der Aufgabe der Soldaten, den Frieden in Krisengebieten zu erzwingen bzw. zu wahren. Vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind zwar durch keinerlei militärische Notwendigkeit gerechtfertigt und zweifellos ein Kriegsverbrechen, häufig aber auch Teil der Kampfhandlungen, um die Moral des Gegners zu brechen und dessen Aufgabe zu erzwingen. Die in dieser Arbeit eingenommene Sicht, wonach die Begehung von Kriegsverbrechen nicht als den inneren Zusammenhang zwischen Amtsausübung und schädigender Handlung ausschließender Missbrauch anzusehen ist, wird durch die Ent108 BGHZ 11, 181 [187 f.]. Mit dieser Auffassung schließt sich der BGH der Sicht des RG an, demzufolge ein innerer Zusammenhang zwischen Hoheitsausübung und Schädigung zum Beispiel dann nicht gegeben war, wenn ein Polizeibeamter während seiner Dienstzeit, aber ohne jeden dienstlichen Anlass, eine Schankwirtschaft betritt und dort aus rein persönlichen Gründen in Streit mit jemanden gerät, dabei von seiner Dienstwaffe Gebrauch macht und den anderen verletzt, s. RGZ 104, 286 [290]. Den inneren Zusammenhang schloss das RG auch in einem Fall aus, in dem ein Nachtwächter aus rein persönlichen Beweggründen auf einen anderen schoss, s. RGZ 159, 235 [238].

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

scheidung des BGH im Fall Distomo – indirekt – bestätigt. Hintergrund dieser Entscheidung war ein von SS-Einheiten in einem griechischen Ort an der Dorfbevölkerung begangenes Massaker. Der BGH hat entschieden, dass die durch die SS-Truppen begangenen Kriegsverbrechen die Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 131 WRV erfüllen.109 Dementsprechend muss aus Sicht des BGH auch der erforderliche innere Zusammenhang zwischen hoheitlicher Tätigkeit und schädigender Handlung und damit das Tatbestandsmerkmal „in Ausübung“ eines anvertrauten öffentlichen Amtes vorgelegen haben, auch wenn der BGH auf das Vorliegen dieses Merkmals nicht explizit eingegangen ist. In völkerrechtlicher Hinsicht ist eine solche Sichtweise insofern begrüßenswert, als sie sich mit der in Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I getroffenen Regelung, wonach die Vertragsstaaten und damit auch die BRD für „alle“ von ihren Streitkräften begangenen Verstöße gegen humanitäre Bestimmungen, also auch Kriegsverbrechen, ersatzpflichtig sind, deckt [s. dazu Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. a)]. 3. Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht Anknüpfungspunkt für das Tatbestandsmerkmal „Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht“ ist die im zweiten Teil der Arbeit untersuchte Verletzung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte. a) Verletzung einer Amtspflicht Die konstruktive Besonderheit der Amtshaftung als einer auf den Staat übergeleiteten Haftung für das Handeln seiner Amtswalter findet ihren Ausdruck unter anderem in dem Erfordernis der Verletzung einer Amtspflicht. Ähnlich wie jeder Arbeitnehmer hat der Amtswalter Dienstpflichten gegenüber seinem Dienstherrn; ein Teil dieser Pflichten obliegt ihm zugleich als Amtspflicht gegenüber Dritten. Grundlage des Tatbestandes der Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist die Verletzung einer Dienstpflicht, die dem Amtswalter zugleich gegenüber Dritten obliegt [zum Merkmal des Drittschutzes der Amtspflicht s. den nachfolgenden Gliederungspunkt B. II. 3. b)].110 Die Amtspflicht gegenüber Dritten wird demnach aus der internen Dienstpflicht des Amtswalters abgeleitet, sie wird nicht, jedenfalls nicht ausschließlich, durch die Rechte und Pflichten zwischen Staat und Bürgern bestimmt. Amtspflichten können sich nicht nur aus – im Außenverhältnis zwischen Staat und Bürger geltenden – Normen, sondern auch aus bloßen – im Innenverhältnis zwischen Dienstherr und Amts-

109

BGH NJW 56 (2003), 3488 [3492]. Art. 131 WRV enthält ebenfalls die Voraussetzung „in Ausübung“ eines öffentlichen Amtes. 110 Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 16.

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walter einschlägigen – Verwaltungsvorschriften oder Einzelweisungen ergeben.111 Aus dieser Systematik folgt für die herrschende Ansicht, dass es für die Beurteilung einer Amtspflichtverletzung maßgeblich auf das dienstpflichtwidrige Verhalten des Beamten ankommt, nicht auf die Rechtswidrigkeit der behördlichen Maßnahme.112 So hat die Weisung eines Vorgesetzten an einen Untergebenen beispielsweise zur Folge, dass das an sich rechtswidrige Verhalten des Untergebenen nicht als amtspflichtwidrig zu werten ist.113 Allgemein ist der Amtswalter verpflichtet, gemäß den gesetzlichen Vorgaben zu handeln. Diese Amtspflicht zu rechtmäßigem Handeln ergibt sich aus Art. 20 III GG, wonach die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist.114 Speziell für die Soldaten der Bundeswehr ergibt sich die Amtspflicht zu rechtmäßigem Handeln und zur Einhaltung der bestehenden Gesetze auch aus dem von ihnen gemäß § 9 SoldatenG geleisteten Eid.115 Diese Pflicht zu rechtmäßigem Handeln umfasst auch die Pflicht der Soldaten, die Normen des humanitären Völkerrechts einzuhalten, die gemäß Art. 59 II 1 GG bzw. Art. 25 GG Geltung im deutschen Rechtsraum entfalten. Aber nicht nur kraft Art. 20 III GG und § 9 SoldatenG ergibt sich für die Soldaten die Amtspflicht zu (humanitär-) rechtmäßigem Handeln. Die vom BMVg ausgegebene ZdV 15/2 verpflichtet die Soldaten der Bundeswehr in Ziffer 211, die Regeln des humanitären Völkerrechts bei militärischen Operationen in allen bewaffneten Konflikten, gleichgültig welcher Art, zu beachten.116 Darüber hinaus sind die Bundeswehr-Soldaten im Rahmen der Amtspflicht zu rechtmäßigem Handeln verpflichtet, die Bestimmungen der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) einzuhalten, die gemäß Art. 59 II 1 GG innerstaatliche Geltung erlangen.117 Eine Verletzung dieser Amtspflicht zu (humanitär-) rechtmäßigem Handeln liegt dann vor, wenn der Amtswalter der Amtspflicht zuwidergehandelt, sprich (humani111 Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 16; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 42. 112 Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 16. Kritisch zur Konstruktion der h.A. Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 11, 191 f. 113 Zum Auseinanderfallen von Amtspflichtwidrigkeit und Rechtswidrigkeit s. auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 55 f. 114 s. nur Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 43. 115 Die Formel des Eids gem. § 9 SoldatenG lautet: „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe (Hervorhebung durch den Verfasser).“ 116 ZdV 15/2, Ziff. 211: „… Ebenso wie ihre Verbündeten beachten Soldaten der Bundeswehr die Regeln des humanitären Völkerrechts bei militärischen Operationen in allen bewaffneten Konflikten, gleichgültig welcher Art.“ 117 s. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 405. Dass Amtspflichten auch in der EMRK ihre Grundlage haben können, dazu s. BGH NJW 19 (1966), 726.

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tär-) rechtswidrig gehandelt hat. Hat der Bundeswehr-Soldat zum Beispiel entgegen der aus Art. 48, 51 II ZP-I resultierenden Verpflichtung, Angriffe nur gegen Kombattanten, nicht gegen Zivilpersonen zu richten, eine Zivilperson angegriffen, so hat er die ihm obliegende Amtspflicht zu (humanitär-) rechtmäßigem Handeln verletzt. Da es – wie oben bereits ausgeführt – zur Beurteilung des Vorliegens einer Amtspflichtverletzung auf den Pflichtenstatus des Amtswalters im Verhältnis zu seinem Dienstherrn, nicht aber auf die (Außenrechts-)Pflichten des Staates gegenüber seinen Bürgern ankommt, kann es zu Konstellationen kommen, in denen ein BundeswehrSoldat zwar (humanitär-) rechtswidrig und damit objektiv gesehen amtspflichtwidrig gehandelt hat, aufgrund eines Befehls (bzw. einer Weisung) eines Vorgesetzten und der dadurch ausgelösten Gehorsamspflicht gemäß § 11 I SoldatenG aber verpflichtet war, entsprechend zu handeln, so dass das sein Verhalten nicht als Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu werten ist. In einem solchen Falle eines nach außen hin rechtswidrigen, im Innenverhältnis dagegen als amtspflichtgemäß zu betrachtenden Verhaltens trifft der Vorwurf der Amtspflichtverletzung den rechtswidrig anweisenden Amtswalter, also hier den Vorgesetzten des Bundeswehr-Soldaten.118 Dieser Vorgesetzte steht genauso wie der angewiesene Soldat im Dienste des Bundes,119 so dass für dessen Verhalten ebenfalls die BRD und nicht etwa ein anderer Hoheitsträger gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG einzustehen hat. Die mit dem Auseinanderfallen von Amtspflichtwidrigkeit und Rechtswidrigkeit für den von hoheitlichem Unrecht betroffenen Bürger verbundene Gefahr, mangels Kenntnis behördeninterner Weisungen bzw. Befehle den passivlegitimierten Hoheitsträger zu verfehlen, ist im Falle von – aufgrund von Befehlen erfolgendem – Fehlverhalten von Bundeswehr-Soldaten also nicht gegeben. Ausführungen, in wie weit an der Trennung von Amtspflichtwidrigkeit und Rechtswidrigkeit festzuhalten ist bzw. wie diese Trennung und die damit verbundenen Gefahren für den betroffenen Bürger überwunden werden können, erübrigen sich damit für die vorliegende Arbeit.120 Die Gehorsamspflicht des Soldaten – und damit die Amtspflichtgemäßheit seines Verhaltens – entfällt allerdings dann, wenn die Ausführung eines dem Soldaten erteilten Befehls eine Straftat darstellen würde (§ 11 II SoldatenG). Schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die durch das VStGB kriminalisiert werden, stellen zum Beispiel eine solche Straftat dar. Befolgt der Soldat einen auf die Begehung von Kriegsverbrechen gerichteten Befehl trotzdem, handelt er demzufolge amtspflichtwidrig [zum Verschulden des Soldaten in solchen Fällen s. Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 5.].

118 Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [221]. 119 Vgl. Scherer/Alff/Poretschkin, § 1 SoldatenG Rdn. 2. 120 Zur Auflösung des Konfliktes zwischen Amtspflichtwidrigkeit und Rechtswidrigkeit und der damit für den außenstehenden Bürger zusammenhängenden Gefahr der Verlagerung der Passivlegitimation s. z. B. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 56 f.

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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Gegen das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung bei Fehlverhalten von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz könnte – wie bereits in Teil 3, Gliederungspunkt A. III. 1. angedeutet – schließlich vorgebracht werden, dass den zuständigen Stellen der Bundesregierung bzw. der Bundeswehr ein politischer Entscheidungsspielraum im Hinblick auf die Bekämpfung gegnerischer Ziele zuzugestehen ist, der nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Im Fall Varvarin hat der BGH bei der Untersuchung der Mitwirkung deutscher Stellen an der Aufnahme der Brücke von Varvarin in die NATO-Zielliste das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung deutscher Amtswalter gestützt auf das Argument eines politischen, nicht justiziablen Beurteilungsspielraum der militärischen Führungsstellen verneint.121 Erst bei „völliger Unvertretbarkeit und offensichtlicher Völkerrechtswidrigkeit“ sei die Schwelle dieses gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraums überschritten.122 Davon könne im vorliegenden Fall aber nicht die Rede sein, da die Aufnahme der Brücke in die Zielliste mit Blick auf Art. 52 II ZP-I, wonach unter Umständen zu den militärischen Zielen auch Objekte der Infrastruktur wie Straßen, Brücken oder Eisenbahn-Strecken zählen, durchaus vertretbar gewesen sei.123 Die Ausführungen des BGH könnten insbesondere für die Beurteilung von Konstellationen wie in Beispiel 1, also die Planung und Durchführung von Luftangriffen der Bundeswehr, von Relevanz sein. Ob ein politischer, nicht justiziabler Beurteilungsspielraum mit Blick auf militärische Operationen von Bundeswehr-Soldaten in ausländischen Krisengebieten aber zulässigerweise angenommen werden kann, erscheint überaus fraglich: Es ist zwar anerkannt, dass in manchen Bereichen hoheitlichen Handelns eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte besteht. So hebt der BGH in der VarvarinEntscheidung – zur Untermauerung des von ihm angenommenen politischen und gerichtlich nur bedingt überprüfbaren Entscheidungsspielraums – beispielsweise die Rechtsprechung deutscher Gerichte zur Zulässigkeit militärischer Tiefflüge auf deutschem Staatsgebiet hervor.124 Die Entscheidung über die Unterschreitung der an sich erforderlichen Mindestflughöhe ist der deutschen Judikatur zufolge vom verteidigungspolitischen Beurteilungsspielraum des Bundesministers der Verteidigung erfasst und damit grundsätzlich gerichtlich nicht nachprüfbar.125 Zur richtigen Einordnung der Rechtsprechung zur Zulässigkeit militärischer Tiefflüge muss allerdings berücksichtigt werden, dass sich die Annahme eines gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraums des Bundesverteidigungsministers durch die deutschen Gerich121

BGHZ 169, 348 [360 f., Ziff. 25 f.]. BGHZ 169, 348 [361, Ziff. 26]. 123 BGHZ 169, 348 [361 f., Ziff. 27]. 124 BGHZ 169, 348 [361, Ziff. 26]. 125 BGHZ 122, 363 [369]; BVerwG JZ 50 (1995), 510 [511]; BVerwG, Beschluss vom 05. 09. 2006, Az. 4 B 58/06, Ziff. 10; VG Münster NJW 43 (1990), 290 [291]; VG Potsdam, Beschluss vom 24. 09. 2003, Az. 3 L 871/03, Ziff. 27. 122

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

te auf die Vorschrift des § 30 I 3 LuftVG stützt: Nach § 30 I 3 LuftVG darf von den Vorschriften über das Verhalten im Luftraum, und damit den Vorschriften über die Mindestflughöhe abgewichen werden, soweit dies „zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben zwingend notwendig“ ist. Was die Auslandseinsätze der Bundeswehr betrifft, so lässt sich hingegen keine gesetzliche Grundlage ausmachen, die ein Abweichen von den Vorschriften des humanitären Völkerrechts, soweit zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben notwendig, im bewaffneten Konflikt vorsieht und Raum für politische und strategische Überlegungen gibt. Im Gegenteil: Bundeswehr-Soldaten sind bei militärischen Operationen in allen bewaffneten Konflikten, gleichgültig welcher Art, an die Vorschriften des humanitären Völkerrechts gebunden (s. Ziff. 211 der ZDv 15/2).126 Lässt man demzufolge die Tiefflug-Rechtsprechung als nicht geeigneten Nachweis eines bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr bestehenden politischen, nicht justiziablen Beurteilungsspielraum einmal beiseite, dann mag man zwar mit einer gewissen Berechtigung vorbringen können, dass bei militärischen Auslandsoperationen der Bundeswehr die Notwendigkeit für einen politischen, nicht justiziablen Beurteilungsspielraum besteht, um den Soldaten einen Freiraum zum Handeln zu ermöglichen. Ein solcher Freiraum zum Handeln benötigt allerdings keinen politischen, nicht justiziablen Beurteilungsspielraum [s. dazu bereits oben Teil 3, Gliederungspunkt A. III. 1.]: Denn das humanitäre Völkerrecht berücksichtigt ja bereits militärische Notwendigkeiten und lässt damit politische und militär-strategische Spielräume, indem es zum Beispiel die Verluste von Menschenleben – unter Umständen – als zwangsläufige Folgen militärischer Angriffe (vgl. etwa Art. 51 V b) ZP-I oder Art. 57 II a) ii) ZP-I) und daher nicht als Verstoß gegen Verbote des humanitären Völkerrechts ansieht.127 Folglich ist festzuhalten, dass der Forderung nach einem politischen Beurteilungsspielraum, der ein von den humanitären Verpflichtungen abweichendes Verhalten zulässt, nicht zugestimmt werden kann.128

b) Drittschutz der verletzten Amtspflicht Im Rahmen der Amtshaftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist nicht ausreichend, dass der Amtswalter bzw. Bundeswehr-Soldat eine ihm obliegende Amtspflicht verletzt hat. Die verletzte Amtspflicht muss sich zusätzlich durch das Merkmal Ähnlich Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [224]. 127 Nutzen deutsche Stellen bei der Planung und Durchführung von Luftangriffen dementsprechend die sich im Einklang mit den Vorgaben des ZP-I bietenden Räume, so kann ihnen dementsprechend nicht der Vorwurf einer Amtspflichtverletzung gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gemacht werden. 128 Gegen einen politischen, nicht-justiziablen Beurteilungsspielraum auch Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [224 ff.]. 126

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auszeichnen, dass sie dem Amtswalter gegenüber einem Dritten obliegt, also drittschützend ist. Das – sowohl in § 839 BGB als auch in Art. 34 GG verankerte – Erfordernis des Drittschutzes erklärt sich aus dem Zusammenhang zwischen Amtshaftung und (primären) verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz: Der primäre Rechtsschutz ist individualrechtlich ausgeprägt, was insbesondere die Vorschrift des § 42 II VwGO verdeutlicht.129 Daher ist auch das den primären Rechtsschutz ergänzende Amtshaftungsrecht darauf ausgelegt, einem durch hoheitliches Unrecht geschädigten Einzelnen nur dann einen Ersatzanspruch gegen den entsprechenden Hoheitsträger zu gewähren, wenn die verletzte Amtspflicht dem Schutz des Einzelnen dient.130 Das Erfordernis des Drittschutzes hat mithin eine haftungsbegrenzende Funktion: Personen, die nicht zum Kreis der „Dritten“ zählen, wird ein amtshaftungsrechtlicher Ersatzanspruch versagt, selbst wenn sich die Amtspflichtverletzung des Amtswalters für sie nachteilig ausgewirkt haben sollte.131 Anknüpfungspunkt für eine drittschützende Amtspflicht soll hier zunächst die Amtspflicht zu humanitärrechtmäßigem Verhalten sein [s. dazu den nachfolgenden Gliederungspunkt B. II. 3. b) aa)]. Sollte sich dieser Amtspflicht – nach Analyse ihres Schutzzweckes – kein drittschützender Gehalt entnehmen lassen, so bestünde die Möglichkeit des Rückgriffs auf allgemeine Amtspflichten, bei denen sich der Drittschutz gegenüber dem von hoheitlichen Handeln Betroffenen nicht aus einer Sonderverbindung zwischen Hoheitsträger und Betroffenen (hier: Vorschriften des humanitären Völkerrechts), sondern aus gegenüber jedermann geltenden Rechtssätzen ergibt [s. Gliederungspunkt B. II. 3. b) bb)]. aa) Pflichten der Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz: Die Amtspflicht zu humanitärrechtmäßigem Verhalten Ob eine dem Amtswalter obliegende Amtspflicht Drittschutz entfaltet, bestimmt sich der ständigen – vom RG begründeten und vom BGH fortgeführten – Rechtsprechung zufolge nach dem Schutzzweck, den die Amtspflicht verfolgt.132 129

Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 124. Das Erfordernis der Drittbezogenheit füllt damit funktionell betrachtet dieselbe Rolle aus wie die Eingrenzung der Ersatzpflichtigen auf die unmittelbar Verletzten im zivilen Deliktsschutz der §§ 823 ff. BGB, s. insoweit BGH NJW 24 (1971), 1699: „Der Kreis der Ersatzberechtigten beschränkt sich in den Fällen der §§ 823 – 826 BGB auf die unmittelbar Verletzten; diesen entspricht in § 839 BGB der ,Dritte, demgegenüber die – verletzte – Amtspflicht bestand.“ 131 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 58; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 169. 132 St. Rspr., s. RGZ 140, 424 [427]; BGHZ 10, 122 [124]; BGHZ 18, 110 [113]; BGHZ 26, 232 [234]; BGHZ 31, 388 [390]; BGHZ 35, 44 [46]; BGHZ 39, 358 [363]; BGHZ 54, 165 [169]; BGHZ 56, 40 [45]; BGHZ 56, 251 [254]; BGHZ 63, 319 [324 f.]; BGHZ 69, 128 [136]; BGHZ 85, 230 [233]; BGHZ 106, 323 [331]; BGHZ 109, 163 [167 f.]; BGHZ 110, 1 [8 f.]; BGHZ 129, 23 [25]; BGHZ 134, 268 [276]; BGHZ 140, 380 [382]; BGHZ 162, 49 [55]. Zum Abstellen auf den Schutzzweck zur Ermittlung des Drittschutzes s. auch Dagtoglou, in: BK, 130

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

In erster Linie dienen alle Amtspflichten der Träger öffentlicher Ämter dem Interesse der Allgemeinheit und des Staates.133 Wenn sich der Zweck einer Amtspflicht darin erschöpft, diesem Allgemeininteresse, mithin dem Schutz der öffentlichen Ordnung und einer ordnungsgemäßen Führung der öffentlichen Ämter zu dienen, dann besteht die Amtspflicht nicht gegenüber bestimmten Dritten.134 Hat die Amtspflicht dagegen – zumindest auch – den Zweck, die Interessen des Einzelnen wahrzunehmen, dann ist sie als drittschützend im Sinne des § 839 BGB und des Art. 34 GG anzusehen.135 Aus den „die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen“ sowie aus der „besonderen Natur des Amtsgeschäft“ ergibt sich für den BGH, ob der Geschädigte als geschützter Dritter anzusehen ist, mithin eine „besondere Beziehung“ zwischen verletzter Amtspflicht und geschädigtem Dritten besteht.136 Dabei kommt es wesentlich darauf an, welche „Wertungen und Zielvorstellungen“ dem jeweiligen Gesetz mit Hilfe der „herkömmlichen Auslegungsmethoden“ zu entnehmen sind.137 Nicht ausreichend für eine besondere Beziehung zwischen Amtspflicht und Geschädigtem und damit für die Annahme der drittschützenden Wirkung der Amtspflicht ist, wenn der Dritte lediglich „reflexartig“ durch die Wahrnehmung einer – ansonsten – im öffentlichen Interesse liegenden Amtspflicht begünstigt wird.138 Bei Auslandseinsätzen obliegt Soldaten der Bundeswehr die Amtspflicht, die Vorschriften des humanitären Völkerrechts, insbesondere die die Kriegsführung beschränkenden Art. 48 ff. ZP-I zu beachten [s. zu dieser Amtspflicht Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 3. a)]. Der drittschützende Gehalt speziell dieser Normen ist – wie soeben unter diesem Gliederungspunkt dargelegt – danach zu beurteilen, ob die Normen auch den Zweck verfolgen, die Interessen des Einzelnen wahrzunehmen und diesen nicht lediglich reflexartig begünstigen. Zur Ermittlung dieser Drittgerichtetheit der humanitären Normen ist man auf die Auslegung nach den gängigen Methoden verwiesen.139 In Zusammenhang mit der zur Art. 34 GG Rdn. 152; Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 18; Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 214; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 234; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 44; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 170. 133 Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 214. 134 Dagtoglou, in: BK, Art. 34 GG Rdn. 153; Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 214; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 44; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 175. 135 St. Rspr., s. etwa BGHZ 106, 323 [331]; BGHZ 109, 163 [167 f.]; BGHZ 110, 1 [8 f.]; BGHZ 129, 23 [25]; BGHZ 134, 268 [276]; BGHZ 140, 380 [382]; BGHZ 162, 49 [55]. 136 St. Rspr., s. etwa BGHZ 106, 323 [331]; BGHZ 109, 163 [167 f.]; BGHZ 134, 268 [276]; BGHZ 137, 11 [15]; BGHZ 140, 380 [382]; BGHZ 162, 49 [55]. 137 BGHZ 162, 49 [56]. 138 BGH NJW 19 (1966), 1456; BGHZ 162, 49 [56]. 139 Vgl. auch Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [222].

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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Ermittlung der Drittgerichtetheit der humanitären Normen erforderlichen Auslegung lässt sich generell die Feststellung treffen, dass die Ableitung drittgerichteter Amtspflichten aus humanitären Geboten nicht völlig ausgeschlossen erscheint.140 Im Übrigen können völkerrechtlichen Regelungen zum Teil sogar subjektiv-öffentliche und damit drittgerichtete Rechte entnommen werden: So werden etwa die EG-Grundfreiheiten, da sie dem Einzelnen die Rechtsmacht einräumen, sich gegenüber den verpflichteten Rechtssubjekten auf die in ihnen enthaltene normative Anordnung zu berufen, als subjektiv-öffentliche Rechte angesehen.141 Was konkret die Ermittlung des Drittschutzes der hier vor allem interessierenden Art. 48 ff. ZP-I anbelangt, lässt sich – in Anknüpfung an die in Teil 2 unter Gliederungspunkt B. II. vorgenommene Auslegung von Art. 51 ZP-I im Hinblick auf dessen primärrechtlichen Aussagegehalt und unter Berücksichtigung der Besonderheiten im Zusammenhang mit der Ermittlung des Drittschutzes einer Norm bzw. deren Schutzgesetzeigenschaft nach § 823 II BGB142 – für eine drittschützende Lesart von Art. 51 ZP-I, eine Vorschrift, die exemplarisch für die Bestimmungen der Art. 48 ff. ZP-I steht und die hier einzig auf das Merkmal des Drittschutzes hin untersucht werden soll, anführen, dass an mehreren Stellen der Vorschrift die Rede von „einzelne[n] Zivilpersonen“ ist.143 So genießen die Zivilbevölkerung und „einzelne Zivilpersonen“ Schutz vor Kriegshandlungen (Art. 51 I ZP-I). Und weder die Zivilbevölkerung noch „einzelne Zivilpersonen“ dürfen Ziel von Angriffen sein (Art. 51 II ZP-I). Im Lichte der Internationalisierung des Menschenrechtsschutzes nach 1945 und den daraus folgenden Einflüssen für nachfolgende Kodifikationen im Bereich des hu140 s. Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10. 12. 2003, in: JZ 59 (2004), 574 [576] unter Bezugnahme auf das Distomo-Urteil des BGH; Randelzhofer/Dörr, Entschädigung für Zwangsarbeit?, S. 39. 141 Kingreen in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Art. 28 EGV Rdn. 9. 142 Eingehend zur Ermittlung der Schutzgesetzeigenschaft einer Norm gem. § 823 II BGB Schmiedel, Deliktsobligationen nach deutschem Kartellrecht, S. 138 ff. Die Ermittlung eines Schutzgesetzes i.S.d. § 823 II BGB und des Drittschutzes gem. § 839 BGB verläuft im Wesentlichen parallel: Für die Schutzgesetzeigenschaft einer Norm gemäß § 823 II BGB ist maßgebend, ob die verletzte Norm zum Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist (Hager, in: Staudinger, § 823 BGB G 19; Sprau, in: Palandt, § 823 BGB Rdn. 57). Dabei muss der Individualschutz keineswegs der ausschließliche Zweck des Gesetzes sein, sondern es reicht aus, wenn durch die Vorschrift auch Individualinteressen geschützt werden sollen (Sprau, in: Palandt, § 823 BGB Rdn. 57; Wagner, in: MüKo, § 823 BGB Rdn. 340), mag sie sogar in erster Linie die Interessen der Allgemeinheit im Auge haben (Hager, in: Staudinger, § 823 BGB Rdn. G 19). Die bloße Reflexwirkung einer im Allgemeininteresse liegenden Norm zugunsten Einzelner reicht für die Annahme eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB jedoch nicht aus (Hager, in: Staudinger, § 823 BGB G 19; Sprau, in: Palandt, § 823 BGB Rdn. 57). Damit kommt es auch bei § 823 II BGB und der Frage nach dem Vorliegen eines Schutzgesetzes – ähnlich wie bei der Ermittlung des Drittschutzes im Rahmen des § 839 BGB – also darauf an, dass der Zweck der betreffenden Vorschrift in der Wahrnehmung der Interessen des Einzelnen besteht. Zu den Parallelen der Ermittlung eines Schutzgesetzes gem. § 823 II BGB und der Ermittlung des Drittschutzes i.S.d. § 839 BGB s. auch Sprau, in: Palandt, § 823 BGB Rdn. 44; Teichmann, in: Jauernig (Hrsg.), § 839 BGB Rdn. 12. 143 So Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, in: ZaöRV 66 (2006), 699 [713 f.].

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

manitären Völkerrechts wird zudem das Argument vorgebracht, dass die Regelungen der Zusatzprotokolle von 1977 nicht nur abstrakt dem Schutz der Zivilbevölkerung, sondern konkret dem Schutz des Einzelnen dienen sollen.144 Ob aber die Erwähnung von „einzelne[n] Zivilpersonen“, die nicht Ziel von Angriffen sein dürfen, und der Verweis auf die menschenrechtlichen Einflüsse auch tatsächlich für die Begründung des Drittschutzes von Art. 51 ZP-I ausreichen, erscheint bei genauerer Betrachtung des Wortlautes, des Kontextes und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift zweifelhaft: Es ist zwar richtig, dass Art. 51 ZP-I von „einzelne[n] Zivilpersonen“ spricht. Art. 51 ZP-I spricht aber immer von der „Zivilbevölkerung“ und/oder „einzelne[n] Zivilpersonen“, nicht von Zivilpersonen alleine. Somit sind die von Art. 51 ZP-I erwähnten Zivilpersonen durchweg an den Oberbegriff der Zivilbevölkerung angelehnt und keineswegs gesondert, in einer auf den Drittschutz der Vorschrift hindeutenden Weise hervorgehoben. Überdies ist die in Art. 51 ZP-I gewählte Formulierung zu pauschal, um von einem konkreten Schutz zugunsten bestimmter Personen ausgehen zu können:145 Art. 51 ZP-I spricht unter anderem davon, dass „weder die Zivilbevölkerung als solche noch einzelne Zivilpersonen […] das Ziel von Angriffen“ sein dürfen (Absatz 2). Art. 51 ZP-I nennt demnach sowohl kein bestimmtes Verletzungsobjekt (zum Beispiel: körperliche Integrität oder Leben), dem ein bestimmtes Verletzungssubjekt zugeordnet ist,146 als auch keine bestimmte Verletzungshandlung (zum Beispiel: Verstümmelung oder Tötung), sondern beschränkt sich auf ein generelles Verbot von Angriffen gleich welcher Art gegen die Zivilbevölkerung und Zivilpersonen. Ein solch generelles Verbot lässt sich aber eher als den Vertragsstaaten des ZP-I auferlegte Beschränkung der Art und Weise der Kriegsführung deuten denn als Anhaltpunkt für eine individualrechtliche bzw. drittschützende Lesart von Art. 51 ZP-I fruchtbar machen [s. auch Teil 2, Gliederungspunkt B. II.]. Im Kontext betrachtet ist einerseits auf die Stellung von Art. 51 ZP-I im ersten Abschnitt des vierten Teils des ZP-I hinzuweisen, die mit „Schutz vor den Auswirkungen von Feindseligkeiten“ bzw. „Zivilbevölkerung“ überschrieben sind. Diese systematische Stellung des Art. 51 ZP-I könnte für dessen individualrechtlichen bzw. drittschützenden Gehalt sprechen. Andererseits stoßen im ersten Abschnitt des vierten Teils auch Vorschriften wie Art. 57 ZP-I ins Auge, die – ähnlich wie Art. 51 II 144 Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, in: ZaöRV 66 (2006), 699 [714]. Für eine direkte Schutzfunktion der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts zugunsten der im bewaffneten Konflikt betroffenen Menschen auch Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [222, m.w.N. in Fn. 158]; Heß, Kriegsentschädigungen aus kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: Heintschel von Heinegg/Kadelbach/Heß/Hilf/Benedek/Roth, Entschädigung nach bewaffneten Konflikten. Die Konstitutionalisierung der Welthandelsordnung, BdDGfV, Bd. 40, S. 107 [179]. 145 In diese Richtung auch Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10. 12. 2003, in: JZ 59 (2004), 574 [575]. 146 Vgl. auch Schmiedel, Deliktsobligationen nach deutschem Kartellrecht, S. 163 ff., 168.

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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ZP-I – in einer Weise formuliert sind, die eine Interpretation als Beschränkung der Methoden und Mittel der Kriegsführung überzeugender als einen zugunsten von Zivilpersonen beabsichtigten Drittschutz erscheinen lässt: So hat etwa die Vertragspartei, die einen Angriff plant oder beschließt, „alles praktisch Mögliche“ zu tun, um sicherzugehen, dass die Angriffsziele weder Zivilpersonen noch zivile Objekte sind (Art. 57 II a) i) ZP-I), und bei der „Wahl der Angriffsmittel und -methoden“ alle denkbaren „Vorsichtsmaßnahmen“ zur Vermeidung von Verlusten unter der Zivilbevölkerung zu ergreifen (Art. 57 II a) ii) ZP-I). Zieht man schließlich die Entstehungsgeschichte des Art. 51 ZP-I zur Ermittlung seines Schutzzweckes heran, so lässt sich nicht verleugnen, dass die Zusatzprotokolle von menschenrechtlichen Entwicklungen auf völkerrechtlicher Ebene beeinflusst worden sind.147 Das lässt sich unter anderem daran festmachen, dass das Grundanliegen des Ersten Zusatzprotokolls im Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte besteht (s. Präambel des ZP-I), während das klassische Kriegsrecht stärker auf den Schutz von Gruppen und Staatsinteressen ausgerichtet gewesen war.148 Allerdings würde man diese menschenrechtlichen Einflüsse und die – damit verbundene – generelle Akzentverschiebung zugunsten des Opferschutzes wohl überstrapazieren, wenn man nun sämtliche Bestimmungen des ZP-I als Verbürgungen von Individualrechten149 und damit als drittschützend im Sinne des deutschen Amtshaftungsrechts ansehen würde. Viele Vorschriften der Zusatzprotokolle, so auch die Art. 48 ff. ZP-I, stehen erkennbar in der Tradition von zwischen Staaten aufgestellten Regeln zur Beschränkung der Mittel und Methoden der Kriegsführung.150 Das soll allerdings nicht in Abrede stellen, dass einige Bestimmungen des ZP-I durchaus individualrechtlich zu verstehen sind und damit einen völkerrechtlichen Primäranspruch auf ein bestimmtes Tun bzw. Unterlassen begründen können [s. schon Teil 2, Gliederungspunkt B. II.].

147 s. allgemein zur Entwicklung des humanitären Völkerrechts im Lichte des Menschenrechtsschutzes zur Zeit der Entstehung der Zusatzprotokolle Migliazza, Lvolution de la rglementation de la guerre  la lumire de la sauvegarde des droits de lhomme, in: RdC 137 (1972), S. 141 [185 ff.]. Kimminich zufolge ist das Verhältnis von humanitären Völkerrecht und Menschenrechten zur Zeit der Entstehung der Zusatzprotokolle im Sinne einer „gegenseitigen Beeinflussung“ zu sehen, s. Kimminich, Schutz der Menschen in bewaffneten Konflikten, S. 40. 148 s. Migliazza, Lvolution de la rglementation de la guerre  la lumire de la sauvegarde des droits de lhomme, in: RdC 137 (1972), S. 141 [194]. 149 Vgl. Aldrich, Individuals as Subjects of International Humanitarian Law, in: Makarczyk (Ed.), Theory of International Law at the Threshold of the 21st Century. Essays in honour of Krzysztof Skubiszewski, S. 851 [856]. 150 So gilt das in Art. 48 ZP-I verankerte Prinzip der Unterscheidung, das auch in der Vorschrift des Art. 51 ZP-I zum Ausdruck kommt, als völkergewohnheitsrechtliche Regel seit der zweiten Hälfte des 19. Jhs., s. Kimminich, Schutz der Menschen in bewaffneten Konflikten, S. 131. Das Prinzip der Unterscheidung wurde erstmals völkerrechtlich kodifiziert in der St. Petersburger Erklärung von 1868, s. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary international humanitarian law, Bd. 1, Rule 1, S. 3.

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Abschließend lässt sich damit für die Auslegung des Art. 51 ZP-I, der stellvertretend für die Bestimmungen der Art. 48 ff. ZP-I zum Schutz vor den Auswirkungen militärischer Operationen steht, im Hinblick auf drittschützende Anhaltspunkte feststellen: Gerade die pauschale, auf die Zivilbevölkerung als Ganzes bezogene Formulierung des Art.51 ZP-I und der Umstand, dass Art. 51 ZP-I vor allem als an die Vertragsparteien adressierte Verpflichtung zur Beschränkung der Mittel und Methoden der Kriegsführung zu deuten ist, sprechen dagegen, in Art. 51 ZP-I die Verbürgung individualrechtlicher Garantien zugunsten Einzelner zu sehen und damit die Vorschrift als drittschützend im Sinne der § 839 BGB und Art. 34 GG einzustufen.151 Im Hinblick auf die drittschützende Wirkung der Bestimmungen der EMRK, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr verletzt sein könnten, fällt die Beurteilung eindeutiger aus: Art. 2, Art. 3 und Art. 5 EMRK lassen sich als subjektiv-öffentliche Rechte einstufen, die dem Individualinteresse zu dienen bestimmt sind und dem Einzelnen die Rechtsmacht verleihen, das Individualinteresse durchzusetzen.152 Damit sind die Bestimmungen der EMRK drittschützend gemäß § 839 BGB und Art. 34 GG. Allerdings ist – wie in Teil 2 unter Gliederungspunkt A. IV. 1. d) aa) herausgearbeitet – der Anwendungsbereich der Bestimmungen der EMRK im Rahmen bewaffneter Konflikte eingeschränkt, da Kampfhandlungen in der Regel keine „Hoheitsgewalt“ im Sinne des Art. 1 EMRK begründen, deren Vorliegen aber unerlässliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit der EMRK ist.

151

Gegen einen Drittschutz der Art. 48 ff. ZP-I auch Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10. 12. 2003, in: JZ 59 (2004), 574 [575]; a.A.: Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [222]; Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, in: ZaöRV 66 (2006), 699 [714]. Steht man auf dem Standpunkt, dass die Art. 48 ff. ZP-I als drittschützend zu interpretieren sind, so müsste man aber auf der Ebene des Verschuldens [= Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 5.] zumindest eine Einschränkung des Haftungsmaßstabes erwägen. Schmahl z. B., die eine drittschützende Lesart der Art. 48 ff. ZP-I befürwortet, schlägt im Rahmen des Verschuldens eine Begrenzung der Amtshaftung auf „lediglich vorsätzliches Handeln“ vor, s. Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, in: ZaöRV 66 (2006), 699 [717, Fn. 106]. Damit dürfte sich aber der hier eingeschlagene Lösungsweg, der den Art. 48 ff. ZP-I keinen drittschützenden Aussagegehalt beimisst und die hier einschlägige drittschützende Amtspflicht in der Pflicht zum Unterlassen amtsmissbräuchlichen und damit vorsätzlichen Verhaltens sieht [s. dazu den nachfolgenden Gliederungspunkt B. II. 3. b) bb) (2)], von dem Lösungsweg, der in den Art. 48 ff. ZP-I zwar die Grundlage für eine drittschützende Amtspflicht sieht, dann aber auf der Ebene des Verschuldens eine Eingrenzung der amtshaftungsrechtlich relevanten Verhaltensweisen auf vorsätzliches Handeln vornimmt, im Ergebnis kaum unterscheiden. 152 Zum subjektiv-rechtlichen Gehalt von beispielsweise Art. 3 EMRK s. Niewerth, Der Anwendungsbereich von § 53 IV, VI AuslG unter Berücksichtigung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der der Bundesrepublik Deutschland, in: NVwZ 16 (1997), 228 [232].

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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bb) Gegenüber jedermann bestehende Amtspflichten: Die allgemeine Amtspflicht zur Unterlassung deliktischer Eingriffe Kann den Normen der Art. 48 ff. ZP-I also kein drittschützender Gehalt im Sinne des Amtshaftungsrechts entnommen werden, so verbleibt noch die Möglichkeit, auf Amtspflichten zurückzugreifen, die nicht wie die Art. 48 ff. ZP-I nur gegenüber bestimmten, in Sonderverbindungen stehenden Personen (hier: Zivilisten), sondern gegenüber jedermann gelten (allgemeine Amtspflichten). Zu den allgemeinen Amtspflichten, die gegenüber jedermann gelten, zählt insbesondere die Amtspflicht, deliktische Eingriffe gemäß den §§ 823 – 826 BGB zu unterlassen. Stellt die Amtsausübung zugleich eine unerlaubte Handlung gemäß den §§ 823 ff. BGB dar, dann ist der durch die Amtsausübung Geschädigte Dritter im Sinne des § 839 BGB und des Art. 34 GG.153 Das bedeutet, dass in der Verletzung von Rechtsgütern im Sinne des § 823 I BGB eine Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht zu sehen ist.154 Außerdem ist jeder, der durch einen Amtsmissbrauch geschädigt wurde, geschützter Dritter.155 Ein Amtsmissbrauch ist stets, aber nicht nur bei Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB gegeben und kann auch in den Bereichen, in denen die Amtspflichten an sich nur gegenüber der Allgemeinheit zu erfüllen sind, Drittschutz entfalten.156 Unter Berücksichtigung der allgemeinen und Drittschutz entfaltenden Amtspflicht zur Unterlassung deliktischer Eingriffe stellt sich nunmehr die Frage, ob das gegen Normen des humanitären Völkerrechts verstoßende Verhalten deutscher Soldaten in irgendeiner Art und Weise in Beziehung zu dieser allgemeinen Amtspflicht gesetzt und ein zugunsten der zivilen Opfer bestehender Drittschutz womöglich auf diesem Wege konstruiert werden kann: (1) Amtsausübung führt zu Rechtsgutsverletzung gemäß § 823 I BGB Die Schädigung bzw. Tötung von Zivilpersonen durch militärische Operationen von Bundeswehr-Soldaten stellt zugleich die Verletzung eines Rechtsgutes im Sinne des § 823 I BGB und damit eine unerlaubte Handlung dar. Entsprechend den allgemeinen Aussagen zum Drittschutz könnten die geschädigten Zivilisten dem153 BGHZ 16, 111 [113]; BGHZ 34, 99 [104]; BGHZ 69, 128 [138]. Zu dieser drittschützenden Amtspflicht s. auch Dagtoglou, in: BK, Art. 34 GG Rdn. 158; Grzeszick, in: Erichsen/ Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 23; Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 248; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 62; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 171. 154 Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 229. 155 BGHZ 91, 243 [252]; BGH MDR 57 (2003), 1113 [1114]. Zu dieser drittschützenden Amtspflicht s. auch Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 18; Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 249; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 271; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 48; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 172. 156 Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 172.

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

zufolge als Dritte im Rahmen des § 839 BGB und des Art. 34 GG anzusehen sein, das Tatbestandsmerkmal „Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht“ wäre also erfüllt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Amtspflicht, keine Rechtsgutsverletzungen gemäß § 823 I BGB zu begehen, im bewaffneten Konflikt für die Bundeswehr-Soldaten durch die Amtspflicht, die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zu beachten, überlagert wird.157 Diese Amtspflicht zur Beachtung der humanitär- und menschenrechtlichen Vorgaben im bewaffneten Konflikt ist keinesfalls gleichbedeutend mit der – drittschützenden – Amtspflicht zur Unterlassung deliktischer Eingriffe: So stellt die Schädigung oder Tötung eines Zivilisten durch Bundeswehr-Soldaten zwar nach deutschem Deliktsrecht eine Rechtsgutsverletzung gemäß § 823 I BGB und damit eine unerlaubte Handlung dar, kann aber – unter Umständen – nach humanitär- bzw. menschenrechtlichen Gesichtspunkten (vgl. zum Beispiel Art. 15 II EMRK) als zulässig einzustufen sein. Dass die Amtspflicht, keine Rechtsgutsverletzungen gemäß § 823 I BGB zu begehen, Drittschutz zugunsten der Geschädigten entfaltet, ist somit für die vorliegende Konstellation, in der es um die Verpflichtung der Bundeswehr-Soldaten zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts geht, ohne Auswirkungen.158 (2) Amtsausübung stellt Amtsmissbrauch dar Geht man davon aus, dass der Schutzzweck der Bestimmungen der Art. 48 ff. ZP-I keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine drittschützende Wirkung im Sinne der § 839 BGB und Art. 34 GG erkennen lässt, dann besteht – ausgehend von der oben aufgeführten allgemeinen Amtspflicht zur Unterlassung deliktischer Handlungen – schließlich die Möglichkeit, Verletzungen humanitär- und menschenrechtlicher Bestimmungen in der Fallgruppe des Amtsmissbrauchs zu verorten. Die Pflicht eines Amtswalters, sein Amt nicht missbräuchlich auszuüben, ist drittschützend und besteht gegenüber jedem, der durch die Verletzung dieser Pflicht geschädigt werden kann.159 Mit dieser gegenüber jedermann bestehenden Verpflichtung lässt sich auch in Fällen, in denen eine Amtspflicht an sich nur gegenüber der Allgemeinheit besteht, ein Drittbezug der Amtsausübung begründen.160 157 s. auch Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [221]. 158 s. aber auch Randelzhofer/Dörr, Entschädigung für Zwangsarbeit, S. 39, die in der Heranziehung zur Zwangsarbeit im NS-Regime eine Freiheitsberaubung und Körperverletzung sehen und dementsprechend von einer Verletzung der drittschützenden Amtspflicht zur Unterlassung deliktischer Eingriffe ausgehen. 159 Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 249; Oechsler, in: Staudinger, § 826 BGB Rdn. 138; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 271; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 48; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 172. 160 Oechsler, in: Staudinger, § 826 BGB Rdn. 138; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 172.

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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Von einem Amtsmissbrauch kann stets, aber nicht nur bei Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB gesprochen werden.161 Die Anbindung der Fallgruppe des Amtsmissbrauchs an den Tatbestand des § 826 BGB verdeutlicht, dass ein Amtsmissbrauch nicht schon bei jeder schuldhaft fehlerhaften Amtsausübung vorliegt, sondern nur dann, wenn qualifizierte Umstände hinzutreten.162 Nimmt man § 826 BGB als Ausgangspunkt für die Präzisierung dieser qualifizierten Umstände, die eine fehlerhafte Amtsausübung zum Amtsmissbrauch machen, dann muss die – missbräuchliche – Amtsausübung zwei Voraussetzungen erfüllen: Sie muss vorsätzlich erfolgt sein und gegen die guten Sitten verstoßen haben.163 Auf die dieser Arbeit zugrundeliegenden Konstellationen – Verletzungen humanitär- und menschenrechtlicher Bestimmungen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr – gewendet dürfte das qualifizierende Merkmal der Vorsätzlichkeit keine Probleme bereiten. Vorsätzliche Verstöße gegen Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte bei bewaffneten Auseinandersetzungen sind ohne weiteres denkbar und in der Kriegswirklichkeit gang und gäbe. Wann aber liegt in einem – die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte verletzenden – Verhalten ein Verstoß gegen die guten Sitten? Die klassische Formel, wonach eine Handlung dann sittenwidrig ist, wenn sie gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstößt,164 dürfte für die vorliegende Arbeit kaum weiterhelfen. Deutlich aufschlussreicher ist da schon die Überlegung, die hinter dem Erfordernis des Merkmals der Sittenwidrigkeit steht: Das betreffende Verhalten darf sich nicht in einem einfachen Verstoß gegen das Gesetz erschöpfen, es muss vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann, hinzutreten, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lässt.165 Das Kriterium einer besonderen Verwerflichkeit ließe sich durchaus für die Bewertung des Verhaltens von Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen einsetzen: So könnten manche Verstöße gegen humanitär- und menschenrechtliche Bestimmungen als „reguläre“ Verstöße gegen die den Bundeswehr-Soldaten auferlegten Verpflichtungen anzusehen sein, wohingegen andere Verstöße aufgrund des verfolgten Ziels oder der eingesetzten Mittel als „besonders verwerflich“ erscheinen könnten. 161 Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 165; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 172. 162 Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 165; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 172. 163 Für einen Überblick zu den Voraussetzungen des § 826 BGB s. Sprau, in: Palandt, § 826 BGB Rdn. 3 ff.; Wagner, in: MüKo, § 826 BGB Rdn. 5 ff. 164 s. Armbrüster, in: MüKo, § 138 BGB Rdn. 14; ausführlich zur Anstandsformel s. Haberstumpf, Die Formel vom Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden in der Rechtsprechung des BGH. 165 s. Sprau, in: Palandt, § 826 BGB Rdn. 4.

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Mit den Kriterien der Vorsätzlichkeit und der besonderen Verwerflichkeit, die ein Verhalten zu einem tatbestandsmäßigen Verhalten im Sinne des § 826 BGB machen und sich im Rahmen der Amtshaftung zur Begründung einer amtsmissbräuchlichen Amtsausübung heranziehen lassen, dürften damit also Kriterien gewonnen sein, mit Hilfe derer über die Fallgruppe des Amtsmissbrauchs die nötige Drittgerichtetheit und damit amtshaftungsrechtliche Relevanz von humanitärrechtswidrigen Verhaltensweisen von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz festgestellt werden kann. Verstöße gegen humanitär- und menschenrechtliche Bestimmungen, die vorsätzlich erfolgen und besonders verwerflich erscheinen und sich damit als amtsmissbräuchlich darstellen, dürften insbesondere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein.166 Art. 7 und Art. 8 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs enthalten Kataloge von Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. Kriegsverbrechen. Als Kriegsverbrechen sind beispielsweise anzusehen: vorsätzliche Tötung (Art. 8 II a) i) RömSt), Folter (Art. 8 II a) ii) RömSt), vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung (Art. 8 II b) i) RömSt) und vorsätzliches Führen eines Angriffes in der Kenntnis, dass dieser unverhältnismäßige Verluste an Menschenleben verursachen wird (Art. 8 II b) iv) RömSt). Dass die – hier verwendeten – Kriterien der Vorsätzlichkeit und der besonderen Verwerflichkeit, die insbesondere im Falle von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllt sind, keineswegs aus der Luft gegriffen sind, sondern sich im Einklang mit der derzeitigen Völkerrechtslage befinden, wird an jüngeren und jüngsten völkerrechtlichen Entwicklungen, vor allem den Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission, deutlich, die ein (völkerrechtliches) Recht von kriegsgeschädigten Individuen auf Entschädigung bzw. eine staatliche Wiedergutmachungspflicht anerkennen oder fordern – und zwar für den Fall, dass die Individuen Opfer schwerwiegender Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts geworden sind [s. zu diesen Entwicklungen im Völkerrecht ausführlich Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa)].167 Die jüngste „Draft Declaration of International Law Principles on Compensation for Victims of War“ der ILA,168 verabschiedet auf der Konferenz des ILA-Komitees 166

Dass die Begehung von Kriegsverbrechen die Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht begründet, hat der BGH im Distomo-Urteil festgestellt, s. BGH NJW 56 (2003), 3488 [3492]. 167 Prinzip 11 der Basic Principles statuiert: „Remedies for gross violations of international human rights law and serious violations of international humanitarian law include the victims right to the following as provided for under international law: … (Hervorhebungen durch den Verfasser).“ Prinzip 15 regelt: „… a State shall provide reparation to victims for acts or omissions which […] constitute gross violations of international human rights law or serious violations of international humanitarian law (Hervorhebungen durch den Verfasser).“ 168 s. ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Draft Declaration of International Law Principles on Compensation for Victims of War, S. 2 ff. (im Internet verfügbar unter http://www.ila-hq.org/, Stichwort: „Committees“ › „List of Committees“ › „Compensation for Victims of War“, nachgesehen am 25.07.2009).

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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„Compensation for Victims of War“ in Rio de Janeiro 2008 [s. zu dieser Erklärung der ILA bereits Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa)], nimmt eben diese völkerrechtlichen Entwicklungen zum Recht auf Entschädigung von Kriegsopfern in ihren Artikeln auf und knüpft das – in den Artikeln unterstellte – Recht auf Entschädigung in sachlicher Hinsicht an die Verletzung von grundlegenden Normen („core norms“) der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts (s. Art. 3 der Entwurfserklärung)169 und in personeller Hinsicht daran, dass die Kriegsopfer schwerwiegende Nachteile („serious harm“) erlitten haben (s. Art. 4 der Entwurfserklärung)170. Vorsätzliche und besonders verwerfliche Verstöße von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz gegen humanitär- und menschenrechtliche Bestimmungen, insbesondere Kriegsverbrechen, die – nach dem hier eingeschlagenen Lösungsweg – einen Amtsmissbrauch im Sinne des deutschen Amtshaftungsrechts darstellen (s. oben), dürften in der Regel als Verletzung grundlegender Völkerrechtsnormen einzuordnen sein und zudem zu schwerwiegenden individuellen Nachteilen führen. Derartige – amtsmissbräuchliche – Verhaltensweisen von Bundeswehr-Soldaten sind also ohne weiteres vom Anwendungsbereich der ein Individualrecht auf Entschädigung von Kriegsopfern postulierenden ILA-Entwurfsartikel erfasst. Damit decken sich die in dieser Arbeit aufgestellten Kriterien der Vorsätzlichkeit und der besonderen Verwerflichkeit, deren Vorliegen amtshaftungsrechtliche Schadensersatzansprüche zur Folge haben kann, mit denen sich auf völkerrechtlicher Ebene herauskristallisierenden Voraussetzungen eines individuellen Rechts auf Entschädigung für kriegsbedingte Schäden. Eine Bestätigung des hier eingeschlagenen Lösungswegs, wonach schwerwiegende Verstöße gegen humanitär- und menschenrechtliche Bestimmungen über die Fallgruppe des Amtsmissbrauches amtshaftungsrechtliche Relevanz erlangen, ist überdies der Entscheidung des OLG Köln im Fall Varvarin vom 28. Juli 2005 zu entnehmen, in der das Gericht – losgelöst von den Umständen des zu entscheidenden Falls – kriegsverbrecherische Handlungen als Amtsmissbrauch im staatshaftungsrechtlichen Sinne einstuft.171

169 Art. 3 Nr. 1 der Entwurfserklärung lautet: „… the expression ,violation of international law is meant to cover conduct which is in contradiction to [core] norms of international humanitarian law or [core] norm of international human rights law.“ – Mit der um den Begriff „core” gesetzten Klammer soll deutlich gemacht werden, dass die endgültige Klärung der Frage, ob die Artikel auf die Verletzung grundlegender Verletzungen des Völkerrechts auszurichten sind, weiteren Diskussionen im Rahmen des Komitees „Compensation for Victims of War“ vorbehalten sein soll. Dasselbe gilt für den ebenfalls in Klammern gesetzten Begriff „serious“ in Art. 4 (s. nachfolgende Fn.). 170 Art. 4 der Entwurfserklärung lautet: „… the term ,victim is meant to designate natural or legal persons, who suffer [serious] harm as a result of a violation of international law …“ 171 OLG Köln NJW 58 (2005), 2860 [2863].

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

c) Ergebnis zur Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht Die Soldaten der Bundeswehr sind im Auslandseinsatz verpflichtet, die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte einzuhalten. Ein Zuwiderhandeln gegen diese Verpflichtung stellt dementsprechend eine Amtspflichtverletzung dar. Die den Schutz vor den Auswirkungen militärischer Operationen normierenden Art. 48 ff. ZP-I entfalten – nach der hier vertretenen Ansicht – allerdings keinen Drittschutz. Lässt sich die Verletzung der die Bundeswehr-Soldaten bindenden völkerrechtlichen Vorschriften aber als vorsätzlich und besonders verwerflich einstufen, stellt das Verhalten der Soldaten mithin einen Amtsmissbrauch dar, dann ist in der Verletzung der humanitär- und menschenrechtlichen Verpflichtungen – vermittelt über die Fallgruppe des Amtsmissbrauchs – die Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht zu sehen. 4. Kausaler Schaden Die Amtspflichtverletzung muss bei dem geschützten Dritten einen Schaden verursacht haben,172 also zum Beispiel dessen körperliche Integrität oder Leben nachteilig beeinträchtigt haben. Überdies muss zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden – wie im übrigen Schadensersatzrecht auch – ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen.173 Verletzen Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz in amtsmissbräuchlicher Weise ihre Verpflichtungen zur Beachtung der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte und hat diese Amtspflichtverletzung nicht völlig unvorhergesehene nachteilige Auswirkungen auf die vom Schutz der Amtspflicht erfassten Zivilisten, dann ist das Erfordernis eines kausalen Schadens – unproblematisch – gegeben. 5. Verschulden Schließlich setzt der Amtshaftungstatbestand gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG voraus, dass der Amtswalter die ihm obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt hat. Das Erfordernis des Verschuldens ist Ausfluss der persönlichen Konstruktion der Amtshaftung [s. dazu Teil 3, Gliederungspunkt B. I.], wonach der Staat nur unter den Voraussetzungen haftet, unter denen auch der Beamte persönlich gemäß § 839 BGB ohne Haftungsüberleitung auf den Staat haftet, also unter anderem nur dann, wenn der Beamte die Amtspflichtverletzung verschuldet hat. Die Anknüpfung an das – für die 172

s. Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 276. Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 152; Dagtoglou, in: BK, Art. 34 GG Rdn. 213; Grezeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 30; Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 302; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 71; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 223. 173

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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Eigenhaftung des Beamten erforderliche – individuelle Verschulden hat die Rechtsprechung allerdings durch die Objektivierung des Verschuldensmaßstabes, das heißt das Abstellen auf einen pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten, relativiert.174 Das Verschulden muss sich im Rahmen des § 839 BGB immer auf die Amtspflichtverletzung beziehen.175 Dass der Amtswalter den aus der Amtspflichtverletzung resultierenden Schaden vorausgesehen hat bzw. hätte voraussehen können, ist nicht erforderlich.176 Soweit jedoch der Amtswalter in einer den Tatbestand des § 826 BGB erfüllenden Weise amtsmissbräuchlich tätig geworden ist, kann dem Amtswalter nur dann der Vorwurf einer Amtspflichtverletzung gemacht werden, wenn der Amtsmissbrauch mit dem Bewusstsein der möglichen Schädigung des von der Amtspflicht geschützten Personenkreises erfolgt ist.177 Als Verschuldensformen kommen in Betracht: Vorsatz und Fahrlässigkeit. Vorsätzlich handelt der Amtswalter, wenn er die Tatsachen kennt, aus denen sich die Amtspflichtverletzung objektiv ergibt und sich ferner Amtspflichtwidrigkeit seines Tuns bewusst ist.178 Fahrlässig ist eine Amtspflichtverletzung hingegen begangen, wenn der Amtswalter bei Beachtung der im – betreffenden – Verkehr maßgeblichen Sorgfalt hätte voraussehen müssen, dass er seiner Amtspflicht zuwiderhandelt.179 Was das Verschulden bei Befolgen von Befehlen anbelangt, so entfällt die Gehorsamspflicht des Soldaten, wenn ein ihm durch einen Befehl eines Vorgesetzten aufgegebenes Verhalten strafbar und damit amtsmissbräuchlich ist [s. dazu bereits Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 3. a)]. Befolgt er einen solchen – auf die Begehung einer Straftat gerichteten und damit einen Amtsmissbrauch darstellenden – Befehl trotzdem, so verletzt er schuldhaft die drittschützende Amtspflicht zur Unterlassung jeglichen Amtsmissbrauchs.180 Der hier eingeschlagene Lösungsweg, der im Rahmen des Drittschutzes auf einen Amtsmissbrauch deutscher Soldaten abstellt, bringt es mit sich, dass bereits bei der 174 Zur Objektivierung des Verschuldens durch das Abstellen auf den pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten s. etwa Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 159; Dagtoglou, in: BK, Art. 34 GG Rdn. 182; Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 43 Rdn. 28; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 76 f.; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 283. 175 Dagtoglou, in: BK, Art. 34 GG Rdn. 176; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 284; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 50; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 192. 176 Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 287; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 50; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 192. 177 Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 287; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 193. 178 Dagtoglou, in: BK, Art. 34 GG Rdn. 180; Kreft, in: BGB-RGRK, § 839 BGB Rdn. 288; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 285; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 51; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 195. 179 Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 288; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 52; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 198. 180 Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 203.

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Prüfung der Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht Elemente des Verschuldens zu würdigen sind. Denn ein Amtsmissbrauch im Sinne des Amtshaftungsrechts setzt naturgemäß eine dem betreffenden Amtswalter vorwerfbare, also von ihm verschuldete, Amtspflichtverletzung voraus. § 826 BGB, dessen Vorliegen stets einen amtshaftungsrechtlich relevanten Amtsmissbrauch begründet, verlangt beispielsweise vorsätzliches Handeln. Die Berücksichtigung von Elementen des Verschuldens auf Tatbestandsebene ist im Rahmen der Amtshaftung indes keinesfalls ungewöhnlich181 und vereinfacht die anschließende Verschuldensprüfung. So wird die Feststellung eines Amtsmissbrauches unter dem Prüfungspunkt „Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht“ zwangsläufig die Feststellung nach sich ziehen, dass der betreffende Amtswalter die ihm obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt hat – gleichviel ob er nun den Tatbestand des § 826 BGB erfüllt hat oder sich in anderer Art und Weise amtsmissbräuchlich betätigt hat. Das Abstellen auf einen Amtsmissbrauch deutscher Soldaten im Rahmen des Drittschutzes hat für den Bereich des Verschuldens außerdem zur Folge, dass nicht jedwedes fehlerhaftes und schuldhaftes Amtshandeln erfasst wird – sondern eben nur solches, das sich als amtsmissbräuchlich erweist. Ausgehend von den zur Präzisierung eines Amtsmissbrauches im Sinne des Amtshaftungsrechts herangezogenen Kriterien des § 826 BGB, der ein vorsätzliches und besonders verwerfliches Handeln fordert, sind insbesondere Kriegsverbrechen als amtsmissbräuchlich zu werten [s. Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 3. b) bb) (2)]. Kriegsverbrechen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in objektiver Hinsicht gewichtige Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und in subjektiver Hinsicht vorsätzliches Verhalten voraussetzen [s. zu den Voraussetzungen von Kriegsverbrechen auch Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 1. e)]. Eine ähnlich verwerfliche Gesinnung und damit ein ähnlicher Grad an Vorwerfbarkeit treten bei „gewöhnlichen“ Verstößen gegen Bestimmungen des humanitären Völkerrechts, die einfach fahrlässig verübt worden sind, nicht hervor. Bei solchen Verhaltensweisen mag zwar aufgrund der festgestellten (einfachen) Fahrlässigkeit das Merkmal des Verschuldens an sich gegeben sein. Aufgrund der in dieser Arbeit im Rahmen des Drittschutzes aufgestellten „Hürde“ des Amtsmissbrauches entfalten diese gewöhnlichen Verstöße hier jedoch keine amtshaftungsrechtlichen Konsequenzen. Von der Präzisierung des Merkmals des Amtsmissbrauches [s. dazu ausführlich Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 3. b) bb) (2)] hängt es also letztlich ab, ob die betreffenden Handlungen der Bundeswehr-Soldaten das – im Rahmen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG erforderliche – Merkmal des Verschuldens erfüllen oder nicht.

181 Zu anderen Bereichen des Amtshaftungsrechts, bei denen bereits auf Tatbestandebene Elemente des Verschuldens zu berücksichtigen sind s. Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 194.

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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6. Zurechnung der Amtspflichtverletzung Die Voraussetzungen des Einstehenmüssen des Staates für das schuldhafte Handeln seiner Amtsträger und damit für die Haftungsüberleitung ergeben sich aus Art. 34 S. 1 GG. Gemäß Art. 34 S. 1 GG wird die Verantwortlichkeit des Amtsträgers übergeleitet auf „den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht“. An sich bereiten die Voraussetzungen des Einstehenmüssens des Staates bzw. der Haftungsüberleitung auf den Staat im Falle von Bundeswehr-Soldaten keine Probleme: Nach der vom BGH in ständiger Rechtsprechung vertretenen Anvertrauenstheorie haftet diejenige Körperschaft, die dem Amtsträger das Amt, bei dessen Ausübung er fehlerhaft gehandelt hat, anvertraut hat, die „mit anderen Worten dem Amtsträger die Aufgaben, bei deren Wahrnehmung die Amtspflichtverletzung vorgekommen ist, übertragen hat“.182 Dies ist im Regelfall die Körperschaft, die den Amtsträger angestellt und ihm damit die Möglichkeit zur Amtsausübung gegeben hat.183 Der einzelne Bundeswehr-Soldat steht in einem Wehrdienstverhältnis (§ 1 I SoldatenG), das zwischen ihm und der BRD als Dienstherrn begründet wird.184 Als Anstellungskörperschaft des Soldaten muss der Bund demnach gemäß Art. 34 S. 1 GG für dessen Verhalten einstehen. Schwierigkeiten im Hinblick auf die Voraussetzungen des Art. 34 S. 1 GG für eine Verantwortlichkeit der BRD könnten sich jedoch bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr ergeben, die in den organisatorischen Rahmen einer Internationalen Organisation (NATO, EU oder UN) eingebunden sind. Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen einer Internationalen Organisation werfen die Frage auf, ob die bei solchen Einsätzen abgestellten Soldaten noch im Dienst der BRD stehen, die BRD somit für deren amtspflichtwidriges Verhalten gemäß Art. 34 S. 1 GG einzustehen hat. Das wäre – nach dem RG und dem ihm folgenden BGH – dann nicht der Fall, wenn eine andere öffentliche Körperschaft „uneingeschränkt“ über die Dienste der Soldaten verfügte und ihr die Ergebnisse seiner Tätigkeit zugute kämen.185 Vor diesem Hintergrund sind Auslandseinsätze der Bundeswehr unter dem Dach einer Internationalen Organisation darauf hin zu untersuchen, ob eine Haftungsüberleitung auf die BRD als Anstellungskörperschaft gemäß Art. 34 S. 1 GG ausnahmsweise ausscheidet, weil die jeweils federführende Internationale Organisation die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über die Bundeswehr-Soldaten hat und ihr die Ergebnisse der Tätigkeit der Soldaten zugute kommen. 182 BGHZ 53, 217 [219]; BGHZ 87, 202 [204]; BGHZ 99, 326 [330]; BGHZ 143, 18 [26]; BGHZ 150, 172 [179]; BGHZ 160, 218 [228]; zur Anvertrauenstheorie s. auch Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 360 f. Ein Überblick über die zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in deren Dienst er steht“ vertretenden Theorien findet sich bei Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 111 ff. 183 BGHZ 87, 202 [204]; BGHZ 99, 326 [330]; BGHZ 160, 218 [228]; s. auch Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 25; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 51. 184 s. Scherer/Alff/Poretschkin, § 1 SoldatenG Rdn. 2. 185 RGZ 168, 361 [368 f.]; zustimmend BGHZ 7, 76 [77].

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Im Bereich der völkerrechtlichen Zurechenbarkeit wurde eine völkerrechtliche Organleihe von der BRD an die jeweilige Internationale Organisation und damit ein Wechsel des Zurechnungsobjektes mit dem Argument abgelehnt, dass die für das Vorliegen einer solchen Organleihe vorausgesetzte Steuerungsfähigkeit bzw. „effective control“ der Internationalen Organisation über das Verhalten der unterstellten Soldaten [s. zu dieser Voraussetzung der völkerrechtlichen Organleihe Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc)] aufgrund verbleibender gewichtiger Einflussmöglichkeiten der truppenstellenden BRD nicht gegeben ist. So ist die – ursprünglich – in nationalen Händen liegende Befehlsgewalt über die Soldaten der Bundeswehr durch die Eingliederung der Soldaten in eine multinationale Truppe unter Führung einer Internationalen Organisation zwar eingeschränkt, aber angesichts der Einräumung von lediglich „operational control“ keinesfalls vollständig auf die Internationale Organisation übertragen worden [s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. c) cc) (2)]. Im Lichte dieser – für den Bereich der völkerrechtlichen Zurechnung gewonnenen – Erkenntnis dürfte nach amtshaftungsrechtlichen Zurechnungsgesichtspunkten davon auszugehen sein, dass die mit jeweiligen Einsatz betraute Internationale Organisation nicht die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über die ihr abgestellten Bundeswehr-Soldaten innehat. Somit hat die BRD für das (amtspflichtwidrige) Verhalten von Bundeswehr-Soldaten auch im Rahmen von militärischen Missionen Internationaler Organisationen gemäß Art. 34 S. 1 GG einzustehen.186 Für den Fall, dass Bundeswehr-Soldaten im Rahmen einer internationalen Militäroperation an einem schädigenden, gegen die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte verstoßenden Ereignis nicht unmittelbar beteiligt sind, gilt für die Zurechnung des völkerrechtswidrigen Verhaltens zur BRD: Eine Zurechnung des Handelns ausländischer Soldaten, die etwa darauf basiert, dass die BRD mit Bundeswehr-Soldaten an der internationalen Operation überhaupt teilgenommen hat bzw. Mitglied der die Operation durchführenden Internationalen Organisation ist, ist nicht möglich. Die personale Konstruktion der Amtshaftung [s. dazu Teil 3, Gliederungspunkt B. I.] führt dazu, dass der Staat nur in dem Umfang haftet, wie der betreffende eigene Amtsträger selbst es nach § 839 BGB müsste, wenn es die Haftungsüberleitung durch Art. 34 GG nicht gäbe.187 Mit anderen Worten: Der Amtshaftungstatbestand kann nur an das schuldhafte Fehlverhalten eines deutschen Amtsträgers anknüpfen. Hoheitliche Handlungen von Streitkräften anderer Staaten bleiben – amtshaftungsrechtlich gesehen – ohne Folgen.188 186 So auch Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [229]. 187 s. BGHZ 169, 348 [363, Ziff. 30]. 188 Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus Art. VIII Abs. 5 lit. e) des NATOTruppenstatuts (= BGBl. 1961 II, S. 1190 ff.). Diese Vorschrift sieht vor, dass Schäden, die durch Mitglieder der NATO-Streitkräfte einem Dritten im Hoheitsgebiet eines Aufnahmestaates entstanden sind und die nach dem Recht des Aufnahmestaates zu ersetzen sind, im

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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Allerdings kann eine unterstützende Beteiligung deutscher Truppen an einer durch ausländische Soldaten im Rahmen einer internationalen Militärmission begangenen Verletzung des Völkerrechts eine Zurechnung der fremden, völkerrechtswidrigen Handlungen gemäß § 830 BGB ermöglichen [zur völkerrechtlichen Beihilfe s. Teil 2, Gliederungspunkt A. IV. 2. b)].189 Die Amtshaftung gehört rechtssystematisch zum Bereich der unerlaubten Handlungen, weswegen die allgemein für unerlaubte Handlungen geltenden Vorschriften, unter anderem § 830 BGB, grundsätzlich Anwendung finden [s. Teil 3, Gliederungspunkt B. I.]. § 830 I 1 BGB regelt die Haftung von Mittätern: Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, dann ist jeder für den Schaden verantwortlich. § 830 II BGB regelt die Haftung von Anstiftern und Gehilfen: Für diese gelten dieselben Grundsätze wie für Mittäter. Eine unterstützende, die Voraussetzungen des § 830 II BGB erfüllende Beteiligung durch deutsche Truppen liegt dann vor, wenn die Truppen – entsprechend der strafrechtlichen Begriffsbildung nach § 27 StGB – vorsätzlich einem anderen (hier: ausländische Truppen) zu dessen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung (hier: völkerrechtswidriger Angriff) Hilfe geleistet haben.190 Als Beihilfehandlung kommt dabei jede Form der Hilfeleistung in Betracht.191 Zur Illustrierung des Anwendungsbereiches des § 830 II BGB sei auf die Ausführungen des BGH im Fall Varvarin verwiesen. Dort stellte sich die Frage, ob die durch deutsche Streitkräfte gewährte Luftraumunterstützung für die – womöglich – völkerrechtswidrigen Luftangriffe ausländischer NATO-Partner die deutschen Soldaten zu Gehilfen im Sinne des § 830 II 2. Alt. BGB machte. Der BGH hat eine Zurechnung auf der Grundlage von § 830 II 2. Alt. BGB letztlich abgelehnt, da für eine Beihilfe durch deutsche Soldaten der erforderliche Vorsatz hinsichtlich eines völkerrechtswidrigen Luftangriffes durch andere NATO-Staaten gefehlt habe.192

Innenverhältnis unter den Vertragsstaaten nach einem bestimmten Schlüssel zu tragen sind. Aus dieser Vorschrift soll sich – laut BGH – ergeben, dass, selbst wenn der schädigende NATO-Staat nicht ermittelt werden kann, alle NATO-Vertragsstaaten, die als Verursacher in Betracht kommen, dem Geschädigten gegenüber gesamtschuldnerisch haften (BGHZ 122, 363 [365]). Das NATO-Truppenstatut ist jedoch auf Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes nicht anwendbar (BGHZ 169, 348 [364, Ziff. 31]. 189 Dass § 830 BGB als Zurechnungsregel zu behandeln ist, dazu s. Wagner, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 5. 190 Eberl-Borges, in: Staudinger, § 830 BGB Rdn. 38; Sprau, in: Palandt, § 830 BGB Rdn. 4; Wagner, in: MüKo, § 830 BGB Rdn. 14. 191 Teichmann, in: Jauernig (Hrsg.), § 830 BGB Rdn. 6; Wagner, in: MüKo, § 830 BGB Rdn. 14. 192 BGHZ 169, 348 [360, Ziff. 24].

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

III. Inhalt des Amtshaftungsanspruches Der Amtshaftungsanspruch hat den Ersatz des durch die Amtspflichtverletzung verursachten Schadens zum Inhalt, soweit der Ausgleich des Schadens vom – persönlichen und sachlichen – Schutzbereich der verletzten Amtspflicht erfasst ist.193 In persönlicher Hinsicht ist damit derjenige schadensersatzberechtigt, dem gegenüber die Amtspflicht zur Unterlassung jeglichen Missbrauches zu erfüllen war, und der durch ihre Verletzung geschädigt wurde,194 also im vorliegenden Falle der durch militärische, die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte verletzende Handlungen der Bundeswehr geschädigte Zivilist. Ersetzt werden in sachlicher Hinsicht die Schäden, die durch die Befolgung der Amtspflicht verhindert werden sollten, mithin alle durch amtsmissbräuchliche Handlungen von BundeswehrSoldaten verursachte Schäden an Zivilpersonen. Art und Umfang des Schadensersatzes ergeben sich aus den allgemeinen Bestimmungen der §§ 249 ff. BGB – mit der Besonderheit, dass der Amtshaftungsanspruch in der Regel nur auf Schadensersatz in Geld gerichtet ist und eine Naturalrestitution gemäß § 249 I BGB, die nur durch Vornahme eines hoheitlichen Handelns bewirkt werden kann, ausgeschlossen ist.195 Der Grund für diese Besonderheit liegt darin, dass die Amtshaftung nichts anderes als die auf den Staat übergeleitete (Eigen-)Haftung des Amtswalters für amtspflichtwidriges Tun darstellt. Die Haftung des Amtswalters kann aber nur auf das gehen, was dieser als Privatperson zu leisten vermag [s. dazu bereits Teil 3, Gliederungspunkt B. I.]. Der nach den §§ 249 ff. BGB zu bestimmende und im Rahmen der Amtshaftung zu leistende Geldersatz soll die Vermögenslage herstellen, die bei amtspflichtgemäßem Verhalten des Amtswalters bestanden hätte.196 Demzufolge ist jeder durch die Amtspflichtverletzung adäquat kausal verursachte Vermögensschaden zu ersetzen. Ein Vermögensschaden ist dann gegeben, wenn der jetzige tatsächliche Wert des Vermögens des Geschädigten geringer ist als der Wert, den das Vermögen ohne das die Ersatzpflicht begründete Ereignis haben würde.197 Für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, kann nach § 253 I BGB Geldersatz nur in den gesetzlich bestimmten Fällen verlangt werden. So kann gemäß § 253 II BGB für eine Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zusätzlich Schmerzensgeld verlangt werden.

193

Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 111; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 295. Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 236. 195 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 110; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 295; Schiemann, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 249 ff. BGB Rdn. 15; Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 78; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 240. 196 Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 237. 197 s. Heinrichs, in: Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rdn. 8. Dahinter steht die – auf Mommsen zurückgehende – Differenzhypothese, wonach der Schaden in der Differenz zwischen der tatsächlich durch das Schadensereignis geschaffenen und der unter Ausschaltung dieses Ereignisses gedachten Vermögenslage besteht. 194

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

355

Der durch militärische Handlungen von Bundeswehr-Soldaten geschädigte Zivilist kann im Einzelnen folgende Schadensposten nach den §§ 249 ff. BGB geltend machen: - Zunächst kann der Geschädigte die ihm infolge von Angriffen der Bundeswehr entstandenen Sachschäden geltend machen. Zu ersetzen ist dabei der für die Schadensbeseitigung erforderliche Geldbetrag.198 - Ferner kann er die ihm entstandenen Gesundheitsschäden geltend machen. Ersetzt werden alle Kosten zur Herstellung der Gesundheit, die der Verletzte für erforderlich halten durfte.199 Als eigener, ersetzbarer Gesundheitsschaden sind auch die sog. Schockschäden anzusehen.200 Hierbei geht es um die seelische Erschütterung, die jemand durch den Tod oder die Verletzung eines Angehörigen erleidet, indem er beispielsweise das schädigende Ereignis miterlebt.201 - Die infolge von Sachschäden oder Gesundheitsschäden bedingte Vereitelung von Arbeitsleistungen und Erwerbsmöglichkeiten kann als entgangener Gewinn gemäß § 252 BGB ersetzt werden.202 Wird etwa das Arbeitsgerät des Zivilisten beschädigt, so kann er den daraus resultierenden Erwerbsausfall einfordern. - Zusätzlich kann für – durch eine Verletzung der Gesundheit – erlittene immaterielle Schäden Schmerzensgeld gemäß § 253 II BGB verlangt werden. Die Leistung von Schmerzensgeld hat eine doppelte Funktion: Der Verletzte soll einerseits einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten, indem ihn das Schmerzensgeld in die Lage versetzt, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen.203 Andererseits soll das Schmerzensgeld dem Verletzten Genugtuung dafür verschaffen, was ihm der Schädiger angetan hat.204 Zur Taxierung des Schmerzensgeldes hat der Richter eine Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte vorzunehmen, in die zum Beispiel die Art und Dauer der Schäden und die individuellen Umstände des Geschädigten einfließen.205 Bei der Bemessung des immateriellen Schadensersatzes im Zusammenhang mit Gesundheitsschäden 198

Heinrichs, in: Palandt, § 249 BGB Rdn. 12; Oetker, in: MüKo, § 249 BGB Rdn. 395. Heinrichs, in: Palandt, § 249 BGB Rdn. 8; Oetker, in: MüKo, § 249 BGB Rdn. 381; Schiemann, in: Staudinger, § 249 BGB Rdn. 237; Teichmann, in: Jauernig (Hrsg.), § 249 BGB Rdn. 6. 200 Heinrichs, in: Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rdn. 71; Oetker, in: MüKo, § 249 BGB Rdn. 143; Schiemann, in: Staudinger, § 249 BGB Rdn. 44. 201 s. Schiemann, in: Staudinger, § 249 BGB Rdn. 43. 202 Schiemann, in: Staudinger, § 252 BGB Rdn. 46; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 239. 203 Heinrichs, in: Palandt, § 253 BGB Rdn. 11; Oetker, in: MüKo, § 253 BGB Rdn. 10; Schiemann, in: Staudinger, § 253 BGB Rdn. 28. 204 Heinrichs, in: Palandt, § 253 BGB Rdn. 11; Schiemann, in: Staudinger, § 253 BGB Rdn. 29. 205 Oetker, in: MüKo, § 253 BGB Rdn. 10; Schiemann, in: Staudinger, § 253 BGB Rdn. 34. 199

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

sind alle nachteiligen Folgen für die körperliche und seelische Verfassung des an der Gesundheit Verletzten, wie Schmerzen, Bedrückung infolge Entstellung, Schmälerung der Lebensfreude oder nervliche Belastung durch anhaltende Todesangst zu berücksichtigen.206 Auch für die infolge des Todes von Angehörigen erlittenen Schockschäden ist ein Schmerzensgeld gemäß § 253 II BGB zu leisten.207 - Darüber hinaus sehen die im Rahmen der Amtshaftung anwendbaren §§ 842 – 847 BGB208 – in Ergänzung zu den allgemeinen schadensrechtlichen Bestimmungen der §§ 249 ff. BGB – weitere ersatzfähige Schadensposten vor. So bestimmt beispielsweise § 844 BGB für den Fall der Tötung eines Menschen, dass die daraus resultierenden Beerdigungskosten (§ 844 I BGB) und der daraus resultierende Unterhaltsschaden (§ 844 II BGB) zu ersetzen sind. Hinter dem Anspruch nach § 844 II BGB steht der Gedanke, dem Unterhaltsberechtigten es zu ermöglichen, sein Leben in wirtschaftlicher Hinsicht so fortzuführen, als leistete der Getötete weiterhin Unterhalt.209

IV. Haftungsausschlüsse und -beschränkungen Nach Art. 34 GG trifft die Verantwortlichkeit für Amtspflichtverletzungen eines Amtswalters „grundsätzlich“ den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Amtswalter steht. Indem Art. 34 GG die Staatshaftung lediglich als Grundsatz vorsieht, lässt er zu, dass der zuständige Einzelgesetzgeber Ausnahmen von der Staatshaftung statuiert.210 Demgemäß bleiben auch die Ausnahmen bestehen, die in den schon bei Inkrafttreten des Art. 131 WRV und des Art. 34 GG geltenden Gesetzen vorgesehen waren.211 Insbesondere haben nach dem Inkrafttreten des Art. 34 GG zunächst auch diejenigen vorkonstitutionellen reichsrechtlichen Rechtsvorschriften ihre Geltung behalten, die die Staatshaftung gegenüber Ausländern einschränkten. So bestimmte § 7 RBHaftG (a.F.), dass der Bund bei Amtspflichtverletzungen seiner Beamten gegen206

Heinrichs, in: Palandt, § 253 BGB Rdn. 15. Schiemann, in: Staudinger, § 249 BGB Rdn. 44. 208 Zur Anwendbarkeit der §§ 842 ff. BGB im Rahmen der Amtshaftung s. Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 30. Für die Anwendbarkeit des § 844 BGB im Rahmen der Amtshaftung s. Röthel, in: Staudinger, § 844 BGB Rdn. 19. Zur Platzierung der §§ 842 – 847 BGB im Deliktsrecht und nicht im allgemeinen Schadensrecht s. Wagner, in: MüKo, §§ 842, 843 BGB Rdn. 2 ff. 209 Röthel, in: Staudinger, § 844 BGB Rdn. 72. 210 St. Rspr., s. etwa BGHZ 9, 289 [290]; BGHZ 12, 89 [91]; BGHZ 25, 231 [237]; BGHZ 99, 62. Zustimmend: Dagtoglou, in: BK, Art. 34 GG Rdn. 34; Osssenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 96; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 336; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 353. 211 s. Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 353. 207

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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über Ausländern nur haftete, wenn durch den Reichskanzler (jetzt: zuständiger Bundesminister) im Bundesgesetzblatt amtlich bekannt gemacht war, dass durch die Gesetzgebung des ausländischen Staates oder durch Staatsvertrag die Gegenseitigkeit verbürgt war. Diese Regelung hatte zur Folge, dass die Haftungsüberleitung gemäß Art. 34 GG gegenüber Ausländern ausgeschlossen war. § 7 RBHaftG ist durch Art. 6 des Auslandsverwendungsgesetzes vom 28. Juli 1993212 neu gefasst worden. Nach der nunmehr geltenden Fassung kann die Bundesregierung „zur Herstellung der Gegenseitigkeit durch Rechtsverordnung bestimmen, daß einem ausländischen Staat und seinen Angehörigen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes keinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben, Ansprüche aus diesem Gesetz nicht zustehen, wenn der Bundesrepublik Deutschland oder Deutschen nach dem ausländischen Recht bei vergleichbaren Schädigungen kein gleichwertiger Schadensausgleich geleistet wird.“

Damit ist Ausländern grundsätzlich ein auf die BRD gemäß Art. 34 GG übergeleiteter Amtshaftungsanspruch eingeräumt, es sei denn die Amtshaftung gegenüber Ausländern ist durch Rechtsverordnung der Bundesregierung ausgeschlossen. Eine solche Verordnung ist aber bislang nicht erlassen worden.213 Es bleibt also bei dem Grundsatz der Amtshaftung der BRD gegenüber Ausländern für Amtspflichtverletzungen von Amtsträgern des Bundes [s. dazu bereits Teil 3, Gliederungspunkte A. III. 2.].

V. Konkurrenzen Was die Konkurrenzen und damit die Frage, welche Ersatzmöglichkeiten neben dem Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bestehen können, anbelangt, so gilt zunächst, dass für hoheitliches Handeln eines Amtswalters die Haftung des Staates aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG im Verhältnis zu den allgemeinen deliktsrechtlichen Haftungstatbeständen der §§ 823 ff. BGB, die ebenfalls Verschulden voraussetzen, abschließend ist.214 Der Staat haftet für hoheitliches Handeln seiner Amtswalter damit nicht nach den §§ 823, 31, 89 BGB. Ansprüche aus Aufopferung und enteignungsgleichem Eingriff [s. Teil 3, Gliederungspunkt C. II.] beruhen auf anderen haftungsrechtlichen Wurzeln als der Amtshaftungsanspruch und sind überdies verschuldensabhängig. Sie können neben dem Amtshaftungsanspruch geltend gemacht werden.215 Der Folgenbeseitigungsanspruch [s. Teil 3, Gliederungspunkt C. III.] setzt anders als der Amtshaftungsanspruch kein Verschulden voraus; der wesentliche Unterschied in den Rechtsfolgen besteht darin, dass der Amtshaftungsanspruch vollen Schadens212 213 214 215

BGBl. I 1993, S. 1394 ff. s. Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 74; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 359. Sprau, in: Palandt, § 839 BGB Rdn. 3. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 118.

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

ersatz gewährt, wohingegen der Folgenbeseitigungsanspruch nur auf Wiederherstellung des status quo ante geht. Beide Ansprüche können daher nebeneinander geltend gemacht werden.216

VI. Haftende Körperschaft Unter Rückgriff auf die Ausführungen in Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 6. ist für die Frage nach der haftenden Körperschaft auf die Anstellungskörperschaft abzustellen. Dienstherr der Soldaten der Bundeswehr und damit Anstellungskörperschaft im amtshaftungsrechtlichen Sinne ist die BRD. Folglich ist die BRD haftendes Rechtssubjekt.

VII. Prozessuale Durchsetzung des Amtshaftungsanspruches 1. Verteilung der Beweislast Anders als auf der Ebene des primären Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten findet beim Amtshaftungsprozess der Amtsermittlungsgrundsatz keine Anwendung, es gilt vielmehr die Verhandlungsmaxime.217 Daraus folgt zugleich der Beibringungsgrundsatz, nach dem es allein Sache der Parteien ist, den Tatsachenstoff beizubringen, der die Entscheidung für das Gericht bilden soll.218 Die beklagte Partei (hier: BRD) ist im amtshaftungsrechtlichen Prozess nach zivilprozessualen Grundsätzen grundsätzlich nicht verpflichtet, den Kläger Akten oder Informationen zur Verfügung zu stellen, die dieser zum Beweis seines Klagevortrags benötigt.219 Dass sich der Geschädigte aber auf der Stufe des Primärrechtsschutzes gestützt auf die Vorschrift des § 100 VwGO, die ein Recht auf Einsicht in alle Akten vorsieht,220 wertvolle Informationen verschaffen könnte, ist überdies für die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegenden Fälle bedeutungslos, da in diesen Fällen die Einholung primären Rechtsschutzes nicht möglich sein wird. Im Amtshaftungsprozess muss der geschädigte Kläger (hier: ausländische Zivilisten) die drittschützende Amtspflichtverletzung, das Verschulden des Amtsträgers sowie den Eintritt und die Höhe des durch die Amtspflichtverletzung entstandenen Schadens beweisen:221 216 Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 527; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 332. 217 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1077. 218 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1077. 219 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1078. 220 Zum Inhalt und Umfang des Rechts auf Akteneinsicht gem. § 100 VwGO s. Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), § 100 VwGO Rdn. 6 ff. 221 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1087; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 399.

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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Der Nachweis der Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht222 erfordert vom Geschädigten als erstes, dass er darlegt und beweist, dass der Amtsträger hoheitlich gehandelt hat.223 Dass Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz hoheitlich handeln, steht außer Frage und bereitet somit keine Nachweis-Schwierigkeiten. Schwieriger wird für den geschädigten Zivilisten indes der Nachweis sein, dass er von Bundeswehr-Soldaten und nicht von Soldaten anderer Staaten geschädigt wurde. Darüber hinaus müsste der Geschädigte den Nachweis erbringen, dass das hoheitliche Handeln zur Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht geführt hat. Hierzu müsste er einen Sachverhalt vortragen können, der die Schlussfolgerung eines entsprechenden Amtsmissbrauches deutscher Soldaten im Krisengebiet begründet.224 Kann der geschädigte Kläger einen solchen, die Behauptung eines Amtsmissbrauches stützenden Sachverhalt vortragen, dann wird er keine Mühe haben, das Verschulden der Soldaten darlegen zu können,225 da ein Amtsmissbrauch ein vorwerfbares und damit schuldhaftes Verhalten impliziert [s. dazu Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 5.]. Außerdem obliegt es dem Kläger den Eintritt eines Schadens sowie dessen Höhe zu belegen. Im Rahmen der Beweisführung greifen zugunsten des Klägers die Beweiserleichterungen der §§ 287 ff. ZPO.226 Gemäß § 287 I ZPO kann das erkennende Gericht über die Schadensentstehung und die Höhe des Schadens nach freier Überzeugung befinden. Es reicht von Seiten des Klägers zur Beweisführung aus, wenn er schlüssig und substantiiert greifbare Anhaltspunkte für den geltend gemachten Schaden vorträgt, die eine gesicherte Grundlage für die Bildung der richterlichen Überzeugung nach § 287 I ZPO liefern.227 Was die Ursächlichkeit der Amtspflichtverletzung für den Schaden anbelangt, so ist in dieser Frage ebenfalls die Beweislasterleichterung des § 287 ZPO anzuwenden. Das Gericht kann dementsprechend den ursächlichen Zusammenhang zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden als erwiesen erachten, wenn die ermittelten Tatsachen mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit auf einen solchen Zusammenhang hindeuten.228 Hat der Geschädigte die Amtspflichtverletzung und den Schaden dargelegt, dann greift eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen des Ursachenzusammenhangs zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden.229

222 Zu den Einzelheiten des Nachweises der Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht s. Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1088 ff. 223 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1090. 224 Vgl. Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 400. 225 Zu den Einzelheiten des Nachweises des Verschuldens des Amtsträgers s. Tremml/ Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1098 ff. 226 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1118; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 400. 227 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1118. 228 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1133. 229 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1135.

360

Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Die BRD als Beklagte hat im Rahmen des Amtshaftungsprozesses unter anderem zu beweisen, dass die an sich gegebene Widerrechtlichkeit des schädigenden Verhaltens der Soldaten aus besonderen Gründen ausgeschlossen ist.230 Außerdem obliegt ihr der Nachweis eines den Vorsatz und damit das Verschulden ausschließenden Rechtsirrtums der Amtsträger.231 2. Rechtsweg Nach Art. 34 S. 3 GG darf für den Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden. Diese Bestimmung wird von der Rechtsprechung als spezielle Rechtswegzuweisung zu den ordentlichen Gerichten verstanden.232 Sachlich sind gemäß § 71 II Nr. 2 GVG unabhängig vom Streitwert die Landgerichte in erster Instanz zuständig. Örtlich zuständig ist das Landgericht des allgemeinen Gerichtsstandes, der bei der öffentlichen Hand durch den Sitz der Behörde bestimmt wird, die berufen ist, die öffentliche Hand in dem Rechtsstreit zu vertreten (vgl. § 18 ZPO).233 Die Vertretung der BRD vor Gericht ergibt sich aus der Vorschrift des Art. 65 S. 2 GG: Die darin geregelte Befugnis zur selbständigen Leitung des zugewiesenen Geschäftsbereiches schließt das Recht eines Bundesministers ein, die BRD vor Gericht – aktiv und passiv – zu vertreten.234 Einsätze der Bundeswehr in ausländischen Krisenregionen und sich daraus ergebende Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit (humanitär- und menschenrechtswidrigem) Handeln von Bundeswehr-Soldaten fallen in den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Damit ist das Bundesministerium der Verteidigung als die vom Bundesminister der Verteidigung geleitete Behörde zur Vertretung der BRD vor Gericht zuständig.235 Einzelheiten zur Vertretung in Angelegenheiten, die in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung gehören, ergeben sich aus der „Verwaltungsanordnung über die Vertretung des Bundes in Prozessen im Bereich des Bundesministers der Verteidigung“.236 Erster Dienstsitz des Bundesministeriums der Verteidigung ist Bonn.237 Dementsprechend ist das LG Bonn als Eingangsinstanz für Amtshaftungsklagen aufgrund von humani230 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1172; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 405. 231 Tremml/Karger, Der Amtshaftungsprozess, Rdn. 1174; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 405. 232 s. BGHZ 43, 34 [39]; BVerwGE 37, 321 [234]. 233 Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 406. 234 BGH NJW 20 (1967), 1755. 235 s. auch LG Hannover NZWehrR 43 (2002), 81; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.12.2006, Az. 2 S 24/06. 236 VMBl. 1969, S. 185 ff.; s. dazu auch Schumann, in: Stein/Jonas, § 18 ZPO Rdn. 28. 237 Heinrich, in: Musielak (Hrsg.), § 18 ZPO Rdn. 10; vgl. auch § 4 II Berlin/BonnG. Die Anschrift des ersten Dienstsitzes des Bundesministeriums der Verteidigung lautet: Fontainengraben 150, 53123 Bonn.

B. Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB

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tär- und menschenrechtswidrigem Verhalten von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz zuständig.238 Nach dem derzeitigen Geschäftsverteilungsplan des LG Bonn ist die 1. Zivilkammer des Gerichts mit der Bearbeitung von Amtshaftungsklagen betraut.239 Das Bestehen einer ausschließlichen deutschen Gerichtsbarkeit für auf Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte gestützte Amtshaftungsklagen gegen die BRD deckt sich auch mit dem Grundsatz der beschränkten Staatenimmunität. Nach dem Grundsatz der beschränkten Staatenimmunität ist ein Staat von der Gerichtsbarkeit eines fremden Staats – schon im Erkenntnisverfahren – befreit, soweit es um die Beurteilung seines hoheitlichen Verhaltens (acta iure imperii) geht.240 Nach der Distomo-Entscheidung des BGH sind militärische Handlungen deutscher Streitkräfte im Ausland als hoheitliches Handeln eines Staates zu qualifizieren.241 Damit sind – dem Grundsatz der beschränkten Staatenimmunität zufolge – hoheitliche, gegen völkerrechtliche Primärregeln verstoßende Verhaltensweisen deutscher Soldaten im Auslandseinsatz vornehmlich durch deutsche Gerichte nachzuprüfen. Ausnahmen vom Grundsatz der beschränkten Staatenimmunität aufgrund besonderer völkervertraglicher Vorschriften,242 wie zum Beispiel Art. 11 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität, kommen für die vorliegende Arbeit nicht in Betracht.243 Auch für hoheitliches Handeln, das gegen zwingendes Völkerrecht verstößt, unter anderem also Kriegsverbrechen, ist davon auszugehen, dass die Grundsätze der beschränkten Staatenimmunität gelten.244 Gegenläufige Überlegungen245 haben sich in 238

Vgl. auch LG Bonn NJW 57 (2004), 525. s. Geschäftsplan des LG Bonn für das Geschäftsjahr 2008, S. 18 (im Internet verfügbar unter http://www.lg-bonn.nrw.de/wir/gvp/GV2008Richter.pdf, nachgesehen am 25.07.2009). 240 Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, S. 47 ff., 53; Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 26 Rdn. 18; Hailbronner, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. III Rdn. 89 f. 241 BGH NJW 56 (2003), 3488 [3489]. 242 Zu solchen besonderen völkervertraglichen Vorschriften, die Immunitätsausnahmen statuieren, s. etwa Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 292 f. 243 s. Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [195]. 244 Epping, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 26 Rdn. 21 ff.; Hailbronner, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Kap. III Rdn. 95; Heß, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, S. 292 ff.; Kämmerer, Kriegsrepressalie oder Kriegsverbrechen?, in: ArchVR 37 (1999), 283 [307 f.]; Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, S. 86 ff.; Seidl-Hohenveldern, Staatenimmunität bei Kriegshandlungen, in: IPrax 41 (1996), 52 [53]; a.A. Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 294 f. 245 s. etwa Kokott, Missbrauch und Verwirkung von Souveränitätsrechten bei gravierenden Völkerrechtsverstößen, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung. Festschrift für Rudolf Bernhardt, S. 135 [148 f.]. 239

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Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

der völkerrechtlichen Praxis bisher nicht durchgesetzt.246 Ein entsprechender völkergewohnheitsrechtlicher Rechtssatz, der eine Ausnahme vom Grundsatz der Staatenimmunität bei hoheitlichem, gegen zwingende Normen des Völkerrechts verstoßendem Handeln statuiert, lässt sich demnach nicht verzeichnen. Zwar hat das englische House of Lords im Pinochet-Fall Ansätze einer Erosion der Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter bei gravierenden Völkerrechtsverstößen erkennen lassen.247 Auch die griechischen Gerichte haben in den Distomo-Verfahren der BRD zunächst die Berufung auf den Grundsatz der Staatenimmunität versagt,248 ähnlich wie später das italienische Kassationsgericht (Corte suprema di Cassazione) im Fall Ferrini hinsichtlich der Klage eines ehemaligen Zwangsarbeiters.249 Jüngst hat das italienische Kassationsgericht der BRD bei einer Klage italienischer Zwangsarbeiter und griechischer NS-Opfer, die von Deutschland Schadensersatz verlangen, die Berufung auf die Staatenimmunität abermals verweigert.250 Von diesen Ausnahmen abgesehen haben die nationalen Gerichte – und insbesondere die deutschen Gerichte – allerdings bei hoheitlichen Verstößen gegen zwingendes Völkerrecht regelmäßig Staatenimmunität gewährt.251 Auch nach Auffassung des EGMR rechtfertigt eine Verletzung zwingenden Völkerrechts keine Ausnahme vom Grundsatz der Staatenimmunität.252 246 s. aber auch jüngste Artikel der ILA zu völkerrechtlichen Prinzipien der Entschädigung von Kriegsopfern: Art. PS-1 der Prinzipien schreibt fest, dass sich ein Staat, gegen den Klagen vor ausländischen Gerichten anhängig sind, bei ihm zurechenbaren Verletzungen des ius cogens nicht auf das Argument der Staatenimmunität zurückziehen kann, s. ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Draft Declaration of International Law Principles on Compensation for Victims of War, S. 21 (im Internet verfügbar unter http://www.ila-hq.org/, Stichwort: „Committees“ › „List of Committees“ › „Compensation for Victims of War“, nachgesehen am 25.07.2009). Einen ausführlichen Überblick zu – denkbaren – Immunitätsausnahmen für staatliches Handeln, das gegen die Menschenrechte verstößt, liefert Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen. 247 House of Lords, Regina v. Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrate And Others, Ex-Parte Pinochet Ugarte (No. 3), [2000] 1 A.C. 147 (HL), 148. 248 s. LG Leivadia (Polymeles Protodikeio Leivadias), Präfektur Voiotia gegen Bundesrepublik Deutschland, 30.10.1997, Nr. 137/1997, abgedruckt in: RHDI 50 (1997), 595 [599]. 249 Corte Suprema di Cassazione (Sezioni Unite Civili), Ferrini c. Republica federale di Germania, Urteil (sentenza) vom 11.03.2004, Nr. 5044/04, abgedruckt in: RDI 87 (2004), 539 [542 ff.]. 250 Corte Suprema di Cassazione (Sezioni Unite Civili), Mantelli e.a. c. Republica federale di Germania, Verfügung (ordinanza) vom 29.05.2008, Nr. 14201/08. 251 s. BGH NJW 56 (2003), 3488 [3489]; BVerfG NJW 59 (2006), 2542 [2543]; US Court of Appeals (District of Columbia Circuit 1994), Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, 01.07.1994, 26 F.3d 1166 [1168, 1171 ff.]; zur Einschätzung, dass die nationalen Gerichte überwiegend abweisend hinsichtlich einer Immunitätsausnahme bei hoheitlichem Handeln eingestellt sind, s. auch Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [196]; Schwager, Ius bello durante et bello confecto, S. 289. 252 EGMR (Große Kammer), McElhinney gegen Irland, Nr. 31253/96, Entscheidung vom 21.11.2001, Ziff. 38; EGMR (Große Kammer), Al-Adsani gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 35763/97, Entscheidung vom 21.11.2001, Ziff. 61.

C. Anderweitige öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche

363

Nach gegenwärtigem Stand des Völkerrechts kommt daher eine Ausnahme vom Grundsatz der (beschränkten) Staatenimmunität bei hoheitlichem Handeln eines Staates, selbst wenn es gegen zwingende Normen des Völkerrechts verstößt, nicht in Betracht.253 (Amtshaftungs-)Klagen gegen die BRD wegen Verletzungen humanitär- und menschenrechtlicher Bestimmungen durch Bundeswehr-Soldaten unterliegen damit der – ausschließlichen – deutschen Gerichtsbarkeit.

C. Anderweitige öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche I. Subjektivierung des völkergewohnheitsrechtlichen Schadensersatzanspruches für zurechenbare Verletzungen des Völkerrechts über Art. 25 S. 2 HS 2 GG Möglicherweise könnte sich aus der Vorschrift des Art. 25 S. 2 HS 2 GG ergeben, dass der völkergewohnheitsrechtliche Schadensersatzanspruch für zurechenbare Verletzungen des humanitären Völkerrechts als individualgerichteter Schadensersatzanspruch zugunsten der geschädigten ausländischen Zivilisten gegen die BRD aufzufassen ist. Nach Art. 25 S. 1 GG sind die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts“. Gemäß Art. 25 S. 2 HS 2 GG erzeugen diese allgemeinen Völkerrechtsregeln „Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes“. Bei der Frage nach denjenigen Regeln des Völkerrechts, die gemäß Art. 25 S. 2 HS GG individuelle Rechte und Pflichten im innerstaatlichen Rechtsraum zu begründen vermögen, ist zu differenzieren zwischen individualgerichteten und staatengerichteten Regeln des Völkerrechts:254 Was individualgerichtete Regeln des Völkerrechts anbelangt, so kommt der Regelung des Art. 25 S. 2 HS 2 GG allenfalls deklaratorische Bedeutung zu, da diese Regeln bereits kraft Völkerrechts individuelle Rechte erzeugt haben.255 Individualgerichtet sind etwa die völkergewohnheitsrechtlich verbürgten Menschenrechtsgewährleistungen.256 253

So zuletzt auch Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, S. 94, 113. 254 s. Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10.12.2003, in: JZ 59 (2004), 574 [575 f.]; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 24 GG Rdn. 48, 49; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 25 GG Rdn. 9, 10; Koenig, in: von Mangoldt/F. Klein/Starck (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 59 f.; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 29 ff., 31 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 41 ff. 255 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 24 GG Rdn. 48; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 29; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 46. 256 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 24 GG Rdn. 48.

364

Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Ausschließlich staatengerichtete Regeln des Völkerrechts, wie zum Beispiel das völkerrechtliche Gewaltverbot sind einer Subjektivierung nach Art. 25 S. 2 HS 2 GG nicht zugänglich.257 Neben den ausschließlich staatengerichteten Regeln des Völkerrechts gibt es Völkerrechtssätze, die auf der Ebene des Völkerrechts zwar staatsgerichtet sind, die aber ihrem Gehalt nach eine individualschützende oder individualverpflichtende Finalität aufweisen.258 Für diese Kategorie von völkerrechtlichen Regeln entfaltet Art. 25 S. 2 HS 2 GG die ihm zugedachte konstitutive Wirkung, indem er die völkerrechtlichen Reflexwirkungen zugunsten Einzelner innerstaatlich zu subjektiven Rechten und Pflichten verstärkt.259 Einer Subjektivierung gemäß Art. 25 S. 2 HS 2 GG sind beispielsweise die – dem Individualschutz dienenden – Vorschriften des humanitären Völkerrechts, also unter anderem die Art. 48 ff. ZP-I, zugänglich.260 Ob die Regelung des Art. 25 S. 2 HS 2 GG darüber hinaus dem aus Verletzungen primärer Völkerrechtsregeln resultierenden, zunächst staatengerichteten (sekundären) Schadensersatzanspruch einen individuellen Rechtsgehalt verleihen kann, erscheint aber fraglich. Zwar können primär staatengerichtete Völkerrechtsnormen, die ihrem Inhalt nach aber durchaus auch als individualberechtigend aufgefasst werden können, durch Art. 25 S. 2 HS 2 GG innerhalb der deutschen Rechtsordnung subjektiviert werden (s. oben): So könnte der aus einer Verletzung individualberechtigender Primärregeln des humanitären Völkerrechts folgende Schadensersatzanspruch der Theorie nach eine Subjektivierung über Art. 25 S. 2 HS 2 GG erfahren.261 Einer solchen Subjektivierung stehen allerdings (noch) die derzeitige Völkerrechtslage und die Rechtsprechung des BVerfG entgegen, wonach bei „völkerrechtlichen Delikten durch Handlungen gegenüber fremden Staatsbürgern“ ein Anspruch „nicht dem Betroffenen selbst, sondern nur seinem Heimatstaat“ zusteht.262 Zudem

257

Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 28. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 24 GG Rdn. 48; Koenig, in: von Mangoldt/F. Klein/ Starck (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 60; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 47. 259 Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10.12.2003, in: JZ 59 (2004), 574 [576]; Koenig, in: von Mangoldt/F. Klein/Starck (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 60; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 47. 260 Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10.12.2003, in: JZ 59 (2004), 574 [576]; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 25 GG Rdn. 50. 261 s. etwa Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [203]. 262 BVerfGE 94, 315 [329]; BVerfG DVBl. 121 (2006), 622 [623]; s. insoweit auch Hillgruber, in: Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 26; Rojahn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 36; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Art. 25 GG Rdn. 76; s. aber auch BGH 169, 348 [356 f., Ziff. 16], der die Möglichkeit einer Subjektivierung des völkergewohnheitsrechtlichen Schadensersatzanspruches für Verletzungen primärer und individualberechtigender Völkerrechtsregeln über Art. 25 S. 2 HS 2 GG offen lässt und letztlich mit dem Argu258

C. Anderweitige öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche

365

wird ein individueller Schadensersatzanspruch – nach der hier vertretenen Auffassung – bereits über § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ermöglicht, so dass insoweit für eine individualisierende Funktion des Art. 25 S. 2 HS 2 GG kein Raum bleiben dürfte.263 Schließlich ist im Hinblick auf ausländische Zivilisten, die bei militärischen Krisenbewältigungs- und Konfliktverhütungseinsätzen der Bundeswehr zu Schaden gekommen sind, der persönliche Anwendungsbereich von Art. 25 S. 2 HS 2 GG als nicht eröffnet anzusehen: „Bewohner“ des Bundesgebietes sind all diejenigen natürlichen oder juristischen Personen, die der Gebiets- und Personalhoheit der BRD unterworfen sind.264 Diese – in persönlicher Hinsicht zu erfüllende – Eigenschaft liegt bei von Kampfhandlungen der Bundeswehr im Ausland betroffenen ausländischen Zivilisten nicht vor.265 Nach alldem kann einer Subjektivierung des völkergewohnheitsrechtlichen und staatengerichteten Schadensersatzanspruches für Verletzungen des (humanitären) Völkerrechts über Art. 25 S. 2 HS 2 GG zugunsten ausländischer Zivilisten, die durch Kriegshandlungen von Bundeswehr-Soldaten zu Schaden gekommen sind, daher nicht gefolgt werden.

II. Ansprüche aus Aufopferung und enteignungsgleichem Eingriff Als rechtsgüterspezifische Ersatzleistungsansprüche, die neben dem Amtshaftungsanspruch266 geltend gemacht werden können [s. zu den Konkurrenzen Teil 2, Gliederungspunkt B. V.] und deren Voraussetzungen bei humanitär- und menschenrechtswidrig verursachten Schäden im Rahmen militärischer Operationen der Bundeswehr ebenfalls erfüllt sein könnten, kommen in Betracht: der Anspruch aus Aufopferung für Verletzungen des Lebens und der Gesundheit und der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff für Beeinträchtigungen des Eigentums.

ment des persönlichen Anwendungsbereiches des Art. 25 GG („Bewohner des Bundesgebietes“ – dazu unten) ablehnt. 263 s. Dutta, Amtshaftung wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, in: ArchÖR 133 (2008), 191 [203]. 264 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 25 GG Rdn. 47; vgl. auch Dörr, Anmerkung zu Urteil des LG Bonn vom 10.12.2003, in: JZ 59 (2004), 574 [576]. 265 s. auch BGHZ 169, 348 [357, Ziff. 16]. 266 Beim Amtshaftungsanspruch ist – anders als bei den Ansprüchen aus Aufopferung und enteignungsgleichem Eingriff – ohne Belang, ob ein spezifisches Rechtsgut beeinträchtigt wurde. Der Amtshaftungsanspruch setzt lediglich voraus, dass dem Einzelnen infolge der Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht ein (Vermögens-)Schaden entstanden ist. Zu den rechtsgüterindifferenten Ersatzansprüchen gehört auch der – unter dem nachfolgenden Gliederungspunkt C. III. noch zu besprechende – Folgenbeseitigungsanspruch. Zur Einteilung in rechtsgüterindifferente und rechtsgüterspezifische Ersatzansprüche s. Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 5, 11 und 313.

366

Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Beide Ansprüche, der Anspruch aus Aufopferung und der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff, setzen eine rechtswidrige Beeinträchtigung,267 aber – anders als der Amtshaftungstatbestand – kein Verschulden voraus. Dementsprechend lässt sich durch die Ansprüche aus Aufopferung und enteignungsgleichem Eingriff die Gruppe derjenigen hoheitlichen Maßnahmen, die außerhalb des geltenden Amtshaftungsrechts stehen, nämlich die Gruppe rechtswidrig-schuldloser Maßnahmen, haftungsrechtlich erfassen. Die richterrechtlich entwickelten und geprägten Haftungsinstitute der Aufopferung und des enteignungsgleichen Eingriffs beruhen auf dem allgemeinen, gewohnheitsrechtlich anerkannten Aufopferungsgrundsatz, wie er im Preußischen Landrecht in den §§ 74, 75 Einl. PrALR seinen Ausdruck gefunden hat.268 Dieser allgemeine Aufopferungsgrundsatz besagt, dass der Einzelne, dem durch hoheitlichen Zwang unter Verletzung des Gleichheitssatzes und zum Wohle der Allgemeinheit ein Sonderopfer abverlangt worden ist, von der Gemeinschaft eine billige Entschädigung zu erhalten hat.269 Hinter dem Aufopferungsgrundsatz steht letztlich das – verfassungsrechtlich in Art. 3 I GG abgesicherte – Prinzip der Lastengleichheit.270 Der Tatbestandsstruktur der Aufopferung ist mit der des enteignungsgleichen Eingriffs deckungsgleich:271 Beide Haftungsinstitute verlangen – unter anderem – eine durch hoheitliche Maßnahmen erfolgte Beeinträchtigung eines immateriellen bzw. materiellen Rechtsgutes. Diese Beeinträchtigung muss sich im Rahmen der Aufopferung als den Einzelnen ungleich belastendes „Sonderopfer“272 darstellen. Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Sonderopfers kann die Rechtswidrigkeit der hoheitli267 Streng genommen müsste man bei Beeinträchtigungen des Lebens oder der Gesundheit zwischen rechtmäßigen Eingriffen, die einen Anspruch aus Aufopferung begründen, und rechtswidrigen Eingriffen, die einen Anspruch aus aufopferungsgleichem Eingriff nach sich ziehen, unterscheiden – ähnlich wie bei Eingriffen in das Eigentum, wo zwischen rechtmäßigen Eingriffen (Enteignung oder enteignender Eingriff) und rechtswidrigen Eingriffen (enteignungsgleicher Eingriff) differenziert wird. In der Rechtsprechung wird allerdings eine solche Differenzierung nicht vorgenommen und allgemein von einem Anspruch aus Aufopferung gesprochen, gleichgültig ob der Eingriff rechtmäßig oder rechtswidrig war, s. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 133. 268 Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 316, 424; Grezeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 44 Rdn. 66; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 224 ff.; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 35, 57; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 434. Zur Geschichte des Aufopferungsgrundsatzes s. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 124 ff. Zur Entwicklung des Institutes des enteignungsgleichen Eingriffs s. etwa Grezeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 44 Rdn. 2 ff. 269 s. Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 57. 270 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 130; Schneider, Folgenbeseitigung im Verwaltungsrecht, S. 21. 271 s. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 134; Wurm. in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 500. 272 Grundlegend zum Begriff des Sonderopfers BGHZ 6, 270 [280]. Danach wird das Sonderopfer umschrieben als zwangsweiser staatlicher Eingriff in das Eigentum, „der die betroffenen Einzelnen oder Gruppen im Vergleich zu anderen ungleich, besonders trifft und sie zu einem besonderen, den übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt …“.

C. Anderweitige öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche

367

chen Maßnahme sein.273 Im Rahmen des enteignungsgleichen Eingriffes wird das Tatbestandsmerkmal „Sonderopfer“ durch das Tatbestandsmerkmal „Rechtswidrigkeit der Maßnahme“ ersetzt, ohne dass sich dabei in der Sache etwas ändern würde.274 Denn auch der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff soll ein den Einzelnen über Gebühr belastendes Sonderopfer ausgleichen. Rechtswidrige Eingriffe, die über das Maß dessen hinausgehen was allen Bürgern zugemutet wird, legen dem Betroffenen stets ein solches Sonderopfer auf275 und lösen demzufolge die Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff aus. Auf die der vorliegenden Arbeit zugrundeliegenden Fälle gewendet erscheint das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen eines Anspruches aus Aufopferung und aus enteignungsgleichem Eingriff nicht von vorneherein ausgeschlossen: Es kommt sowohl zu einer Beeinträchtigung immaterieller (Leben, Gesundheit) als auch zu einer Beeinträchtigung materieller (Eigentum) Rechtsgüter infolge hoheitlicher Maßnahmen (militärische Operationen der Bundeswehr). Diese hoheitlichen Maßnahmen erfolgen unter Verletzung der in Zeiten bewaffneter Konflikte geltenden Bestimmungen, sind also rechtswidrig, womit – nach dem oben gesagten – vom Vorliegen eines den Einzelnen ungleich belastenden Sonderopfers auszugehen wäre. Gegen die Anwendbarkeit der Haftungsinstitute der Aufopferung und des enteignungsgleichen Eingriffs auf Kriegsschäden spricht jedoch, dass der allgemeine Aufopferungsgrundsatz und das dahinter stehende Prinzip der Lastengleichheit – ausgehend von der Intention des historischen Gesetzgebers der den allgemeinen Aufopferungsgrundsatz erstmals zum Ausdruck bringenden §§ 74, 75 Einl. PrALR – auf Maßnahmen der Verwaltung, wenn man so will den „Normalfall“, und nicht auf Kriegsschäden zugeschnitten sind.276 Gegen diese Verengung auf Maßnahmen der Verwaltung ließe sich zwar wiederum einwenden, dass – wie im Rahmen der Untersuchung der Anwendbarkeit der Amtshaftung auf bewaffnete Konflikte herausgearbeitet [s. Teil 3, Gliederungspunkt A. III. 2.] – der Staat auch in Kriegszeiten an Recht und Gesetz gebunden ist und hoheitliches Unrecht, um der Geltung der Rechtsbindung zur Durchsetzung zu verhelfen, entsprechende (zivil-)rechtliche Sanktionen nach sich ziehen muss, zumal die Zivilbevölkerung gerade in Kriegszeiten besonders schutzbedürftig ist. Diese – aufgezeigte – Rechtsbindung und Schutzbedürftigkeit der Zivilbevölkerung könnten womöglich für eine Anwendbarkeit der Aufopferung und des enteignungsgleichen Eingriffs auf Kriegsschäden streiten. 273

Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 333. Vgl. Grezeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 44 Rdn. 74. 275 Grezeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 44 Rdn. 74; Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 30; Wurm, in: Staudinger, § 839 BGB Rdn. 435. 276 s. zur Intention des historischen Gesetzgebers der §§ 74, 75 Einl. PrALR und der Begrenzung der Vorschriften auf den „Normalfall“ Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 127; vgl. ferner auch BGH NJW 56 (2003), 3488 [3493]. 274

368

Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

Die Fortgeltung des in Art. 20 III GG wurzelnden Rechtsstaatsprinzips in Kriegszeiten ist allerdings nicht verbunden mit der Forderung nach einer Gefährdungshaftung des Staates, also einer Haftung für sämtliches hoheitliches Unrecht, worauf die Institute der Aufopferung und des enteignungsgleichen Eingriffes der Sache nach hinauslaufen.277 Vielmehr verhält es sich so, dass der Gedanke der Haftung eines Staates für hoheitliches Unrecht, die das fortgeltende Rechtsstaatsprinzip absichert, im Rahmen bewaffneter Konflikte nicht insgesamt als suspendiert angesehen werden kann.278 Abweichungen von dem in Friedenszeiten geltenden Staatshaftungssystem, die der durch den bewaffneten Konflikt begründeten tatsächlichen und rechtlichen Ausnahmesituation Rechnung tragen279 und sich in den Grenzen des rechtsstaatlich Zulässigen bewegen, sind also durchaus zulässig, zum Beispiel dergestalt, dass der Staat für rechtswidrig-schuldhaftes Verhalten seiner Soldaten im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG haftet, nicht aber für rechtswidrig-schuldloses Verhalten aus Aufopferung und enteignungsgleichem Eingriff. Eine Bestätigung dieser – hier vorgenommenen – Anpassung des Staatshaftungsrechts an die Besonderheiten kriegerischer Auseinandersetzungen ist in den jüngeren und jüngsten völkerrechtlichen Entwicklungen, die ein (völkerrechtliches) Recht von zivilen Kriegsopfern auf eine Entschädigung anerkennen, zu sehen: Ein solches Individualrecht soll dann bestehen, wenn eine gravierende Völkerrechtsverletzung vorliegt und daraus ein schwerwiegender Nachteil hervorgeht – eine Konstellation, die nur dann eingetreten sein dürfte, wenn die Völkerrechtsverletzung und der daraus resultierende Schaden dem für die BRD handelnden Soldaten vorgeworfen werden können, das heißt von ihm verschuldet worden sind, und nicht bereits dann vorliegt, wenn sich das Verhalten des Soldaten in irgendeiner Weise nachteilig für die ausländischen Zivilisten ausgewirkt hat. Überdies erscheint die Ausrichtung auf das Amtshaftungsrecht zur haftungsrechtlichen Erfassung von Kriegsschäden auch in konzeptioneller Hinsicht vorzugswürdig: Die Amtshaftung statuiert eine Haftung des Staates für Amtspflichtverletzungen seiner Amtswalter, mithin für unerlaubte (hoheitliche) Handlungen,280 wohingegen Aufopferung und enteignungsgleicher Eingriff basierend auf dem Prinzip der Lastengleichheit einen Ausgleich für ein ungleich belastendes Sonderopfer bereitstellen. Dass ein Staat für unerlaubte, rechtswidrige Handlungen seiner Organe auch im Kriegsfalle einzustehen hat, leuchtet unmittelbar ein und entspricht im Wesentlichen den Grundsätzen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, wohingegen nicht ersichtlich ist, wie das Prinzip der Lastengleichheit und die damit verbundene Festle-

277

s. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 372. So OLG Köln NJW 58 (2005), 2860 [2862]. 279 Vgl. OLG Köln NJW 58 (2005), 2860 [2862]. 280 Dass eine Amtspflichtverletzung rechtssystematisch dem Bereich der unerlaubten Handlungen zuzuordnen ist, dazu s. bereits Teil 3, Gliederungspunkt B. I. 278

C. Anderweitige öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche

369

gung eines Maßstabes, wann eine Belastung als Sonderopfer zu werten ist und wann nicht, in Zeiten bewaffneter Konflikte zu verwirklichen ist. Daher kommen Ansprüche aus Aufopferung und enteignungsgleichem Eingriff für die dieser Arbeit zugrundeliegenden Fälle nicht in Betracht.

III. Folgenbeseitigungsanspruch Schließlich könnte neben dem Amtshaftungsanspruch ein sog. Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht zu ziehen sein. Der – ebenfalls richterrechtlich entwickelte281 – Folgenbeseitigungsanspruch zielt auf eine Beseitigung rechtwidrigen Verwaltungshandelns, das in subjektiv-öffentliche Rechte des Bürgers eingreift,282 und erfordert – genau so wie die Ansprüche aus Aufopferung und enteignungsgleichem Eingriff – kein Verschulden.283 Der auf die Beseitigung der Folgen hoheitlichen Handelns gerichtete Folgenbeseitigungsanspruch schließt die Lücken des Amtshaftungsanspruches gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, der nur bei Verschulden des Amtswalters vorliegt und keine Naturalrestitution, sondern eine Zahlung von Schadensersatz für das erlittene Unrecht vorsieht.284 Nach der hier vertretenen Auffassung ließe sich zwar aus den Art. 48 ff. ZP-I kein subjektiv-öffentliches Recht zur Begründung eines Anspruches auf Folgenbeseitigung herleiten [vgl. Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 3. b) aa)]. Es verbliebe aber die Möglichkeit, zur Herleitung subjektiv-öffentlicher Rechte auf die Grundrechte abzustellen:285 Schwerwiegende Verletzungen der Normen des humanitären Völkerrechts (zum Beispiel vorsätzliche Tötung von Zivilisten; Folter) führen zu einer Ver-

281 s. dazu Papier, in: MüKo, § 839 BGB Rdn. 80; Schneider, Folgenbeseitigung im Verwaltungsrecht, S. 30 f. 282 s. Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rdn. 39; Grezeszick, Rechte und Ansprüche, S. 108; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 307; Schneider, Folgenbeseitigung im Verwaltungsrecht, S. 81. Zu Entwicklung und Grundlagen des Folgenbeseitigungsanspruches s. etwa Grezeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 44 Rdn. 111 ff. sowie Schneider, Folgenbeseitigung im Verwaltungsrecht, S. 34 ff. Am Anfang der Entwicklung des Folgenbeseitigungsanspruches stand das Problem der Beseitigung von tatsächlichen Folgen, die durch den Vollzug inzwischen außer Kraft getretener Verwaltungsakte entstanden waren. Ein typischer Fall hierfür war die rechtswidrige Einweisung von Obdachlosen in Privaträume, s. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 287. 283 Grezeszick, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 44 Rdn. 112; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 332. 284 s. Bonk, in: Sachs (Hrsg.), Art. 34 GG Rdn. 44; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 34 GG Rdn. 63; Schneider, Folgenbeseitigung im Verwaltungsrecht, S. 23 ff. 285 Zur Herleitung subjektiv-öffentlicher Rechte aus den Grundrechten s. nur Scherzberg, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rdn. 6.

370

Teil 3: Ansprüche nach innerstaatlichem Recht

letzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 I GG, das – zweifellos – ein subjektiv-öffentliches Recht darstellt.286 Der Arbeitstitel zielt jedoch auf eine Untersuchung der – aus der Verantwortlichkeit Deutschlands für das Handeln seiner im Auslandseinsatz befindlichen Streitkräfte resultierenden – „Schadensersatzansprüche“. Die Zahlung von Schadensersatz auf der Grundlage des Folgenbeseitigungsanspruches, der nicht auf Geld, sondern auf eine Beseitigung der Folgen des Verwaltungshandelns geht, ist nicht möglich. Im Übrigen erscheint die Annahme eines Folgenbeseitigungsanspruches und die damit verbundene Verpflichtung des Staates, die Folgen des behördlichen Handelns rückgängig zu machen, bei grenzüberschreitenden Sachverhalten wie militärischen Operationen im Ausland durchaus befremdlich.

286

s. Schmahl, Amtshaftung für Kriegsschäden, in: ZaöRV 66 (2006), 699 [715].

Teil 4

Schlussbetrachtung Das statische und überkommene System der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln, wonach die Verletzungen von Normen des Völkerrechts auf zwischenstaatlicher Ebene zu behandeln sind, hat durch die Zuerkennung von Individualrechten [s. dazu ausführlich Teil 2, Gliederungspunkt B.] Risse bekommen. So bieten Menschenrechtsregime wie die EMRK dem von staatlichen Handlungen betroffenen Einzelnen die Möglichkeit, für eine Verletzung seiner (primären) menschenrechtlichen Rechte auf sekundärer Ebene Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen und eine Entschädigung zu erhalten (s. Art. 41 EMRK). Was – konkret – die zivilen Opfer bewaffneter Auseinandersetzungen anbelangt, so ist auch im Bereich des humanitären Völkerrechts das Bestehen von (primären) Individualrechten anerkannt, die dem Einzelnen einen Anspruch auf Einhaltung bestimmter humanitärer Verbote gewähren. Teilweise wird sogar das Bestehen (sekundärer) Individualrechte auf Schadensersatz für gravierende Verletzungen des humanitären Völkerrechts anerkannt bzw. gefordert, wie zum Beispiel in den Basic Principles der UNMenschenrechtskommission [s. zu den Basic Principles Teil 2, Gliederungspunkt B. III. 2. b) aa)]. Der im Völkerrecht zunehmend eingeschlagene „victim-centered approach“ ist unbestreitbar. Gleichwohl machen die zu verzeichnenden Entwicklungen (noch) Halt vor der Gewährung eines völkervertraglichen oder völkergewohnheitsrechtlichen Individualrechtes auf Schadensersatz für erlittene Kriegsschäden.1 Im Völkerstrafrecht besteht nach wie vor ein Ungleichgewicht zwischen einer durchnormierten Täterverantwortlichkeit und spärlichen vorhandenen Opferrechten.2 Und die Tatsache, dass Opfer staatlicher Handlungen ihre völkerrechtlichen Rechte vor einem internationalen Forum wie dem EGMR geltend machen können und für eine Verletzung ihrer Rechte Schadensersatz zugesprochen bekommen können, kann – global gesehen – nicht als allgemein akzeptierter völkerrechtlicher Standard angesehen werden. 1 s. jüngst Hofmann, in: ILA, Committee on Compensation for Victims of War, Rio de Janeiro Conference (2008), Draft Report, Preliminary Remarks, S. 2 (im Internet verfügbar unter http://www.ila-hq.org/, Stichwort: „Committees“ › „List of Committees“ › „Compensation for Victims of War”, nachgesehen am 25. 07. 2009). 2 Fleck, Individual and State Responsibility for Violations of the Ius in Bello, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 171 [204 f.]; A. Zimmermann, Responsibility for Violations of International Humanitarian Law, International Criminal Law and Human Rights Law, in: Heintschel von Heinegg/Epping (Eds.), International Humanitarian Law Facing New Challenges, S. 216 [220].

372

Teil 4: Schlussbetrachtung

Lösungen, diesem aus Kriegsopfersicht unbefriedigenden Zustand abzuhelfen, sind auf der Ebene des Völkerrechts für die Zukunft durchaus denkbar [s. dazu Teil 2, Gliederungspunkt B. V.], hängen aber maßgeblich von einem flächendeckenden Sinneswandel der das Völkerrecht immer noch entscheidend mitgestaltenden Staaten ab. Und – erschwerend – kommt für den Bereich des humanitären Völkerrechts hinzu, dass ein Forum, vor dem ausdrücklich Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch Individuen geltend gemacht werden können, zur Zeit nicht existiert und auf absehbare Zeit auch nicht existieren wird. Die derweil in Betracht kommende Möglichkeit der Durchsetzung der Verbote und Garantien des humanitären Völkerrechts über die Institution des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte würde erfordern, dass der Gerichtshof auch in Fällen bewaffneter Konflikte das Merkmal der „Hoheitsgewalt“ der Mitgliedstaaten (Art. 1 EMRK) als erfüllt ansähe und dann bereit wäre, eine Verletzung der Bestimmungen der EMRK anhand der Maßstäbe des humanitären Völkerrechts festzustellen. Auf der Ebene des nationalen, deutschen Rechts lassen sich die Vorgaben der jüngsten völkerrechtlichen Entwicklungen zur Entstehung eines (sekundären) Individualrechts auf Schadensersatz im Rahmen des Amtshaftungsrechts aufgreifen, indem ein völkerrechtswidriges und zugleich amtsmissbräuchliches Verhalten deutscher Bundeswehr-Soldaten, dessen Vorliegen etwa anhand der die jüngsten Entwicklungen aufnehmenden Draft Articles der ILAvon 2008 beurteilt werden kann, zur Begründung der Amtshaftung der BRD gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG herangezogen wird [s. Teil 3, Gliederungspunkt B. II. 3. b) bb) (2)]. Mit der zivilrechtlichen Sanktionierung von amtsmissbräuchlichen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht wird die in der deutschen Rechtsordnung bereits mögliche strafrechtliche Ahndung schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht (s. § 8 VStGB) komplementiert. Die gegen die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf Kriegsschäden vorgebrachten Argumente können letztlich nicht überzeugen: Nimmt man das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes und die im Grundgesetz zur Leitidee erhobene Subjektstellung des Einzelnen ernst, dann lässt sich eines Suspension des Gedankens der Haftung des Staates für hoheitliches Unrecht und damit eine Suspension des zentralen Tatbestandes der Staatshaftung, dem Amtshaftungstatbestand gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht aufrechterhalten [s. Teil 3, Gliederungspunkt A. III. 2.]. Überdies ist die Anwendung des Amtshaftungsrechts auf im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen verursachte Schäden insofern angezeigt, als damit aktuellen völkerrechtlichen Entwicklungen, wie zum Beispiel den Basic Principles der UNMenschenrechtskommission, die unter anderem die Staaten auffordern, den Opfern schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte eine Wiedergutmachung zu ermöglichen (Prinzip 15), entsprochen wird und dadurch dem im Grundgesetz verankerten Gebot der internationalen Zusammenarbeit und der daraus resultierenden Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung Rechnung getragen wird.

Teil 4: Schlussbetrachtung

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In rechtspolitischer Hinsicht ist ein sekundärer Individualrechtsschutz vor deutschen Zivilgerichten in Form amtshaftungsrechtlicher Ansprüche zu begrüßen, da hiermit ein effektives Mittel zur Durchsetzung humanitärer Primärregeln bereitgestellt wird. Die Erfahrung im Bereich des diplomatischen Schutzes, dem überkommenen zwischenstaatlichen Instrument der Geltendmachung völkerrechtlicher Rechtsverletzungen von Individuen, zeigt, dass die Staaten oftmals unwillig oder nicht in der Lage sind, Schadensersatz für die den heimischen Staatsangehörigen widerfahrenen Völkerrechtsverletzungen vom verantwortlichen Staat einzufordern. Zudem ist nicht zu verkennen, dass ein völkerrechtlicher Primäranspruch auf Einhaltung bestimmter (humanitärer) Verbote allein dem Einzelnen kaum weiterhilft, da präventiver Primärrechtsschutz vor nationalen Gerichten im Falle bewaffneter Konflikte in tatsächlicher Hinsicht nicht möglich sein wird. Außerdem stehen auch keine die deutsche Zivilgerichtsbarkeit überfordernde Klagewellen zu befürchten. So wird einerseits nicht jedes Fehlverhalten deutscher Soldaten im Auslandseinsatz als „amtsmissbräuchlich“ und damit als amtshaftungsrechtlich relevant einzustufen sein. Andererseits obliegt es nach den Beweislastregeln des Zivilprozesses den geschädigten ausländischen Zivilisten darzulegen, dass deutsche Soldaten im Rahmen bewaffneter Konflikte amtsmissbräuchlich gehandelt haben und ihnen aus diesem Amtsmissbrauch ein Schaden entstanden ist. Mit Blick auf den bei Amtshaftungsklagen im Zusammenhang mit (Fehl-)Verhalten von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz vorgezeichneten Zivilrechtsweg erscheint auch das Argument der kompetentiellen Überforderung der Gerichte mit komplexen Fragen militärischer Operationen weitestgehend entkräftet: Denn als Eingangsinstanz wird stets das LG Bonn als örtlich zuständiges Gericht mit Amtshaftungsklagen gegen die BRD, vertreten durch das Bundesministerium der Verteidigung, befasst sein; eine Berufung, die eine abermalige Überprüfung der tatsächlichen Umstände und eine Überprüfung der Rechtsanwendung des LG Bonn ermöglicht, hätte zum OLG Köln zu erfolgen. Nach den internen Geschäftsverteilungsplänen dieser Gerichte sind generell Amtshaftungsklagen und damit speziell Amtshaftungsklagen gegen die BRD im Zusammenhang mit völkerrechtswidrigem Verhalten von Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz einer bestimmten Zivilkammer (LG) bzw. einem bestimmten Zivilsenat (OLG) zugewiesen,3 bei denen sich folglich im Laufe der Zeit und bei mehrmaliger Befassung mit amtshaftungsrechtlich relevanten Auslandseinsatz-Sachverhalten eine entsprechende Expertise und Routine im Umgang mit solchen Sachverhalten entwickeln dürfte. Schließlich steht ebenso wenig zu befürchten, dass die (amts-)haftungsrechtliche Erfassung von Kriegsschäden – negative – Auswirkungen auf die Bündnisfähigkeit 3 Derzeit ist dies beim LG Bonn die 1. Zivilkammer, s. Geschäftsplan des Landgerichts Bonn für das Geschäftsjahr 2008, S. 18 (abrufbar im Internet unter http://www.lg-bonn.nrw.de/ wir/gvp/GV2008Richter.pdf, nachgesehen am 25. 07. 2009), und beim OLG Köln der 11. Zivilsenat, s. Geschäftsplan des OLG Köln für das Geschäftsjahr 2008, S. 31 (im Internet abrufbar unter http://www.olg-koeln.nrw.de/home/ wir/gvp/2008/gvp_s_08.pdf, nachgesehen am 25. 07. 2009).

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Teil 4: Schlussbetrachtung

der Bundesrepublik und damit letztlich auf die Bundesaußenpolitik haben wird. Wie in Teil 3, Gliederungspunkt A. III. 1. ausgeführt wird durch die zivilrechtliche Sanktionierung völkerrechtswidrigen Verhaltens der Pflichtenstatus der Bundeswehr-Soldaten nach den Vorgaben humanitärem Völkerrecht nicht erweitert, die Handlungsfähigkeit der Soldaten also nicht eingeschränkt. Die Haftbarmachung der BRD für amtsmissbräuchliches Verhalten ihrer militärischen Akteure kann vielmehr den Einsätzen der Bundeswehr eine zusätzliche Legitimität verleihen und zur allgemeinen Sicherheit der Soldaten beitragen, indem die durch völkerrechtswidriges Handeln geschädigten Zivilisten zumindest in haftungsrechtlicher Hinsicht ein gewisses Maß an ausgleichender Gerechtigkeit erfahren und sich kein Nährboden für Hassgefühle auf die oftmals als Eindringlinge und Besatzer empfundenen ausländischen Truppen und entsprechende Vergeltungsschläge und Terrorakte ausbreitet.4 Auf Seiten der Bundeswehr scheint man für die Entschädigungsproblematik völkerrechtswidrig geschädigter Zivilisten bereits durchaus sensibilisiert: So hat die Bundeswehr nach einem Vorfall in der Nähe der nordafghanischen Stadt Kunduz Ende August 2008, bei dem durch Schüsse von Bundeswehr-Soldaten unbeteiligte Zivilisten getötet worden waren, eine fünfstellige Summe in US-Dollar an die Hinterbliebenen gezahlt – wenngleich darin kein Schuldeingeständnis zu sehen sei, wie ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums ausdrücklich betonte.5

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Dass eine nicht erfolgte Entschädigung völkerrechtswidrig geschädigter Zivilisten den Erfolg einer internationalen Friedensmission gefährden kann dazu s. auch Fleck, Schutz der Menschenrechte bei Auslandseinsätzen: eine Herausforderung für Friedenstruppen, Entsendestaaten und internationale Organisationen, in: NZWehrR 50 (2008), S. 1 [6]. Auch Baele hebt die positive Wirkung von Entschädigungszahlungen auf die einheimische Bevölkerung und damit den gesamten Einsatz hervor, s. Baele, Compensation for Damage in Peace Operations, in: MLR 45 (2006), 193. 5 s. Deutschland zahlt Entschädigung für Tod von drei Afghanen (Nachricht vom 03. 09. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518, 576076,00.html (nachgesehen am 25. 07. 2009).

Zusammenfassung 1. Aufgabenspektrum und Schadensanfälligkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr (Teil 1)

- Das Aufgabenspektrum der Bundeswehr hat sich in den Jahren nach der weltpolitischen Wende von 1989/90 erheblich verändert: Einsätze zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung bilden auf absehbare Zeit den Schwerpunkt der Aufgaben der Bundeswehr (s. Weißbuch 2006). - In Zeiten zahlenmäßig zunehmender und intensiver ausgetragener Auslandseinsätze der Bundeswehr wird man an sich an Vorfälle gewöhnen müssen, in denen nicht nur Soldaten der Bundeswehr, sondern auch – unbeteiligte – ausländische Zivilisten verletzt oder getötet werden. Dies verdeutlicht nicht zuletzt der Vorfall vom 25. August 2008 in der Nähe der afghanischen Stadt Kunduz, bei dem ein Soldat der Bundeswehr auf ein verdächtiges Fahrzeug und einen sich darin befindlichen vermeintlichen Selbstmordattentäter schoss, dabei jedoch eine Frau und zwei Kinder tötete, sowie die von einem deutschen Oberst befohlene Bombardierung eines Tanklastzugs Anfang September 2009 in Afghanistan, bei der vermutlich zahlreiche afghanische Zivilisten getötet worden sind. 2. Völkerrechtliche Verantwortlichkeit Deutschlands für das Handeln seiner Streitkräfte im Auslandseinsatz (Teil 2, Gliederungspunkt A.)

- Bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr kommt eine Verletzung der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte und des Völkerstrafrechts in Betracht. Aus der Verletzung dieser Bestimmungen könnten sich sowohl auf völkerrechtlicher [s. Teil 2, Gliederungspunkt B.] als auch auf nationalrechtlicher Ebene [s. Teil 3] Ansprüche der geschädigten Zivilisten auf Schadensersatz ergeben. - Im Völkerrecht gilt der völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtssatz, dass eine Verletzung des Völkerrechts durch einen Staat dessen völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründet. - Das Regime der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten regelt, wann eine Verletzung des Völkerrechts durch einen Staat dessen völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründet und welche Rechtsfolgen sich an die Verletzung des Völkerrechts anschließen.

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Zusammenfassung

- Die verletzten Völkerrechtsnormen, die Rechte sowie (Handlungs- bzw. Unterlassungs-)Pflichten begründen, werden als Primärnormen bezeichnet; die Regeln der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, die die Konsequenzen der Verletzung ebensolcher Primärnormen regeln, werden als Sekundärnormen bezeichnet. - Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit setzt – gemäß den Artikeln der ILC zur Staatenverantwortlichkeit – ein völkerrechtswidriges Handeln („internationally wrongful act“) voraus (s. Art. 1 der ILC-Artikel). Die Voraussetzungen eines völkerrechtswidrigen Handelns sind dann erfüllt, wenn eine Verletzung des Völkerrechts vorliegt und diese Völkerrechtsverletzung dem entsprechenden Staat zurechenbar ist (s. Art. 2 der ILC-Artikel). - Die Grundsätze der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit sind auf Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die Menschenrechte und das Völkerstrafrecht gleichermaßen anwendbar. - Eine Verletzung des Völkerrechts durch Bundeswehr-Soldaten ist durch eine Gegenüberstellung der – normativen – Verpflichtungen der BRD und des – tatsächlichen – Verhaltens der Soldaten im Einsatz zu ermitteln. - Die Konzepte des Ius Cogens und der Erga-Omnes-Verpflichtungen haben für die Untersuchung des Bestehens eines Individualanspruches wegen Verletzungen des Völkerrechts keine unmittelbare Bedeutung, da sie die Nichtigkeit gegen zwingende Bestimmungen des Völkerrechts verstoßende Verträge bzw. die Durchsetzung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eines Staates durch einen nicht unmittelbar betroffenen Drittstaat, nicht aber die besonderen Auswirkungen schwerer Verletzungen bestimmter völkerrechtlicher Normen auf das Bestehen eines Individualanspruches zum Inhalt haben. - Maßgeblich für die Anwendbarkeit der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts (und der Bestimmungen des Völkerstrafrechts) ist das Vorliegen bewaffneter Auseinandersetzungen. Ist die Bundeswehr im Rahmen internationaler Konfliktverhütungs- und Krisenbewältigungseinsätze in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt, dann sind von den Soldaten der Bundeswehr sämtliche Bestimmungen des humanitären Völkerrechts, folglich auch die bei internationalen Konflikten einschlägigen Bestimmungen, zu beachten. - Findet der Auslandseinsatz unter dem Dach einer Internationalen Organisation statt, dann ist aus deutscher Sicht für die Bindung an die Vorgaben des humanitären Völkerrechts (und der Menschenrechte sowie des Völkerstrafrechts) entscheidend, ob die der Internationalen Organisation zur Verfügung gestellten Truppen aus dem Verbund der heimischen Streitkräfte ausgegliedert worden sind. Die Frage, ob eine solche Ausgliederung vorliegt, beurteilt sich nach den Grundsätzen zur völkerrechtlichen Organleihe zwischen Völkerrechtssubjekten (s. unten).

Zusammenfassung

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- Humanitäre Vorschriften zum Schutz von Zivilpersonen vor den Auswirkungen militärischer Operationen während bewaffneter Konflikte finden sich in vertraglichen Rechtsgrundlagen (Art. 48 – 60 ZP-I; Art. 22 – 28 HLKO) und im Gewohnheitsrecht. - Den Bestimmungen des humanitären Völkerrechts liegt der Gedanke zugrunde, dass die Existenz bewaffneter Konflikte als Realität hinzunehmen ist. Ausgehend von dieser Einsicht versucht das humanitäre Völkerrecht, einen Ausgleich zwischen militärischer Notwendigkeit und dem Schutz der Zivilbevölkerung zu erreichen. - Bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr könnten folgende – gewohnheitsrechtlich verfestigte – Regeln und Verpflichtungen verletzt sein: (1) die in den Art. 48, 51 II ZP-I vertraglich festgehaltene Regel, wonach Angriffe nur gegen Kombattanten, nicht gegen Zivilpersonen zu richten sind; (2) die Verpflichtung gemäß Art. 48, 52 II ZP-I, nur militärische Ziele, nicht hingegen zivile Objekte anzugreifen; (3) das Verbot unterschiedsloser Angriffe nach Art. 51 IV ZP-I; (4) das in Art. 51 V b) ZP-I fixierte Verbot unverhältnismäßiger Angriffe; (5) die Verpflichtung zum Ergreifen von Vorsichtsmaßnahmen nach Art. 57 ZP-I; (6) das Verbot der Verwendung von Waffen, die überflüssige Leiden verursachen, das in Art. 23 e) HLKO als auch in Art. 35 II ZP-I festgehalten ist; (7) und schließlich die in Art. 75 ZP-I und Art. 27 – 34 GA-IV verankerten – menschenrechtsähnlich – formulierten Garantien. - Vorsätzliche Verletzungen mancher der Bestimmungen der Art. 48 – 60 ZP-I sind als sog. Kriegsverbrechen anzusehen und begründen dementsprechend überdies eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit (s. unten). - Neben den Bestimmungen des humanitären Völkerrechts können in Zeiten bewaffneter Konflikte völkerrechtliche Menschenrechte (zum Beispiel EMRK) anwendbar sein: Angesichts der wechselseitigen Einfluss- und Bezugnahme von humanitärem Völkerrecht und völkerrechtlichen Menschenrechten kann an der – klassischen – Aufteilung in Friedens- und Kriegsvölkerrecht nicht mehr festgehalten werden, vielmehr können sich während bewaffneter Auseinandersetzungen die sachlichen Anwendungsbereiche beider Rechtsgebiete überschneiden. - Allerdings ist der Anwendungsbereich der Bestimmungen der EMRK in räumlicher Hinsicht aufgrund des Erfordernisses des Vorliegens von „Hoheitsgewalt“ eingeschränkt: Mit dem EGMR liegt das Merkmal der Hoheitsgewalt nur dann vor, wenn ein Vertragsstaat die „tatsächliche Kontrolle“ über ein – extraterritoriales – Gebiet ausübt. Das wird bei einer militärischen Besetzung der Fall sein, nicht aber bei Kampfhandlungen in der Luft oder am Boden.

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Zusammenfassung

- Die Beteiligung einer Internationalen Organisation an einem Auslandseinsatz der Bundeswehr wird an der Bindung der Soldaten an die Bestimmungen in der Regel nichts ändern, da es der BRD verwehrt sein dürfte, sich ihrer völkervertraglichen Verpflichtungen durch eine Delegation von hoheitlichen Kompetenzen an eine hoheitliche Organisation zu entledigen. - Aufgrund der Ausrichtung der vorliegenden Arbeit auf den – normativen – Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen militärischer Operationen und der Tatsache, dass bei solchen Operationen zumeist keine Hoheitsgewalt im Sinne des Art. 1 EMRK begründet wird, geht es – aus Sicht dieser Arbeit – bei der Untersuchung eventueller völkerrechtlicher Schadensersatzansprüche individueller Rechtssubjekte schwerpunktmäßig um die Frage, ob das humanitäre Völkerrecht Individuen mit völkerrechtlichen Primär- und Sekundäransprüchen ausstattet. - Trotz des eingeschränkten Anwendungsbereichs der EMRK auf militärische Operationen kann es gleichwohl vereinzelt zu Konstellationen kommen, in denen sowohl die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts als auch die Bestimmungen der EMRK zu beachten sind. Im Zusammenhang mit militärischen Operationen der Bundeswehr ist vor allem eine Verletzung des Rechts auf Leben (Art. 2 EMRK), des Folterverbotes (Art. 3 EMRK) und des Rechts auf Freiheit (Art. 5 EMRK) denkbar. Bei gleichzeitiger Anwendbarkeit von humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten ist das Verhältnis zwischen beiden Rechtsregimen nach Maßgabe der konkret in Betracht kommenden verletzten Vorschriften zu bestimmen. Steht zum Beispiel eine Verletzung des Rechts auf Leben gemäß Art. 2 EMRK in Rede, so ist die Verletzung dieses Rechts anhand des Vorliegens „rechtmäßiger Kriegshandlungen“ (Art. 15 II EMRK) und damit nach Maßgabe des humanitären Völkerrechts zu beurteilen. - Schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, sog. Kriegsverbrechen, begründen nicht nur eine individuelle völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters. Sie können zugleich die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des – hinter dem Täter stehenden – Staates nach sich ziehen und sind damit für die vorliegende Untersuchung von Relevanz, zumal die Tatsache, dass das Völkerrecht dazu übergeht, den (schädigenden) Einzelnen für Völkerrechtsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen, den Umkehrschluss zulassen könnte, den (geschädigten) Einzelnen als Träger entsprechender Wiedergutmachungs- und Schadensersatzansprüche anzusehen. - Das Vorliegen von Kriegsverbrechen setzt einen Verstoß gegen Bestimmungen des humanitären Völkerrechts voraus, der als gewichtig einzustufen ist. Art. 8 II RömSt führt zentrale und gewohnheitsrechtlich anerkannte Kriegsverbrechenstatbestände auf.

Zusammenfassung

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- Das neben der Verletzung einer völkerrechtlichen Norm zweite Erfordernis eines völkerrechtswidrigen, die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates auslösenden Handelns, die Zurechenbarkeit des Handelns, liegt in der Regel vor, wenn eigene Organe des Staates gehandelt haben (Art. 4 der ILC-Artikel). Das humanitäre Völkerrecht sieht in den Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I eine über die Artikel der ILC hinausgehende Zurechenbarkeit vor, indem es statuiert, dass Staaten für „alle“ von ihren Streitkräften begangenen Völkerrechtsverstöße verantwortlich sind. - Neben der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für Verhalten von Organen, mithin eigenes Verhalten, besteht im Völkerrecht die Möglichkeit die Beihilfe zu einer völkerrechtswidrigen Handlung eines anderen Staates (Art. 16 der ILC-Artikel), die allerdings vom Vorliegen subjektiver Voraussetzungen auf Seiten des Unterstützerstaates abhängt. - Angesichts der in der Praxis gängigen Einbindung der Bundeswehr in militärische Auslandsoperationen unter dem Dach Internationaler Organisationen (NATO, EU oder UN) stellt sich die Frage, welchem Völkerrechtssubjekt – BRD oder Internationale Organisation – das Verhalten der Bundeswehr-Soldaten im ausländischen Krisengebiet nunmehr völkerrechtlich zuzurechnen ist. - Bei Vorliegen einer völkerrechtlichen Organleihe zwischen BRD und jeweiliger Internationaler Organisation findet ein Wechsel des Zurechnungssubjektes statt – mit der Folge, dass das Verhalten der deutschen Soldaten nicht mehr der BRD, sondern ausschließlich der jeweiligen Organisation völkerrechtlich zuzurechnen ist. Voraussetzung einer solchen Organleihe ist: Erstens muss die als Zurechnungssubjekt in Betracht kommende Internationale Organisation völkerrechtsfähig sein; zweitens müssen die Handlungen der Bundeswehr-Soldaten, die der Internationalen Organisation für den Einsatz zur Verfügung gestellt werden, als Handlungen der Organisation anzusehen sein, was dann der Fall ist, wenn den Soldaten Aufgaben der Organisation zugewiesen sind und sie in die Struktur der Organisation eingebunden sind und ihr Verhalten durch diese entscheidend gesteuert wird (sog. „effective control“). - Was die erste Voraussetzung der Organleihe anbelangt, so steht die Völkerrechtsfähigkeit der UN außer Frage; die der NATO ist weitestgehend anerkannt. Im Hinblick auf die EU sprechen faktische Entwicklungen, insbesondere Vertragsschlüsse der EU mit Drittstaaten und die Sprachregelungen des Lissabonner Vertrages, dafür, die EU mittlerweile als internationalen Akteur mit einer partiellen, vor allem auf das Gebiet der ESVP bezogenen Völkerrechtsfähigkeit anzusehen. - Was die zweite Voraussetzung der Organleihe anbelangt, so kommt es für die Einbindung der Soldaten in die Internationale Organisation und die Steuerung ihres Verhaltens durch die Organisation entscheidend auf die Ausgestaltung der Befehls-

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gewalt im konkreten Falle an. Bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung im Rahmen Internationalen Organisationen wird in der Regel von deutscher Seite die sog. „operational control“ auf den internationalen Befehlshaber übertragen. Zwar wird dadurch die deutsche Befehlsgewalt – faktisch – eingeschränkt. Die mit der Übertragung von „operational control“ verbundenen Befugnisse reichen aber zur Begründung einer völkerrechtlichen Organleihe und eines dadurch ausgelösten Wechsel des Zurechnungssubjektes nicht aus. - Neben dem Handeln eigener Organe und der Beihilfe zu einer völkerrechtswidrigen Handlung eines anderen Völkerrechtssubjekts ist als weiterer Anknüpfungspunkt für eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der BRD die schlichte Zugehörigkeit der BRD zu einer Internationalen Organisation in Betracht zu ziehen, im Rahmen derer eine schadensverursachende militärische Operation gemeinsam, also auch von der BRD, beschlossen und durchgeführt wird, ohne dass die BRD bzw. ihre Truppen dabei an der konkreten Schadensverursachung beteiligt sind. Eine Zurechnung eines schadensverursachendes Verhaltens, das im Zusammenhang mit der Tätigkeit einer Internationalen Organisation steht, qua Mitgliedschaft der BRD in dieser Organisation kann jedoch nicht erfolgen. Die Zurechnung eines völkerrechtswidrigen Handelns im Zusammenhang mit dem Tätigkeitsbereich einer Internationalen Organisation erfordert ein gewisses Maß an Einflussnahme von deutscher Seite auf das Verhalten der Organisation. - Als weitere Voraussetzungen der Begründung einer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit könnten das Merkmal des Verschuldens und das Vorliegen eines Schadens in Betracht zu ziehen sein. Das Institut der – völkergewohnheitsrechtlich verfestigten – Staatenverantwortlichkeit setzt indes weder Verschulden noch das Vorliegen eines Schadens voraus. . 3. Völkerrechtliche Schadensersatzansprüche geschädigter Zivilpersonen (Teil 2, Gliederungspunkt B.)

- Nach Maßgabe des Systems der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, wie es seinen Ausdruck in den Artikeln der ILC zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten gefunden hat, kommen nur Staaten als Beteiligte der infolge der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit entstehenden (sekundären) Rechtsbeziehungen in Betracht; Art. 33 II der ILC-Artikel schließt indes nicht aus, dass völkerrechtliches Unrecht von Staaten auch zu entsprechenden (Sekundär-)Rechten von Individuen führen kann. - Abweichend von der klassischen Sicht des Völkerrechts, wonach ausschließlich Staaten Völkerrechtssubjektivität zuerkannt wird, kann der Einzelne mittlerweile Inhaber völkerrechtlicher (Primär-)Rechte sein.

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- Die Primärrechtsträgerschaft von Individuen legt es nahe, den allgemeinen Verantwortlichkeitsgrundsatz, der besagt, dass die Verletzung völkerrechtlicher Primärrechte entsprechende Sekundärrechte des Verletzten nach sich zieht, auf die Beziehungen zwischen (verantwortlichem) Staat und (verletztem) Individuum zu übertragen. Aus dogmatischen und tatsächlichen Gründen kann der Annahme eines allgemeinen Sekundäranspruches von Individuen für Verletzungen völkerrechtlicher (Primär-)Bestimmungen gegen den für die Verletzungen verantwortlichen Staat jedoch nicht gefolgt werden. - Für einen völkerrechtlichen (sekundären) Schadensersatzanspruch geschädigter Individuen bedarf es vielmehr einer völkervertraglichen oder völkergewohnheitsrechtlichen Rechtsgrundlage. - Eine solche ausdrückliche völkervertragliche Rechtsgrundlage für einen individuellen Schadensersatzanspruch könnte in Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I zu sehen sein: Unter Rückgriff auf Wortlaut, Kontext und Telos der Vorschrift kann Art. 3 HA-IV zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses allerdings nicht als individualrechtlich interpretiert werden. Die – subsidiär – heranzuziehende Entstehungsgeschichte der Vorschrift wird von manchen Vertretern des Schrifttums als Argument für eine individualrechtliche Lesart von Art. 3 HA-IV gesehen. Bei genauerem Hinsehen kann dem Vorschlag des deutschen Delegierten, auf den sich diese Ansicht beruft, und den darauf folgenden Reaktionen der übrigen Delegierten jedoch nicht entnommen werden, dass Art. 3 HA-IV – ursprünglich – als Individualberechtigung konzipiert worden war. Auch der zeitlich nachfolgende, 1977 verabschiedete Art. 91 ZP-I kann nicht im Sinne einer Individualberechtigung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses interpretiert werden. - Das Bestehen eines völkergewohnheitsrechtlichen Rechtssatzes, wonach Individuen, die bei bewaffneten Auseinandersetzungen infolge einer Verletzung humanitärer Bestimmungen zu Schaden kommen, ein (sekundärer) Schadensersatzanspruch gegen den für die Verletzung verantwortlichen Staat zusteht, erfordert den Nachweis einer Staatenpraxis, die eine ausreichende „Dichte“ aufweist, und die von dem Bewusstsein der rechtlichen Verpflichtung getragen ist. - In der internationalen Rechtspraxis lässt sich seit geraumer Zeit ein „victim-centered approach“ beobachten, wonach die Belange des Einzelnen, der kriegerischen Ereignissen ausgesetzt ist, mehr und mehr Berücksichtigung finden: Angedeutet hatte sich diese Entwicklung mit dem Aufkommen sog. Ad-Hoc Claims Commissions, unter anderem der Eritrea-Ethiopia Claims Commission. Mit dem 2002 in Kraft getretenen Art. 75 RömSt können Opfer von Kriegsverbrechen eine (finanzielle) Wiedergutmachung erlangen, indem der IStGH unmittelbar gegen den (individuellen) Verurteilten eine Anordnung zur Wiedergutmachung erlassen kann. Die nachfolgenden Vorgänge im Völkerrecht – das IGH-Gutachten zum Bau einer Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten, der Bericht der „Com-

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mission of Inquiry on Darfur“ und die Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission – gehen soweit, dass sie ausdrücklich ein Individualrecht auf Wiedergutmachung bei Kriegsschäden bzw. eine staatliche Wiedergutmachungspflicht, eine solche Entschädigung nach nationalem Recht zu gewähren, anerkennen oder fordern. Die Reaktionen der Staatenwelt auf diese völkerrechtlichen Vorgänge sind überaus spärlich, vorwiegend aber zurückhaltend. Von einer einhelligen Akzeptanz eines Individualrechts auf Wiedergutmachung bzw. einer staatlichen Wiedergutmachungspflicht für Verletzungen der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts kann damit nicht die Rede sein. - Was die nationale Praxis im Zusammenhang mit individuellen Schadensersatzansprüchen für Kriegsschäden anbelangt, so haben die mit solchen Ansprüchen schwerpunktmäßig befassten Gerichte Japans, Amerikas und Deutschlands ganz überwiegend auf völkerrechtliche Grundlagen gestützte Ansprüche von Kriegsopfern abgelehnt und dabei unterschiedliche Argumente (zum Beispiel traditionelle Konzeption des Völkerrechts; Staatenimmunität; fehlende „self-executing“Eigenschaft der Normen des humanitären Völkerrechts; Vorbehalt der Politik) angeführt. - Die zu verzeichnenden Vorgänge in der internationalen und nationalen Praxis lassen damit (noch) nicht den Schluss zu, dass das Völkerrecht einen gewohnheitsrechtlichen sekundären Individualanspruch für Kriegsschäden bereithält, wenngleich es vereinzelt Fälle und Verfahren gegeben hat, in denen den Opfern bewaffneter Auseinandersetzungen eine Entschädigung zu Teil geworden ist. Die Einforderung individueller, auf Verletzungen des humanitären Völkerrechts gestützter Ansprüche vor Gerichten des Schädigerstaates ist somit (noch) nicht möglich. Vor ausländischen Gerichten sehen sich die Kläger überdies mit dem Hindernis der Staatenimmunität konfrontiert. Auf internationaler Ebene existieren bislang keine Foren, vor denen eine Verletzung der Vorschriften des humanitären Völkerrechts und entsprechende Sekundärrechte gerichtet auf Wiedergutmachung geltend gemacht werden können. De lege ferenda ließe sich diesem aus Opfersicht unbefriedigenden Zustand abhelfen, indem zum Beispiel Art. 3 HA-IV und Art. 91 ZP-I – im Wege einer dynamischen Auslegung gemäß Art. 31 III lit. b) WVK – individualrechtlich interpretiert werden würden. Zudem könnte für die Zukunft eine Durchsetzung humanitärer Regeln über den „Umweg“ des Individualbeschwerdeverfahrens vor dem EGMR (Art. 34 EMRK) in Betracht kommen. Schließlich bleibt es den Staaten unbenommen, ihr nationales Recht so ausgestalten, dass Individuen, die bei Auslandseinsätzen der Armee des Staates infolge von Verletzungen zu Schaden gekommen sind, eine staatliche Entschädigungsleistung erhalten. Vor dem Hintergrund aktueller völkerrechtlicher Entwicklungen wie zum den Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission, die die Staaten anmahnen, Wiedergutmachung an Opfer schwerer Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zu leisten (Prinzip 15 der Basic Principles), erschiene dies überaus begrüßenswert.

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4. Nationalrechtliche Schadensersatzansprüche geschädigter Zivilpersonen (Teil 3)

- Die Verletzung völkerrechtlicher Normen könnte womöglich Amtshaftungsansprüche der infolge von Auslandseinsätzen der Bundeswehr geschädigten Zivilisten gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG begründen. - Was die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf Auslandseinsätze der Bundeswehr anbelangt, so gilt in kollisionsrechtlicher Hinsicht, dass auf das Recht des Amtsstaates abzustellen ist. Dass die Amtspflichtverletzung im Ausland begangen wurde, ist damit also unerheblich. Das deutsche Amtshaftungsrecht wird auch nicht durch die Völkerrechtsordnung verdrängt. Zudem steht der Umstand eines bewaffneten Konfliktes der Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts ebenfalls nicht entgegen: Die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts auf militärische Operationen der Bundeswehr in ausländischen Krisengebieten ist mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar; eine Suspendierung des Amtshaftungsrechts gestützt auf das Argument des in bewaffneten Konflikten herrschenden Ausnahmezustandes kommt mit Blick auf die vom Grundgesetz gewährten subjektivöffentlichen Rechte und das damit zusammenhängende Rechtsstaatsprinzip, das auch in Zeiten bewaffneter Konflikte gilt, nicht in Betracht. Überdies fordert der vom GG zum Verfassungsziel erhobene Grundsatz der internationalen Zusammenarbeit (und die daraus folgende Völkerrechtsfreundlichkeit des deutschen Rechts), die Befolgung völkerrechtlicher Gebote, wie zum Beispiel das in Prinzip 15 der Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission zum Ausdruck kommende Gebot der Wiedergutmachung schwerer Völkerrechtsverletzungen, zu fördern und zu erleichtern – eine Forderung, die beim Ausklammern von Auslandseinsätzen der Bundeswehr aus dem Anwendungsbereich der Amtshaftung sträflich missachtet werden würde. - Im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Amtshaftungstatbestandes gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ergibt sich: Bundeswehr-Soldaten sind taugliche Amtsträger im Sinne des Amtshaftungsrechts. Militärische Operationen im Ausland lassen sich grundsätzlich als Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes einordnen, auch im Falle kompetenzüberschreitenden und sogar missbräuchlichen Verhaltens. Eine Amtspflichtverletzung liegt dann vor, wenn der Soldat den Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zuwiderhandelt. - Der Drittschutz der durch die Soldaten verletzten Amtspflicht hängt davon ab, ob man den Schutzzweck der Bestimmungen der Art. 48 ff. ZP-I und der Menschenrechte darin sieht, den Interessen des Einzelnen zu dienen. Was jedenfalls die Art. 48 ff. ZP-I anbelangt, so hat die Auslegung des Art. 51 ZP-I – stellvertretend für die Art. 48 ff. ZP-I – gezeigt, dass die überwiegenden Gründe gegen eine drittschützende Lesart des Art. 51 ZP-I sprechen. Es besteht aber die Möglichkeit, über die Fallgruppe des Amtsmissbrauchs Verstöße gegen die Art. 48 ff. ZP-I amtshaf-

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tungsrechtlich zu sanktionieren. Ein – amtshaftungsrechtlich relevanter – Amtsmissbrauch liegt nicht schon bei jeder schuldhaft fehlerhaften Amtsausübung vor, sondern nur dann, wenn qualifizierte Umstände hinzutreten. Nimmt man § 826 BGB als Ausgangspunkt für die Präzisierung dieser qualifizierten Umstände, dann muss die amtsmissbräuchliche Amtsausübung vorsätzlich erfolgen und gegen die guten Sitten verstoßen, sprich besonders verwerflich erscheinen. Die Merkmale des Vorsatzes und der besonderen Verwerflichkeit dürften insbesondere bei Kriegsverbrechen vorliegen. Die beiden Merkmale befinden sich im Einklang mit den auf völkerrechtlicher Ebene herauskristallisierenden Voraussetzungen eines individuellen Rechts auf Entschädigung für kriegsbedingte Schäden: So statuiert Prinzip 11 der Basic Principles der UN-Menschenrechtskommission, dass grobe („serious“) Verstöße gegen die Menschenrechte und gravierende („serious“) Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht ein Individualrecht auf Wiedergutmachung begründen – eine Konstellation, die ohne weiteres bei vorsätzlichen und besonders verwerflichen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht erfüllt sein dürfte. - Des Weiteren setzt der Amtshaftungstatbestand gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG voraus, dass der Amtsträger die Amtspflichtverletzung verschuldet hat, was bei amtsmissbräuchlichen Verhaltensweisen in der Regel der Fall sein wird. - Die Verantwortlichkeit der BRD für amtspflichtwidriges Verhalten von Bundeswehr-Soldaten gemäß Art. 34 GG hängt davon ab, ob die Soldaten im Dienste der BRD stehen. Auch bei Beteiligung einer Internationalen Organisation an Auslandseinsätzen wird dieses Merkmal gegeben sein, da die Einschaltung der Internationalen Organisation nicht zur Folge hat, dass diese die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über die Soldaten innehat. Auf der Grundlage von § 830 BGB kann der BRD, für den Fall dass Bundeswehr-Soldaten an einem Völkerrechtsverstoß nicht unmittelbar beteiligt sind, das völkerrechtswidrige Verhalten eines anderen Bündnispartners zugerechnet werden. - Inhaltlich zielt der Amtshaftungsanspruch auf den Ersatz des durch die Amtspflichtverletzung verursachten Schadens ab. Art und Umfang des Schadensersatzes ergeben sich aus den §§ 249 ff. BGB – mit der Besonderheit, dass der Amtshaftungsanspruch nur auf Schadensersatz in Geld gerichtet ist und eine Naturalrestitution gemäß § 249 I BGB ausgeschlossen ist. Gemäß den §§ 249 ff. BGB können die geschädigten Zivilisten Sachschäden, Gesundheitsschäden, die Vereitelung von Arbeitsleistungen und – im Falle einer Verletzung der Gesundheit – auch Schmerzensgeld (§ 253 I BGB) geltend machen. - Neben dem Amtshaftungsanspruch können Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff und Aufopferung sowie ein Anspruch auf Folgenbeseitigung bestehen. Die Voraussetzungen von Ansprüchen aus enteignungsgleichem Eingriff und Aufopferung scheinen im Falle von Kriegsschäden auf den ersten Blick auch erfüllt: Es

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kommt zu einer Beeinträchtigung materieller bzw. immaterieller Rechtsgüter infolge hoheitlicher Maßnahmen, und diese Maßnahmen erfolgen unter Verletzung der in Zeiten bewaffneter Konflikte geltenden Bestimmungen, sind also rechtswidrig, womit das Vorliegen eines Sonderopfers indiziert wäre. Mit Blick auf die Intention des historischen Gesetzgebers der den allgemeinen Aufopferungsgrundsatz erstmals zum Ausdruck bringenden §§ 74, 75 Einl. PrALR und mit Blick auf aktuelle Entwicklungen im Völkerrecht kommt eine Anwendung der Haftungsinstitute des enteignungsgleichen Eingriffs und der Aufopferung auf Kriegsschäden jedoch nicht in Betracht. Ebenfalls könnte ein Anspruch auf Folgenbeseitigung den anspruchsbegründenden Voraussetzungen nach möglicherweise gegeben sein, ist allerdings inhaltlich stets auf eine Beseitigung der Folgen des Verwaltungshandelns, nicht aber auf Geldersatz gerichtet und liegt damit außerhalb der Reichweite dieser Arbeit, die dem Bestehen individueller „Schadensersatzansprüche“ für kriegsbedingte Schäden nachgeht. - Schließlich verleiht Art. 25 S. 2 HS 2 GG, wonach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen, dem aus Verletzungen des Völkerrechts resultierenden, zunächst staatengerichteten sekundären Schadensersatzanspruch keinen individuellen Rechtsgehalt.

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Entscheidungsverzeichnis

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EGMR (Große Kammer), Al-Adsani gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 35763/97, Entscheidung vom 21. 11. 2001 EGMR (Große Kammer), Bankovic´ u. a. gegen Belgien u. a., Nr. 52207/99, Entscheidung vom 12. 12. 2001 = EuGRZ 29 (2002), 133 ff. EGMR (Erste Kammer), Öcalan gegen Türkei, Nr. 46221/99, Entscheidung vom 12. 03. 2003 = EuGRZ 30 (2003), 472 ff. EGMR (Zweite Kammer), Issa u. a. gegen Türkei, Nr. 31821/96, Entscheidung vom 16. 11. 2004 EGMR, Isayeva gegen Russland, Nr. 57950/00, Entscheidung vom 24. 02. 2005 EGMR (Große Kammer), Markovic u. a. gegen Italien, Nr. 1398/03, Entscheidung vom 14. 12. 2006 = NJOZ 8 (2008), 1086 ff. EGMR (Große Kammer), Behrami u. a. gegen Frankreich und Saramati gegen Frankreich u. a., Nr. 71412/01 und Nr. 78166/01, Entscheidung vom 31. 05. 2007 = EuGRZ 34 (2007), 522 ff. IAGMR IAGMR, Las Palmeras v. Colombia, Judgment of 04. 02. 2000 (Preliminary Objections), Series C No. 67 IAGMR, Bmaca-Velsquez v. Colombia, Judgment of 25. 11. 2000 (Merits), Series C No. 70 . Nationale Gerichte Australien High Court of Australia, Shaw Savill and Albion Company Ltd v. The Commonwealth, 05. 12. 1940, 66 CLR 344 . Griechenland LG Leivadia (Polymeles Protodikeio Leivadias), Präfektur Voiotia gegen Bundesrepublik Deutschland, 30. 10. 1997, Nr. 137/1997 = RHDI 50 (1997), 595 ff. Oberster Gerichtshof (Areios Pagos), Präfektur von Voiotia gegen Bundesrepublik Deutschland, 04. 05. 2000, Nr. 11/2000 = AJIL 95 (2001), 198 ff. Italien Corte Suprema di Cassazione (Sezioni Unite Civili), Marcovic c. Presidenza del Consiglio dei Ministri e altri, Verfügung (ordinanza) vom 05. 06. 2002, Nr. 8157 = RDIPP 40 (2004), 311 f. Corte Suprema di Cassazione (Sezioni Unite Civili), Ferrini c. Republica federale di Germania, Urteil (sentenza) vom 11. 03. 2004, Nr. 5044/04 = RDI 87 (2004), 539 ff. Corte Suprema di Cassazione (Sezioni Unite Civili), Mantelli e.a. c. Republica federale di Germania, Verfügung (ordinanza) vom 29. 05. 2008, Nr. 14201/08

414

Entscheidungsverzeichnis Japan

Tokyo District Court, Shimoda et al. v. Japan, Judgment of 07. 12. 1963 = JAIL 8 (1964), 212 ff. Tokyo High Court, X et al. v. Japan, Judgment of 07. 08. 1996 = JAIL 40 (1997), 116 f. Yamaguchi Lower Court, Ha Sun-nyo et al. v. Japan, Judgment of 27. 04. 1998 = PRLPJ 8 (1999), 63 ff. Tokyo District Court, Filipina Comfort Women v. Japan, Judgment of 09. 10. 1998 = JAIL 42 (1999), 170 ff. Tokyo District Court, Dutch Nationals v. Japan, Judgment of 30. 11. 1998 = JAIL 42 (1999), 143 ff. Tokyo High Court, Filipina Comfort Women v. Japan, Judgment of 06. 12. 2000 = JAIL 44 (2001), 174 f. Tokyo High Court, Dutch Nationals v. Japan, Judgment of 08. 02. 2001 = JAIL 45 (2002), 142 Hiroshima High Court, Ha Sun-nyo et al. v. Japan, Judgment of 29. 03. 2001 = Hanrei Jiho¯ [Law Cases Reports], Vol. 1081, S. 91 ff. Tokyo High Court, X et al.v. Japan, Judgment of 18. 03. 2005 = JAIL 49 (2006), 149 ff. Tokyo High Court, Japan v. Y, Judgment of 23. 06. 2005 = JAIL 50 (2007), 194 [198 ff.] USA US Court of Appeals (2nd Circuit 1980), Filartiga v. Pena-Irala, 30. 06. 1980, 630 F.2d 876 US Court of Appeals (District of Columbia Circuit 1984), Tel Oren et al. v. Libyan Arab Republic, 03. 02. 1984, 726 F.2d 774 US District Court (C.D. California 1985), Leo Handel v. Andrija Artukovic, 31. 01. 1985, 601 F.Supp. 1421 US Court of Appeals (4th Circuit 1992), Goldstar (Panama) S.A. v. U.S., 16. 06. 1992, 967 F.2d 965 ff. US District Court (District of Columbia 1992), Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, 23. 12. 1992, 813 F.Supp. 22 US Court of Appeals (District of Columbia Circuit 1994), Hugo Princz v. Federal Republic of Germany, 01. 07. 1994, 26 F.3d 1166 US Court of Appeals (2nd Circuit 1996), Kadic v. Karadzˇic´, 06. 01. 1996, 70 F.3d 232 US District Court (D. New Jersey 1999), Burger-Fischer et al. v. Degussa AG and Lichtman et al. v. Siemens AG, 13. 09. 1999, F.Supp.2d 248 US District Court (District of Columbia 2001), Hwang Geum Joo et al. v. Japan, 04. 10. 2001, 172 F.Supp.2d 52 US Court of Appeals (4th Circuit 2003), Hamdi v. Rumsfeld, 08. 01. 2003, 316 F.3d 450 US Supreme Court, Sosa v. Alvarez-Machain, 29. 06. 2004, 214 S.Ct 2739 US District Court (District of Columbia 2007), Ali et al. v. Pappas et al. (In re: Iraq and Afghanistan Detainees Litigation), 27. 03. 2007, 479 F.Supp.2d 85

Entscheidungsverzeichnis

415

Vereinigtes Königreich House of Lords, Regina v. Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrate And Others, ExParte Pinochet Ugarte (No. 3), [2000] 1 A.C. 147 (HL), 148 High Court of Justice, Queens Bench Division, Leeds District Registry, Bici and Bici v. Ministry of Defence, 07. 04. 2004, [2004] EWHC 786 (QB) Deutschland BVerfG BVerfG, Urteil vom 18. 12. 1984, Az. 2 BvE 13/83 = BVerfG 68, 1 ff. BVerfG, Urteil vom 12. 07. 1994, Az. 2 BvE 3/92, 2 BvE 5/93, 2 BvE 7/93, 2 BvE 8/93 = BVerfGE 90, 286 ff. BVerfG, Beschluss vom 13. 05. 1996, Az. 2 BvL 33/9 = BVerfGE 94, 315 ff. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. 06. 2004, Az. 2 BvR 1379/01 = BVerfG NJW 57 (2004), 3257 ff. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15. 02. 2006, Az. 2 BvR 1476/03 = DVBl. 121 (2006), 622 ff. BGH BGH, Urteil vom 26. 02. 1962, Az. VI ZR 94/61 = MDR 17 (1963), 492 ff. BGH, Urteil vom 26. 06. 2003, Az. III ZR 245/98 = NJW 56 (2003), 3488 ff. BGH, Urteil vom 02. 11. 2006, Az. III ZR 190/05 = BGHZ 169, 348 ff. OVG OVG Münster, Urteil vom 09. 04. 1952, Az. III A 1279/51 = NJW 5 (1952), 1030 f. OLG OLG Köln, Urteil vom 27. 08. 1998, Az. 7 U 167/97 = OLG-R Köln 1999, 5 ff. OLG Köln, Urteil vom 03. 12. 1998, Az. 7 U 222/97 = OLG Köln NJW 52 (1999), 1555 ff. OLG Köln, Urteil vom 28. 07. 2005, Az. 7 U 8/04 = NJW 58 (2005), 2860 ff. LG LG Bonn, Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 02. 07. 1993, Az. 1 O 134/92 LG Bonn, Urteil vom 10. 12. 2003, Az. 1 O 361/02 = NJW 57 (2004), 525 ff.

Internetquellen Die in dieser Arbeit verwendeten Internetquellen wurden letztmalig am 25. 07. 2009 nachgesehen. Beste, Ralf: Steinmeier plant als Versöhnungsgeste Besuch in ehemaligem KZ (Nachricht vom 15. 11. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0, 1518,590583,00.html Gebauer, Matthias: Taliban fordern NATO heraus, Bericht vom 17. 06. 2008, verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,560156,00.html Gebauer, Matthias: Neue Angriffe der Taliban auf Bundeswehr, Bericht vom 09. 09. 2008, verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,577090, 00.html Gebauer, Matthias/Najafizada, Shoib: US-Armee tötet 30 Zivilisten bei Angriff (Nachricht vom 14. 07. 2008), verfügbar im Internet auf der Website von Spiegel-Online unter http:// www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,565845,00.html Heinzle, Christoph: Deutsche Jets sollen Angriffe vorbereiten, verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau, Stichwort: „Ausland“ › „Weitere Dossiers“ › „Dossier: ,Tornados gegen Gotteskrieger“, unter http://www.tagesschau.de/ausland/meldung51476.html Heinzle, Christoph: Grenzen zwischen Isaf und OEF verwischen, verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau, Stichwort: „Ausland“ › „Weitere Dossiers“ › „Dossier: ,Tornados, Taliban und Terroropfer“, unter http://www.tagesschau.de/ausland/meldung 29042.html Heinzle, Christoph: Von der Schutztruppe zur Kampftruppe“, verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau, Stichwort: „Ausland“ › „Weitere Dossiers“ › „Dossier: ,Tornados gegen Gotteskrieger“ unter http://www.tagesschau.de/ausland/meldung51482.html Heinzle, Christoph: 1000 Tote durch Terror und NATO-Angriffe (Nachricht vom 16. 04. 2007), verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau unter http://www.tagesschau.de/ ausland/meldung17110.html Jungholt, Thorsten: Versteckte Warnung für die Bundeswehr (Nachricht vom 03. 11. 2006), verfügbar auf http://www.welt.de/print-welt/article91972/Versteckte_Warnung_fuer_die_ Bundeswehr.html k. A.: Dutzende tote Zivilisten bei US-Luftangriff (Nachricht vom 11. 07. 2008), verfügbar im Internet auf der Website von Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,565238,00.html k. A.: Deutsche Soldaten bei Anschlag schwer verletzt (Nachricht vom 27. 03. 2008), verfügbar auf Spiegel-Online unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,543700,00.html k. A.: Großoffensive gegen Taliban in Südafghanistan verfügbar im Internet-Nachrichtenarchiv der Tagesschau unter http://www.tagesschau.de/ausland/afghanistan384.html

Internetquellen

417

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418

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Personen- und Sachregister Abella gegen Argentinien 247 Ahtisaari, Martti 35 al-Baschir, Umar Hasan Ahmad 123 Alien Tort Claims Act 280 ff., 295 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 109, 209, 244 Al-Quaida 21, 39, 47, 52, 54, 85, 90, 92, 114 f., 280 Amtspflichtverletzung 22, 76, 105, 134, 305, 312 f., 319, 326, 332 ff., 348, 358 f., 368 Anschläge vom 11. September 2001 38 f., 90 Anspruch auf Wiedergutmachung/Schadensersatz 64 f., 94 f., 106, 124, 195 ff., 206 ff., 257 f., 262 f., 266 ff., 290 ff., 298, 364 f., 371 f. Anspruchsparallelität 285, 307 f., 317 Anzilotti, Dionisio 226 Art. 3 des IV. Haager Abkommens 74, 93 f., 124, 133, 196, 205, 215, 220 ff., 229 f., 238, 244, 265, 268, 274 f., 277, 284, 286 ff., 292, 298 ff., 332 Art. 51 UN-Charta 38 f., 42 Art. 75 des Römischen Statuts 124, 251 ff., 263, 267, 272, 291, 294, 297 Art. 91 des Ersten Zusatzprotokolls 74, 93, 95, 124, 133, 196, 205, 215, 227 ff., 244, 266, 268 f., 287 f., 293, 298 ff., 332 Asymmetrisierung 38 AWACS 29, 44 B maca-Vel squez gegen Kolumbien 247, 259 Bankovic´ u.a gegen Belgien u. a. 112 ff., 157, 173 Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law 200, 234,

238, 252, 264 ff., 272, 288, 292, 295, 298 f., 304, 309, 318, 320, 346, 371 f. Behrami u. a./Saramati u. a. gegen Frankreich u. a. 140, 179 ff. Beistandsverpflichtung gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages 39, 135 Berlin-Plus-Vereinbarungen 141 Blackwater 56 Bonner Abkommen (von 2001) 41, 114 f. Bonner Verträge (von 1952/54) 241 Bulletin on the Observance by United Nations Forces of International Humanitarian Law 87 f. Bundesentschädigungsgesetz (BEG) 242, 278, 283, 308, 323 Bundesminister der Verteidigung 153, 160, 167, 170, 172, 178, 335, 360 Bush, George W. 43 Cavalese 310 Civil Military Cooperation (CIMIC) 32, 36 Combat immunity 300, 311 f. Comfort Women 274 ff., 278 Commission of Inquiry on Darfur 253, 261 ff., 292 Courts of Danzig 204, 208 Crawford, James 194 Dayton 30 ff., 114, 140, 156 de Vattel, Emar 207 Diplomatischer Schutz 197, 200, 204, 207, 308, 322, 373 Distomo 21 f., 273, 285 ff., 316 f., 331, 361 f. doppelte Zurechnung 56, 174 Dual-use objects 98 f. Einsätze zur internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung (einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus) 19, 23, 50, 53, 57 ff.,

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Personen- und Sachregister

139 f., 143, 154, 160, 163, 165, 170, 172 f., 190, 315, 320 f., 326 f., 329, 365 Einsatzführungskommando 161 f. Entschädigung von Zwangsarbeitern 243, 278 f., 283 f., 290, 323, 362 Entstaatlichung kriegerischer Gewalt 38 Erga-omnes Verpflichtungen 76, 78 Ergi gegen Türkei 246, 302 Eritrea-Ethiopia Claims Commission 248 ff., 291, 310 EUFOR Rd Congo 45 f., 59, 142, 159 EU-Operation Althea (Bosnien) 24, 32, 45, 51, 59, 114, 128, 141 f., 146, 159 EU-Operation Atalanta (Golf von Aden/ Küste Somalias) 53 EU-Operation Concordia (Mazedonien) 37, 45, 141 f., 159 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 80, 89, 107 ff., 128 f., 229, 244 ff., 259, 269, 279, 291, 296, 302, 333, 342, 371 f. Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) 45, 136, 141 ff., 145 ff., 159 Ex-gratia Zahlungen 301 Factory at Chorz w 64 Ferrini 362 Final Report to the Prosecutor by the Committee Established to Review the NATO Campaign Against the Federal Republic of Yugoslavia 99, 104, 105 Fischer, Joschka 30, 33, 35 Foreign Claims Act 301 Gebot der Ergreifung von Vorsichtsmaßnahmen bei Angriffen 102 ff., 246 Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) 144, 157 Generalinspekteur der Bundeswehr 145, 160 Gemischte Konflikte 84 ff. Genfer Abkommen von 1949 81, 83, 87, 109, 126 f., 209, 211, 243 f., 247, 280 (IV.) Genfer Abkommen von 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten 93 f., 95, 105 f., 120, 126 f., 209, 228, 243 f., 255 f., 280 Genfer Recht 81

Gerechtigkeit 20, 374 Grundsatz der militärischen Notwendigkeit 95, 100, 312, 331, 336 Grundsatz der Staatenimmunität 62, 205, 277 f., 281, 286 f., 289 f., 294, 297, 200, 314, 361 ff. Grundsatz der Staatensouveränität 109 Grundsatz der Unterscheidung 95 ff., 210 ff., 339 ff. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 96, 100 ff., 127 f., 246 Grundsatz des Schutzes der Zivilbevölkerung 95 ff. Gündell, Erich von 223 ff. (IV.) Haager Abkommen über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1907 81 f., 83, 93, 209, 220 ff., 227, 229, 238, 255, 277 Haager Landkriegsordnung 93, 105, 209, 221, 255 f., 286 Haager Recht 82 Haditha 80, 125 Hoheitsgewalt (i.S.d. Art. 1 EMRK) 111 ff., 128 f., 296 f., 302, 342, 372 Holbrooke, Richard 33 Humanitäre Intervention 32 ff., 57, 60 f. Implementation Force (IFOR) 31 f. International Law Association – Draft Declaration of International Law Principles on Compensation for Victims of War 204, 238, 271, 346 f., 361 f., 372 – Final Report on the Formation of Customary General International Law 231 ff. International Law Commission – Artikel zum Diplomatischen Schutz 204 – Artikel zur Verantwortlichkeit Internationaler Organisationen 70 f., 130, 151, 181 ff., 189 – Artikel zur Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen 65 f., 68, 71 ff., 76 ff., 124, 129 ff., 149 f., 185, 189, 191 ff., 199 f., 205, 288 International crimes 76 ff. International Security Assistance Force (ISAF) 24, 41 ff., 47 ff., 51 f., 90 ff., 114 f., 128, 140, 144, 163, 172

Personen- und Sachregister Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 244, 255 f., 259, 263 Internationaler Strafgerichtshof 123, 127, 252, 261 Internationales Kommitee vom Roten Kreuz 233 f. Internationales Rotes Kreuz 293 Irak-Krieg 1990/91 25 f. Irak-Krise 2002/03 43 f. Isayeva gegen Russland 120, 246 f., 302 Issa u. a. gegen Türkei 113 Ius ad bellum (Recht zum Krieg) 60 f., 81, 239, 248 Ius cogens 76 ff., 194, 287, 298, 361 ff. Jugoslawien-Tribunal 86, 126, 194 Kalshoven, Frits 223, 225, 229 Kampfeinsatz 34, 48, 50, 60, 92 Kampfhandlungen 19, 30, 41, 44, 49, 51, 53 f., 79 f., 86, 88 ff., 92, 100, 106, 113 f., 116, 245, 273, 302, 312, 320, 331, 342, 365 Kapitel VII der UN-Charta 33, 35, 39, 41 f., 46, 58, 87, 180 f. Karadzˇic´, Radovan 282, 297 Karzai, Hamid 41 Kinkel, Klaus 35 Klassische Lehre im Völkerrecht 21, 72, 76, 199, 207, 209, 213, 238, 257, 276, 285 f., 288 f., 293 f., 297 Kohl, Helmut 25 Kollateralschäden 34, 101 Kommando Spezialkräfte (KSK) 40, 49, 85, 91, 116 Kontingentführer im Einsatzgebiet 161 ff., 171, 178 Konzeption der Bundeswehr vom 09. 08. 2004 23, 136, 139, 160 Kriegsverbrechen 69, 77, 94, 106, 122 ff., 129, 251 f., 261 ff., 282, 289, 291, 296, 330 f., 334, 345 ff., 350, 361 Kunduz 21, 42, 49, 79, 301, 374 LaGrand 204, 208, 210 Landesverteidigung 24, 50, 136, 329 Las Palmeras gegen Kolumbien 247, 259 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory

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(IGH-Gutachten zum israelischen Mauerbau) 110, 254 ff., 292 Legality of the Threat of Nuclear Weapons (IGH-Gutachten zum Einsatz von Atomwaffen) 110, 245, 256, 259 Legality of the Use of Force 173 Loizidou gegen Türkei 112 Londoner Schuldenabkommen 241 f., 284, 310 Lubanga, Thomas 123 Markovic´ u. a. gegen Italien 279 Mavrommatis Palestine Concessions 207 Merkel, Angela 47 Milosˇevic´, Slobodan 32 ff., 297 Moreno-Ocampo, Luis 123 Multinationale Verbände 137 NATO-Operation Allied Force (Kosovo) 24, 33 ff., 57, 59 f., 89, 103 f., 112 f., 129, 140, 179, 184, 188, 279, 287, 300 NATO-Operation Amber Fox (Mazedonien) 37 NATO-Operation Deny Flight (Bosnien) 28 NATO-Operation Essential Harvest (Mazedonien) 37 NATO-Operation Kosovo Force (KFOR) 36, 59, 89, 114, 117, 128, 140, 180 ff., 311 NATO-Operation Security Force (SFOR) 31 f., 45, 59, 89, 114, 140, 171 NATO-Operation Sharp Guard (Adria) 28 NATO-Truppenstatut 352 Nord-Allianz 84 f. North Atlantic Council (NAC) 143 f. Öcalan gegen Türkei 113 Operation Enduring Freedom (OEF) 39 ff., 48 f., 51 ff., 60, 90 ff., 116, 118, 129 Operational control 161 ff., 177 ff., 190, 352 Ost-West-Konflikt 24, 38, 240 Out-of-area-Debatte 29, 57 Pariser Reparationsabkommen 241 Peace-enforcement 58, 87 f. Peace-keeping 58 f., 87 f., 147 f., 174 ff. Peremptory norms 76 ff., 193 Prosecutor v. Kupresˇkic´ 193 f.

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Personen- und Sachregister

Prosecutor v. Tadic´ 86, 126 Provincial Reconstruction Team (PRT) 42, 50, 53 Quick Reaction Force 53, 92 Rat der EU 142, 145, 146 f. Rechtsstaatsprinzip 319 f., 322, 333, 368, 372 Reichsbeamtenhaftungsgesetz (RBHaftG) 316 f., 319, 356 Reparation for injuries suffered in the service of the United Nations (Bernadotte-Gutachten) 155 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (RömSt) 80, 94, 97, 99, 102, 122 ff., 192, 251 ff., 263, 267, 346 Rules of engagement 103, 171 ff. Schmidt, Helmut 25 Schröder, Gerhard 33, 35, 40, 44 Self-contained regime 74 Shea, Jamie 34, 101, 104 Sicherheitspolitischer Konsensus 24, 26 f., 50 Solana, Javier 104 Soldatenversorgungsgesetz 55 Srebrenica 30, 35, 55, 70, 183 Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft 243, 279 f., 283, 323 Struck, Peter 160 Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) 142, 144, 146 Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) 143 f., 162 Teilkonzeption Führung von Einsätzen der Bundeswehr 144, 160 ff. Tornados 30 f., 33 ff., 48 f., 51, 53 f., 59, 76, 79, 85, 92 Trajkovski, Boris 37 Transfer of authority 144, 149, 161, 169, 177 Tschernomyrdin, Viktor 35 Ultra-vires Handeln 132 United Nations Claims Commission for Iraq 248 ff., 308, 310 f.

United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK) 36, 180 United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) 46 f., 57, 59, 88, 115, 129, 179 United Nations Observer Mission in Georgia (UNOMIG) 59 f. United Nations Operation in Somalia (UNOSOM) 27, 59, 176 ff. United Nations Protection Force (UNPROFOR) 30 f. United Nations Transitional Authority in Cambodia (UNTAC) 27, 59 UN-Sicherheitsrat 31, 33, 36, 38, 41 f., 45 ff., 60, 87, 140, 147 ff., 180 ff., 248, 251, 261 Urteil des BVerfG zu Auslandseinsätzen 29, 57, 166 f., 169, 176 f., 329 Urteil des BVerfG zu Pershing-Raketen 166, 168 f. Urteil des BVerfG zur Entschädigung von Zwangsarbeitern 284 f., 307 ff., 317 Ushtria C¸lirimtare e Kosovs (UC ¸ K) 32, 85

Varvarin 21 f., 34, 54, 76, 79, 104 f., 134, 184, 189, 195, 202, 208, 211, 273, 287 f., 294, 305, 307, 312 f., 315, 317, 334 f., 347, 353 Verbot der Verursachung überflüssiger Leiden 96, 105, 128 Verbot unterschiedsloser Angriffe 95, 99 ff., 245 Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland 25, 242 f., 284, 310 Vertrag von Lissabon 136, 141 f., 144, 159 Völkerrechtliche Primärnormen 64, 72 f., 81, 117 f., 121, 154, 185, 195, 198 f., 203, 206 ff., 211 ff., 228, 257, 288, 318, 341, 361, 364, 371, 373 Völkerrechtliche Sekundärnormen 64, 72 f., 78, 81, 117 f., 121, 154, 185, 198 ff., 203, 206 f., 211 ff., 228 f., 257, 268, 286, 292, 364, 371 ff. Völkerrechtliches Effektivitätsprinzip 150, 210, 217 Völkerrechtsfreundlichkeit des deutschen Rechts 320

Personen- und Sachregister Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) 312, 318, 334, 372 Wehrdienstverhältnis 152, 328, 351 Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands 23, 50, 136, 139 Wiener Vertragsrechtskonvention 78, 134, 205, 210, 219 f., 230, 293, 298 f. Zentrale Dienstvorschrift 15/2 der Bundeswehr 88, 313, 330 f., 333, 336 (Erstes) Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen von 1949 (ZP-I) 80, 83, 93 f.,

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96 ff., 105 ff., 109, 114, 117, 120 ff., 125, 128, 194, 210 f., 228, 245 f., 249, 288, 296, 318, 330, 333, 335 f., 338 ff., 347, 364 (Zweites) Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen von 1949 (ZP-II) 83, 87, 92 f. Zweiter Weltkrieg 22, 24, 26, 34, 99, 109, 122, 135, 239 ff., 243 f., 251, 273 ff., 283 f., 287 ff., 307, 310, 316, 318, 323