Die Suche nach Selbstrespekt: Wie Anerkennung unser Selbstbild formt [1 ed.] 9783666462863, 9783525462867

142 77 2MB

German Pages [207] Year 2022

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Suche nach Selbstrespekt: Wie Anerkennung unser Selbstbild formt [1 ed.]
 9783666462863, 9783525462867

Citation preview

Sophus Renger / Daniela Renger

Die Suche nach Selbstrespekt Wie Anerkennung unser Selbstbild formt

Sophus Renger / Daniela Renger

Die Suche nach            Selbstrespekt Wie Anerkennung unser Selbstbild formt

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 3 Abbildungen und 3 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: shutterstock.com/fran_kie Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-46286-3

Inhalt

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.1 Im Dickicht der Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2 Was dieses Buch ausmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12 1.3 Aufbau und Ziel des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2 Das Selbst und wie es sich sieht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Selbstkonzepte und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Selbstwertgefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.2.1 Globale Selbstbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24 2.2.2 Spezifische Selbstbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

2.3 Entstehung des Selbstbilds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3 Soziale Einflüsse auf das Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.1 Differenzierungen des Sozialen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.1.1 Die Struktur des Sozialen aus anthropologischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.1.2 Die Struktur von Anerkennung aus sozial philosophischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.1.3 Grundlegende Dimensionen sozialer Wahrnehmung 41 3.1.4 Sozialpsychologische Respekt- und Gerechtigkeits forschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.1.5 Struktur menschlicher Grundbedürfnisse . . . . . . . . .47

3.2 Psychologie der Anerkennung – Drei zentrale Formen der Sozialbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.2.1 Parallelen der interdisziplinären Ansätze . . . . . . . . . . 51 3.2.2 Synthese der Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Inhalt

5

4 Die drei Formen der Selbstanerkennung. . . . . . . . . . . . . 59 4.1 Von Anerkennung zu Selbstanerkennung . . . . . . . . . . . . .59 4.2 Selbstliebe und Selbstwertschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.2.1 Selbstliebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.2.2 Selbstwertschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

4.3 Selbstrespekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65 4.3.1 Der Kern von Selbstrespekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4.3.2 Die Entstehung von Selbstrespekt . . . . . . . . . . . . . . . . 67

4.4 Der Mehrwert einer dreiteiligen Perspektive auf Selbstanerkennung und Anerkennung . . . . . . . . . . . . 70 4.5 Konsequenzen von Selbstrespekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.5.1 Selbstrespekt und die Wahrnehmung eigener Berechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4.5.2 Selbstrespekt und die Wahrnehmung der Berechtigung anderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

5 Anerkennend leben mit sich und anderen . . . . . . . . . . . 79 5.1 Anerkennung als Basis eines guten Lebens. . . . . . . . . . . . 79 5.1.1 Die Schattenseite der sozialen Welt . . . . . . . . . . . . . . . 80 5.1.2 Eine Anerkennungsperspektive auf ein gutes Leben 83

5.2 Die eigene Selbstanerkennung managen . . . . . . . . . . . . . . 84 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4

Selbstliebe – Selbstreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Selbstwertschätzung – Selbstreflexion . . . . . . . . . . . . 87 Selbstrespekt – Selbstreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Stabilität von Selbstanerkennung. . . . . . . . . . . . . . . . . 96

5.3 Anerkennung effektiv kommunizieren . . . . . . . . . . . . . . . 100 5.3.1 Kommunikation von bedürfnisbasierter Zuneigung 101 5.3.2 Kommunikation von leistungsbasierter Wert schätzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 5.3.3 Kommunikation von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

6

Inhalt

6 Anerkennung und Selbstanerkennung in der Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6.1 Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6.1.1 Erziehungsstile und ihr Anerkennungspotenzial . . . 110 6.1.2 Anerkennendes Verhalten gegenüber Kindern . . . . . 112

6.2 Anerkennung in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6.2.1 Anerkennendes Klassenklima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6.2.2 Anerkennung in der Lehrkraft-Schüler:innen Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

6.3 Pädagogisches Feedback und Anerkennung . . . . . . . . . . 124 6.3.1 Was ist Feedback? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .124 6.3.2 Was ist gutes pädagogisches Feedback? . . . . . . . . . . . 124

7 Anerkennung und Selbstanerkennung in Therapie und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 7.1 (Selbst-)Anerkennung und psychische Erkrankungen . 128 7.1.1 Defizite in der Selbstanerkennung im Zentrum psychischer Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 7.1.2 Die Rolle von (Selbst-)Anerkennung bei der Entstehung psychischer Erkrankungen . . . . . . . . . . . 129 7.1.3 Der Mehrwert von Selbstrespekt für Therapie und Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

7.2 Anerkennungsperspektive auf Therapie und Beratung . 134 7.2.1 Eine anerkennende Haltung in Therapie und Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 7.2.2 Anerkennungshypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

8 Anerkennung und Selbstanerkennung im Arbeitskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 8.1 Anerkennendes Arbeitsklima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 8.2 Anerkennendes Feedback am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . 143 8.3 Anerkennende Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

Inhalt

7

8.3.1 Führungsstile und die Besonderheit respektvoller Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 8.3.2 Führungsstile aus Sicht der Anerkennungs perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

8.4 Burnout aus Anerkennungsperspektive . . . . . . . . . . . . . . 153 8.4.1 Was ist Burnout? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 8.4.2 Wie entsteht Burnout? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 8.4.3 Anerkennung und Burnout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

9 Anerkennung und Selbstanerkennung in Politik und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 9.1 Anerkennung als Basis gerechter Gesellschaften . . . . . . . 159 9.2 Selbstrespekt und gesellschaftlicher Wandel . . . . . . . . . . 163 9.3 Die Bedeutung des sozioökonomischen Status für Möglichkeiten der (Selbst-)Anerkennung . . . . . . . . . 165 9.4 Eine Gesellschaft des Respekts und der Toleranz . . . . . . 170 9.4.1 Respekt als Basis von Toleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 9.4.2 Rechte und Pflichten im Gleichgewicht . . . . . . . . . . . 173

10 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 10.1 Plädoyer für Anerkennung und Selbstrespekt . . . . . . . . . 177 10.2 Mehr als die Summe dreier Teile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 10.3 Blick in die Zukunft für Forschung und Praxis . . . . . . . 185 11 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

8

Inhalt

1

Einleitung

1.1 Im Dickicht der Begriffe Eine Patientin wünscht sich, ihr Arzt wäre wertschätzender. Was erwartet die Patientin von ihm? Was kann der Arzt konkret in seinen Interaktionen tun, um die gewünschte Wertschätzung zu vermitteln? Möglicherweise möchte die Patientin ein warmherziges Wort hören – möchte Mitgefühl für ihre Situation erfahren. Vielleicht wünscht sie sich aber auch ein Lob für ihre bisherige Mitarbeit, dafür, dass sie alle Medikamente genommen und Übungen gewissenhaft ausgeführt hat. Eventuell wartet sie aber auch nur da­ rauf, auf Augenhöhe behandelt zu werden und von ihm mit ihrer Meinung ernstgenommen zu werden. All diese Interpretationen könnten sich hinter ihrem Wunsch nach Wertschätzung, aber auch hinter dem oft von Menschen geäußerten Wunsch nach Respekt oder Anerkennung verbergen. Ohne ein systematisches Verständnis dafür, was sich hinter diesen schwammigen, oft unklar definierten, Begriffen psychologisch verbergen kann, wird auch der engagierteste Arzt die Wünsche der Patientin nicht erfüllen können. Mit dem Wissen über die unterschiedlichen Facetten von Anerkennung könnte der Arzt erkennen, mit welchen kleinen Gesten sich Gefühle der fehlenden Wertschätzung im sozialen Umgang beheben ließen. Ein Klient in einer psychosozialen Beratungsstelle beklagt, dass er sich niedergeschlagen fühlt, und wünschte, er würde sich selbst mehr respektieren. Was genau fehlt einer Person, wenn Selbstrespekt oder Selbstwertgefühl vermisst werden? Was kann eine Beraterin tun, um den Klienten zu stärken? Vielleicht wünscht der Klient, sich selbst mehr zu mögen und zu akzeptieren. Oder es mangelt ihm an der Selbstwahrnehmung, wertvoll und kompetent zu sein. Eventuell fehlt ihm die Überzeugung, eine ernst zu nehmende Person zu sein und für seine eigene Meinung einstehen zu können. Im Dickicht der Begriffe

9

Wenn die Beraterin ein systematisches Modell an der Hand hätte, mit dem sie den Wunsch nach Selbstrespekt erforschen könnte, würde sie nicht nur besser verstehen, was der Klient will, sondern könnte ihm auch dabei helfen, sich selbst besser zu verstehen. Dies erhöht dann auch die Wahrscheinlichkeit, dass die ausgewählten Interventionen den Kern der Problematik treffen und zu einer Verbesserung führen. Dieses Buch möchte Ihnen ein wissenschaftlich fundiertes Modell an die Hand geben, um sich Begriffen wie Selbstrespekt, Selbstwertschätzung, Respekt, Wertschätzung oder Anerkennung systematisch nähern zu können. Denn der Ruf nach Respekt und Wertschätzung im zwischenmenschlichen Umgang ist laut. Sich selbst zu respektieren und wertzuschätzen, steht im Fokus vieler psychosozialer Interventionen und scheint ein hohes Gut für das Individuum zu sein. Und doch gibt es keine konsistente Beschreibung, was ein wertschätzender Umgang wirklich ist, und Respekt bedeutet je nach Kontext gänzlich Unterschiedliches: Man denke beispielsweise an den Wunsch einer Lehrerin nach mehr Respekt von ihrer renitenten Klasse, den Mitarbeiter, der für seine Arbeit von seiner Chefin Respekt erfahren möchte, oder den Geflüchteten, der seine Menschenwürde respektiert sehen will. Eine einzelne allgemeingültige Hilfestellung, die den wahrgenommenen Defiziten in allen drei Situationen gerecht werden könnte, gibt es mit Sicherheit nicht. Welche Systematik hinter diesen unterschiedlichen Wünschen nach Respekt steckt, ist meist nicht offensichtlich. Bezogen auf das Selbst sieht es sogar noch diffuser aus. Unser Selbstbild ist so wichtig und doch weiß niemand wirklich, wie man es angemessen differenziert beschreibt. Was ist Selbstwertgefühl eigentlich? Was ist Selbstrespekt? Was hat Selbstliebe damit zu tun? Diese Begriffe scheinen im Zentrum der meisten psychischen und sozialen Probleme zu stehen und gleichzeitig sind die Heilsversprechen, die sich darauf beziehen, entweder diffus (weil undifferenziert) oder zersplittert (weil jeweils einzelne Aspekte betrachtend). Was bedeutet es konkret, »sich selbst gut zu finden«, und wo könnte eine Person ansetzen, um Veränderungen für sich zu erreichen? Um darauf Antworten zu finden, müssen die Begriffe klar beschrieben und unterschiedliche Facetten auseinandergehalten werden. 10

Einleitung

Bei der offensichtlichen Relevanz von Respekt und Selbstrespekt für Individuum und Gesellschaft ist es nicht überraschend, dass auch wissenschaftliche Forschung sich dem Thema angenommen hat. Viele Erkenntnisse und Analysen haben jedoch noch keinen Eingang in die praktischen Bereiche gefunden, in denen sie am besten genutzt werden könnten: soziale Berufe, Bildungseinrichtungen, die Arbeitswelt und unser persönliches Leben. Dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Begriffen wie Respekt und Selbstrespekt nur selten den Weg aus dem Elfenbeinturm gefunden hat, liegt nicht zuletzt daran, dass auch in der Forschungslandschaft unscharfe konkurrierende Begriffe verwendet werden und es bisher keine synthetisierende Theorie gibt, die die zersplitterten Befunde in Beziehung setzt. Dabei lohnt es sich außerordentlich, zu einem systematischeren Verständnis des Selbstbilds und seiner Quellen zu gelangen – für uns und andere. Ein tiefes Verständnis von unterschiedlichen Facetten des Selbstbilds erlaubt uns, differenzielle Vorhersagen zu treffen und passgenaue Interventionen zu wählen, die zielgenau wirksam werden können. Außerdem wirft es ein Licht auf unterschätzte Aspekte des Selbst. Besonders der Selbstrespekt wird häufig übersehen und ist, wie wir zeigen werden, doch so zentral. In diesem Buch nehmen wir Sie mit auf die Suche nach Selbstrespekt. Auf diese Reise haben wir uns in unserer wissenschaftlichen Arbeit selbst begeben und wir laden Sie ein, diese ein Stück zu begleiten. Wie der Untertitel des Buches (»Wie Anerkennung unser Selbstbild formt«) bereits nahelegt, führt unsere Reise erst einmal weg vom Selbst und analysiert, welche selbstbildformenden Informationen in menschlichen Interaktionen vermittelt werden. In diesem ersten Teil werden wir auf eine Dreiteilung stoßen, die aufzeigt, dass Menschen aus sozialem Austausch besonders diejenigen Informationen ziehen, die ihnen bedürfnisbasierte Zuneigung, leistungsbasierte soziale Wertschätzung und gleichwertigkeitsbasierten Respekt kommunizieren. Der Fokus auf diese Inhalte ermöglicht, zu zeigen, wie diese von außen kommende Anerkennung auf drei Ebenen das Selbstbild von Menschen formt. Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt können als Verinnerlichungen der unterschiedlichen Anerkennungsinformationen verstanden werden. Im zweiten Teil unserer Suche und Reise möchten wir Ihnen Im Dickicht der Begriffe

11

dann aufzeigen, welchen praktischen Nutzen diese strukturierte Perspektive sowohl für das eigene Leben als auch für verschiedene Anwendungskontexte hat.

1.2 Was dieses Buch ausmacht Selbsthilfebücher darüber, wie das eigene Selbstwertgefühl oder der eigene Selbstrespekt gesteigert werden kann, gibt es viele auf dem Markt. Die meisten Titel enthalten Alltagsübungen und Tipps für den Umgang mit schwierigen Situationen und decken ein breites Feld von suboptimalen Selbstbildern ab. Zur Steigerung des Selbstwertgefühls oder des Selbstrespekts wird alles Mögliche empfohlen – von Selbstannahme, Gefühlsregulation, Kraftauftanken, Entspannungstraining, Selbstbehauptung in der Kommunikation bis hin zu Sportübungen und Schminktipps. Selbstwertgefühl wird in diesen Büchern mit unterschiedlichsten Bedeutungen versehen, die von »sich gut fühlen« über »sich leistungsstark fühlen« bis hin zu »sich schön fühlen« reichen. Die Begriffe Selbstwertgefühl oder auch Selbstrespekt werden dadurch bis zur Unkenntlichkeit aufgebläht. Ein entsprechender Mangel ist Platzhalter für jegliche negative Bewertung des Selbst sowie in der Folge für sämtliche Defizite im emotionalen und zwischenmenschlichen Bereich. Wenn dann noch Einzelfallbeispiele im Fokus von Ratgebern stehen und eine wissenschaftliche Fundierung von Tipps und Ratschlägen fehlt, hilft dies oft nicht dabei zu verstehen, was dem Selbst wirklich fehlt. Dieses Buch soll Brücken zwischen Wissenschaft und ­Praxis bauen. Die Verbindung von Theoriebildung und Anwendung ist uns ein wichtiges Anliegen: Wir arbeiten beide seit mehr als 10 Jahren in der Forschung und haben wissenschaftliche Arbeiten in Fachzeitschriften zu den Themen Anerkennung, Respekt und Selbstrespekt publiziert. Außerdem haben wir Ausbildungen in Coaching und Beratung absolviert und beraten fortlaufend Menschen zu psychosozialen Themen und (beruflichen) Lebensentscheidungen. Auf dieser Basis wollen wir mit Ihnen in einem ersten Schritt eine Erkundungsreise mit dem Ziel beginnen, festzustellen, warum das 12

Einleitung

Konzept eines globalen Selbstwertgefühls in der Praxis oft wenig fruchtbar ist und wie wir uns ihm differenzierter nähern können. Mit der neuen dreiteiligen Perspektive und der Unterscheidung von Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt, werden Sie bei der Lektüre anderer Bücher zahlreiche Aha-Erlebnisse haben (so ging es uns jedenfalls). Eventuelle Ursachen für einen Mangel am sogenannten Selbstwertgefühl lassen sich plötzlich mit Hilfe der neuen Schablone sinnvoll strukturieren, ganz unterschiedliche Quellen und damit unterschiedliche Möglichkeiten zum Umgang damit geraten in den Blick. Auch die Tipps zur Steigerung des Selbstwertgefühls fallen plötzlich gut sortiert in drei unterschiedliche Per­ spektiven, aus denen heraus das Selbstbild betrachtet werden kann. In einem nächsten Schritt wenden wir unsere theoretischen Ideen auf praxisnahe Kontexte an. Sie werden sehen, dass Sie mit dem Anlegen einer dreiteiligen »Anerkennungsschablone« viele Situationen aus Ihrem eigenen persönlichen und beruflichen Alltag anders einordnen können. Die Frage nach Respekt und Selbstrespekt, bzw. verwandten Konzepten wie Anerkennung, Wertschätzung, Selbstliebe und Selbstwert, liegt im Kern fast aller psychosozialen Fragestellungen. Wenn Sie ein tieferes Verständnis für das eigene Leben und soziale Interaktionen gewinnen wollen und dieses auch in Ihren professionellen Kontext, in die Unterstützung und Begleitung anderer integrieren möchten, sind Sie hier an der richtigen Stelle.

1.3 Aufbau und Ziel des Buches Unser Ziel ist es, dass Sie auf der Reise sowohl ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis der relevanten Konzepte gewinnen als auch Impulse für die praktische Anwendbarkeit mitnehmen. Kapitel 2 bis 4 geben einen Einblick, wie verschiedene wissenschaftliche Disziplinen einen systematischen Blick auf das Selbst und dessen Anerkennung ermöglichen. In Kapitel 2 führen wir aus, was unter dem Selbst verstanden wird, wie es mit unserer Identität zusammenhängt und auf welchen Ebenen Menschen ihr Selbst einschätzen. Aufbau und Ziel des Buches

13

Das Kapitel endet mit der Frage, wie Menschen eigentlich zu ihrem Selbstbild und einer bestimmten Selbstbewertung gelangen, und hebt die Bedeutung anderer Menschen und deren Rückmeldungen und Verhalten hervor. Diesen sozialen Einflüssen – die eine fundamentale Rolle beim Verständnis der Formung des Selbstbilds von Menschen spielen – widmet sich dann Kapitel 3. Hier geht es uns um eine Darstellung und Synthese wissenschaftlicher Erkenntnisse aus Anthropologie, Philosophie, Soziologie und Psychologie. Wir identifizieren disziplinübergreifend drei Formen der sozialen Anerkennung (bedürfnisbasierte Zuneigung, leistungsbasierte Wertschätzung und gleichwertigkeitsbasierten Respekt), die fundamental für menschliche Interaktionen sind. Aufbauend auf dieser Dreiteilung – die von nun an die Strukturierung dieses Buches bestimmen wird – werden wir in Kapitel 4 drei korrespondierende Formen der Selbstanerkennung (Selbstliebe, Selbstwertschätzung, Selbstrespekt) ableiten und dem bislang oft vernachlässigten Konzept des Selbstrespekts besondere Aufmerksamkeit schenken. Nach der Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen zeigen wir in den Kapiteln 5 bis 9, wie diese Perspektive auf Anerkennung und Selbstanerkennung im eigenen Leben und in verschiedenen professionellen Bereichen praktisch wirksam werden kann. Im Mittelpunkt dieses Buchteils steht  – fundiert durch empirische Befunde – der anwendungsbezogene Blick auf die Kraft von (Selbst-) Anerkennung in der Pädagogik, in Therapie und Beratung, in der Arbeitswelt und in Politik und Gesellschaft. Fallbeispiele, Übungen und Denkanstöße helfen, die Anwendbarkeit selbst zu erproben. Im abschließenden Kapitel 10 fassen wir die Erkenntnisse unseres Buches zusammen und diskutieren Stärken und Schwächen einer dreiteiligen Anerkennungsperspektive. Zuletzt drei Hinweise: In diesem Buch gibt es Übungen für die Leser:innen. Diese sind mit dem links zu sehenden Symbol versehen. Über den QR-Code auf der nächsten Seite sind die Übungen auf der Verlagswebsite zugänglich. Wir nutzen sprachlich die genderneutrale Konstruktion mit einem »:« oder im Wechsel die weibliche und männliche Form. So wollen wir einer sinnvollen Gendersensiti­vität Rechnung tragen und gleichzeitig die Lesbarkeit nicht beeinträchtigen. Da viele der Vorreiter:innen der folgenden 14

Einleitung

Theorien und Vorstellungen aus dem angloamerikanischen Raum stammen, befindet sich hinter einigen der behandelten Begriffe die englische Übersetzung in Klammern.

Das Buch gliedert sich in einen theoretischen Teil (Kapitel 2–4), der die wissenschaftlichen Grundlagen von Anerkennung und Selbstanerkennung beschreibt, und einen praxisorientierten Teil (Kapitel 5–9), der praktische Anwendungsmöglichkeiten der Anerkennungsperspektive in verschiedenen Kontexten darstellt. Am Ende der einzelnen Abschnitte bieten wir jeweils kurze Zusammenfassungen an. Diese dienen auch der einfacheren Navigation bzw. Schwerpunktsetzung innerhalb des Buches.

Aufbau und Ziel des Buches

15

2

Das Selbst und wie es sich sieht

Die Suche nach Selbstrespekt startet sinnvollerweise beim Selbst. Die Frage danach, wer wir selbst sind und wie wir uns selbst wahrnehmen, beschäftigte bereits antike griechische Philosoph:innen. Es dauerte jedoch bis zum 17. Jahrhundert n. Chr. bis eine breite Beschäftigung der Philosophie mit diesen Konzepten begann und zu einem zentralen Thema für das Individuum wurde. Nach ihrer Etablierung als eigenständige Wissenschaftsdisziplin im 19. Jahrhundert, wurden Fragen zum Selbst und zur Identität auch zentrale Fragestellungen der Psychologie. Thematisiert und erforscht wurden zum einen die Struktur des Selbstbilds aber auch die Bewertung des Selbst. Wie das Selbstbild und die Identität von Menschen wissenschaftlich betrachtet werden können, stellen wir in Abschnitt 2.1 vor. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Perspektive gelegt, Identität als dynamischen Prozess anzusehen, der sich in starkem Maße an sozialen Kontexten und anderen Menschen orientiert. Nach dieser Betrachtung des Aufbaus und der Struktur des Selbst und der Identität, thematisiert Abschnitt 2.2 die Frage, wie Menschen ihr Selbst bewerten. Hier stellen wir wissenschaftliche Ansätze vor, die entweder eine globale (das Selbst als Ganzes) oder eine spezifische (einzelne Aspekte des Selbst) Perspektive auf die menschliche Selbstbewertung einnehmen. Es wird deutlich werden, dass die bestehenden Ansätze keine umfassenden, die Breite des Selbst abdeckenden, Bewertungsschemata zur Verfügung stellen oder mit Begriffen arbeiten, die sich nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen. Diese Lücke zu füllen, oder zumindest eine hilfreiche Scha­ blone zur Betrachtung der Selbstbewertung und ihrer Quellen anzubieten, ist ein zentrales Anliegen dieses Buches. In Abschnitt 2.3 thematisieren wir die Bedeutung anderer Menschen und der soziaDas Selbst und wie es sich sieht

17

len Umwelt für den Selbstbewertungsprozess und unterstreichen die Wichtigkeit, zum Verständnis des Selbstbilds gezielt und systematisch auf die zentralen Dimensionen menschlicher Interaktion zu blicken.

2.1 Selbstkonzepte und Identität Die Forschungsansätze zum Thema Selbst und Identität würden leicht ein eigenes Buch füllen, entsprechend stellen die Ausführungen in diesem Kapitel nur einen kleinen Ausschnitt dar. In diesem Abschnitt geht es zunächst um die Frage, wie das Selbstbild eines Menschen definiert werden kann und wie ein Selbstbild entsteht. Zur Frage, was das Selbstbild ausmacht und wie man es am besten systematisch beschreiben kann, sollen hier beispielhaft zwei unterschiedliche Denktraditionen in der modernen Psychologie vorgestellt werden. Beide Traditionen sind bereits in den 1970/80er Jahren entstanden – sind aber immer noch aktuell und einflussreich. Die erste Denktradition begreift das Selbst(-konzept) als ein aus relativ stabilen Elementen bestehendes Gebilde. Im Rahmen der zweiten werden Selbstkonzept und die menschliche Identität als ein dynamisches System aufgefasst, das sich je nach sozialem Kontext ganz unterschiedlich zeigen kann. Der erste Forschungsstrang ist stark beeinflusst durch die Arbeiten von Hazel Markus (1977) und ihrer Theorie der Selbstschemata. Selbstschemata sind definiert als kognitive Generalisierungen (= Wissenseinheiten) über das Selbst. Dies beinhaltet Wahrnehmungen, Bewertungen, Einstellungen und Urteile einer Person über sich selbst, die auf Basis früherer Erfahrungen oder Interaktionen mit anderen entstehen. Diese Wissenseinheiten umfassen z. B. eigene Fähigkeiten, Eigenschaften oder soziale Rollen. So kann eine Person Informationen über sich selbst in Form solcher Schemata abgespeichert haben, die beschreiben, dass sie großzügig, unabhängig und männlich ist. In der Vergangenheit gebildete Selbstschemata beeinflussen dann die Informationsverarbeitung in der Gegenwart. So neigen beispielsweise Personen, die ihre Männlichkeit als Selbstschema 18

Das Selbst und wie es sich sieht

besonders ausgeprägt haben, stärker dazu, situationsübergreifend auch andere Personen hinsichtlich dieser Dimension zu bewerten. Hazel Markus geht davon aus, dass es eine Reihe von stabilen KernSelbstschemata gibt, die im Alltag unser Denken und Handeln leiten. Das Selbstkonzept wird also als ein eher stabiles Gebilde von Selbstbeschreibungen angesehen, die, wenn sie einmal entstanden sind, nicht so schnell wieder verändert werden. Patricia Linvilles Arbeiten (1987) gehen in eine ähnliche Richtung, wobei sie zusätzlich thematisiert, dass es von Vorteil ist, wenn das Selbstkonzept aus vielen Selbstbeschreibungen (bei ihr Selbstaspekte genannt) besteht. Eine hohe Anzahl dieser Aspekte macht das Selbstkonzept komplexer und somit weniger anfällig für Stress und negative Emotionalität. Die Idee dahinter ist, dass der Wegfall oder eine Umbewertung eines einzelnen Selbstaspekts weniger problematisch ist, wenn auf andere zurückgegriffen werden kann – und dies ist wahrscheinlicher, wenn viele unterschiedliche Selbstaspekte zur Verfügung stehen.

Übung  »Selbstaspekte und Selbstkonzept«

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und zeichnen Sie auf einem weißen Blatt Papier die Komplexität Ihres Selbst auf. Schreiben Sie dazu als Erstes jeweils einen Selbstaspekt (dies können Eigenschaften, Interessen, Rollen, Hobbies, Verhaltensweisen oder auch Vereins- oder Gruppenmitgliedschaften sein) in eine eigene Ellipse und ordnen Sie diese auf dem Papier so an, dass Aspekte, die etwas miteinander zu tun haben, nahe beieinander sind. In einem zweiten Schritt können Sie dann Verbindungslinien zwischen Selbstaspekten ziehen, die eng miteinander verbunden sind bzw. voneinander abhängig sind. Selbstaspekte, die unabhängig von anderen Aspekten sind, bleiben als unverbundene Ellipsen stehen. Wenn Sie beispielsweise als Selbstaspekte »Umweltschützerin«, »GrünenMitglied« und »Vegetarierin« notiert haben, dann werden Sie diese vermutlich durch Linien miteinander verbinden, da sie inhaltlich eng verbunden sind. Der Selbstaspekt »musikalisch« wird jedoch eher nicht mit diesen Selbstaspekten in Verbindung stehen. Wenn Sie alle für Sie relevanten Selbstaspekte sowie ihre Verbindungen Selbstkonzepte und Identität

19

notiert haben, können Sie einmal betrachten, wie viele Verbindungslinien es gibt. Wenn Sie beispielsweise viele unabhängige Selbstaspekte zur Selbstbeschreibung herangezogen haben, dann haben Sie laut Linville eine hohe Selbstkomplexität und können, wenn nötig, leicht auf andere Aspekte zurückgreifen. Wenn Sie ausschließlich Selbstaspekte notiert haben, die miteinander eng in Verbindung stehen, dann beschränkt sich Ihr Selbstkonzept sehr stark auf diese Themen und Sie sind unter Umständen anfällig für Veränderungen oder Ereignisse in diesem Bereich. Dann könnten Sie versuchen, die Bandbreite Ihrer Selbstaspekte zu vergrößern. Die bewusste Reflexion, die Sie soeben gemacht haben, ist meist ein guter erster Schritt und stößt Gedanken darüber an, welche bereits vorhandenen (aber momentan nicht aktiv genutzten) Selbstaspekte bzw. welche neuen Selbstaspekte Sie gerne in Ihr Selbstkonzept integrieren würden.

Die zweite Denktradition zur Konzeption von Identität wurde durch die Arbeiten von Henri Tajfel und John Turner begründet. Die beiden Sozialpsychologen schlugen vor, Selbstkonzept und Identität nicht als stabile Strukturen, sondern als hochgradig dynamische Prozesse aufzufassen, die ständigen Veränderungen unterworfen sind (Tajfel u. Turner, 1986; Turner, Hogg, Oakes, Reicher u. Wetherell, 1987). Dabei wird die grundlegende Idee der erstgenannten Denktradition, Selbstaspekte als Selbstbeschreibungen anzunehmen, aufrechterhalten. Selbstaspekte beziehen sich auch hier auf einzelne inhaltliche Einheiten, mit denen Eigenschaften, Talente, Verhaltensweisen, Rollen, usw. beschrieben werden. Eine Person könnte sich beispielsweise durch die Selbstaspekte männlich, deutsch, Informatikstudent, Christ, Fußballfan (und viele mehr) auszeichnen. Bis dahin ist dieser Ansatz vergleichbar mit den weiter oben beschriebenen Ansätzen. Was sich dann allerdings von der Denktradition eines stabilen Kerns des Selbstkonzepts unterscheidet, ist die Unterscheidung zwischen persönlicher und sozialer Identität. Insbesondere bei letztgenannter kommt der angesprochene dynamische Aspekt ins Spiel. Zur besseren Veranschaulichung laden wir Sie auch hier dazu ein, eine kurze Übung zu machen: 20

Das Selbst und wie es sich sieht

Übung  »Wer bin ich?«

Notieren Sie bitte im folgenden Feld zehn Aspekte, die Sie als Person beschreiben (Quelle: Kuhn u. McPartland, 1954). Ich bin … 1.                          

  6.                          

2.                         

  7.                           

3.                         

  8.                          

4.                         

  9.                           

5.                           

10.                                          

Wenn Sie die praktische Übung für sich selbst ausgefüllt haben, dann betrachten Sie nun bitte die zehn notierten Attribute einzeln dahingehend, ob Sie diese mit anderen Menschen teilen oder ob nur Sie das jeweilige Attribut besitzen. Vermutlich werden Sie zu dem Schluss kommen, dass Sie die meisten (wenn nicht alle) der Attribute mit anderen Menschen teilen. Wenn Sie beispielsweise notiert haben: Ich bin weiblich, braunhaarig, rennsportbegeistert, Rentnerin, Werder-Bremen-Fan; dann teilen Sie jedes dieser Attribute mit einer Gruppe von anderen Menschen. Für jedes dieser Attribute ist dies eine andere Gruppe, aber keines dieser Attribute besitzen Sie allein. Was Sie hingegen als einzigartiges Individuum auszeichnet, ist die Kombination einzelner Attribute. Wenn Sie die Liste weiter verlängern würden (z. B. weitere zehn Aspekte notieren), dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass nur Sie genau diese Zusammenstellung an Attributen (oder Selbstaspekten) besitzen. Jedes einzelne teilen Sie mit anderen Menschen und Gruppen, aber die Konstellation, die Sie beschreibt, macht Sie einzigartig. Dies ist Ihre persönliche (oder individuelle) Identität. Genauso macht die Kombination aus Attributen, die andere Menschen beschreibt, diese einzigartig (vgl. auch Simon, 2004).

Selbstkonzepte und Identität

21

Von der persönlichen kann die soziale (oder kollektive) Identität abgegrenzt werden. Wenn sich eine Person in einer Situation befindet, in der die Selbstwahrnehmung auf einen einzigen Selbstaspekt (und nicht auf die Vielzahl der verschiedenen Selbstaspekte) fokussiert wird, so wird eine soziale Identität aktiviert. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Aktivierung eines bestimmten Selbstaspekts als passend zur Situation wahrgenommen wird und eine Person bereit ist, diese Iden­ tität anzunehmen. Eine Person wird die kollektive Identität als Christ oder Christin mit erhöhter Wahrscheinlichkeit annehmen, wenn sie eine Kirche betritt (passt zur Situation) und gläubig ist (Bereitschaft ist hoch). Die Dynamik von Identität entsteht dadurch, dass sich das, was passend für eine Situation erscheint, schnell ändern kann. Wenn die Person nach dem Besuch der Kirche ins Fußballstadion geht, wird eine andere soziale Identität aktiviert werden. Falls die Person die Bereitschaft dafür mitbringt, wird sie dann die Identität als Fußballfan annehmen. Mit jeder sozialen Identität sind bestimmte – und je nach Situation potenziell unterschiedliche – Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen verknüpft. Diese Annahme kann erklären, warum sich Menschen in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich verhalten. Das Verhalten in der Kirche wird sich vermutlich – und hoffentlich – vom Verhalten im Fußballstadion unterscheiden.

Übung  »Identität – Kontext – Verhalten«

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und überlegen sich, in welchen Situationen die in der Übung zur persönlichen Identität notierten zehn Attribute besondere Bedeutung für Sie einnehmen. Wenn Sie bspw. »weiblich« notiert haben, dann überlegen Sie sich, wann der Identitätsaspekt weiblich (oder entsprechend ein anderer) für Sie relevant wird (z. B. in der Interaktion mit dem Partner oder der Partnerin, den Eltern, am Arbeitsplatz, …). Und dann überlegen Sie sich, welche Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen jeweils mit diesem Identitätsaspekt verbunden sind. Wenn Sie dies für einige (oder sogar alle zehn) Ihrer Identitätsaspekte gemacht haben, können Sie reflektieren, ob sich je nach aktiver Identität Ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen unterscheiden. 22

Das Selbst und wie es sich sieht

Übertragen Sie in die folgenden Felder die zehn Identitäts­ aspekte, die Sie in der vorangegangenen Übung genannt haben. Überlegen Sie, in welchen Kontexten diese Identitätsaspekte besonders relevant werden und welche Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen damit jeweils verbunden sind: Identitätsaspekt

Passender Kontext

Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen

1.                  

                                       

                     

                                         

2.                  

                                       

                     

                                        

3.                  

                                       

                     

                                       

4.                  

                                       

                     

                                       

5.                  

                                       

                     

                                       

6.                  

                                       

                     

                                       

7.                   

                                       

                     

                                       

8.                  

                                       

                     

                                       

9.                  

                                       

                     

                                       

10.                  

                                       

                      

                                                          

Selbstkonzepte und Identität

23

Diese Übung verdeutlicht Ihnen, dass unsere Gedanken, Gefühle sowie unser Verhalten in ständiger Wechselwirkung mit den Menschen und Situationen um uns herum sind. Diese sozialen Einflüsse werden uns auch im weiteren Verlauf des Buches beschäftigen, wenn es um die Formung des Selbstbilds geht.

In der Psychologie gibt es unterschiedliche Forschungstraditionen zur Analyse von Selbstkonzept und Identität. In diesem Abschnitt wurden zwei davon umrissen: eine, die dem menschlichen Selbstkonzept einen relativ stabilen Kern zuschreibt, und eine andere, die das Selbstkonzept und die Identität als dynamischen Prozess ansieht. Letztere bietet den Vorteil zu erklären, warum sich die Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen ein und derselben Person von Kontext zu Kontext unterscheiden können.

2.2 Selbstwertgefühl Während sich der vorangegangene Abschnitt mit Ansätzen zum Aufbau und zur Struktur des Selbst und der Identität beschäftigt hat (vgl. Abschnitt 2.1), wird der folgende Abschnitt auf Ansätze zur Bewertung des Selbst eingehen. Menschen tendieren dazu, sich selbst (als ganze Person) oder bestimmte Teile ihres Selbstbilds zu bewerten – entweder (eher) positiv oder (eher) negativ. 2.2.1  Globale Selbstbewertung

Eine Möglichkeit die Bewertung des Selbst zu betrachten ist, das Selbst global zu evaluieren. Unabhängig davon, ob sich eine Person in verschiedenen Bereichen oder hinsichtlich bestimmter Aspekte unterschiedlich sieht und bewertet, geht es bei der globalen Selbstbewertung darum, ob sie sich selbst im Mittel eher positiv oder eher negativ wahr24

Das Selbst und wie es sich sieht

nimmt. Ein solch eindimensionaler globaler Ansatz, der sowohl in alltagspsychologischen Diskussionen als auch in der wissenschaftlichen Psychologie eine große Rolle spielt, ist das globale Selbstwertgefühl (global self-esteem). Das globale Selbstwertgefühl wird als generelle positive bzw. negative Einstellung zum eigenen Selbst verstanden. Ein hierfür bereits in den 1960er Jahren entwickelter Fragebogen von Rosenberg (1965) erfasst diese generelle positive Einstellung mithilfe der Zustimmung bzw. Ablehnung von verschiedenen Aussagen wie z. B. »Alles in allem bin ich mit mir selbst zufrieden«. Im Mittel erhält man anhand dieser Skala einen von einer Person selbst eingeschätzten Wert, ob diese ein eher positives oder eher negatives Selbstbild besitzt. Dieser Fokus auf das globale Selbstwertgefühl wurde durch gesell­­ schaftliche und politische Prozesse in den 1980er Jahren verstärkt. Vor allem in den USA kam der Trend auf, hohes Selbstwertgefühl nicht nur zu einem persönlichen, sondern auch zu einem gesellschaftlichen Anliegen zu machen (Baumeister, Campbell, Krueger u. Vohs, 2003). So wurde hohes globales Selbstwertgefühl in Nordamerika als zentrale psychologische Quelle benannt, aus der alle möglichen erwünschten Verhaltensweisen und positiven Gesellschaftswerte entstehen sollten. Auf der anderen Seite hieß dies folglich, dass ein geringes Selbstwertgefühl als Wurzel für gesellschaftliche Probleme und Funktionsstörungen betrachtet wurde. Nathaniel Branden, eine führende Persönlichkeit in dieser Bewegung, war sogar der Ansicht, dass er nicht an ein einziges psychologisches Problem denken könne, von Ängsten und Depressionen bis hin zu Beziehungsgewalt oder Kindesmissbrauch, welches nicht auf das Problem von geringem Selbstwertgefühl zurückzuführen sei (Branden, 1984). Dieser Ansatz wurde in den 1980er Jahren durch die Finanzierung einer Task-Force zur Steigerung des Selbstwertgefühls im amerikanischen Bundesstaat Kalifornien verstärkt, der ein beträchtliches finanzielles Budget zur Seite gestellt wurde. Das Ziel bestand darin, Interventionen zur Steigerung des Selbstwertgefühls bei den Bürger:innen durchzuführen, in der Hoffnung, dass dies zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen beitragen würde – von Kriminalität über Teenagerschwangerschaften, Drogenmissbrauch, schlechten schulischen Leistungen bis hin zu Umweltverschmutzung. Die wissenschaftliche Betrachtung von globalem Selbstwertgefühl konnte diesem gesellschaftlichen Hype keine überzeugende Selbstwertgefühl

25

Bestätigung verschaffen. Obwohl im Allgemeinen gezeigt werden konnte, dass Menschen mit hohem globalem Selbstwertgefühl glück­­licher und lebenszufriedener sind als Menschen mit niedrigem (Diener u. Diener, 1995), fielen die Zusammenhänge mit anderen Aspekten (wie z. B. Schulleistung, Beziehungsfähigkeit, Suchtproblematiken) ernüchternd aus und zeigten oftmals nur sehr kleine statistische Zusammenhänge (Baumeister et al., 2003). Ein Beleg dafür, dass globales Selbstwertgefühl das Heilmittel für alle sozialen, gesellschaftlichen und gesundheitlichen Probleme darstellt, konnte nicht gefunden werden (Mecca, Smelser u. Vasconcellos, 1989). Besonders problematisch ist die Erkenntnis, dass die kostenintensiven Interventionen, die zur Steigerung von globalem Selbstwertgefühl konzipiert wurden, keinen erkennbaren Gewinn lieferten. Baumeister und Kolleg:innen (2003) resümieren in einem Überblicksartikel, dass weder therapeutische Interventionen noch Schulprogramme zur Steigerung von globalem Selbstwertgefühl einen bedeutsamen Effekt haben. Eine naheliegende Erklärung für das Ausbleiben dieser Effekte ist, dass globales Selbstwertgefühl zu allgemein, zu undifferenziert ist und Aspekte von unterschiedlichen Ebenen enthält, auf denen sich Menschen selbst bewerten (vgl. auch Branden, 2009). Die erwähnte Skala von Rosenberg, mit der Selbstwertgefühl häufig erfasst wird, enthält nämlich zum einen Aussagen zur selbst eingeschätzten Kompetenz, z. B. »Ich kann vieles genauso gut wie die meisten anderen Menschen auch«. Zum anderen enthält sie aber auch Aussagen zur emotionalen Einstellung zum Selbst, z. B. »Ich habe eine positive Einstellung zu mir selbst gefunden« sowie zum grundlegenden Wert, den man sich selbst zuschreibt, z. B. »Ich halte mich für einen wertvollen Menschen, jedenfalls bin ich nicht weniger wertvoll als andere auch«. Diese breite Zusammenstellung von Selbstbewertungsebenen innerhalb dieser Skala könnte erklären, warum sich deutliche positive (statistische) Zusammenhänge mit Aspekten wie Zufriedenheit oder Glück finden (Diener u. Diener, 1995). Sie erklärt allerdings auch, warum es schwierig ist, Interventionen zu gestalten, die alle unterschiedlichen (Teil-)Aspekte abdecken. Solchen (Teil-)Aspekten, d. h. spezifischen Ebenen der Selbstbewertung, widmet sich der folgende Abschnitt. 26

Das Selbst und wie es sich sieht

2.2.2  Spezifische Selbstbewertung

Aus den genannten Gründen haben einige Forschende die vermutete Eindimensionalität der gängigen globalen Selbstwertgefühlkonzepte sowie ihrer Messverfahren angezweifelt. Sie konnten zeigen, dass die verwendeten Skalen (z. B. von Rosenberg) mindestens zwei spezifische Bewertungsebenen enthalten. Tafarodi und Swann (1995) beispielsweise schlugen eine Konzeption vor, die zwischen einer affektiven (self-liking) und einer leistungsorientierten (self-competence) Komponente differenzieren kann (Tafarodi u. Swann, 2001). Das Selbst kann demnach zum einen bezüglich einer emotionalen Beziehung zum Selbst (Mag ich mich? Habe ich Vertrauen in mich selbst?) und zum anderen bezüglich der eigenen Kompetenz und Leistungsfähigkeit (Kann ich etwas? Bin ich kompetent?) bewertet werden. Einige Autor:innen haben die leistungsbezogene Selbstbewertung weiter unterteilt. Marsh (1990) definierte ein Selbstkonzept für schulische bzw. akademische Kontexte und unterschied zwischen mathematisch-akademischem und verbal-akademischem Selbstkonzept. Diese setzen sich wiederum zusammen aus der Selbstbewertung von Schüler:innen bzgl. ihrer Kompetenz in Mathematik, Physik, etc. (mathematisch-akademisch) bzw. in Fremdsprachen, Geschichte, etc. (verbal-akademisch). Shavelson, Hubner und Stanton (2016) unterscheiden neben einem akademischen Selbstkonzept zusätzlich noch ein soziales, ein emotionales sowie ein physisches Selbstkonzept. Diese beziehen sich auf die Selbstbewertung der eigenen sozialen Einbindung, des emotionalen Zustands sowie der Bewertung des äußeren Erscheinungsbilds und der körperlichen Leistungsfähigkeit.

In der akademischen Psychologie wurden sowohl allgemeine als auch spezifische Bewertungsebenen des Selbst betrachtet. Es konnten keine wissenschaftlichen Belege gefunden werden, dass Interventionen zur Förderung von globalem Selbstwert­ gefühl substanzielle positive Effekte haben. Es scheint demnach ratsam, anstelle einer zu globalen Perspektive eher auf spezi­fische Bewertungsebenen zu fokussieren. Vor allem die

Selbstwertgefühl

27

Einschätzung der eigenen Kompetenz und Leistungsfähigkeit wurde breit erforscht und stellt einen Schwerpunkt in der Betrachtung der Selbstbewertung dar. Inwiefern die bisher betrachteten Ausdifferenzierungen ausreichend sind oder erweitert werden können, thematisieren die folgenden Kapitel.

2.3 Entstehung des Selbstbilds Wie gelangen Menschen überhaupt an Informationen bzgl. ihres Selbst und dessen Bewertung? Wie kommen Menschen dazu, sich selbst als positiv oder negativ zu bewerten? Wie kommt eine Person dazu, sich unabhängig oder kompetent zu fühlen? Menschen sind soziale Wesen und können nicht ohne andere Menschen existieren und daher ist auch die Vorstellung von uns selbst durch unsere soziale Umwelt, inklusive der Interaktionen mit anderen Menschen, geprägt. Menschen haben in ihrer Evolutionsgeschichte nur in Gruppen überlebt und sind auch heute noch auf andere angewiesen. Dieses Angewiesen-Sein auf andere beginnt mit der Geburt (strenggenommen eigentlich schon vorher), wenn der Säugling auf die Nähe und Fürsorge einer Bezugsperson angewiesen ist. Während der Säugling ganz zu Beginn noch kein Konzept von sich selbst hat und sich als eins mit der Bezugsperson wahrnimmt, erreicht er im Laufe der Entwicklung die kognitive Reife, sich als eigenständiges Wesen zu begreifen. Dieses Selbstbegreifen wird durch die Interaktion mit den Bezugspersonen und später mit anderen Personen geformt. Der Säugling reagiert auf einen Blick oder ein Lächeln und erforscht, ob andere auch auf ihn reagieren (Hoyle, Kernis, Leary u. Baldwin, 2019). Mit Beginn des Spracherwerbs entstehen neue Möglichkeiten der Interaktion mit anderen und das Kleinkind erlernt Begriffe wie Ich oder Mich. Über die Unterscheidung dieser beiden Begriffe hat sich bereits George Herbert Mead Ende des 19. Jahrhunderts Gedanken gemacht (Mead, 1987). Während das Ich das handelnde Individuum darstellt, reprä28

Das Selbst und wie es sich sieht

sentiert das Mich das Bild des Anderen von einem selbst, welches durch Perspektivübernahme in das Selbstbild integriert wird. Mit anderen Worten ausgedrückt können wir uns nur durch Interaktionen mit anderen selbst begreifen lernen und verinnerlichen dabei Aspekte, die durch den Interaktionsprozess gewonnen wurden. Durch die positiven bzw. negativen Signale anderer entstehen Selbstbewertungen hinsichtlich unterschiedlicher Dimensionen, beispielsweise Liebenswürdigkeit, Kompetenz, Aussehen. Dies wird als »widergespiegelte Bewertung« (reflected appraisal; vgl. z. B. Cooley, 1983) bezeichnet, da andere wie eine Art Spiegel verwendet werden, um sich selbst wahrzunehmen. Neben den Rückmeldungen bestimmter Personen nutzen Menschen auch aktiv Vergleiche mit anderen, um einzuschätzen, wo sie selbst im Vergleich mit anderen stehen. Laut der Theorie des sozialen Vergleichs von Leon Festinger (1954) vergleichen sich Menschen entweder mit Personen auf der gleichen Ebene, die ihnen ähnlich sind (Horizontalvergleich), mit Personen, die ihnen im interessierenden Merkmal unterlegen sind (Abwärtsvergleich) oder mit Personen, die ihnen im interessierenden Merkmal überlegen sind (Aufwärtsvergleich). Vergleiche werden hinsichtlich einer Vielzahl relevanter Merkmale (z. B. Aussehen, Leistungen, Status, Geld) angestellt. Welche Vergleichsebene gewählt wird, hängt vom Kontext, von den zur Verfügung stehenden Personen und auch von den Merkmalen der Person ab, die den Vergleich anstellt. Abwärtsvergleiche haben zur Folge, dass eine Person die Möglichkeit erhält, sich als besser und auf der relevanten Dimension überlegen wahrzunehmen. Ein Aufwärtsvergleich kann zur Folge haben, dass das Selbst als schlechter und unterlegen wahrgenommen wird, was je nach Person entweder zu erhöhter Motivation führen kann, Vergleichbares zu erreichen, oder aber auch zu Enttäuschung und verringerter Motivation beitragen kann. Vergleiche mit anderen werden bewusst und unbewusst vorgenommen. So zeigt der sogenannte Fischteicheffekt (big fish little pond effect), dass Schüler:innen ihr eigenes akademisches Selbstkonzept (also ihre Überzeugung, gute Leistungen zu erbringen) mit dem mittleren Leistungsniveau ihrer Klasse oder Schule vergleichen. Im Falle einer begabten Schülerin bedeutet dies in der Folge, dass sie Entstehung des Selbstbilds

29

in einer Umgebung (z. B. einer Privatschule mit starkem Selektionsgrad), in der das mittlere Leistungsniveau hoch ist, ein niedrigeres akademisches Selbstkonzept besitzt als in einer Leistungsumgebung mit niedrigerem Leistungsniveau, in der sie sich als großer Fisch im kleinen Teich fühlen kann (Marsh, Trautwein, Lüdtke, Baumert u. Köller, 2007). Diese Beispiele für soziale Vergleiche zeigen auf, dass die Selbstbewertung selten an objektiven Standards ausgerichtet ist und stets von den Vergleichspersonen und Vergleichsdimensionen abhängt. Eine Metaanalyse, die die Befunde von mehreren Studien zu diesen Vergleichsprozessen zusammenfasste, ergab, dass Menschen unter normalen Umständen eher dazu tendieren, Aufwärtsvergleiche zu machen (Gerber, Wheeler u. Suls, 2018). Dies bedeutet, dass Menschen sich (selbst) regelmäßig bewusst oder unbewusst in die Situation bringen, sich anderen unterlegen zu fühlen oder das Gefühl zu haben, weniger zu besitzen als andere. Dabei ist es irrelevant auf welchem absoluten Level sich eine Person befindet – solange Vergleichsmöglichkeiten nach oben bestehen, wird sie diese nutzen. Dies hat zur Folge, dass sich ein Millionär, wie beispielsweise Friedrich Merz, selbst als »gehobene Mittelschicht« bezeichnet, obwohl er objektiv gesehen wohl eher zur Oberschicht in Deutschland zählen würde. Dieser Prozess wird auch als relative Deprivation bezeichnet, um zu betonen, dass relative im Vergleich zu absoluten Standards verwendet werden (Pettigrew, 2002). Zusammenfassend unterstützt die Forschung die Annahmen, dass unser Bild von uns selbst in starkem Maße abhängig ist von Vergleichsprozessen und von Rückmeldungen, die wir von anderen bekommen. Wie wir uns sehen, hängt unbestreitbar und in starkem Maße davon ab, wie andere uns sehen. Neben Introspektion wird unser Selbstbild also besonders durch die soziale Bewertung und Vergleiche mit relevanten Anderen geformt. Das Selbst ist allerding kein Eins-zu-Eins-Abbild einer ungeordneten Liste unserer sozialen Erfahrungen. Manche Informationen sind relevanter und wirkmächtiger bei der Entstehung eines Selbstbilds. Sowohl die sozialen Interaktionen als auch ihre Verinnerlichung im Selbst lassen sich sinnvoll ordnen und folgen einer Systematik, die wir in den folgenden Kapiteln näher betrachten 30

Das Selbst und wie es sich sieht

werden. Das nächste Kapitel widmet sich zunächst der Analyse von Theorien aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, die mit unterschiedlichen Blickwinkeln und Methoden der Frage nachgehen, welche grundlegenden Informationen in sozialer Interaktion übermittelt werden. Diese Analyse stellt die Grundlage für eine anschließende Synthese dar, bei der drei zentrale Dimensionen sichtbar werden, auf denen sich Menschen gegenseitig anerkennen können. Diese Dreiteilung bietet die Möglichkeit, sich von Begrifflichkeiten wegzubewegen, die wie eingangs beschrieben, äußerst divers und uneinheitlich verwendet werden, und sich hinzubewegen zu einem inhaltlichen Verständnis dafür, welche konkreten Rückmeldungen und Bestätigungen ein Mensch braucht, um eine psychisch gesunde Identität zu entwickeln.

Für die Frage danach, wie Menschen zu einem bestimmten Selbstbild und einer bestimmten Selbstbewertung gelangen, ist es ratsam, die Interaktionen mit der sozialen Umwelt zu betrachten. Unser Bild von uns selbst ist nämlich in starkem Maße abhängig von Vergleichsprozessen und von den Rückmeldungen, die wir von anderen bekommen. Diese werden verinnerlicht und prägen fundamental, wie wir uns selbst sehen.

Entstehung des Selbstbilds

31

3

Soziale Einflüsse auf das Selbst

Ziel dieses Buches ist der Gewinn eines differenzierteren Blickes darauf, was sich hinter Begriffen wie Selbstwertgefühl und Selbstrespekt verbirgt. Wenn das Selbstbild – stark vereinfacht – im Kern ein »Soziometer« darstellt, das den Grad der Anerkennung durch Mitmenschen anzeigt, lohnt es sich, die grundlegenden Dimensionen menschlichen Sozialverhaltens als Quellen von Anerkennung zu systematisieren. Der Versuch, eine wissenschaftliche Struktur des menschlichen Sozialverhaltens herauszuarbeiten, mag auf den ersten Blick unangemessen abstrakt erscheinen, aber die Analyse wird sich in schnellen Schritten wieder dem unmittelbaren menschlichen Erleben und letztlich der Frage nach dem Selbst nähern. Wenn Sie weniger Interesse an den wissenschaftlichen Theorien im Hintergrund haben, können Sie auch gleich zu Abschnitt 3.2 weiterblättern, wo wir eine Synthese der Theorien vorstellen.

3.1 Differenzierungen des Sozialen Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen versuchen zu beschreiben, welche Funktion menschliche Kommunikation für die Selbstwahrnehmung von Personen erfüllt. Im Folgenden nehmen wir Sie mit auf eine wissenschaftliche Reise durch theoretische sowie empi­rische Erkenntnisse aus der Anthropologie, der Sozialphilosophie, der psychologischen Gerechtigkeitsforschung, der Motivationspsychologie und der sozialen Kognitionswissenschaft. Es wird klarwerden, dass sich disziplinübergreifend (mindestens) drei zentrale Dimensionen des Sozialverhaltens identifizieren lassen. Aus dem Verständnis, wie sich soziale Interaktionen grundlegend differenzieren lasDifferenzierungen des Sozialen

33

sen, lässt sich dann eine Schablone ableiten (vgl. Abschnitt 3.2), die auch die Strukturierung des Selbst beschreiben kann (vgl. Kapitel 4). 3.1.1  Die Struktur des Sozialen aus anthropologischer Perspektive

Die Suche nach einer Systematik hinter den sozialen Prozessen, die unser Selbstbild prägen können, beginnen wir in der Anthropologie. Ein kulturvergleichender Blick gibt uns eine Idee davon, welche Formen des sozialen Austauschs sich voneinander unterscheiden lassen. Ein Blick auf menschliche Gemeinschaften in verschiedenen Klimazonen und mit unterschiedlichem technologischen Entwicklungsstand zeigt vor allem Eines: Menschen gleichen sich in ihrem sozialen Verhalten trotz kaum vergleichbarer Rahmenbedingungen auf unserem Planeten auf fundamentale Weise. Auf der Suche nach systematischen Unterschieden zwischen Kulturen wurden in der Anthropologie und Soziologie unterschiedliche Differenzierungen und Klassifikationen vorgeschlagen. Eine einflussreiche und umfassende Systematik findet sich in der Relational-Models-Theory von Alan Fiske. Alan Fiske ist ein US-amerikanischer Anthropologe, der Ende des vergangenen Jahrhunderts ein Modell entworfen hat, das die Natur menschlicher Beziehungen kulturübergreifend abbilden soll. In seiner Relational-Models-Theory postuliert er vier mentale Modelle, in denen Menschen soziale Interaktionen koordinieren (Fiske, 1991). Auf Basis eigener anthropologischer Untersuchungen in Afrika, u. a. in Burkina Faso, und einer Synthese klassischer sozialtheoretischer Werke und psychologischer Forschung unterscheidet er vier soziale Modelle: Communal Sharing, Market Pricing, E ­ quality Matching und Authority Ranking. Diese vier Modelle stehen für vier differenzierbare Prinzipien, die mit unterschiedlichen Sichtweisen auf Verteilungsfragen, Formen der sozialen Interaktion und Gruppenbildung einhergehen. Eine Gesellschaft, die dem Modell des Communal Sharing folgt, sieht sich als eine Einheit, in der das Wohl der Gruppe auch dem eigenen Wohlergehen entspricht. Mitglieder tragen Ressourcen zur Gemeinschaft bei, ohne den individuellen Beitrag explizit zu registrieren. Entscheidungen werden einstimmig 34

Soziale Einflüsse auf das Selbst

im Sinne der Gruppe getroffen. Das Ideal sozialer Interaktion ist die zwischenmenschliche Verbundenheit zwischen den Personen. Als zweites Modell nennt Fiske Market Pricing und versteht darun­ ter eine Form des Zusammenlebens, in der der Markt über die zu verteilenden Güter, Entscheidungsprozesse und die Gesellschaftsordnung bestimmt. Zwischenmenschlicher Austausch ist durch den Fokus auf die wirtschaftliche Bedeutung und das Leistungsmotiv geprägt. In einer Gemeinschaft hingegen, die nach dem Modell des Equality Matching funktioniert, wird jedem Gruppenmitglied die gleiche Position, Stimmrecht und gleiche Güter zuteil. Entsprechend werden die zwischenmenschlichen Interaktionen von Reziprozität, Gleichwertigkeit und Ausgleich geleitet. Im Kontrast dazu steht das Prinzip des Authority Ranking, in dem die Gehorsamkeit einem legitimen Oberhaupt gegenüber sinnstiftend ist. Entscheidungsmacht und Ressourcen werden entsprechend einer Hierarchie verteilt. Soziale Interaktionen sind geprägt von Machtausdruck und Gehorsam. Schon nach dieser knappen Charakterisierung kann man sich vorstellen, dass sich die Modelle in der Realität als Mischformen zeigen und dass in Gesellschaften in verschiedenen Bereichen Aspekte unterschiedlicher Prinzipien erkennbar sind. Auch wenn diese Modelle zur Beschreibung ganzer Gesellschaften konzipiert wurden, lässt sich auch das Sozialleben innerhalb einer Gesellschaft als ein ständiger Wechsel zwischen solchen Prinzipien deuten. So kann z. B. die fiktive Frau Rabenhorst mit ihrem Mann und ihrer Tochter in ihrem Familienleben die Interaktion nach dem Modell des ­Communal Sharing organisieren. Die Nachmittagsplanung wird aufeinander abgestimmt und am gemeinsam gedeckten Frühstückstisch bedienen sich die Familienmitglieder nach ihren Bedürfnissen. Wenn sie sich zu Hause verabschiedet und ihre Termine als Immobilienmaklerin wahrnimmt, betritt sie eine soziale Welt, die vorrangig durch Wettbewerb nach den Prinzipien des ­Market ­Pricing strukturiert ist, und sie sich in ihrem Handeln an ökono­ mischen Prinzipien des Marktes orientiert. Am Nachmittag sitzt sie im Quartals-­Meeting des Dachverbands, in dem der Vorstand den Junior- und Senior-Verbandsmitgliedern die neue Provisionsstaffelung verkündet. Da hier das Prinzip des Authority Ranking Differenzierungen des Sozialen

35

dominiert, hat sie als Junior-Maklerin leider kein Rederecht. Anders ist das zwei Stunden später, als sie, im Sinne des Equality-MatchingModells, mit ihren Freundinnen zusammensitzt und diskutiert, welcher Film für den gemeinsamen Kinoabend in Frage kommt. Zusammen mit Tage Shakti Rai entwickelte Alan Fiske 2011 seine Theorie weiter und differenzierte vier korrespondierende mora­lische Motive (Rai u. Fiske, 2011), die sozialem Verhalten über unterschiedliche Kulturen hinweg zu Grunde liegen: Einheit (entspricht dem Communal Sharing-Modell), Proportionalität (Market Pricing), Gleichheit (Equality Matching) und Hierarchie (Authority ­Ranking). Einheit beschreibt die bedürfnisorientierte Fürsorge für die Mitglieder der eigenen Gruppe. Proportionalität ist der Wunsch, Belohnungen und Bestrafungen im Gruppenleben an die Quantifizierung von Leistung bzw. Beiträgen für die Gruppe zu koppeln. Gleichheit beinhaltet das Motiv, Ausgleich und Gleichbehandlung der Gruppenmitglieder anzustreben. Hierarchie ist die Vorstellung, sich in die Rangfolge innerhalb einer Gruppe einzufügen, d. h. Führung zu übernehmen bzw. zu akzeptieren. Die Autoren argumentieren, dass moralische Konflikte häufig durch die Anwendung inkompatibler moralischer Modelle erklärt werden können. Sichtbar wird dies, wenn Frau Rabenhorst ihrer dreijährigen Tochter das Frühstück mit dem Verweis verweigern würde, sie hätte in ihrem Leben noch nicht genug erreicht (Proportionalität). Ebenso konfliktreich wäre es, als Neuling im Verbandsmeeting die gleiche Redezeit wie der Vorstandsvorsitzende einzufordern (Gleichheit). Problematisch wäre es auch, wenn Frau Rabenhorst im Büro ihren Kundenstamm für die Konkurrenz öffnet (Einheit) oder autoritär die Filmauswahl für die folgenden Treffen mit den Freundinnen diktiert (Hierarchie). Die Feststellung einer Diskrepanz zwischen dem relationalen Modell einer sozialen Situation (Communal Sharing, Market Pricing, Equality Matching, Authority Ranking) und dem handlungsleitenden moralischen Motiv (Einheit, Proportionalität, Gleichheit, Hierarchie) ist häufig der erste Schritt, um sich der Ursache von Konflikten zu nähern. Alan Fiske blickt aus einer kulturvergleichenden anthropolo­ gischen Perspektive auf das Soziale und argumentiert, dass seine relationalen Modelle des Soziallebens eine Art Grammatik anbieten können, um das Miteinander innerhalb und zwischen Kulturen zu 36

Soziale Einflüsse auf das Selbst

verstehen. Diese Struktur lässt sich, zumindest in Teilen, auch in den Ansätzen anderer Disziplinen wiederentdecken und sie wird uns einen systematischen Blick auf das Soziale und schließlich auf das Selbst ermöglichen.

Laut dem Anthropologen Alan Fiske lassen sich vier Formen menschlicher Sozialbeziehungen unterscheiden. Communal Sharing ist geprägt von gegenseitiger Fürsorge. Kennzeichnend für Market Pricing ist die Austauschbeziehung zwischen Menschen, in der Wert und Leistung eine große Rolle spielen. Equality Matching baut auf die Wahrnehmung gegenseitiger Gleichwertigkeit. Authority Ranking beschreibt Beziehungen, die einer Hierarchie folgen. Mit dieser Grammatik lassen sich soziale Beziehungen kulturvergleichend und auch innerhalb einer Kultur systematisch beschreiben.

3.1.2  Die Struktur von Anerkennung aus sozialphiloso­ phischer Perspektive

In einem zweiten Schritt wagen wir einen Blick in die Philosophie, die sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt hat, wie die sozialen Informationen beschrieben werden können, die Menschen austauschen, und wie diese zu einer gesunden Identitätsbildung beitragen. Die Sozialphilosophie behandelt Fragen nach dem Sinn und Wesen menschlicher Gesellschaften. Axel Honneth rückte 1994 mit seiner Habilitationsschrift »Kampf um Anerkennung« den Aspekt der wechselseitigen sozialen Anerkennung in den Fokus sozialphilosophischer Gedanken. Ausgehend von Hegels Werken leitete er eine differenzierte Betrachtung von Anerkennung her, in der er drei Anerkennungsformen nennt, die jeweils in verschiedenen Sphären des Lebens Wichtigkeit besitzen (Fraser u. Honneth, 2003; Honneth, 1994, 2010). Die drei Anerkennungsformen beschreiben diejenigen Sozialbeziehungen, die für die Identitätsentwicklung von Menschen zentral sind. Die erste Form ist Liebesanerkennung, die Differenzierungen des Sozialen

37

vor allem im Rahmen von Familie und intimen Beziehungen eine Rolle spielt und besonders die Anerkennung der Bedürftigkeit des anderen mit liebevoller Sorge um das Wohlergehen bezeichnet. Als zweites beschreibt Honneth eine Anerkennungsform, die sich im Zuge der Herausbildung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zwangsläufig ergeben hat: Mit sozialer Wertschätzung bezeichnet er die Anerkennung von Individuen gemäß der »erbrachte[n] Leistung im Gefüge der industriell organisierten Arbeitsteilung« (Fraser u. Honneth, 2003, S. 166). Respekt bezeichnet hingegen drittens die Anerkennung des Gegenübers als rechtlich Gleichgestellte:n. Eine gesunde Identitätsentwicklung baut auf alle dieser Formen der Anerkennung. Erst wenn der Mensch Liebe erfährt, sein Beitrag wertgeschätzt wird und er sich als berechtigt erlebt, kann er sich ungehindert entfalten. Eine gerechte Gesellschaft soll entsprechend sicherstellen, dass die Mitglieder auf jeder Anerkennungsebene die Möglichkeit bekommen, ihre notwendigen Anerkennungserfahrungen zu machen (vgl. Abschnitt 9.1). Axel Honneth leitet seine Dreiteilung von Anerkennung aus unterschiedlichen methodischen Perspektiven her. Einerseits rekonstruiert er eine Differenzierung von Anerkennung aus den philosophischen Gedanken von Hegel, wie dieser sie in der »Phänomenologie des Geistes« 1807 entwickelt hatte. Andererseits zeichnet er in einer historischen Analyse die Genese der drei Anerkennungsformen in der Moderne nach, um dann in einem dritten Schritt aus verschiedenen fachlichen Disziplinen empirische Nachweise für die Relevanz dieser drei Aspekte sozialer Kommunikation für die individuelle Entwicklung zusammenzutragen. Die letzten beiden Schritte werden folgend skizziert, um im gleichen Zug die drei Anerkennungsformen näher zu erläutern. In seiner historischen Analyse versucht Axel Honneth herauszuarbeiten, welche Formen von Anerkennung die normative soziale Struktur moderner Gesellschaften widerspiegeln (Fraser u. H ­ onneth, 2003; Honneth, 1994). Im Rückgriff auf Arbeiten aus Soziologie, Psychologie und Verhaltensbiologie stellt er eingangs fest, dass eine bestimmte, fundamentale Art der Sozialbeziehung jeglichem menschlichen Sozialisationsprozess zugrunde liegen muss. Ohne ein Mindestmaß an Fürsorge oder Liebe als grundlegende Sozial38

Soziale Einflüsse auf das Selbst

erfahrung könnten Menschen die ersten Schritte der Persönlichkeitsentwicklung nicht zurücklegen. Bezogen auf diese Anerkennungsform der Liebe zitiert Honneth besonders Forschungsergebnisse aus der psychoanalytischen Forschungstradition. Außerdem verweist er auf ethnologische Studien des Verhaltensbiologen und Psychologen Harry Harlow (1958). Dieser konnte für Affenbabys nachweisen, dass die Nähe, die diese Tiere zu ihrer Mutter suchten, nicht durch die Suche nach Nahrung, sondern nach dem Gefühl von Zuneigung und Bindung motiviert wird. Der Forschungsstrang, der die Rolle von Bindung bei Menschen intensiv untersucht hat, ist die Bindungstheorie von John Bowlby (2008). Dieser und weitere Ansätze werden von Axel Honneth zitiert, um zu belegen, dass frühe Erfahrungen von Zuneigung und sicherer Bindung die Basis für psychische Gesundheit im späteren Leben legen. Diese Form von sozialer Kommunikation zeigt ihre Relevanz besonders in der engen Beziehung zwischen Kind und Eltern; verallgemeinert bildet sie jedoch auch das Fundament in Freundschaften und Intimbeziehungen. Als erste Anerkennungsform führt Honneth somit die »Liebe« ein, die geprägt ist durch »die liebevolle […] Sorge um das Wohlergehen des anderen im Hinblick auf seine oder ihre individuelle Bedürfnislage« (Fraser u. Honneth, 2003, S. 164). Die zwei weiteren Anerkennungsformen, die Honneth charakterisiert, haben sich, im Gegensatz zu derjenigen der Liebe, in starker Abhängigkeit zu veränderten Gesellschaftsstrukturen entwickelt. Während in der feudalen Ständeordnung, grob gefasst im Zeitraum vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, die gebührende Anerkennung noch direkt aus der gesellschaftlichen Position ableitbar war, haben sich mit Ende des Feudalismus in modernen Gesellschaften neue Anerkennungsformen ausgebildet. Honneth identifiziert zwei sehr unterschiedliche Formen von Anerkennung, in die sich das frühere Konzept der feudalen Ehre aufgesplittet hat. Einerseits erkennt er weiterhin eine Anerkennungsform, die die Differenzierung zwischen den Gesellschaftsmitgliedern ermöglicht. Maßstab für eine Hierarchisierung innerhalb der Gesellschaft ist jedoch nicht mehr wie in feudalen Sozialformen die ständische Position des Individuums – stattdessen erhält die Person Anerkennung gemäß ihrer Leistungserbringung und der Nützlichkeit ihrer Fähigkeiten. Was wiederum Differenzierungen des Sozialen

39

als Leistung verstanden wird und welche Talente einen Wert besitzen, ist abhängig von dem gerade vorherrschenden evaluativen Rahmen innerhalb der Gesellschaft. Diese soziale Wertschätzung stellt die zweite Form der Anerkennung dar. Im Zuge der Aufklärung wurde in den Verfassungen moderner Gesellschaften die Rechtsgleichheit ihrer Mitglieder kodifiziert. Dies gab den Bürger:innen den Raum für eine Gleichheitsanerkennung, in der jedes Individuum die gleiche Achtung seiner Würde erfahren konnte. Auch wenn die praktische Umsetzung nicht immer gegeben ist, gibt die politische Idee der Gleichberechtigung den normativen Rahmen vor, in dem sich die Gesellschaftsmitglieder darauf berufen können, als grundlegend gleichwertig ernstgenommen zu werden. Diese Gleichheitsanerkennung wird von Honneth auch als »Respekt« bezeichnet und stellt die dritte Form der Anerkennung dar. Man muss die Augen nicht allzu fest zusammenkneifen, um eine Parallele zwischen der Anerkennungstheorie und den relationalen Modellen von Alan Fiske zu erkennen. Die engen Familienbande, die eine Kultur des Communal Sharing zusammenhalten, ergeben sich aus dem bedürfnisorientierten Blick einander zugeneigter Mitglieder. Was Honneth als Transformation der hierarchischen Feudalbeziehung in meritokratische Wertschätzung und gleichheitsbasierten Respekt beschreibt, ließe sich in Alan Fiskes Begrifflichkeiten als ein Übergang zwischen einer Kultur des Authority Ranking in eine Mischform aus Market Pricing und Equality Matching beschreiben. Hier deutet sich bereits an, dass mindestens drei soziale Interaktionsformen in beiden Theorien thematisiert werden.

Der Sozialphilosoph Axel Honneth schlägt vor, insbesondere drei Arten des sozialen Austausches zu unterscheiden: erstens beruhend auf einer bedürfnisbasierten Liebe, zweitens auf einer differenzierenden sozialen Wertschätzung und drittens auf einem gleichheitsbasierten Respekt. Die letzteren beiden Formen haben sich dabei beim Übergang von hierarchischen in moderne, demokratische Gesellschaftsstrukturen entwickelt.

40

Soziale Einflüsse auf das Selbst

3.1.3  Grundlegende Dimensionen sozialer Wahrnehmung

Nach einer anthropologischen und einer sozialphilosophischen Perspektive wenden wir uns in den folgenden Abschnitten der wissenschaftlichen Psychologie zu, die sich mit der Frage beschäftigt hat, wie sich soziale Wahrnehmung und Sozialverhalten beschreiben lassen. Die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen haben sehr unterschiedliche Herangehensweisen, um Theorien zu entwickeln. In der Anthropologie werden unterschiedliche Kulturen beobachtet und miteinander verglichen. In der Philosophie steht die kritische Auseinandersetzung mit bisherigen Denktraditionen im Zentrum. In der Psychologie ist – wie in den meisten Lebenswissenschaften – die Betrachtung evolutionärer Prozesse ein Zugang zum Verständnis komplexer Phänomene. Susan Fiske und Kolleg:innen (2007) stellten entsprechend die Frage, inwiefern evolutionäre Anpassungsprozesse bestimmt haben, wie Menschen einander wahrnehmen und sich begegnen. Im Kern stellte sich die Frage, welche Informationen ein Mensch früher bei der Einschätzung eines fremden Homo sapiens sammeln musste, um sein Überleben bzw. das seiner Gene zu sichern. Das Aufeinandertreffen mit einem oder einer Fremden, sei es als Jäger:in und Sammler:in oder als moderner Mensch in einer dunklen Gasse, verlangt von uns die Einschätzung von zwei Aspekten: (1) Was sind die Intentionen des anderen? Ist er oder sie uns gegenüber warmherzig und wohlgesonnen oder kaltherzig und feindselig? Und nachgelagert: (2) Ist die andere Person in der Lage, diese Intentionen umzusetzen? Diese Unterscheidung zwischen der Wahrnehmung von (1) Warmherzigkeit oder Sympathie (meist mit dem Begriff Wärme bezeichnet) und (2) Kompetenz bei anderen Menschen gibt den Befunden von psychologischer Forschung seit mehreren Jahrzehnten eine Struktur. Fast immer, wenn Proband:innen psychologischer Studien aufgefordert wurden Persönlichkeitseigenschaften oder Verhaltensweisen von Menschen zu nennen, zu bewerten oder einzuordnen, zeigte sich ein analoges Muster (Wojciszke, Bazinska u. Jaworski, 1998). Die grundlegenden Dimensionen Wärme und Kompetenz erklärten einen Großteil der Varianz (i. d. R. über 75 %) zwischen menschlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen, d. h. bei der Einordnung von Sozialem scheinen Wärme und Kompetenz zwei KriteDifferenzierungen des Sozialen

41

rien zu sein, die Menschen automatisch zur Bewertung heranziehen. Susan Fiske und Kolleg:innen argumentieren dafür, dass Wärme und Kompetenz die zwei zentralen Dimensionen bei der Wahrnehmung von Personen darstellen (Fiske, Cuddy u. Glick, 2007). Das Vorliegen einer Kompetenz-Dimension bei der Bewertung von Menschen ist wenig umstritten. Kompetenz wird in empirischer Forschung häufig durch die Zuschreibung von Attributen, wie klug, kompetent, entschlossen und effizient erfasst. Kompetenz ist in empirischen Studien durchweg eng mit zugeschriebenem Status verbunden (Cuddy, Fiske u. Glick, 2008). Die Wärme-Dimension wurde hingegen in der Forschungslitera­ tur mit zwei verschiedenen Schwerpunkten konzeptualisiert. Die Forschungsgruppe um Wojciszke (1994, 2005) stellte die moralische Bewertung von Personen ins Zentrum. Charakterisiert wird dieser Faktor durch Attribute wie: fair, aufrichtig, tolerant, verständnisvoll. Die Forschungsgruppe um Susan Fiske fokussierte mehr auf die zwischenmenschliche Wärme und Sympathie. In ihren Forschungsmethoden nutzten sie Begriffe wie: warm, sympathisch, hilfsbereit, freundlich. Unabhängig davon, welche Art der Erfassung verwendet wurde, zeigte sich konsistent, dass die Wahrnehmungsgeschwindigkeit und der Einfluss auf die Individuen bei Wärmeinformationen größer ist als bei Kompetenzinformationen (Cuddy, Fiske u. Glick, 2007; Ybarra, Chan u. Park, 2001). Diese Befunde ergeben vor dem Hintergrund der evolutionspsychologischen Überlegungen durchaus Sinn. Die Einschätzung, ob der fremde Homo sapiens in der Savanne oder die Gestalt in der dunklen Gasse mir gegenüber vertrauenswürdig oder feindselig ist, ist der drängendste Faktor, den ich bestimmen muss. Die Zweidimensionalität des Sozialen ist noch immer ein einflussreicher Ansatz in der Sozialpsychologie, wurde jedoch auch von verschiedenen Autor:innen als unvollständig kritisiert (vgl. auch die Erweiterung durch Eagly, Nater, Miller, Kaufmann u. Sczesny, 2020). Umstritten ist, ob sich die Wärme-Dimension nicht noch in Unterkategorien unterteilen ließe (Leach, Ellemers u. Barreto, 2007; Wojciszke et al., 1998). Sowohl empirisch als auch aus theoretischen Überlegungen ließe sich für eine Unterscheidung zwischen Moral und Wärme argumentieren (Brambilla, Rusconi, Sacchi u. Cherubini, 42

Soziale Einflüsse auf das Selbst

2011; Kervyn, Fiske u. Yzerbyt, 2015). Während in den Anfängen gestritten wurde, ob der Faktor neben Kompetenz besser mit dem Begriff der Wärme oder mit dem Begriff der Moral beschrieben wäre, deutet sich in aktuellen Befunden auch ein Nebeneinander von drei Faktoren bzw. eine Ausdifferenzierung der Wärmedimension in diesem Sinne an (Abele et al., 2016). Auch wenn es von den Autor:innen an keiner Stelle explizit gemacht wird, lässt sich auch hier eine Passung zu den bisher be­­ richteten Unterscheidungen in anderen Disziplinen ausmachen, auf die wir in Abschnitt 3.2.1 näher eingehen.

In den sozialen Kognitionswissenschaften haben sich die Big Two, nämlich Wärme und Kompetenz, als Faktoren eines Modells etabliert, um die automatische Bewertung von sozialen Interaktionen und Personen inhaltlich zu deuten. Menschen neigen dazu, Verhaltensweisen und andere Menschen grund­ legend hinsichtlich ihrer zwischenmenschlichen Wärme und moralischen Zurechnungsfähigkeit einerseits und ihrer Kompetenz bzw. ihres Status andererseits zu bewerten.

3.1.4  Sozialpsychologische Respekt- und Gerechtigkeits­ forschung

Forschungsergebnisse aus der Anthropologie, der Sozialphiloso­ phie sowie der sozialen Kognitionsforschung liefern Hinweise auf eine systematische Struktur des Sozialen. Im Folgenden sollen zwei Themengebiete der Sozialpsychologie näher betrachtet und ebenfalls hinsichtlich ihrer Passung zur herausgearbeiteten Struktur bewertet werden. Genauer gesagt beleuchten wir die sozialpsychologische ­Respekt- und Gerechtigkeitsforschung. Respektforschung

Die sozialpsychologische Respektforschung hat mit dem Problem zu kämpfen, dass der Begriff Respekt im Alltagssprachgebrauch mit Differenzierungen des Sozialen

43

zahlreichen unterschiedlichen Bedeutungen versehen ist. Diese reichen von Angst (Respekt vor einem großen Hund) über Leistungsanerkennung (Respekt vor der Leistung einer Fußballmannschaft), Gehorsam (Respekt vor Autoritäten) bis zu Gleichbehandlung (Respektieren der Menschenwürde) und können noch weitere Konnotationen annehmen. Entsprechend ist auch wenig überraschend, dass die sogenannte Respektforschung teils widerstreitende und inkonsistente Definitionen und methodische Umsetzungen zugrunde gelegt hat (vgl. Renger, 2019; Simon, 2007). Gemeinsam ist den Ansätzen das Verständnis, dass mit Respekt eine Information übermittelt wird, inwiefern der jeweils andere berücksichtigt wird. Bei näherer Betrachtung lässt sich auch im Hinblick auf das, was in der Sozialpsychologie als Respektforschung bezeichnet wird, ein Muster erkennen, das mit den drei bisher thematisierten Bedeutungsfacetten übereinstimmt. Denn konkret wird in der bisherigen Forschung Respekt als Information bezüglich (1) Sympathie und Zugehörigkeit (z. B. Branscombe, Spears, Ellemers u. Doosje, 2002), (2) Leistungsfähigkeit (z. B. Sleebos, Ellemers u. Gilder, 2006) oder (3) Gleichheit und Gleichberechtigung (z. B. Simon, 2007) verstanden. Respekt als Information über Sympathie und Zugehörigkeit wurde beispielsweise von Branscombe und Kolleg:innen (2002) untersucht. Den Versuchspersonen in ihren Experimenten wurde entweder mitgeteilt, dass die Mitglieder ihrer Arbeitsgruppe sie mochten oder dass sie sie nicht mochten. Die Autor:innen dieser Studie konnten zeigen, dass eine Sympathiebekundung positive Effekte auf das Selbstwertgefühl hatte und dazu führte, dass der eigenen Gruppe mehr Ressourcen zugeteilt wurden. Ebenso konnten förderliche Effekte auf emotionale Reaktionen wie Stolz innerhalb von Gruppen und verringernde Effekte bezogen auf Schamgefühle gezeigt werden (Ellemers, Doosje u. Spears, 2004). Andererseits wurde Respekt als Information über Leistungsfähig­ keit konzeptualisiert. Spears, Ellemers und Doosje (2005) gaben ihren Proband:innen hierfür Informationen darüber, ob sie angeblich gut oder schlecht in einer vorangegangenen Aufgabe abgeschnitten hatten. Interessanterweise steigerten Personen ihre Bereitschaft, sich bei gruppendienlichen Aufgaben anzustrengen, sowohl bei posi­tiver 44

Soziale Einflüsse auf das Selbst

als auch bei negativer Rückmeldung (Sleebos et al., 2006). Anzunehmen ist, dass dies aus unterschiedlichen Motivationen geschieht. Während sich positiv bewertete Gruppenmitglieder engagieren, um der Gruppe zu helfen, tun negativ bewertete dies, um sich selbst zu beweisen. Drittens wurde Respekt als Gleichheit oder Gleichberechtigung definiert und vor allem innerhalb der Forschungsgruppe um den deutschen Sozialpsychologen Bernd Simon untersucht. Er stellte eine Respektdefinition vor, die eine Anerkennung als Gleiche:r kommuniziert (Simon, 2007). In ihrer abstraktesten, aber auch umfassendsten Form bezieht sich die Anerkennung als Gleiche:r letztlich auf die Gleichheit auf der Ebene des gemeinsamen Menschseins oder der Würde als Mensch. Sozialpsychologische Forschung konnte in der Folge zeigen, dass die Anerkennung als vollwertiges oder gleichberechtigtes Mitglied einer sozialen Gruppe (z. B. einer Arbeitsgruppe) in der Regel als phänomenologischer Stellvertreter oder Indikator für die Anerkennung der eigenen grundlegenden Gleichheit als menschliches Wesen dient (Renger, Mommert, Renger u. Simon, 2016). Diese Form des Respekts zeigt sich als förderlich für Gruppenidentifikation, aktuelle Stimmung und die Bereitschaft, sich für die Gruppe zu engagieren (Simon u. Stürmer, 2003). Die positiven Auswirkungen von gleichheitsbasiertem Respekt auf Identifikation reichen dabei von Effekten innerhalb von kleinen Arbeitsgruppen bis hin zu Identifikationen auf übergeordneten Ebenen, die Individuen mit vormals fremden Gruppen oder sogar global mit allen Menschen verbinden (Renger u. Reese, 2017; Renger u. Simon, 2011; Simon, Mommert u. Renger, 2015). Die sogenannte Respektforschung zeigt einerseits vielverspre­ chende Befunde, die belegen, dass das, was durch den Begriff Respekt bezeichnet wird, einen starken Einfluss auf z. B. Gruppenprozesse hat. Andererseits sind die Effekte ohne die Berücksichtigung der konkreten methodischen Umsetzung kaum zu interpretieren. Von einer einheitlichen Respektforschung kann also keine Rede sein. Erst ein Blick, der drei unterschiedliche Definitionen basierend auf Sympathie, Leistungsfähigkeit und Gleichheit differenziert, ermöglicht einen systematischen Blick. Zusammenfassend spiegeln die Forschungsbemühungen der erwähnten Autor:innen mit ihren drei Differenzierungen des Sozialen

45

differenzierbaren Zugängen zum Respektbegriff erstaunlich passgenau die drei von Honneth (1994) identifizierten Dimensionen von Anerkennung wider (vgl. Abschnitt 3.1.2) und das, obwohl sie weitestgehend unabhängig davon entstanden sind. Gerechtigkeitsforschung

Es gibt einen weiteren Themenbereich in der Sozialpsychologie, der auf wiederum anderem Weg zu einer analogen Dreiteilung gelangt ist. Die psychologische Gerechtigkeitsforschung begann in den 1960er Jahren zunächst mit Überlegungen zur Verteilungs­ gerechtigkeit (distributive justice). Laut Adams (1965) und Homans (1961) beruht die Bewertung von Gerechtigkeit von Verteilungen nicht auf dem absoluten Wert eines Verteilungsergebnisses, sondern auf der subjektiven Einschätzung, ob das Verhältnis von Input (z. B. erbrachter Anstrengung/Leistung) und Output (z. B. Belohnung, Ressourcenverteilung) gerecht ist. Dabei können verschiedene Bewertungsprinzipien zugrunde gelegt werden. Dem Bedürfnisprinzip (need principle) folgend, werden Verteilungen basierend auf individuellen (unterschiedlichen) Bedürfnissen vorgenommen (Deutsch, 1975). Dem Leistungsprinzip (equity p ­ rinciple) folgend, wird eine Entscheidung genau dann als gerecht wahrgenommen, wenn ein Output proportional zum individuellen Input vergeben wird und dieses Verhältnis als äquivalent zu dem einer relevanten Vergleichsperson wahrgenommen wird. Dem Gleichheitsprinzip (equality principle) folgend, sollten alle Beteiligten den gleichen Output erhalten, unabhängig von ihrem individuellen Input. Auch hier fällt es wiederum nicht schwer, die Parallelen zu den drei vorgestellten Anerkennungsformen auszumachen. Die Berücksichtigung des Bedürfnisprinzips zeigt eine Nähe zu bedürfnisbasierter Liebesanerkennung. Das Leistungsprinzip basiert, wie soziale Wertschätzung, auf der Bewertung erbrachter Leistung und das Gleichheitsprinzip beruht, wie gleichheitsbasierter Respekt, auf der Gleichbehandlung der Beteiligten.

46

Soziale Einflüsse auf das Selbst

In der Sozialpsychologie werden drei unterschiedliche Formen von Respekt beschrieben: Als Information über Sympathie und Zugehörigkeit, über Leistungsfähigkeit und über Gleichberechtigung. Die Gerechtigkeitsforschung unterscheidet zwischen dem Bedürfnisprinzip, dem Leistungsprinzip und dem Gleichheitsprinzip bei Fragen der Verteilungsgerechtigkeit.

3.1.5  Struktur menschlicher Grundbedürfnisse

In den vorangegangenen Abschnitten hat sich schon angedeutet, dass sich eine erstaunlich konsistente Systematik hinter den Sozialbeziehungen von Menschen zeigen lässt. Es ist dann naheliegend, dass sich diese unterschiedlichen Formen von Sozialem auch in Theorien wiederfinden lassen, die sich mit (sozialen) Grundbedürfnissen des Menschen beschäftigen. Maslows Stufenmodell menschlicher Grundbedürfnisse

Die Suche nach einer Ordnung und Struktur hinter menschlichen Grundbedürfnissen hat einige der frühesten und bekanntesten psychologischen Theorien hervorgebracht. Schon in den 1940er Jahren entwarf Abraham Maslow sein bekanntes Stufenmodell der menschlichen Grundbedürfnisse  – auch bekannt als Bedürfnispyramide. Oberhalb der physiologischen Existenzbedürfnisse und des Sicherheitsbedürfnisses verortete er Bedürfnisse, die unmittelbar aus der sozialen Interaktion mit anderen befriedigt werden können. Als erstes nennt er das Liebesbedürfnis (love), das den Wunsch nach Zugehörigkeit und affektiver Verbundenheit mit anderen Menschen beschreibt. Die darauffolgende Stufe beschreibt das Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung (esteem). In späteren Schriften arbeitet Maslow etwas deutlicher heraus, dass für diese Anerkennung neben Ansehen, Beifall und Applaus aus dem Umfeld auch eine wertschätzende Offenheit und Raum zur Entfaltung gegeben werden muss, um menschliches Wachstum zu fördern und eine Anerkennung der Würde (dignity) zu ermöglichen (Maslow, 1962, 1968). Differenzierungen des Sozialen

47

Maslows Stufenmodell menschlicher Bedürfnisse war in und über die Psychologie hinaus vielleicht gerade wegen der vereinfachenden Struktur und Beschreibung sehr erfolgreich. Im Folgenden wird eine aktuell einflussreiche Theorie menschlicher Bedürfnisse vorgestellt, die eine analoge Differenzierung entwickelt, aber neben einer theoretischen Fundierung auch auf eine breite empirische Grundlage zurückgreifen kann. Selbstbestimmungstheorie der Motivation

Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation gehört zu den einflussreichsten psychologischen Theorien der letzten 20 Jahre (Deci u. Ryan, 2000; 2008b). Die Theorie baut auf einer umfangreichen Zahl empirischer Arbeiten, die größtenteils mit experimenteller Methodik den Einfluss sozialer Prozesse auf die Ausbildung bestimmter Formen von Motivation untersuchten. Diese Theorie wurde zur Erklärung von konkreter Arbeitsmotivation bis zur Prävention psychischer Störungen verwendet. Damit ist sie ein positives Beispiel in der Theorienlandschaft der Psychologie, die sonst oftmals von eng umschriebenen Minitheorien geprägt ist, die sich auf die Erklärung einzelner Phänomene beschränken. Ein weiterer Grund dafür, dass diese Theorie hier eingehender dargestellt und diskutiert werden soll, ist die starke Parallele, die sich zu den bisher vorgestellten Zugängen aufzeigen lässt. Die Selbstbestimmungstheorie geht davon aus, dass die menschliche Natur geprägt ist von Neugierde, aktiver Bewältigung der Umwelt und Begeisterungsfähigkeit. Doch dieses Potenzial kommt in den meisten Fällen nicht ungehindert zum Ausdruck. Die Autoren betonen, dass sich die Unterschiedlichkeit zwischen Menschen hinsichtlich ihres Engagements und ihrer Passivität nicht durch interne, stabile Persönlichkeitsfaktoren erklären lässt. Entsprechend besteht der Ansatz der Theorie darin, die sozialen Bedingungen zu analysieren, die dem Menschen die Entfaltung seines Potenzials ermöglichen bzw. Hindernisse darstellen. Als Inbegriff des optimalen menschlichen Funktionierens wird von den Autoren die intrinsische Motivation herangezogen. Sie beschreibt eine Form von Motivation, die allein im Ausführen des jeweiligen Verhaltens begründet ist und keine externen Motivato48

Soziale Einflüsse auf das Selbst

ren benötigt. Intrinsische Motivation geht mit Freude und Vitalität einher und stellt einen wichtigen Ausdruck kognitiver und sozialer Entwicklung dar (Csikszentmihalyi u. Rathunde, 1993; Ryan, 1995). Das Anliegen der Selbstbestimmungstheorie war und ist es zu klären, unter welchen sozialen Umständen intrinsische Motivation entwickelt und aufrechterhalten wird. Frühe empirische Ergebnisse deuteten im Kontrast zur oft gängigen Alltagspraxis an, dass materielle Belohnung die intrinsische Motivation verringern kann (Deci, Koestner u. Ryan, 1999). Die Effekte wurden von den Autoren derart interpretiert, dass die materielle Belohnung eine externe Beeinflussung darstellt, die die wahrgenommene Autonomie, also die Freiheit der Entscheidung für das Verhalten, verringert. Der Zusammenhang zwischen Autonomieunterstützung und intrinsischer Motivation konnte in einer Vielzahl an Studien belegt werden (z. B. Deci, Nezlek u. Sheinman, 1981; ­Grolnick u. Ryan, 1989). Während materielle Belohnung die intrinsische Motivation senkte, stellte verbales Kompetenzfeedback in mehreren empirischen Untersuchungen einen unterstützenden Faktor dar (Anderson, Manoogian u. Reznick, 1976; Vallerand u. Reid, 1984). Die Autoren der Selbstbestimmungstheorie schlossen daraus, dass sich nur bei einem gemeinsamen Auftreten eines autonomiefördernden Kontextes und angemessenem Kompetenzfeedback intrinsische Motivation entfalten kann. Erweitert wurde diese These aufgrund von Beobachtungen in einer Studie von Anderson und Kolleg:innen (1976). Dort zeigte sich, dass das bloße Zugewandtsein des Versuchsleiters als Signal für Verbundenheit verstanden wurde und die Entwicklung intrinsischer Motivation begünstigte. Auch Ryan und Grolnick wiesen 1986 nach, dass Student:innen, die ihre Lehrkräfte als emotional kalt erlebten, geringere intrinsische Motivation zeigten. Aus diesen Ergebnissen und im Rückgriff auf die Bindungs- und Säuglingsforschung (Bowlby, 2008; Frodi, Bridges u. Grolnick, 1985), wurden zusätzlich emotionale Zuwendung und Verbundenheit als förderliche Faktoren von intrinsischer Motivation aufgenommen. Ihre Annahmen konnten nicht nur für das Phänomen intrinsischer Motivation bestätigt werden. In den wenigsten Fällen sind unsere Handlungen rein intrinsisch motiviert. In der Regel versprechen wir Differenzierungen des Sozialen

49

uns von unserem Verhalten auch externe Belohnungen, Zuspruch oder dass wir der Erwartung anderer oder uns selbst gerecht werden. Untersuchungen zeigten, dass auch Verhalten, das extrinsisch motiviert ist, trotzdem als selbstbestimmt wahrgenommen werden kann, wenn die drei sozialen Faktoren (Verbundenheit, Kompetenz und Autonomie) unterstützend vorliegen. In der Selbstbestimmungstheorie werden diese Grundbedürfnisse als angeboren und universal gültig postuliert. Diese Annahmen sind nicht unumstritten und dennoch stellt die Selbstbestimmungstheorie eine einflussreiche Theorie dar, die wichtige theoretische und empi­ rische Impulse in verschiedenen Bereichen psychologischer Forschung geben konnte und kann. Im Hinblick auf das Ziel dieses Kapitels, eine Systematik des Sozialen herauszuarbeiten, liefert die Theorie eine weitere Bestätigung des sich andeutenden dreiteiligen Schemas.

Bereits in der Bedürfnistheorie von Maslow aus den 1940er Jahren werden als soziale Bedürfnisse ein Liebes- und ein Wertschätzungsbedürfnis angenommen. Die Selbstbestimmungstheorie untersucht mit empirischen Methoden die sozialen Umweltfaktoren, die eine ungehinderte Entfaltung der selbstbestimmenden, engagierten Natur des Menschen ermöglichen. Als relevante soziale Erfahrungen nehmen die Autoren diejenigen an, die zur Befriedigung der angeborenen Grundbedürfnisse nach Verbundenheit, Kompetenz und Autonomie beitragen.

3.2 Psychologie der Anerkennung – Drei zentrale Formen der Sozialbeziehung In den vorangegangenen Abschnitten haben wir Forschung aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen vorgestellt, die Vorschläge gemacht haben, was die zentralen Informationen sind, die Menschen in ihren sozialen Interaktionen austauschen. Es gibt als Wissen50

Soziale Einflüsse auf das Selbst

schaftler:in kaum ein befriedigenderes Gefühl als zu sehen, wie verschiedene interdisziplinäre Perspektiven zu einem gemeinsamen Bild konvergieren. Ohne sichtbare gegenseitige Beeinflussung und trotz verschiedenster Methoden und Perspektiven zeigen sich übereinstimmend mindestens drei parallele Formen der Sozialbeziehung in den Analysen. 3.2.1  Parallelen der interdisziplinären Ansätze

Aus der Anthropologie haben wir die Theorie relationaler Modelle vorgestellt, die vier Kulturformen unterscheidet, die jeweils unterschiedliche Fokusse im zwischenmenschlichen Miteinander zeigen (Communal Sharing, Market Pricing, Equality Matching und Authority Ranking). Mit diesen sogenannten relationalen Modellen gehen auch sehr unterschiedliche jeweils relevante soziale Interaktionsformen einher. In einer Communal-Sharing-Kultur muss zwangsläufig die gegenseitige Fürsorge die Kommunikation der Gesellschaftsmitglieder prägen. Ebenso ist es naheliegend, dass in einer Market-Pricing-Kultur die Einschätzung und Kommunikation von leistungsbezogener Wertschätzung eine dominante Rolle einnimmt. In einer Kultur des Equality Matching bildet ein gleichheitsbasierter Respekt, der den anderen als vertrauenswürdigen Interaktionspartner behandelt, die notwendige Basis. In der Sozialphilosophie begegneten uns in der auf Hegel basierenden Anerkennungstheorie von Axel Honneth eben genau diese drei Formen sozialer Anerkennung, die er Liebe, soziale Wertschätzung und Respekt nennt. Die beiden Zugänge aus unterschiedlichen Disziplinen sind dabei keineswegs deckungsgleich – sie haben unterschiedliche methodische Zugänge und Anwendungsbereiche. Während Alan Fiske mit seiner Analyse vor allem eine kulturvergleichende Analyse erlaubt, zielt der sozialphilosophische Zugang von Axel Honneth auf die Freilegung innergesellschaftlicher Interaktionsformen. Die Beobachtung, dass dennoch analoge Muster gefunden werden, wird auch durch den Blick in weitere (psychologische) Wissenschaftsdisziplinen bestätigt. Die soziale Kognitionswissenschaft untersucht, wie sich Personen gegenseitig wahrnehmen, und grenzt die Wahrnehmung von Wärme, Kompetenz und moralischer Zurechnungsfähigkeit vonDrei zentrale Formen der Sozialbeziehung

51

einander ab. Auch hier lassen sich deutliche Parallelen zu den relationalen Modellen (Communal Sharing, Market Pricing und Equality ­Matching) und zur Anerkennungstheorie (Liebe, soziale Wertschät­ zung und Respekt) ausmachen. Die engen Familienbande, die durch das Communal-Sharing-Modell abgebildet werden, leben von einer wechselseitigen Anerkennung von Sympathie, Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit (vgl. Wärme und Liebe). Die Strukturierung von Sozialbeziehungen anhand von Leistungsfähigkeit (Market Pricing) oder Status (Authority Ranking) baut auf eine Wahrnehmung von Kompetenz und Status bei Personen (vgl. Kompetenz und soziale Wertschätzung). Eine Kultur des Equality Matching, die auf Ausgleich und Interaktionen auf Augenhöhe ausgerichtet ist, lebt davon, im Gegenüber eine moralische Zurechnungsfähigkeit zu erkennen (vgl. Moral und Respekt). Die Dreiteilung sozialer Prozesse zeigt sich auch in ­empirischer sozialpsychologischer Forschung (Respektforschung und Gerechtig­ keitsforschung). Die Forschung zu Respekt lässt sich nur dann sinnvoll deuten, wenn sympathie-, leistungs- und gleichheitsbasierte Definitionen unterschieden werden. Gerechtigkeits­wahrnehmung orientiert sich erstaunlich analog an einem Bedürfnis-, Leistungsund Gleichheitsprinzip. Letztlich kommt die aktuell einflussreichste Motivationstheorie (Selbstbestimmungstheorie der Motivation) zu dem Schluss, dass ein motivierendes soziales Umfeld drei Aspekte berücksichtigen muss: Verbundenheit, Kompetenz und ­Autonomie. Bei näherem Hinsehen wird die Analogie deutlich. Fürsorge, Zunei­ gung und Sympathie speisen das Bedürfnis nach Verbundenheit. Positive Leistungsrückmeldung und soziale Wertschätzung erfüllen das Bedürfnis nach Kompetenz. Autonomie wird effektiv durch die Wahrung gleicher Rechte gewährt. In Tabelle 1 sind alle vorgestellten Theorien nach dieser Systematik geordnet dargestellt.

52

Soziale Einflüsse auf das Selbst

Drei zentrale Formen der Sozialbeziehung

53

Theorie relationaler Modelle (Fiske, 1993)

Anerkennungstheorie (Honneth, 1994, 2010)

Theorien sozialer Wahrnehmung

Respektforschung

Verteilungsgerechtigkeit (Deutsch, 1975)

Selbstbestimmungstheorie der Motivation (Ryan u. Deci, 2000)

Begriffe in diesem Buch

Sozialphilosophie

Psychologie – Soziale Kognition

Psychologie – Sozialpsychologie

Psychologie – Gerechtigkeits­ normen

Psychologie – Bedürfnistheorien

Formen der Anerkennung

Theorie

Anthropologie

Disziplin

Kompetenz (Cuddy et al., 2008) Kompetenzbasierter Respekt (Spears et al., 2005) Leistungsprinzip

Need for competence Need for autonomy Leistungsrück­ Freiheit von meldung Fremdbestimmung

Wärme (Cuddy et al., 2008) Sympathiebasierter Respekt (Ellemers et al., 2004) Bedürfnisprinzip

Need for relatedness Verbundenheit

(Bedürfnisbasierte) Zuneigung

Soziale Wertschätzung Wertschätzung des Beitrags

Liebe Zuneigung und Fürsorge

(Leistungsbasierte) (Gleichwertigkeits­ soziale Wert­schätzung basierter) Respekt

Gleichheitsprinzip

Gleichheitsbasierter Respekt (Simon, 2007)

Moral (Wojciszke et al., 1998)

Respekt Gleichberechtigung

Market pricing Behandlung nach Marktwert

Communal sharing Gegenseitige Fürsorge

Equality matching Gleichbehandlung

(Status) (Cuddy et al., 2008)

Authority ranking Behandlung nach Status/Rang

Tabelle 1: Übersicht der Systematik zentraler Formen der Sozialbeziehung in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen

Natürlich sind die Konzeptualisierungen nicht identisch, aber die Passung ist für die Breite der betrachteten Wissenschaftsdisziplinen beeindruckend deutlich. Während sich die erste (Zuneigung) und zweite (soziale Wertschätzung) beschriebene Sozialform über die unterschiedlichen Perspektiven hinweg auch hinsichtlich der verwendeten Begrifflichkeiten ähneln, ist die Varianz hinsichtlich der dritten Form (Respekt) größer. Während bei Alan Fiske und Axel Honneth die Gleichheit bzw. Gleichwertigkeit als definierendes Merkmal im Zentrum steht, tritt z. B. bei der Selbstbestimmungstheorie der Motivation die Ge­­ wäh­­rung einer individuellen Autonomie an diese Stelle. Bei näherer Betrachtung, auch der in wissenschaftlichen Arbeiten berichteten konkreten Messmethoden, wird die Schnittmenge beider Konzepte jedoch deutlich. Im Kern bedeu­tet Gleichberechtigung eben nichts anderes als das Gewähren eines gleichen (Autonomie-)Raumes, in dem sich ein Individuum entfalten kann. Umgekehrt lässt sich die Sicherstellung einer autonomiefördernden Freiheit von Fremdbestimmung am besten durch das Gewähren gleicher Rechte und Ernstnehmen der Meinung des Gegenübers erreichen. Zusammenfassend lässt sich trotz differierender Methodik und theoretischer Perspektive eine starke Ähnlichkeit innerhalb der jeweils herausgearbeiteten Formen und gleichzeitig eine deutliche Unterschiedlichkeit zwischen den Formen belegen. Interessant ist außerdem, dass das soziale Prinzip des ­Authority Ranking aus der Theorie relationaler Modelle keine eindeutige Ent­ sprechung in den anderen beschriebenen wissenschaftlichen Zugängen hat. Die Frage, welche Rolle hierarchische Anerkennung aus psychologischer Perspektive und in verschiedenen professionellen Kontexten spielt, wird, z. B. bezogen auf den schulischen Kontext, in diesem Buch zu einem späteren Zeitpunkt aufgegriffen (ab Kapitel 6). Eine naheliegende Erklärung ist jedoch, dass Hierarchie sich in der Regel in zwei Anerkennungskonstellationen manifestieren kann: Einerseits drückt sich Hierarchie oft im Vorenthalten von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt und Autonomie für die Statusniedrigeren aus und andererseits wird sie häufig durch differenzielle soziale Wertschätzung legitimiert. Konkret heißt das z. B., dass die höhergestellte Position einer bzw. eines Vorgesetzten mit mehr Befugnissen einhergeht und so auch (Mitbestimmungs-)Rechte von Mitarbeiter:innen einschränken kann. Dies kann, wenn es keine Identifikation mit den verfolgten Zielen gibt, 54

Soziale Einflüsse auf das Selbst

von Untergebenen als Vorenthalten von Respekt erlebt werden. Ob das Machtgefälle so wahrgenommen wird, hängt u. a. davon ab, ob soziale Wertschätzung die Hierarchie legitimiert. Eine legitime Vorgesetztenposition setzt in den Augen der Mitarbeiter:innen eine hohe soziale Wertschätzung voraus. An dieser Stelle soll zumindest schon angedeutet werden, dass sich hierarchische Beziehungen eventuell als Kombination der anderen Anerkennungsformen ausdrücken lassen und somit keiner eigenen Form von Anerkennung bei der Analyse solcher Prozesse bedürfen. 3.2.2  Synthese der Ansätze

Zumindest für drei Formen der Anerkennung zeigt sich ein erstaunlicher Konsens und die Relevanz dieser drei sozialen Prozesse ist belegt durch die Befunde der psychologischen Forschung. Das Erleben von drei zentralen Formen sozialer Interaktion geht mit einer erhöhten Motivation, größerer Lebenszufriedenheit, besserer Gesundheit und gesteigerter Produktivität einher (vgl. Abschnitt 5.1). Anders formuliert zeigen die Befunde aus den diversen Disziplinen, dass für Menschen in ihrem sozialen Leben vor allem drei Erfahrungen wichtig sind: (1) Die Erfahrung, dass ihre emotionalen Bedürfnisse durch zwischenmenschliche Zuneigung erfüllt werden. (2) Die Erfahrung, dass ihre Beiträge und Leistungen positiv aufgenommen werden. (3) Die Erfahrung, dass sie als eine Person mit gleichen Rechten ernstgenommen werden. Um im weiteren Verlauf des Buches mit dieser Dreiteilung weiter arbeiten zu können, möchten wir drei Arbeitsdefinitionen für unterscheidbare Formen der Anerkennung anbieten, die die Erkenntnisse der bisherigen Literaturübersicht (vgl. Tabelle 1) zusammenfassen. Bedürfnisbasierte Zuneigung

Bedürfnisbasierte Zuneigung beschreibt die Kommuni­ kation von akzeptierender Zugewandtheit, zwischenmenschlicher Wärme und der Berücksichtigung von (emotionalen) Bedürfnissen. Idealtypisch zeigt sich diese Form der Zuwendung in der sorgenden Primärbeziehung von Eltern und Kind. Partnerschaften und Freundschaften sind im weiteren VerDrei zentrale Formen der Sozialbeziehung

55

lauf des Lebens eines Menschen wichtige Quellen von Zuneigung. Aber in kleineren Dosen enthalten auch (fast) alle anderen Formen der zwischenmenschlichen Interaktion die Kommunikation von gewährter (oder vorenthaltener) Zuneigung oder Sympathie. Leistungsbasierte soziale Wertschätzung

Leistungsbasierte Wertschätzung beschreibt die Anerken­nung der Leistungen und wertvollen Eigenschaften, die Personen gegenüber kommuniziert wird. Sie drückt aus, wie positiv (oder negativ) die Beiträge, Talente oder Eigenschaften einer Person gesehen werden. Gleichwertigkeitsbasierter Respekt

Gleichwertigkeitsbasierter Respekt beschreibt die Berück­sichti­gung des Gegenübers als eigenständige Person. Die andere Person wird als grundlegend gleichwertig und gleichberechtigt behandelt. Diese Form der Anerkennung zeigt sich idealtypisch in der formalen Kommunikation gleicher Rechte. Sie beschreibt, inwiefern dem Gegenüber ein eigener Handlungsspielraum gewährt (oder abgesprochen) wird. Es kann auf den ersten Blick etwas verwirrend erscheinen, dass wir in diesen Arbeitsdefinitionen mit genau solchen Begriffen operieren, die wir in unserer Einleitung als uneindeutig kritisiert haben. Wichtig ist jedoch, dass die zugrundeliegende Definition immer genannt wird und darauf geachtet wird, diese drei unterscheidbaren Formen von Anerkennung konzeptionell nicht zu mischen. Auch im weiteren Verlauf des Buches werden wir darauf achten, jeweils den definitorischen Kern des verwendeten Begriffes deutlich zu machen. Letztlich wird sich der Wert der Differenzierung dieser drei Formen von Anerkennung erst zeigen, wenn sich diese Dreiteilung auch in der konkreten Anwendung als eine ideale Schablone beweist, um sich undefinierten sozialen Begriffen und psychosozialen Phänomenen zu nähern (dazu mehr ab Kapitel 5). Für einen ersten Impuls zur Anwendbarkeit der Schablone können wir zur Beobachtung zurückkehren, die in der Einleitung dieses Buches beschrieben wurde. Wenn eine Patientin sich wünscht, 56

Soziale Einflüsse auf das Selbst

ihr Arzt solle sich »wertschätzender« verhalten, steht der Mediziner vor der Schwierigkeit, dass sich dieser Wunsch auf alle möglichen konkreten Verhaltensweisen beziehen könnte. Menschen verwenden Adjektive wie wertschätzend oder anerkennend meist sehr breit und unspezifisch und es ist gut möglich, dass auch die Patientin selbst gar nicht benennen könnte, was der Arzt tun müsste, um ihren Wunsch zu erfüllen. In jedem Fall kann die vorgestellte Anerkennungsschablone ein Startpunkt sein, um zu analysieren, welche sinnvollen Hypothesen sich zur Bedeutung der eingeforderten Wertschätzung in diesem Fall aufstellen ließen. Bedürfnisbasierte Zuneigung durch den Arzt ließe sich kommunizieren, indem er sich bei ihr nach ihren Sorgen erkundigt, Nähe zulässt, Mitgefühl zeigt und freundlich und zugewandt auftritt. Leistungsbasierte soziale Wertschätzung würde sich darin ausdrücken, dass der Arzt die Compliance der Patientin lobt, Behandlungserfolge auch auf ihre Mithilfe attribuiert und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit bei der Patientin unterstützt. Gleichwertiger Respekt wäre sichtbar, wenn der Arzt sie transparent über den Behandlungsplan informiert und ihre Meinung zum weiteren Verlauf der Therapie einholt. Kommunikation liefe in beide Richtungen und eventuell ließe sich diese auch wortwörtlich auf Augenhöhe umsetzen. Wirklich wertschätzend ist das Verhalten des Arztes vielleicht sogar erst, wenn alle diese Bereiche abgedeckt sind. Die Schablone aus Zuneigung, sozialer Wertschätzung und Respekt ist ein schneller Weg, um die Breite möglicher positiver sozialer Interaktionen abzubilden.

Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen kommen zu einem erstaunlich parallelen Bild: In sozialen Interaktionen ist es für die beteiligten Menschen wichtig, Informationen über (1) emotionale Bedürfnisse und zwischenmenschliche Wärme, (2) Leistungsfähigkeit und wertvolle Eigenschaften und (3) Gleichwertigkeit und Autonomie auszutauschen. Diese Struktur bildet die Grundlage für drei Formen von Anerkennung: (1) bedürfnis­ basierte Zuneigung, (2) leistungsbasierte soziale Wertschätzung und (3) gleichwertigkeitsbasierten Respekt.

Drei zentrale Formen der Sozialbeziehung

57

4

Die drei Formen der Selbstanerkennung

Wir haben uns bereits damit beschäftigt, dass unser Selbstbild stark von sozialen Interaktionen und Rückmeldungen anderer Menschen geprägt wird (vgl. Abschnitt 2.3). Wir haben zudem erfahren, dass sich wichtige soziale Interaktionen entlang von drei inhaltlichen Dimensionen (Zuneigung, Wertschätzung und Respekt) beschreiben lassen (vgl. Kapitel 3). Wenn uns demnach soziale Informationen auf diesen drei Dimensionen erreichen, stellt sich die Frage, ob sich diese Dreiteilung auch in unserem Selbstbild niederschlägt. In diesem Kapitel zeigen wir, dass die Dreiteilung sehr gut auf das Selbstbild übertragbar ist, um die Selbstanerkennung eines Menschen zu beschreiben. Dabei entstehen altbekannte Selbstbewertungsebenen (vgl. Abschnitt 4.2), aber auch eine neue, die in der Forschung bisher eher spärlich betrachtet wurde. Dieser neu identifizierten Ebene – Selbstrespekt – wird anschließend ein eigener Abschnitt (4.3) gewidmet. Abschließend beleuchten die Abschnitte 4.4 und 4.5 den Mehrwert der vorgeschlagenen Dreiteilung sowie die Konsequenzen von Selbstrespekt.

4.1 Von Anerkennung zu Selbstanerkennung Auf welchen zentralen Ebenen ergibt es Sinn, die Selbstbewertung und die Selbstanerkennung von Menschen zu denken? Kapitel 2 hat verdeutlicht, dass in der psychologischen Forschung bisher vor allem globale Ansätze (z. B. allgemeines Selbstwertgefühl als Bewertung des gesamten Selbst) sowie zweidimensionale Ansätze (z. B. die Unterteilung in Selbstmögen und Selbstkompetenz) verfolgt wurden. In diesem Abschnitt unternehmen wir nun den Versuch, die in Von Anerkennung zu Selbstanerkennung

59

Kapitel 2 vorgestellten Ansätze zur Selbstbewertung mit den in Kapitel 3 gewonnenen Erkenntnissen zur Strukturierung sozialer Informationen zusammenzubringen. Die dort erhaltene Schablone dreier Dimensionen erlaubt es nämlich, die Differenzierung des Selbstbildes entsprechend zu erweitern. Genauer gesagt wird sich zeigen, dass Menschen entlang dieser drei inhaltlichen Dimensionen (zu denen entsprechende Anerkennungsformen vorgeschlagen wurden) ihre Einstellung zu ihrem Selbst formen (die wir entsprechend als drei Formen der Selbstanerkennung bezeichnen). Eine Theorie, die sich spezifisch mit der Verinnerlichung dieser sozialen Anerkennungsformen im Selbst beschäftigt, ist erneut die Anerkennungstheorie von Axel Honneth (1994). Honneth sieht Anerkennungserfahrungen auf allen drei Ebenen (vgl. Abschnitt 3.1.2) als unverzichtbar für die Entwicklung einer gesunden, integren Identität an. Er geht davon aus, dass die erfahrene Anerkennung im Individuum verinnerlicht wird und dessen Selbstbild prägt. Genauer gesagt braucht das Individuum andere Menschen, um überhaupt ein Selbstbild entwickeln zu können. Diesen Prozess gegenseitiger Anerkennung leitet Honneth aus den Arbeiten von Hegel (1969) und Mead (1987) ab. »Ein Bewusstsein seiner selbst kann ein Subjekt nur in dem Maße erwerben, wie es sein eigenes Handeln aus der symbolisch repräsentierten Perspektive einer zweiten Person wahrnehmen lernt« (Honneth, 1994, S. 120–121; vgl. auch Mead, 1987). Honneth argumentiert, dass Menschen die Anerkennungserfahrungen auf den drei Dimensionen entsprechend in drei voneinander unterscheidbaren Selbstbildern verinnerlichen.

4.2 Selbstliebe und Selbstwertschätzung 4.2.1  Selbstliebe

Erfahrungen bedürfnisbasierter Zuneigung, das heißt die Erfüllung von emotionalen Bedürfnissen nach warmherziger Zuwendung, stellen die Grundlage für die Entwicklung von Selbstliebe dar. In dem Ausmaß, in dem eine Person diese Bedürfnisbefriedigung und Zuneigung erhalten hat, kann sie sich selbst hinsichtlich der authen60

Die drei Formen der Selbstanerkennung

tischen Einschätzung ihrer eigenen Bedürfnisse vertrauen und auf einer emotional sicheren Basis stehen. Diese Annahmen bilden den Kern der Bindungstheorie, die maßgeblich von John Bowlby (1984) geprägt wurde. Für Bindungserfahrungen ist das erste Lebensjahr von besonderer Bedeutung. Das Kind lernt, dass es in der Lage ist, neue, emotional herausfordernde, Situationen mit der Unterstützung seiner primären Bezugsperson bewältigen zu können. Die Verfügbarkeit der Bezugsperson und ihre Responsivität, d. h. ihre Bereitschaft auf Interaktionsversuche des Kindes einzugehen, erzeugen das Gefühl eines »sicheren Hafens« und erlauben dem Kind ein Urvertrauen in sich selbst aufzubauen. Derart sicher gebundene Kinder können sich nach einer potenziellen Verunsicherung durch die Bezugsperson beruhigen lassen und sich schnell wieder explorie­ rendem Spiel und Interaktion zuwenden (vgl. Trost, 2018). Bleiben diese Erfahrungen jedoch aus oder sind sie unvorhersehbar oder inkonsistent, so kann dieses Urvertrauen in sich selbst nicht optimal entstehen. In der Bindungsforschung werden Kinder mit unsicher-vermeidendem Bindungsmuster beschrieben, bei denen die Bezugsperson wenig feinfühlig auf ihre Bedürfnisse reagiert und wenig Körperkontakt anbietet. Diese Kinder zeigen dann in emotional belastenden Situationen wenig Gefühle und suchen nicht die Nähe zur Bezugsperson, sondern versuchen, Situationen allein zu bewältigen. Sie zeigen explorierendes Verhalten während einer verängstigenden Situation (z. B. Trennung von der Bezugsperson), sind dabei aber deutlich gestresster als sicher gebundene Kinder. Unsicherambivalente Bindungen entstehen, wenn die Verfügbarkeit und Responsivität von Bezugspersonen inkonsistent und unberechenbar ist. In emotional belastenden Situationen weinen sie früher und reagieren gleichzeitig mit Nähe und Aggressivität auf die Trostversuche der Bezugsperson. Für explorierendes Spielen haben sie wenig oder keine Kapazität (Trost, 2018). Da manche Kinder nicht in die drei Bindungstypen eingeordnet werden konnten, wurde später noch ein vierter, der sogenannte desorganisierte, Bindungsstil formuliert. Dieser wird meist als Zusatzklassifikation vergeben. Dieser Stil ist geprägt durch ein Wechselspiel aus Annäherung und Vermeidung gegenüber der Bezugsperson und taucht häufig bei von Misshandlung und Vernachlässigung geprägten Erfahrungen auf (Reiprich, 2019). Selbstliebe und Selbstwertschätzung

61

Um einen sicher gebundenen Bindungsstil beim Kind zu erzeu­ gen, sollte eine Bezugsperson feinfühlig auf das Kind eingehen (Ainsworth, Blehar, Waters u. Wall, 2014). Dazu gehört die Fähigkeit, kindliche Signale wahrzunehmen, diese Signale zu verstehen, umgehend auf sie zu reagieren und angemessen zu antworten. Erschwert werden können diese Fähigkeiten auf Seite der Bezugsperson durch eigene körperliche oder psychische Probleme, A ­ lkoholoder Drogenkonsum, einen niedrigen sozioökonomischen Status, Partnerschaftskonflikte, unangemessene entwicklungspsychologische Vorstellungen oder einen gewalttolerierenden Erziehungsstil (vgl. Benditt, 2008; Trost, 2018). Prävalenzstudien legen nahe, dass ca. 60 bis 65 % der Bevölkerung als sicher gebunden kategorisiert werden könnten, ca. 25 % als unsicher vermeidend und ca. 15 % als unsicher ambivalent. Unter allen drei Bindungsstilen könnten ca. 15 % zusätzlich als desorganisiert eingestuft werden (Trost, 2018). Es wurde bereits früh empirisch nachgewiesen und vielfach bestätigt, dass Defizite im, sich in den ersten Lebensjahren entwickelnden, Bindungsmuster eines Menschen in Zusammenhang mit späteren psychischen Erkrankungen stehen (Bowlby, 1944; Cassidy u. Shaver, 2016). Nicht sicher gebundene Kinder oder Erwachsene haben unter anderem ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Angststörungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Suchtstörun­gen, schizophrene Psychosen sowie Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) (vgl. Trost, 2018; vgl. Abschnitt 7.1). Durch diesen knappen Exkurs in die psychologische Bindungsforschung wird deutlich, welchen Stellenwert die Erfahrung von bedürfnisbasierter Zuneigung durch Andere und ein daraus resultierendes stabiles, sicheres Bindungsmuster bzw. eine hohe Selbstliebe hat. Selbstliebe

Selbstliebe bezeichnet die Überzeugung liebenswürdig zu sein, sich selbst zu mögen und ein hohes Grundvertrauen in sich selbst zu haben. Menschen mit hoher Selbstliebe haben das Gefühl, emotional auf einer stabilen Basis zu stehen.

62

Die drei Formen der Selbstanerkennung

Selbstliebe zu haben setzt voraus, sich selbst gegenüber feinfühlig zu sein. Genauer gesagt, beinhaltet es, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, sie richtig zu interpretieren und umgehend und angemessen auf sie zu reagieren (vgl. Grossmann u. Grossmann, 2012). Eine Person mit hoher Selbstliebe kann mit ihren eigenen Gefühlen, Motiven und Handlungen einfühlsam umgehen und sie artikulieren. Sie kann mit negativen Situationen und Gefühlen konstruktiv arbeiten und kann sich selbst und anderen Menschen Vertrauen entgegenbringen. Für Winnicott (1993) zeigt sich Selbstliebe und das Vertrauen in sich selbst beispielsweise in der Fähigkeit zum Alleinsein, da das Kind (oder später die erwachsene Person) ­darauf vertraut, dass eine geliebte Person auch dann ihre Zuneigung aufrechterhält, wenn ihr die eigene Aufmerksamkeit (zeitweise) entzogen wird. Ohne Energie für ein ständiges Buhlen um Aufmerksamkeit verwenden zu müssen, kann sich das Kind (bzw. die erwachsene Person) darauf konzentrieren, entspannt das eigene Leben zu entdecken. 4.2.2  Selbstwertschätzung

Neben Erfahrungen im emotionalen Bereich brauchen Menschen auch positive Anerkennungserfahrungen bezogen auf ihre individuellen Fähigkeiten, Talente, Charakterzüge und Eigenschaften. Dies bezeichnen wir in diesem Buch als soziale Wertschätzung. Während bedürfnisbasierte Zuneigung – vor allem in den ersten Lebensjahren – möglichst bedingungslos sein sollte (vgl. Abschnitt 6.1.2), ist soziale Wertschätzung in der Regel an eine bestimmte Leistung oder Fähigkeit des Individuums geknüpft. Soziale Wertschätzung stellt in der Regel eine differenzierende Anerkennung dar. Menschen erhalten unterschiedlich viel Wertschätzung für ihre Leistungen in Abhängigkeit vom individuellen Beitrag. Darüber hinaus wird Leistung kulturabhängig bewertet, was dazu führt, dass ein und dieselbe Tätigkeit je nach kulturellem Kontext in einem Fall als relevanter Beitrag anerkannt wird und einem anderen Fall nicht. Entsprechend ergeben sich auch unterschiedliche Verinnerlichungen bezüglich der eigenen Leistungsfähigkeit.

Selbstliebe und Selbstwertschätzung

63

Selbstwertschätzung

Selbstwertschätzung beschreibt die Überzeugung, eine Person zu sein, die leistungsfähig und kompetent ist bzw. wertvolle Eigenschaften mitbringt, die einen Beitrag für die Allgemeinheit leisten können. Ein eng damit verwandtes Konzept ist das der Selbstwirksamkeit bzw. Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Es stammt aus der sozial-kognitiven Theorie von Albert Bandura und ist definiert als Überzeugung, neue oder schwierige Anforderungssituationen auf Grund eigener Kompetenz bewältigen zu können (Schwarzer u. Jerusalem, 2002). Vor allem bei schwierigen Aufgaben, die Anstrengung und Ausdauer erfordern, spielt die Selbstwirksamkeitsüberzeugung eine große Rolle. Die Ausprägung der Selbstwirksamkeit einer Person beeinflusst sowohl, ob eine Person eine Aufgabe überhaupt angeht, welche Handlungsalternativen sie wählt, als auch wie sehr sie sich anstrengt und weitermacht, wenn Widerstände auftreten (­ Bandura, 1977). Forschungsergebnisse belegen, dass eine hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugung z. B. mit erhöhter akademischer Leistung zusammenhängt, und zwar auf sich gegenseitig bedingende Weise. Selbstwirksamkeit sagt die Leistungsfähigkeit einer Person zu einem späteren Zeitpunkt voraus und die Leistungen einer Person sagen auch die Selbstwirksamkeit zu einem späteren Zeitpunkt vorher (Talsma, Schüz, Schwarzer u. Norris, 2018). Für die Entstehung von Selbstwirksamkeit nennt Bandura u. a. verbale Ermutigung und gutes Zureden durch andere. Dies steht im Einklang mit den Annahmen zu Selbstwertschätzung, da auch hier die sozialen Quellen betont werden. Ob sich eine Person als kompetent und fähig wahrnimmt und ob sie sich etwas zutraut, kann zumindest in Teilen durch kommunizierte soziale Wertschätzung geformt werden.

Anerkennungserfahrungen werden von Menschen als Selbst­ anerkennung verinnerlicht. Während Selbstliebe die Verinner­ lichung von bedürfnisbasierter Zuneigung darstellt, stellt Selbstwertschätzung die Verinnerlichung von sozialer Wertschätzung dar.

64

Die drei Formen der Selbstanerkennung

4.3 Selbstrespekt Die bisherige Forschung deckt sehr umfassend die Bereiche »Mag ich mich?« (Selbstliebe) und »Kann ich etwas?« (Selbstwertschätzung) bzw. eine Mischung davon (globales Selbstwertgefühl) ab. Lesen Sie sich nun einmal die folgende Selbstbeschreibung von Tim durch und überlegen Sie, ob sich das thematisierte Gefühl mit »Mag ich mich?« bzw. mit »Kann ich etwas?« beschreiben lässt. Tim arbeitet als erfolgreicher Anwalt in einer großen Kanzlei und ist seit fünf Jahren mit Lisa verheiratet. Sie führen eine glückliche Beziehung und haben ein gemeinsames Kind. Die Situation in der Kanzlei wird für Tim immer stressiger, er sieht sein Kind oft nur an den Wochenenden, da es abends meist schon im Bett ist, wenn er nach Hause kommt. Am liebsten würde er irgendwo anders eine Stelle annehmen. Geld ist ihm sowieso nicht so wichtig und es gäbe auch vergleichbar gut bezahlte Stellen. Den Job in der Kanzlei hat er allerdings seinem Vater zu verdanken, der sich sehr für ihn eingesetzt hatte. Obwohl Tim gern mehr Zeit mit seiner Familie verbringen würde und sich nicht glücklich fühlt, kann er sich nicht dazu durchringen, die Kanzlei zu verlassen.

Tim steht emotional auf einer stabilen Basis, ist in einer funktionierenden Beziehung und bezweifelt nicht, dass er etwas leisten kann bzw. kompetent ist. Und doch gibt es etwas in seiner Selbstwahrnehmung, das ihm verbietet eine Lebensentscheidung zu treffen. In diesem Beispiel sind Sie vielleicht zu dem Schluss gelangt, dass sich die Selbstwahrnehmung von Tim nicht mit »Mag ich mich?« oder mit »Kann ich etwas?« beschreiben bzw. erfragen lässt. Die Frage, die sich Tim eher stellt ist: »Darf ich das?« oder »Bin ich berechtigt, dies zu tun?«. Tim hat aus irgendeinem Grund das Gefühl, dass er nicht berechtigt ist, sich mehr Zeit für seine Familie zu nehmen, und er zweifelt daran, eigene Entscheidungen treffen zu dürfen. Wie lässt sich diese dritte, neben Selbstliebe und Selbstwert­ schätzung einzuordnende, Selbstwahrnehmung nun aber beschrei­ ben bzw. benennen? Die psychologische Forschung hatte diese Selbstrespekt

65

Form der Selbstbeschreibung, die die Wahrnehmung eigener Berechtigung thematisiert, bisher nicht als eigenständiges Konzept identifiziert bzw. definiert. Daher lohnt sich hier erneut ein Blick in die Sozialphilosophie, genauer gesagt auf die Anerkennungstheorie von ­Honneth. 4.3.1  Der Kern von Selbstrespekt

Laut Honneth (2010) muss ein Mensch lernen, über die Selbstliebe und die Selbstwertschätzung hinaus »eine zusätzliche Form der positiven Selbstbeziehung auszubilden, die im elementaren Bewusstsein besteht, in den Augen der anderen als zurechnungsfähiges Wesen zu gelten« (S. 266). Dass für die Betrachtung, was es bedeutet ein zurechnungsfähiges Wesen zu sein, individuelle Rechte eine zen­ trale Rolle spielen, wird anhand eines Gedankenexperiments von Joel Feinberg (1970) deutlich. Feinberg lädt seine Leser:innen auf die Reise in die imaginäre Stadt »Nowheresville« (frei übersetzt als »Stadt im Nirgendwo«) ein. Diese Stadt ist vergleichbar mit Städten, die wir alle kennen, es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied: Die Einwohner:innen von Nowheresville haben keine Rechte. Obwohl es in dieser Stadt durchaus Austausch und Hilfeverhalten gibt, verursacht das Fehlen von individuellen Rechten dennoch einen Unterschied: Die Einwohner:innen haben keine Möglichkeit Ansprüche zu stellen – sie sind stets abhängig vom altruistischen, wohlwollenden Verhalten anderer. Feinberg arbeitet somit die zen­trale Rolle von Rechten für das Formulieren von Ansprüchen heraus. Und er bezeichnet die Fähigkeit, sich selbst als Person mit Rechten und somit als potenzielle:n Anspruchssteller:in zu sehen als Selbstrespekt. Anknüpfend an diese Überlegungen gibt Honneth (1994) Selbstrespekt einen Platz in seiner Anerkennungstheorie als Verinnerlichung von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt. Erst die Erfahrung von anderen als gleichwertiges Gegenüber behandelt zu werden, ermöglicht es Menschen, ihre eigene Gleichberechtigung zu verinnerlichen und somit Selbstrespekt zu entwickeln. Wird diese Erfahrung nicht gemacht, kann sich eine Person nur schwerlich als gleichberechtigtes, eigenständiges Individuum sehen. 66

Die drei Formen der Selbstanerkennung

Während Honneth (1994; 2010) Respekterfahrungen schwerpunktmäßig auf die Erfahrung rechtlicher Anerkennung im gesell­ schaftlichen Raum bezieht, so weist die psychologische Forschung mittlerweile darauf hin, dass auch (fehlende) Respekterfahrungen im familiären Umfeld, aber auch von Personen am Arbeitsplatz von Bedeutung sind (mehr dazu u. a. in Kapitel 8). Dieser Entstehungsprozess, der im folgenden Absatz näher ausgeführt wird, unterstreicht einen zentralen Aspekt: Irgendwie muss die Idee, eine mit Rechten ausgestattete Person zu sein, in das Individuum hineinkommen. Denn Selbstrespekt beschreibt nicht das objektive Vorliegen von formalen Rechten. Selbstrespekt beschreibt vielmehr die subjektive Wahrnehmung eigener Rechte, die unabhängig von objektiven, formalen Rechten sein kann. Dies bedeutet also auch, dass Personen in Ländern, in denen keine formale (Gleich-) Berechtigung besteht, trotzdem eine Überzeugung erreichen bzw. haben können (gleich-)berechtigt zu sein. Und dass Personen in Ländern, in denen formal vor dem Gesetz alle gleich sind, trotzdem nicht verinnerlicht haben können, dass diese Rechte auch für sie gelten. Es geht also nicht darum Rechte zu haben, sondern darum, an sie zu glauben (Feinberg, 1980). Diese (Gleich-)Berechtigung lässt sich auf einer fundamentalen Ebene denken, auf der Personen durch ihr Menschsein respektwürdig sind (Darwall, 1977; Kant, 1977). Selbstrespekt bedeutet, sich selbst als Träger:in von menschlicher Würde zu sehen. Selbstrespekt

Selbstrespekt beschreibt die Überzeugung einer Person, grundlegend gleichberechtigt und gleichwertig im Sinne einer gleichen menschlichen Würde zu sein. Dabei bezieht sich Selbstrespekt nicht auf den Besitz von Rechten, sondern darauf, an die eigenen Rechte zu glauben. 4.3.2  Die Entstehung von Selbstrespekt

Um näher zu verstehen, wie Menschen dazu kommen, ihre Rechte zu begreifen und an sie zu glauben, folgen nun einige entwicklungspsychologische Betrachtungen. Ihren Anfang nimmt diese Form Selbstrespekt

67

der Selbstbeziehung z. B. im kindlichen Spiel, in dem sich das Kind als Interaktionspartner zu begreifen lernt, dessen Urteile relevant und zuverlässig sind. Im weiteren Heranwachsen sind dann beispielsweise Erfahrungen von Bedeutung, von anderen Familienmitgliedern zunehmend als eine Person angesehen zu werden, deren Meinungen von Bedeutung für die gemeinsame Entscheidungsfindung sind (Honneth, 2010). Durch derartige Erfahrungen in der Familie (vgl. auch Abschnitt 6.1) und später mit Gleich­altrigen (Peers), kann ein Individuum zu der Überzeugung gelangen, eine gleichberechtigte, gleichwertige Person zu sein. Wie bereits angeklungen, ist es dabei erst einmal weniger wichtig, wie die gesellschaftliche Situation ist, in der sich eine Person befindet. Eine Person, die in einem Land aufwächst, in dem sie nicht dieselben Rechte vor dem Gesetz besitzt wie andere (dies ist nicht selten für Mitglieder von ethnischen oder sexuellen Minderheiten der Fall), kann von ihren Eltern nichtsdestotrotz als gleichberechtigte Person angesehen und entsprechend behandelt werden. Dies wird am Beispiel von Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai deutlich. Ihr Vater war überzeugt davon, dass die in seinem Land vorherrschende Tradition, Söhne besser zu behandeln als Töchter und ihnen mehr Möglichkeiten auf Bildung und freie Entfaltung zuzugestehen, falsch sei, und setzte sich aktiv für die Gleichberechtigung und Bildung von Mädchen ein (Clark, 2018). Auf der anderen Seite kann eine Person, die in Deutschland aufwächst, einem Land, in dem formal alle Menschen vor dem Gesetz gleich­gestellt sind, in einer Familie aufwachsen, in der sie nicht als gleich­wertig und gleichberechtigt behandelt wird. Die Verinnerlichung der eigenen (Gleich-)Berechtigung wird demnach von den Erfahrungen geprägt, die eine Person im Laufe ihres Lebens macht. Dabei spielen nicht nur Eltern und Familie, sondern auch Betreuungs­einrichtungen, Schule, Vereine sowie der Arbeitsplatz eine prägende Rolle (vgl. auch Kapitel 5 bis 9). Sie alle können die Gleich­berechtigungs­idee transportieren und somit eine Verinnerlichung in Selbstrespekt fördern oder hemmen. Bei der Formung von Selbstrespekt spielen auch Diskriminie­ rungserfahrungen und Ungleichbehandlungen eine Rolle. Eine Person, die z. B. aufgrund von Rassismus oder Sexismus für ihre 68

Die drei Formen der Selbstanerkennung

Hautfarbe oder ihr Geschlecht angefeindet, beleidigt oder ausgeschlossen wird, hat es deutlich schwerer ein Bewusstsein zu entwickeln, gleichberechtigt zu sein. Hierbei sind nicht nur zwischenmenschliche Interaktionen relevant; auch Diskriminierungen durch staatliche Institutionen, im Gesundheitswesen oder in Bildungs­ einrichtungen können das eigene Gefühl, gleichwertig zu sein, beeinträchtigen. In diesem Buch legen wir dem Begriff Selbstrespekt die Definition zugrunde, sich selbst als Person mit (gleichen) Rechten wahrzunehmen. Respekterfahrungen werden dabei als Vehikel verstanden, um zu erklären, wie die grundlegende Idee von (Gleich-) Berechtigung in die einzelnen Individuen gelangt. Neben diesem Pfad des Sozialen gibt es aber noch weitere Pfade, wie das Selbstbild, (gleich-)berechtigt zu sein, entstehen bzw. aufrechterhalten werden kann. In der Forschung wurde vor allem untersucht, unter welchen Umständen Personen sich selbst den Selbstrespekt, also die eigene Berechtigung, absprechen. Die Eigenzuschreibung von Berechtigung ist z. B. abhängig von der Erfüllung eigener mora­ lischer Standards. Derartige Ansätze finden sich auch in der Persönlichkeitspsychologie bei Kumashiro, Finkel und Rusbult (2002), die Selbstrespekt als Tendenz beschreiben, sich selbst als prinzipiengeleitete Person wahrzunehmen, der Ehre und hohes Ansehen gebühren. Gelingt es einer Person nicht, ihren eigenen Maßstäben treu zu bleiben und nach ihnen zu leben, kann es dazu ­kommen, dass sie sich selbst die Berechtigung abspricht, einen gleichberech­ tigten, eigenständigen Raum einzunehmen. Diese durch Introspek­ tion und Selbstreflexion angestoßenen Prozesse spielen vermut­lich eine bedeutsame Rolle bei der Aufrechterhaltung von Berechti­ gungs­empfindungen. Dieses Buch fokussiert vorwiegend den so­zia­ len Pfad, das heißt, wie Selbstrespekt im Sozialen (durch andere Menschen, Institutionen, Ideologien, etc.) genährt oder untergraben wird (vgl. Bratu, 2019).

Selbstrespekt

69

Selbstrespekt wird geformt durch die Erfahrungen, von anderen als gleichwertig respektiert und ernst genommen zu werden. Aus diesen Erfahrungen entsteht die Überzeugung, dass man selbst die gleichen grundlegenden Rechte besitzt wie andere. Diese Berechtigung gibt dem Individuum die subjektive Erlaubnis, für sich selbst einzutreten.

4.4 D  er Mehrwert einer dreiteiligen Perspektive auf Selbstanerkennung und Anerkennung Menschen nehmen soziale Informationen und somit auch Anerken­ nungserfahrungen entlang von drei zentralen Dimensionen auf: in Form von bedürfnisbasierter Zuneigung, sozialer Wertschätzung und gleichwertigkeitsbasiertem Respekt. Die bisherigen Abschnitte von Kapitel 4 haben nun deutlich gemacht, dass Individuen die Anerkennungserfahrungen entsprechend in drei voneinander unter­­­ scheid­baren Selbstbildern verinnerlichen und zwar in Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt. Dieses Modell ist in Abbil­dung  1 dargestellt.

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Internalisierung dreier Formen sozialer Anerkennung (Zuneigung, soziale Wertschätzung, Respekt) in drei Formen der Selbstanerkennung (Selbstliebe, Selbstwertschätzung, Selbstrespekt)

70

Die drei Formen der Selbstanerkennung

Wie bereits beschrieben, wurde in der psychologischen Forschung bisher nicht (bzw. nur unzureichend) zwischen diesen drei Formen unterschieden. In der allgemeinen Selbstwertgefühlskala von Rosenberg (1965) sind Selbsteinschätzungen zu allen drei Dimensionen enthalten; sie werden aber durch Mittelung zusammengefasst, so dass keine differenzierte Analyse möglich ist. In einer statistischen (Faktoren-)Analyse wurde untersucht, ob die Rosenberg-Skala und die drei von uns auf Basis der in diesem Buch beschriebenen Definitionen neu entwickelten Skalen für Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt auf unterschiedlichen oder gemeinsamen Faktoren liegen. Es zeigte sich, dass sich Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt unterscheiden ließen. Ein Großteil (7 von 10) der Selbsteinschätzungen der Rosenberg-Skala zum globalen Selbstwertgefühl, die bislang die Forschung zum Selbstbild dominierte, konnten dem Faktor Selbstliebe zugeordnet werden, zwei Einschätzungen dem Faktor Selbstwertschätzung und eine Einschätzung (»Ich halte mich für einen wertvollen Menschen, jedenfalls bin ich nicht weniger wertvoll als andere auch«) dem Faktor Selbstrespekt (vgl. R ­ enger, 2018, S. 11). Diese Befunde unterstützen zum einen die bereits von Tafarodi und Swann (2001) verfolgte Idee, zwischen Selbstwertschätzung (bei ihnen Selbstkompetenz) und Selbstliebe (bei ihnen Selbstmögen) zu unterscheiden. Darüber hinaus machen sie deutlich, dass die inhaltliche Idee von Selbstrespekt als Verinnerlichung von Gleichberechtigung nur minimal in den Messungen zum globalen Selbstwertgefühl enthalten ist und bei den vorgeschlagenen Zweiteilungen überhaupt nicht berücksichtigt wird. Die vorgeschlagene Dreiteilung hat in vielerlei Hinsicht einen Mehrwert für die Forschung, aber auch für die Praxis. Drei dieser Vorteile deuten wir im Folgenden an. Erstens weist diese Dreiteilung darauf hin, dass die Selbstbewertungen liebenswürdig, kompetent bzw. gleichberechtigt zu sein, unabhängig voneinander sein können. Es kann demnach Personen geben, die sich bspw. selbst als kompetent erachten, gleichzeitig aber nicht berechtigt fühlen, etwas Bestimmtes tun zu dürfen (vgl. das einführende Beispiel in Abschnitt 4.3). Genauso kann es Personen geben, die sich selbst als liebenswert wahrnehmen aber nicht als kompetent, usw. In den globalen Selbstwertgefühlkonzepten werden diese Aspekte untrennbar Der Mehrwert einer dreiteiligen Perspektive auf Selbstanerkennung

71

zusammengeworfen und es kann dort ausschließlich eine Aussage darüber gemacht werden, ob eine Person im Mittel eine positive oder eine negative Einstellung zu sich selbst hat. Dieser Nachteil wird durch die dreigeteilte Sicht auf das Selbst behoben. Ein zweiter Mehrwert besteht darin, dass die Dreiteilung es ermöglicht, die Quellen der verschiedenen Facetten des Selbstbilds differenziert zu betrachten. Spezifische Verhaltensweisen können somit gezielt als Voraussetzungen von Selbstliebe, Selbstwertschätzung bzw. Selbstrespekt benannt werden. Es könnte beispielsweise die Hypothese aufgestellt werden, dass Feedback zu einer erbrachten Leistung in erster Linie die Selbstwertschätzung einer Person steigert. Die Einbeziehung als gleichwertigen Interaktionspartner sollte hingegen vor allem den Selbstrespekt einer Person steigern. Für ein undifferenziert erfasstes »Selbstwertgefühl« ist hingegen nicht relevant, welche spezifische Nachricht eine Behandlung kommuniziert; es ist nur von Bedeutung, ob sie positiv oder negativ bewertend ist. Wie in Abbildung 1 verdeutlicht, ermöglicht die Dreiteilung eine spezifischere Analyse des Inputs aus der sozialen Welt und dessen Verinnerlichung im Selbst und bettet die Konzepte zusätzlich in einen größeren Theorierahmen ein. Ein dritter Mehrwert der postulierten Dreiteilung liegt darin, dass die drei Facetten der Selbstanerkennung unterschiedliche Konsequenzen bezogen auf Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen einer Person haben. Während hohe Selbstliebe zur Folge hat, dass eine Person unbeschwert in Gesellschaft anderer interagieren kann, führt eine hohe Selbstwertschätzung bspw. dazu, dass eine Person beruflich ehrgeizige Ziele verfolgt. Welche Folgen es für einen Menschen hat, hohen Selbstrespekt zu besitzen, wurde aufgrund der Vernachlässigung des Konzepts in der psychologischen Forschung bisher kaum erforscht. Bereits erforschte Konsequenzen von hohem Selbstrespekt beschreiben wir im folgenden Abschnitt 4.5. Auf unser Beispiel aus der Einleitung dieses Buches können wir mit der vorgeschlagenen Dreiteilung nun etwas differenzierter schauen. Der Klient aus der psychosozialen Beratungsstelle, der den Wunsch äußert, sich selbst mehr zu respektieren, hat eventuell keine ganz konkrete Vorstellung davon, was dies eigentlich für ihn bedeutet oder was genau ihm fehlt. Mit der vorgeschlagenen 72

Die drei Formen der Selbstanerkennung

Schablone könnte eine Beraterin gezielt die drei unterschiedlichen Selbstbilder als Ursachen der Niedergeschlagenheit hinterfragen. Fehlt es dem Klienten an emotionaler Stabilität und Selbstliebe? Oder hat der Klient das Gefühl, keine wertvollen Eigenschaften zu besitzen? Vielleicht mangelt es dem Klienten aber auch an der Überzeugung berechtigt zu sein und sich selbst als ernst zu nehmende Person zu sehen? Mithilfe der Schablone dreier Formen der Selbstanerkennung kann die Beraterin strukturiert erforschen, was der genannte Wunsch, sich selbst mehr zu respektieren für den Klienten im Kern bedeutet und entsprechend die Interventionen gestalten (vgl. auch Abschnitt 7.2.2).

Der Mehrwert der vorgeschlagenen Dreiteilung der Selbst­ anerkennung in Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt zeigt sich an mindestens drei Stellen. Erstens erlaubt sie eine Betrachtung unterschiedlicher Selbstbildebenen, die unabhängig voneinander sein können, was in bisherigen eindimensionalen Ansätzen zum globalen Selbstwertgefühl unterging. Zweitens ermöglicht sie die Analyse der spezifischen Quellen, die jeweils zu hohen bzw. niedrigen Ausprägungen von Selbstanerkennung beitragen können. Drittens legt sie nahe, unterschiedliche Konsequenzen von Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt auf Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen von Menschen zu betrachten.

4.5 Konsequenzen von Selbstrespekt Wenn Selbstrespekt als Verinnerlichung eigener Gleichberechtigung verstanden wird, dann hat das Vorliegen von hohem bzw. niedrigem Selbstrespekt Auswirkungen auf Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen.

Konsequenzen von Selbstrespekt

73

4.5.1  Selbstrespekt und die Wahrnehmung eigener Berechtigung

Eine Annahme, die bereits im Gedankenexperiment von Joel Feinberg anklingt (vgl. Abschnitt 4.3.1) ist, dass hoher Selbstrespekt dazu führt, dass Menschen leichter Ansprüche stellen können und leichter gegen Ungerechtigkeit aufbegehren und sich selbst behaupten können. Interessanterweise wurde selbstbehauptendes Verhalten in der Forschung bisher nicht in Zusammenhang mit den globalen Selbstwertgefühlkonzepten und auch nicht mit Selbstwertschätzung oder Selbstliebe gebracht. Für Selbstrespekt gibt es gute Gründe, einen solchen Zusammenhang anzunehmen. Durchsetzungsvermögen wird üblicherweise als Bereitschaft definiert, für eigene legitime Rechte einzutreten (Gorman u. Sultan, 2008). Für eigene Rechte kann eine Person aber nur dann optimal eintreten, wenn sie sich selbst als Trägerin gleicher Rechte betrachtet. Menschen mit hohem Selbstrespekt gehen eher davon aus, dass sie ernst genommen werden. Sie erwarten auch, dass andere ihre Rechte und die jeweiligen Grenzen respektieren. Dieser Zusammenhang ist auch im Gedankenexperiment des Philosophen Feinberg (1970) zu finden. In der imaginären Stadt Nowheresville, in der die Bewohner:innen alles außer Rechte haben, fehlt ihnen insbesondere die Möglichkeit, Ansprüche geltend zu machen und somit die Grundlage, sich zu beschweren. Für Feinberg sind der Besitz von Rechten und die Fähigkeit Ansprüche zu stellen, eng miteinander verbunden. Er argumentiert, dass »Rechte zu haben uns befähigt, ›aufzustehen wie ein Mensch‹, anderen in die Augen zu sehen und uns in einer grundlegenden Weise als Gleiche zu fühlen« (Feinberg, 1970, S. 252). Wenn eine Person hohen Selbstrespekt hat, dann sieht sie sich selbst als eine potenzielle Anspruchstellerin (Feinberg, 1970). Der Glaube an die eigenen Rechte wird auch von anderen Autor:innen als wesentlich für die Fähigkeit des Einzelnen, Ansprüche geltend zu machen und gegen Unrecht und Ungerechtigkeit zu protestieren, angesehen (z. B. Boxill, 1976). Dieser Zusammenhang zwischen Selbstrespekt und Selbst­ behaup­tung wurde in unseren Forschungsarbeiten bereits empirisch belegt. Zum einen konnten wir zeigen, dass Selbstrespekt – zu einem frühe­ren Zeitpunkt gemessen  – die Selbstbehauptungs74

Die drei Formen der Selbstanerkennung

tendenz einer Person (z. B. »Nein« sagen, wenn Bekannte um etwas bitten, was sie nicht tun will) zu einem zweiten Zeitpunkt ca. neun Monate später vorhersagen kann. Zum anderen konnte in dieser Studienserie bestätigt werden, dass Selbstrespekt auch unter Kon­trolle anderer Selbstkonzepte (u. a. globales Selbstwertgefühl, Selbstwertschätzung, Selbstliebe, Selbstakzeptanz) selbstbehauptendes Verhalten vorhersagt (Renger, 2018). Dies bedeutet, dass einzig Selbstrespekt mit Selbstbehauptung zusammenhing. Diese Befunde bestätigen die vorgeschlagene Dreiteilung und betonen die Relevanz der Hinzunahme von verinnerlichter Gleichberechtigung als eigenständiges Konzept. 4.5.2  Selbstrespekt und die Wahrnehmung der Berechtigung anderer

Das Einfordern von Rechten kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen. In der Literatur wird zwischen selbstbehauptendem und aggressivem Einfordern unterschieden. Während sich selbstbehauptendes Fordern primär auf das Ausdrücken von eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Meinungen beschränkt, ohne dabei die Rechte anderer zu verletzen, beinhaltet aggressives Fordern in der Regel zusätzlich noch Verhaltenskomponenten, die Beteiligten potenziell schaden können. Im Gegensatz zu selbstbehauptendem Verhalten wird bei aggressivem Protestverhalten bewusst die Verletzung der Rechte anderer in Kauf genommen (Hollandsworth Jr, 1977; Thompson u. Berenbaum, 2011). Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Selbstrespekt nur mit selbstbehauptendem, nicht aber mit aggressivem Einfordern von Rechten zusammenhängen sollte. Während sich andere Selbstkonzepte jeweils ausschließlich auf das Selbst beziehen (z. B. ich bin liebenswürdig; ich bin kompetent), so bezieht sich Selbstrespekt zwar ebenfalls auf das Selbst aber gleichzeitig auch auf die Gleichberechtigung anderer. Denn wenn ich mich als gleichberechtigt sehe, impliziert dies zwangsläufig, dass ich andere ebenfalls als gleichberechtigt wahrnehme. Dieses Einbeziehen und Berücksichtigen Anderer macht vor dem Hintergrund Sinn, dass Selbstrespekt die Verinnerlichung von selbst erfahrener Einbeziehung und BerückKonsequenzen von Selbstrespekt

75

sichtigung darstellt. Die verinnerlichte Erfahrung, dass sich Andere in ihren Handlungen beschränken, indem sie eine Person als gleichberechtigt behandeln, wird reziprok weiter- bzw. zurückgegeben, indem das Individuum wiederum seine Handlungen beschränkt, um die Rechte anderer zu wahren (Honneth, 1994). In Selbstrespekt verinnerlichte Respekterfahrungen sollten demnach eine duale Rolle erfüllen. Sie sollten zum einen das Empowerment des Individuums stärken, indem sie das Aufstehen für eigene Rechte begünstigen (vgl. Abschnitt 4.5.1). Zum anderen sollte dieses Einfordern eigener Rechte aber nicht auf Kosten der Rechte anderer gehen. Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zu einer übersteigerten Berechtigungsüberzeugung (definiert als das beständige Gefühl, mehr zu verdienen und mehr berechtigt zu sein als andere). Dieses wurde mit einem aggressiven Einfordern von Rechten, unethischem Verhalten sowie mit negativen Einstellungen gegenüber Fremdgruppen in Verbindung gebracht (Anastasio u. Rose, 2014; Lee, Schwarz, Newman u. Legood, 2019; Moeller, Crocker u. Bushman, 2009). Respekt und Selbstrespekt sollten hingegen ausschließlich mit einem selbstbehauptenden Einfordern von Rechten und mit prosozialem Verhalten und Einstellungen zusammenhängen, bei denen die Rechte anderer nicht verletzt bzw. aktiv unter­stützt werden. Erste empirische Belege können Studien entnom­men werden, die zeigten, dass Selbstrespekt nur mit einer selbst­behauptenden nicht aber mit einer aggressiven Reaktion auf ungerechte bzw. unangemessene Behandlung zusammenhängt (Renger, 2018). Diese ersten Befunde machen deutlich, dass Menschen mit hohem Selbstrespekt ihre eigenen Rechte nur auf sozial verträgliche Art und Weise behaupten, ohne dass dabei die Rechte anderer eingeschränkt oder Aggressionen ausgelebt werden. Weitere empirische Befunde zum Zusammenhang zwischen Selbstrespekt und Protestverhalten werden in einem späteren Abschnitt (9.2) thematisiert, der die Bedeutung dieses Zusammenhangs für gesamtgesellschaftliche Prozesse herausstellt.

76

Die drei Formen der Selbstanerkennung

Selbstrespekt konnte in der Forschung als erstes Selbstkonzept mit selbstbehauptendem Verhalten in Verbindung gebracht werden. Neben diesem Fokus auf das Einstehen für eigene Rechte hängt Selbstrespekt darüber hinaus auch mit einem Bewusstsein für die Rechte anderer zusammen. Selbst­respekt steht in keinem Zusammenhang mit aggressivem Einfordern von Rechten, bei dem die Rechte anderer verletzt werden könnten. Diese duale Rolle von Selbstrespekt birgt ein vielversprechendes Potenzial für gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Konsequenzen von Selbstrespekt

77

5

Anerkennend leben mit sich und anderen

Während sich die vorangegangenen Kapitel mit den ­theoretischen und empirischen Grundlagen der Dreiteilung von sozialer Anerken­ nung und Selbstanerkennung beschäftigt haben, widmen sich die folgenden Kapitel der praktischen Anwendung in privaten und professionellen Kontexten. Es geht darum, wie die entworfene Schablone für das eigene Leben Impulse geben kann. Dabei wird es weiterhin um eine wissenschaftliche Fundierung dieser Impulse gehen – die Schlussfolgerungen werden aber praxisnaher. Kapitel 5 lädt Sie zunächst dazu ein, über die Wichtigkeit von anerkennenden Sozialbeziehungen nachzudenken (Abschnitt 5.1), zu ­reflektieren, wie diese in Ihrem eigenen Leben Ihre Selbstanerkennung prägen und wo Potenzial für Veränderung ist (Abschnitt 5.2). Da Anerkennung zu geben und zu erfahren reziproke Prozesse sind, beschäftigt sich Abschnitt 5.3 abschließend damit, wie Sie in Ihrem Leben Anerkennung effektiv an andere (weiter-)geben können. Die anschließenden Kapitel widmen sich dann konkreten professionellen Anwendungsfeldern wie Pädagogik (Kapitel 6), Therapie und Beratung (Kapitel 7), Arbeitskontext (Kapitel 8) sowie Politik und Gesellschaft (Kapitel 9).

5.1 Anerkennung als Basis eines guten Lebens Der Mensch ist allein kaum lebensfähig. Dies gilt insbesondere für die ersten Lebensjahre, aber auch in allen anderen Lebensphasen ist der Mensch abhängig von sozialen Kontakten. Das Bedürfnis nach Verbundenheit zu anderen Menschen ist fundamental (Baumeister u. Leary, 1995). Im Idealfall sind andere Menschen und Anerkennung als Basis eines guten Lebens

79

die Beziehungen zu ihnen Quellen von Zufriedenheit und Lebens­ qualität. Das Soziale kann allerdings auch eine enorme psychische Zerstörungskraft entfalten. Beiden Perspektiven (der Schattenseite und der Basis guten Lebens) möchten wir uns zunächst aus einer globalen Perspektive nähern. In den anschließenden Abschnitten integrieren wir dann die Schablone der Dreiteilung, um die spezifischen Auswirkungen des Fehlens bzw. Vorhandenseins zwischenmenschlicher Anerkennung zu verstehen. 5.1.1  Die Schattenseite der sozialen Welt

Negative Interaktionen, wie Beleidigungen, Kränkungen, Vernach­ lässigung, Mobbing und Erniedrigung, können Menschen in ihrem Kern erschüttern. Es bedarf keiner tiefergehenden Analyse von schweren sozialen Traumata, um zu verstehen, dass Missachtungserfahrungen psychische Wunden hinterlassen. Bereits sozialer Ausschluss in Alltagssituationen kann spürbare, negative Folgen haben. Um diese Folgen zu untersuchen, waren experimentelle Sozialpsycholog:innen erschreckend kreativ, um im Labor Situationen zu kreieren, die ihre Proband:innen möglichst deutlich sozialen Ausschluss fühlen lassen. Die Proband:innen wurden zu virtuellen oder realen Ballspielen eingeladen, in denen sie nach kurzer Zeit keinen einzigen Pass mehr zugespielt bekamen (Williams u. Sommer, 1997), oder gerieten in eine Gesprächsrunde mit eingeweihten Schauspieler:innen, die sie weder zu hören noch zu sehen schienen (Ciarocco, Sommer u. Baumeister, 2001). Unabhängig davon, ob online oder in persönlicher Interaktion, reichen fünf Minuten, um bei den Proband:innen Gefühle von Zugehörig­keit, Kontrolle und Selbstwertgefühl deutlich zu reduzieren (Williams, 2001). Diese experimentellen Effekte normalisieren sich in der Regel kurzfristig wieder (in etwa nach 45 Minuten). Wenn soziale Ängstlichkeit ausgeprägt ist oder Coping-Möglichkeiten fehlen, können die Effekte aber auch längerfristig beobachtet werden (Zadro, Boland u. Richardson, 2006). Wie sehr sozialer Ausschluss den Menschen im Kern trifft, zeigt die Forschung von Naomi Eisenberger und Kollegen (2003), die zeigen konnten, dass die Hirnareale, die bei der Erfahrung von »sozialem« Schmerz aufgrund von sozialer Zurück80

Anerkennend leben mit sich und anderen

weisung aktiviert werden, sich stark mit denen überschneiden, die körperlichen Schmerz verarbeiten. Umfangreich empirisch untersucht sind auch Mobbingerfah­ rungen als ein eindrückliches Beispiel dafür, was fehlende Anerken­ nung und direkte Erniedrigung für langfristige negative Konsequenzen haben können. Es ist gut belegt, dass besonders jugendliche Opfer von körperlichem oder verbalem Bullying und Cybermobbing ein höheres Risiko für die Ausbildung depressiver Symptome und Suizidgedanken haben (Litwiller u. Brausch, 2013; van Geel, Vedder u. Tanilon, 2014). Schmerzhafte Kränkungen betreffen in der Regel genau die drei Formen von Anerkennung, die in Abschnitt 3.2 als zentral herausgestellt wurden. Sie zielen auf den Entzug von bedürfnisbasierter Zuneigung und zweifeln die Verbundenheit des Opfers an (»Dich mag eh keiner!«). Sie entziehen dem Opfer die leistungsbasierte soziale Wertschätzung, indem ihr oder ihm Wert und Kompetenz abgesprochen werden (»Du bist dumm und wertlos!«). Sie zerstören den gleichwertigkeitsbasierten Respekt durch den Ausschluss bei Entscheidungen und durch offene Diskriminierung (»Du hast hier gar nichts zu sagen!«). Extreme Formen von fehlenden Anerkennungserfahrungen sind in soziologischen Arbeiten auch entlang dieser drei Linien be­­schrie­ ben: Das Gegenteil von bedürfnisbasierter Zuneigung sei in Misshandlung und Vernachlässigung zu finden, Erniedrigung und Entwürdigung der Gegenpol sozialer Wertschätzung und Entrechtung und Marginalisierung die Gegenspieler des Respekts (vgl. Honneth, 1994). Natürlich sind Kränkungen, die uns in der realen sozialen Welt begegnen, meist Mischformen dieser Typen, aber auch hier erlaubt die Dreiteilung, systematisch konkrete Ausprägungen von Kränkung zu unterscheiden. Wenn ich weiß, auf welchen spezifischen Teil meines Selbst eine Beleidigung zielt, kann ich effektiver mit ihr umgehen. Auch die Erkenntnis, welche Formen der Missachtung uns besonders kränken, kann uns wichtige Hinweise da­ rauf geben, welche Bereiche unseres Selbst widerstandsfähig und welche eher verletzlich sind. Bin ich sensibel, wenn andere meine Liebenswürdigkeit anzweifeln und mir Zuneigung entziehen? Dann lohnt es sich vielleicht den Blick auf die eigene Selbstliebe zu richten. Wenn ich mich schnell durch negatives Feedback oder fehlendes Lob Anerkennung als Basis eines guten Lebens

81

gekränkt fühle, könnte ich an meiner fragilen Selbstwertschätzung arbeiten. Wenn mich Diskriminierung belastet, kann ich versuchen meinen Selbstrespekt zu stabilisieren. In Abschnitt 5.2 stellen wir Möglichkeiten vor, die unterschiedlichen Selbstbilder gezielt zu stärken. Der naheliegende erste Schritt gegen Kränkung sollte natürlich sein: Soweit möglich für das eigene Selbst einzustehen und Personen, die die lebensnotwenige Anerkennungsgrundlage durch Missachtung gefährden, zu konfrontieren und aus dem eigenen Lebensalltag zu entfernen. Auf sich und die eigene psychische Stabilität zu achten, ist nicht nur bei schwerwiegenden Kränkungen wichtig. Auch alltägliche negative Interaktionen sollten im Alltag nicht unterschätzt werden, besonders da sich in psychologischen Studien konsistent zeigte, dass negative Informationen in unterschiedlichster Hinsicht schwerer wiegen als positive (Rozin u. Royzman, 2001). In Entscheidungssituationen werden wir unverhältnismäßig stark von negativen Informationen beeinflusst. Und auch unsere emotionalen Reaktionen fallen heftiger aus, wenn wir mit negativen im Vergleich zu posi­tiven Reizen konfrontiert sind. Dies zeigt sich sogar auf neurophysiologischer Ebene in der Form, dass negative Informationen signifikant stärkere neuronale Hirnreaktionen auslösen als vergleichbare positive Informationen (Ito, Larsen, Smith u. Cacioppo, 1998). In der Summe müssen also viele und wirksame positive Interaktionen gesammelt werden, um dem starken Einfluss aversiver Interaktionen und Informationen entgegenzuhalten. Am Beispiel der eingangs erwähnten tiefgreifend schädlichen Mobbingerfahrungen ließ sich empirisch nachweisen, dass positive Interaktionen mit Freund:innen und Familie zwar den unmittelbaren Effekt erlebter Schikanierungen kaum abschwächen, aber sehr wohl einen positiven langfristigen Einfluss entgegenhalten können, der die Ausbildung depressiver Symptome verhindern kann (Burke, Sticca u. Perren, 2017). Doch worin sich der positive Einfluss genau äußert, ist häufig nicht klar auszumachen. Unser Vorschlag einer dreiteiligen Anerkennungskonzeption kann hier eine Struktur anbieten. Die Schattenseite der sozialen Welt verliert ihre Gefährlichkeit, wenn bedürfnisbasierte Zuneigung, leistungsbasierte soziale Wertschätzung und gleichwertigkeitsbasierter Respekt ihr entgegenstehen. 82

Anerkennend leben mit sich und anderen

5.1.2  Eine Anerkennungsperspektive auf ein gutes Leben

Quantität und Qualität von sozialem Austausch sind in jedem Fall zentrale Bedingungen für ein glückliches Leben. Soziale Beziehungen sind dabei nicht nur förderlich, sondern notwendig für persönliches Wohlbefinden (Baumeister u. Leary, 1995). Und auch jenseits von psychischen Konsequenzen führt soziale Eingebundenheit zu mehr Gesundheit, einer besseren Immunabwehr und geringerer Stressbelastung (Uchino, Cacioppo u. Kiecolt-Glaser, 1996). In den wissenschaftlichen Modellen, die subjektives Wohlbefinden systematisch beschreiben, ist die soziale Komponente immer explizit und auch implizit vorhanden. Verschiedene Wissenschaftler:innen versuchten, psychologisches Wohlbefinden differenziert in Komponenten zu zerlegen. Ein in diesem Feld einflussreiches Modell ist das PERMA-Modell von Martin Seligman (2011). Das Akronym PERMA steht dabei für die fünf Faktoren, die in Kombination das psychologische Wohlbefinden ausmachen sollen: Positive Emotionen (Positive emotions), das Gefühl von Engagement (Engagement), positive Beziehungen (Relationships), Wahrnehmung von Sinnhaftigkeit des Lebens (Meaning) und eigener Erfolg (Accomplishment). Auch in anderen Modellen dieser Art sind als expliziter Faktor »Positive Beziehungen« enthalten (z. B. Ryff u. Keyes, 1995). Diese Modelle spezifizieren zumindest in ihren Messinstrumenten allerdings nicht, was genau diese Beziehungen auszeichnen soll, außer dass sie positiv, unterstützend oder befriedigend sein sollten. Unsere differenzierende Dreiteilung kann auch die inhaltliche Ausgestaltung der Sozialbeziehungen als Grundlage von Wohlbefinden konkretisieren. Sowohl Zuneigung in Form von zwischenmenschlicher Wärme und Zugewandtheit, positives Leistungsfeedback bzw. soziale Wertschätzung als auch der Respekt vor der Gleichwertigkeit und Autonomie von Personen sind kurz- und langfristige Determinanten von positivem Affekt und Zufriedenheit (Renger, Renger, Miché u. Simon, 2017). In den Modellen zur Erklärung von Wohlbefinden steht die Beziehung zu anderen Menschen (»Positive Beziehungen«) als ab­­ getrennter eigener Faktor neben den anderen Komponenten von Wohlbefinden (z. B. »positive Emotionen«, »Erfolg«). Diese Trennung verdeckt jedoch die wahre Kraft, die in gelingenden SozialAnerkennung als Basis eines guten Lebens

83

beziehungen für ein glückliches Leben liegt. Für jeden Aspekt den Martin Seligman in seinem Modell hervorhebt, lässt sich argumentieren, wie fundamental dieser durch unsere sozialen Beziehungen positiv beeinflusst wird. Freundschaften, Liebesbeziehungen und Kinder sind eine direkte Quelle unserer positiven Emotionen. Engagement, Sinnhaftigkeit und ein Gefühl von Erfolg können wir erst durch den Austausch mit uns wichtigen Mitmenschen verstehen und entwickeln.

Der Mensch ist grundlegend abhängig von seiner sozialen Eingebundenheit und sie ist Nährstoff seiner psychischen Entwicklung. Im Hinblick auf eine optimale soziale Umwelt für psychisches Wohlbefinden ist jedoch offensichtlich nicht allein die Quantität sozialer Interaktionen entscheidend, sondern die Qualität, die sich differenziert in der dreiteiligen Struktur von Anerkennung beschreiben lässt. Problematische negative Interaktionen zeigen sich meist als Formen von Missachtung, die die Formen der Vernachlässigung, Herabwürdigung oder Entrechtung annehmen können. Positive Interaktionen auf der anderen Seite enthalten die drei Formen der Anerkennung. Das eigene soziale Leben ist erfüllend, wenn es bedürfnisbasierte Zuneigung, leistungsbasierte Wertschätzung und gleichwertigkeitsbasierten Respekt erlebbar macht.

5.2 Die eigene Selbstanerkennung managen Menschen sollten im Idealfall positive Anerkennungserfahrungen auf drei Ebenen machen: Sie sollten die Erfahrung machen, dass andere ihnen zugeneigt sind und sich um ihre (emotionalen) Bedürfnisse kümmern, dass andere Menschen ihnen positive Rückmeldungen zu ihren Eigenschaften, ihren erbrachten Leistungen und ihrem Beitrag geben und dass sie von anderen als gleichwertige Interaktionspartner:innen ernst genommen werden. Auf dieser Basis können Men84

Anerkennend leben mit sich und anderen

schen die Selbstbilder entwickeln, liebenswürdig (Selbstliebe), kompetent (Selbstwertschätzung) und gleichberechtigt (Selbstrespekt) zu sein. In der Realität kommt es häufig vor, dass Lücken oder sogar ein Mangel in der erfahrenen Anerkennung und in der Folge auch in der Selbstanerkennung bestehen. Wahrscheinlich gibt es keinen Menschen, der nicht an der einen oder anderen Stelle an sich selbst zweifelt. Manchmal nur bezogen auf einzelne Ebenen des Selbst, manchmal auf alle drei. Fehlende Anerkennung und eine entsprechend suboptimale Selbstanerkennung können bei einer Person zu unterschiedlichsten intra- und interpersonalen, also innerpsychischen und zwischenmenschlichen Problemen führen. Die folgenden Abschnitte stellen einen Ansatz zur Selbstreflexion dar, um den eigenen Status Quo der Anerkennungserfahrungen und ihrer Verinnerlichung »abzuklopfen«. Dies ermöglicht es, ausbaubare Potenziale bei sich selbst zu finden und zu durchdenken. 5.2.1  Selbstliebe – Selbstreflexion

Selbstliebe bezeichnet die Überzeugung liebenswürdig zu sein, sich selbst zu lieben bzw. zu mögen und ein hohes Grundvertrauen in sich selbst zu haben. Um herauszufinden, wie es um Ihre Selbstliebe steht, können Sie die folgende Aussage auf einer Skala von 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis 6 (trifft vollständig zu) bewerten.

»Ich habe das Gefühl im Leben gefühlsmäßig auf einer sehr sicheren Basis zu stehen und mag mich selbst. Ich blicke auf mich selbst mit Wärme und Zuneigung und fühle mich meist sicher und geborgen, wenn ich an mich selbst denke.« trifft überhaupt nicht zu

0

1

2

3

4

5

6

trifft vollständig zu

Die eigene Selbstanerkennung managen

85

Ein Ankreuzen in Richtung der 6 bedeutet, dass eine hohe Selbstliebe vorliegt und eine niedrige Zahl in Richtung der 0, dass die Selbstliebe eher niedrig ist. Im Mittel geben Personen einen Wert zwischen 4 und 5 an. 0 bis 4 sind somit eher unterdurchschnittlich; 5 bis 6 sind hohe Ausprägungen. Diese »Messung« ihrer Selbstliebe ist natürlich nur eine grobe Annäherung an das Konzept, aber es kann Ihnen einen Startpunkt für die Einordnung geben. Betrachten Sie nun Ihre eigene Einschätzung: Liegen Sie eher im unteren oder im oberen Bereich der Skala? Wenn Sie im oberen Skalenbereich geantwortet haben, dann überlegen Sie sich im nächsten Schritt, auf welchen Quellen Ihre Selbstliebe basiert und wie stabil diese sind. Gibt es Personen, Kontexte, bestimmte soziale Rollen (als Kind, Eltern, Schwester/Bruder, Partner:in, in Ihrem Beruf, …), die maßgeblich dazu beitragen, dass Ihre Selbstliebe gestärkt ist? Gibt es eine Vielzahl an Quellen, die Sie »anzapfen« können, wenn Sie emotionale Unterstützung brauchen? Falls Sie feststellen, dass einige wenige Personen oder Rollen Ihre Selbstliebe stärken, überlegen Sie sich einmal, ob diese potenziell auch wegfallen könnten? Im Idealfall hat eine Person mehrere Quellen, aus denen Sie Liebe und Zuneigung schöpfen kann. Überlegen Sie für sich, welche weiteren Quellen Sie hinzunehmen könnten (bspw. alte Freundschaften von früher reaktivieren, neue Kontakte mit Nachbar:innen herstellen), damit Ihre zwischenmenschlichen Beziehungserfahrungen weiterhin auf einem breiten Fundament stehen. Falls Sie bei der Bewertung der Aussagen für sich festgestellt haben, dass Sie eher im unteren Bereich angekreuzt haben, dann können Sie sich auf die Reise begeben, Ihre Selbstliebe zu unterstützen. Für Sie könnte es von Vorteil sein, sich aktiv mit dieser Facette Ihres Selbstbilds zu beschäftigen. Hierfür stehen vielfältige Methoden zur Verfügung, u. a. Imaginationsübungen, in denen Quellen der Selbstliebe durch mentale Repräsentation selbst generiert werden können. Beispielhaft sei hier das von Potreck-Rose und Jacob (2018) vorgeschlagene Symbol der »liebevollen Begleiterin« erwähnt. Diese mentale, innere Begleiterin legt besonderes Augenmerk auf positive Erlebnisse und Nettigkeiten von Anderen und formuliert wohlwollende Aussagen Ihnen gegenüber. Dieser Austausch kann schriftlich in Briefen aber auch durch regelmäßige, allabendliche »Unterhaltung« mit 86

Anerkennend leben mit sich und anderen

dieser fiktiven Person geschehen. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf positive Erlebnisse gelenkt und positive Emotionen werden verstärkt. Durch diesen Fokus auf positive Dinge wird auch der oft von Menschen erlebte »innere Kritiker« geschwächt. Die Aussagen der liebevollen Begleiterin können diesem entgegengesetzt werden und verschieben im Idealfall mittel- bzw. langfristig den Fokus auf positive Erlebnisse. 5.2.2  Selbstwertschätzung – Selbstreflexion

Selbstwertschätzung beschreibt die Überzeugung kompetent zu sein und wertvolle Eigenschaften zu besitzen. Zur Selbstreflexion haben Sie nun die Möglichkeit, die folgende Aussage zu bewerten – nutzen Sie hierfür wieder die Skala von 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis 6 (trifft vollständig zu).

»Ich sehe mich als kompetente und leistungsfähige Person. Ich trage mit meinen Fähigkeiten und Eigenschaften als wertvoller Teil zur Gesellschaft bei.« trifft überhaupt nicht zu

0

1

2

3

4

5

6

trifft vollständig zu

Auch hier können Sie sich nun ein Bild davon machen, wie es um Ihre Selbstwertschätzung steht. Werte im oberen Bereich der Skala (Richtung 6) weisen darauf hin, dass Sie überzeugt davon sind, kompetent zu sein bzw. etwas Wertvolles beitragen zu können. Im Mittel geben Personen einen Wert zwischen 4 und 5 an. Ausprägungen zwischen 0 und 4 sind somit tendenziell unterdurchschnittlich; 5 bis 6 sind hohe Ausprägungen. Auch bei einer hohen Ausprägung können Sie in einer Gedankenübung wieder durchgehen, welche Quellen für Ihre Selbstwertschätzung relevant sind. Wird diese ausschließlich durch Personen und Leistungen am Arbeitsplatz oder im Studium/ Die eigene Selbstanerkennung managen

87

Ausbildung definiert oder gibt es weitere Quellen? Was würde passieren, wenn die zentrale Quelle wegbricht (z. B. durch den Verlust des Arbeitsplatzes)? Gibt es weitere Quellen, die Sie anzapfen könnten, um Ihre Selbstwertschätzung auf eine breitere Basis zu stellen? Hier können auch musische, künstlerische, sportliche Kompetenzen und Fähigkeiten eine Rolle spielen. Auch ehrenamtliche oder Vereinstätigkeiten können das Gefühl fördern, etwas Sinnvolles beizutragen. Versuchen Sie, möglichst viele Quellen sozialer Wertschätzung für sich aufzubauen. Wenn Sie sich auf Basis der Aussagen eher im unteren Bereich der Skala eingeordnet haben (unterhalb der 4), dann können Sie versuchen, Ihre Selbstwertschätzung zu stärken. Hierzu gibt es (mindestens) drei Strategien: Erstens können Sie darüber nachdenken, ob Sie beim Einschätzen der Aussagen an Ihre Fähigkeiten und Kompetenzen in einem bestimmten Bereich gedacht haben (z. B. als Arbeitnehmer:in am Arbeitsplatz oder als Student:in in der Uni). Falls dies der Fall ist, versuchen Sie einmal, die Aussagen in Bezug auf eine andere Fähigkeit einzuschätzen. Hier können beispielsweise musische, künstlerische, sportliche Kompetenzen, aber auch Beiträge zur Organisation des Familienalltags, zur Pflege von Angehörigen usw. herangezogen werden. Diese Beiträge werden in unserer Gesellschaft mit deutlich weniger Anerkennung belegt als andere Beiträge. Die Enge dessen, was in unseren Gesellschaften als »wertvolle Leistung« definiert wird, ist vielleicht der mächtigste Hinderungsgrund für die persönliche Selbstwertschätzung. Kriterium für den Wert einer Leistung oder Eigenschaft sollte in jedem Fall nicht nur die ökonomische Verwertbarkeit, sondern z. B. auch der positive Einfluss auf das eigene Leben und das der Mitmenschen sein. Diese Fähigkeiten und Tätigkeiten machen Sie einzigartig und wertvoll und stellen wichtige Beiträge zum eigenen oder sogar gesamtgesellschaftlichen Wohl dar. Es ist also mehr als angebracht, wenn Sie sich selbst dafür wertschätzen. Zweitens können Sie sich einmal Gedanken darüber machen, ob Sie sich beim Einschätzen der obigen Aussagen mit anderen Personen verglichen haben. Wie bereits in Abschnitt 2.3 angesprochen, haben Menschen die Tendenz, Aufwärtsvergleiche durchzuführen. Dies führt dann etwas überspitzt formuliert dazu, dass die zweit88

Anerkennend leben mit sich und anderen

schnellste Frau der Welt ständig das Gefühl hat, nicht gut genug zu sein, obwohl sie besser ist als jede weitere Konkurrentin. Überlegen Sie für sich selbst, ob Sie Ihre eigene Kompetenz und Leistungsfähigkeit an der anderer messen. Wenn dies der Fall ist, können Sie versuchen, diese Vergleiche aktiv zu reduzieren oder in eine andere Richtung zu lenken. Zum Reduzieren können Sie versuchen, den Wert Ihrer eigenen Leistung unabhängig von der anderer wahrzunehmen und lieber im zeitlichen Vergleich innerhalb Ihrer eigenen Entwicklung zu betrachten. Fokussieren Sie dabei auf die Gegenwart und nicht zu sehr auf die Zukunft. Alternativ können Sie sich auch andere Vergleichsstandards suchen, zum Beispiel Personen, die weniger oder ähnlich leistungsfähig sind. Eventuell fällt die Selbstbewertung Ihrer eigenen Kompetenz dann ganz anders aus. Drittens können Sie natürlich auch versuchen, andere Wertschät­ zungsquellen aufzutun, also z. B. Personen, die Ihnen das Gefühl vermitteln können, etwas zu können und beizutragen. Dies ist eine sinnvolle Strategie, um im Falle des Wegbrechens einer zentralen Wertschätzungsquelle auf andere zurückgreifen zu können. Bei dieser Form der Selbstanerkennung ist es allerdings wichtig zu beachten, dass man sich nicht zu abhängig von externen Faktoren macht (siehe auch Abschnitt 5.2.4). Eine solche, sogenannte kontingente, Selbstwertschätzung birgt die Gefahr, ständig auf der Suche nach Bestätigung und Anerkennung von außen zu sein, während Personen mit nicht-kontingenter (»authentischer«) Selbstwertschätzung auf eine innere Bestätigung zurückgreifen können, auch wenn äußere Bestätigungen oder Anerkennung einmal ausbleiben (Deci u. Ryan, 1995). Um aus einer endlosen BestätigungssucheSchleife herauszukommen, empfehlen Crocker und Knight (2005) anstelle von Leistungszielen lieber Lernziele zu verwenden. Eine Leistungszielorientierung liegt dann vor, wenn Leistungsverhalten auf den Zweck ausgerichtet wird, eigene Kompetenz zu demonstrieren oder besser zu sein als andere. Eine Lernzielorientierung hingegen beschreibt die Ausrichtung von Leistungsverhalten auf den Zweck, (neue) Fähigkeiten und Können zu entwickeln. So kann auch eine negative Rückmeldung (bspw. eine Schulnote) positiv interpretiert werden, wenn man sich darauf konzentriert, was aus den gemachten Fehlern gelernt werden kann. Die eigene Selbstanerkennung managen

89

5.2.3  Selbstrespekt – Selbstreflexion

Selbstrespekt beschreibt die Überzeugung einer Person, grundlegend gleichberechtigt zu sein. Dabei bezieht sich Selbstrespekt nicht auf den Besitz von Rechten, sondern darauf, an die eigenen Rechte zu glauben. Um festzustellen, wie es derzeit um Ihren Selbstrespekt steht, haben Sie die Möglichkeit, die folgende Aussage auf einer Skala von 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis 6 (trifft vollständig zu) zu bewerten:

»Ich sehe mich im täglichen Leben stets als gleichberechtigte Person, die die gleiche Würde besitzt wie alle anderen Menschen auch. Ich bin mir jederzeit bewusst, dass mir ein eigenständiger Raum im Leben zusteht.« trifft überhaupt nicht zu

0

1

2

3

4

5

6

trifft vollständig zu

Machen Sie sich nun ein Bild davon, wie Sie die Aussage eingeschätzt haben. Im Mittel geben Personen einen Wert um die 5 an. Angaben zwischen 0 und 4 sind somit eher unterdurchschnittlich; Angaben über 5 sind hohe Ausprägungen. Wenn Sie im hohen Bereich angekreuzt haben, dann sind Sie sich Ihrer eigenen Gleichberechtigung bewusst. Machen Sie sich trotzdem einmal Gedanken darüber, ob die Quellen Ihres Selbstrespekts (Personen, die Sie als gleichwertig behandeln) an bestimmte Situationen bzw. soziale Rollen (als Arbeitnehmer:in; in der Partnerschaft) gebunden sind. Besteht die Gefahr, dass diese wegfallen könnten und wie würde sich dies auf Ihren Selbstrespekt auswirken? Ist Ihre Überzeugung gleichberechtigt zu sein bereits genug gefestigt und immun gegen Verluste oder »Angriffe«? Versuchen Sie auch hier, sich möglichst breit aufzustellen. Falls Sie sich auf Basis der Aussagen eher im unteren oder mittleren Bereich eingeordnet haben, dann ist noch Luft nach oben hinsichtlich der Verinnerlichung Ihrer Gleichberechtigung. Da unser 90

Anerkennend leben mit sich und anderen

Selbstbild eigener Gleichberechtigung durch Erfahrungen in unserem Leben geformt wird, lohnt sich ein Blick auf die Menschen in unserem Umfeld. Auch wenn für nachhaltige Veränderungen idealerweise gesellschaftlich-strukturelle oder organisationsbasierte Veränderungsprozesse angestoßen werden sollten (siehe hierzu auch Kapitel 8 und 9), so können Sie trotzdem bei sich selbst mit Veränderungen beginnen, wenn Sie dies möchten. Nehmen Sie sich die Zeit, ausführlich über mögliche Gründe nachzudenken, die bei Ihnen das Gefühl, nicht vollständig gleichberechtigt zu sein, erzeugen oder aufrechterhalten. Dies können ganz unterschiedliche Gründe sein – im Folgenden werden einige beispielhaft genannt. Wenn andere Personen in der eigenen Familie oder im Umfeld sich Ihnen gegenüber so verhalten (haben), als würden sie Sie nicht ernst nehmen, Sie nicht in Entscheidungen mit einbinden oder zu distanzlos agieren, kann dies die Wahrnehmung, einen eigenständigen Raum zu besitzen, einschränken. Wenn Sie das Gefühl haben, keine wirklich eigenen Entscheidungen treffen zu können, weil andere diese zu beeinflussen versuchen oder weil Sie es primär anderen recht machen möchten, dann kann auch dies ein Hinweis darauf sein, dass Ihr Gefühl, gleichberechtigt zu sein, beschränkt wird. Dies kann verstärkt werden, wenn Abhängigkeiten von anderen Personen bestehen. Aber auch Erlerntes oder Anerzogenes kann eine Rolle spielen. Wenn Mädchen und Jungen in der Erziehung unterschiedlich behandelt werden und ihnen bestimmte Optionen (bspw. Berufe) als unpassend für ihr Geschlecht vorgelebt werden, kann das ihr Gefühl von Gleichberechtigung beeinträchtigen, da sie nicht frei über sich und ihr Leben entscheiden können. In den meisten dieser Fälle kann es hilfreich sein, sich die Einflüsse von außen bewusst zu machen und sich wo immer möglich aus problematischen Abhängigkeiten zu lösen. Dies lässt sich leicht sagen, aber wenn die Beziehung zu einer anderen Person als belastend und vielleicht sogar verletzend wahrgenommen wird, dann ist es auch mittel- und langfristig nötig, sich aus der Beziehung zurückzuziehen. Diese Beziehung liefert negative Anerkennungserfahrungen, die sich negativ auf das Selbstbild und die Gesundheit einer Person auswirken können. Die eigene Selbstanerkennung managen

91

Auch in die andere Richtung können Abhängigkeiten problematisch sein. Wenn eine andere Person von Ihnen abhängig ist (bspw. eine bedürftige Person), dann kann auch dies Ihren gefühlten Freiraum beeinträchtigen. Menschen, die sich um andere Menschen kümmern oder Kinder erziehen, sind eine Stütze unserer Gesellschaft und leisten täglich wertvolle Arbeit. Idealerweise sollten sie aber im Blick behalten, sich auch ausreichend um sich selbst zu kümmern. Wenn dieses Gleichgewicht bei Ihnen gestört ist, können Sie überlegen, in welcher Hinsicht sich die Balance verbessern ließe bzw. ob Sie die Grenzen Ihrer Belastbarkeit angemessen abschätzen können. Für jede der beispielhaft beschriebenen Einschränkungen der eigenen Gleichberechtigungswahrnehmung ist es wichtig, sich diese bewusst zu machen. Wenn Sie kleine oder große Defizite in Ihrer verinnerlichten Gleichberechtigung erkennen, dann können Sie eine kleine Imaginationsübung für zu Hause ausprobieren (am besten im Stehen oder im Sitzen).

Übung  »Imagination Selbst-Raum«

Konzentrieren Sie sich ganz auf sich selbst und nehmen Sie Ihren Körper genau wahr. Gehen Sie einmal von Kopf bis Fuß alle Körperteile durch, atmen Sie tief und langsam ein und wieder aus. Nehmen Sie dann aktiv wahr, wo Sie sich gerade befinden: in einem Raum oder draußen? Bilden Sie nun in Gedanken eine Kugel, eine Art Blase um sich herum. Sie können Sie sich als Seifenblase oder einfach als unsichtbare Aura vorstellen. Entscheiden Sie, wie groß diese Aura sein soll, das heißt wieviel Raum um Ihren Körper sie einschließen soll. Stellen Sie sich diese Aura als Schutz vor, als Ihren »SelbstRaum«, den andere nur mit Erlaubnis betreten dürfen. Wie groß sollte Ihr Selbst-Raum sein, damit Sie sich wohl fühlen? Wenn Sie eine passende Größe gefunden haben, verweilen Sie einen Moment in diesem Gefühl. Machen Sie sich ganz gerade, ganz groß oder setzen Sie sich aufrecht hin. Lassen Sie die Schultern locker hängen und ziehen Sie sie leicht nach hinten. Strecken Sie die Brust leicht nach vorn und blicken Sie geradeaus. Falls Sie während der Übung die Augen geschlossen hatten, öffnen Sie diese nun und betrach92

Anerkennend leben mit sich und anderen

ten Sie Ihren Selbst-Raum ganz bewusst. Dies ist Ihr persönlicher Raum, der nur Ihnen allein gehört. Andere Personen dürfen ihn nur »betreten«, wenn das für Sie in Ordnung ist.

Versuchen Sie, sich diesen Raum auch im Alltag regelmäßig vorzustellen. Nehmen Sie wahr, wann sich Ihr Raum eingeschränkter anfühlt. Wodurch ist dies ausgelöst worden? Welche Personen oder Situationen waren daran beteiligt? Es muss nicht unbedingt ein körperlich distanzloses Verhalten gewesen sein. Auch eine fiese oder beleidigende Aussage einer anderen Person oder wenn andere Personen etwas für Sie entscheiden, ohne Sie einzubeziehen, kann dazu führen, dass sich der Selbst-Raum kleiner anfühlt. Die Vorstellung dieses imaginären Raums hilft dabei, die Grenzen besser zu definieren, die andere Personen nicht überschreiten dürfen. Im Idealfall teilen Sie diesen Personen mit, dass Ihnen etwas zu nah war und dass Sie dies in Zukunft nicht mehr wünschen. Dieses als Selbstbehauptung bezeichnete Verhalten ist die Befähigung, sich seiner eigenen Grenzen bewusst zu werden und diese dem Gegenüber klar aufzuzeigen. Die Grenzen sind abhängig von den Personen, mit denen interagiert wird. Eine gute Freundin darf sich stärker nähern, und vielleicht auch mal eine kritische Bemerkung machen, als eine fremde Person. Dies verdeutlicht nochmal, dass die Grenzen des Selbst-Raums von Ihnen festgelegt werden müssen – sie sind bei jedem Menschen und in verschiedenen Situationen unterschiedlich. Aber sie sind notwendig und Sie haben das Recht Ihre eigenen Grenzen festzulegen! Es ist nicht einfach, andere auf ruhige und bestimmte Art und Weise zurückzuweisen und nicht in Aggressivität zu verfallen. Dies ist aber wichtig, da aggressives Verhalten unter Umständen ungewollte Reaktionen im Gegenüber auslösen und eine Spirale der Aggression in Gang setzen kann. Zur Vertiefung der Durchsetzungsfähigkeit können Sie weiterführende Literatur zu Selbstbehauptungstrainings lesen und dort vorgeschlagene Übungen machen, um das »Verteidigen« Ihres Selbst-Raums zu trainieren. Für Erwachsene finden sich fundierte Informationen bei Ward und Holland (2018); in Kapitel 4 stellen die Autorinnen insbesondere die Rolle eigener gleicher Rechte ins Zentrum. Wichtige Aspekte des Die eigene Selbstanerkennung managen

93

Selbstbehauptungstrainings für Kinder werden zudem von Hörnberger (2020) beschrieben. Die im oberen Abschnitt angesprochene »liebevolle Begleiterin« kann beliebig erweitert werden und beispielsweise als »liebevolle Anerkennerin« eine regelmäßige (allabendliche) Selbstreflexion zu positiven Anerkennungserfahrungen auf den drei Dimensionen anstoßen. Insgesamt sollten Sie, falls Sie an der einen oder anderen Stelle Defizite in Ihrer Selbstliebe, Ihrer Selbstwertschätzung oder Ihrem Selbstrespekt feststellen, dies als Chance begreifen, aktiv gegensteuern zu können. Theoretisch sind Anerkennungserfahrungen nachholbar, wenn die eigene Situation reflektiert wird und Gelegenheiten für anerkennende Erfahrungen bewusst ausgesucht werden. Die vorgeschlagene Anerkennungsperspektive gibt einen Rahmen vor, welche Erfahrungen wichtig sind, um eine positive Beziehung zu sich selbst aufzubauen. Nachdem wir nun Ansatzpunkte zur Veränderung aller drei Formen der Selbstanerkennung beschrieben haben, laden wir Sie ein, eine kleine Übung durchzuführen, die am besten regelmäßig wiederholt werden sollte (Tabelle 2).

Übung  »Selbstreflexion und Selbstanerkennung«

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und überlegen Sie, wie Sie konkret an Ihrer Selbstanerkennung arbeiten möchten. Nutzen Sie hierzu gern die Vorlage in Tabelle 2 und notieren Sie, welche ersten Ideen Sie haben, um Ihre Selbstliebe, Ihre Selbstwertschätzung und Ihren Selbstrespekt zu erhöhen bzw. zu festigen. Gehen Sie dabei in kleinen Schritten vor und legen Sie für sich realistische Ziele fest, um Enttäuschungen zu vermeiden. Es ist nicht das Ziel, von einem auf den nächsten Tag eine völlig neue Selbstanerkennung zu erreichen. Wenn Sie aber ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche Personen oder Kontexte eher negative Anerkennungserfahrungen für Sie zur Folge haben, dann können Sie nach und nach versuchen, diese Kontexte zu vermeiden und stattdessen Situationen und Personen in Ihr Leben aufnehmen, die Ihnen positive Anerkennungserfahrungen bieten. Schreiben Sie für Selbstliebe, Selbstwert94

Anerkennend leben mit sich und anderen

schätzung und Selbstrespekt separat auf, was Sie konkret machen möchten und wann Sie es machen werden (heute, innerhalb der nächsten Woche, …). Tabelle 2: Selbstreflexionsübung zur Selbstanerkennung

Ansatzpunkte

Selbstreflexion

Selbstliebe

Selbst­wert­ schätzung

Selbstrespekt

Gibt es einen Wunsch nach Veränderung? Ergebnis Selbstreflexion (z. B. unterstützt durch Einschätzung auf Skala) Welche (neuen) ­Anerkennungsquellen könnte ich in mein Leben holen?

Welche Kontexte/ Personen könnte ich vermeiden?

Planung

Folgendes nehme ich mir konkret vor:

Welche Hindernisse könnten dabei auftreten und wer kann mich unterstützen?

Bis wann möchte ich mein Vorhaben angehen?

Die eigene Selbstanerkennung managen

95

5.2.4  Stabilität von Selbstanerkennung

Die vorangegangenen Abschnitte haben sich damit beschäftigt, wie Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt reflektiert und falls nötig aufgebaut werden können. Mit dieser Frage, ob die jeweilige Selbstanerkennung hoch oder niedrig ausgeprägt ist, hat sich auch die psychologische Forschung hauptsächlich beschäftigt ­(Kernis, 2006). Zusätzlich ist allerdings auch ein anderer Aspekt hochrelevant: Die Stabilität von Selbstanerkennung. Wie stützend ist eine hohe Selbstliebe, wenn ein einzelnes unfreundliches Wort dieses Gefühl wieder zerstören kann? Was bringt eine ausgeprägte Selbstwertschätzung, wenn ich mich nicht darauf verlassen kann, dass ich auch morgen noch genauso auf mich blicke? Auch ein hoher Selbstrespekt verliert seine ermächtigende Kraft, wenn er in seiner Ausprägung innerhalb eines Tages stark schwankt. Doch was entscheidet darüber, ob ich eine stabile Selbstanerkennung ausbilden kann oder täglich das Gefühl habe, um meine eigene Anerkennung neu kämpfen zu müssen? Auch hinter diesen Fragen verbirgt sich eine eigene Forschungslinie, die ein eigenes Buch füllen würde. Wir stellen Ihnen ausschnitthaft vier Aspekte vor, die einen Einfluss auf die Fragilität bzw. Stabilität von Selbstanerkennung haben können: Konsistenz, Konstanz, Kontrollüberzeugungen und Kontingenz. Der erste Einfluss betrifft die Konsistenz der Selbstanerkennung über verschiedene Situationen und Kontexte hinweg. Da Menschen unterschiedliche soziale Identitäten haben, die unterschiedliche Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen mit sich bringen (vgl. Abschnitt 2.1), kann es vorkommen, dass diese auch an unterschiedliche Grundlagen für Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt gekoppelt sind. Bei einem Wechsel der sozialen Iden­ tität bzw. der sozialen Rolle kann sich demnach auch das Ausmaß der Selbstanerkennung verändern. Zur Veranschaulichung können Sie die letzte Übung aus Abschnitt 2.1 noch einmal wiederholen und erweitern. Gibt es Identitäten, die sich im Ausmaß der damit verbundenen Selbstanerkennung stark unterscheiden? Ein Beispiel zu Selbstwertschätzung wäre, dass sich eine Person in ihrer Rolle als Versicherungsmaklerin unfähig und wertlos fühlt, in ihrer Rolle als Elternteil hingegen sehr kompetent. Oder genau umgekehrt. Gehen 96

Anerkennend leben mit sich und anderen

Sie dies für die drei Formen der Selbstanerkennung bei Ihnen durch. Wenn Sie derartige Unterschiede zwischen sozialen Rollen bei sich identifizieren, dann können Sie zum einen besser verstehen, woher ein Gefühl von fragiler Selbstliebe, Selbstwertschätzung bzw. Selbstrespekt kommt. Zum anderen können Sie ganz gezielt an den festgestellten defizitären Quellen arbeiten und hinterfragen, auf welche Ressourcen Sie in denjenigen sozialen Rollen zurückgreifen, die für Sie produktive Quellen von Selbstanerkennung sind. Der zweite Einfluss auf die Stabilität der Selbstanerkennung be­­ trifft die Konstanz. Die Selbstanerkennung einer Person kann nicht nur zwischen sozialen Identitäten, sondern auch über die Zeit schwanken. Durch den Einfluss von, v. a. negativen, Alltagsereignissen kann die Einstellung zum Selbst auch innerhalb einer Zeitspanne von zwei Wochen messbar schwanken (Greenier et al., 1999). Zu einem gewissen Grad sind dies normale Schwankungen. Wenn Sie allerdings das Gefühl bekommen, dass Ihre Selbstanerkennung stark schwankt, können Sie versuchen bspw. durch Tagebucheinträge Ihre Eindrücke zu ordnen und sich einen Überblick verschaffen. Auf diesem Weg könnten Sie außerdem identifizieren, welche Auslöser in Ihrem Alltag sich negativ bzw. positiv auf Ihre Selbstanerkennung auswirken. Auch über die gesamte Lebensspanne gesehen bleibt die Selbstanerkennung einer Person nicht konstant. Für globales Selbstwertgefühl wurden solche langfristigen Veränderungen immer wieder empirisch bestätigt (Orth, Robins u. Widaman, 2012). Hierzu können Sie einmal für sich analysieren, wann Sie in Ihrem Leben welche Selbstanerkennung gespürt haben. Zeichnen Sie eine Verlaufskurve mit Höhen und Tiefen für jede der Selbstanerkennungsformen über Ihre Lebensspanne und betrachten Sie, wann diese ihre Höhepunkte haben. Überlegen Sie sich dann, was die jewei­ ligen Randbedingungen waren und wie sich diese verändert haben. Reflektieren Sie, welche Ressourcen dieser Zeit Sie eventuell wiedergewinnen können. Jede Höhe zeigt Ihnen auf, welches Potenzial Sie in diesem Bereich besitzen. Und jede hinter Ihnen liegende Tiefe zeigt, dass Sie Defizite ausgleichen können. Zur Stabilität von Selbstanerkennung tragen drittens auch soge­ nannte Kontrollüberzeugungen bei. Anerkennung wird in starkem Maße gespeist aus Rückmeldungen von anderen Menschen. Diese Die eigene Selbstanerkennung managen

97

Rückmeldungen können sich jedoch nur dann effektiv in einer Person verfestigen, wenn sie diese Rückmeldungen als authentisch wahrnimmt und wirklich auf sich selbst als Person attribuiert, d. h. sich selbst zuschreibt. Menschen unterscheiden sich nicht unerheblich darin, inwiefern positive (und negative) Ereignisse internal oder external attribuiert werden (Parkinson, 2007). Das überschwängliche Lob meiner Vorgesetzten kann ich meiner eigenen Leistungsfähigkeit zuschreiben oder alternativ der zu leichten Aufgabe oder der Anspruchslosigkeit meiner Vorgesetzten. In der Psychologie bezeichnet man diese unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten als Kontrollüberzeugungen. Sie beziehen sich darauf, ob eine Person überzeugt ist, selbst Kontrolle über den Ausgang bzw. die Bewertung ihres Verhaltens zu haben. Für Selbstanerkennung ist dies auf allen Dimensionen hochrelevant. Erst wenn eine Person Anerkennung durch andere auch annehmen und auf sich beziehen kann, kann diese fest im Selbst verinnerlicht werden. Viertens wird die Stabilität der Selbstanerkennung durch ihre Kontingenz beeinflusst. Unter einer kontingenten Selbstanerkennung versteht man ein Selbstbild, das stark abhängig davon ist, ob man eigenen und fremdbestimmten Maßstäben gerecht wird (Deci u. Ryan, 1995). Eine Person mit kontingenter Selbstanerkennung ist ständig auf der Suche nach Bestätigung des eigenen Wertes. Mag mich die neue Arbeitsgruppe? Schaut die neue Nachbarin auf mich herab? Glauben andere Leute, dass ich klug bin? Eine Selbstanerkennung, die stark kontingent ist, hat zur Folge, dass stetig Situa­ tionen aufgesucht werden, in denen andere Personen die eigene Selbstliebe, Selbstwertschätzung oder den eigenen Selbstrespekt bestätigen müssen. Kleine Hinweise auf ausbleibende Anerkennung (ein abschätziger Blick, ein abwertender Kommentar) können eine kontingente Selbstanerkennung erschüttern und negative Emotionen und Aggressionen auslösen (Turner u. White, 2015). Die Abhängigkeit von ständiger Selbstbestätigung durch andere ist anstrengend und verursacht (psychische) Kosten in Beziehungen, Selbstregulierung und Gesundheit (Crocker u. Knight, 2005). Die zentrale Erkenntnis dieser Forschung ist: Eine optimale Selbstanerkennung kann man am besten erreichen, wenn man ihr nicht verbissen nachjagt. Ständiges Selbstoptimieren und Lechzen nach 98

Anerkennend leben mit sich und anderen

Anerkennung durch andere ist der schnellste Weg zu einem fragilen Selbstbild. Ein stabiles Selbstbild stellt sich in einem sozialen Umfeld, das Anerkennungsquellen bietet, von selbst ein. Statt dem Ziel sich selbst zu erhöhen, sollten Ziele verfolgt werden, die größer sind als das eigene Ego und andere miteinschließen (vgl. Crocker, 2006). Sein Glück in gemeinschaftlichen Zielen zu suchen, führt möglicherweise automatisch in Kontexte, in denen alle drei Formen von Anerkennung gesammelt werden können. Das Verfolgen gemeinsamer Ziele baut auf Zusammenhalt und Zuneigung, auf das Einbringen der eigenen Talente und wechselseitiger sozialer Wertschätzung und letztlich auf gegenseitiger Rücksichtnahme und Respekt. So stärkt man sein Selbstbild quasi nebenbei ohne der Erhöhung des Selbst nachzujagen. Wir sorgen vielleicht am besten für uns selbst, wenn wir über jenes Selbst hinaussehen. Neben den vier Aspekten (Konsistenz, Konstanz, Kontrollüberzeugungen und Kontingenz), gibt es einen weiteren, vielleicht noch gewichtigeren Grund, warum Menschen das Gefühl haben können, in einem nicht enden wollenden Kampf um Anerkennung zu sein. Nämlich tritt dies dann auf, wenn eine Person das Defizit in einer Form der Selbstanerkennung durch Anerkennung auf einer anderen Dimension zu befriedigen versucht. Eine solche Fehlwahrnehmung kann bspw. dazu führen, dass diese Person nach Wertschätzung ihrer Leistung sucht, obwohl ihr eigentlich Zuneigung und Liebe fehlen. Die Person spürt vielleicht, dass in ihrem Selbst etwas Grundlegendes fehlt, und erliegt dem Trugschluss, dass die – in unserer Leistungsgesellschaft besonders betonte – Leistungswertschätzung diese gefühlte Anerkennungslücke schließen könnte. Da das zugrundeliegende Defizit nicht erkannt wird, ist diese Person in einem Kreislauf aus endlosen erfolglosen Versuchen, Bestätigung zu finden, gefangen. Dieser Kreislauf kann nur durchbrochen werden, wenn die Reflexion der eigenen Selbstanerkennung gelingt, um die eigenen Bedürfnisse zu sortieren und zu verstehen.

Die eigene Selbstanerkennung managen

99

Viele Menschen stellen bei sich selbst fest, dass sie an der einen oder anderen Stelle ihre Selbstliebe, ihre Selbstwertschätzung und ihren Selbstrespekt ausbauen können. In diesem Abschnitt haben wir vorgeschlagen, welche Selbstreflexionen hierbei sinnvoll sind und welche Veränderungsmöglichkeiten bestehen. Neben dem Ausmaß der Selbstanerkennung sollte auch deren Stabilität betrachtet werden. Hier lohnt es sich die Konsistenz, Konstanz, Kontrollüberzeugungen sowie Kontingenz zu überprüfen.

5.3 Anerkennung effektiv kommunizieren Die beiden vorangegangenen Abschnitte haben deutlich gemacht, wie sehr jede:r von uns von positiven sozialen Beziehungen abhängig ist und welche Konsequenz ihr Fehlen für die eigene Selbstanerken­ nung haben kann. In Abschnitt 5.1 wurde hervorgehoben, welche Konsequenzen sozialer Ausschluss für Individuen haben kann. Von anderen nicht angenommen zu werden, führt zu negativen emotionalen Reaktionen und kratzt an der Selbstanerkennung der Ausgeschlossenen. Auf der Verhaltensebene lässt sich in Studien, die sich mit sozialem Ausschluss beschäftigen, etwas Kontraintuitives beobachten. Wenn soziale Zugehörigkeit das fundamentale Grundbedürfnis ist, das von vielen Wissenschaftler:innen postuliert wird, wäre zu erwarten, dass Betroffene versuchen, durch positives, freundliches Verhalten die Zuwendung der anderen zurückzugewinnen. In Studien, in denen zufällig ausgewählte Proband:innen von anderen ausgeschlossen werden, fällt das soziale Verhalten der Ausgeschlossenen jedoch konsistent gegenteilig aus. Sozial Ausgeschlossene zeigen signifikant mehr aggressives Verhalten gegenüber anderen (auch gegenüber in der Situation Unbeteiligten) und zeigen in geringerem Ausmaß prosoziales Verhalten (Twenge, Baumeister, Tice u. Stucke, 2001). Sozial Ausgeschlossene betreten somit einen Teufelskreis, der sie tiefer in die soziale Isolation ziehen kann. 100

Anerkennend leben mit sich und anderen

Auf der anderen Seite konnten Twenge und Kolleg:innen (2007) zeigen, dass positive soziale Interaktionen (oder die Vorstellung davon) diesen negativen Kreislauf effektiv unterbrechen. Positiver sozialer Austausch kann also die psychischen Wunden erfahrener sozialer Exklusion heilen. Dass wechselseitig anerkennende Kommunikation auch im Alltag die Quelle von Zufriedenheit, Kohäsion und Gesundheit sein kann, wurde aus empirischer Perspektive schon ausführlich argumentiert. Im Folgenden möchten wir einmal praktisch betrachten, was die wirklich effektive Kommunikation von Anerkennung ausmacht und wie die unterschiedlichen Dimensionen von Anerkennung erfolgreich transportiert werden können. Wir beschreiben die Ausdrucksformen, die die Anerkennungsarten annehmen können, und beschreiben jeweils einen Aspekt etwas detaillierter, der bei der Kommunikation dieser Anerkennungsform besondere Relevanz hat. 5.3.1  Kommunikation von bedürfnisbasierter Zuneigung

Im Kern dieser Form von Anerkennung steht die Anerken­ nung der emotionalen Bedürfnisse des Gegenübers. Es geht darum, dem anderen zu kommunizieren, dass dieser ein erwünschter Interaktionspartner ist und man »für ihn da« ist. Mit der Bindungstheorie hat sich eine psychologische Theorieschule sehr umfangreich denjenigen Kommunikationen gewidmet, die besonders im Kindesalter diese Gefühle vermitteln. Historisch gesehen ist die wissenschaftliche Akzeptanz der Notwendigkeit dieser psychischen Geborgenheit erschreckend jung. Erinnert sei hier an die Untersuchungen von Harlow (1958) die in Abschnitt 3.1.2 beschrieben wurden: Es brauchte aufwändige Untersuchungen mit Affen, um zu belegen, dass Affenjunge für ihre psychische Entwicklung von ihren Müttern mehr erwarten als Nahrung. Doch was ist in menschlichen Interaktionen die Entsprechung eines warmen Affenfells, das die Affenjungen mit dem Gefühl der Geborgenheit ausstattet? Für Menschen sind dies alle Hinweisreize, die ihnen das Gefühl geben, ein angenommenes Mitglied der Familie oder Gemeinschaft zu sein, das mit seinen emotionalen Bedürfnissen gesehen und umsorgt wird. In der Körpersprache zeigt sich dies Anerkennung effektiv kommunizieren

101

durch Entspannung, Lächeln, Zugewandtheit, körperliche Nähe und Berührungen. In der Kommunikation wird eine vertrauensvolle, fürsorgliche und liebevolle Haltung angeboten, die Hilfsbereitschaft und Zuneigung ausdrückt. Auf der Verhaltensebene sind das Suchen von Nähe und das Anbieten von Unterstützung Indikatoren dieser Form der Anerkennung. Mehr noch als andere Arten der Anerkennung ist diese Form von der sensiblen Wahrnehmung der emotionalen Zustände der anderen Person abhängig. An dieser Stelle gehen wir deshalb kurz auf das Konzept der Empathie ein, das für effektive Kommunikation bedürfnis­basierter Zuneigung die notwendige Grundlage legt. Empathie ist in der Psychologie viel beforscht und mit unterschiedlichen Schwerpunkten definiert worden. In der Regel wird kognitive von affektiver Empathie unterschieden. Kognitive Empathie beschreibt die Fähigkeit, die Gefühle anderer wahrzunehmen und zu verstehen. Das Konzept der affektiven Empathie bezieht sich hingegen auf die emotionale Reaktion auf den emotionalen Zustand anderer, im Sinne eines »Mitschwingens« bzw. »Nachfühlens«. Für beide Formen von Empathie werden unterschiedliche neuronale Grundlagen und Funktionen angenommen (Singer, 2006). Beide Formen stehen aber in Wechselwirkung in dem Sinne, dass kognitive Empathie (das Verständnis der Emotionen) die automatisch ausgelöste affektive Empathie modulieren, also verstärken oder abschwächen, kann (Lamm, Batson u. Decety, 2007). Diese Tatsache zeigt, dass Empathie durchaus in Grenzen lernbar sein kann. Zumindest insofern, dass ein sensibles Wahrnehmen und differenziertes Verständnis von Emotionen, das Nachfühlen der emotionalen Zustände anderer Personen erleichtern kann. Ein empathisches Verstehen der emotionalen Bedürfnisse legt in jedem Fall die Grundlage für passende Anerkennung und im Speziellen für bedürfnisbasierte Zuneigung. 5.3.2  Kommunikation von leistungsbasierter Wertschätzung

Leistungsbasierte Wertschätzung bezeichnet die positive Bewertung von Beiträgen oder Eigenschaften einer Person. Sie wird durch Körpersprache am ehesten in Form ehrfürchtiger, beeindruckter oder neidischer Blicke oder am deutlichs­ 102

Anerkennend leben mit sich und anderen

ten in Zeichen der Begeisterung (Applaus, Jubel, Daumen hoch) ausgedrückt. In der Kommunikation zeigt sie sich am klarsten in positivem Feedback zu Leistungen (vgl. Abschnitte 6.3 und 8.2), Komplimenten oder Lob. Verhaltensweisen, die idealtypisch für soziale Wertschätzung sind, sind Auszeichnungen, bis hin zur Vergabe von Titeln oder Preisverleihungen. Der Begriff der leistungsbasierten Wertschätzung suggeriert allerdings einen etwas engeren Fokus als mit dem Konzept in diesem Buch gemeint ist. Soziale Wertschätzung kann sich vielmehr auf alle Aspekte einer Person beziehen, hinsichtlich derer eine abstufende Bewertung vorgenommen werden kann. Sie ist die Quelle der Selbstwertschätzung, mit der Personen ihren eigenen »gesellschaftlichen Wert« (auch relativ zu ihren Mitmenschen) bestimmen. Dass dieser auf unterschiedlichen Definitionen von Leistung oder Wert basieren kann, wurde u. a. in Abschnitt 5.2.2 thematisiert. Welche »Leistungen« und persönlichen Eigenschaften in einer Gesellschaft einen Wert zugeschrieben bekommen, bestimmt in der Regel die gesellschaftliche Mehrheit oder eine meinungsbildende mächtige Minderheit. Dies bedeutet für die effektive Kommunikation dieser Art von Anerkennung zweierlei: Erstens gilt es bei der Gabe und der Bewertung von Wertschätzung kultur- und milieusensitiv zu sein und differierende Leistungsbegriffe zu berücksichtigen. Gleichzeitig ist es wichtig sich von den gesellschaftlichen Konventionen, was eine Leistung darstellt, nicht die eigene Gabe von Wertschätzung diktieren zu lassen. Nichts ist wertvoller als die Würdigung von Engagement und Hilfsbereitschaft, für die Wertschätzung sonst Mangelware ist. Nur so lässt sich der Wert scheinbar »selbstverständlicher« und oft ungenügend sichtbarer Arbeitsleistung (z. B. Pflege-, Hausarbeit, Nachbarschaftshilfe) in der Gesellschaft sichtbar machen. Zweitens handelt es sich bei leistungsbasierter Wertschätzung und der daraus resultierenden Selbstwertschätzung oft um ein fragiles und kontingentes Konzept, das stark von den im sozialen Raum umgebenden Normen bestimmt wird. Inwieweit sich die Selbstwertschätzung einer Person von diesen Kontingenzen lösen kann und zu einer stabilen, authentischen Selbstwertschätzung werden kann, wurde u. a. in Abschnitt 5.2.4 thematisiert. Weitere Aspekte, die bei der Gabe von Wertschätzung berücksichtigt werden Anerkennung effektiv kommunizieren

103

können, sind für pädagogische (vgl. Abschnitt 6.3) und betriebliche Kontexte (vgl. Abschnitt 8.2) in diesem Buch zu finden. 5.3.3  Kommunikation von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt

Die Kommunikation von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt lässt sich am besten als die Gewährung von grundlegenden Rechten an eine andere Person beschreiben. Dies umfasst, der anderen Person den gleichen Raum zur Ent­ fal­tung zuzugestehen (z. B. im Sinne von Rede- und Mitbestim­ mungsrecht). In der empirischen Forschung wird diese Form der Sozialbeziehung aus zwei Perspektiven betrachtet, die jeweils unterschiedliche Fokusse haben und dennoch sehr ähnliche Ausdrucksformen dieser Form von Anerkennung nahelegen. Einerseits betonen einige Forscher:innen die Kommunikation von Gleichheit oder Gleichwertigkeit als Kern von Respekt (Honneth, 1994; Simon, 2007), andererseits ist bei anderen Theoretiker:innen die Freiheit von externer Einflussnahme das definierende Element (Deci u. Ryan, 2000; vgl. Abschnitt 3.2). In der Kommunikation von Gleichberechtigung treffen sich diese beiden Ansätze. Das Zugestehen gleicher Rechte kommuniziert die Gleichwertigkeit der beteiligten Individuen und stellt simultan einen Raum zur Verfügung, in den nicht unberechtigt eingegriffen werden darf. In Interaktionen hat auch diese Form von Anerkennung ihre spezifischen Marker und Inhalte hinsichtlich Körpersprache, Kommunikationsinhalten und Verhaltensweisen. Respektvolle Körpersprache ist geprägt von vorsichtiger Distanz, Gesten der Zurückhaltung, Spiegeln des Verhal­tens, buchstäbliche Augenhöhe, Offenheit und einladendem Augenkontakt. Bei verbalem Austausch sind es sowohl die explizite Betonung von Gleichheit und Gemeinsamkeit als auch die Einladung, das Recht auf Meinungsfreiheit oder Mitbestimmung zu nutzen. Entsprechend sind auch Verhaltensweisen, in denen die Person und ihre Meinung in die Handlungen einbezogen wird, wie Abstimmungen und Diskussionen auf Augenhöhe, Ausdruck von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt. Dabei ist entscheidend wie gründlich und weitsichtig beachtet wird, wer von eigenen Entscheidungen oder Handlungen eigentlich direkt 104

Anerkennung und Selbstanerkennung in der Pädagogik

oder indirekt beeinflusst wird. Idealerweise sollte man versuchen alle Personen »auf dem Schirm« zu haben, die Auswirkungen unseres Verhaltens jetzt oder später spüren könnten. Für die meisten sozialen Austauschprozesse gilt, dass Interaktions­­ partner:innen dazu neigen, die Haltung des Gegenübers in Interaktionen zu spiegeln, das heißt Zuwendung oder Ablehnung zu erwidern. Im Allgemeinen gilt entsprechend, dass ein zuverlässiger Weg selbst Anerkennung zu erhalten, darüber verläuft, selbst Anerkennung großzügig an andere zu verteilen. Die Information über die grundlegende Gleichwertigkeit des Interaktionspartners oder der ‑partnerin macht bei der Anerkennungsform des Respekts das Kommunikationsprinzip der Reziprozität noch einflussreicher als in anderen Fällen. In gleichwertigkeitsbasiertem Respekt ist dieser Prozess inhärent angelegt. Durch die Kommunikation von grundlegender Gleichwertigkeit übermittelt der/die Sender:in nicht nur die Berechtigung des Gegenübers, sondern auch die Erwartung, den zugestandenen Raum für sich selbst in Anspruch nehmen zu dürfen. Respekt hat also wie keine andere Sozialform die Kraft einen Raum gemeinsamer Regeln zu schaffen und Interaktion auch dann zu ermöglichen, wenn Vorurteile und Stereotype die Kommunikation erschweren. Respekt erhält so seine Funktion als der »Kitt der Gesellschaft« (vgl. Abschnitt 9.4.1). Bisher wurden die vorgestellten Anerkennungsformen unab­hän­­ gig voneinander beschrieben und ihre jeweils differenziellen Effekte betont. Spannend und hochrelevant sind jedoch auch die Wechsel­­ wirkungen untereinander: Inwiefern kann eine Anerken­nungsform die Defizite einer weiteren ausgleichen? Inwiefern behin­dert die Kommunikation einer Form die Wahrnehmung einer anderen? Am Beispiel von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt und leistungsbasierter Wertschätzung lässt sich diese Interaktion exemplarisch beschreiben. Die Kommunikation von leistungsbasierter Wertschätzung kann in der Praxis schnell eine Ungleichheit suggerieren, die respektvolle Interaktion auf Augenhöhe erschweren kann. Durch das Geben von sozialer Wertschätzung oder Leistungsfeedback erscheint der oder die Gebende in der Regel selbst kompetenter oder sogar statushöher, je nachdem, wie sensibel das Feedback übermittelt wird. In der Praxis gilt es also Wertschätzung zu kommunizieren, ohne ein Statusgefälle Anerkennung effektiv kommunizieren

105

offensichtlich zu machen. Leistungsfeedback wird entsprechend idealerweise durch die anderen Formen von Anerkennung flankiert, um das Risiko dieser problematischen Nebenwirkung zu verringern (vgl. Abschnitt 8.2 zu anerkennendem Feedback am Arbeitsplatz). Als Impuls zur Selbstreflexion können Sie die Vorlage aus Ta­­ belle 3 verwenden, um konkrete Schritte zur Kommunikation von Anerkennung in Ihrem Umfeld zu initiieren. Tabelle 3: Selbstreflexion zur Kommunikation von Anerkennung

Bedürfnis­ basierte Zuneigung

Leistungs­ basierte Wertschätzung

An wen möchte ich Anerkennung geben?

In welcher Situa­ tion möchte ich sie geben?

Folgendes möchte ich sagen bzw. tun:

Welche positiven Auswirkungen könnte es auf die Person haben? Welche Hindernis­ se könnten auftre­ ten und wer kann mich unterstützen? Wann genau möch­ te ich der Person Anerkennung übermitteln?

106

Anerkennend leben mit sich und anderen

Gleichwertig­ keitsbasierter Respekt

Die drei Formen der Anerkennung haben jeweils ihre ganz spezifischen Formen, in denen sie übermittelt werden. Sie können sich in Körpersprache, explizit in verbaler Kommunikation oder in Verhaltensweisen ausdrücken. Eine wirklich effektive Kommunikation von Anerkennung setzt empathische Fähigkeiten beim/bei der Sender:in voraus und ein Verständnis dafür, dass bedürfnisbasierte Zuneigung, soziale Wertschätzung und gleichwertigkeitsbasierter Respekt sich gegenseitig beeinflussen.

Anerkennung effektiv kommunizieren

107

6

 nerkennung und Selbstanerkennung A in der Pädagogik

Anerkennungserfahrungen beginnen mit der Geburt – vielleicht sogar schon früher, wenn das Verhalten während der Schwangerschaft bereits als (nicht) anerkennendes Verhalten dem ungeborenen Kind gegenüber bezeichnet wird. Die folgenden Kapitel widmen sich pädagogischen Kontexten, die für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen relevant sind. Beginnend mit der Erziehung im Elternhaus werden unterschiedliche Erziehungsstile aus der Anerkennungsperspektive beleuchtet und konkrete, Anerkennung kommunizierende Verhaltensweisen gegenüber Kindern zusammengetragen (Abschnitt 6.1). Anschließend beschäftigt sich Abschnitt 6.2 mit Anerkennung in der Schule, die nur durch die Ermöglichung von Anerkennungserfahrungen für Schüler:innen ihrer Funktion als Bildungseinrichtung wirklich gerecht werden kann. Abschnitt 6.3 widmet sich schließlich den Grundlagen von gelingendem Feedback in pädagogischen Kontexten.

6.1 Erziehung Von Geburt an befindet sich ein Kind in einem sozialen Kontext, in dem andere mehr oder weniger gut für es sorgen und in seinem Entwicklungsprozess unterstützen. Die Erziehung und der Umgang mit einem Kind stellen entscheidende Einflussfaktoren auf die individuelle Entwicklung dar, die sich ideal durch Anerkennungsprozesse auf allen drei Ebenen beschreiben lassen. Da wir auch Eltern zweier Kinder sind, fällt es bei Erziehungsfragen oft schwer, nicht aus der eigenen Erfahrung heraus zu argumentieren. Wir bemühen uns auch in diesem Abschnitt des Buches den aktuellen Forschungsstand darzuErziehung

109

legen, der sich im Großen und Ganzen auch mit unserer ganz eigenen Erfahrung deckt. 6.1.1  Erziehungsstile und ihr Anerkennungspotenzial

In der Forschung liegen verschiedene Klassifikationen von elterlichen Erziehungsstilen vor. Die meisten Stile unterscheiden sich dabei hinsichtlich der Dimensionen Wärme/Responsivität und Lenkung/Forderung. Wärme/Responsivität bezeichnet die Zuwendung, emotionale Unterstützung und Offenheit gegenüber dem Kind und die Bereitschaft, auf Kommunikationssignale des Kindes einzugehen. Lenkung/Forderung beschreibt die von den Eltern ausgeübte Kon­ trolle und Lenkung des Verhaltens des Kindes. Aus diesen Dimensionen lassen sich verschiedene Erziehungsstile kombinieren (Walper, Wendt u. Langmeyer, 2015). Im Folgenden stellen wir die gängigsten kurz vor. Der als autoritär bezeichnete Erziehungsstil lässt sich durch eine geringe elterliche Wärme bei gleichzeitig hoher Kontrolle über das Kind beschreiben. Die Erziehung zeichnet sich durch Strenge und strikte Regeln aus und wird ohne emotionale Zuwendung zum Kind ausgeführt. Dem Kind wird wenig bis keine Autonomie und Selbstbestimmung gewährt, die Eltern entscheiden in der Regel für das Kind. Ein solcher Erziehungsstil führt häufig zu erhöhter Ängstlichkeit, einem niedrigen Selbstwertgefühl der Kinder und zu vermehrten psychischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten (Thompson, Hollis u. Richards, 2003). Die in der Literatur als permissiv-verwöhnend und als uninvol­ viert-vernachlässigend benannten Erziehungsstile zeichnen sich durch ein geringes Maß an elterlicher Lenkung und Kontrolle aus. Die beiden Erziehungsstile unterscheiden sich allerdings hinsichtlich der Wärme und Emotionen, die dem Kind entgegengebracht werden. Während der permissiv-verwöhnende Stil ein großzügi­ ges Angebot an Wärme und Zuwendung beinhaltet, fehlt es dem uninvolviert-­vernachlässigenden Stil an Wärme und Responsivität. Ein uninvolviert-vernachlässigender Erziehungsstil erwies sich in der Forschung als besonders nachteilig für die kindliche Entwicklung. Die fehlende Wärme, die oft auch das Ausmaß von Vernachlässigung 110

Anerkennung und Selbstanerkennung in der Pädagogik

oder Misshandlung annimmt, kann vielfältige Beeinträchtigungen im sozio-emotionalen wie auch im kognitiven Bereich zur Folge haben (Kindler, 2006). Auch ein verwöhnender Erziehungsstil kann zu Problemen bei Kindern führen, da oftmals die Frustrationstoleranz und Emotionskontrolle vermindert ist, was zu erhöhter Aggressivität und Delinquenz führen kann (Kawabata, Alink, Tseng, van Ijzendoorn u. Crick, 2011). Zum permissiv-verwöhnenden Erziehungsstil ist die Befundlage jedoch nicht eindeutig – es werden auch positive Effekte auf die Verhaltens- und Kompetenzentwicklung von Kindern beschrieben (Walper et al., 2015). Als besonders entwicklungsförderlich wird der sogenannte auto­ ritative Erziehungsstil beschrieben. Dieser zeichnet sich sowohl durch ein hohes Maß an Wärme und Responsivität bei gleichzeitig moderater bis hoher Lenkung bzw. Kontrolle in Form von klaren Regeln und Anforderungen an das Verhalten der Kinder aus. Studien belegen, dass autoritativ erzogene Kinder emotional stabiler sind, weniger Problemverhalten aufweisen und darüber hinaus bessere Leistungen in der Schule erbringen als nicht autoritativ erzogene Kinder und Jugendliche (Pinquart, 2016, 2017; Pinquart u. Gerke, 2019). Der sogenannte überbehütende Erziehungsstil beinhaltet ebenfalls hohe Wärme und ein hohes Maß an Lenkung und Kontrolle. Im Gegensatz zum autoritativen Erziehungsstil wird bei diesem dem Kind jedoch wenig Raum zur Autonomie und Selbstbestimmung belassen, wenn überbehütende »Helikopter-Eltern«, zum vermeintlichen Schutz des Kindes, das kindliche Verhalten einschränken und mit Verboten und Einschränkungen kontrollieren. Am Vergleich von autoritativem und überbehütendem Erzie­hungs­ stil wird erneut die Bedeutung der Anerkennungsdimensionen deutlich. Während sich die beiden Stile nicht hinsichtlich der Zuneigung und Fürsorge durch die Eltern unterscheiden, unterscheiden sie sich jedoch in der Gewährung von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt. Während Eltern beim autoritativen Stil dem Kind zwar Grenzen setzen, damit aber nicht grundlegend seine Selbstbestimmung einschränken, zeigt sich beim überbehütenden Stil eine sichtbare Einschränkung der Selbstbestimmung. Aus einer Anerkennungsperspektive macht es daher Sinn, dass der autoritative Erziehungsstil die positivsten Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche hat. Erziehung

111

Er vereint Zuneigung und Respekt und bietet dem Kind somit eine ausgezeichnete Entwicklungsgrundlage. Ein kürzlich erschienener wissenschaftlicher Überblicksartikel findet zudem, dass ein autoritativer, im Gegensatz zu einem autoritären, Erziehungsstil prosoziales Verhalten bei Kindern fördert. Interessanterweise gilt dies aber nicht für Hilfeverhalten, das Nachteile für das helfende Kind selbst zur Folge hat. Bei einem autoritativ erzogenen (und vermutlich respektvoll behandelten) Kind lässt sich also eine Balance hinsichtlich der Bewertung eigener Bedürfnisse und der Bedürfnisse anderer beobachten (Wong, Konishi u. Kong, 2021). Der autoritative Erziehungsstil baut auf ein angemessenes An­­ spruchsniveau an die Kinder. Eltern setzen klare Standards und Regeln und achten auf deren Einhaltung. Sie sind gleichzeitig warm und sensibel und ihren Kindern offen gegenüber. Sie gehen auf die Bedürfnisse ihres Kindes ein. Sie fördern aktiv die Autonomie des Kindes, indem sie ihm helfen, die Konsequenzen seines Verhaltens zu verstehen. Bei nicht eingehaltenen Regeln disziplinieren sie maßvoll und konsistent, ohne dabei die Liebe und Zuneigung zu entziehen (vgl. Abschnitt 6.1.2). 6.1.2  Anerkennendes Verhalten gegenüber Kindern

Die Betrachtung der Erziehungsstile bietet bereits erste Hinweise, welche Formen anerkennendes elterliches Verhalten annehmen kann. Im Folgenden widmen wir uns beispielhaft konkreten Verhaltensweisen, die Anerkennung gegenüber Kindern kommunizieren. Bezo­­gen auf bedürfnisbasierte Zuneigung gegenüber Kindern wurden im Verlauf dieses Buches im Rahmen der Bindungsforschung (vgl. z. B. Abschnitte 4.2 bzw. 5.3.1) bereits einige wichtige Aspekte angesprochen, die ein Kind darin unterstützen können, eine sichere Bindung und eine hohe Selbstliebe aufzubauen. Im Säuglingsalter ist hierbei die grundlegende Bedürfnisbefriedigung hinsichtlich Nahrung, Sauberkeit, Nähe und Trost entscheidend. Die Rolle der leiblichen Eltern kann auch von anderen Personen übernommen werden, wichtig ist nur, dass Bezugspersonen verlässlich und dauerhaft für das Kind da sind. Im Idealfall sollte ein Kind v. a. in den ersten beiden Lebensjahren nicht schreiend oder weinend allein gelassen 112

Anerkennung und Selbstanerkennung in der Pädagogik

werden, um Gefühlen von Hilflosigkeit und Alleingelassen werden keinen Raum zu geben. Einige Ratgeber auf dem Markt empfehlen Einschlafprogramme, die ursprünglich für klinisch relevante Extremfälle konzipiert wurden und bei denen durchaus dieses Risiko besteht. Bei Kindern, die trotz Nähe keine Beruhigung bzw. keinen Schlaf finden, sollte zusammen mit Expert:innen in einer Erziehungsberatung ein individueller Weg erarbeitet werden, der zum einen die übernächtigten und verzweifelten Eltern entlastet und stärkt, zum anderen aber die Grundbedürfnisse des Kindes nach Nähe und Geborgenheit nicht übermäßig verletzt. Während das Kind mit voranschreitendem Alter immer mehr in der Lage ist, Bedürfnisse nach Nahrung oder Sauberkeit selbstständig zu erfüllen, bleibt ein Bedürfnis nach zwischenmenschlicher Nähe und Geborgenheit in der Regel bis ins Erwachsenenalter hi­nein bestehen. Solange andere Entwicklungsaufgaben nicht gefährdet sind, kann es für ein Kind kein »Zuviel« an Liebe und Zuneigung geben. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die gezeigte Wärme und Zuneigung nicht (ausschließlich) aus einem Bedürfnis des Erwachsenen motiviert ist. Feinfühlig auf die Signale und Bedürfnisse des Kindes einzugehen, ist die Grundlage einer anerkennenden Eltern-Kind-Beziehung. Während es kaum Gründe gibt, vor einem scheinbaren Überfluss an warmherziger Zuneigung zu warnen, kann Liebesentzug oder gewalttätiges Verhalten gegenüber Kindern auf der anderen Seite tiefgreifende Entwicklungsprobleme auslösen (Smith, 2006). Bereits bei Vorschulkindern zeigte sich beispielsweise in einer Längsschnittstudie, dass mütterlicher Liebesentzug mit erhöhtem aggressivem Mobbingverhalten der Kinder im Schulkontext in Verbindung steht (Yu, Cheah, Hart, Yang u. Olsen, 2019). Außerdem sind die Belege dafür, dass Bestrafung oder gewalttätiges Verhalten zu einer langfristigen Reduktion von unerwünschtem Verhalten führt, sehr dünn. Viel effektiver ist es, dem Kind zu helfen, die Folgen seines Verhaltens wahrzunehmen und zu verstehen, wenn Gefühle anderer verletzt wurden (z. B. Kohn, 2010). Eine anerkennende Erziehung schließt jegliche Form der körperlichen Züchtigung, also auch »kleinere Ohrfeigen«, aus. Auch soziale Wertschätzung können Eltern ihren Kindern auf vielfältige Weise vermitteln. Kindern das Gefühl zu geben, dass das, Erziehung

113

was sie tun und können wertvoll ist, ist wichtig für deren Selbstwertschätzung. Dabei sollte sich soziale Wertschätzung nicht auf die reine Verstärkung von guten Leistungen beziehen (bspw. auf das Loben guter Noten oder Ergebnisse). Viel wichtiger ist es, intrinsische Motivation, Begeisterung und das Engagement zu verstärken. Nur wenn Kinder sich aus eigenem Interesse heraus einbringen oder lernen, führt dies zu langfristiger Motivation und Engagement. Ein Fokus auf den Prozess des Lernens bzw. Verstehens anstelle auf das Ergebnis fördert außerdem direkt die Selbstwirksamkeitserwartung von Kindern. Sie lernen, dass die Kontrolle über das Ergebnis einer Aufgabe in ihnen selbst und ihrem eigenen Engagement liegt. Der Autor Alfie Kohn betont in seinen progressiven Ratgebern zu Erziehungsfragen ebenfalls, dass der Weg des Lobens und Verstärkens guter Verhaltensweisen nicht unbedingt zum erwünschten Ziel führt. Kinder und Jugendliche würden heutzutage durch die vermeintliche Abhängigkeit von Leistungsbewertung zu oft unter Druck gesetzt. Manche Eltern haben bereits bestimmte Schulformen oder Elite­ universitäten für ihre Kinder vor Augen und man bekomme das Gefühl, dass Eltern keine Kinder großziehen, sondern Lebensläufe (Kohn, 2010). Er empfiehlt hier die sogenannte bedingungslose Elternschaft, bei der vor allem die Bedürfnisse des Kindes ins Zentrum gestellt werden und Liebe niemals an Bedingungen geknüpft wird. Liebe gegenüber dem Kind sollte immer aufrechterhalten werden, unabhängig davon, wie frustriert man selbst über das Verhalten des Kindes ist. Das Kind muss sich Liebe nicht verdienen – Liebe sollte immer vorhanden sein und gezeigt werden. Die Anerkennungsperspektive hilft auch hier dabei, die unter­­ schiedlichen Informationen, die das Kind erreichen, auseinander­ zuhalten und zu entscheiden, welche Aspekte der Eltern-Kind-­Bezie­ hung bedingungslos sein sollten. Das Gebot der Bedin­gungs­losigkeit gilt für Zuneigung und Respekt. Das Kind muss in seinen emotionalen Bedürfnissen, Ängsten, Meinungen und Verhaltensweisen ernst genommen werden. Auch soziale Wertschätzung sollte im Mittel positiv sein und unangemessene Erwartungen und Wertmaßstäbe an ein Kind anzulegen, ist in jedem Fall kontraproduktiv. Dennoch kann soziale Wertschätzung, die sich auf konkretes Verhalten bezieht, häufig nur bedingt vergeben werden. Wenn Eltern 114

Anerkennung und Selbstanerkennung in der Pädagogik

eine bedingungslose Grundlage von Zuneigung und Respekt für ihr Kind legen, ist eine differenzielle Verteilung von sozialer Wertschätzung für gezeigtes Verhalten jedoch nicht problematisch. Eine konkrete situative Rückmeldung an ein Kind kann natürlich nicht bedingungslos positiv wertschätzend sein, wenn ein Kind sich selbst oder andere gefährdet oder die kleine Susi gerade die Katze getreten hat. Solange sie sich aber auf die grundlegende bedürfnisbasierte Zuneigung und den gleichwertigkeitsbasierten Respekt von Mama und Papa verlassen kann, kann der Tadel für die getretene Katze als berechtigtes Feedback angenommen werden. Problematisch ist Erziehung immer dann, wenn diese Formen der Anerkennung nicht auseinandergehalten werden. Wenn ein Entzug von Zuneigung und Respekt als Form der Maßregelung verwendet wird, ist die Grundlage von Selbstliebe und Selbstrespekt gefährdet. Wichtig ist also, soziale Wertschätzung von Zuneigung und Respekt zu trennen. Das Kind sollte nie das Gefühl bekommen nur dann geliebt und respektiert zu werden, wenn es etwas leistet bzw. ein bestimmtes Verhalten zeigt. Nun ist bereits des Öfteren angeklungen, dass auch respektvolles Verhalten gegenüber Kindern wichtig ist und bedingungslos gezeigt werden kann. Im Folgenden soll es nun darum gehen, wie respektvolles Verhalten gegenüber Kindern in den unterschiedlichen Altersphasen konkret praktiziert werden kann. Hierbei ist es besonders relevant, wie die Entwicklung vom offensichtlich noch nicht formal gleichberechtigten Säugling hin zum/zur formal gleichberechtigten 18-Jährigen von Eltern optimal begleitet werden kann. Diese Aussage impliziert bereits die Annahme, dass auch ein Säugling schon als gleichwertiges Individuum respektiert werden kann und respektiert werden sollte. Im Säuglingsalter (0 bis 1 Jahr) steht augenscheinlich die Befriedigung von biologischen (Essen, Trinken, Schlafen, etc.) und emotionalen (Nähe, Kuscheln, Trösten, etc.) Bedürfnissen im Vordergrund der Eltern-Kind-Interaktion. Selbst in diesem frühen Alter kann aber durch Eltern der Grundstein für Selbstrespekt gelegt werden, indem das Kind wann immer möglich und sinnvoll als Wesen auf Augenhöhe betrachtet wird. Dies kann in diesem Alter beispielsweise dadurch erreicht werden, dass Blickkontakt mit dem Säugling aufgenommen wird, mit Erziehung

115

ihm interagiert wird und aktiv mit ihm gesprochen wird. Mit einem Säugling zu sprechen, hat nicht nur einen förderlichen Effekt auf die Sprachentwicklung (Ferjan Ramírez, Lytle, Fish u. Kuhl, 2019), sondern gibt dem Kind gleichzeitig das Gefühl, relevant zu sein und berücksichtigt zu werden. Einigen Eltern fällt dies schwer, da das Kind in diesem Alter ja noch nicht antwortet. Das übermittelte Gefühl der Einbeziehung und Berücksichtigung sollte jedoch nicht unterschätzt werden und kann früh eine Selbstwahrnehmung, einen eigenständigen Platz zu besitzen, mitformen. Weitere Möglichkeiten das Kind aktiv zu berücksichtigen sind, es mit an den Esstisch zu setzen (in einem babygerechten Stuhl oder einer Wippe), so dass auch hier frühzeitig das Gefühl entstehen kann, einbezogen zu sein. Respekt gegenüber einem Säugling lässt sich auch zeigen, indem dem Kind nicht zu viel zugemutet wird (bspw. hinsichtlich Besucher:innen, Freizeitaktivitäten), das Kind ausreichend Zeit zur Erholung erhält und auch die Möglichkeit erhält, phasenweise mit sich allein zu sein. Im nächsten Entwicklungsstadium des Kindes (2 bis 3 Jahre) gibt es ebenfalls zahlreiche Möglichkeiten, das Kind als gleichwertig zu respektieren. Mit zunehmender Kommunikationsfähigkeit des Kindes (Gestik, Mimik, Sprache) können Eltern darauf eingehen, was das Kind möchte. Dieses Reagieren auf das Kind mag auf den ersten Blick banal erscheinen, es vermittelt aber ein fundamental wichtiges Gefühl: das Gefühl Interaktionspartner:in zu sein. Dass dies natürlich nicht in allen Kontexten dazu führen kann, dass dem Wunsch des Kindes gefolgt wird, sollte dabei auch klar sein. Die Eltern tragen die Verantwortung für das Kindeswohl und müssen in Fällen, in denen eine Gefährdung des Kindes entstehen könnte, klare Grenzen setzen. Es gibt aber viele Situationen, in denen das Kind mehr und mehr selbst entscheiden kann (z. B. was möchte ich anziehen, was möchte ich essen, was möchte ich spielen). Überall dort, wo es möglich ist, sollten dem Kind Entscheidungsfreiräume geschaffen werden. Überall dort, wo dies nicht möglich ist, sollten im besten Fall Erklärungen für vorgegebene Regeln und Entscheidungen angeboten werden. Auch hierdurch entsteht ein Selbstverständnis beim Kind, einbezogen zu werden und dass die eigene Meinung relevant sein könnte. 116

Anerkennung und Selbstanerkennung in der Pädagogik

Zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr entdecken Kinder immer mehr ihre Vorlieben und Fähigkeiten. Diese sollten gefördert werden, auch wenn sie eventuell nicht den Präferenzen der Eltern entsprechen oder der Kompetenzerwerb schneller geht, als den Eltern lieb ist. Es ist vielleicht herausfordernd, von seinem Kind damit überrascht zu werden, wie hoch hinaus es auf dem Spielplatzgerüst klettert. Um dem Kind die Möglichkeit zu geben, selbstwirksam zu sein und seinen eigenen Einschätzungen zu vertrauen, sollten Eltern versuchen, sich mehr und mehr zurückzunehmen. Wenn Kinder sich selbst ausprobieren können, können sie viel besser für sich selbst einschätzen, was sie schon können und was noch nicht. Wenn dem Kind beigebracht wird, selbst nach Hilfe zu fragen, dann sind Eltern nicht immer unter dem Druck, um das Kind herum »helikoptern« zu müssen. Im Kindergartenalter kann dann auch die Mitbestimmung sukzessive immer weiter ausgebaut werden. Es gibt Kitakonzepte, die dies aktiv ermöglichen. Das Konzept »Die Kinderstube der Demokratie« (https://www.partizipation-und-bildung.de/), welches in Kooperation von Forschenden mit Kitas entstanden ist, enthält vielfältige Ansatzpunkte zum Erlernen von demokratischer Partizipation in Kindertageseinrichtungen. Dabei ist von Vorteil, wenn sowohl die Rechte von Kindern vermittelt werden, aber auch deren Pflichten. So sollten Kinder bspw. lernen, dass sie das Recht haben, ihre Spielsachen frei auszuwählen. Sie sollten aber auch lernen, dass sie die Pflicht haben, Rücksicht auf andere zu nehmen und mit anderen zu teilen. In diesem Alter kann sowohl im Elternhaus als auch in der Kinder­­tageseinrichtung darauf geachtet werden, die Gleichberech­ tigung und Neutralität bzgl. des Geschlechts zu vermitteln. Jungen und Mädchen sollten nicht durch – in der Werbung gern vermittelte – geschlechterspezifische Spielzeuge in ihrem Spiel­verhalten eingeschränkt werden. Die Verinnerlichung und Übernahme von Geschlechterstereotypen können ein Kind später fundamental in seinem Lebensweg beeinflussen. Die Forschung zeigt bspw. eindrucksvoll, dass Geschlechterstereotype die Berufswahl und spätere Karrierewege beeinflussen (Watt, 2010). Falls Sie in Ihrem Alltag Kontakt zu Kindern haben, reflektieren Sie einmal darüber, ob Sie sich Erziehung

117

Mädchen und Jungen gegenüber unterschiedlich verhalten (z. B. in der Strenge oder Lautstärke; im Zuschreiben von Schuld; in der Empfehlung von geeigneten Spielzeugen, Sportarten oder Instru­menten; im Anbieten von Wärme und Trost) und ob dieses differenzielle Verhalten den individuellen Kindern gerecht wird. Ab ca. dem sechsten Lebensjahr sollte die Meinung von Kindern nicht mehr nur bei eher persönlichen Themen wie der Kleider­ auswahl berücksichtigt werden, sondern immer mehr auch bei zen­ tralen Themen, die ggf. zu einer Veränderung oder Anpassung im Familienalltag führen können. Auch auf Seite der Pflichten können Erweiterungen stattfinden, beispielsweise durch die Übernahme kleinerer Tätigkeiten im Haushalt oder der Verantwortung für das eigene Zimmer. Mit Beginn des Schulalters ist es zudem angemessen, dem Kind weitere Freiräume zur Entfaltung zuzugestehen. Falls möglich kann dem Kind die Möglichkeit gegeben werden, allein (oder mit Freund:innen) zur Schule zu gehen oder kleine erste Ausflüge in die nähere Umgebung allein zu machen. Dies kann zu Beginn von den Eltern begleitet werden und nach positiver Einschätzung, z. B. der Beachtung der Verkehrsregeln durch das Kind, nach und nach allein gestaltet werden. Auch für die Schule liegen zahlreiche Konzepte vor, die die Mitbestimmung und Partizipation von Kindern vermitteln und fördern. Durch einen Klassenrat oder die Wahl von Klassensprecher:innen lernen Kinder die Bedeutung eigener Rechte kennen und schätzen. Die Liste der Verhaltensweisen, die Kindern gegenüber Respekt kommunizieren, könnte noch beliebig lange fortgesetzt werden. Eltern haben die Aufgabe und die Ehre, ihre Kinder vom abhängigen Säugling bis zur unabhängigen volljährigen Person zu begleiten. Abschließend möchten wir noch einmal festhalten, dass es keine perfekten Eltern gibt. Niemand kann alles optimal umsetzen, auch wenn die Intentionen noch so gut sind. Moderne Familien müssen neue Wege zwischen Arbeit, Familie und Freizeit finden, für die oftmals wenig Vorbilder vorhanden und die mit viel Unsicherheit behaftet sind. Wenn Sie sich aber stets vergegenwärtigen, dass es von Vorteil ist, wenn Ihre Erziehung wann immer möglich drei fundamentale Informationen an das Kind vermittelt (du wirst geliebt; wir finden deine Eigenschaften wertvoll und du wirst ernst genommen), dann ist dies eine gute Grundlage für ein erfülltes Familienleben. 118

Anerkennung und Selbstanerkennung in der Pädagogik

In der Literatur werden verschiedene Erziehungsstile unterschieden. Für die Entwicklung von Kindern optimale Stile zeichnen sich implizit durch anerkennendes Verhalten auf allen drei Ebenen aus. Für die Kommunikation von Zuneigung, Wertschätzung und Respekt stehen Eltern für alle Altersbereiche eines Kindes vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung. Wir argumentieren für eine Erziehung, die nicht nur gewaltlos (Abwesenheit von Formen von Unterdrückung und Züchtigung), sondern wirklich anerkennend (Anwesenheit von bedingungsloser Zuneigung/ Respekt und positiver sozialer Wertschätzung) ist.

6.2 Anerkennung in der Schule Junge Menschen verbringen ein Viertel ihrer wachen Zeit in der In­ stitution Schule und in den Schulgesetzen der deutschen Bundesländer sind neben der Vermittlung von Lerninhalten auch die ge­­lin­­ gende Persönlichkeits- bzw. Identitätsbildung zentrale Zielsetzun­gen. Entsprechend lohnt der Blick darauf, inwiefern die Schule Anerken­­ nungs­­erfahrungen ermöglicht. Die Ansatzpunkte sind dabei vielfältig und auch in der empirischen Forschung nimmt diese Perspektive zunehmend Raum ein (Salminen, 2020; Sime, ­Gilligan u. Scholtz, 2021). Einer umfangreichen Darstellung des Potenzials einer anerkennenden Schule müsste man ein eigenes Buch widmen. In diesem Abschnitt sollen zumindest exemplarisch ein an­­erken­ nendes Klassenklima und Anerkennungsprozesse in der LehrkraftSchüler:innen-Interaktion betrachtet werden. 6.2.1  Anerkennendes Klassenklima

Für die wissenschaftliche Betrachtung des zwischenmenschlichen ­Klimas im Klassenraum gilt, was für viele andere soziale For­ schungsfelder ebenfalls gilt: Es wird häufig sehr undifferenziert das Anerkennung in der Schule

119

erwünschte Vorliegen »positiver« Interaktionen betont. Eine Ausnahme bildet die Selbstbestimmungstheorie der Motivation (Deci u. Ryan, 2002), die – unter Annahme von Grundbedürfnissen der Schüler:innen (vgl. Abschnitt 3.1.5) – ein differenzierteres Bild zeichnet. In der Schule ist die Frage besonders relevant unter welchen Umständen es gelingen kann, Schüler:innen extrinsisch für die fachlichen Inhalte zu motivieren – im Idealfall bis sie ein intrinsisches Interesse ausbilden. Genau dieser Prozess wird in der Selbstbestimmungstheorie betont. Menschliches Verhalten kann auf einem Kontinuum zwischen vollständig extrinsischer bis intrinsischer Regulation angeordnet werden, je nachdem wie fremd- oder selbstbestimmt das Verhalten wahrgenommen wird (Ryan u. Connell, 1989). Eine Schülerin löst ihre Latein-Hausaufgaben, weil sie sich selbst als gute Lateinschülerin sieht und sich vom Verständnis der lateinischen Sprache einen leichteren Zugang zu anderen Sprachen verspricht. Eine weitere Schülerin bearbeitet die gleiche Aufgabe nur, um die Bestrafung durch die Lehrerin zu vermeiden. Beide Schülerinnen führen die Handlung aus und sind nicht intrinsisch durch die Tätigkeit selbst motiviert, unterscheiden sich jedoch im Grad an wahrgenommener Selbstbestimmung. Handlungen können also mehr oder weniger in das Selbst integriert werden und somit mehr oder weniger als selbstbestimmt wahrgenommen werden. Immer dann, wenn Verhalten selbstbestimmt wahrgenommen wird, steht dies empirisch in Zusammenhang mit höherem Engagement und Leistung (z. B. Miserandino, 1996), gesundheitsförderndem Verhalten (z. B. Williams, Rodin, Ryan, Grolnick u. Deci, 1998), psychischer Gesundheit, Wohlbefinden (z. B. Sheldon, Ryan u. Reis, 1996) sowie einer Vielzahl weiterer positiver Konsequenzen (für einen Überblick über relevante Literatur, siehe Deci u. Ryan, 2008a). Auf der Suche nach den sozialen Bedingungen, die selbstbe­ stimmt wahrgenommenes Lernen im Klassenzimmer fördern, be­­ stätigte sich empirisch das Bild der drei Grundbedürfnisse (vgl. Abschnitt 3.1.5). Ein motivierendes Klassenklima zeichnet sich entsprechend aus durch (1) Verbundenheit und Zugehörigkeit im Klassenverbund, (2)  Kompetenzerleben durch positive Rückmeldungen und anregende Aufgabenstellungen und (3) Autonomie im Sinne eigener Entscheidungsmöglichkeiten. Empirisch konnten 120

Anerkennung und Selbstanerkennung in der Pädagogik

diese Einflussfaktoren auf Wohlbefinden und Leistung sowohl in längsschnittlichen als auch experimentellen Studien nachgewiesen werden (Niemiec u. Ryan, 2009; Zimmer-Gembeck, Chipuer, Hanisch, Creed u. ­McGregor, 2006). Diese stehen im Einklang mit einer Anerkennungsperspektive auf das Miteinander im Klassenzimmer. Die wechselseitige Erfahrung von Zuneigung und zwischenmenschlicher Wärme beschreibt die Basis für Verbundenheit innerhalb der Klasse. Die Erfahrung leistungsbasierter Wertschätzung beschreibt außerdem sehr passgenau, was auch in der Selbstbestimmungstheorie als Erfüllung des Kompetenzbedürfnisses verstanden wird. Gleichwertigkeitsbasierter Respekt untereinander erlaubt jeder Schülerin oder jedem Schüler eine autonome Rolle und dass seine oder ihre Stimme in Entscheidungssituationen angehört wird. Diese Formen von Anerkennung beeinflussen direkt das Selbstbild von Menschen (vgl. Kapitel 4). Die in Schulen zu fördernde Persönlichkeits- und Identitätsbildung umfasst natürlich mehr als die angesprochenen drei Facetten des Selbst – und doch wird greifbarer, welche Aspekte der Identitätsbildung durch die Schule direkt unterstützt werden können. Für die Praxis kann diese Erkenntnis ein Anhaltspunkt sein, um den Blick auf das Miteinander der Schüler:innen und die sozialen Erfahrungen im Klassenzimmer zu schärfen und ggf. mit gezielten Interventionen bestimmte Aspekte zu verbessern. Um ein Klima wechselseitiger bedürfnisbasierter Zuneigung zu fördern, sind Klassenregeln für den Umgang untereinander und TeambuildingMaßnahmen wirksam. Wie leistungsbasierte Wertschätzung geför­ dert werden kann, ist eine Frage von gelingendem Feedback, das im folgenden Abschnitt 6.3 eine eigene Betrachtung verdient. Auch gleichwertigkeitsbasierter Respekt lässt sich durch Klassenregeln, die Rederecht und Kommunikationsregeln festlegen, unterstützen. Ebenso helfen demokratische Abstimmungen den Schüler:innen das Gefühl zu geben, auf Augenhöhe ernst genommen zu werden. 6.2.2  Anerkennung in der Lehrkraft-Schüler:innen-Beziehung

Lehrkräfte sind in ihrem Einfluss auf ihre Schüler:innen nicht zu unterschätzen. Gute Lehrkräfte ermöglichen neben einer steilen Kompetenzentwicklung, auch stabile intrinsische Motivation, Anerkennung in der Schule

121

Selbstregu­la­­tionsfähigkeit und Wohlbefinden ihrer Schüler:innen. Da Schüler:in­­nen – wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben – motivierter und produktiver sind, wenn sie in einem Anerkennungsumfeld lernen, das von Zuneigung, Wertschätzung und Respekt geprägt ist, sollten optimalerweise auch Lehrkräfte Quelle dieser Anerkennung sein. Andererseits sind in diesen Bereichen dem Einfluss einer Lehrkraft natürliche Grenzen gesetzt. Lehrkräfte können den Schüler:innen gegenüber zugewandt sein, einen warmherzigen Umgang pflegen und in der Klasse den Aufbau eines freundschaftlichen Klimas unterstützen. Den emotionalen Bedürfnissen aller 20 bis 30 Schüler:innen einer Klasse individuell gerecht zu werden, liegt jedoch außerhalb der Kapazitäten der verantwortlichen Lehrkraft. Auch bezogen auf die leistungsbasierte Wertschätzung muss sich die Lehrkraft auf ihren Handlungsspielraum beschränken, der darin liegt, angemessen herausfordernde Aufgaben zu stellen, transparente und wirksame Rückmeldungen zu geben. Eine individuell abgestimmte Wertschät­zung, die den Kompetenzen der Schüler:innen in der Breite gerecht wird, ist meist nicht möglich. Auf den ersten Blick ist die Kommunikation gleichwertigkeitsbasierten Respekts ebenfalls nicht trivial, da er augenscheinlich mit der Autoritätsposition der Lehrkraft konfligiert. Am Beispiel der Lehrperson lässt sich das Verhältnis von Autorität und Respekt auf Augenhöhe gut praktisch verdeutlichen. Im Klassenraum gibt es unstrittig ein Machtgefälle zwischen Lehrkraft und Schüler:innen. Die Lehrkraft kann Schüler:innen mit Noten bewerten, den Unterrichtsablauf leiten, Hausaufgaben bestimmen und ggf. Fehlverhalten sanktionieren. Aus der Anerkennungsperspektive lassen sich aber durchaus Möglichkeiten ableiten, um mit diesem Statusgefälle produktiv umzugehen. Problematisch ist – nicht nur im Klassenzimmer – eine Autorität, die sich allein in der formalen Position begründet. Hier zeigt sich das Machtgefälle für die niedriger gestellten Personen als ein Vorenthalten von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt. Mitsprachemöglichkeiten werden nicht gewährt und eine Interaktion auf Augenhöhe findet nicht statt. Es bieten sich aber zwei Wege an, um Autorität kompatibel mit einem anerkennenden Beziehungsaufbau zu gestalten. Erstens lässt sich Autorität durch hohe Kompetenz der Lehrkraft legitimieren. Derart begründete leistungsbasierte Status122

Anerkennung und Selbstanerkennung in Therapie und Beratung

unterschiede können eine Hie­rarchie etablieren, in der Ungleich­ behandlungen nicht als respektlos erlebt werden (Decker u. van ­Quaquebeke, 2016). Für Lehrkräfte ist es demnach wichtig, fachliche, fachdidaktische und pädagogische Kompetenzen zu erwerben und stetig auf den neuesten Stand zu bringen. Zweitens lassen sich die statusbedingten Ungleichbehandlungen im Klassenzimmer durch respektvolle Einbeziehung und Kommunikation von Gleichheit auf anderen Ebenen kompensieren. Methoden, um gleichwertigkeitsbasierten Respekt trotz Statusgefälle zu kommunizieren, sind z. B. den Schüler:innen bei organisatorischen Fragen oder inhaltlicher Schwerpunktsetzung ein Mitbestimmungsrecht einzuräumen. Wenn es Lehrkräften gelingt, die gemeinsame Zielsetzung des Erreichens von Lernzielen zu betonen, entsteht eine Basis für Gleichheit auf einer übergeordneten Ebene. Insofern lassen sich Anerkennungsprozesse nutzen, um eine Basis für effektive Methoden der Klassenführung zu legen. Anerkennung in der Lehrkraft-Schüler:innen-Beziehung ist aller­­ dings keine Einbahnstraße. Während sich der größte Teil der For­­ schungs­­literatur mit der Fragestellung beschäftigt, wie Lehrkräfte an­­ gemes­­sene Rückmeldungen an Schüler:innen geben können, ist die Gegenrichtung kaum beforscht. Dabei ist mangelnde Wertschätzung im Lehrerberuf durchaus ein relevanter Stressor und das gilt sowohl für gesellschaftliche Wertschätzung (Blömeke, 2005; Köller, Stuckert u. Möller, 2019) als auch für wahrgenommene Wertschätzung durch Schüler:innen. Unsere Forschung liefert erste Hinweise, dass Lehrkräfte, die das Gefühl haben ihre Arbeitsleistung werde von Schüler:innen nicht gesehen, zu emotionaler Erschöpfung neigen (Renger, Köller u. Klusmann, 2019). Es gibt außerdem Hinweise da­ rauf, dass die Wertschätzung durch Schüler:innen von Lehrkräften zusätzlich systematisch unterschätzt wird. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, geeignete Instrumente zur Rückmeldung und allgemein zur Förderung wechselseitiger Anerkennung zwischen Lehrkräften und Schüler:innen zu entwickeln.

Anerkennung in der Schule

123

Die dreiteilige Schablone der Anerkennung hilft dabei, sozia­le Prozesse im Klassenzimmer differenziert zu analysieren. Schüler:innen lernen am besten in einem Klassenklima, das ihnen die Erfahrung von Zuneigung, Wertschätzung und Respekt ermöglicht. Auch Lehrkräfte können versuchen, im Rahmen der Möglichkeiten die Prozesse anzustoßen und zu unterstützen. Wenn Lehrkräfte ihre Autorität durch Kompetenz legitimieren, fällt es leichter – trotz hierarchischem Gefälle – gleichwertigkeitsbasierten Respekt gegenüber Schüler:innen zu kommunizieren.

6.3 Pädagogisches Feedback und Anerkennung 6.3.1  Was ist Feedback?

Der Begriff Feedback bezeichnet in menschlicher Kommunikation die Rückmeldung durch den Empfänger oder die Empfängerin einer Information an den Sender oder die Senderin dieser Information. Das Konzept spielt eine zentrale Rolle in der Kybernetik, in der Feedback die Rückmeldung beschreibt, ob in Regelkreisläufen der SollZustand einer Regelgröße erreicht ist. Inwieweit die Analogie bei Anwendung auf menschliche Informationsverarbeitung trägt, ist fraglich, aber Feedback ist zum zentralen Konzept in pä­­dagogischer Praxis geworden. In der Pädagogik bzw. pädagogischen Psychologie wird unter Feedback eine Information verstanden, die einer Person eine Rückmeldung zu einer Leistung oder einem Verstehensprozess gibt (Hattie u. Timperley, 2007). 6.3.2  Was ist gutes pädagogisches Feedback?

Feedback wird häufig als die pädagogische Intervention schlechthin behandelt, die Lernprozesse bei Schüler:innen unterstützen und fördern soll. Jedoch zeigt die Empirie, dass Feedback (selbst wenn es korrekte Informationen enthält), in seiner Wirksamkeit 124

Anerkennung und Selbstanerkennung in der Pädagogik

deutlich variiert, je nachdem wie es kommuniziert wird. In einer aktuellen Publikation wurden die Ergebnisse von über 1400 Metaanalysen analysiert, die zusammengenommen die Daten von ca. 300  Millionen Schüler:innen berücksichtigten (Hattie u. Zierer, 2019). Den Autoren war es auf diesem Weg möglich, den Einfluss von 255 verschiedenen Aspekten und Methoden des Unterrichts auf die Leistungen der Schüler:innen zu untersuchen. Die untersuchten päda­gogischen Randbedingungen und Interventionen zeigten im Durchschnitt eine mittelgroße Effektstärke (d. h. Effektivität) in Bezug auf Schülerleistungen (in statistischen Termini d = ca. 0,40). Gemessen an diesem Vergleichsmaßstab zeigten Metaanalysen, die den Einfluss von Feedback auf Lernleistungen untersuchten, einerseits eine beeindruckende durchschnittliche Effektstärke von d = 0,70 und andererseits eine auffällig große Streuung der Effektstärken. Inhaltlich bedeutet dies, dass Feedback kein Selbstzweck ist und Feedback, je nachdem wie es »verabreicht« wird, sehr unterschiedlich effektiv die Lern- und Verstehensprozesse unterstützt. Aus alltagspsychologischer Perspektive mögen die folgenden, konkreten Befunde überraschen: Zu den schwächsten Formen von Feedback gehörten die »klassischen Motivatoren« z. B. Lob, Belohnung und Bestrafung. Feedback entfaltete in den empirischen Untersuchungen erst dann seine leistungssteigernde Wirkung, wenn konkrete informative Rückmeldungen über ggf. nötige Korrekturen enthalten waren. Was Feedback zu einem mächtigen Tool in Lernkontexten macht, ist seitdem ausführlich empirisch untersucht worden. Hattie und Timperley (2007) betonen, dass Feedback als zentrale Funktion hat, die Diskrepanz zwischen aktuellem und erwünschtem Verstehen einer Aufgabe zu reduzieren. Effektives Feedback enthalte deshalb die Antwort auf drei Fragen: Was ist das Ziel? Was genau mache ich richtig oder falsch? Was sollte ich als Nächstes tun? Wenn Feedback einer Lernenden oder einem Lernenden diese Informationen bereitstellt, ist der mögliche Lernerfolg am größten. Hier wird auch der Unterschied zwischen Feedback und der in diesem Buch fokussierten Anerkennung deutlich. Pädagogisches Feedback zielt auf optimierte Verstehens- und Lernprozesse, Anerkennung versorgt Individuen hingegen mit zentralen Informationen zur Identitätsbildung. Auch Feedback-Forscher:innen räumen diese Funktion Pädagogisches Feedback und Anerkennung

125

in ihren Modellen ein. Hattie und Kolleg:innen bezeichnen diese Form von Feedback als »feedback about the self as a person«, sprechen ihr aber einen substanziellen Einfluss auf Lernleistungen ab (Hattie u. Timperley, 2007). Da in den erwähnten Untersuchungen von John Hattie jeweils ausschließlich die unmittelbare Leistung in Schulkontexten als maßgebliches Kriterium betrachtet wurde, ist diese Position nicht überraschend. Ein aufgabenbezogenes Feedback kann die Leistungsfähigkeit in genau dieser Aufgabe natürlich wesentlich effektiver steigern, als eine möglicherweise ausgelöste Änderung im Selbstbild dies unmittelbar vermitteln könnte. Insofern haben Feedback, wie es im pädagogischen Kontext häufig als Aufgabenunterstützung verstanden wird, und Anerkennung, die Personen mit relevanten selbstbildformenden Informationen versorgt, sehr unterschiedliche Funktionen. Die Feedback-Forschung kann dennoch einen Input geben, wann die Wertschätzung der Leistungsfähigkeit einer Person am ehesten auch unmittelbar leistungssteigernd wirken kann. Hier zeigen empirische Befunde, dass eine positive Rückmeldung an eine Person besonders dann effektiv wirkt, wenn weniger das Talent oder das Wissen einer Person, sondern eher die Anstrengungsbereitschaft und das Engagement wertgeschätzt wird. Für letzteres ist es der angesprochenen Person am ehesten möglich, eigenständig eine Veränderung zu erreichen.

Pädagogisches Feedback unterstützt Lern- und Verstehens­ prozesse und ist am wirksamsten, wenn es möglichst konkrete Hilfestellungen enthält, wie die Empfängerin oder der Empfänger zukünftig mit einer Aufgabe umgehen soll. Feedback ist somit primär aufgabenbezogen. Anerkennung zielt dagegen auf das Selbstbild des Empfängers bzw. der Empfängerin.

126

Anerkennung und Selbstanerkennung in der Pädagogik

7

Anerkennung und Selbstanerkennung in Therapie und Beratung

In Abschnitt 5.1 haben wir uns bereits damit beschäftigt, dass An­­ erkennungserfahrungen und ihre Verinnerlichung in positiver Selbstanerkennung wichtige Rollen für Zufriedenheit, Wohlbefinden und psychische Gesundheit spielen. Dies impliziert jedoch auch, dass Defizite in der (Selbst-)Anerkennung Zufriedenheit, Wohlbefinden und psychische Gesundheit verringern können. Dass die Aufrechterhaltung von psychischer Gesundheit nicht leicht ist, zeigen aktuelle Daten, die darauf hinweisen, dass innerhalb eines Jahres etwa ein Drittel aller Menschen in Deutschland eine oder mehrere klinisch bedeutsame psychische Erkrankungen aufweist. Nicht erst seit der Covid-19-Pandemie sind dabei immer mehr junge Menschen betroffen. Psychische Erkrankungen sind für das Individuum, aber auch für Familien und letztendlich aufgrund steigender Krankheitstage und Behandlungskosten auch aus wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Perspektive problematisch. Die häufigsten Diagnosen betreffen Angststörungen, affektive Störungen, zu denen auch Depressionen zählen, und Störungen durch Alkohol- oder Medikamenten­konsum. In diesem Kapitel widmen wir uns dem möglichen Zusammenhang zwischen (Selbst-)Anerkennung und psychischen Erkrankungen (vgl. Abschnitt 7.1). Anschließend leiten wir daraus Implikationen für Therapie und Beratung ab (vgl. Abschnitt 7.2).

Pädagogisches Feedback und Anerkennung

127

7.1 ( Selbst-)Anerkennung und psychische Erkrankungen 7.1.1  Defizite in der Selbstanerkennung im Zentrum psychischer Erkrankungen

Als Selbstwertproblematiken bezeichnete Defizite stehen im Zen­ trum vieler psychischer Erkrankungen (Beck u. Alford, 2014). Die soziale Phobie beispielsweise ist laut dem internationalen Klassifikationssystem ICD-10 definiert als »Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen, die zu Vermeidung sozialer Situationen führt. Umfassendere soziale Phobien sind in der Regel mit niedrigem Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik verbunden. Sie können sich in Beschwerden wie Erröten, Händezittern, Übelkeit oder Drang zum Wasserlassen äußern. Dabei meint die betreffende Person manchmal, dass eine dieser sekundären Manifestationen der Angst das primäre Problem darstellt. Die Symptome können sich bis zu Panikattacken steigern.« (DIMDI, 2019) Die erwähnte »Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen« und ein »niedriges Selbstwertgefühl« geben Hinweise darauf, dass betroffene Menschen unter suboptimaler Selbstanerkennung leiden könnten. Auch am Beispiel der Depression stehen Themen der Selbstanerkennung im Zentrum. Laut ICD-10 leiden Betroffene einer depressiven Episode »unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor.« (Ausschnitt, DIMDI, 2019)

128

Anerkennung und Selbstanerkennung in Therapie und Beratung

Laut Potreck-Rose und Jacob (2018) sind Selbstwertproblematiken darüber hinaus bei Zwangsstörungen, Essstörungen und Borderline-­ Persönlichkeitsstörungen zu beobachten. Auch wenn, wie so oft, nicht ganz eindeutig definiert ist, was jeweils mit Selbstwertgefühl oder Selbstvertrauen gemeint ist, so wird doch deutlich, dass Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, oftmals keine optimale Beziehung zu sich selbst haben, d. h. eine niedrige Selbstanerkennung auf einer oder allen drei Dimensionen aufweisen. Diese Zusammenhänge konnten auch in der Forschung belegt werden. In Längsschnittstudien zeigte sich beispielsweise, dass ein niedriges globales Selbstwertgefühl mit mehr depressiven Symptomen zu einem späteren Messzeitpunkt zusammenhängt (Sowislo u. Orth, 2013). Tafarodi und Swann (1995) fanden darüber hinaus Hinweise ­darauf, dass sowohl Defizite in der emotionalen Komponente (Selbstliebe), als auch in der Kompetenzkomponente (Selbstwertschätzung) zu­­ sam­men mit depressiven Symptomen auftreten. 7.1.2  Die Rolle von (Selbst-)Anerkennung bei der Entstehung psychischer Erkrankungen

Die Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Erkran­ kungen wird seit den 1970er Jahren durch das sogenannte bio-psycho-­ soziale Modell erklärt (Egger, 2005). Als biologische Faktoren werden genetische Veranlagungen, aber auch Verletzungen sowie Viren oder Bakterien bezeichnet, die bspw. zu Störungen im Neurotransmittersystem führen können. Unter psychischen Faktoren werden hingegen Gedanken (Einstellungen, Erwartungen), Gefühle und Verhaltensweisen einer Person gezählt, die die Reaktionen auf Stressoren und Bewältigungsstrategien beeinflussen. Als soziale Faktoren gelten beispielsweise der sozioökonomische Status einer Person, soziale Netzwerke sowie Arbeits-, Wohn- und Lebens­verhältnisse einer Person. Alle drei Faktoren (biologische, psychische und soziale) stehen in Wechselwirkung miteinander und es wird davon ausgegangen, dass ein Ungleichgewicht bei einem oder mehreren Faktoren die psychische Gesundheit eines Menschen aus der Balance bringen kann. Was kann nun die Anerkennungsperspektive zum Verständnis und zum Umgang mit psychischen Erkrankungen beitragen? Wie (Selbst-)Anerkennung und psychische Erkrankungen

129

in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich beschrieben, muss Anerkennung im sozialen Miteinander erfahren werden, damit sie vom Individuum verinnerlicht werden kann und zu einem stabilen Selbstbild bzw. Selbstanerkennung führt. Im bio-psycho-­sozialen Modell sind diese Prozesse den sozialen Faktoren zuzuordnen. Diese thematisieren, welche sozialen Einflüsse auf eine Person einwirken und welche Erfahrungen sie in der sozialen Welt macht. Defizite auf allen drei Anerkennungsebenen könnten hier eine Rolle spielen. Fehlende Zuneigung, insbesondere in den ersten ­Lebensjahren, kann einen suboptimalen Bindungstyp zur Folge haben (vgl. Ab­­ schnitt 4.2.1), der auch im Erwachsenenalter bestehen bleibt. Bei Er­wach­senen drückt sich bspw. ein unsicher-vermeidender Bindungsstil durch einen eingeschränkten Zugang zu eigenen Gefühlen, durch Betonung von emotionaler Unabhängigkeit und durch das Verleugnen von Hilfebedarf aus. Ein unsicher-ambivalenter Bindungsstil zeichnet sich durch das Überbetonen von Gefühlen aus und durch die unselbstständige Suche nach Hilfe (Trost, 2018). Dass Defizite im, sich in den ersten Lebensjahren entwickelnden, Bindungsmuster und in der Selbstliebe in Zusammenhang mit späteren psychischen Erkrankungen stehen, wurde bereits früh empirisch nachgewiesen und vielfach bestätigt (vgl. Bowlby, 1944; Cassidy u. Shaver, 2016). Nicht sicher gebundene Kinder oder Erwachsene haben unter anderem ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Angststörungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Suchtstörungen, schizophrenen Psychosen sowie Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) (vgl. Trost, 2018). Unzureichende Erfahrungen von sozialer Wertschätzung tragen dazu bei, dass sich eine Person nicht als kompetente, selbstwirksame Person erleben kann. Das Gefühl nichts zu können oder beizutragen kann die im Rahmen von psychischen Erkrankungen beschriebenen Gefühle von Wertlosigkeit verstärken (Beck u. Alford, 2014). Das Fehlen von Respekterfahrungen und in der Folge die Mög­ lichkeit Selbstrespekt auszubilden, können ebenso als soziale Faktoren im bio-psycho-sozialen Modell betrachtet werden. Nicht als gleichwertiges Gegenüber ernst genommen und behandelt zu werden führt langfristig dazu, dass eine Person keinen eigenständigen 130

Anerkennung und Selbstanerkennung in Therapie und Beratung

Raum für sich selbst wahrnehmen kann und somit nicht das Ge­­fühl hat, selbstbestimmt zu handeln (vgl. Abschnitte 4.3 u. 5.2.3). Dies wird beispielsweise verstärkt durch bestimmte Erziehungsstile (vgl. Abschnitt 6.1.1). Ein überbehütender Erziehungsstil kann z. B. mit erhöhten Symptomen sozialer Phobie verbunden sein (Lieb et al., 2000). Ein überbehütender und kontrollierender Erziehungsstil bedeutet unter anderem, dass einem Kind altersgerechte Aktivitäten nicht erlaubt werden, was in Anerkennungstermini einen Mangel an Respekt darstellt, da dem Kind nicht erlaubt wird, eigene Entscheidungen zu treffen und selbstbestimmt zu handeln. Ebenso wurde ein zurückweisender, ablehnender bzw. bestrafender Erziehungsstil mit einem erhöhten Risiko für soziale Phobie in Verbindung gebracht. Durch unangemessene bzw. zu harte Bestrafung oder Gewalt gegen Kinder werden von Eltern offensichtlich alle drei Formen der sozialen Anerkennung verletzt. Auf diesen Wegen können soziale Phobien demnach über eingeschränkte Möglichkeiten, sich selbst als liebenswertes, kompetentes und/oder gleichberechtigtes Individuum zu begreifen, mitgeformt werden. Abschwächende Effekte wurden auf der anderen Seite für elterliche Wärme und Fürsorge gefunden (Eun, Paksarian, He u. ­Merikangas, 2018). Diese verringern die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen. Neben den sozialen Faktoren werden auch die psychischen Faktoren im bio-psycho-sozialen Modell direkt bzw. indirekt durch Anerkennungserfahrungen beeinflusst. Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen von Menschen unterscheiden sich in Abhängigkeit davon, welche Ausprägung an Selbstanerkennung vorliegt. Eine Person, die sich selbst als gleichberechtigt sieht, hat zwangsläufig andere Bewältigungsoptionen zur Verfügung als eine Person, die sich selbst nicht als gleichberechtigt wahrnimmt. Eine Person mit ausgeprägtem Selbstrespekt kann sich gegen soziale Stressoren besser behaupten und kann den eigenen psychischen Raum effektiver verteidigen. Wer glaubt, das Recht zu haben, seine Meinung zu äußern, neigt weniger dazu, seinen Ärger in sich hineinzufressen. Auf der anderen Seite nimmt eine Person, die sich selbst nicht als kompetent und wertvoll sieht, ebenfalls andere Stressoren und Bewältigungsmöglichkeiten wahr als eine Person, die eine hohe Selbstwertschätzung hat. Sich im Allgemeinen kompetent und selbstwirksam zu fühlen, ist das (Selbst-)Anerkennung und psychische Erkrankungen

131

Gegenteil der erlernten Hilflosigkeit, die im Kern vieler psychischer Erkrankungen steht (Beck u. Alford, 2014). Darüber hinaus interagieren die psychischen und die sozialen Faktoren mit den biologischen. Dies bedeutet beispielsweise, dass Menschen mit einer bestimmten genetischen Ausstattung eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, psychisch zu erkranken, wenn zusätzlich ungünstige soziale und psychische Faktoren hinzukom­men. Optimale soziale und psychische Faktoren können hingegen dazu führen, dass sich trotz genetischer Veranlagung keine mani­feste psychische Erkrankung entwickelt (Berking, 2012). 7.1.3  Der Mehrwert von Selbstrespekt für Therapie und Intervention

Die Zentralität des Selbstbilds von Menschen für psychische Er­­kran­ kungen wird bisher erst von wenigen Autor:innen hervorgehoben (z. B. Beck u. Alford, 2014; Potreck-Rose u. Jacob, 2018). Hierbei wird aber meist ausschließlich der emotionale Selbstbezug (bei uns Selbstliebe genannt) sowie der kompetenzbasierte Selbstbezug (bei uns Selbstwertschätzung genannt) thematisiert. Selbstrespekt, definiert als Verinnerlichung eigener Gleichberechtigung, wird bislang kaum bzw. überhaupt nicht als potenziell relevantes Selbstbild bei psychischen Erkrankungen genannt. Dieses Selbstbild ist jedoch grundlegend dafür, einen gleichwertigen Platz in der Gesellschaft (oder der Familie) sowie einen eigenen Raum für sich selbst wahrzunehmen, der von anderen nicht ungefragt »betreten« werden darf. Unsere eigene Forschung liefert erste empirische Belege, dass Selbstrespekt mit niedrigeren depressiven Symptomen einhergeht. Dieser Zusammenhang zeigt sich in Studien in sieben bisher unter­­ suchten Ländern, die sowohl westliche (z. B. Deutschland) als auch nicht-westliche Kulturen (z. B. Iran) umfassen (Renger, Reinken, Krys, Gardani u. Martiny, 2022). Selbstrespekt könnte mindestens in zweierlei Hinsicht ein wirksamer Schutzfaktor gegen die Entwicklung depressiver Symptome sein. Erstens sorgt hoher Selbstrespekt dafür, dass eine Person ihren Rechten die gleiche Bedeutung beimisst wie den Rechten anderer. Ist eine Person dazu nicht in der Lage (wie bei niedrigem Selbstrespekt), kann es zu einer übermäßigen Involvierung 132

Anerkennung und Selbstanerkennung in Therapie und Beratung

in die Probleme anderer und zur Selbstvernachlässigung kommen. Es wird dann mehr Wert auf die Ansprüche und Wünsche anderer als auf die eigenen gelegt, was zu einer psychischen Disbalance führen kann. Diese Disbalance kann den Grundstein für eine Depression bilden (Jin, van Yperen, Sander­man u. Hagedoorn, 2010). Darüber hinaus befähigt hoher Selbstrespekt eine Person, selbst­­­ behauptend zu protestieren (vgl. Abschnitt 4.5.1). Dieser eigen­­­ständige, erklärende Effekt von Selbstrespekt bezogen auf Selbst­­­behauptung ist sogar dann robust, wenn für andere Selbsteinschät­zungen wie Selbstliebe, Selbstwertschätzung, globales Selbstwertgefühl und über­stei­ gerte Berechtigungsüberzeugung kontrolliert wird (Renger, 2018). Ein Mangel an Selbstbehauptung wurde kulturübergreifend mit De­­ pressionen in Verbindung gebracht. Das Verstummen und fehlen­de Ausdrücken von Meinungen und Gefühlen (»Silencing the self«) fördert depressive Symptome (Jack u. Ali, 2010; Speed, Goldstein u. Goldfried, 2018). Unsere Forschungsarbeit liefert erste Hinweise darauf, dass geringer Selbstrespekt sowohl mit reduzierter Selbstbehauptung als auch mit vermehrten depressiven Symptomen einhergeht. Genau an dieser Stelle könnte ein Mehrwert für die Therapie von psychischen Erkrankungen gewonnen werden. Viele Therapie­ ansätze enthalten soziale Kompetenztrainings, die Übungen zur Selbstbehauptung im Alltag (z. B. »Nein« sagen können) beinhalten. An dieser Stelle kann ergänzend die Arbeit an den Subfacetten des Selbstbilds eingebracht werden. Es kann z. B. der Frage nachgegangen werden, was genau hinter dem Zögern in Bezug auf Selbstbehauptung steckt (vgl. auch Abschnitt 7.2). Wenn es, wie bei Selbstrespektmangel oft üblich, darum geht, nicht das Gefühl zu haben berechtigt zu sein und etwas zu dürfen, dann können Überzeugungen bzgl. der eigenen Gleichwertigkeit aktiv aufgegriffen werden. An dieser Stelle möchten wir beispielhaft auf einen Ansatz von Dietmar Hansch (2014) hinweisen, der in seinem Buch »Erfolgreich gegen Depression und Angst« ganz explizit auf die Wichtigkeit einer Selbstwahrnehmung als gleichwertig und gleichberechtigt hinweist. Dabei geht es um das Recht, Fehler machen zu dürfen, die eigene Meinung als gleichwertig neben anderen zu sehen, eigenen Bedürfnissen eine gleichwertige Gewichtung zu geben oder auch bestimmt gegen Ungerechtigkeit vorzugehen. Ergänzend dazu kann auch unsere in Abschnitt 5.2.3 vorgestellte Übung zur Fes(Selbst-)Anerkennung und psychische Erkrankungen

133

tigung eines Selbst-Raumes integriert werden. Dieser kann als erster Schritt dabei helfen, einen sicheren Raum für sich selbst zu schaffen und die eigene Berechtigung, einen gleichwertigen Platz in Familie oder Gesellschaft zu besitzen, erlebbar zu machen.

Selbstwertdefizite spielen eine wichtige Rolle im Kontext psychischer Erkrankungen und lassen sich bspw. in den Symp­ tombeschreibungen der sozialen Phobie sowie der Depression finden. Im bio-psycho-sozialen Modell zur Erklärung der Entstehung psychischer Erkrankungen lassen sich Anerkennungserfahrungen unter den sozialen Faktoren einordnen, die die Entwicklung und/oder Aufrechterhaltung eines defizitären Selbstbilds erklären könnten. Während die Rolle von Selbstliebe und Selbstwertschätzung in der Literatur berücksichtigt wird, wurde die Rolle von Selbstrespekt für psychische Erkrankungen bisher wenig thematisiert. Selbstrespekt als verinnerlichte Gleichberechtigung könnte dabei eine oftmals übersehene F ­ acette sein, die unter anderem über mangelnde Selbstbehauptung zu psychischen Erkrankungen und ihrer Aufrechterhaltung beiträgt.

7.2 A  nerkennungsperspektive auf Therapie und Beratung Der differenzierte Blick durch die dreiteilige Anerkennungsbrille kann helfen, Therapie und Beratung in zwei wichtigen Aspekten zu informieren. Erstens hilft er konkreter zu benennen, was unter der oft geforderten »wertschätzenden« Haltung einer/eines Therapeut:in bzw. Berater:in verstanden werden kann. Andererseits ist, wie in den letzten beiden Abschnitten schon angedeutet, die Anerken­ nungsperspektive eine ideale Schablone, um an ihr Hypothesen über Defizite im Sozialleben und Selbstbild von Patient:innen und Klient:innen zu generieren. 134

Anerkennung und Selbstanerkennung in Therapie und Beratung

7.2.1  Eine anerkennende Haltung in Therapie und Beratung

Wenn es um die angemessene Haltung eines Therapeuten oder ei­­ ner Beraterin geht, lässt sich kaum eine Beschreibung finden, die nicht die Begriffe der Wertschätzung oder des Respekts ins Zentrum rückt. Erschreckend häufig wird allerdings nicht konkretisiert, wie sich diese Wertschätzung oder Respekt in den Situationen mit den Klient:innen äußern sollte. Wenn man sich klarmacht, wie groß die inhaltliche Spannweite dieser Begriffe ist, wird deutlich, dass das Gefühl, man »wisse schon was damit gemeint sei«, durchaus trügen kann. Wertschätzung als Grundprinzip der therapeutischen Haltung ist am prominentesten in der personzentrierten Gesprächstherapie formuliert. Dort zählt die »bedingungslose positive Wertschätzung« neben »Empathie« und »Kongruenz« zu den Grundhaltungen von Therapeut:innen (Rogers, 1981). Gemeint sind hierbei eine Akzeptanz und Annahme von Klient:innen, ohne sie für ihre Gedanken und ihr Verhalten zu bewerten. Diese bedingungslose positive Zuwendung bereitet den Boden für therapeutische Entwicklungen. In anderen Worten ist Veränderung für Klient:innen am ehesten möglich, wenn die Beraterin oder der Therapeut in Anerkennungsvorschuss geht und den Klient:innen bedingungslos die Erfahrung von Anerkennung ermöglicht. Wenn die Beraterin bzw. der Therapeut nach Ansatzpunkten sucht, um Klient:innen dieses Gefühl in der Praxis ganz konkret zu vermitteln, kann die dreiteilige Anerkennungsperspektive helfen, an die Breite dieser Erfahrungen zu erinnern. Idealerweise schafft ein Therapeut eine Beziehung, in der die Klient:innen sich emotional geborgen (bedürfnisbasierte Zuneigung), hinsichtlich ihrer Eigenschaften und Beiträge wertgeschätzt (soziale Wertschätzung) und auf Augenhöhe ernstgenommen (gleichwertigkeitsbasierter Respekt) fühlt. 7.2.2  Anerkennungshypothesen

Die Anerkennungsperspektive ermöglicht es Therapeut:innen in der Therapie von psychischen Erkrankungen, bei denen ein Mangel an Anerkennungserfahrungen sowie eine suboptimale Selbstanerkennung vorliegt, gezielt entlang der drei Dimensionen nach Problemen und Ansatzpunkten für Interventionen zu suchen. Auch Anerkennungsperspektive auf Therapie und Beratung

135

im Beratungskontext mit psychisch gesunden Personen bietet die Anerkennungsschablone vielfältige Anknüpfungspunkte für die Erklärung negativer Selbstbilder sowie zwischenmenschlicher Probleme. Insbesondere die Thematisierung von Selbstrespekt, der bisher sowohl in der wissenschaftlichen Theorie als auch in der Praxis vernachlässigt wurde, bringt unserer Erfahrung nach häufig einen Aha-Effekt mit sich. Herauszuarbeiten, dass neben einem Gefühl von »Ich mag mich« und »Ich kann etwas« auch noch das »Ich darf etwas« relevant ist und eine von den anderen unabhängige Facette darstellt, bringt neuartige Lösungsmöglichkeiten ins Blickfeld. Auch in der Beratung mit Personen, die ihr Leben durchaus sehr gewissenhaft reflektieren, hilft der Blick durch die dreiteilige Brille oft, wichtige tote Winkel des Lebens zu betrachten. Klientin B. (19 J.) beschreibt eine belastende Unsicherheit mit ihrer Studienwahl und dem Gefühl, sich selbst die Freiheit der Entscheidung für ihre Interessen, die vor allem im musischen Bereich liegen, nicht zuzugestehen. Auf der Suche nach ihren sozialen Ressourcen betont sie in eigenen Worten, dass die Beziehungen zu Familie und Freunden stets liebevoll und gleichzeitig die schulischen Noten und Rückmeldungen immer eine Quelle von Stolz waren. Was solle da fehlen? In der Beratung wurde erst später deutlich, dass die Interaktionen in der Familie zwar liebevoll und voll Lob waren, aber wirklich eigenständige Entscheidungen selten unterstützt wurden und sich B. als sehr eingeschränkt und unberechtigt erlebte.

Hier zeigte sich, wie – bezogen auf die drei unterschiedenen Anerken­ nungsformen – ein Mangel an gleichwertigkeitsbasiertem Respekt in der Jugend berichtet wurde. Entsprechend berichtete die Klientin auch vom Gefühl, sich selbst eigenständige Entscheidungen nicht zu erlauben. Selbstrespekt, definiert als das Gefühl Rechte zu haben, war in diesem Fall ein guter Ansatzpunkt, um durch Selbstreflexion und geeignete Interventionen mit der Klientin zu arbeiten.

136

Anerkennung und Selbstanerkennung in Therapie und Beratung

Der Wunsch nach Wertschätzung und Anerkennung oder die Frage nach der Selbstwahrnehmung sind in fast allen psycho­ sozialen Beratungssituationen früher oder später relevant. Ein Blick durch die dreiteilige Brille der (Selbst-)Anerkennung kann helfen, systematisch Hypothesen zu diesen Themen zu generieren.

Anerkennungsperspektive auf Therapie und Beratung

137

8

 nerkennung und Selbstanerkennung A im Arbeitskontext

Vollzeiterwerbstätige Menschen verbringen von Berufseintritt bis zum Rentenalter im Mittel fast ein Viertel ihrer Zeit am Arbeitsplatz (Destatis, 2019). Sie treten dort in Austausch zu aufgabenbezogenen aber auch zu sozialen Themen mit Kolleg:innen, Vorgesetzten, Kund:innen oder Patient:innen. Auch hier spielt Anerkennung in der verbalen aber auch in der nonverbalen Kommunikation eine Rolle und wird von Arbeitnehmer:innen auch explizit als wichtiger Arbeitswert gewünscht. Abschnitt 8.1 widmet sich daher zunächst der Frage, was ein anerkennendes Arbeitsklima für Arbeitskräfte im Hinblick auf ein erfüllendes Arbeitsleben sowohl bereits bei der Berufswahl als auch für langfristige Zufriedenheit im Job bedeutet. In Abschnitt 8.2 und 8.3 gehen wir dabei explizit auf die Rolle von Anerkennungsprozessen für die Produktivität und die Mitarbeiter:innenführung ein. Abschnitt 8.4 schließt mit einer Anerkennungsperspektive auf Burnout, einer der Schattenseiten von Arbeitsbelastung.

8.1 Anerkennendes Arbeitsklima Wie wichtig ein anerkennendes, wertschätzendes Arbeitsklima ist, wird leider oft erst dann sichtbar, wenn es fehlt. Respektlose Arbeitsbeziehungen (auch oftmals als »workplace incivility« bezeichnet) und Mobbing sind schwerwiegende Risiken für psychische Gesundheit und stärkster Prädiktor für geringe Arbeitszufriedenheit (Cortina, Magley, Williams u. Langhout, 2001). Als Quelle dieser negativen Interaktionen kommen sowohl Vorgesetzte als auch Kolleg:innen in Frage – für beide Gruppen sind die schwerwiegenden Folgen bei Anerkennendes Arbeitsklima

139

den betroffenen Personen dokumentiert (Schilpzand, Pater u. Erez, 2016). Die Konsequenzen von anhaltendem Mobbing können dabei eine breite Palette psychischer Probleme umfassen, darunter sogar klinische Diagnosen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD; Leymann u. Gustafsson, 1996). In einer umfangreichen Studie zu den Einflussfaktoren auf die Arbeitszufriedenheit in allen Staaten der Europäischen Union zeigten sich Belästigungs- und Mobbingerfahrungen am Arbeitsplatz als der stärkste negative Einfluss. Respektvoller Umgang der Führungspersonen dagegen als einer der stärksten positiven Prädiktoren der Arbeitszufriedenheit (Hammermann u. Stettes, 2013). Interessanterweise sind negative Folgen von Mobbing nicht nur für die direkten Opfer, sondern auch für Zeug:innen der Vorfälle dokumentiert worden (Schilpzand et al., 2016). Entsprechend ist es nicht überraschend, dass Arbeitnehmer:innen Anerkennung am Arbeitsplatz als wichtigen Arbeitswert angeben. In Befragungen von über 900 Arbeitnehmer:innen in Deutschland fanden van Quaquebeke, Zenker und Eckloff (2009), dass Respekt von und für Vorgesetzte und Kolleg:innen zu den wichtigsten Arbeitswerten zählte. Der Wunsch nach positivem Arbeitsklima ist tendenziell in jün­­ geren Generationen größer (Otto u. Remdisch, 2015). Dieser Befund, dass auch Berufsanfänger:innen sich einen Arbeitsplatz mit einer positiven Anerkennungskultur wünschen, ist mit Blick auf die Befunde in der Arbeits- und Organisationspsychologie sehr weitsichtig. Denn positive Anerkennungserfahrungen zwischen Kolleg:innen stehen in engem Zusammenhang mit Gesundheit, Arbeitszufriedenheit und Engagement. Eine im Sommer 2021 in der Fachzeitschrift Science veröffentlichte längsschnittliche Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen einem positiven Arbeitsklima und depressiven Symptomen mit über 1000 Arbeitnehmer:innen, die zum ersten Zeitpunkt der Studie keine Symptome einer Depression (Major Depression) zeigten. Diejenigen Arbeitnehmer:innen, die ein psychologisch unsicheres Arbeitsklima beschrieben, hatten ein Jahr später ein dreimal höheres Risiko, depressive Symptome entwickelt zu haben als Mitarbeiter:innen in einem positiveren Arbeitsumfeld (Zadow, Dollard, Dormann u. Landsbergis, 2021). Ein Arbeitsumfeld, in dem positive Interaktionen, emotionale Unterstützung und zwischenmenschliche Nähe gelebt 140

Anerkennung und Selbstanerkennung im Arbeitskontext

werden, führt sogar zu unmittelbaren und anhaltenden positiven Auswirkungen auf physiologische (d. h. körperliche) Systeme, z. B. geringere Belastung des Herz-Kreislauf-Systems und verbesserte Immunreaktionen (Heaphy u. Dutton, 2008). Aus einer traditionelleren Perspektive auf Arbeitsprozesse, die auf Time-on-Task (d. h. möglichst viel reine Arbeitszeit) fokussiert, bietet der Arbeitsplatz kaum Raum für Anerkennungserfahrungen. Diese Blickweise lässt einen Trade-Off zwischen positiven zwischenmenschlichen Interaktionen und aufgewendeter Zeit für die Tätigkeiten befürchten. Die Befunde, die ein positives Arbeitsklima mit mehr Engagement, Produktivität, mehr arbeitsbezogenem Lernen, besserer Fehlerkultur und Kreativität in Verbindung bringen, widersprechen hier jedoch eindrucksvoll der Sichtweise, dass positiver Austausch am Arbeitsplatz der Produktivität im Weg stehen könnte (z. B. Carmeli u. Gittell, 2009; Geue, 2018). Andererseits ist auch wichtig zu betonen, dass mit positivem Arbeitsklima primär die Qualität und nicht die Quantität von Mitarbeiter:innen-­Interaktionen gemeint ist. Die bisher zitierten Quellen bleiben allerdings häufig schwammig dahingehend, welche Arten von Interaktionen sich hinter dem Prädikat positiv verbergen oder untersuchen eine sehr breite Anzahl unterschiedlicher sozialer Prozesse. Die bisher beschriebenen Untersuchungen differenzieren also positive Interaktionen in der Regel nicht dahingehend, ob sich die positiven Interaktionen auf persönliche zwischenmenschliche Sympathie und Zuneigung, positive Wertschätzung der Leistungsfähigkeit oder Respektbekundungen beziehen. Dass hier unterschiedliche Wirkungen angenommen werden können, ist jedoch naheliegend. Während emotional unterstützende Interaktionen und Zuneigung zwischen den Mitarbeiter:innen ein Klima schaffen, in dem Menschen gesünder mit po­­ten­­ziellem Stress umgehen können und zufriedener den Weg zur Arbeit antreten, ist leistungsbezogenes wertschätzendes Feedback das Paradebeispiel für diejenige Rückmeldung, die unmittelbar Produktivität und Engagement fördern kann. Gleichwertigkeitsbasierter Respekt und gewährte Autonomie am Arbeitsplatz sind darüber hinaus Determinanten von Kreativität und Identifikation mit der eigenen Arbeit. Die Erkenntnis, dass »positive Interaktionen« dem Arbeitsumfeld guttun würden, ist in der Praxis nicht wirklich hilfreich. Um Anerkennendes Arbeitsklima

141

Defizite im Arbeitsklima zielgenau adressieren zu können, bieten wir auf Basis der Anerkennungsschablone Ansatzpunkte, wie sich das Arbeitsklima konkret anerkennender gestalten lässt. Um einen freundlichen Austausch zwischen Mitarbeiter:innen zu fördern, der die Verbundenheit und Team-Kohäsion steigert, sind – wenig überraschend – alle betrieblichen Maßnahmen geeignet, die den Raum für nicht-arbeitsbezogene Kommunikation bieten. Neben Betriebsfeiern und Ausflügen können dies z. B. auch gemeinsame sportliche Aktivitäten am Arbeitsplatz sein (Andersen et al., 2015). Um hingegen die leistungsbasierte Wertschätzung zwischen den Mitarbeiter:innen zu fördern, wurden umfangreiche Trainings (z. B. Knesek, 2015) und Feedbacksysteme entwickelt, die kontinuierliches (auch Peer-to-Peer-)Feedback in den Arbeitsablauf implementieren (z. B. IBS Center for Management Research, 2020). Steigerung der arbeitsbezogenen Selbstwertschätzung kann außerdem erreicht werden, wenn durch sogenannte Enrichment-Programme den Mitarbeiter:innen die Möglichkeit gegeben wird, zusätzliche Qualifikationen abseits der normalen Arbeitsroutinen zu erwerben (z. B. Parker, 1998). Um einen respektvollen Arbeitsplatz zu unterstützen, sind ebenfalls eine Vielzahl von Interventionen entwickelt worden, um Diskriminierung und Strukturen des Machtmissbrauchs zu durchbrechen oder vorzubeugen. Die meisten Interventionen fokussieren auf Aufklärung und Optimierung der Kommunikations- und Beschwerdestrukturen (vgl. Leiter, Laschinger, Day u. Oore, 2011; Resch u. Schubinski, 1996). Um auch abgesehen von Diskriminierung ein Klima gleichwertigkeitsbasierten Respekts zu schaffen, ist die Ermöglichung von Mitbestimmungsmöglichkeiten auf allen Ebenen der Arbeitsprozesse der effektivste und direkteste Weg.

Positive Interaktionen am Arbeitsplatz spielen nicht nur als Gegenmittel für Mobbing eine große Rolle, sondern sind das Fundament eines produktiven Miteinanders am Arbeitsplatz. Zur genaueren Differenzierung von positiven Interaktionen kann der Anerkennungsansatz verwendet werden. Wechselseitige

142

Anerkennung und Selbstanerkennung im Arbeitskontext

Sympathie und Zuneigung, leistungsbasierte Wertschätzung sowie gleichwertigkeitsbasierter Respekt haben unterschiedliche Auswirkungen und können jeweils mit gezielten Interventionen gefördert werden.

8.2 Anerkennendes Feedback am Arbeitsplatz Im Kontext von pädagogischem Feedback wurde bereits beschrieben, dass Feedback, welches Lernprozesse stützen soll, möglichst klare aufgabenbezogene Hilfestellungen enthalten sollte (vgl. Abschnitt 6.3). Im organisationalen Kontext wird Feedback häufig etwas globaler verstanden und bezeichnet v. a. die Rückmeldung im Sinne einer Evaluation durch Vorgesetzte an Mitarbeiter:innen oder von Mitarbeiter:innen untereinander. Folgende Randbedingungen sollten Feedback-Gebende idealerweise berücksichtigen (de Villiers, 2013; Hattie u. Clarke, 2018): Feedback sollte aufgabenbezogen und handhabbar sein, d. h., es sollte an die zugeteilte Aufgabe und den individuellen Stand der Empfängerin bzw. des Empfängers angepasst sein und kompakt bzw. nicht überkomplex sein. Feedback sollte darüber hinaus je nach Aufgabenart, -schwierigkeit und Motivation der Empfänger:innen zeitlich abgestimmt werden. Bei schweren Aufgaben ist ein verzögertes Feedback von Vorteil, da so meta-kognitive Prozesse und Selbstwirksamkeit gestärkt werden können. Bei leichteren Aufgaben sollte das Feedback unmittelbar erfolgen. Idealerweise sollte Feedback regelmäßig anstatt sporadisch gegeben werden und im besten Fall erbeten anstelle von aufgezwungen sein. Anerkennung und Feedback haben eine sichtbare Schnittmenge und werden in Teilen scheinbar synonym verwendet. Aus diesem Grund widmen wir uns in diesem Abschnitt den konzeptionellen Unterschieden und zeigen auf, wie die Anerkennungsperspektive eine tiefere Analyse von Feedback ermöglicht. In der in Abschnitt 6.3 beschriebenen engen pädagogischen Definition von Feedback wird klar, dass Feedback die direkte Rückmeldung bezüglich der Bearbeitung einer Aufgabe ist. Die FeedbackAnerkennendes Feedback am Arbeitsplatz

143

inhalte adressieren also die Ziele der Tätigkeiten, den Arbeits- oder Verstehensprozess und die nächsten Arbeitsschritte (Hattie u. Timperley, 2007). Anerkennung, wie sie in diesem Buch eingeführt wurde, enthält hingegen primär Informationen über das Selbst. Es informiert Empfänger:innen darüber, inwieweit sie als eine liebenswürdige, wertvolle bzw. gleichberechtigte Person gesehen werden. Neben der Funktion, die bei Feedback auf der Aufgabenunter­ stützung und bei Anerkennung auf der Formung des Selbstbilds liegt, liegt ein weiterer praxisrelevanter Unterschied im auslösenden Moment. Feedback ist in der Regel eine anlassbezogene Rückmeldung, während Anerkennung nicht notwendigerweise einen Anlass braucht und sich unmittelbar an die Empfänger:innen richten kann. Feedback ist hingegen eine Rückmeldung, bei der die Bewertung sichtbar kontingent an ein externes Ereignis bzw. eine Leistung gekoppelt ist. Hier klingt eine Unterscheidung an, die in der Selbstwertfor­ schung eine wichtige Rolle spielt: kontingentes Selbstwertgefühl und nicht-­kontingentes Selbstwertgefühl (vgl. Abschnitt 5.2.4). Da Anerkennung eine Rückmeldung beschreibt, die sich primär auf stabile Merkmale der Person bezieht, kann sie sich direkter und nachhaltiger im Selbst manifestieren. Aufgabenbezogenes Feedback bezieht sich in erster Linie kontingent auf vorliegende Leistungen, deren Qualität ggf. wiederholt auf dem Prüfstand steht. Zusammenfassend wurden Feedback und Anerkennung wie folgt gegenübergestellt: Feedback ist meist aufgabenbezogen, bezieht sich auf vorangegangenes Verhalten und zielt auf die Reduktion der Diskrepanz von Ist und Soll in einem Verstehens- oder Arbeitsprozess. Anerkennung hingegen ist personenbezogen, kommuniziert eine Sicht auf eine andere Person und versorgt die Empfänger:innen mit relevanten Informationen für ihr Selbstbild. Diese theoretische Abgrenzung suggeriert jedoch eine Trennschärfe, die in der Realität meist nicht gegeben ist. Kein Feedback wird in tatsächlicher Kommunikation als nur aufgabenbezogen verstanden und entfaltet nicht auch eine globalere Wirkung auf das Selbstbild der Empfänger:innen. Diese Erkenntnis formulierten Paul Watzlawick und Kolleg:innen (1969) als zweites Axiom ihrer Kommunikationstheorie: »Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt« (Watzlawick, Beavin u. Jackson, 2011, S. 56). Am bekanntesten ist diese Prä144

Anerkennung und Selbstanerkennung im Arbeitskontext

misse durch die Arbeiten von Friedemann Schulz von Thun (1981) geworden. In seinem, auch populär-wissenschaftlich sehr erfolgreichen, »Vier-Ohren-Modell« bringt er in einem eingängigen Bild auf den Punkt, dass jede Form der Kommunikation auf unterschiedlichen Ebenen wirksam werden kann.

Abbildung 2: Das Vier-Ohren-Modell der Kommunikation nach Schulz von Thun (1981)

Dieses Modell bildet ab, dass ein und dieselbe Botschaft durch den Empfänger oder die Empfängerin auf vier unterschiedliche Weisen, quasi mit vier unterschiedlichen Ohren, gehört werden kann (vgl. Abbildung 2). In jeder Kommunikation wird gleichzeitig eine Information (Sachebene), eine Aufforderung (Appellebene) sowie Informationen über den Sender oder die Senderin (Selbstkundgabe) und die Beziehung zum Empfänger oder zur Empfängerin (Beziehungsebene) transportiert. Was wir daraus lernen können, ist, dass jede Form von Kommunikation, auch ein scheinbar ausschließlich aufgabenbezogenes Feedback (»Da hast du gute Arbeit geleistet!«), als Information über die Beziehung zur Senderin oder zum Sender und somit als Information über mich selbst verstanden werden kann (Abbildung 2). Ein Blick durch die dreiteilige Anerkennungsbrille kann also auch im Feedback-Kontext hilfreich sein, denn selbst aus Anerkennendes Feedback am Arbeitsplatz

145

neutral anmutendem Feedback können durch die Empfängerin oder den Empfänger Anerkennungsinformationen herausgelesen werden. Am Beispiel des Lobes lässt sich deutlich machen, wie verschie­ dene Formen von Anerkennung (Zuneigung, Wertschätzung und Respekt) innerhalb einer Kommunikation miteinander im Wechselspiel stehen. Angenommen, Sie müssten sehr kurzfristig für Ihren Vorgesetzten eine Präsentation entwerfen und bitten eine Kollegin im gemeinsamen Büro, ob sie Ihnen helfen könnte, ein Diagramm zu erstellen, da Sie sich sonst in die dafür nötige Software noch aufwändig einarbeiten müssten. Die Kollegin stellt für den Vormittag ihre eigenen Aufgaben zurück und erstellt Ihnen das Diagramm. Was wäre in diesem Fall ein wirklich anerkennendes Feedback? »Da hast du gute Arbeit geleistet!«? Hiermit hätten Sie zweifellos aufgaben- bzw. resultatbezogenes Feedback gegeben. Vielleicht haben Sie aber auch das Gefühl, dass in diesem Satz nicht wirklich eine tiefe Anerkennung gegenüber Ihrer hilfsbereiten Kollegin ausgedrückt wird. Eventuell wird Ihrer Kollegin dieser Satz sogar etwas respektlos vorkommen, weil er verstanden werden kann, als habe sie Ihnen als ungleichwertige, untergebene Hilfskraft zugearbeitet. Vielleicht wird er Ihrer Kollegin als kalt vorkommen, weil er eben sehr aufgabenorientiert ist und den Umstand nicht berücksichtigt, dass hier in Teilen selbstlos geholfen und auf Ihre Bedürfnisse Rücksicht genommen wurde. Wahrscheinlich haben Sie an diesem Punkt erkannt, worauf diese Anmerkungen zielen: Feedback ist dann vollwertig anerkennend, wenn die drei Formen der Anerkennung berücksichtigt werden. »Vielen Dank! Ohne dich und deine super Hilfe hätte ich es nicht geschafft!«. Durch diesen Dank wird auf Augenhöhe kommuniziert und gleichzeitig eine zuneigende Verbundenheit und Wertschätzung transportiert. Natürlich muss nicht jede Rückmeldung ein Kurzessay unter Berücksichtigung von drei Anerkennungsdimensionen sein, aber die dreiteilige Perspektive hilft häufig dabei, Kommunikationen vollwertiger zu gestalten. Menschen suchen in der Kommunikation mit ihren Interaktionspartner:innen Hinweise darauf, ob sie gemocht werden (bedürfnisbasierte Zuneigung), ob ihr Beitrag wertgeschätzt wird (leistungsbasierte Wertschätzung) und ob sie als Gegenüber als gleichwertig ernstgenommen werden (gleichwertigkeitsbasierter 146

Anerkennung und Selbstanerkennung im Arbeitskontext

Respekt). In der Regel ist es nicht schwierig sicherzustellen, dass diese Informationen enthalten sind oder zumindest nicht implizit verweigert werden. In einer Rückmeldung ist z. B. ausgesprochene Dankbarkeit oft wertvoller als ein Leistungsfeedback. Dankbarkeit impliziert zwischenmenschliche Wärme, den Wert der Handlung und Reziprozität auf Augenhöhe und spricht somit alle drei Formen der Anerkennung gleichzeitig an.

Auf theoretischer Ebene unterscheiden sich Feedback und Anerkennung voneinander. Während Feedback die Ziele von Tätigkeiten und den Arbeits- oder Verstehensprozess betrifft, enthält Anerkennung primär Informationen über das Selbst. In der Praxis schwingt jedoch mit jeder noch so sachlichen, aufgabenbezogenen Aussage in der Regel auch irgendeine Art von zwischenmenschlicher Botschaft mit. Dies kann im Arbeitskontext aktiv genutzt werden, um Feedback anerkennend zu gestalten und möglichst vielen Rückmeldungen Informationen bzgl. zwischenmenschlicher Zuneigung, leistungsbasierter Wertschätzung sowie gleichwertigkeitsbasierten Respekts mitzugeben.

8.3 Anerkennende Führung Führungsverhalten und seine Auswirkungen auf die beteiligten Personen und Organisationen stehen seit Jahrzehnten im Fokus der (betriebs-)wirtschaftlichen, aber auch der psychologischen Forschung. Auf der Basis von Theorien des sozialen Austauschs wird angenommen, dass die Qualität der interpersonalen Beziehungen mit dem Erfolg und dem Leistungsvermögen von Individuen und Gruppen zusammenhängt. Der Führungsperson wird dabei eine wichtige Rolle zugeschrieben, da sie in der Regel über mehr Entscheidungsgewalt verfügt. Zwei zentrale Dimensionen, die in dieAnerkennende Führung

147

sem Kontext unterschieden werden, sind die Mitarbeiter:innen- und die Aufgabenorientierung. Mitarbeiter:innenorientiertes Verhalten beinhaltet Wärme, Vertrauen, Freundlichkeit und Achtung der Mitarbeiter:innen. Aufgabenbezogenes Verhalten bezieht sich auf die aufgabenbezogene Organisation und Strukturierung, die Aktivierung und Kontrolle der Mitarbeiter:innen (Nerdinger, 2019). 8.3.1  Führungsstile und die Besonderheit respektvoller Führung

In der Literatur wird betont, dass Führung stets kontextspezifisch zu betrachten ist. Es hängt von der Führungsperson, den Geführ­ ten sowie von der jeweiligen Situation ab, welcher Führungsstil angemessen ist. Je nach Passung kann eine Führungsperson demnach unterschiedliche Führungsstile verwenden. Auf der anderen Seite gibt es generelle Merkmale von Führungsstilen, die situationsübergreifend eher positive oder eher negative Auswirkungen haben. Auf der negativen Seite ist hier der sogenannte destruktive oder feindselige Führungsstil zu nennen, bei dem Vorgesetzte gegenüber Mitarbeiter:innen aggressives verbales und nonverbales Verhalten zeigen. Als Ursache hierfür wird eine Kombination aus Persönlichkeitsfaktoren der beteiligten Personen und der Situation beschrieben. Zudem werden Thesen zu Aggressionsverschiebungen aufgestellt, wobei der oder die Vorgesetzte Aggressionen von eigenen statushöheren Vorgesetzten an die niedriger stehenden Mitarbeiter:innen weitergibt. Ein feindseliger Führungsstil führt oftmals zu sinkender Arbeitszufriedenheit, erhöhtem Stresslevel, geringerem Commitment und Kündigungsabsichten der Mitarbeiter:innen (Nerdinger, 2019). Auf der anderen Seite existiert viel Forschung zu ethischer und respektvoller Führung. Unter ethischer Führung wird verstanden, dass Führungspersonen moralisch angemessenes Verhalten zeigen und dies als Rollenvorbilder den Mitarbeitenden vorleben. Darüber hinaus sind diese Personen »moralische Manager:innen«, d. h. sie fördern aktiv ethisches Handeln und überwachen die Einhaltung bei den Mitarbeitenden. Mit dem verwandten Begriff der transformationalen Führung wird betont, dass die Führungsperson an den 148

Anerkennung und Selbstanerkennung im Arbeitskontext

Zielen, Werten, Einstellungen und Wünschen der Mitarbeiter:innen ansetzt und diese in ihrer Entwicklung (»Transformation«) unterstützt (Weibler, 2016). Die Forschung zu respektvoller Führung beleuchtet, wie Füh­ rungskräfte Mitarbeitenden trotz Machtdifferenz auf Augenhöhe begegnen können. Diese auch als horizontaler Respekt beschriebene Interaktionsform ergänzt die auf vertikaler Ebene kommunizierte Leistungsrückmeldung. Horizontaler Respekt bedeutet, dass eine Führungskraft die Mitarbeiter:innen vorbehaltlos als gleichwertige Menschen wahrnimmt und sie würdevoll behandelt, auch wenn sie hierarchisch auf einer anderen Stufe stehen. Als Konsequenzen horizontal-­respektierender Führung werden ein erhöhtes Gefühl von Sicherheit, ein reduziertes Stresslevel, gesteigertes Wohlbefinden (vgl. auch Abschnitt 8.1) und geringere Fehlzeiten bei den Geführten beschrieben. Respektvolle Führung fördert darüber hinaus, dass Mitarbeiter:innen ein höheres Verpflichtungsgefühl gegenüber dem Unternehmen entwickeln, sich moralischer verhalten und Entscheidungen eher zugunsten der Organisation als zu ihren eigenen Gunsten treffen (Decker u. van Quaquebeke, 2016). Als konkrete Beispiele für horizontalen Respekt im Umgang miteinander nennen Decker und van Quaquebeke (2016) Höflichkeit, Authentizität und Deeskalation in Konfliktsituationen. Horizontaler Respekt durch Führungskräfte zeigt sich in Zusammenarbeit, die durch Vertrauen der Führungskraft in die Mitarbeiter:innen, Transparenz hinsichtlich Entscheidungsprozessen sowie Gerechtigkeit bei der Verteilung von Ressourcen und Belohnungen gekennzeichnet ist. Darüber hinaus ermöglicht eine horizontal-respektierende Führungskraft Teilhabe der Mitarbeiter:innen. 8.3.2  Führungsstile aus Sicht der Anerkennungsperspektive

Obwohl mit der – aus der Philosophie stammenden – Unterschei­ dung zwischen horizontalem und vertikalem Respekt (Grover, 2014) wichtige Dimensionen anerkennender Führung angerissen wurden, ermöglicht die in diesem Buch vorgestellte Anerkennungsperspektive einen noch differenzierteren Blick auf unterschiedliche Informationen, die von einer Führungsperson kommuniziert werAnerkennende Führung

149

den können. Darüber hinaus kann angenommen werden, dass die Behandlung durch eine Führungskraft über die kommunizierte Anerkennung die Selbstanerkennung der Mitarbeiter:innen prägt. Im Folgenden gleichen wir die genannten Führungsstile mit den in der Anerkennungstheorie vorgeschlagenen Dimensionen ab und analysieren deren Potenzial für die Verinnerlichung eines positiven Selbstbilds bei den Mitarbeitenden. Ein vertikal respektierender Führungsstil bedeutet, dass eine positive Rückmeldung bzgl. Leistung oder Expertise an den oder die Mitarbeiter:in übermittelt wird. Die hier übermittelte soziale Information ist: »Das hast du gut gemacht« oder »Du verstehst was von deiner Arbeit«. Sie entspricht im Prinzip der Anerkennungsdimension der sozialen Wertschätzung, da hierdurch beim Empfänger bzw. bei der Empfängerin das Gefühl entsteht, etwas geleistet zu haben und dadurch etwas zum Erfolg der Organisation oder Firma beizutragen. Hierbei ist es wichtig, bestimmte Grundlagen für die Vermittlung von Feedback und Lob zu berücksichtigen (vgl. Abschnitt 8.2). Horizontaler Respekt entspricht im Prinzip der in diesem Buch als gleichwertigkeitsbasierter Respekt beschriebenen Form der Anerkennung. Im Zentrum steht die Behandlung der Mitarbeite­ r:innen durch die Führungsperson als gleichwertige Personen mit menschlicher Würde unabhängig vom Vorliegen eines unterschiedlichen beruflichen Status. Idealerweise sollte gleichwertigkeitsbasierter Respekt auch unabhängig vom Leistungsniveau und von persönlicher Zu- bzw. Abneigung gegeben werden. Die beiden Anerkennungsdimensionen der sozialen Wertschät­ zung und des Respekts wurden also in der arbeits- und organisationspsychologischen Literatur thematisiert. Was aber ist mit der emotionalen Anerkennungsdimension, die in diesem Buch als Zuneigung bezeichnet wird? Diese wird in wiederum anderen Ansätzen thematisiert. Beispielsweise beim Konzept der emotionalen Intelligenz, worunter Fähigkeiten und Fertigkeiten von Führungskräften verstanden werden, eigene und fremde Emotionen wahrzunehmen und zu erkennen, ihre Bedeutung für die betreffende Situation zu verstehen und auftretende Gefühle angemessen regulieren zu können (Pundt u. Venz, 2016). Auch bei der Formulierung des sogenannten 150

Anerkennung und Selbstanerkennung im Arbeitskontext

»Mitfühlenden Führungsprofils« (Compassionate Leadership Profile, z. B. Dörr, Schmidt-Huber, Inderst u. Maier, 2016), wird ein Bindungsmotiv als günstiger Führungsstil identifiziert, bei dem positive, emotionale Beziehungen zu den Mitarbeitenden von Bedeutung sind. Wenn Führungskräfte entsprechendes Verhalten zeigen, kann davon ausgegangen werden, dass dies von den Mitarbeitenden als eine Art Zuneigung oder Fürsorge verstanden wird. Es entsteht eine Wahrnehmung, dass die Führungskraft auf die Person eingeht und in ihrer speziellen emotionalen Bedürfnislage wahr- und ernstnimmt. Dies fördert unter anderem die Verbundenheit innerhalb des Arbeitsteams. Es können folglich Ansätze zu allen drei Formen der Anerkennung im Bereich der Führungsforschung aufgefunden werden. Eine Einbeziehung aller drei Facetten in ein- und derselben theoretischen oder empirischen Forschungsarbeit liegt jedoch bisher nicht vor. Darüber hinaus wurde bisher nicht spezifisch thematisiert, ob und inwieweit das Verhalten einer Führungskraft das Selbstbild der Mitarbeiter:innen beeinflussen kann. Obwohl es Befunde dahingehend gibt, dass das allgemeine, globale Selbstwertgefühl positiv und negativ von Führungspersonen beeinflusst werden kann (de Cremer, van Knippenberg, van Knippenberg, Mullenders u. Stinglhamber, 2005), fehlt eine detaillierte empirische Betrachtung unterschiedlicher Formen und Einflüsse auf das Selbstbild. Es ist jedoch naheliegend, dass auch die Interaktionen mit Führungskräften eine Quelle für die Ausbildung von Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt sein können (Grover, 2014). Immerhin verbringen Arbeitnehmer:innen viel Lebenszeit unter dem Einfluss ihrer/ihres Vorgesetzten, die/ der durch die hierarchischen Abhängigkeitsverhältnisse besondere Bedeutung haben könnte. Wenn eine Führungsperson beispielsweise konsistent die Arbeit der Mitarbeiter:innen herabwürdigt oder als ungenügend zurückweist, so ist es wahrscheinlich, dass mit der Zeit bei diesen Mitarbeiter:innen eine Selbstwahrnehmung entsteht, nicht kompetent (genug) zu sein. Gerade bei der Einschätzung der eigenen Kompetenz legen viele Menschen hohen Wert auf die Rückmeldungen am Arbeitsplatz. Während eine ruppige, unpersönliche Art einer oder eines Vorgesetzten leichter durch Wärme und Zuneigung zu Hause oder durch Freund:innen ersetzt werden kann, Anerkennende Führung

151

haben viele Menschen für ihre Kompetenzbestätigung weniger Quellen zur Verfügung (vgl. Abschnitt 5.2). Wenn eine Person mit einem geringen oder fragilen Selbstrespekt eine neue Arbeit aufnimmt und sich entsprechend nicht für ihre Interessen, Standpunkte und Rechte einsetzt (bspw. durch mangelnde Selbstbehauptung, vgl. Abschnitt 4.5.1), dann kann dies unter Umständen auch das Verhalten beeinflussen, das die Führungskraft dieser Person gegenüber zeigt. Personen, die schlecht »Nein« sagen können, werden von Vorgesetzten sehr leicht mit reichlich Arbeit beladen. Hier ist ein hohes Einfühlungsvermögen auf Seite der Führungskraft nötig, um die realistische Belastungsgrenze der Mitarbeiter:innen ohne entsprechende Rückmeldungen einschätzen zu können. Mitarbeiter:innen mit hohem Selbstrespekt, die sich hingegen von Anfang an selbst behaupten und klare Grenzen setzen, sind für eine Führungskraft besser einzuschätzen und erfahren daher auch eher eine realistische Anspruchshaltung. Darüber hi­ naus ist davon auszugehen, dass ein destruktiver, oft auch als toxischer Führungsstil bezeichneter Verhaltensstil einer Führungskraft den Selbstrespekt eines Mitarbeitenden auch direkt negativ beeinträchtigen kann. Druck, Verleumdung oder Mobbing durch Vorgesetzte haben zweifellos negative Auswirkungen auf das Selbstbild. Das Fördern bzw. Einschränken aller drei Formen der Selbstanerkennung durch eine Führungskraft hat mutmaßlich einen Einfluss darauf, wie leistungsfähig Arbeitnehmer:innen sind, wie sehr sie sich für eine Organisation anstrengen und wie es ihnen am Arbeitsplatz geht. Die Auswirkungen von Führung auf die Gesundheit der Geführten wurde ebenfalls erforscht, auf die Breite der potenziellen Auswirkungen einzugehen, würde jedoch den Rahmen dieses Buches sprengen (weitere Informationen hierzu finden sich bspw. bei Felfe u. van Dick, 2016, v. a. in Teil III »Gesundheitsförderlich führen«). Einem prominenten Phänomen fehlender Gesundheit am Arbeitsplatz, dem sogenannten Burnout, möchten wir uns jedoch im folgenden Abschnitt 8.4 ausführlich widmen.

152

Anerkennung und Selbstanerkennung im Arbeitskontext

Führungspersonen unterscheiden sich in ihren Führungs­stilen. In der Forschung werden sowohl negative als auch positive Führungsstile und ihre Auswirkungen thematisiert. Eine genauere Analyse der positiven Führungsstile zeigt, dass diese zwischenmenschliche Zuneigung, leistungsbasierte Wertschätzung sowie Respekt auf Augenhöhe kommunizieren. Die Anerkennungsperspektive kann also auch hier aufzeigen, was trotz bestehender Statusunterschiede von Führungskräften an Mitarbeiter:innen vermittelt werden sollte, um deren Selbst­anerkennung zu stärken und in der Folge positive Auswirkungen für Menschen und Organisationen zu erreichen.

8.4 Burnout aus Anerkennungsperspektive Dass Anerkennungserfahrungen und ihre Verinnerlichung im Selbstbild auch für die psychische Gesundheit von Menschen bzw. für psychische Erkrankungen relevant sein können, haben wir bereits in Kapitel 7 thematisiert. In den letzten Jahrzehnten sind zudem psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch, die vorwiegend mit dem Arbeitsplatz in Verbindung stehen. Hierzu zählt das sogenannte Burnout. 8.4.1  Was ist Burnout?

Im bisher geltenden Klassifikationssystem ICD-10 ist Burnout nicht als eigene Diagnose vorgesehen, sondern wurde unter Z73 kodiert (Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung; inkl. Ausgebranntsein [Burnout]). Für die Version ICD-11, die ab Januar 2022 gilt, ist Burnout nun explizit als Syndrom beschrieben und als gesundheitsbeeinflussender Faktor aufgenommen. Definiert wird Burnout dort als »Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet werden kann«. Aufgrund der bisher Burnout aus Anerkennungsperspektive

153

fehlenden Diagnostizierbarkeit liegen keine verlässlichen Angaben zur Prävalenz von Burnout in der Bevölkerung vor. Burnout wird definiert als ein anhaltender, negativer, arbeitsbezogener Gemütszustand, der in erster Linie durch Erschöpfung gekennzeichnet ist, begleitet von negativem Stress, einem Gefühl verminderter Effektivität, verminderter Motivation und der Entwicklung dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit. In dieser Definition sind drei Hauptkomponenten enthalten, die bereits Anfang der 1980er Jahre von Maslach und Jackson (1981) in ihrer frühen Konzeptualisierung von Burnout vorgeschlagen wurden: emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung und reduzierte Leistungsfähigkeit. Die erste Komponente, die emotionale Erschöpfung, ist die Di­­­­ men­sion, die von den Betroffenen am häufigsten berichtet wird. Sie wird als Kern des Burnouts angesehen und bezieht sich auf einen fast vollständigen Verlust von Motivation und Energie und ein Gefühl der Überforderung und Leere. Die Person erlebt eine mentale Erschöpfung und hat das Gefühl, dass ihre emotionalen Ressourcen aufgebraucht sind. Die zweite Komponente, die De­­perso­­nalisierung, manchmal auch als Zynismus oder im Englischen auch als Disengagement bezeichnet, entspricht der interpersonellen Dimension von Burnout und beschreibt, wie betroffene Personen den psychischen Bezug zu ihren Mitmenschen verlieren. Zwischen­­menschliche Konflikte, unzumutbare Anforderungen, übermäßiger Zeitaufwand für den Dienst oder die Pflege anderer, fehlende Unterstützung usw. sind Quellen für Stress, der dazu führt, dass Personen eine distanzierte oder sogar negative Haltung gegenüber anderen einnehmen bzw. gar keine Beziehungen mehr zu anderen Personen aufbauen. Dieses Gefühl der De­­perso­nalisierung wirkt wie ein individueller Abwehrmechanismus. Um mit der Erschöpfung ihrer Ressourcen fertig zu werden, bleibt den Betroffenen nur, die Wünsche anderer als nicht dringend oder sogar unrechtmäßig zu betrachten, und dies führt zu einer anteilnahmslosen oder negativen Wahrnehmung anderer Personen. Die dritte Komponente, reduzierte Leistungsfähigkeit, bezieht sich auf die Selbstbewertungsdimension des Burnouts. Die Person zweifelt an sich selbst, an ihren Fähigkeiten und hat das Gefühl, persönlich ineffizient und inkompetent zu sein. 154

Anerkennung und Selbstanerkennung im Arbeitskontext

In der Forschung wurden zahlreiche negative Konsequenzen dokumentiert, darunter reduzierte Leistungen am Arbeitsplatz, belastende Auswirkungen auf das Familienleben, schlechte Gesundheit (z. B. durch Bewegungsmangel und übermäßigen Konsum von Tabak, Alkohol und psychoaktiven Substanzen) oder Rückzug aus dem Beruf (vgl. Scherrmann, 2015). 8.4.2  Wie entsteht Burnout?

In wissenschaftlichen Modellen zur Entstehung von Burnout wird zwischen Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen unterschie­ den (Bakker u. Demerouti, 2007). Arbeitsanforderungen beziehen sich auf die körperlichen, psychosozialen oder organisationalen As­­pekte der Arbeit, die anhaltende körperliche und/oder psychische (kognitive und emotionale) Anstrengungen oder Fähigkei­ ten erfordern und daher mit bestimmten Kosten verbunden sind. Beispiele sind ein hoher Arbeitsdruck, eine ungünstige physische Umgebung oder emotional anspruchsvolle Interaktionen mit K ­ lien­t:innen oder Kund:innen. Arbeitsressourcen beziehen sich hingegen auf körperliche, psychosoziale oder organisationale Aspekte der Arbeit, die Menschen bei der Erreichung von Arbeitszielen unterstützen oder Arbeitsanforderungen und die assoziierten Kosten reduzieren. Hierzu zählen z. B. soziale Unterstützung, Autonomie und Feedback, da sie als Puffer dienen können, um ­Arbeitnehme­r :innen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Sie mildern somit die Folgen der Arbeitsanforderungen für Gesundheit und Wohlbefinden ab. Unter sozialer Unterstützung werden sämtliche zwischenmenschliche Unterstützungsformen subsummiert, beispielsweise emotionale Unterstützung, materielle bzw. finanzielle Unterstützung, beratende Unterstützung oder auch lobende Unterstützung. Es konnte gezeigt werden, dass soziale Unterstützung insgesamt zu weniger Burnout-Symptomen auf allen drei Ebenen (emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung und reduzierte Leis­tungsfähigkeit) führt (Halbesleben, 2006).

Burnout aus Anerkennungsperspektive

155

8.4.3  Anerkennung und Burnout

Die gefundenen Zusammenhänge zwischen sozialer Unterstützung und verringerten Burnout-Symptomen weisen bereits darauf hin, dass soziale Beziehungen und die Qualität von zwischenmenschlicher Behandlung eine zentrale Rolle spielen. Die Anwendung der in diesem Buch vorgestellten Anerkennungsperspektive erlaubt darü­ ber hinaus eine detaillierte Analyse unterschiedlicher sozialer Informationen, die in zwischenmenschlicher Interaktion kommuniziert werden und deren spezifische Bedeutung für die Entstehung von Burnout. Darüber hinaus könnten Anerkennungserfahrungen auf den drei Dimensionen Zuneigung, soziale Wertschätzung und Respekt unterschiedlich mit den verschiedenen Burnout-Komponenten (emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung und reduzierte Leis­ tungsfähigkeit) zusammenhängen. Erste empirische Ergebnisse aus einer Studie mit Arbeitnehmer:in­ nen (Renger, Miché u. Casini, 2020) zeigen, dass emotionale Erschöp­­ fung insbesondere mit fehlendem Respekt von Kolleg:innen sowie mit fehlendem Respekt von Vorgesetzten zusammenhängt. Zudem ist auch fehlende Zuneigung von Vorgesetzten relevant. Für Deperso­ nalisierung sind fehlender Respekt von Kolleg:innen sowie fehlende Zuneigung von Vorgesetzten ausschlaggebend. Und für reduzierte Leistungsfähigkeit ist erwartungsgemäß fehlende leistungsbasierte soziale Wertschätzung sowohl von Kolleg:innen als auch von Vor­ gesetz­ten von Bedeutung. Diese differenzierte Ana­­lyse liefert Hinweise darauf, dass Burnout in der Tat ein multidimen­sio­nales Syndrom ist, welches mit fehlenden Anerkennungserfahrungen auf allen drei Dimensionen (Zuneigung, Wertschätzung, Respekt) zusammenhängt (wobei die kausale Richtung noch nicht abschließend geklärt ist). Die Daten zeigen zudem auf, dass sowohl Kolleg:innen als auch Vorgesetzte eine wichtige Rolle spielen. Andersherum betrachtet bedeutet dies, dass sowohl Kolleg:innen als auch Vorgesetzte durch das Zeigen von Anerkennung dazu beitragen können, Burnout (und vermutlich auch andere psychische Belastungen) am Arbeitsplatz zu reduzieren. Interessant ist auch, Burnout in Verbindung mit dem Selbstbild von Menschen zu bringen. Menschen, die emotional durch Arbeitslast erschöpft werden, mangelt es oftmals an Durchsetzungsvermögen. 156

Anerkennung und Selbstanerkennung im Arbeitskontext

Sie sind häufig nicht gut darin, Grenzen zu setzen und überladen sich selbst mit zu viel Arbeit. Diese Tendenzen haben wir in diesem Buch bereits mit fehlender verinnerlichter Gleichberechtigung in Verbindung gebracht (vgl. Abschnitt 4.5). Menschen, die sich selbst vernachlässigen und von Kälte geprägte Beziehung zu anderen führen, haben vermutlich keine besonders positive emotionale Beziehung zu sich selbst. Und wenn die Leistungsfähigkeit reduziert ist, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass das Selbst nicht als ausreichend kompetent wahrgenommen wird. Nicht voll ausgebildete Selbstanerkennung, möglicherweise auch induziert durch defizitäre Anerkennungsverhältnisse am Arbeitsplatz, kann auf allen drei Ebenen ungünstig zur Entwicklung von Burnout-Symptomen beitragen. Wenn Sie das Gefühl haben, Ihre eigene Selbstanerkennung sei noch ausbaufähig, dann finden Sie u. a. in Abschnitt 5.2 Ansatzpunkte.

Burnout am Arbeitsplatz belastet die Gesundheit und das Arbeitspotenzial von Menschen. Dass soziale Unterstützung als Puffer gegen Burnout dienen kann, war bereits in der Forschung bekannt. Die hier behandelte Anerkennungsperspektive bietet nun einen differenzierten Blick auf die mögliche Entstehung und Aufrechterhaltung von Symptomen. Die einzelnen Anerkennungsarten hängen unterschiedlich mit den drei Burnout-­Symptomgruppen (emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung und reduzierte Leistungsfähigkeit) zusammen. Es gibt zudem Hinweise, dass durch fehlende Anerkennung entstandene Defizite in der Selbstanerkennung eine Rolle für Burnout spielen könnten.

Burnout aus Anerkennungsperspektive

157

9

 nerkennung und Selbstanerkennung A in Politik und Gesellschaft

Bisher haben wir die Bedeutung von Anerkennungserfahrungen in interpersonalen Kontexten betont. Meist geht es um die Frage, wie (fehlende) Anerkennung Individuen beeinflusst. Anerkennung ist allerdings auch auf einer übergeordneten, gesellschaftlichen Ebene relevant und die Sicherstellung geeigneter Strukturen, die Anerkennung fördern, sollte bei politischen Entscheidungen Be­­rück­ sichtigung finden. Dabei geht es um die Frage, welche Rolle (Selbst-) Anerkennung und insbesondere (Selbst-)Respekt bei der Bewertung von Gerechtigkeit in Gesellschaften spielt (vgl. Abschnitt 9.1) und wie Selbstrespekt mit der Fähigkeit zusammenhängt, politischen Protest zu zeigen und somit sozialen Wandel zu gestalten (vgl. Abschnitt 9.2). Anschließend soll es darum gehen, wie die materielle Ausstattung von Menschen mit Möglichkeiten für Anerkennungserfahrungen und ihrer Verinnerlichung zusammenhängt (vgl. Abschnitt 9.3). Abschließend diskutieren wir, wie eine Gesellschaft des Respekts und der Toleranz aussehen könnte (vgl. Abschnitt 9.4). Die aufgestellten Thesen stellen Herausforderungen aber auch neue Chancen für Gesellschaften dar, die sich als gerecht bezeichnen möchten.

9.1 Anerkennung als Basis gerechter Gesellschaften Von einer differenzierten Perspektive auf Anerkennung und darauf, wie zentral diese für die Identitätsbildung von Menschen ist, kann nicht nur die konkrete zwischenmenschliche Praxis profitieren: Sie kann einen Beitrag zur größeren Frage leisten, wie eine Gesellschaft gestaltet sein sollte, die die psychische Integrität ihrer Bürger:innen im Blick hat. Im Jahr 2021 wurde die wohl einflussreichste GerechtigAnerkennung als Basis gerechter Gesellschaften

159

keitstheorie des letzten Jahrhunderts 50 Jahre alt. Mit seinem Werk »Theory of Justice« setzte John Rawls (1971) entscheidende Impulse in der Politischen Philosophie und rückte gleichzeitig den Begriff des Selbstrespekts an eine zentrale Stelle seiner Gerechtigkeitstheorie. Eine Gesellschaft, die ihren Mitgliedern eine größtmögliche Freiheit ermöglichen will, müsse durch eine gerechte Verteilung sicherstellen, dass die Bürger:innen in den Genuss der »sozialen Grundlagen des Selbstrespekts« kommen. In seinem umfangreichen Hauptwerk finden sich allerdings keine konkreten Hinweise darauf, was diese sozialen Grundlagen wirklich auszeichnet. Die bisher in unserem Buch vorgestellten Ansätze zu sozialer Anerkennung könnten an dieser Stelle einen Beitrag leisten und den gerechtigkeitsrelevanten sozialen Grundlagen eine konkrete psychologische Basis geben. In der Politischen Philosophie betrachten die meisten modernen Gerechtigkeitstheorien (u. a. auch die von Rawls) individuelle Autonomie und Freiheit der Gesellschaftsmitglieder als wichtigen Maßstab für die Bewertung von Gerechtigkeit in modernen Gesell­­ schaften. Die Sicherstellung von individueller Autonomie soll dabei durch eine gerechte Verteilung von (materiellen) Ressourcen an die Gesellschaftsmitglieder gewährleistet werden. Diese Annahme wird von Axel Honneth (2010) in seinem Buchkapitel »Das Gewebe der Gerechtigkeit« kritisiert. Zum einen gibt er zu bedenken, dass unter Autonomie oftmals nur die Unabhängigkeit von anderen Menschen verstanden wird (vgl. negative Freiheit nach Berlin, 1969), dass aber vor allem Selbstbestimmung, d. h. sich selbst mit seinen Handlungen zu identifizieren (Ryan u. Deci, 2006; vgl. positive Freiheit nach Berlin, 1969), relevant sei. Er hinterfragt zudem, ob eine materielle Güterverteilung hinreichend zu einer Ausbildung menschlicher Selbstbestimmung führen könne. Die sinnvolle Verwendung materieller Güter setze nämlich im Grunde eine selbstbestimmt handelnde Person schon voraus. Selbstbestimmung könne nach Honneth durch materielle Güter zwar ausgedrückt und dargestellt werden, diese sind jedoch nicht eigentlich ursächlich für die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Selbstbestimmung. Honneth geht in Rückbezug auf theoretische Positionen von Rousseau und Kant davon aus, dass Selbstbestimmung »eine bestimmte Art der Selbstbeziehung [darstellt], die es erlaubt, seinen eigenen Bedürf160

Anerkennung und Selbstanerkennung in Politik und Gesellschaft

nissen zu vertrauen, zu den eigenen Überzeugungen zu stehen und die eigenen Fähigkeiten als wertvoll zu empfinden« (Honneth, 2010, S. 60). Entsprechend ist wirkliche Selbstbestimmung eine Form des Selbstbezugs, der in bestimmten sozialen Interaktionen entwickelt und genährt wird. Axel Honneth nennt diese sozialen Bausteine eines gesunden Selbstbezugs Erfahrungen von Anerkennung: Zur Autonomie gelangen wir vielmehr auf intersubjektiven Wegen, indem wir uns nämlich durch die Anerkennung seitens anderer Personen als Wesen zu verstehen lernen, deren Bedürfnisse, Überzeugungen und Fähigkeiten es wert sind, verwirklicht zu werden […]. (Honneth, 2010, S. 60) Wenn diese Annahme zutrifft, dass soziale Prozesse die erfolgreiche Ausbildung von Selbstbestimmung bedingen, hat dies Auswirkungen auf die Plausibilität der Grundannahmen vieler Gerechtigkeitstheorien. Die Sicherstellung von bestimmten Anerkennungserfah­ rungen ist nämlich kein Gut im klassischen Sinn, über das sich Verteilungsfragen einfach beantworten ließen. Dieses Gut ist weder beliebig aufteilbar und zuweisbar, noch können die Beteiligten darü­ber uneingeschränkt verfügen, da es in zwischenmenschlichen Kontakten erst entsteht. Dies bringt die zentrale Bedeutung von materieller Ressourcenverteilung ins Wanken. Auch die oft in Gerech­­­­ tig­keits­­theorien auftauchende Idee, dass die Betroffenen selbst, z. B. in einem fiktiven Urzustand, die Verteilungsfragen klären, ist dann problematisch. In Rawls’ (1971) Gedankenexperiment des »Schleiers der Unwissenheit« entscheiden Personen über die Verteilung von Ressourcen ohne zu wissen, welche Position oder welchen Status sie selbst in der zu gestaltenden Gesellschaft einnehmen werden. ­Honneth argumentiert, dass Personen, die solche Entscheidungen treffen, im Prinzip schon als autonom und selbstbestimmt gedacht werden müssen – also das, was sie letztlich zu verteilen beschließen, schon vorher selbst bekommen haben müssten. Auch der Garant für gerechte Verteilung, der in den meisten Gerechtigkeitstheorien der Staat ist, scheint unter diesen Umständen nicht angemessen. Anerkennungserfahrungen besitzen besonders in den Lebensberei­ chen Wirkkraft, in denen der Zugriff des Staates beschränkt ist (FamiAnerkennung als Basis gerechter Gesellschaften

161

lien, Freundschaften, Gemeinden). Axel Honneth schlägt daher vor, dass eine Gerechtigkeitstheorie vom Verteilungsparadigma abrücken und stattdessen Anerkennungsbezie­hungen ins Zentrum stellen sollte (Fraser u. Honneth, 2003). Ziel ist also die Ermöglichung von Anerkennungserfahrungen und auch nichtstaatliche Institutionen müssten in die Sicherstellung der Umsetzung einbezogen werden. Aus psychologischer Sicht bietet Honneths anerkennungstheo­ retischer Ansatz einen fruchtbaren Startpunkt, um gerechtigkeitstheoretische Gedanken auch psychologisch zu unterfüttern. Axel Honneth rückt mit Anerkennungserfahrungen soziale Phänomene ins Zentrum der sozialphilosophischen Theorie, die mit psychologischen Methoden untersucht werden können. Die Logik, dass Anerkennungserfahrungen den Schlüssel zur Ausbildung von Selbstbestimmung und einen wichtigen Baustein zum subjektiven Wohlbefinden und gesunder Entwicklung darstellen, wurde in diesem Buch schon wiederholt angesprochen. Unsere Forschung konnte hierzu auch bereits erste empirische Belege liefern. Anerkennungserfahrungen ermöglichen die Wahrnehmung von Selbstbestimmung (Renger et al., 2017). Die Dreiteilung sozialer Anerkennungserfahrungen füllt den bei John Rawls bisher als Platzhalter fungierenden Begriff der »Sozialen Grundlagen des Selbstrespekts« mit Leben. Die soziale Basis bilden gelingende Anerkennungserfahrungen in Form von bedürfnisbasierter Zuneigung, leistungsbasierter sozialer Wertschätzung und gleichwertigkeitsbasiertem Respekt. Unser Vorschlag einer dreiteiligen Konzeption des Selbstbilds wiederum differenziert auch das unidimensionale »Selbstrespekt«-Konzept von Rawls weiter in Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt. Eine gerechte Gesellschaft ist in diesen Begriffen also eine, die ihre Bürger:innen bei der Entwicklung von Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt unterstützt, was wiederum – wie die Empirie zeigt – engagierte, gesunde und glückliche Bürger:innen schafft.

162

Anerkennung und Selbstanerkennung in Politik und Gesellschaft

In modernen Gerechtigkeitstheorien wird meist argumentiert, eine gerechte Gesellschaft müsse die Freiheit der Gesellschaftsmitglieder u. a. durch eine Verteilung materieller Güter sicherstellen. Wir argumentieren, dass die Frage nach Freiheit auch eine psychologische Antwort verlangt. Um Freiheit und Selbstbestimmung entwickeln zu können, müssen Personen eine gesunde Identität (inkl. Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt) entwickeln. Entsprechend sind Anerkennungserfahrungen die primären Güter, die es gerecht zu »verteilen« gilt, auch wenn materielle Güter dabei natürlich nötig sind, um dies zu ermöglichen. Die Aufgabe einer gerechten Gesellschaft ist also, die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen die Bürger:innen wechselseitig vollwertige Anerkennungserfahrungen machen können: bedürfnisbasierte Zuneigung, leistungsbasierte soziale Wertschätzung und gleichwertigkeitsbasierten Respekt.

9.2 Selbstrespekt und gesellschaftlicher Wandel Im Folgenden möchten wir uns mit einer gesellschaftlich relevanten Konsequenz von (Selbst-)Respekt beschäftigen, die zusätzlich unterstreicht, warum eine Gesellschaft Anerkennungserfahrungen und insbesondere Respekterfahrungen für alle Bürger:innen sicherstellen sollte (vgl. hierzu Abschnitt 9.1). In Abschnitt 4.5.1 haben wir bereits Forschung zusammengetragen, die belegt, dass Selbstrespekt mit der Wahrnehmung eigener Berechtigung zusammenhängt. Personen mit hohem, im Vergleich zu niedrigem, Selbstrespekt behaupten sich stärker selbst, wenn sie ungerecht behandelt werden. Diese Befunde beschränkten sich auf den interpersonalen Bereich und somit auf Kontexte, in denen Menschen von Bekannten oder Personen aus dem Alltag ungerecht behandelt oder übergangen wurden. Selbstrespekt und gesellschaftlicher Wandel

163

Protest gegen Ungerechtigkeit findet jedoch nicht nur im privaten Bereich statt, sondern wird auch von Mitgliedern sozialer Gruppen zur Einforderung von Gleichbehandlung oder Gleichberechtigung auf gesellschaftlicher Ebene eingesetzt. Trotz formal gleicher Rechte vor dem Gesetz finden sich in vielen Bereichen Ungleich­behand­ lungen bestimmter sozialer Gruppen. Regelmäßig entstehen als Kon­ sequenz soziale Bewegungen, die öffentlich gegen diese und andere Ungleichbehandlungen protestieren, um Veränderung und gesell­ schaft­­lichen Wandel zu erzeugen. In der Forschung wurde häufig der Gender Pay Gap betrachtet, der beschreibt, dass Frauen im Vergleich zu Männern signifikant weniger Bezahlung für gleiche Arbeit erhalten (Eurostat, 2017). Eine empirische Studie, die den Gender Pay Gap thematisierte, konnte zeigen, dass Selbstrespekt bei Frauen mit kooperativen politischen Forderungen (Erhöhung der Bezahlung von Frauen bei gleicher Leistung, um das Niveau von Männern zu erreichen) zusammenhing. Selbstrespekt hing jedoch nicht mit feindseligen (Verringerung der Bezahlung von Männern) oder mit umgekehrt diskriminierenden Forderungen (Frauen bei gleicher Leistung ab jetzt höher zu bezahlen als Männer) zusammen (Renger, Eschert, Teichgräber u. Renger, 2020). In einer weiteren Studie, in der die Ungleichbehandlung von Frauen breiter gefasst war (Benachteiligung nicht nur bzgl. des Gender Pay Gaps, sondern auch bzgl. geringerer Anzahl von Frauen in Führungspositionen, bzgl. Diskriminierung und sexueller Übergriffe), zeigten sich parallele Zusammenhänge. Selbstrespekt von Frauen hing mit stärkeren normativen Protestintentionen (bspw. an einer Demonstration teilnehmen oder eine Petition unterschreiben) zusammen, jedoch nicht mit nicht-­normativen Intentionen (bspw. Akzeptanz gewalttätiger Mittel). Die Fähigkeit, gegen Ungerechtigkeit aufzubegehren, ist die Grund­­lage für emanzipatorische Fortschritte. Der hierbei angestrebte gesell­­schaftliche Wandel hat zum Ziel, die Gleichberechtigung bzw. Gleich­­stellung von vormals nicht gleichberechtigten sozialen Gruppen herzustellen. Berühmte Beispiele hierfür sind der Kampf um formale Gleichberechtigung der Geschlechter, der 1918 in Deutschland zur Einführung des Frauenwahlrechts führte oder der Kampf homosexueller Paare für mehr Gleichberechtigung, der 2017 die recht164

Anerkennung und Selbstanerkennung in Politik und Gesellschaft

liche Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Deutschland zur Folge hatte.

Selbstrespekt hängt nicht nur mit selbstbehauptendem Verhalten in interpersonalen Kontexten, sondern auch mit normativem Protestverhalten in gesellschaftspolitischen Kontexten zusammen. Je höher die Überzeugung einer Person ist, gleich­berechtigt zu sein, desto eher steht sie für ihre Rechte im Privaten sowie im gesellschaftlichen Raum auf. Bemerkenswerterweise hängt hoher Selbstrespekt in beiden Kontexten nicht mit der Anwendung von aggressiver Selbstbehauptung oder nicht-normativem (gewaltakzeptierendem) Protest zusammen. Selbstrespekt ermöglicht sozial verträgliche Selbstbehauptung, ohne dabei die Rechte anderer zu verletzen, und stellt somit nicht nur eine wichtige Grundlage für sozialen Wandel, sondern auch für gesellschaftlichen Zusammenhalt dar.

9.3 D  ie Bedeutung des sozioökonomischen Status für Möglichkeiten der (Selbst-)Anerkennung (Selbst-)Respekt ist eine wichtige Grundlage, um für eigene Rechte einzustehen und gegen Ungerechtigkeit aufzustehen (vgl. Ab­­ schnitt 9.2). Gerechte Gesellschaften sollten allen Bürger:innen ermög­lichen, in adäquatem Umfang Anerkennungserfahrungen zu machen, um eine stabile Selbstanerkennung (u. a. Selbstrespekt) zu entwickeln (vgl. Abschnitt 9.1). Bisher haben wir als Quellen von Anerkennungserfahrungen größtenteils Personengruppen, z. B. Familie, Peers oder Kolleg:innen, thematisiert. Es gibt jedoch auch strukturelle Gegebenheiten, die beeinflussen, inwieweit Menschen die Möglichkeit haben, Anerkennungserfahrungen zu machen. Dieser Abschnitt widmet sich der Rolle von Geld oder etwas weiter gefasst der Rolle des sozioökonomischen Status, der durch EinDie Bedeutung des sozioökonomischen Status

165

kommen, aber auch durch den Bildungsstand oder den Berufsstatus definiert sein kann. Es ist aus der Forschung bekannt, dass mit geringerem Status eine Reihe von negativen Auswirkungen auf die betroffenen Menschen wahrscheinlicher wird. Forschungsergebnisse verschiedener wissenschaftlicher Fachrichtungen zeigen zum Beispiel konsistent, dass Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status im Allgemeinen über schlechtere Gesundheit verfügen als Personen mit höherem sozioökonomischen Status. In den USA durchgeführte Studien zeigen, dass dort der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen den Reichsten und den Ärmsten mehr als 20 Jahre beträgt (Murray et al., 2006). Auch in Norwegen, einem Land mit relativ geringer gesellschaftlicher Ungleichheit, beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Personen mit höchster Bildung, im Vergleich zu niedrigster, immer noch 5 bis 6 Jahre (Kravdal, 2017). Darüber hinaus belegt die Forschung einen deutlichen Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und selbstberichteter Gesundheit, sowie sogenannten Risikomarkern, wie ungesunder Ernährung und geringer körperlicher Aktivität. Neben der körperlichen Gesundheit scheint auch die psychische Gesundheit beeinflusst zu sein. Studien zeigen auf, dass ein niedrigerer sozioökonomischer Status oftmals eine schlechtere mentale Gesundheit zur Folge hat (Businelle et al., 2014). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die sozioökonomische Ausstattung von Menschen in nicht unerheblichem Maß auch die körperlichen und psychischen Lebensbedingungen bestimmt. Ein Grund für diese Zusammenhänge liegt sicherlich darin, dass Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status schlechteren Zugang zu wesentlichen materiellen Gütern (Wasser und Lebensmittel), Hygiene (Wohn- und Lebensbedingungen), grundlegender Gesundheitsversorgung und Erwerbstätigkeit haben. Auch sind Menschen mit niedrigerem sozioökonomischem Status häufiger Stressfaktoren (z. B. Opfer eines Verbrechens zu sein, Wohnortwechsel) ausgesetzt und dies kann langfristige Konsequenzen für die körperliche und psychische Gesundheit haben. Laut Marmot (2002) schränkt ein niedrigerer sozioökonomischer Status auch die Möglichkeit zur sozialen Partizipation ein. Menschen mit niedrigerem sozioökonomischen Status haben weniger Optio166

Anerkennung und Selbstanerkennung in Politik und Gesellschaft

nen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und somit auch das gesellschaftliche Zusammenleben mitzugestalten. Rabinowich fasst diese Zusammenhänge am Beispiel des Phänomens Kinderarmut eindrücklich zusammen. »Armut hat viele Gesichter und erzählt unterschiedliche Ge­­ schich­­ten. Sie spricht, wenn Thomas Bauchschmerzen hat oder Fatima keinen Schlaf findet, wenn Nenad in einer dunklen, zu kleinen Wohnung mit feuchten Wänden leben muss, wenn Laura nicht mit ihren Freundinnen ins Schwimmbad gehen kann, wenn Sebastian regelmäßig keine Jause für die Schule erhält und den Tag über hungrig bleibt, wenn Sonja weiß, dass ihre Mutter am Ende des Monats immer verzweifelter wird und sich fürchtet. (…) Das sind jene Kinder, die nicht auf Klassenreisen oder in den Urlaub fahren können. Die nicht auf Geburtstagsfeste kommen können, weil sie keine Geschenke mitbringen können, was keiner merken soll. Die keine Theater besuchen, kein Kino, keine Sportkurse. (…) Diese Kinder bleiben in vielem außen vor. Sie lernen, dass sie anders sind, sie lernen, dass es zu oft nicht von ihnen abhängt, ob sie dazugehören können oder nicht. Der soziale Rahmen, in den sie gepresst werden, wird die Segregation bestimmen.« (Rabinowich, 2020) Aufgrund dieser Erfahrungen, die Personen in sozioökonomisch schwächeren Kontexten machen, ergibt es Sinn, auch hier einen Blick durch die Anerkennungsbrille zu wagen und zu analysieren, ob Armut auch Unterschiede in Anerkennungserfahrungen mit sich bringen kann (vgl. Martiny u. Renger, 2022). Anerkennungserfahrungen werden auch hier wieder entlang der vorgeschlagenen Dreiteilung betrachtet. Der sozioökonomische Status eines Individuums (z. B. hinsichtlich Einkommen, Bildung, Berufsstatus) könnte einen Einfluss auf die Verfügbarkeit von Zuneigung, Wertschätzung und Respekt haben. Diese Aspekte betrachten wir nun im Detail. Warum können Unterschiede in Zuneigungserfahrungen an­­ genom­­men werden? Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status haben im Vergleich zu Personen mit höherem Status häufig ein Die Bedeutung des sozioökonomischen Status

167

erhöhtes Stresslevel, beispielsweise verursacht durch lange Arbeitszeiten in oftmals körperlich anstrengenderen Berufen oder durch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit anderen Stressoren wie Gewalt, Verlust des Arbeitsplatzes etc. ausgesetzt zu sein (z. B. B ­ usinelle et al., 2014). Lange Arbeitszeiten und Kapazitätsverluste durch Stress re­­ du­­zieren die Menge der Zeit, die für zwischenmenschliche Interaktionen oder Beschäftigung mit Kindern aufgewendet werden kann. Dies kann die Bindungsfähigkeit und somit auch die Selbstliebe aller Beteiligten nachhaltig beeinflussen (Trost, 2018). Martiny und Renger (2022) gehen darüber hinaus davon aus, dass auch Erfahrungen sozialer Wertschätzung durch den sozioökonomischen Status beeinflusst werden. So weist auch Siegrist (2008) darauf hin, dass Menschen mit niedrigerem Status weniger Chancen haben, soziale Wertschätzung ihrer Leistungen und Beiträge zu erfahren. Dies wird unter anderem durch ein (wahrgenommenes) Missverhältnis von hohem Einsatz und niedrigem Gewinn gefördert, welches bei Personen in niedrigeren (beruflichen) Statuspositionen häufiger vorkommt. Diese verringerte Wahrscheinlichkeit, soziale Wertschätzung zu erfahren, hat zur Folge, dass auch eine positive Selbstwertschätzung schwerer ausgebildet werden kann. Wenn Erfahrungen sozialer Wertschätzung dauerhaft fehlen, kann eine Person schwerer zu einem Selbstbild einer Person gelangen, die wertvolle Eigenschaften besitzt und kompetent ist. Des Weiteren nehmen Martiny und Renger (2022) an, dass die Möglichkeiten, Respekterfahrungen zu machen, durch den sozioökonomischen Status einer Person beeinflusst werden. Durch enge Wohnverhältnisse und dadurch reduzierte soziale Distanz haben Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status auch buchstäblich weniger Möglichkeiten, einen eigenen (gleichen) Raum für sich selbst wahrnehmen zu können. Auch die Wahrnehmung von externer Kontrolle über ihre Lebensumstände (Kraus, Piff, MendozaDenton, Rheinschmidt u. Keltner, 2012) führt dazu, dass sich Personen mit niedrigerem, im Vergleich zu höherem sozioökonomischen Status weniger stark als selbstbestimmte, gleichberechtigte Bürger:innen begreifen können. Die Ausbildung von Selbstrespekt wird somit deutlich erschwert. In empirischen Studien gibt es erste Belege für diesen Zusammenhang. Je niedriger das Nettoeinkommen einer Per168

Anerkennung und Selbstanerkennung in Politik und Gesellschaft

son, desto weniger nimmt sie sich selbst als gleichberechtigte Person mit gleicher Würde wahr (Renger, Renger u. Martiny, 2022). Dieser Zusammenhang zeigte sich sowohl in westlichen als auch in nichtwestlichen Ländern. Obwohl das absolute Einkommensniveau je nach untersuchtem Land unterschiedlich hoch ist, zeigt sich länderübergreifend, dass innerhalb eines Landes das zur Verfügung stehende Einkommen vorhersagt, wie hoch die Wahrnehmung eigener Gleichberechtigung ist. Abschließend möchten wir noch einmal betonen, dass die be­­ schriebenen Effekte nicht auf individuelle Defizite von Menschen mit niedrigerem sozioökonomischen Status hinweisen. Sie decken vielmehr das Defizit von Gesellschaften auf, allen Menschen adäquate Anerkennungserfahrungen zu ermöglichen (vgl. Abschnitt 9.1).

Ein niedrigerer sozioökonomischer Status könnte neben negativen Auswirkungen auf Körper und Psyche auch dazu beitragen, dass Menschen weniger Anerkennungserfahrungen (Zuneigung, Wertschätzung, Respekt) machen können. Dadurch werden sowohl Partizipations- als auch Selbstbehauptungsmöglichkeiten eingeschränkt. Dies stellt ein Problem für demokratische Prozesse dar, wenn durch geringere Beteiligung bestimmter sozialer Gruppen deren Meinungen kein Gehör finden und somit auch deren Bedürfnisse unbeachtet bleiben. In der Regel wird als Lösung für Umverteilungsmaßnahmen argumentiert, um eine bessere ökonomische Ausstattung für Menschen in geringeren Einkommensschichten zu erreichen. Dies sollte sich besonders dann als wirksam herausstellen, wenn für Menschen mit niedrigerem sozioökonomischen Status damit auch wirklich Möglichkeiten geschaffen werden, durch gesellschaftliche Teilhabe die Chance auf adäquate Anerkennungserfahrungen zu erhöhen.

Die Bedeutung des sozioökonomischen Status

169

9.4 Eine Gesellschaft des Respekts und der Toleranz Wenn Respekt und Selbstrespekt in der Tat im Zentrum gerechter Gesellschaften stehen, dann sollte deren Vorhandensein auch positive Auswirkungen für Gesellschaften haben. Aus den vielen positiven Konsequenzen, die hier denkbar sind, betrachten wir im Folgenden zwei etwas genauer: Die Rolle von (Selbst-)Respekt für tolerante Gesellschaften (vgl. Abschnitt 9.4.1) sowie ihre Bedeutung für ein Gleichgewicht von bürgerlichen Rechten und Pflichten (vgl. Abschnitt 9.4.2). 9.4.1  Respekt als Basis von Toleranz

Die in diesem Buch vorgestellte Anerkennungsperspektive kann auch dabei helfen zu verstehen, was Toleranz ausmacht. Toleranz bedeutet, dass Personen, die abgelehnt werden bzw. denen gegenüber Vorurteile bestehen, dennoch zugestanden wird, ihr Leben so zu leben, wie sie es möchten. Diese Toleranz ist eine notwendige Bedingung für das Zusammenleben in pluralistischen Gesellschaften. Sie ermöglicht es, den Diskurs und den Austausch von Ideen aufrechtzuhalten, auch wenn eine große Diversität von Meinungen und Lebensentwürfen besteht. Der Toleranzbegriff steht auch im Zen­ trum spannender aktueller Diskussionen: Wo verlaufen die Grenzen der Toleranz? Welche Meinungen sind Zumutungen, die im demokratischen Diskurs ausgehalten werden müssen, und welche überschreiten ggf. die Grenze dessen, was toleriert werden muss? Toleranz lässt sich laut Bernd Simon als »durch Respekt gezähmte Ablehnung« verstehen (Simon, 2022). Gewährter gleichwertigkeitsbasierter Respekt ermöglicht es, mit Personen in Interaktion zu treten, auch wenn diese Personen aus bestimmten Gründen abgelehnt werden (Simon u. Schaefer, 2018; Simon et al., 2019). Unsere Dreiteilung kann auch hier zur differenzierten Betrachtung herangezogen werden: Wenn ich Personen ablehne, weil ich sie nicht mag (ich ihnen keine Zuneigung geben möchte) und/oder ihren Beitrag für wertlos halte (ich ihnen keine Wertschätzung geben möchte), dann kommt es auf den Respekt an. Er ermöglicht es, diese Personen trotz ihrer Unterschiedlichkeit auf einer übergeordneten Ebene als gleich170

Anerkennung und Selbstanerkennung in Politik und Gesellschaft

wertige Interaktionspartner:innen zu betrachten und ihnen ein Ausdrücken und Ausleben eigener Ansichten zuzugestehen. Toleranz ist Respekt, der gewährt wird, obwohl bedürfnisbasierte Zuneigung und/oder leistungsbasierte Wertschätzung vorenthalten werden. Aus dieser Sicht wird Toleranz auch nicht als Gegenpol zu Vorurteilen gesehen (Verkuyten, Yogeeswaran u. Adelman, 2019). Vorurteile bzw. persönliche Ablehnung müssen nicht unbedingt überwunden werden, um tolerant zu sein. Toleranz ist somit keine Frage des Mögens oder Wertens, sondern des Respekts (Forst, 2003; Paffrath u. Simon, 2019). Bei der zentralen gesellschaftlichen Frage nach Toleranz, deren Antwort zur Ausgrenzung ganzer (andersdenkender) Bevölkerungsgruppen führen kann, ist Respekt also das Zünglein an der Waage. Die Dreiteilung der Anerkennung erlaubt aber nicht nur eine begriffliche Klärung, was unter Toleranz verstanden werden kann, sie gibt auch eine Struktur an die Hand, die hilft, die Grenzen der Toleranz zu benennen. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber es gibt gute Gründe an Respekt die Grenze der Toleranz festzumachen. Respekt beschreibt die Grundlage der Demokratie – dem jeweils anderen gesellschaftliche Mitbestimmung zu erlauben und sich gegenseitig als potenzielle Interaktionspartner:innen ernst zu nehmen. Wenn ich nachhaltige Verletzungen dieses Prinzips zulasse, entziehe ich der demokratischen Gesellschaft ihre soziale Basis. In den Begriffen der Anerkennung heißt dies auf der anderen Seite aber auch, dass ich die Zumutungen aushalten muss, die aus vorenthaltener Zuneigung und Wertschätzung entstehen können. Ich kann nicht erwarten, dass ich von allen gemocht werde und auch meine Beiträge müssen nicht von allen wertgeschätzt werden. Einen grundlegenden Entzug von Respekt muss ich allerdings nicht tolerieren – dies würde das demokratische Fundament aushöhlen (vgl. ToleranzParadoxon, Popper, 1945). Auch Respektverletzungen gegenüber Dritten müssten demnach nicht toleriert werden. Wenn eine Aussage oder ein Verhalten die grundlegende Gleichberechtigung anderer verletzt, kann dies berechtigt zurückgewiesen werden. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist ein guter Anhaltspunkt um Respektverletzungen zu erkennen der Widerspruch zu Grundrechten, wie bspw. das Recht auf Gleichbehandlung ohne Diskriminierung aufgrund von Alter, Geschlecht, Religion oder sexueller Orientierung. Eine Gesellschaft des Respekts und der Toleranz

171

Oftmals ist es allerdings schwierig und Teil andauernder gesellschaftlicher Diskurse, wie unterschiedliche Grundrechte, die im Konflikt stehen könnten (z. B. Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Geschlechter), gegeneinander abgewogen werden sollten. Die Grenze der Toleranz verläuft also dort, wo erkennbar gegen Grundrechte verstoßen wird und die grundlegende Gleichwertigkeit von Personen missachtet wird. Viele Zumutungen im Namen der Meinungsfreiheit müssten entsprechend noch toleriert werden. Vor allem mit Blick auf Fake News, Verschwörungstheorien und abstruse Telegram-Channels scheint manchen diese Toleranzkonzeption zu liberal. Es ist herausfordernd, polemische oder widerlegbare Meinungen, die offensichtlich Schaden anrichten können, zu tolerieren. Toleranz heißt aber andererseits auch nicht, dass alle Meinungsäußerungen in gleichem Maße Aufmerksamkeit und Be­­ rück­­sichtigung verdienen. In einem gesunden Diskurs sollten die Positionen nach ihrer rationalen Begründbarkeit gewichtet werden. Es macht Sinn bei Fragen der Mikrobiologie der Meinung eines renommierten Virologen in einer wissenschaftlichen Zeitschrift mehr Aufmerksamkeit zu schenken als einem Speditionskaufmann und Schlagersänger auf Telegram. Dies ist allerdings keine Frage von (In-) Toleranz, sondern von gesellschaftlicher Diskursfähigkeit. Auf dieser Basis kann Toleranz ein Klima schaffen, in dem auch ungewöhnliche, unkonventionelle, aber gut begründete, Meinungen ihren Raum haben. Toleranz macht so das Zusammenleben und die Entwicklung in pluralistischen Gesellschaften erst möglich und sichert die Aufrechterhaltung des demokratischen Diskurses trotz Differenz(en). Die potenzielle Kraft der Toleranz liegt vor allem in ihrer Reziprozität. Wenn ich Meinungen Andersdenkender als gleichwertig respektiere, dann steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass meine eigene Meinung von anderen angehört und respektiert wird. Dies stärkt die Basis demokratischer Prozesse und die gemeinsame Identifikation aller. Empirische Arbeiten zeigen, dass sich bei Mitgliedern gesellschaftlicher Minderheiten (wie z. B. Muslime in Deutschland) durch die Erfahrung von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt durch Mitglieder der Mehrheit (z. B. nicht-muslimische Bevölkerung) eine höhere Identifikation mit der Gesellschaft ergibt. Dadurch sind sie dann auch stärker bereit, Mitglieder wiederum anderer Minder172

Anerkennung und Selbstanerkennung in Politik und Gesellschaft

heiten (wie z. B. Homosexuelle) zu respektieren, obwohl sie deren Überzeugungen und Lebensstil ablehnen ­(Schäfer u. Simon, 2020). 9.4.2  Rechte und Pflichten im Gleichgewicht

Moderne Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie Individuen mit Freiheiten ausstatten. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland oder auch in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte werden individuelle Freiheiten garantiert. Diese Rechte und Freiheiten können psychologisch gesehen bei Menschen zu unterschiedlichen Arten der Berechtigungsüberzeugung führen. Zum einen kann eine eher individualistische Auffassung vom Rechtsbegriff entstehen. Hierbei sollen persönliche Rechte die Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums absichern und dafür sorgen, dass sie nicht von anderen beschränkt werden können (Passini u. Emiliani, 2009). Ein solches Verständnis ist v. a. bei Menschen zu finden, die individualistische Einstellungen und Werte vertreten und führt zu einer materialistischen Perspektive auf die Beziehung mit der Gesellschaft und ihren Mitgliedern. Eine ausgeprägte Form dieser Berechtigungsüberzeugung wird in psychologischer Forschung übersteigerte Berechtigungsüberzeugung genannt, welche mit eher aggressivem Einfordern von Rechten in Verbindung gebracht wurde (Campbell, Bonacci, Shelton, Exline u. Bushman, 2004). Menschen mit hoher übersteigerter Berechtigungsüberzeugung gehen davon aus, dass sie selbst grundsätzlich mehr berechtigt sind als andere. Übersteigerte Berechtigungsüberzeugung erhöht die Wahrscheinlichkeit für unethisches Verhalten und steht häufig im Zusammenhang mit zwischenmenschlichen Konflikten und Feindlichkeit (Moeller et al., 2009; Vincent u. Kouchaki, 2016). Durch eine solch individualistische Berechtigungsüberzeugung werden jedoch die beziehungsstiftenden Aspekte im Rechtebegriff und die Verbindung zu Pflichten vernachlässigt und eine Person mit ihren Rechten im sozialen Vakuum gesehen (Passini, 2011). Einige Autor:innen gehen davon aus, dass Rechte jedoch nur durch Gemeinschaften und in gegenseitiger Abhängigkeit von diesen erhalten bleiben können und nur in Verbindung mit Pflichten sinnvoll gedacht werden können (Finkel u. Moghaddam, 2005; Passini, 2011). Eine Gesellschaft des Respekts und der Toleranz

173

Die in diesem Buch vorgestellte Forschung zu Selbstrespekt, als Verinnerlichung von Respekterfahrungen, legt nahe, dass Selbstrespekt sowohl ein Bewusstsein eigener Berechtigung schafft (das wiederum selbstbehauptendes Verhalten fördert) und gleichzeitig aber auch eine Wahrnehmung von Verpflichtung gegenüber anderen zur Folge hat (vgl. auch Abschnitt 4.5). Personen, die ihre eigene Gleichberechtigung durch diesen Prozess der Reziprozität verinnerlicht haben (im Sinne von »ich bin gleichwertig, weil andere gleiche mich als solches behandeln«), sollten eher bereit und befähigt sein, die erfahrene und verinnerlichte Gleichberechtigung an andere zurück bzw. weiterzugeben. Forschungsergebnisse, die belegen, dass Selbstrespekt nur mit sozial verträglichem, nicht aber mit aggressivem, Protestverhalten zusammenhängt (Renger, 2018; ­Renger, Eschert et al., 2020), weisen in diese Richtung. Personen mit hohem Selbstrespekt stehen für ihre Rechte ein, allerdings nur bis zu dem Punkt, an dem die Rechte anderer verletzt würden. Ohne die Wahrung der Rechte anderer würde sich eine Person auf längere Sicht ihrer Quellen und Garanten eines gleichberechtigten Systems berauben (Honneth, 1994). Selbstrespekt fördert demnach das Empower­ment des Individuums, ohne dabei die sozialen Bindungen an die Gemeinschaft zu gefährden. Diskussionen über Rechte und Pflichten bestimmen gesellschaftliche Diskurse nicht erst seit der Covid-19-Pandemie. Fragen der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes, die Zukunft des Rentenund des Gesundheitssystems, gleicher Bildungschancen für alle und auch der Umverteilung von Vermögen sind im Kern Fragen nach den Rechten und Pflichten von Gesellschaftsmitgliedern. Während der Pandemie sind all diese Themen zugespitzt worden durch die Fragen danach, wer für wen zurückstehen sollte, wie Eigen- und Fremdschutz zueinanderstehen oder welche Berufe als systemrelevant gelten und wie ein Ausgleich für die entstandenen Nachteile vieler Menschen aussehen sollte. Es liegen erste Forschungsergebnisse aus den USA und aus China vor, die z. B. zeigen, dass eine übersteigerte Berechtigungsüberzeugung (sich selbst als mehr berechtigt wahrzunehmen) mit einem geringeren Befolgen von Gesundheits- und Abstandsregeln einhergeht (Li, 2021; Zitek u. Schlund, 2021). Auch zeigte sich, dass Jugendliche mit hoher übersteigerter Berechtigungs174

Anerkennung und Selbstanerkennung in Politik und Gesellschaft

überzeugung eine geringere Unterstützung von Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aufweisen (Arnocky, Desrochers u. Locke, 2020). Selbstrespekt als verinnerlichte Gleichberechtigung sollte hingegen mit einem Unterstützen der Gesundheits- und Abstandsregeln sowie mit Nachhaltigkeitsgedanken zusammenhängen. Hoher Selbstrespekt sollte fördern, egoistische Interessen zurückzustellen und sich zugunsten anderer einzuschränken. Natürlich sollte dieses Einschränken in Balance bleiben und nicht zu sehr zu Ungunsten des Einzelnen gehen. Die Aufgabe der Politik wird es in Zukunft sein, die Rücksichtnahme von Teilen der Bevölkerung, z. B. während der Pandemie, angemessen zu kompensieren bzw. dafür zu sorgen, dass diejenigen, die keine Rücksicht genommen haben, keine Vorteile daraus erhalten. In anderen Worten ausgedrückt muss sie dafür sorgen, dass sich (weiterhin) alle als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft sehen.

Respekt für andere ermöglicht Toleranz für Personen, deren Meinungen oder Verhaltensweisen persönlich abgelehnt werden. Die Betrachtung von Respekt macht auch Grenzen von Toleranz deutlich: Sobald die Gleichwertigkeit anderer in Frage gestellt wird, kann eine Meinung oder ein Verhalten berechtigt zurückgewiesen werden. Dies ermöglicht einen demokratischen Diskurs: Meinungsäußerung, auch von abweichenden Meinungen, ist möglich, solange sie sich an die grundlegenden Prinzipien des gegenseitigen Respekts hält. Gegenseitiger Respekt und verinnerlichter Selbstrespekt sind zudem die Grundlage für Gesellschaftsmitglieder, sowohl eigene Rechte wahrzunehmen als auch die Wahrung der Rechte anderer und ggf. Pflichten zu berücksichtigen. Dies ist von enormer Bedeutung für alle, die verhindern möchten, dass die Folgen der Covid-19-Pandemie, der Klimawandel und andere gesellschaftliche Herausforderungen unsere Gesellschaften (weiter) spalten.

Eine Gesellschaft des Respekts und der Toleranz

175

10

 Fazit und Ausblick

10.1 Plädoyer für Anerkennung und Selbstrespekt Was in der Alltagssprache und in den Medien unter den Begriffen Anerkennung, Wertschätzung oder Respekt verstanden wird, ist äußerst heterogen. Zu Beginn schrieben wir von einer Patientin, die sich wünscht, ihr Arzt wäre wertschätzender – es wurde deutlich, dass allzu oft unklar ist, ob sie als Senderin dieser Botschaft dasselbe meint bzw. versteht wie der Arzt als Empfänger. Auch beim Klienten, der wünschte, er hätte mehr Selbstrespekt, offenbart sich dieses Problem: Was genau meinen wir, wenn wir von Anerkennung und Wertschätzung oder Selbstrespekt und Selbstwertgefühl sprechen? Mit diesem Buch bieten wir eine Art Analyseschablone an, um diese Fragen systematisch zu beantworten. Um nachvollziehbar zu machen, wie diese Schablone entstanden ist, haben wir unsere Leser:innen mit auf eine Reise durch verschiedene Wissenschaftsdisziplinen genommen. In Kapitel 2 haben wir Sie zunächst teilhaben lassen an der psychologischen Forschung zum Selbst und den (meist) globalen Selbstbewertungskonzepten. Die Erkenntnis, dass das Selbstbild von Menschen stark davon geprägt ist, wie andere sie behandeln, leitete über zur Frage, welche selbstbildrelevanten Informationen eigentlich in zwischenmenschlicher Kommunikation übermittelt werden. Menschliches Sozialverhalten ist unglaublich komplex und doch begegneten uns in Kapitel 3 in den meisten Theorien drei grundlegende Dimensionen, die beschreiben, was Menschen aus ihrer sozialen Umwelt brauchen, um zu einer gesunden Identität zu gelangen. (1) Ein Mensch ist von Geburt an auf die nährende Zuwendung, Wärme und Verbundenheit zu anderen Menschen angewiesen, die durch Plädoyer für Anerkennung und Selbstrespekt

177

eine bedürfnisbasierte Zuneigung ausgedrückt werden und sich als Selbstliebe in einem Menschen festigen. (2) Gleichzeitig möchte eine Person sich auch als wirksam erleben und einen wertvollen Beitrag in der Welt leisten können. Diese Überzeugung gewinnt sie durch soziale Wertschätzung von ihren Mitmenschen. Sie bildet die Grundlage für die Entstehung von Selbstwertschätzung. (3) Wenn das Individuum außerdem noch gleichwertigkeitsbasierten Respekt erfährt, also gleichberechtigt und als wirklich eigenständige Person behandelt wird, kann es voller Selbstrespekt die Erlaubnis spüren, frei zu leben (vgl. Kapitel 4). Mit dieser Dreiteilung von Anerkennung (Zuneigung, Wertschätzung und Respekt) und Selbstanerkennung (Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt) lassen sich undifferenzierte Platzhalter wie »positive Interaktionen« oder »positives Selbstbild« ge­­­nauer beschreiben. Um aufzuzeigen, dass diese wissenschaftlich fun­­dierte Systematik nicht nur eine theoretische Spielerei ist, um Begriffe zu zerlegen, haben wir sie durch Impulse für die praktische Anwen­­dung im eigenen Leben (Kapitel 5), in der Pädagogik (Kapitel 6), Therapie und Beratung (Kapitel 7), Arbeitswelt (Kapitel 8) sowie Gesellschaft und Politik (Kapitel 9) ergänzt. In Kapitel 5 reflektierten wir über die Wichtigkeit eigener Sozialbeziehungen für ein gutes, gelingendes Leben. Sie als Leser oder Leserin konnten Schritt für Schritt durchgehen, wie es um die eigene Selbstanerkennung bestellt ist und an welchen Stellen diese ausbaufähig ist oder stabilisiert werden kann. Im abschließenden Teil ging es um die Frage, wie Anerkennung effektiv an andere weitergegeben werden kann. In Kapitel 6 ging es darum, welche Rolle Anerkennung in Er­­ ziehung und Bildung spielen kann. Die prägendste Zeit für positive Anerkennungserfahrungen ist die Kindheit. Im Idealfall sollte daher die Erziehung darauf ausgelegt sein, Anerkennung zu kommunizieren. Wir haben argumentiert, dass Erziehungsstile und Umgang mit Kindern dann die Entwicklung angemessen unterstützen, wenn alle drei Formen der Anerkennung kommuniziert werden. Denn so kann eine Basis für die Verinnerlichung von Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt geschaffen werden. Besonders durch eine respektvolle Erziehung kann das Kind in 178

Fazit und Ausblick

seiner Entwicklung von einem abhängigen Säugling hin zu einem Erwachsenen, der seinen eigenständigen Platz im sozialen Gefüge behaupten kann, begleitet werden. Dass Anerkennung auch in der Schule relevant ist, beleuchteten in Kapitel 6 die Abschnitte zum anerkennenden Klassenklima, zu Anerkennungsprozessen in der Lehrkraft-Schüler:innen-Beziehung und zu den Grundlagen von gelingendem Feedback in pädagogischen Kontexten. Dass die Anerkennungsperspektive auch einen Mehrwert für Therapie und Beratung liefern kann, machte Kapitel 7 deutlich. Am spezifischen Beispiel der sozialen Phobie sowie der Depression haben wir aufgezeigt, inwieweit bei diesen Erkrankungen Symptome mangelnder Selbstanerkennung eine Rolle spielen. Anhand des bio-psycho-sozialen Modells ließ sich einordnen, welche Rolle Anerkennung und Selbstanerkennung bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Erkrankungen spielen könnten. Abschließend haben wir auf das Potenzial von (Selbst-)Anerkennung und insbesondere die – bisher oft vernachlässigte – Rolle von Selbstrespekt für Therapie und Beratung hingewiesen. Kapitel 8 widmete sich anschließend der Rolle von Anerkennungserfahrungen und ihrer Verinnerlichung am Arbeitsplatz. Dabei haben wir beschrieben, wie ein anerkennendes Arbeitsklima die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden von Arbeitnehmer:innen fördern kann, wie anerkennendes Feedback im Arbeitskontext gelingen kann, was anerkennende Führung ausmacht und dass positive Anerkennungserfahrungen einen Puffer gegen Burnout darstellen können. Alle drei Anerkennungserfahrungen tragen ihren Teil zur Verringerung von Burnout-Symptomen bei. Besonders die Anerkennung in Form einer Behandlung als gleichwertiges, ernst zu nehmendes Gegenüber durch Kolleg:innen und Vorgesetzte sollte einen eigenständigen Faktor bei der Prävention von Burnout-­ Symptomen darstellen. Dass sich die Bedeutung von Anerkennungserfahrungen und ihrer Verinnerlichung in Selbstanerkennung nicht nur auf den privaten, zwischenmenschlichen Bereich bezieht, machte ab­schlie­­ßend Kapitel 9 deutlich. Einige philosophische Ansätze stellen Anerkennungserfahrungen ins Zentrum von Gerechtigkeitstheorien und betonen die Verantwortung von Politik und Institutionen, adäquate Plädoyer für Anerkennung und Selbstrespekt

179

Anerkennungserfahrungen für die Bürger:innen sicherzustellen. Weiterhin haben wir uns damit beschäftigt, dass Anerkennungserfahrungen und insbesondere Respekt und seine Verinnerlichung in Form des Selbstrespekts auch von zentraler Bedeutung für sozialen Wandel und Veränderung in Gesellschaften sind. Am speziellen Beispiel von sozioökonomisch benachteiligten Menschen haben wir anschließend aufgezeigt, dass ein Kampf um mehr Anerkennung für manche Individuen deutlich erschwert ist. Niedriger sozioökonomischer Status verringert die Wahrscheinlichkeit, positive Anerkennungserfahrungen zu machen und somit auch die Basis für ihre Verinnerlichung. Unsere Suche abschließend haben wir die Rolle von (Selbst-)Respekt für gesellschaftliche Toleranz sowie seine Bedeutung für ein Gleichgewicht von Rechten und Pflichten innerhalb von Gesellschaften beleuchtet. Dieses Buch stellt eine wissenschaftlich fundierte Schablone be­­ reit, mit der psychische und soziale Themenfelder analysiert werden können (Abbildung 3). Diese Schablone haben wir exemplarisch an diverse Themenkomplexe angelegt und hierfür die oft kleinteilige Forschung und viele Einzelbefunde zusammengetragen. Unser Modell ist am Ende ein Integratives, das mit Selbstrespekt einem vernachlässigten Konzept seinen gebührenden Platz gibt.

Abbildung 3: Schematische Darstellung der Internalisierung dreier Formen sozialer Anerkennung (Zuneigung, soziale Wertschätzung und Respekt) in drei Formen der Selbstanerkennung (Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt)

180

Fazit und Ausblick

Das Modell erlaubt dabei nicht nur eine Reformulierung von Be­­ griffen und bisherigen Ansätzen in differenzierterer Sprache, sondern bietet eine grundlegend neue Perspektive auf soziale und persönliche Kontexte. Die Anerkennungsperspektive kann gewinnbringend als Analyseschablone für so diverse Kontexte wie Kindererziehung, Produktivität am Arbeitsplatz und Gerechtigkeit in Gesellschaften eingesetzt werden. In jedem dieser Bereiche gibt es in der Fachlite­ ratur jeweils eigene komplexe Analyseinstrumente, um zu bestim­ men, wie Erziehung, Führung oder Politik optimal umgesetzt werden können. Es gibt zahlreiche Erziehungsstile und Tausende von scheinbar konkurrierenden Erziehungsratgebern. Ebenso viele unterschiedliche Führungsstile und -theorien überschwemmen den Markt der Wissenschafts- und Managementliteratur. In der Politik wird die Vielfalt der Lösungsvorschläge für gesellschaftliche Fragen in langen Wahlprogrammen und politischen Diskursen sichtbar. Wir argumentieren, dass man in der Regel, ohne Experte bzw. Expertin für ein bestimmtes Thema sein zu müssen, am besten fährt, wenn man sich die Frage stellt, wie den beteiligten Menschen Erfahrungen von bedürfnisbasierter Zuneigung, sozialer Wertschätzung und gleichwertigkeitsbasiertem Respekt und somit Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt ermöglicht werden. Dieser Startpunkt für Reflexion ist über die von uns angesprochenen Kontexte hinaus in allen Bereichen relevant, in denen Menschen interagieren und nach einem positiven Selbstbild streben. Wir sind deshalb so zuversichtlich, weil diese drei Formen von Anerkennung aus einer disziplinübergreifenden Perspektive gewonnen wurden und von einer reichhaltigen empirischen Forschungsbasis gestützt werden. Wenn Sie die dreiteilige Anerkennungsbrille verwenden, um Ihr eigenes Leben und das Ihrer Mitmenschen zu betrachten, werden Sie das soziale Miteinander in der Welt mit anderen Augen und mit weniger blinden Flecken sehen und verstehen.

Fazit und Ausblick

181

10.2 Mehr als die Summe dreier Teile Das Buch hat große Themen des sozialen Miteinanders und der Selbstwahrnehmung angeschnitten und notwendigerweise auf handhabbare Zusammenhänge und Ausschnitte reduziert. So bleiben natürlich auch offene Fragen. Die Stärke unseres Ansatzes ist, dass er vor allem aus empirischer Wissenschaft gespeist ist, die eine Verallgemeinerung auf das soziale Leben der Menschen zulässt. Derartige Modelle erlauben, Wissen systematisch zu ordnen und allgemeine psychologische Gesetzmäßigkeiten zu veranschaulichen. Es bleibt jedoch die Frage, wie generalisierbar dieser Zugang ist, wohlwissend dass jeder Mensch einzigartig und nicht durch drei Formen von Selbstanerkennung hinreichend beschreibbar ist. Der Mensch ist mehr als die Summe dreier Teile. Dieses Buch soll einen Spagat zwischen Wissenschaft und praktischer Anwendbarkeit in unseren Leben schaffen. Das Ergebnis ist zwangsläufig ein Kompromiss. Es gibt etwas überspitzt formuliert zwei grundlegend verschiedene Perspektiven, sich den psychosozialen Themen eines Menschen zu nähern. In Beratung und Therapie, aber auch in einem freundschaftlichen Gespräch, liegt der Fokus auf dem Gegenüber als Individuum – seine einzigartigen Motive, Träume und Umstände werden wahrgenommen und gemeinsam ergründet. Auf der anderen Seite steht empirisch-psychologische Forschung, die auf Basis aggregierter Daten gemittelt über viele Personen hinweg nach den allgemeingültigen Prinzipien im Erleben und Verhalten von Menschen sucht. So unterschiedlich diese Per­spektiven auch sein mögen sind wir überzeugt, dass sie sich fruchtbar ergänzen können. An dem Beispiel, das wir zu Beginn des Buches gegeben haben, lassen sich die Potenziale und Grenzen der Verbindung eines individuellen und eines wissenschaftlichen Zugangs deutlich machen. Die Patientin, die uns schon seit Beginn des Buches begleitet, wünscht sich weiterhin, dass sich der Arzt ihr gegenüber wertschätzender verhalten würde. Es ist durchaus möglich, dass weder ihr Arzt noch sie eine Ahnung davon haben, was er konkret tun könnte, um ein Gefühl von Wertschätzung bei ihr auszulösen. Der beste Weg, diese Frage zu klären, wäre ein Gespräch mit der Patientin. Was bedeutet Wertschätzung für sie? In welchen Momenten ist ihr das Fehlen 182

Fazit und Ausblick

der Wertschätzung besonders aufgefallen? Was waren bisher in ihrem Leben Situationen, in denen sie eine ähnliche Wahrnehmung hatte? So ließe sich das individuelle Bedürfnis der Patientin herausarbeiten, das sich bei ihr als Wunsch nach Wertschätzung äußert. Dieser Zugang würde der einzigartigen Person und den besonderen Umständen gerecht werden. Er ist aber vermutlich für den Alltag zu zeit- und ressourcenintensiv und gerade in medizinischen Kontexten selten umsetzbar. Unser Vorschlag, eine Schablone mit nur drei Formen als Analyseinstrument anzuwenden, wirkt auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig und reduktionistisch. Obwohl unsere Anerkennungsperspektive auf keinen Fall als Ersatz für eine ganzheitliche und individuelle Betrachtung von Personen gedacht ist, kann sie jedoch rasche Impulse für die Exploration und Hypothesenbildung geben. Vor allem dann, wenn eine tiefe und individuelle Aufarbeitung nicht möglich ist oder gleichzeitig das Erleben mehrerer Personen oder ganzer Gruppen betrachtet wird, sind die drei Dimensionen von Anerkennung ein perfekter Startpunkt, um die sozialen Prozesse zu analysieren. Es ist klar, dass das Selbst eines Menschen durch Selbstliebe, Selbstwertschätzung und Selbstrespekt weder vollständig noch in seiner individuellen Einzigartigkeit beschrieben ist. Und doch kann die Dreiteilung dabei helfen, den Blick zu weiten, wenn Menschen auf einzelne Aspekte reduziert werden: z. B. eine Schülerin auf ihre Leistungen und Kompetenzen, eine Lebenspartnerin auf ihre liebevolle Fürsorge oder eine Geflüchtete auf ihren Rechtsstatus. Ein Blick durch die Anerkennungsbrille erlaubt es uns, ganz konkrete Ansatzpunkte zu finden, wie man den Menschen umfangreicher gerecht wird. Für die Schülerin ist nicht nur die Wertschätzung ihrer Prüfungsleistung wichtig; sie braucht auch die Verbundenheit in einem freundlichen Klassenverband und das Gefühl, ihre Umwelt gleichberechtigt mitgestalten zu können. Der Ehefrau, die auf die emotionale Versorgerin reduziert wird, fehlt eventuell schnell ein Gefühl von Selbstwertschätzung und gleichwertigem Selbstrespekt. Die Geflüchtete mag rechtliche Gleichheit zugesichert bekommen – ganz ankommen kann sie in ihrer neuen Heimat aber erst, wenn diese sie auch bedürfnisbasierte Zuneigung und soziale Wertschätzung erfahren lässt. Fazit und Ausblick

183

An diesen Beispielen wird sichtbar, dass diese systematische Perspektive in vielen Fällen doch eine ganzheitlichere Sicht auf den Menschen erlaubt, als globale Urteile oder ein zu einseitiger Blick es zulassen. Ein Aspekt, den wir in diesem Buch nicht hinreichend ausbuchstabieren konnten, ist das Thema der Kulturabhängigkeit unserer Anerkennungsperspektive. Dies betrifft zum einen die Frage danach, ob sich die dreiteilige Struktur von Anerkennung in allen Kulturen gleichermaßen zeigt. Unsere Anerkennungsschablone haben wir aus wissenschaftlichen Befunden hergeleitet, die sich größtenteils auf die Analyse westlicher, demokratischer Kulturen stützen. Inwieweit sich die Bedeutung der drei Anerkennungsformen auch in nicht-­ westlichen, nicht demokratisch strukturierten Kulturen parallel zeigt, muss zukünftige Forschung prüfen. Insbesondere für gleichwertigkeitsbasierten Respekt, der oft als westliches Phänomen bezeichnet wird, bleiben einige Fragen offen. Empirische Arbeiten die aufzeigen, dass weltweit mit einer Zunahme freier Wahl und Kontrolle über das eigene Leben auch das Wohlbefinden von Menschen ansteigt (Inglehart, Foa, Peterson u. Welzel, 2008), könnten jedoch einen Hinweis darauf liefern, dass gleichwertigkeitsbasierter Respekt unabhängig von normativen Überlegungen (zumindest) psychologisch einen Vorteil für Menschen besitzt. Dies untermauern auch unsere eigenen Befunde zum Zusammenhang von Selbstrespekt und verringerten depressiven Symptomen in westlichen sowie nicht-westlichen Ländern (vgl. Abschnitt 7.1.3). Nichtsdestotrotz sollte man sensibel dafür sein, dass in anderen Kulturen andere Schwerpunkte bei Anerkennungsprozessen liegen könnten. Die in Abschnitt 3.1.1 vorgestellte Klassifikation der relationalen Modelle könnte den Blick für kulturabhängige Anerkennungsformen weiten (z. B. stärkerer Fokus auf Anerkennung basierend auf Ehre, Stand oder Kaste in manchen Kulturkreisen). Da sich die Bedeutung von Anerkennung zwischen Kulturen unterscheiden könnte, stellt sich zudem auch die Frage, inwiefern die konkrete Kommunikation von Anerkennung kultursensitiv sein muss. Zur Verbesserung interkultureller Kommunikation gibt es zahlreiche Bücher und Trainings (Kumbruck u. Derboven, 2005). Für jede der drei Anerkennungsformen ließe sich analysieren, was die jewei184

Fazit und Ausblick

ligen kulturabhängigen Ausdrucksformen wären. Während in südeuropäischen Ländern schon zur Begrüßung Küsschen verteilt werden, übertragen Japaner:innen die Botschaft von Zuneigung auch im privaten Kontext mit subtileren Signalen. Auch bei der Kommunikation von sozialer Wertschätzung sind kulturunterschiedliche Leistungsbegriffe zu berücksichtigen (vgl. Abschnitt 3.1.2). Ebenso gilt es für die Kommunikation von gleichwertigkeitsbasiertem Respekt einige Kulturunterschiede zu berücksichtigen (z. B. Unterschiede in kodifizierter Gleichberechtigung). Doch eine respektvolle Annäherung auf Augenhöhe kann gerade durch die Einbeziehung der Meinungen anderer, gegenseitiges Zuhören oder Offenheit für Perspektivenwechsel eine gemeinsame Anerkennungsbasis über Kulturgrenzen hinweg legen.

10.3 Blick in die Zukunft für Forschung und Praxis In diesem Buch haben wir mit der Dreiteilung der Anerkennungsformen und ihrer Verinnerlichung in drei Formen der Selbstanerkennung ein Modell vorgeschlagen, welches in verschiedenen Theorien in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen anklingt (vgl. Kapitel 3). Der konkrete interdisziplinäre Austausch zu dieser Dreiteilung ist aber bisher viel zu wenig erfolgt. Dieses Buch ist daher ein Aufruf an Wissenschaftler:innen, disziplinübergreifend die Vorbedingungen und Konsequenzen (fehlender) Anerkennung und mangelnder Selbstanerkennung zu erforschen. Insbesondere die Verinnerlichung eigener Gleichberechtigung, die wir als Selbstrespekt bezeichnen, bedarf fokussierter Forschung. Nicht nur die akademische Psychologie könnte davon profitieren, anstelle von eindimensionalen, globalen Selbstwertkonzepten eine differenzierte Betrachtung von drei unterscheidbaren Selbstbilddimensionen zu verfolgen. Der durch unsere Forschung empirisch belegte Zu­­ sammenhang zwischen Selbstrespekt und selbstbehauptendem Verhalten – ein Zusammenhang, der für globale Selbstwertkonzepte bisher nicht gezeigt wurde – stimmt optimistisch, dass der differenziertere Blick einen Mehrwert darstellt. Auch das in SelbstFazit und Ausblick

185

respekt inhärente Potenzial, sowohl eigene Berechtigung als auch die Berechtigung anderer sicherzustellen, eröffnet neue Ansätze für die Forschung zum Selbst. Eine durch Respekterfahrungen verinnerlichte Gleichberechtigung ermöglicht die gleichzeitige Wahrnehmung und Annahme von Rechten und Pflichten. Die dadurch ermöglichte Balance zwischen Eigeninteresse und Aufopferung für andere bietet eine Grundlage für gesellschaftliche Solidarität und gegenseitigen Respekt. Auch weitere Praxisfelder können von der vorgeschlagenen Drei­­ teilung profitieren. Neben den in diesem Buch bereits kurz angeris­­ senen Anwendungsfeldern der Pädagogik, der Therapie und Bera­­ tung sowie der Arbeitswelt sind Anerkennungserfahrungen und ihre Verinnerlichung für viele weitere Bereiche relevant – beispielsweise für die Soziale Arbeit. Laut der International Federation of Social Workers (IFSW) und des Deutschen Berufsverbands für Soziale Arbeit e. V. (DBSH) umfassen die zentralen Aufgaben der Sozialen Arbeit die Förderung gesellschaftlicher Veränderungen, sozialer Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen (DBSH, 2016). Mit ihrem Potenzial, sozial verträgliche Selbstbehauptung und kollektives Handeln sowie prosoziales und nachhaltiges Verhalten zu fördern sowie soziale Identitäten, Kooperation und Autonomie zu erhöhen, stellen Respekt und Selbstrespekt zentrale Wirkmechanismen dar, die zukünftig noch mehr in die praktische Arbeit integriert werden sollten. Auf die Bedeutsamkeit der Anerkennungstheorie von Honneth (1994), die auch vielen Überlegungen in diesem Buch einen Rahmen gab, wurde für das Praxisfeld der Sozialen Arbeit bereits in theoretischen Veröffentlichungen hingewiesen (z. B. Houston, 2010; Riegler, 2015). Eine Integration in die Forschung und Praxis fand bisher aber nur in geringem Ausmaß statt. Weitere offensichtliche Anwendungsfelder bieten sich unter an­­ derem in der Paarberatung, Familientherapie, Kindertageseinrich­ tungen, Bildungsstätten, Hochschulen, Pflegeeinrichtungen und vielen mehr. Diese Aufzählungen machen deutlich, dass Fragen nach angemessener Anerkennung unser gesamtes Leben durchziehen. Überall stellen sich Fragen nach Zuneigung und Liebe, Wertschätzung von Leistungen, Eigenschaften und Beiträgen sowie der 186

Fazit und Ausblick

Begegnung auf Augenhöhe als gleichwertige Interaktionspartner:innen. Ob in der Familie, in Kita oder Schule, am Arbeitsplatz, im privaten oder öffentlichen Leben: Anerkennung ist in jeder Sphäre und jedem Altersabschnitt von Bedeutung. Menschen, die selbst Anerkennung erhalten haben, können diese meist leichter an andere weitergeben. Wie ausgeführt kann Anerkennung verbal und auch nonverbal kommuniziert werden und erfordert oftmals nicht viel Anstrengung. Trotzdem zeigen Forschungsergebnisse, dass Menschen häufig weniger Komplimente und positives Feedback an andere geben, als sie eigentlich möchten, da sie deren positive Auswirkungen für sich selbst und für andere unterschätzen (Zhao u. Epley, 2021). Unser Buch möchten wir daher mit dem folgenden Vorschlag beenden: Nehmen Sie sich aktiv vor, anderen Personen Anerkennung zu zeigen. Egal auf welcher Ebene, egal wann und wo. Wenn es authentisch kommuniziert wird, tragen Sie dadurch zum Aufbau bzw. zur Aufrechterhaltung eines positiven Anerkennungsklimas bei, das allen Beteiligten die psychische Ausstattung an die Hand gibt, um stark und glücklich durchs Leben zu gehen. Denn die Suche nach Selbstrespekt kann nur in einer Gemeinschaft erfolgreich sein, die auf wechselseitige Anerkennung baut.

Fazit und Ausblick

187

11

Literatur

Abele, A. E., Hauke, N., Peters, K., Louvet, E., Szymkow, A., Duan, Y. (2016). ­Facets of the fundamental content dimensions: Agency with competence and assertiveness-communion with warmth and morality. Frontiers in Psychology, 7 (1810), 1–17. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2016.01810 Adams, J. S. (1965). Inequity in social exchange. Advances in Experimental Social Psychology, 2, 267–299. https://doi.org/10.1016/S0065-2601(08)60108-2 Ainsworth, M. D. S., Blehar, M. C., Waters, E., Wall, S. (2014). Patterns of attachment: A psychological study of the strange situation. Hoboken: Taylor and Francis. https://doi.org/10.4324/9781315802428 Anastasio, P. A., Rose, K. C. (2014). Beyond deserving more: Psychological entitlement also predicts negative attitudes toward personally relevant out-groups. Social Psychological and Personality Science, 5 (5), 593–600. https://doi. org/10.1177/1948550613519683 Andersen, L. L., Poulsen, O. M., Sundstrup, E., Brandt, M., Jay, K., Clausen, T. et al. (2015). Effect of physical exercise on workplace social capital: Cluster randomized controlled trial. Scandinavian Journal of Public Health, 43 (8), 810–818. https://doi.org/10.1177/1403494815598404 Anderson, R., Manoogian, S. T., Reznick, J. S. (1976). The undermining and enhancing of intrinsic motivation in preschool children. Journal of Personality and Social Psychology, 34 (5), 915–922. https://doi.org/10.1037/00223514.34.5.915 Arnocky, S., Desrochers, J., Locke, A. (2020). Entitlement predicts lower proenvironmental attitudes and behavior in young adults. Ecopsychology, 12 (4), 292–300. https://doi.org/10.1089/eco.2019.0078 Bakker, A. B., Demerouti, E. (2007). The job demands‐resources model: State of the art. Journal of Managerial Psychology, 22 (3), 309–328. https://doi. org/10.1108/02683940710733115 Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84 (2), 191–215. https://doi.org/10.1037/0033-295X. 84.2.191 Baumeister, R. F., Leary, M. R. (1995). The need to belong: Desire for interpersonal attachments as a fundamental human motivation. Psychological Bulletin, 117 (3), 497–529. https://doi.org/10.1037/0033-2909.117.3.497 Baumeister, R. F., Campbell, J. D., Krueger, J. I., Vohs, K. D. (2003). Does high self-esteem cause better performance, interpersonal success, happiness, or Literatur

189

healthier lifestyles? Psychological Science in the Public Interest, 4 (1), 1–44. https://doi.org/10.1111/1529-1006.01431 Beck, A. T., Alford, B. A. (2014). Depression: Causes and treatment. Philadelphia: University of Pennsylvania Press. https://doi.org/10.9783/9780812290882 Benditt, T. M. (2008). Why respect matters. The Journal of Value Inquiry, 42 (4), 487–496. https://doi.org/10.1007/s10790-008-9137-5 Berking, M. (2012). Ursachen psychischer Störungen. In M. Berking & W. Rief (Hrsg.), Klinische Psychologie und Psychotherapie für Bachelor (S. 19–28). Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-16974-8_3 Berlin, I. (1969). Four essays on liberty (Oxford paperbacks, vol. 116). London: Oxford Univ. Press. Blömeke, S. (2005). Das Lehrerbild in Printmedien: Inhaltsanalyse von »Spiegel«- und »Focus«-Berichten seit 1990. Die Deutsche Schule, 97 (1), 24–39. Bowlby, J. (1984). Bindung: Eine Analyse der Mutter-Kind-Beziehung. Frankfurt am Main, Germany: Fischer. Bowlby, J. (1944). Forty-four juvenile thieves: Their characters and home-life. International Journal of Psycho-Analysis, 25, 19–53. Bowlby, J. (2008). Bindung als sichere Basis: Grundlagen und Anwendungen der Bindungstheorie. München: Reinhardt. Boxill, B. R. (1976). Self-respect and protest. Philosophy and Public Affairs, 6 (1), 58–69. Brambilla, M., Rusconi, P., Sacchi, S., Cherubini, P. (2011). Looking for honesty: The primary role of morality (vs. sociability and competence) in information gathering. European Journal of Social Psychology, 41 (2), 135–143. https:// doi.org/10.1002/ejsp.744 Branden, N. (1984). In defense of self. Association for Humanistic Psychology Newsletter, 12–13. Branden, N. (2009). Die 6 Säulen des Selbstwertgefühls: Erfolgreich und zufrieden durch ein starkes Selbst (Bd. 4386, 7. Aufl.). München: Piper. Branscombe, N. R., Spears, R., Ellemers, N., Doosje, B. (2002). Intragroup and intergroup evaluation effects on group behavior. Personality and Social Psychology Bulletin, 28 (6), 744–753. https://doi.org/10.1177/014616720 2289004 Bratu, C. (2019). Self-respect and the disrespect of others. Ergo, an Open Access Journal of Philosophy, 6. https://doi.org/10.3998/ergo.12405314.0006.013 Burke, T., Sticca, F., Perren, S. (2017). Everything’s gonna be alright! The longitudinal interplay among social support, peer victimization, and depressive symptoms. Journal of Youth and Adolescence, 46 (9), 1999–2014. https://doi. org/10.1007/s10964-017-0653-0 Businelle, M. S., Mills, B. A., Chartier, K. G., Kendzor, D. E., Reingle, J. M., Shuval, K. (2014). Do stressful events account for the link between socioeconomic status and mental health? Journal of Public Health, 36 (2), 205–212. https:// doi.org/10.1093/pubmed/fdt060

190

Literatur

Campbell, W. K., Bonacci, A. M., Shelton, J., Exline, J. J., Bushman, B. J. (2004). Psychological entitlement: Interpersonal consequences and validation of a self-report measure. Journal of Personality Assessment, 83 (1), 29–45. https:// doi.org/10.1207/s15327752jpa8301_04 Carmeli, A., Gittell, J. H. (2009). High-quality relationships, psychological safety, and learning from failures in work organizations. Journal of Organizational Behavior, 30 (6), 709–729. https://doi.org/10.1002/job.565 Cassidy, J., Shaver, P. R. (Hrsg.). (2016). Handbook of attachment: Theory, research, and clinical applications (3. Aufl.). New York: The Guilford Press. Ciarocco, N. J., Sommer, K. L., Baumeister, R. F. (2001). Ostracism and ego depletion: The strains of silence. Personality and Social Psychology Bulletin, 27 (9), 1156–1163. https://doi.org/10.1177/0146167201279008 Clark, A. (2018). Malala’s father, Ziauddin Yousafzai: ›I became a person who hates all injustice‹. Verfügbar unter https://www.theguardian.com/books/ 2018/nov/11/malala-father-ziauddin-yousafzai-i-became-a-person-whohates-all-injustice Cooley, C. H. (1983). Human nature and the social order. New York: Routledge. https://doi.org/10.4324/9780203789513 Cortina, L. M., Magley, V. J., Williams, J. H., Langhout, R. D. (2001). Incivility in the workplace: Incidence and impact. Journal of Occupational Health Psychology, 6 (1), 64–80. https://doi.org/10.1037/1076-8998.6.1.64 Crocker, J. (2006). What is optimal self-esteem? In M. H. Kernis (Hrsg.), Self-­ esteem issues and answers. A sourcebook on current perspectives (S. 119–124). New York, NY: Psychology Press. Crocker, J., Knight, K. M. (2005). Contingencies of self-worth. Current Directions in Psychological Science, 14 (4), 200–203. https://doi.org/10.1111/ j.0963-7214.2005.00364.x Csikszentmihalyi, M., Rathunde, K. (1993). The measurement of flow in everyday life: Toward a theory of emergent motivation. In J. E. Jacobs (Hrsg.), Nebraska Symposium on Motivation, 1992. Developmental perspectives on motivation. Current theory and research in motivation (Bd. 40, S. 57–97). Lincoln, Neb: University of Nebraska Press. Cuddy, A. J. C., Fiske, S. T., Glick, P. (2007). The BIAS map: Behaviors from intergroup affect and stereotypes. Journal of Personality and Social Psychology, 92 (4), 631–648. https://doi.org/10.1037/0022-3514.92.4.631 Cuddy, A. J. C., Fiske, S. T., Glick, P. (2008). Warmth and competence as universal dimensions of social perception: The stereotype content model and the BIAS map. Advances in Experimental Social Psychology (40), 61–149. https:// doi.org/10.1016/S0065-2601(07)00002–0 Darwall, S. L. (1977). Two kinds of respect. Ethics, 88 (1), 36–49. https://doi. org/10.1086/292054 DBSH (2016). Deutschsprachige Definition Sozialer Arbeit des Fachbereichstages Soziale Arbeit und DBSH, Deutscher Bundesverband Soziale Arbeit.

Literatur

191

Verfügbar unter https://www.dbsh.de/fileadmin/redaktionell/bilder/Profession/20161114_Dt_Def_Soziale Deci, E. L., Koestner, R., Ryan, R. M. (1999). A meta-analytic review of experiments examining the effects of extrinsic rewards on intrinsic motivation. Psychological Bulletin, 125 (6), 627–668. https://doi.org/10.1037/00332909.125.6.627 Deci, E. L., Nezlek, J., Sheinman, L. (1981). Characteristics of the rewarder and intrinsic motivation of the rewardee. Journal of Personality and Social Psychology, 40 (1), 1–10. https://doi.org/10.1037/0022-3514.40.1.1 Deci, E. L., Ryan, R. M. (2008a). Facilitating optimal motivation and psychological well-being across life’s domains. Canadian Psychology/Psychologie canadienne, 49 (1), 14–23. https://doi.org/10.1037/0708-5591.49.1.14 Deci, E. L., Ryan, R. M. (2008b). Self-determination theory: A macrotheory of human motivation, development, and health. Canadian Psychology, 49 (3), 182–185. https://doi.org/10.1037/a0012801 Deci, E. L., Ryan, R. M. (2002). Handbook of self-determination theory research. Rochester, NY: University of Rochester Press. Deci, E. L., Ryan, R. M. (1995). Human autonomy (efficacy, agency, and self-­ esteem). Springer US. https://doi.org/10.1007/978-1-4899-1280-0_3 Deci, E. L., Ryan, R. M. (2000). The »what« and »why« of goal pursuits: Human needs and the self-determination of behavior. Psychological Inquiry, 11 (4), 227–268. https://doi.org/10.1207/S15327965PLI1104_01 Decker, C., van Quaquebeke, N. (2016). Respektvolle Führung fördern und entwickeln. In J. Felfe, R. van Dick (Hrsg.), Handbuch Mitarbeiterführung (S. 27–40). Berlin: Springer. De Cremer, D., van Knippenberg, B., van Knippenberg, D., Mullenders, D., Stinglhamber, F. (2005). Rewarding leadership and fair procedures as determinants of self-esteem. Journal of Applied Psychology, 90 (1), 3–12. https:// doi.org/10.1037/0021-9010.90.1.3 Destatis (2019). Wöchentliche Arbeitszeit. Verfügbar unter www.destatis.de/DE/ Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/woechentlichearbeitszeitl.htm Deutsch, M. (1975). Equity, equality, and need: What determines which value will be used as the basis of distributive justice? Journal of Social Issues, 31 (3), 137–149. https://doi.org/10.1111/j.1540-4560.1975.tb01000.x De Villiers, R. (2013). 7 Principles of highly effective managerial feedback: Theory and practice in managerial development interventions. The International Journal of Management Education, 11 (2), 66–74. https://doi.org/10.1016/j. ijme.2013.01.002 Diener, E., Diener, M. (1995). Cross-cultural correlates of life satisfaction and self-esteem. Journal of Personality and Social Psychology, 68 (4), 653–663. https://doi.org/10.1037/0022-3514.68.4.653 DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) unter

192

Literatur

Beteiligung der Arbeitsgruppe ICD des Kuratoriums für Fragen der Klassifikation im Gesundheitswesen (KKG), Hrsg.) (2019). ICD-10-GM Version 2020, Systematisches Verzeichnis, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision. Verfügbar unter https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/ kode-suche/htmlgm2022/ Dörr, S. L., Schmidt-Huber, M., Inderst, F. X., Maier, G. W. (2016). Führungskompetenzen diagnostizieren und entwickeln (Handbuch Mitarbeiterführung). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-55080-5_34 Eagly, A. H., Nater, C., Miller, D. I., Kaufmann, M., Sczesny, S. (2020). Gender stereotypes have changed: A cross-temporal meta-analysis of U.S. public opinion polls from 1946 to 2018. American Psychologist, 75 (3), 301–315. https://doi.org/10.1037/amp0000494 Egger, J. W. (2005). Das biopsychosoziale Krankheitsmodell: Grundzüge eines wissenschaftlich begründeten ganzheitlichen Verständnisses von Krankheit. Psychologische Medizin, 16 (2), 3–12. Eisenberger, N. I., Lieberman, M. D., Williams, K. D. (2003). Does rejection hurt? An fMRI study of social exclusion. Science, 302 (5643), 290–292. https://doi. org/10.1126/science.1089134 Ellemers, N., Doosje, B., Spears, R. (2004). Sources of respect: The effects of being liked by ingroups and outgroups. European Journal of Social Psychology, 34 (2), 155–172. https://doi.org/10.1002/ejsp.196 Eun, J. D., Paksarian, D., He, J.-P., Merikangas, K. R. (2018). Parenting style and mental disorders in a nationally representative sample of US adolescents. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 53 (1), 11–20. https://doi. org/10.1007/s00127-017-1435-4 Eurostat (2017). Gender pay gap in unadjusted form. Verfügbar unter https:// ec.europa.eu/eurostat/web/products-datasets/-/tesem180 Feinberg, J. (1970). The nature and value of rights. The Journal of Value Inquiry, 4, 243–257. https://doi.org/10.1007/BF00137935 Feinberg, J. (1980). Rights, justice, and the bounds of liberty: Essays in social philosophy. Princeton N. J.: Princeton University Press. Felfe, J., van Dick, R. (Hrsg.). (2016). Handbuch Mitarbeiterführung. Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-55080-5 Ferjan Ramírez, N., Lytle, S. R., Fish, M., Kuhl, P. K. (2019). Parent coaching at 6 and 10 months improves language outcomes at 14 months: A randomized controlled trial. Developmental Science, 22 (3). https://doi.org/10.1111/ desc.12762 Festinger, L. (1954). A theory of social comparison processes. Human Relations, 7 (2), 117–140. https://doi.org/10.1177/001872675400700202 Finkel, N. J., Moghaddam, F. M. (Hrsg.). (2005). The psychology of rights and duties: Empirical contributions and normative commentaries (1.  Aufl.). Washington, DC: American Psychological Association. https://doi.org/ 10.1037/10872-000

Literatur

193

Fiske, A. P. (1991). Structures of social life: The four elementary forms of human relations = communal sharing, authority ranking, equality matching, market pricing. New York: Free Press. Fiske, S. T., Cuddy, A. J. C., Glick, P. (2007). Universal dimensions of social cognition: Warmth and competence. Trends in Cognitive Sciences, 11 (2), 77–83. https://doi.org/10.1016/j.tics.2006.11.005 Forst, R. (2003). Toleranz im Konflikt: Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs (1. Aufl.). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Fraser, N., Honneth, A. (Hrsg.). (2003). Redistribution or recognition: A political-philosophical exchange. London, UK: Verso. https://doi.org/10.3366/ per.2005.1.2.215 Frodi, A., Bridges, L., Grolnick, W. (1985). Correlates of mastery-related behavior: A short-term longitudinal study of infants in their second year. Child Development, 56 (5), 1291–1298. https://doi.org/10.2307/1130244 Gerber, J. P., Wheeler, L., Suls, J. (2018). A social comparison theory meta-analysis 60+ years on. Psychological Bulletin, 144 (2), 177–197. https://doi. org/10.1037/bul0000127 Geue, P. E. (2018). Positive practices in the workplace: Impact on team climate, work engagement, and task performance. The Journal of Applied Behavioral Science, 54 (3), 272–301. https://doi.org/10.1177/0021886318773459 Gorman, L. M., Sultan, D. (2008). Psychosocial nursing for general patient care (3. Aufl.). Philadelphia: F. A. Davis Co. Greenier, K. D., Kernis, M. H., McNamara, C. W., Waschull, S. B., Berry, A. J., Herlocker, C. E. et al. (1999). Individual differences in reactivity to daily events: Examining the roles of stability and level of self-esteem. Journal of Personality, 67 (1), 187–208. https://doi.org/10.1111/1467-6494.00052 Grolnick, W. S., Ryan, R. M. (1989). Parent styles associated with children’s self-regulation and competence in school. Journal of Educational Psychology, 81 (2), 143–154. https://doi.org/10.1037/0022-0663.81.2.143 Grossmann, K., Grossmann, K. E. (2012). Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart: Klett-Cotta. Grover, S. L. (2014). Unraveling respect in organization studies. Human Relations, 67 (1), 27–51. https://doi.org/10.1177/0018726713484944 Halbesleben, J. R. B. (2006). Sources of social support and burnout: A meta-­ analytic test of the conservation of resources model. Journal of Applied Psychology, 91 (5), 1134–1145. https://doi.org/10.1037/0021-9010.91.5.1134 Hammermann, A., Stettes, O. (2013). Qualität der Arbeit – zum Einfluss der Arbeitsplatzmerkmale auf die Arbeitszufriedenheit im europäischen Vergleich. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 40 (2), 93–109. https://doi.org/10.2373/1864-810X.13-02-05 Hansch, D. (2014). Erfolgreich gegen Depression und Angst. Berlin: Springer. Harlow, H. F. (1958). The nature of love. American Psychologist, 13 (12), 673– 685. https://doi.org/10.1037/h0047884

194

Literatur

Hattie, J., Clarke, S. (2018). Visible Learning: Feedback. London: Routledge. https://doi.org/10.4324/9780429485480 Hattie, J., Timperley, H. (2007). The power of feedback. Review of Educational Research, 77 (1), 81–112. https://doi.org/10.3102/003465430298487 Hattie, J., Zierer, K. (2019). Visible learning insights. London: Routledge. Heaphy, E. D., Dutton, J. E. (2008). Positive social interactions and the human body at work: Linking organizations and physiology. Academy of Management Review, 33 (1), 137–162. https://doi.org/10.5465/amr.2008.27749365 Hegel, G. W. F. (1807). Die Phänomenologie des Geistes. System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes (1. Aufl.). Bamberg: Goebhardt. Hegel, G. W. F. (1969). Jenaer Realphilosophie: Vorlesungsmanuskripte zur Philosophie der Natur und des Geistes von 1805–1806 (Philosophische Bibliothek, Bd. 67). Hamburg: Felix Meiner. Hollandsworth Jr, J. G. (1977). Differentiating assertion and aggression: Some behavioral guidelines. Behavior Therapy, 8 (3), 347–352. https://doi. org/10.1016/S0005-7894(77)80067–1 Homans, G. C. (1961). Social behavior: Its elementary forms. New York: Harcourt, Brace. https://doi.org/10.2307/2090265 Honneth, A. (1994). Kampf um Anerkennung: Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte (Bd. 1129, 1. Aufl.). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Honneth, A. (2010). Das Ich im Wir: Studien zur Anerkennungstheorie. Berlin: Suhrkamp. Hörnberger, C. (2020). Grenzen erkennen und einfordern. In R. Heimann, J. Fritzsche (Hrsg.), Gewaltprävention in Erziehung, Schule und Verein (S. 189– 204). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27101-5 Houston, S. (2010). Beyond homo economicus: Recognition, self-realization and social work. The British Journal of Social Work, 40 (3), 841–857. https://doi. org/10.1093/bjsw/bcn132 Hoyle, R. H., Kernis, M. H., Leary, M. R., Baldwin, M. W. (2019). Selfhood: Identity, esteem, regulation. New York: Routledge. https://doi.org/10.4324/ 9780429305818 IBS Center for Management Research (2020). Microsoft: Building a collaborative work culture to foster innovation. Verfügbar unter https://www.icmrindia.org/casestudies/catalogue/Human Resource and Organization Behavior/ Microsoft_Building-excerpts.htm Inglehart, R., Foa, R., Peterson, C., Welzel, C. (2008). Development, freedom, and rising happiness: A global perspective (1981–2007). Perspectives on Psychological Science, 3 (4), 264–285. https://doi.org/10.1111/j.1745-6924. 2008.00078.x Ito, T. A., Larsen, J. T., Smith, N. K., Cacioppo, J. T. (1998). Negative information weighs more heavily on the brain: The negativity bias in evaluative categorizations. Journal of Personality and Social Psychology, 75 (4), 887–900. https://doi.org/10.1037/0022-3514.75.4.887.2

Literatur

195

Jack, D. C., Ali, A. (2010). Silencing the self across cultures. Oxford, UK: Oxford University Press. https://doi.org/10.1093/acprof:oso/9780195398090.001. 0001 Jin, L., van Yperen, N. W., Sanderman, R., Hagedoorn, M. (2010). Depressive symptoms and unmitigated communion in support providers. European Journal of Personality, 24 (1), 56–70. https://doi.org/10.1002/per.741 Kant, I. (1977). Die Metaphysik der Sitten. Wiesbaden: Suhrkamp. Kawabata, Y., Alink, L. R. A., Tseng, W.-L., van Ijzendoorn, M. H., Crick, N. R. (2011). Maternal and paternal parenting styles associated with relational aggression in children and adolescents: A conceptual analysis and meta-­analytic review. Developmental Review, 31 (4), 240–278. https://doi. org/10.1016/j.dr.2011.08.001 Kernis, M. H. (Ed.). (2006). Self-esteem issues and answers: A sourcebook on current perspectives. New York, NY: Psychology Press. Kervyn, N., Fiske, S., Yzerbyt, V. (2015). Forecasting the primary dimension of social perception. Social Psychology, 46 (1), 36–45. https://doi.org/10.1027/ 1864-9335/a000219 Kindler, H. (2006). Was ist über die Folgen von Vernachlässigung bei Kindern bekannt? In H. L. Kindler, H. Blüml, A. Werner (Hrsg.), Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD) (24/2124/10). München: Deutsches Jugendinstitut. Knesek, G. (2015). Creating a feedback-rich workplace environment: Lessons learned over a 35+ year career in human resources. The Psychologist-­ Manager Journal, 18 (3–4), 109–120. https://doi.org/10.1037/mgr0000032 Kohn, A. (2010). Liebe und Eigenständigkeit: Die Kunst bedingungsloser Elternschaft, jenseits von Belohnung und Bestrafung (1. Auflage). Freiburg im Breisgau: Arbor Verlag. Köller, M., Stuckert, M., Möller, J. (2019). Das Lehrerbild in den Printmedien. Keine »Faulen Säcke« mehr! Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 22 (2), 373–387. https://doi.org/10.1007/s11618-018-0856-5 Kraus, M. W., Piff, P. K., Mendoza-Denton, R., Rheinschmidt, M. L., Keltner, D. (2012). Social class, solipsism, and contextualism: How the rich are different from the poor. Psychological Review, 119 (3), 546–572. https://doi. org/10.1037/a0028756 Kravdal, Ø. (2017). Large and growing social inequality in mortality in norway: The combined importance of marital status and own and spouse’s education. Population and Development Review, 43 (4), 645–665. https://doi. org/10.1111/padr.12096 Kuhn, M. H., McPartland, T. S. (1954). An empirical investigation of self-attitudes. American Sociological Review, 19 (1), 68. https://doi.org/10.2307/2088175 Kumashiro, M., Finkel, E. J., Rusbult, C. E. (2002). Self-respect and pro-relationship behavior in martial relationships. Journal of Personality, 70 (6), 1009– 1049. https://doi.org/10.1111/1467-6494.05030

196

Literatur

Kumbruck, C., Derboven, W. (2005). Interkulturelles Training: Trainingsmanual zur Förderung interkultureller Kompetenzen in der Arbeit; mit 67 Folien und Materialien. Heidelberg: Springer. Lamm, C., Batson, C. D., Decety, J. (2007). The neural substrate of human empathy: Effects of perspective-taking and cognitive appraisal. Journal of Cognitive Neuroscience, 19 (1), 42–58. https://doi.org/10.1162/jocn.2007.19.1.42 Leach, C. W., Ellemers, N., Barreto, M. (2007). Group virtue: The importance of morality (vs. competence and sociability) in the positive evaluation of in-groups. Journal of Personality and Social Psychology, 93 (2), 234–249. https://doi.org/10.1037/0022-3514.93.2.234 Lee, A., Schwarz, G., Newman, A., Legood, A. (2019). Investigating when and why psychological entitlement predicts unethical pro-organizational behavior. Journal of Business Ethics, 154 (1), 109–126. https://doi.org/10.1007/ s10551-017-3456-z Leiter, M. P., Laschinger, H. K. S., Day, A., Oore, D. G. (2011). The impact of civility interventions on employee social behavior, distress, and attitudes. Journal of Applied Psychology, 96 (6), 1258–1274. https://doi.org/10.1037/a0024442 Leymann, H., Gustafsson, A. (1996). Mobbing at work and the development of post-traumatic stress disorders. European Journal of Work and Organizational Psychology, 5 (2), 251–275. https://doi.org/10.1080/13594329608414858 Li, H. (2021). Follow or not follow? The relationship between psychological entitlement and compliance with preventive measures to the COVID-19. Personality and Individual Differences, 174, 110678. https://doi.org/10.1016/j. paid.2021.110678 Lieb, R., Wittchen, H. U., Höfler, M., Fuetsch, M., Stein, M. B., Merikangas, K. R. (2000). Parental psychopathology, parenting styles, and the risk of social phobia in offspring: A prospective-longitudinal community study. Archives of General Psychiatry, 57 (9), 859–866. https://doi.org/10.1001/ archpsyc.57.9.859 Linville, P. W. (1987). Self-complexity as a cognitive buffer against stress-related illness and depression. Journal of Personality and Social Psychology, 52 (4), 663–676. https://doi.org/10.1037/0022-3514.52.4.663 Litwiller, B. J., Brausch, A. M. (2013). Cyber bullying and physical bullying in adolescent suicide: The role of violent behavior and substance use. Journal of Youth and adolescence, 42 (5), 675–684. https://doi.org/10.1007/s10964013-9925-5 Markus, H. (1977). Self-schemata and processing information about the self. Journal of Personality and Social Psychology, 35 (2), 63–78. https://doi. org/10.1037/0022-3514.35.2.63 Marmot, M. (2002). The influence of income on health: Views of an epidemiologist. Health Affairs, 21 (2), 31–46. https://doi.org/10.1377/hlthaff.21.2.31 Marsh, H. W. (1990). The structure of academic self-concept: The Marsh/Shavelson model. Journal of Educational Psychology, 82 (4), 623–636. https://doi. org/10.1037/0022-0663.82.4.623

Literatur

197

Marsh, H. W., Trautwein, U., Lüdtke, O., Baumert, J., Köller, O. (2007). The bigfish-little-pond effect: Persistent negative effects of selective high schools on self-concept after graduation. American Educational Research Journal, 44 (3), 631–669. https://doi.org/10.3102/0002831207306728 Martiny, S. E., Renger, D. (2022). Konsequenzen sozioökonomischer Ungleichheit für Individuum und Gesellschaft. In P. Genkova (Hrsg.), Handbuch Globale Kompetenz. Grundlagen – Herausforderungen – Krisen. Wiesbaden: Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30684-7_68-1 Maslach, C., Jackson, S. E. (1981). The measurement of experienced burnout. Journal of Organizational Behavior, 2 (2), 99–113. https://doi.org/10.1002/ job.4030020205 Maslow, A. H. (1943). A theory of human motivation. Psychological Review, 50(4), 370–396. https://doi.org/10.1037/h0054346 Maslow, A. H. (1962). Some basic propositions of a growth and self-actualization psychology. In A. W. Combs (Hrsg.), Perceiving, behaving, becoming: A new focus for education, (S. 34–49). Washington, DC: National Education Association. Maslow, A. H. (1968). Some educational implications of the humanistic psychologies. Harvard Educational Review, 38 (4), 685–696. https://doi.org/10.17763/ haer.38.4.j07288786v86w660 Mead, G. H. (1987). Gesammelte Aufsätze. In H. Joas (Hrsg.). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Mecca, A. M., Smelser, N. J., Vasconcellos, J. (1989). The social importance of self-esteem. Berkeley: University of California Press. Miserandino, M. (1996). Children who do well in school: Individual differences in perceived competence and autonomy in above-average children. Journal of Educational Psychology, 88 (2), 203–214. https://doi.org/10.1037/00220663.88.2.203 Moeller, S. J., Crocker, J., Bushman, B. J. (2009). Creating hostility and conflict: Effects of entitlement and self-image goals. Journal of Experimental Social Psychology, 45 (2), 448–452. https://doi.org/10.1016/j.jesp.2008.11.005 Murray, C. J. L., Kulkarni, S. C., Michaud, C., Tomijima, N., Bulzacchelli, M. T., Iandiorio, T. J. et al. (2006). Eight Americas: Investigating mortality disparities across races, counties, and race-counties in the United States. PLoS medicine, 3 (9), e260. https://doi.org/10.1371/journal.pmed.0030260 Nerdinger, F. W. (2019). Führung von Mitarbeitern. In F. W. Nerdinger, G. Blick­le, N. (Hrsg.), Arbeits- und Organisationspsychologie (S. 95–117). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-41130-4_7 Schaper (Hrsg.), Arbeits- und Organisationspsychologie. Springer-Lehrbuch. (S. 95–117). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56666-4 Niemiec, C. P., Ryan, R. M. (2009). Autonomy, competence and relatedness in the classroom: Applying self-determination theory to classroom practice. Theory and Research in Education, 7 (2), 133–144. https://doi.org/ 10.1177 %2F1477878509104318

198

Literatur

Orth, U., Robins, R. W., Widaman, K. F. (2012). Life-span development of self-­ esteem and its effects on important life outcomes. Journal of Personality and Social Psychology, 102 (6), 1271–1288. https://doi.org/10.1037/a0025558 Otto, C., Remdisch, S. (2015). Arbeitgeberattraktivität aus der Perspektive unterschiedlicher Mitarbeitergenerationen. In M. Hartmann (Hrsg.), Rekrutierung in einer zukunftsorientierten Arbeitswelt (S. 47–68). Wiesbaden: Springer Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05084-9_3 Paffrath, J., Simon, B. (2019). Ablehnung und Respekt: Wechselseitige Zumutun­ gen der Toleranz. Schulmanagement, 50, 12–14. Parker, S. K. (1998). Enhancing role breadth self-efficacy: The roles of job enrichment and other organizational interventions. Journal of Applied Psychology, 83 (6), 835–852. https://doi.org/10.1037/0021-9010.83.6.835 Parkinson, B. (2007). Soziale Wahrnehmung und Attribution. In K. Jonas, W. Stroebe, M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (Springer-Lehrbuch, S. 69–109). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-540-71633-4_3 Passini, S. (2011). Individual responsibilities and moral inclusion in an age of rights. Culture and Psychology, 17 (3), 281–296. https://doi.org/10.1177/ 1354067X11408130 Passini, S., Emiliani, F. (2009). Social representations of rights and duties in young Italians and Albanians. Swiss Journal of Psychology, 68 (2), 89–98. https://doi.org/10.1024/1421-0185.68.2.89 Pettigrew, T. F. (2002). Summing up. Relative deprivation as a key social psychological concept. In H. J. Smith, I. Walker (Hrsg.), Relative deprivation. Specification, development, and integration (1. Aufl., S. 351–374). Cambridge: Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/cbo9780511527753.016 Pinquart, M. (2016). Associations of parenting styles and dimensions with academic achievement in children and adolescents: A meta-analysis. Educational Psychology Review, 28 (3), 475–493. https://doi.org/10.1007/s10648015-9338-y Pinquart, M. (2017). Associations of parenting dimensions and styles with externalizing problems of children and adolescents: An updated meta-analysis. Developmental Psychology, 53 (5), 873–932. https://doi.org/10.1037/ dev0000295 Pinquart, M., Gerke, D.-C. (2019). Associations of parenting styles with self-­ esteem in children and adolescents: A meta-analysis. Journal of Child and Family Studies, 28 (8), 2017–2035. https://doi.org/10.1007/s10826-01901417-5 Popper, K. R. (1945). The open society and its enemies. London: Routledge. Potreck-Rose, F., Jacob, G. (2018). Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen: Psychotherapeutische Interventionen zum Aufbau von Selbstwertgefühl (Leben lernen, Bd. 163, 11. Auflage 2018). Stuttgart: Klett-Cotta. Pundt, A., Venz, L. (2016). Emotional intelligent führen  – Emotionen im Führungsprozess erkennen, verstehen und steuern (Handbuch Mitarbeiterführung). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-642-55080-5_12

Literatur

199

Rabinowich, J. (2020). Die Unsichtbaren. ZEIT Österreich, 6. Verfügbar unter https://www.zeit.de/2020/06/kinderarmut-oesterreich-soziale-nachteileunterschicht Rai, T. S., Fiske, A. P. (2011). Moral psychology is relationship regulation: Moral motives for unity, hierarchy, equality, and proportionality. Psychological Review, 118 (1), 57–75. https://doi.org/10.1037/a0021867 Rawls, J. (1971). A theory of justice. Cambridge, MA: Harvard University Press. Reiprich, F. (2019). Autonomieentwicklung und Bindung. In T. Sappok (Hrsg.), Psychische Gesundheit bei intellektueller Entwicklungsstörung. Ein Lehrbuch für die Praxis (Content Plus, 1. Auflage 2019, S. 425–430). Stuttgart: W. Kohlhammer. Renger, D. (2019). Sozialpsychologie der Anerkennung: Zur Rolle von Respekt und Selbstrespekt für Gesellschaft und Individuum. Habilitationsschrift. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Kiel. Renger, D., Eschert, S., Teichgräber, M. L., Renger, S. (2020). Internalized equality and protest against injustice: The role of disadvantaged group members self-respect in collective action tendencies. European Journal of Social Psychology, 50 (3), 547–560. https://doi.org/10.1002/ejsp.2637 Renger, D., Reinken, A., Krys, S., Gardani, M., Martiny, S. E. (2022). Why the belief in one’s equal rights matters: Self-respect, depressive symptoms, and suicide ideation in Western and non-Western countries. Unveröffentlichtes Manuskript. Renger, D., Renger, S., Martiny, S. E. (2022). More money = more rights? How socioeconomic status affects self-respect. Unveröffentlichtes Manuskript. Renger, D. (2018). Believing in one’s equal rights: Self-respect as a predictor of assertiveness. Self and Identity, 17 (1), 1–21. https://doi.org/10.1080/15298 868.2017.1313307 Renger, D., Miché, M., Casini, A. (2020). Professional recognition at work: The protective role of esteem, respect, and care for burnout among employees. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 62 (3), 202. https:// doi.org/10.1097/JOM.0000000000001782 Renger, D., Mommert, A., Renger, S., Simon, B. (2016). When less equal is less human: Intragroup (dis)respect and the experience of being human. The Journal of Social Psychology, 156 (5), 553–563. https://doi.org/10.1080/00 224545.2015.1135865 Renger, D., Reese, G. (2017). From equality-based respect to environmental activism: Antecedents and consequences of global identity. Political Psychology, 38 (5), 867–879. https://doi.org/10.1111/pops.12382 Renger, D., Renger, S., Miché, M., Simon, B. (2017). A social recognition approach to autonomy: The role of equality-based respect. Personality and Social Psychology Bulletin, 43 (4), 479–492. https://doi.org/10.1177/0146167216688212 Renger, D., Simon, B. (2011). Social recognition as an equal: The role of equality-based respect in group life. European Journal of Social Psychology, 41 (4), 501–507. https://doi.org/10.1002/ejsp.814

200

Literatur

Renger, S., Köller, M., Klusmann, U. (2019). Ich tue was, was ihr nicht seht? Diskrepanzen und Konsequenzen der Wahrnehmung von Lehrertätigkeiten durch Schüler/innen und Lehrer/innen. 7. Tagung der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung, Köln. Resch, M., Schubinski, M. (1996). Mobbing–prevention and management in organizations. European Journal of Work and Organizational Psychology, 5 (2), 295–307. https://doi.org/10.1080/13594329608414860 Riegler, A. (2015). Partizipation ist ohne Anerkennung nicht denkbar. soziales_kapital, 14, 112–128. Rogers, C. R. (1981). The foundations of the person-centered approach. Dialectics and Humanism, 8 (1), 5–16. https://doi.org/10.5840/dialecticshumanism19818123 Rosenberg, M. (1965). Society and the adolescent self-image. Princeton: University Press. https://doi.org/10.1515/9781400876136 Rozin, P., Royzman, E. B. (2001). Negativity bias, negativity dominance, and contagion. Personality and Social Psychology Review, 5 (4), 296–320. https://doi. org/10.1207/S15327957PSPR0504_2 Ryan, R. M. (1995). Psychological needs and the facilitation of integrative processes. Journal of Personality, 63 (3), 397–427. https://doi.org/10.1111/j. 1467-6494.1995.tb00501.x Ryan, R. M., Connell, J. P. (1989). Perceived locus of causality and internalization: Examining reasons for acting in two domains. Journal of Personality and Social Psychology, 57 (5), 749–761. https://doi.org/10.1037//00223514.57.5.749 Ryan, R. M., Grolnick, W. S. (1986). Origins and pawns in the classroom: Selfreport and projective assessments of individual differences in children’s perceptions. Journal of Personality and Social Psychology, 50 (3), 550–558. https://doi.org/10.1037/0022-3514.50.3.550 Ryan, R. M., Deci, E. L. (2006). Self-regulation and the problem of human autonomy: Does psychology need choice, self-determination, and will? Journal of Personality, 74 (6), 1557–1586. https://doi.org/10.1111/j.14676494.2006.00420.x Salminen, J. (2020). Contradictions between individually needed and institutionally offered forms of recognition. Constellations, 27 (4), 732–745. https://doi. org/10.1111/1467-8675.12476 Schaefer, C. D., Simon, B. (2020). Muslims’ experiences of equality recognition in Germany: Effects on identification with the larger society and on equality recognition of other societal subgroups. Cultural Diversity and Ethnic Minority Psychology, 26 (1), 32–41. https://doi.org/10.1037/cdp0000270 Scherrmann, U. (2015). Stress und Burnout in Organisationen: Ein Praxisbuch für Führungskräfte, Personalentwickler und Berater. Berlin: Springer. Schilpzand, P., Pater, I. E. de, Erez, A. (2016). Workplace incivility: A review of the literature and agenda for future research. Journal of Organizational Behavior, 37, 57–88. https://doi.org/10.1002/job.1976

Literatur

201

Schulz von Thun, F. (1981). Miteinander reden: Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation (Rororo-Sachbuch, Bd. 7489). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Schwarzer, R., Jerusalem, M. (2002). Das Konzept der Selbstwirksamkeit. In M. Jerusalem, D. Hopf (Hrsg.), Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen (S. 28–53). Weinheim: Beltz. Seligman, M. E. (2011). Flourish: A visionary new understanding of happiness and well-being. New York: Simon and Schuster. Shavelson, R. J., Hubner, J. J., Stanton, G. C. (2016). Self-concept: Validation of construct interpretations. Review of Educational Research, 46 (3), 407–441. https://doi.org/10.3102/00346543046003407 Sheldon, K. M., Ryan, R., Reis, H. T. (1996). What makes for a good day? Competence and autonomy in the day and in the person. Personality and Social Psychology Bulletin, 22 (12), 1270–1279. http://dx.doi.org/10. 1177/01461672962212007 Siegrist, J. (2008). Soziale Anerkennung und gesundheitliche Ungleichheit. In U. Bauer, U. H. Bittlingmayer, M. Richter (Hrsg.), Health Inequalities: Determinanten und Mechanismen gesundheitlicher Ungleichheit (S. 220– 235). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Sime, D., Gilligan, R., Scholtz, J. (2021). Children at transition from primary school reflecting on what schools are for–narratives of connectedness, (mis)recognition and becoming. Childhood, 28 (2), 294–308. https://doi. org/10.1177/0907568221992852 Simon, B. (2007). Respect, equality, and power: A social psychological perspective. Gruppendynamik, 38 (3), 309–326. https://doi.org/10.1007/s11612-0070027-2 Simon, B. (2022). Toleranz aus psychologischer Sicht: Das Ablehnung-RespektModell der Toleranz: Ein sozialpsychologischer Vorschlag. In M. Bobbert, J. Sautermeister (Hrsg.), Handbuch Ethik und Psychologie. Berlin: Springer. Simon, B. (2004). Identity in modern society: A social psychological perspective. Malden, Mass.: Blackwell. Simon, B., Eschert, S., Schaefer, C. D., Reininger, K. M., Zitzmann, S., Smith, H. J. (2019). Disapproved, but tolerated: The role of respect in outgroup tolerance. Personality and Social Psychology Bulletin, 45 (3), 406–415. https:// doi.org/10.1177/0146167218787810 Simon, B., Mommert, A., Renger, D. (2015). Reaching across group boundaries: Respect from outgroup members facilitates recategorization as a common group. The British Journal of Social Psychology, 54 (4), 616–628. https://doi. org/10.1111/bjso.12112 Simon, B., Schaefer, C. D. (2018). Muslims’ tolerance towards outgroups: Longitudinal evidence for the role of respect. The British Journal of Social Psychology, 57 (1), 240–249. https://doi.org/10.1111/bjso.12213 Simon, B., Stürmer, S. (2003). Respect for group members: Intragroup determinants of collective identification and group-serving behavior. Personal-

202

Literatur

ity and Social Psychology Bulletin, 29 (2), 183–193. https://doi.org/10.1177/ 0146167202239043 Singer, T. (2006). The neuronal basis and ontogeny of empathy and mind reading: Review of literature and implications for future research. Neuro­ science & Biobehavioral Reviews, 30 (6), 855–863. https://doi.org/10.1016/j. neubiorev.2006.06.011 Sleebos, E., Ellemers, N., Gilder, D. de (2006). The carrot and the stick: Affective commitment and acceptance anxiety as motives for discretionary group efforts by respected and disrespected group members. Personality and Social Psychology Bulletin, 32 (2), 244–255. https://doi.org/10.1177/ 0146167205282147 Smith, A. B. (2006). The state of research on the effects of physical punishment. Social Policy Journal of New Zealand, 27, 114–127. Sowislo, J. F., Orth, U. (2013). Does low self-esteem predict depression and anxiety? A meta-analysis of longitudinal studies. Psychological Bulletin, 139 (1), 213–240. https://doi.org/10.1037/a0028931 Spears, R., Ellemers, N., Doosje, B. (2005). Let me count the ways in which I respect thee: Does competence compensate or compromise lack of liking from the group? European Journal of Social Psychology, 35 (2), 263–279. https://doi.org/10.1002/ejsp.248 Speed, B. C., Goldstein, B. L., Goldfried, M. R. (2018). Assertiveness training: A forgotten evidence-based treatment. Clinical Psychology: Science and Practice, 25 (1), 1–20. https://doi.org/10.1111/cpsp.12216 Tafarodi, R. W., Swann, W. B. (1995). Self-liking and self-competence as dimensions of global self-esteem: Initial validation of a measure. Journal of Personality Assessment, 65 (2), 322–342. https://doi.org/10.1207/s15327752jpa6502_8 Tafarodi, R. W., Swann, W. B. (2001). Two-dimensional self-esteem: Theory and measurement. Personality and Individual Differences, 31 (5), 653–673. https://doi.org/10.1016/S0191-8869(00)00169–0 Tajfel, H., Turner, J. C. (1986). The social identity theory of intergroup behavior. In S. Worchel, W. G. Austin (Hrsg.), The psychology of intergroup relations (S. 7–24). Chicago, IL: Nelson-Hall. Talsma, K., Schüz, B., Schwarzer, R., Norris, K. (2018). I believe, therefore I achieve (and vice versa): A meta-analytic cross-lagged panel analysis of self-efficacy and academic performance. Learning and Individual Differences, 61 (2), 136–150. https://doi.org/10.1016/j.lindif.2017.11.015 Thompson, A., Hollis, C., Richards, D. (2003). Authoritarian parenting attitudes as a risk for conduct problems. European Child & Adolescent Psychiatry, 12 (2), 84–91. https://doi.org/10.1007/s00787-003-0324-4 Thompson, R. J., Berenbaum, H. (2011). Adaptive and aggressive assertiveness scales (AAA-S). Journal of Psychopathology and Behavioral Assessment, 33 (3), 323–334. https://doi.org/10.1007/s10862-011-9226-9 Trost, A. (2018). Bindungswissen für die systemische Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. https://doi.org/10.13109/9783666452086

Literatur

203

Turner, J. C., Hogg, M. A., Oakes, P. J., Reicher, S. D., Wetherell, M. S. (1987). Rediscovering the social group: A self-categorization theory. Oxford: Basil Blackwell. Turner, K. A., White, B. A. (2015). Contingent on contingencies: Connections between anger rumination, self-esteem, and aggression. Personality and Individual Differences, 82, 199–202. https://doi.org/10.1016/j.paid.2015.03.023 Twenge, J. M., Baumeister, R. F., Tice, D. M., Stucke, T. S. (2001). If you can’t join them, beat them: Effects of social exclusion on aggressive behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 81 (6), 1058–1069. https://doi. org/10.1037/0022-3514.81.6.1058 Twenge, J. M., Zhang, L., Catanese, K. R., Dolan-Pascoe, B., Lyche, L. F., Baumeister, R. F. (2007). Replenishing connectedness: Reminders of social activity reduce aggression after social exclusion. British Journal of Social Psychology, 46 (1), 205–224. https://doi.org/10.1348/014466605X90793 Uchino, B. N., Cacioppo, J. T., Kiecolt-Glaser, J. K. (1996). The relationship between social support and physiological processes: A review with emphasis on underlying mechanisms and implications for health. Psychological Bulletin, 119 (3), 488–531. https://doi.org/10.1037/0033-2909.119.3.488 Vallerand, R. J., Reid, G. (1984). On the causal effects of perceived competence on intrinsic motivation: A test of cognitive evaluation theory. Journal of Sport Psychology, 6 (1), 94–102. https://doi.org/10.1123/jsp.6.1.94 Van Geel, M., Vedder, P., Tanilon, J. (2014). Relationship between peer victimization, cyberbullying, and suicide in children and adolescents: A meta-analysis. JAMA Pediatrics, 168 (5), 435–442. https://doi.org/10.1001/jamapediatrics.2013.4143 Van Quaquebeke, N., Zenker, S., Eckloff, T. (2009). Find out how much it means to me! The importance of interpersonal respect in work values compared to perceived organizational practices. Journal of Business Ethics, 89 (3), 423– 431. https://doi.org/10.1007/s10551-008-0008-6 Verkuyten, M., Yogeeswaran, K., Adelman, L. (2019). Intergroup toleration and its implications for culturally diverse societies. Social Issues and Policy Review, 13 (1), 5–35. https://doi.org/10.1111/sipr.12051 Vincent, L. C., Kouchaki, M. (2016). Creative, rare, entitled, and dishonest: How commonality of creativity in one’s group decreases an individual’s entitlement and dishonesty. Academy of Management Journal, 59 (4), 1451–1473. https://doi.org/10.5465/amj.2014.1109 Walper, S., Wendt, E.-V., Langmeyer, A. N. (2015). Erziehungsstile – Was ist das? RdJB Recht der Jugend und des Bildungswesens, 63 (4), 390–404. https:// doi.org/10.5771/0034-1312-2015-4-390 Ward, C., Holland, S. (2018). Assertiveness: A practical approach. London: Routledge. Watt, H. M. G. (2010). Gender and occupational choice. In J. C. Chrisler, D. R. McCreary (Hrsg.), Handbook of Gender Research in Psychology (S. 379– 400). New York: Springer. https://doi.org/10.1007/978-1-4419-1467-5_16

204

Literatur

Watzlawick, P., Bavelas, J. B., Jackson, D. D. (1969). Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Huber. Watzlawick, P., Beavin, J. H., Jackson, D. D. (2011). Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien (12. unver. Aufl.). Bern: Huber. Weibler, J. (2016). Personalführung (3., komplett überarbeitete und erweiterte Auflage). München: Verlag Franz Vahlen. https://doi.org/10.15358/9783 800651726 Williams, G. C., Rodin, G. C., Ryan, R. M., Grolnick, W. S., Deci, E. L. (1998). Autonomous regulation and long-term medication adherence in adult outpatients. Health Psychology, 17 (3), 269–276. https://doi.org/10.1037//02786133.17.3.269 Williams, K. D. (2001). Ostracism: The power of silence. New York: Guilford. Williams, K. D., Sommer, K. L. (1997). Social ostracism by coworkers: Does rejection lead to loafing or compensation? Personality and Social Psychology Bulletin, 23 (7), 693–706. https://doi.org/10.1177 %2F0146167297 237003 Winnicott, D. W. (1993). Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart: Klett-Cotta. Wojciszke, B., Bazinska, R., Jaworski, M. (1998). On the dominance of moral categories in impression formation. Personality and Social Psychology Bulletin, 24 (12), 1251–1263. https://doi.org/10.1177 %2F01461672982412001 Wojciszke, B. (1994). Multiple meanings of behavior: Construing actions in terms of competence or morality. Journal of Personality and Social Psychology, 67 (2), 222–232. https://doi.org/10.1037/0022-3514.67.2.222 Wojciszke, B. (2005). Morality and competence in person- and self-perception. European Review of Social Psychology, 16 (1), 155–188. https://doi. org/10.1080/10463280500229619 Wong, T. K. Y., Konishi, C., Kong, X. (2021). Parenting and prosocial behaviors: A meta-analysis. Social Development, 30 (2), 343–373. https://doi.org/10.1111/ sode.12481 Ybarra, O., Chan, E., Park, D. (2001). Young and old adults’ concerns about morality and competence. Motivation and Emotion, 25 (2), 85–100. https:// doi.org/10.1023/A:1010633908298 Yu, J., Cheah, C. S. L., Hart, C. H., Yang, C., Olsen, J. A. (2019). Longitudinal effects of maternal love withdrawal and guilt induction on Chinese American preschoolers’ bullying aggressive behavior. Development and Psychopathology, 31 (4), 1467–1475. https://doi.org/10.1017/s0954579418001049 Zadow, A. J., Dollard, M. F., Dormann, C., Landsbergis, P. (2021). Predicting new major depression symptoms from long working hours, psychosocial safety climate and work engagement: A population-based cohort study. BMJ Open, 11 (6), e044133. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2020-044133 Zadro, L., Boland, C., Richardson, R. (2006). How long does it last? The persistence of the effects of ostracism in the socially anxious. Journal of Experimental Social Psychology, 42 (5), 692–697. https://doi.org/10.1016/j.jesp. 2005.10.007

Literatur

205

Zhao, X., Epley, N. (2021). Insufficiently complimentary? Underestimating the positive impact of compliments creates a barrier to expressing them. Journal of Personality and Social Psychology, 121 (2), 239–256. https://doi. org/10.1037/pspa0000277 Zimmer-Gembeck, M. J., Chipuer, H. M., Hanisch, M., Creed, P. A., McGregor, L. (2006). Relationships at school and stage-environment fit as resources for adolescent engagement and achievement. Journal of Adolescence, 29 (6), 911–933. https://doi.org/10.1016/j.adolescence.2006.04.008 Zitek, E. M., Schlund, R. J. (2021). Psychological entitlement predicts noncompliance with the health guidelines of the COVID-19 pandemic. Personality and Individual Differences, 171 (1), 110491. https://doi.org/10.1016/j. paid.2020.110491

206

Literatur