Die andere Revolution : Dantons Tod von Georg Büchner und die Suche nach friedlicheren Alternativen 9783770550388, 3770550382

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Die andere Revolution : Dantons Tod von Georg Büchner und die Suche nach friedlicheren Alternativen
 9783770550388, 3770550382

Table of contents :
DIE ANDERE REVOLUTION: Dantons Tod von Georg Büchner und die Suche nach friedlicheren Alternativen
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
I. DAS ERHABNE DRAMA DER REVOLUTION UND SEINTÜCKISCHES LABYRINTH: DIE ASYMMETRISCHENHANDLUNGEN
1. Robespierre und die prekären Symmetrien derHandlung
1.1 Die Helfer von Robespierre
1.1.1 St. Just, der homo novus
1.1.2 Die Personen zweiten Ranges
1.1.3 Die Personen dritten und vierten Ranges
2. Danton und die Antisymmetrien der Handlung
2.1 Dantons Freunde
3. Das Volk
II. TRENNENDE WÖRTER: DIE ASYMMETRISCHENWELTEN
1. Individuum/Kollektivität
2. Laster/Tugend
3. Nicht-Erkennen/Erkenntnis
4. Zukunft/Vergangenheit, Gegenwart, Augenblickund Ruhe
5. Geschichte/Natur
6. Dirigismus/Republik
III. EINENDE WÖRTER: DIE SYMMETRISCHEN WELTEN
1. Das Kontinuum von Wort, Denken und Handeln
2. Die Gewissenslüge
3. Rhetorik und Theater der Politik
4. Der Schmerz
5. Der Tod
IV. FRIEDLICHERE ALTERNATIVEN: DIE FRAUENFIGUREN
1. Julie
2. Lucile
3. Marion
V. DAS VERBORGENE ZENTRUM DES BESEELTENGANZEN: DAS GROSSE UNBEKANNTE X
VI. DAS BESEELTE GANZE: DIE POETIK, DIE ÄSTHETIK
1. Dantons Tod. Zur Interpretationsgeschichte
2. Die Tradition der kritischen Moderne
3. Die Poetik
4. Die Ästhetik
5. Die Rezeption
6. Verbindungen zwischen Leben und Werk
ABKÜRZUNGEN UND ZITIERWEISE
BIBLIOGRAPHIE
PERSONENREGISTER

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Simonetta Sanna DIE ANDERE REVOLUTION

Simonetta Sanna

DIE ANDERE REVOLUTION Dantons Tod von Georg Büchner und die Suche nach friedlicheren Alternativen

Wilhelm Fink

Umschlagabbildung: BreBa, cockade in red, white and blue, Getty Images

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2010 Wilhelm Fink Verlag, München (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5038-8

„Alle Absurditäten, welche die Geschichte wie ein langes Delirium erscheinen lassen, haben ihre Wurzel in einer einzigen grundlegenden Absurdität: in der Natur der Macht.“ (Simone Weil)

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG ...................................................................................9 I.

DAS ERHABNE DRAMA DER REVOLUTION UND SEIN TÜCKISCHES LABYRINTH: DIE ASYMMETRISCHEN HANDLUNGEN ..................................................................19 1.

2. 3.

II.

TRENNENDE WÖRTER: DIE ASYMMETRISCHEN WELTEN ................................................................ 47 1. 2. 3. 4. 5. 6.

III.

Robespierre und die prekären Symmetrien der Handlung.....................................................................22 1.1 Die Helfer von Robespierre..............................26 1.1.1 St. Just, der homo novus...................................27 1.1.2 Die Personen zweiten Ranges ..........................30 1.1.3 Die Personen dritten und vierten Ranges .........34 Danton und die Antisymmetrien der Handlung ..........37 2.1 Dantons Freunde ..............................................42 Das Volk .....................................................................43

Individuum/Kollektivität.............................................48 Laster/Tugend .............................................................51 Nicht-Erkennen/Erkenntnis.........................................53 Zukunft/Vergangenheit, Gegenwart, Augenblick und Ruhe.....................................................................55 Geschichte/Natur.........................................................58 Dirigismus/Republik ...................................................60

EINENDE WÖRTER: DIE SYMMETRISCHEN WELTEN...65 1. 2. 3.

Das Kontinuum von Wort, Denken und Handeln .......68 Die Gewissenslüge......................................................71 Rhetorik und Theater der Politik ................................74

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INHALTSVERZEICHNIS

4. 5.

IV.

Der Schmerz ............................................................... 81 Der Tod ...................................................................... 87

FRIEDLICHERE ALTERNATIVEN: DIE FRAUENFIGUREN .............................................. 93 1. 2. 3.

Julie ............................................................................ 96 Lucile.......................................................................... 99 Marion ...................................................................... 106

V.

DAS VERBORGENE ZENTRUM DES BESEELTEN GANZEN: DAS GROSSE UNBEKANNTE X.................. 111

VI.

DAS BESEELTE GANZE: DIE POETIK, DIE ÄSTHETIK ................................... 121 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Dantons Tod. Zur Interpretationsgeschichte ............. 121 Die Tradition der kritischen Moderne ...................... 125 Die Poetik ................................................................. 126 Die Ästhetik.............................................................. 130 Die Rezeption ........................................................... 134 Verbindungen zwischen Leben und Werk................ 136

ABKÜRZUNGEN UND ZITIERWEISE ................................. 141 BIBLIOGRAPHIE ............................................................. 143 PERSONENREGISTER ...................................................... 153

EINLEITUNG

Georg Büchner ist – zumindest in der deutschen Literatur, wahrscheinlich aber auch im europäischen Maßstab – der originellste und bedeutendste Dramaturg seines Jahrhunderts. Gleichwohl oder vielleicht gerade darum hat das 19. Jahrhundert sein Werk noch nicht in angemessener Weise zu schätzen gewusst. Weder die erste Phase von seinem Tod im Jahr 1837 bis zur postum von seinem Bruder Ludwig besorgten Edition von 1850, noch die zweite bis zum Jahr 1879, in dem Karl Emil Franzos eine erste kritische Ausgabe seiner Werke veröffentlichte, haben eine seiner Bedeutung angemessene Resonanz ausgelöst. Bekannter dagegen war der Wissenschaftsbestseller eines anderen Büchners: Ludwig Büchners Kraft und Stoff (1855), die ‚Bibel‘ des wissenschaftlichen Materialismus des 19. Jahrhunderts. Auch die Werke seiner Schwester Luise, Publizistin und Feministin ante literam, waren weiter verbreitet. Die ‚immerwährende Zeitgenossenschaft‘, die sein Werk noch heute prägt, beginnt erst gegen Ende des Jahrhunderts. Doch seit dem Ersten Weltkrieg musste sich jede literarische und politische Periode der deutschen Geschichte – mit Ausnahme der zwölf Jahre Hitlerzeit, in denen Georg Büchner tout court als progressistisch und modernistisch verbannt war – mit seinem Werk auseinandersetzen. Im 20. Jahrhundert fanden seine Dichtungen dauerhaften Eingang in den gängigen Kanon, auch dank legendärer Inszenierungen wie der von Danton im Jahre 1916 unter der Regie von Max Reinhardt. Seitdem blicken auf Büchner die verschiedensten avantgardistischen Bewegungen, die sich durch die gesellschaftlichen Implikationen seines Werks oder auch durch dessen metaphysische Aspekte anregen ließen: Die Wahrnehmung seiner ebenso schmalen wie vielschichtigen und komplexen literarischen Produktion begann sich in Polaritäten aufzuspalten, mit zeitverbundenen Aspekten auf der einen und epochenübergreifenden Aspekten auf der anderen Seite. Während die Interpretationen an Fülle zunahmen, schloss auch das Bild des Autors immer mehr Perspektiven ein: den Materialisten, den Atheisten, den Nihilisten und den Christen Georg Büchner.

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In der Nachkriegszeit machten sich die beiden Deutschlands sein Erbe streitig, während es gleichzeitig weltweite Verbreitung fand. In der Bundesrepublik wurde 1951 der Büchnerpreis wieder hervorgerufen, der in den schwierigen Weimarer Jahren im sozialdemokratischen Hessen 1923 eingerichtet worden war und bald zum begehrtesten deutschen Literaturpreis avancierte. Die von den Ausgezeichneten – darunter die Nobelpreisträger Heinrich Böll, Elias Canetti und Günter Grass – gehaltenen Dankesreden sowie die Anfeindungen gegen den Preis zwischen 1968 und 1977 bilden einen interessanten Querschnitt der deutschen Kulturgeschichte. Zahlreich sind die Inszenierungen, wenngleich in manchen Fällen ästhetisierender oder intimistischer Art, während vor allem die Germanistik um ’68 die gesellschaftlichen Implikationen in den Vordergrund rückte, die von den immanenten literarischen Interpretationen vernachlässigt worden waren. Obwohl Büchner in der DDR zu den ‚Vorläufern‘ zählte, blieb er dagegen immer auch eine „offene Wunde“, wie noch 1988 der Dramaturg Heiner Müller urteilte, der sich ebenso anhaltend und fruchtbar mit Büchner auseinandergesetzt hat wie Volker Braun und Christa Wolf. Nur zwei Inszenierungen des Danton sind hier zu verzeichnen: die dogmatisch korrekte des Schriftstellers Kuba 1962 in Rostock und die Magdeburger Inszenierung von 1973, die Laster (Danton) und Tugend (Robespierre) sorgsam voneinander trennte. Noch ein Jahr vor der Wende von 1989 untersagten die Behörden, dass der anlässlich des hundertfünfzigsten Geburtsjahres Büchners gedrehte DEFA-Film bei der letzten internationalen Tagung vorgeführt werde, die ihm zu Ehren von der Berliner Akademie der Wissenschaften organisiert worden war. Das Leben, das eine solche Perspektivvielfalt zulässt, war zwar sehr kurz, aber denkbar fruchtbar und intensiv. Büchner starb am 19. Februar 1837 in Zürich im Exil. Erst dreiundzwanzig Jahre alt, hatte er bereits sein Studium in Medizin und Philosophie abgeschlossen und war als Privatdozent für vergleichende Anatomie an die vier Jahre zuvor gegründete Universität Zürich berufen worden. In der kulturgeschichtlichen Erinnerung aber blieb Büchner vor allem als Autor einiger literarischer Meisterwerke: Neben dem Landboten, den Wilhelm Liebknecht als „die erste socialistische Flugschrift, welche in deutscher Sprache erschienen ist“, definierte (Dedener 1990: 207), wurde zu Büchners Lebzeiten allerdings nur Dantons Tod publiziert. Büchner hatte das Drama 1834 konzipiert

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und in wenigen Wochen geschrieben, während ihn die Darmstädter „Polizeidiener“ verfolgten, die am Ende „seine Musen“ (Gutzkow) wurden. Zusammen mit Leonce und L e n a , einer satirischmärchenhaften Entwicklung der Themen seines Erstwerks, der Novelle Lenz, die zu den Meisterwerken der Gattung zählt, und dem unvollendeten Drama Woyzeck, das in der offenen Form und mit seinem quasi-proletarischen ‚Helden’ für die weitere Entwicklung der Dramengeschichte beispielgebend war, belegt der Danton die Vielseitigkeit von Büchners ästhetischen Registern. Unvorstellbar, was der geniale Autor noch hätte schreiben können, wenn er länger gelebt hätte. Nichtsdestoweniger ist das Geflecht seiner letzten Jahre so dicht und verworren, dass allein die Interpretation der Monate vor Abfassung von Dantons Tod Schwierigkeiten bereitet. So teilte Büchner seiner Verlobten Wilhelmine Jaeglé in dem berühmten Fatalismusbrief vom Januar 1834 mit, dass er mit dem Studium der Französischen Revolution begonnen habe, aber dann fährt er fort: „Ich fühle mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich.“ (BDK 2: 377) Wenn er hier seiner radikalen Ernüchterung angesichts jeden Handelns Ausdruck verleiht, warum betrifft dann das Thema seines ersten Dramas gerade die Geschichte, ja sogar in ihrer revolutionären Phase? Überdies nahm Büchner in jenen Monaten gemeinsam mit dem Butzbacher Rektor und Pfarrer Friedrich Ludwig Weidig die Veröffentlichung des Landboten in Angriff (Januar/Februar – Juli 1834), die ihre Kritik an den feudalistischen Verhältnissen in Hessen mit dem berühmten Aufruf: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ einsetzte. Dann gründete er erst in Darmstadt, später in Gießen die Sektionen der Gesellschaft der Menschenrechte nach dem Vorbild der analogen französischen Société. Obwohl Anfang August seine baldige Verhaftung verfügt wurde, ließ er nicht von seiner Tätigkeit ab, sondern reorganisierte die Darmstädter Sektion, nachdem er im September nach Hause zurückgekehrt war. Nachts unterwies er Studenten und Handwerker

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im Waffengebrauch, plante zusammen mit anderen Vereinigungen die Befreiung der festgenommenen Mitstreiter und den Kauf einer Presse für den Druck geheimer Flugschriften, während er tagsüber ein eifriger Student war, auch wenn er unter den anatomischen Tafeln das Manuskript seines ersten Dramas verbarg. Ab Anfang Oktober entlieh er aus der Hofbibliothek die Historie de la Révolution française von Louis Adolphe Thiers, Le Nouveau Paris von Louis-Sébastien Mercier und die Bände der Galerie historique, während er mit dem Kompendium Unsere Zeit von klein auf vertraut war, und zwar durch die abendlichen Vorlesungen des Vaters, ein glühender Bonapartist, der fünf Jahre lang in der französischholländischen Armee gedient hatte (Broch 1985: 289). Er stand also mitten in der Abfassung des Danton. Es überrascht nicht, dass die Interpreten den Verfasser mit der einen oder anderen Fraktion identifiziert haben. Sich auf Dantons Worte stützend, haben nicht wenige in dem Werk das Ende jeder politischen Illusion erblickt. Andere haben dagegen ein Eintreten für die Revolution, vermittelt über Robespierre und St. Just, darin gewahrt und dabei bisweilen den Brief an die Verlobte vom Januar 1834 anders datiert oder den übermäßigen Fatalismus mit der Ungleichzeitigkeit von Handlungs- und Lebenszeit erklärt, d.h. mit dem Wissen des Autors um den Ausklang der Revolution im Thermidor bzw. der Konterrevolution (H. Mayer) oder dem epikureischen Materialismus der bürgerlichen Revolution (G. Lukács). Stattdessen hat es nur wenige Interpretationshypothesen gegeben, die den Widersprüchen des Dramas Rechnung getragen haben, darunter die eines gramscianischen „Pessimismus der Vernunft“ im Verein mit einem „Optimismus des Willens“ (R. Grimm), bzw. die eines theoretischen Pessimismus, der mit einer politisch-revolutionären Praxis einhergeht (B. Dedner), aber auch die des demiurgischen Autors, der alle Widersprüche vereint (W. Wittkowski) und die der christlichen Geschichtssicht als Ort der Gegenüberstellung von Gott und Mensch (W. H. Rey). Andere Untersuchungen widmen sich der ästhetischen Gestaltung oder Teilaspekten wie den Bildern, den Frauenfiguren, der Rhetorik, den Quellen oder der Biographie. Wir ziehen diese Interpretationen im Folgenden heran, wenden uns aber wieder der Grundfrage zu: Vertritt Büchner den Verzicht der Revolution oder tritt er ein für die Revolution? Und warum vertraut er seine Botschaft einem Dra-

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ma an, dessen elliptische Struktur förmlich dazu bestimmt zu sein scheint, den Leser oder Zuschauer zu verwirren? Unbestreitbar treffen im Danton zwei Gegenspieler aufeinander, die von gegensätzlichen Auffassungen getrieben sind und von denen der eine, Robespierre, die Todesmaschine der Guillotine bedient, während der andere, Danton, „lieber guillotiniert werden“ (II. 1), als andere guillotinieren will. Die Interpretationshypothese, von der hier ausgegangen wird, ist, dass Büchner durch sein komplexes Drama, in dem die Perspektiven der Personen und der Blick auf sie sich fortwährend wandeln, nicht nur die wesentlichen Divergenzen zwischen Theorie und Praxis der beiden widerstreitenden Fraktionen hervortreten lässt, sondern auch ebenso wesentliche Konvergenzen zwischen ihnen enthüllt. Indem Georg Büchner nicht nur die Gegensätze, sondern auch und gerade die inneren Konvergenzen zwischen den Opponenten in seinem Stück herausarbeitet, verdeutlicht er, in welchem Maße die gegensätzlichen Lager sich einander angleichen. Dieser übergeordnete Blick des Autors auf die Geschehnisse der französischen Revolution ermöglicht es ihm aber, die ideologischen Perspektiven, die „Bannern von verschiedener Farbe“ (I.3) huldigen, aufzulösen. Auf diese Weise nimmt Georg Büchner mit seinem Drama politische Entwicklungen vom 19. Jahrhundert bis auf unsere Tage vorweg. Er ist in der Tat ein großer und ein visionärer Autor gewesen. Die hier vorgelegte Interpretation ist konsequent um jene „wahrhaft ästhetische Kritik“ bemüht, die Büchner in einem Brief an seine Eltern vom 28. Juli 1835 selbst sich erhoffte, ohne dass sie ihre Hypothesen durch verstreute Aussagen aus den Briefen, Gerichtsakten oder Zeugnissen zu stützen trachtet, wie häufig in der Büchnerforschung geschehen ist. Die Analyse hat sich daher vor allem auf eine neuartige Gesamtinterpretation des Danton konzentriert, aus der die Spannung der Kräfte und Gegenkräfte, der Symmetrien und Asymmetrien hervortritt, die dem Sinnuniversum des Dramas seine Struktur verleiht. Die Ermittlung dieser Strategie, die einen neuen Interpretationsansatz darstellt, ermöglicht die InBeziehung-Setzung der von den Interpreten herausgearbeiteten einzelnen Themen zueinander sowie zu ihrem verborgenen Integrationsmittelpunkt. Sie eröffnet auch die Entdeckung weiterer Themen. Es ergibt sich daraus ein aufschlussreiches, dichtes Netz von Bedeutungen, von denen viele bisher unerschlossen sind. Schließlich löst sich vor diesem Hintergrund auch der vermeintli-

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che Widerspruch zwischen Leben und Werk, denn genau hier liegt der Unterschied zwischen einem eminenten und einem unbedeutenden Schriftsteller: Während der Erste imstande ist, die Widersprüche auszuhalten und sie in sein Werk zu integrieren, indem er zwischen gegenwärtiger Erfahrung und ewigem Widerstreit vermittelt, macht sich Letzterer von den Widersprüchen frei, indem er sie zwischen seinem Werk und seiner konkreten Existenz verteilt. Die folgenden Kapitel bauen aufeinander auf und ergänzen sich so ausdrücklich. Das erste Kapitel der Analyse stellt insbesondere das zielgerichtete Handeln von Robespierre und seiner Fraktion dem kreisförmigen der Dantonisten gegenüber und nimmt dabei sowohl die Hauptpersonen wie die hinter den Kulissen handelnden Personen und das Volk als individuelle oder kollektive Person mit in den Blick. Im zweiten Kapitel werden die im Drama aufeinander prallenden, scheinbar unvereinbaren asymmetrischen Auffassungen von Kollektivität/Individuum, Nicht-Erkennen/Erkenntnis, Laster/Tugend, Zukunft/Vergangenheit, Gegenwart, Augenblick und Ewigkeit, Geschichte/Natur, Dirigismus/Republik entfaltet, die den Zusammenprall zwischen den beiden Fraktionen bedingen. Dagegen analysiert das dritte Kapitel deren verdeckte Symmetrien, die Danton und Robespierre genauso wie ihre Anhänger verbinden. Diese Symmetrien äußern sich offen oder auch ‚hinter dem Rücken’ der Figuren in den dramatischen Zusammenhängen zwischen Wort, Handeln und Denken, in der Offenlegung von Gewissenslüge, im Gegeneinander von politischer Rhetorik und In-SzeneSetzung, sie äußern sich auch im Schmerz des Körpers und im Bewusstsein des Todes der Figuren des Dramas. Im vierten Kapitel wird die radikale Exzentrik der Frauencharaktere herausgearbeitet, die am äußersten Rand der symmetrischen Ordnung agieren, während das fünfte „beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten x unserer Rechnungen“ (II.1), welche das Drama als zentrale Frage aufwirft und damit den verborgenen Kern der Botschaft, die gerade nicht mehr eine lineare ideologische Botschaft ist, umreißt. Schließlich wird im letzten Kapitel die Überlegung zur ästhetischen Perspektive wieder aufgenommen, wobei die Begriffe Tradition und Innovation auch in Bezug zu den vom Autor geäußerten Absichten eingekreist werden. Büchner wollte aus seinem Drama Dantons T o d eine Boa Constriktor machen, wie er Gutzkow im März 1835 in seinem ersten Brief nach der Flucht schrieb. Der geniale damals Einund-

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zwanzigjährige war sich der künstlerischen Dynamiken seines Erstwerks dermaßen bewusst, dass er einige wesentliche Interpretationsschlüssel im Hinblick auf Personen, Handlung und Poetik des Stücks den Figuren selbst in den Mund legen konnte. Es wurde in der Forschung behauptet, dass vor allem der Danton „über nahezu 150 Jahre eine Quelle des Missverstehens“ war (P. v. Becker). Gleichwohl oder auch gerade deshalb ist es nicht nur möglich, sondern notwendig, heute erneut über das Werk nachzudenken. Vom Standpunkt der Auslegung erscheint mir dies notwendig, auch weil die Interpretationen wie erdrückt scheinen unter der ungeheuren Menge an Dokumenten, welche die kritische Edition, die Marbacher Ausgabe, zur Verfügung gestellt hat. Dank ihrer intensiven und fruchtbaren Rekonstruktionsarbeit des Textes und der Quellen werden mitunter selbst irreduzible ästhetische Aspekte, wie etwa der collageartige Aufbau des Stücks, mit Hilfe der Quellen geklärt. Aber hatte Büchner nicht – bei aller Zusammenführung von Zitaten – doch auch einen eigenen, integrativen Blick auf diese? Dieser Frage geht unsere Analyse nach. Eine neue Reflexion über das Werk erscheint mir auch möglich, weil sich in unserer eigenen Zeit politische Ideologien auflösen und jene teleologische Sicht sich erschöpft hat, wonach die Welt einem vorherbestimmten Schicksal entgegengehe. Dieser zeitgeschichtliche Horizont einer heutigen Lektüre erlaubt es nicht mehr, die Figuren des Dramas einfach nach ‚progessiv’ oder ‚rückständig’ einzuordnen und ihnen Recht oder Unrecht zuzuweisen. Büchner geht über das Fortschrittsdenken seiner Zeit hinaus, wie es im Laufe des 19. Jahrhunderts vom Marxismus und vom wissenschaftlichen Positivismus aufgenommen und weiter entwickelt wurde oder wie es der psychoanalytischen Dynamik von Krankheit und Heilung zugrunde liegt. Georg Büchner lässt solche Fortschrittsschematik hinter sich. Umso mehr verwickelt er seinen Leser oder Zuschauer in die Suche nach einer eigenen dritten Perspektive. Dabei lässt sich feststellen, dass der Anlass des Kampfes der Fraktionen, die sogenannte Magenfrage bzw. die soziale Frage, in seinem Stück ohne Lösung bleibt. Die Interpreten haben dies nicht ohne Erstaunen registriert, aber versäumt, sich dem daraus folgenden Dilemma zu stellen: Wenn die Magenfrage ungelöst bleibt und trotzdem das ausdrückliche Motiv des Zusammenpralls darstellt und im Verlauf der Handlung, davor und danach, hunderte von

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Toten verursacht, will Büchner dann nicht die Aufmerksamkeit auf die Unproduktivität dieser Konfliktlösung lenken? Die dramaturgische Funktion des Motivs ist tatsächlich eine andere: In Dantons Tod wird der Protagonist schon im Titel wieder und wieder getötet und zieht viele andere mit in den Tod, weil das Drama die Suche nach jener „unbekannten, ewig verweigerten X“-Alternative, die dem Töten ein Ende bereiten könnte, immer wieder von vorn entspinnt. Aus diesen Gründen besitzt Georg Büchners Werk noch heute eine unveränderte Aktualität. Auch wenn die Grenzen und Räume, die auf Unterscheidung und Trennung abzielen, sich verschoben haben, begegnen die Menschen einander weiterhin nicht als ‚bloße Menschen‘, wie Lessing dies in seinem Dialog Ernst und Falk von 1778 postuliert hatte und wie es Büchner im Danton fordert. Die nachfolgende Interpretation greift ihrerseits diese Anregung auf, denn unsere Tätigkeit beinhaltet die Explikation der Beschaffenheit eines literarischen Werkes als Aufgabe der Kritik und Vermittlung, ist aber auch Ausdruck sozialer Verantwortung. „Büchners Stunde kommt dann, wenn für eine Gesellschaft die Stunde ihrer Selbstkritik kommt“, hat Hans Kaufmann an der Schwelle des Jahres 1989 behauptet: Dementsprechend versteht sich die Analyse des Dramas, die dessen Aktualität betont, als Teil eines kritischen Diskurses, der sich sowohl an Spezialisten wie auch an eine breitere Leserschicht wendet. Trotz der eingehenden Auseinandersetzung mit der Interpretationsgeschichte, ist aus diesem Grund auch auf den Fußnotenapparat und auf jede ausführliche kritische Kontroverse verzichtet worden. Was bedeuten vor dem Hintergrund des Danton schließlich ‚Recht‘ oder ‚Unrecht‘? Auch im Dialog zwischen den Interpreten geht es eher darum, „die wesentlichen Begriffe der Intelligenz“ nicht aus dem Blick zu verlieren, „die Begriffe von Grenze, Maß und Grad, von Proportion und Beziehung, Bedingung und notwendiger Verbindung und den Zusammenhang zwischen Mitteln und Resultaten“ (Simone Weil). Ich könnte für meine Auslegung höchstens den Vorzug geltend machen, dass sie mehr Textelemente innerhalb einer einheitlichen und doch komplexen Logik zu erklären vermag als andere Hypothesen. Es ist mit anderen Worten eine kohärentere, relativ eingehende Auslegung, deren Argumentationsgerüst der Überprüfung harrt: und zwar nicht durch die dogmatische Bekräftigung eines vorgefassten Standpunkts und erst recht nicht durch

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die Eingliederung in die jeweilige wissenschaftlich-akademische Gemeinschaft, sondern in einem Dialog zwischen Interpreten, der tatsächlich alle Türen offen lässt.

I. DAS ERHABNE DRAMA DER REVOLUTION UND SEIN TÜCKISCHES LABYRINTH: DIE ASYMMETRISCHEN HANDLUNGEN

Bei einer ersten Lektüre scheinen die Differenzen, Antagonismen und Kontraste, kurz: die Asymmetrien in Dantons Tod vorzuherrschen. Zunächst einmal definieren sie die Rollen der beiden Gegenspieler Danton und Robespierre. Danton, der namengebende Protagonist und Anführer der Nachsichtigen, hat sich ins Privatleben zurückgezogen. Nur die Pflicht, sich dem durch den Titel angekündigten Ausgang zu widersetzen und dem Blutvergießen ein Ende zu setzen, zwingt ihn im eigenen Interesse und dem seiner Freunde, aber auch im Interesse der Allgemeinheit der Franzosen dazu, die Rednertribüne erneut zu besteigen. Robespierre, der Unbestechliche, der in der Zeit zwischen dem 28. März und dem 5. April 1794, dem Tag, an dem Danton und seine Anhänger guillotiniert werden, die Fäden der Handlung zieht, stellt sein Handeln ebenfalls unter den Schutz allgemeiner und gerechter Ziele, auch wenn die „mimische Übersetzung“ seiner Worte in Taten (III.3) von derlei Zielen abzuweichen scheint. Die wesentlichen Asymmetrien betreffen sowohl die Handlungen der Protagonisten und jeweiligen Fraktionen wie die unterschiedlichen Auffassungen des Individuums und der Gesellschaft. Auf letztere kommen wir weiter unten zu sprechen, während die Handlungsstränge, die sich im Drama auf verschiedenen Ebenen entfalten und kreuzen und einer bestimmten Abfolge gehorchen, Thema dieses Kapitels sind. Fast im ganzen ersten Akt verweilt Danton an einem Vergnügungsort, dem Palais Royal. Zu Beginn treffen wir ihn in Gesellschaft seiner Frau Julie; in der fünften Szene ist er wiederum dort, zusammen mit Marion, einer grisette. Bedeutsamerweise findet auch die einzige Begegnung zwischen den Gegenspielern in einem geschlossenen Raum statt (I.6, Ein Zimmer), wo Danton, der Robespierre zum Sprechen zwingt, unbestreitbar einen moralischen Sieg davonträgt, während er in Wirklichkeit die Handlung ihrem angekündigten Ende zutreibt. Robespierre hat im Übrigen gleich am Anfang des Aktes die Staatshandlung in Gang gesetzt. In Eine Gasse hält er eine erste öffentliche Rede (I.2), die in der anschlie-

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I. DIE ASYMMETRISCHEN HANDLUNGEN

ßenden Szene (Der Jakobinerklub) wieder aufgegriffen wird, wobei er seine politische Linie untermauert und den Gegner erniedrigt, der als Feind dargestellt wird. Im zweiten Akt (1-7) zögert Danton weiter. In einem Innenraum (II.1 und 3, Ein Zimmer) spricht er von Überdruss und Kunst, während er draußen unter einer anonymen Menge spazieren geht (II.2, Eine Promenade). Statt zu fliehen, führt er sodann ein Selbstgespräch über seine Schuld (II.4, Freies Feld), die ihn bis ins Haus, ja bis in den Traum hinein verfolgt (II.5, Ein Zimmer) – bis er schließlich festgenommen wird (II.6, Straße vor Dantons Haus). Doch die asymmetrischen Handlungen verweben sich auch im zweiten Akt: Robespierre ist die gleich auf die Festnahme des Widersachers folgende Szene vorbehalten, in der er für die Rechtfertigung der Verhaftung vor dem Nationalkonvent sorgt (II.7). Im dritten Akt (1-10) verdichtet sich das Handlungsgeflecht, so dass es schließlich die Struktur einer musikalischen Fuge annimmt. Punkt und Kontrapunkt, Kräfte und Gegenkräfte wechseln einander ab, während die Distanz zwischen Außen und Innen, öffentlicher und privater Sphäre wächst. Robespierres Lager beherrscht die öffentlichen Räume, obwohl seine Machenschaften mit Ausweitung des Handlungsradius immer trüber werden, bis sie sich in eine Intrige verwandeln, die sowohl in den Räumen des Tribunals (Ein Zimmer, III.2 und 8) und des Nationalkonvents (III.6), als auch im Gefängnis gesponnen wird (III.5). Die Innenräume, die das Lager Dantons angehen, reduzieren sich dagegen auf einen Saal des Luxembourg, aber auch hier lässt die Spannung Punkt/Kontrapunkt nicht nach: Während die zur Untätigkeit gezwungenen Gefangenen die großen Themen Gott (III.1), politische Rhetorik (III.3), das Nichts und den Tod (III.7) erörtern, muss Danton in den öffentlichen Räumen des Justizpalasts wieder „schreien“ (III.4 und 9). Folglich vermag er die Handlung zeitweilig aufzuhalten, aber sodann wird er erst vom Konvent, danach vom Tribunal (III.9) und schließlich vom auf dem Platz vor dem Justizpalast versammelten Volk (III.10) verurteilt. Der vierte Akt (1-9), der erneut Danton gehört, entwickelt vor allem die kontrapunktische Handlung, und zwar bezogen auf die ars moriendi. Die Szenen haben einen konzentrischen Aufbau und wiederholen das Thema in immer neuen Variationen. Julie, Dantons Frau, ist diejenige, die in IV.1 dem Todeswunsch Ausdruck verleiht und ihn in IV.6, ihrem Mann vorausgehend, umsetzt (wie-

I. DIE ASYMMETRISCHEN HANDLUNGEN

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der in Ein Zimmer). Die beiden letzten Szenen, die achte und neunte, gehören dagegen Lucile, der Frau von Camille Desmoulins, die ihrem Mann folgt und dem Tod in Eine Straße (8) entgegengeht, um ihm dann auf dem öffentlichen Revolutionsplatz (9) zu begegnen. In den Szenen 3 und 5 bereiten sich die Gefangenen mit Gesten und Reden der Freundschaft und Liebe auf den Tod vor, während der Außenraum zunehmend verkommt. Im letzten Akt besteht die einzige instrumentelle Aktion in der Vollendung der in I.2. von Robespierre eingeleiteten Handlung: der Hinrichtung Dantons und der Seinigen auf dem öffentlichen Revolutionsplatz (IV.7). Die Fraktion des Unbestechlichen, seine queue (vgl. MA 3.2: 180), ist an diesem Punkt durch Personen von niedrigstem Rang vertreten, die in IV.2 und 4 die Szene ganz beherrschen, während sie in 8 und 9 das Gegenbild zu dem von Lucile ausgehenden Glanz liefern. Mit ihnen verfallen die ruhmreichen Themen der Revolution schließlich ganz und enden im Chaos. Eine letzte Betrachtung. Die von Robespierre unternommene Handlung, die in einer horizontalen Dimension fortschreitet, erreicht am Ende ihr angekündigtes Ziel: den Tod der gegnerischen Fraktion. Dagegen entwickelt sich die Handlung, die Danton einleitet, in einer vertikalen Dimension und neigt nicht nur dazu, die Ereignisse aufzuhalten, sondern kehrt gleichsam auf sich selbst zurück. In der Perspektive des Kampfs zwischen den Fraktionen entpuppt sich die Handlung als eine stetige Wiederkehr: Wie Danton den Tod der Girondisten verfügt hat, so Robespierre den der Hébertisten und Dantonisten, während die Gemäßigten schließlich seinen eigenen verfügen werden. Doch wenn man die Handlung über die März- und Apriltage des Jahres 1794 hinaus projiziert, scheint es fast, als bewege Danton die Geschichte selber dazu, rückwärts zu verlaufen: Hébert wird am 24. März hingerichtet, vier Tage bevor der Vorhang aufgeht (Wender 1988: 211); Danton und die Seinen werden auf der Bühne geopfert; Robespierre selbst wird im selben Jahr am 28. Juli, am selben Ort, dem Revolutionsplatz, hingerichtet, wie sein Widersacher ihm vorausgesagt hatte: „ich lasse ihm keine sechs Monate Frist, ich ziehe ihn mit mir“ (IV.5). Aber mit der Wiederholung der Geschichte auch an anderen Orten und in anderen Epochen wird nicht nur die Einheit der Handlung widerrufen, sondern auch die von Zeit und Raum. Im Übrigen wurde dies bereits in Interpretationen fatalistisch-eternistischen Zuschnitts (Gundolf 1930, Viëtor 1934, Wiese 1948, Mühlher

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1951, Michelsen 1978, Wittkowski 1978, Spedicato 1997) herausgestellt, aus deren Blickwinkel die komplizierte, aufwendige Aktion, die Robespierre im Danton anstiftet, sich als vergebliche Mühe erweist. Allerdings übersahen sie die fernen Dynamiken der Handlung und ihre Alternativen, ebenso wie die ästhetische Perspektive, welche die aktive Rolle des Empfängers betont und folglich ihrerseits die Rollen neu verteilt (s. unten).

1. Robespierre und die prekären Symmetrien der Handlung Unter ästhetischem Gesichtspunkt nehmen die von den Protagonisten und ihren Fraktionen ins Werk gesetzten asymmetrischen Handlungen auf zwei verschiedene Theaterpoetiken Bezug. Verweist die eine aufgrund der Untätigkeit Dantons auf einen „babylonischen Turm“, das heißt auf das moderne intimistische Drama ohne fortschreitende Handlung, so lässt sich die andere auf die Tragödie zurückführen. Unter der Regie von Robespierre entwickelt sich nämlich eine Handlung, die den dramatischen Knoten in den ersten beiden Akten präsentiert (désis) und dessen Lösung (ly´sis) im vierten. Erreicht wird diese Lösung durch „die stete Fortbewegung zur Endkatastrophe“, die nach Hegel (Ästhetik), aber auch nach Aristoteles (Poetik) die klassische Tragödie kennzeichnet. Diesen Interpretationsschlüssel legt vor allem Robespierre selber nahe, der gleichzeitig Hauptdarsteller und Regisseur dessen sein will, was er das „erhabne Drama der Revolution“ (I.3) nennt. Nicht allein erhebt er den Anspruch, die „Umstände, Charaktere und Zwecke“ (Hegel) des Dramas zu bestimmen, sondern als „Gesetzgeber des Volkes“ (I.3) lässt er auch keine Abweichung von dem pathetischen Ton und den heroischen Sitten zu, die sich an den Republikanern des alten Rom inspirieren. Allerdings geht seine Rechnung, wie wir sehen werden, nicht auf. Denn zum einen nähert sich die Handlung des „erhabnen Dramas“ dank der Mitwirkung der queue de Robespierre bis auf die untersten Ränge am Ende selbst einem „babylonischen Turm“; zum anderen lässt die private Begegnung (I.6), die Büchner nicht zufällig zwischen den beiden öffentlichen Szenen einführt, das innere Drama Robespierres hervortreten, so dass er wider Willen einem modernen Hamlet gleicht. Die Szenen, in denen er auftritt, sind durch einen dreiteiligen Rhythmus geprägt: die Staatshandlung der öffentlichen Fi-

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gur (I.2-3), dann die private Begegnung (I.6) und schließlich erneut die Staatshandlung der öffentlichen Figur (II.7). Die ersten öffentlichen Szenen von Robespierre (I.2-3) bilden eine zeitverschobene Exposition (Helbig 1973: 83), da Danton in I.1 zunächst die Handlung gebremst hat. Jetzt setzt Robespierre diese angesichts einer erregten Menge, die ihm von der Straße (I.2) zum Jakobinerklub (I.3) gefolgt ist, in Gang und führt sie der Katastrophe entgegen (Niehoff 1991: 44 f.). Wie in jedem erhabenen Drama, das auf sich hält, beginnt er mit der Präsentation der „Umstände, Charaktere und Zwecke“ (Hegel). Die Umstände beziehen auf der einen Seite das Volk, das Hunger hat und seinen „Schrei des Unwillens“ ertönen lässt, auf der anderen die „inneren Feinde“ ein. Bei der Skizzierung der Charaktere geht er vor allem auf die letzteren ein. Nachdem die radikalen Hébertisten niedergeworfen wurden, ist die neue Bedrohung „das Gegenteil der vorhergehenden“. Sie erfleht „Erbarmen“, verhandelt mit dem Fremden und man sieht sie vor allem „reiche Weiber heiraten, üppige Gastmähler geben, spielen, Diener halten und kostbare Kleider tragen“, also dem Laster frönen, welches „das Kainszeichen des Aristokratismus“ ist: „ich habe keine Striche mehr nötig, die Porträts sind fertig“, der Feind steht jetzt „frei und ungedeckt in der Helle des Tages“ [hier und andernorts meine Hervorhebung], stellt Robespierre fest. So bleibt ihm schließlich nur noch, den Zweck des Dramas zu benennen, das er in Szene zu setzen gedenkt: „Wir haben nichts getan, wenn wir noch eine andere Faktion zu vernichten haben“, da diese nach dem „nämlichen Zweck“ strebt, den Gang der Revolution anzuhalten. Die Aufgabe ist somit umrissen: „der Republik ein großes Beispiel geben“ mittels einer ‚schnellen, strengen und unbeugsamen Gerechtigkeit‘, die ebenso frei in der Helle des Tages steht wie die Schuld des Gegners. Wenn sich aber der Kampf zwischen den beiden queue mit demjenigen um die Beherrschung der Dramenhandlung überschneidet, dann bedeutet der Versuch, der Verurteilung aus dem Weg zu gehen, sich den zwingenden aristotelischen Regeln zu entziehen, über die Robespierre wacht. Hatten die Hébertisten also „das erhabne Drama der Revolution […] durch studierte Ausschweifungen“ verspottet, so haben Danton und die Seinen „vor kurzem auf eine unverschämte Weise den Tacitus parodiert“ und den erhabenen Stil des klassischen Dramas verhöhnt. Der von Bachtin (1995) verdeutlichte Bruch zwischen der Kultur der machthabenden Klasse und der Komik bzw. entweihen-

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den Parodie wird somit auf seine Weise auch für Dantons Tod konstitutiv. Das private Zwischenspiel in I.6, Ein Zimmer, trennt die beiden öffentlichen Auftritte Robespierres (I.2-3 und II.7) voneinander. Danton, der allein zu dem Zweck erschienen ist, ihn zu „ärgern“, denn „da kann er nicht schweigen“, gelingt es, eine ganze Reihe von Asymmetrien in der Handlung ans Licht zu bringen, die sich Robespierre hingegen zielgerichtet und symmetrisch vorstellt. Indessen hat der moderne Hamlet, als welcher er sich erweist, nicht wenig Ähnlichkeit mit Danton selbst. Die Enthüllungen von Robespierre entwickeln sich wie in einem Crescendo, angefangen bei dem ersten Satz, in dem er, nicht zum Dialog bereit, unterstreicht: „Ich sage dir, wer mir in den Arm fällt, wenn ich das Schwert ziehe, ist mein Feind“. Im Unterschied zu seinen Behauptungen in der vorausgegangenen öffentlichen Rede schützt das Schwert des Gesetzes hier nicht die Geschicke der Republik, sondern es schützt das Ich, das diese Geschicke zu lenken gedenkt. Seinem Widersacher ist es also sogleich gelungen, ihn zum Sprechen zu bringen. Als Danton dann wortlos die Szene verlässt – nachdem Robespierre behauptet hat, es sei „kein Unschuldiger“ gestorben, und bevor St. Just zu ihm stößt –, erkennt der Unbestechliche de facto die persönlichen Motivationen an, die auch sein Handeln leiten: „Sie werden sagen, seine gigantische Gestalt hätte zu viel Schatten auf mich geworfen, ich hätte ihn deswegen aus der Sonne gehen heißen.“ Obwohl er auf den Dialog zwischen Diogenes und Alexander in Korinth anspielt, ist er nicht ebenso unschuldig, wie auch andere Personen bestätigen (von Legendre in II.7 vor dem Nationalkonvent: „gegründete Ursachen lassen mich fürchten, Privathaß und Privatleidenschaft möchten der Freiheit Männer entreißen, die ihr die größten Dienste erwiesen“; von Danton, der in II.5 zu seiner Frau sagen wird: „zwei Feinde auf einem Brett; wir oder sie, der Stärkere stößt den Schwächeren hinunter“; und von Julie in IV.1, kurz bevor sie stirbt: „Sie töten ihn aus Furcht“; Danton dagegen stellt vor dem Revolutionstribunal die Nationalkühnheit der Privatkühnheit gegenüber). Aber Robespierre geht noch weiter; er geht so weit, dass er das „Babel“ seines Gewissens enthüllt, das er vor seinem Feind-und-Bruder geleugnet hat: „Ich weiß nicht, was in mir das andere belügt. Er tritt ans Fenster. Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu sich vor des Ta-

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ges Licht verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand und stehlen sich in das stille Haus des Traums“. Er offenbart Gedanken und Wünsche, die im Vergleich zu den fest umrissenen Charakteren des klassischen Dramas ganz fraglos asymmetrisch sind. In diesem Crescendo überrascht es auch nicht, dass sein Geständnis, wie von anderer Seite herausgestellt (Hinderer 1977: 50), unschwer Danton zugeschrieben werden könnte: „Wahrlich, der Menschensohn wird in uns allen gekreuzigt, wir ringen alle im Gethsemanegarten im blutigen Schweiß, aber es erlöst keiner den andern mit seinen Wunden“. Mit einem Unterschied. Bei Eintreffen St. Justs und des Lichtes – „Ah du, St. Just! Eine Dienerin bringt Licht“ – verjagt Robespierre die Schatten, indem er sie ohne Zögern auf seinen Widersacher überträgt (s. unten). Es reicht, dass St. Just ihm die Anklage von Camille vorliest, der ihn in seiner Zeitung als „Blutmessias“ betitelt, um die Hinrichtungsliste abzufassen: „Weg mit ihnen! Rasch!“ Als Robespierre in II.7 im öffentlichen Raum par excellence, dem Nationalkonvent, die Bühne erneut betritt, ist keine Spur mehr von den dunklen Inhalten seines Gewissens zu finden, die in Ein Zimmer aufgeblitzt sind. Es ist ihm einzig darum zu tun, sein großes Vorhaben zu vollenden. Eine Verkettung „unbekannte[r] Verwirrung“ löst er zu seinem Vorteil auf, ohne Zaudern widersetzt er sich Legendres Versuch, Danton vor der Guillotine zu retten, und erreicht dagegen die Zustimmung zu dessen Festnahme durch den Konvent. Seine inspirierte Rede führt den „Strom der Revolution“ in die gefestigten Dämme der kollektiven Ziele zurück, die er „dem Glück und der Macht“ der Individuen entgegensetzt, welche er in der privaten Szene Ein Zimmer (I.6) auch als eigene Motivationen hatte erkennen lassen. Mit Unterstützung von St. Just umreißt er sogar den religiösen Horizont des „großen Beispiels“, das den heiligen Pakt zwischen dem Leader und seinem Volk besiegeln soll. Im Anschluss wird die Handlung an die Helfer übergehen, die ab II.7 das „erhabne Drama der Revolution“ verwirklichen, aber noch bevor er „Umstände, Charaktere und Zwecke“ in andere Hände gibt, hat sie Robespierre selbst diskreditiert. Last but not least: Im Unterschied zur klassischen Tragödie wird das Gleichgewicht der moralischen und gesellschaftlichen Ordnung nicht durch eine ihn betreffende Nemesis wieder hergestellt, da er, wenigstens kurzfristig, wie ein „Blutmessias“ ist, „der opfert und nicht geopfert wird“ (I.6).

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1.1 Die Helfer von Robespierre Nach den ‚wirren und gestaltlosen‘ Gedanken und Wünschen in I.6 öffnet sich in II.2 ein weiteres „Loch“ in der „dünnen Kruste“ (II.2) des von Robespierre regierten symmetrischen telos. So bildet er sich ein, er beherrsche die eisernen Gesetze, über die Büchner in seinem Fatalismusbrief nachgedacht hatte, wohingegen er von ihnen bestimmt wird, auch weil „das Schwert des Gesetzes“ (I.3) den Händen von St. Just und vieler anderer „anvertraut“ ist, wie unter anderem die Porträts zeigen, die die Rollenteilung und internen Dynamiken innerhalb der beiden Fraktionen verdeutlichen. In I.3 hatte Robespierre die Merkmale seiner Gegenspieler skizziert, während das Hohnbild der Robespierristen in Le Vieux Cordelier von Camille gezeichnet wird: „Robespierre auf seinem Kalvarienberge zwischen den beiden Schächern Couthon und Collot […]. Die Guillotinen-Betschwestern stehen wie Maria und Magdalena unten. St. Just liegt ihm wie Johannes am Herzen“ (I.6). Zu beachten sind die Fluchtpunkte des Aufbaus: die beiden Ultraradikalen zu seiner Seite – von denen der eine, Couthon, Robespierre auf den Galgen folgen, während der andere ihn verraten wird –, die Furien der Guillotine unten und neben ihm sein teurer Apostel oder, um es mit Gutzkows Worten zu sagen, die „Apokalypse neben dem Evangelium“. Nur dass Camilles Porträt umgekehrt werden müsste, weil die konzentrisch um Robespierre gescharten Figuren ersten, zweiten, dritten und vierten Ranges eher dämonische Züge tragen, als verdichteten sich in ihnen die Schatten, die ihn in Ein Zimmer heimgesucht hatten. So weit die textinternen Interpretationshinweise. Auf intertextueller Ebene lebt in der Beziehung zwischen Robespierre und seinen Helfern dagegen die Verbindung wieder auf, die in der Emilia Galotti (1772) von Lessing, auf den Büchner häufig Bezug nimmt, zwischen dem Prinzen Gonzaga und dem Minister Marinelli bestand. Der Fürst, der Emilia zur Seinen machen wollte und Marinelli „freie Hand“ (I.6) ließ (Sanna 1988 b, 1999), kann ebenso wenig wie Robespierre ausrufen: „Mein Gewissen ist rein“ (I.6). Sowohl der ‚lange Weg‘ (I.4), der in Emilia Galotti Denken und Handeln trennt, wie der Abstand zwischen dem „großen Beispiel“ von Robespierre und dem amoralischen Zynismus seiner Helfer stellen eine Verselbstständigung der Politik dar, ihre Verwandlung in eine Technokratie, die nach der Kontrolle über

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Geist und Körper strebt. Ohne jegliche Beschönigung registrieren beide Dramen diesbezüglich die klare Trennung zwischen Ethik und Politik. Sie stehen damit in der Tradition des Realismus von Niccolò Machiavelli, auf den sowohl Lessing wie Büchner verweisen, der ihn an einer später gestrichenen Stelle zitiert.

1.1.1 St. Just, der homo novus Der wichtigste Helfer von Robespierre ist St. Just, der Apostel, der zu seiner Rechten sitzt. Homo novus der Revolution, ist er das „starke Echo“ des Unbestechlichen – wie Danton von Camille sagen wird –, der „den Konvent mit den apokalyptischen Offenbarungen des Meisters bekannt [macht]“ (I.6). Allerdings übersetzt St. Just weniger die Worte des Meisters, als dass er das Handlungsdispositiv verkörpert, das Danton folgendermaßen beschreibt: „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen […] – man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen“ (II.5). St. Just besitzt mit anderen Worten die Hände – auch anstelle des „Meisters“ (in I.6 und III.6) –, und als Anklagepunkt gegen den angesehensten Vertreter der Nachsichtigen zieht er ein Märchen heran. Unmenschlich und asketisch, ohne Vergangenheit oder private Dimension, ohne Gewicht des Körpers und der Gefühle, ist er selbst eine Marionette und „hölzerne Kopie“ (II.2): ein Spiegel des unpersönlichen Mechanismus der Politik. Bekanntlich hat Büchner im Fall der Robespierristen in die Quellen eingegriffen und die Überlegungen seiner Personen zugespitzt. Deshalb scheint die düstere teleologische Vision (Negri 1981), die das instrumentelle Handeln von St. Just prägt, die Widersprüche der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts vorwegzunehmen, wie nicht nur von Seiten der Interpreten festgestellt wurde (Lindenberger 1964: 24; Becker 1980: 77; Frizen 1990: 69), sondern insbesondere auch von Autoren wie Wilhelm Herzog, der in Robespierre einen „Bolschewist[en] des 18. Jahrhunderts“ erblickte, von Manès Sperber, der Positionen von Koestler, Silone, Malraux und Sinclair teilt, von Rolf Hochhuth sowie in der DDR auch von Volker Braun (Goltschnigg 2002: 208, 432 f., 501 f., 456 f.). Zudem verkörpert St. Just die Widersprüche von Robespierres Projekt sowohl im Hinblick auf die politische Rhetorik wie in Bezug auf das Handeln, das in seinen Händen strenger, folgerichtiger, „schnell[er] und einfach[er]“ (II.7) wird. Er bleibt immer derselbe,

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so dass es nicht verwundert, wenn ihm im Gegensatz zu Robespierre zwei Szenen in geschlossenen Räumen (I.6, III.6) und nur eine öffentliche Szene (II.7) zukommt. In I.6, in Ein Zimmer, verfasst er mit Robespierre die Hinrichtungsliste, in III.6 bewegt er die Handlung, indem er sich mit Mitgliedern des Wohlfahrtsausschusses verschwört. Aber auch da, wo er in II.7 seine Rede hält, tut er dies nicht wie die Dantonisten, um Zeit zu verlieren. Vielmehr ist seine Apologie vor dem Nationalkonvent selber Handlung, die sich voll und ganz in den Durchführungsplan seiner Absichten einfügt. In seinem öffentlichen Auftritt in II.7 besitzt St. Just, der sich für nichts Geringeres als ein Werkzeug des ‚Weltgeistes‘ hält, die notwendige Überzeugung, um als Sprachrohr Robespierres zu fungieren. Er, nicht sein Meister festigt das gewünschte Ergebnis und erhält ‚langen, anhaltenden Beifall‘: „Einige Mitglieder erheben sich im Enthusiasmus. […] Die Zuhörer und die Deputierten stimmen die Marseillaise an“ (II.7). Danton ist nunmehr verurteilt: „Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphäre unserer Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane und Wasserfluten gebraucht“ und die „Revolution ist wie die Töchter des Pelias: sie zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen“. Für St. Just kann die Revolution „weder als gut noch als böse angesehen werden; alles, was sich in ihr tut, ist notwendig“, genauso wie es sich nach d’Holbach (Le système de la nature) in der Natur verhält. Büchner zitiert d’Holbach und wird seinerseits zitiert. Im Übrigen verleiht gerade die „gute Unendlichkeit“ (Gadamer 2002: 79) der Literatur den literarischen Werken, namentlich den großen, die Fähigkeit, verschiedene Epochen und Werke miteinander ins Gespräch zu bringen und den Zeiten vorauszueilen. Einige Beispiele für spätere Entschlüsselungen und Übertragungen von Elementen aus Dantons Tod: In Mauser (1970) widerspricht der ostdeutsche Schriftsteller Heiner (1986: 55 f.) der sozialistischen Historiodizee anhand von zwei Leitmotiven, die auf zwei zerstörerische Dynamiken verweisen: „wissend, das Gras noch/ Müssen wir ausreißen, damit es grün bleibt“, bzw.: „Den Tod auszuteilen an ihre [der Revolution] Feinde/ Damit das Töten aufhört“. Die Analogie mit St. Just, der die Revolution mit Moses und Pelias vergleicht, ist unverkennbar. In Wahrheit führte Moses, der starb, bevor er das verheißene Land erreichte, sein Volk zwar über das Rote Meer, aber von diesem Meer wurden die Ägypter verschlungen und nicht sein Volk. Die Töchter von Pelias dagegen verjüngten ihren Vater

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nicht, indem sie ihn zerstückelten, sondern sie töteten ihn. Ein weiteres, diesmal antisymmetrisches Beispiel geht dem Mauser um rund zehn Jahre voraus. Eine Ende der 50er Jahre in der DDR entworfene Inszenierung des Danton (Zuchardt 1959: 14 f.) empfahl, die Rede von St. Just „vielleicht noch konsequenter“ an den Schluss der Handlung zu rücken, damit diese mit der Hymne an die „allesbeherrschende Vernunft“ und dem Sieg der „konsequenten Revolutionäre über die Gemäßigten“ enden würde (so auch Rabe 1960, Kuba 1962, Jancke 1975; vgl. Schmidt 1990: 299, Behrmann/Wohlleben 1980: 167). Die beiden übrigen Szenen von St. Just (I.6, III.6) finden hinter geschlossener Tür statt. Da er keine „empfindliche[n] Ohren“ besitzt, „die das Wort ‚Blut‘ nicht wohl vertragen“ und seines Erachtens niemand Vorrechte haben darf, weder „ein einzelner noch eine geringere oder größere Klasse von Individuen“, handelt er auch in diesen Szenen, die sozusagen seinem ‚Privatporträt‘ gleichkommen, mit bedenkenlosem politischem Realismus, der Schatten auf die Mittel wie auf die Ziele des gesamten revolutionären Wegs wirft. In I.6, Ein Zimmer, fordert er Robespierre auf, jeden Zweifel abzuwerfen: „Wir werden den Vorteil des Angriffs verlieren. Willst du noch länger zaudern? Wir werden ohne dich handeln. Wir sind entschlossen“, und drängt ihn, als jener zurückweicht: „Ich brauche nur durchzuführen“. In III.6, bei der Begegnung mit einigen Mitgliedern des Wohlfahrtsausschusses, schmälert er die Rolle des Leaders, indem er auf die Frage von Barrère: „Was sagt Robespierre?“ antwortet: „Er tut, als ob er etwas zu sagen hätte“. Während der Unbestechliche von der Bühne verschwindet, kommt nun seinem Lieblingsschüler die Aufgabe zu, Gedanken und Worte in die Tat umzusetzen. Einvernehmlich mit Fouquier, öffentlicher Ankläger am Revolutionstribunal, unterrichtet er die Mitglieder des Ausschusses („Das zweite Verhör ist vorbei“) und beschließt, auf eine fingierte Denunziation zurückzugreifen, die in III.6 in seine Hände gelangt („Eben erhalte ich eine Denunziation. Man konspiriert in den Gefängnissen“). In III.8 wird diese dem Tribunal, genauer Fouquier übermittelt, der Dantons Tod verfügt. Die Fäden der Handlung laufen folglich in der Hand des Puppenspielers/der Marionette St. Just zusammen. Obwohl er nur in drei Szenen auftritt (I.6, II. 7, III.6), ist er in Wahrheit allgegenwärtig, als sei er der „Weltgeist“ (II.7), der das Handeln der Robespierristen lenkt.

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Dennoch verschwindet auch er nach dem dritten Akt von der Bühne. Die Handlung entartet nach und nach, während sie ihrem angekündigten Ende entgegengeht, so dass die Vertreter der queue de Robespierre, die sie umsetzen, zunehmend zweideutig und niederträchtig sind.

1.1.2 Die Personen zweiten Ranges Fast als täten sich nach und nach die Kulissen auf, lässt der Handlungsraum im Übergang vom Plan zur Ausführung Schicht um Schicht eine zunehmend miserable Wirklichkeit erkennen, in der allenthalben Zwang und Lüge herrschen. Das, was an der Spitze ein „großes Beispiel“ (I.3) ist, verwandelt sich an der Basis in ein Verbrechen, während die erhabene Aktion in eine Verschwörung mündet. Überall werden im Danton Komplotte geschmiedet, nicht nur in den Gefängnissen, sondern auch in den Zimmern des Revolutionstribunals (III.2, III.4, III.8) und des Wohlfahrtsausschusses (III.6), Institutionen, die Danton gegründet hat und die jetzt zu Instrumenten seines Todes werden. Wie üblich, gibt Büchner sich nicht damit zufrieden, den Weg, der Robespierre mit seiner queue verbindet, dadurch komplexer zu machen, dass er die verborgenen Dynamiken und das verhüllte Gesicht der Macht entlarvt. Vielmehr zeigt er darüber hinaus, wie jedes Rädchen des Getriebes auch aus eigener Bewegung an der Verwirklichung des Planes teilhat. Darin besteht die Funktion der beiden Zwischenspiele in III.6 und IV.2. Drei Szenen spielen im Tribunal. In III.2, Ein Zimmer, losen Fouquier und der Präsident Herrmann nicht, „sondern suchen die Handfesten aus“, damit das Spiel fest in ihren Händen bleibt. Einer „ist taub“ – „Danton mag sich den Hals bei ihm rauh schreien“ –, der andere „sitzt immer in der Trinkstube“, der dritte „schläft immer“, der vierte spricht sowieso alle schuldig, während der fünfte „einmal einigen Pfaffen durch[half]“, so dass er um sein Leben bangt. (Ganz zu Recht, bedenkt man die Worte von St. Just über die Abgeordneten des Konvents, die das gleiche Schicksal fürchten, und vor allem das Tun von Laflotte, der zum Verräter wird, um sich zu retten, ermutigt durch die hedonistischen Maximen von Danton: „Der Schmerz ist die einzige Sünde, und das Leiden ist das einzige Laster; ich werde tugendhaft bleiben“, III.5.) In III.4, der einzigen Szene der Intrige, die während der öffentlichen Sit-

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zung im Revolutionstribunal vor sich geht, hebt Herrmann die Sitzung in dem Moment auf, da Danton das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden droht. Die Denunziation, die St. Just erhalten hat, wird in III.8, Ein Zimmer, Fouquier überreicht, der nun darauf hinsteuern kann, „die Sache vom Hals [zu] bekommen“. Eine Szene (III.6) spielt im Wohlfahrtsausschuss. Obwohl die Personen des Tribunals und die des Ausschusses keine Beziehung zueinander unterhalten, wird ihre Verbindung durch St. Just sichergestellt, wie die Szene belegt, die mit folgendem Dialogwechsel beginnt: „Barrère: Was schreibt Fouquier? St. Just: Das zweite Verhör ist vorbei“ (III.6). Während Barrère, der zusammen mit Collot d’Herbois und Billaud-Varennes den Wohlfahrtsausschuss bildet, dazu tendiert, sich zu verstecken: „Wir dürfen uns nicht zeigen“ (Danton verlangt seinerseits in III.4: „Sie mögen sich zeigen“), fordert St. Just sie auf: „Wagt!“ Außerdem ist er auch hier derjenige, der für alle entscheidet und eine strenge Gefolgschaft auferlegt: „Sie [die Dantonisten] müssen weg, um jeden Preis“, „Die Geschwornen müssen sich für hinlänglich unterrichtet erklären und die Debatten schließen“, „Der Konvent muß dekretieren, das Tribunal solle ohne Unterbrechung den Prozeß fortführen und dürfe jeden Angeklagten, welcher die dem Gerichte schuldige Achtung verletzte oder störende Auftritte veranlaßte, von den Debatten ausschließen“. Wenn in seinen „Perioden […] jedes Komma ein Säbelhieb und jeder Punkt ein abgeschlagner Kopf ist“, wie Barrère gleich im Anschluss sagen wird (ähnlich wie die historische Gestalt in seinen Mémoires: „ils parlaient comme une hache“, MA 3.4: 197), dann sind es hier vor allem die Modalverben, die die Köpfe rollen lassen, und zwar mit Blick auf ein einziges Ziel: den Sieg der queue de Robespierre, bzw. die Niederlage der gegnerischen queue. Der Ausschuss hat nichts einzuwenden und gibt nach: „Geh, St. Just, wir werden dir helfen, den Donnerkeil auf die Häupter der Feiglinge zu schleudern!“ Im Übrigen weiß sich jedes Mitglied in Gefahr: „Ich zähle auf eure Unterstützung. Es gibt Leute im Konvent, die ebenso krank sind wie Danton und welche die nämliche Kur fürchten“. Wenn St. Just Robespierre ‚Licht gebracht hat‘, so steht er hier hingegen für den Schatten von dessen Apparat, für die Machtkonzentration in wenigen Händen, für den systematischen Zwang. Nachdem Büchner das verborgene oder halböffentliche Gesicht der zweitrangigen Personen enthüllt hat, die Robespierre helfen,

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und das „Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen“, welches das feste Ziel des zunehmend düsteren Dramas der Revolution gefährdet, damit um einiges komplizierter geworden ist, skizziert er in III.6 ihr privates Gesicht. So unterbricht er zwei Mal das Staatshandeln, das sich mit St. Just verbindet, der im Übrigen kein eigenes Gesicht hat, indem er ihn einfach abtreten lässt: St. Just wird hinausgerufen; St. Just ab. Sein erster Abgang gibt den betreffenden Personen die Gelegenheit zur Bloßlegung der individuellen Motivationen ihres politischen Handelns, der zweite zur Offenbarung ihres Privatlebens. In dem ersten Intermezzo in III.6 überbringt ein Schließer dem Wohlfahrtsausschuss die Bittschrift einer älteren Aristokratin, die schreibt, „das Gefängnis liege auf ihr wie ein Sargdeckel“: Collot: „Die Antwort ist leicht. Er schreibt und liest: ‚Bürgerin, es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wünschest‘.“ In Lessings Emilia Galotti hatte Hettore Gonzaga dem Rat, der ihn bat, ein Todesurteil zu unterschreiben, geantwortet: „Recht gern. – Nur her! Geschwind“ (I.8). In II.7 war St. Justs Schlussfolgerung in Bezug auf den Strom der Revolution, der „bei jedem Absatz, bei jeder neuen Krümmung seine Leichen ausstößt“, als „schnell und einfach“ bezeichnet worden, so wie „leicht“ jetzt die Entscheidung von Collot genannt wird, der den gleichen Zynismus besitzt, nur gemeiner. Im zweiten Intermezzo vereinbaren die Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses dagegen einen Besuch in dem Vergnügungsort Clichy und lassen sich dabei zu einer Reihe obszöner Kommentare hinreißen. Aber sie distanzieren sich auch von ihrem Leader und nehmen u.a. die historischen Ereignisse des Thermidors vorweg: „Robespierre will aus der Revolution einen Hörsaal für Moral machen“. Das Privatportät der Macht wird in IV.2 schließlich durch ein weiteres Element bereichert, dieses Mal durch den Kopräsidenten des Revolutionstribunals Dumas, der entschlossen ist, sich von seiner Frau zu trennen (Fink 1990: 194). Hatte Dantons Gattin Julie, die am Ende Opfer eines Staatsmordes sein wird, in der unmittelbar vorausgehenden Szene IV.1 die Absicht geäußert, ihren Mann in den Tod zu begleiten, so tut Dumas das Gegenteil, indem er mittels des Staates ein Privatverbrechen rechtfertigt: „Das Revolutionstribunal wird unsere Ehescheidung aussprechen; die Guillotine wird uns von Tisch und Bett trennen. […] Muß man denn gerade römischer Konsul sein und sein Haupt mit der Toga verhüllen können, um sein Liebstes dem Vaterlande zu opfern?“ Aber wie

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Simon in II.2 („- nein, das geht nicht: Romulus war ein Tyrann, das geht nicht“), passiert auch Dumas ein Lapsus, denn wer sich das Haupt bedeckte, war nicht der Konsul Lucius Junius Brutus, der der Republik seine Söhne opferte, sondern Cäsar vor seiner Ermordung, den Büchner schon in einer Schulrede als Tyrannen dargestellt hatte. Dumas, aber auch Collot d’Herbois und Billaud-Varennes oder die Abgeordneten in II.7, denen St. Just noch in III.6 vorschreibt, was sie zu tun hätten, erscheinen als zweitrangige Personen nur aufgrund der Machtkonzentration in den Händen von Robespierre und seines allgegenwärtigen Anhängers. Da es sich aber um keine Geringeren als die Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses, den Präsidenten des Revolutionstribunals und die Abgeordneten des Nationalkonvents handelt, repräsentieren sie in Wirklichkeit die höchsten Staatsämter bzw. die drei Gewalten: die Exekutive, die Rechtsprechung und die Legislative. Mithin hatte St. Just schon im privaten Gespräch mit Robespierre in I.6 eingeplant, welche Rolle auch den übrigen Institutionen bei der Inszenierung des Staatsbegräbnisses zukommen solle, und also auch die Rechtsverwaltung und den bewaffneten Arm der Exekutive, die politische Polizei, einbezogen: „Wir berufen den Gesetzgebungs-, den Sicherheitsund den Wohlfahrtsausschuß zu feierlicher Sitzung“. Doch im Danton ähneln die Vertreter dieser Institutionen, die letztendlich ein „asile des lois“ darstellen, Marionetten: „Das ist die Diktatur“, so lautet die politische Anklage, die Danton im Verlauf der zweiten Verhandlung gegen Robespierre richtet, an deren Ende „die Gefangnen […] mit Gewalt hinausgeführt“ (III.9) werden. Ausgehend von der Feststellung, dass die Macht verderblich ist und die absolute Macht absolut verderblich ist, theoretisiert Montesquieu in Buch XI von De l’esprit des lois bekanntlich die Notwendigkeit der Gewaltenteilung. Notwendigerweise muss „die Macht der Macht Schranken setzen“ (1951: 1.213), weil ihre Vereinigung in ein und derselben Hand jenen Machtausgleich zunichte machen würde, auf dem jede wirkliche Freiheit beruht. Büchner hält seinerseits die „Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volk“ und einen „absoluten Rechtsgrundsatz“ für die unabdingbaren Prinzipien jeder künftigen sozialen Revolution, wie er in einem Brief vom Juni 1836 schreibt.

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1.1.3 Die Personen dritten und vierten Ranges Der Plan der Robespierristen verwirklicht sich mit Hilfe von zweckdienlichen Handlungen und mitreißenden Reden, die ihrerseits den Zweck verhüllen sollen. Der vierten Reihe kommen die Handlungen zu, während die dritte für die Reden zuständig ist. Sie hat die Aufgabe, das Wort der Revolution unter dem Volk zu verbreiten bzw. dessen Willen zu beeinflussen, indem sie zur Theatralisierung der politischen Szene und folglich zur Steigerung ihrer Undurchsichtigkeit beiträgt. Anhand dieser Ränge veranschaulicht Büchner also die Folgen dessen, was heute unter dem Namen Informationsüberflutung läuft, die bisweilen massiv auf die Techniken der Massenmanipulation zurückgreift. Die Praktiken, die im 20. Jahrhundert dazu eingesetzt wurden, Veränderungswünsche und -bedürfnisse auf die toten Gleise der moralistischen Stigmatisierung dieses oder jenes Feindes zu lenken, werden folglich von Robespierre (in I.2-3 und II.7, d.h. in Eine Gasse, Jakobinerklub und Nationalkonvent) und St. Just (II.7) in Dantons Tod vorweggenommen. Aus diesem Grund bewegen sich die drittrangigen Rhetoren der Revolution, Schatten der Schatten des Originals (I.4), wie „auf dem Theater“ (II.1). Auf der Bühne der Politik kommen sie in zwei Varianten vor, einer ernsten und einer parodistischen, wobei letztere sich zumindest teilweise der Orchestrierung von oben entzieht. Die Hauptvariante, die ernste – repräsentiert durch den Ersten, Zweiten und Dritten Bürger, die in I.2 und III.10 vorkommen, bei denen es sich jedoch nicht notwendigerweise um dieselben handelt und denen Ein Lyoner und Ein Jakobiner aus I.3, aber auch „die Fischweiber und die Lumpensammler“, die von Barrère in III.6 gefürchteten Lumpenproletarier, zur Seite gestellt werden können – bildet den Kern der politischen Danton-Interpretationen. Denen zufolge bringen diese Personen in etwa die Positionen von Gracchus Babeuf, Buonarroti und Blanqui zum Ausdruck sowie die des Hessischen Landboten (Mayer 1979, Hauschild 1993: 440), mit dem der Danton demzufolge zusammengedacht wird. Nun war Büchner aber bestenfalls Neobabouvist und zählte nicht zu den Neojakobinern (MA 3.2: 193), über deren Guillotinomanie sich 1832 auch Heine besorgt äußerte, während Ludwig Büchner (1850) seinen Bruder eher als Socialist denn als Republikaner betrachtete. Vor allem aber werden die Positionen der Enragés im Drama sowohl in der Perspektive der Gesamtstrategie als auch vor dem Hintergrund

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bedeutsamer Details als parteiische Reden relativiert. So hat beispielsweise der Erste Bürger in I.2 leichtes Spiel, die Wut Simons von der Tochter auf deren Ausbeuter umzulenken: „Ihr Hunger hurt und bettelt“. Doch löst die Anspielung auf die zentrale Magenfrage bzw. die soziale Frage nicht an sich jeden Widerspruch auf (Gille 1992), denn die Menschen ‚lügen, morden und stehlen‘ auch, wenn sie nicht der Hunger zwingt. Andernfalls wäre Robespierre, dem es nicht an Brot mangelt, nicht zu dem Geständnis gezwungen: „Ich weiß nicht, was in mir das andere belügt“ (I.6), ähnlich wie Danton (II.5), und auch Büchners Frage im Fatalismusbrief – „Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?“ – hätte wenig Sinn. Außerdem verkehrt sich der demagogische Zynismus des Bürgers allzu schnell, einfach und leicht in den Fanatismus der Menge und dann erneut in deren Ernüchterung. Erster Bürger: „Ihr habt Kollern im Leib und sie haben Magendrücken, ihr habt Löcher in den Jacken und sie haben warme Röcke, ihr habt Schwielen in den Fäusten und sie haben Samthände. Ergo, ihr arbeitet und sie tun nichts, ergo ihr habt’s erworben, und sie haben’s gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigentum ein paar Heller wiederhaben wollt, müßt ihr huren und betteln; ergo, sie sind Spitzbuben und man muß sie totschlagen!“ Folglich reicht es, dass ein zufällig dahergekommener Junger Mensch ein Schnupftuch besitzt, damit er ‚laternisiert‘ zu werden verdient: „EINIGE STIMMEN Er hat ein Schnupftuch! ein Aristokrat! an die Laterne! an die Laterne!“ („Die Aristokraten an die Laterne!“, so begann die erste Strophe von Ça ira.) Umgekehrt reicht ihm ein bon mot, um der Wut des Volkes zu entgehen: „Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen. DIE UMSTEHENDEN Bravo! Bravo! EINIGE STIMMEN Laßt ihn laufen!“ (Mayer 1990). Eine letzte Überlegung. Würde Büchner mit der Stimme des Ersten Bürgers sprechen, welchen Sinn hätte dann das Opfer von Lucile in den letzten Szenen? In den Augen jenes Bürgers wäre es nur das verdiente Schicksal einer ‚Spitzbübin‘, die man „totschlagen“ muß (I.2) – einer mehr, einer weniger. Kurz, die Verurteilung der Dantonisten ist vielleicht weniger „eindeutig“ als bisweilen angenommen wurde, etwa von Hauschild (1993: 447). Fest steht dagegen, dass die Reden der drei Personen, Variationen der Revolutionsrhetorik, die Szenen des Unbestechlichen in Eine Gasse (I.2) und im Jakobinerklub (I.3) vorbereiten. Des

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Weiteren werden die Bürger durch die alles beherrschende Semiokratie Robespierres nicht zum Schweigen gebracht, wie Niehoff (1991: 128 f.) dagegen behauptet. In III.10 legitimiert das Volk die Verurteilung Dantons durch seine Souveränität aufgrund der Einflüsterungen des Zweiten Bürgers, so dass der anfängliche Ruf: „Nieder mit den Dezemvirn! Es lebe Danton!“ am Ende ersetzt wird durch: „Es lebe Robespierre! Nieder mit Danton! Nieder mit dem Verräter!“ Selbst Louis-Sébastien Mercier hat die Exzesse der Sansculotten in Le Nouveau Paris mit dem Einfluss von Agitatoren und besoldeten Provokateuren erklärt (MA 3.4: 55). Tatsächlich ist der Übergang vom Hosanna zum ‚Kreuziget-ihn‘ in dieser Szene die Folge der drängenden revolutionären Rhetorik des Zweiten Bürgers, der die Gegner in einen Kollektivfeind verwandelt, indem er sie ihres individuellen Gesichtes beraubt: „Danton hat schöne Kleider, Danton hat ein schönes Haus“. So wird er zum Sündenbock, während eine spiegelbildliche Vereinfachung die eigene Seite entlastet: „Was hat Robespierre? der tugendhafte Robespierre! Ihr kennt ihn alle“. Also ‚haben‘ gleich ‚sein‘? Stattdessen hatte Danton auf den Vorwurf seiner Frau Julie erwidert: „Ja, was man so kennen heißt“ (I.1) und Woyzeck wird diese Perspektive später zuspitzen: „Jeder Mensch is ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht“. Die parodistische Version des stilus sublimis wird durch das Berufs-Sprachrohr Simon, einen „Souffleur“, repräsentiert, der ganz und gar damit beschäftigt ist, die heroischen Sitten und die Phraseologie von Robespierre in die Wirklichkeit der Straße zu tragen, wo er seinen Dienst tut. Doch auch auf der Straße ändert die Demagogie ihr Gesicht nicht, sondern bleibt vor allem Verstellung. In I.2, wo Simon im Alkoholnebel seine Tochter umbringen will, zitiert er aufs Geratewohl die griechisch-mythologischen Gestalten Philemon und Baucis, die biblische Susanne, die Römerinnen Vesta, Virginia und Lucrezia, Shakespeares Hamlet und Porcia, so dass ein Babel, ja ein heilloses Durcheinander dabei herauskommt. In II.2, auf der Promenade, weist er einen Bürger in die Geheimnisse der revolutionären Namenkunde ein: „Ich sage dir, die Brust deiner Kornelia wird wie das Euter der römischen Wölfin – nein, das geht nicht. Romulus war ein Tyrann, das geht nicht“. In II.6 trägt er mit einigen effektheischenden Sätzen zur Verhaftung von Danton bei und verwandelt das „große Beispiel“, das Robespierre vorschwebt, in eine Farce (I.3).

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Wenn die dritte Reihe spricht, so handelt die vierte und führt gleich Marionetten, die mechanisch ihre Aufgabe tun, vor allem die niedrigen Handlangerdienste aus. Ihr privates Antlitz zeigt sich dagegen in erster Linie in Obszönitäten, mit denen das Drama bekanntlich nicht spart. Es handelt sich um einen Gefangenenwärter in III.5, einen Schließer und zwei Fuhrleute in IV.4, einen Fuhrmann in IV.7, zwei Henker und die Bürger, die Lucile in der Schlussszene IV.9 festnehmen. Die Revolution kennt keinen Abscheu, sie bedient sich jeglicher Hand.

2. Danton und die Antisymmetrien der Handlung Während Robespierre, der den im Titel angekündigten Entwurf verwirklichen muss, nur in drei Szenen auftritt, kommen dem namengebenden Helden, der ihn verhindern muss, fünfzehn Szenen zu (I.1, 5, 6; II.1, 2, 3, 4, 5; III.1, 3, 4, 7, 9; IV.3, 5). Die unterschiedlichen Funktionen der beiden Protagonisten bedingen, wie gesagt, auch zwei verschiedene Ästhetiken: das von Robespierre inszenierte „erhabne Drama“, das auf dem dramatischen Knoten und seiner Lösung durch die „stete Fortbewegung zur Endkatastrophe“ (Hegel) beruht, und einen „babylonische[n] Turm“ ohne jegliche zielgerichtete, strenge Kausalität (Knapp 1987: 52), der durch eine „babylonische Verwirrung“ gekennzeichnet ist – ein Bild, das Büchner schon in einem Brief vom Dezember 1831 verwendet. Durch die „babylonische Verwirrung“ wird das Drama in die Nähe einer Komödie gerückt, und zwar nicht nur wegen Dantons Untätigkeit und seines „bizzarre[n] Kopf[s]“ (II.2), um hier nochmals die Interpretationshinweise des ahnungslosen Zweiten Herrn aufzugreifen. Vielmehr reduziert sich der Zusammenprall zwischen den beiden Fraktionen, ihren Handlungen und den beiden asymmetrischen Ästhetiken bei genauem Hinsehen auf den Kontrast zwischen verschiedenen Zeitauffassungen. Die eine ist die progressive Zeit von Robespierre, die andere die regressive, statische von Danton, den die ersten Rezensionen nicht von ungefähr für einen unangemessenen dramatischen Helden hielten (MA 3.2: 318). Bei der Zeit von Danton handelt es sich jedoch um eine vielfältige Zeit, als sei auch sie ein „babylonischer Turm“, in der sein „Zögern“ (II.1), der Augenblick, der ihren Verlauf aufhebt (I.5), die zwischen Politik und

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Reflexion gespaltene Zeit und die Ruhe des vierten Akts nebeneinander bestehen (s. unten). Am Ende wird Robespierre, dem die Verwirklichung seines Vorhabens gelingt, zwar den Sieg davontragen, aber er wird nicht Herr über die Zeit. Zusammen mit den zahlreichen Toten lässt auch der im Titel benannte Tod Dantons die Zeit in sich selbst zurückkehren und leugnet ihr Fortschreiten mitsamt der Triumphe seines Widersachers. Wenn sich also Robespierre fähig zeigt, das ‚eherne Gesetz‘ der Geschichte während der kurzen Zeit der Handlung zu beherrschen, so ist Danton „das Höchste“ gewährt, wie es Büchner im Fatalismusbrief ausdrückt: das ‚lächerliche Ringen gegen ein ehernes Gesetz … zu erkennen‘. Vielleicht kommen dem Nachsichtigen auch deshalb fünf Mal so viele Szenen zu wie seinem Gegenspieler. Die von Danton getragene Handlung untergliedert sich in drei Bewegungen, die ebenfalls kreisförmig verlaufen (privat/ öffentlich/privat), umgekehrt als die von Robespierre (öffentlich/privat/öffentlich), wobei die dritte eine Fortsetzung der ersten ist. Dem Zögern der ersten beiden Akte, das mit dem Verzicht auf die Flucht (II.4) auch das Fehlen der Peripetie einschließt (II.4), steht die Rückkehr zur Vergangenheit, zur politischen Rede in den Szenen III.4 und 9 gegenüber, während die Zeit im vierten Akt erneut zum Stillstand kommt, bis sie sich mit der Ruhe im Tod deckt. Bisweilen wird dieser kreisförmige Rhythmus durch die Abfolge der einzelnen Szenen resümiert. Betrachten wir sie genauer. Im ersten Akt hält sich der Protagonist, der „tote Heilige“ (II.1), dem schon im Titel der Tod beschieden ist, im Palais Royal unter Frauen und Kartenspielern auf und widmet sich dem Privatleben, auch wenn er weiß: Er hat „verloren!“ (I.1), noch ehe das Spiel begann. Die politischen Neuigkeiten von draußen werden ihm von seinen Freunden überbracht, so von Philippeau in I.1: „Heute sind wieder zwanzig Opfer gefallen“. Seine Freunde Camille Desmoulins, Hérault und Philippeau drängen ihn zur Tätigkeit, aber als Camille ein Programm entwirft – „Danton, du wirst den Angriff im Konvent machen!“ –, löst Danton die Umstände, Charaktere und Zwecke dieses unwahrscheinlichen Heldendramas in einem unsinnigen Wortspiel auf: „Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben, sagen die alten Weiber. Nach einer Stunde werden sechzig Minuten verflossen sein. […] Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen?“ Schließlich entzieht er sich: „sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf“. In I.5 befindet er sich in

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Gesellschaft von Marion im Palais Royal, aber unfähig zu einer Einheit, wie sie sie besitzt (s. unten), ist er dazu verurteilt, „die mediceische Venus stückweise bei allen Grisetten des palais royal zusammen[zusuchen]“. Hat „die Natur die Schönheit, wie Medea ihren Bruder, zerstückelt“ (I.4), dann handelt er als Privatmann wie St. Just als Politiker agiert (die Töchter von Pelias). Trotz der immer beunruhigenderen Nachrichten klagt Danton – zwischen einem „sie werden’s nicht wagen“ und einem „Du träumst“ – allein über die verlorene Zeit, auch wenn er schließlich ankündigt: „Morgen geh’ ich zu Robespierre“. Aber erst nach dem Aufeinandertreffen in I.6, das die Zeit nicht bremst, sondern sein Schicksal beschleunigt, überzeugt er sich: „Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wir müssen uns zeigen!“ („Wir dürfen uns nicht zeigen“, sagt Barrère in III.6). Auch der zweite Akt beginnt mit einer Bezugnahme auf die Zeit. Camille: „Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!“ (II.1). Danton, der auszuweichen scheint („Ich bin eine Reliquie“ etc.), zeigt hingegen, dass er gehandelt hat („Ich war bei den Sektionen“), dass er die Möglichkeiten eines Sieges abgewogen hat („Übrigens, auf was sich stützen?“) und dass er immer noch die historischen Dynamiken zu deuten versteht: „Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht“. Er enthüllt aber auch den Grund für sein Zögern, wobei er Barrères Worte vorwegnimmt: „Und wenn es ginge – ich will lieber guillotiniert werden, als guillotinieren lassen […] Endlich – ich müßte schreien, das ist mir der Mühe zuviel“. Der überdrüssige Held (Gnüg 1990: 94 f.) ist demnach ein bewusster Held. Auch deswegen geht er in II.2 unter der Menge spazieren. In II.3 kündigt er seine bevorstehende Verhaftung an und bekräftigt: „Ich bin nicht träg, aber müde“. Doch in II.4, Freies Feld, wo er ‚aus der Zeit gehen‘ und die Flucht realisieren könnte, zu der Paris ihn aufgefordert hatte (II.1), entdeckt er, dass er vor seinem Gewissen nicht fliehen kann. Nur das Grab „tötet mein Gedächtnis. […] Ich oder es? Die Antwort ist leicht“, so dass die Szene keine Peripetie herbeiführt, sondern seine Todesentscheidung bestätigt (Heselhaus 1982). Gerade die Albträume des Gewissens nehmen Gestalt an in Ein Zimmer. Es ist Nacht (II.5), die das Pendant zu Ein Zimmer (I.6) von Robespierre bildet, aber auch gegensätzliche Spannungen entwickelt. Der Schatten der Schuld, seine „Gedanken“, die „unstet, umirrend“ sind, werden nämlich nicht auf den Feind projiziert, sondern

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„durch alle Gassen schrie und zetert es: ‚September!‘“ Julie ist es, die ihn von seinen Zweifeln befreit und damit (im privaten Raum) auf den Wandel des dritten Aktes während der öffentlichen Verhöre vorausweist: Es war Notwehr, er hat das Vaterland gerettet. Aber die anschließende Szene II.6 widerspricht ihr, denn als Simon, die Bürger und die Soldaten Danton festnehmen, sind auch sie der Ansicht, sie machten sich „um das Vaterland verdient“. Im dritten Akt wechseln Angriff und Verteidigung, Kräfte und Gegenkräfte einander ab. Unter gewandelten Bedingungen hat Danton jetzt die gegensätzliche Aufgabe, nämlich zu zeigen, dass das Gewissen ein „Affe“ sei, wie er in I.6. Robespierre gegenüber festgestellt hatte (Barrère wird das Gewissen in III.6 als „Hühnchen“ bezeichnen). Er gesteht ein, er habe es immer gewusst und nicht wissen wollen: „Ich wußt’ es […] – ich dachte nicht, daß sie es wagen würden“ (III.1). Aber dann ändert er in einer Zelle des Luxembourg, in den Händen von Robespierre und der queue, die ihre Intrigen spinnt (in III.2, 5, 6 und 8), seine Strategie. Er versucht die Maske anzuziehen, auf die Julie zuvor angespielt hatte, indem er sich vor Payne Haltung gibt: „Was Sie für das Wohl Ihres Landes getan, habe ich für das meinige versucht“ (III.1) bzw. indem er sich rühmt: „ich wollte neuen Septembermorden zuvorkommen“ (III.3). Die Funktion des Kontrapunkts übernimmt folglich der Dialog über die großen Themen (die Theodizee in III.1, die instrumentelle Rhetorik der Politik in III.3), bzw. eine Person, die noch nachsichtiger ist als Danton, nämlich Mercier, der ihn zunächst daran erinnert: „Das Blut der zwei und zwanzig ersäuft dich“ (III.1), während er in der Folge die Sprache der Politik, die Danton erneut hervorzuholen gezwungen ist, im Vorhinein anprangert: „Diese Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind eure lebendig gewordnen Reden“ (III.3). In der Tat muss Danton in III.4 wieder „schreien“, er muss reden, wie man es „Von einem Revolutionär, wie [ihm]“ erwartet, und so werden die „garstige[n] Sünden“ des Traumes in II.5 erneut zu einem Verdienst: „Ich habe im September die junge Brut der Revolution mit den zerstückten Leibern der Aristokraten geätzt“, wiederum in Analogie zu St. Just und den Töchtern von Pelias („Die Revolution […] zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen“). Ausgerechnet er, der Skeptiker, fühlt sich dazu bewogen, mit den Worten zu schließen: „Jetzt kennt Ihr Danton“. Die Wirkung ist sicher, er erntet „laute[n] Beifall“. Auch Lacroix, der ihn

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in II.1 ermuntert hatte: „Schreie über die Tyrannei der Dezemvirn, sprich von Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribunen erschrecken“, spendet jetzt Beifall: „Du hast gut geschrien, Danton“ (III.7). Doch die Antwort des Nachsichtigen auf die Frage „Was willst du denn?“ bleibt unverändert: „Ruhe“. Und mit der gelassenen Antwort kommt auch sein anderes Gesicht erneut zum Vorschein: „O Julie! Wenn ich allein ginge! […] Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben“. Dennoch zögert Danton nicht, bei dem zweiten Verhör in III.9, bedrängt durch die fiktiven Beweise, sogar die Karte des hungernden Volkes auszuspielen: „Ich klage Robespierre, St. Just und ihre Henker des Hochverrats an. […] Ihr wollt Brot, und sie werfen euch Köpfe hin! Ihr durstet und sie machen euch das Blut von den Stufen der Guillotine lecken!“ Mit folgendem Ergebnis: „Heftige Bewegung unter den Zuhörern, Geschrei des Beifalls“. Der vierte Akt weist eine neue Geschlossenheit auf und entwickelt in immer neuen Variationen allein die Gegenkräfte. Die Zeit des Handelns ist zu Ende. Danton bleibt nur noch Zeit dazu, sich aufs Sterben vorzubereiten und seine Freunde zu ermutigen. Der ars moriendi, aber auch der Freundschaft und Liebe (IV.3 und 5), sind die Gesten und Reden gewidmet, die Endlichkeit und Unendlichkeit einbeziehen, bis unter die Guillotine. Zunächst tröstet er Camille: „Schlafe, mein Junge, schlafe!“ (IV.3), um dann der Freundschaft mit seinen letzten Worten zu huldigen: Danton zum Henker: „Willst du grausamer sein als der Tod? Kannst du verhindern, daß unsere Köpfe sich auf dem Boden des Korbes küssen?“ (IV.7). Er stirbt, aber mit seinem Tod wird die Zeit zur Verbündeten. Wenn das Glück kurzfristig betrachtet „eine Hure“ ist und „mit der ganzen Welt Unzucht [treibt]“ (IV.3), dann geraten die Folgen der teleologischen Kausalität langfristig besehen durcheinander. Außerdem beschleunigt die Revolution ihren Lauf, wie Danton bemerkt: „Die Freiheit und eine Hure sind die kosmopolitischsten Dinge unter der Sonne. Sie wird sich jetzt anständig im Ehebett des Advokaten von Arras prostituieren. Aber ich denke sie wird die Klytämnestra gegen ihn spielen ich lasse ihm keine sechs Monate Frist, ich ziehe ihn mit mir“ (IV.5). Der Tod seines Widersachers, den Danton voraussagt, wird eine vielleicht nicht „schnelle“, aber gewiss „strenge und unbeugsame Gerechtigkeit“ (Robespierre, I.3) besiegeln: Die fernen Folgen der historischen Dynamik werden sich erneut mit der Gerechtigkeit kreuzen. Doch

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würde ich weniger vom Fatalismus der Geschichte, der auch durch den Hinweis auf die école fataliste der französischen Historiker nicht abgeschwächt wird (Mayer 1979, Holmes 1986/7), als vielmehr von Büchners Realismus sprechen.

2.1 Dantons Freunde Wenn die Anhänger Robespierres „hölzernen Kopien“ (II.3) ähneln oder düstere Individuen sind, dann erscheint der enthusiastische, mitleidsvolle Camille hingegen wie Johannes der Apostel, aber auch Lacroix, Hérault-Séchelles, Philippeau, Paris und Legendre sind individuierte Gestalten. Selbst Lukács (1964: 208) ist der Ansicht, dass der queue de Danton, die aus Freunden besteht, die „dramatisch-lyrische Sympathie“ Büchners gilt. Die Anhänger Robespierres nehmen zudem aktiv an der Handlung teil und vervielfältigen deren Fäden; die Anhänger Dantons überbringen Nachrichten von den öffentlichen Ereignissen (in I.1, 5, II.1, 3), zeigen ihre Freundschaft oder fordern Danton zum Handeln auf. Letztlich zögern auch sie und verlieren sich in Reden. Bei allen Unterschieden sind sie sein „starkes Echo“, wie Danton von Camille sagt (II.1), sowohl ex positivo, insofern sie die Reichweite seiner Worte erweitern (s. unten), wie ex negativo, indem sie seine Demagogie beanstanden, als er gezwungen ist zu „schreien“. Als Danton ausruft: „Wenn einmal die Geschichte ihre Grüfte öffnet kann der Despotismus noch immer an dem Duft unsrer Leichen ersticken“, gibt Hérault seiner Missbilligung Ausdruck: „Wir stanken bei Lebzeiten schon hinlänglich. Das sind Phrasen für die Nachwelt nicht wahr, Danton“; ebenso Camille: „wir sollten einmal die Masken abnehmen […]. Schneidet nur keine so tugendhafte und so witzige und so heroische und so geniale Grimassen, wir kennen uns ja einander, spart euch die Mühe!“ (IV.5) In zeitlicher Perspektive besteht die Hauptfunktion dieser Variationen darin, die gegenläufige Bestimmung zu verdeutlichen, die die Dantonisten der Handlung aufprägen. Zur queue de Robespierre zählt keine einzige Frau, mit Ausnahme der „Guillotinenbetschwestern“ (II.1), die im Übrigen als ein einziger Körper handeln, bzw. der Favoritinnen, von denen die Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses sprechen (III.6). St. Just lebt in der Zukunft, in messianischer Erwartung, während Robespierre

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ein „Eunuch“ ist (I.5), der „bei keinem Weibe geschlafen“ hat (I.6), „ein impotenter Mahomet“ (III.6) bzw. „ein Mann ohne Unterleib“, wie Heiner Müller ihn zwei Jahrhunderte später genannt hat. Stattdessen bewegen sich auf der Gegenseite neben den grisettes Adelaide und Rosalie vor allem Julie, Dantons Gattin, die grisette Marion und Lucile, Camilles Frau, die zugleich symmetrische und asymmetrische Personen sind. Aber ihre Rolle ist derart zentral für die Botschaft des Danton, dass sie gesondert behandelt zu werden verdient.

3. Das Volk Nicht wenige Interpretationen haben im Volk einen realen oder zumindest potentiellen Protagonisten des Danton ausgemacht (Uhlmann 1954, Rabe 1960, Geerdts 1963, Schlaffer 1972, Hörnigk 1974, Masanetz 1992). Bezogen auf die im Titel angekündigte Lösung bildet das Volk tatsächlich ein notwendiges historisches Subjekt, wie die aufeinanderfolgenden Szenen III.9 und 10 belegen, in denen erst Viele Stimmen, dann Alle Dantons Verurteilung besiegeln. Beide Protagonisten berufen sich aufs Volk, aber beide assimilieren es sich, Robespierre in den zentralen Szenen I.2 und 3, Danton vor dem Tribunal, so dass das Volk für beide eher „Ich Sprosse auf der Leiter deines Ruhms“ zu sein scheint, wie Heiner Müller (1987: 94) Medea sagen lässt. Die beiden Brüder/Feinde haben jeweils gute Gründe: Robespierre verteidigt die Rechte der Kollektivität, die der „Blutkessel“ (II.7) der Revolution jedoch nicht schützt, Danton die Rechte des Individuums, die aber Vorrecht einer Minderheit sind. Diese guten Gründe verhindern nicht, dass das Volk so oder so „klatscht und bezahlt“, wie Büchner 1832 in einer Szene des wirklichen Lebens beobachten konnte, oder „teuer bezahlt“, wie er in einem Brief vom April 1833 meint. Aus diesem Grund fokussiert die Handlung weniger die Rolle des Volkes, sei es nun Protagonist oder Komparse, als vielmehr die Modalitäten, mit denen die beiden Fraktionen das Volk in die Entscheidungen und somit in die historischen Dynamiken einbeziehen. Als könne sich das Volk dem Blick seiner Pädagogen nicht entziehen, handelt es deshalb ausschließlich in den öffentlichen Räumen, sei es in Eine Gasse, Eine Promenade, Platz vor der Conciergerie, Platz vor dem Justizpalast, Der Revolutionsplatz, sei es

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in Jakobinerklub, Der Nationalkonvent, Das Revolutionstribunal. Genau dies ist der „Riß“ (III.1), der durch das Volk geht: Es ist weit entfernt von dem Idealmodell, das die Spitzenvertreter der beiden Fraktionen entwerfen, aber es besitzt auch kein privates Gesicht, als sei es eine ‚hölzerne Kopie‘ (II.3) wie St. Just. Auf der Straße und auf den Plätzen, aber auch in den Palästen der Macht zeigt es vor allem sein öffentliches Gesicht, das sich von einem Moment auf den anderen ändert, von der Begeisterung zur Niedergeschlagenheit übergeht: Auf diese Weise beseelt das Volk das große Drama der Revolution. Im Danton ist es Typus, Bürger bzw. vierter Stand, oder Masse. Den Typus Bürger repräsentieren der Junge Mensch, der aufgrund eines Schnupftuchs ‚lanternisiert‘ zu werden riskiert (I.2); ein Junger Herr, Madame und Eugenie, Typen à la Rousseau, für die die Liebe ein Tauschwert ist, genau wie für die grisettes; der Erste und Zweite Herr, Intellektuelle auf der Flucht bzw. Spezialisten des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts und der Kunst, deren Kenntnisse in keiner Weise auf ihr Leben angewandt werden (II.2); schließlich der Bürger, der die ‚staatliche Scheidung‘ des Präsidenten Dumas kritisiert (IV.2). Für den Typus des vierten Standes stehen hingegen ein Bänkelsänger-Kommentator, ein Bettler, der den Gegensatz aktives Leben/kontemplatives Leben thematisiert, ein Soldat, aber auch die grisettes Adelaide und Rosalie (II.2) und Ein Weib (IV.4), die im Vergleich zur Doppelmoral von Madame und Eugenie asymmetrische Figuren darstellen; außerdem Ein Weib mit Kindern, die sich auf dem Platz der Guillotine vordrängt: „Platz! Platz! Die Kinder schreien, sie haben Hunger. Ich muß sie zusehen machen, daß sie still sind. Platz!“ (IV.7), sowie die drei Weiber, die der Hinrichtung unter Robespierres Regie Beifall spenden: „Ein hübscher Mann, der Hérault! […] es ist recht gut, daß das Sterben so öffentlich wird“ (IV.8). Hier sehen wir die „Guillotinenbetschwestern“ (II.1) in Aktion. Die erste Frau geht sogar den Hunger ihrer Kinder (die Magenfrage) aus einer ideologischen Perspektive an, die Hannah Arendt (1998) kritisiert, d.h. als Anspruch einer totalen Deutung oder der Erzeugung einer Pseudo-Wirklichkeit, die sich der authentischeren Erfahrung verschließt. Letztere erklären die Enteignung der innersten Erfahrung des Todes zu etwas Schönem und Gerechten: eine Erfahrung, die nicht nur jeder individuell bewältigen muss, sondern die von den Dantonisten im vierten Akt in die Kunst verwan-

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delt wird, sterben zu lernen, was ihrem ganzen Leben neuen Sinn verleiht (s. unten). Dagegen repräsentieren die Typen, die ihrer Individualität enteignet sind, alle zusammen den „nämliche[n] Fall, nur mit etwas [mehr oder weniger] verwickelten Umständen; die Grundverhältnisse sind sich gleich“ (III.6). Sie zeigen größtenteils die Wirkungen der Kontrolle über Körper und Geist und nur in zwei Fällen die verfehlte Kontrolle, nämlich im Fall des Bürgers von IV.2. und des Bettlers, der die Sklaverei ablehnt, zu der das enrichissez-vous um jeden Preis führt (II.2). Im Hinblick auf die Handlung haben sie vor allem eine verzögernde Wirkung. Dagegen ist das Volk als Masse dem Fortgang der Handlung förderlicher. Robespierre, der von der „gesunde[n] Volkskraft“ (I.6) spricht, porträtiert es als „Armes, tugendhaftes Volk“ (I.2) bzw., wie ein Gefangener des Luxembourg sarkastisch wiederholt: „Die Macht des Volkes und die Macht der Vernunft sind eins“ (III.1). Aber das Porträt wird sowohl von seiner queue abgeändert (Billaud: „Das Volk hat einen Instinkt sich treten zu lassen und wäre es nur mit Blicken“, III.6) wie auch von dem Dantonisten Lacroix: „das Volk ist tugendhaft d. h. es genießt nicht, weil ihm die Arbeit die Genußorgane stumpf macht“ (I.5). Danton selbst hebt vor allem die kollektive Unvernunft hervor, obwohl er sich später wieder auf das Volk beruft: „das Volk ist wie ein Kind, es muß alles zerbrechen, um zu sehen, was darin steckt“ (ebd.). Tatsächlich handelt das Volk ausschließlich unter dem Antrieb der Dynamiken der Massengesellschaft, wie sie von der modernen Sozialwissenschaft studiert worden sind (Gentile 2007), gleich ob es sich um Leute, um Alle, Einige, Die Umstehenden, Einige Stimmen oder Viele Stimmen (I.2) handelt, um Einige Stimmen, Viele Stimmen (I.3), um Ein Volkshaufe, Einige Stimmen, Einige Weiber, Alle (III.10), um Einige Stimmen oder die Männer und Weiber (IV.7), die die Carmagnole singen und tanzen, während die „Gefangenen […] die Marseillaise anstimmen“ (Selge 1987). In Dantons Tod ist die Rolle der Masse die eines passiven Empfängers. In einen Kindheitszustand regrediert, springt es von der Verzweiflung zur Begeisterung, von der Gleichgültigkeit zum Fanatismus, wie auf Befehl und ohne ausreichende Gründe. Da es den Rhetoren der Revolution, seien es die Originale oder die Kopien, folglich gelingt, die Ängste und die Erlösungssehnsucht des Volkes zu kanalisieren, setzen sie einzig eine Bewegung von der Spitze zur Basis hin in Gang; das Volk selbst vermag die Beschlüsse der Spitze

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nicht einmal zu durchdringen, so dass die Regierenden sich bei der Machtübertragung der Kontrolle der Regierten entziehen (Sartori 2008): „ich bin allein“, so Robespierres Worte, die den ersten Akt beschließen und in denen Dantons „wir sind sehr einsam“ aus I.1 widerhallt. Im Danton ist das Volk sehr fern, es „klatscht und bezahlt“. Die Machtkonzentration in wenigen Händen ist sogar so groß, dass auch die öffentlichen Personen wie Ein Deputierter, Ein Anderer oder Einige Stimmen im Nationalkonvent (II.7) am Ende wie ein einziger kollektiver Körper reagieren. Sie bilden die ‚führende Masse‘. So lassen sich die Deputierten und die Zuhörer, die zunächst den auf die Wahrung des Rechts abzielenden Vorschlag von Legendre mit „heftige[r] Bewegung“ quittieren – „EINIGE STIMMEN Wir unterstützen Legendres Vorschlag“ –, im Anschluss wie in einem Crescendo von Robespierres revolutionärer Rhetorik fesseln: Beifall, Allgemeiner Beifall, Beifall, Die Deputierten erheben sich sämtlich zum Zeichen allgemeiner Beistimmung, und dann vor allem von der Rhetorik St. Justs: Langer, anhaltender Beifall. Einige Mitglieder erheben sich im Enthusiasmus; Die Zuhörer und die Deputierten stimmen die Marseillaise an. Durch die revolutionäre Rhetorik stumpft also nicht nur das Bewusstsein des Volkes ab, sondern auch die führende Klasse ist von denselben Dynamiken ergriffen, obwohl sie ihren Nutzen daraus zieht, so dass sich in den Szenen im Revolutionstribunal der demagogische Zynismus der Spitze mit der eigennützigen Begeisterung der Mitläufer mischt (III.4 und 9). Sicher ist es auch aufschlussreich, neben den politischen Dynamiken den „uralten, zahllosen, unverwüstlichen Schafskopf“ (IV.5) Camille Desmoulin zu berücksichtigen, der auf die bleibende menschliche Natur verweist. „Es braucht weder Götter noch Geheimverschwörungen, um die Menschen zu den absurdesten Katastrophen zu treiben. Die menschliche Natur reicht“, meinte Simone Weil (2005: 57), und auch dies ist eine mögliche Lesart der Massenszenen in Dantons Tod. Die asymmetrische Perspektive, die von Büchner erhoffte „Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volke“, das heißt die Entstehung eines neuen, gut unterrichteten und sachverständigen demos, scheint weiterhin auszustehen.

II. TRENNENDE WÖRTER: DIE ASYMMETRISCHEN WELTEN

Die ästhetischen Koordinaten, die der Entzifferung der tendenziell asymmetrischen Handlungen dienen, wie die beiden Protagonisten sie mit Hilfe ihrer Anhänger ins Werk setzen, werden in der Rede von Robespierre (erhabnes Drama) und des Zweiten Herrn (babylonischer Turm) umrissen. Ähnlich gibt der Text auch die Bezugspunkte an die Hand, die dem Verständnis der Personen dienen, und zwar durch die zwei asymmetrischen Porträts (I.3/I.6) und vor allem durch Camille, der in II.3 zwar keine dem Text zu entnehmende ästhetische Theorie entwirft (Meier 1982 und 1983), jedoch einen Hinweis auf die Poetik liefert. Seinen Bezugspunkten zufolge sind Robespierre und seine Anhänger tendenziell monochrome, starre Personen, die Marionetten ähneln, gekennzeichnet durch „Charakter“, „Konsequenz“, „Sentenz“ und „Begriff“, im Gegensatz zu Individuen, die in die „Schöpfung [getaucht sind], die glühend, brausend und leuchtend, um und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert“ (II.3), also vielschichtigen und dynamischen Individuen, wie im Allgemeinen die Freunde von Danton. In einem Brief an seine Eltern (5. Mai 1835) beschreibt Büchner selbst seine Personen mit nicht eben symmetrischen Begriffspaaren als „blutig, liederlich, energisch und cynisch“. Arnold Zweig sieht in ihnen den ontologischen Konflikt zwischen Geist und Leben dargestellt (Dedner 1990: 90, 396). Ebenso asymmetrisch sind folglich ihre Wertewelten im Hinblick auf Individuum und Gemeinschaft, und aus diesem Grund scheint es ihrem Dialog an einer gemeinsamen Sprache zu fehlen, als sei er gleichsam in unüberwindlicher Andersheit fixiert. Sowohl zwischen den einzelnen Personen wie zwischen beiden Lagern verläuft eine Reihe von Rissen (III.1), die sie voneinander unterscheiden und trennen, etwa: wir/die anderen, Freunde/Feinde, Individuum/Kollektivität, Recht, Pflichten/Vergnügen, Bewusstsein/Unbewusstheit, Tag/Nacht, Prinzipien/Mitleid, Geschichte/ Natur, Krieg/Frieden bzw., in der Sprache der Zeit, Materialismus/ Spiritualismus und Sozialismus/Individualismus. Zu Dogmen erhoben, liefern diese asymmetrischen Begriffspaare ein ganzes „Ar-

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senal der Phrasen, die man hüben und drüben zur Kriegsführung“ benutzen kann, wie Max Frisch 1958 in seiner Laudatio feststellte (Johann 1981: 57 f.), oder die der Sprachlenkung dienen, wie Günter Eich hervorhob (ebd., S. 73 f.), bis sie den Personen schließlich das Recht verleihen, einander das Leben zu nehmen und sich gleich Kannibalen zu benehmen, wie einige wiederholt auftauchende Bilder nahelegen („Halsweh“, I.5; „sterben an der Mahlzeit“, I.6; „pikantes Gericht“, III.2; „zur Tafel“, IV.4; „fürstliche Tafeln“, IV.5; „servieren“, „klassisches Gastmahl“, IV.7; vgl. Behrmann/Wohlleben 1980: 188 f.). Insbesondere manifestieren sich die asymmetrischen Welten, die im Danton die Handlungen bedingen, in den Gegensatzpaaren Kollektivität/Individuum, Nicht-Erkennen/Erkenntnis, Laster/Tugend, Zukunft/Vergangenheit, Gegenwart, Augenblick und Ruhe, Geschichte/Natur und Dirigismus/Republik, wobei letzteres die Staatsauffassungen betrifft. Im Folgenden die wichtigsten Stellen.

1. Individuum/Kollektivität Diese Asymmetrie bildet den ersten, wesentlichen Riss zwischen den beiden Fraktionen. Unter ästhetischem Gesichtspunkt sind Robespierre und St. Just die am engsten an die Quellen angelehnten Personen, wobei Büchner ihre Botschaft so weit zugespitzt hat, dass sie sich immer gleich zu bleiben scheinen, gerade so als hätten sie gar keine Geschichte. Sie bekämpfen die Einzelheit an sich selbst und an den anderen, so dass Robespierre darin lediglich einen „affektierten Wahnsinn“ oder „studierte Ausschweifungen“ (I.3) erblickt. Gutzkow hatte in seiner Rezension festgestellt, dass für sie die Menschen „nur die Beamte eines Begriffes“ waren: „meine Begriffe“ oder „deine Begriffe“ (I.6) dienen dazu, zwischen sich und den anderen zu unterscheiden, „Banner von verschiedener Farbe“ (I.3) zu hissen und die Menschheit dergestalt zu entzweien. Die Grenzziehungen sind demnach eindeutig: Republikaner, Bürger und somit die Freunde auf der einen Seite, Realisten, Fremde und Feinde auf der anderen; jeder von ihnen ist ein „Feind, seine Absicht tut nichts zur Sache“ (I.6). Für Robespierre decken sich diese Trennungen wenn nicht mit dem „Licht der Wahrheit“ (II.7), so doch zumindest mit der „schnelle[n], strenge[n] und un-

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beugsame[n] Gerechtigkeit“ (I.3). Ihre Objektivität und Allgemeingültigkeit löscht den „Vorzug vor seinen Mitbürgern“. Daher „darf […] Keiner Vorrechte haben, weder ein Einzelner, noch eine geringere oder größere Klasse von Individuen“, verkündet St. Just (II.7), aber unterstrichen wird dies auch von dem Souffleur Simon, der sich ebenfalls auf das „Allgemeine“ (II.2) versteht. Die Gesellschaft von Gleichen, nach der sie streben, ist ideell inspiriert durch die von Nietzsche beschriebene „Maschine als Lehrerin“ (1966: 966): „sie gibt das Muster der Partei-Organisation und der Kriegführung. Sie lehrt dagegen nicht die individuelle Selbstherrlichkeit: sie macht aus Vielen eine Maschine, und aus jedem einzelnen ein Werkzeug zu einem Zwecke“. Im 20. Jahrhundert bezeugte es Simone Weil ihrerseits in der Schrift Anmerkung zur generellen Abschaffung der politischen Parteien (2009). Doch St. Just zum Trotz ist das Allgemeine nur im Besonderen gegeben, so dass der Begriff ‚Vorrecht‘ nicht bloß „mit allen Lastern und allem Luxus der ehemaligen Höflinge“ (I.3) zusammenfällt, sondern zweideutig bleibt. In der politischen Rhetorik kann er folglich als Waffe gegen den besonderen Feind eingesetzt werden, weil er die Rede nichtfalsifizierbar macht, im Sinne Poppers: Wer könnte behaupten, dass gerade die vom „Schwert des Gesetzes“ (I.3) getroffenen ‚Verräter‘ eine Ausnahme bilden und nicht jenem allgemeinen Laster frönen würden, das so umfassend ist, dass es alle betrifft. Die Tatsachen sprechen anders. So deckt sich das Handeln der Robespierristen im dritten Akt mit den im Tribunal (III.2 und 8), im Wohlfahrtsausschuss (III.6) und im Gefängnis (III.5) gesponnenen Intrigen, so dass der gesamte Staatsapparat im Dienste einer einzigen Fraktion bzw. des persönlichen Interesses zu stehen scheint. Zudem sind der Willkür, nachdem sie einmal genehmigt ist, keine Grenzen mehr gesetzt, wie von Barrère thematisiert: „Und durft’ er einen morden: durfte er auch zwei, auch drei, auch noch mehr? wo hört das auf?“ (III.6). Am Ende bleibt nur die Guillotine – „systematisch“ und „mechanisch“ (III.7), der „Platzregen“ (I.2) von Blut, der die Szene beherrscht –, wie der Gemäßigte Mercier anmerkt: „Nicht wahr […]? Die Gleichheit schwingt ihre Sichel über allen Häuptern, […] die Guillotine republikanisiert!“ (III.3) Anstelle der societas perfecta, dem Ziel der linearen, progressiven Zeit, kommt die Hobbes’sche Gesellschaft des homo homini lupus, die politische Apokalypse (II.7), zum Vorschein. Es scheint die

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Rückkehr des Verdrängten zu sein, wie in dem Alptraum von Robespierre (I.6). Nachdem die Republik den individuellen Menschen zugunsten des kollektiven verstoßen hat, gliedert sie ihn in der Rolle des Opferlamms wieder ein. So wird schließlich „der Masse anstatt des Glücks des Allgemeinen das Unglück des Besonderen geboten“ (Horkheimer 1979: 79). Danton und seine Freunde streben hingegen danach, unverwechselbar sie selbst zu sein. Sogar Robespierre führt sie in seiner Hinrichtungsliste einzeln auf, und noch unter dem Galgen sind sie ähnlich und verschieden zugleich. Für Danton ist der Konflikt mit Robespierre zudem mehr ein Kontrast der Seinsweisen als ein politischer Konflikt: „Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Katonen nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal so“ (I.1). Andersartig sind folglich die Werte, auf die beide Lager sich beziehen: Hedonismus und Epikureertum gegenüber Askese und Stoizismus, Griechen gegenüber Römern, sympatheia gegenüber apatheia (Oesterle 1992: 62), Freiheit und Chaos gegenüber Mechanik und System, Natur gegenüber Uniformen, oder um es mit den Worten des Enthusiasten Camille zu sagen, die Diderot, Goethe, Heine und Sappho zitieren: „Wir wollen nackte Götter, Bacchantinnen, olympische Spiele, und melodische Lippen: ach, die gliederlösende, böse Liebe! […] Der göttliche Epicur und die Venus mit dem schönen Hintern“ (MA 3.4: 44 f.). Deshalb stehen sie im Gegensatz zu den Plänen von Robespierre, die darauf abzielen, dass „uns der Advokat von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhütchen, Schulbänke und einen Herrgott erfände“ (I.1), dass er sie mit anderen Worten einem homme machine gleichmachen würde, wie Voltaire und Heine anprangern, an denen sich der Passus inspiriert (MA 3.2: 196, 222; 3.4: 38). Die Anspielung auf Rousseau ist denkbar passend. Auch der Neobabouvist Guillaume Desjardins definiert Rousseaus politisches Œuvre in einer Rede von 1833, die Heine mit Sicherheit kannte, als einen „commentaire de Sparte et de Rome“, der für die „moines militaires de Lacédémone“ verfasst worden sei (MA 3.2: 194-5). Die Maxime der Dantonisten ist das Gegenteil, jeder „handelt seiner Natur gemäß d. h. er tut, was ihm wohl tut“: „Es gibt nur Epikureer, und zwar grobe und feine […]; das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen Menschen herausbringen kann“ (I.6), äußert Danton im Gefängnis (IV.5).

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Es steht dem Staat nicht zu, das Privatleben der Individuen zu formen: „Jeder muß sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können. Er mag nun vernünftig oder unvernünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böse sein, das geht den Staat nichts an“ (I.1). Es widerstrebt den Dantonisten, die Andersdenkenden zu bekämpfen, wie der Girondist und Zellengefährte Thomas Payne sagen wird: „Was wollt ihr denn mit eurer Moral? Ich weiß nicht ob es an und für sich was Böses oder was Gutes gibt, und habe deswegen doch nicht nötig, meine Handlungsweise zu ändern. Ich handle meiner Natur gemäß […]. Sie können, wie man so sagt, tugendhaft bleiben und sich gegen das sogenannte Laster wehren, ohne deswegen ihre Gegner verachten zu müssen“ (III.1). Aus der philosophischen Negation des Begriffs des Absoluten ergibt sich die Relativierung der Asymmetrie von Laster und Tugend, von der durch ein „wie man so sagt“ und ein „sogenannte“ Distanz genommen wird, die den Anführungszeichen, in die das „Wort ‚Blut‘“ in St. Justs Rede gesetzt ist, genau entsprechen (III.7). Folglich ergibt sich daraus das Bewusstsein: „Was Blut kostet, ist gewiß kein Blut wert“, wie Lessing in seinen Gesprächen für Freimaurer (5. Gespräch) Ernst in den Mund legt. Büchner hatte seiner Verlobten im Fatalismusbrief geschrieben: „Ich gewöhne mein Auge ans Blut“, hatte dann jedoch hinzugesetzt: „Aber ich bin kein Guillotinenmesser“ (BDK 2: 377).

2. Laster/Tugend Die Auffassung von Laster und Tugend verschärft die Asymmetrie zwischen den beiden Fraktionen. Mit Hilfe seiner Tugendauffassung unternimmt Robespierre den schwersten Angriff auf die individuellen Freiheiten. Es reicht ihm nicht, den Leibern die Uniformen überzustreifen, auch dem Geist möchte er sie anlegen: „In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Taten des Gedankens, als der träge Organismus unsres Leibes in Jahren nachzutun vermag. Die Sünde ist im Gedanken“ (I.6). Und so versucht Robespierre, die Sünde mittels zweier Salti mortali aufzustöbern. Der eine ist logischer Art und ermöglicht mit eindeutiger Kausalität den Schluss von der Wirkung auf die Ursache, wie Collot d’Herbois feststellt: „Hört! die Ursache verklagt ihre Wirkung, der Ruf sein Echo, der Grund seine Folge“ (I.3). Belegt wird dies durch die Handlung, et-

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wa durch das Schnupftuch eines unglückseligen Jungen Menschen (I.2), aber auch der Handwerksbursch im Woyzeck meint, der Mensch sei erfunden worden, um dem Arzt Arbeit zu geben. Der andere Salto mortale gestattet ihm, das Laster – mit einem kühnen Übergang vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Privaten zum Öffentlichen – zum politischen Feind zu erklären: „Das Laster ist das Kainszeichen des Aristokratismus. In einer Republik ist es nicht nur ein moralisches sondern auch ein politisches Verbrechen; der Lasterhafte ist der politische Feind der Freiheit“ (I.3). In seiner eigenen Fraktion gibt es Leute, die, wie Barrère, die Exzesse einer solchen Auffassung beklagen: „Sie werden noch aus der Guillotine ein specificum gegen die Lustseuche machen. Sie kämpfen nicht mit den Moderierten, sie kämpfen mit dem Laster“ (III.6). Nicht zu Unrecht verweist der Dantonist Hérault auf den „Genfer Uhrmacher“ (I.1), auf den Contrat social (1762) von Rousseau, dessen Œuvres politiques Büchner in der ersten Novemberwoche 1834 entlieh. Die Gebote seiner recht unbeugsamen zivilen Religion betreffen „das künftige Leben; die Belohnung der Gerechten; die Bestrafung der Bösen; die Heiligkeit des Gesellschaftsvertrages und der Gesetze“. Für den Staat folgen daraus Recht und Pflicht zur moralischen Erziehung und folglich zur Bestrafung eines jeden „der nicht daran glaubt“ und „als Feind der Gesellschaft“ verbannt werden kann (Rousseau 1977: 1.206 f.). Letztlich sind die Konflikte jedoch nur metapolitisch lösbar (Battafarano 1990: 211), wie Robespierre feststellt: „die Tugend muß durch den Schrecken herrschen“ (I.5). Büchners Beschreibung seiner Personen als liederlich und cynisch in einem Brief an seine Eltern bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Dantonisten. Denn die Laster von Danton, der seinen Widersacher für „empörend rechtschaffen“ (I.6) hält, sind zahllos und offenkundig. Den ersten Akt bringt er damit zu, „die mediceische Venus stückweise bei allen Grisetten des palais royal zusammen[zusuchen]“ (I.4). Aber auch seine Freunde pflegen die Regellosigkeit. Lacroix: „Legendre und ich sind fast durch alle Zellen gelaufen, die Nönnlein von der Offenbarung durch das Fleisch hingen uns an den Rockschößen und wollten den Segen“ (I.5). Sie selbst gestehen ein: „Und außerdem Danton, sind wir lasterhaft, wie Robespierre sagt d. h. wir genießen […]. Man nennt uns Spitzbuben, und sich zu den Ohren Dantons neigend es ist,

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unter uns gesagt, so halbwegs was Wahres dran“ (I.5). Ihnen ist nämlich bekannt, dass der Sinnengenuss ein Privileg ist, das Leben der meisten dagegen „Mord durch Arbeit“ (I.2): „das Volk ist tugendhaft d. h. es genießt nicht, weil ihm die Arbeit die Genußorgane stumpf macht“ (I.5). Aber Danton, der „das Wort Strafe nicht“ versteht (I.6), sieht „keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge“ (I.6), denn er meint, der Unbestechliche habe kein „Recht aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen“ (I.6). Auf Robespierres Frage: „Du leugnest die Tugend?“ antwortet Danton daher: „Und das Laster“, und stellt die Asymmetrie somit als falsch dar oder besser: er führt sie auf das Gebiet der individuellen Moral zurück.

3. Nicht-Erkennen/Erkenntnis Im Bereich der Erkenntnis ist der erste Begriff, der des NichtErkennens, kennzeichnend für die queue de Robespierre. „Man muß die Menschheit lieben, um in das eigentümliche Wesen jedes einzudringen“, wird Lenz in der gleichnamigen Novelle bemerken. Stattdessen leugnen St. Just und Robespierre das eigentümliche Wesen, so dass die Erkenntnis sich äußerlichen und berechenbaren Maßstäben anvertraut, die ‚objektiv‘ daherkommen, wie in den Worten des Zweiten Bürgers: „Was hat Robespierre? der tugendhafte Robespierre! Ihr kennt ihn alle“ (III.10). Genauso erklärt Robespierre bezogen auf die queue de Danton: „der ganze Konvent kennt sie“ (II.7), während Paris berichtet: „der Freiheit gegenüber kenne er keine Rücksicht, er würde Alles opfern, sich, seinen Bruder, seine Freunde“ (I.5). Doch betrifft die Negation des eigentümlichen Wesens und seiner Ambivalenzen vor allen Dingen die Selbsterkenntnis, so dass Robespierre behaupten kann: „Mein Gewissen ist rein“, wohingegen Danton ihm vorhält: „Ich würde mich schämen dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen“ (I.6). Die fehlende Erkenntnis bringt allerdings vor allem eine andere Art von Negation hervor, für die der Unbestechliche ein erhellendes Beispiel liefert: die Negation – bzw. Verdrängung, wie man ein Jahrhundert später sagen wird – als Prozess, durch den Vorstellungen, die dem Selbstbild widersprechen, aus dem Bewusstsein aus-

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geschlossen werden, also „[d]ie Sünde [, die] im Gedanken“ ist (I.6), verleugnet wird. So lässt Robespierre, nachdem sein Gegenspieler fortgegangen ist, den Rest verschwinden, der nicht aufgeht, der ‚weg muss‘ und gegen seinen Willen, als Verdrängtes, „immer wiederkommt“: „Sie werden sagen seine gigantische Gestalt hätte zuviel Schatten auf mich geworfen […]. Und wenn sie recht hätten? Ist’s denn so notwendig? Ja, ja! die Republik! Er muß weg. […] Wie das immer wiederkommt“ (I.6). (Danton wiederholt dies in der entsprechenden Innenszene, die mit vergleichbaren Worten beginnt: „Will denn das nie aufhören?“, II.5.) Darüber hinaus verdeutlicht Robespierre auch die sozialen Implikationen seiner Negation: zum einen die ‚Normalisierung‘ (oder Rationalisierung) seines Verhaltens, das er für ‚notwendig‘, für eine ‚Pflicht‘ erachtet, weil Danton die „Rosse der Revolution“ anhalten will (die in Dantons Traum in II.5 dagegen ihn aus dem Sattel werfen); zum anderen die ‚Verzerrung‘ desselben Verhaltens durch den sogenannten Verschiebungsmechanismus, das heißt durch die Projektion seiner Schatten nach außen, so dass er bei Eintreffen von St. Just, der aus dem Dunkel auftauchend Licht bringt, nunmehr bereit ist zur Abfassung der Hinrichtungsliste: „He, werda im Finstern? He Licht, Licht! St. Just: Kennst du meine Stimme? […] – Weg mit ihnen! Rasch! nur die Toten kommen nicht wieder“. Selbsterkenntnis ist hingegen die Maxime der Dantonisten, die sich bewusst sind, dass in jedem Individuum vielfältige Aspekte wirksam sind. Camille: „Die Unterschiede sind so groß nicht, wir Alle sind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genies, und zwar das Alles in einem“ (IV.5). Danton geht noch weiter. Als seine Frau meint: „Du kennst mich Danton“, antwortet er ihr, mit jenem Sinn der Autopsie, den Gutzkow (BDK 2: 440), aber auch Walter Jens (1964) Büchner attestieren (Wülfing 1982), bzw. mit jener Mikroskopie, die jener seinen Personen zuschreibt: „Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieb Georg. Aber er deutet ihr auf Stirn und Augen da da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren“ (I.1). Die Köpfe abzuschneiden aufgrund feindlicher Gedanken, ist nun fraglos ein asymmetrisches Verhalten gegenüber dem Wunsch, zu wissen, was darinnen steckt (– eine Tätigkeit, die überdies der

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wissenschaftlich-beruflichen Büchners entspricht). Mit der Bewusstheit fällt auch die Notwendigkeit fort, den Rest, der nicht aufgeht, auf den Anderen zu projizieren. Mit Héraults Worten: „Wir Alle sind Narren es hat Keiner das Recht einem Andern seine eigentümliche Narrheit aufzudrängen“ (I.1); oder mit Büchners Worten aus dem Brief an seine Eltern: Einige „vertragen es nicht, dass man sich als Narr produciert und sie duzt; sie sind Verächter, Spötter und Hochmütige, weil sie die Narrheit nur außer sich suchen“ (BDK 2: 379). Camille vertieft diese Perspektive, indem er auf die dunklen und archaischen Kräfte verweist, denen der Mensch um so mehr ausgeliefert ist, je weniger er um sie weiß: „wir sollten einmal die Masken abnehmen, wir sähen dann wie in einem Zimmer mit Spiegeln überall nur den einen uralten, zahllosen, unverwüstlichen Schafskopf, nichts mehr, nichts weniger […], wir kennen uns ja einander, spart euch die Mühe!“ (IV.5). Woyzeck wird aus einem ähnlichen Blickwinkel von der Viehsionomik, von einem „tierische[n] Mensch[en]“ sprechen (BDK 1: 151). Rund ein Jahrhundert später griff Hermann Hesse das „Zimmer mit Spiegeln“ von Desmoulins im „magische[n] Theater“ seines Steppenwolfs (1927) auf.

4. Zukunft/Vergangenheit, Gegenwart, Augenblick und Ruhe Ein weiteres Motiv des Aufeinanderpralls zwischen den beiden Fraktionen ist die Zeitauffassung. Für die Anhänger Robespierres, namentlich für St. Just, den homo novus, der in der messianischen Erwartung der Erneuerung lebt, ist die Gegenwart ein bloßes Werkzeug. Er zerlegt und katalogisiert das Kontinuum der Erfahrung in dichotomische Kategorien. Auch im Woyzeck rät der Hauptmann dem Protagonisten: „Teil Er sich ein“ (BDK 1: 154); mit anderen Worten soll er die Zeit und sich selbst einteilen/zerlegen. Derlei Kategorien erzeugen nicht nur eine Diskontinuität zwischen dem Wir und den Anderen, dem Nützlichen und Nutzlosen, sondern sie verleihen schließlich auch der Gegenwart eine bloß operationelle Funktion: „zwei Feinde auf einem Brett, wir oder sie, der Stärkere stößt den Schwächeren hinunter“, wie es in einer verallgemeinernden Äußerung von Danton heißt (II.5, s. unten). Außerdem bilden die nicht mehr auszuhandelnden Begriffe und der Tod der Gegner („Nur die Toten kommen nicht wieder“,

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sagt Robespierre) den Hauptweg, um sich die Zukunft zu sichern, und tatsächlich sind ihre Handlungen auf die Zukunft projiziert, ohne Rücksicht auf den Preis, der in der Gegenwart für ein „Resultat“ entrichtet wurde, das „Millionen das Leben gekostet“ (II.7) hat. Robespierre „kenne […] keine Rücksicht“, der Zukunft „würde [er] Alles opfern, sich, seinen Bruder, seine Freunde“ (I.5), das heißt die Gegenwart und das einzige Leben, das die Einzelnen haben: „Wer in einer Masse, die vorwärts drängt, stehen bleibt, leistet so gut Widerstand, als trät’ er ihr entgegen: er wird zertreten“ (I.6). Da „jedes Glied“ Teil eines „Satzes“ ist, der sich auf die Verwirklichung des Endziels der societas perfecta richtet, sind die Individuen und das Heute bloße Mittel, es sind die Arme, deren sich in einem zielgerichteten Prozess der Selbstverwirklichung der „Weltgeist bedient“ (II.7), wie bei Hegel. Doch wie Danton vorausahnt – „ich lasse ihm keine sechs Monate Frist, ich ziehe ihn mit mir“ (IV.5) –, haben Robespierre und St. Just keine Zukunft, obgleich sie ihr die Gegenwart geopfert haben. Die Dantonisten kennen hingegen sogar vier Zeiten – mit Ausnahme der Zukunft, weshalb die queue de Robespierre sie als „Antediluvianer“ (I.1) wahrnimmt, denen mit anderen Worten die messianische Erwartung des neuen Kollektivmenschen fremd ist. Sie leben in der Vergangenheit, in einer Gegenwart, die sich im Kreis zu drehen scheint, sie erträumen den erfüllten Augenblick als höchsten Ausdruck dieser Gegenwart bzw. die Ruhe. Die erste Zeit ist die Vorzeit, deren Widerspiegelungen in der Gegenwart ihnen nicht unbekannt sind (der uralte „Schafskopf“, der noch heute in jedem wirkt). Vor allem strebt Danton jedoch nach dem Jetzt: „Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben“ (II.1), so dass sein „Feldgeschrei heißt: Erbarmen!“, also gerade „[k]einen Vertrag, keinen Waffenstillstand“ (I.3). Träge ist er in der Gegenwart verwurzelt (Specchio 2003: 215), die eine Gewohnheit geworden ist. Wenn der Tod ihm im Gefängnis als „eine einfachere“ Fäulnis erscheint, das Leben im Vergleich dazu „eine verwickeltere, organisiertere Fäulnis“, so stellt Danton nichtsdestotrotz fest: „Aber ich bin gerad’ einmal an diese Art des Faulens gewöhnt“ (III.7). Doch ersehnt er in der Gegenwart vor allem den erfüllten Augenblick, die asymmetrische Zeit im Vergleich zu derjenigen von Robespierre, der die Erfahrung zerlegt und in feststehende Kategorien unterteilt. Dagegen vermag der Augenblick die Verletzung aufzuhe-

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ben, die das blinde Dahinfließen der progressiven Zeit mit sich bringt, „wie ein Meer, was Alles verschlang und sich tiefer und tiefer wühlte“, heißt es aus Marions Mund (I.5). Der Augenblick bricht in die Gegenwart ein und verspricht, seine eigene Ganzheit und das beseelte Ganze, das Heute und die Vergangenheit, sich und das Andere in einem zu erfahren. Deshalb strebt Danton danach, Marion „ganz in [s]ich [zu] fassen“, sie „ganz [zu] umschließen“, aber auch mit dem Kontinuum des Alls zu verschmelzen: „Ich möchte ein Teil des Äthers sein, um dich in meiner Flut zu baden, um mich auf jeder Welle deines schönen Leibes zu brechen“. Die grisette ist hingegen diejenige, die den erfüllten Augenblick synthetisch mit allen Sinnen lebt (s. unten). Dank seiner Frau Julie wird Danton stattdessen die letzte Zeit, jene Ruhe zuteil, um die es ihm gleich in der ersten Szene geht, obwohl er sie in Wirklichkeit verloren weiß: „Nein, höre! Die Leute sagen im Grab sei Ruhe und Grab und Ruhe seien eins. Wenn das ist, lieg’ ich in deinem Schoß schon unter der Erde“ (I.1). Seinem Friedensbedürfnis zum Hohn, setzt die Revolution ihn „in Ruhe, aber auf andere Weise, als [er] dachte“ (II.1). So wird sich Herrmann in III.4 drei Mal auf die Ruhe beziehen, während Fouquier in III.9 sogar „Ruhe im Namen der Republik“ verlangen wird. Doch wie der Tod ihn nicht von der Schuld befreit (II.4), so würde er, auch wenn er „ganz zerfiele, […sich] ganz auflöste“, wenn er „eine Handvoll gemarterten Staubes“ wäre, nur in Julie Frieden finden, die ihm im Tod vorausgeht: „jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr“ (III.7). Die Liebe verleiht dem Tod einen Sinn. (Die Möglichkeit einer Vereinigung der Erfahrungen von Marion und Julie, des erfüllten Augenblicks und der Ruhe, wird im Danton allein Camille zuteil, für den „Das Licht der Schönheit, das von ihrem [Luciles] süßen Leib sich ausgießt, […] unlöschbar“ ist. Dass eine ähnliche Einheit für den Protagonisten unerreichbar ist, ist allerdings kein Zeichen für dessen Gespaltenheit, auf die Oehler 1980 abhebt, sondern für den Realismus des Autors, dem es darum zu tun ist, ein Drama in der Perspektive einer Kritik der Moderne zu schreiben; s. unten.)

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5. Geschichte/Natur Von gleich großer Gewalt sind Geschichte und Natur in der Apologie von St. Just, der die Revolution gemäß den Spekulationen des Paläontologen Georges Cuvier mit einer Naturkatastrophe vergleicht, wie auch der deutsche Jakobiner Andreas Rebmann oder wie Ernst Moritz Arndt (MA 3.4: 154 f.): „Eine Veränderung in den Bestandteilen der Luft, ein Auflodern des tellurischen Feuers, ein Schwanken in dem Gleichgewicht einer Wassermasse“ erzeugen „eine Seuche, ein[en] vulkanische[n] Ausbruch, eine Überschwemmung“, die „Tausende [begraben]“ und die „physische Natur“ der Welt verändern, wie die Revolution „die moralische Natur“ verändert mit Waffen von entsprechender Gewalt: „wir haben den Krieg und die Guillotine“ (II.7). In der Rede des Lieblingsschülers von Robespierre wird die Gesellschaftsgeschichte wieder zur Naturgeschichte, wobei „Intellegibilität und Natur […] in der Notwendigkeit, nicht in der Freiheit“ zusammenfallen (Zons 1976: 302), so dass „die neue Allmacht des freien Einzelnen […] die älteste Ohnmacht im mythischen Massensterben [reproduziert]“ (Nagel 1988/9: 90). Die „Revolution ist wie Saturn, sie frißt ihre eignen Kinder“ (I.5), hatte Danton angemerkt. Tatsächlich laufen Geschichte und Natur für St. Just in dem Wort Blut zusammen, für das er unempfänglich ist (II.7). Wo aber die Geschichte wie die Natur Gewalt und Katastrophe ist, wird der Mensch erneut zum Wilden, und der „Naturzustand des Tiers erscheint als Gipfelpunkt der menschlichen Entwicklung“ (Engels, MEW 19: 205) bzw. ist es, wie Dostojewski im Idioten meint, „vom Recht der Gewalt nicht weit […] bis zum Recht der Tiger und Krokodile“. In den beiden Gegen-Apologien der Dantonisten, die bislang nicht als solche erkannt wurden, wird die Geschichte mit der Natur verknüpft, die hier schön und zugleich „entsetzlich“ ist (IV.3). Deshalb sind sie Camille übertragen, der im Vergleich zur eisernen Unbeirrbarkeit von St. Just der nachsichtigste Charakter ist. Die erste Apologie ist durch das „Licht der Schönheit“ inspiriert, das dem unbarmherzigen „Licht der Wahrheit“ (II.7) standhält. Im Gefängnis fürchtet Camille um Lucile: „Sie können die Hände nicht an sie legen. Das Licht der Schönheit, das von ihrem süßen Leib sich ausgießt, ist unlöschbar. […] Sieh die Erde würde nicht wagen sie zu verschütten, sie würde sich um sie wölben, der Grabdunst

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würde wie Tau an ihren Wimpern funkeln, Krystalle würden wie Blumen um ihre Glieder sprießen und helle Quellen in Schlaf sie murmeln. […] Lucile, deine Küsse phantasieren auf meinen Lippen, jeder Kuß wird ein Traum, meine Augen sinken und schließen ihn fest ein“ (IV.3). In der Prosopografie von Camille, in seiner folgerichtigen Charakterisierung seiner Frau, öffnet sich die wahrhaft persönliche Geschichte auch den anderen, während die Natur hier liebevolle Hüterin ist. Wie in St. Justs Hymne an die Revolution sind alle Elemente vertreten, deren Gestalt sich jedoch verändert hat: Die Erde ist leicht wie eine Brücke und bringt blumengleiche Kristalle hervor; das Wasser ist luftiger Dunst, Tau und heller Quell; der Traum, von Küssen beflügelt, ist unauslöschliches inneres Feuer, das sich dem von St. Just beschworenen „Gesetz der Physik“ (II.7) verweigert. Die zweite Gestaltung des Themas, die „entsetzliche“, erinnert nicht nur an das Angstgefühl angesichts einer möglichen Gefangennahme, von dem Büchner seinen Eltern berichtet (9. März und 16. Juli 1836), sondern sie nimmt auch das apokalyptische Märchen vorweg, das im Woyzeck eine Großmutter drei Kindern erzählt. Erde und Himmel, Geschichte und Natur begegnen einander in einer Eiswüste als Bild jener „Verzweiflung, die die Büchnersche philosophische, politische und ästhetische Praxis bis ins Extreme unbestechlich aushält“ (Zons 1976: 8): „Ich lag so zwischen Traum und Wachen. Da schwand die Decke und der Mond sank herein, ganz nahe, ganz dicht, mein Arm erfaßt’ ihn. Die Himmelsdecke mit ihren Lichtern hatte sich gesenkt, ich stieß daran, ich betastete die Sterne, ich taumelte wie ein Ertrinkender unter der Eisdecke“ (IV.3). Zwischen den beiden Gestaltungen der Beziehung von Natur und Geschichte kommt Danton in derselben Szene zu Wort: „Ich werde nicht allein gehn, ich danke dir Julie! Doch hätte ich anders sterben mögen, so ganz mühelos, so wie ein Stern fällt, wie ein Ton sich selbst aushaucht, sich mit den eignen Lippen totküsst, wie ein Lichtstrahl in klaren Fluten sich begräbt. – Wie schimmernde Tränen sind die Sterne durch die Nacht gesprengt, es muß ein großer Jammer in dem Aug sein, von dem sie abträufelten“. Auch hier steht die fließende Bewegung der Bilder im Gegensatz zur Starre der zerstörerischen Natur, wie St. Just sie darstellt; das Ich und das All sind durch einen vergleichbaren Schmerz um das erlöschende Leben verbunden. Während die negative Apologie von St. Just außerdem ohne Antwort bleibt und ihr allein

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der Schmerz der Menschen entspricht, die der „Strom der Revolution“ (II.7) angespült hat, finden die Worte von Camille und Danton in den Elegien von Julie (IV.6) und Lucile (IV.8-9) ein Echo (s. unten).

6. Dirigismus/Republik Die letzte grundlegende Asymmetrie, die sich auch in der Isotopie der Modalverben ausspricht, betrifft die Staatsauffassungen, die Werte der Gemeinschaft. Im Lager von Robespierre zirkulieren diesbezüglich eine radikale und eine dirigistische Konzeption. Die radikale wird in dem Dialog zwischen dem Ersten Bürger und Robespierre bei dessen Betreten der Szene umrissen: „ROBESPIERRE Im Namen des Gesetzes! ERSTER BÜRGER Was ist das Gesetz? ROBESPIERRE Der Wille des Volks. ERSTER BÜRGER Wir sind das Volk, und wir wollen, daß kein Gesetz sei, ergo ist dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt’s kein Gesetz mehr, ergo totgeschlagen!“ (I.2). Für den Ersten Bürger meint demos nicht die gesamte Bürgerschaft (plethos, plenum) und auch nicht die vielen (hoi polloi, aber wie viele?), sondern deckt sich mit den meisten (hoi pleiones) oder auch nur mit der Menge (ochlos), wobei das Prinzip der absoluten Mehrheit den meisten sämtliche Rechte verleiht und die wenigen dieser beraubt (Sartori 2008: 5 f.). Robespierre entwickelt die dirigistische Auffassung, indem er den „Platzregen“ des Dritten Bürgers bzw. die „Blitzstrahlen und Donnerschläge“ des Volkes auf die von oben verordnete Prozedur des „Blutgericht[s]“ (I.2) zurückführt. Erst schmeichelt er dem „[a]rme[n], tugendhafte[n] Volk“ in dem anschließenden Monolog, um es dann zu ermahnen: „Aber Volk, […] du mordest dich selbst in deinem Grimm“ und schließlich mit folgender These zu enden: „Deine Gesetzgeber wachen, sie werden deine Hände führen ihre Augen sind untrügbar, deine Hände sind unentrinnbar“ (I.2). Das Dispositiv der Volksvertretung, das er geltend macht, sichert seine Autorität, da es alle Macht dem von Konsens getragenen Leader übergibt. Wo die von oben geformte Menge nur einen Wert besitzt, insofern sie die Entscheidungen der Führungsspitze gutheißt, neigen die Institutionen dazu, als bloße Übertragungsriemen zu fungieren (s. den Beitrag der Personen zweiten, dritten und vierten

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Ranges), so dass die Regierungsgewalt von einer winzigkleinen Minderheit ausgeübt wird, der, mit der formalen Investitur, die Verantwortung der Volksvertretung während des gesamten Mandats obliegt, wie er selbst erläutert: „Man schreit über den Despotismus der Ausschüsse, als ob das Vertrauen, welches das Volk euch geschenkt und das ihr diesen Ausschüssen übertragen habt, nicht eine sichre Garantie ihres Patriotismus wäre“ (II.7). Robespierre verlangt außerdem Disziplin. Als ein Deputierter feststellt: „Wir sind hier im Namen des Volkes, man kann uns ohne den Willen unserer Wähler nicht von unseren Plätzen reißen“, findet sich daher jemand, der an seiner Stelle erklärt: „Wollt ihr Privilegien? Das Beil des Gesetzes schwebt über allen Häuptern“ (II.7). Für Robespierre gilt mit anderen Worten die gegen 1910 von Robert Michels formulierte Hypothese: Je organisierter eine Demokratie, desto oligarchischer ist sie, vor allem wenn eine der Fraktionen von den Institutionen Besitz ergreift, ohne länger zwischen parteilichen Interessen und Staatsinteresse zu unterscheiden. Der Regierende entzieht sich dergestalt der Kontrolle der Kontrolleure – Barrère in III.6: „Wir dürfen uns nicht zeigen“ –, und verletzt schließlich das Gesetz, wie bewiesen wird durch den öffentlichen Ankläger Fouquier: „Ein Mittel wüßt’ ich, aber es wird die gesetzliche Form verletzen” (III.2), sowie durch St. Just: „sie werden über Verletzung der Formen schreien“ (III.6). Aber für die Verhüllung der Illegalität sorgt der Schleier (III.9) der Heiligkeit, der der politischen Macht eigen ist und auf den St. Just in Bezug auf Danton verweist: „Wir müssen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht wie Mörder“ (I.6). Folglich rüstet sich der Staat mit seinen Märtyrern – den „Heiligen Marat und Chalier“ (I.1), den „Büsten der Heiligen“ und dem „Blut dieser Heiligen“ (I.3) – und mit seinen Riten aus, insbesondere aber mit großen Beispielen (I.3), wie dem Schauspiel des Todes, das auf dem Revolutionsplatz geboten wird, und schließlich sogar mit „eine[m] Herrgott“, entsprechend „der Mechanik des Genfer Uhrmachers“ (I.1), wie der pietätlose Hérault feststellt. Hébert wurde zusammen mit seinen „Atheisten und Ultrarevolutionärs“ (I.4) auch deshalb getötet, weil er „der Gottheit […] den Krieg [erklärte]“ (I.3), denn Robespierre, der neue Cäsar, will auch entscheiden, welche Rolle Gott zusteht. Mit dem Kult des Höchsten Wesens untermauert er den Pakt mit dem armen und tugendhaften Volk und nimmt für sich selbst die Rolle des säkularisierten Erlö-

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sers in Anspruch: „Hört den Messias, der gesandt ist zu wählen und zu richten; er wird die Bösen mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die Augen der Wahl und seine Hände sind die Hände des Gerichts“ (I.2). Wo aber „kein Gesetz ist, da gibt es auch keine Freiheit“ (Locke) und so ist es legitim, Realisten und Fremde zu verbannen (I.3) – diejenigen, die andere Ideen verfolgen, und am Ende auch einfach die, die „Schatten“ werfen (I.6). Die minor pars, die regiert, ist nicht zwangsläufig auch die melior pars. Hinter dem Schleier bzw. der Fassade ist die Praxis die der Intrigen, der Schauprozesse, falschen Anklagen und der Manipulation des Volkes. Robespierre behauptet, die Republik habe nie einen Unschuldigen verurteilt, aber die Handlung straft ihn Lügen, denn sie zeigt die Absicht der Gesetzesverletzung und liefert Beweise dafür: „SCHLIESSER In St. Pelagie liegen Gefangne am Sterben, sie verlangen einen Arzt. BILLAUD Das ist unnötig, so viel Mühe weniger für den Scharfrichter. SCHLIESSER Es sind schwangere Weiber dabei. BILLAUD Desto besser, da brauchen ihre Kinder keinen Sarg. BARRÈRE Die Schwindsucht eines Aristokraten spart dem Revolutionstribunal eine Sitzung. Jede Arznei wäre kontrerevolutionär“ (III.6): Der Aristokrat ist ein Feind, folglich kein Bürger und folglich auch kein Mensch. Zum letzten Mal wird Danton vor dem Tribunal sagen: „Das ist die Diktatur; sie hat ihren Schleier zerrissen, sie trägt die Stirne hoch, sie schreitet über unsere Leichen“ (III.9). 1836 schrieb Büchner aus Straßburg an Gutzkow, sich beziehend auf die später auch von Marx so genannte große Klasse, während der Begriff Hebel auf Fourier verweist: „Und die große Klasse selbst? Für sie gibt es nur zwei Hebel: materielles Elend und religiöser Fanatismus“. Beide Hebel wurden in der Französischen Revolution als dem ersten Experiment einer wahrhaft modernen Gesellschaft angelegt (Gentile 2007: 40 f.). Jedenfalls werden sie im Danton von Robespierre angelegt, der die Magenfrage mit der Staatsreligion verknüpft. Überdies geht mit dem Fanatismus der zivilen Religion, der die Volksszenen prägt, der gewissenlose politische Realismus von St. Just einher, mit dem kollektiven Irrationalismus der Rationalismus eines mit der Guillotine verwalteten Zwangs- und Todessystems. Im Keim sind die Merkmale, die Raymond Aron (1939) als Kennzeichen der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts anführt, hier bereits angelegt, auch wenn bestimmte

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Aspekte heute in gemäßigter, alles durchdringender Form fortleben, etwa in Form der Manipulation durch die Medien (Perniola 2004). Die Konzeption der Dantonisten verweist auf einen pluralistischen Staat, auf eine concordia discors, und könnte mithin nicht asymmetrischer sein, nur dass sie so schön und gerecht ist, dass sie nicht wirklich ist. Während Danton, abseits stehend, zuhört, wird diese Konzeption am Anfang des Dramas von Hérault und Camille entwickelt, die nicht nur die Frage der relativen Mehrheit aufwerfen, bei der die Mehrheit unter Achtung der Rechte der Minderheit regiert, sondern auch eine Republik erträumen, die sich in den Dienst des Wohlergehens ihrer Bürger stellt. Hérault: „Die Revolution muß aufhören und die Republik muß anfangen. In unsern Staatsgrundsätzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe treten. Jeder muß sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können“ (I.1). Vor allem Camilles Worten zufolge macht der Staat als Resultat des Guten und der unablässigen Leidenschaft, an ihm zu bauen, am Ende sich selber überflüssig: „Die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß sich darin abdrücken“. Wilhelm Schulz (Grab 1985: 70) behauptet, dass die libertäre Utopie von Camille der Auffassung von Büchner entspreche. Doch ist diese Auffassung so weit entfernt von den Bedingungen im Jahr 1794 (und nicht nur), dass Danton nicht umhin kann, mit gesundem Realitätssinn zu fragen: „Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen“. Zu ihren Vorbedingungen würde neben dem Rechtsgrundsatz, der Achtung von Recht und Legalität, mindestens die von Büchner ersehnte Bildung (Ausbildung oder neue Kultur) des Volkes gehören. Auch fehlt jeder eschatologische Verweis, da mit Ausnahme von Philippeau keiner von ihnen der Ansicht ist, man müsse „Gott auch dies elende Bedürfnis andichten“, dem Menschen „aus überschwenglichem Liebesbedürfnis [zu helfen], wie wir uns ganz geheimnisvoll in die Ohren sagen“ (III.1) – so Payne in seinem „quot erat demonstrandum“ über Gott (vgl. Proß 1982, Kahl 1982). Analog beschließt in Leonce und Lena Valerio, bereit, nach Italien aufzubrechen, die Handlung und wünscht sich „Makkaroni, Melonen und Feigen“, „musikalische

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Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion!“ (BDK 1: 129). Der einzige gesperrt gedruckte Satz in Dantons Tod lautet: „Es gibt keinen Gott“ (III.1). Danton selbst betont in Erwiderung auf Philippeau: „Aber ich bin ein Atheist“ (III.7), und nähert den Menschen höchstens der Gestalt Christi an, den er psychologisch begreift (der „feinste“ Epikureer, I.6). Den christlichen BüchnerInterpretationen zum Trotz (Wittkowski 1973, 1978, Bach 195556, Kobel 1974, Rey 1982) liegt die Verantwortung der Geschichte in den Augen der Dantonisten ausschließlich beim Menschen. Die Staatsauffassungen der beiden queue sind durch die entsprechende semantische Ebene der Modalverben kodiert, welche die Haltung der Personen gegenüber der sie umgebenden Wirklichkeit zum Ausdruck bringen. Sich selbst und den anderen die Rollen vorschreibend, benutzen Robespierre und St. Just vor allem das Verb müssen: „Er [Danton] muß weg […], wir müssen die Hand abhauen, die es [das Schiff der Revolution] zu halten wagt“ (I.6). St. Just zielt darauf ab, über die gesamt Palette der Modalverben zu verfügen: „Der Konvent muß dekretieren, das Tribunal solle ohne Unterbrechung den Prozeß fortführen und dürfe jeden Angeklagten, welcher die dem Gerichte schuldige Achtung verletzte oder störende Auftritte veranlaßte von den Debatten ausschließen“ (III.6). Interessanterweise greift Danton sogar vor dem Tribunal nur ein einziges Mal auf müssen zurück – „Die Stimme eines Menschen, welcher seine Ehre und sein Leben verteidigt, muß deine Schelle überschreien“ (III.4) –, wohingegen er in der kurzen Szene sechs Mal mögen verwendet, um jene alternative Haltung anzuzeigen, die auch er einnehmen müsste. In allgemeiner Hinsicht entwickelt er dagegen die Problematik des Müssens („der Fluch des Muß“, II.5), aber am Ende verzichtet er aufs Handeln: „Sie wollen meinen Kopf, meinetwegen“ (II.3), genauso wie seine Freunde. Hérault: „Ja Camille, wir wollen uns beieinandersetzen und schreien“ (IV.5); Camille: „Höre Danton, unter uns gesagt, es ist so elend sterben müssen“ (IV.3). Das letzte Wort hat im Übrigen Lucile mit ihrem leidvollen müssen: „Wir müssen’s wohl leiden“ (IV.8).

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„Aber seine durch und durch skeptische Natur ließ ihn auch seinen Zweifel bezweifeln“ (W. Schulz, 1851)

Einer der zahlreichen deutschen Gymnasialschüler, die 1983 den Danton in der Schule gelesen haben, hat an dem Drama eine „komische Handlungslosigkeit“ ausgemacht, während die Lehrer und seine Klassenkameraden vor allem Schwierigkeiten hatten, sich mit einer der Figuren zu identifizieren und mit den umfänglichen historisch-philosophischen Vorkenntnissen umzugehen, die das Werk verlangt (Selge 1985: 222). Obwohl die Polemik über das Fehlen einer fortschreitenden Handlung alten Datums ist, dauert sie bis auf den heutigen Tag an (Kobel 1974, Zons 1976, Behrmann/Wohlleben 1980, Meier 1983, Poschmann 1983, Buck 1990, Niehoff 1991, Schmidt 1991, Oesterle 1992, Gille 1992, Voges 2007). Doch abgesehen von der strengen Kausalität, die Robespierre in die Handlung einführt (das erhabene Drama), besitzt der „babylonische Turm“ selbst auf seine Weise eine bisher unbeachtete Kausalität und sogar einen dramatischen Knoten und eine Lösung desselben, die allerdings nicht in der Katastrophe besteht. Sein ‚System‘ löst sowohl das Dilemma der Identifikation als auch das der Vorkenntnisse, weil der Zuschauer gezwungen ist, sich selbst kennen zu lernen und mit sich selbst zu identifizieren. Nicht nur, dass die Handlung „vorwärts drängt“ und gleichermaßen „stehen bleibt“ (I.6); bei genauem Hinsehen sind auch die Personen und ihre Bezugswelten nicht ausschließlich asymmetrisch. Den im vorangehenden Kapitel nachgezeichneten Asymmetrien der Wertewelten in Bezug auf Individuum und Gemeinschaft stehen in Dantons Tod nämlich wesentliche Symmetrien gegenüber, die auf einem erfindungsreichen Kunstgriff gründen bzw. durch einen solchen ermöglicht werden. So ist Danton im dritten Akt, genauer in III.4 und 9, gezwungen, sich zu ändern und erneut zu „schreien“ (II.1 und III.2, 4, 6, 7); vor allem aber gelingt es ihm

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in I.6, Robespierre zu „ärgern“ – „da kann er nicht schweigen“ (I.5) – und ihn dazu zu bewegen, sich „empfindlich“ zu zeigen, wie jener zugibt (I.6), das heißt, er zeigt sich ähnlich wie die Gegenseite, beispielsweise Camille. Kann Robespierre „nicht schweigen“ (I.5), so können auch Danton und die Seinen „nicht schweigen“ (III.6). Durch diese zweifache, wechselseitige Veränderung wird Robespierre dazu gedrängt, Sätze zu sagen, die eher zu seinem Gegenspieler gepasst hätten, und Danton, der sich ins Privatleben zurückgezogen und dem Genuss hingegeben hatte, wird dazu bewogen, eine Ansprache über die Nationalkühnheit als „die verdienstvollste aller Tugenden“ an die Menge zu halten (III.4). In I.6, Ein Zimmer, ähnelt Robespierre demnach Danton im privaten Bereich, während letzterer im Revolutionstribunal (III.4 und 9) bei seinen öffentlichen Auftritten das Verhalten von Robespierre aufnimmt. Die Verwandlung der beiden Protagonisten widerspricht in Wahrheit jeder psychologischen Wahrscheinlichkeit, aber ihre Funktion besteht nicht darin, ein weiteres Porträt zu zeichnen, sondern die wesentlichen Analogien im Verhalten und in den Prinzipien der beiden Protagonisten und ihrer queue hervorzuheben, welche die Asymmetrien bei weitem überwiegen. In der ästhetischen Perspektive des ‚Systems babylonischer Turm‘ enthüllen die eindeutigen, starren Gegensätze folglich „eine dünne Kruste“ (II.2), während die Schöpfung sich „glühend, brausend und leuchtend“ um die Figuren und in ihnen selbst „jeden Augenblick neu gebiert“ – wie in Camilles ‚Gassentheater‘ und im Unterschied zum institutionellen Theater, wo die Zuschauer „weder Augen noch Ohren“ (II.3) haben. Die Folgen des ‚Systems‘ für die Rezeption sind von erheblicher Bedeutung. So wie das Sinnuniversum aufgebaut ist, neigt es nicht nur dazu, jede Lesart der Ereignisse in teleologischem oder ideologischem Sinn zu dementieren, sondern es zielt darauf ab, die jeweiligen Voraussetzungen jedes einzelnen Empfängers anzusprechen und einzubeziehen. Es konfrontiert ihn nicht mit gleichförmigen Entwicklungen, die allein den Kriterien der Symmetrie und Kohärenz entsprechen, sondern mit differenzierten Wechselbeziehungen, die gleichzeitig symmetrisch und asymmetrisch sind, so dass sie den Asymmetrien widersprechen, an die er sich soeben gewöhnt hat. Zum einen veranschaulicht die Handlung, dass es reicht, „bedeutungslose Worte großzuschreiben, und schon werden die Menschen, kaum dass die Umstände ein wenig in die ange-

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zeigte Richtung drängen, Ströme von Blut vergießen […]. Es ist nämlich ein Charakteristikum solcher Wörter, dass sie in Gegensatzpaaren auftreten“, hat 1937 Simone Weil bemerkt (2005: 57). Zum anderen führt Büchner jedoch mittels differenzierter Strategien, die die Spannungen nicht in Form neu errungener Symmetrien auflösen, „die wesentlichen Begriffe der Intelligenz, die Begriffe von Grenze, Maß und Grad, von Proportion und Beziehung, Bedingung und notwendiger Verbindung und den Zusammenhang zwischen Mitteln und Resultaten“ wieder ein, die „wir in jedem Bereich verloren zu haben scheinen“ (Weil 2005: 58). Dem Zuschauer überlässt er die Aufgabe, seine eigenen Begriffe zu ermitteln. Produktion und Rezeption gehen Hand in Hand miteinander: Das ‚Babel-System‘, das der Autor konstruiert, hat die Funktion, die starren Symmetrien wieder „so leicht und kühn in die Luft“ zu projizieren, einen neuen dramatischen Knoten und eine Lösung desselben anzulegen, die seinem „bizzare[n] Kopf“ (II.2) ebenbürtig sind. Bei der Rezeption sieht sich der Zuschauer sowohl mit den Folgen der „großgeschriebenen Wörter“ konfrontiert, die Unterschiede und Trennungen setzen, als auch mit den gegensätzlichen Kräften, die getragen sind von wesentlichen Symmetrien, von Austausch und sich überschneidenden Erkenntnishorizonten und Bezugswerten. Der ursprüngliche Kern löst gar nichts, sondern bringt einen „Blutkessel“ (II.7) hervor, während die neue Lösung eine Umkehrung des Prozesses der Entfernung hin zu Verständnis und wechselseitiger Achtung bedeuten kann. Er kann mit anderen Worten dem „Strom des Lebens“, wie Lucile sagt (IV.8), statt der Katastrophe ähneln. Das heißt, er kann auf den gewohnten Chiasmus von Krieg und Frieden oder auf ein ‚unbekanntes X‘ verweisen. Dieses dem „babylonischen Turm“ innewohnende ‚System‘, das bislang unbemerkt geblieben ist, wird im Drama selbst angesprochen, wo es mit ‚bizzarrem‘ Hang Personen beider Fraktionen in den Mund gelegt wird, und zwar Lacroix, der es im Hinblick auf die Beziehung zwischen der Kopie und ihrem Original bekräftigt: „Du bist ein Selbstmörder, ein Schatten, der sein Original und somit sich selbst ermordet“ (I.4); Danton mit Bezug auf Robespierre: „Das war deutlich, man braucht nur die Skala herumzukehren, so steht er unten und hält seinen Freunden die Leiter“ (I.5), aber auch dem Robespierristen Barrère: „Es ist der nämliche Fall, nur mit

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etwas verwickelteren Umständen, die Grundverhältnisse sind sich gleich“ (III.6). Für Augen und Ohren, die fähig sind, zu „sehen“ und zu „hören“ und folglich die „dünne Kruste“ der Differenzen zu durchdringen, sind also nicht die Asymmetrien handlungsleitend, sondern die Analogien zwischen den Personen. Sie bilden das Thema der Dialoge, aber sie werden auch durch einige Isotopien angezeigt (Hände-Arme, Nacht-Traum/Tag, Sehsinn-Gehör, Schrei und Stille). Auf der Handlungsebene enthüllen sich die Symmetrien zwischen den Protagonisten und den Fraktionen dagegen insbesondere in der Kontinuität zwischen Wort, Handeln und Denken; in der Gewissenslüge, die den Gegnern gemeinsam ist; in der Rhetorik und In-Szene-Setzung, die das politische Handeln beherrschen; in der Körperlichkeit des Schmerzes, die sie verbindet; und schließlich im Bewusstsein des Todes, dessen Verleugnung weitere Tode herbeiführt. Auf diesem Weg wird der Danton zum „Trauerspiel der Revolution, das nicht nur Könige, sondern auch Revolutionäre erschrecken müßte“, wie Wolfgang Koeppen es 1962 in seiner Laudatio ausgedrückt hat (Johann 1981: 114 f.). Wenn nämlich die Antisymmetrien den ideologischen Diskurs begründen, dann ist ihre Widerlegung im Danton integraler Bestandteil einer radikal antiideologischen Sicht, mit der Büchner in seinem literarischen wie wissenschaftlichen Werk (s. unten) nicht nur dem Perspektivismus Nietzsches oder der Psychoanalyse des 20. Jahrhunderts vorausgreift, sondern die er sogar entwickelt, ehe die Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichen. Sehen wir uns die wichtigsten Stellen an.

1. Das Kontinuum von Wort, Handeln und Denken Die Gegensätze, die dem Kampf zwischen den beiden Fraktionen Nahrung geben, werden de facto durch das Kontinuum von Wort, Handeln und Denken aufgehoben, das sich im Drama als Gesetz der Revolution, ja der Geschichte überhaupt erweist. Verdeutlicht wird dies sowohl durch Robespierre und Danton wie durch die Variationen in mythisch-religiöser und psychologischer Perspektive und schließlich durch die Isotopie Hände/Arme. In den öffentlichen Szenen (I.2, 3 und II.7) behauptet Robespierre, der Bevollmächtigte des „[a]rme[n], tugendhafte[n] Volk[s]“

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(I.2), der Schrecken sei die „Waffe der Republik“ und „ein Ausfluß der Tugend“: „nichts anders als die schnelle, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit“ (I.3), die auf das „Schwert des Gesetzes“ (I.3) baut, welches das „Licht der Wahrheit“ (II.7) schmiedet. So weit seine Worte. Aber die Handlung, die politische Dialektik und das Wirklichkeitsprinzip entlarven seine Worte durch die Intrigen des dritten Aktes als Täuschung oder Lüge, und er gesteht sogar selbst: „In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Taten des Gedankens, als der träge Organismus unsres Leibes in Jahren nachzutun vermag. Die Sünde ist im Gedanken. Ob der Gedanke Tat wird, ob ihn der Körper nachspiele, das ist Zufall“ (I.6). Es ist dagegen kein Zufall, dass sein Denken, das „kaum geahnt, wirr und gestaltlos“ (I.6) erscheint, und seine Worte, die unbarmherzig das „Blutgericht“ (I.2) fordern, schließlich eine Waffe in St. Justs Hand werden: „jedes Komma ein Säbelhieb und jeder Punkt ein abgeschlagner Kopf“ (III.6). Führt der Souffleur Simon zudem nicht die Slogans der Revolution und die berühmten Sätze vieler anderer im Munde (vom Schweizer Helden des Jahres 1386, Arnold Winkelried, bis zu Theodor Körner), als er sich zu Dantons Haus begibt, um ihn zu verhaften? Die Rhetorik und die In-Szene-Setzung beherrschen das politische Handeln so weit, dass auch Danton in den Tribunalszenen sich neuerlich in Widersprüche verstrickt, bis er schließlich gar St. Just gleicht. Als die Handlung ihn dazu zwingt, seine frühere Rolle erneut einzunehmen, versichert er, er habe im September „die junge Brut der Revolution mit den zerstückten Leibern der Aristokraten geätzt. […] Meine Stimme war der Orkan, welcher die Satelliten des Despotismus unter Wogen von Bajonetten begrub“ (III.4). Die Schuld, von der er sich in II.4 und 5 erdrückt fühlte, wird verdrängt, obwohl die Historiker zu Büchners Zeit gerade die Septembermorde als „fait fatale“ betrachteten (MA 3.2: 198-9). Für Mercier, der gemäßigter ist als er, ist es folglich ein Leichtes, einen Vorwurf gegen ihn zu richten, der genauso gut auf St. Just passen würde: „Blickt um euch, das Alles habt ihr gesprochen, es ist eine mimische Übersetzung eurer Worte. Diese Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind eure lebendig gewordnen Reden. Ihr bautet eure Systeme, wie Bajazet seine Pyramiden, aus Menschenköpfen“ (III.3). Büchners Freund Wilhelm Schulz schrieb: „Auch Robespierre, St. Just brauchen nur einige Reden zu halten, damit für sie gehan-

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delt werde. Das Revolutionstribunal formuliert nur ihre Worte mit anderen Worten zu einem Beschlusse, […] und im Hintergrunde arbeitet Samson, im Taglohn seiner Arbeitsherren“: Dies ist die „Theilung der Arbeit, in die sich die ewige Arbeit der Weltgeschichte, ganz besonders die der neuesten Zeit, nothwendig zersplittert“. Aber auch Heine hatte bemerkt: „der Gedanke will Tat, das Wort will Fleisch werden“ (MA 3.4: 102), genau wie bei St. Just, der einzigen Person, die sich nicht verändert. Er verleugnet sogar Robespierre (III.6), er hat keine Brüder und wird nicht von Zweifeln heimgesucht: „Wir sind entschlossen“. So braucht er die Worte und Gedanken „nur durchzuführen“ (I.6), mit dem Ergebnis eines „Blutkessel[s]“ (II.7). Das Thema der Kontinuität zwischen Wort, Handeln und Denken wird außer durch die Handlung in weiterer Hinsicht variiert. Danton übersetzt es unter Anspielung auf Matthäus 18,7 in mythisch-religiöse Begriffe, genau wie Büchner im Fatalismusbrief: „Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? […] Puppen sind wir von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kämpfen, man sieht nur die Hände nicht wie im Märchen“ (II.5). Auf die Widersprüchlichkeit der historisch-politischen Handlung, die das einzelne Individuum übersteigt, um sich in die Geschichte einzuschreiben, verweisen die Worte von Mercier (III.3, s. oben), aber auch die von Danton: „Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht“ (II.1); „Das Schicksal führt uns den Arm, aber nur gewaltige Naturen sind seine Organe“ (III.4). Bedeutsam ist auch die Übertragung auf eine psychologische Perspektive, sowohl durch Laflottes Anspielung auf den „behagliche[n] Oedipus“ (III.5), die 1835 sicher noch nicht so naheliegend war, als auch durch Mercier, der, bezogen auf Danton, in der ‚bösen‘ Variante auf Ödipus anspielt: „Er ist der böse Genius der Revolution; er wagte sich an seine Mutter, aber sie war stärker als er“ (III.1). Derselbe psychologische Archetyp wird außerdem durch Dantons Traum evoziert: „Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung, ich hatte sie wie ein wildes Roß gepackt, mit riesigen Gliedern wühlt’ ich in ihren Mähnen und preßt’ ich ihre Rippen, das Haupt abwärts gewandt, die Haare flatternd über dem Abgrund. So ward ich geschleift. Da schrie ich in der Angst, und ich erwachte“ (II.5), und schließlich in der Variation von Collot: „Die

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Freiheit wird die Schwächlinge, welche ihren mächtigen Schoß befruchten wollten, in ihren Umarmungen ersticken“ (III.6). Die Isotopie der Hand, Hände bzw. Arme entwickelt die Problematik unter Einbeziehung sämtlicher Personen in die Kontinuität zwischen Handeln, Denken und Wort, die eine Konstante des politischen Handelns bildet: omnia manu a regibus gubernabantur, kommentierte Pomponius in den Digesten, und daran hat sich im Danton scheinbar nichts geändert. Robespierre, von dem eine Frau als von den „Hände[n] des Gerichts“ (I.2) spricht, bezieht sich seinerseits auf die „unentrinnbar[en]“ Hände des Volkes (I.2) und das „Schwert des Gesetzes“, das „nicht in den Händen [roste], denen ihr es anvertraut habt“, aber auch auf Feinde, welche die Revolution als „Handwerk“ betreiben (I.3). Handfest sind vor allem die korrupten Geschworenen (III.2), während das Anklagemärchen in St. Justs Händen liegt. Danton beklagt, das Tribunal habe „die Hände an mein ganzes Leben gelegt“ (III.4), wie auch Robespierre bekräftigt (II.7), aber dann legt er sein Handeln selber dem „Schicksal“ in die Hand, das „uns die Arme [führt]“ und schließt seine erste Verteidigungsrede so: „noch wenige Stunden, und er wird in den Armen des Ruhmes entschlummern“ (III.4). Doch in seinem Angsttraum sieht er sich von „blutigen Hände[n]“ (II.5) gepackt, wie sie auch Robespierre nach ihrer Begegnung verfolgen: „Warum kann ich den Gedanken nicht los werden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! Ich mag so viel Lappen darum wickeln als ich will, das Blut schlägt immer durch“ (I.6). Am Ende aber spricht Simon, an seine Frau gewandt, wie üblich für alle: „Schlug ich dich? Das war nicht meine Hand, war nicht mein Arm, mein Wahnsinn tat es“ (I.2). Als Kopie des Originals spielt er nichtsahnend nicht nur auf die Protagonisten des Dramas, sondern mit Hamlet sogar auf den Wahnsinn der Welt an.

2. Die Gewissenslüge Wird der Unterschied zwischen den beiden Feinden schon auf geschichtlicher Ebene geleugnet, so werden sie auf der Bewusstseinsebene ganz und gar Brüder: Ex negativo ist das Gewissen für Robespierre und vor allem für St. Just im gesamten Handlungsverlauf und für Danton in den Szenen des Tribunals (III.4 und 9)

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kennzeichnend; ex positivo charakterisiert es Robespierre in I.6 und Danton in allen übrigen Szenen. Danton ist derjenige, der diesbezüglich die notwendige Verbindung zwischen den Gegenspielern verdeutlicht. Noch in II.5, wo er sich über seine Schuld befragt, glaubt er, er könne nie vergessen: „Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall nie modern, will’s denn nie still und dunkel werden, daß wir uns die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen? – September!“ Aber im Tribunal schließt er seine Verteidigungsrede mit den beschönigenden Worten: „Jetzt kennt ihr Danton“ (III.4). Sein wiederholtes nie ist nämlich nichts anderes als der Spiegel des immer von Robespierre, dem gerade Danton vorgeworfen hatte, er sei „dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde“ herumgelaufen (I.6). Nie und nämlich/immer decken sich nur bei St. Just, der ein selektives Bewusstsein besitzt, aus dem die persönlichen Erfahrungen, die Vergangenheit und die Gefühle ausgeschlossen sind. Seine Depersonalisation bzw. seine ausgebliebene Individualisierung katapultieren ihn in die Zukunft, die einzige Zeit, in der er sich wohlfühlt. Er ist das genaue Gegenteil eines Schülers, hat ein starres Bewusstsein ohne Gewissen oder innere moralische Leitschnur. Um mit Freud zu sprechen: Er ist ein Über-Ich, das Es und Ich, Integration und Zivilisation verleugnet. Je mehr der Mensch kollektiven Normen unterworfen ist, „desto mehr werden die Individualfaktoren ausgelöscht, und damit auch die Sittlichkeit, die ganz auf dem sittlichen Gefühl und der dafür unerlässlichen Freiheit des Individuums beruht“, meint auch Jung (GW 7: 167), was die Figur St. Just zu bestätigen scheint. So weit die Entwicklung des Themas ex negativo. Ex positivo wird die Gewissenslüge sowohl bei Robespierre wie bei Danton Thema. Was Robespierre anbelangt, gesteht er sie selbst ein, denn er betont zunächst: „Mein Gewissen ist rein“, aber dann muss er einräumen: „Und wenn sie recht hätten? […] Nach einer Pause: Ich weiß nicht, was in mir das Andere belügt“ (I.6). Im Verlauf der Handlung werden sein „Eifer“ und seine „Leidenschaft“ (II.7) überdies zu seiner Selbstliebe in Beziehung gesetzt und sogar zu seiner Existenz als „impotenter Mahomet“ (Barrère in III.6), der „bei keinem Weibe geschlafen“ hat (Danton in I.6), also zu jenem Ressentiment, worin Nietzsche den Ursprung des guten Gewissens der Lüge ermittelt. Camille verleiht dem ‚Porträt‘ eine

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zeitliche Tiefe: „Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster und einsam. Ich allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen lachen“ (II.3). Danton dagegen, der sich – außer in III.4 und 9 – während der gesamten Handlung mit der Ambiguität des Bewusstseins auseinandersetzt, bringt die Problematik in allgemeiner Perspektive zur Sprache, und zwar durch die Frage, die er an seinen Gegenspieler richtet: „Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte, du lügst, du lügst! […] Das Gewissen ist ein Spiegel vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt sich wie er kann, und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus“. Spiegelbildlich verkehrt wird dies von dem Robespierristen Barrère bekräftigt, nach dessen Aussage das Gewissen-Hühnchen brav demjenigen folgt, der es füttert: „Komm mein Gewissen, komm mein Hühnchen, komm bi, bi, bi, da ist Futter!“ (III.6) Außerdem spielt Danton in der nächtlichen Szene, die derjenigen von Robespierre entspricht, auf die großen unbekannten Kräfte an, wobei er allerdings nicht darauf verzichtet, sie zu den inneren Kräften in Beziehung zu setzen: „Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet? Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen“ (II.5). Camille, der die Spiegel erneut vertieft und vervielfacht, verweist auf die archaischen Kräfte: „wir sollten einmal die Masken abnehmen, wir sähen dann wie in einem Zimmer mit Spiegeln überall nur den einen uralten, zahllosen, unverwüstlichen Schafskopf“ (IV.5). Einen weiteren Anhaltspunkt für die Symmetrien zwischen den Antagonisten liefert die Isotopie der Gegensätze Nacht-Traum/ Tag. Bedeutsamerweise fragt sich in I.6 ausgerechnet Robespierre, das „Licht der Wahrheit“ vergessend: „sind wir nicht Nachtwandler?“ Außerdem bezieht er sich von allen Personen am meisten auf den Traum: „Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum“, genau wie Camille, der im Traum Lucile im gedämpften Licht der Schönheit sieht, während die Welt sich ihm in eine Eiswüste verwandelt. Seine letzte Lektüre sind Die Nachtgedanken von Young (IV.3). In den beiden nächtlichen Szenen (I.6 und II.5) kommt es zu den Geständnissen der feindlichen Brüder, aber nachts, wenngleich nicht unbedingt im „Licht der Wahrheit“, findet auch die Verhaftung Dantons statt, wie der Souffleur Simon beharrlich unterstreicht: „Wie weit ist’s in der Nacht? ERSTER BÜRGER Was

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in der Nacht? SIMON Wie weit ist die Nacht? ERSTER BÜRGER So weit als zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang“ (II.6). Getröstet durch Gesten und Worte der Freundschaft und Liebe, beschließt Hérault, seinen Freund Camille umarmend, die letzte Szene vor dem Tod mit den Worten: „Freue dich Camille, wir bekommen eine schöne Nacht. Die Wolken hängen am stillen Abendhimmel wie ein ausglühender Olymp mit verbleichenden, versinkenden Göttergestalten“ (IV.5).

3. Rhetorik und Theater der Politik „Oder wollen wir ihnen Fräcke anziehen und sie infusorische Politik und Diplomatie treiben lassen, und uns mit dem Mikroskop daneben setzen? […] Wollen wir ein Theater bauen?“ (Leonce und Lena, III.3)

Die politische Bühne, die sich der Überzeugungsrhetorik und einer spezifisch theatralischen Inszenierung bedient, zählt zu den meist erforschten Themen von Dantons Tod (Schaub 1982, Vietta 1982, Zagari 1990, Popp 2007, Voges 2007, Niehoff 1991). Die Rhetorik hat im Danton keine „auf Belehrung basierende Überzeugung über das Gerechte und Ungerechte“ zum Ziel, wie Sokrates sagte (Platon, Gorgias), sondern vermittelt „Überzeugung ohne Wissen“. Dadurch werden die Massen verführt und auf Ziele hingelenkt, die nicht einmal im Fall des Unbestechlichen ungetrübt sind. Dagegen äußert sich das Theater zum einen in den Kostümen, die die Personen tragen, und den Rollen, die sie übernehmen, und zwar nicht nur Simon, sondern alle; zum anderen in dem Straf-Schauspiel, das Robespierre zu dem Zweck organisiert, „ein großes Beispiel [zu] geben“. In Kapitel XVIII von Der Fürst stellt Machiavelli fest, dass die Politik wie ein Zentaur ist, halb Mensch, halb Tier, und spielt damit auf die für sie prägende Mitleidlosigkeit an. Die Rhetorik und das Theater sind folglich die Maske der Politik, wenngleich „die Gesichter“ voraussichtlich „mitgehen“ werden (I.5), wenn man die Maske abnimmt. Aber Büchner entwickelt auch eine

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tatsächlich moderne Perspektive, nämlich die Verwandlung des Politikers in einen meneur des foules, wie ihn der konservative französische Soziologe Gustave Le Bon in Psychologie der Massen (1895) genannt hat, und die Verwandlung der Politik in eine Gesellschaft des Spektakels, von der 1967 Guy Debord sprach. Mit der politischen Rhetorik, den Mythen, Masken und Theatermetaphern, die zusammen mit der Gegenwart auch die Vergangenheit in Frage stellen, spricht Büchner eine Problematik an, die großen Aktualitätswert besitzt. Die historischen Konkretisierungen der Ursprungsmythen leben in immer neuen Mythologemen fort (Jung/Kerényi 1951), wie Cassirer (1979: 235) in „Judaism and the modern political myths“ festgestellt hatte: „In modern politics […] myth was no longer a free and spontaneous play of imagination. It was regulated and organized; it was adjusted to political needs and used for concrete political ends“. In jüngerer Zeit entstand aus dieser ‚Anpassung‘ allerdings jene „doppelte Hermeneutik“, die die politischen Prozesse umwälzt, indem sie die von Kommunikationsexperten manipulierbare Sichtbarkeit an die Stelle der ‚Wirklichkeit‘ setzt (Giddens 1995, Festinger 2001). In dieser langfristigen Perspektive, welche die Wirklichkeitserzeugung mittels der modernen Kommunikation aufzeigt, nimmt Dantons Tod das neue Gesicht des gemäßigten Autoritarismus unserer Tage bzw. den ambivalenten Charakter der Moderne vorweg. Kehren wir in Bezug auf das neue Thema zur Analyse zurück. Die symmetrischen Szenen sind diesbezüglich für Danton wiederum die des Revolutionstribunals (III.4 und 9), für Robespierre stattdessen nicht mehr Ein Zimmer, sondern seine öffentlichen Reden in Eine Gasse (I.2), im Jakobinerklub (I.3) und im Nationalkonvent (II.7). Hier stößt St. Just zu ihm, der ansonsten hinter den Kulissen agiert, obwohl die Rhetorik der Revolution in seiner Schlussrede, in der er den Meister übertrifft, ihre Krönung findet und zum Dogma wird (Niehoff 1991, Wender 1992). Mit ihm erscheint der moderne Leader vor allem als Mythenbauer, während sein Handeln in eine neuartige politische Psychagogie mündet, die beide Lager jedoch verbindet. Wir wissen, dass Deklamationsübungen ein fester Bestandteil im Gymnasialunterricht des jungen Büchner waren; außerdem ist belegt, wie kritisch er gegenüber leeren Formeln, Bannern und Maskeraden, auch denen der eigenen Seite, eingestellt war (MA 3.2: 202). Jedenfalls macht er im Danton aus seinen Politikern in

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erster Linie Rhetoren. Bezeichnenderweise fegt auch Danton – im Übrigen „einer der gewaltigsten Stegreifredner der Geschichte“ (Markow 1982: I.416) – in III.4 und 9 die Zweifel fort und greift auf die heroice dicta von einst zurück, während er seine Ansprache ans Volk hält, was ausgerechnet St. Just so kommentiert: „Danton parodierte den Jupiter und schüttelte die Locken“ (III.6). Allen voran kommt aber Robespierre die Aufgabe zu, in seinen drei Reden die neue ars bene dicendi als Mittel zur Lenkung verschiedener Gruppen zu entwickeln. Sowohl die Volksmasse in I.2 und die Jakobiner in I.3 als auch die Deputierten in II.7 sind die Zielscheibe, die er kraft seiner Überredungskunst zu erreichen und zu überzeugen trachtet (vgl. Weil 2009). Gerade der strenge, geometrische Robespierre setzt auf die Vieldeutigkeit der Wörter. Er verficht die Objektivität und Allgemeingültigkeit seiner Begriffe, macht aber mit Vorliebe von denkbar tückischen Oxymora Gebrauch – wie dem zentralen des „Despotismus der Freiheit“ (I.3), dem Enzensberger 1963 unter anderem die „Arbeiter- und Bauernmacht“ und den „Rechtsstaat“ hinzufügte –, wodurch die Antonyme in Synonyme verwandelt werden. Jeder kann sie nach Belieben auf der Grundlage seiner Voraussetzungen oder Erwartungen übersetzen. Paris: „Er sprach im Allgemeinen von den Pflichten, sagte der Freiheit gegenüber kenne er keine Rücksicht, er würde Alles opfern, sich, seinen Bruder, seine Freunde“ (I.5). Doch wenn er im Allgemeinen von Lastern spricht, so kann er dadurch einige Personen im Besonderen treffen, wie seinen Bruder Danton und seinen Freund Camille. Überdies geht seine Argumentation von wahrscheinlichen Prämissen aus, die er dann in Enthymemen (Aristoteles), also in unvollständigen Schlüssen, oder in angenäherten Syllogismen entwickelt, etwa dem, der aus Hèbert einen Verbündeten des Despotismus und aus Danton, der lasterhaft ist, den „politische[n] Feind der Freiheit“ oder schlimmer noch, den Verantwortlichen für den Hunger des Volkes macht (I.3). Oder er unterlässt gleich jeden Beweis und reduziert die Prämisse auf eine rhetorische Frage, die sich mit der Antwort deckt: „Erbarmen mit Bösewichtern? Nein!“ (I.3); auch die Häufung rhetorischer Fragen in seiner Rede im Konvent ist hier zu beachten: „Was soll dieser Unterschied zu Gunsten einiger Männer? […] Nur zu viele Erfahrungen haben uns gezeigt, was davon zu halten sei“, etc. (II.7). Außerdem beraubt er die Gegner ihrer Reden, entleert diese ihrer Bedeutung und vereinnahmt sie zu

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seinen Zwecken – so den „Despotismus“-Vorwurf oder die Bitte um „Erbarmen“, die „die Revolution [mordet]“ (I.3), wie auch der Jakobiner aus Lyon feststellt (I.3). Oder er flößt Zweifel an ihren Motivationen ein, indem er aus der Verschiedenheit ein unheimliches Element statt eines Reichtums macht. Die Widersprüche sind immer die der anderen, nie die eigenen, auch weil Robespierre derjenige ist, der die Rollen im „erhabne[n] Drama der Revolution“ verteilt, in dem er der erste Schauspieler ist. Das „arme, tugendhafte Volk“ hat die Rolle des Gesprächspartners inne, die Republikaner sind seine liturgische Masse, er selbst ist der Erlöser: „EIN WEIB Hört den Messias, der gesandt ist zu wählen und zu richten; er wird die Bösen mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die Augen der Wahl und seine Hände sind die Hände des Gerichts“ (I.3). Außer für die Rollenverteilung ist er auch für den Stil verantwortlich. Der seine ist streng parataktisch. Er reiht die Aussagen aneinander, wiederholt sie („Ich habe es euch schon einmal gesagt“, I.3), verwendet hämmernd emphatische Anaphern (wir, wir, wir; sie, sie, sie, etc.), bis seine Reden einen martialisch-hypnotischen, fast betäubenden Klang annehmen, zumal er keine Zeit lässt zur Überprüfung seiner Sätze: „Ihr werdet mich leicht verstehen“ (I.3), lautet das Argument. Im Übrigen ist der Gesprächspartner ein wenig begriffsstutzig, wenn er nicht versteht, und das will er natürlich nicht sein; zudem muss er doch ganz mühelos verstehen, denn der Unbestechliche hat Recht, so einfach ist das. Das heißt, gleich den politischen Rhetorikern aller Zeiten lässt er keine Alternativen zu. St. Just, der Nacheiferer, der seinen Meister in diesem Bereich zu übertreffen neigt, hat am Ende sogar die Evidenz der Natur auf seiner Seite: „Wir schließen schnell und einfach“ (II.7), verkündet er in seiner einzigen öffentlichen Rede. Die Evidenz der Natur fällt sogar mit seiner Überlegung more geometrico in eins: „Ist es denn nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen?“ Im Vergleich zu Robespierre wird der Syllogismus vollkommener (Geschichtsgesetze = Naturgesetze; Massenvernichtung = Naturkatastrophen). Doch gerade weil die Geschichte auch Kultur ist, kann die praemissa maior nicht auf die praemissa minor zurückgeführt werden, ebenso wenig wie die rationes der einzelnen Sätze, für die jeglicher Beweis fehlt: „Wir schließen schnell und einfach: da Alle unter gleichen Verhältnissen geschaffen werden, so sind Alle

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gleich, die Unterschiede abgerechnet, welche die Natur selbst gemacht hat. Es darf daher Jeder Vorzüge und darf daher Keiner Vorrechte haben, weder ein Einzelner, noch eine geringere oder größere Klasse von Individuen“. Die Begriffe sind so „allgemein“, dass sie leer sind. Worin aber differieren Unterschiede, Vorzüge und Vorrechte? St. Just erklärt es nicht. Dafür ist seine Schlussfolgerung völlig eindeutig: „Jedes Glied dieses in der Wirklichkeit angewandten Satzes hat seine Menschen getötet. Der 14. Juli, der 10. August, der 31. Mai sind seine Interpunktionszeichen“. Mit St. Just, dem Herrn der „großgeschriebenen Wörter“ (S. Weil), wird die Sprache System, Ideologie, genauer: moderne Psychagogie. Tatsächlich ruft er die größte Begeisterung hervor, seine Rede ist ein Triumph: „Langer, anhaltender Beifall. Einige Mitglieder erheben sich im Enthusiasmus. […] Die Zuhörer und die Deputierten stimmen die Marseillaise an“. Der fanatische Enthusiasmus, den er in der Öffentlichkeit hervorruft, verbindet sich in den geheimen Räumen der Institutionen mit dem durchtriebensten Zynismus, mit der Macht der bürokratischen Maschinerie. Das Porträt der Politik, die eine Kunst ist, ist damit vollständig. Die Massen antworten, und zwar immer. Sie antworten Danton im Tribunal, Robespierre und St. Just, obwohl deren Reden immer neue Opfer fordern, gleich den „glühenden Molochsarmen dieser Welt“ (IV.5). Sie antworten und fordern Zugabe, vervielfachen die Folgen, wie in dem Wortwechsel zwischen den Deputierten des Nationalkonvents: „EIN ANDERER Das Verbrechen hat kein Asyl, nur gekrönte Verbrecher finden eins auf dem Thron. EIN ANDERER Nur Spitzbuben appellieren an das Asylrecht. EIN ANDERER Nur Mörder erkennen es nicht an“ (II.7). Der Dialog kommt in keiner Weise zustande, sondern reduziert sich auf ein Rollenspiel, auf Erhaltungs- oder Fortschrittsperspektiven, die auf vorgefertigte Begriffe rekurrieren (Verbrecher, Spitzbuben, Mörder). Die Erfahrungswirklichkeit und die einzelnen Individuen werden darüber ausgelöscht. Nicht nur die Sprache, sondern auch die Rollen, vielmehr die Mythen, sind im Voraus festgelegt und werden vom modernen meneur des foules für seine Zwecke vereinnahmt, wie Starobinski (1981: 80) in Bezug auf die Französische Revolution anmerkt: „Sie ist eine Repräsentation, eine erneute Aktualisierung (Animation): der sie Ausführende findet sich unvermeidlich in der Schauspielersitu-

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ation; seine Rolle geht ihm voraus, obgleich sie doch darin besteht, die Zukunft zu entwerfen“. So kommen fortwährend Zitate und Anspielungen auf die Helden des alten Rom in Robespierres Reden vor, aber auch in denen der anderen Protagonisten der Revolution, der spontanen und der gedungenen, wie Simon: klassische Republikaner, Dezemvirn, Katonen, Gladiatoren, Tacitus, Sallust, Catilina, Nero, die beiden Brutus, Tarquinius, Romulus, Cornelia, Virginia, Lucrezia, der Pantheon und die Togen. Danton und die Seinen bevorzugen die Griechen, aber in seiner Rede im Tribunal nimmt der Nachsichtige heroische Posen ein und erfleht seine Ruhe „in den Armen des Ruhmes“ (III.4), während Lacroix ihn auffordert, ‚Brutus anzurufen‘ (II.1) und ihm dann seinen Erfolg bestätigt. Durchgängig wird auf das Theater verwiesen: mit Kulissen, Zuschauern, Theater (II.1), neuem Stück (II.2), Puppen (II.5), dem Klatschen der Galerien (III.3), Physiognomien, Gewand (III.6) und Masken (IV.4 und 5). So sehr ist das Volk ans Theater gewöhnt, dass es die vom Gerüst der Guillotine herab in feierlichem Ton gesprochenen Worte von Lacroix – „zu dem Volk: Ihr tötet uns an dem Tage, wo ihr den Verstand verloren habt; ihr werdet sie an dem töten, wo ihr ihn wiederbekommt“ – mit Gähnen quittiert: „EINIGE STIMMEN Das war schon einmal da! wie langweilig!“ Ähnliches gilt für die Mythen – von den Töchtern des Pelias bis zu den biblischen Gestalten Moses, Kain oder dem Ewigen Juden usw. –, die von den Revolutionären beider Fraktionen aktualisiert werden. St. Just greift jedoch der Zeit voraus, die er selbst mit aus der Taufe hebt, und biegt nicht etwa die antirationalistischen Mythen des konservativen Denkens zu seinen Zwecken zurecht, sondern schöpft die neuen Mythologeme der progressistischen Ideologien: die Entwertung jeglicher Introspektion und den entgegengesetzten Vernunftmythos, der Hand in Hand geht mit der objektiven, ‚wissenschaftlichen‘ Sicht des „Weltgeistes“ (II.7), sowie mit dem jahrhundertealten Mythos der linearen, progressiven Geschichtsentwicklung und des sicheren Fortschritts, den Karl Löwith (1953: 11 und 46), bezogen auf Marx, nicht von ungefähr auf die christliche Eschatologie zurückführt, wie Büchner mit seiner kritischen Modernität. Die skizzierte Problematik findet in der Wiederholung des Themas Sehen-Hören ihren Niederschlag, das alle Personen einbezieht. Denn die Rhetorik, die Rollen und das Theater, das heißt die Ver-

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kleidungen der Politik, deren sich ihre Adepten bedienen, liefern die Massen einer wahren Informationsüberflutung aus, so dass die Undurchsichtigkeit des Realen, nicht seine Transparenz gedeiht; die Gleichung savoir, pour prévoir, pour pouvoir (Comte) ist unwiederbringlich verloren. Danton stellt eingangs, als er nicht gezwungen ist zu schreien, fest: „Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter […], wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab“ (I.1) (Hohendahl 1992: 17), aber dann passt er sich so weit an, dass Mercier ihm vorwerfen kann: „aber sie hören nicht, daß jedes dieser Worte das Röcheln eines Opfers ist. Geht einmal euren Phrasen nach, bis zu dem Punkt wo sie verkörpert werden“ (III.3). Auch Robespierre will wenigstens durch das „große Beispiel“ eines „Straf-Schauspiel[s]“ (Foucault 1976: 17) das Auge der Menge sättigen, wenn er ihr schon kein Brot geben kann. Seine Rechnung geht auf, wie verdeutlicht wird durch „EIN WEIB MIT KINDERN Platz! Platz! Die Kinder schreien, sie haben Hunger. Ich muß sie zusehen machen, daß sie still sind. Platz!“ (IV.7), oder durch die drei Frauen, die beifällig kommentieren: „es ist recht gut, daß das Sterben so öffentlich wird“, nachdem sie soeben jenen „hübsche[n] Mann, de[n] Hérault!“ sterben sahen (IV.8). Die Ästhetisierung der Politik (Mosse 1975) dringt schließlich in den Sehraum ein, bis sie ihn völlig besetzt hält. Aber im Unterschied zu Lucile, die Camille „sprechen sieht”, der es folglich gelingt, die verschiedenen Sinneswahrnehmungen zu verschmelzen (s. unten), ist das Gehör der meisten Figuren dagegen geschädigt. Die wiederholte Aufforderung zu hören ist folglich nicht an die Personen, sondern an den Leser gerichtet. Der Aufforderung der Frau, für die Robespierre der „Messias“ ist – „Seine Augen sind die Augen der Wahl und seine Hände sind die Hände des Gerichts“ (I.3) – geht ein wiederholtes, an die Umstehenden gerichtetes „hört“ voraus. Nicht zufällig beginnt der Appell an das Gehör außerdem häufig mit einem adversativen: „Nein, höre!“ (I.1.), wird repetiert: „Hört den Aristides, hört den Unbestechlichen!“ (I.2), verbindet sich mit einer Verstärkungspartikel: „So höre doch“ (I.5), einem Fragezeichen: „Hörst du Fabricius?“ (I.6) oder einem Ausrufezeichen: „Höre Camille […]. Höre!“ (IV.4). Die Sprache der Politik ist zudem immer geschrien, die von Robespierre wie die von Danton und vor allem die von St. Just, der „empfindliche Ohren“ vermeidet und sie dazu erzieht, „das Wort ‚Blut‘“ (II.7) zu vertragen. Anders ist, wie wir sehen werden, der

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kreatürliche, wortlose Schrei von Lucile ein Ausdruck von Schmerz und Ganzheitlichkeit. Doch entgeht der Wert der geflüsterten Worte nicht einmal St. Just, so dass er die von Ohr zu Ohr weitergegebenen gnomischen Epigramme von Danton wahrnimmt: „Ich traf ihn unterwegs im Palais-Royal. Er machte seine revolutionäre Stirn und sprach in Epigrammen; er duzte sich mit den Ohnehosen, die Grisetten liefen hinter seinen Waden drein, und die Leute blieben stehn und zischelten sich in die Ohren, was er gesagt hatte“ (I. 6). Sein Gehör ist ex negativo das geübte Gehör des Leaders, der mechanisch sein Gebiet überwacht, während sich ex positivo bei Robespierre das ganz leise mit dem Ende der Lüge und folglich mit der Szene verbindet, in der er allein ist und nicht lügt: „Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte, du lügst, du lügst!“ Entsprechend kommt das ‚ganz leise‘ bei Danton vor, als sein Schuldgefühl am tiefsten ist: „JULIE Du sprachst von garstigen Sünden und dann stöhntest du: September! DANTON Ich, ich? Nein, ich sprach nicht, das dacht ich kaum, das waren nur ganz leise heimliche Gedanken“. Die Symmetrien könnten nicht deutlicher sein. In der Thanatodizee des vierten Akts wird auch die Isotopie von Sehen und Hören auf eine metaphysische Ebene projiziert. Danton: „Aber wir sind die armen Musikanten und unsere Körper die Instrumente. Sind denn die häßlichen Töne, welche auf ihnen herausgepfuscht werden nur da um höher und höher dringend und endlich leise verhallend wie ein wollüstiger Hauch in himmlischen Ohren zu sterben?“ (IV.5; vgl. den Brief an die Verlobte von März 1834). Desmoulins’ Frau Lucile integriert die Isotopie hingegen in den Schmerz: „Höre Camille, du machst mich lachen mit dem langen Steinrock und der eisernen Maske vor dem Gesicht“ (IV.4). Hier wie an anderen Stellen kommt ihr vor allen anderen Personen die Aufgabe zu, Ebenen und Sinne in einer vibrierenden Erfahrung zu verschmelzen, die als zutiefst persönliche umso unpersönlicher ist.

4. Der Schmerz Karl Gutzkow, der erste Bewunderer Büchners, bemerkte, dass Dantons Tod „statt einer Handlung, die sich entwickelt, die anschwillt und fällt, das letzte Zucken und Röcheln, welches dem Tode vorausgeht“, darstellt. Neben der Lust ist gerade der Schmerz

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ein weiteres Element der Beziehung zwischen den beiden Fraktionen. Wenn die Revolution die Leiber zerstückt, so ist auch mit der Arbeit nicht zu spaßen: Die beiden letzten, wahrhaft universellen Symmetrien betreffen nicht nur die beiden Lager, sondern auch die Menge, und zwar sämtliche Gesellschaftsschichten (Anz 1981). Dazu einige Beispiele. St. Just ist auch der Schmerz fremd, während er die Körper lediglich benutzt. So vollzieht sich seine anthropologische Revolution, die Erneuerung der Menschheit, in erster Linie „in der Körperwelt“, wo er vorgeht „wie die Töchter des Pelias; sie zerstückt die Menschheit um sie zu verjüngen“ (II.7) (vgl. Hohendahl 1992: 23). Eben weil „man […] heut zu Tag Alles in Menschenfleisch [arbeitet]“ (III.3), bedienen sich St. Just und Robespierre der Körper in einer sinnwidrigen Eucharistie, um sie den Massen zum Mahl anzubieten: „ERSTER BÜRGER Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot, wir wollen sie mit Aristokratenfleisch füttern“ (I.2). Das Schauspiel dient sicher der Zerstreuung, aber am Ende sättigt es nicht, löst nicht die soziale Frage, wie der Zweite Bürger feststellen muss: „über all den Löchern, die wir in andrer Leute Körper machen, ist noch kein einziges in unsern Hosen zugegangen“ (II.6). Sogar das Thema der sûreté, célérité, dignité (Sammet 1987, Arasse 1988, Oesterle 1992) des durch die Guillotine verabreichten Todes, das in der damaligen Medizin, wie der Fachmann Büchner wusste, viel diskutiert wurde, wird im Danton angesprochen, obgleich in zweifelnder Form. Laflotte entschließt sich nämlich, St. Just die fingierte Denunziation zu verschaffen, weil er sich vor dem unendlichen Augenblick des Schmerzes ängstigt, der das Gegenstück von Marions erfülltem Augenblick der Lust darstellt (s. unten): „Und dann – ich fürchte den Tod nicht, aber den Schmerz. Es könnte wehe tun, wer steht mir dafür? Man sagt zwar es sei nur ein Augenblick, aber der Schmerz hat ein feineres Zeitmaß, er zerlegt eine Tertie. Nein! Der Schmerz ist die einzige Sünde und das Leiden ist das einzige Laster, ich werde tugendhaft bleiben“ (III.5). Bezogen auf die queue de Robespierre wird das verbindende Thema Schmerz entweder in Form der stoischen Verleugnung präsentiert, wie im Beispiel von Arria, der heldenmütigen Frau des Römers Paetus, auf die Lacroix anspielt: „Jeder macht ein Gesicht, als wollte er zu seinem Nachbar sagen: Paetus es schmerzt nicht!“ (I.5); oder es wird von Robespierre mit der menschlichen Einsam-

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keit zusammengedacht: „allein: […] Wahrlich der Menschensohn wird in uns Allen gekreuzigt, wir ringen Alle im Gethsemanegarten im blutigen Schweiß, aber es erlöst Keiner den Andern mit seinen Wunden“ (I.6). Die Dantonisten pflegen dagegen jenen „natürliche[n] Ausdruck des körperlichen Schmerzes“, den schon Lessing im Laokoon (1766) dem „kalten Affekt“, der klassizistischen Bewunderung für heroische Gesten gegenübergestellt hatte (Oesterle 1992): „Griechen und Götter schrieen, Römer und Stoiker machten die heroische Fratze“ (IV.5), meint Hérault stellvertretend für alle. Der Schmerz bildet den wahren punctum dolens, sowohl in privater Perspektive – würde Julie Danton nicht in den Tod begleiten, so würde der Schmerz in der „Handvoll gemarterten Staubes“ (III.7) weiterleben – als auch in metaphysischer Hinsicht. Mit Anklängen an Epikur und Spinoza, die Büchner für seine Universitätsvorlesungen erneut durchdacht hatte (BDK 2: 171-352), aber auch mit Vorgriffen auf Dostojewski, verleiht Thomas Payne ihr folgendermaßen Ausdruck: „Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras, warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten“ (III.1). Noch seinen Lenz lässt der Autor sagen: „Aber ich, wär ich allmächtig, sehen Sie, wenn ich so wäre, ich könnte das Leiden nicht ertragen, ich würde retten, retten“. Wie Martin Walser (Johann 1981: 2.174) anlässlich der BüchnerpreisVerleihung feststellt, besitzt der Autor eine besondere „Feinfühligkeit dieser Moralmenbran“: „Büchner kann Menschen nicht leiden sehen, das ist alles“. Auch die Lust ist ein verbindendes Thema: mit Sicherheit für die Dantonisten, aber auch für die zweit-, dritt- und viertrangigen Personen der Fraktion Robespierres. Es wird im Drama mit einer solchen Liberalität behandelt, dass ein Rezensent im Jahr 1836 meinte, dies sei dem deutschen Theater fremd und schmecke vielmehr „ganz nach neueren französischen Dramen“ (Hauschild 1985: 190). Aber noch 1891 taugte es dazu, dem Redakteur einer sozialdemokratischen Zeitung, der Magdeburger Volksstimme, die das Drama in Fortsetzungen gebracht hatte, eine Verurteilung zu vier Monaten Gefängnis einzutragen. Auch August Bebel hielt es für

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schmutzig. Kaum geht der Vorhang auf, schon diskutiert Danton über cœur und carreau, wie er und andere Personen die Sexualität oft mit religiösen, fast gotteslästerlichen Symbolen assoziieren, die vielleicht durch Sades Justine (1797) mitinspiriert sind. Aber im Körper wohnt für Camille auch das Licht der Schönheit bzw. der erfüllte Augenblick: „Das Licht der Schönheit, das von ihrem [Luciles] süßen Leib sich ausgießt, ist unlöschbar“ (IV.3), ebenso wie für Danton mit Marion: „Ich möchte ein Teil des Äthers sein, um dich in meiner Flut zu baden, um mich auf jeder Welle deines schönen Leibes zu brechen“ (I.5). Für Lacroix wohnen auch Verfall und Tod in ihm: „Ein moderner Adonis wird nicht von einem Eber, sondern von Säuen zerrissen, er bekommt seine Wunde nicht am Schenkel sondern in den Leisten und aus seinem Blut sprießen nicht Rosen hervor sondern schießen Quecksilberblüten an“ (I.5), genau wie für Collot, Barrère und Billaud: „Wann kommst du wieder nach Clichy? BARRÈRE Wenn der Arzt nicht mehr zu mir kommt. COLLOT Nicht wahr, über dem Ort steht ein Haarstern, unter dessen versengenden Strahlen dein Rückenmark ganz ausgedörrt wird? BILLAUD Nächstens werden die niedlichen Finger der reizenden Demahy es ihm aus dem Futterale ziehen und es als Zöpfchen über den Rücken hinunter hängen machen“ (III.6). In Dantons Augen zählt die Wollust oder Sexualität zu den „kosmopolitischsten Dinge[n] unter der Sonne“ (IV.5), so dass sie Mächtige ebenso wie Leute aus dem Volk bezwingt: den Ersten Fuhrmann (IV.4), den Ersten Henker (IV.9), Simon und den Ersten Bürger in II.6, die grisettes und den Soldaten in II.2, den Danton auf dem Spaziergang beobachtet: „Geht das nicht lustig? Ich wittre was in der Atmosphäre, es ist als brüte die Sonne Unzucht aus. Möchte man nicht drunter springen, sich die Hosen vom Leibe reißen und sich über den Hintern begatten wie die Hunde auf der Gasse?“ Nicht zufällig rät der Nachsichtige Robespierre, sich die Augen zu bedecken, wenn er auf die Straße geht: „Und kannst du es nicht eben so gut mit ansehn, als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die Augen“ (I.6). Allerdings lässt sich das Thema kaum in antidantonistischem Sinne begreifen (wie Zeller 1990: 165; Hauschild 1993: 447). Büchner war nämlich nicht nur der Autor des verloren gegangenen Dramas Pietro Aretino, sondern auch der junge Mann, der in seinem letzten Brief aus Zürich an seine Verlobte schrieb: „ich muß mich bald wieder an Deiner inneren Glückseligkeit stärken und an Deiner göttlichen Unbefan-

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genheit und Deinem lieben Leichtsinn und all Deinen bösen Eigenschaften, böses Mädchen“ (BDK 2: 466). Es ist im Übrigen unbestreitbar, dass die Liberalität seiner Personen nicht nur Freiheit ist, wie auch im Woyzeck der Blick von Marie beweist, der einer schon zivilisierten Natur entspringt, die an sich bereits Missbrauch ist, ähnlich den Fantastereien Woyzecks über die „Freimaurer“: „Über die Brust so wie ein Stier und ein Bart wie ein Löw… So ist keiner… Ich bin stolz vor allen Weibern“, sagt sie, während sie den Tambourmajor mit den Augen verschlingt und sich auf den Neid der anderen Frauen freut (BDK 1: 156). Anhand der Protagonisten des Woyzeck, aber auch mittels der grisettes im Danton lotet Büchner die Vermarktung des Körpers aus, den Herrschaftswillen, unter dem er sich beugt. Aber in seinem Erstwerk greift er in diesem Fall vor allem auf asymmetrische Bilder wie den Kontrast zwischen dem trivialen Lied des Ersten Henkers und dem Lied von Lucile (IV.9) zurück. Im Allgemeinen gilt ihm dagegen der Spruch naturalia non sunt turpia, wie die Dreiheit von Marion, Lucile und Julie beweist. In die Verbindung, die durch den Schmerz entsteht, schließt er am Ende auch die Tiere ein (I.5, II.2, IV.5) – in Woyzeck imitieren Affe und Pferd die Menschen –, und alle Sinne sind daran beteiligt: der Sehsinn, das Gehör und die Hände, aber auch der Geruchssinn (I.5, III.5 und 7, IV.3 und 5), der Geschmackssinn (I.6, III.2, IV.4, IV.5, IV.7), die Synästhesien (I.5). Auch die Arbeit tötet den Körper. Sie ist nicht nur Adel, sondern Qual. Hatte Aristoteles von der Ablösung des Sklaven durch die Maschine geträumt, so stellte Marx (MEW 23: 430) stattdessen fest, dass diese „das merkwürdige Phänomen in der Geschichte der modernen Industrie“ herbeiführt, nämlich „alle sittlichen und natürlichen Schranken des Arbeitstags über den Haufen wirft“ – ohne dass dies indes die theoretische Glorifizierung oder die Rhetorik der Arbeit des 20. Jahrhunderts verhindert hätte. Das Leben des Volks ist im Danton daher „der Mord durch Arbeit“ (I.2), wie der Dritte Bürger versichert, während Lacroix meint: „das Volk ist tugendhaft d. h. es genießt nicht, weil ihm die Arbeit die Genußorgane stumpf macht“ (I.5). Während die Armen selbst im Himmel nicht ruhen, sondern „donnern helfen“, bemerkt Woyzeck, der seinem Bub beim Schlafen zusieht: „Alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiß im Schlaf. Wir arme Leut!“ (BDK 1: 156 u. 154) Nur

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die ‚ehrenwerte‘ Frau von Simon, die ihre Tochter in Schutz nimmt, erkennt den Zwang nicht: „Wir arbeiten mit allen Gliedern warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat damit geschafft wie sie zur Welt kam und es hat ihr weh getan, kann sie für ihre Mutter nicht auch damit schaffen, he? und tut’s ihr auch weh dabei, he? Du Dummkopf!“ (I.2) Aufschlussreich ist aber vor allem der Dialog zwischen Einem Bettler, der die Mentalität des Immer-mehr-haben-Wollens abgelegt hat, und zwei Herren bei dem Spaziergang: „EIN BETTLER singt: Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos... Liebe Herren, schöne Damen! ERSTER HERR Kerl arbeite, du siehst ganz wohlgenährt aus. ZWEITER HERR Da! Er gibt ihm Geld. Er hat eine Hand wie Samt. Das ist unverschämt. BETTLER Mein Herr wo habt Ihr Euren Rock her? ZWEITER HERR Arbeit, Arbeit! Du könntest den nämlichen haben, ich will dir Arbeit geben, komm zu mir, ich wohne... BETTLER Herr, warum habt Ihr gearbeitet? ZWEITER HERR Narr, um den Rock zu haben. BETTLER Ihr habt Euch gequält um einen Genuß zu haben, denn so ein Rock ist ein Genuß, ein Lumpen tut’s auch. ZWEITER HERR Freilich, sonst geht’s nicht. BETTLER Daß ich ein Narr wäre! Das hebt einander. Die Sonne scheint warm an das Eck und das geht ganz leicht. Singt: Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos...“ Der Bettler weist die Anschauung des Zweiten Herren zurück, der die Dialektik zwischen Freiheit und Notwendigkeit auf letztere allein reduziert („Freilich, sonst geht’s nicht“), wie schon vorher Robespierre („Ist’s denn so notwendig? Ja, ja! die Republik!“, I.6). Doch hatte schon Lessing im Nathan (II.9) bemerkt: „Der wahre Bettler ist/ Doch einzig und allein der wahre König!“ Valerio sagt in Leonce und Lena: „ich bin noch Jungfrau in der Arbeit“ und Leonce antwortet ihm „mit komischem Enthusiasmus: Komm an meine Brust! Bist du einer von den Göttlichen, welche mühelos mit reiner Stirne durch den Schweiß und Staub über die Heerstraße des Lebens wandeln […]?“ (BDK 1: 98) Vor allem verspricht Valerio aber, wenn er Staatsminister geworden ist, „ein Dekret [zu] erlassen, daß, wer sich Schwielen in die Hände schafft, unter Kuratel gestellt wird; daß, wer sich krank arbeitet, kriminalistisch strafbar ist; daß jeder, der sich rühmt, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird“ (BDK 1: 129). Schließlich schreibt der Autor selber nach seiner Flucht an Gutzkow: „Zu dem subtilen Selbst-

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mord durch Arbeit kann ich mich nicht leicht entschließen“ (BDK 2: 397). Im Namen Büchners hob Rudi Dutschke, Anführer der Studentenrevolten 1968 in Berlin, den Konflikt zwischen hoher Arbeitszeit, niedriger Lebenszeit und häufig inexistenter Freizeit hervor. Zusammen mit Peter-Paul Zahl setzte er Das Recht auf Faulheit von Lafargue den Utopien von dessen Schwiegervater Karl Marx entgegen (Goltschnigg 2002: 474-493).

5. Der Tod Die Kontinuität zwischen Wort, Denken und Handeln, die Gewissenslüge und die Rhetorik und Masken der Politik bringen die Kontrolle der Geister und den körperlichen Schmerz mit sich. Der Tod, der alle Unterschiede einebnet, ist hingegen das Endergebnis der „großgeschriebenen Wörter“ „voller Tränen und Blut“ (Weil 2005: 57), durch die das Wissen um die grundsätzlichen Symmetrien verloren geht. Angefangen beim Titel, ist der Tod im Danton nicht der große Verdrängte, sondern er ist allgegenwärtig, wie Walter Jens anlässlich des 150. Geburtsjahrs von Büchner (1964) mit einem Hinweis auf seine „historisch kaum erklärbare Modernität“ betont hat. Auf der Bühne sterben sieben Protagonisten, gefolgt von Lucile; am 24. März wurden neunzehn Anhänger von Hébert hingerichtet und am Tag, an dem die Handlung beginnt, „sind wieder zwanzig Opfer gefallen“ (I.1); eine Woche nach Danton werden Chaumettes und Dillon verschwinden, denen am 28. Juli desselben Jahres Robespierre, St. Just und Dumas folgen werden, aber auch die „zwei und zwanzig“ Girondisten, die Danton am 31. Oktober 1793 ermorden ließ (III.1, I.2), sowie König und Königin (I.2) finden Erwähnung. Uneingeschränkt herrscht die Guillotine. Sie wird in allen Szenen des ersten Akts, in I.1, 2, 3, 4, 5 und 6, aber auch in zahlreichen späteren Szenen erwähnt (II.1, 7, III.3, 5, 6, 9, 10, IV.2, 7, 8, 9). Wenn das Leben des Volks „der Mord durch Arbeit“ (I.2) ist, dann wird mit der Guillotine der Tod zur Arbeit. Die beharrliche Wiederholung zielt darauf ab, den Tod der Fiktion zu entreißen, wie es in Dantons Worten zur Sprache kommt: „wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden“ (II.1). Bezogen auf dieses letzte Thema präsentieren sich die symmetrischen Welten ex negativo mit der vorherrschenden Rolle der Robespierristen, insofern sie den

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Tod austeilen, und ex positivo mit der Dominanz der Dantonisten, die dessen Opfer sind. In Luciles Volkslied steht allein Gott die Macht zu, den Tod auszuteilen. Aber die Revolution „hat die Gebeine aller Könige auf die Gasse und alle Bildsäulen von den Kirchen geworfen“ (I.5) und die alten heiligen Größen durch jene von Alexis de Tocqueville (1978: 29) im Frankreich der Revolution festgestellte „unvollkommene Religion […ersetzt, die…] die ganze Erde mit ihren Soldaten, ihren Aposteln und ihren Märtyrern überschwemmt hat“. Die neue Religion begründet nicht nur Identität und Einheit des Gesellschaftskörpers, sondern scheidet vor allen Dingen Gut und Böse. Diejenigen, die die Dogmen verkünden, werden geopfert, „die Fälscher geben das Ei und die Fremden den Apfel ab“, erklärt St. Just (I.6), darunter der „tote Heilige“ (I.5, II.1) Danton wie vor ihm Hébert. Doch Büchner zeigt, dass hinter den Institutionen Menschen stehen: ihre „Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos“ (I.6), aber auch der Zynismus und die Unmenschlichkeit von Barrère, Collot d’Herbois und Billaud-Varennes (III.6), die Feigheit von Laflotte und Barrère (III.5 und 6), der Machtmissbrauch von Dumas (IV.2). Nicht von ungefähr benutzt Danton die Amplifikation morden: „Wo die Notwehr aufhört fängt der Mord an, ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge“ (I.6). Die Palingenese ist jedoch umso gelungener je besser die Revolution es versteht, ihre neuen Mythen durchzusetzen und die alten zusammen mit den Ambivalenzen der Gegenwart zu verhüllen. So schaltet sie die persönlichen Interessen durch ihre Masken, durch die Rhetorik und das Theater aus, aber sie beseitigt auch den Feind, seinen Körper und seinen Schmerz, indem sie den Tod mechanisiert: „aber so in allen Formalitäten“, „langsam systematisch von der kalten physischen Gewalt“, so „mechanisch getötet zu werden“ (III.7) wird „der Fluch unserer Zeit“ (III.3), eine Vorahnung der Tragödien des 20. Jahrhunderts. Ex negativo nimmt Danton selber, immer noch ennuié, einen Vergleich vorweg – „Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben“ (II.1) –, den St. Just in einer späteren Szene wiederholt: „Was liegt daran ob sie an einer Seuche oder an der Revolution sterben?“ (II.7). Aber St. Just ist im Danton der neue Funktionär des Todes, seine Sehnsucht nach Neugeburt sät „die Gräber von Generationen“ (II.7), ohne „Rücksicht“ auf die Zahl der Opfer, die seine „apokalyptischen Offenbarungen“ (I.6) for-

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dern. Simon bringt dies auf den Punkt: „Fort, Bürger! Wir haften mit unseren Köpfen dafür. Tot oder lebendig!“ (II.6). Dessen ungeachtet fühlt sich St. Just nicht als Mörder, sondern als Priester: „Wir müssen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht wie Mörder“ (I.6). Das Volk, Teil des heiligen Paktes mit der Macht, folgt ihm. Die Szene I.2, in der das Wort Tod bzw. Blut achtzehn Mal wiederholt wird und die überdies die Farce von Simon im Gewand des römischen Virginius enthält, zeigt, wie ansteckend der Glaube von St. Just ist: „DRITTER BÜRGER […] Wir wollen ihnen die Haut von den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat! ERSTER BÜRGER Totgeschlagen, wer lesen und schreiben kann! ZWEITER BÜRGER Totgeschlagen, wer auswärts geht! ALLE schreien: Totgeschlagen, totgeschlagen!“ (I.2) Das kollektive Fieber wird tödlicher Fanatismus, wie schon Voltaire (1985: 79) in seinem Dictionaire philosophique bemerkt: „Solche Leute sind überzeugt, dass der Geist, von dem sie besessen sind, über den Gesetzen steht, dass ihre Verzückung das einzige Gesetz ist, dem sie Gehör schenken sollen“. Die grundsätzlichen Symmetrien treten vor allem ex positivo hervor. In Ein Zimmer erkennt Robespierre sich schuldig für das vergossene Blut: „Warum kann ich den Gedanken nicht los werden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! Ich mag so viel Lappen darum wickeln als ich will, das Blut schlägt immer durch“ (I.6); ebenso Danton in Ein Zimmer: „Was streckt es nach mir die blutigen Hände?“ (II.5). Aber Robespierre spricht auch für alle: „wir ringen Alle im Gethsemanegarten im blutigen Schweiß“ (I.6). Dieses andere Ringen – den „blutigen Schweiß“, den die Treue zu ihren humaneren Überzeugungen kostet – setzen die Dantonisten in der ars moriendi des vierten Akts in Szene. Schon am Anfang hatte Danton gesagt: „ich will lieber guillotiniert werden, als guillotinieren lassen […]. Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben“ (II.1), und versichert dies auch später noch (II.3: „Ich werde mit Mut zu sterben wissen; das ist leichter, als zu leben“; II.4: „Ich kokettiere mit dem Tod, es ist ganz angenehm so aus der Entfernung mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln“; III.1: „Es ist besser sich in die Erde legen, als sich Leichdörner auf ihr laufen; ich habe sie lieber zum Kissen, als zum Schemel“). Doch

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im Gefängnis korrigiert ihn Camille: „Gib dir nur keine Mühe. Du magst die Zunge noch so weit zum Hals heraushängen, du kannst dir damit doch nicht den Todesschweiß von der Stirne lecken“ (III.1). Auch Lacroix stellt den Unterschied zwischen Worten und Wirklichkeit heraus: „Nicht wahr, wenn der Tod einem so unverschämt nahe kommt und so aus dem Hals stinkt und immer zudringlicher wird?“ (III.7) Hat demnach das Tribunal „die Hände an [s]ein ganzes Leben gelegt“ (III.4), so muss Danton es auch ganz erlösen. Erst hofft er, dass Julie ihn begleitet, dann beginnt er seine Qual einzugestehen: „Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben“ (III.7). Als er erneut zu schreien anfängt, ehrt Camille hingegen die notwendigen Verbindungen: „Die Elenden, sie wollen meine Lucile morden!“ (III.9) Die neue Kraft, die Danton erlangen muss, ist die Akzeptanz seiner Schwäche statt der todbringenden Stärke. Nicht zufällig erinnert er sich in seiner Antwort auf Camille, der bereits schläft, an sich als Kind. Danton: „Ja, als Kind! […] Ja wohl, s’ist so elend sterben müssen. Der Tod äfft die Geburt, beim Sterben sind wir so hilflos und nackt, wie neugeborne Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel“ (IV.3). Seine Freunde haben an seinem Lernweg teil. Danton: „Du bist jetzt ruhig, Fabre. EINE STIMME von innen: Am Sterben“ (IV.5). Im letzten Akt entwickelt sich die Todesthematik im metaphysischen Dialog, an dem alle Dantonisten teilnehmen und der sie wie „gegen ein ehernes Gesetz“ (BDK 2: 377) zerschellen sieht: Danton: „Aber wir sind die armen Musikanten und unsere Körper die Instrumente“ (IV.5), Hérault: „Sind wir wie Ferkel, die man für fürstliche Tafeln mit Ruten totpeitscht, damit ihr Fleisch schmackhafter werde?“, und Camille: „Ist denn der Äther mit seinen Goldaugen eine Schüssel mit Goldkarpfen, die am Tisch der seligen Götter steht und die seligen Götter lachen ewig und die Fische sterben ewig und die Götter erfreuen sich ewig am Farbenspiel des Todeskampfes?“ Ihre Reden, in denen sie Platon (Phaidon 86a, 87d), Seneca, Martial, Plinius und andere zitieren (MA 3.4: 218, 228 f.), kreisen gewiss um eine Sinnfrage, die von den Szenarien der Revolution denkbar weit entfernt ist, aber vor allem erzählen sie ihre Errungenschaft der rechten Schwäche, die auf die Aufgabe des heroischen Ichs folgt, bzw. der noluntas, die vor allem Danton dem Schwanken zwischen Begehren und Überdruss entreißt und ihm zur Ruhe verhilft. Unter anderem erlaubt diese Errungenschaft

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die Hypothese des Verrats (oder der Flucht, II.4), d. h. die durch Laflotte skizzierte Alternative (III.5), endgültig zu überwinden, die nicht zufällig im Namen des dantonistischen Lust-Prinzips vollbracht wird. Aber die Beruhigung ist auch ein tiefes Anliegen Schopenhauers, den Freud für einen Vorläufer der Psychoanalyse hält, während aus Nietzsches Sicht (1966: 316-17) dem Menschen Schopenhauers, nachdem er die Maske abgelegt hat, das Leiden dazu dient, „seinen Eigenwillen zu ertöten und jene völlige Umwälzung und Umkehrung seines Wesens vorzubereiten, zu der zu führen der eigentliche Sinn des Lebens ist“. Also von Babeuf zu Schopenhauer? Nein, aber jenseits des Aut-Aut ist das Erlernen des Sterbens und der Verzicht auf den Willen in Büchners Drama in den Weg der Dantonisten eingeschrieben. Mit seiner Behauptung, dass die Charaktere noch vor Beginn der Handlung vollendet seien, hat sich Peter Hacks (1991) folglich getäuscht. In der ästhetischen Perspektive des „babylonische[n] Turm[s]“ stellt die noluntas eine provisorische Lösung des dramatischen Knotens dar. Allerdings führt sie zum Opfer, nicht dazu, das Fortschreiten der Geschichte hin zur Katastrophe aufzuhalten.

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„Nichts/ nichts ist verloren“ (P. Celan, „Engführung“) „Rosetta: Meine Füße gingen lieber aus der Zeit.“ (Leonce und Lena, I.3)

Julie, Lucile und Marion zählen zu den am meisten untersuchten Personen von Dantons Tod. Doch nehmen wir beispielsweise Marion, eine grisette, also eine gemessen an der gängigen Idee von ‚Anstand‘ entschieden asymmetrische bzw. antisymmetrische Figur: Aus den Interpretationen ergibt sich das Bild einer recht rätselhaften Figur, das von der „very dangerous person“ (Benn 1976: 137) bis zur „Utopie der erotischen Ich- und Besitzlosigkeit“ (Ullmann 1972: 64 f.), von der „pansexuellen Auflösung“ (Zagari 1990: 161) bis zur „animalische[n] Triebhaftigkeit“ (Martens 1965: 15) reicht. Viele Fragen, die sie aufwirft, harren außerdem noch der Antwort: „Wie wahre Menschlichkeit über den Moment hinaus zu erreichen sei, bleibt ungeklärt“ (Ruckhäberle 1981: 176), denn „der Daseinsgenuß“ ist in ihrer Person „nur in diesem Zustand der Passivität“ (Proß 1982: 85) bzw. in der „falsche[n] Unbedingtheit einer nur unzureichend mit der Gesellschaft vermittelten Natur“ (Voges 2007: 54) realisierbar. An der grisette „betört Danton, was ihn, wenn es aus Julies Munde käme, entsetzen, wo nicht gar umbringen würde“ (Oehler 1980: 102). Bezogen auf Marion – wie hinsichtlich der Frauencharaktere des Danton überhaupt – wurde zudem von einer „politikferne[n] Autonomie“ gesprochen (Poschamm, BDK 1: 472). Die Interpretationsschwierigkeiten im Hinblick auf Marion, aber auch auf Julie und Lucile, scheinen mir wiederum daraus zu entspringen, dass das dynamische Ganze übersehen wurde, das die drei Figuren bilden und das genau wie das aus den Männercharakteren bestehende System durch symmetrische und asymmetrische Triebkräfte bestimmt ist. Zunächst einmal sind die drei Heldinnen

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asymmetrisch gegenüber den männlichen Protagonisten. Der queue de Robespierre, die nur von den „Guillotinenbetschwestern“ (II.1) umgeben ist, stehen Julie, Lucile und Marion fern, aber sie unterscheiden sich auch von Danton und seinen Freunden, also der Gruppierung, zu der sie gehören. Die Makrohandlung der Dantonisten, die in der Ruhe gipfelt, spielt sich bei den drei Frauen ganz im Inneren ihres Raumes der abgeschiedenheit (Meister Eckhart) oder Distanz ab. Obwohl sie insgesamt ein organisches Frauenuniversum bilden, sind die Verhältnisse zwischen ihnen außerdem bis zu einem gewissen Grad asymmetrisch. Sie sind eins mit sich selbst und haben gleichzeitig Anteil an Räumen und Zeiten, die eine von Person zu Person andere Marginalität aufweisen. Unterschiedlich ist schließlich ihr Stil: lyrisch-pathetisch der von Lucile, ein mittlerer-hoher der von Julie und ein niederer-hoher der Marions. Marion lebt nach dem Tod des ‚jungen Menschen‘, der „hübsch“ war, im Einklang mit sich selbst, sie lebt im erfüllten Augenblick, außerhalb jeder Zeit, sowohl der Vergangenheit und Gegenwart der Dantonisten wie der Zukunft von St. Just und Robespierre. Aber in einer vom Schmerz und vom „Mord durch Arbeit“ beherrschten Realität ist der Ort, den sie besetzt hält, zwangsläufig marginal und dezentriert: ein Vergnügungsort im Palais Royal. Julie und Lucile leben ebenfalls in einer abweichenden Raum-Zeit-Dimension. Wie Marion neigen beide dazu, ‚aus der Zeit hinauszutreten‘, aber im Gegensatz zu der grisette sind sie dynamische Personen, die den Handlungsraum auf der Bühne von einem Ende zum anderen mit einer x-förmigen, die Figur eines Chiasmus beschreibenden Bewegung durchqueren. Sehen wir uns ihre Beziehung zum Raum näher an. Julie, eine auch im Verhältnis zu Lucile asymmetrische Figur, ist in Dantons Sozialmilieu integriert. Nicht allein begleitet sie ihn ins Palais Royal, sondern nimmt in der Szene II.5 auch die Verteidigungsstrategie ihres Mannes vor dem Revolutionstribunal vorweg, indem sie im Hinblick auf seine öffentliche Rolle sein Gewissen beruhigt. Aber gerade Julie wird in der Privatheit von Ein Zimmer sterben, allein mit sich selbst und mit ihrem Traum. Lucile steht stattdessen allen sozialen Räumen ebenso fern wie Marion. Als sie in Ein Zimmer den Überlegungen von Camille zu Kunst und Politik zuhört, versteht sie kein einziges Wort von dem, was ihr Mann sagt (II.3). Dennoch ist gerade sie diejenige, die im öffentlichen Raum par excellence, auf dem Re-

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volutionsplatz, stirbt, dem sie sich im vierten Akt Schritt für Schritt nähert, bis sie auf den Stufen der Guillotine festgenommen wird, mit dem politischen Schlachtruf auf den Lippen, der im krassesten Gegensatz zur Revolutionszeit steht: „Es lebe der König!“ Die aus den drei Protagonistinnen bestehende Ganzheit, die auf Symmetrien und Asymmetrien fußt, erweist sich auch an einem zentralen Motiv des Dramas. Wie Danton in I.1 zu Julies Füßen sitzt, so sitzt Marion in I.5 zu Füßen von Danton, während sich Lucile auf den Boden setzt (IV.8), allein, doch für alle sterbend. Die drei Frauen führen drei radikale Interpretationen des Grundmotivs des Sitzens vor, das im Gegensatz steht zu Robespierres „Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand“ (I.3). Julies Selbstmord ist eine radikale Variation des „nebeneinander setzen und Ruhe haben“ (II.1) von Danton und des Er setzt sich nieder in Freies Feld (II.4); Marion steigert das Motiv durch die abweichende Alternative des „bei einander liegen“ und Lucile variiert mit ihrem „ich will mich auf den Boden setzen und schreien“ (IV.8) nicht nur das „beieinandersetzen und schreien“ von Hérault (IV.5), sondern wählt für das Sitzen den Boden, also den symbolischen Ort, der um den denkbar größten Abstand von den Thronen, aber auch von den Podien und Tribünen der Revolution entfernt ist. In einem Punkt stimmen die Interpreten überein: Dantons Tod, so die einhellige Meinung, weist jede utopische Perspektive zurück (Mayer 1960, Baumann 1961, Thorn-Prikker 1978, Behrmann/ Wohlleben 1980, Ruckhäberle 1981, Ueding 1981, Rey 1982, Knapp 1987, Werner 1992). Dieses Urteil erstreckt sich unweigerlich auch auf die drei Frauen. Doch Julie und Lucile, die die Räume überschreiten, und Marion mit ihrer existentiellen Marginalität sprechen jenes Gegenwort (P. Celan) der Eintracht, das Büchner bewusst den Asymmetrien der Geschichte und ihren Kriegen entgegensetzt. Aber auch die Symmetrien zwischen ihnen sind grundlegend in Bezug auf die Figurentypologien und Ästhetik des Dramas. Wie oben angedeutet, hat ein „bizarrer Kopf“ (II.2) einen alternativen dramatischen Knoten geknüpft, der ebenfalls die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Anderen betrifft, und hat vor allem eine andere Lösung desselben im Vergleich zu den vom Kampf zwischen den Fraktionen bedingten Brüchen angelegt. Die Frauencharaktere erkennen mit anderen Worten die von der Geschichte erzeugten Brüche nicht an; sie finden sich nicht mit den durch sie selbst hindurchgehenden ab und so auch nicht mit denen

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der Geschichte. In erster Linie missbilligen sie den „Riss“ zwischen Erkenntnis und Nicht-Erkennen, dessen Folgen der Zweite Herr verdeutlicht. Auf der einen Seite spricht er begeistert von dem seltsamen „babylonische[n] Turm“, auf der anderen fürchtet er die erstbeste Pfütze, auf die er stößt (II.2). Die drei Protagonistinnen des Danton nehmen dagegen den Kern bzw. die Widersprüche von Grund auf in Angriff, so dass deren Lösung wenigstens ideell quer zur kollektiven Katastrophe verläuft. Noch mehr als die Dantonisten geben sie dem Dialog und der Anteilnahme Nahrung, weil sie daran gewöhnt sind, sich mit ihren eigenen individuellen Besonderheiten auseinanderzusetzen, und daher auch die der anderen erkennen und anerkennen. Aber sie sind wie gesagt anders, sind isoliert, so dass sie auf historischer Ebene oder gemäß dem Wirklichkeitsprinzip keine Erfolgsaussicht haben. Interessanterweise haben die weiblichen Hauptfiguren des Danton keinerlei Beziehung zu den Quellen. Im Unterschied zu den Männercharakteren kommt in ihnen die Fantasie des Autors zu Wort und nimmt friedlichere Alternativen vorweg.

1. Julie Die drei Handlungsphasen, die von Julie zusammen mit Danton getragen werden, betreffen das Verhältnis von Nicht-Erkennen/Erkenntnis. Erinnern wir uns an die beiden asymmetrischen Lösungen: Robespierre praktiziert im politischen Handeln vor allem die Verdrängung, indem er das Bild des Volks nach seinem Ebenbild schmiedet und jeden Widerspruch auslöscht. Dagegen gelangt Danton im Privaten bis zur Mikroskopie, indem er mit dem Volk das Bedürfnis teilt, „[a]lles [zu] zerbrechen, um zu sehen was darin steckt“ (I.5). Julie bietet eine Alternative an. Dadurch, dass sie die Widersprüche ihres Mannes aufgreift, bewegt sie ihn dazu, auf ein anderes Verstehen zu vertrauen, das gerade dank seines persönlichen Charakters unpersönlich ist. Wie gesagt, berührt das Handeln von Julie beide entgegengesetzte Räume und entwickelt sich in einer dreiteiligen Bewegung: Die erste Szene benennt den dramatischen Knoten, der sich mit dem Unverständnis zwischen den Eheleuten deckt und zugleich die Lösung (ly´sis) des vierten Akts antizipiert; die zweite lässt ihre Unstimmigkeiten deutlich werden, die dritte führt die Lösung herbei.

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Am Anfang des Dramas sitzt Danton etwas weiter weg vom Spieltisch auf einem Schemel zu den Füßen von Julie (I.1). Nach seinen Bemerkungen zur Trennung zwischen cœur und carreau, bezogen auf eine hübsche Dame, bedrängt Julie ihn mit einer Reihe von Fragen: „Glaubst du an mich?“, „Du kennst mich Danton“, und schließlich: „Du gehst?“ Danton entzieht sich der Antwort: „Was weiß ich?“, „Ja, was man so kennen heißt“, und am Ende: „Ich muß fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf“ (die „Guillotine ist eine schlechte Mühle und Samson ein schlechter Bäckerknecht“, heißt es in III.10, während in III.7 vom Mühlwerk die Rede ist). Aber dann meint er: „Wir sind Dickhäuter“, „wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab“ und antwortet seiner Frau schließlich: „Nein, Julie, ich liebe dich wie das Grab. […] Nein, höre! Die Leute sagen, im Grab sei Ruhe und Grab und Ruhe seien eins. Wenn das ist, lieg’ ich in deinem Schoß schon unter der Erde. Du süßes Grab, deine Lippen sind Totenglocken, deine Stimme ist mein Grabgeläute, deine Brust mein Grabhügel und dein Herz mein Sarg“ (I.1). Seine Antwort, die die zentralen Begriffe der Schlussszene von Lucile vorwegnimmt (IV.9), macht die Frau sprachlos: „sich abwendend: Oh!“ Doch am Ende der Handlung hat Julie eine Antwort erhalten: Mit ihrer extremen Geste verhilft sie ihrem Mann zu der ersehnten Ruhe, indem sie ihn dazu bringt, in einer durch und durch persönlichen Erfahrung über das generische „wir“, „man“ und „die Leute sagen“ hinauszugehen, gegen die er sich am Ende wendet. Die Auflösung ist also in dem aus der ersten und letzten Szene gebildeten Kreis als einem Modell alternativer Lösungen inbegriffen. Im zweiten Auftritt werden vor allem die Widersprüche deutlich. Als Julie in II.5, in der nächtlichen Szene, in der Danton von Schuldgefühlen verfolgt wird, erneut in Erscheinung tritt, ruft sie von innen, aber ihr Mann sieht und hört sie nicht. Er artikuliert ein „He?“, das Gegenstück zum „Oh!“ der Gattin (I.1). Aber die Frau, die seinen Schrei „durch alle Zimmer“ vernommen hat, lässt auch jetzt nicht locker: „Georg, mein Georg!“, „Georg, Georg, erkennst du mich?“ Schließlich führen sie das Gespräch weiter, Bezug nehmend auf ein Kind, das sie glaubte schreien zu hören, während Danton seine Gedanken „bei der Geburt gleich schreien [hört], wie Kinder“. Daraufhin gleiten sie in die Elternrolle. Julie nähert sich Dantons Ängsten und beruhigt ihn hinsichtlich seiner früheren Rolle als Vater des Vaterlands. Der Dialog ist scheinbar gelungen:

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„JULIE Die Könige waren nur noch vierzig Stunden von Paris... DANTON Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt... JULIE Die Republik war verloren. DANTON Ja verloren […]: zwei Feinde auf einem Brett, wir oder sie, der Stärkere stößt den Schwächeren hinunter, ist das nicht billig? JULIE Ja, ja. DANTON Wir schlugen sie, das war kein Mord, das war Krieg nach innen. JULIE Du hast das Vaterland gerettet. DANTON Ja, das hab’ ich. Das war Notwehr, wir mußten“. Doch während die Frau Dantons Hilfeersuchen annimmt – „O hilf mir Julie, mein Sinn ist stumpf!“ – und ihm in seine früheren Räume folgt, wird er zwar ruhig, aber beide bestätigen am Ende die unhaltbaren Notwendigkeiten des politischen Handelns, wie sie in dem philosophischen Gedankenexperiment des Karneades von den ‚zwei Feinden auf einem Brett‘ ausgedrückt werden, ein Klassiker des Daseinskampfs, hier in der Anwendung auf die Machterhaltung. Als Fallbeispiel auch von Immanuel Kant aufgegriffen und dahingehend gelöst, dass es keine Not gebe, die ein Unrecht gesetzmäßig mache, berechtigt hier das Situationsbeispiel Robespierre, den Stärkeren, den Schwächeren hinunterzustoßen: „wir oder sie […], ist das nicht billig?“ Der Dialog zwischen Danton und Julie ist mit anderen Worten von zu vielen Bejahungen durchsetzt, während der von Lucile, wie wir sehen werden, ein Schrei des Nein ist, genau wie Marion das Nein bekräftigen wird. Aber das Richtmaß des Karneades – berühmter als Rhetor denn als Philosoph, wie Manzonis Don Abbondio nur allzu gut weiß („Karneades? Wer war das nur?“) – hat nicht nur die Funktion, den Unterschied zwischen Julie, Lucile und Marion anzuzeigen. Da es in eine private Szene, in ein Gespräch zwischen Eheleuten eingebettet ist, zeigt es auch, dass Männer und Frauen bisweilen nicht wissen, was sie sagen: Sie sprechen nicht, sondern es spricht durch sie, genau wie es Simon (und nicht nur ihm) passiert. Die Lösungsphase zwingt beide dazu, auf sich selbst zu zählen. Ihr Dialog, der in absentia fortgesetzt wird, führt jetzt zu einem echten Verstehen. Danton, ins Gefängnis abgeführt und nunmehr ohne Hoffnung, ist sich bewusst, dass er eine „Handvoll gemarterten Staubes“ wäre, wenn er „allein ginge“, denn „jedes [s]einer Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr“ (III.7). Als Julie in Ein Zimmer (IV.1) wieder auftritt, hat auch sie seinen Wunsch erahnt und lässt ihm durch ein Kind eine Botschaft zukommen: „sag’ ihm, er würde nicht allein gehn. Er versteht mich schon und dann

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schnell zurück, ich will seine Blicke aus deinen Augen lesen“. Während die Interpreten einzig die Unglaubwürdigkeit dieses Boten betonten, verweist das Kind, anders als das in II.5 erwähnte, nicht auf den Rückzug von Julie und Danton hinter Masken der Kraft und des Prestiges, sondern fungiert als Vermittler ihres SichErgebens in ihre Schwäche und Hinfälligkeit. Jetzt erst beweisen beide eine entschiedenere innere Stärke. Danton, der seiner Frau in I.1 nicht geglaubt hat und meinte, er kenne sie nicht, weiß nun: „Ich werde nicht allein gehn, ich danke dir Julie!“ (IV.3). Schließlich nimmt sich Julie in Ein Zimmer aus IV.6, fernab vom Lärm der Revolution, den sie in II.5 in Erinnerung gerufen hatte, das Leben (vgl. Broch 1987): „Keinen Augenblick möchte ich ihn warten lassen“. Sie stirbt „leise“, eins mit sich und mit der Natur, während der „Erde Züge“ verblassen: „Wie schön das Abendlicht ihr um Stirn und Wangen spielt. Stets bleicher und bleicher wird sie, wie eine Leiche treibt sie abwärts in der Flut des Äthers. […] Ich küsse sie nicht, daß kein Hauch, kein Seufzer sie aus dem Schlummer wecke. Schlafe, schlafe! Sie stirbt“. In öffentlicher Hinsicht ist ihre Entscheidung eine radikale Variation von Dantons „ich will lieber guillotiniert werden, als guillotinieren lassen“ (II.1). Unter privatem Gesichtspunkt stirbt Julie so, wie Danton sich zu sterben gewünscht hätte (IV.3), so dass ihre Elegie einem Echo seines Wunsches entspricht (s. oben).

2. Lucile Im Fall von Lucile stürzt Büchner die Quellen um. Die wirkliche Lucile Laridon-Duplessis wurde acht Tage nach ihrem Mann mit dem Vorwurf guillotiniert, sie habe ein Komplott angezettelt, um ihn zu befreien. Vor allem bildeten die beiden ein symbolisches Paar der neuen Zeit: „les mariés de l’an II de la Liberté“, deren Trauzeuge Robespierre gewesen war, der zusammen mit Camille das Collège Louis-le-Grand besucht hatte (Buck 1990: 265). Auch in Dantons Tod ist das Paar exemplarisch, aber in einem ganz anderen Sinn, und Lucile wird hier zu einer literarischen Gestalt. In ihrem hellsichtigen Wahn fließen Worte und Gesten von Shakespeares Ophelia, König Lear, von Romeo und Julia, Bilder aus Goethes Egmont und Faust und aus weiteren Werken, aber auch die Fachkompetenzen Büchners in Sachen Geistesstörungen zusam-

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men. Sein Großvater Georg Reuß leitete das Philippshospital, eine der ältesten Irrenanstalten Deutschlands, wo sein Vater, der Chirurg war, Caroline, die Mutter des Autors, kennengelernt hatte. Paul Celan hat Lucile in „Der Meridian“, seiner 1961 anlässlich der Büchnerpreis-Verleihung gehaltenen Rede, mit der „Majestät des Absurden“, mit der Poesie identifiziert, die sich nicht auf die Widersprüche der Wirklichkeit reduzieren lässt (Thunecke 1983). Versuchen wir, den Sinn dieser Bewertung zu verstehen. Lucile tritt in II.3 und dann in drei Szenen des vierten Akts auf, von denen eine dem Tod Camilles vorangeht (IV.4), während die letzten beiden den Schluss der Handlung bilden (IV.8-9). Im Gegensatz zu Julie unterscheidet sich der dramatische Knoten im Falle Luciles nicht von seiner Lösung. Sie ist stets eins mit sich selbst (und zugleich quasi abwesend, wodurch die Gegenbewegung eingeführt wird); die Widersprüche betreffen nicht die Person, sondern die sie umgebende gesellschaftliche Wirklichkeit. Da sie das selektive Bewusstsein meidet, das die Verdrängungsprozesse lenkt, führt sie die notwendige Verbindung der Risse in ihrem Innern herbei, indem sie zwischen Ordnung und Chaos, Wahnsinn und Vernunft, Freiheit und Notwendigkeit vermittelt; aber sie umgeht auch den Zwiespalt zwischen Privatem und Öffentlichem, Stärke und Schwäche, zwischen ihrer scheinbaren Abwesenheit und ihrer Präsenz als einem Fokuspunkt des Dramas. Auch aus diesem Grund hält sie bei ihrem ersten Auftritt marginale Räume besetzt, nämlich die durch den zweifachen Abgang Dantons frei gewordenen. Die Szene II.3 bildet daher das symmetrische Gegenteil von III.6, wo die Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses dank des zweifachen Abgangs von St. Just leicht ihr privates Gesicht zeigen können. Demzufolge kommt auch Camille eine besondere Rolle zu, und zwar die der Abgrenzung von Danton – obgleich er damit nur seine Frau beruhigen will –, wenn er feststellt: „Danton und ich sind nicht Eins“. Die Feststellung ist nicht nur das Gegenstück zur vergleichbaren Äußerung von St. Just im Verhältnis zu Robespierre, sondern hat überdies die doppelte Funktion, den Sonderstatus des Zwischenspiels hervorzuheben, als bilde es gleichsam eine Sinninsel, und Camille als den am wenigsten liederlichen und cynischen der Dantonisten auszuweisen, der sich nicht an den Obszönitäten beteiligt und Danton in Eine Promenade nicht einmal antwortet, auch weil ihm die zentralen Interpretationshinweise zu Poetik und Figuren übertragen sind.

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Lucile ist von ihrem ersten Auftritt an ganz (bzw. wahr, weil sie frei ist). Camille und sie kennen sich jenseits der Worte: „Was sagst du, Lucile? LUCILE Nichts, ich seh dich so gern sprechen. CAMILLE Hörst mich auch? LUCILE Ei freilich. CAMILLE Hab ich Recht, weißt du auch, was ich gesagt habe? LUCILE Nein wahrhaftig nicht“ (II.3). Wenn Julie stellvertretend für Danton, dessen „Sinn stumpf“ ist, hört und sieht, so wird die Isotopie Sehen/Hören im ersten Dialog von Lucile sogar aufgehoben. Sie ‚sieht‘ Camille ‚sprechen‘, sieht und hört jenseits der Eindrücke der getrennten Sinne, so dass sie Camille zu verstehen und ‚ganz zu umschließen‘ (I.5) vermag, wie Danton es sich in Bezug auf Marion gewünscht hätte. Aber aufgrund ihrer Gewissheit – die wie das certum ist, das Vico dem Wahren gegenüberstellt – versteht Lucile auch den Rest, so dass ihr Mann sie beruhigen muss: „Sei ruhig, lieb Kind. […] Sei ruhig“. Ihre Variation der Beziehung zwischen Erkenntnis und Nicht-Erkennen sieht daher wie folgt aus: Die Machthaber sehen, hören und können alles, doch sind sie im Hinblick auf mittel- und langfristige Zeiten blind und taub, während Lucile den Schmerz voraussieht, der sie und Camille erwartet: „Wenn ich denke, daß sie dies Haupt! Mein Camille! das ist Unsinn, gelt, ich bin wahnsinnig?“ Als ihr Mann sich entfernt, bringt sie die radikalste Erkenntnis und Verurteilung – nicht nur der Zeit, in der sie lebt – durch ein biblisches Bild (Amos 5,13; Salmen 37,19) zum Ausdruck: „Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus? Man muß sich fassen. Singt Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden,/ Wer hat sich das Scheiden erdacht? Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, daß es den Weg so von selbst findet. Wie er hinaus ist, war mir’s als könnte er nicht mehr umkehren und müsse immer weiter weg von mir, immer weiter. Wie das Zimmer so leer ist, die Fenster stehn offen, als hätte ein Toter drin gelegen. Ich halt’ es da oben nicht aus. Sie geht“. Nicht allein fasst Lucile den eigentlichen Sinn des linearen und zielgerichteten historisch-politischen Handelns, das ihr Camille nimmt, in einem Bild zusammen. Interessanterweise lässt sich darüber hinaus vielmehr feststellen, dass ihr Durchstreifen des Raums schon bei ihrem ersten Auftritt beginnt. Als Camille fortgeht, geht auch Lucile und tut in Wahrheit den ersten Schritt auf dem Weg, der sie auf die Stufen der Guillotine führen wird: ‚es nicht aushalten‘ ist ihre Art des Widerstehens. Deshalb entspricht ihr Abgang

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auch einem „aus der Zeit“ gehen, wie in Leonce und Lena später Rosetta sagen wird (BDK 1: 101). Wohin auch immer ihr Weg von „oben“ nach unten sie führt – unter die Gefängnisfenster, auf den Revolutionsplatz –, teilt ihre Bewegung sich daher in zwei Zeiten: Lucile tritt erst auf, als gelange sie in einen Raum, der nicht ihrer ist und den sie auch zu ihrem macht; und dann setzt sie sich, sitzt wie Danton vor Julie (I.1) oder Marion vor Danton (I.5). Die Symbolik der Wiege, in der man geboren wird und stirbt, ist eine Konstante im Drama, ebenso wie die des Sitzens, welche auf die Sammlung, auf die Einheit der Person verweist, die Zugang findet zu ihrer „allereigenste[n] Enge“ (Celan 1988: 58). Es ist, als sage sie sich, gleichsam Widerstand leistend, vom Stehen los, von jenem Stehen in Erwartung der Befehle, in Bereitschaft, zu schreien und zu marschieren. Lucile tritt bis zum vierten Akt nicht mehr auf; wir müssen sie uns umherstreifend vorstellen. Ansonsten kommt sie nur in Camilles Erinnerung vor, sowohl im Luxembourg-Gefängnis (III.1) und in der Conciergerie (IV.3) wie im Revolutionstribunal, wo er, die Handlung unterbrechend, auch in dem Moment an Lucile denkt, da Danton lediglich schreit: „Die Elenden, sie wollen meine Lucile morden!“ (III.9) Als die Figur jedoch auf die Bühne zurückkehrt, wird sie die Protagonistin. In IV.4 tritt Lucile gegen Ende der Szene auf, setzt sich auf einen Stein unter die Fenster der Gefangnen und wendet sich an Camille, der sie hinter den Gitterstäben erst ruft, als sie sich entfernt: „Höre Camille, du machst mich lachen mit dem langen Steinrock und der eisernen Maske vor dem Gesicht, kannst du dich nicht bücken? Wo sind deine Arme? […] Höre! die Leute sagen du müßtest sterben und machen dazu so ernsthafte Gesichter. Sterben! ich muß lachen über die Gesichter. Sterben! Was ist das für ein Wort? Sag mir’s, Camille. Sterben! Ich will nachdenken“. Wenn erkennen bedeutet, Assoziationen und Verknüpfungen herzustellen, dann ist die Vernunft in Lucile tatsächlich autonom geworden, und zwar nicht nur im Verhältnis zum Es, sondern auch im Verhältnis zu dem, was Freud in Das Ich und das Es (1922) Über-Ich genannt hat. Mit einer Lösung, die man mit der Spinozistischen Erkenntnis dritter Art oder dem konkreten Universellen vergleichen kann, über das, in der Vermittlung Hegels, Simone Weil reflektiert, scheint es fast, als vereinbare sie das Verständnis der

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konkreten, individuellen Erlebnisse mit dem der abstrakten und universellen Phänomene. Denn ihre Rede richtet sich an Camille, aber sie betrifft auch die „großgeschriebenen Wörter“ (S. Weil), die ihn ins Gefängnis gebracht haben: die Riten und Mythen der Revolution, ihre Heiligen und Märtyrer aus Stein und Eisen (I.1 und 3), die der Machtfestigung dienen, aber auch die Arme, die für die „mimische Übersetzung [d]er Worte“ (III.1) sorgen, ihre Verkündigungen und sogar der Tod, der aus dieser seltsamen Wirklichkeit folgt, denn sie wird von Personen geformt, die sich nicht über die Gegenwart zu bücken wissen und die gerade dann ernsthaft sind, wo sie lachen müssten. Genau dies ist das Gegenwort, das Lucile den Marionetten und der Mechanik der Geschichte entgegensetzt, wie Celan feststellt. Aber Gegenwort ist auch ihre Art „nach[zu]denken“ (vgl. Woyzeck, BDK 1: 161), die den „gesellschaftlichen Wert des Pathologischen“ (Döblin 1963: 315) nicht übersieht und mit der Todeserfahrung verbunden ist. Gegenwort ist auch ihr Lied, das von Liebe und Trennungsschmerz spricht: „Es stehn zwei Sternlein an dem Himmel,/ Scheinen heller als der Mond,/ Der ein scheint vor Feinsliebchens Fenster,/ Der andre vor die Kammertür“. Auch hier singt Lucile, wie in ihren anderen Szenen. Büchner liebte Volkslieder, namentlich die Sammlung Des Knaben Wunderhorn von Clemens Brentano und Achim von Arnim, aus der viele von ihnen stammen, wie sein Schulkamerad Friedrich Zimmermann, sein Freund Wilhelm Schulz (Hausschild 1993: 426 f.; Becker 1980: 158 f.), der Brief an seine Verlobte vom 20. Januar 1837 und seine Lenz-Gestalt belegen. Die authentische Dichtung jener Lieder überträgt er auf seine Lucile und vermeidet dabei den Kitsch, der mitunter der ästhetisch-philosophischen Tradition des Erhabenen im 20. Jahrhundert eignet (Braungart/Koch 1998, 2000). In ihrer zweiten Szene in Akt vier ist Lucile in Eine Straße erst allein, während am Ende drei Frauen zu ihr stoßen, die den Unterschied zwischen der dargestellten Wirklichkeit und ihrem poetischen Gegenwort akzentuieren. Sie haben soeben der Hinrichtung von Hérault beigewohnt, ein „hübscher Mann“, und fanden die öffentliche Inszenierung des Todes „recht gut“ (IV.8). Sie leben also eine umgekehrte kalokagathìa im Vergleich zu Luciles Schön- und Gutsein, zu ihrem frei-wahr, das notwendigerweise auch schön ist (II.3). Während die Frauen die private Dimension verleugnen, be-

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ginnt Lucile jetzt zu „begreifen“: „Sterben – Sterben – Es darf ja Alles leben, Alles, die kleine Mücke da, der Vogel. Warum denn er nicht? Der Strom des Lebens müßte stocken, wenn nur der eine Tropfen verschüttet würde. Die Erde müßte eine Wunde bekommen von dem Streich. Es regt sich Alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen, die Leute laufen, das Wasser rinnt und so Alles weiter bis da, dahin – nein! es darf nicht geschehen, nein – ich will mich auf den Boden setzen und schreien, daß erschrocken Alles stehn bleibt, Alles stockt, sich nichts mehr regt. Sie setzt sich nieder, verhüllt sich die Augen und stößt einen Schrei aus. Nach einer Pause erhebt sie sich. Das hilft nichts, da ist noch Alles wie sonst, die Häuser, die Gasse, der Wind geht, die Wolken ziehen. – Wir müssen’s wohl leiden“. Unter Bezugnahme auf Malebranche vertritt Paul Celan (1988: 56) die Ansicht, dass die „Aufmerksamkeit […] das natürliche Gebet der Seele“ sei. Lucile bekundet eine solche Aufmerksamkeit mit ihrem Gegengesang zur im Gefängnis von Camille formulierten Apologie der Natur (s. oben), indem sie Empathie mit einer Mücke, mit einem Vogel, aber auch mit der Erde, den Uhren, Glocken, Leuten, dem Wasser ausdrückt, mit dem Strom des Lebens, in dem es allem und allen möglich sein muss zu leben. Nach Camilles Rede über das ‚Gassentheater‘ (II.3) hatte Danton das „kaltblütige“ Zeichnen von David als Negativbeispiel genannt (Selge 1990). Im Gegensatz dazu scheint Lucile, die alle Dinge benennt und sich über sie beugt, sie in einem Raum der pietas sub specie aesthetica aufzunehmen und damit die Verletzung aufzuheben, die das nichtige, bisweilen tödliche Dahinfließen der progressiven Zeit mit sich bringt. Es nimmt nicht wunder, dass Celan (1988: 48) Lucile – ihr „Licht der Schönheit“ (IV.3), das frei und wahr ist – mit der Poesie gleichgesetzt hat. Freilich auch mit der Poesie in ihrem Zusammenprall mit der rohen Wirklichkeit, in ihrer „radikale[n] In-Frage-Stellung“. Denn das von Lucile wiederholt vorgebrachte „Nein“ und der Schrei, der aus dem tiefsten Inneren kommt – ihr Schrei des Nein, der antisymmetrisch ist im Verhältnis zum Schrei des Ja von Robespierre, St. Just, den Massen und von Danton und der nicht auf deren Geometrien zurückgeführt werden kann – können nichts ausrichten, wenn die anderen, wie hier die drei Frauen, Marionetten sind, außerstande sich zu bücken. So stellt sie fest: „Nichts stockt“. „Wir müssen’s wohl leiden“, wiederholt Paul Celan in seinem Gedicht „Du liegst im großen Gelausche“ (vgl. Buck

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1990, Thunecke 1983). Aber auch Wolfgang Borchert (1982), Verfasser von Draußen vor der Tür, dessen Protagonist als ein „Woyzeck unseres Jahrhunderts“ gedeutet wurde und der auch aufgrund seines frühzeitigen Todes mit Büchner assoziiert worden ist, erkennt sich in Lucile und ihrer entschlossenen Verweigerung wieder; auch er „sagt NEIN!“ (Goltschnigg 202: 13 f.) In der letzten Szene von Dantons Tod ist Lucile am Ziel angekommen: am Revolutionsplatz, an der Wiege, am Grab – ihrem eigenen, dem von Camille und dem jedes echten menschlichen Wertes. Auch hier tritt sie auf, auch hier setzt sie sich, auch hier singt sie: „tritt auf und setzt sich auf die Stufen der Guillotine: Ich setze mich auf deinen Schoß, du stiller Todesengel. Sie singt: Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,/ Hat Gewalt vom höchsten Gott. Du liebe Wiege, die du meinen Camille in Schlaf gelullt, ihn unter deinen Rosen erstickt hast. Du Totenglocke, die du ihn mit deiner süßen Zunge zu Grabe sangst. Sie singt: Viel Hunderttausend ungezählt,/ Was nur unter die Sichel fällt. Eine Patrouille tritt auf. EIN BÜRGER He werda? LUCILE Es lebe der König! BÜRGER Im Namen der Republik! Sie wird von der Wache umringt und weggeführt“ (IV.9). Das zweite Klagelied von Lucile taucht den Raum des Todes in ein „Licht der Schönheit“ (IV.3). Jedes Element verwandelt sich: Wiege und stiller Todesengel die Guillotine, Rosen das Blut, ein Wiegenlied die Totenglocke. Gewiss ist dies ‚Wahnsinn‘, demjenigen vergleichbar, der Rilke in den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910) bewog, alles mit pietas zu umgeben, „denn alles, was sich an Qual und Grauen begeben hat auf den Richtplätzen, in den Folterstuben, den Tollhäusern, den Operationssälen, unter den Brückenbögen im Nachherbst: alles das ist von einer zähen Unvergänglichkeit, alles das besteht“ (vgl. Sanna 2006). Aber auch Ingeborg Bachmann spricht in ihrer Laudatio von 1964 vom Krankenhaus als „Ein[em] Ort für Zufälle“ (Johann 1981: 135 f.). Doch zum einen erinnert Lucile daran, dass die Menschen den Tod nicht verwalten dürfen, ohne jeden einzelnen zu zählen, einander auf bloße Dinge reduzierend: „Viel Hunderttausend ungezählt,/ Was nur unter die Sichel fällt“, so das „Erndtelied“ oder „Schnitterlied“ aus Des Knaben Wunderhorn (I, 51 f.). Zum anderen vollführt Lucile die bestürzendste politische Geste: einen politischen Selbstmord (Voges 2007: 57). Lucile stirbt nicht für den König, sondern für eine Republik, in der der „Strom des Lebens

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[nicht] stocken“ müsste, voll Entsetzen, gleichsam in den Machtund Todessystemen erstarrt. Das Drama schließt daher mit dem Wort ‚Republik‘, das im denkbar größten Gegensatz zu ihren nicht gehaltenen Versprechungen steht. Lucile teilt diesen Schluss mit einem großen Dichter, der genauso wenig für das Ancien régime sympathisierte wie sie: „Seit einer kurzen Zeit ist dieser Hölderlin fast wahnsinnig geworden und schimpft stark auf Sinclair und die Jakobiner und ruft in einem fort: ‚Ich will kein Jakobiner sein. Vive le roi!‘“ (Niehoff 1991: 212) Außerdem ist der abschließende Ausruf von Lucile auch Büchners Gegenwort, denn er deutet „den Verfall der politischen Sprache zum Klischee in existentiellem Sinn“ um (Zagari 1990: 166; vgl. Oesterle 1992) und setzt seine Revolution mit anderen Mitteln fort. In IV.8 tritt Lucile am Anfang auf, in IV.9 am Schluss, während vor ihr zwei Henker da sind, die singen und den Arbeits- bzw. den Todesraum aufräumen. In der Absicht des Autors ist die schreiende, schmerzliche Asymmetrie zwischen deren trüber Wirklichkeit und dem von Lucile ausgehenden „Licht der Schönheit“ die Boa Constriktor, die auch diejenigen, die unfähig sind, zu sehen und zu hören, dazu bewegen soll, sich zu bücken (s. unten).

3. Marion „Rosalie, Adelaide und Marion, Grisetten“, heißt es in der Personenaufzählung. Diese Dreiheit wird von Marion nicht geleugnet, obwohl sie eigentlich zu der mit Julie und Lucile gebildeten Dreiheit gehört: „Guten Tag, Demoiselle Adelaide, guten Tag, Demoiselle Rosalie! ROSALIE Wir hatten schon lange nicht das Vergnügen. MARION Es war mir recht leid“. Marion kommt eine einzige Szene zu (I.5), die in Einem Zimmer des Palais Royal spielt, der zur Revolutionszeit ein Vergnügungsort und Künstlertreffpunkt war. In textinterner Hinsicht ist die Szene durch die Phasen ihrer Erziehung gegliedert, die auf ihre Weise Dantons Vervollkommnungslehre veranschaulichen: „die göttliche Klassentheorie? Von prima nach secunda, von secunda nach tertia und so weiter?“ (III.7) In intertextueller Perspektive leben in ihrer Gestalt die Topoi einer Sensibilität à la Werther sowie die der freidenkerischen Biografien vom Typus der Memoirs of a Woman of Pleasure (1749) von John Cleland wieder auf, aber es lassen sich auch An-

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klänge an die Kindheitserinnerungen von Madame Roland, die Büchner seit seiner Gymnasialzeit kannte und deren Biografie er vom 20. bis zum 24. Dezember 1834 entlieh, sowie an Personen von Alfred de Musset (Belcolore aus La Coupe et les Lèvres), Brentano (Violetta in Godwi), Achim von Arnim (Rosalie in Der tolle Invalide), an Lélia von George Sand und an Marion de Lorme von Hugo vernehmen (Buck 1990), mit dessen „Non, à vos pieds“ Marions Erzählung beginnt (MA 3.4: 78 f.). Im Danton ist dieses Motiv symmetrisch und asymmetrisch zugleich: „MARION Nein, laß mich! So zu deinen Füßen. Ich will dir erzählen. DANTON Du könntest deine Lippen besser gebrauchen. MARION Nein laß mich einmal so“. Mit dem Nein, das sie durchsetzt, erschließt sich Marion den Raum der Kommunikation, in dem sie, sitzend und gesammelt, ihr Leben erzählt – mit einfachen Worten und ohne Unterbrechung, ohne Absatz, so dass sie wirkt wie „eine frühe Verwandte“ von Joycens Molly Bloom, wie Niehoff (1991: 178) feststellt: „Meine Mutter war eine kluge Frau, sie sagte mir immer die Keuschheit sei eine schöne Tugend, wenn Leute in’s Haus kamen und von manchen Dingen zu sprechen anfingen, hieß sie mich aus dem Zimmer gehn; frug ich was die Leute gewollt hätten so sagte sie mir, ich solle mich schämen; gab sie mir ein Buch zu lesen so mußt ich fast immer einige Seiten überschlagen“. Am Anfang wird Marions Schicksal in die Bahnen der falschen Moral geleitet, wie das von Eugénie in Eine Promenade (I.2), wobei der auf dem Begriffspaar Keuschheit/Schande fußenden scheinbaren Tugend die Funktion zukommt, die soziale Entwertung der Frau als Tauschware zu bemänteln. Aber stufenweise und vorerst noch in der Zeit vollzieht sich Marions Erziehung der Sinne: „Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war Alles heilig, aber es war etwas darin, was ich nicht begriff, ich mochte auch niemand fragen; ich brütete über mir selbst“. Auf der nächsten Stufe gelangt sie von der Vorstellung naturalia sunt sacra zum Erleben der Natur: „Da kam der Frühling, es ging überall etwas um mich vor, woran ich keinen Teil hatte. Ich geriet in eine eigne Atmosphäre, sie erstickte mich fast, ich betrachtete meine Glieder, es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und verschmölze dann wieder in Eins“. Der Bruch ist nicht mehr der zwischen Wirklichkeit und Schein, sondern zwischen Natur und Kultur, die das Individuum sich selbst entfremdet und Marion vom „Strom des Lebens“ (IV.8) trennt.

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Dank des ‚jungen Menschen‘, der mit Genehmigung der Mutter im Haus ein- und auszugehen beginnt, vollendet sich ihre Erziehung. Zunächst „sahen wir nicht ein, warum wir nicht eben so gut zwischen zwei Bettüchern bei einander liegen, als auf zwei Stühlen neben einander sitzen durften“, warum man „das geringere gewähren und das größere entziehen“ sollte. Dann erkennt sie: „Meine Natur war einmal so, wer kann da drüber hinaus?“ („Mein Naturell ist einmal so“, hatte Danton in I.1 gesagt, und Lucile wird in II.3 fragen: „Wer kann da drüber hinaus?“) Aber gerade die Radikalität ihrer Seinsweise führt zu dem einzigen Bruch, den sie kennt, denn der junge Mann, der sie ganz für sich haben will, nimmt sich das Leben. Marion: „Das war der einzige Bruch in meinem Wesen“. Sie leidet: „Ich mußte weinen“, aber es gelingt ihr nicht zu verstehen: „ich wußte wieder nicht was er wollte“, die Absonderung aus dem Fluss des Lebens (ich/du/es), den Besitz (mein/dein), die Zeit (vorher/nachher)? Die Gestalt ist vollendet, so dass sie „Alles in sich fassen“ kann, wie auch Lenz in der gleichnamigen Novelle. Wenn sie zuerst ein Leben um sich herum empfand, an dem sie nicht teilhatte („Teil Er sich ein“, Woyzeck), so wird sie jetzt „wie ein Meer, was Alles verschlang und sich tiefer und tiefer wühlte“. Nach dem einzigen Riss in ihrem Leben hebt sie jede Teilung auf, sowohl im Verhältnis zu den Männern: „Es war für mich nur ein Gegensatz da, alle Männer verschmolzen in einen Leib“; als auch in Bezug zur Natur – „ich bin sehr reizbar und hänge mit Allem um mich nur durch eine Empfindung zusammen; ich versank in die Wellen der Abendröte“ – und zu sich selbst: „ich kenne keinen Absatz, keine Veränderung. Ich bin immer nur Eins. Ein ununterbrochenes Sehnen und Fassen, eine Glut, ein Strom“. Das Ende ihrer Widersprüche beinhaltet allerdings den Widerstreit mit der falschen Moral ihrer Mutter und mit der Gesellschaft: „Meine Mutter ist vor Gram gestorben, die Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm“. Sie ist gezeichnet, aber aus ihrer Sicht erscheint die Gesellschaft nicht minder absonderlich: „Die andern Leute haben Sonn- und Werktage, sie arbeiten sechs Tage und beten am siebenten, sie sind jedes Jahr auf ihren Geburtstag einmal gerührt und denken jedes Jahr auf Neujahr einmal nach. Ich begreife nichts davon“. So läuft es auch für sie – wie für Danton oder für Tiecks William Lovell – „auf eins hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern,

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Blumen oder Kinderspielsachen, es ist das nämliche Gefühl; wer am Meisten genießt, betet am Meisten“. Wir können nicht wissen, ob Marions Reden Danton erschüttert oder getötet hätten, wenn er sie aus Julies Mund vernommen hätte, wie Oehler (1980: 102) sich fragt. Die Figur erklärt sich nicht auf der Ebene der psychologischen Wahrscheinlichkeit, sondern aus ihrer Funktion, zusammen mit den anderen beiden Frauen ein asymmetrisches Universum im Vergleich zu dem öffentlichpolitischen der Männer zu umreißen. Jedenfalls stellt Marion am Ende der Szene, als Danton nach dem Besuch von Lacroix und Paris zu ihr zurückkommt, weniger mit „polymorphous perversity“ (Brown 1966: 249) als mit einer Synästhesie fest: „Deine Lippen sind kalt geworden, deine Worte haben deine Küsse erstickt“. Dagegen kommt es Danton zu, Marions Erfahrung des erfüllten Augenblicks wertzuschätzen, der jetzt tatsächlich außerhalb der Zeit ist: „Warum kann ich deine Schönheit nicht ganz in mich fassen, sie nicht ganz umschließen? […] Ich möchte ein Teil des Äthers sein, um dich in meiner Flut zu baden, um mich auf jeder Welle deines schönen Leibes zu brechen“. In Dantons Tod ist Marion ein Experiment am äußersten Rand der symmetrischen Ordnung. Auf der einen Seite scheint sie die virtus zu besitzen, die Zeit im erfüllten Augenblick zu verlängern. Diese gleicht bei Marion nicht dem raptim quasi per transitum von Augustinus, ist nicht nur plötzlicher Durchgang, sondern Trieb zur Ganzheit, wie er in Heraklits ‚alles ist eins‘, in Meister Eckharts Mystik oder bei Jaspers (1972: 53) vorkommt, der meint, die Einheit könne sich nur herausbilden, indem man sie in der Welt schafft, zunächst Einheit mit sich selbst, Einssein mit sich selbst, sodann Einheit unter den Menschen, Kommunikation (vgl. Sanna 2003). Auf der anderen Seite antizipiert Marion Figuren des 20. Jahrhunderts, wie die aus Frühlings Erwachen (1891) von Frank Wedekind, der erklärt hat, sein Stück sei ohne das Vorbild Büchners und des Woyzeck nicht geschrieben worden, oder die Tradition, die von Freud, Wilhelm Reich, Herbert Marcuse bis zu Bataille reicht. Ullmanns (1972) Feststellung umkehrend, lässt sich folglich festhalten, dass ihre Gestalt ‚wahrhaft zur Utopie tauglich‘ und auf ihre extreme Art und Weise ebenfalls Gegenwort ist.

V. DAS VERBORGENE ZENTRUM DES BESEELTEN GANZEN: DAS GROSSE UNBEKANNTE X

Im Sitzen legt sich der Konflikt; die Spannung zwischen Vertrag/Waffenstillstand und Kampf/Guillotine, zwischen ruhen und ringen (in der Variation des Lenz) bzw. zwischen Ruhe und Schlachtfeldern (in einem Gedicht des sechzehnjährigen Büchner, BDK 2: 15) ist aufgehoben. Wir haben gesehen, worin das Sehnen der Frauencharaktere besteht, die einen Nicht-Ort und eine NichtZeit repräsentieren, in Abweichung vom Wirklichkeitsprinzip, das von der Politik beherrscht wird und „sich so breit gemacht [hat]. Da ist nichts leer, Alles voll Gewimmels“ (III.7). Aus diesem Blickwinkel bildet der Vorsatz „Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand“ (I.3), den Robespierre vorbringt – und der sich ewig wiederholt im Zerreißen der Körper, das dem Tod seines Widersachers vorausgeht und auch darüber hinaus fortwährt – die Alternative, der es Einhalt zu bieten gilt und die dennoch allgegenwärtig ist, nicht nur im „September“ (II.5) von Danton und in den Szenen, in denen er gezwungen ist zu „schreien“ (III.4 und 9). Sogar Camille, der asymmetrischste Männercharakter gegenüber St. Just und Robespierre, macht sich zum Sprachrohr des Kampfes, wenngleich in Bezug auf die langsamen Formalitäten des Sterbens: „Wenn er einen noch notzüchtigte und seinen Raub unter Ringen und Kampf aus den heißen Gliedern riß! aber so in allen Formalitäten“, während Danton ihm antwortet: „Wär’ es ein Kampf, daß die Arme und Zähne einander packten!“ (III.7) Da sind sie, der Kampf und das Ringen, die Arme und Zähne des menschlichen Kannibalismus (Popp 2007: 93). Es sind Bilder, in denen Dantes Graf Ugolino oder Shakespeares Caliban lebendig werden, die in den Zeiten des Schlafes der Vernunft wiederkehren, wenn die grausame, archaischste Seite des Menschen erneut an die Oberfläche dringt. Freilich ändert sich die queue des Nachsichtigen in der Vorbereitung auf den Tod im vierten Akt. Sie gelangt zur noluntas bzw. zum Nichts-Wollen, wie die Begine Marguerite Porete (1987: 131), die am 31. Mai 1310 zusammen mit ihrem Buch Miroir des sim-

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V. DAS GROSSE UNBEKANNTE X

plex ames in Paris verbrannt wurde, den Zustand derjenigen nennt, die auf das heroische Ich verzichtet und sich losgesagt haben von dem, was sie vorher waren: „Fußvolk […] mit Augen ohne Sehkraft, und mit Ohren ohne Gehör und mit einem Verstand ohne Einsicht und mit einem Leib ohne Leben und mit einem Herzen ohne Verständnis“. Wenn der Sieg von Robespierre schon durch den Titel verkündet wird, so werden die einzelnen Errungenschaften der Dantonisten dagegen nur einsichtig durch das ‚BabelSystem‘, wie wir es provisorisch genannt haben. Kommen wir zu seinem verborgenen Zentrum. Auch dieses verborgene Zentrum geht aus dem Ganzen hervor, aus den vielförmigen symmetrischen und asymmetrischen Polaritäten. Es ist das innerste Gefüge des dynamischen Systems von Entsprechungen, das darauf abzielt, den „Strom des Lebens“ (Lucile, IV.8) zu erfassen, die „Schöpfung“, die um die Personen und in ihnen (Camille, II.3) „glühend, brausend und leuchtend, […] sich jeden Augenblick neu gebiert“. Dem von den Robespierristen verkörperten Wirklichkeitsprinzip ist es entgegengesetzt und lässt sich zusammenfassen im „Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten x“ (II.1), auf das die queue de Danton anspielt. Dieses fundamentale Motiv, das als solches bisher nicht berücksichtigt wurde, auch nicht in der kritischen Edition mit rd. 1300 Seiten in A4-Format, die es nicht hervorhebt, keine Quellen ermittelt und keine diesbezüglichen Kommentare aufweist, bildet den Kern der Botschaft sowie der Poetik und Ästhetik des Werks. In II.1 wird das Thema von Danton eingeführt, während Camille es in derselben Szene weiterentwickelt. In II.2 kommt ihm dann die Aufgabe zu, Danton auf der Promenade, der Szene des ‚Gassen-Theaters‘, zu begleiten, wobei er aber kein einziges Wort spricht. In II.3 ist es wiederum Camille, der die wesentlichen ästhetischen Koordinaten für die Rezeption von Dantons Tod an die Hand gibt. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass die einführende Szene gemäß der klassischen dispositio gegliedert ist, indes die drei Szenen selbst in ihrer Abfolge die léxis, die actio und die mneme der rhetorischen Argumentation gestalten. Somit ist die Rede vom „Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten x“ der einzige Moment, in dem Handlung, Worte und Gedanken der queue de Danton dazu neigen, aus der zirkularen Zeit hinauszutreten, um in die lineare Zeit überzugehen, deren Vorzeichen sie allerdings ändern. Im Übrigen muss zwischen den beiden Situatio-

V. DAS GROSSE UNBEKANNTE X

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nen unterschieden werden: Im Rahmen der léxis, actio und mneme verweist die Suche nach dem unbekannten X vor allem auf die Poetik und Ästhetik des Dramas, insbesondere auf die Umsetzung der Linearität in Zirkularität, die im nächsten Kapitel behandelt wird; im Rahmen der lexis von II.1 mit ihrer dispositio aus exordium, propositio bzw. argumentatio und conclusio verweist sie hingegen auf die Botschaft des Dramas, um die es in diesem Kapitel geht. Die lexis bzw. ihr exordium ist also Danton anvertraut, während die propositio bzw. argumentatio und die conclusio zweistimmig sind, auch wenn der Kern der Botschaft Camille übertragen wird, der emphatisch den Stil seiner Rede betont: ein pathetischer Stil, ein stilus gravis, wie es sich für einen Gegenvorschlag zum Telos des „erhabne[n] Drama[s]“ gebührt. In einer strengen ordo naturalis strukturiert, die ihn stützt, bildet er die unverrückbare Achse der Rede der Dantonisten. In den restlichen Szenen des Dramas wird die Thematik dagegen in einem anderen Stilregister behandelt. Sie geht in eine asymmetrische ordo artificialis über und äußert sich in den Bildern der Brüche oder Risse, die durch die Körper gehen, und des Risses in der Schöpfung oder des Nichts als negative Gestalt des beseelten Ganzen, die sie gemäß einer von Dionysios Areopagita bis zu Eckhart und Tauler führenden Tradition auf apophatischem Weg entwickeln, indem sie das Thema der Suche nach dem unbekannten X ex negativo gestalten, es dem Nicht-Gesagten anvertrauen. Eingeleitet wird die lexis, wie gesagt, durch Dantons exordium: „Und wenn es ginge – ich will lieber guillotiniert werden, als guillotinieren lassen. Ich hab es satt, wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben“. Er führt also das Motiv ein, das das Herzstück der Argumentation bildet: das tiefe Streben nach Ruhe, das sich gegenüber Robespierres Forderung „Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand“ asymmetrisch und antisymmetrisch ausnimmt, sowie das Ergänzungsstück dieses Strebens, nämlich die noluntas und die Akzeptanz des Selbstopfers, die in Akt IV. erworben werden, im Gegensatz zum „Blutmessias“, der die anderen opfert (I.6). Erst nachdem der Gemäßigte das zentrale Motiv eingeführt hat, beginnt die Argumentation: „Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen worden, es fehlt uns was, ich habe keinen Namen dafür, wir werden es einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind

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elende Alchymisten!“ Dies ist der Danton, der Robespierre am wenigsten ähnelt, der Danton, der nicht gezwungen ist zu schreien. Was er kundtut, ist eine Prinzipienerklärung, eine Weltsicht. Er weiß, dass er Ruhe will, er weiß um einen Fehler, der nicht nur seiner ist, er weiß, dass er das Ziel nicht kennt und wie man anders vorgehen kann, aber er weiß auch, dass der „Blutkessel“ (II.7) nicht weitergehen darf: „Wozu?“ Das Interrogativpronomen leugnet von Grund auf den Zweck, das Telos von Robespierres Inszenierung und verweist auf eine andere Alchemie im Vergleich zum politischen Handeln. Analog lässt Döblin in November 1918 (1948-50), einem historisch-metaphysischen Roman von ähnlicher Komplexität, seine Gestalt Th. W. Wilson sagen: „Sie [die Vorfahren, die Prediger waren] gingen von innen vor, vom Zentrum. Sie hatten einen Schmelzapparat, der auflöst, die alten heiligen Wahrheiten, womit sie die Menschen beweglich und flüssig machen konnten. Wir Politiker sind schlechter dran. Wir arbeiten von außen. Wir brechen mehr als wir formen“ (vgl. Sanna 2003). Im Danton geht die peregrinatio chimica in der „Suche nach dem unbekannten, ewig verweigerten x“ auf, von der Camille handelt, das heißt in der Lösung, die den friedlicheren Alternativen der Frauencharaktere am nächsten kommt und zugleich über diese hinausgeht. Die argumentatio von Camille, die sich als Wiederaufnahme und Fortsetzung der Rede Dantons darstellt, ist ein starkes Echo, das ebenso gefühlsbetont ist wie Robespierres Appell objektiv sein will: „Pathetischer gesagt würde es heißen: wie lange soll die Menschheit in ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder, wie lange sollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen? oder, wie lange sollen wir Algebraisten im Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten x unsere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben?“ Indem Camille aus Dantons Alchemisten Algebraisten der Suche nach dem unbekannten X macht, lehnt auch er den Kannibalismus, das gewaltsamste Bild der antagonistischen Beziehung zum Anderen, als Lösung des dramatischen Knotens ab; sodann leugnet er dessen wechselseitigen Zusammenhang mit der Magenfrage und den Rechnungen, die den Körpern aufgeprägt werden und weder den Hunger stillen noch den Durst löschen. Folglich leugnet er den Schluss von St. Just hinsichtlich der Revolution, die „die Menschheit [zerstückt] um sie zu verjüngen“

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(II.7), indem er nicht zufällig nochmals auf Karneades Fallbeispiel verweist („zwei Feinde auf einem Brett“, II.5). Hat Danton sich gefragt, „wozu“, so stellt Camille die Frage nach dem „wie lange“. Die mehrfach wiederholte Frage bringt nicht nur Vergangenheit und Gegenwart des Blutvergießens zusammen, sondern wirft vor allem das Problem auf, wie und wann man „aus der Zeit“ gehen kann (Leonce und Lena). Wenn die Zirkularität die ewige Wiederkehr der Katastrophe mit ihrem „Blutkessel“ (II.7) nicht abwenden kann, dann berühren die linearen und symmetrischen Sätze von Camille und die in ihnen gestellte Frage das Problem der Überführung der Zirkularität in eine neue Linearität auf der Suche nach einer anderen, tatsächlich asymmetrischen Zeit. Diese kann nur das Ergebnis eines neuen Bewusstseinsinhalts sein, wie er sich andeutungsweise bei einem „Richter nach Anhören einer Parteirede“ einstellt und dann erneut, wenn der Richter seinerseits „den so hergestellten Bewusstseinsinhalt“ in anschließenden Urteilen und Sentenzen umsetzen muss (Lausberg 1969: 46); aber auch im Rezeptionsprozess eines Dramas wie Dantons Tod durch einen urteilenden Zuschauer, der zur „Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volke“ beitragen will, wie Büchner sie erhoffte, wird ein solcher realisiert. Jedenfalls verbindet Camilles argumentatio das Thema der Suche nach dem unbekannten X mit Büchners Ästhetik, ein Thema, auf das wir noch zurückkommen werden. In der zweistimmigen conclusio fällt Danton schließlich die Aufgabe zu, Camilles Rede auf die Rezeption zu beziehen, indem er auf das reale Leben, auf das Leben jenseits der Bühne verweist („wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden“) und indem er einen ersten Schluss zieht (Danton: „Du bist ein starkes Echo“). Doch ist der Schüler kein bloßes Echo, sondern derjenige, der in seiner Rede den Meister übertrifft: Camille: „Nicht wahr, ein Pistolenschuß schallt gleich wie ein Donnerschlag. Desto besser für dich, du solltest mich immer bei dir haben“. In seiner conclusio wird die Suche nach dem unbekannten X, dem innersten Gefüge des dynamischen Systems der Entsprechungen, der Donnerschlag, der von dem Drama ausgehen soll, auch wenn es die Botschaft dann in der „Flaschenpost“ versiegelt, indem es auf das „Geheimnis der Begegnung“ (Celan 1988: 55) anspielt, das sich notwendigerweise in interiore homine vollzieht. Nichtsdestotrotz spielen das dynamische Bild der Suche,

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der Donnerschlag oder der (friedliche) Pistolenschuss auf ein tertium non datur an, das in der Gegenwart durch die Handlungen und die asymmetrischen Begriffe beider Fraktionen verhindert wird, denen nur das Gegenwort der drei weiblichen Protagonistinnen widerspricht: durch die Gegensätze zwischen Geschichte und Natur, Krieg und Frieden, Rechte/Pflichten und Vergnügen, Ordnung und Chaos, Arbeit und Müßigang, Vernunft und Wahnsinn, Bewusstsein/Unbewusstes, Tag/Nacht, wir/die anderen, Freunde/Feinde, Individuum/Kollektivität, Prinzipien/Pietas, Mann/Frau, die die kollektive Geschichte und jedes einzelne Individuum durchziehen. In dem „unbekannten, ewig verweigerten x“ als Alternative zu diesen Brüchen würde zunächst das zielstrebige Handeln aufhören, das ewig die Reihe von Toten reproduziert, die vom „Strom der Revolution bei jedem Absatz, bei jeder neuen Krümmung“ (II.7) angespült werden. Ebenso würde die unblutige zirkulare Zeit Dantons, sein „uns nebeneinander setzen und Ruhe haben“ zu Ende gehen, das in dieser Perspektive nur die Prämisse für das „Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten x“ darstellt. Die Suche selbst würde dagegen die Gründe der beiden Gegenspieler gutheißen und sie zugleich über ihre Grenzen hinausführen, indem die Umkehrung der Rollen und die Dynamiken der Begegnung, nicht die des Aufeinanderpralls der Zukunft überantwortet würden: Robespierre, der allzu energische Blutmessias, würde sich friedlich und ruhig geben (wie es ihm in der Gegenwart nur selten gegeben ist: „Ich bin empfindlich seit einigen Tagen“, I.6), während Danton, der liederliche Zyniker, der sich seines Zynismus einigermaßen bewusst ist („Man nennt uns Spitzbuben, und … es ist, unter uns gesagt, so halbwegs was Wahres dran“, I.5), sich die Magenfrage zu Herzen nehmen würde. Die Suche betrifft nicht nur die möglichen Errungenschaften (die soziale Revolution und das Erbarmen), sondern auch den tragischen Ausgang der Handlungen der dynamischen Gestalten, der queue de Danton auf der einen, der drei Frauen auf der anderen Seite, der so misstönend ist, dass er die Überwindung der Differenzen, Antagonismen und Kontraste fordert, die Suche nach neuen Symmetrien. Die von der queue de Danton errungene noluntas löst nicht den dramatischen Knoten, sondern ermutigt, die Alternative zwischen „guillotiniert werden“ und „guillotinieren lassen“ zu verwerfen. Doch auch der Tod von Lucile, um bei diesem Beispiel zu bleiben, fordert ein Gegenwort, sowohl in Anbetracht der Har-

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monie zwischen Empfindungen und Urteilen, zwischen Schönem, Wahrem und Gutem, die sie enthüllt, wie auch hinsichtlich des oxymorischen Kontrastes zu den drei Furien der Guillotine oder den zwei Henkern, aber auch der nicht bewahrheiteten Verheißungen der Revolution, denen das letzte Wort gebührt. Der Verweis auf das ‚unbekannte, ewig verweigerte X‘ veranlasst die Suche nach friedlicheren Alternativen, doch bietet es keine Lösungen. Im Gegenteil, hier enden die Überlegungen der Dantonisten und werden ‚stimmlos‘ (IX, 2), wie Ajax in Vom Erhabenen des Pseudo-Longinos, oder wie das Unsagbare in den Poetiken des letzten Jahrhunderts. Denn Danton hat für das unbekannte X „keinen Namen“, während der Autor aus dem NichtNamen ein alexipharmacon, Gift und Heilmittel in einem, macht (Jung, GW 14.2: 94), das die ästhetischen Dynamiken seines ‚Gassen-Theaters‘ erschüttert (Vico, s. unten), die dem „Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen“ (II.2) innewohnen. Doch dazu mehr im nächsten Kapitel. Im Laufe der Handlung wird das tertium non datur hingegen im negativen Reflex der Suche „nach dem unbekannten, ewig verweigerten x“ entwickelt, nämlich in den asymmetrischen Bildern der Verweigerung und des Fehlens bzw. der Löcher, Brüche und Risse. Dantons Incipit, sein „es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür“, äußert sich in der endlosen Qual der einzelnen Körper, die ohne ein wozu ist, wie durch die entsprechende Isotopie angezeigt wird. Die Körper im Danton werden nämlich mit Händen, Armen und Zähnen zerstückt und vor allem zerrissen (reißen) – das Präfix zer- ist zumeist mit Verben des Tuns verbunden und perfektivintensivierend wie das Privativ ent- – und „heut zu Tag“, wo man auch „Alles in Menschenfleisch [arbeitet]“ (III.3), „langsam systematisch von der kalten physischen Gewalt“ der Guillotine getötet, „so in allen Formalitäten“ (III.7). Hier einige Vorkommen: Collot d’Herbois fordert, es sei „Zeit, die Masken abzureißen“ von den Gesichtern der Feinde (I.3); Robespierre spricht von dem „reißenden Strom der Beispiele“, darunter das „große Beispiel“ (I.3) von Dantons Tod; Legendre beklagt, dass „Privathaß und Privatleidenschaft […] der Freiheit Männer entreißen [möchten], die ihr die größten Dienste erwiesen haben“, während ein Deputierter protestiert: „Wir sind hier im Namen des Volkes, man kann uns ohne den Willen unserer Wähler nicht von unseren Plätzen reißen“ (II.7). Stattdessen hält Danton,

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obwohl er einst „die junge Brut der Revolution mit den zerstückten Leibern der Aristokraten geätzt“ (III.4) hat, Robespierre entgegen: „Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Löcher hineinreißen“ in den sauber gebürsteten Rock, „aber was geht es dich an, so lang sie dich in Ruhe lassen?“ (I.6) Ihrer Vorsätze eingedenk, verzichten die Nachsichtigen schließlich, sowohl Danton selbst: „das Leben ist mir zur Last, man mag mir es entreißen, ich sehne mich danach, es abzuschütteln“ (III.4), „Wir müssen schreien, sie müssen mir jeden Lebenstropfen aus den Gliedern reißen“ (III.7), als auch seine Freunde, die sich ihrerseits der von Robespierre verfochtenen Alternative entziehen. Sicher, weil sie besiegt sind, aber dieser Umstand allein vermag den Weg der noluntas, den sie einschlagen, nicht zu erklären. Als Loch oder Bruch wird das „Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten x“ auch in historisch-kollektiver Perspektive aufgegriffen. Die Revolution lässt die „Schneider von der Sektion der roten Mütze“ (I.5) eifrig arbeiten, denn sie erzeugt Risse oder Löcher in den Körpern – „ein Loch in die rote Mütze“ (I.1) oder „Loch im Rock“ (I.2, I.6) –, aber das Volk „läuft noch barfuß in den Gassen“ (I.4), und wie der Zweite Bürger erklärt, der sich aufgemacht hat, um Danton festzunehmen, ist „über all den Löchern, die wir in andrer Leute Körper machen, […] noch kein einziges in unsern Hosen zugegangen“ (II.6). Vor allen Dingen erweist sich die Lösung, die Löcher des Hungers durch die Löcher in den Körpern zu stopfen, der Absicht der Sanskulotten zum Trotz – „wir wollen ihnen [den Aristokraten und Feinden] das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen“ (I.2) – als illusorisch, wie Danton Robespierre vorhält: „Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen […]. Wenn sie sich nicht genieren so herum zu gehn, hast du deswegen das Recht sie in’s Grabloch zu sperren?“ (I.6). In der Gefängnis-Sequenz im dritten und vierten Akt erfährt die Qual der Körper schließlich jene Amplifikation, die der ‚Philosoph‘ Payne, der das Thema der Suche auf die ontologische Ebene überträgt, Riss oder Wunde in der Schöpfung nennt: „Das leiseste Zucken des Schmerzes und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten“ (III.1). In dem philosophischen Dialog zu Beginn des dritten Akts laufen Mikro-

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und Makrokosmos im metaphysischen Nichts zusammen, bis hin zur Leugnung der Existenz Gottes: „Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefühl empört sich dagegen“. Das Nichts ist das Endergebnis des Kampfes der Faktionen. Der Schmerz in einem Atom – oder der eines Kindes, wie in den Brüdern Karamasow von Dostojewski – würde reichen, nicht die „Viel Hunderttausend ungezählt,/ Was nur unter die Sichel fällt“ (IV.9), damit „[d]ie Erde […] eine Wunde bekommen [müßte] von dem Streich“, wie Lucile (IV.8), aber auch Lenz in der gleichnamigen Novelle bekümmert feststellt: „Das All war für ihn in Wunden“, so dass sich „die Kluft unrettbaren Wahnsinns, eines Wahnsinns durch die Ewigkeit“ darin erblicken lässt. Aufgrund der ewigen Wiederkehr des Schmerzes kennt selbst die Zeit keine Leerstellen: „Die Schöpfung hat sich so breit gemacht. Da ist nichts leer, Alles voll Gewimmels. Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab worin es fault. Das lautet verrückt, es ist aber doch was Wahres daran“ (III.7). Das Nichts, ein negativer Widerschein des unbekannten X, gesteht keine Ruhe zu, weil es voller Blut und Tod ist, die sich bis in die geheimsten Wünsche und Träume der Menschen hineingedrängt haben, fast wie in Franz Kafkas Prozess (1917), wo das Gesetz sogar Kellerräume und Dachböden bedrängt. Als Reflexion eines ‚bizzarren Kopfs‘ (II.2) „lautet [das] verrückt“, weil es nicht nur die Probleme der ästhetischen Moderne des 20. Jahrhunderts vorwegnimmt, sondern eine Erscheinung darstellt, „die auf etwas Verstecktes anspielt“ (Colli 1974: 46) und somit auf den Abstand zwischen Namen und Ding, den bereits Platon im Kratylos (432 d) theoretisiert hat – wären die Benennungen den Dingen in allem gleich, so würde nämlich „[a]lles […] zweifach da sein“. Oder, wie es in Christa Wolfs (1984: 325) Büchnerpreis-Rede heißt: „Wenn einer, muß Büchner das Verlangen gekannt haben, das Unmögliche zu leisten: den blinden Fleck dieser Kultur sichtbar werden zu lassen: Er umkreist ihn mit seinen Figuren, die er bis an die Grenzen des Sagbaren treibt“. Eben weil die großen Werke „eine Art zeitloser Gegenwart [bewahren], die für jede Gegenwart Gleichzeitigkeit bedeutet“ (Gadamer 1990: 293), trifft sich das Bild des unbekannten X mit den heutigen Sorgen und eröffnet die Möglichkeit, zwischen Epochen und Kulturen zu vermitteln, „um die jeweiligen Orte zu begleiten“

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(Bonomi 2008: 132). In diesem Sinn wurde es von der späteren Literatur rezipiert. Heiner Müller etwa, der die „Wunde Büchner“ zu den konstanten Quellen seiner Inspiration zählte (Lehmann 1980, 1983; Goltschnigg 2002: 49 f., 103 f.), verwandelt dessen Bild in das der leeren Mitte, in die er die Protagonistin von Medeamaterial stellt (1987: 97): „Mit diesen meinen Händen der Barbarin/ Händen zerlaugt zerstickt zerschunden vielmal/ Will ich die Menschheit in zwei Stücke brechen/ Und wohnen in der leeren Mitte Ich/ Kein Weib kein Mann“ (vgl. Sanna 1996). Auch bei Müller nimmt die leere Mitte im Schweigen Gestalt an, in das Medea sich nach ihrem Schrei zurückzieht. Die leere Mitte oder Ausland ist der fremde Außenraum im Gegensatz zur Heimat, zum Innenraum: dem Haus, den Rollen, dem Verrat und den Begriffen, die die Grenze markieren und auf Trennung, Unterscheidung, Abgrenzung gerichtet sind. Wie auch bei Enzensberger, der den Hessischen Landboten ins Persische übersetzt und 1965 dessen Motto variiert hat: „Friede den Eigenheimen am Rhein und am Hudson! Krieg den Hütten am Congo und Mekong“, und wie bei Peter-Paul Zahl (1970), betrifft der Konflikt jetzt die Beziehung zwischen erster und dritter Welt, die „IM NAMEN DER AKROPOLIS“ (1987: 110), das heißt der westlichen Ratio und ihrer von den Eroberern geschmiedeten Geschichte, übervorteilt wird. Aber die Suche richtet sich immer noch auf die „Lücke im Ablauf, das Andre in der Wiederkehr des Gleichen“ (1985: 13), wie schon in Dantons Tod.

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„Das Leben kann nur rückblickend verstanden werden“ (S. Kierkegaard)

Nach einigen kurzen Bemerkungen zur Interpretationsgeschichte und zur Beziehung mit der Tradition kommen wir in diesem Kapitel zu den offen gelassenen Fragen der Poetik, der Ästhetik und Rezeptionsdynamiken und schließlich zum Zusammenhang zwischen Büchners Leben in den Monaten, in denen er Dantons Tod verfasst hat, und dem Drama selbst.

1. Dantons Tod. Zur Interpretationsgeschichte Gewiss hat sich das Bild des Danton vom Jahr seines Erscheinens bis heute verändert. 1835 fügte Eduard Duller, Chefredakteur des Sauerländer Verlags, der Erstausgabe den Untertitel Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft hinzu und stellte das Werk damit den französischen scènes dramatiques oder scènes historiques bzw. den deutschen Gemälden, den für die Erzählliteratur typischen Beschreibungen, zur Seite. Nicht zuletzt hatte dies den Zweck, ein Werk, das jeder Norm zu widersprechen schien, vorsorglich zu rechtfertigen. Gutzkow hat den Titel als merkantilisch, Büchner als abgeschmackt bewertet. Doch die Zeitgenossen haben sich seiner bedient, wie wir schon in der ersten Rezension lesen: „Es sind Bilder, kein streng zusammenhängendes Ganzes“ (MA 3.2: 318). Selbst Gutzkow, der das Drama von „Witz, Geist und Eleganz“ sprühen sieht, ist der Ansicht, dass darin „mehr Leben, als Handlung herrscht“ (ebd., 308). Eine entgegengesetzte Unvollkommenheit wird hingegen von anderen Interpreten an der übermäßigen Quellennähe festgemacht: „da und dort hatte er [der Verfasser] kaum mehr zu thun, als typographisch zum Dialog umzugestalten, was im Uebrigen schon vorher Dialog war“ (ebd., 321). Diesbezüglich schreibt Gutzkow im Juni ’36 an Büchner:

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„Ihr Danton zog nicht: […] Weil sie die Geschichte nicht betrogen haben: weil einige der bekannten heroice Dicta in Ihre Comödie hineinliefen u von den Leuten drin gesprochen wurden als käme der Witz von Ihnen. Darüber vergaß man, daß in der Tat doch mehr von Ihnen gekommen ist, als von der Geschichte u machte aus dem ganzen ein dramatisiertes Kapitel des Thiers“. Außerdem verwebt sich die Rezeption mit der Hetzkampagne von Wolfgang Menzel gegen Gutzkow und die Autoren des Jungen Deutschland, die antideutscher und antireligiöser Gefühle bezichtigt werden, sowie gegen Heines „Sansculottismus der Sitten“, eine Quelle der Staatsauffassung von Camille und folglich von Büchner (MA 3.2: 313). Es fehlte also nicht an denen, die die Missachtung der ästhetischen Regeln mit der politischen Anstößigkeit in Zusammenhang brachten und in den im Danton enthaltenen „Pestbeulen der Frechheit“ einen Fall für „jede gute Staatspolizei“ sahen (MA 3.2: 316). In Metternichs Österreich wurde die Publikation verboten (ebd., S. 313). Jedenfalls lag der ‚Fall‘ von Anfang an kompliziert, weil die Meinungen der Dantonisten nach dem Schema Republik der Laster/Republik der Tugenden an die des Jungen Deutschland gemahnen, während die moralischen Auffassungen Robespierres denen Menzels und seines Kreises vergleichbar sind (ebd., S. 314). Doch auch nach Erscheinen der von Ludwig Büchner besorgten Nachgelassenen Schriften (1850) und nach der Franzos-Ausgabe von 1879 beklagten die Interpreten im Verlauf des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen die fehlende Einheit (vgl. Goltschnigg 1974, 2001, Bohn 1981, Hauschild 1985, Dedner 1990). Beispielsweise vertritt Robert Prölß in seiner Geschichte des neueren Dramas (1883), in der er dem Danton besondere Aufmerksamkeit schenkt, die Meinung, dass es den rasch aufeinander folgenden Bildern an einer wahren „dramatische[n] Composition, von dramatischem Aufbau“ fehle (Hauschild 1985: 258). Erst gegen Ende des Jahrhunderts ändern sich die Rezeptionsbedingungen, so dass Fritz Bergemann, Herausgeber der Werke und Briefe (1922) Büchners, behaupten kann, der Autor gehöre „zum geistigen Besitz der Nation“. Seine figurative Sprache war ein Vorbild sowohl für die Naturalisten und Hauptmann, wie für Rainer Maria Rilke, Georg Trakl, Arthur Schnitzler, Frank Wedekind, Carl Sternheim, Karl Kraus, Robert Walser, Hugo von Hofmannsthal, Kasimir Edschmid, Georg Heym, Kurt Tucholsky,

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Ernst Toller, Franz Theodor Csokor, Robert Musil, Alfred Polgar und Anna Seghers (Goltschnigg 1974, 2001; Rohte 1983), aber auch Aleksej Tolstoj schrieb 1919 eine Tragödie mit dem Titel Smert’ Dantona. Ebenso zentral blieb die Auseinandersetzung mit Büchner für die Autoren der Nachkriegszeit, und zwar für eine weitaus größere Zahl als allein die mit dem nach ihm benannten Preis Ausgezeichneten. Elias Canetti, ein Autor, der an beiden Perioden teilhat, erzählte 1972 bei der Feier der Preisverleihung, er habe Büchner fast per Zufall nach der Beendigung seines großen Romans Die Blendung im August 1931 gelesen. Veza, seine künftige Frau, hatte bewusst nicht von Büchner gesprochen, weil sie glaubte, ein so unerreichbares Vorbild hätte ihn entmutigt. Canetti begriff und dankte ihr (Heckmann 1984: 18 f.). Büchner, in Canettis Augen „der modernste Dichter“, wurde im Verlauf des Jahrhunderts auch ein internationaler Autor: „He is one of us, a modern, even a post-modern writer“, heißt es in einer 1981 in den Vereinigten Staaten erschienenen Rezension (BDK 1: 418). Im 20. Jahrhundert ändern sich die Interpretationsperspektiven. Die in der Vergangenheit als Mängel beklagten Merkmale des Werks, nämlich die fehlende Einheit und zu große Quellentreue, decken sich jetzt mit dem Bild eines Dramas, das seiner Zeit vorausgeeilt war. Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks (W. Benjamin) löst den Begriff der Originalität auf, so dass das Zitat, das Dokument, die Wirklichkeitsfragmente – wie das Teppichfragment auf dem Bild von Matisse oder die Reklame in Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin (Sanna 2003) – hervorstechende Merkmale der avantgardistischen Ästhetiken werden, vor deren Hintergrund das 20. Jahrhundert auch Büchner versteht. Aber in den zwanziger Jahren – wie dann erneut nach ’49 und der Gründung zweier deutscher Staaten – neigen die Interpretationen dazu, sich in eine ahistorische und in eine historische Strömung zu spalten (Zagari 1965, Destro 2003). Bisweilen wird noch heute auf die traditionell hervorgehobenen Mängel verwiesen (Hauschild 1993: 431 f.), aber vor allem wird das Drama aus neuen Perspektiven erforscht: der offenen Form (Meier 1983), der metaästhetischen Reflexion und des Primats der Szene (Zons 1976), der modernen Wirkungsästhetik (Kobel 1974, Meier 1980, Poschmann 1983, Knapp 1987, Buck 1990, Schmidt 1991, Voges 2007), der Technik des Zitats (Niehoff 1991), der Ästhetik der Bilder (Schmidt 1991), des Polyperspektivismus

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(Behrmann/Wohlleben 1980) oder des Fehlens unbestrittener Alternativen (Mayer 1960, Baumann 1961, Thorn-Prikker 1978, Behrmann/Wohlleben 1980, Ruckhäberle 1981, Ueding 1981, Rey 1982, Knapp 1987, Frizen 1990, Werner 1992, Popp 2007) und der Idealismus-Kritik (Poschmann 1983, Oesterle 1992, Gille 1992, Voges 2007). Die Verbindung zur Tradition wird dagegen an den Elementen der klassischen Tragödie, des historisch-politischen Dramas (Helbig 1973, Koopmann 1980, Ueding 1981, Meier 1990, Bornmann 1990, Zeller 1990, Hauschild 1993), aber auch an der Verwendung der zahlreichen und inzwischen nachgewiesenen Quellen festgemacht. So meint Burghard Dedner (1986/7: 130), „der Eindruck des nicht literarisch Vorgeprägten, den Dantons Tod hervorruft, [dürfte] gerade auch auf Büchners spezifischem Verfahren der Quellenverarbeitung beruhen“. Die Hypothese eines organischen Handlungsdispositivs oder eines Systems aus Symmetrien und Asymmetrien/Antisymmetrien mit einem verborgenen Zentrum wurde hingegen bisher nicht verfolgt. Man hat vielmehr den Eindruck, als werde nach der ‚Eindeutigkeit‘ der Interpretationen von Dantons Tod, wie die Germanistik um 1968 sie vorgelegt hatte, und nach dem mit der Marbacher Ausgabe (2000) zur Verfügung gestellten Dokumentationsmaterial eine Gesamtinterpretation, die die großen Fragen aufwirft oder sich darüber befragt, wie der Autor zu Robespierre und Danton steht, heutzutage geradezu vermieden. Und doch hatte Büchner schon in seinen frühen Schulaufsätzen gefordert: „so dürfen wir nicht die Wirkung allein, nicht die bloße Tat berücksichtigen, sondern wir müssen hauptsächlich unser Augenmerk auf die Motive und die Umstände richten, welche eine solche Tat bewirkten, begleiteten und bestimmten. […] Nach der Wirkung aber und nach den Folgen, kann man nichts beurteilen, denn jene ist oft die nämliche, diese sind oft zufällig“ (BDK 2: 23). Folglich darf man „die Ereignisse und ihre Wirkungen nicht beurteilen, wie sie sich äußerlich darstellen, sondern man muß ihren innern tiefen Sinn zu ergründen suchen, und dann wird man das Wahre finden“ (BDK 2: 31).

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2. Die Tradition der kritischen Moderne Die in den vorausgegangenen Kapiteln aufgestellten Interpretationshypothesen ermöglichen eine genauere Bestimmung des Kriteriums, das Büchner bei der Auswahl seiner Quellen leitete. Wie wir wissen, erkannte er sich nicht in den „sogenannten Idealdichtern“ wieder: „ich halte viel auf Goethe und Shakespeare, aber sehr wenig auf Schiller“ (BDK 2: 411), schreibt er seinen Eltern, weil dieser das Theater in seinen Augen durchaus nicht „auf die Gasse“ bringen will, sondern nach der Welt des schönen Scheins und der abstrakten Moralität strebt, insbesondere in der Braut von Messina, dem klassischen Drama par excellence, in dem Personen und Handlungen zur strengsten Symmetrie neigen. Die zahlreichen expliziten oder versteckten Shakespeare- und Goethe-Zitate sowie die vieler weiterer Autoren sind bekannt. Vor allem Shakespeare hat nicht nur Büchners Volksszenen beeinflusst (Landsberg 1900: 32 f., Landau 1909: 80 f., Mayer 1990: 149 f.), sondern war nach Aussage seines Bruders Ludwig „sein Ideal“, genau wie für Lenz in der gleichnamigen Novelle (MA 3.2: 213 f.). Doch was hier interessiert, sind weniger die Nachweise der quellenbezogenen Motive und literarästhetischen Kodes, als vielmehr die Zwecke, denen Büchner sie anpasst, bzw. die mit ihnen verfolgte Strategie, das heißt die Transkodifizierung jener Elemente mit Blick auf eine Kritik der Moderne bzw. „den blinden Fleck dieser Kultur“, wie Christa Wolf (1984: 325) ihn genannt hat. Sicher ist hier nicht der Ort, um näher auf dieses Thema einzugehen. Als Beispiel sei lediglich auf den sicheren Instinkt hingewiesen, mit dem Büchner die bereits vorhandenen kritischen Elemente in Lessings Theater ermittelt (vgl. Sanna 1999). In der satirischen Szene I.2 verwirklicht Büchner in Dantons Tod die Absichten, die Lessing in der Emilia Galotti (1772) verfolgt hat, indem er das Interesse von der individuellen Geschichte zwischen Vater und Tochter, einer neuen Virginia/Lucrezia, auf die historisch-sozialen Motivationen ihres Dramas verlagert (Sanna 1988 b, 1992). Wie bereits ausgeführt (s. oben), verweist die Rollenteilung Gonzaga/Marinelli, Robespierre/queue auf die Autonomie der Politik im modernen Staat; außerdem gemahnen die Lucile-Szenen am Ende an die Schlussszenen der Emilia, aber auch der Minna von Barnhelm (1767), wo Franziska dazu bestimmt ist, „über zehn Jahr […] Frau Generalin, oder Witwe“ zu sein (V.15) und folglich

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von dem bedenklichen „Soldatenglück“ abzuhängen, von dem der Untertitel spricht. Die Komödie des Aufklärers schließt mit dem Wort „Witwe“ wie der Danton mit der „Revolution“. Schließlich bedient sich auch Lessing verschlüsselter Interpretationshinweise, die er seinen Personen in den Mund legt. Demnach stellt die kritische Lektüre der Gegenwart die privilegierte Perspektive dar, aus der Büchners Innovation gegenüber seinem Modell verständlich wird: Er greift vor allem die Elemente von Lessings moderner Wirkungsästhetik auf, die um ein dynamisches System von V-Effekten kreist, wie Brecht sie über ein Jahrhundert später nannte, welche die aktive Rolle des Zuschauers und die ästhetisch-kognitive Funktion des literarischen Werkes betonen.

3. Die Poetik Den zwangsläufig unvollständigen Interpretationshinweisen des Autors zufolge, die sein erster Straßburger Brief an Gutzkow nach der Flucht enthält, ist Dantons Tod eine Boa Constriktor bzw. ein seidnes Schnürchen, das umschlingt und zusammenzieht, während seine Muse ein verkleideter Samson ist (BDK 2: 398). Aber das Drama selbst ist von Hinweisen zur Poetik übersät. Anhaltspunkte für die Rezeption liefern Robespierre (erhabnes Drama), Camille (Theater auf die Gasse) und der Zweite Herr (babylonischer Turm) sowie die asymmetrischen Porträts (I.3/I.6), aber auch die Anspielungen von Camille (II.3), Lacroix (I.4), Danton (I.5) und Barrère (III.6) auf die „ineinander verflochtene Beziehungsganzheit“ (Lausberg 1963: 33) zwischen den beiden Fraktionen und den einzelnen Personen bzw. allgemein zwischen den „Motiven und […] Umstände[n] […], welche eine solche Tat bewirkten, begleiteten und bestimmten“ (BDK 2: 23). In Ermangelung einer „wahrhaft ästhetischen“ Gesamtinterpretation ist das Funktionieren dieses Systems, das den Rezipienten ‚einfangen‘ und zur Suche nach einem „innern tiefen Sinn“ (BDK 2: 31) anregen will, jedoch unzureichend beachtet worden. Wie im Verlauf der Analyse herausgearbeitet, beruht dieses poetische Dispositiv meines Erachtens auf der fortwährenden Verkehrung der Asymmetrien in Symmetrien und zuweilen auf ihrer Neuerzeugung in entgegengesetztem Sinn.

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In intertextueller Perspektive findet diese Interpretationshypothese im gesamten Zeitraum von den Schulaufsätzen bis zu den naturwissenschaftlichen Schriften der Züricher Zeit Bestätigung. In der Schulrede über „Kato von Utika“ (1830) nimmt der junge Büchner z. B. zur Beziehung zwischen Ordnung und Chaos Stellung und spricht von Schicksalen, die „[i]n ihrem exzentrischen Laufe […] nur Irrbahnen zu beschreiben [scheinen], bis die großen Wirkungen dieser Phänomene beweisen, daß ihre Erscheinung lange vorher […] angeordnet war“ – gemäß einer höheren Perspektive und „deren Gesetze[n]“ (BDK 2: 30). In dem Aufsatz „Über den Selbstmord“ von 1831 beobachtet er die Wiederholung derselben Ereignisse, das heißt: „Die Form ist nur verschieden, die Wirkung ist die nämliche“ (BDK 2: 42). Aber auch die Probevorlesung (BDK 2: 157 f.), die der angehende Privatdozent am 5.11.1836 an der Universität Zürich hält, greift dieselbe Konzeption im Hinblick auf die Unterscheidung zweier wissenschaftlicher Methoden wieder auf: „die teleologische“, die die „größtmögliche Zweckmäßigkeit“ anstrebt – fast als handele es sich um das im Danton von Robespierre in Szene gesetzte „erhabne Drama“ – und „die philosophische“, für die „das ganze körperliche Dasein des Individuums“ nichts anderes ist als „die Manifestation eines Urgesetzes, eines Gesetzes der Schönheit, das nach den einfachsten Rissen und Linien die höchsten und reinsten Formen hervorbringt“. Somit ist „ihr sogenanntes zweckmäßiges Auseinander- und Zusammenwirken […] nichts weiter, als die notwendige Harmonie in den Äußerungen eines und desselben Gesetzes“. Dieses hat zur Folge, dass „ein Gewirr seltsamer Formen unter den abenteuerlichsten Namen […] sich im schönsten Ebenmaß auf[löst]“: „Hat man auch nicht Ganzes erreicht, so kamen doch zusammenhängende Strecken zum Vorschein“. Es scheint, als würde hier das immanente Gesetz des Danton beschrieben, das die Asymmetrien – auch die einfachsten und geläufigsten – in grundlegenden Symmetrien auflöst und sie um ein unbekanntes X kreisen lässt. Elias Canetti (Heckmann 1984: 18 f.) fasst das dynamische System, das Büchners Werke prägt, in dem schönen Bild der Begegnung und des Aufeinanderpralls von Feuer und Eis: „Es ist ein Feuer, das einen zum Laufen zwingt, und ein Eis, in dem alles durchsichtig scheint, und man läuft, um Schritt mit dem Feuer zu halten, und verharrt, um ins Eis zu schauen“.

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Die Asymmetrien, die den Kampf zwischen den beiden Fraktionen und den Tod Dantons und der Seinen bedingen, die aber auch die Personen, Handlungen und Werte, die Poetiken und die Rezeption betreffen, sind das ‚Feuer‘, um uns an Canettis Bild zu halten. Führen wir sie hier nochmals an, beginnend bei den Personen, deren Status die „hölzernen Kopien“, ganz „Konsequenz“, „Sentenz“, „Begriff“ und „Ideal“, blutig und energisch, wie St. Just und Robespierre, denjenigen Personen gegenüberstellt, in denen die Schöpfung „glühend, brausend und leuchtend, um und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert“ (II.3), die aber auch liederlich und cynisch sind, wie Danton und seine Freunde (vgl. Wender 1987: 224). Von ihrem Status hängen zwei asymmetrische Handlungen ab, von denen die eine einer klassischen Tragödie ähnelt, die andere hingegen fast Becketts Warten auf Godot gleicht. Robespierre bringt eine zielgerichtete Dynamik in Gang, die rasch auf die Katastrophe zusteuert, während Danton die Handlung stocken lässt, bis sie wie ein „babylonischer Turm“ erscheint bzw. wie ein „Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen“: „Man schwindelt bei jedem Tritt“ (II.2). Die Werte und Begriffe, an denen die Handlungen sich ausrichten, sind gleichermaßen antithetisch (Kollektivität/Individuum, Nicht-Erkennen/Erkenntnis, Laster/Tugend, Zukunft/Vergangenheit, Gegenwart, Augenblick und Ruhe, Geschichte/Natur, Dirigismus/Republik). Es ändert sich daher auch die Rezeptionshaltung. Der Zweite Herr repräsentiert den Zuschauer des „erhabnen Dramas“, der wie eine ‚hölzerne Kopie‘ „weder Augen noch Ohren“ hat; stets gut unterrichtet, preist er während der Promenade das neue Stück, aber dann stolpert er über eine Pfütze und das reicht, um ein unauffüllbares „Loch“ zwischen Kultur und Darstellung auf der einen Seite und seinem eigenen Leben bzw. dem, was die Gasse tatsächlich ist, auf der anderen zu enthüllen. Letzteres flieht er (nachdem er nachgedacht hat: vgl. Woyzecks Überlegungen zum „Gedankenstrichel“, BDK 1: 161), indem er vom ich auf das generische ‚man‘ ausweicht: „Kaum kam ich vorbei, das konnte gefährlich werden! […] Ja, die Erde ist eine dünne Kruste, ich meine immer ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. Man muß mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie in’s Theater, ich rat’ es Ihnen!“ Der Zuschauer des „babylonischen Turms“ weiß dagegen, dass die Asymmetrien in den Fluss der Zeit eingebettet sind, dem Robespierre sie entreißen möchte, um ihnen Festigkeit zu verleihen: wir/die ande-

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ren, Sieger/Besiegte. Mit dem ‚Gassentheater‘ übt dieser Zuschauer sich darin, „keine Angst vor Pfützen wie bei Büchner“ zu haben (Müller 1974: 83). Der Kunstgriff der Rollenverkehrung in den Szenen I.6 für Robespierre und III.4 und 9 für Danton – die wiederum das X widerspiegelt – ermöglicht allerdings auch die Einführung einer Gegenbewegung in Dantons Tod, die den Blick auf Personen, Handlungen, Werte und Begriffe, auf Poetik, Rezeption und Ästhetik verändert, indem sie die bestehenden Gleichgewichte zerstört und bewirkt, dass „Alles so leicht und kühn in die Luft gesprengt“ wird (II.2). Die Rollen verkehren sich also, um klarer zu „schauen“, nämlich wie ins durchsichtige Eis, um Canettis Bild nochmals aufzugreifen, so dass Robespierre sich sensibel erweist, während Danton erneut schreit. Die Handlung des erhabenen Dramas verliert sich nicht zuletzt wegen der zahlreichen Hände, die an ihr mitwirken, in tausend Stränge, während das Babel gerade in den Szenen, die die Gedanken zum unbekannten X entwickeln, einen systematischen Kern bergen. Auch die Lògoi bedienen sich „der selbstverständlichen Korrektur des lebendigen Gesprächs“ (Gadamer 1990: 2.344), welches das Kontinuum zwischen Wort, Handeln und Denken, die Lüge, die Rhetorik und die In-Szene-Setzung, den Schmerz und den Tod in die Wertbezugssysteme wieder einführt. Da es dem Drama an einer Lösung des Konflikts fehlt, die über dessen erzwungene Verdrängung mittels der Guillotine hinausginge, als sei es ein Agon und Páthos ohne Anagnorisis, lässt das X das Drama selbst als eine permanente Peripetie, einen einzigen fünften Akt (den fehlenden) oder eine große Ellipse erscheinen (vgl. Frizen 1990). Das Fehlen der Anagnorisis beinhaltet indes eine neue Art der Rezeption, die imstande ist, von der Übereinstimmung mit der ideologischen Fiktion zur Überprüfung der Voraussetzungen der Figuren überzugehen und die Handlung auf der Suche nach einer Lösung, die eine Alternative zur Katastrophe bilden kann, gegen den Strich auszuloten. Die durch die drei Frauenfiguren mit ihrer irreduziblen, unerschöpflichen Identität gebildeten Asymmetrien, die integraler Bestandteil dessen sind, was Celan „Flaschenpost“ nennt, darf man nicht übersehen. Botschaft ist auch das unbekannte X, dessen Suche die Gründe der beiden Gegenspieler, ihre Verirrungen (Ruhe und Magenfrage) überwindend, bekräftigen würde. Mit den Frau-

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encharakteren und der Botschaft hält Büchner allerdings weniger die Handlung als die Zeit an und geht weiter zu einer fuga saeculi. Aber die Zeit wird auch durch das System der Leitmotive angehalten, das heißt durch das Netz der Isotopien (Hände-Arme, die Modalverben, Sehsinn und Gehör, etc.) und durch das rhetorische Gewebe aus wiederkehrenden Gestalten und Bildern (der Messias, Ödipus, die Bilder der Neugeburt und Zerstörung usw.), die in ein Gattungssystem ein Beziehungsgeflecht von komplexer, zugleich epischer und lyrischer Gleichzeitigkeit einführen, das sich zum Beispiel mit Rilke vergleichen lässt. Im Malte hält die „Dichte dessen, was zu überwinden war“, den Protagonisten und auch den Leser auf, indem sie sie zum „Weg des langen Lernens“ zwingt, der mit dem einleitenden „Ich lerne sehen“ seinen Anfang nimmt. Im Schlusskapitel, als sie endlich „den Stein der Weisen gefunden“ zu haben scheinen, sehen sie sich indes gezwungen, an den Anfang zurückzukehren und „das rasch gemachte Gold seines Glücks unaufhörlich zu verwandeln in das klumpige Blei der Geduld“ (vgl. Sanna 1996 b). Genau so ergeht es den Rezipienten von Dantons Tod seit über zwei Jahrhunderten, gleich ob es sich um gewöhnliche Leser/Zuschauer oder solche vom Fach handelt. Angesichts eines so gearteten ‚dynamischen Systems‘ sollte jedenfalls der Vorwurf überwunden sein, Büchner habe mit derartiger Eile gearbeitet, dass der Danton flüchtig, mit Hast niedergeworfen und unfertig sei, wie nicht nur Gutzkow behauptet hat (Mayer 2000: 72). Ebenso erscheint mir die alte Frage überwunden, ob der Danton aufführbar oder nicht eher ein Wortdrama oder Lesedrama sei, obwohl schon Gutzkow von der Schwierigkeit einer Inszenierung sprach.

4. Die Ästhetik Ästhetisch betrachtet realisiert Büchner seine Absicht, aus Dantons Tod eine Boa Constriktor zu machen, durch die Spannung der Kräfte und Gegenkräfte, die stets bereit sind, sich in ihr Gegenteil zu verkehren, wozu auch das rhetorische Gewebe und die semantisch-phonetischen Äquivalenzbeziehungen seiner denkbar polysemen, dichten Sprache beitragen. Sehen wir uns an, was Heinrich Lausberg (1969: 46) hinsichtlich der zwei Gestalttypen des Ganzen, dem zirkularen und dem li-

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nearen Ganzen, lehrt. Ersteres „hat als Ganzes keine Richtung in Zeit oder Raum, sondern ruht als ‚System‘ in sich. Derartige Ganze sind z. B. die Sprache, der Bewusstseinsinhalt eines Individuums in einem gegebenen Augenblick, die Situation in einem gegebenen Augenblick, die Personen eines Dramas als ineinander verflochtene Beziehungs-Ganzheit. Das lineare Ganze hat als Ganzes eine Richtung im Raum (z. B. eine Straße, die man durchschreitet), oder in der Zeit“, so wie es einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat. Lausberg präzisiert weiter, dass es „eine Umsetzung aus der Zirkularität in die Linearität und umgekehrt“ gibt. Die erstgenannte entspricht zum Beispiel der Umsetzung „des parteiischen Situationsinhalts in Rede“, wie wir es bei der queue de Robespierre festgestellt haben; die zweite, das heißt die Umsetzung aus der Linearität in die Zirkularität, betrifft einen Fall wie den im vorigen Kapitel erwähnten: einen Richter, der dazu bewogen wird, seinen „Bewusstseinsinhalt […] nach Anhören einer Parteirede“ zu verändern, bevor er diesen neuen Inhalt in spätere Urteilssprüche umsetzt. Sie kann aber auch das Publikum angehen, das im Theater einer Aufführung des Danton beiwohnt, oder einen demos, der unterrichtet und kompetent sein will, also alle Fälle, die im Großen und Ganzen den Übergang von einer Quantität zur Qualität vorsehen. Unter ästhetischem Gesichtspunkt neigt die Umsetzung der Linearität in Zirkularität dazu, die linearen Wege, „z. B. eine Straße, die man durchschreitet“ (Lausberg 1963: 33), in ein Labyrinth zu verwandeln oder Zeit und Raum wie in einem ‚in sich ruhenden System‘ zu umschließen. Was sich dergestalt abzeichnet, ist in Wahrheit eine Verräumlichung der Zeit, die zu einem „unausschöpflichen Reservoir der Ewigkeit gegen die Zeit“ (Durand 1960: 443) wird. Genau dies geschieht im Danton (vgl. Zons 1976: 483 f.). Indem das symmetrische Telos von Robespierres Staatshandlung in das – auch innere – Labyrinth von Danton und seiner queue verwandelt wird und die Rezeptionswege durch die sich kreuzenden Rollen und Reden spiralförmig verlaufen, hält das Drama den Zuschauer schließlich in seinem „Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen“ fest, als sei es eine Boa Constriktor oder ein seidenes Schürchen. Insbesondere überzeugt es den Rezipienten, seinen in alle Winde gerufenen Symmetrien zu folgen, bis er das Gefühl hat, dass sie ihm gemäß sind, aber es lässt ihn auch die schrägen Töne im Hintergrund vernehmen, die ihn veranlassen, immer wieder zwischen

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den dicht gewobenen Entsprechungen hin- und herzugehen, wobei er sich wie in einer Spirale bewegt und sich oft an den Anfang zurückgeworfen sieht. Außerdem spricht das Drama sämtliche Sinne an: den Sehsinn, das Gehör, den Geruchs- und Tastsinn, denn die extensive Klarheit der Bilder „wird durchaus nicht mit Hilfe des Verstandes, sondern mit Hilfe des Körpers beurteilt: die Verbindungen mit den Metaphern stecken in unseren Fibern, den darin sich abspielenden Irritationen, Mühen und Verstehensvorgängen“ (Brandi 1957: 29). Ex negativo wird die Einbeziehung sämtlicher Sinne durch eine Rezension von Herrmann Marggraff aus dem Jahr 1837 bestätigt: „Bei diesem genialen Cynismus wird dem Leser zuletzt ganz krankhaft pestartig zu Muthe und unheimlich; er schließt die Augen, er hält die Ohren, die Nase zu; seine Gefühls-, seine Geschmacknerven werden afficirt“. In intertextueller Perspektive ist es dagegen das, was der Protagonist Lenz in der gleichnamigen Novelle theoretisiert. Er strebt danach, die „schönsten Bilder, die schwellendsten Töne“ zu bewahren, obwohl er weiß, dass sie sich ‚gruppieren und auflösen‘, so dass das „Medusenhaupt“, das sie bewahrt, indem es sie in Stein verwandelt, also ihre Dynamik auslöscht, zu nichts taugt: „Nur eins bleibt, eine unendliche Schönheit, die aus einer Form in die andre tritt, ewig aufgeblättert, verändert“. Im dritten Kapitel von Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten (GW 7: 245) vertritt Jung die Ansicht, dass die Verarbeitung der Bilder die vier Funktionen angehe, welche die Orientierung im psychischen Raum ergeben: das Denken, das Fühlen, das Empfinden und die Intuition, also die vier Funktionen der psychologischen Typen – „ein vierfaches ‚nirdvandva‘ (‚frei von Gegensätzen‘)“. Aus dem Blickwinkel der Neurowissenschaften heißt das, dass der Zuschauer oder Leser dazu angeregt wird, die rechte Hirnhemisphäre arbeiten zu lassen, die sich von dem raschen kognitiven System stark unterscheidet (Damasio 1995, 2003). Der Zweck dieser „ästhetischen Lust“, die bekanntlich nach Kant „interesselos“ ist, besteht darin, die Entstehung eines neuen „Bewusstseinsinhalts“ zu begünstigen, oder um es mit Celans (1988: 60) in Bezug auf Büchner und auf seine eigene Poetik verwendeten Worten zu sagen, in der Möglichkeit eines „Sichvorausschicken[s] zu sich selbst, auf der Suche nach sich selbst“. Das ist der Zweck der „wuchernde[n] Demokratie“ des Werkes, von der Gutzkow gesprochen hat.

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Im Übrigen neigt jedes große literarische Wert, vom „Epigramm“ bis zum „Epos in fünfzig oder sechzig Gesängen“ (II.1), zur Verräumlichung der Zeit, ob es sich nun um Büchners Danton oder um ein japanisches Haiku handelt, und sei es auch nach dem Kriterium, „das Werk zu schaffen, indem man dessen individuelle Regel erfindet“, oder die „Idee mit der Realisierung“ in Einklang zu bringen (Pareyson 1954: 126). Die Schriftsteller wissen es seit jeher, von Tausendundeine Nacht bis zur Suche nach der verlorenen Zeit, während mir scheint, dass die zentrale Bedeutung der Verwandlung der Zeit in ein räumliches Bild (Sanna 2008) aus theoretischer Perspektive ungenügend erschöpft worden ist (Ehrenfels 1890, Kassner 1936, Brandi 1957, Langer 1965, Adorno 1970, Benjamin 1997, Durand 1960, 1999; vgl. aber auch Smitten/Daghistany 1981). Neben der besonderen Dichte des Sprachgeflechts ist die weitere Voraussetzung des ästhetischen Vorgangs der Verräumlichung durch die Spannung zwischen den Gegensätzen gegeben: durch die Vervielfachung der „Herde der Ambivalenz“ (Bachelard 1989: 12), also die Spannung und Entfaltung des roten Faden, der die Pole zusammenhält, die nicht „verzettelt“ und verstreut, sondern in einer „Schöpfung“ (II.3) oder einem beseelten Ganzen verbunden sind. Und im Danton sind die Antinomien wirklich unzählig (während Leonce sogar spöttisch feststellt: auch „der Teufel ist nur des Kontrastes wegen da, damit wir begreifen sollen, daß am Himmel doch eigentlich etwas sei“, BDK 1: 108). Als Beispiel sei nochmals der ästhetische Entwurf Büchners angeführt: er „[s]etzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse“ – nicht auf die Straße, sondern in ein Gassentheater, das in die Wohnviertel getragen wird, wo das Volk wohnt, und das folglich selbst Einheit der Gegensätze oder beseeltes Ganzes ist. Jedoch wird derselbe Entwurf auch durch die Szene Promenade und den Kontrast zwischen der gekünstelten Realität des Zweiten Herrn und den Löchern, die sich auf der Straße auftun, variiert, indessen auf der Gasse auch der Theatersouffleur Simon agiert, der alles und nichts weiß, da er alles im Sinn hat außer einem neuen „Bewusstseinsinhalt“. Aber die Gegensätze betreffen jeden Bereich, die Gesellschaft, die Politik, die Ethik und die Ästhetik, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und den Augenblick, Leben und Tod, Mann und Frau usw., und sie zielen nicht darauf ab, die Verstehensvoraussetzungen zu bestäti-

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gen, sondern die Begegnung mit sich selbst im Medium der Kunst zu erzeugen.

5. Die Rezeption Die Umsetzung der Lineariät in die Zirkularität geht Hand in Hand mit der Konstruktion eines Innenraums als Resultat einer bestimmten psychologischen Disposition. Der Tiefenpsychologie von Carl Gustav Jung zufolge nimmt gerade dank der rätselhaften Vielstimmigkeit des Kunstwerks „die Seele [sich] selber an und nimmt die ihrer Struktur innewohnende und zugrunde liegende Weisheit […] wahr“ (GW 14.1: 109). Das Bewusstsein ist nämlich „seinem Wesen gemäß strengste Beschränkung auf Weniges und darum Deutliches“, so dass „beständig gewaltige Bezirke möglicher Vorstellungen aus[scheiden]“. Im Unbewussten sammeln sich dagegen die „noch nicht oder nicht mehr bewusstseinsfähigen Inhalte“, von denen das Bewusstsein nur „kleinste Stücke heraushebt“. Aber der Rezeptionsvorgang eines eminenten, eines dynamischen und dichten literarischen Werks wirkt als „ein naturgegebener Faktor“, der dazu tendiert, „eine möglichst vollkommene Voraussetzungslosigkeit des Bewusstseins“ zu erzeugen. Wenn dies geschieht, „so ist es eine Antwort der Natur, der es gelungen ist, ihre Reaktion dem Bewusstsein unmittelbar zuzuführen“. Nicht nur kann Bewusstsein nur existieren bei stetiger Anerkennung und Berücksichtigung des Unbewussten, sondern: „Wenn es gelingt, die vom Unbewussten dargebotenen oder aufgezwungenen Stücke dem Bewusstseinsleben sinnvoll einzubauen, so entsteht daraus eine psychische Existenzform, welche dem Ganzen der individuellen Persönlichkeit besser entspricht und darum auch fruchtlose Konflikte zwischen der bewussten und der unbewussten Persönlichkeit aufhebt“ (GW 11: 593 f.). In diesem Sinn würde sich das literarische Werk dem Leser als persönliches Analyseinstrument anbieten: Es nimmt am Prozess der Veränderung der Wahrnehmung teil und ist Anregung für ein neues Verständnis und damit potentiell auch für neue Konstruktionen von Welt. Vico (Prinzipien einer neuen Wissenschaft, „Poetische Metaphysik“) ist der Ansicht, eine der Arbeiten, die „die große Dichtung“ leisten müsse, bestehe darin, „im Übermaß zu erschüttern, damit sie das Ziel erreiche, das sie sich vorgesetzt hat“. Genau dies

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tut Büchner in Dantons Tod und will durch seine Betonung der expressiven und kommunikativen Funktion der Kunst zur Bildung eines neuen „Bewusstseinsinhalts“ beitragen, indem er Löcher, Brüche, Risse auftut, in denen man „durchbrechen“ kann, im Gegensatz zu den gekünstelten Vorstellungen des Zweiten Herrn. Zum Sehen und Hören anregen ist beispielsweise an sich schon eine Öffnung auf die Welt, die potenziell unerwartete Gelegenheiten erschließt, um zu deren Konstruktion beizutragen (vgl. Goodman 1969, 1995). Dasselbe gilt für die Empathie mit anderen Menschen. Konnte der rechtsgerichtete Nietzsche-Verehrer Mario Morasso 1905 in La nuova arma. La macchina daher schreiben, die von linker Seite propagierte Ethik des Mitleids schwäche jeden stärkeren Willen zur Macht, so erblickt Donald W. Winnicott (1976) in der Fähigkeit eines Individuums, sich tief in die Gedanken, Gefühle, Hoffnungen und Ängste eines anderen hineinzuversetzen und dem anderen das gleiche zuzugestehen, geradezu ein Zeichen geistiger Gesundheit. Aber diese erhoffte Wirkung ist gerade deshalb möglich, weil Büchner, wie er seiner Verlobten schreibt, „Freude am Schaffen [s]einer poetischen Produkte“ (20. Januar 1837) gehabt hat, es ihm also gelungen ist, „die Idee mit der Realisierung“ (Pareyson 1954: 126) in Einklang zu bringen. Das Ergebnis dieser Tätigkeit, die keine Lohnkunst ist (Kant, Kritik der Urteilskraft, § 43), sondern eher einer Selbstentdeckung ähnelt, die Freude bereitet (Said 1995: 85 f., Sanna 2009), steht dem Leser und Zuschauer zur Verfügung, der sich dem veränderlichen und unausschöpflichen Puzzle des Danton nähern will. Im Gegensatz dazu hat ein gewisses politisches Engagement, das aus dem Werk das Instrument einer unmittelbaren Agitprop macht, nie über die praktischen Ziele von Auftraggebern und Ausführenden und über den Zeitpunkt hinaus funktioniert, zu dem es erwartet wurde. Büchner, der sich wünscht, „die Leute mögen daraus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht“, wie er bezogen auf den Danton an seine Familie schreibt (28. Juli 1935), will sein Ziel erreichen, indem er ‚im Übermaß erschüttert‘, das heißt, indem er den dynamischen Charakter des ästhetischen Spiels betont. Das ist seine Weise, sein Theater auf die Gasse zu bringen und mit anderen Mitteln für die Erweiterung der Freiheit zu arbeiten, die ein offenes Problem

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bleibt, im Sinne der Entscheidungsmaßstäbe, -voraussetzungen und -modalitäten für ihre Gewähr.

6. Verbindungen zwischen Leben und Werk Wie Wolfgang Hildesheimer in seiner Laudatio (Johann 1981: 169 f.) anmerkt, hat Büchner „[e]ine Entwicklung, die in Perioden zu gliedern ist, […] nicht durchgemacht. Auch hat er kein Doppelleben geführt, das uns ermöglichen würde, die Hälfte des Dichters separat zu beleuchten. […] Er war alles in einer Person, politischer Agitator, Wissenschaftler, Schriftsteller, potentieller Menschenfreund, Menschenverachter aus bitterer Erfahrung“. Diese Sachlage macht es auch so schwierig, die Verbindungen zwischen Leben und Werk in den Monaten der Entstehung von Dantons Tod zu entziffern. Sicher zeugt Büchners Biografie im Jahr 1834, zwischen dem Fatalismusbrief (Januar 1834) und der Abfassung des Dramas, das er Gutzkow am 21.2.1835 zur Veröffentlichung schickt, von seiner aktiven Sympathie mit den Leidenden. Er nahm unter anderem an der Verschwörung des Hessischen Landboten teil, die den Rektor Weidig das Leben kostete und ca. fünfzig Mitstreiter ins Gefängnis brachte (Hauschild 1993: 418). Aber ab 1832 drückt sich in seinen Briefen auch das wachsende Bewusstsein aus, dass die Zeit noch nicht reif sei. Um die Bedingungen in Deutschland zu verändern, fehlten die Voraussetzungen, die Intellektuellen und das Volk, die „große Klasse“, wie er sie in einem Brief an Gutzkow nennt (BDK 2: 440). Georg Büchner starb in Zürich im Exil, Sonntag, den 19. Februar 1837 gegen 15.30 Uhr. Er war dreiundzwanzig Jahre, vier Monate und zwei Tage alt. Einige meinen, er wäre ein deutscher Shakespeare geworden, hätte er länger gelebt. Andere dagegen sehen in ihm einen neuen Darwin. Seine Zürcher Professoren – darunter der Rektor Lorenz Oken, berühmter Zoologe und Naturphilosoph – setzten große Hoffnungen in ihn, und die Ergebnisse seiner Doktorarbeit sind bis auf den heutigen Tag anerkannt (MA 3.2: 206-07). Was seine politischen Meinungen anbelangt, wissen wir lediglich, dass er sich in Zürich von den Vereinigungen der radikalen Exilanten fernhielt, ohne jedoch der „vieille Allemagne“ anzugehören, wie Gutzkow behauptet, oder sich ins „Reich der Ideen“ zurückzuziehen (Landau; Dedner 1990: 52, 75), und dass er

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die sozialen Unterschiede zwischen Reichen und Armen nach wie vor nicht akzeptierte (s. den Brief an seine Familie vom 1. Januar 1836). Wahrscheinlich hätte seine spätere politische und soziale Konzeption, gleich wie sie ausgesehen hätte, den früheren an Umfassendheit und Integrität in nichts nachgestanden – aber das bleibt eben eine bloße Meinung. Einen Zwanzigjährigen dagegen auf die anhand lückenhafter Zeugnisse oder verstreuter Briefstellen rekonstruierten Aussagen festlegen zu wollen, die mal den Sinn hatten, seine Eltern zu beruhigen, mal der Eingabe des Moments entsprachen oder implizit auf Fragen seines Briefpartners antworteten, erscheint mir fast wie eine ‚therapeutische Wut post mortem‘. Stattdessen ist es notwendig, das organische Universum seines in sich vollendeten literarischen Werks weiter zu erforschen, während es gerade hier an einer „wahrhaft ästhetischen Kritik“ gefehlt hat. So haben die Interpreten vor allem seit 1851, nach Veröffentlichung des Fatalismusbriefs in den Nachgelassenen Schriften (1850) begonnen, die politischen Auffassungen des Dramas aus dem Blickwinkel des Briefs an Wilhelmine zu deuten. Ohne zu zögern, hält Julian Schmidt (1851) den gelangweilten Danton, der wie andere seiner Gestalten von einem modernen Spleen befallen ist, für einen Geistesverwandten von Büchner, wie noch Heinrich von Treitschke (1889) wiederholen wird. Sein revolutionäres Treiben scheint ihm daher das eines „Hamlet-Leonce an der Spitze eines Jacobinerclubbs“ (1851: 127 f.). Ist er für die einen ein Dandy, so ist er für die anderen ein Fatalist. Beispielsweise ist Karl Emil Franzos der Ansicht, dass der Poet in ihm über den entmutigten Politiker siegte (1879: CLIII f.), aber auch Karl Vietör spricht von Verzweiflung und Pessimismus (1934: 180, 206-08). Stattdessen besteht Benno von Wiese auf der „tragischen Widerlegung alles revolutionären Handelns“ (1967: 514 f.), Werner R. Lehmann auf Enttäuschung, Verdüsterung, Zusammenbruch (1963: 210 f.), Friedrich Sengle auf dem Schmerz (1971-80: 3.301). Bei allen Unterschieden bekräftigen andere Interpreten hingegen seinen Glauben an die Revolution, vielmehr an die Perspektiven des Hessischen Landboten oder die von Robespierre (darunter Rabe 1960, Kuba 1962, Geerdts 1963, Jancke 1975, Mayer 1979, Hauschild 1993). Die Wechselbeziehung Dandy-Enttäuschung wird seiner übersprudelnden Vitalität meines Erachtens nicht gerecht. Was den Dandyismus angeht, erinnert Carl Vogt, sein Kommilitone an der

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Universität Gießen, daran, dass Büchner einigen Studienkollegen unsympathisch war wegen seines hohen Zylinders, während sein Freund Wilhelm Schulz erzählt (1851), dass die Züricher Exilanten ihn des „volksverrätherischen Versuchs“ bezichtigten, „Glacéhandschuhe tragen zu wollen“ (MA 3.2: 203). Dabei handelt es sich jedoch weniger um ‚politische Laster‘ als eher um ein bestimmtes Naturell, um einen Hang zum ‚Sensualismus‘ oder um eine Erziehungs- und Geschmacksfrage. Der vermeintliche Fatalismus deckt sich dagegen eher mit einem Realismus tout court, der sicher ein Ergebnis der Erfahrungen war, die er während der Studienjahre in Deutschland und im französischen Straßburg sowie in den Monaten des direkten politischen Engagements gesammelt hatte und die seinen „scharfen Sinn für Macht“ verfeinert haben. So Golo Mann, der 1968 den Büchnerpreis erhielt (Johann 1981: 191 f.): Vor allem diese Monate des politischen Engagements haben ihm die Einsicht ermöglicht, dass der Glaube an die Vernünftigkeit der Pläne der Mächtigen „ein Aberglaube wie ein anderer“ ist, denn „[m]eistens handeln Machthaber irrig, überschlau, nervös, dumm und blind, selbst vom Standpunkt ihres eigenen Interesses aus geurteilt“. Gleichzeitig hat er auch verstanden, dass das Volk keine Umwälzungen will und – wie er Gutzkow schreibt – ein „Huhn im Topf jedes Bauern […] den gallischen Hahn verenden [macht]“ (BDK 2: 400; vgl. auch S. 402 sowie die Protokolle des Hochverratsprozesses S. 660 f., 664 f., 688 f.). Auch aus diesen Gründen stimmen die Perspektiven des Danton nicht mit denen des Hessischen Landboten überein und auch nicht mit denen von Robespierre. Sie bestehen vielmehr in einer radikal antiideologischen Konzeption, die Büchner entwickelt, noch ehe sich die Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts überhaupt herauskristallisiert haben, während seine Lektüre der sozialen und politischen Dynamiken nach wie vor Instrumente für das Verständnis der Gegenwart an die Hand gibt. Anfang Juni 1836 schreibt er an Gutzkow, er halte es nicht für möglich, die Gesellschaft aufgrund einer Idee zu reformieren und zu hoffen, so über „den Riß zwischen der gebildeten und ungebildeten Gesellschaft hinaus[zu]kommen“. Wie bereits erwähnt, ist er außerdem der Ansicht, dass unsere „rein materiell[e]“ Zeit sich vor allem zweier Hebel im Verhältnis zur „großen Klasse“ bediene: „materielles Elend und religiöser Fanatismus. Jede Partei, welche diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen. Unsere Zeit braucht

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Eisen und Brot – und dann ein Kreuz oder sonst so was“. Er sympathisiert mit einer alternativen Lösung: „Ich glaube, man muß in sozialen Dingen von einem absoluten Rechtsgrundsatz ausgehen, die Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volk suchen und die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen“. Die Adelsgesellschaft ist zu Ende. An Eisen und Brot, einschließlich der jüngeren konsumistischen Veränderungen, und an zivilen Religionen hat sich das vergangene Jahrhundert indes geradezu übersättigt, wohingegen die Achtung des Rechts weltweit noch immer keine feste Errungenschaft ist und die Bildung eines neuen geistigen Lebens weiterhin aussteht. Indessen will die Boa Constriktor mit dem Titel Dantons Tod die Zuschauer und Leser zum Sitzen einladen: Zunächst einmal lenkt sie sie vom Schreien und Marschieren ab und zwingt sie dann, zurückzublicken, damit sie in Zukunft womöglich Neues zu sagen und zu tun haben, wer weiß.

ABKÜRZUNGEN UND ZITIERWEISE

Die Zitate aus Dantons Tod (mit Akt- und Szeneangaben) folgen der Ausgabe BDK. BDK =

Poschmann, Henri (Hg.), unter Mitarbeit von Rosemarie Poschmann, Georg Büchner. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente, Bd. 1 und 2, Frankfurt 1999.

MA

=

Dedner, Burghard, und Thomas Michael Mayer (Hg.), Georg Büchner, Dantons Tod, Bd. 3.1-3.4, Darmstadt 2000.

GW

=

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PERSONENREGISTER

Adorno, Theodor W. 133, 143 Anz, Heinrich 82, 143 Arasse, Daniel 82, 143 Arendt, Hannah 44, 143 Aristoteles 76, 85 Arndt, Ernst Moritz 58 Arnim, Achim von 103, 107 Arnold, Heinz Ludwig 143, 146, 148 Aron, Raymond 62, 143

Brentano, Clemens 103, 107 Broch, Ilona 12, 99, 144 Brown, Norman O. 109, 144 Buck, Theo 66, 99, 104, 107, 123, 144 Büchner, Caroline 100 Büchner, Ludwig 9, 34, 122, 125 Büchner, Luise 9 Buonarroti, Filippo 34

Babeuf, François Noël (Gracchus) 34, 50, 91 Bach, Anneliese 64, 143 Bachelard, Gaston 133, 143 Bachmann, Ingeborg 105 Bachtin, Michail 23 Bataille, Georges 109, 147 Battafarano, Italo Michele 52, 143 Baumann, Gerhard 95, 124, 143 Becker, Peter von 15, 27, 103, 143, 147-148 Beckett, Samuel 128 Behrmann, Alfred 29, 48, 65, 95, 124, 143 Benjamin, Walter 123, 133 Benn, Maurice B. 93, 143 Bergemann, Fritz 122 Blanqui, Auguste 34 Bohn, Volker 122, 143 Böll, Heinrich 10 Bonomi, Aldo 120, 143 Bornmann, Alexander von 124, 143 Brandi, Cesare 132-133, 144 Braun, Volker 10, 27 Braungart, Wolfgang 103, 144 Brecht, Bertolt 126

Canetti, Elias 10, 123, 127 Cassirer, Ernst 75, 144 Celan, Paul 93, 95, 100, 102104, 115, 129, 132, 144, 152 Cercignani, Fausto 144-145, 152 Chiarini, Paolo 144, 151 Cleland, John 106 Colli, Giorgio 119, 144 Comte, Auguste 80 Csokor, Franz Theodor 123 Cuvier, Georges 58 Daghistany, Ann 133, 151 Damasio, Antonio R. 132, 144 Dante Alighieri 111 David, Jacques Louis 104, 151 Debord, Guy 75, 144 Dedner, Burghard 12, 47, 122, 124, 136, 141, 143-145, 148, 150-152 Desjardins, Guillaume 50 Destro, Alberto 123, 144 Diderot, Denis 50 Dionysios Areopagita 113 Döblin, Alfred 103, 114, 123, 145, 150 Dostojewski, Fjodor 58, 83, 119

154

PERSONENREGISTER

Durand, Gilbert 131, 133, 145 Eckhart von Hochheim, MeisterEckhart 94, 109, 113, 145 Edschmid, Kasimir 122 Ehrenfels, Christian von 133, 145 Engels, Friedrich 58, 148 Enzensberger, Hans Magnus 76, 120, 145 Epikur 83, 146 Festinger, Leon 75, 145 Fink, Gonthier-Louis 32, 145 Forte, Luigi 145 Foucault, Michel 80, 145 Fourier, Charles 62 Franzos, Karl Emil 9, 122, 137, 145 Freitag, Gustav 150 Freud, Sigmund 72, 91, 102, 109 Frisch, Max 48 Frizen, Werner 27, 124, 129, 145 Gadamer, Hans-Georg 28, 119, 129, 145 Geerdts, Hans Jürgen 43, 137, 145 Gentile, Emilio 45, 62, 145 Giddens, Antony 75, 145 Gille, Klaus F. 35, 65, 124, 145 Gnüg, Hiltrud 39, 145 Goethe, Johann Wolfgang von 50, 125 Goltschnigg, Dietmar 27, 87, 105, 120, 122-123, 145 Goodman, Nelson 135, 145 Grab, Walter 63, 146, 151 Grass, Günter 10 Grimm, Reinhold 12, 146 Gundolf, Friedrich 21, 146 Gutzkow, Karl 11, 14, 48, 54, 62, 81, 121-122, 126, 130, 132, 136, 138

Hacks, Peter 91, 146 Hauptmann, Gerhart 122, 149 Hauschild, Jan-Christoph 3435, 83-84, 122-124, 136-137, 146 Hebbel, Friedrich 152 Heckmann, Herbert 123, 127, 146 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 22-23, 37, 56 Heine, Heinrich 34, 50, 70 Helbig, Louis Ferdinand 23, 124, 146 Herzog, Wilhelm 27 Heselhaus, Clemens 39, 146 Hesse, Hermann 55 Heydorn, Heinz-Joachim 146 Heym, Georg 122 Hildesheimer, Wolfgang 136 Hinderer, Walter 25, 146 Hobbes, Thomas 49 Hochhuth, Rolf 27 Hofmannsthal, Hugo von 122 Hohendahl, Peter Uwe 80, 82, 146 Holbach, Paul-Henri Thiry d’ 28 Hölderlin, Friedrich 106 Holmes, Terence M. 42, 146 Horkheimer, Max 50, 146 Hörnigk, Frank 43, 146 Hugo, Victor 107, 144 Jaeglé, Wilhelmine 11, 137 Jancke, Gerhard 29, 137 Jaspers, Karl 109, 146 Jens, Walter 54, 87, 146 Johann, Ernst 48, 68, 83, 105, 136, 138, 146 Joyce, James 107 Jünger, Ernst 150 Jung, Carl Gustav 72, 75, 117, 132, 134, 141, 146-147 Kafka, Franz 119 Kahl, Joachim 63, 146

PERSONENREGISTER

Kant, Immanuel 98, 132, 135 Karneades von Kyrene 98, 115 Kassner, Rudolf 133, 147 Kerényi, Karoly 75, 147 Kierkegaard, Sören Aabye 121 Knapp, Gerhard P. 37, 95, 123124, 147 Kobel, Erwin 64-65, 123, 147 Koch, Manfred 103, 144 Koeppen, Wolfgang 68 Koestler, Arthur 27 Koopmann, Helmut 124, 147 Körner, Theodor 69 Kraus, Karl 122, 148 Kuba (Kurt Bartel) 10, 29, 137, 147 Lafargue, Paul 87 Landau, Paul 125, 136, 147 Landsberg, Hans 125, 147 Langer, Susanne K. 133, 147 Laridon-Duplessis, Lucile 99 Lausberg, Heinrich 115, 126, 130-131, 147 Le Bon, Gustave 75 Lehmann, Hans-Thies 137, 147 Lehmann, Werner R. 120, 147 Lessing, Gotthold Ephraim 16, 26-27, 51, 83, 86, 125-126, 149-150, 152 Liebknecht, Wilhelm 10 Lindenberger, Herbert 27, 147 Locke, John 62 Löwith, Karl 79 Lukács, Gyorgy 12, 42, 147 Machiavelli, Niccolò 27, 74 Malebranche, Nicolas de 104 Malende, Christine 145-147, 149, 152 Malraux, André 27 Mann, Golo 138 Marcuse, Herbert 109 Marggraff, Herrmann 132, 147 Markow, Walter 76, 147 Martens, Wolfgang 93, 147

155

Martial, Marcus Valerius 90 Marx, Karl 62, 79, 85, 87, 147 Masanetz, Michael 43, 147 Matisse, Henri 123 Mayer, Hans 12, 95, 124, 147 Mayer, Thomas Michael 34-35, 42, 125, 130, 137, 141, 144, 146-148, 150 Meier, Albert 47, 65, 123-124, 148 Menzel, Wolfgang 122 Mercier, Louis-Sébastien 12, 36 Michels, Robert 61 Michelsen, Peter 22, 148 Montesquieu, Charles de Secondat 33, 148 Morasso, Mario 135, 148 Mosse, George L. 80, 148 Mühlher, Robert 21, 148 Müller, Heiner 10, 43, 120, 129, 147-148, 150 Musil, Robert 123 Musset, Alfred de 107 Nagel, Ivan 58, 148 Negri, Antimo 27, 148 Neubuhr, Elfriede 147 Niehoff, Reiner 23, 36, 65, 7475, 106-107, 123, 148 Nietzsche, Friedrich 49, 68, 72, 91, 135, 144, 148 Oehler, Dolf 57, 94, 109, 148 Oesterle, Günter 143-145, 148, 150-152 Oesterle, Ingrid 50, 65, 82-83, 106, 124, 149 Oken, Lorenz 136 Pareyson, Luigi 133, 135, 149 Perniola, Mario 63, 149 Platon 74, 90, 119, 149 Plinius, Gaius Secundus 90 Polgar, Alfred 123

156

PERSONENREGISTER

Popp, Hansjürgen 74, 111, 124, 149 Popper, Karl Raimund 49 Porete, Marguerite 112, 149 Porquet, Jean-Luc 149 Poschmann, Henri 65, 123-124, 141, 145-147, 149, 152 Poschmann, Rosemarie 149 Prölß, Robert 122 Proß, Wolfgang 63, 93, 149 Pseudo-Longinus 117 Rabe, Helmut 29, 43, 137, 149 Rebmann, Andreas G. F. 58 Reich, Wilhelm 109 Reuß, Georg 100 Rey, William H. 12, 64, 95, 124, 149 Rilke, Rainer Maria 105, 122, 130, 149, 150 Rohte, Friedrich 123, 149 Roland de la Platière, ManonJeanne 107 Rousseau, Jean-Jacques 44, 50, 52, 149 Ruckhäberle, Hans-Joachim 93, 95, 124, 149 Sade, Donatien Alphonse François de 84 Said, Edward W. 135, 149 Sand, George 107 Sanna, Simonetta 26, 105, 109, 114, 120, 123, 125, 130, 133, 135, 149-150 Sappho 50 Sartori, Giovanni 46, 60, 150 Schaub, Gerhard 74, 150 Scherer Gabriele 150 Schiller, Friedrich von 125 Schlaffer, Hannelore 43, 150 Schmidt, Axel 65, 123, 150 Schmidt, Henry J. 29, 150 Schmidt, Julian 137, 150 Schnitzler, Arthur 122 Schopenhauer, Arthur 91

Schulz, Wilhelm 63, 65, 69, 103, 138, 146, 150 Seghers, Anna 123 Selge, Martin 45, 66, 104, 150151 Seneca, Lucius Annaeus 90 Sengle, Friedrich 137, 151 Sextus Pomponius 71 Shakespeare, William 36, 99, 111, 125, 136 Silone, Ignazio 27 Sinclair, Isaak von 106 Sinclair, Upton 27 Smitten, Jeffrey R. 133, 151 Sokrates 74 Specchio, Mario 56, 151 Spedicato, Eugenio 22, 151 Sperber, Manès 27 Spinoza, Baruch de 83, 144, 149 Starobinski, Jean 78, 151 Sternheim, Carl 122 Szondi, Peter 151 Tauler, Johannes 113 Thiers, Louis Adolphe 12, 122 Thorn-Prikker, Jan 95, 124, 151 Thunecke, Jörg 100, 105, 151 Tieck, Ludwig 108 Tocqueville, Alexis de 88 Toller, Ernst 123 Tolstoj, Aleksej Nikolaevi_ 123 Trakl, Georg 122 Treitschke, Heinrich von 137 Tucholsky, Kurt 122 Ueding, Cornelia 95, 124, 151 Uhlmann, A. M. 43 Ullmann, Bo 93, 109, 151 Vico, Giambattista 101, 117, 134 Viëtor, Karl 21, 137, 151 Vietta, Silvio 74, 145, 150, 151

PERSONENREGISTER

Voges, Michael 65, 74, 93, 105, 123-124, 151 Vogt, Carl 138 Voltaire, François Marie 50, 89, 151 Walser, Martin 83 Walser, Robert 122 Wedekind, Frank 109, 122, 149 Wehrli, Beatrice 150 Weidig, Friedrich Ludwig 11, 136, 145, 148 Weil, Simone 5, 16, 46, 49, 67, 76, 78, 87, 102-103, 151-152 Wender, Herbert 21, 75, 128, 152 Werner, Hans-Georg 95, 124, 152 Wiese, Benno von 21, 137, 152

157

Winkelried, Arnold 69 Winnicott, Donald Woods 135, 152 Wittkowski, Wolfgang 12, 22, 64, 152 Wohlleben, Joachim 29, 48, 65, 95, 124, 143 Wolf, Christa 10, 125, 152 Wülfing, Wulf 54, 152 Zagari, Luciano 74, 93, 106, 123, 152 Zahl, Peter-Paul 87, 120, 152 Zeller, Rosemarie 84, 124, 152 Zimmermann, Friedrich 103 Zons, Raimar St. 58-59, 65, 123, 131, 152 Zuchardt, Renate 29, 152 Zweig, Arnold 47