Die Subsidiarität der Notwehr: Zum Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und der Abwehr eines Angriffs durch staatliche oder private Helfer [1 ed.] 9783428526673, 9783428126675

Muss der Angegriffene auf die eigenhändige Ausübung des Notwehrrechts verzichten, sobald sich Dritte der Klärung der Kon

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Die Subsidiarität der Notwehr: Zum Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und der Abwehr eines Angriffs durch staatliche oder private Helfer [1 ed.]
 9783428526673, 9783428126675

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Schriften zum Strafrecht Heft 194

Die Subsidiarität der Notwehr Zum Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und der Abwehr eines Angriffs durch staatliche oder private Helfer

Von

René Sengbusch

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

RENÉ SENGBUSCH

Die Subsidiarität der Notwehr

Schriften zum Strafrecht Heft 194

Die Subsidiarität der Notwehr Zum Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und der Abwehr eines Angriffs durch staatliche oder private Helfer

Von

René Sengbusch

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Rostock hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-12667-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2007 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung sind bis März 2007 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Michael Pawlik, der mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand und die Entstehung der Arbeit durch nützliche Hinweise förderte. Herrn Prof. Dr. Sowada danke ich herzlich für die schöne Zeit, die ich während meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl hatte. Dass er das Zweitgutachten erstellt hat, erfüllt mich mit besonderer Freude. Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch bei meinen Kollegen an den Rostocker Strafrechtslehrstühlen. Den fruchtbaren Diskussionen mit Frau Dr. Kerstin Lindenau, Frau Dr. Grischa Merkel, Herrn Prof. Dr. Bernhard Hardtung, Herrn Dr. Torsten Noak und Herrn Tobias Ihring konnte ich eine Vielzahl bereichernder Anregungen entnehmen. Frau Martina Kempe sei herzlich für das Korrekturlesen der Arbeit gedankt. Meiner Lebensgefährtin Yvonne Inden danke ich für ihre Geduld und den liebevollen Rückhalt. Mit ihrem unerschütterlichen Optimismus half sie mir oft über schwierige Phasen hinweg und erstickte mit den richtigen Worten stets alle aufkeimenden Zweifel an der Vollendung der Arbeit im Keim. Schließlich danke ich meinen Eltern für ihre wertvolle Unterstützung und für die Möglichkeiten, die sie mir geschaffen und immer offen gehalten haben. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Oldenburg, im Oktober 2007

René Sengbusch

Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................................

23

1. Kapitel Das Verhältnis von Selbstverteidigung und einer Angriffsabwehr durch hilfsbereite Dritte. Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte . I.

26 26

Die in der Rechtsprechung vertretenen Positionen zur Pflicht einer Inanspruchnahme privater Hilfe .......................................................................

27

1.

Entscheidungen des Reichsgerichts ...................................................

27

2.

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und unterinstanzlicher Gerichte ..................................................................................................

29

a)

Zur Inanspruchnahme nicht präsenter privater Hilfe ..................

29

b)

Zur Inanspruchnahme präsenter privater Hilfe ...........................

31

II. Die im Schrifttum vertretenen Positionen zur Pflicht einer Inanspruchnahme privater Hilfe ..................................................................................

37

1.

Beurteilung der Reichweite des Notwehrrechts unter Außerachtlassung potentieller Helfer......................................................................

38

Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe bei einer objektiven Bestimmung der Erforderlichkeit einer Verteidigungshandlung........

39

a)

Präsente Hilfe von Privatpersonen..............................................

39

b)

Nicht präsente Hilfe von Privatpersonen ....................................

42

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr...................

45

2.

I.

Rechtshistorische und rechtsphilosophische Entwicklung des Verhältnisses von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr.....................................

45

1.

Subsidiarität der Notwehr im gemeinen deutschen Strafrecht............

45

a)

Zu den Rechtsquellen des gemeinen deutschen Strafrechts........

46

aa) Corpus Iuris Civilis .............................................................

46

bb) Kanonisches Recht..............................................................

47

cc) Constitutio Criminalis Carolina ..........................................

49

Der Subsidiaritätsgedanke im gemeinen deutschen Strafrecht ...

51

b)

10

Inhaltsverzeichnis

2.

aa) Der Subsidiaritätsgedanke in der gemeinrechtlichen Rechtswissenschaft..............................................................

51

bb) Der Subsidiaritätsgedanke in der gemeinrechtlichen Gesetzgebung...........................................................................

52

Subsidiarität der Notwehr im Strafrecht der Aufklärung....................

53

a)

b) 3.

Subsidiarität der Notwehr in den politischen Philosophien der Aufklärungszeit ..........................................................................

54

aa) Thomas Hobbes...................................................................

54

bb) John Locke ..........................................................................

57

cc) Samuel Pufendorf................................................................

60

Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten ...............................................

63

Subsidiarität der Notwehr im deutschen Idealismus ..........................

64

a)

b)

Subsidiarität der Notwehr in den philosophischen Lehren Kants und Hegels........................................................................

64

aa) Subsidiarität der Notwehr in der Lehre Kants.....................

64

bb) Subsidiarität der Notwehr in der Lehre Hegels ...................

68

Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr in den Strafgesetzbüchern für das Königreich Bayern und für die Preußischen Staaten ......

72

II. Die in der Rechtsprechung vertretenen Positionen zur Pflicht einer Inanspruchnahme staatlicher Hilfe ...................................................................

74

1.

Entscheidungen des Reichsgerichts ...................................................

74

2.

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und unterinstanzlicher Gerichte ..................................................................................................

76

a)

Zur Inanspruchnahme präsenter staatlicher Hilfe .......................

76

b)

Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe ..............

77

III. Die in der Literatur vertretenen Positionen zur Pflicht einer Inanspruchnahme staatlicher Hilfe ..............................................................................

86

1.

Präsente Hilfe von Hoheitsträgern ..................................................... a)

86

Abwehr von Angriffen durch hoheitliche Maßnahmen gleicher Eignung ......................................................................................

86

aa) Abwehr von Angriffen durch gleich geeignete, aber mildere hoheitliche Maßnahmen ..................................................

87

bb) Abwehr von Angriffen durch gleich effektive hoheitliche Hilfe mit gleichwertigen Mitteln .........................................

90

cc) Abwehr von Angriffen durch gleich geeignete, aber mit intensiveren Eingriffen verbundene hoheitliche Maßnahmen

93

Inhaltsverzeichnis b)

Abwehr von Angriffen durch weniger effektive hoheitliche Maßnahmen ................................................................................

94

Verhältnis von staatlicher Gefahrenabwehr und Nothilfe durch Privatpersonen ............................................................................

96

Nicht präsente Hilfe von Hoheitsträgern............................................

97

c) 2.

11

a) b)

Pflicht zum Herbeiholen obrigkeitlicher Hilfe in einer konkreten Konfliktsituation ...................................................................

97

Pflicht zum Herbeiholen hoheitlicher Hilfe im Vorfeld einer Konfliktsituation......................................................................... 100 2. Kapitel Grundsätzliche Überlegungen

102

A. Inanspruchnahme fremder Hilfe als unzumutbares Ausweichen? .............. 103 B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol.................. 107 I.

Grundlagen und Ausgestaltung des staatlichen Gewaltmonopols.............. 107

II. Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol ........................ 112 1.

Keine Geltung des staatlichen Gewaltmonopols in notwehrspezifischen Konfliktlagen ........................................................................... 113

2.

Notwehr als Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols .......... 115 a)

Notwehr als Übertragung staatlicher Zwangsbefugnis ............... 116 aa) Zulässigkeit der Übertragung von Hoheitsbefugnissen im Bereich der Gefahrenabwehr............................................... 116 bb) Übertragung hoheitlicher Befugnisse ohne inhaltliche Beschränkungen ...................................................................... 120

b)

Notwehr als Ermächtigung zur Ausübung privater Gewalt ........ 122

III. Ergebnis..................................................................................................... 124 C. Grundgedanken der Notwehr......................................................................... 124 I.

Individualistische Notwehrkonzeptionen .................................................. 125 1.

Recht auf eigenhändige Verteidigung bei psychologisierender Betrachtungsweise.................................................................................. 126

2.

Das Vertragsmodell Hoyers ............................................................... 127

3.

Das Gegenseitigkeitsverhältnis Hruschkas......................................... 130

4.

Individualistische Notwehrbegründung bei Betonung des Rechtsgüterschutzgedankens ............................................................................ 132

II. Überindividualistische Notwehrkonzeptionen........................................... 133 1.

Selbstbehauptung des Rechts (Schmidhäuser) ................................... 135

12

Inhaltsverzeichnis 2.

Verteidigung der normativen Geltung der Rechtsordnung (Bitzilekis) ..................................................................................................... 141

III. Dualistische Notwehrkonzeptionen ........................................................... 143 IV. Eigener Lösungsvorschlag......................................................................... 145 D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke................................................... 152 I.

Norminhalt des Art. 103 Abs. 2 GG .......................................................... 153

II. Geltung des Analogieverbotes für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr........................................................................................................... 155 1.

Generelle Anwendbarkeit des Analogieverbotes im Allgemeinen Teil des Strafrechts............................................................................. 155

2.

Anwendbarkeit des Analogieverbotes auf den Rechtfertigungsgrund der Notwehr ....................................................................................... 160 a) b)

Wortlaut und Gesetzgebungsgeschichte des Art. 103 Abs. 2 GG .............................................................................................. 162 Das Argument der „Einheit der Rechtsordnung“........................ 164 aa) Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils als Ausprägung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung ....................... 164 (1) Rechtsgebietsübergreifende Geltung des Analogieverbotes für alle Rechtfertigungsgründe ........................... 167 (2) Geltung des Analogieverbotes ausschließlich für strafrechtliche Erlaubnissätze ...................................... 168 bb) Spaltung des Rechtswidrigkeitsurteils................................. 170 (1) Anerkannte Ausnahmen von der „Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils“........................................................ 171 (2) Möglichkeit eines eigenständigen Rechtswidrigkeitsurteils im Strafrecht ..................................................... 175 cc) Zwischenergebnis................................................................ 179

c)

Das Erfordernis eines „Angemessenheitsvorbehalts“ ................. 180

d)

Der Vorbehalt kriminalpolitischer „Kostenerwägungen“ ........... 181

III. Ergebnis..................................................................................................... 183 3. Kapitel Das Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und Angriffsabwehr durch private Hilfe

184

A. Angriffsabwehr durch anwesende Privatpersonen....................................... 184 I.

Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung als Anknüpfungspunkt ........ 185 1.

Zur Bestimmung des konkreten Umfangs der Verteidigungsbefugnis der Verteidigungsgemeinschaft.......................................................... 185

Inhaltsverzeichnis a)

13

Verhältnis von Notwehr und Nothilfe ........................................ 190 aa) Befugnis zur Nothilfe als originäres Recht des hilfsbereiten Dritten ............................................................ 191 bb) Nothilfe als Wahrnehmung der Interessen des Angegriffenen durch einen Dritten....................................................... 194 cc) Keine Einschränkung der Nothilfebefugnis durch Verhältnismäßigkeitserwägungen ................................................... 195

2.

b)

Zulässigkeit eines Verzichts auf optimale Verteidigung............. 198

c)

Konsequenzen für die Reichweite der Befugnisse der Verteidigungsgemeinschaft ..................................................................... 200

Zu den Voraussetzungen des Entstehens einer Verteidigungsgemeinschaft .......................................................................................... 201 a)

Maßstab für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung eines ohne Unterstützung handelnden Angegriffenen ..................................................................................... 201 aa) Beurteilungszeitpunkt ......................................................... 201 bb) Beurteilungsperspektive ...................................................... 203 (1) Beurteilung aufgrund der objektiven Sachlage unter Berücksichtigung nachträglicher Erkenntnisse ............ 204 (2) Beurteilung aus Sicht des Notwehrübenden ................ 207 (3) Objektive Beurteilung ohne Berücksichtigung nachträglicher Erkenntnisse ................................................ 208 cc) Zwischenergebnis................................................................ 210

b)

Maßstab für die Beurteilung des Bestehens einer Verteidigungsgemeinschaft ..................................................................... 210

II. Gebotenheit der Verteidigungshandlung als Anknüpfungspunkt .............. 216 III. Verteidigungswille als Anknüpfungspunkt................................................ 219 IV. Ergebnis..................................................................................................... 221 B. Zur Inanspruchnahme von Hilfe nicht präsenter Privatpersonen............... 221 I.

Pflicht zum Herbeiholen fremder Hilfe in einer konkreten Notwehrsituation............................................................................................................. 222

II. Pflicht zum Herbeiholen fremder privater Hilfe im Vorfeld einer Notwehrlage .................................................................................................... 224 C. Besonderheiten professioneller Nothilfe ........................................................ 227 I.

Gefahrenabwehr durch private Sicherheitskräfte ohne staatliche Veranlassung ............................................................................................. 228

II. Staatlich veranlasste Gefahrenabwehr durch private Sicherheitskräfte...... 233

14

Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Das Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

236

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe ........................................... 236 I.

Vorrang staatlicher Hilfe als Schranke privater Notwehrbefugnisse ......... 238 1.

Die Regelung des Vorrangs obrigkeitlicher Hilfe in § 229 BGB ....... 238

2.

Vorrang hoheitlicher Angriffsabwehr und staatliches Gewaltmonopol ...................................................................................................... 241

II. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32 StGB als mögliche Anknüpfungspunkte für den Subsidiaritätsgedanken ..................................... 245 1.

Notwehrlage als Anknüpfungspunkt für einen Ausschluss privater Notwehr bei präsenter staatlicher Gewalt........................................... 245 a)

Der rechtswidrige Angriff als Anknüpfungspunkt...................... 246 aa) Verneinung des Vorliegens eines rechtswidrigen Angriffs bei präsenter hoheitlicher Gewalt (Haas) ............................ 246 bb) Kritik einer Verneinung des rechtswidrigen Angriffs bei präsenter staatlicher Hilfe.................................................... 247 (1) Enttäuschung allgemein anerkannter Erwartungen...... 248 (2) Rechtsgeschichtliche Anhaltspunkte............................ 248 (3) Anwesenheit staatlicher Hilfspersonen und Vorliegen eines Angriffs............................................................... 249 (4) Anwesenheit staatlicher Hilfspersonen und Rechtswidrigkeit des Angriffs .................................................... 251 cc) Zwischenergebnis................................................................ 255

b) 2.

Gegenwärtigkeit des Angriffs als Anknüpfungspunkt ................ 255

Verteidigungshandlung als Anknüpfungspunkt ................................. 257 a)

Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung als Anknüpfungspunkt........................................................................................... 257 aa) Entstehen einer Verteidigungsgemeinschaft unter Beteiligung staatlicher Helfer und Ausgestaltung ihres Innenverhältnisses ............................................................................. 258 bb) Erforderlichkeit eigenhändiger Verteidigung bei Anwesenheit staatlicher Helfer .......................................................... 260 (1) Angriffsabwehr durch wirksamere oder gleich geeignete, weniger einschneidende hoheitliche Maßnahmen .............................................................................. 261 (2) Angriffsabwehr durch gleich geeignete, eingriffsintensivere oder weniger wirksame hoheitliche Maßnahmen ........................................................................ 261

Inhaltsverzeichnis

15

(3) Angriffsabwehr durch hoheitliche Maßnahmen gleicher Eignung und Eingriffsintensivität ........................ 266 (4) Erweiterung hoheitlicher Befugnisse durch strafrechtliche Notrechte?........................................................... 267 b)

Gebotenheit der Verteidigungshandlung bei Anwesenheit staatlicher Helfer................................................................................ 272

III. Verhältnis von staatlicher Gefahrenabwehr und Fremdverteidigungsmaßnahmen anwesender Privatpersonen.......................................................... 276 IV. Ergebnis..................................................................................................... 279 B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe.............................. 279 I.

Pflicht zum Herbeiholen staatlicher Hilfe in einer konkreten Notwehrlage ............................................................................................................... 280

II. Pflicht zum Herbeiholen staatlicher Hilfe im Vorfeld einer konkreten Notwehrlage .............................................................................................. 281 1.

2.

Pflicht zur präventiven Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe............. 281 a)

Präventive Inanspruchnahme staatlicher Hilfe und Anzeigepflicht des § 138 StGB ............................................................... 282

b)

Präventive Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe und staatliches Gewaltmonopol .......................................................................... 288

Folgen eines Verzichts auf präventive Inanspruchnahme staatlicher Hilfe ................................................................................................... 289 a)

3.

Übertragbarkeit des Gedankens der sog. Angriffsprovokation ... 289

b)

Übertragbarkeit des Gedankens der sog. Abwehrprovokation.... 294

c)

Übertragbarkeit des Gedankens der zumutbaren Hinnahme einer selbst verursachten Gefahr, § 35 Abs. 1 S. 2 1. Alt. StGB. 302

d)

Bindung des Notwehrübenden an die Schranken hoheitlichen Handelns..................................................................................... 305

Erklärungsansatz für BGHSt 39, 133 ................................................. 306

III. Ergebnis..................................................................................................... 310 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse .................................................. 312 Anlagen.................................................................................................................... 314 Literaturverzeichnis ............................................................................................... 322 Sachregister............................................................................................................. 354

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

a.a.O.

am angeführten Ort

Abs.

Absatz / Absätze

Abschn.

Abschnitt[e]

AE PolG

Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze des Bundes und der Länder (1978)

a.F.

alte Fassung

ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794)

Angekl.

Angeklagte[r]

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Art.

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

BayGVBl.

Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BayObLGSt

Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen

BayPAG

Gesetz über Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz)

BayStGB

Strafgesetzbuches für das Königreich Baiern (1813)

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter. Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung

BB

Betriebs-Berater. Zeitschrift für Recht und Wirtschaft

BbgPolG

Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Land Brandenburg (Brandenburgisches Polizeigesetz)

Bd.

Band

BeckOK StGB

Beck’scher Online-Kommentar. StGB

Beschl.

Beschluss

bez.

bezüglich

BezG

Bezirksgericht

Abkürzungsverzeichnis BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHR

BGH-Rechtsprechung. Strafsachen

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

BK

Bonner Kommentar zum Grundgesetz

BremPolG

Bremisches Polizeigesetz

BremStGH

Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen

BSGE

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BT

Besonderer Teil

BT-Drucks.

Drucksache des Deutschen Bundestages

17

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

C.

Codex (Der Justinianeische Codex nach der zweiten Bearbeitung)

CCC

Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. – Constitutio Criminalis Carolina (1532)

D.

Digesten

ders.

derselbe

d. h.

das heißt

d. i.

das ist

dies.

dieselbe[n]

Dist.

Distinctio

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung. Zeitschrift für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

E 1962

Entwurf eines Strafgesetzbuches (1962)

EALR

Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (1794)

EGStGB

Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch

engl.

englisch

etw.

etwas

EzSt

Entscheidungssammlung zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

18

Abkürzungsverzeichnis

f.

folgende [Seite]

ff.

folgende [Seiten]

FG

Festgabe

Fn.

Fußnote[n]

FPG

Gesetz über den Freiwilligen Polizeidienst (Berlin)

FS

Festschrift

GA

Goltdammer’s Archiv für Strafrecht

GedS

Gedächtnisschrift

GG

Grundgesetz

GS

Der Gerichtssaal

GVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

Halbbd.

Halbband

HESt

Höchstrichterliche Entscheidungen. Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der obersten Gerichte in Strafsachen

Hk-BGB

Bürgerliches Gesetzbuch: Handkommentar

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

hrsg.

herausgegeben

HSOG

Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung

HStR

Handbuch des Staatsrechts

i. S.

im Sinne

i.V.

in Verbindung

JA

Juristische Arbeitsblätter

JK

Jura-Kartei

jmdm.

jemandem

jmdn.

jemanden

jmds.

jemandes

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts

JPersonSocialPsych

Journal of Personality and Social Psychology

JR

Juristische Rundschau

Jura

Juristische Ausbildung

jurisPK-BGB

juris Praxiskommentar BGB

JuS

Juristische Schulung

Abkürzungsverzeichnis

19

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

KK OWiG

Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

KrimJ

Kriminologisches Journal

LAG

Landesarbeitsgericht

lat.

lateinisch

LG

Landgericht

lit.

Litera

LK

StGB: Leipziger Kommentar

LM

Lindenmaier-Möhring. Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs

LOWiG B-W

Landesgesetz über Ordnungswidrigkeiten (Landesordnungswidrigkeitengesetz) Baden-Württemberg

LPK-StGB

Lehr- und Praxiskommentar

LVwG Schl-H

Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land SchleswigHolstein

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

ME PolG

Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder (1976)

MschrKrim

Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform

MünchKommBGB

Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

MünchKommStGB

Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch

M-V

Mecklenburg-Vorpommern

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

n. Chr.

nach Christus

Nds. SOG

Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung

N.F.

Neue Folge

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NK

Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch

Nr.

Nummer[n]

NStE

Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NStZ-RR

NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht

20

Abkürzungsverzeichnis

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

NVwZ-Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht

NZV

Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht

OLG

Oberlandesgericht

öStGB

österreichisches Strafgesetzbuch

OVG

Oberverwaltungsgericht

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

POG Rh-Pf

Polizei- und Ordnungsbehördengesetz des Landes Rheinland-Pflaz

PolG B-W

Polizeigesetz des Landes Baden-Württemberg

PolG NRW

Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen

PolizeiR

Polizeirecht

POR

Polizei- und Ordnungsrecht

PrStGB

Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten (1851)

resp.

respektive

RG

Reichsgericht

RGRK

Reichsgerichtsrätekommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen – Amtliche Sammlung

Rn.

Randnummer[n]

RStGB

Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches (1871)

S.

Satz / Sätze; Seite[n]

SächsPolG

Polizeigesetz des Freistaates Sachsen

sc.

scilicet

SK

Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch

sog.

so genannt

SOG HH

Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der Hansestadt Hamburg

SOG LSA

Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt

SOG M-V

Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern

SPolG

Saarländisches Polizeigesetz

StaatsR

Staatsrecht

StGB

Strafgesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis StPO

Strafprozessordnung

StRÄndG

Strafrechtsänderungsgesetz

StrRG

Strafrechtsreformgesetz

StV

Strafverteidiger

21

StVO

Straßenverkehrs-Ordnung

SWG

Gesetz über die Sicherheitswacht in Bayern (Sicherheitswachtgesetz)

ThPAG

Thüringer Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei (Polizeiaufgabengesetz)

u.

und

u.a.

und andere, unter anderem

UZwG

Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes

UZwG Bln

Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin

UZwGBw

Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen

v.

von / vom

VBlBW

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg. Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung

VersammlG

Gesetz über Versammlungen und Aufzüge

VerwArch.

Verwaltungs-Archiv. Zeitschrift für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik

VerwR

Verwaltungsrecht

vgl.

vergleiche

Vorb.

Vorbemerkung[en]

Vorbem

Vorbemerkung[en]

VRS

Verkehrsrechtssammlung

VVdStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WaffG

Waffengesetz

WRV

Weimarer Reichsverfassung

WStrG

Wehrstrafgesetz

Z

Zivilgerichtliche Entscheidung

22

Abkürzungsverzeichnis

z.B.

zum Beispiel

ZRG Germ Abt.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZSG

Zivilschutzgesetz

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Einleitung „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen. Die Durchsetzung des Rechts erfolgt jedoch um des Rechtsfriedens willen nach Maßgabe der jeweiligen Prozeßordnung in einem unter Umständen langwierigen Verfahren. Den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff hingegen darf der Bürger sofort von sich oder einem anderen abwenden …“1 Mit diesen prägnanten Sätzen umschreibt Krause treffend die Sonderstellung der in § 32 StGB geregelten Notwehr und stellt klar, dass niemand den unberechtigten Angriff eines Dritten über sich ergehen lassen muss. Vielmehr darf der Angegriffene im Rahmen des Erforderlichen und Gebotenen jede ihm zur Verfügung stehende Möglichkeit nutzen, um in Notlagen die aktuelle Gefahr von sich und seinen Rechtsgütern abzuwenden. Für das allein dem Angreifer gegenüberstehende Opfer bedeutet dies, dass es sich nicht nur auf die eigene Muskelkraft zu verlassen braucht. Vielmehr darf es seine Verteidigungschancen dadurch erhöhen, dass es bei der Angriffsabwehr auf ihm in der konkreten Situation zur Verfügung stehende Waffen oder andere körperliche Hilfsmittel zurückgreift. Daneben kann aber auch die Inanspruchnahme präsenter Helfer eine Verbesserung der Verteidigungschancen herbeiführen. Insofern liegt es auf der Hand, dass „jede Person … ein Interesse daran [hat], sich im Angriffsfall fremder Hilfe zu bedienen.“2 Das Opfer darf also als eine Form der Verteidigung die Angriffsabwehr durch einen Dritten wählen. Dies folgt nicht zuletzt aus § 32 Abs. 2 StGB selbst. Gestattet die Norm auch einem nicht unmittelbar durch den Angriff betroffenen Helfer, zur Verteidigung des Opfers einzuschreiten, bedeutet das nichts anderes, als dass der Angegriffene ebendiese – private oder staatliche – Hilfe zum eigenen Vorteil nutzen darf. Dies hat die Rechtsprechung in einer Vielzahl von Entscheidungen3 ausgeführt und wird auch im Schrifttum4 allgemein anerkannt. ___________ 1

Krause, GA 1979, S. 329 (331). Dies konstatiert Renzikowski, Notstand, S. 296. 3 Vgl. etwa RGSt 32, 391 (392 f.); 63, 215 (222); 66, 244 (244 f.); 71, 133 (134); 72, 57 (58); BGHSt 27, 336 (337 f.); 39, 374 (379); 42, 97 (100, 102); BGH, EzSt StGB § 32 Nr. 5 f.; GA 1965, 147 (149); MDR 1975, 194 (195); NJW 1962, 308 (309); 1980, 2263; 1984, 986; 2003, 1955 (1957); NStZ 1989, 474 (475); 1994, 581 (582); VRS 30 (1966), 281 (282); BayObLG, NJW 1954, 1377 (1378); 1963, 824 (825); OLG Düsseldorf, NStZ 1994, 343; OLG Frankfurt am Main, VRS 40 (1971), 424 (425). Ferner BGH (Z), NJW 1976, 41 (42); AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733 (735) zu § 227 BGB. 2

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Einleitung

Wenn nun aber das Opfer eines Angriffs auf die Hilfe Dritter zurückgreifen darf, muss es dann unter bestimmten Voraussetzungen auf eine eigenhändige Abwehr des Angriffs verzichten und stattdessen die fremde Unterstützung in Anspruch nehmen? – Eine pauschale Antwort auf diese Frage, die traditionell unter dem Stichwort der Subsidiarität der Notwehr diskutiert wird5 und deren Beantwortung Gegenstand dieser Arbeit sein soll, fällt schwer. Vielmehr treten sogleich mehrere Folgeprobleme zu Tage, die sich grob in zwei Kategorien unterteilen lassen.6 So hat zum einen die Erreichbarkeit fremder Hilfe in der konkreten Konfliktsituation Einfluss auf die Lösung des oben aufgeworfenen Problems: Soll der Angegriffene nur auf präsente Helfer verwiesen werden oder kann man von ihm sogar verlangen, fremde Hilfe herbeizuholen? Und wirkt es sich darüber hinaus möglicherweise zum Nachteil des Angegriffenen aus, wenn dieser trotz Kenntnis eines bevorstehenden Angriffs darauf verzichtet, vorsorglich Dritte um Unterstützung zu bitten? Zum anderen wird eine potentielle Pflicht zur Inanspruchnahme fremder Unterstützung von der Herkunft der Hilfe abhängen. Ist der in Betracht kommende Helfer eine Privatperson, so muss insbesondere beantwortet werden, unter welchen Voraussetzungen der Angegriffene diese Form fremder Hilfe bei der Wahl der „richtigen“ Abwehrmaßnahme berücksichtigen muss. Genügt dafür gegebenenfalls schon die bloße Anwesenheit des möglichen Helfers am Ort der Auseinandersetzung, oder muss die Hilfsbereitschaft eines Dritten in einer qualifizierteren Form kundgetan werden? Ist der potentielle Helfer hingegen staatlicher Natur, wird der Aspekt der Hilfsbereitschaft eher in den Hintergrund treten. Denn der Schutz des Bürgers vor Gefahren ist gerade die ureigenste Aufgabe des Polizisten als Archetyp eines staatlichen Helfers. Stattdessen stellt sich mit Blick auf die staatliche Hilfe die Frage, was mit dem Notwehrrecht geschieht, wenn infolge staatlicher Eigenbindung die hoheitliche Hilfe defizitär ist, tatsächliche Möglichkeiten im Einklang ___________ 4 Vgl. etwa Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 72 ff.; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 165; Fuchs, Grundfragen, S. 138; SK-Günther, § 32 Rn. 85; Haas, Notwehr, S. 280 f.; Hruschka, FS Dreher, S. 189 (207); Kasiske, Jura 2004, S. 832 (836); Kühl, AT, § 7 Rn. 139; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 29; LK6-Nagler, § 32 Anm. III (S. 423); Renzikowski, Notstand, S. 296; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 2; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 74, 131; Seier, NJW 1987, S. 2476; Stober, NJW 1997, S. 889 (894). 5 Als Umschreibung für Konkurrenzsituationen zwischen eigenhändigen Abwehrmaßnahmen des Angegriffenen einerseits und fremder Hilfe andererseits im hier verwendeten Sinne versteht auch die ganz herrschende Ansicht den Terminus der Subsidiarität der Notwehr, vgl. nur Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 71; Erb, FS Nehm, S. 181; Haas, Notwehr, S. 279; Pelz, NStZ 1995, S. 305. Anders Hummler, Staatliches Gewaltmonopol, S. 4, der mit dem Begriff der Subsidiarität den Einfluss des staatlichen Gewaltmonopols auf das Notwehrrecht allgemein erfassen will. 6 Vgl. dazu insbesondere die Erörterungen bei Haas, Notwehr, S. 279 ff.

Einleitung

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mit öffentlich-rechtlichen Vorgaben bewusst nicht ausgeschöpft werden oder staatlicher Beistand sogar rechtswidrig verweigert wird. Die soeben angesprochenen Gesichtspunkte bestimmen maßgeblich den Aufbau dieser Arbeit. Die Untersuchung ist in vier Kapitel unterteilt. Ziel des 1. Kapitels ist es, einen Überblick über die Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr zu geben. In Abhängigkeit von der Herkunft der fremden Hilfe soll zunächst der Meinungsstand zum Verhältnis von eigenhändigen Verteidigungsmaßnahmen des Angegriffenen und der Abwehr des Angriffs durch fremde private oder staatliche Hilfe dargestellt werden. Im 2. Kapitel werden sodann einige für Erarbeitung eines in sich stimmigen Lösungsvorschlages relevante Fragen „vor die Klammer gezogen“ und losgelöst von der eigentlichen Subsidiaritätsfrage erörtert. Im Einzelnen ist in diesem Abschnitt zu zeigen, dass die Notwehrbefugnis kein Recht auf eine eigenhändige Klärung der Konfliktlage für den Angegriffenen verbürgt. Da nicht zuletzt das staatliche Gewaltmonopol eine unterschiedliche Behandlung staatlicher und privater Hilfe bedingen kann, muss ferner das grundsätzliche Verhältnis von Notwehrrecht und diesem Verfassungsprinzip geklärt werden. Darüber hinaus wird die Beantwortung einzelner Fragen dieser Arbeit maßgeblich davon abhängen, welche Gedanken dem Notwehrrecht zugrunde liegen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Grundprinzipien der Notwehr wird deshalb ebenfalls im 2. Kapitel erfolgen. Schließlich ist zu zeigen, dass das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Analogieverbot auch für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr gilt und eine Beantwortung der Subsidiaritätsfrage nur unter Beachtung der aus diesem Grundsatz folgenden verfassungsrechtlichen Vorgaben erfolgen kann. Die eigentliche Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage, ob der Angegriffene fremde Hilfe in Anspruch nehmen muss, wird Gegenstand der beiden letzten Kapitel dieser Arbeit sein. Während sich das 3. Kapitel mit dem Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und der Abwehr des Angriffs durch private Helfer befasst, wird im 4. Kapitel erörtert, unter welchen Bedingungen der staatlichen Gefahrenabwehr Vorrang vor privaten Abwehrmaßnahmen zukommt. In beiden Kapiteln wird dabei zunächst untersucht, welchen Einfluss präsente Helfer auf die Zulässigkeit von Verteidigungsmaßnahmen des Angegriffenen haben. Anschließend ist jeweils zu diskutieren, ob der Angegriffene in einer konkreten Konfliktsituation verpflichtet ist, fremde Hilfe herbeizuholen, die nicht unmittelbar zugegen ist. Schließlich wird die Frage beantwortet, ob der Verzicht auf eine präventive Inanspruchnahme fremder Hilfe eine Versagung oder zumindest eine Einschränkung der Selbstverteidigungsbefugnisse nach sich ziehen kann. Die Ergebnisse, die im 3. Kapitel mit Blick auf private Hilfe gefunden werden, sollen dabei im 4. Kapitel als Vergleichsgruppe dienen.

1. Kapitel

Das Verhältnis von Selbstverteidigung und einer Angriffsabwehr durch hilfsbereite Dritte. Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr Traditionell wird unter dem Stichwort Subsidiarität der Notwehr das Problem diskutiert, ob die Selbstverteidigung einer angegriffenen Privatperson rechtfertigende Wirkung entfalten kann, obwohl ein Helfer den gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff ebenfalls abwehren könnte. Die Beantwortung dieser Fragestellung wird dabei regelmäßig von zwei Faktoren abhängig gemacht. Zum einen unterscheidet man, ob die Hilfe privater oder hoheitlicher Natur ist. Zum anderen differenziert man danach, ob der potentielle Helfer präsent ist oder erst herbeigeholt werden müsste. Diese Differenzierung wird im Folgenden als grobe Leitlinie für die Darstellung des Meinungsstandes zum Problem der Subsidiarität der Notwehr dienen. Zunächst wird die Diskussion um das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch einen privaten Dritten dargestellt.1 Im zweiten Teil dieses Kapitels ist sodann – nach einem rechtsgeschichtlichen und rechtsphilosophischen Überblick – der Meinungsstand zur Konkurrenz von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr näher zu betrachten.2

A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte Wird in Literatur und Rechtsprechung das Verhältnis von Notwehr und Nothilfe diskutiert, ist regelmäßig die Zulässigkeit einer aufgedrängten Nothilfe Gegenstand der Erörterungen.3 Weniger häufig setzt man sich hingegen mit der Frage auseinander, ob und unter welchen Voraussetzungen das Opfer eines Angriffs die Hilfe einer Privatperson bei der Verteidigung in Anspruch nehmen muss, ob also unter bestimmten Umständen die eigenhändige Verteidigung gegenüber Abwehrmaßnahmen privater Dritter im weiteren Sinne subsidiär sein ___________ 1

Dazu sogleich unter A. Dazu unter B. ab S. 45 in diesem Kapitel. 3 Zu diesem Themenkreis vgl. etwa die Monographien von Koch, M., Heller, Seeberg und Seuring aus den Jahren 2003 bis 2005. 2

A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte

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kann. Besondere Bedeutung kommt in diesem Kontext zwei Gesichtspunkten zu: Welche Eigenschaften muss eine (zunächst) nicht unmittelbar an der Auseinandersetzung beteiligte Privatperson erfüllen, um als Helfer in Betracht zu kommen? Und welches Tatbestandsmerkmal des § 32 StGB kommt als Anknüpfungspunkt in Betracht, um eine Pflicht des Angegriffenen zur Inanspruchnahme des privaten Helfers zu begründen? – Aufgabe des ersten Abschnitts dieses Kapitels ist es, den Meinungsstand zu diesen Fragen darzustellen.

I. Die in der Rechtsprechung vertretenen Positionen zur Pflicht einer Inanspruchnahme privater Hilfe 1. Entscheidungen des Reichsgerichts Nur in einigen wenigen Entscheidungen setzte sich das Reichsgericht mit der Frage auseinander, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Angegriffener die Hilfe privater Dritter in Anspruch nehmen muss. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des 2. Strafsenates vom 4. Mai 19324. Dieser Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde: A und W gerieten in einen tätlichen Streit, wurden aber von S, dem Begleiter des A, getrennt. S forderte A daraufhin auf, mit ihm heimzugehen. Darauf ließ A sich jedoch nicht ein. Vielmehr wollte er ebenso wie der W den Kampf wieder aufnehmen und eine Entscheidung herbeiführen. Um sich Überlegenheit zu verschaffen, zog A in Erwartung des neuerlichen Angriffs des W ein Messer. Als W den A wenig später erneut ansprang, stach A mit dem Messer zu und verletzte W tödlich.

Zwar verneinte der Senat im relevanten zweiten Abschnitt des Kampfes aufgrund der einvernehmlichen Fortsetzung des Kampfes ein Notwehrrecht des Angegriffenen.5 Mit Blick auf einige grundsätzliche Ausführungen zur vorrangigen Inanspruchnahme privater Hilfe bleibt die Entscheidung dennoch für die hier zu erörternde Frage interessant. So heißt es, dass dem Angegriffenen im Allgemeinen zwar nicht zugemutet werden könne, auf eigene Abwehrtätigkeiten zu verzichten und Hilfe anderer Personen anzufordern.6 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz zeige jedoch der vorliegende Fall. Hier hätte der Angegriffene die – im Vergleich zur Verwendung des Messers unzweifelhaft mildere – Hilfe des bereitstehenden S in Anspruch nehmen müssen. Diese Hilfe hätte zur Abwehr des erneuten Angriffs ausgereicht. Außerdem sei der Dritte „zum sofortigen Eingreifen bereit und in der Lage“ gewesen; der Angegriffene „hätte sich darauf verlassen können, daß S. sofort zu seinen Gunsten eingreifen werde, ___________ 4

RGSt 66, 244. RGSt 66, 244 (246). 6 RGSt 66, 244 (244 f.). 5

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

wenn er nur ein Wort dahin hätte fallen lassen, daß er mit dem W. nichts mehr zu tun haben wolle, aber einen neuen Angriff befürchte.“7 – Diese Entscheidung verdeutlicht zweierlei: Zum einen wird gezeigt, dass tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für eine Auseinandersetzung mit der Frage der Pflicht zur vorrangigen Inanspruchnahme privater Hilfe das Merkmal der Erforderlichkeit ist. Zum anderen benennt der Senat zwei entscheidende Kriterien für die Fälle, in denen fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen ist: Der Dritte muss zum sofortigen Eingreifen bereit und fähig sein. Außerdem muss sich der Angegriffene darauf verlassen können, dass der Dritte zu seinen Gunsten in das Geschehen eingreift; er muss also dessen Hilfs- und Eingriffsbereitschaft kennen. In einem Umkehrschluss kann dieser Entscheidung entnommen werden, dass die bloße Anwesenheit einer beliebigen Privatperson, die nur möglicherweise als Helfer in Betracht kommt, hingegen wohl nicht genügen soll. Von diesen klaren Strukturen entfernte sich der 2. Strafsenat nur wenige Jahre später in einer Entscheidung vom 1. März 19378. In diesem Urteil wird ausgeführt, dass zwar grundsätzlich keine Verpflichtung zur schimpflichen Flucht bestehe. Denkbar sei jedoch ein Mittelweg zwischen schimpflicher Flucht und einer gewaltsamen Verteidigung: Aus der „gesunden Volksanschauung“ folge, dass der Angegriffene zu einer wehrhaften Verteidigung in all den Fällen nicht befugt sei, in denen „er einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff ohne Preisgabe oder Gefährdung eigener oder fremder berechtigter Interessen dadurch ausweichen kann, daß er aus der Richtung des Angriffes heraustritt“.9 Unter gewissen Umständen könne deshalb dem Angegriffenen zugemutet werden, die Hilfe eines Dritten in Anspruch zu nehmen, der zur Abwehr bereit und fähig ist. Über diese letzte Feststellung, die noch mit den in RGSt 66, 244 aufgestellten Kriterien in Übereinstimmung gebracht werden könnte, geht der Senat jedoch hinaus, wenn er von dem Angegriffenen verlangt, gegebenenfalls auch in der Nähe anderer Privatpersonen zu bleiben, wenn er sich auf diese Weise deren Hilfe versichern könne.10 Bestätigt wurde diese Entscheidung ein Jahr später durch ein Urteil des 3. Strafsenates vom 20. Januar 193811. Dort heißt es, dass eine gewalttätige Abwehr dem „gesunden Volksgefühl“ widerspreche und nicht mehr als notwendig anerkannt werden könne, wenn der Angegriffene „die Rechtsverletzung auf andere Weise abwenden kann …, namentlich dadurch, daß er Dritte zum Einschreiten anruft“.12 – In beiden Entscheidungen wurde ___________ 7

RGSt 66, 244 (245). RGSt 71, 133 mit zustimmender Anmerkung Mezger, JW 1937, S. 1787. 9 RGSt 71, 133 (134). 10 RGSt 71, 133 (134 f.). 11 RGSt 72, 57. 12 RGSt 72, 57 (58). 8

A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte

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vom Angegriffenen nunmehr verlangt, nicht nur die ihm angebotene Hilfe bei der Organisation seiner Verteidigung zu berücksichtigen, sondern vielmehr aktiv Dritte aufzusuchen und diese gegebenenfalls sogar um Hilfe zu bitten. Mit dem Verweis auf die „gesunde Volksanschauung“ oder das „gesunde Volksgefühl“ entfernten sich die beiden Senate dabei deutlich von den Grundgedanken der Notwehr und berücksichtigten systemfremde, vom nationalsozialistischen Gedankengut geprägte Komponenten.13

2. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und unterinstanzlicher Gerichte a) Zur Inanspruchnahme nicht präsenter privater Hilfe In Anlehnung an und unter Verweis auf die beiden letztgenannten Entscheidungen des Reichsgerichtes14 bejahte auch der Bundesgerichtshof zunächst noch eine Pflicht des Angegriffenen, fremde Hilfe herbeizuholen. „Denn“, so führt der 1. Strafsenat in einer Entscheidung vom 1. August 1961 aus, „auch die Ausübung des Notwehrrechts findet dort ihre Grenze, wo sie zum Rechtsmißbrauch wird“.15 Diesen nur schwer fassbaren Gedanken des Rechtsmissbrauchs bemüht der Bundesgerichtshof jedoch in späteren Entscheidungen, in denen es um eine Pflicht zur Inanspruchnahme von Hilfe seitens Dritter geht, nicht mehr. Vielmehr scheinen sich die Senate auf die in RGSt 66, 244 aufgestellten Kriterien zurückzubesinnen, denen zufolge Hilfsbereitschaft und Eingriffsfähigkeit eines potentiellen Helfers sowie die Kenntnis des Angegriffenen davon maßgeblich dafür sind, wann auf die Hilfe ebendieses Dritten zurückzugreifen ist. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte lehnt der Bundesgerichtshof deshalb grundsätzlich eine Pflicht des Angegriffenen ab, fremde private Hilfe herbeizuholen. Dies belegt etwa ein Urteil des 1. Strafsenates vom 5. Oktober 196516. Dem Angeklagten lauerten drei junge Burschen nachts vor dem Eingang zu dessen Wohnung auf, um ihn zu verprügeln. Als der Angeklagte dies bemerkte, kehrte er in eine Gastwirtschaft ein und verweilte dort, bis die Straße frei zu sein schien. Tatsächlich befanden sich die drei Widersacher aber noch immer vor dem Eingang zu dessen Wohnhaus. Um sie zu vertreiben, fuhr der Angeklagte mit seinem Wagen auf sie los. Dabei lenkte er das Fahrzeug derart auf den Bürgersteig, dass er dort mit der rechten Fahrzeughälfte und mit der anderen auf der Fahrbahn eine Strecke von etwa 15 Metern mit einer Geschwindigkeit von 20–30 km/h entlangfuhr.

___________ 13

In diesem Sinne auch Schroeder, FS Maurach, S. 127 (132). RGSt 71, 133 und 72, 57. 15 BGH, NJW 1962, 308 (309). 16 BGH, VRS 30 (1966), 281. 14

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Der Senat verneinte im vorliegenden Fall die Erforderlichkeit der Verteidigung nicht mit der Erwägung, private Hilfe hätte herbeigeholt werden können. Recht deutlich heißt es stattdessen: Der Angegriffene „war … nicht verpflichtet, beliebige Personen mitten in der Nacht zu wecken und um Hilfe zu bitten. Die Erfolgsaussichten eines derartigen Versuchs waren ganz ungewiß.“17 Nicht einmal der Umstand, dass sich der Angegriffene „innerlich auf die bevorstehende Notwehrsituation einstellen konnte“ – er also vorsorglich fremde Hilfe hätte herbeiholen können –, soll dessen Notwehrbefugnisse ohne weiteres einschränken.18 Vielmehr gestatte § 32 StGB die sofortige Abwehr eines Angriffs – notfalls auch mit tödlich wirkenden Abwehrmitteln –, ohne dass man vorher die „Hilfe dritter Personen abwarten“ müsse.19 Denn es steht regelmäßig weder fest, dass ein beliebiger Dritter, der erst noch um Hilfe gebeten werden muss, tatsächlich bereit und fähig ist, zu Gunsten des Angegriffenen in den Konflikt einzugreifen, noch wird man bei der bloß abstrakten Möglichkeit, einen geeigneten Helfer zu finden, von einer Kenntnis des Angegriffenen sprechen können. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn die Notwehrlage vom Angegriffenen schuldhaft provoziert wurde oder aber eine sonstige Konstellation der sog. sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts vorliegt. In einem solchen Falle dürfe sich der Angegriffene nicht auf einen Kampf einlassen, sondern habe gegebenenfalls den Ort der Auseinandersetzung zu verlassen und Hilfe bei Dritten zu suchen.20 Dieses Ergebnis formulierte das Amtsgericht Bensberg bereits am 25. Oktober 196521 in einer Entscheidung zur zivilrechtlichen Notwehrregelung in § 227 BGB: „Der Angegriffene kann nicht schon im Rahmen der ‚Erforderlichkeit‘ auf den Ausweg des Ausweichens oder des Herbeiholens der Hilfe Dritter oder der Obrigkeit verwiesen werden; dies ist nur ausnahmsweise …, und zwar im Rahmen des ‚Gebotenseins‘ (§ 227 Abs. 1 BGB) der Fall. Im allgemeinen braucht der Angegriffene zur Abwehr auf eigene, für den Angreifer gefährliche Abwehrtätigkeiten nicht zu verzichten …“22 ___________ 17

BGH, VRS 30 (1966), 281 (282). BGH, StV 1986, 15. 19 BGH, NStZ-RR 1999, 40 (41). Vgl. auch BGH, NStZ 1982, 285. 20 Vgl. BGH, EzSt StGB § 32 Nr. 5. Dort wurde aber eine Notwehrprovokation seitens des Angegriffenen und damit auch eine Pflicht zum Herbeiholen fremder Hilfe verneint. 21 AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733 mit Anmerkungen von Himmelreich, NJW 1966, S. 733; Pawlik, N., NJW 1966, S. 1129. 22 AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733 (735) entgegen BayObLG, NJW 1963, 824 (825). Zustimmend Himmelreich, NJW 1966 S. 733. Im vorliegenden Fall konnte dem Beklagten aufgrund eines offensichtlichen Irrtums des Angreifers allerdings zugemutet werden, „ohne sich etwas zu vergeben, … auf das Eintreffen der Polizei zu warten oder … die Hilfe des Gerichts in Anspruch zu nehmen“; AG Bensberg a.a.O. 18

A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte

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b) Zur Inanspruchnahme präsenter privater Hilfe Häufiger als mit der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen nicht anwesende fremde Helfer herbeizuholen sind, setzten sich der Bundesgerichtshof und die unterinstanzlichen Gerichte mit Konstellationen auseinander, in denen potentielle private Helfer am Ort des Geschehens präsent waren. Allein die Anwesenheit Dritter sollte allerdings nicht zu einer Einschränkung des Notwehrrechts führen. Das entschied der 1. Strafsenat bereits in einem Urteil vom 26. Mai 1964.23 Der später getötete S lauerte dem Angeklagten nachts vor einem Gasthaus auf und schenkte allen Versuchen anwesender Dritter, ihn zurückzuhalten, kein Gehör. Als der Angeklagte das Gasthaus verließ, ging S auf diesen los und stieß dabei eine Frau zu Boden, die ihn von dem Angriff abhalten wollte. Trotz eines Warnschusses des Angeklagten und des Rufes „Halt! Keinen Schritt weiter!“ setzte S seine Annäherung in kampfbereiter Stellung fort und drohte damit, den Angeklagten umzubringen. Als sich die Entfernung zwischen S und dem Angeklagten auf etwa zwei Meter verringert hatte, schoss dieser auf den Oberkörper des S und tötete diesen.

Obwohl der Angegriffene die Möglichkeit, „durch weiteres Zuwarten und Beanspruchung fremder Hilfe die Gefahr eines Angriffs auszuräumen, ungenutzt“ ließ, wurde ihm das Recht zur Notwehr weder versagt noch wurde eine Beschränkung dieses Rechts als notwendig erachtet. Der 1. Strafsenat berücksichtigte bei der Bestimmung der Reichweite der Befugnisse des Notwehrübenden vielmehr, dass es sich bei den potentiellen Helfern, „soweit Gäste des Lokals in Betracht kamen, nicht um unbedingt verläßliche [Möglichkeiten] handelte.“24 Dass der Angegriffene unbeteiligte Dritte grundsätzlich nicht bei der Auswahl der zur Verfügung stehenden Verteidigungsmöglichkeiten berücksichtigen muss, stellte auch der 6. Zivilsenat am 23. September 197525 fest, als er sich im Rahmen des § 227 BGB mit der Frage auseinandersetzen musste, ob der Einsatz einer Waffe erforderlich war. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Klage der Hinterbliebenen des P auf Unterhaltszahlung. Dieser Klage lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Auf einem Frühlingsfest wurde M, ein Freund des P, angespuckt. Der Beklagte, der mit zwei Begleitern gerade das Fest verlassen wollte, kam nach der Beschreibung des M als Täter in Betracht. P sowie zwei Freunde wollten den Beklagten zur Rede stellen. Es kam zu einer Auseinandersetzung, bei der sich ein Schuss aus der Pistole des Beklagten löste und den P tödlich verletzte.

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BGH, GA 1965, 147 mit Anmerkung von Himmelreich, GA 1966, S. 129 (143 ff.). BGH, GA 1965, 147 (149). 25 BGH (Z), NJW 1976, 41. 24

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Ausdrücklich widerspricht der 6. Zivilsenat in diesem Zusammenhang der Auffassung des Berufungsgerichtes, „dem Waffengebrauch müsse immer zunächst der Versuch vorausgehen, einer drohenden tätlichen Auseinandersetzung durch die Bitte an Dritte um Beistand auszuweichen“. Vielmehr brauche sich der Angegriffene „auf eine so unsichere Abwehr durch Hilfe Dritter nicht verweisen zu lassen.“ Denn es widerspreche „der Lebenserfahrung, daß sich – zumal an einem solchen Ort zur Nachtzeit – unbeteiligte Dritte in Unkenntnis des Anlasses der Auseinandersetzung in die Feindseligkeiten zweier Gruppen schlichtend einmischen.“26 Unbeantwortet bleibt allerdings, warum der Beklagte in der konkreten Kampflage nicht die Hilfe seiner beiden Begleiter in Anspruch zu nehmen brauchte. Den Ausführungen ist lediglich zu entnehmen, dass die Begleiter wohl nicht zu den „unbeteiligten Dritten“ zählen – immerhin spricht der Senat in seinem Urteil von „Feindseligkeiten zweier Gruppen“ und kann damit wohl kaum die bloße Auseinandersetzung zwischen dem später getöteten Angreifer P und dem Angegriffenen meinen. Den zum Tode des Angreifers führenden Einsatz einer Waffe trotz anwesender Dritter hielt auch der 4. Strafsenat in einem Urteil 12. Januar 197827 für gerechtfertigt. In diesem Fall verteidigte sich ein türkischer Angeklagter gegen einen ihm an Körperkraft überlegenen Landsmann. Dem Angeklagten wurde mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Anschließend wurde er von hinten am Kragen gepackt und zu einem in der Nähe stehenden Fahrzeug gezerrt. Während der Angreifer ihn mit dem linken Arm umklammert hielt, schlug er dem Angeklagten mit der rechten Hand so in den Nacken, dass dieser einige Male mit der Stirn auf das Dach des Fahrzeugs aufstieß. Als der Angeklagte im Hosenbund des hinter ihm Stehenden ein Messer ertastete, zog er dieses und stach damit drei Mal nach rückwärts, bis der Angreifer endlich die Umklammerung löste. Umstehende türkische Zeugen beobachteten das gesamte Geschehen, ohne einzugreifen.

In ihrer Revisionsbegründung beanstandete die Staatsanwaltschaft den Freispruch des Angeklagten mit der Begründung, die Verteidigung mittels des Messers sei im vorliegenden Fall nicht erforderlich gewesen. Unter anderem hätte der Angeklagte die anwesenden Zeugen um Hilfe bitten können. Dem tritt der 4. Strafsenat ausdrücklich entgegen: „Es wird … der wirklichen Sachlage nicht gerecht, wenn die Revision meint, der Angeklagte hätte Hilfe von umherstehenden Landsleuten erbitten können. Nichts ist dafür dargetan, daß in dieser ge-

___________ 26

BGH (Z), NJW 1976, 41 (42). Offen lässt der 6. Zivilsenat in diesem Kontext die Frage, ob ein Angegriffener bei Vorliegen sozialethischer Notwehreinschränkungen auf die Inanspruchnahme fremder Hilfe verwiesen werden kann. 27 BGHSt 27, 336 mit Anmerkungen von Kienapfel, JR 1979, S. 72; Hürxthal, LM Nr. 5 zu StGB 1975 § 32.

A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte

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fährlichen Situation die unbeteiligten Dritten zum Eingreifen fähig und bereit … gewesen wären.“28 Dass auch ein Schüler nicht verpflichtet ist, bei einer Schlägerei auf dem Schulhof Hilfe bei Klassenkameraden zu suchen, bevor er sich selbst mit einer Waffe verteidigt, urteilte der 1. Strafsenat am 24. Juli 197929. Der 18-jährige Angeklagte wurde wiederholt von einem Mitschüler tätlich angegriffen. Deshalb bewaffnete sich das körperlich unterlegene Opfer mit einem Messer, allerdings ohne zu diesem Zeitpunkt bereits eine Gegenwehr durch Messerstiche beabsichtigt zu haben. Als der Angeklagte am Tattag wiederum von seinem Mitschüler durch Boxhiebe attackiert wurde, gelang es ihm nicht, diesen mit bloßen Fäusten abzuwehren. Daher ergriff er sein Messer und stach es dem Angreifer ohne Vorwarnung in den Oberkörper. Dieser starb an den ihm dadurch zugefügten Verletzungen. Mitschüler, auch Klassenkameraden, waren am Tatort zugegen und beobachteten die Auseinandersetzung.

In der Entscheidung heißt es wörtlich: „Die Tatsache, daß Mitschüler zugegen waren, besagt für das Notwehrrecht des Angekl. nichts. Der Versuch, sie um Hilfe zu bewegen, hätte dem Angekl. kaum etwas anderes als Gelächter oder Spott eingebracht. Jedenfalls ist nichts dafür dargelegt, daß Mitschüler zum Eingreifen zugunsten des Angekl. bereit gewesen wären.“30 – Nach Ansicht des 1. Strafsenates führt demnach nicht einmal eine Bekanntschaft mit den anwesenden, bislang aber passiv gebliebenen Dritten dazu, dass der Angegriffene auf eigenhändige Verteidigung verzichten und die umstehenden Bekannten um Hilfe bitten muss.31 Diese Auffassung teilt der 2. Strafsenat etwa vier Jahre später in einer Entscheidung vom 20. Juli 198332: Da offen geblieben sei, ob die beiden Bekannten, die den Angeklagten zum Tatort begleitet hatten, oder zumindest einer von ihnen in der konkreten Konfliktlage gegen den Angreifer geholfen hätte, müsse „Ausgangspunkt für die weitere Prüfung die Annahme sein, daß der Angeklagte

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BGHSt 27, 336 (337 f.) mit einem Verweis auf RGSt 71, 133 (134). BGH, NJW 1980, 2263 mit Anmerkungen von Arzt, JR 1980, S. 211; Hassemer, JuS 1981, S. 151. 30 BGH, NJW 1980, 2263. 31 Anders noch das OLG Stuttgart in einer Entscheidung vom 18.11.1949, NJW 1950, 119: Da der angegriffene Angeklagte und der Angreifer Angehörige desselben Betriebes waren und sich die Auseinandersetzung am Arbeitsplatz ereignete, verneinte das OLG die Erforderlichkeit einer sofortigen Abwehr des Angriffs mittels eines Messers. Vielmehr hätte der Angegriffene die Hilfe seiner Kollegen in Anspruch nehmen müssen, da er sich „des wirksamen Schutzes dieser Gemeinschaft versichert fühlen“ durfte. 32 BGH, EzSt StGB § 32 Nr. 6. 29

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

bei der Abwehr eines Angriffs, der seinem Leben galt und von einem ihm körperlich weit überlegenen Gegner geführt wurde, auf sich allein gestellt war.“33 Etwas anderes soll nach Ansicht des 3. Strafsenates erst recht dann nicht gelten, wenn die anwesenden Dritten offenkundig in einem Näheverhältnis zum Angreifer standen. Dies ergibt sich aus folgenden Ausführungen eines Urteils vom 21. Juni 198934: „Ein wirksames weniger gefährliches Verteidigungsmittel kam nach Lage der Dinge nicht in Betracht. Der beiseite stehende Begleiter des Angreifers war ersichtlich nicht bereit, auf diesen besänftigend einzureden oder dem Angekl. zu helfen.“ Festzuhalten bleibt damit, dass der Bundesgerichtshof von Angegriffenen nicht verlangt, unbeteiligte Anwesende, die ihre Fähigkeit und Bereitschaft zu helfen nicht nach außen hin dokumentiert haben, bei der Auswahl der relativ mildesten Verteidigungsmöglichkeit zu berücksichtigen. Zeigen anwesende Dritte hingegen deutlich, dass sie zugunsten des Angegriffenen einschreiten möchten oder beteiligen sie sich bereits aktiv an einer Angriffsabwehr, müssen zumindest solche Abwehrhandlungen des Angegriffenen unterbleiben, die mit schwereren Beeinträchtigungen für den Angreifer verbunden sind. Das belegt ein Urteil des 3. Strafsenates vom 29. Mai 197435: Der betrunkene B randalierte vor der Gastwirtschaft des A und beschimpfte diesen. Daraufhin ging A in hochgradiger Erregung nach draußen und nahm seine Pistole mit. Zu diesem Zeitpunkt versuchte ein Gast bereits, B unter Androhung von Schlägen zum Weggehen zu bewegen. B blieb und beschimpfte den A erneut, als er diesen kommen sah. Auch ein Warnschuss des A beeindruckte ihn nicht. Daraufhin schlug A dem B mit der entsicherten Pistole auf die Schulter oder in den Nacken, wobei er den Finger am Abzug hatte. Durch die Wucht des Schlages löste sich ein Schuss, der den B erheblich verletzte.

Abgesehen von dem Umstand, dass bei Angriffen mit Worten tätliche Abwehr nur ausnahmsweise die erforderliche Verteidigung sein könne, war nach Ansicht des 3. Strafsenates der Schlag mit der Pistole in der konkreten Situation nicht erforderlich. Es hätte allenfalls versucht werden dürfen, den Angriff mit Schlägen zu beenden. War der Angreifer „selbst nicht in der Lage …, durch Faustschläge zum Ziel zu kommen, die das Leben des Verletzten nicht gefährdeten, so hätte er sich der Hilfe der ohnehin auf seiner Seite stehenden Gäste

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BGH, EzSt StGB § 32 Nr. 6. BGH, NStZ 1989, 474 mit Anmerkungen von Beulke, JR 1990, S. 380; Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (300 f.); Schmitz, JA 1989, S. 502. 35 BGH, MDR 1975, 194. 34

A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte

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bedienen müssen, von denen einer schon dabei war, den Angreifer zu beruhigen, bevor der Angeklagte auf dem Schauplatz erschien.“36 Die Pflicht zur Inanspruchnahme eines zunächst hilfsbereiten Dritten soll für den Angegriffenen aber nicht unbegrenzt bestehen. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des 2. Strafsenates vom 11. Januar 198437, welcher der nachfolgende Sachverhalt zugrunde lag: Da der Ehemann sich in zunehmendem Maße anderen Frauen und dem Alkohol zugewandt hatte, kam es zwischen ihm und seiner schwangeren Frau wiederholt zu Auseinandersetzungen und Tätlichkeiten. Als sich am Tattag erneut ein Streit zwischen den Eheleuten entwickelte, versuchte zunächst ein gemeinsamer Freund diesen zu schlichten. Als ihm das nicht gelang, zog er sich in das Wohnzimmer zurück, um sich eine Fernsehsendung anzuschauen, während das Ehepaar seine Auseinandersetzung in der Küche fortsetzte. Nachdem der Ehemann die Angeklagte wiederholt geschlagen und gegen ein Möbelstück gestoßen hatte, ergriff sie ein auf der Spüle liegendes Küchenmesser und richtete es drohend gegen ihren Gatten. Dieser rief seiner Frau daraufhin wiederholt zu: „Du tust es ja doch nicht, Du liebst mich ja!“ und holte erneut zu einem Schlag aus. Daraufhin hielt sich die Angeklagte ihre linke Hand abwehrend vor das Gesicht und stieß ihrem Mann das Messer ins Herz.

Nach Ansicht des Senates war der Angeklagten „die Inanspruchnahme des … milderen Mittels, die Hilfe des Freundes H, … möglicherweise zwar zuzumuten, … jedoch hier nicht geeignet, den Angriff des Ehemannes abzuwehren. H … hatte zunächst versucht, den Streit zu schlichten, sich dann aber zurückgezogen …, während die Eheleute in der Küche weiterstritten. Aus diesem Grunde steht nicht einmal fest, daß er überhaupt bereit war, die Angekl. vor den Tätlichkeiten ihres Ehemannes zu schützen. Jedenfalls hätte ein Hilferuf der Angekl. zu der Zeit, als ihr Ehemann sie – trotz ihrer Drohung mit dem Messer – erneut angriff, diesen Angriff nicht mehr verhindern können.“38 Ausnahmen von den soeben skizzierten Grundsätzen erkennt die Rechtsprechung wiederum in den Fällen der sog. sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts an. Könne von einem Angegriffenen in derartigen Konfliktsituationen sogar verlangt werden, Hilfe herbeizuholen, müsse er erst recht ver___________ 36

BGH, MDR 1975, 194 (195). Vgl. auch LG Görlitz, Urteil vom 11.7.1995 – 3 Ks 137 Js 11318/93 –, S. 18. 37 BGH, NJW 1984, 986 mit Anmerkungen von Bahr-Jendges, Streit 1984, S. 44; Loos, JuS 1985, S. 859; Montenbruck, JR 1985, S. 115; Schroth, NJW 1984, S. 2562; Spendel, JZ 1984, S. 507. 38 BGH, NJW 1984, 986. Ähnlich auch der 5. Strafsenat, wenn er ausführt, dass „Hilfe von dritter Seite … nicht zu erwarten“ war. Dabei bezieht dich dieser Senat auf einen Zeugen, der zunächst vom Ehemann der Angeklagten geschlagen wurde und sich anschließend gemeinsam mit dieser im Bad verbarrikadierte. Als die Angeklagte mit einem Messer bewaffnet das Bad verließ, um sich gegen die Übergriffe ihres Mannes zu wehren, stand er ihr jedoch nicht bei; vgl. BGH, NStZ 1994, 581 (582).

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

pflichtet sein, anwesende Dritte um Hilfe zu bitten. Mit einer Notwehrsituation, die durch den Angriff eines schuldlos oder in seiner Schuld zumindest stark eingeschränkt Handelnden begründet wurde, setzte sich etwa das OLG Frankfurt am Main am 19. Dezember 197039 auseinander. In diesem Fall bedrängte der stark angetrunkene H zunächst den B, der den Betrunkenen jedoch von sich wies und ins Auto des Angeklagten einstieg. Daraufhin machte sich H am Wagen des Angeklagten zu schaffen und sagte zu diesem in englischer Sprache: „Komm raus, ich schlage dich zusammen.“ Dem Angeklagten gelang es jedoch, den Motor seines Wagens zu starten. H erschrak daraufhin und sprang auf den Bürgersteig, von wo aus er dann aber den rechten Außenspiegel herumdrehte. Als der Angeklagte das sah, verließ er mit einem Feuerlöscher sein Fahrzeug. H trat daraufhin mit erhobenen Händen auf den Angeklagten zu, wollte diesen jedoch nicht in gefährlicher Weise angreifen. Obwohl dem Angeklagten das bewusst war, schlug er – ehe H tätlich wurde – heftig mit dem Feuerlöscher zu und traf den H am Kopf.

Unabhängig von einigen anderen Problemen, die mit der Erforderlichkeit der Verteidigung zusammenhängen, führte das OLG Frankfurt am Main aus, dass der Angeklagte verpflichtet gewesen sei, „sich der Unterstützung des nach den vorangegangenen Ereignissen offenkundig zur Abwehr fähigen Zeugen B zu bedienen …“ Denn gemeinsam hätten sie den H „leicht abweisen können, ohne ihn so erheblich zu verletzen.“40 Mit einer anderen Fallgruppe der sog. sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts beschäftigte sich schließlich der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil vom 21. März 199641: Der angetrunkene J hielt sich ohne entsprechende Fahrkarte in einem Zugabteil der 1. Wagenklasse auf, in dem auch der Angeklagte saß. Zwar verließ er nach einer Aufforderung des Kontrolleurs das Abteil, kehrte jedoch kurz darauf an seinen alten Platz zurück. Da der Angeklagte sich von J gestört fühlte und allein in dem Abteil sein wollte, entschloss er sich, diesen mit Kaltluft aus dem Abteil herauszuekeln. Mehrfach öffnete er deshalb ein Fenster, das J immer wieder schloss. Schließlich drohte J dem Angeklagten mit erhobener Faust Schläge für den Fall an, dass das Fenster noch einmal geöffnet würde. Der Angeklagte zog daraufhin sein Fahrtenmesser etwas aus der Scheide heraus, so dass die Klinge sichtbar wurde, um J zu zeigen, dass ihm ein Messer zur Verteidigung zur Verfügung stehe. In der Annahme, das Messer werde J von Tätlichkeiten abschrecken, machte der Angeklagte erneut das Fenster auf. Nun sprang J auf, ging auf den Angeklagten zu und fasste mit beiden Händen in das Gesicht des Angeklagten. Da dieser den Eindruck hatte, J wolle ihm „an den Hals gehen“, holte er sein Fahrtenmesser aus der neben ihm hängenden Jacke und stach damit dem über ihn gebeugten J zunächst in den Oberbauch. Im Verlaufe des sich zwischen ihm und J entwickelnden Kampfes stach der Angeklagte später auch in den Nacken des J und fügte ihm Schnittverletzungen am Hinterkopf zu. In

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OLG Frankfurt am Main, VRS 40 (1971), 424. OLG Frankfurt am Main, VRS 40 (1971), 424 (425). 41 BGHSt 42, 97 mit Anmerkungen von Krack, JR 1996, S. 468; Kühl, StV 1997, S. 298; Lesch, JA 1996, S. 833; Martin, JuS 1997, S. 177. 40

A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte

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dieser Phase des Geschehens trat ein Zeuge, der wie andere Fahrgäste, die in der 2. Klasse keinen Sitzplatz gefunden hatten, auf dem Gang vor der Tür des Abteils gestanden hatte, in das Abteil ein und trennte die Kämpfenden. J verstarb an den Folgen des Stiches in den Oberbauch.

Nach Ansicht des 5. Strafsenates „drückte das wiederholte Öffnen des Fensters eine Mißachtung des J. aus, die ihrem Gewicht nach einer schweren Beleidigung gleichkommt“42 und durch die der Angeklagte den J im vorliegenden Fall zum Angriff vorwerfbar provoziert hatte.43 Deshalb sei der Angegriffene verpflichtet gewesen, auf zur Verfügung stehende „fremde Hilfe – auch privater Art – … zurückzugreifen.“44 Dabei komme es nicht auf eine für den Angegriffenen erkennbare Eingriffsbereitschaft der potentiellen Helfer an. Stattdessen hätte der Angeklagte durch Hilferufe auch diejenigen Mitreisenden um Hilfe ersuchen müssen, die während der Auseinandersetzung zwar „immer entsetzter in das Abteil geschaut“, aber nicht eingegriffen hatten. Denn aufgrund der vorhergehenden Provokation genüge schon die bloße Aussicht, dass ein Hilferuf des Angeklagten seine Lage verbessert hätte.45

II. Die im Schrifttum vertretenen Positionen zur Pflicht einer Inanspruchnahme privater Hilfe Ebenso wie die Rechtsprechung wählt auch das Schrifttum das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit der Verteidigung als Anknüpfungspunkt für die Erörterung der Frage, wann der Angegriffene einen Dritten bei der Abwehr eines Angriffs in Anspruch zu nehmen hat. Die Beantwortung hängt zum einen davon ab, ob man das Merkmal der Erforderlichkeit lediglich anhand der individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Angegriffenen oder aber objektiv bestimmen will. Einfluss hat daneben auch der Umstand, ob ein potentieller Helfer präsent ist oder erst herbeigeholt werden müsste.

___________ 42 BGHSt 42, 97 (101). Neuerdings scheint der BGH sogar auf das Vergleichskriterium der „schweren Beleidigung“ zu verzichten und jedes sozialethisch vorwerfbare Verhalten genügen zu lassen, vgl. BGH, NStZ 2006, S. 332 (333) mit Anmerkung von Roxin, StV 2006, S. 235, der allerdings ausführt, der BGH habe mit diesem Urteil gerade keine Entscheidung darüber getroffen, ob für eine Provokation ein rechtswidriges oder aber ein „bloß“ sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten erforderlich sei. 43 BGHSt 42, 97 (100 f.). Zustimmend Lesch, JA 1996, S. 833 (834 f.). Ablehnend Krack, JR 1996, S. 468 (468 f.); Kühl, FS Bemmann, S. 193 (199 f.); ders., StV 1997, S. 298 (299). 44 BGHSt 42, 97 (100). 45 BGHSt 42, 97 (100).

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

1. Beurteilung der Reichweite des Notwehrrechts unter Außerachtlassung potentieller Helfer Insbesondere Teile der älteren Literatur stellten bei der Untersuchung des Verhältnisses von Notwehr und Nothilfe vorrangig auf die Person des unmittelbar Angegriffenen und dessen Recht auf Selbstverteidigung ab.46 Die Befugnis des Angegriffenen zum Selbstschutz sollte zugleich den Ausgangspunkt für die Begründung des Nothilferechts bilden. Daher sei der Nothelfer weder berechtigt, gegen den Willen des unmittelbar Angegriffenen die Nothilfe auszuüben, noch könne der Angegriffene auf eine Aussicht auf Nothilfe durch private Dritte verwiesen werden. Vielmehr sei es dem Notwehrübenden grundsätzlich freigestellt, in welcher Art er die Trutzwehr durchführt. Er könne „sich eigener Kräfte so gut wie fremder, zur Hilfe herbeigerufener Personen bedienen.“47 Dennoch hebe „die Möglichkeit anderer als obrigkeitlicher Hilfe … das Notwehrrecht niemals auf.“48 Wollte man diesen Gedanken mit allen Konsequenzen weiterverfolgen, müsste auch die Erforderlichkeit einer Verteidigungshandlung allein nach den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten der Person des Angegriffenen beurteilt werden. Da Dritte nicht zur Nothilfe verpflichtet, sondern nur einschränkenden Weisungen des Angegriffenen unterworfen seien, brauche man sie nicht zu den „Verteidigungsmitteln“ des Notwehrübenden zählen.49 Daher könne der Angegriffene auch nur auf dasjenige relativ mildeste Verteidigungsmittel verwiesen werden, das ihm selbst zur Verfügung steht. Ob ein Dritter den Angriff mit weniger eingriffsintensiven Maßnahmen beenden könnte, sei in diesem Zusammenhang völlig unerheblich.50 Demnach könne die Selbstverteidigung gegenüber privater Nothilfe niemals subsidiär sein.51

___________ 46 Bockelmann, FS Honig, S. 19 (30); LK6-Nagler, § 53 Anm. III (S. 423); Ritter, GS 115 (1941), S. 239 (247, 260). Tendenziell in diese Richtung geht auch die psychologisierende Betrachtung des Notwehrrechts durch Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (57 ff.), der betont, dass allein dem Angegriffenen das scharfe Notwehrrecht zur Seite stehe. Da Nothelfer durch den Angriff nicht unmittelbar beeinträchtigt würden, sei ihnen eine verhältnismäßige Angriffsabwehr zuzumuten. 47 LK6-Nagler, § 53 Anm. III (S. 423). 48 Bockelmann, FS Honig, S. 19 (30). 49 So die Deutung bei Haas, Notwehr, S. 280 (mit Fn. 8). 50 Vgl. dazu die Deutungen bei Arzt, FS Schaffstein, S. 77 (80 Fn. 15); Haas, Notwehr, S. 280. 51 Eine Ausnahme käme allenfalls dann in Betracht, wenn man den Nothelfer aufgrund einer weisungsgebundenen Abhängigkeit zu den Verteidigungsmitteln des Angegriffenen zählen würde, vgl. Haas, Notwehr, S. 281 Fn. 9.

A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte

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2. Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe bei einer objektiven Bestimmung der Erforderlichkeit einer Verteidigungshandlung Nach heute ganz herrschender Ansicht ist die Erforderlichkeit einer Abwehrmaßnahme hingegen nicht etwa nach den individuellen Fähigkeiten oder subjektiven Vorstellungen des Angegriffenen zu bestimmen,52 sondern „vom zeitlichen Standort des Angegriffenen aus im Wege der ‚nachträglichen objektiven Prognose‘.“53 Es ist folglich darauf abzustellen, welche Abwehrmaßnahmen ein verständiger Beobachter unter Berücksichtigung der Gegebenheiten der konkreten Notwehrlage zur sicheren Abwehr des Angriffs für notwendig erachten würde.54 Unterschiedliche Beurteilungen des Verhältnisses von Notwehr und privater Nothilfe können sich in Abhängigkeit von der Präsenz der fremden Hilfe ergeben.

a) Präsente Hilfe von Privatpersonen Anders als in den Fällen präsenter hoheitlicher Hilfe55 wird die Subsidiarität der Abwehr eines Angriffs durch den Angegriffenen selbst gegenüber einer Angriffsabwehr durch präsente private Helfer nur für die Konstellationen diskutiert, in denen die fremde Hilfe zur Abwehr des Angriffs entweder besser geeignet wäre oder bei gleicher Eignung das mildere Mittel darstellen würde. Ganz überwiegend wird vertreten, dass eine generelle Subsidiarität der Notwehr gegenüber der Nothilfe nicht bestehe.56 Dies folge aus dem Verhältnis von Notwehr und Nothilfe: Entweder versteht man auf Grundlage eines überindividualistischen Notwehrverständnisses Notwehr und Nothilfe als selbständige Befugnisse des Angegriffenen und seines Helfers; in diesem Fall könne weder eine generelle Subsidiarität noch ein grundsätzlicher Vorrang der Nothilfe gegenüber ___________ 52 Anders hingegen Born, Abwehr vorgetäuschter Angriffe, S. 151 f.; Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 9 f. 53 BGH, NJW 1969, 802. 54 BGH, MDR 1955, 649 (650); Bockelmann, FS Dreher, S. 235 (247); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 121; Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (178 f.); Haas, Notwehr, S. 282; NK-Herzog, § 32 Rn. 60; Jescheck/Weigend, AT, S. 343; Kühl, AT, § 7 Rn. 107; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 36; Roxin, AT 1, Rn. 46; LK11Spendel, § 32 Rn. 219; SK-Günther, § 32 Rn. 97; Sternberg-Lieben, D./Sternberg-Lieben, I., JuS 1999, S. 444 (445); Warda, Jura 1990, S. 344 (347 f.). 55 Zum Streitstand sogleich unter B. ab S. 45 in diesem Kapitel. 56 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 73; Bockelmann, FS Honig, S. 19 (30); Felber, Rechtswidrigkeit, S. 173; Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); Haas, Notwehr, S. 282; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 188; Stiller, Grenzen, S. 80.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

der Notwehr begründet werden.57 Oder man leitet die Nothilfebefugnis aus den Verteidigungsrechten des Angegriffenen ab;58 dann könnte allenfalls die Nothilfe subsidiär gegenüber der eigenhändigen Verteidigung des Angegriffenen sein. (Not-)Hilfe dazu bereiter präsenter Privatpersonen müsse der Angegriffene aber dann annehmen, wenn so eine gleich oder besser geeignete Verteidigung ermöglicht werde, die die Rechtsgüter des Angreifers weniger stark belaste.59 In derartigen Fällen seien Selbstverteidigungsmaßnahmen, die mit schwerwiegenderen Eingriffen in Rechtsgüter des Angreifers verbunden wären, nach den Maßstäben des § 32 Abs. 2 StGB nicht erforderlich.60 Dieses Ergebnis wird zum Teil mit der Überlegung begründet, dass der überindividuelle Gedanke der Verteidigung der Rechtsordnung den eigentlichen oder zumindest einen maßgeblichen Grund für die Notwehr darstelle. Daher könne nicht ausschlaggebend sein, wer sich gegen einen rechtswidrigen Angriff verteidige, sondern vielmehr die Tatsache, dass sich mit den erforderlichen Mitteln gegen das Unrecht zur Wehr gesetzt werde. Bei der Bestimmung der erforderlichen Verteidigungsmaßnahme seien deshalb nicht nur die Mittel und Möglichkeiten des Angegriffenen zu berücksichtigen, sondern personenunabhängig alle zur Verfügung stehenden Abwehrmöglichkeiten. Dazu zähle auch diejenige private Hilfe, die entweder zur Abwehr des Angriffs besser geeignet ist oder aber ein gleich geeignetes, milderes Mittel darstelle.61 Denn Ziel der Notwehr sei es nicht, dem Verteidiger eine höchstpersönliche Gegenaggression zu ermöglichen, sondern ausschließlich unter Berücksichtigung des Rechtsbewäh-

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So etwa Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 72 f. Vgl. nur MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 164; Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (64); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 25/26. 59 Prinzipiell gegen eine Pflicht zur Inanspruchnahme Hilfe Dritter Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 76. 60 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 73; Felber, Rechtswidrigkeit, S. 173 f.; Frister, AT, 16. Kap. Rn. 24; Fuchs, Grundfragen, S. 139 (zum öStGB); Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 33; Kratzsch, Grenzen der Strafbarkeit, S. 13, 51; Kühl, AT, § 7 Rn. 123; Haas, Notwehr, S. 282; Haft, AT, S. 89; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50; Seebode, FS Krause, S. 375 (385); Suppert, Studien zur Notwehr, S. 284 Fn. 222; Stiller, Grenzen, S. 80. Ohne nähere Begründung auch SK-Günther, § 32 Rn. 88, 98; NK-Herzog, § 32 Rn. 72; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; BeckOK StGB-Momsen, § 32 Rn. 28.3; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 188; LK11-Spendel, § 32 Rn. 233; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 299 (306); Wagner, Notwehrbegründung, S. 61 Fn. 88. Anders wohl Welzel, Strafrecht, S. 87, der eine missbräuchliche Rechtsausübung bejaht (also die Gebotenheit der Verteidigung verneint), sofern angebotene Hilfe Dritter gleich welcher Art nicht in Anspruch genommen wird. 61 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 73; Felber, Rechtswidrigkeit, S. 173 f.; Haas, Notwehr, S. 280 f. 58

A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte

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rungsinteresses die durch den Angriff beeinträchtigten individuellen Rechtsgüter zu sichern.62 Zum Teil wird auch ohne Rückgriff auf diesen überindividuellen Gedanken eine Pflicht zur Inanspruchnahme präsenter Hilfe privater Dritter bejaht, sofern dadurch eine den Angreifer weniger gefährdende Verteidigungsmöglichkeit eröffnet werde. Dies ergebe sich bereits aus allgemeinen Grundsätzen der Notwehr, nach denen der Verteidiger unter mehreren gleich geeigneten Abwehrmaßnahmen die mildeste zu wählen habe. Als Verteidigungsmittel komme dabei auch Hilfe durch private Dritte in Betracht.63 Allerdings dürfe nicht schon aus der bloßen Anwesenheit fremder Personen der generelle Schluss gezogen werden, dass diese Anwesenden auch zur Unterstützung des Angegriffenen bereit seien.64 Solange sich Anwesende passiv verhielten, bliebe deren Reaktion für den Angegriffenen völlig unberechenbar und rein hypothetisch. Vielmehr zeige die allgemeine Lebenserfahrung, dass die Bereitschaft, bei Handgreiflichkeiten Hilfe zu leisten, im Allgemeinen äußerst gering sei. Insbesondere aus der Untätigkeit von Bekannten, die zwar am Ort der Auseinandersetzung zugegen sind, aber nicht spontan ihre Hilfsbereitschaft zum Ausdruck bringen, könne man regelmäßig schließen, dass sich diese Personen aus dem Konflikt heraushalten oder aber zumindest nicht selbst handgreiflich werden wollen. Daher dürfe vom Opfer auch nicht verlangt werden, passive Dritte als mögliche Verteidigungsalternativen in seinen Überlegungen zu berücksichtigen.65 Die Hilfsbereitschaft Dritter könne nur dann angenommen werden, wenn eine solche aufgrund der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls feststehe.66 Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn dem Angegriffenen bereits ausdrücklich oder konkludent die Unterstützung von einem hilfsbereiten Dritten angeboten wurde.67 Erst nach der Bereitschaftserklärung, im Konfliktfall Hilfe zu leisten, könne dem Dritten die Qualität eines Verteidi___________ 62

So etwa Geilen, Jura 1981, S. 308 (316). So etwa LK11-Spendel, § 32 Rn. 233 f.; Stiller, Grenzen, S. 44, 80; Wagner, Notwehrbegründung, S. 61 Fn. 88. Anders aber wohl Arzt, JR 1980, S. 211 (212), wenn er ausführt: „Die Erforderlichkeit der Verteidigung [bestimmt] sich nur nach den dem Angegriffenen selbst zur Verfügung stehenden Mitteln …, der Angegriffene [muss] sich grundsätzlich nicht auf Inanspruchnahme von Nothilfe als milderes Abwehrmittel gegenüber ‚eigenhändiger‘ Verteidigung verweisen lassen“. 64 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134; Fuchs, Grundfragen, S. 139; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41. 65 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134. 66 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134; Fuchs, Grundfragen, S. 139; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; Spendel, JZ 1984, S. 507 (507 f.). 67 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 133; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41. 63

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

gungsmittels zugesprochen werden. Entsprechend der Voraussetzung, dass die Verteidigung erforderlich sein müsse, sei der Angegriffene grundsätzlich verpflichtet, von dieser Alternative Gebrauch zu machen, sofern andere Verteidigungsmittel den Aggressor in stärkerem Maße belasten würden.68 Eine andere Position vertritt hingegen Krey, der eine am Erforderlichkeitskriterium orientierte Pflicht zur Inanspruchnahme privater Hilfe grundsätzlich ablehnt.69 Denn eine derartige Pflicht widerspreche dem prinzipiellen Verbot aufgedrängter Nothilfe. Soweit ein Angriff lediglich disponible Rechtsgüter beeinträchtige, stehe es dem Angegriffenen frei, sich die Nothilfe Dritter zu verbitten. Eine Pflicht zur Inanspruchnahme der Hilfe Dritter würde den Angegriffenen indes zu einem Verzicht auf Selbstverteidigungsmaßnahmen zwingen und ihm diese Freiheit nehmen. Deshalb komme eine Subsidiarität von Selbstverteidigungsmaßnahmen gegenüber der Hilfe durch private Dritte allenfalls bei Angriffen auf nicht disponible Rechtsgüter in Betracht. Doch auch in diesen Fällen sei eine Pflicht zur Inanspruchnahme privater Hilfe abzulehnen, wenn sie dem Angegriffenen unzumutbar sei. Ein solcher Fall der Unzumutbarkeit liege insbesondere dann vor, wenn der Verzicht auf Selbstverteidigung wie eine Flucht wirke.70

b) Nicht präsente Hilfe von Privatpersonen Sind private Helfer in der konkreten Konfliktsituation jedoch nicht zugegen, so verneint der überwiegende Teil des Schrifttums eine Subsidiarität der Notwehr gegenüber nicht präsenter Nothilfe grundsätzlich selbst dann, wenn die Helfer herbeigeholt werden könnten.71 Denn ausschließlich präsente Abwehr___________ 68 Nur ausnahmsweise soll der Angegriffene die angebotene fremde Hilfe aus wichtigem Grund – etwa einer Gefahr für den Helfer, die der Angegriffene dem Dritten nicht zumuten will – ablehnen dürfen. Vgl. MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 133; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 118; Sternberg-Lieben, D./Sternberg-Lieben, I., JuS 1999, S. 444 (447 f.). 69 Krey, AT 1, Rn. 475. 70 In entgegengesetzter Richtung argumentiert etwa Courakis, Sozialethische Begründung, S. 71 f., wenn er ausführt, der Gedanke der Zumutbarkeit bestimme für den Angegriffenen Inhalt und Umfang der Pflicht, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Zumutbarkeit zum Unterlassen eigenhändiger Abwehrhandlungen bestehe in Fällen, in denen die Inanspruchnahme fremder Hilfe ohne Preisgabe berechtigter Interessen möglich sei. 71 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130; Freund, AT, § 3 Rn. 107; Fuchs, Grundfragen, S. 141; Krause, FS Bruns, S. 71 (85, 87); Krey, AT 1, Rn. 476; Schönke/SchröderLenckner/Perron, § 32 Rn. 41; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50; LK11-Spendel, § 32 Rn. 233; ders., JZ 1984, S. 507 (508). Differenzierend Kratzsch, Grenzen der Strafbarkeit, S. 13 f., 51. Kritisch Haas, Notwehr, S. 283 f.

A. Das Verhältnis von Selbstverteidigung und Nothilfe durch private Dritte

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mittel seien geeignet, einen Angriff sofort zu beenden. Daher könne der Angegriffene nicht auf die Inanspruchnahme fremder Hilfe verwiesen werden, wenn er diese erst herbeiholen müsste. Zum einen seien die Erfolgsaussichten derartiger Bemühungen völlig ungewiss.72 Zum anderen hätte eine derartige Pflicht zur Folge, dass der Angreifer für den Zeitraum, in dem der Angegriffene noch nicht über die fremde Hilfe verfüge, zunächst die Oberhand behielte und dadurch Rechtsgutseinbußen für den Verteidiger zu befürchten wären.73 Gerade eine solche Verpflichtung zur – zumindest vorübergehenden – Duldung des Angriffs könne dem Angegriffenen aber nicht auferlegt werden, zumal sie mit den Grundprinzipien der Notwehr nicht vereinbar sei.74 Ferner müsse es dem Opfer insbesondere in Fällen wiederholter Übergriffe ermöglicht werden, in akut zugespitzten Situationen einem Angriff entgegenzutreten, anstatt ihn zu einer „permanenten Flucht“ zu zwingen. Dabei komme es weniger auf den „schmählichen Charakter“ einer Flucht an, als vielmehr auf die Tatsache, dass man dem Aggressor die Möglichkeit verwehren will, dem Opfer eine bestimmte Lebensgestaltung aufzuzwingen.75 Ebenso wie die Rechtsprechung verlangen Teile der Literatur in bestimmten Ausnahmesituationen vom Verteidiger dennoch, sich notfalls auch um privaten Beistand zu bemühen, wenn er auf diesem Wege ein milderes Verteidigungsmittel erlangen könne. Dies soll zum einen dann gelten, wenn ein Rückgriff auf fremde Hilfe ohne Risikoerhöhung hinsichtlich der eigenen Abwehr möglich sei.76 Dass der Angegriffene Dritte um Hilfe bitten müsse, wird zum Teil aber auch dann gefordert, wenn durch Hinzuziehung Dritter eine besonders gewalttätige, regelmäßig mit der Tötung oder einer schweren Verletzung des Angreifers verbundene Abwehr vermieden werden könne.77 Schließlich wird auch in den Fallgruppen, die unter dem Stichwort der sozialethischen Einschränkungen des ___________ 72

Vgl. MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134. Fuchs, Grundfragen, S. 141; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50. Ähnlich Freund, AT, § 3 Rn. 107. Die Möglichkeit von Rechtsgutseinbußen erkennt auch Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 74, an; er fordert aber dennoch grundsätzlich das Herbeiholen fremder privater Hilfe. 74 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130. 75 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130. Ausdrücklich weist auch Haas, Notwehr, S. 283 f., darauf hin, dass regelmäßig in einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff zugleich der Zwang liege, diesen hinzunehmen. Dieses Nötigungselement des Angriffs würde durch eine Verpflichtung zum Herbeiholen fremder Hilfe aufrecht erhalten werden. Ähnlich Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 36. 76 Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 33. Vgl. auch Martin, JuS 1997, S. 177; SternbergLieben, I., JA 1996, S. 299 (306), die aber darauf abstellen, ob fremde Hilfe ohne Zeitverzögerung herbeigeholt werden kann. 77 Schubert, Staatsnothilfe, S. 61. 73

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Notwehrrechts diskutiert werden, vom Angegriffenen verlangt, abwesende Privatpersonen um Hilfe zu ersuchen.78 Teilweise wird weitergehend eine grundsätzliche Pflicht zum Herbeiholen fremder Hilfe generell bejaht.79 Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr diene dazu, das bedrohte Rechtsgut zu erhalten, und sei „nicht dazu da, Kraft und Mut des Angegriffenen zu beweisen und ein Exempel zu statuieren“80. Sofern fremde Hilfe gewährleiste, dass ein Angriff sicher und auf eine für den Aggressor mit schonenderen Mitteln verbundene Art abgewehrt werden kann, sei diese Unterstützung herbeizuholen. Dies gebiete der Grundsatz, den Angreifer bei der Verteidigung möglichst zu schonen und unnötige Härten für diesen zu vermeiden.81 Grundsätzlich bejaht auch Bitzilekis eine Pflicht, Hilfe Dritter herbeizurufen, sofern dadurch eine sichere Möglichkeit geschaffen werde, den Angriff mit für den Aggressor schonenderen Mitteln abzuwehren.82 Bei einem überindividuellen Verständnis der Erforderlichkeit der Verteidigung sei für die Bestimmung des relativ mildesten Mittels maßgeblich, welche Verteidigungsmöglichkeiten dem Angegriffenen überhaupt zur Verfügung stehen.83 Daher könne es nicht darauf ankommen, ob private Hilfe präsent sei oder ob deren Anwesenheit erst durch das Herbeirufen hergestellt werde. Für die Frage der Erforderlichkeit sei vielmehr entscheidend, ob die dem Dritten zur Verfügung stehenden Abwehrmittel eine sichere, d. h. sofortige und endgültige Beendigung der Gefahr versprechen.84 Eine mit dem Herbeirufen verbundene Risikoerhöhung – sei es ein (nur) geringes Opfer, sei es eine kurzzeitige Duldung des Angriffs – brauche der ___________ 78 Pflicht zum Herbeiholen fremder Hilfe bei fehlender oder erheblich eingeschränkter Schuld des Angreifers: MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 185. Bei besonders grobem Missverhältnis zwischen dem Gewicht des Angriffs und den Folgen der Abwehr: Fuchs, Grundfragen, S. 141 f. (zum öStGB); Krause, FS Bruns, S. 71 (85 ff.). Bei enger persönlicher Beziehung: MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 195. Bei provozierten Angriffen: MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 199; Himmelreich, GA 1966, S. 129 (139); Kühl, StV 1997, S. 298 (299). Allgemein eine Pflicht zum Herbeiholen fremder Hilfe in derartigen Fallkonstellationen befürworten NK-Herzog, § 32 Rn. 72; Schönke/SchröderLenckner/Perron, § 32 Rn. 41. 79 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 73 f.; Kühl, AT, § 7 Rn. 123; Lackner/ders., § 32 Rn. 11a. 80 So Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50, allerdings nur für den Fall, dass das Herbeiholen fremder Hilfe dem Angreifer nicht „einstweilen die Herrschaft überläßt“. Vgl. auch Kühl, AT, § 7 Rn. 123. 81 Kühl, AT, § 7 Rn. 123. 82 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 73 f. 83 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 73. 84 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 74.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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Angegriffene jedoch nicht hinzunehmen.85 Insofern handele es sich bei dem Verweis auf die vorrangige Inanspruchnahme milderer Verteidigungsmittel privater Dritter um keine zusätzliche Pflicht des Angegriffenen, „sondern allein um einen Abwägungsgesichtspunkt im Rahmen der zur erforderlichen Abwehr des Angriffs bestehenden Verteidigungsmöglichkeiten.“86

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr Deutlich ausführlicher als die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine eigenhändige Verteidigung gegenüber einer Nothilfe privater Dritter subsidiär ist, wird in Literatur und Rechtsprechung das Verhältnis von privater Notwehr und der Abwehr eines Angriffs durch staatliche Organe diskutiert. Bevor der Meinungsstand zu diesem Problem näher dargestellt wird, soll – in der gebotenen Kürze – die rechtshistorische und rechtsphilosophische Entwicklung des Verhältnisses von privater Notwehr und hoheitlicher Hilfe näher betrachtet werden.

I. Rechtshistorische und rechtsphilosophische Entwicklung des Verhältnisses von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr 1. Subsidiarität der Notwehr im gemeinen deutschen Strafrecht Ausgangspunkt der rechtshistorischen Betrachtung der Entwicklung des Subsidiaritätsgedankens soll das gemeine deutsche Strafrecht sein. Die deutsche Strafrechtswissenschaft, die erst zwischen 1550 und 1650 eigenständige Züge entwickelte, stand bis ins 17. Jahrhundert unter dem beherrschenden Einfluss derjenigen Teile des römisch-italienischen einschließlich des kanonischen Rechts, die rezipiert worden waren.87 Erst allmählich wandte sich die deutsche Strafrechtswissenschaft auch der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. – Constitutio Criminalis Carolina – zu, die dem römischen Recht als der Grundlage des ___________ 85

Mit dieser Begrenzung nähert sich Bitzilekis der herrschenden Auffassung an. Allerdings weist Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 74 Fn. 17 in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass man nicht von vornherein jedes Herbeiholen fremder Hilfe als unzumutbar ansehen dürfe, sondern im Rahmen der Erforderlichkeit die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigen müsse. 86 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 74. Ähnlich auch Schubert, Staatsnothilfe, S. 61 f. 87 Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 418 f.; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 357, 360.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Strafrechts zunächst als ein ius novissium gegenübergestellt wurde.88 Unter dem Einfluss des sächsischen Rechts verlagerte sich schließlich der Schwerpunkt stärker auf die Carolina, so dass diese bis ins 18. Jahrhundert hinein die strafrechtliche Diskussion dominierte.89

a) Zu den Rechtsquellen des gemeinen deutschen Strafrechts aa) Corpus Iuris Civilis Die Rezeption des römisch-italienischen Strafrechtes vollzog sich in Deutschland im Verlaufe des 15. und 16. Jahrhunderts.90 Gegenstand war insbesondere die Justinianische Kompilation91 und deren Fortentwicklung durch die oberitalienischen Glossatoren und Postglossatoren.92 Ein einheitlicher Notwehrbegriff konnte dem römisch-italienischen Recht allerdings nicht entnommen werden; es kannte die Notwehr als allgemeinen Rechtsgrundsatz nicht.93 Zumindest in der Zeit nach Gaius94 lässt sich jedoch anhand von im Corpus Iuris Civilis vorfindbaren Einzelhinweisen95 die allgemeine Geltung eines Naturrechts auf ___________ 88

Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 419; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 357. Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 421; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 357. 90 Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 339 ff.; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 350. 91 Die zusammenfassende Bezeichnung als Corpus Iuris Civilis findet sich erst in der 1538 durch den französischen Humanisten Dionysius Gothofredus (1549–1622) herausgegebenen Gesamtausgabe dieses Werkes, vgl. Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 113; Söllner, Römische Rechtsgeschichte, § 22 III (S. 137). 92 Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 113, 350; Söllner, Römische Rechtsgeschichte, § 25 II, III (S. 149 f.). 93 Haas, Notwehr, S. 36; Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 12 f. 94 Der Jurist Gaius (Mitte des 2. Jahrhundert n. Chr.) schrieb unter dem Spätstoiker Mark Aurel. Sein in vier Bücher gegliedertes Anfängerlehrbuch institutiones diente als Vorlage der Institutionen des Justinianischen Gesetzeswerkes, vgl. Honsell, Römisches Recht, § 3 II (S. 15); Kunkel/Schermaier, Römisches Recht, § 7 III 4 b (S. 158 f.), § 11 II 2 b (S. 213); Söllner, Römische Rechtsgeschichte, § 22 I (S. 135). In den im Corpus Iuris Civilis überlieferten Fragmenten seiner Schriften (D. 9.2.4.pr.) wird erstmals das Naturrecht als positives Recht anerkannt, vgl. Haas, Notwehr, S. 36. 95 Vgl. D. 1.1.3.: „… die Vertheidigung gegen Gewalt und Widerrechtlichkeit. Denn vermöge dieses Rechts steht es fest, dass Alles, was man zum Schutz seines Körpers gethan hat, als mit Recht gethan angesehen wird …“; D. 9.2.4.pr.: „… denn gegen die Gefahr erlaubt ein natürlicher Vernunftgrund die Vertheidigung.“; D. 9.2.45.4.: „… Gewalt mit Gewalt abzuwehren, erlauben alle Gesetze und alle Rechte.“ Übersetzung nach Otto/Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Civilis, Bd. 1. D. 43.16.3.9.: „Wer mit Waffen kommt, den kann man mit Waffen zurücktreiben, aber es muss sofort auf der Stelle geschehen, nicht erst einige Zeit nachher …“; D. 43.16.1.27.: „Gewalt mit Gewalt zu vertreiben ist erlaubt … und dieses Recht bietet die Natur selbst dar.“; D. 48.8.1.4.: „… dass, wer den ihm oder den Seinigen eine Schwächung Zufügenden tödtet, frei ausge89

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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Selbstverteidigung feststellen.96, 97 Deutlich tritt hierbei der Einfluss der griechischen Rechtsphilosophie zutage, der die römischen Stoiker den Gedanken eines verbindlichen Naturrechts entlehnten.98 Ebenso wie auf die römische Rechtsauffassung an sich nahm die griechische Naturrechtslehre auch auf die Behandlung der Notwehrproblematik Einfluss.99 Der Selbsterhaltungstrieb des Individuums wurde als eine natürliche Rechtsquelle definiert100, so dass dieser an „einer höchsten, über den Gesetzen der einzelnen Gemeinwesen stehenden Ordnung“101 partizipierte. Allerdings war es nur dem schutzlosen Opfer erlaubt, sich dem Angriff zur Wehr zu setzen, sofern es dem Angriff ohne die üblicherweise von der organisierten Gemeinschaft zu leistenden Unterstützung gegenüberstand.102 Soweit die öffentliche Gewalt dem Angegriffenen hingegen ausreichenden Schutz bieten konnte, sollte ein individuelles Verteidigungsrecht entfallen – der Einzelne durfte nichts tun, was die öffentliche Gewalt zu erledigen imstande war.103

bb) Kanonisches Recht Zwar bildete das römische Recht die wesentliche Grundlage des kanonischen Rechtssystems. Es wurde aber in verschiedenen Bereichen zum Teil erheblich ___________ he.“ Übersetzung nach Otto/Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Civilis, Bd. 4. C. 9.16.2.: „Wer sich in Lebensgefahr befindend, den Angreifer … erschlagen hat, hat wegen dieser That keine Anklage zu besorgen.“ Übersetzung nach Otto/Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Civilis, Bd. 6. 96 Haas, Notwehr, S. 36 f.; Honsell, Römisches Recht, § 60 II (S. 155); Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 12 f. 97 Umstritten ist allerdings, ob dieses Recht nur den Schutz von Leib und Leben oder den aller Rechte bzw. zumindest den Schutz von Vermögenswerten umfasste, vgl. die Nachweise bei Haas, Notwehr, S. 36 f. Fn. 11. Ob darüber hinaus auch in der Frühzeit des römischen Rechts die Notwehr als zulässig erachtet wurde, erscheint zumindest zweifelhaft, vgl. Haas, Notwehr, S. 35 f. m.w.N.; Stiller, Grenzen, S. 9. 98 Haas, Notwehr, S. 36 f.; Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, § 7 II 2 b (S. 131). Vgl. auch Rüthers, Rechtstheorie Rn. 421; Zippelius, Rechtsphilosophie, § 12 II (S. 91). 99 Haas, Notwehr, S. 36 f. 100 Haas, Notwehr, S. 38. 101 So definieren Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, § 7 II 2 b (S. 131) das Naturrecht. Ähnlich Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 415 f. 102 Haas, Notwehr, S. 37. 103 Haas, Notwehr, S. 285. Vgl. auch D. 50.17.176.: „Es ist Das, was öffentlich durch die Obrigkeit geschehen kann, nicht den einzelnen [Privatpersonen] zu gestatten, damit keine Gelegenheit, einen größeren Aufruhr zu machen, vorhanden sei.“ Übersetzung nach Otto/Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Civilis, Bd. 4.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

abgeändert.104 Auf diese Weise nahm die Kirche wesentlichen Einfluss auf die Auslegung sowie die damit verbundene Weiterentwicklung des römischen Rechts und formte so maßgeblich den in Deutschland rezipierten Rechtsstoff mit.105 Besonderen Einfluss nahm das kanonische Recht dabei auch auf die Entwicklung einer Notwehrlehre. Erstmals lassen sich im kanonischen Recht Ansätze einer dogmatischen Durchdringung der Notwehrmaterie finden.106 Die Mehrheit innerhalb der katholischen Kirche erkannte ein Recht auf Notwehr als zulässig an.107 In Anlehnung an die römisch-rechtlichen Vorbilder wird die Befugnis zur Notwehr aus der naturrechtlichen Befugnis zur Selbstverteidigung heraus erklärt.108 So heißt es etwa im Decretum Magistri Gratiani, dass das Recht, Gewalt durch Gegengewalt zurückzuweisen, ein natürliches Recht aller Völker ist; dieses natürliche Recht kann niemals Unrecht sein.109 Dieser naturrechtlich-individualistischen Ableitung der Notwehr stellt das kanonische Recht einen weiteren – überindividuellen – Aspekt zur Seite. Die Schädigung, die dem Angreifer durch den sich Verteidigenden zugefügt wird, soll nicht dem unmittelbar handelnden Menschen, sondern Gott selbst zugerechnet werden.110 Ausgangspunkt dieser Überlegung bildete das Tötungsrecht einer von Gott eingesetzten Obrigkeit.111 Anders als im Falle von Einzelpersonen wurde eine derartige Befugnis der Obrigkeit weitgehend als unproblematisch angesehen,112 allerdings unter der einschränkenden Voraussetzung, dass die Tötung um des Gemeinwohls willen erfolgte. Dieses Recht konnte auf andere Personen – etwa Soldaten oder sonstige Personen mit gesetzlich verliehener Macht – übertragen werden, die damit nicht für sich selbst, sondern für die Ob___________ 104

Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 135. Haas, Notwehr, S. 41. 106 Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 15 f. 107 Haas, Notwehr, S. 41 f. Ferner v. Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 3, S. 127; Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 15 f., allerdings ohne nähere Auseinandersetzung mit Gegenanschauungen. 108 Unumstritten ist diese individualistische Herleitung eines natürlichen Rechts auf Notwehr allerdings nie geworden, vgl. dazu Haas, Notwehr, S. 42 f. m.w.N. in Fn. 38; Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 337 ff., 349 ff. Insbesondere mit dem christlichen Grundsatz der Nächstenliebe und weiteren zur Friedfertigkeit und zum Dulden aufrufenden christlichen Grundprinzipien wird eine gewaltsame Abwehr des Angriffs für unvereinbar gehalten, vgl. Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 349 f. 109 Vgl. Dist. I C. VII., zitiert nach Friedberg, Corpus Iuris Canonici, Bd. 1: „Ius naturale est commune omnium nationum, … ut … uiolentiae per uim repulsio. Nam hoc … numquam iniustum, sed naturale aequumque habetur.“ 110 Haas, Notwehr, S. 43 f., 285. 111 Vgl. dazu den Brief des Paulus an die Römer, 13, 1: „Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet.“ 112 Haas, Notwehr, S. 43; Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 251 ff.; 351 f. 105

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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rigkeit handelten.113 Die Verfolgung dieser Grundkonzeption erlaubte es dem kanonischen Recht, die Notwehr (auch) aus dem überindividuellen Gedanken der Machtdelegation für zulässig zu erachten. Es wurde anerkannt, dass der Verteidiger nicht nur einen gegen ihn gerichteten Angriff abwehrt, sondern zugleich auch das Unrecht bekämpfe und auf diese Weise der Gemeinschaft einen Dienst erweise.114 Derjenige, der sich im Notfall selbst verteidigte, handelte folglich als Vertreter der göttlich legitimierten staatlichen Gewalt.115 Allerdings sollte nur in Fällen unvermeidbarer Notwehr eine Straflosigkeit des sich Verteidigenden in Betracht kommen.116 An dieser Voraussetzung fehlte es, sofern obrigkeitliche Hilfe zur Verfügung stand.117 Das private Notwehrrecht galt im kanonischen Recht folglich als subsidiär gegenüber hoheitlicher Gewalt.118, 119

cc) Constitutio Criminalis Carolina Eine weitere Quelle des gemeinen deutschen Strafrechts stellt schließlich die 1532 in Regensburg verabschiedete Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V., die Constitutio Criminalis Carolina, dar.120 Im Gegensatz zu den „typischen“ mittelalterlichen Gesetzeswerken, die der Carolina vorangingen121 oder nach___________ 113

Haas, Notwehr, S. 43 f. Haas, Notwehr, S. 44; Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 251 ff. 115 Haas, Notwehr, S. 44, 285. 116 Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 360 ff. 117 Haas, Notwehr, S. 285. Vgl. auch Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, S. 354. 118 Haas, Notwehr, S. 44, 285. 119 Diese Subsidiaritätserwägungen bleiben nicht auf das kanonische Recht beschränkt, sondern finden sich auch im Protestantismus wieder. So verwirft Luther unter Berufung auf das Gebot der Nächstenliebe zwar zunächst jedes Notwehrrecht. An späterer Stelle erklärt er hingegen, dass der von der Obrigkeit verlassene Mensch sich im Interesse der Allgemeinheit „an Kaisers Statt“, also als Vertreter hoheitlicher Gewalt, verteidigen dürfe, ja sogar müsse. Sei die Obrigkeit jedoch selbst zugegen, stehe ihr allein die Entscheidung über die Gewaltausübung zu. Nicht einmal dann soll der Einzelne Notwehr üben dürfen, wenn die Obrigkeit auf ein Einschreiten verzichtet, denn „sie [sc. die Obrigkeit] allein hat das Schwert, will sie es nicht brauchen, so dürfen es die Untertanen auch nicht brauchen“ (zitiert nach Haas, Notwehr, S. 285). Vgl. hierzu Haas, Notwehr, S. 44 f. Fn. 49; Mayer, FS Welzel, S. 65 (96 f.). 120 Vorbild und eigentliche Grundlage der Carolina war die unter der Federführung von Johann Freiherr von Schwarzenberg und Hohenlandsberg (1463/65–1528) entstandene Halsgerichtsordnung für das Fürstbistum Bamberg (Constitutio Criminalis Bambergensis) von 1507, vgl. Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 407 f., Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 94, 96; Schmidt, G., ZRG Germ Abt. 83 (1966), S. 239 (243, 248). 121 Hierzu zählen etwa der um 1425 erschienene Klagspiegel oder die Wormser Reformation von 1498, die in Rand- und Zwischenbemerkungen auf älteres weltliches, zumeist römisches, und kirchliches Recht verweisen. Kernsatz einer Begründung des 114

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

folgten122, beschränkte sich die Carolina bei der Regelung der Notwehr auf eine möglichst genaue Darstellung der in Frage kommenden Sachverhalte. Auf eine Ableitung des Selbstverteidigungsrechtes aus älteren weltlichen oder kirchlichen Sätzen mit Ewigkeitswert wurde hingegen verzichtet.123 Die Carolina behandelt in den Art. 139 bis 145 unter dem Oberbegriff „rechte notweer“ die Straflosigkeit der tödlichen Abwehr eines Angriffs auf Leib oder Leben des sich Verteidigenden.124, 125 Die Voraussetzungen der „rechten notwehr“ werden in Art. 140 CCC scharf umrissen, in dem es heißt, dass die Selbstverteidigung nur dann ausgeübt werden darf, wenn der Bedrängte nicht auf zumutbare Weise und ohne Gefahr für oder Verletzung von Leib, Leben, Ehre oder Leumund entweichen kann.126 Insofern gestaltete die Carolina das Recht auf Selbstverteidigung subsidiär aus.127 Anders als ältere entgegenstehende Rechtsanschauungen verzichtete die Carolina in Art. 140 jedoch ausdrücklich128 auf ein Abwarten des Angegriffenen, „biß er geschlagen wirdt“. Stattdessen durfte sich der Notwehrübende bereits gegen einen unmittelbar bevorstehenden Angriff zur Wehr setzen.129 Einen ausdrücklichen Vorrang hoheitlicher ___________ Selbstverteidigungsrechtes bildete dabei insbesondere die wörtliche Übersetzung von D. 9.2.45.4. und von D. 43.16.1.27., vgl. Fn. 95 auf S. 46 in diesem Kapitel; Haas, Notwehr, S. 53 f., 56. 122 So verharrten beispielsweise die Bairische Lanndtßordnung von 1553 und die Hennenberger Landesordnung von 1539 im Althergebrachten und blieben von den Neuerungen der Carolina unberührt, vgl. Schmidt, G., ZRG Germ Abt. 83 (1966), S. 239 (249 f.). Ein Grund hierfür war der Umstand, dass die Carolina kein unmittelbar geltendes und allgemein verbindliches Reichsgesetz gewesen ist, Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 356; Schmidt, G., ZRG Germ Abt. 83 (1966), S. 239 (252). 123 Haas, Notwehr, S. 57. 124 Zur Definition der Notwehr in Art. 139 CCC vgl. die Anlage. 125 Die Nothilfe wird losgelöst von der Notwehr erst in Art. 150 CCC behandelt. Anders als die Notwehr ist nach dem Wortlaut des Art. 150 CCC (vgl. auch hierzu die Anlage) Nothilfe nicht nur bei der Verteidigung von Leib oder Leben eines anderen zulässig, sondern auch bei der Rettung von dessen Gütern. Ob hieraus wiederum geschlossen werden kann, dass die Carolina neben der Personennotwehr auch eine Gutsnotwehr kannte, ist zweifelhaft. Hierzu Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 28 f. 126 So heißt es wörtlich in Art. 140 CCC: „vnnd der benötigt kan füglich ohn fehrligkeyt oder verletzung / seines leibs / lebens / ehr vnd guten leumuts nicht entweichen / der mag sein leib vnd leben ohn alle straff durch ein rechte gegenwehr retten.“ Zum vollständigen Wortlaut der Vorschrift vgl. die Anlage. 127 Courakis, Sozialethische Begründung, S. 55 Fn. 121; Schmidt, E., Strafrechtspflege § 102 S. 121; Stiller, Grenzen, S. 16; Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 28. Insbesondere zur Fluchtpflicht vgl. Schmitt-Lermann, Notwehr im gemeinen Strafrecht, S. 59 ff. 128 Vgl. Art. 140 CCC: „vnangesehen ob es den geschriben Rechten vnd gewonheyten entgegen wer“. 129 Schmidt, E., Strafrechtspflege § 102 S. 121; Stiller, Grenzen, S. 16.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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Gewalt kannte die Carolina anders als das römische und das kanonische Recht hingegen nicht.

b) Der Subsidiaritätsgedanke im gemeinen deutschen Strafrecht aa) Der Subsidiaritätsgedanke in der gemeinrechtlichen Rechtswissenschaft Obwohl die Carolina als Reichsgesetz für die Bürger keine unmittelbare Geltungskraft besaß und bis ins späte 16. Jahrhundert hinein Landesgesetze entstanden, „die vom Geist der Carolina … unberührt blieben“130, kam es insbesondere unter dem Einfluss des sächsischen Rechts zu einer Wende in der deutschen Strafrechtswissenschaft.131 So erfuhr das Strafrecht der Carolina unter Kurfürst August I. von Sachsen (1553–1586) in den Kursächsischen Konstitutionen von 1572 eine bedeutende Fortbildung.132 Dieses sächsische Recht versuchte Benedikt Carpzov133 in seiner „Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalum“ von 1635 mit der Carolina und dem Gerichtsgebrauch zu einem einheitlichen Ganzen zu verbinden. Ebenso wie viele seiner Vorgänger und Zeitgenossen hielt Carpzov ein Recht auf Selbstverteidigung für selbstverständlich.134 Insbesondere unter Bezugnahme auf römisch-kanonisches und göttliches Recht begründete er die Notwehr als ein Recht135 und als eine Pflicht136 gegenüber Gott und der Gemeinschaft. Ähnlich den heutigen Voraussetzungen der Notwehr machte er die Straflosigkeit ei___________ 130

Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 356. Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 419. 132 Conrad, Rechtsgeschichte II, S. 419. 133 Der Leipziger Professor Benedikt Carpzov (1595–1666) gilt als einer der bedeutendsten Juristen der damaligen Zeit. Sein wissenschaftliches Schaffen war eng verbunden mit seiner Tätigkeit am Leipziger Schöffenstuhl und dem Appellationsgericht in Dresden. Mit seinen systematischen, an klare Definitionen anknüpfenden und die theoretischen Zusammenhänge hervorhebenden Darstellungen der sächsischen Spruchpraxis erreichte die deutsche Strafrechtswissenschaft ihren ersten Höhepunkt. Zum Ganzen Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 358; Lipp, JuS 1995, S. 387 (387 ff.); Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 115. 134 Carpzov, Strafrecht, XXVIII. Rn. 1 (S. 213). Vgl. auch Haas, Notwehr, S. 64; Stiller, Grenzen, S. 20. – Die Bejahung der Zulässigkeit der Nothilfe insbesondere gegenüber Fremden ist für Carpzov, a.a.O. XXXII. Rn. 1–13 (S. 252 ff.), hingegen weitaus problematischer. 135 Carpzov, Strafrecht, XXVIII. Rn. 2 f., 5 (S. 213 f.). – Dieses Recht „kann weder vom Papst oder vom Kaiser …, noch durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht aufgehoben werden“, Carpzov, a.a.O., XXVIII. Rn. 7 (S. 214). 136 Carpzov, Strafrecht, XXVIII. Rn. 11 f. (S. 215). 131

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

ner in Verteidigung von Leib, Leben oder Ehre137 vorgenommenen Tötung des Angreifers vom Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs, eines angemessenen Verhältnisses von Angriff und Verteidigungshandlung sowie eines unmittelbaren zeitlichen Zusammenhanges zwischen ihnen abhängig.138 Dennoch sollte die wehrhafte Verteidigung nur als äußerstes Mittel im Falle der Not erlaubt sein.139 Daher wurde vom Angegriffenen verlangt, Möglichkeiten zur Flucht zu nutzen, sofern dieser sich nicht in Lebensgefahr befand.140 Ferner erkannte Carpzov einen Vorrang staatlicher Gewalt ausdrücklich an.141 Bei präsenter Obrigkeit erachtete er die Notwehr als vermeidbar und damit unzulässig. Nur in den Fällen, in denen der Angegriffene keine staatliche Hilfe erlangen könne, sei die Selbstverteidigung erlaubt. Da grundsätzlich niemand sein Recht selbst in die Hand nehmen dürfe, müsse es mit legitimen – also mit vom Staat zur Verfügung gestellten – Mitteln verfolgt werden.142, 143

bb) Der Subsidiaritätsgedanke in der gemeinrechtlichen Gesetzgebung Die Erkenntnisse Carpzovs finden indes ebenso wenig Eingang in die gemeinrechtliche Gesetzgebung wie andere Entwicklungen in der Rechtswissenschaft. Dies zeigt etwa ein Vergleich des „Landrechts des Hertzogthumbs Preussen“ von 1620 und des 1721 publizierten „Verbesserten Land-Rechts des Königreichs Preussen“. Abgesehen von einigen orthographischen Anpassungen übernimmt letzteres das preußische Landrecht von 1620 in allen wesentlichen Punkten nahezu wörtlich.144 So verstand das Verbesserte Landrecht die Notwehr als eine Ausnahme von der Bestrafung eines mutwilligen Totschlages: ___________ 137

Carpzov, Strafrecht, XXVIII. Rn. 1 (S. 213). In Anlehnung an Art. 150 CCC sollte darüber hinaus eine Verteidigung von nicht geringwertigen Gütern und Sachen eingeschränkt zulässig sein, wenn das Eigentum auf keine andere Weise erhalten oder wiedererlangt werden konnte, ders., a.a.O., XXXII. Rn. 32 (S. 257). 138 Carpzov, Strafrecht, XXVIII. Rn. 20 f., 23 f., 28 (S. 216 f.); Oehler, Einleitung Carpzov, S. IX*. 139 Carpzov, Strafrecht, XXX. Rn. 15 (S. 236). 140 Carpzov, Strafrecht, XXX. Rn. 57 (S. 242). 141 Wohl auch auf die Autorität Carpzovs zurückführbar, wird während der gesamten Zeit des gemeinen Strafrechts das Notwehrrecht als subsidiär gegenüber staatlicher Gewalt angesehen, vgl. Haas, Notwehr, S. 285. 142 Carpzov, Strafrecht, XXX. Rn. 8 (S. 236). Vgl. auch Haas, Notwehr, S. 285; Schmitt-Lermann, Notwehr im gemeinen Strafrecht, S. 63. 143 Ausdrücklich formuliert wird der Vorrang gerichtlichen Schutzes darüber hinaus für die Fälle der Provokation, Carpzov, Strafrecht, XXIX. Rn. 72 f. (S. 230 f.), der Beleidigung, ders., a.a.O., XXX. Rn. 71 (S. 243 f.), sowie bei Angriffen auf das Eigentum, ders., a.a.O., XXXII. Rn. 28 (S. 256). 144 Haas, Notwehr, S. 67.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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„Derjenige / welcher eine rechte Nohtwehre / zu Rettung seines Leibes und Lebens thut / und denjenigen / der ihn also benöthiget / in solcher Nohtwehre entleibet / [solle] … niemandes nichts schuldig seyn“. Da „alle Rechte und Gesetze zulassen / daß ein jeder Gewalt mit Gewalt abtreiben möge … / so hat derselbe / ob er gleich in solcher seiner Ehre und Leibes Rettung einen Todtschlag begangen / damit nichts verwircket.“145 Weniger großzügig war hingegen die Nothilfe geregelt: Wer zum Schutze nahe stehender Personen einen Angreifer tötete, sollte seinerseits lediglich nicht mit dem Tode bestraft werden.146, 147 Ausführungen zum Verhältnis von Selbstverteidigung uns hoheitlicher Gefahrenabwehr finden sich im Kontext der Notwehrregelungen nicht; weder das Landrecht von 1620 noch das Verbesserte Landrecht sahen ausdrücklich vor, dass bei präsenter Obrigkeit die Notwehr unzulässig sein soll.

2. Subsidiarität der Notwehr im Strafrecht der Aufklärung Die Abwendung von der theokratischen Staatsauffassung und Humanisierungstendenzen machten insbesondere im Bereich des Strafrechts die Suche nach einem neuen und tragfähigen Geltungsgrund für das Recht erforderlich. Nicht länger wurde die Verbindlichkeit des Rechts hierarchisch über die weltliche Obrigkeit bis auf Gott zurückgeführt. Stattdessen rückte die Naturrechtslehre der Aufklärung das Individuum als ursprünglichen Träger aller Rechte in den Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen.148 Naturrechtssätze wurden zu den primären Rechtsquellen, und ein mühsamer Rückgriff auf älteres, meist rezipiertes römisch-kanonisches Recht erübrigte sich.149

___________ 145 Verbessertes Landrecht des Königreichs Preussen, Pars III, 6. Buch, Art. XIV, § I; der gesamte Normtext findet sich in der Anlage. Inhaltsgleich geregelt wurde die Notwehr im Landrecht des Hertzogthumbs Preussen, 6. Buch, Art. V, § 1. 146 Vgl. dazu das Verbesserte Landrecht des Königreichs Preussen, Pars III, 6. Buch, Art. XIV, § X; der Normtext findet sich in der Anlage. Inhaltsgleich geregelt wurde die Nothilfe im Landrecht des Hertzogthumbs Preussen, 6. Buch, Art. V, § 10. 147 Insbesondere mit Blick auf die Regelung der Nothilfe im Verbesserten Landrecht wird deutlich, wie wenig die Gesetzgebung durch neuere Erkenntnisse der Rechtswissenschaft beeinflussten. War es im Jahr 1721 – trotz der gegenteiligen Auffassung Carpzovs – allgemein anerkannt, dass es im Rahmen einer Nothilfe erlaubt sein müsse, auch Mitmenschen zu helfen, wurde die Zulässigkeit einer Nothilfe von den Verfassern des Verbesserten Landrechts gerade nicht als selbstverständlich angesehen, sondern lediglich als weniger strafwürdig. dazu auch Haas, Notwehr, S. 68 f. 148 Haas, Notwehr, S. 69 f. 149 Haas, Notwehr, S. 70.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

a) Subsidiarität der Notwehr in den politischen Philosophien der Aufklärungszeit aa) Thomas Hobbes Obwohl das Streben nach Selbsterhaltung ein tragendes Prinzip der hobbesschen Philosophie darstellt,150 entwickelte Thomas Hobbes (1588–1679) in seinen wichtigsten Werken keine zusammenhängende Notwehrtheorie. Dennoch können den Ausführungen Hobbes’ Gedanken sowohl hinsichtlich der Zulässigkeit der Selbstverteidigung an sich als auch hinsichtlich der Frage, ob eine staatliche Gefahrenabwehr Vorrang gegenüber der Notwehr beansprucht, entnommen werden.151 Im Gegensatz zur traditionellen aristotelischen Tradition bildet das Individuum sowohl den Anfang als auch den Mittelpunkt der Staatsphilosophie Hobbes’.152 Dieser Lehre vom vorstaatlichen Naturzustand zufolge befinden sich die Menschen, die laut Hobbes ähnlich Pilzen „plötzlich aus der Erde hervorgewachsen und erwachsen wären, ohne daß einer dem andern verpflichtet wäre“153, in einem voneinander völlig isolierten Zustand, in dem sie weder Untertan noch Souverän sind. Frei von jeglicher staatlicher Verpflichtung hat jeder Mensch zwar „ein Recht auf alles“154. Dennoch – oder besser: gerade aus diesem Grund – ist der Naturzustand nach Hobbes keinesfalls paradiesisch, sondern ein Zustand, in dem das Leben „einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz“155 ist. Getrieben von drei Faktoren, nämlich Konkurrenz, Misstrauen oder Ruhmsucht, streben die Individuen des hobbesschen Naturzustandes nach ihrem persönlichen Vorteil.156 Zum Zwecke der Selbstsicherung und zum Schutz vor potentiellen Bedrohungen, die von den Mitbewerbern um knappe, aber lebensnotwendige Güter ausgehen, sucht der Einzelne nach Machterweiterung.157 Notwendigerweise stellt sich der Naturzustand bei Hobbes daher als Kriegszustand ___________ 150 Dix, Lebensgefährdung und Verpflichtung, S. 11; Fetscher, Einleitung Leviathan, S. XIX; Kersting, Leviathan, S. 9 (25). Vgl. auch Hobbes, Vom Menschen, 11. Kap. 6. (S. 24). 151 Haas, Notwehr, S. 75. 152 Dix, Lebensgefährdung und Verpflichtung, S. 6; Kersting, Leviathan, S. 9 (14); ders., Thomas Hobbes, S. 32 f. 153 Hobbes, Vom Bürger, 8. Kap. 1 (S. 161). 154 Hobbes, Leviathan, 14. Kap. S. 99; ders., Vom Bürger, 1. Kap. 10 (S. 82). 155 Hobbes, Leviathan, 13. Kap. S. 96. 156 Hobbes, Leviathan, 13. Kap. S. 95 f. Vgl. auch Dix, Lebensgefährdung und Verpflichtung, S. 7 ff.; Fetscher, Einleitung Leviathan, S. XXII; Kersting, Thomas Hobbes, S. 109 f.; Nida-Rümelin, Leviathan, S. 109 (111 ff.). 157 Fetscher, Einleitung Leviathan, S. XXII; Kersting, Thomas Hobbes, S. 113 f.; Nida-Rümelin, Leviathan, S. 109 (113).

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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dar, und zwar als „Krieg eines jeden gegen jeden.“158 Das größte denkbare Übel, die Gefahr eines gewaltsamen Todes, ist selbst für den Friedfertigsten und Bescheidensten durch die unentwegte Möglichkeit von Übergriffen anderer allgegenwärtig.159 Um das eigene Wohlergehen zu sichern, gilt es, diesem Übel mit allen Mitteln zu entfliehen. In Übereinstimmung mit der rechten Vernunft ist es daher erste Grundlage des natürlichen Rechts, dass „jeder sein Leben und seine Glieder nach Möglichkeit zu schützen suche.“160 Um dieses natürliche Recht auf Selbsterhaltung161 nicht leerlaufen zu lassen, kann dem Einzelnen auch nicht verweigert werden, sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und mit allen erforderlichen Handlungen zu verteidigen.162 – Das Selbstverteidigungsrecht gilt folglich im Naturzustand ohne Einschränkung. Da sich aber in diesem kriegerischen Naturzustand niemand seines Lebens sicher sein kann, gebietet eine allgemeine Vernunftregel, dass sich jedermann um Frieden zu bemühen hat.163 Der Kriegszustand kann aber nur verlassen werden, wenn jeder Mensch freiwillig auf sein „Recht auf alles“ verzichtet164, seine gesamte Macht und Stärke im Wege eines Vertragsschlusses auf eine, durch einen Souverän verkörperte, höchste Gewalt überträgt und sich dieser unterwirft.165 So lange der Souverän aufgrund der ihm übertragenen Macht in der Lage ist, Frieden, Sicherheit und Schutz zu gewährleisten, ist der Einzelne ihm verpflichtet.166 Vorrangige Aufgabe des Souveräns ist es also, seine Untergebenen sowohl vor Angriffen Fremder wie auch vor gegenseitigen Übergriffen zu schützen.167 Im Gegenzug muss der Einzelne zugunsten eines friedfertigen Zusammenlebens innerhalb der Gesellschaft grundsätzlich auch sein allgemeines ___________ 158 Hobbes, Leviathan, 13. Kap. S. 96 et passim; ders., Vom Bürger, 1. Kap. 12 (S. 83). 159 Vgl. Dix, Lebensgefährdung und Verpflichtung, S. 10. 160 Hobbes, Vom Bürger, 1. Kap. 7 (S. 81). 161 Dieses natürliche Recht auf Selbsterhaltung besitzt allerdings nicht die Qualität eines subjektiven Freiheitsrechtes. Zwar räumt es jedermann die Befugnis ein, seine Güter und insbesondere sein Leben zu schützen. Es verpflichtet im Gegenzug jedoch niemanden, ebendiese fremden Güter zu respektieren. Da dem natürlichen Recht Hobbes’ keine korrespondierende Pflicht gegenübersteht, ist es folglich normativ ohne Gehalt. Vgl. dazu Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 74 ff.; ders., Thomas Hobbes, S. 129 f. 162 Hobbes, Leviathan, 14. Kap. S. 100; ders., Vom Bürger, 1. Kap. 8 (S. 81). Vgl. auch May, Kants Theorie des Staatsrechts, S. 46 f. 163 So formuliert Hobbes, Leviathan, 14. Kap. S. 99 f.; ders., Vom Bürger, 2. Kap. 2 (S. 87), sein erstes und grundlegendes Gesetz der Natur. 164 Hobbes, Leviathan, 14. Kap. S. 100; ders., Vom Bürger, 2. Kap. 3 (S. 87). 165 Hobbes, Leviathan, 17. Kap. S. 134. 166 Hobbes, Leviathan, 17. Kap. S. 134 f.; 21. Kap. S. 171; ders., Vom Bürger, 13. Kap. 6 (S. 206 f.). 167 Hobbes, Leviathan, 17. Kap. S. 134; ders., Vom Bürger, 13. Kap. 6 (S. 206).

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Recht auf Selbstverteidigung aufgeben, da die Beibehaltung dieses Rechts nur zum Fortbestehen des Kriegszustandes führen würde.168 Der vertragliche Verzicht auf das Selbstverteidigungsrecht gilt jedoch nicht unbegrenzt. So führt Hobbes aus, niemand könne durch einen Vertrag verpflichtet werden, sich töten oder verletzen zu lassen.169 Gerade der Schutz vor gewalttätigen Übergriffen ist Zweck jeden Rechtsverzichtes.170 Kann dieser Schutz nicht durch den Staat gewährt werden, wird der Einzelne sich aber zum Widerstand entschließen und wieder in das Recht eintreten, „sich nach seinem Ermessen zu verteidigen.“171 Es ist eine aus einem höchsten Grad der Furcht geborene Naturnotwendigkeit, dass sich der Einzelne vor Verletzung oder Tod schützt – sei es durch Flucht oder auch durch Kampf. Der Mensch wird immer eher die Gefahr des Todes bei einer Widerstandshandlung wählen, als den sicheren und sofortigen Tod ohne Verteidigung hinzunehmen.172 Ein derartiges Übel verteidigungslos über sich ergehen zu lassen ist unmöglich.173 Also kann in einer derartigen Situation ein Verzicht auf Widerstandsrechte auch nicht bindend sein, denn zu etwas Unmöglichem kann man sich nicht bindend verpflichten.174 Ein Verzicht darauf, sich mit Gewalt gegen Gewalt zu verteidigen, kann demnach vertraglich nicht vereinbart werden und „ist immer nichtig“.175 Insofern ist für Hobbes das Recht, Leib und Leben im Notfall mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Gewalt zu verteidigen176, der Inbegriff der beim Vertragsschluss zurückbehaltenen Naturrechte.177 Hobbes unterscheidet folglich zwischen präsenter – und hilfsbereiter – staatlicher Macht und solcher, die aus welchen Gründen auch immer nicht fähig ist, ausreichenden Schutz zu bieten. Für die Subsidiarität des Selbstverteidigungs___________ 168

Hobbes, Leviathan, 14. Kap. S. 100; ders., Vom Bürger, 2. Kap. 3 (S. 87 f.). Hobbes, Leviathan, 14. Kap. S. 107; ders., Vom Bürger, 2. Kap. 18 (S. 94). 170 Hobbes, Leviathan, 14. Kap. S. 107; auch 21. Kap. S. 171. 171 Hobbes, Vom Bürger, 13. Kap. 17 (S. 216). 172 Hobbes, Leviathan, 14. Kap. S. 107. 173 Hobbes, Vom Bürger, 2. Kap. 18 (S. 94). 174 Hobbes, Leviathan, 14. Kap. S. 106 f.; ders., Vom Bürger, 2. Kap. 18 (S. 94). 175 Hobbes, Leviathan, 14. Kap. S. 107. 176 Ob auch eine Verteidigung bei Angriffen auf andere, geringwertigere Rechtsgüter als Leib und Leben zulässig ist, macht Hobbes, Leviathan, 21. Kap. S. 170, abhängig „vom Schweigen des Gesetzes“. Sofern in derartigen Konstellationen die Not des Betroffenen nicht existenziell ist, kann ein Souverän privaten Widerstand gegen solche Angriffe untersagen, vgl. Haas, Notwehr, S. 78. Gefährdet ein Angriff auf solche geringwertigeren Rechtsgüter jedoch das Existenzminimum, müsste Hobbes konsequenterweise auch hier eine Verteidigungsmöglichkeit für zulässig erachten, so Haas, Notwehr, S. 77 f. Fn. 38. 177 Haas, Notwehr, S. 77. Ähnlich auch Dix, Lebensgefährdung und Verpflichtung, S. 91 f. 169

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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rechts gegenüber hoheitlicher Gewalt bedeutet diese Konzeption folglich, dass eine Selbstverteidigung des Einzelnen innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft so lange hinter den Schutz durch staatliche Einrichtungen zurücktritt, wie der Staat fähig und willens ist, diesen Schutz auch zu bieten. Kann die hoheitliche Gewalt hingegen Rechtsgüter des Betroffenen nicht hinreichend verteidigen – weil entweder staatlicher Schutz versagt ist oder der Staat selbst der Angreifer ist –, lebt das natürliche Selbstverteidigungsrecht wieder auf.178

bb) John Locke Den systematischen Ausgangspunkt der Legitimation politischer Gewalt bildet auch bei John Locke (1632–1704) die Lehre vom Naturzustand. Anders als bei Hobbes ist dieser aber nicht durch deskriptive anthropologische Merkmale geprägt, sondern ein Rechtszustand, in dem zum einen die Menschen Träger natürlicher Rechte sind, zum anderen aber auch ein natürliches Gesetz gilt179: Während die hobbesschen Menschen im Naturzustand nur an der Verfolgung von Eigeninteressen und egoistischer Nutzenmaximierung interessiert sind180, stattet Locke seine Naturzustandsbewohner mit Vernunft aus. Dieser Vernunft entspricht ein im Naturzustand für alle Menschen verbindliches natürliches Gesetz, welches ihnen gebietet, einander weder körperlichen Schaden noch Schaden an Gesundheit, Freiheit oder Besitz zuzufügen.181 Schließlich sind laut Locke im Naturzustand alle Menschen unabhängig und gleich und niemand besitzt ein Herrschaftsrecht über einen anderen.182 In diesen individuellen Rechtspositionen spiegelt sich auch das Eigentumsrecht Gottes an seiner Schöpfung wieder. Als Gottes Werk sind die Menschen verpflichtet, sowohl sich selbst als auch im Rahmen des Möglichen die übrige Menschheit zu erhalten.183 Die Grundtendenz des menschlichen Zusammenlebens im Naturzustand ist nach Locke also grundsätzlich friedlich und nahezu paradiesisch.184

___________ 178

So auch Haas, Notwehr, S. 77 f. Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 110 f. 180 Münkler, Hobbes, S. 81 ff. Vgl. auch Hobbes, Vom Menschen, 11. Kap. 6. (S. 24). 181 Locke, Abhandlungen II, 2. Kap. § 6. 182 Locke, Abhandlungen II, 2. Kap. § 4. 183 Locke, Abhandlungen II, 2. Kap. § 6. 184 Zu diesem Ergebnis gelangt beispielsweise Haas, Notwehr, S. 79. Vgl. auch Locke, Abhandlungen II, 3. Kap. § 19. Zur Interpretation des lockeschen Naturzustandes als „unerträglich“ vgl. die Ausführungen und Nachweise bei Euchner, Naturrecht, S. 4, 74 ff. 179

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Dennoch erkennt Locke die Möglichkeit an, dass dieses harmonische Nebeneinander durch Unruhestifter beeinträchtigt werden kann. Indem sie einem anderen Bewohner des Naturzustandes Schaden zufügt, übertritt eine solche Person das natürliche Gesetz und macht damit deutlich, „nach einer anderen Vorschrift als der der Vernunft und allgemeinen Gleichheit zu leben“.185 Indem diese Person durch ihr Verhalten zeigt, dass sie sich nicht an die Maßstäbe gebunden fühlt, die alle Menschen vor Unrecht und Gewalt schützen sollen, wird sie zu einer Gefahr für das friedliche und sichere Zusammenleben der gesamten Menschheit, vor der die Gemeinschaft geschützt werden muss. Um diesen Schutz durch Abschreckung und Wiedergutmachung zu erreichen, ist jedermann berechtigt, den Missetäter für sein vernunftwidriges Verhalten zu bestrafen und auf diese Weise das Gesetz der Natur zu vollstrecken.186 Zwangsläufig werden mit jeder Übertretung des natürlichen Gesetzes neben den Schutz- und Sicherheitsinteressen der Gemeinschaft auch Interessen desjenigen verletzt, dessen Rechtsgüter der Gesetzesbrecher zu beeinträchtigen droht. Auch diesem Dritten gegenüber versetzt sich der Missetäter in einen Kriegszustand, in welchem er das eigene Leben der Gewalt des sich und seine Güter verteidigenden Dritten ausliefert.187 Das Grundgesetz der Natur verlangt, zunächst sich selbst zu erhalten, und räumt damit dem Angegriffenen ein Recht auf Selbstverteidigung ein. Zwar soll auch die übrige Menschheit im Rahmen des Möglichen erhalten werden. Doch entspricht es sowohl der Vernunft als auch der Gerechtigkeit, dass in einer derartigen Konstellation die Interessen des sich Verteidigenden denen des Angreifers übergeordnet sind. Der Angreifer verliert seine Rechtspersonalität und verwirkt jeglichen Schutz durch die Gesellschaft, da er durch sein Verhalten das Band zerrissen hat, welches ihn mit den anderen verbunden hatte.188 Um die eigene Sicherheit und Freiheit zu bewahren, darf dem Angreifer – ebenso wie einem gefährlichen und schädlichen Raubtier – sogar das Leben genommen werden.189 ___________ 185 Locke, Abhandlungen II, 2. Kap. § 8 (Hervorhebungen im Original); vgl. auch 3. Kap § 16. 186 Locke, Abhandlungen II, 2. Kap. § 8. – Dieses Recht auf Vollstreckung des natürlichen Gesetzes bezeichnet Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 113 f., als ein Recht zweiter Ordnung, das zusätzlich neben das Selbstverteidigungsrecht tritt. Anders Haas, Notwehr S. 80. 187 Locke, Abhandlungen II, 3. Kap. §§ 16 ff. 188 Locke, Abhandlungen II, 2. Kap. § 8; 3. Kap. § 16. Vgl. auch Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 117. 189 Locke, Abhandlungen II, 3. Kap. § 16. – Ausdrücklich schreibt Locke, dass man „ein Recht habe, etwas zu vernichten, was [seinerseits] mit Vernichtung droht“. Dies gilt nicht nur bei Kapitaldelikten, sondern auch bei geringeren Vergehen, vgl. Locke, Abhandlungen II, 3. Kap. § 18.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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Diese Überlegung, die Locke zunächst für den vorstaatlichen Naturzustand entwickelt, überträgt er auch auf die staatliche Gesellschaft. Aus fundamentalen Klugheitserwägungen treten die Naturzustandsbewohner durch Vertragsschluss eines jeden mit einem jeden in einen Staat ein. Dieser ist aufgrund seiner rechtssichernden Leistungen nützlich und ermöglicht es, die Defizite des Naturzustandes zu überwinden.190 Die Gewalt des Staates wird aber durch den herrschaftsbegründenden Vertrag zugleich auch limitiert. Staatliche Macht darf nur in den Freiheitsbereichen ausgeübt werden, welche die Individuen ausdrücklich auf den politischen Körper übertragen haben. Nicht vertraglich übertragene Rechte hingegen sind der staatlichen Einwirkung entzogen.191 Zwar liegt die Befugnis, Gesetzesbrecher für ihre Übertretungen zu strafen, nunmehr nicht länger in den Händen der einzelnen Bürger, sondern geht auf staatliche Einrichtungen über.192 Anders verhält es sich jedoch mit dem Recht auf Selbstverteidigung. Denn auch bei einem Eintritt in eine staatliche Gesellschaft verzichten die einzelnen Mitglieder nur in den Fällen auf ihre natürlichen Verteidigungsrechte, in denen sie die Möglichkeit haben, die Gemeinschaft bzw. die durch sie geschaffenen Gesetze zu ihrem Schutz anzurufen.193 In Fällen unmittelbarer Gewalt fehlt diese Möglichkeit jedoch. Daher erachtet Locke das Selbstverteidigungsrecht auch in der staatlichen Gesellschaft ausdrücklich für zulässig, sofern sich der Bürger vor unmittelbarer Gewalt schützen muss.194 Denn auch im Staat führe der Gebrauch von – unrechtmäßiger – Gewalt dazu, dass sich der Angreifer dem Angegriffenen gegenüber in einen Kriegszustand versetzt195, in welchem alle früheren Verpflichtungen aufgehoben werden und jeder Angegriffene das Recht hat, „sich selbst zu verteidigen und sich dem Angreifenden zu widersetzen.“196 Darüber hinaus habe der Angegriffene sogar „die Freiheit, den Angreifer zu tö___________ 190 Locke, Abhandlungen II, 9. Kap. §§ 123 ff. Vgl. auch Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 127. 191 Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 133. 192 Locke, Abhandlungen II, 7. Kap. §§ 88 f.; 8. Kap. § 99; 9. Kap. §§ 128, 130 f. 193 Locke, Abhandlungen II, 7. Kap. § 87. Vgl. auch Locke, Abhandlungen II, 9. Kap. §§ 129 f., wo zwischen der Abtretung der Gewalt zu strafen und der Gewalt, innerhalb der Grenzen des natürlichen Gesetzes alles für die eigene Selbsterhaltung zu tun, differenziert wird. Erstere wird vollständig zugunsten des Staates aufgegeben, letztere hingegen nur, damit sie durch Gesetz geregelt werde. 194 Locke, Abhandlungen II, 3. Kap. § 19; 19. Kap. § 232. 195 Unterschiede ergeben sich jedoch bei der Frage, wann der so entstandene Kriegszustand wieder endet. Während im vorstaatlichen Zustand mangels übergeordneter Autorität ein einmal entfachter Kriegszustand fortdauert, endet dieser in einer staatlichen Gesellschaft grundsätzlich mit der Beendigung der unmittelbaren Gewalt, vgl. Locke, Abhandlungen II, 3. Kap. § 20. Eine Ausnahme macht Locke allerdings in den Fällen, in denen die obrigkeitliche Hilfe „durch offensichtliche Verkehrung der Gerechtigkeit und unverhüllte Rechtsverdrehung verweigert wird“. 196 Locke, Abhandlungen II, 19. Kap. § 232 (Hervorhebungen im Original).

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

ten, weil [dieser] in einem Fall, wo das Unrecht nicht wiedergutzumachen wäre, keine Zeit läßt, [einen] gemeinsamen Richter oder die Entscheidung des Gesetzes um Hilfe anzurufen.“197 Ist also in einem aus unmittelbarer Gewalt geborenen Kriegszustand jedwede Verpflichtung aufgehoben, kann auch die Obrigkeit in derartigen Konstellationen nicht länger Gehorsam von ihren Untertanen verlangen. Anders als bei Hobbes ist das lockesche Notwehrrecht gegenüber obrigkeitlicher Gewalt folglich niemals subsidiär, unabhängig davon, ob derartige Hilfe präsent ist oder nicht.198

cc) Samuel Pufendorf In Anlehnung an und mit dem Versuch, die Lehren von Hobbes und Grotius zu vereinigen, stellen für Samuel Pufendorf (1632–1694) der Selbsterhaltungstrieb sowie der Trieb des Einzelnen zu einem Leben in Gesellschaft die beiden Hauptneigungen des Menschen dar.199 Diese vereint Pufendorf in dem Gebot, dass jeder anstreben soll, sich so zu erhalten, dass er die menschliche Gemeinschaft nicht störe.200 Der Einzelne wird in ein System sozialer Zusammenhänge eingeordnet, in dem alle Menschen von Natur aus gleich201 und frei202 sind. Die Menschen sind verpflichtet, einander als von Natur aus Gleiche anzuerkennen, um so die Basis für ein geselliges Miteinander zu schaffen.203 An diesem Ziel misst sich auch der Wert der Handlungen des Einzelnen. Sittlich wertvoll und dem Sozialitätsprinzip entsprechend ist, was der Aufrechterhaltung und Förderung der menschlichen Gemeinschaft dient.204 Obwohl die Naturgesetze den Menschen verpflichten, Frieden mit seinen Mitmenschen zu etablieren und auch aufrechtzuerhalten, kann ihm dennoch ___________ 197

Locke, Abhandlungen II, 3. Kap. § 19. Ähnlich, aber mit anderer Begründung, Haas, Notwehr, S. 81. 199 Pufendorf, Elemtorum jurisprudentiae, 2. Observation III-IV (S. 233 ff.). Vgl. auch Haas, Notwehr, S. 82; Simons, Einleitung, S. 27a f.; Welzel, Pufendorf, S. 41. 200 Pufendorf, Elemtorum jurisprudentiae 2. Observation IV, 4 (S. 242). – Vgl. auch Simons, Einleitung, S. 28a: „alles, was für den Gesellschaftszweck … nötig ist, ist als rechtlich geboten zu erachten; alles was ihn stört oder vereitelt, als rechtlich verboten.“ 201 Pufendorf, De jure, 3. II. 1, 2 (S. 330, 333). 202 Pufendorf, De jure, 2. II. 8 (S. 342). 203 Pufendorf, De jure, 3. II. 1 (S. 330). 204 Welzel, Pufendorf, S. 50. – Dieser Grundkonzeption entspricht die Idee des Humanismus, in welcher die Gedanken der Stoa – Gebot der allgemeinen Menschenliebe – und des Christentums – Gebot der brüderlichen Nächstenliebe – fortleben, vgl. Pufendorf, De jure, 3. III. 16 (S. 375). 198

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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nicht das Recht genommen werden, sich gegen die Aggressionen anderer – notfalls mit Gewalt – zur Wehr zu setzen. Denn die Pflicht zur Beachtung der natürlichen Gesetze ist nach Pufendorf eine wechselseitige. Hält sich der Aggressor nicht an das Friedensgebot, kann auch der Angegriffene nicht dazu verpflichtet sein, diesen schadlos zu halten. Zudem würde das Verbot einer wehrhaften Verteidigung keinesfalls ein friedliches Zusammenleben fördern, sondern vielmehr das Ende der Menschheit bedeuten.205 Bei der Bestimmung der Grenzen des Selbstverteidigungsrechts differenziert Pufendorf scharf zwischen den Befugnissen im Naturzustand und denen in einer bürgerlichen Gesellschaft. Zwar ist es auch im Naturzustand klug, Angriffen soweit wie möglich auszuweichen, da jede wehrhafte Verteidigung die Gefahr einer Verletzung in sich birgt. Kann die eigene Sicherheit jedoch auf diese Weise nicht gewährleistet werden, hat jeder das Recht, sich auch mit Gewalt zu verteidigen. Schließlich folgt aus dem pufendorfschen Sozialitätsprinzip – zumindest für denjenigen, an dessen Erhaltung der Gesellschaft viel gelegen ist – die Pflicht, sich selbst zum Wohle der Gemeinschaft zu erhalten.206 Dabei unterliegt das Notwehrrecht keinerlei Beschränkungen. Ohne Beachtung einer Proportionalität zwischen Schaden und drohender Gefahr ist eine Tötung des Angreifers sogar dann zulässig, wenn dieser es nur auf eine Verletzung der körperlichen Gesundheit oder das Eigentum abgesehen hat.207 Darüber hinaus begrenzt Pufendorf den zeitlichen Rahmen der Notwehr im Naturzustand nicht nur auf – im herkömmlichen Sinne – gegenwärtige Angriffe. Da der Einzelne im Naturzustand mangels staatlicher Autorität auch präventive Funktionen wahrnimmt, ist er bereits ab dem Zeitpunkt einer mit Gewissheit drohenden Gefahr für eigene Rechtsgüter208 bis zur Erreichung auch künftiger Sicherheit209 zur Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes befugt.210 ___________ 205

Pufendorf, De jure, 2. V. 1 (S. 264 f.). Vgl. Pufendorf, De jure, 2. V. 2 (S. 266); Simons, Einleitung, S. 29a; Welzel, Pufendorf, S. 88. 207 Pufendorf, De jure, 2. V. 3 (S. 267, 269). 208 Pufendorf, De jure, 2. V. 6 (S. 275). 209 Pufendorf, De jure, 2. V. 3 (S. 269, 271). Die Anforderungen an das Erreichen der eigenen Sicherheit auch für die Zukunft hängen nach Pufendorf davon ab, von wem die Initiative für die Beilegung der Feindseligkeiten ausgeht. Bemüht sich der Aggressor um Versöhnung, so sollen Reue und Versprechen künftiger Friedfertigkeit ausreichender Beweis für die Beendigung des Angriffs sein. Muss der Angreifer hingegen mit Gewalt zur Reue gezwungen werden, ist die eigene Sicherheit erst dann wiederhergestellt, wenn man dieser Person entweder die Macht nimmt, anderen Schaden zuzufügen, oder ihm sonstige Hemmnisse auferlegt, um für die Zukunft die von ihm ausgehende Gefahr zu bannen. 210 Anders als bei Locke, Abhandlungen II, 3. Kap. § 20, dauert ein einmal im Naturzustand begonnene Feindseligkeit also nicht fort, sondern endet, wenn der Angreifer 206

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Die Ausübung der Notwehr innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft beschränkt Pufendorf hingegen in mehreren Punkten. Anders als im Naturzustand ist in einer bürgerlichen Gesellschaft eine Selbstverteidigung nicht generell für alle Rechtsgüter zulässig, sondern allenfalls bei einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Leben, ein dem Leben gleichwertiges211 oder ein unersetzliches Gut.212 Der Angegriffene darf sich nur gegen die unmittelbare Gefahr selbst verteidigen; Rache, Wiedergutmachung sowie die Sicherung des Schutzes vor zukünftigen Angriffen durch den Täter liegen hingegen in den Händen der Obrigkeit.213 Darüber hinaus muss der Angegriffene grundsätzlich versuchen, der vom Angreifer ausgehenden Gefahr auf andere Weise als durch eine Tötung desselben zu entweichen. Fluchtmöglichkeiten sind jedenfalls dann zu ergreifen, wenn man sich ohne Erhöhung einer Gefahr für eigene Rechtsgüter dem Angriff entziehen kann. Die Tötung des Angreifers in Notwehr ist nur als ultima ratio zulässig.214 Ausdrücklich wird die Notwehr schließlich auf die Angriffe begrenzt, die an einem Ort und zu einer Zeit stattfinden, wo staatliche Hilfe nicht zu erlangen ist. Insofern wird in der bürgerlichen Gemeinschaft die Zulässigkeit jeglicher Selbstverteidigung an das Fehlen obrigkeitlicher Hilfe geknüpft, um die sich der Angegriffene allerdings stets bemühen müsse. Denn nichts ist laut Pufendorf dem unbedingten Vorrang von Recht und Gesetz so abträglich wie die Ausübung privater Gewalt der Bürger untereinander.215 Der eindeutige Vorrang staatlicher Gewalt wird im Rahmen der Verteidigung von Eigentumspositionen nochmals deutlich ausformuliert. Grundsätzlich ist es den Bürgern verboten, Angriffe auf ersetzbare Rechtsgüter mit allen Mitteln zu verteidigen. Viel___________ Reue gezeigt und den entstandene Schaden wieder gutgemacht hat, vgl. Pufendorf, De jure, 2. V. 3 (S. 270 f.). 211 Dem Leben gleichwertige oder unersetzliche Güter sind die Körperintegrität und die geschlechtliche Unversehrtheit, Pufendorf, De jure, 2. V. 10 f. (S. 278 f.). Die Abwehr von Angriffen auf die Ehre oder von leichten körperlichen Beeinträchtigungen obliegt hingegen der Obrigkeit, ders., a.a.O., 2. V. 12 (S. 281). Darüber hinaus schließen positive Gesetze regelmäßig die zur Tötung berechtigende Notwehr für Angriffe auf Sachen aus, wenngleich es dem Staat letztlich nicht verwehrt bleiben könne, auch die Eigentumsnotwehr zu legitimieren, ders., a.a.O., 2. V. 16 (S. 289). Vgl. auch Haas, Notwehr, S. 84 f.; Welzel, Pufendorf, S. 89. 212 Pufendorf, De jure, 2. V. 4 (S. 271). 213 Pufendorf De jure, 2. V. 4, 8, 10 (S. 271, 277 f.). Allerdings verlangt auch Pufendorf, a.a.O., 2. V. 8 (S. 276 f.), nicht, dass das Opfer den ersten Schlag des Angreifers abwarten und so auf die Möglichkeit einer effizienten Verteidigung verzichten muss. 214 Pufendorf, De jure, 2. V. 9, 13 (S. 277, 282). Berücksichtigt werden soll jedoch die psychische Zwangslage des Opfer im Zeitpunkt des Angriffs. In einem derartigen Zustand könne dem Angegriffenen nicht abverlangt werden, alle erdenklichen Fluchtmöglichkeiten ganz genau zu untersuchen, ders., a.a.O. 215 Pufendorf, De jure, 2. V. 4 (S. 271), zum Teil unter Berufung auf Cicero. Vgl. auch ders., a.a.O., 2. V. 7 (S. 276); Haas, Notwehr, S. 84.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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mehr kann und soll in derartigen Fällen durch die Ausübung staatlicher Gewalt ohne großen Aufwand Wiedergutmachung gewährt werden. Infolgedessen führt auch eine Übertretung dieser Grenze der Verteidigung nicht dazu, dass dem Angreifer ein Unrecht geschieht. Vielmehr handelt es sich bei einem solchen „Exzess“ um einen Verstoß gegen staatliche Normen.216 Der Vorrang hoheitlicher Gewalt reicht jedoch nur soweit, wie die Obrigkeit bereit und fähig ist, tatsächlich Hilfe zu gewähren. Wird der staatliche Beistand hingegen verweigert, entfallen alle Beschränkungen, die für den bürgerlichen Zustand gelten sollen. In Konsequenz des naturrechtlichen Ansatzes darf sich der Angegriffene ohne Hilfe des Staates auf die gleiche Art und Weise verteidigen, als ob er sich im Naturzustand befinden würde.217

b) Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten Erst unter dem Einfluss der Aufklärung und der naturrechtlichen Lehren setzte sich auch in der Gesetzgebung die Überzeugung durch, dass die Selbstverteidigung ein Recht sei, dass jeder Person von Natur aus zustehe, und dass sich der Einzelne mit den Mitteln der Notwehr gegen alle Formen rechtswidriger Angriffe verteidigen dürfe. So wird die Notwehr etwa im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten aus dem Jahre 1794 nicht mehr im Zusammenhang mit den Tötungsdelikten behandelt, sondern als Befugnis zur Verteidigung eines jeden Rechtsgutes anerkannt.218 Ausdrücklich heißt es im zweiten Teil, 20. Titel, § 517 ALR: „Jeder hat die Befugniß, die ihm … drohende Gefahr einer unrechtmäßigen Beschädigung, durch der Sache angemessene Hülfsmittel abzuwenden.“219 Um der Gefahr entgegenzuwirken, dass die Anerkennung eines zu weit reichenden Notwehrrechts Anlass zu privaten Auseinandersetzungen geben könnte, stellte man dieser Erweiterung des Anwendungsbereichs verschiedene Einschränkungen entgegen.220 So verlangte man etwa, dass „das zur Abwendung des Schadens gewählte Mittel mit dem Schaden selbst … in Verhältnis stehen“ müsse, zweiter Teil, 20. Titel, § 520 ALR.221 Ferner sollte der Schutz der Rechtsgüter der Bürger weiterhin primäre Aufgabe des Staates sein. Dieser ___________ 216 Pufendorf, De jure, 2. V. 16 (S. 289). Ähnliche, auf geltendes Recht übertragene Überlegungen bei Haas, Notwehr, S. 332 f. 217 So Haas, Notwehr, S. 85. Vgl. ferner Pufendorf, De jure, 2. V. 7 (S. 275); Simons, Einleitung, S. 30a. 218 Vgl. Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 37. 219 Eine Abschrift des vollständigen Normtextes findet sich in der Anlage. 220 Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 37 ff. 221 Eine Abschrift des vollständigen Normtextes findet sich in der Anlage.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Gedanke wurde bereits in der Einleitung des Allgemeinen Landrechts festgehalten. Die §§ 76 f. EALR222 regelten, dass jeder Bürger das Recht habe, staatlichen Schutz einzufordern, aber im Gegenzug grundsätzlich auf private Gewalt verzichten müsse. Selbsthilfe entschuldigte man nur ausnahmsweise dann, „wenn die Hülfe des Staats zur Abwendung eines unwiederbringlichen Schadens zu spät kommen würde“, § 78 EALR.223 Dieser Gedanke eines generellen Vorrangs staatlicher Gefahrenabwehr findet sich sodann ein weiteres Mal ausdrücklich im Zusammenhang der Notwehrregelungen wieder: „Die Nothwehr findet … nur alsdann statt, wenn die obrigkeitliche Hülfe die Beleidigung weder abwenden, noch den vorigen Zustand wieder herstellen kann“, zweiter Teil, 20. Titel, § 518 ALR.224

3. Subsidiarität der Notwehr im deutschen Idealismus Im Gegensatz zu dem eher geringen Einfluss der Rechtsphilosophie auf die Strafrechtswissenschaft der Aufklärung beherrscht das philosophische Gedankengut die Strafrechtstheorie des 19. Jahrhunderts. Insbesondere im Bereich der modernen Notwehrtheorie werden in dieser Epoche Grundlagen entwickelt, die auch nach dem Rückgang des unmittelbaren Einflusses der Philosophie auf die Strafrechtswissenschaft bis in die heutige Zeit fortgelten.225 Im besonderen Maße wurde die Strafrechtstheorie des 19. Jahrhunderts durch die Lehren von Kant und Hegel beeinflusst. In welchem Verhältnis Notwehr und staatliche Hilfe in den Lehren dieser beiden Philosophen zueinander standen und wie sich das Subsidiaritätsverhältnis in ausgewählten Partikularstrafgesetzbüchern darstellte, soll im Folgenden aufgezeigt werden.

a) Subsidiarität der Notwehr in den philosophischen Lehren Kants und Hegels aa) Subsidiarität der Notwehr in der Lehre Kants Obwohl im Werk Immanuel Kants (1724–1804) noch ein auffälliger Anteil des aus der Epoche der Aufklärung übernommenen Gedankenguts zu finden ist, gilt er als der eigentliche Überwinder der rationalistischen Naturrechtslehre.226 ___________ 222

Eine Abschrift der §§ 76 f. EALR findet sich in der Anlage. Eine Abschrift des § 78 EALR findet sich in der Anlage. 224 Eine Abschrift des vollständigen Normtextes findet sich in der Anlage. 225 Haas, Notwehr, S. 95. 226 Eisenhardt, Rechtsgeschichte, Rn. 542; Haas, Notwehr, S. 95; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 180 f. 223

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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In Abkehr von naturrechtlichen Nützlichkeitserwägungen und frei von teleologischen Zügen bildet die Lehre von der Selbstgesetzgebung der praktischen Vernunft den Mittelpunkt der Philosophie Kants. Dieser ist der Mensch sowohl in seiner inneren, zwecksetzenden Freiheit als auch in seiner äußeren Handlungsfreiheit unterworfen.227 So regelt die reine praktische Vernunft die innere Freiheit des Menschen als einen kategorischen Imperativ, der vom Einzelnen verlangt, nur nach solcher Maxime zu handeln, die als Grundsatz für den Willen eines jeden vernünftigen Wesens taugen kann.228 Die äußere Freiheit wird hingegen durch ein allgemeines Prinzip des Rechts geordnet. Dieses bestimmt als formales Gesetz der Handlungsfreiheit, dass nur diejenige Handlung recht ist, „die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“.229 Insofern konzentriert sich dieses Rechtsprinzip allein auf die formale Verträglichkeit der äußeren Freiheit des einen mit der äußeren Freiheit eines anderen. Innerhalb dieser Grenzen des individuellen Freiheitsgebrauchs hat der Einzelne hingegen ein Recht auf selbstverantwortliche Lebensführung, das niemand verletzen darf. Daher stellen die Handlungen desjenigen, der andere in der Ausübung ihrer Handlungsfreiheit behindert, Unrecht dar, „denn dieses Hindernis (dieser Widerstand) kann mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen nicht bestehen.“230 Schränkt ein derartiges Unrecht den Freiheitsbereich eines anderen ein, so ist gegen die Grenzverletzung eine Verteidigung auch unter Ausübung von Zwang zulässig. Denn „der Zwang, der diesem [Unrecht] entgegengesetzt wird, [ist] als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, d. i. recht“231. Die Befugnis, zum Zwecke der Verteidigung des unter Zugrundelegung des allgemeinen Rechtsprinzips allgemeinverträglichen Freiheitsraumes – präventiv oder restitutiv232 – Zwang auszuüben, ist Bestandteil des Rechtsbegriffs; „Recht und Befugnis zu zwingen bedeuten … einerlei.“233, 234 Folglich ergibt sich für Kant die ___________ 227

Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 183. Kersting Gesellschaftsvertrag, S. 183. 229 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 337. 230 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 337. 231 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 338 f. – Treffend formuliert Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 144 f.: „Der legitime Zwang greift nicht an, sondern verteidigt sich; er ist kein aggressiver, sondern ein defensiver Zwang, ein Gegen-Zwang. Und im Rahmen des defensiven Zwangs ist … allein jener Zwang legitim, der sich gegen Unrecht wendet.“ 232 Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 144. 233 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 340. Vgl. auch Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 145; Kant, a.a.O., S. 338 f.; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 184; Küper, Brett des Karneades, S. 9 f.; ders., FS Wolff, S. 285 (292 f.). 228

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Rechtfertigung einer Verteidigungshandlung aus der Innehabung der jeweiligen Rechtsposition. Ein eigenständiges „Recht auf Notwehr“ existiert für Kant daher nicht. Vielmehr stellt das Notwehrrecht eine „Befugnis zweiter Stufe“ dar.235 Es ist die Form, in welcher das jeweils angegriffene Recht in der konkreten Verteidigungssituation ausgeübt wird.236, 237 – Angesichts dieser allgemeinen Grundgedanken seines Rechtsbegriffes stellt die Befugnis zur Notwehr, also das Recht zur Behauptung des eigenen Freiheitsbereiches gegenüber ungerechten Eingriffen Dritter, eine Selbstverständlichkeit dar.238 Ohne diese Feststellungen näher zu erläutern,239 bezeichnet Kant die Selbsterhaltung „als erste Pflicht [des Menschen] gegen sich selbst“240 und die Notwehrbefugnis als dessen „heiligstes Recht“241. Durch die im Passiv formulierte Herleitung der Zwangsbefugnis242 lässt Kant vorerst die Frage unbeantwortet, wer für die Ausübung des Zwanges zuständig ist und damit, in welchem Verhältnis private Notwehr und staatliche Gefahrenabwehr zueinander stehen. Näheren Aufschluss können indes insbesondere Kants Ausführungen zum Übergang vom rein privatrechtlichen außerstaatlichen in den staatlich organisierten bürgerlichen Zustand geben. Den Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildet in Übereinstimmung mit der naturrechtlichen Tradition auch bei Kant der Naturzustand.243 In Anlehnung an das hobbessche Natur___________ 234

Im Ergebnis stellt diese Begründung der Zwangsbefugnis eine Umformulierung des naturrechtlichen Satzes dar, nach welchem mit der Zuerkennung eines Rechtes zugleich die Befugnis verbunden ist, dieses auch durchzusetzen, Haas, Notwehr, S. 97. Dazu auch § 89 EALR (vgl. den Normtext in der Anlage); Hobbes, Vom Bürger, 1. Kap. 8 (S. 81). 235 Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 139; Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (268). 236 Haas, Notwehr, S. 97; Hälschner, Preußisches Strafrecht, Bd. 2, S. 252; Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (268). 237 Daher finden sich bei Kant auch die Begriffe „Notwehr“ oder „Selbstverteidigung“ nicht. Ausdrücklich stellt Kant, Metaphysik der Sitten, S. 343, nur klar, dass es sich bei einer erlaubten Gewalttätigkeit gegen „einen ungerechten Angreifer auf mein Leben“ nach seiner Terminologie nicht um ein „Notrecht“, also um eine Befugnis zu Eingriffen im Rahmen eines Notstandes, handeln soll. 238 Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (266). 239 Nur beiläufig stellt Kant, Metaphysik der Sitten, S. 343, im „Anhang zur Einleitung in die Rechtslehre“ die Befugnis zur Selbstverteidigung dem Notrecht gegenüber. Während die bloße eigene Not eine „Gewalttätigkeit gegen den, der keine gegen mich ausübt“ nicht rechtfertigen kann, ist hingegen die Verteidigung „gegen einen Angreifer auf mein Leben“ ohne jedwede Einschränkung erlaubt, Kant, a.a.O. 240 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 553. 241 Kant, Reflexion Nr. 7195, zitiert nach Küper, FS Wolff, S. 285 (289 Fn. 12). 242 Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (269). 243 Der kantische Naturzustand ist allerdings ein bloßes, von allen empirischen und anthropologischen Annahmen befreites Gedankenexperiment, durch welches die Not-

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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zustandsverständnis zeichnet Kant seinen außerstaatlichen Zustand als eine durch gegenseitiges Misstrauen geprägte Konfliktsituation.244 Anders als Hobbes245 rückt Kant jedoch nicht das Selbsterhaltungsrisiko in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Stattdessen konstruiert er den außerstaatlichen Zustand als einen Zustand des apriorischen Privatrechts, in dem es sowohl Recht als auch die damit verbundene Zwangsbefugnis gibt.246 Allerdings ist dieser Zustand durch grundlegende Unsicherheiten gekennzeichnet. Da objektive Auslegungen der privatrechtlichen Normen im Naturzustand fehlen, kann jeder die Ausübungsbedingungen seiner Rechte selbst festlegen.247 Zwangsweise führt diese Vielfalt gleichberechtigter Rechtsmeinungen und Privatrechtsinterpretationen zu Divergenzen über die Reichweite der jeweiligen Rechte, die mangels allgemein anerkannter und zwangsbewehrter öffentlicher Gesetze sowie eines verbindlich darüber entscheidenden Richters unüberwindbar sind.248 Alle Rechtspositionen können daher im vorstaatlichen Zustand immer nur vorläufiger Natur sein. Erst in einem staatlichen Gemeinwesen, in dem Rechte durch öffentliche Gesetze bestimmt und durch eine mit äußerer Macht ausgestattete Gewalt gesichert sind, können sich diese bloß vorläufigen Rechtspositionen des Naturzustandes zu dauerhaften verfestigen. Aus diesem Grund ist es die erste Pflicht des Naturzustandsbewohners, in einen staatlich organisierten bürgerlichen Zustand einzutreten.249 In einem Entäußerungsvertrag geben die einzelnen Individuen ihre natürliche ungeordnete Freiheit auf und unterwerfen sich den ___________ wendigkeit der Errichtung eines bürgerlichen Zustandes bewiesen werden soll, Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 130; Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 187 f. Vgl. auch Kant, Reflexion Nr. 6593: „Es wird … das recht im Stande der Natur … erwogen. Es wird bewiesen, daß es nicht willkührlich sey, aus dem Stande der Natur herauszugehen, sondern nothwendig nach Regeln des Rechts“, zitiert nach Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 187. 244 Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 189; May, Kants Theorie des Staatsrechts, S. 60. Vgl. auch Kant, Metaphysik der Sitten, S. 424 f., 430; ders., Reflexion Nr. 7646: Die Beschaffenheit des Naturzustandes zwingt den Einzelnen dazu, „jederzeit in Kriegsrüstung [zu] seyn“, zitiert nach Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 187. 245 Dazu bereits die Ausführungen unter B. I. 2. a) aa) ab S. 54 in diesem Kapitel. Vgl. auch May, Kants Theorie des Staatsrechts, S. 67. 246 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 366, 424 f., 430. – Im Naturzustand ist der Einzelne befugt, seine Rechte durchzusetzen. Wirkliche Feindseligkeiten anderer muss er dabei nicht abwarten, sondern ist bereits dann zur Ausübung des Zwanges berechtigt, wenn ihm bloß damit gedroht wird, Kant, a.a.O., S. 425. 247 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 430: Jeder hat das „Recht, zu tun, was ihm recht und gut dünkt, und [hängt] hierin von der Meinung des anderen nicht [ab]“. 248 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 430 f. Vgl. auch Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 190; May, Kants Theorie des Staatsrechts, S. 67 f.; Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (269). 249 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 430.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

gemeinschaftlich gegebenen öffentlichen und zwangsbewehrten Gesetzen.250, 251 Der einzelne Bürger verzichtet demgemäß auch darauf, seine Rechtspositionen mit privatem Zwang zu verteidigen. Den „Inbegriff des bürgerlichen Zustandes“ bildet vielmehr der „prinzipielle Beurteilungs- und Exekutionsprimat staatlicher Instanzen“.252 Aufgabe der staatlichen Gewalt ist es, die Bürger und ihre Rechte zu schützen, also die aus dem jeweiligen zu schützenden Recht folgende Zwangsbefugnis auszuüben.253 Private Notwehr ist demnach bei Kant subsidiär gegenüber hoheitlicher Gewalt.254 Ein Notwehrrecht kommt im bürgerlichen Zustand nur in denjenigen Ausnahmefällen in Betracht, in denen der Staat aus tatsächlichen Gründen daran gehindert ist, den Bürger zu schützen.

bb) Subsidiarität der Notwehr in der Lehre Hegels Anders als Kant erwähnt Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) das Notwehrrecht in seinen Abhandlungen nicht ausdrücklich. Dennoch kann Hegels „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ eine Position zum Institut der Notwehr an sich und dessen Verhältnis zur staatlichen Gefahrenabwehr entnommen werden. Gegenstand der philosophischen Rechtswissenschaft ist nach Ansicht Hegels „die Idee des Rechts“; nur sie hat als „Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung“ Wirklichkeit.255 Damit dem Recht Wirklichkeit im Vollsinne Hegels zukommen kann, muss es drei Stufen eines Entwicklungsprozesses durchlaufen:256 Den Ausgangspunkt bildet dabei das abstrakte Recht. Es hat seinen Ursprung im freien Willen und bildet dessen äußere Existenz257 ohne jedwedes Moment ___________ 250

Kant, Metaphysik der Sitten, S. 434. Anders als beispielsweise bei Hobbes oder Locke ist der Staatsgründungsvertrag bei Kant legitimationstheoretisch überflüssig geworden. Stattdessen übernimmt dieser die Funktion einer Organisationsnorm im „Rang einer vernunftrechtlichen Verfassung des Staates“, Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 198; May, Kants Theorie des Staatsrechts, S. 108. 252 Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (270). 253 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 203. 254 Haas, Notwehr, S. 96; Klesczewski, FS Wolff, S. 225 (244); Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (270). 255 Hegel, Grundlinien, § 1 (Werke, Bd. 7, S. 29) (Hervorhebungen im Original). Vertiefend hierzu Pawlik, M., Der Staat 41 (2002), S. 183 (186 ff.). 256 Vgl. Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 36; Pawlik, M., Der Staat 41 (2002), S. 183 (191): „Prozess seiner [sc. des Rechts] Selbstobjektivierung“; ders., ZStW 114 (2002), S. 259 (283 f.). 257 Hegel, Grundlinien, § 4 (Werke, Bd. 7, S. 46); ders., a.a.O., § 29 (Werke Bd. 7, S. 80): Das Recht ist „Dasein des freien Willens“ (Hervorhebungen im Original). 251

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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der Subjektivität.258 Dem abstrakten Recht steht die Moralität gegenüber. Sie ist das innere Dasein des Willens, hat „Subjektivität … für sich allein“.259 Beide Momente müssen schließlich auf der Entwicklungsstufe der Sittlichkeit eine konkrete Einheit bilden, „das Rechtliche und das Moralische … müssen das Sittliche zum Träger und zur Grundlage haben“260 Erst auf dieser letzten Entwicklungsstufe findet die Freiheit letztlich ihr Vervollkommnung, „die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit“.261 Repräsentiert wird diese Idee durch den freiheitlichen Staat, den Hegel als „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ bezeichnet.262 Nach Ansicht Hegels ist nur das staatliche Recht wirklich; ihm gegenüber steht die Unwirklichkeit des Unrechts. Das Unrecht, also die geschehene Verletzung des Rechts als Recht, ist bloßer Schein.263 Es ist ein „Dasein, das dem Wesen unangemessen ist“;264 seine äußere Existenz ist „in sich nichtig“.265 Zur Vermittlung der Wirklichkeit des Rechts ist es indes notwendig, diese Nichtigkeit auch nach außen hin deutlich zu machen, sie zu „manifestieren“.266 Hegels Feststellung, dass das Unrecht „in sich nichtig ist“, bildet den Anknüpfungspunkt für eine Notwehrlehre nach seinen Vorgaben.267 Denn neben der Strafe, die „Negation der Negation“ des Rechts ist,268 stellt die Notwehr ei-

___________ 258

Hegel, Grundlinien, § 141 Z (Werke, Bd. 7, S. 291). Hegel, Grundlinien, § 141 Z (Werke, Bd. 7, S. 291). 260 Hegel, Grundlinien, § 141 Z (Werke, Bd. 7, S. 290 f.). Vgl. auch ders., a.a.O., § 141 (Werke Bd. 7 S. 286). 261 Hegel, Grundlinien, § 142 (Werke, Bd. 7, S. 292) (Hervorhebungen im Original). 262 Hegel, Grundlinien, § 257 (Werke, Bd. 7, S. 398). 263 Hegel, Grundlinien, § 82 (Werke, Bd. 7, S. 172). 264 Hegel, Grundlinien, § 82 Z (Werke, Bd. 7, S. 173). 265 Hegel, Grundlinien, § 97 (Werke, Bd. 7, S. 185) (Hervorhebungen im Original). Vgl. auch ders., a.a.O., § 97 Z (Werke Bd. 7, S. 186): „Das Recht … als Absolutes ist unaufhebbar, also ist die Äußerung des Verbrechens [sc. der Versuch, das Recht als Recht aufzuheben] an sich nichtig.“ 266 Hegel, Grundlinien, § 97 (Werke, Bd. 7, S. 185). Vgl. auch ders., Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818–1831, Bd. 3, S. 281: „Es [sc. das Recht] gibt sich durch das Aufheben seiner Verletzung Wirklichkeit.“ 267 Hierüber besteht sowohl unter den Schülern Hegels auch unter seinen späteren Interpreten Einigkeit. Vgl. nur v. Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 3, S. 133 f.; Berner, Archiv des Criminalrechts (N.F.) 1848, S. 547 (557 f.); Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 37; Courakis, Sozialethische Begründung, S. 58 f. Fn. 128; Haas, Notwehr, S. 111 f.; Hälschner, Preußisches Strafrecht, Bd. 2, S. 253; Krause, FS Bruns, S. 71 (74 f.); Lührmann, Tötungsrecht, S. 29. Ferner Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (285) m.w.N. in Fn. 127. 268 Hegel, Grundlinien, § 97 Z (Werke, Bd. 7, S. 186). 259

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

ne weitere Manifestation der Nichtigkeit des Unrechts dar.269 Hegel führt die Notwehr wenn auch nicht ausdrücklich, so doch zumindest mittelbar im Kapitel über das abstrakte Recht270 ein. Die Grundnorm des abstrakten Rechts bildet die Formel: „Sei eine Person und respektiere die anderen als Personen.“271 Inhalt des zweiten Halbsatzes dieser Norm ist der Gedanke der „negativen“ Freiheit272 und damit das Recht des Einzelnen, in Ruhe gelassen zu werden.273 Mit diesem Recht korrespondiert die Pflicht einer jeden Person, „die Persönlichkeit [anderer Personen] und das daraus Folgende nicht zu verletzen.“274 Wird diesem Verletzungsverbot nicht nachgekommen, so hat die Gegenseite die Befugnis, den drohenden Übergriff unter Anwendung von Zwang zu verhindern: Die Nichtigkeit des Unrechts – hier in Form eines unrechtmäßigen Eingriffs in den negativen Freiheitsbereich einer anderen Person – wird durch den Zwang manifestiert, den die Gegenseite zur Verhinderung des drohenden Übergriffs entfaltet.275 Die Notwehr stellt sich demnach auch bei Hegel als eine Befugnis zweiter Stufe dar,276 die zu dem abstrakten Recht auf negative Freiheit gehört und dem Opfer ermöglicht, die Beachtung ebendieses Rechtes gegenüber dem Angreifer notfalls zu erzwingen.277 So heißt es in den „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, dass „das abstrakte Recht … Zwangsrecht [ist], weil das Unrecht gegen dasselbe eine Gewalt gegen das Dasein meiner Freiheit in einer äußerlichen Sache ist, die Erhaltung dieses Daseins gegen die Gewalt hiermit selbst als eine äußerliche Handlung und eine jene erst aufhebende Gewalt ist.“278 ___________ 269 Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (285). Eine Unterscheidung zwischen dem „sich gegen das Unrecht erhaltenden (vertheidigenden) und dem das Unrecht vernichtenden Rechte“ kannten beispielsweise auch Berner, Archiv des Criminalrechts (N.F.) 1848, S. 547 (570); Hälschner, Preußisches Strafrecht, Bd. 2, S. 254 f. Anders hingegen Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 38; Haas, Notwehr, S. 116 f. 270 Vgl. Hegel, Grundlinien, §§ 34 ff. (Werke, Bd. 7, S. 92 ff.). 271 Hegel, Grundlinien, § 36 (Werke, Bd. 7, S. 95) (Hervorhebungen im Original). 272 Insofern bestehen inhaltliche Ähnlichkeiten zu Kants Rechtsbegriff. Vgl. ders., Metaphysik, S. 337. 273 Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (285). 274 Hegel, Grundlinien, § 38 (Werke, Bd. 7, S. 97) (Hervorhebungen im Original). 275 Vgl. Hegel, Philosophie des Rechts, S. 85: „Die Manifestation davon ist diese, daß der Zwang durch Zwang aufgehoben wird.“ 276 Vgl. die Ähnlichkeiten zur Notwehrbegründung bei Kant, Metaphysik der Sitten, S. 340: „Recht und Befugnis zu zwingen bedeuten … einerlei.“ 277 Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (286). 278 Hegel, Grundlinien, § 94 (Werke, Bd. 7, S. 180) (Hervorhebungen im Original). Konkreter bringt Hegel diesen Gedanke in seinen Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818–1831, Bd. 3, S. 296 f., zum Ausdruck: „Die Person hat z. B. Recht Eigenthum zu haben. Wird dieses angegriffen, so wird darin mein Wille angegriffen. Das ist Gewalt, Zwang. In diesem liegt unmittelbar die Befugniß zum zweiten Zwange.“ Vgl. auch Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (286).

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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Steht damit fest, dass die Notwehr im abstrakten Recht verwurzelt ist, bedarf es, damit ihr im Sinne Hegels Wirklichkeit zukommen kann, einer „Aufhebung“ in Moralität und Sittlichkeit.279 Anders als die Strafe, die sich erst als entpersonalisierte Durchsetzung „des Rechts“ adäquat zu manifestieren vermag,280 bleibt die Notwehr dabei im Recht der Person verankert; vielmehr bedarf es lediglich einer Anreicherung des Notwehrrechts mit zusätzlichen sittlichen Gesichtspunkten.281 Konkret ist das Notwehrrecht unter dem Gesichtspunkt der Sittlichkeit mit der Pflicht anzureichern, dass der Notwehrübende den Vorrang staatlicher Kompetenzen bei der Gefahrenabwehr zu achten hat.282 Denn erst mit der Anerkennung der staatlichen Einrichtungen durch die selbst gefundene Einsicht der Bürger vermag der Staat zu bestehen.283 Dazu zählt insbesondere auch die Anerkennung der Polizei als Ordnungsmacht. Denn Aufgabe der Polizei ist (auch) die präventive Verbrechensbekämpfung, also die Verhinderung von Verbrechen und damit die Gefahrenabwehr im hier interessierenden Sinne.284 Anders als die Strafe, für deren Verhängung allein die staatliche Institution Gericht zuständig ist,285 dient die Notwehr nun aber nicht der Ahndung bereits geschehenen Unrechts. Bezweckt wird vielmehr die Verhinderung eines erst drohenden Unrechts.286 Die notwehrtypischen Situationen sind dabei regelmäßig durch Abwesenheit staatlicher Einrichtungen gekennzeichnet: Nur deshalb, weil staatliche Institutionen aus tatsächlichen Gründen das drohende Unrecht nicht abwenden können, kommt ausschließlich das Tätigwerden des angegriffenen Bürgers in Betracht, sofern dieser das Unrecht nicht hinnehmen will. Hat der Staat hingegen die Möglichkeit, das drohende Unrecht abzuwehren, so muss der Bürger den Kompetenzprimat des Staates achten. In diesem Sinne ist die Notwehr auch nach Hegel gegenüber hoheitlichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr subsidiär.287 ___________ 279

Vgl. Hegel, Grundlinien, § 141 (Werke, Bd. 7, S. 286). Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (287 f.). 281 Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (287 ff.). Anders hingegen Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 32, der meint, das Notwehrrecht gehe voll und ganz im abstrakten Recht auf. 282 Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (289). 283 Hegel, Grundlinien, § 264 (Werke, Bd. 7, S. 411): Es ist notwendig, dass die Bürger „in den Institutionen, als dem an sich seienden Allgemeinen ihrer besonderen Interessen, ihr wesentliches Selbstbewußtsein haben“ (Hervorhebungen im Original). Dazu auch Pawlik, M., Der Staat 41 (2002), S. 183 (202). 284 Vgl. Hegel, Grundlinien, § 232 (Werke, Bd. 7, S. 383). 285 Vgl. Hegel, Grundlinien, §§ 219, 220 (Werke, Bd. 7, S. 373 f.). 286 Diesen Unterschied zwischen Strafe und Notwehr verkennt Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 38. Vgl. dazu auch die Nachweise in Fn. 269 auf S. 70. 287 Dies entspricht der h.M. unter den Hegelianern, vgl. nur Berner, Archiv des Criminalrechts (N.F.) 1848, S. 547 (558). Anders hingegen Hälschner, Preußisches Straf280

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

b) Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr in den Strafgesetzbüchern für das Königreich Bayern und für die Preußischen Staaten In den Partikularstrafgesetzbüchern des 19. Jahrhunderts wurden die Notwehrregelungen288 trotz gemeinsamer Grundzüge im Einzelnen sehr verschieden ausgestaltet.289 Obwohl die rechtliche Behandlung der Notwehr in diesen Gesetzen allgemein freier war als im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten, ging sie indes nicht so weit wie die Notwehrbestimmung in den Art. 125 ff. des Strafgesetzbuches für das Königreich Bayern aus dem Jahr 1813.290 So verzichtete Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775–1833), auf den das bayerische Strafgesetzbuch zurückgeht, insbesondere auf ein Verhältnismäßigkeitserfordernis. Sofern es dem Angegriffenen nicht möglich war, dem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff auszuweichen oder diesen mit gewaltlosen Möglichkeiten abzuwenden, sollte die zur Abwendung der Gefahr notwendige, also die relativ mildeste, Verteidigung nicht bestraft werden, Art. 127 f. bayStGB. Neben den besonderen Voraussetzungen der Notwehr291 nennt Feuerbach eine weitere: Nur dann sei die Verteidigung gegen Angriffe eine rechtmäßige und werde nicht bestraft, wenn „die Aufforderung obrigkeitlicher Hülfe unmöglich, oder die gegenwärtige obrigkeitliche Hülfe unzureichend ist“, Art. 125 bayStGB.292 Eine Begründung dieses Vorrangs staatlicher Gewalt ___________ recht, Bd. 2, S. 253 f. Weitere Nachweise bei Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (289 Fn. 141). 288 Vgl. etwa die Notwehrbestimmungen in den Strafgesetzbüchern der Länder Baden (§ 87 f.), Braunschweig (§ 166), Hannover (Art. 78 f.), Hessen (Art. 49), Sachsen (Art. 91) und Thüringen (Art. 66). Zu den Normtexten vgl. die Anlage. 289 Dennoch findet sich in einer großen Anzahl der partikularen Notwehrregelungen eine Gemeinsamkeit: Die Notwehr sollte regelmäßig nur dann als ein von Strafe befreiender Umstand angesehen werden, wenn die Verteidigung verhältnismäßig war, näher dazu Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 42 f. 290 Eine Abschrift des vollständigen Normtextes der Art. 125, 127 f. bayStGB findet sich in der Anlage. 291 In § 38 seines Lehrbuchs des gemeinen peinlichen Rechts zählt Feuerbach folgende besonderen Voraussetzungen der Notwehr auf: „I) Der abgewehrte Angriff mußte ungerecht, II) gegenwärtig …, III) nicht vom Angegriffenen selber … veranlaßt, und IV) auf die Verletzung eines solchen Guts gerichtet gewesen seyn, das entweder an sich unersetzlich ist, oder doch unter den besonderen Umständen des gegenwärtigen Angriffs … unwiederbringlich verloren gewesen wäre. V) Die gebrauchte Privatgewalt mußte einzige Bedingung der Erhaltung der Rechte seyn. Es mußte also 1) der Angegriffene nicht anders als durch Gewalt, sicher, und ohne Nachteil anderer Rechte oder Güter, der Verletzung des Angreifers habe entgehen können. 2) Es mußten nicht geringere Vertheidigungsmittel als die gebrauchten zur Abwendung der Gefahr hinreichend und dem Bedrohten zu Gebote gewesen seyn“, zitiert nach Morstadt, Kommentar, S. 63 ff. Zur praktischen Umsetzung vgl. auch die Art. 125, 127 f. bayStGB in der Anlage. 292 Den Vorrang staatlicher Hilfe regelt beispielsweise auch Art. 78 des Hannoveranischen StGB ausdrücklich.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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bei der Abwendung von Angriffen liefert Feuerbach in § 36 seines Lehrbuchs des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts. Ausgangspunkt der Notwehrlehre Feuerbachs ist der Gesellschaftsvertrag. In diesem habe der Bürger grundsätzlich sein natürliches Recht auf Privatgewalt auf den Staat übertragen. Indes erstrecke sich die Entäußerung der Privatgewalt nicht auf die Fälle, in denen der Staat den Bürger nicht schützen könne. Für diese Ausnahmefälle habe der Bürger sein Recht auf Privatgewalt zurückbehalten.293, 294 Das preußische Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1851, dessen § 41 Vorbild für die Notwehrregelung des § 53 RStGB und damit auch für den heute geltenden § 32 StGB war,295 sah einen Vorrang staatlicher Hilfe bei der Abwendung von Angriffen im Gegensatz zu Art. 125 bayStGB nicht mehr ausdrücklich vor. Ebenso wie die heutigen Vorschriften definiert § 41 S. 2 PrStGB die Notwehr lediglich als „diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich selbst oder Anderen abzuwenden.“ Wie die Gesetzgebungsmaterialien zeigen, kann aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung allerdings nicht darauf geschlossen werden, dass der Gesetzgeber des preußischen Strafgesetzbuches auf einen Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr verzichten wollte. Vielmehr heißt es in den Materialien, dass sich die Wendung „welche erforderlich ist, um … abzuwenden“ auf verschiedene Momente der Notwehr erstrecke. Insbesondere sollte diese Formulierung neben „dem Mangel eines anderen sicheren Mittels, außer der Selbsthverteidigung zur Abwendung des drohenden Uebels“ auch „den Mangel des augenblicklich nöthigen Schutzes der Obrigkeit“ erfassen, denn „beide [Kriterien] liegen in der Natur der Sache.“296 Eine ausdrückliche Formulierung des Vorrangs obrigkeitlicher Hilfe hielt man – entgegen den Vorschlägen in früheren Entwürfen – für

___________ 293

So schreibt Feuerbach in § 36 seines Lehrbuchs des gemeinen peinlichen Rechts: „Die Rechtmäßigkeit der Selbstvertheidigung im Staate [setzt], außer den Gründen zur Vertheidigung überhaupt, einen solchen Fall voraus, auf welchen sich die Entäußerung der Privatgewalt an den Staat nicht erstrecken konnte. Dieser Fall ist vorhanden da, wo die öffentliche Macht nicht schützen kann“, zitiert nach Morstadt, Kommentar, S. 60 f. Vgl. auch Haas, Notwehr, S. 103 f. 294 Hat der Bürger für den Fall unzureichenden staatlichen Schutzes sein ursprüngliches Recht auf Privatgewalt zurückbehalten, bedeutet das nichts anderes als, dass Angreifer und Verteidiger im Konfliktfall quasi in einen vorstaatlichen Kriegszustand zurückfallen. Ein so verstandenes Selbstverteidigungsrecht ist normativ freilich ohne Gehalt. Vgl. dazu bereits die Ausführungen zum natürlichen Recht auf Selbsterhaltung bei Hobbes in Fn. 161 auf S. 55. 295 Eine Abschrift der §§ 41 PrStGB, 53 RStGB und 53 StGB a.F. findet sich in der Anlage. 296 Goltdammer, Materialien zum PrStGB, Theil 1, S. 419.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

überflüssig. Man glaubte vielmehr, diesen Gedanken mit dem Erforderlichkeitskriterium „besser und unverfänglicher“ angedeutet zu haben.297 Ob diese Gedanken, die den preußischen Gesetzgeber Mitte des 19. Jahrhunderts letztlich zu der konkreten Notwehrregelung des § 41 PrStGB veranlassten, auch noch heute vollständig oder wenigstens zum Teil Geltung beanspruchen, gilt es im Folgenden näher zu untersuchen. Bevor die im Schrifttum zum Subsidiaritätsverhältnis von eigenhändiger Selbstverteidigung und staatlicher Gefahrenabwehr vertretenen Ansichten dargestellt werden,298 soll das Augenmerk zunächst auf die Rechtsprechung des Reichsgerichtes, des Bundesgerichtshofs und der unterinstanzlichen Gerichte zu dieser Frage gerichtet werden.

II. Die in der Rechtsprechung vertretenen Positionen zur Pflicht einer Inanspruchnahme staatlicher Hilfe 1. Entscheidungen des Reichsgerichts Zwar hatte sich das Reichsgericht – soweit ersichtlich – nie mit einem Fall auseinanderzusetzen, in dem sich ein Angegriffener trotz anwesender staatlicher Hilfe selbst verteidigte. Dennoch lassen sich einigen Entscheidungen zur Notwehr grundsätzliche Gedanken zum Verhältnis von privater Verteidigung und staatlicher Gefahrenabwehr entnehmen. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang zunächst eine Entscheidung des 1. Strafsenates vom 30. November 1899299. Der Angeklagte und seine zwei Begleiter beobachteten, wie F und drei weitere Personen auf dem Grundstück des Angeklagten in einem Bach fischten. Da er glaubte, dass diese nicht dazu berechtigt seien, forderten der Angeklagte und seine Begleiter die Fischenden auf, damit aufzuhören. Diese Aufforderungen schlugen jedoch fehl; vielmehr verwiesen F und dessen Begleiter den Angeklagten an die Gendarmerie oder ein Gericht, um dort zu überprüfen, dass sie zum Fischen berechtigt waren. Als diese dann das Fischen fortsetzten, drohte der Angeklagte damit, ihre Netze zu zerschneiden und sie zu schlagen. Erst durch diese Drohung sahen sich die Fischenden dazu veranlasst, den Bach zu verlassen.

Der 1. Strafsenat erkannte in dieser Entscheidung zwar einen grundsätzlichen Vorrang staatlicher Hilfe an. Sodann führte er aber aus, dass man einen Angegriffenen nicht pauschal auf staatliche Hilfe verweisen könne. Denn da „die Möglichkeit, gerichtliche oder polizeiliche Hilfe … in Anspruch zu nehmen, … ___________ 297 Goltdammer, Materialien zum PrStGB, Theil 1, S. 361. Vgl. dazu auch Berner, Archiv des Criminalrechts (N.F.) 1848, S. 547 (568 f.). 298 Dazu sogleich unter B. III. ab S. 86 in diesem Kapitel. 299 RGSt 32, 391.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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der Regel nach in jedem Fall eines Angriffs gegeben“ sei, würde „die Abwehr durch den Angegriffenen selbst kaum jemals erforderlich sein.“300 Aus diesem Grunde könne die ausschließliche Inanspruchnahme obrigkeitlicher Hilfe zur Abwendung eines Angriffs nur dann gefordert werden, „wenn jene obrigkeitliche Hülfe eine parate ist, wenn sie dem Angegriffenen sofort zur Verfügung steht, ohne daß er Opfer an der Wahrnehmung seiner schutzberechtigten Interessen zu bringen genötigt ist ….“301 – Deutlich wird bereits hier ein Unterschied zwischen staatlicher und privater Hilfe: Bei der Beurteilung der Frage, ob der Angegriffene die Hilfe eines Dritten in Anspruch zu nehmen hat, stellte das Reichsgericht – zumindest in älteren Entscheidungen – darauf ab, ob die Privatperson hilfsbereit und darüber hinaus fähig ist, Hilfe zu leisten.302 Bei Beteiligung obrigkeitlicher Hilfe ging man auf diese Kriterien hingegen nicht näher ein. Es scheint vielmehr so, dass Bereitschaft und Fähigkeit staatlicher Organe, gefährdeten Bürgern helfend zur Seite zu stehen, unterstellt wird. Maßgebliches Kriterium sollte deshalb sein, ob die staatliche Hilfe dem Angegriffenen sofort zur Verfügung steht. Diesen Gedanken erkennt auch der 2. Strafsenat in seiner „Fememord“-Entscheidung vom 8. Mai 1929303 an. Wiederum im Rahmen der Erforderlichkeit diskutiert der Senat in jenem Urteil verschiedene Alternativen zur Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs und vergleicht in diesem Kontext das Einsperren des Angreifers durch Private mit der staatlichen Strafverfolgung. Ein an die staatliche Strafverfolgung geknüpftes gerichtliches Verfahren sei zwar „der einzige vom Gesetz vorgezeichnete Weg“. Dennoch könne auch eine Freiheitsberaubung ohne gesetzliche Grundlage durch Privatpersonen grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gerechtfertigt sein,304 sofern hoheitliche Hilfe nicht verfügbar ist. Diese Grundzüge, die das Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und dem grundsätzlichen Vorrang präsenter staatlicher Gefahrenabwehr näher beschreiben, wurden durch die bereits oben erwähnte Entscheidung des 3. Strafsenates vom 20. Januar 1938305 ebenfalls aufgeweicht. Unter Bezugnahme auf das „gesunde Volksgefühl“ wird von dem Angegriffenen verlangt, vor einer gewalt___________ 300

RGSt 32, 391 (392 f.). RGSt 32, 391 (392 f.). 302 Vgl. RGSt 66, 244 sowie die Ausführungen zu dieser Entscheidung unter A. I. 1. ab S. 27 in diesem Kapitel. 303 RGSt 63, 215. 304 RGSt 63, 215 (222). 305 RGSt 72, 57. Vgl. dazu die Ausführungen unter A. I. 1. ab S. 28 in diesem Kapitel. 301

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

tätigen eigenhändigen Verteidigung Dritte um Unterstützung zu bitten. Insbesondere sei er verpflichtet, die Polizei um Hilfe zu ersuchen.306

2. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und unterinstanzlicher Gerichte a) Zur Inanspruchnahme präsenter staatlicher Hilfe Mit der Begründung, die Ausübung des Notwehrrechts finde dort ihre Grenze, wo sie zum Rechtsmissbrauch werde, verlangte der Bundesgerichtshof noch Anfang der 1960er Jahre vom Angegriffenen, fremde – insbesondere staatliche – Hilfe herbeizuholen.307 Doch nicht nur bei der Erörterung der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Angegriffene private Hilfe in Anspruch zu nehmen oder sogar herbeizuholen hat, verzichtete die Rechtsprechung in späteren Entscheidungen auf den Gedanken des Rechtsmissbrauchs.308 Auch das Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und der Abwehr eines Angriffs durch staatliche Hilfe versuchte die Rechtsprechung anhand anderer, greifbarerer Kriterien näher zu beschreiben. In mehreren Entscheidungen setzte sich die Rechtsprechung dabei insbesondere mit der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen staatliche Hilfe herbeigeholt werden muss. Das Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und der Abwehr eines Angriffs durch anwesende staatliche Helfer hingegen war nur selten Gegenstand eines Urteils. Immerhin kann einer Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 22. Januar 1963309 entnommen werden, dass es an der Erforderlichkeit der eigenhändigen Verteidigung fehlen soll, sofern „sofort verfügbare obrigkeitliche Hilfe ohne Preisgabe eigener Interessen erreichbar ist.“ Gegebenenfalls könne dem Angegriffenen sogar zugemutet werden, von der Durchsetzung seines Rechts abzusehen, wenn ein Polizeibeamter nur in Sichtweite ist.310 Aus der entgegengesetzten Richtung argumentierte der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil vom 24. Juni 1979311. Von dem Angegriffenen, einem Schüler, wurde nicht gefordert, bei einer auf dem Schulhof anwesenden Lehrkraft – die staatliche Interessen wahrnahm und damit ebenso wie ein ___________ 306

RGSt 72, 57 (59). BGH, NJW 1962, 308 (309). 308 Vgl. dazu die Ausführungen unter A. I. 2. a) ab S. 29 in diesem Kapitel. 309 BayObLG, NJW 1963, 824. 310 BayObLG, NJW 1963, 824 (825). 311 BGH, NJW 1980, 2263. Zum Sachverhalt vgl. die Ausführungen unter A. I. 2. b) auf S. 33 in diesem Kapitel. 307

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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Polizist als hoheitlicher Helfer gelten kann – Schutz zu suchen. Denn „das Gesetz verlangt … von keinem, der rechtswidrig angegriffen wird, … daß er unter Preisgabe seiner Ehre oder anderer berechtigter Interessen die Flucht ergreift oder auf andere Weise ausweicht“.312 – Maßgeblich soll demnach auch hier sein, ob die obrigkeitliche Hilfe erreichbar ist und ob eine Einbuße berechtigter Interessen droht. Anders als das Bayerische Oberste Landesgericht hält es der 1. Strafsenat aber für irrelevant, ob sich ein staatlicher Helfer in Sicht- oder zumindest in Rufweite befindet. Deutlich wird im Übrigen auch ein Unterschied zur präsenten privaten Hilfe: Während der Angegriffene nach Ansicht der Rechtsprechung grundsätzlich lediglich dazu verpflichtet ist, hilfsbereite und eingriffsfähige private Dritte als Verteidigungsalternativen zu berücksichtigen, spielen Kriterien wie Hilfsbereitschaft313 oder Verlässlichkeit314 für die Frage, ob und gegebenenfalls wann hoheitliche Hilfe in Anspruch zu nehmen ist, keine Rolle. Vielmehr scheint es so, als ob den staatlichen Helfern Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft und die Fähigkeit zur Abwehr eines Angriffs unterstellt werden. Für Fälle, in denen das Notwehrrecht des Angegriffenen aus sozialethischen Gründen eingeschränkt ist, soll wiederum ein geringerer Maßstab gelten. Hoheitliche Hilfe müsse in derartigen Konstellationen auch dann in Anspruch genommen werden, wenn damit eine Preisgabe berechtigter Interessen des Angegriffenen verbunden sei.315

b) Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe Die Unterschiede zwischen einer Pflicht zur Inanspruchnahme privater und staatlicher Hilfe treten auch dann deutlich zu Tage, wenn man sich der Frage zuwendet, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsprechung vom Angegriffenen verlangt, in einer konkreten Konfliktsituation obrigkeitliche Hilfe herbeizuholen. Zwar wird vom Angegriffenen zumindest grundsätzlich nicht verlangt, abwesende Private um Hilfe zu bitten. Eine Pflicht zum Herbeiholen staatlicher Hilfe wird hingegen nicht pauschal verneint. Zwar mag das Urteil des Amtsgerichtes Bensberg vom 25. Oktober 1965316 zu § 227 BGB noch auf eine gegenteilige Ansicht hindeuten. Immerhin heißt es dort ausdrücklich, dass der Ange___________ 312

BGH, NJW 1980, 2263. Vgl. etwa BGHSt 27, 336 (337 f.); 42, 97 (100); BGH, NJW 1980, 2263; 1984, 986; NStZ 1989, 474. 314 Vgl. etwa BGH, GA 1965, 147 (149). 315 Vgl. BGH, NJW 1980, 2263. 316 AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733. 313

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

griffene „nicht schon im Rahmen der ‚Erforderlichkeit‘ auf den Ausweg des … Herbeiholens der Hilfe … der Obrigkeit verwiesen werden“ könne und deshalb im Allgemeinen „auf eigene, für den Angreifer gefährliche Abwehrtätigkeiten nicht zu verzichten“ brauche.317 Weniger pauschal äußerte sich hingegen das Bayerische Oberste Landesgericht am 22. Juni 1954318 zu diesem Problem. Die Angeklagte fing ein Huhn ihrer Nachbarin ein, das in ihren Gemüsegarten eingedrungen war. Sie erlangte mit dem Besitz ein Pfandrecht an dem Tier. Am Tag darauf forderte ein Polizeibeamter die Angeklagte auf, das Huhn herauszugeben, durchsuchte, als sie sich weigerte, ihre Wohnung und fand das Huhn. Als er sich damit entfernen wollte, schlug die Angeklagte mit dem stumpfen Teil der Axt nach seinem Kopf und brachte ihm eine 2 cm lange und 3 cm breite Wunde am Hinterkopf und eine Gehirnerschütterung bei. Den zweiten Schlag konnte der Polizeibeamte abwehren und sich mit dem Huhn entfernen.

Im Rahmen der Erforderlichkeit einer Notwehr der Angeklagten prüfte das Bayerische Oberste Landesgericht, ob das Herbeiholen staatlicher Hilfe – hier in Form einer Weisung durch den Vorgesetzten des Polizeibeamten – als milderes Mittel in Betracht kommt. Für den – nicht gerade typischen – Fall, dass sich der Angreifer dazu bewegen lässt, auf das Eintreffen der hoheitlichen Hilfe – hier der Weisung – zu warten, bejahte das Gericht diese Frage.319 Auch die Senate des Bundesgerichtshofs lehnen eine Pflicht zum Herbeiholen hoheitlicher Hilfe nicht von vornherein ab. Zwar verlangte der 1. Strafsenat in seiner bereits zitierten Entscheidung vom 26. Mai 1964320 vom Angegriffenen nicht, staatliche Hilfe herbeizuholen. Begründet wird dieses Ergebnis aber nur damit, dass es sich bei der Einschaltung der Polizei in der konkreten Situation um eine nicht ohne weiteres greifbare Möglichkeit der Gefahrenabwehr handelte.321 In seinem Urteil vom 5. Oktober 1965322 erkannte derselbe Senat dann sogar eine – wenn auch nur eingeschränkte – Pflicht zum Herbeiholen staatlicher Hilfe an. Verlangt wird vom Angegriffenen, auch nicht präsente polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, „wenn diese sofort und ohne sonderliche Mühe erreichbar“ ist. Insbesondere hätte der Angegriffene einen verfügbaren Polizeibeamten in einer nahe gelegenen Polizeiwache um Hilfe bitten und von einer eigenhändigen Abwehr des Angriffs absehen müssen, sofern dieser Poli___________ 317

AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733 (735). BayObLG, NJW 1954, 1377. 319 BayObLG, NJW 1954, 1377 (1378). 320 BGH, GA 1965, 147. Zum Sachverhalt vgl. die Ausführungen unter A. I. 2. b) auf S. 31 in diesem Kapitel. 321 BGH, GA 1965, 147 (149). 322 BGH, VRS 30 (1966), 281. Zum Sachverhalt vgl. die Ausführungen unter A. I. 2. b) auf S. 29 in diesem Kapitel. 318

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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zeibeamte „bereit gewesen wäre, den Angekl. unverzüglich zu begleiten und ihm den unbehelligten Zugang zu seiner Wohnung zu eröffnen.“323 Bleibt der Versuch des Herbeiholens staatlicher Hilfe ohne Erfolg, muss sich der Angegriffene nicht auf andere Verteidigungsalternativen verweisen lassen, die weniger oder keinen Erfolg versprechen. Stattdessen darf sich der Angegriffene mit den ihm unmittelbar zur Verfügung stehenden Abwehrmitteln verteidigen. Das belegt die folgende Entscheidung des Oberlandesgerichtes Düsseldorf vom 15. Oktober 1993324: Nachdem P bei seinem Vermieter Mängel an einem Rollladen gerügt hatte, begab sich L im Auftrag des Vermieters in die Wohnung des P, um den Mangel zu dokumentieren. L fotografierte zunächst den Rollladen, dann aber auch die gesamte Wohnung einschließlich der Nebenräume. P verbat sich das Fotografieren und verwies L – erfolglos – der Wohnung. Die von ihm über ein Telefon zu Hilfe gerufene Polizei lehnte ihr Kommen ab. Daraufhin erschien M, ein Bekannter des P, und forderte L auf, den Film an P herauszugeben. L fotografierte jedoch weiter. Deshalb griff M nach der Kamera und hielt sie fest. L versuchte, M die Kamera zu entziehen. Dabei riss der Trageriemen, den sich L um das Handgelenk geschlungen hatte; auch verletzte sich L am rechten Handgelenk. Allerdings musste M später feststellen, dass sich in der Kamera kein Film befand.

Das Oberlandesgericht bejahte im vorliegenden Fall einen gegenwärtigen Angriff auf das Persönlichkeitsrecht des Mieters und sah in der Wegnahme der Kamera eine erforderliche Maßnahme zur Abwendung dieses Angriffs. In diesem Zusammenhang stellte es fest, dass keine anderen Abwehrmittel in Betracht kamen: „Der Verletzte hatte versucht, obrigkeitliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Polizei hatte ihr Erscheinen abgelehnt. Er mußte sich auch nicht auf den zivilrechtlichen Weg verweisen lassen. Denn diese Möglichkeit versprach keine Aussicht auf Erfolg“, da L den Film entwickelt hätte, bevor der Verletzte eine einstweilige Verfügung hätte erwirken können. Bereits der Besitz der Bilder stelle dabei eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Mieters dar.325 Mehr Mühen beim Herbeiholen staatlicher Hilfe muss nach Ansicht der Rechtsprechung wiederum der Angegriffene auf sich nehmen, dessen Notwehrrecht aus sozialethischen Gründen beschränkt ist. Deshalb verneinte das Amtsgericht Bensberg in der bereits mehrfach zitierten Entscheidung vom 25. Oktober 1965326 wegen eines offensichtlichen Irrtums des Angreifers schließlich die Gebotenheit der Verteidigungshandlung. In einer solchen Situation könne dem Notwehrübenden zugemutet werden, „ohne sich etwas zu vergeben, … auf das ___________ 323

BGH, VRS 30 (1966), 281 (282). OLG Düsseldorf, NStZ 1994, 343. 325 OLG Düsseldorf, NStZ 1994, 343 (344). 326 AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733. 324

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Eintreffen der Polizei zu warten oder … die Hilfe des Gerichts in Anspruch zu nehmen.“327 Einen Verzicht auf wehrhafte Verteidigung verlangte der 3. Strafsenat am 20. Juli 1983328 vom Angegriffenen. Sofern er den Angriff vorwerfbar provoziert habe, dürfe er sich nicht auf einen erneuten Kampf einlassen, sondern habe notfalls den Ort der Auseinandersetzung zu verlassen und die Polizei um Hilfe zu ersuchen. Ähnliche Überlegungen finden sich auch etwas mehr als zehn Jahre später in einem Urteil des 5. Strafsenates vom 26. Oktober 1993329. Auch hier sah das Gericht die Verteidigung wegen einer vorangegangenen Provokation als nicht geboten an und verwies den Angegriffenen stattdessen auf die Möglichkeit, sich wegen des ihm widerfahrenen Unrechts an die Polizei zu wenden.330 Mit einer Verteidigung gegen einen Schweigegelderpresser beschäftigte sich schließlich der 1. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 12. Februar 2003331. Mit der Drohung, er werde den Angeklagten im Falle einer Nichtzahlung wegen seines Handels mit sog. Raubkopien von CDs anzeigen und ihn von Freunden zusammenschlagen lassen, presste M dem Angeklagten in Teilbeträgen zunächst 6.000 DM ab. In Begleitung des Ma suchte M den Angeklagten später in dessen Wohnung auf und forderte die Zahlung von weiteren 5.000 DM. Als der Angeklagte die Zahlung verweigerte, drohte M, die Wohnzimmereinrichtung zu zerstören und Gegenstände im Wert der geforderten Summe mitzunehmen. Als M begann, gegen die CD-Sammlung des Angeklagten zu treten, erklärte dieser sich schließlich bereit, den geforderten Betrag zu zahlen. Aus einem Versteck holte er eine Plastiktüte, in der sich 5.000 DM und 500 US-Dollar befanden, und überließ diese Ma. Wütend darüber, dass man ihm das angesparte Geld wegnehmen wollte, trat der Angeklagte anschließend hinter M, der zu diesem Zeitpunkt sich keines Angriffs versah. In der Absicht, M zu töten, riss der Angeklagte dessen Kopf zurück und schnitt M mit einem aus der Hosentasche gezogenen Küchenmesser sofort mehrfach durch den Hals. Dabei fügte er dem M mehrere Schnittverletzungen zu, die umgehend zu dessen Tode führten.

Obwohl diese Entscheidung insbesondere mit Blick auf die Auslegung des Heimtückemerkmals von Bedeutung ist,332 finden sich in ihr auch einige interes___________ 327

AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733 (735). BGH, EzSt StGB § 32 Nr. 5. 329 BGHSt 39, 374 mit Anmerkungen von Arzt, JZ 1994, S. 314 (315 f.); Bandemer, JA 1994, S. 185; Schmidt, T., JuS 1994, S. 711; Spendel, NStZ 1994, S. 279. 330 BGHSt 39, 374 (379). 331 BGHSt 48, 207 mit Anmerkungen von Bendermacher, JR 2004, S. 301; Bürger, JA 2004, S. 298; Quentin, NStZ 2005, S. 128; Roxin, JZ 2003, S. 966; Schneider, NStZ 2003, S. 428; Widmaier, NJW 2003, S. 2788 (2789 ff.); Zaczyk, JuS 2004, S. 750. Vgl. auch BGH, NStZ 2005, 332. 332 Vgl. dazu insbesondere die Anmerkungen zu BGHSt 48, 207, wie in Fn. 331 auf S. 80 angegeben. 328

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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sante Ausführungen zur Frage des Verhältnisses von eigenhändiger Verteidigung und staatlicher Hilfe. So stellt der 1. Strafsenat etwa klar, dass die Tötung des Erpressers im vorliegenden Fall eine erforderliche Verteidigung war. Andere Möglichkeiten, dem Angriff zu entgehen, werden in diesem Kontext zunächst verworfen. Ausdrücklich heißt es, dass „ein ‚Weggehen‘ des Angekl. aus seiner Wohnung oder ein Herbeirufen der Polizei nach dem … Abziehenlassen der Erpresser … keine Verteidigung gegen den rechtswidrigen Angriff mehr gewesen“ wäre.333 Da keine Aussicht auf Erfolg bestand, konnte vom Angegriffenen in der konkreten Situation auch nicht verlangt werden zu versuchen, in Anwesenheit der beiden Angreifer die Polizei herbeizurufen.334 Anders beurteilt der Senat hingegen die Gebotenheit der Verteidigung: Da im Falle einer Erpressung die Drohung als Dauergefahr zwischen den einzelnen Angriffsakten des M auf die Willensentschließungsfreiheit des Angeklagten fortwirkte, war ihm – wie sich auch aus § 154c StPO ergibt – die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe zuzumuten. Weder das Selbstschutz- noch das Rechtsbewährungsinteresse trügen in einer solchen Situation die Verteidigungshandlung. Deshalb sei die Tötung des Erpressers durch den Angeklagten nicht im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB geboten gewesen.335 Noch weiter scheint der 3. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 3. Februar 1993336 zu gehen, der folgende Auseinandersetzung im Dresdner Rotlichtmilieu zugrunde lag: So., Anführer einer Gruppe rechtsextremer Jugendlicher, bekämpfte die sich nach der sog. Wende in Dresden entwickelnde kommerzielle Prostitution und beschloss, ein von N und M betriebenes Bordell in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 1991 zu stürmen und „plattzumachen“. N und M erfuhren am Vormittag des 31. Mai von dem geplanten Anschlag. Doch statt das angekündigte Vorhaben der Polizei zu melden, beschlossen sie, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und sich der Auseinandersetzung mit der Gruppe um den So. zu stellen. Die Polizei wäre bei einer rechtzeitigen Benachrichtigung in der Lage gewesen, sich mit ausreichenden Kräften dem angekündigten Angriff entgegenzustellen. Im Rahmen der Auseinandersetzung, die N und M in der Tatnacht auf offener Straße mit der Gruppe um den So. suchten, wurde So. durch einen Schuss des N getötet.

Obwohl sich der 3. Strafsenat in obiger Entscheidung nur beiläufig mit Fragen der Notwehr auseinandersetzt337, verdeutlicht dieses Urteil die Einstellung ___________ 333 BGH, NJW 2003, 1955 (1957) – Urteilsgründe insoweit nicht in BGHSt 48, 207 abgedruckt. 334 BGH, NJW 2003, 1955 (1957) – Urteilsgründe insoweit nicht in BGHSt 48, 207 abgedruckt. 335 BGHSt 48, 207 (212). 336 BGHSt 39, 133 mit Anmerkungen von Arzt, JZ 1994, S. 314; Drescher, JR 1994, S. 423; Lesch, StV 1993, S. 578; Müller-Christmann, JuS 1994, S. 649; Renzikowski, FS Lenckner, S. 249 (252 ff.); Roxin, NStZ 1993, S. 335.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

des Senates zu der Frage, ob bereits im Vorfeld einer Konfliktsituation hoheitliche Hilfe herbeigeholt werden muss. So führt der Senat aus, dass die als tatbestandsmäßig erachtete Nötigung338 der rechtsradikalen Jugendlichen nicht durch § 34 StGB gerechtfertigt sei. Der rechtfertigende Notstand setze voraus, „daß die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann, liegt also nicht vor, wenn obrigkeitliche Hilfe rechtzeitig herbeigerufen werden kann“339. Im vorliegenden Fall hingegen sei „die Gefahr, die von der Ansammlung der Anhänger So.’s für das Bordell der Angeklagten ausging, … dadurch abwendbar [gewesen], daß die Angeklagten die Polizei benachrichtigten“, welche „willens und in der Lage gewesen wäre, sich den Angreifern entgegenzustellen“.340 Obwohl der Wortlaut der Urteilsbegründung auf den ersten Blick eine andere Deutung nahe legt, knüpft die Argumentation des Senates hier jedoch nicht an das in § 34 S. 1 StGB mit den Worten „nicht anders abwendbare Gefahr“ umschriebene Merkmal der Erforderlichkeit der Notstandshandlung an.341 Denn aus obiger Formulierung ergibt sich nicht zwingend, dass eine Benachrichtigung staatlicher Instanzen die von So. und seinen Anhängern ausgehende Gefahr zu dem Zeitpunkt der Nötigungshandlung des N abgewendet hätte.342 Berücksichtigt man hingegen, dass der 3. Strafsenat vom Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für die bedrohten Rechtsgüter von N und M ausgeht343, also eine sog. „notwehrähnliche Lage“ annimmt, drängt sich eine andere Schlussfolgerung auf. Versteht ___________ 337 Eine Rechtfertigung der Nötigung aus Notwehr verneint der 3. Strafsenat mangels eines gegenwärtigen Angriffs durch die Jugendlichen (BGHSt 39, 133 [136 f.]). Die Frage, ob die Tötung des Angreifers im Sinne des § 32 StGB erforderlich war, wird ausdrücklich offen gelassen. Die Vorinstanz stellte hingegen klar, dass zur Abwehr ein Schuss in die Beine des Angreifers möglich gewesen wäre, vgl. BezG Dresden, Urteil vom 26.3.1992 – 2 Ks 14 Js 5780/91, S. 25. 338 BGHSt 39, 133 (136). Gegen das Vorliegen eines tatbestandlichen Nötigungserfolges mangels „Verlustes rechtlich allgemein anerkannter Freiheit“ Lesch, StV 1993, S. 578 (579 f.). 339 BGHSt 39, 133 (137). 340 BGHSt 39, 133 (137). 341 Vgl. dazu die Darstellung von Lesch, StV 1993, S. 578 (581). Anders hingegen Roxin, NStZ 1993, S. 335, der ausdrücklich darauf hinweist, dass sich die Subsidiarität privater Notstandshandlungen im Rahmen einer sog. Präventivnotwehr bereits aus dem Wortlaut „nicht anders abwendbare Gefahr“ in § 34 StGB ergebe; ebenso Haft/Eisele, Jura 2000, S. 313 (315); Hillenkamp, JuS 1994, S. 769 (772). Einschränkend führt Roxin sodann weiter aus, dass „das Erforderlichkeitsmerkmal von § 32 StGB … eine solche Einschränkung nicht mit hinreichender Sicherheit erkennen läßt“. Vgl. auch Roxin, AT 1, § 16 Rn. 85. 342 Vielmehr bleibt es „wegen der Verwendung des Imperfekts letztlich offen, … ob diese [sc. zur Abwendung der Gefahr geeignete] Möglichkeit nur vor oder auch noch zu dem Zeitpunkt der Aktion des Angeklagten [N] bestanden hat“; Lesch, StV 1993, S. 578 (581), Hervorhebungen im Original. 343 BGHSt 39, 133 (137).

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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man unter dem Begriff der Gegenwärtigkeit in § 34 StGB eine Gefahrenlage, in welcher ein Schadenseintritt so wahrscheinlich ist, dass notwendige Maßnahmen zum Schutz des bedrohten Rechtsgutes sofort zu treffen sind,344 muss der 3. Strafsenat davon ausgegangen sein, dass ohne den sofortigen Eingriff in die Rechtsgüter der Jugendlichen die Erstürmung des Bordells nicht mehr hätte verhindert werden können. Es liegt daher nahe, dass im konkreten Zeitpunkt der Notstandshandlung die Chance verstrichen war, den von So. und seinen Anhängern angekündigten Angriff statt durch private Maßnahmen noch durch das Herbeiholen obrigkeitlicher Hilfe erfolgreich abzuwehren.345 Insofern bestand in der aktuellen Tatsituation keine tatsächliche Konkurrenz zwischen privaten und staatlichen Verteidigungsmaßnahmen. Verneint der Senat dennoch eine Rechtfertigung durch § 34 StGB mit dem Hinweis auf die Möglichkeit des Herbeiholens hoheitlicher Hilfe, kann sich sein Vorwurf allein darauf richten, dass sich M und N nicht rechtzeitig vor der eigentlichen Auseinandersetzung um die Präsenz polizeilicher Hilfe bemüht hatten. Der Vorwurf knüpft folglich nicht an ein Tatbestandsmerkmal des rechtfertigenden Notstandes an, sondern ist grundsätzlicher Natur. Es drängt sich die Vermutung auf, dass der 3. Strafsenat hier auf ein normativ-fundiertes Prinzip des Vorrangs der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe vor privaten Verteidigungsmaßnahmen zurückgegriffen hat.346 Dass diese Subsidiaritätserwägungen nicht nur auf den rechtfertigenden Notstand beschränkt, sondern allgemeingültig sein sollen, zeigen die weiteren Ausführungen. So bejaht der 3. Strafsenat auch im Übrigen die Rechtswidrigkeit der Nötigung, weil „der einzelne, der sich anmaßt, den Staat dabei [sc. bei der Erzwingung von Gesetzestreue] mit Nötigungsmitteln zu vertreten, … verwerflich [handelt], wenn er vorsätzlich den Vorrang staatlicher Zwangsmittel außer Acht ___________ 344

BGHSt 5, 371 (373); 14, 1 (3); BGH NJW 1979, 2053 (2054); Tröndle/Fischer, § 34 Rn. 3; Kindhäuser, AT, § 25.12 (S. 315 f.); Lackner/Kühl, § 34 Rn. 2; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 34 Rn. 17; Roxin, AT 1, § 16 Rn. 20. Vgl. auch BGH, NStZ 1988, 554; NJW 1989, 1289 zur gegenwärtigen Gefahr bei § 255 StGB. – Ebenso der BGH in obiger Entscheidung, wenn er zwar im Rahmen des § 32 StGB die Gegenwärtigkeit eines Angriffs verneint (BGHSt 39, 133 [136 f.]), aber eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 34 StGB bejaht (BGHSt 39, 133 [137]) und damit stillschweigend auf die Notwendigkeit abstellt, zur Verhinderung einer sonst unvermeidbar eintretenden Schädigung aktuell in fremde Rechtsgüter einzugreifen. Vgl. zu diesem qualitativen Unterscheidungskriterium von Notwehr- und Notstandslage auch Jakobs, AT, 13. Abschn. Rn. 15; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 34 Rn. 17. 345 Lesch, StV 1993, S. 578 (581). – Für eine derartige Deutung spricht auch, dass die Gegenwärtigkeit der Gefahr üblicherweise als Kehrseite des Erfordernisses, dass die Gefahr nicht anders abwendbar sein darf, verstanden wird. Vgl. Kindhäuser, AT, § 25.12 (S. 316); ders./Wallau, StV 1999, S. 379 (380 f.). 346 Ebenso die Deutungen von Hummler, Staatliches Gewaltmonopol und Notwehr, S. 47; Lesch, StV 1993, S. 578 (581).

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

läßt“347. Solange der Genötigte mit einer verbotenen Handlung nicht in den Freiheitsraum des Täters eingreife, obliege es der Polizei, einen derartigen Eingriff – gegebenenfalls mit staatlichen Zwangsmitteln – zu unterbinden.348 Schließlich komme auch eine durch § 33 StGB begründete Straflosigkeit der Tötung des So. nicht in Betracht: „Wenn sich der rechtswidrig Angegriffene planmäßig in eine tätliche Auseinandersetzung mit seinem Gegner eingelassen hat, um unter Ausschaltung der für die Konfliktlösung zuständigen und erreichbaren Polizei den ihm angekündigten Angriff mit eigenen Mitteln abzuwehren und die Oberhand über seinen Gegner zu gewinnen“349, verbleibe kein Raum für die Anwendbarkeit des in § 33 StGB normierten Notwehrexzesses. Ursache für die Notwehrüberschreitung sei in einem derartig gestalteten Fall nicht eine auf asthenischen Affekten beruhende Schwäche des Angegriffenen in der konkreten Verteidigungssituation, sondern ein „vor Eintritt der Notwehrlage gefaßter, auf sthenischen Affekten beruhender Entschluß, den ‚Krieg‘ mit dem Gegner selbst auszutragen“350, also die bewusste Umgehung des Vorrangs staatlicher Hilfe.351 Lehnt der 3. Strafsenat eine Rechtfertigung aus § 34 StGB sowie eine Straflosigkeit aus § 33 StGB ab und bejaht die Verwerflichkeit der Nötigung allein mit dem Verweis auf eine allgemein gültige Pflicht zum Herbeiholen staatlicher Hilfe bereits im Vorfeld konkreter Konfliktlagen, dürfte sich auch für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr nichts anderes ergeben. Unterstellt man eine Erforderlichkeit der Tötungshandlung,352 ist anzunehmen, dass der Senat in seiner Entscheidung eine Rechtfertigung der Tötung des So. aus § 32 StGB mit einem Hinweis auf die Subsidiarität privater Selbstverteidigung gegenüber abwesender staatlicher Gewalt abgelehnt und eine Pflicht zum Herbeiholen hoheitli___________ 347 BGHSt 39, 133 (137). Ebenso Roxin, NStZ 1993, S. 335. Mit einem Hinweis auf die zirkuläre Argumentation des BGH die Verwerflichkeit im vorliegenden Fall verneinend: Arzt, JZ 1994, S. 314 (314 f.); Lesch, StV 1993, S. 578 (580). Kritisch Otto, JK 1994, StGB § 32/19. 348 SK-Horn/Wolters, § 240 Rn. 46. 349 BGHSt 39, 133 (139 f.). 350 BGHSt 39, 133 (140). 351 Kritisch zu diesem Begründungsansatz des BGH, aber im Ergebnis zustimmend Roxin, NStZ 1993, S. 335 (336). Für eine analoge Anwendung des § 35 Abs. 1 S. 2 StGB in derartigen Fällen Drescher, JR 1994, S. 423 (426). Gegen eine Versagung des § 33 StGB Arzt, JZ 1994, S. 314 (315); Haft/Eisele, Jura 2000, S. 313 (316); Hummler, Staatliches Gewaltmonopol und Notwehr, S. 46; Lesch, StV 1993, S. 578 (582 f.); Motsch, Notwehrexzess, S. 90 f.; Müller-Christmann, JuS 1994, S. 649 (652 f.); Renzikowski, FS Lenckner, S. 249 (264). 352 In seiner Entscheidung lässt der 3. Strafsenat die Frage, „ob überhaupt ein Schuss zur Abwehr erforderlich war“, ausdrücklich offen, BGHSt 39, 133 (138). Das erstinstanzlich zuständige BezG Dresden hingegen verneinte die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung, da auch ein Schuss auf die Beine den Angriff sofort und endgültig abgewehrt hätte, BezG Dresden, Urteil vom 26.3.1992 – 2 Ks 14 Js 5780/91 –, S. 25, 68 f.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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cher Hilfe bereits im Vorfeld einer konkreten Auseinandersetzung begründet hätte.353 Relativiert wird die Verallgemeinerungsfähigkeit eines so verstandenen Subsidiaritätsgedankens jedoch durch einen Beschluss desselben Senates vom 15.11.1994:354 Auch in diesem Fall plante eine gewaltbereite Gruppe, eine Bar „plattzumachen“. Während sich ca. zehn weitere Männer gegen 2.55 Uhr vor der Bar des Angeklagten versteckten, betraten der Nebenkläger und zwei Begleiter, von denen einer die Eingangstür eingetreten hatte, die Bar, um die Lage zu erkunden. Der Angeklagte zog daraufhin eine Pistole und zielte auf den vorausgehenden Nebenkläger. Er forderte diesen und seine Begleiter auf, das Lokal zu verlassen. Sofort anschließend schoss er aus einer Entfernung von wenigen Metern auf den Oberkörper des Nebenklägers. Der Angeklagte wurde etwa zwei Stunden vor dem Geschehen von einem Gast über den geplanten Überfall unterrichtet, wobei unklar blieb, ob er infolge dessen konkrete Kenntnis vom Zeitpunkt und den Modalitäten des Überfalls erlangte. Die Polizei rief der Angeklagte trotz des Hinweises nicht.

Ausdrücklich heißt es in dieser Entscheidung, die Vorinstanz, die unter Bezugnahme auf BGHSt 39,133 sowohl eine Rechtfertigung des Angeklagten aus § 32 StGB als auch eine Entschuldigung gemäß § 33 StGB verneint hatte, habe die Tragweite jenes Senatsurteils verkannt. Zwar betont der Senat auch in dieser Entscheidung noch einmal, dass in den Fällen, in denen sich ein Täter planmäßig auf eine tätliche Auseinandersetzung einlässt, um unter Ausschaltung der erreichbaren Polizei einen ihm angekündigten Angriff mit eigenen Mitteln abzuwehren und so die Oberhand über seinen Gegner zu gewinnen, weder eine gerechtfertigte Notwehr noch eine entschuldigtes Überschreiten der Grenzen der Notwehr in Betracht komme.355 Allein aus dem Umstand, dass sich jemand offenen Auges auf eine Auseinandersetzung mit einer gewaltbereiten Gruppe eingelassen und darauf verzichtet habe, vorsorglich die Polizei zu benachrichtigen, könne hingegen noch nicht auf ein planmäßiges Suchen der Konfrontation geschlossen werden.356 Das Unterlassen der vorsorglichen Benachrichtigung der ___________ 353 Ebenso die Deutungen von Hummler, Staatliches Gewaltmonopol und Notwehr, S. 46 f.; Lesch, StV 1993, S. 578 (581 f.). Vgl. auch LG Görlitz, Urteil vom 27.4.1994 – 1 Ks 137 Js 11318/93 –, S. 19 ff. (nicht rechtskräftig). 354 BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 6 mit Anmerkung von Schmidt, T., JuS 1995, S. 555. 355 Letzteres stellt der 3. Strafsenat ausdrücklich klar. Dass ein planmäßiges Einlassen auf eine Auseinandersetzung auch einer Anwendung des § 32 StGB entgegenstehen soll, ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang der Ausführungen. So setzt sich der Senat zunächst mit der Frage auseinander, ob sich der Täter planmäßig auf die Auseinandersetzung eingelassen hat. Erst nachdem dies verneint wurde, wendet er sich den eigentlichen Voraussetzungen der Notwehr zu. 356 Den maßgeblichen Unterschied zu dem BGHSt 39, 133 zugrunde liegenden Sachverhalt sieht der Senat letztlich darin, dass die Angeklagten in jener Entscheidung die

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Polizei spielt schließlich nicht einmal mehr im Rahmen der Ausführungen des Senates zur Erforderlichkeit der konkreten Verteidigung eine Rolle.

III. Die in der Literatur vertretenen Positionen zur Pflicht einer Inanspruchnahme staatlicher Hilfe 1. Präsente Hilfe von Hoheitsträgern Das Verhältnis von Notwehr und staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Rechtsgüter des Angegriffenen wird im Schrifttum in erster Linie für die Situationen diskutiert, in denen hoheitliche Hilfe zugegen ist. Dabei erscheint die Zulässigkeit privater Selbstverteidigung insbesondere dann als problematisch, wenn die anwesenden staatlichen Helfer sich der Abwehr des Angriffs in irgendeiner Form angenommen haben. Zum Teil versucht man in derartigen Konfliktsituationen eine Subsidiarität der eigenhändigen Verteidigung damit zu begründen, dass der Gedanke des generellen Vorrangs der staatlichen Hilfe eine allen Notrechten immanente Schranke darstellt. Andere Stimmen in der Literatur versuchen eine Antwort darauf, in welchem Verhältnis hoheitliche Gefahrenabwehr und Selbstverteidigung zueinander stehen, direkt aus dem Merkmal der Erforderlichkeit in § 32 Abs. 2 StGB herzuleiten. In Abhängigkeit davon, ob die staatlichen oder aber die privaten Maßnahmen besser geeignet sind, den Angriff abzuwehren, gelangen die verschiedenen Begründungsansätze zu unterschiedlichen Ergebnissen. Diese gilt es im Folgenden näher darzustellen.

a) Abwehr von Angriffen durch hoheitliche Maßnahmen gleicher Eignung Zunächst sollen die Konstellationen näher betrachtet werden, in denen die Möglichkeiten, die dem Angegriffenen zur Verteidigung selbst zur Verfügung stehen, die gleiche Eignung besitzen wie die staatlichen Mittel zur Gefahrenabwehr.

___________ Konfrontation noch vor Beginn des eigentlichen Angriffs und außerhalb des von den Angreifern vorgesehenen Tatortbereiches – auf öffentlicher Straße statt im Bordell – suchten.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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aa) Abwehr von Angriffen durch gleich geeignete, aber mildere hoheitliche Maßnahmen Stehen den staatlichen Helfern Möglichkeiten zur Abwehr des Angriffs zur Verfügung, die ebenso gut geeignet sind wie die Möglichkeiten des Angegriffenen selbst, aber die Rechtsgüter des Angreifers in einem geringeren Maße beeinträchtigen, so wird vom Angegriffenen einhellig verlangt, diese hoheitliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Obwohl im Schrifttum so nicht ausdrücklich diskutiert, wird dieses Ergebnis auch auf die Fälle zu übertragen sein, in denen die staatlichen Helfer den Angriff sogar effektiver abwehren können als das Opfer selbst. Unterschiedlich sind jedoch bereits hier die Begründungsansätze. Zum Teil wird ein Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr generell und ohne eine nähere Auseinandersetzung mit der Eignung und der Eingriffsintensität der konkreten Verteidigungsmaßnahmen mit dem Hinweis darauf begründet, dass die Subsidiarität privater Selbstverteidigung gegenüber staatlichem Schutz eine der Notwehr immanente Schranke sei.357 Ob diese Beschränkung der Notwehr eines tatbestandlichen Anknüpfungspunktes bedarf und gegebenenfalls an welchem Tatbestandsmerkmal des § 32 StGB ein Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr festzumachen ist, wird unterschiedlich beurteilt. So wollen einige Stimmen in der Literatur auf das Erfordernis einer tatbestandlichen Anknüpfung vollständig verzichten.358 Andere verneinen in derartigen Konfliktsituationen bereits das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs.359 Zum Teil wird der Vorrang staatlicher Hilfe im Rahmen der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung proble-

___________ 357 Amelung, JuS 1986, S. 329 (332); Burr, JR 1996, S. 230 (230 ff.); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 131; Felber, Rechtswidrigkeit, S. 171 ff.; Frister, AT, 16. Kap. Rn. 24; Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); NK-Herzog, § 32 Rn. 71; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kinzig, ZStW 115 (2003), S. 791 (807); Koch, M., Aufgedrängte Nothilfe, S. 146; Krey, AT 1, Rn. 474; Kühl, AT, § 7 Rn. 119 ff.; Lackner/ders., § 32 Rn. 11a; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976); Lesch, FS Dahs, S. 81 (111 ff.); Schröder, H., JuS 1973, S. 157 (160); LK11-Spendel, § 32 Rn. 234. Vgl. auch Müssig, ZStW 115 (2003), S. 224 (247); Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 53. Im Ergebnis ebenso Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62. Ähnlich auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183. 358 Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45. Ebenso Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62, der ausdrücklich betont, dass es auf Erforderlichkeitserwägungen dann nicht ankomme, wenn die Polizei die Abwehr tatsächlich übernommen hat. 359 Einen rechtswidrigen Angriff bei pflichtgemäßer Beteiligung staatlicher Organe verneint grundsätzlich Haas, Notwehr, S. 301. In den Fällen, in denen der staatlichen Gefahrenabwehr mildere Mittel zur Verfügung stehen, lehnt er darüber hinaus auch die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung ab, vgl. ders., Notwehr, S. 291.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

matisiert.360 Schließlich wird vertreten, die Subsidiarität der Notwehr sei im Rahmen der Gebotenheitsklausel des § 32 Abs. 1 StGB zu diskutieren.361 Den Grund für den Vorrang der staatlichen Gefahrenabwehr sieht man dabei ganz überwiegend im staatlichen Gewaltmonopol. Dieses behalte die Ausübung physischer Gewalt allein dem Staat und seinen Organen vor und verpflichte ihn gleichzeitig, die Rechtsgüter seiner Bürger zu schützen362 und darüber hinaus zu gewährleisten, dass die Individuen ihre Interessenkonflikte unter Verzicht auf physische Gewalt allein im Rahmen der ihnen durch das Gesetz aufgezeigten Möglichkeiten austragen363. Zur Sicherung und zur Durchsetzung ihrer Rechte seien die Bürger grundsätzlich dazu gehalten, Rechtsschutzverfahren in Anspruch zu nehmen.364 Private Gewaltausübung könne als ultima ratio nur in besonders gestalteten Ausnahmesituationen zugelassen werden. Eine solche Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol stelle das Notwehrrecht dar.365 Denn immer dann, wenn eine Notwehrlage gegeben sei, habe die Rechtsordnung zum Nachteil des Angegriffenen versagt.366 Konnte sie ihrer zentralen Aufgabe, der Gewährleistung eines sicheren Zusammenlebens und dem Schutz der Rechtsgüter jedes Bürgers, im Einzelfall nicht nachkommen, verwirke die Rechtsordnung ihren Anspruch darauf, vom Einzelnen eine friedliche Konfliktlösung zu verlangen. Sei staatliche Hilfe zugegen, liege indes eine derartige notwehrspezifische Sicherheitslücke überhaupt nicht vor.367 Daher dürfe der Angegriffene sich nicht selbst verteidigen, wenn gleich geeignete hoheitliche Maßnahmen den Angreifer weniger stark belasten würden.368 ___________ 360

Erb, FS Nehm, S. 181; MünchKommStGB-ders., § 32 Rn. 131; Haft, AT, S. 89; NK-Herzog, § 32 Rn. 71; Klose, ZStW 89 (1977), S. 61 (72 Fn. 26); Krey, AT 1, Rn. 474; Kühl, AT, § 7 Rn. 120 f.; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 299 (306). 361 Burr, JR 1996, S. 230 (231 f.); Himmelreich, GA 1966, S. 129 (132); ders., NJW 1966, S. 733; Kohlrausch/Lange, § 53 Anm. II (S. 204); Müssig, ZStW 115 (2003), S. 224 (247). Ebenso wohl Welzel, Strafrecht, S. 87. 362 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 2; Isensee, FS Sendler, S. 39 (47 f.); Schnapp, Jura 1986, S. 113 (115). Haas, Notwehr, S. 295 stellt in diesem Zusammenhang fest, der Vorrang staatlicher Gewalt in Konfliktfällen sei „zum tief verwurzelten allgemeinen Kulturgut geworden.“ 363 Isensee, FS Sendler, S. 39 (48 f.). 364 Lagodny, GA 1991, S. 300 (310). Ausnahmsweise soll die Verpflichtung aber dann entfallen, wenn das Rechtsschutzverfahren von vornherein unmöglich ist, vgl. ders., GA 1991, S. 300 (311 f.). 365 Wagner, Notwehrbegründung, S. 61. 366 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 2, 131; SK-Günther, § 32 Rn. 99; Kühl, AT, § 7 Rn. 119. 367 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 2, 131. 368 Erb, FS Nehm, S. 181; MünchKommStGB-ders., § 32 Rn. 131; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; Wagner, Notwehrbegründung, S. 61.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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Einige Autoren begründen den Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr hingegen damit, dass der in § 229 BGB zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke des Vorrangs staatlicher Gewalt vor privater Selbsthilfe verallgemeinerbar sei und auf alle Notrechte – und damit auch auf die Notwehr – übertragen werden könne.369 Im Tatbestand des § 229 BGB formuliere der Gesetzgeber ausdrücklich, dass private Gewaltausübung im Rahmen der Selbsthilfe als ultima ratio ausnahmsweise dort gestattet sei, wo „obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist“. Dieser in § 229 BGB gesetzlich normierte Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr sei ein immanentes Begrenzungskriterium für jegliche Notrechtsausübung. Zum einen stelle diese Subsidiaritätsklausel ausdrücklich klar, dass im Selbsthilfefall auch nichtpräsente obrigkeitliche Hilfe herbeizuziehen sei. Zum anderen ergebe sich aus dieser Norm aber auch, dass dort, wo staatliche Organe der Gefahrenabwehr zugegen und zum Einschreiten bereit sind, Notwehr und Nothilfe unzulässig seien.370 Von einigen anderen Autoren wird die Diskussion der Subsidiarität der Notwehr in den Fällen, in denen den anwesenden und zur Gefahrenabwehr bereiten staatlichen Organen mildere Abwehrmittel zur Verfügung stehen, gänzlich für überflüssig gehalten. Zwar verneinen auch diese Stimmen eine Rechtfertigung privater Abwehrmaßnahmen, ohne dabei aber den Subsidiaritätsgedanken zu bemühen. Vielmehr ergebe sich die Versagung der rechtfertigenden Wirkung des § 32 StGB unmittelbar aus dem Tatbestandsmerkmal der „Erforderlichkeit“.371 Denn private Abwehrhandlungen, die den Angreifer in einem höheren Maße schädigen würden als die ebenfalls zur Verfügung stehenden staatlichen Hilfsmaßnahmen, seien nicht im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich. Zu einem anderen Ergebnis gelange man auch nicht, wenn man den oder einen der tragenden Gründe der Notwehr im Rechtsbewährungsgedanken sehen wollte. Insbesondere gebiete dieser Gedanke keine schwerwiegenderen Beeinträchtigungen der Rechtsgüter des Angreifers durch den Angegriffenen selbst, wenn

___________ 369

Krölls, NVwZ 1999, S. 233 (234); Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976). Eine Übertragbarkeit des Subsidiaritätserfordernisses des § 229 BGB zumindest auf § 227 BGB befürwortet Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 53. 370 Haas, Notwehr, S. 301; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976); Schönke/SchröderLenckner/Perron, § 32 Rn. 41. 371 Pelz, NStZ 1995, S. 305 (307). Ebenso Arzt, JR 1980, S. 211 (212); Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 76; Fuchs, Grundfragen, S. 139; Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); Haas, Notwehr, S. 291; Kühl, AT, § 7 Rn. 120; Lührmann, Tötungsrecht, S. 53; Otto, AT, § 8 Rn. 48; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50; Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (391); Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (123); Seebode, FS Krause, S. 375 (385); LK11-Spendel, § 32 Rn. 233; Stiller, Grenzen, S. 44, 80; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 283 f.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

dem Recht durch mildere Maßnahmen Geltung verschafft werden könne, und zwar durch die dafür primär zuständigen staatlichen Organe.372

bb) Abwehr von Angriffen durch gleich effektive hoheitliche Hilfe mit gleichwertigen Mitteln Die ganz herrschende Meinung verlangt auch in den Situationen, in denen die Abwehrmittel der Privatperson und die der Organe staatlicher Gewalt nicht nur gleich geeignet, sondern darüber hinaus auch mit gleich schweren Eingriffen in die Rechtsgüter des Angreifers verbunden sind, dass der Angegriffene unter Verzicht auf eigene Abwehrhandlungen die hoheitliche Unterstützung in Anspruch nimmt.373 Aus dem staatlichen Gewaltmonopol folge, dass der Bürger physische Gewalt nicht ausüben dürfe, wenn die primär dazu berufenen Staatsorgane anwesend seien.374 Der Gesetzgeber könne eine gefährliche Konkurrenz zwischen staatlicher Gefahrenabwehr und privater Gewalt nicht zulassen, sofern obrigkeitliche Hilfe als die einzige im Staat organisierte Gewalt zugegen sei und den Angegriffenen in gleicher Weise wirksam gegen das ihm drohende Unrecht verteidigen könne.375 In diesen Fällen fehle es an einer für die Notwehr erfor___________ 372 Fuchs, Grundfragen; S. 139; Pelz, NStZ 1995, S. 305 (307). Vgl. auch Felber, Rechtswidrigkeit, S. 172: „Daß sich das Unrecht gegen das Recht nicht durchsetzen kann, wird den Rechtsgenossen wesentlich deutlicher vor Augen geführt, wenn die berufenen Organe und nicht der Angegriffene selbst die Bekämpfung des Unrechts übernehmen.“ 373 Die Begründung für dieses Ergebnis entspricht im Wesentlichen der, die bereits unter Gliederungspunkt B. III. 1. a) aa) ab S. 87 in diesem Kapitel dargestellt wurde. Die Frage, ob es für die Diskussion dieser Fallgruppe überhaupt eines tatbestandlichen Anknüpfungspunktes bedarf und auf welches Merkmal des § 32 StGB gegebenenfalls abzustellen ist, wird auch hier nicht einheitlich beantwortet. Insofern kann auf die Nachweise in den Fn. 358 ff. ab S. 87 in diesem Kapitel. 374 Amelung, JuS 1986, S. 329 (332); Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 76 f.; Burr, JR 1996, S. 230; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 2, 131; Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); NK-Herzog, § 32 Rn. 71; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kühl, AT, § 7 Rn. 119, 121; Lackner/ders., § 32 Rn. 11a; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183; Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (391 f.); Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (58); LK11-Spendel, § 32 Rn. 234; Stiller, Grenzen, S. 80 f. Im Ergebnis ebenso Wagner, Notwehrbegründung, S. 61, der allerdings darauf hinweist, dass staatliche Hilfe wegen der Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stets das mildeste Mittel darstellt. 375 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 77. In diesem Zusammenhang führt Wagner, Notwehrbegründung, S. 61, ferner an, dass staatlicher Hilfe angesichts der Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stets das weniger gefährliche Mittel der Verteidigung darstelle.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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derlichen Sicherheitslücke; die eigenhändige Selbstverteidigung müsse als unzulässig angesehen werden.376 Auch Pelz versteht das Notwehrrecht als eine Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol.377 Allerdings merkt er an, dass allein aus dem weit verstandenen Begriff des Gewaltmonopols keine Folgerungen hinsichtlich eines Vorrangs hoheitlicher Gewalt gegenüber privater Verteidigung gezogen werden können. Da dieses Prinzip selbst noch einer Umsetzung durch einfaches Recht bedürfe, sei es nicht geeignet, konkrete Aussagen über die Auslegung einfachen Rechts zu treffen. Aus einem derart unbestimmten Rechtsbegriff könne man daher allenfalls Rechtssätze ableiten, die beliebig austauschbar und interpretierbar seien.378 Stattdessen wählt Pelz das Merkmal der Erforderlichkeit der zur Angriffsabwehr ausgeübten Verteidigungshandlung als Ausgangspunkt für seine Analyse des Verhältnisses von privater Notwehr und obrigkeitlicher Hilfe. Auch er gelangt zu dem Ergebnis, dass private Verteidigung dann nicht gerechtfertigt sei, wenn im konkreten Einzelfall den Organen staatlicher Gefahrenabwehr gleich geeignete, aber mildere Abwehrmittel zur Verfügung stehen. Aus dem Merkmal der Erforderlichkeit ergebe sich indes für die Fälle, in denen den staatlichen Organen und dem sich privat Verteidigenden Abwehrmaßnahmen mit gleicher Eingriffsintensität zur Verfügung stehen, kein Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr.379 Vielmehr sei es für die beim Angreifer zu erwartende Rechtsgutsbeeinträchtigung ohne Relevanz, ob bei gleicher Intensität der zur Verfügung stehenden Mittel die Verteidigungshandlung von einer Privatperson oder aber einem staatlichen Organ vorgenommen werde.380 Im Übrigen verlange man vom Verteidiger auch nicht, den Angriff entweder frühzeitig und mit schonenden Mitteln ___________ 376

Unklar ist auch in diesem Zusammenhang, ob und gegebenenfalls an welchem Tatbestandsmerkmal der Subsidiaritätsgedanke festgemacht werden soll: Für eine Verneinung des rechtswidrigen Angriffs: Haas, Notwehr, S. 218, 301; aus dem älteren Schrifttum auch Berner, Archiv des Criminalrechts (N.F.) 1848, S. 547 (560); Hälschner, Preußisches Strafrecht, Bd. 2, S. 261. Für eine Verneinung der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung: MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 131; Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); Haft, AT, S. 89; Kühl, AT, § 7 Rn. 121; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 299 (306); Wagner, Notwehrbegründung, S. 61. Für eine Verneinung der Gebotenheit der Notwehr: Burr, JR 1996, S. 230 (231 f.); Haug, MDR 1964, S. 548 (551); Himmelreich, GA 1966, S. 129 (132); ders., NJW 1966, S. 733; Welzel, Strafrecht, S. 87. 377 Pelz, NStZ 1995, S. 305 (305 f.). 378 Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306). 379 Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306). Ebenso Seebode, FS Krause, S. 375 (388). 380 Pelz, NStZ 1995, S. 305 (307). Ebenso Fuchs, Grundfragen, S. 140; Seebode, FS Krause, S. 375 (388). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Bitzilekis, Einschränkungen der Notwehr, S. 76 f., der zwar ebenfalls ausdrücklich darauf hinweist, dass sich aus dem Merkmal der Erforderlichkeit zwar kein Vorrang staatlicher Gewalt ergebe, ein solcher aber aus den Grundgedanken der Notwehr abgeleitet werden kann.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

abzuwehren381 oder aber Vorsorge dafür zu treffen, dass ihm im Zeitpunkt des Angriffs andere, weniger einschneidende Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Aufgrund der qualitativen Gleichwertigkeit mit diesen Konstellationen könne die Notwehr nicht allein deshalb versagt werden, weil der Verteidiger die Möglichkeit hatte, polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.382 In diesem Zusammenhang weist Seebode zusätzlich darauf hin, dass der behauptete Vorrang hoheitlicher Gefahrenabwehr im Gesetz keinen Ausdruck gefunden habe.383 Eine Versagung der privaten Notwehr zugunsten des staatlichen Gewaltmonopols verstoße daher gegen Art. 103 Abs. 2 GG und sei verboten.384 Im Übrigen könne kaum begründet werden, dass eine private Verteidigung als nicht erforderlich einzuordnen sei, wenn dem Angegriffenen staatliche Hilfe mit gleich geeigneten und gleichwertige Maßnahmen zur Seite steht, zugleich aber die Erforderlichkeit hoheitlicher Gefahrenabwehr bejaht werden müsse.385 Ebenso wie Pelz erkennt auch Schmidhäuser eine Pflicht des Angegriffenen, staatliche Hilfe vorrangig in Anspruch zu nehmen, ausschließlich dann an, wenn eigenhändige Abwehr nicht erforderlich sei. Präsente staatliche Hilfe verdränge die Selbstverteidigungsbefugnis hingegen nicht, wenn dadurch der Angriff nicht besser oder mit weniger eingriffsintensiven Maßnahmen abgewendet werden könne.386 Dieses Ergebnis begründet Schmidhäuser anders als die vorgenannten Autoren indes nicht damit, dass das staatliche Gewaltmonopol angesichts seiner Unbestimmtheit ungeeignet sei, die Notwehr zu beschränken. Vielmehr erkennt er eine Geltung des staatlichen Gewaltmonopols für den Bereich der präventiven Verteidigung des Rechts erst gar nicht an. Für die Notwehr, die Schmidhäuser als ursprüngliche Jedermannsbefugnis zur Rechtsverteidigung versteht, könne das staatliche Gewaltmonopol daher von vornherein keinerlei Geltung beanspruchen.387

___________ 381

Beispielsweise verliere auch derjenige seine weiteren Abwehrbefugnisse nicht, der es unterlässt, ein Tor vor einem heranstürmenden Angreifer sicher zu verschließen. Vgl. Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 32. 382 Pelz, NStZ 1995, S. 305 (307). Diesen Ansatz will Traichel, Selbsthilferecht, S. 134 ff., auch auf § 229 BGB übertragen. 383 Seebode, FS Krause, S. 375 (389). 384 Seebode, FS Krause, S. 375 (390). 385 Seebode, FS Krause, S. 375 (389). 386 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (123). 387 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (123 f.). Ähnlich Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (47 f.).

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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cc) Abwehr von Angriffen durch gleich geeignete, aber mit intensiveren Eingriffen verbundene hoheitliche Maßnahmen Weniger häufig werden im Schrifttum schließlich die Konfliktsituationen diskutiert, in denen dem Angegriffenen und den Organen staatlicher Gefahrenabwehr zwar Verteidigungsmittel gleicher Eignung zur Verfügung stehen, aber die möglichen hoheitlichen Maßnahmen die Rechtsgüter des Angreifers in einem höheren Maße schädigen würden. Ganz überwiegend wird auch für diese Konstellationen vertreten, dass der Einzelne sich nicht selbst verteidigen dürfe, weil die Abwehr von Angriffen generell in den Aufgabenbereich präsenter staatlicher Helfer falle.388 Zwar strapaziere eine solche Sichtweise insbesondere das Kriterium der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung arg.389 Aus dem staatlichen Gewaltmonopol ableitbare Gedanken wie etwa der Wunsch, zugunsten des Staates Privatgewalt zurückzudrängen, oder die Idee einer vorrangigen Rechtsbewährung durch den Staat sollen allerdings in derartigen Situationen eine Subsidiarität der Notwehr sachlich rechtfertigen.390 In diesem Zusammenhang betont Lesch, dass jeder Bürger vor einer Selbstverteidigung staatliche kanalisierte Rechtsschutzverfahren – zu denen auch die polizeiliche Hilfe zähle – vorrangig in Anspruch zu nehmen habe. Etwaige Nachteile, die „sich aus dem üblichen Abspielen der polizeirechtlichen Klaviatur nun einmal ergeben“, müsse der einzelne Bürger hinnehmen.391 Seebode will diese Fälle, in denen einer Privatperson mildere Abwehrmittel gleicher Eignung zur Verfügung stehen, „nicht im Hinblick auf die zivilisatorische Errungenschaft des staatlichen Gewaltmonopols“392 entscheiden. Vielmehr müsse die Lösung anhand des Tatbestandsmerkmals der „erforderlichen“ Verteidigung gefunden werden. Wenn private Verteidigungsmaßnahmen den An___________ 388 Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); NK-Herzog, § 32 Rn. 71; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Klose, ZStW 89 (1977), S. 61 (72 f.); Kühl, AT, § 7 Rn. 121; Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62; Merten, Rechtsstaat, S. 57; Roxin, AT 1 § 15 Rn. 50; Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (391 f.); Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (58). Diejenigen Autoren, die einen Vorrang staatlicher Hilfe selbst dann befürworten, wenn hoheitliche Maßnahmen zur Abwehr des Angriffs weniger geeignet sind (dazu sogleich unter B. III. 1. b) ab S. 94), dürften ebenfalls zu diesem Ergebnis gelangen. Ebenso Wagner, Notwehrbegründung, S. 61, der allerdings behauptet, dass staatlicher Hilfe angesichts ihrer Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stets das weniger gefährliche Mittel der Verteidigung darstelle. 389 Kühl, AT, § 7 Rn. 121. 390 Kühl, AT, § 7 Rn. 121. Wohl auch Haft, AT, S. 89. 391 Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62. In diesem Sinne auch Klesczewski, FS Wolff, S. 225 (245). 392 Seebode, FS Krause, S. 375 (386). Vgl. auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183, 186; Stiller, Grenzen, S. 81; LK11-Spendel, § 32 Rn. 234.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

griff in einer für den Aggressor schonenderen Weise abwehren können, seien diese im Sinne des Gesetzes auch dann erforderlich, wenn hoheitliche Hilfe zugegen ist.393 Ein Vorrang staatlicher Gewalt ergebe sich hingegen nicht aus dem Gesetz. Eine derartige und mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG äußerst bedenkliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der privaten Notwehr zum Nachteil des Bedrohten hätte vielmehr zur Folge, dass der im Gesetz zum Ausdruck kommende Grundsatz einer möglichsten Schonung des Angreifers in sein Gegenteil verkehrt werde.394 Ein solches Verständnis des § 32 StGB, das die staatliche Gewalt vom Grundsatz möglichster Schonung des Angreifers freistelle, schließe die Verfassung jedoch aus.395

b) Abwehr von Angriffen durch weniger effektive hoheitliche Maßnahmen Einige Stimmen in der Literatur lehnen eine Rechtfertigung privater Verteidigungshandlungen selbst dann ab, wenn den hoheitlichen Helfern zur Abwehr des Angriffs nur weniger effektive und Erfolg versprechende Mittel zur Verfügung stehen oder aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften ein Eingreifen überhaupt nicht zulässig ist. Zur Begründung dieser Ansicht wird wiederum das staatliche Gewaltmonopol herangezogen: Immer dann, wenn präsente staatliche Hilfe die Gefahrenabwehr in pflichtgemäßer Weise übernommen habe, sei private Selbstverteidigung subsidiär.396 Die Durchsetzung des Rechts sei primäre Aufgabe des Staates. Daher könne nicht hingenommen werden, dass der Bürger das staatliche Gewaltmonopol durch die Ausübung von Notrechten durchbricht, wenn der Staat die Gefahrenabwehr im Einzelfall tatsächlich und aufgrund einer rechtmäßigen Entscheidung der zuständigen Stellen übernommen habe. Die Notrechte wurden vielmehr nur für den Fall geschaffen, dass hoheitliche Hilfe

___________ 393

Seebode, FS Krause, S. 375 (386 f.). Seebode, FS Krause, S. 375 (387 f.). 395 Seebode, FS Krause, S. 375 (388). In diesem Sinne auch Erb, FS Nehm, S. 181 (181 Fn. 2); MünchKommStGB-ders., § 32 Rn. 131; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183, 186. 396 Amelung, JuS 1986, 329 (332); Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 76 f.; Haas, Notwehr, S. 297; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kühl, AT, § 7 Rn. 119 ff.; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (975 f.); Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62. Für den Fall einer Unmöglichkeit staatlicher Gefahrenabwehr aus rechtlichen Gründen auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183, 185. Tendenziell ferner Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (269 f., 289), wenn er auf das systematische Potential der Lehren Kants und Hegels für die Notwehrdogmatik hinweist und damit auch auf die Erkenntnisse dieser Lehren zum Verhältnis von Selbstverteidigung und staatlicher Gefahrenabwehr Bezug nimmt. 394

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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überhaupt nicht erreichbar ist oder in rechtswidriger Weise verweigert wird.397 Allein Beschränkungen in der Effektivität hoheitlicher Maßnahmen ließen das private Selbstverteidigungsrecht nicht wieder aufleben.398 Andere Autoren beschränken die Reichweite des Vorrangs staatlicher Gefahrenabwehr hingegen. Der Grundsatz der Subsidiarität könne das Notwehrrecht nur dann begrenzen, wenn obrigkeitliche Hilfe zur Abwehr der Rechtsgutsverletzung bereit und fähig sei.399 Komme der Staat seiner Verpflichtung zum wirksamen Schutz des Bürgers nicht nach, dürfe die private Selbstverteidigung nicht eingeschränkt werden. Dabei sei unerheblich, ob die Staatsorgane von Amts wegen – etwa bei Bagatellen – zum Eingreifen nicht verpflichtet seien oder ob sie aus sonstigen Gründen nicht eingreifen wollen.400 Vielmehr dürfe der Staat bürgerliche Selbsthilferechte nur in dem Maße verkürzen, wie effektiver hoheitlicher Rechtsschutz reiche.401 Im Übrigen könne nur auf diese Weise sichergestellt werden, dass sich der Staat nicht in doppelter Hinsicht seiner Verantwortung entziehe, indem er den Bürger nur ungenügend schütze, ihm zugleich aber wirksamen anderweitigen (Selbst-)Schutz verwehre.402 Auch diejenigen Stimmen im Schrifttum, die das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr anhand des Erforderlichkeitskriteriums bestimmen wollen, halten private Verteidigungsmaßnahmen für gerechtfertigt, durch die ein Angriff besser abgewehrt werden kann als durch hoheitliche Maßnah___________ 397 Nutzen die Organe staatlicher Gefahrenabwehr ihre Kompetenzen hingegen pflichtwidrig nicht, soll die Befugnis zur Selbstverteidigung ungeschmälert fortbestehen, vgl. Bockelmann, FS Honig, S. 19 (30); Haas, Notwehr, S. 299; Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 64 ff. In diesem Zusammenhang sei insbesondere zu berücksichtigen, dass aufgrund des Opportunitätsprinzips zwar grundsätzlich keine Pflicht zum Einschreiten bestehe. In den relevanten Angriffssituationen sei das Entschließungsermessen der Beamten jedoch auf Null reduziert, vgl. Haas, Notwehr, S. 299 f. Fn. 82. 398 Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62. Haas, Notwehr, S. 297 f., merkt in diesem Kontext allerdings an, dass trotz grundsätzlicher Subsidiarität der Notwehr eine Rechtfertigung bei Vorliegen der Notstandsvoraussetzungen des § 34 StGB möglich bleibe. 399 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 77; Focke, Notwehr in Lehre und Rechtsprechung, S. 3 ff.; Haug, MDR 1964, S. 548 (551); Krause, FS Bruns, S. 71 (77); Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (983 f., 989); Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (392); Schaffstein, GedS Schröder, S. 97 (103); LK11-Spendel, § 32 Rn. 234. Im Ergebnis ebenso Hassemer, FS Bockelmann, S. 225 (239 f.). Für den Fall einer Unfähigkeit staatlicher Gefahrenabwehr aus tatsächlichen Gründen auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183, 185. 400 Krause, FS Bruns, S. 71 (77); Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 391 (392); Seebode, StV 1991, S. 80 (85). 401 Vgl. Isensee, Widerstandsrecht, S. 43. 402 Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (989).

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

men.403 Für eine Abweichung von den allgemeinen Kriterien der Erforderlichkeit gebe es in derartigen Fällen keine gesetzliche Grundlage. Insbesondere die am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Vorgaben öffentlich-rechtlicher Vorschriften beträfen nur hoheitliche Eingriffsbefugnisse. Das Verhältnis zwischen Angreifer und privatem Verteidiger werde von diesen Vorschriften nicht erfasst, sondern originär und eigenständig in § 32 StGB geregelt. Im Übrigen sei ein strafbewehrtes Verbot, Mängel einer präsenten hoheitlichen Gefahrenabwehr durch private Maßnahmen zu kompensieren, auch in der Sache verfehlt. Denn der Geltungsgrund des § 32 StGB – das Versagen der Rechtsordnung zum Nachteil des Angegriffenen – komme hier voll zum Tragen: Der staatliche Schutz des betroffenen Rechtsguts erweise sich mit Blick auf dessen drohende Beeinträchtigungen durch einen gegenwärtigen und rechtswidrigen „Friedensbruch“ als unzulänglich.404

c) Verhältnis von staatlicher Gefahrenabwehr und Nothilfe durch Privatpersonen Mit Blick auf den soeben dargestellten Streitstand ist es wenig verwunderlich, dass auch das Verhältnis, in dem präsente staatliche und private Helfer zueinander stehen, nicht endgültig geklärt ist. Konsequenterweise müssten zumindest diejenigen Autoren, die selbst dann einen Vorrang präsenter staatlicher Hilfe bejahen, wenn dem Angegriffenen effektivere Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen, wohl eine Rechtfertigung von Verteidigungshandlungen im Rahmen der Nothilfe verneinen.405 Angesichts der prinzipiellen Gleichwertigkeit von Notwehr und Nothilfe406 will die Gegenansicht indes beide Erscheinungsformen des § 32 StGB hinsichtlich ihres Verhältnisses zu präsenter hoheitlicher Gefahrenabwehr gleich behandeln. Immer dann, wenn die Maßnahmen eines privaten Nothelfers effektiver als die hoheitlichen Abwehrmöglichkeiten seien oder bei gleicher Eignung als mildere Verteidigungsmittel angesehen werden können, sei die hierdurch bedingte Verletzung von Rechtsgütern des Aggressors nach allgemeinen Grund___________ 403 Erb, FS Nehm, S. 181 (183 f.); MünchKommStGB-ders., § 32 Rn. 137; SK-Günther, § 32 Rn. 100; Fuchs, Grundfragen, S. 140; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; Krey, AT 1, Rn. 474; Pelz, NStZ 1995, S. 305 (307); Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (392); Seebode, FS Krause, S. 375 (390 f.); LK11-Spendel, § 32 Rn. 234; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 283 f. 404 Seebode, FS Krause, S. 375 (390). Vgl. hierzu auch die Argumentation bei MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 137. 405 So etwa Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 66 ff. 406 Dagegen ausdrücklich Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 66 ff.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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sätzen als erforderlich anzusehen.407 Allerdings sei in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die staatlichen Organe eine derartige Einmischung von außen in die hoheitliche Gefahrenabwehr nicht hinzunehmen bräuchten. Insbesondere das Polizeirecht eröffne den staatlichen Einsatzkräften die rechtliche Möglichkeit, einem privaten Dritten die faktische Möglichkeit der Ausübung des Nothilferechts zu entziehen, ohne dass das Verhalten der Beamten als rechtswidrige Unterstützung des Angreifers aufzufassen sei.408 Denn bereits die Beeinträchtigung eines Polizeieinsatzes stelle eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit dar, die die Polizei nicht beliebig hinnehmen müsse.409 Das Rechtsverhältnis zwischen Nothelfer und Angreifer werde durch diese öffentlich-rechtlichen Befugnisse jedoch nicht berührt.410

2. Nicht präsente Hilfe von Hoheitsträgern Der Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr gegenüber privaten Notwehrmaßnahmen wird nicht nur dann relevant, wenn staatliche Helfer in einer konkreten Konfliktsituation zugegen sind. Vielmehr stellt sich die Frage nach einer Subsidiarität der Notwehr auch in den Fällen, in denen Organe staatlicher Gefahrenabwehr nicht präsent sind. Ob mit einem Verweis auf den Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr vom Bürger verlangt werden kann, hoheitliche Hilfe – entweder bereits im Vorfeld einer drohenden Auseinandersetzung oder aber in einer konkreten Konfliktsituation – herbeizuholen, soll in diesem letzten Abschnitt des 1. Kapitels näher betrachtet werden.

a) Pflicht zum Herbeiholen obrigkeitlicher Hilfe in einer konkreten Konfliktsituation Anders als bei dem in weiten Bereichen kontrovers diskutierten Verhältnis von Selbstverteidigung und präsenter hoheitlicher Hilfe wird ein Vorrang staat___________ 407 Erb, FS Nehm, S. 181 (184 ff.); MünchKommStGB-ders., § 32 Rn. 138; LK12Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 187. 408 Etwas anderes soll nach Erb, FS Nehm, S. 181 (188), jedoch dann gelten, wenn das Unterbinden der Notwehr bzw. Nothilfe die Rettungswahrscheinlichkeit für das angegriffene Rechtsgut nicht nur herabsetzen würde, sondern eine schutzlose Preisgabe nach sich zöge. In einem derartigen Fall stelle die Unterbindung der privaten Verteidigung eine untragbare faktische Unterstützung des Unrechts dar. 409 Erb, FS Nehm, S. 181 (184 f.). Vgl. ferner Gusy, PolizeiR, Rn. 85; Schenke, POR, Rn. 61. 410 Erb, FS Nehm, S. 181 (184 f.); MünchKommStGB-ders., § 32 Rn. 138. Kritisch Haas, Notwehr, S. 293 ff.

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1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

licher Gefahrenabwehr ganz überwiegend dann prinzipiell verneint, wenn deren Organe nicht präsent sind.411 Zur Begründung wird angeführt, dass in diesen Fällen eine Konkurrenzsituation zwischen privatem Verteidiger und der staatlichen Hilfe nicht aktuell, sondern bloß potentiell bestehe. Regelmäßig sei aber weder mit ausreichender Sicherheit vorhersehbar, ob und wann hoheitliche Unterstützung erreicht werden könne, noch ob diese Hilfe überhaupt und in ausreichendem Maße gewährt werde. Diese Unsicherheit dürfe man aber nicht zulasten des Angegriffenen werten.412 Im Übrigen wäre eine damit verbundene – zumindest vorübergehende – Duldung des Angriffs bis zum Eintreffen der Helfer nicht mit den Grundprinzipien der Notwehr vereinbar. Die mit einer derartigen Pflicht zwangsweise verknüpfte Folge, dass der Angreifer für den Zeitraum, in dem das Opfer über die fremde Hilfe noch nicht verfügen kann, zunächst die Oberhand behalten würde und dadurch für den Verteidiger Rechtsgutseinbußen zu befürchten wären, könne dem Angegriffenen nicht abverlangt werden.413 Da das Notwehrrecht den Angegriffenen zur sofortigen Abwehr des Angriffes berechtigt, könne diesem eine derartige Duldungspflicht insbesondere auch nicht wegen des staatlichen Gewaltmonopols auferlegt werden, wenn obrigkeitliche Hilfe selbst nicht zu einer sofortigen Verteidigung in der Lage ist.414 Auch müsse es dem Opfer insbesondere in Fällen wiederholter Übergriffe ermöglicht werden, in akut zugespitzten Situationen einem Angriff entgegenzutreten, anstatt sich vom Angreifer eine bestimmte Lebensführung aufzwingen zu lassen.415 Daher könne dem Angegriffenen grundsätzlich nicht abverlangt werden, die Obrigkeit um Hilfe zu ersuchen und dadurch die Konkurrenzsituation zwischen privater Selbstverteidigung und hoheitlicher Hilfe mit der möglichen Konsequenz der Versagung seines Notwehrrechts zu aktualisieren. Obwohl grundsätzlich eine Pflicht des Angegriffenen, staatliche Hilfe zur Abwehr eines Angriffs hinzuzuziehen, verneint wird, werden jedoch auch hier verschiedene Ausnahmen diskutiert.416 So wird zum Teil das Herbeiholen obrigkeitlicher Hilfe dann gefordert, wenn ein solches dem Angegriffenen mühelos ___________ 411 Beulke, Jura 1988, S. 641 (642); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130; Fuchs, Grundfragen, S. 141; Haas, Notwehr, S. 304; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 184; Wagner, Notwehrbegründung S. 61 f. 412 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130; Haas, Notwehr, S. 304. Im Ergebnis ebenso Freund, AT, § 3 Rn. 107: Die Pflicht zum Herbeiholen staatlicher Hilfe sei eine „nicht legitimierbare Beeinträchtigung der Freiheitsrechts des Angegriffenen …“ 413 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130; Wagner, Notwehrbegründung, S. 61 f. Vgl. auch LK11-Spendel, § 32 Rn. 234. 414 Beulke, Jura 1988, S. 641 (642); Wagner, Notwehrbegründung, S. 61 f. 415 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130. 416 Zur Frage, ob in Ausnahmefällen private Helfer herbeigeholt werden müssen, vgl. bereits die Ausführungen unter A. II. 2. b) ab S. 42 in diesem Kapitel.

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

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und ohne nennenswerten Zeitverlust möglich sei.417 Zwar sei private Selbstverteidigung nur gegenüber präsenter, also gegenwärtiger und eingriffsbereiter, hoheitlicher Hilfe subsidiär. In den Konfliktlagen, in denen eine gleichwertige eigene Sofortabwehr nicht gefährdet werde und die Präsenz hoheitlicher Hilfe – beispielsweise durch bloßen Zuruf418 – mühelos hergestellt werden könne, dürfe man eine privat Verteidigung nicht nach § 32 StGB erlauben.419 Eine Pflicht zum Herbeirufen hoheitlicher Hilfe wird ferner bei Vorliegen einer der Fallgruppen der sog. sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts bejaht.420 Offen bleibt in diesem Zusammenhang jedoch, ob vorrangig fremde Privatpersonen oder Hoheitsträger um Unterstützung ersucht werden sollen. Ausgehend vom Grundsatz der größtmöglichen Schonung des Angreifers verlangt Seebode vom Angegriffenen uneingeschränkt, hoheitliche Hilfe herbeizuholen, sofern diese gleich geeigneten, aber milderen staatlichen Maßnahmen eine rechtzeitige und sichere Abwehr des Angriffs erwarten lassen.421 Ist eine den Angreifer weniger schädigende staatliche Gefahrenabwehr hingegen nicht ohne weiteres rechtzeitig zu erwarten, kann sie aber beispielsweise durch bloßen Zuruf risikolos herbeigeholt werden, will Seebode danach differenzieren, ob ein derartiges Ersuchen um Hilfe „schmählich“ sei.422 Da das StGB vom Angegriffenen nicht verlange, statt der etwa bedrohten körperlichen Integrität seine Ehre zu opfern, könne von ihm auch nicht erwartet werden, Hilfe in einer für den Angegriffenen unehrenhaften Weise herbeizurufen. Allein aus der Tatsache, dass fremde Hilfe in Anspruch genommen werde, könne sich die Unehrenhaftigkeit allerdings nicht ergeben. ___________ 417 Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); Haas, Notwehr, S. 304; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 33, Fn. 96; Krey, AT 1, Rn. 476; Kühl, AT, § 7 Rn. 120 f. 418 Ob die Anwesenheit staatlicher Hilfe möglicherweise so weit zu verstehen ist, dass beispielsweise auch ein in Tatortnähe patrouillierender Polizist noch als „präsent“ gelten kann, soll vorerst noch dahinstehen. Vgl. zu dieser Frage Kühl, AT, § 7 Rn. 120; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 299 (306). 419 Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62. Nach Haas, Notwehr, S. 304, stellt eine in derartigen Situationen ausgeübte Notwehr eine „Tat aus nichtigem Anlass dar“, in der bereits eine bestehende Notwehrlage mangels rechtswidrigen Angriffs zu verneinen sei. 420 Vgl. die Fundstellen in Fn. 78 auf S. 44 in diesem Kapitel. In diesen Nachweisen wird regelmäßig allein das Herbeiholen fremder Hilfe gefordert, ohne zu differenzieren, ob diese privater oder hoheitlicher Natur sein soll. 421 Seebode, FS Krause, S. 375 (385). So beispielsweise in Angriffslagen, in denen der Verteidiger hört, dass Polizeibeamte herbeieilen, und er risikolos das Eintreffen der staatlichen Hilfe abwarten kann. 422 Seebode, FS Krause, S. 375 (385 f.). Differenzierend, aber ausgehend vom staatlichen Gewaltmonopol, u.a. auch Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 17; Haas, Notwehr, S. 304; Lackner/Kühl, § 32 Rn. 11a. Ablehnend Kratzsch, GA 1971, 65 (81); LK11-Spendel, § 32 Rn. 234; Wagner, Notwehrbegründung, S. 61 f.

100

1. Kap.: Erscheinungsformen der Subsidiarität der Notwehr

Eine grundsätzliche Verpflichtung des Angegriffenen, hoheitliche Hilfe herbeizurufen, dürfte auch Bitzilekis befürworten. Zwar erörtert er die Frage nach der Pflicht zum Herbeirufen fremder Hilfe nur im Zusammenhang mit dem Herbeiholen privater Hilfe und bejaht diese grundsätzlich.423 In konsequenter Fortführung seines Argumentationsansatzes dürfte er in Bezug auf obrigkeitliche Hilfe jedenfalls dann zum selben Ergebnis gelangen, wenn auch Maßnahmen staatlicher Gefahrenabwehr eine sichere Abwehr des Angriffs mit milderen Mitteln ermöglichen würden.424 Ausgehend von Bitzilekis’ überindividuellem Verständnis von einer erforderlichen Verteidigungshandlung dürfte erreichbare obrigkeitliche Hilfe – ebenso wie private Nothilfe – ein dem Angegriffenen zur Verfügung stehendes Abwehrmittel darstellen, das im Rahmen der Erforderlichkeit bei der Ermittlung der bei gleicher Eignung mildesten Abwehrmaßnahme zu berücksichtigen wäre.425

b) Pflicht zum Herbeiholen hoheitlicher Hilfe im Vorfeld einer Konfliktsituation Ebenso wenig, wie die überwiegende Ansicht im Schrifttum eine Verpflichtung des Angegriffenen zum Herbeiholen nicht präsenter staatlicher Hilfe in einer konkreten Konfliktsituation annimmt,426 verlangt sie von ihm, staatliche Stellen im Vorfeld einer Konfliktsituation um Beistand zu ersuchen.427 Eine Begründung hierfür liefert etwa Lesch in seiner Anmerkung zu BGHSt 39, 133.428 Zwar führt er an, dass das staatliche Gewaltmonopol „die erste und wichtigste Vorbedingung des zivilisierten Gesellschaftszustandes“ sei und „dem einzelnen das Recht auf Selbstjustiz genommen“ 429 habe. Dieser Grundsatz eines Vor___________ 423

Bitzilekis, Einschränkungen der Notwehr, S. 73 f. Vgl. dazu auch die Ausführungen unter A. II. 2. b) ab S. 44 in diesem Kapitel. 424 Dass auch gleichwertige hoheitliche Hilfe herbeigeholt werden müsse, lässt sich hingegen den Ausführungen Bitzilekis nicht entnehmen. Ausdrücklich spricht er nur in den Fällen von einer Subsidiarität der Notwehr, in denen gleichwertige hoheitliche Hilfe präsent ist, vgl. ders., Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 77. 425 In diesem Sinne auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 184; Schubert, Staatsnothilfe, S. 61 f. 426 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 411 auf S. 98 in diesem Kapitel. 427 Lesch, StV 1993, S. 578 (582); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 184. Ebenso Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 33: „Eine Pflicht zur Vorbereitung der Abwehr durch Hilfebeschaffung vor der Gegenwärtigkeit des Angriffs besteht … nicht“; ferner ders., a.a.O., Fn. 96. Anders aber Grünhagen, Antizipierte Notwehr, S. 37 mit Blick auf die Erforderlichkeit präventiver Verteidigungshandlungen. 428 Lesch, StV 1993, S. 578 (582). Vgl. ferner die Ausführungen zu BGHSt 39, 133 unter B. II. 2. b) ab S. 81 in diesem Kapitel. 429 Lesch, StV 1993, S. 578 (581 f.).

B. Das Verhältnis von Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr

101

rangs staatlicher Gewalt finde aber in denjenigen Ausnahmesituationen seine Grenze, in denen staatliche Hilfsmaßnahmen nicht mehr rechtzeitig zu erlangen seien. Allein mit der Begründung, der Angegriffene habe es versäumt, rechtzeitig für Präsenz obrigkeitlicher Hilfe zu sorgen, könne diesem die Rechtfertigung nicht verwehrt werden.430 Da die Verteidigung erst mit dem Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffs beginne, müsse auch für die Frage, ob obrigkeitliche Hilfe noch rechtzeitig herbeigerufen werden konnte, dieser Zeitpunkt maßgeblich sein. Der Angegriffene dürfe hingegen nicht zur Gewährleistung der Verfügbarkeit bestimmter Verteidigungsmittel im Falle eines Angriffs verpflichtet werden. Vielmehr könne es „ein Prinzip der Subsidiarität … – wenn überhaupt – nur geben, soweit eine faktische Konkurrenzsituation von privater und staatlich organisierter Gefahrenabwehr existiert.“431 Zwar will auch Hillenkamp dem Angegriffenen den Rechtfertigungsgrund der Notwehr nicht vollständig versagen.432 Indes befürwortet er eine Einschränkung der Reichweite der Notwehrbefugnis durch eine Bindung „an die Schranken hoheitlichen Handelns“:433 Dem Notwehrübenden, der das Subsidiaritätsprinzip unterlaufe und es versäumt habe, hoheitliche Hilfe präventiv herbeizuholen, dürfe in der konkreten Verteidigungssituation nicht mehr gestattet werden, als einem anwesenden Polizeibeamten erlaubt wäre.

___________ 430 Lesch, StV 1993, S. 578 (582). Vgl. auch ders., Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62. Ebenso MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 128; Motsch, Notwehrexzess, S. 88 f.; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 299 (306 f.). 431 Lesch, StV 1993, S. 578 (582). Ebenso Blei, AT12, Fall 79, S. 67. 432 Hillenkamp, JuS 1994, S. 769 (774). 433 Hillenkamp, JuS 1994, S. 769 (774), Hervorhebungen im Original.

2. Kapitel

Grundsätzliche Überlegungen Bereits in der Einleitung wurde ausgeführt, dass – zumindest im Regelfall – niemand den unberechtigten Angriff eines Dritten über sich ergehen lassen muss. Allgemein anerkannt1 ist, dass das Angriffsopfer bei der Organisation seiner Verteidigung auch die Hilfe eines bis dahin unbeteiligten Dritten berücksichtigen darf. Unklar ist indes, ob das Opfer unter bestimmten Voraussetzungen zugunsten der Klärung des Konflikts durch einen Dritten auf die eigenhändige Abwehr des Angriffs verzichten muss. Diese Frage wäre dann zu verneinen, wenn § 32 StGB dem Opfer eines Angriffs ausnahmslos gestatten würde, sich und seine Rechtsgüter eigenhändig zu verteidigen. Verstünde man das Notwehrrecht in diesem Sinne, wäre die Anwesenheit hilfsbereiter Dritter für die Beurteilung der Notwehrbefugnisse des Angegriffenen stets unbeachtlich; der Angegriffene wäre unter keinen Umständen dazu verpflichtet, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine solche generelle Befugnis zur eigenhändigen Verteidigung unter Ausschluss potentieller Helfer statuiert das Notwehrrecht indes nicht. Sie kann – was sogleich zu zeigen sein wird – insbesondere nicht aus dem Wortlaut des § 32 StGB hergeleitet werden.2 Hat der Angegriffene deshalb unter noch näher zu konkretisierenden Voraussetzungen3 die Pflicht, fremde Hilfe bei der Organisation seiner Verteidigung gegen den gegenwärtigen Angriff zu berücksichtigen, stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, ob der Umfang dieser Berücksichtigungspflicht davon beeinflusst wird, ob der potentielle Helfer eine Privatperson oder aber ein staatliches Organ ist. Ein Bedürfnis für eine unterschiedliche Behandlung hoheitlicher Gefahrenabwehr und privater Hilfe kann sich dabei insbesondere aus dem staatlichen Gewaltmonopol ergeben. Zu klären ist deshalb ferner, in welchem Verhältnis das Notwehrrecht und das staatliche Gewaltmonopol zueinander stehen.4

___________ 1

Vgl. dazu die Nachweise in den Fn. 3 f. auf S. 23. Dazu sogleich unter A. ab S. 103 in diesem Kapitel. 3 Mit diesem Problem werden sich die Kapitel 3 und 4 näher befassen. 4 Dazu unter B. ab S. 107 in diesem Kapitel. 2

A. Inanspruchnahme fremder Hilfe als unzumutbares Ausweichen?

103

Im Rahmen der Streitdarstellung im 1. Kapitel dieser Arbeit wurde bereits mehrfach angedeutet, dass die Lösung allgemeiner, aber auch subsidiaritätsspezifischer Probleme maßgeblich davon abhängt, welches Grundkonzept man der Notwehr zugrunde legt.5 Die Grundsätzlichen Überlegungen bieten Anlass, sich mit diesem, in den letzten Jahrzehnten wohl am heftigsten diskutierten Problem des Notwehrrechts näher auseinanderzusetzen.6 Neben einer kritischen Betrachtung der gängigen Notwehrkonzeptionen wird die Erarbeitung eines eigenen Lösungsvorschlags im Mittelpunkt der Ausführungen dieses Abschnittes des 2. Kapitels stehen. Schließlich soll anlässlich der Grundsätzlichen Überlegungen – ebenfalls vor die Klammer gezogen – geklärt werden, ob die Voraussetzungen einer Pflicht zur Inanspruchnahme fremder staatlicher oder privater Hilfe in den folgenden Kapiteln anhand der Tatbestandsmerkmale des § 32 StGB entwickelt werden müssen oder ob man beim Finden der Lösung eher „frei“ ist.7 Es wird also zu beantworten sein, ob und inwieweit das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr gilt.8

A. Inanspruchnahme fremder Hilfe als unzumutbares Ausweichen? Ausgangspunkt für die Untersuchung der Frage, ob § 32 StGB ein umfassendes Recht auf eigenhändige Verteidigung verbürgt, soll der Wortlaut des Notwehrtatbestandes sein. In § 32 Abs. 2 StGB wird die Notwehr als „Verteidigung“ definiert, „die erforderlich ist, um einen … Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden“. Zweierlei ist dieser Formulierung zu entnehmen: Gestattet ist die Abwendung eines Angriffs. Diese kann nicht nur durch den Angegriffenen selbst, sondern auch durch einen Dritten bewirkt werden. Beide Punkte bedürfen näherer Ausführung. Das Notwehrrecht erlaubt, einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff abzuwenden. Durch die Notwehr soll die Verwirklichung der vom Angreifer ausgehenden Gefahr verhindert, die drohende Rechtsgutsverletzung vom Ange___________ 5 Dies gilt etwa für das Verhältnis von Notwehr und Nothilfe (vgl. dazu die Ausführungen unter A. II. 2. a) ab S. 39 im 1. Kapitel) oder für die die Frage, ob der Angegriffene verpflichtet ist, in einer Konfliktsituation staatliche Hilfe herbeizuholen (vgl. dazu die Ausführungen unter B. III. 2. a) ab S. 97 im 1. Kapitel). 6 Dazu unter C. ab S. 124 in diesem Kapitel. 7 Im letzteren Sinne etwa Haas, Notwehr, S. 301, wenn er ausführt, mit Blick auf die Subsidiarität der eigenhändigen Selbstverteidigung gegenüber staatlicher Gefahrenabwehr sei die Suche nach einem tatbestandlichen Anknüpfungspunkt überflüssig. 8 Dazu unter D. ab S. 152 in diesem Kapitel.

104

2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

griffenen ferngehalten werden.9 Dabei muss der Angegriffene aber nicht versuchen, sich der drohenden Gefahr in Gestalt des gegenwärtigen Angriffs durch eine Flucht zu entziehen. Die Notwehr gestattet vielmehr bereits ihrem Wortlaut nach die Abwehr des Angriffs, also die wehrhafte Verteidigung sowohl in Form von Schutz- als auch in Form von Trutzwehr.10 Zwar ist das Opfer eines Angriffs nicht verpflichtet, sich dem Angreifer zu stellen und sich mit den Mitteln der Notwehr zu verteidigen. Es steht ihm frei, sich dem Angriff durch Flucht zu entziehen. Es mag in bestimmten Konstellationen – etwa bei einem wenig aussichtsreichen Kampf gegen einen nahezu übermächtigen Angreifer – sogar vernünftig sein, dem Angriff auszuweichen und auf diese Weise eine weitergehende Verletzung von Rechtsgütern zu vermeiden. Eine Form der Verteidigung stellt das Ausweichen allerdings nicht dar; ebenso wenig ist die Flucht eine Abwendung des Angriffs.11, 12 Vielmehr verzichtet das fliehende Opfer eines Angriffs auf jegliche Abwehr.13 Zumindest grundsätzlich14 kann demnach vom Angegriffenen ein Ausweichen nicht einmal dann verlangt werden, wenn dieser, „ohne seiner eigenen Ehre etwas zu vergeben oder sonst seine Belange zu verletzen“, dem Angriff ausweichen könnte.15 Gerade als ein solches unzumutbares ___________ 9 Vgl. Duden, Bd. 1, Stichwort „abwenden“ (S. 122): „2. … b) verhindern, von jmdm. fern halten“. 10 Choi, Notwehr, S. 39; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 157. 11 Vgl. schon RGSt 16, 69 (71 f.); RG, GA 46 (1898/1899), 31 (32). Ferner BGH, NJW 1989, 3027; BSGE 84, 54 (58); Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 78.; Choi, Notwehr, S. 78 f.; Erb, NStZ 2005, S. 593 (597); SK-Günther, § 32 Rn. 86; NK-Herzog, § 32 Rn. 69; Hruschka, AT, S. 136 f.; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 36; Jescheck/Weigend, AT, S. 343 f.; Kratzsch, GA 1971, S. 65 (75); Kühl, AT, § 7 Rn. 78; Lenckner, GA 1961, S. 299 (309); Schönke/Schröder-ders./Perron, § 32 Rn. 40; Lesch, JA 1996, S. 833; Mayer, AT, S. 100; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 24, 28; ders., JuS 1992, S. 289 (292); Otto, AT, § 8 Rn. 46; Perron, Rechtfertigung und Entschuldigung, Bd. 3, S. 79 (86); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 157; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 49; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 76; Werle, JuS 1986, S. 902 (903). Vgl. auch AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733 (735); MünchKommBGB-Grothe, § 227 Rn. 11 zu § 227 BGB. Kritisch Felber, Rechtswidrigkeit, S. 169 ff.; Wössner, Notwehr und ihre Einschränkungen, S. 168 f. 12 Dass entgegen dieser in Schrifttum und Rechtsprechung nahezu einhellig vertretenen Auffassung der überwiegenden Teil der Bevölkerung davon ausgeht, dass grundsätzlich eine Pflicht zum Ausweichen besteht, zeigen auf Amelung/Kilian, FS Schreiber, S. 3 (7 ff.). 13 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 78. 14 Etwas anderes gilt möglicherweise in den Fällen einer sog. sozialethischen Einschränkung des Notwehrrechts. Die Fallgruppen der Notwehreinschränkung sollen zunächst aber noch unberücksichtigt bleiben. 15 Mit dieser Begründung befürwortet der 3. Strafsenat aber 1953 noch eine Ausweichpflicht, BGHSt 5, 245 (248). Ebenso BGH, GA 1969, 117; BayObLG, NJW 1963, 824 (825); OLG Düsseldorf, NJW 1961, 1783 (1784). Vgl. ferner die ältere Rechtsprechung, die vom Angegriffenen einen Ausweichen dann verlangte, wenn sich auf diese

A. Inanspruchnahme fremder Hilfe als unzumutbares Ausweichen?

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Ausweichen könnte man nun aber eine Verpflichtung des Angegriffenen verstehen, unter bestimmten Voraussetzungen die Hilfe eines Dritten in Anspruch zu nehmen,16 werden doch das Ausweichen und das Herbeiholen fremder Hilfe oftmals in einem Atemzug genannt.17 Wäre diese Hypothese richtig, stellte also jegliche Form der Inanspruchnahme fremder Hilfe „ein unzumutbares Kneifen, eine schmähliche Flucht“18 dar, dann dürfte der Angegriffene zwar fremde Hilfe bei der Abwehr eines Angriffs nutzen; verpflichtet wäre er dazu jedoch in keinem Fall. Der Angegriffene hätte folglich ein aus § 32 StGB folgendes Recht darauf, den Angriff eigenhändig abzuwehren. Überzeugend ist ein derartiges Verständnis der Verteidigungsbefugnis jedoch nicht.19 Die Inanspruchnahme präsenter fremder Hilfe stellt gerade kein Ausweichen dar, denn der Angegriffene flüchtet nicht vor dem Angreifer. Vielmehr ist auch die Abwehr des Angriffs durch einen hilfsbereiten Dritten eine Form der Verteidigung.20 Der Angegriffene stellt sich dem Angriff und versucht, diesen mit den ihm in der konkreten Angriffssituation zur Verfügung stehenden Möglichkeiten abzuwehren.21 Ebenso wie es sich dabei im Rahmen des Erforderlichen und Gebotenen einer Waffe oder eines anderen Werkzeugs bedienen könnte, darf das Opfer eines Angriffs fremde Hilfe in Anspruch nehmen. Dabei wird der Helfer nicht zu einem bloßen Instrument des Angegriffenen. Vielmehr ist das Verteidigungspotential des An___________ Weise der Schutz ohne jedes Opfer eigener Interessen verwirklichen ließ: RGSt 71, 133 (134); 72, 57 (58); RG, GA 46 (1898/99), 31 (32). 16 Einen Ansatzpunkt für eine derartige Argumentation könnte bei unbefangenem Lesen eine Entscheidung des 1. Strafsenates des BGH vom 24. Juli 1979 bieten (vgl. dazu bereits die Ausführungen unter A. I. 2. b) ab S. 33 im 1. Kapitel). In den Urteilsgründen heißt es, dass der Angeklagte, ein 18-jähriger Schüler, „die Hilfe von Lehrern … nicht in Anspruch zu nehmen“ brauchte. Es „konnte [ihm] nicht angesonnen werden, bei einer Lehrkraft Schutz vor einem auf tätliche Auseinandersetzungen ausgehenden Mitschüler zu suchen. … Ein solches Verhalten wäre ein unzumutbares Kneifen, eine schmähliche Flucht“, vgl. BGH, NJW 1980, 2263. Allerdings waren die Lehrkräfte nicht am Ort des Geschehens anwesend, sondern hätten erst herbeigeholt werden müssen. Insofern passen die Ausführungen des BGH an dieser Stelle nicht. Anders hingegen Krey, AT 1, Rn. 475, der seine grundsätzlichen Zweifel an einer Pflicht zur Inanspruchnahme privater Hilfe unter Heranziehung dieser Entscheidung begründet. 17 So etwa BGHSt 42, 97 (100); BGH, NStZ-RR 1999, 40 (41 f.); AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733 (735). Vgl. auch Baier, Verschuldete Notwehrlage, S. 8 f.; Hinz, JR 1993, S. 353 (356); Kühl, StV 1997, S. 298 (299); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 181. 18 So wohl Krey, AT 1, Rn. 476. Vgl. auch BGH, NJW 1980, 2263. 19 Ganz herrschende Ansicht, vgl. nur Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 73; Fuchs, Grundfragen, S. 138; Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 33 Fn. 60; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 160 f. Anders aber Arzt, JR 1980, S. 211 (212). 20 SK-Günther, § 32 Rn. 85; Martin, JuS 1997, S. 177; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50. 21 Vgl. Kratzsch, Grenzen der Strafbarkeit, S. 51: „Bei der Wahl der … Abwehrmittel ist es gleichgültig, ob dieses ‚Mittel‘ eine Sache (Pistole, Messer) oder ein anderer Mensch ist.“

106

2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

gegriffenen in einem so gelagerten Fall gleichsam mit dem des eigenverantwortlich handelnden Helfers zu addieren mit der Konsequenz, dass die so begründete Verteidigungsgemeinschaft in ihrer Gesamtheit den üblichen Notwehrgrundsätzen unterworfen wäre. Ein weiterer Gesichtspunkt spricht gegen ein Verständnis der Notwehr als Recht auf eigenhändige Verteidigung. Das Gesetz gestattet einem Dritten die Verteidigung ebenso wie dem Angegriffenen selbst. Zwar ist allein daraus noch nicht zwingend der Schluss zu ziehen, dass die Anwesenheit eines potentiellen Nothelfers die (Selbst-)Verteidigungsbefugnis des Angegriffenen unter bestimmten Voraussetzungen einschränken kann. Jedoch zeigt diese Regelung, dass die Angriffsabwehr durch außenstehende Dritte dem Notwehrrecht nicht fremd ist.22 Berücksichtigt man weiter, dass § 32 StGB die zur Verteidigung erforderlichen und gebotenen Abwehrmaßnahmen gestattet, ohne dabei jedoch entweder an die Person des unmittelbar Angegriffenen oder aber des helfenden Dritten anzuknüpfen, liegt die Annahme einer Befugnis zur ausschließlich eigenhändigen Verteidigung fern.23 Vielmehr scheint die Identität der handelnden Person für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abwehr eines Angriffs irrelevant zu sein.24 Beachtet man in diesem Kontext schließlich, dass dem Angreifer keine unnötigen Schäden zugefügt werden dürfen, dass dieser also im größtmöglichen Maße zu schonen ist, kann § 32 StGB kein Recht auf eigenhändige Verteidigung statuieren. Wie bereits eingangs dargelegt, darf sich der Angegriffene in einer Notlage grundsätzlich fremder Hilfe bedienen, um einen Angriff zurückzuschlagen.25 Dem potentiellen Opfer eines Angriffs werden dadurch Möglichkeiten eröffnet, die seine Verteidigungschancen erheblich steigern. Es ausschließlich zum Nutznießer der Vorteile zu machen, die die Möglichkeit der Inanspruchnahme fremder Hilfe bietet, ist indes nicht angezeigt. Vielmehr gilt: Darf der Angegriffene auf fremde Hilfe zurückgreifen, so muss er sich umgekehrt gefallen lassen, dass er zum Schutze des Angreifers – unter noch näher zu konkretisierenden Voraussetzungen – zusammen mit den in Frage kommenden Helfern als Verteidigungsgemeinschaft betrachtet wird. In dieser Verteidigungsgemeinschaft bestimmen nicht die individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Angegriffenen die Reichweite der Verteidigungsbefugnisse. Maßgeblich für die Beurteilung des zulässigen Handlungsspielraums des Verteidigungsbündnisses ___________ 22

Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 161. Haas, Notwehr, S. 280 f.; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 161. 24 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 161; Pelz, NStZ 1995, S. 305 (307). Anders aber wohl Krey, AT 1, Rn. 475. 25 Zu einer Vielzahl von Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur vgl. die Fn. 3 f. auf S. 23. 23

B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol

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müssen vielmehr die Möglichkeiten desjenigen Mitglieds der Gruppe sein, dem unter den gebotenen das mildeste der effektiven Abwehrmittel zur Verfügung steht.26

B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol Steht damit fest, dass bei der Beurteilung der Reichweite der Verteidigungsbefugnisse auch die Fähigkeiten und Möglichkeiten potentieller Helfer zu berücksichtigen sind, stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, ob es unter rechtlichen Gesichtspunkten einen Unterschied macht, ob dem Angegriffenen eine Privatperson oder ein staatlicher Helfer unterstützend zur Seite steht. Eine ungleiche Behandlung von privaten und staatlichen Helfern käme jedenfalls dem Grundsatz nach dann nicht in Betracht, wenn man dem staatlichen Gewaltmonopol seinen Geltungsanspruch für den Bereich der präventiven Abwehr von Angriffen absprechen würde.27 Dieser Gedanke soll näher ausgeführt werden.

I. Grundlagen und Ausgestaltung des staatlichen Gewaltmonopols Das staatliche Gewaltmonopol28 ist unverzichtbare Grundlage jedes demokratischen Rechtsstaates29 und soll sicherstellen, dass legitimer körperlich wirkender Zwang30 im Staatsgebiet grundsätzlich nur vom Staat und dessen Institutionen ausgeübt wird.31 An sich ein formales Prinzip, entfaltet es auch materiale ___________ 26 In diesem Sinne auch MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 165; Kasiske, Jura 2004, S. 832 (836); Seier, NJW 1987, S. 2476. 27 So etwa Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (123). 28 Dieser Begriff geht zurück auf Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Halbbd., Kap. IX 8. Abschn. § 2 (S. 821 f.), der den modernen rationalen Staat als anstaltsmäßigen Herrschaftsverband mit dem Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit definiert. Vgl. hierzu auch Gusy, DÖV 1996, S. 573 (575). 29 Isensee, FS Sendler, S. 39 (46 ff.); ders., HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 109; Merten, Rechtsstaat, S. 31; Schnapp, Jura 1986, S. 113 (115); Scholz, NJW 1983, S. 705 (707); Stober, NJW 1997, S. 889 (890). Kritisch Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (132). 30 Vom Begriff der „Gewalt“, wie er im Zusammenhang mit dem staatlichen Gewaltmonopol verstanden wird, ist die Staatsgewalt als eines der drei Staatselemente zu unterscheiden. Während erstgenannter Gewaltbegriff allein den körperlich wirkenden Zwang (vgl. lat.: „vis“ oder engl.: „violence“) erfassen soll, versteht man unter der Staatsgewalt die organisierte Macht des Staates in all ihren Ausprägungen (vgl. lat.: „potestas“ oder engl.: „power“), wobei die Zwangsgewalt nur einen Bestandteil darstellt. Vgl. Isensee, FS Sendler, S. 39 (47); ders., Grundrecht auf Sicherheit, S. 24 f. 31 Isensee, FS Sendler, S. 39 (47); ders., HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 111; Koja, Staatslehre, S. 21; Merten, Rechtsstaat, S. 31, 33; Pernthaler, Staatslehre, § 38, S. 116.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Wirkung, indem es den Staat als Friedenseinheit konstituiert.32 Nur dann, wenn allein dem Staat die Befugnis, körperliche Gewalt legitim auszuüben, vorbehalten ist und er dieses Gewaltmonopol effektiv wahrt, können Rechtsfrieden und öffentliche Sicherheit garantiert werden.33 Daher darf es im Staatsgebiet generell keine darüber hinaus gehenden Zwangsbefugnisse geben, die der Staatsgewalt gegenüber eigenständig wären.34 Dementsprechend ist die Friedenspflicht des Bürgers, sich der physischen Gewalt zu enthalten und von Eigenmacht und Selbstjustiz abzusehen, mit dem staatlichen Gewaltmonopol untrennbar verknüpft und bildet dessen Kehrseite.35, 36 Eine förmliche Garantie des staatlichen Gewaltmonopols findet sich allerdings in der bundesdeutschen Verfassung nicht. Das Grundgesetz untersagt den Bürgern zumindest nicht ausdrücklich, Konflikte jedweder Art durch den Einsatz privater Gewalt zu lösen. Es setzt aber die Konzentration von Gewalt beim Staat und seinen Organen als generelle und selbstverständliche Grundlage der Verfassung voraus.37 „Es ist weniger deren [sc. des Grundgesetzes] Inhalt als deren Voraussetzung. Als diese aber ist es unentbehrlich für deren Institutionen. Daher zeigt es sich als Baustein der rechtlichen Grundordnung des Staates, mit___________ 32 Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 12 f.; Isensee, FS Sendler, S. 39 (48). Vgl. auch Merten, Rechtsstaat, S. 55: „Nur der Staat kann … Rechtssicherheit gewährleisten, weil nur er in der Lage ist, ihr Geltung [sc. notfalls durch den Einsatz von physischem Zwang] zu verschaffen.“ 33 Etwas anderes Gusy, DÖV 1996, S. 573 (576), der das staatliche Gewaltmonopol nicht in dem Sinne versteht, dass „der Staat im Gemeinwesen allein und exklusiv berechtigt wäre, Gewalt auszuüben.“ Vielmehr will er das Gewaltmonopol dahingehend verstanden wissen, dass allein der Staat berechtigt und in der Lage sei, über die (Un-) Rechtmäßigkeit von Gewalt zu entscheiden, den Umfang legitimer Gewalt zu bestimmen und illegitime Gewaltausübung mit eigenen notfalls zwangsbewehrten Mitteln zu verhindern. In diesem Sinne auch Bracher, Gefahrenabwehr, S. 103. 34 Koja, Staatslehre, S. 21 f.; Merten, Rechtsstaat, S. 42 f., 55, 60; Zippelius, Staatslehre, § 9, S. 68. 35 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 23 f.; ders., HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 112; Kröger, JuS 1984, S. 172 (173); Schmitt Glaeser, FS Dürig, S. 91 (97 f.); Scholz, NJW 1983, S. 705 (708); Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (132). 36 Unklar ist in diesem Zusammenhang jedoch, ob der mit dem Gewaltmonopol korrespondierende Friedlichkeitsvorbehalt als nachträglich im Rahmen einer Abwägung zu berücksichtigende Schrankenbedingung von Grundrechten zu verstehen ist (so die weite Tatbestandstheorie: vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 290 ff.) oder als eine verfassungsimmanente, verallgemeinerungsfähige und ursprüngliche Grenze grundrechtlicher Tatbestände (so die enge Tatbestandstheorie: Bethge, HStR, Bd. 6, § 137 Rn. 39; Isensee, FS Sendler, S. 39 [58 f.]; ders., HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 114; Klein, H., FG Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 177 [194]; Kröger, JuS 1984, S. 172 [173]; Schmitt Glaeser, FS Dürig, S. 91 [98]). 37 Isensee, FS Sendler, S. 39 (46, 55); ders., HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 109; Merten, Rechtsstaat, S. 38; Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 109.

B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol

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hin der materiellen Verfassung.“38 Lediglich an einer Stelle der Verfassung tritt das Gewaltmonopol des Staates offen zutage, wenn in Art. 8 Abs. 1 GG die Versammlungsfreiheit als das Freiheitsgrundrecht, das die größte Versuchung zur Anwendung körperlicher Gewalt in sich trägt, nur unter dem Vorbehalt „friedlich und ohne Waffen“ gewährt wird.39 Ausdrücklich formuliert diese staatsethische Komponente eine Bedingung der Möglichkeit des grundrechtlichen Schutzes. Kollektive Gewalttätigkeiten und Bewaffnungen werden nicht von der Versammlungsfreiheit des Bürgers umfasst.40 Das Gewaltverbot des Art. 8 Abs. 1 GG, „ein Unikat unter den vielförmigen Grenz- und Schrankenregeln“ des Grundrechtskataloges41, beschränkt sich aber nicht auf die bloße Versammlungsfreiheit, sondern ist Ausdruck der deutschen, europäischen und amerikanischen Verfassungstradition.42 Der Verfassungsgeber bringt somit in Art. 8 Abs. 1 GG keinen singulären Gedanken zum Ausdruck, sondern ein allgemeines Kernprinzip der Verfassung.43 Ausnahmslos stehen die durch die Verfassung garantierten Freiheiten unter dem Vorbehalt der gleichen Gewährleistung für jedermann.44 Deutlich bringt dies der generelle Schrankenvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG zum Ausdruck: Die allgemeine Handlungsfreiheit, das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, wird nur insoweit garantiert, wie „die Rechte anderer“ nicht verletzt werden. Hierin liegt das Gebot für den grundrechtsberechtigten Bürger, seine Freiheiten in einer für die Mitbürger verträglichen Weise auszuüben, welches insoweit dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des neminem laedere entspricht.45 Maßt sich der Einzelne hingegen das Recht an, die Grenzen seiner eigenen Freiheitsrechte gegebenenfalls sogar unter dem Einsatz von Gewalt selbst zu bestimmen, könnte eine rechtsstaatliche und allgemeingültige Gewährung von Freiheitsrechten nicht garantiert werden. Insofern muss der einzelne Bürger ein gemeinschaftsgebundenes Individuum sein,46 das bei der Aus___________ 38 Isensee, FS Sendler, S. 39 (56). Zur Unterscheidung von materieller und formeller Verfassung vgl. ders., Staat und Verfassung, HStR, Bd. 23, § 15 Rn. 188 ff. 39 Isensee, FS Sendler, S. 39 (46, 55); ders., Grundrecht auf Sicherheit, S. 18; Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (132). 40 Isensee, FS Sendler, S. 39 (40 f.). 41 Isensee, FS Sendler, S. 39 (42). 42 Isensee, FS Sendler, S. 39 (45, 55 f.). Zu einer Vielzahl von Fundstellen der Friedlichkeitsformel vgl. ders., FS Sendler, S. 39 (45), Fn. 25 f., 28 f. 43 Scholz, NJW 1983, S. 705 (708). 44 Scholz, NJW 1983, S. 705 (708). 45 Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 91. 46 Das entspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes: Der Mensch ist zwar eine eigenverantwortliche Persönlichkeit. Er ist jedoch kein isoliertes und selbstherrliches Individuum, sondern ein gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger. Vgl. BVerfGE 4, 7 (15 f.); 27, 1 (7); 30, 173 (193); 32, 98 (108); 50, 290 (353). Ferner Scholz, NJW 1983, S. 705 (708).

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

übung seiner Grundrechte ebenso der verfassungsmäßigen Ordnung wie den Rechten seiner Mitbürger verpflichtet ist. Die Friedenspflicht stellt folglich ein notwendiges Element der Rechtsstellung eines jeden Bürgers dar und beinhaltet im Bereich der Grundrechte eine allgemeingültige Verpflichtung aller Bürger.47 Diese Grundannahme wird vereinzelt auch von anderen Normen des Grundgesetzes bestätigt, die erkennbar auf dem staatlichen Gewaltmonopol aufbauen. So erteilt das in Art. 20 Abs. 4 GG grundrechtsähnlich legalisierte Widerstandsrecht Dispens vom Gewaltmonopol bzw. von der mit ihm korrespondierenden Friedenspflicht. Zum Schutz von Staat und Verfassung gestattet es dem Bürger als letztes Mittel auch den Einsatz von Gewalt, sofern „andere Hilfe nicht möglich ist.“ Allerdings tritt der in Art. 20 Abs. 4 GG beschriebene Widerstandsfall erst dann ein, wenn der Verfassungsstaat sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr selbst behaupten kann. In einer Situation, in der also die staatsrechtliche Normalität aufgehoben ist, erlaubt das Widerstandsrecht dem Bürger, sich über Rechtsgehorsam und Friedenspflicht hinwegzusetzen, um den Verfassungsstaat zu retten. Aus einem Umkehrschluss ergibt sich somit, dass im verfassungsrechtlichen Normalzustand allein der Staat zur Ausübung von Gewalt berechtigt sein muss.48 Solange der Verfassungsnotstand noch nicht eingetreten ist, solange also die Verfahren des demokratischen Rechtsstaates funktionieren und insbesondere ein gerichtlicher Rechtsschutz möglich ist, muss jeder Bürger, der sich gegen einen Rechtsbruch oder sogar gegen Verfassungsverstöße zur Wehr setzen will, den vom Staat vorgezeichneten Weg einhalten. Auch der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG erkennt das staatliche Gewaltmonopol an, indem er mittelbar daran anknüpft.49 So wird das Tatbestandsmerkmal der „Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse“, die diese Verfassungsnorm grundsätzlich „Angehörigen des öffentlichen Dienstes“ zuweist, zumindest in seinem Kern durch das Gewaltmonopol bestimmt.50, 51 Privatpersonen können die Zwangsbefugnisse, die von Verfassungs wegen allein dem Staat zu___________ 47

Isensee, FS Eichenberger, S. 23 (31 f.); ders., FS Sendler, S. 39 (46,48 f.); ders., Grundrecht auf Sicherheit, S. 18; Scholz, NJW 1983, S. 705 (708). 48 Isensee, FS Sendler, S. 39 (52 f.); ders., HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 109; ders., Widerstandsrecht, S. 32 f. et passim; Schneider, Widerstand, S. 21 f.; Scholz, NJW 1983, S. 705 (707 f.). 49 Bracher, Gefahrenabwehr, S. 79 ff., 101; Isensee, HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 111; Ossenbühl, Eigensicherung, S. 42 f. Vgl. auch Sachs-Battis, Art. 33 Rn. 45. 50 Bracher, Gefahrenabwehr, S. 81 f.; Isensee, HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 111. 51 In diesem Zusammenhang ist es irrelevant, ob man den Begriff der „hoheitsrechtlichen [resp. hoheitlichen] Befugnisse“ in Art. 33 Abs. 4 GG extensiv interpretiert (vgl. u.a. Sachs-Battis, Art. 33 Rn. 55, 57) oder mit der Gegenmeinung lediglich die Fälle erfasst, in denen der Staat oder eine andere öffentlich-rechtliche Körperschaft als Obrigkeit tätig wird (vgl. u.a. Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 33 Rn. 30; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 11, S. 348 f.).

B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol

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kommen, nicht an sich ziehen und unabhängig darüber verfügen. Selbst die Beleihung Privater mit derartigen Befugnissen ist nur als Ausnahme zulässig.52 Das staatliche Gewaltmonopol ist nicht Selbstzweck, seine Wahrung obliegt dem Staat vielmehr im Interesse der Allgemeinheit. Ist es auch nicht das einzige Mittel staatlicher Steuerung, so ist es doch ein notwendiges Werkzeug des Staates für die Sicherung eines widerspruchsfreien und verlässlichen Zusammenlebens seiner Bürger.53 Durch eine rechtliche Ordnung soll zwar das Verhalten in der Gemeinschaft geregelt und auf diese Weise Rechtsfrieden und Rechtssicherheit gewährleistet werden. Doch genügt es für die Erfüllung dieser friedens- und sicherheitsstiftenden Funktion54 regelmäßig nicht, das Zusammenleben der Bürger nur verbindlich festzulegen. Staatliche Einrichtungen müssen gleichzeitig mit der Befugnis ausgestattet werden, das vorgeschriebene Verhalten gegebenenfalls auch unter dem Einsatz körperlicher Gewalt zu erzwingen.55 Da die rechtmäßigen Freiheiten potentieller Opfer und damit das zivilisierte Miteinander auf der Basis einer für alle gleich verbindlichen Rechtsordnung nur dann garantiert werden können, wenn nicht das Faustrecht des Stärkeren gilt, ist der Staat sogar verpflichtet, rechtswidrige Privatgewalt zu brechen.56 Die Möglichkeit, private Gewalt durch einen Störer zu unterbinden und dessen offensive Überschreitung des Friedlichkeitsgebotes abzuwehren, ist aber nur eine Seite des grundrechtlich ambivalenten Gewaltmonopols. Weil es Privatpersonen grundsätzlich jegliches gewaltsame Vorgehen verbietet, weist es dem Staat gleichzeitig die Schutzpflicht zu, bedrohte Rechtsgüter des potentiellen Opfers gegen Übergriffe zu verteidigen.57 Auch im Übrigen nimmt das Gewaltmonopol dem Bürger prinzipiell die Möglichkeit, seine Rechte selbst zu verwirklichen. ___________ 52 Isensee, HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 111; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 33 Rn. 31. Näher zur Frage der Zulässigkeit der Beleihung Privater mit staatlichen Zwangsbefugnissen unter B. II. 2. a) ab S. 116 in diesem Kapitel. 53 Gusy, DÖV 1996, S. 573 (575); Koja, Staatslehre, S. 22. 54 Vgl. Götz, HStR, Bd. 43, § 85 Rn. 2, 19; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 35; Merten, Rechtsstaat, S. 33 f.; Stober, NJW 1997, S. 889 (890); Wagner, Notwehrbegründung, S. 27. 55 Isensee, FS Eichenberger, S. 23 (25); ders., Grundrecht auf Sicherheit, S. 21; ders., HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 112; Koja, Staatslehre, S. 20 f.; Merten, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 85 (86); ders., Rechtsstaat, S. 29 f., 55; Zippelius, Staatslehre, § 9, S. 58 f. 56 Merten, Rechtsstaat, S. 55. Vgl. ferner Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 108 ff.; Sachs-ders., Art. 2 Rn. 27; Scholz, NJW 1983, S. 705 (707). 57 Isensee, FS Sendler, S. 39 (60 f.); ders., Grundrecht auf Sicherheit, S. 33 f., 36; Jarass/Pieroth-Jarras, Vorb. vor Art. 1 Rn. 7, Art. 2 Rn. 70; Klein, E., NJW 1989, S. 1633 (1635 f.); Merten, Rechtsstaat, S. 66; ders., FS Doehring, S. 579 (586 f., 594); Pelz, NStZ 1995, S. 305; Sachs-Murswiek, Art. 2 Rn. 24, 196. Vgl. auch BVerfGE 39, 1 (41 f.); 49, 89 (141 f.); 53, 30 (57); 56, 54 (73); 77, 170 (214); 79, 174 (201 f.); 96, 56 (64); 99, 185 (194 f.).

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Unabhängig von dem strukturverwandten „Grundrecht auf Sicherheit“ und als Ausgleich für die Friedenspflicht steht dem Einzelnen ein Anspruch auf Justizgewähr für Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgern sowie die Rechtsschutzgarantie gegenüber hoheitlichen Maßnahmen zu, die den Bürger auf gerichtlichen Rechtsschutz verweisen,58 wobei auch die Vollstreckung nur mit Hilfe der staatlichen Gewalt erfolgen kann.59

II. Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol In den Fällen, in denen der Staat mit seinen Einrichtungen nicht fähig ist, Angriffe auf grundrechtlich geschützte Positionen abzuwehren, kann er vom betroffenen Opfer jedoch nicht verlangen, ebendiese Positionen gegenüber privater Gewalt preiszugeben. Kann der Rechtsfrieden durch den Staat nicht gesichert werden, wäre es ein Widerspruch zu den Grundrechten des Angegriffenen, wollte man gerade von ihm verlangen, den Angriff zu dulden.60 Daher muss das Gewaltverbot in derartigen Grenzfällen zugunsten von Notwehr und Nothilfe zurücktreten, dem Einzelnen muss die Abwehr des Angriffs notfalls auch mit Gewalt gestattet werden. Noch nicht geklärt ist damit allerdings die Frage, in welchem Verhältnis Notwehr und staatliches Gewaltmonopol zueinander stehen. Drei unterschiedliche Ansätze kommen dabei in Betracht, die Billigung privater Gewalt in Notwehrsituationen zu erklären: Zum einen ist es denkbar, die Geltung des staatlichen Gewaltmonopols im Bereich notwehrtypischer Situationen von vornherein abzulehnen. In diesem Fall gäbe es keinen Anlass, private und staatliche Helfer unterschiedlich zu behandeln. Erkennt man hingegen einen generellen Geltungsanspruch des staatlichen Gewaltmonopols an, könnte das Notwehrrecht entweder als eine Übertragung originär staatlicher Zwangsbefugnisse oder aber als bloße Ermächtigung zur Ausübung privater Gewalt in Ausnahmefällen verstanden werden.

___________ 58

Vgl. bereits RGSt 19, 75 (78): „Im Rechtsstaat bleibt der regelmäßige Weg zur Verteidigung und Durchführung von Rechten die Anrufung des Richters.“ Vgl. auch Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 37: Der Polizei obliegt der Schutz privater Rechte nur dann, wenn gerichtlicher Rechtsschutz nicht erlangt werden kann. In diesem Sinne auch Lagodny, GA 1991, S. 300 (310 f.). 59 Herzog, HStR, Bd. 43, § 72 Rn. 42; Isensee, FS Eichenberger, S. 23 (26); ders., FS Sendler, S. 39 (48); ders., Grundrecht auf Sicherheit, S. 36 f.; ders., HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 110; Merten, Rechtsstaat, S. 56. 60 Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (132): Die Friedenspflicht des Bürgers „bindet ihn jedoch nur, wenn der Staat seinerseits für Frieden und Ordnung im Gemeinwesen sorgt.“

B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol

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1. Keine Geltung des staatlichen Gewaltmonopols in notwehrspezifischen Konfliktlagen Einen Geltungsanspruch des staatlichen Gewaltmonopols (auch) für notwehrspezifische Situationen erkennt Schmidhäuser nicht an. Stattdessen will er folgendermaßen differenzieren: Dem Staat und seinen Organen sei die Bewährung des Rechts – gemeint ist damit die Strafverfolgung in einem weit verstandenen Sinne – vorbehalten; ausschließlich diesen Bereich umfasse das staatliche Gewaltmonopol. Müsse in einem Rechtsverfahren Gewalt eingesetzt werden, dürfe diese Gewalt nur von staatlichen Organen ausgeübt werden. Lediglich in eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen – etwa in den Fällen des § 127 Abs. 1 StPO – sei jedermann nach vollendetem Rechtsbruch der vorübergehende Einsatz privater Gewalt zur Verwirklichung der vom Gesetz vorgesehenen Sanktionen gestattet.61 Anders zu behandeln seien hingegen die notwehrtypischen Situationen, in denen die Störung der Rechtsordnung noch nicht abgeschlossen ist: Die Notwehr diene in diesen Fällen gerade nicht dazu, auf einen vollendeten Rechtsbruch zu reagieren und bestimmte Rechtsfolgen durchzusetzen. Vielmehr werde die Verhinderung einer aktuellen Friedensstörung oder die Beendigung ihrer weiteren Fortsetzung bezweckt; es gehe demnach um eine präventive Verteidigung des Rechts. Das Notwehrrecht müsse folglich als ursprüngliche Jedermannsbefugnis – nach dem überindividualistischen Verständnis Schmidhäusers zur Rechtsverteidigung – verstanden werden, für die das staatliche Gewaltmonopol von vornherein keinerlei Geltung beanspruche.62 Von dieser Prämisse ausgehend folgert Schmidhäuser für das Verhältnis von Selbstverteidigungsbefugnis und der Abwehr eines Angriffs durch staatliche Hilfe, dass erstere nicht durch die Abwesenheit letzterer bedingt werde. Freilich könne die Anwesenheit staatlicher Organe dazu führen, dass die Abwehrmöglichkeiten des Angegriffenen im Einzelfall nicht das relativ mildeste Mittel darstellen. Von diesen möglichen Auswirkungen auf das Merkmal der „Erforderlichkeit“ dürfe indes nicht auf eine generelle Subsidiarität der Selbstverteidigung geschlossen werden. Solange der Angriff noch gegenwärtig sei, verdränge auch anwesende staatliche Hilfe die Jedermannsbefugnis zur Notwehr nicht.63 – Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Angegriffene fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen hat, ließe sich nach diesem Verständnis also auf eine Auslegung der Erforderlichkeit der Verteidigung in der konkreten Konfliktsituation ___________ 61

Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (122 f.). Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (123 f.). Ähnlich auch Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (47 f.). 63 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (123). 62

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

reduzieren. Eine unterschiedliche Behandlung staatlicher und privater Helfer unter abstrakten Gesichtspunkten wäre hingegen nicht angezeigt. Mag man die dargestellten Konsequenzen auch für ein „untragbares“ Ergebnis halten,64 ist es doch eine andere Überlegung, die gegen die von Schmidhäuser vorgeschlagene Differenzierung zwischen Bewährung und Verteidigung des Rechts spricht. Aufgabe des Staates ist es, Rechtsfrieden und -sicherheit zu gewährleisten.65 Durch ein Tätigwerden nur nach vollendetem Rechtsbruch zum Zwecke der Strafverfolgung würde dieser Auftrag allenfalls eingeschränkt erfüllt werden. Wirksam kann die friedens- und sicherheitsstiftende Funktion vielmehr nur dann wahrgenommen werden, wenn der Staat schon im Vorfeld des drohenden Rechtsbruchs tätig wird.66 Dass er nicht nur dazu berechtigt, sondern sogar verpflichtet ist, präventiv und notfalls mittels Einsatzes unmittelbar körperlich wirkenden Zwanges Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden,67 also jegliche Verstöße gegen geschriebenes oder ungeschriebenes Recht68 zu verhindern, zeigt ein Blick auf das Polizei- und Ordnungsrecht. Nicht nur im Bereich der Strafverfolgung sondern auch in dem der Gefahrenabwehr findet das staatliche Gewaltmonopol folglich Anwendung.69 Eine zwingende Beschränkung des staatlichen Gewaltmonopols auf den Bereich der Strafverfolgung ergibt sich auch nicht aus dessen historischer Entwicklung.70 Richtig ist zwar, dass mit der Etablierung des staatlichen Gewaltmonopols dem Einzelnen das Recht zur Fehde und zur Blutrache genommen ___________ 64

So etwa Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 34. Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 54 auf S. 111. 66 So auch Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 35. 67 Bockelmann, FS Dreher, S. 235 (242 Fn. 17); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 35; Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (270 Fn. 58). 68 Nach herrschendem Verständnis im Polizei- und Ordnungsrecht umfasst der Terminus „öffentliche Sicherheit“ die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen Bürgers sowie die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt, Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 15 S. 232; Gusy, PolizeiR, Rn. 79; Heyen, Staats- und Verwaltungsrecht M-V, S. 217 (221 f.); v. Mutius, Jura 1986, S. 649 (653); Schenke, POR, Rn. 53. Mit dem Begriff „öffentliche Ordnung“ werden hingegen diejenigen ungeschriebenen Normen von Sitte und Anstand umschrieben, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unentbehrliche Voraussetzung für ein Zusammenleben in der Gemeinschaft angesehen wird, Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 16 S. 245; Gusy, PolizeiR, Rn. 96; Heyen, Staats- und Verwaltungsrecht M-V, S. 217 (223); v. Mutius, Jura 1986, S. 649 (654); Schenke, POR, Rn. 63. 69 Ebenso Burr, JR 1996, S. 230 (230 f.); Hammer, DÖV 2000, S. 613 (619 f.); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 35; Merten, FS Doehring, S. 579 (585); Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (131, 133); Stiller, Grenzen, S. 47 f. Fn. 216. 70 Anders aber Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (123). 65

B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol

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und damit die Selbstjustiz nach und nach verdrängt wurde.71 Sich allein auf diesen Punkt zu beschränken, hieße aber, nur einen kleinen Teil der gesellschaftlichen Entwicklung zu betrachten. Mit der Entstehung moderner Staaten einher ging vielmehr eine umfassende Gewaltkonzentration bei einer übergeordneten Instanz.72 Dem Einzelnen wurde damit nicht nur die Möglichkeit zur Selbstjustiz genommen, sondern jeglicher privaten Gewaltanwendung sollte die Grundlage entzogen werden. Gewaltsame Selbsthilfe verlor ihre Berechtigung und wich einer vorrangigen Verteidigung durch den Staat.73

2. Notwehr als Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols Ist nach alledem die von Schmidhäuser vorgeschlagene Differenzierung abzulehnen und das staatliche Gewaltmonopol nicht nur auf den Bereich der Bewährung des Rechts zu beschränken, muss das Notwehrrecht eine Ausnahme vom Grundsatz darstellen, dass Gewalt nur vom Staat und seinen Organen ausgeübt werden darf.74 Insoweit ist der Inhalt des staatlichen Gewaltmonopols zu ergänzen: Grundsätzlich darf nur der Staat Zwang ausüben und ist jede nichtstaatliche Ausübung von Gewalt verboten. Lässt sich jedoch die von Privatpersonen ausgeübte Gewalt vom Staat ableiten, hat also der Staat die nichtstaatliche Gewaltanwendung gestattet, so stellt dies ebenfalls keinen Verstoß gegen das staatliche Gewaltmonopol dar.75 Inhaltlich bietet das staatliche Gewaltmonopol für eine derartige Gewaltgestattung zwei Anknüpfungsmöglichkeiten, re___________ 71 Vgl. BVerfGE 69, 315 (360); Haas, Notwehr, S. 29; Krey, JZ 1979, S. 702 (704); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 35 f.; Lührmann, Tötungsrecht, S. 10; LK11-Spendel, § 32 Rn. 4; Stiller, Grenzen, S. 10 ff. 72 Courakis, Sozialethische Begründung, S. 28 f. Fn. 52, S. 53 f.; Hammer, DÖV 2000, S. 613 (615); Köhler, AT, S. 263 f.; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 35; Stiller, Grenzen, S. 12. 73 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 36. 74 Etwas anderes folgt auch nicht aus § 1 Abs. 1 S. 2 ZSG. Dort heißt es zwar ausdrücklich: „Behördliche Maßnahmen ergänzen die Selbsthilfe der Bevölkerung.“ Allein aus dieser Formulierung kann jedoch nicht auf einen grundsätzlichen Vorrang der Selbsthilfe des Bürgers vor staatlichen Maßnahmen in Not(wehr)lagen geschlossen werden. Dies missversteht Traichel, Selbsthilferecht, S. 131 f., jedoch, wenn er diese Regelung als Anknüpfungspunkt wählt, den Vorrang staatlicher Hilfe in Notlagen generell in Frage zu stellen. Er übersieht, dass sich diese Norm ausschließlich auf den Schutz vor Kriegseinwirkungen in einem Verteidigungsfall bezieht. Nur deshalb, weil der Staat angesichts des Verteidigungsfalles aus offenkundigen Gründen nicht mehr in der Lage ist, seine Bürger zu schützen, sind diese zur Selbsthilfe berechtigt. Diese Selbsthilfe soll der Staat durch behördliche Maßnahmen fördern und unterstützen. Vgl. dazu auch BTDrucks. 13/4980, S. 14. 75 Merten, Rechtsstaat, S. 56 ff. In diesem Sinne auch Bracher, Gefahrenabwehr, S. 102 f.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

gelt es doch einerseits das Verhältnis der Bürger zum Staat und zum anderen die Beziehungen der Bürger untereinander.76 Der erste Aspekt verpflichtet den Staat, zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit jede Verletzung von Rechtsnormen notfalls mittels Gewalt zu beseitigen. Denkbar ist es, die Notwehrvorschriften als ein Mittel zur Erfüllung dieser Verantwortung zu verstehen: Zur Abwehr eines Angriffs – der zwangsläufig zugleich Rechtsnormen verletzt – werden dem Bürger staatliche Gewaltbefugnisse übertragen. Möglich erscheint hingegen auch eine Bezugnahme auf den zweiten Gesichtspunkt, der das Gewaltverbot inter privatos beinhaltet: In bestimmten Ausnahmesituationen wird der Einzelne von seiner Friedenspflicht anderen Mitbürgern gegenüber entbunden und zur Ausübung von Gewalt ermächtigt.77

a) Notwehr als Übertragung staatlicher Zwangsbefugnis Versteht man die Notwehr als eine Übertragung originär staatlicher Befugnisse zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs in die Hand des Einzelnen,78 wären Notwehrübender und helfender Dritter staatlich beliehene Bürger.79 Problematisch ist an diesem Verständnis der Notwehr jedoch zweierlei: Zum einen müsste begründet werden, dass § 32 StGB die Anforderungen erfüllt, die an eine Delegation staatlicher Zwangsbefugnisse auf den Bürger zu stellen sind. Zum anderen wäre zu klären, ob nicht auch der beliehene Bürger den staatlichen Bindungen unterliegen müsste.

aa) Zulässigkeit der Übertragung von Hoheitsbefugnissen im Bereich der Gefahrenabwehr Bevor die Frage, ob mittels § 32 StGB die staatlichen Befugnisse zur Gefahrenabwehr auf Privatpersonen übertragen werden, beantwortet werden kann, muss als Vorfrage die grundsätzliche Zulässigkeit einer Übertragung von Ho-

___________ 76

Merten, Rechtsstaat, S. 41; Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (132). Zu beiden Modellen der Gestattung von Gewaltanwendung vgl. Merten, Rechtsstaat, S. 56 ff. 78 So etwa Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 59: „bedingte Übertragung“ (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Koja, Staatslehre, S. 22. 79 Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (45 f.). Vgl. ferner Bockelmann, FS Dreher, S. 235 (244); Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (177); Koch, B., ZStW 104 (1992), S. 785 (793); Kühl, JuS 1993, S. 177 (180); Renzikowski, Notstand, S. 95; Stiller, Grenzen, S. 34, 47 f.; Wagner, Notwehrbegründung, S. 27. 77

B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol

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heitsbefugnissen im Bereich der Gefahrenabwehr geklärt werden.80 Ausgangspunkt dafür ist die Feststellung, dass die Erfüllung staatlicher Aufgaben grundsätzlich unter Einbeziehung von Privatpersonen möglich ist.81 Der Rechtsfigur der Beleihung, die nicht nur eines der traditionellen verwaltungsrechtlichen Regelungsmodelle ist,82 sondern die angesichts der Ausgestaltungsmöglichkeiten in dem ihr zugrunde liegenden Gesetz ein flexibles Regelungsinstrument darstellen kann,83 kommt bei der Übertragung hoheitlicher Aufgaben eine besondere Bedeutung zu. Mit dieser Feststellung ist allerdings noch nicht geklärt, welche staatlichen Aufgaben und Befugnisse aus verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Sicht überhaupt auf Privatpersonen übertragen werden dürfen. Zu unterscheiden ist in diesem Zusammenhang zwischen übertragbaren hoheitlichen und nicht übertragbaren genuinen Staatsaufgaben. Zum Kernbereich der genuinen Staatsaufgaben soll insbesondere die Gewährleistung von Rechtsfrieden und öffentlicher Sicherheit durch polizeiliche Gefahrenabwehr zählen.84 Eine derart resolute Feststellung birgt jedoch die Gefahr in sich, dass – nicht nur mit Blick auf die polizeilichen, sondern auch auf sonstige staatliche Aufgaben – ein bestimmter spezifisch hoheitlicher Aufgabenkatalog unabänderlich festgeschrieben wird. Dass eine derart statische, unflexible Festschreibung staatlicher Aufgaben allenfalls eingeschränkt geeignet ist, den aus dem stetigen gesellschaftlichen Wandel folgenden Anliegen und Bedürfnissen der Bürger gerecht zu werden, liegt auf der Hand.85 Deshalb mag man zwar einen Kernbereich anerkennen, der nicht auf Privatpersonen übertragen werden darf. Um eine den gesellschaftlichen Bedürfnissen angemessene Flexibilität zu gewährleisten, sollte jenseits dieses Bereichs indes eine an parlamentarischen Grundsatzentscheidungen orientierte Übertragung hoheitlicher Befugnisse zulässig sein.86 Für die polizeiliche Gefahrenabwehr und Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit bedeutet dieses Verständnis, dass eine Übertragung bestimmter Aufgaben und Be___________ 80 Diese Frage stellt sich insbesondere, wenn man das Verhältnis von Polizei und privatem Sicherheitsgewerbe näher betrachtet. Zu diesem Problemkreis vgl. Peilert, DVBl. 1999, S. 282 (284); Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130; Stober, NJW 1997, S. 889. 81 Gramm, VerwArch. 90 (1999), S. 329 (335 ff.); Gusy, DÖV 1996, S. 573 (583); Peilert, DVBl. 1999, S. 282 (284). 82 Vgl. dazu Gusy, DÖV 1996, S. 573 (583); Krebs, HStR, Bd. 3, § 69 Rn. 10. 83 Peilert, DVBl. 1999, S. 282 (284). 84 LAG Hannover, NVwZ-RR 1995, 584 (586); Hengstschläger, VVDStRL 54 (1995), S. 165 (174); Papier, FS Stern, S. 543 (549); Waechter, NZV 1997, S. 329 (336). Vgl. ferner Freund, AT, § 3 Rn. 88; Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (46); Renzikowski, Notstand, S. 95; Wagner, Notwehrbegründung, S. 26 f. 85 Vgl. dazu auch Gusy, DÖV 1996, S. 573 (574). 86 Gusy, DÖV 1996, S. 573 (574); Merten, Rechtsstaat, S. 56 f.; Peilert, DVBl. 1999, S. 282 (284); Schuppert, Erfüllung öffentlicher Aufgaben, S. 157; Stober, NJW 1997, S. 889 (892).

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

fugnisse dieses Bereichs auf Privatpersonen nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Die Grundversorgung, also die quantitative Gewährleistung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden in ihrer Funktion als Staatszweck, darf der Staat nicht aus der Hand geben.87 Dazu zählen insbesondere die Kriminalitätsbekämpfung sowie die Wahrnehmung von komplexen, an den modernen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung orientierten Polizeiaufgaben. Ferner hat der Staat auch zukünftig das Bedürfnis nach einer bürgernahen und öffentlich präsenten Polizei zu erfüllen.88 Jenseits dieses Kernbereichs können staatliche Zwangsbefugnisse hingegen grundsätzlich delegiert werden.89 Unter praktischen Gesichtspunkten scheint eine Übertragung staatlicher Gewaltbefugnisse jedenfalls dann sogar geboten, wenn man einerseits die wachsende Nachfrage nach Objekt- und Personenschutz befriedigen will und andererseits berücksichtigt, dass die Polizei aus eigener Kraft diese umfassenden Aufgaben nicht erfüllen kann.90 Die Beleihung stellt eine bedeutsame Abweichung vom verfassungsrechtlichen Prinzip der Einheit der Staatsorganisation dar und unterliegt daher dem institutionellen Gesetzesvorbehalt. Beleihungen können deshalb nur entweder unmittelbar durch Gesetz oder auf gesetzlicher Grundlage durch Verwaltungsakt oder öffentlich-rechtlichen Vertrag vorgenommen werden.91 Ferner richtet sich die Zulässigkeit der Übertragung staatlicher Aufgaben im konkreten Fall nach Art. 33 Abs. 4 GG. Dieser Funktionsvorbehalt sieht vor, dass die Ausübung hoheitlicher Befugnisse – zu denen unstrittig sowohl die präventive als auch die repressive polizeiliche Tätigkeit zählen –92 als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen ist, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Bereits dem Wortlaut der Norm sind zwei Einschränkungen zu entnehmen: Zum einen ist die nicht-ständige Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse nicht an ein Dienst- und Treueverhältnis gebunden. Zum anderen gilt der Funktionsvorbehalt nur „in der Regel“; ___________ 87

Peilert, DVBl. 1999, S. 282 (284). Vgl. auch Stober, NJW 1997, S. 889 (890). Zu diesen und weiteren Beispielen vgl. Stober, NJW 1997, S. 889 (892). 89 Peilert, DVBl. 1999, S. 282 (284); Stober, NJW 1997, S. 889 (892 f.). Grundsätzlich auch Bracher, Gefahrenabwehr, S. 80, 128, der an den Grund für die Übertragung von Befugnissen zur Ausübung von Gewalt auf Private jedoch erhöhte Anforderungen stellen will. Gegen eine Übertragung staatlicher Polizeigewalt Greifeld, DÖV 1981, S. 906 (911). 90 Mahlberg, Gefahrenabwehr, S. 52 ff.; Stober, NJW 1997, S. 889 (892). Vgl. auch Götz, HStR, Bd. 43, § 85 Rn. 42 f.; Hengstschläger, VVDStRL 54 (1995), S. 165 (175 Fn. 37). 91 BremStGH, NVwZ 2003, 81 (82); Peilert, DVBl. 1999, S. 282 (285); Waechter, NZV 1997, S. 329 (338). 92 Waechter, NZV 1997, S. 329 (333). 88

B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol

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Ausnahmen sind demnach zulässig.93 Das Regel-Ausnahme-Verhältnis ist dabei nicht rein quantitativ zu verstehen; es kommt also nicht darauf an, dass die Zahl der Beamtenverhältnisse bei der Ausübung hoheitlicher Aufgaben und Befugnisse überwiegen muss.94 Stattdessen ist das Vorliegen eines sachlichen Grundes erforderlich für eine Ausnahme vom Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG.95 Insbesondere im Bereich der polizeilichen Tätigkeiten ist darüber hinaus zu beachten, dass der Staat diese hoheitliche Aufgabe nicht vollständig aus seinem Verantwortungsbereich entlässt. Mag er auch Private mit der Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben betrauen, so muss sich der Staat – um seiner Pflicht, für den Schutz der Bürger zu sorgen – dennoch Gewährleistungs-, Regulierungs- und Kontrollverantwortung96 vorbehalten und dieser auch in ausreichendem Maße nachkommen.97 Dies betrifft insbesondere die Aufsicht über die Erfüllung der delegierten Aufgaben.98 Ohne im Einzelnen näher zu untersuchen, welche polizeilichen Aufgaben und Befugnisse in welcher Form auf Privatpersonen übertragen werden dürfen, steht danach fest, dass zumindest grundsätzlich eine Beleihung Privater mit derartigen hoheitlichen Aufgaben möglich ist.99 In einem zweiten Schritt soll deshalb die Frage erörtert werden, ob durch § 32 StGB Privatpersonen zu Beliehenen und damit zu Trägern staatlicher Gewalt gemacht werden. Das Bedenkliche einer derartigen Sichtweise tritt zutage, wenn man nach dem sachlichen Grund sucht, der eine Ausnahme vom Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG rechtfertigen soll. Sachliche Gründe, die für die Zulässigkeit einer Delegation staatlicher Aufgaben sprechen, sind etwa darin zu sehen, dass Privatpersonen über besondere Sach- und Fachkenntnisse verfügen oder dass ein unmittelbarer Zusammenhang zu den übrigen Tätigkeiten der fraglichen Personen besteht.100 Diese ___________ 93

Waechter, NZV 1997, S. 329 (330). Vgl. Gramm, VerwArch. 90 (1999), S. 329 (336 f.). 95 Ossenbühl, Eigensicherung, S. 36 f.; Peilert, DVBl. 1999, S. 282 (285); Waechter, NZV 1997, S. 329 (330). 96 Zu weiteren Gesichtspunkten der fortbestehenden staatlichen Verantwortung vgl. Bauer, VVDStRL 54 (1995), S. 243 (277 ff.). 97 BVerwGE 95, 188 (197); Beinhofer, BayVBl. 1997, S. 481 (482); Gusy, DÖV 1996, S. 573 (583); Kämmerer, JZ 1996, S. 1042 (1048); Peilert, DVBl. 1999, S. 282 (285); Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (132); Stober, NJW 1997, S. 889 (893). 98 Gusy, PolizeiR, Rn. 160, 163; Peilert, DVBl. 1999, S. 282 (285). 99 Bracher, DVBl. 1989, S. 520 (521 f.). Vgl. etwa das Berliner Gesetz über den Freiwillligen Polizeidienst (FPG) vom 11.5.1999, GVBl. Berlin 1999, S. 165; Gesetz über die Sicherheitswacht in Bayern (Sicherheitswachtgesetz – SWG) vom 27.12.1996 in der Neufassung vom 28.4.1997, BayGVBl. 1996, S. 539; 1997, S. 88; §§ 1, 10 UZwGBw. Ferner BVerwGE 95, 188. 100 Bracher, Gefahrenabwehr, S. 83; Waechter, NZV 1997, S. 329 (332). Darüber hinaus werden für eine Aufgabenübertragung auf Private Kostenabwälzungsgründe in 94

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Gesichtspunkte charakterisieren den Notwehrübenden in typischen Notwehrsituationen jedoch nicht. Dieser wird regelmäßig weder über besondere, die Abwehr von Angriffen betreffende Kenntnisse verfügen, noch wird die Angriffsabwehr im Zusammenhang mit den übrigen Tätigkeiten des Notwehrübenden stehen. Anlass für die in § 32 StGB enthaltene Gewaltgestattung ist vielmehr der Umstand, dass der Staat in notwehrtypischen Situationen regelmäßig nicht in der Lage ist, die von dem Angreifer ausgehenden Gefahren für die Rechtsgüter des Angegriffenen abzuwenden. Das Eingeständnis, dass eine staatliche Gefahrenabwehr und Friedenssicherung nicht vollumfänglich und in jeder Lebenslage erfolgen kann, und die daraus folgende Konsequenz, dass dem Einzelnen in Notsituationen dennoch der Schutz der eigenen Rechtsgüter ermöglicht werden muss, können indes keine sachlichen Gründe dafür darstellen, dass von dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG abzuweichen ist und staatliche Zwangsbefugnisse auf den einzelnen delegiert werden müssen. Von diesem Problem der Benennung eines sachlichen Gundes für eine Abweichung vom Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG abgesehen, wäre der Staat im Übrigen nicht in der Lage, der bei ihm verbleibenden Gewährleistungs-, Regulierungsund Kontrollverantwortung angemessen nachzukommen. Allein mit der gerichtlichen Untersuchung der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten des „Beliehenen“, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt, durch § 32 StGB gerechtfertigt ist, würde diese Verantwortung wohl kaum im notwendigen Maße wahrgenommen werden.

bb) Übertragung hoheitlicher Befugnisse ohne inhaltliche Beschränkungen Ließe man diese Bedenken außer Acht und wollte man annehmen, dass der Staat den Notwehrübenden durch Gesetz zum Beliehenen und damit zum Träger staatlicher Gewalt macht, müsste der beliehene Bürger ebenso wie alle staatlichen Organe auf das Gemeinwohl verpflichtet sein und den staatlichen Bindungen unterliegen.101 Denn es ist schlechthin nicht möglich, eine bestimmte staatliche Befugnis von ihren inhaltlichen Schranken zu trennen, die ebendieses Recht kennzeichnen und von anderen abgrenzen. Hielte man hingegen die Isolation eines bestimmten Rechtes von seinen Beschränkungen für zulässig, würde es sich nicht mehr um eine Übertragung ebendieser Befugnis handeln, sondern ___________ Fällen nicht originär staatlicher Tätigkeit sowie Fälle exorbitanter Kosteneinsparungen bzw. Verwaltungsvereinfachungen angeführt. Vgl. dazu Bracher, Gefahrenabwehr, S. 83 ff.; Gramm, VerwArch. 90 (1999), S. 329 (338). 101 Vgl. Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 161 f.; Gusy, DÖV 1996, S. 573 (583); Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (46).

B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol

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um ein eigenständiges Recht mit anderem Ursprung.102 Stellt man sich also auf den Standpunkt, Notwehr sei ein vom Staat übertragenes Recht, hätte im Rahmen erlaubter privater Gewaltausübung insbesondere auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu gelten.103 Denn es wäre nicht irgendein beliebiger Bürger, sondern – mittels des Beliehenen – der Staat selbst, der physische Gewalt ausüben würde.104 Eine derartige Lesart würde freilich dem Notwehrrecht seine besondere Schärfe nehmen und dem insoweit eindeutigen, auf jegliche Verhältnismäßigkeitserwägungen verzichtenden Wortlaut des § 32 StGB widersprechen. Nicht verwunderlich ist es daher, dass nicht einmal die Vertreter eines rein überindividualistischen Notwehrmodells105 die generelle Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Ausübung des Notwehrrechtes verlangen.106 Zum Teil versucht man die fehlende Bindung des Notwehrübenden an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit damit zu erklären, dass der Staat die gesellschaftlichen Interessen aufgrund seiner überlegenen Machtmittel ohne Zulassung unproportionaler Verteidigung wahren könne.107 Weil sie sich des Erfolges sicher sei, könne sich die staatliche Macht (Selbst-)Beschränkungen auferlegen.108 Dem Einzelnen, der gerade nicht über den staatlichen Machtmitteln vergleichbare Abwehrmittel verfügt, dürfe hingegen eine an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit gebundene Verteidigung nicht abverlangt werden.109 Eine Begründung für die fehlende Mitübertragung staatlicher Bindungen auf den Notwehrübenden stellen diese Erklärungsversuche allerdings nicht dar. Viel___________ 102

Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 38. Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (47 f.); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 34; Schroeder, FS Maurach, S. 127 (138). 104 Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (135). 105 Ausführlich zu dieser und den beiden anderen Notwehrkonzeptionen unter Gliederungspunkt C. ab S. 124 in diesem Kapitel. 106 Ausdrücklich gegen eine Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Haas, Notwehr, S. 274 ff. Vgl. ferner Felber, Rechtswidrigkeit, S. 72 f.; Seier, NJW 1987, S. 2476 (2477 f.). Mit Blick auf die Befugnisse des Nothelfers anders Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (57 ff.). Anders noch v. Buri, GS 30 (1879), S. 434 (463), der das Notwehrrecht als eine vom Staat abgeleitete Verteidigungsbefugnis versteht, die folglich nicht über das Maß hinausgehen dürfe, das der Staat selbst ausüben würde. 107 Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 41; Kirchhof, NJW 1978, S. 969 (972 f.); Klinkhardt, VerwArch. 55 (1964), S. 297 (343 f.); Roxin, ZStW 93 (1981), S. 68 (71 f. Fn. 8); Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (55). 108 Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (55). Kritisch zu diesem Punkt Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 38: Reduzierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf den Grundsatz der Erforderlichkeit. Vgl. ferner Frister, GA 1988, S. 291 (298); Haas, Notwehr, S. 275 f. Fn. 56. 109 Haas, Notwehr, S. 277 f. 103

122

2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

mehr verharren sie bei einer bloßen Beschreibung des Problems.110 Im Übrigen kann diese Argumentation mit Blick auf einen mit staatlichen Zwangsbefugnissen Beliehenen nicht überzeugen. Greift der Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben – und nichts anderes stellt die Gefahrenabwehr dar – auf Privatpersonen zurück und beleiht diese, macht er diese Personen gerade zu Trägern hoheitlicher Gewalt, für die nichts anderes gelten kann als für die übrige staatliche Macht. Nach alledem bleibt somit festzuhalten, dass mittels § 32 StGB keine staatlichen Gewaltbefugnisse zur Abwehr eines Angriffs auf den notwehrübenden Bürger übertragen werden.111

b) Notwehr als Ermächtigung zur Ausübung privater Gewalt Nach dem zuvor Ausgeführten steht fest, dass einerseits zwar jede nichtstaatliche Gewaltausübung nur aufgrund einer staatlichen Gestattung erfolgen darf, andererseits aber mit § 32 StGB keine hoheitlichen Gewaltbefugnisse übertragen werden. Vielmehr ermächtigt die Notwehrvorschrift den angegriffenen Bürger (oder seinen Helfer) dazu, Gewalt gegen einen anderen Bürger, den Angreifer, auszuüben, ohne hoheitlich tätig zu werden.112 Mit dieser Gewaltermächtigung wird ein Dispens von der grundsätzlichen Friedenspflicht der Bürger untereinander erteilt.113 Denn in den Fällen, in denen der Staat mit seinen Einrichtungen nicht fähig ist, Angriffe auf grundrechtlich geschützte Positionen abzuwehren, kann er vom betroffenen Opfer nicht verlangen, ebendiese Positionen gegenüber privater Gewalt preiszugeben. Gelingt es dem Staat mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht, den Rechtsfrieden hinreichend zu sichern, kann er das sich rechtstreu verhaltende Opfer eines Angriffs nicht dazu zwingen, die ihm unrechtmäßig durch einen Dritten zugefügte Gewalt oder unmittelbar drohende Gewaltzufügung hinzunehmen und den Angriff zu dulden. ___________ 110

Ebenso Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 37 f. So ausdrücklich auch Roos, Die Polizei 2002. S. 348 (349): „Der [angegriffene] Bürger handelt für sich oder für den anderen in Not befindlichen Mitbürger, aber eben nicht namens oder im Auftrag einer Hoheitsperson oder des Staates.“ Ferner Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 162. 112 Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (309); Courakis, Sozialethische Begründung, S. 33 Fn. 64; Frister, AT, 13. Kap. Rn. 10 f.; Isensee, FS Eichenberger, S. 23 (26, 40); ders., FS Sendler, S. 39 (52); Jeand’ Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (115, 128); Koja, Staatslehre, S. 22; Merten, Rechtsstaat, S. 57; ders., FS Doehring, S. 579 (585); Pernthaler, Staatslehre, § 38, S. 116; Perron, Rechtfertigung und Entschuldigung, Bd. 3, S. 79 (87); Roos, Die Polizei 2002. S. 348 (349); Schroeder, FS Maurach, S. 127 (138); Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (133); Wagner, Notwehrbegründung, S. 27 f. 113 Vgl. Pawlik, M., Jura 2002, S. 26. 111

B. Zum Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol

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Dies folgt nicht zuletzt aus den verfassungsrechtlich verankerten Grundrechten des Angegriffenen u.a. auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG), Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) und Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG). Zum Schutz dieser Grundrechte sind, wie sich aus Art. 1 Abs. 3 GG ergibt, Rechtsprechung, vollziehende Gewalt und insbesondere auch die Gesetzgebung verpflichtet. Diese Verantwortung trifft die Legislative nicht nur bei der Regelung von Grundrechtseingriffen, sondern sie ist auch dann zu beachten, wenn es um die Ausgestaltung der Rechtsordnung geht, die das Zusammenleben und das Verhältnis der Bürger untereinander regelt.114 Mit Blick auf den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 GG nicht zu rechtfertigen wäre deshalb eine Norm, die dem Einzelnen ausnahmslos verbieten würde, Gewalt auszuüben. Ist der Staat nicht in der Lage, seinen Bürgern helfend zur Seite zu stehen und Angriffe auf deren Rechtsgüter abzuwehren, gebieten es die Grundrechte vielmehr, Ausnahmen vom Gewaltverbot inter privatos anzuerkennen.115 Das bedeutet freilich nicht, dass ein ursprüngliches Recht auf Selbstverteidigung im hobbesschen Sinne wieder aufleben soll, um einen Krieg des Angegriffenen gegen den Angreifer, der frei von allen Regeln ist und den nur der Stärkere gewinnen kann, zu ermöglichen.116 Die Grenzen und Reichweite der Ausnahmen vom Gewaltverbot sind vielmehr deutlich und unter Berücksichtigung der Grundrechte auch des Angreifers zu normieren.117 Dies ist mit der Regelung von Notwehr und Nothilfe geschehen: Nur ausnahmsweise – nämlich in den Fällen eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs – darf der Angegriffene seinen Rechtskreis im Rahmen des Erforderlichen und Gebotenen verteidigen.118 Dabei darf und gegebenenfalls muss er sich auch der Hilfe eines Dritten bedienen. ___________ 114 Blei, JZ 1955, S. 627 (628); Merten, Rechtsstaat, S. 57; Schwabe, NJW 1974, S. 670 (671 f.). 115 Merten, Rechtsstaat, S. 58. Ferner Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (309); Grünhagen, Antizipierte Notwehr, S. 20. 116 Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (309 ff.); Koch, B., ZStW 104 (1992), S. 785 (790). Vom einem „Wiederaufleben“ des status naturalis sprechen hingegen Baier, Verschuldete Notwehrlage, S. 9; Hammer, DÖV 2000, S. 613 (615); Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (133). Ähnlich auch von der Pfordten, FS Schreiber, S. 359 (371 f.), der davon ausgeht, die soziale Gemeinschaft sei in Notwehrsituationen zwischen den Beteiligten suspendiert und ihr Verhältnis sinke während des Angriffs quasi auf den Naturzustand ab. 117 Alwart, JuS 1996, S. 953 (954); Kühl, FS Bemmann, S. 193 (196). Vgl. auch Merten, FS Doehring, S. 579 (592): „Mit dem rechtswidrigen Angriff … hat der Straftäter diesen Grundrechtsschutz nicht eo ipso verwirkt.“ 118 Da die Notwehr nach der hier vertretenen Auffassung gerade keine Übertragung staatlicher Gewalt darstellt, sondern lediglich eine Ausnahme vom grundsätzlichen Gewaltverbot inter privatos, ist der Notwehrübende nicht an die Grenzen staatlicher Gewaltausübung gebunden.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Dieser eher grundsätzliche Befund beantwortet freilich noch nicht die Frage, was es denn nun konkret bedeutet, dass der Staat nicht in der Lage ist, den Angriff abzuwehren: Schließt schon die bloße Anwesenheit staatlicher Organe eine Selbstverteidigung des Angegriffenen aus, wenn jene sich in rechtmäßiger Weise gegen die Abwehr eines Angriffs entschieden haben? Oder kann eine Versagung des Notwehrrechts allenfalls dann in Betracht kommen, wenn sich der Staat schützend vor den Angegriffenen und dessen Rechtsgüter gestellt hat? Genügt im letztgenannten Fall jede irgendwie geeignete Verteidigungshandlung des Staates oder kann nur eine solche staatliche Gefahrenabwehr, die das Opfer wenigstens genauso gut schützt, wie es sich selbst schützen könnte, gegen die Rechtfertigung eigenhändigen Vorgehens unter Notwehrgesichtspunkten sprechen? – Eine endgültige Klärung dieser Fragen soll allerdings an dieser Stelle der Arbeit noch nicht erfolgen. Vielmehr wird sie im 4. Kapitel erneut aufzugreifen und abschließend zu beantworten sein.

III. Ergebnis Steht damit das Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol fest, kann nun auch die eingangs aufgeworfene Frage beantwortet werden. Die in § 32 StGB geregelten Verteidigungsbefugnisse stellen eine Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol dar und zwar in Form einer Gewaltermächtigung. Grundsätzlich ist es Aufgabe des Staates, ein friedliches Zusammenleben der Bürger untereinander zu gewährleisten und Angriffe auf die Bürger abzuwehren. Nur dann, wenn der Staat dazu nicht in der Lage ist, darf sich der Bürger selbst oder ein privater Helfer ihn verteidigen. Damit steht fest, dass der Staat und damit auch die obrigkeitliche Hilfe mit Blick auf das staatliche Gewaltmonopol vorrangig für die Abwehr von Angriffen zuständig ist, private Helfer hingegen erst auf einer nachgeordneten Stufe. Es macht also vom Blickwinkel des staatlichen Gewaltmonopols durchaus einen Unterschied, ob dem Angegriffenen eine Privatperson oder ein staatlicher Helfer unterstützend zur Seite steht. Eine ungleiche Behandlung von privaten und staatlichen Helfern ist deshalb unter diesem Blickwinkel dem Grunde nach möglich.

C. Grundgedanken der Notwehr Bislang wurde im 2. Kapitel ausgeführt, dass § 32 StGB keine ausschließliche Befugnis zur eigenhändigen Verteidigung normiert, und gezeigt, dass im Rahmen der Bestimmung der konkret erforderlichen und gebotenen Abwehrmaßnahme der Verteidigungsgemeinschaft private und staatliche Helfer nicht zwangsläufig gleich behandelt werden müssen. Im Folgenden soll überprüft

C. Grundgedanken der Notwehr

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werden, ob diese beiden Zwischenergebnisse in Einklang mit dem oder den Grundgedanken der Notwehr gebracht werden können. In diesem Zusammenhang ist zugleich zu untersuchen, welchem der unterschiedlichen Ansätze eine möglichst widerspruchsfreie Erklärung des schneidigen Notwehrrechts gelingt.

I. Individualistische Notwehrkonzeptionen Basis der im Detail sehr umstrittenen119 individualistischen Notwehrkonzeptionen120, 121 ist die auf Aristoteles und die Stoa zurückgehende Naturrechtslehre,122 in deren Mittelpunkt das menschliche Individuum steht. Danach ist in jedem Menschen das Gesetz verankert, sein Leben gegen Angriffe mit jedem geeigneten Mittel schützen zu dürfen.123 Dieses elementare und jedem Individuum ___________ 119

Vgl. dazu auch die ausführliche Darstellung der einzelnen Ansätze bei Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 41 ff. 120 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 12; Freund, AT, § 3 Rn. 89 ff.; Frister, AT, 16. Kap. Rn. 3; ders., GA 1988, S. 291 (299 ff.); Fuchs, Grundfragen, S. 49 ff.; SKGünther, § 32 Rn. 12; Hoyer, JuS 1988, S. 89 (91, 94 ff.); Hruschka, AT, S. 137; ders., FS Dreher, S. 189 (198 ff.); Koch, B., ZStW 104 (1992), S. 785 (790 ff.); Koch, M., Aufgedrängte Nothilfe, S. 131 ff., 134; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 56 ff.; Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 31 ff.; ders., FS Dahs, S. 81 (88 f.); Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 1; ders., JA 1989, S. 79 (84); Renzikowski, Notstand, S. 221 ff., 275 ff.; Retzko, Angriffsverursachung, S. 139 ff.; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 66 ff.; Seesko, Notwehr gegen Erpressung, S. 110 f.; Wagner, Notwehrbegründung, S. 29 ff. Tendenziell auch Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 157 ff., 172 f. (der allerdings neben dem Individualschutzprinzip auf einer nachgeordneten zweiten Stufe statt des Rechtsbewährungsgedankens ein „Prinzip des strafgesetzlich betätigten Normzusammenhangs“ berücksichtigen will); Hohmann/Matt, JR 1989, S. 161 (162); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 204. 121 Den individualistischen Notwehrkonzeptionen nahe steht die sog. interpersonalen Notwehrlehren (Begriff nach Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 [265]), denenzufolge der Angegriffene nicht einen konkreten Güterbestand verteidigt, sondern den eigenen Rechtsraum gegen eine Missachtung. Vgl. etwa Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 65 f., 139; Köhler, AT, S. 262 f.; Neumann, Modernes Strafrecht, S. 215 (225); ders., Vorverschulden, S. 162 ff., 166; Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (265 ff.). Ähnlich auch Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 20. 122 Aristoteles, Nikomachische Ethik, V. 10. (1134 b). Vgl. auch Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 24; Courakis, Sozialethische Begründung, S. 40 f. Fn. 89; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 39 f.; Kühl, FS Triffterer, S. 149 (158 f.). 123 So bereits Cicero, Pro Milone, 4, 10: „Das ist … kein geschriebenes, sondern geborenes Gesetz: Wenn unser Leben durch heimtückischen Anschlag in Gefahr geraten sollte, darf jedes ehrenhafte Mittel zur Rettung erprobt werden.“ Übersetzung nach Krey, JZ 1979, S. 702 (703 Fn. 20). Vgl. ferner Courakis, Sozialethische Begründung, S. 40 f. Fn. 89; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 2; Krey, JZ 1979, S. 702 (703); Müssig, ZStW 115 (2003), S. 224.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

gegebene Recht zur Selbsterhaltung bildet den Anknüpfungspunkt für die individualistischen Ansätze einer Begründung des Notwehrrechts124 und ist zumindest im Grundsatz von jeder Rechtsordnung anzuerkennen. Immer dann, wenn die Rechtsordnung ein friedliches Miteinander nicht mehr gewährleisten könne und zum Nachteil des Opfers eines Angriffs versagt habe, könne sie von diesem eine friedliche Konfliktbewältigung nicht mehr verlangen. Vielmehr müsse dem Angegriffenen gestattet werden, die Sicherheitseinbußen, die der Staat mit rechtlichen Mitteln nicht zu verhindern vermochte, notfalls gewaltsam zu kompensieren.125 Der Notwehrtäter, der einen Angriff abwendet, verteidige folglich nicht die Rechtsordnung an sich, sondern nur seine eigenen Interessen. Die Bewährung und Behauptung des Rechts stelle hingegen allenfalls eine mittelbare Folge der Notwehr dar.126

1. Recht auf eigenhändige Verteidigung bei psychologisierender Betrachtungsweise Verknüpft man den naturrechtlichen Charakter des Notwehrrechts mit einer psychologisierenden Betrachtungsweise, könnte man annehmen, § 32 StGB schütze lediglich das Interesse an individueller Selbsterhaltung. Denn nur der Angegriffene selbst befindet sich in einer Bedrängnissituation;127 nur er selbst empfindet die Furcht vor der vom Angreifer ausgehenden Gefahr für die eigenen Güter und Interessen.128 Folglich könne auch nur der Angegriffene die aus der besonderen Bedrängnissituation resultierenden Notwehrrechte für sich selbst geltend machen. Auf der Basis eines derartigen Verständnisses der Notwehr, das den psychischen Druck in den Vordergrund stellt, dem der Angegriffene in der konkreten Notwehrsituation ausgesetzt ist, kann die von § 32 Abs. 2 StGB als Jedermannsbefugnis ausgestaltete Nothilfe nicht überzeugend erklärt werden.129 Schließlich befindet sich der potentielle Helfer gerade in keiner Aus___________ 124

Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 24; Courakis, Sozialethische Begründung, S. 40 f. Fn. 89; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 2, 12; Klesczewski, FS Wolff, S. 225 (231); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 40; Stiller, Grenzen, S. 7, 30. 125 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 2. 126 Vgl. MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 10. Ferner Jescheck/Weigend, AT, S. 337: Schutz der Rechtsordnung „durch das Medium des Einzelrechtsschutzes“. 127 Die Bedrängnissituation als ein Argument für die Begründung besonderer Schutzwürdigkeit der Verteidigerinteressen führen an Koch, B., ZStW 104 (1992), S. 785 (790); Wagner, Notwehrbegründung, S. 30, 32. 128 Vgl. Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 166. 129 Vgl. Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 46; Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 169 ff.

C. Grundgedanken der Notwehr

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nahmesituation, die den Rückgriff auf das schneidige Notwehrrecht erforderlich macht. Allein das Opfer der Aggression wäre demnach zu einer Abwehr des Angriffs befugt; Notwehr wäre lediglich als eigenhändige Selbstverteidigung gestattet. Gerade diese Unfähigkeit, die von § 32 StGB ausdrücklich vorgesehene Nothilfe überzeugend zu erklären, ist es indes, die gegen eine Notwehrkonzeption spricht, die allein auf die spezifische Lage des Angegriffenen abstellt.130

2. Das Vertragsmodell Hoyers Denkbar wäre es, dem Notwehrübenden auch dann ein Recht auf eigenhändige Verteidigung zuzusprechen und bei der Bestimmung der Voraussetzungen der Notwehr ausschließlich auf die Person des Angegriffenen abzustellen, wenn man die Notwehr allein aus dem Konflikt zwischen Angreifer und Angegriffenem heraus zu erklären versuchte. Einen solchen Ausgangspunkt wählt etwa Hoyer. In Anlehnung an das Modell des Gesellschaftsvertrages131 versucht er, die Notwehrbeziehungen als eine Art Vertrag zu erklären.132 Allerdings beschränkt er sich dabei nicht auf das Zwei-Personen-Verhältnis Angreifer – Angegriffener, sondern gestaltet die Vertragsbeziehungen unter Einbeziehung der Rechtsordnung dreiseitig aus.133 Indem er Notwehr und Notstand miteinander vergleicht,134 folgert Hoyer, dass die folgenden Verpflichtungen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen:135 Wenn von jedem Bürger als mutmaßlichem Täter verlangt werde, auf rechtswidriges Verhalten zu verzichten, müsse die Rechtsordnung im Gegenzug das Vertrauen der Rechtsgutsträger auf den Bestand ihrer Rechtsgüter sichern. Die Rechtsordnung sei verpflichtet, dem Bürger als mutmaßlichem Opfer den Eindruck zu vermitteln, er könne infolge der installierten Ge- und Verbote darauf vertrauen, dass alle durch die gesetzlichen Regelungen ansprechbaren, also zur Unrechtseinsicht fähigen Personen ihr Verhalten an den Normen auszurichten versuchten; er bräuchte also gerade nicht mit dem rechtswidrig-schuldhaften Angriff einer anderen Person zu rechnen. Verletze nun der Angreifer durch das Angriffsverhalten schuldhaft seine Verpflichtung der Rechtsordnung gegenüber, rechtswidriges Verhalten zu vermeiden, sei auch diese nicht mehr zur Sicherung seines Vertrauensinteresses ver___________ 130 Zu weiteren Bedenken vgl. Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 51 f. 131 Zu verschiedenen Gesellschaftsvertragsmodellen vgl. auch die Ausführungen unter B. I. 2. a) ab S. 54 im 1. Kapitel. 132 Hoyer, JuS 1988, S. 89 (92, 94). 133 Hoyer, JuS 1988, S. 89 (92, 94). 134 Vgl. Hoyer, JuS 1988, S. 89 (92 ff.). 135 Hoyer, JuS 1988, S. 89 (94).

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

pflichtet. Da die Rechtsordnung durch das Zulassen des Angriffs gleichzeitig aber auch ihre Schutzpflichten dem Angegriffenen gegenüber verletzt habe, binde diesen wiederum das Gebot zur Unterlassung rechtswidriger Handlungen nicht mehr. Der Angegriffene dürfe sich folglich gegen den Angriff verteidigen.136 Bei einem derartigen Notwehrverständnis wird wiederum nur der Angegriffene von jeglichen Bindungen der Rechtsordnung und damit mittelbar auch dem Angreifer gegenüber befreit. Ein potentieller Notwehrhelfer steht hingegen als unbeteiligter Dritter außerhalb der durch den Notwehrkonflikt betroffenen Vertragsbeziehungen. Da die Rechtsordnung ihre vertraglichen Verpflichtungen dem Dritten gegenüber einhält, wird dieser gerade nicht von seiner Verpflichtung zur Unterlassung rechtswidriger Angriffe frei.137 Folglich wäre der Angegriffene auch nach dieser Konzeption nur auf das mildeste eigene Verteidigungsmittel zu verweisen; die Notwehr müsste als Recht auf eigenhändige Verteidigung verstanden werden. Das Vertragsmodell Hoyers kann als Grundlage einer umfassenden Notwehrlehre allerdings nicht überzeugen. Wenig einleuchtend ist zum einen die von Hoyer befürwortete Personalisierung der Rechtsordnung. Zum anderen ist dieses Modell unfähig, das Nothilferecht nachvollziehbar zu erklären. Dies erkennt Hoyer zwar nicht an. Doch kann er Dritten die Befugnis zur Nothilfe nur ohne nähere Begründung zusprechen.138 Denn mit seinem Ansatz kann er gerade nicht schlüssig erklären, warum ein Dritter, der außerhalb der verletzten Vertragsbeziehungen steht, von seiner Verpflichtung zur Unterlassung rechtswidriger Angriffe befreit werden sollte. Ein letzter Umstand weckt Bedenken am Ansatz Hoyers: Innerhalb der dreiseitigen Vertragsbeziehungen sei die Rechtsordnung lediglich verpflichtet, mutmaßliche Opfer vor dem rechtswidrigen Verhalten schuldhaft handelnder Personen zu schützen.139 Nur derjenige werde von seinen vertraglichen Verpflichtungen frei und dürfe sich folglich mit den Mitteln der Notwehr verteidigen, der Opfer eines rechtswidrigen und schuldhaften Angriffs sei. Unter einem Angriff im Sinne des § 32 StGB könne folglich nur „ein schuldhaftes, seinem Urheber zurechenbares, verantwortliches gegebenenfalls … vorwerfbares, anzulastendes, ein ‚freies‘ Verhalten verstanden werden“.140 Ob dieses Verständnis der Not___________ 136

Hoyer, JuS 1988, S. 89 (95). Vgl. Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 44; Renzikowski, Notstand, S. 235 f. 138 Hoyer, JuS 1988, S. 89 (92). 139 Hoyer, JuS 1988, S. 89 (94 f.). 140 Hoyer, JuS 1988, S. 89 (96); anders aber ders., Strafrechtsdogmatik, S. 211 ff. Einen Angriff bei mangelnder Schuld des Angreifers schließen ebenfalls aus Bertel, ZStW 84 (1972), S. 1 (11 f. Fn. 41); Eue, JZ 1990, S. 765 (765 f.); Hruschka, AT, S. 139 ff. (insbesondere S. 141); Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 16; Krause, FS Bruns, S. 71 (83 f.); 137

C. Grundgedanken der Notwehr

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wehrlage, das objektiv-rechtswidrige, aber subjektiv nicht vorwerfbare Angriffe von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 32 StGB ausnimmt, noch mit dem Wortlaut des Notwehrtatbestandes in Übereinstimmung zu bringen ist, soll hier indes nicht entschieden werden.141 Denn auch die herrschende Ansicht, die Angriffe schuldlos Handelnder dem Notwehrtatbestand subsumiert,142 erkennt an, dass die schneidigen Notwehrbefugnisse jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Gebotenheit eine Einschränkung erfahren müssen.143 ___________ ders., GA 1979, S. 329 (332 ff.) (differenzierend aber ders., GedS H. Kaufmann, S. 673 [679 ff.]); Suppert, Studien zur Notwehr, S. 321 f.; Otto, AT, § 8 Rn. 20; ders., FS Würtenberger, S. 129 (140 f.); Renzikowski, Notstand, S. 283 f. Ähnlich diejenigen Stimmen in der Literatur, die das Merkmal „rechtswidrig“ im Sinne von „schuldhaft“ verstehen: Haas, Notwehr, S. 240; Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 40 ff. Ferner Freund, AT, § 3 Rn. 98 f.; Koriath, JA 1998, S. 250 (253). Das Vorliegen einer Notwehrlage bei nicht schuldhaften Angriffen verneint Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (127, 129). 141 Zweifel an diesem Verständnis der Notwehrlage entstehen insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass das Strafgesetzbuch ausdrücklich zwischen Rechtswidrigkeit einerseits und Schuld andererseits unterscheidet. Verlangt der Notwehrtatbestand nun ausdrücklich einen „nur“ rechtswidrigen Angriff, so liegt der Schluss nahe, dass ein schuldhaftes Verhalten des Angreifers gerade keine Voraussetzung des Notwehrrechts ist, vgl. MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 55; Frister, AT, 16. Kap. Rn. 12; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 18; Sinn, GA 2003, S. 96 (102 f.). Bedenklich erscheint eine Umdeutung des rechtswidrigen in einen rechtswidrig (bewusst) schuldhaften Angriff auch mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG: Würde man den Anwendungsbereich der Notwehr über ihre Wortlautgrenze hinaus einschränken, wäre damit eine unzulässige Erweiterung der Strafbarkeit des Notwehrtäters verbunden, vgl. Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 111; Hirsch, FS Dreher, S. 211 (216, 222); Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 69; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 36. Vgl. im Übrigen auch BT-Drucks. 5/4095, S. 14, sowie die Begründung des E 1962, BT-Drucks. 4/650, S. 156 f., auf den das geltende Recht zurückgeht. Dort heißt es ausdrücklich, das Notwehrrecht sei „auch gegen schuldlos handelnde Personen dem Grundsatz nach nicht eingeschränkt“. 142 Vgl. etwa BGHSt 3, 217 (218); Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 53; Bockelmann, FS Honig, S. 19 (30); Courakis, Sozialethische Begründung, S. 107 f.; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 55; Felber, Rechtswidrigkeit, S. 118 ff.; Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 4; Frister, AT, 16. Kap. Rn. 12; SK-Günther, § 32 Rn. 28; NK-Herzog, §32 Rn. 5; Hirsch, FS Dreher, S. 211 (216, 222); Jescheck/Weigend, AT, S. 341; Kühl, AT, § 7 Rn. 58; Krey, AT 1, Rn. 434 ff.; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 36; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 24; Maurach/Zipf, AT 1, § 26 Rn. 21; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 16; Müther, Möglichkeitsvorstellungen, S. 77; Otte, Defensivnotstand, S. 62 ff.; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 10, 17 ff.; ders., ZStW 93 (1981), S. 68 (82 ff.); Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 26 f.; Sinn, GA 2003, S. 96 (102 f.); LK11-Spendel, § 32 Rn. 26; Wagner, Notwehrbegründung, S. 52; Wessels/Beulke, AT, Rn. 327. 143 Vgl. nur Frister, AT, 16. Kap. Rn. 12, 28; SK-Günther, § 32 Rn. 118 ff.; NKHerzog, §32 Rn. 102 ff.; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 52; Otte, Defensivnotstand, S. 68 ff.; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 61; Sinn, GA 2003, S. 96 (103); Wessels/Beulke, AT, Rn. 344.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

3. Das Gegenseitigkeitsverhältnis Hruschkas Hruschka will die Notwehr auf das Binnenverhältnis zwischen Angreifer und Angegriffenem reduzieren.144 Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die Überlegung, dass alle Rechtssubjekte gleichberechtigt und gegenseitig zur Befolgung bestimmter Rechtsregeln verpflichtet seien.145 Übertrete ein Rechtssubjekt ein Verbot, dessen Einhaltung er einem anderen Rechtssubjekt schulde, so sei auch jenes nicht mehr an das Verbot gebunden.146 Aus Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit der Beziehungen der Rechtssubjekte folge, dass ein Regelverstoß durch das „angreifende“ Rechtssubjekt die Anerkennung einer Reaktionsbefugnis des „verletzten“ erfordere.147 Der Verletzte werde von allen Pflichten dem Angreifer gegenüber entbunden; ihm sei es gestattet, die aus der Sphäre des Angreifers herrührenden Gefahren für eigene Rechtsgüter abzuwenden.148 Denkt man diesen Ansatz konsequent weiter, kann nur der Verletzte von seinen Verpflichtungen dem Angreifer gegenüber befreit werden. Da der Angreifer einem potentiellen Notwehrhelfer gegenüber gerade keine aus dem Gegenseitigkeitsverhältnis folgenden Pflichten verletzt, schuldet dieser dem Angreifer auch weiterhin die Befolgung bestimmter Rechtsregeln.149 Eine Befugnis zur Fremdverteidigung kann mit diesem interpersonalen Ansatz folglich nicht in Einklang gebracht werden.150 Der Angegriffene wäre demnach im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung nur auf das mildeste eigene Verteidigungsmittel zu verweisen. Der Umstand, dass ein Helfer den Angriff mit milderen Mitteln abwenden könnte, änderte an den Befugnissen des Notwehrübenden nichts. Die eigenhändige Abwehr des Angriffs wäre danach stets zulässig; die eigenhändige Selbstverteidigung könnte nach diesem interpersonalen Ansatz gegenüber privater Nothilfe niemals subsidiär sein. Die Notwehrkonzeption Hruschkas kann als Grundlage einer umfassenden Notwehrlehre jedoch ebenfalls nicht überzeugen. Die Kritik, die bereits an der Notwehrkonzeption Hoyers geübt wurde, gilt insofern auch für das Gegenseitig___________ 144 Hruschka, AT, S. 137; ders., FS Dreher, S. 189 (198 ff.). Zustimmend Fuchs, Grundfragen, S. 59 f.; Renzikowski, Notstand, S. 221 ff., 275 ff. 145 Hruschka, FS Dreher, S. 189 (199 f., 209). 146 Hruschka, FS Dreher, S. 189 (199 f.). Ähnlich Renzikowski, Notstand, S. 275: „Auf die Kooperationsverweigerung des Angreifers darf der Verteidiger seinerseits mit einem vorläufigen Kooperationsabbruch reagieren.“ 147 Hruschka, AT, S. 137; ders., FS Dreher, S. 189 (200); Renzikowski, Notstand, S. 275. 148 Hruschka, FS Dreher, S. 189 (200). 149 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 45 f. Fn. 164; Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (115). 150 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 45; Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (115).

C. Grundgedanken der Notwehr

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keitsverhältnis Hruschkas. Auch mit diesem Ansatz lässt sich die Nothilfe nicht erklären. Vielmehr stellt sich das Notwehrrecht – wenn man denn von einem solchen überhaupt noch sprechen kann –151 bei einer denklogischen Weiterführung des obigen Ansatzes deshalb als ein Recht auf eigenhändige Verteidigung dar, weil sich die Nothilfe gerade nicht mit dem Gegenseitigkeitsmodell erklären lässt. Diese Konsequenz will Hruschka freilich nicht ziehen, zumal sie im Widerspruch zu dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 32 Abs. 2 StGB steht. Vielmehr erkennt auch er die Möglichkeit der Nothilfe an, wenn er dem Angegriffenen gestattet, sich bei der Verteidigung fremder Hilfe zu bedienen. Der Nothelfer habe allerdings kein eigenes, sondern nur ein vom Gefährdeten abgeleitetes Verteidigungsrecht.152 Mit dieser systemfremden Erwägung kann jedoch nicht erklärt werden, warum ein Dritter, dem gegenüber der Angreifer keine Pflichten aus dem Gegenseitigkeitsverhältnis verletzt hat, von seiner Pflicht zur Befolgung bestimmter Rechtsregeln frei werden sollte.153 Darüber hinaus lässt sich aber noch ein weiterer Kritikpunkt an der oben dargestellten Notwehrkonzeption vorbringen: Unter dem Stichwort der sog. sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts diskutiert die ganz herrschende Meinung unterschiedliche Möglichkeiten, in Ausnahmefällen die Verteidigungsbefugnisse des Angegriffenen zu beschränken. Auch Hruschka erkennt solche Einschränkungsmöglichkeiten grundsätzlich an;154 auf Grundlage des Gegenseitigkeitsmodells können solche Begrenzungen der Verteidigungsbefugnisse nicht begründet werden. Folgt aus dem Regelverstoß des Angreifers, dass der Angegriffene vollständig von seinen Pflichten diesem gegenüber befreit werde, gibt es keinerlei Möglichkeit, die Verteidigungsbefugnisse des Angegriffenen nachträglich zu beschränken.155 Insgesamt erweist sich das Modell

___________ 151 Ob man bei dem Ansatz Hruschkas überhaupt noch von einem Notwehrrecht sprechen kann, ist angesichts des Umstandes, dass sich die Konfliktsituation für die Kontrahenten als ein Wiedereintritt in den Naturzustand darstellt, der völlig frei von gegenseitigen Rechten und Pflichten ist, mehr als zweifelhaft, vgl. etwa Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (281 Fn. 106). Diese Konsequenz seines Ansatzes will Hruschka allerdings nicht anerkennen, vgl. ders., FS Dreher, S. 189 (200); ähnlich auch Renzikowski, Notstand, S. 230 f. 152 Hruschka, FS Dreher, S. 189 (207). Ähnlich Renzikowski, Notstand, S. 296: „jeder einzelne [ist] daran interessiert …, sich in einem Angriffsfall fremder Hilfe zur Verteidigung bedienen zu können.“ 153 Wie hier auch Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 45 f. Fn. 164. 154 Vgl. ders., AT, S. 75, 139 ff. (insbesondere S. 141): keine Notwehr bei Rechtsgutsgefährdung durch Kinder oder Geisteskranke mangels subjektiv zurechenbaren Angriffs; S. 371 ff.: ausnahmsweise keine Rechtfertigung bei Notwehrprovokation. 155 Klesczewski, FS Wolff, S. 225 (231); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 46.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Hruschkas mithin als zu fragmentarisch156 und ist als Argument für die Anerkennung eines Rechts auf eigenhändige Verteidigung abzulehnen.

4. Individualistische Notwehrbegründung bei Betonung des Rechtsgüterschutzgedankens Aus den obigen Ausführungen folgt, dass die Notwehr jedenfalls immer dann als ein Recht auf eigenhändige Verteidigung erscheinen muss, wenn das zugrunde liegende Modell unfähig ist, die Nothilfe zu erklären. Dass jedoch auf Grundlage einer individualistischen Notwehrkonzeption die Notwehr nicht zwangsläufig als individuelles Selbstverteidigungsrecht zu verstehen ist, zeigt der Begründungsansatz Wagners.157 Wagner begreift die Notwehr als Befugnis zum Schutz von Individualrechtsgütern. Indem er darüber hinaus den Gedanken des Selbstschutzes besonders betont, erweist sich der Umstand, dass der Notwehrhelfer keine eigenen, sondern fremde Rechtsgüter schützt, nicht als Problem. Für Wagner stellt sich die Nothilfe vom Rechtsgüterschutz ausgehend vielmehr als „Hilfe bei der Abwehr eines rechtswidrigen Individualangriffs“ – also als eine Notwehrhilfe – dar.158 Eine solche Betrachtungsweise ließe sich seiner Ansicht nach im Übrigen auch besser mit dem Wortlaut des § 32 Abs. 2 StGB in Einklang bringen als eine mit überindividualistischen Momenten begründete Nothilfe. Denn wären Notwehr und Nothilfe wesensgleich – verteidigte der Nothelfer die Rechtsordnung also ebenso wie der angegriffene Rechtsgutsträger selbst –159, wäre die Formulierung „von sich oder einem anderen“ überflüssig.160 Auf Grundlage eines individualistischen Ansatzes, der den Rechtsgüterschutz betont, ist die Nothilfe demnach als eine vom unmittelbar Betroffenen abgeleitete Verteidigungsbefugnis ausgestaltet.161 Dieser Hilfe darf sich der Angegriffene bedienen, um einen Angriff zurückzuschlagen. ___________ 156 Frister, GA 1988, S. 291 (300); Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 55; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 45; Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (115). Vgl. ferner Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (281 Fn. 106). 157 Wagner, Notwehrbegründung, S. 35 f. 158 Wagner, Notwehrbegründung, S. 35. Ebenso Fuchs, Grundfragen, S. 52; SKGünther, § 32 Rn. 12; Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 85 f.; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 54 f.; Renzikowski, Notstand, S. 296; Stiller, Grenzen, S. 62 f. 159 So etwa Felber, Rechtswidrigkeit, S. 91; Jescheck/Weigend, AT, S. 337; Schmidhäuser, Lehrbuch AT, 9. Kap. Anm. 83; LK11-Spendel, § 32 Rn. 13 f. 160 Wagner, Notwehrbegründung, S. 35. 161 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 164.

C. Grundgedanken der Notwehr

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Als Kehrseite folgt aus dieser Verbesserung der Verteidigungsmöglichkeiten auch bei einer rein individualistischen Betrachtung allerdings, dass sich das potentielle Opfer eines Angriffs gefallen lassen muss, dass man es unter bestimmten Voraussetzungen mit den in Frage kommenden Helfern zu einer Verteidigungsgemeinschaft zusammenfasst. Der zulässige Verteidigungsspielraum wird in dieser Gemeinschaft nicht mehr nach den Abwehrmöglichkeiten und -mitteln des Einzelnen bestimmt, sondern orientiert sich an demjenigen Mitglied der Gruppe, dem das mildeste effektive Mittel zur Verfügung steht.162 Im Übrigen ist vom Standpunkt des Rechtsgüterschutzes aus betrachtet kein schützenswertes Interesse erkennbar, auf das die Notwendigkeit einer eigenhändigen Verteidigung gestützt werden könnte. Ziel des Notwehrrechts ist es, die Abwendung einer drohenden Rechtsgutsverletzung zu ermöglichen; es dient hingegen nicht dazu, dem Angegriffenen eine Gelegenheit zu eröffnen, „Kraft und Mut … zu beweisen und Exempel zu statuieren.“163 Es gibt keinen einleuchtenden Grund dafür, warum dem Opfer eines Angriffs die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, die Notwehrlage für sich zur alleinigen „Klärung“ reklamieren zu können.164 In Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 32 StGB lässt sich folglich auf der Grundlage dieser individualistischen Notwehrkonzeption ein Recht auf eigenhändige Verteidigung nicht überzeugend begrün den.165

II. Überindividualistische Notwehrkonzeptionen Kern jeder überindividualistischen Notwehrkonzeption166 ist der Gedanke, dass die vom Einzelnen geübte Notwehr oder Nothilfe der Wahrung der Rechtsordnung diene. Zur Begründung eines solchen überindividuellen Verständnisses der Notwehr wird auch heute noch oftmals die Aussage Berners167 herangezo-

___________ 162 Vgl. dazu bereits die Ausführungen unter A. ab S. 103 sowie die Nachweise in Fn. 26 auf S. 107 in diesem Kapitel. 163 Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50. Vgl. auch Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 161. 164 Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 33 Fn. 60; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 161. 165 Ebenso Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 161. 166 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 57 ff.; Haas, Notwehr, S. 143 ff., 354 ff.; Schmidhäuser, FS Honig, S. 185 (193); ders., GA 1991, S. 97 (115 ff., 121 f.); ders., Lehrbuch AT, Kap. 9 Anm. 65; ders., Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 51. 167 Berner, Strafrecht, § 58, S. 107.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

gen, dass „das Recht dem Unrechte nicht zu weichen braucht“.168 Legt man den Begriffen „Recht“ und „Unrecht“ ihren abstrakten Gehalt zugrunde, könnte man das Recht als eine übergeordnete Kategorie im Sinne der Rechtsordnung begreifen, welche sich dem Unrecht, verstanden als ein gegen den Willen der Rechtsordnung verstoßendes Verhalten, nicht beugen muss.169 Notwehr wäre folglich nicht Selbst-, sondern Rechtsverteidigung;170 der Notwehrübende verteidigte demnach nicht sich und seine Rechtsgüter, sondern die Rechtsordnung. Der Schutz des Einzelnen und seiner Rechtsgüter stellt sich nach diesem Verständnis der Notwehr als ein bloßer Reflex der Bewährung des Rechts dar.171 Irrelevant für die Verteidigung der Rechtsordnung muss es deshalb auch sein, ob sich der angegriffene Rechtsgutsträger selbst oder aber ein hilfsbereiter Dritter dem Angriff entgegenstellt. Maßgeblich sind daher nicht die allein dem Angegriffenen zur Verfügung stehenden Abwehrmöglichkeiten, sondern die personenunabhängig und generell zur Verfügung stehenden Verteidigungsmöglichkeiten und -mittel.172 Ein Recht auf eigenhändige Verteidigung lässt sich folglich auf der Grundlage einer überindividualistischen Notwehrkonzeption nicht begründen.173

___________ 168 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 58; Schmidhäuser, Lehrbuch AT, Kap. 9 Anm. 66; ders., Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 51. Zur Begründung des überindividuellen Notwehraspektes bei dualistischen Notwehrkonzeptionen vgl. ferner RGSt 21, 168 (170); Bockelmann, FS Dreher, S. 235 (243); ders./Volk, AT, § 15 (S. 88 f.); Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (177); Geilen, Jura 1981, S. 200; Hassemer, FS Bockelmann, S. 225 (239 f.); Jescheck/Weigend, AT, S. 336; Krause, GA 1979, S. 329 (331); ders., GedS H. Kaufmann, S. 673 (674 f.); Kühl, AT, § 7 Rn. 10; ders., FS Triffterer, S. 149 (150); Lenckner, GA 1985, S. 295 (300); Schönke/Schröder-ders./Perron, § 32 Rn. 1; LK11-Spendel, § 32 Rn. 13; Schröder, H., JuS 1973, S. 157 (158); Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 129 (130); Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 58. 169 Vgl. dazu auch Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 27 f.; Lesch, FS Dahs, S. 81 (82 f.). 170 Berner, Strafrecht, § 58, S. 109; Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 53 ff. 171 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 60; Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (114, 124). Vgl. ferner Kühl, AT, § 7 Rn. 14. 172 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 73. 173 Ebenso Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 73; Fuchs, Grundfragen, S. 138; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 161.

C. Grundgedanken der Notwehr

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1. Selbstbehauptung des Rechts (Schmidhäuser) Ausgangspunkt der aktuellen Notwehrkonzeption Schmidhäusers174 ist die im Schrifttum weit verbreitete Annahme, allen Rechtfertigungsgründen175 – und damit auch dem Erlaubnissatz der Notwehr –176 liege das Prinzip des überwiegenden Interesses zugrunde.177 Das überwiegende Interesse, welches Vorrang vor den durch die Abwehr gefährdeten Gütern des Angreifers haben soll, sei überindividualistischer Natur178 und könne als „Selbstbehauptung des Rechts“ umschrieben werden:179 Mit seiner Abwehrhandlung verhelfe der Angegriffene dem Recht zu seiner Geltung und ermögliche, „dass das Recht sich in der konkreten Situation als reale Macht gegenüber dem grob rechtsmißachtenden Angriff behaupte.“180 Denn „es würde einen unerträglichen Triumph des Rechtsbrechers über die Rechtsordnung bedeuten, wenn er trotz der Abwehrbereitschaft eines zur Abwehr fähigen Menschen ungehindert sein Ziel erreichen

___________ 174

Mit diesem neueren Ansatz distanziert sich Schmidhäuser ausdrücklich von der These, Rechtsgrund der Notwehr sei die Verteidigung der „empirischen Geltung der Rechtsordnung“, vgl. ders., GA 1991, S. 97 (112, 121); anders aber noch ders., FS Honig, S. 185 (193 f.); ders., Lehrbuch AT, 9. Kap. Anm. 65; ders., Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 51. Zur Kritik des ursprünglichen Begründungsansatzes vgl. Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 52 f.; Felber, Rechtswidrigkeit, S. 97; Hirsch, FS Dreher, S. 211 (219 ff.); Koch, M., Aufgedrängte Nothilfe, S. 84 f.; Renzikowski, Notstand, S. 83 ff.; Retzko, Angriffsverursachung, S. 107 ff.; Wagner, Notwehrbegründung, S. 13 ff. 175 Bertel, ZStW 84 (1972), S. 1 (4, 8); Born, Abwehr vorgetäuschter Angriffe, S. 21, 27 ff.; Courakis, Sozialethische Begründung, S. 103; Ebert, AT, S. 71; Freund, AT, § 3 Rn. 89; Fuchs, Grundfragen, S. 52 ff.; Gropp, AT, § 6 Rn. 65; SK-Günther, § 32 Rn. 106; NK-Herzog, § 32 Rn. 100; Langer, Sonderverbrechen, S. 316 f.; Lenckner, Notstand, S. 133 ff.; ders., GA 1968, S. 1 (2 ff.); ders., GA 1985, S. 295 (307), Schönke/Schröder-ders./Perron, § 32 Rn. 1; BeckOK StGB-Momsen, § 32 Rn. 14; Otto, AT, § 8 Rn. 5, ders., FS Würtenberger, S. 129 (139); Perron, Rechtfertigung und Entschuldigung, Bd. 3, S. 79 (81); Roxin, AT 1, § 16 Rn. 3; Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (378, 392 ff.); MünchKommStGB-Schlehofer, Vor § 32 Rn. 53 ff.; LK11-Spendel, § 32 Rn. 6; Wagner, Notwehrbegründung, S. 31; Wolter, Zurechnung, S. 138. 176 So etwa NK-Herzog, § 32 Rn. 100; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 1; Runte, Veränderung von Rechtfertigungsgründen, S. 148; MünchKommStGBSchlehofer, vor § 32 Rn. 54; LK11-Spendel, § 32 Rn. 6. Anders hingegen Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 20; ders., FS Dahs, S. 81 (84, 88, 91); Neumann, Modernes Strafrecht, S. 215 (219); Otto, FS Würtenberger, S. 129 (139). 177 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (98 f., 101 f.). Ähnlich schon ders., FS Honig, S. 185 (193); ders., Lehrbuch AT, 9. Kap. Anm. 65; ders., Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 52. 178 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (115 f.). 179 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (121) (Hervorhebungen im Original). 180 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (121).

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

könnte.“181 Dass die so verstandene Notwehr regelmäßig auch den Individualrechtsgütern des Angegriffenen zugute kommt, wird in diesem Zusammenhang zwar anerkannt.182 Allerdings verkümmert dieser Umstand in der Konzeption Schmidhäusers zu einem bloßen Reflex der Selbstbehauptung des Rechts. Zentraler Begriff des Notwehrmodells Schmidhäusers ist die als „sich in einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff äußernde grobe Rechtsmißachtung“183 umschriebene Notwehrlage. Nur im Falle eines grob rechtsmissachtenden Angriffs, der sich durch eine besondere Hartnäckigkeit auszeichne und durch den das Opfer selbst als Person zum Objekt gemacht werde, habe die Selbstbehauptung des Rechts Vorrang vor den durch die Notwehr beeinträchtigten Gütern des Angreifers.184 Von vornherein scheide Notwehr deshalb gegen Personen aus, deren Verhalten aufgrund ihrer seelisch-geistigen Verfassung keine grobe Rechtsmissachtung ausdrücke: Gegenüber Kindern, Geisteskranken, erheblich Betrunkenen, sich in einem erheblichen Irrtum befindlichen Personen sowie Jugendlichen, in deren Verhalten sich eine spezifische Unreife zeige, bedürfe es einer Selbstbehauptung des Rechts nicht.185 Doch auch bei Vorliegen anderer Fallgruppen, die regelmäßig erst unter dem Stichwort der sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts diskutiert werden, könne nach Ansicht Schmidhäusers mangels eines grob rechtsmissachtenden Angriffs die Notwehrlage verneint werden;186 der Gebotenheitsklausel des § 32 Abs. 1 StGB komme hingegen keine eigenständige Bedeutung zu.187 Da nicht das beeinträchtigte (Individual-)Rechtsgut, sondern das abstrakte Recht verteidigt werde, kann es für das Notwehrmodell Schmidhäusers nicht darauf ankommen, wer für die Selbstbehauptung des Rechts gegenüber dem grob rechtsmissachtenden Angriff eintritt. Das Notwehrrecht gestatte im allgemeinen Interesse vielmehr jeder zur Abwehr des Angriffs fähigen Person – neben dem ___________ 181 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (121). Ähnlich bereits ders., Lehrbuch AT, 9. Kap. Anm. 65; ders., Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 51. 182 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (114, 124). 183 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (119). 184 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (121 f., 129). Zu ähnlichen Überlegungen vgl. auch Haas, Notwehr, S. 240. 185 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (129). – Keine tauglichen Täter sind nach Ansicht Schmidhäuser ferner der unbewusst unerlaubt Handelnde und der sich in einem Nötigungsnotstand befindende Angreifer, vgl. ders., FS Honig, S. 185 (196 f.); ders., Lehrbuch AT, 9. Kap. Anm. 65, 74; ders., Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 51, 65. 186 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (138). – Keine Selbstbehauptung des Rechts bei grobem Unfug: ders., FS Honig, S. 185 (197 f.); ders., Lehrbuch AT, 9. Kap. Anm. 66; zur Behandlung der Notwehrprovokation vgl. ders., Lehrbuch AT, 9. Kap. Anm. 86 ff.; ders., Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 81 ff. 187 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (103, 133 f., 138).

C. Grundgedanken der Notwehr

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unmittelbar Angegriffenen also auch jedem beliebigen Dritten –, einen Mitmenschen von der (weiteren) Ausführung seines Rechtsbruchs abzuhalten, damit ebendieser nicht zustande kommt.188 Als Grundlage einer in sich schlüssigen Notwehrlehre kann der Ansatz Schmidhäusers allerdings nicht überzeugen. Wie alle Verfechter rein überindividualistischer Notwehrlehren, in denen die Interessen des Einzelnen nur als Reflex der Verteidigung der Rechtsordnung Berücksichtigung finden, verkennt Schmidhäuser einen entscheidenden Punkt: § 32 StGB gestattet die Notwehr, „um einen … Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“ Mit dieser Formulierung stellt der Gesetzgeber klar, dass § 32 StGB – jedenfalls primär – den Schutz von subjektiven Rechten und Rechtsgütern des Angegriffenen bezweckt, nicht aber die Verteidigung von Universalrechtsgütern oder eines stilisierten, den Einzelinteressen übergeordneten Kollektivguts „Rechtsordnung“ oder „Recht“.189 Dem Verständnis des Grundgesetzes läge es im Übrigen fern, den Schutz des Einzelnen lediglich als Reflex der Selbstbehauptung des Rechts anzusehen.190 Zwar ist die Rechtsordnung ein unverzichtbarer Ordnungsfaktor zur Regelung eines friedlichen Zusammenlebens der Bürger in der Gesellschaft. Dennoch steht die Freiheit des Individuums im Mittelpunkt allen staatlichen Handelns, ist es primäre Aufgabe des Staates, die Rechtsgüter seiner Bürger zu schützen. – „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“191 Weitere Bedenken an einer rein überindividualistischen Begründung der Notwehr entstehen, wenn man den Blick auf die Vorstellungen des Verteidigers richtet. In erster Linie wird es dem Angegriffenen immer darum gehen, sich und seine Rechtsgüter zu schützen; primär wird auch der helfende Dritte die Verteidigung des Angriffsopfers vor Augen haben.192 Die Annahme, dass der Verteidiger darüber hinaus auch den Schutz der Rechtsordnung bezweckt, erscheint – jedenfalls dann, wenn man die mögliche Motivation professioneller staatlicher ___________ 188

Vgl. Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (121 f.). Fuchs, Grundfragen, S. 43 f.; Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (52, 56); Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 30, 48; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 30, 32; Roxin, ZStW 93 (1981), S. 68 (75); Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 25 f., 31; Wagner, Notwehrbegründung, S. 17. Deutlich auch Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 20: „In Notwehr wird das angegriffene Gut verteidigt, sonst nichts.“ 190 Kühl, AT, § 7 Rn. 14; ders., JuS 1993, S. 177 (182); Sternberg-Lieben, D./Sternberg-Lieben, I., JuS 1999, S. 444 (446). 191 So der Entwurf des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee zu Art. 1 Abs. 1 GG, vgl. hierzu v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (N.F.) 1 (1951), S. 48; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, § 58, S. 17 f. 192 SK-Günther, § 32 Rn. 13; Hirsch, FS Dreher, S. 211 (220); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 32; Kühl, JuS 1993, S. 177 (182); Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 25; Stiller, Grenzen, S. 39 f.; Wagner, Notwehrbegründung, S. 17 Fn. 25. 189

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Helfer außer Acht lässt – eher abwegig.193 Gegen diese Überlegung mag man nun einwenden, dass hier der Grundgedanke des § 32 StGB mit den subjektiven Zielvorstellungen des Notwehrübenden verwechselt werde.194 Vielmehr sei es denkbar, dass der Gesetzgeber im Anwendungsbereich des § 32 StGB gerade die egoistische Motivation des sich in einer notwehrtypischen Situation befindenden Einzelnen ausnutzen wollte, um auf diese Weise letztlich den Schutz der Rechtsordnung zu fördern.195 Unbeantwortet bleibt in diesem Zusammenhang aber die Frage, ob und gegebenenfalls wie eine derartige Instrumentalisierung des einzelnen Bürgers zu staatlichen Zwecken legitimiert werden kann. Überzeugender erscheint es deshalb anzunehmen, dass der Gesetzgeber nur privaten Bedürfnissen nachgekommen ist und dass ebendiese sowohl Anlass als auch Grund der Notwehrregelung sind.196 Problematisch ist ferner, dass sich die Notwehr auf Grundlage eines überindividualistischen Ansatzes nur als eine vom Staat abgeleitete Verteidigungsbefugnis denken lässt: Die Sicherung des Rechtsfriedens und die Stabilisierung der Rechtsordnung sind elementare Aufgaben des Staates und seiner Organe.197 Um diese Funktion zu erfüllen, darf sich allein der Staat auf legitime Weise (auch) körperlich wirkenden Zwanges bedienen.198 Das folgt aus dem staatlichen Gewaltmonopol.199 Eine Zwangsbefugnis, die ebenfalls dem Schutz der Rechtsordnung dient, aber der Staatsgewalt gegenüber eigenständig wäre, kann folglich nicht existieren;200 eine originäre Befugnis Privater zur Verteidigung der Rechtsordnung ist unter dieser Prämisse nicht denkbar. Ein überindividualistisch verstandenes Notwehrrecht könnte sich demnach denknotwendig allenfalls als Übertragung staatlicher Zwangsbefugnisse für den speziellen Fall dar___________ 193 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 32. Anders aber Haas, Notwehr, S. 219 f., 221 f. Fn. 56. 194 So etwa Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 59 f.; Felber, Rechtswidrigkeit, S. 88; Haas, Notwehr, S. 143; Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (132). 195 Courakis, Sozialethische Begründung, S. 40 f. Fn. 89; Fuchs, Grundfragen, S. 43; Haas, Notwehr, S. 143; Stiller, Grenzen, S. 40. 196 Fuchs, Grundfragen, S. 43; Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 34; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 33. 197 So bereits RGSt 19, 75 (78). Ferner Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (48); Klein, E., NJW 1989, S. 1633 (1636); Seebode, FS Krause, S. 375 (387). 198 Burr, JR 1996, S. 230; Fuchs, Grundfragen, S. 16; Hammer, DÖV, S. 613 (616); Herzog, HStR, Bd. 43, § 72 Rn. 41; Isensee, FS Sendler, S. 39 (47); ders., HStR, Bd. 52, § 115 Rn. 111; Koja, Staatslehre, S. 21; Merten, Rechtsstaat, S. 31, 33; Pernthaler, Staatslehre, § 38, S. 116; Renzikowski, Notstand, S. 95; Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (132). 199 Ausführlich zum staatlichen Gewaltmonopol bereits unter B. ab S. 107 in diesem Kapitel. 200 Koja, Staatslehre, S. 21 f.; Merten, Rechtsstaat, S. 42 f., 55, 60; Zippelius, Staatslehre, § 9, S. 68.

C. Grundgedanken der Notwehr

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stellen, dass der Staat im Moment des Angriffs nicht eingreifen kann; Angegriffener und helfender Dritter wären mithin staatlich beliehene Bürger.201 Dies bestreitet Schmidhäuser indes ausdrücklich und hält die These, das Notwehrrecht sei eine vom Staat delegierte Befugnis, für eine „reine Gedankenkonstruktion ohne Erkenntniswert“. Die Notwehr will er vielmehr als eine „ursprüngliche Jedermannbefugnis i. S. der Rechtsverteidigung“ verstanden wissen, für die das staatliche Gewaltmonopol nicht gelte.202 – Diese Behauptung vermag aus verschiedenen Gründen nicht zu überzeugen.203 Wollte man also eine „Beleihung“ des Notwehrübenden anerkennen und überginge den nahe liegenden Einwand, dass angesichts der Einheit der Staatsgewalt das staatliche Gewaltmonopol an sich unveräußerlich sein dürfte,204 müsste der beliehene Bürger ebenso wie alle staatlichen Organe auf das Gemeinwohl verpflichtet sein und den staatlichen Bindungen unterliegen.205 Denn es ist schlechthin nicht möglich, eine bestimmte staatliche Befugnis von ihren inhaltlichen Schranken zu trennen, die ebendieses Recht kennzeichnen und von anderen abgrenzen. Hielte man hingegen die Isolation eines bestimmten Rechtes von seinen Beschränkungen für zulässig, würde es sich nicht mehr um eine Übertragung ebendieser Befugnis handeln, sondern um ein eigenständiges Recht mit anderem Ursprung.206 Stellt man sich also auf den Standpunkt, Notwehr sei ein vom Staat übertragenes Recht, hätte im Rahmen erlaubter privater Gewaltausübung insbesondere auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu gelten.207 Eine derartige Lesart würde jedoch dem Notwehrrecht seine besondere Schärfe nehmen und dem insoweit eindeutigen, auf jegliche Abwägungskriterien verzichtenden Wortlaut des § 32 StGB widersprechen. Nicht verwunderlich ist es daher, dass keiner der Vertreter eines überindividualistischen Ansatzes die ___________ 201 Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (45 f.); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 33 f. Vgl. ferner Bockelmann, FS Dreher, S. 235 (244); Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (177); Koch, B., ZStW 104 (1992), S. 785 (793); Kühl, AT, § 7 Rn. 10; ders., JuS 1993, S. 177 (180); Renzikowski, Notstand, S. 95; Stiller, Grenzen, S. 34, 47 f.; Wagner, Notwehrbegründung, S. 27. 202 Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (123 f.). 203 Zur Auseinandersetzung mit dieser These Schmidhäusers vgl. die Ausführungen unter Gliederungspunkt B. II. 1. ab S. 113 in diesem Kapitel. 204 Vgl. Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (46). An der Zulässigkeit einer Delegation staatlicher Gewalt zweifeln auch: Freund, AT, § 3 Rn. 88; Wagner, Notwehrbegründung, S. 27. Anders hingegen Merten, Rechtsstaat, S. 56 ff.; Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (133). 205 Vgl. Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (46). 206 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 38. 207 Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (47 f.); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 34.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

generelle Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Ausübung des Notwehrrechtes verlangt.208 Zum Teil versucht man die fehlende Bindung des Notwehrübenden an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit damit zu erklären, dass der Staat die gesellschaftlichen Interessen aufgrund seiner überlegenen Machtmittel ohne Zulassung unproportionaler Verteidigung wahren könne.209 Weil sie sich des Erfolges sicher sei, könne sich die staatliche Macht (Selbst-)Beschränkungen auferlegen.210 Dem Einzelnen, der gerade nicht über den staatlichen Machtmitteln vergleichbare Abwehrmittel verfügt, dürfe hingegen eine an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit gebundene Verteidigung nicht abverlangt werden. Eine Begründung für die fehlende Mitübertragung staatlicher Bindungen auf den Notwehrübenden stellen diese Erklärungsversuche allerdings nicht dar. Vielmehr verharren sie bei einer bloßen Beschreibung des Problems.211 Neben dieser grundsätzlichen Kritik monistisch überindividualistischer Notwehrmodelle ergeben sich weitere Einwände aus dem Lösungsansatz Schmidhäusers selbst. In mehrfacher Hinsicht problematisch ist zunächst die Begrenzung der Notwehrlage auf grob rechtsmissachtende Angriffe.212 Der Begriff der groben Rechtsmissachtung findet sich im Gesetzestext des § 32 StGB nicht wieder. Gilt das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Bestimmtheitsgebot auch für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr,213 würde diese Lesart, die den Anwendungsbereich der Notwehrvorschrift einschränkt, die Strafbarkeit des Notwehrtäters in einem unzulässigen Maße erweitern.214 Selbst wenn man diesen Einwand übergehen wollte, überzeugt der Versuch einer Beschränkung der Notwehrbefugnisse über den Begriff der groben Rechtsmissachtung nicht. Bedenklich erscheint zum einen, dass ein so formuliertes Merkmal geradezu dafür prädestiniert ist, durch moralische und wertende Erwägungen ausgefüllt zu werden.215 Zum anderen bleibt unklar, was der Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Grobheit einer Rechtsmissachtung sein soll. Zwar gibt Schmidhäuser vor, dass bei der Bestimmung der groben Rechts___________ 208

So etwa Haas, Notwehr, S. 277 f. Vgl. dazu bereits die Nachweise in Fn. 107 auf S. 121. 210 Vgl. dazu bereits die Nachweise in Fn. 108 auf S. 121. 211 Ebenso Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 37 f. 212 Vgl. Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (119 ff.). 213 Der Frage, ob Art. 103 Abs. 2 GG für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr gilt, soll an dieser Stelle (noch) nicht näher nachgegangen werden. Näher zu diesem Problem aber unter D. ab S. 152 in diesem Kapitel. 214 So etwa Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 26. 215 Ebenso Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 30. 209

C. Grundgedanken der Notwehr

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missachtung auf die Person des Angreifers abzustellen sei.216 Zwingend ist dies jedoch nicht. Ebenso gut könnte man die Beeinträchtigung der Rechtsordnung, welche sich ihrerseits am Umfang des angerichteten Schadens orientiert, als Beurteilungsmaßstab heranziehen217 oder die Bewertung einer Rechtsmissachtung als grob von der Kombination beider Kriterien abhängig machen.218 An diesen Unklarheiten ändert auch Schmidhäusers Hinweis auf noch zu erarbeitende Fallgruppen219 nichts, die die Verwendung des Begriffs anschaulich machen sollen. Schließlich soll mittels der Grundgedanken der Notwehr ermöglicht werden, bestimmte notwehrspezifische Sachverhaltskonstellationen zu lösen. Verfehlt wäre es hingegen, in umgekehrter Weise bereits gelöste Beispielssituationen dafür zu bemühen, ein bestimmtes Notwehrmodell zu untermauern oder gar über solche Beispielsfälle auf eine bestimmte Konzeption zu schließen.220 Ein letztes Bedenken ist gegen das Modell Schmidhäusers anzuführen: Soll die Notwehrlage bei Angriffen von Kindern, Geisteskranken etc. verneint werden, wird damit nichts anderes als ein schuldhaftes Verhalten des Angreifers gefordert.221 Berücksichtigt man außerdem, dass es nach Ansicht Schmidhäusers einer Selbstbehauptung des Rechts gegenüber unbewusst unerlaubt Handelnden nicht bedürfe,222 kann nur ein bewusst schuldhafter Angriff die Notwehrbefugnisse auslösen. Dass dieses Erfordernis mit Blick auf den Wortlaut des § 32 StGB problematisch ist, wurde bereits an früherer Stelle ausgeführt.223

2. Verteidigung der normativen Geltung der Rechtsordnung (Bitzilekis) Anders als Schmidhäuser sieht Bitzilekis den Grundgedanken der Notwehr in der Verteidigung der normativen Geltung der Rechtsordnung.224 Widersinnig ___________ 216

Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (128 f.). Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 30 f. Zutreffend weist sie in diesem Kontext darauf hin, dass unter Berücksichtung dieses Kriteriums die Einstufung einer Rechtsmissachtung als grob letztlich mittelbar durch individuelle Aspekt beeinflusst würde. 218 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 31. 219 Vgl. Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (119, 125). 220 So auch Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 31. 221 Vgl. Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (127, 129). Deutlicher noch ders., FS Honig, S. 185 (196); ders., Lehrbuch AT, Kap. 9 Anm. 74 ff.; ders., Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 65. 222 Vgl. Schmidhäuser, FS Honig, S. 185 (196 f.); ders., Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 65. 223 Vgl. die Anmerkungen in Fn. 141 auf S. 129 in diesem Kapitel. 224 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 57 ff. 217

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

wäre es, so führt Bitzilekis aus, gestattete man einer Rechtsordnung nur, mit Strafe auf den bereits geschehenen Rechtsbruch zu reagieren. Um das Bestehen der Rechtsordnung zu gewährleisten, sei es vielmehr erforderlich, rechtswidrige Angriffe im Rahmen des Möglichen zu verhindern.225 Grundsätzlich sei es Aufgabe der organisierten Staatsmacht, derartige Übergriffe auf die Rechtsordnung zu unterbinden.226 Neben die Befugnisse der Staatsmacht trete aber zusätzlich das Notwehrrecht des einzelnen Bürgers:227 Die Rechtsordnung verleihe dem Einzelnen ein auf Notfälle – Bitzilekis meint damit Situationen, in denen der rechtswidrige Angriff (noch) gegenwärtig ist – beschränktes Recht, sich präventiv gegen das drohende Unrecht zu verteidigen.228 Selbstschutz und Verteidigung der Rechtsordnung sollen dabei eine Einheit bilden. Ebenso, wie die Rechtsordnung – verstanden als rechtlich geordneter Zustand schutzwürdiger Interessen –229 immer dann beeinträchtigt werde, wenn eines ihrer Rechtsgüter angegriffen werde, bewirke die Verteidigung eines Rechtsguts zugleich auch die Bewährung der Rechtsordnung selbst: „Der Schutz des Besonderen [sc. eines Rechtsguts]“ sei „ein Bestandteil des Schutzes des Allgemeinen [sc. der Rechtsordnung].“230 Die Notwehr stelle sich folglich als Mittel zur Erhaltung und Bewährung der Rechtsordnung dar.231 Ebenso wie die Notwehr diene aber auch die Nothilfe dazu, Unrecht abzuwehren und die Rechtsordnung zu verteidigen. Deshalb sei die Befugnis zur Nothilfe nicht aus dem Selbstverteidigungsrecht des unmittelbar angegriffenen Rechtsgutsträgers abzuleiten. Sie sei weder vom Selbstverteidigungsrecht des Angegriffenen abhängig noch gegenüber diesem subsidiär. Vielmehr stehe die Nothilfe als selbständiges Recht neben der Notwehr.232 Das Notwehrrecht ist folglich auch nach diesem Ansatz nicht als Befugnis zur eigenhändigen Verteidigung zu verstehen. Auch dem Notwehrmodell Bitzilekis’ müssen letztlich die bereits oben dargestellten grundsätzlichen Bedenken an monistisch überindividualistischen Notwehrkonzeptionen entgegengehalten werden. So birgt auch dieses Modell die Gefahr, ein allgemeines Unrechtsverhinderungsrecht zu etablieren. Neben Individualrechtsgütern müssten auch Rechtsgüter der Allgemeinheit notwehrfähig sein, mit der Folge, dass jede Privatperson zur Verteidigung ebendieser Rechts___________ 225

Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 58. Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 58. 227 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 58 Fn. 126. 228 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 58 f., spricht von einer bedingten Übertragung der Abwehrbefugnis. 229 Vgl. Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 55, 60. 230 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 61. 231 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 59. 232 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 72. 226

C. Grundgedanken der Notwehr

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güter mit den Mitteln der Notwehr tätig werden dürfte. Diese Konsequenz seines Ansatzes erkennt und begrüßt Bitzilekis ausdrücklich. Allerdings beschränkt er die Notwehrfähigkeit kollektiver Rechtsgüter auf solche, deren mittelbarer Träger jedes einzelne Individuum ist.233 Davon müssten hingegen diejenigen Güter unterschieden werden, die ausschließlich dem Staat als Träger der Staatshoheit zustehen. Derartige rechtlich geschützte Interessen, die die Bildung, Ausübung und Durchführung der staatlichen Macht beträfen, seien nicht notwehrfähig. Vielmehr obliege es dem Staat als alleinigem Träger hoheitlicher Macht, diese Rechtsgüter zu verteidigen.234 Ob man im Ergebnis diese Differenzierung für überzeugend hält235 und die Verteidigung kollektiver Rechtsgüter gestatten will, die zumindest mittelbar Individualinteressen betreffen, mag hier dahinstehen. Denn es gelingt Bitzilekis nicht, die übrigen Einwände gegen rein überindividualistische Notwehrmodelle zu entkräften. So bleiben die Bedenken bestehen, die daraus resultieren, dass der Verteidiger mit der Abwehrhandlung regelmäßig nicht die Verteidigung der Rechtsordnung, sondern egoistische Motive verfolgen wird.236 Unbeantwortet lässt Bitzilekis auch die Fragen, ob die Verteidigung der Rechtsordnung, die originäre Aufgabe des Staates ist, auf Privatpersonen übertragbar ist und – die Zulässigkeit der Übertragbarkeit unterstellt – warum diese Privatpersonen gerade nicht den staatlichen Bindungen unterworfen sein sollen.237 Stattdessen charakterisiert er die Notwehr ohne nähere Auseinandersetzung mit der aufgezeigten Problematik als eine in den Dienst des Rechtsgüterschutzes gestellte „bedingte Übertragung der Befugnis zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs in die Hand des einzelnen“.238

III. Dualistische Notwehrkonzeptionen Die dargestellten Probleme, die sich auftun, wenn man die Notwehr monistisch zu begründen versucht, wollen die Vertreter eines dualistischen Notwehrmodells239 umgehen, indem sie – mit unterschiedlicher Gewichtung der beiden ___________ 233

Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 68. Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 69. 235 Kritisch dazu Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 37. 236 Dazu bereits die Ausführungen unter C. II. 1. auf S. 137 in diesem Kapitel. 237 Vgl. dazu bereits die Ausführungen unter C. II. 1. ab S. 138 in diesem Kapitel. 238 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 59 (Hervorhebung im Original). 239 BGHSt 24, 356 (359); 48, 207 (212); BSGE 84, 54 (58 f.); BayObLG, StV 1999, 147 (147 f.); Amelung, GA 1982, S. 381 (392); Arzt, FS Schaffstein, S. 77 (87); Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (291); Bertel, ZStW 84 (1972), S. 1 (8); Bockelmann, 234

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Elemente –240 sowohl das Rechtsbewährungsinteresse als auch das Individualschutzinteresse als tragende Prinzipien des Notwehrrechts anerkennen. Der Notwehrtäter verteidige folglich nicht nur die im Einzelfall betroffenen Individualrechtsgüter, sondern zugleich immer auch die Rechtsordnung als Ganzes. Nur so sei es möglich, die aus dem Verzicht auf eine Güter- und Schadensabwägung resultierende besondere „Schneidigkeit“ des Notwehrrechts zu erklären.241 Ein Recht auf eigenhändige Verteidigung kann mit diesem Notwehrmodell ebenso wenig begründet werden, wie mit dem rein überindividualistischen Ansatz.242 Geht es auf der Grundlage dualistischer Notwehrkonzeptionen bei der Abwehr eines Angriffs immer auch um die Verteidigung des Rechts, so muss unbeachtlich sein, ob sich der angegriffene Rechtsgutsträger selbst oder aber ein hilfsbe___________ FS Dreher, S. 235 (243 f.); ders./Volk, AT, § 15 (S. 88 f.); Born, Abwehr vorgetäuschter Angriffe, S. 27 ff.; Burr, JR 1996, S. 230 (231); Choi, Notwehr, S. 10 ff.; Courakis, Sozialethische Begründung, S. 34, 69; Ebert, AT, S. 66; Eggert, NStZ 2001, S. 225 (228); Eser/Burkhardt, Strafrecht 1, Fall 10 Rn. 4 (S. 117); Felber, Rechtswidrigkeit, S. 88 ff.; Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 2; Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (177); Geilen, Jura 1981, S. 200; Haft, AT, S. 84, 90; Hassemer, FS Bockelmann, S. 225 (239 f.); Heinrich, AT I, Rn. 337; Heller, Aufgedrängte Nothilfe, S. 202 f.; NK-Herzog, § 32 Rn. 101; Hinz, JR 1993, S. 353 (355 f.); Hirsch, FS Dreher, S. 211 (216 f., 223); Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (281); Jescheck/Weigend, AT, S. 336; Kasiske, Jura 2004, S. 832 (833 ff.); Klose, ZStW 89 (1977), S. 61 (96 f.); Krause, FS Bruns, S. 71 (77 f.); ders., GA 1979, S. 329 (331 f.); ders., GedS H. Kaufmann, S. 673 (674 f.); Kretschmer, Jura 2002, S. 114 (115); Krey, JZ 1979, S. 702 (714); Kühl, AT, § 7 Rn. 7 ff.; ders., JuS 1993, S. 177 (179 ff., 182); ders., FS Triffterer, S. 149 (150); Lackner/ders., § 32 Rn. 1; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976); Lagodny, GA 1991, S. 300 (303); Lenckner, Notstand, S. 24; ders., GA 1961, S. 299 (309); ders., GA 1968, S. 1 (3); ders., GA 1985, S. 295 (300, 307); Schönke/Schröder-ders./Perron, § 32 Rn. 1 f.; Maurach/Zipf, AT 1, § 26 Rn. 4; Mayer, AT, S. 96; Marxen, Sozialethische Grenzen, S. 35 f.; Müller, NStZ 1993, S. 366 (367); Norouzi, JA 2005, S. 306 (308); Otto, AT, § 8 Rn. 17; ders., FS Würtenberger, S. 127 (138); Pelz, NStZ 1995, S. 305 (307 f.); Perron, FS Weber, S. 143 (147); ders., Rechtfertigung und Entschuldigung, Bd. 3, S. 79 (87 f.); Roxin, AT 1, § 15 Rn. 1 ff.; ders., ZStW 93 (1981), S. 68 (70 ff.); Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (394); ders., JR 1991, S. 210 (211); Satzger, JuS 1997, S. 800 (803); Schröder, H., JR 1962, S. 187 (187 f.); ders., JuS 1973, S. 157 (158); Schumann, JuS 1979, S. 559 (560, 564); Schünemann, B., GA 1985, S. 341 (368); Seebode, FS Krause, S. 375 (380); Seuring, Aufgedrängte Nothilfe, S. 181 ff.; Sinn, GA 2003, S. 96 (97); LK11-Spendel, § 32 Rn. 11 ff.; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 129 (130); Sternberg-Lieben, D./dies., JuS 1999, S. 444 (446); Stiller, Grenzen, S. 71 ff.; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 374 ff.; Warda, Jura 1990, S. 344 (346 f.); Wessels/Beulke, AT, Rn. 324a; Wimmer, GA 1983, S. 145 (157); Wössner, Notwehr und ihre Einschränkungen, S. 56 ff.; Zieschang, Jura 2003, S. 527. Ebenso MünchKommBGB-Grothe, § 227 Rn. 1; Palandt-Heinrichs, § 227 Rn. 1; KK OWiG-Rengier, § 15 Rn. 33. 240 Vgl. dazu die Darstellungen bei Koch, M., Aufgedrängte Nothilfe, S. 117 ff.; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 37 ff. 241 Vgl. nur Kühl, AT, § 7 Rn. 12 f.; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 1a; Roxin, ZStW 93 (1981), S. 68 (70 ff.). 242 Ebenso Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 161.

C. Grundgedanken der Notwehr

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reiter Dritter dem Angriff entgegenstellt. Entscheidend für die Beurteilung der Erforderlichkeit und Gebotenheit einer Abwehrhandlung sind folglich auch hier die personenunabhängig und generell zur Verfügung stehenden Verteidigungsmöglichkeiten und -mittel. Mag die Vereinnahmung sowohl des Gedankens des Individualschutzes als auch des der Rechtsbewährung auf den ersten Blick attraktiv erscheinen, so wird auf den zweiten Blick das Dilemma des dualistischen Ansatzes offenbar: Da das Verhältnis von Individualschutz- und Rechtsbewährungsinteresse weitgehend ungeklärt ist, können auf der Grundlage des dualistischen Ansatzes keine Lösungsvorschläge für den Konfliktfall auf systematisch nachvollziehbare Weise entwickelt werden.243 Vielmehr erscheinen sämtliche Ableitungen in sich zirkulär: Ein bestimmtes Ergebnis im Blick, wird dieses unter Heranziehung der beiden Prinzipien legitimiert. Die Notwendigkeit der Kombination von Individualschutz- und Rechtsbewährungsinteresse wiederum erklärt man damit, dass ohne den Dualismus der beiden Teilkomponenten die vorweg für richtig gehaltenen Ergebnisse nicht begründet werden können. Deutlich wird dieser Kritikpunkt beispielsweise, wenn man die Begründung für die Einschränkung der Verteidigungsbefugnisse gegen Angriffe von schuldlos handelnden Angreifern näher betrachtet:244 Würde man allein auf den Gedanken des Schutzes individueller Rechtsgüter abstellen, wäre es nicht erklärbar, warum man sich nicht mit aller Macht gegen einen schuldlos handelnden Angreifer verteidigen darf. Aus diesem Grund bemühen die Vertreter des dualistischen Notwehrmodells das Rechtsbewährungsinteresse: Da dieses bei schuldlosen Angriffen gemindert sei, müsse man ausnahmsweise auch im Rahmen der Notwehr Proportionalitätserwägungen anstellen. Dieses – unbestritten begrüßenswerte – Ergebnis wird sodann herangezogen, um zu erklären, warum die Notwehr dualistisch zu konzipieren sei.245

IV. Eigener Lösungsvorschlag Steht nach alledem fest, dass ein dualistisches Notwehrmodell ebenso wenig geeignet ist, die Grundgedanken der Notwehr zu erklären, wie eine rein überindividualistische Notwehrkonzeption, muss das Augenmerk noch einmal auf einen rein individualistischen Ansatz gerichtet werden. Ausgangspunkt soll die ___________ 243

Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (44); Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (261). Dieses Problem wird auch von einigen Vertretern der h.M. erkannt, vgl. etwa Kühl, JuS 1993, S. 177 (180 ff.); Seier, NJW 1987, S. 2476 (2479); Stiller, Grenzen, S. 72. 244 Zum Begründungszusammenhang zwischen Rechtsbewährungsinteresse und fehlender Ausweichpflicht vgl. Fuchs, Grundfragen, S. 131. 245 Vgl. etwa Roxin, AT 1, § 15 Rn. 2 und 61 f.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Argumentation Wagners sein, der die Notwehr als ein Recht zur Verteidigung von Individualinteressen versteht und ausführt, dass in notwehrtypischen Situationen neben bestimmten Rechtsgütern zugleich immer auch die allgemeine Handlungsfreiheit des Rechtsgutsträgers angegriffen werde.246 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die allgemeine Handlungsfreiheit nur einen Aspekt darstellt, der im Zusammenspiel mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Gewährleistung der freien Entfaltung der Persönlichkeit dient.247 Diese verfassungsrechtlich verankerte Garantie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und nicht nur einer ihrer Teilaspekte soll den Anknüpfungspunkt einer individualistischen Notwehrkonzeption bilden.248 Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in aktiver und passiver Weise in Form von zwei sich einander ergänzenden und wechselseitig bedingenden Ausprägungen: Die allgemeine Handlungsfreiheit dient der Gewährleistung der Verhaltensfreiheit und bietet Aktivitätsschutz.249 Sie soll dem einzelnen Bürger ermöglichen, sich in jedweder gesellschaftskonformen Art und Weise zu betätigen, also im Rahmen der Gesetze alles zu tun und zu unterlassen, soweit es anderen nicht schadet.250 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt hingegen die Integrität der Person vor Beeinträchtigungen durch Zugriffe Dritter auf Zustände und Rechtspositionen, welche durch die Verhaltensfreiheit geschaffen wurden.251 Jeder Mensch hat ___________ 246

Wagner, Notwehrbegründung, S. 31. Vgl. etwa BVerfGE 54, 148 (153); Degenhart, JuS 1990, S. 161 (161 f.); ders., JuS 1992, S. 361; Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 Rn. 23, 25; Schmitt Glaeser, HStR, Bd. 6, § 129 Rn. 18 f. 248 Im Rahmen ihrer Notwehrkonzeptionen greifen auf das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zurück Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 167; Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 51 f.; Koch, B., ZStW 104 (1992), S. 785 (796 f.); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 57 ff.; Neumann, Modernes Strafrecht, S. 215 (225); ders., Vorverschulden, S. 166 f.; Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (57 f.). Vgl. auch OLG Düsseldorf, NStZ 1994, 343. 249 BVerfGE 54, 148 (153); Degenhart, JuS 1992, S. 361; Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 Rn. 23; Schmitt Glaeser, HStR, Bd. 6, § 129 Rn. 18 f., 21. 250 Dieser Gedanke findet sich deutlich in Art. 2 Abs. 2 des Herrenchiemseer Verfassungsentwurfs wieder: „Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Rechtsordnung und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet“, vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (N.F.) 1 (1951), S. 54. Ähnlich heißt es in Art. 2 Abs. 2 in der Fassung des Grundsatzausschusses: „Er [sc. der Mensch] darf tun und lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt oder die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens nicht beeinträchtigt“ und in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses: „Jedermann ist frei, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“, vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (N.F.) 1 (1951), S. 55 f. 251 BVerfGE 54, 148 (153); Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 Rn. 23; Schmitt Glaeser, HStR, Bd. 6, § 129 Rn. 18 f. 247

C. Grundgedanken der Notwehr

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folglich nicht nur das Recht, seine Persönlichkeit in aktiver Art und Weise zu entwickeln, solange er andere nicht schädigt. Er kann zugleich von jedem anderen Menschen verlangen, dass dieser ihn als Person anerkennt,252 den Bestand seiner Rechte respektiert und ihn „in Ruhe“ lässt.253, 254 Diesen letzten Aspekt missachtet der Angreifer: Indem er den Bestand der individuellen Rechtspositionen des Angegriffenen beeinträchtigt, missachtet der Angreifer dessen Rechtskreis und damit zugleich dessen Persönlichkeit. Denn die Fähigkeit des Einzelnen zur Selbstentfaltung wird nicht nur dann betroffen, wenn dessen Existenz unmittelbar aufgehoben werden soll, sondern auch in den Fällen, in denen die individuellen Rechtspositionen beeinträchtigt werden, die sowohl Ausdruck als auch (Daseins-)Bedingungen einer freien Entfaltung der Persönlichkeit sind.255 Diesen Angriff auf seine Persönlichkeit – vermittelt durch die Beeinträchtigung bestimmter individueller Rechtspositionen – darf der Einzelne mit den Mitteln der Notwehr zurückweisen, um so die Missachtung seines Rechtskreises wieder aufzuheben.256 Freilich braucht sich der Angegriffene dabei nicht auf eine bloße Schutzwehr zu beschränken; ebenso wenig ist er verpflichtet, dem Angriff auszuweichen, selbst wenn dadurch der Erhalt der konkret beeinträchtigten Rechtsposition sogar besser gewahrt werden könnte. Denn ein Nachgeben auf Seiten

___________ 252 Zur Anerkennung des Einzelnen als Person als Voraussetzung für eine freie Entfaltung der Persönlichkeit vgl. Honneth, Kampf um Anerkennung, S. 127 f.; Koppernock, Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, S. 23. 253 BVerfGE 27, 1 (6). In diesem Sinne auch Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 Rn. 24; v. Münch/Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 32. Vgl. auch Neumann, Vorverschulden, S. 166: Jedermann darf sich „darauf verlassen, daß es [sc. sein Recht] nicht durch einen rechtswidrigen Angriff gefährdet wird.“ 254 Mit Blick auf seine beiden Komponenten stellt sich das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit dabei nicht nur als klassisches Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates dar, sondern entfaltet (Dritt-)Wirkung auch auf die Beziehungen der Bürger untereinander. Vgl. Degenhart, JuS 1990, S. 161 (168); ders., Jus 1992, S. 361 (362); DreierDreier, Art. 2 Abs. 1 Rn. 85, 92; v. Münch/Kunig-Kunig, Art. 2 Rn. 40. 255 Degenhart, JuS 1992, S. 361 (366); Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 Rn. 69; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 58; Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 114. Vgl. auch Pawlik, M., ZStW 114 (2002), S. 259 (286 Fn. 130). 256 Von einer Missachtung des Persönlichkeitsrechts als „Reflex des verbotenen Eingriffs in das Individualrechtsgut“ sprechen in diesem Zusammenhang auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 71. Ähnlich Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 57 ff.; Neumann, Modernes Strafrecht, S. 215 (225); ders., Vorverschulden, S. 166, die allerdings betonen, dass das Persönlichkeitsrecht neben den individuellen Rechtspositionen angegriffen werde. Vgl. auch Löffler, ZStW 21 (1901), S. 537 (544): „Neben dieser indirekten Wirkung [sc. das Infragestellen des Angegriffenen als Rechtssubjekt] verschwindet geradezu die Bedeutung des durch den Angriff direkt bezielten Rechtsguts.“

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

des Angegriffenen würde die in diesem Angriff liegende Missachtung des Persönlichkeitsrechts nicht beenden.257 Die Anerkennung fremder Rechtskreise und die Achtung der Persönlichkeit von Mitmenschen kann indes nur von vollverantwortlich handelnden Personen erwartet werden.258 Derjenige hingegen, dessen Fähigkeit, anderen die wechselseitig geschuldete Achtung entgegenzubringen, eingeschränkt ist, kann das Persönlichkeitsrecht eines anderen nicht oder aber zumindest nicht in dem Maße missachten, wie es einem vollverantwortlich handelndem Angreifer, der dem Angegriffenen sozusagen auf gleicher Ebene begegnen würde, möglich wäre.259 Schuldunfähigen und schuldlos Handelnden fehlt das Bewusstsein, die gegenseitige Anerkennung zu negieren;260 ihr Angriff geht nicht über eine konkrete Gütergefährdung hinaus.261 Durch den lediglich objektiv-rechtswidrigen, subjektiv aber nicht vorwerfbaren Angriff wird kein „offene[r], brutale[r] Rechtshohn“ zum Ausdruck gebracht.262 Der Angegriffene braucht den Angriff zwar nicht widerstandslos hinzunehmen, eine Abwehr mit dem scharfen Schwert der Notwehr erscheint indes nicht geboten. Unter sozialethischen Gesichtspunkten ist deshalb die grundsätzlich gegebene rigorose Verteidigungsbefugnis desjenigen zu beschränken, der Opfer eines dem Angreifer subjektiv nicht vorwerfbaren Angriffs geworden ist.263, 264 ___________ 257

Ebenso Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (60 f.); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 57 ff.; Neumann, Vorverschulden, S. 166 f. 258 Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 78; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 64; Neumann, Vorverschulden, S. 167; Pawlik, M., GA 2003, S. 12 (15); ders., Jura 2002 S. 26. 259 Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 78; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 64. 260 Vgl. BayObLG, StV 1999, 147 für Angriffe Betrunkener. 261 Neumann, Vorverschulden, S. 167. 262 Vgl. Löffler, ZStW 21 (1900), S. 537 (544). 263 Im Ergebnis einhellige Ansicht. Die Vertreter einer dualistischen Notwehrlehre stellen in diesem Zusammenhang allerdings darauf ab, dass bei Angriffen schuldlos Handelnder ein nur eingeschränktes Bedürfnis nach Rechtsbewährung bestehe, vgl. Kühl, AT, § 7 Rn. 192 ff.; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 52; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 61 f. 264 Diese Fallgruppe der Notwehreinschränkung steht dem von Menschen ausgelösten Defensivnotstand nahe. Es bietet sich deshalb an, das Maß der Einschränkung der Verteidigungsbefugnisse an § 228 BGB zu orientieren: Dem Angegriffenen ist zunächst abzuverlangen, dem Angriff auszuweichen. Kann damit der Bestand seiner Rechtspositionen nicht im ausreichenden Maße geschützt werden, darf er von der bloßen Schutzwehr zur Trutzwehr übergehen. Dabei darf dem schuldunfähigen oder aber schuldlos handelnden Angreifer kein Schaden zugefügt werden, der außer Verhältnis zur Gefahr für die Rechtsgüter des Angegriffenen stünde. So auch SK-Günther, § 32 Rn. 119; Köhler, AT, S. 268; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 64; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 83. Im Ergebnis ebenso diejenigen Stimmen in der Litera-

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Eine Einschränkung der Verteidigungsbefugnisse des Angegriffenen kommt auf Grundlage des hier favorisierten Notwehrmodells ferner in Betracht, wenn es um die Abwehr von bloß unerheblichen Angriffen geht. Denn wird nur in einem ganz geringen Maße in den Rechtskreis des Betroffenen eingegriffen, wird dadurch die Möglichkeit der freien Entfaltung der Persönlichkeit lediglich unmaßgeblich beeinträchtigt. Dies gilt umso mehr, je geringer der Einfluss ist, den die konkret durch den Angriff betroffenen Individualrechtsgüter auf die Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten des Opfers haben.265 In einem solchen Fall kann letztlich nicht mehr von einer Missachtung der Persönlichkeit des Angegriffenen gesprochen werden; zwingende Folge ist auch in diesem Fall eine Beschränkung der Verteidigungsbefugnisse des Angegriffenen.266 Das Notwehrrecht ist schließlich auch dann einzuschränken, wenn der Angegriffene die Notwehrlage vorwerfbar herbeigeführt, sie also absichtlich oder wenigstens vorsätzlich provoziert hat. In derart gelagerten Fällen beeinträchtigt der Angriff gerade nicht das Recht des Betroffenen, in Ruhe gelassen zu werden. Vielmehr verwirklicht sich mit dem Angriff gerade der Plan – und damit die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts – des Provokateurs. Eine unerwünschte Verletzung seines Rechtskreises liegt somit nicht vor; von einer Verletzung der Privatautonomie kann nicht gesprochen werden.267 Es bleibt bei einer bloßen Beeinträchtigung der übrigen angegriffenen Rechtsgüter.268, 269 Von einer Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts kann freilich dann nicht gesprochen werden, wenn der Angegriffene die Notwehrlage lediglich in sonstiger Weise verschuldet hat. Existiert kein Gesamtplan, der den Angriff als willkommen erscheinen lässt, hat der „Provokateur“ also den Angriff gerade nicht vor___________ tur, die eine Notwehrlage bei schuldlosen Angriffen von vornherein verneinen und den Defensivnotstand direkt anwenden wollen, vgl. etwa Freund, AT, § 3 Rn. 98 f.; Hruschka, AT, S. 141 f.; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 18; Otto, AT, § 8 Rn. 20; Pawlik, M., GA 2003, S. 12 (18); ders., Jura 2002, S. 26 (28). 265 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 64. 266 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 64. 267 Kioupis, Notwehr und Einwilligung, S. 81; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 65; Wagner, Notwehrbegründung, S. 71. 268 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 65. 269 Anders als bei den Angriffen schuldlos Handelnder erscheint es in derartigen Konstellationen unbillig, dem Provokateur, der – ebenso wie der Angreifer – vorwerfbar an der Entstehung der Notwehrlage beteiligt war, zu gestatten, sich wie in einem Defensivnotstand zu verteidigen. Diese Situation, bei der beide Seiten gleichermaßen an der Herbeiführung der Rechtsgutsgefahren beteiligt sind, ähnelt eher der eines Aggressivnotstandes. Der Provokateur, der dem Angriff nicht mehr ausweichen kann, darf bei der Gefahrenabwehr die Rechtsgüter des Angreifers nur dann beeinträchtigen, wenn seine zu schützenden Individualinteressen die des Angreifers wesentlich überwiegen. So auch Eue, JZ 1990, S. 765 (766 ff.); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 65; Kühl AT, § 8 Rn. 143.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

hergesehen und wird von ihm genauso überrascht wie jedes andere Angriffsopfer, so kann er sich weiterhin auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts berufen. Anlass für eine Einschränkung der Verteidigungsbefugnisse besteht in diesem Fall nicht.270 Das hier vorgeschlagene Modell zwingt nicht dazu, die Notwehr als ein Recht auf eigenhändige Verteidigung anzusehen. Zwar stellt sich die konkrete Notwehrsituation ausschließlich als ein Konflikt zwischen Angreifer und Angegriffenem dar. Aus diesem Umstand zu folgern, dass der Angegriffene die Missachtung seiner Persönlichkeit nur dadurch rückgängig machen kann, dass er dem Angreifer selbst entgegentritt, wäre verfehlt. Die Notwehr dient allein dem Schutz des Angegriffenen. Sie bezweckt hingegen nicht, dem Angegriffenen Mittel zur Verfügung zu stellen, mit denen dieser seine Kraft und seinen Mut beweisen und erlaubterweise Exempel statuieren kann.271 Der Angegriffene hat keinen Anspruch darauf, die Konfliktsituation allein klären zu dürfen.272 Unter noch näher zu konkretisierenden Voraussetzungen hat der Angegriffene deshalb die Hilfe eines Dritten in Anspruch zu nehmen. Der Dritte ist zwar nicht selbst Opfer des Angriffs. Da sein Rechtskreis durch den Angreifer nicht missachtet wird, dient seine Verteidigungshandlung nicht dem Schutz eigener Interessen. Vielmehr unterstützt der Helfer den Angegriffenen bei dessen Verteidigung. Nothilfe ist danach Hilfe bei der Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs und folglich eine vom unmittelbar Angegriffenen abgeleitete Befugnis zur Verteidigung des Bestandes fremder Rechtspositionen.273 Gegen den hier vertretenen Ansatz könnte man nun vorbringen, auch bei einem von Menschen ausgelösten Defensivnotstand werde der Rechtraum des Opfers missachtet und dessen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dennoch wird für die rechtfertigende Wirkung der „kleinen Notwehr“ verlangt, dass der Schaden, der demjenigen zugefügt wird, von dem die Gefahr ausgeht, nicht außer Verhältnis zu der Gefahr für das zu schützende Gut steht.274 Zu unterscheiden sind dabei ___________ 270 So auch SK-Günther, § 32 Rn. 119; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 65; Wagner, Notwehrbegründung, S. 71 f. 271 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 161; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50. 272 Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 33 Fn. 60. Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 161, weist darauf hin, dass insbesondere die in der Persönlichkeitsrechtsverletzung liegende Achtungsminderung des Angegriffenen durch die Hilfe Dritter besser behoben werden könne als durch eine eigenhändige Verteidigung. 273 In diesem Sinne bereits die Ausführungen zur Erklärung der Not(wehr)hilfe auf Grundlage des wagnerschen Notwehrverständnisses unter C. I. 4. ab S. 132 in diesem Kapitel. 274 Damit steht der Defensivnotstand der Notwehr näher als dem Aggressivnotstand, vgl. Lackner/Kühl, § 34 Rn. 9; NK-Neumann, § 34 Rn. 86; Pawlik, M., GA 2003, S. 12; ders., Jura 2002, S. 26 (27). Umstritten ist allerdings, ob der Defensivnotstand einen un-

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jedoch drei Fallgruppen.275 Kann dem – beispielsweise schuldlos – Handelnden die Verursachung der Gefahr aus subjektiven Gründen nicht im vollen Umfang zugerechnet werden, wird man eine Missachtung der Persönlichkeit des Gefährdeten kaum bejahen können. Die Gründe, die hiergegen sprechen, decken sich mit den bereits oben dargestellten, die zu einer Beschränkung auch des Notwehrrechts in Fällen rechtswidrig-schuldloser Angriffe führen. Von einer Missachtung der Persönlichkeit des Gefährdeten wird man aber auch dann nicht sprechen können, wenn den Gefahrverursacher ein Rechtswidrigkeitsvorwurf nicht trifft, sein Verhalten aber dennoch ein bestimmtes Gefahrenpotential in sich birgt. Relevanz kann der obige Einwand deshalb nur in den sog. „notwehrähnlichen Lagen“ entfalten:276 Ist ein Angriff zum Zeitpunkt der Abwehr noch nicht oder nicht mehr gegenwärtig, kann von dem späteren Notstandsopfer dennoch eine Gefahr ausgehen, die das Persönlichkeitsrecht des Notstandstäters beeinträchtigt. Nur weil sich beispielsweise der „Haustyrann“, der seine Frau in regelmäßigen Abständen misshandelt, des Nachts zur Ruhe legt, endet damit noch nicht die Missachtung der Persönlichkeit seiner Frau, die in ständiger Angst vor ihm lebt und deren gesamte Lebensgestaltung durch ebendiese Angst beeinflusst wird.277 Trotz der in beiden Fällen vorliegenden Missachtung des Persönlichkeitsrechts können dem (Defensiv-)Notstandstäter Proportionalitätserwägungen abverlangt werden, während man den Notwehrtäter Verhältnismäßigkeitsüberlegungen erlässt. Denn in den Notstandssituationen, die durch eine „bloß“ gegenwärtige Gefahr gekennzeichnet sind, fehlt es an der akut zugespitzten Bedrohungssituation, die den gegenwärtigen Angriff ausmacht.278 Der größere zeitliche Handlungsspielraum, der dem gefährdeten Notstandstäter zur Verfügung steht, rechtfertigt es, ihm die Pflicht aufzuerlegen, seine Abwehrhandlung auf Verhältnismäßigkeit zu untersuchen.279 Die misshandelte Frau al___________ geschriebenen, eigenständigen Rechtfertigungsgrund darstellt (in diesem Sinne Jakobs, AT, 13. Abschn. Rn. 46 ff.; Lampe, NJW 1968, S. 88 [91]; NK-Neumann, § 34 Rn. 86) oder ob die Eingriffsvoraussetzungen und der Eingriffsumfang des § 34 StGB unter Berücksichtigung der Gedanken des § 228 BGB zu modifizieren ist (so die h.M.: LK11Hirsch, § 34 Rn. 72, 82; Kühl, AT, § 8 Rn. 57, 134; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 34 Rn. 1, 30; Roxin, AT 1, § 16 Rn. 75, 114). 275 Vgl. hierzu Pawlik, M., GA 2003, S. 12 (17 f.); ders., Jura 2002, S. 26 (27 ff.). 276 Dies gilt freilich dann nicht, wenn man die „notwehrähnliche Lagen“ nicht als Fallgruppe des von Menschen ausgelösten Defensivnotstandes versteht, sondern sie analog § 32 StGB behandeln will, so etwa Suppert, Studien zur Notwehr, S. 378 ff. 277 Zum „Haustyrannen“-Mord vgl. BGHSt 48, 255 mit Anmerkung Hillenkamp, JZ 2004, S. 48. Ähnlich gelagert ist auch der sog. „Spanner-Fall“, BGH, NJW 1979, 2053 mit Anmerkungen von Hirsch, JR 1980, S. 115; Hruschka, NJW 1980, S. 21; Schroeder, JuS 1980, S. 336. 278 Ebenso Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 59. 279 Dass an einen Handelnden in Abhängigkeit von der spezifischen Situation unterschiedliche Anforderungen gestellt werden, zeigt auch ein Blick auf das Arztrecht: Für

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

so, die keinen anderen Ausweg sieht, als ihren Peiniger im Schlaf zu erstechen, wird mangels Verhältnismäßigkeit ihrer Abwehrhandlung nicht gerechtfertigt sein; hätte sie den „Haustyrannen“ hingegen getötet, während sie von ihm misshandelt wird, käme grundsätzlich eine Rechtfertigung unter Notwehrgesichtspunkten in Betracht.

D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke Ein letzter Gesichtspunkt, der den weiteren Fortgang der Arbeit entscheidend mitbestimmt, soll im Rahmen der allgemeinen Vorüberlegungen untersucht werden: die Geltung des Analogieverbotes für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr. Der Wortlaut des § 32 StGB kennt weder einen ausdrücklichen Vorrang fremder Hilfe bei der Gefahrenabwehr noch einen Vorbehalt zugunsten hoheitlicher Gewalt. Will man eine Antwort auf die Frage finden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine eigenhändige Selbstverteidigung gegenüber fremder Hilfe subsidiär sein kann, bieten sich deshalb zwei unterschiedliche Arbeitsmethoden an. Entweder versucht man, eine Lösung für das Problem anhand der einzelnen Merkmale des Notwehrtatbestandes zu entwickeln. Oder man hält eine tatbestandliche Anknüpfung für entbehrlich und erarbeitet einen Lösungsvorschlag losgelöst von den in § 32 StGB normierten Voraussetzungen.280 Favorisiert man die letztgenannte Vorgehensweise, so stellt sich – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der aus dem möglichen Vorrang fremder Hilfe folgenden Beschränkung der Selbstverteidigungsbefugnisse des Angegriffenen – zunächst die Frage, ob eine den Wortlaut des § 32 StGB überschreitende Restriktion der Notwehr mit dem Gesetzlichkeitsprinzip zu vereinbaren ist.

___________ den Arzt etwa, der zur Lebenserhaltung seines akut gefährdeten Patienten nach einem Unfall am Straßenrand sofort einen Luftröhrenschnitt durchführt, gilt situationsabhängig ein anderer Sorgfaltspflichtmaßstab als für denjenigen Arzt, der im Krankenhaus in einer sterilen Umgebung und unter Rückgriff auf ausgebildetes Personal tätig wird. Zu den situationsabhängigen Sorgfaltspflichtmaßstäben im Arztrecht vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 18 ff., insbesondere Rn. 20b. Allgemein zu situationsabhängigen Anforderungen an die konkret erforderliche Sorgfalt etwa Jescheck/Weigend, AT, S. 581 f.; vgl. ferner die Darstellung des Meinungsstandes bei Duttge, Handlungsunwert, S. 68 ff. 280 Diesen Ansatz verfolgen diejenigen Stimmen im Schrifttum, die den Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr als eine ungeschriebene Begrenzung des Notwehrtatbestandes verstranden wissen wollen, so etwa Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kühl, AT, § 7 Rn. 121; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976).

D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke

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I. Norminhalt des Art. 103 Abs. 2 GG Art. 103 Abs. 2 GG – wortgleich: § 1 StGB – bestimmt, dass eine Tat nur dann bestraft werden kann, „wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“ Herkömmlicherweise unterscheidet man dabei vier Aspekte des Art. 103 Abs. 2 GG: das Rückwirkungsverbot, das Bestimmtheitsgebot, das Verbot von Gewohnheitsrecht sowie das Analogieverbot.281 Nicht jeder dieser Grundsätze ist jedoch für die Frage, ob die tatbestandliche Reichweite des § 32 StGB durch ein Prinzip der Subsidiarität privater Notwehr gegenüber fremder Hilfe eingeschränkt werden kann, von Bedeutung. Das Rückwirkungsverbot („bevor die Tat begangen wurde“) will sowohl die Anwendung einer gesetzlichen Bestimmung auf Taten vor ihrem Inkrafttreten unterbinden als auch verhindern, dass rückwirkend für eine nach dem Gesetz strafbare Handlung eine andere Strafart vorgesehen oder bei derselben Strafart der Strafrahmen verschärft wird.282 Bei der Untersuchung des Verhältnisses von privater Verteidigung und Angriffsabwehr durch fremde Hilfe geht es aber nicht darum, ob eine neu gefasste Notwehrvorschrift rückwirkend auf einen konkreten Sachverhalt angewendet werden soll. Vielmehr geht es um die Frage, ob losgelöst vom Wortlaut des § 32 StGB eine generelle Subsidiarität eigenhändiger Verteidigungsmaßnahmen statuiert werden kann. Insofern kann der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege praevia nachfolgend vernachlässigt werden. Das Bestimmtheitsgebot („gesetzlich bestimmt“) erlegt dem Gesetzgeber auf, das strafbare Verhalten ebenso wie die Folgen der Tat mit hinreichender Bestimmtheit zu regeln.283 Eine Übertretung des Satzes nullum crimen, nulla poena sine lege certa könnte daher nur festgestellt werden, wenn eine Norm oder ein einzelnes Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes zu vage wäre. Soll hingegen ein bestimmtes Prinzip – etwa der Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr – losgelöst von einer tatbestandlichen Anknüpfung dazu verwendet werden, den Anwendungsbereich einer Norm – wie hier die Reichweite des § 32 StGB – einzuschränken, so ist auch das Bestimmtheitsgebot nicht der Maßstab, an dem die vorgeschlagene Restriktion zu messen ist.

___________ 281 BVerfGE 25, 269 (285); Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 6; Hardtung, Versuch, S. 234; Jescheck/Weigend, AT, S. 134 ff.; Krey, Strafe, Rn. 1, 35 ff., 48 ff., 70 ff., 84 ff., 106 ff.; NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 58; Roxin, AT 1, § 5 Rn. 7; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 5; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Abs. 2 Rn. 194; Schmitt, FS Jescheck, 1. Halbbd., S. 223 (223 f.). 282 Roxin, AT 1, § 5 Rn. 10. 283 Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 17.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Aus dem Erfordernis der gesetzlichen Bestimmtheit der Strafbarkeit folgt das Verbot von Gewohnheitsrecht. Inhalt dieses Gesichtspunktes des Art. 103 Abs. 2 GG ist die Aussage, dass gewohnheitsrechtlich weder neue Straftatbestände geschaffen noch neue Strafschärfungen eingeführt werden dürfen.284 Insbesondere wenn man die Auffassungen berücksichtigt, nach denen im Allgemeinen Teil des StGB täterbelastendes Gewohnheitsrecht zulässig sei,285 scheint der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege scripta auf den ersten Blick der passende Anknüpfungspunkt für die Erörterung der Zulässigkeit einer Restriktion des § 32 StGB. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass für das Verbot von Gewohnheitsrecht zulasten des Täters neben dem Bestimmtheitsgebot und dem Analogieverbot kein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt. So kann eine gewohnheitsrechtliche Regelung entweder die Gestalt der Auslegung einer – möglicherweise nur vagen – bestehenden gesetzlichen Vorschrift annehmen, wobei dann die Verfassungsmäßigkeit des Gewohnheitsrechts am Bestimmtheitsgebot zu messen wäre.286 Oder sie stellt eine über die gesetzliche Vorschrift hinausgehende Rechtsfortbildung dar, so dass für die Beurteilung ihrer Verfassungsmäßigkeit das Analogieverbot maßgeblich wäre.287 Das Analogieverbot („gesetzlich bestimmt“), also das Verbot jeglicher strafbegründender oder strafschärfender Normanwendung im Sinne einer richterlichen Rechtsfortbildung,288 ist folglich der Aspekt des Art. 103 Abs. 2 GG, der im Zusammenhang mit der hier zu untersuchenden Frage näher betrachtet werden muss. Es stellt sich somit die Frage, ob eine Einschränkung des Notwehrtatbestandes durch die Behauptung eines Vorrangs fremder – mit Blick auf das staatliche Gewaltmonopol insbesondere staatlicher – Hilfe bei der Gefahrenabwehr mit dem Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege stricta in Einklang zu bringen ist. Dies wäre nicht der Fall, sofern erstens das Analogieverbot generell im Allgemeinen Teil des Strafrechts und insbesondere auch im Bereich der Rechtfertigungsgründe anwendbar ist und zweitens ein grundsätzlicher Vorrang fremder Hilfe nicht mehr „gesetzlich bestimmt“ ist. ___________ 284

Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 9. Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 15; Jescheck/Weigend, AT, S. 134; Maurach/Zipf, AT 1, § 8 Rn. 40 f.; BK-Rüping, Art. 103 Abs. 2 Rn. 53; Schmitt, FS Jescheck, 1. Halbbd., S. 223 (224); Wessels/Beulke, AT, Rn. 55. Dagegen LK11-Gribbohm, § 1 Rn. 71; Roxin, AT 1, § 5 Rn. 47; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 21. 286 Hardtung, Versuch, S. 234; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 18, 24; Maunz/Dürig-SchmidtAßmann, Art. 103 Abs. 2 Rn. 223; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 3 Rn. 25. 287 Hardtung, Versuch, S. 234; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 17; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Abs. 2 Rn. 222. 288 Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 27; ders., ZStW 101 (1989), S. 838 (842); Schick, FS Walter, S. 625 (639). 285

D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke

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II. Geltung des Analogieverbotes für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr 1. Generelle Anwendbarkeit des Analogieverbotes im Allgemeinen Teil des Strafrechts Zwar besteht Einigkeit darüber, dass vom Begriff der „Strafbarkeit“ in Art. 103 Abs. 2 GG nicht nur die in den gesetzlichen Tatbeständen formulierten Voraussetzungen der Bestrafung erfasst werden, sondern auch die Strafdrohungen.289 Über die Frage, ob neben den Straftatbeständen des Besonderen Teils auch die Normen des Allgemeinen Teils des Strafrechts an den Prinzipien des Gesetzlichkeitsprinzips und dabei insbesondere am Analogieverbot zu messen sind, besteht hingegen kein Konsens. Während die überwiegende Ansicht vertritt, dass das Analogieverbot auch im Allgemeinen Teil zu beachten sei,290 meinen einige Stimmen in der Literatur, dass es für diesen Bereich des Strafrechts überhaupt nicht291 oder allenfalls eingeschränkt292 gelte. Festzuhalten ist zunächst, dass der Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG keinerlei Anlass dafür bietet, die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Voraussetzungen der Strafbarkeit davon abhängig zu machen, ob diese Regelungen dem Allgemeinen oder aber dem Besonderen Teil entstammen.293 Art. 103 ___________ 289 BVerfGE 25, 269 (285 f.); 45, 363 (371); 87, 363 (391); BGHSt 18, 136 (139 f.); Sachs-Degenhart, Art. 103 Rn. 57; Engels, GA 1982, S. 109 (119); Tröndle/Fischer, § 1 Rn. 6; LK11-Gribbohm, § 1 Rn. 24; Hardtung, Versuch, S. 233; Krey, Strafe, Rn. 98; v. Münch/Kunig-Kunig, Art. 103 Rn. 27; Maurach, AT, S. 111; Jarras/Pieroth-Pieroth, Art. 103 Rn. 47a; Roxin, AT 1, § 5 Rn. 6, 40; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 3; BK-Rüping, Art. 103 Abs. 2, Rn. 66; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 Abs. 2 Rn. 231. Anders aber noch Welzel, Strafrecht, S. 20. 290 BGHSt 42, 158 (161); 42, 235 (241); Sachs-Degenhart, Art. 103 Rn. 58; Engels, GA 1982, S. 109 (119); Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 26 f.; Tröndle/Fischer, § 1 Rn. 2a; LK11-Gribbohm, § 1 Rn. 73; Hardtung, Versuch, S. 235 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S. 136; Maurach/Zipf, AT 1, § 10 Rn. 21; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 24; Maunz/DürigSchmidt-Aßmann, Art. 103 Abs. 2 Rn. 231; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 9 Rn. 27, 100. 291 RGSt 56, 161 (168); Hardwig, ZStW 78 (1966), S. 1 (8 f.); Jakobs, AT, 4. Abschn. Rn. 43; Stöckel, Gesetzesumgehung und Umgehungsgesetze, S. 98 f., 104 f.; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 56 f. Fn. 75, 298 f. Ebenso zum öStGB: Schick, FS Walter, S. 625 (639). Tendenziell auch Hruschka, JuS 1968, S. 554 (558 f.); Schmitt, FS Jescheck, 1. Halbbd., S. 223 (231 ff., 224 ff.). 292 BK-Rüping, Art. 103 Abs. 2, Rn. 50, 53, 68: keine Geltung des Analogieverbotes für gewohnheitsrechtlich verfestigte Institute. Amelung, Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 85 (94 f.); Maurach, AT, S. 111; Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 233 ff., 236; Roxin, AT 1, § 5 Rn. 42: keine Geltung des Analogieverbotes für Rechtfertigungsgründe. 293 Hardtung, Versuch, S. 235.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Abs. 2 GG verlangt, dass „die Strafbarkeit“ vor Begehung der Tat gesetzlich bestimmt war. „Strafbar“ ist nach allgemeinem Wortverständnis ein Verhalten, das gegen ein Gesetz verstößt und unter Strafe gestellt ist.294 Erfasst sind somit jedenfalls die in den Straftatbeständen des Besonderen Teils „vertypten negativen Verhaltensmuster“295. Doch auch eine Vielzahl von Regelungen des Allgemeinen Teils – etwa die Vorschriften über das Strafanwendungsrecht, über Mittäterschaft und Teilnahme sowie über die Strafbarkeit von Unterlassen und Versuch – ergänzen die in den Straftatbeständen des Besonderen Teils vertypten Verbote und Gebote und stellen insofern strafbarkeitsbegründendes materielles Strafrecht dar, betreffen also die Frage der Strafbarkeit einer Tat unmittelbar.296 Will man dennoch in diesem Bereich297 der „vor die Klammer gezogenen“ allgemeinen Regelungen täterbelastende Analogien zulassen, so wird der Anwendungsbereich des Analogieverbotes zu eng gefasst.298 Im Übrigen können auch den Gesetzgebungsmaterialien zu Art. 103 Abs. 2 GG keine Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass das Analogieverbot ausschließlich im Besonderen Teil des Strafrechts gelten soll.299 Der Grundgesetzgeber verfolgte mit der Aufnahme des Art. 103 Abs. 2 GG in die Verfassung das Ziel, den bewährten rechtsstaatlichen Grundsatz nullum crimen sine lege wieder zu Ehren kommen zu lassen, und knüpfte dabei in der Formulierung sowie im Gehalt an das traditionelle Verständnis des Gesetzlichkeitsprinzips in Art. 116 WRV an.300 Allerdings lässt sich dieser Absicht des Grundgesetzge___________ 294

Duden, Bd. 8, Stichwort „strafbar“ (S. 3762). Weitergehend etwa LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 35; Koch, B., ZStW 104 (1992), S. 785 (817 f.); Marxen, Sozialethische Grenzen, S. 28 f., die alle Voraussetzungen, die zur Ahndung einer konkreten Verhaltensweise notwendig sind, vom Begriff der Strafbarkeit erfasst wissen wollen. 295 Suppert, Studien zur Notwehr, S. 56 Fn. 75, S. 298. 296 Ausführlich Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 228 ff. Vgl. auch Schönke/SchröderEser, § 1 Rn. 26; Hirsch, GedS Tjong, S. 50 (56); Roxin, AT 1, § 5 Rn. 41. Vgl. auch Mir Puig, GA 2003, S. 863 (867), der ausführt, dass Sekundärnormen – wie die Regelungen zum Versuch, zur Teilnahme etc. – den eigentlichen Tatbestand nur vervollständigen. 297 Gleiches soll zumindest auch für die teleologische Reduktion von Entschuldigungs-, Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründen gelten, vgl. Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 27; Jescheck/Weigend, AT, S. 136; Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 232 f.; Maurach/Zipf, AT 1, § 10 Rn. 21; Roxin, AT 1, § 5 Rn. 41. Noch dahinstehen mag an dieser Stelle hingegen die Frage, ob das Analogieverbot auch eine teleologische Verkürzung von Erlaubnissätzen untersagt. Näher zu diesem Problem die Ausführungen unter D. II. 2. ab S. 160 in diesem Kapitel. 298 Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 228. 299 Hardtung, Versuch, S. 235; Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 231. 300 Vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR (N.F.) 1 (1951), S. 741, 743. Ferner Krey, Strafe, Rn. 97; NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 60; BK-Rüping, Art. 103 Abs. 2 Rn. 13.

D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke

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bers keine klare Position hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit des Analogieverbotes im Allgemeinen Teil entnehmen, denn auch der Anwendungsbereich jener Vorgängernorm des Art. 103 Abs. 2 GG war zur Zeit ihrer Geltung umstritten.301 Wenig überzeugen kann in diesem Zusammenhang das Argument, Feuerbach habe bei der Formulierung seines Satzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“302 allein die einzelnen Straftatbestände und die Strafdrohungen, nicht aber die allgemeinen Lehren im Blick gehabt.303 Denn die Vorstellungen Feuerbachs vom Gesetzlichkeitsprinzip mögen zwar durchaus Anhaltspunkte für die Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG liefern, können den heutigen Norminterpreten jedoch nicht binden,304 zumal sich Feuerbachs Ausführungen als in sich teilweise widersprüchlich darstellen.305 Angesichts der besonderen Bedeutung des Art. 103 Abs. 2 GG als eines der wesentlichen Prinzipien der Verfassung können ferner bloße Zweckmäßigkeitserwägungen306 oder ein Rückgriff auf kriminalpolitische Grundwertungen307 nicht zu einer Außerkraftsetzung des Gesetzlichkeitsprinzips führen.308 Mit Blick auf die ratio legis des Art. 103 Abs. 2 GG verneint Jakobs dennoch eine Geltung des Analogieverbots im Allgemeinen Teil des Strafrechts. ___________ 301

Näher dazu Krey, Zum innerdeutschen Strafanwendungsrecht, S. 91. Feuerbach, Lehrbuch, § 20 (S. 41). Zum bestimmenden Einfluss Feuerbachs auf die moderne Entwicklung des Gesetzlichkeitsprinzips vgl. etwa Hennings, Entstehungsgeschichte, S. 113 f.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 176 ff.; Schreiber, H., Gesetz und Richter, S. 102 ff. 303 So aber Hardwig, ZStW 78 (1966), S. 1 (8 Fn. 10); Hennings, Entstehungsgeschichte, S. 112 f.; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 298 Fn. 288. Vgl. auch Feuerbach, Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs, 2. Theil, S. 24 ff. 304 Dies gilt insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass der Parlamentarische Rat bei der Formulierung des Art. 103 Abs. 2 GG lediglich Art. 116 WRV im Blick hatte, nicht aber den Feuerbachschen Ansatz. Vgl. dazu NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 60; BK-Rüping, Art. 103 Abs. 2 Rn. 13. 305 Einerseits Feuerbach, Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs, 2. Theil, S. 25 – Anknüpfung des Analogieverbotes an bestimmte Straftatbestände –, aber andererseits auch Bindung des Richters an Vorgaben des Gesetzgebers im Bereich von Vorsatz und Schuld (2. Theil, S. 62), Strafzumessung beim Versuch (2. Theil, S. 111 f.) sowie Regelungen der Teilnahme (2. Theil, S. 140 ff.). Vgl. ferner Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 231. – Die Widersprüchlichkeit der Ausführungen Feuerbachs erkennt im Übrigen auch Suppert, Studien zur Notwehr, S. 298 Fn. 288, an. 306 So beispielsweise Hardwig, ZStW 78 (1966), S. 1 (8 f.), der bei einer Ausdehnung des Analogieverbotes auf den Allgemeinen Teil eine umfassende Revision der Rechtsprechung befürchtet, die wegen der Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Analogie und Auslegung eine große Rechtsunsicherheit zur Folge hätte. 307 So beispielsweise Schick, FS Walter, S. 625 (640 f.), allerdings mit Blick auf das öStGB. 308 Vgl. Kratzsch, GA 1971, S. 65 (67); Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 231 f.; ders., Zum innerdeutschen Strafanwendungsrecht, S. 88 f. 302

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Aufgabe des Gesetzlichkeitsprinzips sei es, das Vertrauen des rechtstreuen Bürgers in die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens zu schützen. Denn die Handlungsfreiheit könne nur dort im vollen Umfang Geltung entfalten, wo keine Gefahr bestehe, dass nachträglich und in nicht kalkulierbarer Weise belastende Folgen an das Verhalten geknüpft werden.309 Doch könne der Gedanke des Vertrauensschutzes das Gesetzlichkeitsprinzip aus zwei Gründen nicht allein tragen:310 Zum einen sei zwar das Vertrauen des Rechtstreuen schützenswert, nicht aber auch das Vertrauen des Rechtsuntreuen darauf, nur mit den zur Tatzeit gesetzlich angedrohten Sanktionen belegt zu werden. Zum anderen erfasse das Vertrauen eines potentiellen Täters nicht alle erforderlichen Bedingungen eines Rechtsstaates. Entscheidend sei vielmehr, dass Art. 103 Abs. 2 GG „Objektivität garantieren [soll]: Das strafbare Verhalten und das Strafmaß sollen nicht unter dem Eindruck geschehener, aber noch abzuurteilender Taten … bestimmt werden, sondern vorab und allgemein gültig, eben durch ein vor der Tat erlassenes, bestimmtes Gesetz.“311 – Insofern ist Jakobs noch zuzustimmen: Art. 103 Abs. 2 GG versucht nicht, entweder Vertrauensschutz oder Objektivität zu gewährleisten, sondern vereint diese beiden Gesichtspunkte.312 Dieses Ergebnis lässt sich auch durch zusätzliche Überlegungen stützen. Allein der Gedanke des Vertrauensschutzes vermag die Prinzipien des Art. 103 Abs. 2 GG nicht vollständig zu begründen. Das Gesetzlichkeitsprinzip schützt das Vertrauen des rechtstreuen Bürgers auf die Straflosigkeit seines Verhaltens.313 Ein umfassender Schutz vor jeglicher richterlicher – oder aber legislativer – Willkür soll aber gerade nicht erreicht werden; unterbunden werden soll vielmehr nur solche Willkür, die zu Ungunsten des Bürgers wirkt. Hingegen untersagt das Gesetzlichkeitsprinzip nicht, die Strafbarkeit nach der Tat – gegebenenfalls auch willkürlich – zu beseitigen.314 Im Aspekt des Vertrauensschutzes erschöpft sich die ___________ 309

Jakobs, AT, 4. Abschn. Rn. 6. Jakobs, AT, 4. Abschn. Rn. 7 f. 311 Jakobs, AT, 4. Abschn. Rn. 7 f., Hervorhebungen im Original. 312 BVerfGE 71, 108 (114); 87, 209 (224); 87, 399 (411); Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (274 ff.); LK11-Gribbohm, § 1 Rn. 1; Hardtung, Versuch, S. 237; Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 213 f.; ders., Strafe, Rn. 130 f.; Roxin, AT 1, § 5 Rn. 19; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 11; BK-Rüping, Art. 103 Abs. 2 Rn. 16 f. 313 So die h.M.: BVerfGE 25, 269 (284 ff.); 37, 201 (207); 71, 108 (114); 73, 206 (234 f.); 87, 209 (224); 87, 363 (391); 87, 399 (411); BGH, NJW 1977, 1695 (1696); Hardtung, Versuch, S. 236 f.; Jescheck/Weigend, AT, S. 128; Kratzsch, GA 1971, S. 65 (70); Roxin, AT 1, § 5 Rn. 19; BK-Rüping, Art. 103 Abs. 2 Rn. 16 f. – Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (275), weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Art. 103 Abs. 2 GG nicht die individuelle Vorhersehbarkeit der Strafverfolgung für den einzelnen Rechtsbrecher gewährleisten soll, wohl aber die abstrakt vorhandene Berechenbarkeit strafrechtlicher Sanktionen. Ebenso Schreiber, H., Gesetz und Richter, S. 215 f. 314 Hardtung, Versuch, S. 236 f.; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 2. Zur Analogie zugunsten des Täters vgl. ferner Roxin, AT 1, § 5 Rn. 44. 310

D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke

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Regelung des Art. 103 Abs. 2 GG jedoch nicht. Aus der systematischen Stellung dieser Regelung im neunten Abschnitt des Grundgesetzes und seiner Einbindung in den Kontext der Art. 102, 103 Abs. 1, 3 und 104 GG ergibt sich, dass auch jene Verfassungsnorm mit Grundrechtscharakter315 ebenso wie die letztgenannten den Schutz des Bürgers vor der Judikative verfolgt.316 Offensichtlich geht es Art. 103 Abs. 2 GG aber um mehr als den Schutz des Bürgers vor der richterlichen Willkür. Bezweckte diese Norm lediglich die Unterbindung von gerichtlichen Einzelfallentscheidungen zum Nachteil des Angeklagten, hätte es genügt, das Erfordernis einer gesetzlichen Bestimmung vor der gerichtlichen Entscheidung zu normieren; Art. 103 Abs. 2 GG geht aber darüber hinaus und verlangt eine gesetzliche Bestimmung vor Begehung der Tat.317 Auch wäre nicht verständlich, warum Art. 103 Abs. 2 GG ausdrücklich eine gesetzliche Bestimmtheit verlangt, wenn mit dieser Verfassungsnorm allein das Vertrauen des Bürgers geschützt werden sollte. So wäre als Alternative zur gesetzlichen Bestimmtheit denkbar, die Strafbarkeit – wie etwa im angloamerikanischen Rechtssystem – vor Begehung der Tat durch gerichtliche Entscheidungen hinreichend zu bestimmen.318 Verlangt aber der Verfassungsgeber in Art. 103 Abs. 2 GG ausdrücklich eine gesetzliche Bestimmtheit der Strafbarkeit, kann dahinter nur die Absicht stehen, sowohl die Judikative an die gesetzlichen Vorgaben als auch die Legislative an ihre eigenen Regelungen zu binden. Dem Verfassungsgeber ging es folglich „um Gesetzlichkeit und damit … um mehr Objektivität und weniger Willkür“.319 Nicht überzeugen kann es jedoch, wenn Jakobs an späterer Stelle den Gedanken der Objektivität erneut aufgreift und für den Allgemeinen Teil die Schlussfolgerung zieht, dass das Analogieverbot in diesem Bereich des Strafrechts nicht gelte, „da schon die Generalität dieser Materie ein Schutz vor Willkürentscheidungen“ sei.320 Der Allgemeine Teil müsse gesetzlich weniger genau bestimmt werden als der mehr auf den Einzelfall zugeschnittene Besondere Teil des Strafrechts. Dieser Bereich des Strafgesetzbuches sei gegen Manipulationen wegen eines Einzelfalles gefeit, weil er alle oder nahezu alle Delikte umfasse.321 ___________ 315

Vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, der auch Art. 103 GG ausdrücklich zu den grundrechtsähnlichen Verfassungsnormen zählt. So auch Amelung, Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 85 (97); Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 210. 316 BVerfGE 64, 389 (394); Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (277 f.); Hardtung, Versuch, S. 237; Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 210. 317 Hardtung, Versuch, S. 237. 318 Hardtung, Versuch, S. 237. 319 Hardtung, Versuch, S. 237. Ebenso die h.M.: Kratzsch, GA 1971, S. 65 (70); Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 214; Schreiber, H., Gesetz und Richter, S. 213 ff. 320 Jakobs, AT, 4. Abschn. Rn. 43. 321 Jakobs, AT, 4. Abschn. Rn. 13.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Daher sei es zulässig, die gesetzlichen Vorschriften des Allgemeinen Teils durch Ergänzungen zu präzisieren, solange diese „nicht den gesetzlichen Vorschriften widersprechen“; es könnten sogar „gesetzlich nicht einmal andeutungsweise fixierte Regelungen eingeführt werden, wenn sie nur mit den gesetzlichen Vorschriften harmonieren.“ Insoweit stellen für Jakobs die gesetzlichen Vorschriften des Allgemeinen Teils bloße „Fixpunkte eines ansonsten nach Inhalt und Umfang ohne gesetzliche Leitung zu bildenden Systems“ dar.322 Allerdings vernachlässigt Jakobs bei dieser Darstellung den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes vollständig. Eine angemessene Berücksichtigung dieses Gedankens muss – wie auch Jakobs anerkennt –323 hingegen dazu führen, dass die prinzipielle Geltung des Analogieverbotes auch im Allgemeinen Teil des Strafrechts anerkannt wird.324 Wenig plausibel ist ferner die Behauptung, allein durch die Generalität der Regelungsmaterie des Allgemeinen Teils könne ein Schutz vor Willkürentscheidungen erreicht werden. Denkbar ist auch in diesem Bereich des Strafrechts, dass sich ein Richter bei gegebenem Anlass von den gesetzlichen Vorgaben löst und eine willkürliche Entscheidung trifft. Belanglos ist dabei, ob sich diese Entscheidung auf einen ganz konkreten Einzelfall beschränken soll oder aber mit dem Ziel getroffen wurde, einen auf eine Vielzahl von Normen des Besonderen Teils übertragbaren, aber immer noch vom Gesetz gelösten Gedanken zu etablieren.325

2. Anwendbarkeit des Analogieverbotes auf den Rechtfertigungsgrund der Notwehr Als vorläufiges Zwischenergebnis kann somit festgestellt werden, dass Art. 103 Abs. 2 GG grundsätzlich auch im Allgemeinen Teil des Strafrechts gilt. Von dieser grundsätzlichen Anwendbarkeit des Analogieverbotes auf die Vorschriften des Allgemeinen Teils wollen indes einige Stimmen in der Literatur den Bereich der Rechtfertigungsgründe ausnehmen.326 Zuzustimmen ist dem zumindest für die den Bereich der Rechtfertigungsgründe ausdehnenden Analogie, also derjenigen zugunsten des Täters. Zwar wird vereinzelt vertreten, dass auch bei der täterbegünstigenden Erweiterung des Anwendungsbereichs von Erlaubnissätzen das Analogieverbot zu beachten sei. Denn die Erweiterung der ___________ 322

Jakobs, AT, 4. Abschn. Rn. 16, Hervorhebungen im Original. Jakobs, AT, 4. Abschn. Rn. 43 Fn. 73. 324 Zur weitergehenden Kritik vgl. Hardtung, Versuch, S. 237 f. 325 So auch Hardtung, Versuch, S. 237 Fn. 966. 326 Amelung, Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 85 (94 f.); Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 233 ff., 236; ders., JZ 1979, S. 702 (712); Roxin, AT 1, § 5 Rn. 42, § 15 Rn. 56; Stöckel, Gesetzesumgehung und Umgehungsgesetze, S. 98 f., 105. 323

D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke

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Rechtfertigung des Täters führe zugleich zu einer Einengung der Notwehrmöglichkeiten und damit zu einer Ausdehnung der Strafbarkeit eines Dritten, der ebendieses rechtmäßige Verhalten zu dulden habe.327 Allerdings verkennt diese Ansicht, dass die Auswirkungen auf den Dritten nur mittelbare sind. Nicht die Notwehrbefugnisse des Dritten werden beschränkt, sondern die Erweiterung eines vorgelagerten Rechtssatzes lässt den Rechtfertigungsgrund der Notwehr nicht zur Anwendung kommen. Dass derartige mittelbare Auswirkungen nicht gegen das Analogieverbot verstoßen können, zeigt auch die Überlegung, dass sie nicht nur die Folge einer analogen Ausdehnung des Anwendungsbereichs eines Erlaubnissatzes, sondern auch Konsequenz einer – unstreitig zulässigen – restriktiven Auslegung von Tatbeständen sind.328 Anderenfalls würde man darüber hinaus auch den Rückgriff auf übergesetzliche Rechtfertigungsgründe wie die allgemeine rechtfertigende Einwilligung oder die rechtfertigende Pflichtenkollision unmöglich machen.329 – Eine täterbegünstigende Analogie wird folglich im Bereich der Rechtfertigungsgründe nicht durch Art. 103 Abs. 2 GG untersagt.330 Problematischer ist hingegen die Beantwortung der Frage, ob Art. 103 Abs. 2 GG auch die strafbarkeitsbegründende Analogie verbietet, welche im Bereich der Rechtfertigungsgründe als ein Verbot der teleologischen Reduktion von Erlaubnissätzen ausgestaltet wäre.331 Gegen ein solches Verbot strafbarkeitsbegründender Analogie werden drei Hauptargumente angeführt: Zum einen seien Rechtfertigungsgründe nicht nur im Strafrecht, sondern auch im bürgerlichen und öffentlichen Recht verankert. Dementsprechend müsse auch der Anwendungsbereich aller Erlaubnissätze rechtsgebietsübergreifend sowohl das Strafrecht als auch das öffentliche und das Zivilrecht erfassen. Da man die Gewährleistungen des Art. 103 Abs. 2 GG aber nicht auf die gesamte Rechtsordnung erstrecken und insofern den Anwendern zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Normen eine teleologische Reduktion von Rechtfertigungsgründen nicht ___________ 327

Zu dieser Auswirkung vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 298; Lenckner, JuS 1968, S. 304 (309 f.); NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 60; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 20, 25; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 294 ff. 328 Hirsch, GedS Tjong, S. 50 (54). 329 Hirsch, GedS Tjong, S. 50 (55). 330 Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 24; Tröndle/Fischer, § 1 Rn. 10 f.; Hirsch, GedS Tjong, S. 50 (55, 57); LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 68; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 20, 25; Schroeder, JuS 1980, S. 336 (339); Stöckel, Gesetzesumgehung und Umgehungsgesetze, S. 98 f.; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 297. 331 Jedenfalls für die im StGB geregelten Rechtfertigungsgründe befürworten ein solches Verbot etwa Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (296 f.); Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 26 f.; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 35; NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 59; LK12Rönnau, Vor § 32 Rn. 62, 64; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 25a; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 3 Rn. 8.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

untersagt werden könne, sei es zur Wahrung der „Einheit der Rechtsordnung“ unerlässlich, auch im Gebiet des Strafrechts die Möglichkeit einer teleologischen Verkürzung von Erlaubnisnormen zu eröffnen.332 Zum anderen wird vorgebracht, dass Rechtfertigungsgründe wegen ihres weit reichenden Anwendungsbereichs auf verschiedenste Sachverhaltskonstellationen so konzipiert werden müssen, dass dem Rechtsanwender ausreichend Raum für einzelfallbezogene Angemessenheitsüberlegungen verbleibt. Ein unbeschränkter Geltungsanspruch des Art. 103 Abs. 2 GG auch im Bereich der Rechtfertigungsgründe würde jedoch derartige Möglichkeiten verbauen.333 Ähnlich argumentieren schließlich diejenigen, die kriminalpolitische „Kostenerwägungen“ gegen ein Analogieverbot bei den Erlaubnissätzen anführen: Da Strafbarkeitslücken auf Rechtfertigungsebene nicht nur punktueller Natur seien, sondern sich wegen der möglichen Verknüpfung mit einer Vielzahl von Straftatbeständen „auf breiter Front“ auswirken, bestehe ein dringendes Bedürfnis, für bestimmte Konstellationen die Möglichkeit der teleologischen Reduktion von Erlaubnissätzen zu bewahren.334

a) Wortlaut und Gesetzgebungsgeschichte des Art. 103 Abs. 2 GG Den Ausgangspunkt soll hier nochmals der Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG bilden. Dieser verlangt, dass die Strafbarkeit vor Begehung der Tat gesetzlich bestimmt war. Legt man ein rechtstheoretisches Wortverständnis zugrunde, scheint das Analogieverbot die Ebene der Rechtfertigungsgründe nicht zu erfassen, sondern nur die in den Straftatbeständen verbotenen Verhaltensweisen zu betreffen, ergänzt um die strafbarkeitsbegründenden Regelungen des Allgemeinen Teils.335 Diese Feststellung wird von den folgenden Erwägungen getragen: Allgemeine Voraussetzung jeder Strafbarkeit muss ein menschliches Verhalten sein. Dieses Verhalten muss falsch gewesen sein; die zu bestrafende Person muss sich rechtswidrig verhalten haben. Doch nicht jedes rechtswidrige ___________ 332 Amelung, Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 85 (95); Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 234; Roxin, AT 1, § 5 Rn. 42. 333 Roxin, ZStW 93 (1981), S. 68 (79 f.). Vgl. auch Krey, JZ 1979, S. 702 (712); Stöckel, Gesetzesumgehung und Umgehungsgesetze, S. 105. Ähnlich Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (290), der einen „Angemessenheitsvorbehalt“ zu den sachgerechten Bestandteilen aller Rechtfertigungsgründe zählt und deshalb einräumt, dass das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot auf Rechtfertigungsebene keine unbeschränkte Geltung beanspruchen könne. 334 Vgl. dazu die Überlegungen von Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (273 f.), die er aber im Ergebnis wieder verwirft (ders., ZStW 108 [1996], S. 266 [276 f.]). 335 Vgl. dazu die Ausführungen unter D. II. 1. ab S. 155 in diesem Kapitel.

D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke

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menschliche Verhalten ist hinreichende Bedingung für die Begründung einer Strafbarkeit. Nur ein solches Verhalten kommt als „strafbar“ in Betracht, das dem Handelnden auch persönlich vorwerfbar, also schuldhaft ist. Insofern ist die Rechtswidrigkeit ebenso wie die persönliche Vorwerfbarkeit der Straftatbestandmäßigkeit vorgelagert, von ihr also nicht abhängig. Deshalb bedarf es für die Bestrafung eines konkreten Verhaltens darüber hinaus schließlich noch einer weiteren, letzten Stufe, nämlich der abstrakten Beschreibung eben jenen Verhaltens in einem Straftatbestand.336 Erst diese Ebene bestimmt, welche der rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltensweisen letztlich als strafbar anzusehen sind. Denkbar wäre es deshalb, den Geltungsbereich von Art. 103 Abs. 2 GG allein auf diese letzte, besondere Stufe der „Strafbarkeitspyramide“ zu begrenzen. Zwingend ist ein derartiges Verständnis des Begriffs der Strafbarkeit freilich nicht. So wollen denn auch einige Stimmen in der Literatur abweichend von dieser rechtstheoretischen Herleitung ausdrücklich alle Voraussetzungen, die zur Ahndung einer konkreten Verhaltensweise notwendig sind, vom Begriff der Strafbarkeit erfasst wissen.337 Art. 103 Abs. 2 GG könnte bei diesem Ansatz also nicht nur die oberste Stufe der „Strafbarkeitspyramide“ umfassen, sondern wenigstens auch die deckungsgleich unter der obersten Ebene liegenden, allgemeineren Stufen auf dem Weg zur Begründung der Strafbarkeit.338 Gerade wenn man auf den strafrechtsdogmatischen Gebrauch der Begriffe „Strafbarkeit“ und „strafbar“ abstellt, erscheint diese Sichtweise nicht als fern liegend. Erfragt man beispielsweise die „Strafbarkeit der Beteiligten“ in einer strafrechtlichen Klausur, so erwartet man von dem bearbeitenden Studenten regelmäßig, dass er nicht nur die besonderen Strafbarkeitsvoraussetzungen des einschlägigen Tatbestandes prüft, sondern darüber hinaus auch die allgemeinen Voraussetzungen „der Strafbarkeit“, also die Rechtswidrigkeit sowie die persönliche Vorwerfbarkeit eines Verhaltens untersucht. Mag der herkömmliche dreistufige Deliktsaufbau auch nur eine pragmatische Konstruktion sein, die im Vergleich zu einer wenig ___________ 336

Zu einem rechtstheoretischen Deliktsaufbau siehe Hardtung, Recht zwischen Verfahren und materieller Wertung, S. 33 (46 ff.). Im Übrigen bietet § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB einen klaren gesetzlichen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber von einer „Strafbarkeitspyramide“ ausgeht, deren Basis das Unrecht bildet, auf welcher wiederum die Straftatbestandlichkeit ruht. Vgl. auch Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 37; Kohlrausch/Lange, Vorbem III. (S. 12 ff.); Kühl, AT, § 6 Rn. 2, 5. 337 Koch, B., ZStW 104 (1992), S. 785 (817 f.); LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 35; Marxen, Sozialethische Grenzen, S. 28 f. 338 Versteht man Tatbestand und Rechtswidrigkeit als zwei Teile eines einheitlichen Unrechtatbestandes – so die Vertreter der sog. Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen: Rinck, Zweistufiger Deliktsaufbau, S. 309 ff.; Schroth, FS Kaufmann, S. 595 (598 ff.); Schünemann, B., GA 1985, S. 341 (348 ff., 351); Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 7 Rn. 12 ff. –, stellt sich die Frage der Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG auf die Erlaubnissätze nicht.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

griffigen und komplizierten rechtstheoretischen Prüfung der Strafbarkeit als vorzugswürdig erscheint,339 so bestimmt sie doch das herkömmliche Verständnis des Begriffs der Strafbarkeit.340 Nur wenig Aufschluss bieten die Gesetzgebungsmaterialien für die Frage der Anwendbarkeit des Analogieverbotes auf Erlaubnisnormen. Zwar ist den Materialien nicht zu entnehmen, dass der Geltungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG nur auf die Straftatbestände des Besonderen Teils beschränkt werden soll.341 Allerdings erklären sie ebenso wenig, welches Verständnis der Verfassungsgeber dem Begriff der Strafbarkeit zugrunde gelegt hat und ob er mit Art. 103 Abs. 2 GG auch eine telelogische Reduktion des Anwendungsbereiches von Erlaubnissätzen unterbinden wollte.

b) Das Argument der „Einheit der Rechtsordnung“ Zwingen Wortlaut und Gesetzgebungsmaterialien nicht dazu, die Rechtfertigungsgründe vom Anwendungsbereich des Analogieverbotes auszunehmen, stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Form Art. 103 Abs. 2 GG die Anwendung von Erlaubnissätzen im Strafrecht beeinflusst. Die Beantwortung dieser Frage wird primär davon abhängen, welche Bedeutung man dem Grundsatz der „Einheit der Rechtsordnung“ mit Blick auf die Einheitlichkeit des Rechtswidrigkeitsurteils einräumt.

aa) Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils als Ausprägung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung Erwägen könnte man zunächst, allein im Bereich des Strafrechts eine teleologische Reduktion von Erlaubnissätzen zu untersagen. Konsequenz eines derartigen Vorgehens wäre, dass ein bestimmtes Verhalten nach einer teleologischen Verkürzung des Anwendungsbereichs eines Erlaubnissatzes auf dem Gebiet des bürgerlichen oder des öffentlichen Rechts als rechtswidrig behandelt werden könnte, während dasselbe Verhalten im Strafrecht wegen der Geltung des Ana___________ 339 Vgl. Kühl, AT, § 6 Rn. 5 f. Kritisch zum herkömmlichen dreistufigen Deliktsaufbau Hardtung, Recht zwischen Verfahren und materieller Wertung, S. 33 (46 ff.). 340 Vgl. nur Roxin, AT 1, § 7 Rn. 4: „jedes strafbare Verhalten [stellt] sich als eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige, schuldhafte … Handlung dar“; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 12 Rn. 3: „Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit des Verhaltens sind … Voraussetzungen für die Strafbarkeit.“ 341 Vgl. dazu bereits die Ausführungen unter D. II. 1. ab S. 156 in diesem Kapitel.

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logieverbotes als erlaubt und damit nicht als strafbar anzusehen wäre.342 – Eine derartige Spaltung des Rechtswidrigkeitsurteils könnte dem Grundsatz der „Einheit der Rechtsordnung“ widersprechen. Dem Prinzip der „Einheit der Rechtsordnung“ liegt die Vorstellung zugrunde, dass alle Normen einer Rechtsordnung nicht schon einzeln, sondern erst in ihrer Gesamtheit ein Regelungssystem bilden und einheitlich das gemeinsame Ziel verfolgen, das Zusammenleben in der Gesellschaft zu organisieren und zu ordnen.343 Das Zusammenleben in einer Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn der Staat verbindlich rechtliche Ge- und Verbote vorgibt, denen der Adressat entnehmen kann, was er tun darf oder nicht. Diese rechtlichen Ge- und Verbote müssen aber nicht nur in ihrem jeweiligen Regelungszusammenhang zu eindeutigen und verständlichen Verhaltensmaßregeln und Wertmaßstäben führen, sondern dürfen darüber hinaus weder sonstigen Anordnungen und Wertungen des jeweiligen Rechtsgebietes noch der gesamten Rechtsordnung widersprechen. Zwingend folgt daher aus der gemeinsamen Ordnungsfunktion, dass die einzelnen Normen, gleich welchem Rechtsgebiet sie zuzuordnen sind, einer einheitlichen Gesamtrechtsordnung nicht widersprechen dürfen.344 Das Gebot der Widerspruchsfreiheit untersagt zum einen echte Normwidersprüche345. Diese können in Form abstrakter Normwidersprüche auftreten, wenn zwei Gesetze an identische Tatbestände unvereinbare Rechtsfolgen knüpfen. Sie können aber auch konkreter Natur sein und entstehen in der Schnittmenge der Tatbestände zweier Normen mit einander ausschließenden Rechtsfolgen, die sich nur partiell überschneiden. Zum anderen soll das Gebot der Widerspruchsfreiheit Wertungswidersprüche346 verhindern, die dort bestehen, wo der „Gesetzgeber selbst … gleich Erachtetes … grundlos verschieden und das von ihm selbst für verschieden Erachtete [nicht] entsprechend dieser Verschiedenheit“ ___________ 342

Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (272). Engisch, Einführung, S. 77; ders., Einheit, S. 26 ff.; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 90; Hardtung, Vorteilsannahme, S. 76. 344 Breuer, DÖV 1987, S. 169 (177); Engisch, Einführung S. 209 ff.; ders., Einheit, S. 41 ff.; Grünhut, Frank Festgabe, Bd. 1, S. 1 (19); Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 95 f.; Hardtung, Vorteilsannahme, S. 76 f.; Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 5; Jarass, VVdStRL 50 (1991), S. 238 (260); Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 8; Ossenbühl, DVBl. 1990, S. 963 (967); Peine, Recht als System, S. 99 ff.; Schwabe, Notrechtsvorbehalte, S. 42. Kritisch Schröder, M., VVdStRL 50 (1991), S. 196 (205 f., 214 f.). 345 Allgemein dazu Engisch, Einführung, S. 211 ff.; ders., Einheit, S. 46 ff. Speziell zu Normwidersprüchen zwischen Verwaltungs- und Zivilrecht vgl. Jarass, VVdStRL 50 (1991), S. 238 (261 f.). – Zum Teil werden derartige Widersprüche auch als logische bezeichnet, vgl. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 207; Peine, Recht als System, S. 99 ff. 346 Allgemein dazu Engisch, Einführung, S. 214 ff.; ders., Einheit, S. 59 ff.; Jarass, VVdStRL 50 (1991), S. 238 (262 f.). 343

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behandelt.347 Zwei Normen, deren unterschiedliche Folgen zwar logisch miteinander vereinbar wären, sollen sich folglich weder in den ihnen zugrunde liegenden Wertungen widersprechen,348 noch soll die Befolgung der einen Norm dem Zweck der anderen zuwiderlaufen.349 Während sich Normwidersprüche aber bereits formal daraus ergeben, dass ein bestimmter Lebenssachverhalt zwei Tatbeständen mit unvereinbarer Rechtsfolge subsumiert wird, bedarf die Behauptung eines Wertungswiderspruches einer materialen Begründung. Diese muss zwingend zu dem Ergebnis führen, dass die verglichenen Sachverhalte gleich behandelt werden müssen, eine Ungleichbehandlung folglich willkürlich wäre.350 Anders als bei einem Widerspruch zweier gesetzlicher Regelungen, der entweder durch die Einschränkung der widersprechenden Rechtsfolgen oder aber dadurch, dass einer der Normen Vorrang eingeräumt wird, beseitigt werden muss,351 sollen Wertungswidersprüche nur nach Möglichkeit aufgelöst werden.352 Unklar ist, ob dem weit gefassten Prinzip der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung das Gebot der „Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils“ entnommen werden kann. Dies wird von einer Vielzahl von Stimmen in Literatur und Rechtsprechung bejaht:353 Da das Recht eine in sich geschlossene Einheit bilde,354 müsse die Rechtswidrigkeit den Widerspruch zur Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit ausdrücken. Gestatten die Normen eines Rechtsgebietes ein bestimmtes Verhalten, so dürfen Rechtssätze eines anderen dasselbe nicht verbieten. Umgekehrt könne das, was in einem Teilgebiet der Rechtsordnung ver___________ 347

Engisch, Einheit, S. 62 f. Zum Teil wird insoweit von einem axiologischen Widerspruch gesprochen, vgl. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 207 f.; Peine, Recht als System, S. 102 ff. 349 Zum Teil wird insoweit von einem teleologischen Widerspruch gesprochen, vgl. Noll, Gesetzgebungslehre, S. 208; Peine, Recht als System, S. 104 ff. 350 Hardtung, Vorteilsannahme, S. 79. 351 Bydlinski, Methodenlehre, S. 463 f.; Engisch, Einheit, S. 46 ff., 63; Jarass, VVdStRL 50 (1991), S. 238 (261). 352 Engisch, Einheit, S. 63; Jarass, VVdStRL 50 (1991), S. 238 (262); Noll, Gesetzgebungslehre, S. 208. Anders Peine, Recht als System, S. 105 f., der alle Widersprüche als logische einstuft. 353 OLG München (Z), NJW 1958, 633 (634); LG Tübingen (Z), NJW 1960, 1389 (1390); Buttel/Rotsch, JuS 1996, S. 713 (718); Engisch, Einheit, S. 55 ff.; MünchKommBGB-Grothe, § 228 Rn. 2; Ermann-Hefermehl, § 228 Rn. 1; Gössel, JuS 1979, S. 162 (165); Palandt-Heinrichs, § 228 Rn. 2; LK11-Hirsch, § 34 Rn. 16; Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 235 f.; Lange, JZ 1976, S. 546 (547); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 42b; Maurach/Zipf, AT 1, § 25 Rn. 12; Oetker, Notwehr und Notstand, S. 2, 7; Schaffstein, GedS Schröder, S. 97 (108 f.); Schwabe, Notrechtsvorbehalte, S. 42 ff. 354 Engisch, Einheit, S. 57 f.; Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 115; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 10. 348

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boten sei, in einem anderen nicht als rechtmäßig angesehen werden.355 Die Feststellung der Rechtswidrigkeit gelte daher „allgemein und schlechthin“.356 Auch liege die Rechtswidrigkeit – anders als das materielle „Unrecht“, von welchem der Formalbegriff der Rechtswidrigkeit getrennt werden müsse357 und welches in verschiedenen Graden vorliegen könne358 – entweder vollständig oder aber gar nicht vor.359 Möglich ist es hingegen, an ein einheitlich als rechtswidrig betrachtetes Verhalten in Abhängigkeit vom jeweiligen Rechtsgebiet unterschiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen,360 sei es zivilrechtlicher Schadensersatz, ein verwaltungsrechtliches Bußgeld oder aber eine Kriminalstrafe. Leitet man aus dem Grundsatz der „Einheit der Rechtsordnung“ die Notwendigkeit auch eines einheitlichen, für alle Rechtsgebiete gleichermaßen verbindlichen Rechtswidrigkeitsurteils ab, so gibt es für die Frage der Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG im Bereich der Erlaubnissätze zwei grundsätzliche Alternativen. Entweder man wendet das Analogieverbot rechtsgebietsübergreifend auf alle Rechtfertigungsgründe an oder man lässt die teleologische Reduktion von Erlaubnissätzen generell zu.

(1) Rechtsgebietsübergreifende Geltung des Analogieverbotes für alle Rechtfertigungsgründe Die Rechtfertigungsgründe stellen keine genuin strafrechtliche Materie dar. Die für das Strafrecht relevanten Erlaubnisnormen entstammen der gesamten Rechtsordnung, also dem Strafrecht ebenso wie dem öffentlichen und dem bürgerlichen Recht, ergänzt um gewohnheitsrechtlich anerkannte, ungeschriebene ___________ 355 Breuer, DÖV 1987, S. 169 (177); Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 115 f.; Hardtung, Vorteilsannahme, S. 80; Maurach/Zipf, AT 1, § 29 Rn. 15; Ostendorf, JZ 1981, S. 165 (175); Welzel, Strafrecht, S. 52. 356 LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 10. 357 Bockelmann/Volk, AT, § 12 (S. 57); LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 11; Jescheck/Weigend, AT, S. 233; Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 51; NKPuppe, Vor § 13 Rn. 14, 16; Roxin, AT 1, § 14 Rn. 3; Welzel, Strafrecht, S. 52. Anders Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (255 ff.). 358 Bockelmann/Volk, AT, § 12 S. 57; SK-Günther, Vor § 32 Rn. 16; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 11; Jescheck/Weigend, AT, S. 233; Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 51; Welzel, Strafrecht, S. 52. 359 LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 11; Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 51. Für eine quantitative Differenzierung bei der Bestimmung der Rechtswidrigkeit Baumann, MDR 1957, S. 646 (646 Fn. 3); Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (263). 360 Engisch, Einheit, S. 58; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 11.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Erlaubnissätze.361 Denkbar wäre es daher zunächst, die aus dem Analogieverbot folgenden Gewährleistungen auf die gesamte Rechtsordnung auszudehnen und eine teleologische Reduktion von Erlaubnissätzen in allen Rechtsgebieten zu untersagen. Eine derartige Bindungswirkung des Gesetzlichkeitsprinzips geht jedoch zu weit und lässt sich dem Art. 103 Abs. 2 GG nicht entnehmen.362 Diese Verfassungsnorm verbietet strafbarkeitsbegründende Analogien. Die Abweisung eines zivilrechtlichen Schadenersatzanspruchs mit der Begründung, die schädigende Handlung des Beklagten sei trotz Rechtsmissbrauchs erlaubt, weil Art. 103 Abs. 2 GG eine täterbelastende Reduktion des Anwendungsbereichs eines dem Wortlaut nach eingreifenden Rechtfertigungsgrundes verbiete, kann dem Kläger wohl kaum ernsthaft vermittelt werden. Im Übrigen dürfte es wohl auch dem Beklagten in diesem hypothetischen zivilrechtlichen Verfahren nicht gefallen, wenn er – auch bei einer Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG zu seinen Gunsten – als Täter betrachtet wird. Täter ist eben nur der Straftäter, nicht aber der Schadenersatzpflichtige oder der ordnungswidrig Handelnde.

(2) Geltung des Analogieverbotes ausschließlich für strafrechtliche Erlaubnissätze Kommt also eine rechtsgebietsübergreifende Wirkung des Analogieverbotes auf alle Rechtfertigungsgründe nicht in Betracht und verfolgt man das Ziel eines einheitlichen Rechtswidrigkeitsurteils konsequent, müsste die Einschränkung des Anwendungsbereiches eines bestimmten Erlaubnissatzes auch entgegen den Wortlaut in allen Rechtsgebieten möglich sein. Unter Anerkennung des Bedürfnisses eines einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriffes erwägen einige Stimmen in der Literatur aber dennoch, das Analogieverbot im Strafrecht auch auf den Bereich der Rechtfertigungsgründe zu erstrecken. Allerdings soll das Verbot teleologischer Reduktionen formal davon abhängig gemacht werden, ob Erlaubnissätze im Strafrecht oder außerhalb dieser Materie geregelt sind. Während das Analogieverbot für außerstrafrechtlich normierte oder lediglich gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtfertigungsgründe nicht gelten soll,363 sei eine täterbe___________ 361 Allgemeine Auffassung, vgl. nur BGHSt 11, 241 (244 f.); Engisch, Einheit, S. 55 ff.; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 10, 34; Jescheck/Weigend, AT, S. 327; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 27; Maurach/Zipf, AT 1, § 25 Rn. 11 ff.; Roxin, AT 1, § 14 Rn. 32. 362 Amelung, Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 85 (95); Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 234 f.; ders., JZ 1979, S. 702 (711). 363 LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 39; ders., GedS Tjong, S. 50 (63 ff.); Kratzsch, GA 1971, S. 65 (72 f.).

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lastende Verkürzung des Anwendungsbereichs strafgesetzlich geregelter Erlaubnisnormen unzulässig.364 Mit der Festschreibung einiger wichtiger Rechtfertigungsgründe im Strafgesetz habe der Gesetzgeber den Umfang der Rechtfertigung und damit den Umfang der Strafbarkeit strafgesetzlich bestimmt. Durch die Stellung im Strafgesetz begründe der Wortlaut der Rechtfertigungsgründe einen Vertrauenstatbestand mit dem Inhalt, dass bei Vorliegen der im Gesetz aufgezählten Voraussetzungen eines Erlaubnissatzes ein dementsprechendes Verhalten nicht mehr strafbar sei.365 Für den Täter und für die strafgesetzliche Rechtssicherheit sei es im Ergebnis irrelevant, ob ein Straftatbestand zulasten des Täters über seinen Wortlaut hinaus ausgedehnt oder ein strafrechtlich geregelter Rechtfertigungsgrund eingeschränkt werde.366 Auch wäre es widersprüchlich, zwar die strafgesetzlich geregelten Erlaubnissätze nicht dem Analogieverbot zu unterwerfen, wohl aber sonstige, nicht schon den Tatbestandsbereich betreffende Rechtssätze des Strafgesetzes wie etwa Entschuldigungs-, Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe.367 Dieser Differenzierung nach dem Ort der gesetzlichen Fixierung eines Rechtfertigungsgrundes wird jedoch entgegenhalten, es sei eher zufällig, ob und gegebenenfalls in welchem Rechtsgebiet ein Erlaubnissatz geregelt sei. Aus einem solchen Zufall sollte man jedoch keine juristischen Unterschiede ableiten.368 Die Tragfähigkeit dieses Arguments scheint jedoch zweifelhaft. Gerade aus der unterschiedlichen Gestaltung der verschiedenen Rechtfertigungsgründe ergibt sich doch, dass der Gesetzgeber bei der Normierung nicht willkürlich vorgegangen ist. Der Entscheidung, ob ein bestimmter Erlaubnissatz im bürgerlichen, im öffentlichen oder aber im Strafrecht verankert oder aber trotz seiner gewohnheitsrechtlichen Anerkennung nicht geregelt wird, werden regelmäßig langwierige und von einer Vielzahl von Sacherwägungen getragene Erörterungen vorausgehen. Gerade in den Fällen, in denen sich der Gesetzgeber entschieden hat, einen bestimmten Erlaubnissatz ins Strafrecht aufzunehmen, liegt es daher nahe, ___________ 364 Bockelmann/Volk, AT, § 4 (S. 17); Engels, GA 1982, S. 109 (119 f.); Engisch, FS Mezger, S. 127 (131); Frister, GA 1988, S. 291 (315); Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 1 (3 f.); LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 37; ders., GedS Tjong, S. 50 (60 ff.); Kratzsch, GA 1971, S. 65 (72); ders., JuS 1975, S. 435 (437 f.); Krause, GA 1979, S. 329 (330); SKRudolphi, § 1 Rn. 25a; Runte, Veränderung von Rechtfertigungsgründen, S. 283 ff., 288 f.; Würtenberger, FS Rittler, S. 125 (133). 365 Vgl. Kratzsch, GA 1971, S. 65 (72); Mir Puig, GA 2003, S. 863 (867 ff.). 366 LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 38. 367 LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 37. – Gerade eine solche unterschiedliche Behandlung von Erlaubnisnormen einerseits und Entschuldigungs-, Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründen andererseits befürworten aber ausdrücklich Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 236; Roxin, AT 1, § 5 Rn. 41. 368 Roxin, AT 1, § 5 Rn. 42 Fn. 71.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

an ihn dieselben strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen zu stellen wie bei den übrigen strafgesetzlichen Regelungen.369 Fraglich ist jedoch, ob das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung eine solche Unterscheidung von strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Normen verbietet. Das wird von Teilen des Schrifttums verneint. Es wird vorgeschlagen, das Spannungsverhältnis zwischen dem Analogieverbot einerseits und dem aus dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung folgenden Bedürfnis einer einheitlichen Entscheidung der Rechtswidrigkeitsfrage andererseits dergestalt zu lösen, dass ein bestimmtes Verhalten eines Täters außerhalb der strafrechtlichen Beurteilung aufgrund einer zulässigen teleologischen Reduktion auch des Anwendungsbereiches eines strafgesetzlich geregelten Rechtfertigungsgrundes rechtswidrig sein kann. Hinsichtlich der Strafbarkeit müsse man dieses rechtswidrige Verhalten wegen des Analogieverbotes jedoch so beurteilen, als ob es gerechtfertigt sei.370 Insofern beeinflusse der Satz nullum crimen sine lege nicht das Rechtswidrigkeitsurteil, sondern lediglich die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich verfolgt werden darf. Insbesondere beschränke diese Betrachtung nicht die Notwehrbefugnisse eines Dritten: Ein Verhalten, das man bei der Beurteilung der Strafbarkeit so zu betrachten habe, als ob es gerechtfertigt sei, könne immer noch einen rechtswidrigen Angriff im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB darstellen.371 Überzeugen kann der Vorschlag einer als ob-Betrachtung indes nicht, wirkt sie doch wie der Versuch, um den Preis einer nachvollziehbaren dogmatischen Herleitung einerseits außerhalb des Strafrechts die als unbillig empfundene Weite eines Rechtfertigungsgrundes einzuschränken, andererseits aber dem Analogieverbot im Strafrecht gerecht zu werden. Nimmt man den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung ernst und besteht auf einem einheitlichen Rechtswidrigkeitsurteil, kann vielmehr nur die Verneinung der Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG auf den Bereich der Erlaubnissätze überzeugend begründet werden.

bb) Spaltung des Rechtswidrigkeitsurteils Den obigen Ausführungen liegt indes die Annahme zugrunde, der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung mache es erforderlich, auch im Bereich der ___________ 369

LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 37. LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 37; ders., GedS Tjong, S. 51 (60 f.). Ähnlich auch Kratzsch, GA 1971, S. 65 (72 Fn. 45), der eine unterschiedliche Beurteilung der Notwehr in § 227 BGB und § 32 StGB für möglich hält. 371 Hirsch, GedS Tjong, S. 51 (61 Fn. 41). 370

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Rechtswidrigkeit zu einem rechtsgebietsübergreifenden, einheitlichen Urteil zu gelangen. Diese Hypothese scheint der Gesetzgeber in einigen Begründungen zu Gesetzgebungsvorhaben zu teilen. So wird in den Materialien zum „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 1631 BGB (Misshandlungsverbotsgesetz)“ explizit ausgeführt, dass bereits „aus allgemeinen systematischen Erwägungen … im Strafrecht kein Rechtfertigungsgrund für eine Handlung bestehen [soll], die im Zivilrecht ausdrücklich verboten ist.“372 Das folge aus der Einheit der Rechtsordnung, die der Entwurf des Misshandlungsverbotsgesetzes wahren will.373

(1) Anerkannte Ausnahmen von der „Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils“ Eine Verallgemeinerung der Ausführungen des Gesetzgebers zur Einheitlichkeit des Rechtswidrigkeitsurteils über den Wirkungsbereich des § 1631 BGB hinaus erscheint jedoch zweifelhaft. So weist Günther anhand einiger Beispiele nach, dass der Gesetzgeber die „Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils“ nicht in aller Absolutheit verfolgt.374 Er führt beispielsweise an, dass den Gesetzgebungsmaterialien zu einer Neufassung des OWiG Ende der 70er Jahre kein klares und eindeutiges Votum des Gesetzgebers zur Frage der Einheit des Rechtswidrigkeitsurteils zu entnehmen sei. Zwar deuten die Begründungen darauf hin, dass der Gesetzgeber ein einheitliches Rechtssystem anstrebt und deshalb eine Anpassung abweichender Vorschriften im Strafgesetzbuch und Ordnungswidrigkeitenrecht verfolgt. Allerdings sei zu „berücksichtigen …, daß wegen der Besonderheiten des Kriminalstrafrechts einerseits und des Ordnungswidrigkeitenrechts andererseits die vergleichbaren Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB nicht ohne weiteres auf die Allgemeinen Vorschriften des OWiG übertragen werden können oder sollten.“375 – Anzustreben ist nach diesen Bekundungen des Gesetzgbers folglich eine Harmonisierung unterschiedlicher Gesetze nur soweit, wie die Besonderheiten betroffener Rechtsgebiete keine differenzierende Lösung erfordern.376 ___________ 372

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 1631 BGB, BT-Drucks. 12/6343,

S. 15. 373 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 1631 BGB, BT-Drucks. 12/6343, S. 15. Näher Noak, JR 2002, S. 402 (403). Anders zu § 1631 BGB a.F. Günther, FS Lange, S. 877 (894 ff., 899 ff.); ders., Strafrechtswidrigkeit, S. 352 ff. 374 Vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 39 ff. Zu weiteren Beispielen aus dem Zivil- und öffentlichen Recht vgl. Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 10 ff. 375 Entwurf eines EGStGB, BT-Drucks. 7/550, S. 340 f. 376 Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 39. Ebenso MünchKommBGB-Grothe, § 227 Rn. 1.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Ein weiteres Indiz gegen die Behauptung, der Gesetzgeber gehe von der Einheitlichkeit des Rechtswidrigkeitsurteils aus, ist die vorsorgliche Aufnahme des dem § 32 StGB nachgebildeten § 15 OWiG in das Ordnungswidrigkeitenrecht. Ziel dieser Neufassung sei es festzulegen, dass ein Täter in den Fällen der Notwehr nicht nur nicht ordnungswidrig, sondern nicht rechtswidrig handle.377 Eine solche klarstellende Regelung der Notwehr im OWiG hätte sich jedoch dann erübrigt, wenn der Gesetzgeber eine Einheitlichkeit der Rechtswidrigkeitsbegriffe im Zivil-, Straf- und des Ordnungswidrigkeitenrechts zugrunde gelegt hätte. Denn die § 227 BGB und § 32 StGB hätten unter dieser Prämisse auch rechtfertigend gegenüber Ordnungswidrigkeiten wirken müssen.378 Noch deutlicher lässt sich dem § 35 Abs. 2 ME PolG379 und dem § 10 Abs. 4 AE PolG380 eine nach Rechtsgebieten differenzierende Rechtswidrigkeitsbeurteilung entnehmen. Ausdrücklich wird in der Begründung zu § 35 Abs. 2 ME PolG ausgeführt, dass „die Notwehrvorschriften des Strafrechts und des Zivilrechts … ein Verhalten nur strafrechtlich oder zivilrechtlich zu rechtfertigen [vermögen]; sie sind nicht Ermächtigungsgrundlage für ein hoheitliches Handeln.“381 Zwar könne daher das Verhalten eines Beamten trotz „Nichtbeachtung dieser [sc. polizeirechtlichen] Beschränkungen … straf- und zivilrechtlich gerechtfertigt sein; er muß jedoch damit rechnen, disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, soweit er in Ausübung des Dienstes gehandelt hat.“382 Noch deutlicher heißt es in der Begründung zu § 10 Abs. 4 AE PolG, dass die „Grenzen polizeilichen Handelns ausschließlich im Polizei-Gesetz geregelt sind.“383 Zwar scheide die persönliche Strafbarkeit oder die zivilrechtli___________ 377

Entwurf eines EGStGB, BT-Drucks. 7/550, S. 341, 344. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 39. 379 „Die zivil- und strafrechtlichen Wirkungen nach den Vorschriften über Notwehr und Notstand bleiben unberührt.“ Vgl. auch die an § 35 Abs. 2 ME PolG orientierten Umsetzungen in den Landesgesetzen: Art. 60 Abs. 2 BayPAG; § 60 Abs. 2 BbgPolG; §§ 10, 40 BremPolG; § 54 Abs. 2 HSOG; § 250 Abs. 2 LVwG Schl-H; § 71 Abs. 2 Nds. SOG; § 57 Abs. 2 POG Rh-Pf; § 54 Abs. 4 PolG B-W; § 57 Abs. 2 PolG NRW; § 34 Abs. 6 SächsPolG; § 25 Abs. 3 SOG HH; § 60 Abs. 2 SOG LSA; § 101 Abs. 2 SOG MV; § 8 Abs. 3 SPolG; § 58 Abs. 2 ThPAG; §§ 8 Abs. 3, 9 Abs. 4 S. 1 UZwG Bln. Ferner § 10 Abs. 3 UZwG. 380 „Die zivil- und strafrechtlichen Vorschriften über Notwehr, Nothilfe oder Notstand begründen keine polizeilichen Befugnisse.“ 381 Heise/Riegel, ME PolG, S. 22, vgl. auch Anm. 4 zu § 35 Abs. 2 ME PolG (S. 110 f.). Vgl. auch Hardtung, Vorteilsannahme, S. 82 Fn. 45; Kirchhof, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 67 (70, 77 ff.), ders., Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 28; Roos, Die Polizei 2002, S. 348 (349 f.); Schmidhäuser, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 53 (59 f.). 382 Heise/Riegel, ME PolG, S. 22, vgl. auch Anm. 4 zu § 35 Abs. 2 ME PolG (S. 111). 383 Arbeitskreis Polizeirecht, AE PolG, S. 52. 378

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che Haftung eines Polizeibeamten aus, sofern sein Verhalten durch die Bestimmungen über Notwehr oder Nothilfe gerechtfertigt ist. Für die Überschreitung der polizeirechtlichen Grenzen könne der Handelnde hingegen „disziplinarrechtlich oder im Zuge des Regresses in Anspruch genommen werden.“384 Insbesondere für die Fälle des polizeilichen Schusswaffeneinsatzes folgt daraus, dass ein Beamter, der mit einem Schuss zwar die polizeilichen Kompetenzen überschreitet, gleichzeitig aber die Grenzen des § 32 StGB einhält, einerseits polizeirechtlich rechtswidrig, aber andererseits strafrechtlich rechtmäßig handeln kann.385, 386 Eine Harmonisierung der Spaltung der Rechtswidrigkeitsurteile wurde zwar häufig versucht,387 bislang jedoch nicht erreicht. Eine weitere Ausnahme vom Prinzip der rechtsgebietsübergreifenden Einheitlichkeit des Rechtswidrigkeitsurteils bildet die Normengruppe des rechtfertigenden Notstands.388 Unter unterschiedlichen Voraussetzungen rechtfertigen § 34 StGB, § 16 OWiG und die §§ 228, 904 BGB Notstandstaten. Grundsätzlich ist zwar anerkannt, dass die beiden im BGB geregelten Erlaubnissätze nicht nur im Strafrecht Anwendung finden, sondern dem § 34 StGB als speziellere ___________ 384

Arbeitskreis Polizeirecht, AE PolG, S. 52. Diesem differenzierenden Ansatz zustimmend Beisel, JA 1998, S. 721 (722 f.); Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 366 ff.; SK-ders., Vor § 32 Rn. 70, § 32 Rn. 16 ff.; NK-Herzog, § 32 Rn. 84 f.; Joecks, § 32 Rn. 37; Kirchhof, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 67 (70, 77 ff.), ders., Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 28; Klose, ZStW 89 (1977), S. 61 (78 f.); Knemeyer, POR, Rn. 374; Kratzsch, NJW 1974, S. 1546 (1546 f.); Otto, AT, § 8 Rn. 57 f., 196; Rogall, JuS 1992, S. 551 (558 f.); Seebode, FS Klug, S. 359 (363 ff.); ders., StV 1991, S. 80 (84 f.). 386 Will man den Notrechtsvorbehalten in den Polizeigesetzen der Länder gerecht werden, erkennt man hingegen die Möglichkeit einer Spaltung des Rechtswidrigkeitsurteils nicht an, sind unterschiedliche Erklärungsansätze denkbar. Für eine Erweiterung der hoheitlichen Befugnisse durch die allgemeinen strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe etwa BayObLG, JR 1991, 248; OLG Saarbrücken, NStZ 1991, 386; Bockelmann/Volk, AT, § 15 (S. 95 f.); Buttel/Rotsch, JuS 1996, S. 713 (718 f.); Tröndle/Fischer, Vor § 32 Rn. 6; Kühl, AT, § 7 Rn. 153 f.; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 42b f., § 34 Rn. 7; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 112 f., § 16 Rn. 103 f.; LK11-Spendel, § 32 Rn. 275; Wessels/Beulke, AT, Rn. 288 f. Für eine Gestattung der Notwehr ausschließlich in Fällen der Selbstverteidigung Amelung, NJW 1977, S. 833 (839 f.); ders., NJW 1978, S. 623 (623 f.); ders., JuS 1986, S. 329 (332 f.); Roos, Die Polizei 2002, S. 348 (349); Schünemann, B., GA 1985, S. 341 (365 f.). Eine Berufung auf die Notwehr anlässlich der hoheitlichen Tätigkeit wollen dem Amtsträger gestatten Kinnen, MDR 1974, S. 631 (633 f.); Zuck, MDR 1988, S. 920 (922). Grundsätzlich gegen eine Geltung der Notwehr für Amtsträger aber Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 41 ff.; Klinkhardt, VerwArch. 55 (1964), S. 297 (348 ff.); Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (981 ff.); Renzikowski, Notstand, S. 297; Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (372); Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (49 ff.). 387 Vgl. dazu die Darstellung bei Seebode, FS Klug, S. 359 (363 ff.). 388 Vgl. Hardtung, Vorteilsannahme, S. 83. 385

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Regelungen vorgehen.389 Zum Teil wird jedoch vertreten, dass eine Tat strafrechtlich nicht immer dann zwingend als rechtmäßig zu bewerten ist, wenn die Voraussetzungen des § 228 oder § 904 BGB vorliegen. Da die zivilrechtlichen Notstandsregelungen aufgrund ihrer konkreteren Fassung mit Vergröberungen verbunden sind, die zwar im Zivil-, nicht aber im Strafrecht tragbar seien, müsse man korrigierend auf die in § 34 StGB zum Ausdruck kommenden allgemeinen Grundsätze zurückgreifen.390 – Quasi unter der Hand gibt man damit die Behauptung auf, dass der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und des Rechtswidrigkeitsurteils eine rechtsgebietsübergreifende Wirkung aller Rechtfertigungsgründe gebiete.391 Die Einheit des Rechtswidrigkeitsbegriffes wird jedoch nicht nur durch eine unterschiedliche Handhabung von Erlaubnissätzen durchbrochen. Auch der Wortlaut einiger Normen des Besonderen Teils des Strafrechts deutet auf eine unterschiedliche Beurteilung eines Verhaltens als rechtswidrig hin. Genannt seien zunächst die §§ 240 Abs. 2 und 253 Abs. 2 StGB, die ausdrücklich bestimmen, dass eine Tat nur dann rechtswidrig ist, wenn der Einsatz eines Nötigungsmittels zum angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Das bloße Nichteingreifen eines Erlaubnissatzes genügt folglich nicht für die Bejahung der Rechtswidrigkeit. Eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit – beispielsweise das Auffahren bis auf 15 Metern bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h unter zusätzlicher Abgabe von Licht- und Schallzeichen392 – kann also einen rechtswidrigen Verstoß gegen das Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht darstellen und dennoch zugleich nicht rechtswidrig im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB sein.393 – Die Rechtswidrigkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB „gilt … nur für die Prüfung, ob die Handlung i. S. des § 240 rechtmäßig (= nicht rechtswidrig) ist; über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten ist damit nichts gesagt.“394 Schließlich ist umstritten, ob dem § 113 ___________ 389 NK-Herzog, § 32 Rn. 85; LK11-Hirsch, § 34 Rn. 82; Jescheck/Weigend, AT, S. 359; Lackner/Kühl, § 34 Rn. 14; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 68 f.; Schönke/Schröder-ders./Perron, § 34 Rn. 6; NK-Neumann, § 34 Rn. 122 f. Anders Hellmann, Anwendbarkeit, S. 157 ff., 171: strafrechtlicher Vorrang des § 34 StGB. 390 Jescheck/Weigend, AT, S. 358; Lenckner, Notstand, S. 136, 153; Schönke/Schröder-ders./Perron, § 34 Rn. 6; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 100. Anders LK11Hirsch, § 34 Rn. 82. 391 Hardtung, Vorteilsannahme, S. 83. 392 OLG Düsseldorf, VRS 52 (1977), 192 (193 f.), bejaht hier zwar einen Verstoß gegen §§ 1, 4 StVO, verneint aber den Tatbestand der Nötigung. 393 Vgl. Berz, JuS 1969, S. 367 (368); Krey, BT 1, Rn. 366 ff.; Rengier, BT 2, § 23 Rn. 57 f. 394 LK9-Schäfer, § 240 Rn. 61. – Zu einer so formulierten Spaltung des Rechtswidrigkeitsurteils kommen freilich nur diejenigen, die § 240 Abs. 2 StGB als Element der

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Abs. 3 StGB ein eigenständiger Rechtmäßigkeitsbegriff zugrunde liegt. Das nimmt zumindest die in Literatur395 und Rechtsprechung396 herrschende Ansicht an. Nach dieser Ansicht soll der Widerstand gegen einen Vollstreckungsbeamten nur dann strafbar sein, wenn dessen Diensthandlung formal rechtmäßig war. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung soll dabei ein formaler strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff sein, der nach spezifisch strafrechtlichen Kriterien zu bestimmen ist. Die Gegenansicht orientiert sich hingegen vollständig an der sich aus dem Strafprozess-, Verwaltungs- und Vollstreckungsrecht ergebenden materiellen Rechtslage.397

(2) Möglichkeit eines eigenständigen Rechtswidrigkeitsurteils im Strafrecht Günther nutzt die dargestellten Ausnahmefälle als Grundlage für eine konzeptionelle Neuerung. Nicht nur formal führt er den Begriff der Strafrechtswidrigkeit ein, der nur eine Teilmenge der allgemeinen Rechtswidrigkeit bilden soll.398 Vielmehr dient diese terminologische Unterscheidung als Anknüpfungspunkt für die These, das Strafrecht kenne zwei Arten von Erlaubnissätzen: echte und unechte Strafunrechtsausschließungsgründe. Während die unechten Strafunrechtsausschließungsgründe der Tat die allgemeine Rechtswidrigkeit nähmen, den Täter folglich vollständig rechtfertigten, seien die echten Strafunrechtsausschließungsgründe lediglich in der Lage, der Tat die spezifische Strafrechtswid___________ Rechtswidrigkeit begreifen, so die h.M.: statt vieler BGHSt 39, 133 (137 f.); SKHorn/Wolters, § 240 Rn. 36; Krey, BT 1, Rn. 356 f.; Lackner/Kühl, § 240 Rn. 17; Küpper, BT 1, 1. Teil § 3 Rn. 58 ff.; Otto, BT, § 27 Rn. 28 ff.; Rengier, BT 2, § 23 Rn. 57 f.; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 423. Anders hingegen diejenigen Autoren, die § 240 Abs. 2 StGB als Ergänzung des Tatbestandes – so Schönke/Schröder-Eser, § 240 Rn. 16, 33; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 19 ff.; Lenckner, GedS Noll, S. 243 (245); Roxin, JR 1976, S. 71 (72); Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 13 Rn. 29 ff. – oder als gesamttatbewertendes Merkmal verstehen – so MünchKommStGB-Gropp/Sinn, § 240 Rn. 116 ff. 395 v. Bubnoff, § 113 Rn. 25 ff.; Dreher, GedS Schröder, S. 359 (364 f.); Schönke/Schröder-Eser, § 113 Rn. 23 ff.; Geppert, Jura 1989, S. 274 (276, 279); Küpper, BT 1, 2. Teil § 3 Rn. 45 ff.; Paeffgen, JZ 1978, S. 738 (742); Vitt, ZStW 106 (1994), S. 581 (592); Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 635 ff. Vgl. auch BT-Drucks. 6/502, S. 4 f. 396 BGHSt 4, 161 (164); 21, 334 (361 ff.); BayObLG, JR 1989, 24; KG, StV 2001, 260 (260 f.); OLG Dresden, NJW 2001, 3643. 397 Backes/Ransiek, JuS 1989, S. 624 (627 ff.); Krey, BT 1, Rn. 510 f.; Reinhart, StV 1995, S. 101 (105 ff.); Rengier, BT 2, § 53 Rn. 14, 20 ff.; Roxin, AT 1, § 17 Rn. 1 ff.; Schellhammer, NJW 1972, S. 319; LK11-Spendel, § 32 Rn. 64 ff.; Weber, C., JuS 1997, S. 1080 (1082). 398 Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 83 f., 89 ff. et passim. Ferner SK-Horn/Wolters, § 223 Rn. 13; Reichert-Hammer, JZ 1988, S. 617 (618 f.). Tendenziell auch SternbergLieben, D., Schranken der Einwilligung, S. 184 f., 198.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

rigkeit zu nehmen. Ein echter Strafunrechtsausschließungsgrund reduziere den Unrechtsgehalt der Tat so weit, dass der Täter nicht mehr mit den Sanktionen des Strafrechts belangt werden könne; im Übrigen bleibe die Tat aber eine rechtswidrige.399 Zwingend sind die Schlussfolgerungen Günthers freilich nicht. So wird der Lehre von der Strafrechtswidrigkeit vorgeworfen, durch die Einführung des Gesichtspunktes der Strafwürdigkeit auf Ebene des Unrechtsausschlusses400 bringe sie das Deliktsmerkmal der Rechtswidrigkeit um seine eigenständige, den Verstoß gegen die Gesamtrechtsordnung beschreibende Funktion.401 Ob dieses Argument angesichts der oben dargestellten Ausnahmen von einem einheitlichen Rechtswidrigkeitsurteil überzeugen kann, erscheint zweifelhaft. Richtig ist jedoch, dass das Aufwerfen der Frage der Strafwürdigkeit eines bestimmten Verhaltens die Grenzen zwischen der Rechtswidrigkeit einerseits und der Schuld sowie der persönlichen Strafausschließung andererseits verwischt.402 Mag man die Konsequenz, die Günther aus den anerkannten Ausnahmen vom einheitlichen Rechtswidrigkeitsbegriff gezogen hat, nicht für überzeugend halten, so lässt sich dennoch nicht von der Hand weisen, dass der von der herrschenden Auffassung vertretene Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und des Rechtswidrigkeitsurteils jedenfalls in der behaupteten Allgemeinheit nicht gilt. Fordert man dennoch unter Berufung auf den Grundsatz der „Einheit der Rechtsordnung“ ein einheitliches Rechtswidrigkeitsurteil,403 so wird verkannt, dass die „Einheit der Rechtsordnung“ lediglich Wertungswidersprüche verbietet, also eine rechtsgebietsübergreifende Einheitlichkeit der Wertungsmaximen fordert.404 Allerdings ergibt sich aus der Einheitlichkeit der Maximen nicht zwingend, dass in allen Rechtsgebieten stets derselbe Gegenstand oder derselbe Zusammenhang gewertet wird.405 Unter besonderer Berücksichtigung der §§ 35 Abs. 2 ME PolG und 32 StGB führt Kirchhof an, dass nicht einmal die „Verselbstständigung der Rechtswidrigkeitsfrage in einem Rechtfertigungsgrund … eine einheitliche rechtliche Beurteilung ein und desselben Verhaltens“ begründen kann.406 Ein und dasselbe Verhalten kann also strafrechtsmäßig und zugleich polizeirechtswidrig sein. Folglich verlangt „das Postulat der Einheit der ___________ 399

Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 257 ff., 395. Vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 259 f., 395. 401 Hirsch, GedS Tjong, S. 50 (60); Jescheck/Weigend, AT, S. 327 Fn. 18. 402 LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 10; ders., GedS Tjong, S. 50 (60). Kritisch auch Noak, JR 2002, S. 402 (403). 403 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 353 auf S. 166. 404 Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 5 f.; Pawlik, M., Rechtfertigender Notstand, S. 210. 405 Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 6; Pawlik, M., Rechtfertigender Notstand, S. 210. 406 Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 28. 400

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Rechtsordnung … nicht, sachgerechte Differenzierungen innerhalb einer komplexen Rechtsordnung auf der Rechtfertigungsebene wieder aufzuheben.“407 Insbesondere ist es wenig überzeugend, in den einzelnen Rechtsgebieten ausschließlich die Möglichkeit differenzierender Rechtsfolgelösungen zuzulassen.408 Erkennt man die unterschiedlichen Absichten und Ziele der einzelnen Rechtsgebiete an, kann man ihnen kaum den Einfluss auf die Grenzziehung zwischen Recht und Unrecht absprechen.409 Ist ein Verhalten in einem Rechtsgebiet erlaubt, so entfällt eben nicht nur die Möglichkeit, den Lebensvorgang mit einer Rechtsfolge zu ahnden. Vielmehr wird dieses Verhalten im entsprechenden Rechtsgebiet rechtlich überhaupt nicht missbilligt.410 – Diese Feststellungen sollen allerdings nicht dahingehend missverstanden werden, dass kein Rechtfertigungsgrund rechtsgebietsübergreifende Wirkung entfalten kann. Insbesondere ist jedes Verhalten, das im Zivil- oder im öffentlichen Recht als rechtmäßig angesehen wird, auch im strafrechtlichen Sinne erlaubt.411 Stattdessen ist es notwendig, für jeden Erlaubnissatz gesondert zu untersuchen, ob er auch rechtsgebietsübergreifend ein Verhalten rechtfertigen kann.412 Stellt man diese Frage für § 32 StGB, wird die Antwort lauten, dass diese Notwehrregelung zwar im Bereich des Strafrechts ein bestimmtes Verhalten rechtfertigen kann. Wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, erstreckt sich die rechtfertigende Wirkung allerdings nicht auf polizeirechtswidriges Verhal___________ 407 Pawlik, M., Rechtfertigender Notstand, S. 210. Grundlegend Kirchhof, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 67 (70); ders., Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 8 ff., 27, 37 f.; ders., NJW 1978, S. 969 (972). Ferner Beisel, JA 1998, S. 721 (723); Engels, GA 1982, S. 109 (120); Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 98 f.; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 98; Hellmann, Anwendbarkeit, S. 93; Klose, ZStW 89 (1977), S. 61 (78 f.); Kratzsch, NJW 1974, S. 1546 (1546 f.); ders., Grenzen der Strafbarkeit, S. 43 f., 46 f.; Marburger, Regeln der Technik, S. 430 f.; Ostendorf, JZ 1981, S. 165 (166); Paeffgen, JZ 1978, S. 738 (742); Schmidhäuser, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 53 (59 f.); Seebode, FS Klug, S. 359 (367 f.); Sydow, JuS 1978, S. 222 (224); Thiel, Konkurrenz, S. 71; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 296 f. Tendenziell auch Hardtung, Vorteilsannahme, S. 82 f.; Staudinger-Werner, § 227 Rn. 29. 408 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 360 auf S. 167. 409 Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 6 Fn. 11; Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 10 f.; Pawlik, M., Rechtfertigender Notstand, S. 210 f. Fn. 143; Roxin, AT 1, § 14 Rn. 36; Thiel, Konkurrenz, S. 72. 410 Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 6 Fn. 11. 411 Allgemeine Ansicht, vgl. nur LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 10, 34; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 27; Pawlik, M., Rechtfertigender Notstand, S. 211; Roxin, AT 1, § 14 Rn. 32. 412 Hardtung, Vorteilsannahme, S. 83. Ebenso Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem § 32 Rn. 27; Maurach/Zipf, AT 1, § 25 Rn. 12 (unter Beibehaltung eines einheitlichen Rechtswidrigkeitsurteils); Roxin, FS Oehler, S. 181 (195); Seebode, FS Klug, S. 359 (371 f.); ders., FS Krause, S. 375 (383 f.).

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

ten eines Beamten.413 Ebenso besteht kein Bedürfnis, die rechtfertigende Wirkung der strafrechtlichen Notwehrregelung auf das Ordnungswidrigkeitenrecht zu übertragen. Maßgeblich für diesen Bereich sind vielmehr die Voraussetzungen des § 15 OWiG,414 die gegebenenfalls mit Blick auf die Besonderheiten des Ordnungswidrigkeitenrechts auszulegen sind.415 Entsprechendes gilt für das Zivilrecht und die Regelung des § 227 BGB.416 Zwar wird in den Kommentaren zu § 227 BGB häufig darauf hingewiesen, dass der zivilrechtliche Notwehrbegriff inhaltlich mit dem des Strafrechts übereinstimme und die beiden Vorschriften einheitlich auszulegen seien.417 Dies hatte der BGB-Gesetzgeber mit der Aufnahme der an § 53 StGB a.F. orientierten zivilrechtlichen Notwehrregelung auch beabsichtigt.418 Deutlich werden die Unterschiede zwischen § 227 BGB und § 32 StGB aber dann, wenn man berücksichtigt, dass für die Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Notwehrregelung kein subjektives Rechtfertigungselement verlangt wird,419 während die ganz überwiegende Ansicht im Strafrecht einen Verteidigungswillen fordert.420 Fehlt ein derartiger Wille zur Verteidigung, kann also ein und dasselbe Verhalten einerseits mit den Mitteln des Strafrechts geahndet und andererseits im Zivilrecht als gerechtfertigt betrachtet werden. Ein weiterer Punkt für eine unterschiedliche Behandlung der §§ 227 BGB und 32 StGB ergibt sich daraus, dass die Einschränkung des zivilrechtlichen Notwehrtatbestandes mit einem Verweis auf das aus § 242 BGB folgende Verbot unzulässiger Rechtsausübung begründet wird.421 Mögen die sog. sozialethischen Notwehreinschränkungen auch von den aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Fallgruppen erfasst werden, unterfallen umgekehrt nicht alle gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung verstoßenden Verhaltensweisen422 den anerkannten Einschränkungen des § 32 StGB. Da sich nun aber das zivilrechtliche Verbot unzulässiger Rechtsausübung nicht auf das ___________ 413

Vgl. dazu die Ausführungen unter D. II. 2. b) bb) (1) ab S. 172 in diesem Kapitel Vgl. dazu die Ausführungen unter D. II. 2. b) bb) (1) ab S. 171 in diesem Kapitel. 415 Entwurf eines EGStGB, BT-Drucks. 7/550, S. 341. 416 Vgl. auch Engels, GA 1982, S. 109 (120); Kratzsch, GA 1971, S. 65 (72 Fn. 45). 417 Vgl. etwa Hk-BGB-Dörner, § 227 Rn. 2; Soergel-Fahse, § 227 Rn. 1; PalandtHeinrichs, § 227 Rn. 1; LK11-Spendel, § 32 Rn. 1. Tendenziell zustimmend Warda, Jura 1990, S. 393 (399 f.). A.A. Staudinger-Werner, § 227 Rn. 29. 418 Mugdan, Materialien BGB, Bd. 1, S. 544: „…schließt sich der Entw[urf] dem StGB sowohl hinsichtlich des Begriffes der Notwehr als darin an, daß eine durch Notwehr gebotene Handlung für nicht unerlaubt erklärt wird. … und es leuchtet ein, wie groß der Gewinn ist, welchen die völlige Übereinstimmung mit dem Strafrechte bietet.“ 419 Hellmann, Anwendbarkeit, S. 51 f., 56, 116. 420 Hellmann, Anwendbarkeit, S. 51 f., 116. 421 Hk-BGB-Dörner, § 227 Rn. 8; Palandt-Heinrichs, § 227 Rn. 8. 422 Zum Verbot unzulässiger Rechtsausübung aus § 242 BGB vgl. Palandt-Heinrichs, § 242 Rn. 38 ff. 414

D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke

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Strafrecht übertragen lässt,423 sind zumindest Konstellationen denkbar, in denen ein eigentlich nach § 32 StGB gerechtfertigtes Verhalten wegen einer weniger weit reichenden Wirkung des § 227 BGB im Zivilrecht nicht gerechtfertigt wäre. – Eine die Rechtsgebiete übergreifende rechtfertigende Wirkung kann dem § 32 StGB folglich nicht entnommen werden; das Gebot eines einheitlichen Rechtswidrigkeitsurteils gilt für die strafrechtliche Notwehrregelung nicht. Die Voraussetzungen des § 32 StGB sind mit Blick auf die strafrechtsspezifischen Besonderheiten auszulegen. Insbesondere stehen Eigenheiten des Zivil- oder des öffentlichen Rechts einer Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG auf § 32 StGB nicht mehr entgegen. Eine Reduktion des Anwendungsbereichs der strafrechtlichen Notwehrregelung über den Wortlaut dieser Norm hinaus ist mit Blick auf das Analogieverbot unzulässig.424 Dieses Ergebnis tragen auch die bereits oben angeführten Argumente,425 die gegen eine Verkürzung des Anwendungsbereichs strafgesetzlich geregelter Erlaubnissätze zulasten des Täters sprechen: Durch die Stellung des § 32 StGB im Strafgesetz begründet der Wortlaut dieses Rechtfertigungsgrundes einen Vertrauenstatbestand mit dem Inhalt, dass bei Vorliegen der im Notwehrparagraphen aufgezählten Voraussetzungen ein dementsprechendes Verhalten nicht mehr strafbar ist. Für den Täter und für die strafgesetzliche Rechtssicherheit ist es im Ergebnis irrelevant, ob ein Straftatbestand zulasten des Täters über seinen Wortlaut hinaus ausgedehnt oder ob der Anwendungsbereich der strafrechtlichen Notwehrregelung eingeschränkt wird. Auch ist es widersprüchlich, zwar die strafgesetzlich geregelten Erlaubnissätze und somit auch den § 32 StGB nicht dem Analogieverbot zu unterwerfen, wohl aber die sonstigen, nicht schon den Tatbestandsbereich betreffenden Rechtssätze des Strafgesetzes wie etwa Entschuldigungs-, Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe.

cc) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis kann somit festgehalten werden, dass das Argument der Einheit der Rechtsordnung nicht gegen eine Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG auf den in § 32 StGB geregelten Rechtfertigungsgrund der Notwehr ___________ 423

In diesem Sinne bereits OLG Kiel, HESt 2, 206, (207 f.). Ebenso OLG Kiel, HESt 2, 206 (207 f.); Erb, ZStW108 (196), S. 266 (272, 279); Sternberg-Lieben, D., Schranken der Einwilligung, S. 317 ff.; ders./Sternberg-Lieben, I., JuS 1999, S. 444 (446). – Günther selbst lässt die Frage offen, ob die analoge Einschränkung eines strafrechtlichen Unrechtsausschließungsgrundes zulässig ist, vgl. ders., Strafrechtswidrigkeit, S. 298 Fn. 30; deutlich gegen eine teleologische Reduktion aber SK-ders., Vor § 32 Rn. 82. 425 Vgl. dazu die Ausführungen unter D. II. 2. b) aa) (2) ab S. 168 in diesem Kapitel. 424

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

spricht. Ob sich dieses Ergebnis allerdings generell auch auf andere originär strafrechtliche Rechtfertigungsgründe übertragen lässt, ist hiermit jedoch nicht beantwortet und bedürfte einer weitergehenden Untersuchung, die aber nicht Gegenstand dieser Arbeit sein kann.

c) Das Erfordernis eines „Angemessenheitsvorbehalts“ Spricht folglich die Einheit der Rechtsordnung und des Rechtswidrigkeitsurteils nicht gegen ein Verbot der Reduktion des Notwehrtatbestandes, so könnten dennoch andere Erwägungen zu dem Ergebnis führen, die (strafrechtlichen) Rechtfertigungsgründe vom Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG auszunehmen. Für eine solche restriktive Handhabung des Analogieverbotes könnte sprechen, dass der Bereich der Rechtfertigungsgründe ebenso wie der Bereich der Entschuldigungsgründe bewusst sehr sporadisch geregelt ist und einer Ausfüllung durch Lehre und Rechtsprechung bedarf. Richterliche Rechtsfortbildung müsse schon aus diesem Grund im Bereich der Erlaubnissätze grundsätzlich zulässig sein.426 Wegen ihres weit reichenden Anwendungsbereichs auf verschiedenste Sachverhaltskonstellationen seien insbesondere Rechtfertigungsgründe darüber hinaus so zu konzipieren, dass dem Rechtsanwender ausreichend Raum für einzelfallbezogene Angemessenheitsüberlegungen verbleibe.427 Ein unbeschränkter Geltungsanspruch des Art. 103 Abs. 2 GG hingegen würde derartige Möglichkeiten verwehren.428 Zuzustimmen ist den obigen Einwänden dahingehend, dass es wegen der nur sporadischen Regelung von Erlaubnissätzen notwendig ist, die Möglichkeit zu bewahren, im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung zusätzliche Möglichkeiten der Rechtfertigung zu schaffen. Eine derartige Rechtsfortbildung ist jedoch eine zugunsten des Täters. Das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG ist insoweit von vornherein nicht einschlägig.429 Die Behauptung, Erlaubnissätze seien „naturgemäß“ so konzipiert, dass sie dem Rechtsanwender einen Spielraum für einzelfallbezogene Angemessenheitsüberlegungen auch zulasten des Täters überlassen, vermag hingegen einen Ausschluss des Analogieverbotes nicht zu begründen. Zwar mag es schwierig sein, Rechtfertigungsgründe angesichts ihres weit reichenden Einsatzgebietes hinrei___________ 426 Krey, JZ 1979, S. 702 (712); Stöckel, Gesetzesumgehung und Umgehungsgesetze, S. 104. 427 Roxin, ZStW 93 (1981), S. 68 (79 f.). 428 Roxin, ZStW 93 (1981), S. 68 (79 f.). Vgl. auch Krey, JZ 1979, S. 702 (712); Stöckel, Gesetzesumgehung und Umgehungsgesetze, S. 105. 429 Ebenso Hirsch, GedS Tjong, S. 50 (57).

D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke

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chend bestimmt zu formulieren.430 Allein diese Schwierigkeiten bei dem Versuch einer Regelung solch komplexer Lebenssachverhalte können jedoch keinen ausreichenden Grund dafür darstellen, sich über den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes hinwegzusetzen.431

d) Der Vorbehalt kriminalpolitischer „Kostenerwägungen“ In die gleiche Richtung wie diejenigen, die einen „Angemessenheitsvorbehalt“ bei den Erlaubnissätzen fordern, argumentieren diejenigen Stimmen in der Literatur, die gegen ein Verbot täterbelastender Analogien kriminalpolitische „Kostenerwägungen“ anführen. Regelmäßig erweise sich das Bedürfnis, die Rechtfertigung eines bestimmten Verhaltens auch entgegen dem Wortlaut eines einschlägigen Erlaubnissatzes zu versagen, als deutlich stärker als ein entsprechender Ruf nach einer strafbarkeitsbegründenden Analogie auf Ebene des Tatbestandes. Denn anders als die lediglich punktuellen Strafbarkeitslücken auf Tatbestandsebene entfalteten solche im Bereich der Rechtfertigung wegen der möglichen Verknüpfung mit einer Vielzahl von Straftatbeständen Wirkung „auf breiter Front“.432 Im Übrigen müsse auch die Qualität der Rechtsgutverletzungen, die bei einer Anwendung des Analogieverbotes ungeahndet blieben, berücksichtigt werden: Es sei kaum vorstellbar, dass die Lückenhaftigkeit von Straftatbeständen die straflose Herbeiführung schwerwiegender Rechtsgutsverletzungen ermögliche. Denn insbesondere im Bereich gewalttätiger Angriffe auf höchstpersönliche Rechtsgüter wie Leben, Leib oder persönliche Freiheit entfalte das Strafrecht nahezu umfassenden Schutz. Auch seien derartige Strafbarkeitslücken leichter hinnehmbar, da sie in der Regel vorübergehende Begleiterscheinungen von Fortschritten in Wissenschaft und Technik seien, die der Gesetzgeber nach ihrem Bekanntwerden zwar schließen müsse,433 die aber die hergebrachten Schutzbedürfnisse unberührt lassen. Anders hingegen gestalte sich das Bild bei zu weit gefassten Rechtfertigungsgründen; hier könne auch der ___________ 430 Aus diesem Grund will Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (273, 290, 292 f.), eine Lockerung der an den Gesetzgeber zu richtenden Bestimmtheitsanforderungen zulassen. 431 Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (273). Ähnlich Engels, GA 1982, S. 109 (120 f.); Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 14a; Hirsch, GedS Tjong, S. 50 (57). 432 Vgl. Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (273 f.), der seine Überlegungen im Ergebnis aber wieder verwirft (ders., ZStW 108 [1996], S. 266 [276 f.]). 433 Auf Fortschritte in Wissenschaft und Technik hat der Gesetzgeber beispielsweise 1900 mit dem Erlass eines Gesetzes betreffend die Bestrafung der Entziehung elektrischer Energie (Straftatbestand heute geregelt in § 248c StGB, vgl. dazu NK-Kindhäuser, § 248c Rn. 1) und 1986 mit einem Gesetz zur Bekämpfung der Computerkriminalität (Straftatbestand heute geregelt in § 263a StGB, vgl. dazu NK-Kindhäuser, § 263a Rn. 1) reagiert.

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2. Kap.: Grundsätzliche Überlegungen

Kernbereich des Strafrechts betroffen werden. Die Untätigkeit des Strafrechts unter Berufung auf das Analogieverbot in derartigen Fällen berge die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Bereitschaft der Bevölkerung zur Rechtsbefolgung, ziehe also die Möglichkeit der Förderung von „Faustrecht und Selbstjustiz“ nach sich.434 Daher bestehe ein dringendes Bedürfnis, für bestimmte Konstellationen die Möglichkeit der teleologischen Reduktion von Erlaubnissätzen zu bewahren. Der Versuch, mit dieser These zu begründen, warum die Erlaubnissätze nicht dem Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG unterfallen sollen, gelingt indes nicht. Denn die Aufgabe des Gesetzlichkeitsprinzips ist es, zum einen das Vertrauen des rechtstreuen Bürgers in die Vorhersehbarkeit der Strafverfolgung zu schützen und zum anderen Objektivität bei der strafrechtlichen Entscheidungsfindung zu gewährleisten.435 Dient also das Analogieverbot dem Schutz des Vertrauens rechtstreuer Bürger dahingehend, dass ihr Verhalten nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen mit strafrechtlichen Sanktionen geahndet werden darf, so ist das Bedürfnis nach einem Verbot täterbelastender Analogien auf der Ebene der Rechtfertigungsgründe wenigstens ebenso stark ausgeprägt wie auf der Tatbestandsebene.436 Durch ein vollständig dem Analogieverbot unterworfenes Strafrecht kann der Gesetzgeber dem Normadressaten einen Orientierungsmaßstab zur Verfügung stellen, der deutlich sicherer ist als ein für täterbelastende Analogieschlüsse offenes Rechtsgebiet.437 Auch wenn auf diese Weise ein nicht rechtstreu handelnder – also mit Blick auf die Vertrauensschutzkomponente nicht schützenswerter – Bürger ebenfalls besser gestellt werden mag, überwiegt doch das Bedürfnis eines Schutzes der Rechtstreuen. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass der Staat auch um den Preis eines kriminalpolitisch bedenklichen Einzelfalls eine willkürfreie Strafverfolgung demonstrieren kann.438

___________ 434

Vgl. Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (274). Näher dazu die Ausführungen unter D. II. 1. ab S. 157 in diesem Kapitel. 436 Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (276), führt aus, die positive gesetzliche Aussage, dass ein bestimmtes Verhalten ausnahmsweise als erlaubt gilt, sei sogar viel stärker geeignet, Vertrauen in die Straflosigkeit zu erzeugen, als es eine Regelungslücke auf der Ebene des Straftatbestandes könnte. 437 Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (276). 438 Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (276, 277 f.); Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 1 (14); ders., FS Kaufmann, S. 433 (436 f.); Neumann, ZStW 103 (1991), S. 331 (348 f.); Schreiber, H., Gesetz und Richter, S. 213 ff. 435

D. Analogieverbot und Subsidiaritätsgedanke

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III. Ergebnis Als Ergebnis lässt sich insoweit festhalten, dass eine Einschränkung des Notwehrrechts im Wege strafbegründender Analogie unzulässig ist.439 Für den weiteren Fortgang der Arbeit bedeutet dieses Ergebnis, dass anhand der Tatbestandsmerkmale des § 32 StGB erklärt werden muss, unter welchen Voraussetzung der Angegriffene auf eigene Abwehrmaßnahmen verzichten und fremde Hilfe in Anspruch nehmen muss. Dies soll in den folgenden beiden Kapiteln zunächst mit Blick auf private und anschließend mit Blick auf staatliche Helfer geschehen.

___________ 439 Ebenso Kratzsch, JuS 1975, S. 435 (437); Krause, GA 1979, S. 329 (330); Retzko, Angriffsverursachung, S. 66; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 62, 64; Maunz/DürigSchmidt-Aßmann, Art. 103 Abs. 2 Rn. 231; Seebode, FS Klug, S. 359 (367); ders., FS Krause, S. 375 (381 f.).

3. Kapitel

Das Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und Angriffsabwehr durch private Hilfe Im 2. Kapitel wurde festgestellt, dass § 32 StGB kein Recht auf eine eigenhändige Verteidigung normiert. Der Angegriffene, der insbesondere mit Blick auf den Grundsatz der größtmöglichen Schonung des Angreifers nicht nur Nutznießer der Vorteile sein kann, die ihm die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Hilfe Dritter bietet, bildet unter bestimmten Voraussetzungen zusammen mit den in Betracht kommenden Helfern eine Verteidigungsgemeinschaft. Unter welchen Voraussetzungen eine solche Verteidigungsgemeinschaft entsteht, wenn ein potentieller privater Helfer in der Konfliktsituation zugegen ist, und welche Folgen das für die konkrete Abwehr des Angriffs hat, soll im ersten Abschnitt1 dieses Kapitels näher betrachtet werden. Da die Pflicht zur Inanspruchnahme fremder Hilfe zwangsläufig mit einem Verbot der Ausübung eigener Verteidigungsmaßnahmen verbunden ist und für den Angegriffenen zu einer Versagung der rechtfertigenden Wirkung der Notwehr führt, muss die Antwort auf die obige Frage mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG anhand der Merkmale des Notwehrtatbestandes entwickelt werden. In einem zweiten Abschnitt2 soll sodann geprüft werden, ob der Angegriffene gegebenenfalls dazu verpflichtet sein kann, eine Verteidigungsgemeinschaft mit privaten Helfern herzustellen, indem er abwesende Dritte zur Abwehr des Angriffs herbeiholt. Abschließend3 ist der Frage nachzugehen, ob es einen Unterschied macht, ob dem Angegriffenen ein „normaler“ oder ein „professioneller“ Helfer zur Seite steht.

A. Angriffsabwehr durch anwesende Privatpersonen Betrachtet man den Notwehrtatbestand, so wird deutlich, dass die Anwesenheit potentieller Helfer keinen Einfluss auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen

___________ 1

Dazu sogleich unter A. Unter B. ab S. 221 in diesem Kapitel. 3 Unter C. ab S. 227 in diesem Kapitel. 2

A. Angriffsabwehr durch anwesende Privatpersonen

185

einer Notwehrlage haben kann.4 Zwar mag die Anwesenheit hilfsbereiter Dritter das subjektive Empfinden des Angegriffen mit Blick auf den bevorstehenden Angriff verbessern, weil er sich nicht allein dem Angreifer entgegenstellen muss. Am objektiven Vorliegen einer vom Angreifer verursachten gegenwärtigen Gefahr für die Rechtsgüter des Angegriffenen ändert sich hingegen nichts. Will man bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der Angegriffene die Fähigkeiten eines Dritten bei der Organisation der Abwehr des gegen ihn gerichteten Angriffs zu berücksichtigen hat, muss man sich folglich primär an den Merkmalen der Erforderlichkeit und Gebotenheit orientieren. Das wurde bereits eingangs des zweiten Kapitels unterstellt, als ausgeführt wurde, dass unter bestimmten Voraussetzungen das Verteidigungspotential des Angegriffenen und seines Helfers addiert wird und die Summe der vorhandenen Verteidigungsmöglichkeiten maßgeblich dafür ist, welche Abwehrmaßnahme der Verteidigungsgemeinschaft im konkreten Fall erforderlich und geboten ist. Noch nicht geklärt ist mit dieser Aussage indes, unter welchen Voraussetzungen eine solche Verteidigungsgemeinschaft entsteht und in welchem Verhältnis der Angegriffene und sein Nothelfer zueinander stehen. Für die Klärung dieser Fragen soll im Folgenden zunächst das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit herangezogen werden; sekundär ist zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche Besonderheiten sich unter dem Gesichtspunkt der sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts ergeben. Schließlich soll untersucht werden, ob möglicherweise der Verteidigungswille des Angegriffenen zu verneinen ist, wenn dieser sich trotz anwesender Helfer selbst verteidigt.

I. Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung als Anknüpfungspunkt 1. Zur Bestimmung des konkreten Umfangs der Verteidigungsbefugnis der Verteidigungsgemeinschaft Der Legaldefinition des § 32 Abs. 2 StGB gemäß ist Notwehr diejenige Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff abzuwenden. „Erforderlich“ ist eine bestimmte Handlungsweise nach allgemeinem Sprachverständnis immer dann, wenn sie für einen bestimmten Zweck unbedingt notwendig, also unerlässlich ist.5 Unerlässlich für die Abwen___________ 4

Etwas anderes wird – allerdings wenig überzeugend – von einigen wenigen Stimmen im Schrifttum hingegen vertreten, wenn staatliche Helfer in einer notwehrtypischen Konfliktsituation zugegen sind. Für eine Verneinung des rechtswidrigen Angriffs in derartigen Fällen etwa Haas, Notwehr, S. 260, 301. 5 Duden, Bd. 3, Stichwort „erforderlich“ (S. 1073). In diesem Sinne auch § 3 Abs. 1 S. 1 öStGB: „Nicht rechtswidrig handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen … Angriff … abzuwehren.“

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

dung eines Angriffs kann aber nur eine solche Verteidigungsmaßnahme sein, die überhaupt geeignet ist, den Abwehrerfolg herbeizuführen.6 Für die Annahme der Eignung ist es zwar nicht zwingend erforderlich, dass die entsprechende Maßnahme den Angriff sofort und endgültig unterbindet; vielmehr genügt auch jede Abschwächung der Wirkung sowie die Erschwerung oder Verzögerung der Durchführung des Angriffs.7 Eine untaugliche, für die Angriffsabwehr völlig ungeeignete Maßnahme kann hingegen nicht die Not abwenden, kann folglich schon begrifflich nicht als erforderlich betrachtet werden.8 Im Übrigen würde jede ungeeignete Maßnahme eine Belastung des Angreifers darstellen, die mit Blick auf die Angriffsabwehr keinerlei Nutzen besäße. Derartige unnötige Opfer darf die Rechtsordnung jedoch niemandem abverlangen, auch nicht einem die Rechtsgüter Dritter missachtenden Angreifer.9 Somit ist die Eignung einer Verteidigungsmaßnahme sowohl begrifflich als auch materiell betrachtet unabdingbare Voraussetzung des Merkmals der Erforderlichkeit.10 Die Eignungsproblematik stellt sich jedoch nicht nur hinsichtlich des Mindestmaßes einer Abwehrmaßnahme, sondern auch bei der Bestimmung der Obergrenze der noch als ___________ 6

Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 34; Heinrich, AT I, Rn. 353 f.; Kühl, AT, § 7 Rn. 87, 94 ff.; Lauth, Antizipierte Notwehr, S. 84 f.; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 167; Seesko, Notwehr gegen Erpressung, S. 81; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 77; Warda, Jura 1990, S. 344; ders., GA 1996, S. 405. 7 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn 139 ff.; Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 16c; SK-Günther, § 32 Rn. 91; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 34; Kühl, AT, § 7 Rn. 94 ff.; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 35; Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (389); Warda, Jura 1990, S. 344 (347); ders., GA 1996, S. 405 (406 ff.); Wessels/Beulke, AT, Rn. 335. Zu eng hingegen BGH, NJW 2003, 1955 (1957) – Urteilsgründe insoweit nicht in BGHSt 48, 207 abgedruckt –, wenn bei der Erörterung der Eignung einer Notwehrhandlung allein danach gefragt wird, ob der Angriff noch endgültig abzuwenden war. 8 Erb, Rettungsfolter im modernen Rechtsstaat?, S. 149 (155); Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 34; Kühl, AT, § 7 Rn. 97; Lauth, Antizipierte Notwehr, S. 85; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 168; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, 299 (307); Warda, Jura 1990 S. 344 (344 f.). 9 Kühl, AT, § 7 Rn. 97; Warda, Jura 1990 S. 344 (345). Anders, aber wenig überzeugend, Joecks, FS Grünwald, S. 251 (264 f.): Der Angreifer müsse dann die Folgen auch ungeeigneter Verteidigungsmaßnahmen tragen, wenn „irgendein Rechtsgut, das mit dem durch den Angreifer verwirklichten Tatbestand angegriffen wird, erfolgreich verteidigt wird.“ 10 So die ganz überwiegende Ansicht; vgl. nur RGSt 55, 167; Beulke, Jura 1988, S. 641 (642); Frister, AT, 16. Kap. Rn. 21; SK-Günther, § 32 Rn. 91; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 30; LPK-StGB-Kindhäuser, § 32 Rn. 29; Krause, FS Bruns, S. 71 (80); Lauth, Antizipierte Notwehr, S. 84 f.; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 34 f.; Wagner, Notwehrbegründung, S. 54 f.; Warda, Jura 1990, S. 344 (344 f.); ders., GA 1996, S. 405. Anders Alwart, JuS 1996, S. 953 (956), der auch den „von vornherein völlig aussichtslosen Kampf gegen den Angreifer“ als eine Form des von § 32 StGB erfassten Widerstandes genügen lässt; ihm zustimmend NK-Herzog, § 32 Rn. 64.

A. Angriffsabwehr durch anwesende Privatpersonen

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erforderlich anzusehenden Verteidigung. Denn der Grundsatz der größtmöglichen Schonung des Angreifers gebietet, dass dem Angreifer keine unnötigen Schäden zugefügt werden.11 Folglich setzt die Erforderlichkeit einer Abwehrmaßnahme ferner voraus, dass dem Verteidiger keine gleich geeigneten, milderen Mittel zur Verfügung standen.12 Für den Angegriffenen, der keine fremde Hilfe in Anspruch nehmen kann, bedeutet dies, dass er dem Angriff so entgegentreten darf, wie es einer effektiven Wahrnehmung seiner Verteidigungsinteressen entspricht. Er darf grundsätzlich dasjenige für ihn erreichbare „Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beendigung der Gefahr erwarten läßt.“13 Wenn auch das Prinzip der effektiven Verteidigung Vorrang genießt,14 so hat der Angegriffene bei der Abwehr jedoch die Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Angreifers möglichst gering zu halten.15 Schließlich bleibt auch der Angreifer, der sich durch einen Angriff ins Unrecht setzt, Rechtssubjekt. Dessen subjektive Rechte begrenzen über das Merkmal der Erforderlichkeit die Verteidigungsbefugnisse des Angegriffenen.16 Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Verteidiger verpflichtet ist, sich zum Zwecke der Schonung des Angreifers auf unsichere Verteidigungsmittel einzulassen. Der Notwehrübende ist lediglich gehalten, unter den ihm zur Verfügung stehenden Verteidigungsmitteln gleicher Wirksamkeit dasjenige auszuwählen, das den Angreifer im größten Maße schont.17 Diese Grundsätze gelten freilich nicht nur für denjenigen, der dem Angreifer allein gegenübersteht, sondern auch für die Verteidigungsgemeinschaft aus Angegriffenem und einem – oder mehreren – hilfsbereiten Dritten. Ihr zulässiger Verteidigungsspielraum wird in der konkreten Kampflage durch diejenige Per___________ 11 OLG Frankfurt am Main, VRS 40 (1971), 424 (425); Frister, AT, 16. Kap. Rn. 23; Seesko, Notwehr gegen Erpressung, S. 81. 12 Warda, Jura 1990, S. 393 (396). 13 BGH, StV 2005, 85 (87). Vgl. auch BGHSt 25, 229 (230); BGH, NJW 1991, 503 (504); 2003, 1955 (1957) – Urteilsgründe insoweit nicht in BGHSt 48, 207 abgedruckt –; NStZ-RR 1999, 40 (41); OLG Stuttgart, NJW 1992, 850 (851). 14 Ganz herrschende Ansicht, vgl. nur MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 143; ders., Rettungsfolter im modernen Rechtsstaat?, S. 149 (157 f.); Frister, AT, 16. Kap. Rn. 23; Heinrich, AT I, Rn. 358; Jescheck/Weigend, AT, S. 343 f.; LPK-StGB-Kindhäuser, § 32 Rn. 31; Perron, Rechtfertigung und Entschuldigung, Bd. 3, S. 79 (86); Kretschmer, Jura 2002, S. 114 (115). Kritisch aber Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (310 ff.). 15 Alwart, JuS 1996, S. 953 (954); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 143; Kretschmer, Jura 2002, S. 114 (115); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 175. 16 Alwart, JuS 1996, S. 953 (954). 17 BGH, NJW 1991, 503 (504); 2003, 1955 (1957) – Urteilsgründe insoweit nicht in BGHSt 48, 207 abgedruckt –; Alwart, JuS 1996, S. 953 (954); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 143; Jescheck/Weigend, AT, S. 343; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 36a.

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son bestimmt, der das relativ mildeste unter den geeigneten Abwehrmitteln zur Verfügung steht.18 Konkret bedeutet dies für die drei in Betracht kommenden Fallkonstellationen: Die Hilfe eines Dritten kann bei der Bestimmung der erforderlichen Verteidigungshandlung der Gemeinschaft grundsätzlich19 dann vernachlässigt werden, wenn sie im Vergleich zu den Möglichkeiten des Angegriffenen die weniger wirksame Form der Angriffsabwehr darstellt. Stehen dem hilfsbereiten Dritten nur Abwehrmöglichkeiten und -mittel zur Verfügung, die den Angriff nicht ebenso sicher und endgültig abwenden können wie Maßnahmen des Angegriffenen selbst, können diese bei der Festlegung des zulässigen Verteidigungsspielraumes unberücksichtigt bleiben. Stattdessen bestimmt sich die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung der Gemeinschaft allein nach den Möglichkeiten des Angegriffenen. So dürfte beispielsweise der trainierte Boxer einen Angreifer mit einem gezielten Faustschlag niederstrecken, wenn ein hilfsbereiter Dritter lediglich dazu in der Lage wäre, den Angreifer mit kraftlosen Schlägen wenige Augenblicke lang aufzuhalten, bevor dieser sich erneut dem ursprünglich anvisierten Opfer zuwenden kann. Stehen dem Angegriffenen umgekehrt lediglich weniger effektive Verteidigungsmittel zur Verfügung als dem Helfer, bestimmt sich der zulässige Verteidigungsspielraum nach den Abwehrmöglichkeiten und -mitteln des Helfers. Um eine möglichst wirksame Verteidigung zu gewährleisten, darf der Angegriffene die ihm angebotene Hilfe ohne Einschränkungen in Anspruch nehmen. Er muss die fremde Hilfe sogar in Anspruch nehmen, wenn die weniger effektive eigenhändige Abwehr des Angriffs mit einer schwerwiegenderen Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Angreifers verbunden ist. Wird beispielsweise ein schmächtiger Jugendlicher vor einer Disko mit Schlägen bedroht und könnte er sich selbst nicht anders als mit einem Messerstich aus der gefährlichen Lage befreien, so dürfte er dennoch nicht auf den Aggressor einstechen, wenn der herbeieilende Freund, der in seiner Freizeit verschiedene Kampfkünste trainiert, den Angreifer mit einem gezielten Handkantenschlag unschädlich machen könnte. Kann die Verteidigungsgemeinschaft den Angriff schließlich mit unterschiedlichen Mitteln gleicher Eignung abwenden, so ist für die Bestimmung der erforderlichen Abwehrmaßnahme entscheidend, in welchem Maße die Rechts___________ 18

MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 165; Kasiske, Jura 2004, S. 832 (836); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 42; Seier, NJW 1987, S. 2476. Anders hingegen Arzt, JR 1980, S. 211 (212), der ausführt, der Angegriffene müsse sich grundsätzlich nicht auf mildere private Nothilfe verweisen lassen. Grundsätzlich gegen eine Pflicht zur Inanspruchnahme privater Hilfe auch Krey, AT 1, Rn. 475. 19 Außer Betracht bleiben an dieser Stelle Konstellationen, in denen die sog. sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts eine Rolle spielen.

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güter des Angreifers geschädigt werden. Für den sich mit einem hilfsbereiten Dritten in einer Verteidigungsgemeinschaft befindenden Angegriffenen bedeutet dies, dass er die fremde Hilfe bei gleicher Eignung immer dann in Anspruch zu nehmen hat, wenn seine eigenhändige Verteidigung die Rechtsgüter des Angreifers in einem stärkeren Maße schädigen würde. Könnte also der Angegriffene den Angriff nur dadurch sofort und endgültig beenden, dass er den Angreifer erschießt, muss er auf diese Maßnahme verzichten, wenn der Helfer den Angreifer etwa durch einen Schuss aus einer Betäubungspistole ebenso sicher stoppen könnte. Entsprechendes gilt, wenn ein gemeinsames Handeln von Angegriffenem und Helfer eine effektivere oder – bei gleicher Effektivität – mildere Abwehr des Angriffs ermöglichen würde. So darf der körperlich überlegene Angreifer, der dazu ansetzt, fremdes Eigentum zu zerstören, nicht schon deshalb niedergeschossen werden, weil weder der betroffene Eigentümer noch sein Helfer den Angreifer jeweils allein ohne den Einsatz einer Schusswaffe aufhalten könnten. Denn wären Angegriffener und Helfer gemeinschaftlich in der Lage, den Angreifer von seinem Zerstörungsvorhaben ohne den Einsatz einer Waffe abzuhalten, so ist allein dieses gemeinschaftliche Handeln die erforderliche Verteidigung. Das Zusammenfassen des Verteidigungspotentials von Angegriffenem und seinen Helfern führt also nicht dazu, dass ausschließlich ein Mitglied der Verteidigungsgemeinschaft handeln darf. Unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten kann die „Pflicht zur Inanspruchnahme fremder Hilfe“ demnach in bestimmten Konstellationen auch „Pflicht zum gemeinschaftlichen Handeln mit dem Helfer“ bedeuten. Folgt die Lösung dieser drei Grundkonstellationen der klassischen Anwendung der Definition der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung, bleiben zwei Fragen zu klären. Zunächst: Wie darf die Verteidigungsgemeinschaft verfahren, wenn sowohl der Angegriffene als auch der Helfer den Angriff auf eine Art und Weise abwehren könnten, die jeweils für sich genommen das relativ mildeste Mittel darstellen würden? Anders formuliert: Wer darf in der Verteidigungsgemeinschaft in unklaren – unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten offenen – Situationen letztverbindlich darüber entscheiden, auf welche Weise dem Angreifer entgegengetreten wird? Die Lösung hängt davon ab, in welchem Verhältnis Notwehr und Nothilfe zueinander stehen. Eng damit verknüpft ist die zweite Frage: Darf der Angegriffene auf eine optimale Verteidigung verzichten, und kann er mit dieser Entscheidung die Verteidigungsgemeinschaft binden?

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a) Verhältnis von Notwehr und Nothilfe Kann anhand des Erforderlichkeitskriteriums nicht abschließend geklärt werden, welche von mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen die Verteidigungsgemeinschaft zur Abwehr eines drohenden Angriffs anwenden darf, weil beide erforderlich wären, stellt sich die Frage, ob der angegriffene Rechtsgutsträger letztverbindlich entscheiden darf, wie dem Angreifer begegnet werden soll. Die eineiigen Zwillinge A und B sind zwar äußerlich nicht voneinander zu entscheiden, dafür haben sie – abgesehen von der Begeisterung für die brasilianische Kampfkunst Capoeira, die sie seit vielen Jahren mit gleichem Erfolg trainieren – aber ansonsten nicht viele gemeinsame Interessen. Während A eher auf Abenteuer unterschiedlichster Art aus ist, vergnügt sich B lieber mit einem Glas guten Weines und einem ansprechenden Buch. Als die beiden eines Abends auf dem Rückweg von einem gemeinsamen Restaurantbesuch sind, werden sie von dem X aufgehalten, dessen (Ex-)Freundin die neueste Eroberung des A ist. In dem Glauben, in B seinen Rivalen gefunden zu haben, stürzt sich X auf diesen; B könnte den X ohne weiteres mit einem betäubenden „Hammerschlag“ zu Boden schicken. Wie B weiß, würde A – der dem X sein Unterliegen auf allen Gebieten vor Augen führen will – nur zu gerne diesen Schlag für seinen Bruder ausführen.

Ob in dem geschilderten Fall der Angegriffene – B – entscheiden darf, dass die konkrete Verteidigung von ihm und nicht von seinem Bruder auszuführen ist, hängt letztlich davon ab, in welchem Verhältnis Notwehr und Nothilfe zueinander stehen: Gibt § 32 StGB dem Nothelfer ein von den Interessen des angegriffenen Rechtsgutsträgers unabhängiges Recht zur Angriffsabwehr, so wird der Angegriffene dessen Befugnisse kaum wirksam begrenzen können; derjenige, der den Angriff als erster abwehrt, wäre durch die Regelungen der Notwehr bzw. der Nothilfe gerechtfertigt. Ist die Nothilfe hingegen als ein von den Verteidigungsbefugnissen des Angegriffenen abgeleitetes Recht des Helfers zu verstehen, wird eine Verteidigung gegen den Willen des Angegriffenen in aller Regel unstatthaft sein. Die Notwehrvorschrift gestattet in ihrem zweiten Absatz Verteidigungshandlungen, „um einen … Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden“. Das Gesetz macht mit dieser Formulierung zwar deutlich, dass es sowohl die Notwehr als eine Form der Selbstverteidigung als auch die Nothilfe als Form der Fremdverteidigung anerkennt. Zu der Frage, in welcher Beziehung die beiden Formen der Angriffsabwehr zueinander stehen, nimmt der Wortlaut der Norm jedoch nicht ausdrücklich Stellung. Möglich bleiben vielmehr zwei verschiedene Deutungen des Nothilferechts: Versteht man das „oder“ lediglich als eine disjunktive Konjunktion, mit der zwei voneinander unabhängige Formen der Angriffsabwehr – nämlich die Möglichkeit des Angegriffenen zum eigenhändigen Abwenden einer Notwehrlage „von sich“ und die von den Interessen des Angegriffenen unabhängige Befugnis eines Dritten zur Abwehr eines Angriffs

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„von einem anderen“ – nebeneinander gestellt werden sollen, scheint der Wille des Rechtsgutsträgers keine Bedeutung für die Reichweite der Rechte des einschreitenden Dritten zu haben. Begreift man die Wortgruppe „von sich oder einem anderen“ hingegen nicht nur als bloßes Nebeneinander verschiedener Formen der Angriffsabwehr sondern als Ausformulierung eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Nothilfe und Notwehr, liegt es nahe, die Befugnisse des hilfsbereiten Dritten an den Willen des angegriffenen Rechtsgutsträgers zu binden. – Welcher dieser Betrachtungsweisen der Vorzug einzuräumen ist, lässt sich nur mit einem Blick auf die Grundgedanken der Notwehr beantworten.20

aa) Befugnis zur Nothilfe als originäres Recht des hilfsbereiten Dritten Unter besonderer Betonung des Gedankens der Verteidigung der Rechtsordnung wird die Nothilfe von einigen Stimmen in der Literatur21 als ein eigenständiges Recht des hilfsbereiten Dritten angesehen. Obwohl sie eine Befugnis zur Fremdverteidigung sei, leite sich die Nothilfe nicht von dem Recht des Angegriffenen zur Selbstverteidigung ab. Zwar werde der Helfer nicht unmittelbar angegriffen. Ebenso wie der Angegriffene selbst habe aber auch der potentielle Helfer ein Interesse an der Erhaltung der Rechtsordnung. Dieses eigene Interesse dürfe jeder Dritte mit den Mitteln der Nothilfe verteidigen, ohne dass er dabei dem Willen des unmittelbar Angegriffenen unterworfen wäre.22 Der Wille des angegriffenen Rechtsgutsträgers hätte nur insoweit Bedeutung, als eine Einwilligung den für die Notwehrlage erforderlichen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff entfallen ließe. Allein mit der Behauptung, Nothilfe dürfe dem Angegriffenen nicht aufgedrängt werden,23 könne dieser Ansatz nicht abgelehnt wer___________ 20 Anders Seier, NJW 1987, S. 2476 (2480), der ausdrücklich betont, dass eine Lösung des Problems ohne Rückgriff auf ein bestimmtes Notwehrverständnis entwickelt werden müsse. 21 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 72; Haas, Notwehr, S. 222, 281; Hassemer, FS Bockelmann, S. 225 (240); Kasiske, Jura 2004, S. 832 (836); Schmidhäuser, Lehrbuch AT, 9. Kap. Anm. 83; ders., Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 80; Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (58); Seuring, Aufgedrängte Nothilfe, S. 120 ff., 146 f., 195 f.; LK11-Spendel, § 32 Rn. 145. Missverständlich sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen des BayObLGSt 1954, 111 (113), wenn es einerseits klarstellt, die Nothilfebefugnis sei ein eigenständiges, nicht abgeleitetes Recht, andererseits aber eine Bindung an den Willen des Angegriffenen befürwortet. 22 LK11-Spendel, § 32 Rn. 145. 23 So aber die ganz h.M.: BGHSt 5, 245 (247 f.); BGH, StV 1987, 59; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 164; Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 7, 22; Joecks, § 32 Rn. 33; Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (45, 64); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 25/26; NK-Herzog, § 32 Rn. 57; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 118. Vgl. auch BGHSt 26, 256; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 59 ff.; Seier, NJW 1987, S. 2476 (2480 ff.); Sternberg-Lieben, D./Sternberg-Lieben, I., JuS 1999, S. 444 (447 f.).

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den.24 Denn zum einen trage auch die Fremdverteidigung zur Stabilität der Rechtsordnung bei und gewährleiste Rechtssicherheit und Rechtsfrieden.25 Zum anderen dürfe man einen hilfsbereiten Dritten für seine Hilfsbereitschaft nicht dadurch bestrafen, dass man ihm die rechtfertigende Wirkung des § 32 StGB verweigere.26 Ein Verzicht des Angegriffenen auf die besser geeignete Hilfe eines Dritten wäre nach dieser überindividuellen Deutung der Nothilfe folglich bedeutungslos. Erklärte sich ein Dritter zur Abwehr eines Angriffs bereit, wäre die weniger geeignete eigenhändige Verteidigung dieser fremden Verteidigungsmaßnahme gegenüber subsidiär. Ein derartiges Verständnis der Nothilfe ist jedoch aus verschiedenen Gründen problematisch. Zunächst soll noch einmal der Wortlaut des § 32 Abs. 2 StGB in Augenschein genommen werden. Wie bereits erwähnt, beantwortet der Gesetzestext die Frage des Verhältnisses zwischen Notwehr und Nothilfe zwar nicht ausdrücklich. Dennoch ergibt die Formulierung der Notwehrvorschrift mehr Sinn, wenn man die Nothilfe als ein von den Rechten des Angegriffenen abgeleitetes Recht begreift.27 Läge der Notwehr ein rein überindividualistisches Verständnis zugrunde, würde also mit den Mitteln der Notwehr an erster Stelle immer die Rechtsordnung verteidigt und stellte der Schutz des Angegriffenen und seiner Rechtsgüter lediglich einen Reflex dieser „Selbstbehauptung des Rechts“ dar, wäre es egal, ob sich der angegriffene Rechtsgutsträger oder ein beliebiger hilfsbereiter Dritter dem Angriff stellt. Der Differenzierung „von sich oder einem anderen“ in § 32 Abs. 2 StGB bedürfte es folglich nicht. Es hätte genügt, Notwehr als diejenige Verteidigung zu definieren, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abzuwenden. Gegen eine als originäres Recht verstandene Befugnis zur Nothilfe spricht ferner, dass die grundsätzliche Gestattung einer Fremdverteidigung selbst gegen den Willen des unmittelbar Betroffenen einer autoritären und paternalistischen Staatsauffassung entspräche.28 Zwar mag es richtig sein, dass auch der gegen den Willen des Angegriffenen Handelnde zur Stabilität der Rechtsordnung beiträgt, indem er dem rechtswidrig agierenden Angreifer entgegentritt. Doch führt die Anerkennung einer derartigen Handlungsbefugnis dazu, dass jedem potentiellen Helfer die Möglichkeit eingeräumt wird, darüber zu entscheiden, was für die Rechtsordnung und damit auch für das unmittelbar betroffene Individuum in der konkreten Angriffssituation am besten ist. Mit dem Begriff der Hilfe – den ___________ 24

LK11-Spendel, § 32 Rn. 145. Bockelmann, FS Dreher, S. 235 (244); Koch, B., ZStW 104 (1992), S. 785 (793); Kühl, JuS 1993, S. 177 (180); Warda, Jura 1990, S. 344 (346 f.). 26 LK11-Spendel, § 32 Rn. 145. 27 Wagner, Notwehrbegründung, S. 35. A.A. Seuring, Aufgedrängte Nothilfe, S. 121. 28 Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (63). 25

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das Gesetz freilich nicht ausdrücklich benutzt, der aber dennoch sogar von den Anhängern eines überindividualistischen Notwehrverständnisses verwendet wird, um die Angriffsabwehr durch einen Dritten zu kennzeichnen29 – ist dies jedoch nicht mehr in Einklang zu bringen. Vielmehr wird mit dem Begriff der Hilfe im allgemeinen Sprachgebrauch ein Tätigwerden zur Unterstützung einer anderen Person beschrieben.30 Der Helfer muss sich zwar nicht zwangsläufig dem Willen desjenigen unterordnen, dem geholfen werden soll; zumindest aber darf er nicht gegen den Willen dieser Person tätig werden.31 Auch das Argument, dass der gegen den Willen des Angegriffenen Handelnde „nicht noch für seine Hilfsbereitschaft und Ritterlichkeit desavouriert werden darf“32, kann ein anderes Ergebnis nicht begründen. Denn hielte man allein die ehrenhafte Gesinnung des Helfers für ausschlaggebend, müsste man konsequenterweise demjenigen Helfer, dem die Notlage gerade recht kommt, um egoistische Motive auszuleben, die Rechtfertigung absprechen. Abstrahiert man diesen Gedanken, wäre die Abhängigkeit der Nothilfebefugnis von der Gesinnung des Helfers die Folge.33 Die Motivation desjenigen, der sich bei seinen Handlungen in den objektiven Grenzen des Rechts bewegt, kann jedoch rechtlich nicht von Bedeutung sein.34 Neben diesen begrifflichen Einwänden gegen eine selbständige Nothilfebefugnis bestehen grundsätzliche Bedenken gegenüber einem überindividualistisch konzipierten Notwehrmodell. Eine Vielzahl an Einwänden wurde bereits an anderer Stelle vorgebracht;35 sie sollen hier nicht noch einmal wiederholt werden. Aufgegriffen werden soll nur ein weiterer Gedanke: Mit Blick auf die von den Befürwortern einer selbständigen Nothilfebefugnis vorgetragenen Argumente bleibt unklar, warum die Befugnis zur Verteidigung der Rechtsord___________ 29

Vgl. etwa Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 72 ff.; Haas, Notwehr, S. 222, 281; Schmidhäuser, FS Honig, S. 185 (190). 30 Duden, Bd. 4, Stichwort „Hilfe“ (S. 1794): „1. a) das Helfen; das Tätigwerden zu jmds. Unterstützung“; Stichwort „helfen“ (S. 1728): „1. jmdm. … ermöglichen, [schneller u. leichter] ein bestimmtes Ziel zu erreichen; jmdm. bei etw. behilflich sein“. Vgl. ferner die Gesetzgebungsmaterialien zu § 41 S. 2 PrStGB: Zulässig ist auch ein bloßes Beistandleisten, also ein Hilfeleisten, Goltdammer, Materialien zum PrStGB, Theil 1, S. 365. 31 Im Ergebnis ebenso Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (64); Schönke/SchröderLenckner/Perron, § 32 Rn. 25/26; Traichel, Selbsthilferecht, S. 124. 32 LK11-Spendel, § 32 Rn. 145. 33 Seier, NJW 1987, S. 2476 (2480). 34 Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 20; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 14; Prittwitz, GA 1980, S. 381 (386 ff.); Seier, NJW 1987, S. 2476 (2480). Vgl. auch LK11-Spendel, § 32 Rn. 140, der selbst ausdrücklich eine Bestrafung des „bösen Willens“ ablehnt. 35 Vgl. dazu die Ausführungen unter C. II. 1. ab S. 135 im 2. Kapitel.

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nung daran geknüpft wird, dass eine beliebige Person angegriffen wird, und warum trotz eines überindividuellen Verständnisses der Notwehr Rechtsgüter der Allgemeinheit grundsätzlich nicht notwehrfähig sein sollen. Versucht man dieses Problem pauschal damit zu beantworten, dass die Verteidigung der Rechtsordnung Sache des Staates sei und dem einzelnen Bürger nicht zustehe,36 muss dieser Gedanke zwangsläufig zu dem Ergebnis führen, dass auch die Abwehr eines Angriffs auf die Rechtsordnung, der durch eine Gefährdung individueller Interessen des Einzelnen vermittelt wird, nicht zu einer durch Notwehr gerechtfertigten Tätigkeit einer Privatperson werden kann.37 Man könnte nun ausführen, dass die Verteidigung der Rechtsordnung auch eine grundsätzliche Aufgabe des Einzelnen sei, die konkrete Berechtigung zur Wahrnehmung dieser Funktion jedoch von einem Angriff auf Individualrechtsgüter abhinge.38 Mag dieser Ansatz vielleicht noch in den Konstellationen nachvollziehbar sein, in denen dem Angegriffenen gestattet wird, die mittels eines Angriffs auf seine eigenen Rechtsgüter gefährdete Rechtsordnung zu verteidigen, muss er doch scheitern, wenn es um die Berechtigung eines Dritten zur Nothilfe geht. Es ist völlig unverständlich, warum auf Grundlage eines überindividualistisch verstandenen Notwehrrechts die Verteidigungsbefugnis eines Nothelfers von der Beeinträchtigung der Interessen eines beliebigen Dritten abhängen soll.39

bb) Nothilfe als Wahrnehmung der Interessen des Angegriffenen durch einen Dritten Vorzugswürdig ist es daher, die Notwehrbefugnis nicht als eine vom Staat abgeleitete Ermächtigung zur Verteidigung der Rechtsordnung zu verstehen. Der Angegriffene sichert mittels der Notwehr primär weder den Rechtsfrieden, noch will er als Sachwalter der Allgemeinheit allein der Rechtsbewährung dienen. Vielmehr soll einer aktuellen Freiheitseinbuße mit den Mitteln des Notwehrrechts Einhalt geboten werden.40 Die Notwehr stellt sich somit als eine Befugnis zur Verteidigung subjektiver Rechte dar.41 Für den Nothelfer folgt dar___________ 36

So etwa Wessels/Beulke, AT, Rn. 332. Neumann, Vorverschulden, S. 162. 38 Vgl. dazu Neumann, Vorverschulden, S. 162, mit einem Hinweis auf die im Polizeirecht verfolgte Unterscheidung zwischen generellen Aufgaben und der Handlungsbefugnis im Einzelfall. Näher dazu Knemeyer, POR, Rn. 76 ff.; Schenke, POR, Rn. 36 ff.; Scholler/Schloer, POR, § 4, S. 57. 39 Neumann, Vorverschulden, S. 163. 40 Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (50). 41 Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (48); Krause, FS Bruns, S. 71; Neumann, Vorverschulden, S. 165 ff.; Wagner, Notwehrbegründung, S. 35. 37

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aus, dass er keine eigenen, sondern die Interessen des Angegriffenen verteidigt.42 Seine Befugnis zur unterstützenden Fremdverteidigung ist demnach nicht als eigenständiges Recht denkbar, sondern stellt sich vielmehr als ein von den Verteidigungsbefugnissen des Angegriffenen abgeleitetes Recht dar.43 Für die Verteidigungsgemeinschaft bedeutet dieser Befund, dass der Helfer nicht gleichberechtigt mit dem Angegriffenen über das Ob und Wie der konkreten Verteidigung entscheiden darf. Denn seine Nothilfebefugnis stellt nur ein vom Angegriffenen abgeleitetes Recht dar. Nicht sein, sondern der Rechtskreis des Angegriffenen wird durch den Angreifer beeinträchtigt. Folglich ist es auch der Angegriffene, der abschließend darüber befinden darf, wie die Abwehr des Angriffs im Rahmen des Erforderlichen (und Gebotenen) erfolgen soll.44 Dies folgt auch aus dem grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des Angegriffenen: Jedem Rechtsgutsinhaber steht es grundsätzlich frei, nach eigenem Gutdünken über seinen Güterbestand zu verfügen. Diese Dispositionsfreiheit ermöglicht es dem Rechtsgutsinhaber zum einen, willentlich eigene Rechtsgüter vollständig oder nur zum Teil dem Zugriff Dritter preiszugeben, umfasst also die Möglichkeit zur Einwilligung. Zum anderen kann der Träger des geschützten Rechtsguts aber auch festlegen, ob, inwieweit und von wem seine individuellen Rechte verteidigt werden sollen.45, 46

cc) Keine Einschränkung der Nothilfebefugnis durch Verhältnismäßigkeitserwägungen Ein letzter Gedanke soll in diesem Zusammenhang angesprochen werden: Aus dem Umstand, dass der Helfer fremde Interessen verteidigt und nicht un___________ 42

Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 168; Frister, AT, 16. Kap. Rn. 18; Gropp, AT, § 6 Rn. 65; Heinrich, AT I, Rn. 336; Traichel, Selbsthilferecht, S. 124. 43 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 164; Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38 (64); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 25/26; Renzikowski, Notstand, S. 296; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 204; Traichel, Selbsthilferecht, S. 124; Wagner, Notwehrbegründung, S. 35. 44 In diesem Sinne auch Seebode, FS Krause, S. 375 (389). 45 Vgl. etwa Bohnert, OWiG, § 15 Rn. 15: „Ob der Angegriffene sich wehren will, steht in seiner freien Entscheidung“ Ferner Sternberg-Lieben, D., Schranken der Einwilligung, S. 37 f.; ders./Sternberg-Lieben, I., JuS 1999, S. 444 (445). 46 Der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Nothilfe gegen den Willen des Angegriffenen dennoch zulässig sein kann, soll in dieser Arbeit nicht näher nachgegangen werden, war sie doch jüngst Gegenstand zahlreicher Monografien. Vgl. hierzu etwa Koch, M., Aufgedrängte Nothilfe, S. 131 ff.; Heller, Aufgedrängte Nothilfe, S. 230 ff.; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 130 ff.; Seuring, Aufgedrängte Nothilfe, S. 170 ff. Ferner zu diesem Themenkreis Kasiske, Jura 2004, S. 832 (838 f.); Seier, NJW 1987, S. 2476; Sternberg-Lieben, D./Sternberg-Lieben, I., JuS 1999, S. 444.

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mittelbar vom rechtswidrigen Angriff betroffen ist, kann nicht darauf geschlossen werden, dass ihm nur eine verhältnismäßige (Fremd-)Verteidigung gestattet ist.47 Hiergegen führt Seelmann an, dass die Gründe, die ausnahmsweise für eine Toleranz der besonderen Schneidigkeit des Notwehrrechts sprechen, ausschließlich in der Person des unmittelbar durch den Angriff in Mitleidenschaft gezogenen Angegriffenen gefunden werden könnten. Mangels persönlicher Betroffenheit sei ein Nothelfer – gleich ob privater oder hoheitlicher Natur – zu einer maßvollen Verteidigung verpflichtet.48 Dieser These ist aus verschiedenen Gründen nicht zu folgen. Auf der Hand liegt zunächst, dass der Wortlaut des § 32 StGB nicht zwischen der Eigen- und der Fremdverteidigung unterscheidet. Gerechtfertigt ist, wer einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff auf eine erforderliche Art und Weise abwehrt. Bei der Bestimmung der zulässigen Verteidigungsmaßnahme verlangt die Notwehrvorschrift damit weder dem Angegriffenen noch dem ihn unterstützenden Helfer irgendwelche Proportionalitätserwägungen ab.49 Ganz bewusst fand eine den Umfang von Notwehr und Nothilfe begrenzende Verhältnismäßigkeitsregelung50 keinen Eingang in das Strafgesetzbuch. Dennoch die Befugnisse des Nothelfers entgegen dem Wortlaut des § 32 StGB zu beschränken, verstieße gegen Art. 103 Abs. 2 GG.51 Neben diesem gesetzesimmanenten Einwand ist auch die Behauptung, allein die besondere persönliche Beeinträchtigung des Angegriffenen, also dessen durch den Angriff hervorgerufene psychische Zwangslage, könne erklären, warum von ihm kein besonnenes Verhalten erwartet und stattdessen die Möglichkeit einer Selbstverteidigung „um jeden Preis“ eröffnet werde, wenig überzeu___________ 47 So auch die ganz herrschende Ansicht, vgl. nur Haas, Notwehr, S. 277 f.; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973; Felber, Rechtswidrigkeit, S. 72 f.; Lackner/Kühl, § 32 Rn. 12; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 25/26, 42; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 204; Roxin, ZStW 93 (1981), S. 68 (71 f. Fn. 8); Seier, NJW 1987, S. 2476 (2477 f.); LK11-Spendel, § 32 Rn. 145. 48 Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (57 ff.). Für eine objektive Beschränkung der Nothilfebefugnis durch eine Angemessenheitsklausel auch Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 55 ff. Grundsätzlich für eine Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes insbesondere im Rahmen der sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts Schroeder, FS Maurach, S. 127 (138 ff.); Wimmer, GA 1983, S. 145 (157); Wössner, Notwehr und ihre Einschränkungen, S. 45 ff., 80 f. 49 LK11-Spendel, § 32 Rn. 145. 50 Vgl. dazu etwa die Begründung zu § 37 des E 1962, BT-Drucks. 4/650, S. 156 f.: „Auch der Entwurf verlangt bei der Notwehr keine Verhältnismäßigkeit der einander gegenüberstehenden Rechtsgüter. … [Es] bestehen schwerwiegende rechtspolitische Bedenken, … bei der Notwehr den Güterabwägungsgrundsatz einzuführen.“ 51 Dass Art. 103 Abs. 2 GG für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr gilt, wurde bereits im 2. Kapitel gezeigt, vgl. dort die Ausführungen unter D. II. ab S. 155.

A. Angriffsabwehr durch anwesende Privatpersonen

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gend. Dass auch ein Nothelfer von dem Angriff auf einen anderen persönlich betroffen sein kann, räumt Seelmann selbst ein. So zieht er es zumindest in Erwägung, Angehörige des Angegriffenen zu privilegieren und ihnen ein Nothilferecht im vollen Umfang zuzubilligen.52 Die Betroffenheit eines Helfers allein am Angehörigenstatus festmachen zu wollen, kann allerdings nicht gelingen. Ebenso gut vorstellbar sind Fälle, in denen auch Personen, die dem Angegriffenen völlig fremd sind, nicht mehr in der Lage sind, besonnen zu handeln. Man denke sich etwa eine Frau, die über Jahre hinweg von ihrem Freund misshandelt wurde und sich nur unter größten Mühen von diesem trennen konnte. Muss diese Frau nun mitansehen, wie eine ihr völlig Fremde auf die gleiche Weise schikaniert wird, ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass sie derart von Zorn und Empörung ergriffen wird, dass sie die Hilfe, die sie der Fremden zukommen lassen möchte, nicht mehr maßvoll dosieren kann.53 Im Übrigen erscheint es auch unter gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten bedenklich, dem Helfer nur eine verhältnismäßige Verteidigung zu gestatten. Denn je mehr die Befugnisse potentieller Nothelfer beschnitten werden, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ein Dritter dem Opfer eines Angriffs helfend zur Seite stehen wird. Allein die Möglichkeit, bei Überschreitung der verhältnismäßigen Hilfe straffällig zu werden, birgt in sich die Gefahr, dass ein Dritter aus Gründen des Selbstschutzes von einer unterstützenden Verteidigungshandlung Abstand nimmt.54 Faktische Folge wäre es, dass letztlich der Schutz des Opfers, das im Ernstfall auf ebendiese Hilfe eines Dritten angewiesen wäre – hierzu zählen wohl vor allem Kinder und wehrlose oder in ihrer Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkte ältere Menschen –, beschnitten würde.55 Schließlich kann die Forderung nach einer proportionalen Fremdverteidigung im Einzelfall sogar dazu führen, dass ihre Grundidee – die Schonung des Angreifers vor unverhältnismäßigen Verteidigungshandlungen Dritter – ins Gegenteil verkehrt wird. Bei konsequenter Anwendung der These Seelmanns wäre einem Helfer die wirksame, aber unverhältnismäßige Fremdverteidigung selbst dann versagt, wenn die Selbstverteidigung des Opfers den Angreifer in einem deutlich höheren Maße beeinträchtigen würde. Man denke sich etwa den Fall, dass ein Dieb mit wertvollem Geschmeide zu entkommen droht. Könnte der Eigentümer ihn nur mit einem lebensgefährlichen Schuss aufhalten, dürfte er ___________ 52

Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (58 Fn. 84). In diesem Sinne auch Seier, NJW 1987, S. 2476 (2477). 54 Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 59; Seier, NJW 1987, S. 2476 (2477). In diesem Sinne argumentieren auch Sternberg-Lieben, D./Sternberg-Lieben, I., JuS 1999, S. 444 (445), gegen eine grundsätzliche Strafbarkeit der aufgedrängten Nothilfe. 55 Kühl, AT, § 7 Rn. 140; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 121; ders., ZStW 93 (1981), S. 68 (71); Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 59. 53

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

selbst dann schießen, wenn sein Begleiter – ein ausgebildeter Scharfschütze – fähig wäre, den Dieb mit einem gezielten Schuss in die Beine niederzustrecken. Denn die aus dem Schuss folgende konkrete Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Diebes wäre im Vergleich zum Schutz des fremden Eigentums unverhältnismäßig. Die Verknüpfung der Nothilfe mit Proportionalitätserwägungen, die dem Angreifer eigentlich unverhältnismäßige Eingriffe Dritter ersparen soll, führt im Ergebnis dazu, dass der Angreifer die mit der Notwehr des Opfers verbundenen, deutlich schwereren Eingriffe hinnehmen müsste.56

b) Zulässigkeit eines Verzichts auf optimale Verteidigung Die Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsinhabers ist auch zu berücksichtigen, wenn es um die Beantwortung der zweiten Frage geht: Kann der Angegriffene zum eigenen Nachteil auf eine optimale Verteidigung verzichten? Dabei soll es sich freilich nicht um die Fälle handeln, in denen der Angegriffene wirksam in eine Rechtsgutsverletzung eingewilligt hat, in denen mangels Rechtswidrigkeit des Angriffs folglich schon keine Nothilfelage vorliegt. In diesen Fällen ist die Nothilfe stets unzulässig.57 Es geht vielmehr um die Frage, ob der Angegriffene entweder die zur Abwehr des Angriffs weniger geeignete Hilfe eines Dritten in Anspruch nehmen darf oder aber auf die besser geeignete Abwehr seines Helfers wirksam verzichten kann, um sich dem Angreifer selbst zu stellen. Man wird diese Frage jedenfalls dann verneinen müssen, wenn die weniger effektiven Abwehrmaßnahmen schwerere Rechtsgutsverletzungen beim Angreifer zur Folge hätten als die optimale Gegenwehr der Verteidigungsgemeinschaft. Zwar gestattet § 32 StGB dem Angegriffenen grundsätzlich, der Aggression auf die Art und Weise entgegenzutreten, die eine bestmögliche Abwehr des Angriffs verspricht. Gerechtfertigt sind damit auch die mit der Abwehr notwendig verbundenen Eingriffe in die Rechtsgüter des Angreifers. Kann der Verteidiger jedoch unter mehreren Optionen wählen, die jeweils für sich genommen eine bestmögliche Abwehr garantieren, so ist nach dem Grundsatz der größtmöglichen Schonung nur diejenige Maßnahme erforderlich, die die geringsten Verletzungen des Angreifers nach sich zieht.58 Die Obergrenze der erlaubten Schädigung von Rechtsgütern des Angreifers wird also durch die relativ mildeste der bestmöglichen Verteidigungsmöglichkeiten festgelegt. Dies ergibt sich ___________ 56

Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 60; Seier, NJW 1987, S. 2476 (2478). Kasiske, Jura 2004, S. 832 (838); Schönke/Schröder-Leckner/Perron, § 32 Rn. 25/26; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 117; LK11-Spendel, § 32 Rn. 146. 58 OLG Frankfurt am Main, VRS 40 (1971), 424 (425). In diesem Sinne auch Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 42: Hat „der Angegriffene selbst ebenso wirksame, aber mildere Mittel, so darf … der Nothelfer … darüber nicht hinausgehen …“ 57

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nicht zuletzt aus den Grundgedanken der Notwehr. Weder der hier vertretene individualistische Ansatz noch eine zusätzliche Berücksichtigung des Rechtsbewährungsgedankens, den die Vertreter überindividualistischer und dualistischer Notwehrkonzeptionen für sich in Anspruch nehmen, könnte erklären, warum eine stärkere Schädigung des Angreifers erlaubt sein sollte, als sie eine optimale Verteidigung nach sich ziehen würde. Gestattete man dem Angegriffenen, zum Nachteil des Angreifers auf eine effektivere Verteidigung zu verzichten, wäre letzterer der Willkür des Verteidigers unterworfen. Doch auch der Angreifer bleibt Rechtssubjekt, selbst wenn er sich durch sein Verhalten ins Unrecht setzt. Ihn zum Objekt eines rücksichtslosen Gegenschlags zu machen, widerspräche der grundgesetzlich verankerten Menschenwürdegarantie.59 Die Gestattung unnötiger Schädigungen des Angreifers wäre mit einer rechtsstaatlichen Notwehrkonzeption unvereinbar und stünde im krassen Gegensatz zu dem heutigen Ideal eines Zusammenlebens in einer befriedeten Gesellschaft.60 Vorbehaltlich der Zulässigkeit eines solchen Verzichts darf der Angegriffene folglich dann nicht von einer effektiveren Verteidigungsalternative absehen, wenn die weniger wirksame Abwehr mit einer stärkeren Beeinträchtigung des Angreifers verbunden wäre. Überträgt man diesen Gedankengang auf die Verteidigungsgemeinschaft von Angegriffenem und Helfer, so bestimmt dasjenige Mitglied des Bündnisses mit den wirksamsten Abwehrchancen zugleich auch die äußerste Grenze der erlaubten Schädigung des Angreifers. Der Angegriffene darf demzufolge dann nicht auf die angebotene, aber weniger effektive Hilfe zurückgreifen, wenn diese die Rechtsgüter des Angreifers stärker beeinträchtigen würde als die eigenhändige Verteidigung. In den Fällen hingegen, in denen die weniger effektive Verteidigung nicht mit einer intensiveren Schädigung des Angreifers einhergeht, steht es dem Angegriffenen frei, zum eigenen Nachteil auf das optimale Verteidigungsmittel zu verzichten, das ihm die Verteidigungsgemeinschaft zur Verfügung stellt. Weder mit dem Gedanken des Rechtsgüterschutzes noch mit dem der Rechtsbewährung ließe sich eine Pflicht des Notwehrtäters begründen, dem Angriff immer mit dem effektivsten der zur Verfügung stehenden Mittel entgegenzutreten. § 32 StGB eröffnet dem Angegriffenen die Möglichkeit, dem Angreifer ohne Rücksicht auf irgendwelche Abwägungsgesichtspunkte mit demjenigen Mittel zu begegnen, das eine optimale Verteidigung verspricht. Doch ebenso wenig, wie der Angegriffene rechtlich dazu gezwungen werden kann, sich gegen einen Angriff überhaupt zu verteidigen,61 kann er dazu verpflichtet werden, den durch den ___________ 59

Alwart, JuS 1996, S. 953 (954). Alwart, JuS 1996, S. 953 (954); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 25/26. 61 Bohnert, OWiG, § 15 Rn. 15; Lührmann, Tötungsrecht, S. 47; NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 150; Schmidhäuser, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 53 (58 f.); 60

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

Notwehrtatbestand eröffneten Spielraum zur Gänze auszuschöpfen. Solange er nur nicht den Angreifer stärker belastet, darf der Notwehrtäter folglich auf die bestmögliche Verteidigung verzichten und sich mit einem Weniger begnügen.62

c) Konsequenzen für die Reichweite der Befugnisse der Verteidigungsgemeinschaft Fasst man diese Ausführungen noch einmal zusammen, so kann festgehalten werden, dass im Rahmen der Bestimmung der konkret erforderlichen Verteidigung der Angegriffene und sein Helfer mit ihren jeweiligen Verteidigungsmöglichkeiten nicht isoliert nebeneinander stehen. Vielmehr werden ihre Potentiale addiert und in einer Verteidigungsgemeinschaft zusammengefasst; die konkret erforderliche, d. h. die wirksamste und relativ mildeste Verteidigungshandlung ergibt sich aus dem so bestimmten Verteidigungsspielraum des Bündnisses. Der Angegriffene, der eine optimale Verteidigung wünscht, muss also unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten die Hilfe eines Dritten dann in Anspruch nehmen, wenn diese zur Abwehr des Angriffs besser geeignet ist oder bei gleicher Eignung die mildere Verteidigung darstellt. Da das Nothilferecht nicht selbstständig neben dem Notwehrrecht des Angegriffenen steht, sondern eine aus dessen Recht abgeleitete Befugnis darstellt, darf der angegriffene Rechtsgutsträger bei mehreren Verteidigungsoptionen, die jeweils für sich genommen das relativ mildeste Mittel darstellen würden, bestimmen, ob er selbst oder aber der Angegriffene die Verteidigung ausführen soll. Darüber hinaus darf der Angegriffene zum eigenen Nachteil auf eine optimale Verteidigung verzichten und die Abwehr auf eine weniger wirksame Verteidigung beschränken, wenn dadurch der Angreifer nicht über Gebühr beeinträchtigt wird. Der Angegriffene darf also sowohl auf die eigene Verteidigung verzichten und auf eine weniger geeignete, nicht völlig sinnlose Gegenmaßnahme eines Helfers zurückgreifen, als auch die Verteidigung selbst in die Hand nehmen und dem Helfer eine wirksamere Verteidigung untersagen.

___________ Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 47 f., 173 f.; LK11-Spendel, § 32 Rn. 326: Die Notwehrlage kann allenfalls eine moralische Pflicht zur Selbstverteidigung begründen. Vgl. auch v. Jhering, Kampf ums Recht, S. 20: „Pflicht der moralischen Selbsterhaltung“. 62 Lauth, Antizipierte Notwehr, S. 85; Seeberg, Aufgedrängte Nothilfe, S. 134 f. Vgl. auch BGHSt 25, 229 (231 f.); OLG Hamm, NJW 1962, 1169.

A. Angriffsabwehr durch anwesende Privatpersonen

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2. Zu den Voraussetzungen des Entstehens einer Verteidigungsgemeinschaft Immer wieder findet sich im Schrifttum und der Rechtsprechung die Aussage, dass die bloße Anwesenheit Dritter keinen Einfluss auf die Befugnis des Angegriffenen zur Selbstverteidigung habe und dass der Angegriffene unbeteiligte Dritte bei der Bestimmung der erforderlichen Verteidigungshandlung nicht zu berücksichtigen brauche.63 Wann muss der Angegriffene nun aber die Hilfe Dritter berücksichtigen; unter welchen Voraussetzungen entsteht eine Verteidigungsgemeinschaft zwischen ihm und einem potentiellen Helfer? – Genügt es dafür, dass ein Dritter im Zeitpunkt des Angriffs am Ort der Auseinandersetzung anwesend ist und den inneren Vorbehalt hat, zugunsten des Angegriffen einzuschreiten? Oder muss er diesen Entschluss nach außen kundtun? Genügt es, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der anwesende Dritte zum Einschreiten bereit war? Oder muss dessen Hilfsbereitschaft im Zeitpunkt der Auseinandersetzung erkennbar gewesen sein? Die Beantwortung dieser Fragen steht in einem engen Zusammenhang damit, unter welchen Voraussetzungen die konkrete Verteidigungshandlung des dem Angreifer allein gegenüberstehenden Angegriffenen erforderlich ist. Deshalb soll im Folgenden zunächst untersucht werden, welcher Zeitpunkt und welche Perspektive für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Abwehrmaßnahme des ohne Unterstützung handelnden Angegriffenen maßgeblich sind. Anschließend gilt es, anhand der gefundenen Ergebnisse zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine Verteidigungsgemeinschaft zwischen Angegriffenem und einem Dritten entsteht.

a) Maßstab für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung eines ohne Unterstützung handelnden Angegriffenen aa) Beurteilungszeitpunkt Die Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Handlung zur Abwehr eines Angriffs erforderlich und damit auch geeignet war, hängt zunächst davon ab, welchen Zeitpunkt man für die Beurteilung wählt. Denkbar wäre es, die Eignung der Abwehrhandlung nachträglich unter Einbeziehung aller Umstände, also auch derjenigen, die in der aktuellen Angriffssituation nicht erkennbar waren, ___________ 63 Die Ansichten, die zum Verhältnis von Selbstverteidigung und fremder privater Hilfe vertreten werden, wurden bereits ausführlich im 1. Kapitel dargestellt. Vgl. dort insbesondere die Ausführungen zur Rechtsprechung unter A. I. 2. b) ab S. 31 und zum Schrifttum unter A. II. 2. a) ab S. 39.

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

zu analysieren.64 Legt man diesen ex post-Maßstab zugrunde, wäre eine Verteidigungsmaßnahme nur dann geeignet, wenn sie den Angriff entweder tatsächlich abgewehrt oder ihn zumindest abgeschwächt, verzögert oder sonst erschwert hat. Das Risiko der falschen Prognose65 über die Erfolgsaussichten einer Abwehrhandlung trüge in diesen Fällen der Angegriffene, obwohl er den Angriff – jedenfalls im Regelfall66 – nicht zu verantworten hatte. Es mag zwar angemessen sein, den „Verteidiger“ mit dem Risiko zu belasten, dass sich eine vermeintliche Notwehrlage ex post und unter Berücksichtigung aller Umstände entweder als irrige Annahme eines Angriffs oder als bloßer Scheinangriff darstellt.67 Schließlich befugt der einschlägige Erlaubnissatz den Notwehrübenden, in Rechtsgüter eines anderen, nämlich des Angreifers, einzugreifen.68 Diese Beeinträchtigung der eigenen Interessen soll das Eingriffsopfer einer Verteidigungsmaßnahme aber nur dann hinnehmen müssen, wenn er den realiter gegebenen Angriff auf die Rechtsgüter des Notwehrübenden zu verantworten hatte.69 Stellt sich hingegen ex post heraus, dass sich die Annahme ___________ 64

Müther, Möglichkeitsvorstellungen, S. 32 ff. Zum „prognostischen Gehalt“ des Tatbestandsmerkmals der Erforderlichkeit vgl. Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (179). 66 Zu den Besonderheiten der provozierten Notwehrlage vgl. die Ausführungen unter B. II. 2. a) ab S. 289 im 4. Kapitel. 67 So verlangt die herrschende Meinung das tatsächliche Vorliegen eines Angriffs, vgl. RGSt 21, 189 (191); 64, 101 (102); BGHSt 3, 217 (218); OLG Stuttgart, NJW 1992, 850 (851); Born, Abwehr vorgetäuschter Angriffe, S. 130 f.; MünchKommStGBErb, § 32 Rn. 56 f.; ders., Rettungsfolter im modernen Rechtsstaat?, S. 149 (155 f.); Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (167, 178 f.); Graul, JuS 1995, S. 1049 (1051 ff.; 1056); SK-Günther, § 32 Rn. 22; Heinrich, AT I, Rn. 341; Hirsch, FS Kaufmann, S. 545 (547 f.); Kühl, AT, § 7 Rn. 21; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 10a; Schönke/Schröder-ders./Perron, § 32 Rn. 3, 27 f.; Lorenz/Najdecki/Schwarz, AT, Rn. 47 f.; Maurach/Zipf, AT 1, § 26 Rn. 56; Otto, Jura 1988, S. 330; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 94; LK11-Spendel, § 32 Rn. 24; Schroth, FS Kaufmann, S. 595 (605 f.); Wessels/Beulke, AT, Rn. 330. Anders (ex ante Beurteilung des Vorliegens einer Notwehrlage) Freund, AT, § 3 Rn. 9 ff.; ders., GA 1991, S. 387 (406 f.); Frisch, Vorsatz, S. 424, 431 ff.; Herzberg, JA 1989, S. 243 (247 f.); NK-Herzog, § 32 Rn. 3 f.; Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 9; Kaufmann, FS Welzel, S. 393 (401 f.); Mitsch, JuS 1992, S. 289 (291); Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (384); Schröder, C., JuS 2000, S. 235 (238 f.); Wolter, Zurechnung (1981), S. 38, 137 ff. 68 So beispielsweise Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (167 Fn. 32); Graul, JuS 1995, S. 1049 (1051 ff.); LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 65; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 10; Roxin, AT 1, § 14 Rn. 108; Wessels/Beulke, AT, Rn. 126. Konsequenterweise versteht zumindest ein Teil derjenigen Stimmen in der Literatur, die die Notwehrlage im Rahmen einer Beurteilung ex ante bestimmen wollen, das Notwehrrecht als bloße Handlungsbefugnis, vgl. etwa Freund, GA 1991, S. 387 (407 Fn. 57); Frisch, Vorsatz, S. 424 f. 69 Vgl. Kühl, AT, § 7 Rn. 19; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 1; Rudolphi, JR 1991, S. 210 (211). 65

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eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs nicht bewahrheitet hat, können subjektive Fehlvorstellungen den vermeintlich Angegriffenen nur über die Anwendung von Irrtumsregeln entlasten.70 Anders verhält es sich jedoch, wenn eine Notwehrlage nach der objektiven Sachlage gegeben ist und folglich auch die Verantwortlichkeit des Angreifers feststeht. In einer solchen Situation das Opfer mit den Risiken einer falschen Prognose über die Erfolgsaussichten einer Abwehrmaßnahme zu belasten, wäre verfehlt.71 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung von Erforderlichkeit und damit auch Eignung einer Verteidigungshandlung muss demnach die „konkrete Kampflage“ sein.72 Unbeachtlich ist für dieses Urteil, ob sich die ex ante ermittelte Prognose über die Eignung der Verteidigungshandlung nachträglich als falsch herausstellt. Dem Angreifer jedenfalls stehen gegen eine sich ex post als nicht erforderlich darstellende Maßnahme seines Opfers keine Abwehrrechte zu.73 Eine ex ante als erforderlich erscheinende Verteidigungshandlung kann nicht nachträglich als Überschreitung der Grenzen der Notwehr eingestuft werden, weil sich im Nachhinein herausstellt, dass auch ein milderes Mittel zur Abwehr des Angriffs geführt hätte. Schließlich braucht sich der Angegriffene im Interesse eines wirksamen Güterschutzes nicht auf das Risiko eines unsicheren Abwehrmittels einlassen.74

bb) Beurteilungsperspektive Besteht dahingehend weitgehende Einigkeit, dass die Erforderlichkeit und damit auch Eignung der Abwehr ex ante zu bestimmen sind, bleibt dennoch zu klären, welche Perspektive bei ebendieser Beurteilung der konkreten Tatsituati___________ 70

Die sich nachträglich nicht bewahrheitende Annahme eines Angriffs stellt nach herrschender Ansicht regelmäßig als sog. Putativnotwehr einen Fall des Erlaubnisumstandsirrtums dar. Zur rechtlichen Behandlung derartiger Fehlvorstellungen vgl. etwa Graul, JuS 1995, S. 1049 (1050). 71 Anders hingegen Jakobs, AT, 12. Abschn., Rn. 38, der anführt, ein Irrtum über die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung könne auch als Irrtum über die Rechtfertigungslage verstanden werden. 72 Ganz herrschende Ansicht, vgl. nur BGH, NJW 1969, 802; 1989, 3027; StV 1999, 143 (145); BayObLG, NJW 1985, 2600 (2600 f.); NStZ 1988, 408 (409); Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (179); Herzberg, JA 1989, S. 243 (247); Kühl, AT, § 7 Rn. 107; Lauth, Antizipierte Notwehr, S. 82, 90; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 34; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 171 f., 180; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 46; Schröder, C., JuS 2000, S. 235 (240). 73 Kühl, AT, § 7 Rn. 19; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 34. 74 Allgemeine Ansicht, vgl. nur BGHSt 27, 313 (314); BGH, NStZ 1991, 32 (33); Beulke, Jura 1988, S. 641 (642); ders., JR 1990, S. 380; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 122, 143 ff. Kühl, AT, § 7 Rn. 110.

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on einzunehmen ist. Als diametrale Standpunkte sind einerseits eine rein objektive Bestimmung der Erforderlichkeit75 denkbar, bei der auch nachträgliche Erkenntnisse berücksichtigt werden, und andererseits eine Beurteilung, die allein auf die Tätersicht76 abstellt. Möglich wäre es aber auch, die Erforderlichkeit einer Abwehrmaßnahme anhand der objektiv erkennbaren Umstände vom Standpunkt eines verständigen Beobachters zu ermitteln, ohne dabei jedoch nachträgliche Erkenntnisse zu berücksichtigen.77 Die unterschiedlichen Konsequenzen der obigen Ansätze werden insbesondere dann deutlich, wenn der sich und seine Rechtsgüter Verteidigende die objektive Ungefährlichkeit des Angriffsmittels infolge einer Täuschung des Angreifers nicht erkennen konnte. Dazu das folgende Beispiel: N, der bei einer Bank einen hohen Geldbetrag abgehoben hatte, wird auf dem Weg zurück zu seinem Fahrzeug von dem schmächtigen und im Fall einer Auseinandersetzung chancenlosen A „überfallen“. Mit einer – auch von einem durchschnittlichen Beobachter nicht erkennbar – ungeladenen Pistole im Anschlag fordert er die Herausgabe der prall gefüllten Brieftasche. N greift zwar in seine Jackentasche, doch statt der Brieftasche zückt er ein Messer, das er zu Verteidigungszwecken immer bei sich führt. Im Zuge einer blitzschnell ausgeführten Drehbewegung stößt er dieses dem A in die Schulter und verletzt diesen dabei lebensgefährlich.78

(1) Beurteilung aufgrund der objektiven Sachlage unter Berücksichtigung nachträglicher Erkenntnisse Eine Ansicht79 will die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung nach einem rein objektiven Maßstab bestimmen. Zwar sei bei der Bewertung von Merkmalen prognostischer Art wie etwa der Erforderlichkeit in § 32 Abs. 2 StGB eine ex ante Perspektive einzunehmen. Doch beziehe sich dieser zeitliche Standpunkt allein auf den prognostischen Gehalt des jeweiligen Merkmals,80 so ___________ 75

Dazu sogleich unter A. I. 2. a) bb) (1) ab S. 204 in diesem Kapitel. Dazu unter A. I. 2. a) bb) (2) ab S. 207 in diesem Kapitel. 77 Dazu unter A. I. 2. a) bb) (3) ab S. 208 in diesem Kapitel. 78 A hat im obigen Beispiel den N und seine Rechtsgüter tatsächlich angegriffen; die Notwehrlage liegt auch bei Zugrundelegung einer ex post-Perspektive vor. Anders Graul, JuS 1995, S. 1049 (1056), die die Annahme eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs im Falle eines Überfalls mit einer ungeladenen Waffe auf Grundlage der ex post-Betrachtung für einen „unzulässigen Trick“ hält. 79 Bockelmann/Volk, AT, § 15 (S. 91); Geilen, Jura 1981, S. 308 (315); Jescheck/Weigend, AT, S. 343; Kühl, AT, § 7 Rn. 107; Lackner/ders., § 32 Rn. 10; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 34; Mitsch, JA 1989, S. 79 (87); Warda, Jura 1990, S. 344 (347 f.). Ebenso diejenigen Stimmen in der Literatur, die für die Rechtfertigung allgemein verlangen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen tatsächlich vorliegen: LK11-Hirsch, § 34 Rn. 30; LK11-Spendel, § 32 Rn. 24, 29, 219 ff. 80 Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 10a. 76

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dass auch bei der ex ante-Beurteilung alle tatsächlichen Gegebenheiten der konkreten Kampflage zu berücksichtigen seien, selbst wenn sie sich erst nachträglich herausstellen. Derjenige Verteidiger, der einem Angriff mit Mitteln entgegen tritt, die aus der konkreten Konfliktsituation heraus als erforderlich erscheinen, könnte lediglich über die Anwendung von Irrtumsregeln oder aber über § 33 StGB entlastet werden, wenn sich die Gegebenheiten nachträglich als weniger gefährlich darstellen als ursprünglich angenommen.81 Bezogen auf den obigen Beispielsfall bedeutet dies, dass die lebensgefährliche Verletzung des A als nicht erforderlich einzustufen wäre. Da der körperlich unterlegene Angreifer bei seinem Vorhaben lediglich eine ungeladene Waffe verwendete – dass N den Ladezustand nicht erkennen konnte, ist aus einem rein objektiven Blickwinkel unbeachtlich –, wäre der Angriff als für Leib oder Leben des N objektiv ungefährlich anzusehen. Rein objektiv läge ein bloßer Angriff auf die Willensentschließungs- und -betätigungsfreiheit sowie das Vermögen des N vor. Zur Abwehr dieses Angriffs hätte es jedenfalls nicht der Stichverletzung mit dem Messer bedurft. N übte folglich Putativnotwehr, wäre also nicht gemäß § 32 StGB gerechtfertigt. Straffrei bliebe er allerdings auch nach dieser Ansicht. Zwar mag man einer rein objektiven Beurteilung zugestehen, dass es ihr gelingt, das Maß der erforderlichen Verteidigung zwingend an die Gefährlichkeit des Angriffs zu knüpfen.82 So ermöglicht es die Einbeziehung auch des erst nachträglich erlangten Wissens um die Ungefährlichkeit eines Angriffs, Täuschungselemente eines Angriffs zu isolieren und diese bei der Bewertung der Erforderlichkeit der Verteidigungsmaßnahme außer Acht zu lassen. Danach stellt ein Überfall mit einer objektiv ungefährlichen – weil wie im Beispielsfall ungeladenen – Waffe gerade keinen Angriff auf die körperliche Unversehrtheit oder gar das Leben dar, sondern eine Beeinträchtigung z.B. der Willensbetätigungsfreiheit und des Vermögens. Orientiert an der Qualität dieser tatsächlichen Rechtsgutsverletzungen und -bedrohungen ließe sich dann das entstandene Eingriffsrecht begrenzen.83 Folglich würde die durch das Notwehrrecht erlaubte Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Angreifers stets mit einem schützenswerten Interesse des Verteidigers korrespondieren. Dennoch kann eine rein objektive Beurteilung der Erforderlichkeit einer bestimmten Verteidigungsmaßnahme letztlich nicht überzeugen. Dem Angegriffe___________ 81

Vgl. BGHSt 45, 378 (384); BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 5; BGH, NJW 1995, 973; NStZ 1987, 20; 1987, 322 (322 f.); 1996, 26 (26 f.); 1996, 29 (30); StV 1990, 543; 1999, 143 (145); Jescheck/Weigend, AT, S. 350; Kühl, AT, § 7 Rn. 107; Warda, Jura 1990, S. 344 (348); Wessels/Beulke, AT, Rn. 351, 484. 82 Vgl. Schröder, C., JuS 2000, S. 235 (240). 83 Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 10.

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nen allein die Möglichkeit der Straffreiheit als Ausweg anzubieten und seine als nachvollziehbar und verständlich erscheinende Reaktion auf einen Angriff mit dem Prädikat der Rechtswidrigkeit zu versehen, verbietet sich im Ergebnis. Liegt ein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff tatsächlich vor, wird die Anwendbarkeit des § 32 StGB dem Grunde nach eröffnet. Die Bereitstellung dieser normativen Engriffsbefugnis liefe jedoch leer, wenn sie an übermenschliche Fähigkeiten geknüpft würde. Durch die nachträgliche Berücksichtigung auch solcher Umstände, die in der konkreten Konfliktlage für niemanden erkennbar waren, würde aber gerade ein solcher Maßstab angelegt werden, den kein – nicht einmal ein über alle Maßen besonnener – Verteidiger zu erfüllen im Stande wäre.84 Die Rechtsordnung schuldet dem Verteidiger jedoch eine realistische Möglichkeit, sich in der Konfliktlage nicht nur zufälligerweise, sondern ganz gezielt rechtmäßig zu verhalten.85 Mit dieser „Pflicht“ wäre es jedoch nicht vereinbar, die Prognose über die Erforderlichkeit einer Verteidigungsmaßnahme unter den Vorbehalt zu stellen, dass sie auch noch nach einer Einbeziehung erst nachträglich bekannt gewordener Tatsachen Bestand hat, egal ob diese Umstände im Zeitpunkt des Angriffs bereits tatsächlich vorlagen – wie etwa die anfängliche Funktionsuntüchtigkeit einer Pistole – oder sich im Laufe des Angriffsgeschehens erst entwickelten – wie etwa eine erst nachträglich eintretende Funktionsstörung.86 Im Übrigen sollten objektiv unvermeidbare Irrtümer über die Erforderlichkeit einer Angriffsabwehr auch aus kriminalpolitischen Erwägungen nicht zulasten des Verteidigers gehen.87 Hat ein Angreifer wie im obigen Beispielsfall vorwerfbar eine Notwehrlage verursacht, so verbietet es sich, dem Opfer eines „nur“ mit einer Scheinwaffe begangenen Raubüberfalls das Risiko unvermeidbarer Fehleinschätzungen aufzuerlegen. Die Konsequenz, dass zwar die bewaffnete Gegenwehr des Angegriffenen wegen eines Erlaubnisumstandsirrtums nicht strafbar wäre, aber dennoch das Nothilferecht eines Dritten auslösen könnte, der dem ursprünglichen Angreifer – gegebenenfalls sogar scharf bewaffnet – Beistand leisten dürfte, wäre nicht tragbar.88

___________ 84

Schröder, C., JuS 2000, S. 235 (240). MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 123. Vgl. auch Otto, Jura 1988, S. 330 (331). 86 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 123; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 46. 87 Roxin, AT 1, § 15 Rn. 46. 88 So auch MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 123. 85

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(2) Beurteilung aus Sicht des Notwehrübenden Die Gegenposition89 will das Maß der erforderlichen Verteidigung ohne Rückgriff auf objektive Kriterien und damit rein subjektiv bestimmen. Unterschiedlich sind jedoch die Begründungsansätze. So ist für Born allein die innere Zwangslage des Angegriffenen ausschlaggebend. Auch bei Angriffen mit Schein- oder anderen ungefährlichen Waffen trage der Angreifer das Risiko, dass der Angegriffene so reagiere, als ob die Gefahr realiter existiere. Schließlich habe der Angreifer beim Verteidiger absichtlich den Glauben an eine Lebensgefahr hervorgerufen. Zur Abwehr des Angriffs erforderlich seien deshalb alle Verteidigungshandlungen, die dem Angegriffenen dann zur Verfügung stünden, wenn man ihn mit einer seinem Eindruck entsprechenden scharfen Waffe bedroht hätte.90 Jakobs stellt hingegen auf den Gesichtspunkt der Veranlassung der Abwehrhandlung ab. Ist der Angreifer für eine Konfliktlage voll oder zumindest vorrangig zuständig, so zwingt er dem Abwehrenden den Konflikt auf und müsse aus diesem Grunde dessen Abwehrhandlungen hinnehmen.91 Dies gelte nicht nur für reale Gefahren, die vom Angreifer zu verantworten sind, sondern auch für zurechenbar erregte Scheingefahren. Das Vertrauen des Angreifers darauf, mit der Abwehr nur so stark belastet zu werden, wie es bei optimaler Einrichtung der Verteidigung objektiv noch erforderlich wäre, sei nicht schützenswert. Denn wer den Schein einer Notwehrlage zurechenbar erregt, habe keine Sonderbelastung, sondern lediglich die Konsequenzen des eigenen Täuschungsmanövers zu tragen.92 Bestimmt man die Erforderlichkeit der Abwehrmaßnahme subjektiv ex ante, so durfte sich N im Beispielsfall mit den gleichen Mitteln verteidigen, die ihm zugestanden hätten, wenn A ihn mit einer geladenen Pistole zur Herausgabe seiner Brieftasche aufgefordert hätte. Er hatte aufgrund eines Täuschungsmanövers nicht erkannt, dass die von A verwendete Waffe ungeladen war. Das mit dieser ___________ 89 Born, Abwehr vorgetäuschter Angriffe, S. 151 f.; Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 9 f., 12. Abschn. Rn. 34. 90 Born, Abwehr vorgetäuschter Angriffe, S. 152. 91 Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 10. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Otto, AT, § 8 Rn. 212; ders., Jura 1988, S. 330 (332), wenn er auf das Prinzip des Interessenvorrangs abstellt: „Wer sich gegen einen vorgetäuschten Angriff mit der bei einem tatsächlichen Angriff erforderlichen Verteidigungshandlung zur Wehr setzt, wahrt das höherrangige Interesse gegenüber den durch die Verteidigungshandlung verletzten Interessen des Angreifers, der den Angriff bewußt vorgetäuscht hat.“ Anders als Jakobs will Otto die Erforderlichkeit jedoch aufgrund eines objektiven ex ante-Urteils bestimmen, vgl. Otto, AT, § 8 Rn. 45. 92 Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 9 f.

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Fehlvorstellung verbundene Risiko einer falschen Einschätzung der Erforderlichkeit habe aber nicht der N, sondern der täuschende A zu tragen. Probleme einer allein auf die Tätersicht abstellenden Bestimmung der Erforderlichkeit treten jedoch spätestens in den Fällen deutlich zutage, in denen ein durchschnittlich besonnener Dritter die Ungefährlichkeit der Waffe erkannt und somit die Täuschung des Angreifers durchschaut hätte. Auch in diesen Ausnahmefällen soll es entweder allein darauf ankommen, ob der Angreifer in dem Verteidiger eine Zwangslage erzeugt hat,93 oder ob er für die Konfliktlage zuständig ist. Unterschiede zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Fehlvorstellungen werden nicht gemacht. Zwar mag ein solches Vorgehen im Ausnahmefall eines vorgetäuschten Angriffs dem Rechtsgefühl entsprechen. Generell kann die innere Gefühlslage des sich Verteidigenden jedoch kein Maßstab für die Beurteilung der Erforderlichkeit sein.94 Sie belastet den Angreifer auch mit den Risiken vermeidbarer Irrtümer des Verteidigers, also mit Risiken, die zumindest grundsätzlich nicht in dieser Weise verteilt werden sollten.95 Die Notwehr ist kein Mittel, um einen objektiv als solchen erkennbaren Scheinangreifer zu disziplinieren.96 Vielmehr bietet die Irrtumsdogmatik ein hinreichendes Instrumentarium, um auf Sonderfälle, in denen der Verteidiger anders als ein neutraler Beobachter die Harmlosigkeit eines Angriffs nicht erkannte, angemessen zu reagieren.97

(3) Objektive Beurteilung ohne Berücksichtigung nachträglicher Erkenntnisse Festzuhalten bleibt, dass bei der Bestimmung der Erforderlichkeit einer Abwehrmaßnahme einerseits die innere Zwangslage des Verteidigers kein taugliches Beurteilungskriterium darstellt und andererseits eine rein objektive Betrachtungsweise, bei der selbst nachträgliche Erkenntnisse Berücksichtigung finden, zu einer unangemessenen Benachteiligung des Verteidigers führt. Notwendig ist es daher, einen Mittelweg zu beschreiten: Ausgehend vom zeitlichen ___________ 93 Folgerichtig kann sich die innere Zwangslage des getäuschten Verteidigers selbst dann nicht von derjenigen unterscheiden, die durch einen Angriff mit gefährlichen Waffen hervorgerufen wurde, wenn ein verständiger Beobachter die Täuschung des Angreifers hätte durchschauen können. Vgl. Born, Abwehr vorgetäuschter Angriffe, S. 158 ff. 94 Schröder, C., JuS 2000, S. 235 (240). 95 Otto, Jura 1988, S. 330 (331). Dies bestreitet Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 9 f., wenn er ausführt, dass auch derjenige gerechtfertigt sei, der aufgrund persönlichen Unvermögens ein als Attrappe erkennbares Angriffsmittel für gefährlich hält und sich deshalb so verteidigt, wie es bei einem Angriff mit tauglicher Waffe erforderlich gewesen wäre. 96 Schröder, C., JuS 2000, S. 235 (241). 97 Schröder, C., JuS 2000, S. 235 (240).

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Standpunkt des Verteidigers ist das Maß der erforderlichen Verteidigung anhand objektiver Kriterien zu ermitteln.98 Es ist nicht notwendig, den Beurteilungsmaßstab für die Erforderlichkeit an die individuellen Fähigkeiten des jeweiligen Verteidigers zu knüpfen. Maßgeblich ist daher regelmäßig nicht die Verteidigersicht, sondern die Sicht eines objektiven Beobachters.99 Umstände wie beispielsweise die Funktionstüchtigkeit oder der Ladezustand der Waffe des Angreifers, die selbst ein verständiger Beobachter erst im Nachhinein erkennen konnte, dürfen jedoch keinen Einfluss auf die Beurteilung der Erforderlichkeit haben.100 Nur so kann man dem prognostischen Charakter des Merkmals der Erforderlichkeit gerecht werden und vermeiden, dass dem Verteidiger das Risiko einer unvermeidbar falschen Beurteilung der Konfliktsituation aufgebürdet wird. Trägt der Angreifer das Prognoserisiko, so kann vom Verteidiger nicht verlangt werden, dass dieser sicherheitshalber auf ein milderes Mittel zurückgreifen soll, weil möglicherweise im Nachhinein neue Tatsachen hinzutreten könnten, die gegebenenfalls eine andere Einschätzung der Erforderlichkeit einer Abwehrmaßnahme nach sich ziehen. Wie dargestellt ist somit grundsätzlich die objektive Perspektive eines verständigen Beobachters für die Beurteilung der Erforderlichkeit maßgeblich. Etwas anderes gilt jedoch in den Fällen, in denen der Angegriffene in der konkreten Kampflage über ein Sonderwissen verfügt. Kann der Verteidiger aufgrund dieses Wissens anders als der durchschnittliche Beobachter erkennen, dass ein Angriff relativ harmlos ist, so ist dieses Wissen bei der Festlegung des erforderlichen Maßes der Verteidigung zugrunde zu legen.101 Denn in einer derartigen Situation besteht für den Verteidiger gerade kein Risiko, die Gefährlichkeit des Angriffs falsch einzuschätzen. Es ist also nicht notwendig, mögliche Unsicher-

___________ 98 BGH, GA 1956, 49; NJW 1969, 802; 1989, 3027; BSGE 84, 54 (59); Bockelmann, FS Dreher, S. 235 (247); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 121 f.; Gropp, AT, § 6 Rn. 79; NK-Herzog, § 32 Rn. 60 f.; Jescheck/Weigend, AT, S. 343; Krey, AT 1, Rn. 477; Murmann/Rath, NStZ 1994, S. 215 (216 f.); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 180; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 46; Schröder, C., JuS 2000, S. 235 (240 f.); SternbergLieben, I., JA 1996, S. 299 (305). Ferner AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733 (734) zu § 227 BGB. 99 Anders Amelung, Jura 2003, S. 91 (95 f.), der nicht auf einen objektiven Drittbeobachter, sondern auf eine Durchschnittsperson in der Position des Angegriffenen abstellen will. 100 BGH, StV 1999, 143 (145); BSGE 84, 54 (59); Beulke, JR 1990, S. 380; Bockelmann/Volk, AT, § 15 (S. 92); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 122 f.; Joecks, § 32 Rn. 15; Krey, AT 1, Rn. 479; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 46; Schröder, C., JuS 2000, S. 235 (240 f.); Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 299 (305); Wessels/Beulke, AT, Rn. 337 f. In diesem Sinne auch BT-Drucks. 4/650, S. 157. 101 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 122; Schröder, C., JuS 2000, S. 235 (240 f.).

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

heiten bei der Erforderlichkeitsprognose der Risikosphäre des Angreifers zuzuordnen.102 Kannte der Verteidiger wie im geschilderten Beispielsfall den Ladezustand der Waffe des Angreifers nicht und war die relative Ungefährlichkeit des Angriffs auch für einen verständigen Beobachter nicht erkennbar, so ist bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Verteidigung die Fehlvorstellung als maßgeblich zugrunde zu legen. Der Verteidiger darf sich so gegen den Angriff zur Wehr setzen, als hätte man ihn tatsächlich mit einer geladenen Waffe angegriffen.

cc) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis bleibt somit festzuhalten, dass die Erforderlichkeit einer Verteidigungshandlung anhand objektiver Kriterien aus einer ex ante-Perspektive zu beurteilen ist. Ebendieser Maßstab ist auch für die Bestimmung der Eignung zugrunde zu legen: Diejenige Verteidigungshandlung ist geeignet, die auch ein verständiger Beobachter in der konkreten Notwehrsituation zur Abwehr des Angriffs für geeignet erachten würde. Umstände, die auch ein neutraler Beobachter erst im Nachhinein hätte erkennen können, haben keinen Einfluss auf die Beurteilung der Eignung. Allerdings ist etwaiges Sonderwissen des Verteidigers zu berücksichtigen.

b) Maßstab für die Beurteilung des Bestehens einer Verteidigungsgemeinschaft Eine objektive ex ante-Perspektive ist folglich auch dann einzunehmen, wenn man bestimmen will, ob der Angegriffene die Hilfe eines Dritten in Anspruch nehmen muss. Die potentielle Unterstützungshandlung eines Dritten muss sich für einen verständigen Beobachter aufgrund von objektiven Anhaltspunkten als zur Abwehr des Angriffs erforderlich darstellen. Objektive Umstände müssen also im Zeitpunkt des Angriffs zu dem Schluss führen, dass die Hilfeleistung eines Dritten in der Lage wäre, den Angriff entweder ganz zu beenden oder ihn zumindest abzuschwächen, zu erschweren oder zu verzögern.103 Essentielle Voraussetzung hierfür ist, dass der Dritte als „Verteidigungsmittel“ erreichbar, also zur Hilfeleistung bereit ist. Nur unter dieser Voraussetzung kann man un___________ 102 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 122; Joecks, FS Grünwald, S. 251 (255); Roxin, AT 1, § 15 Rn. 9. 103 Zur Definition der Eignung vgl. bereits die Nachweise in Fn. 7 auf S. 186.

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terstellen, dass der Angegriffene faktisch ein Bündnis mit seinem Helfer eingegangen ist. § 32 Abs. 2 StGB gestattet einem anwesenden Dritten, den Angriff auch von einem anderen abzuwehren. Eine Pflicht zur Nothilfe besteht hingegen grundsätzlich nicht; das Unterlassen einer Hilfeleistung ist für einen fremden Dritten nur unter den Voraussetzungen des § 323c StGB strafbar,104 der die unterlassene Hilfeleistung nicht nur bei Unfällen, sondern auch bei Straftaten ahndet105. Trotz der Strafdrohung des § 323c StGB kann jedoch allein aus der Anwesenheit eines am Angriffsgeschehen unbeteiligten Dritten nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass diese Person auch willens und fähig ist, Hilfe zu leisten.106 Dies erkennt auch die Rechtsprechung an, wenn sie in einer Vielzahl von Entscheidungen ausführt, es widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass sich unbeteiligte Dritte ohne Kenntnis vom Grund der Auseinandersetzung in die Feindseligkeiten zweier Gruppen schlichtend einmischen.107 Bestätigung findet diese Erkenntnis zum einen in den Schlagzeilen der Tagespresse. Artikel mit Überschriften wie beispielsweise „Vergewaltigt – Warum half keiner?“108, „Raub: Passanten sahen tatenlos zu“109 oder „Behinderter im Bus brutal überfallen – niemand half“110 belegen exemplarisch immer wieder die Untätigkeit von Personen, die in Notsituationen anwesend und regelmäßig zur Vornahme von Hilfsmaßnahmen in der Lage waren.111 Zum anderen konnte dieser Befund aber auch experimentell belegt werden. So führte beispielsweise der

___________ 104 Gegebenenfalls kommt darüber hinaus die Verwirklichung eines unechten Unterlassungsdeliktes durch den Dritten in Betracht, wenn dieser dem Opfer nicht fremd und als Garant im Sinne des § 13 StGB zum Einschreiten verpflichtet ist. 105 Zur Reichweite des Unglücksfalls in § 323c StGB vgl. RGSt 71, 187 (189); BGHSt 3, 65 (66 f.); Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, D., § 323c, Rn. 5, 7. Allgemein zum Einfluss von Normen auf die Hilfeleistung und zur geringen praktischen Bedeutung des § 323c StGB Schwind/Roitsch/Gielen/Gretenkordt, Alle gaffen, S. 99 ff., 145 ff. 106 Ebenso MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134; Fuchs, Grundfragen, S. 139; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41. 107 So ausdrücklich BGH (Z), NJW 1976, 41 (42). Vgl. auch BGHSt 27, 336 (337 f.); BGH, NJW 1980, 2263; 1984, 986. Anders RGSt 71, 133 (134 f.); OLG Frankfurt am Main, VRS 40 (1971), 424 (425). 108 Die Welt vom 3.6.2003, http://www.welt.de/data/2003/06/03/110042. 109 Nürnberger Zeitung vom 4.2.1991, abgedruckt bei Schwind/Roitsch/Gielen/Gretenkordt, Alle gaffen, S. 24. 110 Bild vom 3.5.1997, abgedruckt bei Schwind/Roitsch/Gielen/Gretenkordt, Alle gaffen, S. 54. 111 Zu weiteren Beispielen vgl. Schwind/Roitsch/Gielen/Gretenkordt, Alle gaffen, S. 32 et passim.

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Deutsche Kinderschutzbund am Nachmittag des 31. August 1983 in Hamburg folgendes Experiment durch:112 In unmittelbarer Nähe einer belebten U-Bahn Station wurden aus der ErdgeschossWohnung eines Mehrfamilienhauses bei geöffnetem Fenster von einem Tonband das Gebrüll eines wütenden Mannes, Geräusche von Schlägen sowie Schreie eines Kindes abgespielt. Innerhalb einer Stunde passierten 989 Personen, die die Schreie gehört haben müssen, das Gebäude. Lediglich sieben Passanten reagierten auf das Gehörte – vier meldeten den Vorfall bei einer nahe gelegenen Polizeiwache, drei klingelten an der Haustür –; 982 Menschen gingen einfach weiter.113

Die kriminologische Forschung versucht die Gründe, die einen potentiellen Helfer zu einem Eingreifen bewegen können oder ihn davon abhalten, mittels eines Kosten-Nutzen-Modells zu beschreiben.114 Im Rahmen eines vierstufigen Entscheidungsprozesses115 wägt der mit einer Notsituation Konfrontierte ab, welche Vorteile ihm die Hilfeleistung einbringen und welche Nachteile für ihn selbst entstehen können. Sowohl situationsabhängige116 als auch personenbezo___________ 112

Beschrieben bei Schwind/Gietl/Zwenger, Kriminalistik 1991, S. 233. Vgl. ferner die Experimente zur Hilfsbereitschaft bei Latané/Darley, The unresponsive bystander. 113 Dieses Ergebnis ist symptomatisch. Zum Einfluss der „Sichtbarkeit“ des Opfers auf die Hilfsbereitschaft Clark/Word, JPersonSocialPsych 1974, S. 279 (285 f.); Vgl. ferner Institut für Demoskopie Allensbach, Allensbacher Berichte 1988, Nr. 13: Nur 36 % 1.061 befragten Personen erklärten, dass sie „auf alle Fälle“ etwas unternehmen würden, wenn sie nachts Schreckenschreie aus einer Wohnung hören würden. 114 Grundlegend dazu Latané/Darley, The unresponsive bystander, S. 31 ff. Vgl. auch Eisenberg, Kriminologie, § 54 Rn. 16 ff., 22; Schwind/Gietl/Zwenger, Kriminalistik 1991, S. 233 (234); Schwind/Roitsch/Gielen/Gretenkordt, Alle gaffen, S. 123 ff. Auch andere Erklärungsmodelle, die zum Teil zusätzliche Gesichtspunkte enthalten oder aber einzelne Faktoren der Kosten-Nutzen-Analyse besonders hervorheben, basieren auf diesem Modell, vgl. etwa Schwartz/Howard, Cooperation and helping behavior, S. 327 (340 ff.). 115 Latané/Darley, The unresponsive bystander, S. 31 ff., unterscheiden in ihrem model of the intervention process die vier Stufen der Wahrnehmung eines Ereignisses (noticing something is wrong), des Erkennens der Notlage (deciding the event is an emergency), des Erkennens und Bewertens der eigenen Verantwortlichkeit (deciding on degree of personal responsibility) und schließlich der Entscheidung des Helfers für eine bestimmte Art der Hilfe (deciding the specific mode of intervention). An diesen Entscheidungsprozess schließt sich als fünfte Stufe die eigentliche Ausführung des Hilfeverhaltens an (implementing the intervention). 116 Als situative Einflussgrößen werden genannt: auf der Wahrnehmungsebene Zeit und Ort des Ereignisses, Eindeutigkeit der Notlage sowie die Sichtbarkeit des Opfers; auf der Bewertungsebene Zahl und Verhalten der anderen Anwesenden, Kommunikationsmöglichkeiten der Helfer untereinander, Beziehung zwischen Helfer und Opfer sowie das äußere Erscheinungsbild des Opfers; auf der Entscheidungsebene die Ressourcen der Umwelt sowie das Ausmaß der Gefahr für den potentiellen Helfer. Näher dazu Schwind/Gietl/Zwenger, Kriminalistik 1991, S. 233 (235 ff.); Schwind/Roitsch/Gielen/Gretenkordt, Alle gaffen, S. 37 ff., 127 ff.

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gene Faktoren,117 die in stetiger Wechselbeziehung zueinander stehen und individuell unterschiedlich gewichtet sein können, beeinflussen diesen Bewertungsprozess. Sind beispielsweise Notlagen als solche nicht klar erkennbar, so sinkt die Hilfsbereitschaft Anwesender.118 Ist das Opfer hingegen sichtbar und macht es sich durch Hilfeschreie akustisch bemerkbar, so kann die Chance auf eine Hilfeleistung steigen.119 Ein weiterer Aspekt für die Bereitschaft zum helfenden Eingreifen ist das Verhältnis zwischen dem anwesenden Dritten und dem Opfer des Angriffs. Hilfe ist dann wahrscheinlich, wenn das Opfer und der in der Notlage anwesende Dritte befreundet sind oder sich zumindest kennen.120 Sind sich Opfer und Dritter hingegen fremd, können einerseits Sympathie und Attraktivität des Opfers121 und andererseits Empathie-Effekte122 die Hilfsbereitschaft beeinflussen. Je mehr sich der das Angriffsgeschehen Beobachtende mit dem Opfer identifizieren und dessen Notlage nachempfinden kann, desto hilfsbereiter ist diese Person vermutlich. Schließlich wird in Notwehrlagen regelmäßig auch das Ausmaß der Gefahr für den potentiellen Helfer mitbestimmen, ob ein Unbeteiligter in ein für ihn deutlich erkennbares Angriffsgeschehen eingreift. Ist ein „Täter“ am „Tatort“ noch anwesend – was bei einem gegenwärtigen Angriff im Sinne des § 32 StGB der Regelfall ist – oder geht er besonders brutal vor, sinkt die Wahrscheinlichkeit für eine Hilfeleistung. Da ein gewaltbereiter Angreifer sowohl für den Angegriffenen als auch für den hilfsbereiten Dritten eine Gefahr darstellt, wird sich der potentielle Helfer regelmäßig zumindest nicht für ein direktes, den Angegriffenen aktiv unterstützendes Eingreifen entscheiden.123 ___________ 117

Als personenbezogene Einflussfaktoren werden genannt: auf der Wahrnehmungsebene die Stimmungslage und Selbstbezogenheit des potentiellen Helfers; auf der Bewertungsebene die Empathie, das erlernte prosoziale Verhalten und Verantwortungsgefühl, Normeneinflüsse auf die Hilfeleistung, das Nichteinmischen-Wollen in fremde Angelegenheiten sowie das Ausmaß der eigenen Bewertungsangst; auf der Entscheidungsebene die Einschätzung der eigenen Kompetenz. Näher dazu Schwind/Gietl/Zwenger, Kriminalistik 1991, S. 233 (237 ff.); Schwind/Roitsch/Gielen/Gretenkordt, Alle gaffen, S. 81 ff., 127 ff. 118 Clark/Word, JPersonSocialPsych 1974, S. 279 (285 f.); Eisenberg, Kriminologie, § 54 Rn. 16; Schwind/Gietl/Zwenger, Kriminalistik 1991, S. 233 (235). 119 Clark/Word, JPersonSocialPsych 1974, S. 279 (285 f.); Schwind/Roitsch/Gielen/Gretenkordt, Alle gaffen, S. 43. 120 Vgl. etwa BGHSt 27, 313: Nothilfe zugunsten des Chefs. 121 Vgl. dazu Piliavin, I./Piliavin, J./Rodin, JPersonSocialPsych 1975, S. 429 (433). 122 Bierhoff, Hilfreiches Verhalten, S. 36; Eisenberg, Kriminologie, § 54 Rn. 21; Schwind/Roitsch/Gielen/Gretenkordt, Alle gaffen, S. 89 ff. 123 Latané/Darley, The unresponsive bystander, S. 69; Schwind/Roitsch/Gielen/Gretenkordt, Alle gaffen, S. 71 ff. Ebenso MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134: Die „Bereitschaft, sich in fremde handgreifliche Auseinandersetzungen einzuschalten, [ist] im Allgemeinen … äußerst gering“. Diese These bestätigt auch eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, Allensbacher Berichte 1988, Nr. 13: Von 1.061 befragten Per-

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

Zwar können mittels der Kosten-Nutzen-Analyse sowohl das Eingreifen eines unbeteiligten Dritten als auch dessen Untätigkeit in einer Notlage retrospektiv erklärt werden. Eine Vorhersage über das Verhalten eines potentiellen Helfers in einer Angriffssituation kann mit diesem Modell jedoch nicht getroffen werden.124 Solange sich Anwesende passiv verhalten, bleibt deren Reaktion also nicht nur für den Angegriffenen „völlig unberechenbar und rein hypothetisch“125, sondern auch für die wissenschaftliche Forschung.126 Wie sich aus den bereits oben angeführten Untersuchungen127 ergibt, wird die ganz überwiegende Zahl unbeteiligter Dritter nicht bereit sein, sich in handgreifliche Auseinandersetzungen einzumischen. Zwar können etwa Hilferufe des Opfers die Eindeutigkeit einer Notlage klarstellen und dadurch die Chance auf eine Hilfeleistung erhöhen. Ob der bislang passive Zuschauer durch die Hilfeschreie des Angegriffenen in der konkreten Situation tatsächlich zum Eingreifen motiviert wird, bleibt jedoch bloße Spekulation. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass derjenige am Ort des Angriffsgeschehens Anwesende, der sich bislang passiv verhalten hat, trotz der Hilfeschreie auch weiterhin nichts unternehmen wird, um das Opfer bei der Abwehr des Angriffs zu unterstützen. Dies gilt umso mehr, wenn Bekannte des Opfers dem Angriffsgeschehen beiwohnen. Erklären sich diese Personen nicht spontan zur Hilfe bereit, so ist dies regelmäßig ein Indiz dafür, dass sie sich entweder aus dem Konflikt heraushalten oder aber zumindest nicht selbst handgreiflich werden wollen.128 Daher wird man vom Angegriffenen grundsätzlich129 auch nicht erwarten dürfen, einen Anwesenden, der bislang seine Hilfsbereitschaft nicht nach außen hin dokumentiert hat, um Hilfe zu bitten.130 ___________ sonen erklärten lediglich 9 % der Befragten, dass sie bei einem Streit, der mit Handgreiflichkeiten verbunden ist, „auf alle Fälle“ eingreifen würden. „Unter bestimmten Umständen“ wären 34 % der Interviewten zu einem Eingreifen bereit und 47 % würden „wahrscheinlich nichts tun“. 124 Schwind/Gietl/Zwenger, Kriminalistik 1991, S. 233 (235). 125 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134. 126 Vgl. etwa Eisenberg, Kriminologie, § 54 Rn. 22. 127 Vgl. die Ausführungen auf S. 212 mit Fn. 113. 128 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134. Vgl. ferner das auf S. 212 oben geschilderte Experiment des Deutschen Kinderschutzbundes sowie die Nachweise in Fn. 113 auf S. 212. 129 Etwas anderes mag dann gelten, wenn dem Angegriffenen lediglich ein eingeschränktes Notwehrrecht zur Verfügung steht. Näher dazu sogleich unter A. II. ab S. 216 in diesem Kapitel. 130 Ebenso BGHSt 27, 336 (337); BGH, NJW 1980, 2263; VRS 30 (1966), 281 (282); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41. Vgl. auch die Nachweise in Fn. 107 auf S. 211. Anders hingegen RGSt 71, 133 (134 f.); Kühl, AT, § 7 Rn. 123; Lackner/ders., § 32 Rn. 11a.

A. Angriffsabwehr durch anwesende Privatpersonen

215

Das Verteidigungspotential untätiger Dritte braucht der Angegriffene folglich nicht in seinen Überlegungen zu berücksichtigen.131 Erst dann, wenn sich die Hilfsbereitschaft eines bislang unbeteiligten Dritten für einen neutralen Beobachter aus den Umständen der Notwehrsituation ergibt, kann dieser fremden Person die Qualität eines zur Abwehr des Angriffs bereiten Helfers zugesprochen werden; erst dann hat dessen Verteidigungspotential Einfluss auf die Reaktionsmöglichkeiten der Verteidigungsgemeinschaft.132 Deshalb genügt es nicht, dass etwa Mitschüler den Angreifer und sein Opfer umringen und die Auseinandersetzung bloß beobachten.133 Erforderlich ist vielmehr, dass der hilfsbereite Dritte seine Bereitschaft, Hilfe zu leisten und den Angegriffenen zu unterstützen, entweder ausdrücklich oder konkludent erklärt hat.134 So kann beispielsweise aus der zeitlich unmittelbar vorhergehenden Hilfeleistung eines Dritten bei einer tätlichen Auseinandersetzung geschlossen werden, dass dieser dem Angegriffenen auch bei einem erneuten Angriff unterstützend zur Seite stehen wird.135 Umgekehrt deutet hingegen der Abbruch von Schlichtungsversuchen eines Dritten darauf hin, dass dieser nun nicht mehr bereit ist, zugunsten des Angegriffenen in das Geschehen einzugreifen. Wenn sich beispielsweise ein Freund des Angriffsopfers, nachdem er erfolglos versucht hatte, die Auseinandersetzung zu schlichten, vom Ort des Geschehens zurückzieht, wird dessen Hilfsbereitschaft zweifelhaft. Das Opfer des Angriffs braucht diese ungewisse Hilfe deshalb nicht mehr als eine der möglichen Abwehrmaßnahmen der – nunmehr aufgelösten – Verteidigungsgemeinschaft zu berücksichtigen.136 Auch aus dem Umstand, dass ein Dritter von demselben Angreifer belästigt wurde, wird man jedenfalls dann nicht auf eine mögliche Hilfsbereitschaft schließen dürfen, ___________ 131 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41. Vgl. auch BGHSt 27, 336 (337 f.); BGH, EzSt StGB § 32 Nr. 6; GA 1965, 147 (149); NJW 1980, 2263; NStZ 1982, 285; 1989, 474 (475); 1994, 581 (582); 2002, 140. 132 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 134; Fuchs, Grundfragen, S. 139; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41. 133 Vgl. dazu BGH, NJW 1980, 2263. 134 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 133: Solidaritätszusage; Schönke/SchröderLenckner/Perron, § 32 Rn. 41; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 184. Vgl. auch BGH, MDR 1975, 194 (195); LG Görlitz, Urteil vom 11.7.1995 – 3 Ks 137 Js 11318/93 –, S. 18. 135 So etwa RGSt 66, 244 (244 f.). In dieser Entscheidung war der Angeklagte mit dem W in einen tätlichen Streit geraten. S, der Begleiter des Angeklagten, trennte die Kämpfenden. Als W nun erneut den Angeklagten angriff, verletzte dieser den W mit einem Messer tödlich. Das RG schloss aus dem Vorverhalten des S darauf, dass dieser dem W auch bei der neuerlichen Auseinandersetzung beigestanden hätte. Daher sei der Messerstich nicht im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich gewesen. Ferner BGH, MDR 1975, 194 (195). 136 In diesem Sinne BGH, NJW 1984, 986; Spendel, JZ 1984, S. 507 (507 f.). Zu dieser Entscheidung vgl. auch die Ausführungen im 1. Kapitel unter A. I. 2. b) auf S. 35.

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

wenn sich dieser Dritte ohne eigene Verteidigungshandlungen aus der Konfliktsituation zurückgezogen hat.137 Ausnahmsweise ist das Verteidigungspotential eines anwesenden Dritten auch dann mit dem des Angegriffenen in einer Verteidigungsgemeinschaft zusammenzufassen, wenn die Hilfsbereitschaft des Dritten für einen verständigen Beobachter nach den objektiven Umständen des Einzelfalls nicht erkennbar war. Weiß der Angegriffene, dass der vermeintlich passive Dritte tatsächlich zur Hilfe bereit ist, so ist dieses Sonderwissen entsprechend den oben dargestellten allgemeinen Grundsätzen bei der Erforderlichkeitsprognose zu berücksichtigen.

II. Gebotenheit der Verteidigungshandlung als Anknüpfungspunkt Zwar kennt § 32 Abs. 2 StGB keine Bindung der Verteidigung an Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte, sondern gestattet dem Angegriffenen die erforderliche Verteidigung. Allerdings bestimmt § 32 Abs. 1 StGB, dass die Notwehr, also die erforderliche Abwehr eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs, darüber hinaus geboten sein muss. Das Merkmal der Gebotenheit dient dabei als positivrechtlicher Anknüpfungspunkt für die sog. sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts.138 Zwar könnte man bei einer reinen Interpretation des Wortlautes meinen, der Begriff der Gebotenheit umschreibe letztlich nichts anderes als die erforderliche Verteidigung in § 32 Abs. 2 StGB.139 In dieser Absolutheit kann einer inhaltlichen Identität der Begriffe „erforderlich“ und „geboten“ indes nicht zugestimmt werden. Zwar ist richtig, dass beide Begriffe ihrem Wortsinn nach bedeuten, dass etwas für einen bestimmten Zweck unerlässlich, notwendig ist.140 Bei dieser einen Bedeutung des Begriffs Gebotenheit bleibt es aber nicht. Geboten kann eine Handlung auch dann sein, wenn sie durch eine ___________ 137 Anders wohl OLG Frankfurt am Main, VRS 40 (1971), 424 (425). Allerdings stellt das OLG Frankfurt am Main nicht auf die Hilfsbereitschaft des anwesenden Dritten ab, sondern lediglich auf dessen „offenkundige“ Fähigkeit zur Abwehr des Angriffs. 138 Geilen, Jura 1981, S. 370; NK-Herzog, § 32 Rn. 89; Kühl, AT, § 7 Rn. 163; Otte, Defensivnotstand, S. 73; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 55; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 568. Vgl. auch BGHSt 39, 374 (377); 42, 97 (100, 102). 139 So etwa Hruschka, AT, S. 373; Kretschmer, Jura 2002, S. 114 (115 f.); Kühl, AT, § 7 Rn. 87; Lauth, Antizipierte Notwehr, S. 81; Lenckner, GA 1968, S. 1 (6 ff.); Schmidhäuser, GA 1991, S. 97 (133); ders., FS Honig, S. 185 (190); LK11-Spendel, § 32 Rn. 256. Etwas zurückhaltender Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 44. 140 Vgl. Duden, Bd. 3, Stichwort „erforderlich“ (S. 1073): „für einen bestimmten Zweck unbedingt notwendig; unerlässlich“; Stichwort „gebieten“ (S. 1392): „1. … b) dringend erfordern, verlangen, zu etw. zwingen“; Stichwort „Gebot“ (S. 1394): „3. Erfordernis, Notwendigkeit“.

A. Angriffsabwehr durch anwesende Privatpersonen

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Norm der Moral allgemeinverbindlich gefordert wird.141 Dass der Gesetzgeber die Gebotenheit im letztgenannten Sinne verstanden wissen wollte, also beiden Begriffen unterschiedliche Funktionen zugeordnet hat, zeigt ein Blick in die Gesetzgebungsgeschichte. Entgegen den Vorschlägen in § 37 des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962142 und § 14 Abs. 1 und 2 des Alternativentwurfs zum Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs von 1966143 behielt der Gesetzgeber des Allgemeinen Teils von 1975 die Formulierung „Tat …, die durch Notwehr geboten ist“ in § 32 Abs. 1 StGB bei. Ausdrücklich sollte dieser Relativsatz als Ausgangspunkt für eine Begrenzung des Notwehrrechts aus sozialethischen Gründen dienen.144 Konkrete inhaltliche Vorgaben für einzelne Fälle gebotener Beschränkungen des Notwehrrechts sind § 32 Abs. 1 StGB indes nicht zu entnehmen.145 Um dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG gerecht zu werden, müssen die einzelnen Fallgruppen im Wege einer teleologischen Auslegung aus dem Wesen und den Grundgedanken der Notwehr heraus ermittelt werden.146 Ergibt die Auslegung, dass es unbillig wäre, dem Angegriffenen in einer bestimmten Konstellation – etwa bei bloß unerheblichen oder vom Betroffenen vorwerfbar herbeigeführten Angriffen oder bei nicht voll verantwortlich handelnden An-

___________ 141 Vgl. Duden, Bd. 3, Stichwort „Gebot“ (S. 1394): „1. moralisches … Gesetz, das ein bestimmtes Handeln, Verhalten [allgemein] verbindlich vorschreibt, fordert“. 142 BT-Drucks. 4/650 zu § 37 E 1962; vgl. dort die S. 16 und 156 f. Der Normtext des § 37 E 1962 findet sich auch in der Anlage. 143 Baumann/Brauneck/Hanack/Kaufmann/Klug/Lampe/Lenckner/Maihofer/Noll/Roxin/Schmitt/Schultz/Stratenwerth/Stree, AE StGB, AT, S. 50 f. Der Normtext des § 14 AE StGB findet sich auch in der Anlage. 144 BT-Drucks. 5/4095, S. 14. Vgl. dazu auch Felber, Rechtswidrigkeit, S. 168; Frister, GA 1988, S. 291 (313); Kühl, AT, § 7 Rn. 163; Matt, NStZ 1993, S. 271 (272); Otte, Defensivnotstand, S. 73 f.; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 55 ff.; ders., StV 2006, S. 235 (236); Schroth, NJW 1984, S. 2562 (2563); Stree, JuS 1973, S. 461 (461 f.). 145 Aus diesem Grund zweifeln einige Autoren mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG an der Legitimationskraft der Gebotenheitsklausel, so etwa Engels, GA 1982, S. 109 (124 f.); Erb, ZStW 108 (1996), S. 266 (294 ff.); MünchKommStGB-ders., § 32 Rn. 179 f.; Kratzsch, GA 1971, S. 65 (68 ff.); Loos, FS Deutsch, S. 233 (245); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 228; Seebode, FS Krause, S. 375 (379 ff.); LK11-Spendel, § 32 Rn. 308. 146 So bereits OLG Kiel, HESt 2, 206 (208). Vgl. auch Eggert, NStZ 2001, S. 225 (228); Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 172 f.; Geilen, Jura 1981, S. 370 (371); NK-Herzog, § 32 Rn. 99; Koch, B., ZStW 104 (1992), S. 785 (787 ff.); LK12Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 227; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 568. Freier in der Herleitung der einzelnen Fallgruppen der sozialethischen Notwehrbeschränkungen sind hingegen diejenigen Autoren, die eine Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr verneinen, so etwa Roxin, AT 1, § 15 Rn. 56 ff.

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

greifern –147 das schneidige Notwehrrecht in seiner Gänze zuzugestehen, muss dieser auf die optimale Verteidigung verzichten und sich mit einer weniger geeigneten Abwehrmaßnahme zufrieden geben, die den Angreifer in einem geringeren Maße schädigt. Ist der Angegriffene ein Verteidigungsbündnis mit einem Helfer eingegangen, so sind dabei freilich auch die milderen Abwehrmöglichkeiten des Helfers zu berücksichtigen. Besteht eine Verteidigungsgemeinschaft nicht, so ist der Angegriffene verpflichtet, anwesende Dritte, die ihre Hilfsbereitschaft noch nicht kundgetan haben, um Hilfe zu bitten und sich so die Möglichkeit einer milderen Verteidigungsalternative zu verschaffen.148 Freilich stellt ein solcher faktischer Vorrang fremder Hilfe lediglich eine Folge des Umstandes dar, dass der Angegriffene in einer bestimmten Fallkonstellation aus sozialethischen Gründen auf eine scharfe eigenhändige Verteidigungsmaßnahme zu verzichten hat. Ob darüber hinaus der Vorrang fremder privater Hilfe eine eigenständige Fallgruppe der sozialethischen Notwehreinschränkungen darstellt, ist indes zweifelhaft. Wie bereits erwähnt, müsste eine solche Beschränkung mit Blick auf die Grundgedanken der Notwehr erklärbar sein. Ist nach dem hier favorisierten Notwehrmodell der Grund für die besondere Schneidigkeit des Notwehrrechts darin zu sehen, dass der Angreifer den Rechtskreis seines Opfers missachtet und er die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Angegriffenen beeinträchtigt, ändert daran die Anwesenheit von privaten Helfern nichts. Der Eingriff in die Sphäre des Opfers ist nicht als weniger gravierend anzusehen, nur weil ein privater Dritter bereit und fähig war, diesen Eingriff zurückzuweisen. Zu keinem anderen Ergebnis wird man gelangen, wenn man mit der herrschenden Meinung das Rechtsbewährungsinteresse zu den Grundgedanken der Notwehr zählt: Dieses Interesse ist nicht schon deshalb als ___________ 147

Dass dem Angegriffenen in diesen Fallgruppen das Notwehrrecht nicht in vollem Umfang zusteht, wurde bereits im 2. Kapitel unter C. IV. ab S. 148 ausgeführt. Ob daneben die Verteidigungsbefugnis bei der Abwehr von Angriffen im Rahmen enger persönlicher Beziehungen einzuschränken ist, erscheint mit Blick auf die hier befürwortete Notwehrkonzeption zweifelhaft; der Frage soll im Rahmen dieser Arbeit aber nicht weiter nachgegangen werden. Zu diesem Problemkreis vgl. einerseits etwa Engels, GA 1982, S. 109 (114 ff.); Frister, GA 1988, S. 291 (308 f.); Krey, AT 1, Rn. 495; Loos, JuS 1985, S. 859 (863); Otto, AT, § 8 Rn. 91 f.; LK11-Spendel, § 32 Rn. 310; Zieschang, Jura 2003, S. 527 (530 f.), die eine Einschränkung grundsätzlich ablehnen, und andererseits Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 125; Geilen, Jura 1981, S. 370 (374); Jescheck/Weigend, AT, S. 346; Joecks, § 32 Rn. 31 f.; Kühl, AT, § 7 Rn. 198 ff.; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 53; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 93 ff.; Schroth, NJW 1984, S. 2562 (2563 f.), die – zum Teil mit der Begründung, das Interesse an einer Rechtsbewährung bestehe nur in einem verminderten Maße – eine Einschränkung der Notwehrbefugnisse befürworten. 148 So etwa BGHSt 42, 97 (100); OLG Frankfurt am Main, VRS 40 (1971), 424 (425). Vgl. zu diesen Entscheidungen auch die Darstellungen im 1. Kapitel unter A. I. 2. b) auf S. 36.

A. Angriffsabwehr durch anwesende Privatpersonen

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vermindert anzusehen, weil ein privater Dritter den Angriff abwenden könnte, zumal es keinen Grund gäbe, die Nothilfebefugnis des Dritten einzuschränken. Eine Subsidiarität der Notwehr gegenüber privater Nothilfe kann folglich nicht als eigenständige Fallgruppe der sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts plausibel begründet werden.

III. Verteidigungswille als Anknüpfungspunkt Für die Rechtfertigung einer Verteidigungshandlung genügt es nicht, dass die Merkmale des Notwehrtatbestandes objektiv vorliegen. Darüber hinaus muss das Abwehrverhalten des Angegriffenen von einem Verteidigungswillen getragen sein.149 Dies folgt zwingend als Konsequenz aus der personalen Unrechtslehre:150, 151 Das strafrechtliche Unrecht besteht nicht nur aus dem sog. Erfolgsunwert – der Rechtsgutsverletzung –, sondern wird auch durch den Handlungsunwert – nämlich der Entscheidung des Täters, die Rechtsgutsverletzung zu begehen – mitbestimmt. Vermag das bloße Vorliegen der objektiven Voraussetzungen eines Erlaubnissatzes den Erfolgsunwert zu beseitigen, bedarf es für eine Aufhebung des Handlungsunwertes – gewissermaßen als Gegenstück zu den Elementen des subjektiven Tatbestands – eines Handelns in Kenntnis der recht-

___________ 149 Ganz überwiegende Ansicht: RGSt 54, 199; BGHSt 2, 111 (114); 3, 194 (198); BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 7; Geppert, Jura 1995, S. 103 (104); Heinrich, AT I, Rn. 385; Joecks, Vor § 32 Rn. 11, § 32 Rn. 17; Kretschmer, Jura 2002, S. 114 (117); Kühl, AT, § 6 Rn. 11 ff., § 7 Rn. 124; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 13; Schönke/Schröder-ders./Perron, § 32 Rn. 63; Otto, AT, § 8 Rn. 52; Prittwitz, GA 1980, S. 381 (386); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 262; Scheffler, Jura 1992, S. 352 (355); Seuring, Aufgedrängte Nothilfe, S. 176 f.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 275, 350a. Anders aber LK11-Spendel, § 32 Rn. 138 ff.; Rohrer, JA 1986, S. 363 (365 ff.). 150 Vgl. hierzu Jescheck/Weigend, AT, S. 329; Kretschmer, Jura 2002, S. 114 (117); Maurach/Zipf, AT 1, § 26 Rn. 27; LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 82; LK12-ders./Hohn, § 32 Rn. 262; Roxin, AT 1, § 14 Rn. 96. 151 Zum Teil wird das Erfordernis eines Verteidigungswillens darüber hinaus mit dem Wortlaut des § 32 Abs. 2 StGB begründet. Die Verteidigung als finalen Abwehrakt verstehen LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 51, 53; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 145. Mit dem „um … abzuwenden“-Halbsatz argumentieren Blei, AT12, Fall 89, S. 74, vgl. auch Fall 107, S. 85; Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 20 Fn. 30; LPK-StGB-Kindhäuser, § 32 Rn. 36. Vgl. auch BT-Drucks. 4/650, S. 156: Dass „jede Notwehrhandlung von einem Verteidigungswillen getragen sein muß[,] … liegt schon im Wesen der Verteidigung. Sie läßt sich nur als Äußerung eines ernsten Willens denken, einen Angriff … abzuwenden.“ Kritisch zu der Argumentation mit dem Wortlaut des § 32 Abs. 2 StGB aber Kühl, AT, § 7 Rn. 125; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 63; Roxin, AT 1, § 14 Rn. 100.

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

fertigenden Umstände.152 Der Täter muss also wissen, dass er den Angreifer und dessen Rechtsgüter ausnahmsweise verletzen darf. Nun könnte man überlegen, ob es vielleicht deshalb an dem Verteidigungswillen fehlt, weil der Angegriffene sich selbst – auf erforderliche Weise – verteidigt, obwohl Dritte zur Hilfe bereit und fähig sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Helfer den Angriff ebenso gut abwenden könnte wie der Angegriffene selbst, letzterer aber kraft seiner Befugnis, in unklaren Situationen das „Wie“ des Vorgehens der Verteidigungsgemeinschaft letztverbindlich zu bestimmen, die Nothilfe untersagt, um dem Angreifer selbst entgegentreten zu können und diesem so seinen Mut und seine Kraft zu demonstrieren. Doch selbst wenn man für das subjektive Element des § 32 StGB eine besondere Verteidigungsabsicht153 verlangt und einen bloßen Verteidigungsvorsatz154 nicht genügen lässt, kann in derartigen Konstellationen ein Verteidigungswille des sich selbst Verteidigenden nicht verneint werden. Denn demjenigen, der sich dem Angreifer unbedingt selbst entgegenstellen will, geht es gerade um eine Abwehr des Angriffs. Dieses Abwehrziel entfällt nicht schon dadurch, dass ein oder mehrere zusätzliche Beweggründe hinzutreten. Solange es dem Angegriffenen auch um die Abwehr geht, liegt das erforderliche subjektive Element vor, selbst wenn es von einem zusätzlichen Zweck – etwa die (erforderliche) Schädigung des Angreifers – oder zusätzlichen Motiven – etwa Verärgerung über den Angriff oder aber der Wunsch, dem Angreifer die eigene Stärke zu beweisen – begleitet wird.155 Erst dann, wenn der Angegriffene den als solchen erkannten Angriff nur zum Anlass nimmt, den Angreifer zu schädigen, andere Beweggründe den Verteidigungswillen also vollständig verdrängen – man denke etwa an den Fall, dass der Angegriffene den Angriff nur als Auslöser nutzt, um endlich den lange vorbereiteten „Privatkrieg“ gegen den Angreifer zu begin___________ 152 Jescheck/Weigend, AT, S. 329; Kretschmer, Jura 2002, S. 114 (117); Kühl, AT, § 7 Rn. 124; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 13; Maurach/Zipf, AT 1, § 25 Rn. 24, § 26 Rn. 27; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 146. 153 So etwa BGHSt 2, 111 (114); BGH, NJW 1990, 2263; NStZ 1996, 29 (30); Geppert, Jura 1995, S. 103 (104 f.); SK-Günther, Vor § 32 Rn. 93; Jescheck/Weigend, AT, S. 328. Ferner LK12-Rönnau, Vor § 32 Rn. 84; LK12-ders./Hohn, § 32 Rn. 264, die Vorsatz in Form des dolus directus 2. Grades verlangen. 154 So aber Freund, AT, § 3 Rn. 20; Gropp, AT, § 6 Rn. 90/91; Jakobs, AT, 11. Abschn. Rn. 20 f.; Kühl, AT, § 6 Rn. 11a f., § 7 Rn. 128; Lackner/ders., Vor § 32 Rn. 6, § 32 Rn. 7; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 14; Schönke/Schröderders./Perron, § 32 Rn. 63; Prittwitz, GA 1980, S. 381 (386); Stratenwert/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 144 ff. 155 RGSt 60, 261 (262); BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 7; BGH, NStZ 2000, 365 (366); 2003, 599 (600); OLG Stuttgart, NJW 1992, 850 (851); Geppert, Jura 1995, S. 103 (105); LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 53; Joecks, § 32 Rn. 17; Kühl, AT, § 7 Rn. 128; Maurach/Zipf, AT 1, § 25 Rn. 24 ff., § 26 Rn. 27; Otto, AT, § 8 Rn. 53.

B. Zur Inanspruchnahme von Hilfe nicht präsenter Privatpersonen

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nen –, wird man den Verteidigungswillen verneinen müssen.156 Ob das der Fall ist, wird indes völlig losgelöst von der Anwesenheit privater Helfer zu bestimmen sein.

IV. Ergebnis Nach alledem kann somit festgehalten werden, dass es keinen generellen Vorrang fremder privater Hilfe gibt. Zwar ist der Angegriffene verpflichtet, das Verteidigungspotential Dritter, deren Hilfsbereitschaft objektiv oder aber zumindest für ihn erkennbar war, bei der Auswahl der relativ mildesten Verteidigungsmaßnahme zu berücksichtigen. Aus dem Merkmal der Erforderlichkeit folgt aber, dass der Angegriffene nur dann auf eine eigenhändige Verteidigung verzichten und die fremde Hilfe in Anspruch nehmen muss, wenn die Verteidigungshandlung des Dritten zur Abwehr des Angriffs besser geeignet ist oder bei gleicher Eignung die mildere Maßnahme darstellt. Eine darüber hinausgehende Subsidiarität eigenhändiger Verteidigung kann weder unter sozialethischen Gesichtspunkten noch mit einem fehlenden Verteidigungswillen des Angegriffenen begründet werden.

B. Zur Inanspruchnahme von Hilfe nicht präsenter Privatpersonen Mit Blick auf den Umstand, dass zur Abwehr eines Angriffs nur die erforderliche und gebotene Verteidigungshandlung gerechtfertigt ist, muss der Angegriffene unter den soeben dargestellten Voraussetzungen die präsente Hilfe – auch – eines privaten Dritten in Anspruch nehmen. Dann ist die eigenhändige Verteidigung gegenüber Hilfsmaßnahmen einer nicht unmittelbar vom Angriff betroffenen Privatperson subsidiär. Im Folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, ob der Angegriffene möglicherweise sogar dazu verpflichtet sein kann, private Helfer zu seiner Verteidigung herbeizuholen. Unterschieden werden sollen hierbei mögliche Pflichten des Angegriffenen in und vor einer konkreten Not(wehr)lage.

___________ 156

RGSt 60, 261 (262); BGH, NStE Nr. 6 zu § 32; NStZ 2005, 332 (334); Geppert, Jura 1995, S. 103 (105); LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 53; Kühl, AT, § 7 Rn. 129, 130; Prittwitz, GA 1980, S. 381 (387 ff.).

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

I. Pflicht zum Herbeiholen fremder Hilfe in einer konkreten Notwehrsituation Auch bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob der Angegriffene unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet ist, in einer konkreten Notwehrlage fremde private Hilfe herbeizuholen und auf diese Weise das Entstehen eines Verteidigungsbündnisses zu veranlassen,157 soll das Merkmal der Erforderlichkeit in Augenschein genommen werden. Es wurde bereits festgestellt, dass der Angegriffene dem Angriff so begegnen darf, wie es einer möglichst effektiven Wahrnehmung seiner Interessen entspricht; im Rahmen der Notwehr ist es dem Angegriffenen grundsätzlich gestattet, sich so zu verteidigen, dass der Angriff sofort und mit der größtmöglichen Sicherheit abgewehrt wird.158 Lässt man die Sonderkonstellationen der sog. sozialethischen Notwehrbeschränkungen außer Betracht, bedeutet dies zum einen, dass der Angegriffene unter keinen Umständen verpflichtet ist, den Angriff – wenn auch nur vorübergehend – zu dulden;159 die Missachtung des fremden Rechtskreises durch den Angreifer darf der Betroffene folglich unverzüglich zurückweisen. Zum anderen ist der Angegriffene nicht gehalten, sich mit milderen Maßnahmen zufrieden zu geben, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist.160 Zunächst zum letztgenannten Aspekt: Muss sich der Angegriffene in der konkreten Kampflage nicht mit unsicheren Abwehrmaßnahmen zufrieden geben, kann von ihm jedenfalls grundsätzlich nicht verlangt werden, fremde Hilfe herbeizurufen. Die Begründung für diese Aussage wurde bereits im Zusammenhang mit der Klärung der Frage gegeben, wann eine Verteidigungsgemeinschaft zwischen dem Angegriffenen und einem potentiellen Helfer zustande kommt. Anhand objektiver Kriterien ist vom zeitlichen Standpunkt des Verteidigers aus und ohne Berücksichtigung erst nachträglich bekannt gewordener Kriterien zu ermitteln, ob ein nicht unmittelbar am Angriffsgeschehen Beteiligter als Helfer in Betracht kommt und deshalb sein Verteidigungspotential mit dem des Angegriffenen zusammenzufassen ist. Dafür ist regelmäßig erforderlich, dass der potentielle Helfer seine Hilfsbereitschaft für einen neutralen Beobachter erkennbar ___________ 157

Zum Streitstand vgl. bereits die Ausführungen im 1. Kapitel unter Gliederungspunkt A. I. 2. a) ab S. 29 (Rechtsprechung) und A. II. 2. b) ab S. 42 (Schrifttum). 158 Vgl. dazu bereits die Ausführungen unter A. I. ab S. 185 in diesem Kapitel. 159 BGHSt 25, 229 (230 f.); 24, 356 (358); BGH, NStZ 1994, 539; 1994, 581 (582); 1998, 508; 2002, 140; NStZ-RR 1999, 40 (41); StV 1990, 543; 1996, 146; Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 74 Fn. 17; NK-Herzog, § 32 Rn. 65; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 36c. 160 BGHSt 24, 356 (358); BGH, NStZ 1998, 508; 2002, 140; 2006, 152 (153); StV 1990, 543; 1996, 146; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 145; NK-Herzog, § 32 Rn. 65; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 36c; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 43.

B. Zur Inanspruchnahme von Hilfe nicht präsenter Privatpersonen

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mit Außenwirkung dokumentiert hat. Ist die Hilfsbereitschaft eines präsenten Dritten hingegen zweifelhaft, so findet dessen Verteidigungspotential keinen Eingang in die Reaktionsmöglichkeiten des Verteidigungsbündnisses. Konsequenterweise muss sich der Angegriffene wegen der völlig ungewissen Erfolgsaussichten auch nicht bemühen, beliebige Dritte, um deren Hilfsbereitschaft er nicht mit absoluter Sicherheit weiß, in der konkreten Kampflage herbeizuholen.161 Weiß der Angegriffene hingegen sicher, dass ihm ein Dritter – etwa ein beauftragter Bodyguard oder ein stets hilfsbereiter Freund – zur Hilfe käme, würde er ihn nur rufen, kommt der zweite der oben aufgeführten Gesichtspunkte zum Tragen: Der Angegriffene ist zur sofortigen Abwehr des Angriffs berechtigt. Nimmt man diese Befugnis ernst, folgt daraus, dass der Angegriffene nur die ihm ohne zeitliche Verzögerung zur Verfügung stehenden Verteidigungsmöglichkeiten zu berücksichtigen braucht. Von einer zeitlichen Verzögerung wird man freilich dann nicht ausgehen können, wenn diese unerheblich ist. Eilt etwa ein hilfsbereiter Dritter bereits herbei und könnte dieser den Angreifer in wenigen Augenblicken ohne jedwede Risikoerhöhung für das Opfer sicher stoppen, so darf das Opfer seinen Angreifer nicht mit Blick auf einen Zeitgewinn von nur wenigen Sekunden niederschießen. Insoweit ist auch der herbeieilende Helfer, den vom eigentlichen Kampfgeschehen nur eine geringe räumliche Distanz trennt, ein präsenter Helfer im weiteren Sinne.162 Fremde Hilfe, die der Angegriffene nur mit einer – erheblichen – zeitlichen Verzögerung abrufen kann, muss er folglich nicht erst herbeiholen. Denn die mit dieser Verzögerung verbundene Duldung der Missachtung seines Rechtskreises muss das Opfer des Angriffs nicht hinnehmen.163 Von diesem Grundsatz sind zwei Ausnahmen zu machen. Zur Verdeutlichung der ersten diene das nachfolgende Beispiel: Die S sucht für ein klärendes Gespräch mit ihrem Ex-Freund dessen Wohnung auf. Allerdings will ihr Ex-Freund von einer Unterredung nichts wissen. Stattdessen schließt er die S aus Rache ein und verlässt seine Wohnung. Um zu entkommen,

___________ 161 Dieses Ergebnis entspricht der herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, vgl. nur RGSt 66, 244 (244 f.); BGHSt 27, 336 (337 f.); BGH, NStZ 1982, 285; NStZ-RR 1999, 40 (41); VRS 30 (1966), 281 (282); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130; NK-Herzog, § 32 Rn. 71; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; LK11-Spendel, § 32 Rn. 233; ders., JZ 1984, S. 507 (508). 162 In diesem Sinne auch Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50 mit Blick auf Helfer in unmittelbarer Nähe. Vgl. ferner Seebode, FS Krause, S. 375 (385), der allerdings herbeieilende hoheitliche Helfer im Blick hat. 163 RGSt 66, 244 (245); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130; Haas, Notwehr, S. 283 f.; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 36. Anders aber wohl Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50, der vom Angegriffenen verlangt, gegebenenfalls in einem nahe gelegenen Lokal Hilfe zu suchen.

224

3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

müsste S die Wohnungstür aufbrechen. Sie könnte aber auch ihren neuen Freund anrufen, der im Auto vor dem Haus auf sie wartet, und ihn bitten, ihr mit dem Schlüssel des Ex-Freundes – den sie eigentlich zurückgeben wollte, aber im Auto vergessen hatte – die Wohnungstür aufzuschließen. Die wenigen Meter bis zur verschlossenen Wohnung würde der neue Freund in kürzerer Zeit überwinden, als die S benötigte, um mit ihrer Körperkraft die Tür aufzubrechen.

Kann der Angegriffene den Angriff mit eigenen Mitteln nicht sofort abwehren und würde die Hilfe eines Dritten eine Abwehr des Angriffs ohne zusätzliche zeitliche Verzögerung gewährleisten, hat der Angegriffene auch diese nicht unmittelbar verfügbare Verteidigungsalternative zu berücksichtigen. Unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten hat er die fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn sie eine Angriffsabwehr mit milderen Mitteln gewährleistet. Insofern ist Bitzilekis zu folgen, wenn er ausführt, bei der Berücksichtigung nicht präsenter Hilfe handele es sich um keine zusätzliche Pflicht des Angegriffenen, „sondern allein um einen Abwägungsgesichtspunkt im Rahmen der zur erforderlichen Abwehr des Angriffs bestehenden Verteidigungsmöglichkeiten.“164 Eine weitere Ausnahme ergibt sich in den Fällen, in denen das Notwehrrecht des Angegriffenen aus sozialethischen Gesichtspunkten eingeschränkt ist. Würde durch das Herbeiholen fremder Hilfe die Abwehr des Angriffs auf eine mildere Art und Weise ermöglicht, ist der Angegriffene selbst dann dazu verpflichtet, wenn eine gewisse Ungewissheit hinsichtlich der Eingriffsbereitschaft des potentiellen Helfers besteht.165

II. Pflicht zum Herbeiholen fremder privater Hilfe im Vorfeld einer Notwehrlage Das Notwehrrecht stellt eine Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol dar; mit ihm wird dem Angegriffenen oder seinem Helfer ein Dispens von der grundsätzlichen Friedenspflicht der Bürger untereinander erteilt. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass eine Notwehrlage in Form eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs vorliegt. Dem Erfordernis der Gegenwärtigkeit des Angriffs ist eine Absage an privat ausgeübten Zwang sowohl im Vorfeld einer konkreten Notwehrlage als auch nach Beendigung des rechtswidrigen Angriffs zu entnehmen, wodurch es in diesen Bereichen das Monopol staatlicher Gewalt bestätigt. Ist ein Angriff bereits abgeschlossen, ist eine Verteidigung gegen diesen ___________ 164 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 74. Ähnlich auch Schubert, Staatsnothilfe, S. 61 f. 165 Vgl. dazu auch BGH, EzSt StGB § 32 Nr. 5; AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733 (735).

B. Zur Inanspruchnahme von Hilfe nicht präsenter Privatpersonen

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nicht mehr möglich.166 Vergeltung und Wiedergutmachung liegen nicht in den Händen des betroffenen Opfers oder eines hilfsbereiten privaten Dritten; zuständig sind vielmehr allein die durch den Staat und eigens für diese Belange geschaffenen Institutionen. Dementsprechend darf auch die Abwehr möglicher zukünftiger Angriffe – sieht man einmal von bestimmten Konstellationen der unter Defensivnotstandsgesichtspunkten zu behandelnden „Präventiv-Notwehr“ ab –167 nicht in Form eines privaten Präventivangriffs erfolgen.168 Unter Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols ist es hingegen unproblematisch zulässig, zum einen bereits im Vorfeld einer Notwehrlage vorbeugend sofort wirkenden gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen und auf diese Weise einen möglicherweise bevorstehenden Angriff zu verhindern.169 Zum anderen können aber auch tatsächliche Vorkehrungen getroffen werden, die erst im Zeitpunkt des Angriffs ihre schützende Wirkung entfalten. Denkbar ist insofern sowohl die Bitte um staatliche Hilfe, etwa um polizeilichen Schutz, als auch die Vorbereitung privater Mittel des Selbstschutzes, etwa das Anbringen von Selbstschussanlagen, Fußangeln, elektrischen Zäunen oder aber die präventive Inanspruchnahme privater Hilfe etwa durch Beauftragung eines Sicherheitsunternehmens.170 Allerdings ist grundsätzlich niemand verpflichtet, bereits im Vorfeld einer möglicherweise oder sogar sicher drohenden Auseinandersetzung spätere Verteidigungsmaßnahmen vorzubereiten. Im Rahmen der gesetzlichen Grenzen ist es zwar zulässig, eine spätere Verteidigung vorzubereiten und sich auf diese Weise „in Wehr zu setzen“.171 Es mag auch durchaus Klugheits- und Effektivitätserwägungen entsprechen, die eigenen Chancen in einer bevorstehenden Verteidigungssituation dadurch zu verbessern, dass man sich mit geeigneten Mitteln ausrüstet oder seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert. Doch ebenso wenig wie jemand zu einer Verteidigung gegen einen rechtswidrigen Angriff gezwungen werden kann, wenn er sein Heil lieber in der Flucht suchen oder den wie auch immer gearteten Angriff hinnehmen will, kann dem Einzelnen die Pflicht auferlegt werden, sich vorab mit Verteidigungsmitteln auszurüsten.172 Denn zum einen würde eine derartige Aufforderung zur Bewaffnung das staatliche ___________ 166

LK11-Spendel, § 32 Rn. 114. Zur „Präventiv-Notwehr“ oder „notwehrähnlichen Lage“ vgl. Kühl, AT, § 7 Rn. 42, § 8 Rn. 57, 67; Lackner/ders., § 32 Rn. 4; Roxin, AT 1, § 16 Rn. 84 ff. 168 BGHSt 39, 133 (136); SK-Günther, § 32 Rn. 74 f. 169 LK11-Spendel, § 32 Rn. 114. 170 LK11-Spendel, § 32 Rn. 114; SK-Günther, § 32 Rn. 73. Zu Problemen im Bereich der antizipierten Notwehr vgl. Kunz, GA 1984, S. 539; Schlüchter, FS Lenckner, S. 313. 171 Vgl. RGSt 65, 159 (160); LK11-Spendel, § 32 Rn. 114; SK-Günther, § 32 Rn. 73. 172 Vgl. MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 128; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 33; Lesch, StV 1993, S. 578 (582); Schlüchter, FS Lenckner, S. 313 (316). 167

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

Gewaltmonopol konterkarieren. Schließlich legt dieses allen Bürgern eine Friedenspflicht auf, verlangt also von ihnen, sich jeglicher körperlich wirkender Gewalt zu enthalten. Gleichzeitig überträgt es allein dem Staat mit seinen Einrichtungen die Aufgabe der geplanten Abwendung von Gefahren. Ist aber der Bürger für die Planung der Bewältigung von Konfliktsituation nicht zuständig, kann man ihm auch eine fehlerhafte oder unzulängliche Vorbereitung nicht vorwerfen. Existenz und Ausgestaltung der privaten Notrechte erbringen dafür geradezu den Beleg.173 Auch unter ordnungs- und sicherheitsrechtlichen Gesichtspunkten wäre eine solche Verpflichtung zur präventiven Bewaffnung aller oder auch nur (vermeintlich) bedrohter Bürger kaum handhabbar, trägt sie doch die Gefahr einer unkontrollierbaren, wechselseitigen Aufrüstung der Bevölkerung in sich. Im Übrigen sprechen auch rechtshistorische Erwägungen gegen eine derartige Verpflichtung. So wurde erst zum 1. Januar 1975 die Übertretungsvorschrift des § 367 Abs. 1 Nr. 8 StGB a.F.174 ersatzlos abgeschafft,175 die das Auslegen und Anbringen von Selbstgeschossen, Schlageisen oder Fußangeln ohne polizeiliche Erlaubnis unter Strafe stellte. Zwar wurde mit dieser Aufhebung klargestellt, dass der Staat bereit ist, auch ohne vorhergehende polizeiliche Zustimmung bestimmte private Vorkehrungen zur Abwehr möglicher Angriffe zu dulden.176 Dass der Gesetzgeber durch die Aufhebung dieser Übertretungsvorschrift den Einzelnen hingegen dazu ermutigen oder sogar verpflichten wollte, sich auf privatem Wege vorbeugend gegen mögliche Übergriffe zu rüsten, ist abwegig. Ist der Einzelne folglich nicht verpflichtet, sich vorsorglich zu bewaffnen, kann man ihm auch nicht auferlegen, präventiv die Hilfe privater Dritter zu erbitten. Denn die präventive Suche nach Verteidigungsalternativen in Form fremder privater Hilfe steht faktisch auf einer Stufe mit dem Ausrüsten mit zusätzlichen Verteidigungsmitteln. Darf das potentielle Opfer also die präventive Bewaffnung mit einem Messer oder das Halten eines bissigen Hundes ablehnen, dann kann auch der Verzicht auf die Inanspruchnahme privater Hilfe – sei es ___________ 173

Lesch, StV 1993, S. 578 (582). Zum Wortlaut der Vorschrift vgl. die Anlage. 175 Eine dem abgeschafften Straftatbestand entsprechende Ordnungswidrigkeit kennt aber noch § 11 Abs. 1 des Landesgesetzes über Ordnungswidrigkeiten Baden-Württemberg vom 8.2.1978. Danach handelt ordnungswidrig, wer ohne polizeiliche Erlaubnis zum Abschießen von Geschossen bestimmte Selbstschussgeräte, Schlageisen, Fußangeln oder ähnliche Geräte verwendet. 176 Kunz, GA 1984, S. 539 (544). – Allerdings wurde die polizeiliche Erlaubnis zumindest von der h.M. auch bis zum 31.12.1974 nicht als Voraussetzung für die Rechtfertigung derartiger präventiver Verteidigungsmaßnahmen verstanden, vgl. LK9-Baldus, § 53 Rn. 26; v. Olshausen, § 53 Anm. 12 (S. 232). 174

C. Besonderheiten professioneller Nothilfe

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nun die eines professionellen Leibwächters oder aber die eines „normalen“ Helfers – nicht anders beurteilt werden.177 Im Übrigen folgt aus dem staatlichen Gewaltmonopol, dass die Abwehr zukünftig drohender Angriffe dem Vorrang staatlicher Prävention unterliegt. Hätte das potentielle Opfer bei Kenntnis eines ihm drohenden Angriffs die Möglichkeit, fremde Hilfe herbeizuholen, könnte man deshalb allenfalls überlegen, ob es verpflichtet wäre, staatliche – nicht private – Helfer um Hilfe zu bitten, und/oder ob ein Verzicht auf die mögliche Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe im Vorfeld eines drohenden Angriffs zu einer Beschränkung oder gar Versagung der Notwehrbefugnisse in der später eingetretenen konkreten Konfliktsituation führen kann.178 Das potentielle Opfer ist hingegen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gehalten, andere Privatpersonen im Vorfeld einer Konfliktsituation um Unterstützung gegen einen ihm möglicherweise drohenden Angriff zu bitten; der Verzicht auf die präventive Inanspruchnahme fremder privater Hilfe kann folglich weder zu einer Versagung noch zu einer Beschränkung der Verteidigungsbefugnisse des späteren Angriffsopfers führen.179

C. Besonderheiten professioneller Nothilfe Immer wieder findet sich im Schrifttum der Befund, die Bedeutung privater Sicherheitsunternehmen sei – nicht zuletzt als Folge zunehmender Kriminalitätsfurcht –180 in den vergangenen Jahren enorm gewachsen.181, 182 Die Bandbreite der angebotenen Dienstleistungen ist dabei erstaunlich groß: Sie reicht von Personen- und Objektschutz über die Aufsicht und Ordnung öffentlicher ___________ 177

Vgl. MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 128; Lesch, StV 1993, S. 578 (582). Ob der Verzicht auf das Herbeiholen staatlicher Hilfe als sog. Abwehrprovokation zu beurteilen ist, die zu einer Beschränkung der Notwehrbefugnisse führt, soll im 4. Kapitel unter B. II. 2. b) ab S. 294 untersucht werden. 179 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 128. Anders aber etwa Schönke/SchröderLenckner/Perron, § 32 Rn. 61b, die die Notwehrbefugnisse unter dem Gesichtspunkt der Abwehrprovokation beschränken wollen, wenn der Angegriffene es im Vorfeld eines Angriffs unterlässt, fremde Hilfe gleich welcher Art herbeizuholen und sich so die Möglichkeit eines milderen Verteidigungsmittels vergibt. 180 Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (977). 181 Beinhofer, BayVBl. 1997, S. 481; Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 213; Hammer, DÖV 2000, S. 613 (613 f.); Jeand’ Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (107 f.); Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (130 f.). Ferner Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (977); Stacharowsky, KrimJ 1985, S. 228. 182 Im Jahr 2004 zählte das deutsche Sicherheitsgewerbe ca. 3.000 Unternehmen mit etwa 167.000 Beschäftigten, vgl. Götz, HStR, Bd. 43, § 85 Rn. 41. Eine ähnlich hohe Zahl von Unternehmen gibt der Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen für das Jahr 2005 an (vgl. http://www.bdws.de). 178

228

3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

Veranstaltungen bis hin zur Patrouille in allgemein zugänglichen Bereichen wie etwa Ladenpassagen, Strandpromenaden oder U- und S-Bahnen. Selbst der Staat greift zum Schutz seiner Einrichtungen vermehrt auf gewerbliche Bewachungsunternehmen zurück. So werden neben militärischen Einrichtungen auch Bundesministerien von privaten Sicherheitsdiensten bewacht.183 Zum Schutz der eigenen Interessen darf sich auch jede Privatperson derartiger professioneller Hilfe bedienen. Dies folgt nicht zuletzt aus dem aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Recht, für die eigene Sicherheit oder zumindest für das eigene Sicherheitsgefühl Vorsorge treffen zu dürfen.184 Ebenso wie der Angegriffene und ein beliebiger hilfsbereiter Dritter im Konfliktfall eine Verteidigungsgemeinschaft bilden, gilt dies auch für den angegriffenen Auftraggeber und seinen erwählten professionellen Helfer. Bei der Auswahl der erforderlichen (und gebotenen) Abwehrhandlung stellt sich indes die Frage, ob der professionelle – private – Helfer überhaupt die aus § 32 StGB folgende Befugnis zur Nothilfe für sich in Anspruch nehmen darf oder ob er gegebenenfalls besonderen Einschränkungen unterworfen ist.

I. Gefahrenabwehr durch private Sicherheitskräfte ohne staatliche Veranlassung Betrachtet werden soll zunächst der klassische Fall der Gefahrenabwehr durch private Sicherheitsdienste ohne staatliche Veranlassung. Zur Illustration der sogleich zu erörternden Problemstellung mag das folgende Beispiel dienen: Nach einer Filmpremiere lauert ein Fan der Schauspielerin J auf. Um wenigstens einen kleinen Teil seines Idols immer bei sich tragen zu können, will er sich eine Strähne des wunderschönen Haares der J verschaffen. J, die ihrem Fan körperlich unterlegen ist, könnte ihn nur mit einem gezielten, möglicherweise tödlich wirkenden Schuss in den Oberkörper stoppen. Ihr muskulöser Bodyguard B hätte indes die Möglichkeit, den Fan mit einem gezielten Faustschlag niederzustrecken, der allerdings zu einem Kieferbruch und einer schweren Gehirnerschütterung führen würde. Für den Fan weniger gefährliche Maßnahmen des B hätten immer zur Folge, dass J eine Strähne ihres Haars verliert.

___________ 183

Hammer, DÖV 2000, S. 613 (614). Zu weiteren Beispielen vgl. Beinhofer, BayVBl. 1997, S. 481 (482); Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (977 f.). 184 Hammer, DÖV 2000, S. 613 (614); Mahlberg, Gefahrenabwehr, S. 53 ff., 78. Vgl. auch Stober, NJW 1997, S. 889 (894), der darüber hinaus die Möglichkeit der Inanspruchnahme fremder Hilfe als ein allgemeines Rechtsprinzip der Privatrechtsordnung charakterisiert. Anders Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (281) für die Fälle, wo die Vorsorge des Selbstschutzes nicht ohne Hilfe Dritter gewährleistet werden kann.

C. Besonderheiten professioneller Nothilfe

229

Das Problem des Falles liegt auf der Hand: Es geht hier nicht um die Frage, ob ein professioneller Nothelfer und Angegriffener in einer Verteidigungsgemeinschaft zusammenzufassen sind. Das ist in Fällen der Beauftragung eines Helfers durch den Angegriffenen oder bei einem Handeln zumindest in dessen Kenntnis unproblematisch zu bejahen. Es geht vielmehr um die Reichweite der Befugnisse des Helfers: Im Vergleich zum möglicherweise tödlich wirkenden Schuss ist der wenn auch mit erheblichen Folgen für den Angreifer verbundene Faustschlag des Bodyguards das mildere Mittel. Allerdings scheint die schwere Verletzung des angreifenden Fans mit Blick auf den der Schauspielerin drohenden Verlust „bloß einer Haarsträhne“ unverhältnismäßig groß. Dürfte also der Bodyguard nicht zuschlagen, weil er als „professioneller Nothelfer“ der Bindung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterläge, wäre ebendieser Schlag bei der Auswahl des zur Abwehr des Angriffs erforderlichen und gebotenen Verteidigungsmittels unbeachtlich. Der Schuss der Schauspielerin wäre dann das relativ mildeste Mittel und der Bodyguard als erwählter Beschützer zumindest in dieser Situation faktisch nutzlos.185, 186 Die Lösung des Beispielsfalles hängt folglich davon ab, ob man auch einem professionellen Nothelfer die Möglichkeit einräumt, sich auf die Befugnisse des § 32 StGB zu berufen. Mit Blick auf private Sicherheitsdienste wird dies von einigen Stimmen im Schrifttum187 in Zweifel gezogen. Ein professioneller Nothelfer könne ausschließlich dann die Rechte des § 32 StGB in Anspruch nehmen, wenn er selbst in Not geraten sei.188 Zur Verteidigung fremder Rechtsgüter dürfe sich ein professioneller Nothelfer hingegen generell nicht auf die Nothilfevorschrift berufen.189 Hierzu sei er vielmehr nur befugt, wenn ihm die Berech___________ 185 Zur Frage, ob nicht nur der professionelle sondern jeder Nothelfer bei der Fremdverteidigung Verhältnismäßigkeitskriterien zu berücksichtigen hat, bereits unter A. I. 1. a) cc) ab S. 195 in diesem Kapitel. 186 Das Beispiel soll so zu verstehen sein, dass eine Einschränkung des Notwehrrechts der J unter sozialethischen Gesichtspunkten nicht in Betracht kommt. Insbesondere stellt die konkrete Konfliktsituation – Beeinträchtigung der körperlichen Integrität der J durch den Verlust einer Haarsträhne einerseits und Eingriff in das Leben des Angreifers durch die Verteidigungsmaßnahme andererseits – keinen Fall eines krassen Missverhältnisses oder einer bloßen Unfugabwehr dar. An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass sowohl der mit erheblichen Folgen verbundene Faustschlag des Bodyguards als auch der Schuss der J unverhältnismäßig wären. Denn eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zwischen angegriffenem und dem durch die Verteidigung beeinträchtigten Rechtsgut verlangt § 32 StGB gerade nicht. 187 Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S 277 (282 ff.); Jeand’ Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (128 ff.); Roßnagel, ZRP 1983, S. 59 (62). Kritisch auch Greifeld, DÖV 1981, S. 906 (911 ff.); Stacharowsky, KrimJ 1985, S. 228 (233). 188 Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S 277 (283); Roßnagel, ZRP 1983, S. 59 (62). 189 Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (283), hält in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch ein Ausweichen auf ein unter sozialethischen Gesichtspunkten einge-

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3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

tigung zum Schutz fremder Interessen unter Einsatz von Gewalt durch besondere Normen übertragen worden sei.190 Als Begründung für diese Position wird angeführt, dass die Notwehr- und Nothilfevorschriften nicht nur Ausnahmeregelungen seien, sondern vielmehr auch eine Ausnahmesituation voraussetzen würden.191 An einer solchen Ausnahmesituation fehle es aber, wenn professionelle Nothelfer an der Angriffsabwehr beteiligt sind. Denn im Gegensatz zum „normalen“ Bürger, der in einer für ihn zufälligen Konfliktsituation als Helfer in Betracht komme, gehöre die Bewältigung derartiger Notlagen gerade zum typischen beruflichen Aufgaben- und Betätigungsfeld privater Sicherheitsdienste. Sie seien im Einsatz wirksamer Mittel gegen einen Angreifer geschult und hätten Übung in der Beurteilung der Angriffsintensität und des Ausmaßes der drohenden Gefahr. Die Konfliktsituation stelle sich deshalb für professionelle Nothelfer nicht mehr als eine Ausnahmesituation dar. Ihnen im Rahmen ihrer beruflichen Betätigung die Berufung auf die strafrechtlichen Nothilfevorschriften zu gestatten, würde dem Nothilferecht eine so nicht hinnehmbare neue Qualität, nämlich einer „Eingriffsbefugnis im Rahmen von [eingeübten] Routineprogrammen“, geben.192 Neben diesen teleologischen Erwägungen wird angeführt, dass auch aus der historischen Auslegung folge, dass das Nothilferecht nicht für einen professionellen Helfer gedacht sei. Denn der Gesetzgeber habe bei der Schaffung des § 32 StGB nur die individuelle Nothilfe aus Zufall, nicht aber derartige neue und komplizierte Sachverhalte im Blick gehabt.193 Überzeugen kann diese Argumentation indes nicht. Bereits auf den ersten Blick inkonsequent erscheint es, dem professionellen Nothelfer unter der Prämisse, dass § 32 StGB ein Handeln in einer Ausnahmesituation voraussetzt, einerseits das Nothilferecht zu versagen, ihm aber andererseits das Recht zur Selbstverteidigung im Rahmen der Notwehr dann zugesteht, wenn er selbst ___________ schränktes Nothilferecht oder auf den rechtfertigenden Notstand für ausgeschlossen. Etwas weniger resolut Roßnagel, ZRP 1983, S. 59 (62), der die Nothilferechte professioneller Helfer durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzen will. Ähnlich auch Seelmann, ZStW 89 (1977) S. 36 (57 ff.), der eine Begrenzung jeglicher Form der Nothilfe durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip befürwortet. 190 Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (283). 191 Vgl. Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 (282): Die schneidigen „Notrechte sind in ihrer jetzigen Ausgestaltung nur deshalb erträglich, weil ihr Einsatz durch … die mangelnde Vorbereitung und Einstimmung der Adressaten gebremst und gefiltert wird.“ Ihm zustimmend Jeand’ Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (128 f.); Roßnagel, ZRP 1983, S. 59 (62); Stacharowsky, KrimJ 1985, S. 228 (233). 192 Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S 277 (282 f.). Ebenso Roßnagel, ZRP 1983, S. 59 (62); Stacharowsky, KrimJ 1985, S. 228 (233). 193 Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S 277 (283); Jeand’ Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (129).

C. Besonderheiten professioneller Nothilfe

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Opfer eines Angriffs ist. Soll gerade die eingeübte berufliche Routine bei der Abwehr von Gefahren der Grund für eine Versagung oder Beschränkung der Verteidigungsbefugnisse des § 32 StGB sein, kann auf diese Routine wohl kaum der Umstand Einfluss haben, ob der ausgebildete Sicherheitsmann sich selbst oder einen Dritten verteidigt. Darüber hinaus erscheint der Verweis auf die Intention des historischen Gesetzgebers zweifelhaft. Zugestanden: Gewiss hatte der historische Gesetzgeber bei der Schaffung der Notwehrregelung insbesondere den Konflikt zwischen dem Angreifer auf der einen und dem Angegriffenem und seinen „normalen“ Helfern auf der anderen Seite im Blick. Der Wille des historischen Gesetzgebers als Auslegungskriterium ist jedoch nur dann beachtlich, wenn er seinerseits nachweislich in der Norm Anklang gefunden hat.194 Eine Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs ist dem Wortlaut des § 32 StGB allerdings nicht zu entnehmen; es unterscheidet nicht zwischen professioneller und sonstiger Nothilfe.195 Jede Person – gemeint sind damit jedenfalls alle natürlichen Personen des Privatrechts –196 darf demnach den ihm oder einem Dritten drohenden Angriff abwenden. Auch mit teleologischen Erwägungen kann ein anderes Ergebnis nicht begründet werden. Insbesondere kann der Hinweis auf die Notwehrlage als eine extreme Ausnahmesituation sowohl für den Angegriffenen als auch für seinen Helfer nicht tragen. Denn § 32 StGB kennzeichnet die Notwehrlage allein als gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff. Das Vorliegen einer Ausnahmesituation hat indes im Tatbestand der Notwehrregelung keinerlei Ausdruck gefunden. Zwar könnte man nun erwägen, ob das Merkmal der Gebotenheit, das der Gesetzgeber als Einfallstor für die sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts verstanden wissen will,197 als Anknüpfungspunkt einer Beschränkung der Notwehr auf Ausnahmesituationen dienen kann. Dann müsste die angestrebte Einschränkung aber mit den Grundgedanken der Notwehr198 in Einklang zu bringen sein. Aus dem hier vertretenen Notwehrmodell ergibt sich eine solche Einschränkung indes nicht. Der Angreifer missachtet den Rechtskreis seines Opfers, behindert es in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit. Soll ___________ 194

Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (133). Roxin, AT 1, § 15 Rn. 123; Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (133); Stober, NJW 1997, S. 889 (894). 196 Ob sich auch staatliche Organe, insbesondere die Polizei, auf die Notrechte berufen können, soll an dieser Stelle noch dahinstehen. Näher zu dieser Frage aber im 4. Kapitel unter A. II. 2. a) bb) (4) ab S. 267. 197 Vgl. BT-Drucks. 5/4095, S. 14 sowie die Nachweise in Fn. 144 auf S. 216. 198 Zu den Grundgedanken der Notwehr vgl. die Ausführungen im 2. Kapitel unter C. ab S. 124. 195

232

3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

mit den Mitteln der Notwehr diese Beeinträchtigung abgewehrt werden, gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum das nur dem Angegriffenen oder einem unvorbereiteten Helfer erlaubt werden sollte, wenn der Staat den Schutz seiner Bürger nicht gewährleisten konnte. Etwas anderes kann im Übrigen auch nicht auf Grundlage einer dualistischen oder überindividuellen Notwehrkonzeption begründet werden. Bezweckt die Notwehr (auch) die Bewährung der Rechtsordnung, kann es letztlich nicht darauf ankommen, ob sich der Verteidiger vorbereitet oder mehr oder weniger kopflos dem Angriff entgegenstellt. Vielmehr dient das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit als Korrektiv, das auf die individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten des jeweiligen Nothelfers abstellt. Dabei liegt es auf der Hand, dass die Abwehrhandlung eines professionellen Helfers regelmäßig weniger Risiken in sich birgt als die Verteidigungshandlung eines unvorbereiteten und möglicherweise unpassend ausgerüsteten Zufallshelfers.199 Wollte man unter Verweis auf das staatliche Gewaltmonopol hiergegen nun anführen, es könne doch wohl nicht angehen, dass der ausgebildete und routiniert handelnde private Sicherheitsmann trotz der faktisch vergleichbaren Sicherungsfunktion mehr tun dürfe als ein Polizeibeamter, sei dagegen eingewandt, dass Ausbildung und Routine gerade nicht die maßgeblichen Gründe für eine Beschränkung der öffentlich-rechtlichen Eingriffsbefugnisse darstellen. Die strikte Bindung polizeilichen Handelns an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist vielmehr ein Ausfluss des hoheitlichen Charakters der polizeilichen Maßnahme.200 Kriterien wie Ausbildung zur und Routine bei der Gefahrenabwehr sind – trotz der faktischen Nähe der Gefahrenabwehr durch private und staatliche Sicherheitskräfte – folglich keine tauglichen Anknüpfungspunkte für eine „polizeirechtsanaloge“ Beschränkung der Befugnisse professionell handelnder privater Helfer.201 Eine Erweiterung des § 32 StGB um das Merkmal des Angriffs als Ausnahmesituation oder aber eine Bindung der Befugnisse professioneller Helfer an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist folglich mit Blick auf Art. 103

___________ 199

Beinhofer, BayVBl. 1997, S. 481 (483); Eberstein, BB 1980, S. 863 (867); Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (990 f.); Schwabe, ZRP 1978, S. 165 (166 f.). 200 Näher dazu Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (986 ff.). Vgl. auch ders., ZStW 95 (1983), S. 973 (987) „Was der rechtsstaatlichen Mäßigung hoheitlicher Eingriffsverpflichtung dient, kann nicht ohne weiteres als Maßstab privater Eingriffsgestattung fungieren.“ 201 Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (986 f.). Vgl. auch Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 215 ff., der in diesem Zusammenhang ausführt, dass insbesondere in kleineren Sicherheitsunternehmen eine qualitativ hochwertige Ausbildung zweifelhaft sei.

C. Besonderheiten professioneller Nothilfe

233

Abs. 2 GG unzulässig.202 Auch professionelle private Sicherheitskräfte können sich ausnahmslos auf die Notwehr- und Nothilfevorschriften berufen.203

II. Staatlich veranlasste Gefahrenabwehr durch private Sicherheitskräfte Wie sind hingegen die Fälle zu beurteilen, in denen der Staat – und nicht etwa ein privater Auftraggeber – die Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen veranlasst hat? Soweit der Staat im Rahmen der Veranlassung der Gefahrenabwehr öffentlich-rechtliche Befugnisse auf private Sicherheitsdienste übertragen hat,204 muss für das Sicherheitsunternehmen dasselbe gelten wie für klassische Träger öffentlicher Gewalt. Denn erfüllt das Sicherheitsunternehmen die mit der Beleihung staatlicher Zwangsbefugnisse verbundenen Aufgaben, so übt es in Konfliktsituationen keine private, sondern hoheitliche Gewalt aus.205 In derartigen Fällen muss für das Verhältnis zwischen den mit öffentlicher Gewalt beliehenen – und deshalb zwingend auch den staatlichen Bindungen unterliegenden – Sicherheitsunternehmen und dem Angegriffenen dasselbe gelten wie im Verhältnis zwischen staatlichen Organen – insbesondere der Polizei – und dem Opfer eines Angriffs.206 Problematischer sind hingegen die Fälle, in denen der Staat private Sicherheitskräfte zur Gefahrenabwehr veranlasst, ohne diese mit hoheitlichen Befugnissen auszustatten. Auch hierzu ein Beispielsfall: ___________ 202

Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (133). Zur Geltung des Analogieverbotes für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr vgl. die Ausführungen unter D. II. ab S. 155 im 2. Kapitel. 203 Ebenso Beinhofer, BayVBl. 1997, S. 481 (483); Bracher, Gefahrenabwehr, S. 132; Eberstein, BB 1980, S. 863 (867); Götz, HStR, Bd. 43, § 85 Rn. 41; Hammer, DÖV 2000, 613 (620); Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (987); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 42; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 205; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 123; Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (133 f.); Stober, NJW 1997, S. 889 (894); Schwabe, ZRP 1978, S. 165 (167). Zustimmend auch BVerwGE 81, 185 (196) und BT-Drucks. 13/3432, S. 5: „Bei der Durchführung ihrer Aufträge dürfen sich die privaten Sicherungsunternehmen … auf die Notwehrrechte nach den §§ 32 ff. StGB stützen …“ Im Ergebnis zustimmend, aber eine restriktive Prüfung des Erforderlichkeitsmerkmals befürwortend Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 222 f. 204 Dass eine Übertragung staatlicher Gewaltbefugnisse auf Privatpersonen grundsätzlich zulässig ist, wurde bereits im 2. Kapitel unter B. II. 2. a) ab S. 116 ausgeführt. Im Übrigen haben Bund und Länder in unterschiedlicher Weise von dieser Möglichkeit der Übertragung staatlicher Zwangsbefugnisse Gebrauch gemacht. Vgl. etwa §§ 1, 3 des Berliner FPG vom 11.05.1999 (GVBl. Berlin 1999, S. 165); Art. 1, 3 des bayerischen SWG vom 27.12.1996 (BayGVBl. 1997, S. 88); §§ 1, 10 UZwGBw. 205 Hammer, DÖV 2000, S. 613 (619); Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (135). Kritisch hierzu Greifeld, DÖV 1981, S. 906 (912 f.). 206 Dazu sogleich im 4. Kapitel ab S. 236.

234

3. Kap.: Angriffsabwehr durch private Hilfe

Im Rahmen einer gemeinsamen nächtlichen Patrouille auf der Warnemünder Promenade beobachten Polizist P und der bei einem privaten Sicherheitsunternehmen beschäftigte S, wie jemand dazu ansetzt, mit einem Pflasterstein die Scheiben eines Restaurants einzuwerfen. P könnte zwar den Täter ergreifen und auf diese Weise versuchen, die Zerstörung fremden Eigentums zu verhindern. Er erkennt aber, dass bei diesem Vorgehen das Restrisiko bleibt, dass es dem Randalierer auch aus der Umklammerung heraus gelingen könnte, den Stein zu werfen. Darum bittet er S, den Täter niederzuschlagen, da nur auf diese Weise der Angriff mit absoluter Sicherheit abgewendet werden kann.

Unterstellt, der Schlag, zu dem P den S veranlasst hat, war erforderlich, aber unverhältnismäßig, so wird das Problem offenkundig: Grundsätzlich ist der Polizeibeamte im Rahmen seiner hoheitlichen Tätigkeit ausschließlich dazu befugt, verhältnismäßige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen.207 Veranlasst ein Träger staatlicher Gewalt nun eine Privatperson dazu, zugunsten eines Dritten mit den nicht an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebundenen Mitteln der Nothilfe einzugreifen, instrumentalisiert er ebendiese private Gewalt zu staatlichen Zwecken.208 Dem Staat wäre die von ihm veranlasste Gefahrenabwehr in Form der Nothilfe durch „beauftragte“ Privatpersonen zuzurechnen. Auf diesem Umweg über die Befugnisse von Privatpersonen, zu denen auch die privaten Sicherheitskräfte zählen, würde er sich eine so grundsätzlich nicht vorgesehene Möglichkeit verschaffen können, die Notrechte für hoheitliche Maßnahmen zur Anwendung zu bringen. Staatliche Organe wären nicht mehr nur auf die öffentlich-rechtlichen Befugnisse angewiesen, sondern könnten unter Umgehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mittelbar auf das Nothilferecht zugreifen.209 Die so genutzte Nothilfebefugnis erhielte eine neue Qualität, die indes nur als staatlicher Missbrauch privater Notrechte qualifiziert werden könnte.210 Zusammenfassend kann folglich festgehalten werden, dass sich private Sicherheitskräfte dann uneingeschränkt auf die Notrechte des § 32 StGB berufen können, wenn sie klassisch im Auftrag anderer Privatpersonen – also ohne staatliche Veranlassung – tätig werden. Eine staatlich veranlasste Gefahrenabwehr durch private Sicherheitsunternehmen kommt hingegen nur dann in Betracht, wenn mit der Beauftragung zugleich eine Übertragung hoheitlicher Befugnisse ___________ 207 Dahinstehen soll an dieser Stelle noch die Frage, ob mit Blick auf den Notrechtsvorbehalt in den Polizeigesetzen der Länder strafrechtliche Notrechte die Eingriffsbefugnisse des Staates erweitern können. Näher hierzu aber im 4. Kapitel unter A. II. 2. a) bb) (4) ab S. 251. 208 Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 150; Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (135). 209 Vgl. dazu auch Bracher, DVBl. 1989, S. 520 (521 f.). 210 Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 150; Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (135).

C. Besonderheiten professioneller Nothilfe

235

im Wege der Beleihung verbunden ist. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unzulässig ist hingegen eine staatliche Vereinnahmung der Nothilferechte privater Sicherheitskräfte mit dem Ziel, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auszuhebeln, der alle öffentlich-rechtlichen Befugnisse beschränkt.

4. Kapitel

Das Verhältnis von eigenhändiger Verteidigung und Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe Nachdem nunmehr das Verhältnis zwischen dem Angegriffenen und potentiellen privaten Helfern geklärt ist, wird im letzten Kapitel dieser Arbeit untersucht, unter welchen Voraussetzungen die staatliche Gefahrenabwehr Vorrang vor Selbstverteidigungsmaßnahmen beanspruchen kann. Wie bereits im 3. Kapitel werden zunächst die Situationen näher betrachtet, in denen staatliche Helfer präsent sind und sofort zur Unterstützung des Angegriffenen einschreiten könnten. Anders als in den Fällen der Beteiligung privater Helfer ist in den Konstellationen, in denen eine Fremdverteidigung durch hoheitliche Helfer in Betracht kommt, der Anknüpfungspunkt für eine mögliche Einschränkung des privaten Notwehrrechts höchst umstritten. Der Übersichtlichkeit sei es deshalb geschuldet, dass im Rahmen einer Analyse der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Notwehrparagraphen die bereits im 1. Kapitel dargestellten Ansichten nochmals aufgegriffen und einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Der zweite Teil dieses Kapitels befasst sich sodann mit der Frage, ob der Angegriffene verpflichtet ist, in oder im Vorfeld einer Konfliktsituation staatliche Organe um Hilfe zu ersuchen. Insbesondere gilt es in diesem Zusammenhang zu klären, ob der bewusste Verzicht auf die präventive Inanspruchnahme staatlicher Hilfe eine Einschränkung oder sogar eine vollständige Versagung des Notwehrrechts nach sich ziehen kann.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe Wenn man auch gegenüber fremder privater Hilfe eine generelle Subsidiarität der eigenhändigen Verteidigung ablehnt, so wird von nahezu allen Stimmen in der Literatur und Teilen der Rechtsprechung der Vorrang hoheitlicher Hilfe als eine allen Notrechten – und damit auch der Notwehr – immanente Schranke angesehen.1 Ganz überwiegend wird eine solche Begrenzung auf das staatliche ___________ 1 Vgl. nur Amelung, JuS 1986, S. 329 (332); Arzt, FS Schaffstein, S. 77 (82, 84); Burr, JR 1996, S. 230 (230 ff.); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 131; Frister, AT, 13. Kap. Rn. 10 f., 16. Kap. Rn. 24; Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); SK-Günther, § 32

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

237

Gewaltmonopol zurückgeführt.2 Zum Teil wird aber auch der in § 229 BGB zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke der Subsidiarität der Selbsthilfe verallgemeinert und auf die Notrechte übertragen.3 Doch abgesehen von der grundsätzlichen Einigkeit hinsichtlich des generellen Vorrangs der staatlichen Gefahrenabwehr sind in diesem Zusammenhang insbesondere zwei Punkte nicht abschließend geklärt. So ist zum einen unklar, wie die Subsidiaritäts-Schranke konkret ausgestaltet sein soll: Zum Teil wird vertreten, die Beschränkung der Notrechte komme in allen Fällen einer Beteiligung staatlicher Organe zum Tragen, also auch dann, wenn die staatlich organisierte Hilfe den Angriff nicht abwehren könne, wolle oder dürfe.4 Andere wollen hingegen den Geltungsbereich des Vorrangs staatlicher Gewalt auf diejenigen Fälle begrenzen, in denen die hoheitliche Hilfe zur Abwehr des Angriffs auch tatsächlich bereit und fähig sei.5 Zum anderen wird die Frage nach dem tatbestandlichen Anknüpfungspunkt einer derartigen Einschränkung der privaten Verteidigungsbefugnisse – wenn überhaupt6 – nur unzulänglich diskutiert und unterschiedlich beantwortet. So verneinen Einzelstimmen in der Literatur bei einer pflichtgemäßen Beteiligung staatlicher Organe bereits das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs.7 Andere lehnen in diesen Fällen die Erforderlich___________ Rn. 99; Haas, Notwehr, S 291 ff.; Haft, AT, S. 89; NK-Herzog, § 32 Rn. 71; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kinzig, ZStW 115 (2003), S. 791 (807); Klose, ZStW 89 (1977), S. 61 (72 Fn. 26); Kühl, AT, § 7 Rn. 119 ff.; Lackner/ders., § 32 Rn. 11a; Krey, AT 1, Rn. 474; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; Mayer, AT, S. 100; Müssig, ZStW 115 (2003), S. 224 (247); Roxin, AT 1, § 15 Rn 50; Schröder, H., JuS 1973, S. 157 (160); Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (55, 58); LK11-Spendel, § 32 Rn. 234; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 283 f. Wohl auch BGHSt 39, 133. Aus dem älteren Schrifttum ferner Berner, Archiv des Criminalrechts (N.F.) 1848, S. 547 (560); v. Buri, GS 30 (1879), S. 434 (460 et passim); Hälschner, Preußisches Strafrecht, Bd. 2, S. 256 f. Anders nur Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306). Ähnlich auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183. 2 Vgl. nur Arzt, FS Schaffstein, S. 77 (82 ff.); SK-Günther, § 32 Rn. 99; Kühl, AT, § 7 Rn. 119. 3 Krölls, NVwZ 1999, S. 233 (234); Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976); Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 53. 4 Amelung, JuS 1986, S. 329 (332); Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kühl, AT, § 7 Rn. 119 ff.; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976). Vgl. auch Haas, Notwehr, S. 306, für den in diesen Fällen eine Verteidigung nur nach den Grundsätzen des Rechtfertigenden Notstandes möglich sein soll. 5 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 77. 6 Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45, stellt beispielsweise nur fest, dass Notwehr ausscheide. Ähnlich Haas, Notwehr, S. 301, der darauf hinweist, dass eine Diskussion der tatbestandlichen Anknüpfung überflüssig sei. 7 Haas, Notwehr, S. 301, der aber in Fällen, in denen der staatlichen Gefahrenabwehr mildere Mittel zur Verfügung stehen, auch die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung verneint, vgl. ders., Notwehr, S. 291.

238

4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

keit der Verteidigungshandlung ab.8 Schließlich wird vertreten, die Subsidiarität der Notwehr sei im Rahmen der Gebotenheitsklausel des § 32 Abs. 1 StGB zu diskutieren.9 Die angeführten Unklarheiten bestimmen den Fortgang der weiteren Untersuchung. Zunächst ist zu klären, ob der Vorrang hoheitlicher Hilfe zumindest grundsätzlich als eine allen Notrechten – und damit auch der Notwehr – immanente Schranke anzusehen ist. Insofern wird insbesondere auf die Analyse des Verhältnisses von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol Bezug zu nehmen sein. In einem nächsten Schritt ist sodann herauszuarbeiten, welche Merkmale des Notwehrtatbestandes als Anknüpfungspunkte für den Subsidiaritätsgedanken dienen können.

I. Vorrang staatlicher Hilfe als Schranke privater Notwehrbefugnisse 1. Die Regelung des Vorrangs obrigkeitlicher Hilfe in § 229 BGB Sucht man nach einer Norm, die den Subsidiaritätsgedanken zum Ausdruck bringt, stößt man zwangsläufig auf § 229 BGB. Selbsthilfe ist nach dieser Norm jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn obrigkeitliche Hilfe rechtzeitig zu erlangen ist.10 Diese Regelung des grundsätzlichen Vorrangs staatlicher Hilfe wollen einige Stimmen in der Literatur11 verallgemeinern und insbesondere auch auf den Rechtfertigungsgrund der Notwehr übertragen. Eine Begründung für die Übertragbarkeit der in § 229 BGB formulierten Subsidiaritätsklausel auf die zivilrechtliche Notwehrvorschrift versucht Wolfgang Schünemann.12 Ausgangspunkt seiner Überlegung ist die These, dass § 227 BGB im Verhältnis zu § 229 BGB zwar die speziellere Norm sei.13 Dar___________ 8 Erb, FS Nehm, S. 181 (181); MünchKommStGB-ders., § 32 Rn. 131; Haft, AT, S. 89; Klose, ZStW 89 (1977), S. 61 (72 Fn. 26); Krey, AT 1, Rn. 474; Kühl, AT, § 7 Rn. 120 f.; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 299 (306). 9 Burr, JR 1996, S. 230 (231 f.); Haug, MDR 1964, S. 548 (551); Himmelreich, GA 1966, S. 129 (132); ders., NJW 1966, S. 733; Kohlrausch/Lange, § 53 Anm. II (S. 204); Müssig, ZStW 115 (2003), S. 224 (247); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183. Ebenso wohl Welzel, Strafrecht, S. 87. 10 Kritisch zur Subsidiaritätsklausel des § 229 BGB Traichel, Selbsthilferecht, S. 131 ff. 11 So etwa Krölls, NVwZ 1999, S. 233 (234); Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976). Eine Übertragbarkeit des Subsidiaritätserfordernisses des § 229 BGB zumindest auf § 227 BGB befürwortet Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 53. 12 Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 51 ff. 13 Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 48 ff. Eine Verwandtschaft von Notwehr und Selbsthilfe oder zumindest eine gewisse Nähe zwischen diesen beiden Rechtfertigungs-

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

239

aus folge allerdings nicht, dass im Rahmen der Notwehr auf den Vorrang obrigkeitlicher Hilfe verzichtet werden könne. Denn aus dem bloßen Vorrang der lex specialis müsse nicht zwangsläufig auf eine derogierende Verdrängung der lex generalis geschlossen werden.14 Vielmehr habe die speziellere Norm die Aufgabe, die allgemeinere zu konkretisieren, und diene insbesondere auch ihrer Klarstellung durch Absenkung der Abstraktionshöhe.15 Die Wertungen der Generalnorm seien hingegen auf die Spezialnorm zu übertragen. Dies sei insbesondere dann geboten, wenn die Verdeutlichung des abstrakten Regelungsgehaltes der lex generalis durch Konkretisierungen und Veranschaulichungen in der spezielleren Norm einen Verlust der Erkennbarkeit des normativ Wesentlichen nach sich ziehe.16 Konkret bedeute dies für das Verhältnis von zivilrechtlicher Notwehr und Selbsthilfe, dass die Grundwertungen des § 229 BGB im Hinblick auf die Zulässigkeit des eigenmächtigen Rechtsschutzes in den Tatbestand des § 227 BGB einfließen müssen. Auch die Notwehr sei deshalb gegenüber staatlicher Hilfe subsidiär;17 ebenso wie im Rahmen des § 229 BGB komme es für die Zulässigkeit der (zivilrechtlichen) Notwehr darauf an, ob obrigkeitliche Hilfe rechtzeitig zu erlangen ist. Irrelevant wäre bei diesem Verständnis die tatsächliche Wirksamkeit der staatlichen Hilfe. Präsente staatliche Hilfe hätte der Angegriffene immer in Anspruch zu nehmen, selbst wenn er mit den ihm daneben zur Verfügung stehenden Abwehrmitteln die Bedrohung seiner Rechtsgüter effektiver abwenden könnte. Um den Vorrang obrigkeitlicher Hilfe zu gewährleisten, wäre der Angegriffene sogar verpflichtet, nicht präsente staatliche Helfer herbeizuholen, wenn ihm dies rechtzeitig möglich wäre. Schließlich würde die rechtmäßige Verweigerung obrigkeitlicher Hilfe die rechtfertigende Wirkung der Notwehr wohl ausschließen.18

___________ gründen bejahen auch Hellmann, Anwendbarkeit, S. 118; Lagodny, GA 1991, S. 300 (309 ff.); Traichel, Selbsthilferecht, S. 55 ff.; Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 37. Anders hingegen die wohl h.M., die von einer sachlichen Alternativität der beiden Normen ausgeht; vgl. nur Soergel-Fahse, § 229 Rn. 1, 3; RGRK-Johannsen, § 229 Rn. 1. 14 Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 52. Vgl. auch Warda, FS Maurach, S. 143 (155, 166 f.). 15 Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 52. Vgl. auch Engisch, Einheit, S. 47; Klug, ZStW 68 (1956), S. 399 (412 ff.); Lenckner, Der Notstand, S. 152 f.; Warda, FS Maurach, S. 143 (155). 16 Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 52 f. Zur „Fernwirkung“ der Generalnorm auf die Spezialnorm vgl. ferner Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 34 Rn. 6. 17 Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 53. 18 Näher zur Auslegung dieser Tatbestandsvoraussetzung des § 229 BGB: SoergelFahse, § 229 Rn. 10 f.; MünchKommBGB-Grothe, § 229 Rn. 4; Schreiber, K., Jura 1997, S. 29 (34); Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 74 ff.; Staudinger-Werner, § 229 Rn. 10 f

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

Betrachtet man den Wortlaut der Notwehrregelungen und den des § 229 BGB, liegt eine solche Verallgemeinerung jedoch keineswegs nahe. Auffällig ist vielmehr, dass allein im Text des § 229 BGB der Vorrang obrigkeitlicher Hilfe niedergeschrieben ist. Hingegen kennen weder die zivilrechtliche Notwehrregelung in § 227 BGB noch die übrigen Notwehrtatbestände eine ausdrückliche Regelung des Vorrangs staatlicher Hilfe. Fast scheint es so, als könnte man aus den grammatikalischen Unterschieden zwischen § 229 BGB einerseits und § 227 BGB und den übrigen Notwehrregelungen andererseits ein plausibles argumentum e contrario herleiten.19 Dies müsste insbesondere dann gelten, wenn man davon ausgeht, dass defensive Notwehr einerseits und aggressive Selbsthilfe andererseits in einer sachlichen Alternativität zueinander stehen.20 In sich stimmig wäre es deshalb, den Vorrang obrigkeitlicher Hilfe vor der grundsätzlich verpönten, aggressiven Selbsthilfe als eine aus dieser Exklusivität folgende Zulässigkeitsvoraussetzung des § 229 BGB zu verstehen, auf die man bei der höherwertigen defensiven Notwehr verzichten kann.21 Zu einer Verneinung des Subsidiaritätserfordernisses für den Rechtfertigungsgrund der Notwehr könnte man aber auch dann gelangen, wenn man von einer Spezialität des § 227 BGB im Verhältnis zu § 229 BGB ausginge und die fehlende Ausformulierung des Vorrangs staatlicher Hilfe im Wortlaut des § 227 BGB als Privilegierung im Rahmen der Notwehr verstünde. Trotz des unterschiedlichen Wortlauts der §§ 227 und 229 BGB wird ganz überwiegend die obige Schlussfolgerung nicht gezogen. Vielmehr gehen selbst die Stimmen in der Literatur, die eine sachliche Alternativität der beiden Normen befürworten, davon aus, dass ungeachtet dieser Alternativität beiden Regelungen ein gemeinsamer Leitgedanke zugrunde liegt: Zum Selbsthandeln – also sowohl zur eigenhändigen Verteidigung als auch zur Selbsthilfe – sei ein Bürger nur dann berechtigt, wenn bei drohender Rechtsgefährdung staatliche Hilfe nicht erlangt werden könne.22 Dies bedeutet freilich nicht, dass die in § 229 BGB enthaltene Formulierung – Rechtmäßigkeit des Selbsthandelns nur, sofern obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig erreichbar ist – verallgemeinert werden soll. Stattdessen müsste eine gemeinsame Basis gefunden werden, die sowohl Ausgangspunkt der ausdrücklichen Subsidiaritätsregelung des § 229 BGB als auch einer nicht ausdrücklich geregelten Subsidiarität der Notwehr sein kann. ___________ 19

In diesem Sinne ausdrücklich BVerwGE 81, 185 (196): „§ 229 BGB nennt diese Voraussetzungen [sc. die Unmöglichkeit, hoheitliche Hilfe rechtzeitig zu erlangen,] nur für das Recht der Selbsthilfe, … nicht dagegen für Notwehr und Nothilfe …“ Vgl. dazu auch Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 83. 20 Vgl. die Nachweise in Fn. 13 auf S. 238. 21 Vgl. Schünemann, W., Selbsthilfe, S. 83 f. 22 Soergel-Fahse, § 229 Rn. 3; RGRK-Johannsen, § 229 Rn. 1.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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Bevor dieser gemeinsame Anknüpfungspunkt einer Subsidiarität des Selbsthandelns im weiteren Sinne gegenüber hoheitlicher Hilfe näher bezeichnet wird, muss der Blick jedoch noch einmal auf den soeben dargestellten Begründungsansatz Schünemanns gerichtet werden. Denn selbst wenn man mit Schünemann in der zivilrechtlichen Notwehr eine lex specialis zur Selbsthilfe sähe und eine Fernwirkung der Wertungen des § 229 BGB auf § 227 BGB befürworten wollte, stellt sich die Frage, ob das in § 229 BGB aufgestellte Erfordernis der Unerreichbarkeit rechtzeitiger obrigkeitlicher Hilfe insbesondere auch auf den strafrechtlichen Notwehrtatbestand übertragen werden kann. Da der Tatbestand des § 32 StGB einen Vorrang obrigkeitlicher Hilfe – anders als § 229 BGB oder die Notwehrregelungen in § 518 des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 179423 oder Art. 125 des Strafgesetzbuches für das Königreich Bayern von 181324 – nicht ausdrücklich vorsieht, bestehen Bedenken im Hinblick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG und wortgleich in § 1 StGB verankerte Gesetzlichkeitsprinzip. Dass dieses Prinzip jedenfalls für den strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund der Notwehr gilt und somit einer analogen Anwendung der Subsidiaritätsregelung des § 229 BGB auf § 32 StGB entgegensteht, wurde bereits im 2. Kapitel gezeigt.25, 26

2. Vorrang hoheitlicher Angriffsabwehr und staatliches Gewaltmonopol Bereits im 2. Kapitel27 wurde das Verhältnis von Notwehr und staatlichem Gewaltmonopol ausführlich diskutiert. Als Ergebnis dieser Untersuchung konnte festgehalten werden, dass die Notwehrbefugnis eine Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol darstellt. Konkret wird dem Angegriffenen Dispens vom Gewaltverbot inter privatos erteilt und in den in § 32 StGB geregelten Konstellationen gestattet, zum Schutz eigener Rechtsgüter notfalls mit körperlich wir___________ 23 Gem. § 518 ALR soll Notwehr nur dann in Betracht kommen, wenn obrigkeitliche Hilfe den Angriff nicht abwenden könne. Vgl. Anlage. 24 Hiernach ist die Selbstverteidigung nur dann gestattet, wenn die Herbeiholung obrigkeitlicher Hilfe unmöglich oder präsente hoheitliche Hilfe unzureichend ist. Vgl. Anlage. 25 Vgl. dort die Ausführungen unter D. II. ab S. 155. 26 Im Übrigen erscheint auch die Möglichkeit die Übertragung der Wertungen des § 229 BGB auf die zivilrechtliche Notwehrvorschrift zweifelhaft. Zwar steht nach der hier vertretenen Auffassung insbesondere das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung einer unterschiedlichen Handhabung der Notwehr im Zivil- und im Strafrecht nicht entgegen, vgl. dazu die Ausführungen unter D. II. 2. b) ab S. 164 im 2. Kapitel. Es bestehen jedoch ernsthafte Bedenken daran, dass mit den oben dargestellten, ergebnisorientierten Argumenten der Einwand, dass § 227 BGB gerade keinen Vorbehalt hoheitlicher Gefahrenabwehr kennt, überzeugend widerlegt wurde. 27 Vgl. dort die Ausführungen unter B. II. ab S. 112.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

kender Gewalt gegen den Angreifer vorzugehen. Aus diesem Ausnahmecharakter der Notwehr ergibt sich, dass die Anerkennung ebenjenes Notrechts nicht gleichzeitig eine Aufhebung des staatlichen Gewaltmonopols nach sich zieht. Vielmehr haben staatliche Einrichtungen in der jeweiligen Notwehrlage auch weiterhin die Kompetenz, Gefahren vom Einzelnen abzuwenden und so das verlässliche und friedfertige Zusammenleben der Bevölkerung zu sichern. Insofern stehen die Kompetenzen hoheitlicher Institutionen in der konkreten Konfliktlage neben den Verteidigungsbefugnissen des Einzelnen.28 Nicht fern liegend ist deshalb die Überlegung, aus dem staatlichen Gewaltmonopol selbst eine Rückausnahme von der Erlaubnis herzuleiten, zum Schutz des eigenen Rechtskreises und der angegriffenen Rechtsgüter ausnahmsweise private Gewalt auszuüben. Die Befürworter einer derartigen Einschränkung des Notwehrrechts knüpfen ihre Überlegung an die Feststellung an, das staatliche Gewaltmonopol dürfe nicht mehr als unbedingt erforderlich durchbrochen werden. Private Gewalt sei aus diesem Grunde nur dann zuzulassen, wenn der Staat rechtswidrig bedrohte Individualrechtsgüter tatsächlich nicht mehr schützen könne oder wolle.29 In den Fällen hingegen, in denen die Abwehr eines Angriffs durch präsente hoheitliche Hilfe möglich sei, bestehe kein Anlass mehr dafür, Notwehr zu gestatten. Denn gerade der Befund, dass der Staat mit seinen Einrichtungen aus rein tatsächlichen Gründen nicht immer in der Lage sein wird, Angriffe auf seine Bürger und deren Rechtsgüter abzuwehren, war Ausgangspunkt für die Erklärung des Notwehrrechts als eine Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol: Gelingt es dem Staat nicht, den Rechtsfrieden hinreichend zu sichern und seine Bürger zu schützen, kann er vom Opfer eines Angriffs nicht erwarten, die ihm unrechtmäßig durch einen Dritten zugefügte Gewalt oder unmittelbar drohende Gewaltzufügung hinzunehmen.30 Insofern würde das staatliche Gewaltmonopol Grenzen des § 32 StGB festlegen und als eine dem Notwehrrecht immanente Schranke fungieren. Dass dem staatlichen Gewaltmonopol eine derartige Rückausnahme von der Erlaubnis für den Angegriffenen, sich in Notwehrlagen selbst zu verteidigen, entnommen werden kann, wird indes von einigen Stimmen in der Literatur31 prinzipiell angezweifelt. Das staatliche Gewaltmonopol sei ein weit gefasster Begriff und deshalb nicht dafür geeignet, konkrete Auslegungsfragen des einfa___________ 28 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 76; Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306). Vgl. auch Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 200. Kritisch Haas, Notwehr, S. 293 ff. 29 Arzt, FS Schaffstein, S. 77 (79, 82 ff.); SK-Günther, § 32 Rn. 99; Kühl, AT, § 7 Rn. 119. 30 Vgl. dazu bereits die Ausführungen unter B. II. 2. b) ab S. 122 im 2. Kapitel. 31 Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306). Tendenziell auch Traichel, Selbsthilfe, S. 132 ff.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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chen Rechts zu klären.32 Es umschreibe lediglich die grundsätzliche Aufgabe des Staates, ein verlässliches und friedfertiges Zusammenleben der Bevölkerung zu sichern. Die Ableitung von allgemeingültigen Rechtssätzen aus einem derart weit gefassten Begriff sei hingegen nicht möglich, zumal die herausgearbeiteten Schlüsse ohnehin nicht rechtsdogmatischer, sondern allenfalls rechtspolitischer Natur sein könnten und damit beliebig interpretierbar und austauschbar wären.33 Vielmehr bedürften die mit dem Prinzip des staatlichen Gewaltmonopols verfolgten Ziele ihrerseits einer Umsetzung durch einfaches Recht.34 Lässt man diese Bedenken jedoch zunächst einmal unberücksichtigt,35 stellt sich die Frage, wie eine am staatlichen Gewaltmonopol orientierte (Rück-)Ausnahme von der Notwehrbefugnis ausgestaltet sein soll. Mag man es auch nicht für überzeugend halten, dass der Subsidiaritätsgedanke des § 229 BGB deshalb in den Notwehrtatbestand einfließen müsse, weil § 229 BGB als lex generalis der Notwehr gegenüber zu verstehen sei, so könnte man die Zulässigkeit der Notwehr dennoch davon abhängig machen, dass obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen war. In diesem Sinne könnte vom Angegriffenen erwartet werden, dass dieser sich aktiv um staatliche Hilfe bemüht, bevor er zur eigenhändigen Verteidigung schreitet. Grund für eine derartige Abhängigkeit der Notwehrbefugnisse von der Nichterreichbarkeit staatlicher Hilfe wäre nicht § 229 BGB, sondern das staatliche Gewaltmonopol selbst; der Subsidiaritätsgedanke des § 229 BGB stellte insofern nur die ausdrückliche Normierung eines viel allgemeineren Gedankens des Vorrangs staatlicher Gefahrenabwehr dar. Statt die Notwehrbefugnisse des Angegriffenen daran zu knüpfen, dass dessen – aktive – Versuche, hoheitliche Hilfe rechtzeitig zu erlangen, erfolglos geblieben sind, wäre es ebenso denkbar, in der bloßen Anwesenheit staatlicher Organe in der konkreten Konfliktsituation eine Beschränkung der Gewaltgestattung für die bedrohte Privatperson zu sehen. Schließlich könnte man darauf abstellen, dass in all den Fällen, in denen staatliche Helfer – rechtmäßig – an der Abwehr eines Angriffs beteiligt sind, das Notwehrrecht des Einzelnen entfallen soll.36 Doch selbst wenn man dem letztgenannten und im Vergleich zu den anderen Ansätzen notwehrfreundlichsten Vorschlag den Vorzug geben und einen Vorrang staatlichen Schutzes vor rechtswidrigen Angriffen nur bei einer – im Detail wie auch immer ausgestalteten – Beteiligung staatlicher Organe anerkennen wollte, liegen die Probleme auf der Hand. So mag eine derart verstandene Sub___________ 32

Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306). Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306). 34 Isensee, FS Sendler, S. 39 (49); Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306). 35 Näher dazu erst unter A. II. 2. b) ab S. 272 in diesem Kapitel. 36 So etwa Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kühl, AT, § 7 Rn. 119 ff.; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976). 33

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

sidiarität der eigenhändigen Verteidigung zwar in den Konstellationen unproblematisch sein, in denen die beteiligten staatlichen Helfer den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff effektiver als der Angegriffene selbst abwenden können oder in denen die hoheitliche Angriffsabwehr die mildere Verteidigung darstellt. Schließlich verlangt auch das Merkmal der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung, dass der Angegriffene das mildeste der ihm zur Verfügung stehenden „Abwehrmittel“ – zu denen auch fremde Hilfe zählt – einsetzt oder aber dasjenige, das den Angreifer bei gleicher Eignung am wenigsten schädigt. Ernsthafte Bedenken bestehen hingegen in den konträren Situationen: Stehen den staatlichen Helfern keine milderen Verteidigungsmittel als dem Angegriffenen zur Verfügung oder ist die Beendigung des Angriffs durch die hoheitliche Gewalt sogar mit einschneidenderen Maßnahmen gegen die Rechtsgüter des Aggressors verbunden, wird das Merkmal der Erforderlichkeit „arg strapaziert“.37 Denn anders als die zivilrechtliche Selbsthilfe des § 229 BGB kennt das Notwehrrecht seinem Wortlaut nach gerade keinen grundsätzlichen und von der Erforderlichkeit der Verteidigung unabhängigen Vorrang obrigkeitlicher Hilfe. Ob die „sachliche Rechtfertigung“ des Subsidiaritätsgedankens – private Gewalt müsse zum einen so weit wie möglich zurückgedrängt werden und die Rechtsbewährung durch organisierte Angriffsabwehr obliege zum anderen in erster Linie dem Staat und seinen Organen –38 eine derartige Interpretation des Erforderlichkeitskriteriums notwendig macht, ist allerdings zweifelhaft und zwar nicht nur deshalb, weil der Gedanke der Rechtsbewährung bei der hier befürworteten individualistischen Notwehrkonzeption keine tragende Rolle spielt. Diese Bedenken werden noch größer, wenn man den Vorrang staatlicher Gewalt nicht nur auf die Fälle beschränken will, in denen die hoheitliche Hilfe zur Abwendung des Angriffs tatsächlich bereit und auch fähig ist,39 sondern eine Befugnis zur Selbstverteidigung bereits dann verneint, wenn präsente hoheitliche Gewalt einen gegenwärtigen Angriff wegen entgegenstehender gesetzlicher Bestimmungen oder aber aus Zweckmäßigkeits- oder Verhältnismäßigkeitserwägungen den Angriff nicht abwehrt.40 Denn – so die Begründung – auch in einer solchen Situation stehe das staatliche Gewaltmonopol privater Notwehr entgegen. Ließe man die Selbstverteidigung bei Anwesenheit hoheitlicher Organe zu, würde die Zuständigkeit des Staates für die organisierte Abwehr von Gefah-

___________ 37

So auch Kühl, AT, § 7 Rn. 121. Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kühl, AT, § 7 Rn. 121. 39 So aber Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 77. 40 So etwa Amelung, JuS 1986, S. 329 (332); Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kühl, AT, § 7 Rn. 121; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976). 38

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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ren in Frage gestellt.41 Im Übrigen könne man dem Bürger nicht mehr Verteidigungsrechte zusprechen, als sie die präsenten staatlichen Organe besitzen.42 Ob es sich bei einem derartig durch das staatliche Gewaltmonopol beeinflussten Verständnis des Notwehrtatbestandes angesichts des Wortlautes des § 32 StGB überhaupt noch um eine restriktive Auslegung im klassischen Sinne handelt, erscheint zweifelhaft. Vielmehr stellt sich der Vorrang hoheitlicher Gefahrenabwehr, wie ihn die soeben dargestellten Ansichten verstehen, auf den ersten Blick als eine vom Wortlaut des § 32 StGB losgelöste Schranke des Notwehrrechts dar. Eine derartige Beschränkung der Notwehr wäre indes nur schwer mit dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Gesetzlichkeitsprinzip in Übereinstimmung zu bringen.43 Deshalb ist im Folgenden zu klären, ob und in welcher Gestalt eine am staatlichen Gewaltmonopol orientierte Einschränkung des Notwehrrechts überzeugend aus dessen Tatbestandsmerkmalen heraus begründet werden kann.44

II. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32 StGB als mögliche Anknüpfungspunkte für den Subsidiaritätsgedanken 1. Notwehrlage als Anknüpfungspunkt für einen Ausschluss privater Notwehr bei präsenter staatlicher Gewalt Grundvoraussetzung der Notwehr ist eine allgemein als Notwehrlage bezeichnete Situation, die in § 32 Abs. 2 StGB als ein „gegenwärtiger rechtswidriger Angriff“ auf den Notwehrtäter oder einen Dritten beschrieben wird. Ob bereits anhand dieser Grundvoraussetzung der Notwehr geklärt werden kann, ob eigenhändige Verteidigungsmaßnahmen in einer konkreten Kampflage gegenüber fremder staatlicher Hilfe subsidiär sind, soll in einem ersten Schritt untersucht werden.

___________ 41 Amelung, JuS 1986, S. 329 (332); Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kühl, AT, § 7 Rn. 121. 42 Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (976). 43 Dass die Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG auch mit Blick auf den Rechtfertigungsgrund der Notwehr zu beachten sind, wurde bereits im 2. Kapitel unter D. II. ab S. 155 gezeigt. 44 Auf eine erneute Diskussion des Verteidigungswillens als Anknüpfungspunkt für eine Subsidiarität privater Verteidigungsmaßnahmen soll in diesem Kontext allerdings verzichtet werden. Es gilt nichts anderes, als bereits bei der Untersuchung des Verhältnisses von Notwehr und Nothilfe erörtert wurde. Vgl. dazu die Ausführungen unter A. III. ab S. 219 im 3. Kapitel.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

a) Der rechtswidrige Angriff als Anknüpfungspunkt Zwar besteht Einigkeit darüber, dass das Tatbestandsmerkmal des rechtswidrigen Angriffs nichts zur Klärung des Verhältnisses von eigenhändiger Verteidigung und Abwehrmaßnahmen durch private Helfer beitragen kann. Für Haas ist diese Voraussetzung der Notwehr aber immerhin Anknüpfungspunkt für einen Ausschluss der privaten Angriffsabwehr in Fällen von Konkurrenz mit hoheitlicher Gewalt.45 Ob seine Argumentation nachvollziehbar einen Vorrang staatlicher Kräfte bei Gefahrenabwehr begründen kann, soll im Folgenden näher hinterfragt werden.

aa) Verneinung des Vorliegens eines rechtswidrigen Angriffs bei präsenter hoheitlicher Gewalt (Haas) Haas versteht das Merkmal des rechtswidrigen Angriffs als „das eigentliche und charakterisierende Kernstück des Notwehrrechts“.46 Es ermögliche zum einen, dem Aggressor den ihm bei der Abwehr seines Angriffs zugefügten Schaden selbst zuzurechnen. Da der Täter durch seinen rechtswidrigen Angriff die grundlegende Erwartung, dass der Bestand von Gütern im Rahmen seiner rechtlichen Zuordnung allgemein akzeptiert wird, demonstrativ missachte, brauche ihm wegen und während ebendieser Tat die Unverletzlichkeit seiner Rechtsgüter, die generell jedem Bürger zustehe, gerade nicht zuerkannt zu werden. Daher seien dem Täter auch diejenigen Rechtsgutseinbußen regelmäßig selbst zuzurechnen, die ihm ein anderer bei der Verhinderung oder bei der Erschwerung eines Normverstoßes zufüge.47 – „Wer durch einen rechtswidrigen Angriff allgemein anerkannte Erwartungen enttäuscht, kann nicht darauf bauen, daß dabei diejenigen eigenen Erwartungen respektiert werden, deren Enttäuschung notwendige Bedingung der Abwehr dieses Angriffs sind.“48 Zum anderen könne der Verteidiger wegen der in seiner Handlung liegenden Abwehrtendenz über die Tatbestandsvoraussetzung des rechtswidrigen Angriffs nicht nur entlastet, sondern prinzipiell auch positiv bewertet werden. Sein Verhalten stelle sich als ein Hindernis für das Geschehen von Unrecht dar. Insofern trete der Notwehrübende dominant rechtstreu auf und setze sich darüber hinaus für den Erhalt der im Rahmen des Rechts bestehenden Ordnung ein.49 ___________ 45 Haas, Notwehr, S. 301. Aus dem älteren Schrifttum auch Berner, Archiv des Criminalrechts (N.F.) 1848, S. 547 (560); Hälschner, Preußisches Strafrecht, Bd. 2, S. 261. 46 Haas, Notwehr, S. 205. 47 Haas, Notwehr, S. 217 f. 48 Haas, Notwehr, S. 218. 49 Haas, Notwehr, S. 219, 223.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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Etwas anderes gelte jedoch für die Fälle, in denen hoheitliche Organe zur Abwendung einer Gefahr bereit stehen. Das Abwehrverhalten des Angegriffenen könne dann nicht mehr positiv beurteilt werden, wenn der Verteidiger seinerseits eine allgemein anerkannte Erwartung enttäuscht, indem er mit seiner Handlung in Kompetenzen des Staates eingreift. Schließlich sei es Aufgabe des Staates und seiner Organe, den Bestand von Rechtsgütern im Rahmen seiner rechtlichen Zuordnung zu garantieren.50 Daher sei es selbstverständlich, dass zumindest gegenwärtige Staatsmacht immer vorrangig in Anspruch zu nehmen sei. Eine eigenhändige Verteidigung sei bei verfügbarer staatlicher Hilfe eine Tat aus „nichtigem Anlass“, die den Sinn der Notwehr als Bewährung der Rechtsordnung vereiteln würde. Bei einer privaten Abwehrhandlung in einer derartigen Situation sei der eigentliche Angriff im Vergleich zu der Schädigung durch die Abwehr belanglos und könne keinen rechtswidrigen Angriff im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB darstellen.51 Der Angegriffene wäre folglich nicht mehr selbst zur Notwehr befugt, die eigenhändige Verteidigung gegenüber der staatlichen Hilfe subsidiär. Dies gelte sowohl für die Konstellationen, in denen der präsenten, eingriffsfähigen und sich pflichtgemäß verhaltenden obrigkeitlichen Gewalt mildere oder gleich geeignete Abwehrmittel wie dem Bürger zur Verfügung stehen, als auch für diejenigen, in denen staatliche Hilfsmaßnahmen aufgrund öffentlich rechtlicher Beschränkungen weniger geeignet sind.52 In Ausnahmefällen müsse darüber hinaus sogar obrigkeitliche Hilfe angefordert werden, wenn dadurch mühelos eine eingriffsbereite Gegenwart staatlicher Hilfe hergestellt werden könne.53

bb) Kritik einer Verneinung des rechtswidrigen Angriffs bei präsenter staatlicher Hilfe Aus mehreren Gründen bestehen Bedenken, dem Vorschlag Haas’ zu folgen. Problematisch ist zunächst, dass Haas seine Argumentation auf Basis einer monistisch überindividualistisch konzipierten Notwehrlehre entfaltet. Wie bereits an früherer Stelle ausführlich dargestellt wurde,54 können die in § 32 StGB normierten Notwehrbefugnisse auf Grundlage eines überindividualistischen Verständnisses nicht überzeugend begründet werden. Diese grundsätzliche Kritik muss sich auch Haas entgegenhalten lassen, wenn er einzig und allein in überin___________ 50

Haas, Notwehr, S. 218 f. Haas, Notwehr, S. 260, 301. Zum Begriff des „nichtigen Anlasses“ vgl. ders., Notwehr S. 255 Fn. 113. 52 Haas, Notwehr, S. 297, 300 f. 53 Haas, Notwehr, S. 304. 54 Vgl. dazu die Ausführungen unter C. II. ab S. 133 im 2. Kapitel. 51

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

dividuellen Gesichtspunkten den Grund der Notwehr sieht55 und auf dieser Grundlage versucht, das Verhältnis von privater Notwehr und staatlicher Gefahrenabwehr zu lösen. Doch selbst wenn man diesen grundsätzlichen Einwand zunächst zurückstellt, erscheint es als äußerst fragwürdig, warum allein die Anwesenheit staatlich organisierter Hilfe zu einer Verneinung des rechtswidrigen Angriffs führen soll. Im Einzelnen:

(1) Enttäuschung allgemein anerkannter Erwartungen Haas begründet die Verneinung des rechtswidrigen Angriffs damit, dass der Angegriffene, der sich selbst verteidige, obwohl hoheitliche Organe zur Abwehr des Angriffs bereit stehen, in Kompetenzen des Staates eingreife und so eine allgemein anerkannte Erwartung enttäusche.56 Wessen Erwartungen durch die Verteidigungshandlung des Angegriffenen konkret enttäuscht würden, wird auf Grundlage der Argumentation Haas’ allerdings nicht deutlich. So drängt sich die Frage auf, ob auch die Erwartungen des Angreifers zu den allgemein anerkannten zu zählen sind. Dies wird man letztlich wohl verneinen müssen; es wäre lebensfremd, nähme man an, dass der Angreifer darauf vertraut, dass sein Opfer den Angriff erdulde, nur weil staatliche Helfer zugegen sind. In Betracht kommt deshalb wohl nur eine Enttäuschung der Erwartungen des Staates und der übrigen Allgemeinheit. Deren (Allgemein-)Interesse, dass der Angegriffene in Konkurrenzsituationen mit staatlichen Organen auf eine eigenhändige Abwehr verzichtet, würde eine Reflexwirkung zugunsten des Angreifers entfalten. Diese Erwartung, die letztlich dem sich nicht rechtstreu verhaltenden Angreifer zugute käme, höher zu bewerten, als das Interesse des sich und seine Rechtsgüter schützenden Angegriffenen, der zwar in den Kompetenzbereich staatlicher Organe eingreifen mag, aber an sich kein Unrecht gegenüber dem Staat verwirklicht, ist kaum nachvollziehbar.

(2) Rechtsgeschichtliche Anhaltspunkte Betrachtet man ferner die rechtshistorischen Quellen, so liegt eine Verneinung des „rechtswidrigen Angriffs“ wegen der bloßen Anwesenheit staatlicher Hilfe eher fern. Vielmehr deuten die Materialien zum Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten vom 14. April 1851, welches wesentliche Grundlage des ___________ 55 56

Vgl. Haas, Notwehr, S. 216 f. Haas, Notwehr, S. 218 f.

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Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 war57 und damit mittelbar auch das heutige Strafgesetzbuch beeinflusst hat, ausdrücklich darauf hin, dass die Präsenz staatlicher Hilfe keinen Einfluss auf die Frage des Bestehens einer Notwehrlage haben soll. Den Quellen zu § 41 PrStGB58, dem inhaltsgleichen Vorläufer des § 53 RStGB59, ist zu entnehmen, dass die Formulierung „Vertheidigung, welche erforderlich ist“ zweierlei beinhalte, nämlich zum einen „den Mangel des augenblicklich nöthigen Schutzes der Obrigkeit“ und zum anderen „den Mangel eines anderen sicheren Mittels, außer der Selbstvertheidigung zur Abwendung des drohenden Uebels“.60 Soll nach dem Willen des historischen Gesetzgebers nun aber gerade das Merkmal der Erforderlichkeit der Verteidigung den Subsidiaritätsgedanken – Zulässigkeit der eigenhändigen Verteidigung nur bei Fehlen des staatlichen Schutzes – beinhalten, scheint die Präsenz staatlicher Hilfe die Frage des Vorliegens eines rechtswidrigen Angriffs nicht zu berühren. Mag man auch darüber diskutieren, welche Bindungswirkung dem ermittelten Willen des historischen Gesetzgebers letztendlich zukommt,61 so lässt sich nicht bestreiten, dass dieser rechtshistorische Ansatzpunkt zumindest ein Indiz für die Beantwortung der hier untersuchten Fragestellung darstellt. Von einer näheren Untersuchung der Notwehrvoraussetzung „rechtswidriger Angriff“ entbindet dieses Zwischenergebnis freilich nicht.

(3) Anwesenheit staatlicher Hilfspersonen und Vorliegen eines Angriffs Ganz überwiegend62 wird der Angriff als eine durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Individualrechtsgüter beschrieben. Das Erfordernis einer gewissen zeitlichen Nähe zwischen Angriffsverhalten und dem möglichen Schadenseintritt, welches bereits durch das Abstellen auf eine ___________ 57

Rüping/Jerouschek, Grundriß, Rn. 232 f. Zum genauen Wortlaut dieser Vorschrift vgl. die Anlage. 59 Zum genauen Wortlaut des § 53 RStGB vgl. die Anlage. 60 Goltdammer, Materialien zum PrStGB, Theil 1, S. 419 f. 61 Vgl. dazu Schönke/Schröder-Eser, § 1 Rn. 41 f.; Seesko, Notwehr gegen Erpressung, S. 19. 62 Ebert, AT, S. 72; Freund, AT, § 3 Rn. 95; Gropp, AT, § 6 Rn. 68; SK-Günther, § 32 Rn. 21; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 3; Jescheck/Weigend, AT, S. 338; Joecks, § 32 Rn. 6; LPK-StGB-Kindhäuser, § 32 Rn. 9; Maurach/Zipf, AT 1, § 26 Rn. 8; LK12Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 77; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 6; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 61; Welzel, Strafrecht, S. 84. Im Ergebnis ebenso MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 29, 48 ff., auch wenn er sich ausdrücklich gegen eine begriffliche Aufspaltung wendet und den „rechtswidrigen Angriff“ als eine einheitliche Voraussetzung der Notwehrlage versteht. Vgl. auch Lemke, OWiG, § 15 Rn. 2. 58

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

drohende Verletzung begründet wird, wollen einige Autoren63 noch stärker betonen. Um eine deutlichere temporale Restriktion zu erreichen, ergänzen sie die Definition um den Zusatz der unmittelbaren Bedrohung notwehrfähiger Interessen.64 Andere definieren den Angriff im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB hingegen lediglich als Gefährdung notwehrfähiger Interessen durch menschliches Verhalten65 und verzichten für dieses Merkmal auf jegliche zeitliche Beschränkung, da diese ausschließlich durch das Merkmal der Gegenwärtigkeit erreicht werden könne.66, 67 Einigkeit besteht heute hingegen insoweit, dass Notwehr nicht nur

___________ 63 Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 4; NK-Herzog, § 32 Rn. 3; Kühl, AT, § 7 Rn. 23; Lackner/ders., § 32 Rn. 2; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 3; LK11-Spendel, § 32 Rn. 23. 64 Kühl, AT, § 7 Rn. 23: „Rechtsgüter des Bedrohten [müssen] akut gefährdet sein“. – Ziel der Verwendung des Ausdrucks „unmittelbar“ ist es hingegen nicht, bloß mittelbar auf den Täter zurückführbare Rechtsgutsbeeinträchtigungen aus dem Begriff des „Angriffs“ auszuschließen; so aber Müller, NStZ 1993, S. 366 (368). Vgl. zum Ganzen auch Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 84. 65 Eggert, NStZ 2001, S. 225 (226); Köhler, AT, S. 266 Fn. 88; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 84 f.; Schroeder, JuS 1980, S. 336 (336 f.); Seesko, Notwehr gegen Erpressung, S. 18. Ohne nähere Begründung auch Lorenz/Najdecki/Schwarz, AT, Rn. 47. 66 Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 85. 67 Die Begriffsbestimmung der herrschenden Ansicht – insbesondere das Abstellen auf eine unmittelbare Bedrohung oder eine drohende Rechtsgutsverletzung wird zu Recht unter zwei Gesichtspunkten kritisiert. Vorgebracht wird zum einen, dass die Forderungen nach einer unmittelbaren Bedrohung oder einer drohenden Verletzung dazu führt, dass – nimmt man die vorgeschlagene Lesart ernst – Situationen, die unzweifelhaft einen Angriff darstellen, nicht von der Definition erfasst werden können. Denn nicht nur die unmittelbar drohende Verletzung notwehrfähiger Rechtsgüter stellt einen Angriff dar, sondern ohne jeglichen Zweifel auch eine solche, die gerade stattfindet, vgl. dazu Seesko, Notwehr gegen Erpressung, S. 18. Zum anderen wird durch das Erfordernis der unmittelbar drohenden Verletzung das Merkmal Angriff ohne ersichtlichen Grund mit einem temporalen Aspekt versehen und so mit der Voraussetzung der Gegenwärtigkeit des Angriffs vermischt. Für eine derartige Häufung inhaltsgleicher Begriffe besteht hingegen dann kein Bedürfnis, wenn man die Gegenwärtigkeit zugleich mit ihrem Bezugsobjekt Angriff erörtern würde, näher dazu Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 84 f.; Schroeder, JuS 1980, S. 336 (336 f.); Seesko, Notwehr gegen Erpressung, S. 18. Im Übrigen kann trotz des vollständigen Verzichts auf eine zeitliche Beschränkung eine Abgrenzung zwischen Notwehr und rechtfertigendem Notstand in kritischen Fällen dadurch erreicht werden, dass man den Angriff des § 32 Abs. 2 StGB bzw. die Gefahr des § 34 S. 1 StGB mit dem in beiden Vorschriften enthaltenen Erfordernis der Gegenwärtigkeit verknüpft. Durch eine Gegenüberstellung der Begriffspaare gegenwärtiger Angriff und gegenwärtige Gefahr wird eine unterschiedliche Auslegung von Notwehr- und Notstandslage möglich, so auch Hillenkamp, Vorsatztat, S. 116 f.; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 85; a.A. Kratzsch, StV 1987, S. 224 (224 f.).

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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gegen ein gewaltsames Vorgehen des Angreifers, sondern auch gegen gewaltlose Schädigungsakte zulässig ist.68 Blendet man die Unterschiede der verschiedenen Definitionsvorschläge für das Angriffsmerkmal im Detail aus – lässt man also dahinstehen, ob ein Angriff nun ein gewaltsames Vorgehen, eine unmittelbar drohende Verletzung oder aber generell jedes gegen fremde Interessen gerichtetes Vorgehen ist –, wird eine Gemeinsamkeit offensichtlich: Nur ein menschliches Verhalten, nämlich das des Angreifers, kann die Begriffsvoraussetzungen eines Angriffs erfüllen. Dieses Verhalten des Angreifers muss sich – losgelöst von der Frage der Notwendigkeit einer etwaigen zeitlichen Verknüpfung – gegen notwehrfähige Interessen richten. Das sind regelmäßig und insbesondere in den hier diskutierten Fallgruppen Individualrechtsgüter des Angegriffenen. Das Vorliegen eines Angriffs bestimmt sich folglich allein aus dem Verhältnis Angreifer – Angegriffener. Die Anwesenheit Dritter kann dem Verhalten des Angreifers jedenfalls nicht seinen Angriffscharakter nehmen. Eine Verknüpfung des Merkmals Angriff mit der Anwesenheit Dritter ist demnach verfehlt.

(4) Anwesenheit staatlicher Hilfspersonen und Rechtswidrigkeit des Angriffs Ändert die Anwesenheit staatlicher Hilfskräfte mithin nichts am Vorhandensein eines Angriffs, könnte sie dennoch Einfluss auf die Bewertung eines Angriffs als „rechtswidrig“ haben, so dass man mit Haas das Vorliegen eines „rechtswidrigen Angriffs“ verneinen müsste. Betrachtet man den Wortlaut des § 32 Abs. 2 StGB, erscheint diese Möglichkeit jedoch eher fern liegend. Das Adjektiv „rechtswidrig“ charakterisiert den Angriff näher, also die von einem menschlichen Aggressor ausgehende Beeinträchtigung notwehrfähiger Interessen. Hat nun aber die Anwesenheit hoheitlicher Helfer keinen Einfluss darauf, ob das Verhalten eines Dritten als Angriff zu verstehen ist, erscheint es zumindest auf den ersten Blick eher fern liegend, dass die Beurteilung der Rechtswidrigkeit, die gerade dieses Angriffsverhalten näher umschreibt, von der Präsenz staatlicher Helfer abhängen soll. Möglicherweise zwingt aber die Auseinandersetzung mit dem begrifflichen Inhalt des Merkmals „rechtswidrig“ trotz der vorgetragenen Bedenken zu einem anderen Schluss. Rechtswidrig ist ein Angriff immer dann, wenn er objektiv ___________ 68 Zu Recht hat der Ansatz Mayers, AT, S. 97 f., dass ausschließlich ein gewaltsames Vorgehen, welches sich unmittelbar oder mittelbar gegen eine andere Person richte, die Voraussetzungen eines notwehrrelevanten Angriffsverhaltens erfülle, keine Anhänger gefunden. Zur Kritik dieses Ansatzes vgl. Amelung, GA 1982, S. 381 (384); Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 81 f.; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 255 ff.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

nicht im Einklang mit der Rechtsordnung steht.69 Wann ein derartiger Widerspruch zur Rechtsordnung gegeben sein soll, ist allerdings umstritten. Zum Teil70 wird für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Angriffs allein auf den Erfolgsunwert abgestellt. Lediglich in den Fällen, in denen der Betroffene verpflichtet war, den Eingriff zu dulden, soll die Rechtswidrigkeit des Angriffs entfallen. Praktische Folge einer derartigen Anbindung des Rechtswidrigkeitsurteils an eine Duldungspflicht des Betroffenen sei die Möglichkeit klarer und eindeutiger Entscheidungen darüber, ob ein Angriff rechtswidrig oder aber rechtmäßig ist.71 Im Übrigen lasse sich das Abstellen auf den Erfolgsunwert insbesondere dann gut begründen, wenn man in dem Rechtsgüterschutzprinzip das leitende Motiv der Notwehr sehe. Denn auf Grundlage des Rechtsgüterschutzgedankens könne es nur schwerlich erklärt werden, warum der Betroffene einen erkennbar drohenden Schaden eintreten lassen soll, wenn ebendieser durch den Einsatz aller erforderlichen Mittel abgewendet werden kann.72 Folgt man dieser Auffassung und geht davon aus, dass ein Angriff dann nicht rechtswidrig ist, wenn das Opfer diesen zu dulden hatte, könnte man nun zu dem Schluss gelangen, dass die Anwesenheit staatlicher Hilfe die Rechtswidrigkeit des Angriffs tatsächlich entfallen lässt. Ausgangspunkt einer derartigen Argumentation könnte die Überlegung sein, dass der Angegriffene sich dann nicht selbst verteidigen darf, wenn hoheitliche Hilfe zugegen ist. Muss der Angegriffene nun aber die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen – darf er sich also nicht selbst verteidigen –, muss er den Angriff hinnehmen, diesen also dulden. Eine derartige Duldungspflicht wiederum würde die Rechtswidrigkeit des Angriffs entfallen lassen. – Die Fehler einer derartigen Argumentationskette liegen freilich auf der Hand. Unterstellt man, dass derjenige, dem staatliche Hilfe zur Seite steht, sich nicht mehr selbst verteidigen darf, macht man die Frage, die es erst ___________ 69

Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 11; SK-Günther, § 32 Rn. 58; NK-Herzog, § 32 Rn. 34; Jescheck/Weigend, AT, S. 341; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 19/20. 70 Bockelmann/Volk, AT, § 15 (S. 90); Focke, Notwehr in Lehre und Rechtsprechung, S. 27 f.; Gallas, ZStW 67 (1955), S. 1 (39 f.); Geilen, Jura 1981, S. 256; Jescheck/Weigend, AT, S. 341; Scheffler, Jura 1992, S. 352 (354); LK11-Spendel, § 32 Rn. 57, 60. Vgl. auch BGH, NStZ 1989, 431 (432). Ferner die im Zivilrecht h.M.: jurisPK-BGB-Backmann, § 227 Rn. 13; MünchKommBGB-Grothe, § 227 Rn. 8; PalandtHeinrichs, § 227 Rn. 5; Staudinger-Werner, § 227 Rn. 12. 71 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 17. 72 Dagegen etwa MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 33, der zu Recht darauf hinweist, dass obige Behauptung dem Einwand einer petitio pricipii ausgesetzt sei. Schließlich soll anhand des Merkmals der Rechtswidrigkeit des Angriffs bestimmt werden, ob ein Betroffener verpflichtet ist, einen bestimmten Erfolg hinzunehmen. Vgl. ferner Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 16, der darauf hinweist, dass ein solches Verständnis die Notwehr zu einem „reinen Güterverteidigungsinstrument“ mache.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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zu beantworten gilt, zu einer Voraussetzung. Ein Zirkelschluss ist die unausweichliche Konsequenz. Die Vertreter der im Vordringen befindlichen und inzwischen wohl herrschenden Gegenauffassung73 fragen danach, ob das Verhalten des Angreifers rechtlichen Verhaltensnormen widerspricht. Um die Grenzen zum Defensivnotstand nicht zu verwischen, wird verlangt, dass zum Erfolgsunwert immer noch ein Verhaltensunwert hinzutritt. Eine sorgfaltsgemäße Handlung könne demnach nie einen rechtswidrigen Angriff darstellen, selbst wenn sie eine rechtsgutsbedrohende Ursachenkette in Gang setzt und einen rechtlich unerwünschten Erfolg herbeiführt. Vielmehr müsse der Angreifer wenigstens objektiv sorgfaltswidrig handeln. Nahe liegend ist eine derartige Definition der Rechtswidrigkeit des Angriffs insbesondere bei einem dualistischen Notwehrverständnis: Das Rechtsbewährungsprinzip, das nach herrschender Ansicht die zweite Säule des Notwehrrechts darstellt, komme nur dann zum Tragen, wenn der Angreifer durch seine Handlungsweise Rechtsnormen verletzt und dadurch das Recht herausfordert, so dass dieses mit den Mitteln der Notwehr gegen das drohende Unrecht verteidigt werden müsse. Gegenüber einem Angreifer, der sich sorgfaltsgemäß verhalte, brauche sich das Recht hingegen nicht zu bewähren.74 Doch auch ein rein individualistisches Verständnis der Notwehr schließt das Erfordernis eines Handlungsunrechtes beim Angreifer nicht aus. Durch seinen Angriff missachtet der Angreifer den Rechtskreis des Opfers und beeinträchtigt es in seinem das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Bewegen sich die Verhaltensweisen des „Angreifers“ im Rahmen des gesellschaftlich zu Tolerierenden – handelt er also nicht pflichtwidrig –, könne dem Betroffenen eine Beschneidung seines Persönlichkeitsrechtes zugemutet werden. Nicht mehr zumut-

___________ 73

Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 109 ff.; 113, 115; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 30 ff.; Eser/Burkhardt, Strafrecht 1, Fall 10 Rn. 16 (S. 119); Freund, AT, § 3 Rn. 102; Graul, JuS 1995, S. 1049 (1052); NK-Herzog, § 32 Rn. 35; Hirsch, FS Derher, S. 211 (214 f.); Joecks, § 32 Rn. 10; LPK-StGB-Kindhäuser, § 32 Rn. 22; Krey, AT 1, Rn. 439 f.; Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 126 f.; Lackner/Kühl, § 32 Rn. 5; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 19/20; Maurach/Zipf, AT 1, § 26 Rn. 14 ff.; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 17; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 108; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 14; ders., FS Jescheck, 1. Halbbd., S. 457 (458); ders., ZStW 93 (1981), S. 68 (84 f.); Schumann, JuS 1979, S. 559 (560); Seuring, Aufgedrängte Nothilfe, S. 78; Sinn, GA 2003, S. 96 (103 ff.); Wagner, Notwehrbegründung, S. 53 f. Ebenso KK OWiG-Rengier, § 15 Rn. 13. Tendenziell auch Gropp, AT, § 6 Rn. 72 ff.; SK-Günther, § 32 Rn. 61; Renzikowski, Notstand, S. 283 f., die allerdings bei fehlendem Handlungsunwert bereits das Vorliegen eines Angriffs verneinen. 74 Roxin, AT 1, § 15 Rn. 16.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

bar sei hingegen die Hinnahme einer Verletzung des Persönlichkeitsrechtes durch das pflichtwidrige Verhalten eines Dritten.75 Beurteilt man nun die Rechtswidrigkeit eines Angriffs anhand des Kriteriums Handlungsunrecht, wird deutlich, dass die Präsenz staatlicher Hilfe auf Seite des Angegriffenen keinen Einfluss auf die Bewertung des Verhaltens des Angreifers als objektiv pflichtwidrig oder als sorgfaltsgemäß haben kann. Die Möglichkeit des Opfers, ein hoheitlich organisiertes Hilfsangebot in Anspruch zu nehmen, macht einen grundsätzlichen Verstoß einer Handlung des Angreifers gegen rechtliche Verhaltensanweisungen nicht rückgängig. Im Ergebnis zu keiner anderen Bewertung der Rechtswidrigkeit des Angriffs gelangen diejenigen Stimmen in der Literatur, die für das Notwehrrecht einen eigenständigen, von der allgemeinen Verbrechenslehre losgelösten Rechtswidrigkeitsbegriff bilden. Zum Teil will man das Merkmal des „rechtswidrigen Angriffs“ im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB nur bei einem schuldhaften Verhalten des Angreifers bejahen.76 Andere lassen ein objektiv sorgfaltswidriges Handeln des Aggressors nicht genügen und verlangen einen vorsätzlichen oder subjektiv sorgfaltswidrigen Angriff. Teilweise wird sogar mehr als ein bloßes schuldhaftes Verhalten des Angreifers gefordert.77 Trotz aller Unterschiede im Detail stimmen die dargestellten Ansichten in dem Grundgedanken überein, dass nur der zu verantwortende – also der vorwerfbar resp. (qualifiziert) schuldhaft verursachte – Angriff den Verzicht auf jegliche Rücksicht bei der Abwehr rechtfertige.78 Nur der Angreifer sei nicht schutzwürdig, der überhaupt die Möglichkeit hatte, sich und seine Rechtsgüter durch den Verzicht auf die Fortsetzung seines Angriffs zu schützen. ___________ 75

Kroß, Notwehr gegen Schweigegelderpressung, S. 127. Bertel, ZStW 84 (1972), S. 1 (11 f. Fn. 41); Haas, Notwehr, S. 240; Hruschka, AT, S. 139 ff. (insbesondere S. 141); ders., FS Dreher, S. 189 (202); Krause, FS Bruns, S. 71 (83 f.); ders., GA 1979, S. 329 (332 ff.); (differenzierend aber ders., GedS H. Kaufmann, S. 673 [679 ff.]); Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 40 ff. Im Ergebnis gleicht diese Ansicht derjenigen, die bei fehlender Schuld des Angreifers schon das Vorliegen eines Angriffs ausschließt: Frister, GA 1988, S. 291 (305 f.); Hoyer, JuS 1988, S. 89 (96); Otto, AT, § 8 Rn. 20; ders., FS Würtenberger, S. 127 (140 f.); Renzikowski, Notstand, S. 283 f.; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 321 f. Ähnlich auch Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 16 ff., 19, der die Möglichkeit der Notwehr aber nur bei evident schuldlosem Handeln des Angreifers verneinen will. 77 Einen schuldhaften und vorsätzlichen Angriff verlangen Frister, GA 1988, S. 291 (305); Mayer, AT, S. 98. Vorsätzliches und bewusst unerlaubtes Verhalten fordert Schmidhäuser, FS Honig, S. 185 (196 f.); ders., GA 1991, S. 97 (118 f.). 78 Anders Hoyer, JuS 1989, S. 89 (95 f.), der das Erfordernis eines schuldhaften Angriffs mit dem Fehlen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des § 32 StGB begründet. Von diesem Ansatz Abstand nehmend ders., Strafrechtsdogmatik, S. 211 ff. 76

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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Ebenso wenig, wie die Präsenz staatlicher Hilfe auf Seiten des Angegriffenen Einfluss darauf hat, ob sich das Verhalten des Angreifers als objektiv pflichtwidrig darstellt, lässt sich mit ihr eine fehlende Vorwerfbarkeit des Angriffs begründen. Die Anwesenheit hoheitlicher Helfer macht den Angriff nicht zu einem unvermeidbaren. Ob derjenige Angreifer, dem sowohl das anvisierte Opfer als auch hoheitliche Hilfspersonen gegenüberstehen, möglicherweise darauf vertrauen darf, dass möglichst schonend mit seinen Rechtsgütern umgegangen wird, ist hingegen keine Frage des Vorliegens einer Notwehrlage, sondern eine des relativ mildesten Mittels und erst im Rahmen der Erforderlichkeit zu erörtern. Auch Haas würde diesem Ergebnis wohl nicht widersprechen, führt er doch lediglich aus, dass die eigenhändige Verteidigung bei Möglichkeit der Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe als Tat aus „nichtigem Anlass“ zu bewerten sei. Das Abwehrverhalten des Angegriffenen könne wegen des Eingriffs in die Kompetenzen des Staates nicht mehr als positiv bewertet werden.79 Die zweite Komponente, die dem Notwehrverständnis von Haas zugrunde liegt, wird hingegen durch den Eingriff des Verteidigers in hoheitliche Kompetenzen nicht berührt. Der Angreifer enttäuscht durch sein Verhalten auch bei Anwesenheit eingriffsbereiter staatlicher Organe die grundlegende gesellschaftliche Erwartung, dass der Bestand der Rechtsgüter im Rahmen seiner rechtlichen Zuordnung allgemein akzeptiert wird.

cc) Zwischenergebnis Nach alledem lässt sich somit festhalten, dass die Anwesenheit potentieller – privater oder staatlicher – Helfer keinen Einfluss auf die Beantwortung der Frage hat, ob ein bestimmtes Verhalten des Angreifers die Begriffsmerkmale des rechtswidrigen Angriffs erfüllt; es besteht keinerlei Anlass, bei Anwesenheit staatlicher Helfer bereits das Vorliegen einer Notwehrlage zu verneinen.80 Ob ein rechtswidriger Angriff vorliegt, ist vielmehr ausschließlich mit Blick auf das Verhältnis zwischen Angreifer und Angegriffenem zu bestimmen.

b) Gegenwärtigkeit des Angriffs als Anknüpfungspunkt § 32 Abs. 2 StGB umschreibt die Notwehrlage nicht nur als rechtswidrigen Angriff, sondern verlangt ferner, dass dieser Angriff auch gegenwärtig ist. Wäh___________ 79 80

Haas, Notwehr, S. 260, 301. Ebenso Seebode, FS Krause, S. 375 (389).

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

rend bereits die Bezeichnung des rechtswidrigen Verhaltens des Aggressors als „Angriff“ eine besondere Nähe zur drohenden Verletzung rechtlich geschützter Güter beinhaltet, wird die Beziehung zwischen Angriff und Verteidigungshandlung durch das Merkmal „gegenwärtig“ weiter intensiviert. Nur in den Fällen, in denen ein rechtswidriger Angriff unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert,81 kann eine Rechtsgüter des Angreifers verletzende Verteidigungshandlung überhaupt gerechtfertigt werden.82 Aussagen zu dem Verhältnis von Selbstverteidigung und dem Schutz der durch den Angriff beeinträchtigten Rechtsgüter in einer konkreten Kampflage durch fremde Hilfe können dem Wortsinn des Begriffs „gegenwärtig“ hingegen nicht entnommen werden.83 Ist ein Polizist, der als Träger öffentlicher Gewalt den Schutzauftrag des Staates erfüllen muss und zur Gefahrabwehr verpflichtet ist, im Zeitpunkt des Angriffs anwesend, kann allein mit dieser Pflicht die gegenwärtige Beeinträchtigung notwehrfähiger Güter nicht plausibel abgelehnt werden.84 Auch eine Betrachtung des Gegenwärtigkeitserfordernisses aus rechtshistorischer Sicht bekräftigt dieses Ergebnis. Tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für die Klärung des Verhältnisses von eigenhändiger Verteidigung und Abwehrmaßnahmen durch helfende Dritte sollen nicht die Voraussetzungen der Notwehrlage sein, sondern die Verteidigungshandlung selbst. Insofern kann auf die rechtshistorischen Ausführungen zum Merkmal des rechtswidrigen Angriffs verwiesen werden.85

___________ 81 So die gängige Definition der Notwehrvoraussetzung „gegenwärtig“: MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 96; Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 9 f.; SK-Günther, § 32 Rn. 65; NK-Herzog, § 32 Rn. 26; Joecks, § 32 Rn. 8; Lackner/Kühl, § 32 Rn. 4; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 13; LPK-StGB-Kindhäuser, § 32 Rn. 16; LK12Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 140; LK11-Spendel, § 32 Rn. 115. Vgl. auch BGH, NJW 1973, 255; 1979, 2053. 82 Ob dem doppelten Wortsinn des Merkmals „gegenwärtig“ entsprechend, das sowohl „derzeitig“ als auch „anwesend“, „zugegen“ bedeuten kann (vgl. Duden, Bd. 3, Stichworte „gegenwärtig“ und „Gegenwart“ [S. 1419]), diese Notwehrvoraussetzung nicht nur in einem temporären sondern auch in einem räumlichen Sinne zu verstehen ist, soll hier nicht näher erörtert werden. Dafür SK-Günther, § 32 Rn. 68; LK11-Spendel, § 32 Rn. 113 mit erläuternden Beispielen. 83 Anders aber noch Hälschner, Preußisches Strafrecht, Bd. 2, S. 261: Wegen des Erfordernisses eines gegenwärtigen Angriffs sei Notwehr stets dann ausgeschlossen, wenn der Bedrohte gegen jede Gefahr vollkommen geschützt werde, „mögen es obrigkeitliche oder Privatpersonen oder sonstige Mittel sein, welche diesen Schutz gewähren.“ Ferner Berner, Archiv des Criminalrechts (N.F.) 1848, S. 547 (560): „Kann der Staat sofort schützend eintreten, so liegt das Requisit der gegenwärtigen Gefahr nicht vor.“ 84 Suppert, Studien zur Notwehr, S. 283. 85 Vgl. dazu bereits die Ausführungen unter A. II. 1. a) bb) (2) ab S. 248 in diesem Kapitel.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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2. Verteidigungshandlung als Anknüpfungspunkt Die Anwesenheit staatlicher Helfer hat folglich keinen Einfluss auf das Vorliegen einer Notwehrlage. Ebenso wie die Präsenz privater Helfer indes Einfluss auf die Auswahl der konkret zur Abwehr des Angriffs erforderlichen Verteidigungsmaßnahme haben kann, wird ebendieser Gesichtspunkt auch durch die Anwesenheit staatliche Helfer beeinflusst. Im Folgenden sollen zunächst die Unterschiede näher betrachtet werden, die sich bei der Bestimmung der konkret erforderlichen Abwehrmaßnahme der Verteidigungsgemeinschaft daraus ergeben, dass der Helfer ein staatlicher ist. In einem zweiten Schritt ist sodann zu untersuchen, ob die Möglichkeit staatlicher Gefahrenabwehr zu einer Einschränkung des Notwehrrechts des Angegriffenen unter sozialethischen Gesichtspunkten führt.

a) Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung als Anknüpfungspunkt Im Rahmen der Erörterung der Frage, wann die eigenhändige Abwehr eines Angriffs trotz anwesender hilfsbereiter Privatpersonen erforderlich ist, wurde festgestellt, dass der Angegriffene und ein potentieller Helfer eine Verteidigungsgemeinschaft bilden, wenn die Hilfsbereitschaft des Dritten in der konkreten Kampflage objektiv erkennbar war oder aber der Angegriffene um die Hilfsbereitschaft des anwesenden Dritten wusste. Der zulässige Handlungsspielraum der Verteidigungsgemeinschaft richtet sich in derartigen Konstellationen nach demjenigen Mitglied des Bündnisses, das den Angriff auf die relativ mildeste Art und Weise abwehren kann. Fremde Hilfe ist deshalb vom Angegriffenen immer dann in Anspruch zu nehmen, wenn sie zur Abwehr eines Angriffs besser geeignet ist oder sich bei gleicher Eignung als mildere Maßnahme darstellt. Der letzte Befund muss unzweifelhaft auch dann gelten, wenn der Helfer keine Privatperson ist, sondern die Gefahrenabwehr im Rahmen seiner hoheitlichen Aufgabenerfüllung übernimmt: Eine eigenhändige Verteidigung ist unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit unzulässig, wenn der Angegriffene eine optimale Verteidigung begehrt und allein der Staat diese Form der Angriffsabwehr garantieren kann oder wenn dem staatlichen Helfer bei gleicher Eignung verschiedener Verteidigungsalternativen die milderen Mittel zur Verfügung stehen. Unklar und umstritten sind hingegen die Fälle, in denen der Angegriffene eine optimale Verteidigung begehrt, der Staat diese bestmögliche Abwehr des Angriffs aber gerade nicht gewährleisten kann. Zweifelhaft ist auch, ob der Angegriffene sich selbst verteidigen darf, wenn staatliche Verteidigungsmaßnahmen zwar gleich geeignet, aber nicht milder als diejenigen sind, die dem Angegriffenen selbst zur Verfügung stehen. Schließlich ist fraglich, ob sich der Angegrif-

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

fene zum Wohl des Angreifers mit einer weniger wirksamen Abwehrmaßnahme begnügen und auf staatliche Hilfe verzichten darf, die zwar effizienter, aber auch mit schwerwiegenderen Rechtsgutseinbußen für den Angreifer verbunden ist. Bilden also auch der staatliche Helfer und der Angegriffene eine Verteidigungsgemeinschaft, bei welcher der angegriffene Rechtsgutsträger der letztverbindlich Entscheidende ist? Und unter welchen Umständen entsteht überhaupt eine Verteidigungsgemeinschaft aus Angegriffenem und staatlichem Helfer?

aa) Entstehen einer Verteidigungsgemeinschaft unter Beteiligung staatlicher Helfer und Ausgestaltung ihres Innenverhältnisses Zunächst zu den Besonderheiten, die sich mit Blick auf das Entstehen der Verteidigungsgemeinschaft ergeben, wenn staatliche Helfer in einer Notwehrsituation zugegen sind. Im 3. Kapitel86 wurde ausgeführt, dass der Angegriffene die Hilfe eines anwesenden Dritten nur dann berücksichtigen muss, wenn dieser seine Bereitschaft, Hilfe zu leisten und den Angegriffenen zu unterstützen, ausdrücklich oder konkludent kundgetan hat. Anwesende Privatpersonen, die ihre Hilfsbereitschaft nicht nach außen hin dokumentiert haben, braucht der Angegriffene bei der Organisation der Angriffsabwehr hingegen grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, es sei denn, der Angegriffene verfügt über Sonderwissen und ihm ist die – objektiv nicht erkennbare – Hilfs- und Eingriffsbereitschaft des Dritten bekannt. Anders sind jedoch die Konfliktsituationen zu beurteilen, an denen ein staatlicher Helfer beteiligt ist: Vom Standpunkt eines neutralen Beobachters aus steht objektiv ex ante fest, dass ein staatlicher Helfer zur Verteidigung des Angriffsopfers bereit ist.87 Denn anders als eine Privatperson, von der man ohne entsprechende Kundgabe ihrer Hilfsbereitschaft nicht weiß, ob sie in einer konkreten Konfliktsituation zugunsten des Angegriffenen in das Geschehen eingreifen wird, ist der staatliche Helfer gerade dazu verpflichtet, Hilfe zu leisten und Gefahren abzuwehren.88 Dies folgt für den Polizeibeamten jeden___________ 86

Vgl. dort die die Ausführungen unter A I. 2. ab S. 201. Vgl. etwa Seebode, FS Krause, S. 375 (385): Polizeibeamte sind „ohne Zweifel gewillt … den Angreifer zurückzuhalten.“ Ferner RGSt 32, 391 (392 f.). 88 Zwar steht dem hoheitlichen Helfer ein sog. Entschließungsermessen zu, wenn es darum geht, ob er zur Gefahrenabwehr einschreitet. In diesem Zusammenhang von einem polizeilichen Opportunitätsprinzip zu sprechen wäre indes verfehlt. Ist es die Aufgabe der Ordnungsbehörden und damit auch der Polizei, zur Gefahrenabwehr einzuschreiten (vgl. § 1 Abs. 1 SOG M-V), so sind bei Vorliegen einer Gefahr grundsätzlich Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen – etwa weil die Abwehr anderer Gefahren dringender ist – darf von einem Eingriff zeitweilig abgesehen werden. Vgl. dazu Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 24 S. 401 ff.; Heyen, Staats- und Verwaltungsrecht M-V, S. 217 (234); v. Mutius, Jura 1986, S. 649 87

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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falls89 aus seinem polizeirechtlichen Auftrag90, nach pflichtgemäßem Ermessen gegen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorzugehen, insbesondere also auch die Begehung von Straftaten zu verhindern.91 Präsente staatliche Hilfe hat der Angegriffene folglich grundsätzlich immer zu berücksichtigen, wenn es darum geht, die Reichweite des zulässigen Verteidigungsspielraumes zu bestimmen. Von diesem Grundsatz ist allerdings eine Ausnahme zu machen: Jede Form staatlicher Tätigkeit ist an Recht und Gesetz gebunden, Art. 20 Abs. 3 GG. Deshalb können nur solche Maßnahmen staatlicher Helfer, die diese Voraussetzung erfüllen, also rechtmäßig sind, überhaupt Einfluss auf den Umfang der Handlungsmöglichkeiten der Verteidigungsgemeinschaft haben. Geht es um die Bestimmung der zulässigen Befugnisse der Verteidigungsgemeinschaft, braucht ein solches hoheitliches Verhalten nicht berücksichtigt zu werden, das rechtswidrig ist. Insbesondere kann die unrechtmäßige Verweigerung staatlicher Hilfe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dazu führen, dass infolge der Anwesenheit rechtswidrig untätig bleibender Amtsträger die Selbstverteidigungsrechte des Angegriffenen eingeschränkt werden.92 Insofern stellen sich die Notwehrsituationen, an denen staatliche Helfer beteiligt sind, als spiegelverkehrtes Gegenstück der Konfliktlagen unter Beteiligung potentieller privater Helfer dar: Wäh___________ (656). Anders Knemeyer, POR, Rn. 125 ff., insbesondere Rn. 129 f., der die Einräumung eines Entschließungsermessens generell verneint. 89 Umstritten ist, ob den Polizeibeamten neben dieser polizeirechtlichen Verpflichtung zur Gefahrenabwehr auch eine nach § 13 StGB beachtliche Pflicht zur Verhinderung von Straftaten trifft. Mit unterschiedlichen Begründungen für eine strafrechtliche Beschützergarantenpflicht die h.M.: BGHSt 38, 388 (389 f.); OLG Rostock, NStZ 2001, 199 (200); Bergmann, StV 1993, S. 518 (518 f.); Tröndle/Fischer, § 13 Rn. 6f; LK11-Jescheck, § 13 Rn. 27, 29; Kühl, AT, § 18 Rn. 84 ff.; Laubenthal, JuS 1993, S. 907 (909); Otto, AT, § 9 Rn. 67 f.; ders./Brammsen, Jura 1985, S. 592 (597); Pawlik, M., ZStW 111 (1999), S. 335 (352 ff.); Wagner, JZ 1987, S. 705 (713); Wessels/Beulke, AT, Rn. 721; NK-Wohlers, § 13 Rn. 62 f. Ablehnend Mitsch, NStZ 1993, S. 384; Ranft, JZ 1987, S. 908 (914 f.); SK-Rudolphi, § 13 Rn. 36, 54b ff.; ders., JR 1995, S. 167 (168); Schünemann, B., ZStW 96 (1984), S. 287 (311); ders., GA 1985, S. 341 (379 f.); Winkelbauer, NStZ 1986, S. 149 (151); ders., JZ 1986, S. 1119 (1120); Zaczyk, FS Rudolphi, S. 361 (364 ff.). 90 Merten, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 85 (86). Vgl. dazu auch die Ausführungen zum staatlichen Gewaltmonopol unter B. I. ab S. 107 im 2. Kapitel: Der Staat kann ein Monopol legitimer Gewaltausübung nur deshalb für sich beanspruchen und dem Bürger die Ausübung privater Gewalt grundsätzlich untersagen, weil er zugleich die Aufgabe übernimmt, ein friedliches Zusammenleben der Bürger zu sichern und die Bürger und ihre Rechtsgüter zu schützen. 91 Kirchhof, NJW 1978, S. 969 (970); Laubenthal, JuS 1993, S. 907 (908 f.); Pawlik, M., ZStW 111 (1999), S. 335. 92 So auch Haas, Notwehr, S. 299; Kühl, AT, § 7 Rn. 119, 121; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (986).

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

rend der Angegriffene das Verteidigungspotential anwesender Privatpersonen nur dann berücksichtigen muss, wenn deren Unterstützungsbereitschaft objektiv feststeht – etwa weil die Hilfsbereitschaft ausdrücklich kundgetan wurde –, sind die Handlungsmöglichkeiten staatlicher Helfer immer zu beachten, es sei denn, die hoheitlichen Maßnahmen sind – ausnahmsweise – rechtswidrig. Wie ist nun aber das Innenverhältnis einer aus dem Angegriffenen und einem oder mehreren hoheitlichen Helfer(n) bestehenden Verteidigungsgemeinschaft ausgestaltet? Mit Blick auf den Umstand, dass ein privater Helfer keine eigenen Rechte, sondern den Rechtskreis des Angegriffenen verteidigt – in diesem Sinne also Notwehrhilfe leistet –, wurde festgestellt, dass das Verteidigungsbündnis keine gleichberechtigte Partnerschaft darstellt. Vielmehr ist es der angegriffene Rechtsgutsträger, der in Zweifelsfällen – etwa dann, wenn der Helfer den Angriff genauso gut und mit gleich milden Mitteln abwehren könnte – entscheiden darf, auf welche Weise der Angriff abgewehrt werden soll.93 Der staatliche Helfer, der zur Abwehr des Angriffs einschreitet, verteidigt hingegen nicht nur die individuellen Rechte des Angegriffenen, sondern erfüllt zugleich eine hoheitliche Aufgabe. Die individuellen Rechte Einzelner stellen insbesondere im Rahmen der polizeirechtlichen Gefahrenabwehr nur einen Aspekt der öffentlichen Sicherheit94 dar, zu deren Schutz der Polizist als typischer staatlicher Helfer tätig wird. Folglich sind die hoheitlichen Eingriffsbefugnisse – anders als das Nothilferecht privater Dritter – keinesfalls als vom Angegriffenen abgeleitete Befugnisse zu verstehen. Der Angegriffene hat deshalb auch nicht das Recht, in Zweifelsfällen das Vorgehen der Verteidigungsgemeinschaft festzulegen. Eine „Weisung“ des Angegriffenen, eine bestimmte Verteidigungsmaßnahme zu unterlassen, bindet den staatlichen Helfer nicht.95

bb) Erforderlichkeit eigenhändiger Verteidigung bei Anwesenheit staatlicher Helfer Steht damit fest, dass präsente staatliche Hilfe bei der Bestimmung der erforderlichen Verteidigungsmaßnahme generell zu berücksichtigen ist, stellt sich nunmehr die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine eigenhändige Abwehr des Angriffs bei Anwesenheit staatlicher Hilfe nicht mehr als erforderlich angesehen werden kann. ___________ 93

Vgl. dazu die Ausführungen unter A. I. 1. a) bb) auf S. 194 im 3. Kapitel. Zur Definition der öffentlichen Sicherheit vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 15 S. 232; Gusy, PolizeiR, Rn. 79; Heyen, Staats- und Verwaltungsrecht M-V, S. 217 (221 f.); Schenke, POR, Rn. 53. 95 Gegen eine Bindung staatlicher Helfer an den Willen des Angegriffenen auch Amelung, JuS 1986, S. 329 (332); Kirchhof, NJW 1978, S. 969 (970). 94

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(1) Angriffsabwehr durch wirksamere oder gleich geeignete, weniger einschneidende hoheitliche Maßnahmen Unproblematisch zu beantworten ist die soeben aufgeworfene Frage für Konstellationen, in denen die staatlichen Organe den Angriff besser oder – bei gleicher Eignung – mit für den Angreifer milderen Maßnahmen abwehren können. Zwingend ergibt sich aus dem Merkmal der Erforderlichkeit der Verteidigung, dass in derartigen Lagen eine eigenhändige Verteidigung unzulässig ist.96 Allein staatlichen Helfern ist in derartigen Situationen die Abwehr des Angriffs gestattet; zur Begründung dieses Befundes bedarf es indes keines Rückgriffs auf den Subsidiaritätsgedanken. Wird beispielsweise der schmächtige Schüler ständig von einem Mitschüler terrorisiert und fällt ebendieser Raufbold auf dem Schulhof erneut über ihn her, so darf der angegriffene Schüler das Messer, mit dem er sich in Erwartung des nächsten Übergriffs vorsorglich bewaffnet hat, nicht einsetzen, wenn ein durchtrainierter Lehrer zur Stelle ist, der den Angreifer allein mit seiner Körperkraft stoppen und so eine Verletzung des Opfers verhindern kann. In einer derartigen Situation würde es freilich keinen Unterschied machen, ob an Stelle des Lehrers oder eines Polizisten etwa der Vater des schmächtigen Schülers eingreifen und seinen Sohn schützen würde. Denn nicht die Amtsträgereigenschaft des eingreifenden Helfers macht in der konkreten Situation die gefährlichere Selbstverteidigung mit dem Messer überflüssig, sondern dessen körperliche Überlegenheit. Insoweit gilt für den staatlichen Helfer nichts anderes als für eine beliebige hilfsbereite Privatperson.97

(2) Angriffsabwehr durch gleich geeignete, eingriffsintensivere oder weniger wirksame hoheitliche Maßnahmen Umstritten ist der umgekehrte Fall: Verfügt die angegriffene Privatperson über die relativ mildeste Verteidigungsmöglichkeit, wird von der herrschenden Ansicht in der Literatur98 die Zulässigkeit der Selbstverteidigung verneint, und ___________ 96

Einhellige Ansicht, vgl. nur Erb, FS Nehm, S. 181; MünchKommStGB-ders., § 32 Rn. 131; SK-Günther, § 32 Rn. 100; Haas, Notwehr, S. 291; NK-Herzog, § 32 Rn. 71; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Krey, AT 1, Rn. 474; Kühl, AT, § 7 Rn. 120; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; Otto, AT, § 8 Rn. 48; Pelz, NStZ 1995, S. 305 (307); LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183; Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (391); Seebode, FS Krause, S. 375 (385); LK11-Spendel, § 32 Rn. 233 f.; Stiller, Grenzen, S. 44, 80; Suppert, Studien zur Notwehr, S. 283 f. 97 Seebode, FS Krause, S. 375 (385). 98 Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); NK-Herzog, § 32 Rn. 71; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Klose, ZStW 89 (1977), S. 61 (72); Kühl, AT, § 7 Rn. 121; Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62; Merten, Rechtsstaat, S. 57; Roxin, AT 1 § 15 Rn. 50; Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (58).

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

zwar zum Teil99 mit der Begründung, bei Anwesenheit staatlicher Helfer sei eine eigenhändige Verteidigung des Angegriffenen auch in diesen Konstellationen als nicht erforderlich anzusehen. Noch weiter gehen einige wenige Autoren100 und verneinen die Zulässigkeit der Selbstverteidigung sogar dann, wenn staatliche Abwehrmaßnahmen weniger wirksam wären. Zur Verdeutlichung das folgende Beispiel: Auf offener Straße wird B von einem mit einem Messer bewaffneten Täter angegriffen, der droht, ihn „aufzuschlitzen“. B, der aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Kampfschwimmer im waffenlosen Kampf bewandert ist, wäre durchaus in der Lage, seinen Angreifer zu entwaffnen und ihn ohne dauerhafte Schädigung vorübergehend auszuschalten. Ein älterer Polizist, der den Angriff beobachtet hat und sofort zur Stelle ist, müsste hingegen seine Dienstwaffe verwenden, um den zu allem entschlossenen Angreifer an weiterer Gewaltanwendung zu hindern.

Nähme man die herrschende Ansicht ernst, müsste man in diesem Fall dem kampferprobten Opfer unter Strafandrohung jegliche Form der Selbstverteidigung untersagen. Zweifelhaft wird dieses Verbot eigenhändiger Verteidigung insbesondere dann, wenn man anführt, die private Notwehr sei im vorliegenden Fall nicht erforderlich. Ein derartiges Verständnis „strapaziert“ das Erforderlichkeitskriterium freilich nicht nur „arg“;101 es ist mit dem Wortlaut dieses Merkmals der Notwehr nicht mehr in Einklang zu bringen. Denn erforderlich ist nach der allgemein anerkannten und auch von den Befürwortern eines Vorrangs staatlicher Gewalt nicht bestrittenen Definition dieser Notwehrvoraussetzung nur dasjenige der geeigneten Mittel, das den Angreifer im größten Maße schont. Kann also der Angegriffene sich optimal verteidigen und würde seine Abwehr den Angreifer im größten Maße schonen – weil der Polizist zur Abwehr des Angriffs etwa eine Schusswaffe verwenden müsste, deren Einsatz schwerwiegende Folgen für den Angreifer mit sich brächte –, so ist ebendiese private Abwehrmaßnahme unter Notwehrgesichtspunkten die in der konkreten Kampflage allein erforderliche.102 Entsprechendes muss gelten, wenn das Opfer den Angriff sogar sicherer abwehren kann als der präsente staatliche Helfer. Besteht etwa die Gefahr, dass der Rucksackdieb sich dem Griff einer ihm körperlich unterlegenen Polizistin entwinden und mit seiner Beute entkommen kann, dann wäre die Behauptung verfehlt, das Tätigwerden des Bestohlenen, mit dem dieser sich ___________ 99 NK-Herzog, § 32 Rn. 71; Kühl, AT, § 7 Rn. 121; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41. 100 Amelung, JuS 1986, 329 (332); Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 76 f.; Haas, Notwehr, S. 297; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kühl, AT, § 7 Rn. 121; Kunz, ZStW 95 (1983), S. 973 (975 f.); Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62. 101 So aber Kühl, AT, § 7 Rn. 121. 102 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 131; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183, 186; Seebode, FS Krause, S. 375 (386). Im Ergebnis ebenso LK11-Spendel, § 32 Rn. 234.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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sein Eigentum sicher zurückverschaffen kann, sei nicht erforderlich. Will man dennoch dem Angegriffenen die Selbstverteidigung untersagen,103 so ist das auch nicht im Wege einer am Sinn und Zweck orientierten Einschränkung des Anwendungsbereichs dieses Merkmals möglich,104 wäre sie doch nicht mehr mit dem Wortlaut in Übereinstimmung zu bringen.105 Denn eine gegen den Wortlaut verstoßende Reduktion des Anwendungsbereichs der Notwehr stellt keine Form der zulässigen Auslegung, sondern eine täterbelastende Analogie dar; sie wäre folglich wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG – jedenfalls im Bereich des Strafrechts – unstatthaft. Ein anderes Tatbestandsmerkmals müsste – wenn überhaupt – als Anknüpfungspunkt für eine derartige Einschränkung der Notwehr gefunden werden. Abgesehen von dem Umstand, dass ein Vorrang hoheitlicher Hilfe in diesen Konstellationen nicht damit begründet werden kann, die eigenhändige Verteidigung des Angegriffenen sei nicht erforderlich, drängt sich in diesem Zusammenhang noch eine weitere Frage auf, die die soeben vorgenommene Einschränkung erklärt: Nur dann, wenn auch weniger effektive oder gleich geeignete, aber mit schwereren Eingriffen in die Rechtsgüter des Angreifers verbundene Verteidigungsmöglichkeiten eines staatlichen Helfers zum rechtlich relevanten Potential der Verteidigungsgemeinschaft zu zählen wären, käme – vorbehaltlich der Existenz eines tauglichen tatbestandlichen Anknüpfungspunkt – eine Subsidiarität der eigenhändigen Angriffsabwehr der Privatperson überhaupt in Betracht. Bereits oben106 wurde ausgeführt, dass ausschließlich rechtmäßige Handlungsalternativen des staatlichen Helfers Eingang in den Pool der zu berücksichtigenden Abwehrmittel des Verteidigungsbündnisses finden. Mit anderen Worten: Zählen die weniger geeigneten oder relativ gesehen eingriffsintensiveren Abwehrmöglichkeiten des staatlichen Helfers nicht zu dessen rechtmäßigen Handlungsalternativen, sind sie ohne Relevanz für die Verteidigungsgemeinschaft und könnten niemals zu einem Vorrang rechtswidriger staatlicher Gefahrenabwehr führen. ___________ 103 Freilich steht es dem Angegriffenen auch in diesen Situationen frei, sich mit einer geringeren als der optimalen Verteidigung zufrieden zu geben. Dann kann er unzweifelhaft eine effektivere Maßnahme außer Betracht lassen und die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. 104 Anders hingegen Kühl, AT, § 7 Rn. 121, der meint, die sachliche Rechtfertigung der Subsidiarität beeinflusse in diesem Kontext die Auslegung des Erforderlichkeitskriteriums. 105 Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306 f.); Mayer, AT, S. 100; Seebode, FS Krause, S. 375 (387 f.); Suppert, Studien zur Notwehr, S. 283. Im Ergebnis ebenso MünchKommStGBErb, § 32 Rn. 131; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41, die ausdrücklich die Fälle, in denen dem Angegriffenen die milderen Verteidigungsmittel zur Verfügung stehen, aus dem Geltungsbereich einer generellen Subsidiarität der Notwehr ausnehmen wollen. 106 Vgl. dazu die Ausführungen unter A. II. 2. a) aa) ab S. 259 in diesem Kapitel.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

Für die weniger geeigneten Möglichkeiten des staatlichen Helfers ist zu differenzieren: Solange die weniger geeignete Abwehrhandlung rechtmäßig ist, zählt sie weiterhin zum Verteidigungspotential der Gemeinschaft. Die Polizistin etwa, die in einer belebten Einkaufspassage versucht, den ihr körperlich überlegenen Rucksackdieb ohne Einsatz einer Waffe zu stellen, handelt rechtmäßig. Ihre Möglichkeit, den Angriff zu beenden, ist zum Verteidigungspotential der Gemeinschaft zu zählen, selbst wenn der im Vergleich zur Polizistin kräftigere Bestohlene den Angriff sicherer beenden könnte, indem beispielsweise er den Dieb festhält. Für diesen Fall gilt, dass die erforderliche Verteidigung des Betroffenen gegenüber den Eingriffsmöglichkeiten der Polizistin dann subsidiär wäre, wenn sich ein Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr aus einem anderen Tatbestandsmerkmal als der Erforderlichkeit herleiten ließe. Entsprechendes muss selbst dann gelten, wenn die hoheitlichen Helfer rechtmäßig darauf verzichten, zum Schutz privater Rechtsgüter einzugreifen. Beobachtet etwa ein Polizist, wie eine aufgebrachte Menge die Scheiben eines Bücherladens einwirft, der im Schaufenster „erotische Schundliteratur“ ausgestellt hat, so mag der Verzicht auf ein Eingreifen zum Schutz des Eigentümers des Geschäftes in der konkreten Situation rechtmäßig sein, wenn die Möglichkeit besteht, dass die Situation infolge des Umstandes, dass der Staat sich auch noch für derartigen „Schund“ einsetzt, weiter eskalieren könnte. Sind hoheitliche Helfer hingegen anwesend, verzichten aber unter Missachtung ihrer grundsätzlichen Pflicht zur Gefahrenabwehr auf ein Eingreifen – weil sie möglicherweise meinen, dass der notorische Querulant eine Abreibung durch seine Mitbürger, die er ständig und ohne Grund bei der Polizei anschwärzt, verdient habe –, so beeinflusst diese rechtswidrige Verweigerung staatlicher Hilfe in keiner Weise die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen. Er ist so zu behandeln, als wären die rechtswidrig nicht zu seiner Unterstützung eingreifenden Amtsträger überhaupt nicht anwesend. Wie ist hingegen zu verfahren, wenn staatliche Maßnahmen zur Abwehr eines Angriffs bei gleicher Eignung wie private Maßnahmen schwerere Beeinträchtigungen des Angreifers zur Folge hätten? – Zum Teil findet man in der Literatur die Feststellung, aufgrund der Bindung hoheitlichen Handelns an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei ein Handeln, dass die Rechtsgüter des Angreifers in einem stärkeren Maße beeinträchtigen würde als eine private Verteidigung, unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.107 Träfe diese Behauptung zu, zählten derartige rechtswidrige staatliche Maßnahmen niemals zu den möglichen Handlungsalternativen der Verteidigungsgemeinschaft. Betrachtet ___________ 107

Erb, FS Nehm, S. 181 (181 Fn. 2); MünchKommStGB-ders., § 32 Rn. 131; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; Pelz, NStZ 1995, S. 305 (307); Seebode, FS Krause, S. 375 (388).

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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man das Verhältnismäßigkeitsprinzip näher, drängt sich auf den ersten Blick eine derartige Sichtweise auf: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dessen eigentlicher Anwendungsbereich insbesondere staatliche Eingriffe betrifft, besagt, dass jede hoheitlichen Maßnahme einen rechtlich legitimen Zweck verfolgen und darüber hinaus zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und im Einzelfall angemessen – auch: proportional, zumutbar, verhältnismäßig im engeren Sinne – sein muss.108 Erforderlich ist die zur Erreichung des legitimen Zwecks geeignete staatliche Maßnahme nur dann, wenn kein anderes, ebenso wirksames Mittel zur Verfügung steht, das die Rechte des betroffenen Bürgers oder die Allgemeinheit weniger stark beeinträchtigen würde.109 Stellt man sich auf dem Standpunkt, dass zu den „anderen Mitteln“ auch Handlungsmöglichkeiten von Privatpersonen zählen, müsste man mit Blick auf die mildere private Verteidigung zwingend die Erforderlichkeit der staatlichen Abwehrmaßnahme verneinen.110 Dies scheint Lesch hingegen zu bestreiten, wenn er ausführt, jeder Bürger habe unabhängig von der Erforderlichkeit der konkreten Maßnahme vorrangig staatlich kanalisierte Rechtsschutzverfahren in Anspruch zu nehmen, anstatt sich selbst zu verteidigen. Etwaige Nachteile, die „sich aus dem üblichen Abspielen der polizeirechtlichen Klaviatur nun einmal ergeben“, müsse der einzelne Bürger hinnehmen.111 Verfolgt man diesen Ansatz konsequent weiter, müsste auch für den Angreifer – der insoweit keinen „Anspruch“ auf die mildere Verteidigungshandlung des Angegriffenen hätte – gelten, dass er die Folgen auch einer eingriffsintensiveren polizeirechtlichen Abwehr hinnehmen muss. Da es bei der Gefahrenabwehr um die Erfüllung staatlicher Aufgaben gehe, könnten bei einem derartigen Verständnis nur andere hoheitliche Maßnahmen Einfluss auf die Erforderlichkeit und damit auch auf die Verhältnismäßigkeit einer konkreten staatlichen Abwehrhandlung nehmen. Dies gilt umso mehr, wenn man unter Heranziehung des staatlichen Gewaltmonopols darauf hinweist, dass allein der Staat und seine Organe zur Ausübung legitimer Gewalt befugt seien und von diesem Grundsatz nur dann eine Ausnahme zu machen sei, wenn der Staat ___________ 108 Zu den Teilelementen des Verhältnismäßigkeitsprinzips vgl. etwa BVerfGE 67, 157 (173); 90, 145 (172 f.); Dreier-Dreier, Vorb. Rn. 146; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 50; Maurer, StaatsR I, § 8 Rn. 56 f.; ders., VerwR, § 10 Rn. 17; DreierSchulze-Fielitz, Art. 20 Rn. 180. 109 Dreier-Dreier, Vorb. Rn. 148; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 56 f.; Maurer, StaatsR I, § 8 Rn. 57; ders., VerwR, § 10 Rn. 17; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 20 Rn. 183. 110 So ausdrücklich MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 131; Seebode, FS Krause, S. 375 (387). 111 Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62. Vgl. auch Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

seinen aus dem Friedlichkeitsgebot folgenden Auftrag zum Schutz seiner Bürger nicht nachkommen könne.112 Überzeugen kann ein derart resolut verstandener Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr indes nicht. Die Bindung staatlichen Handelns an das Verhältnismäßigkeitsprinzip bezweckt gerade eine größtmögliche Schonung des Betroffenen. Dieses Ziel würde geradezu in sein Gegenteil verkehrt, gestattete man dem Amtsträger zu handeln, obwohl die Maßnahme einer anwesenden Privatperson – in den hier diskutierten Fällen: des Angegriffenen – mit deutlich milderen Eingriffen in die Rechtsgüter des Betroffenen – hier des Angreifers – verbunden wäre. In der Verneinung der Zulässigkeit staatlicher Gefahrenabwehr ist im Übrigen auch keine „Flucht des Staates ins Privatrecht“ zu sehen.113 Es geht hier gerade nicht um eine vom Staat veranlasste Gefahrenabwehr durch Privatpersonen unter Umgehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Vielmehr soll mit Blick auf die größtmögliche Schonung des Angreifers dieser Grundsatz gewahrt werden. Auch der staatliche Helfer darf folglich nicht von der Beachtung des Grundsatzes der größtmöglichen Schonung des Angreifers freigestellt werden. Bei der Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer staatlichen Maßnahme sind folglich auch die Möglichkeiten eingriffsbereiter und handlungswilliger Privatpersonen zu berücksichtigen. Stehen diesen gleich geeignete, mildere Maßnahmen zur Verfügung, ist daneben ein eingriffsintensiveres staatliches Handeln nicht erforderlich, unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Eine gleich geeignete, aber eingriffsintensivere staatliche Verteidigungsmaßnahme zählt demnach nicht zu den zulässigen Handlungsalternativen der Verteidigungsgemeinschaft.

(3) Angriffsabwehr durch hoheitliche Maßnahmen gleicher Eignung und Eingriffsintensivität Zur letzten der möglichen Fallgestaltungen: Sowohl die angegriffene Privatperson als auch der staatliche Helfer können den Angriff gleich wirksam abwehren, ohne dass es eine relativ mildeste Verteidigungsmaßnahme gibt, d. h. die hoheitlichen Maßnahmen würden den Angreifer ebenso stark schädigen wie eine private Verteidigung. Man denke sich erneut eineiige Zwillinge mit identischen körperlichen Voraussetzungen, nur ist einer der beiden als Polizist tätig, während der andere als Börsenmak-

___________ 112

Zu diesem Aspekt des staatlichen Gewaltmonopols vgl. die Ausführungen unter B. I. ab S. 107 im 2. Kapitel. 113 Die Unzulässigkeit staatlich veranlasster Gefahrenabwehr durch professionelle private Nothelfer ohne Übertragung hoheitlicher Befugnisse wurde bereits unter C. II. ab S. 233 im 3. Kapitel erörtert.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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ler sein täglich Brot verdient. Wird nun dem Börsenmakler bei einem zufälligen Treffen mit seinem im Dienst befindlichen Bruder die Aktentasche entrissen und könnten beide Brüder dem Dieb hinterher eilen und auf gleich effektive Weise stellen, drängt sich die Frage auf, ob man den Versuch des Börsenmaklers, sein Eigentum zurückzuerlangen, wegen der Anwesenheit seines Bruders als nicht erforderlich anzusehen hat.

Auch in dieser Konstellation verneint die überwiegende Ansicht im Schrifttum114 die Zulässigkeit der privaten Verteidigung. Doch auch für diese Fallgruppe lässt sich ein Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr jedenfalls nicht aus dem Merkmal der Erforderlichkeit herleiten.115 Das Merkmal der Erforderlichkeit sagt nur, dass bei gleicher Eignung die mildeste der möglichen Verteidigungsalternativen gewählt werden muss, um eine größtmögliche Schonung des Angreifers zu gewährleisten. Dieser Notwehrvoraussetzung kann nicht entnommen werden, warum bei einem Zusammentreffen von mehreren gleich geeigneten und den Angreifer im gleichen Maße schädigenden Verteidigungsmöglichkeiten eine bestimmte zugunsten einer anderen zurücktreten soll. Erforderlich im Sinne des § 32 StGB ist letztlich jede der in Betracht kommenden Verteidigungsmaßnahmen.116 Bezogen auf das obige Beispiel ist es unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten irrelevant, ob nun der Börsenmakler oder sein Zwilling, der Polizist, dem Dieb hintereilt, um diesen zu stellen. Will man dennoch einen Vorrang staatlicher Angriffsabwehr begründen, ist als Anknüpfungspunkt für die Subsidiarität privater Verteidigung ein anderes Merkmal des Notwehrtatbestandes zu bemühen.

(4) Erweiterung hoheitlicher Befugnisse durch strafrechtliche Notrechte? Bevor im Folgenden untersucht wird, ob die Gebotenheitsklausel des § 32 Abs. 1 StGB als möglicher Anknüpfungspunkt für eine Begründung der Subsidiarität privater Nothilfe in Betracht kommt, soll an dieser Stelle – in der gebo___________ 114 Amelung, JuS 1986, S. 329 (332); Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 76 f.; Burr, JR 1996, S. 230 (231 f.); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 2, 131; Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); NK-Herzog, § 32 Rn. 71; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 45; Kühl, AT, § 7 Rn. 119, 121; Lackner/ders., § 32 Rn. 11a; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62; Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (391 f.); Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (58); Stiller, Grenzen, S. 80 f. Im Ergebnis ebenso Wagner, Notwehrbegründung, S. 61. Vgl. auch BayObLG, NJW 1963, 824 (825). 115 Anders aber Geilen, Jura 1981, S. 308 (316); Kühl, AT, § 7 Rn. 121; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183; Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (58). 116 Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306 f.); Mayer, AT, S. 100; Seebode, FS Krause, S. 375 (389); Suppert, Studien zur Notwehr, S. 283.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

tenen Kürze – zunächst noch einem anderen Gedanken nachgegangen werden. Regelmäßig werden die staatlichen Organe in der Lage sein, die Konfliktlage effektiver zu klären, als es die angegriffene Privatperson selbst könnte. Denn diese wird in aller Regel von dem Angriff überrascht sein und sich somit typischerweise in einer Ausnahmesituation befinden.117 Die Fähigkeit für eine effektivere Gefahrenabwehr folgt insbesondere für den Polizeibeamten als typischen Nothelfer daraus, dass er deutlich besser ausgebildet und ausgerüstet sein wird als der Angegriffene.118 Allerdings kann die Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Ausnahmefällen dazu führen, dass der staatliche Helfer aus Proportionalitätsgründen auf eine effektivere Abwehr verzichten muss und letztlich den Angriff nicht ebenso gut abwehren darf wie der Angegriffene selbst. Dieses öffentlich-rechtliche Handlungsverbot käme aber möglicherweise dann nicht zum Tragen, wenn der staatliche Helfer sein Handeln ohne Bindung an etwaige Verhältnismäßigkeitserwägungen auch auf den Rechtfertigungsgrund der Nothilfe stützen könnte. Anders formuliert: Werden die Befugnisse staatlicher Helfer durch strafrechtliche Rechtfertigungsgründe – insbesondere durch § 32 StGB – erweitert?119 Auch hierzu ein Fallbeispiel: Der Polizist P, der als Sportschütze bereits eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten hat, kommt hinzu, als ein Dieb mit seiner Beute gerade aus dem Verkaufsraum eines Juweliers stürmt. Aufgrund eines Hüftschadens des P verspricht eine Verfolgung zu Fuß nur wenig Erfolg; P könnte den Dieb jedoch durch einen gezielten Schuss in die Beine stoppen. Unterstellt, die mit dem Schuss verbundene Beeinträchtigung der körperlichen Integrität wäre mit Blick auf die Rettung bloßer Sachgüter unverhältnismäßig, stellt sich die Frage, ob der – unter Notwehrgesichtspunkten erforderliche – gezielte Schuss dem Polizisten unter Berufung auf § 32 StGB gestattet wäre. Die Beantwortung dieser Frage wird umso dringender, wenn der mittlerweile aus seinem Laden geeilte Juwelier den Dieb nur mit einem ungezielten und für den Angreifer weitaus gefährlicheren Schuss aus einer Schrotflinte am Entkommen hindern könnte.

___________ 117

Zu den – verfehlten – Versuchen, gerade diese Ausnahmesituation als Anlass für eine Beschränkung der Befugnisse professioneller Nothelfer zu nehmen, vgl. die Ausführungen unter C. I. ab S. 228 im 3. Kapitel. 118 Eine Zunahme der Professionalisierung der Polizeibeamten bescheinigen etwa Feltes/Punch, MSchrKrim 2005, S. 26 (37 f.), mit einer Vielzahl an Nachweisen zu kriminologischen Studien aus diesem Bereich dies., MSchrKrim 2005, S. 26 (43 f.). Vgl. auch die Bedenken von Arzt, FS Schaffstein, S. 77 (84 ff.). 119 Ausführlich schildert Hillenkamp, AT, 5. Problem (S. 31 ff.), die einzelnen Ansichten und Argumente, die zu dieser Frage vertreten werden.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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Einige Autoren120 sprechen sich gegen eine Erweiterung hoheitlicher Eingriffsbefugnisse durch allgemeine Rechtfertigungsgründe aus. Die Argumente, die für diese Position angeführt werden, sind vielfältig: Zum einen bedürfe jedes staatliche Handeln, das in die Rechtsphäre eines Bürgers eingreift, einer besonderen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Die besonderen Anforderungen, die an eine solche gesetzliche Grundlage gestellt werden, erfüllten die allgemeinen Rechtfertigungsgründe nicht. Dies gelte insbesondere für die Notwehrvorschrift. Wäre es mittels dieser Vorschrift möglich, den polizeilichen Schusswaffeneinsatz zu legitimieren – der immer noch eine Form hoheitlichen Handelns darstelle –, könnte so das gesamte Polizei- und Ordnungsrecht aus den Angeln gehoben werden. Zum anderen müsse man aber auch berücksichtigen, dass bei der Schaffung öffentlich-rechtlicher Handlungsbefugnisse ganz bewusst bestimmte Lücken in Kauf genommen worden seien. Wollte man diese Lücken mit – nicht originär öffentlich-rechtlichen – Rechtfertigungsgründen schließen, hätte dies nicht nur eine Außerachtlassung politischer Entscheidungen zur Folge, sondern darüber hinaus auch eine Verwirrung der öffentlichrechtlichen Kompetenzordnung. Schließlich sei es nicht ungewöhnlich, dass ein Amtsträger – aufgrund der Bindung seines Handelns an das Verhältnismäßigkeitsprinzip – schlechter gestellt werde als ein normaler Bürger. Denn gerade seine Amtsträgereigenschaft begründe eine berufstypische Pflicht zur erhöhten Gefahrtragung und könne nicht dazu führen, dass unter diesem Blickwinkel eine Berufung auf Notrechte zugelassen werde.121 Etwas anderes gelte auch nicht für die Situationen, in denen sich ein Amtsträger – insbesondere ein Polizist – selbst verteidigt. Zwar stelle die Selbstverteidigungshandlung keine spezifische hoheitliche Aufgabe dar. Da sie sich aber regelmäßig aus einer unmittelbaren Verbindung mit der eigentlichen hoheitlichen Aufgabe entwickele, müsse auch sie an die öffentlich-rechtlichen Schranken gebunden sein. Folglich könne sich ein Amtsträger nicht auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe des Strafrechts berufen. Mag man dieser Ansicht auch zugestehen, dass die allgemeinen Rechtfertigungsgründe des Strafrechts kaum den Anforderungen einer besonderen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage entsprechen, so gelingt es dieser Ansicht nicht, ___________ 120 Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 41 ff.; Keller, Rechtliche Grenzen, S. 409; Klinkhardt, VerwArch. 55 (1964), S. 297 (348 ff.); Kunz, ZStW 95 (1982), S. 973 (981 ff.); Renzikowski, Notstand, S. 297; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 220; Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (372); Scholler/Schloer, POR, § 14, S. 343 ff.; Schwarzburg, Polizeiliche Tatprovokation, S. 107; Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 36 (49 ff., 56). – Von Hillenkamp, AT, 5. Problem (S. 32), als „Rein öffentlich-rechtliche Theorie“ bezeichnet. 121 So Bernsmann, FS Blau, S. 23 (33 ff.). Vgl. auch Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 110 ff. Gegen eine besondere Gefahrtragungspflicht ausdrücklich Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 42b.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

die ausdrücklich in den einzelnen Polizeigesetzen vorgesehenen Notrechtsvorbehalte zu erklären. Ausdrücklich heißt es etwa in § 35 Abs. 2 ME PolG, an dem sich die Regelungen in den einzelnen polizeirechtlichen Landesgesetzen orientieren, dass „die zivil- und strafrechtlichen Wirkungen nach den Vorschriften über Notwehr und Notstand … unberührt“ bleiben.122 Um diesen Widerspruch aufzulösen, wollen einige Stimmen in der Literatur123 ausnahmsweise eine Berufung auf den Notwehrvorbehalt zulassen, wenn der Amtsträger sich selbst verteidigt. Andere124 meinen zwar, dass hoheitliche Befugnisse nicht durch die allgemeinen Rechtfertigungsgründe erweitert werden können; derjenige, der mit der Erfüllung staatlicher Aufgaben betraut sei, könne sich aber anlässlich seiner hoheitlichen Tätigkeit uneingeschränkt auf die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe berufen. Dann handele er allerdings nicht als Amtsträger, sondern als Privatperson. Schließlich wird von einer Vielzahl von Stimmen im Schrifttum125 vertreten, dass das Schließen der Lücken in den polizeirechtlichen Ermächtigungsgrundlagen, die staatliche Helfer in bestimmten Situationen zur Untätigkeit zwingen würden, unerlässlich sei. Deshalb sei es notwendig, dass auch Amtsträger sich bei der Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeit auf allgemeine Rechtfertigungsgründe berufen können, sofern nicht speziellere Normen einen bestimmten Tätigkeitsbereich wie etwa das Festnahmerecht in den §§ 112 ff. StPO abschließend regeln. Das Handeln der staatlichen Helfer gegenüber dem betroffenen ___________ 122

Vgl. hierzu auch die Ausführungen unter D. II. 2. b) bb) (1) ab S. 172 im 2. Kapi-

tel. 123 Amelung, NJW 1977, S. 833 (839 f.); ders., NJW 1978, S. 623 (623 f.); ders., JuS 1986, S. 329 (332 f.); Roos, Die Polizei 2002, S. 348 (349); Schumacher, Die Polizei 1973, S. 257 (260); Schünemann, B., GA 1985, S. 341 (365 f.). Dem Ansatz nahe stehend LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 153; Maurach/Zipf, AT 1, § 26 Rn. 34; NK-Neumann, § 34 Rn. 116. – Von Hillenkamp, AT, 5. Problem (S. 32), als „Eingeschränkt öffentlichrechtliche Theorie“ bezeichnet. 124 Kinnen, MDR 1974, S. 631 (633 f.); Zuck, MDR 1988, S. 920 (922). – Von Hillenkamp, AT, 5. Problem (S. 33), als „Gemischt öffentlich-rechtliche/strafrechtliche Theorie“ bezeichnet. 125 BGHSt 27, 260 (262 f.); BGH, NJW 1958, 1405; BayObLG, JR 1991, 248; OLG Frankfurt, NJW 1975, 271; OLG Hamburg, JR 1973, 69 (70); OLG Saarbrücken, NStZ 1991, 386; Bockelmann, FS Dreher, S. 235 (239 ff., 244); Buttel/Rotsch, JuS 1996, S. 713 (718 f.); Tröndle/Fischer, Vor § 32 Rn. 6, § 34 Rn. 23; Gössel, JuS 1979, S. 162 (165); Herzberg, JZ 2005, S. 321; Kühl, AT, § 7 Rn. 153 f.; Lackner/ders., § 32 Rn. 17, § 34 Rn. 14; Lange, JZ 1976, S. 546 (547); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 42b f., § 34 Rn. 7; Merten, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 85 (101); Norouzi, JA 2005, S. 306 (308); Roxin, AT 1, § 15 Rn. 112 f., § 16 Rn. 103 f.; LK11-Spendel, § 32 Rn. 275; ders., JR 1991, S. 250; Schmidhäuser, JZ 1991, S. 937 (338); Schwabe, Notrechtsvorbehalte, S. 37 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 93; Wessels/Beulke, AT, Rn. 288 f.; Wimmer, GA 1983, S. 145 (151 ff., 157). – Von Hillenkamp, AT, 5. Problem (S. 35), als „Rein strafrechtliche Theorie“ bezeichnet.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

271

Angreifer wäre dann sowohl strafrechts- als auch polizeirechtsmäßig. Der Polizist dürfte also im obigen Beispielsfall unter Berufung auf die Nothilferegelungen auf den flüchtenden Dieb schießen; im Verhältnis zu den Möglichkeiten des bestohlenen Juweliers wäre der gezielte Schuss des Polizisten das mildere Mittel.126 Zwar ist es durchaus begrüßenswert, dass man den Amtsträger als „Bürger in Uniform“ nicht schlechter stellen will als eine Privatperson. Dennoch kann dieses Ziel wegen des Vorbehalts des Gesetzes für hoheitliches Handeln nicht über eine Erweiterung der hoheitlichen Befugnisse durch allgemeine Rechtfertigungsgründe erreicht werden. Indes gebietet insbesondere der Gedanke der „Einheit der Rechtsordnung“ eine rechtsgebietsübergreifende Lösung dieser Frage nicht.127 Denn wegen der unterschiedlichen Regelungsinhalte des öffentlichen Rechts einerseits und des Strafrechts andererseits – im ersteren geht es um die Zulässigkeit hoheitlichen Handelns, im letzteren um die Strafbarkeit des handelnden Amtsträgers – kann ein und dieselbe Handlung differenziert bewertet werden.128 Eine Handlung des hoheitlichen Helfers kann also unter polizeirechtlichem Blickwinkel rechtswidrig sein, mit der Folge, dass der Handelnde disziplinarrechtlich in Anspruch genommen werden könne,129 andererseits aber wegen des Eingreifens eines allgemeinen Rechtfertigungsgrundes nicht strafbar sein. Denn nicht jede öffentlich-rechtlich unzulässige Verhaltensweise ist mit Strafe zu ahnden; das gilt insbesondere für ein erforderliches, aber die Verhältnismäßigkeitsgrenzen überschreitendes Handeln des hoheitlichen Helfers zu___________ 126 Etwas anderes gilt freilich dann, wenn man dem Amtsträger zwar einen Rückgriff auf die Notrechte des Strafrechts gestattet, die Ausübung dieser Rechte jedoch an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bindet. So etwa Brugger, VBlBW 1995, S. 446 (455); Köhler, AT, S. 277 f.; Schaffstein, GedS Schröder, S. 97 (111 ff.); Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 129 (133); Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 93. Roxin, AT 1, § 15 Rn. 114, hält diesen Unterschied jedoch in aller Regel für kaum relevant. 127 Anders aber Kühl, AT, § 7 Rn. 155. 128 Wie hier auch Beisel, JA 1998, S. 721 (722 f.); Fahl, JR 2004, S. 182 (188); Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, S. 98 f.; Frister, AT, 16. Kap. Rn. 36; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 367 ff.; SK-ders., Vor § 32 Rn. 70, § 32 Rn. 16 ff.; NKHerzog, § 32 Rn. 84 f.; Jerouschek, JuS 2005, S. 296 (301); Joecks, § 32 Rn. 37; Koch, M., Aufgedrängte Nothilfe, S. 150 f.; Kirchhof, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 67 (70, 77 ff.), ders., Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 28; Klose, ZStW 89 (1977), S. 61 (78 f.); Kratzsch, NJW 1974, S. 1546 (1546 f.); Otto, AT, § 8 Rn. 57 f., 196; Riegel, NVwZ 1985, S. 639 (640); Rogall, JuS 1992, S. 551 (558 f.); Schmidhäuser, Aktuelle Probleme des Polizeirechts, S. 53 (59 f.); Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (135); Seebode, FS Klug, S. 359 (371 f.); ders., StV 1991, S. 80 (84 f.); Sydow, JuS 1978, S. 222 (224). Diesem Ansatz nahe stehend MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 169 ff.; ders., Jura 2005, S. 24 (29). – Von Hillenkamp, AT, 5. Problem (S. 34), als „Differenzierende Theorie“ bezeichnet. 129 Vgl. die Begründung zu § 10 Abs. 4 AE PolG, Arbeitskreis Polizeirecht, AE PolG, S. 52. Ferner Otto, AT, § 8 Rn. 58; Seebode, StV 1991, S. 80 (84).

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

gunsten des Angegriffenen, das wohl kaum als sozialschädliches und strafwürdiges Unrecht gewertet werden kann. Erweitern die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe die Befugnisse des staatlichen Helfers nicht, bedeutet das für den oben gebildeten Beispielsfall, dass der Polizist unter polizeirechtlichem Blickwinkel nicht auf den flüchtenden Dieb schießen darf. Entscheidet sich der Amtsträger dennoch für ein Handeln zugunsten des Angegriffenen und setzt sich damit der Gefahr einer disziplinarrechtlichen Ahndung aus, so kommt dennoch eine Rechtfertigung des unter Nothilfegesichtspunkten erforderlichen Schusses nach § 32 StGB in Betracht. Allerdings kann mit Blick auf das konkrete Verhältnis zwischen dem polizeirechtswidrig handelnden Helfer und dem Angegriffenen nichts anderes gelten als im Verhältnis zwischen dem Angegriffenen und dem privaten Helfer. Denn allein mit einem Hinweis auf das – (polizei)rechtswidrige – Handeln des Amtsträgers kann ein Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr nicht begründet werden.

b) Gebotenheit der Verteidigungshandlung bei Anwesenheit staatlicher Helfer Die Ausführungen zur Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung haben gezeigt, dass der Angegriffene auf eine eigenhändige Verteidigung verzichten muss, wenn der Staat den Angriff effektiver oder mit milderen gleich geeigneten Mitteln abwenden kann. Ein Vorrang staatlichen Handelns bei der Angriffsabwehr kommt hingegen nicht in Betracht, sofern die hoheitliche Maßnahme rechtswidrig wäre, namentlich wenn sie bei gleicher Eignung schwerwiegendere Eingriffe in die Rechtsgüter des Angreifers zur Folge hätte. Zu beantworten bleibt damit das Konkurrenzverhältnis von eigenhändiger Verteidigung und staatlicher Hilfe für zwei Fallgruppen: Zum einen geht es um den möglichen Vorrang staatlicher Hilfe, die den Angegriffenen gleich effektiv verteidigt und mit gleich schweren Eingriffen in die Rechtsgüter des Angreifers verbunden ist. Zum anderen stellt sich die Frage, ob eine eigenhändige Verteidigung gegenüber weniger wirksamer staatlicher Hilfe subsidiär sein kann. Soll mittels der Gebotenheitsklausel des § 32 Abs. 1 StGB eine Antwort auf diese Fragen gefunden werden, muss sich die Notwendigkeit einer Einschränkung der Selbstverteidigungsbefugnis des Angegriffenen bei Anwesenheit staatlicher Helfer aus den Grundgedanken der Notwehr ergeben.130 Wendet man sich nun den Grundgedanken der Notwehr zu, ergibt sich aus ihnen zumindest auf den ersten Blick nicht, warum dem Angegriffenen allein wegen der Anwesenheit staatlicher Helfer verboten werden sollte, sich selbst zu verteidigen. Den ___________ 130

Vgl. die Ausführungen unter A. II. ab S. 216 im 3. Kapitel.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

273

Angreifer, der das Persönlichkeitsrecht des Angegriffenen beeinträchtigt und dessen Rechtskreis missachtet, muss man zurückweisen dürfen, ganz gleich, ob fremde Helfer anwesend sind oder nicht. Vom Angegriffenen kann nicht verlangt werden, dass er die ihm seitens des Angreifers zugefügten Beeinträchtigungen hinnimmt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man darüber hinaus das Rechtsbewährungsinteresse zu den Grundelementen der Notwehr zählt: Es ist kein Grund ersichtlich, warum das von dem Angreifer verwirklichte Unrecht nicht mit aller Schärfe zurückgeschlagen werden darf. Das Recht muss verteidigt werden; etwas anderes geschieht schließlich auch nicht, wenn sich staatliche Organe der Abwehr des Angriffs annehmen.131 Eine derart isolierte Betrachtung der Grundgedanken der Notwehr würde indes verkennen, dass die Notwehr nur als Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol gedacht werden kann.132 Das Notwehrrecht ist gerade kein natürliches Recht, das dazu führt, dass der Angreifer und sein Opfer in einen natürlichen Kriegszustand zurückfallen, in dem nur der Stärkere den Sieg davontragen kann. Vielmehr sind die Befugnisse des Angegriffenen in einer derartigen Kampflage gerade durch die Voraussetzungen des Notwehrtatbestandes festgeschrieben; will er, dass sein Verhalten gesellschaftlich toleriert und nicht bestraft wird, muss er sich an ebendiese gesetzlichen Vorgaben halten. Ist die Notwehr als normierte Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol zu verstehen, zählt dieser Aspekt zu den Faktoren, die im Rahmen einer teleologischen Reduktion des Notwehrtatbestandes berücksichtigt werden dürfen. In diesem Sinne ist das staatliche Gewaltmonopol als eine immanente Schranke der Notwehr zu verstehen.133 Was ist nun aber mit der Feststellung gewonnen, dass das staatliche Gewaltmonopol im Rahmen der Gebotenheitsklausel zu beachten ist? – Einige Autoren werden antworten: Gar nichts!134 Das staatliche Gewaltmonopol sei ein zu weit gefasster Begriff und deshalb ungeeignet, konkrete Auslegungsfragen des einfachen Rechts zu klären. Es umschreibe lediglich die grundsätzliche Aufgabe des Staates, ein verlässliches und friedfertiges Zusammenleben der Bevölkerung zu sichern. Unmöglich sei es hingegen, aus einem derart weit gefassten Begriff allgemeingültige Rechtssätze abzuleiten.135 Durchdringen kann dieser Einwand in___________ 131

In diesem Sinne auch Pelz, NStZ 1995, S. 305 (308): „Für die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung macht es keinen Unterschied, ob dies durch Private oder staatliche Organe geschieht.“ 132 Dazu ausführlich unter B. II. 2. b) ab S. 122 im 2. Kapitel. 133 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 2 auf S. 237 in diesem Kapitel. 134 So etwa Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306). Tendenziell auch Traichel, Selbsthilfe, S. 132 ff. 135 Pelz, NStZ 1995, S. 305 (306). In diesem Sinne auch Erb, FS Nehm, S. 181 (183 Fn. 6).

274

4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

des nicht. Zugestanden: Es mag sein, dass der Begriff des staatlichen Gewaltmonopols angesichts des Umstandes, dass er keine ausdrückliche verfassungsrechtliche Normierung erfahren hat, sehr weit gefasst ist und es in bestimmten Randbereichen zu Unklarheiten hinsichtlich des Geltungsbereiches dieses Grundsatzes kommt. Im Kern steht jedoch fest, dass aus dem staatlichen Gewaltmonopol ein grundsätzliches Gewaltverbot für die Bürger folgt. Damit zwingend verknüpft ist die Aufgabe des Staates, das friedliche Zusammenleben der Bürger zu bewahren und ihre Rechtsgüter zu schützen.136 Erfüllt der Staat diese Aufgabe nicht, gewährleistet er also seinen Bürgern keinen umfassenden Schutz, so darf er in akuten Situationen von den Bürgern eine Befolgung des Friedlichkeitsgebotes nicht verlangen. Es wäre ein Widerspruch zu den Grundrechten des Angegriffenen, wollte man gerade das rechtstreue Opfer verpflichten, seine Rechtsgüter dem rechtswidrigen Angriff eines Dritten preiszugeben.137 Daher muss das Gewaltverbot in derartigen Grenzfällen zugunsten von Notwehr und Nothilfe zurücktreten; dem Einzelnen muss die Abwehr des Angriffs notfalls auch mit Gewalt gestattet werden. Die regelmäßige Situation einer solchen Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol ist die, dass staatliche Helfer in der konkreten Konfliktlage überhaupt nicht anwesend sind. Dann stellt sich die Frage einer Subsidiarität privater Verteidigungshandlungen freilich nicht. Es sind jedoch Situationen denkbar, in denen auch eine präsente staatliche Hilfe tatsächlich – etwa weil der einzelne Polizist der aufgebrachten Menge vollkommen unterlegen und zur Verhinderung eines Angriffs in der konkreten Situation faktisch nicht in der Lage ist – oder aus rechtlichen Gesichtspunkten – insbesondere wegen der Bindung staatlichen Handelns an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – einen umfassenden Schutz des Angegriffenen nicht gewährleisten kann. Auch in diesen Situationen wäre es unbillig, dem rechtswidrig Angegriffenen eine Duldung der Verletzung seines Rechtskreises aufzuerlegen, weil präsente staatliche Helfer zur sicheren Abwehr des Angriffs nicht fähig sind. Dem Angegriffenen muss demzufolge auch in diesen Konstellationen eine möglichst sichere Verteidigung seiner Rechte gestattet werden. Kann nur der Angegriffene selbst diese optimale Abwehr des Angriffs gewährleisten, ist sein Handeln nicht gegenüber der präsenten staatlichen Hilfe subsidiär.138

___________ 136

Zum Inhalt und zur Herleitung des staatlichen Gewaltmonopols vgl. die Ausführungen B. I. ab S. 107 im 2. Kapitel. 137 Schulte, M., DVBl. 1995, S. 130 (132). 138 In diesem Sinne auch MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 131, 137; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183; Seebode, FS Krause, S. 375 (390 f.); LK11-Spendel, § 32 Rn. 234.

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

275

Vorrang können hoheitliche Maßnahmen zur Verteidigung des Angriffsopfers folglich nur dann beanspruchen, wenn sie den Angriff ebenso gut abwehren, wie es der Angegriffene selbst könnte. Für die relativ milderen staatlichen Maßnahmen ergibt sich das bereits aus dem Merkmal der Erforderlichkeit. Steht hingegen weder dem Privaten noch den staatlichen Helfern ein milderes Abwehrmittel zur Verfügung, haben also beide eine gleich intensive Schädigung des Angreifers zur Folge, so muss die private Verteidigungsmaßnahme zugunsten der staatlichen Angriffsabwehr zurücktreten, da die notwehrspezifische Sicherheitslücke fehlt. Nur in diesem Fall ist die erforderliche private Verteidigungsmaßnahme nicht geboten und gegenüber hoheitlichen Maßnahmen subsidiär.139 Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass § 32 StGB anders als § 229 BGB einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten obrigkeitlicher Gewalt nicht kennt. Es geht hier gerade nicht um eine analoge Übertragung der Subsidiaritätsklausel des § 229 BGB, die im Übrigen deutlich weiter reicht als das hier gefundene Ergebnis. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, der Gesetzgeber habe „mit Vorbedacht“ eine Formulierung gewählt, die – anders als § 518 des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794 oder Art. 125 des Strafgesetzbuches für das Königreich Bayern von 1813 – auf einen ausdrücklichen Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr verzichtet.140 Das Gegenteil ist der Fall: „Mit Vorbedacht“ hat etwa der Gesetzgeber des Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten allein deshalb auf eine ausdrückliche Regelung des Vorrangs staatlicher Gewalt verzichtet, weil er meinte, das Subsidiaritätsverhältnis zwischen privater und staatlicher Verteidigung hinreichend geklärt zu haben. Das belegen die Quellen zu § 41 PrStGB, denen zu entnehmen ist, dass die Formulierung „Vertheidigung, welche erforderlich ist“ auch „den Mangel des augenblicklich nöthigen Schutzes der Obrigkeit“ erfassen sollte.141 Denn ___________ 139 In diesem Sinne auch LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 183, die – allerdings mit Blick auf die Erforderlichkeit der Verteidigung – ausführen „Notwehr … geht nur soweit, wie der Angegriffene dieses … Instruments bedarf. Befindet er sich in einer Situation, in der ihm die Rechtsgemeinschaft durch die Statthalter ihrer durch Rechtsnormen begrenzten Macht auf ‚gewöhnlichem‘ Wege Schutz zu leisten bereit und imstande ist, ist die Selbstverteidigung nicht erforderlich.“ Anders aber Erb, FS Nehm, S. 181 (183 Fn. 6), der zunächst zutreffend feststellt, das Notwehrrecht stelle eine Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol dar, dann aber meint, Gegenausnahmen, bei denen das Notwehrrecht trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen ausgeschlossen sein soll, könne man nicht einfach umgekehrt mit dem staatlichen Gewaltmonopol begründen. 140 Seebode, FS Krause, S. 375 (389). 141 Goltdammer, Materialien zum PrStGB, Theil 1, S. 419 f. Ferner ders., Materialien zum PrStGB, Theil 1, S. 361: Der Subsidiaritätsgedanken werde mit dem Erforderlichkeitskriterium „besser und unverfänglicher“ angedeutet, so dass eine ausdrückliche Regelung des Vorrangs obrigkeitlicher Gewalt überflüssig sei. Vgl. dazu auch Berner, Archiv des Criminalrechts (N.F.) 1848, S. 547 (568 f.).

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

dieses Einschränkungskriterium der Notwehr liege „in der Natur der Sache.“142 Spätere Gesetzgeber haben – soweit ersichtlich – zum Verhältnis von Notwehr und staatlicher Angriffsabwehr hingegen keine Stellung genommen.143 Es wäre pure Spekulation, wollte man behaupten, aus dem Fehlen einer konkreten Regelung könne man darauf schließen, dass der Gesetzgeber unter keinen Umständen eine vorrangige Abwehr des Angriffs durch geschulte staatliche Kräfte wünsche.

III. Verhältnis von staatlicher Gefahrenabwehr und Fremdverteidigungsmaßnahmen anwesender Privatpersonen Ist damit das Verhältnis geklärt, in dem der Angegriffene und staatliche Helfer zueinander stehen, sollen nun die Situationen betrachtet werden, in denen dem Angegriffenen sowohl ein Amtsträger als auch eine privater Helfer bei der Verteidigung zur Seite stehen. Ein Beispiel:144 Ein Streifenpolizist und ein Passant kommen hinzu, als eine junge Frau von einer Rockerbande auf offener Straße schikaniert wird. Man will sie dazu zwingen, sich zum Spott aller Anwesenden auf offener Straße splitternackt auszuziehen. Angesichts der Übermacht können weder der Polizist noch der Passant und auch nicht beide gemeinsam allein mit ihrer Körperkraft dem Ansinnen der Rockerbande Einhalt gebieten. Mit größtmöglicher Sicherheit ließe sich deren Angriff auf die Frau nur dann beenden, wenn man den Anführer und Initiator des Vorhabens – nach erfolglos gebliebener Androhung des Waffeneinsatzes – durch einen mit Sicherheit tödlich wirkenden Schuss ausschalten würde. Während dem Streifenpolizisten der Einsatz der Schusswaffe aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten untersagt ist, stellt sich die Frage, ob der Passant mit seiner eigenen Waffe trotz des anwesenden Polizisten den Anführer der Bande zur Verteidigung der jungen Frau erschießen darf.

Der Notwehrtatbestand unterscheidet zwischen den Befugnissen des Angegriffenen und denen des Nothelfers in einer konkreten Notwehrlage nicht. Beide Alternativen des § 32 StGB sind prinzipiell gleichwertig;145 ihr Unterschied besteht allein darin, dass der Notwehrübende sich selbst verteidigt, während der Nothelfer zugunsten des Angegriffenen in das Geschehen eingreift. Deshalb kann bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer bestimmten privaten Nothilfe___________ 142

Goltdammer, Materialien zum PrStGB, Theil 1, S. 419. Vgl. insbesondere die Begründung zu § 32 StGB in der Fassung des 2. StrRG, BT-Drucks. 5/4095, S. 14, sowie die Begründung zu § 37 E 1962, BT-Drucks. 4/650, S. 156 f. 144 Abgewandelt nach LK11-Spendel, § 32 Rn. 262. 145 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 138; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 187, 204; Stratenwerth/Kuhlen, AT 1, § 9 Rn. 95. Anders Lesch, Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 66 ff. 143

A. Angriffsabwehr durch präsente staatliche Hilfe

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maßnahme in den Fällen, in denen auch staatliche Helfer zugegen sind, nichts anderes gelten als bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der konkreten Selbstverteidigungshandlung des Angegriffenen. Können staatliche Helfer den Angriff besser abwenden als ein privater Helfer oder aber sind die hoheitlichen Abwehrmaßnahmen bei gleicher Eignung nicht mit schwerwiegenderen Eingriffen in die Rechtsgüter des Angreifers verbunden, ist die Nothilfe entweder nicht erforderlich oder nicht geboten, also unzulässig. Bestünde etwa für die junge Frau im obigen Beispiel Lebensgefahr, weil sich die Rocker nicht mit einer Demütigung zufrieden geben, sondern ihr Opfer an der nächsten Straßenlaterne aufknüpfen wollen, wäre auch ein hoheitlicher Schusswaffeneinsatz verhältnismäßig. In diesem Fall wäre der gleich geeignete und die Rechtsgüter des Angreifers in gleichem Maße beeinträchtigende Schuss des privaten Helfers nicht geboten und damit subsidiär gegenüber dem hoheitlichen Handeln. Kann der Staat hingegen einen umfassenden Schutz seiner Bürger nicht gewährleisten, besteht folglich eine notwehrspezifische Sicherheitslücke, so wäre es angesichts der Unzulänglichkeit staatlicher Friedensgewährleistung verfehlt, dem Angegriffenen die bestmögliche Verteidigung – sei es die eigenhändige Angriffsabwehr, sei es die Unterstützungshandlung einer anwesenden Privatperson – zu untersagen. Ist der private Nothelfer demnach in der Lage, den Angriff wirksamer oder auf die relativ mildeste Art und Weise abzuwenden, so ist sein Handeln gerechtfertigt.146 Der Schuss des Passanten in dem oben gebildeten Beispielsfall wäre folglich als Nothilfe zugunsten der angegriffenen Frau gerechtfertigt. Freilich folgt aus diesem Befund nicht, dass der Staat jede beliebige Einmischung hilfsbereiter Privatpersonen dulden muss. Haben sich Amtsträger in Erfüllung ihres aus dem staatlichen Gewaltmonopol folgenden Schutzauftrags der Gefahrenabwehr angenommen, müssen sie nicht hinnehmen, dass private Helfer das Einsatzziel gefährden. Deshalb bietet insbesondere das Polizeirecht rechtliche Möglichkeiten, dem privaten Nothelfer die Ausübung des Nothilferechts faktisch unmöglich zu machen.147 Denn bereits die Beeinträchtigung eines rechtmäßigen Polizeieinsatzes durch private Nothilfemaßnahmen mit der Folge, dass eine an Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten orientierte polizeiliche Bereinigung einer Konfliktlage vereitelt wird, stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.148 Dieser Gefahr darf die Polizei mit dem polizeirechtlichen Instrumentarium begegnen. Hierzu zählt grundsätzlich auch die Möglichkeit, einen privaten Helfer zwangsweise an der Ausführung seines Rettungsvorhabens zu

___________ 146

MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 138; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 187. MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 138; ders., FS Nehm, S. 181 (184 f.). 148 Erb, FS Nehm, S. 181 (184); Gusy, PolizeiR, Rn. 85; Schenke, POR, Rn. 61. 147

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

hindern.149 Das Rechtsverhältnis zwischen Nothelfer und Angreifer wird hierdurch indes nicht berührt. Gelingt es etwa dem Sportschützen, die von der Polizei zur Absicherung ihres laufenden Einsatzes errichtete Absperrung am Einsatzort zu durchbrechen, den Geiselnehmer zu erschießen und auf diese Weise die Geisel zu retten, obwohl die Polizei den unter Notwehrgesichtspunkten erforderlichen „finalen Rettungsschuss“ verweigert, ist diese Form der Nothilfe mit Blick auf die oben dargelegten Kriterien gerechtfertigt.150, 151 ___________ 149 Jüngst führte Erb aus, dass die Polizei allerdings nicht berechtigt sei, jedwede private Angriffsabwehr zu unterbinden, die mit einer negativen Folge für die öffentliche Sicherheit verbunden sei. Vielmehr will er folgendermaßen differenzieren: Stehen erhebliche Gefahren für Leib und Leben des Angegriffenen im Raum, komme eine Unterbindung privater Verteidigungsmaßnahmen nur dann in Betracht, wenn im Rahmen der hoheitlichen Gefahrenabwehr derart wirkungsvolle Maßnahmen ergriffen werden, dass das aus dem Verzicht auf die effektivste Abwehrmaßnahme folgende zusätzliche Risiko für den Angegriffenen das Maß dessen nicht überschreite, was die Polizei Unbeteiligten auch sonst zumuten dürfe. Die Grenze sei allerdings dort erreicht, wo mittels polizeirechtlicher Maßnahmen ein Schutz von Leben, Gesundheit und Freiheit des Angegriffenen überhaupt nicht mehr oder allenfalls stark defizitär möglich sei. Da in derartigen Fällen die Unterbindung der Notwehrhandlung zwangsläufig eine Unterstützung des rechtswidrigen Angriffs durch aktives Tun darstelle, müsse die Polizei private Nothilfemaßnahmen zumindest tolerieren. Vgl. ders., FS Nehm, S. 181 (185 ff.). Einen weitergehenden Handlungsspielraum habe die Polizei hingegen bei der Verteidigung von Sachwerten. Vor einer Unterbindung privater Nothilfemaßnahmen sei in diesen Fällen eine Abwägung der Nachteile für das Angriffsopfer und dem Ausmaß der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit erforderlich. Im Rahmen dieser Abwägung müsse zugunsten des Angegriffenen insbesondere berücksichtigt werden, dass die Unterbindung privater Verteidigungsmaßnahmen eine faktische Unterstützung des Unrechts bedeute. Vgl. ders., FS Nehm, S. 181 (187 ff.). Ferner Haas, Notwehr, S. 293, der ebenfalls Bedenken dahingehend äußert, dass das Unmöglichmachen der Nothilfe gegebenenfalls als Unterstützung des rechtswidrig handelnden Angreifers auszulegen sei. 150 Beispiel nach MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 138. 151 Die hier diskutierte Frage wird auch in der folgenden Situation relevant: Man denke sich etwa den Fall, dass ein Erpresser eine Frau entführt, versteckt und dem Ehemann droht, die Frau zu töten, sollte er nicht ein Lösegeld zahlen. Gelingt es dem Ehemann, den Entführer zu stellen und will dieser den Ort, an dem er die Frau gefangen hält, nicht preisgeben, so stellt sich die Frage, ob die Nothilfe das Foltern des Entführers gestattet, um den Aufenthaltsort seiner Frau in Erfahrung zu bringen. Nimmt man an, dass staatlichen Organen das Foltern eines gefangenen Täters selbst dann untersagt ist, wenn man auf andere Weise das Leben des Entführten nicht retten kann (so etwa LG Frankfurt am Main, NJW 2005, 692 [693 f.]; Fahl, JR 2004, S. 182 [187]; Götz, HStR, Bd. 43, § 85 Rn. 29; Kinzig, ZStW 115 [2003], S. 791 [805 ff., 811]; Norouzi, JA 2005, S. 306 [309]; Perron, FS Weber, S. 143 [145 ff., 149 f.]; ders., FS Eser, S. 461 [465 f.]; LK12Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 224; Saliger, ZStW 116 [2004], S. 35 [48 f.]; tendenziell auch Hilgendorf, JZ 2004, S. 331 [339]; ein generelles Folterverbot staatlicher Organe bezweifeln hingegen Brugger, JZ 2000, S. 165 [168 ff.]; Erb, Rettungsfolter im modernen Rechtsstaat?, S. 149 [160 ff.]; ders., NStZ 2005, S. 593 [598 ff.]; differenzierend Herzberg, JZ 2005, S. 321 [324 ff.]), muss diese Eigenbindung des Staates nicht auch die Befugnisse eines privaten Helfers beschränken. Steht im Rahmen einer objektiven Prog-

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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IV. Ergebnis Damit kann als Ergebnis festgehalten werden, dass der Angegriffene auf eine eigenhändige Verteidigung verzichten und staatliche Hilfe in Anspruch nehmen muss, wenn der Staat den Angriff besser oder ebenso gut wie er selbst abwehren kann, ohne dabei den Angreifer in einem stärkeren Maße zu schädigen. Um eine echte Subsidiarität privater Verteidigung gegenüber hoheitlichen Maßnahmen handelt es sich allerdings nur in den Fällen, in denen der Angegriffene und staatliche Helfer den Angreifer in gleichem Maße schädigen würden. In diesen Fällen folgt aus dem staatlichen Gewaltmonopol – das das Notwehrrecht immanent beschränkt –, dass eine Selbstverteidigung wegen der präsenten staatlichen Hilfe, die sich der Abwehr des Angriffs angenommen hat und einen optimalen Schutz des Angegriffenen gewährleisten kann, nicht geboten ist. Entsprechendes gilt für präsente und eingriffsbereite Nothelfer: Nur dann, wenn staatliche Helfer dem Angegriffenen eine ebenso gute Unterstützung bieten, wie es eine hilfsbereite Privatperson könnte, oder wenn der Staat den Angriff ebenso gut wie der Helfer abwehren kann, ohne dabei den Angreifer in einem stärkeren Maße zu schädigen, muss der private Nothelfer auf ein Eingreifen zugunsten des Angriffsopfers verzichten und den Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr akzeptieren.

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe Unter bestimmten Voraussetzungen besteht also ein Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr. Fraglich ist, ob darüber hinaus vom Angegriffenen verlangt werden kann, in einer notwehrtypischen Situation oder aber sogar vor Beginn einer Auseinandersetzung mit dem Angreifer den Staat um Beistand zu ersuchen.

___________ nose fest, dass die Folter geeignet und das mildeste – weil das einzige – Mittel zur Rettung der Entführten ist, wird dem Ehemann diese Form der Nothilfe gestattet sein. Denn einen Vergleich der Menschenwürde des Angreifers und dem Recht auf Leben der Entführten verlangt § 32 StGB – auch vom Helfer – gerade nicht. Wie hier Erb, Jura 2005, S. 24 (26 ff.); Fahl, JR 2004, S. 182 (187); Jerouschek, JuS 2005, S. 296 (300); LK12Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 168. Anders hingegen Perron, FS Weber, S. 143 (151 f.), der auch eine Rechtfertigung von Folter in Nothilfe durch Private verneint.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

I. Pflicht zum Herbeiholen staatlicher Hilfe in einer konkreten Notwehrlage Für das Herbeiholen hoheitlicher Unterstützung gilt dabei nichts anderes als für die Inanspruchnahme nicht präsenter privater Helfer.152 Ist der Staat nicht in der Lage, seine Bürger optimal zu schützen, wäre es unbillig, würde er dennoch die Einhaltung des Friedlichkeitsgebotes von seinen Bürgern verlangen. Deshalb darf der Angegriffene sich grundsätzlich so verteidigen, wie es zu einer sofortigen Abwehr des Angriffs mit der größtmöglichen Sicherheit notwendig ist.153 Anders als in den Fällen potentieller privater Hilfe können staatliche Helfer zwar nicht mit der Überlegung ausgeschlossen werden, dass ihre Hilfsbereitschaft ungewiss sei. Denn die Verteidigung der Rechtsordnung und damit auch des einzelnen Bürgers ist gerade ihre Aufgabe. Dennoch muss der Angegriffene den Angriff auch in den Fällen nicht dulden, in denen er gegebenenfalls staatliche Hilfe herbeiholen könnte. Der Angriff darf sofort zurückgeschlagen werden; nur die dem Angegriffenen ohne zeitliche Verzögerung zur Verfügung stehenden Verteidigungsmöglichkeiten sind bei der Bestimmung der relativ mildesten Angriffsabwehr zu berücksichtigen. Von einer zeitlichen Verzögerung wird man freilich auch hier nicht sprechen können, wenn etwa der Polizist bereits herbeieilt und den Angreifer in wenigen Augenblicken ohne jedwede Risikoerhöhung für das Opfer sicher stoppen könnte. Insoweit ist der herbeieilende staatliche Helfer, den vom eigentlichen Kampfgeschehen nur eine geringe räumliche Distanz trennt, ein präsenter Helfer im weiteren Sinne.154 Staatliche Hilfe, die der Angegriffene hingegen nur mit einer – erheblichen – zeitlichen Verzögerung abrufen kann, muss er nicht herbeirufen. Denn die mit dieser Verzögerung verbundene Duldung der Missachtung seines Rechtskreises – und sei sie auch noch so kurzzeitig – muss das Opfer des Angriffs nicht hinnehmen.155 Abgesehen von den Fällen sozialethischer Notwehreinschränkungen gilt etwas anderes ausnahmsweise dann, wenn auch der Angegriffene den Angriff mit eigenen Mitteln nicht sofort abwehren kann und staatliche Hilfe eine optimale Verteidigung ohne zusätzliche zeitliche Verzögerung gewährleisten könnte. In diesen Konstellationen hat der Angegriffene auch die nicht unmittelbar verfügbare hoheitliche Hilfe zu berücksichtigen. Mit Blick auf das Merkmal der Erfor___________ 152

Vgl. dazu die Ausführungen unter B. I. ab S. 222 im 3. Kapitel. Vgl. dazu bereits die Ausführungen unter A. I. ab S. 185 im 3. Kapitel. 154 In diesem Sinne auch Kühl, AT, § 7 Rn. 120; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 184; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 50; Seebode, FS Krause, S. 375 (385). 155 RGSt 66, 244 (245); BGH, 1980, 2263; AG Bensberg (Z), NJW 1966, 733 (735); Beulke, Jura 1988, S. 641 (642); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 130; Haas, Notwehr, S. 283 f.; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 36; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 184; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, S. 299 (306). Kritisch Krey, AT 1, Rn. 476. 153

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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derlichkeit und die aus dem staatlichen Gewaltmonopol folgende Subsidiarität eigenhändiger Verteidigung hat der Angegriffene staatliche Helfer herbeizuholen, wenn sie den Angriff besser oder aber so abwehren könnten, dass die Rechtsgüter des Angegriffenen nicht stärker als durch die Selbstverteidigung beeinträchtigt würden.156, 157

II. Pflicht zum Herbeiholen staatlicher Hilfe im Vorfeld einer konkreten Notwehrlage 1. Pflicht zur präventiven Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe Im 3. Kapitel158 wurde ausgeführt, dass der Einzelnen frei darüber entscheiden darf, ob er sich im Vorfeld einer drohenden Auseinandersetzung mit „Hilfsmitteln“ ausstattet oder aber darauf verzichtet. Deshalb ist das Opfer eines drohenden Angriffs rechtlich nicht dazu verpflichtet, präventiv unbeteiligte Privatpersonen um Hilfe zu ersuchen. Diese grundsätzliche Freiheit könnte jedoch mit Blick auf das staatliche Gewaltmonopol eingeschränkt sein. Da das Gewaltmonopol dem Bürger grundsätzlich jegliches gewaltsame Vorgehen untersagt, verpflichtet es den Staat dazu, bedrohte Rechtsgüter des Opfers vor Übergriffen zu schützen.159 Diese Schutzpflicht umfasst nicht nur die Abwehr eines konkret stattfindenden Angriffs, sondern auch die Verhinderung geplanter Straftaten, bevor das jeweilige Rechtsgut tatsächlich gefährdet wird.160 Auf ein ausdrückliches Ersuchen des Opfers um staatliche Hilfe kann es dabei nicht ankommen. Da die Ordnungsbehörden zur Gefahrenabwehr verpflichtet sind, muss für ein Einschreiten genügen, dass das zukünftige Opfer oder ein Dritter eine staatliche ___________ 156

Vgl. Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 74; Schubert, Staatsnothilfe, S. 61 f. 157 Vertritt man die Ansicht, dass zu den durch Notwehr geschützten Individualrechtsgütern auch relative privatrechtliche Forderungsrechte zählen (so etwa Hellmann, Anwendbarkeit, S. 122 ff.; Jakobs, AT, 16. Abschn. Rn. 21 [allerdings nur auf relative Unterlassungsansprüche begrenzt]; Lagodny, GA 1991, S. 300 [306 f.]), wird man in diesen Konstellationen wohl auch den gerichtlicher (Eil-)Rechtsschutz als eine Form staatlicher Hilfe ansehen müssen, die vorrangig in Anspruch zu nehmen ist. So etwa Lagodny, GA 1991, S. 300 (309 ff.). Anders hingegen die h.M., die die Notwehrfähigkeit relativer zivilrechtlicher Ansprüche ablehnt und den Gläubiger zur Durchsetzung seines zivilrechtlichen Anspruchs von vornherein auf den Zivilrechtsweg verweist, vgl. MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 61; SK-Günther, § 32 Rn. 32; NK-Herzog, § 32 Rn. 12; Kühl, AT, § 7 Rn. 36; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 11; LK12Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 105 f.; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 12; LK11-Spendel, § 32 Rn. 190. 158 Vgl. dort die Ausführungen unter B. II. ab S. 224. 159 Vgl. dazu die Ausführungen unter B. I. ab S. 107 im 2. Kapitel. 160 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 98 Rn. 3.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

Einrichtung – sei es ein Gericht, die Staatsanwaltschaft oder aber die Polizei – vom Bevorstehen eines Angriffs informiert. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine möglicherweise bestehende Pflicht zur Inanspruchnahme staatlicher Hilfe in großen Teilen mit einer Pflicht zur Benachrichtigung hoheitlicher Institutionen vom bevorstehenden Angriff deckungsgleich. Daher ist zu klären, ob entweder eine ausdrückliche Pflicht zur präventiven Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe existiert oder ob das Opfer zumindest verpflichtet ist, staatliche Organe vom Bevorstehen eines Angriffs zu informieren.

a) Präventive Inanspruchnahme staatlicher Hilfe und Anzeigepflicht des § 138 StGB Einen ersten Ansatzpunkt für die Lösung dieses Problems bietet die in § 138 StGB geregelte Nichtanzeige geplanter Straftaten. Grundgedanke dieses echten Unterlassungsdeliktes ist es, den Einzelnen für den Schutz bestimmter besonders wertvoller Individual- und Universalrechtsgüter vor ernsthaften Verletzungen mitverantwortlich zu machen, weil er mit dem staatlichen Gemeinwesen sowie seinen Mitbürgern auf sozialer Ebene verbunden ist.161 Allerdings verlangt § 138 StGB nicht, dass sich der Einzelne persönlich dem Angriff auf die entsprechenden Rechtsgüter entgegenstellt; eine Verhinderungspflicht im Sinne einer Garantenstellung wird nicht begründet.162 Vielmehr wird grundsätzlich jeder Bürger dazu verpflichtet, im Vorfeld einer Konfliktlage entweder eine Behörde zu informieren oder den Bedrohten selbst zu warnen, wenn er glaubhaft von dem Vorhaben, also der ernsthaften Planung,163 einer Straftat zu einer Zeit erfährt, zu welcher deren Ausführung noch verhindert werden kann.164 Eine allgemeine Verpflichtung zur Anzeige drohender Straftaten ergibt sich aus § 138 StGB hingegen nicht. Vielmehr hat die normierte Anzeigepflicht Ausnahmecharakter und bezieht sich nur auf bestimmte, abschließend aufgezählte Delikte.165 Eine Erweiterung des geschlossenen Kataloges um gleichartige, ähnlich gefähr-

___________ 161 LK11-Hanack, § 138 Rn. 1; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 115; SK-Rudolphi, § 138 Rn. 2. 162 Tröndle/Fischer, § 138 Rn. 3; NK-Ostendorf, § 138 Rn. 1. 163 RGSt 60, 254 (255); BGH, MDR 1976, 987; LK11-Hanack, § 138 Rn. 6. 164 Darüber hinaus ist seit dem 3. StRÄndG vom 4.8.1953 neben das „Vorhaben“ die „Ausführung“ einer Straftat getreten. Die Verpflichtung zur Anzeige besteht fort, bis die Tat beendet ist und weiterer Schaden nicht mehr abgewendet werden kann. Näher LK11Hanack, § 138 Rn. 8; Schwarz, Unterlassene Verbrechensanzeige, S. 40 ff. 165 OLG Düsseldorf, NJW 1968, 1343; LK11-Hanack, § 138 Rn. 5; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, D., § 138 Rn. 1.

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liche Straftaten ist wegen des Analogieverbotes unzulässig.166 Eine mit dieser Anzeigepflicht korrespondierende Verpflichtung zur Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe könnte somit ebenfalls nur für die in § 138 StGB aufgeführten Katalogtaten bestehen. Dem Charakter eines echten Unterlassungsdeliktes entsprechend trifft die Anzeigepflicht bei § 138 StGB grundsätzlich jede Person, die von dem Vorhaben oder der Ausführung einer der aufgeführten Katalogtaten erfährt, sofern noch eine Erfolgsabwendungsmöglichkeit besteht.167 Unklar ist in diesem Zusammenhang, ob auch der Bedrohte selbst ein „wer“ im Sinne dieser Vorschrift sein kann. Unproblematisch wird eine solche „Jedermannspflicht“ in den Fällen zu bejahen sein, in denen nicht allein die Individualrechtsgüter des Bedrohten durch das Vorhaben einer der Katalogtaten gefährdet werden. Auch der Bedrohte ist jedenfalls dann zur Anzeige verpflichtet, wenn Rechtsgüter der Allgemeinheit oder anderer Privatpersonen betroffen sind.168 Zweifelhaft ist eine Anzeigepflicht des Bedrohten hingegen dann, wenn nur seine eigenen – und damit die im Rahmen einer späteren Notwehr relevanten – Güter gefährdet werden. – Die Beantwortung dieser Frage steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem speziellen Schutzzweck des § 138 StGB.169 Eine Einbeziehung (auch) des Bedrohten in den Kreis der tauglichen Täter liegt jedenfalls dann nahe, wenn man so wie vornehmlich Stimmen in der älteren Literatur vertritt, dass die Nichtanzeige geplanter Straftaten ausschließlich dem Schutz der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit170 dient oder ein Recht des Staates auf Anzeige171 sichert. Allerdings können diese Versuche, das Schutzgut des § 138 StGB zu bestimmen, nicht überzeugen. Schon das systematische Argument hält einer näheren Betrachtung nicht stand.172 Zwar scheint die Einordnung dieser Norm als eine „Straftat gegen die öffentliche Ordnung“ in den siebenten Abschnitt des Strafgesetzbuches ein derartiges Ver___________ 166

LK11-Hanack, § 138 Rn. 5; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, D., § 138 Rn. 1; SK-Rudolphi, § 138 Rn. 7. Vgl. aber die Anzeigepflichten außerhalb des Kernstrafrechts, z.Β. § 43 WStrG. – Zu einer weitergehenden sozialethischen „Anzeigepflicht“ vgl. Schmidhäuser, FS Bockelmann, S. 683 (695). 167 Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 128. 168 LK11-Hanack, § 138 Rn. 40; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 98 Rn. 17; Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 129. 169 Eine detaillierte Darstellung der zu den Rechtsgütern der §§ 138, 139 StGB vertretenen Auffassungen findet sich bei Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 43 ff. 170 Wolff, GA 1879, S. 299 (312). 171 Binding, Lehrbuch BT, Bd. 2/2, § 246 S. 674. 172 Vgl. Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 112; Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 45 ff.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

ständnis tatsächlich zu bestätigen. Doch muss der Titel nicht zwangsläufig eine gesetzgeberische Wertung hinsichtlich des durch eine Norm geschützten Rechtsgutes eines bestimmten Abschnittes des Strafgesetzbuches widerspiegeln. So soll beispielsweise § 221 Abs. 1 StGB nicht das Rechtsgut Leben schützen,173 obwohl dieser Tatbestand gesetzessystematisch zu den „Straftaten gegen das Leben“ des 16. Abschnitts gehört. Teilweise geben Überschriften auch nur die Bezeichnungen der Normen wieder, die in dem entsprechenden Teil des Strafgesetzbuches zu finden sind.174 Ein einheitliches System bei der Betitelung der einzelnen Abschnitte des Strafgesetzbuches ist jedenfalls nicht ersichtlich, so dass es bedenklich ist, allein aus der Überschrift des siebenten Abschnittes auf eine gesetzgeberische Wertung hinsichtlich des geschützten Rechtsgutes schließen zu wollen. Auch ein systematischer Vergleich des § 138 StGB mit den übrigen „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“ kann diese Bedenken nicht beseitigen. So schützt etwa § 123 StGB nicht eine überindividuelle „öffentliche Ordnung“, sondern das Hausrecht als ein persönliches Rechtsgut;175 auch bei § 142 StGB stehen Individualrechtsgüter im Vordergrund.176 Doch abgesehen von den systematischen Bedenken sind weder die „öffentliche Ordnung“ oder die „öffentliche Sicherheit“ noch das „Recht des Staates auf Anzeige“ in der Lage, das Schutzgut des § 138 StGB tauglich zu umschreiben. Will man die Begriffe „öffentliche Ordnung“ und die „öffentliche Sicherheit“ näher bestimmen, ist ein Rückgriff auf die verwaltungsrechtliche Terminologie unaus___________ 173 Nach dem Willen des Gesetzgebers soll sich der Schutzzweck des § 221 Abs. 1 StGB nicht auf die konkrete Lebensgefährdung des Opfers beschränken, sondern insbesondere auch dessen körperliche Unversehrtheit schützen, vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 34. So auch die herrschende Ansicht zu § 221 StGB: MünchKommStGB-Hardtung, § 221 Rn. 1; NK-Neumann, § 221 Rn. 3; Otto, BT, § 10 Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 198. 174 Vgl. etwa den achten („Geld- und Wertzeichenfälschung“), neunten („Falsche uneidliche Aussage und Meineid“) oder zehnten Abschnitt („Falsche Verdächtigung“) des Strafgesetzbuches. 175 Tröndle/Fischer, § 123 Rn. 2; Geppert, Jura 1986, S. 590; Lackner/Kühl, § 123 Rn. 1; Küpper, BT 1, 1. Teil § 5 Rn. 2; Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, D., § 123 Rn. 1; LK11-Lilie, § 123 Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 30 Rn. 1 f.; NK-Ostendorf, § 123 Rn. 4, 6; Otto, BT, § 35 Rn. 1; SK-Rudolphi, § 123 Rn. 1; Rengier, BT II, § 30 Rn. 1; MünchKommStGB-Schäfer, § 123 Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 573. Kritisch hingegen Amelung, ZStW 98 (1986), S. 355 (355 ff.; 403): Schutz der „physisch gesicherten Territorialität“. 176 Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, D., § 142 Rn. 1; Tröndle/Fischer, § 142 Rn. 2; Geppert, Jura 1986, S. 590 (590); LK11-ders., § 142 Rn. 1; Lackner/Kühl, § 142 Rn. 1; Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben, D., Vorbem §§ 123 ff. Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 49 Rn. 6; Otto, BT, § 80 Rn. 45; SK-Rudolphi, § 142 Rn. 1; Rengier, BT II, § 46 Rn. 1; NK-Schild, § 142 Rn. 7; MünchKommStGB-Zopfs, § 142 Rn. 2. Vgl. ferner BT-Drucks. 7/2434, S. 4 f.

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weichlich.177 Durch die Übertragung der polizeirechtlichen Begriffe auf das Strafrecht wird eine hilfreiche Spezifizierung des Rechtsguts aber gerade nicht erreicht, denn jeder Verstoß gegen eine Norm des Strafrechts würde nach diesem Verständnis sowohl gesellschaftliche Wertvorstellungen als auch die öffentliche Sicherheit verletzen.178 Das „Recht des Staates auf Anzeige“ ist zwar weniger unbestimmt als die vorgenannten Begriffe, wird den Anforderungen an ein Universalrechtsgut aber ebenfalls nicht gerecht. Da der strafrechtliche Schutz überindividueller Rechtsgüter kein Selbstzweck ist, kann nur der Schutz solcher Güter, die Bestand und Funktion des Staates und der Gesellschaft sichern, legitimiert werden.179 Das „Recht des Staates auf Anzeige“ ist hingegen nicht mehr als eine Worthülse, die nach heutigem Staatsverständnis keinerlei Legitimationsgrundlage darstellen kann.180 Eine Einbeziehung des Bedrohten in den Kreis der tauglichen Täter drängt sich auch dann auf, sofern man allein die staatliche Rechtspflege in einem weiteren Sinne181 durch § 138 StGB geschützt wissen will.182 Gleiches gilt, wenn man die Nichtanzeige geplanter Straftaten als ein „reines Polizeidelikt“ versteht, das den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bezwecke.183 Unverständlich ist in diesem Zusammenhang aber, warum erst der Staat und seine Organe in ihrer vorbeugenden und verbrechensverhindernden Funktion geschützt werden sollen und nicht die jeweils gefährdeten – individuellen oder aber überindividuellen – Rechtsgüter selbst, warum also die Sicherung etwas Mittelbaren als vorzugswürdig erachtet wird, wo doch der Schutz des Unmittelbaren viel näher läge.184 Im Übrigen widerspricht aber auch der Wortlaut des § 138 Abs. 1 StGB dieser Deutung. So steht es dem zur Anzeige Verpflichteten grundsätzlich ___________ 177 Zur Definition der Termini „öffentliche Sicherheit“ und „öffentliche Ordnung“ vgl. die Ausführungen in Fn. 68 auf S. 114 im 2. Kapitel. Ferner Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 47 ff., 51 f. 178 Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 49 ff., 52. Vgl. auch Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 112. 179 Arzt/Weber, BT, § 1 Rn. 26 f.; Jescheck/Weigend, AT, S. 259; Maurach/Zipf, AT 1, § 19 Rn. 10; Naucke, Einführung, § 6 Rn. 34; Schmidhäuser, Lehrbuch AT, 2. Kap. Anm. 30 f.; Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 43. 180 Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 54. 181 Der Begriff der Strafrechtspflege soll – anders als im Bereich der Aussagedelikte, vgl. etwa LK11-Ruß, Vor § 153 Rn. 2; Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 153 ff. Rn. 2 – im Rahmen des § 138 StGB nicht oder zumindest nicht nur die Aufklärung und Ahndung begangener Straftaten erfassen, sondern die Verbrechensverhütung umfassen. Vgl. Krey, BT 1, Rn. 635; Schwarz, Unterlassene Verbrechensanzeige, S. 29 Fn. 37. 182 So die wohl herrschende Strömung innerhalb der monistischen Rechtsgutsbestimmung, vgl. nur Welzel, Strafrecht, S. 516. 183 Ritter, GS 116 (1942), S. 121 (125 ff.). Ähnlich auch Vormbaum, Schutz des Strafurteils, S. 464: Schutz der präventivpolizeilichen Tätigkeit. 184 Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 56 f.

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frei, ob er die geplante Straftat bei „der Behörde“ oder bei „dem Bedrohten“ anzeigt.185 Zwar wird dieses Wahlrecht dann auf eine Anzeigepflicht gegenüber der Behörde reduziert, wenn sich das geplante Delikt wie in den Fällen des § 138 Abs. 1 Nr. 1–4, 6, 9 StGB zumindest auch gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit richtet.186 Sind hingegen ausschließlich die individuellen Rechtsgüter des Bedrohten gefährdet, genügt auch allein die Mitteilung187 bei diesem.188 In bestimmten Fällen, beispielsweise wenn die Anzeige bei der Behörde im Sinne des § 138 Abs. 1 StGB nicht „rechtzeitig“ erfolgen würde, muss sich der Pflichtige sogar direkt an den Bedrohten wenden.189 Eine Beteiligung staatlicher Organe ist demnach nicht immer erforderlich, gegebenenfalls sogar überflüssig. Dem widerspricht auch nicht, dass § 138 Abs. 1 StGB die Anzeige bei der Behörde an erster Stelle nennt. Es geht hier allein um eine alternative Gegenüberstellung der beiden in Betracht kommenden Adressaten, ohne dass damit eine bestimmte Rangfolge zum Ausdruck gebracht werden soll.190 Auch ein kombinierender Ansatz,191 der neben den Rechtsgütern der aufgeführten Katalogtaten die staatliche Rechtspflege als zusätzliches Universalrechtsgut vom Schutzbereich des § 138 StGB erfasst wissen will, überzeugt nicht. Es gelingt den Vertretern dieser Ansicht nicht, einen zwingenden Nachweis für eine Verknüpfung dieser Rechtsgüter zu erbringen.192 Allein der Hinweis darauf, dass es bei einzelnen Katalogtaten eine unmittelbar gefährdete Einzelperson nicht gibt,193 genügt jedenfalls nicht; denn er besagt nur, dass die aufgezählten Delikte neben individuellen auch überindividuelle Rechtsgüter schüt___________ 185 Anders beispielsweise § 225 DDR-StGB, der eine Anzeige gegenüber staatlichen Organen verlangte und insofern konsequent im Abschnitt der „Straftaten gegen die Rechtspflege“ zu finden war. 186 LK11-Hanack, § 138 Rn. 36. Vgl. auch § 138 Abs. 2 StGB. 187 Unglücklich ist in diesem Zusammenhang die Wortwahl des Gesetzgebers, da eine gedankliche Verknüpfung des Begriffs der Anzeige in § 138 StGB mit dem in § 158 Abs. 1 StPO, wo es aber gerade um die Anzeige begangener Taten und damit um die Strafrechtspflege geht, nicht fern liegend ist. Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 98 Rn. 6; Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 57 Fn. 83. 188 LK11-Hanack, § 138 Rn. 1, 36. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Bedrohte nicht einsichts- oder verteidigungsfähig ist, LK11-Hanack, § 138 Rn. 33, 36. 189 Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, D., § 138 Rn. 13; Lackner/Kühl, § 138 Rn. 5. 190 LK11-Hanack, § 138 Rn. 36. 191 Arzt/Weber, BT, § 46 Rn. 1 ff., 5; Krey, BT 1, Rn. 635; Küpper, BT 1, 2. Teil § 3 Rn. 68; NK-Ostendorf, § 138 Rn. 3; Rengier, BT II, § 52 Rn. 1; Schwarz, Unterlassene Verbrechensanzeige, S. 33 f.; Tag, JR 1995, S. 133 (134). Vgl. auch RGSt 43, 342 (346 f.). 192 Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 59. 193 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 191.

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zen. Nicht gesagt ist damit hingegen, dass dies eigens im Interesse der Rechtspflege geschieht.194 Daher schützt § 138 StGB kein eigenes Rechtsgut, sondern erweitert vielmehr den Schutz derjenigen Güter, die durch die anzeigepflichtigen Straftaten erfasst werden.195 Dieses Ergebnis stützt auch der in § 139 Abs. 4 S. 1 StGB zu Tage tretende Gedanke, wonach derjenige straffrei bleiben soll, der die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet, z.B. durch die Veranlassung des Bedrohten zu ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen.196 Die Anzeige muss also nicht um ihrer selbst Willen erfolgen, sondern weil sie Teil des präventiven Rechtsgüterschutzes ist. § 138 StGB normiert folglich keine Pflicht zur Verfolgung bestimmter Straftaten, sondern geht von einer Pflicht zur Rettung bedrohter Rechtsgüter aus.197 Deutlich wird damit auch die Nähe des § 138 StGB zur in § 323c StGB geregelten Unterlassenen Hilfeleistung. Auch diese Norm schützt nicht ein eigenständiges Rechtsgut, sondern das in der jeweiligen Notsituation betroffene.198 Damit scheidet aber eine Aufnahme des Bedrohten in den Kreis der tauglichen Täter dann aus, wenn allein dessen Individualrechtsgüter betroffen sind.199 Ist ausschließlich der Bedrohte selbst gefährdet, braucht dieser die gegen ihn gerichtete Tat nicht anzuzeigen. Zum Teil wird ___________ 194 LK11-Hanack, § 138 Rn. 3; Schmidhäuser, FS Bockelmann, S. 683 (694); Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 114 f. 195 So die pluralistische Rechtsgutstheorie, vgl. Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, D., § 138 Rn. 1; Tröndle/Fischer, § 138 Rn. 3; LK11-Hanack, § 138 Rn. 2; MünchKommStGB-Hohmann, § 138 Rn. 1; Lackner/Kühl, § 138 Rn. 1; Loos/Westendorf, Jura 1998, S. 403 (404); Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 98 Rn. 6; NK-Ostendorf, § 138 Rn. 3; SK-Rudolphi, § 138 Rn. 2; Schmidhäuser, FS Bockelmann, S. 683 (689 ff., 694); Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 114 f.; Schroeder, Straftaten gegen das Strafrecht, S. 11 f.; Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 59 f. Vgl. auch BGHSt 42, 86 (88): mittelbar Schutz der von den Katalogtaten betroffenen Rechtsgüter. 196 Vgl. LK11-Hanack, § 139 Rn. 33; Schwarz, Unterlassene Verbrechensanzeige, S. 149. 197 Schmidhäuser, FS Bockelmann, S. 683 (689); Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 115, 172; NK-Ostendorf, § 138 Rn. 3; Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 264. 198 Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, D., § 323c Rn. 1; Lackner/Kühl, § 323c Rn. 1; Schmidhäuser, FS Bockelmann, S. 683 (690 f.); NK-Wohlers, § 323c Rn. 1 f. Anders Pawlik, M., GA 1995, S. 360 (364 ff.): „Einlösung der staatlicherseits übernommenen Schutzverpflichtung“ durch den Bürger als Verwaltungshelfer. 199 Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, D., § 138 Rn. 19; Tröndle/Fischer, § 138 Rn. 17; LK11-Hanack, § 138 Rn. 40; Lackner/Kühl, § 138 Rn. 6; NK-Ostendorf, § 138 Rn. 6; SK-Rudolphi, § 138 Rn. 18. Einschränkend Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 98 Rn. 17; Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 128 ff. Zum gleichen Ergebnis gelangen Otto, BT, § 67 Rn. 30, der allerdings die „mitmenschliche Solidarität“ als geschütztes Rechtsgut ansieht, sowie die Vertreter eines kombinierenden Ansatzes (vgl. dazu die Nachweise in Fn. 191 auf S. 286).

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

dies mit dem Argument begründet, dass der Bedrohte dem Wortlaut des § 138 Abs. 1 StGB entsprechend die Anzeige auch sich selbst gegenüber erstatten könnte,200 eine ihm auferlegte Anzeigepflicht wegen seines grundsätzlichen Wahlrechts insofern „unerträgliche Förmelei“201, „undenkbar“ oder gar eine „Anomalie“202 sei. Entscheidend ist jedoch, dass durch die Anzeige ein Informationsdefizit des Adressaten ausgeglichen werden soll. Hat der Bedrohte selbst hinreichende Kenntnis vom Vorhaben der gegen ihn und seine Rechtsgüter gerichteten Tat, besteht ein solches Minus schon gar nicht, so dass eine Anzeige überhaupt nicht erforderlich ist.203 Dies gilt selbst dann, wenn unverzichtbare Individualrechtsgüter betroffen sind, wie beispielsweise in § 138 Abs. 1 Nr. 6 StGB das Rechtsgut „Leben“.204 Eine andere Sichtweise wäre weder mit der grundsätzlichen Behandlung dieser Individualrechtsgüter im Strafrecht in Einklang zu bringen, noch entspräche sie dem Wortlaut und dem Zweck des § 138 StGB.205 Somit normiert § 138 Abs. 1 StGB in Bezug auf die notwehrrelevanten Individualrechtsgüter keine Anzeigepflicht des Bedrohten. Ist das zukünftige Opfer einer Straftat jedoch nicht einmal verpflichtet, eine Behörde über den bevorstehenden und gegen sich selbst gerichteten Angriff zu informieren, so ist die Annahme einer Pflicht zur Inanspruchnahme staatlicher Hilfe in diesen Situationen erst recht abwegig.

b) Präventive Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe und staatliches Gewaltmonopol Etwas anderes ergibt sich auch nicht unmittelbar aus dem staatlichen Gewaltmonopol. Dieses gebietet zwar den Bürgern, friedlich miteinander zu leben und ihre Rechte nicht mit Gewalt gegenüber anderen Bürgern durchzusetzen. Es erlegt den Bürgern indes nicht auf, außerhalb des Anwendungsbereichs des § 138 ___________ 200

SK-Rudolphi, § 138 Rn. 18. Ritter, GS 116 (1942), S. 121 (137). 202 Wolff, GA 1879, S. 299 (312 f.). 203 Tröndle/Fischer, § 138 Rn. 14, 17; LK11-Hanack, § 138 Rn. 22, 40; SK-Rudolphi, § 138 Rn. 12; Schwarz, Unterlassene Verbrechensanzeige, S. 104; Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 129. Kritisch Arzt/Weber, BT, § 46 Rn. 12. – Vgl. die Parallele bei § 323c StGB. Dort ist eine Hilfeleistung dann nicht erforderlich, sofern und soweit sich der Verunglückte selbst helfen kann, Schönke/Schröder-Cramer/SternbergLieben, D., § 323c Rn. 16; NK-Wohlers, § 323c Rn. 10. 204 Tröndle/Fischer, § 138 Rn. 17; LK11-Hanack, § 138 Rn. 41; Lackner/Kühl, § 138 Rn. 6; SK-Rudolphi, § 138 Rn. 18. Anders Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 98 Rn. 17; Westendorf, Verhinderung geplanter Straftaten, S. 19 f. 205 LK11-Hanack, § 138 Rn. 41. 201

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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StGB tätig zu werden und Behörden über bevorstehende Angriffe zu informieren oder den Staat um Hilfe zu ersuchen.206 Ob aber möglicherweise der Verzicht auf die Inanspruchnahme eine Obliegenheit darstellt, deren Verletzung in der konkreten Notwehrsituation zu einer Beschränkung der Verteidigungsbefugnisse des Angegriffenen führt, soll im Folgenden erörtert werden.

2. Folgen eines Verzichts auf präventive Inanspruchnahme staatlicher Hilfe Nach alledem ist der von einem (vermeintlichen oder konkret bevorstehenden) Angriff Bedrohte weder zur präventiven Inanspruchnahme fremder privater noch staatlicher Hilfe verpflichtet. Dennoch deutet die bereits im 1. Kapitel dargestellte Entscheidung207 darauf hin, dass zumindest in den Augen des 3. Strafsenats des BGH allein die bewusste Umgehung des Vorrangs staatlicher Hilfe durch den Verzicht auf das Herbeiholen dieser im Vorfeld einer konkreten Auseinandersetzung zu einem Ausschluss der Befugnis zur Selbstverteidigung führen soll.208 Wie soeben ausgeführt wurde, ist mangels einer entsprechenden Pflicht zum Herbeiholen staatlicher Hilfe in diesem Verzicht zwar kein Verstoß gegen das staatliche Gewaltmonopol zu erkennen. Dennoch kann nach ganz überwiegender Auffassung in bestimmten Situationen ein dem Täter vorwerfbares Vorverhalten zu einer Überwindung des Strafbarkeitsmangels führen.209 Ob auch in dem Verzicht auf das Herbeiholen fremder Hilfe ein derartiges vorwerfbares Vorverhalten zu erblicken ist und ob allein dieser Umstand gegebenenfalls einen Ausschluss oder aber zumindest eine Beschränkung des Notwehrrechts begründen kann, gilt es im Folgenden zu untersuchen.

a) Übertragbarkeit des Gedankens der sog. Angriffsprovokation Demjenigen, der es unterlässt, staatliche Hilfe für einen bevorstehenden Angriff zu erbitten, könnte man zumindest in einem weiteren Sinne vorwerfen, ___________ 206 BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 6; Blei, AT12, Fall 79, S. 67; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 128; Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 33; Lesch, StV 1993, S. 578 (582); LK11-Spendel, § 32 Rn. 234; Sternberg-Lieben, I., JA 1996, 299 (306 f.). Ebenso Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 41, die aber das Vorverhalten gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt der Abwehrprovokation sanktionieren wollen. 207 BGHSt 39, 133. Vgl. auch die Ausführungen unter B. II. 2. b) ab S. 81 im 1. Kapitel. 208 BGHSt 39, 133 (137, 140). 209 Kritisch zur Frage, ob dem Vorverhalten überhaupt rechtliche Bedeutung im Zusammenhang mit einem Rechtfertigungsgrund zukommen kann, Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 16 Rn. 73.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

dass er selbst einen Anteil am Zustandekommen der späteren Notwehrlage trage. Denn staatliche Hilfe, in der Regel die Polizei, wird zumindest bei einer rechtzeitigen Benachrichtigung gewöhnlich in der Lage sein, einen Angriff und damit eine Notwehrlage zu verhindern.210 In diesem Sinne hätte der Verteidiger (mit-)bewirkt, dass der Angriff ausgelöst wird; er hätte diesen also nach allgemeinem Sprachgebrauch provoziert.211 Nahe liegt insofern die Frage, ob aufgrund eines derartigen Vorverhaltens das Notwehrrecht des Verteidigers aus sozialethischen Gründen zu beschränken ist. Ein Vergleich mit der Fallgruppe der sog. Notwehrprovokation in Form einer Angriffsprovokation drängt sich auf. Geht der Notwehrlage eine Provokation des sich später Verteidigenden voraus, so soll dies nach ganz überwiegender Ansicht zumindest zu einer Beschränkung des Rechts auf eine wehrhafte Verteidigung führen.212 Führt der Verteidiger die Verteidigungssituation nicht nur auf eine vorwerfbare Weise herbei, sondern reizt er einen Dritten gerade mit dem Ziel zu einem rechtswidrigen Angriff, „um ihm unter dem Vorwand des Notwehrrechts einen Schaden zuzufügen“,213 soll dies laut Rechtsprechung und einigen Stimmen in der Literatur sogar eine vollständige Versagung der Notwehrbefugnisse nach sich ziehen.214 Mindestvoraussetzung für die Annahme eines Falles der Angriffsprovokation ist jedoch, dass provozierter Angreifer und provozierender Verteidiger in einem wie auch immer gearteten geistigen Kontakt zueinander stehen. Eine sozialethi___________ 210

Vgl. BGHSt 39, 133 (134, 137); BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 6. Duden, Bd. 6, Stichwort „provozieren“ (S. 3037): „1. … b) bewirken, dass etw. ausgelöst wird, hervorrufen“. 212 BGHSt 24, 356 (358 f.); 39, 374 (379); 42, 97 (101 f.); BGH, NJW 2003, 1955 (1958 f.) – Urteilsgründe insoweit nicht in BGHSt 48, 207 abgedruckt –; Berz, JuS 1984, S. 340 (343 f.); Blei, AT 118, § 39 II. 1. (S. 144); Hinz, JR 1993, S. 353 (357 f.); Jescheck/Weigend, AT, S. 346 f.; Kühl, AT, § 7 Rn. 246; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 73; ders., ZStW 93 (1981), S. 68 (87 f.); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 54. Gegen eine Beschränkung des Notwehrrechts in den Fällen der Notwehrprovokation: Bockelmann, FS Honig, S. 19 (28 ff., 31); Drescher, JR 1994, S. 423 (424); Hassemer, FS Bockelmann, S. 225 (243 f.); Hohmann/Matt, JR 1989, S. 161 (162); Loos, FS Deutsch, 1999, S. 233 (240 ff.); Matt, NStZ 1993, S. 271 (272 f.); Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 38; ders., GA 1986, S. 533 (545); Renzikowski, Notstand, S. 111 ff., 302 ff.; LK11-Spendel, § 32 Rn. 290. Kritisch auch Hillenkamp, Vorsatztat, S. 128 ff. 213 So die Definition der sog. Absichtsprovokation von Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 149. Vgl. auch BGH, NStZ 1983, 452; Kühl, AT, § 7 Rn. 229; Wessels/Beulke, AT, Rn. 347. 214 BGH, NJW 1962, 308 (309); NStZ 1983, 452; Blei, AT 118, § 39 II. 1. (S. 144); Roxin, AT 1, § 15 Rn. 69; ders., ZStW 93 (1981), S. 68 (85 ff.); Rudolphi, GedS A. Kaufmann, S. 371 (395); Wagner, Notwehrbegründung, S. 69 ff. Für eine bloße Beschränkung des Notwehrrechts auch in den Fällen der sog. Absichtsprovokation hingegen Berz, JuS 1984, S. 340 (343); Jescheck/Weigend, AT, S. 346; Kühl, AT, § 7 Rn. 246; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 55. 211

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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sche Einschränkung des Notwehrrechts wegen der Provokation eines Angriffs kommt nur dann in Betracht, wenn diese ein solches Verhalten des späteren Verteidigers darstellt, das einen anderen zu einer gegebenenfalls unbedachten Handlung veranlasst oder veranlassen soll.215 Entscheidend ist also nicht, dass durch das Vorverhalten der Angriff irgendwie (mit-)herbeigeführt wurde. Vielmehr muss der spätere Verteidiger gerade durch sein Verhalten entweder „einen Dritten zu einem rechtswidrigen Angriff … reizen, um ihm unter dem Vorwand des Notwehrrechts einen Schaden zuzufügen“,216 oder auf eine sonstige Weise mit dem späteren Angreifer in Kontakt treten und dadurch die Notwehrlage (mit-)verursachen.217 Es soll zwar genügen, dass der Verteidiger den Kontakt mit dem späteren Angreifer dadurch herstellt, dass er sich in eine Risikosituation hineinbegibt.218 Doch selbst wenn man bereits den Verzicht auf die Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe als einen ersten Schritt in Richtung der Risikosituation, also als ein Hineinbegeben in diese verstehen wollte, kommt es zu keinem Kontakt mit dem Angreifer, durch welchen dieser provoziert und zu einem Angriff verleitet wird. Im relevanten Vorfeld der Auseinandersetzung kommt es in den hier diskutierten Konstellationen weder zu einer Begegnung zwischen angreifendem Dritten und dem späteren Verteidiger noch zu einer wie auch immer gearteten Interaktion. Der Verteidiger unterlässt es im Vorfeld lediglich, eine Institution staatlicher Hilfe zu informieren und um Hilfe zu bitten; für das Durchführen des späteren Angriffs ist allein der Angreifer zuständig. Ein Untätigbleiben des Verteidigers kann in den hier relevanten Situationen deshalb für die Annahme einer Angriffsprovokation nicht genügen.219 Im Übrigen ist es zweifelhaft, ob das „Aufrüsten“ für sich gesehen überhaupt ein taugliches provozierendes Vorverhalten darstellt. Während bei rechtmäßigem und sonst sozialethisch nicht zu missbilligendem Vorverhalten kein Anlass dafür besteht, die Verteidigungsbefugnisse des Angegriffenen einzuschrän___________ 215

Duden, Bd. 6, Stichwort „Provokation“ (S. 3037); Vgl. auch Stichwort „provozieren“ (S. 3037): „1.a) sich so äußern, verhalten, dass sich ein anderer angegriffen fühlt u. entsprechend reagiert; herausfordern“. Zu einem weiteren Wortsinn vgl. Fn. 211 auf S. 290. 216 Vgl. die Nachweise in Fn. 213 auf S. 290. 217 In diesem Sinne auch Zaczyk, JuS 2004, S. 750 (754). 218 BGHSt 39, 374 (378); Eser/Burkhardt, Strafrecht 1, Fall 11 Rn. 20 (S. 133); Kühl, AT, § 7 Rn. 248. 219 Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass sich ein anderes Vorverhalten als das Unterlassen der Hinzuziehung hoheitlicher Hilfe als Provokation eines Angriffs darstellen kann. So sieht etwa Drescher, JR 1994, S. 423 (424) in ihrer Anmerkung zu BGHSt 39, 133 ein provozierendes rechtswidriges Vorverhalten darin, dass der Angeklagte Si. versuchte, die sich versammelnden Rechtsradikalen selbst mit seiner Schrotflinte zu vertreiben.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

ken,220 kann eine rechtswidrige Provokation grundsätzlich eine Beschränkung des Notwehrrechts nach sich ziehen.221 Da der Verzicht auf die präventive Inanspruchnahme fremder Hilfe nicht gegen das geltende Recht verstößt – eine derartige Pflicht kann schließlich weder aus geschriebenem noch aus ungeschriebenem Recht hergeleitet werden –222, könnte dieses Verhalten bereits qualitativ gesehen schon keine rechtswidrige Provokation darstellen. Berücksichtigt man hingegen, dass der Verteidiger bei der vorsorglichen Inanspruchnahme von insbesondere staatlichen Schutzangeboten Übergriffe hätte verhindern können, so bleibt – möglicherweise – „ein schaler Beigeschmack von (überflüssiger) Selbstjustiz“.223 Um ein widerspruchsfreies und verlässliches Zusammenleben in der Gemeinschaft zu gewährleisten, wäre es vielmehr wünschenswert, dass der Verteidiger, auch ohne konkret dazu verpflichtet zu sein, den Staat in eine Lage versetzt, in welcher dieser seine aus dem staatlichen Gewaltmonopol folgenden Schutzfunktionen wahrnehmen kann. Insofern mag die unterbliebene Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe, wenn man einmal von dem fehlenden „Provokationsgehalt“ absieht, als ein „sozialethisch wertwidriges Verhalten“224 erscheinen. Ungeklärt ist jedoch, ob auch ein solches zwar nicht rechtswidriges, aber aus sozialethischen Gesichtspunkten zu missbilligendes Vorverhalten zu einer Einschränkung der Notwehrbefugnisse gegenüber einem durch die Provokation ausgelösten Angriff führen kann. So will der BGH in einer jüngeren Entscheidung bereits ein angriffsauslösendes Verhalten genügen lassen, das trotz ___________ 220 BGHSt 27, 336 (Leitsatz): „Ein sozialethisch nicht zu mißbilligendes Vorverhalten des Angegriffenen kann auch nicht zu einer Einschränkung seiner Notwehrbefugnisse führen.“ Vgl. ferner BGH, NStZ 1989, 474; 1993, 332 (333); Beulke, JR 1990, S. 380 (381); Kühl, AT, § 7 Rn. 215; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 59; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 71; Schumann, JuS 1979, S. 559 (564 f.); Wessels/Beulke, AT, Rn. 348. – Anders hingegen noch BGH, NJW 1962, 308 (309), mit im Ergebnis zustimmender Stellungnahme von Baumann, MDR 1962, S. 349 (349 f.). Dieses Urteil wurde im Schrifttum allerdings nahezu einhellig abgelehnt, vgl. nur Gutmann, NJW 1962, S. 286 (287 f.); Roxin, ZStW 75 (1963), S. 497 (564 ff.); Schröder, H., JR 1962, S. 187; ders., JuS 1973, S. 157 (158), und kann wohl als überholt gelten. 221 So die ganz h.M., vgl. Kühl, AT, § 7 Rn. 216 f.; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 206. – Allenfalls dann, wenn man der Rechtsordnung die Erwartung unterstellt, der Provozierte müsse auch der rechtswidrigen Provokation widerstehen, kann auch bei rechtswidrigem Vorverhalten jegliche Einschränkung des Notwehrrechts abgelehnt werden, vgl. dazu Bockelmann, FS Honig, S. 19 (31). Ähnlich zumindest für die Fälle, in denen der Provozierte noch eigenverantwortlich handeln kann: Frister, GA 1988, S. 291 (310); Hassemer, FS Bockelmann, S. 225 (244); Krack, JR 1996, S. 468 (469); Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 38; ders., GA 1986, S. 533 (545); LK11-Spendel, § 32 Rn. 290. Kritisch dazu Marxen, Sozialethische Grenzen, S. 60 Fn. 138. 222 Vgl. dazu die Ausführungen unter B. II. 1. ab S. 281 in diesem Kapitel. 223 Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (318). 224 Zu diesem Begriff vgl. Roxin, ZStW 75 (1963), S. 497 (570 ff.); ders., ZStW 93 (1981), S. 63 (90).

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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fehlender Rechtswidrigkeit eine Missachtung des Angreifers zum Ausdruck bringt und insofern seiner Qualität „nach einer schweren Beleidigung gleichkommt“;225 schließlich gehe es in diesen Konstellationen ja nur um die „sozialethische“ Einschränkung der Verteidigungsbefugnisse.226 Richtigerweise lässt die überwiegende Auffassung in der Literatur hingegen eine bloße sozialethische Missbilligung des Vorverhaltens nicht ausreichen.227 Denn zum einen fehlen Bewertungsmaßstäbe, die geeignet sind, ein rechtmäßiges Verhalten überhaupt als „sozialethisch missbilligenswert“ zu charakterisieren. Schon die Einordnung eines Verhaltens als rechtswidrig kann durchaus Probleme aufwerfen. So ist nicht auf ersten Blick ersichtlich, ob sich jemand rechtswidrig verhält, der während eines langweiligen Films in einem nahezu leeren Kino das deutlich interessantere Flüstergespräch eines in einiger Entfernung von ihm sitzenden Liebespaares belauscht. Nahezu unlösbar werden diese Schwierigkeiten jedoch dann, wenn man unterhalb der Schwelle der Rechtswidrigkeit jegliche Orientierung an rechtlichen Kategorien zugunsten nicht näher definierter „sozialethischer Werte“ aufgibt.228 Umso mehr gilt dies, wenn man die sozialethische Missbilligung eines Vorverhaltens nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Geschehen bestimmen will.229 So kann sich der Verzicht auf die Inanspruchnahme hoheitlicher Schutzmaßnahmen zwar auf ersten Blick als sozialethisch missbilligenswert darstellen. Diese Einschätzung ändert sich jedoch spätestens dann, wenn der Verteidiger sich nicht deshalb persönlich dem Angreifer stellen will, um mit diesem „Krieg zu führen“. Ist Ursache für die Ablehnung obrigkeitlicher Hilfe etwa mangelndes – weil beispielsweise in einer ähnlichen früheren Situation enttäuschtes – Vertrauen in Einrichtungen des ___________ 225 BGHSt 42, 97 (101). Vgl. auch BGHSt 27, 336 (338); BGH, NJW 2003, 1955 (1957) – Urteilsgründe insoweit nicht in BGHSt 48, 207 abgedruckt –; NStZ 1981, 138; 2006, 332 (333); StV 1996, 87 (87 f.). Zustimmend Eser/Burkhardt, Strafrecht 1, Fall 11 Rn. 25 (S. 134); Roxin, ZStW 75 (1963), S. 497 (570 ff.); Wessels/Beulke, AT, Rn. 348. Ähnlich Schünemann, B., JuS 1979, S. 275 (279), der allerdings nach dem „sozialtypischen Provokationsgehalt“ des Vorverhaltens fragt und darauf abstellt, ob in der konkreten Situation eine aggressive Reaktion des Provozierten nahe lag. 226 Eser/Burkhardt, Strafrecht 1, Fall 11 Rn. 25 (S. 134). 227 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 208; Freund, AT, § 3 Rn. 117; SK-Günther, § 32 Rn. 125; NK-Herzog, § 32 Rn. 121; Köhler, AT, S. 273; Kratzsch, Grenzen der Strafbarkeit, S. 206 f.; Kühl, AT, § 7 Rn. 219; ders., FS Bemmann, S. 193 (199 f.); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 59; Maurach/Zipf, AT 1, § 26 Rn. 46; Otto, FS Würtenberger, S. 129 (145); Roxin, AT 1, § 15 Rn. 73; ders., ZStW 93 (1981), S. 68 (89 ff.); Schumann, JuS 1979, S. 559 (564 f.). Vgl. auch BGHSt 24, 359. 228 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 208; NK-Herzog, § 32 Rn. 121; Krack, JR 1996, S. 468 (468 f.); Kühl, AT, § 7 Rn. 219; Loos, FS Deutsch (1999), S. 233 (237); Otto, FS Würtenberger, S. 129 (145); Retzko, Angriffsverursachung, S. 105 f.; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 73; ders., ZStW 93 (1981), S. 68 (89 ff.); Schumann, JuS 1979, S. 559 (565). 229 So etwa MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 208; SK-Günther, § 32 Rn. 125.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

Staates, wird die Polizei nicht unterrichtet, weil man irrtümlicherweise einen bevorstehenden Angriff nicht ernst nahm oder weil man dem Angriff eigentlich aus dem Weg gehen wollte, erscheint die Bejahung einer sozialethischen Vorwerfbarkeit als abwegig.230 Entscheidend ist jedoch, dass der „Provozierende“ selbst in den Fällen, in denen er seinen Freiheitsspielraum bis an die Grenzen des rechtlich Möglichen ausschöpft oder diesen gegebenenfalls sogar ausnutzt, die Rechtsordnung nicht übertritt. Ein Verhalten, das ausschließlich nach sozialethischen und moralischen Maßstäben tadelnswert erscheint, ist gerade nicht verboten und muss deshalb hingenommen werden. Nicht derjenige, der einen anderen im Rahmen des rechtlich Möglichen „provoziert“, verlässt den Boden des Rechts, sondern der Provozierte, der sich zu einem rechtswidrigen Angriff hinreißen lässt. Nicht nachvollziehbar erscheint es daher, warum die Verteidigungsbefugnisse des Urhebers einer nicht verbotenen, aber sozialethisch zu missbilligenden Provokation eingeschränkt werden sollen, warum dieser also genauso behandelt werden soll wie ein rechtswidrig Provozierender.231 Festzuhalten bleibt insoweit, dass mittels des Gedankens der sog. Angriffsprovokation eine Einschränkung der Notwehrbefugnisse desjenigen, der im Vorfeld einer Auseinandersetzung fremde Hilfe nicht in Anspruch nimmt, nicht begründet werden kann. Dieser Verzicht ist weder dazu geeignet, einen Dritten zu einem Angriff zu provozieren, noch wäre er mangels Rechtswidrigkeit als ein taugliches Verhalten für eine Provokation zu qualifizieren.

b) Übertragbarkeit des Gedankens der sog. Abwehrprovokation Als eine Ergänzung der sog. Angriffsprovokation versteht Arzt die in einer Anmerkung zu einem Urteil des 1. Strafsenates des BGH vom 24. Juli 1979232 entwickelte Figur der Abwehrprovokation.233 Mit diesem Begriff werden Situa___________ 230 Ähnlich problematisch erscheint die sozialethische Beurteilung des wiederholten Öffnens eines Zugfensters mit dem Ziel, einen angetrunkenen und stark nach Alkohol riechenden Mitreisenden, der kein Ticket für die erste Klasse besitzt, aus einem Zugabteil der ersten Wagenklasse herauszuekeln. Während der BGH dieses Verhalten sozialethisch missbilligt (vgl. BGHSt 42, 97 [101]; zustimmend Lesch, JA 1996, S. 833 [834 f.]), sehen Teile der Literatur darin eine durchaus angemessene Reaktion auf die von dem späteren Angreifer ausgehende Belästigung (vgl. Kühl, StV 1997, S. 298 [299]; Krack, JR 1996, S. 468 [469]; MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 208). 231 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 208; Kühl, AT, § 7 Rn. 219; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 59; Roxin, AT 1, § 15 Rn. 73; Schumann, JuS 1979, S. 559 (564 f.). 232 BGH, NJW 1980, 2263. – Zu dieser Entscheidung vgl. die Ausführungen unter B. II. 2. a) auf S. 76 im 1. Kapitel. 233 Arzt, JR 1980, S. 211 (212 f.). Die Figur der Abwehrprovokation befürworten mit Unterschieden in den Einzelheiten OLG Stuttgart NJW 1992, 850 (851); Bernsmann,

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tionen umschrieben, in denen sich ein Verteidiger für eine zu erwartende Auseinandersetzung mit einem besonders schneidigen Verteidigungsmittel ausrüstet – etwa einer Schusswaffe234, einem Messer235, einer Eisenstange236 oder stahlkappenbewehrten Arbeitsschuhen237 –, dessen Einsatz in der konkreten Kampflage mangels Verfügbarkeit eines für die Rechtsgüter des Angreifers weniger einschneidenden Mittels erforderlich ist. Allerdings hätte der Angriff auch mit einem milderen Mittel abgewehrt werden können, wenn sich der Verteidiger im Vorfeld der Auseinandersetzung mit einem solchen anstelle des gefährlicheren Abwehrmittels ausgestattet hätte. Unterschiedlich wird jedoch die Frage behandelt, ob und gegebenenfalls welche Rechtsfolgen an eine derartige Abwehrprovokation geknüpft werden können. Während die Rechtsprechung238 und ein Teil des Schrifttums239 in diesen Konstellationen jegliche Beschränkung des Notwehrrechts ablehnen, wollen einige andere Stimmen in der Literatur dem Angegriffenen in diesen Fällen die Notwehrbefugnis zwar in der konkreten Konfliktsituation weder nehmen noch einschränken. Entsprechend den Prinzipien der sog. actio illicita in causa soll der Notwehrübende aber für die Verursachung der Folgen der Abwehr strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, da er sich so auf den Angriff vorbereitet habe, dass eine besonders gefahrträchtige exzessive Verteidigung nahe lag.240 Ein dritter Teil der Literatur will die Selbstverteidigungsbefugnis in der ___________ ZStW 104 (1992), S. 290 (305 f., 317 f.); Küpper, JA 2001, S. 438 (439 f.); Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 61b; Roxin, StV 2006, S. 235 (237); Schmidhäuser, Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 84. Einschränkend MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 210. Kritisch Hassemer, JuS 1981, S. 151. 234 Vgl. etwa BGHSt 39, 374; BGH, EzSt StGB § 32 Nr. 6; NStZ 1983, 452. 235 Vgl. etwa BGH, EzSt StGB § 32 Nr. 5; NJW 1980, 2263; NStZ 1983, 117; 1989, 113; 2002, 425; NStZ-RR 1999, 40. Ferner BGH, NJW 1962, 308, wo dem Täter zwar nicht die Ausrüstung mit einem Messer vorgeworfen wird, wohl aber ein mit der vorsorglichen Bewaffnung nicht im Zusammenhang stehender „Rechtsmissbrauch“ zu einer Versagung des Notwehrrechts führt. 236 Vgl. BGH, NJW 1989, 3027. 237 Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1992, 850. 238 BGH, EzSt StGB § 32 Nr. 5, 6; NJW 1980, 2263; 2003, 1955 (1958) – Urteilsgründe insoweit nicht in BGHSt 48, 207 abgedruckt –; NStZ 1983, 117; 1983, 452 (452 f.); 1989, 113 (114); NStZ-RR 1999, 40 (41). Vgl. auch BGH, NStZ 2002, 425 (426): Die vorsorgliche Ausrüstung mit einem Messer wird dem Angegriffenen zwar nicht vorgeworfen, wohl aber ein Mitverschulden der Notwehrlage. 239 Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 24b; SK-Günther, § 32 Rn. 126; NK-Herzog, § 32 Rn. 119; LK12-Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 184, 189 f.; Werle, JuS 1986, S. 902 (903). 240 Arzt, JR 1980, S. 211 (212 f.); Schmidhäuser, Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 84. Überschreitet der Angegriffene aufgrund der Wahl des gefährlichen Mittels die Grenzen der Erforderlichkeit und war für ihn die Gefahr einer exzessiven Verteidigung vorhersehbar, so soll ihm mit der gleichen Begründung darüber hinaus die Möglichkeit genommen werden, sich auf § 33 StGB zu berufen, vgl. Arzt, a.a.O.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

konkreten Konfliktsituation dann einschränken, wenn sich der spätere Verteidiger in Erwartung241 eines zumindest für möglich gehaltenen Angriffs mit gefährlichen Verteidigungsmitteln ausrüstet und so die Gefahr einer Eskalation heraufbeschwört. Zwar könne man dem Angegriffenen auch in einer derartigen Situation das Notwehrrecht nicht vollständig absprechen, doch würden sozialethische Erwägungen ein gewisses Maß an Rücksichtnahme fordern.242 Schließlich sei auch der Angreifer nicht als „Freiwild“ zu betrachten.243 Den Konsequenzen der absichtlichen Provokation einer Notwehrlage entsprechend will man den Angegriffenen daher zunächst zu einem Ausweichen verpflichten. Ist ein solches hingegen nicht möglich oder aber mit erheblichen Risiken für den Angegriffenen verbunden, dürfe dieser sich zwar verteidigen, müsse sich aber auf mildere, gegebenenfalls weniger wirksame Mittel verweisen lassen.244 Losgelöst von der Frage, ob die Abwehrprovokation überhaupt eine Einschränkung der Befugnis zur Selbstverteidigung begründen kann, erscheint es in diesem Zusammenhang jedoch bereits zweifelhaft, ob der Gedanke der Abwehrprovokation ohne weiteres auf den Verzicht einer Inanspruchnahme fremder Hilfe übertragen werden kann. Während dem Verteidiger mit der Figur der Abwehrprovokation das vorsorgliche Ausstatten mit besonders gefährlichen Verteidigungsmitteln als ein aktives Tun vorgeworfen wird245, stellt das Nichtherbeiholen fremder Hilfe gerade kein „Aufrüsten“ dar. Der Angegriffene verzich___________ 241 Anders hingegen, wenn die „Verteidigungssituation (lediglich) vorhersehbar“ sei, Küpper, JA 2001, S. 438 (440). Vgl. auch RGSt 65, 159 (160); LK11-Spendel, § 32 Rn. 114. 242 Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (305); Küpper, JA 2001, S. 438 (440). – Zur Garantie eine Mindestsolidarität vgl. näher Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (320 f.); Frister, GA 1988, S. 291 (301 f.); Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 46 ff.; Kühl, AT, § 7 Rn. 159 f.; Perron, Rechtfertigung und Entschuldigung, Bd. 3, S. 79 (88). 243 Küpper, JA 2001, S. 438 (440). 244 Küpper, JA 2001, S. 438 (440). Ähnlich Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 61b, für die Fallgruppen, in denen der Notwehrübende von vornherein und gerade deshalb auf ein weniger gefährliches Mittel verzichtet hat, um in der Verteidigungssituation das gefährlichere einsetzen zu können. MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 210 befürwortet eine Einschränkung des Notwehrrechts wegen Abwehrprovokation hingegen nur dann, „wenn die Unerlaubtheit der Bewaffnung mit der gezielten Intention, den Angreifer möglichst schwer zu verletzen …, kumulativ zusammentrifft“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. ferner BGHSt 39, 374 (379); OLG Stuttgart, NJW 1992, 850 (851); Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (304 f., 317, 326); Loos, JuS 1985, S. 859 (860 f.). – Eine zusätzliche Haftung nach den Grundsätzen der actio illicita in causa dürfte nach dieser Ansicht allerdings nicht in Betracht kommen, da durch die Abwehrprovokation der freie Entschluss des Angreifers nicht beeinflusst wird, vgl. Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 61. 245 Vgl. Arzt, JR 1980, S. 211 (212) der ausdrücklich betont, dass dem Verteidiger „nicht etwa … Unterlassung des ‚Abrüstens‘“ vorzuwerfen sei, sondern das „‚Aufrüsten‘ als Tun“ (Hervorhebungen im Original).

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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tet vielmehr ganz bewusst darauf, fremde Hilfe als ein zusätzliches Abwehrmittel in Anspruch zu nehmen. Sicherlich würde niemand dem körperlich unterlegenen Verteidiger einen Vorwurf daraus machen, wenn er sich unbewaffnet seinem Angreifer stellt, obwohl er sich im Vorfeld der drohenden Auseinandersetzung ohne weiteres mit einer Pistole hätte bewaffnen können, die zudem seine Verteidigungschancen deutlich erhöht hätte. Entsprechendes gilt, wenn derselbe körperlich Unterlegene darauf verzichtet, die Hilfe eines Kampfsportlers in Anspruch zu nehmen, der den Angriff zwar besser abwehren könnte, dabei aber die Rechtsgüter des Aggressors stärker beeinträchtigen würde. Allenfalls könnte man erwägen, dem Verteidiger das Nichtherbeiholen fremder Hilfe als Unterlassen einer „Abrüstung“ gefährlicher Verteidigungsmittel vorzuwerfen. Vergleichbar wäre derjenige, der beispielsweise sein Messer, das er üblicherweise bei sich führt, mit Blick auf eine drohende Konfliktsituation vorsorglich nicht ablegt, nur dann mit demjenigen, der auf die vorsorgliche Inanspruchnahme fremder Hilfe verzichtet, wenn die fremde Hilfe ein milderes Verteidigungsmittel darstellt als die eigenhändige Abwehr des bevorstehenden Angriffs. Nahe liegt in diesem Zusammenhang die Vermutung, dass staatliche Organe regelmäßig wohl in der Lage sein dürften, einem Angriff schonender zu begegnen als eine Privatperson246, während die Beurteilung der Gefährlichkeit privater Hilfe stark vom konkreten Einzelfall abhängen dürfte. Die unterlassene präventive Inanspruchnahme fremder Hilfe kann dem Verteidiger aber nicht allein deshalb vorgeworfen werden, weil er etwas nicht getan hat. Aus der Wertung des Gesetzgebers in § 13 Abs. 1 StGB ergibt sich vielmehr, dass eine Gleichstellung von Unterlassen und aktivem Tun nur in den Fällen erfolgen soll, in denen der Unterlassende „rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt“.247 Dementsprechend kann auch dem Notwehrübenden nur dann vorgehalten werden, er habe es unterlassen, fremde Hilfe herbeizuholen, wenn er für die Vornahme gerade dieser konkreten rechtlich geforderten Tätigkeit einstehen müsste. Allein sittliche oder moralische Erwägungen vermögen eine derartige Einstandspflicht nicht zu begründen.248 Erforderlich ist vielmehr eine rechtliche Einstandspflicht.249 Wie bereits oben dargestellt wurde, lässt sich aber weder ___________ 246 Vgl. Wagner, Notwehrbegründung, S. 61, der in einem anderen Zusammenhang ausführt, staatliche Hilfe stelle angesichts der Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stets das mildeste Abwehrmittel dar. 247 Zur Qualität des Unterlassens im Rahmen des § 13 Abs. 1 StGB vgl. weiterführend Kühl, AT, § 18 Rn. 3, 27 ff.; Otto, AT, § 9 Rn. 1; Wessels/Beulke, AT, Rn. 708. 248 Kühl, AT, § 18 Rn. 41; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 6. Zur Abgrenzung von Recht und Moral bei Einstandspflichten vgl. Schulte, C., Garantenstellung und Solidarpflicht, S. 17 ff. 249 Zur entsprechenden Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB bei Angriffen durch Unterlassen im Rahmen der Notwehr vgl. Kühl, AT, § 7 Rn. 29; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 6. Zur Begründung von Einstandspflichten vgl. etwa Kühl, AT, § 18 Rn. 41 ff.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

eine Pflicht zum Herbeiholen fremder privater Hilfe begründen, noch ergibt sich aus dem staatlichen Gewaltmonopol eine Verpflichtung zur vorsorglichen Inanspruchnahme obrigkeitlicher Hilfe. Doch selbst wenn man eine Vergleichbarkeit von aktivem Aufrüsten und Unterlassen des Herbeiholens fremder Hilfe bejahen wollte,250 erscheint es zweifelhaft, ob die Figur der Abwehrprovokation ein tragfähiges Konstrukt für eine Einschränkung des Notwehrrechts bzw. die Begründung einer strafrechtlichen Vorwerfbarkeit nach den Grundsätzen der actio illicita in causa sein kann. Wie bereits bei der Darstellung der in Betracht kommenden Rechtsfolgen einer Abwehrprovokation erwähnt, will eine Ansicht zwar demjenigen, der sich vorsorglich mit besonders schneidigen Abwehrmitteln ausgestattet hat, in der konkreten Verteidigungssituation das – volle oder eingeschränkte – Notwehrrecht belassen. Entsprechend den Prinzipien der sog. actio illicita in causa will man den Notwehrübenden jedoch für die Verursachung der Abwehrfolgen strafrechtlich zur Verantwortung ziehen, wenn er sich so auf den Angriff vorbereitet habe, dass eine besonders gefahrträchtige exzessive Verteidigung nahe lag.251 Begründet wird die moderne252 Figur der actio illicita in causa zum einen mit der parallelen strafrechtlichen Würdigung eines Vorverhaltens bei der actio libera in causa;253 zum anderen verweist man auch auf Ähnlichkeiten mit der mittelbaren Täterschaft.254 Die Strafbarkeit des Provokateurs soll somit nicht an die nach § 32 StGB gerechtfertigte Verteidigungshandlung anknüpfen, sondern an die vorgelagerte „Provokationshandlung“, sofern diese Angriff, Notwehrhandlung und Abwehrerfolg verursacht hat.255 Anders als bei der „üblichen“ ___________ 250 So ohne nähere Begründung etwa Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 61b; Loos, JuS 1985, S. 859 (860 f.). Vgl. auch OLG Stuttgart, NJW 1992, 850 (851). 251 Arzt, JR 1980, S. 211 (212 f.); Schmidhäuser, Studienbuch AT, 6. Kap. Rn. 84. – Die Rechtsfigur der actio illicita in causa bejahend Baumann, MDR 1962, S. 349; Bertel, ZStW 84 (1972), S. 1 (16 ff.); Kohlrausch/Lange, Vorbem § 51 Anm. II 2 (S. 191 f.); Lenckner, GA 1961, S. 299 (303); Schröder, H., JR 1962, S. 187 (188 f.). Einschränkend Dencker, JuS 1979, S. 779 (782 f.); Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 23; Schönke/Schröder-ders./Perron, § 32 Rn. 61; Stuckenberg, JA 2001, S. 894 (902 f.). 252 Erstmals ist der Begriff actio illicita in causa wohl im Jahr 1927 verwendet worden; näher Hruschka, AT, S. 381 ff. 253 Teilweise wurde die actio illicita in causa als Unterfall der actio libera in causa behandelt oder als „quasi-actio libera in causa“ bezeichnet (z.B. von Baier, Verschuldete Notwehrlage, S. 25 ff.; Goldschmidt, JW 1922, S. 252 [256]). 254 Baumann, MDR 1962, S. 349 (349 f.); Küper, Verschuldeter rechtfertigender Notstand, S. 43; Lenckner, GA 1961, S. 299 (303); Schröder, H., JR 1962, S. 187 (188). Kritisch hierzu Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 156 ff., 160 ff. 255 Stuckenberg, JA 2001, S. 894 (901).

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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Angriffsprovokation, bei welcher der provozierende Verteidiger mit dem provozierten Angreifer interagiert und eine psychisch vermittelte Kausalität der Provokation für den späteren Angriff sowie des Angriffs für die darauf folgende Abwehr zu bejahen sein wird,256 fehlt es bei der Abwehrprovokation jedoch an einem vorgelagerten Kontakt zwischen Angreifendem und Abwehrendem.257 Der spätere Notwehrübende, der sich vorsorglich mit Waffen ausgerüstet hat, mag zwar dadurch eine Ursache für einen Abwehrerfolg setzen, der mit schweren Verletzungen des Aggressors verbunden ist. Den freien Entschluss des Aggressors zum späteren Angriff beeinflusst die Bewaffnung hingegen in keiner Weise. Daher vermag die Abwehrprovokation dem Verteidiger auch keine Herrschaft über das spätere Tatgeschehen zu vermitteln. Der Angreifer hat es vielmehr im vollen Umfang selbst in der Hand, ob und gegebenenfalls wie er die Notwehrsituation auslöst; der sich vorsorglich bewaffnende spätere Verteidiger kann demzufolge kein Täter eines Vorsatzdeliktes sein.258 Ferner verursacht der Notwehrübende allein durch seine Bewaffnung weder den Angriff noch die damit verbundene Verteidigungshandlung als solche. Auch fehlt es an einer für die Zurechnung des Abwehrerfolges notwendigen ununterbrochenen Kette unerlaubter Zustände.259 Der Angriff bleibt letztlich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Angreifers, die dem Sich-Bewaffnenden nach allgemeinen Regeln der Zurechnung nicht angelastet werden kann.260 Doch auch im Übrigen kann die Konstruktion einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach den Grundsätzen der actio illicita in causa nicht überzeugen. So wirkt es widersprüchlich, dass der Täter einerseits zwar im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung gerechtfertigt sein soll, andererseits aber auf einem ___________ 256

Eisele, NStZ 2001, S. 416 (417); Kühl, AT, § 7 Rn. 243; Schönke/SchröderLenckner/Perron, § 32 Rn. 61; Mitsch, GA 1986, S. 533 (543); Stuckenberg, JA 2001, S. 894 (901 Fn. 126). 257 Vgl. dazu bereits die Ausführungen zur Angriffsprovokation unter B. II. 2. a) ab S. 289 in diesem Kapitel. 258 Zur parallelen Problematik in den Fällen der Angriffsprovokation vgl. Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 163; Bockelmann, FS Honig, S. 19 (27); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 203; Joecks, § 32 Rn. 26; Kühl, AT, § 7 Rn. 243; Roxin, ZStW 75 (1963), S. 541 (551). Ferner Motsch, Notwehrexzess, S. 86 ff., 90. 259 Vgl. Engländer, Jura 2001, S. 534 (537 f.); Stuckenberg, JA 2001, S. 894 (902). Zum sog. Durchgängigkeitserfordernis vgl. Puppe, Erfolgszurechnung im Strafrecht, S. 103 ff. 260 Vgl. NK-Herzog, § 32 Rn. 119: Den Sich-Bewaffnenden trifft „an der konkreten Entstehung der Notwehrlage kein Vorwurf“. – Dies erkennen mittlerweile auch einige Vertreter der actio illicita in causa ausdrücklich an. Sie wollen daher die Anwendung dieses Rechtsinstitutes auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen die vorwerfbare Provokation zu einem nicht mehr willensmangelfreien Entschluss des späteren Angreifers geführt hat. Vgl. Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 32 Rn. 61; Stuckenberg, JA 2001, S. 894 (902 f.).

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

„konstruktiv … verwirrenden Umweg“261 strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden soll. Die Provokationshandlung kann nicht als rechtswidrig qualifiziert werden, wenn sie auf die Ermöglichung einer rechtmäßigen Verteidigungshandlung abzielt.262 Es vermag nicht zu überzeugen, dass eine rechtswidrige Tat durch rechtmäßige Akte desselben Täters vollendet werden kann.263 Derselbe Erfolg kann nicht zugleich – als Vollendung der Notwehr – gerechtfertigt und – als Folge des unerlaubten Vorverhaltens – rechtswidrig sein.264 Ferner überlastet die mit der actio illicita in causa konstruierte Strafbarkeit die Garantiefunktion des gesetzlichen Tatbestandes.265 Derjenige, der die Polizei oder eine andere staatliche Institution nicht um Hilfe bittet, erfüllt ebenso wenig wie ein Angriffsprovokateur durch das – gegebenenfalls provozierende – Vorverhalten den Tatbestand des in der Notwehrsituation begangenen Deliktes. Durch das Unterlassen einer frühzeitigen Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe wird der spätere Angreifer beispielsweise weder körperlich misshandelt noch an seiner Gesundheit geschädigt. Mit der vorgelagerten (Provokations-)Handlung will ein Provokateur vielmehr allenfalls die Gelegenheit für die Ausführung der Verletzungshandlung schaffen.266 Für die Strafbarkeit eines (Angriffs- oder Abwehr-) Provokateurs findet sich somit im Gesetz keinerlei Grundlage, so dass ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG zu bejahen ist.267 Daher ist die Lehre von der actio illicita in causa abzulehnen.268 ___________ 261

Roxin, AT 1, § 15 Rn. 68. Bockelmann, FS Honig, S. 19 (25 ff.); MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 203; SKGünther, § 32 Rn. 122; NK-Herzog, § 32 Rn. 125; Hruschka, JR 1979, S. 125 (127); Kühl, AT, § 7 Rn. 243; Marxen, Sozialethische Grenzen, S. 57 f.; Roxin, ZStW 93 (1981), S. 68 (92); Schünemann, B., JuS 1979, S. 275 (280); LK11-Spendel, § 32 Rn. 291; Werle, JuS 1986, S. 902 (904). 263 Hruschka, JR 1979, S. 125 (127). 264 MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 203; Roxin, ZStW 75 (1963), S. 541 (550); ders., ZStW 93 (1981), S. 68 (92). Anders Küper, Verschuldete rechtfertigender Notstand, S. 45 ff. Kritisch auch Freund, AT, § 4 Rn. 40 Fn. 42. 265 Hruschka, JR 1979, S. 125 (127); Schünemann, B., JuS 1979, S. 275 (280). 266 Bitzilekis, Einschränkungen des Notwehrrechts, S. 157; Kühl, AT, § 7 Rn. 243; Küper, Verschuldeter rechtfertigender Notstand, S. 59 ff.; Werle, JuS 1986, S. 902 (904). – Zugestanden wird von den Befürwortern der actio illicita in causa daher, dass diese Rechtsfigur nur bei den Erfolgsdelikten, die keine spezifische Handlungsbeschreibung aufweisen, anwendbar sei, vgl. Dencker, JuS 1979, S. 779 (782 f.); Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 23; Schönke/Schröder-ders./Perron, § 32 Rn. 61. Zur Parallelproblematik bei der actio libera in causa vgl. BGHSt 42, 235 (239 ff.). 267 NK-Herzog, § 32 Rn. 125; NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 147. Zur Bedeutung des Art. 103 Abs. 2 GG für den Allgemeinen Teil des Strafrechts vgl. auch die Ausführungen unter D. II. 1. ab S. 155 im 2. Kapitel. 268 Vgl. BGH, NStZ 1983, 452 (453); 1988, 450 (451); 1989, 113 (114), MDR 1992, 69 (70); NK-Herzog, § 32 Rn. 125; NK-Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rn. 147. – Proble262

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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Die bereits angeführten Überlegungen zum fehlenden Zusammenhang zwischen frei- und eigenverantwortlichem Angriff sowie der vorsorglichen Bewaffnung stehen ebenfalls einer Einschränkung des Notwehrrechts in den Fällen der Abwehrprovokation entgegen. Aufgrund der eigenverantwortlichen Handlung des Angreifers kann dem Verteidiger der Angriff nicht zugerechnet werden. Die vorsorgliche Bewaffnung ist nicht einmal ursächlich für die konkrete Konfliktlage. Hat der Notwehrübende aber an der konkreten Entstehung der Notwehrlage keinerlei Anteil, so dürfen dessen Notwehrbefugnisse nicht über die im Gesetz verankerten Grenzen hinaus beschränkt werden.269 Allein der Hinweis auf einen „schalen Beigeschmack von (überflüssiger) Selbstjustiz“270 kann das Notwehrrecht desjenigen, der staatliche Schutzangebote im Vorfeld einer Auseinandersetzung nicht in Anspruch nimmt, jedenfalls nicht eingrenzen. Zwar erscheint es durchaus fragwürdig, ob man jemanden, der sich vernünftigerweise nicht auf eine Auseinandersetzung einlässt und stattdessen einem Angriff ausweicht oder fremde Hilfe in Anspruch nimmt, als feige bezeichnen kann.271 Da sich aber weder eine Pflicht zum Ausweichen noch eine Pflicht zur vorsorglichen Inanspruchnahme fremder Hilfe aus dem Gesetz ergibt, kann ein gegenteiliges Verhalten dem späteren Verteidiger nicht zum Nachteil gereichen. Ausnahmsweise mag man vielleicht in den Fällen, in denen bereits die vorsorgliche Bewaffnung – z.B. wegen Verstoßes gegen §§ 51 f. WaffG – verboten war und kumulativ mit der Absicht zusammentrifft, den Angreifer möglichst schwer zu verletzen oder sogar zu töten, eine Einschränkung des Notwehrrechts in Be___________ matisch ist in diesem Zusammenhang die Einordnung einer Entscheidung des BGH vom 22.11.2000, NStZ 2001, 143. Auch in diesem Urteil lehnt der BGH zwar die Rechtsfigur der actio illicita in causa noch pro forma ab, BGH, NStZ 2001, 143 (144). Doch soll dies einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nicht entgegenstehen. Da dieselbe Handlung nicht zugleich rechtmäßig und rechtswidrig sein kann, vermögen zwar die mit einer zulässigen Verteidigung verbundenen Gefahren keinen Fahrlässigkeitsvorwurf zu begründen. Entsprechend den allgemeinen Regeln der Fahrlässigkeitstat könne für diesen Vorwurf jedoch auf ein vor der Verteidigungshandlung liegendes rechtswidriges Verhalten abgestellt werden, BGH, NStZ 2001, 143 (145). Damit erkennt der BGH freilich die der actio illicita in causa zugrunde liegende Vorverlagerungsstruktur an. Vgl. dazu auch Eisele, NStZ 2001, S. 416 (417); Mitsch, JuS 2001, S. 751 (755). Ablehnend Engländer, Jura 2001, S. 534 (537 f.); MünchKommStGB-Erb, § 32 Fn. 475; Roxin, JZ 2001, S. 667 (668). 269 NK-Herzog, § 32 Rn. 119: „sowohl Individualschutz- als auch Rechtsbewährungsinteresse [erfordern] die Anerkennung eines vollumfänglichen Notwehrrechts, da das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht.“ Ebenso Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 24b; SK-Günther, § 32 Rn. 126. Vgl. auch BGH EzSt StGB § 32 Nr. 5, 6; BGH, NJW 1980, 2263 (2263 f.); NStZ 1983, 452 (453); MDR 1989, 492; NStZ-RR 1999, 40 (41). 270 Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (318). 271 Bernsmann, ZStW 104 (1992), S. 290 (319). Anders hingegen BGH, NJW 1980, 2263.

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

tracht ziehen.272 Dennoch können allein mit dieser Erwägung die Verteidigungsbefugnisse desjenigen, der bewusst auf fremde Hilfe verzichtet, nicht beschränkt werden. Schließlich hat sich auch der Verteidiger, der sich unabhängig von seiner sonstigen Motivation seinem Angreifer selbst stellen will, nicht rechtswidrig bewaffnet. Ebenso wenig wie auf den Gedanken der Angriffsprovokation kann eine Einschränkung des Notwehrrechts in der hier diskutierten Konstellation auf die Figur der sog. Abwehrprovokation gestützt werden. Weder ist dieses Rechtsinstitut in der Lage, eine Einschränkung des Notwehrrechts überhaupt zu begründen, noch kann es auf den Verzicht einer Inanspruchnahme fremder Hilfe übertragen werden. Derjenige, der auf fremde Hilfe verzichtet, rüstet gerade nicht auf; aus dem unterbliebenen „Abrüsten“ in Form einer Inanspruchnahme hoheitlicher Schutzmaßnahmen kann ihm mangels entsprechender Verpflichtung kein strafrechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden.

c) Übertragbarkeit des Gedankens der zumutbaren Hinnahme einer selbst verursachten Gefahr, § 35 Abs. 1 S. 2 1. Alt. StGB Ähnlich wie die beiden soeben diskutierten Formen der Notwehrprovokation knüpft auch der Zumutbarkeitsklausel des § 35 Abs. 1 S. 2 1. Alt. StGB an ein dem Täter vorwerfbares Vorverhalten an. So bestimmt diese Norm, dass dem Täter die Hinnahme einer Gefahr ausnahmsweise dann zugemutet werden kann, wenn er diese selbst verursacht hat, und verwehrt ihm in derartigen Fällen die Möglichkeit, sich auf den Entschuldigenden Notstand zu berufen. Fraglich ist, ob der Gedanke, der dieser Ausnahmeregel zugrunde liegt, auf die eingangs dargestellte Konstellation übertragbar ist. Zunächst ist in diesem Zusammenhang zu klären, ob derjenige, der hoheitliche Hilfe nicht präventiv in Anspruch nimmt und dadurch einen bevorstehenden Angriff Dritter nicht verhindert – oder besser: durch die staatlichen Organe verhindern lässt –, die mit dem späteren Angriff einhergehende Gefahr für ein eigenes Rechtsgut selbst verursacht hat. Wann eine Gefahr im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 2 1. Alt. StGB durch den Täter selbst verursacht wurde, ist umstritten. Weitgehende Einigkeit besteht zwar dahingehend, dass die gesetzliche Formulierung zu weit geraten ist und ein bestehender Kausalzusammenhang allein noch nicht zu einem Ausschluss des Entschuldigungsgrundes führen soll.273 Schließlich ___________ 272

MünchKommStGB-Erb, § 32 Rn. 210. Eser/Burkhardt, Strafrecht 1, Fall 18 Rn. 28 (S. 214 f.); LK11-Hirsch, § 35 Rn. 50; Hruschka, AT, S. 282, 285 f.; Jescheck/Weigend, AT, S. 485; Kühl, AT, § 12 Rn. 62; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 35 Rn. 20; MünchKommStGB-Müssig, 273

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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stellt die bloße Verursachung einer Notstandslage einen völlig wertfreien und für die Schuldfrage irrelevanten Umstand dar.274 Ansonsten müsste auch demjenigen die Möglichkeit der Entschuldigung nach § 35 Abs. 1 S. 1 StGB verwehrt bleiben, der durch eine völlig neutrale Äußerung den Angriff eines unerkennbar Geisteskranken provoziert275 oder der sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage im Ermittlungsverfahren gegen eine mafiaähnlich organisierte Vereinigung in Lebensgefahr gebracht hat und deshalb aus Angst um sein Leben in der Hauptverhandlung lügt.276 Auch knüpft der Gesetzeswortlaut nicht allein an die Kausalität an, sondern an eine qualifizierte Verursachung der Gefahr. Entscheidend ist hiernach, ob dem Täter die Hinnahme der Gefahr wegen der eigenen Verursachung zugemutet werden kann.277 Eine verbreitete Ansicht will das Kriterium der zumutbaren Hinnahme nur dann bejahen, wenn sich der Täter objektiv pflichtwidrig verhalten hat.278 Einige Stimmen in der Literatur fordern darüber hinaus auch eine subjektiv pflichtwidrige oder schuldhafte Herbeiführung der Notstandssituation durch den Täter.279 Andere differenzieren danach, ob die Gefahrverursachung auf Ingerenz zurückzuführen ist,280 stellen auf den Einzelfall281 oder aber auf die „Zuständigkeit des Täters für den Grund der Notstandslage“282 ab. Da Begriffe wie „pflichtwidrig“ oder „schuldhaft“ zur Lösung dieses Problems nichts Entscheidendes beitragen können und auch die Selbstgefährdung nicht verboten sei, will es eine letzte Ansicht genügen lassen, dass sich ___________ § 35 Rn. 46; NK-Neumann, § 35 Rn. 34; Otto, AT, § 14 Rn. 12; Roxin, AT 1, § 22 Rn. 44; SK-Rudolphi, § 35 Rn. 15; Timpe, JuS 1985, S. 35 (36 f.); Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 23 Rn. 27; LK12-Zieschang, § 35 Rn. 49. Anders Stree, JuS 1973, S. 461 (470), der allerdings die gesetzliche Regelung des § 35 Abs. 1 S. 2 für verfehlt hält. 274 Kühl, AT, § 12 Rn. 62; NK-Neumann, § 35 Rn. 34; SK-Rudolphi, § 35 Rn. 15. 275 Vgl. SK-Rudolphi, § 35 Rn. 15. 276 Vgl. Ebert, AT, S. 108; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 35 Rn. 20; NKNeumann, § 35 Rn. 34; Roxin, AT 1, § 22 Rn. 44. 277 Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 35 Rn. 20; Roxin, AT 1, § 22 Rn. 45. 278 LK11-Hirsch, § 35 Rn. 49 ff.; Maurach/Zipf, AT 1, § 34 Rn. 5; Rudolphi, ZStW 78 (1966), S. 67 (83 f.); SK-ders., § 35 Rn. 15; Wessels/Beulke, AT, Rn. 441; LK12-Zieschang, § 35 Rn. 49. Vgl. auch RGSt 36, 334 (340 f.). 279 Ebert, AT, S. 108; Jescheck/Weigend, AT, S. 485; Köhler, AT, S. 338; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 35 Rn. 20. 280 Während eine Pflichtbegründung durch Ingerenz keine Gefahrverursachung im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 2 1. Alt. StGB darstellen soll, komme es in den übrigen Fällen darauf an, ob die Kollisionslage durch den Täter schuldhaft herbeigeführt wurde, Blei, AT 118, § 61 II 1. a) (S. 209). Zu den Gesetzgebungsmaterialien vgl. auch ders., JA 1975, S. 307 (311). 281 Tröndle/Fischer, § 35 Rn. 10 ff., 14. 282 Jakobs, AT, 20. Abschn. Rn. 16; MünchKommStGB-Müssig, § 35 Rn. 40; Timpe, JuS 1985, S. 35 (38).

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

der Täter „ohne zureichenden Grund in eine Gefahr begeben hat, die voraussehbarerweise zu einer Notstandslage führen konnte“283. Verletzt der Täter also die Obliegenheit zum Selbstschutz, so soll er nach dieser Auffassung das Notstandsprivileg verlieren.284 Unabhängig davon, welche der obigen Ansichten man in diesem Streitstand für überzeugend hält, wird man aber immer die Frage beantworten müssen, ob der Notstandstäter die eigenen Rechtsgüter durch ein ihm zurechenbares Verhalten in die Konfliktlage gebracht hat.285 Die Beantwortung dieser Frage wird regelmäßig davon abhängen, ob es sich um eine Naturgefahr handelt oder ob die Gefahr von einer anderen Person ausgeht.286 Letzteres ist in der hier problematisierten Konstellation der Fall: Da hoheitliche Hilfe nicht vorsorglich in Anspruch genommen wurde, konnte ein bevorstehender Angriff eines Dritter und die damit verbundene Gefährdung der körperlichen Integrität oder sogar des Lebens desjenigen, der auf die fremde Hilfe verzichtet hat, nicht verhindert werden. Durch sein Unterlassen hat der Angegriffene zwar die Gefahr für seine Rechtsgüter im weitesten Sinne mitverursacht. Im Übrigen gilt aber das bereits im Rahmen der Auseinandersetzung mit der sog. Abwehrprovokation Geschriebene entsprechend: Der Verzicht auf die Inanspruchnahme fremder Hilfe beeinflusst den freien Entschluss des Angreifers zur Gefährdung der Rechtsgüter des Verteidigers in keiner Weise. Allein der Angreifer hat es in vollem Umfang selbst in der Hand hat, ob und gegebenenfalls wie er die Gefahrenlage auslöst. Der Angriff bleibt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Angreifers, die dem Verteidiger nach allgemeinen Regeln der Zurechnung nicht angelastet werden kann. Derjenige, der auf fremde Hilfe verzichtet, und deshalb von einem Dritten angegriffen wird, hat folglich die Notstandslage nicht selbst verursacht.287 Dieses Ergebnis entspricht im Übrigen auch dem Charakter des § 35 Abs. 1 S. 2 1. Alt. StGB. Schließlich geht es in dieser Norm nicht um die Hervorrufung ___________ 283

Roxin, AT 1, § 22 Rn. 46 f. Kühl, AT, § 12 Rn. 63; Lackner/ders., § 35 Rn. 8; Otto, AT, § 14 Rn. 12; NKNeumann, § 35 Rn. 35 f.; Roxin, AT 1, § 22 Rn. 46; ders., JA 1990, S. 137 (139); Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 23 Rn. 27. Vgl. auch Hruschka, AT, S. 287 f. Im Ergebnis ähnlich Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 35 Rn. 20. 285 MünchKommStGB-Müssig, § 35 Rn. 40; Roxin, AT 1, § 22 Rn. 46; Timpe, JuS 1985, S. 35 (36). 286 Roxin, AT 1, § 22 Rn. 46. 287 Die Rechtsprechung geht in den ähnlich gelagerten sog. Tyrannenmord-Fällen davon aus, dass trotz eines Verharrens in der lebensbedrohlichen Situation die vom Familientyrannen ausgehende (Dauer-)Gefahr durch das Opfer nicht selbst verursacht wurde, obwohl diese Gefahr beispielsweise durch Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe anders abwendbar gewesen wäre. Vgl. BGHSt 48, 255 (259 f.); OLG Oldenburg, NJW 1988, 3217. Ferner Hillenkamp, JZ 2004, S. 48 (51). 284

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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einer Fremdgefährdung, sondern um die einer Selbstgefährdung. Nur dann, wenn der in der Notstandslage zu Tage tretende Konflikt wegen des Vorverhaltens des Täters seinem eigenen Verantwortungsbereich entspringt, soll eine Entschuldigung gem. § 35 Abs. 1 S. 1 StGB nicht in Betracht kommen.288

d) Bindung des Notwehrübenden an die Schranken hoheitlichen Handelns Eine Einzelmeinung in der Literatur schlägt schließlich vor, „denjenigen an die Schranken hoheitlichen Handelns zu binden, der jenseits der Notrechte polizeiliche Aufgaben an sich zieht und dabei in eine Notsituation gerät.“289 Wegen des Gewaltmonopols stehe es dem Einzelnen nicht zu, die in den Aufgabenbereich des Staates fallende Ausübung von Gewalt an sich zu reißen. Wer dennoch das Subsidiaritätsprinzip unterlaufe, indem er auf die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe verzichtet, um sich selbst dem Angreifer stellen zu können, dürfe dem Angriff in der späteren Konfliktlage nicht mit nachteiligeren Maßnahmen begegnen als solchen, die ein anwesender Polizeibeamter zum Rechtsgüterschutz vorgenommen hätte. Eine solche „Bindung des Notwehrübenden an die Schranken hoheitlichen Handelns“ käme allerdings nur dann in Betracht, wenn man dem Hoheitsträger entweder die Berufung auf allgemeine Rechtfertigungsgründe versagt oder wenn man dessen Notrechte durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip beschränkt. Doch auch losgelöst von dieser Vorfrage290 ist kein Grund dafür ersichtlich, den Notwehrübenden an die Schranken hoheitlicher Gewalt zu binden. Allein die Tatsache, dass der spätere Verteidiger im Vorfeld einer bevorstehenden Auseinandersetzung hoheitliche Hilfe nicht herbeigeholt hat, kann ihm nicht vorgeworfen werden. Zwar mag es durchaus vernünftig sein, die primär für die Abwehr von Gefahren zuständigen Polizeibeamten in Anspruch zu nehmen, da diese aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung regelmäßig besser auf mögliche Konfliktsituationen und deren Bewältigung vorbereitet sind. Auch mag die eigenhändige Abwehr eines Angriffs mit Gefahren – nicht nur – für die Rechtsgüter des Verteidigers verbunden sein, die dieser im Vorfeld der Auseinandersetzung noch gar nicht zu überblicken vermochte. Wie bereits oben dargestellt wurde, ist das Opfer einer bevorstehenden Straftat jedoch nicht dazu verpflichtet, abwesende Hoheitsträger von einem drohenden Angriff zu unterrichten, um diesen ___________ 288

Timpe, JuS 1984, S. 859 (862); Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 23 Rn. 27. Hillenkamp, JuS 1994, S. 769 (774), Hervorhebungen im Original. 290 Vgl. dazu bereits die Ausführungen unter A. II. 2. a) bb) (4) ab S. 267 in diesem Kapitel. 289

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

dadurch den Schutz des gefährdeten Rechtsgutes zu übertragen.291 Das Unterlassen der Information oder der Verzicht auf die präventive Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe kann man dem sich später Verteidigenden folglich nicht zum Vorwurf machen. Insbesondere „usurpiert“ derjenige durch sein bloßes Nichtstun keine polizeilichen Aufgaben, der mangels einer dazu bestehenden Verpflichtung Polizeibeamte nicht vorsorglich herbeiholt und deshalb in eine vom Angreifer herbeigeführte Notsituation gerät, in welcher er sich dann des Angriffs erwehren muss.292 Eine Einschränkung der Notwehrbefugnisse des Angegriffenen durch Schranken hoheitlichen Handelns, insbesondere die Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip, ist daher nicht sachgerecht. Vielmehr kann das Subsidiaritätsprinzip allenfalls in Fällen präsenter staatlicher Hilfe Einfluss auf die Notwehrbefugnisse des Angegriffenen in einer konkreten Konfliktsituation haben.293

3. Erklärungsansatz für BGHSt 39, 133 Wie dargestellt wurde, ist in dem bloßen Verzicht auf die präventive Inanspruchnahme fremder, insbesondere staatlicher Hilfe kein vorwerfbares Vorverhalten zu erblicken, das eine Beschränkung oder gar einen vollständigen Ausschluss des Notwehrrechts begründen könnte. Wie ist nun aber die Entscheidung des 3. Strafsenates vom 3. Februar 1993294 mit diesem Ergebnis in Einklang zu bringen? Betrachtet werden soll in diesem Zusammenhang zunächst ein Beschluss desselben Senates vom 15. November 1994.295 In Anlehnung an BGHSt 39, 133 stellte das erstinstanzlich zuständige Landgericht Görlitz fest, dass der Schuss des Angeklagten nicht durch Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt sei. Da der Angeklagte absichtlich die Benachrichtigung der Polizei unterlassen habe und sich persönlich den Angreifern gestellt habe, sei ein gezielter Schuss zur Abwendung eines Angriffs weder erforderlich noch geboten gewesen.296 Auch eine Überschreitung der Notwehr komme vorliegend nicht in Betracht, weil sich der Angeklagte trotz Kenntnis vom bevorstehenden Angriff „offenen Auges“ und ___________ 291

Vgl. dazu die Ausführungen unter B II. 1. a) ab S. 282 in diesem Kapitel. Anders hingegen Hillenkamp, JuS 1994, S. 769 (774). 293 Ebenso Blei, AT12, Fall 79, S. 67; Lesch, StV 1993, S. 578 (582); ders., Notwehrrecht und Beratungsschutz, S. 62. 294 BGHSt 39, 133. Vgl. dazu auch die Ausführungen unter B. II. 2. b) ab S. 81 im 1. Kapitel. 295 BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 6. Vgl. auch zu dieser Entscheidung die Ausführungen unter B. II. 2. b) ab S. 85 im 1. Kapitel. 296 LG Görlitz, Urteil vom 27.4.1994 – 1 Ks 137 Js 11318/93 –, S. 19 f. 292

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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planvoll auf die Auseinandersetzung eingelassen habe, um mit eigenen Mitteln die Oberhand über seine Gegner zu gewinnen und die für die Konfliktlösung zuständige und erreichbare Polizei zu umgehen.297 Der 3. Strafsenat folgte diesem Begründungsansatz jedoch nicht und führte stattdessen aus, dass Landgericht habe die Tragweite von BGHSt 39, 133 verkannt. Eine Rechtfertigung durch Notwehr könne nicht schon deshalb ausgeschlossen werden, weil der Verteidiger „davon abgesehen hatte, vorsorglich die Polizei zu rufen“.298 Auch werde „die Anwendbarkeit des § 33 StGB nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß sich der Angegriffene dem Angriff durch … vorsorgliche Einschaltung der Polizei hätte entziehen können“.299 Grund für die Versagung des § 33 StGB in BGHSt 39, 133 sei hingegen gewesen, dass die Angeklagten bereits „vor Beginn des rechtswidrigen Angriffs und außerhalb des von Angreifern vorgesehenen Tatortbereichs auf öffentlicher Straße [die bewaffnete Auseinandersetzung] gesucht [hatten], um … den erwarteten Angriffen zuvorzukommen“.300 Insofern stellt der 3. Strafsenat selbst klar, dass der Gedanke einer Subsidiarität privater Selbstverteidigung gegenüber abwesender staatlicher Gewalt nicht verallgemeinerungsfähig sei, da es eine allgemeine Pflicht zur präventiven Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe nicht gebe.301 Allein mit der Begründung, der Täter habe bewusst den Vorrang staatlicher Hilfe umgangen, lässt sich folglich eine Versagung des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr sowie des in § 33 StGB normierten Notwehrexzesses nicht begründen.302 Wie die obigen Ausführungen zeigen, kann aber auch im Einzelfall allein die bewusste Umgehung des Vorrangs staatlicher Hilfe mit dem Ziel, „den ‚Krieg‘ mit dem Gegner selbst auszutragen“,303 weder zu einem Ausschluss noch zu einer Beschränkung der §§ 32 f. StGB führen. Nicht beantwortet ist damit jedoch die Frage, ob eine Rechtfertigung oder Entschuldigung des tödlichen Schusses des N in dieser Entscheidung des BGH aus anderen Gründen zu versagen ist.304 ___________ 297 LG Görlitz, Urteil vom 27.4.1994 – 1 Ks 137 Js 11318/93 –, S. 20 f. mit einem Verweis auf BGHSt 39, 133 (139 f.). 298 BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 6. 299 BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 6. 300 BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 6. Dem 3. Senat folgend LG Görlitz, Urteil vom 11.7.1995 – 3 Ks 137 Js 11318/93 –, S. 15 ff., 17 f. 301 Vgl. Schmidt, T., JuS 1995, S. 555 (556). 302 BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 6; Lesch, StV 1993, S. 578 (583). 303 BGHSt 39, 133 (140). 304 Die dem tödlichen Schuss vorangegangene Nötigung ist mangels einer bestehenden Notwehrlage in Form eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs offensichtlich nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt. Auch eine Rechtfertigung nach § 34 StGB greift nicht, da die Gefahr für den Täter durch das Herbeiholen obrigkeitlicher Hilfe anders abwendbar war. Vgl. insoweit auch BGHSt 39, 133 (136 f.). Ob die Nötigung hingegen auch wegen der Missachtung des Vorrangs staatlicher Zwangsmittel im Sinne des § 240

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4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

Für die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens sind dabei die Umstände in der konkreten Konfliktsituation maßgeblich. Verneint man mit dem Bezirksgericht Dresden in der vorliegenden Notwehrlage die Erforderlichkeit des tödlich wirkenden Schusses in den Kopf des Angreifers, weil dem N trotz der Gesamtsituation auch mit einem gezielten Schuss in die Beine des Gegners eine Abwendung des Angriffs möglich gewesen wäre,305 bleibt zu klären, ob dieser Schuss eine entschuldigte Überschreitung der Grenzen der Notwehr darstellt. Gemäß § 33 StGB wird nicht bestraft, wer die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet; irrelevant ist in diesem Zusammenhang, ob dies bewusst oder unbewusst geschieht.306 Das Bezirksgericht Dresden stellte eine solche, auf der Furcht um sein eigenes Leben beruhende Ausnahmesituation des Angeklagten fest.307 Der 3. Senat hingegen verneinte das Vorliegen einer auf asthenischen Affekten beruhenden Schwäche des Angegriffenen. Die Ursache für den Exzess sei vielmehr auf den früher gefassten Entschluss, unter Ausschaltung der Polizei „den ‚Krieg‘ mit dem Gegner selbst auszutragen“, zurückzuführen.308 Damit knüpft der BGH aber nicht mehr an die asthenischen Motive im Exzesszeitpunkt an, sondern wählt ohne nähere Erläuterung einen Anknüpfungspunkt, der zeitlich vor der maßgeblichen Auseinandersetzung liegt. Insoweit geht es dem Senat nicht mehr um eine Einschränkung des tatbestandlich vorliegenden § 33 StGB, sondern um die Begründung eines Ausschlusses des tatbestandlichen Anwendungsbereiches dieser Norm.

___________ Abs. 2 StGB als verwerflich zu charakterisieren ist, erscheint zumindest zweifelhaft. Dafür BGHSt 39, 133 (137); Roxin, NStZ 1993, S. 335. Dagegen Arzt, JZ 1994, S. 314 (314 f.); Lesch, StV 1993, S. 578 (580). Kritisch Otto, JK 1994, StGB § 32/19. – Bereits den tatbestandlichen Nötigungserfolg mangels „Verlustes rechtlich allgemein anerkannter Freiheit“ verneint Lesch, StV 1993, S. 578 (579 f.). Ebenso SK-Horn/Wolters, § 240 Rn. 3; Hummler, Staatliches Gewaltmonopol und Notwehr, S. 47; Jakobs, GedS H. Kaufmann, S. 791 (797, 799); Timpe, Nötigung, S. 27 ff. 305 BezG Dresden, Urteil vom 26.3.1992 – 2 Ks 14 Js 5780/91 –, S. 25, 68 f. 306 So die h.M.: RGSt 21, 189 (191); 56, 33 (34); BGHSt 39, 133 (139); BGHR StGB § 33 Furcht 1, Nothilfe 1; BGH, NStZ 1987, 20; 1989, 474 (475); 1995, 76 (77); NK-Herzog, § 33 Rn. 24; LK11-Hirsch, Vor § 32 Rn. 203; Jakobs, AT, 20. Abschn. Rn. 30; Jescheck/Weigend, AT, S. 492; Kühl, AT, § 12 Rn. 148; Lackner/ders., § 33 Rn. 3; Maurach/Zipf, AT 1, § 34 Rn. 30; Motsch, Notwehrexzess, S. 78 f.; MüllerChristmann, JuS 1989, S. 717 (719); ders., JuS 1994, S. 649 (650); Otto, Jura 1987, S. 604 (606); Roxin, AT 1, § 22 Rn. 82; ders., FS Schaffstein, S. 105 (107 ff.); SK-Rudolphi, § 33 Rn. 4; Sauren, Jura 1988, S. 567 (570); LK11-Spendel, § 33 Rn. 52 ff.; Timpe, JuS 1985, S. 117; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 23 Rn. 46; LK12-Zieschang, § 33 Rn. 49 ff. A.A. Gropp, AT, § 7 Rn. 91; Schmidhäuser, Lehrbuch AT, 11. Kap. Anm. 33; Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 33 Rn. 6; Welzel, Strafrecht, S. 89. 307 BezG Dresden, Urteil vom 26.3.1992 – 2 Ks 14 Js 5780/91 –, S. 69 f. 308 BGHSt 39, 133 (140).

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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Sieht man einmal von den grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich einer Beschränkung von Notwehr und Notwehrexzess allein wegen des Vorwurfs ab, der Verteidiger habe bewusst auf die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe verzichtet, so stellt sich die Frage, ob ein Ausschluss des Anwendungsbereichs des § 33 StGB überhaupt überzeugend konstruiert werden kann. Eine analoge Anwendung des § 35 Abs. 1 S. 2 1. Alt. StGB kommt dafür jedenfalls nicht in Betracht.309 Anders als § 35 Abs. 1 S. 2 StGB kennt § 33 StGB gerade keine Klausel, die die Entschuldigung bei Gefahrverursachung einschränkt. Während im Anwendungsbereich von Notwehr und Notwehrexzess das Entstehen der Notwehrlage auf ein Verhalten des Angreifers zurückzuführen ist und dieser deshalb regelmäßig die Ausnahmesituation zu verantworten hat, geht § 35 Abs. 1 S. 1 StGB davon aus, dass sowohl Täter als auch Opfer zufällig in die Notstandssituation geraten sind.310 Verursacht der Täter hingegen die Gefahrenlage im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 2 1. Alt. StGB vorwerfbar, ist der Konflikt nicht bloß zufälliger Natur, sondern fällt in den Zuständigkeitsbereich des Notstandstäters. Somit ist der Verursacher der Notstandssituation für die eingetretene Rechtsgutsverletzung verantwortlich und eine Einschränkung der Entschuldigungsmöglichkeit des § 35 Abs. 1 S. 1 StGB berechtigt.311 Zwar ist im Bereich der Notwehr überwiegend anerkannt, dass die Befugnis zur Selbstverteidigung aus sozialethischen Gründen dann eingeschränkt oder sogar ausgeschlossen sein soll, wenn der spätere Notwehrübende durch sein Vorverhalten den Angriff provoziert.312 An der vorrangigen Verantwortlichkeit des Angreifers ändert diese Beschränkung der Verteidigungsbefugnisse jedoch zumindest in den Fällen der nicht absichtlichen Angriffsprovokation nichts. Steht dem Provokateur ein – wenn auch eingeschränktes – Verteidigungsrecht zu, besteht daher auch kein Anlass, ihm bei Überschreitung der Grenzen der Notwehr die Berufung auf § 33 StGB zu verwehren.313 Versagt man dem Provozierenden hingegen in den Fäl___________ 309

Anders aber Drescher, JR 1994, S. 423 (425 f.). Motsch, Notwehrexzess, S. 90 f. 311 Motsch, Notwehrexzess, S. 90 f. Vgl. auch Jakobs, AT, 12. Abschn. Rn. 49 ff.; Lesch, StV 1994, S. 578 (583); Müller-Christmann, JuS 1994, S. 649 (651); Otto, JK 1994, StGB § 32/19; Roxin, FS Schaffstein, S. 105 (123); ders., NStZ 1994, S. 335 (336). 312 Zum Streitstand hinsichtlich der Behandlung der sog. Angriffsprovokation vgl. die Ausführungen unter B. II. 2. a) ab S. 289 in diesem Kapitel mit den entsprechenden Nachweisen in Fn. 212, 214. 313 Arzt, JZ 1994, S. 314 (315); NK-Herzog, § 33 Rn. 25; Jescheck/Weigend, AT, S. 493; Kühl, AT, § 12 Rn. 151 f.; Maurach/Zipf, AT 1, § 34 Rn. 30; Motsch, Notwehrexzess, S. 90 f.; Müller-Christmann, JuS 1989, S. 717 (719 f.); ders., JuS 1994, S. 649 (652); Otto, JK 1994, StGB § 32/19; Roxin, AT 1, § 22 Rn. 93; ders., FS Schaffstein, S. 105 (122 f.); ders., NStZ 1993, S. 335 (336); SK-Rudolphi, § 33 Rn. 5; Sauren, Jura 1988, S. 567 (570). Im Ergebnis ebenso LK11-Spendel, § 33 Rn. 74; Renzikowski, FS Lenckner, S. 249 (264 f.). – Anders noch die ältere Rechtsprechung, die dem Exzeden310

310

4. Kap.: Angriffsabwehr durch staatliche Hilfe

len der sog. Absichtsprovokation das Notwehrrecht vollständig, bedarf es eines Rückgriffs auf den Gedanken des § 35 Abs. 1 S. 2 1. Alt. StGB nicht, um eine Entschuldigung nach § 33 StGB zu verneinen. Wäre eine Rechtfertigung des Angegriffenen nach § 32 StGB wegen seines provozierenden Vorverhaltens sogar dann ausgeschlossen, wenn er sich innerhalb der Grenzen der erforderlichen Notwehr verteidigt hätte, so kann bei einer Überschreitung dieser Grenzen § 33 StGB erst recht keine Anwendung finden.314, 315 In der hier diskutierten Entscheidung des 3. Strafsenates kann eine vorwerfbare Provokation des Angriffs jedoch weder darin erblickt werden, dass der spätere Notwehrübende sich nicht dem konkret geplanten Angriff entzogen hat, noch in dem Verzicht auf die Inanspruchnahme des Schutzes durch die zur Abwehr zuständigen staatlichen Organe.316 Auch darin, dass sich der N planmäßig auf die Auseinandersetzung eingelassen hat, indem er sich mit seinem Schrotgewehr den Jugendlichen entgegenstellte und dadurch den Angriff des So. veranlasste, ist jedenfalls keine Absichtsprovokation zu erblicken.317 Dem N ging es nicht darum, seinen Gegenüber zu einem Angriff zu verleiten, um ihn dann unter dem Deckmantel der Notwehr zu töten. Er wollte vielmehr die Jugendlichen vom bevorstehenden Übergriff auf sein Etablissement abbringen. Folglich besteht unter diesem Gesichtspunkt keinerlei Anlass, ihm den Entschuldigungsgrund des § 33 StGB zu verwehren.

III. Ergebnis Als Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass der Angegriffene in einer konkreten Kampflage grundsätzlich nicht dazu verpflichtet ist, abwesende staat___________ ten bereits dann die Entschuldigung nach § 33 StGB versagte, wenn dieser die Notwehrlage durch vorwerfbares Verhalten selbst ausgelöst hat, vgl. BGH, NJW 1962, 308 (309); OLG Hamm, NJW 1965, 1928 (1928 f.). 314 Arzt, JZ 1994, S. 314 (315); Haft/Eisele, Jura 2000, S. 313 (315); NK-Herzog, § 33 Rn. 25; Jescheck/Weigend, AT, S. 493; Kühl, AT, § 12 Rn. 151 f.; Müller-Christmann, JuS 1989, S. 717 (719); ders., JuS 1994, S. 649 (652); Roxin, AT 1, § 22 Rn. 93; ders., FS Schaffstein, S. 105 (122); ders., NStZ 1993, S. 335 (336); SK-Rudolphi, § 33 Rn. 5; Sauren, Jura 1988, S. 567 (570). Im Ergebnis ebenso Motsch, Notwehrexzess, S. 90. 315 Geht man hingegen davon aus, dass dem Provozierenden wegen der Eigenverantwortlichkeit des Angreifers selbst bei der Absichtsprovokation das Notwehrrecht nicht (vollständig) genommen wird (vgl. dazu die Nachweise in Fn. 212, 214 auf S. 290), muss konsequenterweise auch eine Entschuldigung nach § 33 StGB möglich sein. 316 Im Ergebnis ebenso Lesch, StV 1993, S. 578 (582); Müller-Christmann, JuS 1994, S. 649 (652). 317 Ebenso Arzt, JZ 1994, S. 314 (315); Haft/Eisele, Jura 2000, S. 313 (316); Kühl, AT, § 12 Rn. 153; Müller-Christmann, JuS 1994, S. 649 (652).

B. Zur Inanspruchnahme nicht präsenter staatlicher Hilfe

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liche Helfer herbeizuholen; dem Angegriffenen ist die sofortige Abwehr des Angriffs gestattet. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Angegriffene den Angriff selbst nicht sofort abwenden kann. Dann ist im Rahmen der Auswahl des relativ mildesten Verteidigungsmittels auch diejenige staatliche Hilfe zu berücksichtigen, die ohne zusätzliche zeitliche Verzögerung zur Abwehr des Angriffs angefordert werden kann. Eine über diese Ausnahme hinausgehende Verpflichtung des Angegriffenen zur Inanspruchnahme staatlicher Hilfe besteht nicht. Insbesondere kann dabei auch der Verzicht einer Inanspruchnahme hoheitlicher Hilfe im Vorfeld einer konkreten Konfliktlage nicht zu einer Beschränkung der Verteidigungsbefugnisse des Angegriffenen führen.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Muss das Opfer eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs unter bestimmten Voraussetzungen auf eine eigenhändige Abwehr des Angriffs verzichten und stattdessen die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen? – War eingangs eine pauschale Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von Notwehr und fremder Hilfe nicht möglich, so kann dieses Problem nunmehr differenziert beantwortet werden: Da § 32 StGB dem Opfer eines Angriffs kein Recht auf eine eigenhändige Klärung der Konfliktlage garantiert, muss der Angegriffene unter bestimmten Voraussetzungen die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen. Das Verteidigungspotential des Angegriffenen ist in einem solchen Fall mit dem des eigenverantwortlich handelnden Helfers zu addieren; die so begründete Verteidigungsgemeinschaft ist in ihrer Gesamtheit den üblichen Notwehrgrundsätzen unterworfen. Im Einzelnen bestehen jedoch Unterschiede zwischen einer Verteidigungsgemeinschaft aus Angegriffenem und privatem Helfer und einer solchen aus Angegriffenem und staatlichem Helfer. So begründet nicht schon die bloße Anwesenheit eines potentiellen privaten Helfers eine Verteidigungsgemeinschaft. Der Angegriffene ist vielmehr erst dann verpflichtet, das Verteidigungspotential Dritter bei der Auswahl der relativ mildesten Verteidigungsmaßnahme zu berücksichtigen, wenn deren Hilfsbereitschaft objektiv oder aber zumindest für ihn selbst erkennbar war. Aus dem Merkmal der Erforderlichkeit folgt, dass der Angegriffene im Übrigen nur dann auf eine eigenhändige Verteidigung verzichten und die fremde Hilfe in Anspruch nehmen muss, wenn die Verteidigungshandlung des Dritten zur Abwehr des Angriffs besser geeignet ist oder bei gleicher Eignung die mildere Maßnahme darstellt. Eine darüber hinausgehende Subsidiarität eigenhändiger Verteidigung kann weder unter sozialethischen Gesichtspunkten noch mit einem fehlenden Verteidigungswillen des Angegriffenen begründet werden. Einen generellen Vorrang fremder privater Hilfe gibt es somit nicht. Hoheitliche Hilfe muss der Angegriffene hingegen in Anspruch nehmen, wenn der Staat den Angriff besser oder ebenso gut wie er selbst abwehren kann, ohne dabei den Angreifer in einem stärkeren Maße zu schädigen. Um eine echte Subsidiarität privater Verteidigung gegenüber hoheitlichen Maßnahmen handelt es sich allerdings nur in den Fällen, in denen der Angegriffene den Angreifer in

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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gleichem Maße schädigen würde wie ein staatlicher Helfer. In diesen Konstellationen folgt aus dem staatlichen Gewaltmonopol, dass eine Selbstverteidigung nicht geboten ist, sofern die präsente staatliche Hilfe sich der Abwehr des Angriffs angenommen hat und einen optimalen Schutz des Angegriffenen gewährleisten kann. Entsprechendes gilt für den präsenten und eingriffsbereiten Nothelfer: Nur dann, wenn staatliche Helfer dem Angegriffenen eine ebenso gute Unterstützung bieten, wie es eine hilfsbereite Privatperson könnte, oder wenn der Staat den Angriff ebenso gut wie der Helfer abwehren kann, ohne dabei den Angreifer in einem stärkeren Maße zu schädigen, muss der private Nothelfer auf ein Eingreifen zugunsten des Angriffsopfers verzichten und den Vorrang staatlicher Gefahrenabwehr akzeptieren. Eine Pflicht zum Herbeiholen fremder Hilfe in einer konkreten Konfliktsituation besteht grundsätzlich nicht. Vielmehr darf der Angegriffene sich so verteidigen, wie es zu einer sofortigen Abwehr des Angriffs mit der größtmöglichen Sicherheit notwendig ist. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn auch der Angegriffene den Angriff mit eigenen Mitteln nicht sofort abwehren kann und fremde Hilfe eine optimale Verteidigung ohne zusätzliche zeitliche Verzögerung gewährleisten könnte. Das zukünftige Opfer eines Angriffs ist hingegen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dazu verpflichtet, sich bereits im Vorfeld eines drohenden Angriffs „in Wehr zu setzen“, indem es sich fremder, insbesondere staatlicher Unterstützung versichert. Der Verzicht auf eine solche präventive Inanspruchnahme fremder Hilfe führt weder zu einer Einschränkung noch zu einer vollständigen Versagung des Notwehrrechts.

Anlagen

I. Abschrift der Art. 139 f., 150 der Constitutio Criminalis Carolina1 Erstlich von rechter notwehr / wie die entschuldigt. CXXXIX. Welcher ein rechte notwehr / zu rettung seins leibs vnnd lebens thut / vnnd den jhenen / der jhn also benötigt in solcher notwehr entleibt / der ist darumb niemands nichts schuldig. Was ein rechte notwehr ist. CXL. So einer jemand mit einem tödtlichen waffen oder wehr vberlaufft / anficht oder schlecht / vnnd der benötigt kan füglich ohn fehrligkeyt oder verletzung / seines leibs / lebens / ehr vnd guten leumuts nicht entweichen / der mag sein leib vnd leben ohn alle straff durch ein rechte gegenwehr retten. Vnnd so er also den benötiger entleibt / ist er darumb nichts schuldig / ist auch mit seiner gegenwehr / biß er geschlagen wirdt zuwarten nicht schuldig / vnangesehen ob es geschriben Rechten vnd gewonheyten entgegen wer. Hernach werden etlich entleybung in gemeyn berürt / die auch entschuldigung auff jhn tragen mögen / so darinn ordenlicher weiß gehandelt wird. CL. Es seind sonst andere mehr entleibung / die etwo auß vnsträflichen vrsachen beschehen / so dieselben vrsachen recht vnd ordenlich gebraucht werden … Item / so einer zu rettung eines andern leib / leben oder gut jemandt erschlecht. Item / so leuth tödten / die jhr sinn nicht haben. Mehr / so einem jemand von Ampts wegen zufahen gebürt / der unzimlichen fräuenlichen vnd sorglichen widerstand thut / vnnd derselbig widersesig darob entleybet wurde. …

II. Abschrift der §§ I und X des Verbesserten Landrechts für das Königreich Preussen, Pars III, 6. Buch, Articulus XIV2 Pars III, 6. Buch, Art. XIV, § I … Diesemnach constituieren und wollen Wir / daß derjenige / welcher eine rechte Nohtwehre / zu Rettung seines Leibes und Lebens thut / und denjenigen / der ihn also

___________ 1 2

Zitiert nach Karl V., Constitutio Criminalis Carolina. Zitiert nach Friedrich Wilhelm, Verbessertes Landrecht des Königreichs Preussen.

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benöthiget / in solcher Nohtwehre entleibet / darum niemandes nichts schuldig seyn solle; Allermassen alle Rechte und Gesetze zulassen / daß ein jeder Gewalt mit Gewalt abtreiben möge. Deshalb ist er auch des Entleibten Erben oder Freunden keine Söhnung oder Abtrag zu thun schuldig. Derowegen / da der Thäter von dem Entleibten angegriffen / auch zur Nohtwehre und Beschirmung seiner Ehre und Lebens gedrungen worden wäre / so hat derselbe / ob er gleich in solcher seiner Ehre und Leibes Rettung einen Todtschlag begangen / damit nichts verwircket. Pars III, 6. Buch, Art. XIV, § X Dieweilen auch die Rechte einem jeden Menschen verstatten seinen von einem andern hart vergewaltigten Blutsfreund / als Vater / Mutter / Kinder / Bruder / Schwager / Mann und Frau / und dergleichen / ohne alle verwürckliche Misshandlung zu schützen und zu beschirmen / und sonderlich wann der Vergewaltigte über Gewalt schreyen / und Hülffe rufen möchte; Dannenhero so jemand gesehen hätte / daß sein Freund oder Schwager von einem andern mit gewehrter Hand angegriffen würde / und also in Leibesund Lebens-Gefahr gesetzet / und er deshalben demselben seinen Freund / als gewöhnlich geschicht / zu Hülffe und Rettung kommen wäre / und in solcher Rettung den / der solchen Anfall erstlich gethan / entleibet hätte: Der soll von solcher Entleibung wegen / auch nicht zum Tode verurtheilet werden.

III. Abschrift der §§ 76–78, 89 der Einleitung3 zum sowie der §§ 517 f., 520 des zweyten Theils, zwanzigster Titel des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten4 Einleitung, § 76 ALR Jeder Einwohner des Staates ist den Schutz desselben für seine Person und sein Vermögen zu fordern berechtigt. Einleitung, § 77 ALR Dagegen ist niemand sich durch eigne Gewalt Recht zu verschaffen befugt. Einleitung, § 78 ALR Die Selbsthülfe kann nur in dem Falle entschuldigt werden, wenn die Hülfe des Staats zur Abwendung eines unwiederbringlichen Schadens zu spät kommen würde. Einleitung, § 89 ALR Wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann.

___________ 3 4

Zitiert nach Hattenhauer, Allgemeines Landrecht, S. 53 f. Zitiert nach Hattenhauer, Allgemeines Landrecht, S. 688.

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Zweyter Theil, 20. Titel, § 517 ALR Jeder hat die Befugniß, die ihm, oder den Seinigen, oder seinen Mitbürgern drohende Gefahr einer unrechtmäßigen Beschädigung, durch der Sache angemessene Hülfsmittel abzuwenden. Zweyter Theil, 20. Titel, § 518 ALR Die Nothwehr findet aber nur gegen eigenmächtige Gewalt, und auch gegen diese nur alsdann statt, wenn die obrigkeitliche Hülfe die Beleidigung weder abwenden, noch den vorigen Zustand wieder herstellen kann. Zweyter Theil, 20. Titel, § 520 ALR Auch muß das zur Abwendung des Schadens gewählte Mittel mit dem Schaden selbst, welcher durch die Notwehr abgewendet werden soll, in Verhältnis stehen.

IV. Abschriften von Notwehrregelungen ausgewählter Partikularstrafgesetzbücher des 19. Jahrhunderts 1. Abschrift der §§ 87 f. des Strafgesetzbuches für das Großherzogtum Baden5 § 87 Badisches StGB 6

Wenn in den Fällen Nr. 2 und 3 des § 84 das bedrohte Gut im allgemeinen sowohl als nach den Verhältnissen des Angegriffenen auch für ihn von nur geringem Werte ist, und dabei in den Fällen Nr. 3 das Besitztum, in welches der Angreifer einzufallen, einzubrechen oder sonst auf unerlaubte Weise einzudringen sucht, nicht zu den Gebäuden oder anderen Räumen der im § 381 Nr. 2 bezeichneten Art gehört, so gilt die zur Abwehr geschehene vorsätzliche Tötung oder lebensgefährliche Verletzung des Angreifers nicht für entschuldigt. § 88 Badisches StGB Diese Beschränkung findet jedoch keine Anwendung auf die Fälle der Verteidigung gegen Räuber, gefährliche oder nächtliche Diebe, noch auf Fälle, wo der Angegriffene aus der Art des Angriffs oder aus anderen Umständen zugleich Gefahr für seine Person selbst zu besorgen hätte.

___________ 5

Zitiert nach Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 41 f. § 84 Nr. 2 und 3 des Badischen StGB behandeln die Fälle der Eigenmacht gegen Gewalttaten, welche auf Beschädigung, Hinwegnahme oder Zerstörung von Vermögensgegenständen gerichtet sind, sowie die Eigenmacht gegen denjenigen, welcher in eines anderen Besitztum gewalttätig einzufallen, einzubrechen oder sonst auf unerlaubte Weise einzudringen versucht. 6

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2. Abschrift der Art. 125, 127–128 des ersten Theils des Strafgesetzbuches für das Königreich Baiern7 Art. 125 BayStGB Rechtswidrige Gewaltthaten und verbrecherische Angriffe auf Personen oder Güter, zu deren Abwendung die Aufforderung obrigkeitlicher Hülfe unmöglich, oder die gegenwärtige obrigkeitliche Hülfe unzureichend ist, darf ein jeder von sich selbst und Anderen durch Privatgewalt abzuwenden versuchen, und die in solcher rechtmässigen Vertheidigung geschehene Vergewaltigung, Beschädigung oder Tödtung des Angreifers ist unsträflich, so ferne die gesetzlichen Grenzen (Art. 127) dabei nicht überschritten worden sind. Art. 127 BayStGB Die gewaltsame Privatvertheidigung ist nicht entschuldigt, wenn Zeit und Gelegenheit zu anderen dem Angegriffenen nicht unbekannten Mitteln vorhanden waren, durch welche derselbe ohne alle andere Gefahr sich dem Angriffe zu entziehen, das bedrohte Gut in Sicherheit zu bringen, oder sonst die Absicht des Angreifers zu vereiteln vermochte. Art. 128 BayStGB Bei vorhandener Nothwendigkeit zu einer gewaltsamen Privatvertheidigung darf ihre Ausübung nicht weiter getrieben und kein gefährlicheres Vertheidigungsmittel gebraucht werden, als nothwendig ist zur Abwendung der Gefahr. Darum ist 1) der Gebrauch lebensgefährlicher Vertheidigungsmittel strafbar, wenn der Angreifer durch ungefährliche Gewalt übermannt oder abgehalten werden konnte; 2) wer durch eine bloß abhaltende Gegenwehr sich des Angriffs zu erwehren Macht und Gelegenheit hatte, wird strafbar durch den Gebrauch einer auf Leib oder Leben gerichteten angreifenden (offensiven) Vertheidigungsgewalt; wie auch 3) wenn derselbe statt einer bloß ungefährlichen Verwundung des Gegners, welche in seiner Macht gestanden, denselben lebensgefährlich verletzt oder getödtet hat.

3. Abschrift des § 166 des Criminalgesetzbuches für das Herzogtum Braunschweig8 § 166 Braunschweigisches StGB Wer, um sich oder andere gegen einen unzweifelhaft drohenden oder bereits begonnenen gewalttätigen rechtswidrigen Angriff auf die Person, die Ehre, das Vermögen oder gegen widerrechtliches Eindringen in ein Besitztum zu schützen, jemand tötet oder verletzt, ist straffrei, insofern die Art der Verteidigung im gehörigen Verhältnisse mit der abzuwendenden Gefahr steht und nicht Zeit und Gelegenheit zu anderen ihm nicht

___________ 7 Zitiert nach Feuerbach, Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern, Art. 125, 127 f. (S. 53 ff.). 8 Zitiert nach Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 41.

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unbekannten Mitteln vorhanden ist, wodurch die Absicht des Angreifers auf eine für ihn unschädlichere Weise vereitelt werden konnte.

4. Abschrift der Art. 78 f. des Criminalgesetzbuches für das Königreich Hannover9 Art. 78 Hannoveranisches StGB Die Selbstverteidigung gegen einen unmittelbar bevorstehenden oder bereits begonnenen unrechtmäßigen Angriff zur Rettung von Leib, Leben, Freiheit, Ehre oder Gut in Fällen, wo der Selbstverteidiger eine zureichende Hilfe durch obrigkeitlichen Schutz oder auf andere Weise nicht erlangen konnte, ist nicht strafbar, und der Angegriffene ist wegen der Folgen einer solchen Notwehr nicht verantwortlich. Art. 79 Hannoveranisches StGB Bei jeder Ausübung der Notwehr wird jedoch vorausgesetzt, daß der Angegriffene nicht selbst den Angreifenden mit böslichem Vorsatze zum Angriff angereizt habe und daß die Art und das Maß der Selbstverteidigung mit der Gefahr, zu deren Abwendung sie gebraucht wird, in einem angemessenen Verhältnis stehe und hat, wenn selbige die Tötung oder eine bedeutende Verletzung des Angreifers zur Folge gehabt haben sollte, der Richter aus den genau zu untersuchenden Umständen des einzelnen Falles, aus der eigentümlichen Lage des Selbstverteidigers und aus dessen Persönlichkeit zu beurteilen, ob solches ihm überhaupt zuzurechnen sei oder nicht und ob in dem ersten Falle eine aus Fahrlässigkeit oder aus rechtswidrigem Vorsatze entstandene strafbare Handlung angenommen werden müsse.

5. Abschrift des Art. 49 des Strafgesetzbuches für das Großherzogtum Hessen10 Art. 49 Hessisches StGB Bei eingetretener Notwendigkeit einer gewaltsamen Privatverteidigung darf diese nicht weiter ausgeübt und kein gefährlicheres Verteidigungsmittel gebraucht werden, als unter den vorhandenen Umständen zur Abwendung der Gefahr notwendig oder tunlich war. Auch muß das angewendete lebensgefährliche Verteidigungsmittel mit dem Werte, den das bedrohte Eigentum oder Besitztum für den Angegriffenen hat, in einem angemessenen Verhältnis stehen.

___________ 9

Zitiert nach Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 40 f. Zitiert nach Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 41.

10

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6. Abschrift des § 41 des Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten11 § 41 PrStGB Ein Verbrechen oder Vergehen ist nicht vorhanden, wenn die That durch die Nothwehr geboten war. Nothwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich selbst oder Anderen abzuwenden. Der Nothwehr ist gleich zu achten, wenn der Thäter nur aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Vertheidigung hinausgegangen ist.

7. Abschrift des Art. 91 des Criminalgesetzbuches für das Königreich Sachsen12 Art. 91 Sächsisches StGB Wer bei der Ausübung erlaubter Selbsthilfe oder ohne eine solche Veranlassung sich oder andere von einem widerrechtlichen Angriff auf die Person oder das Eigentum bedroht sieht, befindet sich im Stande der Notwehr. In diesem Falle ist er befugt, ohne daß er den wirklichen Angriff abzuwarten braucht, alle Mittel der Verteidigung anzuwenden, von denen er unter den obwaltenden Umständen annehmen konnte, daß sie zur wirksamen Abwehr desselben erforderlich und mit der Beschaffenheit der abzuwendenden Gefahr nicht außer Verhältnis seien.

8. Abschrift des Art. 66 des Strafgesetzbuches für Thüringen13 Art. 66 Thüringisches StGB Wer, um sich oder andere gegen einen unzweifelhaft drohenden oder bereits begonnenen gewalttätigen rechtswidrigen Angriff auf die Person, die Ehre, das Vermögen oder gegen widerrechtliches Eindringen in ein Besitztum zu schützen, jemand tötet oder verletzt, ist straffrei, insofern die Art der Verteidigung im gehörigen Verhältnisse mit der abzuwendenden Gefahr steht und nicht Zeit und Gelegenheit zu anderen ihm nicht unbekannten Mitteln vorhanden ist, wodurch die Absicht des Angreifers auf eine für ihn unschädlichere Weise vereitelt werden konnte.

___________ 11

Zitiert nach Goltdammer, Materialien, § 41 (S. 417). Zitiert nach Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 40. 13 Zitiert nach Uttelbach, Verhältnismäßigkeit, S. 41. 12

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V. Abschrift des § 53 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich14 § 53 RStGB Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung durch Nothwehr geboten war. Nothwehr ist diejenige Vertheidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem Anderen abzuwenden. Die Ueberschreitung der Nothwehr ist nicht strafbar, wenn der Thäter in Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Vertheidigung hinausgegangen ist.

VI. Abschrift der §§ 53, 367 Abs. 1 Nr. 8 StGB a.F. § 53 StGB a.F.

15

(1) Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung durch Notwehr geboten war. (2) Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. (3) Die Überschreitung der Notwehr ist nicht strafbar, wenn der Täter in Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Verteidigung hinausgegangen ist. § 367 StGB a.F.

16

(1) Mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Deutsche Mark oder mit Haft wird bestraft: … 8. wer ohne polizeiliche Erlaubnis an bewohnten oder von Menschen besuchten Orten Selbstgeschosse, Schlageisen oder Fußangeln legt …

VII. Abschrift des § 37 des Entwurfs eines Strafgesetzbuches (E 1962) § 37 E 1962

17

(1) Wer eine Tat in Notwehr begeht, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

___________ 14

Zitiert nach Oppenhoff, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, § 53 (S. 139–

141). 15

Zitiert nach Kohlrausch/Lange, § 53. Zitiert nach Kohlrausch/Lange, § 367 Abs. 1 Nr. 8. 17 Zitiert nach BT-Drucks. 4/650, S. 16. 16

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VIII. Abschrift des § 14 des Alternativ-Entwurfs eines Strafgesetzbuches, Allgemeiner Teil (1966) § 14 AE StGB

18

(1) Wer eine Tat in Notwehr begeht, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. (3) Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr infolge Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so ist er straffrei.

___________ 18 Zitiert nach Baumann/Brauneck/Hanack/Kaufmann/Klug/Lampe/Lenckner/Maihofer/Noll/Roxin/Schmitt/Schultz/Stratenwerth/Stree, AE StGB, AT, S. 50.

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Sachregister Abwehrprovokation 294 actio illicita in causa 298 Aggressivnotstand 149 Analogieverbot 154, 180, 263 – Geltung für die Notwehr 160, 176 – Geltung für Erlaubnissätze 167, 168, 180, 182 – Geltung im Allgemeinen Teil 155 Angriff 249 – gegenwärtiger 255 – rechtswidriger 246, 251 – schuldhafter 129, 141, 254 Anzeigepflicht 282 Ausweichen, Pflicht zum 103 Bestimmtheitsgebot 153, 217 Constitutio Criminalis Carolina 49 Corpus Iuris Civilis 46 Defensivnotstand 148, 150 Eignung der Verteidigung 186 Erforderlichkeit 185, 257 – Beurteilungsperspektive 203, 208 – Beurteilungszeitpunkt 201 Friedlichkeitsgebot 110, 123 Gebotenheit 216, 272 Gefahr, selbst verursachte 302 Gesetzlichkeitsprinzip 153, 157, 162 Gewaltmonopol, staatliches 88, 107 – Notwehr als Ausnahme 91, 122 – Subsidiarität als Rückausnahme 242, 273 Gewohnheitsrecht, Verbot von 154 Handlungsfreiheit, allgemeine 146 Hilfe, private – nicht-präsente 29, 42, 221 – Pflicht zum Herbeiholen 222, 224

– präsente 31, 39, 184 Hilfe, staatliche – nicht-präsente 77, 97, 279 – Pflicht zum Herbeiholen 97, 100, 280, 281 – präsente 76, 86, 236 – unrechtmäßige Verweigerung 259 – Verhältnis zur Nothilfe 96, 276 Non-helping-bystander-Effekt 212 Nothilfe – Begründung der -befugnis 150, 191, 194 – professionelle 227 – Verhältnis zur Notwehr 190 – Verhältnis zur staatlichen Gefahrenabwehr 96, 276 Notwehreinschränkungen 148, 216 Notwehrkonzeptionen 124 – dualistisch 143 – individualistisch 125, 145 – überindividualistisch 133, 193 Notwehrlage 245 Notwehrprovokation 149, 289 Partikularstrafgesetzbücher 72 Persönlichkeitsrecht, allgemeines 146 Philosophie, politische – Aufklärungszeit 54, 57, 60 – Idealismus 64, 68 Recht – Allgemeines Land- 63 – gemeines deutsches Straf- 51, 52 – kanonisches 47 – Selbstbehauptung des 135 Rechtsgüterschutz 132, 146 Rechtsordnung – Einheit der 164, 166, 170, 179 – normative Geltung 141 Rechtswidrigkeitsurteil, einheitliches 165, 166, 170

Sachregister Rettungsfolter 278 Rückwirkungsverbot 153 Selbsthilfe 89, 238 Sicherheitsunternehmen 227 Sorgfaltspflichtmaßstab, situationsabhängiger 152 Subsidiarität 26, 219, 273 – Anknüpfungspunkt 87, 185, 216, 220, 237, 251, 255, 257, 272 Unrechtslehre, personale 219 Verhältnismäßigkeitsprinzip 121, 140, 195

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Verteidigung – eigenhändige 38, 105 – präventive 224, 281 – Verzicht auf optimale 198 Verteidigungsgemeinschaft 106 – Entstehen der 210, 258 – Umfang der Befugnisse 188, 200 Verteidigungswille 219 Zwangsbefugnisse, staatliche 116 – Erweiterung durch Notrechte 172, 267 – Notwehr als Beleihung 119, 120, 139 – Übertragung 116