Notwehr-Folter und Notstands-Tötung?: Studien zum Schutz von Würde und Leben durch Recht, Moral und Politik 9783737004602, 9783847104605, 9783847004608

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Notwehr-Folter und Notstands-Tötung?: Studien zum Schutz von Würde und Leben durch Recht, Moral und Politik
 9783737004602, 9783847104605, 9783847004608

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Bonner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen Neue Folge

Band 15

Herausgegeben von Udo Di Fabio, Urs Kindhäuser und Wulf-Henning Roth

Stephan Stübinger

Notwehr-Folter und Notstands-Tötung? Studien zum Schutz von Würde und Leben durch Recht, Moral und Politik

V& R unipress Bonn University Press

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-7130 ISBN 978-3-8471-0460-5 ISBN 978-3-8470-0460-8 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0460-2 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der FernUniversität in Hagen. Ó 2015, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, 96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Siglen und Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zum wissenschaftlichen Kontext II. Themenübersicht . . . . . . . . . 1. Zum ersten Teil . . . . . . . . 2. Zum zweiten Teil . . . . . . .

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21 21 25 25 29

A. Folterdebatte – international + interdisziplinär . . . . . . . . . . . I. Eindeutige Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unübersichtliche Diskussionslage . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anlässe zur Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Vielfalt der Wahrnehmung von Folter . . . . . . . . . 3. Diverse Formen der Behandlung des Themas . . . . . . . . III. Strategien zur (Auf-)Lösung des Folterproblems . . . . . . . . 1. Definitionsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimation durch Definition? . . . . . . . . . . . . . . b) (De-)Legitimation statt Definition . . . . . . . . . . . . 2. Ethik vor Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vom Umgang mit tickenden Bomben . . . . . . . . . . . aa) Von der Leichtigkeit der abstrakten Fallgestaltung . bb) Zur Schwierigkeit einer konkreten Lösung . . . . . b) Prinzipientreue oder Folgenorientierung? . . . . . . . . aa) Der Klassiker : Deontologie vs. Konsequentialismus bb) Eine tugendethische Alternative? . . . . . . . . . . .

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37 37 40 41 42 46 50 52 52 56 60 64 64 69 74 74 78

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Teil 1: »Notwehr-Folter«?

6

Inhalt

IV.

Der Kampf um Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kant contra Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kant pro Folter? – 3 Varianten . . . . . . . . . . . . . . . . a) Straftheoretische Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folter-Befugnis aus Mangel an Widerstandsrecht? . . . . aa) Würde – kein Rechtsbegriff ? . . . . . . . . . . . . . bb) Autonomie als Grund der Würde in der Ethik . . . . (1) Die ›Menschheit‹ in einer Person . . . . . . . . . . . (2) Deutungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Exkurs: zum Verhältnis von Freiheit und Sittlichkeit (1) Freier Wille und moralisches Gesetz als Einheit . . . (2) Problem der Zurechnung ›böser‹ Handlungen . . . (3) Theoretische und praktische Freiheit . . . . . . . . (4) Wille und praktische Vernunft . . . . . . . . . . . . (a) Eine alternative Willenstheorie (C.L. Reinhold) . . . (b) Gefahr des intelligiblen Fatalismus (C.C.E. Schmid) (5) Die Unterscheidung zwischen Wille und Willkür . . dd) Autonomie als Grund der Würde im Recht . . . . . c) Heiligt des Menschen »heiligstes Recht« auf Notwehr alle Mittel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Folter als Notwehrpflicht? . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik der heillosen Überschätzung der Notwehr . . (1) Notwehr zwischen Ethik und Naturrecht . . . . . . (2) Vernunftrecht ohne Pflichten . . . . . . . . . . . . . (3) Kants Neubegründung von Rechtspflichten . . . . . (4) Anhaltende Begründungsprobleme . . . . . . . . . V. Folter als Rechts(staats)problem . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Errungenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vom Naturrecht: Person und Würde als status . . . . . . b) Zum Vernunftrecht: Würde der Person . . . . . . . . . . aa) Philosophische Prämissen . . . . . . . . . . . . . . bb) Diverse Deduktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der normative Begriff des Rechtsstaats . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Unmöglichkeit der Folter . . . . . . . . . . . . . a) Physisches Leid als Hauptmerkmal? . . . . . . . . . . . b) ›Meta-physischer‹ Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vorrang des Politischen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbare Verantwortungsübernahme (mit Max Weber) 2. Ausnahmen vom Recht (mit Carl Schmitt) . . . . . . . . . 3. Hierarchieprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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82 82 88 88 93 93 96 97 98 101 101 103 106 109 110 115 118 123

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7

Inhalt

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B. Zur Diskussion um die Folter in Deutschland . . . . . . . . . I. Folter und Würde: Probleme mit der Unbestimmtheit . 1. Mehrdeutigkeit des Begriffs der Menschenwürde . . . 2. Eindeutigkeit der Würdeverletzung . . . . . . . . . . a) Würde zwischen Recht und Ethik . . . . . . . . . . b) Würde als Begriff des (Straf-)Rechts . . . . . . . . II. Der Frankfurter Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Exkurs: Wegbereiter der Folterdebatte . . . . . . . . . . 1. Ernst Albrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Gedankenexperiment . . . . . . . . . . . . . . b) Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Niklas Luhmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Winfried Brugger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der verantwortungspolitische Begründungsansatz (M. Weber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kant als Zeuge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion . . . . . . . . 1. Schlichte Ablehnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diverse Befürwortungen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Würdeverlust? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eine Frage der Schwere . . . . . . . . . . . . . . . c) (Verfassungs-)Rechtliche Probleme mit der Würde 3. Notwehrrecht als Lösung? . . . . . . . . . . . . . . . V. Würde und Folterverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik – am Beispiel der Diskussion über den Abschuss einer sog. ›Terrormaschine‹ . . . . I. Der Notstand im Verbrechensaufbau . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die allgemeinen Verbrechensmerkmale . . . . . . . . . . . .

271 271 271

VII. Reinheit der strafrechtlichen Rechtfertigung? 1. Probleme einer Notwehrlösung . . . . . . . a) Zweifel an der Notwehrlage . . . . . . . aa) Wehrlose Angreifer? . . . . . . . . . bb) Fehlende Angriffshandlung? . . . . b) Anwendungsprobleme . . . . . . . . . . 2. Strafrechtssystematische Konsequenz . . . VIII. Folter und Feindstrafrecht . . . . . . . . . . . IX. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 2: »Notstands«-Tötung?

8

Inhalt

2. Differenz zwischen Unrecht und Schuld . . . . . . . . . . . 3. Der Beispielsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtfertigungslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der untaugliche Versuch einer gesetzlichen Lösung: § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Suche nach Zustimmungsmöglichkeiten . . . . . . . . a) (Mutmaßliche) Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Duldungspflicht aus Solidarität? . . . . . . . . . . . . . aa) Solidaritäts-Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vom (römischen) Recht zur (politischen) Ethik . . . (2) Zur Soziologie (E. Durkheim) . . . . . . . . . . . . (3) Bedeutungsinflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Über (moral-)philosophische Verallgemeinerungen (5) Zur (straf-)rechtlichen Anwendung . . . . . . . . . bb) Normtheoretische Voraussetzung . . . . . . . . . . cc) Philosophische Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Normfindung im ›Urzustand‹ . . . . . . . . . . . . . (2) Probleme der ethischen Bestimmung . . . . . . . . 3. Notwehr(hilfe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. (Defensiv)Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grund und Grenze des rechtfertigenden Notstands . . . b) Entgrenzungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ethische und politische Notstände . . . . . . . . . . bb) Zurechnungsexpansion . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rettungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unentscheidbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) ›Sowohl – als auch‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ›Weder – noch‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Lehre vom »rechtsfreien Raum« . . . . . . . . . . . . . a) Mutmaßliche Vorläufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) »Unverbotene« Handlungsweisen? . . . . . . . . . . . . c) Bewertungsverzicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Faktizität der Ausnahme statt normative Erlaubnis . . . III. Entschuldigungslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mögliche Schuldlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Entschuldigung . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9

Inhalt

B. Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg – Über das Verhältnis von Recht und Politik im Ausnahmezustand . . . . . . . I. Terrorismusbekämpfung – zwischen Politik und Recht: Variationen zu Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Über einen angeblichen Vorrang der Politik in Ausnahmesituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme mit der Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . 3. Politische Souveränität als Ausnahmeerscheinung? . . . . . 4. Die Reinheit der reinen Dezision . . . . . . . . . . . . . . . II. Eine Ausnahme ohne Regel – und ohne Ende? . . . . . . . . . 1. Kollateralschäden im ›Krieg gegen den Terror‹ . . . . . . . 2. Verbrechen oder Feindschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zurechnungsprobleme im sog. »Feindstrafrecht« – eine Parallele? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Feindschaftsinflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Selbstbehauptung oder Selbst-Enthauptung des Rechtsstaats? 1. Offene Bekenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschämte Anspielungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

435

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

501

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

505

Siglen und Abkürzungsverzeichnis*

A–A

AcP ajob Amelung-FS ApuZ AöR ArchCrim ARSP AT AVR AZP Badura-FS BayVBl. Blätter Bockelmann-FS v.Brünneck-FS BVerfG-FS CIA-Report

CJEL DZPh

I. Kant, ›Akademie-Ausgabe‹: Gesammelte Schriften, begonnen von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff. Archiv für die civilistische Praxis The American Journal of Bioethics Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts, Festschrift für Knut Amelung, hg. v. M. Böse / D. Sternberg-Lieben, Berlin 2009 Aus Politik und Zeitgeschichte Archiv des öffentlichen Rechts Archiv des Criminalrechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Allgemeiner Teil (Strafrecht) Archiv des Völkerrechts Allgemeine Zeitschrift für Philosophie Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel. Festschrift für Peter Badura, hg. v. M. Brenner / P.M. Huber / M. Möstl, Tübingen 2004 Bayerische Verwaltungsblätter Blätter für deutsche und internationale Politik Festschrift für Paul Bockelmann, hg. v. A. Kaufmann / G. Bemann / D. Krauss / K. Volk, München 1979 Nachdenken über Eigentum. Festschrift für Alexander von Brünneck, hg. v. F.-J. Peine / H.A. Wolff (Hg.), Baden-Baden 2011 Festschrift – 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, hg. v. P Badura / H. Dreier, Tübingen 2001 Senate Select Committee on Intelligence. Committee Study of the Central Intelligence Agency’s Detention and Interrogation Program, 2014 (online: http://www.intelligence.senate.gov/study2014/sscistudy1.pdf) The Columbia Journal of European Law Deutsche Zeitschrift für Philosophie

* Nähere Angaben zu den hier benutzten Werkausgaben bzw. Handbüchern, Kommentaren oder Kompendien sind dem Literaturverzeichnis zu entnehmen.

12 EJIL Eser-FS

Frank-FG Frisch-FS

GA Giessen-FS GMS BA, VII Hassemer-FS Heinitz-FS Herzberg-FS

HK-GS/ Honig-FS Hruschka-FS HuV-I I.CON Isensee-FS IZPh JA Jakobs-FS JCSW JöR JR JRE JRP Jura JuS JZ Kargl-FS KdU B KJ Klein-GdS

Siglen und Abkürzungsverzeichnis

The European Journal of International Law Menschengerechtes Strafrecht, Festschrift für Albin Eser, hg. v. J. Arnold / B. Burkhardt / W. Gropp / G. Heine / H.-G. Koch / O. Lagodny / W. Perron / S. Walther, München 2005 Festgabe für Reinhard Frank, hg. v. A. Hegler, Tübingen 1930 Grundlagen und Dogmatik des gesamten Strafrechtssystems. Festschrift für Wolfgang Frisch, hg. v. G. Freund / U. Murmann / R. Bloy / W. Perron, Berlin 2013 Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Festschrift für die Juristische Fakultät in Giessen zum UniversitätsJubiläum, hg. v. R. Frank, Giessen 1907 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (A = 1. Aufl. 1785 / B = 2. Aufl. 1786) (zit. nach Werkausgabe VII) Festschrift für Winfried Hassemer, hg. v. U. Neumann / F. Herzog, Heidelberg 2010 Festschrift für Ernst Heinitz, hg. v. H. Lüttger, Berlin 1972 Strafrecht zwischen System und Telos – Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, hg. v. H. Putzke / B. Hardtung / T. Hörnle / R. Merkel / J. Scheinfeld / H. Schlehofer / J. Seier, Tübingen 2008 Handkommentar – Gesamtes Strafrecht Festschrift für Richard M. Honig, Göttingen 1970 Philosophia Practica Universalis. Festschrift für Joachim Hruschka, hg. v. B.S. Byrd / J.C. Joerden, Berlin 2005 Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften International Journal of Constitutional Law Staat im Wort, Festschrift für Josef Isensee, hg. v. O. Depenheuer / M. Heintzen / M Jestaedt, Heidelberg 2007 Internationale Zeitschrift für Philosophie Juristische Arbeitsblätter Festschrift für Günther Jakobs, hg. v. M. Pawlik / R. Zaczyk, Köln 2007 Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaft Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Jahrbuch für Recht und Ethik Journal für Rechtspolitik Juristische Ausbildung Juristische Schulung JuristenZeitung Festschrift für Walter Kargl, hg. v. P.-A. Albrecht / S. Kirsch / U. Neumann / S. Sinner, Berlin 2015 I. Kant, Kritik der Urteilskraft (B= 2. Aufl. 1793) (zitiert nach der Werkausgabe Band X) Kritische Justiz Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, hg. v. D. Wilke / H. Weber, München 1977

Siglen und Abkürzungsverzeichnis

13

Die Ausnahme denken. Festschrift für Klaus-Michael Kodalle, hg. v. C. Dierksmeier, Würzburg 2003 KpV A I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft (A= 1. Aufl. 1788) (zitiert nach der Werkausgabe Band VII) Krey-FS Festschrift für Volker Krey, hg. v. K. Amelung / H.-L. Günther / H.-H. Kühne, Stuttgart 2010 KrimJ Kriminologisches Journal KritV Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung KrV AB I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (A= 1. Aufl. 1781 / B= 2. Aufl. 1787) (zitiert nach der Werkausgabe Band III + IV) KSA F. Nietzsche, Kritische Studienausgabe Küper-FS Festschrift für Wilfried Küper, hg. v. M. Hettinger / J. Zopfs / T. Hillenkamp / M. Köhler / J. Rath / F. Streng / J. Wolter, Heidelberg 2007 Laforet-FS Verfassung und Verwaltung in Theorie und Wirklichkeit, Festschrift für Wilhelm Laforet, München 1952 LKLeipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch LKH-Bearbeiter Strafgesetzbuch. Kommentar bearbeitet von Kristian Kühl / Martin Heger (ehemals Lackner/Kühl), 28. Aufl. München 2014 M/DGrundgesetz. Kommentar von T. Maunz / G. Dürig u. a. Maiwald-FS Gerechte Strafe und legitimes Strafrecht. Festschrift für Manfred Maiwald, hg. R. Bloy / M. Böse / T. Hillenkamp / C. Momsen / P. Rackow, Berlin 2010 Matt/Renzikowski Strafgesetzbuch. Kommentar, hg. v. H. Matt / J. Renzikowski, München 2013 Maurach-FS Festschrift für Reinhart Maurach, hg. v. F.C. Schroeder / H. Zipf, Karlsruhe 1972 MdS-R AB I Kant, Metaphysik der Sitten – Rechtslehre (A = 1. Aufl. 1797; B = 2. Aufl. 1798) zit. nach Werkausgabe VIII MdS-T AB I Kant, Metaphysik der Sitten – Tugendlehre (A = 1. Aufl. 1797; B = 2. Aufl. 1798), zit. nach Werkausgabe VIII MK-Bearbeiter Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch NArchCrim Neues Archiv des Criminalrechts Nehm-FS Strafrecht und Justizgewährung, Festschrift für Kay Nehm, hg. v. R. Griesbaum / R. Hannich / K.H. Schnarr, Berlin 2006 NJ Neue Justiz NJW Neue Juristische Wochenschrift NKNomosKommentar Strafgesetzbuch NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Otto-FS Festschrift für Harro Otto, hg. v. G. Dannecker / W. Langer / O. Ranft / R. Schmitz / J. Brammsen, Köln u. a. 2007 P& P Affairs Philosophy & Public Affairs Paeffgen-FS Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen, hg. v. K.F. Gärditz / C.-F. Stuckenberg, 2015 (im Druck) Puppe-FS Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion. Festschrift für Kodalle-FS

14

Rg Roxin-FS II

Rudolphi-FS RuP Schreiber-FS

Schroeder-FS Schröder-GdS Schünemann-FS Schwind-FS

Seebode-FS SKSpinellis-FS SSWStarck-FS

Stöckel-FS stw VBlBW VDA-II VR VRÜ Weber-FS Welzel-FS Wolff-FS

Siglen und Abkürzungsverzeichnis

Ingeborg Puppe, hg. v. H.-U. Paeffgen / M. Böse / U. Kindhäuser / S. Stübinger / T. Verrel / R Zaczyk, Berlin 2011 Rechtsgeschichte Strafrecht als Scientia Universalis, Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag, hg. v. M. Heinrich / C. Jäger / H. Achenbach / K. Amelung / W. Bottke / B. Haffke / B. Schünemann / J. Wolter, Berlin / New York 2011 Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi, hg. v. K. Rogall / I. Puppe / U. Stein / J. Wolter, Neuwied 2004 Recht und Politik Strafrecht – Biorecht – Rechtsphilosophie: Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber, hg. K. Amelung / W. Beulke / H. Lilie / H. Rosenau / H. Rüping / G. Wolfslast, Heidelberg 2003 Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder, hg. v. A. Hoyer / H.E. Müller / M. Pawlik / J. Wolter, Heidelberg 2006 Gedächtnisschrift für Horst Schröder, hg. v. W. Stree / T. Lenckner / P. Cramer / A. Eser, München 1978 Streitbare Strafrechtswissenschaft. Festschrift für Bernd Schünemann, hg. v. R. Hefendehl / T. Hörnle / L. Greco, Berlin/Boston 2014 Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen, Festschrift für Hans-Dieter Schwind, hg. v. T. Feltes / C. Pfeiffer / G. Steinhilper, Heidelberg 2006 Festschrift für Manfred Seebode, hg. v. H. Schneider / M. Kahlo / D. Kleczewski / H. Schumann, Berlin 2008 Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Die Strafrechtswissenschaft im 21. Jahrhundert. Festschrift für Dionysos Spinellis, Athen 2001 H. Satzger / W. Schluckebier / G. Widmaier, Strafgesetzbuch. Kommentar Die Ordnung der Freiheit. Festschrift für Christian Starck, hg. v. R. Grote / I. Härtel / K.-E. Hain / T.I. Schmidt / T. Schmitz / G.F. Schuppert / C. Winterhoff, Tübingen 2007 Strafrechtspraxis und Reform. Festschrift für Heinz Stöckel, hg. v. M. Jahn / H. Kudlich / Fr. Streng, Berlin 2010 Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts. Allgemeiner Teil, Band 2 Verwaltungsrundschau Verfassung und Recht in Übersee Festschrift für Ulrich Weber, hg. v. B. Heinrich / E. Hilgendorf / W. Mitsch / D. Sternberg-Lieben, Bielefeld 2004 Festschrift für Hans Welzel, hg. v. G. Stratenwerth A. Kaufmann / G. Geilen / H.J. Hirsch / H.-L. Schreiber / G. Jakobs / F. Loos, Berlin 1974 Festschrift für E.A. Wolff, hg. v. R. Zaczyk / M. Köhler / M. Kahlo, Hamburg 1998

Siglen und Abkürzungsverzeichnis

Wolter-FS

Zedler zfmr ZphF ZPTh ZRph ZStW Zuleeg-FS

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Gesamte Strafrechtswissenschaft in internationaler Dimension Festschrift für Jürgen Wolter, hg. v. M.A. Zöller / H. Hilger / W. Küper / C. Roxin, Berlin 2013 Grosses Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, 64 Bände, 1732ff. Zeitschrift für Menschenrechte Zeitschrift für philosophische Forschung Zeitschrift für Politische Theorie Zeitschrift für Rechtsphilosophie Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft C. Gaitanides / S. Kadelbach / G.C. Iglesias (Hg.), Europa und seine Verfassung, Festschrift für Manfred Zuleeg, Baden-Baden 2005

Vorwort

Es gibt Problem- oder Fragestellungen, die so interessant, aber auch dermaßen schwierig sind, dass sie einen nicht mehr loslassen. Die Themen der hier vorgelegten Studien betreffen derartige Fragen; sie beschäftigen mich schon seit rund einem Jahrzehnt. Die Inhalte, um die es geht, sind in Titel und Untertitel angedeutet und werden noch in der Einführung vorgestellt und in den vier Kapiteln ausführlich entfaltet. Selbst wenn die Versuche, auf die aufgeworfenen Fragen so etwas wie eine Antwort zu finden, nun sogar mehrere hundert Seiten füllen, kann ich nicht einmal behaupten, mit der Suche nach Lösungsmöglichkeiten fertig geworden zu sein. Der Umfang ist zum einen dem Bemühen um eine intensive Auseinandersetzung mit der ausufernden Literatur zu diesen Themen geschuldet. Es sollte auf möglichst viele Argumente, die inzwischen zur Problematik von Folter und Tötung zu Rettungszwecken ausgetauscht wurden, eingegangen werden. Dabei geht es nicht nur um juristische, sondern auch um ethische und politische Ansätze. Zum anderen hat der Versuch, die Thematik in einen etwas größeren Theoriezusammenhang einzuordnen, zu dieser Textfülle geführt. Es soll nicht nur um die Darstellung von Meinungen gehen, sondern um die Re- bzw. De-Konstruktionen von Begründungszusammenhängen. Wie die in der Überschrift verwendeten Begriffe Notwehr und Notstand andeuten, geht es vordergründig zwar um strafrechtliche Untersuchungen; doch ebenso wie bei der Behandlung anderer Rechtsprobleme stößt man im Kern auf die philosophischen Grundlagen des Rechts und der Rechtswissenschaft. Dafür sorgt nicht zuletzt auch das im Untertitel aufgeführte Wort ›Würde‹, das niemals als rein rechtsdogmatischer Begriff zu haben ist. Dieser Begriff verweist stets auf rechtsübergreifende Konzeptionen. Von drei der vier hier vorgelegten Studien sind bereits frühere Versionen anderweitig erschienen. Sie sind für die hiesige Veröffentlichung gründlich überarbeitet, aktualisiert und z. T. erheblich erweitert worden. Dies betrifft insbesondere Kapitel B. des ersten Teils (S. 203–267), dessen Text in weiten Teilen zuerst 2007 als Beitrag in dem vom Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Frankfurt a.M. herausgegebenen Sammelband ›Jenseits des rechtsstaatlichen

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Vorwort

Strafrechts‹ im Peter Lang Verlag erschienen ist (dort S. 277–314). Vor allem der Begriff der Menschenwürde wird nun sehr viel ausführlicher als in der ursprünglichen Fassung erläutert (S. 206ff.). Hier galt es nicht zuletzt, die einschlägigen Beiträge, die in der Zwischenzeit zu dieser Thematik erschienen sind, einzuarbeiten. Die begriffliche Aufstockung kann dabei auf die entsprechende Begriffsarbeit in Kapitel A. von Teil 1 aufbauen (S. 37ff., bes. 93ff./152ff.). Außerdem konnte auf inzwischen geäußerte Kritik an meinen Ausführungen in der Erstfassung dieses Textes reagiert werden. Die Darstellung der primär strafrechtlichen Diskussion in Deutschland (S. 240ff./S. 256ff.) wurde deutlich erweitert und auf den neuesten Stand gebracht. Zudem konnten aber auch einige Ergänzungen zu den Vorläuferdebatten eingefügt werden (S. 225ff.). In Kapitel A. des 2. Teils (S. 271–386), dessen Erstfassung in der ›Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft‹ (ZStW 123 (2011), 403–446) im Verlag Walter de Gruyter erschienen ist, wurden neben zahlreichen Änderungen und Erweiterungen vor allem eine intensive Auseinandersetzung mit einem inzwischen erschienenen Ansatz zur Rechtfertigung einer »Notstandstötung« neu eingefügt (S. 281–332). Darin geht es um eine philosophisch anspruchsvolle Grundlegung eines ›Solidaritätsprinzips‹, das auch in einem allgemeineren Zusammenhang für die Begründung des rechtfertigenden Notstands herangezogen wird. Die relativ ausführliche Erörterung des Begriffs der Solidarität erweist sich nicht zuletzt deshalb als notwendig, da die Berufung auf solidarisches Verhalten in vielfacher Hinsicht problematisch wird, wenn damit die Aufopferung des eigenen Lebens gemeint ist. Außerdem wird in diesem Kapitel eine neuere Variante der ›Lehre vom rechtsfreien Raum‹ dargestellt, die in der Zwischenzeit in die Diskussion eingeführt wurde (S. 368–375). Das abschließende Kapitel B. des 2. Teils (S. 387–433) ist zuerst 2008 in der Online-Zeitschrift ›ancilla iuris‹ (dort, S. 73–95) erschienen (online abrufbar unter : anci.ch); eine Print-Version dieses Beitrags wurde in Volume 3 (2008) dieser Zeitschrift vom Vittorio Klostermann Verlag herausgegeben. Auch dieser Text wurde für die hiesige Drucklegung nochmals gründlich umgearbeitet, ergänzt und aktualisiert. Die erste Studie (Teil 1 – Kap. A, S. 37–202) ist ein Originalbeitrag; lediglich einige Auszüge decken sich mit dem Beitrag zur Gedächtnisschrift für Mario A. Cattaneo, die 2015 unter dem Titel ›Wege zur Menschenwürde‹, hg. v. Michael Kahlo und Vanda Fiorillo, im Mentis Verlag erscheint (dort S. 327–365). Allen vier soeben genannten Verlagen sei herzlich für die Erlaubnis des Wiederabdrucks der bereits erschienenen Passagen gedankt. Die behandelten Themen haben mich auf den verschiedenen Stationen meines Weges als Rechtswissenschaftler begleitet. Die Grundlagen einiger der hier vorgelegten Studien sind schon während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz bereitet worden, in

Vorwort

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der ich zugleich meine 2007 erfolgte Habilitation an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main vorbereitet habe. Ohne die großzügige Unterstützung meines damaligen Chefs, Jan Zopfs, der mir inzwischen zu einem Freund und Kollegen geworden ist, wäre die intensive Beschäftigung an diesen schwierigen Themen nicht möglich gewesen; stets hat er mir neben der Arbeit für seinen Lehrstuhl genügend Freiheiten eingeräumt, wofür ich mich an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken möchte. Ebenso dankbar bin ich für die langjährige Unterstützung, die ich von Michael Hettinger schon vor, während und nach meiner Zeit in Mainz erfahren habe; er hat meinen wissenschaftlichen Lebensweg stets sehr wohlwollend und mit freundschaftlichem Zuspruch und manchen Ermunterungen begleitet. Ein herzlicher Dank gilt auch Volker Erb, der auf meine – hier noch einmal wiederholte bzw. erneuerte – Kritik an seiner Auffassung zur Problematik der sog. ›Notwehr-Folter‹ sehr freundlich und verständnisvoll reagiert hat. Die überaus faire Art und Weise, mit der er mit meinen kritischen Einwänden als damaligem Mitarbeiter an einem Nachbarlehrstuhl umgegangen ist, hat mich sehr beeindruckt. Es war beruhigend zu wissen, dass die Auseinandersetzung in der Sache das im Übrigen gute kollegiale Verhältnis nie trüben konnte. Der größte Teil des nachfolgenden Textes – insbesondere Kapitel A des ersten Teils – ist in meinen Jahren an der Universität Bonn entstanden, an der ich zwischen 2009 und 2014 forschen und lehren durfte. Die freundliche Unterstützung, die ich dort von allen – angefangen von den Kollegen, über die Studierenden bis zu den Mitarbeitern des Dekanats – empfangen habe, war für meine wissenschaftliche Entwicklung von unschätzbarem Wert. Obwohl mein Dank im Grunde auch noch weiteren ungenannten ›Bonnern‹ gilt, seien an dieser Stelle zumindest einige namentlich genannt: In den gemeinsam mit Ingeborg Puppe veranstalteten Lehrveranstaltungen habe ich stets von ihrem bewundernswerten Scharfsinn profitiert. Martin Böse und Torsten Verrel haben mich in vielfacherweise bei der Durchführung von diversen Lehrveranstaltungen freundschaftlich unterstützt. Urs Kindhäuser bin ich insbesondere für die Einbindung in die mit der Universität Pompeu Fabra in Barcelona organisierte ›Accion Integrada Hispano-Alemana‹ dankbar ; außerdem hat er als Mitherausgeber die Aufnahme des vorliegenden Buches in die Reihe ›Bonner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen‹ des Verlages V& R unipress ermöglicht. Dafür bin ich auch den beiden anderen Herausgebern, Udo di Fabio und Wulf-Henning Roth dankbar. Günther Jakobs hat mir meine kritische Haltung gegenüber seinen strafrechtstheoretischen Grundpositionen nie übel genommen und ist mir stets sehr freundlich und mit seinem wohltuenden rheinischen Humor begegnet. Besonders dankbar bin ich auch für die vielen wissenschaftlichen und privaten Gesprächsrunden, die ich mit Hans-Ulrich Paeffgen erlebt habe; zu meinem zuvor schon vorhandenen

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Vorwort

Respekt vor seiner wissenschaftlichen Leistung hat sich so eine persönliche Hochachtung gesellt. Besonders beeindruckt haben mich schließlich auch die Diskussionsbeiträge von Carl-Friedrich Stuckenberg. Außer bei den genannten strafrechtlichen Kollegen möchte ich mich an dieser Stelle auch bei Klaus Gärditz bedanken, mit dem ich nicht nur in netter Runde so manchen Gedankenaustausch hatte, sondern der mich auch sonst sehr unterstützt hat. Den größten Dank schulde ich jedoch Rainer Zaczyk – primär dafür, dass er mich als Mitveranstalter seines Rechtsphilosophischen Seminars aufgenommen und so die besten Lehrveranstaltungen ermöglicht hat, die man sich vorstellen kann. In den gemeinsamen Seminaren, deren treuen Teilnehmern hier ebenfalls gedankt sei, habe ich stets sehr viel lernen dürfen. Vieles davon konnte ich bei der Abfassung der vorliegenden Untersuchungen verwerten. Darüber hinaus bleiben die geselligen Stunden während des ›Nachseminars‹ im Bonner ›Treppchen‹ in besonderer Erinnerung. Zu dieser wohltuenden Geselligkeit und Gelehrigkeit haben insbesondere auch Kathrin Gierhake und Bettina Noltenius beigetragen, die mich stets gut gelaunt auf vielfache Weise unterstützt und so den Aufenthalt in Bonn erleichtert haben. Ein ganz besonderer Dank gilt schließlich meinem Bonner Mitarbeiter Alexander Eberle, der mir über jedes Maß der gewöhnlichen Arbeitspflichten mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat und zahlreiche Mühen abgenommen hat. Die letzten Überarbeitungen, Ergänzungen und die Endredaktion des Textes habe ich an meiner neuen Forschungsstätte in Hagen vornehmen können. Dort bin ich überaus freundlich aufgenommen worden. Die MitarbeiterInnen am Lehrstuhl, Beate Gogler, Stefanie Achenbach, Katharina Kühne und Kai Kröger haben mich kompetent und mit großer Nachsicht über die Besonderheiten einer FernUniversität informiert und mir so einen guten Übergang ermöglicht. Mein Vorgänger, Thomas Vormbaum, hat mich dabei durch viele klärende Gespräche und wichtige Hinweise unterstützt. Der FernUniversität in Hagen danke ich für die Ermöglichung eines großzügigen Druckkostenzuschusses; ohne diese Finanzierungsmöglichkeit wäre die Publikation in dieser Form kaum möglich gewesen. In dieser Hinsicht bin ich ebenso sehr dem Verlag V& R unipress zu Dank verpflichtet, der sich auf die besonderen Bedingungen der FernUni eingelassen hat; speziell seien Herr Oliver Kätsch und Frau Laura Haase genannt, die stets freundliche und geduldige Ansprechpartner gewesen sind. Ohne meine Frau, meine Kinder, Mutter und Schwester wäre die wissenschaftliche Arbeit nicht möglich gewesen. Die familiäre Begleitung war die wichtigste Voraussetzung. Der Dank für die private Unterstützung sei hier auch einmal öffentlich ausgesprochen. Mühlheim am Main, im Mai 2015

Stephan Stübinger

Einführung

I.

Zum wissenschaftlichen Kontext

Der Titel des Buches zeigt die Themen an, die verhandelt werden. Die verwendeten Schlagworte – Notwehr, Folter, Notstand, Tötung – indizieren insbesondere durch die Art ihrer Kombination die wissenschaftliche Perspektive des Verfassers und den möglichen Adressatenkreis: es handelt sich um primär strafrechtliche Studien. Ganz so eindeutig ist diese Zugehörigkeit aber nicht, da das angedeutete Themenspektrum durchaus nicht allein in das Gebiet des Strafrechts fällt. Über das Foltern und Töten von Menschen, aber selbst über Notwehr und Notstand lässt sich ebenso in anderen Disziplinen streiten. Werden die im Untertitel genannten Begriffe – Würde und Leben – hinzugenommen, vervielfacht sich der Kreis der möglichen Interessenten; dann vermag im Grunde jeder mitzureden. Tatsächlich deuten die genannten Begriffe auf Sachprobleme, die beispielsweise auch in der philosophischen und theologischen Ethik oder jedenfalls z. T. in der politischen Theorie behandelt werden; außerdem könnte auch die Geschichtswissenschaft ein Wörtchen mitreden. Nicht allen möglichen Querverbindungen kann angemessen nachgegangen werden; wie beinahe jeder Titel deutet die hiesige Überschrift mehr Möglichkeiten an als eingelöst werden können. Andererseits bietet der Text aber auch mehr Inhalt als eine Überschrift fassen kann; er birgt z. B. auch recht ausführliche Analysen zum Begriff der Freiheit (S. 96ff./101ff.) und zur Solidarität (S. 281ff.), die nicht titelgebend sind. Es wird jedenfalls eine interdisziplinäre Herangehensweise versucht. Insofern beansprucht die vorliegende Arbeit, mehr als nur eine strafrechtliche Untersuchung zu sein; sie versteht sich auch als eine philosophische Abhandlung über die allgemeineren Grundlagen des Rechts, von denen aus die speziellen Probleme behandelt werden. Im Zentrum dieser Bemühung steht dabei – vor allem in Teil 1 – die Philosophie Immanuel Kants und die daran anschließenden Diskussionen. Dieser Begründungszusammenhang ist für die Herleitung der zentralen Begriffe – Recht, Freiheit, Würde – in geistesgeschichtlicher

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Einführung

und systematischer Hinsicht maßgeblich. Die Verknüpfung zu diesen rechtsethischen Grundlagendebatten ist beispielsweise relevant, wenn der Blick auf die Behandlung der genannten Themen in anderen Ländern gelenkt wird: speziell im anglo-amerikanischen Diskussionszusammenhang werden (straf-)juristische Fragen häufig durch Einbeziehung moralphilosophischer Argumente gelöst. Im 2. Teil des Buches stehen u. a. Auseinandersetzungen mit der Philosophie von John Rawls und Carl Schmitt an. Während Schmitts ›Politische Theologie‹ und sein ›Begriff des Politischen‹ seit geraumer Zeit als Legitimation einer Feindbekämpfung im ›Krieg gegen den Terrorismus‹ herangezogen wird, ist Rawls’ vertragstheoretisch begründeter ›Politischer Liberalismus‹ erst kürzlich als Kandidat zur Herleitung eines Solidaritätsprinzips nominiert worden, das im Rahmen des rechtfertigenden Notstands eine Pflicht zur Aufopferung des eigenen Lebens begründen soll. Kontakte zu anderen Normwissenschaften sind freilich auch für die deutsche Strafrechtslehre durchaus nicht ungewöhnlich; zahlreiche Grundlagenprobleme nötigen zu einer i. w. S. rechtsphilosophischen Behandlungsweise, durch die solche Querverbindungen geknüpft werden können. Schließlich kann diesbezüglich auf eine stattliche Tradition verwiesen werden, die sich nicht zuletzt in der institutionell gefestigten Verbindung zwischen Kriminalwissenschaften und der Philosophie des Rechts ablesen lässt.1 Bis heute sind zahlreiche Lehrstühle an juristischen Fachbereichen vorhanden, die Strafrecht und Rechtsphilosophie als Fächerkombination aufweisen, auch wenn die Zahl derer, die geeignete Themenfelder gleichermaßen strafrechtlich und rechtsphilosophisch beackern, im Kontrast zu früher sicher geringer geworden ist. Inzwischen gibt es sogar juristische Fakultäten, an denen Rechtsphilosophie überhaupt nicht mehr in Forschung und Lehre vertreten wird bzw. offiziell der Rechtsphilosophie gewidmete Professuren von reinen Dogmatikern besetzt sind, die nicht einmal die formalen Voraussetzungen für seriöse philosophische Untersuchungen erfüllen, d. h. selbst die entsprechende venia legendi nicht vorweisen können. Im Vergleich zu früheren Zeiten darf daher heute nicht mehr von einer durchgängig philosophisch informierten Strafrechtswissenschaft ausgegangen werden. Der Schwerpunkt liegt inzwischen vielerorts auf einer dogmatisch aufbereiteten Gesetzeskunde. Die Strafrechtsdogmatik ähnelt dabei jenem bedauernswerten Hasen, der im Wettlauf mit den beiden Igeln (Legislative und Judikative) stets zu spät an die Wendepunkte der Rennstrecke kommt, da sie immer dann, wenn sie auf die Zielgerade einzubiegen hofft, durch jede Gesetzesänderung bzw. durch neue Entscheidungen der Rechtsprechung auf eine neue Runde geschickt wird 1 Ausführlicher zur Geschichte dieser traditionellen Verbindung zwischen Strafrecht und Rechtsphilosophie St. Stübinger, Schuld, 52ff./152ff.

Zum wissenschaftlichen Kontext

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und erneute Haken schlagen muss. Die von ihren philosophischen Grundlagen gelöste ›reine‹ Strafrechtsdogmatik läuft den legislativen und judikativen Entwicklungen nur noch hinterher, ohne ihnen prinzipienorientierte Pläne (vor-) schreiben zu können. Die Zeiten, in denen strafrechtliche Reformvorhaben maßgeblich durch Strafrechtswissenschaftler geprägt wurden, scheinen vorbei zu sein. Ein Indiz für diesen Wandel ist nicht zuletzt die steigende Anzahl von Kommentaren zum Strafgesetzbuch und Lernbüchern zum Allgemeinen und Besonderen Teil des Strafrechts. Während es bis vor einigen Jahren vergleichsweise wenige Strafrechtswissenschaftler übernommen hatten, die Fülle einschlägiger Gerichtsentscheidungen und sonstiger Veröffentlichungen zum Strafrecht kommentierend aufzubereiten, sind inzwischen beinahe sämtliche Strafrechtslehrer (ebenso wie der Autor dieser Zeilen) der Zunft der Kommentatoren und/oder Lehrbuchautoren beigetreten. Dabei möchte offenbar kaum jemand durch besondere Originalität auffallen; es soll nicht etwa eine eigene Lehre im Rahmen eines umfassenden Theoriegebäudes entfaltet und vertreten, sondern lediglich das ›Vertretbare‹ wiedergegeben werden. Die Werke gleichen daher einander nicht nur in den notwendigen Inhalten, sondern auch in der Art der Systematisierung des Stoffes und der Knappheit der theoretischen Grundlegung. In immer kürzer werdenden Abständen wird auf diese Weise den Bibliotheken bzw. Studierenden das aktuelle Wissen zum Strafrecht feilgeboten. Dabei wird suggeriert, das Neueste sei zugleich das Unentbehrliche. Die Praxis kann mit der Publikationsfrequenz nur noch schwer mithalten und liefert zu selten wirklich so viel Neues, das eine im Jahresrhythmus erfolgende Neubearbeitung von einer Auflage zur nächsten tatsächlich erforderlich machen würde. Zumindest scheint es nicht primär wissenschaftlicher Bedarf sondern wohl eher ökonomische Verlagsinteressen zu sein, die jene rege Publikationsflut verständlich macht und i.d.S. lohnend erscheinen lässt. In Zeiten der ›Kommentaritis‹ und der ›Lehrbuchmacherei‹, in denen der stetig anwachsende Bestand des rechtsdogmatischen Wissens zu immer kürzeren Darstellungen eingedampft werden muss, um leicht verkäuflich sein zu können, haben es Monographien zu Einzelthemen schwer. Zwar gibt es davon nicht etwa zu wenige, ihr Schicksal besteht aber nicht selten darin, weitgehend ungelesen allein in Fußnoten hinter den Kürzeln ›h. M.‹ oder ›a. A.‹ einsortiert zu werden; dort können sie dann hinter die Verweise auf Gerichtsurteile, andere (Lehr-)Bücher, Aufsätze oder Repetitorskripte an die Belegstellenketten angehängt werden. Leser solcher Standardwerke brauchen offenbar nur zu wissen, wer was im Ergebnis vertritt. Wer dies zur Kenntnis genommen hat, braucht sich nicht auch noch darum zu kümmern, warum jemand etwas – eventuell auch noch mit Gründen – geschrieben hat. In jenen Zeiten fehlt die Zeit für ausführlichere Auseinandersetzungen mit Problemen, deren Analyse sich der

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Einführung

Vereinfachung entzieht. Dies würde nämlich Differenzierungen voraussetzen, die sich nicht in Schemata zwängen oder auf bloße Meinungsstreitigkeiten reduzieren lassen. Gewiss ist es die Aufgabe der juristischen Dogmatik, komplexe Streitfragen in Kommentaren und Lehrbüchern in eine übersichtliche Form zu pressen, um sie vornehmlich für die Rechtsprechungspraxis oder das rechtswissenschaftliche Studium aufzubereiten und als handliche Wissenskonserve zugänglich zu machen. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass fast alle Strafrechtslehrer und zunehmend auch Praktiker die legislativen und judikativen Veränderungen kommentierend begleiten oder die eigenen Vorlesungsmaterialien in Buchform zu publizieren. Es gibt allerdings auch Fragestellungen, die sich einer reinen Dogmatik entziehen. So lassen sich vor allem die allgemeinen Grundlagenprobleme (Straftheorie, Schuldbegriff etc.) schon mangels Kodifizierung nicht allein dogmatisch bearbeiten. Deshalb sind sie bereits aus manchen Lehrbuchdarstellungen ganz verschwunden oder durften nur noch als Rudimente erhalten bleiben. Daneben gibt es aber auch reale oder fiktive Fallkonstellationen, die sich der schlanken Präsentation im Kommentar- und Lehrbuchstil verweigern und in diesen Darstellungsformen offensichtlich nur unangemessen kurz vorkommen. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sind es vor allem zwei Problemstellungen gewesen, die in dieser Weise aus dem dogmatischen Alltagsgeschäft herausragen: zum einen die Frage nach der Zulässigkeit von Foltermaßnahmen in Entführungsfällen bzw. zur Abwendung terroristischer Gefahren, zum anderen die Diskussion nach den New Yorker Anschlägen vom 11. September 2001, ob es in einer solchen Situation rechtlich zulässig sein könnte, ein von Terroristen gekapertes Flugzeug abzuschießen (Flugzeugabschuss-Fall). Anlässlich der Behandlung beider Problemlagen sind auch die philosophischen Fundamente der einschlägigen strafrechtlichen Begriffe wieder ausgegraben worden. So sind beispielsweise im Kontext der Folterdebatte einerseits die angeblich ›naturrechtlichen‹ Wurzeln des Notwehrrechts freigelegt worden, andererseits wird der Begriff der Menschenwürde mobilisiert. Zudem steht der Begriff des Rechts sowie Grund und Grenze einer Rechtfertigung zur Debatte. In ähnlicher Grundlagenorientierung wird im Rahmen der Notstandproblematik die Frage nach der Abwägbarkeit von so hohen Rechtswerten wie Leben und Würde diskutiert, die auch im Rahmen der Folterdiskussion eine wichtige Rolle spielen. Dies ist freilich nur möglich, wenn die begrifflichen Grundlagen dieser rechtlichen Ideale geklärt werden. Dafür erweist es sich als unerlässlich, einige philosophische Klassiker wiederzubeleben, denen die bis heute maßgebliche und grundlegende Begriffsarbeit zu diesen Problemen zu verdanken ist. An Themen wie diesen entdecken selbst die philosophisch ›unmusikalischsten‹ Dogmatiker die großen Philosophen für sich und werden zu Interpreten

Themenübersicht

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jener Theoriegrößen. Eine rasche Übersicht über deren Kernaussagen reicht freilich nicht aus, eine ausführliche Deutung im Kontext der philosophischen oder juristischen Gesamtsysteme zu ersetzen. Dabei ist es gerade die Aufgabe einer (rechts-)philosophischen Untersuchung, die begrifflichen Grundlagen zu klären, die sich hinter den konkreten Problemlagen verbergen. Hierunter ist weniger eine möglichst knappe Definition des einschlägigen Vokabulars gemeint. Es kann daher nicht darum gehen, einfache Begriffsbestimmungen für den dogmatischen Hausgebrauch zu liefern. Die Philosophie hat es vielmehr mit der Erkenntnis der Zusammenhänge zwischen der Begründung von Prinzipien und den daraus abzuleitenden Regeln zu tun. Die vorliegenden Studien bemühen sich darum, die zahlreichen Ansätze zur Lösung der beiden Problemfälle aufzunehmen und kritisch zu prüfen. Neben den strafrechtsdogmatischen Argumentationen, die sich primär an den geltenden Rechtsnormen orientieren, werden zu diesem Zweck diverse (rechts-)philosophische Begründungen auf die Probe gestellt.

II.

Themenübersicht

1.

Zum ersten Teil

In den nachfolgenden Studien sollen die Diskussionen über die beiden genannten Fallkonstellationen noch einmal ausführlich vorgestellt und damit zugleich der neueste – internationale – Forschungsstand präsentiert werden. Vollständigkeit ist dabei freilich weder erreichbar noch erstrebenswert. Es herrscht durchaus kein Mangel an mehr oder weniger ausführlichen Texten zu diesen beiden Themenkomplexen. Gerade in den letzten Jahren sind wichtige und gewichtige Arbeiten zu beiden Problemlagen veröffentlicht worden. Dennoch soll hier versucht werden, im Unterschied zu den meisten anderen Darstellungen einen erweiterten Blick auf die philosophischen Grundlagen der angesprochenen Thematiken zu werfen. Da die Debatten in Deutschland und im anglo-amerikanischen Bereich meist nebeneinander her laufen und sich nur gelegentlich berühren, bemühen sich die vorliegenden Untersuchungen insbesondere um eine Zusammenführung der Diskussionsstränge. Während in der deutschen Diskussionslandschaft ein Hang zur positiv-rechtlichen Argumentation dominiert, werden in englischsprachigen Beiträgen traditionell stärkere Beziehungen zur rechtsethischen Grundlagendebatte unterhalten. Obwohl speziell zur Folterproblematik international geltende Rechtsnormen in Kraft sind, zeigt sich, dass auf deren normative Bindungswirkung nicht immer Verlass ist. So ist die in den völkerrechtlichen Bestimmungen mit aller Deutlichkeit ausgedrückte Absolutheit des Folterverbots durch eine für viele offenbar wün-

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Einführung

schenswerte Auslegung rasch aufgeweicht worden. Daher ist es ratsam, sich noch einmal der vor-positiven Grundlegungen zu vergewissern, die zu diesen Regelungen geführt haben und die angedeuteten Interpretationen zumindest erschweren. Im ersten Teil geht es um die Debatte um die (Un-)Zulässigkeit von Foltermaßnahmen zur Erlangungen von möglicherweise lebensrettenden Informationen. Das erste Kapitel dieses Teils (! A. – S. 37–202) ist über weite Strecken der internationalen (englisch-sprachigen) Debatte gewidmet, die sich nicht zuletzt durch eine gewisse Interdisziplinarität gegenüber der doch sehr auf (straf)rechtsdogmatische Bordmittel zentrierten Diskussion dieses Themas in Deutschland auszeichnet. Gemeint ist damit die Rolle der ethischen und politischen Begründungsmuster, die im anglo-amerikanischen Bereich in dieser Frage viel größer ist als hierzulande. Gesucht wird beispielsweise die Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwieweit ein Verweis auf die Grundlagen der normativen Ethik oder Politik behilflich sein kann oder soll, das FolterProblem zu lösen. Dabei muss geklärt werden, ob und inwieweit die rechtliche Bewertung mit den ethischen bzw. politischen Lösungsansätzen identisch ist oder sich markante Unterschiede zwischen Recht, Ethik und politscher Philosophie ausmachen lassen. Nach einer eher allgemeineren Übersicht über die verschiedenen Erscheinungsformen und Wahrnehmungsweisen der Folterproblematik (! A. I. + II. – S. 37ff./40ff.) folgt ein ausführlicher Überblick über diverse Lösungsversuche (! A.III. – S. 50ff.). Hier geht es z. B. um Ansätze, die sich entweder am Begriff der Folter abarbeiten und im Wege einer Definition die Grenzen des Erlaubten abstecken möchten (! A.III.1. – S. 52ff.) oder einen gewissen Vorrang ethischer Prinzipien vor den positiv-rechtlichen Regelungen behaupten (! A.III.2. – S. 60ff.). Im Anschluss daran steht vor allem die ambivalente Stellung der Philosophie Immanuel Kants im Zentrum der Darstellung (! A. IV. – S. 82ff.). Es zeigt sich nämlich, dass sich keineswegs allein die Vertreter eines strikten Folterverbotes (! A. IV.1. – S. 82ff.), sondern zunehmend auch einige Befürworter einer ›Notwehr‹- oder ›Rettungs-Folter‹ auf bestimmte Positionen der kantischen Rechts- und Moralphilosophie berufen, um sie für ihre Zwecke einzusetzen (! A. IV.2. – S. 88ff.). Um die Berechtigung einer solchen Inanspruchnahme kritisch prüfen zu können, ist es zu diesem Zweck erforderlich, eine eingehende Interpretation der philosophischen Grundlagen Kants einzubeziehen, selbst wenn durch eine derart ausführliche Kant-Exegese der sonst übliche Rahmen einer juristischen Arbeit überdehnt zu werden droht. Die Bezugnahme auf philosophische Klassiker lässt sich jedoch nicht mit einigen Zitaten meistern, sondern verlangt eine intensivere Textarbeit. Dazu gehört auch die Beachtung des philosophischen Umfeldes, in dem Kant seine eigene Position platziert. Erst in der Auseinan-

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dersetzung mit anderen Theorien wird sein eigenes Profil geschärft. Selbst die Ansichten eines so originellen Denkers entstanden nicht in einem theoriefreien Raum. Dies betrifft speziell Kants Bestimmung der Begriffe einer freien Willkür bzw. des Willens in Relation zur praktischen Vernunft (! (4)+(5) – S. 109ff./ 118ff.). Das Verhältnis dieser Begriffe erweist sich als kompliziert und muss daher systematisch entfaltet werden. Die damaligen Diskussionen sind im hier interessierenden Kontext für die begriffliche Herleitung des Zusammenhangs zwischen Würde und Freiheit der Rechtssubjekte noch immer maßgebend. Wer die philologischen Mühen scheut, schwebt über dem Abgrund des Ungefähren und wird auch die philosophischsystematischen sowie geistesgeschichtlichen Zusammenhänge nicht erkennen können, die zwischen den Konzeptionen von Freiheit und Würde und der Begründung des Rechts bestehen. Die begriffliche Grundlegung ist daher notwendig, um die Unbestimmtheit jener Großbegriffe mindern zu können. Dazu müssen beispielsweise die straftheoretischen Aspekte der Kantischen Philosophie, sowie das Verhältnis von Freiheit und Recht näher betrachtet und in einen Zusammenhang mit der philosophischen Gesamtsystematik der Position Kants gerückt werden. In diesem Zusammenhang spielt auch der Begriff der Würde eine wichtige Rolle, auf den im weiteren Verlauf der Darstellung immer wieder Bezug genommen wird. Auf dieser so erarbeiteten philosophischen Grundlage baut auch die Behandlung des Themas des darauf folgenden Kapitels auf (! A.V. – S. 143ff.). Darin geht es um die spezifisch rechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Probleme der Folterproblematik. Die Philosophie Kants und die auf sie gestützte Vernunftrechtslehre seiner Zeit legen nämlich den Grundstein für ein Rechtsverständnis, das von der Würde jeder Person auszugehen hat. Zu diesem Zweck ist die aufeinander bezogene Bedeutung dieser beiden Grundbegriffe – Person und Würde – in diesem philosophiehistorischen Kontext zu rekonstruieren. In dieser nicht allein für die Rechtsphilosophie so entscheidenden Periode haben sie ihre bis heute maßgebliche Prägung erhalten (! A.V.1. – S. 146ff.). Beiden Begriffen wird in jener ›Gründerzeit‹ des modernen Rechtsstaatsdenkens (um 1800) ein im Vergleich zu ihrer vorherigen Verwendung im neuzeitlich-klassischen Naturrecht neuer Stellenwert zugeschrieben. Dies trägt entscheidend zu einer veränderten Auffassung vom Recht selbst bei. Um dies verstehen zu können, gilt es, den damals vollzogenen Wandel der Begrifflichkeit von der traditionellen naturrechtlichen Statusbezogenheit einer Rechtsperson und ihrer juristischen Dignität (! a) – S. 147ff.) zu dem vernunftrechtlichen Verständnis einer allen Menschen gleichermaßen zukommenden personalen Würde nachzuvollziehen (! b) – S. 152ff.). Durch diese begriffliche Veränderung wandelt sich nicht zuletzt auch die rechtliche Beziehung der Personen im Recht und ihre Bedeutung

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Einführung

für die Begründung eines Rechtsstaats (! A.V.2. – S. 160ff.). Dies ist wichtig, um das Rechtsverhältnis des Einzelnen zum Staat verstehen zu können. Erst vor diesem Hintergrund wird der volle Umfang der rechtlichen Problematik der Folter überhaupt verständlich. Wenn durch die Anwendung der Tortur die Würde einer Person missachtet wird, die Achtung der Würde aber konstitutiv für ein inter-personales Rechtsverhältnis ist, dann kann ein derartiges Vorgehen aus begrifflichen Gründen schon nicht als Rechtsakt gelten: die Folter erweist sich als rechtliche Unmöglichkeit; wer foltert begeht nicht nur eine Unrechtstat, sondern operiert jenseits der Grenzen des Rechts (! A.V.3. – S. 163ff.). Das Unmögliche lässt sich freilich nicht auf die Zufügung physischer Schmerzen oder psychischen Leids zurückführen, vor dem das Recht eher aus humanitären Gründen oder aus Mitleid zurückschrecken müsste (! a) – S. 164ff.). Es ist vielmehr die durch jede Folterung zum Ausdruck gebrachte Entwürdigung und Ent-Persönlichung die jene Unmöglichkeit ausmacht. Die Begriffe von Recht und Rechtsstaat setzen nämlich ein Verhältnis zwischen Personen voraus, die ihre Würde wechselseitig achten (! b) – S. 167ff.). Die ausführliche Darlegung einer solchen philosophischen Begründung eines absoluten Folterverbots ergänzt die historisch gewachsene Abscheu vor der Tortur, mit der sich viele Gegner eines Foltereinsatzes begnügen. Die eingehende Erörterung der philosophischen Grundlegung erweist sich als nötig, um die bloß positivistischen Argumente vieler Foltergegner, die sich lediglich auf die geltenden – internationalen – Anti-Folter-Gesetze stützen, mit einer Begründung abzusichern, die nicht an änderbaren Regelungen hängt, sondern an den Begriff des Rechts selbst anknüpft. Die Erfahrung zeigt, dass man sich nicht allein auf die Kraft positiver Gesetze verlassen kann, die allzu oft in Anbetracht politischer, moralisierender oder auch schlicht ›vernünftelnder‹ Trends schwach wird. Die philosophische Herleitung bleibt auch maßgebend bei der Auseinandersetzung mit den Versuchen, Foltermaßnahmen mit einem Rettungsauftrag der Politik zu legitimieren, der jenseits des Rechts liege (! A. VI. – S. 171ff.). In dieser Hinsicht gilt es vor allem, sich zum einen mit Max Webers Ansatz einer politischen Verantwortungsethik zu beschäftigen, in dessen Namen immer wieder mal alle möglichen machtgeschützten (Staats-)Aktionen gerechtfertigt werden sollen (! 1. – S. 171ff.); zum anderen muss diesbezüglich zu Carl Schmitts ›politischer Theologie‹ Stellung bezogen werden (! 2. – S. 175ff.), die gelegentlich zur Begründung unrechter Maßnahmen in Ausnahmezuständen herangezogen wird, zu denen auch die Folter zählen soll. In diesem Zusammenhang gilt es insbesondere das Verhältnis zwischen Recht und Politik zu justieren (! 3. – S. 178ff.). Hier werden bereits einige Aspekte jener Argumentation angedeutet, die in einem anderen Zusammenhang in Kapitel B. des 2. Teils dann ausführlich vorgestellt werden (! S. 388ff.). Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit den ›politischen‹ Ansätzen soll

Themenübersicht

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dann ein erster Blick auf die strafrechtszentrierte Debatte um die Absolutheit des Folterverbots geworfen werden (! A.VII. – S. 181ff.), der dann im zweiten Kapitel des ersten Teils (! B. – S. 203ff.) intensiviert wird. Dort wird dann auch der Begriff der Würde wieder aufgegriffen und auf der philosophiehistorisch entfalteten Grundlage weiter präzisiert (! B.I. – S. 204ff.). Nach einem kurzen Überblick über die (Vor-)Geschichte der Folterdiskussion in Deutschland (! B.III. – S. 225ff.) wird schließlich der aktuelle Stand der Debatte kritisch dargestellt (! B.IV. – S. 240ff.). Neben einem eher kursorischen Überblick über die verschiedensten Kritiken (S. 241ff.) bzw. Befürwortungen einer Rettungsfolter (S. 243ff.) steht vor allem die Auseinandersetzung mit zwei Legitimationsbemühungen im Mittelpunkt: zum einen die Versuche, durch verfassungsrechtliche Interpretation die Stellschrauben der Absolutheit des Würdeanspruches zu lockern (S. 249ff.), zum anderen die strafrechtsspezifische ›Notwehr-Lösung‹ (S. 256ff.). Den Abschluss dieses Kapitels bildet dann eine resümierende Erinnerung an das grundlegende Verhältnis zwischen dem Würdeschütz und dem absoluten Folterverbot (S. 264ff.).

2.

Zum zweiten Teil

Der zweite Teil des Buches widmet sich der nicht minder kontrovers diskutierten Frage, wie eine Tötung von Menschen zur Rettung anderer rechtlich bewertet werden kann. Ausgangspunkt ist das Szenario des 11. Septembers 2001, das die einschlägige Fallkonstellation liefert: ein von Terroristen entführtes Flugzeug wird als Angriffsmittel verwendet, um einen Anschlag auf ein voll besetztes Hochhaus durchzuführen, bei dem eine Vielzahl von Menschen sterben sollen. Seit den New Yorker Anschlägen wird weltweit darüber nachgedacht, welche Rechtsfolgen ein Abschuss einer solchen ›Terrormaschine‹ haben könnte. In Kapitel A. dieses Teils werden die diversen (straf-) rechtlichen Lösungen, die inzwischen entwickelt wurden, vorgestellt (! S. 271ff.). Nach einer kurzen Klärung des allgemeinen Verbrechensbegriffs mit seiner hierzulande etablierten Unterscheidung zwischen Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld (! A.I. – S. 271ff.) stehen zunächst die diversen Ansätze im Fokus, die sich um eine Rechtfertigung einer solchen ›Rettungs-Tötung‹ bemühen (! A.II. – S. 276ff.). Trotz der Vielfalt der Lösungsangebote kommen die entsprechenden Theorien darin überein, dass das Unrecht einer solchen Tat zur Rettung der Menschen am geplanten Anschlagsort ausgeschlossen sei. Dazu zählen zunächst Versuche, den Grund einer Rechtfertigung im Willen der Abschussopfer selbst zu suchen. Zu der vereinzelt vertretenen Ansicht, ein Abschuss könnte von der (mutmaßlichen) Einwilligung der Betroffenen gedeckt sein (! A.II.2.a) – S. 279ff.), hat sich in dieser Hinsicht inzwischen ein neuer

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Einführung

Begründungsansatz gesellt. Danach soll ein vertragstheoretisch zu begründendes Solidaritätsprinzip dafür sorgen, dass alle potenziell betroffenen Menschen einem Abschuss aus rationalen Überlegungen zustimmen würden, wenn vorab darüber abgestimmt werden könnte (! A.II.2.b) – S. 281ff.). In einem entsprechenden Gedankenexperiment müsste eine solche Lösung aus Gründen der Solidarisierung der ohnehin unrettbar verlorenen Menschen im Flugzeug mit den Menschen am Anschlagsort obsiegen. Die philosophische Patenschaft für diese Meinung soll die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls übernehmen. Um die Tragfähigkeit dieser Grundlegung überprüfen zu können, ist es daher notwendig, einerseits den allseits beliebten Begriff der Solidarität zu klären (! S. 286ff.), sowie andererseits die Belastbarkeit der gerechtigkeitsphilosophischen bzw. vertragstheoretischen Argumente für die konkrete Fallkonstellation zu testen (! S. 317ff.). Die begriffliche und ideengeschichtliche Klärung offenbart dabei die Vagheit des Wortes Solidarität, das sich als kaum tragfähige Basis für eine todbringende Entscheidung erweist. Aber auch die in Anspruch genommene Gerechtigkeitstheorie von Rawls weigert sich bei näherem Hinsehen, für eine solche Legitimation als Zeuge zur Verfügung zu stehen. Letztlich zeigt sich, dass eine solidarische Aufopferungsverpflichtung ebenso wenig zu überzeugen vermag wie die ›Einwilligungslösung‹. Eine lediglich zu mutmaßende Zustimmung zum eigenen Tod zur Rettung anderer Menschen lässt sich weder auf die Grundsätze der allgemeinen Einwilligung stützen noch auf ein Solidaritätsprinzip zurückführen und kann daher keine rechtfertigende Wirkung entfalten. Nach der Klärung der Unanwendbarkeit der Notwehrregelung gem. § 32 StGB (! A.II.3. – S. 332ff.) wendet sich die Studie der Prüfung einer möglichen Rechtfertigung nach Notstandsgesichtspunkten zu (! A.II.4. – S. 334ff.). Der rechtfertigende Notstand gilt vielen als aussichtsreichster Kandidat für eine strafrechtsrelevante Legitimation eines Abschusses. Als problematisch erweist sich allerdings bereits die grundsätzlich anzunehmende Abwägungsfestigkeit menschlichen Lebens. Eine rechtfertigende Wirkung lässt sich letztlich nur unterstellen, wenn eine Rettung vieler Menschen auf Kosten des Lebens weniger für möglich gehalten wird. Zur Begründung werden verschiedene Argumente vorgebracht: Zum einen wird vorgeschlagen, eine in der normativen und politischen Ethik ebenso gebräuchliche wie umstrittene Nutzenkalkulation in den strafrechtlichen Rechtfertigungsdiskurs einzuführen (! S. 337ff.); danach könnte die mögliche Rettung der Flugzeuginsassen durch Hinweis auf die größere Zahl der geretteten Menschenleben legitimiert werden. Andere sehen eine erweiterte Zurechnungsmöglichkeit als Grund für eine Notstandsrechtfertigung, insoweit die Menschen im Flugzeug – wenn auch nur zufällig – auf die Seite der Terroristen gezogen und nun quasi gefahrtragungspflichtig werden; die im Flugzeug entführten werden zum Bestandteil der Sache, von der die Gefahr

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ausgeht, und gerade deshalb haftbar gemacht (! S. 342ff.). Schließlich wird von einigen auf die fehlenden Rettungsmöglichkeiten verwiesen (! S. 346ff.): während die Menschen am geplanten Anschlagsort noch gerettet werden, seien die Passagiere im Flugzeug ohnehin verloren. Genau diese Kalkulation der unterschiedlichen Chancenverteilung könne für eine Rechtfertigung den Ausschlag geben. Eine weitere Möglichkeit des Unrechtsausschlusses wird im Verweis auf die bestehende Kollision divergierender Pflichten gesehen (! A.II.5. – S. 350ff.). Immerhin gehe es bei der Rettungsaktion darum, dass der Staat seiner Verpflichtung zur Rettung bedrohter Menschen nachkomme. Insofern kollidiere diese positive Pflicht zum Schutz von Menschenleben mit der negativen Pflicht zur Vermeidung staatlicher Verletzungshandlungen. Obwohl nicht selten ein genereller Vorrang der letztgenannten Unterlassungspflicht angenommen wird, die jede todbringende Rettungsaktion blockiere, soll doch ausnahmsweise der aktiven Rettungspflicht der Vorzug zu geben sein. Insofern müsse zumindest in Zeiten eines globalen ›Krieges gegen den Terrorismus‹ eine Wahlmöglichkeit des Staates bestehen. Andernfalls müsse nämlich der Staat als wehrlos gelten und Terroranschläge tatenlos geschehen lassen. Um dieses politisch fatale Signal einer staatlichen Wehrlosigkeit unterbinden zu können, bedürfe der Staat eine entsprechende Abschusserlaubnis. Im Anschluss an diese Theorien, die eine Rechtfertigung für möglich halten, werden noch einige Ansätze vorgestellt, die den Abschuss einer Terrormaschine in der fraglichen Situation zwar nicht unter die genannten Rechtfertigungsgründe subsumieren möchten, sich im Ergebnis aber dennoch gegen die Rechtswidrigkeit einer solchen Rettungsaktion aussprechen. In derart tragischen Konstellationen könne das Strafrecht zu keinen eindeutigen Bewertungsergebnissen gelangen, da das übliche Urteilsschema versage. Der Fall sei letztlich unentscheidbar. Zu diesem Ergebnis gelangt man, wenn die Tötung in diesem Fall mangels Rechtfertigungsgrund sowohl für rechtswidrig als auch zugleich für rechtmäßig gehalten wird (! S. 352f.) oder aber : wenn sie weder für gerechtfertigt noch für rechtswidrig erklärt werden soll, da eine solche Situation als eine nicht bewertbare Ausnahme vom Recht gelte (! S. 354ff.). Während diese Entscheidung für die Nicht-Entscheidbarkeit in neueren Varianten eher behauptet als begründet wirkt, lässt sie sich auf diverse Versionen der ›Lehre vom rechtsfreien Raum‹ zurückführen, die deshalb etwas ausführlicher präsentiert wird (! A.II.7. – S. 356ff.). Nach einem kurzen Überblick über die Historie dieser immer wieder einmal auftauchenden Lehre von der Rechtsleere bestimmter Entscheidungen werden die beiden Grundversionen vorgestellt und auf ihre Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall überprüft: die Rechtsfreiheit lässt sich dabei zum einen auf den Handlungszeitpunkt beziehen; dann handelt ein Akteur bereits in einem rechtsfreien Raum und sein Verhalten stellt sich als

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Einführung

›unverboten‹ dar, d. h. es gilt weder als verboten noch als geboten und nicht einmal als erlaubt (! S. 361ff.). Das Recht schweigt und bietet den Akteuren keine verhaltensleitende Regelung. Während diese erste Variante eine ex-antePerspektive einnimmt und den Akteur von Anfang an von jeder rechtsüblichen Klassifizierung befreit sieht, lässt sich zum anderen von Rechtsfreiheit in Bezug auf die (ex-post-)Bewertbarkeit einer Fallgestaltung sprechen; in manchen Situationen ist das Recht gleichsam überfordert mit seiner simplen Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht. Wenn es zu kompliziert wird, dürfe auf eine entsprechende Beurteilung verzichtet werden, denn es könne eben nicht alles rechtlich bewertet werden. In manchen Fällen müsse sich das Recht eben allen Wertungen enthalten (! S. 364ff.). Schließlich wird noch eine neuere Ansicht diskutiert, die zwar nicht unter dem Label der ›Lehre vom rechtsfreien Raum‹ firmiert, der Sache nach aber zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. Danach könne das Recht in der hier relevanten Situation keine Erlaubnis für die Tötung von Menschen zur Rettung anderer aussprechen, da ganz grundlegende Rechtsprinzipien dagegen sprechen; dennoch herrsche rein faktisch eine Ausnahmelage, die eine entsprechende Rettungsaktion gleichsam außer-rechtlich gebiete. Die normativen Gründe, die gegen das Töten sprechen, sollen zwar weiterhin ihre Geltung bewahren, sie verlieren aber gleichsam ihre Verpflichtungskraft im Angesicht der Faktizität der realen Möglichkeit der Lebensrettung (! S. 368ff.). Auch wenn sich die zuletzt skizzierten Lösungsansätze nicht für eine formelle Rechtfertigung der fraglichen Rettungstötung aussprechen, so soll aus ihnen dennoch eine quasi-rechtfertigende Wirkung für die entsprechende Handlung resultieren. Selbst wenn kein passendes Etikett verteilt wird, müsste der Abschuss einer Terrormaschine letztlich als rechtmäßig behandelt werden. Rechtsfolgenpraktisch kommt eine Bewertungsindifferenz einer Feststellung der Rechtmäßigkeit gleich. Die Rechtswidrigkeit müsste nämlich positiv festgestellt werden. Mangels einer solchen Unrechts-Feststellung bleibt es bei einer rechtswirksamen – rechtfertigungsgleichen – Sanktionslosigkeit, die schon kein Unwerturteil ausdrückt. Die kritische Auseinandersetzung mit den genannten Rechtfertigungslösungen führt im Ergebnis zu ihrer Ablehnung. Der Abschuss einer Terrormaschine kann letztlich nicht gerechtfertigt werden. Damit ist das Strafrecht freilich nicht mit seinem Latein am Ende. Jenseits der Rechtfertigungsgründe lässt sich die Möglichkeit einer Entschuldigung prüfen. Die entsprechenden Ansätze werden in den abschließenden Abschnitten des ersten Kapitels von Teil 1 unternommen (! A.III. – S. 376ff.). Im Unterschied zu einer Rechtfertigung nimmt eine Entschuldigung nicht die abstrakte Differenz zwischen Recht und Unrecht sondern die konkreten Umstände des Falles und die Handlungszwänge des Handelnden in den Blick. Dabei zeigt sich, dass mit Rücksicht auf die be-

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sondere Notsituation und den dadurch erzeugten Handlungsdruck eine wirklich freie Entscheidung dessen, der für einen Abschuss zuständig wäre, nicht möglich ist. Darin kann eine entschuldigende Wirkung gesehen werden. Allerdings stößt auch eine solche Entschuldigungsmöglichkeit an normative Grenzen. Soweit durch die in Rede stehende Rettungsaktion bis dahin völlig unbeteiligte Menschen ums Leben kommen sollten, könnte dies nicht mehr entschuldigt werden (S. 383ff.). In Kapitel B. des zweiten Teils (S. 387ff.) wird der Flugzeugabschuss-Fall noch einmal als Ausgangspunkt genommen, um eine auch international beliebte Legitimation von Rettungstötungen zu diskutieren. Gemeint ist die aktuelle Beschlagnahme der ›Politischen Theologie‹ von Carl Schmitt, die benutzt wird, einen permanente Ausnahmezustand auszurufen, in dem die Geltung des normalen Rechts suspendiert werde. Nach eingehender und kritischer Analyse von Schmitts rechtlich-politischer Begrifflichkeit (S. 388ff.) werden einzelne Ansätze behandelt und im Ergebnis abgelehnt, die sich innerhalb der aktuellen Debatte auf diese Theorie berufen haben (S. 428ff.).

Teil 1: »Notwehr-Folter«?

A.

Folterdebatte – international + interdisziplinär

Am Anfang soll die Schilderung einer Begebenheit stehen, die auf den ersten Blick so gar nichts mit dem für diesen ersten Teil angekündigten Thema zu tun zu haben scheint. Erst am Ende des Kapitels (S. 201f.) soll eine kurze Erklärung über den Zusammenhang zwischen dieser kleinen Geschichte und dem vorzutragenden Problem nachgereicht werden, die dann jedoch eventuell gar nicht mehr erforderlich sein mag: In der Wochenzeitung Die Zeit (Nr. 14) vom 27. März 2002 (S. 42) wurde die Aufzeichnung eines Funkgespräch wiedergegeben, das angeblich im Oktober 1995 zwischen einem Schiff der US-Marine und dem Funker einer kanadischen Seebehörde stattgefunden hatte. Dabei forderten die Amerikaner die Kanadier auf: »Bitte Ändern Sie Ihren Kurs 15 Grad nach Norden, um eine Kollision zu vermeiden.«. Der kanadische Funker antwortete: »Ich empfehle, Sie ändern Ihren Kurs 15 Grad nach Süden, um eine Kollision zu vermeiden.« Darauf die Amerikaner : »Dies ist der Kapitän eines Schiffs der US-Marine. Ich sage noch einmal: Ändern Sie Ihren Kurs.« Der Kanadier : »Nein. Ich sage noch einmal: Sie ändern Ihren Kurs.« Inzwischen offensichtlich gereizt wegen des ungewohnten Widerspruchs, antworten die Amerikaner nunmehr eindringlich: »Dies ist der Flugzeugträger USS Lincoln, das zweitgrößte Schiff der Atlantikflotte der Vereinigten Staaten. Wir werden von drei Zerstörern, drei Kreuzern und mehreren Hilfsschiffen begleitet. Ich verlange, dass Sie Ihren Kurs 15 Grad nach Norden, das ist eins-fünf Grad nach Norden, ändern, oder es werden Gegenmaßnahmen ergriffen, um die Sicherheit dieses Schiffes zu gewährleisten.« Darauf die Kanadier : »Dies ist ein Leuchtturm. Sie sind dran.«

I.

Eindeutige Gesetzeslage

Der Titel dieses Kapitels könnte auch lauten: Probleme der Folter in rechtswissenschaftlicher Perspektive. Die Rechtswissenschaft ist dabei keineswegs die einzige Disziplin, die das Phänomen der Folter in den Blick nimmt. Es sind noch

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

zahlreiche andere Wissenschaften bzw. Wissenschaftler mit dieser Problematik betraut,1 namentlich etwa Mediziner/Psychiater2, Psychologen, (Moral-)Philosophen, Politik- und Sozialwissenschaftler sowie (Rechts-)Historiker. Sie alle sind auf je unterschiedliche Weise an der Untersuchung dieses Phänomens beteiligt. Als Rechtswissenschaftler ist man anfangs geneigt zu behaupten, die Folter dürfte aus juristischer Sicht eigentlich keine Probleme mehr bereiten; sie eigne sich allenfalls noch als rechtshistorisches Thema, aber nicht als Beispiel für eine aktuelle rechtsdogmatische Aufgabenstellung, die Anlass für juristische Auslegungs- oder Meinungsverschiedenheit sein könnte. Es gibt wohl kaum eine Verhaltensweise, deren rechtliche Bewertung so eindeutig geregelt zu sein scheint, wie jene Handlungen, die man als Folter bezeichnen kann. Dabei variiert freilich der Umfang dessen, was darunter zu verstehen ist, durchaus sehr stark (dazu auch unten S. 52ff.). Es lassen sich zahlreiche nationale und internationale Rechtsvorschriften und Vereinbarungen benennen, in denen die Unzulässigkeit entsprechender Maßnahmen mehr oder weniger eindeutig zum Ausdruck gebracht wird: Allen voran gilt im deutschen Recht die Menschenwürdegarantie des Art. 1 I GG als unhintergehbare Sperre für sämtliche Foltertätigkeiten. Gerade im Hinblick auf die Geschichte lässt sich kaum eine vergleichbar große Missachtung der Würde eines Menschen denken; sie wird meist darin gesehen, einer Person Schmerzen zuzufügen, um sie gegen ihren Willen zu einem selbstschädigenden Verhalten zu bringen. Die Selbstschädigung besteht dabei regelmäßig in einer selbstbelastenden Aussage. Zudem bestimmt Art. 104 I S.2 GG, dass »Festgehaltene Personen … weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden« dürfen – egal zu welchem Zweck.3 Auf internationaler Ebene regelt Art. 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (vom 10. 12. 1948), dass niemand der »Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden« darf; mit einem ähnlichen Wortlaut setzen auch Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (vom 4. 11. 1950) sowie Art. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (vom 19. 12. 1966) das Folterverbot fest. Schließlich haben sich zahlreiche Staaten in einem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (vom 10. 12. 1984 – sog. Anti-Folter1 Zur interdisziplinären Arbeit an diesem Thema siehe etwa die (theologische) Dissertation von F. Lamprecht, Darf der Staat foltern, 25ff., sowie K. Altenhain u. a., in: Wiederkehr der Folter?, 11ff. 2 Vgl. etwa J.B. Aldenhoff / C. Huchzermeier, in: H. Ostendorf (Hg.), Folter, 81ff.; J. Wiethoff HuV-I 17 (2004), 105ff. 3 Hierzu F. Rottmann, in: H. Goerlich (Hg.), Staatliche Folter, 75ff.; B. Beutler, Strafbarkeit, 90ff.; C. Horlacher, Auskunftserlangung, 136ff.; A.K. Weilert, Grundlagen, 114ff.; s.a. C. Enders, in: »Rettungsfolter«, 144ff.; M. Kahlo, in: Strafrecht in der Zeitenwende, 60ff.

Eindeutige Gesetzeslage

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Konvention) dazu verpflichtet »wirksame gesetzgeberische, verwaltungsmäßige, gerichtliche oder sonstige Maßnahmen« zu treffen, um »Folterungen in allen« der jeweiligen »Hoheitsgewalt unterstehenden Gebieten zu verhindern« (Art 2 I Anti-Folter-Konvention). Art. 2 II dieser Konvention schließt sogar die Möglichkeit einer »Rechtfertigung für Folter« selbst für den Fall aus, dass »Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder sonstiger öffentlicher Notstand« herrscht.4 Mehr Gesetzestext zur Unterbindung bestimmter Handlungsweisen, die auf den Sammelbegriff der Folter gebracht werden, findet sich sonst kaum noch. Dabei schien nicht nur die Legalität, sondern auch die Legitimität dieser eindeutigen Verbote lange Zeit so gut wie zweifelsfrei zu sein; positives Recht und vorpositive Begründungen scheinen nahezu deckungsgleich. Gesetzestexte und der rechts-ethische Legitimationsdiskurs stimmten überein. 1985 hat beispielweise Elaine Scarry in ihrem viel beachteten Buch ›The Body of Pain‹ noch konstatieren können: »An intelligent argument on behalf of torture … is an conceptual impossibility«.5 Auch Henry Shue hat vor nunmehr fast vier Jahrzehnten schon darauf aufmerksam gemacht, dass es neben der Ächtung von Sklaverei wohl nichts gibt, was vergleichbar eindeutig politisch und rechtlich verpönt zu sein schien, wie die Folter6 – jedenfalls wenn man den offiziellen Verlautbarungen dazu Glauben schenken möchte. Für diesen inzwischen häufig anzutreffenden Vergleich7 wird sogar eine Gemeinsamkeit geltend gemacht, die jene Ächtung begründe: für Folteropfer wie für Sklaven wird gleichermaßen vermutet, dass es im Rahmen eines asymmetrischen Machtverhältnisses um die Behandlung von Menschen geht, »who quite literally have ›no rights‹ «; darin sieht zumindest der US-amerikanische Rechtsgelehrte Sanford Levinson die entscheidende Parallele zwischen Sklavenhaltung und Folter.8 Ganz in diesem Sinne wurde offenbar unter den Vernehmungsexperten des US-Militärs im 4 Ausführlich zu den völker- und verfassungsrechtlichen Rechtsquellen zum Folterverbot: J.-M. Zeller, Folter, 17ff.; D. Steiger, Folterverbot, 81ff.; S. Schmahl / D. Steiger AVR 43 (2005), 360ff.; J.O. Merten, JR 2003, 405ff.; A. Guckelberger, VBlBW 2004, 121ff.; M. Hong, in: Rückkehr der Folter, 26ff.; T. Bruha / C.J. Tams, ApuZ 36/2006, 16ff.; K.H. Gössel, Otto-FS, 42ff.; U. Pajarola, Gewalt, 93ff.; E.A. Wilson, New England Journal on Criminal and Civil Confinement 39 (2013), 41ff.; B. Beutler, Strafbarkeit, bes. 135ff.; A. Stein, Verbot, 101ff.; F. Lamprecht (Fn. 1), 74ff./ 87ff.; A. Bahar, Folter, 29ff.; L. Sonderegger, Rückkehr der Folter?, 69ff. sowie die Nachweise unten S. 223 Fn. 73. 5 Zitiert nach M. Osiel, End of Reciprocity, 390 m.N. auf S. 648 Fn. 1. 6 H. Shue, P& P Affairs 7 (1978), 124. 7 Siehe etwa J.T. Ulbrick, Northwestern Journal of International Human Rights 5 (2005), 212; C. Card, Criminal Law and Philosophy 2 (2008), 1f.; K. Günther, in: Rückkehr der Folter, S. 108; C.C. Herbst, Aussageerzwingung, 137f.; H. Bielefeldt, in: Menschenwürde, 40; D. Luban, Torture, X/135/306. 8 S. Levinson, Social Research 74 (2007), 149ff./164ff. (150). Soweit nicht anders angegeben sind alle Hervorhebungen jeweils vom Original übernommen.

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

Kampf gegen den Terrorismus die – inoffizielle – Losung ausgegeben: »rule number one is, terrorists have no rights«.9 Den Rechtlosen geschieht dann eben kein Unrecht, wenn sie einer ›verschärften Vernehmungsmethode‹ unterzogen werden. Eben jene Rechtlosigkeit sollte durch die Vielzahl rechtlicher Regelungen gerade verhindert werden; sie drücken ein Recht auf Freiheit von jeglicher Folter aus. Ebenso wenig wie jemand mit Recht versklavt werden kann, darf jemand unter Berufung auf bestimmte rechtliche Interessen gefoltert werden. Bei Gelegenheit dieser Parallelisierung zwischen Folter und Sklaverei kann man wohl auch in Anlehnung an Bernard Williams Behauptung, dass es noch »etwas schlimmeres gibt als die Akzeptanz der Sklaverei: ihre Rechtfertigung« (Scham, S. 129), sagen, dass entsprechendes lange Zeit auch für die Stellungnahmen zur Folter gegolten hat.10 Schon der Hauch einer Legitimationsbemühung konnte ausreichen, den Verdacht eines Rückfalls in die rechtlich-politische Steinzeit auszulösen. Dieser Eindeutigkeit entsprechend könnte der Text eigentlich an dieser Stelle bereits mit der schlichten Feststellung beendet werden: Der Einsatz von Folter ist niemals zu rechtfertigen und daher immer Unrecht; diese schlichte Feststellung zu treffen, stellt im Hinblick auf die glasklare Rechtslage gar kein rechtswissenschaftliches Problem dar.

II.

Unübersichtliche Diskussionslage

Bis vor wenigen Jahren hätte dieses Fazit wohl auch noch ausgereicht, wenn ein Rechtswissenschaftler zu den Problemen der Folter befragt wurde. Folter war allenfalls noch Gegenstand von Rechtshistorikertagungen, im Übrigen herrschte angesichts der ungewöhnlich klaren Gesetzeslage kaum noch Klärungsbedarf. Auch sonst galt das Thema zumindest für die westliche Welt als erledigt. So war etwa in der 11. Auflage der ›Encyclopaedia Britannica‹ aus dem Jahr 1911 im Artikel zur Folter dementsprechend zu lesen: »the whole subject is now one of only historical interest as far as Europe is concerned«.11 Die Auseinandersetzung um mögliche Bedingungen einer zulässigen Anwendung der Tortur gehört daher eigentlich der Vergangenheit an. Zumindest an dem Wörtchen ›eigentlich‹, das nun schon mehrfach gefallen ist, lässt sich jedoch schon erkennen, dass es inzwischen doch nicht mehr ganz so einfach zu sein scheint. Das ›Eigentliche‹ ist hier das Schlupfloch, durch das die vermeintlich fest eingeübte Urteilssicherheit 9 Zit. nach M.K. Wynia, ajob5/1 (2005), 4, der sich (in Fn. 1) auf die entsprechende Information einer im Irak eingesetzten militärischen Vernehmungsperson beruft. 10 Daran erinnert auch C. Kutz, California Law Review 95 (2007), 235. 11 Zitiert nach M. Osiel, End of Reciprocity, 649 Fn. 3.

Unübersichtliche Diskussionslage

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in die Unsicherheit des Problematischen entweichen kann. Die Folter hat sich längst wieder – in den zutreffenden Worten H.J. Curzers – »from nightmare to newspaper« bewegt.12

1.

Anlässe zur Diskussion

Mindestens zwei Ereignisse sind zu nennen, die der besagten Problematik wieder juristische Brisanz verliehen haben und das Unzeitgemäße zeitgemäß machen: – einerseits sind es die erschreckenden Informationen über die Behandlungsmethoden innerhalb us-amerikanischer Militärstraflager (in der kubanischen Guantanamo Bay Naval Base, auf der Air Base im afghanischen Bagram (Baghran), im irakischen Abu Ghraib und anderswo).13 Diese mit schockierenden Bildern flankierten Vorkommnisse sind zunächst nur gerüchteweise aufgekommenen und als vereinzelte Fehlgriffe abgetan worden. Inzwischen wurden die schlimmen Befürchtungen durch die vom US-Senat in Auftrag gegebene und Ende 2014 veröffentlichte »Committee Study of the Central Intelligence Agency’s Detention and Interrogation Program« (hier ›CIA-Report‹ genannt – vgl. die Fundstelle im Abkürzungsverzeichnis) gleichsam offiziell bestätigt. – andererseits ist es der hierzulande bekannt gewordene ›Frankfurter Fall‹, in dem ein stellvertretender Polizeipräsident die Anwendung unmittelbaren Zwangs für den Fall angeordnet hat, dass der zu verhörende Kindesentführer sich noch länger weigern sollte, den Aufenthaltsort des entführten Jungen preiszugeben und dies in einem Aktenvermerk festgehalten hat (dazu noch die ausführlichere Schilderung unten S. 223f.).14 Die angedeuteten Vorkommnisse sind freilich kaum vergleichbar und nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, den man als Folter bezeichnet. Gleichwohl gehören sie gemeinsam zur Geschichte der neueren Diskussion. 12 H.J. Curzer, The Southern Journal of Philosophy XLIV (2006), 32. 13 Vgl. dazu D. Steiger, Folterverbot, 51ff./63ff.; A. Stein, Verbot, 363ff.; R. Brody, in: Torture, ed. by K. Roth et al., 145ff.; K. Mladek, in: T. Weitin (Hg.), Wahrheit und Gewalt, 243ff.; M. Bagaric/ J. Clarke, University of San Francisco Law Review 39 (2005), 594 ff; und ausführlich mit zahlreichen Dokumenten und den schockierenden Fotos M. Danner, Torture and Truth, 78ff. 14 Siehe die Darstellung des Sachverhaltes im Urteil des LG Frankfurt NJW 2005, 692f.; ausführlich zu diesem Fall D. Anders, in: H. Goerlich (Hg.), Staatliche Folter, 18ff.; C. Adam, Gefahrabwendungsfolter, 15ff.

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

Nicht die Tatsache, dass nun auch in amerikanischen Lagern gefoltert worden ist oder dass ein deutscher Polizist Zwangsmaßnahmen angedroht hat, konnte dafür sorgen, dass diese Problematik wieder auf der Tagesordnung juristischer Auseinandersetzungen steht. Kaum jemand hat je geglaubt, dass diese Praktiken tatsächlich nicht mehr angewendet worden seien, nur weil sie in zahlreichen Rechtsvorschriften als Unrecht gebrandmarkt werden. Der Verdacht ist stets bestehen geblieben: gefoltert wurde immer schon und wird immer noch – irgendwo und irgendwie.15 Insofern ist die häufig zu lesende Floskel von einer »Rückkehr der Folter«16 zumindest ungenau; sie war nie wirklich weg, ihr Verschwinden bleibt ein Wunsch.17 Bestätigt wurde diese düstere Vermutung beispielsweise durch die Untersuchungen von Manfred Nowak, dem ehemaligen UNO-Sonderberichterstatters über Folter : in 17 von 18 der von ihm untersuchten Staaten – freilich sehr unterschiedlich gravierende – musste er Fälle von Folterungen feststellen.18

2.

Neue Vielfalt der Wahrnehmung von Folter

Vielleicht wird das Verbot von Folter sogar nur deshalb derart häufig in rechtlichen Regelungen und politischen Verlautbarungen betont, weil es so viele Informationen über die Beibehaltung entsprechender Behandlungsmethoden in zahlreichen Staaten gibt. Insofern wird allein in Anbetracht der Folter-Wirklichkeit die Quantität ihrer normativen Schranken verständlich. Die meist nur vermuteten realen Folterpraktiken bleiben insoweit in der Regel im Verborgenen. Falls sie einmal aufgedeckt werden, so werden medienwirksam in den Nachrichten und via Internet inszeniert oder zu unterschiedlichen Zwecken instrumentalisiert. Weitaus häufiger wird das Thema in Film und Fernsehen

15 Vgl. J.J. Wisnewski / R.D. Emerick, Ethics, 9f.; siehe hierzu bereits die frühere Bestandsaufnahme von M. Lippman, Universal Human Rights 1 No. 4 (Oct.-Dec. 1979), 25ff., zusammenfassend: 53ff., der ebenfalls auf die Spannung zwischen Recht und Wirklichkeit aufmerksam macht. 16 Vgl. etwa den gleichnamigen Sammelband »Rückkehr der Folter«, hg. v. G. Beestermöller / H. Brunkhorst, 2006, sowie das Buch von Linus Sonderegger (Fn. 4); s.a. den Sammelband »Die Wiederkehr der Folter?« von K. Altenhain u. a. (Hg.), 2013. 17 Ebenso E.A. Wilson, New England Journal on Criminal and Civil Confinement 39 (2013), 41ff., die daher für das von ihr beschriebene »torture continuum« eher das Bild einer Spirale vorschlägt (58) 18 M. Nowak, Folter, bes. das Resümee S. 217f.; s.a. die Hinweise auf ähnlich deprimierende Berichte von Amnesty International bei A. Bahar (Fn. 4), 11 m.N in Fn. 1 auf S. 245; R.D. Crelinsten, Theoretical Criminology 7 (2003), 295; M. Bagaric/ J. Clarke, University of San Francisco Law Review 39 (2005), 589ff.

Unübersichtliche Diskussionslage

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fiktiv aufbereitet und scheint insoweit inzwischen zum Medienalltag zu gehören.19 Zur medialen Aufbereitung zählen bekannte Serien wie »Alias«20 oder »24«.21 In der letztgenannten Serie werden in beinahe allen 192 Episoden, die zwischen 2001 und 2010 in 8 Staffeln sowie 2014 in einer 12-teilige Fortsetzungsreihe gesendet wurden, ebenso wie in einer Folge in Spielfilmlänge jeweils Folterungen als Mittel zur Lösung von Problemen eingesetzt. Hinzu kommen neue Folgen des 70er-Jahre-Klassikers »Battlestar Galactica«22 (2005) bzw. Kinofilme wie »The Dark Knight«23 (2008 – in der Reihe der »Batman«-Filme) und der ActionThriller »Zero Dark Thirty«24 (2012), in dem das Aufsuchen und Töten Osama bin Ladens nachgestellt wird. In diesen filmischen Inszenierungen gehört der Einsatz von Foltermethoden fast schon zu einem normalen Instrumentarium der handelnden Polizisten, Militärs oder anderer Helden. Darin wird gefoltert, um der Gerechtigkeit oder dem Guten zum Sieg zu verhelfen; nur auf diese Weise kann der Film zu einem ›Happy End‹ gelangen. Konsequenzen müssen die Akteure nicht befürchten, selbst wenn die Folter eines Terrorverdächtigen tödlich enden sollte.25 Die cineastische Behandlung der Folterthematik ist dabei keineswegs neu. Gerade in Anbetracht des ›Frankfurter Falles‹ wird häufig auch an den Filmklassiker »Dirty Harry«26 erinnert, in dem bereits 1971 eine ähnliche Konstellation geschildert worden ist.27 19 Siehe dazu mit zahlreichen Beispielen A. Meteling, in: T. Weitin (Hg.), Wahrheit und Gewalt, 187ff.; J. Bee, in: K Altenhain u. a. (Hg.), Wiederkehr der Folter?, 165ff. 20 A.J. Bellamy, in: Terrorism and Torture, 19. 21 Vgl. S. Kamin, Chapman Law Review 10 (2007), 693ff.; A.M. Dershowitz, in: Jack Bauer for President, 103ff.; T. Yin, Southern California Interdisciplinary Law Journal 17 (2008), 279ff.; J. Ip, Northwestern Journal of International Human Rights 7 (2009), 47ff.; B. Clucas, in: dies. u. a. (Eds.), Torture, 176ff.; S. Keslowitz, Tao of Jack Bauer, bes. 35ff.; ders., Cardozo Law Review 31 (2010), 1125ff.; D.P. O’Mathuna, Global Dialogue 12/1 (2010); K. Kovarovic, Florida Journal of International Law 22 (2010), bes. 278ff. jeweils m.w.N. zur Diskussion um diese Fernsehserie. 22 Dazu J. Ip, Northwestern Journal of International Human Rights 7 (2009), 64ff., der jedoch darauf hinweist, dass dort – im Unterschied zur Serie »24« – ein durchaus kritischer oder zumindest ambivalenter Umgang mit dem Thema zu verzeichnen ist. 23 Siehe dazu J. Ip, Ohio State Journal of Criminal Law 9 (2011), 209, bes. 216ff.; J. Bee (Fn. 19), 169f./216ff. 24 Dazu S. Zizek, The Guardian, January 25, 2013, der diesem Film vorwirft, zur Normalisierung der Folter und Neutralisierung moralischer Bedenken beizutragen; s.a. D. Luban, Torture, 303. 25 Darauf hat z. B. A.J. Bellamy, in: Terrorism and Torture, 19 hingewiesen. 26 Vgl. D. De Bolt, Southwest Philosophy Review 13 (1997), 21ff.; R. Nobles / D. Schiff, Modern Law Review 64 (2001), 911ff.; M. Kaufmann, ARSP-Beiheft 84 (2002), 24. 27 M. Davis, International Journal of Applied Philosophy 19 (2005), 161f.; J.P. Reemtsma, Folter, S. 13ff.; R. Merkel, Jakobs-FS, 378f.; W. Hetzer, Rechtsstaat, 176 f; A.M. Bock, ZFAS – Sonderheft 2 (2011), 885f.; C.C. Herbst, Aussageerzwingung, 13f.; M. Soniewicka, in: Legal Rules, 205; J. Bee (Fn. 19), 208ff. m.w.N.; s.a. U. Steinhoff, Journal of Applied Philosophy 23 (2006),

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Es erscheint dabei nicht ganz klar, inwieweit die filmische Darstellung lediglich die Wirklichkeit spiegelt oder auf neue Realitäten vorbereiten soll. Insoweit bleibt offen, ob die Kunst das Leben oder das Leben die Kunst nachahmt.28 So meint etwa J. Jeremy Wisnewski: »In the most tragic and stupid way, we see life imitating art« (Understanding Torture, 223). Jedenfalls soll sich etwa der Dekan einer Militärakademie bei den Produzenten der oben erwähnten Fernsehserie »24« darüber beklagt haben, dass seine Soldatenanwärter von den in den Filmen dargestellten Foltermaßnahmen inspiriert worden sein sollen.29 Die Folter gilt in den besagten Filmen quasi als eine fest etablierte Kulturtechnik, die nicht nur als letztes, sondern beinahe als einziges – alternativloses – Rettungsmittel zur Verfügung steht. Das Überleben der Guten ist darin notwendig mit der Tortur verbunden; das Böse kann nur mit bösen Mitteln vertrieben werden. Die massenmediale Umspülung mit Bildern von gequälten Schurken stumpft die Zuschauer allmählich ab; in der dramatischen Aufbereitung verliert die Tortur ihren Schrecken, von dem die ablehnende Abscheu ihr gegenüber lange gezehrt hatte. Dabei wird sicher nicht zu Unrecht vermutet, dass auf diese Weise, für die inzwischen der Ausdruck »torture porn« geprägt worden ist,30 nicht nur das Publikum an die Normalität des Folterns gewöhnt werden soll, sondern eine subtile Form der Legitimation dieser Praktiken vorgeführt wird. In der Regel sind es nämlich die ›Guten‹, die die ›Bösen‹ folternd zur Strecke bringen; wenn der gute Zweck erreicht worden ist, so soll dieser auch die an sich bösen Mittel heiligen.31 Am Ende wird es niemand übelnehmen, wenn sich das Gute nur durch ein Übel durchsetzen kann. Offenbar haben solche filmischen Inszenierungen ihren erhofften Effekt – zumindest in den USA – nicht verfehlt. Immerhin spricht sich auch nach Ende der Ära Bush laut einer Umfrage des »Pew Research Center« von 2009 noch immer eine Mehrheit (54 %) für die Folter-Anwendungen an verdächtigen Terroristen zur Erlangung von Informationen aus.32 J. Jeremy Wisnewski glaubt dabei sicher nicht zu Unrecht, dass die Mehrheitsmeinung unmittelbar dem

28 29 30 31 32

337ff.; ders., in: B. Clucas et al. (Eds.), Torture, 43ff.; ders., Ethics, 13ff. (dazu noch unten S. 129). Wechselseitige Imitationen konstatiert: J. Ip, Northwestern Journal of International Human Rights 7 (2009), 36/40/52/72. Vgl. D. Steiger, Folterverbot, 573 Fn. 2219 m.N. D. Edelstein, New York Magazine January 28, 2006; S. Kamin (Fn. 21), 703f. m.w.N. I.d.S. explizit – nicht für das Fiktive, sondern für das Reale – M. Bagaric / J. Clarke, Torture, 85f.; dies., University of San Francisco Law Review 40 (2006), 708f.; kritisch zu einer solchen Argumentation: M. Strauss, New York Law School Law Review 48 (2003), 255ff. Vgl. R. Crawford, Global Dialogue 12/1 (2010); zu anderen – durchaus unterschiedlichen Umfrageergebnissen s.a. M. Bagaric/ J. Clarke, University of San Francisco Law Review 39 (2005), 583 Fn. 8; E.A. Wilson, New England Journal on Criminal and Civil Confinement 39 (2013), 41 Fn. 2; J.-M. Zeller, Folter, 271; R. Gordon, Mainstreaming Torture, 5; D. Luban, Torture, 301 jeweils m.w.N.

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»post-9/11 zeitgeist« geschuldet sei.33 Auch in der öffentlichen (bzw. veröffentlichten) Meinung überwiegt das Bewusstsein, dass es ähnlich wie im Film so auch in der Realität die » ›good guys‹ « sind, die lediglich die Bösewichte ein bisschen foltern müssen, um Gutes zu tun: ein Übel kann eben nur durch ein anderes Übel ausgetrieben werden. An dieser simplen Grundüberzeugung soll dann auch festgehalten werden, selbst wenn – wie in Abu Ghraib – einige » ›bad apples‹ « von diesem an sich guten Stamm abfallen mögen.34 Die Quasi-Normalität der Konfrontation mit dem Phänomen Folter führt freilich (noch) nicht zu einer normativen Anpassung oder gar zur normativen Kraft des Faktischen. Die schiere Faktizität des Folterns hat zu keinem Zeitpunkt der insofern kontrafaktischen Erwartung, das Foltern möge als klares Unrechttun unterbleiben, geschadet, die in den zahlreichen Rechtsnormen zum Ausdruck kommt. Dennoch ist es die neuere Diskussion über eine denkbare Legitimation solcher Maßnahmen, in der sich nicht wenige für eine Rechtfertigung unter bestimmten Umständen ausgesprochen haben, die jene längst verschwunden geglaubte Thematik der Folter wieder zu einem Problem für die Rechtswissenschaft gemacht hat. Folter wird nicht nur für möglich, sondern in manchen Fällen sogar für richtig/rechtmäßig – vielleicht sogar geboten – gehalten. Im Vergleich zu früher lässt sich nun auch offen darüber reden. 1985 sah sich beispielsweise Richard W. Krousher in seinem Buch »Physical interrogation techniques« noch dazu veranlasst, die von ihm – für den Fall der Fälle, in denen Folter einmal erforderlich werden sollte – vorgestellten technischen Mittel für ein Verhör mit dem vorsorglichen Hinweis zu versehen, dass sie möglichst keine Spuren von Gewalt hinterlassen sollten.35 Solche Sorgen um die Vermeidung sichtbarer Anzeichen scheinen heute nicht mehr für nötig empfunden zu werden. Der Einsatz der Tortur und ihre Folgen müssen nicht mehr verheimlicht werden. Das offene Zurschaustellen der Folterinstrumente gehört zum » ›striptease of power‹ «, wie es der amerikanische Theologe William T. Cavanaugh bezeichnet hat: die Politik zeigt die nackten Tatsachen, die hinter der bisherigen Bekleidung verdeckt waren – »The omnipotence of the state must be made present«.36 33 J.J. Wisnewski, Journal of Social Philosophy 39 (2008), 317, s.a. zu einigen Umfrageergebnissen dort S. 316ff. m.N. in Fn. 17/18 auf S. 321. 34 Kritisch zu diesem u. a. in einem Artikel im Wall Street Journal vom 2. Dezember 2004 verwendeten Sprachgebrauch K. Roth, in: Torture, ed. by K. Roth et al., 189f. m.N. in Fn. 4 auf S. 217; s.a. T.C. Hilde, South Central Review 24/1, 185; A.W. Clarke, Rutgers Law Review 62 (2009), 30 Fn. 141; M. Farrell, Prohibition of Torture, 14. 35 Vgl. dazu R. Morgan, Punishment & Society 2 (2000), 182f. m.N. 36 W.T. Cavanaugh, Theology Today 63 (2006), 320; dazu auch R. Gordon, Mainstreaming Torture, 4.

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

Die neue – unheimliche – Offenheit in Sachen Folter lässt bei einigen die Phantasie spielen. Die Wahl der Qual ist nicht geheim: unbeschadet möglicher Folgen werden diverse Verhörmethoden ungeniert vorgeschlagen, die im Notfall zur Verfügung stehen sollten. Dazu zählen etwa für Alan M. Dershowitz das Stechen einer (immerhin sterilisierten) Nadel unter einen Fingernagel oder auch das Bohren eines Zahnes ohne Betäubung.37 Rainer Trapp listet z. B. folgende Maßnahmen als denkbare (zulässige) Folterungen auf: »schmerzhafte Kampfsportgriffe, elektrische Stimulation von Schmerzrezeptoren, erzwungene unnatürliche Sitz- oder Stehhaltung … Lärmbeschallung, Schlafentzug, Überhitzung von Räumen, Einsatz von Wahrheitsdrogen« (Folter, 50f.). Walter Schmitt Glaeser hält – ähnlich wie im Frankfurter Fall angedroht – »schmerzhafte Kniffe (z. B. in die Ohrläppchen), Verdrehen der Arme (im Polizeigriff), Überdehnung der Handgelenke« noch für »unterhalb der Schwelle der Folter bzw. der Menschenwürdeverletzung« angesiedelt und damit für zulässige Verhörmethoden.38 Im Vergleich zu diesen Kopfgeburten stellt sich die Folter-Realität noch viel grausiger dar, soweit sie durch Berichte über die US-amerikanischen Verhörmethoden nach dem 11. September bekannt geworden ist. In dem oben (S. 41) erwähnten CIA-Report aus dem Jahr 2014 werden noch ganz andere Maßnahmen genannt (vgl. weitere Beispiele unten S. 71f.):39 sie reichen etwa von dem beinahe klassischen ›Russischen Roulette‹ (a. a. O., S. 424 Fn. 2380), dem inzwischen berühmt berüchtigten »waterboarding« (ebenda, S. 3 u. ö.), über » ›rectal rehydration‹ or rectal feeding« (ebenda, S. 4), d. h. der rektalen Zuführung von Flüssigkeit oder pürierten Mahlzeiten (benannt werden z. B. »hummus, pasta with sauce, nuts, and raisins« – a. a. O., S. 100 Fn. 584), bis zu stundenlangem Einsperren in einer sargähnlichen Box (ebenda, S. 41f.) oder der Durchführung von Schein-Begräbnissen (ebenda, S. 32) bzw. Schein-Exekutionen (ebenda, S. 56).

3.

Diverse Formen der Behandlung des Themas

Vor den oben genannten Ereignissen in den USA wurde nur gelegentlich von einer kleinen überschaubaren Anzahl von Autoren eine Rechtfertigungsmöglichkeit oder gar eine generelle rechtliche Zulassung von Foltermaßnahmen in 37 A. M. Dershowitz, Terrorism, 144 – unter Hinweis auf entsprechende Vorschläge eines FBIAgenten bzw. auf Anregungen aus einem Film –; dazu M. Soniewicka, in: Legal Rules, 211f. 38 W. Schmitt Glaeser, Isensee-FS, 522; ähnlich C. Fahl, JR 2011, 338; dazu auch J.-M. Zeller, Folter, 319f. 39 Die in dem nachfolgenden Textabschnitt genannten Seitenzahlen beziehen sich auf den genannten CIA-Report, der online zugänglich ist unter : http://www.intelligence.senate.gov/ study2014/sscistudy1.pdf.

Unübersichtliche Diskussionslage

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bestimmten Fallkonstellationen ins Gespräch gebracht.40 Unter deutschen Juristen war es vor allem der Heidelberger Staatsrechtler und Rechtsphilosoph Winfried Brugger, der seit Mitte der 1990er Jahre zunächst für eine Ausnahme vom absoluten Folterverbot und dann sogar für ein Recht auf und eine daraus folgende staatliche Pflicht zur Folter in bestimmten Situationen offen eingetreten ist (dazu noch unten S. 230ff.).41 Hierfür musste er z. T. scharfe Kritik einstecken42 oder er wurde zumindest eines Tabubruches bezichtigt worden.43 Meist ist er jedoch – was im Wissenschaftsbetrieb fast noch schlimmer ist – eher mit beredtem Schweigen belegt worden. Denn die meisten haben es wegen der klaren Gesetzeslage und der ethisch-politischen Diskreditierung der Folter schlicht nicht für nötig gehalten, sich hierzu zu äußern. Selbst nachdem das Thema ›Folter‹ längst salonfähig geworden war, hatte die bloße Andeutung, dass in manchen »Konstellationen … der Rechtsgedanke der rechtfertigenden Pflichtenkollision nicht von vornherein auszuschließen« sei,44 d. h. der Einsatz von Folter möglicherweise gerechtfertigt sein könnte, hierzulande zumindest in einem prominenten Fall eine karrierehemmende Konsequenz: den Würzburger Staatsrechtler Horst Dreier kostete u. a. dieser moderate Gedanke an eine Rechtfertigungsmöglichkeit die Berufung an das Bundesverfassungsgericht. Einige der für die Richterberufung zuständigen Politiker forderten für einen solchen Posten das eindeutige Bekenntnis zu einem uneingeschränkt geltenden Folterverbot ein.45 Auch in Australien zeitigte das Eintreten für die Folter negative Konsequenzen: so sah sich der damalige Dekan der School of Law der Deakin University in Melbourne, Mirko Bagaric, üblen Beschimpfungen u. a. von Kollegen ausgesetzt und mit Forderungen nach seinem Rücktritt bzw. seiner Entlassung konfrontiert, nachdem er am 17. Mai 2005 in der Zeitschrift ›The Age‹ einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem er die Möglichkeit eines legitimen Foltereinsatzes zur Rettung von Menschenleben vertreten hat.46 Ganz anders hingegen in den USA: dort haben die beiden verantwortlichen Verfasser bzw. Unterzeichner des berüchtigten »Torture-Memos« von 2002 (vgl. dazu unten S. 55 Text in und zu Fn. 82f.) – trotz oder wegen (?) ihres offenen 40 Vgl. die Überblicke über den damaligen Diskussionsstand von J.P. Reemtsma, Folter (Fn. 26), S. 15ff.; St. Stübinger, Diskussion um die Folter, 282ff. (unten S. ff.); C.C. Herbst, Aussageerzwingung, 15ff.; H. Schmitz, in: K. Altenhain u. a. (Hg.), Wiederkehr der Folter?, 273ff. jeweils m.N. 41 W. Brugger, VBlBW 1995, 446ff.; ders., Der Staat 35 (1996), 67ff.; ders., JZ 2000, 165ff. 42 Siehe etwa H. Kramer, KJ 33 (2000), 624f. 43 So etwa ganz beiläufig H. Schneider ZStW 113 (2001), 506f. 44 H. Dreier in: ders. (Hg.), GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 133. 45 Zur » ›Personalie Dreier‹ « treffend kritisch C. Fahl JR 2011, 340. 46 Siehe zu dieser »Bagaric affair« R. Gaita, Tijdschrift voor Filosofie 68 (2006), 251ff. (254); der Text des Zeitschriftenartikels ist abgedruckt im Vorwort des Buches von M. Bagaric / J. Clarke Torture, VII ff.

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Eintretens für verschärfte (Folter-)Verhörmethoden – beachtliche juristische Karrieren hinlegen können: John C. Yoo ist inzwischen Jura-Professor in Berkeley, Jay S. Bybee hat es zum Bundesrichter gebracht.47 Jedenfalls bleibt das Thema heikel und emotionsgeladen. Einige befürchten, dass wir uns »auf dem Weg in ein neues Mittelalter« befinden könnten, wie dies zumindest der in Frageform präsentierte Untertitel sowie die Überschrift des Einleitungskapitels des Buches von Alexander Bahar, ›Folter im 21. Jahrhundert‹ (a. a. O. (Fn. 4), 11), suggeriert. Für den amerikanischen Rechtsphilosophen David Luban bedeutet die Folter »totalitarianism in miniature«; sie gehört für ihn daher »on the short list of archetypal evils that should properly be regarded unthinkable« (Torture, X). Auch nach der jüngsten Aktualisierung angesichts der aufgetretenen Folterfälle zeigen einige Autoren ihre Bedenken, wenn nicht sogar Ekel oder Abscheu, sich auf dieses Thema überhaupt einzulassen.48 So schreibt beispielsweise Jeremy Waldron am Anfang seiner Abhandlung ›Torture and Positive Law‹: »It is dispiriting as well as shameful to have to turn our attention to this issue« (Columbia Law Review 105 (2005), 1683). Obwohl es für ihn letzlich »a matter of shame« ist, so ist es doch unvermeidlich, »to conduct a national debate about torture« (Theology Today 63 (2006), 330). Der bekannte Slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek meint sogar, die Debatte als solche sei an sich gefährlicher als ein offenes Eintreten für die Folter. Ein solches Bekenntnis könne wenigstens als klare – ideologisch motivierte oder idiosynkratisch einzustufende – Positionierung aufgefasst und entsprechend in das übliche Koordinatensystem des im weitesten Sinne Politischen eingeordnet werden. Durch die aktuelle Form der Diskussion werde jedoch auch weiterhin ein allgemeines Bekenntnis gegen die Folter mit einem reinen Gewissen ermöglicht und dabei zugleich ein Themenfeld erschlossen, auf dem es letztlich keine Begrenzungen mehr geben könne. Schon die Bereitschaft zur Anerkennung konkreter Ausnahmen vom absoluten Folterverbot unter nomineller Beibehaltung seiner prinzipiellen Geltung müsse letztlich zwangsläufig den »Sinn für die Schuld, für das Bewusstsein der Unzulässigkeit« des Folterns innerhalb des rechtsstaatlichen Denkens aushöhlen.49 47 Vgl. M.K.B. Darmer, Chapman Law Review 12 (2009), 640 Fn. 9/644; J. Mirer, in: The United States and Torture, 252 Fn. 2+3; D. Luban, Torture, 66. 48 Vgl. z. B. S.F. Kreimer, University of Pennsylvania Journal of Constitutional Law 6 (2003), 278ff., der eingangs beinahe entschuldigend anführt, dass er sich dazu veranlasst fühlt, sich mit der Folter zu beschäftigen, was er vor nicht allzu langer Zeit selbst nicht für möglich gehalten hätte, denn: »There are some articles I never thought I would have to write; this is one« (278); s.a. R. Gaita (Fn. 46), 254; sowie L.M. Seidman, University of Chicago Law Review 72 (2005), der seinen Aufsatz mit den Worten beginnt: »No one wants to talk about torture« (881), um dann zu erklären, dass uns die Folter etwas Wahres über uns selbst zu sagen hat, was uns zu der Einsicht bringen sollte: »We need … to talk about torture« (918). 49 S. Zizek, Wüste des Realen, 106ff. (107); s.a. dens., Auf verlorenem Posten, 112ff. Zu Zizeks

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49

In vergleichbarer Weise hat auch der Theologe Johannes Fischer eine »Gefahr« beschworen, die »bereits von der Debatte über die ethische Zulässigkeit staatlich veranlasster Folter in bestimmten Ausnahmesituationen« ausgehe. Er vermutet nämlich, dadurch solle letztlich »die Anwendung der Folter in einer ethisch legitimierten Regel begründet werden«. Dass überhaupt nach einer ethischen Lösung gesucht werde, »muß bereits als Verirrung betrachtet werden«; denn: »wenn wahr ist, dass die Menschenwürde Güterabwägungen entzogen ist, dann beginnt die Mißachtung der Menschenwürde bereits mit dem Räsonnieren darüber, ob nicht in bestimmten Ausnahmesituationen aufgrund höherer Interessen die Anwendung der Folter ethisch gerechtfertigt werden kann«.50

In diesem Sinne hat auch der bekannte Chilenische Schriftsteller und Menschenrechts-Aktivist Ariel Dorfman seine Skrupel im ›South Central Review‹ (Vol. 24/1 (2007), 100) geäußert, selbst die zahlreichen unabweisbaren Argumente gegen die Folter zu gebrauchen, »for fear of honoring the debate by participating in it«. Ähnliche Bedenken gegen die bloße Thematisierung von vermeintlichen Legitimationsbedingungen werden auch den derzeit wohl renommiertesten deutschen Philosophen, Jürgen Habermas, dazu bewogen haben, auf eine Einladung zu einem Symposium zu dieser Frage mit der Bemerkung zu antworten, »allein eine Veranstaltung zu diesem Thema zu planen, sei eine ›Regression in faschistische Denkmuster‹ «.51 In umgekehrter Richtung werden aber auch die neueren Bemühungen um eine Rechtfertigung einer »Rettungs«- bzw. »Notwehr«-Folter52 vollmundig mit scharfen Worten verteidigt. Solchen Diskursverweigerungen oder den rigorosen Ablehnungen jedweder Folterungen durch das Festhalten an bestimmten Prinviel beachteter Argumentation s.a. S. Levinson, Texas Law Review 81 (2003), 2042f.; ders., Dissent 50/3 (summer 2003), 86f.; ders., in: ders. (Ed.) Torture, 30ff.; C.W. Tindale, International Journal of Applied Philosophy 19 (2005), 214; L.M. Seidman (Fn. 48), 883 m. Fn. 7; S. Lukes, British Journal of Political Science 36 (2006), 1; A.J. Bellamy, International Affairs 82 (2006), 125; R.S. Brown, Journal of International Law & Policy IV (2007), 4; Y. Ginbar, Why not Torture Terrorists?, 169f.; M. Osiel, End of Reciprocity, 390f.; S. Keslowitz, Tao (Fn. 21), 16f.; J.J. Wisnewski / R.D. Emerick Ethics, 20f.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 142ff.; M. Soniewicka, in: Legal Rules, 186f. 50 J. Fischer, in: P. Bahr/H.M. Heinig (Hg.), Menschenwürde, 245/244. 51 Zitiert nach R. Trapp, Folter, S. 11 Fn. 7 (Hervorhebung dort), der sich insoweit auf den Veranstalter dieses Symposiums, Wolfgang Lenzen, beruft, der die entsprechende Antwort von Habermas per E-Mail empfangen habe; dazu auch L. Ellrich, in: T. Weitin (Hg.), Wahrheit und Gewalt, 59. 52 Siehe zu dieser Begrifflichkeit R. Merkel, Jakobs-FS, 381; W. Mitsch, Roxin-FS II, 639 m.Fn. 4; für eine englische Entsprechung: U. Steinhoff, Global Dialogue 12/1 (2010); ders., Public Affairs Quarterly 26 (2012), 19ff.; ders., Ethics, passim. Zu diesen und anderen Bezeichnungen s.a. U. Pajarola, Gewalt, 16f. m.w.N.

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

zipien wird eine »willful blindness«53 bzw. »eine Art von schizophrener Halbblindheit«54 unter Verwendung von bloßen Pseudo-Argumenten55 unterstellt. Andere wollen bei den strikten Foltergegnern geradezu fanatische,56 irrationale oder unmoralische57 bzw. gar totalitäre58 Züge attestieren. Einige vermuten dahinter einen gefährlichen Glauben an fantastische bis utopische Illusionen59 oder sehen ein Bekenntnis zu einer »ideologischen Position« stecken.60

III.

Strategien zur (Auf-)Lösung des Folterproblems

Die skizzierten Vorbehalte haben die Diskussion über die Folter jedenfalls nicht verhindern können. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema gehört vielmehr seit nunmehr mehr als einem Jahrzehnt zum moralphilosophischen, politischen und rechtlichen Standardrepertoire. Die Debatten um die amerikanischen Untersuchungspraktiken und die Erörterung des Falles in Deutschland weisen dabei sicherlich riesige Unterschiede auf, die eine sorgsame Differenzierung erforderlich machen.61 Andererseits zeigen sich aber auch einige strukturelle Gemeinsamkeiten, weshalb sie in zahlreichen Darstellungen auch zusammen besprochen werden.62 Die Parallelen berühren sich nicht erst im Unendlichen, sondern im fernen Hong Kong – in den (in Fn. 26 + 52 zitierten) Beiträgen des dort lehrenden Philosophen und Politikwissenschaftler Uwe Steinhoff, der den Verlauf beider Diskussionslinien gleichermaßen gut überblickt und insbesondere die auf die Notwehrdogmatik bezogene Argumentation des Frankfurter Falles in die amerikanische Debatte eingeführt hat (dazu noch unten S. 128ff.). Gemeinsam ist beiden Diskussionszusammenhängen zunächst sicher der äußere Umstand oder Anlass, den beide als Voraussetzung für ihre enorme Beachtung haben. Die Heftigkeit der Auseinandersetzung ist in beiden Fällen 53 L.M. Seidman (Fn. 48), 883; kritisch zu solch wechselseitigen Beschuldigungen P.N.S. Rumney, University of San Francisco Law Review 40 (2006), 509ff.; H. Bielefeldt, Menschenwürde, 19ff. jeweils m.w.N. 54 A. Eser, Hassemer-FS, 721. 55 U. Steinhoff, Global Dialogue 12/1 (2010). 56 So etwa E.A. Posner / A. Vermeule, Michigan Law Review 104 (2006), 676. 57 Vgl. U. Steinhoff, Journal of Applied Philosophy 23 (2006), 346. 58 I.d.S. V. Erb, Jura 2005, 30; ders., in: »Rettungsfolter, 164ff.; ders., Seebode-FS, 115 (dazu noch unten S. 266). 59 Siehe etwa die Polemik von H. MacDonald, in: Torture Debate, 95f. 60 V. Erb, Seebode-FS, 115. 61 Ebenso J.-M. Piret, in: Governing Security, 99ff./115ff., bes. 117; ähnlich – für die Diskussion in Deutschland und die ältere Debatte bzgl. der Folterproblematik in Israel – auch K. Ambos, in: H. Koriath u. a. (Hg.), Grundfragen, 6f. 62 Vgl. etwa M. Farrell, Prohibition of Torture, 62ff.; D. Luban, Torture, 76ff.

Strategien zur (Auf-)Lösung des Folterproblems

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überhaupt nur in Anbetracht der Ereignisse vom 11. September 2001 verständlich zu machen – jenem Datum, an dem sich alles ändern und nach dem nichts mehr so sein sollte wie zuvor. Dieser Befund dürfte selbst dann gelten, wenn man mit einbezieht, dass manche durchaus zutreffend in Anbetracht der schon zuvor erfahrbaren Folterpraktiken innerhalb und außerhalb der USA gar keinen allzu großen Bruch, sondern durchaus eine gewisse Kontinuität erkennen möchten.63 Das Neue liegt vor allem in den verbreiteten Bemühungen um eine Legitimation der Folter und ihrer Anerkennung als Praxis. Zuvor durften jene Szenarien, für die von einigen gelegentlich eine Ausnahme vom strikten Folterverbot quasi probeweise in Betracht gezogen worden sind, lediglich als eher abstrakte Lehrbuchbeispiele gelten. Sie schienen mehr oder weniger der Phantasie jener Befürworter entsprungen zu sein; nunmehr erscheint hingegen die ›Anwesenheit des Bösen‹ in Gestalt eines global agierenden Terrorismus ganz konkret greifbar. Während solche Fallkonstellationen früher als bloß mögliche Realität oder gar als reine Fiktion gelten durfte, so werden sie heute als durchaus reale Möglichkeit in Betracht gezogen. Das genannte Ereignis hat insofern die Grenzen des bislang Vorstellbaren gesprengt. Damit haben die einschlägigen Fallkonstellationen den Makel des Fiktiven abgelegt, der ihnen lange Zeit anhaftete. Jedenfalls lässt sich Henry Shues Diktum, »that artificial cases make bad ethics« (a. a. O. (Fn. 6), 141), nicht mehr ohne weiteres auf Fälle dieser Art anwenden, da sie nach den Attentaten vom 11. September 2001 die naive Unschuld des Künstlichen / Gekünstelten verloren haben. Im Frankfurter Fall wurde freilich keine vergleichbare Unrechtsdimension erreicht. Darin war kein terroristischer Hintergrund vorhanden und es hat auch keine von einem Terrornetzwerk ausgehende Gefahr für eine Vielzahl von Menschen bestanden. Es hat lediglich ein kriminell gewordener Jurastudent gehandelt. Dennoch ist die Befürwortung einer möglichen Rechtfertigung der Folterandrohung durch einen Polizisten zumindest auch durch die Veränderung des allgemeinen Diskussionsklimas forciert worden. Die veränderte Debattenlage, die sich in der Zwischenzeit durch jene Geschehnisse in New York eingestellt hat, erfasst eben auch den Umgang mit Kriminalität und mit Kriminellen insgesamt. Der rasche Zuwachs an Befürwortern einer legitimen Notwehr- oder Rettungs-Folter ist sicher nicht zuletzt auf die allgemeine Veränderung des Diskussionsklimas zurückzuführen.

63 So etwa J.T. Parry, Georgetown Law Journal 97 (2009), 1001ff.; R. Gordon, Mainstreaming Torture, 1ff. u. ö. (dazu noch unten S. 78ff.); ähnlich auch W.R. Levi, Yale Law Journal 118 (2009), bes. 1439ff.; zur beachtlichen Vorgeschichte der US-Verhörtechniken s.a. A. Bahar (Fn. 4), 37ff./48ff.

52

Folterdebatte – international + interdisziplinär

1.

Definitionsprobleme

a)

Legitimation durch Definition?

Parallel verläuft beispielsweise eine der Strategien zur Verteidigung der Maßnahmen innerhalb der amerikanischen und deutschen Debatte. In beiden Fällen wird von einigen Diskutanten versucht, die beschriebenen Handlungen aus dem in den oben (S. 38) genannten Rechtsvorschriften gezogenen Definitionsbereich der Folter herauszuhalten.64 Immerhin kann schon im Allgemeinen in beinahe allen Formen von (polizeilichen) Verhören ein Abgrenzungsproblem zwischen erlaubten Tricks und verbotenen Vernehmungsmethoden (beispielsweise i. S. d. § 136a StPO) konstatiert werden. So ist etwa daran erinnert worden, dass Verhöre generell notwendige Momente von Zwang, Täuschung und Drohung innehaben und deshalb auch die durchaus fließende Grenze zur Folter allzu leicht überschritten werden kann.65 Da der Unterschied zwischen erlaubtem Zwang und verbotener Tortur ohnehin relativ sei, könne es zumindest keine allgemeinen Prinzipien geben, mit denen absolute Schranken aufgestellt werden; jede Grenze sei letztlich willkürlich gesetzt und niemand könne genau bestimmen, welche Maßnahme unter oder oberhalb der ausgemachten Schwelle liege. I.d.S. argumentiert etwa Jeff McMahan in seinem Aufsatz in der Zeitschrift ›Public Affairs Quarterly‹ (Vol. 22 (2008), 111ff.) gegen die Möglichkeit eines moralischen Absolutismus, der sich um ein prinzipielles Folterverbot bemüht (a. a. O., bes. 114), obwohl er für die (Rechts-)Praxis sehr wohl gegen eine generelle Erlaubnis plädiert (ebenda, 124ff.). Rolf-Dietrich Herzberg hat aus der Vielzahl anerkannter Fälle solch erlaubtem Rechtszwangs letztlich sogar die Unmöglichkeit eines absoluten Folterverbotes, soweit es aus Art. 1 I GG gefolgert werden soll, zu schließen versucht (JZ 2005, 322). Eines der Argumente, das u. a. von einigen Vertretern der amerikanischen Regierung und ihren juristischen Beratern66 (den »legal technicians«67) vorgebracht wurde, lautet denn auch, die u. a. in Guant‚namo praktizierten Untersuchungsmethoden seien gar keine Folter, sondern lediglich mit legalem Zwang ausgeführte Verhöre.68 Dafür wurde auch der Ausdruck ›torture lite‹ geprägt.69 64 Siehe zu dieser Strategie einer Legitimation durch Definition: B. Wolf, in: K. Harrasser u. a. (Hg), Folter, bes. 113ff.; ausführlich zum Definitionsproblem: M.W. Lewis, Washington and Lee Law Review 67 (2010), 77ff., bes. 118ff. 65 Vgl. etwa N. Sherman, South African Journal of Philosophy 25 (2006), 85; M. Ignatieff, in: Torture, ed. by K. Roth et al., 20f. 66 Vgl. etwa J.C. Yoo, in: Civil Liberties vs. National Security, 321ff. 67 K. Kessler Ferzan, Rutgers Law Journal 36 (2004), 189f. 68 Vgl. zu dieser Argumentation J.H. Skolnick, in: Torture, 105ff., bes. 111; J.B. Elshtain, ebenda, S. 85ff.; M. Ignatieff, Das kleinere Übel, 190f.; L. May, International Journal of

Strategien zur (Auf-)Lösung des Folterproblems

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Diese Form der Umetikettierung, die Michael Hatfield treffend als »lawyering as euphemism-engineering« bezeichnet hat,70 ist von politischen Verantwortlichen gerne als Legitimation für ihre Handlungen im Anti-Terror-Kampf aufgenommen worden; sie verordneten dementsprechend eine härtere Gangart, die der ehemalige Chef der Anti-Terror-Einheit der CIA, Cofer Black, mit den Worten kundtat: »After 9/11, the gloves come off«.71 Eine ähnliche Sprachregelung wird auch dem früheren US-Vize-Präsidenten Dick Cheney zugeschrieben.72 Außerdem seien in den besagten Gefängnissen ohnehin nur die Schlimmsten der Schlimmen untergebracht, die den vollen Schutz des Rechts sowieso nicht genießen sollten.73 Die nach juristischer Beratung politisch genehmigten Verhörtaktiken seien deshalb noch im Rahmen des Rechts, weil die Betroffenen jenseits davon verortet werden.74 I.d.S. bekräftigte der frühere US-Präsident George W. Bush: »I want to be absolutely clear … The United States does not torture. It’s against our laws, and it’s against our values«;75 die u. a. von der CIA

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Applied Philosophy 19 (2005), 193ff.; D. Luban, Virginia Law Review 91 (2005), 1437f.; ders., Torture, 53f. C.W. Tindale (Fn. 49), 211f.; A.J. Bellamy (Fn. 49), 121ff. jeweils m.w.N.; s.a. T. Bruha / C.J. Tams (Fn. 4), bes. 21f. Zu einigen von US-Soldaten (angeblich) eingesetzten Verhörmethoden siehe ferner M. Danner (Fn. 13), S. 6 u. ö. (sowie den dort – S. 243ff. – abgedruckten Bericht des IKRK vom Februar 2004); Levinson, Texas Law Review 81 (2003), 2027f.; M. Bagaric/ J. Clarke, University of San Francisco Law Review 39 (2005), 588; J. Ip (Fn. 28), 43ff.; J.J. Paust, Valparaiso University Law Review 43 (2009), 1553ff. m.N.; J.P. Terry, Campbell Law Review 32 (2010), 600 m.N. Zu dem Versuch – trotz offenkundiger Überschneidungen – das unrechtmäßige Foltern von legalen Möglichkeiten von Zwangsverhören zu unterscheiden siehe etwa E.A. Posner / A. Vermeule, (Fn. 58), 672ff. Siehe zur Einführung und Verwendung dieses Begriffs D. Campbell, The Guardian, January 25, 2003, 17; M. Bowden, The Atlantic Monthly (October 2003), 53; S.F. Kreimer, Journal of National Security Law & Policy 1 (2005), 187ff.; J. Bell, Indiana Law Journal 83 (2008), bes. 349ff.; J. Wolfendale, Ethics & International Affairs 2009, 47ff.; s.a. den Hinweis von M.S. Moore, Law and Philosophy 27 (2007), 37 Fn. 8. M. Hatfield, South Central Review 24/1 (2007), 135. Zit. nach B. Saul, International Journal of Law and Psychiatry 27 (2004), 656 m.N.; s.a. J.T. Ulbrick, Northwestern Journal of International Human Rights 5 (2005), 217f.; C. Fried / G. Fried, Because it is Wrong, 64/142 m.N. S. 176f. Fn. 10; R. Gordon, Mainstreaming Torture, 4. Vgl. W.G.K. Stritzke/S. Lewandowsky, in: Terrorism and Torture, 1. Dazu B. Hudson, British Journal of Criminology 49 (2009), 712f., die den früheren USVerteidigungsminister Donald Rumsfeld zitiert, der die Guantanamo-Häftlinge als » ›the worst of the worst‹ « beschrieben hatte, und dagegenhält: »Justice involves protecting the rights of ›the worst of the worst‹, as well as the rights of those who are or may be innocent« (713). Zur unheilvollen Allianz zwischen Politikern und Juristen bzw. Politik und Recht(swissenschaft) vgl. eingehend: A. Bahar (Fn. 4), 57ff.; D. Cole, Torture Memos, 19ff.; ders., Houston Law Review 49 (2012), 53ff., bes. 59ff.; M.K.B. Darmer (Fn. 47), bes. 644ff.; J.D. Ohlin, Harvard International Law Journal 51 (2010), 193ff., bes. 199ff.; C. Finkelstein, University of Pennsylvania Law Review 158 (2010), 196ff.; J. Mayer, in: The United States and Torture, 147ff.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 120ff. Zit. nach I.A. Linnartz, Duke Law Journal 57 (2008), 1493 m.N. auch zu weiteren Beteuerungen von anderen Regierungsmitgliedern; s.a. A.W. Clarke, Rutgers Law Review 62 (2009),

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

eingesetzten Methoden seien lediglich » ›enhanced interrogation techniques‹ « bzw. » ›an alternative set of procedures‹ «76 – Unrecht ist eben nur eine Alternative zum Recht – das etwas andere Recht. Solche Euphemismen haben durchaus Tradition. So ist einem Artikel der Zeitschrift ›The Atlantic‹ (vom 29. Mai 2007) von Andrew Sullivan daran erinnert worden, dass jene beschönigende Sprachregelung, in der statt von Folter lieber von ›enhanced interrogation‹ die Rede ist, wie eine Übersetzung der deutschen Redeweise von ›verschärften Vernehmungen‹ klingt, die 1937 von dem späteren Gestapo-Chef, Heinrich Müller, geprägt worden sein soll.77 Bei aller sonstigen Unvergleichbarkeit – in der Stoßrichtung vergleichbar wurde für den Frankfurter Fall argumentiert, die Drohung mit bestimmten Zwangsmaßnahmen sei selbst noch keine Folter.78 Hier zeigt sich tatsächlich das erste typische Problem, das sich für Juristen allerdings in beinahe jeder rechtlichen Würdigung stellt. Stets besteht eine Schwierigkeit, exakt zu bestimmen, welche Verhaltensweisen unter ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal subsumiert werden können und welche nicht. Im Falle des Folterbegriffs erscheinen graduelle Abstufungen unvermeidbar ; sie sind nicht zuletzt den unterschiedlichen Bestimmungsversuchen geschuldet.79 Die gleichsam als offiziell zu be-

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1 m.Fn. 1+2; L. Sonderegger (Fn. 4), 97 m.N. in Fn. 190. Zur Rolle und Verantwortung von George W. Bush und anderer Regierungsvertretern s.a. M. Danner, Houston Law Review 49 (2012), 71ff. Zitiert nach R. Falk, in: The United States and Torture, 123; s.a. K. Lasson, Loyola University Chicago Law Journal 39 (2008), 330 Fn. 4 m.N.; J. Mayerfeld, Harvard Human Rights Journal 20 (2007), 90. A. Sullivan, »Verschärfte Vernehmung«, The Atlantic, May 29 2007; dazu D. Luban, Torture, XIV m.Fn. 6; zu den »Verschärften Vernehmungen« s.a. W.R. Harris, Tyrannen, 416ff. So etwa W. Steinke, Kriminalistik 2004, 328; R.R. Jaeger, in: G. Gehl (Hg.), Folter, 32; R.D. Herzberg JZ 2005, 321ff., bes. 325f.; R. Merkel, Jakobs-FS, 375ff., bes. 401f.; C. Horlacher, Auskunftserlangung, 32ff.; L. Greco, Schünemann-FS, 81; wohl auch E. Hilgendorf, JZ 2004, 339; A. Eser (Fn. 54), 719f.; differenzierend B. Kretschmer, RuP 2/2003, 106f.; M. Seebode, in: H. Goerlich (Hg.), Staatliche Folter, 55; T. Hörnle, in: Grenzen staatlicher Gewalt, 85/91f.; J. Kümmel, Nötigung durch Folter, 93ff.; D. Steiger, Folterverbot, 250ff.; s.a. die Darstellung verschiedener Differenzierungsversuche von J. Kinzig, ZStW 115 (2003), 799ff., der selbst für eine weite Auslegung des Folterbegriffs plädiert, der Drohungen einschließt (801); ähnlich S. Braum, KritV 88 (2005), 284; J.C. Joerden, Hruschka-FS, 520f.; U. Vosgerau AöR 133 (2008), 365; M. Gur-Arye / F. Jessberger, Israel Law Review 44 (2011), 245 Fn. 62. Kritisch zu solchen Relativierungen auch M. Jahn KritV 87 (2004), 36f.; F. Saliger, ZStW 116 (2004), 41f.; W. Schild, in: G. Gehl (Hg.), Folter, 61; C. Roxin, Nehm-FS, 211ff. Zu diversen Definitionen und graduellen Bestimmungen des Folterbegriffs sowie zu unterschiedlichen Typen von Folter siehe z. B. J.J. Wisnewski / R.D. Emerick Ethics, 1ff.; D. Steiger, Folterverbot, 246ff.; vgl. auch C.W. Tindale, Social Theory and Practice 22 (1996), 351ff.; F.-C. Schroeder, Spinellis-FS, 983ff.; M. Strauss (Fn. 31), 208ff.; A. Elken, Journal of Politics & Society 2004, 95ff.; M. Davis (Fn. 26), 162ff.; J. Waldron Columbia Law Review 105 (2005), 1688ff./1695ff.; D. Sussman, P& PAffairs 33 (2005), 1ff.; S. Lukes (Fn. 49), 5ff./9ff.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 2ff./68ff.; L. Greco, Schünemann-FS, 69ff., bes. 73ff. jeweils m.w.N.. S.a. BGHSt 46, 292 (303f.).

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handelnde Definition in Artikel 1 I Anti-Folter-Konvention spricht etwa davon, dass es sich bei der Folter um »jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden«, handeln muss (der englische Wortlaut spricht von »severe pain or suffering«, also eher von schwerem / schwerwiegendem Schmerz oder Leiden). Allein die exakte Bestimmung der ausreichenden ›Größe‹ oder ›Schwere‹ macht die Anwendung dieses Begriffes im Einzelfall schwierig.80 Dies gilt schon für das Ausmaß an physischen Beeinträchtigungen, insbesondere aber für mentale Auswirkungen psychischer Folter; sie kann nämlich in hohem Maße von subjektiven Empfindungen und individuell verschiedenen Faktoren (z. B. Alter, Geschlecht, kultureller Hintergrund, religiöse Überzeugungen) abhängig sein.81 Die Option, die Deutungsstellschrauben gerade am Schweregrad einer mutmaßlichen Foltermaßnahme zu lockern, hat beispielsweise das dem amerikanischen Justizministerium zugeordnete Office of Legal Counsel82 zu ziehen versucht. In einem – maßgeblich von John C. Yoo verfassten und von dessen damaligem Vorgesetztem Jay S. Bybee unterzeichneten83 – Memorandum (vom 1. August 2002) wurde festgelegt, dass fortan überhaupt nur solche Behandlungsweisen als Folter gelten sollten, die zu wirklich schweren Schädigungen der Körperfunktionen bis hin zu Organversagen oder Tod führen bzw. posttraumatische Stresssyndrome, die sich erst nach mehrmonatigen oder jahrelangen Folterprozeduren einstellten, auslösen könnten; alles andere, was unterhalb dieser Schwelle angesiedelt werden könne, sei eben keine ›richtige‹ Folter.84 Außerdem wird teilweise geltend gemacht, dass die Anwendung der Anti-Fol80 Siehe hierzu D. Luban, Torture, 112ff.; J.J. Wisnewski / R.D. Emerick, Ethics, 2ff.; R. Marx KJ 37 (2004), 284ff.; L.M. Seidman (Fn. 48), 888f.; W. Schmitt Glaeser, Isensee-FS, 507ff., bes. 521ff. 81 Speziell dazu H. Reyes, International Review of the Red Cross 89/No. 867 (2007), 591, bes. 596ff. 82 Zu Funktion und Bedeutung dieser Behörde siehe etwa J.K. Shapiro, in: Torture Debate, 230f.; J.J. Wisnewski (Fn. 28), 206. 83 Vgl. zur Autorenschaft M.K.B. Darmer (Fn. 47), 644f. m.N.; J.J. Paust, in: The United States and Torture, 284f.; D. Luban, Torture, 67ff./114f. 84 (Bybee-)Memorandum for Alberto R. Gonzales (Counsel to the President), abgedruckt in: The Torture Debate in America, ed. by K.J. Greenberg, 2006, 317/321/328; auch in: M. Danner (Fn. 13), 115/119f./126; vgl. hierzu C. Castresana, Lettre International 76 (2007), 10; L. Windeln, Kampf um die Folter, 31f.; siehe dazu und zu weiteren – meist halb-offiziellen – Interpretationen des Folterbegriffs durch US-Behörden auch J.J. Wisnewski / R.D. Emerick Ethics, 4f.; S.D. Murphy, The American Journal of International Law 98/3 (2004), 592f. m.Fn. 5; J.T. Parry, Tulsa Law Review 40 (2005), 656f. m.w.N. in Fn. 64; ders., William& Mary Bill of Rights Journal 15 (2007), 770ff.; D. Luban, Virginia Law Review 91 (2005), 1453ff.; ders., Torture, 67ff./213ff.; M.D. Ramsey, Georgetown Law Journal 93 (2005), 1213ff.; J.J. Paust, Columbia Journal of Transnational Law 43 (2005), 824ff./838ff.; W. B. Wendel, Cornell Law Review 91 (2005), 67ff.; J. Griffith, International Journal of Applied Philosophy 20 (2006), 109ff.; M. Nowak, ApuZ 36/2006, 26ff.

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

terkonvention u. a. auf Militärlager generell nicht möglich sei, da die dort Inhaftierten als ungesetzliche – feindliche – Kämpfer aus dem Schutzbereich dieser Normen herausfielen.85 Zudem bleibt für die Auslegung des Folterbegriffs generell unklar, ob hierfür ein objektives Maß eingefordert werden kann bzw. soll oder das subjektive Schmerzempfinden des jeweiligen Folteropfers zu berücksichtigen ist.

b)

(De-)Legitimation statt Definition

Derartige Definitionsprobleme müssen im Folgenden jedoch ausgeblendet bleiben. Hier sollen nicht konkrete Fallkonstellationen beurteilt werden, für die Einzellösungen gesucht werden müssten. Es stehen eher allgemeine Probleme zur Verhandlung. Daher soll durchaus davon ausgegangen werden, das die häufig beschriebenen Verhörmethoden, wie z. B. kräftiges Schütteln, gezielter Schlafentzug, stundenlanges Stehen- oder Sitzenlassen in fixen unbequemen Haltungen (sog. Stresspositionen),86 das zeitweise Unter-Wasser-Tauchen oder andere Techniken zur Simulation des Ertränkens (z. B. das inzwischen berühmtberüchtigte sog. ›waterboarding‹87) während einer Vernehmung – jenseits politischer Schutzbehauptungen, die das Gegenteil behaupten mögen – ebenso als Folter angesehen werden können, wie die im Frankfurter Fall angedrohte Zufügung von Schmerzen. Nicht ob eine Handlung im Einzelfall als Folter qualifiziert werden kann, soll an dieser Stelle interessieren, sondern ob selbst unstreitig als Folter angesehene Maßnahmen in irgendeiner Weise gerechtfertigt werden können. Die Frage, welche Verhaltensweisen die rechtlichen Grenzen des Erlaubten möglicherweise überschreiten, tritt im hiesigen Zusammenhang demnach 85 Vgl. zu dieser Argumentation die Beiträge von S. Levinson, K.L. Scheppele und K.J. Levit im Journal of National Security Law & Policy 1 (2005), 231ff./295ff./341ff. Zur Haltung der USRegierung und der entgegenstehenden Rechtsprechung des Supreme Court in dieser Frage s.a. D. Moeckli, Journal of Conflict & Security Law 10 (2005), bes. 77ff. m.N. 86 Zu einigen verbreiteten Foltermethoden vgl. bereits das viel zitierte Urteil des Supreme Court of Israel vom 6. September 1999, in Auszügen abgedruckt in: Torture. A Collection, ed. by S. Levinson, 2004, 165ff. (166ff.). Siehe zu dieser Entscheidung auch A. Imseis, Berkeley Journal of International Law 19 (2001), 328ff.; A. Raviv, George Mason Law Review 13 (2004), 136ff. m.w.N. in Fn. 9; L. May, International Journal of Applied Philosophy 19 (2005), 198ff.; J.-M. Piret (Fn. 61), 111ff. 87 Siehe hierzu etwa D. Rejali, Torture, 284f.; D. Sussman, P& P Affairs 33 (2005), 22f.; R.H. Seamon, Rutgers Law Journal 37 (2005), 717f.; D. Luban, Virginia Law Review 91 (2005), 1431/1437; der., Tortur, 49/54/245ff.; E. Wallach, Columbia Journal of Transnational Law 45 (2007), 469ff.; D. Kanstroom, Boston College Third World Law Journal 28 (2008), 269ff.; M.K.B. Darmer (Fn. 47), 648ff.; M.W. Lewis, Washington and Lee Law Review 67 (2010), 133ff.; L.O. Graham / P.R. Conolly, Air Force Law Review 69 (2013), 66ff.; L. Sonderegger (Fn. 4), 31f. m.w.N.

Strategien zur (Auf-)Lösung des Folterproblems

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hinter die Frage zurück, ob selbst bei eindeutiger Überschreitung des Folterverbots die Möglichkeit einer Rechtfertigung bestehen soll oder nicht. Aus diesem Grund braucht der schrecklich klingende Begriff der Folter auch nicht durch andere – weniger belastete oder beschönigend klingende – Worte wie »Rettungsbefragung« (R. Trapp) oder »Aussageerzwingung« (C.C. Herbst) ersetzt zu werden. Es soll ruhig weiter von Folter die Rede sein. Ebenfalls ausgeklammert wird damit auch die umstrittene Frage nach der Effektivität der Tortur.88 Nicht die mögliche oder nachweisbare Wirksamkeit, sondern die Problematik der denkbaren Rechtmäßigkeit wird nachfolgend diskutiert. Für die Beantwortung dieser Frage wäre es ohnehin ineffektiv auf die (In-)Effizienz von Foltermaßnahmen zu verweisen. Nur wenn oder weil etwas auch nur ausnahmsweise funktionieren mag, heißt das nicht, dass es auch legitimiert werden kann; und umgekehrt sagt eine generell unterstellte Untauglichkeit nichts über eine denkbare Legitimation einzelner Ausnahmen aus. Aus einem ähnlichen Grund wird hier auch eine Diskussion der beliebten Argumentationen mit drohenden ›Dammbrüchen‹,89 ›schiefen Ebenen‹90 bzw. ›slippery slopes‹91 o. ä.92 weitgehend ausgespart, die in der Regel gerne als eine Art ›Totschlagsargumente‹ gegen die Folter eingesetzt werden. 88 Siehe dazu etwa die unterschiedlichen Einschätzungen von D. Rejali Torture, 446ff.; B. Brecher, Torture, 24ff.; M. Bagaric / J. Clarke, Torture, 53ff.; dies, University of San Francisco Law Review 40 (2006), 715ff.; F. Allhoff, Terrorism, 140ff.; M. Strauss (Fn. 31), 261ff.; R. Blakely, Review of International Studies 33 (2007), 376ff.; P.N.S. Rumney, University of San Francisco Law Review 40 (2006), 479ff.: J. Bell (Fn. 69), 339ff.; M.A. Costanzo/ E. Gerrity, Social Issues and Policy Review, 3 (2009), 182ff.; L. Sonderegger (Fn. 4), 60ff.; D. Luban, Torture, 75ff. jeweils m.w.N.; speziell zu neurowissenschaftlichen Zweifeln an der Tauglichkeit von Folter-Verhörmethoden: S. O’Mara, Trends in Cognitive Science 13 (2009), 497ff.; s.a. F.H. Sahito, International Journal of Innovation and Applied Studies 3 (2013), 593f.; s.a. den Versuch von J.W. Schiemann, Political Research Quarterly 65 (2012), 3ff., der mit Hilfe der Spieltheorie die Effektivität von Folterverhören analysiert. 89 I.d.S. LK-Rönnau Vor § 32 Rn. 261 Fn. 1020; S. Baer DZPh 53 (2005), 574; H. Bielefeldt, in: Rückkehr der Folter, 112f.; G. Jerouschek/R. Kölbel JZ 2003, 619; C. Roxin, Nehm-FS, 215; ders., Eser-FS, 468; R. Marx KJ 37 (2004), 296; C. Horlacher, Auskunftserlangung, 213f.; A.K. Weilert, Grundlagen, 179f./228; J.-M. Zeller, Folter, 313ff.; R. Rengier AT § 18 Rn. 97; kritisch zu diesem Argument C.C. Herbst, Aussageerzwingung, 38f./304ff. m.w.N.. 90 So beispielsweise W. Janisch, AnwBl 2005, 33. 91 Dazu z. B. Y. Ginbar, Why not Torture Terrorists?, 111 ff; M. Farrell, Prohibition of Torture, 237f.; M. Strauss (Fn. 31), 265ff.; O. Gross, Minnesota Law Review 88 (2004), 1507ff.; P.N.S. Rumney, University of San Francisco Law Review 40 (2006), 500ff.; M. Gur-Arye / F. Jessberger, Israel Law Review 44 (2011), 247f.; G. Blum, Yale Journal of International Law 35 (2010), 47f. m.N.; kritisch dazu z. B. B. Paskins, British Journal of International Studies 2 (1976), 139ff.; M. Bagaric / J. Clarke, University of San Francisco Law Review 40 (2006), 704ff./709ff.; E.A. Posner / A. Vermeule Michigan Law Review 104 (2006), 688ff. 92 Vgl. etwa H. Greve ZIS 5/2014, 238, der glaubt, dass ein »Abgleiten in ein rechtsstaatsfreies Vakuum unweigerlich die Folge« einer Rechtfertigung der Folter wäre. Eine interessante Variante davon hat Uwe Steinhoff, Global Dialogue 12 (2010); ders., Ethics, 53ff., in kritischer Absicht das »ticking social bomb argument« getauft, wonach nach einer Recht-

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

Soweit darauf gelegentlich – lediglich referierend – Bezug genommen wird (z. B. unten S. 242f.), bedeutet dies freilich nicht, dass sich hier »ein Autor« unbemerkt ein »utilitaristisches Argument« zu eigen machen möchte, das gegen den »deontologische(n) Charakter« der übrigen Begründung spräche. Dies muss wohl eigens für Tatjana Hörnle betont werden, die glaubt, ein »Spannungsverhältnis« innerhalb der entsprechenden Textpassagen meines Aufsatzes ›Zur Diskussion um die Folter‹ (in dem Sammelband ›Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts‹, 296f. im Kontrast zu den späteren Ausführungen (dort S. 310ff. – unten S. 264ff.) ausfindig gemacht zu haben.93 Dabei kann sich auch ein ›Deontologe‹ durchaus auf (Zusatz-)Gründe von ›Utilitaristen‹ stützen, ohne sich gleich in Widersprüche zu verwickeln. Die Befürchtung drohender Schäden oder die Hoffnung auf eine Steigerung oder gar Maximierung eines möglichen Nutzens muss per se noch nicht falsch sein, wenn man sich überhaupt auf derart schlichte Gegenüberstellung von Ethik-Typen einlassen möchte. Solche Typisierungen werden meist nur zu vorläufigen Analysezwecken vorgenommen, um die verschiedenen Argumente besser grobsortieren zu können. Es scheint ein schier unausrottbares Missverständnis zu sein, dass Vertreter einer deontologischen Ethik angeblich nicht die Konsequenzen oder den Nutzen von Handlungen bedenken dürften.94 Dabei findet man nur noch selten eine solch simple Gegenüberstellung der beiden Extreme einer angeblich prinzipienlosen Folgenorientierung und einer vermeintlich folgenblinden Prinzipientreue. Meist wird versucht die Gegensätze aufzulösen oder zumindest abzumildern. Einige meinen etwa, es gebe ohnehin keine echte Alternative zum konsequentialistischen Denken, sondern allenfalls verschiedene Formen des Konsequentialismus.95 Andere halten beispielsweise einen »deontologischen Konsequentialismus« für möglich, zu dem etwa John Rawls Gerechtigkeitstheorie zählen soll. Rawls hat nämlich die Folgenorientierung zu einem wichtigen Bestandteil beinahe aller Ethik-Versionen erklärt, d. h. selbst denjenigen, die regelmäßig als Deontologie bezeichnet werden (zur umstrittenen Einordnung von Rawls politischer Ethik siehe auch unten S. 326ff.).96 Den wohl raffiniertesten Versuch einer Konvergenz der rivalisierenden Ethik-Typen hat unlängst der britische Philosoph Derek Parfit in seinem im Jahr 2011 erschienenen zweibändigen Werk ›On What Matters‹ unternommen; darin geht es ihm um die Vereinigung von Kants Moral-Prinzipien mit dem Konsequentialismus (vor

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fertigung eines einzelnen Folter-Falles »a social explosion of torture« zu befürchten sei (Ethics, 53.). I.d.S. etwa E. Scarry, in: Torture, 288: »Torture is itself a ticking bomb«; ebenso G. Hunsinger, Dialog 47 (2008), 232. T. Hörnle, in: Grenzen staatlicher Gewalt, 90 Fn. 59. Kritisch zu diesem Vorurteil auch T.E. Hill, in: R. Stoecker (Hg.): Menschenwürde, 166ff.; J. Schroth ZphF 63 (2009), 55ff. Vgl. dazu P. Hurley, Oxford Studies in Normative Ethics 3 (2013), 123ff. m.z.N. Vgl. J. Nida-Rümelin, Kritik, 63ff.

Strategien zur (Auf-)Lösung des Folterproblems

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allem nach dem Vorbild von Henry Sidgwick) und dem Kontraktualismus (nach dem Vorbild von Thomas M. Scanlon), die er zu einer »Triple Theory« kombinieren möchte; die Vertreter dieser Theorien »are climbing the same mountain on different sides« (Vol. I, 412ff./ Vol. II, 244ff. – Zitat: Vol. I, 26+419). Ganz so einfach mag eine Theoriekombination letztlich zwar nicht möglich sein, dennoch erscheint umgekehrt eine allzu simple Entgegensetzung von ›deontologischen‹ und ›konsequentialistischen‹ bzw. ›utilitaristischen‹ Ethik-Typen jedenfalls etwas unterkomplex. Das Bemühen, in der Beachtung von Handlungskonsequenzen eine Inkonsequenz einer prinzipienorientierten Moralphilosophie zu denunzieren, ist schon im Rahmen der langen Auseinandersetzung mit der Ethik Kants hinlänglich bekannt; jedenfalls ist es ein ebenso altes wie beliebtes Spielchen, etwa aus Kants Schriften jene Stellen herauszupicken, in denen der Chef-Deontologe schlechthin – entgegen der eigenen Grundsätze – angeblich doch auf vermeintliche Folgenabwägungen zurückgreife.97 Schon in einer der ersten kritischen Schriften ›Ueber Herrn Kant’s Moralreform‹ aus dem Jahr 1786 hat etwa der Kant-Kritiker Gottlob August Tittel zu zeigen versucht, dass sich hinter der Anwendung des kategorischen Imperativs letztlich doch immer nur das »bekannte ( aber von Herrn K. so verschriene und verworfene) Princip der Glükseligkeit, d.i. der Selbstliebe und des Wohlwollens« verstecke (a. a. O., S. 46). Dabei hat Kant selbst immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass etwa auf das Streben nach ›Glückseligkeit‹ durch Anwendung von Klugheitsregeln gar nicht verzichtet werden kann.98 Aus der Beachtlichkeit von Handlungsfolgen folgt nur kein zuverlässiges Kriterium für die Richtigkeit eines Verhaltens; hierfür ist vielmehr auf die ›Glückswürdigkeit‹ – wie er es nannte – zu achten (vgl. etwa KrV B 833ff. / A 805ff.; GMS BA 11ff./69; KpV A 45f./59ff./107ff./ 166f./198ff./234ff.). Ob die beabsichtigten – ›guten‹ – Folgen eintreten oder nicht, liegt ohnehin nicht immer in der Macht des Handelnden, ihr Eintreten muss daher nicht selten den günstigen Umständen oder gar dem Zufall überlassen bleiben. Bloße Nutzen-Überlegungen sollten deshalb keinesfalls die einzigen Argumente sein, da sie als solche weder moral- noch rechtsphilosophisch hinreichen können und ggf. zurücktreten müssen, wenn sie begründungsleitenden Prinzipien widersprechen sollten. Die Ausklammerung der oben genannten – konsequentialistischen – Argumente gegen die Folter soll daher keineswegs gegen deren Triftigkeit sprechen. Es mag nämlich – vor allem im Kontext der Rede von einem globalen ›Krieg gegen den Terrorismus‹ – durchaus nicht unberechtigt sein, davon auszugehen, 97 Hierzu eingehend C. Bambauer, Deontologie, bes. 117ff./145ff. m.N. 98 Dazu auch R. Zaczyk, Selbstsein, 36. Eingehend zum Verhältnis von Autonomie und Glückseligkeit bei Kant z. B. H. Meyer, Kants transzendentale Freiheitslehre, 103ff.

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

dass sich eine einmal zugelassene Folterpraxis in einem Ausnahme-Dauerzustand rasch wie ein Krebsgeschwulst im sozialen Organismus ausbreiten könnte. Das häufig benutzte Bild von der Folter als »Cancer of Democracy« geht dabei wohl zurück auf den gleichlautenden Untertitel der englischen Ausgabe des Buches von Pierre Vidal-Naquet, ›Torture‹, aus dem Jahr 1963.99 I.d.S. hat schon Henry Shue der Folter eine »metastatic tendendcy« zugeschrieben und befürchtet, dass eine legalisierte Folter schnell dazu tendiere »to become … a routine procedure institutionalized into the method of governing«, was letztlich zur völligen Unkontrollierbarkeit führe.100 Es erscheint auch nicht unberechtigt zu befürchten, es könnte eine ganze Tortur-Kultur entstehen, wie dies beispielsweise David Luban (Torture, bes. 66ff.) betont hat. Teilweise wird sogar behauptet, die inzwischen stattliche Erfahrung mit der Ausübung von Folter in der jüngeren Vergangenheit sei zumindest in den USA längst zu einer »institutionalized state torture« bzw. eine »socially embedded practice« geworden,101 oder es könnte mittelfristig zu notwendigen Legalisierungen und Institutionalisierungen kommen.102 Doch obgleich solche Gefahren durchaus bestehen und entsprechende Argumente deshalb auch nicht ganz unzutreffend erscheinen, so reichen solche Befürchtungen allein noch nicht aus, die Legitimationsfähigkeit einer ausnahmsweise praktizierten Folter zu widerlegen.103 Die Falschheit einer solchen Tat müsste sich schon für den Zeitpunkt des Geschehens erweisen lassen und nicht erst für eine unbestimmte Zukunft in Aussicht gestellt werden.

2.

Ethik vor Recht?

Beim Versuch, auf die Frage nach einer Legitimation von Folterungen eine Antwort zu geben, trennen sich freilich die Hauptwege der deutschen und amerikanischen Debatte. Im Kontext der Fälle in Amerika wird vorwiegend auf einer ethisch-politischen104 bzw. öffentlich-rechtlichen105 Ebene i. w. S. über die 99 Vgl. D. Rejali, Torture, 47ff.; s.a. E. Press, in: Civil Liberties vs. National Security, 222; A.J. Bellamy (Fn. 49), 142. 100 H. Shue, P& P Affairs 7 (1978), 143/138f.; ähnlich S.B. Twiss, Human Rights Quarterly 29 (2007), 361; eine notwendige Institutionalisierung befürchtet auch T.C. Hilde, South Central Review 24/1 (2007), 183ff., bes. 191ff. 101 R. Gordon, Mainstreaming Torture, 6f. u. ö. 102 Zur »Creation of a Torture Culture« s.a. A.W. Clarke, Rendition, 3ff./16ff. 103 Insofern ähnlich kritisch zu solchen Argumenten im Diskussionszusammenhang des Frankfurter Falles, der sich schon gar nicht für solche Befürchtungen eignet: V. Erb, Seebode-FS, 102f./120f. m.w.N.; A. Eser, Hassemer-FS, 725f. 104 Eingehend dazu etwa M. Farrell, Prohibition of Torture, 147ff./175ff./203ff. Zu unterschiedlichen sozial- und moral-philosophischen Argumentationen siehe z. B. F. Allhoff,

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Legitimitätsproblematik diskutiert. Demgegenüber hat sich in Deutschland der Schwerpunkt der Diskussion alsbald auf eine primär strafrechtliche Bewertung der Handlung des mit Folter drohenden Polizeibeamten verlagert (dazu näher unten S. 181ff.). Insofern ging es hierzulande um die entsprechende Beurteilung im Rahmen eines konkreten Strafverfahren; in dessen Umkreis haben sich viele als (virtuelle) Verteidiger oder Ankläger angeboten. Dementsprechend wurden entsprechend zahlreiche Plädoyers pro oder contra der Strafbarkeit der angeklagten Polizisten vortragen.106 Da die meisten Diskutanten kein Strafbedürfnis gegenüber dem die Folter androhenden Polizisten verspürten, hat sich die Suche auf dogmatische Gründe für dessen Entlastung konzentrieren können. Auf diese Weise konnte die vermeintliche Extremsituation in das Alltagsgeschäft der Strafrechtsdogmatik eingespeist werden. Neben diesem strafrechtlichen Lösungsweg ist jedoch auch hierzulande noch auf dem Gebiet des Verfassungsrechts sowie des einfachen öffentlichen Rechts nach Begründungen für eine ausnahmsweise Zulassung der Folter gesucht worden: – so hat z. B. Winfried Brugger auf der Basis seiner früheren Beiträge zu diesem Thema (vgl. die Nachweise oben Fn. 41) eine rein öffentlich-rechtliche Lösung vorgeschlagen (dazu ausführlich unten S. 230ff.).107 – Auf einer rein verfassungsrechtlichen Ebene hat auch Matthias Herdegen im ›Maunz/Dürig‹–Grundgesetzkommentar – zumindest zwischenzeitig – für eine einschränkende Auslegung des Art. 1 GG in diesen Fällen plädiert (vgl. dazu noch unten S. 250f.).108 – Ebenfalls bei der Auslegung des Art. 1 I GG setzt zudem Fabian Wittreck an. Er befürwortet allerdings keine Reduktion des Würdeschutzes des Entfüh-

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International Journal of Applied Philosophy 19 (2005), 248ff.; D. Sussman, P& P Affairs 33 (2005), 1ff., bes. 11ff./19ff.; s.a. die ausführliche Gegenüberstellung der verschiedenen ethischen Begründungen von R. Trapp, Folter, 103ff. Zu einigen politischen Legitimationsversuchen vgl. etwa J.T. Gathii, Albany Law Review 67 (2003), 335ff. m.z.N.; Y. Lee, Criminal Law and Philosophy 3 (2009), bes. 138ff. Zu primär verfassungsrechtlichen Dimension der Fragestellung vgl. etwa S.F. Kreimer (Fn. 48), 278ff.; R. Dasgupta, Pace Law Review 30 (2010), 544ff.; s.a. J. Waldron Columbia Law Review 105 (2005), 1681ff., bes. 1709ff./1718ff./1726ff. Zu deliktsrechtlichen Konsequenzen von Folteranwendungen nach u.s.-amerikanischem Recht vgl. R.H. Seamon (Fn. 87), 715ff. Zum Meinungsstand siehe etwa NK-Paeffgen Vor §§ 32 Rn. 151 m.z.N.; s.a. schon St. Stübinger (Fn. 40), 295ff. m.N. in Fn. 38 (unten S. 240). W. Brugger, Freiheit und Sicherheit, 56ff. m.w.N.; ders., ApuZ 36/2006, 9ff. M/D-Herdegen (42. Lfg. 2003) Art. 1 I Rn. 44f./90; vgl. zu dieser Argumentation St. Stübinger (Fn. 40), 301ff. (unten S. 249ff.); F. Hanschmann, in: Rückkehr der Folter, 130ff.; K.H. Gössel, Otto-FS, 56ff.; L.K. Sander, in: Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, 263ff.; J. Kümmel, Nötigung durch Folter, 120f.; A.K. Weilert, Grundlagen, 161ff.; M. v. Schenck, Pönalisierung, 73ff.; C. Goos, Innere Freiheit, 41ff./161ff.; H.J. Sandkühler, Menschenwürde, 305ff. jeweils m.w.N.

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rers; statt dessen möchte er z. B. die Würde eines Entführungsopfers als Rechtfertigungsgrund in Rechnung stellen. Dies soll dann Auswirkungen auf eine polizei- und strafrechtliche Bewertung der einschlägigen Folterfälle zeitigen. Bei einer Kollision von Würde gegen Würde, müsse letztlich die Würde des Täters zurücktreten (in: G. Gehl (Hg.), Folter, 37ff.). – Schließlich möchte Walter Schmitt Glaeser aus einer grundrechtlich verbürgten »Schutzpflicht« des Staates zumindest de lege ferenda eine deutlich erweiterte Ermächtigung zur Anwendung unmittelbaren Zwangs ableiten (a. a. O., Isensee-FS, 507ff.). – In ähnlicher Weise versucht ferner Catarina Cristina Herbst in ihrer Arbeit über ›Die lebensrettende Aussageerzwingung‹ das » ›Dreiecksrechtsverhältnis‹ « zwischen »Staat, Störer und Opfer in den Blick« zu bekommen, um die negativen Konsequenzen zu verdeutlichen, die sich aus der strikten Einhaltung des absoluten Folterverbotes in Bezug auf die Schutzpflicht des Staates für das (Entführungs-)Opfer ergeben (a.a.O, 24f. u. ö.). Die verschiedenen Begründungsstränge können im Hinblick auf den aktuellen Meinungsaustausch (übrigens auf beiden Seiten des Atlantiks109) nicht durchweg sauber voneinander getrennt werden. Auch in den hiesigen vorgeblich rein strafrechtlichen Begutachtungen gehen nämlich nicht selten offene oder versteckte Argumente aus dem Begründungsarsenal der Moral, der Politik oder des Verfassungs- oder sonstigem öffentlichen Recht ein. Dennoch sollen sie zunächst zumindest zu Analysezwecken auseinander gehalten werden. Unterschiedlich fallen in dieser Hinsicht die zentralen Argumente aus, mit denen am Ende entweder eine mögliche Rechtfertigung der jeweiligen Handlungsweise oder aber deren Verneinung begründet werden soll. Die amerikanische Auseinandersetzung konzentriert sich dabei meist direkt auf die Frage nach einer allgemein-rechtlichen und damit vor allem eine im weitesten Sinne ›moralischen‹ Befugnis zur Tortur in bestimmten tragischen Situationen. Insoweit steht dann unmittelbar ein mitunter moralisch herzuleitendes ›Recht zu foltern‹ in Rede. Die aktuelle Folterdebatte gilt einigen als Musterbeispiel der Ableitung eines solchen Rechts, das aus dem juristischen Nichts geschaffen werde. Clare Keefe Coleman hat im ›Journal of Legal Education‹ (Vol. 62 (2012), 109 Vgl. etwa A. Raviv (Fn. 86), 135ff., dem es zwar primär um die strafrechtliche Verantwortlichkeit geht, die er von der verfassungsrechtlichen Problematik unterscheiden möchte (137 Fn. 10), der dann aber gleichwohl in eine eher allgemeine ethisch-politische Diskussion übergeht (139ff.). S.a. J.T. Parry (Fn. 84), 656 ff, bes. 660, der ebenfalls die individuelle strafrechtliche Verteidigungsmöglichkeit mit der staatlichen Legitimitätsfrage kombiniert; vgl. auch dens., Journal of National Security Law & Policy 1 (2005), 261ff.; um eine ähnlich Differnzierung bemüht sich auch M. Hatfield, South Central Review 24/1 (2007), 131ff./ 146ff.

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81ff.) die Lektüre der sog. »Torture Memos«, in denen Juristen (namentlich John Yoo und Jay S. Bybee) die Rechtmäßigkeit von Foltermaßnahmen (wie z. B. das »waterboarding«) begründet und so die politische Genehmigung für deren Einsatz ermöglicht haben (dazu oben S. 55), sogar als Lehrstück in puncto Bildung moralischer Urteilskraft für die amerikanische Juristenausbildung empfohlen. Diese Verortung des Problems im juristischen Jenseits entspricht durchaus einer in anglo-amerikanischen Strafrechtstheorien auch sonst gängigen Anlehnung des Rechts an die Moral in Fragen der Rechtfertigung und Entschuldigung.110 In Anbetracht der auf Grund der ausdrücklichen gesetzlichen Verbote fehlenden Legalität sei die entscheidende Frage nach der Berechtigung von Foltermaßnahmen nicht, » ›was it legal?‹, but ›was it good?‹ «;111 wenn es am Ende gut ausgeht, ist es offenbar egal, ob es legal war. Daher gelte es z. B. nach Ansicht von Fritz Allhoff, das Gute im Illegalen zu suchen, denn unbeschadet der zugestandenen Illegalität, sei das maßgebliche Problem: »getting the good torture, but only the good torture« (Public Affairs Quarterly 25 (2011), 218). Damit wird – entgegen dem sonst in politisch-liberalen Theorien spätestens seit Rawls geltend gemachten Grundsatz des Vorrangs des Rechten vor dem Guten112 oder auch des Rechts vor Ethik und Politik113 – die Priorität des Guten vor dem Rechten angedeutet. Es soll das Ergebnis einer Handlung zählen und nicht die Kriterien der Richtigkeit eines Verhaltens. Erst in zweiter Hinsicht wird eine gesetzliche Lösung eingefordert, durch die eine Legalisierung der ohnehin stattfindenden Praktiken erreicht werde. Wenn Folter unter Umständen als legitim angesehen werden könne, so müsse sie auch legalisiert und gerichtlich angeordnet werden dürfen. Im Zentrum stehen hier die entsprechenden Vorschläge von Alan M. Dershowitz, der für einschlägige Fallkonstellationen die Anordnung von richterlich überprüften Foltervollmachten (›torture warrants‹) gefordert hat.114 Die ethische Rechtfertigung der 110 Zu diesem »Standard Account« siehe etwa die kritische Darstellung von M.N. Berman, Duke Law Journal 53 (2003), bes. 7ff. m.z.N. 111 Dazu – kritisch – B. Hudson (Fn. 73), 705 unter Verweis auf die entsprechend zugespitzte Fragestellung des Britischen Journalisten David Aaronovitch. 112 Grundlegend J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 50f./486ff./611ff.; ders., Idee des politischen Liberalismus, 364ff.; ders., Politischer Liberalismus, 266ff.; ders., Gerechtigkeit als Fairneß, 218f.; dazu auch K. Brehmer, Rawls’ »Original Position«, bes. 82ff.; W. Kymlicka Phil& Pub Affairs 17 (1988), 173ff.; S. Freeman, Phil& Pub Affairs 23 (1994), 313ff.; R.S. Taylor, Reconstructing Rawls, 116ff. 113 In dieser Hinsicht wird der Ansatz von Rawls mit Hilfe von Kant erweitert von A. Dogan, Kant-Studien 102 (2011), 316ff./326ff. 114 A.M. Dershowitz Terrorism, 132ff., bes. 156ff.; ders., New York Law School Law Review 48 (2003), 275ff.; ders., University of Pennsylvania Journal of Constitutional Law 6 (2003), 326; ders., in: Torture, 257ff.; ähnlich auch A.C. McCarthy, in: Torture Debate, 98ff.; siehe zu beiden L. Windeln, Kampf um die Folter, 37ff./42ff.

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Tortur drängt dann gewissermaßen auf eine Legalisierung dieser Praxis; das (positive) Recht habe insofern der Moral zu folgen, ehe es von der Faktizität von außer-rechtlichen Legitimationsanmutungen abgehängt wird. Gesetze könnten nämlich nicht auf Dauer verbieten, was gesellschaftlich als legitim akzeptiert werde und deshalb ohnehin geschehe. In eine ähnliche Richtung – freilich ohne Umweg über moralische Intuitionen – hatte zuvor bereits 1993 Niklas Luhmann in seinem vielbeachteten und of zitierten Vortrag über die Frage ›Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen?‹ eine »juristische Lösung« im »Fall der Folter« angedacht. Darin hat er ausdrücklich empfohlen, »jedes moralische Urteil (und das heißt auch: jede ethische Konstruktion des Problems) zu vermeiden, weil das nur dazu führen könnte, … den Teufel im Recht mit dem Beelzebub der Moral auszutreiben«. Da es jedenfalls irgendwie unbefriedigend sei, »wenn man gar nichts tut und Unschuldige dem Fanatismus der Terroristen opfert«, müsse »ungeachtet aller legalistischen Bedenken« die sonst eventuell ungezügelt einsetzbare Tortur in die Formen des Rechts gegossen werden. Dies könne z. B. durch »Zulassung der Folter durch international beaufsichtigte Gerichte, Fernsehüberwachung der Szene in Genf oder Luxemburg, telekommunikative Fernsteuerung« geschehen.115 Luhmanns (womöglich »ironisch inszenierter«116) Vorschlag sollte immerhin dazu dienen, das Problem heim ins Recht zu holen, das dann nur noch die Gebrauchsanweisung für mögliche Folteranwendungen liefern müsse. Dabei geht es für ihn um ein Rechtsproblem, das das Recht entscheiden müsse, ohne es entscheiden zu können.117 a)

Vom Umgang mit tickenden Bomben

aa) Von der Leichtigkeit der abstrakten Fallgestaltung Besonders beliebte Beispiele für eine solche Lage, in denen eine Foltererlaubnis möglich oder gar moralisch geboten erscheine, sind verschiedene Versionen118 des sog. ›ticking bomb‹-Szenarios,119 die literarisch eine lange Tradition haben 115 N. Luhmann, Normen?, 27/3/27; zur Bedeutung Luhmanns in der Folterdebatte vgl. M. Jahn, Strafrecht des Staatsnotstandes, 209ff.; St. Stübinger (Fn. 40), 283ff. (unten S. 229f.); R. Poscher, in: Rückkehr der Folter, 75ff.; G. Frankenberg, American Journal of Comparative Law 56 (2008), 404f.; ders., Staatstechnik, 175f.; H. Schmitz (Fn. 40), 277f. 116 Dies mutmaßt zumindest H. Brunkhorst, Blätter 1/2005, 81; s.a. R. Poscher JZ 2004, 757; C.C. Herbst, Aussageerzwingung, 372; skeptisch dagegen M. Kahlo, Hassemer-FS, 415f. Fn. 161. 117 Ausführlicher dazu C. Douzinas, Soziale Systeme 14 (2008), 110ff.; s.a. M. Farrell, Prohibition of Torture, 244f. 118 Siehe die Aufstellung verschiedener Beispiele bei Y. Ginbar, Why not Torture Terrorists?, 357ff. mN. 119 Zu diesem ebenso beliebten wie umstrittenen Fallbeispiel siehe z. B. B. Brecher Torture, 14ff.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 82ff.; D. Steiger, Folterverbot, 569ff.; J.J. Wis-

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(dazu noch unten S. 225f.). In diesen Fallgestaltungen geht es meist um den Schutz von vielen unter folternder Aufopferung eines einzigen. Die Rollenverteilung scheint schon allein durch die Art der Fallschilderung meist klar : die von einer ›tickenden Zeitbombe‹ Bedrohten sind die Unschuldigen, während der Kandidat für die anzuwendende Folter als Terrorist bezeichnet wird und daher eindeutig der Schuldige ist.120 Nur selten wird eine Erweiterung der in Betracht kommenden Folterkandidaten auf die ›unschuldigen‹ Angehörigen (Frauen und Kinder) oder zumindest Sympathisanten von Terroristen argumentativ auf die Probe gestellt, selbst wenn deren Folterung ebenfalls erfolgversprechend erscheinen mag (vgl. dazu unten S. 72 m.N.).121 Ein Prototyp einer solchen ›ticking bomb‹-Fallgestaltung findet sich schon in einem Nachlass-Fragment von Jeremy Bentham aus dem Jahr 1804 (Mss. Box 74.b, p. 429), das erstmals in einem Aufsatz von W.L. & P.E. Twining mit dem Titel ›Bentham on Torture‹ im Northern Ireland Legal Quarterly 24 (1973), 347 Fn. 3 abgedruckt wurde.122 In solchen Fallkonstellationen geht es um die Vorstellung, man könne durch Anwendung der Tortur von einem Verdächtigen den Ort erfahren, an dem eine Bombe platziert wurde, deren Detonation eine Vielzahl von Menschenleben kosten werde. In Anbetracht der in Aussicht gestellten Rettung einer großen Anzahl potenzieller Anschlagsopfer soll die zeitlich begrenzte und eine in ihrer Intensität möglichst gering zu haltende Beeinträchtigung der Würde des zu folternden (mutmaßlichen) Täters schon fast als eine Lappalie erscheinen. Auf diese Weise newski, Journal of Applied Philosophy 26 (2009), 205ff.; ders. / R.D. Emerick Ethics, 16ff.; K.L. Scheppele (Fn. 84), 285ff., bes. 305ff.; D. Luban, Virginia Law Review 91 (2005), 1440ff.; ders., Torture, 56ff./76ff./89ff.; W. B. Wendel (Fn. 84), 121ff.; F. Allhoff (Fn. 104), 246ff.; ders., Terrorism, 87ff.; V. Bufacchi / J.M. Arrigo, Journal of Applied Philosophy 23 (2006), 355ff.; J.A. Cohan, Valparaiso University Law Review 41 (2007), 1599ff.; J. Mayerfeld, Public Affairs Quarterly 22 (2008), 109ff., bes. 113ff.; J. Ip (Fn. 28), 40ff.; K. Kovarovic (Fn. 21), 251ff.; F. Belvisi, in: B. Clucas et al. (Eds.), Torture, 61ff.; J.-M. Piret, (Fn. 61), 103ff.; H. Schmitz (Fn. 40), 269ff.; M. Soniewicka, in: Legal Rules, 197f. Für die neuere Debatte maßgebend M. Walzer, P& P Affairs 2 (1973), 166ff. 120 Zur Struktur dieser Argumentation vgl. etwa G. Blum (Fn. 91), 22f. 121 Siehe zur Problemtik der Folterung ›Unschuldiger‹ etwa H.J. Curzer, (Fn. 12), 31 ff; M.S. Moore, Law and Philosophy 27 (2007), 44; K. Bennoune, Berkeley Journal of International Law 26 (2008), 37f. Gegen die Einbeziehung »Unschuldiger« z. B. R. Trapp, Folter, 46f.; sowie J.J. Wisnewski / R.D. Emerick Ethics, 34ff. – in Auseinandersetzung mit entsprechenden Überlegungen von M. Bagaric / J. Clarke Torture, 29ff.; s.a. R. Matthews, Journal of Social Philosopy 43 (2012), 460ff.; J.W. Schiemann, Political Research Quarterly 65 (2012), 14f., der die Bereitschaft, Unschuldige zu foltern, in seine spieltheoretisches AnalyseModell einer effektiven Folter einbezieht. 122 Vgl. dazu A.M. Dershowitz Terrorism, 142ff.; J. Kleinig, Deakin Law Review 10/2 (2005), 614f. m. Fn. 1; J.A. Cohan, Valparaiso University Law Review 41 (2007), 1590f.; M. Hong (Fn. 4), 24f. m. Fn. 5 auf S. 160f.; A.J. Bellamy (Fn. 49), 132f.; J. Ip (Fn. 28), 40; B. Brecher (Fn. 88), 32f.; Y. Ginbar, Why not Torture Terrorists?, 357; F. Allhoff, Public Affairs Quarterly 25 (2011), 234 Anm. 1; ders. Terrorism, 89ff.

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mutiert die normative Frage des Rechtmäßigen zum Problem einer quasi-ökonomischen Logik des Zahlenmäßigen. Nur quantitativ verschieden davon stellt sich in dieser Hinsicht123 die Lage im ›Frankfurter Fall‹ dar, in dem nicht viele – potenzielle –, sondern nur ein – aktuelles – Opfer und ein Täter »in eine vorbehaltlose Güterabwägung« einzubeziehen sind; im Übrigen gelte jedoch auch hier : »die Folter trifft einen Schuldigen, und ihr Ziel ist es, einen Unschuldigen zu retten«.124 Noch deutlicher wird die Schuldfrage geklärt, wenn die folternde Lösung des Problems schon gleich als »selbstverschuldete finale Rettungsbefragung« etikettiert wird, wie dies namentlich von Rainer Trapp vorgeschlagen worden ist.125 Es scheint als werde durch die Unrechtstat (die Entführung) zugleich die Rettung durch Folter schuldhaft bewirkt; diese ›Verschuldung‹ entlastet dann zugleich den Folterer. Durchaus ähnlich klingt die Beteuerung von Reinhard Merkel, dass sich – nach allen Regeln juristischer Zurechnungskunst – letztlich der »Gefolterte die Schmerzen selber zu(füge)«.126 Die rechtswidrige und schuldhafte Handlung des Täters verschmilzt mit der Abwehrmaßnahme des Folterers zu einem Tatkomplex. Die Tat-Einheit kann dann einem einzigen Urheber zugeschrieben werden. Es geht demnach um eine Art Selbst-Marterung in mittelbarer Täterschaft; der Folterer verschwindet als Akteur, denn er ist nach dieser (Subsumtion-)Logik gleichsam nur der willfährige Folterknecht des Gefolterten, der selbst der eigentliche Täter hinter dem scheinbaren (Folter-)Täter ist. Die Tortur wird dem Folterer gewissermaßen aufgezwungen. In dieser Deutung wird aus einer – sonst womöglich willkürlich erscheinenden – Folter-(Rettungs-)Aktion eine bloße (beinahe unwillkürliche) ReAktion, die sich der Gefolterte selbst zuschreiben lassen muss und die er gemäß der vorher feststehenden Schuldzuweisung auch verdient habe. Durch solche terminologischen bzw. zurechnungstechnischen Veränderungen soll zugleich der Charakter der Übelszufügung, der sonst mit dem Ausdruck Folter verbunden wird, relativiert oder sogar verdeckt werden. Die bloß re-aktive Tortur 123 In strafrechtsdogmatischer Perspektive kann freilich je nach Fallgestaltung eine durchaus qualitative Differenz zwischen beiden Konstellationen bestehen – im Unterschied zwischen Notstand und Notwehr. 124 E. Hilgendorf, JZ 2004, 335; siehe dazu auch L. Greco, GA 2007, 631f. m. Fn. 20, der zutreffend darauf hinweist, dass es »zunächst unklar« sei, ob Hilgendorf an dieser Stelle »nicht bloß Hinweise auf fremde Argumente« anführe oder – was Greco schließlich für plausibler hält – bemüht ist, »sich die Behauptungen letztlich doch anzueignen«. 125 R. Trapp, Folter, bes. 44/52f.; kritisch zu solch »euphemistischen Metamorphosen« L. Ellrich, (Fn. 51), 50 (f.); P. Tiedemann, Menschenwürde, 333; s.a. M. Kahlo, Hassemer-FS, 416 Fn. 164: »beschönigend realitätsverschleiernd«; ders., in: Wege zur Menschenwürde, 373f. Fn. 22. 126 R. Merkel, Jakobs-FS, 392; siehe zu dieser Imputationslogik (in einem anderen Zusammenhang) auch R. Merkel, JZ 2007, 376ff. und unten S. 334; kritisch dazu G. Beestermöller, Freiburger Zeitschrift für Theologie und Philosophie 56 (2009), 459ff.

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erscheint dann nicht mehr so sehr als ein – wenn auch im Vergleich zur alternativen Tatenlosigkeit geringeres – Übel,127 sondern gilt fast schon als eine erzwungene Wohltat. Jedenfalls klingt sie in dieser Deutung nicht mehr so sehr nach einer Untat. Nur mühsam lässt sich der Eindruck vertuschen, dass in diese Begründungsstrategie letztlich Restmomente einer punitiven Verhängung solcher Foltermaßnahmen einfließen; in der Tortur schwingt ein Moment einer Straf-reaktion mit. Soweit nämlich damit angedeutet wird, dass der Gefolterte für die entsprechende Behandlung haftbar ist oder sie sogar verdient hat, wird zugleich mitbehauptet, dass eine (mutmaßliche) Schuld des Täters zugerechnet werden kann.128 Heutzutage tritt zwar kaum noch jemand offen für die Folter als Alternative zu anderen Formen von Strafe ein. Eine Ausnahme bildet vor allem Stephen Kershnar, der in einigen Arbeiten für eine solche Ansicht plädiert.129 Dennoch spielt das strafzwecktheoretisch angehauchte Argument, dass man es mit einem Schuldigen zu tun hat, der sich die schmerhaften Konsequenzen seines Tuns selbst zuzuschreiben – wenn nicht sogar verdient – habe, keine kleine Rolle. Historisch gibt es für diese problematische Konfusion von strafrechtlichrepressiven und präventiv-gefahrabwendenden Handlungen zumindest ein durchaus interessantes Beispiel: das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 erfasste in seinen Tatbeständen zum Menschenraub auch die Konstellation, in der jemand »Kinder ihren Aeltern raubt, oder vorenthält, um sie in einer andern Religion zu erziehen«; in diesem Fall sollte der Täter »so lange zu gefänglicher Haft gebracht werden, bis er dieselben wieder herbeyschafft«. Dabei sollte diese ausdrücklich als »Strafe« bezeichnete Maßnahme »bey hartnäckiger Weigerung, den Aufenthalt des geraubten Kindes anzugeben, durch Einsperrung bey Wasser und Brod, und durch körperliche Züchtigung geschärft werden« können (PrALR II. Theil/20. Titel – §§ 1083f.). In dieser Zeit wurde demnach die eventuell erforderliche physische Gewalt zur Erzwingung einer Aussage über den Verbleib eines entführten Kindes noch explizit als Strafakt verstanden. In diesem Sinne sieht jedenfalls auch Heike Schmitz in dieser Regelung einen Beleg dafür, »dass bereits im 18. und 19. Jahrhundert Folter zu präventiven Zwecken eingesetzt wurde – gerade auch zur Lebensrettung«.130 127 Zur häufig anzutreffenden Begründungsfigur des geringeren oder kleineren Übels siehe etwa M. Ignatieff, Das kleinere Übel, passim; A. Fiala, International Journal of Applied Philosophy 20 (2006), 130ff.; G. Blum (Fn. 91), bes. 55ff.; J. McMahan, Public Affairs Quarterly 22 (2008), 115ff. 128 Siehe dazu etwa J. McMahan, Public Affairs Quarterly 22 (2008), 117f. 129 Vgl. S. Kershnar, Hamline Journal of Public Law & Policy 19 (1997), 497ff.; ders., Desert, 169ff.; ders., For Torture, 37ff. 130 H. Schmitz, in: K. Altenhain u. a. (Hg.), Wiederkehr der Folter?, 280.

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Der straftheoretische Aspekt mag auch ein Grund für die Attraktivität der Notwehrlösung sein, die häufig für die Legitimation der Folter angeboten wird (dazu noch eingehend unten S. 128ff./181ff./256ff.). Danach soll die Folter im ›ticking bomb‹-Szenario und in den Entführungs-Fällen als Notwehrmaßnahme gerechtfertigt werden. Dabei schwingt ein Moment der Wechselwirkung zwischen der Begründung der Strafe mit Notwehrelementen und der straftheoretisch informierten Herleitung des Notwehrrechts mit.131 Der Gedanke an eine notwehrähnliche Abwehr wird immer wieder mal als Grundlegung der Strafe und auch der Maßregeln132 ins Spiel gebracht. Dies hat eine durchaus lange Tradition. So hat etwa Christian Wolff das natürliche Recht zu strafen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem von Natur aus bestehenden Recht auf Selbstverteidigung begründet (Grundsätze §§ 90ff., bes. 93 – S. 58). Noch um 1800 wurde von einigen »das Recht des Staates, Todesstrafe anzuordnen, von dem Rechte der Nothwehr« hergeleitet; dabei gehe es freilich nicht um eine »Notwehr gegen den Verbrecher, sondern gegen den freyen Willen aller übrigen Bürger«.133 Im 19. Jahrhundert hat insbesondere Christoph R.D. Martin seine eigene Strafzwecklehre eine »Theorie der analogen Nothwehr des Staats« genannt.134 In neuerer Zeit hat sich vor allem Phillip Montague um eine vergleichende Grundlegung des Notwehrrechts und der Strafe als gesellschaftliche Abwehrmaßnahme zum Schutz von Unschuldigen bemüht.135 In Analogie zur Notwehr soll es demnach auch für die Begründung der Strafe darauf ankommen, dass der Staat ein Recht auf Abwehr von Unrechtstaten erhält. Umgekehrt spielt bei der Herleitung des Notwehrrechts gelegentlich auch die Ansicht einer verdienten Haftungsübernahme eine Rolle, die einer strafenden Zuschreibung von Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten zumindest ähnelt. Es sei eben eine Frage der Gerechtigkeit, den Unrechts-Täter mit den Folgen seiner Tat zu belasten. Daran ist gerade im hiesigen Diskussionszusammenhang erinnert worden. So hat insbesondere der US-amerikanische Moralphilosoph Jeff

131 Allgemein zu dieser Verbindung K. Lüderssen, in: Aufgeklärte Kriminalpolitik, 468ff. m.w.N. 132 Vgl. etwa – in Anlehnung an einen Vorschlag von Walter Sax – LK-Schöch Vor § 61 Rn. 39 m.N.; kritisch dazu W. Frisch ZStW 102 (1990), 366f.; G. Jakobs, Strafrecht 1. Abschn. Rn. 54. 133 So etwa K.H. Heydenreich, Grundsätze 1, 182/148 m.w.N. 134 C.R.D. Martin, Lehrbuch, VIII – zur Begründung ebenda, S. 25f.; ähnlich G.E. Schulze, Leitfaden, 348ff.; Weber NArchCrim VI (1825), 453f.; siehe dazu F.C.T. Hepp, Kritische Darstellung, 120ff. 135 Vgl. P. Montague, Philosophical Studies 40 (1981) 207ff.; ders., Criminal Justice Ethics 2 (1983), 30ff.; ders. Punishment, 25ff.; ders., Law and Philosophy 29 (2010), bes. 86f.; allgemein kritisch zu einem solchen »self-defense view« einer (moralischen) Begründung von Strafe: D. Alm, Criminal Justice Ethics 32 (2013), 92 (ff.).

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McMahan – auf der Grundlage seines allgemeinen ›Responsibility Account‹136 der Notwehr, nach dem sich die Grenzen der Notwehr generell nach der Verantwortlichkeit für die Bedrohung richte – eine Parallele zwischen der Verhängung von Strafe und der Zufügung von Schmerzen durch eine Notwehrhandlung gezogen: »In each case, the justification for the intentional harming of the person who is liable is a matter of justice in the distribution of harm … in the law of self-defense, it is a matter of preventive justice that inevitable harms should be distributed ex ante to those who are morally responsible for the fact that others will otherwise be wrongfully harmed«.137

Whitley Kaufman hat eine solche Ansicht dementsprechend die » ›distributive justice‹ theory of self-defense« getauft und als solche kritisiert (vgl. zu seinem eigenen Ansatz unten S. 187ff.).138 bb) Zur Schwierigkeit einer konkreten Lösung Durch die skizzierte Zuspitzung in den ›ticking bomb‹-Fällen sowie die imputierte Schuldzuweisung soll nicht zuletzt die Bestandskraft und vorgebliche Absolutheit des Folterverbots provoziert werden. Auf diese Weise wird die Prinzipientreue der vermeintlich rigorosen Foltergegner auf eine harte Probe gestellt. Dies erinnert insoweit ein wenig an die früheren ›Gewissenstests‹, die Wehrdienstverweigerer in den 1970er und 80er Jahre über sich ergehen lassen mussten, um ihren vermeintlich nur vorgeschützten Pazifismus überprüfbar zu machen;139 es sollte damals getestet werden, ob nicht doch Konstellationen vorstellbar sind, in denen der ach so Friedliebende – trotz grundsätzlicher Bedenken – doch zur Waffe greifen und der Pazifist zum Krieger werde. Ähnlich wird auch im hiesigen Zusammenhang gefragt, ob nicht doch in jedem noch so prinzipientreuen Moralisten ein abwägender Pragmatiker steckt und ob es nicht möglich wäre, »durch solche suggestiven Szenarien im Einzelfall aus einem Kantianer einen Utilitaristen zu machen«,140 der dann entgegen der eigenen Grundsätze zur Folter greifen würde, wenn die Umstände es verlangen. Es werden dann nämlich einige heikle Fragen gestellt: Soll das Recht tatsächlich selbst in Anbetracht des drohenden Verlustes von – im schlimmsten Fall – unzähligen Menschenleben an diesem Grundsatz der absolut verbotenen Folter festhalten? Soll die Selbstbindung des Rechtsstaates wirklich dem Schutz von 136 Vgl. J. McMahan, Philosophical Issues 15 (2005), 394 (ff.); ders., in: Criminal Law Conversations, 392 (ff.). 137 J. McMahan, Public Affairs Quarterly 22 (2008), 117. 138 W. Kaufman, Ethics and International Affairs 22 (2008), 93ff. (95) m.w.N.; kritisch dazu P. Montague, Law and Philosophy 29 (2010), 88ff. 139 So auch N. Werber, Soziale Systeme 14 (2008), 83ff. 140 J. v.Bernstorff, Der Staat 47 (2008), 23.

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(Kindes-)Entführern oder bombenlegenden Attentätern dienen? Gleicht nicht vielleicht die Verabsolutierung der Würde dem »Tanz um das Goldene Kalb«?141 Kann es in diesem Sinne Unverfügbares oder gar »Tabus«142 im Recht geben, die selbst in solchen Extremlagen nicht preisgegeben werden dürfen? Gibt es einen Punkt, an dem selbst eingefleischte Befürworter eines absoluten Ausschlusses der Folter der Versuchung erliegen, doch zu diesem Instrument zu greifen? Solch kritische Anfragen werden freilich meist mit nicht weniger heiklen Gegenfragen gekontert. Solche Konter-Fragen zielen dann beispielsweise auf das Maß und eventuelle Grenzen der Foltermaßnahmen, zu dem sich die Befürworter bereiterklären könnten.143 Sie betreffen aber auch die Naivität des Ausgangsszenarios. In der Wunschvorstellung der Folterbefürworter hat die Tortur, die selbstverständlich stets ›den Richtigen‹ trifft, meist schnellen Erfolg.144 Die meisten Legitimationsanstrengungen bemühen sich dabei zugleich um eine »Beschränkung des Zwangseinsatzes«. In diesem Sinne bemüht sich z. B. Catarina C. Herbst in ihrem Buch ›Die lebensrettende Aussageerzwingung‹ darum zu zeigen, dass überhaupt nur »Moderater Zwangseinsatz … gerechtfertigt werden« könne; denn: »Lebensrettende Aussageerzwingung … bedeutet, vor harten Methoden haltzumachen«, wobei stets der Zweifel bleibt, ob dies »in der Kürze der Zeit immer durchgehalten werden« kann (a. a. O., 370f./373). Letztlich bleibt die Grenzziehung situationsabhängig und der Entscheidung der Akteure überlassen. Schließlich soll es etwa nach Rainer Trapp nur um eine verschärfte Vernehmungsmethode oder lediglich um eine kurze »Rettungsbefragung« gehen. Im Rahmen dieses eben nicht ganz zwanglosen Gesprächs mit einem höchstwahrscheinlich Schuldigen, das unter »medizinischer und richterlicher Begleitung« geführt werden soll, müsse lediglich sichergestellt sein, dass es »bei den äußerstenfalls zulässigen Zwangsmaßnahmen bleibt«. Woher ein Maßstab für die Bestimmung des Zulässigen kommen soll, verrät Trapp freilich nicht. Die konkreten Maßnahmen sollen dann eben an die »medizinischen Experten« delegiert 141 So M. Peltzer ZRP 2013, 25. 142 Zur oft verwendeten Konnotation von Folter und Tabu siehe M. Kaufmann (Fn. 26), 24ff.; F. Saliger ZStW 116 (2004), 35ff.; K. Lüderssen, Rudolphi-FS, 691ff.; R. Poscher (Fn. 115), bes. 79ff.; ders. JZ 2004, 758f.; H. Bielfeldt, Menschenwürde, 21ff.; ders., Auslaufmodell Menschenwürde?, 98ff., bes. 102f.; C. Horlacher, Auskunftserlangung, 179; G. Frankenberg American Journal of Comparative Law 56 (2008), 403ff.; ders., Staatstechnik, 274ff.; s.a. S. Baer DZph 53 (2005), 574f.; dies., University of Toronto Law Journal 59 (2009), 467; kritisch zum Einsatz des Tabu-Begriffs z. B. H.-G. Dederer JöR 57 (2009), 122; C. Fahl, JR 2011, 340ff.; J.-M. Zeller, Folter, 271ff. jeweils m.w.N. 143 Siehe etwa J.P. Reemtsma (Fn. 26), 120f.; B. Kretschmer, RuP 2/2003, 110f.; W. Schild (Fn. 78), 75; K. Günther, in: Rückkehr der Folter, 106f.; H. Bielefeldt, Menschenwürde, 15f.; C. Castresana, South Central Review 24/1 (2007), 125. 144 Zu diesem Zeitaspekt sie z. B. D. Rejali, Torture, 474ff.

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werden; zu den Risiken und Nebenwirkungen einer ›Rettungsbefragung‹ ist ein Arzt zu befragen. Mit diesen ärztlichen Angelegenheiten habe jemand, der – wie Trapp – »ausschließlich als Ethiker« argumentieren möchte, nichts zu tun;145 dessen Weste bleibt weiß, während sich andere die Hände schmutzig machen sollen. Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, die medizinisch-technische Abteilung möge das richtige Maß für die erforderlichen Peinigungen wohldosieren.146 So leicht wie im ›Frankfurter Fall‹, in dem die Drohung mit vergleichsweise harmlos klingenden Schmerzzufügungen ausreichte, den Entführer zur Preisgabe des Aufenthaltsortes seines zu diesem Zeitpunkt freilich bereits toten Opfers zu bringen, wird die erhoffte Information bei hartgesottenen Terroristen wohl nicht zu bekommen sein. Gelegentlich wird vage angedeutet, dass es bei »einem fanatisierten Täter … zum Äußersten kommen« kann, was immer das heißen mag. Im Übrigen liege es eben »in der Hand des Einzelnen … das in concreto erforderliche Mittel zu finden«.147 Das Konkrete ist eben nicht die Sache des abstrakten Rechts. Der amerikanische Philosoph Fritz Allhoff hat immerhin auf eine allgemeine Proportionalität eines nüchternen Folter-Kalküls verwiesen, in dem sich die Strenge der Tortur nach der Anzahl der bedrohten Leben richten könne; um eine Terror-Attacke in der Größenordnung vom 11. September 2001 verhindern zu können, sei dann beinahe jedes Mittel recht. Das Risiko der Fehleinschätzung habe der Folterer zu tragen, der für unverhältnismäßige Folterungen bestraft werden könne (Terrorism, 198ff.).148 Wie weit würde man aber gehen wollen, wenn der Gefolterte nicht ›im Handumdrehen‹ gesteht? Gibt es dann überhaupt noch ein Halten? Solange nur ganz allgemein von Verhörtechniken die Rede ist, wird die drohende Maßlosigkeit von der Unbestimmtheit des Folterbegriffs geschützt. Sind beispielsweise die insgesamt mehr als zwei Monate lang anhaltenden Verhöre, die u. a. unter Einsatz von einer Art ›Waterboarding‹ und Schlägen mit Stühlen bzw. Holzscheiten, sowie mit dem Ausdrücken von Zigaretten und dem Brechen von Rippen durchgeführt worden sein sollen, mit denen bereits in den 1990er Jahren der Terrorist Abdul Hakim Murad auf den Philippinen zu einer Aussage über geplante Anschläge (u. a. auf den damaligen Papst und das CIA-Hauptquartier) gebracht wurde, noch im Rahmen des rechtlich Erträglichen.149 Oder ist etwa das 145 R. Trapp, Folter, 47/50/54; ähnlich R.R. Jaeger (Fn. 78), 35. 146 Kritisch zu einer solchen Annahme R. Matthews, Journal of Social Philosophy 43 (2012), 463ff. 147 V. Erb, Seebode-FS, 120f./122. 148 Vgl. zu Allhoff auch D. Luban, Torture, 79ff. 149 Ausführlich zum Fall Murad: S. Athey, South Central Review 24/1 (2007), 73ff., bes. 77f.; s.a. P.N.S. Rumney, University of San Francisco Law Review 40 (2006), 487f.; D. Luban, Torture, 90f.; U. Pajarola, Gewalt, 9f.; D. Steiger, Folterverbot, 575f. jeweils m.w.N.

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an dem Topterroristen Khalid Shaikh Mohammed über Wochen insgesamt wohl 183-fach ausgeführte ›waterboarding‹,150 das der damalige US-Präsident Bush persönlich genehmigt haben soll,151 angemessen, um an erhoffte Informationen über geplante Anschläge zu gelangen? Können im äußersten Fall auch die Kinder oder die Mutter eines Terrorverdächtigen herangezogen werden, um mit deren Folterung, Vergewaltigung oder Tötung zu drohen?152 Dies ist offenbar ebenfalls bei Khalid Shaikh Mohammed153 und anderen154 geschehen ist bzw. wird in Gedankenexperimenten immer wieder ins Spiel gebracht.155 Nur wenige möchten derartiges so freimütig bekennen wie dies z. B. der bekannte us-amerikanische Rechtsphilosoph Michael S. Moore getan hat, der sich inzwischen sicher ist: »If I can locate and defuse a nuclear divice at 42nd street only by torturing the innocent child of the terrorist who planted it there, I torture« (Law and Philosophy 27 (2007), 44). Dabei hat er seine ethischen Skrupel überwunden, die er noch knapp zwei Jahrzehnte zuvor gehegt hatte. Damals empfand er eine solche Vorstellung noch als »morally repugnant« und bekräftigte: »No one should torture innocent children … Nor should a state allow such practices«.156 Der us-amerikanische Anwalt Nathan Lewin hat sogar die Androhung und gegebenenfalls auch die Durchführung gezielter Tötungen der Familienmitglieder von Selbstmordattentätern zur Verhinderung von Anschlägen in Erwägung gezogen. Dies versucht er aus dem Gedanken einer allgemeinen Notwehr und Abschreckung heraus zu begründen: »When there is no other deterrent, self-defense entitles one to take measures that are ordinarily unacceptable«.157 Derart außergewöhnliche Maßnahmen seien gegenüber Menschen erlaubt, die 150 Vgl. den oben (S. 41) erwähnten CIA-Report, 83 Fn. 448/85ff./118 Fn. 698/268 – danach wurde Khalid Shaikh Mohammed in der Zeit vom 10. bis 24. März 2003 in 15 dokumentierten Sitzungen jeweils mehrfach dem ›Waterboarding‹ und anderen ›Verhörmethoden‹ unterzogen. Siehe dazu auch J.J. Wisnewski (Fn. 28), 45; S. Kershnar, For Torture, 62; A.W. McCoy, in: The United States and Torture, 40; R. Blakeley, Journal of Human Rights 10 (2011), 555f.; J.P. Terry, Campbell Law Review 32 (2010), 605; L. Sonderegger (Fn. 4), 32; D. Steiger, Folterverbot, 57 Fn. 240; D. Luban, Torture, 275; R. Gordon, Mainstreaming Torture, 37 jeweils m.N.; s.a. F. Allhoff, Terrorism, 164/199 m.N. bzgl. der Skepsis gegenüber dieser Zahl in Fn. 44 auf S. 235. 151 Siehe M. Danner, Houston Law Review 49 (2012), 86 m.N. 152 Siehe dazu den oben (S. 41) erwähnten CIA-Report, S. 4/70. 153 CIA-Report, S. 85/487 Fn. 2654; dazu G. Blum (Fn. 91), 22 m.N. in Fn. 106; R. Blakeley (Fn. 150), 554. 154 Z.B. bei Mohammad al Qahtani: vgl. J.J. Wisnewski (Fn. 28), 216f.; J.J. Paust, Valparaiso University Law Review 43 (2009), 1555 m.N. in Fn. 71; ders. (Fn. 83), 283/297. 155 Vgl. z. B. F. Allhoff, Terrorism, 103ff./200ff.; J. McMahan, Public Affairs Quarterly 22 (2008), 116/118. 156 M.S. Moore, Israel Law Review 23 (1989), 292; ders., Blacing Blame, 682. Eingehend zu Moores Stellungnahmen zur Folter-Problematik: M.H. Kramer, Ratio Juris 25 (2012), 472ff. 157 N. Lewin, Sh’ma Journal, May 1, 2002; dazu K. Dicke, Kodalle-FS, Band 1, 163f.

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den eigenen Tod nicht fürchten, womöglich aber den ihrer Familie. Mit solchen Bekenntnissen zur persönlichen Folter- oder Tötungsbereitschaft bzw. zu deren Grenzen ist freilich noch nichts über ein hinreichend begründbares Recht, dies zu tun, gesagt. Ferner wird an das nicht geringe Irrtumsrisiko erinnert, das darin besteht, nicht die ›richtigen‹, sondern die ›falschen‹ Übeltäter zu erwischen.158 Die Verwechslungsgefahr hat sich in den amerikanischen Militärlagern nicht gerade selten realisiert, zumal der Verdacht gegen die dortigen Gefangenen nicht einmal in ordnungsgemäßen Verfahren überprüft worden ist. Wie der 2014 veröffentlichte ›CIA-Report‹ (dazu oben S. 41) dokumentiert, wurden z. T. sogar ganz bewusst Menschen inhaftiert, nur um sie als » ›useful leverage‹ against a family member« einsetzen zu können (CIA-Report, 16 Fn 32). Schließlich ist zu bedenken, dass unter tausenden von Inhaftierten, die quasi als Kriegsgefangene im ›War on Terrorism‹ unter Terrorverdacht festgenommen wurden, sich nur wenige als wirklich echte Terroristen entpuppten, denen brauchbare Informationen über bevorstehende Attentate zu entlocken waren:159 gerade ein Falschverdächtigter muss eventuell besonders lange gefoltert werden, da man auf dessen Aussage notwendigerweise vergeblich wartet. Auch wenn die angedeuteten Auswüchse primär in den Fällen einer ›Präventiv-Folter‹ im Rahmen eines aus allen rechtlichen Fugen geratenen AntiTerror-Krieges zu beklagen sind, »Prinzipiell ausgeschlossen« erscheint »ein nachhaltiges, über Wochen oder Monate praktiziertes systematisches Zerbrechen der Persönlichkeit« auch in Entführungskonstellationen wie im ›Frankfurter Fall‹ keineswegs, denn es ist nicht »schlechthin undenkbar«, dass eine solche Situation langfristig fortbesteht.160 In dieser Hinsicht braucht man nur ein bekanntes Beispiel ein wenig zu verlängern, um die Frage nach der Intensität und dem Irrtumsrisiko in vergleichbarer Weise stellen zu können: wenn es etwa im sog. ›heißen Herbst‹ 1977 während der Entführung von Hanns Martin Schleyer gelungen wäre, ein Mitglied der RAF zu verhaften, das als Mittäter dieser Entführung in Betracht gekommen wäre, müsste dann nicht auch nach der von einigen vertretenen Notwehrlösung (dazu näher unter A.VII.1. – S. 182ff.) eine unter Umständen wochenlange Folterprozedur in Gang gesetzt werden, wenn es nicht gelänge, rasch an Informationen zu gelangen – z. B. deshalb, weil der Inhaftierte zwar zutreffend als Anhänger der terroristischen Vereinigung eingeschätzt würde, tatsächlich aber dennoch nicht in die konkrete Aktion einbezogen wäre? 158 Vgl. J. McMahan, Public Affairs Quarterly 22 (2008), 122f.; s.a. J.-M. Zeller, Folter, 315f. 159 Zu der geringen ›Trefferquote‹ vgl. etwa E. Scarry (Fn. 92), 284; J. Bell (Fn. 69), 352; R. Dasgupta (Fn. 105), 551 m.N.; M.K. Wynia (Fn. 9), 5; J.J Wisnewski, Idea 16 (2012). 160 So aber ganz optimistisch V. Erb, Seebode-FS, 121.

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Selbst die Einbeziehung von ›unschuldigen‹ Dritten ist keineswegs sicher abzuwenden. Zwar darf sich eine Notwehrhandlung gem. § 32 StGB nach heute nahezu einhelliger Auffassung sicherlich zu Recht allein gegen den (oder die) Angreifer richten, um eine rechtfertigende Wirkung entfalten zu können, doch ist eine solche Lesart keineswegs zwingend; eine andere Auslegung wird weder vom Wortlaut noch durch eine historische Interpretation ausgeschlossen. Im Blick auf die Geschichte des Notwehrrechts erweist sich diese Einschränkung sogar als kontingent. Noch im 19. Jahrhundert gab es in einigen Länderstrafgesetzen sogar ganz ausdrücklich Notwehrregelungen, durch die nicht nur der eigentliche Akt der Verteidigung gegen den Angreifer, sondern jede Handlung von Strafe freigestellt wurde, die für die Abwehr der durch den Angriff begründeten Gefahr zweckdienlich sein konnte. Dies sollte selbst dann gelten, wenn dadurch die Rechte Dritter – bis hin zu deren Leben – beeinträchtigt wurde. Im Hinblick auf eine erfolgreiche Abwehr der Not für das bedrohte Rechtsgut erscheint dies durchaus nicht abwegig. Nimmt man allein die Gefahr für die bedrohte Person in den Blick, so mag aus ihrer Perspektive letztlich jedes Mittel recht erscheinen, das die Not von ihr abwenden kann. Aus dieser Sicht erscheint es dann egal, welche Folgen dies für andere haben mag, die zur Gefährdung selbst nichts beigetragen hatten. Im Vordergrund steht insoweit die Beseitigung der Not. Eine ähnlich extensive Deutung des Notwehrrechts wurde – schon unter der Geltung des RStGB – noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein vielfach vertreten.161 Erst wenn der Blick vom Angriffsopfer weg auf die durch die Notwehrhandlung betroffenen Rechtsgüter gelenkt wird, kommt der Differenzierungsbedarf zwischen Angreifer und Dritten in Betracht; dann wird deutlich, dass in der Abwehr ein Eingriff in die Rechte von unbeteiligten gesehen werden kann, den diese ebenfalls nicht hinnehmen müssen.

b)

Prinzipientreue oder Folgenorientierung?

aa) Der Klassiker: Deontologie vs. Konsequentialismus Das Recht scheint mit der Lösung dieser Probleme überfordert. An solchen Fragestellungen drückt sich gleichsam der philosophische und politische Kern aller Rechtsbegründung aus seiner gesetzlichen Schale, in der er im Normalzustand ruhen kann. Damit ist unmittelbar nach den Grundlagen des Rechts bzw. des Rechtsstaats gefragt. Das Recht wird dann meist auf den Diskurs verschiedener Ethik-Typen verwiesen, um erweiterte Normbegründungsmöglich161 Dazu näher St. Stübinger, ZStW 123 (2011), 411f. m.N. (unten S. 333f.); s.a. B. Koch ZStW 122 (2010), 804ff.

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keiten nutzen zu können, die über die rechtsinternen Grundlegungsmuster hinausweisen. Zu diesem Zweck wird aus einer rechtsphilosophischen Perspektive meist die Differenz zwischen teleologischen bzw. utilitaristischen / konsequentialistischen Grundlegungen einerseits und deontologischen andererseits betont; die Extrem-Variante der Deontologie wird teilweise auch moralischer ›Absolutismus‹162 genannte.163 An diese Unterscheidung wird im hiesigen Zusammenhang häufig erinnert.164 Im Zentrum des Rechts stößt man dann letztlich auf diese beiden Dauerrivalen der (normativen oder rationalen) Ethik. Sie stehen sich als unversöhnliche Grundformen sämtlicher (d. h. ethischer, politischer und rechtlicher) Normbegründung gegenüber.165 Dabei wollen sich die diversen ›deontologischen‹ Ansätze an festen Prinzipien orientieren, während die anderen ausschließlich oder primär nach den Folgen bzw. dem Nutzen bestimmter Handlungen fragen möchten. Die Verteidiger eines absoluten Folterverbots werden meist einem strikten Deontologismus zugerechnet. Dieser gilt vornehmlich in kantischer Provenienz.166 Allerdings vertritt in Abgrenzung zum Kantianismus beispielsweise Matthew H. Kramer einen betont nicht-kantischen Deontologismus (Torture, bes. 149ff./223ff. u. ö.). Demgegenüber werden diejenigen, die für einen notfalls folternden Rettungseinsatz eintreten, mit Vorliebe dem Utilitarismus zugeord162 So kennzeichnet etwa Jeremy Waldron seine strikte Haltung gegen jeden Versuch einer Legitimation von Folter : vgl. dens. Columbia Law Review 105 (2005), 1709ff.; dens., Theology Today 63 (2006), 336; dens., Harvard Review of Philosophy 18 (2012), 4ff. (ausführlich und kritisch zu Waldrons Position M. Osiel, End of Reciprocity, 151ff.); s.a. M. Farrell, Prohibition of Torture, 194ff.; S. Mendus, Criminal Law and Philosophy 8 (2014), 123ff.; s.a. J.J. Wisnewski (Fn. 28), 3 u. ö.; ders. (Fn. 159); L.M. Seidman (Fn. 48), 889; R.S. Brown (Fn. 49), 6f.; R. Blakeley (Fn. 150), 545; J. Mayerfeld (Fn. 119), 112; M. Hatfield, South Central Review 24/1 (2007), 145ff.; F. Allhoff, Terrorism, 128ff.; H. Bielefeldt, Menschenwürde, 19f.; M.H. Kramer, Torture, 1 u. ö.; von einem »Absolutismus« der Vertreter einer »Unbedingtheit des Folterverbots« spricht auch A. Eser, Hassemer-FS, 715. 163 Zur Unterscheidung der Ethik-Typen allgemein J. Schroth ZphF 63 (2009), bes. 58. 164 Vgl. zu dieser Gegenüberstellung zweier Ethik-Grundtypen in der fraglichen Problemtik: J.J. Wisnewski (Fn. 28), 68f.; Y. Ginbar, Why not Torture Terrorists?, 10ff.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 203ff.; D. Steiger, Folterverbot, 597ff./630ff.; J.-M. Zeller, Folter, 295ff./308ff.; M.H. Kramer, Torture, 20ff./221ff.; F. Allhoff, International Journal of Applied Philosophy 17 (2003), 106f.; ders., Terrorism, 114ff.; B. Brecher (Fn. 88), 12f.; R. Matthews, Animus 11 (2006), 66f.; ders., The Absolute Violation, 100ff.; E.A. Posner / A. Vermeule (Fn. 56), 676ff.; J.D. Ohlin (Fn. 74), 224ff.; G. Blum (Fn. 91), 39ff.; C.K. Coleman, Journal of Legal Education 62 (2012), 111f.; S. Hoffman, Northern Illinois University Law Review 33 (2013), 384f.; vgl. auch die Klassifizierung der genannten Ethiktypen und den Versuch einer Synthese beider Ansätze zu einem »deontologischen Konsequentialismus« von. F. Lamprecht (Fn. 1), 202ff./ 230ff. 165 Grundlegend für die Unterscheidung: C.D. Broad, Five Types, 161ff./206ff. Zur Herkunft und Etablierung dieser Ethiktypologie A. Sorensen, Danish Yearbook of Philosophy 43 (2008), 69ff., bes. 76ff.; J. Schroth ZphF 63 (2009), 56ff.; C. Bambauer, Deontologie, 37ff. 166 Vgl. J.J. Wisnewski/R.D. Emerick Ethics, 68ff.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 225f.

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net.167 Die Menschenwürde eines Einzelnen kann nämlich im utilitaristischen Kalkül gegenüber den möglicherweise zu rettenden Menschenleben eher gegengerechnet werden. Im Vergleich zu dem biologisch bzw. physisch greifbaren Gut des menschlichen Lebens, stellt sich insofern die nicht (an-)tastbare Würde des Menschen, die als Hürde vor jeder Folteranwendung aufgestellt wird, als ein eher meta-physisches Prinzip dar. Dessen partielle und vorübergehende Verletzung muss im Kontrast zur Endgültigkeit des Todes im konsequentialistischen Blick als weniger gravierend erscheinen. Diese Einteilung ist allerdings kein begründungstheoretischer Selbstläufer. Es werden sehr wohl auch einige gewichtige utilitaristische bzw. konsequentialistische Argumente gegen die Folter angeführt.168 Dies soll insbesondere helfen, durch die Möglichkeit empirisch überprüfbarer Situationen der deontischen Leere der absolutistischen Folter-Gegner abzuhelfen.169 Dabei sollen insbesondere die mittel- und langfristigen Folgen angemahnt werden, die sich aus einer offenen Legitimierung oder gar der Legalisierung der Tortur für die Gesellschaft einstellen könnten. Das kurzfristig erreichte Nutzenmaximum kann sich rasch als nachteilig erweisen. Schließlich waren es auch keineswegs nur prinzipientheoretische Gründe zur Verbesserung der Humanität oder zur Durchsetzung von Menschenrechten, die einst – im Zeitalter der Aufklärung – zur Forderung nach Abschaffung der Folter geführt haben. Es waren vielmehr nicht zuletzt die Zweifel an der Zweckmäßigkeit der überkommenen Tortur, die dies bewirkt haben.170 Umgekehrt gibt es auch Versuche, im Namen einer besonderen Version einer deontologischen Begründung eine Legitimation von Foltermaßnahmen unter bestimmten Umständen herzuleiten.171 Fritz Allhoff hat beispielsweise zwischenzeitig in einem Aufsatz im ›International Journal of Applied Philosophy‹ 167 Siehe hierzu z. B. M. Bagaric / J. Clarke Torture, 28ff.; dies., University of San Francisco Law Review 39 (2005), 596ff./605ff.; J.-M. Piret (Fn. 61), 104; K. Bennoune (Fn. 121), 38f.; R. Gordon, Mainstreaming Torture, 63ff./71ff. 168 Vgl. dazu etwa R. Trapp, Folter, 186ff.; J.J. Wisnewski, (Fn. 28), 143ff.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 237f.; D. Steiger, Folterverbot, 600ff.; J.-M. Zeller, Folter, 310ff.; R. Gordon, Mainstreaming Torture, 68ff.; s.a. A. M. Dershowitz (Fn. 37), 142ff.; M. Strauss (Fn. 31), 255ff.; J.M. Arrigo, Science and Engineering Ethics 10 (2004), 543ff.; V. Bufacchi / J.M. Arrigo (Fn. 119), 355ff., bes. 362ff.; D. Sussman, P& P Affairs 33 (2005), 12f.; L.M. Seidman (Fn. 48), 888ff., bes. 891ff.; A. Fiala (Fn. 127), 127ff., bes. 129f.; E.A. Posner / A. Vermeule (Fn. 56), 680ff.; der Sache nach auch P. Gebauer, NVwZ 2004, 1405, bes. 1408ff. 169 So insbesondere R. Matthews, Journal of Social Philosopy 43 (2012), 457f. 170 Siehe dazu etwa M.A. Cattaneo, Aufklärung, 49ff./54ff.; S. Kramer, Folter, 64f.; R. Trapp, Folter, 33ff.; A. Stein, Verbot, 46f.; M. Kahlo, in: Strafrecht in der Zeitenwende, 53ff.; D. Hüning, in: K. Altenhain / N. Willenberg (Hg.), Geschichte der Folter, bes. 68ff.; W. Rother, Verbrechen, 49ff.; C.C. Herbst, Aussageerzwingung, 66ff.; A.K. Weilert, Grundlagen, 94ff. 171 Vgl. dazu E.A. Posner / A. Vermeule Michigan Law Review 104 (2006), 677ff.; Y. Ginbar, Why not Torture Terrorists?, 24ff. m.N.

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(Vol. 19 (2005), 249ff.) zu zeigen versucht, dass in einem (nicht-kantischen) Deontologismus ebenfalls eine Begründung von Folter jedenfalls nicht unmöglich erscheinen müsse. Dagegen setzt er in seinen späteren Veröffentlichungen selbst inzwischen eher auf die gewöhnliche Logik des Zählbaren im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung eines rechtlich-moralischen Notstands. Darin kann die Folter das (schon quantitativ) geringere Übel sein.172 Im Übrigen wird eine »(very un-Kantian) kind of deontology« beispielsweise von Michael S. Moore vertreten. Er bezeichnet sich selbst als »threshold deontologist«, weil er zwar grundsätzlich an einem Prima-facie-Verbot von Folter festhalten möchte, aber dennoch eine Rechtfertigung von Folter in Anbetracht besonders schwerwiegender Folgen für angebracht hält, denn: »over some threshold of truly awful consequences, I will potentially do virtually anything to avert such consequences«.173 Gute oder schlechte Konsequenzen sollen zwar – anders als im Utilitarismus – im Prinzip nicht über die Richtigkeit bzw. Falschheit einer Handlung entscheiden, doch wenn ein bestimmtes Maß an üblen Folgen drohe, könne dies für die Bewertung eines Verhaltens nicht folgenlos bleiben. In Anlehnung daran möchte auch Uwe Steinhoff seine notwehr-basierte Verteidigung von Foltermaßnahmen von dem gewöhnlichen »utilitarian calculus« abgrenzen. Auch er bezeichnet seinen eigenen Begründungsansatz ebenfalls als »threshold deontology«. Diese Theorievariante sei sogar mit einem »rights absolutism« kompatibel, insofern darunter ein absolutes Recht auf Notwehr zu verstehen sei (Ethics, 44f.). Weder Moore noch Steinhoff können freilich genau bestimmen wie hoch oder niedrig die Schwelle sein soll, an der die Prinzipientreue der Folgenorientierung weichen muss. Jeder Bestimmungsversuch eines exakten Schwellenwertes läuft nämlich wohl unweigerlich auf die sog. ›SoritesParadoxie‹174 auf, nach der logisch nicht zwingend festgelegt werden kann, ein

172 Vgl. F. Allhoff, Public Affairs Quarterly 25 (2011), bes. 228ff.; ders., Terrorism, 188ff.; ders. Cardozo Public Law Policy and Ethics Journal 11 (2013), 438ff. 173 M.S. Moore, Law and Philosophy 27 (2007), 44; siehe dazu bereits dens., Israel Law Review 23 (1989), 327ff.; dens., Blacing Blame, 719ff.; allgemein zu Moores ›threshold deontology‹ vgl. auch L. Alexander, San Diego Law Review 37 (2000), 894ff.; C. Kutz, California Law Review 95 (2007), 255f.; S.F. Colb, Cardozo Law Review 30 (2009), 1456ff.; M.H. Kramer, Ratio Juris 25 (2012), 483f./492f.; ders., Torture, 25ff./221ff.; zur Begründung einer ›threshold deontology‹ s.a. F.M. Kamm, Ethics, 49f.; E. Zamir/B. Medina, California Law Review 96 (2008), 326ff./343 ff; C.T. Wonnell, Legal Theory 17 (2011), 301ff.; s.a. A. Harel/A. Sharon, University of Toronto Law Journal 61 (2011), 849ff.; S. Hoffman, Northern Illinois University Law Review 33 (2013), 384f. 174 Zu diesem seit der Antike bekannten Beispiel für die paradoxe (Un-)Möglichkeit, z. B. eine Abgrenzung zu treffen, ab wann aus einer Menge von Sandkörnern ein Haufen wird (daher der Name für diese Paradoxie vom griechischen Wort ›soros‹ = Haufen) allgemein: R.M. Sainsbury, Paradoxien, 41ff.

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Quantum zu benennen, das einen wirklichen qualitativen Unterschied für eine ohnehin schon recht vage Einheit ausmacht.175 bb) Eine tugendethische Alternative? Als denkbare Alternative zu den beiden genannten »rationalen« Typen wird gelegentlich auch noch eine auf Intuition oder Gefühl gestützte Ethik in Erwägung gezogen. Darauf hat etwa der Theologe Johannes Fischer aufmerksam gemacht, um sogleich die »These« anzuschließen, dass es letztlich überhaupt »keine ethische Lösung für die Szenarien« der hier diskutierten Art gebe.176 Außerdem haben sich inzwischen auch diverse Vertreter verschiedener Varianten der Tugendethik zu Wort gemeldet. Dies überrascht nicht, da moderne Spielarten der Tugendethik in den letzten Jahrzehnten allgemein eine Renaissance erlebt haben und sich als dritte ›Methode‹ der Ethik anbieten möchten.177 Je nach Version kann man auch mit diesem Ansatz zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen: Einerseits hält etwa die in England und Australien lehrende und forschende deutsche Moralphilosophin Doris Schroeder in ihrer Stellungnahme zum ›Frankfurter Fall‹ unter Hinweis auf den Verlust der Würde eines seinerseits lasterhaft handelnden Entführers die Anwendung von Folter durch die Polizei für gerechtfertigt; dabei beruft sie sich vor allem auf das traditionelle Modell der Tugendethik, wonach die Würde eines Menschen von dessen moralischen Verdiensten bzw. Defiziten bestimmt werde (siehe dazu noch unten S. 244).178 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen auch die (sechs) Autoren eines Aufsatzes in der Zeitschrift ›Ethics & Behavior‹ aus dem Jahr 2014. In diesem Text wird neben einem utilitaristischen und deontologischen Ansatz auch eine tugendethische Lösung probeweise vorgestellt. Ohne sich eine solche Auffassung zu eigen machen zu wollen und ohne Vertreter eines solchen Ansatzes nennen zu können, kommen sie nach einer kurzen Prüfung tugendethischer Argumentationen zu dem Schluss, dass »in principle torturing someone can be a virtuous act«.179 Andererseits gelangt die us-amerikanische Philosophin Rebecca Gordon in ihrem 2014 erschienenen Buch ›Mainstreaming Torture‹ auf Grundlage einer neueren Variante der Tugendethik zur grundsätzlichen Illegitimität jener Fol175 Auf dieses Problem macht auch L. Alexander, San Diego Law Review 37 (2000), 897/905 /908ff. in seiner Auseinandersetzung mit Moores ›threshold deontology‹ aufmerksam; in der Sache ähnlich auch A. Harel/A. Sharon, University of Toronto Law Journal 61 (2011), 850f. 176 J. Fischer, in: P. Bahr/H.M. Heinig (Hg.), Menschenwürde, 234ff. (234 – dazu auch oben S. 49). 177 Dazu – kritisch – R. Crisp, Philosophy and Phenomenological Research (2012), 1ff. m.N. 178 D. Schroeder, Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics 15 (2006), 188ff. 179 W. O’Donohue u. a., Ethics& Behavior 27 (2014), 120.

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terpraxis, die sich nach der Zeit nach dem 11. September in den USA entwickelt hat.180 Der tugendethische Befund ihrer Untersuchung ist so eindeutig, dass nach ihrer Meinung gelte, »the entire content of this book could be expressed in five words: Torture is wrong. Stop it« (S. 186). Die übliche Auseinandersetzung zwischen Deontologen und Utilitaristen hält Gordon für unzureichend, um zumindest das aktuelle Phänomen der Folter in den USA angemessen zu erklären. Der Rückgriff auf ein tugendethisches Modell sei aus ihrer Sicht notwendig, da die bisherige Diskussion an einem entscheidenden Darstellungsmangel leide. In der gängigen Debatte könne der Einsatz der Tortur nämlich lediglich als jeweilige Einzelakte verstanden werden, die dann auf ihre Legitimation hin überprüft werden; je nach ethischer Sichtweise werde eine Folterung dann als Heldentat gefeiert oder als Untat verurteilt. Ein umfassender Zusammenhang, in dem diese Taten begangen werden, könne auf diese Weise ebenso wenig erfasst werden wie deren gesamtgesellschaftliche Auswirkungen. Letztlich sei es jedoch nicht damit getan, nur singuläre Handlungen zu beurteilen. Vielmehr gelte es, die Etablierung einer Praxis zu beschreiben. Die Ausübung der Folter sei zumindest in den Vereinigten Staaten inzwischen staatlich institutionalisiert bzw. sozial eingebettet (a. a. O., S. 1 und passim). Die einzelnen Folteraktionen stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern müssten zu einem Gesamtbild von dem Zustand der Gesellschaft zusammengefügt werden. Wer immer nur die einzelnen Mosaiksteine betrachte, könne die entscheidenden Veränderungen der gesellschaftlichen Selbstdarstellung nicht sehen. Daher gelte es, auf einer grundlegenderen Ebene die generelle Legitimation einer solchen Praxis in Frage zu stellen. Mit diesem Verständnis der Etablierung einer ›Praxis‹ stützt sich Gordon vor allem auf die Begrifflichkeit von Alasdair MacIntyre, der einen solch starken Begriff der ›Praxis‹ in seinem viel beachteten Werk ›After Virtue‹ geprägt hat, das zuerst 1981 und inzwischen in 3. (um einen Prolog erweiterter) Auflage 2007 erschienen ist. Auf Deutsch erschien 1987 unter dem Titel ›Verlust der Tugend‹ eine Übersetzung der 2. Aufl. von 1984, deren englisches Original von Rebecca Gordon herangezogen worden ist. Nach MacIntyre meint der Begriff der ›Praxis‹ »jede kohärente und komplexe Form sozial begründeter, kooperativer menschlicher Tätigkeit«, bei der es um die systematische Verwirklichung der dieser »Tätigkeit inhärenten Güter« gehe.181 Mit diesem Konzept könne es einer ethischen Beschreibung ermöglicht werden, scheinbar singuläre und unverbundene Tätigkeiten in dem gesamten Umfeld sozialer Traditionen und Insti180 R. Gordon, Mainstreaming Torture, bes. 102ff. (zu ihrem tugendethischen Ansatz) und – zusammenfassend – 183ff. 181 A. MacIntyre, Verlust der Tugend, 251; siehe die Verweise auf MacIntyres Definition bei R. Gordon, Mainstreaming Torture, 9 m.Anm. 26 auf S. 13 sowie ihre ausführliche Darstellung von MacIntyres Tugendethik: ebenda, S. 103ff.

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tutionen zu sehen, denn der »Eintritt in eine Praxis bedeutet, nicht nur zu denen in Beziehung zu treten, die sie gegenwärtig ausüben«, man stehe vielmehr zugleich »der Autorität einer Tradition gegenüber«. Neben dieser zeitlichen Verwurzelung in traditionellen Zusammenhängen gilt es für MacIntyre zudem noch die institutionelle Verankerung der jeweiligen Praxis zu beachten, denn »eine Praxis kann längere Zeit nicht ohne die Unterstützung von Institutionen überleben«; zwischen beiden bilde sich »eine kausale Ordnung« der beiderseitigen Wechselwirkung. Während es bei der Ausbildung einer Praxis um die Realisierung praxis-interner Güter gehe, seien Institutionen auf den Erwerb und Erhalt externer Güter (namentlich Geld) bezogen und nach »Macht- und Statuskategorien gegliedert«. In dieser machtgestützten und statusbezogenen Verstrickung sieht MacIntyre zugleich eine Korruptionsgefahr. Das Streben nach Macht und Geld droht die beteiligten Individuen zu verderben. In diesem Geflecht wird den Tugenden eine entscheidende Funktion zugeschrieben: »Ohne sie, ohne Gerechtigkeit, Tapferkeit und Wahrheitsliebe, könnte die Praxis der korrumpierenden Macht der Institutionen nicht widerstehen« (Verlust der Tugend, 259f.). Im Unterschied zur traditionellen Tugendethik – namentlich der Ethik des Aristoteles, für den es primär um die Tugendhaftigkeit des einzelnen Menschen und seiner individuellen Lebensführung ging – , soll für MacIntyre die gesellschaftliche Einbindung einer solchen Praxis entscheidend sein, »die den Schauplatz liefert, auf dem die Tugenden gezeigt werden«. Die Tugenden werden von MacIntyre dabei als »erworbene menschliche Eigenschaft« bzw. »als Disposition oder als Empfindung verstanden«; trotz der Zuschreibung zu konkreten Individuen, ist ihnen zugleich eine subjekt-unabhängige und praxis-bezogene Funktion eingeschrieben: Tugenden dienen nämlich dazu, die Menschen in die Lage zu versetzen, »die Güter zu erreichen, die einer Praxis inhärent sind«. Deshalb müssten die Tugenden nicht allein als individuelle Fähigkeiten, sondern »unter Bezugnahme auf den Begriff der Praxis definiert und erklärt werden« (Verlust der Tugend, 251/256/325/256/267f.). Damit wird die Ausübung einer Tugend der objektiven Teleologie der eingeübten Sozialpraktiken untergeordnet. Obwohl MacIntyre ausdrücklich nicht der Meinung ist, »daß Folter … auf die Beschreibung einer Praxis« in seinem Sinne passt (Verlust der Tugend, 267), glaubt Gordon gleichwohl, dass jedenfalls die neuen Formen staatlich institutionalisierter Folter darunter subsumiert werden können: »It makes sense to speak of torture as a pratice … torture can only constitute a false practice in MacIntyre’s understanding of practice«. Schließlich erfülle die Etablierung der verschärften Verhörmethoden nach dem 11. September 2001 alle Merkmale der (oben genannten) Praxis-Definition:

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»Taking into account the complex, cooperative, and socially established nature of institutionalized state torture, it seems reasonable to conclude that it is indeed a practice, rather than a string of isolated episodes« (Mainstreaming Torture, 124/144; s.a. ebenda, S. 10/120f./128ff.).

Diese im Vergleich zur bisherigen Ethik-Debatte zwischen Deontologie und Konsequentialismus erstrebte Erweiterung des Blickwinkels mag durchaus geeignet sein, von der bisherigen Beurteilung isolierter Handlungen abzusehen, um über die übliche Detailansicht hinaus das Große und Ganze der ›Post-9/11‹Ära betrachten zu können. Wer immer nur einzelne Mosaiksteine betrachtet, kann die gesellschaftliche Selbstdarstellung, die von diesen gebildet wird, nicht sehen. Tatsächlich geht es insofern nicht nur um eine Ansammlung von Einzelfällen. Dieser Ansatz erscheint insbesondere nützlich, die politisch-soziale Dimension dieses Phänomens besser zu begreifen. Der Verdacht der Institutionalisierung der Folter durch den Staat weckt einen erhöhten Zurechnungsbedarf, der durch die rechtliche oder moralische Imputation der Handlungen zu Einzelpersonen nicht gedeckt wird. So geht es Gordon nicht zuletzt auch darum, nicht nur das Foltern als Fehlverhalten einiger weniger Folterer zu beschreiben, sondern die » ›intellectual authors‹ « dieser falschen Praxis benennen zu können. Dazu wird die Entwicklung der Folterpraktiken nach dem 11. September nicht nur historisch mit der Tradition der Verhörmethoden in den USA (seit den 1960er Jahren) verbunden, sondern auch die sie tragenden Institutionen genannt: »the various armed forces, the CIA, the Justice Department, and the presidency« (Mainstreaming Torture, S. 123). Überdies soll die Einordnung als Praxis in diesem Sinne den Blick auf die Auswirkungen lenken, die die Folter durch die soziale Einbettung auf den ethischen Allgemeinzustand der Gesellschaft hat. Dabei ist Gordon stets besorgt, »That the practice of torture can affect the character of a society« und »the moral habits of a society that accepts torture«. Insbesondere die staatsverstärkte Institutionalisierung der Folter droht die anderen Sozialpraktiken zu korrumpieren und die institutionell verstrickten Mitwirkenden von ihrer tugendhaften Lebensführung abzuhalten. So verändern sich durch die Etablierung einer Folter-Praxis allmählich die gesellschaftlichen (Kardinal-)Tugenden (»courage, temperance, justice, and prudence«), denn »the practice of torture engenders its own version of these virtues … a twisted – ›tortured‹ – version, a perversion« (ebenda, S. 124/171/170). So berechtigt das Anliegen von Rebecca Gordon auch sein mag, die eingefahrene Diskussion um die Folter aufzumischen und insbesondere die amerikanische Ethik-Debatte durch neue Aspekte zu bereichern, so wird dadurch andererseits zumindest die (straf-)rechtliche Perspektive etwas verdeckt. Damit werden nämlich zugleich auch die Handlungssubjekte und deren Verhältnis

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zueinander sowie deren Beziehung zum Rechtsstaat ausgeblendet, soweit sie nur als Marionetten einer an sich subjektlos eingeübten Praxis verstanden werden. Bei den Praktiken im Sinne MacIntyres scheinen bestimmte Verhaltensweisen sozialisiert bzw. beinahe automatisiert. So werden sie als mehr oder weniger verfestigte Strukturen beobachtbar und zu den Institutionen in Beziehung gesetzt, denen ebenfalls ein eigener Subjektstatus zugeschrieben wird. Nicht Menschen sondern traditionell und institutionell gefestigte Praxismuster prägen dann in dieser Sichtweise das Geschehen. Das Wechselspiel zwischen Praxis, Institution und Tradition entfacht eine Eigendynamik und Entwicklungslogik. Dadurch werden die unmittelbaren Akteure suspendiert, die allenfalls in bloßen Nebenrollen in Erscheinung treten können. Die normative Frage nach dem richtigen Verhalten in schwieriger Lage wird so zu einem strukturellen Problem einer gesamtgesellschaftlichen Tugendhaftigkeit. Dies mag sich für eine soziologische Gesamtbetrachtung eignen, die gesellschaftliche Prozesse beschreiben oder auch kritisieren möchte. Für die Berücksichtigung des Rechtsverhältnisses zwischen Täter und Opfer der Tortur bedarf es aber der Einbeziehung der Normen, die diese Rechtsbeziehung regeln. Ob neben der Verletzung konkreter Normen noch der Verlust allgemeiner Tugenden durch das Einreißen falscher Praktiken zu besorgen ist, bleibt zumindest für den Rechtsdiskurs zweitrangig. Der Hinweis auf die schleichende Veränderung bzw. Pervertierung der Kardinaltugenden, die das politisch-soziale Netz der Gesellschaft prägen, kann die normative Bewertung letztlich nicht ersetzen. Die Folterproblematik hat zwar auch aber eben nicht nur einen gesamtgesellschaftlichen – politischen – Bezug. Eine juridische Betrachtung muss im Kontrast zur sozialen Gesamtschau stets die einzelne Handlung beurteilen und dabei mögliche Rechtfertigungen prüfen, ohne auf eine Zurechnung zu staatlicher Organisationsverantwortlichkeit überzugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht nur die Folterpraxis in den USA betrachtet werden soll, sondern auch nicht verallgemeinerbare Konstellationen wie der ›Frankfurter Fall‹ zu untersuchen sind, der für die Deckung derartiger Imputationsüberschüsse denkbar ungeeignet ist.

IV.

Der Kampf um Kant

1.

Kant contra Folter

Trotz der soeben skizzierten tugendethischen Angebote bleibt die Auseinandersetzung zwischen Deontologie und Konsequentialismus der Angelpunkt der Diskussion. Mitunter werden in dem Disput dieser beiden Ethik-Typen auch die Klassiker der jeweiligen Position zum Meinungskampf in den Ring geschickt. So

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hat beispielsweise Jean Bethke Elshtain regelrecht zu einem eindeutigen Bekenntnis aufgefordert und entsprechend gefragt: »where do you stand? With Kant or with Bentham?« (in: Torture, 78).182 Auf der Seite der Utilitaristen muss nämlich meist Jeremy Bentham als Säulenheiliger herhalten. Grundsätzlich hat sich zwar auch Bentham gegen den traditionellen Einsatz von Folter als strafprozessuales Mittel zur Erlangung von Geständnissen ausgesprochen. Dennoch hatte er in jener Zeit (d. h. am Ende des 18. Jahrhunderts), in der es – nach den grundlegenden Kritiken an der Folterpraxis durch Beccaria u. a.183 – schon nicht mehr populär war, offen für die Folter einzutreten,184 ein gutes – allerdings zu Lebzeiten nicht veröffentlichtes – Wort für ihre Legitimationsfähigkeit in bestimmten Fällen eingelegt.185 Unabhängig davon, ob man Bentham nun als »father of utilitarianism« bezeichnet186 oder ihn eher für einen unter vielen Vertretern des Utilitarismus halten möchte,187 eignet sich der von ihm maßgeblich geprägte Grundgedanke der utilitaristischen Ethik besonders gut zur Grundlegung einer Legitimation der Folter zu einem i.d.S. guten Zweck. Nach diesem Grundsatz soll der Nutzen bzw. die Erreichung von Glückseligkeit für die größtmögliche Zahl als Hauptkriterium für die Richtigkeit moralischer und rechtlicher Handlungen dienen. Bentham packt das »fundamental axiom« 1776 in ›A Fragment on Government‹ in jene berühmte Formel, die zum Leitspruch des Utilitarismus geworden ist: »It is the greatest happiness of the greatest number that is the measure of right and wrong« (Works I, 227). Einen ähnlich klingenden Grundsatz hatte freilich ein halbes Jahrhundert vor ihm bereits 182 Dazu auch R. Gordon, Mainstreaming Torture, 79. 183 Vgl. dazu etwa M.A. Cattaneo Aufklärung, 49ff.; S. Kramer, Folter, 63ff.; G. Jerouschek, ZStW 110 (1998), 661ff./666ff.; J. D. Bessler, Nothwestern Journal of Law and Social Policy 4 (2009), bes. 198f./222; K. Ambos, ZStW 122 (2010), 504, bes. 513ff.; D. Hüning (Fn. 170), 56ff.; W. Rother, Verbrechen, 56ff./76ff.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 211ff. jeweils m.w.N. 184 Eingehend zur Diskussion um die Folter um 1800: A. Koch, in: K. Altenhain / N. Willenberg (Hg.), Geschichte der Folter, 12ff. m.z.N. 185 Siehe den Abdruck der Manuskripte »Of Torture« und »Of Compulsion and herein of Torture« aus Benthams Nachlass, in: W.L. & P.E. Twining, Northern Ireland Legal Quarterly 24 (1973), 308ff. bzw. 320ff.; Auszüge des erstgenannten Textes auch in: The Phenomenon of Torture, ed. by W.F. Schulz, 221ff.; zu Benthams Verteidigung der Möglichkeit legitimer Folter vgl. auch R. Morgan (Fn. 35), 186ff.; W. Twining, Proceedings of the Aristotelian Society, Supplementary Vol. 52 (1978), 148ff.; A.J. Bellamy, in: Terrorism and Torture, 20f.; C.C. Herbst, Aussageerzwingung, 59ff.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 214ff.; D. Steiger, Folterverbot, 598ff.; demgegenüber zählt E. Hilgendorf, JZ 2004, 332, Bentham undifferenziert zu den Folter-Kritikern. 186 So etwa W.F. Schulz in seinen einführenden Worten zum Abdruck von Benthams Nachlassfragment ›Of Torture‹ in dem von ihm herausgegebenen Sammelband ›The Phenomenon of Torture‹, 2007, 221. 187 So etwa R. Trapp, Folter, 32f. m.w.N.; vgl. auch dens., in: Der klassische Utilitarismus, 180, wo er Bentham immerhin als »Begründer der metaphysikfreien Variante des Utilitarismus« bezeichnet.

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Francis Hutcheson formuliert, der 1725 meint: »that Action is best, which procures the greatest Happiness for the greatest Numbers« (Inquiry, 125).188 Zumindest in der Standardversion des ›ticking bomb‹-Szenarios (dazu oben S. 64f.) erscheint die Verteilung von Kosten und Nutzen nach dieser Formel eindeutig zu sein: wenn es dem Überleben von vielen dient, muss auf die Belange eines Einzelnen keine Rücksicht genommen werden, selbst wenn es um seine Würde gehen sollte. Eine unantastbare Würde eines Attentäters nützt den zahlreichen Opfern eines Anschlags ganz offensichtlich nichts. Während die Patenschaft Benthams für die folterfreundliche Ansicht – zumindest in der amerikanischen Debatte – wohl unstreitig ist, wird die Rolle seines klassischen moralphilosophischen Gegenspielers, Immanuel Kant, innerhalb der Folterproblematik durchaus differenzierter gesehen. Meist wird insbesondere dessen ethische Grundlegung dafür herangezogen, einen deontologischen Damm gegen jede Aufweichung des absoluten Folterverbotes zu errichten.189 Dies habe sogar in den positiv-rechtlichen Regelungen ihren Niederschlag gefunden. So will etwa Sanford Levinson – mit durchaus kritischem Blick – in der oben (S. 39 vor Fn. 4) zitierten Regelung des Art. 2 II der UN-AntiFolter-Konvention, durch die ein notstandsfestes Folterverbot etabliert werde, »the most ›Kantian‹ passage … in any legal materials« erkannt haben (a. a. O. (Fn. 6), 157).190 Insofern steht das ›Kantische‹ noch recht vage als bloßes Synonym für ausnahmslos geltende Regelungen. Dies entspricht einer weit verbreiteten Einordnung der Kantischen Moralphilosophie als einem deontologischen Ethiktyp, für den es um die rigorose Einhaltung von Prinzipien gehe.191 Bestimmte Grundsätze müssten eben ohne Rücksicht auf die Folgen befolgt werden. Einigen gilt schon die bloße Möglichkeit rein formaler Prinzipien, die an das Kategorische des kategorischen Imperativs Kants erinnern mögen, als Ausweis für das prima facie-Unrecht inhumaner Maßnahmen wie Folter. I.d.S. bezeichnet etwa Michael Davis (a. a. O. (Fn. 27), 169f.), entsprechende Begründungen als »broadly Kantian« (162). Die beinahe sture Einhaltung einmal gesetzter Regelungen ist freilich kein Selbstzweck und darf für sich allein sicher nicht als Hauptcharakteristikum der praktischen Philosophie Kants gelten;192 stets 188 Dazu und zu Leibniz als vermeintlichem Vorläufer des ›Greatest Happiness Principle‹: J. Hruschka, Utilitas 3 (1991), 165ff.; kritisch zu dieser Ahnenreihung P. Riley, Leibniz’ Universal Jurisprudence, 314 Anm. 134. 189 Vgl. dazu – freilich in kritischer Absicht – R. Trapp, Folter, 109ff.; s.a. unter Bezug auf Kants Konzeption einer moralabhängigen Politik H. Williams, Review of International Studies 36 (2010), bes. 198ff./202ff. 190 Siehe auch T. Mertens, Journal of Social Philosophy 38 (2007), 230ff. 191 Vgl. zu dieser Lesart C. Bambauer, Deontologie, 83ff. m.N. 192 Kritisch zu einer solchen Verkürzung: T.E. Hill, in: R. Stoecker (Hg.): Menschenwürde, 164.

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kommt es auf die Begründbarkeit universalisierbarer Geltung eines Prinzips an. Dennoch gilt vielen – nicht nur in diesem Diskussionszusammenhang – gerade dieser Stereotyp als ein Erkennungsmerkmal einer kantischen Argumentation. Es liegt freilich auch bei feinerer Differenzierung für die meisten Diskutanten innerhalb der aktuellen Debatte nahe, Kant auf der Seite der Vertreter einer stringenten Ablehnung jeglicher Folter zu veranschlagen. So hat etwa Michael Kahlo in einem Festschrift-Beitrag aus dem Jahr 2010 unter eingehender Berufung auf die ethischen und rechtsphilosophischen Grundsätze der Philosophie Kants aus einem »für das Strafrecht konkretisierten Recht der Subjektivität« eine »rechtlich unübersteigbare Schranke für hoheitliches Handeln« abgeleitet, die letztlich »zu einem ausnahmslosen Verbot staatlicher Folter, also auch ›Rettungsfolter‹, führt« (Hassemer-FS, 383ff. – Zitate 413/416). Wie er auch in nachfolgenden Texten betont, folge nämlich aus den Grundsätzen der Kantischen Philosophie zwingend, dass »jeder Einzelne als Bürger im Staat somit als mitkonstitutives, autonomes Rechtssubjekt mitbegriffen« und stets entsprechend behandelt werden müsse. Durch die Folter werde ein Betroffener demgegenüber gerade »in seiner Würde als Mensch und Bürger verletzt« (in: Strafrecht in der Zeitenwende, 58f.). Mit dem »Begriff der Würde in der kantischen Bestimmung« ist für Kahlo nämlich untrennbar die Vorstellung »gelebter (praktischer) Subjektivität verbunden«, die für das Recht als inter-personales Verhältnis wesentlich ist; daraus folge dann, »dass Handlungen, die diesen grundrechtlich geschützten Status und mit ihm diese Autonomie schlechthin in Frage stellen (›negieren‹), Angriffe auf die Menschenwürde der Person darstellen«. Soweit manche Verhaltensweisen wie die Folter »eine intensivere EntPersonalisierung« darstellen, so sind diese im Rechtssinne »nicht mehr vorstellbar. Und eben darin liegt der Grund der Unbedingtheit des staatlichen Folterverbots« (in: Wege zur Menschenwürde, 387/388f./390). Neben diesem ganz grundsätzlichen Ableitungszusammenhang werden hauptsächlich zwei spezifische Begründungsmomente aus dem kantischen Erbe hervorgehoben: Zum einen wird an einen der zentralen Grundsätze der kantischen Moralphilosophie erinnert, nach dem jemand niemals nur als Mittel, sondern immer nur als Zweck an sich selbst behandelt werden dürfe.193 Dieser »praktische Imperativ« lautet nach Kant: 193 Vgl. die mehr oder weniger ausführlichen Andeutungen, die teils affirmativ, teils kritisch angeführt werden: F. Lamprecht (Fn. 1), 217; A.M. Dershowitz Terrorism, 149; F. Allhoff (Fn. 164), 107; ders. (Fn. 104), 256f.; ders., Terrorism, 80/128; F. Saliger ZStW 116 (2004), 47; H. Bielefeldt (Fn. 89), 113; G. Beestermöller, in: Rückkehr der Folter, 125ff.; ders., Freiburger Zeitschrift für Theologie und Philosophie 56 (2009), 463ff.; W. B. Wendel (Fn. 84), 103; D. Sussman, P& P Affairs 33 (2005), 13ff.; Y. Shany, Catholic University Law Review 56 (2007), 843; T. Mertens, Journal of Social Philosophy 38 (2007), 234f.; T. Macho, in: K. Harrasser

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»Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest« (GMS BA 66f.).

Dieses Prinzip der Sittlichkeit gelte absolut – ohne Ausnahme. Immerhin gilt diese sog. ›Zweckformel‹ des kategorischen Imperativs für viele als zentrale Begründungsfigur im Rahmen der philosophischen Herleitung der Menschenwürde, die auch für die Würde als Rechtsbegriff eine große Rolle spielt. Sie taucht speziell in vielen verfassungsrechtlichen Interpretationen zu Art. 1 I GG auf, in denen in Anlehnung daran etwa betont wird, dass der Mensch nicht zum Objekt staatlicher Willkür gemacht werden dürfe (dazu unten S. 205/234).194 Folter wird dabei generell als eine der denkbar schlimmsten Entwürdigungen angesehen, da der Gefolterte mit physischer oder psychischer Gewalt gegen sich selbst als bloßes Mittel zur Informationsbeschaffung eingesetzt werde. Diese Verbindung zur Begründung des Schutzes der ›unantastbaren‹ Menschenwürde verstärkt noch einmal den Absolutheitsanspruch des genannten Grundsatzes. Gegen diese oft in Anspruch genommene Verknüpfung der kantischen ›Zweckformel‹ mit dem rechtlich-positivierten Würde-Begriff werden seit geraumer Zeit aber auch Bedenken erhoben. So macht etwa Dietmar von der Pfordten ein wenig sehr bemüht darauf aufmerksam, dass Kant den Begriff der Würde zumindest in seiner ›Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‹ nicht schon im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser (zweiten) Formel des kategorischen Imperativs eingeführt hat. Der Begriff der Würde resultiere erst nach der Herleitung seines Autonomie-Begriffs im Kontext der dritten Formel – der »Idee des Wi l l e n s j e d e s v e r n ü n f t i g e n We s e n s a l s e i n e s a l l g e m e i n G e s e t z g e b e n d e n Wi l l e n s « (GMS BA 70). Der häufig behauptete Zusammenhang zwischen der zitierten Zweckformel und dem Menschenwürdekonzept könne zumindest an dieser Stelle nicht ganz so textsicher belegt werden. Das Wort Würde werde nämlich in der ›Grundlegung‹ nicht schon mit dem Gebot der Behandlung als Zweck an sich, sondern erst mit der Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung eingeführt. Die »I d e e d e r W ü r d e « sei bei Kant daher gerade nicht mit Verweis auf die Zweckformel begründet, sondern erst mit der Vorstellung »eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht, als dem, daß es zugleich selbst gibt« (GMS BA 76f.).195 u. a. (Hg), Folter, 47ff.; H. Williams (Fn. 189), 200f.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 225f.; s.a. schon B. Paskins, Proceedings of the Aristotelian Society, Supplementary Vol. 52 (1978), 173/178; S. Kershnar, Hamline Journal of Public Law & Policy 19 (1997), 519ff.; ders., Desert, 186ff. 194 Dazu und zum Folgenden M. Rothhaar, ARSP 94 (2008), 421 ff, bes. 426ff.; D. Steiger, Folterverbot, 636f. m.w.N.; ähnlich K. Seelmann, in: G. Brudermüller / K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 67ff.; G. Lohmann, zfmr 1/2010, 57; ders., in: Menschenwürde (Handbuch), 185. 195 Vgl. D. von der Pfordten, Menschenwürde, 9ff. m.N.; ders., in: Human Dignity, 15ff.;

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Um eine im Vergleich zu der oben skizzierten Standardlektüre grundsätzlich andere Interpretation von Kants Begriff der Menschenwürde bemüht sich seit einiger Zeit der inzwischen an der Tulane University in New Orleans lehrende Oliver Sensen. In zahlreichen Beiträgen versucht er, Kants Begriff der Würde mit dem der Erhabenheit kurzzuschließen und ihn in die Tradition der Stoischen Philosophie zu stellen.196 Dadurch soll die Diskussion um die Würde ganz von der bislang üblichen Einbettung in den modernen Diskurs um Menschenrechte und die moralphilosophische Imperativengrundlegung gelöst werden. Nach Sensen sei der Begriff der Würde in seinem unmittelbaren Sinne nur mit dem der Pflichten (gegen sich selbst) verknüpft und nur durch einige Vermittlungsschritte auch mit dem der Rechte verbunden. Neben diesen eher allgemeinen Vorschlägen zur Reformulierung des kantischen Würdebegriffs, werden noch einige Bedenken angemeldet, die speziell die Lösung der Folterproblematik betreffen. Einigen genügt der von vielen Kantianern vertretene Ansatz nicht, um ein generelles Folterverbot zu begründen. Durch die enge Verbindung mit den moralphilosophischen Begründungen – sittlich bestimmte Autonomie und die damit zusammenhängenden Begriffe von Person und Würde – könne in vielen Fällen kein hinreichender Schutz vor Folterungen gewährleistet werden. Damit könnten nämlich nur vernünftige und autonome Personen geschützt sein; das Foltern als solches werde dadurch gar nicht abschließend als Unrecht qualifiziert. Folglich müssten aber Menschen, denen die Vernunft- und Autonomiefähigkeit alters- oder krankheitsbedingt abgesprochen werde, von dieser Begründung nicht erfasst sein (vgl. zu einer ähnlichen Kritik auch unten S. 99 m.w.N.). So meint etwa der amerikanische Philosoph David Sussman in seinem Aufsatz ›What’s Wrong with Torture?‹, dass »the orthodox Kantian« mit einem eingeschränkten Verständnis des Unwertgehaltes der Folter argumentiere, soweit er davon ausgehe, »that what is essentially wrong with torture is the profound disrespect it shows the humanity or autonomy of its victim. Here, torture is wrong as the most extreme instance of using someone as a mere means to purposes she does not or could not

ähnlich K. Seelmann, in: G. Brudermüller / K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 67ff.; G. Lohmann, zfmr 1/2010, 57; ders., in: Menschenwürde (Handbuch), 185; T. Wesche, in: Würde und Autonomie, 55 m.Fn. 29. 196 O. Sensen, in: Abwägende Vernunft, 225ff.; ders., Kant-Studien 100 (2009), 309ff., bes. 315ff.); ders., in: Kant’s Groundwork, 108ff./115ff.; ders., European Journal of Political Theory 10 (2011), 80ff.; ders., Kant, bes. 164ff./174ff.; ders., Kant-Studien 106 (2015), 107ff.; weitgehend zustimmend C. Horn, Nichtideale Normativität, 101ff., bes. 107f.; kritisch hingegen H.J. Sandkühler, Menschenwürde, 114. Vgl. die Beiträge zu Sensens Buch in Heft 1 der Kant-Studien 106 (2015) von D. Schönecker (S. 68–77), J. Bojanowski (S. 78–87), H.F. Klemme (S. 88–96) und S. Bacin (S. 97–106). Zu diversen Interpretationen von Kants Würdebegriff s.a. T. Christiano JRE 16 (2008), 102ff.

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reasonably share«; daher bestehe das Wesen der Folter für Kantianer nur in einer »violation of the value of rational agency«.197

Als zweiter Beleg für eine mutmaßlich ablehnende Haltung gegen jedwede Folteranwendung wird Kants genereller ethisch-juridischer Rigorismus hervorgehoben. Eine rigorose Prinzipientreue hat er selbst nicht zuletzt an dem berühmt-berüchtigten Beispiel eines ausnahmslosen Lügenverbotes demonstriert. An dieses Exempel wird im hiesigen Zusammenhang immer wieder erinnert (dazu näher unten S. 238f./370f. m.w.N.).198 Danach sollte für Kant die rechtliche Pflicht, wahrhaftig zu sein, unbedingt gelten. Die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit sollte selbst dann noch greifen, wenn durch eine wahre Aussage das Leben eines Freundes gefährdet werde – so z. B. wenn eine Auskunft gegenüber jemandem gefordert wird, der gerade darauf aus ist, den Aufenthaltsort dieses Freundes zu erfahren, um ihn ermorden zu können. Dies gilt vielen als Beleg für die Bestandskraft von unbedingten Grundsätzen, deren Einhaltung unbeschadet möglicher Folgen geboten sei. Wenn nach Kant aber schon die Wahrhaftigkeit als konstitutives Moment für die Begründung eines wechselseitigen Rechtsverhältnisses angesehen werden soll, dann müsste dies erst recht für die Würde des Menschen gelten. Immerhin sei die würdevolle Behandlung autonomer Personen ungleich wichtiger.

2.

Kant pro Folter? – 3 Varianten

a)

Straftheoretische Analogie

Trotz der skizzierten Inanspruchnahmen wird Kant gar nicht so selten auch für die Gegenposition in Anspruch genommen. Mit Winfried Brugger war es immerhin einer der frühen Vertreter eines in Extremsituationen legitimierbaren Foltereinsatzes (siehe dazu bereits oben S. 47 zu Fn. 41 und zudem noch unten S. 230ff.), der Kant als Zeuge für seine Sicht der Dinge reklamierte.199 Die unterschiedlichen Einschätzungen resultieren nicht zuletzt aus dem Mangel an 197 D. Sussman, P& P Affairs 33 (2005), 13f.; vgl. dazu und zu Sussmans eigenem Ansatz: M.H. Kramer, Torture, 152ff.; R. Gordon, Mainstreaming Torture, 73ff. 198 Eingehend dazu J.C. Joerden (Fn. 78), 495ff./503ff.; s.a. die Andeutungen bei C.W. Tindale (Fn. 49), 216; H.J. Curzer (Fn. 12), 36f.; S. Lukes (Fn. 49), 5; J.B. Elshtain, in: Torture, 81f.; O. Gross, in: Torture, ed. by S. Levinson, 238; Y. Ginbar, Why not Torture Terrorists?, 31ff.; S. Goosey, Trinity College Law Review 16 (2013), 111f.; beide Aspekte erwähnen etwa B. Brecher Torture, 12f.; A. Harel /A. Sharon, Journal of International Criminal Justice 6 (2008), 245f./255; dies, University of Toronto Law Journal 61 (2011), 855f.; D. Steiger, Folterverbot, 633f.; W. O’Donohue u. a., Ethics& Behavior 27 (2014), 115. 199 W. Brugger, Der Staat 35 (1996), 86ff.; siehe dazu St. Stübinger (Fn. 40), 288ff. m.w.N. (unten S. 234ff.).

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einer eindeutigen Stellungnahme Kants zur Folter. Anders als für Bentham lässt sich bei Kant weder aus den veröffentlichten Schriften noch aus dem Nachlass eine ausdrückliche Erwähnung dieser Problematik herauslesen. In den Nachschriften zu Kants ›Vorlesung zur Moralphilosophie‹ wird »die Tortur« zwar erwähnt, aber lediglich beiläufig als ein Beispiel für einen »pathologische(n) Zwang« genannt; ein solcher ist für Kant »die Nothwendigmachung einer Handlung per stimulos«, d. h. durch sinnlich wirkende Antriebe. Diese zwanghaften Triebe können »wegen des freyen Willens« bei Menschen allerdings »nicht stricte« wirken, sondern seien allenfalls »comparative« möglich. Ein Mensch kann aber auf Grund der »Natur des arbitrii liberi« selbst »viele und grausame Quaal … ausstehen«. Nur »Thiere werden per stimulos necessitirt«, insofern nämlich deren »Willkür … ein arbritrium brutum« ist.200 Die Folter widerspricht damit durch ihre ›pathologische‹ Wirkungsweise dem freien Willen des Menschen, der gleichsam ausgeschaltet wird: Gefolterte Menschen werden wie Tiere behandelt, deren Willkür stets unfrei sei (zu Kants Unterscheidung der freien Willkür des Menschen und dem arbitrium brutum der Tiere s. u. S. 121). Außer solch beiläufigen Erwähnungen bleibt die Quellenlage bei Kant bzgl. der Folterthematik offen. So können einige Interpretationschancen genutzt werden, dem Orakel von Königsberg eine je passende Antwort zu entlocken. Die Aussicht erscheint jedenfalls allzu verlockend, den wohl bedeutendsten Philosophen der Neuzeit als Zeugen für die eigene Ansicht zu berufen. Aus der grundsätzlichen Opposition zum Utilitarismus ‚ la Bentham lässt sich dabei für sich allein noch keine sichere Aussage über die Positionierung Kants in dieser Frage gewinnen;201 ebenso wenig ergibt sich eine gegenteilige Ansicht aus Kants spöttischer Kritik an der von Cesare Beccaria – vermeintlich aus bloß »teilnehmender Empfindelei einer affektierten Humanität« – aufgestellten »Behauptung der Un r e c h t m ä ß i g k e i t aller Todesstrafe« (MdS-R A 203 / B 232),202 denn die Gründe, die Kant seinerseits für die Todesstrafe angeführt hat, taugen nicht zu einer Mutmaßung über eine möglicherweise positiv ausfallende Stellungnahme zu Gunsten der Folter. Gleichwohl hat beispielsweise Thomas C. Hilde – freilich in kritischer Absicht – versucht, eine entsprechende Begründungslinie zwischen Kants Plädoyer für die Todesstrafe und der These einiger Folterbefürworter zu ziehen. In einem 200 I. Kant, Vorlesung zur Moralphilosophie, 46/45; ebenso ders., Vorlesung über Ethik, 38; Moralphilosophie Collins, A-A XXVII, 267. 201 In vagen Andeutungen und auf der Grundlage seiner verfehlten Einschätzung zu Bentham (vgl. oben Fn. 185) so aber wohl E. Hilgendorf, JZ 2004, 332. 202 Eingehend zu Kants Kritik an Beccaria: M.A. Cattaneo, Aufklärung, 7ff.; s.a B.S. Byrd / J. Hruschka JZ 2007, 963 f; dies., Kant’s Doctrine, 275ff.; C. Enders, in: Wege zur Menschenwürde, 171f.

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solchen Begründungsansatz könnten einem Terroristen auf Grund seiner Tat keine Rechte mehr zustehen. Zwar vermag er weder jemanden zu benennen, der eine solche Interpretation tatsächlich vertreten würde, noch kann er eine solche Lesart mit Textstellen aus Kants Schriften belegen. Dennoch hält er eine derartige Interpretation für konstruierbar und daher gleichsam vorbeugend für kritikwürdig. Danach verzichte ein Terrorist durch seinen geplanten Terrorakt letztlich selbst auf seine Rechte und »this view of the terrorist surrendering rights normally assigned to all shares a parallel with a Kantian argument regarding capital punishment«; denn auch nach Kants Begründung der Todesstrafe soll vermeintlich gelten: »the murderer surrenders any claim to participate in the moral community when he violates the universal rule – the categorical imperative – that would apply to others whom he terrorized or tortured«. Demnach soll eine entsprechende Anwendung des Talions-Prinzip nach einer solchen Lesart auch die Folter rechtfertigen können. Soweit nämlich ein Terrorist andere Menschen durch deren Tötung als Mittel zu seinen eigenen Zwecken missbrauchen möchte, könne man auf die Idee kommen, es sei legitim, ihn selbst auch als bloßes Mittel zu brauchen; er werde dann nämlich lediglich an den Maximen seiner eigenen Handlung gemessen: »He thus excludes himself from laying claim to a right against violent harm which he himself has denied others. The result, for some, is that any harsh treatment of murderer is justified«.203 Eine solche Interpretation wird auch von einem Autorenteam um William O’Donohue vom Department of Psychology der Universität Nevada in Reno angedeutet. In ihrem Beitrag ›The Ethics of Enhanced Interrogations and Torture‹ in der Zeitschrift ›Ethics& Behavior‹ (Vol. 27 (2014), 109–125) wird behauptet, Kant habe »even suggested that certain heinous acts can place the agent outside the moral community—they no longer enjoy the same rights, that is, others no longer have the same duties toward them. It would seem that a terrorist who acts to kill multitudes of innocent victims might meet Kant’s criterion of heinousness«.

Trotz der häufig ins Feld geführten Argumente, die für ein absolutes Folterverbot aus kantischer Sicht sprechen könnten und auch in dem Text der amerikanischen Psychologen Erwähnung finden, habe Kant selbst immerhin im Rahmen seiner Strafbegründung dafür plädiert, »that when a person violates the rights of others he gives up corresponding rights of his own and others become free from duties held by others to protect these rights«. Daher könne auch für die hier relevanten Fälle gelten: 203 T.C. Hilde, South Central Review 24/1 (2007), 186f.; zu einer angeblich auch von Kant verteidigten Theorie der Verwirkung (moralischer) Rechte durch eine schuldhafte Unrechtstat siehe allgemein S. Kershnar, Desert, 115ff., bes. 138f.

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»if a terrorist violates innocent people’s right to life by planting a bomb, he then may be considered to have forfeited his right not to be tortured. Thus Kant may argue that torture in exceptional cases is not morally wrong because the guilty individual has placed himself outside the moral community and has forfeited duties others have toward him« (Ethics& Behavior 27 (2014), 114/116).

Ähnliche Andeutungen ließen sich auch aus Mark Osiels204 Hinweis auf die strukturell vergleichbare Brutalität und Erniedrigungen herauslesen, die nicht nur von der Folter, sondern auch von staatlicher (Freiheits-) Strafe und neuerdings insbesondere von den sog. ›shame sanctions‹ ausgingen, die sich im angloamerikanischen Bereich zuletzt immer weiter verbreiten.205 Auch darin würde die Würde eines Menschen tangiert. Wenn solch harte und degradierende Sanktionen u. a. auch von – in Osiels Buch freilich nicht namentlich genannten – Vertretern einer Vergeltungstheorie in der Nachfolge Kants begründet werden, dann sei die Ablehnung von Foltermaßnahmen auf Grund ihrer brutalen bzw. entwürdigenden Auswirkungen unter Berufung auf Kant zumindest inkonsequent. Soweit Würdeverletzungen durch eine absolute Straftheorie legitimiert werden könnten, sei einer Rechtfertigung von Folter zumindest nicht mit dem Hinweis auf deren entwürdigendem Charakter auszuschließen. In dieser Hinsicht hatte schon Stephen Kershnar in seinem Plädoyer für eine erneute Zulässigkeit von Straffolterungen, die er als Alternative zu den gängigen Sanktionsformen für möglich und begründbar hält,206 auf Kants Stellungnahme zur Bestrafung bestimmter »Verbrechen an der M e n s c h h e i t …, wie z. B. das der Notzüchtigung … der Pädasterie, oder Bestialität« hingewiesen. Da hierfür aus kantischer Sicht keine formgerechte »Erwiderung« i. S. d. Talionsprinzips zugelassen werden könnten, komme für die genannten Sexualdelikte »Kastration« und für das letztgenannte Verbrechen eine »Ausstoßung aus der bürgerlichen Gesellschaft auf immer« in Betracht (MdS-R B 171).207 Wenn Kant dies prinzipiell für zulässig erachtet habe, müssten solch harten Maßnahmen trotz ihres prinzipiell entwürdigenden Charakters mit seinem kategorischen Imperativ vereinbar sein; dann dürften aus Kantischen Erwägungen aber auch im Übrigen keine Gründe für ein absolutes Folterverbot gefolgert werden. Derart gewagte Konstruktionen lassen sich wohl kaum ernsthaft durch eine 204 Vgl. zum Folgenden die Argumentation von M. Osiel, End of Reciprocity, 156f.; in Andeutungen auch U. Steinhoff, Ethics, 112 (zu Steinhoffs Kant-Interpretation s.a. unten S. 128ff.). 205 Dazu allgemein etwa M. Kubiciel ZStW 118 (2006), 44ff. m.w.M., der freilich zutreffend darauf hinweist, dass sich diese neue Form von Ehrenstrafen gerade nicht auf Kant berufen kann; ebenso C. Horn, Nichtideale Normativität, 110. 206 S. Kershnar, Hamline Journal of Public Law & Policy 19 (1997), 497ff., bes. 520f.; ders., Desert, 169 ff, bes. 187f. 207 Siehe zu diesser Stelle auch M.A. Cattaneo, in: K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 29, der darin »einen schrecklichen Widerspruch zur Idee der Menschenwürde« sieht.

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seriöse Kant-Lektüre stützen. Sie verfehlen nicht nur Kants Differenzierung zwischen Recht und Moral, sondern auch die straftheoretische Grundposition seiner Rechtslehre und die Unterscheidung zwischen »S t r a f g e r e c h t i g k e i t « und bloßer »S t r a f k l u g h e i t «. Die Anwendung des kategorischen Imperativs ist für Kant primär eine – bzw. die einzig richtige – Möglichkeit für das handelnde Subjekt, die eigenen subjektiven Handlungsgrundsätze zu überprüfen, um zu moralisch guten Willensentschlüssen und ihnen entsprechenden Handlungen zu gelangen. Die mangelnde Verallgemeinerbarkeit einer Handlungsmaxime führt dabei keineswegs zum (Selbst-)Ausschluss aus der Allgemeinheit der sittlichen Gemeinschaft mit den anderen Ko-Subjekten. Auch wenn zumindest einige Formulierungen des kategorischen Imperativs immer schon auf eine inter-subjektive Ebene verweisen, muss nach Kant dennoch stets zwischen moralwidrigen und rechtswidrigen Handlungen unterschieden werden. Eine Reaktion auf Unrechtstaten darf jedenfalls nicht wegen ihrer bloßen Moralwidrigkeit erfolgen, sondern hat als Strafe für die Behinderung der Freiheit anderer Personen zu gelten. Eine unrechte und schuldhafte Tat bedeutet für Kant als Voraussetzung für die Bestrafung daher nicht die Selbst-Exklusion des Täters, sondern einen Missbrauch des Rechtsverhältnisses zwischen Rechtspersonen. Der Verbrecher bleibt nach Kant selbst bis zur Vollstreckung einer für ihn legitimierbaren Todes-Strafe ein Teil der Rechtsgemeinschaft, die über ihn zu Gericht sitzen muss. Deshalb muss es aber notwendig bei der Anerkennung seiner Rechtspersönlichkeit bleiben, d. h. auch seiner Würde. Insoweit in »jeder Bestrafung … etwas das Ehrgefühl des Angeklagten (mit Recht) Kränkendes« liege, wie Kant zugesteht, so sei dadurch allenfalls die »Würde eines Staatsbürgers« – als Statussymbol – nicht die der Person als solcher betroffen (MdS-R B 171 Anm.*).208 Die Bestrafung erfolgt auf Grund der Anwendung der gemeinsamen Rechtsgesetze in einer bürgerlichen Gesellschaft und nicht etwa durch Übernahme der rechtswidrigen Handlungsgrundsätze des Verbrechers; denn: »Nur dann kann der Verbrecher nicht klagen, daß ihm unrecht geschehe, wenn er seine Übeltat sich selbst über den Hals zieht« (MdS-R B 172). Darin liegt eine Konkretisierung des Grundsatzes der »gesetzliche(n) F r e i h e i t « jedes Staatsbürgers, »keinem anderen Gesetz zu gehorchen, als zu welchem er seine Beistimmung gegeben hat«; mit dieser dem Menschen als »unabtrennliches Attribut« zugeschriebenen staatsbürgerlichen Form der Autonomie wird die moralische Persönlichkeit in Erinnerung gerufen, die die Grundlage der Würde 208 Siehe dazu etwa J. Waldron, in: Understanding Human Dignity, 327ff.; vgl. auch C. Horn, Nichtideale Normativität, 72ff./110f., der jedoch meint, dass für Kant »nicht die Menschenwürde, sondern die Würde des Staatsbürgers die wichtigste Basis der individuellen Anspruchsberechtigung« sei (110).

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bildet (MdS-R A 166 / B 196 – § 46).209 Schon für die Bestrafung setzt dies voraus, dass auch der Straftäter noch als autonome Person in seiner Würde anerkannt bleiben muss. Eben diese Einhaltung der Strafgesetzlichkeit verhindert die von Hilde, Osiel, Kershnar, O’Donohue u. a. angedeutete Parallelisierungsmöglichkeiten zwischen der Straftheorie Kants und einem vermeintlich kantisch geprägten Eintreten für die Folter in ›ticking bomb‹-Szenarien.

b)

Folter-Befugnis aus Mangel an Widerstandsrecht?

Andere Gegenansichten, die sich gegen ein kantisch begründetes absolutes Folterverbot richten möchten, bemühen sich mit unterschiedlichen Begründungen darum, weitere Facetten der kantischen Philosophie zu mobilisieren, um gleichsam mit Kant gegen Kant argumentieren zu können. Dafür wird zum einen versucht, das durch die Tortur angesprochene Problem der Würdeverletzung zu relativieren. Zu diesem Zweck soll die Würde als vermeintlich rein ethischer Begriff nominiert werden, um ihn anschließend in Kontrast zum Kantischen Begriff des Rechts setzen zu können. Die Würde könne zwar vom Recht geschützt werde, ihr Schutz sei aber nur bedingt mit juristischen Mitteln möglich. Dadurch relativieren sich die rechtlichen Beziehungen zur Würde eines Menschen. Dies geschieht z. T. dadurch, dass die entwürdigende Folterung in Relation zu der Würdeverletzung gesetzt wird, die beispielsweise der Entführer im Frankfurter Fall oder die Terroristen im Fall einer drohenden Detonation ihren Opfern zufügen würden. Dann steht Würde gegen Würde; in dieser Konstellation hebt sich die Schutzfunktion quasi von selbst auf. Für den Staat als Hüter des Rechts stellt sich das Dilemma, nicht beide zugleich schützen zu können. Insofern könne jedenfalls die Würde des Täters nicht mehr absolut gelten. So hat vor allem Winfried Brugger210 versucht, Kant für seine eigene Verteidigung der Folter zu vereinnahmen (dazu unten S. 234ff.). Dadurch wird Kants Bedeutung innerhalb der Diskussion um den Zusammenhang von Würde und Folter hervorgehoben, aber gegen die Position absoluter Folter-Gegner gewendet und für die Gegenposition vereinnahmt. aa) Würde – kein Rechtsbegriff ? Insgesamt wird die Rolle Kants für die Entwicklung des gegenwärtigen Würdeverständnisses von den meisten sehr hochgeschätzt. So hat beispielsweise Jürgen Habermas unlängst noch einmal bekräftigt, »dass der philosophische Begriff der Menschenwürde … bei Kant seine heute gültige Fassung erlangt 209 Siehe dazu – auch bzgl. der Konsequenzen für die »rechtsphilosophische Beurteilung staatlicher Folter« – M. Kahlo, in: Strafrecht in der Zeitenwende, 58. 210 W. Brugger Der Staat 35 (1996), 86ff.; kritisch dazu St. Stübinger (Fn. 40), 290f.

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hat«.211 Ganz ähnlich meint u. a. auch Maxine D. Goodman: »Immanuel Kant is generally thought responsible for our understanding of human dignity«.212 Dabei wird die Bedeutung Kants keineswegs allein auf den (moral-)philosophischen Würdebegriff reduziert; ihm wird vielmehr auch Relevanz für dessen Verrechtlichung zugeschrieben. Daher gilt sicherlich für viele, was Rex D. Glensy in die Worte gefasst hat: »Immanuel Kant, regarded as the father of the modern concept of dignity, secularized this concept and presented it front and center as a normative legal ideal«.213 Solche Zuschreibungen sind jedoch keineswegs unbestritten. Teilweise wird eben jene Bedeutung der Würde für die Rechtsphilosophie Kants insgesamt relativiert und damit zugleich auch die Relevanz für das Recht bestritten.214 Jenseits der Folterproblematik ist bei vielen eine gewisse Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer Verrechtlichung der Würdekonzeption i. S.v. Kant aufgekommen.215 In dieser Hinsicht glaubt beispielsweise auch Paul Tiedemann in seiner umfassenden Studie über ›Die Menschenwürde als Rechtsbegriff‹: Kant »reflektiert die Würde nur im Zusammenhang mit seiner Ethik und nicht mit seiner Rechtsphilosophie« (a. a. O., S. 181). So wollen einige den Begriff der Menschenwürde als rein ethisches Konstrukt aus dem rechtlichen Kontext der Philosophie Kants streichen. I.d.S. hat etwa der Philosoph Heiner F. Klemme in einem Tagungsbeitrag ›Das rechtsstaatliche Folterverbot aus der Perspektive der Philosophie Kants‹ einer kritischen Begutachtung unterzogen. Dabei hat er zunächst sicherlich ganz zutreffend noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass der Begriff der Würde systematisch aus der Ethik Kants stammt. Er wird nämlich primär in den moralphilosophischen Schriften (insbesondere ›Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‹ von 1785/86 und ›Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre‹ von 1797, d. h. dem der Ethik gewidmeten Teil der ›Metaphysik der Sitten‹ ) hergeleitet. Aus dieser systeminternen Standortbestimmung folgt für Klemme zuallererst, dass »unmenschliche und grausame Handlungen gegen die Würde des 211 J. Habermas DZPh 58 (2010), 344; zu Habermas’ Verständnis der Menschenwürde im Verhältnis zu dem des Deutschen Idealismus s.a. S. Zucca-Soest, in: Autonomie und Normativität, 118ff.; dies., in: Würde und Autonomie, 132f. 212 M.D. Goodman, Nebraska Law Review 84 (2006), 748; s.a. T. Christiano JRE 16 (2008), 101, der neben Kant noch Rousseau nennt. 213 R.D. Glensy, Columbia Human Rights Law Review 43 (2011), 76 m.w.N.; ähnlich I. Guti¦rrez Guti¦rrez KritV 89 (2006), 394f. 214 Kritisch dazu J.C. Joerden, in: E. Hilgendorf (Hg.), Menschenwürde und Demütigung, 44f. 215 Vgl. etwa D. von der Pfordten, Menschenwürde, 25f.; K. Seelmann, in: H.-H. Gander (Hg.), Menschenrechte, 167ff.; ders., in: G. Brudermüller / K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 67ff.; G. Lohmann, in: Menschenwürde (Handbuch), 185ff.; s.a. T. Hörnle Criminal Law and Philosophy 6 (2012), 311f. m. Fn. 4; B. Gesang ZphF 64 (2010), 477ff.; differenzierend C. Horn, Nichtideale Normativität, 98ff.

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Menschen« verstoßen und zwar primär gegen die des Folterers, der seine »Tugendpflicht« verletze. Wer einem anderen durch erniedrigende Praktiken die nötige Achtung als gleich-freies Gegenüber schuldig bleibt, verfehlt seine eigene moralisch gebotene Vernünftigkeit. Wer die ethische Notwendigkeit, die ihn als Vernunftwesen verpflichtet, nicht erfüllt, bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück. Dies besage jedoch noch nichts über eine von der ethischen Beurteilung zu unterscheidende rechtliche Bewertung eines solchen Verhaltens. Im Rahmen der kantischen Begründung des Rechts soll nach Ansicht von Klemme die Würde hingegen keine tragende Rolle mehr spielen. Das Wort werde dort zumindest in den »zentralen Passagen der ›Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre‹ … nicht einmal erwähnt«. Aus dieser Nicht-Erwähnung scheint dann der Schluss gezogen werden zu können, die Menschenwürde sei für Kant überhaupt »kein rechtlicher Begriff«. Das allein bedeute zwar noch keineswegs, dass sich bei Kant eine direkte »vernunftrechtliche Rechtfertigung der Folter« finden lasse. So weit möchte Klemme folglich nicht gehen. Dennoch lasse sich aus dem Gesamtzusammenhang der kantischen Rechtslehre ex negativo etwas über dessen Position zur Folter sagen. Dazu sei insbesondere das Verhältnis der Bürger zum Souverän zu bedenken, das maßgeblich durch eine Gehorsamspflicht geprägt werde; die Untertanen dürften von Rechts wegen selbst den Unrechtstaten eines Tyrannen nicht widerstehen. Diese Verpflichtung gegenüber der Herrschaft blockiere die Herleitung eines absoluten Rechts auf Folterfreiheit. So resultiere mittelbar aus der kantischen Ablehnung eines Widerstandsrechts: »Rein rechtlich betrachtet muss das Volk einem Herrscher gehorchen, der Folter als legitimes Mittel des Rechtserhalts betrachtet«.216 Voraussetzung für ein striktes rechtliches Folterverbot wäre nach Klemme nämlich eine Berechtigung, sich mit Zwangsmitteln gegen eine staatliche Tortur wehren zu dürfen. Aus Kants begriffslogischer Verbindung des Rechts mit der »Befugnis zu zwingen« in § D seiner Rechtslehre folge aber, dass von einem echten – subjektiven – Recht nur dann die Rede sein könne, wenn einem »Unrecht« als »Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen« ein befugter »Zwang« (als »Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit«) entgegengesetzt werden darf (MdS-R AB 35). Da Kant jedoch den Bürgern im Verhältnis zum Oberherrn kein solches Recht auf Widerstand gegen dessen Unrechtstaten einräume, zieht Klemme daraus den Schluss: »Greift also der Herrscher im bürgerlichen Zustand auf die Folter als Mittel des Staatserhalts zurück, muss der Untertan aufgrund des Widerstandsverbotes die grausame und unmenschliche Behandlung ertragen«. 216 H.F. Klemme, in: K. Altenhain / N. Willenberg (Hg.), Geschichte der Folter, 39ff., Zitate S. 51/40f./47/51.

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Aus Kants Rechtskonzeption folge jedenfalls kein (subjektives) Recht auf Freiheit von – staatlicher – Folter, obwohl ein folternder »Herrscher damit ›unrecht‹ « tue. Einer solchen unrechten Maßnahme dürfe jedoch kein Zwang entgegengesetzt werden. Selbst das gröbste Unrecht eines Tyrannen muss das Volk – scheinbar zu Recht – erdulden, ohne sich wehren zu dürfen. Anders als im Verhältnis zwischen den Rechtspersonen folge aus der unrechten Tat des Herrschers kein Recht zur Abwehr dieses Unrechts; dies soll offenbar sowohl für die von der unrechten Folterung betroffenen als auch für an sich unbeteiligte Dritte gelten. Wenn aber schon die eindeutig unrechte Folter widerstandslos hingenommen werden müsse, so muss wohl die unausgesprochene Konsequenz von Klemme gedeutet werden, dann müsste wohl erst recht die gut gemeinte Tortur in Notwehr oder Notstandslagen nach dieser Lesart der kantischen Rechtsphilosophie akzeptiert werden; ob sie zu Recht oder zu Unrecht erfolgt braucht insofern gar nicht mehr geklärt zu werden. Aus dieser Herleitung aus dem mangelnden Widerstandsrecht wird dann von Klemme zugleich mit behauptet: »Kant ist weder ein klassischer Menschenrechtstheoretiker, noch ist er ein klassischer Rechtsstaatstheoretiker« (a. a. O., S. 51f.).217 bb) Autonomie als Grund der Würde in der Ethik Der Hinweis auf die moralphilosophische Grundlegung des Würdebegriffs ist sicherlich insofern treffend beschrieben, als die Würde des Menschen nicht erst vom (positiven) Recht aus zu begründen ist und schon gar nicht rechtliche Institutionalisierungen zur Voraussetzung hat. Die Würde ist dem Menschen nicht vom Recht oder gar vom Staat verliehen, sie wird vielmehr schon vor der Begründung eines Rechtsverhältnisses vorausgesetzt, denn sie gilt Kant als unmittelbare Grundlage sowohl des eigenen subjektiven Selbstverständnisses als auch der Inter-Subjektivität.218 Die Bindung der Würde an den Begriff der Persönlichkeit soll dabei garantieren, dass sich die Menschen selbst als freie und insofern zurechnungsfähige Personen wahrnehmen. Nur als solche können sie sich überhaupt in Beziehung zu anderen – als ihresgleichen – setzen. Die Würde selbst ist ihrerseits aber nicht einfach voraussetzungslos zu unterstellen; sie ist keine quasi-natürliche Eigenschaft, die den Menschen wie eine Aura umgibt.

217 Zur umstrittenen Frage nach Kants Rolle bei der Begründung von Menschenrechten vgl. etwa C. Horn, Nichtideale Normativität, 68ff. m.N., der zu dem Ergebnis gelangt, »dass die These, Kant sei einer der zentralen Wegbereiter der Menschenrechtstradition, unhaltbar ist« (71). Andere plädieren demgegenüber für einen »genuin kantischen Ansatz« zur Begründung von Menschenrechten: so z. B. H.F. Fulda, in: Subjektivität und Autonomie, 103 (ff.). 218 Hierzu und zum Folgenden: G. Löhrer, Menschliche Würde, 94ff.; H. Baranzke, , in: Facetten der Menschenwürde, 203ff.

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(1) Die ›Menschheit‹ in einer Person Kant versucht dabei die Berechtigung der wechselseitigen Anerkennung der Würde genauer zu ergründen. Dazu muss der eigentliche Grund für ihre Annahme benannt werden. Für diese Begründung bemüht er immer wieder seine Unterscheidung zwischen einem »Mensch im System der Natur (homo phaenomenon, animal rationale)« und dem »Mensch als Person, d.i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft … (homo noumenon)«; letztlich besitzt er nur im letzteren Sinne genommen »eine Würde«, denn nur die »Menschheit in seiner Person ist das Objekt der Achtung« (MdS-T § 11, A 93).219 Nach einer Reflexion (Nr. 7862) aus dem Nachlass zur ›Moralphilosophie, Rechtsphilosophie und Religionsphilosophie‹ ist die »Idee der Menschheit« für Kant der »Grund der Möglichkeit des Menschen«, sie ist das im eigentlichen Sinne ›verbindende‹ Moment zwischen den Menschen, deren Verbindungen als Rechtsverhältnis ausgestaltet werden. Diese Verbindung erzeugt aber auch Verbindlichkeiten. Insofern spricht er von einem »Rechte der Menschheit«, das als Grundlage sämtlicher Verpflichtungen fungiert und zwar nicht nur wechselseitig, sondern auch selbstbezüglich: »Daher haben alle Menschen die Verbindlichkeit, die Rechte jedes eintzelnen zu unterstützen. Dieses Recht der Menschheit verbindet auch einen jeden Gegen sich selbst. Er ist in die Menschheit aufgenommen acquirirt ihr Rechte aber unter der Pflicht, die Würde derselben zu erhalten« (A-A XIX, 538).

Die berühmte Unterscheidung zwischen ›homo phaenomenon‹ und ›noumenon‹ darf freilich nicht mit einer realen Trennung der beiden Seiten verwechselt werden. Genau das geschieht jedoch leider allzu oft. Die Verwechslung zwischen Unterscheiden und Trennen wird nicht zuletzt durch die Rede von den ›zwei Welten‹, denen der Mensch angehöre, begünstigt.220 Es geht Kant demgegenüber gerade um die Einheit des Menschen als Vernunft- und Naturwesen: ›moralischpraktisch‹ kann die Vernunft nämlich nicht ohne physisch-naturhafte Seite des Menschen werden, aber nur als Person kann der Mensch aus dem schlichten Naturzusammenhang heraus gedanklich erfasst werden. Stets geht es um die Tätigkeiten eines Menschen in der gemeinsam mit anderen geteilten Sinnenwelt, die sich gleichwohl als (freies) Handeln von bloß natürlichen Ereignissen unterscheiden sollen. Das ›Noumenale‹ dient Kant lediglich dazu, die Gemeinsamkeit der Menschheit in der Person eines jeden Individuums auf den Begriff bringen zu können; es sichert und bezeichnet das Allgemein-Verbindende trotz aller Verschiedenheit der individuellen Besonderheiten. Um menschliches Verhalten als selbstbestimmtes Vernunfthandeln gegenüber dem übrigen naturge219 Vgl. dazu auch J. Hruschka ARSP 88 (2002), 464ff./474ff. 220 Vgl. dazu J. Bojanowski, Kants Theorie, 127ff. m.N. zu den verschiedenen Lesarten dieser Unterscheidung.

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setzlichen Geschehen hervorheben zu können, bedarf es einer solchen Differenzierung. Dies wird durch die immer wieder betonte Formel von der Menschheit in eigener und anderer Person betont, die eine essentielle Existenz des Allgemeinen in jedem Einzelnen deutlich machen soll (dazu schon oben S. 86). Dabei wertet Kant das Wort ›Menschheit‹ im Vergleich zu seiner schon damals geläufigen und auch heute verbreiteten Verwendung als bloße Einheitsbezeichnung der menschlichen Spezie deutlich auf.221 Die Würde (der Menschheit) erweist sich für Kant vor allem durch die (sittliche) Fähigkeit des Menschen als Vernunftwesen, sich selbst Gesetze geben zu können. In dieser Hinsicht betont Kant ausdrücklich: »Also ist die Sittlichkeit und die Menschheit, so fern sie derselben fähig ist, dasjenige, was allein Würde hat«. Andernfalls wäre die Würde eine bloß kontingente quasi-natürliche Eigenschaft des Menschen, die empirisch diagnostiziert werden könnte. Daher ist gerade die so verstandene »Au t o n o m i e … der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur« (GMS AB 77/79). Wird jemandem die Möglichkeit der Selbst-Gesetzgebung genommen und die Fremdherrschaft eines anderen aufgezwungen, so geht es um eine unwürdige Behandlung. (2) Deutungsprobleme Dass Kant insoweit von der ›Menschheit‹ als Sitz der Würde spricht und nicht schon jedem Menschen als Naturwesen eine solche zuschreiben möchte, hat nicht etwa »als skandalös zu gelten«, wie Gerold Prauss im Gestus künstlicher Erregung meint.222 Darin liegt zunächst nur ein Versuch, die Anerkennung der Menschenwürde nicht einem äußeren Merkmal und damit dem – grundlosen – Zufall zu überlassen, sondern an eine bestimmte Fähigkeit, nämlich das Vermögen autonomer Selbstbestimmung, zu koppeln. Dieses Vermögen soll prinzipiell jedem Menschen zukommen. Der Aufweis dieses Grundes darf aber nicht voreilig mit dem konkreten Urteil über die Moralität der Handlungen verwechselt werden. Die philosophische Begründung eines Begriffs und dessen 221 Siehe dazu B.S. Byrd / J. Hruschka, Kant’s Doctrine, 286ff.; s.a. R. Dean, Value of Humanity, 17ff./37ff. u.ö, der den Begriff der Menschheit mit dem guten Willen gleichsetzen möchte: »humanity must be the same thing as a good will« bzw. »good will is equivalent to humanity« (36/254). 222 G. Prauss, Kant über Freiheit, 141 (f.), der dabei von einem Wandel im Denken Kants ausgeht, da Kant anfangs (in seinen moralphilosophischen Vorlesungen und zumindest teilweise auch noch in der ›Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‹) noch »von dem moralneutralen Wesen des Menschen als ›Zweck an sich selbst‹ oder ›eigenem Willen‹ « ausgegangen sei (140); ähnlich auch J. Waldron, Dignity, 24ff.; tendenziell wohl auch T. Hörnle ZRph 6 (2008), 45ff. m.w.N. Allgemein kritisch zur Kant-Interpretation von Prauss z. B. J. Conrad, Freiheit, 139ff.; M. Willaschek, Praktische Vernunft, 339f. (Anm. 33)/342f. (Anm. 40); K. Steigleder, Kants Moralphilosophie, 112f.

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Zusammenhang mit anderen Begriffen liegen auf einer anderen Ebene als die moralische Bewertung eines Verhaltens. Daher darf aus einer unwürdigen Handlung nicht auf den Mangel an autonomer Selbstbestimmungsmöglichkeit geschlossen werden. Einer solchen Verwechslungsgefahr unterlagen schon zu Lebzeiten Kants einige seiner Zeitgenossen. So hat z. B. Ludwig Heinrich Jakob in seiner ›Philosophischen Sittenlehre‹ von 1794 (S. 139ff. – §§ 285ff.) die kantische Unterscheidung zwischen Würde und Preis im Abschnitt ›Von dem moralischen Urtheile‹ platziert. Damit setzte er die Rede von dem absoluten Wert von Personen und dem relativen Wert von Sachen unmittelbar mit der Bewertung von Handlungen gleich. So ist er schließlich zu dem Schluss gekommen: »Wenn daher ein freyes Wesen sich nach Grundsätzen bestimmt, die dem Sittengesetz widersprechen, so macht es sich seiner Würde verlustig«, denn: »Das Gegentheil der moralischen Würde in einem freyen Wesen ist die Unmoralität oder Unsittlichkeit« (a. a. O., S. 141 – § 289).

Ganz ähnlich hat dies damals auch Theodor Schmalz gesehen, für den jeder, der einen anderen zumindest fortgesetzt beleidigt oder auch nur den Ersatz eines Schadens verweigert »die Würde der vernünftigen Natur im Aeußern«, d. h. seine eigene rechtlich geschützte »Unverletzlichkeit«, »verliehrt«, denn es »gebührt Unverletzlichkeit und Freyheit nur vernünftigen Wesen, als Würde der Vernunft … nicht aber Vernunftlosen, oder gar dem Vernunftwidrigen« (Encyclopädie, 39f.). Einer solchen Fehldeutung ist freilich auch schon zu dieser Zeit zutreffend widersprochen worden. So hat beispielsweise Ernst Ferdinand Klein betont, »daß auch ein Mensch, welcher in einem Stücke seiner Menschenwürde zuwider gehandelt hat, nicht wie ein Mensch, der die Menschenwürde völlig aufgegeben hat, betrachtet werden kann« (ArchCrim II/4 (1800), 111). Dennoch nehmen auch heute noch einige diese enge Verknüpfung von Würde und sittlicher Autonomie zum Anlass, eine kantische Begründung abzulehnen. Speziell im Kontext der Folterdiskussion moniert etwa der Englische Rechtsphilosoph Matthew H. Kramer, mit Kants Ansatz lasse sich kein absolutes Verbot von Foltermaßnahmen herleiten, da von dessen Begriff der Würde nur gesunde erwachsene vernunftfähige Personen erfasst werden, aber : »it does not capture the wrongness of inflicting torture on animals or infants or senile people or mentally deranged people. Because … they are not reflective agents in the Kantian sense. That is, they are not persons in the Kantian sense«. Der kantische Begründungsansatz »does not cover any torture perpetrated against someone who is profoundly demented or retarded« (Torture, 150/153).

Dass die Sittlichkeit für Kant das entscheidende Kriterium der Würde der Menschheit darstellt, heißt jedoch gerade nicht, dass die wechselseitige Achtung

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und eine entsprechende Behandlung des anderen von der tatsächlichen Zurechnung moralisch richtigen Verhaltens abhängig gemacht werden soll. Dafür besitzt der Mensch schon gar kein hinreichend sicheres Urteilsvermögen, wie Kant immer wieder betont hat (vgl. etwa KrV B 579 Anm.*; MdS-T A 25). Lediglich das eigene Freiheitsvermögen ist allein anhand des Sollens erkennbar, das sich aus der Fähigkeit zur allgemeinen Gesetzgebung erschließen lässt (vgl. hierzu und zum Folgenden noch unten – S. 106f.). Dieser Zusammenhang zwischen Können und Sollen ist für Kant als ein ›Faktum der Vernunft‹ gegeben. Die faktische Anwendung des Gesollten – das Handeln gemäß der Pflicht und aus Pflicht – ist hingegen weder durch Anschauung des Verhaltens der eigenen noch der einer anderen Person in Erfahrung zu bringen. Daher ist die tätige Anerkennung der Menschenwürde an die menschliche Erscheinung als solche gebunden.223 Der Achtungsanspruch ist dabei nicht an die – ohnehin nicht feststellbare – tatsächliche Einlösung der Sittlichkeit des Verhaltens gebunden. Genau besehen ist Würde auch in der kantischen Ethik nicht der erste Ausgangspunkt, sondern nur ein – wichtiger und notwendiger – Folgebegriff.224 Er steht nicht für sich allein, sondern kann erst nach der zentralen Begründung der Freiheit als Autonomie abgeleitet werden. Insofern hat schon Schopenhauer behauptet, dass nicht Kant selbst, sondern vermutlich erst der längst vergessene Georg Wilhelm Block in seinem Buch ›Neue Grundlegung der Philosophie der Sitten mit beständiger Rücksicht auf die Kantische‹ von 1802 der Erste gewesen sei, der »den Begriff der ›Würde des Menschen‹ ausdrücklich und ausschließlich zum Grundstein der Ethik gemacht und diese demnach ausgeführt hat«.225 Tatsächlich galt für Block in der Ethik, die er als eine umfassende Lehre von der Wert-, Norm- und Zweck-Setzung des Menschen verstanden wissen wollte, die »Würde (als dem höchsten Werth)« gemeinsam mit der »Vernunft (als der höchsten Regel)« und der »Bestimmung (als dem höchsten Zweck) des vernünftigen Wesens« als der »materiale höchste Grundsatz der Sittenlehre, die Quelle aller praktischen Gesetze« (Neue Grundlegung, 11/13ff. u. ö. – Zitat S. 14). Die Einschätzung, dass die Würde nicht der eigentliche Ausgangspunkt, sondern die Konsequenz der autonomen Selbstbestimmungsfähigkeit des Menschen ist, nimmt diesem Begriff freilich nichts von seiner gleichwohl wichtigen und grundlegenden Bedeutung für die gesamte kantische Philosophie. 223 Ebenso L. Honnefelder, Philosophisches Jahrbuch 100 (1993), 250f.; ders., DZPh 57 (2009), 279f.; F. Kalscheuer, Der Staat 52 (2013), 408f.; ders., Autonomie, 225f./229f. jeweils m.w.N.; siehe dazu allgemein auch E. Sandermann, Moral der Vernunft, 221 m.Fn. 227. 224 In dieser Hinsicht ähnlich O. Sensen, Kant, 202ff., der meint: »dignity is a secondary concept for Kant« (202); ihm insofern zustimmend auch F. Kalscheuer, Der Staat 52 (2013), 410; ders., Autonomie, 227. 225 A. Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, Werke III, 523 Anm.*.

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Dabei stellt Kant schon für den ethischen Zusammenhang klar, dass es in vielen Belangen nicht allein auf das eigene Selbst-Verhältnis, sondern auch auf das »Verhältnisse vernünftiger Wesen zueinander« ankommt (GMS AB 76). Diese Beziehungsweise wird in der moralphilosophischen Perspektive jedoch noch primär in Reflexion auf die subjektive Handlungspflicht betrachtet; hier geht es um die Antwort der handelnden Person auf die Frage: ›Was soll ich tun?‹; sie allein ist die entscheidende Instanz. Jeder muss für sich selbst fragen, was konkret zu tun ist; niemand kann einem Handelnden diese Aufgabe abnehmen. Dabei soll es nicht auf bloß zufällige Einfälle ankommen: ein Urteil über das Sollen kann weder aus Gewohnheit oder autoritärer Setzung, aus vorgegebenen Werten, Gefühlen, der Erwartung künftigen Nutzens, der strategischen Vermeidung negativer Sanktionen o. ä. einfach übernommen werden. Begründungsmomente dieser Art können lediglich als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen angenommen werden; sie fließen dann in die Formulierung eines bloß vorläufigen – noch rein subjektiven – Handlungsgrundsatzes, den Kant ›Maxime‹ nennt.226 Die vorgestellten Verhaltensmöglichkeiten dienen gleichsam als individueller Gesetzentwurf, dessen Verallgemeinerungsfähigkeit erst noch von der handelnden Person selbst anhand des kategorischen Imperativs überprüft werden muss. Wenn eine solche Maxime als allgemeines Gesetz gedacht und gewollt werden kann, soll von einer auto-nomen Willensbildung gesprochen werden. Daher kann erst nach der ethischen Herleitung eines solchen Begriffs der Autonomie für Kant überhaupt sinnvoll von der Würde des Menschen gesprochen werden. cc)

Exkurs: zum Verhältnis von Freiheit und Sittlichkeit

(1) Freier Wille und moralisches Gesetz als Einheit Kant denkt bei der autonomen Selbstbestimmung freilich primär an die Übereinstimmung von Freiheit und Sittlichkeit, d. h. um die anhand des kategorischen Imperativs gelingende Formierung eines ›guten Willens‹, der den Begriff des Guten überhaupt ausmachen soll, denn für Kant »ist überall nichts in der Welt … zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein g u t e r Wi l l e « (GMS AB 1).227 Alle anderen Versuche, das ›Gute‹ zu bestimmen, hängen von Bedingungen ab und können daher allenfalls 226 Ausführlich zu Kants durchaus umstrittenen Maximen-Begriff(en): O. Höffe, Ethik und Politik, 86ff.; O. Schwemmer, Philosophie der Praxis, 135ff.; R. Bubner, Handlung, 185ff.; T. Nisters, Kants Kategorischer Imperativ, 84ff.; H. Köhl, Kants Gesinnungsethik, 46ff.; K. Steigleder, Kants Moralphilosophie, 118ff.; J. Timmermann, Sittengesetz, 149ff.; S. Schadow, Achtung, 140ff. jeweils m.N. 227 Zu Kants Begriff des ›guten Willens‹ vgl. etwa R. Dean, Value of Humanity, 18ff., der den guten Willen sogar für das hält, was für Kant die ›Menschheit‹ ausmacht.

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zu einem bloß bedingten und somit eingeschränkten und abgeleiteten Begriff des Guten führen; dies gilt insbesondere vom Erreichen eines erstrebenswerten Handlungserfolges. Gutes soll zwar vom Menschen bewirkt, d. h. in der Welt realisiert werden, es wird als solches aber nicht in der Welt vorgefunden; es ist kein subjektfreies Geschehen, das in der Realität eintritt wie ein Ereignis. Die Wirklichkeit des Guten ist nicht schlicht empirisch ablesbar, sobald ein erwünschter Erfolg eintritt. Eine Abhängigkeit vom Ergebnis des Bemühens kann daher nicht zu einer sicheren Beurteilung durch den Handelnden führen. Daher muss das Gute in dem Handlungssubjekt selber liegen – von ihm begründet werden. Die Unbedingtheit einer Willensbildung muss jedoch gedanklich mit Freiheit verbunden sein. Um gut zu sein, muss der Wille nämlich frei sein, sonst wäre das Gute nicht unbedingt von Menschen zu verwirklichen, sondern stünde unter (externen oder internen) Bedingungen, deren Eintreten passiv abgewartet werden müsste. Das Gute müsste dann entweder subjektiv als Wunsch oder objektiv als vorhersehbares Ereignis verstanden werden.228 Dadurch wäre die Frage nach dem Guten oder Bösen immer nur vorläufig zu beantworten; was vorübergehend gut erscheint, kann sich mittel- oder langfristig jedoch als schlecht erweisen. Es muss aber für das Handlungssubjekt schon zum Zeitpunkt seiner Tat möglich sein zu bestimmen, ob das gewollte Verhalten gut ist. Schließlich soll das Gute der Gegenstand einer praktischen Erkenntnis des Handelnden sein. Das als gut Erkannte soll als ein Gewolltes durch die Handlung realisiert werden. Dazu muss es als vernünftig und insofern als gesollt gelten können; allein dies ist das entscheidende Moment. Wenn auch das Sollen nicht bloß beliebig und relativ ist, muss es allgemein und absolut wie ein Gesetz gedacht werden können. Die Allgemeingültigkeit eines Gesetzes ist das Gegenteil des Beliebigen und Bedingten. Daher dürfen sich Freiheit und gesetzmäßiges Sollen nicht ausschließen. Wirklich frei ist insofern jedoch nur ein Wille, der seine eigene Maxime (seinen subjektiven Handlungsgrundsatz) widerspruchsfrei als allgemeines Gesetz denken kann und sich von allen heteronomen Umständen (z. B. Neigungen, innere und äußere Zwänge, Werte, Macht der Gewohnheit oder Autorität etc.), die das Verhalten (fremd-)bestimmen könnten, frei weiß. Die subjektive Maxime muss in eine objektive Gesetzesform gebracht werden. Die so verstandene Freiheit ist nicht unverbindlich – im Gegenteil: sie verpflichtet; ein freier Wille bindet sich nämlich selbst an die normative Notwendigkeit des Sollens. Auf diese Weise werden bei Kant Freiheit und Gesetz (mäßigkeit) verbunden. Insofern ist ihm auch Friedrich Schiller gefolgt, wenn er 228 Siehe zu diesen beiden Formen einer solchen »Gewohnheit etwas zu erwarten«, die zunächst die »erste Stufe … der moralischen Kultur als der Verstandesbildung« ausmachen soll, schon J.B. Erhard, Die Horen 3 (1795/7), 10.

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1793 in seinem Aufsatz ›Über Anmut und Würde‹ über das Verhältnis zwischen dem freien Willen und dem (Sitten-)Gesetz schreibt: »Gebunden ist er an keine, aber verbunden ist er dem Gesetz der Vernunft« (Werke V, 472). Freiheit meint daher nicht etwa Beliebigkeit des Entscheidens, sondern die Ausrichtung der eigenen Willensinhalte an der Form vorgestellter Gesetzmäßigkeit. Genau in diesem Sinne gilt nach Kant: Freiheit ist Selbst-Gesetzgebung – Auto-nomie.229 Unfrei ist demnach ein Wille, dem die Bestimmungsgründe nur zufallen oder der natur-notwendig bestimmt wird, denn Zufälligkeit und Naturnotwendigkeit der Willensbildung stehen gleichermaßen im Gegensatz zur Freiheit. Mit der Vorstellung selbst-gesetzlicher Notwendigkeit ist der Begriff eines freien Willens hingegen verträglich; dabei geht es um einen anderen Begriff des Notwendigen, der zur Vorstellung der Pflicht führt. Die Frage nach der Richtigkeit des Tuns zielt darauf, was notwendigerweise getan werden soll. Sollen ist daher nicht etwa eine Einschränkung von Freiheit, insofern es selbstgesetzt ist und nicht nur als fremdbestimmte Verhaltensanforderung verstanden wird. Freiheit als Autonomie unterscheidet sich dabei jedoch auch von der Vorstellung einer bloßen Wahlfreiheit zwischen Alternativen. Wenn die Wahl zwischen verfügbaren Handlungsmöglichkeiten nämlich nicht durch Vernunft überprüfbar wäre und daher nicht ›unter Gesetze‹ gebracht werden könnte, so wäre sie bloß beliebig und insofern wiederum bedingt. Daher kann insoweit für Kant »der Wille nichts anderes als praktische Vernunft« sein, weil »zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Ve r n u n f t erfodert wird« (GMS AB 36).230 Freiheit des Willens und Handelns ist eine Sache der Vernunft, die sich an einem selbst-gesetzten Sollen ausrichtet. Deshalb sind aber für ihn »ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei« (GMS AB 98). (2) Problem der Zurechnung ›böser‹ Handlungen Diese Wechselbestimmung von Freiheit und praktischer Richtigkeit hat vielfach – schon zu Lebzeiten Kants – zu dem Umkehrschluss verführt, dass, wenn nur gutes Wollen und Handeln wirklich frei sei, dann müssten wohl böse Absichten und daraus folgendes Verhalten zwangsläufig als unfrei gelten.231 Dann wäre 229 Siehe zur Analyse der beiden Momente, » ›nomos‹ und ›autos‹ «, im Begriff der Autonomie: R. Zaczyk, Selbstsein, 37ff.; s.a. K. Seelmann/D. Demko, Rechtsphilosophie, § 2 Rn. 74ff.; S. Kirste, in: Würde und Autonomie, 66ff. 230 Ausführlich zu dieser Stelle und den verschiedenen dazu vertretenen Interpretationen M. Willaschek, Praktische Vernunft, 82ff.; J. Timmermann, Sittengesetz, 66ff.; S. Schadow, Achtung, 120ff. jeweils m.w.N. 231 Hierzu und zum Folgenden G. Löhrer, Menschliche Würde, 348ff.; D. Schönecker, Kant: Grundlegung III, 188ff.; P. Baumanns, Kants Ethik, 79ff.; J. Bojanowski, Kants Theorie, bes. 229ff.; ders., ZphF 61 (2007), 207ff.; J.U. Noller, in: Wille, Willkür, Freiheit, 193ff.; H.F. Klemme, Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 9 (2011), 22ff.; D. Schönecker,

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freilich ein nicht-gutes Handeln mangels Freiheit des Willens im strengen Sinne aber auch nicht zurechenbar, denn durch Zurechnung werde gerade die freie Urheberschaft des Akteurs beurteilt. Eine ›böse‹ Absicht dürfte dann nicht als autonom gelten, sondern müsste als das Walten der naturhaften Seite des Menschen angesehen werden; im Fall einer unguten Handlung müsste es so erscheinen, dass die Natur den moralisch-richtigen Freiheitsgebrauch des Menschen dominiert. Dann wäre freilich die Vernunfthoheit letztlich durch natürliche Bedingungen beschränkt, die einen freien Willen zulassen oder nicht. Die Wirklichkeit der Freiheit erscheint dann vom Ausgang jenes Machtspiels zwischen der vernünftigen und der sinnlichen Seite des Menschen abhängig und somit dem Zufall überlassen. In diesem Sinne hat schon Kants Zeitgenosse Karl Leonhard Reinhold vermutet, dass nach einer solchen Ansicht, »die sittlichgute Handlung nichts als eine unwillkührliche Aeusserung der reinen Vernunft; die sittlichböse eine blosse Folge der durch äussere Hindernisse bewirkten Unthätigkeit der reinen Vernunft« sei (Beiträge 2, 303).

Letztlich sei mit diesem Ansatz nicht erklärbar, wie es überhaupt zu unsittlichen Handlungen kommen könne. Gegen die von Kant behauptete Identität von (gutem) Willen und praktischer Vernunfttätigkeit wendet Reinhold daher ein: »Wäre die praktische Vernunft der Wille, so müßte entweder der sittlichböse Mensch gar keinen Willen haben, oder seine Praktische Vernunft das Böse tun und der Sittlichgute könnte nichts wollen als das Gesetz«.

Die »Nichtbefolgung« des durch Vernunft gegebenen Sittengesetzes wäre dann aber ein Zeichen dafür, dass »die menschliche Willkür in gewissen Fällen keine negative Freiheit, keine Unabhängigkeit von sinnlichen Antrieben hat … und daß die positive Freiheit in diesen Fällen nicht wirksam, die praktische Vernunft nicht praktisch ist« (in: Materialien, 313/315).

Auf diese Weise werde aber der menschliche Wille entweder »zum Sklaven der praktischen« Vernunft oder der sinnlichen Triebe gemacht; in jedem Fall habe er dann keine eigenständige Bedeutung. So würde aber auch »der Grund der sittlichen Handlung keineswegs in der bloßen Selbstthätigkeit der praktischen Vernunft, sondern auch in der von dieser Vernunft ganz unabhängigen Abwesenheit jener Hindernisse aufgesucht werden müssen. Die ganze Freyheit dieser Vernunft, und durch dieselbe der Person, bestünde also lediglich in einer zufälligen … Unabhängigkeit von äußerm Zwang, die keineswegs in der Gewalt der Person läge« (Briefe 2, 295f.). in: Sind wir Bürger zweier Welten?, 111ff.; ders., in: Kant on Moral Autonomy, 225ff.; C.D. Fugate, European Journal of Philosophy 2012, 1ff.; C. Blöser, Zurechnung, bes. 73ff.; B. Ludwig, in: Kants Rechtfertigung, 239ff. jeweils m.z.N.

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Daher meint Reinhold – zumindest zeitweise232 –, man dürfe entgegen Kant nicht von der Identität des guten Willens und der praktischen Vernunft ausgehen, sondern müsse eine »Freyheit in der Person« voraussetzen, »die von der Selbstthätigkeit der praktischen Vernunft nicht weniger als vom Bestimmtwerden durch Lust und Unlust verschieden gedacht werden muß, und die in dem Vermögen besteht, sich selbst entweder durchs Gesetz oder gegen dasselbe … zu bestimmen, oder was dasselbe heißt: Sittlich gut oder sittlich böse zu handeln«, denn ohne eine solche »Freyheit läßt sich keine Zurechnung weder zum Verdienst noch zur Schuld« denken (Beiträge 2, 305 – siehe dazu auch noch unten S. 110ff.).233

Die unterstellte Deutung des Verhältnisses von Freiheit und Vernunft könnte dann auch Auswirkungen auf das Verständnis der Würde haben. Sollte nämlich die Würde eines Menschen allein an die sittlich-autonome Willensbildung gekoppelt sein, könnte folglich eingewendet werden, dass unsittliches und damit unfreies Handeln zugleich unwürdig sei und dazu führen könne, dass die Würde eines solchen Akteurs ebenfalls nicht mehr geachtet werden müsste.234 Schließlich soll ja für Kant gerade die »Au t o n o m i e … der Grund der Würde« sein (GMS AB 79); wer sich nicht autonom, d. h. nicht selbst- bzw. vernunftbestimmt verhalte, untergrabe selbst die Grundlage der eigenen Würde. Die Achtung der Würde eines Menschen müsste dann ebenfalls grundlos erscheinen, soweit es die nicht-autonomen Handlungen betrifft. Dann müsste gelten, dass unsittliches Verhalten mangels Autonomie den Grund der Würde entziehe. Einer alten Redensart folgend dürfte daher eigentlich nur von einer »W ü r d e d e r Un s c h u l d « gesprochen werden,235 während sich der Schuldige unwürdig verhalte und auch entsprechend würdelos behandelt werden dürfe. Dementsprechend könnte man im hiesigen Zusammenhang auf die Idee kommen, einem Entführer oder Terroristen fehle es an der für seinen Anspruch auf Würde grundlegenden Autonomie. Die Verfehlung der eigenen Fähigkeit zur Bildung eines ›guten Willens‹ führe dann zwangsläufig zur Würdelosigkeit des entsprechend böse Handelnden. Zu solchen Schlussfolgerungen sind tatsächlich – auch ohne Bezug zu Kant – einige gelangt, die solchen Tätern kurzerhand den 232 Zu späteren Wendungen Reinholds in dieser Frage siehe A. v.Schönborn, in: Philosophie ohne Beynamen, 290ff.; ders., Archivio Di Filosofia LXXIII (2005), 223ff.; ders., in: Wille, Willkür, Freiheit, 409ff.; P. Valenza, in: Wille, Willkür, Freiheit, 350ff. 233 Zum philosophischen Hintergrund von Reinholds Auseinandersetzung mit Kant in dieser Frage: A. Nuzzo, in: Evolution des Geistes, 484ff.; G. Graf von Wallwitz, Interpretation, 37ff./57ff.; G. Zöller, Archivio Di Filosofia LXXIII (2005), 73ff.; J. Bojanowski, Kants Theorie, 230ff. 234 Zu dieser Begründungsproblematik: M. Stepanians, in: Stoecker (Hg.), Menschenwürde, 101; B. Ladwig, ZPTh 1 (2010), 51ff., bes. 56f.; K. Seelmann, in: G. Brudermüller / K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 67ff.; S. Darwall, Honor, 248ff. 235 Siehe dazu – kritisch – etwa J.B. Erhard, Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten 3 (1795), 15f.

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Anspruch auf Achtung der Würde bestreiten, weil sie sich selbst unwürdig verhalten (dazu unten S. 243ff. m.N.). (3) Theoretische und praktische Freiheit Dies wäre jedoch ein Fehlschluss, der aus einem Missverständnis der komplexen Freiheitstheorie Kants resultiert. Danach gilt es nämlich, mehrere Unterscheidungen zu beachten, die den Begriff der Freiheit i. S. Kants weiter entfalten. Wie namentlich Manfred Baum betont hat, muss »mindestens zwischen innerer und äußerer, praktischer und transzendentaler, negativer und positiver Freiheit« unterschieden werden.236 Jede dieser Facetten kann dann sogar noch durch zusätzliche Differenzierungen weiter entfaltet werden; so verweist Dieter Schönecker zutreffend darauf hin, dass allein der »Ausdruck ›praktische Freiheit‹ auf verschiedene Weise benutzt« wird. Dabei macht er auch eine gewisse Spannung zwischen den diversen Verwendungsweisen innerhalb der Texte Kants aus – insbesondere in der ›Kritik der reinen Vernunft‹.237 Die Einheit des Freiheitsbegriffs beinhaltet daher eine Vielzahl von Differenzierungen. Sämtliche (Teil-)Begriffe der Freiheit erfahren ihre Berechtigungen in Abgrenzung zu bestimmten Gegenbegriffen und haben insofern eine klärende Aufgabe zu übernehmen. In der ›Kritik der reinen Vernunft‹ wird zunächst die Idee der Freiheit im Kontext der Transzendentalphilosophie hergeleitet, die es bekanntlich mit den Bedingungen der Möglichkeit von (theoretischer) Erkenntnis zu tun hat. In dieser Hinsicht geht es um die Erkundung einer Denkmöglichkeit von Freiheit als »a b s o l u t e S p o n t a n e i t ä t «, d. h. als Vermögen, »eine Reihe von Erscheinungen … v o n s e l b s t anzufangen« (KrV B 474 / A 446). Insofern steht die Freiheitsfrage in einem traditionellen kosmologisch-theologischen Kontext, der nicht unvermittelt mit dem ethischen Problem menschlicher Willensfreiheit kurzgeschlossen werden darf.238 Die transzendentale Fragestellung zielt dabei auf das alt-bekannte Problem, wie Freiheit innerhalb eines auf kausale Erklärungen angewiesenen Denkens überhaupt vorgestellt werden kann. In diesem Sinne dient die Freiheitsidee der Widerlegung eines allein deterministisch geprägten Weltbildes, in dem sonst nur Naturgesetzlichkeit Platz haben soll. Die Annahme von Freiheit scheint sich nämlich mit der im Übrigen vorausgesetzten Geltung des Kausalprinzips nicht zu vertragen. Jedenfalls tritt der These von der Möglichkeit einer ›Kausalität aus 236 M. Baum, in: Wille, Willkür, Freiheit, 153; s.a. M. Kohl, Kant-Studien 105 (2014), 313ff. 237 D. Schönecker, Kants Begriff, VIII (u. ö.); dazu auch J. Esteves, Kant-Studien 105 (2014), 336ff. 238 Eingehend zum philosophiehistorischen Hintergrund von Kants Begründung einer transzendentalen Idee von Freiheit: H. Heimsoeth, Kant-Studien 57 (1966), 206 ff; A. Nuzzo, in: Evolution des Geistes, 496ff.; K. Kawamura, Spontaneität, 35ff./82ff. u.ö; s.a. E. Sandermann, Moral der Vernunft, 112ff.

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Freiheit‹ die strikte Antithese von einer durchgängigen Gesetzmäßigkeit aller Begebenheiten entgegen. Thesis und Antithesis sind je für sich betrachtet plausibel begründbar. Diese – schon damals und bis heute immer wieder problematisierte – Antinomie will Kant in seiner ersten Kritik (der reinen Vernunft) auflösen. Das Denken von Freiheit und die Vorstellung von naturgesetzmäßiger Notwendigkeit müssen zunächst als prinzipiell vereinbar erwiesen werden, denn die durchgängige Ursachenreihe innerhalb aller Naturphänomene wird von Kant keineswegs bestritten. Daher gilt er »von einer Seite betrachtet« einigen seiner Zeitgenossen sogar als »ein strenger Determinist«.239 Das bloß kausale Denken muss aus kantischer Sicht jedoch ergänzt werden, da auch die Freiheit (i. S. d. ›Frei-seins‹ von ebendieser Natur-Kausalität) gedacht wird und denkbar sein muss. Nur wenn sich neben der naturgesetzlichen Determiniertheit der Welt noch eine zweite Form einer ›Kausalität aus Freiheit‹ überhaupt theoretisch denken lässt, können weitere Formen von – praktischer – Freiheit dargestellt werden. Kant stellt insbesondere klar, dass in einem zweiten Begründungsschritt »auf diese transzendentale Idee der Freiheit sich der praktische Begriff derselben gründe«. Diese praktische Freiheit meint in dieser Hinsicht zunächst bloß negativ »die Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit« (KrV B 561f./A 533f.). Transzendentale Freiheit ist damit zugleich der in theoretischer Hinsicht vorauszusetzende »Grund der Imputabilität« (KrV B 476/A 448). Damit dient er zugleich als eine gedankliche Voraussetzung für die praktische Willens- und Handlungsfreiheit, denn »die Aufhebung der transzendentalen Freiheit« würde auf Grund der daraus folgenden Undenkbarkeit der Freiheit »zugleich alle praktische Freiheit vertilgen«. Die praktische Freiheit wiederum setzt ein Sollen voraus, das zum Begriff der Selbstbestimmung leitet, denn die »menschliche Willkür« ist ein »Vermögen … sich, unabhängig von der Nötigung durch sinnliche Antriebe, von selbst zu bestimmen« (KrV B 562/A 534). Kant arbeitet diesen praktischen Freiheitsbegriff dann vor allem in seinen moralphilosophischen Schriften (zuerst 1785 in der ›Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‹ und 1788 in der ›Kritik der praktischen Vernunft‹) weiter aus. In der Kant-Literatur ist freilich umstritten, ob Kant diesbezüglich eine einheitliche Freiheitslehre präsentiert oder nicht vielmehr die erste Fassung der ›Grundlegung‹ in der späteren ›Kritik der praktischen Vernunft‹ weitgehend aufgibt und durch einen Neuansatz ersetzt.240 Jedenfalls wird erst in diesem systematischen Zusammenhang der Begriff der praktischen Freiheit, der zu239 So etwa J.A.H. Ulrich, Eleutheriologie, 22. 240 Vgl. dazu etwa K. Düsing, Subjektivität, 213ff./228ff.; S. Darwall, The Second-Person Standpoint, 213ff.; B. Ludwig DZPh 58 (2010), 595ff.; ders., in: M. Brandhorst u. a. (Hg.), Sind wir Bürger zweier Welten?, 155ff.; ders. JRE 21 (2013), 278ff.; ders., in: Kants Rechtfertigung, 227ff.; s.a. die Nachweise bei D. Schönecker, Kant: Grundlegung III, 398.

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nächst nur die allgemeinen handlungstheoretischen Prämissen menschlichen Wollens und Handelns benennen soll, ein umfassender Freiheitsbegriff im Kontext der gesamten praktischen Philosophie.241 Ausgangspunkt ist dann die Frage, wie sich die Vernunft handelnd Realität verschafft; dazu muss sie sich die Fähigkeit zuschreiben, nicht nur als Organ theoretischer Erkenntnis denkend tätig zu sein, sondern praktisch werden zu können. Für die handlungsbezogene Willensbildung geht es folglich nicht mehr um die theoretisch denkbare Vereinbarkeit einer Kausalität aus Freiheit mit der Annahme durchgängiger Naturkausalität. Insofern darf der Aufweis der bloßen Denkmöglichkeit einer von Naturnotwendigkeit freien Willkür nicht etwa mit einem theoretischen Beweis eines freien Willens verwechselt werden. Praktischer Vernunftgebrauch ist aber ohnehin nicht auf eine theoretische Beweisführung angewiesen. Freiheit kann insofern kein Gegenstand theoretischer Erkenntnis sein; ihre Erkennbarkeit offenbart sich einzig im Praktischen. Die Möglichkeit von Freiheit zeigt sich an dem Vermögen, das Handeln an einem Sollen zu orientieren und die Wirklichkeit nach eigenen Vorstellungen tätig zu gestalten. Darin sieht Kant ein Faktum, das sich gar nicht leugnen lässt.242 Die Realität praktischer Freiheit erweist sich in der Fähigkeit, nach selbst gegebenen Gesetzen zu handeln, d. h. das eigene Verhalten an der Vorstellung jener Gesetze auszurichten. »Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz weisen also wechselweise auf einander zurück«. Dabei ist die Erkennbarkeit der Freiheit zunächst beschränkt, da ihr »erster Begriff negativ ist«; er bezeichnet insofern die Unabhängigkeit von inneren Antrieben und äußeren Zwängen. Daher ist die Freiheit jedenfalls nicht unmittelbar erkennbar. Nur vermittelt über praktische Erkenntnis des Gesollten lässt sich die eigene Entscheidung als frei erkennen. Demnach ist das »moralische Gesetz« für Kant die »ratio cognoscendi der Freiheit«, d. h. die eigene Freiheit ist nur an der Möglichkeit, sich moralisch richtig zu verhalten, erkennbar, wobei in umgekehrter Begründungsrichtung folgerichtig gelte, dass die »Freiheit … die ratio essendi des moralischen Gesetzes« ist (KpV A 52f./6 Anm.*). Ohne Annahme eines freien Willens und eines daraus folgenden Handlungsvollzuges wäre die Formulierung moralisch-gesetzmäßiger Erwartungen nämlich seins-grundlos. Moralische Gesetzgebung ist dabei zwar objektiv nötigend, aber bei Menschen gerade nicht zugleich subjektiv zwingend (anders als bei den von Kant 241 Vgl. B. Ludwig, in: Kants Rechtfertigung, 237f. m.Fn.14. 242 Dabei ist in der Kant-Forschung umstritten, ob diese ›Faktum-These‹ erst 1788 in der ›Kritik der praktischen Vernunft‹ auftaucht, wo sie explizit formuliert wird, oder implizit bereits 1785 in der ›Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‹ enthalten ist: vgl. die disbezügliche Debatte in dem Sammelband ›Kants Rechtfertigung des Sittengesetzes in Grundlegung III‹ zwischen Dieter Schönecker (a. a. O., S. 1ff./35ff.) und Heiko Puls (a. a. O., S. 15ff./45ff.).

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immer wieder angeführten göttlichen oder engelsgleichen Vernunftwesen, bei denen »das Wollen schon von selbst mit dem Gesetz notwendig einstimmig ist« – GMS BA 39, die folglich nichts anderes als das moralisch richtige Gesetzmäßige wollen können). Daher ist mit der praktischen Erkenntnis der Richtigkeit einer universalisierbaren Handlungsmaxime nicht schon über deren Realisierung entschieden. Das Sittengesetz legt das menschliche Tun nicht quasi naturgesetzlich fest, sonst wäre es nicht mehr als ein Prognoseinstrument künftigen Handlungsgeschehens. Das moralische Gesetz, das sich der Handelnde durch die vorgestellte Verallgemeinerung seiner Maxime selbst gibt, präsentiert sich als Imperativ : das richtige Verhalten ›soll‹ geschehen – es stellt sich nicht zwangsläufig nach dem Erkenntnisakt ein. Das Gesollte ist für das handelnde Subjekt einsehbar und verbindlich, das moralische Gesetz realisiert sich aber nicht notwendig im Sinne eines Naturgesetzes. Diese Form von Gesetzlichkeit zur Bestimmung eines ›guten Willens‹ ist daher noch auf die Mitwirkung menschlicher ›Willkür‹ angewiesen.243 Der Mensch ist nämlich nicht nur Legislative, sondern auch Exekutive der moralischen Gesetze; zwischen der Gebung und Anwendung der moralischen Gesetze gibt es keine Automatik. (4) Wille und praktische Vernunft Für die moralische, d. h. juridische und ethische Gesetzgebung ist der Wille zuständig. In der ›Einleitung in die Metaphysik der Sitten‹ stellt Kant dabei klar, dass der »Wille, der auf nichts anderes, als bloß auf Gesetz geht« eigentlich »weder frei noch unfrei genannt werden« könne. Freiheit sei im Grunde keine zugeschriebene Eigenschaft des Willens, »weil er nicht auf Handlungen, sondern unmittelbar auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen (also die praktische Vernunft selbst) geht« (MdS-R AB 27). In dieser Funktion geht es um die Erkenntnis des Notwendigen einer gesetzlichen Bindung. Obwohl Kant in anderen Schriften wie selbstverständlich vom freien Willen oder von der Freiheit des Willens gesprochen hat (vgl. insbesondere GMS BA 97ff.; KpVA 51f.), betont er in dieser späten Schrift von 1797 recht unvermittelt, es sei streng genommen ein Fehlgebrauch des Begriffs der Freiheit, wenn er in dieser Weise auf den Willen bezogen werde. Durch eine solche Bezogenheit könnte er als eine Art freier Spielraum für die Begründbarkeit bzw. die Ablehnung moralischer Gesetze missverstanden werden. Der Wille, der sich eine Maxime als allgemeines Gesetz vorstellen kann, ist jedoch »schlechterdings notwendig« (MdS-R AB 27). Der Wille ist somit durch die Vernunftnotwendigkeit des Sittengesetzes ge243 Zu Kants Unterscheidung zwischen Wille und Willkür s.a. H.F. Klemme, Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 9 (2011), 22ff.; S. Schadow, Achtung, 183ff.; C. Blöser, Zurechnung, 53f. m.Fn. 65; H. Chamberlin Giannini, Kant-Studies-Online 2013, 73ff.; S. Kahn, Kant-Studies-Online 2014, 79ff.; F. Kalscheuer, Autonomie, 81ff.; B. Ludwig, in: Kants Rechtfertigung, 258ff. jeweils m.w.N.

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bunden und bestimmt bzw. er ist sogar »die praktische Vernunft selbst« (MdS-R AB 5). So wie die Vernunft in ihrem theoretischer Gebrauch beispielsweise auf die Erkenntnis generell geltender Naturgesetze aus ist, richtet sie sich in praktischer Hinsicht als Wille auf die Begründung ethischer oder rechtlicher Gesetze, die dann aber ebenfalls unbedingt gültig sein sollen. Was als vernünftig erkannt wird, verbindet in theoretischer oder praktischer Hinsicht. Diese Verbindlichkeiten werden als vernunft-notwendig erkannt; insofern kann nicht wie oft üblich die Freiheit als Alternative zu einer solchen Vernunft-Notwendigkeit gedacht werden, so als ob man sich ebenso für als auch gegen diese notwendige Einsicht entscheiden könnte. Der Wille ist insofern nicht frei von dem als vernünftig erkannten Gesetz, sondern ist gerade darauf aus, sich dieses als eigenes zu geben. Nur wenn sich der Wille nicht mehr von der praktischen Erkenntnis der eigenen Vernünftigkeit befreien lässt, kann die Vernunft selbst ›zur Welt kommen‹, d. h. sich überhaupt realisieren. Während Kant daher noch einmal die Gleichsetzung des (guten) Willen und der praktischen Vernunft hervorhebt, zieht er eine deutliche Unterscheidung zwischen dem Willen (als praktischer Vernunft) und der Willkür, die je unterschiedliche Aufgaben übernehmen sollen: während die Vernunft objektive Gesetze will, bleibt die subjektive Maximenfindung als solche ein Akt der Willkür. (a) Eine alternative Willenstheorie (C.L. Reinhold) Zu dieser Klarstellung sah sich Kant durch anderslautende Freiheitstheorien veranlasst, die von einigen Philosophen (bzw. Theologen) in dieser Zeit vertreten wurden und sich dabei durchaus auf die Grundsätze der Kantischen Philosophie berufen wollten. Allen voran244 ist insofern die Theorie des freien Willens von Carl Leonhard Reinhold zu nennen, der nach anfänglich eher abfälligen Bemerkungen gegen Kant durchaus für eine Popularisierung der kritischen Philosophie gesorgt hat.245 Hierzu haben vor allem seine ›Briefe über die Kantische Philosophie‹ beigetragen; die ersten 8 dieser in jener Zeit beliebten Briefform verfassten Abhandlungen sind zunächst 1786/87 in der Zeitschrift ›Der Teutsche Merkur‹ erschienen, ehe sie in erweiterter Fassung als Buch zu244 Zu anderen Vertretern der nachfolgend skizzierten Ansicht (namentlich Karl Heinrich Heydenreich) vgl. M. Bondeli, in: Wille, Willkür, Freiheit, 143 Fn. 53; H.F. Klemme, Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 9 (2011), 25f. Fn. 8 jeweils m.N.; s.a. J. Bojanowski, Kants Theorie, 246 Fn. 83. 245 Zum ambivalenten Verhältnis Reinholds zu Kant vgl. etwa M. Frank, ›Unendliche Annäherung‹, 152ff. u. ö.; H. Schröpfer, in: Aufbruch in den Kantianismus, 102ff.; M. Bondeli, in: ders./W.H. Schrader (Hg.), Die Philosophie, 1ff.; ders., in: W. Kersting/D. Westerkamp (Hg.), Am Rande des Idealismus, 41ff.; K. Marx, in: G. di Giovanni (Ed.), Karl Leonhard Reinhold, 145ff.

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sammen mit weiteren ›Briefen‹ in zwei Bänden 1790 und 1792 veröffentlicht wurden.246 Insbesondere im zweiten Band werden die Grundfragen der praktischen Philosophie behandelt, für die der Begriff des freien Willens zentral ist. Dabei bekennt Reinhold in einem Brief vom 28. März 1792 an den mit ihm befreundeten Dänischen Schriftsteller Jens Baggesen offen, dass er sich »im Begriffe des Willens« von »Kant und den Kantianern« seiner Zeit »Gänzlich entferne« (Baggesens Briefwechsel, 168). Zur näheren Bestimmung der Freiheit des Willens hat sich Reinhold in mehreren Anläufen um eine etwas andere Begriffsbildung bemüht. Schon in seinem ersten Hauptwerk von 1789, dem ›Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens‹, in dem es primär um eine Grundlegung der theoretischen Philosophie geht, greift es das Thema beiläufig auf. Darin definiert er die »Freyheit« als ein »Vermögen … in wieferne der Handelnde bey der Ausübung« seiner Handlung »weder durch die Vernunftgesetze noch durch die Forderungen der Sinnlichkeit gezwungen handelt«; die Freiheit des Handelnden sieht er folglich darin, »zwischen zwey verschiedenen Gesetzen zu wählen« (Versuch, 90). Freiheit besteht für ihn daher in einer Wahl zwischen Sittlichkeit und Natur. Zu dieser Zeit knüpft Reinhold den Begriff der Freiheit des Willens freilich noch ganz eng an die Vernunft, denn nur insoweit »das vorstellende Subjekt durch Vernunft handelt, in soferne handelt dasselbe als absolute Ursache, ungezwungen, ungebunden, durch nichts als seine Selbstthätigkeit bestimmt, das heißt f r e y «. Nur durch die so gedachte »Vernunfteinheit« könne »im praktischen das Moralische der Willenshandlung bestimmt« werden. Freies menschliches »Wollen« ist daher für Reinhold »ein Bestimmtwerden durch Vernunft, eine Handlung der Selbstthätigkeit«. Dabei kündigt sich die »Handlungsweise der reinen Vernunft« im »Bewusstsein durch das Sollen an, das in Rücksicht auf die praktische Vernunft freyes Wollen des Gesetzmäßigen« ist (Versuch, 537/567/573f.). In der Folgezeit kritisiert Reinhold jedoch zunehmend die von Kant formulierte begriffliche Gleichsetzung von Wille und (praktischer) Vernunft.247 Er könne sich nämlich keine »eigentliche Freyheit denken«, die für sich allein »in der Wirksamkeit der Vernunft« begründet werde; ein unmittelbares ›PraktischWerden‹ der Vernunft müsste dann gleichsam am menschlichen Willen vorbei oder von diesem unkontrolliert wirksam werden. Demgegenüber sollte man nicht »die Vernunft in dem Sinne praktisch nennen, als ob sie den vollständigen, 246 Vgl. dazu A. Nuzzo, in: Evolution des Geistes, 489f.; A. Lazzari, Das Eine, 30ff. 247 Zu den Phasen der Differenzierung zwischen Wille und (praktischer) Vernunft im Denken Reinholds siehe A. Lazzari, Das Eine, 167ff.; ders., in: M. Bondeli/W.H. Schrader (Hg.), Die Philosophie, 199ff.; s.a. M.Gerten, in: M. Bondeli/W.H. Schrader (Hg.), Die Philosophie, 166ff.; M. Ivaldo, in: G. di Giovanni (Ed.), Karl Leonhard Reinhold, 184ff.; K.J. Marx, in: Wille, Willkür, Freiheit, 257ff.

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durch sich selbst bestimmenden Grund einer Handlung des Willens enthielte« (Briefe 2, X). Vernunft könne nicht unmittelbar wirksam werden, sondern bedürfe stets eines unabhängigen Willensaktes, der über das Wirksamwerden der Vernunftforderung erst noch entscheiden müsse. Reinhold ist sich dabei sicher, dass die »Kantischen Schriften« der 1780er Jahre »den bestimmten Begriff, der das logische Wesen des Willens enthält, nur erst vorbereitet, keineswegs schon geliefert« haben (Briefe 2, 268). Schließlich sei es sogar »der Mangel eines bestimmten Begriffs vom Willen«, der »es begreiflich« mache, »wie man die Handlung der praktischen Vernunft ein Wollen nennen konnte« (Briefe 2, 301). Die Vernunft ›will‹ nichts, sondern schreibt dem Willen lediglich Gesetze vor, die er befolgen soll; sie bietet dabei aber nur Handlungsalternativen an. Menschliches Wollen besteht für Reinhold dann in einem weder durch Vernunft noch durch Sinnlichkeit bestimmbaren Auswahlverfahren. Daher will Reinhold es sich selbst zur Aufgabe machen, die erforderliche Begriffsbestimmung für ein angemessenes Verständnis des Wesens der menschlichen Willensfreiheit vorzunehmen. Für Reinhold sollen daher vor allem Wille und praktische Vernunft deutlicher unterschieden werden: »Die praktische Vernunft ist nicht der Wille, und der Wille ist nicht die praktische Vernunft« (Briefe 2, 70). Sie bezeichnen verschiedene Vermögen. Wille und Vernunft sind daher nicht identisch und dürfen nicht verwechselt werden, sondern erfüllen unterschiedliche Aufgaben. Dabei kann nur dem Willen Freiheit zugeschrieben werden bzw. Wollen ist Freiheit: »Der praktischen Vernunft kömmt nichts als die Aufstellung des Gesetzes, der Freyheit aber die Ausführung desselben zu … die Autonomie des Willens besteht nicht bloß in der Gesetzgebung durch Vernunft …, sondern in der Selbstbestimmung des Willens für dieses Gesetz«.

Autonom ist der Wille auch als vernunftwidriger ; Autonomie ist daher nicht auf die Selbstbindung an das Sittengesetz beschränkt, sondern durch die freie Wahl pro oder contra einer Befolgung der von der Vernunft vorgestellten Norm. Daher besteht die Willensfreiheit für Reinhold nicht nur »in der bloßen Unabhängigkeit des Willens vom Zwange durch den Instinkt und von der Nöthigung durch unwillkührliches von der Vernunft modificiertes Begehren …, sondern auch in der Unabhängigkeit der Person von der Nöthigung durch die praktische Vernunft selbst«. Die Willensfreiheit begreife deshalb im »negativen Sinne … diese drey Arten der Unabhängigkeit, und im positiven Sinne ist sie das Vermögen der Selbstbestimmung durch Willkühr für oder gegen das praktische Gesetz« (Briefe 2, 271f.).

Bei Reinhold wird die Vernunft zum bloßen Instrument einer »Person«;248 sie steht ihr zur freien Verfügung. Die Vernunft dient dabei bloß als eine Anlass248 Zu Reinholds Begriff der Person vgl. J.U. Noller, in: Wille, Willkür, Freiheit, 209ff.

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geberin für mögliche Handlungen. Eine Person könne beim Akt der »Selbstbestimmung ihre Vernunft gesetzmäßig oder gesetzwidrig, folglich willkührlich gebrauchen«, deshalb »muß sich ein willkührlicher Gebrauch der Vernunft denken lassen« (Briefe 2, 250f.). Vernunft und Sinnlichkeit gehören demnach nicht zum Wesen des Menschen, sondern stehen ihm als Werkzeuge seiner Willkür zur Verfügung. Sie erscheinen in der Person als innere Spiegelungen externer Forderungen, über deren Bewilligung sie noch frei zu entscheiden hat. Die Form von Freiheit meint dabei die Unververbindlichkeit der Willkür. Personal im eigentlichen Sinne ist hingegen nur der Wille; dessen Freiheit besteht in der Unabhängigkeit von allen Vernunft-Gründen und Natur-Ursachen, die zwar bestimmte Anlässe für Handlungen bereitstellen, als solche aber den Willen noch nicht hinreichend bestimmen. Die Unterscheidung zwischen dem Willen der Person und der praktischen Vernunft sollten Reinholds ›Beiträge zur Befriedigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen‹ noch einmal bekräftigen. Im zweiten Band dieser ›Beiträge‹ aus dem Jahr 1794 behandelt er noch einmal ausführlich dieses Thema. Darin unterscheidet er die Tätigkeit des Willens als »Akte des Entschlusses« von der bloßen Erfüllung eines »Begehrens«. Dieser Unterschied trennt m.a.W. »das Gelüsten vom Beschließen«. Während der »Akt des Begehrens … in einem unwillkührlichen Streben, nicht der Person, sondern nur in der Person« bestehe, sei der »Akt des Entschlusses« eine »im strengsten Sinne willkührliche Äußerung … der Person selbst«. So definiert Reinhold den Willen schließlich als »das Vermögen der Person sich durch sich selbst zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens zu bestimmen« (Beiträge 2, 218f.).249 Die Person ist für Reinhold demnach der leere Schauplatz, auf dem es um die Bewilligung von konkurrierenden Forderungen diverser Triebe geht, die nach ihrer Umsetzung streben. Für Reinhold muss dabei der »gemeine und gesunde Verstand« eine doppelte Differenzierung leisten: einerseits gilt es, zwischen dem »Entschluß« als »Akt der bloßen Willkür« und der »Forderung des Gewissens (dem Akt der praktischen Vernunft)« zu unterscheiden; andererseits differenziert der Verstand zugleich diese Tätigkeit von der »Forderung des Gelüstens (dem Akt des Begehrens, oder des durch theoretische Vernunft geleiteten Triebes nach Vergnügen)« (Beiträge 2, 227).250 Menschliche Willkür dürfe daher weder mit einem gewissenhaften Vernunftschluss noch mit bloßer Lusterfüllung verwechselt

249 In seiner späteren Kritik an Kants Rechtslehre verwendet Reinhold eine ähnliche Definition: »Wollen ist die Selbstbestimmung der Person zur Befriedigung oder Nichtbefriedigung eines Begehrens« (in: Materialien, 313). 250 Zur Entwicklung und Bedeutung der Unterscheidung zwischen ›gemeinem‹ bzw. ›gesundem Verstand‹ und ›philosophierender Vernunft‹ bei Reinhold vgl. A. Lazzari, Das Eine, 223ff.

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werden. Das willkürliche Entschließen sei daher eine nach diesen beiden Seiten abgrenzbare Tätigkeit sui generis. Der Verstand wird damit als oberste Instanz eingerichtet, die über die Umsetzung sinnlicher oder vernünftiger Ansprüche zu entscheiden hat. Von sich aus kann der Verstand keinen Entschluss bewirken; der Wille dient nur der exekutiven Formung der durch Vernunft oder Natur vorgegebenen Materie. Als bloß formales Beschlussorgan ist er auf das Drängen von Vernunft und Sinnlichkeit angewiesen, die bestimmte aber nicht bestimmende Inhalte vorgeben. Verstand bzw. Wille haben gleichsam nur die Weichen zu stellen, um einer der beiden Forderungen eine freie Bahn zu ebnen. Nur im Zusammenspiel dieser »drei Bedingungen« – sinnliches Begehren, vernünftige Gewissenanforderung, verständiger Entschluss – lasse sich die »eigentliche Handlung des Willens denken«. Aber allein der »Entschluss ist die Handlung der Person«, während sowohl das Begehren der sinnlichen Natur als auch die Forderungen der praktischen Vernunft lediglich »an die Person gerichtet« werden (Beiträge 2, 233). Jene Ansprüche werden quasi von ›Außen‹ gestellt, über ihre Realisierung muss jedoch im ›Innern‹ entschieden werden. Die Person ist insofern nur Adressat von Forderungen von Vernunft und Sinnlichkeit. Letztlich bleibt es daher nicht dabei, »drei wesentlich verschiedene Akte denken« zu müssen (Beiträge 2, 235), es werden im Grunde auch drei verschiedene und von einander unabhängige ›Akteure‹ hinzugedacht: nämlich Sinnlichkeit, (praktische) Vernunft, Wille (bzw. Verstand). Dabei ringen die sinnliche und vernünftige Natur des Menschen als bloß abstrakt-allgemeine Wesenheiten miteinander während der individuelle Verstand als willkürlich entscheidender Schiedsrichter fungiert.251 Natur und Vernunft geben die Handlungsoptionen vor, während der Wille die bloße Form bildet, die einen der möglichen Inhalte wählen muss. »Praktisch« kann die Vernunft allein nicht werden, sondern nur »durch die von ihr verschiedene Freiheit« des Willens. Wenn etwa die Vernunft von einer Person eine bestimmte Handlung fordert, so ist für Reinhold »die Erfüllung dieser Forderung keine bloß durch die praktische Vernunft, und durchaus nicht eine in derselben, sondern eine durch den Willen vermittelst der praktischen Vernunft, und durchaus nicht in dem Willen bestimmte Folge« (Beiträge 2, 244/248).

Nur wenn sich der Wille einer Person für die Vernunftforderung entschließt, kann folglich die Vernunft praktisch werden. Das Wollen ist daher immer auf vorgegebene Handlungsvorschläge angewiesen; als solcher ist der Wille jedoch inhaltsneutral und kann aus sich heraus auch keine Gegenstände künftiger 251 Vgl. zu dieser »dreigliedrigen Struktur von Sittengesetz, sinnlichem Trieb und Willensvermögen«: M. Bondeli, Reinhold und Schopenhauer, 55ff. (61).

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Handlungen vorstellen. Eine Person kann aber stets nur etwas Bestimmtes wollen. Dabei findet sie die bestimmten Inhalte in Form der Forderungen von Vernunft oder Sinnlichkeit vor, muss sich selbst aber noch zur Umsetzung bestimmen. So wird aus bloß veranlassenden Gründen ein selbst-bestimmter Willensentschluss. Allein diese Selbst-Bestimmung heißt bei Reinhold ›Freiheit‹; sie macht das Wesen des Willens einer Person aus.252 (b) Gefahr des intelligiblen Fatalismus (C.C.E. Schmid) Reinhold war sich offenbar zunächst sicher, dass die Position, die er in den genannten Büchern vertreten hat, die aus seiner Sicht noch zu vage Ansicht Kants über die Freiheit des Willens präzisieren werde. Seine Erläuterungen des Begriffs der Willensfreiheit waren in diesen Texten nicht etwa gegen Kant gerichtet. Er wollte sich durchaus als Kantianer verstanden wissen. Hauptkontrahent – insbesondere der ›Beiträge‹ von 1794 – war vielmehr Carl Christian Erhard Schmid,253 der seinerseits als einer der frühen Kant-Interpreten aufgetreten ist.254 Auch er greift zentrale Differenzierungen Kants auf – namentlich die Unterscheidung zwischen ›Dingen an sich‹ und ›Dinge als Erscheinungen‹, die für die Frage nach der Möglichkeit eines freien Willens eine wichtige Rolle spielt. In der Freiheitsfrage hat Schmid dabei eine Theorie vertreten, die er »Intelligibler Fatalismus« nannte. Danach müsse die »Naturnothwendigkeit aller Handlungen eines vernünftigen Wesens nach Gesetzen der Caussalität der Dinge an sich selbst« behauptet werden.255 Dabei geht Schmid von der Unterscheidung des »Ich, als Gegenstand der innern Erfahrung« und des »Ich, als Ding an sich« aus. Während erstgenanntes als das »sinnliche Subjekt« stets an das »Verstandesgesetz der nothwendigen Zeitfolge« gebunden bleibe, sei das »Ich an sich selbst« eigentlich dem Denken in Zeit und Raum enthoben; gleichwohl müssen die »wahrnehmbaren Handlungen« als »Wirkungen in der Zeit« verstanden werden. »Aus dieser nothwendigen Unterscheidung« ergibt sich für Schmid die Konsequenz, »sich eine Handlung zu 252 Ähnlich auch K.H. Heydenreich, Betrachtungen 2, bes. 63f.; ders., Propaedeutick 2, 99ff., wo er selbst bemerkt, dass Reinholds Theorie des freien Willens »nur dem Ausdrucke nach von der meinigen verschieden« ist (101). Die Ähnlichkeit hat bereits L. Creuzer, Skeptische Betrachtungen, 125ff., festgestellt, der dementsprechend glaubt, »Im Wesentlichen« seien »beyde Theorien einerley« (130). 253 Zur Auseinandersetzung zwischen Reinhold und Schmid vgl. G. Graf von Wallwitz, Interpretation, 59ff.; G. di Giovanni, in: Vernunftkritik, 99ff.; J.-F. Goubet, in: Philosophie ohne Beynamen, 239ff.; A. Lazzari, Das Eine, 172ff.; ders., in: Metamorphosen der Vernunft, 121ff.; allgemein zum Verhältnis beider : A. Berger, Athenäum 8 (1998), 137ff. 254 Vgl. H. Schröpfer, in: Aufbruch in den Kantianismus, 37/43f. 255 C.C.E. Schmid, Versuch (1.Aufl.), 211; in der 4. Auflage seines ›Versuchs einer Moralphilosophie‹ von 1802 bezeichnet er diese Auffassung dann als »Der intelligible Determinismus« (Versuch 1, 545).

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denken, die von dem Naturgesetze … unabhängig ist, obgleich ihre erscheinende Würkung nach diesem Gesetze erfolgt«. Die eigentliche Wirkungsmacht bzw. Formungskraft der Dinge an sich ist jedoch die Vernunft als »ein von allen Erscheinungen in der Zeit unabhängiges Vermögen zu handeln« (Versuch, 1. Aufl., 198f./200/208). Für Schmid ist menschliches Handeln immer notwendig bestimmt; insofern könne von Freiheit keine Rede sein, insoweit sie als Indifferenz im Gegensatz zur Notwendigkeit gedacht werden sollte, denn dies müsste einen »(vernunftlosen) Zufall einräumen«. Dem stehe jedoch der Grundsatz gegenüber : »Es giebt keinen Zufall« (a.a.O, 209/215). Als vernünftiges Wesen wird der Mensch nämlich mit Notwendigkeit durch die Bestimmung der Vernunft zur Sittlichkeit determiniert; »m o r a l i s c h e H a n d l u n g e n « sind für Schmid jene, die »das Gepräge der vernünftigen Selbstthätigkeit an sich tragen«, während »u n m o r a l i s c h « jene heißen, »in so fern keine Spur von einer Würkung der selbstthätigen Vernunft darinn erscheinet. Beyde Arten von Handlungen können wir … einer Aeusserung oder unterlassenen Aeusserung des selbstthätigen Vermögens der Vernunft« zuschreiben.

Im Fall einer unmoralischen Handlungen schweigt gleichsam die Vernunft, obwohl sie sehr wohl ein Machtwort reden könnte, um das Handeln zu bestimmen; in jedem Fall bestimmt daher die Vernunft das Verhalten des Menschen durch ihr Tun oder Unterlassen. Über diese Determinierung im Intelligiblen lässt sich jedoch nichts in Erfahrung bringen, denn nur in der Welt der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen sind Erkenntnisse über kausale Verknüpfungen möglich. Kausalität ist eine Kategorie für das Denken in Raum und Zeit. Ebenso wenig weiß der Mensch etwas über die Ursachen, die zu unvernünftigen und damit unsittlichen Handlungen führen: »Denn das, was die Würksamkeit der Vernunft einschränkte, konnte Nichts in der Zeit Befindliches, nichts Erkennbares seyn« (Versuch, 1. Aufl., 206f.). Es ist für Schmid daher niemals einsichtig, wann Vernunft ihre Wirkung entfaltet und wann nicht. Im Fall der Unsittlichkeit des Handelns wird die Vernunft letztlich auf unerklärliche Weise an ihrer Bestimmungsfunktion gehindert. Auf Grund dieser Unkenntnis der Determinierungsweise bzw. der sie hemmenden Hindernisse soll sich niemand auf sein Bestimmtsein und das ›Nicht-anders-können‹ berufen können. Trotz dieser Unerkennbarkeit der notwendigen – positiven oder negativen – Bestimmung des Handelns durch die Vernunft, soll kein Zweifel an dieser Form einer Notwendigkeit bestehen, die durchaus in Analogie zur Naturgesetzlichkeit gedacht werden könne. Schließlich müsse auch diese Art der Bestimmtheit durch Vernunft – ähnlich wie eine naturnotwendige Determination – auch physische Wirksamkeit entfalten. Schmid denkt sich daher das durch Vernunft-Autonomie gegebene Sittengesetz wie ein

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Naturgesetz, das vom Intelligiblen aus die Geschicke in der Sinnenwelt bestimmt.256 Als Kontrast zur unerkennbaren aber dennoch zu unterstellenden Notwendigkeit einer intelligiblen Determination der Sinnenwelt durch eine Vernunftbestimmtheit verfügt der Mensch als empirisches Wesen aber immerhin über das Bewusstsein seiner (Wahl-)Freiheit. Dies allein sei hinreichend als Anknüpfungspunkt für die Zurechnung von Verdienst oder Schuld, denn: »Zur Moralität ists genug zu wissen, oder zu glauben, daß alles, was wir kennen, daß alle Zeitumstände uns nicht zwingen können, unvernünftig zu handeln«. Dieses bewusste oder geglaubte Freisein von bloß-natürlichen Ursachen, d. h. ein negativer Begriff von Freiheit, muss genügen. Mehr ist ohnehin nicht möglich zu wissen, denn die »Ausnahmen« von der Vernünftigkeit des Handelns »hängen nicht von unserem Willen ab, weil sie in etwas gegründet sind, was über die Gränzen unsrer möglichen Erkenntniß hinausliegt« (Versuch, 1. Aufl., 211). Die Vernunft als solche mag »frey, d.i. selbstthätig in Ansehung der vernünftigen Form ihrer Handlungen« sein, insofern sie also aktiv das Handeln bestimmt, sie ist aber »gebunden an den Stoff, der ihr gegeben, an die Sphäre, die ihr angewiesen wird« (a. a. O., 210). Auch bei Schmid werden demnach Vernunft und Freiheitsbewusstsein getrennt und sogar zwei verschiedenen Welten zugeordnet. Damit soll immerhin die Verbindung zwischen Vernunft und Moral einerseits sowie Freiheit und Moralität andererseits gerettet werden. Eben dies wird von Reinhold bestritten. Für ihn bedeutete der intelligible Fatalismus von Schmid das Ende aller Moral. Zudem wäre Freiheit danach nur ein Zeichen für den Mangel an Erkenntnisfähigkeit. Aus diesem Grund hat Reinhold zwischen den zur Handlung auffordernden Anlässen – sittliche Vernunft und natürliche Sinnlichkeit – den Willen als ganz persönliche Entscheidungsinstanz einberufen. Seine Zuversicht, eine im Vergleich zu dieser konkurrierenden Auslegung bevorzugte Sichtweise präsentiert zu haben, wurde jedoch durch das Erscheinen von Kants Rechtslehre enttäuscht. Darin bekräftigt Kant nicht nur – wie gesehen – die Gleichsetzung der praktischen Vernunft mit dem (sittlich guten) Willen, sondern will den Willen auch deutlicher als bisher von der Willkür unterscheiden. In einer offensichtlich (zumindest auch) gegen Reinhold gerichteten Bemerkung, stellt Kant nämlich schon in der ›Einleitung in die Metaphysik der Sitten‹ fest, die »Freiheit der Willkür« könne »nicht durch das Vermögen der Wahl, für oder wider das Gesetz zu handeln (libertas indifferentiae) definiert werden – wie wohl einige versucht haben« (MdS-R AB 27).257 256 Vgl. dazu und zu zeitgenössischen Kritikern dieser Ansicht: G. Graf von Wallwitz, Interpretation, 66 m.N. 257 C.C.E. Schmid hat diese Spitze gegen Reinhold 1798 sofort in der 4. Auflage seines ›Wörterbuchs zum leichtern Gebrauch der Kantischen Schriften‹ im Art. »Freyheit« vermerkt (S. 251).

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Freiheit ist demnach nicht Gleichgültigkeit gegenüber der moralischen Gesetzgebung der Vernunft. Ein vernünftiger Wille kann sich folglich nicht gegen sein eigenes Gesetz entscheiden, denn diese Entscheidung wäre ganz grundlos und daher zufällig – unfrei. Dabei gesteht Kant sogar zu, dass die »Willkür als Phänomen« von dieser vermeintlichen Wahlmöglichkeit »in der Erfahrung häufige Beispiele gibt« (MdS-R AB 27). Menschen erleben die eigene Willkürlichkeit beinahe alltäglich in Entscheidungssituationen, in denen sie scheinbar beliebig zwischen vernünftigen und unvernünftigen Handlungsoptionen wählen. Die von Reinhold postulierte Willkürfreiheit erscheint daher zunächst als empirisch belegbar. Dennoch genügt eine derartige empirische Sättigung für Kant nicht, Freiheit i.d.S. als Indifferenz zu definieren. Dies würde nämlich den Begriff der Willens- bzw. Willkür-Freiheit auf den Bereich des Phänomenalen reduzieren. Das Erleben einer Wahl zwischen Alternativen vermag die Freiheit noch nicht hinreichend zu beglaubigen. Die Reduktion auf Erfahrbares trifft gerade nicht den noumenalen Charakter des Freiheitsbegriffs, den Kant seit seiner ›Kritik der reinen Vernunft‹ herausstellen möchte. Reinhold erwidert noch im Erscheinungsjahr der Rechtslehre Kants, 1797, mit seiner (Teil-) Rezension mit dem umständlichen Titel: ›Einige Bemerkungen über die in der Einleitung zu den ›Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre‹ von I. Kant aufgestellten Begriffe von der Freiheit des Willens‹ (in: Materialien, 310ff.). Er glaubt, die von Kant neu getroffene Unterscheidung zwischen Wille und Willkür sei »entweder unverständlich oder unhaltbar«, wobei letztlich deutlich wird, dass er für Unhaltbarkeit plädiert. Reinhold will die besagte Differenz nämlich nicht anerkennen und besteht auf der wechselseitigen Abhängigkeit der unterschiedenen Begriffe. Er behauptet dagegen: »So wie keine Willkür ohne Willen, so ist kein menschlicher Wille ohne Willkür denkbar«, denn die »menschliche Willkür ist das dem Willen eigentümliche Vermögen zu wählen (zu küren)«. Gekürt werden muss entweder das sinnliche Begehren oder die durch das Sittengesetz aufgestellte Forderung der praktischen Vernunft. Dies setzt für Reinhold aber »schlechterdings voraus, daß das Subjekt beim Wollen sich sowohl durch Vernünftigkeit als durch Lust und Unlust selbst bestimmen könne« (in: Materialien, S. 311/323). (5) Die Unterscheidung zwischen Wille und Willkür Kants Unterscheidung zwischen Wille und Willkür in der ›Metaphysik der Sitten‹ ist daher vor dem skizzierten Hintergrund zu verstehen. Dabei geht es im hiesigen Zusammenhang keineswegs um die Erinnerung einer längst vergangenen Diskussion zwischen Kant und einigen seiner Zeitgenossen. Die von Reinhold vertretene Ansicht erscheint vielmehr bis heute auf den ersten Blick durchaus naheliegend und trifft wohl ein weit verbreitetes Verständnis – den ›allgemeinen oder gesunden (Menschen-)Verstand‹ im Sinne Reinholds. Es ist

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alles andere als unplausibel im menschlichen Willen die von Reinhold behauptete Entscheidungsfähigkeit zu sehen. Demgegenüber erscheint es auf den ersten Blick eher kontraintuitiv und erläuterungsbedürftig, mit Kant behaupten zu wollen, der Wille sei »in allen Menschen Gut« und es gebe streng genommen gar »kein gesetzwiedriges Wollen« – wie es in einer Vorarbeit zur Metaphysik der Sitten heißt (A-A XXIII, 248). Daher scheint eine Kritik wie die von Reinhold auf der Hand zu liegen. Vergleichbare Einwände werden immer wieder einmal gegen Kants Freiheitstheorie erhoben – im 19. Jahrhundert beispielsweise in dem kurzen Aufsatz ›The Kantian Conception of Free Will‹ von Henry Sidgwick in der Zeitschrift ›Mind‹ XIII/ No. 51 (1888), 405ff.258 Bzgl. der Loslösung von Freiheit und Vernunft hat in jüngerer Zeit auch Harry G. Frankfurt eine ähnliche Kritikrichtung eingeschlagen. Er versteht Kants Autonomiekonzept vor allem als eine Art Kontingenzvermeidungsstrategie, da er primär auf den Ausschluss von bloß zufälligen Einflüssen – wie individuelle Interessen und Neigungen – ziele. Dies hält Frankfurt für »falsch. Die Interessen einer Person können auch dann zur Wesensnatur ihres Willens gehören, wenn sie kontingent sind«; daher müsste die für die personale Autonomie »notwendige Autorität« einer Person – nicht wie von Kant postuliert – allein »durch die Erfordernisse der Vernunft gewährt werden« (Freiheit, 174).259 Diesen Ansätzen treten immer wieder Theorien entgegen, die im Anschluss an Kant (und Hegel) einen Begriff von »Freiheit ohne Wahl« propagieren.260 Es ist daher wichtig, Kants Differenzierung etwas genauer zu betrachten, da sie auf jenen Einwand reagiert, der bei einer Gleichsetzung von Wille und Vernunft nahe zu liegen scheint. Wille ist dabei der Begriff für eine Form dessen, was Kant das »B e g e h r u n g s v e r m ö g e n « nennt. Obwohl dieses Wort im 18. Jahrhundert zur Bestimmung der »freien Handlungen der Menschen und ihrer Sitlichkeit« auch schon im Naturrecht dieser Zeit eine Rolle spielt,261 gehört es in der vorherrschenden Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts traditionell zur Metaphysik, speziell zu deren Teildisziplin, die damals (empirische) Psychologie – Seelenlehre – genannt wurde. Das Begehrungsvermögen wurde dabei – neben dem Erkenntnisvermögen – zu den Grundfertigkeiten der Seele ge258 Vgl. dazu C.M. Korsgaard, Creating, 162ff.; J. Timmermann, Sittengesetz, 44f.; S. Kahn, Kant-Studies-Online 2014, 77ff.; zu neueren Facetten dieser Diskussion siehe H. Chamberlin Giannini, Kant-Studies-Online 2013, 72ff. m.N. 259 Siehe zu Frankfurts Kant-Kritik: J.D. Velleman, Self to Self, 330ff.; J.B. Schneewind, in: Kant on Moral Autonomie, 157f.; zu Frankurts eigener Autonomiekonzeption vgl. P. Baumann, Autonomie, 156ff.; M. Betzler, in: dies. (Hg.), Autonomie, 17ff.; F. Knappik, Im Reich der Freiheit, 86ff./94ff. 260 Vgl. dazu – vor allem am Beispiel von Robert Brandom – F. Knappik, Im Reich der Freiheit, 60 (ff.). 261 So z. B. J.E. Gunnerus, Volständige Erläuterungen 2, S. 1/11f. (ad §§ 1/3).

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zählt.262 Dementsprechend konnte Kant in einer Anmerkung im Vorwort seiner ›Kritik der praktischen Vernunft‹ betonen, dass die »Erklärung« dieses Begriffs »als in der Psychologie gegeben« vorausgesetzt werden könne (KpV A 16 Anm**). Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts gilt die Theorie des Begehrungsvermögens zunehmend als ein Teil der praktischen Philosophie, vor allem der Ethik.263 Unter Begehrungsvermögen versteht Kant »das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein« (MdS-R AB 1; s.a. die entsprechende Definition in KpV A 15f. Anm** sowie in KdU B XXII f. Anm. *). Das Wort bezeichnet zunächst also ganz allgemein die Fähigkeit, sich etwa bestimmte Ziele zu setzen (vorzustellen) und die Welt ihnen gemäß zu prägen. Die gegenwärtigen Zukunftsprojektionen eines Akteurs werden zu den gedanklichen Entwürfen für die Gestaltung der künftigen Gegenwart. Als Grundausstattung aller lebendigen Wesen umfasst diese Fähigkeit auf einer ersten Ebene sämtliche Gefühle von Lust und Unlust sowie Neigungen und Interessen, die zu einer solchen Zwecksetzung beitragen können. Von diesen einfachen Formen des (sinnlichen) Begehrens unterscheidet Kant das »Begehrungsvermögen nach Begriffen«, das er das »Vermögen, nach Belieben zu tun oder zu lassen«, nennt. Es umfasst neben dem Willen noch die »Willkür« und den bloßen »Wunsch« (MdS-R AB 4f.). Willkür und Wunsch unterscheiden sich durch das »Bewußtsein«, das vorgestellte Objekt auch tatsächlich realisieren zu können: ein Wunsch ist nicht mit einem solchen Realisierungsbewusstsein verbunden, da er sich auf etwas beziehen lässt, was nicht von dem Handlungssubjekt selbst hervorgebracht werden kann. Die Erfüllung eines Wunsches hängt nicht oder jedenfalls nicht nur von eigener Leistung ab; wer sich einen Wunsch erfüllt, realisiert ihn im Grunde willkürlich. Demgegenüber soll von Willkür nur dann die Rede sein, wenn einem Subjekt nicht nur das Handlungsziel klar ist, sondern zudem noch bewusst wird, dass es die vorgestellten Objekte selbst hervorbringen kann, d. h. die reale Hervorbringung überhaupt von ihm selbst abhängt. Willkür ist daher mit einer bewusst gewordenen Handlungsmacht des handelnden Subjekts verbunden. Anders als die Willkür bezieht sich das, was Kant an dieser Stelle »Wille« nennt, »nicht sowohl« auf die zielführende Handlung, »als vielmehr auf den Bestimmungsgrund der Willkür zur Handlung« (MdS-R AB 5). Während die 262 Vgl. A.G. Baumgarten, Metaphysik, 228ff. (§§ 489ff.), G.F. Meier, Metaphysik 3, 279ff./ 302ff./403ff. (§§ 647ff./661ff./721ff.); s.a. C.C.E. Schmid, Empirische Psychologie, 331ff. 263 Vgl. etwa die Hinweise auf die einschlägigen »Schriften über das menschliche Begehrungsvermögen«, die hauptsächlich aus klassischen und zeitgenössischen Texten zur Ethik bestehen, bei K.H. Heydenreich, Encyclopädische Einleitung, 147 (ff.); s.a. dens., System des Naturrechts 1, 72 (ff.), wo er die »allgemeine Theorie des menschlichen Begehrungsvermögens« als unerlässliche »Vorkenntnisse zum Naturrecht« nennt.

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Willkür auf das ›Dies-oder jenes-Tun-Können‹ beschränkt bleibt, bezieht der Wille die Dimension des Sollens mit ein. Das Wollen hat das Sollen zu ermitteln. Wie Kant bereits in seiner ›Grundlegung‹ betont hat, gilt m.a.W.: »Das moralische Sollen ist also eigenes notwendiges Wollen« (GMS BA 113). Der Wille ist daher »der Gesetzgeber für die Willkühr und ist absolute praktische Spontaneität in Bestimmung der Willkühr« – wie es in einer der Vorarbeiten zum Einleitungskapitel der ›Metaphysik der Sitten‹ heißt (A-A XXIII, 248). D.h. das vernunft-bestimmte Wollen ist als solches nicht noch einmal an bestimmende Bedingungen gebunden; vielmehr ist das durch den Willen gegebene (moralische) Gesetz für die Willkür verbindlich. Die Gesetzlichkeit der Willensbildung nimmt der Willkür die Beliebigkeit und wirkt auf diese Weise objektiv grundlegend für die subjektive Handlungsfindung. Der Wille allein ist für das Handeln aber noch nicht hinreichend, weil er keinen materialen Gehalt hat, sondern nur als (Gesetzes-)Form ist. Der Wille muss daher auf die Willkür einwirken, um wirksam werden zu können. Wille ist dann folglich keine Alternative zur Willkür, sondern ihr vernünftiger Bestimmungsgrund; er formt die subjektive Handlungsmaxime zum objektiven Gesetz. Die Willkür kann auch für sich allein als Begehrungsvermögen wirken; insofern ist sie als »tierische Willkür (arbitrium brutum)« aber »nur durch Neigung (sinnlichen Antrieb, stimulus)« bestimmt und daher ohne weitere Vernunftkontrolle durch bloße Natur determiniert – nicht frei. Im Unterschied zum Menschen handeln Tiere zwar willkürlich – aber willenlos. Frei soll hingegen die »Willkür« genannt werden, die »durch Antriebe zwar affiziert, aber nicht bestimmt wird«. Die Fähigkeit einer vernünftigen Willensbildung ermöglicht erst Willkürfreiheit. Aus dieser Begriffsbestimmung resultiert zunächst nur der »negative Begriff« der »Freiheit der Willkür«, nämlich »jene Unabhängigkeit ihrer Bestimmung durch sinnliche Antriebe«. Eine freie Willkür wird nicht – passiv – bestimmt durch natürliche Neigungen, Triebe oder Interessen, sondern soll sich – aktiv – davon befreien zur Selbstbestimmung durch Orientierung am Sollen. Frei ist die Willkür in diesem negativen Sinne bereits, insofern sie nicht natur-notwendig bestimmt ist. Die Befreiung von der stimulierenden Wirkung natürlicher Triebe und Neigungen kann nur durch eine Bestimmung der Willkür durch die Vernunft gelingen. Vernünftige Selbstbestimmung ist eigene Aktivität des Subjekts im Unterschied zur Passivität naturhafter Determination. Dementsprechend ist der »positive« Begriff der Freiheit: »das Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein« (MdS-R AB 5f.). Die freie Willkür ist demnach durch eine zweite Reflexionsebene gekennzeichnet, auf der der Inhalt der vorgestellten Handlung auf seine Verallgemeinerbarkeit hin überprüft wird. Gerade in dieser Prüfung auf Gesetzestauglichkeit der subjektiven Maxime liegt der Grund für die Identität von Wille und praktischer Vernunft. Während die Willkür auf die

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Materie des Begehrens bezogen ist, bleibt der Wille aber bloße »Form der Tauglichkeit der Maxime der Willkür zum allgemeinen Gesetze« (MdS-R AB 6). Nach dieser Formung ist der Willensbildungsprozess abgeschlossen. Es mag zwar sein, dass Menschen im Anschluss daran noch die Möglichkeit einer »Wahl, für oder wider das Gesetz zu handeln«, erscheint, doch lässt sich so – trotz aller Erfahrung – nicht die eigentliche Freiheit bestimmen, denn diese lässt sich nicht auf die Welt der Erscheinungen beziehen. Die »freie Willkür« ist nämlich ein »übersinnliches Objekt«. Kant verweist hierbei erneut auf seine Unterscheidung zwischen homo phaenomenon und homo noumenon (dazu schon oben S. 97f.). Von der Freiheit lässt sich allein die »n e g a t i v e Eigenschaft in uns« phänomenal erfassen, »nämlich durch keine sinnliche Bestimmungsgründe zum Handeln g e n ö t i g t zu werden«. Die Vernunftnotwendigkeit des moralischen Gesetzes, die »in Ansehung der sinnlichen Willkür n ö t i g e n d ist«, lässt sich dagegen »theoretisch gar nicht darstellen«, denn für ein »Noumen«, d. h. »nach dem Vermögen des Menschen bloß als Intelligenz betrachtet« lassen sich die empirischen Erkenntnismittel überhaupt nicht anführen (MdS-R AB 27f.). Wer den Begriff der Freiheit auf die Erfahrung des Wählen-Könnens zurückführen möchte, (miss)versteht ihn als Gegenstand einer theoretischen Erkenntnis von bloßen (Handlungs-)Möglichkeiten. Dies führt jedoch zu einer Freiheits-»Definition, die über den praktischen Begriff noch die Au s ü b u n g desselben, wie sie die Erfahrung lehrt, hinzutut«. Daraus resultiert für Kant unweigerlich eine bloße »B a s t a r d e r k l ä r u n g (definitio hybrida), welche den Begriff im falschen Lichte darstellt« (MdS-R AB 28). Kant beharrt dagegen neben der Unterscheidung zwischen Noumen und Phaenomenon auf der Differenz zwischen theoretischem und praktischem Begriff der Freiheit. Von der Freiheit im praktischen Sinne haben wir aber nur durch das Sittengesetz überhaupt eine Erkenntnismöglichkeit, denn allein das »moralische Gesetz« gilt als »ratio cognoscendi der Freiheit«, wie Kant in der ›Kritik der praktischen Vernunft‹ gezeigt hat (KpV A 52f./6 Anm.* – siehe dazu oben S. 108). Praktische Freiheit ist nämlich nur am Sollen erkennbar, während von der bloßen Erfahrung des (Wählen-)Könnens kein zuverlässiger Schluss auf die eigene Willensfreiheit möglich ist. Der Begriff einer theoretischen Freiheit als Fähigkeit, eine Ursachenreihe von selbst anzufangen, beschränkt sich demgegenüber ohnehin auf die Denkmöglichkeit einer solchen Spontaneität; nur insofern ist sie gedankliche Voraussetzung praktischer Freiheit und »Grund der Imputabilität« (KrV B 476/A 448 – vgl. dazu oben S. 106ff.). Die Realität praktischer Freiheit erweist sich dagegen in der Selbst- und Fremdzuschreibung des Vermögens der subjektiv oder inter-personal tätigen Vernunft, für sich selbst praktisch zu sein. Nur die »Freiheit in Beziehung auf die innere Gesetzgebung der Vernunft« kann daher nach Kant »allein ein Vermögen« genannt werden, weil sie ein am Sollen erkennbares Können meint. Im Kontrast dazu ist »die

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Möglichkeit, von dieser abzuweichen, ein Unvermögen« (MdS-R AB 28), oder wie es in nachgelassenen Reflexionen (Nr. 3868/3872) heißt: »eine Möglichkeit zu leiden«, während der »freye Wille … gleichsam isolirt … thätig« ist, »ohne zu leiden« (A-A XVII, 318f.). Wer von dem selbstgesetzten Sollen abweicht, beweist daher nicht etwa ein besonderes Können, sondern eine Art ›Ohnmacht‹. Ein Unvermögen meint i.d.S. jedoch nicht etwa die Unmöglichkeit einer freien Willkür, sondern bedeutet das bloß passive Gewährenlassen der sinnlichen Antriebe, durch die eine Handlung dann tatsächlich bestimmt wird. Wer die Natur der sinnlichen Antriebe gewähren lässt, verzichtet grundlos auf den Gebrauch der eigenen Autonomie. Wieso jemand in bestimmten Situationen i.d.S. unvermögend ist, kann letztlich nicht erklärt werden, da das Unvermögen gerade nicht auf vernünftigen Gründen basiert und diese Grundlosigkeit daher auch nicht durch Vernunft begriffen werden kann. Gleichwohl sind für Kant auch jene Handlungen als frei zu bezeichnen, bei denen die Vernunft tatsächlich zwar nicht praktisch geworden ist, dem Handelnden aber das entsprechende Vermögen zuerkannt wird. In diesem Sinne kann Kant beispielsweise in einigen Nachlass-Fragmenten behaupten: »Die Handlungen aus Neigung, wobey es möglich war durch freyheit zu handeln, sind auch frey« (Nr. 6931, A-A XIX, 209); selbst »Böse Handlungen stehen … unter der Freyheit«, obwohl sie »nicht durch sie« geschehen (Nr. 3868, A-A XVII, 318).264 ›Durch Freiheit‹ wird demnach nur autonomes Handeln vollzogen, da es einem selbst-gegebenen Gesetz folgt und ihren Grund in der eigenen VernunftTätigkeit findet. Bei einer »Übertretung einer Pflicht«, d. h. einer an sich moralisch gebotenen Handlung, stellt der Handelnde denn auch meist nicht etwa eine Maxime auf, die er wahrlich für verallgemeinerbar hält; vielmehr glaubt er, von der pflichtgemäßen Handlung »(auch nur für diesesmal) … eine Au s n a h m e zu machen« (GMS BA 57f.). Dies setzt aber gerade die Kenntnis der Gesetzwidrigkeit und damit auch die eigene Vernunft-Fähigkeit, d. h. ein Freiheitsbewusstsein voraus. Das generelle – an die Fähigkeit der Selbstgesetzgebung geknüpfte – Freiheits-Vermögen genügt für Kant aber als Voraussetzung für die »Z u r e c h n u n g (imputatio) in moralischer Bedeutung« (MdS AB 29). Ethische und rechtliche Imputationen wären nur dann ausgeschlossen, wenn der Handelnde nicht nur im skizzierten Sinne unvermögend ist, sondern die Freiheit seiner Willensbildung in negativem und positivem Sinne unmöglich erscheint. dd) Autonomie als Grund der Würde im Recht Dieser recht lange Exkurs über das durchaus problematische Verhältnis von Freiheit und Sittlichkeit in Kants Philosophie war erforderlich, um seinen Begriff 264 Vgl. dazu und zu ähnlichen Aussagen in Kants gedruckten oder nachgelassenen Schriften: J. Timmermann, Sittengesetz, 42f. m.N.

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der Autonomie zu erläutern, der oben schon als Grund der Würde in der Ethik ausgewiesen wurde. Um ihn auch als Grund eines rechtlichen Würdeverständnisses darlegen zu können, bedarf es zusätzlicher Überlegungen. Im Recht geht es nämlich nicht in erster Linie um die Perspektive der subjektiven Selbstgesetzgebung bzw. Selbstverpflichtung der freien Willkür an den vernunftbestimmten Willen. In einer philosophischen Rechtslehre wird vielmehr die Abgrenzung inter-personaler Willkür-Freiheiten im Kontext von Handlungen behandelt. In diesem Kontext geht es um die Außenbeziehungen und nicht allein um das Selbstverhältnis des Subjekts. Der »Begriff des Rechts« betrifft nach Kant nämlich »nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere« (MdS-R AB 32 – § B). Dies gilt bereits für jede unmittelbare – selbst in noch nicht staatlich vermittelter – Beziehung der Personen zueinander, d. h. auch bereits vor und unabhängig von dem Eintritt in einen bürgerlichen Zustand (status civilis). Recht beginnt für Kant nicht mit dem Staat und ist nicht von einer staatlichen Aufgabenzuweisung her zu bestimmen. Deshalb ist die – von Klemme (s. o. S. 94ff.) aufgeworfene – Frage nach einem Widerstandsrecht für die begriffliche Bestimmung des Rechts zunächst noch ganz irrelevant. Das Verhältnis zwischen Personen im Recht lässt sich jedenfalls nicht von diesem Spezialproblem aus konstruieren, das überhaupt erst bei der Frage nach den Ordnungsbedingungen in einem Staat auftauchen kann. Immerhin geht es für Kant im Recht immer schon um die wechselseitige – symmetrische – Beziehung von Personen. Mit dem Wort Person meint er Subjekte, deren »Handlungen einer Z u r e c h n u n g fähig sind«, wie Kant in der Einleitung zu seiner Metaphysik der Sitten, d. h. für Rechts- und Tugendlehre gemeinsam, definiert. Daraus folge für die »m o r a l i s c h e Persönlichkeit« als »Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen«, dass »eine Person keinen anderen Gesetzen, als denen, die sie (entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst gibt, unterworfen ist« (MdS-R AB 22). Das in dieser Weise verwendete Wort ›moralisch‹ darf heutige Leser nicht irritieren; es bezeichnet in diesem Zusammenhang den Oberbegriff sowohl für die ethische wie für die juridische Gesetzgebung und steht nicht etwa im Kontrast zum Begriff der Rechtsperson.265 Nicht Moral und Recht, sondern Ethik und Recht werden von Kant unterschieden – unter dem gemeinsamen Oberbegriff der Moral. Dabei fällt auf, dass Kant an dieser Stelle seiner Rechtslehre für die Kennzeichnung der (moralischen) Persönlichkeit just an die Formulierung erinnert, die er bereits in seiner ›Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‹ für die Be265 Zu diesem in dieser Zeit nicht nur bei Kant üblichen Sprachgebrauch St. Stübinger, Rechtswissenschaft 2 (2011), 163ff.; J. Hruschka ARSP 88 (2002), 467 m.Fn. 18 jeweils m.N.; s.a. O. Laschet, Metaphysik und Erfahrung, 163ff./218ff.

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stimmung der »Idee der W ü r d e eines vernünftigen Wesens« verwendet hatte: die wird dort ebenfalls dadurch gekennzeichnet, dass es um ein Vernunftwesen geht, das »keinem Gesetze gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt« (GMS AB 76f.). Diese Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung ist daher die allgemeine Grundlage menschlicher Würde, die nicht auf ethische Belange begrenzt ist.266 In diesem Begründungsmoment der Autonomie einer Person scheint die von Klemme u. a. vermisste Verbindung zwischen Recht und Würde zu liegen, die sich eben nur im systematischen Begründungszusammenhang erschließt und verborgen bleibt, wenn man nur nach dem Wort ›Würde‹ im Text der Rechtslehre Kants sucht. Tatsächlich taucht diese Vokabel dort nur eher beiläufig und z. T. in einem anderen Sinne (etwa dem eines allgemeinen Statussymbol – »Würde … des Staatsbürgers«) auf. Gerade durch den Bezug zur autonomen Selbstbestimmung wird in den Begriffen der Person bzw. der Persönlichkeit jedoch bei Kant das Moment der Würde der Beteiligten konserviert. Nur im Selbstverständnis autonomer Persönlichkeiten können die Menschen als solche ein wechselseitiges Rechtsverhältnis eingehen. Auch insofern beginnt der Begründungszusammenhang beim je eigenen Selbstverhältnis der einzelnen Rechtsperson. Die Anerkennung der Autonomie der eigenen Persönlichkeit verpflichtet; die Würde wird zur (auch rechtlichen) Aufgabe. Kant formuliert nämlich »als Verbindlichkeit aus dem R e c h t e der Menschheit in unserer eigenen Person« bzw. als erste »i n n e r e « Rechtspflicht des Menschen, »e i n r e c h t l i c h e r M e n s c h (honeste vive)« zu sein, d. h.: »im Verhältnis zu anderen seinen Wert als den eines Menschen zu behaupten, welche Pflicht durch den Satz ausgedrückt wird: ›mache dich anderen nicht zum bloßen Mittel, sondern sei für sie zugleich Zweck‹« (MdS-R AB 43f.).267

Nur wer die eigene Verpflichtung als selbstzweckhafte autonome Persönlichkeit kennt, kann sich auch in einem anderen als Gleichen anerkennen. Für Kant ist nämlich gerade die »P e r s ö n l i c h k e i t « der »würdige Ursprung« und die »Wurzel« des Begriffs der Pflicht (KpVA 155/154). Allein als Rechtsperson kann ich zugleich mir und anderen gegenüber verpflichtet sein. Die Autonomie ist daher für die Rechtspersonen – ebenso wie für den Menschen als Subjekt ethischer Handlungen – gleichermaßen der Grund ihrer Würde. Eben diese »angeborene Persönlichkeit« soll den Menschen schließlich davor schützen, »bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt« zu werden, wie Kant auch in seiner Rechtslehre ausdrücklich betont (MdS-R A 193/ 196 / B 223/226). Hier springt die Verbindung zur Herleitung von Autonomie und Würde in der Grundlegungsschrift gleichsam in die Augen. An solchen 266 Vgl. R. Brandt, in: M. Brandhorst u. a. (Hg.), Sind wir Bürger zweier Welten?, 340ff. 267 Ähnlich zuvor schon T. Schmalz, Das reine Naturrecht, 39 (dazu noch unten S. 155).

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Textstellen musste das Wort ›Würde‹ von Kant gar nicht explizit verwendet werden. Es lässt sich auch ohne ausdrückliche Erwähnung deutlich herauslesen. Auch implizit kann die Bedeutung des Rechts nur mit der Würde mitbestimmt werden.268 Der Begriff des Rechts als Verhältnis zwischen Personen enthält in deren Kennzeichnung als autonome Persönlichkeiten demnach sehr wohl die Würde als grundlegende Bestimmung. Jedes Rechtsverhältnis setzt für Kant notwendig eine Relation zwischen autonomen und gerade deshalb achtungswürdigen Personen voraus. Eine Beziehung, in dem auf einer Seite die Würde des anderen missachtet wird, kann deshalb nicht als Recht bezeichnet werden. Im Staat, dessen Aufgabe insbesondere die Sicherung der schon ohne ihn – im ›Privatrecht‹ im kantischen Sinne – provisorisch möglichen Rechtsverhältnisse ist (vgl. MdS-R § 41+44, bes. A 156/163f. / B 156/193f.), kann deshalb ebenfalls nicht auf diesen Aspekt der Achtung der Würde autonomer Personen verzichtet werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn Recht und Staat begrifflich verbunden als Rechtsstaat verstanden werden soll. Hier wird sogar die Problematik der Folter als spezielle Thematik des Rechts besonders deutlich, denn für den bürgerlichen Zustand ist der Erhalt der (moralischen) Persönlichkeit im o.g. Sinne konstitutiv. Nur als autonome Person ist der Mensch Teil von Staat und Gesellschaft; die wechselseitige Anerkennung der Autonomie ist daher die Form, in der die Personen ihrer Rechte teilhaftig werden und sich als Gleiche unter Gleichen im Staat realisieren. Durch die Missachtung der Würde wird diese Teilhabe gleichsam suspendiert. Es gilt also die begrifflichen Zusammenhänge zu beachten, die für die Begründung von Recht und Staat bei Kant eine Rolle spielen: Am Anfang steht dabei der Begriff der Person, der – wie bereits (S. 96) betont – durch die Zurechnungsfähigkeit eines Subjekts bestimmt wird.269 Dabei wird die »Z u r e c h n u n g (imputatio) in moralischer Bedeutung« als »das Urteil« bezeichnet, »wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann Tat 268 Zur Relevanz der Würde für die Rechtslehre Kants s.a. T.E. Hill, in: R. Stoecker (Hg.), Menschenwürde, 159; G. Mohr, in: H.J. Sandkühler (Hg.) Menschenwürde, 25ff.; K.E. Hain, ebenda, 90f.; ders., Der Staat 45 (2006), 197f.; T. Gutmann, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 15 (2010), 27f.; H. Baranzke, zfmr 1/2010, 17ff.; dies., in: Facetten der Menschenwürde, 211f.; B. Jakl, Recht aus Freiheit, 158f.; ders., in: Human Dignity, 97ff.; N. Teifke, Prinzip Menschenwürde, 55ff.; M. Rothhaar, in: Menschenwürde (Handbuch), 83f.; O. Laschet, Metaphysik und Erfahrung, bes. 224ff.; R. Brandt, in: M. Brandhorst u. a. (Hg.), Sind wir Bürger zweier Welten?, 340ff.; H.J. Sandkühler, Menschenwürde, 110ff.; C. Enders, in: Wege zur Menschenwürde, 170ff.; s.a. A. Augustin, in: R. Stoecker (Hg.), Menschenwürde, 114ff.; differenzierend: F. Kalscheuer, Der Staat 52 (2013), 409ff.; ders., Autonomie, 226ff. 269 Ähnliche Bestimmungen zuvor schon bei J.H. Abicht, Neues System, 23ff. (25); später auch L. Bendavid, Rechtslehre, 21; D.C. Reidenitz, Naturrecht, 14.

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(factum) heißt und unter Gesetzen steht, angesehen wird« (MdS-R AB 29).270 Unter dieser Voraussetzung wird durch die folternde Erzwingung einer Tätigkeit gerade diese Imputationsmöglichkeit abgeschnitten. Wer durch Anwendung der Tortur zu einer Handlung (meist eine Aussage) gegen sich selbst gezwungen wird, dem kann dies gerade nicht als eigene freie Tat zugerechnet werden. Die erzwungene Tätigkeit wird gleichsam zur Un-Tat. Nicht der Gefolterte, sondern der Folterer ist dann der eigentliche Urheber dieses ›factums‹. Wer gefoltert wird, kann dann folglich nicht als Person angesehen und behandelt werden: Folter ist daher Ent-Persönlichung. I.d.S. spricht auch Christoph Enders davon, der Gefolterte werde »nicht länger rechtlich, sondern als entpersönlichtes Objekt fremder Zwecke behandelt«271 (siehe dazu auch unten S. 170). Der wechselseitige Begründungskontext zwischen der Freiheit als Selbstgesetzgebung und der Würde des Menschen ist deshalb nicht nur in der Ethik aktiv, sondern bleibt auch für die Kantische Rechtsphilosophie konstitutiv. Bei aller Verschiedenheit von Recht und Moral – in der notwendigen Wertschätzung der Persönlichkeit unterscheiden sie sich gerade nicht. Dieser grundlegende Zusammenhang zwischen der auf der Autonomie basierenden Würde und dem Recht als praktisches Verhältnis zwischen Personen lässt sich demnach nicht durch einen Rückschluss aus dem von Kant nicht zugestandenen Recht auf Widerstand gegen eine u. U. unrechte Herrschergewalt entkräften, wie dies Klemme zu zeigen versucht hat. c)

Heiligt des Menschen »heiligstes Recht« auf Notwehr alle Mittel?

Ebenso wenig wie aus dem von Kant abgelehnten Widerstandsrecht und der Behauptung einer vermeintlichen Irrelevanz der Würde für das Recht lässt sich aus dessen beiläufiger Hochpreisung eines vermeintlich rechtlich unbeschränkbaren Notwehrrechts eine Stellungnahme zur aktuellen Folterproblematik herauslesen. Genau dies wird aber von einigen gelegentlich behauptet; entsprechende Anspielungen finden sich etwa bei Christian Fahl (JR 2004, 191) und Reinhard Merkel (in: Die Zeit v. 06. März 2008, 46). In diesem Zusammenhang wird gerne auf einen Satz aus einem unvollständig erhaltenen Nachlassfragment Kants (Nr. 7195) verwiesen, das vermutlich aus den Jahren 1776–1778 stammt. In diesem Bruchstück heißt es, dass die »Nothwehr … der einzige Casus necessitatis gegen den Beleidiger« sei und die »Obrigkeiten, welche die selbstvertheidigung mit großer Beschädigung des anderen verbieten« woll270 Zu Kants Begriff der Zurechnung näher St. Stübinger, Rechtswissenschaft 2 (2011), 163ff.; C. Blöser, Zurechnung, 11ff. und passim jeweils m.w.N. 271 C. Enders, in: Dogma der Unantastbarkeit, 85; s.a. dens., in: »Rettungsfolter«, 142; übereinstimmend auch M. Kahlo, in: Strafrecht in der Zeitenwende, 61 m.Fn. 67; ders., in: Wege zur Menschenwürde, 390 (siehe dazu bereits oben S. 85f.).

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ten, müssten wissen, »dass sie dem Menschen sein heiligstes Recht nehmen, um dasselbe zu verwalten« (A-A XIX, 269). Nun könnte man aus der Tatsache, dass Kant eine entsprechende Einschätzung des Notwehrrechts nicht in seine zwei Jahrzehnte später gedruckten Texte zur Rechtsphilosophie übernommen hat, freilich eher schließen, dass ihm die vermeintliche ›Heiligkeit‹ der Notwehr wohl doch nicht allzu wichtig gewesen sein kann. Das angeblich ›Allerheiligste‹ wird jedenfalls nicht in der Monstranz der Druckfassung ausgestellt. In seiner ›Metaphysik der Sitten‹ ist es Kant jedenfalls nicht der Rede wert. Dennoch wird gelegentlich die These vertreten, die an dieser Stelle im Nachlass ausgesprochene Heiligkeit des Notwehrrechts spreche insbesondere gegen jedwede Einschränkung seiner Ausübung. Im Angesicht des ›Allerheiligsten‹ relativiere sich höchstens die Beachtlichkeit der Rechte des Angreifers. aa) Folter als Notwehrpflicht? In diesem Sinne hat etwa Uwe Steinhoff 2013 in seinem Buch ›On the Ethics of Torture‹ – unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die zitierte Nachlass-Stelle (Ethics, S. 134) – die Vereinbarkeit von Fällen einer Notwehrfolter mit Kants ethischen Grundsätzen und dessen Auffassung eines strikten Notwehrrechts zu zeigen versucht. Das Recht zur Verteidigung seiner Rechte sei für ein Angriffsopfer notfalls auch mit ganz drastischen Mitteln möglich. Insofern erweise sich Kants Moral- und Rechtsphilosophie als wenig zimperlich. Da Kant seinen kategorischen Imperativ auch im Übrigen sogar mit harten Strafen, Krieg und eben einer u. U. tödlich wirkenden Notwehrhandlung für kompatibel gehalten habe, müsse ebenso gelten: »since some instances of torture are instances of selfdefense, they must be compatible with the categorical imperative«. Steinhoff ist sich jedenfalls sicher : »Kantian formulas of the categorial imperativs do not prohibit self-defensive torture … the idea that Kant himself would have objected to self-defensive torture is rather silly« (Ethics, 109/111f.). Die häufig zu lesende Ansicht, aus dem deontologischen Rigorismus Kants folge zwingend ein absolutes Folterverbot (dazu oben S. 88 m.N.), erweise sich somit als Trugschluss. Insbesondere die übliche Argumentation mit »(pseudo-) concepts« wie Menschenwürde täusche über die wahre Ansicht Kants. Daher scheint es, »that Kant makes a poor patron saint for absolutist opponents of torture« (Ethics, 134). Deshalb bemüht sich Steinhoff, »to cure certain absolutist antitorture opponents of their rather ridiculous illusions about Kant’s philosophy, in particular about his stance toward self-defense and torture« (Ethics, 133). Der gewöhnliche Eindruck von der besonders respektvollen Zwischenmenschlichkeit, die innerhalb der kantischen Ethik und Rechtsphilosophie gepredigt werde, müsse demnach desillusioniert werden. Die gegenseitige Achtung, die sich die Menschen grundsätzlich schulden, könne jedenfalls nicht ausnahmslos gelten. Insbesondere in Notwehrlagen habe die Rücksichtnahme rasch ein Ende, denn

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in einer solchen Situation verletze der Angreifer nicht nur die Rechte seines Opfers, sondern auch seine eigene Würde. Wenn sich im Rahmen eines gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses einer der Beteiligten als unwürdig erweise, dann ende gleichsam jede rechtliche Verpflichtung ihm gegenüber ; aus dem Wegfall der Pflichten des Angegriffenen folge zugleich ein entsprechender Mangel am Recht des Angreifers. Daher müsse aus der Heiligkeit des Notwehrrechts nach Kant auch die Zulässigkeit einer Notwehr-Folter folgen. In rechtlicher Hinsicht könnten dann insbesondere keinerlei Einschränkungen des Notwehrrechts begründet werden, denn durch den Angriff werde der Angreifer im Verhältnis zum Angegriffenen quasi rechtlos gestellt, denn: »the unjustly attacked person owes his attacker nothing« (Ethics, 134). Da sich der Angreifer selbst nicht würdig verhält, dürfe er seinerseits auch keine würdige Behandlung mehr erwarten. Der Anspruch auf unbedingte Achtung seiner Würde ist dann gleichsam verwirkt. Daraus folge, dass etwa ein Entführer »definitely does not have a right not to be tortured« (Ethics, 134) Dies gelte für Konstellationen wie im ›Frankfurter Fall‹, den Steinhoff selbst als Beispiel für den von ihm als Modell für eine Notwehr-Folter-Konstellation diskutierten »Dirty Harry case« nennt (Ethics, 13f. u. ö.). Aus dem fehlenden Recht auf Folterfreiheit resultiere nicht nur die Berechtigung zur u. U. folternden Notwehrmaßnahme, sondern sogar die Pflicht zu einer entsprechenden Verteidigung des Rechts und der Würde des Angegriffenen. Daher gilt für Steinhoff: »according to Kant people not only have a right to self-defense; they also have a duty to self-defense« (Ethics, 133). Steinhoff stützt sich dabei vor allem auf eine extrem weite Interpretation von Kants Notwehrrecht, mit der sich Joachim Hruschka vor einigen Jahren vorgewagt hatte (vgl. den Hinweis bei Steinhoff, a. a. O., S. 133). Zum Verständnis von Steinhoffs Ansicht ist es daher nötig, kurz auf diese Deutung einzugehen, da erst durch diesen Bezug der systematische Zusammenhang dieser Interpretation deutlich wird. Nach dieser Lesart, die Hruschka freilich in einem allgemeinen Zusammenhang und ganz unabhängig von der Folterproblematik entwickelt hat, nehme Kant nicht »nur eine Notwehrbefugnis, sondern darüber hinaus eine Notwehrpflicht des Angegriffenen an«. Hruschka gelangt zu dieser steilen These durch eine Gleichsetzung des Begriffs der Notwehr mit jeder Form des Rechtszwangs; für ihn ist nämlich die in Kants »Einleitung in die Rechtslehre« erwähnte logische Verbindung des Rechts mit der »Befugnis zu zwingen« weitgehend »dasselbe wie das Notwehrrecht« (ZStW 115 (2003), 202/203f.). Dies entspricht – wie Hruschka (ebenda, S. 201) selbst eingestehen muss – weder dem derzeit geltenden Verständnis von Notwehr noch Kants eigener Begrifflichkeit; zudem scheint eine solche Konstruktion vor ihm kaum jemandem aufgefallen zu sein. Hruschka selbst verweist in seinem Aufsatz (ZStW 115 (2003), 208 Fn. 26 + 217 Fn. 61) als mutmaßliche Vorläufer seiner Deutung zum einen auf die ›Phi-

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losophischen Untersuchungen‹ von Johann Heinrich Tieftrunk aus dem Jahr 1797 (Band 1, S. 166). Tieftrunk spricht darin freilich ebenso wenig wie Kant selbst in diesem Zusammenhang von Notwehr (siehe dazu noch unten S. 140). Zum anderen nominiert Hruschka entsprechende Andeutungen von Nikolaos Bitzilekis (Die neue Tendenz, bes. S. 31) als möglichen Vorläufer seiner Deutung. Aus Mangel an weiteren Belegen bedarf es zur Herleitung dieser Ansicht zusätzlicher Begründungsschritte. Dafür muss Hruschka recht weit ausholen und zunächst daran erinnern, dass sich die von Kant mit dem Recht verbundene Zwangsbefugnis generell auf den Schutz subjektiver Rechte bezieht. Erst durch die Annahme einer solchen »moralische(n) Macht, die dadurch definiert ist, dass dem Recht eine dem Berechtigten geschuldete Verbindlichkeit des Pflichtigen korrespondiert, sich dem Recht entsprechend zu verhalten« (ZStW 115 (2003), 203), kann eine RechtPflicht-Relation konstruiert werden. Diese ist offenbar dem zivilrechtlichen Schuldverhältnis nachgebildet. Daraus resultiere die besagte Berechtigung zu zwingen, d. h. die von Hruschka so genannte Notwehrbefugnis. Jede Durchsetzung eines rechtlichen Anspruchs – z. B. die Erfüllung einer vertraglichen Verbindlichkeit – geschieht diesem Sprachgebrauch zufolge demnach ›in Notwehr‹; selbst die »Befugnis und Pflicht, die anderen zum Eintritt in den Staat (notfalls) zu zwingen«, bezeichnet Hruschka als »Notwehr zweiter Stufe« (ZStW 115 (2003), 217). Um zusätzlich noch eine entsprechende Pflicht abzuleiten, lässt er Kants System der Rechtspflichten in seine Interpretationsführung einfließen. Insbesondere aus der ersten – inneren – Rechtspflicht: »S e i e i n r e c h t l i c h e r M e n s c h (honeste vive)«, die nach Kant durch den »Satz ausgedrückt« wird: »mache dich anderen nicht zum bloßen Mittel, sondern sei für sie zugleich Zweck« (MdS-R AB 43 – siehe dazu schon oben S. 125), ergibt sich für Hruschka »nicht etwa nur eine Notwehrbefugnis, sondern eine Notwehrpflicht«. Wer es nämlich untätig zulasse, dass die eigenen Rechte durch einen anderen ungehindert verletzt werden, der mache sich selbst zum bloßen Mittel (für die Durchsetzung fremder Zwecke) und missachte die genannte Rechtspflicht. So wird aus einem passiven Zulassen einer Rechtsverletzung eine aktive Verletzung der eigenen inneren Rechtspflicht. Zur Pflichterfüllung schulde der Angegriffene daher »die Notwehr der Menschheit in seiner eigenen Person« (ZStW 115 (2003), 208/213). Hruschka stellt freilich klar, dass diese Überlegungen unmittelbar nur für den Kantischen »Naturzustand« gelten mögen, d. h. für das noch nicht staatlichfixierte Rechtsverhältnis; denn nur in jenem – privat-rechtlichen – Zustand, in dem sich die Personen noch unvermittelt gegenüberstehen, seien sie zur Verteidigung der eigenen Rechte verpflichtet. Der »Eintritt in den Staat« scheine hingegen zunächst eine Verpflichtung zur »Notwehr durch den einzelnen überflüssig zu machen«, da es nun die »Funktion des Staates« sei, die »Sicherung

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der Rechte des Bürgers« zu übernehmen (ZStW 115 (2003), S. 213/219). Gleichwohl müsse das Naturzustands-Notwehrrecht auch im staatlichen Zustand erhalten bleiben, wenn und solange der Staat diese Schutzfunktion nicht durchweg erfüllen könne; d. h. die Notwehrrechtspflicht gelte auch im bürgerlichen Zustand weiter und zwar ebenso wie dort ohne rechtlich begründbare Schranken. Da nämlich der Angegriffene dem Angreifer »nichts schuldet, schuldet er ihm auch keine Mäßigung«; eine solche maßvolle Selbstbeschränkung könne allenfalls »eine ethische Pflicht« sein (ZStW 115 (2003), 213f.). Als Beispiel für eine i.d.S. rechtlich unmäßige Ausübung des Notwehrrechts nennt Hruschka den für seine »Unverhältnismäßigkeit der Verteidigung« (ZStW 115 (2003), 222) bekannten ›Sirupflaschen-Fall‹ des OLG Stuttgart, der in DRiZ 1949, 42 abgedruckt ist: darin ging es um die letztlich tödlich endende Verhinderung der Flucht eines Mannes, der des Diebstahls eines Sirupfläschchens im Wert von 10 Pfennig verdächtig war. Die meisten sehen mit dem Oberlandesgericht in diesem Fall zu Recht ein Paradebeispiel für eine nicht mehr gebotene Notwehr, da die Ausübung des schneidigen Notwehrrechts auf Grund des allzu krassen Missverhältnisses zwischen Leben und geringwertigem Eigentum rechtsmissbräuchlich sei.272 Auch in einem solchen Extremfall hält Hruschka hingegen eine rechtliche Einschränkung des Notwehrrechts nach den von ihm entwickelten Grundsätzen der kantischen Rechtsphilosophie für nicht möglich, da dies letztlich bedeute, dass der Eigentümer gar »kein Recht auf die Flasche und ihren Inhalt« habe (ZStW 115 (2003), 223).273 Wer indes ein Recht hat, der müsse es auch zur Not bis zum Tod verteidigen dürfen (bzw. sogar müssen), selbst wenn der Gegenstand des Rechtsanspruchs nahezu wertlos sein mag. Folglich müsste es nach Hruschka quasi eine Pflicht zur Tötung des flüchtenden Diebes geben, falls dies erforderlich sein sollte. bb) Kritik der heillosen Überschätzung der Notwehr Die skizzierte Herleitung eines so extensiven Notwehrrechts und einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung, sich in einer Notlage wehren zu müssen, ist freilich an sich schon alles andere als unproblematisch: Abgesehen davon, dass die behauptete Notwehrpflicht – wie bereits erwähnt – nicht von Kants eigenem Sprachgebrauch gedeckt ist und ihm erst ›in den Mund gelegt‹ werden 272 Vgl. R. Haas, Notwehr, 252f.; M. Ladiges JuS 2011, 880; M. Köhler, Strafrecht, 270; I. Puppe Strafrecht, § 12 Rn. 17; NK-Kindhäuser § 32 Rn. 111f. m.w.N. in Fn. 105. 273 Im Ansatz ähnlich auch E. Schmidhäuser, Strafrecht AT Kap. 9/Rn. 91, der grundsätzlich den »Marktwert des betroffenen Objekts« für ganz »Unerheblich« hält und deshalb auch eine (tödliche) Notwehr im Fall eines Diebstahls einer Sache im Wert »von 10 DM oder gar 10 Pfennigen« in Erwägung zieht, im konkreten Fall des OLG Stuttgarts gleichwohl aus anderen Gründen zu einer Ablehnung des Notwehrrechts gelangt (a. a. O. Rn. 104/112); kritisch zu Schmidhäusers Ansicht z. B. C. Roxin ZStW 93 (1981), 96f.

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muss, lässt sie Kant in dieser Hinsicht auch reichlich anachronistisch erscheinen. Wenn man zunächst einmal von der rechtshistorischen Diagnose Friedrich Schaffsteins ausgehen möchte, lässt sich von wenigen Ausnahmen abgesehen im Übrigen schon bei den aufgeklärten »Schriftstellern des 18. Jahrhunderts von dem Gedanken einer Verpflichtung zur Selbstverteidigung nichts mehr« finden (Die allgemeinen Lehren, 70). Eine solche Selbstverteidigungspflicht wurde nämlich in dieser Zeit allenfalls noch mit religiösen Verbindlichkeiten assoziiert, von denen sich die Aufklärung gerade abwenden wollte. Allerdings taucht die Behauptung einer Notwehrpflicht durchaus immer wieder einmal auf: so z. B. im 19. Jahrhundert bei Heinrich Richter (Das philosophische Strafrecht, 137) und beiläufig auch bei Christian Reinhold Köstlin (Neue Revision, 726).274

(1) Notwehr zwischen Ethik und Naturrecht Tatsächlich hatte beispielweise Christian Thomasius schon um 1700 klarzustellen versucht, »daß die Vertheidigung sein selbst / wenn man von denen LehrSätzen der Religion abstrahiret / nicht zu der Verpflichtung / sondern zu der Classe der Rechte gehöre«. Die Selbstverteidigung als Standardfall der Notwehr ist für ihn jenseits einer eventuell bestehenden religiösen Verbindlichkeit allein als Berechtigung und nicht als Pflicht zu klassifizieren. Damit ist ein wichtiger Unterschied für die individuelle Dispositionsfähigkeit markiert, denn generell gilt für Thomasius bereits die »Regel: Daß ein ieder seines Rechtes sich begeben könne / nicht aber der Verpflichtung«, und dass in rein rechtlicher Hinsicht vor allem »niemand sich selbst verpflichtet« sei (Grund=Lehren, 141f./96f.). Nur über die Geltendmachung eigener Rechte soll der Einzelne selbst verfügen können, von den Pflichten hingegen könne sich niemand alleine lösen. Zur Selbstverteidigung ist man nach Thomasius deshalb zwar berechtigt aber nicht verpflichtet. Als eine Art Selbstverpflichtung könne sie allenfalls außerrechtlich gelten. In diesem Sinne formuliert etwa der Philosoph Georg Friedrich Meier einen wichtigen Grundsatz, der spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts von vielen geteilt wird: »ein jeder hat das Recht, seinen Rechten zu entsagen«, denn »der Gebrauch unserer Rechte ist keine Zwangspflicht«; selbst »Wer niemals seine Rechte unter den Menschen brauchen wolte« und deshalb »würde untergehen müssen«, der mag zwar gegen sich »selbst sündigen, und auch wider andere; allein das ist deswegen keine ungerechte Handlung« (Recht der Natur, S. 118 – § 62/S. 57f. – § 31). Ganz ähnlich formuliert dies 1795 auch Carl Christian Erhard Schmid in seinem ›Grundriß des Naturrechts‹ (S. 74 – § 156): 274 Kritisch dazu A.F. Berner, ArchCrim N.F. 1848, 556f.; A. Geyer, Lehre von der Nothwehr, 20 m.w.N.

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»Ein Recht nicht prätendiren, von einem Rechte nachlassen, oder ganz und gar Verzicht darauf leisten, oder dasselbe nicht mit Gewalt vertheidigen kann, zwar moralisch unerlaubt und unrecht seyn, ist aber keine Verletzung des äussern Rechts«.

Am Notwehr-Recht lässt sich insofern ein Exempel für die Abgrenzung zu bloß ethischen oder religiösen Pflichten statuieren. Die Selbstverteidigung wird gerade zu einer disponiblen Berechtigung des Subjekts, die nicht mehr mit moralischen oder religiösen Verpflichtungen einher gehen soll. Schließlich hat auch Johann Gottlieb Fichte kurz vor dem Erscheinen von Kants Rechtslehre in ähnlicher Weise das von ihm hergeleitete Zwangsrecht allein zu den Rechten gezählt, die er strikt von den Pflichten unterscheiden wollte, die überhaupt nicht mehr in den Bereich der Naturrechtswissenschaft gehören sollten. Daher gibt es für ihn ebenfalls »nur ein Recht zu zwingen, dessen man sich bedienen darf, oder auch nicht, keineswegs aber eine Pflicht zum Zwange«.275 Allenfalls in Verbindung mit der Tradition des kanonischen Rechts soll damals noch von einer sittlichen Pflicht zur Notwehr bzw. Nothilfe die Rede sein.276 Daher erinnert die Haltung, die Kant von Hruschka und Steinhoff in puncto Notwehr-Pflicht zugeschrieben wird, eher an die Begründung der Notwehr im klassischen – ethisch-theologisch gestützten – Naturrecht, die sich freilich entgegen der Behauptung Schaffsteins sehr wohl noch im Verlauf des 18. Jahrhunderts auf eine allgemeine – moralische oder religiöse – Pflicht zur eigenen Selbsterhaltung berufen hatte. Christian Wolff hatte in diesem Sinne beispielsweise »die Notwehre« innerhalb seiner als ›Deutsche Ethik‹ bekannten Schrift, mit dem typisch Wolff’schen Titel ›Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen‹, behandelt. Sie gehörte für ihn zu den (ethischen) Verbindlichkeiten, die aus der Pflicht, sein eigenes »Bestes zu befördern«, abgeleitet werden sollte (a. a. O., S. 607ff.). Wolffs ›Grundsätze des Natur= und Völckerrechts‹ sprechen hingegen nicht von einer entsprechenden Pflicht, sondern nur von einem »Recht sich zu wehren, oder zu vertheidigen (jus defensionis)«, wonach dem Menschen »von Natur« aus »alle Handlungen erlaubt« seien, »ohne welchen er die Beleidigung von sich nicht abwenden kann« (Grundsätze § 90 – S. 57).277 Nach der von Hruschka aufgezeigten Logik müsste Kant noch in der älteren Tradition stehen und auch für ihn sollte dann wohl weiterhin gelten, was bis Mitte des 18. Jahrhundert noch gelegentlich – allerdings nicht selten nur als ›Sünde gegen Gott‹ – vertreten wurde, 275 J.G. Fichte, Grundlage, Werke III, 96; dazu – differenzierend – H. Verweyen, Recht und Sittlichkeit, 94f. 276 Vgl. zur »eigenartigen Auffassung«, nach der »im kanonischen Recht« die Notwehr »geradezu als sittliche Pflicht« gedacht worden sei: F. Remy, Entwicklung, 19. 277 Siehe dazu N. Schneidereit JRE 22 (2014), 165.

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»dass einer aus Gewissens=Zwang schuldig seye, wider unrechten Gewalt sich zu beschützen … Der sich aber ohne natürliche Gegen=Wehre … freywilliger Weise entleiben liesse, der bringe sich selbsten um, und würde als ein Tod=Sünder mit Höllischer Pein billich gestrafft«.278

Die unterlassene Notwehr bei einem Angriff auf das eigene Leben wäre damit – rechtstheologisch betrachtet – eine Art Selbstmord in mittelbarer Täterschaft. Eine entsprechende Herleitung einer Notwehrpflicht, die der Rekonstruktion von Hruschka ähnelt, findet sich beispielsweise noch 1723 im ›Vernunfft- und Völcker=Recht‹ von Adam Friederich Glafey : »Alldieweilen nun derjenige / so mich ohne Ursach attaquiret / mir diejenigen Pflichten / so er zu meiner Conservation beyzutragen schuldig ist / verweigert / so bin ich ihn wiederum keine Pflichten weiter schuldig / mir aber bleibe ich in solchem Fall zu meiner eigenen Conservation beständig obligiret … dasselbige zu thun / weil ich aller Pflichten gegen dem andern frey und loß werde / mir aber zur Conservation … verhafftet bleibe«, weshalb die Notwehr »nicht unter die blosen Licita, sondern unter die Praecepta gehöret«.279

Glafeys Begründung ist ersichtlich noch an die naturrechtliche Pflichtenethik gebunden, die der Begründung des Rechts vorhergeht; sie geht wie selbstverständlich davon aus, dass jeder Mensch sich selbst und anderen einen tätigen Beitrag zur Erhaltung bzw. Vervollkommnung schuldet. Dieser objektive Zweck der Eigen- und Fremdperfektibilisierung schmiedet in dieser traditionellen Sichtweise das Band, das die Gemeinschaft zusammenhalten soll. Sobald jemand diese Verbindlichkeit verletzt, sollte er gleichsam aus diesem Zweckzusammenhang herausfallen. Der auf wechselseitige Förderung gestützte Gesellschaftsvertrag wird dann aufgelöst und keiner muss sich mehr an die gegenseitigen Zusicherungen halten. Ein solcher Ansatz wird jedoch unplausibel, sobald gegen Ende des 18. Jahrhunderts der Begriff des Rechts ins Zentrum der Begründung gestellt wird und die sozialvertraglichen Erhaltungspflichten in den Hintergrund treten. Dies hat beispielweise Philipp Christian Reinhard in seinem ›Versuch einer Theorie des Gesellschaftlichen Menschen‹ von 1797 aufgezeigt. Auch in einer Notwehrsituation

278 J.C. Frölich von Frölichsburg, Commentarius, 2. Traktat / 1. Buch / 4. Titul (S. 133) mit Verweis auf Carpzow sowie auf die zu dieser Zeit namentlich von Haunold vertetende Gegenansicht; s.a. die Einträge zur »Nothwehr« im ›Universal-Lexicon‹ von Zedler, Band 24 (1740), Sp. 1443f. bzw. im ›Philosophischen Lexicon‹ von J.G. Walch, Sp. 1912. 279 A.F. Glafey, Vernunfft= und Völckerrecht, 305; ähnlich formuliert er auch noch mehr als zwei Jahrzehnte später in der überarbeiteten Fassung mit dem Titel: Recht der Vernunft, 376.

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»muß man die Sache nicht so ansehen, als ob ich, weil der Andere vom Gehorsam gegen das Rechtsgesez sich lossagt, eben dadurch auch vom Gehorsam gegen dasselbe entbunden würde: als ob meine Verbindlichkeit aufhörte, weil er die seinige nicht erfüllet«, denn »die Verbindlichkeit nach dem Rechtsgeseze zu handeln, kan nicht wechselseitig bedingt seyn, weil die Forderung eines a priori vorhandenen Gesezes überhaupt nicht bedingt seyn kan« (a. a. O., S. 112f.).

Die eigene Rechtsbindung darf danach nicht unter der Bedingung stehen, dass ein anderer sich ebenfalls daran gebunden fühlt oder sich aus welchen Gründen auch immer davon befreit wähnt. Das Rechtsgesetz gilt gerade unbedingt und fordert auch dann noch Beachtung, wenn jemand diese Geltung angreift. Die (juridische) Vernunft ist das Unbedingte; ihre Ge- und Verbote sollen sich – im Kontrast zu den älteren Naturrechtslehren – nicht mehr von der empirischen Bedingung allseitiger Befolgung abhängig machen lassen. Die zuvor skizzierte Herleitung einer Notwehrpflicht ist daher noch im naturrechtlichen Begründungskontext zu sehen. Darin wurden einzelne Rechte – als bloße »Ausdrücke von Verbindlichkeiten«280 – generell aus einer traditionellen Trias von Pflichten (gegen Gott, gegen sich selbst und gegen andere) abgeleitet.281 In dieser Zeit war eine exakte Abgrenzung zwischen Recht und Ethik freilich noch schwer möglich, da in die Ableitung der besagten Verpflichtungen stets juridische, moralische und religiöse Momente weitgehend undifferenziert einflossen. Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts begnügte man sich meist mit einem Hinweis auf die formale Unterscheidung zwischen vollkommenen (Rechts-)Pflichten und unvollkommenen (Tugend-) Pflichten. Dabei fungierte als entscheidendes Abgrenzungskriterium die Zwangsbewehrung der erstgenannten, ohne dass es klare Bestimmungsmerkmale gab, wann denn jemand zur Erfüllung einer Pflicht gezwungen werden darf und wann nicht. Die Unbestimmtheit und mangelnde Brauchbarkeit dieser bis dahin gängigen Differenzierung wird spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts bemerkt. Eine entsprechende Kritik dieser Unterscheidung findet sich etwa in dem seinerzeit viel zitierten Aufsatz von Johann George Sulzer mit dem Titel ›Versuch einen festen Grundsatz zu finden, um die Pflichten der Sittenlehre und des Naturrechts zu unterscheiden‹, der zuerst 1756 in den ›Jahrbüchern der Berlinischen Akademie‹ erschienen war und später – 1773 – noch einmal in seinen ›Vermischten Philosophischen Schriften‹ publiziert worden ist (S. 389ff.).282

280 J.A. Schlettwein, Rechte der Menschheit, 48. 281 Vgl. dazu G. Hardtung, Naturrechtsdebatte, 27ff. m.N. 282 Siehe dazu D. Hüning, in: F. Grunert / G. Stiening (Hg.), Johann Georg Sulzer, 285ff. m.w.N.

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(2) Vernunftrecht ohne Pflichten Mit der Kantischen Philosophie wird dagegen meist ein endgültiger Bruch mit dieser Tradition assoziiert, der sich insbesondere auf das Rangverhältnis zwischen Rechten und Pflichten auswirken sollte (ergänzend dazu unten S. 146ff.). Einer vermeintlichen Rechtspflicht zur Notwehr einen so weiten Sinn und eine derart große Bedeutung zumessen zu wollen, ist daher bemerkenswert und weiter klärungsbedürftig. Dass Kants Rechtslehre überhaupt von Pflichten und nicht ausschließlich von – subjektiven – Rechten handelt, war gerade für viele seiner Zeitgenossen zumindest überraschend – wenn nicht sogar enttäuschend. In vielen rechtsphilosophischen Büchern, die sich vor dem Erscheinen der ›Metaphysik der Sitten‹ im Jahr 1797 durchaus im Fahrwasser der kantischen Philosophie wähnten, wurde unter Anwendung von Kants Transzendentalphilosophie ein modernes Natur- bzw. Vernunftrecht konzipiert, das in Abgrenzung zur naturrechtlichen Tradition gänzlich ohne Pflichten auskommen sollte.283 Das Recht sollte nur noch Freiheitsverletzungen verbieten oder Handlungen erlauben, d. h. Verhaltensmöglichkeiten freistellen, nicht aber zu bestimmten Verhaltensweisen verpflichten, da in einer solchen Pflicht die Reduzierung von Handlungsoptionen auf eine notwendig gesollte gesehen wurde. Rechtliches Dürfen unterscheidet sich nämlich von ethisch begründetem Sollen, das stets eine einzige Handlung mit Notwendigkeit vorstellen muss. I.d.S. wurde regelmäßig versucht, Naturrecht und Ethik gerade durch eine strikte Differenzierung zwischen Rechten und Pflichten schärfer als bisher unterscheidbar zu machen. Nicht zuletzt aus Kants moralphilosophischer Neubestimmung des Pflichtbegriffs wollten einige den Schluss ziehen, dass »alle Pflichten eigentlich in die Moral gehören«.284 Demgegenüber sei das neu zu konzipierende Naturrecht »eine Wissenschaft bloßer RECHTE«.285 So behaupte sich beispielweise nach Ansicht des jungen Schelling die »Wissenschaft des Rechts … einzig und allein im Gegensatz gegen die Wissenschaft der Pflicht«.286 Während die Ethik nach Kant nichts mehr mit der Herleitung externer Verbindlichkeiten zu tun haben sollte, sondern allein von der Selbstverpflichtung 283 Siehe hierzu und zum Folgenden eingehend W. Kersting, Kant, 209ff.; ders., Wohlgeordnete Freiheit, 151ff.; ders., in: ders./D. Westerkamp (Hg.) Am Rande des Idealismus, 89ff.; ders., Macht und Moral, 137ff. m.N. 284 G. Hufeland, Lehrsätze, 41. 285 C.L. Reinhold, Briefe 2, 150; vgl. zu Reinholds Naturrechtsverständnis: M. Bondeli, Archivio Di Filosofia LXXIII (2005), 246ff.; A. Lazzari, Das Eine, 190ff.; W. Kersting, in: ders./D. Westerkamp (Hg.) Am Rande des Idealismus, 91ff.; ders., Macht und Moral, 140ff. 286 F.W.J. Schelling, Philosophisches Journal 4 (1796), 297 (§ 69); s.a. dens., Vom Ich als Princip der Philosophie (1795), Schriften I, bes. 123f. m.Fn. 1; zur Verhältnisbestimmung zwischen Recht und Pflicht beim frühen Schelling eingehend A. Hollerbach, Rechtsgedanke bei Schelling, 94ff./106ff.; M. Hofmann, Über den Staat hinaus, 75ff.; C. Dierksmeier, Der absolute Grund des Rechts, 147ff.

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des Subjekts handelt, bleibe für das Recht nur noch die Frage der Berechtigung im Verhältnis zu anderen Personen übrig. Dementsprechend ging namentlich Gottlieb Hufeland, der damals als einer der ersten galt, der sich um die Verbreitung der kantischen Philosophie auf dem Gebiet des Rechts bemüht hat, in seinem ›Versuch über den Grundsatz des Naturrechts‹ von 1785 davon aus, dass in einer Naturrechts-»Wissenschaft blos Rechte zu lehren« seien (a. a. O., S. 221). Dabei galt die Hoffnung als berechtigt, Kant möge dies in seiner lange in Aussicht gestellten Rechtslehre ebenso sehen. Schließlich hat Kant selbst in seiner Rezension von Hufelands Schrift betont, er trete bzgl. der These, »daß die Lehre von den Verbindlichkeiten im Naturrecht überflüssig sei und oft mißleiten könne … dem Verfasser gerne bei« (A-A VIII, 128). Insbesondere die Begründung von Pflichten gegen sich selbst galt Kant als exklusives Feld der Moral. In seinen in den 1780er Jahren gehaltenen Vorlesungen zur Ethik hat er sogar selbst hervorgehoben: »die Pflicht gegen sich selbst … wird nicht juridisch betrachtet, denn das Recht betrift nur ein Verhältniß gegen andere Menschen, Recht kann nicht gegen mich selbst beobachtet werden, denn was ich gegen mich selbst thue, das thue ich mit meiner Einwilligung, ich handele nicht wieder die Gerechtigkeit, wenn ich wieder mich selbst handle«.287

(3) Kants Neubegründung von Rechtspflichten Erst in den 1790er Jahren scheint Kant seine diesbezügliche Meinung geändert zu haben. Laut den »Bemerkungen aus dem Vortrage des Herrn Kant über Metaphysic der Sitten« von Kants Rechtsberater Johann Friedrich Vigilantius aus dem Jahr 1793/94 erwägt Kant die Annahme von Rechtspflichten gegen sich selbst, wobei er zugleich beklagt: »Die einzelnen Rechte der Menschheit oder die strengen Pflichten gegen sich selbst (diff. von Pflichten der Menschheit gegen ihn als Mensch) sind bis jetzt noch nicht systematisch entwickelt, sondern sind blos gesammelt. Es fehlt an dem princip, aus dem sie abgeleitet werden müssen«.

Gleichwohl wird in dieser Vorlesungsmitschrift Kants Auffassung bereits wie folgt wiedergegeben: »Kurz. angenommen. es giebt Pflichten gegen sich selbst, so sind d i e R e c h t s p f l i c h t e n g e g e n s i c h s e l b s t d i e h ö c h s t e n P f l i c h t e n u n t e r a l l e n . Sie betreffen das correspondirende Recht der Menschheit in seiner eigenen Person. sind daher vollkommene Pflichten und jede Pflichthandlung wird von dem Recht der 287 I. Kant, Vorlesung zur Moralphilosophie, 169; ebenso ders., Vorlesung über Ethik, 130; siehe dazu auch J.M. Finnis, Columbia Law Review 87 (1987), 433f.

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Menschheit unerläßlich gefordert, und ist an und für sich selbst Pflicht« (A-A XXVII, 604).288

Allerdings betont Kant in der Einleitung zur Druckfassung seiner ›Metaphysik der Sitten‹ dann zunächst noch einmal insbesondere zur Abgrenzung zwischen Rechts- und Tugendlehre, »dass alle Pflichten bloß darum, weil sie Pflichten sind, mit zur Ethik gehören«. Allerdings müsse die Ethik manche »Pflichten aus der Rechtslehre als gegeben« annehmen; dazu gehören aber ausdrücklich nicht die »besondern Pflichten« der Ethik, namentlich »die gegen sich selbst« (MdS-R AB 16/18).289 Dass er in der danach erfolgenden ›Einteilung der Rechtslehre‹ dann doch von einer (inneren) Rechtspflicht spricht, die »aus dem R e c h t e der Menschheit in unsrer eigenen Person« quasi gegen uns selbst gerichtet ist (a. a. O. AB 43), wurde schon von einigen Zeitgenossen als zumindest missverständlich angesehen. So hat etwa Heinrich Stephani in seinen ebenfalls 1797 erschienenen ›Anmerkungen zu Kants metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre‹ zur Vermeidung möglicher Missverständnisse vorgeschlagen, statt von Rechtspflicht »das Wort Verbindlichkeit« zu benutzen, um das »Wort Pflicht … ganz der Moral überlassen« zu können (a. a. O., S. 58f.). Kant selbst hatte den ersten der drei sog. Ulpian’schen »Grundsätze … Honeste vive« zunächst nicht zum Recht gezählt, sondern als »principium der Ethic« bezeichnet und erst in der Druckfassung der ›Metaphysik der Sitten‹ als innere Rechtspflicht deklariert.290 Bis heute ist vor allem die Einordnung des (bereits oben S. 125/130) erwähnten Grundsatzes »honeste vive« als echter Rechtspflicht in der Kant-Literatur umstritten.291 Hruschka selbst hält diese Aufforderung, ›Sei ein rechtlicher Mensch‹, wohl nicht für eine echte Rechtspflicht, sondern für eine diesen vorgelagerte innere Verpflichtung, den Standpunkt des Rechts überhaupt erst einzunehmen.292 Eine solche Rechtspflicht lässt sich freilich dadurch erklären, dass ein Rechtsverhältnis zwischen Personen eben davon abhängt, dass die beteiligten auf beiden Seiten nicht nur auf die Persönlichkeit des anderen, sondern auch auf die eigene achten müssen. Ein echtes Rechtsverhältnis kann nur knüpfen, wer mit der Wahrung der eigenen personalen Autonomie bei sich selbst anfängt. 288 Siehe dazu auch V. Dur‚n Casas, Pflichten, bes. 49ff.; C. Horn, Nichtideale Normativität, 139f. 289 Hierzu und zum Folgenden auch W. Kersting, Kant, 54ff. 290 I. Kant, Vorlesung zur Moralphilosophie, 76; s.a. dens., Vorlesung über Ethik, 58; vgl. dazu auch R. Brandt, in: M. Brandhorst u. a. (Hg.), Sind wir Bürger zweier Welten?, 326ff. m.w.N. aus anderen Schriften Kants. 291 Vgl. dazu P.-A. Hirsch, Kants Einleitung, 58ff.; R. Brandt, in: M. Brandhorst u. a. (Hg.), Sind wir Bürger zweier Welten?, 323ff. jeweils m.N. 292 B. S. Byrd / J. Hruschka ARSP 91 (2005), 496f.; dies., Kant’s Doctrine of Right, 65f. m Fn. 86.

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Diese Schlussfolgerung wird durchaus schon vor der Publikation von Kants eigener Rechtslehre aus dessen philosophischen Grundeinsichten gezogen. So betont etwa Johann Benjamin Erhard 1795 in seiner eigenen »Deduction der Menschenrechte« in seiner Schrift ›Ueber das Recht des Volks zu einer Revolution‹: nur wer die eigene Selbstzweckhaftigkeit bewahrt und sich als Person zu anderen in Beziehung setzt, kann sie auch in seinem Gegenüber anerkennen. Die eigene »Würde« der Person, die für ihn in der Fähigkeit zur »Selbstbestimmung aus Einsicht« und dem »Selbsturtheil über Recht und Unrecht« liegt, verpflichtet; sie ist »die Quelle der Pflichten gegen sich selbst«, die »unter dem allgemeinen Gesetz« stehen: »z e i g e P e r s ö n l i c h k e i t i n a l l e m , w a s d u t h u s t « (a. a. O., S. 1/16/36). In diesem Sinne hatte auch Johann Christian Gottlieb Schaumann in seinem ›Versuch eines neuen Systems des natürlichen Rechts‹ bereits knapp ein Jahr vor Veröffentlichung von Kants ›Metaphysik der Sitten‹ von dem »unbedingten Auftrag« jedes Menschen, »eine Person zu seyn«, gesprochen (Versuch, 150). Jeder muss sich demnach selbst als autonome Persönlichkeit in das gegenseitige Rechtsverhältnis einbringen. Die Leugnung oder tätige Preisgabe der eigenen Personalität macht ein Rechtsverhältnis nämlich unmöglich; die eigene Persönlichkeit kann nicht von anderen gestiftet werden, sondern hängt von der individuellen Autonomie ab. Daher meinte schon Jacob Sigismund Beck in seinem ›Commentar über Kants Metaphysik der Sitten‹, diese erste Rechtspflicht sage überhaupt »die Möglichkeit: Rechte zu haben, aus, die Rechtlichkeit selbst des Menschen« (Teil 1, S. 117). Diese Rechtlichkeit hat der Mensch an sich und jeder muss sie zunächst auch für sich einsehen und behaupten. Ganz in diesem Sinne hat schließlich später auch Hegel in § 36 seiner ›Grundlinien der Philosophie des Rechts‹ das fundamentale »Rechtsgebot« zuallererst an jeden Einzelnen gerichtet: »sei eine Person«. Wer sich selbst nicht als solche Rechtspersönlichkeit begreift, kann auch den zweiten Schritt des Rechtsgebots nicht erfüllen: »und respektiere die anderen als Personen« (Werke 7, 94).293 Die wechselseitige – inter-personale – Anerkennung, setzt auch die Selbsterkenntnis und tätige Aufrechterhaltung der eigenen Rechtspersönlichkeit voraus.294 Von den ethischen Pflichten gegen sich selbst unterscheidet sich diese innere Rechtspflicht daher durch ihren notwendig inter-personalen Bezug. Die Verpflichtung gegenüber der ›Menschheit‹ als der die Menschen als Vernunftwesen verbindenden Instanz nimmt Kant als Prämisse für die Möglichkeit des einen von einem anderen verpflichtet zu werden und diesen seinerseits verpflichten zu 293 Siehe zu dieser berühmten Stelle M. Köhler, JRE 14 (2006), 436; M. Städtler, Hegel-Jahrbuch 2014, 302ff.; St. Stübinger, in: Autonomie und Normativität, 92ff. m.w.N. 294 Zur Wechselseitigkeit der tätigen Anerkennung als Voraussetzung des Rechts s.a. schon P.C. Reinhard, Versuch, 95ff.

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können. Ein Rechtsverhältnis setzt eine wechselseitige Verpflichtung, d. h. Rechtspflichten auf beiden Seiten, voraus. Eine einseitige Pflichtverletzung löst jedoch noch nicht die Rechtsförmigkeit dieses Verhältnisses auf. (4) Anhaltende Begründungsprobleme Heute wird allerdings vielfach schon die bloße Möglichkeit von Rechtspflichten gegen sich selbst aus generellen normtheoretischen Erwägungen heraus bestritten.295 Ganz speziell soll jedenfalls keine Notwehrpflicht anzunehmen sei.296 Aber selbst wenn sich – trotz dieser Bedenken – mit einer stattlichen Tradition, in der Kant steht, solche – inneren – Rechtspflichten begründen ließen, bleibt eine unaufgelöste Spannung zwischen der von Hruschka und ihm folgend auch von Steinhoff behaupteten Notwehrpflicht zur Abwendung von Angriffen auf die eigene Person und dem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz des volenti non fit iniuria.297 Es gilt nämlich seit langem als weitgehend akzeptiert, dass ein Rechtssubjekt sehr wohl sein Einverständnis bzw. seine Einwilligung in eine Einbuße seiner Rechte erklären kann – mit der Folge, dass in einem solchen Eingriff dann kein Unrecht gesehen werden darf. Sowohl die Selbstschädigung als auch eine zugelassene Verletzung durch Dritte gilt als Form der Nutzung des eigenen Rechts und nicht als dessen Verletzung. Die angeblich zu unterstellende Rechtspflicht, die Verletzung eigener Rechte unter allen Umständen zu verhindern, kollidiert daher geradezu mit dem anerkannten Recht, auf diesen Selbstschutz ebenso gut verzichten zu können, d. h. mit der rechtlich gewährten Dispositionsbefugnis über die eigenen – subjektiven – Rechte. Niemand kann zugleich zur Abwehr gegen Rechtsverletzungen verpflichtet sein und dennoch das Recht haben, in diese rechtswirksam einzuwilligen. Pflichten drücken ein Sollen mit Notwendigkeit aus. Der dahin zielende Hinweis auf eine Verpflichtung gegenüber der ›Menschheit‹ in der eigenen Person führt zu einer Objektivierung des subjektiven Rechts, die insofern beinahe einer Enteignung des Rechtssubjekts gleichkommt. Der Einzelne wird zum bloßen Sachwalter des objektiven Rechts »der Menschheit«. Eben dies hatte bereits der von Hruschka (wie oben S. 130 erwähnt) als Zeuge für seine Ansicht bemühte J.H. Tieftrunk schon 1797 in seiner Kommentierung zur Rechtslehre Kants bemerkt: »Jeder Mensch muss sich als Repräsentant der Menschheit … betrach295 So etwa – in jeweils anderen Zusammenhängen – ganz pauschal: R. Merkel, Früheuthanasie, 396f.; H. Putzke u. a., ZStW 121 (2009), 630; G. Lohmann, in: Würde und Autonomie, 20; s.a. schon E.R. Bierling, Prinzipienlehre I, 21ff./169ff., bes. 189. 296 Vgl. A. Grünewald ZStW 122 (2010), 62f.; A. Engländer, Roxin-FS II, 658; A. Coninx, Solidaritätsprinzip, 18. Speziell gegen die Ableitung einer Notwehrpflicht aus der Rechtsphilosophie Kants auch M. Pawlik ZStW 114 (2002), 268 m. Fn. 49. 297 Vgl. den entsprechenden Hinweis bei J.C. Joerden, in: Kant und die Zukunft der europäischen Aufklärung, 458f.

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ten«, weshalb niemand als »arbiträrer Herr seines Lebens, seines Körpers und der Gliedmaßen desselben« angesehen werden könne; somit treffe eine Rechtsverletzung stets nur »zufälligerweise« einen bestimmten Menschen, während sie »objektiv« insofern »alle Subjekte der Menschheit« treffen soll (Philosophische Untersuchungen 1, 162/165f.). Für eine Dispositionsbefugnis über die verwalteten Rechte bleibt dann nicht viel Raum. Diese Begründungsschwierigkeit, die Hruschka selbst nur ganz beiläufig (ZStW 115 (2003), S. 215 m. Fn. 51) erwähnt, aber nicht näher behandelt, ist in echten Notwehrlagen, um die es Uwe Steinhoff in seiner Übernahme der These von der vermeintlichen Notwehrpflicht nach Kant geht, freilich nicht akut, da eine mögliche Einwilligung in die Rechtsverletzung, mit der die behauptete Pflicht kollidieren könnte, ohnehin nicht in Betracht kommt. Gleichwohl bleibt noch ein weiteres Problem: es fragt sich nämlich, ob ein dermaßen stark gemachter Begriff der Notwehr(pflicht) tatsächlich derart schrankenlos formuliert werden kann, dass er auch die Folter als Mittel der Abwehr begründen könnte bzw. diese sogar selbst zur Pflicht macht, wie dies von Steinhoff (Ethics, 134) unter Inanspruchnahme dieser Interpretation behauptet wird. Der skizzierte Ansatz geht offenbar davon aus, dass sich in Notwehrlagen die Beziehung zum Angreifer überhaupt nicht mehr als Rechtsverhältnis darstellen lässt. Durch den Angriff kündigt dieser gleichsam die rechtliche Verbindung zum Opfer restlos auf. Die Folge davon sei dann, dass auch der Angegriffene aus dem rechtlichen Rahmen fallen dürfe. Danach besteht aber zumindest zwischen den unmittelbar Beteiligten gar kein Rechtsverhältnis mehr. Dies würde allerdings die mühsam aufgestellte Behauptung einer Rechtspflicht zur Notwehr ins Leere laufen lassen. Wenn nämlich mit jedem Angriff ohnehin das Rechtsverhältnis endet, dann kann auch keine Rede von rechtlichen Pflichten mehr sein. Außerhalb dieser Beziehung kann das Recht nämlich niemanden verpflichten. Rechtliche Verbindlichkeit kann es nur innerhalb des Rechts geben. Aber auch die Notwehrhandlung wäre dann jedenfalls nicht mehr als Recht zu bezeichnen, sondern schlicht ›Nicht-Recht‹. Es gibt freilich wenig Anlass zu der Vermutung, dass eine solche Vorstellung, die eher an die von Fichte für andere Fallkonstellationen vertretene sog. »Exemptionstheorie« erinnert (vgl. dazu unten S. 360f.), aus der Rechtslehre Kants herausgelesen werden kann. Voraussetzung für den Begriff des Rechts ist nach Kant gerade die wechselseitige Anerkennung der Persönlichkeit. Wie oben (S. 96) bereits erwähnt betrifft der »Begriff des Rechts« für Kant stets das »äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere« (MdS-R AB 32). Eine Pflicht gegenüber der ›Menschheit in eigener Person‹ ist dabei an die Anerkennung der ›Menschheit in der Person des anderen‹ geknüpft. Gegenüber anderen Wesen oder Dingen, denen dieses verbindende Moment fehlt, ist kein vergleichbares (Rechts-)Verhältnis möglich. Dies meint bei Kant aber nichts

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anderes als die auf Autonomie gegründete Würde des Menschen. Es ist gerade dieser Begriff der ›Menschheit‹, der als das Allgemeine die besonderen Subjekte verbindet und rechtliche Verbindlichkeit stiftet: Menschheit verpflichtet! Die ›Menschheit‹ ist für Kant gleichsam der Erkenntnisgegenstand, der in jedem Menschen anerkannt werden soll. Diese Erkenntnis beginnt beinahe notwendig am Beispiel der ›Menschheit in der eigenen Person‹, d. h. als Selbst-Erkenntnis, da wir nach Kant die Freiheit als Autonomie an uns »nur durch den m o r a l i s c h e n I m p e r a t i v, welcher ein pflichtgebietender Satz ist«, kennen können. Daher ist die Existenz einer innerer Rechts-Pflicht gegen sich selbst für Kant wichtig, um an der Erkennbarkeit der eigenen Verpflichtung – und nur diese Pflicht kann mit der Einsicht von Freiheit verbunden sein – einen Ausgangspunkt für die Aufnahme eines Rechtsverhältnisses begründen zu können. I.d.S. betont er dann, dass aus diesem »m o r a l i s c h e n I m p e r a t i v … nachher das Vermögen, andere zu verpflichten, d.i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden kann« (MdS-R AB 48). Darin liegt keine Ableitung von Rechten aus Pflichten im traditionellen naturrechtlichen Sinne. Im Unterschied zu der skizzierten Tradition geht es bei Kant einzig um den Grund der Verpflichtung. Dieser liegt in der praktischen Erfahrung der eigenen Freiheit und er erfährt in Form der Anerkennung der gleichen Freiheit anderer Personen seine Entfaltung. Verpflichtet werden kann nur jemand, der diese Pflicht selbst erkennen kann. Aus diesem Grund kann nur im »Verhältnis von Menschen zu Menschen« ein »reales Verhältnis zwischen Recht und Pflicht« gefunden werden (MdS-R AB 50f.). Aus der Selbst-Verpflichtung folgt für Kant schließlich sogar eine Pflicht zur »Bezeigung der Achtung vor dem Menschen« und daraus ein entsprechendes »Recht«, denn »jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinem Nebenmenschen«, d. h. jeder »ist verbunden, die Würde der Menschheit an jedem anderen Menschen praktisch anzuerkennen« (MdS-T §§ 40/38 – AB 142/140). Achtung mag zwar ein Gefühl sein, doch es bleibt nicht bloß abzuwarten, bis es sich einstellt; jene Achtung wird uns geradezu abgenötigt. In diesem Sinne hat schon Friedrich Schiller in seiner berühmten Abhandlung ›Über Anmut und Würde‹ »das Gefühl, welches Achtung genannt wird und von der Würde unzertrennlich ist«, als »Forderung reiner praktischer Vernunft« bezeichnet, denn jene Achtung »beugt sich vor ihrem Gegenstande«, d. h.: »Achtung ist Zwang«. Da sie eine »eher drückende Empfindung« sei, »darf die Achtung nicht mit der Hochachtung« verwechselt werden, die ein »freieres Gefühl« sei. Nur die Hochachtung gehe »auf die wirkliche Erfüllung des Gesetzes« und beziehe sich auf »die Person«, die dem Sittengesetz »gemäß handelt« (Werke V, 482f. m. Fn. 1). Demgegenüber ist die Achtung nicht auf Personen beschränkt, die sich selbst erst als würdig erweisen müssen. Im Umkehrschluss besteht nach dieser Kantischen Begründungslogik ohne

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ein äußeres Rechtsverhältnis auch keine innere Selbstverpflichtung gegenüber einem Recht der Menschheit im einzelnen Subjekt. Recht bedeutet nach Kant eine Beziehung zwischen (mindestens zwei) Menschen, die sich wechselseitig als Personen anerkennen; es beschreibt nicht eine Eigenschaft eines einzelnen. Wenn es um Recht geht, ist der Erhalt einer solchen Inter-Personalität begriffsnotwendig. Soll die Persönlichkeit als solche nicht mehr anerkannt werden, handelt es sich um Akte jenseits des Rechts. Dies schließt Behandlungsarten schlechterdings aus, die in einer Handlungssituation dem Gegenüber die Würde als wesentlichem Bestandteil seiner Persönlichkeit absprechen. Auch wenn sich ein Angriff als schlimmstes Verbrechen darstellen mag, das die Würde des Opfers (und zugleich auch des Täters selbst) missachtet, so muss im Verbrecher dennoch weiterhin eine autonome und damit der Würde fähige Person gesehen werden, die auch entsprechend zu behandeln ist. Ein Delinquent wird nicht zum recht- und würdelosen Freiwild. Selbst das Angriffsopfer schuldet daher – soweit es um eine rechtsförmige Reaktion gehen soll – dem Angreifer nicht nichts (wie Hruschka und Steinhoff behaupten).298 Erst recht gilt die anhaltende Achtung der Würde auch des Verbrechers nach kantischen Gesichtspunkten, wenn es um die Beschreibung des Rechtsverhältnisses im sog. ›bürgerlichen Zustand‹ geht. Dieser soll die bereits im ›Naturzustand‹, der für Kant gerade nicht rechtlos ist, bestehende inter-personale Rechtsbeziehung als Dauerverhältnis garantieren. Die wechselseitige Anerkennung der Persönlichkeit bildet hierbei für Kant den Grund für die – äußere – Rechtspflicht, gemeinsam mit anderen in einen solchen Zustand zu treten. Ein Unrechtsakt löst dieses Sozialverhältnis jedoch nicht auf und verschafft keine Legitimation, mit nicht-rechtsförmigen Behandlungen zu reagieren.

V.

Folter als Rechts(staats)problem

Die ausführliche Behandlung der Philosophie Kants sollte u. a. hinreichend deutlich gemacht haben, dass ein Einsatz der Folter die Würde des Menschen betrifft und dabei nicht nur ein Problem der Ethik darstellt, sondern gerade als Rechtsproblem behandelt werden muss. Im Vergleich zur rechtlichen bleibt die ethische Perspektive sogar noch zu abstrakt. Soweit durch eine Vermittlung ethischer Grundüberzeugungen die Folterproblematik lediglich an die Moralphilosophie delegiert werden soll, übergeht dieser Verweis die spezifisch rechtliche Dimension, die immer dann anwesend ist, wenn es um die staatliche Folter geht. Eben dies wird jedoch durch die skizzierte Unterscheidung zwischen 298 Zur anhaltenden Anerkennung der (Rechts-)Persönlichkeit eines Angreifers allgemein auch D. Klesczewski, Wolff-FS, 226; A. Grünewald ZStW 122 (2010), 62 m.w.N.

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Deontologie und Utilitarismus erreicht; sie empfiehlt dem Recht die Übernahme abstrakter Prinzipien. Sicherlich lässt sich ebenso über die Abscheulichkeiten von Folterungen im Verhältnis zwischen Privatpersonen zueinander reden. Durch die Verwicklung von Amtspersonen des Staates erhält die Frage der Tortur jedoch eine andere Qualität als Rechtsproblem. Stets geht es insoweit dann zusätzlich noch um die Konstitutionsbedingungen des Rechtsverhältnisses zwischen dem Staat und seinen Bürgern bzw. – sofern es um elementare universelle Grundrechte geht – sogar zwischen Staat und Mensch. Nicht nur historisch, sondern auch normativ ist die Idee des Rechtsstaats und die in ihm zu sichernde Anerkennung der gleichen Würde aller Rechtspersonen notwendig auch mit dem Folterverbot verknüpft.299 Ebenso kann auch die politisch verordnete und organisierte Anwendung von Folterpraktiken mit Unrechtsstaaten assoziiert werden. Schließlich darf in der rechtlich sanktionierten Abschaffung der Tortur ein Meilenstein in der Durchsetzung rechtsstaatlichen Denkens gesehen werden. Darin ist keineswegs ein eher zufälliges Geschichtsereignis zu sehen, das allein der gewonnenen Einsicht in die mangelnde Effektivität der Verhörpraktiken geschuldet ist (dazu oben S. 76 m.N. in Fn. 170). Vordergründig mögen es durchaus berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit gewesen sein, die geholfen haben, die Folter abzuschaffen. Der Mangel an Effektivität wäre indes für sich allein noch kein nachhaltiges Argument. Wer sich allein auf diese Effizienzkriterien stützt, bleibt für die Verlockungen der Tortur empfänglich. Deshalb war es vielleicht kein Zufall, dass einige Autoren, die sich grundsätzlich für die Abschaffung der Folter hauptsächlich wegen der offenbarten Unzuverlässigkeit dieser Wahrheitsbeschaffungsmaßnahme eingesetzt haben, sich für bestimmte Situationen eine Einsatzmöglichkeit der Tortur offenlassen wollten; so namentlich etwa Jeremy Bentham in seinem Prototyp des ›ticking bomb-scenario‹ (dazu oben S. 65 m.N.) oder auch Joseph von Sonnenfels zum Zweck der »Entdeckung der Mitschuldigen«.300 Neben den Hinweisen auf die Ineffizienz wurde im Rahmen der Kritik an der Folterpraxis nicht zuletzt auch deren Unrechtmäßigkeit beklagt. So wird etwa in dem anonym erschienen Buch ›Zur Minderung des menschlichen Elends‹ von 1775 gefragt, ob »die Vorrechte eines gefangenen Bürgers nicht durch die Tortur beleidigt« werden, da man doch »durch unmenschliche Handlungen die Menschheit entehren« könne (ebenda, S. 33f.). Bereits nach naturrechtlichen Grundsätzen konnte nämlich behauptet werden, »daß die Tortur gegen alle 299 Hierzu und zum Folgenden J. Reemtsma, Folter, bes. 80ff./122ff.; ders., in: Rückkehr der Folter, 71ff.; St. Stübinger, (Fn. 40), 277ff., bes. 310ff.; s.a. H. Bielefeldt, in: Menschenwürde, 49f.; allgemein zur Bedeutung der Würde für die Idee des Rechtsstaats: H. Hofmann AöR 118 (1993), 369f.; C. Raat, in: Importance of Ideals, 102ff. 300 J. v.Sonnenfels, Abschaffung der Tortur, 81 (ff.). Siehe zur Argumentation von Bentham und Sonnenfels eingehend C.C. Herbst, Aussageerzwingung, 52 ff/58ff.

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Vernunfft und wider die Rechte der Natur streite«. Als oberster Grundsatz galt damals das Recht auf Selbsterhaltung. Danach »ist der Mensch schuldig vor seine selbst=eigene Conservation so viel als möglich zu sorgen« und deshalb sei niemand »schuldig … gegen sich selbsten etwas Widriges vorzunehmen«. Hieraus konnte etwa Johann Ludwig Wiederholdt bereits 1739 in seinem Buch ›Christliche Gedancken von der Folter oder Peinlichen Frage‹ sogar einen Anspruch auf Selbstbelastungsfreiheit ableiten, der durch die Folter missachtet werde, denn »durch die empfindlichste Marter« müsse sich der Gefolterte »selbst verrathen« und so werde ein Mensch durch die Folter »zu einem selbst=Verräther« (Christliche Gedancken, 124f. – ähnlich schon ebenda, S. 102f.). Die Überlegungen zur Unzulässigkeit der Folter gehen dann jedoch erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts einher mit einer grundlegenden Reform des Verständnisses von Recht und den bestimmenden Grundbegriffen in der Entwicklung vom klassisch-neuzeitlichen Naturrecht zum Vernunftrecht im Rahmen der Aufklärung. Auch wenn die traditionelle Bezeichnung ›Naturrecht‹ noch in vielen einschlägigen Werken am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts als Titel beibehalten wurde (vgl. z. B. die einschlägigen Veröffentlichungen von Schaumann, Schmalz, Schmid, Heydenreich, Fichte), so ändern sich darin doch die wesentlichen Inhalte der Herleitung des Rechts. Deshalb hat Friedrich Schlegel in seiner Vorlesung über ›Transcendentalphilosophie‹, die er 1800/1801 gehalten hat, sicherlich zu Recht betont: »Man sollte das NaturRecht lieber Vernunftrecht nennen« (a. a. O., S. 44 Fn. 1). Unabhängig von der Bezeichnung wird jedenfalls erst durch den inhaltlichen Wandel, der sich maßgeblich in den Jahrzehnten um 1800 vollzogen hat, die Folter zur rechtlichen Unmöglichkeit. Ganz entscheidend verändert sich dabei die Bestimmung des Verhältnisses der Menschen zueinander und daraus folgend auch zum staatlichen Gemeinwesen. Dieser umfassende Theoriezusammenhang muss daher berücksichtigt werden, wenn die gesamte Vielfalt der Folter-Problematik angemessen verstanden werden soll. Dabei wird zugleich deutlich, dass sich die Behauptung eines strikten Folterverbotes, das selbst in tragischen Notsituationen durchgehalten werden soll, nicht allein hinter gegenwärtigen Gesetzestexten verstecken muss; sie sind ohnehin nur der aktuelle Ausdruck eines vorpositiven Rechtsbegriffs. Das positive Recht ließe sich ändern, dadurch würde jedoch der Begründungsanspruch eines auf der Würde der Personen basierten Rechtsverständnisses noch keineswegs widerlegt sein. Historisch musste sich der vernunftrechtliche Rechtsbegriff ja gerade gegen die entgegenstehende Gesetzeslage durchsetzen. Insofern ist es zweitrangig, ob in nationalen oder internationalen Regelungen oder gar in der Verfassung eines Landes eine entsprechend positive Vorschrift existiert oder nicht. Die Einbeziehung der geistesgeschichtlichen Grundlagen darf daher nicht

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etwa als nostalgischer Rückblick missverstanden werden, der sich an einer bereits weit zurückliegenden Epoche orientieren möchte. Diese philosophiehistorisch wirksame Arbeit an dem Rechtsbegriff ist vielmehr auch in systematischer Hinsicht noch immer maßgeblich. Einige jener Begründungsmomente, die hier als vernunftrechtliche Basis des Personen- bzw. Würdebegriffs rekonstruiert werden (nachfolgend unter bb) – S. 154ff.), sind auch Gegenstand anderer Reaktualisierungen in der gegenwärtigen Ethik und Rechtsphilosophie: so hat beispielsweise Stephen Darwall in seinem viel diskutierten Buch ›The SecondPerson Standpoint‹301 (zuerst 2006) den Begriff der Würde u. a. in ausführlichen »Variations on Fichtean Themes« vorgetragen (S. 243, bes. 252ff.); der amerikanische Philosoph Samuel J. Kerstein hat in seinem nicht nur dem Titel nach stark von Kant beeinflussten Buch ›How to treat Persons‹ u. a. »a new account of the dignity of persons« mit einem ausführlichen »Kant-Inspired Account of Dignity« zu klären versucht (S. 116/124 (ff.); schließlich hat Rainer Zaczyk in seiner 2014 erschienenen rechtsphilosophischen Untersuchung ›Selbstsein und Recht‹ in Anknüpfung an die Begründungsleistung dieser Philosophie noch einmal die begriffsnotwendigen Verknüpfungen zwischen selbstbewussten Subjekten, ihrer Würde und der Legitimation des Recht in Erinnerung gerufen. Die hier zu rekonstruierende Geschichte ist daher nicht etwa leblose Materie einer längst vergangenen Zeit, sie ist vielmehr in ihrer Begründungsleistung bis heute unübertroffen und wohl nicht zuletzt aus diesem Grund noch immer aktuell und aktiv.

1.

Historische Errungenschaften

Im 17. und frühen 18. Jahrhundert herrscht die neuzeitliche naturrechtliche Tradition. Damals galt die Vorstellung von einer gott-gewollten Ordnung. In dieser wohlgeordneten Welt konnten primär Pflichten für den einzelnen Normunterworfenen abgeleitet werden (dazu schon oben S. 135 m.w.N.). Durch die um 1800 einsetzende vernunftrechtliche Neubegründung wird demgegenüber der Begriff des (subjektiven) Rechts ins Zentrum gestellt. Wie namentlich 301 Darwalls Buch war inzwischen Thema einiger Tagungen: siehe etwa die Symposion-Beiträge in der Zeitschrift ›Ethics‹ 118/No. 1 (2007); die Aufsätze im ›Loyola of Los Angeles Law Review‹ Vol. 40/3 (2007), sowie die Diskussionsbemerkungen in der ›Deutschen Zeitschrift für Philosophie‹ Band 57/1 (2009), bes. den Beitrag von Peter Schaber zu Darwalls Würdeverständnis (S. 169ff.); s.a. P. Schaber, Menschenwürde, 55f.; S. Schmetkamp, Respekt, 59ff. Darwall hat 2013 zwei weitere Bände (›Morality, Authority, and Law‹ sowie ›Honor, History, and Relationship‹) mit Essays veröffentlicht, die seine Position einer »SecondPersonal Ethics« (so der jeweilige Untertitel) in systematischer und philosophiehistorischer Hinsicht bekräftigen sollen.

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Johann Benjamin Erhard betont hat, soll es nicht mehr um die Gründung des positiven Rechts auf ein »natürliches (der moralischen Natur des Menschen angemessenes)« Normengefüge gehen. Das Vernunftrecht resultiert für ihn und seine Zeitgenossen vielmehr aus einer Art Destillation des bloß zufällig gegebenen, indem das positive Recht erst noch »durch die Aufklärung bis zum natürlichen gereinigt« werden soll.302 Das vorgefundene Rechtssystem gilt dann nicht mehr als Gabe Gottes oder der Natur. Das Naturrecht wird vielmehr selbst zum Produkt der Vernunft, nicht nur zu ihrem vorgegebenen Gegenstand. Auch die Positivierung des richtigen Rechts wird dann zur Aufgabe der Rechtsgenossen und kann zumindest begründungstheoretisch nicht mehr dem Belieben eines Souveräns überlassen bleiben. So bemerkt etwa Kant in seinen ›Vorarbeiten zur Einleitung in die Rechtslehre‹, dass im Vergleich zu dieser neuen Aufgabe einer Philosophie des Rechts in der vorhergehenden Zeit in der »Staatswissenschaft … mehr von den Rechten des Volks als von den Pflichten desselben geredet« worden ist, denn: »Die aufs Recht bezogene Pflicht kann … nicht vorhergehen sondern muß aus dem Recht des Volks … gefolgert werden« (A-A XXIII, 259).303 Mit dieser »Umsetzung von Pflicht auf Recht als Grundbegriff«304 hängt insbesondere auch eine veränderte Rolle des Begriffs der Person zusammen.305 Parallel zu diesem Wandel des – juristischen – Personenbegriffs verläuft auch die bis heute wirkmächtige Veränderung des Verständnisses von menschlicher Würde. Nur gemeinsam können beide Begriffe zu Eckpfeilern für ein verändertes Rechtsverständnis werden. Um den quasi ›revolutionären‹ Charakter dieses Bedeutungswandels nachvollziehen zu können, muss zunächst an die davor vorherrschende Redeweise von Person und Würde im Naturrecht erinnert werden.

a)

Vom Naturrecht: Person und Würde als status

Bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein fungiert der Ausdruck ›Person‹ im spezifisch juristischen Sinne meist nur als Statussymbol.306 Mit diesem Ausdruck soll eine normative Hackordnung innerhalb der Gesellschaft ausgedrückt werden. Der Personenstatus symbolisiert insofern die sozialen 302 So etwa J.B. Erhard, Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten 1 (1795), 137 Anm. *. 303 Siehe dazu auch C. Horn, Nichtideale Normativität, 127f. 304 N. Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik 2, 157 (ff.); s.a. ebenda, S. 62ff. 305 Hierzu und zum Folgenden eingehend mit zahlreichen Belegen: St. Stübinger, in: Autonomie und Normativität, 69ff. 306 Vgl. dazu C. Hattenhauer, in: Der Mensch als Person, 39ff. m.N.; s.a. V. Krenberger, in: H.H. Gander (Hg.), Menschenrechte, 114f.

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Unterschiede. Danach kommen einem Menschen unterschiedliche Rechte und Pflichten zu, je nachdem ob er generell als Freier (oder Sklave), Bürger (oder Fremder), Mann (oder Frau), Vater (oder Kind) etc. in der Gesellschaft einen je eigenen Stand oder Rang innehatte. Diese Unterscheidungen markieren das Ausmaß rechtlicher Teilhabe einer Person an der staatlich organisierten Gemeinschaft. In diesem Sinne bedeutet – einer Definition in Adam Friederich Glafeys ›Grund=Sätze der bürgerlichen Rechts-Gelehrsamkeit‹ aus dem Jahr 1720 zufolge – »das Wort Person … einen Mensche in seinem Stande betrachtet. So viel ein Mensch nun Stände hat, so viel repraesentirt er auch Personen«; ein »Stand« meint insofern eine »qualität, welche einem Menschen besondere Pflichten aufflegt, und auch besonderer Privilegien theilhafftig macht« (Grund=Sätze, S. 53). Person war daher nur der Name für die jeweilige Stellung, unter der jemand im sozialen Zusammenhang auftreten konnte und von anderen wahrgenommen werden sollte. Ein Mensch konnte daher mehrere solcher personaler Figuren in einer Gesellschaft vertreten; als Person galt er jeweils nur als ein ersetzbarer Repräsentant der jeweiligen Aufgabe. Personalität ist i.d.S. messbar und damit eher eine Frage der Quantität der Teilnahmemöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben. Dabei konnten einem Menschen gleichsam multiple juridische Persönlichkeiten zugeschrieben werden oder aber – als Sklave – der Personenstatus ganz vorenthalten bleiben. Proportional zu dieser personalen Verortung des gesellschaftlichen Standes wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert auch die – gesellschaftsbezogene – Würde primär zur Betonung von Rangunterschieden von Menschen zugeteilt. Im proto-utilitaristischen Kalkül von Francis Hutcheson kann die Würde beispielsweise als Zählwert verrechnet werden. Obwohl für ihn grundsätzlich die bloße Quantität der betroffenen Interessen über die moralische Qualität einer Handlung entscheiden sollte (vgl. dazu schon oben S. 84 Fn. 188 m.N.), galt ihm in seinem zuerst 1725 veröffentlichten Buch ›Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue‹ die ebenfalls quantifizierbare Würde als angemessener Ausgleichswert: »the Dignity, or moral Importance of Persons, may compensate Numbers«. Den Menschen komme ein unterschiedliches WürdeQuantum zu, das über ihren Wert entscheidet; das Maß an Würde erlangt dabei unmittelbaren handlungsweisenden Ausschlag für die moralische Bewertung in Problemfällen. Wer eine größere/höhere Würde in die Waagschale zu werfen vermag, darf im Zweifel auch mit einem Vorrecht bzw. einer größeren Berechtigung rechnen; beispielhaft: »if two Persons of unequal Dignity be in Danger, we are to relieve the more valuable, when we cannot relieve both« (Inquiry, 125/ 191). Der Bewertungsmaßstab hängt dabei von (sittlichen) Verdiensten und der Ehrbarkeit einer Person ab. In Johann Georg Wachters ›Glossarium Germani-

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cum‹ von 1737 wird der Eintrag zum deutschen Wort »Würde« daher nicht nur mit dem lateinischen »dignitas«, sondern u. a. auch mit »meritum bene vel male facti« bzw. »honor meritus tributus« verbunden;307 im Guten wie im Schlechten hängt das gesellschaftliche Ansehen einer Person davon ab, wie viel Ehre sie in den Augen anderer verdient hat. Ähnlich wie die Ehre signalisiert auch die Würde in dieser Zeit noch die Ungleichheit der Menschen.308 So wird beispielsweise die »höhere würde und achtbarkeit« eines Menschen beispielsweise in dem 1733 erschienenen dritten Teil von August Friedrich Müllers ›Einleitung in die Philosophischen Wissenschaften‹, der laut Untertitel »Das Natur= und Völcker=Recht in sich enthält«, ausdrücklich mit der »ehre« synonym gesetzt.309 Ein gewisses Mindestmaß an Ehre und Würde mag jemandem von Geburt an zukommen; beide lassen sich jedoch auch durch Verdienste vergrößern bzw. durch Missetaten vermindern. Unehrenhaftes und unwürdiges Verhalten schlägt sich insofern direkt auf den sozialen Status einer Person nieder. Ganz ausgestorben ist ein solcher Gleichklang von Würde und Ehre nicht. Anlehnungen daran tauchen bis heute immer wieder einmal auf. Allerdings sollen beide nicht mehr die Rangunterschiede zwischen den Bürgern markieren, sondern als »Mechanismen egalitär verstandener Ehrbarkeit Bestand haben« und so staatliche Eingriffe »in die soziale Ehre des Menschen« brandmarken. In diesem Sinne sieht etwa der Philosoph Ralf Stoecker in seinem Anfang 2015 erschienenen Aufsatz in der Menschenwürde vor allem »ein grundsätzliches Recht jedes Menschen auf ein gewisses Maß an Achtbarkeit«. Daher lautet für ihn die entscheidende Frage nach würderelevanten Verhaltensweisen, »in welche Richtung wir unser Würdeverständnis weiterentwickeln wollen. Wohinein wollen wird in Zukunft unsere Ehre legen?« (in: Würde und Autonomie, 105). Zwar wurde beispielsweise schon um 1700 im naturrechtlichen Kontext vornehmlich von Samuel Pufendorf jedem Menschen prinzipiell die gleiche Würde zuerkannt. Dies sollte allerdings primär nur im Unterschied zu den Tieren den gelten.310 Dennoch wird Pufendorf von einigen eine gewisse Vorreiterrolle für das moderne Würdeverständnis zugeschrieben, da er bzgl. der Menschenwürdekonzeption bereits einige wichtige Begründungsmomente

307 J.G. Wachter, Glossarium Germanicum 2, Sp. 1935f.; siehe dazu auch M.J. Meyer, History of European Ideas 8 (1987), 321 m.Anm. 10 auf S. 330f. 308 Vgl. dazu und zur späteren Differenzierung zwischen einer ›Kultur der Ehre‹ und der ›Kultur der Würde‹ allgemein auch die kultursoziologische Studie von J.-P. Wils, Gotteslästerung, 58ff.; zu dem Bedeutungswandel der Würde (bzw. dignitas) von einem Unterscheidungsmerkmal zur Kennzeichnung von Gleichheit s.a. K. Bayertz ARSP 81 (1995), 470 m.w.N.; H. Bielefeldt, Auslaufmodell Menschenwürde?, 69f. 309 A.F. Müller, Einleitung 3, 173; eine ähnliche Gleichsetzung findet sich auch im Artikel ›Würde‹ im ›Zedler‹, Universal-Lexicon, Band 59 (1749), Sp. 857f. 310 Vgl. vor allem S. Pufendorf, Über die Pflicht, 78f.

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vorweggenommen habe.311 Die von ihm betonte Gleichheit sollte sich aber lediglich auf die allen menschlichen Wesen als solchen zuerkannte Erhabenheit innerhalb der göttlichen Schöpfungsordnung beschränken.312 Im zwischenmenschlichen Bereich fungiert der Begriff der Würde jedoch zugleich als Differenzierungsmerkmal; hier herrscht nicht etwa der Sinn für Gleichheit, sondern das Bedürfnis nach qualitativen Unterscheidungen. So konnte auch nach Pufendorf in einem Gemeinwesen das »Bürgerliche Gesetze … einem mehr Ehre und Würdigkeit als dem andern beylegen«.313 In diesem Sinne sollte auch in dem bereits erwähnten Buch von August Friedrich Müller neben einer allgemeinen Würde, die »die gemeinen befugnüsse und pflichten, die allen menschen, ohne absicht auf eine besondere geschickligkeit zukommen«, noch eine besondere bzw. »höhere würde und achtbarkeit« Platz haben, die gesellschaftsabhängig war und der Betonung von Rangunterschieden dienen sollte (Einleitung 3, 173). Die spezifisch juristische »Dignität« einer Rechtsperson bezeichnete insoweit die gesellschaftsrelevante Zuschreibung einer »Würde, welche besondere Rechte und Vorzüge ertheilet, wir mögen sie durch die Geburt und ErbRecht erlangen, oder durch Fleis und Verdienste«.314 Dabei bleibt meist unklar, ob das (positive) Recht selbst erst durch einen performativen Akt für eine solche ungleiche Verteilung sorgt oder aber die ohnehin bestehende Ungleichheit bloß als vorgefundene soziale Realität konstatierend abbildet. Insofern bleibt offen, ob die Menschen vom Recht lediglich ungleich gemacht bzw. behandelt werden oder an sich schon als ungleich vorgefunden werden und diese Ungleichheit lediglich rechtlich sanktioniert wird. So sollte es etwa in den ›Anmerckungen über die Lehr=Sätze Des Rechts der Natur‹ von Immanuel Proelei, die er am Anfang des 18. Jahrhunderts als Kommentierung zu Pufendorfs ›Buch De officio Hominis & Civis‹ verfasst hat, die »Obrigkeit« sein, die »einem nach seinen Meriten und guten Qualitäten eine EhrenStelle und Rang gegeben hat«; aus dieser milden Gabe erwächst dem Menschen dann das daraus abgeleitete »Recht, daß er diese conferirte dignitet behaupten« kann, gerade »weil er die dignitet wegen seiner Meriten und Tugend erhalten« hat (Grund=Sätze, 124/308). Die Würde folgt in dieser Sicht in erster Linie der obrigkeitlichen Zuweisung bzw. Anerkennung ehrenhafter Verdienste. 311 So etwa H. Welzel, Naturrecht, 141f.; insofern ähnlich auch P. Kondylis, in: Geschichtliche Grundbegriffe, 663f.; M. Auer, AcP 208 (2008), 602ff. m.w.N.; dies., in: Wörterbuch der Würde, 36; R. Forst, Kritik, 124f.; S. Darwall, Honor, 203ff.; H.J. Sandkühler, Menschenwürde, 97ff. 312 Zu dieser traditionellen Interpretation der Menschenwürde, die sich primär »aus dem Bedürfnis entwickelt, den Menschen klar vom Tier abgrenzen und in die Sphäre des Göttlichen einordnen zu können«: B. Gesang ZphF 64 (2010), 475 (ff.). 313 S. Pufendorf, Natur= und Völckerrechte 1, 570 (III.Buch Cap. II § II). 314 G.S. Wiesand, Juristisches Hand=Buch, 266 (Art. ›Dignität‹); siehe hierzu und zum Folgenden auch den Artikel ›dignitaet‹ im ›Zedler‹, Universal-Lexicon, Band 7 (1734), Sp. 910.

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Insbesondere in einer rechtlichen Hinsicht wird daher mit der Konnotation von Würde und Personalität u. a. in Christian Wolffs ›Grundsätze des Natur= und Völckerrechts‹ von 1754 die Differenz zwischen den Menschen markiert, »da die bürgerliche Würde (dignitas civilis) nichts anderes als ein Vorzug für andern Personen im gemeinen Wesen ist, welche nach denen einer Person zustehenden Rechten abgemessen werden muss« (S. 710 – § 992).

Es ging insoweit um die Auszeichnung unterschiedlicher Würdenträger, denen gleichsam als Personal eine geeignete Stelle im Staat zugewiesen wurde. I.d.S. bezeichnet der Begriff der Würde auch für Gottfried Achenwall den Vorzug einer Person in Bezug zu einer anderen; dementsprechend lautet seine Definition: »praecellentia personae respectu aliarum personarum est dignitas«.315 In dieser Bedeutung sind Würde und Person z. T. noch bis ins 19. Jahrhundert hinein als statusanzeigende Begriffe miteinander verknüpft. Wie beispielsweise Gustav Hugo noch 1819 betont hat, hängt es insofern »gar zu sehr von den positiven Rechten ab«, ob und in welchem Maße jemandem ein entsprechender Personenstatus zufällt; jedenfalls markiert die (zivilrechtlich geprägte) »Lehre von den Personen« in erster Linie »die Verschiedenheiten der Menschen«.316 Bei dieser Betonung der Verschiedenheit geht es nicht etwa um die Hervorhebung der Individualität als Besonderheit der einzelnen Menschen, sondern um die werthaften Differenzen zwischen den Rechtsgenossen in Relation zu Staat und Gesellschaft. Gerade in dieser Beziehung werden unterschiedliche Quanten von Berechtigungen und Verpflichtungen auf die Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft verteilt. Persönlichkeit und Würde eines Menschen gelten dann nicht absolut, sondern nur relativ. Wie beispielsweise Wilhelm Gottlieb Tafinger noch 1794 in seine ›Lehrsäze des Naturrechts‹ diktiert, definiert ein derart zugewiesener »status« überhaupt erst den »Umfang objectiver Rechtsbestimmungen eines Menschen«; demnach wird nämlich ein »Mensch mit den hypothetischen Rechtsbestimmungen, die ihm als Object des Rechts zukommen«, als »Person im engsten rechtlichen Verstande« bestimmt (S. 156f. – § 422).

315 G. Achenwall, Ius Naturalis, 108 (§ 122); siehe dazu T. Kobusch, Entdeckung der Person, 256; B.S. Byrd / J. Hruschka, Kant’s Doctrine, 287. 316 G. Hugo, Lehrbuch, 206f.; s.a. A.F.J. Thibaut, Theorie des Rechts 2, 6f./21.

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Zum Vernunftrecht: Würde der Person

aa) Philosophische Prämissen Ein solches Verständnis sollte sich jedoch in den Jahrzehnten um 1800 zunächst durchaus parallel317 zu der skizzierten Begrifflichkeit grundlegend wandeln. Die Grundannahmen des traditionellen Naturrechts gerieten nämlich ins Wanken. Schon das Wort ›Recht‹ büßt an Selbstverständlichkeit ein und wurde als solches auf Grund der Mehrdeutigkeit und Vielfalt seines Einsatzes fraglich und daher zunehmend erklärungsbedürftig.318 Hierfür sorgen nicht zuletzt das Aufkommen und die Anerkennung subjektiver Rechte. Ein neues Fundament für das Recht musste gelegt werden, das unabhängig von alten Gewissheiten erklärt werden kann. Daher kommt es in dieser Zeit zu einer Fülle von Versuchen einer neuen ›Deduktion‹ des (Natur- bzw. Vernunft-)Rechts. Mit diesem Begriff wird in diesem Zusammenhang eine Prüfung der begründeten Ableitung rechtlicher Bestimmungen aus obersten Vernunftprinzipien bezeichnet. Die Vernünftigkeit der natürlichen bzw. göttlichen Ordnung konnte und sollte zu diesem Zweck nicht mehr ohne Weiteres unterstellt und fraglos akzeptiert werden. Zumindest wurde deren Erkennbarkeit in Zweifel gezogen. In Folge der kantischen Kritik des theoretischen und praktischen Erkenntnisvermögens wird in erster Linie die Vernunftfähigkeit des Erkenntnissubjekts betont. Ungleich sicherer als die überkommenen Überzeugungen von der Existenz einer Naturrechtsordnung durfte es daher erscheinen, die Basis der neuen Rechtsbegründung in die Menschen selbst zu verlegen und in ihrer Beziehung zueinander zu suchen. Sie konnten nun nach den Einsichten der kritischen Philosophie in einem emphatischen Sinne als Subjekte verstanden werden, in denen selbst Vernunft und Freiheit gefunden werden kann. Nicht die erkennbare Struktur einer vorgefundenen Ordnung darf als vernünftig gelten, sondern die Handelnden selbst gilt es als Vernunftwesen ernst zu nehmen. Die Subjekte selbst sind für Konstruktion und Aufbau einer geordneten Rechtswelt verantwortlich. In dem Maße, in dem die Vernunft als primär objektives Struktur- und Ordnungsprinzip der Natur an Erkennbarkeit verliert, gewinnt sie als Leistungskraft der Subjekte an Bedeutung. Eine Person wird dann nicht mehr als bloßes Zurechnungsprodukt von Rechten und Pflichten verstanden, die als objektive Normen primär den Ordnungsbedarf eines Gemeinwesens regeln; eine Person wird als Mensch vielmehr selbst zum Mittelpunkt der Begründung des Rechts erklärt. Der Begriff des Rechts hat nunmehr in erster Linie mit der selbst317 Alte und neue Momente des Personenbegriffs finden sich etwa bei E.F. Klein, Grundsätze, 56 (§ 64) vereint. 318 Vgl. etwa die Darstellung der verschiedenen Bedeutungen bei J.B. Erhard, Philosophisches Journal für Moralität, Religion und Menschenwohl 2/1 (1793), 6ff.; ders., Ueber das Recht des Volks, 1ff.; J.C.G. Schaumann, Kritische Abhandlungen, 76ff./89ff.

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bestimmten Beziehung der Rechtspersonen zueinander zu tun. Das menschliche Zusammenleben ist daher nicht mehr bloß eine Regelungsmaterie des Rechts, das nach Maßgabe einer objektiven Teleologie zur Vervollkommnung des individuellen und kollektiven Wohls beitragen soll. Das Recht wird vielmehr unmittelbar zur (inter-)personalen Angelegenheit. In diesem Sinne formuliert etwa J.C.G. Schaumann in seinem ›Versuch eines neuen Systems des natürlichen Rechts‹ von 1796 ganz ausdrücklich als neues programmatisches »Cardinalgesetz« einer solchen Grundlegung: »Menschen sollen nicht Objecte, sondern Subjecte des Rechts seyn« (S. 312). Eine Person als Rechts-Subjekt kann dann aber nicht mehr durch die Zuschreibung einer bloß formalen Trägereigenschaft konstituiert verstanden werden; sie ist nicht etwa bloß eine soziale Adresse, an die rechtliche Forderungen gerichtet oder Begünstigungen verteilt werden können. Die Zuschreibung von Rechten und Pflichten dient keinem höheren Zweck einer äußeren Ordnung, den die Rechtsunterworfenen selbst nicht zu durchschauen brauchen. Das neue Rechtsverständnis setzt gerade die praktische Erkenntnisfähigkeit und eine daraus folgende Handlungskompetenz der Personen voraus. Die rechtliche Qualität einer Person kann dann nicht mehr durch eine ererbte oder verdiente Zuteilung von Verbindlichkeiten oder Privilegien begründet werden; sie bedarf vielmehr selbst einer neuen Begründung. Die neu verstandene Rechtssubjektivität setzt dabei die Umsetzung philosophischer Einsichten jener Zeit voraus. Der Personenbegriff des Rechts verschmilzt in dieser Epoche zunehmend mit der – maßgeblich u. a. von John Locke beeinflussten319 – Tradition der Begriffsbestimmung der Philosophie. Danach bezeichnet der Begriff einer Person ein mit Vernunft, Freiheit und Selbstbewusstsein ausgestattetes Individuum, das seine eigene Identität denken kann und aus diesem Verständnis heraus auch für das eigene Handeln Verantwortung übernehmen soll. Dieser philosophische Personenbegriff sorgt für eine veränderte Bestimmung der Rechtsperson. Dementsprechend lautet beispielsweise die Definition im Kontext der Rechtsbegründung in Karl Heinrich Heydenreichs ›System des Naturrechts‹ von 1794: »Person d.i. eines mit Vernunft und Freyheit begabten Wesens« (1. Theil, S. 214).320 Wichtigster Ausgangspunkt ist auch insofern die kritische Philosophie Kants, die den seiner selbst bewussten Einzelnen zum Angelpunkt zunächst der theoretischen und dann vor allem auch der praktischen Erkenntnis macht; darin wird schließlich das Wort Person in seiner moralisch-praktischen Bedeutung 319 Vgl. dazu U. Thiel, Lockes Theorie, bes. 44ff.; L. Honnefelder Philosophisches Jahrbuch 100 (1993), 248f.; H.M. Baumgartner u. a., in: Beginn, Personalität und Würde, 346ff./370ff.; V. Krenberger, in: H.-H. Gander (Hg.), Menschenrechte, 110f.; M. Quante, Person, 38ff. bes. 43ff.; s.a. U. Palm, Der Staat 47 (2008), 45f. jeweils m.N. 320 Ähnlich C.C.E. Schmid, Grundriß, 73f./83 (§§ 155/157/177).

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zum Zentralbegriff.321 Diesem neu konzipierten Personenbegriff liegt als wesentliche Qualität nunmehr die Freiheit als Autonomie und eine damit verbundene Würde des Menschen zu Grunde (dazu schon S. 96ff.).322 Noch bevor Kant selbst im Jahr 1797 seine eigene – von seinen Zeitgenossen lang erwartete – Rechtslehre veröffentlichen konnte, betonen zuvor schon einige andere Autoren ihre Hoffnung, dass nunmehr »das Naturrecht durch die Kantische Reform der Philosophie einen sichern Grund und feste Principien erhält«.323 So werden manche Grundgedanken aus Kants moralphilosophischen und politischen Schriften in den damals vermehrt erschienenen rechtsphilosophischen Werken aufgegriffen und insbesondere auch der entsprechende Personenbegriff auf die Rechtsphilosophie übertragen, die sich – meist noch unter dem alten Namen ›Naturrecht‹ – als neue Vernunftrechtslehre zu etablieren beginnt. bb) Diverse Deduktionen Demnach kann das gesamte Rechtsdenken nicht mehr von einer immer schon vorausgesetzten gott-gewollten (Norm-)Ordnung ausgehen. Der Rechtsbegriff muss statt dessen vom Ich und seiner Beziehung zu anderen seinen Anfang nehmen. Hier liegt die Wurzel allen Rechts. So nimmt beispielsweise die neue »Deduction des Naturrechts« in J.C.G. Schaumanns ›Versuch eines neuen Systems des natürlichen Rechts‹ von 1796 mit einem ebenso schlichten wie prägnanten »Ich.« ihren Ausgang (S. 19). Aus der in diesem Ein-Wort-Satz ausgedrückten Einheit sollen alle weiteren Differenzierungen entfaltet werden. Das ›Ich‹ wird zum kleinsten – nicht mehr weiter auflösbaren – Element, mit dem jeder Begriff des Rechts entwickelt werden muss. Es ist der Subjektpunkt, der als gedanklicher Startpunkt des Rechts gelten soll. In diesem Sinne kann die Herleitung des Rechtsbegriffs nun zuerst auf den Einzelnen bezogen werden, der ein Recht für sich geltend macht und damit das Recht überhaupt erst begründet. Es ist keine überwölbende Herrschaft, die sich als Ordnungsmacht auf regierbare Untertane herabsenkt und ein normatives Netz rechtlicher Regelungen vorgibt. Jede Form von (gesellschaftlicher oder staatlicher) Institutionalisierung folgt in diesem Ableitungsprozess erst später und resultiert aus dem Bedürfnis nach Sicherung der inter-personalen Primär-Rechtsbeziehungen. 321 Vgl. dazu und zu anderen Verwendungen des Personenbegriffs bei Kant: M. Baum, in: Subjekt als Prinzip?, 81ff. m.N. 322 Zur Bedeutung Kants für den Begriff einer autonomen Person bzw. der personalen Autonomie vgl. etwa L. Siep, Praktische Philosophie, 90ff.; R. Wiehl, in: Die autonome Person, 135ff.; G. Mohr, in: Der Mensch als Person, 17ff.; H.M. Baumgartner u. a., in: Beginn, Personalität und Würde, 350ff./372ff.; R.S. Taylor, Political Theory 33 (2005), 602ff.; s.a. R. Zaczyk, Selbstsein, 50ff. 323 So ausdrücklich R.G. Löbel, Philosophisches Journal für Moralität, Religion und Menschenwohl 3/2 (1794), 242, der in diesem Zusammenhang sogar von einer regelrechten Chance für eine »Wiedergeburt« dieser Wissenschaft spricht.

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Bereits in seinem ›Wissenschaftlichen Naturrecht‹ von 1792 bestimmt Schaumann den Umfang des moralisch – d. h. ethisch und juridisch – möglichen Verhaltens, indem er den »materialen Grundsatz« des Erlaubnisgesetzes (»lex permissiva«) in Anlehnung an den kantischen praktischen Imperativ (dazu oben S. 86) formuliert: »Du hast ein Recht zu den Handlungen, mit welchen die Würde des sinnlich-vernünftigen Wesens, als Zweck an sich selbst, bestehen kann«; umgekehrt lautet für Schaumann der entgegenstehende »Grundsatz der moralischen Unmöglichkeit (Lex prohibitiva)« entsprechend: »Du hast kein Recht … zu solchen Handlungen, welche das sinnlich-vernünftige Wesen zu einem Mittel herabwürdigen« (a. a. O., S. 128). Damit wird die Würde des Menschen bzw. der »Person«, die stets »als solches, Zweck an sich selbst« sein soll (a. a. O., S. 142), negativ als Grenze der rechtlichen Handlungsmöglichkeiten explizit markiert. Auch im Falle einer Kollision von Rechten soll für Schaumann die Frage nach der personalen Würde maßgeblich sein, denn es »entscheidet das Gesetz: Dasjenige Recht geht vor, welches mit der Würde des sinnlich-vernünftigen Wesens, als Zweck an sich selbst, am nächsten zusammenhängt« (a. a. O., S. 135). Ganz ähnlich formuliert Kants Königsberger Kollege an der juristischen Fakultät, Theodor Schmalz, der sich sogar rühmt, in seinem erstmals 1792 erschienenen Buch, ›Das reine Naturrecht‹, »der erste gewesen zu seyn, welcher die Grundätze der Kantischen Philosophie auf das Naturrecht angewandt« habe, das »erste Urrecht des Menschen« als »das Recht auf sich selbst«. Während »Alle übrige Rechte des Menschen … aus diesem Rechte hergeleitet werden« müssen, kann hinter dieses ›Urrecht‹ nicht weiter zurückgegangen werden. Gerade in »Rücksicht auf dieses Recht heisset der Mensch Person im Naturrecht«. Im Zentrum seiner Rechtsbegründung steht dabei ebenfalls die Erweiterung der ›Zweckformel‹ des kategorischen Imperativs (siehe dazu oben S. 86 und unten S. 234). Diese soll zu einer allgemeinen Verhältnisbestimmung ethischer und juridischer Rechte und Pflichten umformuliert werden. Dies könne schließlich in der Formulierung von generellen Rechtspflichten münden. Ähnlich wie später in Kants Rechtslehre (vgl. oben S. 125) können diese Rechtspflichten bereits für Schmalz »in innere und äußere eingetheilt werden; das oberste Gesetz jener ist: Behandle die Menschheit in dir nie als bloßes Mittel, sondern immer als Zweck; das oberste Gesetz dieser : Behandle die Menschheit in anderen nie als bloßes Mittel, sondern immer als Zweck«.324

324 T. Schmalz, Das reine Naturrecht, 12/47/39; ähnlich auch F. Gentz, Berlinische Monatsschrift 18 (1791), 382; L.H. Jakob, Rechtslehre, 58ff.; C.C.E. Schmid, Grundriß, 61 (§ 138); s.a. J.H. Abicht, Neues System, 4 (ff. und passim), für den die Selbstzweckhaftigkeit des

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Der Begriff der Person bzw. der Persönlichkeit wird auf diese Weise zum Kern der Begründung von Menschenrechten. Um deren Herleitung bemüht sich in dieser Zeit u. a. der bekennende Kantianer Johann Benjamin Erhard hat.325 Im ersten Teil seiner Schrift ›Ueber das Recht des Volks zu einer Revolution‹ von 1795 unternimmt er eine »Deduction der Menschenrechte«. In deren Mittelpunkt geht es um die allgemeine Anerkennung des Menschen »als eine Person«. Die »M e n s c h e n r e c h t e « sind für ihn dabei jene Rechte, die schon allein auf Grund der Tatsache gelten, »daß ich eine Person bin«. Ähnlich wie für Kant ist für Erhard die »P e r s ö n l i c h k e i t « definiert als das »Vermögen, mich nach selbstgewählten Gesetzen zu Handlungen zu bestimmen oder nach Maximen zu handeln«. Die allgemeinste »Bestimmung der Menschenrechte« sei demnach »unter der Formel begriffen: der Mensch muß als eine Person behandelt werden«. Damit ist immer schon mehr als nur eine einfache zwischenmenschliche Beziehungsweise gemeint. Es ist zudem noch die »Anerkennung der Menschenrechte« durch den Staat erforderlich, die deshalb für Erhard »eine allgemeine Bedingung der moralischen Gültigkeit einer Gesetzgebung« darstellt (Ueber das Recht, S. 1/10/15). Die Behandlung als Person wird somit zum Hauptkriterium der Richtigkeit sämtlicher Rechtshandlungen. Zur Beurteilung darüber ist jeder selbst berufen, denn: »Der Mensch darf nie auf Selbsturtheil über Recht und Unrecht Verzicht thun, sonst vergibt er seine Würde« (ebenda, S. 36). Diese auf die autonome Persönlichkeit gegründete Deduktion von Menschenrechten, die jedem »einzelnen Menschen a n s i c h zukommen«, sichert zugleich die rechtliche Gleichheit »i m Ve r h ä l t n i ß m i t a n d e r n M e n s c h e n «. Die wechselseitige Anerkennung lässt sich schließlich für Erhard »aus dem Satz entwickeln: k e i n M e n s c h k a n n m e h r a l s M e n s c h s e i n . Eine Person zu sein, ist die höchste Stufe, auf der ein sterbliches Wesen stehen kann« (ebenda, S. 45). Ein solches allgemeines Menschen- bzw. »Urrecht« als »Recht der persönlichen Freyheit« gilt beispielsweise auch in Carl Christian Erhard Schmids ›Grundriß des Naturrechts‹ von 1795 als unverlierbar, denn »die Person kann durch keinen persönlichen Akt ihre Persönlichkeit direkt aufheben« (Grundriß, 61/58f. (§§ 138/136). Schmid weist dabei sogar darauf hin, dass das absolute »Recht der Menschheit … also das Recht Mensch zu seyn, d. h. ein Subjekt des Rechts in der Erscheinung … d.i. meiner Erscheinung als Person in der Sinnenwelt … selbst Embryonen, Kindern, Blödsinnigen und Wahnsinnigen« zukomme (a. a. O., S. 87f. – §§ 193/195).

Menschen ebenfalls das Hauptcharakteristikum des Personenbegriffs ausmacht: »Denn, eine Persohn ist ein Wesen, das den Endzwek seiner Handlungen in sich selbst hat«. 325 Ausführlich zu Erhards Kantianismus: D. Henrich, Grundlegung, 1201ff.

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Bezüglich der tat-unabhängigen Unverlierbarkeit der Menschenwürde betont auch Johann Heinrich Tieftrunk 1798 im zweiten Band seiner ›Philosophischen Untersuchungen‹ zur Kantischen Rechts- und Tugendlehre (speziell zu MdS-T § 39, A 141): »Ein jeder Mensch hat einen rechtmäßigen Anspruch auf Achtung; denn die Menschheit selbst ist eine Würde, kraft welcher sich niemand für einen Preis weggeben darf. Man kann daher auch selbst dem Lasterhaften nicht alle Achtung versagen, denn er behält sie wenigstens immer in der Qualität eines Menschen, ob er sich zwar derselben durch seine That unwürdig macht« (a. a. O., S. 467).

Ein Grund für die unverlierbare Garantie der Achtung der Menschenwürde ist gerade der neue Stellenwert jedes Menschen im Rahmen der philosophischen Begründung des Rechts. Das selbstbewusste Ich wird in den rechtsphilosophischen Grundlegungen dieser Zeit nämlich selbst zur Quelle des Rechts. In diesem Sinne hat etwa der junge Paul Johann Anselm Feuerbach 1795 in seinem zunächst anonym erschienenen ›Versuch über den Begriff des Rechts‹ im ›Philosophischen Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten‹ betont: »Das Recht muß in mir selbst gegründet sein, oder es ist gar nicht vorhanden« (Philosophisches Journal 2 (1795), 156f.). Das relationale Moment des bisherigen Begriffs der Rechtsperson (als bloß relativer Status eines Menschen innerhalb eines Gemeinwesens) wird gelöst, um nach der Begründung eines absoluten Rechts auf eigene freie Zwecksetzung eine inter-personale Basis für Rechtsbeziehungen mit neuer Qualität knüpfen zu können. Zur Bestimmung des Rechts soll daher nicht mehr das soziale Gewebe, in dem die Menschen als Knotenpunkte immer schon hängen, geblickt werden, sondern das Knüpfen einer rechtlichen Beziehung wird selbst zur Aufgabe der Rechtspersonen, die dadurch ihren eigenen Freiheitsraum bestimmen. Die philosophisch raffinierten Rechtsdeduktionen setzen sich dabei ausdrücklich von der naturrechtlichen Tradition absetzen. In seinem ›Anti-Hobbes‹ von 1798 kritisiert Feuerbach beispielsweise vor allem die souveränitätsgläubige Haltung des traditionellen Naturrechts, durch die »die Befolgung des Sittengesetzes dem Ohngefähr und der Willkühr Preis gegeben, und der Wille des Fürsten höher als der Wille der Vernunft« geschätzt wurde; dadurch sei »unsere Tugend und unsere Menschenwürde zu einem Spielball in der Hand der Willkühr« geworden. Demgegenüber sei in einer neuen Begründung des Rechts »für eine Behauptung zu sprechen, welche mit der Würde der Menschheit und dem Interesse der Vernunft« besser vereinbar sei (Anti-Hobbes, S. 88/91). Schließlich sei die »Behauptung der Freiheit … des Menschen Pflicht« und jede »Verletzung der Freiheit eine Entwürdigung unserer vernünftigen Natur«. Dadurch wird die Achtung der »Menschenwürde«, die auch für Feuerbach in dem »Charakter eines vernünftigen Wesens, Selbstzweck zu seyn«, liege (Anti-Hob-

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bes, S. 14f.), zu einem kritischen Moment der Aufklärung gegenüber der unterdrückenden Wirkung naturrechtlicher Konstruktionen eines obrigkeitshörigen Unterwerfungsvertrages. Der eigentliche Begründungsakt des Rechts liegt demnach nicht erst im Aufweis einer normativ notwendigen Ordnung durch die Einrichtung von Gesellschaft und Staat. Diesen Institutionen kann nur eine mittelbare – rechtssichernde – Funktion zukommen; ihre Legitimation ist von der Begründung interpersonaler Rechtsverhältnisse zunächst jedenfalls noch ganz abhängig. Es ist daher das unmittelbare Verhältnis von (Rechts-)Personen zueinander, dem eine eigentlich rechtsstiftende Bedeutung zuzuschreiben ist. So beschreibt etwa Philipp Christian Reinhard in seiner ›Deduction des Rechtsbegriffs‹, die 1795 im selben Band des ›Philosophischen Journals einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten‹ wie der soeben zitierte Aufsatz Feuerbachs erschienen ist: eine rechtliche »Menschen-Gemeinschaft als solche ist eine wahre Gemeinschaft, kein Subordinationssystem: sie ist eine Gemeinschaft gleichfreier Wesen: denn die menschliche Natur an sich ist in allen menschlichen Subjecten die nämliche«.

Die Menschen unterwerfen sich demnach nicht einer staatlichen Rechtsmacht, sondern konstituieren bereits im direkten Miteinander eine auf Freiheit und Gleichheit gegründete Gemeinschaft. Daraus folgt für Reinhard, »daß jeder wechselweise verbunden ist, den anderen als freies Wesen zu behandeln, jeder verbunden, den Charakter der Persönlichkeit in dem andern zu achten«. Das eigentliche Rechtsproblem stellt sich für ihn daher in der Frage: »wie verhält sich Freiheit (in dem Einen Subjecte) gegen Freiheit (im andern Subjecte), wie verhält sich Wille gegen Wille?«; als Rechtsverhältnis muss es sich dabei um eine Beziehung handeln, in der »der Mensch andere Wesen als Menschen anerkennt«. Nur so könne eine freiheitliche »Coexistenz« zwischen den Personen zu ermöglicht werden (Philosophisches Journal 2 (1795), 219/217/216). Diesen Gedanken nimmt Reinhard auch in seinem 1797 erschienenen ›Versuch einer Theorie des Gesellschaftlichen Menschen‹ auf. Danach hat das allgemeine und formale »Rechtsgesez« zu allererst die Aufgabe, »die Coexistenz einer Mehrheit von Individuen nach Vernunftgesezen möglich« zu machen, »denn wenn wir nach diesem Geseze leben, so kan die Freyheit aller andern Individuen mit der Meinigen, aber auch meine Freyheit kan mit der Freyheit aller andern bestehen«. Dabei sind für Reinhard »alle meine Rechte darinn enthalten, daß ich von allen Andern als freyes Individuum anerkannt und behandelt werde«. Ein »vernunftmäßiger Staat« entsteht demnach nur da, »wo Menschen nicht wie Viehheerden in den Stall der bürgerlichen Gesezlichkeit getrieben werden, sondern sich freywillig zur Erhaltung ihrer gegenseitigen Selbstständigkeit vereinigen« (Versuch, S. 98/102/442). Ein Rechtsstaat hat

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daher nur noch das inter-personale Anerkennungsverhältnis zu institutionalisieren. Dies setzt voraus, dass darin die Freiheit jedes Einzelnen erhalten bleibt. Bekanntlich war es dann vor allem Johann Gottlieb Fichte, der 1796 in seiner ›Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre‹ das Recht als Anerkennungsverhältnis auf eine solche Art und Weise eingehend konzipiert hat. Für ihn wird das so verstandene Rechtsverhältnis sogar zur notwendigen Bedingung des Selbstbewusstseins. Fichte setzt in seiner eigenen »Deduction des Begriffes vom Rechte« mit der Selbstzuschreibung »freier Wirksamkeit« ein; dies bedeutet, die Möglichkeit der Vorstellung eigener »Zwecke«, d. h. die Bildung eines Willens, denn: »Das Wollen ist der eigentliche wesentliche Charakter der Vernunft«. Es ist der vernünftige Wille des Einzelnen, der sich in der Welt realisieren will. Dabei soll im rechtlichen Zusammenhang ein »vernünftiges Individuum« ausdrücklich mit dem Ausdruck »der Person« bezeichnet werden. Damit ist dann ein »vernünftiges Wesen« gemeint, das sich selbst »eine Sphäre für seine Freiheit« zuschreibt; gerade durch diesen Akt der Selbstzuschreibung »wird aus dem absolut formalen ein bestimmtes materiales Ich oder eine Person« (Werke III, 17/20f./56f.). Die Person kann und soll demnach nach Maßgabe der eigenen Zwecksetzungen in der Welt wirken. Als Recht ist dann für Fichte der Zustand der wechselseitigen Anerkennung der Freiheitssphären von Personen zu verstehen. Das »Producieren« der eigenen Sphäre und dadurch zugleich das Markieren einer Grenze zu den Freiräumen der anderen, das Fichte auch als »Linienziehen« bezeichnet, ist dabei als originäre Eigenleistung der handelnden Personen zu verstehen. Sie werden somit durch ihr eigenes »Product bestimmt«. Die Handlungsspielräume der Personen werden daher nicht von rechtlichen Regelungen konstituiert, sondern folgen aus der Verhältnisbestimmung durch die Individuen selbst. Als absolute Schranke rechtlicher Handlungsmacht bestimmt Fichte dabei die Wahrung des Kerns des persönlichen Freiraums des anderen, denn: »Zu einer Handlung, die die Freiheit und Persönlichkeit eines Anderen unmöglich macht, hat keiner das Recht« (Werke III, 58/93f.). In seiner Naturrechts-Schrift spricht Fichte – zumindest in den für die allgemeine Rechtsdeduktion grundlegenden Abschnitten des ersten Teils von 1796 – dabei nicht ausdrücklich von der Menschenwürde. Erst im zweiten Teil dieser Schrift, der ein Jahr später erschienen ist, wird von Fichte vornehmlich im Rahmen seiner »Deduction der Ehe« ausdrücklich von der (dem Zeitgeist entsprechend unterschiedlichen) »Würde« bzw. »Menschenwürde« von Mann und Frau (speziell im Hinblick auf die »Befriedigung des Geschlechtstriebes« im Unterschied zur »Liebe«) gesprochen (Werke III, 304/309/312 u.ö.). Dennoch wird der begriffliche Zusammenhang auch ohne Nennung des Wortes hinrei-

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chend deutlich.326 Wie er bereits zwei Jahre zuvor in einer Rede ›Ueber die Würde des Menschen‹, die er am »Schlusse seiner philosophischen Vorlesung« 1794 gehalten hat, betont, muss für ein solches inter-personales Verhältnis die menschliche Erscheinung als solche hinreichen, denn: Mensch ist »jeder, der mir sagen kann: Ich bin. … Alle Individuen sind in der Einen grossen Einheit des reinen Geistes eingeschlossen« (Werke I, 412/415f.). In diesem Sinne hebt Fichte dann auch in seiner ›Grundlage des Naturrechts‹ hervor, dass der »Begriff des Menschen … gar nicht Begriff eines Einzelnen« sein könne, »sondern der einer Gattung« sein müsse (Werke III, 39). Die Begriffe Mensch, Individuum, Person haben für Fichte daher einen ausgesprochen inklusiven Effekt; ohne die tätige Einbeziehung des anderen ist eigenes Selbstbewusstsein nicht zu erreichen und ohne selbstbewusste Subjektivität kommt es nicht zu einem wechselseitigen Rechtsverhältnis. Die Anerkennung eines anderen als Gleicher innerhalb einer gemeinsam geteilten Welt ist dabei wichtig für das eigene Selbst- und Weltverständnis.327

2.

Der normative Begriff des Rechtsstaats

All den genannten ›Deduktionen‹ eines neuen Vernunftrechts in der Zeit um 1800 gemeinsam, ist der Versuch, den Begriff des Rechts zunächst ganz unabhängig von gesellschaftlichen oder gar staatlichen Institutionalisierungen herzuleiten. Die normative Ordnung der Gesellschaft lässt sich nicht mehr durch einen Rundblick auf das Große und Ganze erfassen; sie muss sich durch die Beziehungen zwischen den Einzelnen entfalten. Das Recht muss zuallererst als unmittelbares Verhältnis der Personen zueinander verstanden werden. Der Positivierung dieser vorstaatlichen Rechtsbeziehungen kommt dann noch die Aufgabe der Sicherung und Verstetigung jener Primärbeziehungen zu. Die skizzierte Rechtsbegründung führt schließlich zu einem Staatsverständnis, das über die geläufige Vorstellung vom Staat als bloßer Institution hinausgeht, in der es lediglich um die Organisation und Verwaltung von Gemeinschaftsaufgaben geht. Wer ein staatliches Gebilde bloß für ein Abstraktum hält, das als Ordnungsmacht primär für die Sicherheit der Bevölkerung sorgen muss oder für den Bau von Schulen und Autobahnen zuständig ist, vermag die spezifisch rechtliche Realität des Staates wohl kaum zu sehen. Es geht dabei um die nor-

326 Ebenso G. Mohr, in: H.J. Sandkühler (Hg.) Menschenwürde, 30ff.; zu Fichtes Würde-Verständnis s.a. B. Sandkaulen, in: Subjektivität und Autonomie, 240ff.; H.J. Sandkühler, Menschenwürde, 117ff.; S. Zucca-Soest, in: Autonomie und Normativität, 103/106ff. 327 Siehe hierzu – nicht nur am Beispiel von Fichte – auch S. Schmetkamp, Respekt, 115ff./140f.

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mative Identität eines Rechtsstaates und nicht um dessen institutionellen Bestand. Es lassen sich durchaus mehrere Möglichkeiten denken, das Verhältnis zwischen Recht und Staat zu bestimmen. – Zum einen können beide Begriffe unabhängig voneinander definiert werden: ›Recht = Recht‹ und ›Staat = Staat‹. Dies führt vor allem zu einem institutionenbezogenen Verständnis von staatlichen Einrichtungen, die in ihrer organisatorischen Einheit ›den Staat‹ bilden; insofern werden dann sämtliche (z. B. Verwaltungs-, Gesetzgebungs-, Justiz-)Akte, die von dem Personal der entsprechenden Institutionen ausgehen, dem Staat zugerechnet – unabhängig von ihrer Rechtsqualität. Ob diese Handlungen einem gesondert zu bestimmenden Begriff des Rechts entsprechen, ist dabei unerheblich bzw. kontingent – ein Staat kann damit übereinstimmen und als Rechtsstaat bezeichnet werden oder davon grundlegend abweichen und als Unrechtsstaat firmieren, ohne an formaler Staatsqualität zu verlieren. Der Begriff des Rechtsstaates wird dann durch die Bildung jener Teilmenge definiert, in der sich rechtliche und staatliche Elemente – aus mitunter historisch zufälligen Gründen – decken. Begrifflich notwendig ist eine solche Deckung aus dieser Warte nicht. – Zum anderen kann ein Begriff eines Rechtsstaats von der Seite des Staates aus definiert werden: dann ist jedes Staatshandeln per definitionem zugleich Recht, das keine eigenen Merkmale mehr enthält, außer vom Staat gesetzt worden zu sein. Außerhalb des staatlich gesetzten Rechts mag es politische oder moralische Kritik an den rechtlichen Regelungen geben; die dort in Aussicht gestellten Alternativen zum positiven Recht sollen aber nicht als Recht gelten. In diesem Sinne wird etwa in Hans Kelsens ›Reiner Rechtslehre‹ (1. Auflage 1934) die »Identität von Staat und Recht« behauptet, weshalb jeder Staat notwendig ein Rechtsstaat ist, d. h. ein Staat, der eine selbst-gesetzte »Rechtsordnung ›hat‹ » bzw. »weil jeder Staat nur eine Rechtsordnung ist«. Die Möglichkeit, den Begriff des Rechtsstaates vom Recht aus zu bestimmen, wird dort ausdrücklich abgelehnt; es sei nämlich »schlechterdings unmöglich, den Staat durch das Recht zu rechtfertigen. So wie es unmöglich ist, das Recht durch das Recht zu rechtfertigen«; daher sollte für Kelsen gelten: »Jeder beliebige Inhalt kann Recht sein« (a. a. O., S. 126f./63). Recht verliert in dieser ›Lehre‹ seine eigenständige Begriffsqualität, denn mit diesem Ausdruck allein kann nichts mehr begriffen werden; was ›Recht‹ ist, kann nur vom Staat bestimmt werden. Das Wort ›Recht‹ bezeichnet in diesem Modell jedenfalls nicht mehr das selbst-bestimmte Verhältnis der Personen zueinander. Der Begriff eines ›Unrechts-Staates‹ wird dadurch ebenfalls unmöglich, weil jeder Staat als Rechtsstaat stets nur Recht produziert. Sämtliche inhaltlichen Bestimmungen des Rechtsbegriffs sollten in der ›Reinen Rechtslehre‹ entfallen.

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Nach diesem Verständnis gleicht der Staat der Märchenfigur des ›Rumpelstilzchen‹, das auch aus noch so stumpfen Stroh Gold spinnen kann, sobald es in das (Gesetzes-)Spinnrad eingefädelt und in entsprechende Form gebracht wird. Jeder Versuch einer vor-positiven Begriffsbestimmung wird anderen Diskursen zugerechnet und in den Bereich der Moral oder Politik verbannt. – Schließlich lässt sich ein Rechtsstaat aber auch vom Begriff des Rechts aus definieren. Dann ist ihm nur rechtsförmiges Verhalten zurechenbar, während das davon abweichende Staatshandeln als staatliches Unrecht markiert werden kann. In dem letztgenannten Sinne wird der Begriff des Rechtsstaates in dem hier zu rekonstruierenden Kontext (re-)formuliert. Die in den vorherigen Abschnitten dargestellten ›vernunftrechtlichen Deduktionen‹ sollen als Reformulierungsbasis dienen. Die Idee eines Rechtsstaats meint dann mehr als einen Pfropf, der sich auf die sozialen Primärbeziehungen zwischen Menschen setzt. Als juristische Person ist der Staat nämlich kein von den natürlichen Personen ganz unabhängiges Konstrukt, sondern wird selbst zum Akteur in einem Rechtsverhältnis. Als Rechtsstaat können seine Handlungen, die von den Amtsträgern ausgeführt werden, überhaupt nur als rechtliche begriffen werden. Der Begriff des Staates ist insoweit vom Begriff des Rechts aus zu verstehen. Dabei geht es nicht um die physisch wahrnehmbaren Tätigkeiten von Beamten und Angestellten, die sich als solche als Unrecht darstellen können, sondern um die normativ gebundenen Taten, die dem Staat als eigene Handlungen zugeschrieben werden. Die Rechtsnormen konstituieren hierbei die Reichweite dieser Zuschreibung. Insofern ist der Staat nichts anderes als die Summe der ihm zuzuschreibenden Rechts-Handlungen. Das Recht regelt damit zugleich auch die rechtlich unmöglichen Verhaltensweisen, d. h. das, was nicht als Rechtsakt verstanden werden kann; denn jede Grenzziehung hat eine einschließende und eine ausschließende Wirkung. Durch die Anerkennung unbedingter (Menschen-) Rechte, in die nicht eingegriffen werden soll, können somit bestimmte Möglichkeiten staatlichen Handelns normativ ausgeschlossen werden. Es entsteht eine rechtlich geschützte Sphäre psycho-physischer Integrität einer Person, die nicht tangiert werden darf. Hierzu zählt – zumindest in Deutschland – insbesondere die Erklärung der Unantastbarkeit der Menschenwürde gemäß Art. 1 I GG. Handlungen, die als Antastung der Würde begriffen werden können, kommen daher im normativ bestimmten Aktionshaushalt eines Rechtsstaates gar nicht vor. Der Würdegrundsatz hat dabei eine doppelte Ausrichtung: einerseits als inter-personales Rechtsprinzip, das die Basis eines Rechtsverhältnis zwischen den Rechtsgenossen unmittelbar bestimmt; andererseits als Fundierung des – dieses Verhältnis übergreifenden und es sichernden – Rechtsstaates. Hasso Hofman

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spricht insofern treffend von einer »Staatsfundamentierungsnorm«, durch die die »Würde in diesem Staatsgründungsakt« als etwas zu sehen ist, »was die Menschen einander zusprechen, sich als Rechtsgenossen versprechen« (AöR 118 (1993), 369). Dies macht die Würde – unabhängig von ihrer sonstigen moralphilosophischen oder theologischen Begriffsqualität – zumindest auch zu einem unentbehrlichen Rechtsbegriff; sie wird zum normativen Ausdruck dessen, »was alle Menschen jenseits ihrer individuellen Unterschiede miteinander auf eine die Natur überhaupt überschreitende, die rechtliche Weise miteinander verbindet«.328 Solche Grundsätze gelten als konstitutive Regeln, die den rechtlichen Rahmen eines Staates abstecken und eine Grenze zwischen dem Innen und Außen des Rechts markieren. In dieser Funktion ähneln solche Prinzipien grundlegenden Spielregeln, die festlegen, welche Aktionen noch zum Spiel gehören und welche nicht; beispielhaft: wenn Fußballspieler damit beginnen, sich den Ball mit der Hand zuzuwerfen, spielen sie nicht nur schlicht foul, sondern haben vielmehr aufgehört Fußball zu spielen.329

3.

Rechtliche Unmöglichkeit der Folter

Wenn in der Ausübung der Tortur eine Form der Missachtung der Würde eines Menschen gesehen werden kann, dann gilt es insofern als ausgeschlossen, dass ein Staat, der solche Maßnahmen für zulässig erachten möchte, dies in Rechtsform bringen könnte. Die unbedingte Achtung der Menschenwürde jedes Einzelnen stellt darin eine – wenn nicht sogar die – entscheidende und nicht suspendierbare Voraussetzung für jede rechtsstaatliche Verfasstheit dar. Damit ist nämlich die Anerkennung der Persönlichkeit und somit der Teilhabe des Menschen am Rechtsstaat gemeint. Mit dem absoluten Verbot der Folter verzichtet folglich der Staat auf real-mögliche Mittel und Instrumente, die ihm zwar faktisch zur Verfügung stehen mögen, die jedoch aus dem Arsenal normativ zulässiger Handlungsweisen gestrichen worden sind, da sie eine der gravierendsten Verletzungen der menschlichen Würde markieren. Das Entwürdigende ist dabei nicht so sehr in der Zufügung physischer Schmerzen oder psychischer Leiden als solcher zu sehen. Die körperlichen oder seelischen Wirkungen beschreiben nur die äußeren sichtbaren Formen der Folterungen. Überhaupt ist die Würde eines Menschen nicht in dessen Physis oder Psyche zu suchen, denn

328 So W. Schweidler, Über Menschenwürde, 42. 329 Vorsorglich sei angemerkt, dass hierin kein zynischer Vergleich der Folterproblematik mit einem Fußballspiel gezogen, sondern lediglich der Charakter konstitutiver Regeln vereinfacht dargestellt werden soll.

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sie bezeichnet keinen naturhaften oder emotionalen Zustand, der durch jedwede leidvolle Erfahrung gestört werden könnte. Würdeverletzungen lassen sich nicht mit medizinischen oder psychologischen Diagnosen feststellen. Stets sind es (eigene oder fremde) zurechenbare Handlungen, die die Würde tangieren. Menschliches Verhalten und das, was als ihr Erfolg bezeichnet werden kann, sind aber keine bloßen Ereignisse in der Welt, die auf körperliche Bewegungen reduziert werden können. Das Handeln eines Menschen lässt sich nicht hinreichend als rein physischer Vorgang erklären; soweit es um die ethische oder juridische Bedeutung eines Verhaltens geht, gilt es den jeweiligen normativen Sinn zu verstehen. Würdemissachtungen sind i.d.S. immer handlungsbezogen. Stets ist es das Tun oder Unterlassen eines Menschen, das die Würde verletzen kann, wobei sich ein entsprechendes Verhalten gegen einen anderen oder gegen sich selbst richten kann. a)

Physisches Leid als Hauptmerkmal?

Es ist daher verfehlt, wenn nicht sogar ein schlichter Kategorienfehler, insofern z. B. Eric Hilgendorf »im qualvollen Verdursten« eines Menschen auf einsamer Insel bereits »eine Verletzung seiner Menschenwürde« sehen möchte (Puppe-FS, 1659). Für ihn soll ein »Menschenwürdeschaden« nämlich allein davon abhängen, »was der Betroffene erleidet, und nicht davon, ob man das Leid einem Anderen als ›sein Werk‹ zurechnen kann«. Hilgendorf reklamiert insoweit sogar Anspruch auf Originalität; jedenfalls findet er es »bemerkenswert«, dass die »Frage nach der Möglichkeit einer Menschenwürdeverletzung ohne Verletzer … bislang in den Auseinandersetzungen um das Konzept der Menschenwürde keine erkennbare Rolle spielt«.330 Dies dürfte freilich daran liegen, dass die mangelnde Würderelevanz einer solchen Konstellation für die anderen Diskussionsbeteiligten wohl allzu offensichtlich ist. Die Verletzung oder Schädigung der Würde soll nach Hilgendorf auf diese Weise in den Bereich des Sichtbaren bzw. Spürbaren rücken, in dem das physische oder psychische Leiden eines Menschen erfahrbar wird. Die ›unantastbare‹ Würde könne so empirisch leichter fassbar gemacht werden, wenn sie nicht nur als theoretisches Konstrukt von Philosophen, Theologen oder Juristen verstanden, sondern gleichsam von Medizinern und Bio-Physikern diagnostiziert werden könne. Die theoretische Reflexion sollte letzlich wohl durch eine medizinisch-praktische Diagnostik ersetzt werden. Dadurch wird von Hilgendorf freilich ein anderes Verständnis von Würde vorgeschlagen, das nicht mehr im Bereich des Rechts oder der Ethik zu finden ist, sondern als bio-physischer Begriff formuliert werden müsste. Die rechtliche 330 E. Hilgendorf, in: ders. (Hg.), Menschenwürde, 135 m.Fn. 27.

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und ethische Idee der Menschenwürde kennzeichnet nämlich keine naturwissenschaftlich beschreibbare Seinsweise des Menschen, sondern eine zwischenmenschliche Beziehungsweise (bzw. als moralisches Problem auch das Selbstverhältnis eines Menschen). Insbesondere das Recht hat es stets mit einem interpersonalen Verhältnis zu tun. Wie schon der romantische Dichter Friedrich von Hardenberg (Novalis) 1796 in seinen ›Fichte-Studien‹ (Nr. 582) treffend notiert hat, kann allgemein gelten: »Das Recht entsteht erst in der Sfäre der Individuen … Der Mensch hat, als solcher, keine Rechte – aber er hat Rechte gegen einen Menschen« (Werke 2, 187). Der Begriff des Rechts markiert daher eine von (mindestens zwei) Individuen – oder besser : Personen – geteilte Sphäre, in der die wechselseitigen Freiheitsansprüche umhüllt sind. Unrecht ist i.d.S. demnach eine ›sphärische‹ Störung. So ist auch die Würde eines Menschen, sofern dieser Begriff eine rechtliche Bedeutung haben soll, stets auf ein solches Rechtsverhältnis zu beziehen. Die Angst vor einer vermeintlich meta-physischen Kontamination verleitet Hilgendorf offenbar zur Flucht in eine solche empirisch verifizierbare Schadensmeldung, in der nur ein Mangel am Sein der menschlichen Natur reklamiert wird. Die Würderelevanz wird in dem von ihm genannten Beispiel eines qualvoll Verdurstenden zur Frage des Durst- oder Hungergefühls; für den Magen mag es in der Tat gleich sein, weshalb er leer bleibt. Dementsprechend müsste dann auch jeder Zahnschmerz oder eine Blinddarmreizung zu einem Würdeproblem umgedeutet werden. Die Würde wird in dieser Hinsicht durch jeden abnormen Körperzustand lädiert. In der undifferenzierten Gleichsetzung zwischen einem naturgesetzlich erfolgenden Hungerleiden und einem (moral- oder rechts-)gesetzwidrigen Verhungern-lassen liegt freilich ein willkürlicher Verzicht auf Differenzierungsmöglichkeiten, der das Augenmerk allein auf die sinnlich wahrnehmbare Folge (physisches Leid oder Schmerz) lenkt. Es ist jedoch – auch für den Betroffenen selbst – ein durchaus erheblicher Unterschied, ob sich das eigene Leiden als Realisierung des unvermeidlichen Risikos eines Naturgeschehens oder als vermeidbare Zufügung durch menschliches Verhalten darstellt; ersteres betrifft im Beispielsfall den körpereigenen Zustand des vegetativen Nervensystems, letzteres jedoch zugleich das äußere (Rechts-)Verhältnis zu anderen (Rechts-)Personen. Das Erleiden von Qualen ist an sich jedenfalls noch nicht würderelevant. In diesem Sinne meint auch David Luban treffend: »the evil of torture cannot be reduced to sensations alone«.331 Die Würderelevanz bleibt fraglich, soweit biomedizinische oder physische Auswirkungen lediglich als Konsequenz natürlicher Ereignisse erklärt werden können, denn dadurch wird allein der Mensch als Naturwesen betroffen, nicht jedoch als Person, d. h. als freies Vernunftwesen, 331 D. Luban, Torture, 127 – vgl. zu Lubans eigener Auffassung sogleich unten S. 167f.

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dem moralische und juridische Qualitäten wie Rechte, Pflichten etc. zukommen. Um menschlichem Leid überhaupt ethische oder rechtliche Relevanz zuschreiben zu können, bedarf es nämlich einer Begrifflichkeit, die nicht schon aus der Erfahrung stammt, sondern mit der etwas überhaupt erst als Rechtsproblem etwa im Unterschied zur medizinisch-naturwissenschaftlichen Diagnose begriffen werden kann. Die Würde ist daher kein sinnlich erfassbarer Zustand, der beispielsweise durch den Mangel an Essen und Trinken gestört werden könnte. Das Verdursten eines Menschen wird erst dann zu einer möglichen Menschenwürdeverletzung, wenn es durch menschliches Verhalten bewirkt wird, d. h. nicht das Fehlen von Trinkwasser an unwirtlichen Orten kann für einen Verdurstenden entwürdigend sein, sondern erst dessen Entzug oder Vorenthalten durch einen (oder mehrere) Menschen. Die Frage nach der Würde ist – ebenso wie sämtliche Belange des Rechts und der Moral – ein Problem der ›Metaphysik der Sitten‹, nicht der (Bio-)Physik oder Psychologie. Diese (Natur-) Wissenschaften könnten lediglich das körperliche oder mentale Leiden an bloßen Zuständen erklären und dabei das Mitleid anderer Menschen bewirken. Die Würde ist aber nicht der Inbegriff des individuellen Wohlbefindens bzw. des Fehlens von Übeln. Sie lässt sich daher nicht durch eine Zustandsbeschreibung bestimmen, sondern nur durch die Bestimmung des tätigen Verhältnisses zu sich und zu anderen beschreiben.332 Im Übrigen ist das Empfinden physischer oder psychischer Pein nicht einmal eine notwendige Voraussetzung für eine Würdeverletzung. Die Menschenwürde kann auch tangiert sein, selbst wenn das Opfer diese gar nicht als solche empfindet;333 sie ist stets rational nicht emotional zu begründen. Andernfalls wäre ein Sklave, der die Sklaverei aus welchen Gründen auch immer selbst für legitim hält und gar nicht an der eigenen Unfreiheit oder der rechtlosen Ungleichheit im Verhältnis zu seinem Sklavenhalter leidet,334 z. B. weil er sie als sein unvermeidliches Schicksal oder als Bestandteil einer natürlichen Weltordnung akzeptiert, gar nicht in seiner Würde verletzt. Tatsächlich lässt sich jedoch die Würderelevanz der Sklavenhaltung unabhängig vom Würde- oder Ehrgefühl der Betroffenen allein schon durch die Beurteilung einer entsprechenden Handlung bestimmen. Dabei ist dann aber die Würde ein normativer Maßstab für das Ge- oder Verbotensein eines Verhaltens. Die Missachtung der Würde ist auch untersagt, selbst wenn es – z. B. durch List oder Täuschung – gelingen sollte, dass das Opfer die Entwürdigung als solche nicht merkt, d. h. wenn es nicht weiß, dass es durch 332 Insofern ähnlich z. B. auch P. Baumann, in: R. Stoecker (Hg.), Menschenwürde, 28; T. Hörnle ZRph 6 (2008), 57; M. Kahlo, in: Wege zur Menschenwürde, 389 Fn. 70. 333 Vgl. W. Schweidler, Über Menschenwürde, 43f. 334 Zu historischen Beispielen selbst-gewählter Sklaverei und ihrer Relevanz für die Würde vgl. Y.M. Barilan, Human Dignity, 71ff.

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eine entsprechende Handlung in seiner Würde verletzt wird. Dies könnte etwa bei Menschen der Fall sein, denen eingeredet wurde, sie seien ohnehin nur unwürdige Kreaturen. Die Unabhängigkeit der Begründung der Menschenwürde von bestimmten Bewusstseinszuständen ist beispielsweise ein Grund dafür, weshalb die nach § 136a Abs. 1 StPO verbotenen Vernehmungsmethoden auch nicht mit Einwilligung des Betroffenen vorgenommen werden dürfen. Selbst wenn jemand mit bestimmten körperlichen Eingriffen oder Formen einer Qualzufügung durchaus einverstanden wäre, weil er sie auch privat gerne praktiziert oder gar Lust am Schmerz empfindet, sind solche Verhaltensweise auf Grund ihrer Würderelevanz untersagt.

b)

›Meta-physischer‹ Sinn

Wer sich nicht auf die rein psycho-physischen Wirkungen einer Folterung beschränken möchte, muss auf deren quasi ›meta-physischen‹ Sinn zurückgreifen, um den eigentlichen Grund des Unrecht entsprechender Handlungen begreifen zu können. Dieser Handlungssinn erschöpft sich nicht in dem äußeren Ereignischarakter eines schmerzhaften Geschehens. In dieser Hinsicht lassen sich beispielsweise die Bemühungen von David Luban verstehen, jenseits der gängigen (Legal-)Definitionen von Folter (z. B. in Art. 1 I der Anti-Folter-Konvention – dazu oben S. 55), noch eine »Communicative definition of torture« zu entwickeln. Die gesetzlichen Regelungen empfindet er ebenfalls als zu eng und körperfixiert. Die eigentliche Bedeutung der Folter liegt für ihn nicht im Bereich des Sinnlichen, sondern in dem Sinngehalt, der zwischen den Beteiligten kommuniziert wird. Der in der Tortur zugefügte Schmerz kann für ihn daher nur ein »medium of communication« sein. Insofern erhält sie eine Bedeutung bzw. einen »meaningful content«, so »it is contentful pain – in this respect wholly unlike pain resulting from natural causes …, whose noteworthy experienced characteristic is its senselessness«. Während ein natürlich/naturwissenschaftliche erklärbarer Schmerz demnach als sinnlos empfunden wird bzw. seine Bedeutung in der entsprechenden Erklärung vollständig aufgelöst werden kann, transportiert die Zufügung von Schmerzen durch einen oder mehrere Menschen einen verstehbaren Sinngehalt. Den eigentlichen kommunikativen Sinn einer Foltermaßnahme sieht Luban dabei in der »absolute subordination to another person who uses pain to announce that subordination«. In einem (Original-) Beitrag zu seiner 2014 veröffentlichten Sammlung von Aufsätzen aus den Jahren 2002–2013 mit dem Titel ›Torture, Power, an Law‹ schlägt Luban daher folgende ergänzende Begriffsbestimmung vor: »Torture of someone in the torturer’s custody or physical control is the assertion of unlimited power over absolute helplessness, communicated through the infliction of

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severe pain or suffering on the victim that the victim is meant to understand as the display of the torturer’s limitless power and the victim’s absolute helplessness« (a. a. O., 128).

Dieses – im Vergleich zur genannten Legaldefinition – erweiterte Begriffsverständnis ermöglicht erst, eine Verbindung zu anderen rechtlichen oder ethischen Werten und Normen aufzuzeigen. So wird das absolute Folter-Verbot für Luban schließlich zu einem »moral« oder »legal archetype« wie er – in Anlehnung an die Begrifflichkeit von Jeremy Waldron335 – schreibt: »By calling it a moral archetype, I mean that the prohibition closely connects with other values that the world has come to regard as fundamental – fundamental concepts of human dignity, human equality, and the rejection of total domination of some people by others« (Torture, 125).

Jede Schwächung des Torturverbots schwächt damit zugleich auch den normativen Geltungsanspruch der genannten Fundamentalbegriffe. Ein solches Verständnis lässt sich noch weiter konkretisieren. Für die Beurteilung von Folterungen ist dabei der spezifisch moral- und rechtsrelevante Sinn von solchen Handlungen zu sehen: wer gefoltert wird, soll gegen sich selbst gewendet werden,336 indem die Physis oder/und Psyche des Menschen als Hebel für die Übernahme der Willensherrschaft verwendet wird. Ein Folteropfer wird zur bewussten Selbstbestimmung fremdbestimmt.337 In dieser Hinsicht erkennt auch David Sussman das spezifische Unrecht der Folter : »torture forces its victim into the position of colluding against himself through his own affects and emotions, so that he experiences himself as simultaneously powerless and yet actively complicit in his own violation … What the torturer does is to take his victim’s pain, and through it his victim’s body, and make it begin to express the torturer’s will … torture aims to make its victim make himself into something that moral philosophy tells us should be impossible: a natural slave, a truly heteronomous will. The victim retains enough freedom and rationality to think of himself as accountable, while he nevertheless finds himself, despite all he can do, to be expressing the will of another … the victim experiences his body in all its intimacy as the expressive medium of another will« (P& P Affairs 33 (2005), 4/21/29/32).

Der Gefolterte wird mittels gewaltsamer Einwirkung auf seinen Körper zum Handeln gegen sich selbst / gegen seinen Willen gezwungen, sein Wille wird gleichsam der Souveränität eines anderen unterstellt. So beschreibt dies bei335 J. Waldron, Columbia Law Review 105 (2005), 1723; s.a. M. Farrell, Prohibition of Torture, 194ff. 336 Siehe zu dieser sprachlichen Wendung auch Y.M. Barilan, Human Dignity, 53. 337 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch die ähnlichen Überlegungen von H. Bielefeldt, Auslaufmodell Menschenwürde?, 130ff.; D. von der Pfordten, in: Human Dignity, 22; s.a. S. Schmetkamp, Respekt, 74f.

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spielsweise auch David Luban treffend: »Sensations and emotions, the most intimate parts of the victim, transfer their allegiance to a new sovereign, the torturer« (Torture, 129). Die erfolterte Handlung lässt sich ohne willentliche Mitwirkung des Gefolterten nicht erreichen. Dies unterscheidet die Folter von anderen Zwangsmaßnahmen, die darauf dringen, das Unterbleiben eines Tuns zu bewirken. Der Gefolterte spürt die Gewalt nicht etwa nur als äußere Handlungsbarriere, sondern als Zwang zu einem inneren Tatendrang. Die eigene Willkür wird durch die Willkür eines anderen bestimmt und nicht etwa nur ersetzt. Der widerwillige Geist wird durch körperliche Schwächung gefügig gemacht. Der Theologe und Philosoph Gerhard Beestermöller hat für das Charakteristische der Folter den auf den ersten Blick etwas ungelenk wirkenden, aber bei genauerem Hinsehen durchaus passenden Ausdruck des » ›Ge-ichtet-werden‹ des Menschen« geprägt. Damit wird nämlich treffend ausgedrückt, wofür sich keine angemessene Vokabel im deutschen Wortschatz finden lässt, dass nämlich jemand unter der Folter zu einer Aktivität gezwungen wird, die ihm jedoch nur scheinbar als eigene Tat zugerechnet werden kann, während es im Grunde nur ein passives Geschehenlassen-müssen einer Handlung des Folterers ist: »Unsere Sprache kennt zu dem ›Ich bin‹ keine passive Form. Diese müsste aber gebildet werden, um auszudrücken, was mit einem Menschen geschieht, der gefoltert wird. Er wird ›ge-ichtet‹. Das, was ein Mensch unter Folter tut, ist, insofern es bewusst geschieht, irgendwie sein Handeln. Insofern dieses Handeln in der Willensherrschaft eines anderen liegt, ist es zugleich irgendwie dessen Handeln«.338

Dieses Problem der personalen Zurechnung von Handlungsbedeutung wird deutlich, wenn man die einschlägigen Situationen, in denen gefoltert wird, näher betrachtet. So diente in der klassischen Konstellation einer Geständniserzwingung die erfolterte Aussage im Prozess der Wahrheitsfindung tatsächlich nur als eine notwendige Voraussetzung für den eigentlichen Erkenntnisakt des Gerichts. Trotz aller Unterschiede wird insofern ebenso in den hier interessierenden Fällen einer Präventivfolter die erzwungene Auskunft über den Aufenthaltsort einer Bombe bzw. des Entführungsopfers zum bloßen Teilmoment der Rettungstat. Die Person des Gefolterten wird in der Zuschreibung des Handlungsgeschehens gewissermaßen unsichtbar ; sie verschwindet als Zurechnungssubjekt jeweils hinter den maßgeblichen Akteuren, deren Taten die (Konflikt-) Situation prägen. Im Zentrum stehen jeweils die Vollstrecker der Zwangsmaßnahme bzw. die Verwerter der erlangten Informationen, die zu den Urhebern der Gesamttat erklärt werden, während der gefolterte Mensch als Beteiligter mar338 G. Beestermöller, Freiburger Zeitschrift für Theologie und Philosophie 56 (2009), 468/458; s.a. dens., in: Wörterbuch der Würde, 332.

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ginalisiert wird. Dessen Handlungsanteile können ihm jedenfalls nicht als freie Taten zugerechnet werden, weshalb er nicht als Person behandelt wird; deren vorherige Selbstbestimmung zur (vermeintlichen oder tatsächlichen) Unrechtstat wird durch zwangsbewehrte Heteronomie aufgehoben. Dies mag jeweils einem guten Zweck dienen (Entdeckung der Wahrheit bzw. Rettung von Menschenleben), ändert aber nichts daran, dass hier ein Mensch unter Aufhebung seiner personalen Autonomie zum bloßen Mittel zu diesem hehren Zweck verwendet wird. Wenn in der Anwendung der Tortur daher in diesem Sinne ein Akt der Ent-Persönlichung liegt (vgl. zum Begründungszusammenhang bereits oben S. 127 m.w.N.), so kann dies nicht zu den legalen Verhaltensweisen des Staates gehören, wenn ein Rechtsverhältnis begrifflich gerade auf die Anerkennung der Personalität der Beteiligten angewiesen bleiben soll. Daher muss in einem Rechtsstaat auf solch denkmögliche Verhaltensvarianten verzichtet werden. Nicht jeder möglicherweise erreichbare Zweck lässt sich mit rechtlichen Mitteln erreichen. Die besagte Verzichtserklärung wird durch die zahlreichen Rechtsvorschriften ausgedrückt, die die Folter auch als ein Problem des positiven Rechts ausweisen. Dies entzieht die individuelle Würde als spezifisch rechtliches Bindemittel zwischen Staat und seinen Bürgern bzw. zwischen dem Staat und jedem Menschen zugleich jeder Form einer konsequentialistischen Verrechnung. Die Würde – als Gegenbegriff zum Preis339 – lässt sich jedenfalls nicht als Rechenwert in die Kosten-Nutzen-Analyse eines ›ökonomischen‹340 Foltermodells einspeisen. Eine ausnahmslos menschenwürdige Behandlung ist dabei die Form, in der diese Beziehung als Rechtsverhältnis konkret realisiert werden kann. Der Rechtsstaat hat keine andere (Da-)Seinsweise als die rechtsförmige Einheit jener Verhaltensweisen seiner Vertreter, die ihm als eigenes Handeln und Unterlassen zugerechnet werden können. Darin begründet sich zugleich die Rechtssubjektivität des Einzelnen, die als normative Substanz des Rechtsstaats gelten kann und durch einen unbedingten Rechtsanspruch auf Achtung der Würde manifestiert wird. Hiernach bestimmen sich die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten des Staates, die nur in den Grenzen des Rechts denkbar sind. In der handlungsbeschränkenden Ausgestaltung dieser Beziehungsweise zwischen der staatlichen Gemeinschaft und den einzelnen Rechtssubjekten ist daher keineswegs ein bloß abstraktes Prinzipiendenken zu sehen, es dient vielmehr der Konkretisierung der Daseinsform eines Rechtsstaats, der seine Realität überhaupt nur in der Einhaltung rechtsförmiger Verhaltensweisen finden kann. Der Staat als Rechtssubjekt ist nichts als die 339 Grundlegend I. Kant, GMS BA 77, Werkausgabe VII, S. 68. 340 Zu dem »economic model of torture«, das gerade in dem oben (S. 64 – Text zu Fn. 119) beschriebenen ›ticking bomb‹-Szenario seinen Ausdruck findet, vgl. J.J. Wisnewski / R.D. Emerick Ethics, 16ff.

Vorrang des Politischen?

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Einheit seiner Normen und die ihnen entsprechenden Taten. Die typisch rechtliche Ebene der Folterproblematik ist daher auch für eine ethische Grundsatzüberzeugung nicht hintergehbar. Die Menschenwürde lässt sich schon gar nicht in das Rechenwerk des Utilitarismus einspeisen, in dem sie als einzelner Zählwert gegenüber der zahlenmäßigen Überzahl anderer betroffener Rechte und Güter ohnehin unterzugehen droht.341 Durch die Verzahnung mit den allgemeinen Legitimationsbedingungen eines Rechtsstaats lässt sich die Achtung der Würde auch nicht mit dem Hinweis aushebeln, ein Terrorist oder sonst ein Verbrecher habe den entsprechenden Rechtsanspruch auf Respekt der eigenen Würde selbst verwirkt (dazu auch unten S. 245).342 Die Unantastbarkeit der Würde gilt insofern ohne Ansehen der Person, sie darf nicht als ein Verdienst angesehen werden und geht selbst dann nicht verloren, wenn sich jemand seinerseits unwürdig verhält.

VI.

Vorrang des Politischen?

1.

Unmittelbare Verantwortungsübernahme (mit Max Weber)

Neben dem bereits diskutierten Ausweichen auf das Gebiet der Ethik wird im Kontext der Folterdebatte immer wieder auf eine politische Dimension dieses Problems aufmerksam gemacht. In der Perspektive der Politik gehe es um die Durchsetzung von Macht und die habe es mit ganz anderen Mittel-ZweckÜberlegungen zu tun als das Recht. Schließlich gelte es, einen Krieg gegen den Terrorismus zu führen und zu gewinnen; dieser Kampf gegen einen gewaltigen und gewalttätigen Terror zwinge dazu, sich auf die ›dunkle Seite‹ (der Macht) zu begeben und nicht nur auf die Ohnmacht des Sollens eines Rechts zu vertrauen, das sich selbst die Hände gebunden habe und stets zu spät komme. Bereits wenige Tage nach den Ereignissen vom 11. September 2001 hatte der damalige Vizepräsident der USA, Dick Cheney, das Bild von der ›dunklen Seite‹ aufgegriffen und entsprechend angekündigt: »We also have to work, though, sort of the, the dark side«.343 In Anspielung darauf hat die Menschenrechtsorganisation 341 Ebenso R. Marx KJ 37 (2004), 295ff. 342 Siehe zu dieser Argumentation K. Amelung, JR 2012, 18ff., bes. 20; s.a. F. Allhoff (Fn. 164), 107ff.; S. Kershnar, International Journal of Applied Philosophy 19 (2005), 230ff.; ders., For Torture, 27ff. m.w.N.; dazu auch U. Steinhoff, Ethics, 88. Vgl. zu solchen Begründungen, die bereits in anderen Zusammenhängen eine Rolle gespielt haben, auch St. Stübinger (Fn. 40), 297f. m. Fn. 42 (unten S. 243); ausführlich und kritisch zu diversen Ansätzen dieser Art auch J. Kümmel, Nötigung durch Folter, 70ff. 343 Siehe dazu z. B. J. Mayer (Fn. 74), 139 (Nachweis S. 158 Fn. 4); D. Steiger, Folterverbot, 39; W.G.K. Stritzke/S. Lewandowsky, in: Terrorism and Torture, 1f.; C. Fried / G. Fried, Because

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›amnesty international‹ USA ihren Bericht vom 13. Dezember 2006 mit der Überschrift »Five Years on ›the Dark Side‹: A Look Back at ›War on Terror‹ Detentions« betitelt.344 Zur Beschreibung der angedeuteten Unterscheidung zwischen der aktuellen bzw. zukunftsgestaltenden Handlungsmacht der Politik und einer im Vergleich dazu stets zu spät kommenden Urteils-Ohnmacht des Rechts wird sehr häufig an die sog. ›Dirty Hands‹-Doktrin des politischen Handelns erinnert. Diese Lehre ist u. a. auch schon im Kontext des Foltereinsatzes maßgeblich in einem berühmten Aufsatz von Michael Walzer in der Zeitschrift ›Philosophy & Public Affairs‹ (Volume 2 (1973), 160–180) formuliert worden.345 An dieses Schlagwort wird auch innerhalb der aktuellen Debatte immer wieder erinnert.346 Im Kontrast zu den sauberen Operationsweisen des Rechts, die stets im sterilen Milieu formalisierter Verfahren gegen Einzelne Anwendung finden können, muss sich die Politik eben manchmal die Hände ›schmutzig‹ machen. Sie hat es nämlich mit der Stabilisierung staatlicher Macht zu tun, aus der eine reale Verantwortung für das Große und Ganze erwächst, das manchmal nur durch die »dirty hands« der politischen Akteure zusammengehalten werden könne. Der Schmutz, der an den Fingern der politischen Entscheidungsträgern hängen bleibt, stammt von deren Eingreifen in eine Wirklichkeit, die ihrerseits nicht immer mit den reinen Wassern von Ethik und Recht gewaschen worden ist. Dabei ist es meist die Verkommenheit der Welt und nicht etwa die Schlechtigkeit der Politiker, die ein derartiges Vorgehen notwendig erscheinen lässt. Solche Weisheiten wurden schon von Machiavelli gepredigt, der meinte: »Jemand, der es darauf anlegt, in allen Dingen moralisch gut zu handeln, muß unter einem Haufen, der sich daran nicht kehrt, zugrunde gehen. Daher muß ein Fürst, der sich behaupten will, sich auch darauf verstehen, nach Bedarf nicht gut zu handeln, und dies tun oder lassen, so wie es die Notwendigkeit erfordert«.347

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it is Wrong, 142; J. Ip (Fn. 28), 38f. m.N. in Fn. 23; A.W. Clarke, Rutgers Law Review 62 (2009), 30 Fn. 141; R. Gordon, Mainstreaming Torture, 4. Zit. nach K. Bennoune (Fn. 121), 31 Fn. 149. Dazu M. Farrell, Prohibition of Torture, 102ff.; C. Fried / G. Fried, Because it is Wrong, 144f.; R. Gordon, Mainstreaming Torture, 77f.; S. Mendus, Criminal Law and Philosophy 8 (2014), 130ff.; allgemein zu diesem Topos: P. Baumann, Logos N.F. 7 (2001), 187ff.; M. Betzler, IZPh 14 (2005), 5ff. jeweils m.w.N. Vgl. etwa J.J. Wisnewski, (Fn. 28), 105ff.; J.B. Elshtain, in: Torture, 77ff., bes. 81f.; A. Raviv (Fn. 86), 141f.; S. Lukes (Fn. 49), 3ff./12ff.; R. Matthews (Fn. 164), 66ff.; ders, Absolute Violation, 139ff.; S.R. Paeth, Journal of the Society of Christian Ethics 28/1 (2008), 163ff.; T. Meisels, Canadian Journal of Law and Jurisprudence 21 (2008), 149ff.; dies., Trouble with Terror, 196ff.; W.R. Casto, Georgetown Journal of Legal Ethics 26 (2013), bes. 189ff.; M. Yemini, Ethical Theory and Moral Practice (2013). N. Machiavelli, Der Fürst, Kap. 15, S. 88; zu Machiavelli als Urahn der »dirty hands«Doktin siehe etwa M. Betzler, IZPh 14 (2005), 7; C. Fried / G. Fried, Because it is Wrong,

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Auch in zeitlicher Hinsicht öffnet sich eine Kluft zwischen politischen und juridischen Entscheidungen. Politiker müssen nämlich ex ante entscheiden. Demgegenüber kann die praktisch bedeutsame juristische Beurteilung stets ex post erfolgen. Zwar steht auch die Justiz unter einem Entscheidungszwang, der einen gewissen Zeitdruck erzeugt und so einer wahrhaft idealen Urteilsmöglichkeit entgegensteht; der Zwang, im Rahmen einer angemessenen Verfahrensdauer zu einer Entscheidung zu gelangen, bezieht sich jedoch auf die nachfolgende Bewertung eines (vergangenen) Verhaltens als recht oder unrecht. Demgegenüber müssen die politischen Entscheidungsträger meist zukunftsweisende Beschlüsse fällen; in einigen heiklen Situationen kommt dann sogar noch eine Zeitknappheit hinzu, die eine Entscheidung zusätzlich erschwert. Wer nicht rechtzeitig entscheidet, hat nichts mehr zu entscheiden, da die realen Umstände die Entscheidung fällen. So sehr man sich in rein rechtlicher Hinsicht die Absolutheit des Folterverbots wünschen möge, so dankbar wird mancher sein, wenn ein politisch verantwortlicher Akteur in einem Extremfall (wie er beispielhaft im oben – S. 64 zu Fn. 119 – skizzierten ›ticking bomb‹-Szenario auftreten kann) das Recht Recht sein lasse und trotz des rechtlichen Verbots foltert, um Menschenleben zu retten; was rechtlich verboten ist, könne politisch sehr wohl geboten oder müsse zumindest erlaubt sein. In diesem Sinne meint etwa der – ob seiner rechtswissenschaftlichen Rührigkeit – bekannte US-amerikanische Bundesrichter Richard A. Posner : »that if the stakes are high enough torture is permissible. No one who doubts that should be in a position of responsibility«.348 Für Extremfälle dieser Art möchten zwar die meisten offiziell an einem absoluten rechtlichen Verbot von Folter festhalten, dennoch können sich viele in Situationen, die auf ein katastrophales Szenario zulaufen, einen Akt politischen Ungehorsams dagegen vorstellen.349 Auch das Handeln gegen das (Rechts-)Gesetz könne daher durchaus zum Geschäft eines Politikers gezählt werden, wenn die politischen Ziele des Gemeinwesens anders nicht zu erreichen sind. Politik funktioniert nach eigenen Gesetzmäßigkeiten. Gegen den Idealismus von Ethik und Recht, dem allzu oft eine »moral naivete« vorgeworfen wird, soll sich der auch international in Deutsch etablierte Fachbegriff der »realpolitik« in Stellung bringen lassen.350 Politische Entscheidungsträger sehen sich nämlich nicht selten mit bösen Mächten ringen, denen notfalls auch mit üblen Methoden zu widerstehen ist. 142ff.; S. Mendus, Criminal Law and Philosophy 8 (2014), 124/130; s.a. M. Walzer, P& P Affairs 2 (1973), 164/168/175ff. 348 R.A. Posner, in: Torture, ed. by S. Levinson, 295.; ähnlich S. Mendus, Criminal Law and Philosophy 8 (2014), 133; dagegen J. Waldron, ebenda, 139f. 349 So etwa O. Gross, Law, Culture and the Humanities 3 (2007), 35ff., bes. 44ff.; zur Position von Gross in dieser Frage s.a. K. Bennoune (Fn. 121), 32f. 350 Siehe dazu – kritisch: J. Waldron, Criminal Law and Philosophy 8 (2014), 139.

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Eine solche Position kann mit Michelle Farrell als »pragmatic torture prohibition« bezeichnet werden.351 Danach soll zwar an dem rechtlichen Verbot der Folter offiziell festgehalten werden, dennoch werden aus primär pragmatischen Gründen auch extra-legale Anwendungen in Extremsituation für politisch möglich angesehen. Trotz einer eventuell verbleibenden juristischen Haftung, könne jemand, der in extremen Situationen zur Folter als Mittel greife, ein »martyr to a higher morality« sein.352 In diesem Sinne dürfte auch die Äußerung von Horst Meier gemeint sein: »Folter im Staatsdienst ist immer verboten, das heißt ausnahmslos und unter allen Umständen ein Angriff auf die Würde des Menschen. Sie ist manchmal, in gewissen Kriminalfällen, eine Versuchung, der zu widerstehen ist. Und sie ist selten, im Extremfall des terroristischen Massenmords eine Versuchung, der zu erliegen politisch diskutabel sein kann« (Merkur 57 / Heft 12 (2003), 1140).

Als einen wichtigen Kronzeugen, der für ein solches Verständnis politischen Handelns aussagen könnte, mag man sich hierbei auf Max Weber berufen können.353 In diesem Sinne hatte bereits Winfried Brugger auf den Stammvater der (politischen) Soziologie geschielt (dazu unten S. 232).354 Weber hatte einst als eine Art politischen Imperativ den allgemeinen »Satz: du s o l l s t dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst – bist du für seine Übernahme v e r a n t w o r t l i c h « formuliert. Das Böse färbt gleichsam auf den ab, der es unterlässt, es rechtzeitig zu bekämpfen. Zum Zweck dieser manchmal notwendigen Übelabwendung arbeitet die Politik »mit einem sehr spezifischen Mittel: Macht, hinter der G e w a l t s a m k e i t steht«. Der übergeordnete Sinn des politischen Handelns bringt es für Weber unweigerlich mit sich, »daß die Erreichung ›guter‹ Zwecke in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, daß man sittlich bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel … mit in Kauf nimmt«, denn die »Aufgabe« der Politik ist oft eine »solche, die nur mit Gewalt zu lösen« ist (Politik als Beruf, 69/ 68/71/79). Zur manchmal notwendig gewalt-tätigen Abwehr drohender Schäden bedarf es demnach der Anwendung einer politischen Verantwortungs-Ethik, die nicht auf die Einhaltung (gesinnungs-)ethischer oder auch rechtlicher Prinzipien pochen kann, sondern die unmittelbaren Konsequenzen des Handelns in den Blick nehmen muss. Die Alternative zur Gewalt-Tätigkeit des politischen Handelns wäre die Un-Tätigkeit, die den Untaten des Bösen ihren Lauf lassen müsste. 351 M. Farrell, Prohibition of Torture, 184ff. m.w.N. 352 So J. McMahan, Case Western Reserve Journal of International Law 37 (2006), 248. 353 Vgl. entsprechende Hinweise bei M. Walzer (Fn. 119), 163f./176f.; S. Levinson Dissent 50 (summer 2003), 83; ders. Texas Law Review 81 (2003), 2032f.; J. Kleinig (Fn. 119), 615f.; S. Lukes (Fn. 49), 3f.; R. Matthews (Fn. 164), 74. 354 Vgl. die diskrete Anspielung auf Weber bei W. Brugger JZ 2000, 172 m. Fn. 30; dazu auch St. Stübinger (Fn. 40), 286ff. m.w.N.

Vorrang des Politischen?

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Weber selbst deutet aber bereits an, dass eine gewaltsame Abwehr eines drohenden Übels stets die Gefahr in sich birgt, ihrerseits in üble Gewaltsamkeit auszuarten, von der am Ende nicht sicher ist, ob sie tatsächlich noch besser als das abgewendete Übel ist. Hier mag man sogleich an Nietzsches Warnung in ›Jenseits von Gut und Böse‹ (Nr. 146) denken: »Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein« (KSA V, 98).355

Insofern handelt sich die ›verstehende‹ Soziologie Webers die gleichen Probleme ein, die aus der Auseinandersetzung mit dem Konsequentialismus bekannt sind. Ungeklärt bleibt in Webers Beschreibung von ›Politik als Beruf‹ allerdings das Verhältnis zum Recht, das in einer soziologischen Beschreibung auf die reale Seite der Macht-Sicherung reduziert wird. In seiner Schrift geht es allein um eine angemessene ethische Einstellung der politischen Akteure, die er durch seine berühmt gewordene Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik genauer bezeichnen möchte. Wer im Kontext der Folterdiskussion auf diesen Text rekurrieren möchte, hat das Rechtsproblem stillschweigend durch diese Differenz der politischen Ethik ersetzt. Insofern geht es lediglich um eine noch weithin recht-lose Verantwortungs-Politik, deren rechtliche Verantwortlichkeit ausgeblendet bleibt, solange die normativen Kriterien für die Zuschreibung von Verantwortung ungeklärt bleiben.

2.

Ausnahmen vom Recht (mit Carl Schmitt)

Für die Behauptung einer Vorrangstellung des Politischen gegenüber Recht und Moral soll für viele noch eine weitere theoriegeschichtlich tragende Säule errichtet werden. Speziell im Rahmen der Terrorismusbekämpfung (nicht nur mit Hilfe von Folter) und der dazu reformulierten Sicherheitspolitik wird nicht selten an Carl Schmitts ›Politische Theologie‹ und seinen ›Begriff des Politischen‹ erinnert.356 Dessen gesamte politische Lehre hat bereits seit den 1990er 355 Dazu auch B. Kretschmer, RuP 2/2003, 114. 356 Siehe F. Johns, European Journal of International Law 16 (2005), 613ff., bes. 619ff.; C. Kutz (Fn. 10), 238/268ff. jeweils m.w.N.; M. Ignatieff, Das kleinere Übel, 67ff.; K.L. Scheppele, Journal of Constitutional Law 6 (2004), 8ff./62ff.; U. Thiele, Blätter 8/2004, 992ff.; W.T. Cavanaugh, Theology Today 63 (2006), 319f.; D. Dyzenhaus, Cardozo Law Review 27 (2006), 2005ff., bes. 2016ff.; D. Luban, Case Western Reserve Journal of International Law 43 (2010), 457ff.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 153ff.; W.E. Scheuerman, Constellations 13 (2006), 108ff., der sich primär auf einige Nachkriegsschriften von Schmitt konzentriert, um sie für eine Analyse der aktuellen Geschehnisse fruchtbar zu machen; einige Andeutungen finden sich zudem bei J.T. Parry, Melbourne Journal of International Law 6

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Jahren ein erstaunliches Revival innerhalb der politischen und philosophischen Diskussionen erlebt. Sie scheint als eine Art Allzweckwaffe für all diejenigen zu fungieren, die die offenbar unvermeidliche Kontingenz des Rechts durch politische Willkür bestätigt finden wollen.357 Zur Aktualität von Carl Schmitt innerhalb der (politischen) Philosophie und Theorie hat sicher nicht zuletzt die Beschäftigung mit dessen Ansichten durch Denker wie Jacques Derridas,358 Giorgio Agamben359 sowie Chantal Mouffe beigetragen.360 Schmitt hatte bekanntlich versucht, die Grenzen des Rechts dadurch zu bestimmen, dass er die Bedingungen der Aufhebung an den Begriff der Souveränität gekoppelt hat. Die Geltungsvoraussetzungen des Rechts als Regel seien von der Ausnahme her zu bestimmen. Recht gilt nur wenn und solange es nicht durch eine souveräne Entscheidung außer Kraft gesetzt wird. Daher beherrscht die politische Macht eines Souveräns die Reichweite des Rechts. Jenseits dieser Grenze waltet das Machtspiel einer souveränen Politik und behauptet für sich ein Vor-Recht zur Suspendierung des (positiven) Rechts. Die rechtlich geordnete Bindung an die geltenden Gesetze wird in manchen (Not-)Fällen gelockert oder hört sogar ganz auf zu wirken. Es ist Ausdruck politischer Souveränität, über das Vorliegen solcher Ausnahmen zu befinden, denn: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet« – so lautet Schmitts berühmt-berüchtigte Definition des Souveränitätsbegriffs am Anfang seiner ›Politischen Theologie‹. Demnach kann es Situationen geben, in denen »der Staat bestehen bleibt, während das Recht zurücktritt«, denn: »Im Ausnahmefall suspendiert der Staat

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(2005), 523 m. Fn. 35; K.J. Heller, Georgia Law Review 40 (2006), 786 / 803f.; O. Gross, Yale Law Journal 112 (2003), 209; ders., Minnesota Law Review 88 (2004), 1517; ders., (Fn. 198), 239; P.W. Kahn, Social Research (2011), 754; dazu auch H. Shue, Case Western Reserve Journal of International Law 37 (2005), 232; J.-M. Piret (Fn. 61), 102; vgl. ferner G. Agamben, Lettre International 61 (Frühjahr 2003), 61ff.; ders., Ausnahmezustand, 2004, 7ff. u. ö.; J. Derrida, Schurken, 140ff./208ff.; C. Mouffe, Über das Politische, 100ff. Vgl. zu diesem Schmitt-Revival z. B. A. Kalyvas, Philosophy & Social Criticism 25/5 (1999), 87ff.; O. Gross, Cardozo Law Review 21 (2000), 1825ff. m.z.N.; J.-W. Müller, Ein gefährlicher Geist, bes. 193ff./205ff.; L. Barshack, University of Toronto Law Journal 56 (2006), 185ff.; R. Mehring, Carl Schmitt, bes. 134ff.; s.a. T. Assheuer, Zeit-Kursbuch 166 (2006), 12ff.; St. Stübinger, Ancilla Iuris 2008, 73ff. m.z.N. (unten S. 387ff.); A. Vermeule, Havard Law Review 122 (2009), 1096ff.; W.G. Werner, International Theory 2 (2010), 351ff.; A. de Ruiter, ARSP 98 (2012), 52ff.; C. Kreuder-Sonnen, in: R. Voigt (Hg.), Ausnahmezustand, 165ff. Vgl. J. Derrida, Politik der Freundschaft, 162ff./190ff.; dazu die Beiträge von E.M. Vogt bzw. R.M. Schott, in: E.M. Vogt u. a. (Hg.), Derrida und die Politiken der Freundschaft, 83ff. / 107ff.; N. Mansfield, Macquarie Law Journal 6 (2006), bes. 107ff. G. Agamben, a. a. O. (Fn. 356); zu Agambens Verhältnis zu Schmitt vgl. etwa V. Heins, German Law Journal 6 (2005), 845ff.; J. Huysmans, International Political Sociology 2 (2008), 165ff.; F. Luisetti, Journal of Philosopy of Life I/1 (2011), 49ff.; M. Farrell, Prohibition of Torture, 164ff.; R. Voigt in: ders. (Hg.), Ausnahmezustand, 110f. C. Mouffe, Über das Politische, 18ff.; zu Mouffes Verhältnis zu Schmitt vgl. M. Fritsch, Research in Phenomenology 38 (2008), 174ff.; S. Salzborn, in: Freund-Feind-Denken, 111f.; J. Smolenski, Hybris 16 (2012), 63ff.

Vorrang des Politischen?

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das Recht, kraft eines Selbsterhaltungsrechtes«. Das Recht kann allein den »Normalfall« den selbst gesetzten allgemeinen Normen gemäß ordnen. Diese ›normalen‹ Rechtsnormen sind in ruhigen Zeiten gleichsam wie von selbst nach dem Gang des juristisch-logischen Subsumtionsschemas anzuwenden; sie bilden ein sich selbst tragendes System. Demgegenüber ist die »Ausnahme … das nicht Subsumierbare«; hier versagt die Automatik der juristischen Logik des Schließens von der allgemeinen Regel auf den konkreten Einzelfall. Statt einen besonderen Lebenssachverhalt unter abstraktes Recht zu subsumieren, muss für Schmitt im Ausnahmefall »die Norm vernichtet« werden; es tritt sodann das »selbständige Moment der Entscheidung«, eine »Dezision, in absoluter Reinheit«, für eine ganz besondere Situation in den Vordergrund. Dies kann nicht mehr im Rahmen der generellen Rechtsordnung erfasst werden, denn jede »generelle Norm verlangt eine normale Gestaltung der Lebensverhältnisse, auf welche sie tatbestandsmäßig Anwendung finden soll und die sie ihrer normativen Regelung unterwirft«. Fehlt ein solch »homogenes Medium«, so kann das Recht seinen Sinn nicht erfüllen und seiner Ordnungsaufgabe nicht nachkommen. Was in einer konkreten Ausnahme-Situation nicht dem allgemeinen Recht subsumiert werden kann, muss eigens für den einzelnen Fall entschieden werden. Im »Ausnahmefall … sondert sich die Entscheidung von der Rechtsnorm, und (um es paradox zu formulieren) die Autorität beweist, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht« (Politische Theologie, 11/18f./20).

Selbst- bzw. Machterhaltung bleibt dabei offenbar das einzige Kriterium, das als inhaltlicher Bestimmungsgrund noch zur Verfügung steht, wenn die Orientierung an normativen Gesichtspunkten des Rechts umgangen werden soll. Der normale Rechtszustand kann sich weder selbst schaffen noch allein erhalten. Hierfür bedürfe es politischer Schützenhilfe. Im Zuge einer quasi-natürlichen Überlebensstrategie wird dem politischen Gemeinwesen so etwas wie das quasianimalische Vermögen der ›Auto-tomie‹ zugeschrieben. Darunter versteht man das aus der Tierwelt bekannte Phänomen, bei Gefahr bestimmte (Körper-)Teile abwerfen zu können, die sich später wieder regenerieren mögen. In einer für die Existenz des Staates gefährlichen Ausnahmesituation soll dieser sich vorübergehend seiner Rechts-ordnung entledigen können, um zumindest den Rest des staatlichen Organismus am Leben zu erhalten; in ruhigeren Zeiten mag dann der rechtliche Teil des Staatswesens wieder nachwachsen. Auch ein Rechtsstaat ist in erster Linie Staat. Das Recht scheint für Schmitt nur ein sekundäres Begriffsmerkmal zu sein; es ist schönes Schmuckstück, solange die Geschicke der Welt in ruhigen Zustand bleiben. Jedenfalls soll es verzichtbar sein, wenn es um die Erhaltung des primären Kernbereichs geht. In Zeiten eines global agierenden Terrorismus könne aber von dem Normalzustand keine Rede mehr sein. Daher

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sei längst eine – permanente – Ausnahmelage ausgerufen. Darin könne dann auch die rechtlich verpönte Folter als Ausnahmeinstrument vorkommen (ausführlicher zu Schmitts politischer Theorie des Ausnahmezustandes unten Teil 2 – Kap. B – S. 387ff. m.z.N.).

3.

Hierarchieprobleme

Ob es sich im Falle der Folter – zumindest wenn es um die Abwehr eines verheerenden Terroranschlags handelt – überhaupt um eine Situation handelt, in der im Sinne Schmitts eine Ausnahme vom geregelten Normalzustand des Rechts vorliegt, lässt sich nicht abstrakt sagen. Dies müsste ja gemäß der Theorieanlage erst im Einzelfall einer souveränen Entscheidung überlassen bleiben. Es bleibt freilich zu befürchten, dass in Zeiten des globalen Terrorismus der Ausnahmezustand beinahe als Regelfall angesehen werden könnte, für den die politische Dezision gegenüber dem normengeleiteten Rechtsurteil den Vorzug reklamiert. Da-für spricht der durchaus inflationäre Gebrauch dieses Konzeptes und die steigende Inanspruchnahme der Theorie Carl Schmitts.361 Darauf soll es im hiesigen Zusammenhang jedoch nicht ankommen. Entscheidend wird sein, auf die Voraussetzungen sowohl des Schmitt’schen als auch des Weber’schen Politikverständnisses im Kontext der Rechtsfrage aufmerksam zu machen, die als solche sehr wohl bestehen bleibt. Mit Hilfe beider Konzeptionen soll jeweils in Betracht gezogen werden, dass man sich mit der Frage nach der Zulässigkeit von Folter vielleicht gar nicht im Zentrum des Rechts aufhält, sondern längst dessen Peripherie erreicht hat, vielleicht sogar die Grenze zur Politik bereits überschritten hat. Die fallweise Entscheidung für den Einsatz von Folter gibt dann insoweit gar nicht mehr vor, ›im Recht‹ zu sein; sie wird außerhalb getroffen. So kann behauptet werden, dass zwar nicht ›mit Recht‹ gefoltert wird, aber dennoch eine übergeordnete Notwendigkeit hierzu besteht, denn es sei nun einmal die Aufgabe der Politik, Not abzuwenden. So gesehen geht es quasi um eine ›Entrechtlichung‹ der Folterproblematik. Wenn das Recht zu schwach erscheint, einen handfesten Konflikt entscheiden zu können, wird es entweder – nach der Lösung von Carl Schmitt – politisch außer Kraft gesetzt oder – mit Max Weber – durch einen (Gewalt-)Akt politischer Verantwortungsübernahme zumindest durch einen insoweit vermeintlich übergeordneten Gesichtspunkt verdrängt.362 361 Vgl. dazu G. Agamben, Ausnahmezustand, bes. 31f.; s.a. M. Brumlik, KrimJ 39 (2007), 117ff., sowie die Beiträge von S. Levinson bzw. O. Gross, in: Constellations 13 (2006), 59ff. bzw. 74ff. 362 Zu punktuellen Gemeinsamkeiten in Webers und Schmitts Politikverständnis siehe etwa P.

Vorrang des Politischen?

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Die Frage, ob es sich überhaupt um Recht oder vielleicht doch um eine Form einer politischen Ethik oder normativ ungeregelten Verantwortungsübernahme handelt, ist in der Tat ein schwieriges Problem. Folglich wird in diesem Zusammenhang eine Klärung der Hierarchie benötigt, die im Verhältnis zwischen der ethischen, politischen und juridischen Dimension der Folter herrscht. Es geht dabei zugleich auch um die Bestimmung der Grenzen des Rechts. Zum einen stellt sich die heikle Frage, ob das Recht im innersten überhaupt mehr oder anderes ist als Ethik und ob es einen Vorrang des Rechten vor dem Guten beanspruchen kann; zum anderen fragt sich, ob das Recht nicht vielmehr als Schranke der Politik gelten darf oder ob es weichen muss, wenn sich politische Notwendigkeiten breit machen und eine eigene Gesetzmäßigkeit des politischen Handelns behauptet. Politik und Ethik geben in diesem Zusammenhang an, einen direkteren Zugang zum Problem der Folter legen zu können, der ohne die vielfältigen Vermittlungen des Rechts auskommen soll. Das Recht ist durch seine mannigfaltigen Regelungen zu kompliziert, es verlangt zuviel an Rücksicht. Politische und ethische Urteile sollen offenbar einfacher zu haben sein; zudem sind sie leichter konkretisierbar als das meist abstrakt bleibende Recht. In diese Richtung zielt etwa Seumas Millers Versuch, eine moralische Rechtfertigung von Folter gegenüber entgegenstehenden rechtlichen Regelungen zu begründen.363 Während die rechtliche Analyse einer Problemstellung – wie hier etwa die Frage der Anwendung von Folter – auf die Hierarchie von Normen achten muss, vermag die Ethik bzw. Politik einen scheinbar unvermittelten Zugriff auf – mitunter quantifizierbare – Werte zu versprechen. Dies scheint den alltäglichen Intuitionen häufig näher zu stehen. Mit den ethischen und politischen Lösungsvorschlägen lassen sich handfeste Konfliktbereinigungen anbieten, die im günstigsten Fall die Rettung von Menschenleben vorweisen kann, die durch die streng juridische Einhaltung von Prinzipien verloren scheinen. Aus solchen vermeintlich materiellen Erfolgsaussichten bezieht der Verweis auf Ethik und Politik einen Großteil ihrer Anziehungskraft in den fraglichen Folterfällen. Hier wird ganz grundsätzlich der Vorzug pragmatischer und performativer Aktionsmöglichkeiten gegenüber dem theoretischen und konstativen Charakter rechtlicher Diskurse reklamiert. Im Recht gehe es lediglich darum, einen Rechtszustand zu beschreiben oder festzustellen, der als solcher unberührt bleiben soll, während mit den ethischen und politischen Lehren weitaus konkretere Handlungsanweisungen und Wertebewegungen verbunden werden Pasquino, Der Staat 25 (1986), 390ff. Jürgen Habermas hat einst sogar einmal behauptet, »daß Carl Schmitt ein legitimer Schüler« oder »ein ›natürlicher Sohn‹ Max Webers« war (in: ders., Zur Logik der Sozialwissenschaften, 85 m.Fn. 9); kritisch zu dieser Einschätzung G.L. Ulmen, Politischer Mehrwert, 19. 363 S. Millers, International Journal of Applied Philosophy 19 (2005), 179ff., bes. 188f.; ders., Terrorism, 152 ff, bes. 163ff.

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können. Mit Ethik und Politik lassen sich auch dort Fakten schaffen, wo das Recht nur Untätigkeit verordnen kann. Das Recht soll dann wie ein unbequemes Kleidungsstück abgelegt werden, wenn es den politischen Handlungsspielraum allzu sehr einzuengen droht. Ganz so leicht darf sich das Recht jedoch nicht aus seiner Regelungshoheit verdrängen lassen. Der angebliche Vorrang des Ethischen bzw. des Politischen gegenüber den rechtlichen Regelungen in Sachen Folter würde nämlich nicht allein eine einzelne Norm in einem einzelnen Fall suspendieren, sondern zugleich die Rechtsordnung selbst in Frage stellen. Deren Geltung wird nämlich nicht nur in guten Zeiten verheißen, sie soll vielmehr gerade auch in Krisen noch Bestand haben. Eine rechtsförmige Behandlung von Konflikten muss sich gegen ethisch und politisch überschießende Reaktionen behaupten. Wenn durch Folter die Würde eines Menschen missachtet wird und der Anspruch auf unbedingte Achtung der Menschenwürde zu den konstitutiven Momenten des Rechts als solchem gehört, dann kann es keine über das Recht hinausgreifenden Aspekte geben, die den Einsatz einer solchen Maßnahme – zu welchem Zweck auch immer – rechtfertigen könnte. Zumindest müssen eventuelle Rechtfertigungen innerhalb des Rechts gesucht werden. Die Behauptung eines ethisch oder politischen Vor-Rechts, das in bestimmten Bedarfsfällen an die Stelle des durch die Menschenwürdegarantie mitbegründeten Rechtsverhältnisses zwischen jedem Rechtssubjekt und der staatlichen Rechts-Ordnung treten soll, basiert letztlich auf einer jeweils vor-rechtlichen Überlegung, die Folter zur Not als Nicht-Recht, nicht jedoch als Unrecht erkennen möchte. Eine typisch rechtliche Verfasstheit, in der die Folter durch das unbedingte Achtungsgebot der Menschenwürdegarantie aus dem Aktionspotenzial eines Rechtsstaates ausgeschlossen wird, verträgt keine ausnahmsweise Suspendierung durch vermeintlich in Notfällen überlegenere Normierungen durch diverse Ethik- und Politikkonzepte. Das vermeintliche Vor-Recht dieser beiden Normbereiche, das Recht im Bedarfsfall auszuhebeln, entpuppt sich daher als Umgehung eines der Grundpfeiler rechtsstaatlichen Denkens, das im absoluten Würdeschutz und dem daraus abgeleiteten Folterverbot einen normativen Wegweiser auch für Ethik und Politik aufgestellt hat. In diesem Sinne gilt, was bereits Kant für das Verhältnis politischer und rechtlicher Regelungen formuliert hat: »Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden«.364

364 I. Kant, Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen, A 312, Werkausgabe VIII, 642.

Reinheit der strafrechtlichen Rechtfertigung?

VII.

181

Reinheit der strafrechtlichen Rechtfertigung?

Im Kontrast zu den ethischen bzw. politischen Überbietungsversuchen bemühen sich insbesondere im Rahmen einer Beurteilung des deutschen (›Frankfurter‹) Falles viele Diskussionsteilnehmer, die öffentlich-rechtliche und die ethisch-politische Frage gerade auszublenden. Als Alternative hierzu soll dann lediglich eine rein strafrechtliche Rechtfertigung der konkreten Handlung des Polizisten dargetan werden. Nur so könne das Recht vor der Kontamination mit den vagen Bewertungsmaßstäben von Ethik und Politik bewahrt werden. Hierfür bietet sich in der fraglichen Konstellation speziell die Notwehr an. Dieser Rechtfertigungsgrund ist nach dem deutschen Verständnis eines Verteidigungsrechts traditionell sehr weitgehend. Diese Weite ist weder in historischer noch in rechtsvergleichender Hinsicht selbstverständlich. Eine solche Notwehrlösung scheint demgegenüber vor allem im anglo-amerikanischen Diskussionszusammenhang nicht so nahe zu liegen, obwohl sie dort sogar schon länger zur Diskussion steht. Immerhin hat Michael S. Moore bereits 1989 in seinem Aufsatz ›Torture and the Balance of Evil‹ eine Rechtfertigung von Foltermaßnahmen u. a. auch unter dem Aspekt der Notwehr thematisiert. Allerdings hält er lediglich eine entsprechende Anwendung der Notwehrprinzipien für möglich; eine direkte Subsumtion unter die Regeln der Notwehr sei hingegen nicht möglich. Im Vergleich zu einem gewöhnlichen Standardfall einer Selbstverteidigung, in dem der Angriff unmittelbar als Handlung wahrnehmbar ist, zeige sich in den fraglichen Fällen, in denen es z. B. zu einer Anwendung von Folter zur Rettung eines Entführungsopfers kommen soll, ein signifikanter Unterschied: dort mangele es an der unmittelbar sinnlichen Wahrnehmbarkeit der Angriffshandlung. Der Akt der Entführung finde quasi im Verborgenen statt.365 Die in Aussicht gestellte Analogie des Notwehrrechts haben nach Moore auch andere aufgegriffen. Dabei wird zum einen geltend gemacht, dass die analoge Anwendung auf einem allgemeinen ethischen Verständnis von Selbstverteidigung basieren könne. Notwehr dient insofern nicht als ein strafrechtsspezifischer Rechtfertigungsgrund, der primär einer individuellen Entlastung dient. Sie gilt insofern eher als eine generelle Legitimation für die Begehung von Taten, die an sich als Unrecht in rechtlicher, ethischer oder politischer Hinsicht angesehen werden. Durch die Anwendung dieser allgemeinen Notwehrregelung muss es folglich nicht unbedingt zu einer rechtswirksamen Rechtfertigung bzw. Straffreistellung kommen. Gleichwohl soll es aber immerhin ein über-positives – im weitesten Sinne ›moralisches‹ – Recht zur Folter geben. Diese Differenzierung 365 M.S. Moore, Israel Law Review 23 (1989), 320ff.; überarbeitete Fassung in: ders., Placing Blame, 711ff.

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deutet sich beispielsweise bei Jeff McMahan an, für den die Folter daher unter bestimmten Umständen »morally required but legally prohibited« sei.366 Zum andern möchten einige eher einen Vergleich zu den Prinzipien der Verteidigung in Kriegszeiten ziehen, das ebenfalls auf einer derart generalisierbaren Notwehrüberlegung basiere.367 Insofern soll eine Parallele zwischen dem Einsatz von Folter und dem Tötungsrecht aufgezeigt werden, das zur Lehre von einem gerechten Krieg gehöre, in dem den Angegriffenen ein Recht auf Selbstverteidigung zugestanden werde. Eine direkte Anwendung des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr im engeren Sinne, die nach primär strafrechtlichem Vorbild erfolgt, wird dagegen eher selten vertreten. Wie oben dargestellt, bemüht sich besonders Uwe Steinhoff darum, eine solche Notwehr-Lösung auch in der englischsprachigen Diskussionslandschaft weiter zu verbreiten (dazu ausführlich oben S. 128ff.).368

1.

Probleme einer Notwehrlösung

a)

Zweifel an der Notwehrlage

Nicht selten wird insbesondere innerhalb der anglo-amerikanischen Diskussion die Anwendbarkeit einer allgemein gefassten Notwehrregelung auf die FolterFälle jedoch aus unterschiedlichen Überlegungen heraus abgelehnt.369 Dabei geht es weniger um den Begriff und die Grenzen des Notwehr-Rechts als vielmehr um ein vor-positives Verständnis der Notwehr-lage als solcher.370 Getestet wird die Anwendbarkeit der Notwehr meist am Schulbeispiel des ›ticking bomb‹-Szenario (dazu oben S. 64f./93). Diese Situation entspricht sichtlich nicht der Standardkonstellation einer Notwehrlage. In einer gewöhnlichen Notwehrsituation ringt ein Angreifer gleichsam Auge in Auge in sichtbarer Weise mit dem Opfer, das sich selbst verteidigt oder von einem Dritten Hilfe erlangt. In dieser Lage ist der Angreifer eindeutig als solcher anhand seiner Angriffshandlung zu erkennen; das Verhalten ist die Gefahr, d. h. Handeln und 366 J. McMahan, Case Western Reserve Journal of International Law 37 (2006), 244 (248). 367 In dieser Hinsicht z. B. S. Kershnar, International Journal of Applied Philosophy 19 (2005), 228f.; ders., For Torture, 25ff.; J. Slater, Political Science Quarterly 121 (2006) 209f.; kritisch dazu C.W. Tindale, International Journal of Applied Philosophy 19 (2005), 212. 368 Differenzierend M. Gur-Arye, in: Torture, 194f.; S.F. Colb, Cardozo Law Review 30 (2009), 1431ff./1439ff./ 1454ff./1464ff. 369 Neben den sogleich zu nennenden Autoren lehnen u. a. eine Notwehrlösung ab: L.-P.-F. Rouillard, American University International Law Review 21 (2005), 38f.; R.S. Brown, Journal of International Law & Policy IV (2007), 9f.; C. Card, Criminal Law and Philosophy 2 (2008), 6/13f. 370 Vgl. zum Folgenden die kritische Darstellung von U. Steinhoff, Ethics, 79ff./96ff. m.N.

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Gefährden sind eins. Im Gegensatz dazu hat sich im ›ticking bomb‹-Szenario das Verhalten als eigenständiges Gefahrenpotenzial verselbständigt, das insofern nicht mehr in der Hand des Täters liege, sondern unabhängig von weiteren Aktionen zu einem Schaden führen würde. Durch eine Art Initial-Akt wurde ein Geschehen in Gang gesetzt, das sich nunmehr ganz ohne den Akteur beschreiben lasse. aa) Wehrlose Angreifer? Von dem typischen Verteidigungs-Fall weicht das genannte Szenarium daher im äußeren Erscheinungsbild durchaus ab. Darin wird folglich vorausgesetzt, dass der Attentäter mit der Platzierung der Bombe seine eigentliche Aktivität abgeschlossen hat. Er selbst befindet sich nunmehr sogar in den Händen der Polizei. Einige glauben daher, ein in Haft befindlicher Terrorist könne nicht mehr als Angreifer gelten, gerade weil er sich in staatlicher Obhut befinde. Von ihm als Person gehe nämlich keine Gefahr mehr aus. In diesem Sinne haben sich eine ganze Reihe von Autoren geäußert. So meint etwa der Rechtsberater der israelischen Sektion von amnesty international, Yuval Ginbar, in seinem Buch ›Why not Torture Terrorists?‹: »the legal notion of self-defence as an individual defence to a crime cannot easily accommodate a situation where a prisoner who is bound and helpless, rather than attacking anyone«.371 Diesen Aspekt der persönlichen Hilflosigkeit eines Gefangenen betont auch Fritz Allhoff als Argument gegen eine Notwehr-Lösung: »the detainee is not a threat at all in the most straightforward sense of threat« (Terrorism, 186). In die gleiche Richtung weist zudem auch J. Jeremy Wisnewski: »One cannot use self-defense justification against a Threat that has already been neutralized. The terrorist himself no longer poses any particular threat. Of course, the bomb still poses a massive threat. But … the terrorist no longer has any control of the bomb« (Understanding Torture, 111).

Der inhaftierte Täter wird gleichsam von seiner früheren Tat getrennt und so zwischen nunmehr wehrlosem Angreifer und dem scheinbar unabhängig von ihm weiter wirkenden Angriff unterschieden. Die Automatik des einmal ausgelösten Geschehens löst quasi den Tatvorgang vom Täter. Ganz ähnlich glaubt auch Ben Saul: »self-defense can only be exercised if the attacker is an imminent threat. A suspect in custody is no longer an imminent threat, so the justification for self-defense disappears« (in: Terrorism and Torture, 56). Der Blick wandert somit von der Bedrohung durch die Handlung zu der Person, von der sie zwar ausgeht, von dem selbst jedoch keine weitere Gefahr mehr zu befürchten ist. Da 371 Y. Ginbar, Why not Torture Terrorists?, 305; ähnlich auch M. la Torre, in: B. Clucas et al. (Ed.), Torture, 28; D. Luban, in: Torture Debate, 62ff.

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der Täter persönlich nichts mehr tun muss, um den Angriff abszuschließen, scheide eine echte Notwehr gegen ihn aus. In zeitlicher Hinsicht wird somit ein Schnitt vorgenommen, durch den scharf zwischen der abgeschlossenen Ursprungshandlung und der andauernden Gefahr unterschieden werden soll. Das skizzierte Begründungsmuster stützt sich nicht selten auf einen Argumentationsansatz, den schon Henry Shue 1978 in seinem viel zitierten Aufsatz ›Torture‹ in der Zeitschrift ›Philosophy & Public Affairs‹ vertreten hat. Darin bezieht sich Shue zwar nicht auf die Grundsätze der Notwehr, sondern auf einen Vergleich zu einem fairen Umgang mit gefangenen Angreifern im Krieg. Gefangene dürften nämlich nicht mehr als angreifende Soldaten behandelt werden, so als ob gegen sie noch ein volles Verteidigungsrecht bestehen würde. Die Inhaftierung begründet vielmehr die Hilflosigkeit der Gefangenen. Dabei gehe es um ein zentrales »principle of warfare«, das sogar als »an instance of a more general moral principle« gelten könne. Dieses Prinzip einer fairen Kriegsführung, das als allgemeiner Moralgrundsatz gelten könne, »prohibits assaults upon the defenseless«. Dieser Grundsatz solle nun auch auf die hier relevanten Konstellationen anwendbar sein. Danach wird in den einschlägigen Folter-Fällen stets vorausgesetzt, dass die Tortur einen Menschen trifft, von dem – ebenso wie von gefangenen Kombattanten – als solchem keine Bedrohung mehr ausgehen könne, da er als Gefangener nur noch ein wehrloses Opfer sei. Er mag zwar die Gefahr initiiert haben oder über wichtige Informationen verfügen, die jene Bedrohungslage entschärfen könnte, von ihm persönlich ist indes nichts mehr zu befürchten. Dies unterscheide die Konstellation der Folter von der häufig bemühten Vergleichssituation der Verteidigung im Krieg, in der sogar eine Tötung des Angreifers gerechtfertigt werden könne. Daher glaubt Shue: »In this respect torture is indeed not analogous to the killing in battle of a healthy and well-armed foe; it is a cruel assault upon the defenseless … The torturer inflicts pain and damage upon -another person who, by virtue of now being within his or her power, is no longer a threat and is entirely at the torturer’s mercy«.372

In der Zufügung von Schmerzen oder Schädigungen gegenüber einem Menschen, von dem als solchem keine Bedrohung mehr ausgehe und sich seinerseits in der Gewalt anderer Personen befinde, liege gerade der Unrechtscharakter der Folter. Gegen eine solche Argumentation hat beispielsweise David Sussman zu Recht eingewendet, dass man zwar in gewisser Weise die Wehrlosigkeit eines bereits inhaftierten Terroristen zugestehen könne, dies aber nicht bedeute, mit der 372 H. Shue, P& P Affairs 7 (1978), 128f./130; eingehend dazu S.F. Colb, Cardozo Law Review 30 (2009), 1434ff.; F.M. Kamm, Ethics, 5ff.; S. Kershnar, For Torture, 69ff.; U. Steinhoff, Ethics, 92ff.; M.H. Kramer, Torture, 38/127ff. m.w.N.

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persönlichen Hilflosigkeit bzw. Handlungsunfähigkeit sei bereits das Ende der Angriffshandlung verbunden. Durch die Inhaftierung hat sich zwar die Lage des Täters geändert; er lässt sich aber keineswegs in der behaupteten Weise von seiner Tat trennen. Zu den fortbestehenden Verhaltensmöglichkeiten des Angreifers gehört beispielsweise die Verwaltung der Informationen über den Ort der Bombe und den Zeitpunkt ihrer Detonation. Für den Terroristen in einem ›ticking bomb‹-Szenario bedeute das: »His placing of the bomb was the beginning of an attack on us; his silence, although not any kind of further overt act, is nevertheless voluntary behavior undertaken for the sake of bringing that act to completion. His continued silence thus might well be considered a part of his attack, understood as a temporally extended action« (P& P Affairs 33 (2005), 16).

Um in diesen Fällen dennoch Notwehr annehmen zu können wird teilweise eine entsprechende Anwendung dieses Rechtfertigungsgrundes empfohlen. Wie bereits erwähnt, in hat diesem Sinne schon Michael S. Moore darauf hingewiesen, dass in diesen Fällen zumindest keine direkte Anwendung der Notwehrgrundsätze möglich sei: »Terrorists who are captured do not now present a threat of using deadly force against their captors or others. Thus, the literal law of self-defense is not available to justify their torture … we construe ›attack‹ as an action and not as its continuing effects; so the literal law of self-defense may well not be available«.373

Wie bereits erwähnt, plädiert Moore selbst jedoch für eine analoge Anwendung des Notwehrrechts. Dabei soll sich demnach die Frage stellen, ob jemandem, der sich selbst in staatlicher Obhut befindet, noch ›angreifen‹ kann, obwohl von ihm persönlich keine Gefahr mehr auszugehen scheint. bb) Fehlende Angriffshandlung? Genau besehen geht es bei dem genannten Aspekt freilich weniger um die Charakterisierung der Täterqualität, die sich vermeintlich vom Status eines Akteurs zum Zustand der persönlichen Hilflosigkeit umwandelt. Fraglich ist vielmehr die Reichweite einer Angriffshandlung. In der aktuellen Debatte hat etwa der an der Universität in Liverpool forschende Philosoph Daniel J. Hill in diesem Sinne behauptet, das (moralische) Recht zur Selbstverteidigung umfasse nur die Verhinderung von Unrechtstaten; auf Notwehr könne sich nur berufen, wer gleichsam präventiv einschreitet und einen Angreifer an der Begehung seiner aktuellen Angriffshandlung hindern kann. Notwehr wäre danach auf das Bewirken eines Unterlassens beschränkt. Nicht von Notwehr gedeckt sei hingegen eine Handlung, die erst ein aktives Tun des Täters bewirken müsse, um 373 M.S. Moore, Israel Law Review 23 (1989), 323; ders., Placing Blame, 714f.

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dessen begonnenen Angriff zu beenden. Genau darauf ziele jedoch die Informationsbeschaffung, um die es bei der Anwendung der Folter – insbesondere in verschiedenen Varianten des ›ticking bomb‹-Szenario – regelmäßig gehe. In echten Notwehrkonstellationen gelte es, einen Angreifer von der bevorstehenden Durchführung seiner schadensverursachenden Handlung abzuhalten: »force is being used to prevent him from causing a tragedy to happen«. Daher ist es der Notwehrtäter selbst, der die ›Tragödie‹ durch seine Notwehrhandlung gleichsam eigenhändig verhindert, indem er den Angriff stoppt. Im Unterschied dazu habe ein Täter (der Angreifer) in den Fällen einer Vernehmungs-Folter zwar eine Kausalkette in Gang gesetzt, die bei ungehindertem Verlauf tragisch enden wird, dennoch sei nun die Richtung der Gewaltanwendung durch den vermeintlichen Notwehrtäter entscheidend anders: »force is being used to cause him to perform the positive action of causing a tragedy not to happen«. Insofern müsste der Angreifer nämlich selbst die Schadenszufügung aktiv vermeiden. Die Notwehrhandlung kann als solche den Schadenseintritt gar nicht unmittelbar beenden. Die Abwendung der Gefahr könne dem angeblichen Notwehrtäter (d. h. in der Regel einem folternden Polizeibeamten) nur mittelbar – nämlich durch die Vermittlungstätigkeit (Information) des Angreifers – zugeschrieben werden. Dieser aufgezeigte Unterschied ist für Hill »of crucial moral significance«, denn die letztgenannte Situation fällt für ihn aus dem begrifflichen Rahmen einer Notwehr. Die Anwendung allgemeiner Notwehrregelungen stelle sich in diesen Fällen allenfalls als eine unzulässige Analogie dar. Dieser Differenzierung liegt ein enges Verständnis davon, was eine Handlung ausmacht, zu Grunde. Dies ist für Hill eine »big metaphysical question of when one completes an action«. Für ihn gehört der Effekt oder der ›Erfolg‹ eines Tuns nicht zur eigentlichen Handlung, vielmehr gelte, das Verhalten liege bereits komplett vor, »when one finishes the basic actions (i. e., the bodily movements)«. Die eigentliche »basis of this moral difference between preventing someone from performing an action that will cause a tragedy and causing someone to cause a tragedy not to occur«, liegt für Hill dabei in der bekannten Unterscheidung zwischen positiven und negativen Pflichten, um deren Erzwingung es gehe. In dieser »distinction between our duties to perform certain acts of causation on the one hand, our ›positive‹ duties, and our duties not to perform certain different acts of causation on the other hand, our ›negative‹ duties«, ist für ihn die normative Bedeutung der unterschiedlichen Bewertung von echter Notwehr und einer bloßen Notwehr-Analogie zu suchen, denn: »negative duties are more important than positive duties, and the infliction of pain to force someone to comply with a positive duty would itself be a breach of a negative

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duty«.374 Wer einen anderen zur Begehung einer Handlung zwingt, verletze demnach auch dann seine eigene negative Pflicht, Fremdschädigungen zu unterlassen, wenn sich die erzwungene Handlung als Erfüllung einer positiven Handlungs-Pflicht des Genötigten darstellen lasse. Der Versuch, eine Foltermaßnahme schon durch eine derart restriktive Auslegung des Begriffs einer Notwehr aus deren Anwendungsbereich zu streichen, vermag freilich nicht zu überzeugen. Durch die als ›metaphysische Frage‹ deklarierte Beschränkung einer Angriffshandlung auf bloße Körperbewegungen, ohne deren intendierte äußere Wirkung miteinzubeziehen, lässt die normative Bestimmung der Handlungsqualität außer Betracht. So kommt es zu einer quasi naturalistischen Verkürzung eines Verhaltens auf den äußerlich wahrnehmbaren Akt. Eine Handlung ist in ethischer und rechtlicher Hinsicht aber nicht ohne ihren ›Erfolg‹ zu beschreiben. Menschliches Verhalten ist gerade auf die Wirksamkeit in der Welt gerichtet. Die Beschreibung bloßer Körperbewegungen als Basisakt mag ein interessantes Objekt einer allgemeinen Handlungstheorie sein, für Normwissenschaften, die es mit Zurechnungsfragen zu tun haben, genügt sie jedenfalls nicht. Das, was durch das Tun bewirkt wird, gehört zum normativen Begriff der Handlung. Menschliches Verhalten wird nämlich zunächst durch die Verbindung einer Handlung, die in einem Tun oder Unterlassen bestehen kann, und der durch sie erzielten Wirkung bestimmt. Ebenso wenig lässt sich der Begriff einer Angriffshandlung im Rahmen einer Notwehrsituation anhand der Differenz zwischen positiven und negativen Pflichten des Angreifers bestimmen. Angriff kann nicht allein die Verletzung einer Unterlassungspflicht bedeuten, sondern auch in der Nichtvornahme einer pflichtigen Handlung bestehen. Die Frage, ob Folter ein zulässiges Mittel zur Abwendung einer Notwehrlage sein kann, lässt sich daher erst als Grenzziehung auf der Ebene der Notwehrhandlung beantworten. Neben dem Versuch von Hill gibt es noch weitere Ansätze, die Grenzen der Notwehr entsprechend eng zu ziehen. So hat auch der us-amerikanische Philosoph Whitley Kaufman in ähnlicher Weise versucht, eine Beschränkung des vermeintlichen Notwehrrechts zu begründen. Dabei setzt er vordergründig an der Bedeutung des Wortes ›Notwehr‹ bzw. Selbstverteidigung, d. h. dem Begriff »self-defense« an; wörtlich genommen könne damit lediglich die Abwehr von Angriffen und somit ein rein defensives Verhalten gemeint sein: »The doctrine of self-defense permits only force of a certain kind: force that is defensive, that wards off or literally fends off the threatened harm. It has never been interpreted to permit using a person … as a means to escape harm––that is to use instrumental force«.

374 D.J. Hill, American Philosophical Quarterly 44 (2007), 396/399/400f.

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Beispielhaft für eine derart instrumentelle Gewaltanwendung sei gerade die Folter in den hier in Rede stehenden Fällen – vor allem der ›ticking bomb‹Konstellation: »The use of torture to achieve a further goal … is a classic example of instrumental rather than defensive force. It is force used as a means to prevent future harm«.375 Wer Informationen erfoltere, wehre eben nicht bloß einen Angriff ab, sondern setze die eingesetzte Gewalt als Mittel zur Bewirkung einer Handlung ein, die dann der Gefahrenabwehr dienen soll. Diese Unterscheidung zwischen defensiver und instrumenteller Gewalt setzt dabei nur scheinbar erst am Begriff der Notwehrhandlung an; sie ruht nämlich ebenfalls auf einer vorausliegenden Beschränkung dessen, was noch als Angriffsverhalten angesehen werden könne. Der Grund dafür, dass zumindest im ›ticking bomb‹-Szenario auch für Kaufman die Erzwingung einer Auskunft über den Standort der Bombe keine defensive Maßnahme sein kann, die durch Notwehr gerechtfertigt sein könne, liegt nämlich in dem Umstand, dass der Terrorist zu dem Zeitpunkt, in dem er gefoltert werden soll, mangels Angriffshandlung eigentlich kein Angreifer mehr sei: »he is in custody and incabable of causing any more harm«. Nach dem Platzieren der Bombe soll die Angriffshandlung abgeschlossen sein, weshalb der inhaftierte Terrorist als solcher keine Gefahrenquelle mehr darstelle; er könne nur noch als Mittel zur Abwendung der von ihm hervorgerufenen Gefahr instrumentalisiert werden. Der Bombenleger sei dann kein »Culpable Aggressor« mehr, sondern werde zu einem bloßen »Culpable Bystander«. Darunter versteht Kaufman »a person who has committed a wrongful act, but is not now committing a wrong. Because he is no longer an attacker«. Dabei ist gerade »the captured terrorist … an example of the Culpable Bystander« – »also known as the Past Aggressor«. Hier kommt folglich ein zeitliches Moment ins Spiel. Die eigentliche Angriffshandlung des Bombenlegers liegt für Kaufman bereits in der Vergangenheit. Aus diesem Grund soll für ihn eine Rechtfertigung nach Notwehrgesichtspunkten ausscheiden: »Self-defense is permissible only against present aggression, not past aggression«, denn: »self-defense doctrine … permits only defensive force—that is, force that is used against a present aggressor to stop his aggression«.376

Nach Meinung von Kaufman darf – ebenso wie nach der zuvor skizzierten Ansicht von Hill – ein Terrorist nach Vollzug der Tat (des Bombenlegens) nicht mehr als Angreifer behandelt werden, da die Angriffshandlung als solche bereits beendet ist. Notwehr gegen einen früheren Angreifer bzw. einen schon vergangenen Angriff sei daher nicht erlaubt. Auch in diesem Ansatz sollen demnach die 375 W. Kaufman, Ethics and International Affairs 22 (2008), 109f.; ähnlich H.H. Koh, Indiana Law Journal 81 (2006), 1163: »torture is by definition an offensive, not defensive, act«. 376 W. Kaufman, Ethics and International Affairs 22 (2008), 110/98/104f.; kritisch dazu P. Montague, Law and Philosophy 29 (2010), 88ff.

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fortbestehenden Wirkungen der ursprünglichen Angriffshandlung ausgeblendet werden, um eine Notwehr begrifflich auf die Standardkonstellation der Selbstverteidigung einschränken zu können, in der Angriff und Abwehr in engem zeitlichen Rahmen ablaufen. Die Frage nach der Notwehr wird zum Problem des richtigen Timings. Allein durch einen weiteren zeitlichen Ablauf kann der Bombenleger als ursprüngliche Quelle von der Gefahr – der tickenden Bombe – abstrahiert werden. Im Ergebnis ähnlich wird auch in der deutschen Diskussion des ›Frankfurter Falles‹ gelegentlich bereits eine Notwehrlage verneint, da die Angriffshandlung mit der Entführung als solcher bereits beendet sei. In diesem Sinne hat vor allem Bernhard Kretschmer in Erwägung gezogen, dass eine mögliche Rechtfertigung durch Notwehr bereits an dem Mangel an einem »gegenwärtigen Angriff in Form eines gegenwärtigen (menschlichen) Verhaltens« scheitern könne. Im Falle einer Entführung müsse beachtet werden, »daß der aktive Gehalt der Freiheitsberaubung abgeschlossen ist, sobald der Entführer sein Opfer eingesperrt hat und sich weiterer Perpetuierungshandlungen (z. B. Bewachung) enthält«. Schließlich bestehe die Notlage des Entführungsopfers »selbst dann unvermindert fort, wenn der Entführer« nach der eigentlichen Entführungshandlung verstirbt. Aus einem solchen Umstand resultiere eine notwendige Differenzierung zwischen der eigentlichen (Entführungs-)Handlung und den anhaltenden Folgen, dem Zustand der Gefahr, in dem sich das Opfer befindet. Daraus sei erkennbar, dass es nicht mehr um einen Angriff i. S. einer Notwehr gehen könne, denn: »Dies offenbart, daß das Opfer akut nicht mehr durch dynamisches menschliches Verhalten bedroht wird, sondern statisch durch die äußeren Umstände der durch früheres Verhalten bewirkten … Gefahrensituation. Das Opfer kämpft um sein Leben, aber nicht mehr mit dem bereits verhaftetet Entführer« (RuP 2/2003, 111f.).

Ein Angriff lasse sich schließlich auch nicht in der Form eines Unterlassens konstruieren.377 Auch diese Ansicht stützt sich demnach auf eine äußere Beschreibung der Begebenheiten in Form eines wahrnehmbaren Aktes, d. h. in einer Beobachtung von Körperbewegungen. Danach wird das Einsperren als solches von dem dadurch bewirkten Zustand des Eingesperrtseins strikt unterschieden; letzteres ist dann auch unabhängig von der vorherigen Handlung beobachtbar. Die Bedeutung des Wortes ›Angriff‹ soll sich folglich in solchen Entführungsfällen auf den Moment der Ergreifung der Geisel beschränken und sich allenfalls noch auf deren Bewachung erstrecken. Nur diese Aktivitäten könnten als Angriffshandlung gelten. 377 I.E. zustimmend W. Schild, in: G. Gehl (Hg.), Folter, 74; kritisch dazu C.C. Herbst, Aussageerzwingung, 281ff. m.w.N.

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Nach einer normativen Betrachtung bleibt es freilich durchaus möglich, den anhaltenden Zustand der Freiheitsberaubung sehr wohl noch als Bestandteil der Handlungsbeschreibung zu sehen. Dann geht es freilich nicht nur um die Beschreibung eines Zustandes, der durch eine Tat bloß initiiert worden ist, sondern um die Zurechnung der Gefahrenlage zum Handeln des Entführers, dessen Tat ein dauerhaftes Angriffsverhalten bleibt. Die Organisation der Gesamtsituation bleibt das Werk des Entführers. Der Entführer kontrolliert das Geschehen auch dann noch, wenn er sich räumlich und zeitlich von der Ursprungstat distanziert. Er verliert die Kontrolle auch nicht automatisch, wenn er selbst in Haft kommt. Daher ist nicht einzusehen, warum das dauerhafte ›Im-Griff-Haben‹ der Gefahrenlage nicht als anhaltender Angriff auf die Freiheit des Entführungsopfers gelten sollte. b)

Anwendungsprobleme

Die Bestimmung der Angriffs und damit der Notwehrlage ist jedoch nicht das einzige Problem, das sich im Rahmen der strafrechtlichen Bewertung der einschlägigen Fallgestaltung stellt. Auch die Beurteilung der übrigen Ebenen einer Notwehrprüfung sind umstritten (siehe dazu auch noch unten Kap. B.IV.3. – S. 256ff.). Die Isolierung einer strafrechtlichen Perspektive erweist sich an sich schon als problematisch. Die Berufung auf eine rein strafrechtliche Lösung geschieht häufig, ohne daraus Konsequenzen für das generelle Verhältnis von Grundsatz und Ausnahme des Folterverbotes ziehen zu wollen.378 Das Geschehen um einen von einem Studenten entführten Jungen eignet sich offensichtlich weniger, um daran Debatten über das prinzipielle Verhältnis des Rechts zur Ethik oder gar zur Politik zu entzünden. Stattdessen wird vielfach versucht, die Folterandrohung auf ein strafrechtsdogmatisch leichter fassbares Maß zu beschränken. Demnach sollen die völkerrechtlichen bzw. grundgesetzlichen Bestimmungen, die das Foltern eindeutig als eine in einem Rechtsstaat inakzeptable Verhaltensweise und insoweit als klares Unrecht ausweisen, die strafrechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit – vornehmlich das besagte Notwehr (hilfe)recht – unberührt lassen. Umgekehrt soll dann aber eine rechtfertigende

378 Für die Möglichkeit einer solchen Isolierung der strafrechtlichen Fragestellung treten – mit variierenden Begründungen – u. a. ein: G. Jerouscheck / R. Kölbel, JZ 2003, bes. 619f.; V. Erb Jura 2005, 24ff.; ders., NStZ 2005, 593ff.; ders., in: »Rettungsfolter«, 149ff., bes. 153ff.; ders., Nehm-FS, 186f. m. Fn. 18; H. Götz, NJW 2005, 953ff.; G. Jerouscheck, JuS 2005, 299ff.; H. Otto, JZ 2005, 480f.; K. Kühl AT § 7 Rn 156a; LKH-Kühl § 32 Rn 17a; G. Wagenländer, Rettungsfolter, 93ff., bes. 116ff. – zusammenfassend 198ff.; M. Seebode, (Fn. 78), 62ff.; R. Merkel, Jakobs-FS, 375ff., bes. 384ff.; C. Fahl Jura 2007, 743ff.; wohl auch K.H. Gössel, Otto-FS, 60ff.

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Wirkung auf dem Gebiet des Strafrechts auch nicht auf die Wertungen des öffentlichen Rechts rückwirken. Eine rein strafrechtliche Erfassung der Folterproblematik erweist sich allerdings als durchaus schwierig. Schon vor den unter Punkt a) erwähnten Problemen zeigen sich auf der systematisch früheren Ebene der Tatbestandsmäßigkeit einige Schwierigkeiten. Es existiert im deutschen Strafrecht kein spezieller Tatbestand, der die Bezeichnung Folter trägt. Anders als im Völkerstrafrecht379 wird Foltern nicht einmal als Wort erwähnt. Was völker- und verfassungsrechtlich als Höchstunrecht anklingt, nämlich eine der größtmöglichen Formen einer Missachtung der Menschenwürde durch Folter, kann strafrechtlich keinen entsprechenden – eigenständigen und ausdrücklich benannten – Unwert vorweisen. Die Würde ist unantastbar, dafür aber auch vom Strafrecht kaum greifbar ; sie ist »nicht ein schlichtes Interesse oder nur irgendein Rechtsgut«,380 das in gewöhnlicher Weise durch das Strafrecht schützbar wäre. Die Strafbarkeit entsprechender Handlungsweisen kann nur nach anderen Gesetzesvorschriften beurteilt werden, die anders lautende Güter oder Rechte in Schutz nehmen sollen. In Betracht kommen dann – je nach konkreter Fallgestaltung – beispielsweise folgende Normen des deutschen Strafgesetzbuchs: §§ 223ff. (Körperverletzungsdelikte), § 239 (Freiheitsberaubung), § 240 (Nötigung), § 340 (Körperverletzung im Amt), § 343 (Aussageerpressung)381, § 357 (Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat). Abgesehen von der teilweise möglichen Klassifizierung als Amtsdelikt kann auch das spezielle Rechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger, das durch eine Folterung beeinträchtigt wird, keinen besonderen Ausdruck finden. Die Zuordnung zu diesen klassischen Straftatbeständen mag mit dafür sorgen, Foltern für eine Angelegenheit zu halten, die strafrechtlich im Rahmen des Normalen abzuwickeln ist. Diese strafrechtsdogmatische Normalität soll dann auch auf der Ebene der Rechtswidrigkeit erhalten bleiben; sie ist freilich nur durch einige Abstraktionen erreichbar. Im ›Frankfurter Fall‹ des entführten Jungen ist – wie bereits erwähnt – vornehmlich die Prüfung der Voraussetzungen einer Notwehr(hilfe) gem. § 32 StGB in Betracht gezogen worden. Nach dieser Regelung kann eine Handlung gerechtfertigt werden, die als erforderliche und gebotene Verteidigung zur 379 Dazu eingehend J.-M. Zeller, Folter, 217ff. m.N. 380 S. Baer DZPh 53 (2005), 573. Zur »Menschenwürde als Schutzgut strafrechtlicher Normen« s.a. W. Graf Vitzum JZ 1985, 204f.; B. Kelker, Puppe-FS, 1675ff.; F. Knauer ZStW 126 (2014), 305ff. m.w.N. 381 Ob der Tatbestand einer Aussageerpressung gem. § 343 StGB in Fällen einer Folterandrohung oder –anwendung allein zu Rettungszwecken Anwendung finden kann, ist allerdings umstritten: vgl. B. Beutler, Strafbarkeit, 159ff.; M. Gromes, Präventionsfolter, 92ff.; J.P. Polzin, »Rettungsfolter«?, 65ff.; C. Horlacher, Auskunftserlangung, 73ff.; J. Kümmel, Nötigung durch Folter, 198ff.; M. Seebode, (Fn. 78), 62; W. Kargl, Puppe-FS, 1167ff.; M. v. Schenk (Fn. 108), 90ff. jeweils m.N. zum Meinungsstand.

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Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs eingesetzt wird.382 Als problematisch erweist sich dabei freilich das Verhältnis dieses Rechtfertigungsgrundes zum grundgesetzlichen und sonstigen völker- und öffentlichrechtlichen Folterverbot, denn die Bestimmung der Zulässigkeit staatlichen Verhaltens richtet sich gerade nach diesem Regelungsbereich, d. h. die Zuschreibung einer Handlung von Amtsträgern zum Staat wird durch die normative Ordnung des öffentlichen Rechts festgelegt. Welche Handlungen dem Staat als eigene zugerechnet werden, ergibt sich folglich aus den entsprechenden Normen. Wer diese Verbindung kappen möchte, muss daher zu einigen Trennungsschnitten ansetzen, um eine strafrechtliche Rechtfertigung als eine isolierte Rechtsfrage zurechtschneiden zu können. Claus Roxin, der sich innerhalb der Strafrechtslehrerzunft schon häufiger durch eine geschickte Namengebung ausgezeichnet hat, hat die hier zu skizzierende Ansicht inzwischen als sog. »Differenzierungstheorie« getauft.383 Um die Staatsbezogenheit der Folter von der rechtlichen Begutachtung des gesamten Geschehenskomplexes abtrennen zu können, muss es zunächst zu einer Art ›Privatisierung‹ der Angelegenheit kommen. Obwohl es sich bei dem entsprechenden Verhalten der Polizisten aus der Perspektive des öffentlichen Rechts – insoweit wohl unstreitig – um staatliches Tun handelt, soll in einer rein strafrechtlichen Betrachtung lediglich der ›Bürger in Uniform‹ gesehen werden. Statt der durch die öffentlich-rechtlichen Regelungen definierten zweiseitigen Relation zwischen Staat (vertreten durch die handelnden Polizisten) und Bürger (in Person des Entführers) wird ein Dreiecksverhältnis konstruiert. In dieser Verhältnisbestimmung stehen sich dann zwei (oder mehrere) Bürger (einer ohne und andere mit Uniform) gegenüber und der Staat – als abstrakte Regelungsinstanz – wird nur noch als potenzieller Störfaktor wahrgenommen, der dann angehalten werden soll, seinen hilfsbereiten Beamten beim Versuch, das Entführungsopfer mit Hilfe der (angedrohten) Foltermaßnahme zu retten, nicht in den Arm zu fallen. Diese Argumentation wird vor allem in den oben (S. 190 Fn. 378) zitierten Arbeiten von Volker Erb vertreten.384 Dieser Begründungsversuch läuft freilich – wie Volker Erb in der Zeitschrift Jura 2005, S. 29 selbst eingeräumt hat – auf eine offene Paradoxie auf. Dem handelnden Staatsdiener wird nämlich zugemutet, zugleich seiner öffentlichrechtlichen Dienstpflicht zur Einhaltung des Folterverbots nachzukommen und 382 Ausführliche Prüfungen der Strafbarkeit und speziell der Rechtswidrigkeit der Polizisten im ›Frankfurter Fall‹ – mit unterschiedlichen Bewertungen – finden sich u. a. bei B. Kretschmer RuP 2/2003, 102ff.; W. Schild (Fn. 78), 63ff.; V. Erb Jura 2005, 24ff.; B. Beutler, Strafbarkeit, 159ff.; C. Adam, Gefahrabwendungsfolter, 135ff. 383 C. Roxin, Nehm-FS, 209 (ff.); ebenso – ohne Verweis auf Roxin – A. Eser, Hassemer-FS, 715. 384 Ähnlich R. Merkel, Jakobs-FS, 385f.; kritisch zu dieser Argumentation St. Stübinger (Fn. 40), 304ff. (unten S. 256ff.) m.w.N.

Reinheit der strafrechtlichen Rechtfertigung?

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sich dabei dennoch im Besitz eines entgegenstehenden Notwehr-Rechts zu wissen. An dieser Widersprüchlichkeit kollabiert die Hoffnung auf eine Rechtsordnung, die sich durch widerspruchsfreie Verhaltensrichtlinien auszeichnen soll. Neben seinem Status als Amtsperson, die als Vertreter des Staates einer festgehaltenen Person gegenübersteht, soll der handelnde Beamte parallel noch eine quasi private Beziehung zu diesem Menschen unterhalten. Dieses ›Privat-Rechtsverhältnis‹ könne dann eine Grundlage für eine persönliche Rechtfertigung bilden. Um diesen perspektivischen Zwiespalt möglichst überbrücken zu können, muss dann noch ein weiteres Argument nachgelegt werden, mit dem die Rangordnung der widerstreitenden ›Rechte und Pflichten‹ derselben (Amts- und Privat-)Person justiert werden kann. Daher wird von den Vertretern einer solchen Ansicht zusätzlich noch der normative Vorrang des Notwehrrechts – als einer Art von Menschenrecht385 – gegenüber dem Folterverbot behauptet.386 Dies geschieht teilweise mit dem Hinweis, das Notwehrrecht wurzele in dieser Lage direkt in Art. 1 GG.387 Einige meinen sogar ganz ausdrücklich, in § 32 StGB stecke noch immer der »naturrechtliche Kern des Notwehrrechts«388, dessen normative Kraft alle übrigen gesetzlichen Bestimmungen übersteige; jedenfalls steht für Volker Erb »das Notwehrrecht in seinem Kernbereich nicht zur Disposition des Gesetzgebers …, weil sich ein Staat, der das Notwehrrecht nicht insoweit anerkennt, offenkundig desavouiert« (Seebode-FS, 115 Fn. 61). Die Anerkennung eines unbeschränkten Notwehrrechts werde so zum Eignungstest eines Rechtsstaats – selbst wenn es im Extremfall die Folter als Nothilfemaßnahme umfassen sollte. Für Christian Fahl ist Notwehr gar »das ›heiligste Recht‹ des Menschen« (JR 2004, 191), an dessen ›Heiligkeit‹ selbst die normative Dignität der Unantastbarkeit der Menschenwürde letztlich nicht heranreiche (siehe dazu schon oben S. 127ff.). Dabei scheint der eher schlagwortartige Einsatz des Wortes ›Naturrecht‹ ohne eine rückversichernde Lektüre der naturrechtlichen Literatur auszukommen. Immerhin wurde in Zeiten des klassisch-neuzeitlichen Naturrechts des 17. und 18. Jahrhunderts in einer Notwehrlage tatsächlich ein Rückfall in einen – momentanen – Naturzustand gesehen, in dem der Staat sein Gewaltmonopol

385 Vgl. dazu schon allgemein P. Klose ZStW 89 (1977), 86ff. 386 Siehe hierzu C. Fahl JR 2004, 185ff., bes. 191; G. Jerouschek JuS 2005, 301f.; R.D. Herzberg JZ 2005, 321ff., bes. 323; H. Otto JZ 2005, 480f.; V. Erb Jura 2005, 26ff.; ders., NStZ 2005, 593ff., bes. 594/596ff.; ders., in: Rettungsfolter (Fn. 378), 149ff., bes. 162ff.; vgl. dazu auch J. Kümmel, Nötigung durch Folter, 233f. 387 I.d.S. etwa K. Amelung JR 2012, 19 – vgl. zu Amelungs Ansicht unten S. 245f. 388 So V. Erb Jura 2005, 27; ähnlich ders. NStZ 2005, 594f. m.w.N.; vergleichbar auch R. Merkel, Jakobs-FS, 385ff.; allgemein kritisch gegen ein solches »Naturrechtsargument«: A. Engländer, Nothilfe, 40ff.; s.a. M. Kahlo, in: Wege zur Menschenwürde, 378ff. m.Fn. 37.

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

und seine Schutzfunktion nicht wahrnehmen könne.389 Dennoch wollte die naturrechtliche Notwehrlehre keineswegs ein unbeschränktes Verteidigungsrecht anerkennen, das dann sogar als Grundlage des Rechtsbegriffs dienen könnte. Das neuzeitliche Naturrecht spricht daher nicht für eine derart grundlegende und dabei unbeschränkbare Notwehrbefugnis. Schon in der damals geläufigen lateinischen Bezeichnung, ›moderamen inculpatae tutelae‹, die z. B. August Geyer in seiner ›Lehre von der Nothwehr‹ (S. 59) durchaus wortgetreu aber etwas ungelenk als » ›maßhaltende unanschuldbare Selbstbeschirmung‹ « übersetzt hat, schwingt eine mäßigende Bedeutung mit.390 So sollte eine tödlich endende Notwehr nur dann zur Straffreiheit führen, wenn »der Werth deßen, was ich nicht anders als durch den Tod eines andern erhalten kann, auch mit dem Schaden, den ich dem andern zufüge, im Verhältniß« stehe. In diesem Sinne benennt etwa Julius F. von Soden die »Gefahr des Verlusts eines gleich großen, oder größern Guths« als eine »karakteristische Note der straflosen Notwehr«, denn nur dann könne beispielsweise »die Notwehr zum Mord des Angreifers berechtigen« (Geist 2, 156 – § 125). Insofern war insbesondere die todbringende Notwehr gegen Angriffe auf Vermögenswerte umstritten.391 Das Abstecken von Grenzen der Notwehr lässt sich daher weder mit deren Abschaffung gleichsetzen noch widerspricht es den historischen Quellen der naturrechtlichen Bestimmung des Selbstverteidigungsrechts. Im Vergleich zur gemäßigten Notwehrlehre des neuzeitlichen Naturrechts schwebt den derzeitigen Vertretern eines ›Notwehr-Naturrechts‹ offenbar ein unbeschränktes Notwehrrecht vor, das selbst vor der Würde des Angreifers keinen Halt machen müsse. Ähnlich wie in den oben skizzierten ethischen bzw. politischen Legitimationsansätzen geht es folglich auch in diesen Begründungsansätzen darum, das verfassungs- und völkerrechtliche Verbot staatlicher Folter normativ zu überbieten; in diesem Fall soll es ein solches ›NotwehrNaturrecht‹ sein, das nicht nur in Konkurrenz zum Grundgesetz und sämtlichen völkerrechtlichen Verträgen tritt und in normativer Hinsicht obsiegen soll; es streitet auch gegen die vernunftrechtlichen Prämissen der philosophisch begründeten Begriffe des Rechts und Rechtsstaats, deren Rekonstruktion oben (S. 152ff./160ff.) unternommen wurde. Grundlage für eine solch weite Sicht soll eine individualistische Herleitung des Notwehrrechts sein. Dieses möchte sich auf ein natürliches Selbsterhaltungsinteresse stützen, aus dem ein an sich unbeschränkbares Selbstverteidigungsrecht resultiere, das im Wege einer Nothilfe auch stellvertretend für einen 389 Siehe etwa N.H. Gundling, Ausführlicher Discours, 130; A.F. Müller, Einleitung 3, 223f./ 244f.; ähnlich auch noch K.W.F. Grattenauer, Ueber die Nothwehr, 58f. 390 Siehe dazu auch F. Remy, Entwicklung, 15. 391 Vgl. dazu etwa P.J. Heisler, Abhandlung, 17ff. m.w.N., der selbst für die Straffreiheit einer tödlichen Notwehr gegen Angriffe auf das Eigentum plädiert.

Reinheit der strafrechtlichen Rechtfertigung?

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anderen ausgeübt werden kann.392 Aus einer solchen Grundlegung folgt jedoch noch kein gleichermaßen individuelles Verständnis der Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns. Dies kann zumindest nicht in dem Sinne gelten, dass es sich hierbei um eine rein ›persönliche Rechtfertigung‹ handelt, die keinerlei Auswirkungen auf übrige Rechtskonstellationen haben könnte, die sich aus öffentlichrechtlichen bzw. völkerrechtlichen Regelungen ergeben. Solche rein individuellen Rücksichten könnten – wie auch sonst – allenfalls erst auf späteren Deliktsstufen (Schuld, persönliche Strafausschließungs – bzw. – milderungsgründe) angesiedelt werden. Der Versuch einer Privatisierung (oder genauer : Privation) der Folterproblematik auf einer verbrechenssystematisch früheren Ebene beraubt der Bewertung der Folter als rechtswidrig (dem öffentlichen Völker- und VerfassungsRecht zuwider) ihren staatsbezogenen Ausdruck; das Rechtsverhältnis des Gefolterten zum Staat wird in einer scheinbar gleichrangige Beziehung unter Bürgern aufgelöst. Dies schmälert den allgemeinen Rechtscharakter einer strafrechtlichen Rechtfertigung, die in einem gesamtrechtlichen Zusammenhang zu sehen ist. Notwehr gibt dem Handelnden ein Recht, das Recht (bzw. ein Rechtsgut) eines anderen zu verletzen. Der Notwehrtäter muss das Recht auf seiner Seite wissen. Dies ist im Falle der Folter durch einen Staatsbeamten gerade nicht der Fall; der rechtliche Spielraum staatlicher Tätigkeit wird durch die Normen des gesamten öffentlichen Rechts abgesteckt. Aus dem vom Recht zugelassenen Verhaltensrepertoire sind Foltermaßnahmen indes gestrichen worden; sie gehören nicht mehr zu dem Bereich des rechtlich Möglichen und entsprechend zu qualifizierende Handlungsweisen können daher nicht auf einer vermeintlich inter-personalen Ebene einer rein individuellen Rechtfertigung (ohne entsprechende öffentlich-rechtliche Deckung) als rechtmäßig hinzugedacht werden.

2.

Strafrechtssystematische Konsequenz

Auf das übliche Prüfungsschema eines strafrechtlichen Gutachtens übertragen, bedeutet das: die rechtliche Unmöglichkeit der Folter (siehe zur Begründung oben S. 163ff., bes. 167ff.) führt dazu, dass eine entsprechende Maßnahme schon nicht als eine Notwehr-Handlung dargestellt werden kann. Daher ist das Problem nicht schon auf der Ebene der Notwehrlage aber ebenso wenig erst – wie bislang meist vorgeschlagen – als Frage der ›Gebotenheit‹ zu behandeln.393 Es 392 Vgl. zu dieser – umstrittenen – Notwehrbegründung etwa MK-Erb § 32 Rn. 2 / 5ff., bes. 12 m.z.N. auch zu entgegenstehenden Meinungen. 393 Im Rahmen der Gebotenheit wird die Folterproblematik u. a. erörtert von C. Roxin AT I § 15

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

geht nicht um eine Einschränkung einer an sich erwägbaren Notwehr-Maßnahme. Folter ist vielmehr gar keine rechtlich mögliche Notwehr-Handlung, die als erforderlich und geboten oder nicht bewertet werden könnte; sie ist diesen Bewertungsstufen entzogen und daher kein Objekt einer solchen Bewertung. In dieser Hinsicht ähnlich meint auch Armin Engländer, es stelle sich »die Frage nach einer Notwehreinschränkung also gar nicht, da die Notwehrvorschrift als Eingriffsbefugnis in diesem Fall von vornherein ausscheidet« (in: Matt/Renzikowski-StGB § 32 Rn. 58). Auch im Lehrbuch von Volker Krey und Robert Esser wird die Folter als »grundsätzlich verboten« bezeichnet und jenseits der Gebotenheit als eigener Ausschlussgrund behandelt (Deutsches Strafrecht AT, Rn. 573). Wegen der Missachtung der Würde fallen Foltermaßnahmen bereits grundsätzlich aus dem Kreis möglicher Rechtsakte des Staates heraus; sie sind im Rechtsstaat nicht als rechtsförmig denkbar. Ähnlich wie einem bloßen Reflex mangels Willenssteuerung aus tatsächlichen Gründen die Handlungsqualität fehlt, mangelt es der Tortur aus normativen Gründen an einer zentralen Eigenschaft einer Recht(fertigung)shandlung. Eine solche Konsequenz folgt aus der Abwägungsfestigkeit des Würdeschutzes,394 der sich in Deutschland aus Art. 1 I GG ergibt und bereits grundsätzlich – vorpositiv – aus der konstitutiven Funktion der Menschenwürde für den Begriff des Rechts und Rechtsstaats resultiert. Dies ist aber in den zahlreichen Anti-Folter-Rechtsvorschriften längst zum festen Bestandteil des positiven Rechts geworden; sie bringen den abwägungsfesten Ausschluss der Tortur aus dem Rechtsprogramm des Staates zum Ausdruck. Dadurch wird zugleich die Frage nach eventuellen Rechtfertigungen vorab entschieden: durch die Streichung der Folter aus dem rechtsstaatlichen Verhaltensprogramm erreicht das Problem erst gar nicht die systematische Ebene der Gebotenheit einer Notwehr, d. h. es geht nicht um eine ›sozialethische Einschränkungen‹ einer an sich möglichen und erforderlichen Maßnahme. Eine allein auf das Strafrecht konzentrierte Rechtmäßigkeit, die sich nicht auf andere Rechtsgebiete auswirken kann, würde das strafrechtliche Rechtswidrigkeitsurteil aus dem sonst üblichen gesamtrechtlichen Kontext entziehen, in dem die wechselseitige Berücksichtigung von Rechtfertigungsgründen anerkannt ist. Zwar ist nicht jedes zivil- bzw. öffentlich-rechtliche Unrecht zugleich auch strafbar, denn der Gesetzgeber braucht nicht jedes unrechte Verhalten zugleich in Straftatbeständen zu vertypen. Aber die Gewährung eines Rechtsgrundes zu einer bestimmten Handlung muss einheitlich ausgesprochen werden. RechtliRn. 103ff.; R. Rengier AT § 18 Rn. 94ff.; G. Stratenwerth /L. Kuhlen AT § 9 Rn. 95; U. Murmann, Grundkurs § 25 Rn. 104; J. Wessels/W. Beulke/H. Satzger AT Rn. 289a; s.a. C. Jäger, Strafrecht AT Rn. 127b; D. Steiger, Folterverbot, 428/611f. Fn. 2370; J.-M. Zeller, Folter, 327ff. 394 Vgl. dazu auch H.J. Sandkühler, Menschenwürde, 303ff., bes. 308ff. m.w.N.

Folter und Feindstrafrecht

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ches Dürfen kann sich immer nur auf das Recht in seiner Gesamtheit beziehen. Selbst ein vermeintlich geltendes Naturrecht auf Notwehr kann nicht dafür herangezogen werden, die für Staatsdiener verbindlichen Zurechnungsnormen, durch die eine Relation zwischen Staat und Bürger als Rechtsverhältnis konstituiert wird, auf ein inter-individuelles Maß zu reduzieren. Der Rahmen des rechtmäßigen Verhaltens staatlicher Bediensteter lässt sich nicht von einem Ort außerhalb des Rechts bestimmen, selbst wenn dieser vermeintlich über dem – positiven – Recht thront. Soweit sich dieser vermeintlich ›naturrechtlich‹ motivierte Ansatz lediglich auf einen vor-staatlichen Verteidigungsfall zwischen Individuen beziehen möchte, verfehlt er durch die Anspielung auf diesen ›Naturzustand‹ die rechtsstaatliche Konstellation, die das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger bestimmt und für die die Wahrung der Menschenwürde jedes Einzelnen unabdingbar ist. Wer sich im staatlichen Gewahrsam befindet, muss sich darauf verlassen können, dass sein Gegenüber nicht plötzlich aus der für ihn vorgesehenen ›Rolle‹ fällt und sich als Privatmensch geriert, der sich nicht mehr an die rechtlichen Verhaltensmaßgaben gebunden fühlt, die dessen Handlungskorsett als Amtsperson bestimmen sollen.

VIII. Folter und Feindstrafrecht Extreme Fälle provozieren eine krasse Terminologie. So ist in den letzten eineinhalb Jahrzehnten der Begriff des Feindes in das Strafrecht zurückgekehrt.395 Dies hat zu Irritationen geführt, da bereits das Wort für viele entweder als unangemessen oder als unzeitgemäß gilt. Die Unangemessenheit resultiert dabei aus der Zugehörigkeit des Feindbegriffs zu einer unliebsam gewordenen politischen Rhetorik. Zumindest schien das Gerede von ›Feinden‹ aber eher zu einer dunkleren Vergangenheit zu gehören. Das Wort ›Feind‹ hat immerhin auch in strafrechtlichen Zusammenhängen eine durchaus stattliche Tradition, die man jedoch hinter sich wähnte. So war es beispielsweise bis Ende des 18. Jahrhunderts noch gebräuchlich.396 Relativ ausführlich hat etwa 1783 Ernst Carl Wieland im ersten Teil seines Werkes ›Geist der peinlichen Gesetze‹ davon Gebrauch gemacht.397 Für ihn galten »Alle Handlungen, die aus keiner andern Triebfeder, als aus dem Geiste der Unabhängigkeit entspringen können« als Widerspruch zu »dem Endzwek der bürgerlichen 395 Zur intensiven Diskussion um diesen Begriff vgl. NK-Paeffgen Vor § 32 Rn. 222ff.; K. Gierhake, Zusammenhang, 243ff./302ff. jeweils m.z.N.; s.a. unten S. 418ff. 396 Siehe dazu M. Reulecke, Gleichheit, 246f. m.N. 397 Ausführlicher zu Wielands theoretischen Grundlagen der Verbrechenslehre und Straftheorie: St. Stübinger, Paeffgen-FS, 59ff.

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Folterdebatte – international + interdisziplinär

Gesellschaften, weil ihre Triebfedern in Beziehung auf eben diesen Endzwek böse sind. Ihre Urheber bezeigen sich als wirkliche Feinde des Staates und verdienen folglich der ganzen Strenge der peinlichen Gesetze unterworfen zu werden« (a. a. O., S. 123).

Wer sich dauerhaft von der gesellschaftlichen Ordnung unabhängig erkläre und damit seine Weigerung ausspreche, seinen naturrechtlich verankerten Pflichten nachzukommen erweist sich für Wieland als Staatsfeind. So sollte das Prädikat des ›Boshaften‹ von der Handlung auf den Täter übertragen werden: »Der boshafte Uebertreter eines Gesetzes ist immer ein gefährlicher Bürger, weil man von einem Menschen, der die uneingeschränkte Ausübung seines Willens zum höchsten Endzwek seiner Bemühungen macht, ohne sich durch die kräftigen Be-wegungsgründe von gesetzwiedrigen Handlungen zurückhalten zu lassen, unmöglich die Beobachtung der Pflichten erwarten kann, die er der Sicherheit und Erhaltung des Staats schuldig ist«.

Wenn daher »einzelne Bürger oder Unterthanen es zu ihrer Hauptbeschäftigung machen, den Gesetzen zu trotzen«, so werden sie »zu Feinden des Staats, den sie durch ihre Handlungen vorsätzlich beleidigt haben und der Fürst ist befugt, sie als Feinde zu behandeln und alle Zwangsmittel und Vorkehrungen wieder sie zu brauchen« (a. a. O., S. 303f.). Immerhin galt es damals offenbar noch als ausgemacht, dass es solche realen Staatsfeinde tatsächlich gibt. Während der quasi ontologische Status einer solchen Feindschaft klar schien, ist in der heutigen Debatte um das sog. ›Feindstrafrecht‹ nicht mehr ganz so deutlich, ob diejenigen, die als Feinde behandelt werden, nicht vielleicht nur Opfer einer entsprechenden normativen Konstruktion. Wenn es darum geht, die Frage nach einer möglichen Rechtfertigung von Folter in Zusammenhang zu der Unterscheidung zwischen Feind und Bürger zu bringen, so scheinen hierfür allein die für die ›amerikanische‹ Diskussion unterbreiteten Lösungsvorschläge in Frage zu kommen, denn nur in diesen Begründungsansätzen kommen Momente einer Legitimation von ›Sonderrechten‹ ins Spiel, die gegen mutmaßliche Feinde eingesetzt werden können.398 Der am Beispiel des ›Frankfurter Falles‹ diskutierte rein strafrechtliche Lösungsansatz ist gerade darum bemüht, die Folterproblematik auf dem Gebiet der gewöhnlichen – ›bürgerstrafrechtlichen‹ – Strafrechtsdogmatik zu halten und die dort aufgeworfene Notwehrprüfung gar nicht erst in den Sog einer ›feindstrafrechtlichen‹ Terrorbekämpfung einstrudeln zu lassen. Gleichwohl wird der von 398 Zu einer möglichen Verbindung zwischen der aktuellen Folterdebatte und der Diskussion um das sog. ›Feindstrafrecht‹ vgl. etwa H. Bielefeldt, Folterverbot, 9ff.; ders., ApuZ 36/2006, 3ff., bes. 5f.; H. Brunkhorst (Fn. 116), 77f.; ders., in: Rückkehr der Folter, 92ff.; G. Frankenberg KJ 38 (2005), 380ff.; ders., in: Rückkehr der Folter, 63ff.; ders., Staatstechnik, 258ff./267f.; G. Beestermöller, in: Rückkehr der Folter, 2006, 115f.; J. Kümmel, Nötigung durch Folter, 74f.

Folter und Feindstrafrecht

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Günther Jakobs399 eingeführte und gegen große Widerstände verteidigte Begriff des Feindstrafrechts durchaus hinreichend offen gehalten, um selbst gelegentliche aber heftige Kriminalitätsphänomene erfassen zu können. Insbesondere wenn der primär deskriptive Aspekt der Begründung eines Feindstrafrechts in den Vordergrund gestellt wird, der auf die durchaus redundante Formulierung gebracht werden kann: Feind ist, wer als solcher behandelt wird! So wird jemand zum Feind, gerade weil an ihm ein Mittel aus dem Arsenal eines Feindstrafrechts, zu denen auch die Folter zählen mag, vollzogen wird; Bürger werden nicht gefoltert. Die Differenz zwischen Bürger und Feind wird insoweit durch die unterschiedliche Sanktionierung bestimmt und nicht durch inhaltliche Gesichtspunkte programmiert. Es ist die Schwere der Rechtsfolge, durch die sich die Art des ›Strafrechts‹ feststellen lassen soll. Der Ausschluss des Feindes aus dem (Bürger-Straf-)Recht wird in dieser Beschreibung als performativer Akt dargestellt, der sich allein durch das Exkludieren selbst vollzieht, ohne sich notwendigerweise auf normative Gründe außerhalb seiner selbst beziehen zu müssen. Da die Feinde laut Jakobs nur der Form nach meist als Rechtspersonen auftreten, gibt es kaum eine andere Möglichkeit, als die Feindschaft durch einen solchen Zuschreibungsprozess festzustellen. Hierzu könne dann bereits der Hinweis auf eine zu geringe kognitive Untermauerung der ›Bürgerpflicht‹ zur Rechtstreue genügen. Die Faktizität der feindstrafrechtlichen Behandlungsweisen soll gerade nicht an eine zuvor zu begründende Normativität gebunden sein. Schließlich geht es Jakobs um die Beschreibung einer Rechtswirklichkeit, die sich als »Bedingungen« bzw. »Grenzen von Rechtlichkeit« verstehen lassen, d. h. einer normativen Verfassung des Rechtlichen immer schon vorausgehen.400 Während hierzulande ohnehin die sehr grundsätzlichen Bedenken gegen die Verwendung des Wortes ›Feind‹ in Verbindung mit dem (Straf-)Recht spürbar geworden sind und die Anzahl der Kritiker die vereinzelten Stimmen derer deutlich überwiegen, die freimütig für diese Konzeption eintreten, kennt die amerikanische Debatte in dieser Hinsicht deutlich weniger Skrupel. Im ›Krieg gegen den Terrorismus‹ haben die Begriffe vom Feind bzw. von ›feindlichen Kämpfern‹ in der offiziellen Sprachregelung ihren festen Platz gefunden.401 In 399 G. Jakobs, in: Rechtsphilosophische Kontroversen, 137f.; ders., in: Deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende, 51ff.; ders., HRRS 2004/3, 88ff.; ders., Staatliche Strafe, 40ff.; ders., ZStW 117 (2005), bes. 845ff.; ders., HRRS 2006/8–9, 289ff.; s.a. dens., ZStW 97 (1985), 753ff./783f.; ders., Norm, Person, Gesellschaft, 3. Aufl. (2008), 116ff., wo er im Unterschied zur 1. Aufl. 1997, 109ff., nicht mehr vom »Feind« sondern von »Externe(n)« bzw. vom »Gegner« spricht. 400 G. Jakobs HRRS 2006/8–9, 289 (ff.). 401 Vgl. J.L. Hafetz, Temple Political & Civil Rights Law Review 14 (2005), 409ff.; T. Gill / E. van Sliedregt, Utrecht Law Review 1 (2005), 28ff./48ff.; J. Griffith, a. a. O. (Fn. 84), 107ff.; s.a. D.

200

Folterdebatte – international + interdisziplinär

diesem Zusammenhang ist die Ausweitung und Verschärfung von Verhörmethoden bis hin zu Foltermaßnahmen nur eine von zahlreichen weiteren Mitteln im Kampf gegen den Terrorismus.402 Insbesondere den Gefangenen in den Militärlagern außerhalb der USA, vor allem in Guantanamo, ist der Zugang zu rechtlich geregelten Verfahren lange Zeit überhaupt vorenthalten worden.403 Sie sind in geradezu kafkaeske Situationen versetzt worden, soweit sie, wie jener Mann in Kafkas Erzählung vergeblich um Eintritt ›in das Gesetz‹ bitten; so werden sie im wahrsten Sinne des Wortes ›vor dem Gesetz‹ stehen gelassen, solange sie von einem ›Hüter des Gesetzes‹ am Zutritt zum Recht und dessen justizförmigem Urteilsvermögen gehindert werden.404 Dabei wird jedoch ersichtlich, dass sich der selbsternannte Wächter vor dem Gesetz, seinerseits ›vor‹ das Gesetz bzw. außerhalb des Rechts stellen muss. Dementsprechend beschreibt Jacques Derrida die Haltung des Türhüters in Kafkas Erzählung mit den Worten: auch der Wächter »hält sich vor dem Gesetz auf … Zur Aufsicht bestellt, hält er also vor ihm Wache, indem er ihm den Rücken kehrt« (Pr¦jug¦s, 61f.). Feindseliges Verhalten gegen vermeintliche Feinde des Rechts findet stets jenseits rechtsstaatlicher Grenzen statt; mit dem Wort ›Feind‹ wird keine Kategorie des Rechts aufgerufen, sondern ein moralisches bzw. politisches Register gezogen.405 Nur wer die Frage nach dem Unrechtsgehalt bestimmter Taten einer rechtlichen Klärung zuführt, kann sich selbst ›im Recht‹ befinden. Demgegenüber werden ganz offiziell sonder- bzw. sogar außer-rechtliche Behandlungsweisen geschaffen, um die mutmaßlichen Terroristen davon fernhalten zu können. Die Grenzen zwischen Recht und Politik, zwischen Strafjustiz, Polizeiaktion und Kriegshandlung verschwimmen in Zeiten des Terrorismus, und verändern deren jeweilige Funktion, die sonst als sauber abtrennbar angesehen worden sind.406

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Cole, Stanford Law Review 54 (2002), 953ff., der auf die lange Tradition dieser Begrifflichkeit innerhalb der amerikanischen Rechtsgeschichte aufmerksam macht (959ff.). Zu weiteren rechtlichen Neuerungen (z. B. die Ausweitung von Abhörmaßnahmen, erweiterte Kompetenzen von Polizei und Verfassungsschutzbehörden) siehe D.A. Harris, Rutgers Law Journal 38 (2006), 1ff.; J.C. Eastman, ILSA Journal of International & Comparative Law 13 (2006), 1ff.; J. Yoo, George Mason Law Review 14 (2007), 565ff. jeweils m.w.N.. Zu dieser kontrovers diskutierten Frage siehe etwa A.L. Tyler, Stanford Law Review 59 (2006), 333ff.; T.W. Morrison, Cornell Law Review 91 (2006), 411ff. Vgl. Franz Kafkas kleine Erzählung ›Vor dem Gesetz‹, die auch in seinem Roman, Der Prozeß, S. 182f. (9. Kapitel: Im Dom), Eingang gefunden hat. Siehe dazu die Deutungen von J. Derrida, Pr¦jug¦s, 33ff.; zu Derridas Interpretation bzw. Dekonstruktion von Kafkas Text; R. Gasch¦, in: Einsätze des Denkens, bes. 262ff. Zur nicht immer hinreichend markierten Differenz zwischen politischer und moralischer Verwendung der Freund/Feind-Unterscheidung vgl. C. Mouffe (Fn. 356), 95ff. Hierzu J.T. Parry, William& Mary Bill of Rights Journal 15 (2007), 766ff., bes. 791ff.

Resümee

201

Obwohl sich auch die deutsche Legislative jener Bekämpfungsrhetorik angeschlossen hat, die eher auf Krieg denn auf rechtliche Konfliktlösungen hindeutet, sind wir von solchen Zuständen (noch) weit entfernt; selbst die gesetzlichen Maßnahmen gegenüber dem Terrorismus fallen sehr viel moderater aus als in den USA.407 Solange die Frage nach der Folterproblematik im Rahmen gesamtrechtlicher Überlegungen gehalten wird, scheint die Gefahr eines Abdriftens in insofern ›feindstrafrechtliche‹ Gefilde gebannt werden zu können. Dafür bleibt es jedoch notwendig, weiterhin die Rechtswidrigkeit des Folterns zu betonen.

IX.

Resümee

Die vorstehende Analyse hat nun also doch eine ganze Reihe von rechtswissenschaftlichen Problemen mit der Folter zutage gefördert, u. a. weil sich verschiedene Ansichten breit machen, die bestreiten, dass es sich hierbei um ein genuines Rechtsproblem handelt, das sich überhaupt nur unter Verweis auf die vielfältigen rechtlichen Vermittlungen angemessen behandeln lässt. Dies berührt vor allem die Frage nach dem Kernbestand rechtlicher Themenstellung, d. h. die Abgrenzung zu Ethik und Politik sowie die Frage nach der systematischen Stellung der strafrechtlichen Bewertung im Einzelfall eingesetzter Torturen. Das Verhältnis zur ethischen oder politischen Behandlung dieser Problematik stellt dabei keineswegs ein eitles Kompetenzgerangel dar ; es geht vielmehr ums Ganze, d. h. um die Frage, ob das Recht tatsächlich immer nur so lange unter Vorbehalt gilt, bis normative Überlegungen aus anderen Regelungsgebieten sich als in praxi überlegen darbieten und es aus seiner Position verdrängen. Der Hinweis auf die primäre Zuständigkeit des Rechts ist demgegenüber wichtig, um die gesamte Vielfalt der Folterdiskussion einholen zu können. Die Komplexität der Folterproblematik, lässt sich aber andererseits nicht durch eine Reduzierung auf eine gegenüber dem übrigen (öffentlichen, Verfassungs- und Völker-)Recht isolierte strafrechtliche Lösung einholen. Das Urteil über die Rechtswidrigkeit der Folter erstreckt sich stets über das gesamte Recht, da mit einer Missachtung des absoluten Anspruchs einer unantastbaren Menschenwürde zugleich das zentrale Moment allgemeiner Rechtsbegründung betroffen ist. Sobald diese Fragen geklärt sind, kann vielleicht zur alten Selbstverständlichkeit im juristischen Umgang mit der Folterthematik zurückgekehrt werden, denn – wie gesagt: eigentlich bereitet die Folter aus rechtswissenschaftlicher Perspektive keine Probleme. 407 Vgl. die Vergleichsstudien von K.L. Scheppele, Loyola Law Review 50 (2004), bes. 98ff.; dies. Journal of Constitutional Law 6 (2004), 21ff.

202

Folterdebatte – international + interdisziplinär

Die anfangs (auf S. 37) angekündigte Erläuterung über den Zusammenhang des geschilderten Geschehnisses vor der kanadischen Küste soll keineswegs schuldig bleiben. Sie lässt sich eventuell bereits erraten, bestenfalls versteht sich der Bezug sogar von selbst: mit dem Folterverbot verhält es sich wie mit dem Leuchtturm, der nicht von seiner starren Position abrücken kann, selbst wenn er mit Macht oder eventuell mit an sich verständlichen Gründen, dazu gedrängt werden soll; er kann keinen Platz machen, aber nicht weil er mächtiger wäre als andere, sondern weil er eine wesentliche Funktion ausüben muss. Andernfalls könnte er nämlich seine Aufgabe nicht mehr erfüllen, dem Schiffsverkehr einen festen Orientierungspunkt zu bieten, anhand dessen überprüft werden kann, ob sich die Boote, die den Weg kreuzen und sich dabei auf wichtiger Mission befinden mögen, noch im erlaubten bzw. sicheren Fahrwasser befinden oder an der Küste zu zerschellen drohen. Die Menschenwürde wäre in diesem Bild gleichsam die Signalleuchte, die aus der Ferne betrachtet zwar nur als ein kleines Licht wahrgenommen werden mag, das niemanden mit Gewalt von einer Abweichung abhalten könnte, deren Ignorierung jedoch die Sicherheit des gesamten (Rechts-) Verkehrs beeinträchtigen würde.

B.

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Wie in Kapitel A. dargestellt, orientiert sich die Debatte um eine mögliche Legitimierung von Folter in der englisch-sprachigen Literatur vorwiegend an ethisch-politischen Grundlagendiskussionen (siehe insbesondere oben S. 60ff./ 74ff.). Dort werden Pro und Contra-Argumente nicht selten unmittelbar aus den gängigen Begründungshaushalten der normativen Ethik und Politiktheorie abgeleitet. Insoweit geht es dann immer auch um eine allgemeinere Ebene der Auseinandersetzung um die Prinzipien praktisch-richtiger Entscheidungsfindung. Während in der deutschsprachigen Moralphilosophie noch immer das »Schweigen der Ethik zum Problem der Notsituationen« beklagt wird,1 besteht im anglo-amerikanischen Diskussionszusammenhang schon traditionell eine größere Nähe zwischen (straf-)rechtsdogmatischen und moralphilosophischen Themen; so werden etwa einige Probleme, wie z. B. die Abgrenzung von Rechtfertigung und Entschuldigung, die in Deutschland beispielsweise als Notstandsfälle beinahe exklusiv unter Strafrechtsdogmatikern diskutiert werden, in einer Art rechts-ethischer Diskursgemeinschaft von (Rechts- und Moral-)Philosophen und Juristen gemeinsam behandelt. Die Gründe dafür sind sicher vielfältig: zum einen fehlt es in der anglo-amerikanischen case-law-Tradition an einer vergleichbar strengen Bindung an gesetzliche Regelungen; dies verhindert dort eine exklusive Interpretationen unter juristischen Experten. Zum anderen könnte es jedoch nicht minder an einer umfassenderen – nicht rechtsspezifisch eingeengten – Bildung der beteiligten Diskutanten liegen. Offenbar existiert dort ein Gespür dafür, dass die damit angesprochenen Probleme zu wichtig sind, um sie allein Juristen zu überlassen.

1 H. Wittwer, DZPhil 62 (2014), 1123; s.a. R. Schmücker, DZPhil 62 (2014), 1090f.

204

I.

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Folter und Würde: Probleme mit der Unbestimmtheit

In Deutschland wird der Kontakt zu allgemeinen ethisch-politischen Begründungen von vielen gemieden; es herrscht offenbar der Verdacht einer Konfusion von Recht und Moral, den es durch eine scharfe Trennung der Disziplinen zu vermeiden gelte. Hierzulande kreist die entsprechende Diskussion um die Folter (jedenfalls zusätzlich) um einen Begriff, der auch in anderen Zusammenhängen im Zentrum von Meinungsstreitigkeiten steht: die Würde des Menschen. Obwohl dadurch ebenfalls ein Übergriff auf ein von Philosophen oder gar Theologen besetztes Themenfeld ermöglicht wird, bietet die Frage nach den Grenzen menschenwürdigen Verhaltens zugleich die Möglichkeit eines typischen Rechtsdiskurses. Durch Verweis auf die Menschenwürde wird die Folterthematik nämlich unmittelbar an die normative Spitze der Rechtsordnung rückgebunden und als Problem von Art. 1 I GG ausgewiesen. Nicht wenige glauben, den Begriff der Menschenwürde durch eine rein rechtsdogmatische Interpretation in einer ent-moralisierten Form in das Rechtssystem einspeisen zu können. Dies begründet ebenfalls einen Unterschied zu den USA und Großbritannien, in deren Rechtstradition die Menschenwürde jedenfalls im positiven (Gesetzes-) Recht – sehr wohl aber in der Verfassungs-Gerichtsbarkeit2 – keine vergleichbare Rolle spielt.3 Eine entsprechende Rückbindung an eine Grundrechts-Norm ist dort jedenfalls nicht in dem Maße wie in Deutschland möglich; lediglich in einigen Länderverfassungen einzelner US-Staaten wird der Schutz der Würde erwähnt. Insbesondere in »The Constitution of the State of Montana« von 1972 lautet der erste Satz von Art. II Section 4: »The dignity of the human being is inviolable«.4 Darüber hinaus gibt es Forderungen, wichtige Entscheidungen über den Schutz der Menschenwürde nicht allein den Gerichten zu überlassen;5 in einer Demokratie sei es dem Gesetzgeber vorbehalten, zentrale Fragestellungen zu regeln. 2 Zur Bedeutung unterschiedlicher Konzepte von Würde innerhalb der dortigen VerfassungsGerichtsbarkeit siehe J.J. Paust, Howard Law Journal 27 (1984), 146ff./195ff.; M.D. Goodman, Nebraska Law Review 84 (2006), 741ff.; J.D. Castiglione, Wisconsin Law Review (2008), 655ff.; N. Rao, CJEL 14 (2008), bes. 238ff.; dies., Notre Dame Law Review 86 (2011), 185ff.; C. O’Mahony I.CON 10 (2012), 554; L.R. Barroso, Boston Collage International and Comparative Law Review 35 (2012), bes. 346ff. jeweils m.N. 3 Vgl. P. Tiedemann, Menschenwürde, 62ff.; S. Kirste, in: Dogma der Unantastbarkeit, 188ff.; E.J. Eberle, in: Facetten der Menschenwürde, 106ff.; M.D. Dubber, Schünemann-FS, 29ff. 4 Zur spärlichen Anwendung dieser Regelung vgl. etwa H. Klug, Montana Law Review 64 (2003), 133ff. m.N.; zur Geschichte dieser Norm, die unmittelbar die entsprechende Formulierung in Art. II Section 1 der Verfassung Puerto Ricos von 1951 übernommen hat, siehe V.C. Jackson, Montana Law Review 65 (2004), 21ff. 5 So z. B. – für das britische Recht – C. Gearty, in: Understanding Human Dignity, 163f.

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Selbstverständlich bedeutet die mangelnde Gesetzesform in diesen Ländern keineswegs, im anglo-amerikanischen Diskussionsbereich werde der Zusammenhang zwischen Folter und Würdeverletzung nicht thematisiert. Entsprechende Verbindungen werden auch dort problematisiert.6 So hat etwa Michael Rosen, Professor of Government an der berühmten Harvard Universität, in seinem interessanten Buch ›Dignity‹ aus dem Jahr 2012 u. a. auch die Problematik der »Legislation of Dignity« aufgegriffen, allerdings nicht zuletzt unter ausführlicher Bezugnahme auf die Regelung und die sich daran entzündeten Debatten in Deutschland (a. a. O., S. 63/77ff., u. a. auch am Beispiel des ›Frankfurter Falls‹ und der Entscheidung des BVerfG zum Luftsicherheitsgesetz: S. 104ff.). Ebenso widmet auch David Luban einen Beitrag seiner Aufsatzsammlung, ›Torture, Power, and Law‹, dem Verhältnis von »Human dignity, humiliation, and torture« (a. a. O., 137ff.; s.a. ebenda, 125ff.) Insoweit gibt es trotz aller Unterschiede genügend Verbindungslinien zwischen anglo-amerikanischer und kontinental-europäischer Diskussion. Dafür sorgt nicht zuletzt auch die Bezugnahme auf eine gemeinsame philosophische Hauptquelle der aktuellen Debatte um den Menschenwürde-Begriff. Gemeint ist die entsprechende Konzeption Immanuel Kants. Sie darf in kaum einem Text zu diesem Thema fehlen. Während der Bezug zur Kantischen Philosophie für viele wohl als Chance auf einen theoretischen Tiefgang genutzt werden soll, wird dieses Erbe von einigen mitunter eher als Last empfunden.7 In Deutschland wird dabei jedoch häufig auf eine prominente Lesart des Prinzips der Menschenwürde i. S.v. Art. 1 I GG verwiesen, um die Diskussion sogleich in dogmatische Bahnen lenken zu können. Insofern dient der Verweis auf Kants Würde-Verständnis meist als Überleitung zur sog. ›Objekt-Formel‹8, die maßgeblich von Günter Dürig (AöR 81 (1956), 127ff.) geprägt und vom Bundesverfassungsgericht übernommen wurde (dazu auch unten S. 234). Demgegenüber ermöglicht die entsprechende Anbindung an die Philosophie Kants in den USA eine thematische Anbindung an das vertraute Terrain der ethischen Grundlagen des

6 Vgl. D. Schroeder, Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics 15 (2006), 188ff.; S. Baer, University of Toronto Law Journal 59 (2009), 456ff.; L. Meltzer Henry, University of Pennsylvania Law Review 160 (2011), 221f.; s.a. den Überblick von A. Maier, in: Humiliation, 101ff. m.N. sowie in historischer Perspektive Y.M. Barilan, Human Dignity, 53ff. 7 I.d.S. etwa M. Baldus AöR 136 (2011), 550f. 8 Dazu W. Graf Vitzum JZ 1985, 202f.; H. Hofmann AöR 118 (1993), 359f.; F. Hufen JZ 2004, 316f.; M. Nettesheim AöR 130 (2005), 79f.; B. Jakl, Recht aus Freiheit, 158f.; D. Hömig, in: Dogma der Unantastbarkeit, 40f.; N. Teifke, Prinzip Menschenwürde, 9ff.; K. Seelmann, in: Wege zur Menschenwürde, 313ff.; ders./D. Demko, Rechtsphilosophie, § 12 Rn. 4; S. Kirste, in: Menschenwürde (Handbuch), 241ff. jeweils m.N.; s.a. E. Denninger, v.Brünneck-FS, 406f., der betont, dass das Bundesverfassungsgericht in den einschlägigen Entscheidungen – ebenso wie Dürig selbst – jede explizite Bezugnahme auf Kant vermeide.

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Rechts.9 Dabei ist es seit geraumer Zeit zu einem »revival of Kantian legal thinking« in der anglo-amerikanischen Rechtsphilosophie und speziell in der Diskussion um die Menschenwürde gekommen.10

1.

Mehrdeutigkeit des Begriffs der Menschenwürde

In Rahmen des hier verhandelten Folter-Problems wird – wie erwähnt – ebenfalls sehr häufig auf die Würderelevanz hingewiesen. Die Verbindung zwischen Folter und Würde macht die Thematik nicht gerade einfacher ; sie verdoppelt vielmehr die Problematik bzgl. des Umgangs mit unbestimmten (Rechts-)Begriffen. Zu der Schwierigkeit einer Definition der Reichweite dessen, was unter Folter zu bezeichnen ist (vgl. dazu oben S. 52ff.), gesellt sich die schon häufig beklagte Unbestimmtheit der Menschenwürde. Der Begriffs steht schon lange im Verdacht, eine bloße ›Leerformel‹ zu sein,11 in die beliebig viele Unbekannte eingerechnet werden könnten. Genau besehen werden nämlich noch immer mehrere miteinander nur schwer zu vereinbarende Konzeptionen gehandelt,12 die nach einer spöttischen Bemerkung von Hasso Hofmann allzu oft zu einem »fragwürdigen metaphysischen Begründungsbrei« zusammengerührt werden (AöR 118 (1993), 359): Neben dem bereits mehrfach erwähnten kantischen Modell (dazu oben S. 96ff. u. ö.) werden z. B. die jüdisch-christlichen Wurzeln des Würdebegriffs in Erinnerung gerufen. Danach leite sich die Würde des Menschen primär von seiner Ebenbildlichkeit Gottes ab.13 Zumindest in einer Hinsicht werden diese 9 Siehe etwa G. Kateb, Human Dignity, 13ff.; M.O. Clifford / T.P. Huff, Montana Law Review 61 (2000), 308ff.; A. Ploch, New York University Journal of International Law and Politics 44 (2012), 895ff.; L.R. Barroso, Boston Collage International and Comparative Law Review 35 (2012), 358ff. 10 Vgl. schon G.P. Fletcher, University of Western Ontario Law Review 22 (1984), 171 (ff.); s.a. T.E. Hill, in: Understanding Human Dignity, 313ff. 11 So etwa P. Kondylis, in: Geschichtliche Grundbegriffe, 677. Zu diesem Vorwurf – im Bemühen, die vermeintliche ›Leere‹ durch ein »konsensfähiges Konzept« zu füllen – D. Fenner, AZP 32 (2006), 137 (ff.). 12 Siehe dazu die Überblicke von A. Pollmann, DZPh 53 (2005), 612ff.; ders., zfmr 1/2010, 33ff. m.N.; s.a. C. McCrudden, in: Understanding Human Dignity, 8ff. 13 So schon K.H. Heydenreich, Betrachtungen über die Würde, 20f.; s.a. C. Starck, JZ 1981, 459f.; G.P. Fletcher, in: K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 64ff.; P. Kirchhof, Starck-FS, 281ff.; M. Dan-Cohen, Israel Law Review 44 (2011), 11ff.; E. Schockenhoff, in: Beginn, Personalität und Würde, 457ff.; D. Luban, Torture, 140ff.; s.a. die Überblicke über das Verständnis der »Menschenwürde im Christentum« von U.H.J. Körtner – »aus evangelischer Sicht« – bzw. von D. Mieth – »aus katholischer Sicht« – in: Menschenwürde (Handbuch), 321ff. bzw. 349ff. jeweils m.w.N. Skeptisch gegenüber einer Überschätzung einer vermeintlichen Ableitung der Menschenwürde aus der christlichen Überlieferung: H. Dreier, Säkularisierung, 79ff. m.N.; s.a. R. Forst, Kritik, 123f.; ders. DZPh 53 (2005), 591f.

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beiden Begründungslinien sogar kurzgeschlossen. Beide firmieren dann gemeinsam mit anderen Ansätzen vornehmlich in der juristischen Literatur als sog. ›Mitgifttheorie‹, da die Würde in diesen Konzeptionen als Gabe Gottes oder als von Natur aus mitgegebene Ausstattung des (Vernunft-) Wesens des Menschen angesehen werde.14 Als Gegenpol zu dieser Vorstellung von Würde als göttlicher bzw. vernünftiger ›Mitgift‹ werden noch diverse Versionen einer leistungsabhängigen Würde vertreten. Danach sei die Würde dem Menschen nicht schon quasi von Geburt an mitgegeben, vielmehr müsse er sie sich erst verdienen; umgekehrt könne er sie aber auch durch moralische Fehlleistungen wieder verwirken. Hierfür wird teilweise als philosophische Begründung auf die antike Tugendethik verwiesen.15 Aber auch die sog. ›Leistungstheorie‹, die u. a. vom frühen Luhmann vertreten worden ist, wird als Begründung jener Ansicht bemüht.16 Im Ansatz sei ein solches Verständnis sogar bei Friedrich Schiller anzutreffen.17 Selbst an das ältere Verständnis von Würde als Statussymbol (dazu oben S. 147ff.) wird immer wieder mal erinnert. So bemüht sich vor allem der in New York und Oxford lehrende neuseeländische Rechtsphilosoph Jeremy Waldron in zahlreichen Beiträgen, die Würde des Menschen mit dessen besonderem Rang und Nobilität zu begründen. Im Unterschied zu früheren Zeiten, in denen diese höheren Würden nur einer kleinen Gruppe durch Erhebung in den Adelsstand vergönnt gewesen sei, werden in der Moderne durch die Zuschreibung von Würde gleichsam alle Menschen geadelt; aus der Dignität von wenigen wird so die Würde von allen.18 14 Kritisch dazu H. Bielefeldt, Auslaufmodell Menschenwürde?, 46ff. D. von der Pfordten, Normative Ethik, 74f./76ff. bevorzugt hierfür den Ausdruck »notwendige Würde« im Unterschied zu den Konzeptionen, die eine bloß »zufällige (kontingente), auf der Leistung des Würdeinhabers beruhende Würde« propagieren (74f.). 15 Dazu etwa D. Schroeder, Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics 17 (2008), 232 ff; dies. Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics 19 (2010), 119ff. 16 N. Luhmann, Grundrechte, bes. 68ff.; siehe dazu H. Hofmann AöR 118 (1993), 362ff.; A. Augustin, in: R. Stoecker (Hg., Menschenwürde, 112f.; K. Seelmann, Studia philosophica 63 (2004), 141ff.; N. Teifke, Prinzip Menschenwürde, 47ff. G. Lindemann, in: Menschenwürde (Handbuch), 427ff. jeweils m.w.N.; kritisch dazu etwa H. Bielefeldt, Auslaufmodell Menschenwürde?, 76ff. (auch zu anderen »meritokratischen« Ansätzen – S. 74ff./78ff.); W. Graf Vitzum JZ 1985, 206f.; S. Baer DZPH 53 (2005), 576; T. Hörnle ZRph 6 (2008), 44, die darin vor allem eine Missachtung der »Notwendigkeit eines egalitären Verständnisses von Menschenwürde« erkennen möchte. 17 Vgl. B. Sandkaulen, in: Subjektivität und Autonomie, 239. 18 J. Waldron, Archives Europ¦ennes de Sociologie 48 (2007), 201ff.; ders. Arizona State Law Journal 43 (2011), bes. 1117ff.; ders., Cambridge Law Journal 71 (2012), 201ff.; ders., Dignity, bes. 30ff.; im Ansatz ähnlich R. Forst DZPh 53 (2005), 589f.; vgl. zu Waldron auch: J. Habermas DZPh 58 (2010), 351; ders., Verfassung, 27f.; S. Hennette-Vauchez, I.CON 9 (2011), 38ff.; M. Toscano, Les ateliers de L’¦thique 6/2 (2011), 13ff.; E. Webster, in: Humiliation, 81f.; C.R. Beitz, P& P Affairs 41 (2013), 283ff.; R. Stoecker / C. Neuhäuser, in: Men-

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Schließlich wird noch versucht, die Schwierigkeit der Bestimmung des Unbestimmten dadurch zu entschärfen, dass nicht die Würde als einheitliches Objekt einer Verletzung definiert wird; es sollten vielmehr die möglichen Verletzungshandlungen auf einen gemeinsamen Begriff gebracht werden. An die Stelle positiver Bestimmungen, die bislang stets umstritten geblieben sind, treten dann evident anmutende Negationen Begriffs der Würde, der dann unbestimmt bleiben darf. Hierfür hat sich vor allem der Ausdruck der Demütigung angeboten, den Avishai Margalit in seinem Buch ›The Decent Society‹ von 1996 entwickelt hat, das in deutscher Übersetzung unter dem Titel ›Politik der Würde‹ (zuletzt 2012 in einer stw-Ausgabe) erschienen ist. Obwohl der Begriff der Würde darin gar nicht im Zentrum steht, hat die geschickte Titelgebung im Deutschen mit dafür gesorgt, dass Margalits interessantes Werk zur Standardlektüre innerhalb der einschlägigen Diskussion um die Menschenwürde geworden ist; dies wäre mit einer wortgetreuen Übertragung des englischen Titels, etwa ›Die anständige Gesellschaft‹, sicher nicht gelungen. Durch die Möglichkeit einer negativen Bestimmung demütigender Handlungen soll die schier unendlich scheinende Weite möglicher Würdebeeinträchtigungen auf die bescheidener klingende Frage nach der demütigenden Wirkung bestimmter Verhaltensweisen reduziert werden.19 Es erscheint deutlich leichter, eine Verständigung über diverse Formen von Demütigungen zu erzielen als einen Konsens bzgl. des Begriffs der Würde zu erringen. Die Vielfalt an Bedeutungen, in der die Rede von der Würde des Menschen geschwungen wird, macht es Skeptikern indes leicht, diesen Begriff als weitgehend nutzlos20 oder stupide21 zu denunzieren und ihn letzlich sogar für verzichtbar zu halten.22 Der Vorwurf der Unbestimmtheit begleitet den Begriff spätestens seit der entsprechenden Kritik von Arthur Schopenhauer an Kants

19

20 21 22

schenwürde (Handbuch), 66f.; M.H. Kramer, Torture, 150f.; K. Seelmann, in: Wege zur Menschenwürde, 319f.; ders./D. Demko, Rechtsphilosophie, § 12 Rn. 23a f. Vgl. etwa – in durchaus kritischer Anlehnung an Margalit – J. Nida-Rümelin, Über menschliche Freiheit, 131ff.; ders., in: Human Dignity, 83ff.; T. Hörnle ZRPh 6 (2008), 51ff.; dies., in: E. Hilgendorf (Hg.), Menschenwürde, 91ff., bes. 99ff. m.w.N.; s.a. R. Stoecker, in: Würde und Autonomie, 99ff.; P. Schaber, Menschenwürde, 64ff.; ders., in: Würde und Autonomie, 163ff.; kritisch zu diesem »Humiliationismus« z. B. C. Horn, in: F. Bornmüller (Hg.), Menschenrechte, 103 (ff.). So explizit – zumindest für die medizin-ethischen Debatten der letzten Jahrzehnte – Ruth Macklin, Britisch Medical Journal 327 (2003), 1420: »Dignity is a useless concept in medical ethics and can be eliminated without any loss of content«. Vgl. etwa Steven Pinkers Kritik am Würdebegriff in der Bioethik unter dem Titel »The Stupidity of Dignity« in ›The New Republic‹ vom 28. Mai 2008. Siehe zu einer solchen »Verzichtbarkeitsthese« z. B. D. Borchers, in: H.J. Sandkühler (Hg.) Menschenwürde, 131ff. m.N.; s.a. C. Starck, JZ 1981, 461f.; R. Stoecker, ZiF-Mitteilungen 1/ 2010, 25f.; umfassend zu verschiedenen Varianten der »Menschenwürde-Skepsis«: D. Birnbacher, in: Menschenwürde (Handbuch), 160ff. m.N.; s.a. dens., in: E. Hilgendorf (Hg.), Menschenwürde, 75f.

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Auszeichnung der Würde als Leitwert der Moral: sie sei nämlich nur »ein höchst willkommenes Wort … an welchem nunmehr jede, durch alle Klassen und Pflichten und alle Fälle der Kasuistik ausgesponnene Moral ein breites Fundament fand«.23 Die Vagheit der Begrifflichkeit kann durchaus eingestanden werden; dieses Problem teilt die Würde mit anderen großen Begriffen wie Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Schuld und Strafe; sie alle leiden am Fehlen einer konsensfähigen – positiven – Definition, die ein für alle Mal sämtliche Anwendungen umfassen könnte. Auch die anderen genannten Großbegriffe werden von zahlreichen Theorien umspült, die ihre Inhalte erläutern sollen. Deshalb können sich unter einem »Konzept« mehrere »Konzeptionen« ausbilden, die miteinander konkurrieren.24 Mit einer älteren Differenzierung könnte auch zwischen dem »Vernunftbegriff (der Idee)« und einem »Verstandesbegriff (conceptus)« bzw. mehrerer solcher unterschieden werden.25 Je nach Zählweise und Unterscheidungsgebrauch werden dann drei26, vier27 oder fünf28 verschiedene Konzeptionen aufgeführt, die z. T. noch in zusätzliche Unterbegriffe weiter entfaltet werden sollen. Dennoch profitiert die Würde ebenso wie die anderen genannten Großbegriffe von der Evidenz, ohne sie nicht auskommen zu können. Die Unverzichtbarkeit wird vor allem über die Erfahrung ihres Mangels erkennbar, d. h. wenn es ungerecht, unwürdig, unfrei etc. in der Welt zugeht, dann macht sich die Notwendigkeit bemerkbar, solche Missstände auf einen Begriff bringen zu müssen. Nur so wird aus einem unbestimmten Unbehagen oder Leiden an einer Situation ein bestimmbares Geschehen, das sich dann z. B. als Fehlverhalten zurechnen lässt, um es als vermeidbar darstellen zu können. Selbst die schärfsten Kritiker werden in dieser Hinsicht schwach und erheben etwa Anspruch auf Achtung der persönlichen Freiheit und Würde, spätestens wenn es um ihre eigenen Belange geht; niemand will gezwungen oder unwürdig und ungerecht behandelt werden. Die Würde ist ebenso wie Freiheit, Wahrheit oder Gerechtigkeit ein Ideal.29 Als solches hat sie zunächst die Aufgabe, eine ganze Reihe von Differenzierun23 A. Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik, Werke III, 522f. (523); eingehender dazu etwa G. Löhrer, Menschliche Würde, 182ff.; S.L. Sorgner, Menschenwürde, 91ff.; s.a. H. Bielefeldt, in: Menschenwürde, 26f. 24 Zu der angedeuteten Unterscheidung zwischen »grundbegrifflichen ›Konzepten‹ und inhaltlichen ›Konzeptionen‹ « siehe etwa A. Pollmann, zfmr 1/2010, 33. 25 Vgl. dazu – am Beispiel der Gerechtigkeit – J.B. Erhard, Die Horen 3 (1795/7), 21. 26 C. Enders, Menschenwürde, 6. 27 B. Kelker, Puppe-FS, 1682ff.; M. Rosen, Dignity, 8ff./57ff.; C.R. Beitz P& P Affairs 41 (2013), 271ff.; S. Zucca-Soest, in: Würde und Autonomie, 121ff. 28 L. Meltzer Henry, University of Pennsylvania Law Review 160 (2011), 169ff./ 190ff.; D. Schroeder, Ethical Theory and Moral Practice 15 (2012), 323ff. 29 Ebenso F. Thiele, in: Menschenwürde (Handbuch), 29.

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gen auf eine Einheit zurückzuführen. Die inhaltliche Flexibilität ermöglicht dabei in zeitlicher Hinsicht eine gewisse Offenheit für historische Bedeutungswandlungen. Der Begriff muss nicht aufgegeben werden, wenn neue Inhalte damit erfasst oder alte wieder preisgegeben werden sollen. Dies darf jedoch keineswegs mit Beliebigkeit verwechselt werden; auch die flexibelste Begriffsbestimmung stößt an Grenzen. Ob diese Offenheit beispielsweise »eine Ausweitung des moralischen Status auf Menschenaffen zur Konsequenz« haben kann oder gar haben sollte, wie Martina Herrmann (in: R.Stoecker (Hg.), Menschenwürde, 77) in ihrem Plädoyer »für einen unscharfen Begriff von Menschenwürde« (wie es im Titel auf S. 61 heißt) behauptet, darf bezweifelt werden. Dies gilt zumindest, solange sich die begriffliche Unschärfe nicht wie bei ihr auf eine unzureichende Grenzziehung zwischen rechtlich-moralischen und genetischen Argumenten ausdehnt. Aus einer hochprozentigen Übereinstimmung des Genoms mag eine biologisch ähnliche Kategorisierung von Menschen und Menschenaffen resultieren, eine normative Gleichstellung folgt daraus indes keineswegs. Auch aus einem biologisch feststellbaren Sein folgt kein Sollen. Selbst wenn die »Würde der Kreatur« inzwischen sogar in Gesetzen – namentlich in Art. 120 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft – erwähnt wird, folgt daraus nur eine neue Graduierung des Würdebegriffs.30 Es bleibt eine qualitative Differenz zwischen der Menschenwürde und der ›Würde‹ von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen, die durch die vermeintlich einheitliche Terminologie nur künstlich verdeckt werden kann. Derartige Qualitätsunterschiede sollten dann auch mit einer differenzierenden Terminologie bedacht und nicht durch Einheitsbegriffe verwischt werden. Im inter-personalen Kontext hat der Begriff der Würde andere praktische Konsequenzen: er soll die Gleichheit aller Menschen im ethischen und rechtlichen Verhältnis zueinander ausdrücken; es geht dort um die gebotene Anerkennung als Gleiche, die auf Wechselseitigkeit beruht. In Relation zum Kreatürlichen bleibt es hingegen notwendig bei der einseitigen Zuerkennung eines Status, der wiederum nur menschliches Verhalten betreffen kann. Insofern kann mit Tatjana Hörnle empfohlen werden, »Debatten um den angemessenen Umgang mit Tieren, Pflanzen und unbelebter Natur nicht unter dem Etikett ›Würdeschutz‹ zu führen« (in: Würde und Autonomie, 193). Die ideal-typische Eigenschaft der inhaltlichen Offenheit eröffnet sowohl die Alltagstauglichkeit als auch hochspezialisierte wissenschaftliche Auseinandersetzungen durch Rückbindung an rechtliche, ethische, religiöse Grundlagen. In Würdefragen kann durchaus jeder Kompetenz beanspruchen und doch erfor30 Zur vieldiskutierten ›Kreatürlichen Würde‹: K. Seelmann/D. Demko, Rechtsphilosophie, § 12 Rn. 22 und § 13; J.-C. Wolf, in: Würde und Autonomie, 195ff. jeweils m.w.N.

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dert die nähere Beschäftigung letzlich fachspezifische oder auch interdisziplinäre Arbeit an diesem Begriff. Ideale sichern somit die wechselseitige Anschlussfähigkeit der Begrifflichkeit zwischen den verschieden Einzelwissenschaften und ihre Verwendung in der alltäglichen Kommunikation. So kann die Würde ein terminus technicus sein und doch zugleich Allerweltsbezeichnung bleiben. Dies unterbindet die Tendenz zu einer ›Expertokratie‹, die stets dazu neigt, die breite Öffentlichkeit durch Spezialbegrifflichkeit auszuschließen. Keine Einzelwissenschaft kann eine exklusive Deutungshoheit für sich beanspruchen. Durch den anhaltenden Alltagsgebrauch wird sichergestellt, dass die Diskussion über die Würde des Menschen nicht allein den Experten in der Juristerei, Theologie oder Philosophie überlassen wird. Die Stiftung historischer Kontinuität sowie die Schaffung wissenschaftlicher Ausdifferenzierung bei anhaltender Allgemeinverständlichkeit gehören daher zu den Hauptfunktionen von Idealen.31 Wie David Luban beschrieben hat, konnte der Begriff der Menschenwürde eine entsprechende Aufgabe beispielsweise im Rahmen der Geschichte der Menschenrechtserklärungen wahrnehmen. So habe sich seinerzeit die Generalversammlung der Vereinten Nationen nach langem Ringen um einen Kompromiss nur deshalb ohne Gegenstimme auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte einigen können, weil die Menschenrechte darin letztlich aus der Menschenwürde abgeleitet werden sollten. Dadurch konnten an sich ganz unterschiedliche Vorstellungen auf einen gemeinsamen Begriff gebracht werden. Gerade die Unbestimmtheit des Menschenwürdebegriffs ermöglichte insofern einen Minimalkonsens, da dieser Ausdruck die Funktion eines Platzhalters erfüllen sollte. Darin konnten sich nämlich ganz verschiedene Interpretationen bzgl. der inhaltlichen Ausgestaltung der Menschenrechte wiederfinden: »the term ›human dignity‹ is really a kind of placeholder – an uncontroversial, neutralsounding term for the unknown X that anchors human rights … because ›human dignity‹ means whatever you want it to mean, which is another way of saying that it does not mean very much«.

In Anlehnung an entsprechende Sprachregelungen von Cass R. Sunstein und John Rawls hat der Begriff der Menschenwürde laut Luban insofern für ein »Incompletetly Theorized Agreement«32 bzw. einen »overlapping consensus«33 gesorgt: 31 Dazu näher – am Beispiel von Freiheit und Wahrheit – St. Stübinger, Strafrecht, 33ff.; vgl. auch die Funktionsbeschreibung bzgl. der Menschenwürde von H. Bielefeldt, Auslaufmodell Menschenwürde?, 18ff. 32 Vgl. C.R. Sunstein, Harvard Law Review 108 (1995), 1735ff., der freilich primär andere Beispiele nennt und nur beiläufig (S. 1747) auf eine entsprechende Funktion der Menschenwürde eingeht.

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

»the world’s nations have reached an overlapping consensus on the central importance of human dignity, in which each culture and subculture may tell its own story about what human dignity is and where it comes from … The advantage of incomplete theorization and overlapping consensus are obvious – they make agreement possible«.34

Auf der Basis einer solchen Grundübereinstimmung lässt sich dann nach Konkretisierungsmöglichkeiten zur näheren Bestimmung des Unbestimmten suchen. Die zunächst nur unvollkommen theoretisierte Übereinkunft wird muss dann freilich durch eine Fülle von Theorien kompensiert werden. Ebenso wie andere Ideale macht sich auch die Würde nicht zuletzt auf Grund der skizzierten Aufgaben einer geschichtsindifferenten und wissenschaftsneutralen bzw. disziplinübergreifenden Sinnstiftung leicht angreifbar. Insbesondere jene Spezialisten, die es gerne mit abgeschlossenen Detailbegriffen zu tun haben, deren genaue Definition nur einem kleinen Expertenkreis vertraut sein darf, kritisieren die besagte Offenheit und Flexibilität. Ebenso wie Freiheit und Wahrheit wird das Ideal der Menschenwürde dann als leere Worthülse denunziert. Die Würde-Skeptiker gleichen insofern den erkenntnistheoretischen bzw. deterministischen Zweiflern.

2.

Eindeutigkeit der Würdeverletzung

Durch die vielstimmige Berufung auf den Titel ›Menschenwürde‹ steht der Begriff durchaus unter ständiger Inflationsgefahr : der oberste Wert droht an Wert zu verlieren.35 Dabei scheint es durchaus unstreitig, dass zumindest die klassischen Folterszenarien eindeutig als Verletzung der Würde des Opfers bezeichnet werden können.36 Wenn etwas eindeutig entwürdigend ist, dann doch wohl die Erniedrigungen durch Zufügung von physischen Schmerzen und psychischem Leid, die mit der Demütigung der Gepeinigten verbunden sind. Solange solch demütigende Schmerzzufügungen als bloßer Selbstzweck erscheinen, scheint kaum jemand etwas gegen die Eindeutigkeit der Würdemissachtung zu sagen. Die meisten Folteranwendungen sollen jedoch einem bestimmten Zweck dienen, 33 Siehe etwa J. Rawls, Theory, 340; ders., Oxford Journal of Legal Studies 7 (1987), 1ff.; ders., New York University Law Review 64 (1989), 233ff.; ders., Idee, 293ff./333ff.; ders., Politischer Liberalimus, 219ff. 34 D. Luban, Torture, 138f. 35 Ähnlich bzgl. der Inflationierung der Rede von Menschenrechten: N. Luhmann, Recht der Gesellschaft, 578. Zu verschiedenen Strategien dieser Inflation entgegen zu wirken vgl. etwa H. Hofmann AöR 118 (1993), 356f.; s.a. H.J. Sandkühler, Menschenwürde, 35ff. 36 Ebenso R. Stoecker, in: ders. (Hg.), Menschenwürde, 146ff.; S. Baer, University of Toronto Law Journal 59 (2009), 466f.

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der den Würdeschutz eventuell in den Hintergrund treten lassen. Der Körper und/oder die Psyche eines Menschen werden dann in der Regel dazu benutzt, um an wichtige Informationen zu gelangen, deren Zweckmäßigkeit die persönlichen Belange des Gefolterten überragen mögen. Fraglich ist dann vor allem, ob eine unbedingte Achtung der Menschenwürde auch noch durchgehalten werden soll, wenn man es mit (mutmaßlichen) Entführern oder Terroristen zu tun hat. Problematisch ist daher die häufig behauptete Absolutheit. Folter berührt das – vermeintlich oder gewollt – Unantastbare und bereitet allein deshalb schon Probleme; ihre Zufügung ist eine unwürdige Behandlung des Menschen. Dadurch wird das Foltern ja zum Thema der Diskussion um die Menschenwürde; damit aber betritt man heikles Gelände. Trotz einer gewissen Evidenz der Entwürdigung durch Folter bleibt der genaue Umfang dessen, was unter der Würde eines Menschen verstanden werden kann, gleichwohl unbestimmt. Die Unbestimmtheit zeigt sich insbesondere bei der Verortung im Strafrecht. Als schwierig erweist sich dabei nicht zuletzt, wie der Bezug zwischen Folter und Würdeverletzung strafrechtlich einsortiert werden kann. Die Würde galt unter Strafrechtlern lange als vergleichsweise unproblematisch, da ihr zumindest bzgl. des materiellen Rechts die nötige fachspezifische Relevanz zu fehlen schien. Im Strafprozessrecht können dagegen einige grundlegende Prinzipien bzw. Prozessmaximen – z. B. der Anspruch auf rechtliches Gehör37 – schon lange an Art. 1 I GG rückgebunden und auf diese Weise sehr wohl entwürdigende Verfahrensweisen – insbesondere die verbotenen Vernehmungsmethoden gem. § 136a StPO38 – thematisiert werden.39 Die strafprozessuale Suche nach Wahrheit und (Verfahrens-)Gerechtigkeit sind dabei eng mit dem staatlichen Auftrag zum Schutz und Achtung der Menschenwürde verbunden.40 a)

Würde zwischen Recht und Ethik

Immerhin konnten neben den traditionell zuständigen Philosophen und Theologen unter Juristen vorwiegend die Verfassungsrechtler für die Debatten um den Schutz und die Achtung der Menschenwürde für kompetent erachtet werden. Tatsächlich war die Würde in historischer Perspektive zunächst ein primär philosophisches und theologisches Thema.41 Obwohl der Begriff der 37 Vgl. etwa BVerfGE 7, 275 (279). 38 Der BGH sah früher etwa im Einsatz eines Polygraphen eine Verletzung der Menschenwürdegarantie: BGHSt 5, 332 (335) – anders jetzt freilich BGHSt 44, 308 – siehe dazu St. Stübinger ZIS 11/2008, 545ff. 39 Dazu etwa R. Eschelbach / K. Wasserburg, Wolter-FS, 877ff. mit Beispielen. 40 Vgl. dazu etwa W. Hassemer, Israel Law Review 44 (2011), bes. 186ff. 41 Siehe etwa die historischen Überblicke – mit je unterschiedlicher Akzentsetzung – von P. Kondylis, in: Geschichtliche Grundbegriffe, 637ff.; A. Verdross EuGRZ 1977, 207f.; K. Bay-

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Menschenwürde schon im Römischen Recht vorkam und spätestens seit der Aufklärung auch als Problem des Natur- bzw. Vernunftrechts behandelt wird und so in den Bereich der philosophisch informierten Jurisprudenz einbezogen wurde (vgl. dazu oben S. 123ff./152ff. m.N.), hat das positive Recht dieses Wort relativ spät für sich entdeckt und erst im 20. Jahrhundert in zahlreiche nationale und internationale Gesetzestexte aufgenommen,42 nachdem entsprechende Versuche einer Positivierung im 19. Jahrhundert noch gescheitert waren.43 Seitdem garniert der Begriff der Menschenwürde meist den aufgeführten Katalog von Menschenrechten. Der Philosoph Georg Lohmann, einer der Leiter der ›Arbeitsstelle Menschenrechte der Universität Magdeburg‹, sieht hierin einen qualitativen Neuanfang – die eigentliche »neue« Konzeption von Menschenwürde, die er »begrifflich« deutlich von zwei »anderen Arten (besondere und allgemeine Würdebegriffe)« unterscheiden möchte: in den »Geschichten allgemeiner Würdebegriffe«, die er namentlich in entsprechenden Ansätzen »von der Stoa bis zu Kant« erkennen möchte, werde stets »von der ›Würde‹ aller Menschen geredet«; daraus ergaben sich aber noch »keine Rechte (!)«; daneben gebe es traditionell die »Geschichten sozialer, ständischer oder ehrbegründeter besonderer … Würdebegriffe«, die »vielfach auch als Ehre verstanden werden«. Zwar sind diese allgemeinen und besonderen Begriffe durchaus wichtig für das heutige Verständnis der menschlichen Würde; doch erst durch die Kodifizierung der Menschenwürde in den Menschenrechtskatalogen der Nachkriegsrechtsordnungen werde ein neuer »Würdebegriff als Begründung für das Haben von Menschenrechten statuiert« (in: Würde und Autonomie, 19/18/20). Die Verknüpfung von Menschenwürde und Menschenrechten schürt aber mitunter den Verdacht, die Würde diene lediglich als moralisch imprägniertes Feigenblatt, um durch Hinzufügung eines konsensfähigen Begriffs die Blöße ertz ARSP 81 (1995), 465ff.; C. McCrudden EJIL 19 (2008), 656ff.; M. Mahlmann, German Law Journal 11 (2010), 13ff.; O. Sensen, European Journal of Political Theory 10 (2011), 75ff.; ders., Kant, 153ff.; L.R. Barroso, Boston Collage International and Comparative Law Review 35 (2012), 334ff.; K. Schüttauf, in: G. Brudermüller / K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 27ff.; Y.M. Barilan, Human Dignity, 23ff.; F.J. Wetz, Würde, 16ff.; S.L. Sorgner, Menschenwürde, 30ff.; P. Schaber, Menschenwürde, 19ff.; R. Forst, Toleranz, 128ff.; M. Rosen, Dignity, 11ff.; P. Tiedemann, Menschenwürde, 119ff./157ff.; H.J. Sandkühler, Menschenwürde, 53ff. 42 Vgl. dazu C. McCrudden EJIL 19 (2008), 664 ff; N. Rao, CJEL 14 (2008), 216ff.; dies., Notre Dame Law Review 86 (2011), 193ff.; E. Denninger, v.Brünneck-FS, 398ff.; L.R. Barroso, Boston Collage International and Comparative Law Review 35 (2012), 337ff.; P. Tiedemann, Menschenwürde, 9ff.; ders., in: Human Dignity, 25f.; C. O’Mahony I.CON 10 (2012), 552ff.; I. Czeguhn, in: E. Hilgendorf (Hg.), Menschenwürde und Demütigung, 15ff.; S. Kirste, in: Human Dignity, 64ff. jeweils m.N. 43 Siehe dazu – am Beispiel der Paulskirchenverfassung (§ 139) – E. Denninger, v.Brünneck-FS, 398f.; im Zusammenhang mit der Abschaffung der Sklaverei findet sich der Begriff »dignit¦ humaine« beispielsweise 1848 in der Präambel eines Dekrets in Frankreich: vgl. dazu R.J. Scott, in: Understanding Human Dignity, 61.

Folter und Würde: Probleme mit der Unbestimmtheit

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einer positivistischen Begründungsschwäche der bis dahin eher postulierten als hinreichend ableitbaren Menschenrechte verdecken zu können. Die späte Entdeckung der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Würde zeuge jedenfalls nach dieser möglichen Lesart davon, dass die historisch früher formulierten Menschenrechte begründungstheoretisch gar nicht auf ein solches Prinzip angewiesen seien.44 Die Geschichte zeuge nicht davon, dass die Menschenwürde der Grund für Menschenrechte sei, wenn letztere bereits vor der erstgenannten anerkannt wurden. Die Würde könne insofern nur als später Reflexionsrahmen hinzugedacht werden. In diesem Sinne meint etwa Oscar Schachter in seinem Aufsatz ›Human Dignity as a Normative Concept‹, es sei jedenfalls in geschichtlicher Perspektive klar, »that the idea of dignity reflects sociohistorical conceptions of basic rights and freedoms, not that it generated them«; von dieser historischen These soll für ihn jedoch das »philosophical statement« zu unterscheiden sein: »that rights derive from the inherent dignity of the person«, denn: »It clearly implies that rights are not derived from the state or any other external authority« (American Journal of International Law 77 (1983), 853). Immer dann, wenn es ein Begriff in ein Gesetzbuch schafft, startet freilich umgehend die Suche nach einer Abgrenzung zu seiner außer-rechtlichen Bedeutung. Das Recht müsse sich – wie z. B. Manfred Baldus meint – von den ererbten »Lasten idealistisch-überhöhenden Denkens befreien« und sich zu den eigenen Tugenden »juristischer Rationalität, Rechtsklarheit und Verfassungsehrlichkeit« bekennen (AöR 136 (2011), 551), die dann einen unbeschwerteren Umgang mit der Menschenwürde ermöglichen sollen.45 Jenseits rechtlicher Begrifflichkeit sieht er offenbar das Nicht-Rationale (womöglich sogar Irrationale), das Unklare und Unehrliche walten. Dahinter steckt vielleicht ein etwas naiv anmutendes Verständnis von einem Begriffsbildungsideal unter Juristen. Die vermeintliche Leichtigkeit einer rechts-realistischen Bodenhaftung hat das Kontingenzproblem im Umgang mit dem Würdebegriff bislang nämlich noch nicht lösen können. Der Gesetzgeber hat einen unbestimmten Rechtsbegriff positiviert und dessen Auslegung der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft überlassen. Das trendige Simplifizieren scheint gar nicht so einfach zu sein und vermag die mühsame Begriffsarbeit in Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition nicht ersetzen zu können. Auch das Bundesverfassungsgericht bemüht sich darum, die philosophische Textvorlage seiner Deutung des Menschenwürdebegriffs nicht offen preiszugeben.46 Die Nähe zur Philosophie Kants ist ihm bekanntlich schon häufiger 44 Dazu J. Habermas DZPh 58 (2010), 344f.; ders. Verfassung, 15f., der sich um die Widerlegung einer solchen Vermutung bemüht. 45 Ähnlich auch M. Nettesheim AöR 130 (2005), 83f. 46 Vgl. E. Denninger, v.Brünneck-FS, 406f.

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

nachgesagt worden (dazu bereits oben S. 205). Begriffliche Übernahmen erzeugen aber offenbar Differenzierungsbedarf, um den Abstand zur Herkunft des übernommenen Konzepts wiederherstellen zu können. Dadurch soll dem Verdacht entgangen werden, im Recht könnten normative Maßstäbe heimlich von der philosophischen oder politischen Ethik oder gar von Religion gesetzt werden. Eine allzu große Nähe zur extra-juristischen Normverwandtschaft soll vermieden werden. Nachdem die Würde in Gesetzesform gegossen war, begannen alsbald angestrengte Bemühungen der Dogmatiker, der Würde einen exklusiven rechtsinternen Sinn beizumessen. Daher bemühen sich einige, der Menschenwürde als Begriff des positiven Rechts einen eigenen – typisch juristischen – Bedeutungsgehalt zuzumessen, der sich deutlich von allen ›überpositiven‹ Sinndeutungen abgrenzen lassen müsste. Schließlich sollen Rechtsbegriffe von Juristen gerichtsfest handhabbar gemacht werden.47 In den Blickpunkt gerät dann insofern das unübersichtliche Verhältnis zu den (übrigen) Menschenrechten. In dieser Hinsicht ist freilich alles umstritten. Fraglich ist beispielsweise,48 ob der Anspruch auf eine würdige Behandlung überhaupt grundrechtliche Qualität besitzt oder nur ein Grundrecht unter vielen ist; oder ist die Menschenwürde doch vielleicht ein primus inter pares. Stellt die Menschenwürde eventuell »die Basis für die Achtung der Menschenrechte« dar, »ohne dass damit ein irgendwie gearteter Anspruch auf die Begründung ihrer normativen Geltung erhoben wird«.49 Oder darf sie womöglich doch als eigentlicher (Rechts-)Grund aller weiteren (Grund-)Rechte gelten,50 bzw. soll sie gar als »Grund des Rechts, der das Rechtsprinzip zur Folge hat«, aufzufassen sein.51 Andere bestreiten der Menschenwürde wiederum gerade diese Fundierungsleistung.52 47 Zu diesen Bemühungen beispielhaft: M. Herdegen, in: G. Brudermüller / K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 58ff.; M/D-Herdegen (55. Lfg. 2009) Art. 1 I Rn. 19f. 48 Siehe zu diesem Streit etwa N. Teifke, Prinzip Menschenwürde, 68ff. m.N.; s.a. W. Krawietz, Klein-GdS, 248ff.; H. Hofmann AöR 118 (1993), 369; F. Hufen JZ 2004, 314f.; O. Lembcke, Marburger Jahrbuch Theologie 17 (2005), 56ff.; M. Baldus AöR 136 (2011), 541ff. jeweils m.w.N. 49 So T. Wesche, in: Würde und Autonomie, 42. 50 Vgl. etwa – mit z. T. unterschiedlichen Ansätzen – O. Schachter, American Journal of International Law 77 (1983), 853f.; H. Bielefeldt, Auslaufmodell Menschenwürde?, 105ff.; J. Müller, in: Die großen Kontroversen, 99 ff; W. Schweidler, Über Menschenwürde, 11f.; R. Forst, Kritik, 125; ders. DZPh 53 (2005), 590; S. Kirste, Der Staat 52 (2013), bes. 137ff.; ders. in: Human Dignity, 63ff., bes. 78ff.; G. Lohmann, in: Menschenwürde (Handbuch), 179ff.; J. Tasioulas, in: Understanding Human Dignity, 291ff. s.a. B. Gesang ZphF 64 (2010), 474f./ 487ff. 51 R. Zaczyk, Selbstsein und Recht, 60. 52 In dieser Hinsicht skeptisch etwa B. Ladwig ZPTh 1 (2010), 51ff.; ders., in: E. Hilgendorf (Hg.), Menschenwürde, 139ff.; D. Birnbacher, in: Die großen Kontroversen, 77ff.; ders., in: E. Hilgendorf (Hg.), Menschenwürde, 77; D. Schroeder, Ethical Theory and Moral Practice 15 (2012), 324ff.; U. Wolf, in: F. Bornmüller u. a. (Hg.), Menschenrechte, 120ff.

Folter und Würde: Probleme mit der Unbestimmtheit

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Die Bemühungen, die Würde als justiziable Größe erscheinen zu lassen, führt auf philosophisch-theologischer Seite wiederum zu der Sorge, die MenschenWürde könnte von Juristen restlos vereinnahmt bzw. »ganz und gar zu einem Rechtsbegriff« reduziert werden, sodass der »vorrechtliche Gehalt der Menschenwürdeidee« durch ihre Gleichsetzung mit oder Reduzierung auf Menschen-Rechte kaum mehr erkennbar wäre.53 In diesem Sinne zählt etwa Julian Nida-Rümelin, der den Begriff der Menschenwürde in seinem Buch ›Über menschliche Freiheit‹ (S. 127ff.) diskutiert, die »Juridifizierung« – neben »Theologisierung und Ideologisierung« – zu den »drei Krankheiten«, die den Begriff der Würde seit geraumer Zeit »befallen« haben und zu seiner aktuellen »Malaise« beitragen (ebenda, S. 128). Dieser Vorwurf trifft wohl nicht zuletzt jene Ansätze, die den Begriff der Menschenwürde in einer Reihe bestimmter Rechte aufgehen sehen. Seine Anwendung wird dann auf die Wahrung jener Menschenrechte beschränkt, wie dies in der sog. »Ensembletheorie der Menschenwürde« geschieht, die namentlich von Eric Hilgendorf propagiert wird,54 der freilich ausdrücklich die »Anschlussfähigkeit an außerjuristische Konzepte« wahren möchte.55 Wenn die Würde nur noch als Chiffre für die Summe aller übrigen bzw. eine Anzahl ausgewählter (Grund-)Rechte fungiere, könne sie keine eigenständige Bedeutung mehr behaupten und ebenso gut weggekürzt werden.56 Nicht zuletzt aus diesem Grund verweisen einige auf die rechts-unabhängige Geschichte der Idee von einer Würde als Wert oder Status des Menschen, die sehr viel länger als die relativ späte historische Etablierung der Menschenrechte andauere. So soll dem Verdacht vorgebeugt werden, Würde sei erst nachträglich von Juristen erfunden worden, um eine nachholende Legitimation von Rechten zu ermöglichen, die sonst normativ in der Luft hängen würden. In derartigen Motiven der Menschenwürde-Historiographie sieht Chistopher McCrudden sicher nicht ganz zu Unrecht die Gefahr eines »genetic fallacy«, der darin liege zu glauben, »that an idea is false merely because it has been recognized only recently in history as an idea«.57 Beim Begriff der Würde fällt es jedoch ohnehin schwer, die philosophischen Bezüge vollkommen abzustreifen.58 Wie beispielweise Kurt Bayertz gezeigt hat, sollte die »politisch-rechtliche Verwendung des Menschenwürde-Begriffs und ihre rechtliche Institutionali53 H. Baranzke, in: Facetten der Menschenwürde, 192/194. 54 Vgl. E. Hilgendorf, JRE 7 (1999), bes. 148ff.; ders. Puppe-FS, 1665ff.; ders., Zeitschrift für Evangelische Ethik 57 (2013), 262ff. 55 E. Hilgendorf, Zeitschrift für Evangelische Ethik 57 (2013), 261. 56 Siehe zu einer solchen »Redundanzthese« J. Müller, in: G. Brudermüller / K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 120 (f.) m.N.; s.a. T. Wesche, in: Würde und Autonomie, 46f. 57 C. McCrudden, in: Understanding Human Dignity, 3ff. – Zitat S. 6. 58 Vgl. dazu P. Mastronardi, in: K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 93ff.

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

sierung« eher als eine ergänzende »Erweiterung der philosophischen Idee der Menschenwürde aufgefaßt werden«. Dabei lassen sich zwei »unterschiedliche Stoßrichtungen« unterscheiden, die jedoch letztlich das gemeinsame »Ziel der Sicherung menschlicher Subjektivität« verfolgen: während sich der »philosophische Begriff der Menschenwürde« primär »gegen vertikale Beschränkungen der menschlichen Subjektivität« wendet, d. h. » ›nach oben‹ gegen die Einflüsse transzendenter Instanzen und ›nach unten‹ gegen das Gängelband natürlicher Determinanten«, soll die politisch-rechtliche Bedeutung der »MenschenwürdeIdee« vor allem jene »Beschränkungen abwehren, die der Subjektivität auf der horizontalen Ebene drohen«, d. h. die »ihren Ursprung im Handeln von (anderen) Menschen« oder auch »im Staat« haben (ARSP 81 (1995), 471).59 Aufgrund einer von vielen gefürchteten Kontamination mit Metaphysik wird bis heute nicht selten bezweifelt, dass sich die Würde überhaupt als reiner Rechtsbegriff bestimmen lässt.60 Dabei wird freilich übersehen, dass es sich in dieser Hinsicht durchaus um eine kritische ›Metaphysik der Sitten‹,61 d. h. der praktischen Philosophie handelt und nicht um jene Form von ›Metaphysik‹ der ehemaligen Speerspitze der theoretischen Philosophie. Im letztgenannten Sinne versteht Ludger Honnefelder die metaphysischen Bezugnahmen in einigen Bestimmungsversuchen zum Begriff der Menschenwürde, die er in dieser Hinsicht durchaus zutreffend zurückweisen bzw. auf ein rechtes – kritisches – Maß zurückschneiden möchte.62 b)

Würde als Begriff des (Straf-)Rechts

An solchen Begriffsbestimmungen nehmen Vertreter der Strafrechtszunft regelmäßig erst dann teil, wenn es um die Auslegung von Straftatbeständen geht. Strafrechtsrelevant soll dabei nach herrschender Meinung nur sein, was Rechtsgutscharakter erlangt. Rechtsgüter sind in der Regel leicht fassbare Gegenstände oder ›Gedanken-Dinge‹, die entweder sinnlich wahrnehmbare Erscheinungen (z. B. den menschlichen Körper, Sachen etc.) oder rechtlich anerkannte Interessenlagen zur Grundlage haben; reine Ideal-Werte, für die es keine greifbare Entsprechung gibt, lassen sich dagegen nur schwer in die Rechtsgutslehre einpassen. Dementsprechend spielt die Menschenwürde meist nur in Verbindung mit leichter tastbaren Gütern wie dem Leben oder dem Körper von 59 Eine ähnliche Differerenzierung ›vertikal/horizontal‹ verwendet auch V. Thomas ARSP 87 (2001), 306ff., der jedoch zwischen der »vertikalen Staat-Individuum-Beziehung« und der »interpersonalen horizontalen Praxis« unterscheiden möchte. 60 Vgl. dazu z. B. K. Seelmann, in: H.-H. Gander (Hg.), Menschenrechte, 170ff. 61 Siehe dazu T. Kobusch AZP 31 (2006), 217ff. 62 L. Honnefelder, DZPh 57 (2009), 273ff., bes. S. 280f.; s.a. H.M. Baumgartner u. a., in: Beginn, Personalität und Würde, 359.

Folter und Würde: Probleme mit der Unbestimmtheit

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Menschen eine strafrechtliche Rolle. Im deutschen Strafgesetzbuch findet die Menschenwürde daher nur selten ausdrücklich Erwähnung – z. B. in §§ 130 I Nr. 2, II Nr. 1, 131 StGB, in denen die Würde des Menschen für rechtsgutsfähig erachtet wird.63 Für sich allein betrachtet, taucht die Menschenwürde allerdings in letzter Zeit vermehrt in Debatten auf, die u. a. auch das materielle Strafrecht betreffen. Ihr Gehalt ist freilich auch insoweit schon von Anfang an umstritten und bis jetzt vieldeutig geblieben. Vielleicht ist eine argumentative Berufung auf sie gerade deshalb so gut möglich. Dennoch erscheint die Argumentation mit der Menschenwürde in vielen Diskussionszusammenhängen durchaus zur Last geworden zu sein, die man sich gerne ersparen möchte, wenn auf andere Begründungsmöglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Ignoriert werden kann sie gleichwohl nicht. Obwohl sie allgemein nur als recht vager Begriff zu haben ist, darf bzw. muss die Würde des Menschen generell noch immer quasi als höchster Wert und ›Ober-Ideal‹ (zumindest) der deutschen Rechtsordnung gelten. Wie nun schon mehrfach erwähnt – ist sie in Art. 1 I Satz 1 sogar an die Spitze des Grundgesetzes gehängt worden, was ihr gesamtrechtliche Beachtlichkeit garantiert; dort wird sie kurz und knapp als »unantastbar« deklariert, d. h. die Unantastbarkeit ist nicht als eine für die Zukunft wünschenswerte Zielrichtung vorgegeben, an der man das staatliche und gesellschaftliche Handeln nach Möglichkeit ausrichten soll. Es wird auch nicht – wie die Formulierung anderer Grundrechte es ausdrückt – im Wege einer Deklaration ein entsprechender Rechtsanspruch auf Achtung ausgesprochen. Die Würde wird daher nicht etwa als Soll bloß postuliert oder als zu verwirklichender Ideal-Zustand in Aussicht gestellt, sondern wird an dieser Stelle als ein Faktum formuliert: »Die Würde des Menschen ist unantastbar« – sie soll es nicht nur sein, sie »ist« es.64 Das Wort ›Würde‹ selbst enthält an seiner etymologischen Wurzel sogar diese Bedeutung des Unantastbaren, des Nicht-Zweifelhaften, insofern damit ein mit einer Person (oder Sache) behafteter Wert bezeichnet wird.65 Hierin wird zum Teil sogar ein entscheidender Unterschied zu jenen Sprachen gesehen, die ihren Würdebegriff aus dem lateinischen ›dignitas‹ ableiten, dessen Herkunft diese spezielle Bedeutung nicht decke.66 63 Hierzu etwa NK-Ostendorf § 130 Rn. 4 bzw. § 131 Rn. 3 m.w.N. zur Rechtsgutsdiskussion. 64 Zu diesem »Brückenschlag zwischen ›Sein‹ und ›Sollen‹ «, der in dieser Formulierung liege, die »etwas unaufhebbar Paradoxes« an sich habe, s.a. W. Schweidler, Über Menschenwürde, 12/11. 65 Vgl. R. Poscher JZ 2004, 758f.; K. Schüttauf, in: G. Brudermüller / K. Seelmann (Hg.), Menschenwürde, 25; P. Tiedemann, Menschenwürde, 227f. m.Fn. 152; E. Weber-Guskar DZPh 61 (2013), 110. 66 I.d.S. etwa J. Waldron, Dignity, 24 + 40 Anm. 33 m.w.N.; dazu auch A. Kolnai, Philosophy 51 (1976), 251f.; S. Hennette-Vauchez, I.CON 9 (2011), 36ff.

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Der für den Formulierungsstil im Recht sonst eher typische normative Status des Sollens wird in der genannten Ausdrucksweise damit durch eine Art von ontologischem Befund ersetzt. Dies macht es allerdings jeder Kritik leicht, die darauf verweisen kann, dass der semantische Gehalt des Wortes Würde bislang kaum tastbar ist und jeder Versuch einer genaueren Begriffsbestimmung deshalb ins Leere greifen muss.67 Das Unantastbare ist nicht begreifbar – nicht mit Begriffen zu fassen. Als vermeintliche Seins-Aussage scheint die Erklärung der Unantastbarkeit zudem falsch zu sein: die Erfahrungen aus Geschichte und Gegenwart weigern sich, einen solchen Befund zu bestätigen. Würdeverletzungen sind an der Tagesordnung. Falls durch die ›Ist‹-Beschreibung in Art. 1 I 1 GG die Unantastbarkeit auf eine quasi-deskriptive Ebene gezogen werden soll, dann kann nach den alltäglich beschreibbaren Verletzungen von einer unantastbaren Würde kaum die Rede sein. Gerade die Vielzahl der tatsächlichen oder behaupteten Antastungen ist zum Problem der Auslegung der grundgesetzlichen Würdegarantie geworden. Neben den vielen eindeutigen Missachtungen wird es in zahlreichen Fällen zunehmend schwierig zu entscheiden, was als rechtsrelevanter Eingriff in die Würde des Menschen gelten soll und was nicht. Freilich erhält auch Art. 1 I Satz 1 GG durch die besagte Formulierung keinen reinen deskriptiven Charakter im Sinne einer simplen Festlegung; er ist damit nicht etwa vergleichbar mit Art. 22 GG, der schlicht die Anordnung ausspricht: »Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold«. Der erste Grundgesetzartikel enthält sehr wohl einen präskriptiven Sinn, der zum Ausdruck bringt, den Staat zum Schutz der Würde verpflichten zu wollen.68 Der »staatlichen Gewalt« kommt nämlich gemäß Satz 2 des Art. 1 I GG ausdrücklich die Aufgabe bzw. die »Verpflichtung« zu, die unantastbare Würde »zu achten und zu schützen«. Dieser spezielle Status der Menschenwürde wird allerdings nach diesem Verständnis nicht erst gefordert oder muss normativ konstruiert werden, sondern er wird als bereits vorgefunden dargestellt. In dieser vor-positiven Vorfindlichkeit der menschlichen Würde mag sogar der eigentliche Grund ihrer Unantastbarkeit gesehen werden, denn nur was der Willkür der bloßen Positivität eines Gesetzes entzogen ist, soll als unantastbar gültig sein. Gleichwohl ist Art. 1 I Satz 1 GG positives Recht und nur als solches kann es als Bestandteil der Rechtsordnung Geltung beanspruchen.69 In diesem Sinne hat schon Günter Dürig in seinem berühmten Aufsatz ›Der Grundsatz von der Menschenwürde‹ betont:

67 Zu diversen Ansätzen einer solchen Definitionsarbeit vgl. M. Kloepfer, BVerfG-FS 2, 82f. m.w.N. 68 Vgl. dazu H. Dreier, in: ders. (Hg.), GG-Komm. I Art. 1 I Rn. 131; W. Krawietz, Klein-GdS, 255f.; O. Lembcke, Marburger Jahrbuch Theologie 17 (2005), 55 jeweils m.w.N. (auch zur Gegenmeinung); a. A. z. B. auch P. Tiedemann Rechtstheorie 36 (2005), 132. 69 So z. B. K. Stern, Badura-FS, 571f.

Folter und Würde: Probleme mit der Unbestimmtheit

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»Durch die Übernahme des sittlichen Wertes der Menschenwürde in das positive Verfassungswerk ist er (gerade vom Standpunkt des positiven Rechts aus) gleichzeitig Rechtswert geworden, so daß seine … rechtliche Erfassung positivrechtliches Gebot ist« (AöR 81 (1956), 117).

Die Würde verdankt sich insofern also durchaus einem präskriptiven Zuschreibungsakt. Dadurch wird dieser Charakter allerdings mit einem deskriptiv gestrickten Formulierungsschleier drapiert, um eine besondere – gegenüber anderen Normen hervorgehobene – normative Stellung innerhalb der Rechtsordnung kreieren zu können. Denn die schlichte Positivität allein kann nicht als entscheidender Maßstab für diesen leitenden Grundsatz genannt werden. Die Übernahme in das Grundgesetz markiert nicht den Stiftungsakt, durch den die Menschenwürde in Geltung gesetzt wird, sondern ihr soll dadurch lediglich eine positiv-rechtliche Fassung gegeben werden. Dieses Verständnis hat offenbar die Beteiligten während der Beratungen, die zu Formulierung des Art. 1 I geführt haben, geleitet.70 Der Staat erkennt nämlich die Würde des Menschen durch die Gesetzesform bloß an. Nur von ›außen‹ betrachtet ist ein solcher Akt der Positivierung eines Grundsatzes wie der einer unbedingten Achtung der Menschenwürde als rein interner Prozess des Rechts zu erkennen; im ›Innern‹ lässt sich dieser Akt jedoch als Bezug auf ein anzuerkennendes ›Außen‹ des Rechts – die anzuerkennende Gültigkeit von etwas ›Vor-Positivem‹ – in einer juristischen Selbstbeschreibung darstellen, dessen Verbindlichkeit nicht erst durch die Aufnahme in das System des geltenden Rechts erzeugt, sondern dadurch lediglich akzeptiert und sanktioniert wird. Aus diesem Grund lässt sich die Askription einer unantastbaren Würde als schlichte Konstatierung deklarieren, um gerade die Unantastbarkeit glaubhaft präsentieren zu können. Andernfalls wäre nämlich nicht verständlich zu machen, weshalb die Würde unabhängig von der normativen Instanz, die ihr Schutz gewähren soll, als ›unantastbar‹ gelten kann; der Staat kann sie dem Menschen letztlich schon deshalb nicht nehmen, weil er sie ihm nicht gegeben hat. Die Würde ist aus dieser Sicht der menschlichen Person inhäriert; diese wird damit zum Inhaber einer Rechtsposition, die sie nicht erst erwerben oder sich gar erst verdienen muss. Hierin darf nun nicht etwa ein naiver Rückgriff auf ein ›Naturrecht‹ vermutet werden, vielmehr kann gelten – wie es Ernst-Wolfgang Böckenförde formuliert hat: »Der Verweis auf das vor-positive Fundament der Menschenwürdegarantie ist nichts anderes als ein notwendiger Teil der Inhaltsermittlung des Art. 1 Abs. 1 GG als positives Recht« (Blätter 10/2004, 1223). Bei der Formulierung von Artikel 1 GG mag ein quasi-hegelianischer Ge70 Dazu eingehend K.-B- v.Doemming/R.W. Füsslein/W. Matz, JöR n. F. 1 (1951), 48ff.; C. Goos, Innere Freiheit, 75ff.; s.a. A.K. Weilert, Grundlagen, 126f.; P. Tiedemann, Menschenwürde, 74ff.

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

danke Pate gestanden haben. Ähnlich wie in Hegels berühmten Doppelsatz aus der Vorrede seiner ›Grundlinien zur Philosophie des Rechts‹: »Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig« (Werke 7, 24),71 so soll auch hier eine Art von Verschmelzung von Sollen und Sein gelten. Danach soll ein als absolute ›Vernunft‹ einsehbares Gesetz eine Wirklichkeit behaupten, die von keiner noch so unvernünftigen Realität gebrochen werden kann; auch die massiven Missachtungen menschlicher Würde, die sich besonders drastisch in der Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt haben, können dem Anspruch im Kern nichts anhaben, darin zeige sich vielmehr eine unwirkliche – weil nicht haltbare – Rechtsverletzung, die keinen wahren Bestand haben könne. Die historischen Erfahrungen zeugen freilich u. a. gerade davon, dass die größte Gefahr für die Menschenwürde meist vom Staat ausgegangen ist, also just von jener Instanz die als Schutzmacht für die Wahrung eines menschen-würdigen Lebens bestellt werden soll. Mit der Verpflichtung zur Achtung der Würde wird daher nicht allein ein persönlicher Raum für den einzelnen Menschen anerkannt, sondern zugleich ein wesentliches Konstituens für den Rechtsstaat selbst benannt: dieser tritt als Garant, aber nicht als Stifter der Menschenwürde auf, indem er die Gewährleistung der Würde unbedingt erklärt und nicht etwa zu seiner beliebigen Verfügungsmasse rechnet. Daraus folgt zum einen, dass der einzelne seine Würde nicht aus seiner Zugehörigkeit zu Staat und Gesellschaft ableiten oder diesen Institutionen unterordnen muss, und zum anderen hat dies zur Konsequenz, dass umgekehrt der zur Achtung der Würde verpflichtete Rechtsstaat seine Berechtigung u. a. just aus diesem Anspruch beziehen kann. Auch aus diesem Grund wird die Unantastbarkeit deklariert, um die Vorstaatlichkeit dieses Grundsatzes zu dokumentieren.72 Die Würde markiert damit die Grenze des Rechtsstaates: er beginnt mit der Anerkennung des individuellen Würdeanspruchs und endet dort, wo dieser nicht überschritten werden darf. Die Einhaltung dieser Grenzmarke definiert rechtsstaatliches Handeln; hierzu zählt auch der Verzicht auf Verhaltensweisen, die eine unwürdige Behandlung bedeuten könnten. Die Bindung an solche verfassungsrechtlichen Regeln sind somit konstitutiv für den normativen SelbstEntwurf als Rechtsstaat (zur Begründung siehe schon oben S. 152ff./160ff.). Der Bezug auf die Würde darf dabei als Ausdruck einer Idealisierung gelten, da es sich hierbei nicht um einen möglichen Gegenstand einer ›realistischen‹ Beschreibung handeln kann; die Menschenwürde ist nicht als empirisch fassbarer 71 Ausführlich zur Auslegung dieses häufig missverstandenen Satzes: St. Stübinger, Strafrecht, 234ff. 72 Vgl. hierzu schon N. Luhmann, Grundrechte, 53ff., bes. 72, der aber auch auf die rechtstheoretischen Spannungen einer solchen Konstruktion aufmerksam macht.

Der Frankfurter Fall

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Gegenstand zu haben und darf nicht auf ein physisch verifizierbares Substrat reduziert werden (vgl. dazu auch oben S. 164ff.). Die grundlegende Schwierigkeit, aus dem Bereich eines derart unbestimmten Begriffs für den Einzelfall konkrete Lösungen ableiten zu müssen, hat freilich dazu geführt, dass immer wieder Versuche unternommen werden, dieses vage Ideal auf ein leichter greifbares Maß zurecht zu stutzen.

II.

Der Frankfurter Fall

Der Zusammenhang, in dem der Begriff der Menschenwürde im letzten Jahrzehnt wieder vermehrt von sich Reden gemacht hat, ist bekanntlich jenes Thema, das man bis vor kurzem noch als ausschließlichen Gegenstand der Rechtsgeschichte zivilisierter Länder glaubte verbuchen zu können: die Folter. Nicht zuletzt wegen der historischen Erfahrungen gilt die staatlich organisierte Folter als eine der schlimmsten Formen einer gezielten Missachtung der Würde eines Menschen; staatliche Maßnahmen, die einen folternden Charakter haben, sollten deshalb ein für alle Mal geächtet werden, was nicht nur durch das Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Menschenwürde in Artikel 1 I GG ausgedrückt, sondern auch in Art. 104 I2 GG sowie in zahlreichen internationalen Konventionen bekräftigt worden ist: so z. B. in Art. 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN-Generalversammlung von 1948, Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1953, Art. 7 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte der UN-Hauptversammlung von 1966 und schließlich in der UN-Anti-Folterkonvention von 1984.73 In Anbetracht der zahlreichen Regelungen scheint die Rechtslage eigentlich geklärt, zumal diese Eindeutigkeit im Vergleich zur normativen Situation anderer rechtlicher Problemkonstellationen keineswegs selbstverständlich ist. Doch der prinzipiell anerkannte Grundsatz, dass jedwedes Foltern strikt verboten sei, ist nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit für bestimmte Situationen in Frage gestellt worden; auch in anderen Ländern, namentlich in den USA, ist beinahe zeitgleich eine parallele Diskussion in Gang gesetzt worden, die sich im Kontext der Suche nach geeigneten Maßnahmen im ›Krieg gegen den Terrorismus‹ tummelt (hierzu und zum Folgenden ausführlich Kap. A.). Dabei ist offen darüber nachgedacht worden, den Einsatz von Folter eventuell in gesetzlicher Form zu regeln, um ihn für generalisierbare Ausnahmefälle aus der 73 Näher zu diesen völkerrechtlichen Bestimmungen z. B. H. Welsch BayVBl. 2003, 485f.; C. Fahl JR 2004, 183f.; M. Jahn KritV 87 (2004), 32ff.; R. Marx KJ 37 (2004), 280ff.; R. Esser, in: G. Gehl (Hg.), Folter, 145ff.; R. Hofmann, in: H. Ostendorf (Hg.), Folter (2005), 9ff.; F. Selbmann NJ 2005, 300f. sowie die Nachweise oben S. 39 Fn. 4.

224

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

außer-rechtlichen Ecke holen zu können. Dort komme sie ohnehin vor ; was sowieso geschieht, könne auch in einem Gesetz geregelt werden.74 In der deutschen Debatte geht es dabei konkret um den hier schon mehrfach erwähnten Fall eines jungen Mannes,75 der ein Kind entführt hatte und sich während seiner polizeilichen Vernehmung weigerte, den Aufenthaltsort seines Opfers preiszugeben. Da in dieser Phase aus Sicht der ermittelnden Polizisten offenbar noch Hoffnung bestand, das Leben des entführten Jungen retten zu können, hatte der stellvertretende Behördenleiter im Polizeipräsidium angeordnet, bei anhaltender Weigerung des Verdächtigen auch »die Anwendung unmittelbaren Zwangs« zu vollziehen; dies ergibt sich aus einem schriftlichen Vermerk, den derselbe angefertigt hat. Genauer heißt es in dieser Eintragung: »Zur Rettung des Lebens des entführten Kindes habe ich angeordnet, dass G (der damals verdächtigte und inzwischen verurteilte Entführer – St.S.) – nach vorheriger Androhung – unter ärztlicher Aufsicht durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen) erneut zu befragen ist«.76

Nach den Feststellungen des LG Frankfurt sind sogar schon »tatsächliche Vorbereitungen« zur Durchführung dieses angedrohten Szenario getroffen worden: die »Zufügung von Schmerzen, ohne Verletzungen« sollte »durch einen besonderen Beamten, der sich in den körperlichen Gegebenheiten besonders schmerzempfindlicher Regionen auskennt und diese auch gezielt angreifen kann«, vorgenommen werden; zudem wurde bereits ein Arzt »in das Polizeipräsidium beordert und nach seiner Einwilligung befragt. Der besondere Beamte sollte mit dem Hubschrauber aus dem Urlaubsort geholt werden« (NJW 2005, 694). Nach dem Bekanntwerden dieses Vorfalls setzte sehr schnell eine breite öffentliche Debatte in allen Medien über die Bewertung dieser Anordnung ein.77 74 Siehe vor allem A.M. Dershowitz, Terrorism, 131ff.; ders. New York Law School Law Review 48 (2003), 275ff. m.w.N. in Fn. 15 auf S. 276; ders., in: Torture, ed. by S. Levinson, 257ff.; mit Bezug auf den deutschen Fall ders., L.A.-Times v. 17. April 2003, B 15; zu dieser US-amerikanischen Diskussion und speziell zur Position von Dershowitz s.a. M. Strauss New York Law School Law Review 48 (2003), 201ff.; S.F. Kreimer University of Pennsylvania Journal of Constitutional Law 6 (2003), 278ff., bes. 282ff.; M. Wagner German Law Journal 4 (2003), 515ff.; M. Ignatieff, Das kleinere Übel, 188ff.; J. Allen, Warrant to Torture?; L.M. Seidman The University of Chicago Law Review 72 (2005), 884ff.; J. Waldron Columbia Law Review 105 (2005), 1681ff., bes. 1713ff.; E.A. Posner / A. Vermeule Michigan Law Review 104 (2006), 672ff., bes. 699 jeweils m.w.N. 75 Ausführliche Sachverhaltsdarstellung im Urteil des LG Frankfurt NJW 2005, 692f.; s.a. M. Kahlo, in: Wege zur Menschenwürde, 372f. 76 Siehe den Auszug aus dem schriftlichen Vermerk bei G. Wagenländer, Rettungsfolter, 21. 77 Vgl. die Übersicht über das Presseecho in DRiZ 2003, 120ff.; s.a. J. Husmann / J.M.

Exkurs: Wegbereiter der Folterdebatte

225

Wie nicht anders zu erwarten, öffnete sich ein großes Meinungsspektrum, auf dem sehr unterschiedliche Stellungnahmen zu verzeichnen waren. Meist wurde zwar bekräftigt, dass sowohl an der prinzipiell gültigen Unantastbarkeit der menschlichen Würde festgehalten werden soll als auch Folter als solche nicht gestattet werden könne. Gleichwohl äußerten doch sehr viele ihr Verständnis für das Vorgehen des stellvertretenden Polizeipräsidenten; schließlich habe dieser im konkreten Fall lediglich das Leben des entführten Jungen retten wollen. Zu diesem Zweck müsse die Androhung einer schmerzhaften Behandlung doch wohl erlaubt sein. Zumindest sollte eine solche (versuchte) Rettungstat ohne strafrechtliche Folgen bleiben. Eine entsprechende Debatte innerhalb der Zunft der Strafrechtler kam demgegenüber nur sehr schleppend in Gang. Zunächst überwogen kurze Stellungnahmen, die das weiterhin bestehende Gelten des Grundsatzes, dass Folter unter gar keinen Umständen zuzulassen sei, untermauerten.78 Schließlich sprechen sich eine ganze Reihe von Regelungen des deutschen und internationalen Rechts für ein rigoroses Folterverbot aus, weshalb die Rechtslage eindeutig erscheint. In dieser Hinsicht hat der ›Geschäftsführende Ausschuß der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht und der Strafrechtsausschuß des DAV‹ – unter Nennung der einschlägigen Normen – wohl am prägnantesten sein Votum zu dieser Debatte verkündet und mit dem Titel: »Folter ist undenkbar« überschrieben (– abgedruckt in der Zeitschrift ›Strafverteidiger‹ 2003, 255). Erst allmählich, dann aber geballt, ist eine ausführlichere Debatte losgebrochen, in der das Pro und Contra der rechtlichen Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit dieser Maßnahme gegeneinander gehalten worden ist.

III.

Exkurs: Wegbereiter der Folterdebatte

Dabei ist die Problematik, die sich in diesem Fall zeigt und konkret fassbar geworden ist, keineswegs so neu und hätte die Strafrechtler nicht derart überraschen oder so unvorbereitet treffen dürfen. Denn Fallgestaltungen dieser Art werden immer wieder einmal gedanklich durchgespielt.79 Literarisch gilt etwa der 1960 erschienene und sechs Jahre später verfilmte Roman ›Les Centurions‹ des französischen Schriftstellers und Kriegsberichterstatters Jean Lart¦guy zu Schmittmann VR 2004, 109ff.; sowie die »Rhetorikanalyse« von C.C. Herbst, Aussageerzwingung, 31ff. m.z.N. 78 I.d.S. etwa H. Düx ZRP 2003, 180; S. Schnorr / V. Wissing ZRP 2003, 142; R. Hamm NJW 2003, 946f.; C. Schaefer NJW 2003, 947. 79 Siehe hierzu und zum Folgenden die Darstellung bei J.P. Reemtsma, Folter, 15ff.; H. Schmitz, in: K. Altenhain u. a. (Hg.), Wiederkehr der Folter?, 275ff.

226

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

den Vorlagen des ›ticking bomb‹-Szenarios (vgl. auch oben S. 64f.).80 Das tatsächliche Eintreffen solcher Situationen ist allerdings offenbar dennoch unterschätzt worden. Jedenfalls konnte die aktuelle Debatte an diesen Anknüpfungspunkt der bereits vorliegenden ›Lehrbuchkriminalität‹ anschließen und sich auf einige hierin vorfindliche Argumentationen berufen.

1.

Ernst Albrecht

a)

Das Gedankenexperiment

Als frühester Beleg (zumindest bezogen auf den deutschen Sprachraum81) für eine Diskussionsanregung einer solchen Fallgestaltung darf die 1976 veröffentlichte philosophische Dissertation des ehemaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht, gelten. In dieser Arbeit mit dem für eine Doktorarbeit doch recht weit greifenden Titel ›Der Staat – Idee und Wirklichkeit. Grundzüge einer Staatsphilosophie‹ hat Albrecht zunächst ganz allgemein und dann anhand konkreter Beispiele versucht, die vermeintliche Absolutheit einiger verbriefter Grundrechte auf die Probe zu stellen (a.a.O, bes. S. 168ff.); hierzu zählt ausdrücklich auch das Verbot der Folter oder umgekehrt formuliert: das Recht auf Freiheit von (staatlicher) Folter. Er bedient sich dabei eines gern und häufig verwendeten Gedankenexperimentes,82 mit Hilfe dessen ein Szenario vorgestellt wird, das eine Relativierung des Folterverbotes nahe legen soll: es wird eine bestimmte Gefahrensituation – z. B. der drohende Einsatz von Massenvernichtungswaffen – skizziert, von der angenommen werden soll, dass die Anwendung von Foltermaßnahmen das letzte und mithin einzige Mittel sei, die Gefahr abzuwenden. In einem solchen Fall könne jedenfalls ein ›idealer Staat‹ (um dessen Beschreibung es Albrecht in dem einschlägigen Kapitel seines Buches geht) gar nicht umhin, das zu tun, was grundsätzlich verboten ist und eigentlich tabu sein soll, nämlich tatsächlich zu foltern; es bestehe unter Um80 Dazu D. Rejali, Torture, 546; M. Farrell, Prohibition of Torture, 100ff.; s.a. H. Schmitz, in: K. Altenhain u. a. (Hg.), Wiederkehr der Folter?, 274, die auch auf ein historisches Ereignis während des Algerienkrieges verweist, das als realer Ursprung der aktuellen Diskussion gelte. 81 Im anglo-amerikanischen Diskussionszusammenhang zuvor bereits C.L. Black, Harper’s Magazine, Febr. 1961, 63ff. (dazu W. Mendelson, University of Chicago Law Review 28 (1961), 583ff.); M. Walzer P& PAffairs 2 (1973), 160ff., bes. 167ff.; B. Paskins, British Journal of International Studies 2 (1976), 138ff. 82 Zu dieser beliebten Argumentationsweise oben S. 64ff. m.w.N.; s.a. C.W. Tindale Social Theory and Practice 22 (1996), 365ff.; O. Gross, in: Torture, ed. by S. Levinson, 229ff.; M. Jahn KritV 87 (2004), 28ff.; L.M. Seidman University of Chicago Law Review 72 (2005), 892 jeweils m.w.N.

Exkurs: Wegbereiter der Folterdebatte

227

ständen sogar ein sittliches Gebot, sich über das absolute Folterverbot hinweg zu setzen (ebenda, S. 173f.). Albrecht ist es – in einer philosophischen Dissertation nicht weiter verwunderlich – nicht darum gegangen, eine rechtsinterne Auflösung des Problems einer Aufrechterhaltung des absoluten Folterverbots angesichts drohender Gefahrensituationen anzustreben. Es handele sich vielmehr »um eine echte ethische Entscheidung, um ein Abwägen von Werten mit dem Ziel, das mögliche Wertmaximum, das Gute, zu erkennen und zu verwirklichen« (ebenda, S. 174). Er behauptet deshalb die Möglichkeit einer über das positive Verfassungsrecht hinausgreifenden außer-rechtlichen Gebotenheit des Folterns, die zumindest in Extremfällen im Namen einer scheinbar nicht weiter legitimierungsfähigen ›Sittlichkeit‹ auftritt und mit unbestreitbarer Evidenz die Relativierungsbedürftigkeit dieses Verbots belegt. Das wert-maximale ›Gute‹ steht offenbar über dem Recht. Dadurch verwendet er einen Begründungsduktus, der in diesem Kontext oft anzutreffen ist und im Kern darin besteht, einen vermeintlich unbezweifelten Grundsatz (hier also das Folterverbot) durch die Plausibilität anderer – ebenso anerkannter – Prinzipien (die Schutzwürdigkeit des Lebens ›Unschuldiger‹) ins Wanken zu versetzen. Die angebliche Absolutheit des einen wird durch die Absolutheit des anderen ausgespielt. Der maßgebliche Ausschlag, den die Entscheidung für das Foltern in solchen Fällen für die wert-maximierende Erkenntnis des ›Guten‹ geben soll, kann freilich nur dann erfolgen, wenn der Würde in solchen Fällen kein größeres Gewicht beizumessen ist. Die Würde des zu Folternden muss folglich schon vor der Abwägung ihren Absolutheitsanspruch eingebüßt haben. Dadurch wird bereits vorausgesetzt, was erst als Ergebnis einer Saldierung mit einander kollidierender Werte erscheinen dürfte.

b)

Reaktionen

Wie Wilhelm Henke bereits in seiner Besprechung von Albrechts Buch zu berichten wusste, hat dessen Vorschlag durchaus für einen »Aufschrei der Schriftsteller und Künstler« gesorgt, der Albrecht schlussendlich dazu veranlasst haben mag, »seine Gedanken zur Folter förmlich« zu widerrufen (Der Staat 16 (1977), 418).83 Tatsächlich hat Albrecht in einem offenen Brief vom 20. Dezember 1976 an den damaligen Vorstandssprecher der deutschen Sektion der Menschenrechtsorganisation ›amnesty international‹, Dietrich Böttcher, betont, dass er die in seinem Buch gestellte Frage, »ob Situationen theoretisch denkbar sind, 83 Zu Albrechts Kritikern unter der Intellektuellen-Prominenz s.a. U. Wickert, Freiheit, 116, der »Heinrich Böll, Ulrich Sonnemann und Erich Fried« namentlich nennt. Zur Diskussion um Albrechts Thesen und seinen öffentlichen Widerruf s.a. W. Hilligen / F. Neumann, Menschenwürde, 28 sowie die dort abgedruckten Dokumente auf S. 128ff.

228

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

in denen es sittlich geboten sein kann, bestimmte Informationen durch Folter zu erzwingen … in aller Form zurück(ziehe)«. In diesem Brief hebt er noch einmal hervor, dass nach seiner »Auffassung das absolute positiv-rechtliche Verbot der Folter nicht aufgegeben werden darf«; es sei ihm stets um die Anregung einer ethischen Diskussion gegangen – nicht um eine mögliche Revision der rechtlichen Regelungen. In einem Leserbrief in der Wochenzeitschrift ›Die Zeit‹ (vom 5. 11. 1976) hatte er gegenüber seinen Kritikern kurz zuvor sogar darauf hingewiesen, dass er nicht daran denke, »die Rechtswidrigkeit der Folter einzuschränken«; daher »müssen die Verantwortlichen«, die in der fingierten aber immerhin »denkbaren äußersten Grenzsituation« foltern würden, weil sie »ihrem Gewissen folgen«, immerhin »auch bereit sein, sich dafür vor Gericht zu verantworten«.84 In der 1983 erschienenen zweiten Auflage seines Buches hat Albrecht dann auf die entsprechenden Passagen schließlich verzichtet.85 Innerhalb der disziplinierten Debatten der politischen und juristischen Wissenschaften hat Albrechts Anregung – jenseits des in den Feuilletons ausgetragenen Streits, an dem sich auch namhafte Juristen beteiligt haben – allerdings Ende der 1970er Jahre noch keine allzu große Diskussion auslösen können. Neben eher beiläufigen – zustimmenden – Erwähnungen wie etwa in einem Aufsatz von Alexander Roßnagel in der ›Kritischen Justiz‹ (KJ 10 (1977), 269) dominierten zu dieser Zeit eher schroffe Ablehnungen, in denen Albrechts Andenken der Folter etwa als »Perversion des Rechtsdenkens« bezeichnen wird.86 Immerhin hat Klaus Lüderssen – ohne Ernst Albrecht ausdrücklich zu nennen – die Problematik schon 1978 aufgegriffen und die Frage gestellt, ob in extremen Situationen »nicht auch das, was man verschärfte Vernehmung, will sagen: foltern nennt – also etwas, das man nur in Diktaturen anzutreffen gewohnt ist –, angemessen wäre«. Immerhin »böte das im Strafrecht inzwischen kodifizierte Güterabwägungsprinzip« des 1975 in Kraft getretenen § 34 StGB »durchaus eine Handhabe, eine Körperverletzung zur Abwehr von Lebensgefahr – zumal für viele Menschen – zu rechtfertigen«. Daher müsse man sich sehr wohl fragen: »Wenn eine unübersehbare Zahl von Menschen vor einem nuklearen Angriff bewahrt werden kann dadurch, daß man einem einzelnen Menschen körperlich etwas zusetzt – warum wird das nicht längst gemacht?«. Für Lüderssen muss die »Antwort« jedoch »ganz einfach« sein und » – hoffentlich – mit großer Selbstverständlichkeit« kommen: »Hier gibt es natürlich eine absolute Grenze; das darf man nicht tun, es passiere, was wolle«.87 Dabei ist Lüderssen auch in seinem 84 Die genannten Briefe werden hier zitiert nach dem Abdruck in: W. Hilligen / F. Neumann, Menschenwürde, 131. 85 Vgl. R. Marx KJ 37 (2004), 288; H. Schmitz, in: K. Altenhain u. a. (Hg.), Wiederkehr der Folter?, 275f. 86 So P. Koch/R. Oltmanns, SOS, 47. 87 K. Lüderssen, in: E. Denninger/K. Lüderssen, Polizei, 96f.

Exkurs: Wegbereiter der Folterdebatte

229

2004 veröffentlichten Beitrag zur aktuellen Debatte geblieben, in dessen Titel er bereits kundgibt: »Die Folter bleibt tabu – Kein Paradigmenwechsel ist geboten«. Darin erinnert er auch rückblickend an die »wegen der Prominenz ihres Verfassers und seines Doktorvaters« (Ernst Albrecht und Karl Jaspers) »in den Rang einer legendären Absurdität gehobene – Dissertation«, die »die Öffentlichkeit seinerzeit nicht« beschäftigt habe (Rudolphi-FS, 691/694).

2.

Niklas Luhmann

Einen ähnlichen Ausgangsfall wie Ernst Albrecht hat einige Jahre später der Soziologe Niklas Luhmann, der freilich ebenfalls studierter Jurist und einst als solcher tätig war, zum Ausgangspunkt für einen Vortrag genommen Den Vortrag hat er unter das Thema ›Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen?‹ (veröffentlicht 1993) gestellt (siehe dazu schon oben S. 64 m.w.N.). Darin hat er den im Publikum anwesenden Zuhörern ganz direkt die Frage gestellt, ob sie einen Terroristen nicht doch foltern würden, wenn dadurch »das Leben vieler Menschen« gerettet werden könnte: »Würden Sie es tun? … Würden Sie foltern?« (ebenda, S. 1f.). Auch Luhmann geht es nicht darum, die juristischen Schwierigkeiten zu lösen, in die man gerät, wenn man sich für die Anwendung einer Foltermaßnahme entscheidet. Er selbst möchte deshalb keine Antwort auf die gestellte Frage geben und hat wohl auch nicht ernsthaft von anderen ein abschließendes Urteil erwartet. Er will mit dieser provokativen Fragestellung vielmehr auf ein allgemeineres Problem aufmerksam machen, das mit der Behauptung von unverfügbaren Rechtsprinzipien verbunden sei, für die eine zeitlich und sachlich universelle Gültigkeit reklamiert werden soll. Dieser Anspruch verträgt sich nämlich nicht mit der Positivität des modernen Rechts, das gerade die Änderbarkeit seiner Normen zur Voraussetzung hat. Diese Änderbarkeit gilt selbst für Art. 1 GG, der gem. Art. 79 III GG eigentlich zwar nicht geändert werden darf, faktisch aber dennoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass Änderungen vorgenommen werden. Der Bezug auf Unverfügbares muss daher über das positiv geltende Recht hinausweisen. Dadurch offenbart sich jedoch die Paradoxie des Rechts, weil nicht mehr sicher ist, ob überhaupt mit Recht zwischen Recht und Unrecht unterschieden werden kann – egal wie man sich entscheiden mag. Die Invisibilisierung dieser Nichtanwendbarkeit des Rechtscodes auf sich selbst, die gewöhnlich durch das Selbstverständnis der Rechtsanwender überspielt werden kann, funktioniert in Fällen dieser Art offenbar nicht, weil der Schutz des Rechts nur um den Preis der Verletzung des Rechts zu haben ist. Die Kontingenz der scheinbar fraglos geltenden Regel – hier : das Folterverbot – wird angesichts der bedrohten Rechtsgüter (die Gesundheit eines entführten Kindes oder das Leben der von einem

230

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Terroristen gefährdeten Menschen), die man durch das Foltern zu retten hofft, scheinbar überdeutlich. Daher spricht Luhmann für diese Konstellationen auch davon, dass es sich »normativ gesehen … um Skandale mit normgenerierender Potenz« handele (ebenda, S. 31f.); sie verleiten dazu, bestehende Grundsätze zu überdenken und eventuell zu ändern oder zumindest Ausnahmen von der Regel zuzulassen. Das Bekenntnis zur ausnahmslosen Unantastbarkeit der Würde von jedermann und das daraus resultierende Versprechen, unter allen Umständen auf den Einsatz von Folter zu verzichten, kann sich in Anbetracht konkreter Gefahrenlagen als zu voreilig erweisen, wenn der Eindruck spürbar wird, dass das Recht nur noch mit Unrecht zu retten ist.

3.

Winfried Brugger

Obwohl es Luhmann in seinem Vortrag an der Universität Heidelberg demnach gar nicht um die juristischen Schwierigkeiten der Folter ging, hat sich einer der damals anwesenden Juristen offenbar besonders von der Frage nach der eigenen Haltung zu dieser Problematik angesprochen gefühlt: Winfried Brugger. Nach eigenen Angaben88 ist er von der besagten Rede Luhmanns, der er seinerzeit als Zuhörer beigewohnt hat, nachhaltig dazu inspiriert worden, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Seitdem hat er sich in mehreren Beiträgen ausführlich mit den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten auseinandergesetzt und dabei primär die polizeirechtlichen Probleme dieser Fallkonstellation diskutiert.89 Im Laufe seiner jahrelangen Beschäftigung mit dieser Frage hat sich Brugger dabei von einem vorsichtigen Zugeständnis zu einem ausnahmsweise einzuräumenden Recht auf Folter (Der Staat 35 (1996), 67ff.) schließlich sogar zu einer unter Umständen einklagbaren Pflicht des Staates hierzu durchgerungen (JZ 2000, 165ff., bes. 170f.). Dies ist durchaus konsequent weiter gedacht: wenn die Frage nach der Anwendung der Folter nicht völlig wahllos entschieden werden soll, dann folgt bei jedem staatlichen Verhalten aus einem Recht, etwas zu tun (hier also aus einem begrenzten, auf bestimmte Ausnahmen beschränkten Recht zu foltern), ohne weiteres auch die Pflicht, unter vergleichbaren Umständen genauso zu handeln. Im öffentlich-rechtlichen Handlungsbereich, in dem nicht pure Willkür herrschen soll, ist die Verpflichtung nun einmal die Kehrseite einer Berechtigung zu einem legitimierbaren Staatshandeln. Zur Begründung führt Brugger zunächst umfassende juristische Argumente an, die für seine Ansicht 88 Vgl. die im Internet (unter www.humboldt-forum-recht.de/4–2002, bes. ›S. 11‹) dokumentierte Podiumsdiskussion vom 28. 06. 2001 zwischen Winfried Brugger und Bernhard Schlink (unter der Moderation von Dieter Grimm). 89 W. Brugger VBlBW 1995, 446ff.; ders., Der Staat 35 (1996), 67ff.; ders., JZ 2000, 165ff.; ders., Freiheit und Sicherheit (2004), 56ff.

Exkurs: Wegbereiter der Folterdebatte

231

sprechen sollen. Hierbei beruft er sich etwa auf »eine Rechtsanalogie zu den Vorschriften über den unmittelbaren Zwang in Verbindung mit der Norm über die Zulässigkeit des finalen Rettungsschusses«; letztere sei zwar nicht unmittelbar anwendbar, »denn das ›Nehmen von Leben‹ ist verfassungsrechtlich ein Aliud zum ›Brechen des Willens‹. Doch analog kann diese Norm zur Anwendung kommen«. Die für eine Analogie rechtstheoretisch notwendige ›Regelungslücke‹ sieht Brugger dabei in einer »Wertungslücke in Form einer Fehlbewertung«.90 Er unterstellt dabei, dass die Rechtsordnung die in Rede stehende Problemlage nicht hinreichend bewertet oder zumindest unter Wertgesichtspunkten nicht zu Ende gedacht habe; damit signalisiert er, die eigentlich eindeutige Vorrangstellung der Würde und das daraus folgende absolute Folterverbot nicht in gleicher Weise bedingungslos anerkennen zu wollen. Statt dessen sieht er entgegen der verfassungsrechtlichen Einordnung einen wertungsmäßigen Vorzug des Lebensschutzes zu Gunsten der (potentiellen) Opfer schrecklicher Verbrechen; allein durch diese stillschweigende Revalidierung kann es überhaupt zur Annahme eines Wertungswiderspruches kommen.91 Brugger hat jedoch Bedenken, dass es mit rein juristischen Auslegungsmitteln zum Nachweis dieser vermeintlich fehlerhaften Bewertung oder zumindest fehlenden Berücksichtigung einer ausreichenden Wertschätzung aller betroffenen Rechtsgüter innerhalb der in Rede stehenden Fallkonstellationen nicht reichen könnte. Daher bemüht er sich zusätzlich um Unterstützung durch verschiedene philosophische Positionen. Insofern bleibt seine Argumentationsführung von außer-rechtlichen Begründungsleistungen abhängig, die auf die juristische Subsumtion gepfropft werden müsse. In dieser Frage sieht er sich von einer ganzen Reihe von Sympathisanten umzingelt, die für seine Meinung Pate stehen könnten. Allen voran zählt er keinen geringeren als Kant und einige seiner zeitgenössischen Exegeten bzw. Anhänger dazu; namentlich werden – freilich ohne näheren Beleg für diese Behauptung – John Rawls und Otfried Höffe genannt. Brugger ist sich sicher, dass die all die von ihm Genannten »in unserem Fall die Folter zulassen« würden. Aber auch der »Gerechtigkeitsutilitarismus« und der »Kommunitarismus« – so behauptet er – stünden »alle in meiner Sachverhaltsgestaltung ebenfalls auf meiner Seite«.92 Die argumentative Rück90 W. Brugger, Freiheit, 59f.; ähnlich ders., VBlBW 1995, 448f. Kritisch gegen Bruggers ›Lücken-Befund‹ W. Schild, in: G. Gehl (Hg.), Folter, 69ff.; M. Kahlo, in: Strafrecht in der Zeitenwende, 61f.; dazu auch G. Wagenländer, Rettungsfolter, 68ff.; M. Gromes, Präventionsfolter, 64ff.; J. Kümmel, Nötigung durch Folter, 253ff./301ff.; J.-M. Zeller, Folter, 292ff. 91 Ebenso F. Wittreck, in: G. Gehl (Hg.), Folter, 48. 92 Dies hat Brugger etwa in der oben (Fn. 88) benannten Podiumsdiskussion angeführt – die Zitate finden sich unter www.humboldt-forum-recht.de/4–2002, auf ›S. 10‹; vgl. zudem seine Berufung auf Kant in: Der Staat 35 (1996), 86ff.; in dieser Einschätzung übereinstimmend C. Fahl JR 2004, 185/189; a. A. etwa K. Dicke, Kodalle-FS, Band 1, 167; T. Mertens, Journal of Social Philosophy 38 (2007), 232.

232

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

versicherung bei diesen Großprojekten der (politischen) Philosophie soll dabei wohl nicht zuletzt die mangelnde Aufmerksamkeit kompensieren, die Brugger bis zu dem aktuellen ›Frankfurter Fall‹ erfahren hat; denn seine Position ist bei seinen Fachgenossen bis dahin auf – gelinde gesagt – wenig Gegenliebe gestoßen.93 Daher ist es durchaus nachvollziehbar, dass er sich auf anderen Theoriefeldern nach Gleichgesinnten umschaut. Überdies wird speziell durch die Vereinnahmung utilitaristischer und kommunitaristischer Positionen signalisiert, dass es sich bei der in Rede stehenden Problemstellung um mehr als um eine rein juristische Frage handelt; damit verbunden ist vielmehr auch eine i. w. S. ›politische‹ Thematik, für die sich der Staat rüsten müsse. In diesem Sinne hat auch Heiner Bielefeldt darauf aufmerksam gemacht, dass es in der Folterdiskussion immer auch um eine »weit reichende politische Botschaft« geht; die »Möglichkeit des Einsatzes von Folter ist in Bruggers Argumentation somit von vornherein mehr als nur eine theoretische Denkmöglichkeit in einer unabsehbaren existentiellen Extremsituation; sie wird zu einer politischen Handlungsoption, auf die der Staat sich aktiv vorbereiten soll« (Folterverbot, S. 7).

Erst in dieser erweiterten Dimension kann das Ausmaß der Problematik adäquat abgeschätzt werden. Hier stehen sich dann die verschiedenen Grundpositionen der politischen Ethik gegenüber : auf der einen Seite richten sich die »Deontologen« ein, die sich hinter feststehenden Prinzipien und fixen Ideen verschanzen und sich dabei auf die »moralische Haltung stützen, daß bestimmte Akte wie Folter so schlimm sind, daß sie verboten sein sollen, was auch immer die Folgen sein mögen«; auf der anderen Seite positionieren sich die »Konsequentialisten«, die, »was die moralische Einschätzung von Handlungen angeht, immer auch auf deren Voraussetzungen und Konsequenzen achten«. Damit sei zugleich an »Max Webers Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethikern« gedacht (Brugger JZ 2000, 172 m.Fn. 30), mit der sich Brugger schon in seinem Buch ›Menschenrechtsethos und Verantwortungspolitik‹ aus dem Jahr 1980 ausführlich beschäftigt hat (bes. S. 187ff.) und die auch sonst immer wieder in Erinnerung gerufen wird, wenn es um den Einsatz übler Mittel zu Erreichung ›guter‹ Zwecke geht (dazu bereits oben S. 171ff.).94 a)

Der verantwortungspolitische Begründungsansatz (M. Weber)

Weber hatte bekanntlich die Differenz dieser »z w e i voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen« Ethiktypen vor allem in seinem 93 Siehe beispielsweise die scharfe Kritik von Helmut Kramer KJ 33 (2000), 624f. 94 Vgl. z. B. M. Walzer P& P Affairs 2 (1973), 163f./176f.; s.a. – im Zusammenhang der Folterthematik: S. Lukes, British Journal of Political Science 36 (2006), 3f.

Exkurs: Wegbereiter der Folterdebatte

233

Vortrag über ›Politik als Beruf‹ von 1919 betont und zumindest für den Bereich der ›real-politischen‹ Betätigung der verantwortungsethischen Orientierung den Vorzug eingeräumt (Politik als Beruf, 70);95 denn für den Politiker gelte »der Satz: du s o l l s t dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst – bist du für seine Überhandnahme v e r a n t w o r t l i c h « (ebenda, S. 69). Auf dem Gebiet des Politischen komme man schlicht nicht »um die Tatsache herum, daß die Erreichung ›guter‹ Zwecke in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, daß man sittlich bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt« (ebenda, S. 71).

Gerade an diesem »Problem der Heiligung der Mittel durch den Zweck, scheint nun auch die Gesinnungsethik überhaupt scheitern zu müssen«, wenn es um die Probleme der Politik geht; ihr bleibe nämlich immer »nur die Möglichkeit: j e d e s Handeln, welches sittlich gefährliche Mittel anwendet, zu v e r w e r f e n «, denn der »Gesinnungsethiker erträgt die ethische Irrationalität der Welt nicht. Er ist kosmisch-ethischer ›Rationalist‹ « (ebenda, S. 72f.). Das »entscheidende Mittel« der Politik ist für Weber dabei: »die Gewaltsamkeit« (ebenda, S. 72) und dies bedeutet: »daß, wer mit der Politik, das heißt: mit Macht und Gewaltsamkeit als Mitteln, sich einläßt, mit diabolischen Mächten einen Pakt schließt, und daß für sein Handeln es nicht wahr ist: daß aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil. Wer das nicht sieht, ist in der Tat politisch ein Kind« (ebenda, S. 74).

Daraus folgt wohl: wer Gutes erreichen möchte, muss sich manchmal eben auch auf an sich böse Taten einlassen. Auch in der relativ versteckten Erwähnung dieser bekannten Weberschen Differenzierung durch Brugger, der sich selbst an der oben zitierten Stelle ausdrücklich auf die Seite der ›Konsequentialisten‹ bzw. ›Verantwortungsethiker‹ schlägt, schwingt damit diese Grundproblematik der politischen Ethik immer schon mit, die er für sich in dem erwähnten Buch ›Menschenrechtsethos und Verantwortungspolitik‹ bereits deutlich zu Gunsten einer Verantwortungsethik entschieden hat (vgl. dort S. 191f. m.Fn. 10 / S. 309ff.). Die bloß angedeutete Übertragung dieser politisch-ethischen Entscheidung für die Übernahme von Verantwortung genügt, um deutlich zu machen, dass auch die Folterproblematik für Brugger deshalb kein rein juristisches 95 Siehe hierzu auch – z. T. um eine differenzierende Vermittlung bemüht: W. Schluchter, Entwicklung, bes. 86ff.; J. Verstraeten, Ethical Perspectives 2 (1995), 180ff.; C. Müller, in:, Geschichte der neueren Ethik 2, 111ff.; C.E. Larmore, Strukturen, 154ff.; M. Endreß, in: Verantwortliches Handeln in gesellschaftlichen Ordnungen, hg. v. A. Bienfait / G. Wagner (1998), 35ff.; C. Schwaabe, Freiheit, 200ff.; G. Banzhaf, Philosophie der Verantwortung, 17ff.; L. Heidbrink, Kritik, 91ff.

234

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Thema sein kann und durchaus eine Belehrung durch dieses Grundlagenfach vertragen kann. b)

Kant als Zeuge?

Die Anspielung auf die Einteilung der politischen Ethik in Verantwortungsethik und Gesinnungsethik ist zudem wichtig, um Bruggers Kant-Interpretation in dieser Frage zu verstehen; sie ist geprägt von einer Lesart, die Kant ebenfalls als Vertreter einer bestimmten Version einer Verantwortungsethik darstellt.96 Die Unterstützung durch die kantische Philosophie erscheint Brugger noch aus einem anderen Grund besonders wichtig zu sein, da Kant meist für die Gegenmeinung mobilisiert wird und dementsprechend als Zeuge für die Einhaltung des absoluten Folterverbotes aufgerufen wird (dazu ausführlich oben S. 82ff. m.N.).97 Schließlich gilt dessen Philosophie als eine wichtige Quelle für das neuzeitliche Verständnis der Menschenwürde (vgl. oben S. 96ff.).98 Insbesondere die bekannte Formel, wonach jeder Mensch nur als Zweck an sich selbst geschätzt werden darf und deshalb niemals bloß als Mittel oder als Objekt innerhalb eines rechtlichen Verfahrens behandelt werden soll (dazu schon oben S. 86/155),99 ist zu einem viel zitierten Begründungsbaustein zur Auslegung der Grundrechte und speziell des Art. 1 I GG geworden,100 worauf Brugger selbst in seiner früheren Arbeit aufmerksam gemacht hat (Menschenrechtsethos (Fn. 96), 256ff., bes. 286 m. Fn. 86). Da durch die Folter primär die Freiheit des Willens 96 Vgl. die entsprechende Deutung von W. Brugger, Menschenrechtsethos, 191f. Fn 10 / 250ff./ 309ff.; i.E. ähnlich bereits K. Jaspers, Die großen Philosophen, 493; anders aber etwa H. Köhl, Kants Gesinnungsethik, bes. 34 ff (mit ausdrücklichem Hinweis auf die Unterscheidung von Max Weber in Fn. 23 auf S. 36); s.a. M. Scheler, Formalismus, 127ff. 97 So z. B. A.M. Dershowitz, Terrorism, 149f.; F. Allhoff International Journal of Applied Philosophy 17/1 (2003), 107 m. Fn. 7 auf S. 116; H. Bielefeldt, Folterverbot, 6; H. Brunkhorst, Blätter 1/2005, 81; J.C. Joerden, Hruschka-FS, bes. 506ff. 98 Vgl. dazu etwa H. Bielefeldt, Philosophie der Menschenrechte, 45ff.; F.J. Wetz, Würde, 38ff.; T. Wachtendorf, Würde, 58ff.; P. Tiedemann Rechtstheorie 36 (2005), 129ff.; ders., Menschenwürde, 167ff.; M. Rosen, Dignity, 19ff. 99 Vgl. insbesondere I. Kant GMS BA 66f.; ders., MdS-R § 11 (A 94). Hierzu ausführlich etwa G. Prauss, Kant, bes. 133ff.; C. Schnoor, Kants Kategorischer Imperativ, bes. 49ff.; R. Langthaler, Kants Ethik, 3ff. u. ö.; U.J. Wenzel, Anthroponomie, bes. 262ff.; W.P. Mendonca Kant-Studien 84 (1993), 167ff.; s.a. J. Hruschka JZ 1990, 1ff. zur philosophischen Herkunft dieser Zweck-Formel. 100 Siehe z. B. J. Wintrich, Laforet-FS, 236; H. Goerlich, Wertordnung, 157ff.; vgl. auch M. Rosen, Dignity, 80ff.; D. Hömig, in: Dogma der Unantastbarkeit, bes. 40f.; N. Teifke, Prinzip Menschenwürde, 9ff.; B. Kelker, Puppe-FS, 1681f.; S. Kirste, in: Menschenwürde (Handbuch), 241ff.; A.K. Weilert, Grundlagen, 134/139f.; G. Luf, Wolff-FS, 307ff.; ders., Freiheit, 265ff.; C. Enders, in: Wege zur Menschenwürde, 169f.; M/D-Herdegen (55. Lfg 2009) Art 1 Abs.1 Rn. 12 m.w.N. in Fn. 17; H. Dreier (Fn. 68) Art. 1 I Rn. 11ff. m.w.N. in Fn. 36, der freilich auch auf die zahlreichen Bedenken gegen eine Übernahme der Gedanken Kants in das Verfassungsrecht hinweist.

Exkurs: Wegbereiter der Folterdebatte

235

gebrochen wird und deshalb der Mensch – nunmehr gegen sich selbst gewendet – nur noch zu einer unfreiwilligen Auskunftsquelle degradiert werde, spricht auf den ersten Blick doch einiges dafür, »als ob sich bei Kant ein absolutes Folterverbot finden müsste«, wie Brugger eingestehen muss. Um dennoch die Gefolgschaft Kants zu belegen, verweist Brugger auf zwei weitere Grundsätze der kantischen Rechtsphilosophie: Zum einen gehe es um die inhaltliche Voraussetzung der rechtlich geschützten Autonomie, die nach Kant tatsächlich als eigentliche Grundlage der Würde dient,101 denn »Freiheit muss freiheitsverträglich sein. Ist sie das nicht, hat der Staat die Befugnis zu zwingen«; diese Berechtigung für den Einsatz staatlicher Zwangsmittel ergebe sich aus der ursprünglichen Legitimation des Rechtszwanges als »Beseitigung eines Hindernisses der Freiheit« quasi wie von selbst (so Brugger in der besagten Diskussion (Fn. 88/92), ›S. 10‹).102 Schließlich sei klar, »daß sich die Handlungsmaxime des Erpressers nicht zum allgemeinen Gesetz eignet«, daher »würde die Absolutheit des Folterverbots zu schweren Eingriffen in andere Rechtswerte und Grundrechte führen … so wird allgemeine Freiheit nicht gefördert, sondern gefährdet« (Brugger, Der Staat 35 (1996), 88); eine Förderung verspreche hingegen in solchen Fällen die Lockerung des an sich absolut geltenden Verbots der Folter. Damit lässt Brugger, der sich ausdrücklich auf § D der Einleitung zur Rechtslehre in Kants ›Metaphysik der Sitten‹ (MdS-R AB 35) bezieht, explizit die juristisch-ethische Bewertung der Handlung des – in einem seiner Beispielsfälle – ›Erpressers‹ in die Abwägung über eine mögliche Relativierung des Folterverbots einfließen: weil dieses Verhalten seinerseits freiheitswidrig ist, könne das Foltern unter diesen Umständen als Räumung dieses Freiheitshindernisses selbst zur Steigerung der allgemeinen Freiheit verstanden werden. Mit dieser Begründung wäre die Möglichkeit zum Foltern freilich kaum auf die von Brugger anvisierten Extremfälle zu beschränken, denn beinahe jedes unrechtmäßige – ja selbst jedes unsittliche – Verhalten, das den Universalisierungstest des kategorischen Imperativs nicht bestehen kann, ist per definitionem nicht ›freiheitsverträglich‹, da es in der Tat nicht als wirklich autonomes Handeln gedacht werden kann. Wenn die staatliche Zwangsbefugnis tatsächlich so weit reichen soll, jedwedes Freiheitshindernis mit Hilfe der Anwendung von Foltermaßnahmen zu beseitigen, dann müsste die Tortur zu einer Standardaufgabe für die Herstellung eines allgemeinen Freiheitszustandes werden. Die Befugnis zu zwingen ist bei Kant jedoch ersichtlich nicht als universelles Mittel zur Herstellung rechtlicher Freiheit gemeint, denn wahrhaft autonomes Handeln lässt sich gerade nicht mit Hilfe von Rechtszwang hervorrufen; ein äußeres 101 So explizit I. Kant GMS AB 79 (ausführlich dazu oben S. 96ff./123ff.). 102 Insofern ähnlich auch U. Vosgerau AöR 133 (2008), 367f.

236

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Freiheitsverhältnis, um das es im Recht ausschließlich geht, kann nicht dadurch hergestellt werden, dass die innere Freiheit – verstanden als Möglichkeit zur autonomen Bestimmung des Handlungsentschlusses – eines Beteiligten mit Gewalt gebrochen wird. Eine hierauf gerichtete Berufung auf die philosophische Autorität Kants geht daher fehl. Im Übrigen lässt sich der von Brugger zitierten Stelle gerade nicht entnehmen, ob sich ein entwickeltes Rechtssystem nicht von sich aus gewisse handlungsbezogene Selbstbeschränkungen auferlegen kann und beispielsweise ganz explizit auf die Folter als Zwangsmaßnahme verzichtet, so dass nicht mehr alles mögliche als rechtlich zulässig erklärt werden kann. Ein solcher Verzicht auf die Folter wird ja gerade in seinem Bezug zur Menschenwürde als Ausformulierung eines freiheitsgesetzlichen Grundgedankens angeführt. Brugger verschiebt daher die Kategorien der kantischen Philosophie, wenn er die fehlende moralische Freiheit (Moralität des Handelns) als Grund für die zwangsweise Herstellung eines allgemeinen Freiheits-Rechts-Zustandes (Legalität des Verhaltens) heranziehen möchte. Dabei wird zudem übersehen, dass zur Wahrung eines freiheitsgesetzlichen Rechtsverhältnisses die gesamte Rechtslage einzubeziehen ist, so dass auch die – ebenfalls als Ausdruck eines allgemeinen Freiheitszustandes verstandenen – Normen zur Achtung der Würde eines unrechtmäßig Handelnden gewahrt bleiben müssen. Insofern ist die von Kant als Bestimmungsmerkmal des Rechts vorgesehene ›Befugnis zu zwingen‹ stets im Rahmen der allgemeinen Freiheitsgesetzgebung zu verstehen. Im Übrigen soll die Deklaration der Unantastbarkeit der Menschenwürde und die daraus resultierende Absolutheit des Folterverbots gerade verhindern, dass eine ethische Beurteilung des Verhaltens als ›freiheitswidrig‹ in ein rechtliches Wertekalkül eingebracht wird; Autonomiewidrigkeit darf daher kein hinreichender Grund zur Relativierung dieser Prinzipien sein. ›Freiheitsverträglichkeit‹ ist deshalb kein notwendiges Kriterium für den Bestand des Würdeschutzes. Die von Brugger markierte ›Wertungslücke‹, die angeblich in den von ihm verhandelten Problemkonstellationen klaffen soll, lässt sich jedenfalls nicht auf diese Weise schließen. Zum anderen verweist Brugger noch auf Kants Stellungnahme zur Begründung des Notrechts im Allgemeinen und speziell auf dessen Lösung zum klassischen Problemfall des sog. ›Brett des Karneades‹.103 Dabei geht es bekanntlich um jene Situation, in der ein Schiffbrüchiger einen anderen von der ihn rettenden Schiffsplanke verdrängt, um sein eigenes Leben retten zu können. Kant kommt für diese Konstellation zu dem Ergebnis, dass diese

103 Dazu eingehend W. Küper, Wolff-FS, 285ff., bes. 295ff.; ders., Immanuel Kant und das Brett des Karneades, bes. 29ff.; s.a. J. Hruschka GA 1991, 1ff., bes. 8ff.; s.a. unten S. 357ff.

Exkurs: Wegbereiter der Folterdebatte

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»Tat der gewalttätigen Selbsterhaltung nicht etwa als u n s t r ä f l i c h (inculpabile), sondern als u n s t r a f b a r (inpunibile) zu beurteilen« sei, schließlich »kann es keine Not geben, welche, was unrecht ist, gesetzmäßig machte« (MdS-R AB 42, VIII, 343).

Zwar muss auch Brugger zunächst konzedieren, dass diese Aussage Kants gerade nicht für eine Rechtfertigung des Verhaltens spricht, auf die er selbst hinaus will. Auch sonst will die genannte Fallkonstellation nicht direkt auf die von ihm ins Auge gefasste Problemlage passen. Dennoch möchte er in diesem Begründungsansatz eine Befürwortung seiner Position entnehmen. Weil Kant hier nämlich ausdrücklich nicht »von einem u n g e r e c h t e n Angreifer auf mein Leben« (a. a. O.) – sprich: von einem rechtswidrigen Angriff – ausgeht, müsste im Falle eines eindeutig rechtswidrigen Verhaltens eines Angreifers dann aber sehr wohl im Umkehrschluss die Rechtmäßigkeit der Abwehrmaßnahme herausspringen (vgl. W. Brugger, Der Staat 35 (1996), 89f.; ders., Diskussion (Fn. 88), ›S. 10‹). Durch diesen kühn gestalteten Argumentationsgang kommt Brugger somit von der von Kant in einem ganz speziellen Fall eingeräumten Straflosigkeit einer individuellen Selbsterhaltungsmaßnahme zu einem gleichsam öffentlich verwalteten Selbsterhaltungsrecht, das sich notfalls mit dem Mittel der Folter soll durchsetzen dürfen. Kants Begründung der Straflosigkeit im ›Karneades-Fall‹ ist übrigens primär straftheoretischer Natur und – zur Überraschung vieler – entgegen seiner sonstigen vergeltungstheoretischen Präferenz sogar einer präventiven Begründung geschuldet; eine Strafdrohung wäre in einer solchen Konstellation schlicht sinnlos und müsste ohnehin ins Leere laufen: »Es kann nämlich kein Strafgesetz geben, welches demjenigen den Tod zuerkennte, der im Schiffbruche, mit einem anderen in gleicher Lebensgefahr schwebend, diesen von dem Brette, worauf er sich gerettet hat, wegstieße, um sich selbst zu retten. Denn die durchs Gesetz angedrohte Strafe könnte doch nicht größer sein, als die des Verlusts des Lebens des ersteren. Nun kann ein solches Strafgesetz die beabsichtige Wirkung gar nicht haben, denn die Bedrohung mit einem Übel, was noch ungewiß ist (dem Tode durch den rich-terlichen Ausspruch), kann die Furcht vor dem Übel, was gewiß ist (nämlich dem Ersaufen), nicht überwiegen« (MdS-R AB 41f.).

Dabei ist für Kant die pure existentielle Selbsterhaltung als solche ohnehin kein moralisch und wohl erst recht kein rechtlich hinreichend begründbarer Selbstzweck; vielmehr soll auch insofern die Würde als entscheidender Gehalt des Lebens von Bedeutung sein. I.d.S. heißt es etwa in einer Reflexion aus dem Nachlass (Nr. 6979): »Die moral sagt nicht, daß ich das Leben erhalten soll, sondern dasjenige, wobey ich allein werth bin zu leben … Nicht das Leben zu erhalten, sondern dasjenige selbst mit Aufopferung des Lebens, wodurch man des Lebens würdig ist«.

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Als Beispiel für einen möglichen Grund, das eigene Leben für den Erhalt der eigenen Würde aufzuopfern, sieht er an dieser Stelle explizit »in der tortur von sich ein schändlich Verbrechen zu bekennen« (A-A XIX, 219). Danach ist es für Kant aus moralischen Gründen eher geboten, den Peinigungen der Folter auch auf Kosten von Gesundheit und Leben zu widerstehen, als unter ihrem Eindruck sich derart zu entwürdigen und ein nicht begangenes Unrecht zu gestehen. Damit ergibt sich zwar für den Fall einer möglichen Rechtfertigung einer zu Rettungszwecken ausgeübten Folter keine direkte Lösung. Es ließe sich aber immerhin soviel sagen, dass im Umkehrschluss allgemein gelten kann, dass Kant in der Tortur grundsätzlich eine Maßnahme gesehen hat, die sowohl die Freiheit und Wahrhaftigkeit der Willensbildung als auch die Würde des Folteropfers betrifft. Daraus lässt sich dann folgern, dass aus diesem Grund ihr Einsatz als solcher bereits unzulässig sein muss. Wenn aus Sicht des Gefolterten eine erzwungene (falsche) Aussage die eigene Würde verletzt, dann kann eine solche Erzwingung im Hinblick auf den Folternden ebenfalls als Missachtung der Würde angesehen werden. Bruggers Vereinnahmung der kantischen Philosophie erweist sich damit zumindest als sehr voreilig bzw. als nur unzureichend argumentativ abgesichert. Zweifel an der vermeintlichen Befürwortung der Folter in Ausnahmefällen sind zudem angebracht, wenn man Kants rigorose Position zum absolut geltenden Verbot der Lüge bedenkt.104 Speziell in seinem kleinen Aufsatz ›Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen‹ von 1797 hat Kant die oft gescholtene Ansicht vertreten, dass eine Lüge selbst dann noch strikt verboten – und zwar rechtlich verboten105 – bleiben müsse, selbst wenn mit ihrer Hilfe das Leben eines anderen gerettet werden könnte.106 Zur Begründung nimmt er darin eine »strengste Pflicht zur Wahrhaftigkeit in Aussagen« an, in der er eine allgemeine »Regel« erkennen will, »die ihrem Wesen nach keiner Ausnahme fähig ist« 104 Diese Parallele wird auch gezogen von J.C. Joerden, Hruschka-FS, 495ff./503ff.; weitere Nachweise oben S. 88 Fn. 198; s.a. unten S. 370f. 105 In der Tugendlehre seiner ›Metaphysik der Sitten‹ behandelt Kant die Lüge zusätzlich noch als sittliche »Pflicht des Menschen gegen sich selbst« (MdS-T A 83ff.). 106 Vgl. dazu eingehend – mit weiteren Fundstellen und zahlreichen Beiträgen – den von G. Geismann und H. Oberer herausgegebenen Band ›Kant und das Recht der Lüge‹ (1986); s.a. H.J. Paton, Kant-Studien 45 (1953/54), 190ff.; W. Schwarz, Ethics 81 (1970), 62ff.; H.E.M. Hofmeister, Ethics 82 (1972), 262ff.; G. Geismann, in: Kant, 293ff.; ders., Kant und kein Ende 2, 229ff.; C.M. Korsgaard, P& P Affairs 15 (1986), 325ff.; dies., Creating, 133ff.; A. MacIntyre, Tanner Lectures 16 (1995), bes. 313 f / 335ff.; M. Annen, Problem der Wahrhaftigkeit, 97ff./109ff.; M. Pawlik, Das unerlaubte Verhalten, 91ff.; M. Stapleton ethic@ Vol. 1/Nr. 2 (Dez. 2002), 177ff.; S. Dietz, in: R. Leonhardt / M. Rösel (Hg.), Dürfen wir Lügen?, 91ff.; dies., Wert der Lüge (2003), 139ff.; B. Williams, Wahrheit, 159ff.; L. Alexander / E. Sherwin Law and Philosophy 22 (2003), 396f.; G. Römpp, Kant-Studien 95 (2004), 182ff.; J.-G. Kim, Kant-Studien 95 (2004), 226ff.; M. Cholbi, Ethical Theory and Moral Practice 16 (2013), 439ff.

Exkurs: Wegbereiter der Folterdebatte

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(Werkausgabe VIII, 641f.). Allein ein wahrhaftiger Umgang miteinander sei nämlich eine der Grundvoraussetzungen für ein wechselseitiges Rechtsverhältnis innerhalb einer Gesellschaft. Die Achtung dieses Prinzips gegenseitiger Aufrichtigkeit ist nach Kant daher unabdingbar für eine rechtliche Verbindung zwischen den Gesellschaftsmitgliedern. Die unbedingte Einhaltung dieser Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit ermögliche nicht zuletzt die eindeutige Trennung der Verantwortungsbereiche, die verloren gehen müsse, wenn mit Hilfe der Unwahrheit ein anderes Gut geschützt, d. h. Recht durch Unrecht erhalten werden soll. Es sei dann nämlich nicht mehr klar, auf wen »hier die Schuld (nach ethischen Grundsätzen)« für jene Folgen fällt, die nach einer Lüge eintreten – wie es an einer anderen Stelle bei Kant heißt (MdS-T A 88, VIII, 565). Mit der Anerkennung (zumindest) dieses einen ausnahmslos geltenden Rechtsprinzips wird immerhin deutlich, dass Kant sehr wohl von bestimmten rigoros einzuhaltenden Regeln ausgehen wollte, die selbst in Anbetracht gravierender Gefahren für andere bedeutende Rechtspositionen nicht durchbrochen werden sollte – d. h. gegen die jedenfalls nicht von Rechts wegen verstoßen werden kann. Ob dies nach Kant ebenso für die Menschenwürde und ein rechtlich selbst auferlegtes absolutes Folterverbot gelten soll, lässt sich wohl nicht mit aller Eindeutigkeit ermitteln. Die strukturelle Ähnlichkeit der Fallkonstellationen spricht wohl für eine entsprechende Positionierung. Dafür könnte zusätzlich noch angeführt werden, dass, wenn ein Menschenleben schon nicht durch Verletzung der Wahrhaftigkeitspflicht gerettet werden darf, so könne die Missachtung der Würde durch Folter erst recht nicht zu einer Rechtfertigung führen. Insoweit ist es vorstellbar, dass auch in diesem Fall die strikte Einhaltung der selbst auferlegten Pflicht zur unbedingten Achtung der Menschenwürde und der entsprechende Verzicht auf Folter zu fordern ist. Immerhin ist für Kant die Wahrhaftigkeit eng mit der Würde des Menschen verknüpft, denn die »Lüge ist Wegwerfung und gleichsam Vernichtung seiner Menschenwürde« (MdS-T A 84, VIII, 562). Umgekehrt folgt aus der strikten Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit übrigens nicht etwa zu Gunsten von Bruggers Ansicht, dass die Wahrheit notfalls auch mit Gewalt aus einem Verbrecher herausgeprügelt werden darf. Die Befolgung dieser Rechtspflicht ist nur aus Freiheit denkbar. Aber nicht allein Kant könnte sich als ein im Ergebnis ›schlechter‹ Zeuge für das Begründungsanliegen Bruggers herausstellen, sondern auch die beiden anderen von ihm angeführten philosophischen Richtungen, der ›Gerechtigkeitsutilitarismus‹ bzw. der ›Kommunitarismus‹, dürften sich in dieser Frage als durchaus unsichere Gewährsleute erweisen. Eine Unterstützung durch utilitaristische Argumente kann sich Brugger nämlich nur dann versprechen, wenn er davon ausgeht, dass die Würde eines zu folternden Menschen im Rahmen der Nutzenabwägung kein größeres Gewicht beigemessen wird als die von diesem

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

bedrohten Rechtsgüter. Wer jedoch die verfassungsrechtliche ›Werteordnung‹ durch die exponierte Stellung des Art. 1 I GG bereits für entschieden hält und die unbedingte Achtung der Würde von jedermann als maßgeblichen gesellschaftlichen Nutzen anerkennt, muss dies bei jeder Kalkulation eines zu erwartenden Nutzens berücksichtigen; denn auch die utilitaristische Ethik kann nicht ohne weiteres an der Anerkennung als absolut anerkannter Rechte vorbeikommen.107 Falls die Menschenwürde daher als absoluter Wert und damit gleichsam als größtes Pfund in die Waagschale geworfen werden müsste, dürfte selbst ein konsequenter Utilitarist nicht ohne weiteres zu einer Relativierung gelangen.108 Entsprechendes gilt auch für eine kommunitaristische Positionierung in dieser Frage, die sich an den in einer Gemeinschaft faktisch vorherrschenden (rechtlichen) Regelungen orientieren muss. Eine Entscheidung für oder gegen die Anwendung der Folter fällt im sozialen Handlungsmodell des Kommunitarismus gerade nicht in einem rechtlichen und institutionellen Vakuum. Wenn die lebensweltliche soziale Praxis für einen Kommunitaristen ausschlaggebend ist, dann bleibt aber die rechtliche Verfassung, in der diese in juristische Form gegossen worden ist, von entscheidender Bedeutung. Solange das absolute Folterverbot als insofern gültige – weil praktisch wirksame – Norm anzuerkennen ist, kann eine Relativierung selbst in extremen Ausnahmefällen gerade nicht ohne weiteres angenommen werden. Die von Brugger angeforderte philosophische Nachhilfe in Sachen Werteunterricht bleibt demnach weitgehend in der Schwebe. Mit ihrer Hilfe lässt sich die erhoffte Stopfung der vermeintlichen Wertungslücke jedenfalls nicht so einfach erzielen. Die vermeintlich notwendige Korrektur der verfassungsrechtlichen ›Fehlbewertung‹ bleibt ein unzureichend hergeleitetes Postulat.

IV.

Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion

Die bislang in diesem Kapitel besprochenen Positionen haben allesamt versucht, das fragliche Problem durch Hinzuziehung von extra-juristischen Überlegungen zu lösen. Zu umfassenden Bemühungen, eine streng juristische und speziell strafrechtsrelevante Begründung im eigentlichen Sinne für eine Legitimation oder zumindest für eine potentielle Sanktionslosigkeit solcher Verhaltensweisen zu versuchen, ist es jedoch – zumindest in Deutschland – tatsächlich erst am 107 Zu diesem innerhalb verschiedener Varianten des Utilitarismus viel diskutierten Problem siehe allgemein z. B. B. Brülisauer, Moral, 144ff. m.w.N. 108 Gegen eine allzu vereinfachende Anwendung eines utilitaristischen Nutzenkalküls auf diese Fallkonstellationen ähnlich auch A.M. Dershowitz, Terrorism, 142ff.; M. Strauss New York Law School Law Review 48 (2003), 255ff.; s.a. M. Walzer P& P Affairs 2 (1973), 68ff.; E.A. Posner / A. Vermeule Michigan Law Review 104 (2006), 680ff.

Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion

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Beispiel des oben erwähnten ›Frankfurter Falles‹ gekommen. Dies ist gewissermaßen das Neue an der aktuellen Diskussion, das sie von der vorherigen Debatte unterscheidet. An dieser Stelle kann es nun nicht darum gehen, diese neuere Diskussion im einzelnen bis in den letzten dogmatischen Winkel nachzuzeichnen und die diversen Argumente, die für oder gegen die eine oder die andere Ansicht ins Feld geführt worden sind, detailliert aufzuführen oder gar deren unterschiedlichen Status als (strafrechts- bzw. verfassungsrechts-) dogmatische, strafprozessuale, politische oder moralische Begründungsmomente exakt zu bestimmen und zu analysieren; zumindest die mannigfaltigen rechtlichen Aspekte sind inzwischen vielfach angesprochen und sehr kontrovers diskutiert worden, sie sind insofern jedenfalls recht gut erschließbar.109 Die folgende Darstellung will sich primär auf einen Aspekt dieser Thematik konzentrieren und dabei der Frage nachgehen, in welcher Weise die Menschenwürde im Rahmen dieser Problematik eingesetzt wird. Ihr Rang als Ideal des deutschen Grundgesetzes zwingt die Beteiligten nämlich zur Beachtung dieses normativen Anspruchs und zur Auseinandersetzung mit dieser Positionierung an der Spitze der Verfassung.

1.

Schlichte Ablehnungen

In dieser Hinsicht haben es dann freilich diejenigen am leichtesten, die in dem in Frage stehenden Fall ganz einfach darauf verweisen, dass die Androhung von Schmerzen als Folter zu gelten habe und jede Art von Folter ein Verstoß gegen die Unantastbarkeit der menschlichen Würde darstelle und zudem explizit 109 Zur rechtlichen Würdigung der Folterandrohung siehe die Entscheidung des LG Frankfurt NJW 2005, 692ff.; dazu auch H. Götz NJW 2005, 953ff.; G. Jerouscheck JuS 2005, 296ff.; S. Braum KritV 88 (2005), 283ff.; V. Erb NStZ 2005, 593ff., bes. 598ff. Umfassende Erörterungen der diversen rechtlichen Probleme des Strafrechts, Prozessrechts, Polizeirechts, Verfassungsrechts und Völkerrechts, die mit diesem Fall zusammenhängen und – unter Juristen nicht verwunderlich – unterschiedlichen Lösungen zugeführt werden, finden sich u. a. bei: B. Kretschmer RuP 2/2003, 102ff.; H. Welsch BayVBl. 2003, 481ff., bes. 483ff.; J. Kinzig ZStW 115 (2003), 791 (793ff.); G. Haurand / J. Vahle NVwZ 2003, 513ff.; W. Hecker KJ 36 (2003), 210ff.; G. Jerouschek / R. Kölbel JZ 2003, 613ff.; C. Fahl JR 2004, 182ff.; F. Saliger ZStW 116 (2004), 35ff.; M. Jahn KritV 87 (2004), 24ff.; O. Ziegler ebenda, 50ff.; K. Lüderssen, FS-Rudolphi (2004), 691ff.; W. Perron, WeberFS, 143ff.; R. Neuhaus GA 2004, 521ff.; R. Marx KJ 37 (2004), 278ff.; E. Hilgendorf JZ 2004, 331ff., bes. 338f.; A. Guckelberger VBlBW 2004, 121ff.; V. Erb Jura 2005, 24ff.; ders. in: »Rettungsfolter im modernen Rechtsstaat?, bes. 153ff.; W. Schild, in: G. Gehl (Hg.), Folter, 59 ff, bes. 63ff.; A.B. Norouzi JA 2005, 306ff.; R.D. Herzberg JZ 2005, 321ff.; C. Roxin, EserFS, 461ff.; ders., Strafrecht AT I § 15 Rn. 103ff.; allgemein: G. Wagenländer, Rettungsfolter, 29ff. (zu öffentlich-rechtlichen Problemen) / 93ff. (zu strafrechtlichen Rechtfertigungsmöglichkeiten).

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

gegen vielfach verankerte verfassungs- und völkerrechtliche Regelungen verstoße. Ausnahmen hiervon, die einen solchen Eingriff unter Umständen rechtfertigen könnten, sind weder vorgesehen noch sollten sie unter keinen Umständen anerkannt werden dürfen. Die Würde des Menschen müsse auf jeden Fall und für alle denkbaren Situationen ein Tabu bleiben, denn dies meine gerade dem Wortsinn nach etwas ›Unberührbares / Unantastbares‹ (dazu schon oben S. 219 m.Fn. 65). Auch das LG Frankfurt hat in seiner Entscheidung damit argumentiert, dass eine »Ausnahme von der eindeutigen Gesetzeslage … einem Tabubruch gleichkäme« (NJW 2005, 694). Selbst noch so tragische Einzelschicksale sollen an der Absolutheit des Folterverbots nichts ändern dürfen.110 Insofern könne die Debatte über die Legitimierbarkeit einiger Ausnahmen vom Verbot der Folter sogar beinahe gefährlicher sein als ein unverhohlenes Eintreten für ihre generelle Nutzung, weil eine Begründung für eine teilweise Suspendierung des Verbotenen die politisch-ideologischen Voraussetzungen nicht einmal offenlegen müsse und statt dessen die schleichende Enttabuisierung mit einem scheinbar reinen Gewissen betreiben möchte (vgl. dazu oben S. 48ff.).111 Dieses unbedingte Pochen auf die Einhaltung eines tabuisierten Gebiets sei nicht zuletzt deswegen erforderlich, weil bereits eine geringfügige Lockerung des Folterverbotes eine nicht mehr aufzuhaltende Aufweichung dieses Grundsatzes bedeute, deren weitere Erosion dann keinen Einhalt mehr geboten werden könne.112 Ein angemessenes Maß an zulässigen Mitteln, die als Tortur eingesetzt werden dürften, lässt sich kaum verlässlich ausmachen; einer einmal gewährten Folterbefugnis wohnt gleichsam eine expansive Tendenz inne, die dann beinahe zwangsläufig zu einer weiteren Eskalation der einsetzbaren Mittel führen müsse. Einer entsprechenden Phantasie sind dann wohl kaum noch Grenzen zu setzen. Wer das Foltern in bestimmten Fällen erlauben möchte, muss schon konkret sagen, welche Maßnahmen hierunter verstanden werden sollen – und welche nicht. Jeder Versuch einer Eingrenzung kann dann relativ leicht ad absurdum 110 Vgl. zu dieser Argumentation etwa J. O. Merten JR 2003, 404ff.; G. Kaiser KrimJ 35 (2003), 243ff. (257); R. Poscher JZ 2004, 756ff.; H.-J. Papier, Starck-FS, 377f.; M. Mahlmann, German Law Journal 11 (2010), 28f.; s.a. E. Hilgendorf, in: ders. (Hg.), Menschenwürde, 131/133; ders., Zeitschrift für Evangelische Ethik 57 (2013), 263; ähnlich bereits K. Bernsmann, »Entschuldigung«, 93f.; M. Kaufmann ARSP-Beih. 84 (2002), 23ff., bes. 33ff. In seinem juristischen Befund ebenso auch H. Meier, Merkur 57 / Heft 12 (2003), 1135ff. (1140), der allerdings gleichsam ein ›politisches Schlupfloch‹ für eine andere Beurteilung offen lassen möchte (dazu schon oben S. 174). 111 I.d.S. – bezogen auf die US-amerikanische Diskussion über die Zulässigkeit der Folter im Kampf gegen den Terrorismus – S. Zizek, Willkommen, 106ff.; kritisch hierzu S. Levinson, Texas Law Review 81 (2003), 2042f.; ders., in: ders. (Ed.), Torture (2004), 30ff. 112 So etwa eindringlich B. Kretschmer RuP 2/2003, bes. 103f.; insoweit zustimmend J.P. Reemtsma, Folter, 120f.; ähnlich H. Bielefeldt, Folterverbot, 7f.

Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion

243

geführt werden. Es bleibt nur, auf Folteropfer zu hoffen, die möglichst rasch einzuschüchtern sind oder zumindest eine geringe Schmerzgrenze kennen, damit nicht allzu grobe Methoden angewendet werden müssen. Jeder Vorschlag zu einer ausnahmsweisen Legitimierung wird wohl überhaupt nur solange mit einer emotional getragenen Zustimmung rechnen können, solange sich die eingesetzte Folter im Rahmen des einigermaßen Erträglichen hält. Eine entsprechende Umgrenzung abzustecken dürfte hingegen unmöglich sein, weil hierfür keine bestimmbaren Kriterien zur Verfügung stehen. Zudem bleibt stets die Gefahr, nicht den ›Richtigen‹ erwischt zu haben und einen völlig ›Unschuldigen‹ zu foltern (vgl. dazu bereits oben S. 72ff.).

2.

Diverse Befürwortungen

a)

Würdeverlust?

Als extremste Gegenposition hierzu ließe sich eine Ansicht denken, wonach derjenige, der ein Kind entführt hat, seinen Anspruch auf Anerkennung seiner unantastbaren Würde durch sein eigenes Verhalten bereits selbst verwirkt habe (vgl. zu einem derartigen Begründungsansatz bereits oben S. 103f.). Die Achtung der Würde setze rechtmäßiges / würdevolles Verhalten voraus; wer selbst die Würde anderer derart massiv verletze, könne sich seinerseits nicht auf den staatlichen Schutz vor Folter berufen. In dieser Plattheit wagt freilich kaum jemand, die erklärte Unantastbarkeit der Menschenwürde zu missachten. Immerhin hat sich in diesem Sinne ein Berliner Richter in einem Leserbrief an den ›Tagesspiegel‹ (vom 19. 12. 2004) sprachlich verirrt, als er meinte: ein Entführer und noch dazu Mörder sei » ›ein Unmensch, ein Nichtmensch und damit ein ›Niemand‹. Und ›Niemand‹ darf bekanntlich der Folter unterzogen werden‹ «.113 Aber ebenso wenig wie jemand, der beruflich ›Recht sprechen‹ soll, die Berechtigung dazu verliert, wenn er in seiner Freizeit gelegentlich ›Unsinn redet‹, so wenig wird ein unrecht handelnden Mensch zu einem ›Unmensch‹ ohne Würde. Solch unseriöse Argumentationsversuche sind freilich auch schon im Kontext der Diskussion über den finalen Rettungsschutz am Beginn der 1970er Jahre aufgetaucht. So erschien beispielsweise für Achim von Winterfeld »die Rechtsidee des Personseins dahin bestimmbar, daß der Träger unantastbarer Würde nur ein Individuum sein kann, dessen personale Existenz die Grundwerte staatlicher Ordnung achtet«; daher könne die 113 Zit. nach U. Wesel Die Zeit Nr. 49 v. 1. Dezember 2005, 96; dazu auch C. Adam, Gefahrabwendungsfolter, 121f.

244

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

»Preisgabe der Grundwerte … je nach Schwere des Rechtsbruches, die Unantastbarkeit der Würde abbauen und, in Extremfällen der Todesdrohung oder Lebensvernichtung, den Würdeanspruch zerstören … In einer derartigen Extremlage, in der sich der Rechtsbrecher, in Auflehnung gegen die Grundwerte unsrer Verfassung, anmaßt, über Tod und Leben Unschuldiger zu entscheiden, erlischt der Würdeanspruch«.114

Allerdings will wohl kaum jemand ernsthaft für eine generelle ›Antastbarkeit‹ der Würde würdelos handelnder Menschen plädieren oder ihre Bedeutungslosigkeit für den Rechtsstaat behauptet. Insofern achten beinahe alle tunlichst darauf, – sprichwörtlich formuliert – das ›Kind nicht mit dem Bade‹ auszuschütten. Gleichwohl halten jedoch einige die »Verabsolutierung der Menschenwürde« eines Verbrechers, die von strikten Folter-Gegnern befürwortet werde, für »außerordentlich problematisch«. I.d.S. glaubt etwa der Frankfurter Rechtsanwalt Martin Peltzer, dass zur Rettung eines entführten Kindes »die Menschenwürde im Einzelfall zwangsläufig und unvermeidlich zurückstehen« müsse. Schließlich gehe es »entschieden zu weit, wenn der Rechtsstaat sich um der ›Würde‹ des Verbrechers willen nicht kraftvoll und energisch durchsetzt und dabei eben auch die Würde des Rechtsbrechers nicht missachtet, aber doch relativiert und in der Hierarchie der bedrohten Rechtsgüter einordnet« (ZRP 2013, 24f.).

Im Rahmen dieser ›Relativierung‹ der ›Verbrecherwürde‹ zur Signalisierung der Wahrhaftigkeit des Rechtsstaats bleibt freilich von der Achtung nicht mehr viel übrig. Spuren dieser Argumentation sind auch in anderen Stellungnahmen nachweisbar. In einer vergleichbaren Hinsicht hat etwa Doris Schroeder einen tugend-ethisch begründeten Würdebegriff stark gemacht, wonach gelten könne, »that only the virtuous have dignity, which must be protected«; dies soll dann für den ›Frankfurter Fall‹ ganz ausdrücklich bedeuten: »The kidnapper did not have dignity and therefore the actions of the police were justified«. Diese Rechtfertigung sei jedenfalls in moralischer bzw. tugendethischer Hinsicht anzunehmen, selbst wenn sich die Handlung als »illegal under German law« erweisen lasse (siehe dazu bereits oben S. 78).115 Schroeder beruft sich dabei auf eine eigenwillige Begründung eines tugendethischen Würdebegriffs, den sie im Unterschied zum vormodernen Verständnis einer statusabhängigen Würde einerseits und der vorherrschenden Würdekonzeption i. S. Kants andererseits in Stellung bringen möchte.116

114 A. v.Winterfeld, NJW 1972, 1883; dagegen bereits treffend R. Krüger NJW 1973, 1ff., bes. 2; s.a. J.-M. Zeller, Folter, 293f./300. 115 D. Schroeder, Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics 15 (2006), 188ff. (194/198). 116 D. Schroeder, Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics 15 (2006), 190ff., sowie dies.

Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion

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Zu einem in der Sache vergleichbaren Ergebnis – ohne moralphilosophischen Unterbau – gelangen aber auch einige Strafrechtler. So hat beispielsweise Olaf Miehe in seinem kurzen Beitrag zu dieser Debatte den Bedarf »einer breiteren Diskussion über die Grenzen der Autonomie« angemeldet, die für ihn wohl als Kern des staatlichen Würdeschutzes zu gelten habe. Dabei hat er danach gefragt, ob sich auch noch ein Kidnapper »wirklich auf seine Selbstbestimmung berufen« dürfe, um für sich einen Würdeschutz zu beanspruchen.117 Eine klare Antwort hat er in diesem Text freilich nicht geben wollen. In der Art und Weise einer solchen Fragestellung klingt wohl aber an, dass Miehe selbst für ihre Verneinung plädiert. Durchaus ähnlich hat auch Knut Amelung behauptet: »Auf die Menschenwürde kann sich nicht berufen, wer droht oder dabei ist, in ein notwehrfähiges Gut eines Anderen einzudringen«; daher könne sich der Entführer im ›Frankfurter Fall‹ auch »nicht auf seine Menschenwürde berufen, weil sie nicht das Recht umfasst, den Rechtskreis des Entführten einzuschränken«. Daraus folge dann für Amelung: »Hat jemand aber für einen solchen Angriff auf den Rechtskreis eines anderen nicht den Schutz der Menschenwürde hinter sich, so kann er dieses Recht auch nicht einer Maßnahme entgegen setzen, die als Folter oder deren Androhung anzusehen ist«. Als Rechtsgrund solcher Maßnahmen fungiere das »Notwehrrecht« des entführten Kindes. Dabei sei die eigentliche normative Grundlage dieses (Rechtfertigungs-)Grundes jedoch »nicht § 32 StGB, sondern Art. 1 Abs. 1 S 2 GG«, d. h. der Schutzauftrag des Staates gegenüber der Würde des Opfers (JR 2012, 20/19).118 Auf diese Weise avanciert die Würde des Opfers einer Straftat zum Maßstab der Achtung der Täterwürde. Demnach müsste jedoch im Grunde jeder Rechtsbruch geradewegs zum Verlust des Würdeanspruchs des Rechtsbrechers führen, denn selbstverständlich kann sich niemand auf seine Würde berufen, um Unrecht zu begehen. Die Menschenwürde ist natürlich nicht der Grund für die Möglichkeit, eine unrechte Tat zu begehen; dies hat freilich auch noch niemand ernsthaft in Erwägung gezogen. Eine Begründung, die dies behauptet, ist daher schon im Ansatz verfehlt. Eine derart radikale Begründung des Wegfalls der Würde eines Unrechtstäters wird jedoch regelmäßig nicht derart offen angesprochen und statt dessen meist nur weithin sublimiert vorgetragen. Hierfür bieten sich sogar mehrere Vorgehensweisen an:

Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics 17 (2008), 232 ff/234f.; dies. Cambridge Quarterly of Healthcare Ethics 19 (2010), 119ff. 117 O. Miehe NJW 2003, 1220; zustimmend offenbar C. Fahl JR 2004, 190 Fn. 116. 118 Kritisch zu Amelungs Ansicht: H. Greve ZIS 5/2014, 239 Fn. 28. Allgemein – fernab der Folter-Problematik – leitet auch Jan C. Joerden (in: Menschenwürde (Handbuch), 226/224) das »Notwehrrecht« aus den »Formprinzipien des Menschenwürdeschutzes« ab.

246 b)

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Eine Frage der Schwere

Zunächst kann für die bloße Androhung von Schmerzen zur Rettung eines oder mehrerer Menschenleben die Klassifizierung als Folter abgestritten werden.119 Es ist generell schwierig, exakt zu bestimmen, was genau unter den Folterbegriff subsumiert werden soll (vgl. zum Definitionsproblem bereits oben S. 52ff.).120 Folter im engeren Sinne müsse einen gewissen Schweregrad erreichen, der dann als unerträglich angesehen werden müsste. Erst wenn diese – im wahrsten Sinne des Wortes gemeinte – ›Schmerzgrenze‹ überschritten sei, könne überhaupt von Folter die Rede sein. Allein die Ankündigung einer bevorstehenden Schmerzzufügung sei aber noch lange nicht deren Vollzug und daher auch noch nicht so schlimm. Überhaupt verkenne eine derart allgemeine Berufung auf die Absolutheit des Folterverbots die weitaus flexibleren Anforderungen, die selbst das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren an eine Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 1 I GG gestellt hat. Danach könne »immer nur in Ansehung des konkreten Falles« über eine Verletzung der Menschenwürde entschieden werden; eine solche setze dabei in der Regel »eine willkürliche Mißachtung« voraus, die ein »Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, also in diesem Sinne eine ›verächtliche Behandlung‹ sein« müsse (BVerfGE 30, 1 (25f.). Kritik an dieser Auffassung des Senats wurde bereits in der abweichenden Meinung der Richter Geller, v.Schlabrendorff und Rupp geäußert. Die genannten Richter haben in dieser restriktiven Deutung des Art. 1 I GG durch die Mehrheitsmeinung des Gerichts u. a. eine Gefahr für die Bedeutung der Unveränderbarkeitsklausel gesehen, denn durch die Beschränkung auf pure Willkürmaßnahmen »reduziert man Art. 79 Abs. 3 GG auf ein Verbot der Wiedereinführung z. B. der Folter, des Schandpfahls und der Methoden des Dritten Reichs«. Immerhin scheint es darüber, dass es dazu auf keinen Fall kommen dürfe, im damaligen Senat Einigkeit geherrscht zu haben. Zudem müsse jedoch festgehalten werden, dass der Mensch durch die Staatsgewalt »nicht ›unpersönlich‹, nicht wie ein Gegenstand behandelt werden, auch wenn es nicht aus Mißachtung des Personenwertes, sondern in ›guter Absicht‹ geschieht« (BVerfGE 30, 1 (39f.). Für das Bundesverfassungsgericht sei demnach jedenfalls auch die Zielrichtung des staatlichen Eingriffs beachtlich, die stets als ein bewusstes Zeichen von 119 So etwa W. Steinke Kriminalistik 2004, 325ff. (328). Vgl. zu dieser Argumentation auch die kritischen Bemerkungen von J. Kinzig ZStW 115 (2003), 799ff. m.w.N.; gegen eine Beschränkung des Folterbegriffs auf körperliche Schmerzzufügung explizit z. B. W. Schild, in G. Gehl (Hg.), Folter, 61. 120 Zum allgemeinen Definitionsproblem vgl. schon C.W. Tindale Social Theory and Practice 22 (1996), 351ff. m.w.N.; F.-C. Schroeder, Spinellis-FS, 983ff.

Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion

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Willkür verstanden werden müsse. Aus dieser Sichtweise wird dann teilweise gefolgert, dass z. B. das Drohen, das der Rettung eines Menschenlebens dienen soll, durchaus als erlaubt gelten könne. Damit mag man für Fälle wie dem oben vorgestellten, in denen eine solche Einschüchterung tatsächlich ausgereicht hat, zu einem wünschenswerten Ergebnis kommen, d. h. eine Rechtfertigung der Folterandrohung oder zumindest eine anderweitige Straflosstellung des Drohenden aussprechen; die Problematik als solche ist damit jedoch nicht hinreichend zu lösen. Dieser Begründungsansatz suggeriert darüber hinaus, dass es entgegen der bereits erwähnten Bedenken bzgl. der Unabwägbarkeit – zumindest im Bereich einer präventiv einsetzbaren Folter – doch noch bestimmbare Möglichkeiten geben sollte, gewisse Grenzen des Zulässigen abzustecken.121 In dieser Hinsicht müsse man sich beispielsweise fragen lassen, ob das strikte Festhalten an einem absoluten Folterverbot »ein zureichender Grund dafür ist, ein Opfer sterben zu lassen, obwohl vielleicht ein zwar schmerzhafter, aber nicht mit weiteren körperlichen Folgen verbundener Zugriff auf den Täter zur Verfügung steht«.122 Was mache schon ein wenig Druck auf die Ohrläppchen oder die Überdehnung eines Handgelenkes aus, wenn ein Menschenleben auf dem Spiel stehe. In manchen Stellungnahmen ist im Abwägungsprozess letztlich sogar die Würde ganz weggekürzt worden; als kollidierende Rechtsgüter bleiben dann: »Leben gegen Körperverletzung, das Ergebnis ist eindeutig: Das Leben des Kindes muss überwiegen. Jedes andere Ergebnis der Abwägung ist unerträglich«.123 Mit diesem Argumentationsschritt verlässt man freilich heimlich das Problem der Menschwürdemissachtung und betritt das übliche Abwägungsfeld, auf dem zwei Rechtsgutsverletzungen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden, um dann gegeneinander gehalten und saldiert werden zu können. Das an sich immaterielle Gut der Würde wird auf diese Weise quasi materialisierbar und so sehr leicht in ein gewöhnliches Zweck-Mittel-Schema eingespannt. Dann erscheinen in der Tat ›zwei gequetschte Finger‹ oder das buchstäbliche ›Handumdrehen‹, in dem jemand seine Schandtat gestehen soll, weit weniger beträchtlich als die ins Auge gefassten Schutzgüter – Leben und Gesundheit eines entführten Kindes. Wenn die Würde erst einmal auf diese ›körperliche‹ Ebene hinunter dekliniert wurde und gleichsam in die menschlichen Extremitäten gerutscht ist, wird sie im Vergleich zu sehr vielen rechtlichen ›Werten‹ nur noch den Kürzeren ziehen können. Die Würde ist dann nicht mehr ihrem Wortsinn

121 I.d.S. offenbar C. Fahl JR 2004, bes. 186; E. Hilgendorf JZ 2004, 338; R.D. Herzberg JZ 2005, 321ff., bes. 328. 122 O. Miehe NJW 2003, 1220. 123 W. Burgmer Kriminalistik 2004, 336.

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

nach das ›Unberührbare‹ /›Unantastbare‹ (dazu oben S. 219/242), sondern etwas ganz ›Unscheinbares‹, das vollkommen aus dem Blick geraten kann. Hier zeigt sich ein durchaus bekanntes – historisch wirksames – Begründungsmuster, das zumindest zur Legitimierung bestimmter Formen von Folter Verwendung gefunden hat; darin geht es stets um den Ausweis eines großen Zwecks, dem die Folter dienen soll. In Anbetracht dieser Bestimmung kann die Auswirkung auf das Folteropfer kleingeredet werden. Die Tortur kann bekanntlich viele verschiedene Funktionen haben:124 zum einen erscheint sie in einigen – wohl keineswegs seltenen – Fällen als wahllose Zufügung von Qualen und sonstigen erniedrigenden Behandlungen; dann wird die Folter selbst zum Hauptzweck des Folterns. In diesem Sinne hat beispielweise Richard Rorty in seiner Interpretation von George Orwells berühmten Roman ›1984‹ das Charakteristische der Folter rekonstruiert (Kontingenz, 274ff., bes. 291ff.). In anderen Fällen findet die Tortur als blankes Herrschaftsinstrument ihren Einsatz. Hierin sieht z. B. Alfred Drees sogar den primären Sinn der Folter und behauptet dementsprechend, dass »die bereits aus dem Altertum bekannte Funktion der Folter zur Geständniserpressung« insgesamt nur eine »untergeordnete Rolle« spiele, obwohl sie meist als die typische Form des Foltereinsatzes gilt.125 Abgesehen von diesen Extremen wurde für das Foltern sehr oft ein edler Zweck angeführt, in dessen Namen sie ausgeführt worden ist. Schließlich wurde zu ihrer Begründung schon früh – namentlich etwa von Augustinus – angeführt, sie diene als Instrument der Wahrheitsfindung nicht zuletzt dazu zu verhindern, dass ein Unschuldiger verurteilt werde.126 Meist war es aber nichts geringeres als ›die Wahrheit‹ selbst, um die es bei der Anwendung entsprechender Maßnahmen gehen sollte.127 Im Kontrast zu einem derart hehren Ziel mag so mancher Wert schnell verblassen, auch wenn er sonst sehr hoch geschätzt wird. Der durch die Tortur zugefügte Schmerz ist indes nur der spürbare Teil des ›Unantastbaren‹, das die menschliche Würde eigentlich ausmachen soll; sie ist nämlich weit mehr als ein von einem Peiniger verrichteter Verletzungsakt, der am Körper oder in der Psyche des Gefolterten eintrifft und dort mehr oder weniger deutlich abzulesen ist. Es müssen daher keine anhaltenden körperlichen oder seelischen Folgen gezeitigt werden, damit die Folter als Missachtung der Würde erkennbar wird. Mit ihr steht vielmehr die gesamte Rechtssubjektivität 124 Zu unterschiedlichen Folter-Typen s.a. C.W. Tindale Social Theory and Practice 22 (1996), 350f. 125 A. Drees, in: Vorschrift und Autonomie, 31. 126 A. Augustinus, Vom Gottesstaat, Buch 19/Kap. 6, Bd. 2, 538ff.; siehe dazu P.J.A. Feuerbach, Bibliothek II/1 (1800), Miscellen V., 24ff. 127 Siehe hierzu etwa die pointierten Bemerkungen von R.M. Kiesow Rg 3 (2003), 98ff.; s.a. B. Willliams, Wert der Wahrheit, 56ff.; ders., Wahrheit, 222ff.; B. Zabel, in: Wege zur Menschenwürde, 396ff./404ff.

Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion

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des Betroffenen auf dem Spiel und mit ihr auch die Identität des sie garantierenden Rechtsstaates (vgl. dazu eingehend oben S. 143ff., bes. 160ff.). Es ist nicht die physische oder psychische Einwirkung, die eine Würdeverletzung kennzeichnet, sondern die Aberkennung bzw. rechtliche Missachtung jener Rechtsposition. Die Foltermaßnahme mag daher in manchen Fällen noch so unscheinbar oder harmlos aussehen und zeitlich vorübergehend wirken, in normativer Hinsicht ist sie stets gravierend und nachhaltig. Wer die Folter hingegen nur wegen der körperlichen oder auch seelischen Grausamkeit scheut, die häufig mit ihr verbunden ist, der macht dieses Gefühl der Abscheu insgeheim von der Mitleidbedürftigkeit des Folteropfers abhängig; soweit es um einen Kindesentführer oder einen Terroristen geht, stellt sich der Ekel gegenüber der Folter kaum oder überhaupt nicht mehr ein, dann wähnt man den Staat bzw. seine ausführenden Organe auf der Seite des Guten. Die historisch bewehrte Ablehnung der Folter hat offenbar nur gehalten bzw. hält noch an, solange sie mit dem Martern und Quälen durch einen bösen Staat – einem Terrorregime bzw. einer Tyrannei – assoziiert werden konnte oder kann; dass auch ›gut gemeinte‹ Folter mitunter denselben entwürdigen ›Erfolg‹ erzielen könnte, ist dann aus dieser Sicht nur sehr schwer einzusehen. Speziell eine bloß angedrohte Schmerzzufügung klingt insoweit geradezu als mildes Mittel, das angesichts der geschützten Güter den Wertesaldo insgesamt nur marginal belasten dürfte.

c)

(Verfassungs-)Rechtliche Probleme mit der Würde

Weiterhin wird die bereits (oben S. 204ff.) skizzierte Vagheit des Begriffs der Würde hervorgehoben; sie mag unantastbar sein, ist aber auch kaum greifbar. Jedenfalls scheint die Würde eines Menschen einer exakten Definition nicht zugänglich zu sein. Auch ihr erkenntnistheoretischer Status ist seit jeher strittig.128 Im Gegensatz zu den in Art. 2 GG fixierten Grundrechten ist ein genauer objektivierbarer Gehalt nur sehr schwer positiv fassbar ; dies hat vielfach zu einer sehr misslichen inflationären Berufung auf vermeintliche Würdeverletzungen geführt, die den ernsthaften Anspruch des Art. 1 I bisweilen trivialisiert hat.129 Viel eher als durch eine positive Bestimmung ist die Menschenwürde hingegen negativ anhand ihrer Verletzung erfahrbar, dies aber nicht so sehr auf Grund einer vermeintlichen Evidenz des betroffenen Geltungsbereichs, sondern in Fällen einer als besonders krass empfundenen Missachtung, die sich kaum begrifflich auf einen Punkt bringen lassen. Der Begriff der Menschenwürde 128 Vgl. dazu grundsätzlich – fernab der Folterproblematik – U. Neumann ARSP 84 (1998), 153ff.; s.a. den ideengeschichtlichen Überblick von F.J. Wetz, Würde, 14ff. / 50ff. 129 Siehe dazu H. Dreier, a. a. O. (Fn. 68) Art 1 I Rn. 45ff. m.z.N.

250

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

bedarf daher ohnehin einer Konkretisierung, um ihren Schutzbereich präziser bestimmen zu können. Gerade in den letzten Jahren haben sich viele Verfassungsrechtler und das Bundesverfassungsgericht um die Entwicklung belastbarer Kriterien zur besseren Bestimmung des Umfangs der Menschenwürdegarantie bemüht. So hat beispielsweise Hans-Georg Dederer die verfassungsgerichtlich entwickelten »Wertungskriterien« zur Beurteilung des Würdeanspruchs u. a. auf den ›Frankfurter Fall‹ angewendet. Danach soll neben der Beachtlichkeit und dem »Rang der betroffenen Rechtsgüter« – hier vor allem das Leben als ›Höchstwert‹, dessen Schutz man als »legitimen Zweck« ansehen müsse, auch die »Verantwortlichkeit und Schuld« des Täters eine Rolle spielen. Es dürfe nämlich eine »Verkürzung des Achtungsanspruchs … anzunehmen sein, wenn der Einzelne … in freier Selbstbestimmung, mithin vorwerfbar gehandelt hat und in diesem Sinne ›schuldig‹ geworden ist«. Obwohl es bei Anwendung dieser Auslegungsvorgaben »unausweichlich« erscheine, »dass der Anspruch des Entführers auf Anerkennung seiner Würde aus Art. 1 Abs. 1 GG in diesem Fall nicht so weit reichte, dass dem Staat die Folter bzw. deren Androhung verboten gewesen wäre«, traut Dederer der eigenen Subsumtion selbst nicht recht; jedenfalls »vermag dieses Ergebnis freilich nicht zu befriedigen«, da es »in unüberbrückbarem Gegensatz zur ganz herrschenden Einsicht« stehe, die »die Folter … als gegen die Menschenwürde verstoßend ablehnt«. Um zu einer mehrheitsfähigen Ansicht zu gelangen, müsste daher der »Kreis der Wertungskriterien« erweitert werden. Als Kandidaten hierfür benennt er die historischen Wurzeln des Art. 1 GG, den normativen Überbau des Völkerrechts und der rechtsvergleichende Blick auf andere Rechtskulturen, die zu dem letztlich gewünschten Ergebnis führen könnten.130 Geschichte, völkerrechtliche Regelungen und Rechtsvergleichung sollen richten, was eine grundgesetzliche Deutung, die das schuldhafte Verhalten als würdeverkürzenden Faktor einrechnen möchte, allein nicht hinbekommt. Gleichwohl liegt die Versuchung durchaus nahe, einige Problemfälle dem potentiellen Anwendungsbereich der Menschenwürdegarantie von vornherein vorzuenthalten. In diesem Sinne wird zum Teil versucht, im Wege einer restriktiven Auslegung aus dem weiten Umfang möglicher Würdeverletzungen einen engeren ›Kern‹ herauszuschälen. Mit dieser Differenzierung zwischen »einem gegenständlich fest umschriebenen Begriffskern« und einem erweiterten, ihm zugeordneten »›Begriffshof‹«, in dem dann Platz für »eine Berücksichtigung der Zweck-Mittel-Relation« geschaffen werden kann, hat vor allem Matthias Herdegen in seiner viel beachteten und kritisierten131 Neukommen130 H.-G. Dederer JöR 57 (2009), 118ff., Zitate 120f. 131 Vgl. die Kritik von E.-W. Böckenförde FAZ v. 03. 09. 2003, S. 33/35; ders., Blätter 10/2004,

Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion

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tierung aus dem Jahr 2003 zu Art. 1 GG im ›Maunz/Dürig‹-Grundgesetzkommentar, u. a. das angesprochene Folterproblem zu lösen versucht. Im Kontrast zu dem » ›Würdekern‹ «, der abwägungsfest bleiben soll, »scheint ein peripherer, abwägungsoffener Schutzbereich auf«, in dem dann »auch eine sachgerechte Beurteilung körperlicher und seelischer Eingriffe für präventive Zwecke« möglich sein könnte. Auf diese Weise soll der komplizierte Aufbau einer starren Wertehierarchie umgangen werden; statt im Kollisionsfall eine Entscheidung für das eine und wider das andere Rechtsgut treffen zu müssen, gehe es im Grunde um eine »Konkretisierung des Würdeanspruches«, die » ›normimmanent‹ « vollzogen werden müsse. So könne sich beispielsweise durchaus »im Einzelfall ergeben, daß die Androhung oder Zufügung körperlichen Übels, die sonstige Überwindung willentlicher Steuerung oder die Ausforschung unwillkürlicher Vorgänge wegen der auf Lebensrettung gerichteten Finalität eben nicht den Würdeanspruch verletzen«.

Was von dem Würdeanspruch als schützenswertem ›Kern‹ noch übrig bleiben darf, lässt sich demnach nicht etwa durch eine genaue Analyse dieses zentralen Schutzbereichs festlegen, sondern bestimmt sich zumindest auch durch eine wertende Beurteilung der Zulässigkeit einiger finaler Handlungsweisen. Die positive Bewertung der Zielrichtung eines Eingriffs, vornehmlich also die angestrebte Rettung von Menschenleben, soll mithin über das Bestehen eines berechtigten Anspruchs auf Achtung der Würde entscheiden. Maßgeblich sollen also doch die ›guten Absichten‹ des Folternden sein. Die vermeintliche ›Normimmanenz‹ einer solchen konkretisierenden Interpretation setzt letztlich jedenfalls eine bereits zuvor getroffene Vorentscheidung zu Gunsten anderer Güter voraus. Insofern schöpft diese Deutung letztlich aus einer glaubhaft gemachten ›Transzendenz‹ eines ›Wertehimmels‹, denn »die würdeimmanente Konkretisierung verlangt nach verläßlicher normativer Steuerung durch die grundgesetzliche Wertordnung, die dann doch den Schutz des Lebens (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) als Höchstwert der Verfassung mobilisiert«.132 Inzwischen hat Herdegen die skizzierte Konkretisierung von 2003 nochmals 1216ff.; s.a. H. Dreier, a. a. O. (Fn. 68), Art 1 I Rn. 132f.; T. Wachtendorf, Würde, 149ff.; M. Nettesheim AöR 130 (2005), 71ff.; J. Isensee, AöR 131 (2006), 195/198f.; C. Goos, Innere Freiheit, 41ff./161ff.; J. v.Bernstorff JZ 2013, 905ff.; H.J. Sandkühler, Menschenwürde, 305ff. 132 M/D-Herdegen (42.Lfg. 2003) Art. 1 Abs. 1 Rn. 44/45 – nochmals bekräftigend auch in Rn. 90. Zur systematischen Einordnung der Menschenwürde s.a. ebenda Rn. 21f. Allgemein kritisch gegenüber dieser Einschätzung: F. Wittreck, in: G. Gehl (Hg.), Folter, 46f. m.w.N.; s.a. G. Wagenländer, Rettungsfolter, 138ff., der einerseits die Auffassung von Herdegen kritisiert (141ff.), andererseits jedoch ebenfalls eine Einschränkung des »Achtungsanspruchs der Menschenwürde« befürwortet, wenn zugleich Schutzpflichten gegenüber der Würde eines anderen bestehen (155ff. /199f.).

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konkretisiert. Dabei darf das Problem der Folter wieder aus dem ›Hof‹ in den ›Kern‹ des Würdebegriffs zurückkehren. Für den hier interessierenden Zusammenhang hat er klargestellt, dass in seinen Bemühungen »zwischen Absolutheit und Differenzierungsoffenheit … keineswegs in Frage« gestellt werden soll, »daß sich aus der Würdegarantie Gebote und Verbote ableiten lassen, die unabhängig von jeder situativen Differenzierung gelten« sollen; dazu zählt er nun vor allem auch »das kategorische Verbot der Folter sowohl für repressive wie präventive Zwecke«.133 In einer aktualisierten Fassung seiner Kommentierung zu Art. 1 I GG aus dem Jahr 2009 trifft für Herdegen die Folter nun ausdrücklich jenen » ›Würdekern‹, dessen Verletzung rein gegenständlich-modal durch die Art der Behandlung in Abstraktion von weiteren Umständen begründet ist«. Dieses »Verletzungsurteil gilt kategorisch, d. h. auch dann, wenn die körperliche oder seelische Misshandlung dem Schutz hochwertiger Rechts- und Lebensgüter dient (›Rettungsfolter‹)«. Hier stoße »eine würdeimmanente Abwägung« nämlich an »absolute Grenzen«, denn der »Schutz vor der Zufügung willensbeugenden Leidens gehört zu den wenigen modal definierten Misshandlungen, die nach einem traditionellen Konsens ohne jeden Vorbehalt als Würdeverletzung gedeutet werden« müssten. So erhält das absolute Folterverbot eine »Maßstabsfunktion« und fungiere »als ›Fixpunkt‹ für eine absolute Grenze staatlicher Machtausübung«.134 Nicht selten wird in diesem (Begründungs-)Zusammenhang aber auf die – nicht zuletzt vom Bundesverfassungsgericht – oft zitierte Standardformel aufmerksam gemacht, dass nun einmal »das Leben die vitale Basis der Menschenwürde« sei (BVerfGE 39, 1 (42).135 Noch bevor das Bundesverfassungsgericht diese Formel in dieser ersten ›Abtreibungs‹-Entscheidung vom 25. 02. 1975 erstmals zur Aufwertung des Lebensrechts zu einem »Höchstwert« der grundgesetzlichen Ordnung verwendete, hat zwei Jahre zuvor Helmut Goerlich wohl als erster das »Recht auf Leben … als vitale Basis des obersten Werts, der Menschenwürde, in einem ›als absolut anerkannten Wertesystem‹ oder einer Wertordnung« bezeichnet (Wertordnung, 78).136 Durch die Berufung auf diese Formel ergebe sich eine gewisse zwangsläufige Vorrangstellung des Lebensrechts, ohne das die Würde gar keinen realen Träger hätte. Auch in dieser Variante deutet sich folglich die vorsichtige Suche nach einer möglichen Naturalisierbarkeit der grundgesetzlichen Wertentscheidung an. Dies soll dazu führen, das Verhältnis der Menschenwürde zum Lebensrecht betroffener Dritter in verlässlicher Weise zu justieren. Die Anknüpfung an die 133 134 135 136

M. Herdegen, in: Dogma der Unantastbarkeit, 97f. (s.a. ebenda, S. 106+109). M/D-Herdegen (55.Lfg. 2009) Art. 1 Abs. 1 Rn. 47/95/51. I.d.S. etwa H. Otto JZ 2005, 480; H. Götz NJW 2005, 954. Zur Herkunft und der entsprechenden Verwendung dieser Formel s.a. F. Wittreck a. a. O. (Fn. 132).

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leichter vorstellbare Lebendigkeit des Menschen als natürliche Grundlage aller weiteren Rechtsgüter gegenüber der reinen Idealität der Würde signalisiert ein solches Bestreben. Freilich gilt umgekehrt auch, dass die Würde gerade als normative Basis des menschlichen Lebens angesehen werden kann, durch die nicht etwa allein das Menschsein als solches gekennzeichnet ist, sondern ebenso die Rechtsposition jedes Individuums in Staat und Gesellschaft bestimmt wird. Deshalb kann es nicht nur um die pure Vitalität gehen, die gegen die Würde eines Menschen in Vorrangstellung gebracht wird. Um einen solchen Rückgriff auf eine vermeintliche Höherbewertung des Lebensschutzes gegenüber der Menschenwürde vermeiden zu können, wird z. T. ins Feld geführt, dass hier immerhin auch die Würde der Opfer in Mitleidenschaft gezogen wird, bezogen auf den ›Frankfurter Fall‹ also die Würde des entführten Jungen. Da der Staat dessen Würde ebenfalls zu schützen hat, ist hier demnach eine Kollision von Würde gegen Würde bzw. der staatlichen Pflicht zum Schutz beider Menschen zu sehen. Diesen Konflikt könne der Staat zu Gunsten des Opfers auflösen, schließlich sei das Maß der Beeinträchtigung von dessen Würde in solchen Fällen gravierender, denn ihm droht nicht nur eine vorübergehende Würdeverletzung, sondern zudem auch der Verlust des Lebens.137 Bei der Bemessung der Intensität soll z. B. nach Ansicht von Nils Teifke prinzipiell eine Rolle spielen, dass in den hier besprochenen Fällen »der durch die Folter in seiner Würde betroffene Mensch die Situation selbst verschuldet hat« und deshalb »der in der Folter liegende Eingriff in die Würde des Täters … weniger intensiv ist als der Eingriff durch Folter einer tatunbeteiligten und zweifelsfrei unschuldigen Person«.

Im ›Frankfurter Fall‹ mindere beispielsweise die Schuld des Entführers die Schwere der Würderelevanz der angedrohten Foltermaßnahme, denn: »Je weniger der zu Folternde die Würde seiner Opfer achtet, desto geringer ist die Intensität des Eingriffs durch Folter in seine Würde«. Teifke greift zum Zweck eines solchen Abwiegens der Würderelevanz auf die von seinem Lehrer, Robert Alexy, entwickelte »Gewichtsformel« zurück, durch die »die Struktur der Abwägung in eine mathematische Formel« gefasst werden könne. Danach soll der Würde ein ›Gewicht‹ zugemessen werden, wodurch es möglich werde, das 137 Diese Argumentation vertritt ausführlich F. Wittreck a. a. O., 49ff.; im Ansatz ähnlich u. a. E. Hilgendorf JZ 2004, 337f.; V. Erb Jura 2005, 27f.; H. Götz NJW 2005, 955f.; M. Peltzter ZRP 2013, 24f.; LKH-Kühl § 32 Rn. 17a; wohl auch J. Isensee, AöR 131 (2006), 190f.; U. Murmann, Grundkurs § 25 Rn. 104; differenzerend A. Engländer, Nothilfe, 336ff. Kritisch zu dieser Begründung W. Schild, in: G. Gehl (Hg.), Folter, 71f.; J. Wolter, Küper-FS, 711; J.P. Polzin, »Rettungsfolter«?, 150ff.; C. Horlacher, Auskunftserlangung, 165ff./ 174ff.; T. Gutmann, Struktur und Funktion, 8, der diese »Rede von ›Menschenwürdekollisionen‹ « für »normlogisch falsch und eine irreführende faÅon de parler« hält.

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Quantum ihrer Beeinträchtigung zu errechnen. Abzuwiegen seien einerseits die Würde des Täters, die der Staat zu achten habe, andererseits aber auch die Würde des Entführungsopfers, die gleichfalls unter staatlichem Schutz stehe. Danach sei »bei Kollisionen Würde gegen Würde … zu fragen, ob das konkrete Gewicht der Menschenwürde, in die eingegriffen wird, oder das konkrete Gewicht der Würde, in die nicht eingegriffen wird, überwiegt«. Durch diese Konkretisierung der Gewichtsmessung könne die Abstraktheit der Rede von einem allgemeinen Würdeanspruch aufgehoben werden: »Auf das abstrakte überragend hohe Gewicht der Menschenwürde kommt es hier nicht an, da es auf beiden Seiten in die Waagschale geworfen wird und sich daher nach der Gewichtsformel wegkürzen läßt«.138 Damit tritt wiederum die Kategorie einer vermeintlichen Quantität der Würde bzw. die Messbarkeit ihrer Missachtung auf den Plan, die besonders problematisch bleibt. Die Versuchung ist durchaus groß, im Hinblick auf eine überschaubare und zeitlich begrenzte Schädigung durch eine Foltermaßnahme und die hierdurch erreichbare Rettung bzw. Bewahrung eines anderen würdevollen Menschenlebens, die Würdeverletzung des Täters geringer zu schätzen. Dabei ist das Bild von einem abwiegbaren ›Gewicht‹ der Würde an sich schon nicht glücklich gewählt; es erinnert unfreiwillig ein wenig an die komisch wirkenden und kläglich gescheiterten Versuche, in denen der US-amerikanische Arzt Duncan MacDougall am Anfang des 20. Jahrhunderts sich darum bemühte, die Seele eines Menschen zu wiegen, um sie experimentell nachweisen zu können. MacDougall wollte in seinen skurrilen Experimenten festgestellt haben, dass der menschliche Körper im Zeitpunkt des Todes einen Gewichtsverlust in Höhe von »three-fourths of an ounce« erleide, was durch das Entweichen der Seele erklärt werden könne; danach müsse die Seele umgerechnet knapp 21 Gramm wiegen.139 Wieviel wiegt wohl die Würde? Die Suche nach einem berechenbaren Zählwert verfehlt den philosophischen und juridischen Gehalt der Rede von der Menschenwürde wohl ebenso sehr wie jene Fahndung nach einer messbaren Substanz das Wesen der Vorstellung von einer Menschenseele missverstanden hatte. Obwohl er auf der Abwägungsfähigkeit der Würde besteht, scheut Teifke letztlich doch eine konsequente Flucht ins Formelhafte seiner Gewichtsberechnung durch den Hinweis, dass jedwede Folter »bereits aus normativen Gründen verfassungsrechtlich verboten« ist, denn »das absolute Folterverbot« sei schon »das Ergebnis einer Abwägung …, die der Verfassungsgeber vorge138 N. Teifke, Prinzip Menschenwürde, 135f./125 mit Verweis auf Alexy. Für eine Einbeziehung der »Schuld des Einzelnen« in die Bewertung der Reichweite des Würdeanspruchs auch H.G. Dederer JöR 57 (2009), 120f. – dazu oben S. 250f. 139 D. MacDougall, Journal of the American Society for Psychical Research 1 (1907), 237ff. (239).

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nommen hat«; dessen Entscheidung – und nicht etwa die Bedeutung der Würde als solche – wirft demnach das maßgebende Pfund in die Waagschale. Gleichwohl seien »Fälle denkbar, in denen die Menschenwürde trotz ihres überragenden Gewichts zurücktreten müßte«, dann nämlich, »wenn andernfalls die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung drohen«. Der letzte »Grund« der Gewährung der Menschenwürde liege nämlich darin, »daß nur die Rechtsordnung wirksamen Menschenwürdeschutz bieten kann und mit deren Bestand mithin auch die Menschenwürde auf dem Spiel steht« (Prinzip Menschenwürde, 137/138f.). Daher könnte im Extremfall die Entscheidung für die Absolutheit des Folterverbots gleichsam aus Gründen der Staatsraison doch wieder aus der Waagschale gezogen werden. Demnach müsste also die Würde eines Terroristen u. U. durch Folter angetastet werden, um die Instanz zu schützen, die für ihren Schutz zuständig ist. Nach diesem Verständnis sind die Menschen nicht die eigentlichen Subjekte ihrer Würde, sondern werden letztlich zu Objekten einer Schutzmacht, deren Erhalt in extremen Lagen vorrangig wird. Die Würde eignet sich jedoch gerade nicht dazu, derartige Volumenberechnungen vorzunehmen, nach denen ein ›bisschen‹ Würdeverlust auf der einen Seite durch die Wiedergewinnung einer vollkommenen Würde an einer anderen Stelle ausgeglichen werden könnte. Die Würde eines jeden einzelnen wird wohl gerade deshalb als ›unantastbar‹ erklärt, damit nicht einmal eine partielle Einbuße mit einem insgesamt zu bewahrenden Würdeniveau verrechnet werden kann. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn ein solcher Ausgleich ausgerechnet durch einen aktiven Eingriff in die Würde des einen Menschen zu Gunsten oder zur Rettung der Würde eines anderen oder mehrerer anderer vorgenommen werden soll. Insofern wird die Handlungsqualität der staatlichen Intervention zum ausschlaggebenden Kriterium für die Auflösung der behaupteten Pflichtenkollision. Sollte die Würde eines von einem rechtswidrigen Angriff aktuell oder potentiell betroffenen Opfers tatsächlich nur durch eine würdeverletzende Foltermaßnahme gegen den Täter (oder ›Störer‹) gerettet werden können, dann ist sie von Rechts wegen nicht mehr zu retten. Die Schutzpflicht (gegenüber dem Opfer) kann rechtlich nicht erfüllt werden, wenn dies allein durch die Verletzung des Folterverbots zu erreichen wäre.140 Der würdemissachtende Charakter der Folter markiert hier nun einmal die Grenze des rechtlichen Dürfens; die deskriptiv anmutende Formulierung der ›unantastbaren Würde‹ suggeriert sogar den Grenzbereich eines rechtlichen Könnens, indem Art. 1 I GG unmögliche von möglichen staatlichen Handlungsweisen 140 I.E. ebenso J.O. Merten JR 2003, 407f.; F. Saliger ZStW 116 (2004), 47f. m.w.N.; H. Bielefeldt, Folterverbot, 8 mit Fn. 19; C. Roxin, Eser-FS, 466f.; B. Ladwig, in: E. Hilgendorf (Hg.), Menschenwürde und Demütigung, 151f.

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trennt, d. h. dann aber : der Staat kann nicht zu einem Verhalten verpflichtet sein, das einen Verstoß gegen diesen fundamentalen Verfassungsgrundsatz bedeuten würde; ihm sind insoweit quasi ›die Hände gebunden‹. Als Vergleich für eine solche Selbstbindung des Rechts ist auf Homers Geschichte des Odysseus verwiesen worden, der sich am Mast seines Schiffes festbinden ließ, um den Verlockungen der Sirenen widerstehen zu können.141

3.

Notwehrrecht als Lösung?

Gegen eine solche Vorstellung rechtlicher Bindungen sind – vor allem von Volker Erb – einige Einwendungen vorgebracht worden: in dieser normativen Selbstbindung sei nicht bloß Passivität zu sehen; durch die auch in solchen Fallkonstellationen geltende Strafbewehrung der Folter beeinträchtige der Staat vielmehr aktiv die Menschenwürde des Opfers. Wenn die gesetzlichen Regelungen just dadurch eine Rechtfertigung eines rettenden Eingreifens verhindern, dann komme dies einer Förderung der Unrechtstat gleich. Wenn der Staat »aktiv darauf hin(wirke), daß der Mörder seine Tat ungestört zu Ende führen kann«, dann schlüpfe er »strukturell in die Rolle eines Mordgehilfen«.142 Dieser Einwand bemüht eine gängige Konstruktion der strafrechtsdogmatischen Zurechnungslehre. Danach sei eine Einwirkung auf einen zur Rettung eines bedrohten Rechtsguts bereitwilligen Dritten, die eine Rettung des bedrohten Rechtsguts letztlich vereitelt, als positives Tun zu behandeln. Danach muss diese Verhinderung selbst als Verletzungshandlung bzgl. des bedrohten Rechtsguts bewertet werden.143 Bezogen auf den hier interessierenden Fall handele es sich dementsprechend bei »der im Namen der Würde des Täters geforderten Bestimmung eines Rettungswilligen zum Unterlassen der Rettung des Opfers … um positives Tun«, das zu guter Letzt nicht anders denn »als aktive staatliche Beeinträchtigung der Menschenwürde des rechtswidrig Angegriffenen im Wege einer Vereitelung des Rettungserfolges« in Erscheinung trete. Deshalb dürfe

141 Vgl. dazu M. Ignatieff, Das kleinere Übel, 54f. m.w.N. in Fn. 19 auf S. 241; M.J. Glennon, Wilson Quarterly (Spring 2002), 16f. 142 V. Erb, Stellungnahme (7); ebenso ders., Die Zeit Nr. 51 v. 9. Dez. 2004, S. 15 (dort ohne Hervorhebung); ähnliche Formulierungen benutzt Erb auch in anderen Aufsätzen: NStZ 2005, 594/599; ders., in: »Rettungsfolter«, 159f.; ders., Seebode-FS, 109. Insoweit zustimmend G. Wagenländer, Rettungsfolter, 157f.; R. Merkel, Jakobs-FS, 394; W. Mitsch, RoxinFS II, 641ff. 143 Dazu allgemein K.F. Stoffers JA 1992, 177 ff, bes. 182f.; SK-Rudolphi (33.Liefrg./Sept. 2000) Vor § 13 Rn. 48; C. Roxin, Strafrecht AT II § 31 Rn. 108ff. (114); J. Wessels/W. Beulke /H. Satzger AT Rn. 701f. jeweils m.w.N.

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»der Staat gerade dann, wenn man bei Art. 1 Abs. 1 GG so nachdrücklich auf den Vorrang des Eingriffsverbots vor einer evtl. Handlungspflicht pocht, nicht über den legitimen Verzicht auf eine hoheitliche Anordnung der erforderlichen Rettungsmaßnahmen hinaus durch Strafdrohungen verhindern, dass ein Bürger die Verteidigung von Leben und Würde des Opfers mit den erforderlichen Mitteln … selbst in die Hand nimmt« (V. Erb Jura 2005, 27f.).

Dies soll übrigens nicht allein für die Androhung strafrechtlicher Sanktionen gegenüber rettungswilligen Privatleuten gelten, sondern ausdrücklich auch im Verhältnis zu folterbereiten Polizisten, die schließlich ebenfalls nur entsprechend hilfsbereite Bürger »in Uniform« seien.144 Eine solche Gleichsetzung ist zwar vielfach auf Kritik gestoßen,145 konnte aber durchaus auch einige Anhänger finden. So will Georg Wagenländer in seiner Arbeit ›Zur strafrechtlichen Beurteilung der Rettungsfolter‹ eine angebliche »Verwandlung des Amtsträgers in eine Privatperson« zwar einerseits für »nicht haltbar« ansehen, gleichwohl möchte er andererseits eine ähnliche Differenzierung in ein »Verhältnis Staat – Angreifer (in der Rolle als Störer im polizeirechtlichen Sinn)« und »Amtsträger (in der Rolle als Notwehrtäter) – Angreifer« vornehmen (Rettungsfolter, 126f.). In vergleichbarer Weise hegt auch Jan-Maximilian Zeller in seiner 2014 erschienenen Kölner Dissertation mit dem Titel ›Folter vor dem Forum des Rechts‹ einige Sympathien für diese Ansicht. Er glaubt, dass ein »im Dienst befindlicher Polizist durch Notwehrausübung« zwar »nicht eo ipso zum Privatmann wird«, dennoch sei es »angezeigt, aus einer strafrechtlichen Blickwarte den dahinterstehenden Menschen zu sehen, und ihm grundsätzlich nicht das zu verwehren, was jedem anderen Bürger zusteht«. Zeller lehnt im Ergebnis gleichwohl eine »Gestattung der Nothilferettungsfolter« ab, da dies letztlich darauf hinausliefe, »die feine Abstimmung öffentlich-rechtlicher Ermächtigungsgrundlagen auszuhebeln« und so eine »Gefahr von Dammbrüchen bedingen« würde (Folter, 334f./339). Durch die von Erb vorgeschlagene gedankliche Operation soll gleichsam ein blickdichter Sichtschutz zwischen den Staat und die für ihn agierenden Amtsträger eingezogen werden, der es unmöglich machen soll, dass dieser sein eigenes Handeln als solches noch erkennen kann. Das Verhalten seiner Beamten soll dem Staat in diesem Fall nicht als eigenes Handeln zurechenbar sein; »jedenfalls bei existenzbedrohenden Angriffen« soll sich der Staat nicht mehr auf etwaige »Sonderpflichten eines Amtsträgers« berufen können, die jenes Verhalten eigentlich als Staatshandeln konstituieren (V. Erb NStZ 2005, 602). Der 144 MK1-Erb § 32 Rn. 173ff. (175); in der 2. Auflage seiner Kommentierung im ›Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch‹ hat Erb an der entsprechenden Stelle auf diese Wendung verzichtet. 145 Kritisch hierzu M. Jahn KritV 87 (2004), 26 m. Fn. 6; A. Engländer, Nothilfe, 350 Fn. 200.

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handelnde Beamte soll demnach für einen Moment vergessen dürfen, für wen bzw. als was er handelt, um sich nicht selbst – in Erinnerung seiner Dienstpflicht zur Einhaltung des Folterverbots – von der Notwehrmaßnahme abhalten zu müssen.146 Erst wenn ›der Staat‹ einen einsatzwilligen Bediensteten mit den Mitteln des Strafrechts an einem erforderlichen Einsatz der Folter hindern sollte, würde er nämlich wiederum selbst aktiv ins Geschehen eingreifen und dadurch seinerseits die Würde des Opfers missachten, die er zu schützen habe. Die angedrohte oder zu verhängende strafrechtliche Reaktion (d. h. die Weigerung im konkreten Ausnahmefall eine Rechtfertigung zu gewähren) wird zur eigentlichen Aktion gegen die Würde des Opfers. Ein derartiger ›Eingriff‹ sei jedoch jedem »Rechtsanwender und Gesetzgeber« verboten, wenn es um den »Bereich der Selbstverteidigung, der Nothilfe durch Privatpersonen und die Nothilfe durch Amtsträger« gehe (V. Erb NStZ 2005, 602). Dabei bleibt freilich schon unklar, ob tatsächlich bereits die abstrakt-generelle gesetzliche Strafandrohung (d. h. die einschlägigen Straftatbestände) als eigentliche ›Staatshandlung‹ angesehen werden soll, oder erst die konkret-individuelle justizielle Anwendung der Strafgesetze; das erstgenannte stellt jedoch lediglich ein allgemeines Aktionspotential zur Verfügung, das nur dann eindeutig ausgeräumt werden könnte, wenn eine ausdrückliche – gesetzlich geregelte – Foltererlaubnis ausgesprochen werden sollte (worauf Volker Erb offenbar nicht abzielt). Die fortwährende Unterlassung einer staatlichen Folterordnung wäre dann gleichsam ein möglicher Anknüpfungspunkt für jenen Vorwurf, der Staat greife ›aktiv‹ in das Schutzgut eines angegriffenen Menschen ein. Als weitere Möglichkeit für ein solches Eingreifen erwägt Erb in einem FestschriftBeitrag aus dem Jahr 2008 die Einfügung einer »Ausschlussklausel« in § 32 StGB, die eine »persönliche Rechtfertigung eines Amtsträgers davon unabhängig machen würde, dass sein Verhalten von einer öffentlichrechtlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist« (Seebode-FS, 107 Fn. 37). Damit sollte für Erb klargestellt werden, dass die öffentlich-rechtlichen Folter-Verbote als solche zwar bestehen bleiben, aber keinen Einfluss auf eine strafrechtliche Rechtfertigung eines Amtsträgers haben können, wenn dieser sich zur Rettung eines Entführungsopfers zur Anwendung von Foltermaßnahmen entschließen sollte. Die zuvor genannte zweite Möglichkeit – d. h. die gerichtlich ausgesprochene 146 Die derart vorgeschlagene Differenzierung erinnert – wohl unfreiwillig – ein wenig an die mittelalterliche Begründungsfigur der persona mixta, die zunächst eine Doppelfunktion der Bischöfe als kirchliche und weltliche Herrscher erklären sollte und später zu der juristisch bedeutsamen Unterscheidung der Fürsten als öffentliche und private Personen führte; diese Vorstellung soll einen französischen Bischof zu der Behauptung veranlasst haben, er halte als Bischof ein zölibatäres Leben ein, während er gleichzeitig als Baron verheiratet war : vgl. dazu das berühmte Buch von E.H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, 64ff./106ff.

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bzw. die vollzogene Strafe selbst – käme als möglicherweise ›aktiver‹ Eingriff in die Menschenwürde des (Entführungs-)Opfers allemal zu spät. Als staatliche ›Aktion‹ könnte eine judikative Entscheidung erst in Erscheinung treten, wenn es zu einer tatsächlichen Verurteilung kommt. Außerdem erscheint die Übertragbarkeit der skizzierten Zurechnungsregel auf die hier interessierende Fallgestaltung insgesamt doch recht zweifelhaft, wenn man sich ihre Begründung etwas näher anschaut. Der gewöhnliche Grund für die strafrechtliche Haftung desjenigen, der eine bereits angelaufene Rettungsaktion zum Scheitern bringt, liegt nämlich in dem Umstand, dass der Eingreifende durch die Verhinderungsmaßnahme die für das Rechtsgut bestehende Gefahrenlage nunmehr für sich wirken lässt. Die Unterbrechung eines rettenden Kausalverlaufs wird gerade deshalb als aktives Tun zugerechnet, weil der Gesamtverlauf nunmehr in den Händen dessen liegt, der das von einem anderen in Gang gesetzte Geschehen unterbricht. Dies ist nur dann der Fall, wenn er dadurch gleichsam die Herrschaft über das vorhandene Risiko übernimmt und dieses nunmehr für seine Zwecke einsetzen kann; auf diese Weise wird nämlich tatsächlich jemand zum ›Herrn des Geschehens‹, indem er im Wissen um den Eintritt einer Rechtsgutsverletzung rettende Gegenmaßnamen verhindert. Mit diesem Eingriff wird nämlich ein entscheidendes Wirkungsmoment gesetzt, das dann als aktive Rechtsgutsbeeinträchtigung bewertet werden kann, denn dadurch nimmt der Eingreifende die Dynamik der Gefahrensituation gleichsam selbst in die Hand. Die Beseitigung von Hindernissen lässt den Eintritt des Schadens dann als – aktive – Tat dessen erscheinen, der gleichsam den Weg für diesen Wirkmechanismus freigeräumt hat. Zudem muss unterstellt werden können, dass die Rettungsaktion, die unterbunden wird, ihrerseits faktisch und rechtlich überhaupt möglich erscheint. Eben daran fehlt es jedoch in dem hier interessierenden Fall. Durch das gesetzliche Verbot der Folter, das die ermittelnden Beamten bindet, tritt ›der Staat‹ nicht plötzlich an die Seite eines deliktisch handelnden Täters und wechselt daher nicht in die Rolle eines Akteurs, der sich die Rechtsgefährdung zu eigen macht. Es kommt nicht zur Übernahme oder zumindest zu einer Assistenz des von diesem zu verantwortenden Angriffs auf Leben und Gesundheit des Entführungsopfers. Durch den rechtlich begründeten Verzicht auf eine gewaltsam herbeizuführende Aussage über den Verbleib des Opfers ändert sich nämlich keineswegs die schon bestehende Geschehensherrschaft. Außerdem mag die als ›Rettungsmaßnahme‹ deklarierte Folterung zwar tatsächlich möglich sein; rechtlich ist sie hingegen gerade unmöglich. Im Grunde geht es daher um eine ›Verhinderung einer normativen Unmöglichkeit‹. Daher hapert es an der notwendigen Vergleichbarkeit der angeführten Fallkonstellationen, die eine Grundlage für eine entsprechende Argumentation bilden könnte. Mit diesem Einwand wird übrigens mitnichten behauptet, die »Zurechen-

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barkeit der zwangsläufigen Folgen eines Eingriffs in das Kausalgeschehen hänge von den zugrunde liegenden Motiven ab«, wie Volker Erb vermutet hat (Seebode-FS, 110). Es geht vielmehr um eine objektiv mögliche Zuschreibung der Geschehensherrschaft. Die Frage, welchem Zweck ein Verhalten dient, lässt sich nämlich nicht allein subjektiv bestimmen. Die objektive Teleologie einer Begebenheit darf nämlich nicht mit der subjektiven Zielsetzung oder den Beweggründen des Akteurs verwechselt werden. Die Unterscheidung objektiver und subjektiver Momente eines Tat-Geschehens ist nur der Analytik einer juristischen Prüfung geschuldet und darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich stets um eine Einheit handelt: in Wahrheit hat man es stets mit einer individuellen Aneignung von Objektivität zu tun. Es geht überhaupt nicht um eine subjekthaft-beliebige Motivation der Beteiligten, sondern um die Bestimmung objektiv-finaler Zweckhaftigkeit eines Geschehens. Diese Zwecktätigkeit lässt sich dabei nur nach den anwendbaren Normen bestimmen. Normative Vorgaben wirken als solche nämlich nicht als ein gewöhnlicher Kausalfaktor ; sie sind gerade keine ursächlich wirkenden Handlungen, die in ein Geschehen eingreifen, das sich sonst anders entwickeln würde. Darin liegt gerade der Grund für die fehlende Vergleichbarkeit mit den Fällen eines Abbruchs rettender Kausalverläufe. In den skizzierten Standardkonstellationen geht es um ein aktives, d. h. ursächlich wirkendes Eingreifen in ein bereits in Gang gesetztes Rettungsverhalten eines anderen. Dadurch nimmt der Eingreifende (zunächst noch ganz unabhängig von seinen Motiven) das ›Heft des Handelns‹ in die Hand und bestimmt insofern objektiv das Geschehen (gleichgültig zu welchem subjektiven Zweck). Demgegenüber wirken die Normen, die das Handeln eines Amtsträgers bestimmen sollen, nicht in vergleichbarer Weise ursächlich. Sie lassen dem Handelnden die Entscheidungsmöglichkeit für oder gegen die ›Rettungs-Folter‹; es bleibt sein freies Handeln, das dennoch normativ gebunden ist. Das Unterlassen der Folter ist für ihn eine rechtliche Notwendigkeit. Diese normative Bindung an ein absolutes Folterverbot lässt sich daher nicht als parallele Fallgestaltung begreifen; der Normgeber wird nicht zum (Mit-)Verursacher der Unrechtsfolge, die im ›Frankfurter Fall‹ allein der Kindesentführer zu verantworten hat. Schließlich hat Volker Erb sogar selbst eingeräumt, die von ihm angeführte Begründung müsse wegen der sehr künstlich anmutenden operativen Trennung von öffentlicher Staatstätigkeit und quasi privater Notwehrhandlung »zugegebenermaßen paradox« erscheinen; diese Paradoxie sei aber eben der »notwendige Preis«, damit der Staat daran gehindert werden könne, seinerseits »schwerstes Unrecht aktiv zu unterstützen«. Wenn der Staat mit »seinen rechtlichen Möglichkeiten am Ende« sei, müsse dann eben dem »faktisch noch möglichen Schutz von Leben und Würde eines Verbrechensopfers« irgendwie der Vorzug eingeräumt werden (Erb Jura 2005, 29). Wenn dies nicht wider-

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spruchsfrei möglich sei, dann müsse eben eine solche Paradoxie in Kauf genommen werden. Diese vermeintlich außer-rechtliche Faktizität lässt sich aber nicht so ohne weiteres vor die als an sich verbindlich anerkannte Normativität des rechtlich Möglichen schieben. So bleibt es auch keineswegs allein bei dem hier angezeigten und kritisierten Griff in den Modellbaukasten des juristischen Imputationshandwerks. Die Herleitung dieser Ansicht stützt sich nämlich zusätzlich in ihrer methodischen Vorgehensweise noch auf weitere Argumentationsmuster, um eine individuelle Handlung gegenüber ihrem hoheitlichen Charakter isolieren zu können. Neben die bisher dargelegten – nicht zuletzt auf das System des öffentlichen Rechts fokussierten – Optionen für eine Lockerung des strikten Folterverbots tritt insoweit ein Ansatz, der einen spezifisch strafrechtlichen Begründungsgang einschlagen möchte, um eine Rechtfertigung eines zur Rettung von Menschenleben folternden Amtsträgers zu erreichen. Ausgangspunkt ist freilich nicht der verfassungsrechtliche Grundsatz – Würdeschutz und absolutes Folterverbot –, für dessen ausnahmsweise Lockerung eine Legitimation zu suchen ist. Ins Feld geführt werden soll vielmehr die Dogmatik der Rechtfertigungsgründe. Dadurch wird eine normative Struktur suggeriert, in der sich der Rechtsstaat primär vom Notwehrrecht aus konzipieren ließe. Diese Verteidigungsberechtigung avanciert auf diese Weise insgeheim zum legitimationstheoretischen Dreh- und Angelpunkt aller weiteren rechtlichen Problemlagen des Gemeinwesens. Daher ist die oben (S. 181ff.) bereits dargestellte Diskussion eines rein strafrechtlichen Begründungsansatzes im Folgenden noch einmal aufzugreifen und zu ergänzen. Art. 1 I GG soll in diesem Zusammenhang erst als eventuelle Einschränkung des Notwehr- bzw. Notstandsrechts wieder eingeführt werden. Die Problemstellung lautet insofern: durch Folter sei nur jemand »in seiner Menschenwürde verletzt, wenn sie Unrecht war. War sie … als Notwehr (§ 32 StGB) oder … als Akt des Notstandes (§ 34 StGB) gerechtfertigt«, dann sei sie eben deshalb schon keine Menschenwürdeverletzung.147 In diesem Sinne soll etwa nach Volker Erb ganz generell gelten, dass »eher das Folterverbot seine Grenze im Notwehrrecht finden muss als umgekehrt« (V. Erb, in: Rettungsfolter (Fn. 109), 164). Wenn der Notwehrbefugnis in dieser Weise eine normtheoretische Vorrangstellung eingeräumt werden soll, dann ist der entscheidende Punkt folglich, ob aus dem Folterverbot eine sanktionsfolgenrelevante Schranke für die Rechtfertigung des Handelns erwächst. Zur normativen Stütze eines prinzipiell uneingeschränkten Notwehrrechts brauche insofern nur noch der »naturrechtliche Kern des Notwehrrechts« aus der üblichen Schale des positiven Rechts herausgedrückt zu 147 R.D. Herzberg JZ 2005, 323, der zur Begründung lapidar anführt, dass »es anders nicht geht«.

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Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

werden;148 das Recht auf Notwehr bzw. zur Nothilfe sei nämlich insgeheim »das ›heiligste Recht‹ des Menschen«. So sieht es beispielsweise Christian Fahl (JR 2004, 191) in einer von ihm nicht näher nachgewiesenen Anlehnung an ein aus dem Nachlass Kants herausgegebenes Reflexions-Fragment aus der Zeit zwischen 1776–1778 (Phase ypsilon-phi, Nr. 7195), in dem es heißt: »Obrigkeiten, welche die selbstvertheidigung mit großer Beschädigung des anderen verbieten, müssen wissen, daß sie dem Menschen sein heiligstes Recht nehmen, um dasselbe zu verwalten« (A-A XIX, 269).149 Gegen diese normative Aufrüstung der Notwehrbefugnis durch ein vermeintliches Naturrecht sollen verfassungsrechtliche bzw. polizeirechtliche Bedenken wenig ausrichten können. Zwar wird von Vertretern dieser Ansicht durchaus zugegeben, dass es sich bei dem Einsatz der Folter um den »eigenmächtigen Beistand jenseits des polizeirechtlich Erlaubten« handele (V. Erb NStZ 2005, 602), bei dem man sogar »von staatlichem Unrecht sprechen« mag (V. Erb, in: Rettungsfolter, 162). Dennoch sei dieser Bruch des Polizeirechts als Nothilfemaßnahme zwingend hinzunehmen. Mit der ›Einheit der Rechtsordnung‹ ist es insofern vorbei. Hieraus resultiere vielmehr eine »strikte Trennung zwischen der strafrechtlichen und der öffentlichrechtlichen Bewertung« der fraglichen Fallkonstellationen. Was sich für das Öffentliche Recht als Hoheitsakt darstellen mag, reduziert sich für das Strafrecht zu einem insoweit indifferenten Privathandeln eines ›Uniform tragenden Bürgers‹, da »das Strafrecht nicht die Rolle des Amtsträgers, sondern den dahinterstehenden Menschen trifft, den man als solchen gegenüber anderen Bürgern nicht benachteiligen darf« (V. Erb Jura 2005, 29). So gesehen kann es freilich überhaupt keine Staatsaktivitäten geben (und damit freilich erst recht keine »aktive staatliche Beeinträchtigung der Menschenwürde des rechtswidrig Angegriffenen im Wege einer Vereitelung des Rettungserfolges« durch eine abstrakt-generelle Strafdrohung – s. o. Text zu Fn. 142 f.), denn es sind immer nur dahinterstehende Menschen, die etwas ›für den Staat‹ tun oder unterlassen; sie können dabei rechtmäßig oder rechtswidrig agieren. Ob dieses Verhalten im Einzelfall als Recht oder Unrecht zu bewerten ist, muss jedoch gerade unter Einbeziehung der gesamten Normen, die als einschlägig zur Verfügung stehen, ermittelt werden. Insofern gilt: ›der Staat‹ handelt nicht (so wenig wie jede andere ›juristische Person‹), ihm werden aber bestimmte Handlungen natürlicher Personen zugeschrieben. Das menschliche Verhalten als solches kann in einer normfreien Betrachtung nicht mehr als das bio-physische Substrat sein, das diesem Zuschreibungsakt zu Grunde liegt. 148 V. Erb Jura 2005, 27; ähnlich ders. NStZ 2005, 594f. m.w.N. 149 Siehe zu dieser Stelle auch J. Hruschka ZStW 115 (2003), 221 (dazu schon oben S. 127ff. m.w.N.). Gegen eine entsprechende Beschlagnahme Kants: S. Braum KritV 88 (2005), 290f.

Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion

263

Dabei sind es in jedem Fall die rechtlichen Regelungen, die eine juridische Zurechnung erst begründen. Insbesondere muss jenes normative Gerüst Beachtung finden, das das konkrete Rechtsverhältnis zum Ausdruck bringt, von dem die Situation jeweils getragen wird. Erst eine umfassende Bestimmung der rechtlichen Relationen macht eine Begründung von Handlung- oder Unterlassungspflichten möglich. Eine bewusste Ausblendung eines ganzen Bereichs zurechnungsrelevanter Normen (hier : des Öffentlichen Rechts) spaltet deshalb die viel beschworene Einheit der Rechtsordnung. Die eingeforderte ›strikte Trennung‹ verschiedener Rechtssphären stellt sich dann nicht als notwendige Voraussetzung für eine angemessene juristische Beurteilung dar, sondern als Folge einer Bewertung, die zuvor bereits festzustehen scheint und dabei – statt einer rechtlichen Herleitung – wohl eher einer Intuition folgt: davon nämlich, was »das in concreto evident Richtige und Notwendige« sei bzw. was »Moral und Menschlichkeit« oder ›Gerechtigkeit‹ eigentlich sein sollte. Solche Evidenzanmutungen bilden – neben dem besagten Natur-Notwehr-Recht – die eigentlichen normativen Ressourcen, aus denen Volker Erb seinen Lösungsvorschlag beziehen möchte (vgl. dens. NStZ 2005, 601 Fn. 74; Stellungnahme (13); Die Zeit a. a. O. (Fn. 142), 15).150 I.d.S. wendet sich selbst Rolf Dietrich Herzberg gegen die Argumentation von Volker Erb, obwohl er für den ›Frankfurter Fall‹ im Ergebnis ebenfalls zu einer Rechtfertigung der Folterandrohung kommt. Denn im Ansatz von Erb seien die »Begründungen … deutlich geprägt von dem Wunsch und Willen, eine attraktive Lösungshypothese um jeden Preis zu verifizieren, d. h. der Notwehrberechtigung unbedingt den Vorzug zu geben, und sich auch von deutlich widerstreitenden Rechtsaussagen das Konzept nicht verderben zu lassen« (JZ 2005, 325 Fn. 13).

Die auf die in Rede stehende Fallkonstellation zu applizierende Unterscheidung Recht / Unrecht bleibt insoweit unterbestimmt, sofern ihr der öffentlich-rechtliche Bezug abhanden kommt. Die juristische Urteilskraft darf den Inhalt ihrer Bewertungsnormen jedoch nicht mit Hilfe von vermeintlich vor-rechtlichen Kriterien künstlich kupieren; andernfalls erscheint die Zuteilung der Rechtswerte letztlich willkürlich. Daran vermag selbst die angebliche naturrechtliche Vorrangstellung oder gar eine vermeintliche ›Heiligkeit‹ des Notwehrrechts nichts zu ändern. Ein Amtsträger handelt nicht plötzlich in einen vom öffentlichen Recht befreiten Raum hinein, wenn eine Notwehrlage eintritt. Durch die rechtlich sanktionierte Befugnis, sich oder andere in Angriffssituationen zu verteidigen, wird kein rechtsfreier Raum eingerichtet, um den herum das gesamte übrige Gebäude des Rechtsstaates gezimmert wäre. Selbst angesichts eines massiven Unrechts darf daher die Konkretisierung der bestehenden rechtlichen 150 Ähnliche Kritik außert auch S. Braum KritV 88 (2005), 290.

264

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Beziehung zwischen den Beteiligten nicht vernachlässigt werden; d. h. der obrigkeitliche Charakter einer Handlung fällt in einer strafrechtlichen Bewertung nicht einfach weg.

V.

Würde und Folterverbot

Jeder Versuch, die komplexe Struktur rechtlicher Handlungs- und Zurechnungszusammenhänge durch mutmaßlich einfachere Beurteilungsschemata zu ersetzen, muss sich damit als Unterschreitung der Komplexität des in einem Rechtsstaat erforderlichen Begründungsniveaus erweisen; denn dadurch werden die gerade durch das Recht vermittelten Interaktionsverhältnisse in ein nur scheinbar unmittelbares Beziehungsgeflecht übersetzt. Eine derart intendierte Substitution eines Rechtsverhältnisses zwischen Bürger und Staat (vertreten durch seine Beamten, die natürlich immer Menschen sind) durch die Unmittelbarkeit einer vermeintlich privaten Beziehung zwischen Bürgern lässt sich jedenfalls nicht durch einen Verweis auf einen insgesamt bestehenden UnrechtsNatur-Zustand legitimieren, in dem dann eine unbeschränkbare Notwehrbefugnis höhere Geltung beanspruchen könnte. Die Verbindung eines Kindesentführers zu den ermittelnden Polizisten bleibt durchgehend geprägt von der Gesamtheit jener Normen, die diese Beziehung als ein Rechtsverhältnis konstituieren. Die relevanten Rechtsregeln strukturieren dabei vor allem die legalen Verhaltensmöglichkeiten der Beteiligten und klären insbesondere die Zuschreibung polizeilichen Tuns und Unterlassens als Staatstätigkeit. Ein Amtsträger fällt daher auch in einer solch schwierigen Problemkonstellation nicht aus seiner ›Rolle‹, um gleichsam auf dem (insoweit rechts-freien) Boden der Tatsachen zu landen, auf dem er sich seiner besonderen Pflichten nicht mehr bewusst sein müsste. Vielmehr ist die normative Struktur des Rechtsverhältnisses zwischen Staat und Bürger immer schon in jene Faktizität eingeflossen, insoweit sie als institutionalisierte Rechtsordnung das Rückgrat hoheitlichen Handelns bildet. Bei der Begründung staatlicher Verhaltensnormen nimmt Art. 1 I GG eine prominente Stellung ein. Die Menschenwürdegarantie und das daraus abgeleitete Folterverbot ziehen gleichsam einen Filter ein, der rechtlich zulässige von unzulässigen Handlungsoptionen separieren soll. Die Unantastbarkeit der Würde signalisiert sogar, dass bestimmte Verhaltensweisen unter allen Umständen zu unterlassen sind. Der Staat monopolisiert dadurch nicht nur die Gewalt auf seiner Seite, sondern kanalisiert sie auch innerhalb der eigenen Aktionsfelder. Der unbedingte Verzicht auf würdemissachtende Aktivitäten wird dabei zu einer Art Eingangsversprechen des Rechtsstaats. In diesem Sinne spricht auch Jan C. Joerden ganz allgemein – fernab der hiesigen Problematik – von »Art. 1 GG als ein Versprechen

Würde und Folterverbot

265

des Staates an seine Bürger«, das die eigentliche »juridische Verbindlichkeit« der Menschenwürdegarantie artikuliere.151 Art. 1 I GG hat damit nicht nur die Funktion, ein subjektives Recht des Einzelnen gegenüber dem Staat zu statuieren, sondern wird gleichsam zum Gründungseid der objektiven Rechtsordnung. I.d.S. betont auch Heiner Bielefeldt: »Die Menschenwürde aber ist die Grundlage schlechthin aller moralischen und rechtlichen Verbindlichkeiten … Die Achtung der Menschenwürde ist deshalb nicht nur eine Norm neben anderen Normen; vielmehr bildet sie die Grundlage moralischer und rechtlicher Normen überhaupt und damit zugleich die Basis des Rechtsstaats« (Folterverbot, S. 6).152

In seinem grundlegenden Aufsatz – ›Der Grundsatz von der Menschenwürde‹ – hat schon Günter Dürig in dieser Hinsicht betont: »Art 1 I begründet im zeitlosen Spannungsverhältnis Individuum-Staat eine Ausgangsvermutung zu Gunsten des Menschen … Er entwirft die Grundvorstellung von diesem Menschen, um –dessen willen der Staat da ist« (AöR 81 (1956), 123). Wer daher unbedingt auf die Achtung der Würde eines Einzelnen (auch wenn es sich dabei um einen Verbrecher handeln mag) achtet, der verteidigt zugleich die ureigenen Interessen des Rechtsstaates. Erst diese Verbindung, durch die ein als persönlicher Anspruch auf Achtung zugleich als Grundstein für den Aufbau der gesamten Normenhierarchie gelegt wird, begründet die exponierte Stellung der Menschenwürde im System des positiven Rechts. Wenn unter diese Selbstbindung im Grundsatz auch die Absage an jegliche Foltermaßnahmen zu subsumieren ist, selbst in dem Fall, dass sie als taugliches Instrument zur Rettung anderer Rechtsgüter in Aussicht gestellt werden könnten, dann gilt nicht nur als historischer Befund: »Das Verbot der Folter markiert den Beginn des modernen Rechtsstaates«.153 Die Konnotation von Würdegarantie und Folterverbot lässt die entsprechend formulierte gesetzliche Normierung zur konstitutiven Regel für den Rechtsstaat aufsteigen. Die Folter verschwindet aus dem Horizont der möglichen Handlungsweisen eines Staates, weil sie dessen normativ konstruierte ›Seinsweise‹ überschreiten würde (vgl. zu diesem Begründungsverhältnis bereits ausführlich die obige rechtsphilosophische und geistesgeschichtliche Rekonstruktion – Kap. A.V., S. 143ff.). Dies macht die Frage einer möglicherweise in Ausnahmefällen denkbare Zulassung einer Rettungsfolter übrigens zu einem genuinen Rechtsproblem, das sich nicht an eine wie auch immer begründete sittliche, naturrechtliche o. ä. Verhältnisbestimmung delegieren lässt. Die staatliche Menschenwürdegarantie gestattet keine normative Überbietung und lässt keine entsprechend codierte 151 J.C. Joerden, in: Menschenwürde (Handbuch), 222ff. (223). 152 Vgl. auch P. Tiedemann Rechtstheorie 36 (2005), 117 m.w.N. 153 J.P. Reemtsma, Folter, 88; ähnlich auch M. Ignatieff, Das kleinere Übel, 188f.

266

Zur Diskussion um die Folter in Deutschland

Zweitbesetzung zu, die z. B. den Achtungsanspruch des Einzelnen durch die Differenz von Gut und Böse relativieren dürfte. Selbst eine im Namen einer vermeintlich überlegenen ›Moral‹ oder der ›Menschlichkeit‹ vorgetragene Kritik am geltenden Recht, kann die Besonderheit, die sich aus dem speziellen Rechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger ergibt, nicht beiseite schieben. Wird die Würde allein auf die Verwirklichungsbedingungen der individuellen Selbstdarstellung innerhalb einer sozialen Gemeinschaft reduziert, kann in der Tat nicht hinreichend deutlich gemacht werden, weshalb nicht eine partielle Einbuße hinzunehmen ist, um beispielsweise ein Menschenleben zu retten. Erst wenn die Achtung der Menschenwürde als normative Basis verstanden wird, von der ein Rechtsstaat seine Legitimität bezieht, wird klar, dass eine derart grundlegende selbstauferlegte Handlungsbeschränkung einzuhalten ist. Durch Folter wird nämlich nicht allein die Physis oder Psyche eines Betroffenen tangiert, sondern dessen Stellung als Rechtssubjekt innerhalb des Rechtsstaates – wenn auch nur zeitweise – als solche negiert. Prämisse für die Rechtssubjektivität, die zugleich als Bestandteil für die gesamte normative Struktur einer rechtsstaatlichen Verfassungsordnung zur Verfügung steht, ist jedoch die unbeschadete Fähigkeit, die eigene Autonomie gegenüber den Interessen des Staates oder anderer Individuen geltend zu machen. Dies beinhaltet den Ausschluss von Maßnahmen, durch die jemand gleichsam gegen sich selbst gewendet wird und zur kooperativen Aussage gegen sich gezwungen werden soll. Die Legitimität staatlichen Handelns hat insofern die unbeugsame und ungezwungene Willensbildung der Bürger zur Bedingung. Durch Folter wird daher – beispielhaft – nicht allein ein Finger gequetscht oder ein Handgelenk überdehnt (oder zumindest damit gedroht), sondern das Rechtsverhältnis selbst, das zwischen einem Bürger und dem Staat besteht, wird lädiert. Die staatliche Zusicherung, auf das Instrument der Folter gleich welcher Art ein für alle Mal verzichten zu wollen, genießt deshalb nicht nur einfach einen »abstrakten Stellenwert«, der gegenüber dem »Lebensrecht konkreter Menschen« partout durchgehalten werden soll. Das besagte Eingangsversprechen des Rechtsstaats bezeichnet vielmehr gerade jenes Rechtsverhältnis, das die normative Wirklichkeit eines Rechtsstaates in concreto bestimmt (dazu eingehend oben S. 160ff.). Die zitierte Unterscheidung zwischen einem bloß Abstrakten eines unbegreiflichen Würdeanspruchs und dem vermeintlich Konkreten des greifbaren Lebensschutzes macht demgegenüber Volker Erb geltend, der im Festhalten an einem unbedingten Folterverbot letztlich sogar »das unverkennbare Gesicht des Totalitarismus« erkennen möchte,154 was offenbar nur mit einer eher privatsprachlichen Verwendung des Begriffs des Totalitären er154 V. Erb Jura 2005, 30; ähnlich ders. NStZ 2005, 600f. m.Fn. 70; ders., in: Rettungsfolter, 164ff.; ders., Seebode-FS, 115.

Würde und Folterverbot

267

klärt werden kann. Mit der politikwissenschaftlich bestimmten Terminologie kann diese Bezeichnung sichtlich nichts zu tun haben. Das vermeintliche Abstraktum der unantastbaren Würde lässt sich nicht so einfach durch das angeblich Konkrete der leichter greifbaren vitalen Interessen ausspielen. Gerade umgekehrt stellt sich in diesem Fall sogar die Berufung auf außer-rechtliche Grundsätze, die am positiven Recht vorbei die Unmittelbarkeit einer quasi naturzuständlichen zwischenmenschlichen Beziehung sehen wollen, als bloß ›abstraktes Denken‹ dar. Abstrahiert wird nämlich von der rechtlichen Konkretisierung jener Bindungen, die die Interaktionen zwischen den beteiligten Rechtspersonen in eine Relation zum Staat vermitteln. Dieses Konkrete kann oder will der hier kritisierte Ansatz nicht bedenken. Als Ersatz für jenes vom Recht konkretisierte Rechtsverhältnis tritt dann insoweit der Appell an einen als allgemein unterstellten ›Menschenverstand‹, der solcher normativer Konkretisierungen nicht bedürfe, weil er angeblich immer auch so schon über eine unmittelbare Einsicht in die Richtigkeit des zwischenmenschlichen Handelns verfüge. Diese vermeintliche Un-mittelbarkeit ist jedoch im Rechtsstaat notwendig durchbrochen; ein direkter Durchgriff auf eine außer-rechtliche Norminstanz bzw. eine natur-zuständliche Rechtfertigungsmöglichkeit ist zumindest insoweit verhindert als es um die grundlegende Strukturierung der Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Bürger geht. Die grundsätzliche Entscheidung, aus Gründen einer unbedingten Achtung der Menschenwürde die Folter aus dem Aktionsrepertoire der aktuellen Staatspraxis zu streichen, stellt aber gerade nicht nur einen Garantieschein für die einzelnen Bürger aus, sondern garantiert zugleich die verhaltensrelevante Identität des Rechtsstaates; denn ein Staat ist insoweit nichts als die Gesamtheit der normengeleiteten Handlungen (Tun und Unterlassen), die in seinem Namen verwirklicht werden. Daher gilt, was Jan Philipp Reemtsma in seiner Abhandlung zur Frage nach der ›Folter im Rechtsstaat?‹ (Folter, 129) als eine Art Fazit in Bezug auf das Selbstverständnis eines Rechtsstaats treffend formuliert hat: »Wir sind, was wir tun. Und wir sind, was wir versprechen, niemals zu tun«.

Teil 2: »Notstands«-Tötung?

A.

Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik – am Beispiel der Diskussion über den Abschuss einer sog. ›Terrormaschine‹

I.

Der Notstand im Verbrechensaufbau

1.

Die allgemeinen Verbrechensmerkmale

Mit Hilfe des Strafrechts soll die Frage beantwortet werden, ob und wann ein bestimmtes Verhalten strafbar ist, d. h. als eine Straftat bzw. als Verbrechen bezeichnet werden kann. Um diesen Begriff des Verbrechens näher bestimmen zu können, werden zumindest nach der hierzulande vorherrschenden Dogmatik im Wesentlichen drei Momente unterschieden, die ihn genauer kennzeichnen sollen. Dies sind die sog. allgemeinen Verbrechensmerkmale: Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld. Als (strafbare) Handlung bleibt ein Verbrechen – im weitesten Sinne verstanden – zwar nur als Einheit denkbar ; dies schließt die genannte Differenzierung nicht aus. Die genannte Unterscheidung erfolgt primär aus systematischen Gründen. Die zunächst einfache Unterscheidung zwischen strafbaren und straflosen Verhaltensweisen wird in dieser Weise durch (mindestens) drei nacheinander zu treffende Differenzierungen weiter entfaltet: Ein Verhalten kann danach tatbestandsmäßig oder tatbestandslos, rechtswidrig oder rechtmäßig, schuldhaft oder schuldlos sein. Teilweise wird vorgeschlagen, noch weitere Ebenen einzuziehen, so dass vor der Tatbestandsmäßigkeit gegebenenfalls noch nach dem allgemeinen Handlungscharakter eines Geschehens gefragt werden soll oder zwischen Unrecht und Schuld noch ein spezifisches Strafunrecht auftaucht oder nach der Schuld weitere Gründe zu prüfen sind, die zum Ausschluss bzw. zur Aufhebung der Strafbarkeit führen mögen. Von diesen zusätzlichen Unterscheidungsvorschlägen soll hier abgesehen werden, so dass es bei den drei genannten Unterscheidungen bleiben kann. Nach dem eben angedeuteten dreigliedrigen Aufbau des Verbrechensbegriffs muss jedenfalls in einem ersten Schritt geklärt werden, ob eine Tat überhaupt einen gesetzlich bestimmten Straftatbestand erfüllt, aus dem sich die grundsätzliche Strafbarkeit einer Handlungsweise ergibt. Strafgesetze legen fest,

272

Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

welche zunächst noch ganz abstrakt zu bestimmende Verhaltensweise generell als strafbare Handlung anzusehen ist. Nicht jede i.d.S. tatbestandsmäßige Handlung zieht jedoch auch eine strafende Reaktion nach sich. Es sind vielmehr verschiedene Gründe denkbar, die eine Bestrafung des Handelnden trotz einer feststellbaren Verwirklichung eines Strafgesetzes bzw. eines Verstoßes gegen eine strafbewehrte Norm letztlich ausschließen. Dabei ist im deutschen Recht eine Fülle solcher Ausschlussgründe anerkannt. Die meisten sind auch gesetzlich geregelt. Die bekannteste Ausnahme ist die Einwilligung, die nicht normiert ist. Ihr strafausschließender Charakter ist zwar grundsätzlich anerkannt, der systematische Status einer Einwilligung bleibt gleichwohl umstritten. Obwohl die Konsequenz regelmäßig dieselbe ist, nämlich die Straflosigkeit des Täters, wird zwischen den Ebenen unterschieden, auf denen das Problem der Straflosstellung jeweils auftreten kann; schließlich werden verschiedene Konsequenzen z. B. im Bereich der Irrtums- und Teilnahmelehre gezogen, je nach dem auf welcher systematischen Stufe eine Straffreistellung erfolgt. Die Verletzung einer strafrechtlich geschützten Rechtsposition kann gerechtfertigt sein, soweit die Normordnung selbst einen Rechtsgrund für diese an sich strafbewehrte Verhaltensweise vorsieht. Es mag zwar ein Verhalten ausgeführt worden sein, das die gesetzlich normierten Voraussetzungen eines Straftatbestandes erfüllt hat; dies kann aber gleichsam mit Recht geschehen sein. Eine solche Rechtfertigung führt dazu, dass die tatbestandsmäßige Handlung nicht als Unrecht bezeichnet werden kann; sie ist vielmehr trotz ihrer Tatbestandsmäßigkeit rechtmäßig, da dem Täter ein Recht zur Ausübung dieser Handlung zugestanden wird, obwohl das Verhalten als solches ein anderes Recht, das als Gegenstand des betreffenden Strafgesetzes geschützt werden soll, verletzt haben mag. Hier ist es das Recht selbst, das eine Verletzung von Rechtspositionen eines anderen in bestimmten Fällen gestattet. Dabei schließt die Rechtmäßigkeit des entsprechenden Verhaltens die Rechtswidrigkeit der Tat aus und hebt das Handlungsunrecht auf. Deshalb wäre es verfehlt zu sagen, es gebe ein Recht Unrecht zu tun, denn gerechtfertigtes Handeln ist gerade kein Unrecht. Eben diese Formulierung hatte jedoch noch im 19. Jahrhundert eine Weile die Anerkennung von Rechtfertigungsgründen erschwert.1 So hat sich beispielsweise August Geyer in seinem zunächst im Jahr 1863 verfassten Aufsatz ›Zur Lehre vom Nothstand‹ ausführlich an dem Satz »Es gibt kein Recht Unrecht zu thun« abgearbeitet (in: Kleinere Schriften, 297ff. – Zitat S. 298). Noch heute wird dies als ein paradox anmutendes Problem der Verhältnisbestimmung zwischen Recht und Unrecht sowohl in der Rechtsphilosophie2 als auch innerhalb der Ethik3 1 Vgl. etwa A. Bauer, Lehrbuch des Strafrechts, 82; ders., Lehrbuch des Naturrechts, 54; dazu auch J. Abegg, Untersuchungen, 108f.; K.H. von Gros, Lehrbuch, 12. 2 Siehe etwa O.J. Herstein, Oxford Journal of Legal Studies, 34 (2014), 21ff. m.w.N.

Der Notstand im Verbrechensaufbau

273

diskutiert. Ein Normverstoß kann jedoch ausnahmsweise als erlaubt gelten, wenn dadurch etwa eine Gefahr für andere Rechtsgüter abgewendet werden soll, deren Verletzung nicht geduldet werden muss. Während ein Urteil über die Rechtswidrigkeit primär mit der rechtlichen Würdigung der Tat zu tun hat und dabei der Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht untersteht, wird schließlich auf der Schuldebene noch auf die Umstände geblickt, in denen die konkrete Handlung vollzogen worden ist, und auf eventuelle Besonderheiten des Handelnden, auf die bei der Sanktionierung Rücksicht genommen werden soll. Das Verhalten mag zwar als ein Unrecht zu beurteilen sein, da ein Straftatbestand verwirklicht worden ist, ohne dass hierfür ein Rechtfertigungsgrund greift; es soll dem Täter aber nicht als dessen Schuld angerechnet werden, da ihn z. B. konstitutionelle Mängel in seiner Person oder ein innerer bzw. äußerer Handlungsdruck entlasten können. In solchen Fällen liegen Erklärungen der Gesamtsituation vor, die das Unrecht auf andere Weise denn als schuldhaftes Verhalten verständlich machen können. Die rechtswidrige Tat führt folglich nicht zur Bestrafung des Täters, da das Unrecht auf Grund von personen- oder situationsbezogenen Entlastungen nicht als Schuld zugerechnet wird. Schuldhaft ist eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tat nur dann, wenn sich der Handelnde frei von innerem und äußerem Druck für die Verwirklichung von Unrecht entscheiden konnte, d. h. wenn sowohl die individuellen Fähigkeiten des Täters als auch die Umstände, in denen die Tat vollzogen wird, eine freie Entscheidung zulassen. Wird dieses Können z. B. wegen fehlender Möglichkeiten oder vorliegender Unzumutbarkeiten nicht unterstellt, dann gilt das unrechtmäßige Verhalten als entschuldigt.

2.

Differenz zwischen Unrecht und Schuld

Die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld ist hinreichend und lange bekannt, wobei das Unrecht die Voraussetzung für eine Schuldzurechnung darstellt. Schon Kant hat in seinen Vorlesungen zur Moralphilosophie beiläufig erwähnt »eine Schuld setzt immer ein Unrecht zum voraus«. Auf Grund dieses notwendigen (Un-)Rechtsbezugs gehöre der Begriff der »Schuld … nur bloß zu dem iure« und könne im eigentlichen Sinne »ethisch nicht stattfinden«.4 Aus dem Unterschied zwischen Unrecht und Schuld folgt die Unterscheidung der Gründe, die sie ausschließen können. Dementsprechend wird auch die Diffe3 Vgl. dazu J. Waldron Ethics 92 (1981), 21ff.; D. Enoch, Law and Philosophy 21 (2002), 355ff.; G. Øverland, Law and Philosophy 26 (2007), 377ff.; O.J. Herstein, Law and Philosophy 31 (2012), 343 m.w.N. 4 I Kant, Praktische Philosophie Powalski, A-A XXVII/1, 155; dazu C. Blöser, Zurechnung, 30.

274

Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

renzierung zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung im deutschen Recht im Grundsatz weitgehend akzeptiert, obgleich sie keineswegs unumstritten geblieben ist. Immer mal wieder wird eine »kategoriale Abschichtung zwischen ›Rechtfertigungen‹ und ›Entschuldigungen‹ im Strafrecht« für »inpraktikabel« und »entbehrlich« erachtet.5 Zuletzt ist insbesondere die lange für unangefochten gehaltene Einsicht in die behauptete Notwendigkeit, strikt zwischen Unrecht und Schuld zu differenzieren, durch das Wiederaufleben der alten – schon im 19. Jahrhundert geführten6 – Diskussion über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Annahme »schuldlosen Unrechts« ins Wanken geraten; in diesem Zusammenhang ist jedenfalls wieder häufiger zu lesen, dass es ohne Schuld kein Unrecht gebe und diese Differenzierung daher nicht allzu wichtig genommen werden könne.7 Die Akzeptanz der Unterscheidung zwischen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen ist durchaus nicht selbstverständlich angesichts der Tatsache, dass eine solche Differenzierung weder in rechtshistorischer noch rechtsvergleichender Perspektive zwingend erscheint. In Geschichte und Gegenwart gibt es Beispiele für Rechtsordnungen, die sehr wohl ohne eine solche Unterscheidung auskommen.8 Außerdem gehören schon die allgemeinen Begriffe – Rechtswidrigkeit bzw. Unrecht und Schuld – zu den umstrittensten innerhalb des Rechts. Der genaue Inhalt dieser Begriffe wird kontrovers gehandelt; die Unrechts- und Schuldlehren sind mit zahlreichen einander widersprechenden Theorien übersät. Zu beinahe jedem der für die soeben präsentierte Skizze der Verbrechenslehre angebotenen Beschreibungen lassen sich alternative Theorieangebote finden und so lässt sich über dieses Thema so gut wie nichts sagen, ohne dass umgehend mit Widerspruch gerechnet muss. Aber nicht nur die generelle 5 H. von der Linde, Rechtfertigung, zusammenfassend S. 288; dagegen z. B. H.L. Günther, in: SK StGB (28. Lfg. Mai 1998), Vor § 32 Rdn. 8. 6 Zum Verlauf und den Hintergründen dieser Debatte siehe z. B.: H. Hälschner, Strafrecht 1, 15ff.; C.L. von Bar, Gesetz und Schuld III, 9ff.; J. Nagler, Binding-FS, 333ff.; K. Binding, Normen 1, 243ff.; E. Mezger, Gerichtssaal 89 (1924), S. 208ff.; H. Achenbach, Schuldlehre, 23ff.; H. von der Linde (Anm. 5), 46ff.; H. Koriath, Grundlagen, 260ff.; St. Stübinger, Schuld, 399ff.; T. Walter, Kern des Strafrechts, 81ff.; A. Sinn, Straffreistellung, 245ff.; M. Pawlik, OttoFS, bes. 137ff./144ff.; C. Safferling, Vorsatz und Schuld, 26ff.; M. Grupp, Unrechtsbegründung, 23ff. jeweils m. w. N. 7 Vgl. etwa G. Jakobs, Handlungsbegriff, 41ff. (dazu kritisch St. Stübinger, KJ 27 (1994), S. 119); H..H. Lesch, Verbrechensbegriff, 1ff. u. ö. (ausführliche Kritik an Leschs ›Verbrechensbegriff‹: St. Stübinger, Strafrecht, 177ff. u. ö.); T. Walter (Anm. 6), bes. S. 84 (vgl. die kritische Besprechung von L. Kuhlen, ZStW 120 (2008), S. 140, bes. 148ff.); A. Sinn (Anm. 6), S. 294 u. ö.; M. Pawlik, Otto-FS, 133ff., bes. 148f.; G. Freund, AT § 4 Rdn. 12ff. jeweils m.w. N.. Umfassende Kritik an diesen und anderen – internationalen – Versuchen einer Einebnung der Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld gibt’s bei L. Greco, GA 2009, 636 m.w.N.; s.a. F. Loos, Maiwald-FS, 469ff. 8 Siehe dazu W. Hassemer, in: Rechtfertigung und Entschuldigung, 176ff. Zur langen Vorgeschichte dieser Unterscheidung vgl. J. Hruschka, GA 1991, 1ff.

Der Notstand im Verbrechensaufbau

275

Formulierung des Unrechts- und Schuldbegriffs, sondern auch ihre Anwendung führt in zahlreichen Fallkonstellationen regelmäßig zu erheblichen Auslegungsschwierigkeiten. Dabei gibt es zahlreiche Standardsituationen, in denen es wenig Mühe bereiten dürfte, nach Maßgabe des geltenden Rechts zu erkennen, ob eine mögliche Straffreistellung unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit oder der Schuld zu behandeln ist. Es tauchen jedoch besondere Problemfälle auf, die sich nicht schon auf den ersten Blick eindeutig einer der genannten Ebenen zuordnen lassen. Ein besonders problematisches Feld bietet hier die rechtliche Beurteilung von Notstandslagen. Unter einem Notstand werden Situationen verstanden, in denen es um – tatbestandsmäßige – Rechtsverletzungen geht, die im Zuge der Abwendung drohender Gefahren für andere Rechte getätigt werden. Hier hält das deutsche Strafgesetzbuch in §§ 34 und 35 seit nunmehr mehr als vier Jahrzehnten gleich zwei Regelungen bereit, in denen zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung unterschieden wird. Da diese Normierung aber nicht für alle Fälle anwendbar scheint, wird darüber hinaus von vielen auch weiterhin ein »übergesetzlicher« Notstand für möglich gehalten, aus dem sich ursprünglich die gegenwärtigen Gesetzesvorschriften nach jahrzehntelanger mühevoller Diskussion entwickelt hatten.9 Gerade auf dem Gebiet der Notstandslehre hat sich die Unterscheidung zwischen rechtfertigenden und entschuldigenden Straffreistellungsgründen ausgebildet und als problematisch erwiesen,10 denn hier stellt sich die Frage, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen jemand tatsächlich ein Recht haben kann, in die Rechte anderer einzugreifen, um die eigene Rechtsposition oder diejenige Dritter vor drohenden Gefahren schützen zu können, oder ob im Notfall lediglich eine Entschuldigung bzw. eine anderweitige Straffreistellung greifen kann. Trotz der gesetzlichen Klarstellung ist die Problematik dieser Differenzierung erhalten geblieben. Schwierigkeiten entstehen insbesondere dort, wo das Leben auf dem Spiel steht, da eine mögliche Straflosigkeit der Tötung eines Menschen besondere Begründungssorgfalt verlangt und – wenn überhaupt – nur ausnahmsweise von Rechts wegen gestattet sein bzw. sanktionslos bleiben soll. Schließlich zählt es zu den vornehmsten Aufgaben des Rechts, normative Vorkehrungen zum Schutz des menschlichen Lebens zu treffen.

9 Zur Entwicklung der heutigen Regelungen siehe W. Küper, JuS 1987, 81, bes. 83ff.; K. Bernsmann, »Entschuldigung«, 12ff. u. ö.; C. Roxin, Strafrecht AT I § 16 Rdn. 1ff.; MK-Erb § 34 Rdn. 9f. jeweils m. w. N.. Zur weiter reichenden »Vorgeschichte« s.a. C.L. von Bar, Gesetz und Schuld III, 220ff., bes. 232ff.; K. Bernsmann a.a.O., S. 257ff. m.w.N. 10 Vgl. T. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 1965, S. 7ff.; H. von der Linde (Anm. 5), 38ff./45ff./67ff.; C. Roxin, JuS 1988, 425ff. m. w. N.; s. a. schon J. Goldschmidt, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht IV (1913), 129ff.

276 3.

Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

Der Beispielsfall

Einordnungsprobleme der angedeuteten Art bereitet seit geraumer Zeit jenes Szenario, das mit dem welthistorisch bedeutsamen Datum des 11. September 2001 verbunden ist. Schon die Nennung dieses Stichworts dürfte genügen, um die fragliche Fallgestaltung dieses ›Flugzeugabschuss-Falls‹ vor Augen zu haben: Terroristen entführen ein Linienflugzeug, um es als eine Art Bombe in ein mit Menschen voll besetztes Gebäude fliegen zu lassen. Seit dieser Zeit wird auch hierzulande über die Frage diskutiert, ob in dieser Situation ein Abschuss eines in dieser Weise als Anschlagsinstrument pervertierten Flugzeugs rechtlich gestattet sein könnte oder welche strafrechtlichen Konsequenzen dies u. U. für diejenigen, die das Abschießen anordnen bzw. ausführen, nach sich zöge. Insbesondere die politisch Verantwortlichen – aber keineswegs nur sie – sind von dem Gedanken beunruhigt, dass für eine solche Maßnahme, die doch wohl alles in allem als Rettungsschlag angesehen werden müsste, am Ende eine Bestrafung der Retter stehen könnte. Immerhin könnte ein Abschuss in einer derartigen Situation dazu dienen, das Leben der Menschen am Anschlagsort zu retten. Daher ist ein Bedürfnis spürbar, die Konsequenz einer eventuellen Bestrafung dieser Rettungsaktion möglichst durch eine rechtliche Erlaubnis eines solchen Abschusses zu umgehen. Diese anfängliche Intuition, die von der grundsätzlichen Zulässigkeit ausgehen möchte, lässt sich allerdings nicht ganz so einfach mit sonst anerkannten Rechtsprinzipien vereinbaren, durch die recht hohe Hürden vor einem – noch dazu staatlich verordneten – Tötungs-Recht errichtet werden. Diese Bedenken speisen sich vor allem aus dem Umstand, dass mit der vermeintlichen Rettung der potenziellen Anschlagsopfer zugleich das Leben von gleichermaßen ›unschuldigen‹ Insassen des Flugzeugs geopfert werden müsste, denn durch den Abschuss wird das Leben der Besatzung und der Passagiere gleichsam durch einen Hoheitsakt vorzeitig beendet.

II.

Rechtfertigungslösungen

1.

Der untaugliche Versuch einer gesetzlichen Lösung: § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz

Die in einem Rechtsstaat bevorzugte Behandlungsweise ist die gesetzliche Regelung eines absehbaren Konfliktfalles. Zur Lösung des in Rede stehenden Problems hatte der Gesetzgeber mit § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) vom 11. 1. 2005 (BGBl I, S. 78) eine Norm geschaffen, durch die das Abschießen einer entführten Maschine (der Gesetzesjargon sprach etwas unklar von »unmittelbare(r) Einwirkung mit Waffengewalt«) nach Anordnung des Verteidi-

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277

gungsministers (§ 14 Abs. 4 LuftSiG) für »zulässig« erklärt werden sollte, »wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist«. Obwohl der Wortlaut des Gesetzes nicht ganz eindeutig gewesen ist, muss davon ausgegangen werden, dass mit der ›Zulässigkeit‹ einer solchen Maßnahme deren Rechtfertigung gemeint war (und nicht bloß ein systematisch nachrangiger Ausschluss rechtlicher Sanktionen). Es ist nämlich wohl nicht davon auszugehen, dass dem Verteidigungsminister eine gesetzliche Befugnis zur Anordnung eines rechtswidrigen Aktes eingeräumt werden sollte.11 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Norm in seiner Entscheidung vom 15. 2. 2006 (1BvR 357/05) für »in vollem Umfang verfassungswidrig« und damit nichtig erklärt.12 Neben der fehlenden grundgesetzlichen Ermächtigung für einen solchen Einsatz der Bundeswehr im Landesinnern rügt das Gericht vor allem einen unzulässigen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 II 1 i. V. m. Art 1 I GG, soweit durch einen Waffengang das Leben Unbeteiligter betroffen werde (bes. S. 139ff./S. 151ff.), denn diese würden vom Staat »als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer« behandelt und dabei »verdinglicht und zugleich entrechtlicht« (S. 154)13. Daher sei es »unter der Geltung des Art. 1 I GG schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen … vorsätzlich zu töten« (S. 157). Das Gericht wendet sich dabei gegen eine alternative Lesart der fraglichen gesetzlichen Regelung, wonach der Wortlaut des § 14 Abs. 3 LuftSiG überhaupt nicht die Tötung unschuldiger Passagiere umfassen sollte, sondern im Wege einer verfassungskonformen Auslegung einzig auf die Abwehr von allein von Terroristen besetzten Flugzeugen zu beziehen sei, die als Notwehrmaßnahme ohnehin gerechtfertigt sei. Eine solche Interpretation, die von einigen beteiligten Politikern (namentlich Hans-Christian Ströbele) und auch von Rechtswissenschaftlern, wie z. B. von Wolfgang Mitsch (ZRP 2005, 243), vertreten worden ist, wird jedoch zu Recht abgelehnt.14 11 Vgl. T. Zimmermann, Rettungstötungen, 341f., der auf ähnliche Regelungen in anderen Ländern hinweist; H. Dreier, JZ 2007, 266; LK-Rönnau Vor § 32 Rdn. 252a jeweils m. w. N. 12 BVerfGE 115, 118, Zitat S. 165. Die in diesem Textabschnitt zitierten Seitenzahlen beziehen sich auf dieses Urteil. 13 I.E. zustimmend z. B. C. Roxin ZIS 6/2011, 558. Kritisch zu diesem typisch verfassungsdogmatischen Argumentationsmuster z. B. R. Merkel JZ 2007, 373ff., bes. 379ff.; T. Hörnle, Criminal Law and Philosophy 3 (2009), bes. 116ff.; M. Ladiges, Bekämpfung, 318ff., bes. 328ff.; W. Schild, in: Grenzen staatlicher Gewalt, 118ff.; s.a. W. Hecker, KJ 39 (2006), 185ff.; P. Tiedemann, Menschenwürde, 611ff.; zur internationalen Diskussion des Urteils siehe M. Rosen, Dignity, 105ff.; M. Gur-Ayre, Criminal Law and Philosophy 5 (2011), 306ff. m.N. 14 Vgl. dazu M. Ladiges, Bekämpfung, 173f. m.N.

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

Das Bundesverfassungsgericht hat sich dabei explizit nur mit der Möglichkeit einer gesetzlichen Erlaubnis einer solchen Abschussanordnung befasst, die es grundsätzlich für verfassungswidrig hält. Dagegen soll die strafrechtsrelevante Frage nach der individuellen Verantwortung der handelnden Personen im Falle einer tatsächlichen Durchführung einer solchen Maßnahme unberührt bleiben (BVerfGE 115, 118 (157). Das für den Gesetzgeber vermeintlich ›schlechterdings Unvorstellbare‹ kann folglich dem Vorstellungsvermögen der Strafrechtsdogmatik überlassen werden, die nach Möglichkeiten suchen mag, das verfassungsrechtlich Unmögliche, nämlich ein Recht zur Tötung Unschuldiger, strafrechtsdogmatisch zu ermöglichen. Daher bleibt ein großer Spielraum für spezifisch strafrechtliche Lösungsansätze, der inzwischen auch lebhaft genutzt wird. Unabhängig von einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung wird versucht, das Problem des ›Flugzeugabschuss-Falles‹ im Rahmen der üblichen Notstandsdogmatik zu klären. Auf diesem Gebiet ist freilich ohnehin fast alles umstritten: es werden daher verschiedene Lösungsmöglichkeiten angeboten, die das entsprechende Verhalten entweder rechtfertigen oder entschuldigen sollen oder zu einem anderweitigen Strafausschluss kommen. Dabei wird verschiedentlich versucht, die neu aufgetretene Problematik im Kontext ähnlich gelagerter Fallkonstellationen zu verankern und in die reichhaltige Kasuistik einzuordnen, die von der Strafrechtsdogmatik angesammelt worden ist.15 So soll es gelingen, das Neue im Alt-Bekannten einzuordnen und einer bereits in anderen Zusammenhängen gewohnten Lösung zuzuführen. Dabei wird die Anwendbarkeit aller möglichen Rechtfertigungsgründe getestet.

2.

Die Suche nach Zustimmungsmöglichkeiten

Eine besonders elegante Form der Rechtfertigung wäre möglich, wenn plausibel gemacht werden könnte, dass die von einem Abschuss betroffenen Insassen mit ihrer Tötung selbst einverstanden sein könnten. Nach dem alten Grundsatz ›volenti non fit iniuria‹ wird das Unrecht einer Tat prinzipiell ausgeschlossen, wenn der davon Betroffene der Verletzung zustimmt. Das objektive Recht schweigt und widerspricht nicht, wenn ein Rechtssubjekt freiwillig auf den Schutz seiner subjektiven Rechte verzichtet. In diesem Sinne werden inzwischen zwei Varianten einer entsprechenden Rechtfertigungsstrategie vertreten: Neben dem traditionellen Rechtfertigungsgrund der (mutmaßlichen) Einwilligung (dazu sogleich unter a) wird auch eine verhältnismäßig neue Version hergeleitet, die eine einverständliche Duldung der eigenen Tötung für möglich hält, die zwar 15 Vgl. etwa A. Koch, JA 2005, 745ff.; A. Archangelskij, Problem des Lebensnotstandes, bes. 28ff.; T. Zimmermann, Rettungstötungen, 302ff. jeweils m. w. N.

Rechtfertigungslösungen

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nicht an den aktuellen Willen der Betroffenen appelliert, sondern durch Herleitung einer rational begründbaren Solidaritätspflicht von der Zustimmungsfähigkeit eines Notstandsopfers ausgeht, das aus Vernunftgründen mit dem Abschuss einverstanden sein müsste (dazu unten b).

a)

(Mutmaßliche) Einwilligung

Teilweise ist in Erwägung gezogen worden, die Passagiere und Besatzungsmitglieder eines zu einer Waffe pervertierten Flugzeuges könnten eventuell in dessen Abschuss (mutmaßlich) einwilligen. In Fällen, in denen z. B. das Leben von Flugzeuginsassen ohnehin verloren sei, werde eine betroffene »Person ihren Lebensrest als bedeutungslos erkennen und ihr Leben zum Wohle der Allgemeinheit und zur Abwendung der Gefahr opfern wollen«; auf der Basis einer solchen Willensunterstellung könne daher gelten: der »Einzelne stirbt … auf Grund eigener Sinngebung des unmittelbar bevorstehenden Todes zum Wohle der noch nicht unrettbar in die Gefahrenlage geratenen Personen«.16 Schon das BVerfG hat eine solche Überlegung in seiner Entscheidung kurz diskutiert und umgehend als »eine lebensfremde Fiktion« bezeichnet, die letztlich »ohne realistischen Hintergrund« konstruiert sei;17 allerdings haben die Vertreter der Einwilligungslösung auch keine Begründung angeführt, die sich auf einen tatsächlich zu mutmaßenden Willen potenzieller Opfer stützt. Es sollte stattdessen betont werden, dass diese Lösung allein »normativ begründet«18 sei; sie stelle nämlich auf die objektive Vernünftigkeit ab, d. h. es wird gar nicht behauptet, dass der auf die Lebensaufgabe gerichtete Opfer-Wille vermeintlich so ist, sondern dass er so sein sollte bzw. aus normativen Gründen so sein müsste. Die Mutmaßung bezieht sich letztlich auf ein i.d.S. objektiv-vernünftiges Einwilligungssubjekt. Daraus resultiert freilich eine insoweit nicht unerhebliche Umdeutung der sonstigen Einwilligungsbegründung. Für eine Einwilligung stellt eine derartige Vernunftunterstellung gerade keine notwendige Bedingung dar : nicht etwa die unbedingte Vernünftigkeit des Willen, sondern schon die schiere Willkürfreiheit des Rechtsgutsinhabers kann nämlich als Grund einer Rechtfertigung der Verletzung einer Rechtsposition akzeptiert werden; diese umfasst grundsätzlich auch solche Einwilligungen, die zwar ob16 A. Sinn, NStZ 2004, 588; im Ansatz wohl auch M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 166 Fn. 44. Zur Begründung von Sinn s. a. M. Ladiges, Bekämpfung, 307. 17 BVerfGE 115, 118, 157; ähnlich kritisch G. Jerouschek, Schreiber-FS, 188; zu Einwänden gegen diesen Lösungsansatz s.a. W. Hecker, KJ 39 (2006), S. 188; H.J. Hirsch, Küper-FS, 159; T. Hörnle, Herzberg-FS, S. 556f.; NK-Neumann § 34 Rdn. 77b; F. Streng, Stöckel-FS, 137; A. Coninx, Solidaritätsprinzip, 22f.; differenzierend – im Ergebnis gleichwohl gegen eine Einwilligungslösung: T. Zimmermann, Rettungstötungen, S. 364ff. 18 A. Sinn, NStZ 2004, 588.

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

jektiv nicht als vernünftig angesehen werden mögen, aber dennoch im Rahmen der verfassungsrechtlich gedeckten Handlungsfreiheit liegen. Daraus folgt umgekehrt, dass ein noch so gut begründeter Vernunftanspruch die tatsächliche – mitunter also auch unvernünftige – Willkür des jeweils Betroffenen bei der Frage nach einer Einwilligung nicht ersetzen kann. Eine rechtfertigende Wirkung kann die auf diese Art normativierte Einwilligung daher nicht aus dem (mutmaßlichen) Willen der Betroffenen ableiten. Sie müsste vielmehr aus der vermeintlichen Richtigkeit des Lebensopfers geschöpft werden, das sie in dieser Situation zu erbringen hätten. Daher würde jedoch eine Rechtfertigung gleichsam an den Berechtigten vorbei erklärt. Die Zustimmung müsste fingiert werden, weil und insoweit deren Inhalt als richtig erkannt werden soll. Damit ist freilich noch keineswegs mitgeklärt, ob die angeblich objektive Vernünftigkeit, die in die jeweiligen Einwilligungssubjekte projiziert wird, überhaupt hinreichend begründet werden kann. Nicht so sehr die Lebensfremdheit einer solchen Einwilligungskonstruktion als vielmehr deren noch ungenügend dargelegte inhaltliche Berechtigung spricht daher vor allem gegen diesen Lösungsvorschlag, der gleichsam eine Rechtspflicht zum freiwilligen Lebensopfer postuliert, ohne diese mit dem Prinzip dieses Rechtfertigungsgrundes in Einklang bringen zu können. Unabhängig von der Frage der Legitimierbarkeit einer solchen Forderung nach einer freiwilligen Selbstaufopferung zum Wohle anderer, überschätzt dieser Ansatz freilich die rechtfertigende Kraft der Einwilligung. Diese ist nämlich gerade nicht in der rationalen Einsicht in eine vermeintlich universalisierbare Lösung eines Konfliktfalles zu sehen, sondern in der individuellen Dispositionsbefugnis über das eigene subjektive Recht oder eine besondere Rechtsposition; wer diese nicht preisgeben möchte, braucht dies nicht zu tun, auch wenn dies in einem wie auch immer zu bestimmenden Sinne ›unvernünftig‹ erscheinen möge. Es ist die schlichte – nicht notwendig vernunftimprägnierte – Freiheit der eigenen Entscheidung. Nicht eine mutmaßliche Allgemeinverbindlichkeit rechtfertigt einen Eingriff in ein Rechtsgut, sondern die höchstpersönliche Zustimmung des davon allein betroffenen Inhabers. In diesem Zusammenhang wird gegen eine ›Einwilligungslösung‹ zudem eingewendet, sie müsse zumindest an § 216 StGB scheitern, der selbst eine Rechtfertigung eines ausdrücklich und ernsthaften Tötungsverlangens ausschließt.19 Gegen diesen Einwand hatte allerdings Arndt Sinn vorbeugend geltend gemacht, dass sich die »Einwilligungssperre« nur auf Fallkonstellationen beziehe, »in denen die Sinngebung entweder nicht in der Lebenserhaltung an19 Vgl. G. Jerouschek, Schreiber-FS, 187f.; M. Pawlik, JZ 2004, 1050; T. Hartleb, NJW 2005, 1399f.; W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1084f.; H.J. Hirsch, Küper-FS, 160; F. Streng, StöckelFS, 137; gegen diesen Einwand allerdings T. Zimmermann, Rettungstötungen, 367 m.w.N.

Rechtfertigungslösungen

281

derer gesehen werden kann oder die Ausweglosigkeit aus der Gefahrenlage objektiv nicht feststeht« (NStZ 2004, S. 588). Auch aus dieser vorweggenommenen Replik ergibt sich noch einmal deutlich, dass sich die rechtfertigende Kraft gar nicht aus dem Willen der Beteiligten speisen soll, sondern aus anderen normativen Ressourcen schöpfen muss. Es ist nämlich die angebliche Vernünftigkeit des ›Sinns‹ jener Handlung, d. h. die Rettung von Leben aus einer sonst ausweglosen Lage, der sich aus der Bewertung der Gesamtsituation ergeben soll. Wenn der eigentliche Grund der rechtlichen Zulässigkeit einer Rettungstötung in den fraglichen Situationen nicht im Willen der Betroffenen selbst gesucht werden soll, dann gilt wohl jene Unterbrechung des Begründungszirkels, den bereits Kant in der Nachlass-Reflexion (Nr. 7826) für die Einwilligung aufgezeigt hat: »Eine Einwilligung zu Handlungen, zu welchen ich iemand zwingen kann, bedarf ich nicht. Und bey einer Einwilligung, die ich erzwungen habe, ist (das) mein Recht nicht aus der Einwilligung sondern auf der rechtmäßigkeit meiner Foderung gegründet« (AA XXIX, 527f.).

Die Rechtmäßigkeit einer solchen Forderung zur erzwingbaren Einwilligung in die eigene Tötung wird von der ›Einwilligungslösung‹ aber nicht hinreichend begründet und kann auch nicht begründet werden, ohne die Einwilligung als solche überflüssig zu machen. b)

Duldungspflicht aus Solidarität?

In einer philosophisch raffinierteren Form aber mit einer der ›Einwilligungslösung‹ durchaus vergleichbaren Stoßrichtung ist versucht worden, ein Solidaritätsprinzip aufzuzeigen, aus dem in einschlägigen Fallkonstellationen sogar eine Pflicht der Betroffenen zur Aufopferung des eigenen Lebens abgeleitet werden soll. In diesem Sinne hat vor allem Anna Coninx besonders ausführlich und gründlich in ihrer 2012 erschienenen Berner Dissertation mit dem Titel ›Das Solidaritätsprinzip im Lebensnotstand‹ einen entsprechenden Lösungsversuch unternommen. Darin geht es ihr um die Begründung eines Theoriensatzes, mit dem geklärt werden soll, unter welchen Voraussetzungen die Personen, die sich in einem Lebensnotstand der hier diskutierten Art befinden, einem Abschuss selbst zustimmen könnten. Es ließe sich nämlich durchaus zeigen, dass unter bestimmten Umständen die Betroffenen mit dem eigenen Tod einverstanden sein könnten – ja sogar beistimmen müssten. Genauer gesagt geht es dabei nicht um ein Einvernehmen bzgl. der Notstandshandlung, sondern um die Zustimmung zu einer Norm, die in einer solchen Notlage gelten soll. Denn im Unterschied zur gewöhnlichen Einwilligung dürfte nicht auf den Moment des Eintritts der Not abgestellt werden. Zur

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

Verhandlung stehe eine Notstandssituation und darin gelte grundsätzlich, »dass in aller Regel beim Notstandsopfer kein konkreter und aktueller Wille hinsichtlich der Verletzung seiner eigenen Rechtsgüter zur Rettung von Gütern Dritter ausgemacht werden kann«; es gelte vielmehr, den »hypothetischen Willen im Hinblick auf eine mögliche Notstandssituation« zu erforschen, d. h. »was ein potentielles Notstandsopfer in einer potentiellen Notstandslage vernünftigerweise wollen kann«.20 Gesucht wird daher eine Möglichkeit, den »vernünftigen Willen des potentiellen Eingriffsopfers« und dessen »potentielle Zustimmung ex ante« ausfindig zu machen (S. 23f.). Die angesprochene Vernünftigkeit suggeriert insofern die Notwendigkeit einer Zustimmung zu der gewünschten Notstandsnorm; ein vernünftiger Widerspruch scheint daher ausgeschlossen. Mit Vernunft ist dann freilich keine allzu hehre Idee verknüpft; gemeint ist nur eine bescheidene Form von Rationalität, die sich an kalkulierbarer Klugheit orientiert.21 Die Übereinkunft soll jedenfalls im Bereich des Möglichen zu suchen sein – nicht aber im tatsächlichen oder gemutmaßten Realwillen der Betroffenen. Das Einvernehmen muss daher schon zu einem früheren – freilich nur fingierten – Zeitpunkt vor dem eigentlichen Notfall konstruierbar sein und verbindlich gemacht werden; es müsste vorab für eine mögliche Realität einer Not erklärt werden, da eine Einwilligung im Moment der Realisierung dieser Möglichkeit ohnehin nicht mehr eingeholt werden kann, aber auch nicht nur gemutmaßt werden darf. Eine solche Zustimmungsvorverlagerung soll dabei vor allem »mittels der Methode von John Rawls’ A Theory of Justice« gelingen (S. 14). Obwohl es sich in strafrechtsdogmatischer Hinsicht um ein Problem des rechtfertigenden Notstands handelt, finden die entscheidenden methodischen Argumente im theoretischen Vorfeld des Rechts ihren Platz. Die bislang vorliegenden Bemühungen, den Abschuss einer Terrormaschine etwa als Defensivnotstands-Fall zu beschreiben, werden von Coninx denn auch abgelehnt (S. 86ff.),22 da sich diese Ansätze nicht auf eine abgesicherte Legitimationsbasis stützen könnten, insofern sie sich auf bloße Interessenabwägungen berufen, statt prinzipienorientierte Übereinkünfte zwischen den Betroffenen anzustreben. Für eine erforderliche Neubegründung einer Problemlösung variiert Coninx einige theoretische Konstruktionen aus dem Begründungshaushalt von John Rawls Gerechtigkeitstheorie – allen voran dessen Entwurf eines ›Urzustandes‹ und die Rede von einem darin ausgebreiteten ›Schleier des Nichtwissens‹ (bes. 20 A. Coninx, Solidaritätsprinzip, 21f. Soweit nicht anders angegeben, beziehen sich die in dem Text dieses Kapitels zitierten Seitenzahlen auf dieses Buch. 21 So auch – nicht nur gegen Coninx – M. Pawlik JRE 22 (2014), 145ff. 22 S.a. A. Coninx JRE 22 (2014), 117ff. – dazu noch unten S. 336.

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S. 30ff./101ff. sowie zusammenfassend: S. 275ff.). Zur Theorieanleihe zählt zunächst aber auch schon die philosophische Grundausrichtung. Ebenso wie Rawls seine Theorie der Gerechtigkeit als »brauchbare Alternative« zu den »klassischen utilitaristischen und intuitionistischen Vorstellungen« positioniert hat,23 legt Coninx zunächst Wert darauf, dass es in ihrer Begründung einer Notstands-Rechtfertigung um »Solidarität statt Utilität« geht (S. 13 – dazu noch unten S. 328). Damit sind schlagwortartig zwei der drei wichtigsten Theorien zur rechtfertigenden Wirkung einer Notstandshandlung genannt.24 Der Zentralbegriff der Solidarität wird von Coninx also zunächst nur negativ in Abgrenzung zu der verbreiteten utilitaristischen Grundlegungen eines Notrechts bestimmt. Durch dieses Bekenntnis soll der Einwand einer schlichten Nutzenkalkulation, der häufig gegen eine Notstandsrechtfertigung erhoben wird, vorsorglich entschärft werden. Es geht hierbei um die Begründung eines Prinzips, durch das ein Notstandsopfer zu einem solidarischen Verhalten verpflichtet werden dürfe bzw. sich selbst verpflichte, d. h. um die Herleitung einer Notstandsnorm, die eine Duldungspflicht zum Gegenstand hat. Dass ausgerechnet Rawls als Zeuge für den Nachweis eines notrechtsrelevanten Solidaritätsprinzips aufgerufen wird, ist durchaus nicht selbstverständlich sondern erklärungsbedürftig. Dessen liberale Gerechtigkeitstheorie gilt nämlich gerade nicht als Theoriehochburg solidarischer Gemeinschaftsideen.25 Nicht selten wird ein – letztlich wohl nicht unüberwindbares – Spannungsverhältnis zwischen dem Solidaritätsbegriff und einem liberalen Kontraktualismus konstatiert.26 Dabei stehen in der Regel nicht etwa rechtsdogmatische Einzelfallbetrachtungen im Fokus. Es wird vielmehr eine größere Dimension der sozial-politischen Philosophie in den Blick genommen. Die Gerechtigkeitstheorie ist im Kontext der großen Kontroversen der politischen Philosophie zu sehen. In diesem Zusammenhang gilt Solidarität eher als ein Konzept des Kommunitarismus, der als Hauptkontrahent des politischen Liberalismus auftritt, dessen Hauptvertreter Rawls ist.27 Im Rahmen dieser Kontrovers geht es hauptsächlich um die Begründung einer Gesamtordnung der Gesellschaft. In diesem Sinne 23 J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 19; die Auseinandersetzung durchzieht das gesamte Hauptwerk von Rawls; siehe ebenda, bes. S. 40ff./211ff.; vgl. dazu eingehend H. Kliemt, in: John Rawls, Eine Theorie, hg. v. O. Höffe, 89ff. 24 Vgl. zu diesen beiden Ansätzen, die zusammen mit der dritten Theorie, der ›Lehre des überwiegenden Interesses‹, diskutiert werden: J. Wilenmann, Freiheitsdistribution, 139ff. m.w.N. 25 Siehe hierzu V. Munoz-Dard¦, in: K. Bayertz (Hg.), Solidarität, 155ff.; K.P. Rippe, Ethical Theory and Moral Practice 1 (1998), 355f./367; D. Heyd, Journal of Social Philosophy 38 (2007), 128 Fn. 9; s.a. E. Romanus, Soziale Gerechtigkeit, 242ff. 26 Vgl. etwa H. Münkler, in: Transnationale Solidarität, 18f.; F. Saliger, in: A. v. Hirsch u. a. (Hg.) Solidarität, 61ff. 27 Siehe dazu z. B. N.H. Smith/A. Laitinen, Thesis Eleven 99 (2009), 49/59f.

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begründen das »Solidaritätsparadigma und das Gerechtigkeitsparadigma« beispielsweise für Wolfgang Kersting unversöhnliche »begründungstheoretische Alternativen«. Für ihn scheint eine »Solidaritätsgenealogie, die eine Gerechtigkeitsentwicklung zum Vorbild nehmen könnte, wie sie … durch den kontraktualistischen Egalitarismus — la Rawls … vorgeführt wird«, schlicht »nicht denkbar« zu sein. Für Kersting lässt sich nämlich zeigen, »daß sich das Gerechtigkeitsparadigma und das Solidaritätsparadigma erheblich unterscheiden«. Dabei lasse sich bereits eine allgemeine normtheoretische Differenz markieren. Es seien nämlich grundsätzlich »drei Klassen sozialer Normen zu unterscheiden: die Normen der Gerechtigkeit; die Normen der Hilfeleistungen; und die Normen der Solidarität«. Kersting nennt eine ganze Reihe von Unterscheidungsmerkmalen, die insbesondere das Verhältnis der normativen Orientierung an Gerechtigkeit bzw. an Solidarität in (sozial-)politischer Hinsicht bestimmen. Vor allem formulieren »Gerechtigkeitsnormen … die Recht- und Pflicht-Komplementaritäten, die Menschen als Menschen zugeschrieben werden«; dabei gelten sie »bedingungslos«. Demgegenüber seien »Solidaritätsnormen … partikularistischer Natur. Sie verpflichten nicht menschliche Individuen als menschliche Individuen, sondern als Mitglieder einer bestimmten sozialen Gemeinschaft«. Gerechtigkeit und Solidarität unterscheiden sich zudem in ihrem Bezug zum Begriff der Gleichheit: während eine Ungleichbehandlung für eine Gerechtigkeitstheorie als Skandalon gelten müsse, weigere sich ein »Solidaritätstheoretiker …, Gleichheit und Ungleichheit zu moralisieren … Er hat ein rein deskriptives und unemphatisches Ungleichheitsverständnis«.28 Das von Kersting behauptete Schisma, das zwischen den Theorien der Gerechtigkeit und den Konzeptionen der Solidarität bestehe, scheint freilich doch ein wenig zu dramatisch dargestellt. Ganz so grundsätzlich muss der Begriff der Solidarität wohl nicht aus dem Theoriehaushalt der Rawls’chen Gerechtigkeitstheorie verbannt werden. Statt von Solidarität ist in der ›Theorie der Gerechtigkeit‹ von Rawls immerhin von einem durchaus ähnlich klingenden »Grundsatz der Brüderlichkeit« die Rede, den es zu konkretisieren gelte. Dabei habe dieser Grundsatz durchaus auch etwas »mit einem Sinn für Bürgerfreundschaft und soziale Solidarität« zu tun.29 Da sich im Werk von Rawls keine solide Begriffsbestimmung finden lässt, wird der Ausdruck Solidarität allerdings von Coninx auch nicht weiter definiert, sondern eher allgemein verstanden. Nur beiläufig werden einige Definitionspartikel eingestreut. Neben der erwähnten Negativ-Abgrenzung zur Utilität wird beispielsweise klargestellt, dass Solidari28 W. Kersting, Theorien, 395f./381/383/386; kritisch dazu M. Möhring-Hesse JRE 22 (2014), 271ff.; differenzierend bzgl. des Verhältnisses von Solidarität und Gleichheit: A. Weale, Ethics 100 (1990), 477f. 29 J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 126 (ff.).

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tät anders als in vielen Bestimmungsversuchen nicht als eine irgendwie im Menschen vorfindbare moralische Eigenschaft verstanden werden sollte. Eine wie auch immer geartete faktische – quasi-natürliche – Seite solidarischer Einstellungen oder Gefühle, die mit deskriptiven Merkmalen beschrieben werden könnte, soll daher nicht behauptet werden. Ebenso wenig geht es Coninx um eine irgendwie gefestigte Verbundenheit zwischen Personen oder zwischen einem Einzelnen und einer Bezugsgruppe oder gar der Gesellschaft als solcher. Solidarität ist für sie vielmehr »eine Frage von (realen) vertraglichen Einigungen« (S. 149). Dabei kann die vermeintliche Realität dieses Vertrages freilich nur unter idealisierten Bedingungen beschrieben werden. Solidarität ist jedenfalls für Coninx ein normativ konstruierter Vertragsgegenstand, der auf die Anwendung auf einen Einzelfall beschränkt bleiben kann. Obwohl die Solidarität als ein Prinzip deklariert wird und damit als tragendes Element und Grund einer rechtlichen Regelung erscheinen soll, meint solidarisches Handeln in diesem Kontext eigentlich nichts Prinzipielles. Damit wird eher nur recht vage ein freiwilliger Verzicht auf das eigene Leben zu Gunsten anderer bezeichnet, deren Leben noch gerettet werden kann. Die Vagheit des Begriffs ist kein Manko, das allein das Buch von Coninx betrifft. Die Unbestimmtheit wird vielmehr in beinahe jedem Text zum Thema Solidarität beklagt.30 Das Wort tummelt sich auf vielen wissenschaftlichen Schauplätzen und begegnet häufig auch im Alltag. Es wird ganz Unterschiedliches damit bezeichnet. Dies scheint jedoch nichts an der Beliebtheit dieses Wortes ändern zu können. Michael Pawlik sieht hier eine Parallele zum Begriff der Würde. Beide erscheinen gleichermaßen »als eine ›nicht interpretierte These‹ « (JRE 22 (2014), 143). Neben dieser Klage über ihre Unbestimmtheit wird die Solidarität teilweise sogar für »nicht sonderlich theoriefähig« gehalten.31 Die Rede von Solidarität wirbt eher mit der Sympathie für ein edles Konzept und glaubt daher, nicht so sehr mit Argumenten überzeugen zu müssen. Allzu oft wird der Ausdruck nur als rhetorisches Mittel eingesetzt, ohne den Anschluss an die verschiedenen disziplinierten Kriterien zu suchen. Ein derart lockere Verwendungsweise kann mit Sally J. Scholz als bloße »parasitical solidarity« bezeichnet werden (Political Solidarity, bes. 46ff.), denn sie lebt von den positiven Konnotationen des Begriffswirts ohne die strengeren Anwendungserfordernisse selbst erfüllen zu können.

30 Siehe bereits J.E.S. Hayward, International Review of Social History 4 (1959), 261f.; vgl. hierzu auch die zahlreichen Belege bei M. Pawlik, Notstand, 58f. 31 H. Münkler, in: Transnationale Solidarität, 15.

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aa) Solidaritäts-Begriffe Im Zuge einer negativen Bestimmung von Solidarität als Gegenbegriff zur Utilität muss eine Berufung auf Rawls freilich trotz fehlender positiver Definition durchaus nicht fernliegend sein. Daher ist sein Ansatz zuvor bereits sowohl in einigen Allgemeindarstellungen zum Thema Solidarität32 als auch speziell in Texten zu einer solidaritätstheoretischen Begründung des rechtfertigenden Notstandes aufgetaucht.33 Gerechtigkeit und Solidarität werden auch von anderen nicht selten nahe beieinander angesiedelt. Zumindest gilt solidarisches Eintreten als eine Möglichkeit zur Vermeidung von (sozialer) Ungerechtigkeit.34 Gerade der Mangel an einer gerechten Verteilung von ökonomischen Ressourcen lässt den Ruf nach solidarischen Hilfeleistungen erklingen. In historischer Perspektive fallen Gerechtigkeit und Solidarität nach Ansicht von Nicolai Hartmann »für den antiken Menschen« sogar noch unmittelbar zusammen. Die fehlende Unterscheidbarkeit habe indes mit dazu beigetragen, dass die »antike Ethik« den Begriff der Solidarität »als solchen niemals ganz ans Licht gezogen« habe. Die Identität beider Begriffe mache einen von beiden überflüssig. Die Zuschreibung einer eigenständigen Bedeutung setzt voraus, dass sich Solidarität von Gerechtigkeit unterschieden lässt und nicht als bloßer Unterfall der Forderung nach einer gerechten Ordnung behandelt wird. Erst für den modernen Menschen konnte schließlich die Solidarität als eigenes ausdifferenziertes Prinzip sogar noch die Gerechtigkeit übertrumpfen. So konnte sie für Hartmann schließlich sogar »das Primäre im ethischen Wesen des Staatsbürgers« werden. Nur in einem eher bescheidenen Sinne bleibt Solidarität daher für Hartmann in der Moderne noch im Themenbereich der Gerechtigkeitsidee. Deshalb lässt sich für ihn lediglich die Grundform der von ihm sog. »rechtlichen Solidarität« in seinem umfangreichen Werk mit dem Titel ›Ethik‹ (zuerst 1925) weiterhin im Kapitel »Gerechtigkeit« darstellen.35 Die weitere Entfaltung des Solidaritätsbegriffs verteilt sich bei ihm auf spätere Kapitel, in denen es um mehr als Recht und Gerechtigkeit geht (vgl. zu Hartmanns vielschichtigem Solidaritätsbegriff noch unten S. 294f.). Teilweise werden Solidarität und Gerechtigkeit auch als moralisch komplementär angesehen; so sind namentlich für Jürgen Habermas beide Begriffe letztlich »zwei Aspekte derselben Sache«, nämlich jeweils ein nicht ersetzbarer »Bestandteil einer universalistischen Moral«. In diesem Sinne gilt für ihn: »Die deontologisch begriffene Gerechtigkeit fordert als ihr Anderes Solidarität«, die

32 Vgl. etwa R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, 187ff.; M. Pensky, Ends of Solidarity, 75ff./156ff. 33 So etwa bei R. Merkel, in: Vom unmöglichen Zustand, 183 ff:, im Anschluss daran auch F. Meyer GA 2004, 366 m.Fn. 81; T. Zimmermann, Rettungstötungen, 48ff. 34 I.d.S. etwa R. Arango VRÜ 45 (2012), 388ff. 35 N. Hartmann, Ethik, 419 ff (425).

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damit als die »Kehrseite von Gerechtigkeit hervorgeht«.36 Gerecht zu sein ist nicht genug, man soll zusätzlich noch solidarisch werden, um im Diskurs die Ansprüche der anderen Diskursteilnehmer berücksichtigen und in die eigene Verhaltensplanung aufnehmen zu können. Über diese moralphilosophische Komplementarität hinaus beschwört Habermas noch eine gesamtgesellschaftliche Funktion der Solidarität. Sie fungiere als »sozialintegrative Gewalt«. Insofern sprudelt die Solidarität »als eine dritte Quelle der gesellschaftlichen Integration«. Sie tritt damit neben die »hierarchische Regelungsinstanz der staatlichen Hoheitsgewalt und die dezentralisierte Regelungsinstanz des Marktes«, d. h. »neben administrative Macht und Eigeninteresse«.37 In anderen Texten ist in dem genannten Dreigestirn neben Macht und Solidarität statt des zuvor genannten Eigeninteresse von »Geld« die Rede.38 Solidarität gehört daher für Habermas zu den inter-subjektiv wirkenden Kräften, die eine Gesellschaft als Ganze zusammenhalten sollen. In Anbetracht einer solchen gesellschaftlichen Dimension erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, auch aus dem philosophischen Gerechtigkeitsprogramm von Rawls einige Theoriemomente zur Herleitung eines philosophisch anspruchsvollen Solidaritätsprinzips nutzen zu können.39 So hat etwa Hans-Martin Schönherr-Mann eine Verbindung zwischen dem Differenzprinzip von Rawls (siehe dazu noch unten S. 320f.) und einer »Solidarität mit den Marginalisierten« herzustellen versucht.40 Demnach könne von Gerechtigkeit nur dann die Rede sein, wenn zugleich auch an die gedacht und für die gesorgt wird, die gleichsam auf der Sozialisationskante hocken und aus dem gesellschaftlichen Rahmen zu fallen drohen. Zumindest scheint der Ansatz von Rawls insgesamt für ein Rechtsdenken anschlussfähig, das sich nicht mit bloßen Nutzenkalkulationen begnügen möchte. Rein utilitaristische Begründungen stehen jedenfalls im kontinentaleuropäischen Raum allein wegen ihrer umstrittenen ethischen Herkunft im Verdacht, lediglich unzureichende Rechtsgründe liefern zu können. Demgegenüber scheint mit dem Solidaritätsprinzip ein Grundsatz zur Verfügung zu stehen, der einer Verrechtlichung leichter zugänglich ist und auch sonst eher konsensfähiger klingt. Wenn mit Solidarität eine Einstellung assoziiert wird, in der an alle gedacht wird, so kann sie offenbar auch mit allseitiger Zustimmung rechnen. Solidarität ist ein beinahe durchweg positiv besetzter Ausdruck, dem nicht so leicht widersprochen werden kann. Jedenfalls wird über die Forderung 36 J. Habermas, Erläuterungen, 70/73. 37 J. Habermas, Einbeziehung des Anderen, 289/278. 38 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 663; ders., in: Habermas, Modernity, and Law, 136; s.a. B. Weber, Zwischen Vernunft, 60ff. mit einer Übersicht auf S. 62. 39 I.d.S. auch A. Wildt JCSW 48 (2007), bes. 49ff.; R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, 187ff. 40 H.-M. Schönherr-Mann, Politischer Liberalismus, 115ff.

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nach Solidarität kaum etwas Schlechtes geredet. Allenfalls wird vermutet, dass es sich dabei um eine leere Versprechung handeln könnte. Unmut regt sich jedoch spätestens dann, wenn es ans Geld geht. Sobald die Forderung nach Solidarität im Geldbeutel zuschlägt, sinken ihre Sympathiewerte. Dies lässt sich immer wieder am Beispiel des innerdeutschen ›Solidaritätszuschlags‹ aber auch im Hinblick auf eine vermeintlich finanzielle Solidargemeinschaft zwischen den Ländern der Europäischen Union erkennen.41 Um klären zu können, ob sich ein solider Inhalt finden lässt, muss der Begriff allerdings noch weiter konkretisiert werden. Erst nach einer solchen Konkretisierung lässt sich die Anwendung des Solidaritätsbegriffs auf die vorliegende Problematik testen. (1) Vom (römischen) Recht zur (politischen) Ethik Der von Coninx geübte Verzicht auf eine nähere Bestimmung des Solidaritätsbegriffs ist leider nicht nur in strafrechtsdogmatischen Diskussionen nicht unüblich. Er lässt sich wohl kaum aus einem Mangel an Definitionsmöglichkeiten erklären. Es scheint nämlich eher zu viele als zu wenige Konkretisierungsangebote zu geben. Daher müssen die Unterschiede zwischen den diversen Verwendungsweisen beachtet werden, die nicht zuletzt aus den verschiedenen wissenschaftlichen Kontexten resultieren. In dieser Hinsicht sollen im Folgenden einige Ergänzungen zur Begriffsgeschichte angebracht werden, ehe der Ansatz von Coninx diskutiert werden kann. Nur wenn es gelingt, einige Schneisen durch das Differenzierungsdickicht zu schlagen, das um den schillernden Begriff der Solidarität herumwuchert, lässt sich einschätzen, ob er als ein Prinzip taugt, das zur Lösung der einschlägigen Lebensnotstandskonstellationen beitragen kann. Die Rede von Solidarität ist dem Recht keineswegs fremd. Immerhin lässt sich auf eine bis zur römisch-rechtlichen Konzeption einer ›obligatio in solidum‹42 zurückreichende Begriffstradition der sog. Solidarobligationen verweisen. Durch dieses Rechtsinstitut wird eine Haftung des Einzelnen für eine Schuldnergemeinschaft statuiert; jeder, der Teil einer solchen Gemeinschaft ist, muss für das Ganze einstehen und gegenüber einem Gläubiger haften. Ganz in diesem Sinne fügt etwa Joachimus Hoppe in seinem Institutionen-Kommentar von 1731 für das »singuli in solidum se obligarint« als deutsche Entsprechung eine Losung an, die später auch als Wahlspruch des Solidaritätsbegriffs dienen konnte:

41 Vgl. dazu A. Puttler, in: S. Kadelbach (Hg.), Solidarität, 43ff. 42 Siehe hierzu W.A. Hunter, Roman Law, 551ff., der sich allerdings durchaus kritisch zu einer voreiligen Gleichsetzung von der ›obligatio in solidum‹ und dem modernen Begriff der »Solidarity« äußert (562); s.a. D. Wiggins, Solidarity, 10f.; M. Köhler, in: Kants Rechtslehre, 123.

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»sämbtlich und sonderlich, einer vor alle, und alle vor einen«43 (vgl. dazu auch unten S. 302). Speziell in dieser Bedeutung – als terminus technicus des Schuldrechts – wurde der Ausdruck »solidarit¦« Mitte des 18. Jahrhunderts zunächst auch in Frankreich verwendet.44 Von dort aus sollte das Wort später seinen Gang durch die (westliche) Welt starten und u. a. deutsche und englische Entsprechungen erhalten. Dabei wird der Begriff mit einer deutlich erweitertet Bedeutung angereichert. Für sich allein vermag die rechtshistorische Quelle zwar die Herkunft des Wortes, aber nicht den heutigen Stellenwert des Begriffs der Solidarität zu erklären, obwohl der Gedanke einer Gesamtschuldnerschaft auch in späteren – philosophischen – Solidaritäts-Konzeptionen auch weiterhin eine Rolle spielt.45 Seine eigentliche Prominenz verdankt der Solidaritätsgedanke erst seiner Politisierung im nachrevolutionären Frankreich um 1800. Dort ist er schließlich im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts allmählich an die Stelle der Brüderlichkeit innerhalb der bekannten Losung ›libert¦, egalit¦, fraternit¦‹ getreten.46 Solidarität wird ebenso wie Freiheit und Gleichheit zur politischen Forderung und zu einem Anspruch einer wohlgeordneten Gesellschaft. Dadurch wird der Begriff im Kontrast zu seiner juristischen Grundbedeutung deutlich aufgewertet. Das Wort ›Solidarität‹ muss dafür aber aus dem rein rechtlichen Kontext herausgelöst und allgemeiner gefasst werden; zudem muss es in Verhältnis zu den Forderungen nach Freiheit und Gleichheit gesetzt werden. Als politische Losung lassen sich die drei Großbegriffe zwar sehr leicht einträchtig nebeneinander schreiben, sie widersprechen sich aber ebenso rasch, je nach dem ob die Freiheit, Gleichheit oder Solidarität betont werden soll. (2) Zur Soziologie (E. Durkheim) Die haftungsrechtliche Ursprungsbedeutung bildet dann allenfalls noch den Ausgangspunkt für begriffliche Erweiterungen. Dies lässt sich vor allem am Beispiel von Emile Durkheim verdeutlichen, der das Wort ›Solidarität‹ um 1900 als Grundbegriff der damals neu entstehenden Soziologie stark gemacht hat. Dessen Solidaritätskonzept hat auch für die Straftheorie eine gewisse Bedeutung erlangt (dazu unten S. 306). In seiner zuerst 1893 erschienenen Dissertation ›De 43 J. Hoppe, Commentatio, 651; ähnlich J.G. Heineccius, Operum 5, S. 219; s.a. W.T. Krug, Allgemeines Handwörterbuch 5, 227 (Art. ›Solidität‹). 44 Vgl. dazu R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, 17ff.; W. Watts Miller, A Durkheimian Quest, 34; J.P. Beckmann, in: H. Busche (Hg.), Solidarität, 59 jeweils m.N. 45 Siehe dazu – am Beispiel von Max Scheler und Nicolai Hartmann – K. Bayertz, in: ders. (Hg.), Solidarität, 17f. 46 Ausführlich und mit kritischer Differenzierung dazu R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, 34ff.; K. Röttgers, in: H. Busche (Hg.), Solidarität, 19ff.; vgl. auch K.H. Metz, in: K. Bayertz (Hg.), Solidarität, 172f.; H. Brunkhorst, Solidarität, 9ff. m.N.; M. Pensky, Ends of Solidarity, 6f.; s.a. J. Renzikowski, Notstand, 197; M. Köhler, in: Kants Rechtslehre, 123f.

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la division du travail social‹ zeigt er verschiedene Verwendungsweisen dieses Begriffs auf. Darin operiert er bereits auf allen bis dahin erarbeiteten Bedeutungsebenen, auf denen der Ausdruck Solidarität angesiedelt wird.47 Da es sich auf jeden Fall um »eine soziale Tatsache ersten Ranges« handelt, will er die Untersuchung der verschiedenen Formen von Solidarität jedenfalls nicht allein den »Moralisten und Psychologen« überlassen und stellt daher klar : »Das Studium der Solidarität gehört somit zur Soziologie« (Arbeitsteilung, 114). In der ursprünglich haftungsrechtlichen Bedeutung des Wortes geht es für ihn nur um ein mittelbares Verhältnis zwischen Rechtspersonen. Die Menschen treten durch den Austausch von Gegenständen in Beziehung zueinander. Die auf eine rein rechtliche Beziehung von Personen über Sachen beschränkte »dingliche Solidarität« ist allerdings lediglich negativ bestimmt und kann allenfalls als eine Schwundstufe solidarischer Beziehungen gelten; sie ist sachlich, aber nicht persönlich. Diese Form von Solidarhaftung »verbindet die Sachen direkt mit den Personen, aber nicht die Personen untereinander«. Eine solche »negative Solidarität« sei aber »nur dort möglich, wo eine andere, positive Solidarität existiert«; im Übrigen erzeuge sie auf Grund ihrer bloßen Negativität noch »keinerlei Integration«.48 Allein eine echte inter-personale Solidarbeziehung lohnt sich für Durkheim als soziologischer Untersuchungsgegenstand. Nur in dieser allgemeineren Form soll sich Solidarität zur Beschreibung gesellschaftlicher Moral nutzbar machen lassen. Daher müsse die bloß dingliche Vermittlung überwunden werden, um eine unmittelbare – positive – Solidaritätsbeziehung zu erringen. Solidarisierungen kann es auf allen Ebenen möglicher Sozialkontakte geben; daher gibt es für ihn z. B. »die eheliche Solidarität« ebenso wie »die häusliche Solidarität, die professionelle Solidarität, die nationale Solidarität« u.v.m. (Arbeitsteilung, 108/114). Bzgl. der gesamtgesellschaftlichen Dimension will Durkheim zwei Grundformen sozialer Solidarität unterscheiden, die er mit der auch sonst sehr häufig verwendeten Gegenüberstellung von ›Mechanismus‹ und ›Organismus‹ beschreiben möchte. Die Unterscheidung zwischen ›mechanischer‹ und ›organischer‹ Solidarität lässt sich idealtypisch verschiedenen Gesellschaftsformen zuordnen, die sich vor allem anhand ihrer gesellschaftlichen Differenzierungsart unterscheiden. ›Mechanisch‹ nennt Durkheim eine »Solidarität aus Ähnlichkeiten« (Arbeitsteilung, 118); diese Form wird vor allem »aus einer allgemeinen und unbestimmten Anbindung des Individuums an die Gruppe« gebildet (Arbeitsteilung, 156). Diese Art von Solidarität passt zu einer Gesellschaftsform, die 47 Hierzu und zum Folgenden W. Watts Miller, A Durkheimian Quest, 33ff., der »three core meanings« unterscheidet – »the legal, the moral, and the holistic« (33/35). 48 E. Durkheim, Arbeitsteilung, 167/171/180; vgl zu Durkheims ›negativer Solidarität‹: N. Luhmann, Moral, 14f.; W. Watts Miller, A Durkheimian Quest, 41f.

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»aus einander ähnlichen Segmenten gebildet ist«, d. h. primitive Gesellschaften, die sich aus Klans, Horden, Sippen etc. zusammensetzen (Arbeitsteilung, 232). Das gesellschaftliche Band lässt die einzelnen Menschen als solche nicht los. Die sozialen (Inter-)Aktionen werden nur als Kollektiv erlebt und von einem entsprechenden Bewusstsein begleitet. Der Einzelne kann sich und andere nur als Teil einer Gruppe wahrnehmen. »Die sozialen Moleküle … könnten sich in ihrer Gesamtheit somit nur in dem Maß bewegen, in dem sie keine Eigenbewegung haben, so wie es bei den Molekülen der anorganischen Körper der Fall ist«. Darin ist dann aber die »Individualität gleich Null«, denn: »In dem Augenblick, in dem diese Solidarität wirkt, löst sich unsere Persönlichkeit definitionsgemäß sozusagen auf, denn dann sind wir nicht mehr wir selbst, sondern das Kollektivwesen«. In dieser Beschreibung liegt der Anlass für Durkheims Wahl der Mechanismus-Metapher zur Bezeichnung dieser Form von Solidarität. In »Analogie zu der Kohäsion, die die Elemente der festen Körper miteinander vereint« will er sie »mechanisch« nennen – im »Gegensatz zu jener Kohäsion, die die Einheit der lebenden Körper ausmacht«, d. h. einen Organismus zusammenhält. Durkheim nutzt demnach ein naturwissenschaftlich klingendes Vokabular zur Beschreibung verschiedener Formen sozialer Solidarität, die für ihn ebenfalls eine Bindungskraft zwischen Personen darstellt. Im Unterschied zur ›mechanischen Solidarität‹ wirkt daher die »organische Solidarität« zwischen Individuen, die »sich voneinander unterscheiden«; sie ist »nur möglich, wenn jeder ein ganz eigenes Betätigungsfeld hat, wenn er also eine Persönlichkeit hat«. Daher ist sie die Form von »Solidarität, die sich der Arbeitsteilung verdankt«. Die »Struktur der Gesellschaften, in denen die organische Solidarität überwiegt«, wird »aus einem System von verschiedenen Organen« gebildet, »von denen jedes eine Sonderrolle ausübt, und die ihrerseits aus differenzierten Teilen bestehen« (Arbeitsteilung, 182f./162/237). Die Rede von ›mechanischen‹ und ›organischen‹ Kohäsionskräften bedient dabei nicht nur das im 19. Jahrhundert verbreitete Interesse, an dem Wissenschaftsslang der Naturwissenschaften teilzunehmen, und die eigene Theorie in eine Sprache zu kleiden, die nach Physik oder Biologie klingen mag und von deren Seriosität profitieren möchte. Wie William Watts Miller in seinem Buch ›A Durkheimian Quest‹ gezeigt hat, spielt diese Differenzierung zudem auch auf den »Kantian contrast between heteronomy as if things and autonomy as persons« an: »Leaving behind a world of mechanical solidarity is about emancipation from mechanistic determinism – that is, from heteronomy as if things and from imprisonment in chains of causation«.49 Dabei hat der damals frisch aufgewertete Begriff der Solidarität eine Vielzahl 49 W. Watts Miller, A Durkheimian Quest, 15, der auch an anderen Stellen auf die Durkheims Nähe zu Kant aufmerksam macht.

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von Problemen zu schultern, die in modernen Gesellschaften entstehen. Hierzu zählt insbesondere, die in unterschiedliche Richtungen driftenden Tendenzen der Individualisierung und Vergesellschaftung aufzufangen. Die in einer modernen Gesellschaft freigesetzten Individuen werden nicht allein durch den Eigensinn ihres Selbstinteresses geleitet, sondern sind auch mit Gemeinsinn und Kollektivbewusstsein ausgestattet. Diese Fähigkeiten sorgen dafür, dass nicht nur die Differenzen zwischen den Einzelnen betont werden. Sie wecken vielmehr ein Gespür dafür, dass Aufgaben erkannt werden, die nur gemeinsam – eben durch soziale Arbeitsteilung – gelöst werden können. Allein mit selbstbezogenen Egoisten lässt sich eine Gesellschaft nämlich nicht organisieren. Trotz aller Verschiedenheit und Betonung der eigenen Einzigartigkeit führt die Individualisierung keineswegs nur zur wechselseitigen Abgrenzung. Für Durkheim kann durchaus auch die »Unähnlichkeit … eine Ursache gegenseitiger Anziehung sein«; häufig sind es gerade die Gegensätze, die einander anziehen. Erst durch diese eigentümliche Kraft der anziehenden Verschiedenheit kommt es zu einer »Errichtung einer Sozial- und Moralordnung sui generis. Individuen sind untereinander verbunden, die sonst unabhängig wären … Sie sind solidarisch«. Die soziale Arbeitsteilung in der Moderne sorgt daher sowohl für eine gewisse Vereinzelung der Individuen als auch für deren Abhängigkeit von der Arbeitsleistung der anderen, denn: »jeder hängt umso enger von der Gesellschaft ab, je geteilter die Arbeit ist«.50 (3) Bedeutungsinflation Danach vermag die Idee des wechselseitigen solidarischen Einstehens ihre tiefere Bedeutung und Theoriegrundlage vor allem aus den normativen Quellen der politischen Ethik und der Sozialphilosophie schöpfen. In dieser Hinsicht meint solidarisches Verhalten häufig sogar Handlungen, die über das bloß Pflichtgemäße noch hinausgehen und gerade nicht durch ethisch oder rechtlich zwingende Gebote eingefordert werden können. Diesen Aspekt beschreibt etwa Clemens Sedmak treffend mit den Worten: »Solidarität beschreibt die Bereitschaft zu gegenseiteigen Unterstützungsleistungen, die moralisch geboten, aber nicht erzwingbar sind und die über das hinausgehen, was von Rechts wegen Pflicht ist«; sie »enthält also ein Moment der Freiwilligkeit und ein Moment der Wechselseitigkeit«.51

Darüber hinaus werden unter dem Stichwort der Solidarität aber auch Hilfeleistungen beschrieben, die sogar auf den Aspekt der Gegenseitigkeit der Leis50 E. Durkheim, Arbeitsteilung, 101/108/182; dazu auch R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, 26ff.; A. Bienfait, Freiheit, 100ff.; S.J. Scholz, Political Solidarity, 22ff./39ff.; U. Nothelle-Wildfeuer JRE 22 (2014), 83. 51 C. Sedmak, in: Solidarität, 44.

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tungen verzichten. In diesem Bereich steht die Rede von Solidarität mitunter für überobligatorischen (oder auch: supererogatorischen52) Beistand des Einzelnen für andere bzw. für die ganze Gemeinschaft sowie umgekehrt für die Sorge der Gesellschaft für ihre (ökonomisch schwachen) Mitglieder. Immerhin finden die moralphilosophischen Lehren über eine mögliche Supererogation und verschiedene Darstellungen zur Entfaltung des Solidaritätsbegriffs im biblischen Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10:30–35) ein gemeinsames Paradebeispiel.53 Solidarische Hilfe wartet insofern nicht auf die Begründung normativer Ansprüche. Solidarität bezeichnet dann gerade kein juristisch institutionalisierbares Schuldverhältnis; sie wird vielmehr deshalb hochgeschätzt, weil sie nicht normativ erwartet wird. Solidarisches Verhalten wird in dieser Hinsicht nicht geschuldet und ist schon gar nicht einklagbar. Dementsprechend darf ihr Ausbleiben nicht sanktioniert werden. Solidarisch verhält sich insofern, wer sich für andere oder das Gemeinwohl einsetzt, obwohl er dazu nicht verpflichtet wäre. Allenfalls lässt sich von einer freiwilligen – moralfreien – Selbstverpflichtung sprechen, die sich nicht mit rechtlicher oder ethischer Notwendigkeit begründen lässt. In jedem Fall ist darunter aber stets eine Aktivität gemeint, nicht nur das passive Geschehenlassen einer Handlung. In der Möglichkeit einer nicht fixierbaren Normativität sehen einige gar ein allgemeines Projekt von Solidarität aufscheinen, das nicht mehr an die praktische Erkenntnis verallgemeinerbarer Normen gebunden ist. Der ungezwungene Soll-Charakter der Forderung nach Solidarität wird insofern als eine Chance für eine Handlungsbereitschaft betrachtet, die jenseits strenger Regeln möglich bleibt. In diese Richtung tendiert vor allem der bekannte us-amerikanische Philosoph Richard Rorty, der generell nur noch eine »Ethik ohne allgemeine Pflichten« für möglich hält.54 Nicht die Entdeckung und Überprüfung universaler Normen zähle, sondern die Schaffung einer Welt nach gemeinsamen Bedürfnissen. Worauf es dann ankomme, »is our loyality to other human beings clinging together against the dark, not our hope of getting things right«.55 Seinen als neue Form des »Pragmatismus« bezeichneten Ansatz möchte Rorty daher ausdrücklich als eine »Philosophie der Solidarität« verstanden wissen.56 Diese als »Utopie« gekennzeichnete Vorstellung von »Solidarität« meint dabei »die Fähigkeit, fremde Menschen als Leidensgenossen zu sehen«. 52 Siehe dazu etwa A. Wildt, in: K. Bayertz (Hg.), Solidarität, 213; H. Benbaji / D. Heyd, Canadian Journal of Philosophy 31 (2001), 581; C. Schnabl, in: Solidarität, 153f. 53 Vgl. für die Diskussion der Theorien einer Supererogation: D. Heyd, Supererogation, 16f.; U. Wessels, Die gute Samariterin, bes. 152ff.; für den Solidaritätsbegriff: R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, (7); J. Könemann, European Journal of Mental Health 9 (2014), 155f. 54 R. Rorty, Hoffnung, 67. 55 R. Rorty, Consequences, 166. 56 R. Rorty, Solidarität, 11ff. (31); s.a. den., Kontingenz, 305 ff, bes. 320.

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Rortys »Solidarität wird nicht entdeckt, sondern geschaffen. Sie wird dadurch geschaffen, daß wir unsere Sensibilität für die besonderen Einzelheiten des Schmerzes und der Demütigung anderer … Menschen steigern«.57

Im Unterschied zu traditionellem Moralvorstellungen muss das Sollen der Solidarisierung für Rorty keiner praktischen Erkenntnis unterworfen sein und nicht als universalisierbar behauptet werden. Darin avanciert Solidarität eher zu einem betont lose befestigten Etikett zur Bezeichnung einer pragmatischen Haltung. Diese unverbindliche Einstellung könne dann sensibel auf Leid oder Not reagieren, ohne vorgeben zu müssen, über hehre Moralgrundsätze zu verfügen. Solche Vernunftansprüche der herkömmlichen Ethik ließen sich nach Rortys skeptisch-ironischer Grundauffassung ohnehin nicht zwingend begründen. Die Unverbindlichkeit eines solchen Solidaritätskonzepts begründet die Attraktivität für diese Version eines (Neo-)Pragmatismus, die sich nicht zuletzt aus der Skepsis gegenüber allen auf Vernunft gegründeten Norm-Begründungen speist.58 Andere möchten den Solidaritätsbegriff freilich enger an die ethische Tradition der politischen Philosophie bzw. Theologie binden. Zur erweiterten Geschichte dieser Idee einer ungebundenen Verbindlichkeit wird dementsprechend einerseits die Vorstellung von gesellschaftlichen »Eintracht« und »Bürgerfreundschaft« und andererseits das Ideal der christlichen »Nächstenliebe« gezählt.59 In diesem Sinne schafft z. B. für Nicolai Hartmann »auch Nächstenliebe eine Art Solidarität«, indem sie eine »Bindung zwischen Person und Person« herstellt, die sogar »stärker und fundamentaler als die Solidarität der Gerechtigkeit« ist. Eine bloß solidarisch-gerechte Verbindung von Personen bildet für ihn deshalb nur die erste Schicht eines insgesamt sehr vielschichtigen Begriffs (siehe dazu oben S. 286). Zu dem ersten – rechtlichen – und dem zweiten – karitativen – gesellt sich laut Hartmann noch ein dritter »Typus der Solidarität«, der »im Bewusstsein des Zusammenstehens, d. h. im gegenseitigen gewissen Vertrauen« gründet und eine »Einheit einer Überzeugung« formt. Doch selbst mit dieser dritten Begriffsebene sind die Bedeutungsmöglichkeiten des Solidaritätsbegriffs für Hartmann noch immer nicht ausgeschöpft. 57 R. Rorty, Kontingenz, 15f. 58 Zu Rortys Konzept von Solidarität vgl. etwa S. Collenberg-Plotnikov, in: H. Busche (Hg.), Solidarität, 151ff.; J. Dean, Constellations 2 (1995), 116f.; R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, 183ff.; B. Liebsch JCSW 48 (2007), 152f.; M.A. Principe, Journal of Social Philosophy 31 (2000), 139ff.; M. Pensky, Ends of Solidarity, 184ff.; S. Derpmann, Gründe, 93f.; B. Weber, Zwischen Vernunft, bes. 213ff. 59 Dazu H. Brunkhorst, Solidarität, 11; zu theologischen Wurzeln des Begriffs der Solidarität s.a. M. Hoelzl, Journal for Cultural and Religious Theory 6 (2004), 50ff. m.w.N.; A. Lienkamp JRE 22 (2014), 63ff.; kritisch zu einer solch weiten Herleitung K. Röttgers, in: H. Busche (Hg.), Solidarität, 20/22f.

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Als vierte Begriffsschicht soll als Zukunftsprojekt schließlich noch eine »Solidarität neuer und größerer Art als die Solidarität der Gerechtigkeit, der Nächstenliebe und des Glaubens« oben drauf kommen. Hiermit ist eine zukunftsweisende, »nur vorwärts gerichtete« Dimension von Solidarität angedeutet, die eine »sittliche Verantwortung« meint, durch die »sich der Mensch von heute solidarisch mit den Menschen von dereinst« fühlt. Diese »geschichtliche Solidarität« ist zwar im Verhältnis zu den anderen drei zuvor genannten Bedeutungen »eine Bindung loseren Stils«, da sie nur einseitig gespendet werden. Sie soll und kann nämlich keine Gegenseitigkeit herstellen, da künftige Generationen diese Solidarität ihrer Ahnen nicht erwidern können. Dennoch ist sie für Hartmann der Ausweis einer Generationenverantwortlichkeit und einer neuen Form von Verantwortungsethik, die sogar die »größte Aufgabe« der modernen Menschheit darstelle.60 Hartmanns letztgenannte Begriffsebene hat sich als visionär erwiesen. Eine derart »temporal entgrenzte Solidarität«, in der es um die »Intergenerationelle Geltung« solidarischer Pflichten gehen soll, wird heute beispielsweise für eine »Ethik der Nachhaltigkeit« postuliert, die sich um den Erhalt der Natur sorgt. Die Sorge um die Umwelt oder – religiös gesprochen – um den Erhalt der Schöpfung ist dabei nicht auf Zwischen-Menschliches beschränkt. Darin soll dann sogar noch eine »Interspezielle Geltung« des Solidaritätsgedankens einfließen, die das »Verhalten unserer Gattung gegenüber der außerhumanen Natur« bestimmen soll. Durch eine »global, intergenerationell und interspeziell« geltende »Solidarität und Retinität« (verstanden als »Gesamtvernetzung« des Menschen innerhalb einer gemeinsamen mit anderen Lebewesen geteilten Welt) wird die moralische All-Zuständigkeit dieser Begrifflichkeit dokumentiert. Der Solidaritätsbegriff schließt nichts mehr aus und umfasst in zeitlicher wie in geographischer und sogar biologischer Hinsicht sämtliche Aspekte menschlichen Handelns.61 Für all diese doch sehr verschiedenen Phänomene, die einen je eigenen Begriff verdient hätten, stellt das Wort Solidarität zumindest eine schöne Zweitbezeichnung zur Verfügung. Dies erklärt die durchweg positive Stimmung, die den Solidaritätsbegriff umweht. Wer sich auf Solidarität beruft, bekennt sich zu allem Guten in der Welt. Durch die weit greifende Bezugnahme auf Gerechtigkeit, Bürgerfreundschaft, Nächsten- und Fernstenliebe wird der Hang zur Solidarisierung nicht nur tief in die Kulturgeschichte hinein verfolgt, sondern beinahe sogar als eine anthropologische Konstante aufgestellt; Solidarität gehört insofern fast schon zur Erbausstattung des Menschen als Gemeinschaftswesen. 60 N. Hartmann, Ethik, 459f./471/489f./488/490. 61 Siehe dazu – ohne Bezug zu Hartmann – A. Lienkamp JRE 22 (2014), 45ff. – Zitate auf S. 62/ 65/45/66f./60.

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Aus der natürlichen Verbundenheit mit einer Gruppe erwächst gleichsam unmittelbar eine Sozialverbindlichkeit ihrer Mitglieder. Solidarität scheint quasi zum sozialen Genmaterial des Menschen zu gehören, der sie zudem noch als zukunftsgestaltenden Lebensauftrag in die Wiege gelegt bekommt. Für die wissenschaftliche Theoriebildung resultiert aus der verzweigten Begriffsgeschichte eine etwas unübersichtliche Zuständigkeitsverteilung auf zahlreiche Disziplinen. So bemerkt etwa Simon Derpmann in seiner 2013 veröffentlichten philosophischen Dissertation mit dem Titel ›Gründe der Solidarität‹ sehr treffend: »Solidarität findet sich neben ihrer Verwendung in der Beschreibung moralischer Verpflichtungen als juristische Norm, als politische Losung, als sozialwissenschaftlich zu beschreibender Zusammenhalt oder als Gegenstand anthropologischer Beobachtungen«.62

Dabei ist diese Liste nicht einmal vollständig. Schließlich hat sich neben den genannten Wissenschaften (Philosophie, Jurisprudenz, Politikwissenschaft, Soziologie und Anthropologie) auch noch die Entwicklungspsychologie und Pädagogik der Frage angenommen, ob in jedem Kind nicht schon von Natur aus so etwas wie ein ›Solidaritätsgeist‹ schlummert, der nur noch geweckt zu werden braucht, um ihn möglichst mit pädagogisch wertvollen Mitteln fördern zu können.63 Dabei haben diese entwicklungspsychologischen Betrachtungen von Solidarität nicht zuletzt für die diskursethische Behandlung des Themas eine nicht geringe Bedeutung gespielt.64 Wie so oft haben außerdem auch noch Theologen ein Wörtchen mitzureden, die eine eigene Variante eines (katholischen) »Solidarismus« entwickelt und als wirkungsmächtige Sozialethik positioniert haben.65 Selbst die Wirtschaftsethik hat den Begriff für sich entdeckt; sie will das vermeintlich rein egozentrische Denken der neoliberalen Ökonomie vor dem imageschädigenden Vorwurf, beinahe gänzlich unsolidarisch zu sein, in Schutz nehmen und sich von der Entgegensetzung »Solidarität versus Marktorientierung«66 lösen. Gewöhnlich herrscht nämlich die »Einsicht, dass der Markt ein hochgradig unsolidarisches

S. Derpmann, Gründe, 19. Grundlegend dazu J. Piaget, in: Gesellschaftlicher Zwang, 125ff. Siehe hierzu M. Pensky, Ends of Solidarity, 188ff. Dazu R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, 89ff.; S.J. Scholz, Political Solidrity, 7ff.; H.-J. Große Kracht, in: Solidarität, 121ff.; ders., JCSW 48 (2007), 13ff., bes. 29ff.; T.S. Hoffmann, in: H. Busche, Solidarität, 103; M. Vogt JRE 22 (2014), 99ff. 66 So der Titel des Beitrags von Alexandra Weiss in dem von Clemens Sedmak herausgegebenen Sammelband ›Solidarität‹, S. 269 (ff.).

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Gebilde ist … jedenfalls dann, wenn man unter Solidarität soviel wie Brüderlichkeit versteht«.67 Im Kampf gegen dieses (Vor-)Urteil preist z. B. der bekannte Wirtschaftsethiker Karl Homann die Marktwirtschaft als »das beste bisher bekannte Instrument zur Verwirklichung von Freiheit und Solidarität aller Menschen«.68 Wie Homanns Schüler, Andreas Suchanek, allerdings klarstellt, geht es aus wirtschaftsethischer Sicht freilich auch in umgekehrter Richtung um eine wechselseitige Instrumentalisierung von institutionalisierten Solidarisierungsmechanismen und marktwirtschaftlicher Vorteilssicherung, denn »die Umsetzung der Solidarität ist zu orientieren an der Idee der Ermutigung und Förderung von Investitionen in die gesellschaftliche Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil«. Die gegenseitige Vorteilsnahme nutzt das Wirtschaftssystem für eigene Zwecke; Solidarität erleidet dadurch freilich Einbußen an ihrem eigenständigen moralischen Selbstwert. Durch die ökonomische Vereinnahmung wird nämlich »Solidarität eine Form von Sozialkapital« durch die »Einbindung eines jeden in wechselseitige Abhängigkeiten … Konkreter : Eine geeignete Form institutionalisierter Solidarität ist eine Investition in die Zustimmung zur Marktwirtschaft«.69 Trotz der gemeinsamen Terminologie bleiben interdisziplinäre Austauschmöglichkeiten durchaus begrenzt. Zum Thema ›Solidarität‹ lassen sich zwar Tagungen mit Vertretern aus allen genannten Fachrichtungen organisieren oder Sammelbände mit deren Beiträgen füllen; dennoch hat man nicht das Gefühl, das alle den selben Gegenstand meinen, wenn von Solidarität die Rede ist. Es wird z. T. sogar bewusst auf Abgrenzung geachtet. So soll etwa die moralphilosophische Diskussion über Solidarität auf keinen Fall mit positiv-rechtlichen Solidarpflichten verwechselt werden. Schon der bloße Anschein einer schlichten Rechtspflichterfüllung kann geradezu das Verdienstliche des Überobligatorischen verderben. Die juristische Begründung wiederum soll von bloß politischen Forderungen nach solidarischer Vergemeinschaftung abgrenzbar bleiben und darf möglichst nicht von soziologischen Beschreibungen faktischer Solidarhandlungen abhängig gemacht werden. Wie schon der US-amerikanische Philosoph Max Pensky in seinem Buch ›The Ends of Solidarity‹ (auf S. 9) meint, lassen sich wohl allenfalls gewisse ›Familienähnlichkeiten‹ (i. S. Wittgensteins) zwischen den verschiedenen Verwendungsweisen behaupten. Obwohl man sich innerhalb der einzelnen Disziplinen der Unterschiede durchaus bewusst ist, erscheint etwa als einheitliche Grundintuition die Evidenz der positiven Be67 J. Berger, in: Transnationale Solidarität, 253 mit Verweis auf die entsprechende Einschätzung von Max Weber. 68 Zit. nach H. Busche, in: ders. (Hg.), Solidarität, 73 m.N. 69 A. Suchanek, Ökonomische Ethik, 90f.

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wertung des Begriffs der Solidarität. Solidarisches Verhalten ist irgendwie immer gut und scheint deshalb jeder Fachrichtung gut zu Gesicht zu stehen. Zudem kann sich die Rede von solidarischen Verhaltensweisen ebenso wie das gegenteilige Erleben von egoistischen Handlungen auf Erfahrung berufen. Aber auch das Ausbleiben von Solidarisierungen kann als schmerzhafte Mangelerscheinung erlitten werden. Beides bringt der Umgang mit anderen Menschen zwangsläufig mit sich. Aus der Tatsache, dass jeder immer schon Teil einer familiären und gesellschaftlichen Gruppe ist, erwachsen normative Erwartungen an ein kollegiales Verhalten, durch das der jeweilige Sozialverband gesichert werden soll. Damit hat es der Einzelne mit einer teils vorgegebenen, teils vorgeschriebenen oder auch freiwilligen Bindung an ein Kollektiv zu tun. So kann offen bleiben, ob es sich um ein angeborenes Gefühl der Verbundenheit oder lediglich um eine kulturelle Errungenschaft handelt. »Der Begriff der Solidarität impliziert … zum einen die deskriptiv-soziologische, zum anderen die normativ-ethische Dimension«.70 Solidarität wird daher sowohl »im Sinne eines soziologisch ermittelbaren Faktums, eines tatsächlichen Sachverhalts«, d. h. als »solidarit¦ de fait, Seinsprinzip«, als auch »als eine ethische Forderung, eine normative Aussage (solidarit¦ devoir, Sollensprinzip)« verstanden. Diese Unterscheidung wird teilweise in Verbindung zu Oswald von Nell-Breunings Unterscheidung zwischen der » ›Gemeinverstrickung‹ « als umfassende »Interdependenz« und einer » ›Gemeinverhaftung‹ « als daraus folgende »Verantwortung« des Menschen gesetzt.71 Je nach Bedarf kann eine von beiden Seiten der Begriffsmedaille vorgezeigt werden. Neben die Unterscheidung zwischen Deskriptivität und Normativität tritt noch eine Differenzierung der »Stoßrichtungen des Solidaritätsgedankens«: in »vertikale(r) Ausrichtung« handelt es sich um eine Übernahme von »Verantwortung der Einflussreichen oder einer übergeordneten Instanz den Schwächsten gegenüber«. Dabei geht es z. B. um das »Anteil-Geben am Besitz«. Demgegenüber meint die »horizontale Stoßrichtung« des Solidaritätsgedankens bestimmte »Initiativen gegenseitiger Hilfen«, die von unmittelbar Betroffenen zur Verbesserung ihrer eigenen Lage angestoßen werden; beispielhaft hierfür ist vor allem die »Solidarität der Arbeiter«.72 Diese Form lässt sich besonders ein70 U. Nothelle-Wildfeuer JRE 22 (2014), 80; s.a. J. Könemann, European Journal of Mental Health 9 (2014), 146f. 71 A. Lienkamp JRE 22 (2014), 56; vgl. zur letztgenannten Unterscheidung auch U. NothelleWildfeuer JRE 22 (2014), 86; M. Möhring-Hesse JRE 22 (2014), 278. Zur Differenzierung zwischen »solidarit¦ de fait« und »solidarit¦ devoir« und ihrer Herkunft aus dem französischem Solidarismus um 1900 siehe R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, 87ff.; T. Fiegle JCSW 48 (2007), 66f. 72 U. Nothelle-Wildfeuer JRE 22 (2014), 84.

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drucksvoll mit der Gewerkschaft ›Solidarnos´c´‹ verbinden, die in den 1980er Jahren in Polen, nicht nur zur Verbesserung der Lage der Arbeiter, sondern für einen politischen Umschwung gesorgt hat.73 Für diese Solidarität » ›von unten‹ «, die »primär die Betroffenen selbst« umfasst und aus ihren eigenen Reihen hervorgehen muss, wird auch der Name »Consolidarität« vorgeschlagen, während die erstgenannte Variante »der Solidarisierung im Sinne eines anwaltschaftlichen Eintretens von nicht unmittelbar (wohl aber moralisch) Betroffenen … als Prosolidarität« bezeichnet werden soll.74 Der Ausdruck »Consolidarität« taucht sogar bereits im 19. Jahrhundert auf;75 er wird damals jedoch – mangels entsprechendem Gegenbegriff – meist als bloßes Synonym für Solidarität verwendet.76 Zur Klärung der Unterscheidung zwischen Con- und Pro-Solidarität wird auch von »einer symmetrischen und einer asymmetrischen Solidarität« gesprochen.77 Daneben bleibt ebenso noch in der Schwebe, ob sich solidarische Einstellungen nur auf eine mehr oder weniger überschaubare Gemeinschaft (Familie, Genossenschaft, Kommune bis hin zur eigenen Nation) beziehen lassen oder auch das gesamte Menschengeschlecht umfassen kann, d. h.: setzt Solidarität die Parteinahme für eine bestimmte bzw. bestimmbare Bezugsgruppe voraus,78 oder lässt sie sich zu einer umfassenden humanitären Empfindung generalisieren. Insofern wird »zwischen einer partikularen und einer universalen Solidarität« unterschieden, wobei die letztgenannte »auf der Personwürde gründet und die gesamte Menschheit zum Horizont hat«.79 (4) Über (moral-)philosophische Verallgemeinerungen Um eine solch universale Perspektive erreichen zu können, müsste sich der Begriff der Solidarität von einer aus der politischen Ethik stammenden sozialphilosophischen Einkleidung noch etwas weiter zu einem festen »Bestandteil einer universalistischen Moral« verallgemeinern lassen. Wie beispielsweise 73 Vgl. S.J. Scholz, Political Solidarity, 8f. 74 A. Lienkamp JRE 22 (2014), 58f. m.N.; siehe zur Unterscheidung zwischen »Consolidarität« und »Prosolidarität« auch G.M. Prüller-Jagenteufel, Münchener theologische Zeitschrift 53 (2002), 28; ders., in: Solidarität, 200ff.; D. Mieth, in: Begründung von Menschenwürde, 127; M. Vogt JRE 22 (2014), 101f. 75 Z.B. bei A. Bastian, Zeitschrift für Ethnologie 10 (1878), 56, der das »einigende Band« zwischen den Menschen »nicht in Blutsverwandtschaft«, sondern »in der Gleichartigkeit der Interessen« sieht, die vom »nationalen Bande der Sprache« bis zum »internationalen« Bereich einer »Consolidarität der Cultur-Interessen« reichen könne. 76 Vgl. W.T. Krug, Allgemeines Handwörterbuch 5, 227 (Artikel ›Solidität‹). 77 J. Könemann, European Journal of Mental Health 9 (2014), 147. 78 Dafür macht sich zuletzt etwa Simon Derpmann, Gründe, 23f. und passim, stark. 79 J. Könemann, European Journal of Mental Health 9 (2014), 147f. Zu den philosophischen Grundlagen dieser Differenzierung s.a. J.M. Schwartz, Journal of Social Philosophy 38 (2007), 131ff.

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Jürgen Habermas vorgeschlagen hat, kann es beim Begriff der Solidarität dann nicht mehr um eine »Opferbereitschaft für ein kollektives Selbstbehauptungssystem«, sondern um den moralphilosophischen Kontext »reziproker Anerkennung zurechnungsfähiger Subjekte« handeln; unter diesem Aspekt fordert eine zur »Wurzel der Moral« erklärte Solidarität die »Empathie und Fürsorge für das Wohlergehen des Nächsten«.80 Dadurch lässt sich ein moralisch aufgeladener Begriff von Solidarität behaupten, der sich durch wechselseitige Achtung und Respekt auszeichnet. Zudem muss er sich aber auch von einer noch ganz wertneutralen Form der Solidarisierung mit einer – u. U. ja kriminellen – Vereinigung abgrenzen. Solidarität ist dann nicht unbedingt ein Selbstwert, sondern an die allgemeinen moralischen Bewertungsmaßstäbe rückgebunden. Wer sich über unmoralische Inhalte mit anderen solidarisch erklärt, kann nicht schon wegen dieser Ausübung einer praktischen Solidarisierungsleistung als ethisch gut beurteilt werden. Nur wenn sich die Solidarität im Rahmen einer Moralität wechselseitiger Anerkennung entfaltet, kann ihre eigentliche normative Qualität behauptet werden. In einem ähnlich starken Sinne will auch der Britische Philosoph David Wiggins in seiner 2008 gehaltenen ›Lindley Lecture‹ den Begriff der Solidarität verstanden wissen. Dabei setzt er sich nicht zuletzt für ein Verständnis von Solidarität als vorreflexivem Grundgefühl ein. Mit einer solchen Konzeption tritt er in bewusste Abgrenzung zu den im sozio-politischen Wortschatz angesammelten Konnotationen, in denen es lediglich um die Beobachtung faktischer Interessenlagen geht. In diesem Zusammenhang bemüht er sich darum: »to reconstruct the kind of solidarity that exists among those who recognize one another as members of the party of humankind. There is a solidum, some whole thing, which every member is entitled to expect from each and every other« (Solidarity, 11).

Dadurch wird Solidarität zu einem Synonym für die wechselseitige Anerkennung der Menschen, die sich jeweils als Teile eines Ganzen (solidum – das Ganze, der feste Körper oder auch Boden) verstehen. Solidarisch ist, wer sich und andere als gleichen Bestandteil einer Gesamtheit erkennt und sein Handeln entsprechend ausrichtet. Gerade der Umstand, dass »personal beings recognize one another as personal beings, open themselves to the claims of solidarity« (Solidarity, 13). Solidarität kennzeichnet damit nicht nur eine bestimmte Verhaltensweise, sondern bestimmt zugleich die Seinsweise des Menschen als moralisches Wesen schlechthin. Die Forderung nach Solidarität gehört für 80 J. Habermas, Erläuterungen, 70f./16; kritisch dazu W. Kersting, Theorien, 390ff.; zu Habermas’ Solidaritätsverständnis s.a. J. Dean, Constellations 2 (1995), 128ff.; R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, 191ff.; M. Hoelzl, Journal for Cultural and Religious Theory 6 (2004), 45ff.; M. Pensky, Ends of Solidarity, 175ff.; S. Derpmann, Gründe, 87ff.; s.a. J. Wilenmann, Freiheitsdistribution, 132 Fn. 425.

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Wiggins damit zum Kern aller Moral. Sie vermag der Moral überhaupt erst einen positiven Inhalt zu verleihen, da das ethische Erleben für ihn zunächst mit negativen Erfahrungen verbotener Handlungen anhebt. Hinter der bloß unbestimmten Negation innerhalb von konkreten Verletzungserlebnissen steht aber immer schon die Möglichkeit eines positiven Begriffs der mit wechselseitiger Anerkennung gleichgestellten Solidarität; sie steht für »the ethical itself«. Das Ethische hat als solches demnach »its basis in mutual recognition, in solidarity« (Solidarity, 14). Solidarität meint für Wiggins nichts anderes als wechselseitige Anerkennung. Diese allgemeine Solidarität kann dann spezielle bzw. lokale Solidaritäten ausbilden. So wird jene »general solidarity of the party of humankind« als Basis sämtlicher »local solidarities« für Wiggins zugleich zum Grund der »deontological categories« des Verbotenen. Das Verbotene ist damit kategorial mit einer Verletzung der wechselseitigen Anerkennung verbunden, denn: jedes Verbot »is rooted in the phenomenon of recognition«; sämtliche Übertretungen dieses Grundes »poison the source of the ethical itself« (Solidarity, 15/14).81 Großes Unrecht, etwa »wilful killing«, wird von Wiggins dadurch zu einem »extreme of unsolidarity« erklärt (Ethics, 244). An der Quelle der Ethik sitzt daher etwas Tatsächliches: »Human solidarity is a way of being« – Solidarität ist für Wiggins folglich eine Weise des moralischen Menschseins, die jene typisch zwischenmenschliche Beziehungsweise als Anerkennungsverhältnis faktisch prägt. In diesem Sinne sind das solidarische »feeling and the associated demand … facts lying beyond judgment or choice«.82 Wir haben demnach gar keine Wahl, wir sollen nicht nur solidarisch sein, wir sind es; wir müssen solidarisch sein, weil wir – als moralisch-vernünftige Wesen – nur in der gegenseitigen Anerkennung leben können. Wiggins lässt den Solidaritätsbegriff daher als Quelle der Moral sprudeln und in die diversen Ströme ethischer Problemebenen fließen. Die neu gewonnene Stärke dieses Begriffs hebt sich jedoch zugleich auf, insoweit es nur um eine Neuetikettierung für einen anderweitig bereits bekannten Ansatz handelt. Solidarität ist dann nämlich nur der später verwendete Zweitname, auf den die zuvor schon als Anerkennungsverhältnis benannte Begründung der praktischen Philosophie nachträglich getauft wird. Die philosophiehistorisch wirkungsmächtigen Vorläufer der Anerkennungstheorie sind durchaus auch ohne das Wort Solidarität ausgekommen, ohne dass bei ihnen ein Begründungsmangel spürbar geworden wäre. Im Hinweis auf eine quasi-natürliche Verbundenheit und der Forderung nach Loyalität gegenüber einer Gemeinschaft setzen auch noch andere Ansätze an, in 81 Ähnlich schon D. Wiggins, Ethics, 248. 82 D. Wiggins, Solidarity, 18/15; siehe dazu eingehend S. Derpmann, Gründe, 77ff.; ders., in: Solidarity, 109ff.

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denen normative und deskriptive Merkmale im Begriff der Solidarität kombiniert werden.83 In einer Art »Zwischenstellung« zwischen nicht geschuldeter »Wohltätigkeit« und gebotener »Gerechtigkeit« stellt der Solidaritätsbegriff schließlich eine soziale Reaktion auf eine allzu egoistische Vereinzelung dar.84 Hierfür wird der Tendenz eines extremen Individualismus, in dem jeder nur an sich zu denken brauche, eine Vision einer Solidargemeinschaft entgegengehalten, in der sich jeder auch um andere kümmert. Am deutlichsten kommt dies schon in der viel zitierten Parole des Proto-Sozialisten Stephan Born aus den 1848er Revolutionsjahren zum Ausdruck: » ›Freie Konkurrenz! Jeder für sich!‹ wird hier gegenübergestellt dem Prinzip der ›Solidarität‹, der ›Verbrüderung! Jeder für alle!‹ «.85 Hier liegt die gedankliche Verknüpfung zu dem populären Motto aus Alexandre Dumas Roman ›Die drei Musketiere‹ aus dem Jahr 1844 nicht fern: »Un pour tous et tous pour un«.86 Dieser unverfänglich klingende Schlachtruf ist keineswegs eine Entdeckung der politischen Solidarbewegung des 19. Jahrhunderts. Als deutsche Umschreibung des lateinischen ›in solidum‹ ist er schon Mitte des 18. Jahrhunderts verwendet worden (s. o. S. 288f. m.N.). So liest man in dem damals umfangreichsten – von Johann Heinrich Zedler herausgegebenen und verlegten – ›Universal-Lexicon‹: »In solidum, heisset gäntzlich, einer vor alle, und alle vor einen, wie sich bisweilen die Bürgen und Schuldner verschreiben« (Band 14 (1739), Sp. 609); wenig später (in Sp. 745 desselben Bandes), steht statt ›Bürgen‹ sogar – wohl versehentlich: »also verschreiben sich bisweilen die Bürger«. Quasi aus Versehen wird so schon Mitte des 18. Jahrhunderts aus dem rechtlichen Kontext einer Schuldnerhaftung heraus eine Art ›Bürger‹-Solidarität angedeutet. Das genannte Motto fand zu dieser Zeit auch schon als Bestimmungsgrund für den Umfang von Satisfaktionsmöglichkeiten zum Ausgleich von diversen Rechts- bzw. Pflichtverletzungen im staatsphilosophischen Kontext Erwähnung.87 Sehr viel später ist er dann am Anfang des 20. Jahrhunderts beispielsweise von Max Scheler als Mindest-Definitionsmerkmal von Solidarität als »irgendeine Form des ›Einer für alle‹ und ›Alle für einen‹ « aufgenommen worden.88 Gleichwohl ist auch dieser Slogan nicht ganz frei von dem Verdacht geblieben, in ein Extrem umschlagen zu können. Er könnte nämlich mit einem eher »tra83 Hierzu und zum Folgenden N. Capaldi, in: K. Bayertz (Hg.), Solidarität, 86; D. Heyd, Journal of Social Philosophy 38 (2007), 118f.; H.-J. Große Kracht JCSW 48 (2007), 19ff.; M. Pensky, Ends of Solidarity, 3ff.; K. Röttgers, in: H. Busche (Hg.), Solidarität, 28f. 84 Vgl. dazu O. Höffe, Demokratie, 89 (ff. und 413f.). 85 Zitiert nach A. Wildt, in: K. Bayertz (Hg.), Solidarität, 206 m.N.; s.a. E. Denninger KritV 92 (2009), 21; K. Röttgers, in: H. Busche (Hg.), Solidarität, 29. 86 Siehe dazu D. Wiggins, Solidarity, 11; S. Kadelbach, in: ders. (Hg.), Solidarität, 9f. 87 Siehe P.J.F. Döhler, Gründliche Entdeckung, 275ff. bes. 277. 88 M. Scheler, Formalismus, 518; siehe dazu R. Zoll, Was ist Solidarität heute?, 181f.; T. Bedorf, in: H. Busche (Hg.), Solidarität, 112f.

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ditionellen Sinn von Solidarität« verbunden sein, in dem »die Genossenschaft mit der Gefolgschaft verflochten« ist. I.d.S. hört etwa Jürgen Habermas »die Formel des ›Alle für Einen, und Einer für Alle‹ « sich auf die sehr viel problematischere und historisch blamierte »Formel ›Führer befiehl, wir folgen Dir‹ … reimen« (Erläuterungen, 70f.). Falsch verstandene Solidarisierung kann auch in der eigenen Selbstaufgabe enden. In der Rede von Solidarität schwingt diese Ambivalenz stets mit. Auch sonst werden einige »Spannungsfelder« durch den ambivalenten Umgang mit dem Solidaritätsbegriff diagnostiziert, da es sich um ein »mehrdimensionales Phänomen« handelt. Dies gilt zumindest dann, wenn es um die Verrechtlichung von Solidarität geht und solidarisches Handeln verpflichtend wird. Dann wird der Akt der Solidarisierung kalkulationsfähig, soweit die Beteiligten einer Solidargemeinschaft mit der Erfüllung der wechselseitigen Einstandspflicht rechnen dürfen. Auf diese Weise entsteht eine Spannung »zwischen Werk der Übergebühr und Pflicht, zwischen Altruismus und futuristisch ausgerichteter Verhaltenskalkulation«.89 Als Zwitter aus loser Normativität und Supererogation (dazu schon oben S. 293) scheint sich Solidarität jedoch gerade jedem ethisierenden und juridifizierenden Zugriff zu verweigern; insoweit sei »Solidarität nicht zu verrechtlichen«.90 In Ethik und Recht geht es nämlich um moralisch notwendige bzw. sogar erzwingbare Handlungen. Der Status eines verpflichtenden Gebotenseins droht dann aber das fast schon Heldenhaft-Verdienstliche einer wahrhaft solidarischen Tat zunichte zu machen. Als zwangsbewehrte Rechtspflicht büßt Solidarität den Mehrwert freiwilliger Leistung ein; als ethische Verbindlichkeit verschwimmen zudem die Grenzen zum utilitaristischen Denken, das durch Gemeinwohlorientierung ebenfalls den größten Nutzen für das Ganze einfordert. In diesem Sinne kann der inzwischen in Santiago de Chile lehrende Strafrechtswissenschaftler Javier Wilenmann in seiner – (laut Untertitel) der »Dogmatik des Defensivnotstands im Strafrecht« gewidmeten – Freiburger Dissertation ›Freiheitsdistribution und Verantwortungsbegriff‹ sogar behaupten, dass der »Utilitarismus … der Idee der Solidarität … einen Teil seiner moralischen Überzeugungskraft schuldig« sei. Die Gleichwertigkeit aller Interessen lasse sich nämlich nur »durch die Behauptung der Existenz einer allgemeinen Solidaritätspflicht bezüglich der Menschheit oder der Gemeinschaft« begründen.91 Im Zuge einer Ethisierung oder Juridifizierung von Solidarität geht es dann freilich um eine gesetzlich oder ethisch verordnete Durchsetzung kollektiver Belange, durch die individuelle Interessen oder auch Rechte beeinträchtigt 89 C. Sedmak, in: Solidarität, 45. 90 H. Münkler, in: Transnationale Solidarität, 18. 91 J. Wilenmann, Freiheitsdistribution, 141 Fn. 464.

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werden können.92 Dies betrifft zum einen die inter-subjektive Variante des Solidaritätsgedankens, d. h. das solidarische Verhalten der Bürger untereinander, zum anderen aber ebenso die Forderung an einzelne Rechtspersonen, sich zu Gunsten einer Gemeinschaft oder auch zum Wohl von Staat und Gesellschaft zu solidarisieren und individuelle Opfer für die Erreichung vermeintlich übergeordneter Gemeinschaftsziele zu erbringen. Neben diesen beiden Dimensionen einer solidarischen Beziehung der Bürger untereinander oder einer Person im Verhältnis zur Gemeinschaft gibt es aber noch eine dritte Ebene, in der es um die (sozial-)politische Forderung nach Vorsorge des Staates zu Gunsten seiner Bürger geht. Dieser Aspekt zielt dann auf die Schaffung einer Solidargemeinschaft, die so organisiert werden soll, dass sich das staatliche Gemeinwesen gerade um die kümmern muss, die sich selbst nicht allein versorgen können. In dieser Richtung scheint die nach der erwähnten Politisierung des Solidaritätsbegriffs erfolgte Re-Juridifizierung einer solidarischen Haftung des Staates für seine Bürger unproblematischer, soweit dadurch aus dem Anschein einer lediglich milden Wohltat ein einklagbarer Rechtsanspruch des Einzelnen oder einzelner Gruppen gegenüber dem staatlichen Gemeinwesen erwachsen kann.93 Historisch schließt sich insofern gleichsam ein Kreis. Nachdem das Wort Solidarität ursprünglich aus dem haftungsrechtlichen Begriff der ›obligatio in solidum‹ entwickelt wurde und in Politik, Soziologie und Ethik Karriere gemacht hat, kehrt es durch vielfache Verrechtlichung gleichsam zu den Ursprüngen zurück. Gegenwart und Zukunft des Begriffs liegen in seiner Herkunft. Die Rückholung der Solidarität ins Recht ist in normativer Hinsicht vielleicht am deutlichsten in einem Vorschlag von Karel Vasak zum Ausdruck gebracht worden, den er zuerst 1979 in einer Eröffnungsrede zur ›Tenth Study Session of the International Institute of Human Rights‹ in Straßburg unterbreitet hat.94 Darin hat er bestimmte Rechte auf Solidarität zu Menschenrechten erklärt. Vasak sieht auf die Entwicklung der Menschenrechte und unterscheidet drei Generationen, die er auf die drei Grundsätze der französischen Revolution ›libert¦, egalit¦, fraternit¦‹ bezieht. Danach habe sich die Idee der Menschenrechte zunächst in erster Generation seit dem 18. Jahrhundert als Freiheitsrechte entfaltet. In zweiter Generation seien dann in den darauf folgenden eineinhalb Jahrhunderten die ökonomischen, sozialen und kulturellen Gleichheitsrechte hinzugekommen. Als Spätgeborene sollen schließlich am Ende des 20 Jahrhunderts eine ganze Reihe von Rechten (z. B. auf Entwicklung, auf eine gesunde Umwelt oder auf Frieden) das Licht der Welt erblicken, die ein geschwisterliches 92 Vgl. dazu etwa G. Khushf, in: K. Bayertz (Hg.), Solidarität, 121f. 93 Siehe dazu M. Köhler, in: Kants Rechtslehre, 136ff. 94 Hierzu und zum Folgenden S.P. Marks, Rutgers Law Review 33 (1981), 441ff.; P. Alston, Netherlands International Law Review 29 (1982), 307ff.; C. Wellman, Human Rights Quarterly 22 (2000) 639ff. jeweils m.N.

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Zusammenleben garantieren sollen. Diese neue Form könnte dann in einer erneuten Übertragung der Fraternitätsidee auch Solidaritätsrecht oder Recht auf Solidarität genannt werden. Dies befördert den Begriff der Solidarität zugleich auf die Ebene des internationalen Rechts, da es nicht mehr nur um das Verhältnis des Menschen zu seinem eigenen (National-)Staat geht. Die Gewährleistung einer friedensstiftenden und umweltverträglichen Entwicklung, die für ein gedeihliches Miteinander sorgen soll, könne nur als Problem der Weltgesellschaft aufgefasst werden. (5) Zur (straf-)rechtlichen Anwendung Der grob skizzierte Umfang des bunten Anwendungsspektrums des Solidaritätsbegriffs lässt sich noch auf konkretere rechtliche Facetten herunterbrechen. Immerhin gibt es im und jenseits des Strafrechts hinreichend gesicherte Erfahrungen mit solidarischer Haftungsübernahme im zivil- bzw. gesellschaftsrechtlichen Bereich sowie im Europarecht. Dadurch kann jemand (d. h. eine natürliche oder juristische Person) z. B. für die Vermeidung drohender bzw. für die Beseitigung entstandener Schäden zuständig gemacht werden. Ganz ausdrücklich ist dies etwa in § 43 Abs. 2 GmbH-Gesetz geregelt, in dem es heißt: »Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden«. Besonders beliebt ist der Begriff der Solidarität in den Zielbestimmungen der europarechtlichen Verträge. So bekennt sich der Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag), der u. a. »IN DEM WUNSCH, die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken« (wie es bereits in der Präambel heißt), verfasst worden ist, zu der Mehrdimensionalität des solidarischen Einstehens: neben der primär naheliegenden »politischen Solidarität der Mitgliedstaaten« (Art. 24 Abs. 2) soll dadurch auch die »Solidarität zwischen den Generationen« gefördert werden (Art. 3 Abs. 3).95 Darüber hinaus wird im europäischen Diskurs gerne die soziale Solidarisierung beschworen, um die wirtschaftliche und finanzielle Solidarität zwischen den – reichen und armen – Staaten in Grenzen halten zu können. Speziell in strafrechtlicher Hinsicht zeigt sich die Ambivalenz des Solidaritätsgedankens. Einerseits hat die Forderung nach Solidarität mitunter strafbegründenden Charakter. So wird vor allem die Strafbarkeit der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) auf eine allgemeine Einstandspflicht zurückgeführt, die den »Geist der Solidarität und sozialen Verantwortung« atme, wie schon Wilhelm Gallas zu der – wegen seiner nationalsozialistischen Herkunft umstrittenen – Vorgängervorschrift des § 330c StGB a. F. bemerkt hat (JZ 1952, 95 Dazu und zu anderen Regelungen des Europarechts mit Solidaritätsbezug A.T. Müller, in: Solidarität, 79ff.; S. Kadelbach, in: ders. (Hg.), Solidarität, 12ff.

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396).96 Diese Begründungsstrategie wird zunehmend verallgemeinert. So wird darüber hinaus auch zur Herleitung von strafbewehrten Garantenpflichten auf solidarische Pflichtenstellungen verwiesen.97 Auch bei der Bestimmung einer Beihilfe i. S.v. § 27 StGB bemüht der Bundesgerichtshof bisweilen die Formulierung, dass ein »Tatbeitrag als Beihilfe zu werten« sei, wenn er »als Solidarisierung mit dem Täter zu deuten ist«.98 Wer sich mit den falschen Leuten und ihren Unrechtstaten solidarisiert, soll dafür strafrechtlich haftbar gemacht werden. Dabei beruft sich der BGH meist ausdrücklich auf eine entsprechende Formulierung von Claus Roxin in dessen Kommentierung zu § 27 StGB (in: LK (11. Aufl. 1992) § 27 Rn. 19).99 Roxin selbst bezieht sich an dieser Stelle auf den Ansatz von Heribert Schumann, der den Ausdruck »Solidarisierung mit fremden Unrecht« sehr grundlegend zur Beschreibung des Teilnahmeunrechts verwendet hat.100 Dies wird von Roxin freilich kritisiert, da der »Solidarisierungsgedanke die Strafbarkeit der Teilnahme nicht tragen« könne.101 Trotz derartiger Bedenken taucht der Aspekt der ›Solidarisierung‹ auch in anderen Zusammenhängen auf: so etwa bei der Strafvereitelung102 und der Geldwäsche103. Schließlich soll die »Solidarität mit dem Opfer« sogar zur Bestimmung des Strafzwecks im (Völker-)Strafrecht herangezogen werden;104 Gesellschaft und Staat stellen sich symbolisch an die Seite der Verbrechensopfer und sollen gleichsam als Zeichen der Solidarisierung den Akt der Entsolidarisierung durch den Verbrecher strafen. In einer etwas anderen Hinsicht wird dem Solidaritätsbegriff bereits seit langem eine wichtige straftheoretische Aufgabe zugeschrieben. Schon Durkheim hatte in seiner oben (S. 289ff.) genannten und bereits referierten Dissertation auf die Funktion des Strafrechts als Paradigma für jenen »Typus sozialer Solidarität« hingewiesen, den er als ›mechanisch‹ be96 Zu dieser durchaus problematischen Verbindung s.a. K. Kühl, in: A. v. Hirsch u. a. (Hg.) Solidarität, 93ff. m.w.N. 97 Siehe hierzu – kritisch – K. Seelmann, in: Recht und Moral, 296; ders., in: A. v. Hirsch u. a. (Hg.) Solidarität, 36 jeweils m.N. 98 BGH 3 StR 470/04 v. 21. 12. 2005, BGHR-StGB § 27 – Hilfeleisten 26 (insoweit nicht in den Abdruck dieser Entscheidung im amtlichen Band BGHSt 50, 331 aufgenommen); ähnlich auch BGH NJW 2003, 2996 (2999). 99 Vgl. den als Zitat gekennzeichneten Hinweis in: BGHSt 46, 107 (112); ebenso BGH NStZ 2000, 34. In den in Fn. 98 zitierten jüngeren BGH-Entscheidungen kommt der Verweis auf Roxin hingegen nicht mehr vor. 100 H. Schumann, Strafrechtliches Handlungsunrecht, 49 (ff.). Den Ausdruck »Solidarisierung« verwendet in diesem Zusammenhang zuvor bereit Theo Vogler, Heinitz-FS, 307/309; während für Friedrich Schaffstein die »bloße Solidarisierung mit dem Haupttäter« noch nicht für eine strafbare Beihilfe ausreichen sollte (Honig-FS, 182). 101 LK11-Roxin Vor § 26 Rn. 21; s.a. die Kritik an Schumanns Auffassung in C. Roxin AT II § 26 Rn. 22ff./227ff.; ebenso auch LK12-Schünemann Vor § 26 Rn. 16. 102 T. Lenckner, Schröder-GdS, 356f. 103 J. Vogel, ZStW 109 (1997), 356 m.w.N. 104 So etwa F. Neubacher, NJW 2006, 969.

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zeichnete. Wie schon angedeutet, geht es dabei um eine Gesellschaftsform, in der das »Band der sozialen Solidarität« primär mit repressiven Sanktionen geknüpft wird. Danach werden durch Strafe als Reaktion auf den Bruch wichtiger Regeln soziale Werte einer Gesellschaft bekräftigt und hierdurch der Zusammenhalt der Mitglieder gefördert (Arbeitsteilung, 117f.).105 In ausführlicher Auseinandersetzung mit Durkheims Ansatz hat in jüngerer Zeit vor allem der us-amerikanische Strafrechtler Joseph E. Kennedy in einem umfangreichen Aufsatz im ›Hastings Law Journal‹ (Vol. 51 (2000), 829–908) auf eine entsprechend funktionale Deutung – in durchaus kritischer Absicht – aufmerksam gemacht.106 Anhand der in den letzten Jahrzehnten veränderten Darstellungsweise von Verbrechen und Strafe lasse sich die entsprechende Bedeutung des Solidaritätsbegriffs aufzeigen. Insbesondere die zunehmend schärfer werdenden Reaktionen auf geradezu ›monströse‹ Verbrechen diene der Förderung von Solidarität unter der rechtstreuen Bevölkerung. Kennedy beobachtet dabei einen gewissen Hang zur Dramatisierung in der Beschreibung von Kapitalverbrechen. Deren Begehung werde in manchen Darstellungen geradezu als ein Akt der Bestialität dargestellt. Als Folge dieser entarteten Vorstellungsweise sei es zu einer nicht minder dramatischen Verschärfung der Sanktionen gekommen, die sich als eine entsprechende Gegenbewegung verstehen lasse. Kriminalpolitik wird für Kennedy so zu einem ›Kampf gegen Monster‹:107 »Monstrous crimes and monstrous criminals provide appetizing fare for a society hungry for agreement and cohesion. Individuals in our society attempt to forge solidarity through the process of punishment by focusing on the worst possible offenses and offenders« (a. a. O. (Fn. 106), 830).

Kennedy traut der Strafe insofern einen gewissen Sündenbock-Effekt zu. Die Funktion der immer härter werdenden Sanktionen für gewaltige Verbrechen »is best understood as an exercise in scapegoating by people who are desperately trying to forge a greater sense of solidarity in a time of unprecedented change and division: Not just scapegoating in the traditional sense … but scapegoating in a subtler and more

105 Siehe dazu H.L.A. Hart, University of Chicago Law Review 35 (1967), 5ff.; D. Garland, Crime and Justice 14 (1991), 122ff.; J.-C. Müller-Tuckfeld, Integrationsprävention, 150ff.; W. Watts Miller, A Durkheimian Quest, 46ff. 106 J.E. Kennedy, Hastings Law Journal 51 (2000), 835ff. – speziell zu Durkheim. Eine Kurzfassung seiner Argumentation – inklusive kritischer Stellungnahmen – findet sich in dem Sammelband: Criminal Law Conversations, 253ff.; s.a. J. Simon, University of Miami Law Review 56 (2001), 231ff.; J. Douard, New York Law School Law Review 53 (2008/09), 39ff. 107 Siehe dazu etwa – am Beispiel der Wahrnehmung von Sexualstraftaten als paradigmatisch für eine »new penology« – J. Simon, Psychology, Public Policy, and Law 4 (1998), 456: »Sex offenders are our modern-day monsters«; s.a. J. Douard, New York Law School Law Review 53 (2008/09), 32ff.

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pervasive form as well. The essence of scapegoating is the attempt to identify the sources of social problems as external to the group« (a. a. O. (Fn. 106), 832f.).

Durch das strafbewehrte ›Outsourcing‹ der Täter bzw. ganzer Tätergruppen, die beispielweise anhand von Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit oder ihrem Einkommen bzw. ihrer sozialen Herkunft bestimmt werden, solle umgekehrt das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mehrheitsgesellschaft gestärkt werden: »mainstream America defining itself in opposition to the criminal ›other‹ through punishment. Outsider groups are persecuted in order to reinforce their distinctness and to maintain the dominant social, economic, and political position of the in-group« (a. a. O. (Fn. 106), 850).

In dem von ihm vor allem betrachteten Zeitraum der 1980er und 90er Jahre beobachtet Kennedy dabei in der amerikanischen Öffentlichkeit diese fatale Neigung zur Dramatisierung der Darstellung von Verbrechen. Dieser Vorgang speise sich aus unbestimmten Verlustängsten; es herrscht die Sorge um die Zersetzung des gesellschaftlichen Bandes. Wir leben in »a period of social history when our punishment policies are greatly affected by our anxieties about social solidarity«. Die Verschärfung des Strafrechts sei dabei eine Reaktion auf diese Sorge um den Bestand der gesellschaftlichen Bindungskräfte. »Anxieties about the solidarity of our society have their roots in the enormous economic, social, and ideological changes of the last three decades« (a. a. O. (Fn. 106), 898/ 865). Deshalb werden Straftaten zu monströsen Verbrechen aufgebauscht und Straftäter als Monster dargestellt. In der Erzählung solcher » ›special crime stories‹ « drücke sich nicht zuletzt die Sorge über den drohenden Verlust von Werten innerhalb einer zunehmend entsolidarisierten Gesellschaft aus: »We conceive of crime in monstrous terms and we sentence accordingly, in order to exorcise our anxieties about solidarity« (a. a. O. (Fn. 106), 834/859). Dies führt für Kennedy freilich zu einer »False Solidarity Created by the Monstrous Offender«. Die dramatisierten Erzählungen erzeugen eine Eskalationsgefahr : »the false solidarity which scapegoating creates may create a hunger for more of the same … Like the alcoholic who lives from drink to drink, our society has gone from one moral panic about crime to another during the last few decades« (a. a. O. (Fn. 106), 858/ 869).

Vor allem sei bedenklich, dass die geschilderte Kriminalisierung und die daraus folgende Strafverschärfung primär die ohnehin benachteiligten Bevölkerungsgruppen treffe. Es sind auffällig oft die farbigen und sozial schwache Menschen, die davon betroffen sind. In den skizzierten Ansätzen wird dem Begriff der Solidarität entweder eine strafbegründende Wirkung zugesprochen oder er soll innerhalb einer funktionalen Deutung den gesellschaftlichen Sinn der Strafe darlegen. Andererseits

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wird einer rechtlichen Verpflichtung zur Solidarität aber auch entlastende Wirkung zugesprochen, insbesondere wenn es um die Herleitung von Rechtfertigungsgründen geht. In diesem Sinne wird zur Begründung der rechtfertigenden Wirkung einer Tat im Rahmen einer Pflichtenkollision108 oder auch der Notwehr bzw. Nothilfe auf den Solidaritätsgedanken verwiesen. So kommt z. B. für Cornelius Prittwitz dem »Gebot der Solidarität« sowohl eine begründende als auch eine zugleich begrenzende Aufgabe i.R. des Notwehr(hilfe)rechts zu: einerseits könne nämlich in der »Solidarität mit dem Angegriffenen« zumindest ein Grund für die Nothilfe gesehen werden; andererseits könne damit zugleich aber nur »eine mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vereinbare Verteidigung als rechtfertigend« anerkannt werden (Kargl-FS, 446/442/446). Am häufigsten wird jedoch im Rahmen eines rechtfertigenden Notstands auf Solidarität gesetzt. Der wohlklingende Begriff soll nicht zuletzt dazu dienen, diesen Rechtfertigungsgrund von dem leicht verpönten Kalkül bloßer Interessenabwägungen zu lösen, der lange Zeit im Vordergrund gestanden hatte.109 In diesem Sinne eines Korrektivs der früher vorherrschenden »Kollisionstheorie«, die den Notstand als schlichte Abwägung kollidierender Interessen versteht, wurde der »Gedanke der Solidarität aller Glieder der Gemeinschaft« wohl erstmals 1926 in der Dissertation von Ernst Heinitz mit dem Titel ›Das Problem der materiellen Rechtswidrigkeit‹ erwähnt. Dabei handelt es sich für ihn um eine sozialethische Einschränkung des an sich unbeschränkten Rechtsgutsgebrauchs, da »die Sozialethik ein gewisses Maß von Altruismus verlangen darf« (Problem, 37). Der von einer Notstandstat Betroffene müsse sich aus Gründen der Solidarität altruistisch verhalten und Einbußen an den eigenen Rechtsgütern hinnehmen. Die entsprechende Duldungspflicht des Notstandsopfers begründet zugleich die Straffreistellung eines Notstandstäters. Der Hinweis auf ein solidarisches Einstehen der Beteiligten soll behilflich sein, diesen Rechtfertigungsgrund von der sozialen Kälte bloßer Verhältnismäßigkeitsprüfungen und Angemessenheitsüberlegungen zu befreien und in ein wärmeres Licht zu tauchen. Sieht man zunächst einmal von der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der diversen Ansätze ab, die unter der Flagge der Solidarität segeln, dürften die ›solidaritätstheoretischen‹ Begründungen des Notstandsrechts inzwischen sogar vorherrschend sein.110 Dabei wird die Schwierigkeit einer solchen Grundlegung bisweilen offen 108 Siehe etwa T. Zimmermann, Journal of Criminal Law 78 (2014), 272ff., der sich insoweit ebenfalls auf die Philosophie von Rawls bezieht. 109 Vgl. dazu J. Renzikowski, Notstand, 188ff., bes. 196ff.; U. Neumann, in: A. v. Hirsch u. a. (Hg.) Solidarität, 155ff., bes. 164f.; NK-Neumann § 34 Rn. 9; A. Engländer in: Matt/Renzikowski-StGB § 34 Rn. 3 jeweils m.w.N. 110 So auch F. Meyer GA 2004, 361 m.Fn. 44; J. Wilenmann, Freiheitsdisribution, 140f. m.Fn. 466 jeweils m.w.N.

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benannt: wie beispielsweise Joachim Renzikowski freimütig eingesteht, soll die Wahl des Solidaritätsprinzips letztlich »auf einer nicht weiter deduktiv ableitbaren Wertentscheidung« beruhen, weshalb »die Entscheidung für das Solidaritätsprinzip nicht weiter begründbar« sei;111 der Gesetzgeber könnte prinzipiell auch anders, wenn er nur wollte. Nicht einmal eine begrifflich-historische Analyse könne zur näheren Begründung herangezogen werden, da für die »Notstandsproblematik … die Geschichte des Begriffs ›Solidarität‹ … wenig ergiebig« sei.112 Der Blick auf die Begriffsgeschichte könnte nur irritierend wirken und eventuell Zweifel an der Tauglichkeit dieses Wortes wecken. Die strafrechtliche Theoriebildung brauche sich nicht durch geistesgeschichtliche Klärungsversuche belehren zu lassen; das Strafrecht bildet die eigene Begriffe gleichsam nach eigenen Bedürfnissen ungeachtet dessen, ob und wie sie anderweitig verwendet wurden oder werden. Die Historie könne allenfalls belastend wirken, da sie dem Recht allzu viel Moral, Sozialethik oder Politik als Wissensbalast und normativen Überschuss aufbürde. Schließlich soll das Plädoyer für das Solidaritätsprinzip im Strafrecht weder allzu moralingesättigt wirken noch nach einer bloß sozialpolitisch eingefärbten Parole klingen. Offenbar lohnt sich aber auch eine ethik-freie Neudefinition nicht. Durch die umfassende Abstinenz und selbstverordnete Amnesie bzgl. der historischen und systematischen Begriffsbildung kann die Solidarität jedoch nicht als der eigentliche Grund der Entscheidung ausgegeben werden. Das Wort kann lediglich als Folge einer entsprechenden Bewertung angesehen werden. Die besagte ›Wertentscheidung‹ erscheint so allerdings nur noch als eine grundlose Dezision, die ihren Inhalt bewusst im Vagen halten möchte. Die Verwendung des Ausdrucks ›Solidarität‹ nutzt insoweit nur die Vorzüge einer schön klingenden Rhetorik und bleibt im oben (S. 285) angedeuteten Sinn ›parasitär‹. Im Übrigen erscheint die Solidarität als beliebig austauschbares Prinzip freilich als bloßer Willkürakt des modernen Gesetzgebers, der sich aus historisch kontingenten Umständen für die Solidarität entschieden habe. Die positivrechtliche Verstetigung des Solidargedankens verändert freilich die normative Haltung zur solidarischen Handlung, die insofern zu einer erzwingbaren oder zumindest sanktionierbaren Verhaltenserwartung mutiert. Dadurch strudelt die Begründung eines Solidaritätsprinzips in den Legitimationssog des positiven Rechts. Danach stellt sich die Frage, ob die Idee der Solidarität in Form rechtlicher Ge- und Verbote tatsächlich noch ein zusätzlicher Begründungsfaktor sein kann oder ihren eigentlichen Grund zuvor bereits von einem allgemein gefassten Rechtsbegriff erhält. Dann bleibt nämlich fraglich, ob es wirklich rechtliche Regelungen gibt, die aus einem höheren Prinzip der Solidarität abgeleitet wer111 J. Renzikowski, Notstand, 197f. 112 J. Renzikowski, in: A. v. Hirsch u. a. (Hg.) Solidarität, 14.

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den, oder ob nicht erst durch die Eigenlogik der Rechtsbegründung bestimmte solidarische Handlungsweisen vorgeschrieben werden. Außer einem bloßen Verweis auf eine schlichte politische Wertentscheidung des Gesetzgebers, der sich mit der mutmaßlichen Evidenz der Forderung nach (Mindest-)Solidarität in Notsituationen begnügen möchte, gibt es freilich eine Reihe von theoretisch anspruchsvolleren Bemühungen zur Herleitung notstandsspezifischer Solidaritätspflichten. Nach einer der jüngsten Einteilungen in der oben (S. 303) erwähnten Arbeit von Javier Wilenmann sollen sich zunächst »Drei unterschiedliche Theorien« um eine Grundlegung des Solidaritätsbegriff im Rahmen des strafrechtlichen Notstands bewerben. Dabei versteht er den Notstand als eine Institution, die die »Anerkennung von Ausnahmen zur allgemeinen Struktur des Rechts … legitimieren« soll. Strukturprinzip des Rechts sei nämlich die »Unantastbarkeit fremder Autonomiebereiche«. In den einschlägigen Notlagen werden daher den betroffenen Bürgern aus Gründen der Solidarität gewisse Einbußen an ihren Rechten und Rechtsgütern abverlangt, die für die Realisierung ihrer Freiheit im Übrigen geschützt sind. Die zuvor skizzierten – von Renzikowski und anderen vertretenen – Ansätze zählt Wilenmann zu den »dezisionistischen Theorien«, mit denen man letztlich in einer Legitimationskrise ende. Aus Grund ihrer Grundlosigkeit sollte diese Ansicht inzwischen »als ungenügend empfunden« werden, weshalb sie ebenso gut aus dem Reigen der aussichtsreichen Kandidaten ausscheiden könnten (Freiheitsdistribution, 142f./144/143). Daher könne die Unterteilung der Theorien noch weiter ausgedünnt werden. Unbeschadet zusätzlicher Differenzierungen lassen sich folglich nach Wilenmann »die Solidaritätstheorien in zwei Gruppe(n)« einteilen: »Liberal-kontraktualistische Solidaritätstheorien und Anerkennungssolidaritätstheorien«. Dem liegt eine »grundsätzliche Unterscheidung zwischen Kontraktualisten … und Kommunitaristen« zu Grunde. Trotz aller Differenzen, die jene Ansätze trennen, sollen die damit bezeichneten Theorien letztlich doch zu einer gemeinsamen philosophischen Großfamilie gehören, die dasselbe Problem von unterschiedlichen Seiten angehen. Dadurch kommt es laut Wilenmann zu einem »Familienstreit« um den »richtigen rechtlichen Solidaritätsbegriff«, der in den größeren Rahmen der inzwischen klassischen Debatte zwischen Liberalismus und Kommunitarismus gespannt werden könne. Damit soll die strafrechtsspezifische Debatte um eine angemessene Grundlegung der Notstandsrechtfertigung anhand des Solidaritätsbegriffs an jene Kontroverse zwischen diesen beiden Theorierichtungen angeknüpft werden, die die politische Philosophie der 1980er und 90er Jahre bestimmt hat. Deshalb sei dieser »Familienstreit … unmittelbar philosophisch zu thematisieren. Kurzum: Er ist kein strafrechtlicher Streit, sondern ein politisch-philosophischer Streit«. Der Hauptpunkt dieser Auseinandersetzung besteht für Wilenmann danach

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im Freiheitsbegriff: auf der Seite der liberalen Vertragstheorien stehe dabei jedoch ein »rein negativer politischer Begriff der Freiheit«, während auf der Seite der Kommunitaristen »der soziale, positive Begriff der Freiheit« vertreten werde, der nicht nur die Freiheit von bestimmten Zwängen etc. beschreiben kann, sondern sämtliche Realisierungsfaktoren der gesellschaftlichen Freiheit positiv aufnehme. In dieser Freiheitskonzeption sei Solidarität letztlich nur eine scheinbare Ausnahme zum allgemeinen Rechtsprinzip der an sich unbeschränkten Freiheit. In Wahrheit sei »der Anspruch auf Solidarität auch als Teil der Autonomie« dessen zu verstehen, der im Notfall sein Recht faktisch einbüßen müsse (Freiheitsdistribution, 146f.).113 Rechtliche Institutionen wie der Notstand seien nämlich wichtig für die Realisierung bürgerlicher Freiheiten. Ohne eine institutionalisierte Einlösung von Solidarität in Notlagen sei Autonomie eben nicht voll verwirklicht. bb) Normtheoretische Voraussetzung Damit ist das Ende des langen Umwegs erreicht, auf dem zumindest die Problematik des Begriff der Solidarität in geistesgeschichtlicher und systematischer Hinsicht ein wenig klarer werden sollte. Die Darstellung kann daher zur Auseinandersetzung mit dem Ansatz von Anna Coninx zurückkehren, den sie in ihrem Buch ›Das Solidaritätsprinzip im Lebensnotstand‹ ausführlich formuliert hat. Nach der von Wilenmann getroffenen Unterscheidung muss ihr Entwurf zu den kontraktualistischen Solidaritätstheorien gezählt werden. Mit John Rawls ist ihre Hauptbezugsquelle einer der Protagonisten jenes politischen Liberalismus, der in dem besagten Streit mit dem Kommunitarismus aufgetreten ist. In dem hier interessierenden Zusammenhang wird in der Arbeit von Coninx zunächst ein Blick auf allgemeine Begründungsmomente der Normentheorie geworfen. Diese sollen vor allem in Verbindung zu dem maßgeblichen »Legitimationsparadigma der Neuzeit« zu sehen sein. So bezeichnet sie das moderne Gesellschaftsvertragsmodell. Danach können sämtliche Normen grundsätzlich nur durch die Zustimmung der »Normadressaten« legitimiert werden (Solidaritätsprinzip, S. 26). Auf dieser Meta-Ebene lassen sich jedoch noch nicht »direkt Rechtspflichten ableiten«; daher muss erst das Abstrakte (Vertragsmodell) zum Konkreteren (Normsetzung) heruntergebrochen werden. Das bedeutet für die hiesige Problematik: es muss »eine entsprechende Rechtsnorm« deduziert werden, die dann »in einer konkreten Notstandssituation die Rechtsunterworfenen verpflichtet«. Erst der Verpflichtungscharakter konkreter Normen kann dementsprechend zwischen abstrakten Prinzipien und konkreten Handlungs113 Allgemein zur Bedeutung dieses Grundlagenstreits zwischen Kommunitarismus und Liberalismus für den Begriff der Solidarität: J.M. Schwartz, Journal of Social Philosophy 38 (2007), 131ff.

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erwartungen vermitteln. Dabei geht es im vorliegenden Fall um die Normierung einer Duldungspflicht für die Opfer im Flugzeug. Für diese rechtliche Pflicht, die hier notstandsbezogen sein soll, ist für Coninx folglich das »Solidaritätsprinzip … nur die ratio legis« (S. 33). Die generelle Einigung auf ein solidarisches Grundverhalten muss erst noch eine Notstandsnorm begründen. Normtheoretisch soll eine rechtfertigende Rechtsvorschrift nämlich voraussetzen, dass ein entsprechender Rechtfertigungsgrund nicht nur wie üblich als eine »Erlaubnisnorm« verstanden wird, die an den Notstandstäter adressiert ist. Diesem wird dann nämlich nur eine an sich gesetzlich verbotene tatbestandsmäßige Handlung freigestellt, zu der er aber nicht verpflichtet werden kann. Für eine solche Freistellung lässt sich dessen Einvernehmen leicht einwerben. Schwieriger dürfte hingegen die Zustimmung der möglichen Opfer einer Notstandshandlung zu erzielen sein. Hierfür muss das Szenario zunächst auch »aus Sicht des Notstandsopfers« ausgeleuchtet werden. Aus der Opferperspektive müsse nämlich zugleich eine »Verbotsnorm« statuiert werden (S. 18). Schließlich soll in Coninx Ansatz gerade für die Notstandsopfer eine normative Bindung postuliert und eine einverständliche Lösung gefunden werden. Es geht schließlich um deren Solidarität, die den Grund der Rechtfertigung liefern soll; daher muss es um eine Norm gehen, zu der auch jedes potenzielle Notstandsopfer seine Zustimmung erteilen könnte. Allein dieser Teil einer Notstandsnormierung erhält für Coninx einen echten Verpflichtungscharakter, der benötigt wird, da nur dann von einer Berechtigung zu einer bestimmten Handlung gesprochen werden könne, wenn auch eine Verbindlichkeit anderer gedacht wird, diesem Verhalten nichts entgegenzusetzen. Auf diese Weise wird der Pflicht zur Duldung sogar ein gewisser normativer Vorrang vor der Erlaubnisfunktion des Rechtfertigungsgrunds eingeräumt. Erst aus der Solidaritätspflicht erwächst der Rechtfertigungsgrund für den Notstandstäter. Rechte und Pflichten treten nämlich immer gemeinsam auf, sie sind gleichsam normativ verbundene ›Siamesische Zwillinge‹; daher könne es kein Recht ohne eine zugleich mitentstehende Pflicht eines anderen geben. Dies erinnert an die schon lange bekannte »Regul: Omnis obligatio praesupponit jus in altero«,114 die lediglich in umgekehrter Richtung formuliert werden muss. Aus der stets notwendigen Korrelation von Rechten und Pflichten folgt für Coninx daher diese normative Doppelung: parallel zu dem Recht auf eine Notstandshandlung schreibe dieselbe (Notstands-)Norm die Pflicht zu ihrer Duldung vor; der Erlaubnis zu einer Notstandshandlung entspricht insofern geradewegs ein Verbot, diese zu verhindern. Für Coninx entstehen Erlaubnis und das entsprechende Verbot jedoch nicht gleichursprünglich Genau besehen folge erst aus dem aus Gründen der Solidarität zu vereinbarende Verhinderungsverbot der Rechtfer114 P.J.F. Döhler, Gründliche Entdeckung, 273f. (274).

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tigungsgrund, d. h. aus der Aufopferungspflicht resultiert gleichsam eine normlogische Sekunde später das Recht zur Notstandshandlung. Gerade um dem erwähnten gesellschaftsvertraglichen Legitimationsparadigma Genüge zu tun, ist es für Coninx wichtig zu zeigen, dass einer rechtfertigenden Norm nicht nur eine Erlaubnis, sondern zugleich auch ein Verbotscharakter eigen ist. Die Begründung jenes Normbestandteils habe jedoch normativen Vorrang. Um dies zu sehen bedarf es eines Perspektivenwechsel. Der durch die besagte Verbotsnorm Verpflichtete soll dieser Regelung ebenfalls zustimmen können. Daher sei letztlich »nicht eine akteurszentrierte Perspektive (Sicht des Handelnden), sondern vielmehr eine opferzentrierte Perspektive (Sicht des Duldungspflichtigen) massgebend« (S. 57). Schließlich soll vor allem die Zustimmungsfähigkeit des potenziellen Opfers hergeleitet werden; daher braucht man eine verpflichtende Norm, mit der es einverstanden sein muss. Da jeder Mensch möglicherweise einmal in eine Notlage geraten kann, muss letztlich die Übereinkunft von allen eingeworben werden. Daher geht es bzgl. der hier fraglichen Thematik um eine normative Regelung, durch die im Lebensnotstand eine Tötung von Opfern ermöglicht und gerechtfertigt werden soll, die als Unbeteiligte in eine Gefahr geraten sind, die sowohl sie selbst als auch andere am Leben bedroht. Aus dieser Norm soll eine Duldungspflicht abgeleitet werden, die dem Gedanken einer allgemeinen Solidarität zwischen potenziellen Opfern entstammt. Solidarisch verhält sich daher, wer sich zur Aufopferung seines Lebens zur Rettung anderer verpflichten lässt. Aus einer solchen Deutung müsste freilich folgen, dass das Notstandsopfer zur völligen Untätigkeit verpflichtet ist oder sogar die eigene Selbstaufgabe befördern soll; es müsste letztlich die Notstandshandlung tatenlos abwarten oder gar die eigene Rechtseinbuße – wenn nötig – noch beschleunigen. Wenn aus Gründen der Solidarität eine Duldung der eigenen Tötung als Pflicht vereinbart werden soll, dann wäre es nämlich nur konsequent, die Opfer aus dem selben Grund sogar zu verpflichten, aus vorauseilendem Gehorsam sich mit dem Notstandstäter zu solidarisieren und alles zu tun, um die Menschen am Anschlagszielort am Leben zu erhalten. Schließlich wird im Namen der Solidarität meist nicht nur das passive Zulassen einer Handlung sondern eine eigene Aktivität verlangt, die entweder überobligatoisch ist oder einer positiven Verpflichtung folgt.115 Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Ebenso wenig, wie der Notstandstäter allein durch die Erlaubnisnorm zum Handeln verpflichtet ist, so wenig muss das Notstandsopfer die Tat positiv unterstützen. Wem eine durch Notstand gerechtfertigte (tatbestandsmäßige) Rechtsgutsverletzung droht, dem bleiben durchaus legale Möglichkeiten, diese abzuwenden; es ist einem potenziellen 115 Vgl. zu diesem Aspekt der Rede von Solidarität z. B. S.J. Scholz, Political Solidarity, 5/19f.

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Notstandsopfer nämlich unbenommen, beispielsweise durch einen kommunikativen Akt den Notstandstäter davon zu überzeugen, von seiner bevorstehenden oder bereits begonnenen Notstandstat Abstand zu nehmen. Die vermeintlich aus dem Rechtfertigungsgrund resultierende Duldungspflicht erstreckt sich jedenfalls nicht auf solche verbalen Überredungsversuche; mit Worten darf sich das Notstandsopfer zur Wehr setzen. Verboten sind daher nur solche Abwehrmaßnahmen, die einen Straftatbestand erfüllen würden. Aus einer rechtfertigenden Notstands-Erlaubnis-Norm ergeben sich allein noch keine konkreten Handlungs- oder Unterlassungspflichten für die von einer möglichen Notstands-Handlung betroffenen Opfer. Daher scheitert die Konstruktion einer vermeintlichen Vorrangstellung der Duldungspflicht gegenüber der Erlaubnisnorm. Die strafrechtsrelevante Verbotsnorm resultiert vielmehr – wie sonst auch – allein aus den einschlägigen Strafgesetzen (z. B. Nötigung, Körperverletzungsdelikte etc.); eine entsprechende tatbestandsmäßige Handlung begründet strafrechtliches Unrecht, da für sie keine Möglichkeit eines Unrechtsausschlusses vorliegt. Ein möglicher Rechtfertigungsgrund des Notstandstäters statuiert daher entgegen der Behauptung von Coninx nicht etwa eine zusätzliche Verbotsnorm für die potentiellen Opfer, sondern führt lediglich dazu, dass ein eventuell erfolgendes tatbestandmäßige Verhalten, durch das der Notstandstäter an seiner Rettungstat gehindert werden könnte, nicht ebenfalls gerechtfertigt werden kann.116 Der von Coninx angedeutete Perspektivenwechsel vom Akteur zum Opfer einer Notstandstat dreht zudem noch das Begründungsverhältnis zwischen Rechten und Pflichten in Notstandslagen um. Dadurch wird die übliche Kennzeichnung eines rechtfertigenden Notstands als Kollision von Rechten – im Unterschied zur Konfrontation von Recht und Unrecht bei der Notwehr (dazu noch unten S. 338) – zumindest verdeckt. Es scheint sich nämlich nicht mehr um die Gegenüberstellung des Rechts zur Verteidigung eines gefährdeten Gutes (Leben der Menschen am Anschlagszielort) und dem entgegenstehenden Recht zur Erhaltung eines anderen Gutes (Leben der Menschen im Flugzeug) zu drehen. Die Zustimmung zur Solidarpflicht bringt das Lebensrecht der Flugzeuginsassen gleichsam im Voraus zum Verschwinden. Wenn es primär um die Herleitung einer Duldungspflicht gehen soll, dann müsste die Begründung der Erlaubnis zur Vornahme einer Notstandshandlung vom Gelingen dieser Pflichtbegründung abhängig gemacht werden; erlaubt wäre demnach nur, wozu ein anderer zu dulden verpflichtet werden kann. Der legitimationstheoretische Vorrang der Pflicht vor dem Recht verschleiert aber zugleich, dass es um die Einbuße eines Rechts, hier sogar des Lebensrechts des Notstandsopfers geht. Der Verlust des Lebens würde gerade zur Pflichterfüllung. Das immerhin tatbe116 Ähnlich auch schon K. Seelmann, in: Recht und Moral, 295f.

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standsmäßige Unrecht einer Fremdtötung wird so zu einer Erfüllung einer gebotenen Aufgabe umgedeutet. Die Notstandshandlung hat insofern dem zustimmungsfähigen Akt der Außerkraftsetzung des Lebensrechts des Notstandsopfers zu folgen. Eine solche Argumentation mit dem normativen Primat der Pflicht vor dem Recht ist durchaus nicht neu und wurde im Rahmen der Diskussion um den Notstand schon früher zumindest in Andeutungen vertreten. In diesem Sinne hat sich beispielsweise bereits Alexander Hold von Ferneck im ersten Band seines Buches ›Die Rechtswidrigkeit‹ von 1903 kritisch gegen die Behauptung gewandt, bei einem Notstand gehe es um eine Kollision von Rechten bzw. von rechtlich geschützten Interessen (Rechtswidrigkeit 1, bes. 301ff./335ff.). Ein solches Begründungsverhältnis würde ihm zufolge nämlich voraussetzen, dass dem von der Notstandshandlung Betroffenen »erst die Pflicht auferlegt werden (müsste), die Einwirkung zu dulden«. Auch für Hold von Ferneck sollte nämlich die Anerkennung eines Rechts des einen ganz grundsätzlich von der vorherigen Existenz einer Pflicht eines anderen abhängen. Prinzipiell müsse daher zunächst eine pflichtige Handlung bzw. die Duldung eines prima facie verletzenden Verhaltens begründbar sein. In der Regel geht es demnach im Recht um die Begründung der negativen Pflicht, andere nicht zu verletzen. Das Recht gilt insofern als eine Pflichtenlehre. Von der allgemeinen Pflicht kann der Betroffene in einer Rechtfertigungslage entbunden werden. Dann wechselt die Verpflichtung auf die Seite dessen, der einen Eingriff dulden muss. Davon wollte Hold von Ferneck jedoch im Fall eines Notstands eigentlich nicht sprechen. Daher sollte die »Besonderheit der Nothstandssituation« für ihn gerade darin bestehen, »dass in ihr Interessen nicht geschützt werden, die das Recht sonst regelmässig gegen bewusste Eingriffe von Menschen schützt«. Die Rechtsordnung entzieht in einer Notlage die Garantie zum Schutz der Interessen eines Notstandsopfers, weil die Notstandstäter diesbezüglich quasi entpflichtet werden; wer in eine Notlage gerät, ist nicht mehr verpflichtet, auf die Interessen anderer zu achten. Seiner Ansicht nach sollte nämlich prinzipiell gelten: »Nicht Rechte werden geschützt … sondern Rechte entstehen durch den Schutz von Interessen« und dieser Interessenschutz geschehe allein »durch Auferlegung der Pflicht«, die durch Normen erzeugt werde. Normtheoretisch werde immer zuerst eine Pflicht vorausgesetzt, ein bestimmtes Interesse nicht zu beeinträchtigen. Erst nach Begründung einer solchen Pflicht könne von einem Recht des Inhabers eines solchen Interesses die Rede sein; m.a.W.: ohne Pflicht kein Recht. »Bevor eine pflichtbegründende Norm ergeht, bevor eine Pflicht besteht, gibt es keinerlei subjektives Recht« für Hold von Ferneck.117 Ein ähnliches Begründungsverhältnis, wonach sich ein (subjektives) Recht 117 A. Hold von Ferneck, Die Rechtswidrigkeit 1, 338f./110.

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des einen erst aus der (moralischen) Pflicht eines anderen ableiten lasse, findet sich – ganz allgemein und unabhängig von Fragen des Notstandes – schon am Ende des 18. Jahrhunderts beispielsweise bei Renatus Gotthelf Löbel. In seinem Aufsatz ›Ueber den Begriff und die Hauptgrundsätze des Rechts‹ behauptet Löbel, man könne ein »Recht«, in bestimmter Weise zu handeln, nur »aus der Pflicht des Anderen, zu leiden, ziehen«: »Man darf also nicht sagen: ich darf dann und darum, wann und weil ich soll, sondern: ich darf dann und darum, wann und weil der Andere verbunden ist, mich nicht zu hindern«, daher sei »Recht nichts anders, als dasjenige Verhältnis meiner Handlungsweise zu dem Sittengesetz des Andern, vermöge welcher dieser die Pflicht hat, dieselbe nicht zu hindern«.118

Dass aber diese Pflicht zur Nicht-Hinderung etwas mit dem – dann vorauszusetzenden – Recht des anderen zu tun haben könnte, bleibt in einem solchen Ansatz ausgeblendet. Die Abhängigkeit des Rechts von der vorgängigen Begründung einer Pflicht lässt freilich die Rechtspersonen letztlich als bloßes Produkt einer (ethischen oder juridischen) Normordnung erscheinen, die ihren Normunterworfenen bestimmte Verhaltensweisen erst vorschreiben muss. Platz für ein eigenständiges (subjektives) Recht einer Person bliebe dann allenfalls noch im Vakuum eines pflichtleeren Raumes. cc) Philosophische Basis Die allgemeine vertrags- bzw. demokratietheoretische Einkleidung der Begründung von Normen, die auf die generelle Zustimmungswürdigkeit normativer Regelungen setzt, ist freilich im Ansatz von Anna Coninx nur ein – wenn auch wichtiger – Schritt zur eigentlichen Herleitung der besagten Duldungspflicht. Zentraler scheint ihr die bereits erwähnte Argumentationsführung innerhalb der Rawls’schen Begründungsmuster. Der normtheoretische Schwenk von der akteurszentrierten zur opferzentrierten Perspektive dient offenbar in erster Linie dazu, einen Zugang zu einer notwendigen Einverständniserklärung des Notstandsopfers zu legen. Da es hierfür im Zeitpunkt der Not zu spät wäre, muss ein Zustimmungsszenario erdacht werden, in dem noch ohne Not eine Übereinkunft über eine entsprechende Norm möglich erscheint, durch die das Opfer zur Aufopferung des eigenen Lebens verpflichtet werden soll.

118 R.G. Löbel, Philosophisches Journal für Moralität, Religion und Menschenwohl 3/2 (1794), 252; siehe dazu und zu weiteren Begründungsversuchen dieser Art F.C. Weise, Grundwissenschaft, 162ff. m.N.

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(1) Normfindung im ›Urzustand‹ Der dazu geeignete Moment ist für Coninx der ›Urzustand‹ (original position) in dem von Rawls entworfenen Sinne.119 Dabei geht es um ein Gedankenexperiment, in dem eine ideale Situation konstruiert wird, in der alle potenziell Betroffenen eine Entscheidung (in diesem Fall über das besagte Notstandsproblem) treffen sollen, wobei sie jenseits aller realen Unbestimmtheiten und kontingenten persönlichen oder situativen Umstände beraten können. Ausgeklammert bleibt insbesondere die Rollenverteilung, in der sich die Beteiligten in einer konkreten Situation befinden würden. Daraus folgt beispielsweise für die vorliegende Situation: keine Person darf im Zeitpunkt der Entscheidung wissen, ob sie in dem erdachten Szenario, für das eine Lösung gesucht wird, Notstandstäter oder Notstandsopfer sein würde. Niemand soll auf einen für ihn persönlich möglichst günstigen Ausgang spekulieren. Dadurch soll ein entsprechendes Votum nicht von einer bestimmten Interessenlage abhängig gemacht werden. In diesem ›Urzustand‹ könne folglich gänzlich unvoreingenommen eine Übereinkunft über eine Notstandsnorm erzielt werden, die im Fall einer real eintretenden Notlage die Notstandsopfer verpflichtet, wobei der Verpflichtungsgrund gerade in der vorherigen Zustimmung zu dieser Notstandsnorm gesehen werden kann. Diese Pflicht zur Aufopferung ruhe nach Coninx dann auf dem Solidaritätsprinzip, das auf diese Weise zu einem Gegenstand der ur-zuständlichen Einigung werden kann. Um eine solche Fähigkeit zur Neutralität sicherzustellen, muss aber zum Zeitpunkt der Beratung über die Beteiligten ein »Schleier des Nichtwissens« ausgebreitet werden (S. 101ff.), der den Blick auf die Realität verhängt. Diese Verschleierung ist im Urzustand nach Rawls zwangsläufig. Die Betroffenen sollen nämlich in Unkenntnis aller konkreten Umstände des realen Lebens gelassen werden, um die »Wirkung von Zufälligkeiten beseitigen« zu können, mit denen in realen Handlungssituationen stets zu rechnen wäre.120 Eine solche Vorrichtung wurde keineswegs zuerst von Rawls selbst erdacht. Er verweist vielmehr auf einen kurzen Aufsatz von John C. Harsanyi im ›Journal of Political Economy‹ (Vol. 61 (1953), 434f.), der ihm als unmittelbares Vorbild für die »natürliche Bedingung« einer notwendigen »Beschränkung der Kenntnis« diente, wobei er der festen Überzeugung ist, dass dieser Gedanke »auch indirekt in Kants Lehre vom kategorischen Imperativ enthalten« sei.121 Harsanyi hat seine Vorläuferschaft trotz seiner im Übrigen kritischen Bedenken gegen Rawls

119 J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, bes. 34ff./140ff.; siehe dazu eingehend z. B. K. Brehmer, Rawls’ »Original Position«, bes. 65ff.; H.G. v.Manz, Fairneß, bes. 52ff.; R.S. Taylor, Reconstructing Rawls, 28ff.; I. Maus, in: John Rawls, Eine Theorie, hg. v. O. Höffe, 65ff. 120 J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 159. 121 J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 159 m. Fn. 11 – vgl. auch ebenda, S. 164/283ff.

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›Theorie der Gerechtigkeit‹ später gerne in seinem Aufsatz im ›American Political Science Review‹ (Vol. 69 (1975), 594f.) eingeräumt.122 Die künstlich herbeigeführte Unkenntnis soll die Unvoreingenommenheit der Entscheidungsträger garantieren, die auf diese Weise gar nicht erst in Versuchung geraten mögen, auf einen rollenspezifischen Vorteil zu schielen. Dadurch wird zugleich die Kontingenz der Rollenverteilung ausgeschaltet. Der ›Schleier des Nichtwissens‹ verdeckt zudem auch die Sicht auf die verbreitete Vermutung, dass die Menschen sonst nur rationale Egoisten wären, die allein auf ihr eigenes Wohl achten könnten.123 Nur durch diese Vorkehrung soll es schließlich möglich sein, für sämtliche Beteiligten einen Nutzen herauszuschlagen, denn die Teilnehmer werden sich lediglich unter diesen idealen Bedingungen auf eine Regelung einigen, die letzlich für jeden vorteilhaft ist und sich nicht nur an den eigenen Interessen orientiert oder gar an den Vorteilsaussichten weniger ausrichtet. In dieser Lage werde die Entscheidung beinahe zwangsläufig für eine Norm fallen, deren Anwendung die Chancen für alle maximieren kann. Es gehört dabei zu den grundlegendsten Prinzipien von Rawls Gerechtigkeitstheorie, dass stets auf eine Verbesserung der Lage aller zu achten ist. Darin wird zugleich der größte Unterschied zum klassischen Utilitarismus gesehen, nach dem nur auf die Steigerung des Durchschnittsnutzens wert gelegt wird;124 nach Ansicht einer utilitaristischen Standardtheorie erweist sich eine gesellschaftliche Grundordnung nämlich schon dann als gerecht, wenn es ihr gelingt, die Summe aller individuellen Vorteile insgesamt zu verbessern und somit das Gesamtniveau des sozialen Wohls anzuheben. Eine positive Bewertung einer solch summarischen Folgenabschätzung soll nach dieser klassisch-utilitaristischen Sicht selbst dann gelten, wenn es einigen nach der Anhebung des Allgemeinwohls tatsächlich schlechter ergehen sollte als zuvor. Eine solche Abgrenzung zum klassischen Utilitarismus erweist sich freilich durchaus als prekär. Nach anderen Theorieversionen lassen sich nämlich auch ganz schlichte Nutzenüberlegungen hinter dem ›Schleier des Nichtwissens‹ hervorzaubern. I.d.S. vertreten etwa Kristoffel Grechenig und Konrad Lachmayer unter Berufung auf die oben (S. 318) erwähnte Ur-Fassung der Schleier-Metapher von John C. Harsanyi die Ansicht, dass sich die Beteiligten in der hier relevanten Situation ebenso gut auf den Grundsatz einigen würden, wonach »zwei Menschenleben 122 Unmittelbar auf Harsanyi beziehen sich auch K. Grechenig und K. Lachmayer in ihrem Aufsatz ›Zur Abwägung von Menschenleben‹, in dem es u. a. auch um den Flugzeugabschuss-Fall geht: JRP 19 (2011), 42. 123 Siehe zu dieser Funktion des ›veil of ignorance‹: D. Parfit, On What Matters, Vol. I, 348f. 124 Hierzu und zum Folgenden: T.W. Pogge, John Rawls, 73ff.; O.A. Oyeshile, Humanity & Social Sciences Journal 3 (2008), 66f.; P. Koller, in: John Rawls, Eine Theorie, hg. v. O. Höffe, 60f.

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einem Menschenleben vorzuziehen« seien, da dies »auf individueller Ebene auch konsensfähig« sei.125 Dennoch lassen sich wichtige Unterschiede markieren: Während eine utilitaristische Gerechtigkeitsvorstellung keine Rücksicht auf das Wohlergehen Einzelner nehmen muss, sondern nur die Bilanzsumme aller Vor- und Nachteile zu beachten hat, wird hingegen in Rawls’ Konzeption betont, dass nur unter der Voraussetzung, dass es um eine Steigerung der Vorteilsaussichten selbst des am wenigsten Begünstigten geht, ein wahres Kriterium einer gerechten Verteilung erfüllt werden könne. Schließlich geht es ihm um das Leitmotiv der »Gerechtigkeit als Fairneß«;126 wirklich fair gehe es aber nur dann zu, falls bei der Verteilung gesellschaftlicher Güter wirklich an alle gedacht wird. Nur wenn sämtliche Gesellschaftsmitglieder von einer Veränderung profitieren können, darf nach Rawls von Gerechtigkeit trotz bestehender Ungleichheit gesprochen werden. Schon im Fall einer Benachteiligung eines einzigen, muss eine ungleiche Distribution von Gütern demnach als ungerecht gelten. Denn allein unter der Voraussetzung einer allseitigen Verbesserung könne eine Regelung erzielt werden, der sämtliche Beteiligte in dem besagten Urzustand tatsächlich zustimmen könnten. Allein diese Zustimmungsfähigkeit gewährleistet die Legitimation solcher Regeln. In Rawls Konzeption dient dieses sog. Differenz- bzw. »Unterschiedsprinzip« vor allem dazu, »Soziale und wirtschaftliche Ungleichheit … so zu gestalten, daß … vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen«.127 Coninx identifiziert dieses allgemeine gerechtigkeitstheoretische Differenzprinzip etwas undifferenziert mit der aus der Ökonomie stammenden »Maximin-Regel« (S. 107 u. ö.) und ignoriert damit die Unterscheidungsbemühungen von Rawls. Er selbst hat nämlich auf einer terminologischen Differenzierung bestanden, da sein »Unterschiedsprinzip ein Gerechtigkeitsgrundsatz ist«, während unter der »Maximin-Regel … gewöhnlich eine Regel für Entscheidungen unter großer Unsicherheit« verstanden wird. Es ist für ihn lediglich »heuristisch nützlich«, sich das von ihm hergeleitete Unterschiedsprinzip als eine »Maximin-Lösung des Problems der sozialen Gerechtigkeit vorzustellen«, obwohl für ihn »Ohne Zweifel … die Maximin-Regel im allgemeinen keine gute Regel für Entscheidungen unter Unsicherheit« ist und »nur in ganz bestimmten

125 K. Grechenig/K. Lachmayer, JRP 19 (2011), 42. 126 So die zum Schlagwort gewordene Überschrift des 1. Kapitels von Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 19, das eine stark überarbeitete und erweiterte Fassung seines frühen Entwurfs seines Aufsatzes »Justice as Fairness« im Philosophical Review 67 (1958), 164ff., darstellt. Auch den ›Neuentwurf‹ seiner Theorie hat Rawls unter dem Titel »Gerechtigkeit als Fairneß« veröffentlicht. 127 J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 95 (ff.)/81 (ähnlich auch S. 104).

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Situationen nützlich« sein kann.128 In dem späten ›Neuentwurf‹ seiner Theorie unter dem Titel ›Gerechtigkeit als Fairneß‹ (engl. Original 2001) hält er die bloß »formale Ähnlichkeit« zwischen seinem Differenzprinzip und der »MaximinRegel« sogar für »irreführend« und meint, es sei ein »gravierender Fehler«, dass »dies in der Theorie (der Gerechtigkeit von 1971 – St.S.) nicht erklärt wurde«.129 Im Übrigen erscheint fraglich, ob diese Regel auf einen so speziellen Fall einer Notstandslage überhaupt anwendbar wäre; immerhin hat Rawls in einem Aufsatz betont, dass »the maximin criterion is not meant to apply to small-scale situations … Maximin is a macro not a micro principle« (American Economic Review 64/2 (1974), 142). Ungeachtet dieser Differenzierungsbemühungen betont aus anderen Gründen allerdings auch Coninx umgehend, dass dieser Grundsatz der ›MaximinRegel‹ ohnehin nicht ohne Weiteres auf die Abstimmung über das Vorgehen in Notstandslagen anwendbar sein dürfte, da »in einer Lebensnotstandssituation per se nie alle Menschen tatsächlich bessergestellt werden« können; hier sei es vielmehr ganz »ausgeschlossen, die Position aller Gefährdeten zu verbessern«. Ihr geht es daher nicht um eine grundsätzliche Verhältnisbestimmung zwischen beiden Prinzipien, sondern um konkrete Anwendungsschwierigkeiten. Ein Lebensnotstand ist nämlich gerade dadurch gekennzeichnet, dass das Leben der einen nur auf Kosten des Lebens anderer gerettet werden kann. In einer solchen Lage kann es nicht nur Gewinner geben. Daher muss die Ausgangsformulierung des Unterschiedsprinzips bzw. der Maximin-Regel zu einem etwas veränderten Grundsatz variiert werden, um auch in diesen Not-Fällen noch von einer gerechten Entscheidung sprechen zu können. Daher betont Coninx: »Wenn keine Möglichkeit besteht, die Position des am wenigsten Begünstigten zu verbessern, sollte wenigstens die Position des am zweitschlechtesten Gestellten verbessert werden«; schließlich könne auf diese Weise dafür gesorgt werden, »dass die Unmöglichkeit der Besserstellung aller nicht dazu führen« kann, dass am Ende »keiner bessergestellt wird« (S. 106/109f.). Es wäre nämlich ebenfalls nicht gerecht, wenn aus Mangel an allseitigen Verbesserungsmöglichkeiten letzlich überhaupt keine Vorteilschancen realisiert werden sollten. Diese Version, in der die Unmöglichkeit der Besserstellung aller mitbedacht werden kann, wird als »Leximin-Prinzip« bezeichnet. Dieser Grundsatzvariante zufolge soll »zur Bestimmung der Duldungspflichten die schlechteste Position eingenommen werden, die noch verändert werden kann. Das heisst, es muss dann die zweitschlech128 J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 104/177/179; s.a. dens., Gerechtigkeit als Fairneß, 78 Fn. 3/156ff. Zum Verhältnis von Rawls Differenzprinzip zur Maximin-Regel eingehend z. B. P. Koller, Erkenntnis 20 (1983), 3ff.; R.S. Taylor, Reconstructing Rawls, 194ff. 129 J. Rawls, Gerechtigkeit als Fairneß, 153 m.Fn. 17.

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teste Position eingenommen werden, wenn die schlechteste Position unveränderlich feststeht«.

Die Letzten werden gleichsam weggekürzt, damit die Übrigen überhaupt Chancen nutzen können. In dem hier fraglichen »Flugzeugabschuss-Fall« ist daher die »massgebende Position … diejenige der Menschen am Boden, weil sie im Gegensatz zu den todgeweihten Menschen im Flugzeug bei Vornahme der Notstandshandlung gerettet werden können« (S. 118f.). Diese Grundsatz-Variante spielt bei Rawls selbst nur eine Nebenrolle und kommt unter der Bezeichnung ›leximin‹ gar nicht ausdrücklich vor. Rawls nennt diese Version in seiner ›Theorie der Gerechtigkeit‹ in Anlehnung an Amartya Sen vielmehr »das lexikalische Unterschiedsprinzip«.130 Auch in der »Rivised Edition« von »A Theory of Justice«, die erst im Jahr 1999 im englischen Original veröffentlicht wurde und auf die sich Coninx in ihrer Arbeit stützt (vgl. dort S. 109), wird an der entsprechenden Stelle (Theory, 72) ebenfalls nur die Langversion (»lexical difference principle«) verwendet. Sen hatte den Ausdruck »leximin« als Abkürzung für die von ihm entwickelte »lexicographic version of the maximin rule« erst in seinen ›Tanner Lecture on Human Values‹ eingeführt, die er 1979 unter dem Titel »Equality of What?« gehalten hat (Vol. I, 206). Dennoch wird das ›Leximin-Prinzip‹ in Coninx’ Herleitung eines NotstandsSolidaritäts-Prinzips zur zentralen Begründungsfigur und als ein zentrales Konzept von Rawls ausgegeben. In Fällen eines Lebensnotstandes der vorliegenden Art, in denen davon auszugehen ist, dass die Menschen im gekaperten Flugzeug ohnehin verloren sind, könne deren Situation auf keine erdenkliche Weise verbessert werden; sie würden von keiner Notstandnorm profitieren. Daher könne nur noch über eine Regelung beraten werden, die zumindest die Überlebenschancen der ebenfalls gefährdeten aber immerhin noch zu rettenden Personen am Anschlagszielort maximiere. Demgegenüber wäre eine normative Lösung sinnlos, die auf die Rettung der Rettbaren verzichten würde. Dabei hat die Konstruktion des Urzustandes laut Coninx neben der Unkenntlichmachung der je eigenen Position innerhalb der potenziellen Notlage noch eine weitere Schwierigkeit aus dem Weg zu räumen. Sie soll zugleich dafür sorgen, dass »Ereignisse, die in Wirklichkeit unsicher sind, durch sichere Annahmen ersetzt werden«. Das heißt, es muss beispielsweise als ausgemacht gelten, dass »der Tod aller Gefährdeten bei Nichtvornahme der Notstandshandlung als sicher angenommen« werden kann und »dass die Rettung eines Teils der Gefährdeten durch die Tötung von anderen Menschen mit Sicherheit gelingt«. Dieser Ausschluss sämtlicher Unsicherheitsfaktoren klingt zwar realitätsfremd. Mehr Realitätsnähe soll jedoch nicht möglich sein, denn: »Risiko130 Vgl. J. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, 103.

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abwägungen erfolgen erst nach Lüftung des Schleiers des Nichtwissens« und haben damit keinen Einfluss auf die ur-zuständliche Zustimmungssimulation (S. 115). In einer solchen – einerseits mit der nötigen Unkenntnis der eigenen Rolle sowie andererseits mit idealen Kenntnissen bzgl. der möglichen Folgen abgesicherten – Entscheidungssituation lässt sich das Problem für die Beteiligten dann laut Coninx auf die Frage zuspitzen, »ob sie einem Solidaritätsprinzip zustimmen würden, das besagt, dass Menschen, die von derselben Lebensgefahr aufgrund derselben Gefahrensituation bedroht sind, verpflichtet werden können, ihre eigene Tötung zu dulden, wenn nur dadurch andere Menschen, die sich in derselben Gefahrensituation befinden, gerettet werden können und wenn bei einer Unterlassung der Tötung sämtliche Gefährdeten sterben würden« (S. 118).

Neben der Kenntnis der potenziellen Rolle als Notstandstäter oder Notstandsopfer in einer Notlage, müssen die Beteiligten im Urzustand offenbar auch weitgehend auf ihr normatives Erkenntnisvermögen verzichten. Insbesondere die Rechtsrelevanz der Entscheidung über die Notstandsnorm wird durch den ›Schleier des Nichtwissens‹ ebenfalls verdeckt. Es muss ausgeblendet bleiben, dass im ›Flugzeugabschuss-Fall‹ nicht nur das Leben als Zählwert in quasi-biologischer Hinsicht, sondern auch die Grundrechte der Opfer (Leben und Würde) betroffen sind. Auf diese Weise werden die normativen Streitfragen verschleiert. So verschwindet beispielsweise auch die Frage nach einer rechtswirksamen Verfügbarkeit über das eigene Leben aus dem Blickfeld. Damit wird die Frage unterbunden, ob – zumindest unter der Geltung des § 216 StGB – überhaupt zulässig zu einer Norm zugestimmt werden könnte, die die eigene Fremdtötung gebieten würde. Einem entsprechendem Einwand der beispielsweise gegen die oben (S. 280ff.) diskutierte Einwilligungslösung vorgebracht wird, soll auf diese Weise vorsorglich vermieden werden. Die angedeutete Ausbreitung der Verschleierung ergibt sich bei Coninx vor allem aus der Rückbindung an die normtheoretische Perspektivenwahl, die auf die Sicht der potenziellen Notstandsopfer festgelegt sein soll (dazu oben S. 312ff.). Die Orientierung an Rechtsgrundsätzen würde den Bereich des Zustimmungsfähigen und die darauf beruhenden Handlungsmöglichkeiten normativ einschränken. Jede »grundrechtliche Wertung« wäre nämlich »stark akteurbezogen« (S. 208), da sie notwendig die Sichtweise eines potenziellen Notstandstäters vertreten müsste. Nur aus dieser (Täter-)Perspektive lässt sich jedoch die rechtliche Bedeutung des Handelns einbeziehen, denn nur der Handelnde kann letztlich für die Erkenntnis des praktisch richtigen Verhaltens zuständig sein, wobei er die Rechte aller Betroffenen beachten muss. Schließlich muss der Notstandstäter für sich selbst entscheiden, ob er sich zu einer erlaubten Tat entschließen möchte.

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Für Coninx soll sich demgegenüber das »Kriterium, das für die Entscheidung ausschlaggebend ist – nämlich die Maximierung der Überlebenschance«, gerade »ohne Blick auf den Akteur« ergeben; maßgeblich soll auch insoweit allein die »Sicht des potentiell Duldungspflichtigen« sein (S. 208/207). Durch dessen Zustimmung könne schließlich auch eine »unzulässige Instrumentalisierung … ausgeschlossen« werden, die sich im Übrigen als an sich würderelevant und mögliches Unrecht darstellen ließe. Wer mit der eigenen »Indienstnahme auf der Ebene der Norm« einverstanden sei (S. 240), der könne jedoch durch den potenziellen Notstandstäter erst gar nicht in seiner Würde verletzt werden, »wenn der potentiell Duldungspflichtige das Solidaritätsprinzip aufgrund einer eigenen Zwecksetzung akzeptierte, weil er nur dann nicht als blosses Mittel zu ausschliesslich fremden Zwecken verwendet würde« (S. 178). Damit soll ein naheliegender Einwand ausgeräumt werden: »Der potentielle Notstandstäter macht das potentielle Notstandsopfer nicht zu einem blossen Objekt seiner eigenen Zwecke, weil das potentielle Notstandsopfer denselben Zweck wie er verfolgt. Die gemeinsame Zwecksetzung besteht in der Maximierung der Lebenschancen jedes Einzelnen … Weil im Voraus niemand weiss, ob er in der tödlichen Gefahrenlage Rettungschancen hat, sind die Chancen auf der Ebene der Norm sowohl eigene als auch fremde; es sind die Chancen aller« (S. 240/242).

In dieser Aussicht auf eine allseitige Chancenanhebung wird das Individuelle einer Rechtsposition weggekürzt. Die Zweckmäßigkeit für alle saugt sämtliche subjektive Zwecksetzungsmöglichkeiten auf, die davon abweichen könnten. Die im Urzustand zu vereinbarende Duldungsverpflichtung soll jedenfalls als ein Ausdruck solidarischen Verhaltens verstanden werden können. Die »ratio des Solidaritätsprinzips« besteht für Coninx folglich in der Erwartung einer verbleibenden »Chancenmaximierung« für diejenigen, die in einer solchen Lebensnotstandslage noch gerettet werden können, denn: »Wesentlich ist einzig, dass überhaupt die Aussicht auf Rettung einiger besteht« (S. 122). Da die Beteiligten im Zeitpunkt der Entscheidung, d. h. im ›Urzustand‹, aber nicht wissen können, ob sie in der potenziellen Notstandslage zu den Menschen im Flugzeug oder am Boden gehören würden, wird die Zustimmung zu einer Notstandsnorm, die in einer entsprechenden Lage die Tötung der unrettbar Verlorenen rechtfertige, zur rational nachvollziehbaren bzw. beinahe alternativlosen Wahl. Daher »liegt die Rationalität des Solidaritätsprinzips darin, dass sich jeder damit überhaupt die Chance eröffnet, in einer konkreten Notstandssituation am Leben zu bleiben« (S. 128). (2) Probleme der ethischen Bestimmung Damit wird allmählich auch eine Einordnung des so gewonnenen Solidaritätsgedankens in das Koordinatensystem ethischer Theorien möglich. Dieses Ord-

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nungsgefüge ist allerdings an sich schon alles andere als übersichtlich. Es werden einige Unterscheidungen feilgeboten, die eine Kategorisierung verschiedener Ethik-Typen ermöglichen sollen. Laut Coninx lässt sich das »im Urzustand beschlossene Solidaritätsprinzip« letztlich allein »auf eine konsequentialistische Argumentation« stützen. Nach Ansicht des Konsequentialismus soll sich prinzipiell »die moralische Richtigkeit und Falschheit einer Handlung ausschließlich nach ihren Handlungsfolgen« bemessen lassen. Damit ist für Coninx zugleich mitgesagt: Das von ihr favorisierte »Solidaritätsprinzip entspringt einer folgenorientierten Bewertung der Notstandssituation«, denn der »Gedanke der Chancenmaximierung« sei schließlich sogar »dem Solidaritätsprinzip inhärent« (S. 135f.). Immerhin sollen »mit der Annahme des Solidaritätsprinzips« bestimmte Pflichten normiert werden, »die darauf gerichtet sind, die eigene Glückseligkeit zu maximieren« (S. 142). Damit wird entgegen der sonst maßgebenden altruistischen Grundstimmung dieses Begriffs eine egoistische Note in diese Art von Solidarisierung beigemischt, soweit mit Solidarität die Orientierung am eigenen Nutzen gemeint ist. Auch wenn es letztlich um den Vorteil anderer bzw. um einen größtmöglichen Allgemeinnutzen geht, da der eigene Gewinn nicht mehr realisierbar ist, soll der Grund der Solidaritätspflicht in der Steigerung der jeweils eigenen Glückseligkeit liegen. Das Glück liege in der Erhaltung der Überlebenschance in solchen Fallkonstellationen. Zur näheren Profilierung dieser konsequentialistischen Begründung wird dieser Ethik-Typ von Coninx gegen eine andere »philosophische Grundposition« gehalten und abgegrenzt, die gewöhnlich »mit dem Terminus Prinzipienorientierung umschrieben« oder auch mit dem »Begriff Deontologie« bezeichnet wird und vor allem mit der Moralphilosophie Kants assoziiert werden kann (S. 136). Sie arbeitet folglich mit einer durchaus geläufigen aber keineswegs unumstrittenen Entgegensetzung von Konsequentialismus und Deontologie als vermeintlich unvereinbare Ethik-Extreme. Konkret beruft sich Coninx für ihre Einteilung vor allem auf die ›Analytische Einführung in die Ethik‹ von Dieter Birnbacher, in der sich eine entsprechende Kategorisierung finden lässt (vgl. die Verweise bei Coninx auf S. 136f.). Allerdings begnügt sich Birnbacher selbst keineswegs mit einer solchen einseitigen Zweiteilung; nach der anfänglichen Grobsortierung ethischer Theorien in die beiden Hauptlager – Deontologie und Konsequentialismus – erfolgt bei ihm eine feinere Differenzierung in jeweils vertretene »Haupt- und Nebenvarianten«.131 Eine bloße Zweiteilung wirft gerade im Kontext einer Rawls-Interpretation eine Reihe von Fragen auf, die von Coninx nicht gestellt werden, obwohl sie dringend einer Antwort bedurft hätten. Die allzu schlichte Entgegensetzung von Konsequentialismus und Deontologie kann der Komplexität der Problematik 131 Vgl. die Übersicht bei D. Birnbacher, Analytische Einführung, 118.

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nicht gerecht werden. Schon das Hantieren mit derart ungeschützten Begriffen ist wenig hilfreich oder führt zumindest leicht zu Missverständnissen. Die verwendeten Ausdrücke sind nämlich alles andere als eindeutig und werden durchaus unterschiedlich verwendet.132 Vor allem aber entspricht die von Coninx verwendete Terminologie jedenfalls nicht der Begrifflichkeit, die Rawls selbst bevorzugt. Wie bereits (oben S. 284) erwähnt, spielt das Wort Solidarität in dessen ›Theorie der Gerechtigkeit‹ so gut wie keine Rolle und wird dort gerade mal an zwei Stellen (nämlich auf S. 126 und S. 170 der deutschen Übersetzung) ganz beiläufig erwähnt. Außerdem bezeichnet Rawls seine eigene Konzeption nicht als konsequentialistisch. Er selbst benutzt nämlich die Unterscheidung zwischen Konsequentialismus und Deontologie nicht. Soweit die Folgenorientierung das typische Merkmal ist, für das der Ausdruck ›konsequentialistisch‹ steht, wäre eine solche Bezeichnung für Rawls offenbar überflüssig. Für ihn ist nämlich die Orientierung an den »Folgen« einer Handlung ohnehin in »allen beachtenswerten ethischen Theorien … von Belang dafür, was recht ist«. Daher gibt es für ihn gar keine ernst zu nehmende Alternative zu einer folgenorientierten – i.d.S. also konsequentialistischen – Argumentation, denn: »Das Gegenteil wäre einfach unvernünftig, ungereimt« (Theorie der Gerechtigkeit, 48), wobei das Wort »ungereimt« eine freundliche Übersetzung von »crazy« ist, wie es im Original heißt (Theory, 26). Insofern mag es dann durchaus möglich erscheinen, Rawls’ Theorie unter dem Topos ›Konsequentialismus‹ zu diskutieren,133 da ohnehin sämtliche Ethiken i.d.S. ›konsequentialistisch‹ sind – d. h. auch die sog. ›deontologischen‹. Dadurch kollabiert freilich die bemühte Unterscheidung. Die Folgenorientierung ist demnach für Rawls zwar ein notwendiger Bestandteil beinahe aller ethischen Theorien, aber kein hinreichender Bestimmungsgrund ethisch-politischer Praxis. Daher ist es für ihn wohl ausgeschlossen, die moralische Beurteilung eines Verhaltens ausschließlich nach den Handlungsfolgen vorzunehmen. Falls demnach die Ausschließlichkeit der Folgenorientierung das Hauptkriterium des Konsequentialismus sein sollte, so ist Rawls Gerechtigkeitstheorie gerade nicht konsequentialistisch. Rawls selbst benutzt denn auch die von Coninx favorisierte Etikettierung nicht. Er unterscheidet stattdessen – einer etwas älteren Begriffstradition gemäß – zwischen Teleologie und Deontologie: diese Unterscheidung geht auf das zuerst im Jahr 1930 erschienene Buch des britischen Philosophen Charles D. Broad ›Five Types of Ethical Theories‹ zurück (dazu schon oben S. 75 m.Fn. 165 m.N.). Die Bezeichnung ›Teleologie‹ wird in moraltheoretischen Texten zwar nicht selten als Synonym für den Ausdruck Konsequentialismus verwendet; genau 132 Siehe dazu etwa J. Schroth ZphF 63 (2009), 55ff. m.N. 133 So etwa T.W. Pogge, John Rawls, 51ff.

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genommen unterscheiden sich die beiden Begriffe aber in einigen – historischen und systematischen – Hinsichten. Das Wort »consequentialism« wurde fast drei Jahrzehnte später kreiert. Es taucht erstmals 1958 in Gertrude Elizabeth Margaret Anscombes berühmtem Aufsatz ›Modern Moral Philosophy‹ auf. Darin wird dieser Ausdruck als terminus technicus der normativen Ethik eingeführt. Für Anscombe sollte dieser Begriff – in kritischer Absicht – als Sammelbezeichnung für »every English academic moral philosopher« seit Henry Sidgwicks grundlegendem Werk, ›The Methods of Ethics‹ (zuerst 1874), verwendet werden. Diese ›modernen‹ Moralphilosophen stehen für Anscombe insbesondere in Bezug auf die Relevanz des Intentionen-Begriffs für die Einschätzung der Handlungsfolgen in einer gewissen Distanz zum »old-fashioned Utilitarianism«.134 Der Konsequentialismus sollte für sie daher in einer geschichtsträchtigen Differenz zur utilitaristischen Tradition stehen. Im Unterschied zum heute vorherrschenden Verständnis scheint Anscombe ihren Begriff des Konsequentialismus aber noch weiter gefasst zu haben. Sie wollte darunter nämlich eine moralphilosophische Ansicht verstanden wissen, die keine Exklusivität der Folgenorientierung verlangt; auch solche Konzeptionen, für die die Folgen einer Handlung nicht ausschließlich über die moralische Richtigkeit entscheiden, die Konsequenzen vielmehr nur ein Kriterium unter anderen sein sollten, galten ihr als konsequentialistisch. Solche Ansätze werden inzwischen jedoch meist zu den deontologischen Theorien gezählt.135 Auf der Grundlage der Differenzierung zwischen Teleologie und Deontologie unterscheidet Rawls noch etwas genauer zwischen dem »Utilitarismus«, der »eine teleologische Theorie ist«, und seiner eigenen Position der »Gerechtigkeit als Fairneß«, die dann »definitionsgemäß eine deontische Theorie« ist. Die beiden Ethik-Typen unterscheiden sich für ihn vor allem durch die Art, das Verhältnis zwischen ›dem Guten‹ und ›dem Rechten‹ zu bestimmen. Unter einer deontologischen Ethik versteht Rawls dabei eine ethische Position, »die entweder das Gute nicht unabhängig vom Rechten oder das Rechte nicht als Maximierung des Guten bestimmt« (Theorie der Gerechtigkeit, 48).136 Daher kann das ›Gute‹ das ›Rechte‹, d. h. das richtige Verhalten, nicht begründen, sondern müsste es immer schon voraussetzen; insbesondere können die für ›gut‹ befundenen Folgen einer Handlung nicht deren Richtigkeit garantieren. Sowohl 134 G.E.M. Anscombe, Philosophy 33 (1958), 12; siehe dazu D. Wiggins, Ethics, 207 f; C. Bambauer, Deontologie, 47ff. 135 Vgl. zu den unterschiedlichen Verwendungsweisen des Ausdrucks ›Konsequentialismus‹: J. Schroth ZphF 63 (2009), bes. 58f. 136 Vgl. dazu eingehend – speziell zum Verhältnis zwischen dem ›Rechten‹ und dem ›Guten‹: W. Kymlicka, P& P Affairs 17 (1988), 173ff.; S. Freeman, P& P Affairs 23 (1994), 313ff.; G.F. Gaus, Journal of Value Inquiry 35 (2001), 27ff.; R.S. Taylor, Reconstructing Rawls, 116f.; s.a. D. Parfit, On What Matters, Vol. I, 103ff.

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der Utilitarismus als auch die Deontologie sind demnach für Rawls zwar durchaus notwendig folgenorientiert, da eine Folgenblindheit für jedwede Ethik für ihn unmöglich erscheint. Die Orientierung an einem ›Guten‹, das letztlich sogar außerhalb aller Ethikgrundlegung liegen und daher ohne moralischen Grund gelten müsste, kann für Rawls deshalb noch keine Letztbegründung einer Gerechtigkeitstheorie liefern. Während es für eine teleologisch-utilitaristische Ethik darum gehen muss, einen Begriff des Guten zu entwickeln bzw. diesen immer schon vorauszusetzen, durch den auch das ›rechte/richtige‹ Verhalten bestimmt werden kann, steht für eine deontologische Morallehre ›das Rechte‹ als Kriterium des ›Guten‹ im Zentrum: das ›Gute‹ ist nur dann gut, wenn es das ›Rechte‹ (Richtige/Gerechte) trifft. Da für Rawls jedoch ein Vorrang des Rechten vor dem Guten anzunehmen ist, lehnt er den Utilitarismus bzw. die teleologischen Ethik-Typen ab. Rawls möchte seine Gerechtigkeitstheorie daher just mit jenem Etikett versehen, das laut Coninx für die von ihr abzulehnende Gegenposition zu dem von ihr favorisierten Konsequentialismus steht. Nicht nur für Rawls selbst, sondern auch für andere gilt dessen Theorie der Gerechtigkeit – entgegen der Lesart von Coninx – nämlich ausdrücklich als deontologisch.137 Hierzu gehört auch Dieter Birnbacher, auf dessen Kategorisierung der Ethik-Typen sich Coninx im Übrigen gerne stützt (vgl. dazu oben S. 325): in dessen ›Einführung in die Ethik‹ wird Rawls Gerechtigkeitstheorie auf Grund ihrer Prinzipienorientierung ebenfalls im Rahmen der deontologischen Ethiken besprochen.138 Nicht nur aus den bereits genannten Gründen erscheint die von Coninx benutzte Etikettierung fragwürdig. Die Bezeichnung der Herleitung des Solidaritätsprinzips als konsequentialistisch verlangt zudem nach einer Klärung des Verhältnisses zum Utilitarismus. Jedenfalls lässt sich der von Coninx am Beginn ihrer Untersuchung verkündete Slogan »Solidarität statt Utilität« (a. a. O., S. 13 – dazu schon oben S. 283) nicht mehr ohne Weiteres skandieren, wenn eine Pflicht zur Solidarisierung ausgerechnet mit dem Ziel der Glückseligkeitsmaximierung begründet werden soll. Einerseits gilt der Utilitarismus nämlich selbst als eine – konsequente – Variante des Konsequentialismus,139 so dass eine konsequentialistische Lesart des Solidaritätsbegriffs nicht ganz so einfach als striktes Gegenmodell zum Begriff der Utilität eingesetzt werden kann. Wenn solidarisches Handeln nämlich als das rationale Streben nach maximal erreichbarer Glückseligkeit bzw. nach einer möglichen Steigerung der eigenen (Lebens-)Chancen 137 So etwa W. Kersting, John Rawls, 92; R.S. Taylor, Reconstructing Rawls, 117. 138 D. Birnbacher, Analytische Einführung, 164f.; unter Einbeziehung von Rawls Aufsatz ›Outline of a Decision Procedure for Ethics‹ aus dem Philosophcal Review 60 (1951), 177ff. wird Rawls zudem noch als Variante einer kohärenztheoretischen Verfahrensethik thematisiert (a. a. O., 94ff.). 139 Vgl. z. B. A. Sorensen, Danish Yearbook of Philosophy 43 (2008), 71.

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verstanden werden soll, verschwimmt die Abgrenzung zur utilitaristischen Begründung. Zum anderen ist eine konsequentialistische Deutung eines Solidaritätsprinzips vor dem Hintergrund der Geschichte des Begriffs problematisch (dazu oben S. 286ff. m.N.). Aus seiner sonst gängigen Verwendung als Ausdruck eines gerade nicht auf Nutzenmaximierung schielenden Ethikgrundsatzes resultiert die Spannung im Verhältnis zum Grundgedanken des Konsequentialismus. Solidarisch verhält sich danach nämlich jemand dann, wenn er unaufgefordert ganz uneigennützig – zum Vorteil anderer – handelt; die Steigerung eines Gesamtnutzens bzw. einer allseitigen Chancenerhöhung steht dabei zumindest nicht im Mittelpunkt. Eine Verpflichtung aus Gründen der potenziellen Chancen- oder Glücksseligkeitsmaximierung gehört insofern nicht zu einem solchen Solidaritätsmodell. Aber nicht nur die begründungsbedürftige Interpretation des Solidaritätsprinzips, sondern auch die angedeutete Gleichsetzung mit der sog. ›MaximinRegel‹ (dazu oben S. 320f.) sorgt für eine unklare Annäherung an bestimmte Versionen des Utilitarismus.140 Auch sonst wird immer wieder mal versucht, trotz der kritischen Grundhaltung von Rawls gegenüber dem Utilitarismus, dessen Gerechtigkeitstheorie in die Nähe der utilitaristischen Ethik zu rücken.141 Damit hängt auch die Beziehung zur Philosophie Kants zusammen, die nicht weniger ungeklärt bleibt. Während Coninx ihre eigene Interpretation des Solidaritätsprinzips im Lichte Rawls in deutlicher Abgrenzung zur vermeintlich entgegenstehenden deontologischen Position vornehmen möchte, für die vor allem die kantische Ethik stehe, hat Rawls selbst meist eine enge Anbindung an die Philosophie Kants gesucht.142 Sicherlich lässt sich trefflich darüber streiten, ob die Inanspruchnahme der kantischen Philosophie bei Rawls zu Recht oder zu Unrecht erfolgt.143 Doch wer sich auf dessen Gerechtigkeitstheorie berufen möchte, sollte sich nicht stillschweigend über Rawls’ eigenes Bekenntnis hinwegsetzen und ohne weitere Begründung im Namen eines Konsequentialismus, d. h. mit einer Begrifflichkeit, die Rawls selbst fremd ist, gegen einen deontologischen Kantianismus polemisieren. 140 Siehe dazu bereits K.J. Arrow, in: Über John Rawls, 199ff., bes. 213ff.; s.a. D. Parfit, On What Matters, Vol. I, 352ff. 141 Vgl. etwa C. Fehige, in: Zur Idee, bes. 347ff.; A. Sorensen, Danish Yearbook of Philosophy 43 (2008), 87ff. 142 Zu einer vermeintlichen Abkehr von Kant und Hinwendung zu John Stuart Mill beim späten Rawls siehe hingegen A. Reynolds, Minerva 17 (2013), 1ff., bes. 11ff. 143 Siehe zu dieser Beziehung die unterschiedlichen Einschätzungen von O.A. Johnson, Ethics 85 (1974), 58ff.; S. Darwall, Ethics 86 (1976), 164ff.; O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, 306ff.; H.G. v.Manz, Fairneß, 39ff.; W. Kersting, John Rawls, 207ff.; T.W. Pogge, John Rawls, 189 ff:, F.-J. Bormann, Soziale Gerechtigkeit, 144ff.; J. Schapp, Über Freiheit, 135ff.; N. Tampio, Polity 39 (2007), 79ff.; R.S. Taylor, Reconstructing Rawls, 3ff.; A. Kaufman, Kantian Review 17 (2012), 227ff. jeweils m.w.N.

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Solche Einordnungsfragen gelten nicht etwa der Suche nach einer passenden Schublade, in der ein Theorieansatz gesteckt werden kann. Es geht vielmehr um geeignete Systematisierungen, d. h. um eine angemessene Möglichkeit, eine Meinungsäußerung in einem philosophischen Gesamtzusammenhang zu verstehen. Nur auf systematische Weise lässt sich bloßes Meinen in überprüfbares Wissen überführen. Solche Zuordnungen sind daher keineswegs beliebig. Nimmt man Rawls’ eigene Philosophiepräferenzen ernst, dann erscheint die Reduktion seiner Theorie auf einen schlichten Konsequentialismus der Chancenmaximierung unmöglich. Es lassen sich aber auch nicht willkürlich einzelne Momente aus dem übrigen Begründungszusammenhang lösen, um sie in einen anderen Theoriekontext einbauen zu können. Für Rawls kann die Aussicht auf eine Steigerung der eigenen Überlebenswahrscheinlichkeit in einer Notlage gerade nicht das Hauptkriterium einer Entscheidung im Urzustand sein. Das ›Rechte‹ müsste sich nämlich in diesem Fall doch wieder der Hoffnung auf das ›Gute‹ für die Mehrheit der Beteiligten unterordnen, was dem skizzierten Grundsatz vom Vorrang des Rechten widersprechen würde, der bei Rawls im Zentrum seiner Theorie steht. Coninx lässt die umfassenden gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen auf das Maß einer simplen Folgenkalkulation schrumpfen. Soweit die Entscheidung über eine Notstandsnorm allein an dem Kriterium der maximalen Überlebensrate festgemacht werden soll, wird der gesamte vertragstheoretische Überbau letztlich überflüssig. Wenn die Lösung des Problems eines Lebensnotstandes schließlich doch nur in der bloßen Wahrung der größtmöglichen Anzahl an Überlebenden bestehen soll, dann bedarf es überhaupt keiner Zustimmung zu einem abstrakten Solidaritätsprinzips, denn es ist ohnehin nur das rationale Kalkül entscheidend, das es für sämtliche Beteiligte unmöglich machen soll, ihr Einverständnis zu verweigern. Die Zustimmungssimulation wird zum schlichten Rechenexempel. Nicht nur die potenziellen Notstandsopfer sind dieser Einsicht verpflichtet, auch für die Notstandstäter soll diese Sicht zwingend sein. Auf die Akteursperspektive soll es aber letztlich nicht ankommen, da das Tötungsrecht nur aus der entsprechenden Duldungspflicht des Notstandsopfers abgeleitet werden könne. Dadurch gerät auch die Möglichkeit aus dem Blick, dass sich jemand in der konkreten Notstandslage des Flugzeugabschuss-Falles gegen einen Abschuss entscheiden könnte. Verhandelt wird nämlich nicht nur um eine HandlungsErlaubnis, sondern um eine Duldungspflicht, der sich jeder unterwerfen muss und auch den Notstandstäter bindet. Im Grunde müsste aus diesem Ableitungszusammenhang sogar eine Abschussverpflichtung folgen. Aus einer möglicherweise bloß erlaubten Tötung wird eine Art ›Tötungspflicht‹ im Dienst einer maximalen Chancenverwertung. Ähnlich wie bei der ›Einwilligungslösung‹ (dazu oben S. 279ff.) kommt es letztendlich auch in diesem Ansatz nicht

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auf den wirklichen bzw. potenziellen Willen der Beteiligten an – weder in einer realen Entscheidungssituation noch in einem fingierten ›Urzustand‹; der eigentliche Entscheidungsgrund ist ihnen vielmehr vorgegeben und damit entzogen. Das gesamte Theoriekonstrukt hängt auch hier an dem dünnen Faden der Zweckrationalität. Will man Coninx’ dürres Solidaritätsprinzip mit einer theoretisch gehaltvolleren Konzeption unterfüttern, so scheint am ehesten noch der Begriff der ›mechanischen Solidarität‹ im Sinne Durkheims in Betracht zu kommen (dazu oben S. 289ff.). In der Vorstellung von Coninx entstehen nämlich durch die Projektion einer Notlage quasi-mechanisch wirkende Kohäsionskräfte innerhalb einer Gefahrengemeinschaft, durch die alle Beteiligten an die notwendige Dynamik einer Gesamtheit gebunden werden. Diese dynamische Kraft bewegt sich in Richtung des größtmöglichen Vorteils aller und zieht sämtliche Beteiligten mit sich. Ebenso wie Durkheim es ganz allgemein für diese Form von Solidarität beschrieben hat, verlieren allerdings auch in diesem Fall die in diese Mechanik eingespannten Individuen jede Möglichkeit, von dieser Bewegung abzuweichen. Ihre Entscheidungen werden durch die Bindungswirkung der Gesamtvorteilssicherung gefesselt. Die Orientierung an der Nutzenmaximierung wirkt dann wie eine Massenanziehungskraft, durch die sämtliche Zustimmungsverweigerungen unterbunden werden können. Die in Durkheims soziologischer Beschreibung aufgezeigte Form der ›Ent-Persönlichung‹ durch die Mechanik einer solchen Gruppendynamik lässt sich dann auch normativ nachvollziehen. Die höchstpersönliche Entscheidung über das eigene Leben soll den betroffenen Subjekten durch den Hinweis auf den Gesamtnutzen abgenommen werden. Das eigene Recht muss geradezu dem Vorrang eines Kollektivinteresses geopfert werden. Die einzelnen Teile werden im Ganzen eingegliedert und gehen darin auf bzw. unter. Insofern ist das Ergebnis nicht der subjektiven Vernunft der Individuen überlassen, sich freiwillig zu Gunsten anderer zu entscheiden. Der Gegenstand, über den eine Einigung erzielt werden soll, ist gerade nicht frei verhandelbar ; er wird vielmehr von den erwünschten Konsequenzen diktiert. Der Abschluss des Vertrages im fingierten ›Urzustand‹ führt dann zum Abschuss einiger Vertragspartner, der zuvor jedoch bereits beschlossene Sache war. Daher geht es bei Coninx um eine Zwangssolidarisierung aus Gründen einer überindividuellen Rationalität. Dadurch wird die von ihr erstrebte Legitimationsbasis des Kontraktualismus letztlich verfehlt. Durch die Kohäsionskraft jener gefahrengemeinschaftskonstituierenden Solidarität entsteht gleichsam ein Kontrahierungszwang für alle potenziellen Vertragsparteien; deren Wille wird durch die Vorstellung der Handlungsfolgen gebeugt. Das Solidaritätsprinzip von Coninx erhält damit einen koerzitiven Charakter. Etwas pathetisch ausgedrückt: die Notstandsopfer können den vorgefertigten Vertragsentwurf nur noch mit ihrem Blut ratifizieren. Einfluss auf den Inhalt

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

können sie nicht mehr nehmen. Dadurch wird die Solidaritätspflicht nicht zu einer freien / freiwilligen Leistung, sondern ein notwendiger Beitrag zur Förderung des Wohls der potenziellen Gefahrengemeinschaft, das nach einer gewöhnlichen Kosten/Nutzen-Kalkulation bestimmt wird. Der eigentliche Legitimationsgrund liegt daher außerhalb der vertragstheoretischen Struktur.

3.

Notwehr(hilfe)

Wer nach einer Ablehnung der diskutierten Zustimmungslösungen die strafrechtlichen Rechtfertigungsmöglichkeiten weiter durchspielen möchte, gelangt zunächst zu einer möglicherweise denkbaren Notwehrhilfe. Wenn man § 32 StGB überhaupt auf hoheitliches Handeln anwenden möchte (was bekanntlich umstritten ist), kommt eine Rechtfertigung eines Abschusses jedoch allein in Bezug auf die Flugzeugentführer in Betracht. Nur wenn ein Flugzeug ausschließlich von (einem oder mehreren) Terroristen gesteuert wird und insoweit als Instrument einer Selbstmordattacke eingesetzt werden sollte, kommt hiergegen eine Notwehrhilfe in Frage. Insoweit soll dann übrigens auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine Regelung wie die des § 14 Abs. 3 LuftSiG durchaus verfassungskonform sein können, wie das Gericht in der erwähnten Entscheidung BVerfGE 115, 118, (bes. S. 160ff.) betont hat.144 Gegenüber den Passagieren und der Besatzung kann § 32 StGB hingegen keine Anwendung finden, da sich nach heute nahezu einhelliger Ansicht eine Notwehrhandlung prinzipiell allein gegen Angreifer richten darf und hiervon keine unbeteiligten Dritten betroffen sein dürfen.145 Die Notwehr vermag nämlich keineswegs das Verteidigungsverhalten schlechthin – unbesehen der dadurch bewirkten Folgen – zu rechtfertigen, sondern nur jene Schäden an den Rechtspositionen von Angreifern. Der Angriff kann eine dagegen gerichtete Abwehr zwar grundsätzlich legitimieren, aber eben nur insoweit als sie allein den Angreifer trifft. Darüber hinausgehende Rechtsverletzungen fallen somit aus dem Anwendungsbereich des § 32 heraus; Rechtsverletzungen Dritter sind daher nicht durch Notwehr gedeckt. Da die Flugzeuginsassen jedoch in gleicher 144 Zu den verfassungsrechtlichen Konsequenzen dieses Zugeständnisses vgl. W. Hecker, KJ 39 (2006), S. 189ff.; s.a. M. Ladiges ZIS 7–8/2010, 505. 145 Vgl. W. Mitsch, JR 2005, 276; s.a. G. Jerouschek, Schreiber-FS, 185f.; A. Archangelskij (Anm. 15), 86ff.; H.J. Hirsch, Küper-FS, 153; W. Schild, in: Grenzen staatlicher Gewalt, 116f.; M. Ladiges, Bekämpfung, 404ff., 406, jeweils m.w. N. zu einigen diskutierten Ausnahmen von diesem Grundsatz, die unter dem Stichwort »Schutzschildfälle« diskutiert werden, und zur früher vertretenen Gegenmeinung; allgemein dazu K. Kühl AT § 7 Rdn. 84; MK-Erb § 32 Rdn. 124ff.; HK-GS/Duttge § 32 Rdn. 18; siehe auch M. Köhler, Schroeder-FS, 258f., der in der älteren Lehre immerhin eine »Intuition und einen Zurechnungsgrund« entdeckt, die zu einer möglichen Begründung des Defensivnotstandes überleiten könnten.

Rechtfertigungslösungen

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Weise Opfer des Angriffs wie die Menschen am Anschlagszielort sind, so kann deren eventuelle Tötung nicht als Notwehrhandlung gerechtfertigt werden. Eine derartige Einhelligkeit des in dieser Weise ausschließlich auf den Angreifer eingeschränkten Notwehrverständnisses ist indes keineswegs so selbstverständlich wie es heute scheinen mag. Schon ein flüchtiger Blick auf die Geschichte des Notwehrverständnisses rüttelt an der Selbstverständlichkeit der heutigen Ansicht. In einigen Partikularstrafgesetzen des 19. Jahrhunderts war beispielsweise ausdrücklich anderes geregelt: so war nach badischem Strafgesetzbuch von 1845 gem. § 86 auch »die Verletzung oder Tötung eines Dritten straflos, wenn sie zur Abwehr eines mit Gefahr für das Leben des in Notwehr Versetzten verbundenen Angriffs unvermeidlich war«.146 Auch die Notwehrregelung des bayerischen Strafgesetzbuchs von 1861 umfasste in Art. 72 nicht nur die Verteidigung gegen den Angreifer, sondern jede »mit Strafe bedrohte Handlung«, die in diesem Zusammenhang verübt wurde. Darunter sollte dann nach Ansicht damaliger Kommentatoren auch die Verletzung oder Tötung von Dritten gezählt werden.147 Eine ähnlich weitgehende Rechtfertigungswirkung einer mittelbar Dritte beeinträchtigenden Notwehrmaßnahme wurde von einer Vielzahl strafrechtlicher Autoren noch bis in die 1930er Jahre vertreten.148 Danach sollte die Rechtfertigung nach Notwehrgesichtspunkten allein die Handlung betreffen und nicht noch deren Erfolg in die Beurteilung mit einbeziehen. Schließlich gehe es um das Recht zu einem Verteidigungsakt, der zunächst völlig unabhängig von eventuellen Folgen für Nicht-Angreifer betrachtet werden müsse. Schon die früher h. M. hat freilich gegen diese Ansicht eingewendet, dass die Verletzung Dritter im Rahmen einer Notwehrhandlung gegen einen Angreifer allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Notstands zu behandeln sei, der insofern allerdings meist nicht als Rechtfertigungsgrund galt, sondern nur zur Entschuldigung oder sonstigen Strafausschließung führen sollte.149 146 Vgl. dazu van Calker, ZStW 12 (1892), 460f.; F. Oetker, VDA-II, 294 m. Fn. 4. 147 Vgl. L. Weis, Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern 1, 205ff., bes. 208f.; M. Stenglein, Commentar 1, 550ff., bes. 553. 148 So z. B. K. Binding, Grundriss, 189 (anders noch ders., Handbuch, 750 m. Fn. 68); E. Schwartz, Kommentar, 171f.; F. Wachenfeld, Lehrbuch, 118; M.E. Mayer, Der Allgemeine Teil, 281f.; R. Frank, Strafgesetzbuch, § 53 Anm. II. (S. 162) m. w. N.; s. a. bereits A.W. Heffter, Lehrbuch, 44f.; H. Luden, Handbuch, 291 (in der Begründung anders noch ders., Abhandlungen 2, 498f., wo er die Verletzung Dritter infolge einer Notwehrhandlung als »eine rechtswidrige Handlung« bezeichnet, die aber dennoch »straflos« bleibe, da ihr das Merkmal der »verbrecherischen Willensbestimmung« fehle); unter Berufung auf eine entsprechende Regelung in Art. 145 CCC spricht auch Feuerbach davon, dass eine im Zuge einer Notwehrhandlung »einem Anderen als dem Angreifer unabsichtlich zugefügte Verletzung … entschuldigt« sei (Lehrbuch § 38 Anm. 5, S. 66); ausführlich zu dieser umstrittenen Problematik schon van Calker, ZStW 12 (1892), 443ff., bes. 463ff. 149 Vgl. C.R. Köstlin, System, 87f., der allerdings selbst dies ablehnt (insoweit anders wohl noch

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Auch in rechtsvergleichender Hinsicht erscheint die exklusive Angreiferzentrierung durchaus als eine eher kontingente Einschränkung eines allgemeinen Notwehrrechts. Insbesondere im anglo-amerikanischen Bereich wird ein weitaus umfangreicheres Recht auf (Selbst-)Verteidigung diskutiert. Dabei wird die rechtliche Argumentation meist mit allgemeinen ethischen Begründungen angereichert oder sogar in Parallele zur Diskussion über das politische (Kriegs-) Recht gesehen.150 Nach einem weiten Verständnis eines derart politisch-moralisch aufgeladenen Rechts auf Notwehr, sei letztlich jede Abwehr erlaubt, »because it cannot deny people the ›natural‹ right to defend what is most important to them against those who intentionally or unintentionally threaten their basic interests … This conception of self-defense is an element of a larger libertarian picture, according to which the right of self-ownership is nearly absolute«.151

In einer extremen Auslegung mag die behauptete Absolutheit dieses Rechts zu einer alles umfassenden Notwehrbefugnis führen: Wer ein Recht hat, dürfe es auch verteidigen, selbst wenn dadurch an sich Unbeteiligte betroffen sein sollten. Schließlich werde auch im (gerechten) Krieg hingenommen, dass Unbeteiligte als Kollateralschaden verletzt oder getötet werden. Durch eine solche Expansion klingt die Einbeziehung von ›Unschuldigen‹ in den Rahmen allgemeiner Notwehrmaßnahmen nicht mehr allzu überraschend.

4.

(Defensiv)Notstand

a)

Grund und Grenze des rechtfertigenden Notstands

In der Sache gar nicht weit von einer Rechtfertigung nach Nothilfegrundsätzen entfernt befinden sich solche Begründungsansätze die im »Prinzip des defensiven Notstandes« die »Sedes materiae« der vorliegenden Problematik sehen. In diesem Begründungskontext werde nämlich eine Gefahr – ähnlich wie im Falle des Notwehrrechts – »gewissermaßen auf ihren Ursprung zurückgewälzt«. In diesem ›Zurückwälzen‹ besteht etwa nach Ansicht von Reinhard Merkel das eigentliche Geschäft der Zurechnung im Zusammenhang einer Notstandsprüders., Neue Revision, 733); H. Seeger, Abhandlungen, 417; H. Hälschner Strafrecht 1, 485; A. Hold von Ferneck, Rechtswidrigkeit 2/1. Abt., 129/144/147f.; von Bar, Gesetz und Schuld III, 207ff., bes. 211; A. Köhler, Strafrecht, 351f.; F. Oetker VDA-II, 293f.; ders., Frank-FG, 369f.; R. von Hippel, Strafrecht 2, 197f./210; ders., Lehrbuch, 110/113; E. Mezger, Strafrecht, 2. Aufl. 1933, S. 237f.; T. Rittler, Lehrbuch, 97f.; P. Allfeld, Lehrbuch, 128; Graf zu Dohna, ZStW 33 (1912), 131f.; s.a. ders., Rechtswidrigkeit, 128f. 150 Vgl. etwa N.J. Zohar, Political Theory 21 (1993), 606ff. m.w.N. 151 Y. Benbaji, Canadian Journal of Philosophy 35 (2005), 591, der eine entsprechende Auffassung zusammenfasst, um sie anschließend kritisieren zu können.

Rechtfertigungslösungen

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fung.152 Eine angemessene Legitimation einer (staatlichen) Tötungsanordnung müsse die Begründung einer entsprechenden Duldungspflicht des Eingriffsopfers voraussetzen und dies sei nur dann der Fall, wenn der Staat »dem Getöteten sagen kann: ›Das ist nach Rechtsprinzipien allein deine Sache!‹ « (JZ 2007, 381). Als Beispiel für eine auf den Urheber der Rechtsverletzung zurückgewälzte Rechtfertigungsmöglichkeit einer Tötung wird von Merkel die tödliche Notwehr benannt: eine tödlich endende Notwehrhandlung sei »Normativ betrachtet … Suizid in mittelbarer Täterschaft«, denn die Tötung werde dem Angreifer »als adäquate Folge eigenen Handelns und daher wie eine Selbsttötung zugerechnet« (JZ 2007, 377f.).153 Zwar wird von Merkel umgehend eingeräumt, dass sich diese Analysen zur Tötung in Notwehr nicht direkt auf den Abschuss einer Terrormaschine übertragen lassen, da von den Insassen kein Angriff ausgehe. Dennoch gelte das Zurechnungsprinzip in vergleichbarer Weise auch für den defensiven Notstand. Demzufolge geht es für Merkel hier um ein Problem der (objektiven) Zurechnung i.R.d. Notstandsprüfung. Deren Grundlegung gehöre zu den wichtigen »Prinzipien jeder freiheitsrechtlichen Ordnung überhaupt« (JZ 2007, 378). Es formuliere nämlich ein »fundamentales Prinzip der Gerechtigkeit«. In diesem Sinne gelte »ein Gebot der Fairness, also der Gerechtigkeit, mit der tragischen Beseitigung der Gefahr den zu belasten, den das Schicksal zu deren Ursprung gemacht hat« (JZ 2007, 384).154 Durch den Vergleich mit der Notwehr und den Hinweis auf die Grundsätze der (Verteilungs-)Gerechtigkeit wird deutlich, dass Merkel offenbar auf eine in der anglo-amerikanischen Ethik und Rechtsphilosophie verbreitete Ansicht anspielt, wonach sich das Recht auf Selbstverteidigung i. w. S. nicht nur auf einen eigentlichen Angreifer beschränken lasse, sondern u. U. auch an sich Unbeteiligte betreffen könne.155 Dennoch soll für Merkel nicht jede zufällige Auswirkung, die sich aus einem rechtlichen Freiheitsspielraum ergeben kann, zurechenbar sein, es müsse zumindest eine Gefahrerhöhung auf Seiten der personalen Zurechnungsobjekte vorliegen (JZ 2007, 384f. Fn. 71). Obwohl die Voraussetzungen des Defensivnotstandes gegeben seien, fehle es an diesem zuletzt genannten Merkmal, so dass Merkel schließlich doch zu der Einsicht gelangt, es sei letztlich »nicht akzeptabel, die Passagiere für den Ursprung oder den tödlichen Umfang der Gefahr, mit deren Quelle sie physisch verbunden sind, zuständig zu machen und sie für 152 R. Merkel, JZ 2007, 384/373. 153 Dazu auch J.-M. Zeller, Folter, 300f. Im Allgemeinen zustimmend G. Jakobs, System, 45f., der die Notwehr als Rechtfertigungsgrund nunmehr als »Teil der Lehre von der objektiven Zurechnung« begreifen möchte. 154 Ebenso bereits ders., Die Zeit Nr. 29 v. 08. 07. 2004, S. 33. 155 Zu dieser » ›Distributive Justice‹ Theory of Self-Defense« siehe etwa die kritische Darstellung von W. Kaufman, Ethics and International Affairs 22 (2008), 93ff. m.N.

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deren Beseitigung mit dem Leben bezahlen zu lassen. Genau deshalb verstößt eine gesetzliche Abschusserlaubnis gegen die Verfassung« (JZ 2007, 383).

Damit korrigiert Merkel seine frühere Ansicht. Ein halbes Jahrzehnt zuvor hatte er in seinem Aufsatz in der ZStW nämlich noch die Rechtfertigung eines Abschusses »für richtig« gehalten, da in »einem solchen Fall … das ansonsten nicht disponible rechtliche Prinzip, wonach kein Unbeteiligter zur Rettung noch so vieler anderer getötet werden darf, gegenstandslos« werde (ZStW 114 (2002), 452). Nach der aktualisierten Meinung soll für Merkel nun eben mehr als nur eine zufällige Verbundenheit zwischen Mensch und gefährlicher Sache vorausgesetzt werden, um die rechtfertigende Wirkung des Notstands auszulösen. Darin stimmt er im Ergebnis mit der Mehrheit der Autoren überein, die sich gegen eine Rechtfertigung nach den allgemeinen Defensivnotstandsgesichtspunkten ausspricht.156 Neben fallspezifischen Anwendungsschwierigkeiten werden gegen eine Anwendung der Defensiv-Notstands-Rechtfertigung auch allgemeinere Bedenken erhoben. So hat etwa Anna Coninx den Verdacht geäußert, dass das »Erstarken des Konzepts des Defensivnotstands, insbesondere bei Vorliegen eines Lebensnotstandes« etwas mit der »restriktiven Handhabung der entschuldigenden Notstandshilfe« zu tun haben könnte. Der entschuldigende Notstand setzt nämlich nach deutschem Recht gem. § 35 StGB ein » ›institutionalisiertes Näheverhältnis‹ « zu der Person bzw. den Personen voraus, denen in einer Notlage geholfen wird. In vielen Fällen gehe es aber um die Rettung von nicht nahestehenden Menschen, weshalb es an einer entsprechenden Sympathieperson fehle. Aus diesem Grund müsste dem Nothelfer eine Entschuldigung versagt werden. Deshalb bleibe aus Sicht einiger Autoren nur noch die Anwendung der Regelung des defensiven Notstands. So werden aber die restriktiveren Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands umlaufen und die »Abgrenzung zum rechtfertigenden Notstand durch die Figur Defensivnotstand erheblich relativiert«. Da jedoch derartige »Konflikte richtigerweise auf der Ebene der Schuld gelöst würden«, plädiert Coninx dafür, »das anachronistische Kriterium des Nähe156 Vgl. etwa M. Pawlik, JZ 2004, 1048f.; M. Ladiges, Bekämpfung, 416/532 m.w.N.; ders., ZIS 3/ 2008, 132; ders. JuS 2011, 882; T. Hörnle, Herzberg-FS, S. 565f. Fn. 57; dies. (Anm. 13), 120f.; F. Streng, Stöckel-FS, 149f.; W. Frisch, Puppe-FS, 449f. m.Fn. 112; C. Roxin ZIS 6/ 2011, 558f.; W. Schild, in: Grenzen staatlicher Gewalt, 127f.; NK-Neumann § 34 Rdn. 77c; SSW-Rosenau § 34 Rdn. 26; T. Fischer § 34 Rn. 18; T. Zimmermann, Rettungstötungen, 306ff. m.Fn. 1190/S. 347; J. Wilenmann, Freiheitsdistribution, 441ff.; s.a. H.L. Günther, Amelung-FS, 153, der zwar grundsätzlich ein Tötungsrecht in einigen Fällen des Defensivnotstandes anerkennen möchte (154ff.), die Tötung der Flugzeugpassagiere im hier relevanten Fall jedoch als Aggressivnotstand einschätzt; offenbar für eine Rechtfertigung K. Kühl, AT § 8 Rdn. 138a, der das Problem aber auch etwas unklar i.R. einer Entschuldigungslösung diskutiert: a. a. O., § 12 Rdn. 98; siehe aber auch LKH-Kühl Vorbem. § 32 und § 34 Rdn. 8: »Rechtfertigung nach § 34 anzunehmen«.

Rechtfertigungslösungen

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verhältnisses« aufzugeben (JRE 22 (2014), 118/121/128f./133). Dann könnten zumindest viele Konstellationen eines Lebensnotstandes als Problem des entschuldigenden Notstands behandelt werden. Die Entschuldigungslösung soll nach Ansicht von Coninx aber gerade nicht für den Fall des Abschusses einer Terrormaschine gelten. Dieser kann ihrer Meinung nach zwar ebenfalls nicht durch die Grundsätze des defensiven Notstands gerechtfertigt werden. Für diese Situation will Coninx – wie oben (S. 281ff./317ff.) bereits ausführlich dargestellt – jedoch ein vertragstheoretisch begründetes Solidaritätsprinzip einführen, nach dem die Betroffenen ihrer eigenen Tötung mit rechtfertigender Wirkung zustimmen könnten. b)

Entgrenzungsversuche

Die Ablehnung einer Rechtfertigung über Notstands-Grundsätze ist jedoch keineswegs unumstritten. Es lassen sich mindestens drei Begründungsansätze aufzeigen, mit denen eine Rechtfertigung über die Notstandsregeln erzielt werden soll: 1. durch eine Erweiterung der Zurechnungsmöglichkeit, durch die auch noch die Tötung von Personen denkbar wird, die u. U. nur zufällig mit der Sachgefahr in Verbindung stehen (dazu unten unter bb) – S. 342ff.). 2. durch den Verweis auf fehlende Rettungschancen für die in dem entführten Flugzeug sitzenden Passagiere, deren Leben praktisch ohnehin verloren sei (dazu unten cc) – S. 346ff.). 3. durch Zulassung einer Nutzenkalkulation, nach der im Ergebnis immerhin nach dem Abschuss einer Terrormaschine weniger Opfer zu beklagen seien als dies mutmaßlich ohne ihn der Fall sein würde, was sich auf die Frage der Rechtswidrigkeit des Handelns auswirken müsse. Insoweit lässt sich das Problem mit Javier Wilenmann auf die Frage zuspitzen, »ob konsequensialistische Ausnahmen in einem deontischen Institut … bei Grenzfälle anerkannt werden sollen«, wobei es um Fälle eines » ›tragischen Notstands‹ « gehe, die als »Ausnahme im System« vorkommen könnten (Freiheitsdistribution, 444/448). aa) Ethische und politische Notstände Die letztgenannte Option wird von den allermeisten Autoren, die sich bislang zu diesem Thema geäußert haben, jedoch kategorisch abgelehnt bzw. erst gar nicht in Erwägung gezogen. Das deutsche Recht erlaube eine solche Verrechnung menschlichen Lebens schon aus ganz grundsätzlichen Überlegungen nicht.157

157 Vgl. H. Dreier, JZ 2007, 263f./265f.; K. Rogall, NStZ 2008, 2 m. N. in Fn. 19; F. Streng, Stöckel-FS, 137 m. N. in Fn. 14; C. Roxin, Allg. Teil, § 16 Rdn. 33ff.; ders. ZIS 6/2011, 553ff.; Schönke/Schröder-Perron § 34 Rdn. 23; s.a. J. Wilenmann, Freiheitsdistribution, 441ff.; M. Ladiges Bekämpfung, 411ff.; ders., ZIS 3/2008, 130/135ff. m. N. – auch zur Gegenmeinung – in Fn. 14, der diesen Grundsatz freilich durch Verweis auf gleichwohl abwägende Beispiele

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Strafrecht zählt nicht und spekuliert schon gar nicht über die Anzahl möglicherweise Geretteter, um ein Urteil über Recht und Unrecht fällen zu können, es bemisst vielmehr das Ausmaß einer Rechtsverletzung nach dem Wert des tatsächlich betroffenen Rechts und der Art seiner Verletzung. Leben gilt als ein absoluter Wert, der nicht durch mengenmäßige Verrechnung relativiert werden soll. Die Aufstellung einer Art Schadensbilanz ließe nämlich an sich noch außerrechtliche Überlegungen bereits auf der Ebene der Rechtswidrigkeit auftreten. Auf dieser Stufe des Verbrechensaufbaus soll es indes nicht um die Quantität der letzten Endes zu erhaltenden Menschenleben, sondern allein um die qualitative Gleichwertigkeit des Lebens jedes einzelnen Betroffenen gehen. Für das Recht ist ein Leben nicht weniger wert als tausend Leben. Demnach kann es kein Recht zu einer Handlung geben, durch die das Leben eines Menschen verkürzt wird, um andere zu retten, selbst wenn es noch so viele wären. Nach diesem Rechtsverständnis kann ein ›Recht zur Tötung‹ eines anderen allenfalls in Notwehrkonstellationen begründet werden. In diesen Fällen steht nämlich das Recht gegen das Unrecht eines Angreifers, dem es – fast schon sprichwörtlich – »nicht zu weichen braucht«,158 selbst wenn es u. U. das Leben des Angreifenden kosten sollte; denn hier wird durch den Angriff selbst das Recht (als solches und in der konkreten Position des Angegriffenen) negiert. Daher geht es dann um ›mehr‹ als ›nur‹ um Leben, wenn das Verhältnis zwischen Recht und Unrecht auf dem Spiel steht. In Notstandssituationen der hier angesprochenen Art steht jedoch nicht Recht gegen Unrecht, sondern ebenfalls gegen Recht;159 es geht nämlich um eine gezielte Verletzung von Rechten bzw. Rechtsgütern von Menschen, um Rechte (Rechtsgüter) von anderen zu schützen. Das Lebensrecht des einen oder von wenigen braucht aber dem Lebensrechts von vielen nicht zu weichen. Im Fall einer solchen Gleichwertigkeit betroffener Rechte zählt beim Notstand nicht der zahlenmäßige Mehrwert an Erhaltungsgütern. Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit sind stets nur höherwertige Rechtsgüter im Verhältnis zu geringwertigen Rechtseinbußen notstandsfähig. Diejenigen, die demgegenüber derart bilanzierend vorgehen möchten, kommen denn auch nicht mit rein rechts-internen Argumenten aus, es geht stets um mehr oder anderes als nur ums Recht. Solche Begründungsversuche berufen i.R.d. Notstandsdogmatik erschüttern möchte; differenzierend T. Hörnle, Herzberg-FS, S. 556ff. m.w. N. in Fn. 9. 158 Zu dem viel zitierten – wohl auf Albert Friedrich Berner (ArchCrim N.F. 1848, 562) zurückgehenden – »Grund des Nothwehrrechtes«, »daß das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht«, siehe etwa A. Engländer, Nothilfe, 22ff.; U. Kindhäuser, Frisch-FS, 495ff. jeweils m.w. N. 159 Kritisch gegen die Behauptung, bei Notstand gehe es um die Kollision von Rechten bzw. von rechtlich geschützten Interessen allerdings A. Hold von Ferneck, Rechtswidrigkeit 1, bes. 301ff./335ff. (dazu oben S. 316f.).

Rechtfertigungslösungen

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sich in der Regel entweder auf entsprechende Überlegungen einer utilitaristischen Ethiktradition, die solche Zahlenspiele zulässt,160 oder auf die Erforderlichkeit einer symbolisch eindrucksvollen Demonstration politischer Handlungsmacht einer ›wehrhaften‹ Demokratie.161 Letzteres wird häufig gerade dann betont, wenn es um den Kampf gegen den Terrorismus geht (siehe dazu auch unten S. 432f.). Nach der erstgenannten – ethischen – Begründungsvariante wird nicht mehr allein die tatbestandsmäßige Handlung und deren unmittelbare Folgen bzw. deren normative Konsequenz – die Verletzung von Rechten – beurteilt, sondern zudem noch weitere Konsequenzen in das Urteil über Recht und Unrecht einkalkuliert. Hinter einem übergeordneten Zweck, der etwa im größtmöglich zu erreichenden Nutzen liegen soll, müssen dann die Rechte einzelner oder weniger zurücktreten; deren Opferung wird zum Mittel zur Erreichung eben dieses Zweckes. Insofern geht es gleichsam um ein moralisch erlaubtes Unrecht.162 In diesem Sinne ist sich etwa die US-amerikanische Moralphilosophin Frances M. Kamm sicher : »It remains true, however, that it could sometimes even be morally permissible to violate the law« (Ethics, 53 Anm. 6). Im Namen einer utilitaristischen Ethik wird die rechtliche Grundentscheidung für die Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens noch normativ überboten. Auf diese Weise soll das Leben vieler das Leben weniger überwiegen dürfen. Danach soll es wichtigeres geben als das Recht Einzelner, wenn – auch zahlenmäßig – ›Mehr‹ auf dem Spiel steht. Individuelle Rechte zählen dann weniger als der Gesamtnutzen, der sich für eine größtmögliche Menge berechnen lasse. Zu einem solchen Mehrwert können nach anderer Ansicht nicht nur ethische (utilitaristische) sondern auch politische Folgen gezählt werden; dazu gehöre etwa das Selbsterhaltungsinteresse des Staates, das für manche offenbar noch immer als eigentliche Quelle allen Rechts anzusehen sei. Eine solche – zwischenzeitlich aus der Mode gekommene – Ansicht war im 19. Jahrhundert verbreitet: so hat z. B. Adolf Lasson 1882 in seinem ›System der Rechtsphilosophie‹ betont: »Das Recht ist seinem Begriffe nach der Wille des Staates … Es giebt daher nur eine eigentliche Rechtsquelle, nämlich eben den Willen des Staates«. Der Staat gibt das Recht und nimmt es wieder, wenn es ans Eingemachte geht: »Der Staat verleiht alles Recht … und jedes Recht ist seinem Begriffe nach

160 Siehe dazu T. Hörnle, Herzberg-FS, S. 558ff.; T. Zimmermann, Rettungstötungen, 47ff.; D. von der Pfordten, Normative Ethik, 128ff. jeweils m. w. N. 161 Zur letztgenannten Begründungsansätzen ausführlich und kritisch St. Stübinger, Ancilla Iuris 2008, 73ff. m. w. N. (unten S. 388ff.); s.a. M. Ladiges, Bekämpfung, 365ff. m.N. 162 Siehe dazu L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 29ff.; dazu T. Zimmermann, Rettungstötungen, 92ff.; I. Bott, Straffreiheit, 38f.; W. Schild, in: Grenzen staatlcher Gewalt, 95ff.; M. Ladiges, Bekämpfung, 305ff.

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widerruflich, sobald es gegen die Existenzbedingungen des Staates streitet« (System, 412/430). Daneben fungiert nicht selten auch die Demonstration politischer Handlungsmacht einer Demokratie, die sich als wehrhaft erweisen soll, als eine legitime Basis für die Symbolisierung der Reaktionsfähigkeit des Staates. In diesen politischen Zusammenhang sind auch die Opfer von Terroranschlägen verstrickt, deren staatsbürgerliche Teilhaberechte insoweit von einem funktionierenden Gemeinwesen abhängig gemacht werden sollen, dem sie in mannigfacher Weise verpflichtet seien. Zweifel an einem Tötungsrecht des Staates in bestimmten Notsituationen werden dann mitunter durch das Postulat einer Aufopferungspflicht der betroffenen Bürger verdrängt, denen abverlangt werden könne, sich den höheren Staatsinteressen unterzuordnen.163 Demnach findet das Menschen-Recht auf Leben in dieser Bürger-Pflicht seine Grenze und u. U. eben auch sein Ende; der Bürger habe nämlich für den Staat notfalls auch dadurch zu bürgen, dass er sein Leben für ihn verwirkt. Dies gelte insbesondere im Ausnahmezustand eines Krieges, den die westlichen Gesellschaften derzeit gegen den international operierenden Terrorismus führen müssten. In einem Terroranschlag sei stets mehr als nur ein Angriff auf Rechte oder Rechtsgüter von Einzelnen zu sehen; er wird vielmehr zu einem kriegerischen Akt hochgedeutet, der nicht nur Menschenleben, sondern sehr symbolträchtig die demokratische Grundordnung als Ganze treffe. Daher müsse auch der staatliche Rückschlag als Symbol für die Schlagkraft des Staates interpretiert werden. Wer diesen ›Krieg gegen den Terror‹ gewinnen möchte, muss mit Verlusten rechnen; so wird das Lebensrecht der Flugzeuginsassen zu einem »Kollateralschaden«164 des Anti-Terror-Kampfes. Nur so könne der Terrorakt und die Reaktion darauf auf gleicher Abstraktionsebene verstanden werden. Zu den potenziellen Opfern des drohenden Anschlags kommt noch ein weiteres Erhaltungsgut hinzu, das sogar mit einem eigenen Rechtsstatus ausgestattet wird: das staatliche ›Kriegs-Recht‹. Der Staat dürfe von seinen rechtstreuen Untertanen fordern, dass sie sich in Anbetracht einer Gefahr für das Gemeinwesen freiwillig opfern. Andernfalls drohe der Verlust der politischen Glaubwürdigkeit des Staates, zu dessen Hauptzweck die Stabilisierung des

163 Siehe dazu O. Depenheuer, Isensee-FS, 43ff.; ders. Selbstbehauptung, bes. 24f./75ff.; insofern zustimmend etwa C. Lutze, BayVBl. 2008, 745ff., bes. 750f.; s.a. J. Isensee, Recht als Grenze, 216ff., bes. 224f.; kritisch zu Depenheuers Extremposition: W. Hetzer, StraFO 2008, 93ff.; ders., Rechtsstaat, 179ff.; D. Salomon, PROKLA 38 / Nr. 152 (2008), 429ff.; St. Stübinger, Ancilla Iuris 2008, S. 93f.; M. Hawel, KJ 42 (2009), S. 65ff.; C. Roxin 6/2011, 558; NK-Neumann § 34 Rdn. 77d. 164 Zu dieser Terminologie: M. Bohlander, Criminal Law Review (July 2006), bes. S. 585ff.; K. Waechter, JZ 2007, bes. 63ff.; s.a. G. Jakobs, Rechtszwang, 25f.; ders., System, 50ff.

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eigenen Machterhalts gehöre, der durch die Symbolisierung der Wehrhaftigkeit dokumentiert werden müsse.165 Sowohl in utilitaristischer als auch politischer Perspektive wird dann die Anzahl der betroffenen Opfer zu einem maßgeblichen Faktor. Dies hat etwa der bekannte US-amerikanische Staranwalt und Rechtsprofessor aus Harvard, Alan M. Dershowitz, besonders deutlich formuliert: »Numbers do matter, even in principled decisions. It is clearly right to shoot down a commercial jet with hundreds of innocent passengers in it, if the jet is being flown toward a fully occupied large building that cannot be evacuated« (Terrorism, 189).166

Die sonst so gern betonte Differenz zwischen Recht und Moral bzw. Recht und Politik wird dadurch freilich aufgehoben, wenn schon auf der Ebene der Rechtswidrigkeit mehr als das Recht in die Waagschale geworfen wird. In beiden Begründungsvarianten wird das Recht zum bloßen Zählwert vermeintlich normativ übergeordneter Interessen. In dieser Kalkulation kann dann eben auch das Leben der Menschen in dem abzuschießenden Flugzeug zu einem Mittel zur Erreichung eines anderen Zwecks werden, nämlich der Rettung weiterer Menschenleben. Die Frage nach der Rechtswidrigkeit/Rechtmäßigkeit eines Verhaltens wird in den Dienst einer ethischen oder politischen Wertentscheidung gestellt. Im Kontext des Zweckmäßigen geht die Rechtsförmigkeit des Urteils über Recht und Unrecht freilich verloren. Die ethische bzw. politische Aufladung dieses Problems kaschiert zudem eine noch mangelhafte Differenzierung zwischen Unrecht und anderen Beurteilungsebenen wie diejenige der Schuld. Es ist jedoch der Vorzug der Unterscheidung zwischen Rechtfertigungsgründen und anderen Möglichkeiten, die Strafbarkeit auszuschließen, dass sie auf der Bewertungsstufe der Rechtswidrigkeit allein die unmittelbar betroffenen Rechtspositionen thematisieren kann und derartige Konstellationen als Rechtsprobleme im engeren Sinne behandelt. Auf dieser Ebene geht es um die Frage, ob das Lebensrecht einer Person aus genuin rechtlichen Gründen aufgeopfert werden darf, um andere Menschen am Leben zu halten. Als Recht zählt das einzelne Leben aber so viel wie eine Vielzahl anderer. Die Differenzierung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld hilft gerade, rein rechtliche Bewertungen von politischen oder utilitaristischen Kalkulatio165 Ausführlich und kritisch zu dieser Argumentation St. Stübinger, Ancilla Iuris 2008, 73ff., bes. 84ff. m.N. 166 Allgemein zur Relevanz der Anzahl möglicher Opfer im Hinblick auf die Notstandsdogmatik (des englischen Rechts) s.a. I.H. Dennis, Criminal Law and Philosophy 3 (2009), 41. Dass beim Notstand generell nicht nur die Qualität der betroffenen Rechte, sondern – bei qualitativer Gleichwertigkeit – auch deren Quantität eine Rolle spielen kann, hat übrigens schon H. Hälschner behauptet: Das Preußische Strafrecht 2, 271ff.; ders., Strafrecht 1, S. 489.

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nen frei zu halten, denen es letztlich nicht um die beteiligten Rechte, sondern um die materiellen Güter oder Interessen geht. Dabei soll nicht geleugnet werden, dass Moral und Politik für die Formulierung strafbaren Verhaltens im Gesetz sehr wohl eine Rolle spielen, da die Straftatbestände nicht zuletzt die ethisch-politischen Vorstellungen einer Gesellschaft spiegeln. Dabei bleibt allerdings durchaus zweifelhaft, ob ein purer Konsequentialismus oder die derzeitige – vom Terrorismus provozierte – Sicherheitspolitik wirklich die angemessensten Theorien hierfür liefern können; aber die Unterscheidung Rechtswidrigkeit/Rechtmäßigkeit einer Handlung lässt sich gleichsam ganz formal anhand der geltenden Strafvorschriften auch ohne zusätzliche – rechtsexterne – normative Überbietung bestimmen. bb) Zurechnungsexpansion Folglich bleiben allenfalls die beiden anderen bereits angedeuteten Vorschläge als mögliche Kandidaten für eine Rechtfertigung eines Abschusses in der in Rede stehenden Situation: Nach Ansicht einiger Autoren soll der Abschuss eines Flugzeugs in einer solchen Situation trotz der schon angedeuteten Bedenken gleichwohl über die Grundsätze des sog. ›Defensivnotstandes‹ gerechtfertigt werden können. Dabei ist bereits ganz allgemein die Herleitung der Anwendbarkeit dieser Variante einer Notstandsrechtfertigung umstritten: sie wird entweder unmittelbar aus § 34 StGB oder aber in Analogie zu § 228 BGB abgeleitet.167 Nicht nur der grundsätzliche Ableitungszusammenhang ist fraglich, auch die für die hiesige Problematik in Betracht zu ziehenden konkreten Begründungswege variieren im Detail. Gelegentlich ist bereits das Vorliegen einer Defensivnotstandslage bzgl. der Geiseln in einem entführten Flugzeug bestritten worden.168 Andere nehmen die Ausgangssituation eines defensiven Notstands an und stellen die Frage nach der Zurechenbarkeit. Für die hier relevante Fallkonstellation soll beispielsweise nach Michael Köhler die Berechtigung einer Rettungsmaßnahme, d. h. eines Abschusses eines entführten Flugzeuges, aus einem eigens für die Bewältigung von Notstandsgefahren erweiterten Begriff der objektiven Zurechnung abzuleiten sein. Dabei gehe es nicht nur um die übliche Tatzurechnung, für die ein zumindest objektiv-fahrlässiges Verhalten vorausgesetzt werden müsste. Man bekomme es vielmehr mit Formen einer »Faktenzurechnung« bzw. »Gefahrenzurechnung« zu tun, die im Bereich des Defen167 Zur umstrittenen Herleitung des Defensivnotstandes allgemein J. Renzikowski, Notstand, 243ff.; M. Pawlik, Notstand, 131ff./140ff.; ders. JURA 2002, 26f.; H.L. Günther, AmelungFS, 148; U. Kindhäuser, Strafrecht AT, § 17 Rdn. 48; R. Rengier, AT § 19 Rdn. 38f.; NKNeumann § 34 Rdn. 86; F. Streng, Stöckel-FS, 144f.; A. Coninx, Solidaritätsprinzip, 61f. jeweils m.N. zu beiden Begründungen. 168 So etwa W. Mitsch, JR 2005, 277; s.a. ders., GA 2006, 11ff., 23.

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sivnotstandes über den gewöhnlichen Begriff der objektiven Zurechnung noch hinausweise. In solchen Notstandslagen gehe es um die »objektive Zurechnung erfahrungsmöglicher Verletzungsverläufe«, die von den davon Betroffenen abgewehrt werden dürften. In diesem Zusammenhang erhält dieser erweiterte Begriff der objektiven Zurechnung demnach eine »zwangsrechtliche Bedeutung«, d. h. sämtlichen Gefahren, die einer Person i.d.S. zurechenbar sind, steht ein Zwangsrecht der davon bedrohten Dritten zur Gefahrenabwehr entgegen. Danach könne selbst das, was »zunächst äußerer Zufall war«, gleichwohl noch »objektiv zurechenbar sein«. Im Rahmen dieser » ›Zustands‹-haftung« werde die »Gesamtheit der der Person zuzuordnenden Sachgefahren« erfasst. Sie erstrecke sich daher »auch auf alle Komplexe, in denen die Person als lebendige Körperlichkeit und Sachen im technischen Zusammenhang miteinander verbunden sind«; so z. B. wenn ein Flugzeug auf Grund technischen Versagens oder höherer Gewalt abzustürzen droht. Das »Moment des Umschlagens in den Übergriff« sei nach Köhler schließlich »allem berechtigten Freiheitsdasein der Person« notwendig »immanent«. In einer »(defensiven) Notstandslage« müsse sich deshalb »die überwiegende objektiv zurechenbare Gefahrenverantwortung der einen Person zu ihren Lasten auswirken«, selbst wenn »gleichwertige Rechtsgüter … insbesondere Leben gegen Leben« gegeneinander stehen. An diesem »Zurechnungsprinzip« soll auch eine dazwischen tretende »Handlungsverantwortung eines Dritten« nichts ändern: es bleibe »die anfängliche Intuition bestehen, daß der, sei es auch gewaltsam, in den Angriff Einbezogene für den Angegriffenen ›auf Seiten‹ des Angreifers steht«. Bei der Frage nach »Grund und Ausmaß der Zwangsbefugnis« zur Abwehr einer solchen Gefahr sollen dann freilich die Kriterien der »Erforderlichkeit (Notwendigkeit) und Verhältnismäßigkeit« entscheiden. Aber auch hier gelte beim Gegenüberstehen von »Leben gegen Leben«, dass die »mitwirkende objektiv zurechenbare Gefahrverantwortung des in den Angriff Einbezogenen, da sie jedenfalls im Verhältnis zum gänzlich unbeteiligten Gefahrbetroffenen überwiegt, jenem zur Last« fallen müsse; das schließt für Köhler letztlich »auch die Tötung ein, wenn der selbst nicht zurechenbar Betroffene gegen schwere Verletzungsgefahr namentlich Lebensgefahr nicht anders geschützt werden« könne.169 Eine ähnliche Begründung deutet sich bei Walter Gropp an, der in einer solchen Situation ebenfalls von einer Defensivnotstandslage ausgehen möchte. Für die Beseitigung einer entsprechenden Gefahrensituation sei es generell »nicht ausschlaggebend, ob sich die Passagiere ein Handeln der Entführer zu169 M. Köhler, Schroeder-FS, 261f./263/265f./267f./269; siehe dazu auch die überwiegend kritischen Darstellungen von I. Bott, Straffreiheit?, 104f.; W. Schild, in: Grenzen staatlicher Gewalt, 124ff.; G. Jakobs, System, 50; ders., Krey-FS, 207 Fn. 1; U. Murmann, Grundkurs § 25 Rn. 51 Fn. 73; A. Coninx, Solidaritätsprinzip, 87ff., bes. 90f.; M. Ladiges, Bekämpfung, 529ff., bes. 532f.; J. Wilenmann, Freiheitsdistribution, 257ff.

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rechnen lassen müssen oder nicht«. Es realisiere sich vielmehr eine »durch die Passagiere selbst unmittelbar kumulativ geschaffene Gefahr«. Dabei möchte er hier offenbar auch auf die durch das Mitfliegen als solches bereits kausal erhöhte »Masse eines Flugzeugs« abstellen. Insoweit »tragen die Passagiere ein selbst (zumindest mit)geschaffenes Risiko«, d. h. es könne grundsätzlich gelten: »Wer fliegt handelt insoweit auf eigene Gefahr, auch falls er entführt wird. Unbeteiligte sind nicht verpflichtet, sich für ihn zu opfern«.170 Diese wahrscheinlich strikteste unter den rein strafrechtlichen Lösungsvarianten des in Rede stehenden Problems stützt sich demnach allein auf prinzipielle Zurechnungsfragen, die sich i.R.d. Grundsätze des defensiven Notstands stellen. Durch diese sehr weit gehende Auslegung der Notstandszurechnung wird jedoch letztlich die eingangs betonte systematische Nähe zur Notwehr und der darin angedeutete Zurechnungsgrund im Ergebnis unter einem anderen Namen doch zu deren Ausweitung auf Dritte genutzt. In diesem Sinne hat beispielsweise Klaus Rogall, der sich weitgehend der zuvor skizzierten Ansicht von Michael Köhler angeschlossen hat, sogar ausdrücklich betont, ein »gegenteiliges Auslegungsergebnis würde … das gegenüber den Terroristen unzweifelhaft bestehende Notwehrrecht in unverhältnismäßiger Weise beschränken« (NStZ 2008, 4). Die extensive Deutung des Defensivnotstands dient damit de facto der Ausübung eines unbeschränkten Notwehrrechts gegen die angreifenden Terroristen. Zu diesem Zweck wird nur noch das Rechtsverhältnis zwischen den Angreifern und den möglichen Opfern am Boden in Betracht gezogen, während die betroffenen Rechte der Flugzeuginsassen ausgeblendet wird; sie gehen unter bevor sich der Angriff möglicherweise realisiert. Insofern geht es um das systematische Verhältnis der beiden Rechtfertigungsgründe. Die Notwehr wird dabei in dogmatischer Hinsicht meist als qualifizierter Spezialfall des Defensivnotstands angesehen werden.171 Dieses Näheverhältnis zwischen Notwehr und Notstand wurde vielfach bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert gesehen.172 So hat beispielsweise Alexander Löffler die (Notstands-)Fälle des § 228 BGB sogar als »Notwehr im engeren Sinne« bezeichnet. Dazu wollte er – unter Verweis auf die Motive zum Entwurf des BGB (Bd. I, 1888, S. 352) – auch die »Gefährdung durch ohne Willen thätig werdende 170 W. Gropp, GA 2006, 287f. Vgl. zu Gropps Argumentation mit schierer Kausalität auch R. Merkel, JZ 2007, 385; s.a. F. Streng, Stöckel-FS, 147; A. Coninx, Solidaritätsprinzip, 87; M. Ladiges, Bekämpfung, 529; J. Wilenmann, Freiheitsdistribution, 442 m.Fn. 13. 171 So etwa H.L. Günther in: SK StGB (28. Lfg. Mai 1998), § 32 Rn 12 und § 34 Rdn. 14; G. Freund, AT § 3 Rdn. 81; s.a. M. Pawlik, Unrecht, 248; J. Wilenmann, Freiheitsdistribution, 170ff. jeweils m.w.M. 172 Vgl. etwa K.L.W. Grolman, Grundsätze, 20ff.; J.F.H. Abegg, Untersuchungen, bes. 111ff.; ders., Lehrbuch, 166ff., bes. 168f.; van Calker, ZStW 12 (1892), 467; M. von Buri, Beiträge, 115 ff, bes. S. 138; A. Hold von Ferneck, Rechtswidrigkeit 2/1. Abt., 107ff./128ff./153ff.

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Personen« zählen. Allerdings sollten die Konstellationen, in denen »Leben gegen Leben« stehe, für ihn nicht zu den rechtfertigungsfähigen Notstandslagen zählen; sie seien vielmehr »rechtswidrige Handlungen mit persönlichem Strafausschließungsgrunde«.173 Insgesamt blieb die besagte Beziehung zwischen Notwehr und Sachwehr (Defensivnotstand) jedoch nicht unumstritten.174 Nimmt man diese Verhältnisbestimmung ernst, dann ist jedoch gerade die Beschränkung des Notwehrrechts auf Maßnahmen gegen Angreifer beachtlich und darf nicht insgeheim durch Verweis auf eine darüber hinausgehende Sachzuständigkeit auch auf Nicht-Angreifer ausgedehnt werden. Insofern gleicht nämlich die Situation der entführten Flugzeuginsassen durchaus der Lage von Geiseln, die als »Schutzschild« missbraucht werden,175 um die eigentlichen Täter vor Maßnahmen der Polizei zu bewahren; wenn die Geiselnehmer beispielsweise aus einem Auto heraus schießen, um sich auf diese Weise einen Fluchtweg zu bahnen, so müsste es nach der skizzierten Deutung der Notstandszurechnung ebenfalls gerechtfertigt sein, das Fluchtauto samt Geiseln in die Luft zu sprengen, um eine effektive Notwehr gegen die Geiselnehmer zu gewährleisten. Letztlich dürfte es dann aber doch nicht zuletzt das Bemühen um eine Sicherstellung eines effizienten Notwehrrechts sein, die jene skizzierte Zustandshaftung der schicksalhaft in diese Situation Verstrickten begründen soll. Das Zurechnungsproblem wird nur im Blick auf das Verhältnis zwischen den potenziellen Anschlagsopfern am Zielort und der als Angriffsinstrument eingesetzten Sache bestimmt, so dass die ebenfalls von diesem Angriff betroffenen Flugzeuginsassen gleichsam – im doppelten Sinne des Wortes – schon in der Sache verschwunden zu sein scheinen. Deren schicksalhafte Verstrickung in das Angriffsinstrument soll im Wege einer rechtlichen Zurechnungserweiterung sanktioniert werden dürfen, während oder weil das Schicksal, das den Menschen, die zu einer Zielscheibe des Anschlags gemacht werden sollen, erst noch droht, abgewendet werden kann. Wenn in dieser Weise der Zufall zu einem Moment der juridischen Imputation in Notstandslagen wird,176 mit dem über das Lebens-Recht von Unbeteiligten entschieden werden darf, dann könnte man ebenso sagen, dass die Menschen am Zielort das Schicksal der Passagiere teilen 173 A. Löffler, ZStW 21 (1901), 573/575f./580; siehe dazu auch A. Graf zu Dohna, Rechtswidrigkeit, 129ff., bes. 130f. (speziell zu Löffler). 174 Kritisch z. B. Marquardsen, ArchCrim N.F. 1857, 399f.; C.R. Köstlin, Neue Revision, 709ff. m. Fn. 1 auf S. 710; C.L. von Bar, Gesetz und Schuld III, 136ff. u. ö. 175 Vgl. zu dieser Konstellation G. Spendel, in: LK, 11. Aufl. (1992) § 32 Rdn. 216; s.a. M.S. Moore, Israel Law Review 23 (1989), 323f.; ders., Placing Blame, 714f. 176 Zur problematischen Rechtsrelevanz des Zufalls siehe allgemein etwa A. Coninx, Solidaritätsprinzip, 38ff., bes. 45ff. und speziell zur vorliegenden Problematik: 83ff.; dies., in: A. v.Hirsch u. a. (Hg.), Solidarität, 175ff., bes. 183ff. m.w.N.

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sollten, denn dann müsste insgesamt von einer zufälligen Verteilung des Lebensrisikos die Rede sein. Dann dürfte freilich gar nicht mit Recht entschieden werden, wer weiterleben darf und wer sterben muss. Wer das Schicksal über Zurechnungsfragen der juridischen Vernunft entscheiden lassen möchte, der müsste es für alle gleichermaßen walten lassen. Das aus der Notwehrbefugnis gegen die Angreifer herzuleitende Tötungsrecht wird auf die skizzierte Weise auf die ebenfalls von dem Angriff betroffenen Personen erweitert. Dann müsste der Zurechnungsgrundsatz lauten: Wo ein Angriff ist, darf eine Abwehrmaßnahme greifen, selbst wenn davon andere als nur die Angreifer betroffen sind. Dadurch werden aber die enger gefassten Voraussetzungen des Notstands zu Gunsten eines effektiven Notwehrrechts umgangen. Es bleibt jedoch noch unklar, wieso die Flugzeuginsassen, noch bevor ihr Tod durch Verwirklichung des terroristischen Unrechts eintritt, nun doch schon zuvor gleichsam mit Recht getötet werden dürfen. Während bei der Notwehr das Recht gegen gegenwärtiges Unrecht verteidigt werden darf, steht in einer Notstandslage das Recht einer oder mehrerer Personen dem Recht anderer gegenüber. Das Bestehen einer Angriffssituation beseitigt allein aber noch nicht das weiterhin bestehende Rechtsverhältnis zwischen den ›unschuldigen‹ Personen im Flugzeug und den abwehrbereiten Rettern, die noch dazu als Amtsträger die Beziehung zwischen Staat und Bürger repräsentieren. Eine derart gravierende Rechtseinbuße setzt mehr als nur eine zufällige Verbindung zur Gefahrenquelle voraus. Wer zwangsweise auf die Seite des Unrechts gezogen wird, verwirkt dadurch noch nicht sein eigenes Lebensrecht, auch wenn sich das Überlebensinteresse Dritter zu einem Zwangsrecht gegen einen Angreifer verdichtet haben mag. Für ein (staatliches) Tötungsrecht bedarf es jedoch mehr als die aufgezeigte Zurechnungsexpansion.177 cc) Rettungschancen Die soeben besprochene Lösung bleibt insoweit sehr abstrakt. Sie abstrahiert die Prüfung der Notstandssituation nicht nur von der Frage einer Verantwortlichkeit für die Gefahrenlage. Damit werden zudem eine ganze Reihe von Konkretisierungsmöglichkeiten ausgeblendet, die in anderen Ansätzen eine Rolle spielen, die sich ebenfalls um eine Rechtfertigung im Kontext der Notstandsdogmatik bemühen. U.a. bleibt darin die konkrete Situation der von einem Abschuss betroffenen Passagiere und Besatzungsmitglieder noch weitgehend unberücksichtigt. Insbesondere die naheliegende Tatsache, dass deren Leben auch beim Untätigbleiben ohnehin bald enden werde, bleibt insoweit ausgeblendet. Gerade aus dem Umstand, dass das Leben von Besatzung und Insassen solcher Terrormaschinen durch den bevorstehenden Aufprall auf das An177 Kritisch zu dieser Ansicht auch G. Jakobs, Rechtszwang, S. 25ff., bes. 27f.

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schlagsziel sowieso verloren sei, wird daher z. T. ein zusätzliches Argument für eine mögliche Rechtfertigung gefolgert, das dann jedoch zugleich als eine notwendige Bedingung für die Anwendung der Notstandsgrundsätze fungiert.178 Javier Wilenmann meint sogar, »der Zustand des ›ohnehin verloren sein‹ der Passagiere« bleibe letztlich als einziges »Argument für die Rechtfertigung« übrig (Freiheitsdistribution, 446). Damit wird die »Chancenlosigkeit« in die Begründung einer Rechtfertigung einbezogen. In einer solchen Notstandslage wie sie beispielhaft im Flugzeugabschuss-Fall beschrieben wird, seien die Rettungschancen einseitig verteilt, da für die von einer entsprechenden Notstandshandlung Getöteten ohnehin keine Überlebensmöglichkeit mehr gesehen wird. In einer für manche ausweglosen Lage müsse es gerechtfertigt sein, zumindest das Leben derer zu retten, die noch nicht in gleicher Weise rettungslos verloren seien; schließlich werde hierdurch »das Eingriffsopfer keinem neuartigen Schadensverlauf ausgesetzt«, sondern die unausweichliche Realisierung der bereits bestehenden Gefahr lediglich ein wenig beschleunigt. Dies wurde beispielsweise von Volker Erb in der Erstauflage des ›Münchener Kommentars zum Strafgesetzbuch‹ im Jahr 2003 vertreten (MK1-Erb § 34 Rdn. 118ff.). In der zweiten Auflage von 2011 hat er dieses Kriterium inzwischen jedoch als »entbehrlich« verworfen (MK2-Erb § 34 Rn. 127 Fn. 29). Grundsätzlich steht Erb einer Ausweitung der Grundsätze des defensiven Notstandes auf eine ›Leben gegen Leben‹-Situation nämlich ablehnend gegenüber (MK1-Erb § 34 Rdn. 118/148ff., bes. 152 bzw. MK2-Erb § 34 Rn. 122/ 155ff., bes. 159).179 Gegenüber demjenigen, der ohnehin in einer Gefahr umzukommen droht, dürfe auch von Rechts wegen von Seiten der von eben dieser Gefahr (mit)bedrohten, eine rechtfertigende Notstandsabwehrhandlung ausgeführt werden. Insoweit drängt sich beispielsweise die Parallele zum berühmten ›Bergsteigerfall‹ auf, der wohl erstmals 1895 von Rudolf Merkel gebildet worden ist: In dem darin vorgestellten Szenario sind zwei Bergsteiger in Bergnot geraten. Beide hängen an einem Seil über einem Abgrund. Der eine Bergsteiger (A) kann den eigenen (tödlichen) Absturz nur dadurch verhindern, dass er das Seil, das ihn mit dem unter ihm hängenden und über dem Abgrund baumelnden zweiten Bergsteiger (B), kappt. Nur auf diese Weise kann A sein eigenes Leben noch retten, während das Leben des B nicht mehr zu retten sei.180 In solchen Fall178 Hierzu eingehend T. Zimmermann, Rettungstötungen, 299ff./410ff. m. w. N. 179 Zum Kriterium der Chancenlosigkeit s.a. A. Koch, JA 2005, 747 m.w.N. Vgl. auch W. Höfling/ S. Augsberg, JZ 2005, 1083, die darauf hinweisen, dass insoweit stets nur eine unsichere Tatsachenprognose gewagt werden könne; ähnlich F. Streng, Stöckel-FS, 140. 180 Vgl. NK-Neumann § 34 Rdn. 76f.; zur Vergleichbarkeit beider Szenarien s.a. LK-Rönnau Vor § 32 Rdn. 343.; U. Murmann, Grundkurs § 25 Rn. 48ff. Dieser Fall wird auch in der anglo-amerikanischen Notstandsdogmatik diskutiert: siehe I.H. Dennis, Criminal Law and

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konstellationen, zu denen auch die hier diskutierte zählen könne, gilt z. B. auch für Ulfrid Neumann, dass »nicht die Schutzwürdigkeit … wohl aber die Schutzmöglichkeit des einen Rechtsguts nahezu auf null reduziert ist«, weshalb »die Rettung des anderen gerechtfertigt« sei (NK-Neumann § 34 Rdn. 77).181 Allerdings sieht er »eine strafrechtliche Rechtfertigung des Abschusses eines entführten Flugzeuges in aller Regel« aus tatsächlichen Gründen scheitern, da »eine hinreichend zuverlässige Feststellung, dass einige der Gefährdeten tatsächlich rettungslos verloren sind, häufig nicht möglich ist« (a. a. O., Rdn. 77e).182 Der Vergleich beider Fallkonstellationen ist jedoch nicht unumstritten. Einige Autoren, die sich – wie z. B. Harro Otto183 und Michael Pawlik184 – im ›Bergsteigerfall‹ wiederholt für einen Ausschluss der Rechtswidrigkeit ausgesprochen haben, da hier im Rahmen einer Gefahrengemeinschaft die wechselseitige Rettungspflicht nicht mehr zu erfüllen sei, stehen einer solchen Parallelisierung dieser Fallkonstellationen durchaus kritisch gegenüber. Im Kontext des ›Flugzeugabschuss-Falles‹ bestehe nämlich eine solche Verpflichtung zur Rettung anderer Mitglieder der spontanen Gefahrengemeinschaft erst gar nicht.185 Außerdem setzten sich die Bergsteiger den Risiken freiverantwortlich aus und müssten sich daher die tatsächlich eintretenden Gefahren entsprechend zurechnen lassen, während die Insassen eines entführten Flugzeugs keine dementsprechende Übernahmeverantwortung treffe, da sie selbst nur Opfer seien.186 Gleichwohl lässt sich die Bedeutung des Kriteriums der Rettungschancenbewertung deutlich herausstellen, wenn man den Ausgangsfall so variiert, dass die Flugzeuginsassen am Ende gar nicht getötet werden sollen. Eine solche FallVariante hat beispielsweise Michael Bohlander in seinem Aufsatz im ›Criminal Law Review‹ (2006, 581f.) gebildet. Da die Passagiere im Ausgangsfall ohnehin verloren seien, lohne sich eine Abwägung im Grunde gar nicht mehr : »they are, to put it bluntly, already dead« (a. a. O., S. 580). Brisanter kann insofern folgende

181 182 183 184 185 186

Philosophy 3 (2009), 43f., der auch noch weitere Konstellationen aufzählt, die er ebenfalls mit dem Abschuss einer Terrormaschine vergleicht und in sämtlichen Fällen eher für eine Rechtfertigung plädiert, wobei er für den Flugzeugabschuss auch eine rechtfertigende Pflichtenkollision in Betracht zieht. Dem genannten Grundsatz zustimmend A. Sinn, NStZ 2004, 592f.; A. Coninx, Solidaritätsprinzip, 278; ähnlich J. Renzikowski (Anm. 167), S. 266f.; H.J. Hirsch, Küper-FS, 149ff. Ausfühlich zum Problem der Prognoseunsicherheit A. Coninx, Solidaritätsprinzip, 242ff. m.w.N. Vgl. H. Otto, Pflichtenkollision, 82f.; ders. Grundkurs § 8 Rdn. 193; ders., JURA 2005, 476f. Zur Kritik an Ottos Lösungsansatz zum Bergsteigerfall vgl. W. Küper, Pflichtenkollision, 41ff.; ders., JuS 1981, 788ff. M. Pawlik, Notstand, 326f.; ders., JURA 2002, 30f. So H. Otto JURA 2005, 476ff., 478f. Vgl. M. Pawlik, JZ 2004, 1048f.; s.a. T. Zimmermann, Rettungstötungen, 153f./306ff.

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Konstellation sein:187 Wenn die Terroristen z. B. die Maschine nicht als solche zu einem Angriffswerkzeug machen möchten, sondern nur zum Transport einer biologischen oder chemischen Bombe nutzen wollen und den bevorstehenden Anschlag auf eine Großstadt per Funk mitteilen und dabei glaubhaft versichern, die Passagiere und Besatzungsmitglieder nach dem Abwurf wieder freilassen zu wollen. Die verheerenden Folgen eines solchen Angriffs, dem unzählige Menschenleben zum Opfer fallen würden, könnten jedoch durch den Abschuss des entführten Flugzeugs verhindert werden, da – nach Ansicht von Experten – durch die Explosion des Flugzeuges in der Luft auch der biologische bzw. chemische Wirkstoff der Bombe restlos verbrannt und unschädlich gemacht werden könnte. Nach einer rein quantitativen Betrachtung könnte hier gleichwohl ein Recht zur Rettung vieler auf Kosten weniger konstruiert werden. Demgegenüber käme in dieser Konstellation jedoch nach der skizzierten Ansicht keine Rechtfertigung nach Notstandsgrundsätzen in Betracht, da das Kriterium des unvermeidbaren Verlusts des Lebens in diesem Fall nicht greift. Einer solchen Einschätzung bzgl. der Relevanz des ›Ohnehin-Verlorenseins‹ widerspricht freilich die wohl noch immer herrschende Meinung.188 Wer auf der Ebene der Rechtswidrigkeit der Abwehrhandlung in dieser Weise auf mangelnde Schutzchancen verweise, der relativiere letztlich das Lebensrecht der unschuldigen Flugzeuginsassen, dessen absolute Geltung bis zum bitteren Ende bestehe, auch wenn es praktisch ohnehin verloren sei. Der unabwendbar drohende Verlust des Lebens ändert nichts daran, dass durch die zuvorkommende Rettungsaktion zu Gunsten möglicher Opfer am geplanten Anschlagsziel zunächst einmal eine lebensbeendende Maßnahme steht, für die auf diese Weise ein Rechtsgrund behauptet werden soll. Mit dem Kriterium der Chancenlosigkeit wird dabei ein nicht-rechtliches Moment in die strafrechtliche Diskussion eingeschleust. Damit wird nämlich auf eine Prognose über vermeintlich faktisch abschätzbare Umstände vertraut. Aus der Faktizität einer als unabdingbar eingeschätzten Realisierung eines tödlich verlaufenden Kausalzusammenhanges lässt sich jedoch noch kein hinreichendes Argument für die Preisgabe der Normativität bedingungsloser Rechte ableiten. Zudem wird in derart exklusiv auf die Notstandsdogmatik abstellenden Zurechungsprozessen das besondere Rechtsverhältnis nicht hinreichend gewürdigt, das zwischen den Flugzeuginsassen und dem Staat besteht, dem auf diese Weise ein Recht zur Tötung von Bürgern eingeräumt werden müsste, zu deren Schutz er eigentlich bestellt ist – 187 Siehe dazu auch T. Hörnle, Criminal Law and Philosophy 3 (2009), 121ff.; s.a. G. Jakobs, Rechtszwang, S. 25, der ein ähnliches Beispiel bildet. 188 Vgl. etwa C. Jäger, JA 2008, 682; R. Rengier, AT § 19 Rdn. 32f.; C. Roxin, Allg. Teil I, § 16 Rdn. 88; ders. ZIS 6/2011, 555f.; J. Wessels/W. Beulke /H. Satzger, AT, Rdn. 316ff.; HK-GS/ Duttge § 34 Rdn. 20; LK-Rönnau Vor § 32 Rdn. 343ff., bes. 349; LK-Zieschang § 34 Rn. 17b/74f.; Schönke/Schröder-Perron, § 34 Rdn. 24 jeweils m. w. N.

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auch wenn er diesen Schutz letztlich nicht mehr lange ausüben kann. Eine rechtlich abgesegnete Tötungsbefugnis soll es jedoch in einem Rechtsstaat gerade nicht geben. Darin liegt der berechtigte Kern der oben erwähnten Mahnung des Bundesverfassungsgerichts, die sich insoweit sehr wohl auch auf die strafrechtliche Würdigung niederschlägt.189 Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass die Würde jedes einzelnen Rechtssubjekts immer schon in einem »Sozialbezug« zu sehen sei und der »staatliche Schutzauftrag« mit »Blick auf die sozialen Bezüge, in denen die Person auch in ihrer Würde steht«, zu Gunsten der Rettung anderer insgesamt erfüllt werde.190 Falls damit gemeint sein soll, dass die personale Würde unter der Bedingung eines Gesamtwohls oder der Sozialnützlichkeit steht und damit abgewogen werden könne, würde dies dadurch nur zu einer getarnten Vergesellschaftung der Würde des einzelnen führen, um sie in einem Nutzenkalkül gegen die Würde der vielen gegenrechnen zu können. Trotz des Gemeinschaftsbezuges der personalen Würde bleibt sie etwas Individuelles; insbesondere ihre Verletzbarkeit ist primär individuell darstellbar.191 Jede Person steht dabei in einem je für sich zu betrachtenden Rechtsverhältnis zu anderen und diese Beziehungen sind wiederum auf einer zweiten Begründungsebene in Relation zum Staat zu sehen. Dieser kann dann aber nicht einige (mit Recht!) töten unter Verweis auf die Erfüllung seiner Schutzpflicht gegenüber anderen. Das Individuelle lässt sich nicht gegen das Soziale ausspielen. Das Relationale als inter-personale Voraussetzung des Würdebegriffs führt nicht zur Relativierung der Würde eines Rechtssubjekts.

5.

Pflichtenkollision

Gerade dem Aspekt der Pflichtenstellung will hingegen ein weiterer Rechtfertigungsansatz dadurch Beachtung verschaffen, dass eine mögliche Lösung des vorliegenden Problems auf der Ebene einer rechtfertigenden Pflichtenkollision angesiedelt wird. Diese soll nicht allein in strafrechtlicher sondern primär in verfassungsrechtlicher Hinsicht bestehen. So meint insbesondere Wilfried Küper, in der fraglichen Fallkonstellation gerate der Staat unweigerlich »in einen Widerstreit verfassungsrechtlicher Pflichten. Es kollidiert seine ›Schutzpflicht‹, die als Folge des Angriffs unmittelbar gefährdeten Menschenleben zu erhalten, mit der Pflicht, den Eingriff in menschliches Leben zu unterlassen, der mit der Abwehr dieses Angriffs verbunden ist«, m.a.W. mit der ›Achtungspflicht‹. 189 Ähnlich auch F. Streng, Stöckel-FS, 155. 190 So jetzt aber U. Murmann, Grundkurs § 25 Rn. 51 m.Fn. 72. 191 Vgl. dazu V. Thomas ARSP 87 (2001), 304ff.

Rechtfertigungslösungen

351

Da es wegen der » ›qualitativen Gleichwertigkeit‹ menschlichen Lebens … zu einer analogen ›Gleichwertigkeit‹ der kollidierenden Pflichten« komme, öffne sich zumindest ein »Entscheidungsspielraum des Staates in der Weise, daß er die Erfüllung einer Pflicht zu Lasten der anderen wählen« dürfe, d. h. der Staat könne sich sowohl für die »Wahrnehmung der ›Schutzpflicht‹ entscheiden« als auch die Ausübung einer solchen Abwehrmaßnahme bevorzugen. Anders als im » ›einfachen Recht‹ «, in dem im Falle einer Kollision von Handlungs- und Unterlassungspflichten nach ganz h. M. die Einhaltung der negativen Pflicht den Vorrang genießt, müsse bei einer » ›verfassungsrechtlichen Pflichtenkollision‹ « dieser Art etwas anderes gelten, da es hier insofern keinen dem »Abwägungsprinzip des § 34 StGB« entsprechenden »verfassungsrechtlich verbindlichen Maßstab« geben könne, schließlich sollte sich der Staat nicht »für alle Zukunft zur Wehrlosigkeit ›verpflichten‹ «.192 Dem Staat soll folglich in dieser Frage eine rechtlich nicht näher fixierbare Willkürfreiheit bei der Wahl seiner Pflichterfüllung zugestanden werden. Eine solche Offenheit könne durchaus gesetzlich geregelt werden, da die Legislative keineswegs an die in der Rechtswissenschaft mehrheitlich vertretene Behauptung eines Vorrangs der Achtungspflicht vor der Schutzpflicht gebunden sei.193 Dies soll offenbar verhindern, dass sich eine bestimmte Maßnahme – etwa der Abschuss der Terrormaschine – in solchen Fällen als allein verbindlich darstellen lässt. Wenn nämlich für das staatliche Handeln auch in solchen Problemlagen das sonst übliche Willkürverbot gelten sollte, dann könnte beispielsweise aus der Konsequenz einer Rechtfertigung unwillkürlich eine Pflicht zum Abschießen gefolgert werden. Das Einräumen einer Wahlmöglichkeit zwischen den genannten (Schutz- und Achtungs-)Pflichten signalisiert darüberhinaus gegenüber (potenziellen) Terroristen die nicht kalkulierbare Reaktionsfähigkeit des Staates. Wer einen solchen Terrorakt plant dürfe keineswegs sicher sein, dass er ungehindert gelingen könne, da von Rechts wegen gar kein Gegenschlag erfolgen dürfe.194 Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung wird sich dann 192 W. Küper, Juristische Studiengesellschaft – Jahresband 2005, 25f. m. Fn. 93. Für eine Rechtfertigung auf Grund der Beachtlichkeit kollidierender Pflichten – freilich mit einer anderen Begründung – im Ergebnis auch T. Hörnle, New Criminal Law Review 10 (2007), S. 583ff., bes. 599ff.; dies., Herzberg-FS, bes. S. 566ff.; dies., Criminal Law and Philosophy 3 (2009), bes. 125ff.; s.a. J. Isensee, Jakobs-FS, 226ff. Zu der im Text angedeuteten Diskussion bzgl. des Vorzugs der negativen Pflicht vgl. z. B. R. Merkel, JZ 2007, 381; J. Wolter, Küper-FS, 707 Fn.1/715f.; J. v.Bernstorff, Der Staat 47 (2008), 37f.; F. Streng, Stöckel-FS, 154; M. Ladiges, Bekämpfung, 375ff./525ff.; T. Zimmermann, Rettungstötungen, 117ff., bes. 137 jeweils m. w. N. 193 So U. Vosgerau AöR 133 (2008), 360ff./373ff., gegen die anderslautende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz (BVerfGE 115, 118, bes. 157). 194 Siehe zu dieser Argumention z. B. M. Ladiges, Bekämpfung, 382/525.

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

freilich die verfassungsrechtlich zugelassene Wahlmöglichkeit auch auf die strafrechtliche Beurteilung auswirken müssen, für die Küper bislang stets zu Gunsten eines absoluten Lebensschutzes plädiert hatte, der gerade nicht durch eine kollidierende Pflichtenkonstellation relativiert werden sollte.195 Die Eröffnung offenbar beliebig wählbarer Entscheidungsalternativen besagt jedoch nichts anderes als eine Art Wahllosigkeit im Umgang mit einer Problemlage. Insoweit bleibt ein nicht unerhebliches Unbehagen, wenn letztlich ein willkürlicher Beschluss über die in einem konkreten Fall dominante Pflichterfüllung durch einen zuständigen Entscheidungsträger als Rechtfertigungsgrund anerkannt werden soll. Genau besehen kann die rechtliche Beurteilung eines solchen Willküraktes nicht mehr auf der Ebene der Rechtswidrigkeit angesiedelt sein. Sollte ein Entschluss zum Abschuss einer gekaperten Maschine kein Akt einer puren Dezision sein, so bedarf es klarer rechtlich abgesegneter Kriterien, nach denen eine nachvollziehbare Entscheidung getroffen wird. Die Befürchtung, eventuell einen wehrlosen Eindruck zu hinterlassen, dürfte hierfür nicht genügen.

6.

Unentscheidbarkeit?

Angesichts der aufgezeigten Schwierigkeit, im Rahmen der Unrechtsebene über die Rechtswidrigkeit bzw. Rechtmäßigkeit einer eventuellen Entscheidung über einen Abschuss einer Terrormaschine, stellt sich die Frage, ob sich dieses Problem überhaupt in strafrechtliche Kategorien fassen lässt oder womöglich gänzlich unentscheidbar ist. In dieser Hinsicht sind mehrere Optionen offen und z. T. bereits ausdrücklich gezogen worden, diese eventuelle Unentscheidbarkeit angemessen zu formulieren. Dabei handelt es sich im Grunde nicht um Rechtfertigungslösungen im eigentlichen Sinne, da kein Rechtsgrund behauptet wird, der im hier interessierenden Fall die Tötung der Flugzeugpassagiere rechtfertigen soll. Da zugleich jedoch ein Urteil über die Rechtswidrigkeit vermieden werden soll, wird das Problem gleichwohl auf der Ebene des Unrechts platziert und nicht erst im Rahmen der Schuld behandelt: a)

›Sowohl – als auch‹

Zunächst könnte als Antwort auf die Frage nach der Rechtswidrigkeit bzw. Rechtmäßigkeit einer hier in Rede stehenden Rettungsaktion ein ›sowohl – als auch‹ in Betracht kommen, wobei es im Grunde um ein doppelt-negatives Urteil geht, so dass immerhin festgestellt werde, was ein Abschuss einer Terrorma195 Vgl. W. Küper, Pflichtenkollision, S. 41ff. u. ö.; ders., JuS 1981, 785ff., bes. 792ff.

Rechtfertigungslösungen

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schine jedenfalls nicht ist. So ist beispielsweise von Harro Otto behauptet worden, eine Entscheidung zum Abschuss einer Terrormaschine könne einerseits »schlicht nicht rechtswidrig« sein, da sie den »Wertmaßstäben der Rechtsordnung« nicht widerspreche, obgleich sie »im Hinblick auf die Geiseln auch nicht rechtmäßig« sein könne, da die Betroffenen nicht von Rechts wegen »zur Aufopferung ihres Lebens verpflichtet« werden könnten.196 Rechtmäßigkeit setze demnach entweder ein eigenes Recht zu handeln oder aber eine Rechtspflicht eines anderen, das Verhalten zu dulden, voraus. Hierbei könne für das erstgenannte Recht offenbar schon ausreichen, dass das fragliche Verhalten den generellen Wertmaßstäben nicht widerspricht Ein ausdrücklicher Erlaubnissatz sei insofern nicht erforderlich. Demnach wäre das Abschießen sowohl als rechtmäßig – da kein Widerspruch zu allgemeinen rechtlichen Wertungen feststellbar sei – als auch zugleich als nicht rechtmäßig – da keine Duldungspflicht auf Seiten der Opfer bestehe – zu bewerten. Die ausgesprochene Schlichtheit dieser Lösung des Problems liegt in der offenen Zirkularität ihrer Begründung: der Ausschluss der Rechtswidrigkeit ist zunächst nämlich nur zirkulär – und das heißt letztlich nicht hinreichend – begründet, soweit lediglich eine Harmonie mit rechtlichen Wertungen behauptet wird. Die Einpassung in die Rechtsordnung ergibt sich nämlich erst durch das Urteil über die (Un-)Rechtmäßigkeit eines Verhaltens. Diese (Rechts-) Folge, d. h. die Behauptung, dass ein Abschuss »schlicht nicht rechtswidrig« sei, kann dann jedoch schwerlich schon als eigentlicher Grund für eine entsprechende Beurteilung herhalten. Wenn eine Handlung, die in die Rechtssphäre von Dritten eingreift, von diesen nicht geduldet werden muss, dann widerspricht sie gerade den »Wertmaßstäben der Rechtsordnung«, wenn dazu die Freiheit von nicht duldungsfähigen Eingriffen zählen soll. Die Paradoxie der Parallelität des ›sowohl rechtmäßig – als auch nicht rechtmäßig‹ lässt sich nicht einmal mehr ›invisibilisieren‹,197 sondern müsste als solche ganz offen ausgehalten werden. Fraglich ist nur, welche rechtlichen Konsequenzen sich daran anschließen können, d. h. welche Rechtsfolge hat ein Urteil über die Unrechtmäßigkeit eines Abschusses ›im Hinblick auf die Geiseln‹. Im Ergebnis ist dann wohl nur denkbar, die Handelnden insgesamt so zu behandeln, als ob ihr Tun überhaupt nicht rechtswidrig gewesen ist. Die Unentschiedenheit darf zumindest nicht zu ihren Lasten gehen. Die vermeintliche Rechtswidrigkeit (oder Nicht-Rechtmäßigkeit) bzgl. der Tötung Unschuldiger wirkt sich letztlich doch nicht aus und

196 H. Otto, JURA 2005, 479, der freilich selbst zugibt, dass diese Lösung gleichwohl »Fraglich« bleibe. Kritisch dazu auch C. Roxin ZIS 6/2011, 560. 197 Zu der im Umgang mit Paradoxien sonst üblichen Invisibilisierung vgl. N. Luhmann, Recht der Gesellschaft, bes. 75/170f./188/284f./308ff.

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

somit hat die theoretische Unentschlossenheit praktisch keine andere Auswirkung als die Erklärung der völligen Rechtmäßigkeit. b)

›Weder – noch‹

Außer einem ›sowohl – als auch‹ bleibt aber noch denkbar, die Unentscheidbarkeit der Frage nach dem Unrecht einer solchen Tat mit einem ›weder – noch‹ zu beantworten. In dieser Hinsicht ist vor allem von Günther Jakobs vorgeschlagen worden, die hier in Rede stehende Fallkonstellation als »Ausnahme von der Rechtlichkeit« zu bezeichnen. Es gebe nämlich »keinen gültigen Satz des Inhalts, jeder Konflikt sei rechtsintern befriedigend lösbar, es gebe also nur den Normalfall der Rechtlichkeit«. In Ausnahmefällen könne demnach nicht mit der normalen rechtlichen Unterscheidung operiert werden. Es gelte vielmehr, die »Grenzen des Rechts zu erkennen«. Die Regelungskraft des Rechts sei nun einmal beschränkt. An den Schranken steht dann aber nicht gleich der Übergang zum Unrecht zu befürchten. Es existiere vielmehr ein Bereich, in dem es weder Recht noch Unrecht zu geben scheint.198 In diesen Grenzbereichen könne es daher Handlungen geben, die weder als rechtswidrig noch als rechtmäßig zu bewerten seien. Dort steht nicht etwa ein Rechtfertigungsgrund parat, denn dies würde wiederum eine rechtliche Sanktionierung voraussetzen, die innerhalb des Rechts liegen müsste; die Ausnahme besteht vielmehr in einer Extremlage, in der sich nichts mehr mit Rechtsbegriffen sagen lässt – eine Art Unsagbarkeit bzw. Sprachlosigkeit des Rechts. Es herrscht eine Weigerung, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, obwohl es um Probleme geht, die durchaus rechtliche Belange tangieren, d. h. nicht ›Nicht-Recht‹ bedeuten soll. Darin liegt das Eingeständnis, »mit dem (Rechts-)Latein ans Ende gekommen zu sein und nicht mehr helfen, genauer : entscheiden, zu können«. Hier gelte es, sich »jenseits der Grenzen des Rechts zu bewegen«. Eine solche Situation zwinge dann u. U. zu Maßnahmen, die eigentlich nicht als ›Rechtszwang‹ zu deuten sind, aber eben auch nicht als Unrecht bezeichnet werden dürften. Unter einer »Ausnahme« versteht Jakobs dabei die »Herausnahme der Opfer aus dem Kreis der Personen im Recht«, d. h. deren »Entrechtlichung« (Krey-FS, 219/217f. m.Fn. 31). Dies wäre freilich gerade eine rechtlich geregelte Rechtlosstellung derjenigen, die geopfert werden sollen bzw. dürfen. Dieser Akt lässt sich nur innerhalb des Rechts denken. Zudem bleibt unklar, was mit dem Ausnahmegerede gemeint sein soll. Zu198 G. Jakobs, Rechtszwang, S. 25 Fn. 58 / S. 24/28. Neben der hier diskutierten Fallgestaltung nennt Jakobs zwei weitere Beispiele, die er für solche Ausnahmesituationen hält: die Perforation (S. 23f.) und die Folter (S. 30f. Fn. 75).

Rechtfertigungslösungen

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nächst erscheint es möglich, an eine echte Ausnahme im Sinne eines politischen Souveränitätsaktes zu denken, der dem Recht jede Beurteilungskompetenz entziehen soll. Von einer solchen Möglichkeit gehen einige Versionen der politischen Theorie (bzw. politischen Theologie) aus, nach der es zumindest in existentiellen Angelegenheiten, die gleichsam das Überleben des Staates insgesamt betreffen, im Rahmen staatlicher Souveränität möglich sein müsse, das Recht zu suspendieren. Im Namen eines politischen Dezisionismus wird dann jede juristische Entscheidungsfindung außer Kraft gesetzt, da ein souveräner Entscheider im entscheidenden Moment des Handelns die rechtlichen Normen für sich nicht zum Maßstab seiner Entscheidung macht. Die reine Dezision eines solchen Souveräns ist dann folgerichtig auch nicht justiziabel, da für ihn im Zeitpunkt des Handelns keine Rechtsnorm gegolten hat, deren Übertretung ihm als Unrecht angelastet werden könnte.199 In diesem Sinne einer ›Ausnahme vom Recht‹ scheint die oben erwähnte Ansicht von Jakobs jedoch nicht gemeint zu sein. Die dort bezeichnete »Ausnahme von der Rechtlichkeit« scheint nämlich nicht die Normgeltung im Zeitpunkt der Handlung zu betreffen, sondern lediglich die rechtlichen Beurteilungsmöglichkeiten zu erfassen, m.a.W: es ist kein Handlungs- sondern ein Beurteilungsproblem. Es gibt Situationen, in denen das Recht auf Deutungsschwierigkeiten stößt und nicht eindeutig beurteilen kann, welchen Wert es einer Entscheidung zumisst. Insofern geht es jedoch eher um eine ›Ausnahme im Recht‹, bei der von einer rechtlichen Bewertung abgesehen werden soll. Das Problem soll dem Recht nicht gänzlich vorenthalten werden, sondern lediglich intern nicht widerspruchsfrei zu lösen sein. Obwohl durchaus eine Rechtsverletzung festgestellt werden kann, soll nicht entschieden werden, ob diese zu Recht oder zu Unrecht geschehen ist. Weder die Rechtswidrigkeit, noch die Rechtmäßigkeit kann daher einwandfrei festgestellt werden. Letztlich wäre keine der beiden Bezeichnungen für eine solche Lage treffend. Die Unentscheidbarkeit einer einmal aufgeworfenen Rechtsfrage ist freilich ohnehin nur eine theoretische Denkmöglichkeit, aber keine praktische Option, die von der Judikative wirklich gewählt werden könnte. Wer sollte denn über die Unentscheidbarkeit entscheiden? Die Gerichte jedenfalls nicht, denn sie stehen unter einem Entscheidungszwang, dem sie nicht entgehen können. Die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht kennt in dieser Hinsicht keinen dritten Wert;200 eine Entscheidung für ein Unentschieden zwischen Recht und Unrecht

199 Zur Argumentation dieser politischen Theorie bzw. Grundlegung einer politischen Theologie und ihrer geistesgeschichtlichen Wurzeln siehe ausführlich und kritisch St. Stübinger, Ancilla Iuris 2008, 73ff. m.z.N. (unten S. 388ff.). 200 Der Auschluss einer an sich vorgesehenen Rechtsfolge, z. B. auf Grund fehlender Schuld, darf nicht mit einem möglichen Drittwert i.d.S. verwechselt werden, denn die Unter-

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ist vor Gericht nicht vorgesehen. Dies wäre ein Akt der Justizverweigerung, der im Rechtsstaat verboten ist, da ein Gericht nicht erklären darf, es könne kein Recht finden, obwohl Rechte tangiert bzw. verletzt worden sind.201 Eine gerichtliche Entscheidung muss eben ein Urteil fällen; das Ur-teilen setzt jedoch die Anwendung der Leitdifferenz des Rechts voraus und muss in jedem Fall zu einem Ergebnis gelangen, an das weitere rechtliche Kommunikationen eindeutig anschließen können. Daher muss klar werden, ob eine Handlungsweise auf der Seite des Rechts oder des Unrechts angesiedelt war. Eine gerichtliche Entscheidung kann insofern niemals auf der Grenze zwischen beiden Seiten dieser Unterscheidung liegen bleiben. Es mag natürlich Probleme geben, die keinerlei Rechtsfragen aufwerfen und deshalb auch in rechtlicher Hinsicht nicht entschieden werden müssen; in solchen Dingen wird eine Entscheidung gleichsam zur bloßen Geschmacksache bzw. bleibt der bloßen Willkür überlassen. Dies setzt aber voraus, dass kein Konflikt von Rechtspositionen in Betracht kommt. Sobald jedoch rechtlich geschützte Güter oder Interessen konfligieren oder beeinträchtigt worden sind, steht eine juristische Entscheidung in Frage, die nicht unbeantwortet bleiben kann. Auch insofern müsste dann gelten, wenn die betreffende Handlung, d. h. der Abschuss der Terrormaschine nicht als rechtswidrig bezeichnet werden soll, dann muss sie jedenfalls im praktischen Ergebnis als rechtmäßig gelten – mit allen daraus folgenden rechtlichen Konsequenzen.

7.

Die Lehre vom »rechtsfreien Raum«

a)

Mutmaßliche Vorläufer

Nicht weit von den soeben skizzierten Lösungen der Unentschiedenheit entfernt – vielleicht sogar mit ihnen weitgehend identisch und nur dem Namen nach verschieden202 – sind Vorschläge denkbar, mit der sog. ›Lehre vom rechtsfreien Raum‹203 in der problematischen Fallkonstellation von einer rechtlich nicht regelbaren oder zumindest nicht geregelten Materie auszugehen. Dieser schon häufig totgesagte Ansatz taucht immer wieder auf, wenn es gilt, schwierige scheidung Recht/Unrecht ist insoweit noch ohne Blick auf eine eventuell zu verhängende Sanktion zu fassen. 201 Vgl. hierzu N. Luhmann (Anm. 197), bes. 303ff., 306f.; s.a. G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 108, sowie K. Engisch, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 108 (1952), 427: » ›Justizverweigerung‹ ist unstatthaft«. 202 So auch C. Roxin ZIS 6/2011, 559f., der z. B. den oben (S. 352f.) skizzierten Ansatz von Harro Otto ebenfalls im Abschnitt »Rechtsfreier Raum und ähnliche Konstruktionen« (S. 559) behandelt. 203 Allgemein zu dieser Lehre H. Koriath, JRE 11 (2003), 317ff. S.a. J.F. Lindner, FAZ vom 15. 10. 2004, S. 8; ders., ZRph 2004, 87ff.; vgl. dazu J.P. Reemtsma, Folter, 103ff. m. Fn. 164 auf S. 148f.; C. Herbst / O. Lembcke, JRE 14 (2006), 401f.

Rechtfertigungslösungen

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Rechtsfragen zu beantworten, bei denen es beispielsweise um die normative Bewältigung von Notstandslagen geht. Hinter dieser eingängigen Metapher verbergen sich im Grunde ganz verschiedene Ansätze zur Lösung diverser Probleme der Anwendung von Rechtsnormen.204 So hat z. B. Karl Bergbohm am Ende des 19. Jahrhunderts die Frage nach der allgemeinen Grenze zwischen dem Recht und einem »rechtsleeren Raum« gestellt, wobei er das Problem der Ziehung einer »Grenzlinie zwischen dem Rechtsgebiet und dem rechtsleeren Raum« von der Frage nach echten »Lücken im engeren Sinne«, die sich vermeintlich im positiven Recht befinden, deutlich abtrennen wollte: auch in einem lückenlosen Rechtssystem kann an einigen Stellen ein rechtliches Vakuum entstehen.205 Auch andere suchen Zuflucht zu einem »Gebiet der rechtlichen Indifferenz«206, in dem vor allem die Fälle einer Notstandssituation207 oder schwer auflösbarer Pflichtenkollisionen208, die teilweise auch in Kombination auftreten können, angesiedelt werden sollen. Insbesondere die Entscheidung von existenziellen Notlagen legt es nahe, den Zustand der Not als außerhalb des normalen Rechtszustandes liegend darzustellen und insoweit von einer Situation auszugehen, für die es keine rechtliche Regelung geben könne, d. h. die i.d.S. »rechtsfrei« ist. Ein »Not(zu)stand« ist dann eben kein Rechtszustand, da er angeblich außerhalb der Grenzen des normativ Regelbaren liegt, wie schon das alte Sprichwort »Not kennt kein Gebot« nahelegt.209 Als ein möglicher Vorläufer einer solchen Beschreibung wird häufig Johann Gottlieb Fichtes Behandlung des wohl berühmtesten Beispiels unter allen Notfallszenarien angesehen. Dieser Fall ist unter der Bezeichnung »Brett des Karneades«210 berühmt geworden (dazu schon oben S. 236f.). Darin geht es um eine 204 Vgl. die verschiedenen Fallgruppen bei Arthur Kaufmann, Maurach-FS, 336f., sowie die Differenzierungen bei K. Engisch (Anm. 201), S. 385ff. m. z. N.; W. Schild, JA 1978, 449ff./ 570ff./631ff. 205 C. Bergbohm, Jurisprudenz, 375ff. – Zitate 377 Fn. 7 + 381 (ff.). Siehe zu dieser Unterscheidung auch E.R. Bierling, Prinzipienlehre IV, 382ff. 206 F. Berolzheimer, System III, 110, der sich jedoch im Falle des Notstands gegen eine außerrechtliche Lösung i. S. der Exemtionstheorie Fichtes ausspricht: vgl. F. Berolzheimer, System V, 89f. 207 Dazu eingehend W. Fehsenmeier, Denkmodell, bes. 157ff. 208 Vgl. T. Dingeldey, JURA 1979, 478ff.; trotz grundsätzlicher Bedenken gegen diese Lehre hält auch G. Jakobs, Strafrecht, 15.Abschn./Rdn. 6 mit Fn. 11, in diesem Fall die Rede von einem »rechtsfreien Raum« für vertretbar; insoweit zustimmend auch T. Zimmermann, Rettungstötungen, 330f. 209 Dazu und zu ähnlichen sprichwortartigen Sinnsprüchen, die die » ›Not‹ als Grenze des Rechts« ausweisen: M. Koller, Not kennt kein Gebot, 95ff., bes. 99ff. 210 Eingehend zu diesem Klassiker der Notstandsdiskussion z. B. W. Küper, Immanuel Kant und das Brett des Karneades, bes. 29ff.; ders., (Anm. 192), bes. S. 8ff.; J. Hruschka, GA 1991, S. 1ff.; H. Koriath, JA 1998, 250ff.; F. Maultzsch, JA 1999, 429ff.; A Aichele, JRE 11 (2003),

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Notsituation nach einer Havarie, in der zwei Schiffbrüchige um eine letzte verbliebene Planke kämpfen müssen, die nur einen von beiden vor dem Ertrinken bewahren kann. Dabei tötet der eine Schiffbrüchige den anderen dadurch, dass er ihn von dem rettenden Brett stößt. In einer solchen Lage ist für Fichte »vom Rechte überhaupt nicht mehr die Frage«. Eine rechtliche Regelung setze nämlich immer schon voraus, dass eine »Möglichkeit des Beisammenbestehens überhaupt« vorhanden ist. Ohne diese Voraussetzung falle »nothwendig … die Frage nach dem Rechte, ganz und gar weg« und an die Stelle der juridischen Urteilskraft tritt die natürliche Herrschaft der stärkeren Physis, die sich in diesen Fällen durchsetzt. Für Fichte breitet sich daher jenseits des Rechts eine Art naturbelassene Konfliktlösung aus, denn: »Die Natur hat die Berechtigung für beide, zu leben, zurückgenommen; und die Entscheidung fällt der physischen Stärke und der Willkür anheim«. Wo nur noch blanke Natur herrscht, muss das Recht schweigen. Dabei wird deutlich, dass diese Rechtsfreiheit nicht etwa zu einem Freiheitszustand führt, sondern als Rückfall in pure Naturherrschaft zu verstehen ist; Natur gilt aber als Gegenbegriff der Freiheit – sie schließen einander wechselseitig aus. Allein das Recht gewährt inter-subjektive Freiheit; es erscheint nur dort als Einschränkung einer vermeintlich natürlichen Freiheit, wo das Handeln an die Grenze der Freiheit anderer stößt. Wenn aber ein freies Miteinander überhaupt nicht mehr möglich ist, soll es auch kein Recht mehr geben. Die betroffenen Menschen begegnen einander nicht mehr als (Rechts-) Personen, sondern sehen sich wechselseitig nur noch als Gefahrenquelle an. Daher gibt es für Fichte zumindest »kein positives Recht, das Leben des Anderen meiner eigenen Erhaltung aufzuopfern; es ist aber auch nicht rechtswidrig, d. i. nicht streitend mit einem positiven Rechte des anderen, sein Leben, um den Preis des meinigen, zu erhalten«.

Wenn in einem solchen Zusammenhang dennoch bisweilen von »einem vorgeblichen Nothrechte« die Rede ist, dann lasse sich dies im Grunde nur paradox »beschreiben, als das Recht, sich gänzlich exemt von aller Rechtsgesetzgebung zu betrachten«. Für Fichte soll es demnach jenseits eines solchen Rechts zum Gefühl der Rechtsfreiheit keine eigentlich rechtliche Lösung des Problems geben können. Er deutet jedoch an, dass es eventuell eine Möglichkeit geben könne, nach »einer höheren Gesetzgebung, der moralischen« zu einer wohlbegründeten Entscheidung zu gelangen; wenn schon nicht das Recht so soll wenigstens die Moral über die Ausbreitung bloßer Natur wachen können.211 245ff.; J. Isensee, Jakobs-FS, 205ff.; zu verschiedenen Varianten dieses Fallbeispiels s.a. T. Zimmermann, Rettungstötungen, 153/156/210/309 u. ö. jeweils m. w. N. 211 J.G. Fichte, Grundlage, Werke III, 252f. Dazu H. Otto, Pflichtenkollision, 60f.; K. Bernsmann (Anm. 9), 196/283f.; W. Lübbe, in: Tödliche Entscheidung, 2004, S. 106f.; G. Herzberg,

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Teilweise wird auch Kant als möglicher Urahn der »Lehre vom rechtsfreien Raum« gehandelt.212 Dies dürfte wohl nicht zuletzt daran liegen, dass er ein eigentliches Notrecht abgelehnt hat, da »es keine Not geben (kann), welche, was unrecht ist, gesetzmäßig machte«. Dabei beruft er sich u. a. auch auf den alten »Sinnspruch … ›Not hat kein Gebot (necessitas non habet legem)‹ «. Aus der pauschalen Ablehnung eines Not-Rechts wird dann offenbar auf die völlige Rechts-Freiheit in der Not geschlossen. Allerdings verwundert diese Zuordnung, da Kant in seiner ebenfalls am Beispiel des genannten Karneades-Falles orientierten Behandlung des Notrechts eine klare Lösung anbietet, die eindeutig innerhalb des Rechts angesiedelt ist, nämlich die Bezeichnung der Notstandstat als »unrecht« aber »unstrafbar (inpunibile)«, so dass sie keineswegs rechtlich neutral erscheint, sondern nur eine »subjektive Straflosigkeit« zur Folge habe (MdS-R AB 42). Allenfalls aus einigen Stellen in Mitschriften zu Kants Vorlesungsreihe zur ›Metaphysik der Sitten‹ ließen sich vage Andeutungen herauslesen, die in diese Richtung gehen mögen. So wird etwa in den »Bemerkungen aus dem Vortrage des Herrn Kant über Metaphysic der Sitten« von Kants Rechtsberater Johann Friedrich Vigilantius aus dem Jahr 1793/94 behauptet, dass zumindest in einer Variante des Karneades-Falles, in dem »noch keiner der beyden« Ertrinkenden »im Besitz der Sache«, d. h. des Brettes ist, »zwischen beyden kein Recht vorhanden« sei, »wodurch der eine vom anderen gezwungen werden könnte«. In einer solchen Notlage fielen die Betroffenen nämlich in eine Art Naturzustand zurück, in dem nur die »Gewalt des Stärkeren« herrsche. In dieser Zeit galten die »Menschen in statu naturali« für Kant noch grundsätzlich »exleges, in keinem rechtlichen Zustande«, weshalb »Gewalt für Recht, d.i. dem Recht zuvor« gehe (A-A XXVII, (477), 516/514). Diese Sichtweise hat Kant jedoch bis zur Druckfassung seiner Rechtslehre revidiert.213 Eher noch dürfte – sogar vor Fichtes Ansatz im Rahmen seiner ›Grundlage des Naturrechts‹ von 1796/97 – der Philosoph Karl Heinrich Heydenreich ebenfalls am Beispiel des ›Brett des Karneades‹ in eine ähnliche Richtung gewiesen haben. Moral, 55f.; M. Köhler, Strafrecht, 283f., der immerhin meint, in Fällen des Lebensnotstandes »hat die Exemtionstheorie ein richtiges Moment begriffen« (331); s.a. J. Renzikowski, in: A. v. Hirsch u. a. (Hg.), Solidarität, 26 (ff.), der darauf aufmerksam macht, dass Fichte für andere Notstandssituationen sehr wohl ein staatstheoretisch begründbares Notrecht herleitet. 212 Vgl. z. B. P. Bockelmann, Hegels Notstandslehre, 4ff.; G. Jakobs, Strafrecht, Abschn. 13/ Rdn. 3; NK-Paeffgen Vor § 32 Rdn. 55; J. Kümmel, Nötigung durch Folter, 313 Fn. 1668; s.a. A. Harel/A. Sharon, University of Toronto Law Journal 61 (2011), 855ff. (dazu noch unten S. 368ff.); vgl. schon K.W.F. Grattenauer, Ueber die Nothwehr, 52ff., für den Kant und Fichte vermeintlich dieselbe Lösung der Notstandsfälle vertreten haben. 213 Vgl. dazu und zu anderen Stellen, an denen sich Kants unterschiedliche Behandlungen dieses Falles befinden: W. Küper, Immanuel Kant (Fn. 210), 33ff.; s.a. G. Herzberg, Moral, 48ff., bes. 53ff.

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In einer solchen Situation, in der zwei Schiffbrüchige ums Überleben kämpfen, sei »von Pflicht und Recht zwischen ihnen gar keine Rede, ihre Handlungen sind indifferent«. Allerdings knüpft er diese vermeintliche Indifferenz an die subjektive Voraussetzung, dass »Beyde nicht im Zustande des Bewußtseyns ihrer Vernunft« seien, denn wäre dies der Fall, »so wird ieder seine Verbindlichkeit einsehn, den Anderen nicht hinunter zu stoßen, weil unter keinem Umstande Verursachung des Todes meines Mitmenschen ein erlaubtes Mittel meiner Selbsterhaltung seyn kann«.214 Deshalb hat Heydenreich die Möglichkeit eines objektiv begründeten Notrechts grundsätzlich abgelehnt. Zumindest die skizzierte Ansicht Fichtes hat unter den Strafrechtlern zu Beginn des 19. Jahrhundert einige Anhänger finden können. So hat etwa Karl L.W. von Grolman davon gesprochen, der »wahre Nothzustand« zeichne sich dadurch aus, dass er »rechtlich von der Achtung der Rechte des Andern … befreyt«, da in dieser Situation zwischen beiden überhaupt »kein rechtliches Verhältnis« vorhanden sei, weil der »Verletzer nicht als freyes Wesen neben dem Verletzten zu bestehen« vermag; eine »Rechtsverletzung fordert« nämlich prinzipiell, »daß ein Verhältnis von Zwangsrechten und Zwangsverbindlichkeiten« bestehe.215 Auch Carl Georg von Wächter war zunächst der Ansicht, dass eine »Verletzung« von Rechten in Fällen eines Notstands nicht als Verbrechen angesehen werden könne, da hier »gar kein Rechtsverhältniß vorhanden ist«.216 Er hat diese Position jedoch später wieder aufgeben, da die behauptete »Aufhebung des Rechtszustandes, sobald das Leben eines Individuums mit den Rechten Anderer in Collision kommt … nicht erwiesen« werden könne, denn es sei überhaupt »nicht erweisbar, dass dem objectiven Rechte, welches die äusseren Verhältnisse der Menschen beherrscht, irgend ein Conflict der Rechte oder Interessen … sich entziehen kann«; daher könne nicht gesagt werden, eine »zur Abwendung eines Nothstandes begangene Verletzung sey weder rechtlich noch widerrechtlich«.217 Teilweise wird auch August Wilhelm Heffter zu den Anhängern von Fichtes Exemtionstheorie gezählt,218 da er in seinem ›Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechtes‹ behauptet, eine Notstandshandlung liege »Außer dem Strafgesetz«, denn hier seien »Staat und Gesetz … unwirksam oder kommen zu spät«; al214 K.H. Heydenreich, System des Naturrechts 1, 203; ebenso ders., Originalideen 1, 164; vgl. auch J.C.G. Schaumann, Wissenschaftliches Naturrecht, 106f., der zwar grundsätzlich ein »Nothrecht« anerkennen möchte, aber einen Bereich für möglich hält, in dem »kein Recht« existiert; s.a. ders., Versuch, 193f. 215 K.L.W. Grolman, Grundsätze, S. 20f.; kritisch dazu C. Levita, Recht der Nothwehr, 12 m.Fn. 15. 216 C.G von Wächter, Lehrbuch, 94f. m. w. N.; kritisch dazu H. Luden, Abhandlungen 2, 514. 217 C.G. von Wächter, Handbuch, 360 m.w.N.; s. a. ders., Deutsches Strafrecht, 139. 218 So etwa C.L. von Bar, Gesetz und Schuld III, 236; F. Berolzheimer, System V, 89 Fn. 12.

Rechtfertigungslösungen

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lerdings führt ihn diese Ansicht doch zu recht klaren rechtlichen Wertungen, nämlich einer freilich noch etwas vagen Unterscheidung zwischen Rechtfertigung und Entschuldigung, denn: »Unter diesen Voraussetzungen rechtfertigt die Gefahr für die Persönlichkeit Alles, selbst das verletzendste Rettungsmittel; während man bei Gefahr für seine Sachen nur entschuldigt wird, wenn man zu ihrer Erhaltung fremdes Eigenthum angetastet hat« (Lehrbuch, 40).

b)

»Unverbotene« Handlungsweisen?

Es lassen sich verschiedene Varianten der Lehre vom rechtsfreien Raum unterscheiden. Teilweise wird vertreten, dass in Konstellationen, in denen ein rechtliches Interesse, vor allem das Leben, nur auf Kosten eines anderen – gleichwertigen – Interesses (hier also das Leben anderer) geschützt werden könne, von Rechts wegen keine normative Handlungsanforderung gestellt werden sollte: weder die Rettung des einen noch die Opferung des anderen Lebens könne rechtlich geboten oder verboten sein. Es könne nicht etwa von einem Recht zur Tötung die Rede sein. Die Tötung kann aber auch nicht von Rechts wegen untersagt werden. Wer in solchen Notlagen fragt, was er tun soll, erhält vom Recht keine Antwort, muss sich dann aber auch nicht vor dem Recht für seine Notstandshandlung verantworten: er kann tun oder lassen, was er will, aber selbst dazu ist er nicht verpflichtet. Ebensowenig soll auch eine Duldungspflicht gegenüber anderen geltend machen können; dies hat etwa zur Folge, dass gegen die Notstandshandlung Notwehr bzw. Nothilfe möglich bleibt, obwohl sie selbst nicht ›rechtswidrig‹ heißen soll. In diesem Sinne meint schon Friedrich Wachenfeld: »Wenn auch der Notstand die Rechtswidrigkeit entfallen läßt, so hat doch der in Notstand Handelnde kein Recht zu der Verletzung. Darum wird Notwehr gegen Notstand von den meisten mit Recht angenommen«.219

Es herrscht das Schweigen der Normen; das Recht ist dann mal weg und so entsteht ein Handlungsspielraum, der frei von rechtlichen Regelungen ist. Was immer auch in dieser Situation normativer Leere geschehen mag, es geschieht weder zu Recht noch zu Unrecht. Der in Not Befindliche soll nichts, kann aber alles; aber die anderen, auf die er in dem ›rechtfreien Raum‹ trifft, können es auch, denn sie müssen die Rettungstat nicht dulden: wo kein Recht des einen ist, da wird auch keine Pflicht eines anderen begründet. Aus diesem Können soll eben noch lange kein rechtliches Dürfen folgen, denn aus einem Mangel an 219 F. Wachenfeld, Lehrbuch, S. 123 Fn. 2. Ebenso H. Luden, Handbuch, 301 Fn. 17; K. Binding, Handbuch, 766 m.w.N. Kritisch zu dieser Konsequenz z. B. T. Lenckner, Notstand, 23ff.

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

einem Verbot sei keine Erlaubnis zu schließen. Die von allen Rechten verlassenen Menschen im Notzustand sind – normativ ungebunden – ganz auf sich allein gestellt. Nach dieser Lesart der Lehre vom rechtsfreien Raum besteht das Recht demnach als Regelsystem des Normalzustandes, das nicht gelte, wenn es in bestimmten Notfällen schwierig wird, eindeutige Erlaubnissätze abzuleiten. Wenn daher weder ein striktes Verbot noch eine konkrete Erlaubnis vorliegt, könne vom Recht keine Rede sein. So meinte Karl Binding, auf Grund dieser normativen Enthaltsamkeit sei eine Tötungshandlung in einer entsprechenden Situation »unverboten«220, d. h. »weder erlaubt noch verboten«, wobei er sich mit Nachdruck gegen eine »Verwechselung von ›rechtlich erlaubt‹ und unverboten« verwahrt.221 Ähnlich hat es August Köhler gesehen, für den die damaligen gesetzlichen Notstandsregeln zwar eine rechtliche »Erlaubnis« zu einer Notstandstat erteilten, die jedoch »nur einseitig« wirken sollte, so dass nach einer Art Perspektivenverschiebung die »Gegenseite (d. h. der durch die Rettungshandlung Angegriffene) … nicht verpflichtet (werde), die Handlung als erlaubte zu behandeln«, daher liege »in diesem Falle eine Sprengung der hergebrachten Grenze zwischen Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen vor« (Strafrecht, 363f.).

Zwischen die zweiwertige Unterscheidung rechtmäßig / rechtswidrig bzw. Recht / Unrecht schiebt sich das ›Unverbotene‹ als vermeintlicher Drittwert. Darin stellt sich freilich ein Begründungsproblem, da ein solcher Drittwert innerhalb kontradiktorischer Differenzierungen als ausgeschlossen gilt. Darauf hat beispielsweise schon Carl Ludwig von Bar hingewiesen: »logisch kann zwischen rechtswidrig und rechtmäßig keine dritte Kategorie anerkannt werden; eine Handlung ist entweder das eine oder das andere« (Gesetz und Schuld III, 16 Fn. 18c). Eine Ausnahme von dieser Regel soll nach anderer Ansicht allerdings in einer ›deontischen Logik‹ gleichwohl vorkommen. Hier sei eine »Dreiteilung: 220 K. Binding, Handbuch, 765; ders., Normen 4, 346f. m. Fn. 15; zustimmend F. Oetker VDAII, 334; ders., Frank-FG, 367; differenzierend K. Engisch (Anm. 201), S. 408ff.; L. Philipps, ARSP 52 (1964), bes. S. 205. Kritisch zum Begriff des ›Unverbotenen‹: J. Goldschmidt, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht IV (1913), S. 131f. Fn. 9; R. von Hippel, Strafrecht 2, 189f. 221 K. Binding, Normen 1, 105 mit Fn. 14. Ähnlich auch J. Nagler, Frank-FG, 341, den vor allem der »naive Satz ›was nicht verboten ist, ist erlaubt‹ « stört. Gegen eine solche Zusatzunterscheidung zwischen Erlaubtem und bloß Unverbotenem wendet sich jedoch die heute h. M., die insgesamt die ›Lehre vom rechtsfreien Raum‹ ablehnt: vgl. z. B. H.J. Hirsch, Bockelmann-FS, 89ff.; J. Renzikowski (Anm. 167), 125ff./ 171ff.; H.-H. Jescheck/ T. Weigend, Lehrbuch, S. 333; G. Jakobs, AT, 13. Abschn./ Rdn. 3; C. Roxin, AT I, § 14 Rdn. 25ff. (27); NK-Paeffgen Vor § 32 Rdn. 55; LK-Rönnau Vor § 32 Rdn. 32ff.; T. Zimmermann, Rettungstötungen, 339 jeweils m. w. N.

Rechtfertigungslösungen

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rechtswidrig, rechtlich neutral, rechtmäßig« möglich.222 In diesem Sinne formulierte z. B. Alexander Hold von Ferneck: »Der Grundsatz exclusii tertii greift hier nicht Platz. Nicht ›Recht‹ und ›Rechtswidrigkeit‹ stehen einander gegenüber, sondern die drei Glieder : Recht, Rechtswidrigkeit und rechtliche Indifferenz«. Er wehrt sich an dieser Stelle freilich primär gegen »die Ueberschätzung der positiven Function der Negation«, nach der aus dem Urteil, ein Verhalten sei nicht rechtswidrig bereits unmittelbar folge, es werde mit (subjektivem) Recht ausgeführt; dagegen postuliert Hold von Ferneck als Kontrast zu einer solchen Zweiteilung in ein negatives Urteil (›rechtswidrig‹) und eine positive Bestimmung des Rechts zu handeln, noch eine dritte mögliche Schlussfolgerung: den Bereich des Indifferenten (Rechtswidrigkeit 1, 303/302). Die Möglichkeit rechtlich indifferenter Handlungen folgt für ihn daher aus der Unmöglichkeit, allein aus einem negativen Schlussverfahren über die fehlende Rechtswidrigkeit stets die Rechtmäßigkeit zu folgern. Dennoch wäre es zu voreilig, Hold von Ferneck zu einem gleichgesinnten Vertreter der Ansicht Bindings zu erklären: im 2. Band seines Werkes ›Die Rechtswidrigkeit‹ meint er (auf S. 144) zwar, eine Notstandshandlung habe »als unverboten, also nicht als rechtswidrig, nicht als normwidrig zu gelten«. Trotz des angedeuteten Gleichklangs will er das Wort ›unverboten‹ lediglich mit ›rechtswidrig‹ synonym behandeln, denn beide Ausdrücke besagen nach seiner Lesart nichts anderes als dass kein entgegenstehendes (subjektives) Recht besteht. Er schließt sich damit einer Variante der damals noch häufig vertreten ›Einheitstheorie‹ bzgl. der Behandlung des Notstandes an, ohne dadurch ein Mittelding zwischen Rechtswidrigkeit und Rechtmäßigkeit herleiten zu wollen. Im 1. Band dieses Buches (a. a. O. (Fn. 159), S. 223) meint er jedoch in Bezug auf die angegebene Differenzierung Bindings, dass es zwar »einen Unterschied zwischen ›erlaubt‹ und ›unverboten‹ gibt, dass er aber gerade für das Recht nicht in Betracht kommt« und »dass Binding zu dieser Unterscheidung dadurch gedrängt wurde, dass er das Recht fälschlich als ein Dürfen ansieht«; demgegenüber gelte für das Recht: »Dass Erlauben nur einen negativen Sinn hat: nicht verbieten« (S. 286 – ähnlich auch S. 290) bzw.: »Sobald eine Handlung nicht verboten ist, hat sie … als rechtlich erlaubt zu gelten« (S. 306; s.a. Band 1, S. 44).

Demnach soll für Hold von Ferneck von Rechts wegen grundsätzlich von einer allgemeinen Erlaubnis auszugehen sein, wenn kein ausdrückliches Verbot be222 So ausdrücklich E. Kern, ZStW 64 (1952), 255ff. (263); s.a. W. Fehsenmeier (Anm. 207), 135ff.; L. Philipps ARSP 52 (1966), 203ff. Kritisch zu einem dritten Wert H.-R. Horn, Untersuchungen, 24 m.w.N. zur Pro- und Contra-Position, der zu dem Ergebnis kommt: »Die Alternative rechtswidrig oder rechtmäßig läßt somit keine dritte Möglichkeit zu«; H.J.Hirsch, Bockelmann-FS, 99f.; H. Koriath, JRE 11 (2003), 327ff.; differenzierend T. Lenckner (Anm. 10), 21f.; s.a. schon H. Seeger (Anm. 149), 441; L.A. Warnkönig, Rechtsphilosophie, 368.

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steht. Davon zu unterscheiden sei jedoch noch die Rede, jemand habe ein (subjektives) Recht auf eine solche Handlung (Band 1, S. 301ff.); denn ein solches müsse »als Können, nicht als Dürfen characterisiert« werden (ebenda, S. 111). Hold von Ferneck vertritt nämlich auf der Basis einer sehr eigenwilligen Variante der Imperativentheorie223 – in Anlehnung u. a. an Kohlrausch (Irrtum und Schuldbegriff, 59ff.) – eine Version der ›Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen‹, in der er in einem Rechtfertigungsgrund bzw. einem Erlaubnissatz keine Ausnahme von einer Regel bzw. von einem Verbot sieht, sondern schon nichts Verbotenes erkennen kann (vgl. Band 2, S. 294ff.).224

c)

Bewertungsverzicht?

Nach der soeben skizzierten Lesart ist für die spezielle Situation einer konkreten Not selbst schon kein rechtliches Sollen vorhanden, da das Recht die an sich existierenden und abstrakten Normen in solchen Konfliktlagen zurückziehe. Daneben wird aber noch eine andere Version der Lehre vom rechtsfreien Raum vertreten. Danach soll in solchen Lagen lediglich auf eine rechtliche Bewertung einer Notstandshandlung verzichtet werden. Dies gelte zumindest auf der Ebene des Unrechts. In diesen Fällen könne nicht von einer vollkommenen rechtlichen Irrelevanz oder Indifferenz die Rede sein, insofern bereits die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens oder gar ein objektiver Erfolgsunwert konstatiert wird; es werde vielmehr in einem solchen Konfliktsfall »jede Entscheidung, wie immer sie auch ausfällt, von der Rechtsordnung respektiert«.225 Aus Respekt davor, dass in schwieriger Lage überhaupt entschieden wurde, wird auf eine negative Bewertung der Handlung verzichtet. Obwohl mit dem Tod von Menschen ein Unrechtserfolg zu beklagen ist, soll nicht von einem strafrechtswidrigen Unrecht gesprochen werden, da nicht von einem typischen Handlungsunwert ausgegangen werden könne. Der Verzicht auf eine negative Bewertung meine freilich nicht die positive Billigung eines solchen Verhaltens, die sonst mit einem Rechtfertigungsgrund verbunden sei. Das Strafrecht müsse sich verkneifen, die Handlung zu bewerten, weil es über die Wertung jener Lage, in der sie vollzogen wird, selbst keine Entscheidung getroffen habe. Der Handelnde in einer solchen Situation befindet sich demnach nicht ›im Unrecht‹, aber auch nicht ›im Recht‹, 223 Dazu F.W. Jerusalem, Kritik der Rechtswissenschaft, 88ff., bes. 96ff., sowie dessen Grundsatzkritik an der Imperativentheorie ebenda, S. 115ff.; zur Imperativentheorie s.a. den Überblick von K.F. Röhl/H.C. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 230ff.; allgemein kritisch zum Normverständnis der Imperativentheorie R. Zaczyk GA 2014, 80ff. 224 Insofern zustimmend A. Graf zu Dohna, Rechtswidrigkeit, 28/37; kritisch dazu bereits E. Beling, Lehre, 36ff./148ff., bes. 166f.; von Bar, Gesetz und Schuld III, 11f. u. ö. 225 I.d.S. A. Kaufmann (Anm. 204), 336f./338 – Zitat in Fn. 51, der hier freilich keinen sachlichen Unterschied zur Rede vom ›Unverbotensein‹ sehen möchte.

Rechtfertigungslösungen

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sondern schlicht ›in Not‹, die in einem normativ unbewertbaren Niemandsland liege. Damit wiederholt diese Variante der Lehre vom rechtsfreien Raum lediglich die Formulierung des Problems, ohne es lösen zu wollen. Soweit ersichtlich ist in der hier behandelten Problematik des Abschusses einer Terrormaschine kaum jemand explizit für eine solche – in früheren Zeiten in Notstandsfragen vermeintlich sogar vorherrschende226 – Lösungsmöglichkeit eingetreten.227 Vorsorglich sind ihr jedoch einige Autoren argumentativ entgegengetreten, um ein eventuelles Aufkommen einer vermeintlichen Rechtsfreiheit von vornherein zu unterbinden.228 Immerhin erscheint es nicht denkunmöglich, die zu anderen Notstandsfällen vertretene Ansicht auf die hier in Rede stehende Fallgestaltung anzuwenden. Auf der Grundlage dieser Lehre hatte beispielsweise Wolfgang Schild vor dreieinhalb Jahrzehnten im Hinblick auf den ›Bergsteigerfall‹ die Möglichkeit eines »bloßen Unrechtsausschlusses« zu begründen versucht und dabei für die Anwendung auf vergleichbare Fallkonstellationen folgenden Grundsatz »allgemein umschrieben …: ein tatbestandsmäßiges Verhalten ist dann nicht rechtswidrig, freilich auch nicht gerechtfertigt, wenn ein rechtliches Interesse nur dadurch gerettet werden kann, dass ein rechtliches Interesse eines Dritten beeinträchtigt wird, das aber in der gegebenen Situation von vornherein keine Chance auf unbeeinträchtigtes Weiterbestehen hatte«.229

Dasselbe soll dann gelten, wenn jemand »– um viele Menschen zu retten – einen Menschen töten« müsse. Denn in einem solchen Fall könne die Rechtsordnung »doch dieses rettende Verhalten … nicht mit dem Unwerturteil belegen … Das Verhalten kann nicht positiv gebilligt werden, kann aber auch nicht negativ beurteilt werden. Es ist der rechtlichen Bewertung entzogen«. Daher sei hier ein »bloßer Unrechtsausschließungsgrund« gegeben (JA 1978, 633f.). Inzwischen hat sich Wolfgang Schild von diesem Ansatz freilich distanziert, den er damals noch »als Assistent schriftlich ausführte«. In einem 2012 veröffentlichten Aufsatz zu den ›Rechtsfragen beim Abschuss eines Terrorflugzeugs‹ sieht er einen möglichen Vergleich zwischen ›Bergsteigerfall‹ und dem Problem des Abschusses

226 Siehe die entsprechende Einschätzung von K. Bernsmann »Entschuldigung«, 196 m. N. in Fn. 128. 227 Im Ansatz immerhin J.F. Lindner, ZRph 2004, 95f.; ders., DÖV 2006, 587f.; dazu C. Herbst / O. Lembcke, JRE 14 (2006), 401f. 228 Vgl. etwa die kritischen Überlegungen von C. Jäger, ZStW 115 (2003), 782f.; G. Jerouschek, Schreiber-FS, 194f.; A. Archangelskij (Anm. 15), 17ff.; H.J. Hirsch, Küper-FS, 157f.; M. Ladiges, Bekämpfung, 482ff.; I. Bott, Straffreiheit?, 126ff.; differenzierend T. Zimmermann, Rettungstötungen, 327ff. 229 W. Schild, JA 1978, 634f.

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eines Terrorflugzeuges differenziert, wobei er im Ergebnis »eine Rechtfertigung des tödlichen Abschusses für nicht begründbar« hält.230 Mit der Bezeichnung eines ›bloßen Unrechtsausschlusses‹, der nicht als volle Rechtfertigung gelten könne, hatte Schild in seinem früheren Aufsatz von 1978 auf eine Differenzierung von Ernst Beling zurückgegriffen. Beling wollte in seiner 1906 erschienenen »Lehre vom Verbrechen« die diversen Unrechtsausschließungsgründe u. a. ihrer »Stärke nach« unterscheiden, wobei sie »entweder Rechtfertigungsgründe sein (können), die die Handlung zur rechtmäßigen stempeln, oder schlichte (bloße, einfache) Unrechtsauschließungsgründe, denen nicht ein Recht zum Handeln zu Grunde liegt, die vielmehr der Handlung nur die Eigenschaft der rechtlichen Irrelevanz verleihen, so daß sie weder erlaubt noch verboten ist«.231

Während eine Rechtfertigung einen Rechtsgrund zum Handeln gewähre und daher zur Rechtmäßigkeit führe, soll mit der Bezeichnung des bloßen Unrechtsausschlusses gleichsam die rechtsgrundlose ›Nicht-Unrechtmäßigkeit‹ eines Verhaltens ausgedrückt werden. Für Beling selbst sollte sich hier freilich kein ›rechtsfreier Raum‹ zwischen rechtswidriger und rechtmäßiger Beurteilung eröffnen. Für ihn sollte vielmehr grundsätzlich gelten: »Rechtswidrigkeit und Nichtrechtswidrigkeit sind kontradiktorische Gegensätze«, die insoweit keinen Drittwert zulassen. Mit dem Urteil über die Rechtswidrigkeit war für ihn auch nicht mehr als die formelle Feststellung verbunden: »Was dem Recht nicht entspricht, ist rechtswidrig«.232 Demgegenüber verlangt der frühere Ansatz von Schild offenbar von einer Entscheidung über die Rechtswidrigkeit mehr als diese schlichte Aussage. Gefordert werde eher eindeutige Stellungnahme des Rechts in Form einer Billigung oder Missbilligung. Die Rechtsordnung soll Stellung beziehen: Rechtmäßiges wird durch ein Werturteil gutgeheißen, weil es Anteil an dem allgemeinen Rechtswert nimmt; das Rechtswidrige hingegen soll durch ein Unwerturteil verdammt werden. Auch für eine solche Ansicht lassen sich Vorläufer finden: so hat beispielsweise Graf zu Dohna die Bewertung bzgl. der materiellen (Un-)Richtigkeit der Handlung in das Urteil über die Rechtswidrigkeit/Rechtmäßigkeit einbeziehen wollen: »Eine Handlung, welche rechtes Mittel zu rechtem Zwecke ist, ist ›rechtmäßig‹ im eigentlichen Sinne des Wortes, indem sie dasjenige Verhalten darstellt, auf dessen Erzielung die Rechtsordnung letzten Endes gerichtet ist. Sie ist also in Wirklichkeit 230 W. Schild, in: Grenzen staatlicher Gewalt, 108/128f./134/138. 231 E. Beling, Lehre, 168 (s. a. ebenda, S. 164 Fn. 1), der diese Klassifizierung allerdings nicht mit Beispielen erläutert – vgl. dazu auch den Hinweis auf diese Stelle von W. Schild, JA 1978, 632. Im Anschluss an Beling auch E. Kern, ZStW 64 (1952), 257. Zu Belings Unterscheidung zwischen Rechtfertigungsgründen und ›bloßen‹ Unrechtsausschließungsgründen s.a. J. Goldschmidt, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht IV (1913), S. 131f. Fn. 9; T. Lenckner Notstand, 18ff.; H.J. Hirsch, in: Rechtfertigung und Entschuldigung III, 27 Fn. 1/ 40f. 232 E. Beling, Lehre, 38/36.

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›dem Rechte gemäß‹ – immer vorausgesetzt, daß wir es mit dem richtigen Rechte zu tun haben«.233

Weil sich in der fraglichen Notlage aber positive und negative Bewertungsmomente die Waage halten, sei keines dieser Urteile möglich bzw. durchschlagend. Dadurch wird allerdings die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens mit Werturteilsansprüchen überfrachtet, die zumindest nicht auf diese Ebene gehören.234 Die Frage eines Unrechtsausschlusses hat nämlich nichts damit zu tun, ob das Recht eine bestimmte Handlung in einem höheren Sinne gutheißt oder für tadelnswert erachtet. Denn selbst mit einem Rechtfertigungsgrund wird keineswegs eine Empfehlung für eine bestimmte Verhaltensweise ausgesprochen, die dann von Rechts wegen ausgeführt werden sollte. Es wird vielmehr nur ein Handlungsspielraum eröffnet, der es in der Not ermöglicht, in die Rechtssphäre anderer Personen einzugreifen, um die eigenen Rechte oder Rechtsgüter retten zu können. Eine gerechtfertigte Handlung ›soll‹ nicht sein, weil ihre Ausführung in irgendeiner Weise ›besser‹ ist als sie zu unterlassen, sie ›darf‹ jedoch unternommen werden. Im Rahmen einer Rechtfertigung geht um die Erlaubnis bzw. Freistellung235 einer Handlungsmöglichkeit, aber nicht um deren Gebotensein in einem emphatischen Sinn. Ein Grund für eine gerechtfertigte Handlung ist nicht in der Modalität der normativen Notwendigkeit formuliert, wie dies sonst bei einem rechtlichen oder moralischen Sollen der Fall ist. Daher lässt sich insoweit keine im Vergleich zu einer Rechtfertigung abgeschwächte Form eines Unrechtsausschlusses unterscheiden, durch die eine vermeintlich neutrale Bewertung ausgesprochen würde. Denn auch eine solche Handlung muss doch wohl von Rechts wegen ausgeführt werden dürfen; schließlich geht es um rechtliches Dürfen. Eine tatbestandsmäßige Handlung, deren Unrecht ›bloß‹ ausgeschlossen ist, befindet sich daher im Rahmen des rechtlichen Dürfens und nicht in einem ›rechtsfreien Raum‹. Immerhin darf niemand an der Ausführung einer solchen Handlung gehindert werden; zumindest im Verhältnis zu Dritten hat der Handelnde ebenso ein Recht auf dieses Handeln wie im Falle eines gerechtfertigten Verhaltens. In der Rede von einem ›bloßen Unrechtsausschluss‹ wird hingegen die Sicht lediglich auf das Verhältnis zwischen den zwei (oder mehr) Beteiligten im engeren Sinne eingeschränkt. 233 A. Graf zu Dohna, Rechtswidrigkeit, 53. Ähnlich noch der frühe Welzel in seinen ›Studien zum System des Strafrechts‹ (1939), in: Abhandlungen, 156f.; vgl. demgegenüber Welzels formale Bestimmung der Rechtswidrigkeit im Lehrbuch, Das Deutsche Strafrecht, 80ff. 234 Dazu Lenckner (Anm. 10), S. 22f.; E. Gimbernat Ordeig, Welzel-FS, 494f.; H.J. Hirsch, Bockelmann-FS, 100; ders. (Anm. 231), 40f.; C. Roxin, Allg. Teil I, § 14 Rdn. 1; LK-Rönnau Vor § 32 Rdn. 34. Kritisch auch schon A. Hold von Ferneck Rechtswidrigkeit 2/1. Abt., 4ff. gegen die zitierte Ansicht von Graf zu Dohna. 235 Vgl. zu dieser Terminologie z. B. K.F. Röhl/H.C. Röhl (Anm. 223), S. 191ff.; J. Renzikowski (Anm. 167), S. 126ff. m. w. N.

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Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass durch eine derartige Einschränkung die Beziehung der unmittelbar betroffenen Personen selbst in existenziellen Notlagen nicht rechtsfrei wird, sondern stets in einer erweiterten Relation zu anderen gesehen werden muss und erst dadurch zu einem umfassenden Rechtsverhältnis wird, d. h. in einem rechtlich geschützten Raum stattfindet. Wenn demnach durch einen Übergriff in die Rechtssphäre einer anderen Person deren vitale Basis ganz genommen wird, dann kann das damit möglicherweise verwirklichte Unrecht nur ausgeschlossen werden, wenn diese Person selbst zuvor das gemeinsame Rechtsverhältnis verlassen hat, d. h. den anderen in eine Notwehrlage bringt. Die Ausweisung einer direkten strafrechtsdogmatischen Konsequenz unterscheidet die hier skizzierte Lehre immerhin von einer außer-rechtlichen Entscheidung im weiter oben angegebenen Sinne. Schließlich befindet sich auch der rechtsfreie Raum noch im Haus des Rechts; andernfalls wäre er im wahrsten Sinne des Wortes schlicht eine ›Utopie‹ – ein ›Nicht-Ort‹. Wenn man im räumlichen Denken verweilt, lässt sich zusätzlich noch fragen, wohin sich die rechtlichen Normen oder die juristische Bewertung angeblich zurückziehen; soweit die Antwort darauf lautet: zur Person des Notstandstäters, dem die Entscheidung der vom Recht vermeintlich offengelassen Frage überantwortet wird, dann wird deutlich, dass dadurch die Ebene des Unrechts schon verlassen worden ist und die Schuld problematisiert wird. Denn es ist die Rücksicht auf die besondere Zwangslage, in der ein solcher Täter steckt, die die Vertreter dieser Lehre von einem normativen Rückzug sprechen lässt. Der Raum, in dem es vermeintlich um eine Befreiung vom Recht geben könne, ist daher allenfalls ein Zufluchtsort, an dem im Straftatsystem eine mögliche Entschuldigung stattfinden kann.236

d)

Faktizität der Ausnahme statt normative Erlaubnis

Einen Lösungsvorschlag, der in vielerlei Hinsicht mit den hier skizzierten Varianten der Lehre vom rechtfreien Raum vergleichbar erscheint, ohne diese Begrifflichkeit zu verwenden, haben 2011 die in Israel und den USA lehrenden Rechtsphilosophen Alon Harel und Assaf Sharon in einem Aufsatz mit dem Titel ›Necessity Knows No Law‹ im ›University of Toronto Law Journal‹ (Vol. 61, S. 845–865) unterbreitet. Für diese beiden Autoren gibt es ebenfalls Extremlagen, in denen rechtliche oder moralische Regeln bzw. Prinzipien grundsätzlich nicht anwendbar sind bzw. die nicht regelbar sein sollen. In manchen Situa236 Anders freilich W. Schild, JA 1978, 631: »Ort des rechtsfreien Raumes ist das Straftatmerkmal der Rechtswidrigkeit«, wobei er freilich »sowohl als Problem des Tatbestandes als auch der Unrechtsausschließungsgründe auftreten kann«.

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tionen entscheide nicht das Recht, sondern die Not selbst, die insofern also rechtsfrei ist. In diesem Sinne möchten sie das alte Sprichwort ›Not kennt kein Gebot‹ verstehen, das ihrem Text als Titel dient und das sie auf Thomas von Aquin zurückführen (a. a. O., S. 852f.). Dabei wollen sie zwischen zwei Möglichkeiten unterscheiden, den besagten Grundsatz zu deuten: »Aquinas’s dictum … can be interpreted in two ways: an instrumental (pragmatic) way and a principled way.« Damit wird auf den Grundlagenstreit zwischen konsequentialistischer und deontologischer Normenbegründung verwiesen (dazu schon oben S. 74ff./325f.). Eine pragmatische Lesart verweise auf eine folgenorientierte Begründung von generellen Ausnahmen im Recht; danach gelte: »the law is simply not rich enough to capture the complexity and diversity of circumstances«. Die Anwendungsbedingungen der rechtlichen Regelungen werden vom Recht selbst bestimmt. Das Recht habe in diesem Sinne ebenfalls nur instrumentellen Charakter, da es letztlich im Dienst einer übergeordneten Nutzenkalkulation stehe. Daher könne es von vorneherein keine allumfassende Regelungskompetenz beanspruchen und müsse zurückstehen, wenn es nützlicher erscheine, etwas außerhalb einer normalen Rechtsregel zu regeln. Diese Deutung müsse nach Ansicht von Harel und Sharon dann dazu tendieren, eine Ausnahmeregelung innerhalb des Rechts zu platzieren. Dadurch werden die Rechtsprinzipien allerdings im Hinblick auf ihre Nützlichkeit relativiert. Demgegenüber könne sich die alternative Deutung, die »principled, nonconsequentialist interpretation«, nicht auf solch allgemeine Folgenorientierungen verlassen. Diese Sichtweise unterscheide vielmehr zwischen regel-basierten und nicht-regel-basierten Verhaltensweisen. Ein solcher Ansatz bezieht sich folglich immer – positiv oder negativ – auf Regeln. Obwohl es hierbei in der Regel um eine Orientierung an Prinzipien geht, muss auch diese Interpretation anerkennen: »There are circumstances in which it is simply wrong to use rulebased reasoning« (a. a. O., S. 852). Es kann unter Umständen eben schlicht falsch sein, sich an Regeln zu halten. Dann ist es die Sache des konkreten Akteurs, sich für oder gegen die Anwendung der (rechtlichen) Regelungen zu entscheiden. Die Anerkennung von Notlagen, die ein Handeln außerhalb des Normalen verlangen, ist daher kein Alleinstellungsmerkmal einer konsequentialistischen Begründung, sondern auch mit deontologischen Ansätzen vereinbar. Daher könnten auch Deontologen eine akzeptable Lösung anbieten, die jene simplen Intuitionen befriedigen kann. Dies ist für die Autoren wichtig, da sie ein Plädoyer für eine deontologische Begründung des Not-Rechts halten möchten. Als Ausgangspunkt dient Harel und Sharon die oben (S. 277f.) genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz, die auch international einige Aufmerksamkeit erregen konnte (a. a. O., S. 845ff./ 862ff.). Die 9/11-Situation, die letztlich der Vorstellungsgegenstand dieses Urteils gewesen ist, erscheint ihnen als Beispiel für eine Notlage, die grundsätzlich

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nicht rechtlich geregelt werden könne. Hieran lassen sich zum einen die Charakteristika der relevanten Extremfälle aufzeigen und zum anderen das Bemühen kontern, solche Notsituationen ins Recht zu holen, d. h. die Ausnahme zu einer regelbaren Materie zu machen. Die Relevanz der einschlägigen Konstellationen wird zumindest von zwei wichtigen Merkmalen gekennzeichnet: einerseits bestehe eine allgemeine Rettungspflicht, die allen rechtlichen Regelungen vorauszuliegen scheint: »First, if a threat arises to the lives of a great number of people, then if one has the power to prevent it, one ought to do so. The imperative to save life (when this involves no significant risk to oneself) is itself a deontological imperative«.

Andererseits fehlt einer rechtlichen Order eine rechtfertigende oder entschuldigende Wirkung: »Second … Legislation or legal authorization of such acts plays no justifying role in extreme cases – neither in exculpating the agent when the act is wrongly performed nor in justifying her inaction when action is necessary. In extreme cases, therefore, legal directives should not affect the agent’s reasoning«.

Im Unterschied zur Normallage soll das Recht in der Not keine verhaltenssteuerende Wirkung entfalten können: »Legislation of extreme cases cannot or ought not be incorporated into one’s reasoning in this way and is therefore inert« (a. a. O., S. 853f.). Die sonst typische motivationale Kraft rechtlicher Normen soll demnach in der Notlage deaktiviert werden. Darüber hinaus soll das Recht aber gar nicht erst versuchen, solche Extremfälle regeln zu wollen. Ausnahmeregelungen könnten nämlich das Recht der Normallage verderben, denn: »the codification of extreme cases can also infect reasoning in non-extreme cases … the incorporation of the exception into the law is wrong because it ›normalizes‹ the exception and corrupts the law«. Rechtliche Erlaubnisnormen verleiten dazu, eine regelmäßige Berechtigung zur Verletzung einer Verbotsnorm anzunehmen. Außerdem sei es schon »epistemically impossible to have perfect laws that issue the correct directives in each and every case«. Das Recht könne immer nur das Prinzipielle, d. h. allgemeingültige Ge- und Verbote regeln. Allgemein müsse jedoch gelten: »only the prohibition on killing innocents is an acceptable principle« (S. 854). Es soll daher keine Ausnahmen im Recht geben, wohl aber Ausnahmen vom Recht. Beispielhaft für ein solches Regel-Ausnahme-Verhältnis ist für Harel und Sharon ausgerechnet Kants Begründung eines unbedingten Lügenverbotes, das er bekanntlich vor allem in seinem umstrittenen Aufsatz ›Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen‹ vertreten hat. Dort wollte er das strikte Verbot zu lügen selbst in dem Fall noch durchhalten, in dem jemand von einem Mörder gefragt werde, ob ein von diesem verfolgter Freund sich in dessen Haus

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geflüchtet habe (vgl. dazu schon oben S. 88/238f. m.w.N.). Kant betont darin, dass »Wahrhaftigkeit in Aussagen« eine »formale Pflicht des Menschen gegen jeden« ist, daher ist es für ihn »ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch keine Konvenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot: in allen Erklärungen w a h r h a f t (ehrlich) zu sein«. Dabei geht es für ihn dabei um eine »Regel, die ihrem Wesen nach keiner Ausnahme fähig ist« (Werkausgabe VIII, 637ff., 638/ 639). Jede Ausnahme, würde gerade die Unbedingtheit der Regel in Frage stellen. Weniger bekannt ist hingegen, dass Kant in seinen Ethik-Vorlesungen gleichwohl zumindest einen »Nothfall« genannt hat, in dem auch nach seiner Meinung trotzdem eine Lüge moralisch möglich sein sollte. Wenn jemand von einem Räuber gefragt werde, ob er Geld dabei habe, und eine wahre Aussage dazu führen könnte, dass der Räuber das Geld gewaltsam an sich nehmen würde, »so ist die Lüge eine Gegenwehr ; die abgenöthigte Declaration, die gemisbraucht wird, erlaubt mir, mich zu vertheidigen; denn ob er mir mein Geständnis oder mein Geld ablokt, das ist einerley. Also ist kein Fall wo eine Nothlüge statt finden soll, als wenn die Declaration abgezwungen ist«.237

Für Harel und Sharon, die sich in ihrem Aufsatz (a. a. O., S. 855f.) auf eine englische Übersetzung der entsprechenden Passage einer anderen Nachschrift der Ethik-Vorlesung beziehen, nämlich auf die sog. ›Moralphilosophie Collins‹ aus der ›Akademie-Ausgabe‹ (A-A XXVII, 448), ist zunächst wichtig, dass an der Unbedingtheit des Prinzips eines Lügenverbotes festgehalten werden soll. Auch für sie soll es unbedingt geltende Regeln geben. Es geht daher nicht um eine Ausnahme in dem Sinne, in dem eine ebenfalls subsumierbare Ausnahmeregel in Form einer Erlaubnisnorm gesucht wird. Eine normativ verankerte Lügeerlaubnis müsste gleichsam als Gegen-Prinzip verstanden werden, das die Anwendung des Lüge-Verbotes unter eine Bedingung stellen würde, denn: »Incorporating rule-governed exceptions into deontological rules … undermines their unconditional status« (a. a. O., S. 857). Sie fragen nun aber nach dem Grund, weshalb trotz eines unbedingten Lügenverbotes, das auch in dem genannten Fall einer erlaubten Notlüge prinzipiell Bestand habe, eine Lüge gestattet sein könne. Den Unterschied sehen sie darin, dass Kant in der genannten Vorlesung »is concerned not with questions of moral principles and the relation between rights and duties but rather with the substantive moral question of what is to be done in cases of necessity«. Die Differenzierung zwischen formalen Prinzipien-Fragen und substantiellen MoralProblemen soll danach zugleich die Grenze der Normativität von Recht und Moral zur schieren Faktizität einer Ausnahme markieren. Eine mögliche Ausnahme soll nicht auf der Ebene der Prinzipien diskutiert werden. Das Lügen237 I. Kant, Vorlesung zur Moralphilosophie, 330; ebenso ders., Vorlesung über Ethik, 244.

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

verbot wird daher nicht unter eine (interne) Bedingung gestellt, die es im bzw. als Prinzip in Zweifel ziehen könnte. Prinzipiell darf es nur ein an sich unbedingtes Lügenverbot geben. Die in Kants Beispiel erlaubte Notlüge darf nicht im normativen Bereich der Rechte und Pflichten begründet sein; diese ›Erlaubnis‹ ist nicht normativ begründet. Es geht vielmehr um ein Handeln »out of necessity and not under the direction of law … on the basis of the concrete factual necessity, the condition of things, the force of specific circumstances, the necessity of the moment, and similar situation-specific necessitating considerations«.

Derartige Extremfälle »resist rule-governed normativity«. Es ist demgegenüber die Faktizität der Macht der Umstände, die das Handeln in der Not bewirke, das als solches »inherently irregular« bleibe. In Anlehnung an eine entsprechende Differenzierung, die Christopher Kutz in einem Aufsatz im ›California Law Review‹ (Vol. 95 (2007), 266) getroffen hat, sprechen Harel und Sharon von »necessity as fact« im Unterschied zu »necessity as justification« (a. a. O., S. 856f. m.Fn. 32). Die tatsächlichen Folgen einer im Wortsinn not-wendigen Handlung führen nicht zu einer Rechtfertigung und heben nicht die gültigen Rechtsprinzipien auf: »Harming the innocent can never be justified, although it may be an unavoidable consequence of a necessary action« (a. a. O., S. 860). Mit dieser Unterscheidung sei es möglich »to articulate a conception of action in extreme circumstances that is respectful of deontological tenets yet attentive to the gravity of the consequences«. Tatsächliche Not vermag kein neues Recht zu (recht-)fertigen, begründe aber ein insofern normfreies Handeln jenseits des Rechts. In einer faktischen Notlage passen Norm und Wirklichkeit eben nicht zusammen. Die Faktizität einer gelingenden Abwendung der Not schafft kein neues Recht, wohl aber neue Tatsachen, an die sich aber keine grundsätzlichen Rechtsfolgen anschließen sollen. Die Bewältigung der Not soll dann keine normative Frage sein. Der Ursprung der Ausnahme liegt nämlich vollständig außerhalb des Rechts. Es entsteht eine tatsächliche (nichtnormative) Notwendigkeit, die nicht nach neuen oder verbesserten Regeln suchen lässt. »To treat an instance as a genuine exception is not to change or replace the rule. Rather, it requires holding fast to our laws while admitting that there are cases when one ought to act beside them … When discrepancies of the extreme sort arise, this does not mean that a different rule is preferable or that our judgment about the case is wrong but rather that we have exceeded the reach of our rules and must treat the case as an exception« (a. a. O., S. 858).

Die Not befindet sich für Harel und Sharon jenseits des Rechts und muss auch im rechtlichen Jenseits abgewendet werden. Dabei soll die tatsächliche Verletzung der Prinzipien nicht mit rechts-internen Normkollisionen verwechselt werden: »Extreme cases might require practical infringements of deontological norms,

Rechtfertigungslösungen

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but do not warrant (nor require) their normative perversion. Extreme cases truly are exceptional« (a. a. O., S. 860). Die extreme Not wird letztlich vom Recht selbst ausgenommen. Die Begrenztheit des Gebietes rechtlicher Regelungsmöglichkeiten ist dabei der »imperfection of our cognitive and conceptual abilities« geschuldet. Das Erkenntnisproblem betrifft freilich auch die Frage, wie eine genuine Ausnahme vom Recht diagnostiziert werden kann. Es kann jedenfalls keine Norm geben, nach der zwischen Norm und Ausnahme unterschieden werden kann. So betonen auch Harel und Sharon »that there cannot be a rule specifying what is to count as an exception, for then it wouldn’t be an exception«; in dem Umstand, »that a judgment that some rule is inapplicable is not one that is guided by rules«, sehen sie aber keine besondere Schwierigkeit, sondern ein allgemeines Problem des Umganges mit Regeln (a. a. O., S. 861). Es kann nur Regeln für die Anwendung von Regeln geben, aber keine für die Ausrufung einer Ausnahme. Harel und Sharon wenden ihre Ausnahme-Theorie dann auch auf den Flugzeugabschuss-Fall an. Ein Handelnder, der sich in einer solchen Extremlage befindet, »will start with the premise that saving innocent lives (at least insofar as he is in a position to do so) is his duty and, recognizing the factual truth that the only means to achieve this is by downing the plane, conclude that this is what he ought to do. Notice that in this mode of reasoning, no principle permitting the harming of innocents is employed« (a. a. O., S. 859).

Ein Notstands-Täter lasse sich demnach überhaupt nicht durch Normen motivieren, er wird vielmehr durch die Ausnahme-Umstände bewegt, die das Handeln bestimmen, ohne auf einen norm-logischen Subsumtionsakt angewiesen zu sein. Das Verhalten in einer solchen Notlage läuft daher außerhalb von jeglichen Normprüfverfahren ab. Das übliche Syllogistik-Unternehmen der Normanwendung wird gar nicht erst aktiviert. Damit wenden sich die beiden Autoren ausdrücklich gegen eine rechtliche Erlaubnisnorm für einen Abschuss. Eine solche Regelung würde das Prinzip des Schutzes des Lebensrechts Unschuldiger korrumpieren zu Gunsten einer bloßen Sanktionslosigkeit der Rechtsunterworfenen. Demgegenüber könne eine solche Handlung »be permitted only as an act of necessity, as an act performed strictly from the necessity of the circumstances and not under the direction of any rules or authorizations«. Da es die faktische Not als solche ist, die eine derartige Ausnahme-Tat veranlasse, gehe es auch nicht um einen normativen Abwägungsprozess: »In exceptional circumstances, there is also no weighing of lives against lives because the shooting is grounded in the urgent need to save lives, which is not guided by any metrics of weighing one life against another. The rule prohibiting the downing of a plane knows no exceptions, but there are exceptional cases beyond the rule«(S. 862f.)

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

Wer ein Terror-Flugzeug abschießt, befindet sich demnach nicht ›im Recht‹, aber jenseits davon zwingt die Not gleichwohl zu einer Ausnahme-Handlung. Da es sich nicht um Rechtsgründe handele, nach denen sich das Verhalten zu richten habe, kann auch die Verhältnismäßigkeit der betroffenen Rechte keine Rolle spielen. Der Vergleich mit den skizzierten Varianten der Lehre vom rechtsfreien Raum lässt freilich auch vergleichbare Probleme des Ansatzes von Harel und Sharon aufscheinen. Die beiden Autoren vermeiden immerhin die ambivalente Rede von einem bloß ›unverbotenen‹ Verhalten (dazu oben S. 361ff.). In ihrer Konstruktion soll die Verbotsnorm als solche Bestand haben: die Tötung unschuldiger Flugzeuginsassen bleibt nach ihrer Lösung verboten; das Recht liefert jedenfalls keinen Grund für den Abschuss. Dennoch endet die Anwendbarkeit des Rechts irgendwie von selbst bzw. wird erst gar nicht erreicht. Das Recht zieht sich nicht zurück, sondern erstreckt sich erst gar nicht auf genuine Ausnahmen. ›Not kennt kein Gebot‹ meint daher für die beiden Autoren: die Ausnahme ist das Nicht-Regelbare; nicht einmal ihre Feststellung ist regelbar. Dabei bleibt unklar, wie und von wem die Grenzen des Regulären gezogen werden. Es soll keine feste Regel existieren, den Eintritt einer Extremlage zu diagnostizieren; daher kann es nicht um praktische Erkenntnis gehen, die sich an einem Sollen orientiert. Die Entscheidung über die Ausnahme darf jedoch auch nicht als reine Dezision erscheinen, d. h. als Willkürakt eines Handelnden. Vermutlich wird auf die Evidenz der Extremlage vertraut. Offensichtliche Not tritt ein und diktiert das Handeln. Dabei lässt sie keinen Handlungsspielraum. Das Vorliegen einer ausreichenden Not scheint selbstevident zu sein. Obwohl darin keine Erlaubnisnormen begründet werden, die die Geltung der Verbotsnorm generalisierend herausfordern könnten, bestehe gleichwohl eine offensichtliche Pflicht zur Rettung der noch rettbaren Terroropfer, die doch als normative Voraussetzung der Ausnahmehandlung anzunehmen ist. Wie eine solche Rettungspflicht begründet werden kann, bleibt freilich offen, solange sie nicht als rechtliche oder moralische Verpflichtung herleitbar ist. Es bleibt jedenfalls genügend Normativität trotz der vermeintlich reinen Faktizität der Not übrig. Die Restnormativität soll vermutlich den möglichen Einwand entkräften, aus den tatsächlichen Umständen als solchen erwachse bereits eine Verpflichtungskraft und damit werde von seinem Sein – der Faktizität der Not – auf ein Sollen – in Form einer Handlungspflicht – geschlossen werden. Das von Harel und Sharon bemühte Beispiel für eine angeblich faktische Not, die nicht streng normativ gelöst werden könne, das sie aus Kants Ethik-Vorlesung entnehmen (oben S. 370f. m.N.), ist zu diesem Zweck allerdings denkbar ungeeignet. Die an dieser Stelle von Kant vermeintlich zugestandene Notlüge bezeugt in diesem Exempel gerade keine normfreie Ausnahme. Eine Erlaubnis einer Lüge zur »Gegenwehr« beruht sehr wohl auf einer verallgemeinerbaren

Rechtfertigungslösungen

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Erlaubnisnorm. Die falsche Auskunft stellt sich nämlich nur als eine berechtigte Reaktion auf einen unmittelbar bevorstehenden Unrechtsakt dar. Der Räuber nötigt gewissermaßen zur Lüge, die dadurch Teil seines eigenen Unrechts wird; sie hat als Erfolg der Nötigungshandlung zu gelten. Das abgenötigte Lügen tritt somit an die Stelle des eigentlich geplanten Raubes. Die Unwahrhaftigkeit ist angesichts der drohenden Gewalt daher ebenso wenig eine wirklich freie Tat wie es die Herausgabe des Geldes wäre. Eine wahrhafte Aussage könnte das Unrecht nicht verhindern, sondern nur verändern, denn die Wahrhaftigkeit würde zum eigentlich erstrebten Verlust des Geldes führen. Anders als in dem umstrittenen Fall der von Kant nicht für zulässig erachteten Lüge gegenüber einem Mörder, der nach dem Aufenthaltsort des von ihm verfolgten Mannes fragt, besteht in diesem Fall einer erlaubten Notlüge keine Befürchtung, durch die eigene Unwahrhaftigkeit sich gegebenenfalls mit dem Unrecht des Täters zu kontaminieren. Schließlich vermag die von Harel und Sharon übernommene Unterscheidung zwischen »necessity as fact« und »necessity as justification« (siehe oben S. 372 m.N.) die feineren Differenzierungsalternativen nicht zu ersetzen. Die Ablehnung einer Rechtfertigungsmöglichkeit bedeutet nämlich keineswegs das Ende des Rechts. Der Hinweis auf die faktische Macht der Umstände, die im Beispielsfall einen Abschuss verständlich machen soll, muss keinesfalls auf eine außerrechtliche Lösung überleiten. Das darin angedeutete Begründungsmoment einer faktischen Notstandslage lässt sich vielmehr auf die verschiedenen Ebenen übertragen, die in der deutschen Strafrechtssystematik den allgemeinen Verbrechensbegriff kennzeichnen. Die Betonung der normativen Bestandskraft der generellen Norm, die eine Tötung (unschuldiger) Menschen verbietet, scheint dabei der Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit zu gleichen, die ebenfalls die Feststellung einer Normwidrigkeit bedeutet. In der Verneinung einer rechtsrelevanten Erlaubnisnorm dürfte dann folglich die Ablehnung einer Rechtfertigung zu sehen sein. Wenn das Leben von Menschen nur noch durch die vorauseilende Tötung anderer gerettet werden kann, dann ist es von Rechts wegen nicht mehr zu retten. Gleichwohl sollen sich die besonderen Umstände auswirken, die das Handeln in einer solchen Lage prägt. Die Anerkennung solch ›zwingender‹ Gründe, die gleichsam ›von außen‹ auf den Handelnden wirken, verweisen dabei jedoch auf jene Ebene, die in strafrechtssystematischer Hinsicht den Schuldvorwurf betreffen.

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

III.

Entschuldigungslösungen

1.

Mögliche Schuldlosigkeit

Da letztlich keine der hier aufgeführten Rechtfertigungslösungen zu überzeugen vermag, muss diese Erkenntnis dazu führen, in der hier als Ausgangsfall gewählten Situation, den Abschuss der Terrormaschine in Bezug auf die Passagiere und die Besatzungsmitglieder als rechtswidrig zu qualifizieren. Mit diesem Befund ist zunächst nur gesagt, dass eine Rechtsverletzung vorliegt und es kein Recht zur Tötung ›Unschuldiger‹ geben kann. Daher muss eine entsprechende Handlung als Unrecht bezeichnet werden. Mit dem Begriff der Rechtswidrigkeit wird jedoch lediglich festgestellt, dass es auch in existenziellen Notlagen weder in quantitativer noch zeitlicher Hinsicht zu einer Relativierung des Lebensrechts kommt. Rechtsordnungen, die mit der Differenz zwischen Unrecht und Schuld operieren, können nämlich die betroffenen Rechtspositionen in einem ersten Schritt in ein noch ganz abstrakt-generell zu bestimmendes Verhältnis zueinander setzen und dabei diese Relation von Rechten noch von konkreteren Umständen freihalten, die jenes rein rechtliche Beziehungsgeflecht umlagern. Solange sich jemand selbst nicht in rechtswidriger Weise an einem Angriff auf fremde Rechte beteiligt, kann die Vernichtung des nicht relativierbaren Lebensrechts in diesem Sinne stets nur ›unverhältnismäßig‹ sein. Insoweit geht es um eine rein formale Bestimmung des Verhältnisses von Rechten der betroffenen Personen. Dies schließt nicht aus, dass einige der von den aufgeführten Ansätzen vorgebrachten Begründungsmomente nicht in anderer Weise zu einer möglichen Straflosigkeit führen können. Daher ist zur nächsten Wertungsstufe, der Schuld, überzugehen. Die Bewertung einer nicht durch universalisierbare Rechtsgründe gedeckten Verhaltenswahl findet – im Kontext einer strafrechtlichen Prüfung – auch sonst erst im Rahmen der Schuld statt. Erst auf dieser Ebene kommen individuelle Besonderheiten der Täterpersönlichkeit oder der Tatumstände in den Blick. Eine mögliche Entschuldigung bzw. ein Schuldausschluss eines die Rechte anderer verletzenden Verhaltens muss nämlich anders als ein Rechtfertigungsgrund kein allgemeines rechtliches Verständnis signalisieren, sondern übt im vorliegenden Fall lediglich sanktionsfolgenrelevante Rücksicht im Hinblick auf ein nachvollziehbares Entscheidungsdilemma eines Handelnden. Rücksicht bedeutet hier freilich mehr als eine aus purer Opportunität gewährte »Nachsicht mit menschlicher Schwäche«, zu der Tonio Walter die Entschuldigungsgründe beiläufig umdeuten möchte. Dabei glaubt er, den möglichen Eindruck bloß willkürlich gewährter Milde dadurch abwehren zu können, dass er namentlich in § 35 StGB »eine Art strafrechtstheoretisch erforderliches, deswegen materiellrechtliches und zwingendes Gnadenrecht« sehen möchte

Entschuldigungslösungen

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(Kern des Strafrechts, 136f.). Dies deutet dann aber darauf hin, dass es sich bei einem solchen Rechtszwang zur Gnade nicht um eine Gnade vor Recht handelt, die gewöhnlich mit der Gewährung von Gnade verbunden ist. Ein erzwungener Akt kann gerade nicht als gnädig bezeichnet werden. Es geht daher letztlich überhaupt nicht um einen gnädigen Akt, sondern um einen notwendigen Rechtsakt. Damit muss dann mehr gemeint sein, als jemandem bloß eine typisch menschliche Schwachheit nachzusehen. Aus dem Umstand, dass Entschuldigungsgründe aus Gründen der Systematik erst nach der Prüfung des Unrechts geprüft werden, sollte im Übrigen nicht auf eine vermeintliche Nachrangigkeit der Schuldfrage geschlossen werden, die es mit bloßen – rechtsgrundlosen – Gnadenakten zu beantworten gelte. In der hier gemeinten Rücksicht müssen vielmehr die Gründe für eine Entschuldigung in den Blick kommen; sie ist eine strafrechtliche Perspektive, aus der die mangelnde Schuldhaftigkeit einer Handlung verständlich gemacht werden soll. Die Rechtfertigungslösungen müssen sich folglich auf das heikle Feld der Gegenüberstellung von Rechten wagen, die im Fall eines Lebensnotstandes grundsätzlich als gleichwertig angesehen werden. Dabei sind die jeweils beeinträchtigten Rechtspositionen in den Blick zu nehmen. Im Kontrast hierzu kann auf der Schuldebene auch noch die Situation des in diesem Konfliktfall Handelnden berücksichtigt werden. Eine Lösung auf dieser Ebene scheint der Komplexität der Problematik angemessener, da sie kein Tötungsrecht behaupten muss, sondern Rücksicht auf die Entscheidungsnot des eingreifenden Dritten nehmen kann. Wie durch die Kritik der Rechtfertigungslösungen gezeigt werden sollte, verleiht die hier in Rede stehende Not daher weder besondere Rechte noch befreit sie vom Unrecht oder führt gar in völlige Rechtsfreiheit. Andererseits setzt aber schuldloses Verhalten eben auch die Freiheit von nötigenden Umständen voraus. Nur wer sich ohne Not für eine Rechtsverletzung entscheidet, handelt im vollen Umfang schuldhaft. Schuld setzt quasi einen intakten Weltzustand bzw. ungefährdeten Rechts(güter)zustand voraus, in den aktiv handelnd mit Unrecht eingegriffen wird. Im Zustand der Not beherrscht der Täter hingegen nicht die durch die Gefahr beherrschte Lage durch die eigene Handlungsmacht. Seine Aktion setzt zwar mit unrechten Mitteln ein, sie ist aber dennoch eher eine beinah ohnmächtig zu nennende Reaktion auf die widrigen Umstände. Die Normalität der Handlungssituation kann so als eine konstitutive Bedingung der Schuldhaftigkeit des Verhaltens angesehen werden, denn mit der Not zieht gewissermaßen ein Moment des bloß Zufälligen in die zu bewertende Gesamtlage ein; der Zufall aber gilt – nach einer allgemeinen Kennzeichnung Carl Georg von Wächters – als »Negation der Schuld« (Handbuch, 397). Zur Klarstellung dieses Verständnisses kann vielleicht an frühere Formulierungen des Schuldbegriffs erinnert werden, in denen das Notstandsproblem unmittelbarer mit der auch äußeren Voraussetzung der Schuldhaftigkeit einer

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

Handlung verbunden werden sollte. Gemeint ist namentlich der Begründungsansatz von Reinhard Frank, den er 1907 in seinem berühmten Aufsatz ›Über den Aufbau des Schuldbegriffs‹ vorgeschlagen hat. Dieser Festschrift-Beitrag war bekanntlich für die Entwicklung des sog. ›normativen Schuldbegriffs‹ wichtig. Darin hat er neben der »Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t « und den beiden damals als »k o n k r e t e p s y c h o l o g i s c h e B e z i e h u n g d e s T ä t e r s z u d e r i n R e d e s t e h e n d e n Ta t « aufgefassten Schuldarten (Vorsatz und Fahrlässigkeit) als zusätzliches Schuldelement noch »die n o r m a l e B e s c h a f f e n h e i t d e r Um s t ä n d e , u n t e r w e l c h e n d e r T ä t e r h a n d e l t « gezählt.238 Dadurch könne in außergewöhnlichen Situationen, namentlich im Notstand, durch das Fehlen der Normallage die Schuld ausgeschlossen sein bzw. das rechtswidrige Verhalten entschuldigt werden. In seinem Kommentar zum Reichsstrafgesetzbuch betont Frank dann auch noch einmal, dass die »Abnormität der ›begleitenden Umstände‹, der ›Umweltlage‹ « nicht zur »Vorwerfbarkeit« des Verhaltens führe, durch die der Begriff der strafrechtlichen Schuld nach Frank wesentlich gekennzeichnet sei. Dabei will er in der Normallage sogar ein Moment jener »Freiheit« sehen, die ihm als ein zentraler »B e s t a n d t e i l des Schuldbegriffs« gelten sollte (Strafgesetzbuch, Anm. II.1 Vor § 51 – S. 136f.). Er ging dabei sogar davon aus, dass, wenn »das Vorhandensein der Freiheit« als wesentliches Moment der Schuld erst einmal anerkannt sei, dann wäre »der Begriff der Entschuldigungsgründe … überflüssig oder gar schädlich«, da beim Mangel einer i. d. S. freien Handlung ohnehin kein schuldhaftes Verhalten begangen worden sei (a. a. O., S. 139). Im Anschluss an diese Konzeption von Frank hat auch August Hegler in seinem 1915 erschienenen zweiteiligen Aufsatz ›Die Merkmale des Verbrechens‹ im 36. Band der ›Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft‹ (S. 19–44 / 184–232) den »Schuldbegriff i. w. S.« durch eine solche zusätzliche »n e g a t i v e Vo r a u s s e t z u n g « erweitert, die neben die »Schuld i. e. S.« (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) sowie die Handlungsfreiheit und Zurechnungsfähigkeit treten sollte. Nach seiner Formulierung sollte das Fehlen eines gleichsam nötigenden Moments zu einer weiteren Bedingung schuldhaften Verhaltens erklärt werden, da ein Täter namentlich im Notstand »nicht mehr als v o l l e r H e r r s e i n e r Ta t erscheinen kann«. Es sei vielmehr die Gefahr, die eine solche Lage beherrscht, so 238 R. Frank, Giessen-FS, 521ff. – Zitat S. 530; s.a. R. Frank, Strafgesetzbuch, Anm. II vor § 51 (S. 136ff.) und § 59 Anm. VIII.5. (S. 195f.). Vgl. zu diesem kontrovers diskutierten Merkmal F. Oetker, Gerichtssaal 72 (1908), 164f.; E. Beling, Unschuld, 8f. Fn. 2; C. Schmitt, Schuld und Schuldarten, 35f.; J. Goldschmidt, Österreichische Zeitschrift für Strafrecht IV (1913), S. 139; ders., Frank-FG I, 428ff.; O. Schumacher, Strafrechtsschuld, 1ff.; A. Köhler, Gerichtssaal 95 (1927), 461ff.; E. Wolf, Schuldlehre, 53ff.; R. Maurach, Schuld und Verantwortung, 20ff.; H.P. Weber, Entwicklung der normativen Schuldlehre, 17ff.; H. Achenbach (Anm. 6), 97ff.; C. Safferling (Anm. 6), 50f.

Entschuldigungslösungen

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dass der Handelnde im Zustand der Not nicht über die »Tatherrschaft« verfüge. Damit hat Hegler dieses Wort in diesem Sinne wohl erstmals – noch weitgehend unabhängig von der Teilnahmelehre239 – als Begriff ins Strafrecht eingeführt. Als Grund für die schuldausschließende bzw. entschuldigende Wirkung des Notstands möchte Hegler jedoch – insofern anders als Frank – nicht die objektiv nötigenden Momente der Not unmittelbar gelten lassen; er führt vielmehr die rein subjektiv-psychische »Zwangssituation« einer »derart ungewöhnlichen Motivationslage« als eigentlichen Ausschlussgrund an (ZStW 36 (1915), 214). Zumindest im Ansatz in eine ähnliche Richtung deutend, hat bereits Hugo Hälschner in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass das »Maß der Verschuldung« auch »in der Beschaffenheit des den Willen erregenden äußeren Anlasses« liegen könne (Strafrecht 1, S. 512). Damit hat er u. a. einen allgemeinen schuldrelevanten Einfluss der Not behauptet, insoweit darin »überhaupt die Wahlfreiheit« in »rein äußerlicher« Art »thatsächlich beschränkt und deshalb die sittliche Schuld gemindert wird«. Daraus folgt für ihn, dass in der Not »eine die Schuld mindernde Beschränkung der Wahlfreiheit anzunehmen« sei. Schuldhaft sei eine Handlung nämlich nur dann, wenn darin die individuelle »Willkür« des Täters »sich selbständig geltend zu machen unternimmt« und daher »ein wesentliches Moment der Freiheit, sich als das totale Wesen der Freiheit darzustellen versucht«. Schuld hat demnach nur derjenige, dessen besonderer Wille sich in völliger – ungezwungener – Freiheit gegen den allgemeinen Willen auflehnt. Wird durch freiheitswidrige Umstände die subjektive Besonderung des Willens getrübt, so mildert dies die ›sittliche Schuld‹ eines solchen Täters. Dabei sollte für Hälschner allerdings ein rechtlich anerkannter »wirklicher Nothstand« nicht hierzu zählen, da dieser bereits der Handlung »den Character des criminellen Unrechtes entzieht«. Im eigentlichen rechtlich sanktionierten Notstand erkennt Hälschner nämlich schon keine »Entgegensetzung der Willkür gegen die Rechtsordnung selbst, nicht ein Bruch der Gerechtigkeit«, sondern »vermöge der Entgegensetzung gegen das subjektive Recht des Beschädigten, ein civiles zur Entschädigung verpflichtendes Unrecht«. Ob hierunter auch der Lebensnotstand, der für einen zivilrechtlichen Ausgleich ungeeignet erscheinen dürfte, gerechnet werden könnte, bleibt freilich unklar. Immerhin zählt Hälschner zu einer »im wahren Nothstande begangene Verletzung« auch jene der »qualitativ gleichen aber quantitativ geringern« Rechte.240 Auch wenn Hälschners Unterscheidung zwischen einem bereits 239 Vgl. C. Roxin, Täterschaft, 60f., der jedoch durchaus bereits vage Anklänge an den heute gebräuchlichen Begriff erkennt. 240 H. Hälschner, Das preußische Strafrecht 2, 291/290/280f./276f. (zu dessen Notstandslehre siehe ebenda, 271ff.); s.a. ders., Strafrecht 1, 520f. (bzw. 485ff. zum Notstand).

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

strafunrechtsausschließenden Notstand und einer offenbar erst schuldausschließenden Not letztlich noch recht unscharf anmuten mag, so lässt sich gleichwohl mit Reinhart Maurach festhalten, »daß hier wohl erstmalig der Gesamtbegriff der Schuld mit der äußeren Motivlage in Beziehung gebracht worden ist«, weshalb er Hälschner auch zu den Vorläufern der normativen Schuldlehre zählte (Schuld, 20). Mit einem durchaus ähnlichen Begründungsansatz hat im 19. Jahrhundert außerdem noch Carl Levita argumentiert. Auch er gesteht zu, dass durchaus die »Intensität der verbrecherischen Schuld« fällt, »wo der Wille n i c h t a u s f r e i e m A n t r i e b e das Verbrechen erzeugt hat, sondern besondere ä u ß e r e R e i z m i t t e l auf die Bestimmung desselben gewirkt haben«. In seiner Abhandlung zum ›Recht der Nothwehr‹ diskutiert er 1856 u. a. auch den Fall »einer C o l l i s i o n g l e i c h s t a r k e r R e c h t e (Leben gegen Leben, Eigentthum gegen Eigenthum)«. Allerdings möchte er in einer solchen Konstellation trotz des erwähnten Zugeständnisses keinen vollen Schuldausschluss. Er gelangt vielmehr nur zu einer Milderung der Strafbarkeit (Recht der Nothwehr, 14f.). Ein durchaus ähnlich klingender Ansatz lässt sich schließlich bereits im 18. Jahrhundert in den ›Commentaries on the Laws of England‹ von William Blackstone finden. Dort wird der Notstand als ein »species of defect of will« bezeichnet. Strafbar soll grundsätzlich nur schuldhaftes Verhalten sein; dies setzt jedoch eine (defekt-)freie Willensentscheidung voraus. Im Fall einer Notlage sei die – gottgegebene – Freiheit des Willens jedoch eingeschränkt bzw. fehle sogar ganz, denn die Not zwingt einen Notstandstäter zu einer Entscheidung gegen die sonst geltende Rechtsüberzeugung: »These are a constraint upon the will whereby a man is urged to do that which his judgment disapproves … As punishments are therefore only inflicted for the abuse of that free will which God has given to man, it is highly just and equitable that a man should be excused for those acts which are done through unavoidable force and compulsion« (Vol. 4, 27).241

Ein Notstand ist demnach für Blackstone kein Missbrauch der Freiheit, sondern eine unfreie Entscheidung, die nicht als Schuld zugerechnet werden dürfe. Schuld meint insofern nämlich ein freies – von inneren und äußeren Zwängen unbedrängtes – Verhalten gegen das Recht, durch das die Besonderheit der eigenen Willkür gegen die Allgemeingültigkeit des Rechts geradezu zum Prinzip erhoben werden soll. Schuldig macht sich demnach derjenige, der sich durch willkürliche Absonderung über die Rechte anderer erhebt und durch sein Verhalten gleichsam eine überragende Stellung im intersubjektiven Rechtsverhältnis für sich beansprucht. Dadurch wird die wechselseitige Anerkennungs241 Siehe dazu B. Kotecha, Journal of Criminal Law 78 (2014), 349f.

Entschuldigungslösungen

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beziehung als rechtlich gleiche Personen verletzt.242 Gerade im Zustand existenzieller Not kann eine solche Ungezwungenheit einer Unrechtsentscheidung nicht einfach weiter unterstellt werden. In Situationen, in denen der Verlust von rechtlich geschützten Gütern oder Interessen – insbesondere des Lebens – zu befürchten ist und die Rettung zumindest eines Teils der Betroffenen zwar nicht mehr rechtmäßig aber immerhin noch faktisch möglich erscheint, drängt sich die Realisierung dieser Möglichkeit als Handlungsalternative auf. Der Handelnde steht vor der schwierigen Wahl, unschuldig aber untätig den Dingen seinen Lauf zu lassen oder durch die eigene schädigende Tat den drohenden Eintritt eines anderen – gravierenderen – Schadens abzuwenden bzw. dem ohnehin drohenden Verlust vorzugreifen. Die Schwere der Entscheidung muss von Schuld entlasten, wenn sich jemand in einer solchen Lage dazu entschließt, die eigene tatenlose Unschuld durch lebensrettendes Unrecht zu opfern. Die Faktizität der im Notfall noch bestehenden Rettungschance wiegt insofern das Verschulden der Rechtsverletzung gleichsam auf. Der rechtswidrige Eingriff in die Gefahrenlage auf Kosten von ohnehin verlorenen Menschenleben ist somit nicht als strafrechtliche Schuld zuzurechnen, wenn eine als Handlungsalternative gedachte Teilnahmslosigkeit noch mehr Menschenleben kosten würde. Bei einer Notstandshandlung der vorliegend diskutierten Art zeigt sich sogar noch eine Besonderheit: sie verletzt zwar die Rechte von Personen, stellt sich jedoch zugleich auch gegen das Unrecht anderer, das sich ohne den Eingriff zu verwirklichen droht; insoweit erweist sich die rechtswidrige Tat gewissermaßen als ›Not-wendigkeit‹, sofern anderweitiges Unrecht abgewendet werden kann. Der Handelnde wendet sich quasi mit Unrecht gegen Unrecht, maßt sich dadurch aber keine gegenüber dem Recht als solchem besondere Stellung an, die sonst als Schuld bezeichnet werden mag. So wird es möglich, auf dieser Ebene sehr wohl zu berücksichtigen, dass der Abschuss einer Terrormaschine zwar selbst Unrecht (gegenüber den Passagieren und den Besatzungsmitgliedern) begründet, zugleich jedoch ein anderes von den Terroristen unternommenes Unrecht immerhin in seiner konkreten Gestalt z. T. verhindert bzw. in dem geplanten Ausmaß gemindert wird. Dies vermag die eigene Unrechtstat als solche nicht aufzuheben, da sie sich gegen die Rechte von Personen richtet, die selbst nicht am terroristischen Unrecht beteiligt sind. Dementsprechend lässt sich die Möglichkeit einer Rechtfertigung in einer solchen Fallkonstellation ablehnen, da eine derartige Lösung unweigerlich auf eine Relativierung des Lebensrechts hinauslaufen würde und den Betroffenen letztlich eine Pflicht zur Aufopferung des eigenen Lebens auferlegt werden müsste. Dies lässt sich mit rechtlichen

242 Zum Begründungszusammenhang eines solchen Schuldverständnisses vgl. St. Stübinger, Schuld, 387ff., bes. 391ff.; ders., Strafrecht, 322ff., bes. 332f. jeweils m. w. N.

382

Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

Mitteln jedoch kaum begründen, wenn der Grund nicht schon in der im Ergebnis gewünschten Rechtsfolge vermutet wird. Gleichwohl kann mit der wohl h. M. immerhin die Möglichkeit eines Entschuldigungsgrundes eingeräumt werden.243 Die genaue Herleitung der entschuldigenden Wirkung variiert jedoch wiederum. Der in § 35 StGB ausdrücklich normierte Entschuldigungsgrund wird in der Regel nicht anwendbar sein, da er ein Handeln zum eigenen oder zu Gunsten von sog. ›Sympathiepersonen‹ voraussetzt, also in der hier diskutierten Konstellation nur einschlägig wäre, wenn zufällig ein Angehöriger oder eine nahestehende Person des Schützen an Bord wäre. Jenseits der gesetzlichen Regelung wird jedoch auch in anderen Fallkonstellationen weitgehend die Möglichkeit einer übergesetzlichen Entschuldigung anerkannt.244 Damit könne sowohl die Gewissensnot und innere Bedrängnis als auch die Rettungsintention des Handelnden angemessen Berücksichtigung finden. In beiderlei Hinsicht entspreche diese Situation der von § 35 StGB erfassten Lage. Soweit sich darin eine entsprechende Anwendung des § 35 StGB andeutet, wird dagegen jedoch z. T. eingewendet, für eine solche Analogie fehle es einerseits an einer planwidrigen Regelungslücke. Diese müsse jedoch als eine methodologische Prämisse für jeden analogen Gebrauch einer Norm vorhanden sein. Andererseits gehe es eigentlich gar nicht um ein Problem einer Notstandslage, sondern um die Anerkennung einer Gewissensentscheidung des Handelnden, die unter den Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 1 GG stehe. Dies könne jedoch nur dann zu einer Entschuldigung führen, wenn keine höherrangigen Grundrechte anderer Personen betroffen seien.245 Dies vermag indes nicht zu überzeugen:246 zum einen ist der historische 243 Vgl. hierzu und zum Folgenden z. B. A. Archangelskij (Anm. 15), S. 77ff.; M. Pawlik JZ 2004, 1060f.; H. Dreier JZ 2007, 267; J. Wessels/W. Beulke /H. Satzger AT, Rdn. 452/452a i. V. m. 316b; C. Jäger JA 2008, 684; ders., Strafrecht AT, Rn. 206b; U. Kindhäuser, Strafrecht AT § 21 Rdn. 14; ders., LPK-StGB Vor §§ 32–35 Rdn. 83f.; R. Rengier, AT § 26 Rdn. 40ff.; K. Kühl, AT § 12 Rdn. 98; HK-GS/Duttge § 35 Rdn. 22f.; Schönke/Schröder-Lenckner/SternbergLieben Vorbem. zu §§ 32ff. Rdn. 115f.; SSW-Rosenau Vor §§ 32ff. Rdn. 67; LK-Rönnau Vor § 32 Rdn. 345ff. jeweils m. w. N. Auf der Grundlage seiner eigenen Systematik kommt Roxin in diesen Fällen zu einem (ebenfalls übergesetzlichen) Ausschluss der »Verantwortlichkeit« (Allgem. Teil I, § 22 Rdn. 146ff.), wobei die Schuld im eigentlichen Sinne unberührt bleibe; es entfalle vielmehr das (spezial- oder generalpräventiv zu begründende) Strafbedürfnis. Allerdings spricht er im fraglichen Zusammenhang dann doch gelegentlich selbst von »Schuldausschluss« bzw. »Entschuldigung« (Rdn. 149f./152); s.a. dens. ZIS 6/2011, 562f. 244 Zu den zahlreichen hierzu diskutierten Fallkonstellationen vgl. etwa K. Kühl, AT § 12 Rdn. 92ff.; NK-Paeffgen Vor §§ 32 Rdn. 292ff. jeweils m.w.N. 245 So vor allem MK-Schlehofer Vor §§ 32ff. Rdn. 269ff.; bzgl. des erstgenannten Grundes ähnlich W. Mitsch GA 2006, 13f.; ders. JA 2006, 515; s.a. HK-GS/Duttge § 35 Rdn. 23, der diesen »methodischen Zweifel« für »bisher nicht widerlegt« hält. 246 Vgl. hierzu und zum Folgenden die treffende Kritik an den skizzierten Einwendungen von

Entschuldigungslösungen

383

Gesetzgeber offenbar selbst nicht davon ausgegangen, mit § 35 StGB die Gründe für eine Entschuldigung in Notfällen abschließend regeln zu können. Die gesetzliche Regelung des entschuldigenden Notstands wirkt daher nicht exklusiv, sondern exemplifizierend. Die Methodologie der sachlichen Begründetheit einer Übertragung steht daher nicht im Wege. Zum anderen verfehlt die angedeutete Umlenkung der Problematik von der Notstandsdogmatik auf das verfassungsrechtliche Feld der bloßen Gewissensentscheidung sowohl die schuldspezifische Entlastung der Notstandslage als auch die ethische Besonderheit der rechtlichen Anerkennung des individuellen Gewissens. Eine Notlage der hier diskutierten Art entlastet nämlich gerade deshalb von Schuld, weil darin keine generelle Auflehnung gegen das Recht gesehen werden kann, während es im Falle eines Gewissenskonflikt um eine ausnahmsweise Tolerierung einer gezielt vom Recht abweichenden Moralvorstellung eines Individuums geht. In Fällen der vorliegenden Art geht es nicht um den Konflikt zwischen den allgemeinen Rechtsvorstellungen und einer davon abweichenden Ethikkonzeption eines Einzelnen, die sich unter Berufung auf Art. 4 GG ausnahmsweise behaupten dürfte. Es ist vielmehr das Strafrecht selbst, das hier nicht mit Schuldzurechnung reagiert, weil es in der Notstandstat zwar ein Unrecht gegenüber den Betroffenen, aber keine generelle Unverträglichkeit mit dem rechtlichen Geltungsanspruch erkennen kann.

2.

Grenzen der Entschuldigung

Die hier geführte Debatte konzentriert sich bislang allein auf die Beziehung zwischen den Passagieren im Flugzeug und den potenziellen Opfern am Zielort. Die vorgetragenen Lösungen kommen zunächst unter der Voraussetzung zu einer Rechtfertigung oder Entschuldigung, dass ausschließlich die ›unschuldigen‹ Flugzeuginsassen in Relation zu den anvisierten Anschlagsopfern in Betracht gezogen werden. Nur in diesem Verhältnis erscheint eine rechtfertigende bzw. entschuldigende Wirkung überhaupt vertretbar. Allein in dieser Hinsicht steht eine Rettung von gefährdeten Personen auf Kosten von ohnehin verlorenen Menschen in Rede. Noch einmal etwas komplizierter wird die rechtliche Beurteilung hingegen dann, wenn zudem bedacht wird, dass von dem Abschuss einer Terrormaschine nach lebensnaher Einschätzung stets Menschen gefährdet oder gar getötet werden, die sich im Zeitpunkt dieser Abwehrmaßnahme im Absturzgebiet eines abgeschossenen Flugzeuges aufhalten.247 Bei einem ungehinT. Zimmermann, Rettungstötungen, 268ff. m.w.N.; allgemein zur Analogiefähigkeit des § 35: G. Timpe JuS 1984, 863f. 247 Hierauf macht etwa W. Küper (Anm. 192), 24 aufmerksam, ohne diese Problem weiter zu verfolgen.

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Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

derten Verlauf wären sie von der von der Terrormaschine ausgehenden Gefahr überhaupt nicht betroffen gewesen; es ist vielmehr erst die Rettungshandlung, die sie in Gefahr bzw. um ihr Leben bringt. Dann stellt sich sogleich die Frage, wie deren Tötung strafrechtlich zu beurteilen ist. Dabei soll hier davon ausgegangen werden, dass der Tod bedingt vorsätzlich herbeigeführt wird. In realen Fällen dürfte eine Abgrenzung zur bloß bewussten Fahrlässigkeit schwierig sein. Auch hierfür hält die Notstandsdogmatik eine passende Vergleichskonstellation bereit,248 über die hierzulande249 seit mehr als einem halben Jahrhundert eifrig diskutiert wird. Gemeint ist der wohl zuerst von Hans Welzel in der ZStW 63 (1951), S. 51 gebildete ›Weichenstellerfall‹. Darin geht es um einen außer Kontrolle geratenen Güterwagen, der in einen Personenzug hineinzurasen droht; erst in letzter Sekunde kann dieser durch eine von einem Bahnbeamten vorgenommene Umstellung einer Weiche auf ein Nebengleis gelenkt werden, wodurch jedoch einige dort tätige Gleisarbeiter getötet werden. Ebenso wie in diesem Fall, so geht es dann auch in der Situation einer Terrormaschine um die Umlenkung einer Gefahr von dem (zufällig oder bewusst) anvisierten Ziel auf bis dahin völlig ungefährdete und unbeteiligte Personen, die dann auf Kosten der Menschen am geplanten Anschlagsort geopfert werden. Auch für diese Situation wird von vielen noch eine Entschuldigung für möglich gehalten.250 Vereinzelt ist sogar eine Rechtfertigung vertreten worden.251 Dabei variieren die angeführten Begründungen hierfür. Teilweise wird auf die Wahl des kleineren Übels abgestellt oder die subjektive Rettungstendenz des Handelnden hervorgehoben, dem es zugute gehalten werden müsse, eine größere Anzahl an Menschenleben retten zu wollen. Solche Aspekte würdigen primär die konkrete Bewertung des handelnden Subjekts. Derartige Bewer248 Vgl. dazu die Gegenüberstellung verschiedener Varianten des Weichensteller-Falles mit dem Abschuss einer Terrormaschine von W. Mitsch, GA 2006, 11ff.; s.a. die Darstellung von T. Zimmermann, Rettungstötungen, 25f. und passim. 249 International sind verschiedene Versionen dieses Falles als ›Trolley problem‹ bekannt: grundlegend P. Foot, The Oxford Review 5 (1967), 8 (dt. in: Um Leben und Tod, 200f.); vgl. auch J.J. Thomson, Rights, 80ff./94ff.; S.J. Kerstein, How to treat Persons, 122ff.; siehe zu den zahlreichen Varianten dieser Fallkonstellation und zur Geschichte dieser Fallkonstellation eingehend D. Edmonds, Would You Kill the Fat Man?, 8ff. 250 H. Welzel ZStW 63 (1951), 51f.; ders., Strafrecht, 184; U. Murmann, Grundkurs § 27 Rn. 95; SK-Rudolphi (38. Lfg. April 2003) Vor § 19 Rdn. 8; LK-Rönnau Vor § 32 Rdn. 347; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. zu §§ 32 Rdn. 117; NK-Paeffgen Vor § 32 Rdn. 295; T. Hörnle, Herzberg-FS, S. 570ff.; i.E. auch T. Zimmermann, Rettungstötungen, 286ff., bes. 295; ders., Journal of Criminal Law 78 (2014), 268f. K. Kühl, AT § 12 Rdn. 104 Fn. 198 und R. Rengier, AT § 26 Rdn. 45ff. bezeichnen die Entschuldigungslösung als h. M. 251 So etwa K. Peters JR 1950, 744; kritisch hierzu T. Zimmermann, Rettungstötungen, 100ff.; für einen in seiner oben (Text zu Anm. 229 ff.) skizzierten Konzeption sog. ›bloßen Unrechtsausschluss‹ im Weichensteller-Fall plädiert W. Schild JA 1978, 633f.

Entschuldigungslösungen

385

tungsrücksichten können freilich eher jenseits der Schuld auf der Ebene der Strafzumessung angesiedelt werden. Nach dem Vorbild der älteren Rechtsprechung zu den sog. ›Euthanasie‹-Fällen könnte insoweit ein persönlicher Strafausschließungsgrund in Betracht gezogen werden.252 Da in Fällen des (vielfachen) Totschlags diese »individuellen Kompensationsmöglichkeiten des Strafrechts« im Bereich der Rechtsprechung vermeintlich nicht ausreichen können, wird gelegentlich sogar die »Möglichkeit einer ex-post Straflosstellung des Amtinhabers durch ein auf den Vorgang bezogenes Parlamentsgesetz in Betracht« gezogen.253 Der Gesetzgeber könne so im Nachhinein eine quasi demokratisch abgesicherte Erklärung über die mangelnde Strafwürdigkeit einer entsprechenden Rettungstat abgeben. Schließlich wird z. T. auf ein zumindest sittliches Verschulden im Falle des Nichthandelns verwiesen. Immerhin habe der Weichensteller oder ein das Terrorflugzeug abschießender Staatsdiener eine Verpflichtung zur Rettung jener Menschen im Zug bzw. am geplanten Terrorziel, auf die die Gefahr zukommt. Insoweit wird das Problem des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands mit einer Pflichtenkollision gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung wirkt indes etwas schief, da in der relevanten Konstellation keineswegs gleichgerichtete Handlungspflichten miteinander konkurrieren, die schon auf der Ebene des Unrechts in Konkurrenz geraten können. Die positive Verpflichtung, zum Schutz von Menschen einzugreifen, wird nämlich gerade durch die negative Pflicht, die rechtswidrige Verletzung anderer zu unterlassen, blockiert. Das Rettungsgebot darf nicht zur Überschreitung des Verbots unrechter Tötungshandlungen führen und findet daher im Recht der unbeteiligten Personen eine normativ nicht zu überwindende Schranke. Wenn abstrakte Pflichten in der konkreten Anwendungssituationen in Konflikt zu geraten scheinen, müssen sie in einen kohärenzfähigen Zusammenhang gebracht werden. Innerhalb eines Normensystems dürfen sich sanktionsbewehrte Verhaltenserwartungen nicht widersprechen, d. h. scheinbarer Widerspruch muss durch Auslegung behoben werden. Die maßgebende Relation von Normen heißt Kohärenz.254 Das Tötungsverbot hebt insoweit das Rettungsgebot auf. Sobald sich eine Handlung als Unrecht erweist, dann kann sie nicht mehr von Rechts wegen geboten sein. Mit einer zunehmenden Anzahl kritischer Stimmen im Schrifttum ist letztlich für die Konstellation der vorliegenden Art die Grenzen der Entschuldigung

252 Vgl. OGHSt 1, 321 (331ff.); 2, 117; so auch K. Peters JR 1949, 496ff. 253 J. v.Bernstorff, Der Staat 47 (2008), 40. 254 Vgl. hierzu allgemein – unter Hervorhebung des diesbezüglichen Unterschieds zwischen Normen und Werten: J. Habermas, Faktizität und Geltung, 309ff.; zum Kriterium der Kohärenz s.a. K. Günther, Rechtstheorie 20 (1989), S. 163ff. Zur Unmöglichkeit einer echten Pflichtenkollision vgl. schon I. Kant, MdS-R AB 23f.

386

Zur Unterscheidungsvielfalt in der Notstandsdogmatik

für überschritten anzusehen.255 Zwar liegt auch in dieser Hinsicht ein Handeln in einer Notlage vor, die eine übliche Bedingung für schuldhaftes Verhalten an sich nicht wirksam werden lässt, doch Not kann nur entlasten, insoweit es allein um ihre Abwendung geht. Durch das Hineinziehen von völlig ungefährdeten Personen geschieht jedoch etwas qualitativ Neues: es wird nicht nur die Gefahr für eine bestimmte Anzahl von Menschen abgewendet, sondern zugleich eine bis dahin nicht existierende Gefahr für andere erzeugt, die dadurch erst in eine für sie zuvor nicht bestehende Notlage gebracht werden. Darin kann eine durchaus schuldtypische Anmaßung von Willkür gesehen werden. Hier maßt sich jemand eine Entscheidungsmacht über die Frage an, wer leben darf und wer sterben muss. Der so vorgenommene Eingriff ist daher eben keine reine Not-Wendigkeit, sondern eine neue Gefahrschaffung, die das Rechtsverhältnis zu den gänzlich Unbeteiligten negiert; sie werden – wenn auch nur mittelbar – instrumentalisiert, um andere retten zu können. Für den Abschuss einer Terrormaschine ist zudem zu bedenken, dass die Entscheidung für das Abschießen nicht nur für die Insassen des Flugzeugs, sondern zugleich für die bis dahin völlig ungefährdeten Menschen am Boden einem staatlichen Todesurteil gleichkäme.

255 Vgl. etwa A. Koch JA 2005, 748; F. Zieschang JA 2007, 685; C. Jäger ZStW 115 (2003), 778f.; ders., Strafrecht AT, Rdn. 208; C. Roxin, AT I § 22 Rdn. 161ff. sowie Rdn. 149 für den Flugzeugabschuss; J. Wessels/W. Beulke / H. Satzger AT, Rdn. 452b; T. Walter, Kern, S. 144ff.; NK-Neumann § 35 Rdn. 60ff., bes. 62a für den Flugzeugabschuss; nach der konkreten Zuständigkeit des Eingreifenden differenzierend G. Jakobs, AT 20. Abschn./ Rn. 42; wohl auch HK-GS/Duttge § 35 Rdn. 23.

B.

Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg – Über das Verhältnis von Recht und Politik im Ausnahmezustand

Im Notfall »müsste ich … vom Recht des übergesetzlichen Notstands Gebrauch machen: Wenn es kein anderes Mittel gibt, würde ich den Abschussbefehl geben, um unsere Bürger zu schützen.« (zit. nach Focus vom 16. September 2007 – online)

Mit diesen Worten hat der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung vor einigen Jahren noch einmal für einen Aktualitätsschub des hier zu behandelnden Problems der Behandlung des (oben – S. 276f. – dargestellten) ›Flugzeugabschuss-Falles‹ gesorgt.1 Das Zitat bezieht sich auf die hier diskutierte Situation, in der ein von Terroristen entführtes Flugzeug als Instrument für einen Anschlag missbraucht werden soll, der mutmaßlich viele Menschenleben kosten würde. Ein solches Szenario steht uns spätestens seit den Ereignissen vom 11. September 2001 bildhaft vor Augen. Seit dieser Zeit wird auch hierzulande lebhaft darüber diskutiert, ob in einer derartigen Lage der Abschuss einer solchen ›Terrormaschine‹ nach deutschem Recht erlaubt sein sollte oder gar geboten ist. Das Problematische liegt dabei in dem Umstand, dass durch eine solche Maßnahme wohl zwangsläufig die Tötung unschuldiger Flugzeuginsassen einkalkuliert werden muss. Minister Jung war sich offenbar sicher, dass er für einen entsprechenden Befehl zum Abschuss eines solchen Flugzeugs nicht nur zuständig ist, sondern auch ein zumindest übergesetzliches Notstandsrecht auf seiner Seite hätte. Dadurch werde ein entsprechendes Handeln zum einen politisch legitimierbar. Zugleich könne ihn ein solches übergesetzliches Recht persönlich für diese Anweisung und die diesen Befehl schließlich ausführenden Soldaten von einer rechtlichen Sanktionierung freihalten. Eigentlich wäre ihm eine gesetzliche Lösung des Problems durchaus angenehmer ; eine solche scheint jedoch einerseits politisch derzeit nur schwer durchsetzbar und nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 III Luftsicherheitsgesetz (BVerfGE 115, 118) andererseits auch rechtlich kaum formulierbar (vgl. dazu oben S. 276ff.).

1 Dazu M. Ladiges, Bekämpfung, 517f. m.N. zur anschließenden Diskussion dieser Aussage.

388

I.

Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg

Terrorismusbekämpfung – zwischen Politik und Recht: Variationen zu Carl Schmitt

Der Hinweis auf eine in solchen Situationen vorliegende Notstandslage, aus der sich eine rechtliche Befugnis zum Abschießen eines gekaperten Flugzeugs ergebe, mag bereits auf eine für Politiker bemerkenswert juristisch anmutende Argumentation hindeuten, die keineswegs selbstverständlich ist. Jenes Übergesetzliche soll sich immerhin wohl noch im allgemeinen Rahmen des Rechtlichen befinden bzw. einer entsprechenden Regel folgen. Es darf dabei nicht auf einen Zustand völliger Rechtlosigkeit verweisen, in dem alles Mögliche – und nicht nur das rechtlich Zulässige – wirklich werden darf. Schließlich gehe es um ein ›Recht des übergesetzlichen Notstands‹ und nicht nur um eine machtgeschützte Möglichkeit, notfalls auch jenseits rechtlicher Normhoheit zu handeln. In primär politisch dominierten Diskursen ist in den letzten Jahren nämlich nicht nur auf in diesem Sinne über-gesetzliche, sondern vermehrt auf ganz und gar außer-rechtliche Begründungsstrategien gesetzt worden, um derartige Extremsituationen irgendwie lösen zu können. Insofern hat sich neben dem juristischen Diskurs eine politische Problembehandlung etabliert, die es in existentiellen Extremlagen mit den rechtlichen Schranken staatlicher Reaktionen nicht so genau nehmen möchte; sie verspricht vielmehr, den eigentlich politischen Kern, der sich in Konstellationen dieser Art verborgen hält, unmittelbar freilegen zu können. In dieser Unmittelbarkeit einer politisch motivierten Problemlösung soll auf die mannigfachen Vermittlungen und Rücksichtnahmen einer juristischen Interpretation eines solchen Geschehens verzichtet werden können. Dazu sollten die Fälle dieser Art in einer Dimension des Politischen ausgelegt werden. In Terrorakten dieser Größenordnung symbolisiere sich nämlich weit mehr als nur ein gewaltiges Verbrechen. Mit der juridischen Vernunft allein sei dieses Phänomen der terroristischen Gewalttat nicht zu fassen. Deshalb müsse auch die Reaktion die Symbolik des Politischen durch ein deutlich sichtbares Machtsignal spiegeln. Während sich die juridische Urteilskraft mit allzu viel Bedenken plagt, die ihre Handlungsmöglichkeiten hemmt, müsse an deren Stelle die Tatkraft der Politik treten, um ein offensichtliches Problem aus der Welt zu schaffen.

Terrorismusbekämpfung – zwischen Politik und Recht

1.

389

Über einen angeblichen Vorrang der Politik in Ausnahmesituationen

In diesem Zusammenhang wird immer wieder gern auf die umstrittenen Lehren von Carl Schmitt angespielt.2 Nicht zuletzt die intensive Auseinandersetzung bzw. Einbeziehung seiner politischen Vorstellungen durch so prominente Autoren wie Jacques Derrida, Giorgio Agamben und Chantal Mouffe lassen dessen Positionen in den Salons der aktuellen politischen Philosophie wieder hoffähig erscheinen (vgl. dazu oben S. 176 m.N.). Schmitt hat die wohl radikalste Version der These vom Vorrang des Politischen gegenüber dem Recht – zumindest in extremen Problemkonstellationen – vertreten, obwohl er dies in seinen eigenen Anfängen noch anders gesehen hatte. In seinem 1914 erschienenen Buch ›Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen‹, das zwei Jahre später als Habilitationsleistung angenommen worden ist, hat er die Relation – ›politische Macht – Recht‹ – noch auf andere Weise zu justieren versucht und ausdrücklich von einem »Primat des Rechts vor der Macht« und vor dem Staat gesprochen.3 Schmitt gilt vielen als ausgewiesener Experte bezüglich der Frage des politischen Handelns jenseits des Rechtsstaates; daher wird bei ihm nachgefragt, wenn es um Operationsmöglichkeiten außerhalb rechtsstaatlicher Grenzen geht, denn eine kompetente Antwort auf diese Problemstellung wird nur jemandem zugetraut, dessen eigenes Denken in jenem ›Jenseits‹ vermutet wird, auch wenn man sich damit selbst auf gefährliches Terrain begeben muss. Diese Konstellation der Befragung eines Mannes, der eigentlich für gefährlich gehalten wird, aber ebenso für kompetent, eine Problemlösung bieten zu können, hat Barbara Boyd offenbar dazu veranlasst, Carl Schmitt als den »Hannibal Lector der modernen Politik« zu bezeichnen.4 Ähnlich wie in dem berühmten Roman von Thomas Harris (›Das Schweigen der Lämmer‹) wendet man sich an ein wahnsinniges Genie (oder einen für genial gehaltenen Wahnsinnigen) um den akuten Wahnsinn besser verstehen und bewältigen zu können. Der unfassbare Irrsinn des Terrorismus lasse sich nur mit dem Gegenfeuer einer vergleichbar zur bloßen Machtdemonstration verirrten Politik bekämpfen. Mit Recht allein lasse 2 Zur international anhaltenden und sich quer durch die traditionellen politischen Lager ziehende Schmitt-Rezeption siehe z. B. die Übersichten von A. Norris, Political Theory 33 (2005), 887ff.; P. C. Caldwell, Journal of Modern History 77 (2005), 357ff.; J. P. McCormick, Annual Review of Political Science 10 (2007), 315ff.; J.-W. Müller, Ein gefährlicher Geist, bes. 229ff.; P. Gottfried, Telos 142 (2008), 185ff. sowie die Beiträge in den jeweils von Rüdiger Voigt herausgegebenen Sammelbänden ›Der Staat des Dezisionismus‹ (2007) und ›Ausnahmezustand‹ (2013) – jeweils m.w.N. 3 C. Schmitt, Der Wert des Staates, 42f./50ff.; dazu eingehend H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 44ff.; M. Nicoletti, in: Complexio Oppositorum, bes. 114ff.; G.L. Ulmen, Politischer Mehrwert, 110ff.; A. Koenen, Der Fall Carl Schmitt, bes. 467; R. Groh, Heillosigkeit der Welt, 74ff.; R. Mehring, Der Staat 43 (2004), bes. 2ff. 4 Zitiert nach A. de Benoist, Carl Schmitt, 99 Anm. 8.

390

Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg

sich jedenfalls nichts dagegen ausrichten. Im Kampf gegen den globalen Terrorismus stoße jede innerrechtliche Lösungsmöglichkeit an ihre Grenze. Eben diese Grenzerfahrung müsse theoretisch darstellbar sein. Carl Schmitts Theorien sollen sich zu diesem Zweck besonders gut eignen. Nach dessen Grundanschauung gibt es gelegentlich Situationen, in denen die Regelungsmöglichkeiten des Rechts an Grenzen stoße, die es zu übersteigen gelte; dann müssten die rechtsstaatlichen »Hemmungen der Staatsgewalt« gelöst werden, um das »System politischer Aktivität« entfesseln zu können.5 Nur eine im Extremen ungehemmte Macht der Politik könne die Sicherheit des staatlichen Gefüges in einer solch bedrohlichen Lage noch gewährleisten. Dahinter verbirgt sich ein bestimmtes Bild eines nationalen Staatskörpers, in dem die wahrlich unabdingbaren von den notfalls entbehrlichen Bestandteilen sichtbar unterschieden werden können. Darin ist dann die Sicherung des eigenen Überlebens als dessen Hauptanliegen vorgesehen. Hinter diesen Primärzweck der staatlichen Selbstsicherheit müssen zur Not auch sämtliche normativen Bedenken zurücktreten. Insofern interessiert Schmitt weniger die Theorie des Staates als einer rechtlich verfassten Organisationsform als vielmehr der Begriff des Staates als ein von einer Volksgemeinschaft belebter Organismus.6 Der Ausdruck ›Staat‹ mag zwar auch als Name einer juristischen Person fungieren, deswegen sei er jedoch noch keineswegs exklusiv auf diese rechtliche Verfasstheit beschränkt. Der Staat als Begriff stehe vielmehr für eine naturhaft verkörperte Ganzheit und genieße durch seine lebhaft politische Verkörperung stets Vorrang vor dem Recht. Schmitt stellt sich mit dieser Meinung in die stattliche Tradition der deutschen Staatslehre, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wohl durchaus herrschende Auffassung gewesen ist.7 In diesem ›Corpus-Modell‹8 des Staates fungiert das Politische als eine Art sensibles Nervenkostüm, das durch auftretende Gefahren umgehend zu geeigneten Abwehrreaktionen gereizt werde. Rechtliche oder moralische Schranken zu bedenken, birgt manchmal Risiken für das organische Fortbestehen. In existentiellen Notlagen erweise sich dabei das Recht und die Moral als Hindernis einer aktionsbereiten Politik, die sich stets noch eine Hintertür zu dem vorrechtlichen bzw. rechtlosen Naturzustand offen lässt, in dem dann wieder allein

5 C. Schmitt, Verfassungslehre, 110; zur Unterscheidung zwischen ›rechtsstaatlichen‹ und politischen Bestandteilen einer modernen Verfassung, die prinzipiell unabhängig voneinander seien, s.a. ebenda, S. 125ff., bes. 200ff. bzw. 223ff.; vgl. dazu M. de Wilde, Political Theory 34 (2006), bes. 512f. 6 Vgl. zu Schmitts Staatsverständnis i.d.S. A. Koenen, Fall Carl Schmitt, 805ff. 7 Siehe dazu etwa V. Neumann, Der Staat 47 (2008), bes. 164ff. m.N. 8 Zu einigen – in der politischen Theorietradition beliebten – Varianten dieser Metapher s.a. N. Luhmann, Ökologische Kommunikation, 167ff.

Terrorismusbekämpfung – zwischen Politik und Recht

391

das nackte Überleben zählt.9 Die ungebundene politische Handlungsfähigkeit bildet darin das überlebensnotwendige Zentrum eines sozialen Gefüges. Dieses Zentralorgan müsse über das Vermögen verfügen, sich zur Not von anderen Teilen zu trennen, um die Selbsterhaltung in prekären Lagen zu sichern. Zu diesen peripheren Gliedern des Staatswesens soll dabei auch das Recht zählen, dessen sich die Politik in daseinsbedrohenden Notlagen entledigen könne. Diese aus der Tierwelt bekannte Fähigkeit der Autotomie wird dabei von der Hoffnung getragen, dass sich die abgeworfenen Teile in besseren Zeiten wieder regenerieren mögen. Der i.d.S. ›auto-tome‹ Staat soll sich in Ausnahmefällen seiner Rechtsteile entledigen können, da dieser normative Schweif die Bewegungsmöglichkeiten und die Reaktionsgeschwindigkeit des politischen Körpers zu sehr einschränken würde. Das Recht vermag das Politische in gewisser Hinsicht zu lähmen, weil es bestimmte Handlungsoptionen blockiert, die ohne die normierte Selbstbindung gezogen werden könnten. In dieser Sicht unterbindet nämlich eine rechtliche Normierung die Flucht in die Entscheidung politischer Willkür. Recht soll ja gerade die Verlässlichkeit normativ bestimmbarer Verhaltenserwartungen garantieren und insbesondere die Staatshandlungen berechenbar gestalten. Eben diese Berechenbarkeit mag sich dann aber als Nachteil erweisen, wenn sich nicht kalkulierbare Risiken für die Substanz des Staatskörpers einstellen, die sich nur noch durch politische Spontanreaktionen beseitigen lassen. Eine solche Vorstellung von einem primär als politisches Handlungssystem bestehenden Staatsorganismus, der von seiner Bewährungsfähigkeit in Extremlagen her gedacht werden sollte, hat Schmitt erstaunlich wirkungsmächtig gegen das Bild von einem liberalen Rechtsstaat in Stellung gebracht. In diesem Gegenmodell eines Rechtsstaats soll nämlich gerade die auch in der politischen Not durchzuhaltende rechtliche Verfasstheit das nicht unwillkürlich agierende Nervenzentrum bilden. Darin macht das Recht gleichsam Kopf und Rückgrat des staatlichen Gebildes aus. Während für den rechtsstaatlichen Liberalismus ein Rückfall in den Naturzustand nach Kräften vermieden werden soll, bleibt diese Rückzugsmöglichkeit für Schmitt eine unentbehrliche politische Verhaltensressource. Dadurch soll nicht zuletzt jene Gründungsvoraussetzung des Rechtsstaats, nämlich die Vermeidung eben jener naturzustandshaften Rechtlosigkeit, die allzu oft in Vergessenheit zu fallen droht, tätig in Erinnerung gerufen werden. Die naturhaften Begründungselemente bleiben auf diese Weise jeder politischen Gemeinschaftsordnung sichtbar ins Gesicht geschrieben. Die Politik soll ihr rechtloses Gewaltpotenzial vorführen, um den gewalttätigen Ur-Grund des Rechts aufzei-

9 Vgl. dazu auch K. Gierhake, Zusammenhang, 144f.

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Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg

gen zu können.10 Das Politische bleibt in dieser Vorstellung das zentrale Handlungssystem einer staatlich verfassten Gesellschaft; es beansprucht, zumindest zur Not die Einheit des Staatsganzen repräsentieren zu können, in dem durch politische Entscheidungen die Verantwortung für den sozialen Gesamtzusammenhang übernommen werden könne.11 Daraus folgt für Schmitt insbesondere, dass das Recht in manchen Notfällen seinen Platz als allgemeine Regelungsinstanz räumen muss, damit die Entscheidungshoheit der Politik an seine Stelle treten kann. Die allgemeine Geltung der Gesetze, die für die Normallage anerkannt sein mag, muss für ihn unter besonderen Bedingungen suspendiert werden. Die normative Kraft rechtlicher Regelungen vermag demnach nämlich nur für das Normale verbindlich sein. Innerhalb einer Normallage ergibt sich ohnehin fast alles zwanglos aus der Subsumtions-Logik des Rechts. Im Rahmen des syllogistischen Schließens geht nämlich alles wie von selbst: wenn die Prämissen bestimmt sind, folgt daraus mehr oder weniger zwingend eine nachvollziehbare Konklusion. Für manche schimmert hier sogar das Ideal einer mathematischen Gewissheit hervor, an dem sich die juristische Syllogistik messen möge. Ähnlich wie ein Mathematiker bei seinen Berechnungen solle sich auch ein Richter bei seinen Urteilen auf die Anwendung gesetzlicher Formeln beschränken. Ein perfekter Ablauf der Rechtsanwendung kann zwar durch eine stets unsicher bleibende Kenntnis der Tatsachen oder eine umstrittene Auslegung der Gesetze getrübt werden. Diese Trübungen gelten jedoch als unvermeidbare Schwächen menschlicher Erkenntnisfähigkeit, für die weder das unangewandte Recht noch die unerkannte Realität als solche zugänglich seien; daher werden Gerechtigkeit und Wahrheit nicht mehr als reine Allgemeinbegriffe gehandelt. Wenn überhaupt dann gibt es das Rechte und das Wahre nur in concreto als Einzelfallgerechtigkeit und als singuläre Erkenntnis, die stets an historische Bedingtheiten und spezifische Umstände gebunden bleiben, deren Kontingenz entlarvt werden könne. Die kognitiven bzw. dogmatischen Unschärfen können jedoch der Grundvorstellung des syllogistischen Schließens nichts anhaben. Das Recht hat in einer abstrakten Form die Lösung eines konkreten Konfliktfalles immer schon vorab entschieden; diese normative Vor-Entscheidung muss gleichsam nur noch von den dafür zuständigen Gerichten ›gefunden‹ werden. Die Richter sind dabei stets an Recht und Gesetz gebunden, mögen sie auch in der Würdigung der Sachlage und Rechtsfrage frei sein; das richterliche Urteilen 10 Zur liberalismuskritischen Argumentationsweise der politischen Philosophie von Carl Schmitt (und Leo Strauss): L. Scholz, in: Die gouvernementale Maschine, bes. 171ff. Zu einigen philosophiehistorischen Variationen einer solchen Rechtsgrundlegung, die in der Verbindung von Gewalt und Gerechtigkeit bestehen soll, s.a. G. Agamben, Homo sacer, 41ff. 11 Zu den theoretischen Prämissen einer solchen Idee einer Leitfunktion der politischen Theorie siehe allgemein A. Kieserling, Selbstbeschreibung, 177ff.

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ist daher kaum mehr als ein kunstgerechtes Umsetzen eines kognitiven Dispositivs. Rechtliche Entscheidungsprozesse bleiben insoweit dem Bild einer theoretischen und praktischen Erkenntnis verpflichtet, d. h. dem Wissen um einen Sachverhalt und eine darauf anzuwendende Norm unterworfen. In einer solchen Unterwerfung einer jeden verantwortlichen Entscheidung unter das Wissen sieht der tschechische Philosoph Jan Patocka das Erbgut des platonistischen Rationalismus walten, d. h. »das platonische Bestreben, auch die Verantwortung der Objektivität der Erkenntnis zu unterwerfen«, das auch noch »im Untergrund der christlichen Auffassung« weiterwirke.12 Dieser auf das Primat der theoretischen Erkenntnis ausgerichtete Platonismus, der sich über die Theologie und Philosophie des Christentums über das Mittelalter bis in die Moderne erstrecke, beherrsche damit noch immer das Denken des westlichen Abendlandes.

2.

Probleme mit der Entscheidungsfindung

Dieses geistesgeschichtlich verankerte Verständnis von einer erkenntnisabhängigen Entscheidungsfindung läuft jedoch unweigerlich auf eine Paradoxie hinaus. Paradoxien entstehen immer dann, wenn zwei für sich leicht einsehbare Grundannahmen beim Versuch, sie in eine einheitliche Form zusammen zu führen und gemeinsam zu denken, plötzlich keine von beiden annehmbar erscheinen. Wenn nämlich das Resultat einer solchen Subsumtion tatsächlich schon vorfindbar sei, dann wäre das Urteil als solches nicht mehr ent-scheidend; der Entscheidungsträger mag für das Urteil zwar formal zuständig sein, aber in der Sache ist er nicht allein verantwortlich. Insofern er sich auf die geltenden Normen berufen kann, aus denen das Ergebnis abgeleitet wird, steht die Entscheidung im Grunde schon vor der Entscheidung fest. Gerade der soeben erwähnte Vergleich mit der Mathematik lässt das Paradoxe der Redeweise von einer juristischen Entscheidung deutlich werden. Wenn das syllogistische Verfahren der Rechtsanwendung einer mathematischen Berechnung gleichen soll, dann erscheint es widersprüchlich zu behauptet, der Rechtsanwender entscheide sich für die richtige Entscheidung – ebenso wäre es seltsam zu sagen, ein Mathematiker entscheide sich am Ende seiner Berechnung für die richtige Lösung. Sollte eine juristische Subsumtion ähnlich ablaufen, dann muss die Entscheidung schon in dem Schlussverfahren selbst schon enthalten sein. 12 J. Patocka, Ketzerische Essais, bes. 136. Vgl dazu und zur allgemeinen geistesgeschichtlichen Grundlage auch Jacques Derrida, Pr¦jug¦s, 23f.; ders., in: Gewalt und Gerechtigkeit, 334ff./ 352ff., der hieran eine der Aporien von Verantwortung, Recht und Gerechtigkeit herausarbeitet; hierzu wiederum D. Krauß, Politik der Dekonstruktion, 181ff.

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In Franz Kafkas Roman ›Der Prozess‹ wird dies an einer Stelle durchaus angemessen beschrieben: »das Urteil kommt nicht mit einemmal, das Verfahren geht allmählich ins Urteil über« (S. 180). Das Urteil markiert bloß das formelle Ende eines Verfahrens, zu dem es aber immer schon gehört. Die Entscheidung wird zwar erst am Schluss und als Abschluss eines Prozesses präsentiert, sie muss aber an sich schon im Verfahren präsent sein, sonst könnte sie nicht daraus resultieren. Das Urteil ergibt sich aus dem vorliegenden Sachverhalt und den geltenden Normen, die im Prozess nur noch aufeinander bezogen werden müssen. Der Entscheidungsprozess enthält bereits, was er hervorbringt und doch geht es niemals ohne Zutun eines Urteilenden. Keine Entscheidung trägt sich selbst von allein; sie wird als eine Leistung des zuständigen Gerichts erwartet. Ein Urteil darf indes weder als willkürliches Entscheidungsverhalten verstanden noch kann es als bloßes Geschehen erlebt werden; es ist weder nur Handlung noch ein schieres Ereignis, dessen Eintreffen nur noch abgewartet zu werden braucht.13 In diesem Sinne ist auch für Michel Foucault jede Form von Erkenntnis insgesamt sowohl »ein Ereignis«, »das stattfindet«, als auch in »Gestalt diverser unterschiedlicher Handlungen« auftritt.14 Die deutschen Worte ›Ur-teilen‹ und ›Ent-scheiden‹ führen einen unverkennbar aktivischen Sinn mit sich und werden doch auch als Passiva empfunden. Dies wird sichtbar, wenn die Betonung darauf gelegt wird, dass ein Urteil gefällt und eine Entscheidung gefunden wird. Eine Entscheidung wird zwar den beteiligten Richtern als deren Tun zugerechnet, sie ist aber dennoch nicht allein deren Tat oder Werk im Sinne gewöhnlicher Handlungszurechnungen. Im Rahmen solcher Imputationen dürfen etwa der Wille, die Interessen, Intentionen und Motive der Handelnden eine Rolle spielen, während solch subjektive Momente bei der Betrachtung einer Urteilsfindung ausgeblendet bleiben sollen. Allenfalls rechtliche Zwecke sollten bei der Beschreibung eines richterlichen Entscheidungsverhaltens Beachtung finden. Juridisches Urteilen ist demnach also ein Vorgang, bei dem sich die theoretischen und praktischen Momente nicht vollständig neutralisieren lassen; es beschreibt vielmehr einen Prozess, in dessen Vollzug sich Erkennen und Handeln nicht in der üblichen Weise sauber unterscheiden. Richter sind keine Subsumtionsautomaten, die ein Urteil ohne jede Eigenbeteiligung auswerfen könnten; insofern lässt sich das Subjekthafte einer Entscheidung niemals restlos tilgen, auch wenn sie als objektive Er13 Zur Unterscheidung zwischen Erleben und Handeln als den zwei üblichen Zurechnungsweisen siehe etwa N. Luhmann, in: H. Lenk (Hg.), Handlungstheorien interdisziplinär II, bes. 237; ders., Soziale Systeme, 124ff.; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 332ff., bes. 335. 14 M. Foucault, Wahrheit, 25f. (Zitate S. 26); er nennt zudem anhand einer Genealogie von Wissensformen verschiedene Arten der Verbindung beider Seiten juridischer Entscheidung (bes. 52ff.).

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kenntnis dargestellt werden soll. Die Anwendung eines Syllogismus im Recht ist eben keine reine Logik, in deren Kalkül von der Person des Anwenders abstrahiert werden kann. Dennoch legt das gewöhnliche Verständnis richterlicher Entscheidungsfindung, das Schmitt kritisieren möchte, nahe, dass sich die Welt gleichsam wie von selbst in Recht und Unrecht teile. Danach werde die Unterscheidung nicht mehr getroffen, sondern schlicht abgelesen. Dann existiert letztlich kein Unterschied zwischen einer Entscheidung und der bloßen Kenntnisnahme einer bereits getroffenen Vor-Entscheidung; Urteilen wird folglich zwar als eine Art Handeln – als tätiges Unterscheiden – beschrieben, aber zugleich als Wissen verstanden. Das Grundmodell einer juristischen Normanwendung suggeriert somit Gegenläufiges: es verspricht einerseits einen kontinuierlichen Zusammenhang zwischen einem Urteil und der Sachverhaltskenntnis samt der darauf angewendeten Rechtsnormen, andererseits spielt es mit dem Gedanken, dass vor der Entscheidung des Einzelfalles noch kein Rechtsurteil da sei, d. h. der normative Kontext erst mit der konkreten Entscheidung geknüpft werden müsse. Insofern bestehe noch ein wesentlicher Unterschied zwischen einer abstrakten rechtlichen Regelung und der fallbezogenen Anwendung. Im Ablauf dieser Schlussfolgerungen bleibt jedenfalls kein Platz für echte Entscheidungsmomente, in denen sich das genuin Politische des Staates platzieren könnte.15 Wie beim logischen Denken generell so ist es auch bei der Anwendung des juristischen Syllogismus kaum möglich, Besonderheiten oder gar Extreme zu berücksichtigen, die aus dem Rahmen des (Formal-)Logischen des Normalfalles herausfallen. Juridische Urteilskraft ist insofern nicht mehr als die kunstgerechte Anwendung einer Schluss-Technik, die jedoch in normativ unbestimmten Situationen versagen muss, in denen sich nämlich die Wirklichkeit vollkommen anders verhält als rechtlich vorgesehen. In echten Not-Lagen soll dann selbst die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht nicht möglich sein, da sie aus dem rechtlichen Rahmen ganz heraus zu fallen droht. Um das Risiko derart nicht-normierter Umstände minimieren zu können, wird der moderne Rechtsstaat von einer Regelungs-Wut angetrieben, die den Ehrgeiz signalisiert, möglichst an alle erdenklichen Fallkonstellationen zu denken, um sie normativ überziehen zu können. Wer an alles gedacht hat, dürfte nicht mehr von Ausnahmen überrascht werden können. Doch diese Rechnung geht offensichtlich nicht auf. Immer wieder wird das Recht mit etwas Unvorhersehbaren und NichtRegelbaren konfrontiert. Zu den Grundvoraussetzungen der normalen Rechtslage wird gewöhnlich auch die rechtsförmige Durchsetzbarkeit der Rechtsurteile gerechnet. Geltendes 15 Zu Schmitts eigenem Entscheidungsbegriff und seiner Genese siehe eingehend P. Villas Boas Castelo Branco, Die unvollendete Säkularisierung, 19ff./58ff.

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Recht muss auch wirksam werden können. Denn nur solange die Geltung des Rechts nicht nur im Buche steht, sondern auch faktische Durchsetzung verspricht, soll von einer wirklichen Rechts-Ordnung gesprochen werden dürfen. Wenn diese Wirksamkeit des rechtlichen Sollens jedoch ernsthaft bedroht ist, dann kann das Recht den eigenen Regelungsanspruch nicht mehr allein garantieren, da die Orientierung an rechtlichen Entscheidungen keine normativ verbindliche Verhaltensorientierung gewährleisten kann. Dann schlägt die Stunde der Politik. Jenseits der rechtlichen Normalität soll sich dann die Entscheidungsmacht des Politischen behaupten. Andernfalls droht dort sonst Chaos auszubrechen, das nicht mehr mit Recht geregelt werden kann, sondern mit Macht beherrscht werden muss. Während sich das rechtsstaatliche Denken am Buchstaben des Gesetzes festgebunden glaubt und darauf achten muss, dass die vor jeder Konfliktsituation ausgesprochenen Garantien des Rechts beim Wort genommen werden können, erlaube eine ergebnisoffene Handlungsvielfalt der Politik die notwendige Flexibilität. Das Politische gibt – im Gegensatz zum Recht – nicht vor, auf konfligierende Interessen oder Willkürfreiheiten unbedingt zu achten bzw. ihre Eigenarten zu wahren, um sie gegebenenfalls in ein Gleichgewicht bringen zu können. Es stellt vielmehr vorab in Aussicht, reale Probleme – notfalls einseitig und ohne Rücksichtnahmen auf bestehende Rechtspositionen der Einzelnen – tatsächlich lösen zu können, statt sie nur im Nachhinein zu be-urteilen. Lösungen dieser Art befinden sich nicht im Recht, sondern außerhalb und in diesem Außen regiert der politische Überlebenskampf. Die Politik beansprucht in dieser Hinsicht eine gegenüber dem Recht vorläufige Problemlösungskompetenz, die bestehende oder drohende Konflikte frühzeitig beseitigen soll, während sich die rechtlichen Beurteilungsmöglichkeiten mit einer nachholenden Suche nach Rechts-Folgen begnügen müsse. Politische Entscheidungsmacht schafft vorzeitig Fakten in Konfliktsituationen, in denen das juridische Urteilsvermögen lediglich verspätete Konsequenzen ziehen kann.

3.

Politische Souveränität als Ausnahmeerscheinung?

Das Befinden über die Befreiung von der rechtlichen Regelhaftigkeit ist für Schmitt bekanntlich der Ausdruck politischer Souveränität. Dementsprechend lautet seine berühmt-berüchtigte Definition am Anfang seiner erstmals 1922 erschienenen ›Politischen Theologie‹:16 »Souverän ist, wer über den Ausnah16 Zu verschiedenen Versionen von Schmitts Souveränitätsverständnis vgl. H. Quaritsch, Der Staat 35 (1996), 1ff.; R. Cristi, in: Law as Politics, 179ff.; W. Rasch, Theory, Culture & Society 17/6 (2000), 1–32, bes. 2ff.

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mezustand entscheidet«17. Souveränität offenbart sich nur durch die erfolgreich praktizierte Entscheidungsmacht. Daraus folgt dann wohl umgekehrt: wer diese Entscheidung – warum auch immer – nicht fällen kann, kann nicht souverän sein. Im Normalbetrieb braucht der Staat offenbar gar keinen Souverän, denn dann funktioniert der normale Modus des Rechts. Erst mit der Ausnahme entscheidet sich die Frage nach der Souveränität wie von selbst. Souveränität ist insofern keine fixe – theoretische – Eigenschaft eines Entscheidungsträgers, sondern beweist sich erst durch die Praxis der Entscheidung über die Ausnahme. Echte politische Souveränität soll sich dabei nichts vorschreiben lassen – auch nicht vom Recht oder von der Moral. Politische Entscheidungsvielfalt möchte sich selbst durch rechtliche Gesetzmäßigkeit nicht determinieren lassen. Die normative Indeterminiertheit des Politischen tritt dann an die Stelle der liberalen Vorstellung von der gesetzlichen Neutralität des Rechts, das sich stets für alle Fälle quasi wie von selbst anwenden soll, indem es jeden Einzelfall durch allgemeine Normen überformt.18 Der Ausnahmezustand soll laut Schmitt dabei »für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie« haben, denn ebenso wie ein Wunder theologisch als die »eine Ausnahme statuierende Durchbrechung der Naturgesetze« bedeute, durchbreche die souveräne Ausnahmeentscheidung die Ordnung menschlicher Gesetze (Politische Theologie, 43). Offenbar soll der an das Recht glaubende Mensch beim Eintritt der Ausnahme ähnlich staunen wie der Gläubige im Erleben eines wunderbaren Ereignisses. Allerdings erleben einige doch eher ein ›blaues Wunder‹, sobald es zum Ausnahmezustand kommt. Politische Souveränität leistet sich in dieser Konzeption demgemäß selbstbezogene Einseitigkeit statt rechtliche Gleichheit vor dem Gesetz. Die souveräne Entscheidung nimmt nämlich die »konkrete Individualität, die soziale Wirklichkeit des Lebens« in den Blick, die »in jedem umfassenden System« rechtsstaatlicher Gesetzlichkeit »vergewaltigt« werde, denn nach dem liberalen Rechtsverständnis innerhalb der Tradition der rationalistischen Aufklärung sei »alles Konkrete nur ein Anwendungsfall eines generellen Gesetzes«.19 Deshalb habe der »Rationalismus der Aufklärung … den Ausnahmefall in jeder Form« verworfen (Politische Theologie, 43). Ausgerechnet die Rationalität einer universalisierbaren Rechtsidee soll der individuellen bzw. vergesellschafteten Welt Gewalt antun. Wer mit dem Recht im Namen der Allgemeinheit reden möchte, vernachlässige beinahe zwangsläufig das Besondere der politischen Vielfalt. Das 17 C. Schmitt, Politische Theologie, 11; ähnlich bereits ders., Die Diktatur, 191. Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Beschreibung des Ausnahmezustandes in diesen beiden Werken vgl. J. P. McCormick, in: Law as Politics, bes. 226ff. 18 Zu dieser Gegenüberstellung von politischer Souveränität und rechtsstaatlicher Neutralität bei Schmitt s.a. C. Menke, Spiegelungen, 300ff. 19 C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 79/55.

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Universelle könne aber nicht jedem Einzelfall gerecht werden; es sind jedenfalls Konstellationen denkbar, die den Vergleich mit der generellen Norm scheuen. Einer Einstellung zum Recht, die sich dem ausnahmslosen Verweilen beim Abstrakt-Generellen verschrieben habe, attestiert Schmitt eine Art Lebensuntauglichkeit gegenüber den Erfordernissen der konkret-individuellen Realität des Politischen. Wer sich strikt an das Allgemeine des Normalen halten möchte, werde an manchen Besonderheiten des Konkreten einer Lebenswirklichkeit scheitern, die sich in einigen Fällen dieser Generalisierung des Rechtsdenkens verweigert. Es lässt sich eben niemals alles generell regeln, manches entzieht sich der Verallgemeinerung. Just im Moment des Entzugs des Regelbaren entsteht jenes Vakuum, in das die Entscheidung über die Ausnahme eingesogen wird, um die normative Leere auszufüllen. Das Singuläre, das sich aus der rechtlichen Gleichmäßigkeit herausschält, bedürfe einer besonderen Behandlungsart; hierfür könne nicht mehr die Norm, sondern nur noch eine politische Ausnahmeentscheidung zuständig sein, die jene Gewalt des Allgemeinen über das Besondere unterbricht. Dabei geht es Carl Schmitt um das tatsächlich politisch durchsetzbare Können und nicht etwa um das rechtliche Dürfen einer solchen Entscheidung über die Ausrufung eines Ausnahmezustandes. Der Souverän braucht hierfür keine irgendwie geartete Erlaubnis, die normativ gebunden wäre. Nicht die Befugnis zu zwingen soll begründet werden, sondern die machtsichernde Stabilisierung des staatlichen Gewaltmonopols müsse in diesen Fällen schlicht demonstriert werden. Im politischen Jenseits des positiven Rechts thront das quasi-natürliche Selbsterhaltungsinteresse des Staates, das für Schmitt offenbar keiner weiteren Legitimation bedarf. Es soll nämlich als dessen ›Vor-Recht‹ immer dann in Kraft treten, wenn es gilt, die Regelung des Normalfalls ausnahmsweise zu umgehen; in solchen Extremlagen werde demnach ein Ursprungsmoment jeder Rechtsordnung tätig in Erinnerung gerufen. In diesem Sinne hatte schon Walter Benjamin in Anlehnung an George Sorel an die »metaphysische Wahrheit« erinnert, dass »in den Anfängen alles Recht ›Vor‹recht der Könige oder der Großen, kurz der Mächtigen gewesen sei«.20 In diesem Sinne gilt für Schmitt: »In der höchsten Not bewährt sich das höchste Recht«, das »aus dem Lebensrecht des Volkes« stamme (Deutsche Juristen-Zeitung 1934, Sp. 947). Dieses Volks-Überlebensrecht steht in keinem Gesetzbuch, es soll schon vor aller positiven Rechtsordnung bestehen und insbesondere in Notlagen aufleben. In solchen Ausnahmesituationen müsse »der Staat bestehen« bleiben, »während das Recht zurücktritt« und die in der Regel geltende »Norm vernichtet« werde, denn ohne das staatlich verfasste Substrat wäre letztlich auch das Recht verloren; daher »suspendiert der Staat das Recht, 20 W. Benjamin, Kritik der Gewalt, 58. Siehe hierzu auch G. Figal, in: Materialien, 167/175ff.

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kraft eines Selbsterhaltungsrechtes«. Der Staat als solcher aber soll selbst ohne (geltendes – gesetztes) Recht bestehen können. An die Stelle der Rechtsnorm tritt dann eben »das selbständige Moment der Entscheidung«, eine »Dezision, in absoluter Reinheit«, denn sie sei von jeder normativen Befangenheit befreit »und wird im eigentlichen Sinne absolut«. Die Dezision wird von aller normativen Verbindlichkeit gelöst und unterscheidet sich dadurch von einer regelgebundenen Entscheidung im Recht. Dabei bringt dieser Akt der Souveränität gleichsam das Kunststück einer ›creatio ex nihilo‹ fertig, indem er aus NichtRecht am Ende doch wieder spontan Recht zu schaffen vermag. In dieser Absonderung der souveränen »Entscheidung von der Rechtsnorm« beweise nämlich »(um es paradox zu formulieren) die Autorität …, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht«, denn die (Ausnahme-)Entscheidung »ist, normativ betrachtet, aus einem Nichts geboren« (Politische Theologie, 18f./ 20/42).21 Dennoch soll diese von aller moralischen und rechtlichen Kontaminationen gereinigte Dezision auch in normativer Betrachtung durchaus nicht Nichts sein oder bleiben. Am Ende sie doch wieder zum Rechtszustand zurückführen. Über den Umweg einer autoritären Außer-Kraft-Setzung soll die Suspendierung des Rechts letztlich doch wieder der Rechtssetzung dienen. Ausgerechnet durch den Verrat an der Geltung des Rechts soll das Normale der Rechtslage anerkannt und bekräftigt werden können. Der Staat gönnt sich gleichsam nur deshalb eine normative Auszeit, um seine naturhaften Selbsterhaltungskräfte konzentrieren und regenerieren zu können, die letztlich jeder Form von Ordnung und somit auch dem Recht zu Grunde liegen sollen. In der politisch dekretierten Zwischenzeit bleibt die Norm in der Schwebe. Souverän ist daher derjenige, der an den Hebeln der Macht sitzt und darüber wacht, ob die normale Subsumtions-Mechanik der Rechtsanwendung wieder in Gang gesetzt wird oder nicht. Hierin liegt für Schmitt gleichsam der Anschein des Göttlichen, der ihn von ›Politischer Theologie‹ reden lässt, da aus einer radikalen Negation des Rechts eine positive Quelle des Negierten entspringt. Wenn aus dem Nichts (dem Zustand der Nicht-Rechtlichkeit) doch wieder neues Recht geschöpft werde, dann zeugt dies von einer quasi-göttlichen Schöpferkraft des Souveräns. Die Suspendierung des Rechts ist für das Recht nicht etwa bedeutungslos, da die politische Dezision zugleich den Schöpfungsakt für das Recht nach dem Ausnahmezustand markieren kann. Die Geltung der Rechtsnorm wird suspendiert, um das zu retten, was geopfert wird, nämlich die normative Ordnung des Rechts. Die vorübergehende Rechtlosigkeit soll folglich doch die Wieder-Erschaffung eines 21 S.a. Schmitts Kennzeichnung seines » ›Dezisionismus‹ « in seinem Buch ›Der Hüter der Verfassung‹, bes. 46. Zu einigen historischen Vorläufern dezisionistischer Theorien vgl. H. Lübbe, Praxis der Philosophie, 61ff.

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Rechtszustandes bezwecken, wobei ungewiss bleiben muss, ob ein nahtloser Anschluss an die bisherige Normallage möglich ist. Obwohl dieser autoritäre Beschluss jenseits des (positiven) Rechts entschieden wird, kann der Souverän jedenfalls insofern kein Unrecht begehen. Diese Absolutionsgarantie ist eine der Voraussetzungen der absoluten Souveränität und folgt aus der Normindifferenz der reinen Dezision. Als rein politische Entscheidung soll die Dezision rechtlich und ethisch neutral, d. h. frei von jeder juridischen und moralischer Beurteilung bleiben. Die Entscheidung über die Ausnahme findet bereits in jenem rechtfreien Raum statt, den sie eigentlich erst eröffnet. Die Suspendierung des Rechts beseitigt zugleich auch eine mögliche Bewertung der puren Politik als Unrecht. Da die reine Dezision nicht aus der Anwendung eines Regelsystems hervorgeht, lässt sie sich auch nicht davor oder ihm gegenüber zur Verantwortung ziehen; verantwortlich ist man nur gegenüber einer normativen Ordnung, an die man zum Zeitpunkt einer Handlung oder Entscheidung gebunden ist. Eine souveräne Entscheidung antwortet jedoch nicht auf eine normative Fragestellung und ist daher im Grunde unverantwortlich. Sie muss eigentlich nicht verantwortet werden, da sie auf jede gesetzmäßige Vermittlung verzichtet. Die politisch gleichwohl vorgesehene Verantwortlichkeit soll aber nicht ganz als verantwortungslos gelten; sie erfolgt in der Sorge über die naturhafte Substanz des Staates. Der Staat soll gleichsam zwischenzeitlich aus seiner rechtlichen Haut fahren, um nach dem politischen Entscheidungsakt sofort wieder in die Normalität zurückzugleiten. Die im Rechtsstaat durch die Verfassung eigentlich »fixierte Unruhe«22 wird gleichsam für einen Moment wieder freigelassen, ehe die Normalität der Rechtsform wiederkehren kann. In politisch bewegten Zeiten darf demnach das Recht nicht statisch bleiben; daher muss mitunter der Rechtsstatus ausnahmsweise aufgehoben werden, um für Ruhe sorgen zu können. Der eigentliche Fixpunkt des Staates sei aber etwa nicht die Normordnung, sondern die Politik, um die Recht, Moral und andere Normensysteme kreisen. Das Urteil zwischen Normal- und Ausnahmezustand läuft dabei auf eine Person-im-Amt zu, die nach Wiederherstellung der Rechtslage gefeiert oder gefeuert werden mag; über ihr (politisches) Schicksal entscheidet der tatsächliche Erfolg der Notmaßnahme. Der Souverän braucht daher nicht die Normüberschreitung als solche zu scheuen, sondern nur das Risiko des Misslingens der Suspendierung des Rechts. Dies ist die Kehrseite der Restverantwortung, die der politische Souverän im Ausnahmezustand vom Recht übernimmt. Aus einer erfolgreichen Beseitigung 22 So lautet einer der Bestimmungsversuche, mit denen Friedrich Schlegel einst eine Charakterisierung »der repräsentativen Verfassung« vornehmen wollte: diese sei nichts anderes »als die fixierte Unruhe, die angehaltene Revolution, der gebundene absolute Staat« (Signatur des Zeitalters, Kritische Schriften 4, 325).

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der Notlage kann der Souverän dann für alle Ausnahmeaktivitäten eine Art von Legitimation ohne Normativität schöpfen; eine wirkungsvolle Selbsterhaltungstat spendet rückwirkend gewissermaßen ein ›Natur-Recht‹ auf ein übergesetzliches Ausnahmeverhalten. Der Erfolg gibt dem Souverän im Nachhinein Recht, das er zuvor nicht benötigt. Das einzig verbleibende Überbleibsel einer normativen Ressource in diesem Modell der sich selbst legitimierenden Ausnahmehandlung ist daher der quasi-naturgesetzliche Selbsterhaltungsdrang des Staates. Die nicht weiter hinterfragbare Evidenz des staatlichen Durchhaltewillens bildet für Schmitt das Anfangscredo seiner Politischen Theologie. Ohne einen solchen Glaubensvorschuss, der das Überleben des Staates an das Vertrauen in seine Bestandskraft bindet, würde die gesamte Konstruktion nicht nur normativ, sondern auch faktisch in der Luft hängen. Gegenüber rechtlichen Verfahrensweisen, hinter denen ein unüberwindlicher Entscheidungszwang waltet, hat der politische Souveränitätsakt sogar den Vorteil, zumindest eine zusätzliche Option ziehen zu können: die reine Dezision lässt die Alternative zwischen dem Entscheiden und Nicht-Entscheiden über die Ausrufung des Ausnahmezustands offen; es geht ihr um eine ergebnisoffene Behandlung von etwas letztlich Unentscheidbarem. Da die Entscheidung über den Ausnahmezustand nicht (normativ) erwartet werden kann, muss ihr Ausbleiben nicht als Enttäuschung verarbeitet werden. Obwohl man mit der Möglichkeit einer Ausnahme-Entscheidung jederzeit rechnen muss, erscheint sie in dem Augenblick, in dem sie fällt, doch als unberechenbare Überraschung. Dies teilt ein solcher Souveränitätsakt mit der theologischen Vorstellung von einem ›Jüngsten Gericht‹, das zwar als solches angekündigt wird, der Zeitpunkt seines Eintretens aber offen ist und für die Betroffenen deshalb notwendig überraschend bleiben muss. Gerade deshalb lässt sich die Entscheidung über die Ausnahme als reine Dezision beschreiben, die jenes rechtliche Entscheidungsparadoxon umschifft. Auch insoweit wird ein wichtiger Unterschied zur rechtlichen Entscheidungsfindung deutlich: Das Recht muss nämlich stets zu einer Entscheidung zwingen, die es zwar aufschieben aber niemals ganz verweigern kann, da auch der Aufschub oder die Weigerung des Rechtsentscheids noch eine rechtlich verbindliche Konsequenz haben würde: die Sanktionierung des Status quo. Solange ein einmal aufgerufenes normatives Urteil ausbleibt, gilt der jeweils aktuelle Zustand als Rechtszustand weiter, in dem den Beteiligten Rechte zustehen, die sie gegeneinander geltend machen können. Die Beseitigung dieses Zustandes könnte als widerrechtlich ausgelegt werden oder zumindest eine neue Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Verhaltensweise provozieren. Dabei geht das Recht davon aus bzw. suggeriert zumindest, dass es sich bei Rechtsurteilen um einen Erkenntnisakt – eine Entscheidungs-findung – handelt. Mit Jacques Derrida könnte man das das »klassische Vorrecht (pr¦rogative) des

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Urteils« nennen, »ein Vorrecht des Theoretischen und des Konstativen über das Performative oder das Pragmatische« (Pr¦jug¦s, 21f.). Das Recht stellt bloß fest, was auf Grund vorheriger Regelung bereits feststand. Es schließt an den bestehenden Rechtszustand an und schafft keine ganz neuen Fakten. Dies mag man zwar als erkenntnistheoretisch naiv denunzieren, eine solche Denunziation allein vermag aber noch lange nicht die Evidenz, ohne diese Sichtweise nicht auskommen zu können, zu beseitigen. Für die Suche nach der richtigen Beurteilung werden dann bestimmte Verfahren im Recht eingerichtet, die eine formale Zuständigkeitsverteilung vorsehen. In der Sache präsentiert sich das Urteil aber als durch das Recht prädestiniert und allgemein nachvollziehbar. Die Urteilskompetenz ist zwar im Rechtssystem monopolisiert, dem Entscheidungsmonopol des Rechts korrespondiert aber – jedenfalls idealerweise – eine universell zugestandene Fähigkeit zur Rechtseinsicht, die jedem zukommt und nicht etwa nur den zuständigen Juristen vorbehalten ist. Der politische Souverän steht hingegen nicht unter einem solchen (rechtlichen) Entscheidungszwang, wenn er festsetzt, ob das Normale weiter gelten oder eine Ausnahme hiervon herrschen soll; er entscheidet über die Anwendbarkeit des Rechtscodes, bevor ein Fall in den juristischen Syllogismus eingespeist wird. Nicht Recht/Unrecht, sondern Recht/Nicht-Recht – das ist hier die Frage; die Entscheidung darüber wird außerhalb des Rechts – quasi in der politischen Umwelt des Rechtssystems – getroffen. Souveränität, die als »Grenzbegriff« den Umfang des juristischen Regelungsbereichs beschreibt, liegt daher auf der Schwelle zum Rechtssystem und ihr Inhaber steht laut Schmitt »außerhalb der normal geltenden Rechtsordnung« (Politische Theologie, 11/13). Das Ob und Wie des souveränen Entscheidens fällt dann letztlich nach Gutdünken, ohne allerdings einer bloß individuellen Laune zu folgen. Der Ausnahmezustand wird nämlich nicht etwa konstatiert, sondern ausgerufen.23 Die Entscheidung über diesen Vorfall muss folglich als rein performativer Akt verstanden werden, denn vor ihrer Ausrufung mag die Notlage irgendwie spürbar sein, zur echten Ausnahme wird sie erst durch die Suspendierung des Rechts durch den Souverän, der die Entscheidung mit Macht an sich reißt.24 Dadurch werden die soeben skizzierten konstativen Momente des Entschei23 Zu den verschiedenen Facetten von Schmitts Konzept des Ausnahmezustandes vgl. O. Gross, Cardozo Law Review 21 (2000), 1825ff.; M. Kotzur, AVR 42 (2004), 355ff.; G. Agamben Homo sacer, 25ff.; ders., Ausnahmezustand, 42ff. (dazu auch W. Kisner, Cosmos and History 3 (2007), 222ff.); H. Hofmann, Der Staat 44 (2005), 171ff.; J.P. McCormick, Annual Review of Political Science 10 (2007), 319ff.; V. Neumann, Der Staat 47 (2008),175ff.; W. Hetzer, Rechtsstaat, 217ff.; R. Voigt in: ders. (Hg.), Ausnahmezustand, bes. 91f. 24 Vgl. dazu etwa S. Zizek, Willkommen in der Wüste des Realen, 111ff.; J. Derrida, Schurken, 206ff. Zu Derridas Positionierung in dieser Thematik s.a. M. Rosenfeld, Cardozo Law Review 27 (2005), bes. 821ff.; N. Mansfield, Macquarie Law Journal 6 (2006), bes. 107ff.

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dens geleugnet. Die Entscheidung über die Ausnahme wird nicht ›gefunden‹, da sie auf keine vorfindlichen oder anwendbaren Kriterien verweist. Es muss vielmehr in einer Weise entschieden werden, die jene bereits angedeutete paradoxale Struktur einer juridischen oder ethischen Entscheidungsfindung verdrängen möchte. Im Vergleich zur reinen Dezision geben sich rechtliche und moralische Urteile nur den Anschein des echten Entscheidens, wobei sie im eigentlichen Sinne nichts zu entscheiden haben, da sie zugleich als bloße Anwendung eines bereits gegebenen Gesetzes angesehen werden, d. h. lediglich schon Entschiedenes wiedergeben. Demgegenüber sei nur eine reine Dezision eine Form des Entscheidens, bei der tatsächlich mit der Entscheidung etwas entschieden wird, was zuvor als nicht-entschieden oder sogar als unentscheidbar gelten muss. Auf die allgemeine Einsicht in die Begründung oder Nachvollziehbarkeit dieser Ausrufung soll der Souveränitätsakt in keiner Weise angewiesen sein. Auch wenn die reine Dezision auf die Evidenz einer faktisch bestehenden Not schielen muss, so geht es ihr nicht um die Überprüfbarkeit des Befundes über etwas Faktisches, aus dem bestimmte Schlussfolgerungen gezogen werden können.

4.

Die Reinheit der reinen Dezision

Die Chancen für das Gelingen eines solchen Versuchs der Paradoxievermeidung dürften jedoch eher schlecht stehen. Die Annahme einer durch nichts kontrollierten Entscheidungsmöglichkeit auf der Basis des Nicht-Wissens und der Nicht-Regelung erscheint unannehmbar. Daher möchten einige der souveränen Entscheidung i. S. Schmitts gleichwohl noch ein konstatives Restmoment zugestehen, insofern diese implizit feststellen müsse, ob eine Situation dem Normalen oder einer Ausnahme davon angehört und dabei auf die Voraussetzung der Normallage reflektieren müsse. Wer von der Regel abweichen möchte, sollte zumindest die Bedingungen der Regelhaftigkeit kennen und zunächst deren Anwendbarkeit prüfen. In dieser Hinsicht hat beispielsweise der Philosoph Christoph Menke in seiner ausführlichen Auseinandersetzung mit Carl Schmitt zu zeigen versucht, dass die Kenntnis dessen, was normalerweise gilt, quasi per Ausschlussprinzip auf die Spur möglicher Ausnahmen führe.25 In dieser Hinsicht entscheide letztlich doch bereits der beschreibbare Umfang des fraglichen Normbereichs über mögliche Ausnahmen. Es bleibe ein notwendiger Rest an üblicher Subsumtions-Logik, der sich niemals ganz ignorieren lasse. Insofern müsse auch für eine solche Entscheidung ein Wissensbestandteil eingerechnet werden, der ihr aus logischen Gründen vorausgehe. Daher sei selbst eine ver25 So insbesondere C. Menke Spiegelungen, bes. 305ff.

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meintlich reine Dezision noch mit gewöhnlichen Momenten theoretischer und praktischer Erkenntnis benetzt. Damit müsste freilich unterstellt werden, dass diese ›Feststellung‹ auch unabhängig von der Suspendierung des Rechts gedacht werden könnte, so dass dann über die Außerkraftsetzung der geltenden Normen erst in einem weiteren Akt zu befinden wäre. Eine von dem Suspendierungsakt trennbare Konstatierung der Ausnahme als solche ist in der Konzeption von Schmitt jedoch zumindest nicht eindeutig vorgesehen, denn dort fallen die Ausrufung der Ausnahme und die Außerkraftsetzung des Normalen offenbar ohne jede Zäsur notwendig zusammen. Die »reflexive Diagnostik«, von der Menke in seinem Buch ›Spiegelungen der Gleichheit‹ in Bezug auf die vermeintliche Konstatierung der Ausnahmesituation spricht (Spiegelungen, bes. 307), ist daher gerade kein eigenständiges Konstituens eines Souveränitätsaktes im Sinne Schmitts. So etwas wie ein Diskurs über die Bedingungen einer Extremlage findet nicht statt. Über den richtigen Zeitpunkt für die Suspendierung des Rechts lässt sich nicht diskutieren, da es keine Kriterien des Richtigen dafür geben soll. Ein Befund über die Ausnahme ist ohne die Aussetzung der Rechtsgeltung jedenfalls nicht von Bedeutung. Der Rede von einer Ausnahme kommt gerade kein eigener theoretischer Erkenntniswert zu, wenn damit nicht zugleich die praktische Konsequenz einer außerlegalen Regelungsmöglichkeit verbunden ist. In Schmitts Vorstellung einer souveränen Entscheidung existiert daher kein isolierbares kognitives Moment, das als einsehbarer Grund die Auflösung der Normallage erst zur Folge haben könnte. Das Erkennen einer Notlage bildet deshalb nicht die vorhergehende Wissensgrundlage für eine Entscheidung über die Außerkraftsetzung geltender Normen. Die Ausnahme ist kein ›Seinszustand‹, aus dessen Erkenntnis ein Sollen in Form einer Suspendierung der normalen Sollgeltung des Rechts abgeleitet werden müsste. Weder die Reflexion auf die normale Rechtslage noch der Blick auf die empirisch wirksamen Umstände einer Ausnahme aktivieren einen Syllogismus, der einen logischen Schluss von diesen Befunden auf eventuell notwendige Konsequenzen erlauben sollte. Eine reine Dezision im Sinne Schmitts hat daher weder eine normative noch eine kognitive Basis, auf deren Boden erst eine vorhersehbare und berechenbare Entscheidungsgrundlage bereitet würde. Vielmehr werden beide Momente der Entscheidung – die Ausrufung der Ausnahme und die Suspendierung des Rechts – gleichursprünglich im selben Souveränitätsakt gesetzt. Sie sind dann nicht einmal durch eine logische Sekunde getrennt. Es gehört zur Vorstellung der Spontaneität einer solchen dezisionistischen Reinform, dass sie weder durch einen normativen Grund legitimiert noch durch eine Art von Diagnose verursacht oder determiniert wird. Die Ausnahme besteht folglich

Terrorismusbekämpfung – zwischen Politik und Recht

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gerade im Entzug von Rechten, indem eine solche Situation von der Anwendung der Normen ausgenommen wird.26 In diesem Theoriegebäude werden dann enorme Handlungsspielräume außerhalb der Verhaltensregulierungen des Rechts eröffnet, die jene Konzeption der Ausnahmefälle derzeit wieder ungeheuer attraktiv erscheinen lassen.27 Wer es demgegenüber sehr streng mit der universalen Geltung des Rechts nehmen möchte, der baue eine unnötige und gefährliche Distanz zur politischen Handlungsmacht auf, die allein den Ordnungsaspekt einer Rechtsordnung gewährleisten könne. Als Machtwort eines Souveräns haftet der Entscheidung über den Ausnahmezustand freilich stets ein Moment unvermeidbarer Willkür an, die sich lediglich mit der vermeintlichen Notwendigkeit der unwillkürlichen Ausnahmeentscheidung tarnt. In dieser Hinsicht hat schon Hegel treffend bemerkt: »Die Souveränität … existiert nur … als die abstrakte, insofern grundlose Selbstbestimmung des Willens, in welcher das Letzte der Entscheidung liegt« (Grundlinien § 279, Werke 7, S. 444). Die normative Grundlosigkeit ist Bestimmungsmerkmal einer so verstandenen Souveränität. Manche wollen in der normativen Unverbindlichkeit und Ungebundenheit einer souveränen Ausnahmeentscheidung das Ideal eines (von moralischen und rechtlichen Bindungen) freien Aktes sehen.28 Eine in diesem Sinne souveräne Dezision lässt sich nämlich weder über Recht noch über Moral restlos legitimieren. Rechtliche oder moralische Überlegungen können und sollen die Entscheidung nicht begründen, denn solange auf verbindliche Kriterien zur Begrenzung einer souveränen Entscheidung verwiesen werden könnte, wäre jene Instanz entscheidend, die über das Eingreifen und die Wirksamkeit dieser Einschränkungsmöglichkeiten zu befinden 26 Vgl. dazu auch G. Agamben, Homo sacer, 27f. 27 Zur Aktualität dieser Argumentationsfigur (nicht nur i. S. Schmitts) – besonders i.R.d. verfassungsrechtlichen und politischen Diskussion in den USA – s.a. B.S. Turner, Theory, Culture & Society 19/4 (2002), 103ff.; O. Gross, Yale Law Journal 112 (2003), bes. 1118ff.; G. Steinmetz, Public Culture 15/2 (2003), bes. 336ff.; B. Ackerman, Yale Law Journal 113 (2004), 1029ff.; J. Ferejohn / P. Pasquino, I.CON 2 (2004), 210–239; M. Ignatieff, Das kleinere Übel, 46ff., bes. 67ff.; L. Barshack, University of Toronto Law Journal 56 (2006), 185–222; D. Dyzenhaus, Cardozo Law Review 27 (2006), bes. 2006ff.; K.J. Heller, Georgia Law Review 40 (2006), bes. 780ff.; W.E. Scheuerman, Journal of Political Philosophy 14 (2006), 61ff.; M.A. Franks, Harvard Law & Policy Review 1 (2007), 259ff.; A. de Benoist, in: The International Political Thought of Carl Schmitt, bes. 85ff.; ders., Carl Schmitt, 68ff.; S.E. Davies, in: Security and the War on Terror, bes. 74ff. jeweils m.w.N.; s.a. die Beiträge in dem 2013 von Rüdiger Voigt herausgegebenen Sammelband mit dem Titel ›Ausnahmezustand‹; vgl. zudem J.T. Parry, William& Mary Bill of Rights Journal 15 (2007), bes. 829ff., der auch die strafrechtlichen und prozessualen Konsequenzen in den Blick nimmt. S.a. W. Höfling / S. Augsberg, JZ 2005, 1086ff. 28 I.d.S. etwa – unter Verweis auf Carl Schmitt – P.W. Kahn, Jerusalem Review of Legal Studies 5 (2012), 30.

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hätte. Dann wäre aber der politischen Souveränität doch noch eine höhere Instanz vorgesetzt.29 Die vermeintlich souveräne Entscheidung muss allerdings den äußeren Zwängen gehorchen, die innerhalb einer Ausnahmesituation walten, denn die normativ ungezügelten Bedürfnisse eines blanken staatlichen Selbsterhaltungsinteresses lassen sich niemals so ganz beherrschen. Durch die Loslösung von jedweder Norm verfällt die reine Dezision einer tatsächlichen Notwendigkeit, wenn nicht sogar der Zufälligkeit.30 Allein das faktisch Realisierbare kann am politischen Entscheidungshorizont erscheinen. Die Macht der Dezision hält sich demnach stets in den engen Grenzen des Machbaren, die von der konkreten Situation vorgegeben und aufgestellt werden. Die normative Ungebundenheit der Dezision über die Ausnahme führt daher keineswegs zu mehr Entscheidungs-Freiheit, sondern ist stets dem Erfordernis unterworfen, die Extremsituation zu überwinden, d. h. nach Möglichkeit zum Recht zurückfinden zu müssen. Die mögliche Wahl zwischen Regel und Ausnahme fällt mit dem empirisch Notwendigen oder Zufälligen zusammen, wenn sie sich durch nichts bestimmen lässt. Für einen Lösungsansatz im Sinne Schmitts bleibt insofern allerdings nur, auf die Rechtschaffenheit des Souveräns zu hoffen, der die Ausnahme nutzt, um alsbald zur Regel zurückzukehren. Als einzig markierbarer Grund ist daher lediglich die bedrückende Evidenz einer Not-lage in Sicht, deren Abwendung die an sich willkürliche bzw. zufällig zu fällende Dezision doch als Not-wendigkeit erscheinen lassen kann, um den Makel des bloß Willkürlichen abstreifen zu können. Wenn es dann aber gelingt, die Not erneut zum Recht zu wenden, ist die Rückkehr zur normativen Regelmäßigkeit geschafft oder aber ein neuer Rechtszustand erschaffen, der auf einer veränderten Faktenlage beruht.

II.

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Nun liegt es freilich in der Logik des Ansatzes von Schmitt, dass niemals so ganz sicher vorhersehbar ist, ob und wann ein bestimmtes Problem als eine derartige Extremlage betrachtet wird, für deren Bewältigung es tatsächlich zur Ausrufung 29 Siehe dazu allgemein N. Luhmann, Politik der Gesellschaft, 338ff., bes. 342ff. Zu einigen vermeintlichen Berührungspunkten zwischen Luhmanns und Schmitts politischer Theorie vgl. C. Thornhill, European Journal of Social Theory 10 (2007), 499–522; J.-W. Müller, Ein gefährlicher Geist, 209ff.; s.a. W. Rasch, Theory, Culture & Society 17/6 (2000), 22ff.; L. Scholz, DZPhil 59 (2011), 359ff./365ff.; hierzu und zum Folgenden auch A. Fischer-Lescano / R. Christensen, Der Staat 44 (2005), bes. 215ff./220ff. 30 Zur Gleichsetzung von Zufälligkeit und äußerlicher Notwendigkeit vgl. schon G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte I, 29.

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des Ausnahmezustandes kommt. Die souveräne Entscheidung soll sich ja gerade nicht nach einer folgerichtigen Konklusion am Ende eines für jeden nachvollziehbaren Syllogismus richten. Andernfalls wäre es keine reine Dezision, die sich ihre zu entscheidenden Inhalte gerade nicht diktieren lässt. Deren Ergebnis sich darf daher nicht voraussagen lassen, um sich nicht unter die Herrschaft eines rechtlichen oder moralischen Kriterienkatalogs stellen zu müssen. Nur wenn ein Problem in diesem Sinne aus dem normativen Rahmen des Rechts und der Moral fällt, kann eine echte Entscheidung über etwas im Prinzip Unentscheidbares fallen. Aber nicht jede Not löst sogleich eine Ausnahmeentscheidung aus.31 In ihrer Umgangsweise mit der Paradoxie des Entscheidens unterscheidet sich die reine politische Dezision von einer juristischen Urteilsfindung: für den Bereich des Politischen kann die prinzipielle Unentscheidbarkeit offen als Machtfrage deklariert werden; demgegenüber wird das Recht dies gerade nicht thematisieren dürfen. Darauf hat bereits Walter Benjamin in seiner berühmten Abhandlung ›Zur Kritik der Gewalt‹ aus dem Jahr 1921 hingewiesen, den vermutlich auch Carl Schmitt gekannt haben dürfte.32 Benjamin betont, dass dann nämlich »ein Licht auf die seltsame und zunächst entmutigende Erfahrung von der letztlichen Unentscheidbarkeit aller Rechtsprobleme fallen« würde; da dies aber nicht geschehe, müsse das Recht »in der nach Ort und Zeit fixierten ›Entscheidung‹ eine metaphysische Kategorie« anerkennen (Kritik, 54/44). Juridisches Urteilen müsse vorgeben, in einem erkenntnisgleichen Akt zu ›entscheiden‹, was bereits durch den Willen des Gesetzes vorentschieden und nur noch abzuleiten sei. Anders als ein Rechtsurteil, das sich auf einen verallgemeinerbaren und insofern unpersönlichen Entscheidungs-Findungs-Prozess ›des Gerichts‹ berufen kann, wird die politische Dezision meist einer (natürlichen) Person – dem Souverän – zugerechnet, die auf kein Normensystem mehr verweisen kann, da sie über dem geltenden Recht residiere; ein Einziger soll es ganz allein auf sich nehmen, über die Ausnahme zu entscheiden. Schmitts Konzept der Souveränität ist dabei wohl nur auf einen Einzelnen an der Spitze des Staates zugeschnitten. Deshalb hat es auch so gut zum Führerprinzip der Nationalsozialisten gepasst. 31 Allgemein zum Entscheidungsparadox: N. Luhmann, Verwaltungs-Archiv 84 (1993), 287ff.; ders., Recht der Gesellschaft, bes. 307ff.; ders., Organisation und Entscheidung, 123ff., bes. 132ff.; s.a. H. v.Foerster, in: ders./B. Pörksen, Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, 159ff.; J. Derrida, in: C. Mouffe (Hg.), Dekonstruktion und Pragmatismus, bes. 190ff.; ders., in: Gewalt und Gerechtigkeit, 392ff. bes. 404f. 32 Vgl. G. Agamben Ausnahmezustand, 64f. J. Derrida, Gesetzeskraft, 67, hat sogar behauptet, die Veröffentlichung dieses Aufsatzes habe Benjamin »einen Glückwunsch Carl Schmitts eingebracht«; skeptisch hierzu R. Gross, Carl Schmitt und die Juden, 12f. Fn. 21, der den dafür erforderlichen Beleg vermisst. Zum Verhältnis von Schmitt und Benjamin s.a. S. Weber, diacritics 22/3–4 (1992), 5ff.; H.Bredekamp, Critical Inquiry 25 (1999), 247ff.; R. Gould, Telos 162 (2013), 82ff.

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Dies hat Schmitt vor allem in seinem verhängnisvollen Aufsatz ›Der Führer schützt das Recht‹, der 1934 in der ›Deutschen Juristen-Zeitung‹ erschienen ist, propagiert. In diesem Text hat Schmitt im Prinzip des Führertums sowohl die Quelle für die legislative als auch judikative Gewalt gesehen. Wer – wie Schmitt – denkt, dass der »Führer … kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft« (Sp. 945), braucht sich nicht zu wundern, wenn er nicht oder jedenfalls zu spät bemerkt, dass daraus allenfalls Unrecht folgen kann. In diesem Zusammenhang kann man an einen Aphorismus aus Johann Gottfried Seumes ›Apokryphen‹ (aus den Jahren 1806/1807) erinnern, in dem es bereits treffend heißt: »Wo ein einziger Mann den Staat erhalten kann, ist der Staat in seiner Fäulnis kaum der Erhaltung wert« (Werke 2, 203). Wenn hingegen mehr als nur Einer die Entscheidung treffen müssen, so setzt dies den Austausch von Gründen bzw. die Nennung von Kriterien voraus, was für die Ausrufung eines Ausnahmezustandes nicht erforderlich sein soll. In einer solchen Konstellation wird das normative Gefüge als solches zwar entlastet, denn alles was Recht ist, bleibt Recht, zugleich wird es jedoch außer Kraft gesetzt, um auch noch die im Normalfall rechtlich oder moralisch verbotenen Verhaltensweisen in Betracht ziehen zu können. Um keine denkbare Handlungsoption vorab ausschließen zu müssen, wird diese Art von Unberechenbarkeit politischer (Re-)Aktionsmöglichkeiten gleichsam mit Berechnung in den Handlungspool des Staates einkalkuliert. Daher lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob etwa für den hier fraglichen Fall eine entsprechende Notwendigkeit zur Abwehr eines solchen Terroranschlags mit außer-rechtlich begründeten Mitteln bestehen würde oder nicht. Im Zusammenhang mit der Souveränitätskonzeption von Schmitt muss folglich immer mit dieser Unbekannten gerechnet werden. Um diese Unschärfe möglichst vermeiden zu können, fragen einige, ob in Zeiten eines globalen Terrorismus nicht sogar von einem permanenten Ausnahmezustand die Rede sein könne, in dem die Regellosigkeit zur Regel geworden sei, da die Ausnahme kein Ende findet.33 Als einer der ersten hat wohl William E. Scheuerman bereits für die Zeit vor dem 11. September 2001 eine solche Tendenz zu einem permanenten Ausnahmezustand im politischen Denken der Gegenwart gewittert.34 Für die Interpretation der Lehre Schmitts stellt dies durchaus eine Herausforderung dar, da darin die Ausnahme stets als vorübergehender Zustand gedacht werden sollte. Zur Verdeutlichung dieses zeit33 Vgl. G. Agamben Ausnahmezustand, 9 / 31f.; ders., Lettre International 61 (2003), 61ff.; O. Gross, Constellations 13 (2006), 74ff.; A. de Benoist, in: Political Thought, bes. 88ff.; ders., Carl Schmitt (Fn. 4), 72ff. m.w.N.; O. Depenheuer, Selbstbehauptung, 51f.; siehe dazu auch M. de Wilde, Political Theory 34 (2006), bes. 513f.; T. Reitz, in: Die gouvernementale Maschine, 45ff. C. Kreuder-Sonnen, in: R. Voigt (Hg.), Ausnahmezustand, 163ff. 34 W.E. Scheuerman, Radical Philosophy 93 (1999), 17ff.

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lichen Moments nennt er in seinem zuerst im Jahr 1950 erschienenen Werk ›Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum‹ »für diesen Zustand ein anschauliches antikes Symbol, auf das auch Montesquieu hingewiesen hat: die Statue der Freiheit oder die der Gerechtigkeit wird für bestimmte Zeit verhüllt« (a. a. O., S. 67). Zur Integration der neuen Permanenz des nicht enden wollenden Ausnahmezustandes sind demgegenüber inzwischen verschiedene Strategien vorgeschlagen worden: So hat beispielsweise Christian Kreuder-Sonnen die soeben zitierte Symbolik von der nur zeitweise verhängten ›Freiheits-Statue‹ aufgegriffen und eine Ergänzung in Erwägung gezogen. Danach könne in der aktuellen Lage davon gesprochen werden, »dass neben der Statue der Freiheit dauerhaft die Statue der Sicherheit entsteht und als parallele Ordnung koexistiert«.35 Allerdings müsste man wohl eher davon sprechen, dass das neue Ordnungssymbol der Sicherheit die bisherigen Monumente der Freiheit deutlich in den Schatten zu stellen droht. Um solche Deutungsschwierigkeit zu umgehen, die womöglich die Reichweite der politischen Theorie Schmitts sprengen könnte, hat etwa Kim L. Scheppele vorgeschlagen zumindest im internationalen Vergleich nur noch einen post-schmittianischen Ausnahmezustand gelten lassen möchte, der sodann aber nicht mehr außerhalb sondern innerhalb des Rechts angesiedelt sei.36 Die Akzeptanz des Dauerhaften einer Ausnahme sichert dabei immerhin ein Mindestmaß an Berechenbarkeit. Dies mindert den Überraschungswert der Umgehungen des Rechts. Nicht selten ist beschworen worden, dass nach dem 11. September 2001 ›alles anders‹ sei als zuvor; die einstige Normalität sei zerfallen, in sich zusammengestürzt wie die Zwillingstürme von New York. Die Chance auf einen ›ewigen Frieden‹, der nach dem Ende des ›Kalten Krieges‹ vorübergehend realisierbar erschien, sei vorerst vertan. Der seitdem im AntiTerrorkampf ausgerufene Extremfall vermag scheinbar nicht mehr zur Normalität zurückzufinden. Wenn wir uns mit einer dauerhaften terroristischen Gefahr abfinden müssen, dann sollten wir uns eben daran gewöhnen, uns in einer anhaltenden Extremlage einzurichten, d. h. dann wird die Anwendung des Rechts gegenüber (vermeintlichen) Terroristen beinahe selbst zur Ausnahme. Den terroristischen Akteuren werden zumindest einige der ihnen im Normalfall zustehenden Rechte verweigert, um die inner- bzw. zwischenstaatliche Ordnung erhalten zu können. Immerhin lässt sich gerade im Zusammenhang mit diversen Anti-Terrormaßnahmen (bis hin zum Einsatz von Folter) eine geradezu infla35 C. Kreuder-Sonnen, in: R. Voigt (Hg.), Ausnahmezustand, 165 (s.a. ebenda, S. 180). 36 K.L. Scheppele, University of Pennsylvania Journal of Constitutional Law 6 (2004), bes. 1068ff./ 1081ff., s.a. dies., Georgia Law Review 40 (2006), bes. 838f./861f., wo sie weitere Differenzierungen vorschlägt.

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tionäre Berufung auf diese Begründungsfigur ‚ la Carl Schmitt verzeichnen (vgl. dazu schon oben S. 175ff. m.N.).37 Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die aktuelle Theorie und Praxis der Politik ein intellektuelles Feigenblatt zulegen möchte, um die Blöße der reinen Willkür im Umgang mit vermeintlichen Terroristen bedecken zu können; an die Stelle rechtlicher Beurteilung tritt eine Demonstration politischer Macht, die sich als souverän geriert und glauben machen möchte, dass bereits jede Rede von einer bestehenden Ausnahme die Desavouierung des Rechts rechtfertigen könne. Dabei wird wohl übersehen, dass es mitunter beschämender sein kann, eine Belehrung durch einen historisch blamierten Ansatz vorzuschützen als den willkürlichen Umgang als solchen bloßzulegen. Einige meinen jedenfalls, Schmitts Lehre habe nach dem 11. September bei der eilfertigen Formulierung und Umsetzung der neo-konservativen Sicherheitspolitik in den USA Pate gestanden.38 Dabei wird Schmitt seit längerem bereits als spiritus rector des US-amerikanischen Konservatismus gehandelt.39 Allerdings ist Schmitt keineswegs als einziger Kandidat für dieses Patenamt gehandelt worden; teilweise wird zusätzlich oder auch alternativ noch Leo Strauss, dem auch im Übrigen eine spannungsreiche Ideengemeinschaft im Verhältnis zu Carl Schmitt nachgesagt wird,40 als philosophischer »Gedankenvater« dieser Politikrichtung nominiert.41 Zwischenzeitlich wurde selbst Im37 Siehe dazu die Hinweise bei F. Johns, European Journal of International Law 16 (2005), bes. 619ff.; C. Kutz, California Law Review 95 (2007), 238/268ff.; J.T. Parry, Melbourne Journal of International Law 6 (2005), bes. 523 m. Fn. 35; ders., Journal of National Security Law & Policy 1 (2005), bes. 275f.; S. Levinson, Texas Law Review 81 (2003), bes. 2033 m. Fn. 97; O. Gross, Minnesota Law Review 88 (2004), bes. 1517; ders., in: Torture, ed. by S. Levinson, bes. 239; dazu auch H. Shue, Case Western Reserve Journal of International Law 37 (2005), bes. 235f.; T.P. Crocker, SMU Law Review 61 (2008), bes. 229f.; ders., Texas Law Review 86 (2008), bes. 604f. 38 Dazu U. Thiele, Blätter 8/2004, 992–1000; A. Wolfe, The Chronicle of Higher Education Vol. 50 / Iss. 30 (2004), B. 16; S. Levinson, Daedalus (Summer 2004), 7ff.; ders., Constellations 13 (2006), 59ff.; ders., Georgia Law Review 40 (2006), bes. 706/738f. und: 902ff. jeweils m.w.N.; s.a. B.S. Turner, Theory, Culture & Society 19/4 (2002), 103ff.; K.L. Scheppele, bes. 1002/1004/1068ff.; W.E. Scheuerman, Georgia Law Review 40 (2006), 863ff.; ders., Constellations 13 (2006), 108ff.; S. Horton, Harper’s Magazine, July 2007, bes. 80f.; kritisch zu einer solchen Gleichsetzung – freilich in ganz unterschiedlicher politischer Färbung – einerseits C. Mouffe, Über das Politische, 100ff.; andererseits A. de Benoist, Carl Schmitt, 9ff. u. ö.; differenzierend M. Tushnet, Georgia Law Review 40 (2006), 877ff. 39 Vgl. etwa – in kritischer Absicht: J.P. McCormick, Carl Schmitt’s Critique of Liberalism, bes. 302f.; W.E. Scheuerman, Carl Schmitt, 11f./180ff./261ff. u. ö.; skeptisch zu diesem Befund allerdings P. Piccone / G. Ulmen, Telos 122 (2002), 3ff. sowie J.W. Bendersky, Telos 122 (2002), 33ff. m.w.N. 40 Eingehend zum Verhältnis von Schmitt und Strauss: H. Meier, Carl Schmitt, 9ff.; vgl. auch R. Howse, in: Law as Politics, 56ff.; W. Schmidt, Zuleeg-FS, bes. 29ff.; L. Scholz, in: Die gouvernementale Maschine, 166ff.; M. Gangl, in: Freund-Feind-Denken, 90ff. 41 So A. Homolar-Riechmann, ApuZ B 46/2003, 37.

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manuel Kants Konzept des ›ewigen Friedens‹ zu den möglichen Quellen für eine Politik des ›liberalen Illiberalismus‹ gezählt,42 bzw. als honorige Instanz für eine Legitimation präemptiver und präventiver Kriegführung herangezogen.43 In umgekehrter Richtung wird mit vergleichbarer Intention und einigem Spürsinn versucht, ideengeschichtliche Quellen für das feindlich gestimmte Denken und Handeln von Terroristen freizulegen. Dabei werden einige phantasievoll geknüpfte Verbindungsstricke aufgezeigt, die nicht selten bis zu angeblich ›gegenaufklärerischen‹ Werken von Hamann und Herder zurückführen.44 In all diesen Fällen ist freilich nie so ganz zu klären, wer von den angeblichen Geistesverwandten durch diese Art von Genealogie geadelt oder getadelt werden soll. Immerhin erweist sich Schmitts Werk flexibel genug, um manche seiner Ansichten auch in umgekehrter Stoßrichtung als Speerspitze einer geradezu antiamerikanisch gefärbten Kritik an der gegenwärtigen US-Politik zu verwenden.45

1.

Kollateralschäden im ›Krieg gegen den Terror‹46

Die These von einer momentanen Permanenz des Ausnahmezustandes spiegelt sich zudem in der Form einer verbalen Aufrüstung, durch die das verbrecherische Tun der Terroristen zu einem kriegerischen Akt aufgewertet wird. Nach dem 11. September 2001 ist rasch eine regelrechte Kriegs-Rhetorik aufgekommen.47 So hat sich etwa George P. Fletcher mit großem geistesgeschichtlichem Aufwand um eine ausreichende philosophische Grundlegung dieser Redeweise bemüht (Romantics at War, bes. 9ff.).48 Andere versuchen diese neue Form asymmetrischer Konflikte in die Tradition der Lehre vom gerechten Krieg zu 42 Vgl. M.C. Desch, International Security 32 (Winter 2007/08), bes. 11ff. 43 Siehe z. B. H. Kluss, Internationale Politik, Heft 11–12 (2004), 155ff.; s.a. F. Vander, Telos 125 (2002), 152ff.; B.S. Byrd / J. Hruschka, ARSP 94 (2008), 70–85; treffend kritisch dagegen R. Hesse, Kant-Studien 98 (2007), 218ff.; M. Schmidt, Legitime Gewalt, 22 Fn. 16. 44 Kritisch zu dieser Form von Zuschreibungs-Politik: R.E. Norton, Journal of the History of Ideas 68 (2007), 635ff., der zahlreiche Belege für derartige Verknüpfungen anführt. 45 I.d.S. vor allem A. de Benoist, Carl Schmitt, bes. 87ff.; siehe zu einer solchen Lesart P. Gottfried, Telos 142 (2008), 189ff.; W.H. Spindler, Die Neue Ordnung 62 (2008), 469ff. 46 Zu dem etwas zynisch klingenden Begriff eines ›Kollateralschadens‹ siehe etwa M. Bohlander, Criminal Law Review (July 2006), bes. 585ff.; K. Waechter, JZ 2007, bes. 63ff. 47 Vgl. dazu T. Ansah, Virginia Journal of International Law 43 (2003), 798ff. 48 Kritisch zu dem in der amerikanischen Politik seit langem eingeübten »war-talk« z. B. B. Ackerman, Yale Law Journal 113 (2004), 1871ff.; s.a. D. Cole, Stanford Law Review 54 (2002), bes. 959; M. Walter / F. Neubacher, KrimJ 34 (2002), 98ff.; T. Rockmore, Metaphilosophy 35 (2004), 386ff.; R. Ehrenreich Brooks, University of Pennsylvania Law Review 153 (2004), bes. 744ff.; H.-H. Kühne, Schwind-FS, 104f.; L. Zedner, Journal of Law and Society 32 (2005), 522ff.; M.E. O’Connell, ILSA Journal of International & Comparative Law 12 (2006), 534ff.; H. Münkler, Die Neuen Kriege, 13ff.; M. Ladiges, Bekämpfung, 294ff.; W. Hetzer, Rechtsstaat, bes. 93ff.; M.C. Waxman, Columbia Law Review 108 (2008), bes. 1372ff.

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stellen.49 Demgegenüber tritt Igor Primoratz für eine deutliche Unterscheidung zwischen Terrorismus und Krieg auf der begrifflichen Ebene ein und bietet hierfür auch eine eigene Definition des Terrorismus an (Cardozo Law Review 29 (2007), 40/45f.). Einige meinen jedoch, in einem solchen Attentat wie dem des 11. September 2001 sei mehr als nur ein Verbrechen zu erblicken. Dieses ›Mehr‹, das im Vergleich zu bloß deliktischem Verhalten zu sehen sei, ist in einer eher symbolischen Deutung solcher Handlungen zu vermuten: darin sei eine Art Kriegserklärung zu sehen. Den Attentätern gehe es nicht nur um die Zerstörung von beliebigen Menschenleben, sondern um einen Angriff auf das politisch-kulturelle System des Westens. Nicht von Ungefähr wurde wohl mit dem ›World Trade Center‹ das architektonische Herz des Kapitalismus als Anschlagsziel gewählt. Auf eine solche Provokation der westlichen Wertegemeinschaft müsse entsprechend deutlich geantwortet werden; hier sind dann wieder die Staaten als politische Akteure gefragt, nachdem deren Ende bereits vielfach verkündet worden ist. Durch die Demonstration militärischer Gewalt reklamiert die nationalstaatlich organisierte Politik auch gegenüber der Weltwirtschaft die Rückeroberung ihrer längst verloren geglaubten Dominanz, denn seit langem gilt im Grunde die Ökonomie als wahre Regentin der Welt.50 In der Form kriegerischer Auseinandersetzung wird der Vorrang der Politik gegenüber dem Recht besonders deutlich. Schon die unverkennbar politisch aufgeladene Symbolik verbiete es, allein in rechtlichen Kategorien zu denken. Wenn überhaupt noch von einer rechtlichen Reaktionsweise die Rede sein kann, dann komme allenfalls eine (zumindest analoge) Anwendung von ›Kriegs-Recht‹ in Frage. Dessen Grenze zum normalen (Polizei-)Recht verschwimme jedoch in Zeiten des Terrorismus ohnehin.51 In Anbetracht einer solchen Interpretation dieses Geschehens als ein unverkennbar politisches Zeichen müsse der Gedanke an eine ›bloß‹ strafrechtliche Beurteilung von Verbrechen in den Hintergrund treten. Es sei vielmehr eine Machtfrage, die dazu nötige, in solchen Angriffsfällen nicht tatenlos zuschauen zu müssen. Die tatmächtige Politik müsse sich die Möglichkeit offen lassen, notfalls mit der Kraft einer ebenso symbolträchtigen Reaktion antworten zu können. Während das juridische Urteilen nur auf den ›Buchstaben des Gesetzes‹ verweisen könne, müsse schon auf der Ebene der begrifflichen Wahrnehmung terroristischer Geschehnisse politische Tatkraft gezeigt werden. Hier entscheide sich das welthistorische Schicksal, welche religiös-kulturelle Sicht sich durchsetzen werde. So sieht man schließlich auch die Frage nach einer möglichen Abschussbe49 Vgl. C. O’Driscoll, in: Security and the War on Terror, 93ff. 50 Siehe dazu St. Stübinger, Strafrecht, bes. 111 m.w.N. 51 Vgl. hierzu K. Waechter, JZ 2007, 61ff.

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fugnis in den hier einschlägigen Fallkonstellationen in den Sog der inzwischen allgegenwärtigen Semantik vom ›Krieg gegen den Terrorismus‹ einstrudeln.52 Es bestehe immerhin die Möglichkeit, dass sich derlei Szenarien als ein ›kriegerischer Luftzwischenfall‹ entpuppen könne.53 Im Abschießen eines gekaperten Flugzeugs müsse sich daher zugleich die Wehrhaftigkeit und Bestandskraft des politischen Systems symbolkräftig signalisieren, dessen Gesamtgefüge letztlich von mehr als seiner rechtlichen Verfasstheit abhänge. Auf unbeteiligte Dritte, die mehr oder weniger zufällig zwischen die Fronten in diesem ›Anti-Terror-Kampf‹ geraten, kann dann wohl keine Rücksicht genommen werden. Umgekehrt wäre die bloße Tatenlosigkeit ein Zeichen politischer Ohnmacht. Ein solches Zeichen der Schwäche sich in solchen Kriegszeiten fatal auswirken könne, da sie die falschen Signale setze. Selbst wenn nicht gleich der Untergang des Abendlandes zu befürchten sei, so müsse doch mit einem erheblichen Staatsversagen in puncto Sicherheitsgewährleistung gerechnet werden. Auf diese Weise soll dem Recht zu Gunsten der Politik die Bewertungshoheit über Fälle dieser Art entzogen werden, denn Krieg ist nun einmal die ur-eigene Sache des Politischen (immerhin gilt nicht selten auch umgekehrt: verfehlte oder fehlschlagende Politik ist eine Ur-Sache des Krieges). Nach einer viel zitierten Phrase von Carl von Clausewitz, dem Klassiker aller Kriegstheoretiker, soll nämlich ein Krieg »eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« sein;54 in diesen Fortsetzungszusammenhang sei dann auch der politische Terrorismus und dessen Bekämpfung einzuordnen, die demzufolge ebenfalls nichts anderes als »war by other means« seien, mit der denkbaren Besonderheit, dass »this war may never end«, wie namentlich Alan M. Dershowitz ausdrücklich hervorgehoben hat. In der hier in Rede stehenden Problematik der rechtlichen Bewertung des Flugzeugabschuss-Falls hat er sich beiläufig entsprechend positioniert: für ihn scheint dies offenbar gar nicht weiter problematisch zu sein, denn es gelte: »It is clearly right to shoot down a commercial jet with hundreds of innocent passengers in it, if the jet is being flown toward a fully occupied large building that cannot be evacuated« (Terrorism, 5f./ 189).55 Die Prophezeiung von einem womöglich unendlichen Krieg gegen den Terrorismus gesellt sich so zu der oben skizzierten Diagnose von einem per52 Zu diesem Topos vgl. etwa W. Hetzer, ZRP 2005, 132ff.; M. Nowak, APuZ 36/2006, 23ff.; s.a. T. Pogge, Journal of Political Philosophy 16 (2008), 1ff. 53 Vgl. D. Wiefelspütz, RuP 43 (2007), bes. 81f.; dagegen wiederum B. Hirsch, RuP 43 (2007), 153ff.; ders., NJW 2007, 1189: »Ein Terrorakt ist kein Krieg«; s.a. die mit politischer Diplomatie geäußerten Differenzierungen von W. Schäuble, ZRP 2007, bes. 213. 54 Carl v.Clausewitz, Vom Kriege, Werke 1, 28. Zur Aktualität dieses Zitates s.a. W. Hetzer, Rechtsstaat (Fn. 23), 36ff.; H. Münkler, EWE 19 (2008), Heft 1, 28f. 55 In dieser Hinsicht ähnlich M. Bohlander, Criminal Law Review (July 2006), 580. Zu verschiedenen Versuchen, Terrorismus unter den (klassischen) Begriff des Krieges zu subsumieren, s.a. M.R. Reiff, Social Theory and Practice 34/2 (2008), 209ff. m.w.N.

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Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg

manenten Ausnahmezustand. Beides zusammen soll auf diese Weise der Politik notfalls den Einsatz ihres kriegerischen Instrumentariums im Anti-TerrorKampf sichern.

2.

Verbrechen oder Feindschaft?

Wenn demnach die freiheitlich demokratische Grundordnung als solche auf dem Spiel stehe, dann müsse an die Stelle rechtlicher Bedenken, die stets aus der Perspektive nachträglicher Beurteilung formuliert werden können, die tatkräftige Vorsorge politischer Akteure treten. So werden kapitale Verbrechen vor eine sprachliche Kriegskulisse geschoben, zu deren wieder entstaubten Requisiten weitere begriffliche Artikel aus dem Theorienarsenal von Carl Schmitt zählen. Diese werden dann in das beliebte Sprachspiel vom ›Krieg gegen den Terrorismus‹ einbezogen. Darin zeige sich geradezu beispielhaft, wie Slavoj Zizek (Willkommen, 114) beiläufig bemerkt hat, dass selbst die »pluralistischen und toleranten liberalen Demokratien zutiefst ›schmittianisch‹ geblieben sind«. Zu Schmitts Theorienerblast zählt dann vor allem dessen Unterscheidung zwischen Freund und Feind, die als Basisdifferenz seines ›Begriffs des Politischen‹ fungiert. Neben der Rede vom Ausnahmezustand und der Freund/Feind-Unterscheidung erfreut sich schließlich noch ein weiteres Thema aus Schmitts Theorienhaushalt derzeit großer Beliebtheit, das sich um die Emergenz einer ›Neuen Weltordnung‹ dreht. In diesem Kontext ist nach der ›Politischen Theologie‹ und dem ›Begriff des Politischen‹ mitsamt der diese Schrift ergänzenden ›Theorie des Partisanen‹ (1963) auch noch Schmitts ›Nomos der Erde‹ (zuerst 1950) zum Gegenstand zahlreicher Publikationen geworden.56 Dieser umfangreiche und wegen seiner einfachen Differenzierungen dennoch überschaubare Theorien-Nachlass ermöglicht es auch noch den Nachkommen der Nachkriegsgeneration von Staatsrechtlern und Polit-Theoretikern verbal ›in den Krieg‹ zu ziehen. Die für den ›Begriff des Politischen‹ zentrale Eingruppierung in Freund oder Feind macht sich dabei unentbehrlich. Ohne diese Unterscheidung hätte das politische Handeln und Verhandeln vermeintlich gar kein Kriterium.57 Gerade in 56 Vgl. etwa W. Rasch, Cultural Critique No. 54 (2003), 120ff.; I. Staff, Zuleeg-FS, 35 ff; M. Dean, Theory, Culture & Society 23/5 (2006), 1ff.; D. Chandler, Millenium 37 (2008), 27ff., B.G. Teschke, International Theory 3 (2011), 179ff., sowie die Aufsätze in den primär dieser Schrift gewidmeten Heften der Zeitschriften Constellations 11/4 (2004); The South Atlantic Quarterly 104/2 (2005); Leiden Journal of International Law 19/1 (2006) und im Sammelband ›The International Political Thought of Carl Schmitt‹, ed. by L. Odysseos / F. Petito, 2007, in denen jeweils Beiträge zu internationalen Tagungen zu diesem Thema präsentiert werden. 57 Siehe vor allem C. Schmitt, Begriff des Politischen, bes. 26ff. Aus der Fülle von Deutungs-

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Zeiten eines Ausnahmezustandes, in dem die normale Rechtsgeltung suspendiert werden müsse, ersetzt die politische Freund/Feind-Gruppierung die juristische Bewertung krimineller Verhaltensweisen. Terroristen seien dementsprechend nicht bloß Verbrecher, sondern Feinde.58 Mit dieser Politisierung der Kriminalität wird allerdings nicht selten zugleich das Urteil über Handlungen durch Vorurteile über feindliche Personen verdrängt, so als ob immer schon feststünde, wer Feind ist und wer nicht. Nicht die Taten, sondern die Täter bilden insoweit dann das Problem. Die (mutmaßlichen) Aktivisten und deren Sympathisanten sollen nach Möglichkeit schon am Tätigwerden gehindert werden; wer ins entsprechende Feindbild passt kann dann sogar am Handeln gehindert werden, wenn es gelingt, ihn vor seinem feindlichen Tun unschädlich zu machen. So bestimmt schon die Auswahl der Differenzierungen, mit denen eine Situation beschrieben wird, die Art und Weise ihrer möglichen Bewältigung, d. h. ob eine rechtliche oder politische Problemlösung gewählt werden soll. Es gehört zur Verführungskunst der Lehren von Carl Schmitt, dass mit seinen Theorien Politik betrieben werden kann, selbst wenn es nur Begriffspolitik ist.59 Mit der Unterscheidung zwischen Freund und Feind scheint alles ganz einfach zu sein: Im (Er-)Finden des Feindes soll die Berechtigung zu seiner Bekämpfung bereits mitgeliefert werden, ohne dass ein weiteres Legitimationsbedürfnis spürbar werde. In der Logik dieser Differenzierungsweise ist der Krieg als Mittel nämlich immer schon vorgesehen. Wer es mit Feinden zu tun hat, darf sich nicht allein auf das Recht verlassen, weil sie als solche im juristischen Wortschatz gar nicht vorkommen sollen. Politik ließe sich demgegenüber nur (mit Freunden) gegen Feinde betreiben. In Schmitts Grundvorstellung existiert versuchen zu Schmitts ›Begriff des Politischen‹ vgl. etwa den von Reinhard Mehring herausgegebenen ›kooperativen Kommentar‹: Carl Schmitt – Der Begriff des Politischen, 2003, sowie H. Hofmann, Legitimität, 101ff.; ders., Zeitschrift für Politik 12 (1965), 17ff.; P. Pasquino, Der Staat 25 (1986), 385ff.; E. Vollrath, Zeitschrift für Politik 36 (1989), 151ff.; T. Vesting, AöR 117 (1992), 4ff.; E.-W. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, 344ff.; H. Meier, Carl Schmitt; ders., Lehre Carl Schmitts, 51ff.; A. Norris, Telos 112 (1998), 68ff.; J. Derrida, Politik der Freundschaft, bes. 123ff./162ff./190ff./199ff.; U. Tietz, Grenzen des Wir, 232ff.; D.R. Wenger, Der Staat 43 (2004), 83ff.; S. Prozorov, Millenium 35 (2006), 75ff.; R. Mehring, Carl Schmitt, bes. 19ff./126ff.; ders., in: Geschichte des politischen Denkens, 510ff.; C. Mouffe, Über das Politische, 18ff./ 101ff.; R. Simon, Begriffe des Politischen, bes. 69ff.; W. Hetzer, Rechtsstaat, 227ff. 58 Vgl. dazu K. Anderson, Political Review No. 139 (2006), 15; J. Griffith, International Journal of Applied Philosophy 20 (2006), 107ff.; T. Yin, Lewis & Clark Law Review 11 (2007), bes. 910ff.; s.a. D. Cole, Stanford Law Review 54 (2002), 953ff.; J. Yoo, George Mason Law Review 14 (2007), bes. 572ff. Auf der Basis seiner eigenen Unterscheidung zwischen Bürger und Feind auch G. Jakobs, HRRS 3/2004, 92; ders., Staatliche Strafe, bes. 46; ders., ZStW 117 (2005), bes. 845f./849ff.; ders., HRRS 8–9/2006, bes. 295; ähnlich O. Depenheuer, Selbstbehauptung, 62ff. 59 Zu dieser begrifflichen Dimension von Schmitts ›Methode‹ vgl. J. Müller, Journal of Political Ideologies 4/1 (1999), 61ff.

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dabei zunächst die Feindschaft als reale Relation, die sich nicht selten in einem Krieg realisieren könne, denn der »Krieg folgt aus der Feindschaft«, er ist letztlich »nur die äußerste Realisierung der Feindschaft« (Begriff des Politischen, bes. 33).60 Die Existenz von Feinden oder zumindest die eines festen Feindbildes geht also der Kriegführung regelmäßig voraus, d. h. man muss seinen Feind kennen und als solchen anerkennen und »sogar anerkennen …, daß er mich als Feind anerkennt«, um notfalls einen Krieg gegen ihn führen zu können. In dieser »gegenseitigen Anerkennung der Anerkennung liegt die Größe des Begriffs« der Feindschaft und die »dialektische Spannung, die die Weltgeschichte in Bewegung hält«, wie Schmitt in seiner ›Erfahrungs‹-Sammlung ›Ex Captivitate Salus‹ (S. 89f.) schreibt. Gleich zu Anfang der »Geschichte der Menschheit« wird für Schmitt ein Exempel für eine wirkliche Feindschaft statuiert, nämlich die unter Brüdern – zwischen »Kain und Abel«. Denn es gelte, den Anderen als einen anzuerkennen, der »mich wirklich in Frage stellen« kann. Diese für die eigene Selbstfindung wichtige Infragestellung kann nur ich »selbst. Oder mein Bruder. Das ist es. Der Andere ist mein Bruder. Der Andere erweist sich als mein Bruder, und der Bruder erweist sich als mein Feind«. Feindschaft beruht für Schmitt jedenfalls stets auf Gegenseitigkeit: ein anderer ist nur dann ein Feind, wenn dieser zugleich als dessen Feind anerkannt wird. An dieser Stelle wird deutlich, dass damit womöglich eine Art Pervertierung der idealistischen Anerkennungstheorie gemeint ist, in der die wechselseitige Anerkennung zur Begründung von Inter-Subjektivität dient. Immerhin zitiert er hier die »großen Sätze des Philosophen: Die Beziehung im Anderen auf sich, das ist das wahrhaft Unendliche. Die Negation der Negation, sagt der Philosoph, ist keine Neutralisation, sondern das wahrhaft Unendliche hängt davon ab« (Ex Captivitate, 89f.). Obwohl er ihn nicht namentlich nennt, wird dennoch klar, dass Schmitt hier auf Hegel schielen möchte.61 Nach der soeben skizzierten Unterscheidung stehen sich für Schmitt stets auf beiden Seiten Feinde gegenüber, zwischen denen kein Wertgefälle klafft. Der Eintritt in einen Kriegszustand bewahrt dann zunächst diese strenge Symmetrie einer wechselseitig anerkannten Feindschaft. Durch diese symmetrische Form einer beidseitigen Konfrontation von Feinden grenzt sich Schmitts Kriterium des Politischen von anderen historisch wirksamen Formen der politischen Semantik ab, die statt dessen mit betont asymmetrischen Gegenbegriffen (wie z. B. ›Zivilisierte‹/›Wilde‹, ›Gläubige‹/›Ungläubige‹, ›Mensch/Unmensch‹, ›Übermensch/Un60 Zu Schmitts Verhältnisbestimmung zwischen verschiedenen Formen von Krieg und Feindschaft und deren Bedeutung für die Begriffsbestimmung des Politischen vgl. z. B. B. Arditi, Telos 142 (2008), 7ff. 61 Zu einigen Annäherungsversuche von Schmitt an Hegel s.a. R. Mehring, Hegel-Jahrbuch 2013, 304ff. m.w.N.

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termensch‹) hantieren. Zu den asymmetrisch angelegten Differenzierungen dürfte wohl auch Günther Jakobs’ Unterscheidung zwischen Bürger und Feind zählen, die sich als Differenz zwischen Person und Unperson übersetzen lassen soll (dazu noch sogleich unten S. 418ff.).62 In solchen Differenzierungen war immer auch ein signifikantes Moment der Abwertung der einen Seite der Unterscheidung eingeflochten.63 Solange demgegenüber die von Schmitt betonte Symmetrie gewahrt bleibt, kann der klassische Kriegsbegriff auch nicht von rechtlichen oder moralischen Unterscheidungen überformt werden, zumindest nicht in der Weise, dass auf der einen Seite ein vermeintlich ›gerechter‹ Krieg geführt wird, während auf der anderen Seite ein ›böser‹ oder ›krimineller‹ Feind lauert.64 In einer rein politischen Differenzierung sind die im Krieg befindlichen Feinde ›jenseits von Gut und Böse‹ bzw. ›jenseits von Recht und Unrecht‹; d. h. aber zugleich: keine der Parteien ist ›im Recht‹, wenn es zum Austausch von Feindseligkeiten kommt. Mit der Freund/Feind-Unterscheidung glaubt Schmitt eine Differenzierungsweise gefunden zu haben, mit deren Hilfe sich die Politik als eigenständig gegenüber Recht, Moral und Ökonomie auszeichnen könne; denn schon zu seiner Zeit ist diese Eigenständigkeit bestritten worden, da das Politische vor allem hinter ökonomischen Interessen zu verschwinden drohte.65 Dies kommt z. B. in Erich Ungers Definition aus dem Jahr 1921 zum Ausdruck: »P o l i t i k – d a s h e i ß t h e u t e i m w e s e n t l i c h e n : Wi r t s c h a f t « (Politik und Metaphysik, 7). Allerdings kennt Schmitt auch eine im Vergleich zu dem skizzierten Idealverlauf gegenläufige Reihung von Krieg und Feindschaft. Diese Umkehr stellt für ihn allerdings »das schlimmste Unheil« dar ; darin entwickele nämlich »die Feindschaft sich aus dem Kriege … statt daß, wie es richtig und sinnvoll ist, eine vorherbestehende, unabänderliche, echte und totale Feindschaft zu dem Gottesurteil eines totalen Krieges führt«.66 Feindschaft soll gerade der legitime Grund des Krieges sein. Ein anfangs grundlos, weil ohne echtes Feindbild geführter Krieg, findet dann einen Sinn allenfalls noch in der Hervorrufung eines Feindes. Wenn eine – mangels entsprechender Konstatierung – tatsächlich zunächst nicht existierende Feindschaft folglich nicht den Grund für einen Krieg liefern kann, dann soll aber zumindest die Kriegführung selbst als ein performativer Akt einen echten Feind kreieren können; an die Stelle der Feind62 Vgl. G. Jakobs, Strafe, 40ff.; dens., HRRS 8–9/2006, 292ff. 63 Vgl. dazu R. Koselleck, Vergangene Zukunft, 211ff./244ff., bes. 258f.; zu einigen historischen Beispielen solcher Klassifizierungen s.a. R. Stichweh, in: Der Mensch, 72ff. 64 Dazu vor allem C. Schmitt, Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, bes. 42ff.; ders., Nomos der Erde, bes. 123ff. 65 Vgl. etwa die entsprechende Befürchtung bei C. Schmitt, Parlamentarismus, 18. 66 C. Schmitt, Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat (1937), in: ders., Frieden oder Pazifismus?, hg. v. G. Maschke, 485; ähnlich ders., Theorie des Partisanen, 96.

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erkennung tritt die Kriegserklärung und ersetzt den Grund durch die Folge. Wer bis dahin noch keinen Feind hatte, schafft sich einen durch eine feindlichkriegerische Maßnahme. In diesem Fall appliziert die Militarisierung der Politik das Kriterium des Politischen. Die Existenz eines Feindes muss keineswegs zwangsläufig in der Ausrufung eines Krieges münden; umgekehrt gilt jedoch: kein Krieg ohne Feindschaft – gleich, ob sie Initial oder Resultat einer kriegerischen Auseinandersetzung ist. Die für Schmitts ›Begriff des Politischen‹ vorausgesetzte Notwendigkeit eines Feindes gibt die alternativen Formen der Begründung des Verhältnisses zwischen Krieg und Feindschaft immerhin deutlich unterscheidbar zu erkennen, selbst wenn dies für das Ergebnis selbst keinen wirklichen Unterschied mehr ausmacht.

3.

Zurechnungsprobleme im sog. »Feindstrafrecht« – eine Parallele?67

Einer solchen Klarheit, die zumindest auch eine Art Leistung einer Theorie oder Begriffsbildung darstellt, entbehren demgegenüber neuere Theorieangebote, die ebenfalls das Wort Feind anführen. Dabei gilt der Begriff des Feindes nicht mehr allein als ein Unterscheidungsmerkmal der Politik, die sich mit dieser Terminologie ausdrücklich gegenüber Recht und Moral emanzipieren sollte. So ist es etwa in Günther Jakobs Differenzierung zwischen ›Bürger‹ und ›Feind‹ alles andere als klar, ob hier eine als real angenommene Feindschaft ein schärferes ›Strafrecht‹ begründen soll oder umgekehrt, die Feindbestimmung erst aus dem Faktum einer härteren Gangart folgt. Für beide Lesarten finden sich in Jakobs’ Texten entsprechende Indizien: einerseits will er davon ausgehen, dass nur derjenige durch Feindstrafrecht »fremdverwaltet« werden müsse, der sich zuvor »zum Terroristen gemacht« habe (ZStW 117 (2005), 849f.) und sich somit als Feind im Wege einer »Selbstexklusion« selbst aus der Gesellschaft verabschiede. Insofern scheint es Feindstrafrecht geben zu müssen, weil es tatsächlich Feinde gibt, nämlich jene, die sich dazu gemacht haben. Feindschaft ist dann quasi ein Sachverhalt, für den ein besonderes Sanktionenrecht erlassen und auf den dies dann angewendet wird; das Recht folgt dann nur einer tatsächlichen Entwicklung. Andererseits versucht Jakobs jedoch zugleich, die Existenz eines Feindstrafrechts »aus den vom Gesetzgeber so genannten Bekämpfungsgesetzen und anderen Vorschriften zu destillieren«; danach wird zum Feind, wer als solcher behandelt – d. h. bekämpft – wird, da erst die Anwendung solcher Bekämp67 Zum »Feindstrafrecht« von G. Jakobs und dessen Differenz zur Konzeption von Carl Schmitt siehe auch die treffende Darstellung von K. Gierhake, ARSP 94 (2008), bes. 340ff. und oben S. 197ff. m.w.N.

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fungsgesetze die Qualifizierung als Feind realisiere, denn schließlich entscheide allein die Gesellschaft »selbst, wer in sie eingeschlossen ist und wer nicht« (HRRS 8–9/2006, 294/293f.). Die Einordnung als Feind oder Bürger ergibt sich dann aber aus der Inklusions-/Exklusionsmechanik des aktuellen gesellschaftlichen Zurechnungsbetriebs. Ob es so etwas wie reale Feindschaft ›gibt‹, bleibt insofern offen; das Phänomen eines vermeintlichen Feindstrafrechts kann insofern dann allein aus der Existenz unterschiedlicher Reaktionsformen geschlossen werden. Jakobs bietet demnach zwei alternative Erklärungsmodi für sein Konzept des Feindstrafrechts an; für keine von beiden kann oder will er sich eindeutig entscheiden. Da sich die unterschiedlichen Deutungen zum Feindstrafrecht jedoch wechselseitig ausschließen, müsste aber eine Entscheidung fallen. In der ersten Variante muss die Existenz von Feinden als eine Art Erkenntnisproblem angesehen werden. Wenn es tatsächlich Feinde (wessen? – des Rechts?) geben sollte, dann scheint sich eine im Unterschied zum deliktisch handelnden ›Normalbürger‹ abweichende Sanktionierung wie von selbst zu begründen, denn Ungleiches kann ungleich – d. h. in diesem Fall wohl vor allem: härter – behandelt werden; die Frage kann nur noch sein, welche Behandlungsweise angemessen erscheint und welche unverhältnismäßig anmutet. Falls sich jedoch herausstellen sollte, dass die Differenzierung zwischen Feind und Bürger in tatsächlicher Hinsicht fehlgeht, dann kollabiert die Unterscheidung und so etwas wie ein Feindstrafrecht erweist sich als illegitim. In diesem Fall müsste das neu erfundene Konzept wieder aufgegeben werden. Offenbar misstraut Jakobs dem Glauben an real existierende Feindschaft, scheut aber zugleich die Aufgabe seiner mühsam etablierten und gegen alle Anfeindungen tapfer verteidigte Unterscheidung, die auch für eine solche Interpretationsoption offen bleiben soll; schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass es ›draußen in der Welt‹ tatsächlich Feinde gibt. Allerdings möchte er seiner Konzeption mögliche Irrtümer bei der Feindbestimmung ersparen. Um das Täuschungsrisiko zu minimieren, schiebt Jakobs die zweite Deutungsmöglichkeit nach. Diese zweite Alternative zeigt sich nämlich weitgehend irrtumsresistent. Der Schluss von einem tatsächlich beobachtbaren Zurechnungsakt auf das Vorhandensein eines entsprechenden Zurechnungsobjektes scheint stets zu funktionieren. Das Faktum, an das sich der Befund eines feindstrafrechtlichen Sonderrechts anschließt, ist hier allein der reale Zurechnungsprozess. Feinde muss es geben, weil es Feindstrafrecht gibt; umgekehrt müsste dann auch gelten: mit dessen Abschaffung verschwindet die Feindschaft wieder – zumindest aus der Welt des Strafrechts. Die vom normalen Bürgerstrafrecht sich unterscheidenden Sanktionsformen kreieren sich gleichsam selbst Feinde als Behandlungsobjekt; wo ein Wort ist, ist auch ein Gegenstand, der damit bezeichnet werden kann. Die als Beleg angeführten Bekämpfungs-

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gesetze diktieren die Ausschlussbedingungen für jene, die unter der Anwendung dieser Gesetze als Feinde ausgeschlossen und bekämpft werden. Diese Sichtweise passt besser zu Jakobs’ Behauptung, er vertrete keineswegs eine positive Legitimationsstrategie zur Begründung des Feindstrafrechts; er »beschreibe« lediglich, »wie das geltende Recht zwischen der Bestrafung eines Bürgers, der ein Verbrechen begangen hat, und dem Umgang mit einem Feind unterscheidet« (HRRS (8–9/2006), 295). Nicht er selbst will zwischen Bürger und Feind differenzieren; er beobachte nur, wie mit dieser inzwischen sogar in Gesetzesform gegossenen Differenzierung beobachtet wird. Eine solche Beobachtung von Beobachtungen kann aber nur die Zurechnungswege beschreiben, die tatsächlich beschritten werden; d. h. zur Beschreibung steht nur der Akt des Exkludierens eines Feindes durch eine entsprechende gesellschaftliche Zuschreibung zur Verfügung. Allein das sich durch eine entsprechende Behandlungsweise manifestierende Ausgeschlossen-Werden als solches kann beschrieben werden. In dieser »kalten Deskriptivität«, wie Jakobs seine Art der Beschreibung bisweilen bezeichnet (ZStW 118 (2006), 844 Fn. 49), ist aber im Grunde gar kein Diagnoseinstrument enthalten, das auf die Feststellung von Feindschaft ausgerichtet werden kann. Eine Aussage über einen vermeintlichen Selbstausschluss von jemandem, der sich selbst »zum Terroristen gemacht« und damit von selbst als Feind geriert habe (ZStW 117 (2005), 850), dürfte in diesem Theorienhaushalt eigentlich nicht vorkommen. Allerdings möchte Jakobs nicht ausschließen, dass die Unterscheidung zwischen Bürger und Feind in der Sache berechtigt ist. Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn es Feinde wirklich geben sollte und sie sich nicht bloß als normatives Konstrukt der aktuellen Kriminalpolitik erweisen mögen. Aus diesem Grund hält er an beiden Deutungsvarianten fest, um sie je nach Bedarf in den Ring werfen zu können. Dies lässt freilich doch an der vermeintlichen Neutralität seiner reinen Deskriptionsabsichten zweifeln. Das Prekäre der offen gelassenen Anwendung unterschiedlicher Imputationslogiken lässt sich aufzeigen, wenn man sie auf ein anderes historisches Beispiel anzuwenden versucht, das ein vergleichbares Zurechnungsproblem aufweist. Gemeint ist die Hexenverfolgung:68 Wenn und solange man Hexen für reale Wesen hält, die wegen ihrer Gefährlichkeit verbannt werden müssen oder gar verbrannt werden sollten, ergibt sich aus dem Glauben an ihre Existenz eine Begründung für entsprechende Abwehrmaßnahmen, die deren Exklusion durch ihre Exekution lediglich nachvollziehen. Wer sich ›zur Hexe gemacht hat‹ oder gar als solche geboren wurde, kann entsprechend ›fremdverwaltet‹ werden, um 68 Vgl. hierzu die interessante Parallelisierung zwischen der Hexenverfolgung und der Terrorbekämpfung von J. Zopfs, Spee Jahrbuch 2006, 31ff.; ders., Jahrbuch des Instituts für juristische Zeitgeschichte Hagen, Band 8 (2006/2007), 395ff.

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Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Kommen hingegen Zweifel an ihrer Realität auf, so kann immerhin auf die zweite Zurechnungsweise zurückgegriffen werden, um aus der realen Verfolgungspraxis die Wirklichkeit der Hexerei zu ›destillieren‹. Dann ließe sich sagen, es müsse Hexen gegeben haben, weil und solange sie tatsächlich als solche verfolgt worden sind. Der früher für rechtmäßig erachtete Umgang mit Hexen lässt dann auf deren Existenz schließen.

4.

Feindschaftsinflation

Im Gegensatz zu diesem bewussten Schwanken zwischen feststellbarer und bloß zugeschriebener Feindschaft bei Jakobs lässt Carl Schmitt demgegenüber keinen Zweifel daran, dass von real-existierenden Feinden auszugehen ist. Feindschaft ist für ihn kein bloßes Konstrukt. Die Freund/Feind-Eingruppierung beschreibt für Schmitt eine ontologische Differenz und nicht nur eine gesellschaftliche Zuschreibungstechnik. Feindschaft scheint für ihn eine Art anthropologische Konstante des zoon politikon zu sein. Er will nicht nur andere bei ihrem Unterscheidungsgebrauch beobachten, sondern selbst die begriffliche Differenzierung liefern, mit der Politik – notfalls auch jenseits von Recht und Moral – betrieben werden kann. So erhält seine Theorie einen Anteil an der Machtpraxis des Politischen. Bei genauerem Hinsehen, kommt Schmitt jedoch nicht mit einem einzigen Feind-Begriff aus; er benötigt vielmehr eine zunehmende Entfaltung dieser Basisdifferenz des Politischen. Für ihn scheint es nämlich verschiedene Kriegsarten und unterschiedliche Grund-Folge-Beziehungen zwischen Krieg und Feindschaft zu geben, die auf sein Grundmodell der politischen Freund/Feind-Gruppierung nicht recht passen wollen. Deshalb hat Schmitt seinen Feindbegriff immer wieder variieren müssen, um ihn als Fundament des Politischen halten zu können,69 auch wenn er sich schließlich nur noch mit einer »reale(n) Möglichkeit« der »Wirklichkeit eines Feindes« begnügen musste, d. h. allein schon die bloße Vorstellung potentieller Feindschaft für das Politische wirksam hielt. Wer die Existenz eines Feindes zwar nicht erlebt aber immerhin doch für nicht unmöglich hält, soll insgeheim das Kriterium des Politischen bereits notwendig akzeptiert haben.70 Denn eines ist für Schmitt nicht denkbar : der restlose Verzicht auf die Freund/Feind-Unter69 Vgl. hierzu und zum Folgenden die Differenzierungen von Kriegsarten bzw. Formen von Feindschaft bei C. Schmitt, Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind (1938), in: Frieden oder Pazifismus (Fn. 66), 598ff.; ders., Ex Captivitate, 56ff.; ders., Nomos der Erde, bes. 112ff./123ff./285ff.; ders., Theorie, bes. 45ff./85ff., sowie das Vorwort von 1963 zur Neuauflage des ›Begriff des Politischen‹, 17f. 70 C. Schmitt, Politische Theologie II, 124.

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scheidung, die im Grunde immer nur eine Feindbestimmung ist, da es auf eine – von Schmitt nicht näher bestimmte – Freundschaft eigentlich nicht ankommt. Diese Einseitigkeit der Freund/Feind-Unterscheidung hat bereits Leo Strauss in seinen 1932 verfassten »Anmerkungen zu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen« kritisiert (in: Gesammelte Schriften 3, bes. 221f.).71 Ein Freund braucht manchmal bloß der Feind des Feindes zu sein. Jedenfalls entfiele ohne diese Unterscheidung »das politische Leben überhaupt«, denn dann »gibt es nur noch politikreine Weltanschauung … aber weder Politik noch Staat«.72 Demnach dürfte für Carl Schmitt das gelten, was Heiner Müller in seiner »Wolokolamsker Chaussee IV« formuliert hat: »der Staat der keinen Feind hat ist kein Staat mehr«. Eine vollständige Abstinenz dieser tief in das Politische eingeschriebenen Differenz entzieht sich jedoch der Vorstellungskraft von Schmitt und entspricht auch nicht seinen Wahrnehmungen, die die Existenz von Feinden nicht zuletzt durch die Vielzahl von Kriegen historisch belegen und insofern zumindest die bleibende Möglichkeit seines Kriteriums erweisen soll. Für ihn gilt deshalb: »Politisches Denken und politischer Instinkt bewähren sich also theoretisch und praktisch an der Fähigkeit, Freund und Feind zu unterscheiden« (Begriff des Politischen, 67). Der ersatzlose Verzicht auf diese Unterscheidung müsste daher das Politische selbst aus dem kollektiven Gedächtnis streichen. Daher sind für Schmitt die »Schlimmsten … die, die leugnen, daß es für sie überhaupt Feindschaft gebe«, wie er in seinem ›Glossarium‹ (S. 4) notiert hat. Solchen Feind-Verleugnern erklärt er sich selbst zum Feind, um zu demonstrieren, dass es ohne diese Differenz nicht geht: »Weh dem, der keinen Feind hat, denn ich werde sein Feind sein am jüngsten Tage«.73 In dieses wirre Beharren auf die Notwendigkeit des Feind-Denkens schleicht sich jedoch ein geradezu inflationärer Gebrauch des Feindbegriffs in Schmitts Texten ein und es wird ein Bedeutungsüberschuss produziert. Nicht jeder Feind wird von realer Feindschaft getragen; so mancher fällt aus der Wirklichkeit des Politischen heraus und löst sich von der dort vorgenommenen begrifflichen Bindung. Daher gilt es, die verschiedenen Feind-Begriffe auseinander zu halten. Aus71 Zu anderen frühen – namentlich konservativen – Kritikern von Schmitts politischer Leitunterscheidung s.a. A. Koenen, Fall Carl Schmitt, 395ff. 72 C. Schmitt, Begriff des Politischen, 52/54. Zu diesem Aspekt der Lehre Carl Schmitts siehe J. Derrida, Politik, 124ff. Im Anschluss an Schmitt hat in jüngerer Zeit insbesondere Chantal Mouffe in ihrem Buch ›Über das Politische‹ eine »Wir-Sie-Beziehung«, die »unter bestimmten Umständen immer antagonistisch werden, d. h. sich in eine Beziehung zwischen Freund und Feind verwandeln kann« für eine »conditio sine qua non der Bildung politischer Identitäten« erklärt (a. a. O., 24f.); s.a. dies., Das demokratische Paradox, 55ff.; dazu auch R.M. Schott, in: E.M. Vogt u. a. (Hg.), Derrida und die Politiken der Freundschaft, bes. 109ff./ 124ff. 73 C. Schmitt, Ex Captivitate, 90. Zu der von Schmitt erklärten Feindschaft gegen die Feinde seiner Freund/Feind-Unterscheidung s.a. R. Gross, Carl Schmitt, 393f.

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gangspunkt ist zunächst der ›wirkliche Feind‹, der dabei eigentlich stets auf der »eigenen Ebene« steht; für ihn soll jener mystisch klingende Vers gelten, den Schmitt gern und häufig von dem deutschen Schriftsteller Theodor Däubler74 geborgt hat: »Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt« (Theorie, 87).75 Dieser Satz findet sich nicht nur an der hier zitierten Stelle seiner ›Theorie des Partisanen‹, sondern u. a. auch schon in Schmitts »Erfahrungen der Zeit 1945/ 47«, die er 1950 unter dem Titel ›Ex Captivitate Salus‹ (S. 90 – dort kursiv hervorgehoben) herausgegeben hat, und gleich mehrfach in seinen »Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951«, dem sog. ›Glossarium‹ (S. 213/217/243). Wie so oft – so scheint auch hier Friedrich Nietzsches Aphorismus über »Mystische Erklärungen« in seiner Sammlung ›Die fröhliche Wissenschaft‹ (Nr. 126) zuzutreffen: »Die mystischen Erklärungen gelten für tief; die Wahrheit ist, daß sie noch nicht einmal oberflächlich sind« (KSA III, 482). Wenn von dieser Form einer ›wirklichen Feindschaft‹ die Rede ist, gerät Schmitt geradezu ins Schwärmen, da sie für ihn mit existenziellen Fragen einhergeht. Weil nur ein ebenbürtiger Gegner einen anderen ernsthaft in Frage stellen kann, dient die Benennung eines Feindes zugleich auch der existentiellen Selbstfindung; wer keinen Feind hat, der soll im Grunde auch nichts über sich selbst wissen können. Daher mahnt Schmitt zur Vorsicht: »sprich nicht leichtsinnig vom Feinde. Man klassifiziert sich durch seinen Feind. Man stuft sich ein durch das, was man als Feindschaft anerkennt« (Ex Captivitate, 90). Solange das politische Wesen vom Dasein eines Feindes abhänge, kehrt sich für Schmitt das alte Sprichwort (›Zeig mir Deine Freunde, und ich sage Dir, wer du bist‹) auf eine schlichte Weise um: »Nenne mir Deinen Feind, und ich sage Dir, wer Du bist«. Daher ist es für ihn eine »Sache der Vernunft … den Feind zu bestimmen (was immer zugleich Selbstbestimmung ist)«; diese selbstbestimmende Funktion, durch die eine Feindschaft zur existentiellen Ergänzung des eigenen Selbstverständnisses beitragen soll, kann der Feind nur erhalten, »so lange ich ihn als Feind realisiere!« (Glossarium, 243/36/190).76 74 Der im Text zitierte Satz findet sich in Däublers Gedicht ›Sang an Palermo‹ in dessen LyrikBand ›Hymne an Italien‹(zuerst 1916); dort steht er als Mittelsatz im 3-Satz-Versmaß: »Wir wollen dann die Beute schreckensbleich zerfetzen: Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt. Und er wird uns, wir ihn zum selben Ende hetzen« (S. 65). In dem genannten Gedicht geht es Däubler um die Befreiung (bzw. Eroberung) Palermos durch die Normannen im Jahr 1072 nach einer Jahrhunderte währenden arabischen Herrschaft: vgl. U. Thiele, in: FreundFeind-Denken, 152 Fn. 12. 75 Vgl. dazu H. Meier, Lehre Carl Schmitts (Fn. 57), 76ff.; ders., Carl Schmitt, 91 m. Fn. 103; R. Groh, Arbeit, 64ff.; J.-W. Müller, Ein gefährlicher Geist, 65ff.; M. Lievens, Constellations 20 (2013), 124/130. Zu Schmitts Verhältnis zu Däubler s.a. E. Kennedy, in: Complexio Oppositorum, bes. 236ff. Zum theo-psychologischen Bekenntnischarakter dieser Aussage s.a. D.R. Wenger, Der Staat 43 (2004), bes. 118. 76 Zu diesen Funktionsbeschreibungen der Feindschaft bei Schmitt s.a. A. Lefebvre, Telos 132

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Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg

Eine mögliche Realisierung einer in diesem klassischen Sinne ›wirklichen Feindschaft‹ kann für Schmitt nur der »nach anerkannten Regeln verlaufende, gehegte Krieg des klassischen europäischen Völkerrechts« sein, der für ihn »nicht viel mehr als ein Duell zwischen satisfaktionsfähigen Kavalieren« sei (Theorie, 56). Allein diese »Hegung des europäischen Landkrieges zum reinen Staatenkrieg«, die Schmitt sogar als »Kunstwerk menschlicher Vernunft« verklärt, bietet Raum für jene ›wirkliche Feindschaft‹, die sich in einem » ›Krieg in Form‹ « realisieren könne, der sich »aus dem Begriff des auf beiden Seiten gerechten Feindes entwickelt«.77 Die einzige Form eines ›gerechten Krieges‹, die Schmitt anerkennen möchte, ist jene Formgerechtigkeit des ›gehegten Krieges‹, der nur einander als gleichwertig anerkennende Kontrahenten kennt; im Übrigen kritisiert er entsprechende Lehrmeinungen von einer vermeintlichen Gerechtigkeit, die mit kriegerischen Mitteln umgesetzt werden könne.78 Gerade das Formgebende als solches ist für ihn die Legitimationsbasis für den Einsatz äußerster Mittel im Rahmen einer kriegerischen Auseinandersetzung, denn allein »die Form nicht die iusta causa« rechtfertige die Kriegshandlungen bis hin zur Tötung eines Feindes (Glossarium, 32). Daher ist es nicht der Zweck, der die kriegerischen Mittel zu heiligen vermag, sondern die ›richtige‹ – nämlich gehegte – Kriegsform kann jeden Krieg rechtfertigen. Nur unter dem Aspekt einer gerechten Formung sei die Feindschaft und eine Kriegsführung zwischen Gleichen gleichsam eine »Ehrensache«, wie Schmitt es in seinem Aufsatz von 1938 ›Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind‹ einmal pathetisch formuliert hat (a. a. O. (Fn. 69), 599). Im Übrigen sei eine kriegerische Auseinandersetzung eine moral- und rechtsfreie Veranstaltung, in der ethische oder juridische Unterscheidungen keine Anwendung finden dürften, solange sie von einem wechselseitigen Anerkennungsverhältnis gleichwertiger Feinde getragen werde; denn in diesem Fall fügen sich die Kontrahenten innerhalb einer festgelegten Feindschaftsbeziehung in eine definierbare Rolle und sorgen quasi wie von selbst durch rollenkonformes Verhalten für die Verhältnismäßigkeit der einzusetzenden Mittel. Die Hegung des Krieges meint dabei nicht zuletzt eine Entkriminalisierung des Feindbildes, die eine Errungenschaft innerhalb der von Kriegen durchdrungenen Geschichte darstellen soll, denn »mit jenen Hegungen des Krieges war der europäischen Menschheit etwas Seltenes gelungen: der Verzicht auf die Kriminalisierung des Kriegsgegners, also die Relati(2005), bes. 88ff.; G.L. Ulmen, in: International Political Thought of Carl Schmitt, 103f.; U. Thiele, in: Freund-Feind-Denken, 151ff. 77 C. Schmitt, Nomos der Erde, 123/125; zum Begriff des ›Krieges in Form‹ s.a. ebenda, 138. Zu Schmitts Begriff der »Hegung« vgl. etwa H.W. Schmidt, in: Epirrhosis, bes. 656ff. 78 Zu Schmitts Kritik an den traditionellen Vorstellungen eines ›gerechten Krieges‹ siehe etwa C. Brown, in: International Political Thought of Carl Schmitt, 56ff.

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vierung der Feindschaft, die Verneinung der absoluten Feindschaft« (Theorie (Fn. 66), 92).

Schlimmer noch als ein Feind ist für Schmitt der Verbrecher, weil er ein Produkt einer juridischen Diskriminierung ist, die der Statik gleichberechtigter Gegnerschaft einen Riss zufügt und ein asymmetrisches Bewertungsgefälle zwischen den Kontrahenten bewirkt. Daher hält er es für »ein auffallendes Resultat« seines » ›Begriff des Politischen‹ «, dass »die Behandlung des Feindes als eines Verbrechers ebenso verbrecherisch werden kann, wie seine Behandlung als abgründiger Dummkopf dumm« (Glossarium, 205). Ein Delinquent wird im Gefühl der moralischen Überlegenheit und im Namen einer Allgemeinheit, die sich allein im Recht wähnt, verfolgt. Wirkliche Feindschaft müsse demgegenüber im gegenseitigen Einvernehmen gehegt und gepflegt werden; es sei geradezu eine Frage der Ehre, die wechselseitige Infragestellung zu beantworten. Nur im Gehege einer regelgerechten Feindschaft komme es nicht dazu, dass sich die Kontrahenten wechselseitig kriminalisieren, wodurch die vorausgesetzte Wertsymmetrie und das Anerkennungsverhältnis zwischen Gleichen verletzt werde. Es gehe nämlich nicht darum, »den Feind als etwas zu definieren, das vernichtet werden muß« (Ex Captivitate, 89). Eine »Vernichtung des Feindes« ist für Schmitt nämlich nur ein »Versuch (Anspruch) einer creatio ex nihilo, einer neuen Welt auf einer tabula rasa. Wer mich vernichten will, ist nicht mein Feind, sondern mein satanischer Verfolger« (Glossarium, 190). Der Vernichter spielt als Schöpfer gleichsam Gott bzw. ist ein Teufel, der sich gottgleich aufführt. Schmitts quasi-romantische Kriegsverherrlichung umfasst freilich keinen allzu großen Geschichtszeitraum. Da solche kriegerischen Auseinandersetzungen in einer formvollendeten Reinheit, wenn es sie je gegeben haben sollte, historisch allenfalls selten vorkommen, kommt Schmitt mit dem Begriff einer ›wirklichen Feindschaft‹ nicht aus; er selbst erahnt womöglich, dass es ›wirkliche Feinde‹ in seinem verklärten Sinne überhaupt nicht gibt; es handelt sich um bloßen Wortzauber, vom sich freilich reichlich viele blenden lassen. Die historischen Realitäten weigern sich jedenfalls beharrlich, für diesen Entwurf einer begrifflichen Wirklichkeit auszusagen. Daher bleiben für Schmitt zwei Möglichkeiten: entweder er muss eingestehen, dass seine Theorie nicht (mehr) passt, da sich das Realpolitische von seiner Begriffswelt entfernt hat, oder er muss seinen theoretischen Ansatz erweitern und mit zusätzlichen Differenzierungen operieren. Schmitt hat sich für letzteres entschieden, obwohl ersteres redlicher gewesen wäre. Es hätte nämlich sehr viel näher gelegen zu behaupten, dass absolute Feindschaft und absoluter Krieg, die schon zu seiner Zeit die realen Erscheinungsformen bildeten, außerhalb seiner Vorstellung über das Politische bleiben und daher keine eigentlich politischen Formen der Auseinandersetzung in sei-

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nem Sinne darstellen. Wie so oft verhindert aber die Eitelkeit des Theoretikers die Einsicht in die Unangemessenheit seiner Theorie; es ist offenbar angenehmer, die engen Vorgaben der eigenen Begrifflichkeit beliebig zu erweitern als ihre völlige Unangemessenheit zur Beschreibung neuer Realitäten einzuräumen. Wenn es nach dem ursprünglichen Theorieentwurf nur die Form einer ›wirklichen Feindschaft‹ sein sollte, mit dem sich der Begriff des Politischen formulieren lassen soll, dann markiert jede Ausdehnung das Scheitern dieser Begriffsbildung. Statt zuzugeben, dass seine politische Leitunterscheidung zwischen Freund und Feind schon im Ansatz nicht ausreichen kann, die Wirklichkeit des Politischen zu erfassen, fügt er immer neue Formen von Feindschaftsbeziehungen hinzu, die ihm geeignet erscheinen, auch das bisher Unbeschreibliche zu beschreiben. Das Gegenteil der ›wirklichen‹ Feindschaft im Sinne Schmitts sei dann nicht etwa eine ›unwirkliche‹ oder gar ›fiktive‹, sondern eine ›absolute‹ Feindschaft, die sich von der formgerechten Einhegung des europäischen Staatenkrieges vollkommen gelöst habe.79 Dieser Ablösungsprozess beschreibt zunächst ein semantisches Problem, denn »Sprache und Begriffswelt des gehegten Krieges und der dosierten Feindschaft waren dem Einbruch der absoluten Feindschaft nicht mehr gewachsen«. Die Realität passt folglich nicht mehr zur begrifflichen Wirklichkeit, die sich Schmitt für die politische Theorie ausgedacht hat. Für dieses Auseinanderklaffen des Gegenstandes und seiner Beschreibung sind keineswegs allein die realen Umstände verantwortlich. Schmitt vertritt nämlich keinen Idealismus, der eine mangelnde Verwirklichung der idealen Begriffe der unvernünftigen Realität vorwerfen könnte. Er vermutet vielmehr im »Feindbegriff selbst … eine Verwirrung« (Theorie (Fn. 66), 58/88), statt das Problem in der eignen Verklärungsarbeit an diesem Begriff zu sehen; an ihm selbst soll es freilich keinesfalls nicht liegen. Schließlich ist nicht zuletzt durch sein eigenes Bemühen um eine Verniedlichung des fein gehegten Krieges die Idee von einer kriegerischen Reinform in die Vorstellungswelt seiner Zeitgenossen gekommen. Mit dem einbrechenden Absolut-Werden von Krieg und Feindschaft bricht nun auch die Theorie von einem vermeintlich sauberen Kriegsgehege zusammen, denn sie kann die unreine Wirklichkeit nicht ertragen. Es stellt sich heraus, dass das Gerede von der Hegung des Krieges nur der Pflege des eigenen Kriteriums für das Politische dienen sollte. Feinde verhalten sich aber tatsächlich nur selten so ehrenhaft wie Schmitt es sich in seinem Theorie-Modell ausgedacht hat. Schmitts Feindbegriff muss sich deshalb ausdehnen und umfasst schließlich doch eine »absolute« Feindschaft und einen ebensolchen Krieg, die sich von den Regularien des gehegten Staatenkrieges abgekoppelt haben. »Der Krieg der absoluten Feindschaft kennt keine Hegung« (Theorie, 56). Es komme folglich zu 79 Zum Begriff der absoluten Feindschaft s.a. G. Schwab, in: Epirrhosis., 665ff.

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einer »Zerstörung der Form durch die Form« einer absoluten Feindschaft. Außerhalb des Geheges regulärer Kriege beginnt dann aber nicht etwa etwas anderes – schlimmeres – als Krieg und Feindschaft, obwohl Schmitt sein Unbehagen gegen diese formlose Formen der Auseinandersetzung kaum verbergen kann, sondern jene Schlagworte gelten plötzlich absolut, weil insgesamt nicht auf sie verzichtet werden soll. Allerdings erkennt Schmitt selbst, dass die politische Unterscheidung zwischen Freund und Feind zwar eine Konstante der Menschheitsgeschichte beschreiben mag, sich aber deshalb keineswegs stets so menschlich darstellen lässt, wie von ihm zunächst erhofft, sondern in ihrer absoluten Gestalt zunehmend unmenschlich wird. Kennzeichen der neuen Form von Krieg und Feindschaft ist mitunter gerade das, was durch die Hegung verhindert werden sollte, nämlich die wechselseitige Kriminalisierung der Gegner. Das Recht zum Krieg wird dabei meist mit dem Unrecht der anderen Seite begründet; die Bekämpfung der Untaten eines solchen Gegners sieht sich selbst im Recht und bestreitet zugleich der anderen Seite einen Rechtsstatus dessen, den Schmitt als ›wirklichen Feind‹ bezeichnen würde. Die Auseinandersetzung ist daher nicht mehr ›in Form‹, sondern gerät außer sich: »Nichtformgerecht ist der Krieg bei dem ein Teil den anderen entrechtet« (Glossarium, 32). Es ist daher gerade die Anwendung rechtlicher Kategorien auf eine kriegerische Auseinandersetzung, die jene Symmetrie zwischen einander als Gleiche anerkennende Feinden stört und in ein Ungleichgewicht bringt. Das Recht kommt der Politik und ihren schön geredeten Begriffen ins Gehege. Denn die Differenzierung zwischen Recht und Unrecht selbst ist – jedenfalls aus rechtlicher Perspektive betrachtet – asymmetrisch und zwingt zur Abwertung einer Seite dieser Unterscheidung, die als negativ und nicht anschlussfähig bezeichnet wird. Nur ein externer Beobachter könnte behaupten, dass nicht mit Recht zwischen Recht und Unrecht unterschieden wird. Mit dem Versuch, auch noch die Absolutheit von Krieg und Feindschaft in seine Theorie zu integrieren, stellt Schmitt die eigenen begrifflichen Möglichkeiten auf eine Zerreißprobe. Einem Kriterium, das sich beliebig weit ausdehnt, wenn es die Realität nicht mehr trifft, entschwindet freilich die Unterscheidungsfähigkeit. Einem derart ausgeleierten Feindbegriff fehlt dann nämlich die Spannkraft, um noch hinreichend bestimmbare Phänomene um- und begreifen zu können. Begriffe dienen jedoch dazu, etwas Bestimmtes von anderem Bestimmten unterscheiden zu können. Was diese Funktion nicht mehr erfüllen kann, wird zum bloßen Wort, mit dem nur noch eine unbestimmte Allgemeinbedeutung ausgeschlossen werden kann.80 Dann taugt es aber nicht mehr als fixes Unterscheidungsmerkmal des Politischen. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Feindschafts-Rhetorik, die zum martialischen Jargon der 1920/30er 80 Vgl. dazu St. Stübinger, Paeffgen-FS, 49f.

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Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg

Jahre gezählt werden kann, es immer wieder schafft, sich auch noch am Beginn des 21. Jahrhunderts Gehör zu verschaffen.

III.

Selbstbehauptung oder Selbst-Enthauptung des Rechtsstaats?

1.

Offene Bekenntnisse

Die theoretischen Grundlagen von Schmitts politischer Theologie und Begriffsbildung erweisen sich– wie gezeigt werden sollte – als ungeeignet. Die Rede vom Ausnahmezustand stellt nämlich kaum mehr als eine Verschleierung bloßer Willkür politischer Zwangsmaßnahmen ohne Recht heraus. Darüber hinaus muss die Freund/Feind-Differenzierung bereits als begriffliche Präzisierung des Politischen wegen der Unfähigkeit, die Absolutheit der Feindschaft auszuschließen, scheitern. Daher müssen die aktuellen Anwendungsbemühungen um so mehr verwundern. Schon die Rede von asymmetrischer Kriegführung81 lässt erkennen, dass die von Schmitt vorausgesetzte Symmetrie wirklicher Feindschaft im Kampf gegen einen internationalen Terrorismus fehlt. Die neuen AntiTerror-Kriege lassen sich – ebenso wenig wie der Terrorismus der 1970er Jahre82 – nicht einmal unter das fassen, was Schmitt als Partisanenkrieg in seine »Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen« (so der Untertitel zu seiner ›Theorie des Partisanen‹) aufnehmen wollte.83 Will man diesen Begriffszauber auf die gegenwärtige Lage anwenden, so zeigt sich, dass Terroristen keine ›wirklichen Feinde‹ i. S. Schmitts sind und der Kampf gegen den Terror nicht einmal einen Krieg außer Form darstellen dürfte. Kennzeichen der gegenwärtigen Auseinandersetzung ist gerade die Kriminalisierung terroristischer Aktionen, die lediglich verbal als ›Krieg‹ tituliert wird. Die Schwierigkeit, terroristische Aktionen, wie die Untaten des 11. September 2001, nicht mehr strafrechtlich ahnden zu können, weil die Terroristen nicht nur unschuldige Opfer, sondern auch sich selbst in den Tod reißen, ändert nichts daran, dass es sich bei solchen Selbstmordattentaten gleichwohl ›nur‹ um kapitale Verbrechen handelt. Nicht die faktische Sanktionierung, sondern die Strafbarkeit entscheidet über eine zutreffende Kategorisierung. Terrorismus und die Frage nach seiner Bewältigung bleibt zwar primär ein politisches Pro81 Vgl. hierzu etwa H. Münkler, Kriege, 48ff. u. ö.; ders., EWE 19 (2008)/1, 36ff. 82 Siehe dazu etwa J. Freund, in: Complexio Oppositorum, bes. 390f. 83 Ebenso J. Derrida, Schurken, 149/211f.; ders., in: J. Habermas / J. Derrida, Philosophie in Zeiten des Terrors, 137; wohl auch H. Münkler, Kriege, 189ff.; a. A. jedoch R. Simon, Begriffe des Politischen, 156ff. m.w.N.; wohl auch A. de Benoist, in: Political Thought, 81f.; ders., Carl Schmitt, 60f.

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blem, dies hindert aber nicht, rechtliche Kategorien sowohl zur Beurteilung von Terrorakten als auch für eine angemessene Restriktion von Anti-Terror-Maßnahmen zu verwenden. Beides muss mit Recht geregelt werden und darf sich nicht in die Ausrede einer ausnahmsweisen Notwendigkeit der Suspendierung des Rechts flüchten. Der Befund über die Unanwendbarkeit schmittianischer Lehren im Falle einer konsequenten Berücksichtigung ihrer eigenen Prinzipien spricht nicht etwa für die politische Theorie Schmitts, wohl aber gegen diejenigen, die eine ungenaue Lehre auch noch ungenau anwenden möchten. Wie so oft könnte es freilich gerade die Ungenauigkeit einer Lehrmeinung sein, die das Geheimnis ihres Erfolges ausmacht. Derjenige, der am kräftigsten am Begriffsbaum Schmitts gerüttelt hat, um aus den herabfallenden Früchten einen neuen Theoriekompott kochen zu können, ist bislang der Kölner Staatsrechtler Otto Depenheuer. Er wollte damit den aktuellen Geschmack der gegenwärtigen Anti-Terror-Politik treffen und hat ihn wohl auch tatsächlich getroffen. Seine kleine Schrift ›Selbstbehauptung des Rechtssstaats‹ hat es immerhin zu einer öffentlichen Leseempfehlung von dem früheren Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble – in einem Interview mit der Wochenzeitung ›Die Zeit‹ (Nr. 30 v. 19. 07. 2007, S. 4) – geschafft. In diesem schmalen Band kehren viele der oben aufgeführten Theoriemomente aus Schmitts Begriffswelt zumindest schlagwortartig wieder ; namentlich die Lehren über den Ausnahmezustand bzw. den Ernstfall, der von der Normalität abweicht (Selbstbehauptung, 35ff.), und die politische Kategorie des Feindes (ebenda, S. 55f.), die nun auch für das Juridische kompatibel gemacht werden sollen.84 Damit will er für eine Erdung der ›Politischen Theologie‹ sorgen und einen juristisch gangbaren Weg vorzeichnen, wie sich der Staat gegen die akuten terroristischen Bedrohungen selbst behaupten könne. Dadurch werden die problematischen Konzeptionen Schmitts ins Recht geholt. Allerdings scheint sich Depenheuer doch nicht ganz sicher zu sein, wo sich der Ort befindet, an dem die Ausnahme herrscht. Zwar spricht er vom »Ausnahmerecht« (S. 37ff.), doch weiß er auch: »der Ausnahmefall bedeutet in seiner intensivsten Form das Ende des Rechts. Dem ›Recht der Ausnahme‹ ist eine normative Entgrenzung eigentümlich: wer die Ausnahme definiert, entzieht sich – ganz oder teilweise den Bindungen des Rechts« (S. 41).

Durch diese Entbindung soll jedoch einer durch Terroristen ausgelösten existenziellen Notlage abgeholfen werden, die sich ebenfalls den rechtlichen Bindungen radikal entziehen würde. Ein entsprechender Definitionsversuch voll84 Die in diesem Abschnitt zitierten Seitenzahlen beziehen sich auf das genannte Buch. Ausführlich zu Depenheuer: W. Hetzer, StraFo 2008, 93ff.; ders., Rechtsstaat, 179ff.; s.a. D. Steiger, Folterverbot, 233f.; K. Gierhake, Zusammenhang, 169ff.

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Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg

zieht sich demnach stets jenseits rechtlicher Grenzen. Depenheuer setzt also auf eine außer-rechtliche Lösung, um außerordentlichem und grenzenlosem Unrecht begegnen zu können. In jenem juristischen Abseits, für das die USA einen konkreten Ort namens » ›Guantanamo‹ « gefunden haben, befindet sich auch der Feind; in dieser »Chiffre für die Sicherheitsverwahrung von Menschen, die als Gefahr erkannt werden«, sieht Depenheuer immerhin »eine verfassungstheoretisch mögliche Antwort im Kampf der rechtsstaatlichen Zivilisation gegen die Barbarei des Terrorismus« (63f.). Dabei handelt es sich bei dieser vermeintlich praktizierbaren Option der Verfassungstheorie freilich um eine rechtliche Unmöglichkeit, solange es mangels entsprechender Verfahren gerade an einer rechtsförmigen Erkenntnis fehlt, dass die Gefährdung der Sicherheit tatsächlich von den dort Inhaftierten ausgeht. Solange nicht einmal die rechtlich vorgesehenen Verfahrensweisen angewendet werden, kann von eine angemessenen Beachtung substantieller Rechtspositionen noch gar keine Rede sein.85 Immerhin haben sich viele der Gefangenen längst als ungefährlich erwiesen. Unabhängig davon kann von einer ›rechtsstaatlichen Zivilisation‹ wohl kaum mehr die Rede sein, wenn sie selbst zu barbarischen (Folter-)Maßnahmen im Kampf gegen die ›Barbarei‹ von vermeintlichen oder tatsächlichen Terroristen greift (dazu oben S. 41/46/73). Wer – als selbst ernannter Wächter vor dem Gesetz – anderen in dieser Weise den Zugang zu rechtlichen Verfahren verwehrt, positioniert sich nämlich selbst außerhalb des Rechts, indem er ihm den Rücken kehrt. Dies ist eine der Lehren, die Jacques Derrida aus seiner Lektüre von Franz Kafkas Erzählung ›Vor dem Gesetz‹ gezogen hat, und die auch hier zu passen scheint.86 Ähnlich hat dies inzwischen auch der US-amerikanische Supreme Court gesehen, der das Gefangenenlager auf Kuba für verfassungswidrig erklärt hat.87 Die von Depenheuer für denkbar erachtete ›Verfassungstheorie‹ widerspricht daher dem (US-)Verfassungsrecht. Auch Depenheuer muss für das deutsche Rechtssystem schließlich selbst anerkennen, dass »Feindschaft … keine Kategorie der geltenden Rechtsordnung« ist, obwohl es so etwas wie »materielles Feindrecht« gebe, das von einer »Feindpolitik« flankiert werde (65/67/73). Depenheuer veranschaulicht seine Position nicht zuletzt am Beispiel der im hiesigen Kontext relevanten Diskussion über den Abschuss eines von Terroristen gekaperten Flugzeugs (24f./75ff.). Damit wird dieser Fall in den begrifflichen 85 Siehe hierzu J.S. Martinez, Columbia Law Review 108 (2008), 1015ff./1028ff./1079ff., bes. 1091f., die kritisiert, dass sich die gerichtlichen Auseinandersetzungen in den USA vornehmlich um prozessuale Fragen drehten und dabei die materiell-rechtliche Problematik nur unzureichend in den Blick geraten ist. 86 J. Derrida, Pr¦jug¦s, 61f. Siehe dazu auch R. Gasch¦, in: Einsätze des Denkens, 262ff. 87 Boumediene v. Bush 553 U.S. __ (2008); vgl. dazu C. Lane, Die Zeit Nr. 26 v. 19. Juni 2008, S. 11; J.P. Book / J. Geneuss, ZIS 7/2008, bes. 328ff.

Selbstbehauptung oder Selbst-Enthauptung des Rechtsstaats?

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Rahmen zwischen Feindschaft und Ausnahmezustand eingespannt. Freilich bleibt auch für eine solche Sicht der Dinge stets die Frage nach der Möglichkeit einer – gegebenenfalls politischen – Rechtfertigung der Tötung Unschuldiger, die in solchen Fällen wohl unweigerlich zu befürchten ist. Schließlich werden die Insassen eines von Terroristen entführten Flugzeuges durch die staatliche Abwehraktion getötet, noch bevor sie Opfer des terroristischen Anschlags werden. In dieser Hinsicht wird von Depenheuer an eine entsprechende Opferbereitschaft der Bürger appelliert. In Zeiten eines Krieges seien Bürgeropfer dieser Art wohl unvermeidlich; dies gelte eben auch in dem zumindest kriegsähnlichen Kampf gegen den Terrorismus. Damit ist nicht allein gemeint, dass die betroffenen Bürger ohnehin in solchen Situationen bereits Opfer der Terroristen sind. Es dürfe ihnen gegenüber dem Staat und den von dem Anschlag potentiell betroffenen Mitbürgern vielmehr abverlangt werden, in normativer Hinsicht das Opfer ihres eigenen Lebens zu erbringen. Für Depenheuer gehört es gleichsam zu einer Art Pflicht, für den Staat zu sterben.88 So wird dann – ebenfalls mit Carl Schmitt – wieder nach der »doppelte(n) Möglichkeit: von Angehörigen des eigenen Volkes Todesbereitschaft und Tötungsbereitschaft zu verlangen« gefragt.89 Mit der Opferung Unschuldiger soll dabei ein Beitrag zu »staatlicher Selbstbehauptung« geleistet werden, denn im Ausnahmefall gelte: »Solidarität überlagert Individualität«; die Selbstaufgabe des Einzelnen verhindere die »Selbstaufgabe des Gemeinwesens« (95/123 Fn. 134/97). Depenheuer kann das staatliche Verlangen nach einem mitunter todbringenden Bürgeropfer letztlich nicht aus dem Recht ableiten, sondern nur aus einer »Grundpflicht des Bürgers« gegenüber Staat und Gemeinschaft (a. a. O., 91), die offenbar aus einem normativen Jenseits stammen muss. Dadurch lässt sich nicht verbergen, dass auch sein Versuch einer Legitimierung des Abschusses einer Terrormaschine außerhalb des Rechts angesiedelt ist. Erst wenn die rechtlichen Bedenken gegen eine politisch erforderte Staatsräson aus dem Weg geräumt werden können, kann seine Vorstellung von einer »Selbstbehauptung des Rechtsstaates« realisiert werden. Dabei wird leicht übersehen, dass das Recht nicht irgendein Glied unserer Staatsform ist, auf das zur Not verzichtet werden könnte. Es ist vielmehr der Kopf des ganzen Gebildes; wer ihn ausschaltet oder gar abschlägt, behauptet nicht den Rechtsstaat, sondern ent-hauptet ihn.

88 Zu einigen Variationen dieser immer wieder behaupteten Pflicht: M. Walzer, Obligations, 77ff. 89 C. Schmitt, Begriff des Politischen, 46 (s.a. ebenda, S. 70); vgl. O. Depenheuer, Isensee-FS, 44; ders., Selbstbehauptung, 76 m. Fn. 93 auf S. 117; s.a. P.W. Kahn, Jerusalem Review of Legal Studies 5 (2012), 33; G. Roellecke, Der Staat 45 (2006), bes. 625f. – vgl. auch dessen Interpretation dieser Stelle: in: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, hg. v. R. Mehring, bes. 96ff.

432 2.

Der Feindbegriff Carl Schmitts im Antiterrorkrieg

Verschämte Anspielungen

Auch wenn sich speziell im deutschen Diskussionszusammenhang – aus verständlichen Gründen – noch nicht allzu viele trauen, ähnlich offene Anleihen an den Lehren Schmitts zu nehmen, so schimmern diese Gedanken gelegentlich eben doch durch, wenn die Behandlung der aufgeworfenen Problematik in das semantische Milieu des Politischen gezogen wird. Selbst wenn die Begriffe Schmitts als solche nicht im Mund geführt werden, so kommen sie doch leicht in den Sinn; beispielsweise bei denjenigen, die eine lediglich bedingte Abwehrbereitschaft des Rechtsstaats monieren und statt dessen für eine ›wehrhafte Verfassungsinterpretation‹ eintreten möchten.90 Oder auch bei jenen, die rechtliche Bedenken gegenüber militärischen Lösung des Problems mit dem Hinweis kontern, es gebe nun einmal Konstellationen, die sich einer juristischen Beurteilung entziehen, in denen das Recht gleichsam mit seinem Latein am Ende sei und gefälligst schweigen müsse oder der abwehrbereiten Politik jedenfalls nicht reinreden dürfe. In solchen Situationen müsse die Entscheidung über die konkrete Handlungsweise den (politischen) Verantwortungsträgern überlassen bleiben, die an den Hebeln der Macht sitzen. Was mit Recht nicht zu regeln sei, müsse mit Macht entschieden und notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden. Und spielen derartige Überlegungen nicht auch eine Rolle, wenn etwa selbst von denen, die explizit für die gleichsam offiziell auszudrückende Rechtswidrigkeit eines Abschusses einer Terrormaschine votieren, insgeheim der Wunsch gehegt wird, in einer entsprechenden Situation möge sich ein zuständiger Entscheidungsträger bereit finden, sich über das Recht zu erheben und das politisch Notwendige zu unternehmen? Eine solche Hoffnung auf eine derartige Lösung der tragischen Entscheidungssituation hat ausgerechnet Dieter Hömig, der als Berichterstatter am Bundesverfassungsgericht zu der Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz beigetragen hat, öffentlich geäußert (in der FAZ vom 05. 01. 2007, S. 4), was von Depenheuer u. a. geradezu genüsslich vorgeführt werden konnte.91 Wer in einer derart – offenen oder versteckten – Weise davon ausgeht, durch den tatkräftigen Eingriff eines politischen Verantwortungsträgers mögen dort Fakten geschaffen werden, wo der Rechtsstaat eigentlich nur Untätigkeit verordnen kann, stützt sich letztlich doch auf den vermeintlichen Vorrang des Politischen gegenüber dem Recht. Wer aus Gründen einer politisch nicht erwünschten Befangenheit die Nähe von Carl Schmitt scheut, mag sich lieber an den weit unverfänglicher wirkenden 90 So etwa C. Hillgruber, JZ 2007, bes. 214ff.; vgl. auch U. Palm, AöR 132 (2007), zusammenfassend 112f.; C. Gramm, DVBl 2006, 653ff. 91 O. Depenheuer, Selbstbehauptung, 33; ders., Isensee-FS, 47 Fn. 16, sowie J. Isensee, JakobsFS, 222; W. Bosbach, in: Vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat, 148.

Selbstbehauptung oder Selbst-Enthauptung des Rechtsstaats?

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Max Weber wenden, der – in Umkehrung einer Wendung von Jürgen Habermas – als ein ›legitimer Lehrer‹ bzw. ›natürlicher Vater‹ von Carl Schmitt bezeichnet werden könnte. Habermas hatte in einer Diskussionsbemerkung von 1964 entsprechend behauptet: »wir können nicht daran vorbei, daß Carl Schmitt ein legitimer Schüler Max Webers war«; in der Fußnote zu dieser Stelle hält er dann die Formulierung »für zutreffender : Carl Schmitt war ein ›natürlicher Sohn‹ Max Webers«.92 So einfach darf sich die rechtliche Bewertungshoheit über das gesamte Staatshandeln indes nicht verdrängen lassen. Um zu einer in diesem Sinne ›reinen‹ rechtswissenschaftlichen Behandlungsweise der hier in Rede stehenden Problematik zurückkehren zu können, war es jedoch erforderlich die Kontamination durch sich im ›Ausnahmezustand‹ wähnende ›Feindpolitik‹ zuerst einmal aufzudecken, bevor man sich den juristischen Lösungsmöglichkeiten zuwenden kann. An Stelle einer – wenn auch nur ausnahmsweise – grundlosen Selbstbestimmung des Willens politischer Souveränität muss sich eine stets grundrechtlich zu bestimmende Entscheidung des Rechts behaupten; denn wahre Souveränität beweist sich vielleicht erst in der Vermeidung von Ausnahmen vom Recht durch dessen konsequente Anwendung. In diesem Sinne soll abschließend noch einmal mit Kant an das Prinzip eines demokratischen Verfassungsstaates erinnern (dazu schon oben S. 180):93 »Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden«.94

92 J. Habermas, in: Logik der Sozialwissenschaften 85 m.Fn. 9. 93 Siehe dazu auch P. Formosa, Social Theory and Practice 34/2 (2008), 157ff. 94 I. Kant, Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen, A 312, Werkausgabe VIII, 642.

Literaturverzeichnis

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Personenregister Verzeichnet sind nur die im Haupttext erwähnten Namen.

Achenwall, G. 151 Agamben, G. 176, 389 Albrecht, E. 226–229 Alexy, R. 253 Allhoff, F. 63, 71, 76, 183 Amelung, K. 245 Anscombe, G.E.M. 327 Aristoteles 80 Augustinus, A. 248 Bagaric, M. 47 Baggesen, J. 111 Bahar, A. 48 Baldus, M. 215 Baum, M. 106 Bayertz, K. 217 Beccaria, C. 83, 89 Beck, J.S. 139 Beestermöller, G. 169 Beling, E. 366 Benjamin, W. 398, 407 Bentham, J. 65, 83f., 89, 144 Bergbohm, C. 357 Bielefeldt, H. 232, 265 Binding, K. 362f. Birnbacher, D. 325, 328 Bitzilekis, N. 130 Blackstone, W. 380 Block, G.W. 100 Böckenförde, E.-W. 221 Bohlander, M. 348 Born, S. 302 Böttcher, D. 227

Boyd, B. 389 Broad, C.D. 326 Brugger, W. 47, 61, 88, 93, 174, 230–240 Bush, G.W. 44, 53f., 72 Bybee, J.S. 48, 55, 63 Cavanaugh, W.T. 45 Cheney, D. 53, 171 Coleman, C.K. 62 Coninx, A. 281–285, 288, 312–315, 317f., 320–326, 328–331, 336f. Curzer, H.J. 41 Darwall, S. 146 Däubler, T. 423 Davis, M. 84 Dederer, H.-G. 250 Depenheuer, O. 429–432 Derpmann, S. 296 Derrida, J. 176, 200, 389, 401f., 430 Dershowitz, A.M. 46, 63, 341, 413 Dohna, A. Graf zu 366f. Dorfman, A. 49 Drees, A. 248 Dreier, H. 47 Dumas, A. 302 Dürig, G. 205, 220, 265 Durkheim, E. 289–292, 306f., 331 Elshtain, J.B. 83 Enders, C. 127 Engländer, A. 196 Erb, V. 192f. 256–258, 260–263, 266, 347

502 Erhard, J.B. 139, 147, 156 Esser, R. 196 Fahl, C. 127, 193, 262 Farrell, M. 174 Feuerbach, P.J.A. 157f. Fichte, J.G. 133, 141, 145, 159f., 357–360 Fischer, J. 49, 78 Fletcher, G.P. 411 Foucault, M. 394 Frank, R. 378f. Frankfurt, H.G. 119 Gallas, W. 305 Geyer, A. 194, 272 Ginbar, Y. 183 Glafey, A.F. 134, 148 Glensy, R.D. 94 Goodman, M.D. 94 Gordon, R. 78–81 Grechenig, K. 319f. Grolman, K.L.W. 360 Gropp, W. 343f. Habermas, J. 49, 93f., 286f., 300, 303, 433 Hälschner, H. 379f. Hamann, J.G 411 Harel, A. 368–375 Harris, T. 389 Harsanyi, J.C. 318f. Hartmann, N. 286, 294f. Hatfield, M. 53 Heffter, A.W. 360 Hegel, G.W.F. 119, 139, 222, 405, 416 Hegler, A. 378f. Heinitz, E. 309 Henke, W. 227 Herbst, C.C. 57, 62, 70 Herdegen, M. 61, 250–252 Herder, J.G. 411 Herrmann, M. 210 Herzberg, R.-D. 52, 263 Heydenreich, K.H. 145, 153, 359f. Hilde, T.C. 89f., 93 Hilgendorf, E. 164f., 217 Hill, D.J. 185–188, 206

Personenregister

Höffe, O. 231 Hofmann, H. 206 Hold von Ferneck, A. 316, 363f. Homann, K. 297 Hömig, D. 432 Honnefelder, L. 218 Hoppe, J. 288f. Hörnle, T. 58, 210 Hruschka, J. 129–131, 133f., 138, 140f., 143 Hufeland, G. 136f. Hugo, G. 151 Hutcheson, F. 84, 148 Jakob, L.H. 99 Jakobs, G. 199, 354f., 417–421 Jaspers, K. 229 Joerden, J.C. 264f. Jung, F.J. 387 Kafka, F. 200, 394, 430 Kahlo, M. 85 Kamm, F.M. 339 Kant, I. 21, 26f., 58f., 82–111, 115, 117–133, 136–143, 146f., 153–156, 180, 205, 208, 214f., 231, 234–239, 244, 262, 273, 281, 318, 325, 329, 359, 370–372, 374f., 411, 433 Kaufman, W. 69, 187f. Kelsen, H. 161 Kennedy, J.E. 307f. Kershnar, S. 67, 91, 93 Kerstein, S.J. 146 Kersting, W. 284 Klein, E.F. 99 Klemme, H.F. 94–96, 124f., 127 Köhler, A. 362 Köhler, M. 342–344 Kohlrausch, E. 364 Köstlin, C.R. 132 Kramer, M.H. 75, 99 Kretschmer, B. 189 Kreuder-Sonnen, C. 409 Krey, V. 196 Krousher, R.W. 45 Küper, W. 350–352

503

Personenregister

Kutz, C.

372

Lachmayer, K. 319f. Lart¦guy, J. 225 Lasson, A. 339 Levinson, S. 39, 84 Levita, C. 380 Lewin, N. 72 Löbel, R.G. 317 Löffler, A. 344f. Lohmann, G. 214 Luban, D. 48, 60, 165, 167–169, 205, 211f. Lüderssen, K. 228 Luhmann, N. 64, 207, 229f. MacDougall, D. 254 Machiavelli, N. 172 MacIntyre, A. 79f., 82 Margalit, A. 208 Martin, C.R.D. 68 Maurach, R.K. 380 McCrudden, C. 217 McMahan, J. 52, 69, 182 Meier, G.F. 132 Meier, H. 174 Menke, C. 403f. Merkel, Rei. 66, 127, 334–336 Merkel, Ru. 347 Miehe, O. 245 Miller, S. 179 Mitsch, W. 277 Mohammed, K. Shaikh 72 Montague, P. 68 Montesquieu 409 Moore, M.S. 72, 77f., 181, 185 Mouffe, C. 176, 389 Müller, A.F. 149f. Müller, Heiner 422 Müller, Heinrich 54 Murad, A.K. 71 Neumann, U. 348 Nida-Rümelin, J. 217 Nietzsche, F. 175, 423 Novalis 165 Nowak, M. 42

O’Donohue, W. 90, 93 Osiel, M. 91, 93 Otto, H. 348, 353 Parfit, D. 58 Patocka, J. 393 Pawlik, M. 285, 348 Peltzer, M. 244 Pensky, M. 297 Posner, R.A. 173 Prauss, G. 98 Primoratz, I. 412 Prittwitz, C. 309 Proelei, I. 150 Pufendorf, S. 149f. Rawls, J. 22, 30, 58, 63, 211f., 231, 282–284, 286f., 312, 317–322, 325–330 Reemtsma, J.P. 267 Reinhard, P.C. 134, 158 Reinhold, C.L. 104f., 110–115, 117–119 Renzikowski, J. 310f. Richter, H. 132 Rogall, K. 344 Rorty, R. 248, 293f. Rosen, M. 205 Roßnagel, A 228 Roxin, C. 192, 306 Scanlon, T.M. 59 Scarry, E. 39 Schachter, O. 215 Schaffstein, F. 132f. Schäuble, W. 429 Schaumann, J.C.G. 139, 145, 153–155 Scheler, M. 302 Schelling, F.W.J. 136 Scheppele, K.L. 409 Scheuerman, W.E. 408 Schild, W. 365f. Schiller, F. 102, 142, 207 Schlegel, F. 145 Schmalz, T. 99, 145, 155 Schmid, C.C.E. 115–117, 132, 145, 156 Schmitt, C. 22, 28, 33, 175–179, 387–392,

504 395–399, 401–411, 414–418, 421–429, 431–433 Schmitt Glaeser, W. 46, 62 Schmitz, H. 67 Scholz, S.J. 285 Schönecker, D. 106 Schönherr-Mann, H.-M. 287 Schopenhauer, A. 100, 208f. Schroeder, D. 78, 244 Schumann, H. 306 Sedmak, C. 292 Sen, A. 322 Sensen, O. 87 Seume, J.G. 408 Sharon, A. 368–375 Shue, H. 39, 51, 60, 184 Sidgwick, H. 59, 119, 327 Sinn, A. 280 Sorel, G. 398 Steinhoff, U. 50, 77, 128f., 133, 140f., 143, 182 Stephani, H. 138 Stoecker, R. 149 Strauss, L. 410, 422 Ströbele, H.-C. 277 Suchanek, A. 297 Sullivan, A. 54 Sulzer, J.G. 135 Sunstein, C. 211 Sussman, D. 87f., 168, 184 Tafinger, W.G. 151 Teifke, N. 253f. Thomas von Aquin 369 Thomasius, C. 132 Tiedemann, P. 94 Tieftrunk, J.H. 130, 140, 157 Tittel, G.A. 59 Trapp, R. 46, 57, 66, 70f. Twining, W.L. 65

Personenregister

Unger, E.

417

Vasak, K. 304 Vidal-Naquet, P. 60 Vigilantius, J.F. 137, 359 von Bar, C.L. 362 von der Pfordten, D. 86 von Nell-Breuning, O. 298 von Soden, J.F. 194 von Sonnenfels, J. 144 von Wächter, C.G. 360, 377 von Winterfeld, A. 243 Wachenfeld, F. 361 Wachter, J.G. 148f. Wagenländer, G. 257 Waldron, J. 48, 168, 207 Walter, T. 376 Walzer, M. 172 Watts Miller, W. 291 Weber, M. 28, 171, 174f., 178f., 232–234, 433 Welzel, H. 384 Wiederholdt, J.L. 145 Wieland, E.C. 197f. Wiggins, D. 300–302 Wilenmann, J. 303, 311f., 337, 347 Williams, B. 40 Wisnewski, J.J. 44f.,183 Wittgenstein, L. 297 Wittreck, F. 61 Wolff, C. 68, 133, 151 Yoo, J.C.

48, 55, 63

Zaczyk, R. 146 Zedler, J.H. 15, 134, 149f., 302 Zeller, J.-M. 257 Zizek, S. 48, 414

Sachregister Themenstichworte, die sich nicht schon aus dem Inhaltsverzeichnis ergeben.

Absolutismus (Moraltheorie) 52, 75 Abu Ghraib 41, 45 Amnesty international 172, 183, 227 Anerkennung 125f., 139, 141–144, 156, 159f., 170, 300f., 416 Anti-Folter-Konvention 39, 55, 84, 167 Ausnahme(zustand) 31, 33, 60, 175–178, 354f., 368–374, 387, 397–411, 414f., 428f., 431, 433 Aussageerpressung 191 Autonomie 85–87, 98–101, 103, 105, 112, 119, 123–127, 138–140, 142, 170, 235, 266 Autotomie 177, 391 Bagram 41 Bergsteigerfall 347f., 365 Brett des Karneades 236, 357, 359 Bürgerstrafrecht 198, 419 CIA-Report 41, 46, 73 Consolidarität 299 Corpus-Modell 390 »Dammbruch«-Argument 57, 257 Deduktion (des Rechts) 152, 156f., 160, 162 Deontologie / Deontologismus / deontologisch 58f., 74–78, 81f., 84, 144, 325–329 Dezision 177f., 310, 355, 374, 399–401, 403–407 Differenzierungstheorie 192

dignitas 149, 151, 219 »dirty hands« 172 »Dirty Harry« 43, 129 Duldungspflicht 283, 309, 313–315, 317, 321, 330, 335, 361 Einwilligung / Einwilligungslösung 29f., 278–282, 323, 330 Ensembletheorie 217 Ent-Persönlichung 28, 127, 170, 331 Entscheidung 391–408 Entschuldigung 32, 203, 274f., 361, 368, 376f., 382–385 Exemtionstheorie 357, 359f. ›Faktum der Vernunft‹ 100 Feind 197–200, 414–430 Feindstrafrecht 197–199, 418–420 ›Flugzeugabschuss-Fall‹ 24, 33, 276–278, 322f., 347f., 373, 387, 413 Folterandrohung 51, 190f., 241, 247, 263 ›Frankfurter Fall‹ 41, 66, 71, 73, 78, 82, 129, 191f., 232, 244f., 250, 253, 260, 263 Freiheit (s. a. Autonomie) 100–119, 121–124, 142, 233–236 Gebotenheit (Notwehr) 195f. Gerechtigkeit 209, 283f., 286f., 294f., 318–322, 326–329 Gesellschaftsvertrag 134 Gesinnungsethik 101, 233f. Guantanamo 41, 53, 200, 430

506

Sachregister

homo phaenomenon / noumenon 97, 122 ›honeste vive‹-Grundsatz 125, 130, 138 Imperativ, kategorischer (s. a. Zweckformel) 84–86, 90–92, 101, 128, 155 Inter-Personalität 143 Inter-Subjektivität 96, 416 Kommunitarismus 231, 239f., 283, 311f. Konsequentialismus / konsequentialistisch 58f., 74–76, 81f., 325–330, 369 Leistungstheorie 207 Leximin-Prinzip 321f. Liberalismus 283, 311f. Luftsicherheitsgesetz 205, 276, 369, 387, 432 Lügenverbot (Kant) 88, 238, 370–372 Maximin-Regel 320f., 329 Menschheit 97–99, 137–144, 155–157 Mitgifttheorie 207 moderamen inculpatae tutelae 194 Normentheorie 312 Notwehreinschränkung

196

Objekt-Formel 205, 234 obligatio in solidum 288, 304 Person / Persönlichkeit 96–101, 124–127, 137–143, 145–149, 151–156, 158–163 Pflichtenkollision 47, 309, 350–352, 385 Prosolidarität 299 realpolitik 173 Rechtfertigung 181f., 188f., 192f., 195f., 274f., 277–280, 313, 332–334, 336f., 346–349, 361f., 366f. Rechtsbegriff 93f., 124, 126, 145f., 154, 215–218 Rechtsgut(slehre) 218, 247, 250f., 256, 338, 348 Rechtspflicht 125, 130, 136–141, 143, 155, 303 Rechtsstaat 28, 126, 144, 158, 160–163,

170f., 193f., 196, 222, 263–267, 391, 431f. Rechtswidrigkeit 31f., 271–275, 337f., 341f., 352f., 363f., 366, 376 »Rettungsbefragung« 57, 66, 70f. »Schleier des Nichtwissens« 282, 318f., 323 Schuld(begriff) 271, 273–275, 368, 376–383 »Schutzschild«-Fall 332 11. September 2001 24, 29, 51, 71, 80, 171, 276, 387, 408f., 411f., 428 Sirupflaschen-Fall 131 »Slippery slope« 57 Solidarität (Prinzip) 18, 30, 281, 283–314, 323–326, 328–332 Solidum 300, 302 Sorites-Paradoxie 77 Spontaneität 106, 121f., 404 Strafgerechtigkeit 92 Subjekt 92, 97, 120f., 124–126, 141–143, 146, 152–154 Supererogation / supererogatorisch 293, 303 Tabu 70, 242 Tatherrschaft 379 Terror(ismus) 40, 51, 71, 73, 171f., 177f., 199–201, 339f., 389f., 411–414, 428–431 »threshold deontology« 77f. »ticking bomb«-Szenario 58, 64f., 68f., 84, 93, 144, 170, 173, 182f., 185f., 188, 226 »torture lite« 52 Torture-Memos 47 »torture porn« 44 torture warrants 63 Tugendethik 78–80, 207 Unrecht 271–275, 367f. Unterschiedsprinzip / Differenzprinzip (i. S.v. Rawls) 287, 320–322 Urteil 392–396 Urzustand (i. S.v. Rawls) 282, 318, 320, 322–325, 330f.

507

Sachregister

Utilitarismus / utilitaristisch 58f., 75–78, 83, 89, 144, 148, 171, 232, 239f., 283, 287, 303, 319f., 327–329, 339, 341 Verantwortungsethik 28, 175, 233f., 295 Verbrechensmerkmal 271 Volenti non fit iniuria 140, 278 Waterboarding

46, 56, 63, 71f.

Weichensteller-Fall 384f. Willkür 89, 103–113, 117f., 120–124 Würde 38, 93–101, 147–157, 162–167, 169–171, 204–223 Zurechnung 82, 100, 103–105, 109, 117, 123f., 126f., 169, 190, 263, 273, 334f., 342f. Zweckformel 86, 155, 234