Die Stellung der Vorexilischen Schriftpropheten zum Kultus

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Der israelitische Kultus des 8.—6. Jahrhunderts
III. Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes
IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten über den israelitischen Kultus
V. Die Kulthandlungen
VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal
Abkürzungsverzeichnis

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RICHARD H E N T S C H K E D I E STELLUNG D E R VO REX I LISCH E N SCHRIFTPROPHETEN ZUM KULTUS

DIE STELLUNG DER VOREXILISCHEN SCHRIFTPROPHETEN ZUM KULTUS VON

RICHARD HENTSCHKE

B

VERLAG ALFRED TÖPELMANN, B E R L I N W35 1957

B E I H E F T E ZUR Z E I T S C H R I F T F Ü R D I E ALTTESTAMENTLICHE WISSENSCHAFT 76

Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen von der Verlagshandlung vorbehalten

Printed in Germany Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Druck: Buchkunst, Berlin W 36

Diese Arbeit wurde von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster als Inaugural-Dissertation angenommen. Referent war Prof. D. Dr. WILHELM RUDOLPH und

Korreferent

Prof. D. JOHANNES HERRMANN. Die mündliche Prüfung fand am 5. 12. 1953 statt. Hier möchte ich Herrn Prof. RUDOLPH für die wissenschaftliche Förderung und persönliche Hilfe, die er mir stets in väterlicher Weise zukommen ließ, besonders herzlich danken. Herrn Prof. D. Dr. JOH. HEMPEL bin ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Beihefte zur ZAW und für seine Hinweise bezüglich der notwendig gewordenen Kürzung sowie ihm und seiner Frau für das Mitlesen der Korrekturen zu tiefem Dank verpflichtet.

Inhaltsverzeichnis Seite

I. Einleitung

1— 3

II. Der israelitische Kultus des 8 . - 6 . Jh.s 1. Überblick über die Bestandteile des israelitischen Kultus . . . 4— 6 2. Die vormosaischen Bestandteile des israelitischen Kultus . . . . 5— 6 3. Die Auswirkung des Jahweglaubens auf die Gestaltung des israelitischen Kultus vor und zur Zeit der Einwanderung nach Kanaan 6—8 4. Die Grundzüge des kanaanäischen Naturkults und sein Einfluß auf Israel 9-12 6. Jahwe und Baal und die naturhafte Umdeutung der Bundesvorstellung 12—16 6. Das Eindringen kanaanäischer Kultbräuche und Vorstellungen in die Jahwereligion 16—19 III. Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes 1. Einführung 2. Die Entstehung des israelitischen Königtums 3. Die Stellung der Schriftpropheten zum Königtum a) Arnos b) Hosea • c) Jesaja d) Micha und Zephanja e) Jeremia f) Zusammenfassung 4. Die Verwendung der einzelnen Motive der Gott-König-Ideologie bei den Schriftpropheten

20-21 22—23 23—24 24-26 26-28 29 29—30 30—32 32 32—46

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten über den israelitischen Kultus 1. Die Erwähnung der Kultstätten bei den vorexilischen Schriftpropheten 47—49 2. Arnos 49-53 3. Hosea 63—65 4. Jesaja 56—60 6. Micha 60-61 6. Zephanja 61—62 7. Jeremia 62—66 8. Die heiligen Gegenstände 66 a) Altäre 67 b) Masseben 67—68 c) Äscheren 68

Vili

Inhalt d) Kultbilder e) Ephod, Teraphim und Losorakel f) Die Bundeslade

V. Die Kulthandlungen 1. Einführung 2. Arnos 3. Hosea 4. Jesaja 5. Zephanja 6. Micha 7. Jeremia 8a) Feste: Neumond und Sabbat b) Naturfeste 9. Der Begriff des Kultischen

6 9 - 71 71 71— 72 73 7 3 - 88 88-93 94-103 103-104 104-107 108-118 118—119 119—120 120-126

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal 1. Abgrenzung der Aufgabenbereiche der israelitischen Priester und Propheten 2. Das israelitische Priestertum a) Aufgabe und Bedeutung des Priestertums in der Jahwereligion b) Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Priestertum 3. Das israelitische Prophetentuni im 8 . - 6 . Jh. a) Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft b) Die Weiterentwicklung des Nebiismus während der Königszeit 4. Das Verhältnis der Priester und Propheten im 8 . - 6 . Jh. und die Beurteilung dieser beiden Stände durch die Schriftpropheten a) Arnos b) Hosea c) Jesaja d) Micha e) Jeremia 6. Die Termini zur Bezeichnung priesterlicher und prophetischer Funktionen 6. Schluß Abkürzungsverzeichnis

126-129 129—133 134-137

137—145 145—148

149-152 152-153 153—157 157-159 159-169 169—174 174—175 175—176

I» Einleitung Innerhalb der letzten drei Jahrzehnte hat sich in der alttestamentlichen Wissenschaft ein Umschwung in der Einschätzung der Bedeutung des Kultus für die Religion Israels vollzogen, durch MOWINCKELS »Psalmenstudien« und J . PEDERSENS »Israel« angebahnt1. Die seither von verschiedenen Seiten unternommenen Bemühungen um die Erforschung des israelitischen Kultus 2 haben gezeigt, daß er eine außerordentlich wichtige, zentrale Stellung im religiösen Leben des vorexilischen Israel einnahm. Diese veränderte Sicht macht auch eine erneute Untersuchung des Verhältnisses der vorexilischen Schriftpropheten zum Kultus notwendig3, zumal sich in neuerer Zeit die Tendenz bemerkbar macht, die Polemik der Propheten gegen den Kult nicht im Sinne seiner radikalen Ablehnung zu verstehen, sondern im relativen Sinne, als Kritik an bestimmten kultischen Mißständen und Auswüchsen4. Dabei geht man von einem sehr weit gefaßten, rein 1 S. M O W I N C K E L , Psalmenstudien I—VI, Kristiania 1921—1924. Joh. P E D E R S E N , Israel it's Life and Culture, I — I I , London & Copenhagen 1926, Band I I I — I V , 1940. Ders., Canaanite and Israelite Cultus, Acta Orientalia 18, 1939, S. 1—14. Ders., Passahfest und Passahlegende, ZAW (52) NF 11, 1934. 2 Myth and Ritual. Essays on myth and ritual of the Hebrews in relation to the culture pattern of the Ancient Near East. London 1933 und The Labyrinth, London 1936, beide Sammelbände herausgegeben von S. H. H O O K E . Über die Arbeiten der sog. Uppsala-Schule berichtet A. B E N T Z E N in Theol. Rundschau NF 17, 1948/49 (Skandinavische Literatur zum AT 1939—48). Siehe ferner H. R I N G G R E N , König und Messias, ZAW (64) NF 23, 1953. G. VON RAD, Deuteronomiumstudien2, FRLANT, N F 40, Göttingen 1948. Ders. Das formgeschichtliche Problem des Hexateuchs, BWANT IV, 26, 1938. Ders. Erwägungen zu den Königspsalmen, ZAW (58) N F 17, 1940/41. Ders. Das judäische Königsritual, ThLZ., 72, 1947. M. NOTH, Uberlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948. Ders. Das System der zwölf Stämme Israels, BWANT

4, 1, 1930. Ders. Die Historisierung des Mythus im AT, Chr. u. W. 4. Jg. 1928. Ders. Gott, König, Volk im AT, ZThK. 47. Jg. 1950. H.-J. K R A U S , Die Königsherrschaft Gottes im AT, Tübingen 1951. Ders. Gottesdienst in Israel, München 1954. 3 Dabei soll der Ausdruck »Schriftpropheten« nur als zusammenfassende Bezeichnung für die israelitischen Propheten von Arnos bis Jeremia dienen; er darf nicht dahingehend mißverstanden werden, als seien diese Propheten als Schriftsteller anzusehen. 4 Im Sinne der radikalen Ablehnung des Kultus wird die Polemik der Propheten interpretiert von: P. VOLZ, Die radikale Ablehnung der Kultreligion durch die alttestamentlichen Propheten, ZSyTh. 14. Jg. 1937 und: Prophetengestalten des AT Stuttgart 1938, S. 19 u. 5 6 . J . W E L L H A U S E N , Prolegomena. 5 . Aufl. 1899, S. 23f. J . A. B E W E R , The Literature of the OT in its Historical Development, New York, 1924, 5 . 91, 161, 167. J . S K I N N E R , Prophecy and Religion. Studies in the Life of Jermiah. H e n t i c h k e , Die Stellung det vorexilischen Schxiftprophetefl zum Kultus

1

Einleitung

2

phänomenologischen Begriff des Kultus aus, den man mit jeder organisierten Form des gemeinschaftlichen gottesdienstlichen Handelns überhaupt gleichsetzt. E r umfaßt dann sowohl den Opferkult der altorientalischen Religionen als auch den opferlosen synagogalen Gottesdienst, ja selbst die jeder Liturgie entkleideten Versammlungen der Quäker1. Dieser phänomenologische Begriff des Kultus darf jedoch nicht der Untersuchung über die Stellung der israelitischen Propheten zum Kultus zugrunde gelegt werden, denn er war sowohl den Propheten als auch ihren Zeitgenossen völlig fremd. Die Äußerungen der Propheten beziehen sich nämlich nicht auf einen allgemeinen und abstrakten Begriff des Kultus überhaupt, sondern auf den konkreten israelitischen Kultus ihrer Zeit und den in diesem Kultus handelnden Menschen. Deshalb kommt es darauf an, so genau wie möglich zu bestimmen, welche konkreten Möglichkeiten des gemeinschaftlichen gottesdienstlichen Handelns sie gekannt haben, und wie weit sie in der Bestimmung dessen, was echter Jahwekult sei, mit ihren israeliC a m b r i d g e 1 9 2 2 , S . 1 8 1 f. ; W . O. E . OESTERLEY a n d T H . H . ROBINSON, H e b r e w R e l i g i o n ,

it's Origin and Development. 2. Aufl. London 1937, S. 21 u. 202. B. GRAY, Sacrifice in the OT, it's Theory and Practice. Oxford 1926, S. 43 u. 45. CHR. NORTH, Sacrifice in the OT. Exp. Times X L V I I , Febr. 1936. L. KÖHLER, Theologie des AT. Tübingen 1936, S . 1 7 0 f f . H . GUNKEL

D i e P r o p h e t e n . G ö t t i n g e n 1 9 1 7 , S . 3 0 , 8 6 f . A . WENDEL,

Das

Opfer in der altisraelitischen Religion. Leipzig 1927, S. 109 f. A. LODS, The Prophets and the Rise of Judaism. New York 1937, S. 66. R . B. Y . SCOTT, The Relevance of the Prophets. New York 1947, S. 65. B. DUHM, Israels Propheten. 2. Aufl. Tübingen 1922, S. 135. E . SELLIN, Der alttestamentliche Prophetismus. Leipzig 1912, S. 33, 35, 49, 54, 56, 71. J . HEMPEL, Die Worte der Propheten. Berlin 1949, S. 214f. Ders. Das Ethos des AT, ZAWB 67, Berlin 1938, S. 26. G. HÖLSCHER, Geschichte der israelitischen und jüdischen Religion. Gießen 1922, S. 104, 106f., 110, 112. S. MOWINCKEL, The Spirit and the Word in the Preexilic Reforming Prophets. J B L . 53,1934. Ders. Psalmenstudien I I . S. 320f. I I I , S. 44f. H. W. HERTZBERG Die prophetische Kritik am Kult. ThLZ 75, 1960. Dagegen vertreten u. a. folgende Forscher die Ansicht, daß die Polemik der Propheten gegen den Kultus nur relativ zu verstehen sei, d. h. daß die Propheten nur die heidnische Entstellung des Jahwekults tadeln: A. WELCH, Prophet and Priest in Old Israel. London 1936, S. 34, 71f., 148. W. O. E . OESTERLEY, Sacrifices in Ancient Israel, Their Origin, Purposes and Development. New York 1937, Kap. 12. C. LATTEY, The Prophets and Sacrifice; a Study in Biblical Relativity. J T h S t . X L I I 1 9 4 1 , S. 155—165. H. W. ROBINSON, Hebrew Sacrifice and Prophetic Symbolism, J T h S t . X L I I I , 1942, S. 43, 129—139. J . E. COLERAN, The Prophets and Sacrifice. ThSt. V 1944. H. H. ROWLEY, The Unity of the OT, B J R y l L i b . 29, Manchester 1946, S. 6. Ders. The Meaning of Sacrifice in the OT, B J R y l L i b . 33, Manchester 1950, S. 79f., 88—91, 96. JOH. PEDERSEN, Israel I I I — I V , London 1940, S. 630. R. KITTEL, Geschichte Israels II, S. 327 Anm. 2. F. BAUMGÄRTEL, Die Eigenart der alttestamentlichen Frömmigkeit. Schwerin 1932, S. 21. R. DUSSAUD, Les origines cananéennes du sacrifice israélite. Paris 1921, S. 21, 25. J . HOSCHANDER, Priests and Prophets. New York 1938, S. 59f. S. H. HOOKE, Prophets and Priests, London 1938, S. 26. 1

Vgl. G. VAN DER LEEUW, Phänomenologie der Religion, Tübingen 1933, S. 424.

Einleitung

3

tischen Zeitgenossen übereinstimmten. Der Begriff des Kultus muß sich also aus der Befragung der prophetischen Aussagen und der kultischen Überlieferung des AT. ergeben und darf nicht von außen herangetragen werden. Man wird der Geschichtsbezogenheit der prophetischen Verkündigung nicht gerecht, wenn man an sie mit der Frage herangeht, ob die Propheten eine Religion ohne bestimmte feste Formen des gemeinschaftlichen gottesdienstlichen Handelns anstrebten oder nicht. Sachgemäß kann man nur fragen, ob die Propheten eine Korrektur oder Umdeutung der bereits bestehenden kultischen Bräuche anstrebten, oder ob sie diese bestehenden Bräuche als dem Jahweglauben unangemessen ansahen und deshalb ablehnten. Dann erhebt sich die Frage, ob die vorexilischen Schriftpropheten irgendwelche positive Aussagen über einen Jahwe wohlgefälligen Kultus gemacht haben, und ob sie damit eine neue, besondere Auffassung des Kultus vertraten.

II. Der israelitische Kultus des 8.—6. Jahrhunderts i. Überblick über die Bestandteile des israelitischen Kultus Zum Verständnis der kultischen Verhältnisse des zu behandelnden Zeitraumes ist es notwendig, einen kurzen Abriß der Geschichte des israelitischen Kultus zu geben. Es kommt hier vor allem darauf an, die Herkunft und ursprüngliche Bedeutung der einzelnen Bestandteile des israelitischen Kultus des 8.—6. Jahrhunderts zu erfassen, um dann feststellen zu können, wie weit diese ursprüngliche Bedeutung noch zur Zeit der Schriftpropheten lebendig war, oder ob sie durch eine neue, aus dem Wesen der mosaischen Jahwereligion kommende Bedeutung ersetzt wurde. Die alttestamentlichen Forscher sind sich darüber einig, daß die Israeliten keinen ihnen eigentümlichen, von den Kulten ihrer Umwelt grundsätzlich verschiedenen Kultus herausgebildet haben 1 . Das gilt auch für die Zeit des Zusammenschlusses der israelitischen Stämme unter Mose und die ganze folgende Geschichte der israelitischen Religion. Der Jahweglaube hat nur das vorhandene Material umzudeuten und in einen neuen Glaubenszusammenhang einzuordnen versucht. Solche Umdeutungen sind uns in der Tat gerade auf Grund des Vergleichs mit ähnlichen Erscheinungen der Religionsgeschichte greifbar. Man darf also für die Betrachtung des israelitischen Kultus nicht bei der Aufdeckung der ursprünglichen Grundidee des betreffenden Opfers und Ritus stehen bleiben, sondern man muß auch das in Israel lebendige Verständnis desselben zu erfassen suchen. Dieses Verständnis wird natürlich zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden ausgesehen haben. Der Unterschied in der Deutung der kultischen Einrichtuntungen und Handlungen betrifft nicht nur die Zeit, sondern auch die 1 Vgl. A. B E R T H O L E T , Der Sinn des kultischen Opfers. Pr. A. W. Jg. 1942, Berlin 1943. Ders. Zum Verständnis des alttestamentlichen Opfergedankens. J B L . 1930. M. B U B E R , Das Königtum Gottes. 2. Aufl. Berlin 1936. Ders. Der Glaube der Propheten, Zürich 1960. R. D U S S A U D , Les origines cananéennes du sacrifice israélite, Paris 1921. I. E N G N E L L , Studies in Divine Kingship in the Ancient Near East, Uppsala 1943. G. B. G R A Y , Sacrifice in the OT. J O H N G R A Y , Cultic Affinities between Israel and RasShamra. ZAW (72) NF. 22, 1950. O. E. J A M E S , Origines of Sacrifice, London 1937. A. LODS, Israelitische Opfervorstellungen und Bräuche. ThR. 3. Jg. 1931. S. MoW I N C K E L , Religion und Kultus. Göttingen 1953. C H R . N O R T H , Sacrifice in the OT, E. T. X L V I I 1936. M . N O T H , Das System der zwölf Stämme Israels. W . O. E. O E S T E R L E Y . Sacrifices. A . W E N D E L , Das Opfer. J . P E D E R S E N , Canaanite and Israelite cultus Acta Orientalia 18, 1938. N. H. S N A I T H , Worship, in Record and Révélation IV/3 hrsg. von H. W. R O B I N S O N , Oxford 1938. M. S T A P L E S , Cultic Motifs in Hebrew Thought. A J S L 54/65,1938.

2. Die vormosaischen Bestandteile des israelitischen Kultus

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verschiedenen Volkskreise und Landesteile. Diese Differenzierung der Kultfrömmigkeit nach Zeit und Bevölkerungsgruppen ist recht schwierig und nur unvollständig durchführbar. Die regionale Differenzierung erweist sich als noch schwieriger. Immerhin hat die neuere alttestamentliche Forschung einige dieser lokalen Traditionen aufgedeckt1. 2. Die vormosaischen Bestandteile des israelitischen Kultus

Die Bestandteile des israelitischen Kultus kann man, ihrer Herkunft entsprechend, in zwei Gruppen einteilen: 1. Anschauungen und Bräuche, die die israelitischen Stämme aus der Zeit ihres Halbnomadendaseins ins Kulturland mitgebracht haben. Diese haben sie mit den übrigen semitischen Stämmen, die die Randgebiete der Wüste bevölkern, gemeinsam. 2. Solche Bräuche, die sie während und nach der Landnahme in Palästina von den Kanaanäern übernommen oder unter ihrem Einfluß herausgebildet haben. Zu den unter 1 genannten Elementen gehören der Dämonen-, Geister- und Elglaube2, (itf, V«, T?fe) der in der Natur, vor allem in ihren besonders auffallenden Erscheinungen, das Walten übermenschlicher Mächte sieht. Er ist der Nomaden- und Bauernreligion bis zum gewissen Grade gemeinsam, nur haben diese Wesen bei den Nomaden mehr willkürlichen, numinosen Charakter und sind auch nicht ganz so streng an bestimmte Orte und Gegenstände gebunden wie im Kulturland3. Besondere Bedeutung kommt der El-Religion zu. Diese oberste Gottheit des gemeinsemitischen Pantheon ist zugleich die Schutzgottheit der Sippe, des Stammes und des Einzelnen. Die Aufsicht über das Recht und die sozialen Ordnungen gehört zu ihren besonderen Aufgaben4. 1 E . SELLIN, Wie wurde Sichern eine israelitische Stadt ? 1922. Ders. Gilgal 1917. A. ALT, Gott der Väter. BWANT. 3, H. 12,1929 (jetzt: Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, I, München 1953, S. 1 ff.). Ders. Wallfahrt von Sichern nach Bethel. Abh. der Herder-Ges. u. des Herder-Instituts zu Riga 1938 (jetzt ebenda S. 79ff.). K . GALLING, Bethel und Gilgal. ZDPV Bd. 66, 1943 u. 67, 1944/5. O. EISSFELDT, Der Gott Bethel. A R W 1930. Ders. Der Gott Karmel. A B W 1953. M. NOTH, Bethel und Ai. P J B 31, 1935. W. ZIMMERLI, Geschichte und Tradition von Beerseba (Diss. Göttingen). 1932. H. J . KRAUS, Gilgal. VT. I, 3, 1951. 2 Vgl. E. SELLIN, Isr.-jüd. Religionsgesch. 1933, S. 39. W. EICHRODT, Theologie des AT I, S. 81—86. A. ALT, Gott der Väter. S. MOWINCKEL, Religion und Kultus. Göttingen 1953, S. 13—47.

Vgl. H. DUHM, Die bösen Geister im AT, 1912. A. JIRKU, Die Dämonen und ihre Abwehr im AT. 1912. P. VOLZ, Das Dämonische in Jahwe. 1924. 4 O. EISSFELDT, E l im ugaritischen Pantheon. Berlin 1961. M. POPE, E l in the Ugaritic Texts. Supplements to VT II, 1955. El und der davon gebildete Plural kann auch „Gott, Götter" bedeuten. 3

6

II. Der israelitische Kultus des 8.— 6. Jahrhunderts

Zu der vormosaischen Stufe der israelitischen Religion gehört ferner der Seelen- und Ahnendienst 1 . Dieser letzte Vorstellungskomplex ist früh aus der Jahwereligion ausgeschieden worden, hat sich aber in der Volksfrömmigkeit als Aberglaube zäh erhalten. Sein letztes Relikt in der offiziellen Religion ist das Ritual der Austreibung des Sündenbocks in die Wüste (für Asasel Lev. 16 5fl.). Doch ist die ursprüngliche Bedeutung dieses Ritus nicht mehr lebendig. Asasel vertritt die außerhalb des heiligen Volkes liegende Sphäre der Unreinheit (vgl. Sach 5 6 ff.) 2 . Die Unterscheidung von Rein und Unrein ("liilt? Nöö) findet sich ebenfalls bereits bei den Nomaden, doch ist sie noch nicht zu einem so komplizierten System von Verboten und Reinigungsriten ausgeweitet wie in den Bauernreligionen. Einen wesentlichen Faktor in der Nomadenreligion der Semiten stellt die Magie dar. Ist sie auch im Kulturlande weit verbreitet, so bekommt sie doch bei der großen Unsicherheit, in der der Nomade lebt, besonders große Bedeutung. Sie ist die negative Begleiterscheinung des größeren Abhängigkeitsgefühls 3 . Der Kultus wird bei den Nomaden im allgemeinen von den Familien- und Stammeshäuptern vollzogen. Nur größere Stämme führen auch Berufspriester mit sich. Die recht einfachen Opferbräuche und Riten machen die Anwesenheit besonderer Kultbeamten überflüssig. Außerdem wird der Kultus nur bei besonderen Anlässen vollzogen. Die seelische Kraft oder der Segen, der in dem bewährten Häuptling konzentriert ist, macht ihn des Umgangs mit dem Heiligen fähig. Er ist der natürliche Vertreter der Gemeinschaft vor der Gottheit, wie er auf der anderen Seite durch seine Stellung und seine erfolgreiche Tätigkeit als ein besonders von der Gottheit Gesegneter sich erweist. Hingegen bedürfen auch die Nomaden zur Orakelgebung und Beschwörung besonders geeigneter Personen. Ihre Eignung beruht entweder auf außerordentlicher Begabung oder auf erlernter Geheimkenntnis. 3. D i e A u s w i r k u n g des Jahweglaubens auf die Gestaltung des israelitischen Kultus vor und zur Z e i t der E i n w a n d e r u n g nach Kanaan

Den noch verhältnismäßig unkomplizierten und nur sporadisch ausgeübten Kultus der Halbnomaden hat Mose bei den israelitischen 1

Vgl. SELLIN, a. a. O. S. 40. P. KARGE, Rephaim, Paderborn 1917.

2

EICHRODT, T h e o l o g i e

I,

S. 74.

J . C. MATTHES,

Der

Sühnegedanke

bei

den

Sündopfern. ZAW 23, 1903. 3 Vgl. WELLHAUSEN, Reste des arabischen Heidentums 3 . 1897. G. JACOB, Das Leben der vorislamischen Beduinen. 1895. Ders. Altarabische Parallelen zum AT 1897. S. J. CURTISS, Ursemitische Religion im Volksleben des heutigen Orients. 1903. A. MuSIL, The Manners and Customs of the Rwaki Beduins. New York 1928. S. NYSTRÖM, Beduinentum und Jahwismus. Lund 1946.

3. Die Auswirkung des Jahweglaubens auf die Gestaltung des israelitischen Kultus

7

Stämmen vorgefunden und im wesentlichen unverändert gelassen. Nach dem frühen Ausscheiden des Toten- und Dämonenkults aus der offiziellen Jahwereligion trat an Stelle der Dämonen zum Teil die Gestalt des "HN1??, des Abgesandten, oder die Erscheinungsgestalt Jahwes. Die alten Bräuche der Halbnomaden werden von dem neuen Geist der Jahwereligion durchdrungen und umgestaltet. Als wichtigstes ist in diesem Zusammenhang die Verbindung der alten Hirtenfeste, z. B. des Passahfestes, mit den historischen Heilstaten Jahwes an seinem Volk zu nennen1. Diese Verbindung wurde wahrscheinlich bereits unter Mose vollzogen. Erleichtert wurde solche Umdeutung dadurch, daß der Kultus der Wanderstämme kein geschlossenes System mit einer einheitlichen theologischen Tendenz darstellte. Man hat sich jedoch nicht nur darauf beschränkt, die alten Feste mit neuen Inhalten zu erfüllen (z. B. Erinnerung an Jahwes Heilstaten, Dank für die Naturgaben, Verlesung des Gottesrechts und die darauf aufbauende religiössittliche Paränese und Entscheidung von Rechtsfällen [rnin. sowie die feierliche Abrenuntiation aller anderen Götter), sondern der neue Glaube hat auch neue Feste geschaffen. Dabei wäre vor allem an das Fest der Bundeserneuerung zu denken (Jos. 24). Dieses Fest h a t t e vorwiegend die großen Begebenheiten des Bundesvolkes zum Gegenstand (Bundessatzung, Bundeskult und Bundesfest) 2 . Den gleichen Inhalt haben auch die im AT. bezeugten Bundeserneuerungen II. Kg. 11 17 und 23 3. Ob es sich in Jos. 24 um den Anfang des Bundesvolkes 3 handelt, ist sehr zweifelhaft. Problematisch ist auch die weitere Geschichte dieses Bundesfestes. Da seine regelmäßige Wiederholung im AT. nicht bezeugt ist, muß man annehmen, daß es nur bei ganz besonderen Anlässen gefeiert wurde. In der Königszeit wird es das Schicksal der Lade und der alten Bundesheiligtümer geteilt haben, d. h. es wurde von dem Kult des judäischen Reichstempels, der mehr den Bund Jahwes mit der Daviddynastie betonte, verdrängt. Deshalb ist es unberechtigt, ein unverändertes Weiterbestehen eines selbständigen Bundesfestkultes, der von kanaanäischen Einflüssen freigeblieben ist, zu behaupten 4 . Vielmehr ist der Bundesfestkult selbst, genau wie die ganze Bundesvorstellung, weitgehend kanaanisiert worden, d. h. natürlich nicht, daß die genannten genuin jahwistischen Elemente des Bundesfestes gänzlich verschwunden sind. Sie sind nur an einen anderen Platz und in einen anderen religiösen Zusammenhang gestellt worden. Deshalb können die Schriftpropheten die Kenntnis dieser Traditionen beim Volk voraussetzen. Aufs 1

Vgl. J. P E D E R S E N , Passahfest und Passahlegende. ZAW (52) NF. 11, 1934. Passover: its History and Tradition. New York 1949. 2 Vgl. M. B U B E R , Königtum Gottes. S. 157ff. Ders. Der Glaube der Propheten. S. 30. M. N O T H , Geschichte Israels. 2. Aufl. Berlin 1954, S. 96ff., llOff. H. J. K R A U S , Gottesdienst in Israel. München 1954, S. 49ff. dort weitere Literatur. 3 So N O T H , Das System der zwölf Stämme Israels. B W A N T , IV, 1. 1930, S. 66 ff.; vgl. die Kritik dieser Auffassung bei B U B E R , Der Glaube der Propheten, S. 30—35. 4 S. W E I S E R , Jeremia ATD. zu Jer. 6 2 0 u. 7 lff. und ders. Hos.-Micha ATD 24 zu Am 5 25 und Die Psalmen ATD. 14/15. Vgl. H. J. K R A U S , Gottesdienst in Israel. S. 13 Anm. 13. T. H.

GASTER,

8

II. Der israelitische Kultus des 8.— 6. Jahrhunderts

Ganze gesehen zeigen die ältesten, Zumindestens dem Inhalt nach aus der Mosezeit stammenden Satzungen (Dekalog, Bundesbuch) ein auffallend geringes kultisches Interesse. Das berechtigt uns doch zu der Annahme, daß Mose in d i e s e r Beziehung nichts wesentlich Neues gebracht hat, sondern daß er sein Bestreben mehr auf die Durchsetzung neuer religiös-sittlicher Maßstäbe und des Glaubens an den personenhaften, geschichtsmächtigen Gott gerichtet hat. Einen weiteren Beweis für die untergeordnete Rolle, die der Opferkult in der ältesten Zeit der Jahwereligion spielte, dürfen wir wohl mit Recht in Jos. 24 erblicken.

Die dort berichtete Bundesschließung ist wohl, wie es nach der Analogie anderer solcher Bundesschließungen angenommen werden kann, gewiß auch von Opfern begleitet worden. Davon erzählt der Bericht nichts, um so mehr aber von den Heilstaten Jahwes und von der geforderten, ungeteilten Hingabe des Volkes an den Herrn der Geschichte. Hosea und Jeremia sind also auch historisch gesehen im Recht, wenn sie behaupten, Jahwe habe in der Wüste keine Gebote über die Opfer gegeben. Dagegen erweist sich die Behauptung des Arnos (5 25), Israel habe in der Wüstenzeit Jahwe überhaupt nicht geopfert, historisch gesehen, als nicht zutreffend. Die Jahwereligion der mosaischen Zeit hat zwar keinen neuen Kultus hervorgebracht, sie hat aber insofern auf den bereits bestehenden Kultus umgestaltend gewirkt, als sie in den Mittelpunkt des völkischen und religiösen Lebens der israelitischen Stämme den Kult an dem mit der Bundeslade und dem heiligen Zelt ausgestatteten Zentralheiligtum Jahwes gestellt hat. Damit erhielt der israelitische Kultus einen neuen Mittelpunkt und einen neuen Inhalt. Die Herkunft und Zusammensetzung des Kultpersonals dieses gesamtisraelitischen Zentralheiligtums läßt sich im einzelnen nicht mehr erkennen. Nur ein Amt tritt deutlich hervor, das Amt des von Jahwe berufenen Bundesmittlers, dessen erster und für die Zukunft vorbildlicher Träger Mose ist (Dtn 18 I5ff.). Dieses Amt findet in Mose seine ideale Erfüllung, weil er in sich die charismatischen Gaben der Prophetie und Verkündigung des Gottesrechts mit priesterlichen Funktionen vereinigt. Gewiß fand sich für dieses so umfassende Amt nur selten ein so geeigneter Träger wie Mose. Dennoch blieb in Israel die Erwartung lebendig, daß Jahwe immer wieder, besonders in Notzeiten, einen solchen geistbegabten Träger des Mittleramtes erwecken wird. War ein solcher charismatischer Mittler nicht vorhanden, so fand sein Amt in den »Richtern Israels«1 und den Priestern des Zentralheiligtums seine partielle Fortsetzung. Später beanspruchten Könige und Propheten dieses Amt für sich, woraus die ständige Spannung zwischen Königtum und Prophetie erwächst. 1 M. NOTH, Das Amt des »Richters Israels«, Bertholet-Festschrift, Tübingen 1960. H. J. KRAUS, Gottesdienst in Israel. S. 69—66.

4. Die Grundzüge des kanaanäischen Naturkults und sein Einfluß auf Israel

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4. Die Grundzüge des kanaanäischen Naturkults und sein Einfluß auf Israel

In Kanaan sehen sich die israelitischen Stämme einer hochstehenden bäuerlich-städtischen Kultur gegenübergestellt. Dort kreuzen sich die politischen und kulturellen Einflußzonen der beiden Großmächte des vorderen Orients, Ägyptens und Assyriens bzw. Babyloniens. Hinzu kommen noch Einflüsse aus dem ägeischen und kleinasiatischen Raum. Die Kultur der Kanaanäer ist eine ausgesprochene Mischkultur. Dennoch darf man, gerade auf Grund der neu gefundenen Ras-SchamraTexte, die Eigenständigkeit dieser Kultur nicht unterschätzen 1 . Auch in religiöser Hinsicht hat sich die ältere Meinung, als hätten wir es nur mit der Übernahme babylonischer und ägyptischer Kulte zu tun, nicht als zutreffend erwiesen. Die Religion Kanaans ist vielmehr eine selbständige Größe. Sie verfügt über einen sehr entwickelten Kultus mit einem zahlreichen Pantheon und dem dazugehörigen ausgedehnten Kultapparat, sowie einen ausgebildeten Kultmythus 2 . Entsprechend der bäuerlichen, seßhaften Lebensweise der Kanaanäer hat auch ihre Religion ausgesprochen naturhaften Charakter. Die großen kanaanäischen Gottheiten sind Personifikationen verschiedener Naturkräfte. Sie sind geschlechtlich differenziert (El, Ba'al, Mot, Hadad-Rimon, Melkart, Ba'alat, Anat, Aschera-Astarte-Ischtar). Die im AT. oft erwähnten Lokalnumina oder die Baale und Astarten der verschiedenen Ortschaften darf man nicht von den vorhin genannten großen Gottheiten grundsätzlich unterscheiden. Es ist vielmehr aus den mythischen Texten von Ras-Schamra deutlich geworden, daß das kanaanäische Pantheon viel großzügiger und einheitlicher angelegt war, als man es früher annahm. So sind die Ortsbaale nicht als bloße Ortsnumina von rein lokaler Bedeutung zu verstehen, sondern es spricht alles dafür, daß sich die Kanaanäer durchaus des einheitlichen, kosmischen Cha1

C. G O R D O N , Ugaritic Handbook, Rom 1947 u. Ugaritic Literature, 1949. F. M. T. B Ö H L , Kanaanäer und Hebräer, BWAT 9, 1911. R. D U S S A U D , Les Déscouverts de Ras-Shamra et 1 'Ancient Testament, Paris 1937. Ders. Les origines cananéennes du sacrifice Israélite, Paris 1921. J. P. H Y A T T , The Ras-Shamra Discoveries, JBR X, 1942. W. B A U M G A R T N E R , Ras-Shamra und das AT. ThR N F 12, 1940 u. 13, 1941, dort auch weitere Literaturangaben. Ders. Ugaritische Probleme und ihre Tragweite für das AT. ThZ. 3, 1947. D. N I E L S E N , Ras-Shamra Mythologie und biblische Theologie, Leipzig 1936. J. GRAY, Cultic Affinities between Israel and Ras-Shamra. ZAW 62, 1949/50. Ders. Canaanite Kingship in Theory and Practice, VT II, 3, 1952. T. W O R D E N , Literary Influence of the Ugaritic Fertility Myth on the OT. VT III, 3,1953. R. D E L A N G H E , Les Texts des Ras-Shamra et leur Rapports avec le Milieu Biblique de 1'Ancient Testament, I—II, Gembloux-Paris 1945. G . F O H R E R , Die wiederentdeckte kanaanäische Religion. ThLZ 78, 1953. 2

Siehe die Übersetzung der Ras-Schamra Texte von H. L. Ancient Near Eastern Texts relating to the OT.1, 1955.

PRICHARD,

GINSBERG

bei J. B.

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II. Der israelitische Kultus des 8 . - 6 . Jahrhunderts

rakters des Baal bewußt waren. Dieser ist zugleich der Himmels- und Gewittergott (Baalsamen und Hadad-Rimmon) 1 . Die Ortsbaale sind lediglich als örtliche Manifestationen des Himmelsgottes aufzufassen, als seine Epiphanien nach der Art von nifp \1B oder mir "^KVÖ. Entsprechend dem naturhaft kosmischen Charakter der kanaanäischen Gottheiten sind die Naturereignisse Folgen der Vorgänge innerhalb des Pantheon, die irdischen Vorgänge ein Spiegelbild der himmlischen. Die mythischen Texte von Ras-Schamra erzählen von den Kämpfen der Götter untereinander und von ihren Kämpfen gegen die Mächte des Chaos (Tehom, Rahab, Mot) und des Todes2. Als Auswirkung dieser Kämpfe wird die Entstehung und Erhaltung der Welt, d. h. des bäuerlichen Kulturlandes mit allem, was dazu gehört, geschildert. So gilt Baal zusammen mit der ihm entsprechenden weiblichen Gottheit Anat-Aschera-Astarte als Herr über das bäuerliche Kulturland 3 . Er ist es, der gegen die Mächte des Todes (Mot) und des Chaos kämpft. Sein Schicksal spiegelt den Verlauf des Naturjahres. Er unterliegt und stirbt — das bedeutet das Absterben der Vegetation während der Trockenheitsperiode —, um im Frühjahr durch das Eingreifen seines weiblichen Partners und des übergeordneten Gottes El Alaiyn zum neuen Leben zu erwachen und seine Herrschaft wieder anzutreten. Das bedeutet das Wiederaufblühen der Vegetation im Frühjahr. Der regelmäßige, ungestörte Ablauf des Naturjahres ist von dem Schicksal dieses sterbenden und auferstehenden Gottes abhängig4. Auch die Naturkatastrophen wie Dürre, Sturm, Flut usw. sind Auswirkungen 1

Vgl. vor allem W. F. A L B R I G H T , Archaeology and the Religion of Israel, 1942, S. 68ff., auch Von der Steinzeit zum Christentum, 1949, S. 231ff. O . E I S S F E L D T , Baalgamen und Jahwe. ZAW (52) N F 16, 1939. Ders. Der Gott Karmel. BAW 1953. Ders. El im ugaritischen Pantheon. Sächsische Akad. B. 98, H. 4, 1951. M. H. POPE, El in the Ugaritic Texts. Leiden 1955. A. K A P E L R U D , Baal in the Ras-Shamra-Texts. Kopenhagen 1952. S. L I N D E R Jahwe und Baal im Alten Israel. Riga 1938. H. G R E S S M A N N , Hadad und Baal nach den Amarnabriefen und nach ägyptischen Texten. ZAW 33,1918. 2 Wie weit diese letzteren als den anderen Göttern gleichgestellt anzusehen sind, ist nicht ganz deutlich. Auf der einen Seite scheinen sie außerhalb des Pantheons zu stehen, auf der anderen gelten sie als Kinder des Hauptgottes El Alaiyn. vgl. K A P E L R U D , Baal S. 8 6 — 9 3 . 3 El Alaiyn steht irgendwie über den übrigen Göttern und ist dem Geschehen fern gerückt. Gelegentlich erscheint dieser Name als nähere Bestimmung zu Baal. Vgl. K A P E L R U D , a. a. O . S . 4 3 f f . und P R I T C H A R D S. 1 4 0 f . I A B . , III—IV. 4 Schwierig ist die Rolle des Mot zu definieren. Er ist einerseits der Herr der Unterwelt und des Todes und damit der Widersacher des Vegetationsgottes Baal, den er auch in der Unterwelt gefangen hält und tötet. Nach seiner Überwältigung durch die Fruchtbarkeitsgöttin Anat-Aschera wird er von ihr getötet, zermahlen, geröstet und aufs Land ausgestreut. Damit scheint er mit dem Getreide und der Fruchtbarkeit überhaupt im Zusammenhang zu stehen. Er übernimmt also die Rolle des Fruchtbarkeitsgottes. Vgl. P R I T C H A R D S. 1 4 0 I AB., I I , 3 0 ; K A P E L R U D , Baal S . lOOf.

4. Die Grundzüge des kanaanäischen Naturkults und sein Einfluß auf Israel

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dieser Götterkräfte. Der Sieg der Naturgottheiten über die Chaosmächte garantiert den Bestand des Kulturlandes, ihre Niederlage bedeutet seine Vernichtung durch eben diese Mächte. Sind die Gottheiten als Personifizierungen der Naturkräfte gedacht, so ist es umgekehrt möglich, ja höchst notwendig, sie in ihrem Kampf zu unterstützen, wie es durch Erneuerung und Stärkung ihrer Kraft geschieht. Diesem Zweck dient der Kultus, dem der Analogiezauber zugrunde liegt. In ihm werden die Schicksale der Götter wirkungskräftig dargestellt, sei es in Form des heiligen Kultdramas wie z. B. in Babylonien, Ägypten und Ugarit, sei es in Form der Rezitation entsprechender mythologischer Texte. Eine solche Wiederholung des Mythus ist keine bloße Erinnerung, sondern sie hat durchaus schöpferischen, prototypischen Charakter. Durch den Kultus werden die Götter durch Zufuhr neuer Kräfte in ihrem Kampf unterstützt. In dieser naturhaft-dynamistischen Religion hat der Kultus auch noch die Aufgabe der Vermittlung der göttlichen Kräfte an die irdische Welt und besonders an den Menschen. Bei dem Eindringen der israelitischen Stämme nach Kanaan waren sie gezwungen, sich der höherstehenden kanaanäischen Kultur so rasch wie möglich anzupassen, denn sonst hätten sie sich gegen die Kanaanäer weder durchzusetzen noch zu behaupten vermocht. Mit der kulturellen geht die religiöse Assimilierung Hand in Hand. Diese Beeinflussung geschah wohl meistenteils auf dem Wege des friedlichen Nebeneinanderlebens und der Vermischung, z. T. aber durch kriegerische Auseinandersetzung. Intensiviert und eigentlich zum Abschluß gebracht wird dieser Vorgang der Kanaanisierung durch die Einführung der Monarchie in Israel. Vor allem die Verlegung der königlichen Residenz nach der kanaanäischen Stadt Jerusalem dürfte einen starken Einfluß der kanaanäischen Religion auf das königliche Reichsheiligtum zur Folge gehabt haben1. Sind doch die Jebusiter aus Jerusalem nicht vertrieben worden, und blieb der Stadtstaat Jerusalem als selbständiges Staatswesen in Personalunion mit Juda bestehen, so ist auch der religiöse Einfluß des Kanaanäertums auf Hof und Priesterschaft gewiß nicht gering gewesen. Wenn auch die Kanaanäer unter David und Salomo die letzten Reste ihrer politischen Unabhängigkeit eingebüßt haben, so ist damit ihr Einfluß auf die Kultur und Religion Israels keineswegs erloschen. Im Gegenteil, man hat allen Grund zu der Annahme, daß er noch intensiviert wurde. Politisch mußte das israelitische Königtum, das sich auf keinerlei israelitische Traditionen stützen konnte, auf kanaanäische Elemente zurückgreifen. Es scheut sich auch nicht, die Kanaanäer in seine Dienste zu nehmen; kulturelle und religiöse Grenzen zwischen Israel und den Kanaanäern, die nie von grundsätzlicher, tiefgehender 1 Vgl. j e t z t H . SCHMID, Z A W 67 (1955) S . 1 6 8 f f .

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Art waren, verwischen sich seit dem Übergang Israels zur Acker baukultur sehr rasch. Gefördert wurde diese Vermischung durch die rassische und sprachliche Verwandtschaft beider Gruppen. Spüren des Naturkults finden sich auch im AT, z. B. im Ritus des Wasserausgießens I Sam 7 6 und Jes 123, dem ursprünglich der Gedanke des Analogiezaubers zugrunde lag1. Diese Stellen, sowie die talmudische Tradition über die Ausübung dieses Ritus innerhalb des Laubhüttenfestes legen die Annahme seines Weiteibestehens in der Jahwereligion nahe. Er hat aber seine ursprüngliche magische Bedeutung verloren. Viel gefährlicher, weil das ganze religiöse, soziale und familiäre Leben zersetzend, wirkte sich die kultische Prostitution aus. In dem geheimnisvollen Vorgang der Befruchtung des Ackerbodens (naix) durch das vom Himmel herabströmende oder aus den Quellen hervorstrudelnde Wasser sahen die Kanaanäer die Begattung der weiblichen Fruchtbarkeitsgöttin durch den Himmelsgott. Die Fruchtbarkeit des Bodens und der darauf lebenden Menschen und Tiere war nur eine Folgeerscheinung dieser geheimnisvollen, göttlichen Zeugung und war von ihr ganz abhängig. Die Erzeugnisse des Ackerbodens und der Viehzucht waren nach diesem Verständnis weder auf natürliche Weise (im modernen Sinne) entstanden, noch waren sie Gaben der Götter, denn die Götter stehen nicht souverän über der Natur, sondern sie sind mit ihr eng verflochten. Das Verhalten der Gottheiten spiegelt den Gang der Natur, oder besser gesagt, es bildet die Natur prototypisch vor. In beiden waltet die gleiche Ordnung. Diese Korrespondenz gibt auch dem Menschen die Möglichkeit, die Naturkräfte bis zum gewissen Grade durch Analogiehandlungen zu beherrschen. Er kann durch die Auslösung und Befreiung der in der Natur und in sich selbst enthaltenen Vitalität und Fruchtbarkeit die gleichen Kräfte der Götter steigern, was sich wieder umgekehrt auf die Naturkräfte steigernd auswirkt. Das Kreislauf denken gehört zur Grundstruktur aller Naturreligionen. Am deutlichsten kommt es in den geschlechtlichorgiastischen Kultbräuchen zum Ausdruck. 5. Jahwe und Baal und die naturhafte Umdeutung der Bundesvorstellung Die religiösen Folgen der Kanaanisierung liegen auf der Hand. Jahwe verliert in steigendem Maße seinen personhaften Charakter, der durch Mose so stark betont wurde, und wird der hypostasierten Naturkraft, dem kanaanäischen Baal immer ähnlicher. Aus dem sittlich gerichteten, willensbestimmten Gott, als welcher er sich Mose offenbart 1 Wahrscheinlich liegt ein ähnlicher Brauch der Stelle I Reg 18 34ff. zugrunde. I I Sam 23 16 hat damit nichts zu tun. Hier ist das Wasserausgießen nur asketische Leistung.

6. Jahwe und Baal und die naturbafte Umdeutung der Bundesvorstellung

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hatte, wird immer mehr eine Naturgottheit. Dieser Wandel des Gottesbildes wird uns in voller Schärfe aus der prophetischen Polemik ersichtlich. Wahrnehmbar wird er jedoch bereits in der Verwendung solcher Kulteinrichtungen und Bräuche, die nur in animistisch-dynamistischen Religionen ihren Sinn haben, wie z. B. Äscheren, Stierbilder, Kultfeste mit orgiastischen Begleiterscheinungen wie Jubel und Tanz (Jdc 21, i9ff.), Verehrung heiliger Bäume und Steine und schließlich Tempelprostitution und Menschenopfer. Die Vermengung von Jahwe und Baal hat nicht einmal vor dem Namen Jahwes haltgemacht, die Identifizierung beider wurde sicherlich bedenkenlos vollzogen. Das kann man schon an der Namengebung beobachten 1 . Die Annäherung beider Gottheiten hatte als weitere Folge die Schwächung der Geschichtsbezogenheit Jahwes. Er ist wohl dem bäuerlichen Alltagsleben näher gerückt, jedoch ist das Wissen um sein Walten in der Geschichte teils zurückgedrängt, teils wesentlich verwandelt worden. Hier kann man zwei Richtungen innerhalb der synkretistischen israelitischen Volksreligion beobachten: 1. Einerseits verliert Jahwe durch die Annahme naturhafter Züge seinen Anspruch auf ausschließliche Verehrung von Seiten seines Volkes. Naturgottheiten sind ihrem Wesen nach — gleichviel welchen Namen sie tragen — untereinander so verwandt, daß sie keinen Anspruch auf Monolatrie erheben. Sie sind letzten Endes Personifikationen der Naturkräfte und stellen verschiedene Aspekte des Lebens der Natur dar. Das beweist die in der Religionsgeschichte so häufige Identifizierung ursprünglich verschiedener Gottheiten 2 . Daher ist man sich in Israel keines wesentlichen Unterschiedes zwischen Jahwe und Baal und erst recht keines Abfalls von Jahwe mehr bewußt. Man glaubt durchaus, Jahwe zu verehren. Nicht die Heilstaten Jahwes an seinem Volk, sondern die Spendung der Fruchtbarkeit stehen im Mittelpunkt des Glaubens. Das Schwinden des Glaubens an das Geschichtswalten Jahwes, das damit Hand in Hand geht, führt schließlich dazu, daß man den Göttern mächtiger Völker im israelitischen Kultus weiten Raum gewährte oder offen fremden Kulten huldigte, um von ihren Göttern Schutz und Sicherheit zu erlangen. Mag der zuletzt erwähnte Umstand weithin von politischen Notwendigkeiten diktiert sein, so bildet der eben geschilderte Strukturwandel der Volksfrömmigkeit seine 1

M. NOTH, Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung. Stuttgart 1928. 2 Vgl. die Identifizierung der verschiedenen syrischen und babylonisch-assyrischen Gottheiten. Besonders deutlich ist der verschwommene Charakter der Naturgottheiten aus den Ras-Schamra-Texten ersichtlich. Eine klare Unterscheidung zwischen den Funktionen einzelner Gottheiten ist kaum durchführbar. Dazu siehe besonders T. W O R D E N , The Literary Influence . . . S . 2 7 7 und A . B E R T H O L E T , Götterspaltung und Göttervereinigung, Tübingen 1933.

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II. Der israelitische Kultus des 8.—6. Jahrhunderts

religiöse Voraussetzung, ohne die die Fremdkulte niemals in Israel hätten Fuß fassen können. Die leidenschaftliche Polemik der Propheten gegen sie (Jer 44 15—19 und 7 m.) zeigt, daß sie von ernster Frömmigkeit getragen wurden. Mit dem stärkeren Hervortreten naturhafter Elemente in der Gottesvorstellung hängt noch ein weiteres zusammen, nämlich die Abschwächung der sittlich-ethischen Auswirkungen des Glaubens. Dort, wo die Natur zum ausschließlichen Schauplatz des göttlichen Waltens geworden ist, kann sich der Glauben an die sittliche Verpflichtung gegenüber der Gottheit kaum entfalten. Wo die Gottheit selbst eine Hypostase der Naturkräfte ist, kann von ethischer Bindung der natürlichen Triebkräfte keine Rede sein. Die Entfaltung und Steigerung der natürlichen Vitalität ist vielmehr oberstes Prinzip des Lebens wie der Religion. Die sittliche Reinheit spielt gegenüber der kultischen bestenfalls eine untergeordnete Rolle. 2. Andererseits wird es gerade aus der prophetischen Polemik, aber auch aus den Königsbüchern, z. B. I Reg 12 28, deutlich, daß das Wissen um die Geschichtsbezogenheit Jahwes selbst aus der Volksfrömmigkeit Israels zwar nie gänzlich verschwunden ist, daß es aber ebenfalls eine Verschiebung ins Naturhafte erfahren hat. Man hielt die Erinnerung an die Heilstaten Jahwes fest 1 . Diese Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte hat auch im Kultus der Königszeit ihren Platz gehabt, wahrscheinlich in der Form der Rezitation entsprechender Bekenntnisse und Erzählungen. Dies hat wiederum die Historisierung übernommener, fremder Kultmythen bewirkt 2 . Man erinnerte sich auch innerhalb des synkretistischen Jahwekultes gern des Bundes Jahwes mit seinem Volk, aber deutete diesen Bund im Sinne einer naturhaften Verbundenheit zwischen beiden. Der Bund ist nicht mehr ein geschichtlich-personenhaftes Verhältnis zwischen Gott und Volk, sondern er ist der Ausdruck der natürlichen Einheit zwischen beiden, die letztlich unlösbar ist3. Herrschen die naturhaften Züge im Gottesbild vor, so liegt die rein physische Auffassung der Beziehung zwischen beiden Größen sehr nahe. Dann kommt es im wesentlichen darauf an, diese Einheit durch die genaue und regelmäßige Erfüllung der kultischen Pflichten aufrechtzuerhalten und zu erneuern. Die sittlichen Bedingungen des Bundes treten den kultischen gegenüber zurück. Die Gottheit ist schließlich auf den Kultus angewiesen und kann das Volk 1 Z. B. an die Auszugstraditionen, die Landnahmetraditionen, den Sinai-Bund, den David-Bund, Dtn 26 und Jos 24. Vgl. K. GALLING, Die Erwählungstraditionen Israels, ZAWB. 48, 1928. 2 NOTH, Die Historisierung des Mythus im AT Chr. u. W. 4. Jg. 1928, S. 265ff. u. 301 ff. u. J.HEMPEL,ZAW65(1964) S. 113fi. = Glaube, Mythos und Geschichte, 1953. 3 Mit diesem stärkeren Hervortreten der naturhaften Züge in der Bundesvorstellung hängt das Einströmen kanaanäischer kosmischer Mythen und der mit ihnen verbundenen Fruchtbarkeitsriten in Israel zusammen.

6. Das Eindringen kanaanäischer Kultbräuche und Vorstellungen

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wegen sittlicher Vergehen wohl strafen, jedoch niemals deshalb den Bund auflösen und damit ihr Volk vernichten. Damit würde sie ihr eigenes Dasein gefährden. Ein Gott ohne Kultus ist bei dieser Auffassung undenkbar. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, auf die kultischen Leistungen des Volkes zu pochen und ihre Belohnung von der Gottheit zu fordern. Die naturhafte Gottesauffassung kann sich von da aus mit dem extremen Nationalismus eng verbinden. Diese Umdeutung der Bundesvorstellung ins Naturhafte bedeutet eine gefährliche Einschränkung der Erhabenheit und Souveränität Jahwes. Sein Anspruch bezieht sich nicht mehr auf das gesamte Leben des Volkes, sondern nur auf die kultische Sphäre. Die ethische Seite des Lebens hat keine direkte Beziehung mehr zu ihm. Ähnlich verhält es sich mit dem Erwählungsglauben. Auch die Erwählung Israels zum Volke Gottes wird einseitig nationalistisch verstanden. Die Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte im Kultus dient dann nur noch als Bestätigung und Versicherung des Glaubens an die naturhafte, unbedingte Zusammengehörigkeit von Volk und Gott. Mit der nationalen Bindung Jahwes geht die lokale Hand in Hand. Die übersteigerte nationale Hoffnung klammert sich, besonders in Notzeiten, an die Gegenwart Jahwes in seinem Lande, besonders aber in seinem Tempel. Diese lokal gebundene Nähe Jahwes mißversteht die Volksfrömmigkeit einseitig als Nähe zum Heil. Die andere Möglichkeit der Nähe Jahwes, nämlich sein Erscheinen zum Gericht über das abtrünnige Volk, wird nicht ernstgenommen. Die bevorstehende Realisierung dieser entsetzlichen Möglichkeit verkünden die Propheten. Beiden Richtungen gemeinsam ist also, daß sie die Größe und Erhabenheit Jahwes, wie sie sich seit Mose in der wunderbaren Führung des Volkes offenbart hat, nicht mehr voll anerkennen. Daher versteht man in der Volksfrömmigkeit das Verhältnis von Gott und Mensch in verkehrter Weise. Man versteht es als physisch-naturhafte Einheit, die durch mystisch-magische Handlungen und physische Kräftevermittlung aufrechterhalten wird. Es ist nicht mehr das personhaft-geschichtliche Verhältnis, das den ganzen Menschen beansprucht und das sich nicht nur in dem sakralen Bezirk der Lebenswirklichkeit abspielen kann. Weil diese Relation in der genuinen Jahwe-Religion echt geschichtlicher Art ist, sind in ihr ständig beide Möglichkeiten präsent, die des Scheiterns und der Verwerfung und die des Gehorsams und des Heils.

6. Das Eindringen kanaanäischer Kultbräuche und Vorstellungen in die Jahwereligion Diese eben skizzierte Entwicklung der israelitischen Religion seit der Seßhaftwerdung kann man z. Z. Salomos insofern als abgeschlossen betrachten, als zu dieser Zeit erstens die äußeren materiellen und kulturellen Vorausetzungen der bäuerlichen Naturreligion in Israel gegeben sind, und zweitens die Elemente der kanaanäischen Bauernreligion so weit in der Jahwereligion Fuß gefaßt haben, daß sie vom Volk nicht mehr als fremd empfunden wurden. Seit diesem Zeitpunkt stellt die dynamistische

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II. Der isiaelitische Kultus des 8 . - 6 . Jahrhunderts

Naturreligion im wesentlichen eine innerisraelitische Bedrohung des Jahweglaubens dar. Sie t r i t t außerdem in der Gestalt der Fremdkulte auch von außen her an Israel heran. Den Ursprung und die volle Tragweite dieser inneren Gefahr haben die Propheten mit voller Klarheit erkannt und sie dem Volke ins Bewußtsein zu rufen versucht.

Die Vorstellungen und Bräuche, die Israel aus seiner halbnomadischen Vergangenheit mitgebracht hat, haben sich daneben noch lange nach seiner Seßhaftwerdung in den Sippen- und Stammesverbänden erhalten. Erst mit der Auflockerung dieser Verbände sind sie allmählich verschwunden1. Die von den Kanaanäern übernommenen kultischen Sitten überdecken und verdrängen diese hergebrachten, älteren Bräuche. Der Umstand, daß Israel vor der Einwanderung manche Elemente der Bauernreligion aufgenommen hat, und die grundsätzliche Verwandtschaft der bäuerlichen und halbnomadischen Naturreligion erschweren eine saubere Trennung dieser beiden Bestandteile des israelitischen Kultus. Es kommt noch der Umstand hinzu, daß das Material in beiden Bereichen das gleiche ist, und daß zwischen beiden kein grundsätzlicher Unterschied besteht. Deshalb besagt die Herkunft eines Ritus an sich wenig, entscheidend ist vielmehr der Bedeutungswandel 2 . Wie bereits gesagt, hat die Jahwereligion die kultischen Einrichtungen der Kanaanäer übernommen. Das Bewußtsein der Andersartig1

In welchem Verhältnis der Gott der Väter zu den Sippen- und Hausgottheiten, wozu auch die Xeraphim gehören, steht, ist schwer zu sagen. Diese Sippenund Hausgottheiten stammen wahrscheinlich aus dem Bereich der Toten- und Geisterverehrung. Vgl. B U B E R , Der Glaube der Propheten, S. 33ff. Dagegen wurde der Gott der Väter mit Jahwe identifiziert. Am wahrscheinlichsten ist es, daß die Verehrung der Sippen- und Hausgottheiten außerhalb der offiziellen Religion, im Kreise der Familie gepflegt wurde. Vgl. I Sam 20 6. Dieses Neben- und Ineinander ist um so wahrscheinlicher, als auch die Elgottheiten keine Bindung an heilige Orte, sondern an Personen und Personengruppen aufweisen. Sie sind also keine Naturgottheiten, sondern zeigen einen Zug zum Geschichtlichen und Sozialen. (So ALT, Der Gott der Väter, S. 41 u. 46, jetzt: Kleine Schriften zur Gesch. d. V. Israel I [1953], S. 39 u. 43; vgl. B U B E R , Der Glaube, S. 64—66.) Die Hausgottheiten stehen dagegen der Natur und dem Alltagsleben näher. Ihr Verhältnis zu der El-Religion wäre also ein ähnliches gewesen wie zwischen Jahwe und den Baalen. 2 Vgl. B U B E R , Der Glaube der Propheten, S. 28—41. Die Opfertermini pflegen sich sehr zähe zu behaupten, auch wenn ihre ursprüngliche Bedeutung längst vergessen ist und durch eine neue ersetzt wurde. Das ist z. B. bei den Opfergesetzen des D t n und der Priesterschrift ganz deutlich der Fall. Hier ist nicht der Ort für eine systematische Untersuchung der einzelnen Opferarten und ihres Bedeutungswandels innerhalb der Jahwereligion. Dazu siehe W. R . S M I T H , The Religion of the Semites. 3. Aufl. London 1927. B. G R A Y , Sacrifice in the OT: its Theory and Practice. Oxford 1926. A. W E N D E L , Das Opfer in der altisraelitischen Religion. Leipzig 1927. W.EICHRODT, Theologie I, S.61 bis 78. A. B E R T H O L E T , Zum Verständnis des alttestamentlichen Opfergedankens. J B L 1930. Ders. Der Sinn des kultischen Opfers. ABW. 1943. H . H. R O W L E Y , The Meaning of Sacrifice in the OT. BTRylLib. 33, 1, Manchester 1960.

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6. Das Eindringen kanaanäischer Kultbräuche und Vorstellungen

keit der Jahwereligion ist jedoch nie gänzlich aus Israel verschwunden3. Eine Ahnung davon, daß Jahwe ein über die Natur erhabener Gott ist, dessen unabänderlicher sittlicher Wille für Israel verbindlich ist, blieb bis zum gewissen Grade sogar in der Volksfrömmigkeit lebendig. Wenngleich das Volk in allen seinen Ständen allzu leicht bereit war, mit der Kultur zugleich den Kultus der Kanaanäer zu übernehmen, so blieb es sich doch dessen bewußt, daß manche kanaanäischen Vorstellungen und Sitten mit dem Wesen Jahwes unvereinbar waren. Dieses Bewußtsein wurde von jahwetreuen Kreisen, die sich leidenschaftlich gegen die Überfremdung der Jahwereligion wandten, im Volk wachgehalten. Eine genauere Vorstellung von der Art und dem Umfang dieser jahwetreuen Kreise läßt sich, was die vorprophetische Zeit anbetrifft, schwer gewinnen. Sie treten uns hier und da in ihren hervorragendsten Vertretern, wie Samuel, Elia, Elisa, Nathan, Ahia von Silo, Micha ben Jimla, an besonderen Brennpunkten des Kampfes zwischen der Jahwe- und der Baalreligion entgegen. Die immer wieder unternommenen Versuche, den Kultus im Sinne der strengen Jahwereligion zu reformieren (I. Reg 15 i2f.; 22 47; II. Reg 11; 12 5—16; 18 4; 22f.), zeigen, daß die Vertreter der streng jahwetreuen Richtung unter der Priesterschaft des Jerusalemer Tempels recht stark waren. Ihre Reformversuche haben kaum etwas direkt mit dem Wirken der Schriftpropheten zu tun. Schon das Vorhandensein einer Überlieferung über die Wirksamkeit der genannten prophetischen Männer spricht dafür, daß sie nicht allein standen, sondern daß es Kreise gab, die sich um sie sammelten und ihre Taten und Worte weitertradierten. Auch die alten Sagensammler und die Geschichtsschreiber legen ein beredtes Zeugnis von dem Vorhandensein und der Wirksamkeit solcher Kreise ab. Die Erzählungsliteratur des AT zeigt, daß es in Israel religiöse und geschichtlich-paränetische Überlieferung auch außerhalb des Kultus gab, und daß sie sogar sehr eifrig gepflegt wurde. Wenn die jahwetreuen Kreise auch gewisse konservative Tendenzen zeigen, so dürfen wir sie mit den grundsätzlich-konservativen Rekabitern nicht identifizieren. Das Ziel der jahwetreuen Kreise war die Durchsetzung des Jahweglaubens unter den veränderten Lebensbedingungen des Volkes und nicht die Konservierung der alten halbnomadischen Lebensweise und Kultur. Das letztere war ja offensichtlich das Ideal, das die Rekabiter anstrebten. Natürlich erschien auch den jahwetreuen Kreisen der einfachere und reinere Kultus der Halbnomaden als weniger anstößig und leichter der Jahwereligion einfügbar. So ist es zu erklären, daß die genuinen israelitischen Traditionen sich vor 1

Zu dem ganzen Abschnitt vgl. bes. J . HEMPEL, Das Ethos des AT. ZAWB 67,

1938, S. 84 u. ö. Hentschke, Die Stellung der vorexilischen Schriitpropheten zum Kultus

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II. Der israelitische Kultus des 8.— 6. Jahrhunderts

allem mit den alten Hirtenfesten verbinden. Die hervorragendste Rolle spielt unter ihnen das Passahfest, ursprünglich ein Hirtenfest zur Segnung der Fruchtbarkeit der Herde. Dieses Fest verbindet die Jahwereligion mit der Auszugstradition. Es wird zur Vergegenwärtigung der Rettungstat Jahwes beim Auszug aus Ägypten umgedeutet. Dieses Fest ist in besonderer Weise zum Träger der jahwetreuen Geschichtstradition geworden und hat später sogar das bäuerliche Naturfest der Gerstenernte (niSSH in) an sich gezogen und es ebenfalls historisiert. Das Essen der ungesäuerten Brote wurde zur Erinnerung an die eilige Flucht aus Ägypten umgedeutet. Der ursprüngliche Charakter dieser beiden Feste als Naturfeste tritt zugunsten des heilsgeschichtlichen Charakters zurück. Die Verbindung ursprünglich selbständiger Traditionen zeigt schon die verschiedene Benennung niSSH in Ex 23 15; 13 3ff.; 34 18 und nosn in Dtn 16 3f., 8; Ex 34 25 dieses Festes an. Es wäre genauso verfehlt, diese jahwetreuen Kreise ohne weiteres mit den sozial benachteiligten Kreisen zu identifizieren, denn sowohl in der Frühzeit des Königtums, als auch in der Zeit der großen Propheten finden sich hie und da Anhänger der streng jahwetreuen Richtung auch unter den höheren Ständen, z. B. Jer 26 24. I Reg 18 3ff. Man muß also die jahwetreuen Kreise als eine echt religiöse Bewegung verstehen, die man soziologisch nicht lokalisieren kann, wenngleich die meisten ihrer Anhänger sicher nicht aus den kulturfreudigen, allem Fremden gegenüber offenen, führenden Schichten der Stadtbevölkerung kamen. Ihre ständigen Anhänger waren zahlenmäßig wohl meist recht schwach, und sie vermochten der fortschreitenden Synkretisierung der Jahwereligion aufs Ganze gesehen keinen Einhalt zu gebieten. Dagegen haben wohl einzelne hervorragende Gestalten, die aus ihrer Mitte hervorgegangen sind, es verstanden, weitere Volkskreise für ihre Sache zu begeistern und mitzureißen (Samuel, Elia, Elisa) und in einer konkreten Situation ihre Forderungen durchzusetzen. (II Reg 11 u. die Reform unter Josia.) Die jahwetreuen Kreise sind also nicht als eine Art organisierter Jahwepartei — wie etwa in der Zeit der Makkabäer 1 — zu denken, sondern eher als eine religiös-geistige Strömung, die zeitweise im Verborgenen unter dem Volke wirkt, um an den Brennpunkten der Geschichte an die Oberfläche zu treten und das Volk klar vor die Entscheidung für oder gegen Jahwe zu stellen2. Dem Einfluß des Jahwe1

So E E R D M A N S , Oudtestamentische Studien IV, 1 The Hebrew Book of Psalms. Leiden 1947. 2 Ich teile nicht die fast zum Dogma gewordene Ansicht, daß in alter Zeit geistig-religiöse Bewegungen sich unbedingt in kultischen Institutionen Ausdruck verschaffen müssen. Dagegen spricht die altisraelitische Erzählungsliteratur. Diese jahwetreuen Kreise haben den israelitischen Kultus nicht abgelehnt, aber sie sind für die stärkere Durchdringung des Kultus, des Rechts und der Sittlichkeit vom Geist der

6. Das Eindringen kanaanäischer Kultbräuche und Vorstellungen

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glaubens, der seit Mose eine konstante, an Intensität freilich sehr unterschiedliche Wirkung auf die Volksfrömmigkeit ausübte, ist es dabei zu verdanken, daß Israel die kultischen Einrichtungen und Bräuche der Kanaanäer nicht unbesehen übernommen hatte. So z. B. hat die Verehrung der sterbenden und auferstehenden Vegetationsgottheit keinen Eingang in die Jahwereligion gefunden. Wohl ist uns im AT. dieser Kult bezeugt, aber er tritt immer als ausgesprochener Fremdkult auf und wird auch als solcher empfunden. Die Verehrung Jahwes in der Gestalt des Jungstieres ist kein Gegenbeweis, denn der Stier ist zwar ein Symbol des Fruchtbarkeitskults, das bedeutet aber noch nicht, daß er die sterbende und auferstehende Gottheit darstellt. Vielmehr ist Jahwe im Stierbilde als der Spender der Fruchtbarkeit verehrt worden. Für diese Deutung spricht die Tatsache, daß man im Nordreich mit der Stiergottheit die alten israelitischen Erwählungstraditionen verknüpfte (Ausführung aus Ägypten I Reg 12 28fi.)x. Man blieb sich also bei allem Synkretismus der Geschichtsbezogenheit des Gottes Israels durchaus bewußt. Mit der Ablehnung der Verehrung der sterbenden und auferstehenden Gottheit und der dazugehörigen Bräuche verlor der israelitische Kultus etwas sehr Wesentliches. Bedeutet für die Kanaanäer und andere altorientalische Völker der Kultus der sterbenden und auferstehenden Gottheit, wie er besonders im Neujahrsfest seinen Ausdruck findet, eine völlige Erneuerung der ganzen Natur, die mit der Erneuerung der Gottheit selbst beginnt, so ist für Israel diese Möglichkeit ausgeschlossen. Das Zentrum dieses Kultus, eben die sterbende und auferstehende Gottheit, fehlt in Israel. Sie war mit dem Wesen Jahwes unvereinbar 2 . Jahwes Beziehung zur Natur blieb wesentlich anderer Art als die des kanaanäischen Baal. Jahwe blieb, trotz aller naturhaften Züge, der persönliche Geber der Naturgaben. Er blieb über der Natur stehen und wurde nicht zur Personifizierung der Natur kraft. Dieser Umstand nahm den übernommenen Mythen und Riten einen großen Teil ihrer Wirkungskraft. Jahwereligion eingetreten und haben sich gegen die kanaanäischen Einflüsse gewandt. Es ging ihnen also um das Verständnis des Kultus und nicht um seine grundsätzliche Berechtigung in der Jahwereligion. 1 Das Stierbild ist wohl eher als ein Piedestal des unsichtbar darauf stehenden Gottes anzusehen. Es ist sehr zweifelhaft, ob das Volk sich auf die Dauer dieses subtilen Unterschieds bewußt geblieben ist. EISSFELDT, Lade und Stierbild. ZAW (58) N F 17, 1940/41 deutet mit guten Gründen das Stierbild von Bethel als ein altes Jahwe-Symbol aus der Wüstenzeit (Standarte). 2

Vgl. J . PEDERSEN, Canaanite and Israelite Cultus. Acta Orientalia 18, 1933.

2*

III. Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes i. Einführung Die religionsgeschichtliche Forschung der letzten Jahrzehnte hat uns auf die zentrale Rolle, die das sakrale Königtum in allen vorderorientalischen Religionen spielt, aufmerksam gemacht 1 . Mit der Gestalt des sakralen Königs — ganz gleich, ob er als die Inkarnation Gottes, als sein Sohn oder sein Auserwählter bezeichnet wird •— verbinden sich zahlreiche religiöse Vorstellungskomplexe, die trotz aller Variationen im einzelnen doch eine ziemlich geschlossene Einheit bilden, so daß man von einer gemeinsamen Gott-König-Ideologie sprechen kann. Sie findet ihren Ausdruck in dem kultischen Schema, dem Gott-KönigRitual, in dessen Mittelpunkt der sakrale König steht. Er ist zugleich Repräsentant des Volkes vor der Gottheit und Vertreter der Gottheit gegenüber dem Volke. Kraft seiner göttlichen Abstammung, die im Kultmythos des Thronbesteigungsfestes proklamiert wird, ist der König der Träger und Vermittler der göttlichen Segenskräfte, von dem das Wohl und Wehe des ganzen Volkes und der gesamten Natur abhängt. Es ist nun eine heute heiß umstrittene Frage, ob die Gott-KönigIdeologie und das entsprechende Königsritual von den nach Kanaan 1 J . G. FRAZER, Lectures on the early History of the Kingship. London 1905. A. ALT, Gedanken über das Königtum Jahwes. KL. Schriften B . I, 1953. O. EISSFELDT, Jahwe als König. ZAW. (47) N F 5, 1928. K . F . EULER, Königtum und Götterwelt in den altaramäischen Inschriften Nordsyriens. ZAW N F 16, 1938. J . M. P . SMITH, Traces of Emperor-Worship in the OT. A J S L . 39, 1937. N. W. PORTEOUS, The Kingship of God in the Pre-Exilic Hebrew Religion. London 1938. A. R . JOHNSON, The Role of the King in the Jerusalem Cultus, in The Labyrinth. Hrsg. S. H. Hooke, London 1935. G. VON RAD, Erwägungen zu den Königspsalmen. ZAW (58) N F 17, 1940/41. Ders. Das judäische Königsritual. ThLZ. 72, 1947. G. WIDENGREN, PS. 110 och det sakrala kungadömet i Israel. UUA 7, 1, 1941. Ders. Det sakrala kungadömet bland öst-och väst-semiter. Religion och Bibel. 2. Aufl. 1943. Ders. Das sakrale Königtum im AT. und im Judentum. Stuttgart 1955. I. ENGNELL, Studies in Divine Kingship in the Ancient Near East. Uppsala 1943. A. BENTZEN, Det sakrale Kungadome. Kopenhagen 1945. Ders. Skandinavische Literatur zum AT. T h R N F 17, 1948/49. Ders. Messias, Moses redivivus, Menschensohn. AThANT 17, 1948. CHR. R . NORTH, The Religious Aspects of Hebrew Kingship. ZAW (50) N F 9, 1932. T. H. GASTER, Studies in Divine Kingship. R R . 1945. H. FRANKFORT, Kingship of the Gods. Chicago 1948. M. NOTH, Gott, König, Yolk im AT. ZThK 47. J g . 1950. H. J . KRAUS, Die Königsherrschaft Gottes im AT. Tübingen 1951. J . GRAY, Canaanite Kingship in Theory and Practice. VT. I I , 1952. J . HEMPEL, Glaube, Mythos und Geschichte im AT. ZAW (65) N F 24. 1954. H. RINGGREN, König und Messias. ZAW (64) N F 23, 1953. J . RIDDERBOS, Jahwäh malak. V T . IV. 1,1964. J . DE FRAINE, L'Aspect Religieux De La Royauté Israélite. Rom 1954.

1. Einführung

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einwandernden Israeliten im vollen Umfang übernommen wurde oder ob es unter dem Einfluß der Jahwe-Religion wesentlich verändert bzw. ganz abgelehnt wurde. Es ist für unsere Fragestellung wichtig, auf dieses Problem einzugehen, denn es hängt ja aufs engste mit der Frage nach der Gestalt des offiziellen israelitischen Kultus der Königszeit zusammen. Natürlich kann dieses Problem hier nicht in seiner ganzen Weite aufgerollt werden. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß es durchaus fraglich ist, ob die Israeliten bei ihrer Einwanderung in Kanaan dort das Königtum noch als eine intakte Größe vorgefunden haben. Aus den Landnahmeerzählungen geht jedenfalls deutlich hervor, daß in vielen kanaanäischen Stadtstaaten die Oligarchie der Adelsgeschlechter das Königtum ersetzt oder Zumindestens seinen Einfluß stark eingeschränkt hat (Jdc 8,5; 9 lff., Jos 9 3ff.). Die aus den Randgebieten der Wüste nach Kanaan eindringenden Völker kennen — jedenfalls in der Anfangszeit — keine dynastische Ordnung, wie das die Königsliste von Edom (Gen. 36 31 ff.) und die Anfänge Israels zeigen. Die Dynastiebildung gehört aber zu den unerläßlichen Voraussetzungen für die Übernahme der Gott-König-Ideologie. In der Überlieferung über die Anfänge Israels sind auch keine Motive der Gott-KönigIdeologie zu finden. Selbst Mose, der die wichtigsten Funktionen eines Gottkönigs, nämlich die eines Priesters, Propheten und politischen Führers des Volkes, in seiner Person vereinigt, wird niemals als König bezeichnet. E r tritt nirgends in der Überlieferung als Dynastiegründer oder Herrscher im eigentlichen Sinne hervor, denn neben ihm steht das Ältestenkollegium als selbständiges Regierungsorgan 1 . Mose erscheint vielmehr in der Überlieferung in erster Linie als Prophet und charismatischer Rechtssprecher des Gesamtstämmeverbandes. Sein Amt kann man wohl am treffendsten mit der Bezeichnung »charismatischer Bundesmittler« 2 umschreiben. Als weitere Träger dieses Amtes sind Josua und die sog. kleinen Richter anzusehen. Sie haben über den Bundeskult zu wachen und das sakrale Bundesrecht für den Gesamtstämmeverband anzuwenden und weiterzubilden. Auch die einzelnen Stämme besitzen keinen Häuptling im Sinne der Gott-König-Ideologie. Sie werden von Ältestenkollegien regiert und häufig von plötzlich auftauchenden charismatischen Heerführern in den heiligen Krieg geführt. 1 Vgl. KRAUS, a. a. O. S. llOff. und M. NOTH, Das Amt des »Richters Israels». Bertholet-Festschrift 1950. Die entgegengesetzte Auffassung vertritt A. BENTZEN, Messias, Moses redivivus, Menschensohn. 2 Vgl. KRAUS, Gottesdienst in Israel. S. llOff. ALT, Die Staatenbildung der Israeliten in Palästina. Leipzig 1930. S. 31 f. M. NOTH, Gott, König, Volk im AT. ZThK 4 7 . Jg. 1 9 5 0 . S. 1 3 7 . Die Verknüpfung der Patriarchenerzählungen mit den Heiligtümern Kanaans stellt eine sekundäre Legitimierung der Übernahme dieser Heiligtümer durch die Israeliten dar. Die Patriarchen begründen keinen neuen Kultus. Die Begründung des israelitischen Kultus wird Mose zugeschrieben. Auch die friedlichen Züge an den Patriarchengestalten schließen jede Verbindung mit der Gott-König-Ideologie aus. Nur in Gen 14 wird Abraham als Kriegsheld geschildert. Die Herkunft und Deutung dieses Kapitels ist jedoch zu umstritten, um daraus weitgehende Schlüsse zu ziehen. Die vereinzelte Bezeichnung Abrahams als nasV 'elohirn in Gen 23 6 kann nicht als Gegenargument herangezogen werden, denn nasV zeigt genauso wie nagid eine antimonarchische Tendenz. Im Munde der Ausländer bedeutet die Verwendung dieses Titels eine besondere Ehrung Abrahams.

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III. Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

2. Die Entstehung des israelitischen Königtums Nach langer Periode der Königlosigkeit und dem mißglückten Versuch der Gründung eines kanaanäisch-israelitischen Stadtstaates in Sichern (Jdc9), entsteht das israelitische Königtum in einer bestimmten geschichtlichen Situation durch menschliches Handeln (I Sam 1115). Seine religiöse Weihe erhält der König durch die von dem Priester und Gottesmann Samuel vollzogene Salbung. Jedenfalls ist das Subjekt des Königmachens das Volk, entweder durch das Ältestenkollegium vertreten oder als Versammlung aller freien, kriegsfähigen Männer. Die zwei Berichte über die Königswahl Sauls haben wir in I Sam 8; 10 17 bis 27 und K. 12 (K e ) und 9 1—10 16 und K. 11 (KJ). Beiden Berichten gemeinsam ist, daß sie die menschliche, man möchte fast sagen, demokratische Art und Weise, auf die das Königtum in Israel zustande gekommen ist, hervorheben. Der Bericht K 1 sieht es als Fortsetzung der alten charismatischen Führer, der Richter, an. Dagegen der jüngere K e sieht schon in dem Begehren nach einem König den Abfall von Jahwe. So gewiß dieser Unterschied in der Bewertung des Königtums durch die späteren unglücklichen Erfahrungen, die man mit den Königen gemacht hat, bedingt ist, so ist diese Spannung nicht nur aus dem zeitlichen Abstand der beiden Berichte voneinander zu erklären. Diese Spannung liegt vielmehr im Wesen der Jahwereligion und des Königtums begründet 1 . Der inneren Struktur der Jahwereligion entsprach allein der charismatische Führer, der von Fall zu Fall von Jahwe berufen wird und sich durch seine Fähigkeit, das Volk für die Sache Jahwes zu begeistern, und durch seine Taten, die er kraft des auf ihm ruhenden Geistes Jahwes vollbringt, als der von Jahwe selbst berufene Helfer erweist. Dabei bleibt Jahwe der eigentliche, die Geschichte seines Volkes selbst lenkende Herr. Der Glaube an die unmittelbare Führung durch Gott und damit an seine unmittelbare Herrschaft gehört zu den ältesten Bestandteilen des Jahweglaubens (vgl. J d c 823). Damit vertrug sich das nichtcharismatische, erbliche Königtum schlecht. E s musste naturgemäß auf eine kontinuierliche Machtentfaltung bedacht sein, und diese konnte sich nicht auf den politisch-wirtschaftlichen Bereich beschränken. Um das Ansehen der Dynastie von der persönlichen Fähigkeit des jeweiligen Herrschers unabhängig zu machen, brauchte es eine andere religiöse Weihe als das Charisma des Geistbesitzes. Diese Weihe konnte ihm nur ein sakramentaler Akt, der ihm auf physisch-naturhafte Weise göttliche Kräfte vermittelte, geben. Die Abneigung der jahwetreuen Kreise gegen das Königtum beruht auf dem Gegensatz der mosaischen Jahwereligion zu allem nichtcharismatischen religiösen Beamtentum, zu aller Ver1

Vgl. BUBER, Das Königtum Gottes. S. 109 und Der Glaube der Propheten.

S. 9 0 bis 1 0 3 .

3. Die Stellung der Schriftpropheten zum Königtum

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selbständigung der menschlichen Amtsträger. Es ist der Gegensatz zwischen Amt- und Geistträgern. Dieser Gegensatz wurde immer in der Jahwereligion empfunden (Jdc 9), wenn er auch in voller Schärfe erst von den Schriftpropheten ausgesprochen und ausgetragen wurde1. Auch die Berichte über das Königtum Esbaals ( I I S a m 2 9), Davids ( I I S a m 2 4a; 5 3) und Salomos (I Reg 1—2) sowie das Königsgesetz Dtn 17 14—20 zeigen die gleiche Tendenz. Sie sehen das Königtum als eine geschichtlich bedingte, menschliche Einrichtung an, mit deutlich umgrenzten Rechten und Pflichten. Erst die von David angebahnte und von Salomo vollendete Entwicklung der israelitischen Monarchie zum despotischen Königtum altorientalischer Prägung 2 schafft gewisse Voraussetzungen für die Übernahme einzelner Motive der Gott-König-Ideologie. Unter Berufung auf den besonderen Bund Jahwes mit David erheben seine Nachfolger Anspruch auf Anerkennung ihrer sakralen Stellung, die vielfach dem Gott-Königtum ihrer Umwelt nahe kommt 3 . Diese oft sehr weitgehenden sakralen Ansprüche der israelitischen Könige fanden jedoch offensichtlich keine restlose Anerkennung. Das bezeugt sowohl die Weitertradierung der Erzählungen von der recht menschlichen Entstehungsweise des israelitischen Königtums 4 , als auch die Polemik der Propheten gegen das Königtum. Auf diese Polemik müssen wir hier näher eingehen, weil sie für ihre Stellung zum Kultus überhaupt wichtig ist. 3. Die Stellung der Schriftpropheten zum Königtum Zunächst muß es sich darum handeln zu erarbeiten, ob die Stellungnahme der Propheten zum Königtum den Anspruch der israelitischen Könige auf eine ähnliche sakrale Stellung, wie sie etwa die babylonischen oder ägyptischen Könige innehatten, vermuten läßt. War der israelitische König wirklich der religiöse Mittelpunkt des ge1 Vgl. die Ausführungen BUBERS über die antimonarchische Tendenz der alten Erzähler und Sagensammler in Der Glaube der Propheten. S. 130ff. Vgl. EICHRODT, Theologie II, S. 223f. A A. ALT, Das Königtum in den Reichen Israel und Juda. VT. I, 1; 1951, S. 2ff. K. GALLING, Die israelitische Staatsverfassung in ihrer vorderorientalischen Umwelt. AO. 28, B. 4, H. 3/4, 1929; derselbe, Das Königsgesetz im Deuteronomium. ThLZ 76, 1951, Sp. 133ff. 3 Vgl. L. ROST, Die Überlieferung von der Thronnachfolge Davids. BWANT III, 6, 1926. Ders. Sinaibund und Davidsbund, ThLZ 72, 1947. CHR. NORTH, The Religious Aspects of Hebrew Kingship. ZAW. 50, 1932, S. 25f. M. NOTH, Gott, König, Volk im AT. S. 186f. Die Behauptung der Vertreter der sog. Uppsala-Schule, daß die israelitische Königsvorstellung völlig mit der Gott-König-Ideologie übereinstimme, ist sehr einseitig und übertrieben; siehe jetzt auch GEO WIDENGREN, Sakrales Königtum im AT. und im Judentum. Stuttgart 1955. 4

gangen.

Diese Tradition wird sowohl von WIDENGREN als auch ENGNELL völlig über-

I I I . Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

24

samten Volkslebens, in dem sich Gottheit und Volk trafen, so müßte man eine deutliche Stellungnahme der Propheten dazu erwarten, da die Gott-König-Ideologie dem Anliegen der Propheten, f ü r die es u m die Durchsetzung der unmittelbaren Gottesherrschaft geht, diametral entgegengesetzt ist. Bei der Befragung der Prophetenschriften gilt es, die Frage nach der Stellung der Propheten zum Königtum als einer konkreten, geschichtlich gewordenen Größe von einem weiteren Problem, nämlich der Bedeutung der Königsvorstellung für die Eschatologie, z. B. für die Königsherrschaft Jahwes, f ü r die Messiasgestalt usw. zu trennen. Diese eschatologischen Vorstellungen können nicht als Niederschlag bestimmter historischer Verhältnisse angesehen werden, weil sie z. T. unabhängig von ihnen, z. T. im Widerspruch zu ihnen entstanden sind. So sehr die eschatologische Heilszeit mit den Bildern, die der empirischen Wirklichkeit entnommen sind, ausgemalt wird, und so sehr ihre Realisierung innerhalb dieser irdischen Wirklichkeit und Geschichte erwartet und geglaubt wird, so ist sie doch nicht nur ein überhöhtes und ins Überdimensionale gesteigertes Spiegelbild dieser empirischen Wirklichkeit. Man muß dabei — besonders bei den Schriftpropheten — mit neuen Konzeptionen rechnen, denn die Eschatologie der Propheten ist von der Erkenntnis, daß das Volk den Bund gebrochen hat, und vom Glauben an eine radikale Erneuerung oder Neuschaffung des Volkes durch Jahwe durchdrungen. Jahwe muß selbst eingreifen und die neuen Voraussetzungen für ein ungestörtes Bundesverhältnis schaffen. Die gegenwärtigen Verhältnisse und Institutionen können bestenfalls als uneigentliche Bilder und Analogien zur Schilderung dieser Heilszeit, die einzig und allein auf Jahwes Handeln beruht, verwandt werden. Die Vorstellung von der Königsherrschaft Jahwes ist außerdem wesentlich älter als das historische Königtum in Israel, obwohl der Königstitel Jahwe erst später beigelegt wurde 1 . Aus diesen beiden Gründen darf die eschatologische Königvorstellung nicht ohne weiteres für die Erkenntnis der religiösen und politischen Stellung der tatsächlichen, historischen Könige ausgewertet werden. Die klassische Prophetie v e r s c h ä r f t die kritische Einstellung dem K ö n i g t u m gegenüber, die sich bereits in den ältesten Teilen des A T bemerkbar m a c h t , zur grundsätzlichen V e r w e r f u n g des K ö n i g tums, so wie es in Israel zur geschichtlichen Wirklichkeit geworden ist. Diese V e r w e r f u n g , die sich nicht auf einzelne K ö n i g e beschränkt, erfolgt v o m S t a n d p u n k t der neuerlebten Gotteswirklichkeit aus. Alles, w a s dem Absolutheitsanspruch J a h w e s nicht entspricht, fällt dem Gericht anheim. Hier heißt es auch v o m K ö n i g t u m : »Gewogen und zu leicht befunden« 2 . 3 a. Arnos Arnos erwähnt das K ö n i g t u m nicht ausdrücklich, doch sind die K ö n i g e in den Gerichtsreden gegen die führenden S t ä n d e sicher m i t einbezogen. D a f ü r sprechen Stellen wie 6 1 , 1 1 , in denen der U n t e r g a n g der beiden S t a a t s w e s e n angekündigt wird. Dieses Übergehen des K ö n i g t u m s spricht jedenfalls mit dafür, daß der K ö n i g des Nordreiches 1 BUBER, Der Glaube. S. 90ff.; Das Königtum Gottes. Auch WEISER, Psalmen I 3 ATD. S. 37 f. a

S. EICHRODT, T h e o l o g i e I S. 228.

3 a. Arnos

25

bei weitem nicht die dem altorientalischen Gottkönigtum entsprechende Stellung innehatte. Die tatsächliche Macht scheint vielmehr in den Händen der Aristokratie, der reichen Kaufmannschaft und des Militärs zu liegen. Religiös gesehen stellt das Königtum des Nordreiches eine Fortsetzung der alten charismatischen Führer dar. Auch wenn 9 li—15 echt sein sollte1, so gibt sie keinen Beweis für die These des Gottkönigtums in Israel ab. Es läßt sich nicht einmal sagen, ob mit der Hütte Davids das Könighaus oder das Königreich gemeint ist. Jedenfalls soll damit die Wiederherstellung der Einheit der beiden Reiche ausgesagt werden. Was sollte dabei näher liegen als ein Rückgriff auf die in dieser Beziehung vorbildliche Zeit Davids? Auffällig ist, daß in dem in paradiesischen Farben gemalten Zukunftsbild die Gestalt des königlichen Heilsbringers völlig fehlt. Alles ist auf das alleinige Wirken Jahwes gestellt. Anhangsweise soll noch die von H A N S S C H M I D T (Die Thronfahrt Jahwes, 1927» S. 46) vorgetragene Deutung von Am 5 26—27 erwähnt werden. Er übersetzt 5 26 »Oder h a b t ihr getragen das »Zelt« eures Königs, den »Thron« . . . eures Gottes, den ihr euch gemacht h a b t ?« und schließt daraus auf den Brauch der Königsprozessionen mit Baldachin und Thron, als Zeichen der Gegenwart Gottes. Damit findet S C H M I D T den vorisraelitisch-kanaanäischen Brauch der Königsprozession am Neujahrsfest, das gleichzeitig das Thronbesteigungsfest Gottes und des irdischen Königs war, auch für das Nordreich belegt. Zunächst ist dazu zu sagen, daß diese Übersetzung auf einer Reihe unsicherer Textkonjekturen und der Annahme ungewöhnlicher Wortbedeutungen beruht. Die Fragepartikel fehlt, außerdem ist diese Lesart metrisch schwierig. Daß 1130 einen kultischen Gegenstand, etwa Baldachin, bezeichnet, müßte erst nachgewiesen werden. I m AT wird es durchgehend im profanen Sinne verwendet in der Bedeutung »Laubdach«, »Versteck« und im metaphorischen Sinne f ü r »Dynastie«, »Reich«. Die Verwendung des Wortes als Bezeichnung für Festhütten beim Laubhüttenfest ist von der ersten Bedeutung abgeleitet und läßt keine Deutung auf einen Gegenstand des Königskultes zu. Ebenso unsicher ist die Deutung von in 5 26 als ]V3, was nach S C H M I D T »Thron« heißen soll. Die einzige Stelle, an der dieses Wort im AT. vorkommt, ist I I Chr 6 13 (allerdings muß dabei eine Konjektur von "1V3 zu | V 3 vorgenommen werden). Dort kann es kaum die Bedeutung »Thron« haben, bestenfalls »Stand, Empore«, die wahrscheinlich eher den Altar als den Thron trägt. Da in dem ganzen Abschnitt Am 6 21—27 vom Kult allgemein die Rede ist und keine Andeutung speziell des Thronbesteigungsfestes zu finden ist, kann die Deutung von S C H M I D T schwerlich zutreffen. E r versteht den ganzen Abschnitt 5 16—27 als Schilderung der Neujahrsfestprozession (a. a. O. S. 44f.) mit »einem Umzug Jahwes durch die Straßen und die Weingärten (15f.), dem lauter Segen folgt und der deshalb mit lauter Jubel begleitet wird.« Diese hochfliegenden Erwartungen kehre Arnos in ihr Gegenteil um, indem er den Umzug Jahwes als einen Vernichtungs- und Unglückszug schildert (5 16—18). Die Jubelrufe werden zur Totenklage. Weitere Züge des Neujahrsfestes, das zugleich Inthronisations1

Zur Echtheitsfrage s. E I S S F E L D T , Einleitung S . 445 und die Kommentare von Weiser u. Cramer. Vgl. V. M A A G , Wortschatz und Gedankenwelt des Buches Arnos. 1952. SELLIN,

26

I I I . Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

fest Jahwes wie des Königs ist, und bei dem der irdische König wahrscheinlich die Rolle Jahwes übernahm, findet S C H M I D T in den Doxologien Am 5 s; 9 6, die Hymnen zum Empfang der Prozession innerhalb der Tempeltore darstellen. Diese Prozession fände im Herbst am frühen Morgen statt (4 13; 5 s). Alle diese Rückschlüsse basieren auf Hypothesen und Textkonjekturen. Es ist überaus fraglich, ob man 5 16—27 überhaupt als einen geschlossenen Abschnitt verstehen darf. Es liegt vielmehr eine größere Anzahl von später kompilierten Einzelsprüchen vor. H ä t t e Arnos wirklich ein Stück der Neujahrsfest-Liturgie als Vorlage verwendet, müßte der Abschnitt viel geschlossener aussehen und deutlichere Bezeichnungen der kultischen Situation aufweisen. Die von S C H M I D T zur Stützung seiner These herangezogenen doxologischen Wendungen lassen wohl eine Anlehnung an die im Kult üblichen Stilformen vermuten, aber sie lassen sich kaum als wörtliche Entlehnungen verstehen und in einer bestimmten Festliturgie lokalisieren 1 . Dazu sind sie viel zu allgemein und unbestimmt gehalten. Erst recht willkürlich ist das Unterfangen, aus solchen Bruchstücken ganze Festliturgien von sonst gänzlich unbekannten Festen zu rekonstruieren, wie es außer H. S C H M I D T auch S. M O W I N C K E L 2 tat. Dabei wird eine solche Fülle von Motiven auf das eine Fest gehäuft, daß praktisch alles dort hineinpaßt: 1. Naturfest, Anfang der Regenzeit, 2. Acker- und Weinbaufest, 3. Neujahrs- und Thronbesteigungsfest des irdischen Königs und der Gottheit, 4. eine im Schöpfungsmythus wurzelnde Kultfeier, 5. ein Adventsfest im Sinne der Eschatologie, 6. Inthronisationsfest Gottes mit Gericht über Israel und die Völkerwelt, 7. ernster Bußtag. Und doch ist dieses Fest nirgends im AT ausdrücklich bezeugt. Diese Häufung von Motiven auf ein Fest ist im AT gleichfalls unbekannt. Schließlich fehlt in all den erwähnten Stücken jede Andeutung darüber, daß sie ursprünglich eine liturgische Einheit gebildet haben. So z. B. kommt in den genannten Amos-Texten (4 13; 5 16—27; 5 8f.; 9 6) der Gott beigelegte Königstitel gar nicht vor. Nach M O W I N C K E L und S C H M I D T ist aber der Königstitel und Königsruf das wichtigste Merkmal des Neujahrsfestes 3 . Nimmt man noch die Tatsache hinzu, daß wir bei den Propheten und in den Geschichtserzählungen keine Bezugnahme auf kultisch-dramatische Darstellungen, Abschlachtung der gefangenen Feinde usw., finden, so wird von da aus die Hypothese M O W I N C K E L S und S C H M I D T S mehr als fraglich.

3 b. H o s e a

Mit prinzipieller Klarheit bringt die kritische Einstellung zum Königtum Hosea zum Ausdruck. Die Ursünde der Könige ist ihre Selbstherrlichkeit, ihr Ungehorsam gegen Jahwe. Diese Tendenz der politischen Machthaber sieht Hosea als mit dem Königtum unzertrennlich verbunden an. Bereits bei der Königseinsetzung zu Gilgal 4 (I Sam 1114) hat sich das Volk als Rebell gegen Jahwe gezeigt (Hos 1

Vgl. die ganz abweichende Deutung durch

HORST.

ZAW

47. N F 16, 1929,

S. 45ff. 2

S. M O W I N C K E L , Psalmenstudien, I I , S. 203. Darauf hat E I S S F E L D T bereits 1928 in der Deutschen Theologie S . 87ff. hingewiesen. 4 Es läßt sich nicht eindeutig sagen, welches Gilgal gemeint ist. Vgl. Komm., besonders T H . H . R O B I N S O N und W E I S E R Z. St. Doch scheint mir die Beziehung auf 3

3 b. Hosea

27

9 15-17). Schon das Begehren des Volkes nach einem König sieht Hosea als Ungehorsam gegen Jahwe an (13 4-11). Jahwe duldet keine Nebenbuhler, deshalb ist alles Vertrauen auf die äußeren Machtmittel Sünde (Hos 10 I3b-15). Darum wird der von dem Königtum erhoffte Segen in Fluch verkehrt: »Ich gebe dir Könige in meinem Zorn und raffe fort Fürsten in meinem Grimm« (Hos 13 11, Übersetzung nach

SELLIN).

Das düstere Bild von der Wirksamkeit der Könige des Nordreiches entwirft Hosea in 10 3-4: »Was kann uns der König helfen ? Große Worte reden, falsche Eide schwören, Bündnisse schließen und Recht brechen!«

Das ist die Antwort des Propheten auf den verzweifelten Ausruf des Volkes: »Wir haben keinen König.« Das Versagen des Königs oder gar das Fehlen eines Herrschers bedeutet gerade für die Bevölkerung des Nordreiches eine große religiöse Not, denn der König sollte doch ein charismatischer Beauftragter Jahwes sein. Das Fehlen des Königs bedeutet, daß Jahwe sich vom Volk abgewandt hat, daß sein Geist von ihm gewichen ist. Demgegenüber sieht Hosea das Königtum als gottwidrig an. Der religiöse Nimbus, mit dem es sich umgibt, ist nur noch ein falscher Schein: »In ihrer Bosheit salben sie Könige, in ihrer Heuchelei Fürsten!« (Hos 7 3).

Ich glaube, daß Hosea mit der Heuchelei den Anspruch der Könige des Nordreiches auf den Besitz des Geistes Jahwes meint. Dieser Geistbesitz äußerte sich bei den alten Kriegsnaziräern und Nebiim in spontanen Erfahrungen ekstatischer Art. Nun wissen wir von solchen Erscheinungen, wie sie von Saul berichtet werden, bei den Königen des Nordreiches nichts. Ihre Herkunft fast ausschließlich aus Söldnerkreisen legt den Gedanken an ein echtes Charismatikertum dieser Könige nicht eben nahe. Dennoch berufen sich die durch Revolution auf den Thron erhobenen Könige auf eine göttliche Beauftragung durch Prophetenspruch und Salbung 1 . Die Unzuverlässigkeit und das oft recht niedrige religiöse und sittliche Niveau der Nebiim legen den Gedanken nahe, daß es dem jeweiligen Thronprätendenten nie an willigen Werkzeugen unter den Nebiim gefehlt hatte, die — sei es das Gigal von I Sam 11 14 wahrscheinlicher, da wir über einen Naturkult im GigalHeiligtum in der Jordan-Ebene keine Überlieferung besitzen. Vgl. GALLING, Bethel und Gilgal. ZDPV 67, 1; 1944, S. 41 f. 1 S. Jerobeam I., Jehu, wohl auch Baesa (I Reg 15 29f.). Selbst dort, wo es heißt, »das Volk« oder das Militär habe einen neuen König erhoben, ist an die Mitwirkung der Nebiim zu denken. II Reg 9 schildert sicherlich einen typischen Vorgang, der sich in ähnlicher Weise des öfteren wiederholt haben mag.

28

I i i . Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

aus Hoffnung auf den zu erwartenden Vorteil, sei es aus Unkenntnis der Lage — bereit waren, ihm die begehrte religiöse Sanktionierung zu erteilen. Bei der Häufigkeit dieses Verfahrens gerade in der Periode des Niedergangs des Nordreiches mußte das natürlich auch dem Volk wie eine Farce vorkommen. Dennoch hielt man an der Attrappe der angeblichen göttlichen Berufung fest, weil man von der wirklichen Gegenwart Jahwes bei seinem Volk nichts mehr wußte. Wo das echte Gott vertrauen verloren gegangen ist, da klammert man sich um so fester an die falschen Garantien der Gottesnähe, auch wenn man sie nicht mehr als echt empfindet. Man greift zu allerlei religiösen Ersatzmitteln, weil man sich vor der Gegenwart des lebendigen Gottes fürchtet, denn diese bedeutet unter den gegebenen Verhältnissen Gericht. In diesem Sinne ist auch das Nebeneinander von Gottesbildern und Königen in der Verkündigung des Hosea zu verstehen (3 4; 8 4ff.; lOiff.). Das tertium comparationis ist das falsche Objekt des Vertrauens1. Der religiöse Nimbus der Könige, der in ihrem Charisma lag, ist genau so zum Trug geworden wie der Glaube an die Bindung Jahwes an heilige Gegenstände und Orte. Hosea will das Vertrauen des Volkes von den falschen Mittlern direkt auf Jahwe lenken. Diese falschen Mittler, die die wahre Erkenntnis des Willens Gottes verdunkeln, fallen dem Gericht anheim (Hos 3 4). Es ist von da aus gesehen falsch, wenn man gerade auf Grund dieser Stellen den umgekehrten Schluß zieht, die dort genannten Institutionen wie Könige, Fürsten, Opfer usw. seien nach Hoseas Ansicht für die Existenz des Volkes unentbehrlich und ihr Verschwinden bedeute das Ende des Volkes2. Vielmehr kündigt Hosea die Vernichtung dieser Instanzen an, die das Volk für unentbehrlich hält, um es unmittelbar vor Gott zu stellen. Die Vernichtung des Königtums ist noch in Hos 8 io; 10 7f. 15 angedroht3. Den Usurpatoren, die zu Unrecht die Berufung Jahwes für sich beanspruchen, stellt Hosea die wahren Geistträger, die Propheten, entgegen (Hos 12 n u. 14). Sie, und nicht die Könige, sind von Jahwe mit der Führung des Volkes beauftragt. Hosea bezieht sich hier auf das charismatische Amt des Bundesmittlers, das in Mose sein Vorbild hat. Die Schärfe des Urteils über das Königtum ist nicht nur durch den offensichtlichen Verfall dieser Institution im Nordreich bedingt, vielmehr spricht Hosea die Grundanschauung des Jahwismus aus. Das kann man auch an der ähnlichen Stellungnahme der judäischen Schriftpropheten erkennen. 1

So EICHRODT, Theologie I S. 2 2 8 .

So z. B. OESTERLEY, Sacrifices S. 200 und öfter. * Hos 7 5 wird von MOWINCKEL als Belegstelle für das Thronbesteigungsfest verwendet (Psalmenstudien II S. 43). Doch ist das nur mit Hilfe sehr unwahrscheinlicher Konjektur und ebenso gekünstelter Auslegung möglich. 2

3c. Jesaja

29

3c. Jesaja

Jesaja ( I i i S7tä) stellt den Untergang der davidischen Dynastie in Aussicht. Den Messias nennt er mit Vorliebe Amtmann (")©), während er den Königstitel Jahwe vorbehält (Jes 6 5)1. Immerhin fällt bei Jesaja die Berufung auf die ideale Zeit des Königtums unter David stark gegenüber der Hinwendung zur vorköniglichen Zeit bei Hosea auf 2 . Betrachtet man jedoch die Auseinandersetzung Jesajas mit den zeitgenössischen Regenten Ahaz (Jes 7 loff.) und Hizkia (Jes 20 22 28 i6ff.), so sieht man, daß für ihn nicht der Glanz des davidischen Reiches das Wesentliche war, sondern die Unterordnung des Königs unter den Willen Jahwes. Jesaja vertritt den alten Herrschaftsanspruch Jahwes, dessen Bevollmächtigte die Propheten sind. Sie, und nicht die Könige, haben das Gottesrecht zu sprechen. Er fordert von Ahaz und Hizkia Vertrauen auf Jahwe und Anerkennung seiner Gebote auch im Räume der internationalen Politik. In den davidischen Königen sieht er bloße Menschen, die genau so wie alle anderen dem Willen Jahwes unterstehen 3 . Jahwe ist der Herr der Geschichte (Jes 22 11 f.), der mit den Königen der Welt in Freiheit schaltet und waltet (Jes 7 8f.). In gleicher Weise wie die Könige rügt Jesaja auch die übrigen Machthaber im Staate Juda (Jes 22 19). Diese Unterschiedslosigkeit der Behandlung des Königs und seiner Beamten zeigt deutlich, daß es für Jesaja kein Gottkönigtum im altorientalischen Sinne gab. Aus dem Fehlen der Polemik gegen die Königsvergötterung in Juda kann man darauf schließen, daß diese tatsächlich nicht üblich war. Sonst hätte doch Jesaja gewiß nicht dazu geschwiegen, zumal er gegen die Selbstüberhebung der irdischen Mächte schonungslos angeht. 3d. Micha und Zephanja

Micha, ein etwas jüngerer Zeitgenosse Jesajas, sieht den inneren Zerfall des Staates und der Gesellschaft besonders deutlich in Jeru1 Vgl. E I C H R O D T , Theologie I S . 299 und P R O C K S C H , Theologie S . 187. In Jes 6 5 taucht bei den Propheten die Verwendung des Königstitels für Jahwe zum ersten Male auf. 2 So sah Jesaja die Reichsspaltung als großes nationales und religiöses Unglück an (Jes 7 17). 3 Die Verfluchung des Königs gilt genauso als ein Sakrileg wie die Gotteslästerung, Jes 821, vgl. Ex 22 27 u. I Reg 2110. Beides wird mit dem Tode bestraft. Doch sind ähnliche Anschauungen dermaßen weit in den verschiedensten Religionen und Kulturen bis in die moderne Zeit hinein verbreitet, daß man keine bestimmten Schlüsse auf die Stellung des Königs daraus ziehen kann. Es lassen sich hier vielleicht psychologische, aber keine religionsgeschichtlichen Zusammenhänge nachweisen.

30

III. Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

salem zutage treten (Mi 3 12)1. Deshalb trifft der vernichtende Schlag auch alle drei Stadtteile: Zion, die Burgstadt, Jerusalem, den Sitz der für das Unrecht und die Korruption in erster Linie verantwortlichen Oberschicht, und den Tempel. Damit fallen die drei Säulen des Staates hin 2 . Gerade diese Drohung ist bis in Jeremias Tage (Jer 26 18) unvergessen geblieben. In 4 9 polemisiert Micha gegen das im Volke verbreitete Vertrauen auf den König, indem er den Vertrauensruf »Der König ist in unserer Mitte« ironisch mit dem Zustand der Verlassenheit und Verwüstung des Volkes zusammenstellt. Dieser Ausruf läßt sich aus der Vorstellung vom König als der Spitze des Volkes und des Staates ganz zwanglos erklären. Dazu bedarf es keines Rückgriffs auf die Gott-König-Ideologie 3 . Betrachtet man Mi 4 i — 5 s als nachexilisch, so finden wir bei Micha überhaupt keine ausdrückliche Erwähnung des Königtums, außer in 114, das für unsere Fragestellung nicht in Betracht kommt. Allein schon das Fehlen des Königs bei der Aufzählung der für den Verfall der Volksgemeinschaft verantwortlichen Stände (Mi 7 1-6) ist ein weiterer Hinweis darauf, daß der König nicht als Träger der gesamten Lebenswirklichkeit in Juda gegolten haben kann. Die Macht und die Verantwortung liegen vielmehr bei den führenden Ständen (nnfe u. Drüpts). Zephanja geißelt die ausländischen Moden des Hofes (1 8) und die Ungerechtigkeit der leitenden Männer des Staates. Er stimmt in der Nichtbeachtung des Königs ganz mit Micha überein. 3e. Jeremia Die Kap. 211—23 s enthalten eine Zusammenstellung der Aussprüche Jeremias über die Könige. Sie bietet echte Jeremia-Worte und ihre prosaischen Erläuterungen, die wohl zum größten Teil von Baruch stammen (vgl. RUDOLPH, Kommentar z. St.), an deren Richtigkeit zu zweifeln man keinen Grund hat. Der Prophet tadelt die einzelnen Herrscher wegen der unter ihrer Regierung herrschenden Mißstände: 218. 36 — gegen Bündnisse, 2213-19 36 30 — gegen Jojakim, 211-10 34 2-7 381-3—gegen Zedekia. Jeremia bedroht alle judäischen Könige mit Ausnahme Josias mit den schlimmsten Strafen für ihren Ungehorsam und Mangel an echtem Gottvertrauen. Vgl. P. KLEINERT, Die Propheten Israels in sozialer Beziehung, 1905, S. 61 ff. Ähnlich PROCKSCH, Theologie, S. 209. 3 Die Vernichtung des Königtums wird noch Mi 4 14 angedroht. Da jedoch diese Unheilsweissagung im Rahmen der Heilsweissagungen Kap. 4— 5 steht, ist sie wohl als Voraussetzung oder Vorspiel des künftigen Heils gedacht. Die Echtheit von Mi 4 1 — 6 8 ist recht umstritten. Der ganze Abschnitt ist eine Sammlung exilisch-nachexilischer Heilssprüche. Vgl. EISSFELDT, Einleitung, S. 456f. 1

2

3e. Jeremía

31

Die besondere Erwähnung »eines Fensters« (Jer 22 14) im Zusammenhang einer an Jojakim wegen seiner Prachtbauten gerichteten Strafrede deutet darauf hin, daß man sich darunter wohl ein »Erscheinungsfenster« nach ägyptischem Vorbild vorzustellen hat. Damit wäre auch angedeutet, daß Jojakim ägyptische kultisch-höfische Bräuche nachgeahmt hatte. E r gab sich also aus als »der Abglanz der Sonne Ägyptens (des Pharao)«. Innenpolitisch gesehen bedeutete das für judäische Verhältisse einen überaus gesteigerten Anspruch des Königs auf absolute Macht im Staat. Dem entspricht auch das Gesamtbild, das uns von der Regierung des Königs Jojakim überliefert ist. An der Empörung des Propheten über seine Prunkbauten und der damit verbundenen Ausbeutung und Versklavung des Volkes (Jer 22 13ff.) sieht man, daß solche Ansprüche des Königs in Juda etwas ganz Ungewöhnliches darstellen, wenn es"äuch unter Manasse und Amon an ähnlichen Erscheinungen nicht gefehlt hat. Jeremia macht sich hier offensichtlich das Empfinden weiter Volkskreise zu eigen. Diesem Despoten hält er seinen Vater Josia als Vorbild entgegen. Ähnlich wie das Deuteronomium (17 14-20) betrachtet er die Überwachung und die Förderung der heiligen Ordnungen und des Gottesrechts als die vornehmste Pflicht des Königs. Dagegen erscheint Jeremia das Machtstreben des Königs als verwerflich. Diese weitgehende Übereinstimmung in der Beurteilung des Königtums beweist, daß die Propheten keineswegs mit ihrer Meinung ganz allein standen, sondern daß in der späten Königszeit weite Kreise in Juda bewußt auf die alten Traditionen Israels zurückgriffen und den König — wie überhaupt das ganze Gemeinwesen — der religiösen Aufgabe unterzuordnen sich bemühten und damit das Königtum wesentlich anders sahen, als dies sonst bei anderen altorientalischen Völkern gang und gäbe war. Die absolutistischen Bestrebungen der israelitischen Könige mit allen ihren kultisch religiösen Begleiterscheinungen sind genau wie das Eindringen fremder Kulte Folgen der Kanaanisierung und nicht Bestandteile der Jahwereligion selbst. Die Ankündigung des Unterganges der einzelnen Könige, wie Jojakim (Jer 22 24. 30) und Zedekia (Jer 211-10 34 2-7 37 3-10. 17 38 1-3. 14-23), sowie die Drohung, daß keiner von ihren Nachkommen auf dem Throne sitzen werde, zeigt, daß für Jeremia die Institution des Königtums, so wie sie ihre Gestalt in der Geschichte gewonnen hat, unrettbar dem Zorn Jahwes verfallen war. Mit dem Untergang des ganzen Staatswesens geht auch die Dynastie zugrunde. Von dem Königtum der Gegenwart mit seinem verkehrten Vertrauen auf selbstgewählte Mittel ist nichts mehr zu hoffen, deshalb verweist Jeremia auf die zukünftige Neugründung Jahwes (23 5f.), in der der König nur ein theokratischer Beamter ist, der das sakrale Bundesrecht zu verwalten hat. Hier wird also die wichtigste Funktion des charismatischen Bandes-

32

HI- Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

mittlers, die in der gegenwärtigen Notzeit der Prophet auszuüben hat, auf den Herrscher der Heilszeit übertragen. Der Idealzustand der Anfangszeit soll in der Heilszeit wieder verwirklicht werden. 3f. Zusammenfassung

Die Propheten beurteilten das Königtum aufs Ganze gesehen sehr negativ. Damit stimmen sie mit den ältesten israelitischen Traditionen überein, die im Königtum eine Beeinträchtigung der unmittelbaren Herrschaft Jahwes über sein Volk sahen. Bei den Propheten ist dieses Urteil durch trübe Erfahrungen, die man in Israel mit dem Königtum gemacht hatte, und durch die vertiefte Gotteserkenntnis der Propheten radikalisiert. An diesem Urteil vermochten auch die verhältnismäßig jahwetreuen Herrscher wie Hizkia, Josia und Jojachin nichts zu ändern1. Der einzige Herrscher, unter dem es zu einem positiven Verhältnis zwischen der Jahwereligion und dem Königtum gekommen ist, war David. Deshalb gilt die Zeit Davids den Propheten als die in dieser Beziehung ideale Zeit, die in der eschatologischen Zukunft wiederkehren soll. Jahwe erfüllt seine an David gegebene Verheißung auf wunderbare Weise, trotz der Verwerfung der empirischen DavidDynastie. In der durch Jahwes Eingreifen in die Geschichte herbeigeführten Heilszeit spielt der König die Rolle des Hüters des Gottesrechts und der sozialen Ordnung. Daneben findet sich bei den Propheten die Vorstellung von der unmittelbaren Herrschaft Jahwes in der Heilszeit. In beiden Fällen finden wir in den eschatologischen Zukunftsbildern der vorexilischen Schriftpropheten einzelne Vorstellungen, die im weiteren Sinne zu dem Bereich der altorientalischen Gott-König-Ideologie gehören, aber die Gestalt des Gott-Königs selbst fehlt in dem Vorstellungskreis der Propheten völlig. Die vorexilischen Schriftpropheten sind in dem Gebrauch der mythischen Motive überhaupt sehr zurückhaltend. Das soll im nächsten Abschnitt gezeigt werden. Die tatsächliche Existenz eines Gott-Königtums in Israel läßt sich weder aus der Stellungnahme der Propheten zu ihren zeitgenössischen Königen nachweisen noch auf Grund der eschatologischen Bilder ableiten. 4. Die Verwendung der einzelnen Motive der Gott-König-Ideologie bei den Schriftpropheten

Nunmehr gilt es zu prüfen, ob die ursprünglich aus der GottKönig-Mythologie stammenden Motive von den Propheten zur Aus1 Da die Könige dem Idealbild eines jahwetreuen charismatischen Volksführers, wie es etwa in Mose vorgebildet war, nicht entsprachen, geht dieses Amt auf die Propheten über. Sie und nicht die Könige sind nunmehr die wahren Bundesmittler.

33

4. Die Verwendung der Motive der Gott-König-Ideologie

gestaltung ihrer eschatologischen Vorstellungen verwandt wurden. Die sogenannten messianischen Weissagungen der Propheten werden neuerdings stark als Beweise für die zentrale Bedeutung der Gott-KönigMythologie in der Jahwereligion in Anspruch genommen. Zugleich sollen sie als Belege für die allgemeine Anerkennung der Göttlichkeit des Königs in der israelitischen Religion und damit für die Geltung des ganzen Kultschemas dienen. Eine am häufigsten in diesem Sinne (besonders von der UppsalaSchule) benutzte Stelle ist Jes 7 10-171. Dabei wird auf die gleiche Wendung ]3 T^n naV» *?n — »das junge Weib wirdeinen Sohn gebären« in den Ras-Schamra-Texten (siehe GORDON, Ugaritic Handbook, S. 77), sowie auf den ganz ähnlichen Aufbau des ägyptischen Orakels anläßlich der Geburt der Hatschepsut 2 hingewiesen. Auf Grund dessen kommt RINGGREN zur folgenden Interpretation von Jes 7: »Das junge Weib wird die Königin sein, das Kind Emanuel der Königssohn. Der Prophet gebraucht die bekannten Formeln des offiziellen Kultus. Damit will er sagen: Macht nur mit eurem kultischen Bekenntnis ernst. Ihr sagt ja, daß Gott mit euch ist; warum habt ihr denn kein Vertrauen zu ihm?«. 3 Jesaja soll damit den Mangel an Glauben an die althergebrachte, kultische Formel rügen. Gegen diese Exegese ist folgendes einzuwenden: 1. Der erwähnte Satz im Ras-Schamra-Text ist keineswegs als Orakel auf die Geburt eines göttlichen oder königlichen Kindes gesichert. Es kann außerdem auf Grund dieser einen, dazu noch in ihrer Deutung fraglichen Parallele nicht kurzerhand behauptet werden, es handle sich bei dem erwähnten Satz um eine feste kultische Wendung aus dem Königsritual (Ankündigung der Geburt des Thronfolgers) 4. Aus dem AT läßt sich dies nicht beweisen. Vielmehr kommt die gleiche Wendung im AT an Stellen vor, bei denen der Zusammenhang mit dem Königsritual ausgeschlossen ist (Gen 16 11 — Hagar, Jdc 13 a — Manoas Weib). 2. Der Artikel naVrn kann demonstrative Bedeutung haben (G. K. § 126a), oder er kann sich auf eine unbekannte Person oder Sache beziehen, welche unter den gegebenen Umständen in Betracht kommt (G. K. §126q-r); schließlich könnte naV^H als der im gegebenen Fall wirkende Teil des kollektiven Singulars (G. K. § 126t) angesehen Werden. Wie man diesen Artikel auch verstehen mag, so 1

Vgl.

2

König und Messias, S. 1 3 1 f.; I. Religion och Bibel 7, 1 9 4 3 , S . 28f.

H . RINGGREN,

G. WIDENGREN,

s. WIDENGREN

ENGNELL,

Studies, S.

133;

a. a. O.

3

Ähnlich B U B E R , Der Glaube, S. 201. Dennoch soll Emanuel der zukünftige Gegenkönig des Ahaz sein. 4 s. R I N G G R E N , König und Messias, S. 132. H e n t s c h l c e , Die Stellung der yorexilischen Schriftpropheten zum Kultus

3

34

I I I . Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

kann das Urteil von

RINGGREN, NAVUN T i -

stehe »offenbar als terminus

T

technicus« da, solange nicht als wissenschaftlich begründet gelten, solange der Beweis dafür aus dem AT nicht erbracht werden kann. 3. Gegenüber dem Vergleich mit dem Orakel für Hatschepsut 1 ist nur zu bemerken, daß bei ihm, wie bei allen ähnlichen Orakeln, die Situation, in der es gegeben wurde, viel eindeutiger ist. Entweder gehören sie zu den Kultprophetien, bei denen die kultische Situation ganz klar zu erkennen ist, oder sie tauchen in Inschriften und Annalen der Herrscher auf und dienen zur Verherrlichung des regierenden Königs. Außerdem fehlt in Jes 7 ioff. die Schilderung der Taten des künftigen Königs 2 . 4. Schließlich handelt es sich um ein Drohwort und nicht um eine Heilsverheißung 3 . Die Weissagung bezieht sich in erster Linie nicht auf das Kind, sondern auf Ahaz und das Schicksal des Landes und der Dynastie. Die Geburt des Kindes und sein Heranwachsen 4 sollen nur als Zeitbestimmung der nacheinander eintretenden Ereignisse dienen (Befreiung von der Bedrohung durch die Aramäer und das Nordreich, und dann das Eintreten noch schlimmerer Not). Der Name soll offensichtlich nur die Volksstimmung nach dem Abzug des aramäisch-israelitischen Heeres kennzeichnen. Von einem königlichen Kinde als dem Heilbringer ist gar keine Rede. Außerdem will doch Jesaja offensichtlich das falsche, leichtsinnige Vertrauen, das in dem Namen Immanuel — es mag hier in der Tat ein kultischer Ruf vorliegen (vgl. Ps 46 8) — zum Ausdruck kommt, ad absurdum führen. Dem steht sein unerschütterlicher und kühner Glaube an die Allmacht Jahwes und die unaufhaltsame Durchführung des göttlichen Planes gegenüber. Nicht der König oder das angekündigte Kind sind die Träger des göttlichen Auftrages, sondern der Prophet selbst. Nicht sie führen die Heilszeit herbei, sondern er verkündet das Strafgericht Jahwes. Jes 91-6 bietet den Vertretern der kultisch-mythologischen Deutung insofern eine willkommene Stütze, als die historische Situation, in die hinein dieses Prophetenwort gesprochen wurde, für uns nicht mehr deutlich erkennbar ist. Wie man auch ALTS Rekonstruktion dieser Situation beurteilen mag 5 , so steht doch das Eine fest, daß s. WIDENGREN, Religion och Bibel, S. 28 f. Vgl. GRESSMANN, The Foreign Influences in Hebrew Prophecy. J T h S t . 27, 1926, S. 241ff. 1 2

3

s. PROCKSCH, K o m m e n t a r z. S t . , S . 1 2 1 .

Dickmilch und Honig kann hier keine Paradiesesspeise, sondern Speise der Not sein (wegen v. 22b und 23; gegen RINGGREN). Der Zusammenhang von 7 18 bis 25 mit 7 1 0 - 1 8 kann aus guten Gründen nicht bestritten werden, vgl. P R O C K S C H Z. St., 1

S . 1 2 6 u n d HERNTRICH, A T D . z. S t . 1

s. ALT, Befreiungsnacht und Krönungstag in Eertholet-Festschrift 1950, S. 29ff.

35

4. Die Verwendung der Motive der Gott-König-Ideologie

ALT grundsätzlich im Recht ist, wenn er nach einer solchen konkreten Situation Ausschau hält. Gerade bei Jesaja, bei dem die Geschichte im Mittelpunkt seiner Verkündigung steht, muß die Geschichtsbezogenheit auch solcher, scheinbar nicht mit Sicherheit in einer bestimmten Situation lokalisierbaren Worte als primär angesehen werden. Auf keinen Fall darf aus unserer Unkenntnis dieser Situation Kapital für die zeitlose, kultmythologische Deutung geschlagen werden. Im einzelnen kann gegen die vorschnelle Parallelisierung des ganzen in Frage kommenden Textes mit entsprechenden babylonischen und hethitischen Kultprophetien 1 für den Thronfolger sowie mit ägyptischen »Königsprotokollen«2 eingewandt werden, daß zwar die Wendungen oft die gleichen sind, aber daß die hinter den einzelnen Namen stehenden Traditionen dennoch recht heterogen sein können 3 . Die Anpassung der vielleicht aus dem Ägyptischen entlehnten, hochgreifenden Königstitel 4 an die israelitische Königstradition 5 bedeutet auch ihre Einschränkung. Es ist deutlich, daß diese Namen individuelle Namen des künftigen Herrschers und nicht feststehende und immer wiederkehrende Königstitel sind. Das Schema der Königstitulatur steht wohl im Hintergrund, aber es ist umgestaltet und aufgelöst. Diese Umgestaltung läßt doch erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Annahme aufkommen, in Israel hätte das gleiche Kultschema wie in den großen Nachbarstaaten Geltung gehabt. Es müßte schon eine starke Abwandlung und Desintegrierung des genannten Schemas im israelitischen Raum angenommen werden, die das verhältnismäßig freie Schalten mit kultischen Formeln durch den Propheten erst möglich macht. Feste kultische Formeln, wenn sie einmal Gültigkeit erlangt haben, werden im Altertum kaum so frei abgewandelt. Gegen die Annahme, daß Jesaja als offizieller Kultprophet ein Heilsorakel für den zu erwartenden Thronfolger verkündet, spricht folgendes: 1. Eine Andeutung der kultischen Situation fehlt. E s wäre zwar möglich, daß dem Propheten eine kultische Formel als Muster

1

Vgl. DÜRR, Ursprung und Ausbau der israelitischen Heilandservvartung, 1925,

S. 1 1 3 f . u n d ENGNELL, 2

Studies,

S. 1 1 0 , A n m . 3.

Vgl. VON RAD, Judäisches Königsritual und J . HEMPEL, Worte der Propheten

1949, S. 279 ff. und 315. 3

So

4

Darauf deutet auch die Vierzahl der Titel hin — vgl. die vier großen (guten)

ALT

a. a. O. S. 43, Anm. 2.

Namen des Pharao. 5

Das Königtum als von Jahwe verliehenes Amt, das durch Verleihung des

Zepters übertragen wird. Vgl. die gleiche Vorstellung in P s 110 2 »Stab seiner Macht« und die viel bescheideneren Titel »Wunderratgeber« und »Wohlfahrtsbeamter« (so ALT, Bertholet-Festschrift,

S. 43 und BUBER, Der Glaube, S. 2 0 f „ der die Namen selbst

anders übersetzt). Vgl. A. R . JOHNSON, Sacral Kingship in Ancient Israel. 1955. S. 27. 3*

36

HI- Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

für das bekannte Wort gedient habe 1 , jedoch das Wort selber ist keine kultische Weissagung. Es bezieht sich offenbar auf einen künftigen, wunderbaren Herrscher, der nicht als der Sohn des Ahaz gekennzeichnet ist 2 . 2. Jes 9 1-4 stellt eine Mischung von Hymnus3 und Gebet dar 4 — die Anrede an Gott in der zweiten Person ist typisch für den Gebetsstil — und daher liegt hier nicht die normale Form des Prophetenspruches, sondern freie prophetische Dichtung vor, die kaum direkt aus dem Kultus der alten Zeit stammen kann. 3. Der Wunderherrscher der Zukunft braucht kein leiblicher Nachkomme Davids zu sein. Es ist nur vom Throne Davids und seinem Königreich die Rede, das heißt, der eschatologische Herrscher wird die gleiche Stellung wie David einnehmen, indem er im Gegensatz zu dem empirischen davidischen König ein rechter Statthalter Jahwes über Israel sein wird. Wenn aber auch an einen wirklichen Davididen gedacht sein sollte, so steht er im Gegensatz zu dem augenblicklich herrschenden König Ahaz, mit dem Jesaja gebrochen hat (Jes 7). Der Spruch kann deshalb nicht als ein Spruch eines offiziellen Kultpropheten für den Thronfolger angesehen werden. 4. Jesaja stellt dem kümmerlichen Vasallenkönig von Jerusalem und Juda den zukünftigen Herrscher in leuchtenden Farben des altorientalischen Königsmythus gegenüber, und diese Bilder sind nicht dem Jerusalemer Königsritual entlehnt. Die judäischen Könige dürften doch unter der assyrischen Oberherrschaft kaum su weitgehende Ansprüche erhoben haben. Jesaja verwendet für sein Bild des künftigen Wunderherrschers in freier Umgestaltung einzelne Wendungen der alt orientalischen Königsmythologie. Schließlich ist noch für unsere Fragestellung Jes 111-9 von Bedeutung, denn die Stelle dient als Beweis dafür, »daß die Wurzeln dieser Messiaserwartungen in den Vorstellungen vom sakralen König ruhen«6. Dieser Satz mag als richtig gelten, denn in der Tat finden wir hier Anklänge an die Terminologie der Gott-König-Ideologie. Anfechtbar ist nur m. E. die Behauptung, das Kapitel setze die Göttlichkeit des judäischen Königs voraus6. Es gilt für unsere Stelle das gleiche wie für die eben behandelte. Auch diese Weissagung steht 1

So ALT, Bertholet-Festschrift, S. 41—44 und VON RAD, Das judäische Königs-

ritual. a Auch sind die Ereignisse von Jes 8 23 und 9 4, die vielleicht doch mit 9 6 eine Einheit bilden (so ALT a. a. O.), alles zukünftige Ereignisse. 3 Perfekta in der Beschreibung der zukünftigen Taten Gottes. 4 So bereits DUHM, Jesaja z. St. 6 RINGGREN, König u. Messias, S. 135. 8

S o RINGGREN a. a. O .

Life, S. 50, Uppsala 1951.

S. 1 3 4 f . u n d W I D E N G R E N ,

The

King and the Tree

of

4. Die Verwendung der Motive der Gott-König-Ideologie

37

in deutlicher Antithese gegen das Königshaus von Jerusalem und Juda (sm-Stumpf setzt das Strafgericht voraus). Daß der »Zweig« aus dem »Stumpf Isais« kommen soll, besagt noch nicht, daß er mit dem Nachfolger des gegenwärtigen Königs identisch ist. Es bedeutet vielmehr, daß der gegenwärtige König eben nicht als der rechte Nachfolger Davids gilt, weil sein Verhältnis zu Jahwe nicht so beschaffen ist, wie es durch David vorbildlich realisiert wurde1. Das ganze Bild ist eschatologisch gemeint, und man hat kein Recht, es zu einer stereotypen, kultischen Prophezeiung für den Thronfolger im Jerusalemer Königsritual zu machen. Wie sollte eine solche, angeblich im israelitischen Kultus übliche Formel dazu dienen können, den Inhalt der prophetischen Botschaft auszudrücken? Sie wäre doch notwendig mißverstanden worden. Man müßte irgendwie merken, daß Jesaja eine kultische Formel verwendet, sie aber im entgegengesetzten Sinne, also gerade nicht als Heilsorakel für den Kronprinzen meint. Da eine solche Umkehrung der Bedeutung um 180° in unserem Text nicht angedeutet ist, ist es unverständlich, wie man sie als eine dem Kultus entnommene Formel auffassen kann. Es ist viel wahrscheinlicher anzunehmen, Jesaja verwende Ausdrücke, die im Königsritual der altorientalischen Großreiche, aber nicht in Jerusalem üblich waren, um die Erhabenheit des eschatologischen Königs mit der Kümmerlichkeit der gegenwärtigen Jerusalemer Könige um so schärfer zu kontrastieren. Jedenfalls entspricht diese Erklärung viel besser dem, was wir sonst über die Einstellung des Jesaja zum Königshause wissen. Man kann nicht annehmen, Jesaja hätte den Anspruch des judäischen Königs auf Göttlichkeit bestätigen wollen. Darauf liefe ja die Deutung dieses Prophetenwortes als eines Teils des Königsrituals zwangsläufig hinaus. Der Zusammenhang mit der Gott-König-Ideologie ist also so zu sehen, daß Jesaja wohl einzelne Wendungen des Gott-König-Mythus aus dem assyrisch-babylonischen Raum zur Ausgestaltung seines Messiasbildes verwendet, daß er aber damit nicht das judäische Königsritual nachahmt. Daß Jesaja mit dem von ihm angekündigten Heilbringer nicht den assyrischen König oder den Pharao meinte, war jedem Israeliten ohne weiteres klar. Nehmen wir aber an, daß man in der gleichen Weise den König von Jerusalem im Kult pries, so ist 1 In Jes 11 finden sich fast alle wichtigen Motive der Gott-König-Mythologie vertreten: wunderbare Begabung des Messias mit dem Geiste Jahwes, mit Weisheit, Gottesfurcht, Gerechtigkeit, übernatürlicher Macht usw. E r ist der Bringer des paradiesischen Friedens, ihm huldigen die Völker. Doch macht sich auch hier eine starke Verinnerlichung und Versittlichung des Messiasbildes bemerkbar. Vor allem fehlen wiederum die kriegerischen Züge, die sonst stark in der Gott-König-Ideologie in den Vordergrund treten. Die Echtheit von Jes 111-9 ist zudem sehr fraglich. S. EISSFELDT, Einleitung S. 358f. und WEISER, Einleitung S. 144.

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I I I . Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

es unverständlich, woran die Zeitgenossen Jesajas erkennen sollten, daß er in dem hier behandelten Wort nicht den gegenwärtigen König oder seinen Sohn, sondern den Heilbringer der Zukunft meinte. Hinzu kommt noch, daß man in den besprochenen Stellen nur Spuren der Gott-König-Vorstellung und nur einzelne Wendungen, die an das entsprechende Ritual erinnern, findet. Diese Wendungen sind in den Zusammenhang der Jahwereligion gestellt und haben daher auch andere Bedeutung 1 . Sie mit Hilfe außerisraelitischer Texte zu ergänzen und dann das Vorhandensein des gesamten Vorstellungskomplexes im AT als erwiesen zu erklären, geht entschieden zu weit 2 . Einmalig für die vorexilischen Propheten ist die Parallelisierung des eschatologischen Heils mit der Schöpfung, die in Jes 4 5f. angedeutet wird (v. 5 X^a). Doch ist diese Andeutung recht schwach. Außerdem unterliegt die Echtheit von Jes 4 4-6 nicht unerheblichen Zweifeln, obwohl der Inhalt nicht ausgesprochen unjesajanisch ist 3 . Der zweifellos von Jesaja stammende Abschnitt 4 2-3 enthält eine in bildhafter Ausmalung sehr sparsame Heilsweissagung für Zion. Die Königs- oder Messiasgestalt fehlt völlig 4 , ebenso die Motive der GottKönig-Ideologie. Das Ergebnis, zu dem ich bei der Untersuchung der Stellen des Jesaja-Buches, die eine Beziehung zur Gott-KönigIdeologie aufweisen, gekommen bin, finde ich auch bei Jeremia bestätigt. Hier kommen nur zwei Stellen in Betracht: J e r 23 5f. und 30 21 5 . J e r 30 21 »ist an eine Aufeinanderfolge von Königen gedacht« (so R U D O L P H Z. St.). Die Stelle ist also nicht messianisch im üblichen Sinne. Man kann zwar sagen, daß hier dem König ein besonders enges Verhältnis zu Jahwe zugesprochen wird, daß dies aber offensichtlich keine Selbstverständlichkeit darstellt, sondern von Jahwe als besondere Gunst gewährt wird, genau wie der Wiederaufbau der zerstörten Wohnsitze. Die Parallelität der Ausdrücke zwingt dazu, den ganzen Abschnitt J e r 30 18-21 als Heilsweissagung zu verstehen. Als solche ist sie eben nicht das Spiegelbild der gegenwärtigen Verhältnisse, sondern das direkte Gegenteil dazu. Der Rückgriff auf die ideale Vergangenheit (v. 20) läßt an die Zeit Davids denken, in der der König 1 Zum Messiasbild des Jesaja und der Göttlichkeit des Messias vgl. BUBER, Der Glaube, S. 220f. 2 Vgl. E N G N E L L , Studies S . 1 7 6 f. und W I D E N G R E N , The King and the Tree of Life; ders. Sakrales Königtum im AT und im Judentum ( 1 9 5 5 ) . 3 Vgl. P R O C K S C H , Jesaja z. St., dagegen hält H E R N T R I C H , ATD Jesaja 1 — 1 2 die Stelle für echt. 4 So P R O C K S C H Z. St., H E R N T R I C H a. a. O. verteidigt die Messianität dieser Stelle, doch nicht sehr überzeugend. 5

AT

Jer 3 0 9 und 3 3 uff. sind nachexilisch, vgl. z. St., S. 127.

1947,

RUDOLPH,

Jeremia, Handbuch zum

4. Die Verwendung der Motive der Gott-König-Ideologie

39

als Vertreter seines Volkes vor Jahwe und als Jahwes Diener galt und damit die ihm innerhalb der Jahwereligion einzig zukommende Stellung eingenommen hatte. Als wahrer Bundesmittler darf er — genau wie Mose — Jahwe nahen (v. 21), doch hat das mit der Göttlichkeit des Königs nichts zu tun 1 . Die Stelle zeigt nur, daß Jeremia das Königtum in idealer Vergangenheit und Zukunft dem Willen Jahwes ganz untergeordnet sah. Das gilt auch für J e r 23 5 f., deren messianische Deutung ebenfalls fraglich ist 2 . Der König bringt nicht etwa die Heilszeit herbei, sondern er gehört zu den Ordnungen derselben, die Jahwe seinem Volke schenkt. Es fehlt auch hier jede mythologische Ausmalung der Heilszeit. Die Auslegung dieser Stelle bei RINGGREN (König und Messias S. 137) ist typisch für das Verfahren der Anhänger der kultmythologischen Deutung des AT. Zunächst erfaßt RINGGREN die Stelle ganz richtig von der geschichtlichen Situation des Widerspruchs des Propheten gegen Zedekia her. Dann greift er jedoch unvermittelt, im Anschluß an WIDENGREN (The King and the Tree of Life S.53f.), den Ausdruck ¡rHS n»X auf, um aus ihm die Vorstellung vom König aus dem Lebensbaum abzuleiten. Dazu bietet der Text selbst nicht den geringsten Anlaß. Selbst wenn dieser Ausdruck als terminus technicus für den rechtmäßigen Thronerben 3 in Israel bekannt wäre, so ist deshalb noch nicht einzusehen, daß mit ihm das Lebendigsein der Vorstellung vom König als dem Lebensbaum belegt sein sollte. Dieser Ausdruck kann einfach eine bildhafte Redewendung sein 4 , die von ihrem mythologischen Hintergrund längst losgelöst ist. Zudem gehört sie zu jenen bildhaften Ausdrücken, die sich überall von selbst in gewissen Situationen aufdrängen und auch in den verschiedensten Kulturen und zu allen Zeiten auftauchen. Sie berechtigen deshalb nicht zur Konstruktion von religionsgeschichtlichen Zusammenhängen. Die Aufdeckung ihres ursprünglichen mythischen Hintergrundes gehört deshalb mehr in das Gebiet der Tiefenpsychologie als der Religionsgeschichte. Daß solche Ausdrücke bereits im vorexilischen Israel oft ihres mythischen Gewandes entkleidet sind und deshalb bloß als bildhafte Redewendungen zu ver1 Zum Tempuswechsel in v. 21b s. KÖNIG, Lehrgeb. d. Hebr., § 1 7 1 c . E s ist kein perf. hist., vgl. GRESSMANN, Messias S. 3 2 5 f . und RUDOLPH Z. St. Dunkel bleibt das Verhältnis dieser zukünftigen Könige zur davidischen Dynastie. J e r e m i a verwendet nicht zufällig und nicht TI7Ö. 2

WEISER

Vgl. RUDOLPH Z. St. Bei Jeremia spielt der Messias keine Rolle, dagegen vgl. Z. S t .

Diese Annahme beruht auf dem Vorkommen des gleichen Ausdrucks in phönizischen Inschriften, vgl. G. A. COOKE, A T e x t b o o k of North Semitic Inscriptions, Oxford 1903, Nr. 29 z. 11, ferner WIDENGREN a. a. O. S. 51. I m A T kommt er in diesem Sinne nicht vor. 3

4

s. R U D O L P H

Z. S t .

40

III. Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

stehen sind, beweist die Verwendung des terminus »Hirten« in Jer 231.2. 4 auf die hohen Staatsbeamten und nicht auf den König 1 . Sie zeigt, wie sehr man fehlgehen kann, wenn man mit einzelnen Stichwörtern aus dem AT die gesamten mythischen Vorstellungskomplexe, die mit den gleichen Worten in anderen altorientalischen Sprachen verbunden sind, assoziiert. Die Übersetzung von (v. 5) mit »auf der Erde« 2 ist falsch, da in dem ganzen Abschnitt der Blick des Propheten ausschließlich auf Israel und Juda gerichtet ist. Kosmische Züge fehlen völlig3. Der Sinn der Weissagung ist klar. Im Gegensatz zu dem gegenwärtigen zerrütteten Zustand des Königtums und des Staatswesens zeichnet der Prophet das Idealbild des künftigen Herrschers und der damit verbundenen idealen politischen und sozialen Verhältnisse der Zukunft. Der Sproß Davids — und damit ist die hohe Einschätzung des davidischen Zeitalters, das Jeremia als ideal gilt, angedeutet — ist nicht der Bringer der glücklichen, verheißenen Zukunft, denn diese ist allein das Werk Jahwes, sondern er ist lediglich das Werkzeug Jahwes. Nicht ein wunderwirkender Gottkönig schwebt dem Propheten vor, sondern ein dem Willen Gottes völlig untergeordneter Verwalter und Hüter des göttlichen Rechts und der göttlichen Segensgaben 4 . Diese Rolle des p ^ s n»S entspricht ganz dem jeremianischen Zukunftsbild, in dem der Messias keine große Rolle spielt. Die Stelle Jer 231-6 ist insofern eschatologisch, als die Wendung zum Heil allein Gottes Tat ist. Die Zukunft ist die Zukunft Gottes, das Eschaton. Das Fehlen des Enddramas mit seinen mirakelhaften Ereignissen beweist lediglich, daß sich Jeremia hier ganz im Rahmen der alten Verheißungen der Besitzergreifung des Landes und des Eingehens in die Ruhe (nnJö) bewegt. Die Hilfe Jahwes und das ungestörte Wohnen im Lande sind ganz realiter gemeint und werden als die demnächst eintretenden geschichtlichen Ereignisse erwartet, und doch sind sie nie als ganz verwirklicht und mit menschlichen Mitteln erreichbar angesehen worden. Sie liegen letztlich jenseits menschlich-geschichtlicher Möglichkeiten, in der Zukunft Gottes. Deshalb erübrigt sich auch jede Spekulation darüber, ob mit dem »Sproß Davids« ein leiblicher Nachkomme aus irgendeiner Seitenlinie der davidischen Dynastie ge1

S o R U D O L P H u n d W E I S E R Z. S t .

1

RINGGREN,

* So 1

König und Messias, S. 137.

R U D O L P H Z. S t .

Zu beachten ist, daß der Name

mn"' nicht von Jahwe, sondern vom

Volk dem König der Heilszeit verliehen wird. Zu

1HNH]??

v. 6 s. B.H. 3 und

RUDOLPH

z. St. Hier liegt also eine Reminiszenz an den altisraelitischen Brauch der Akklamation des Volkes bei der Inthronisation vor. Vgl. Einsetzung Sauls und Davids.

4. Die Verwendung der Motive der Gott-König-Ideologie

41

meint ist. Dieser »Sproß Davids« gehört genau so wenig der empirischen Wirklichkeit an wie der übrige Inhalt der Verheißungen, sondern der Geschichte Gottes (Heilsgeschichte). Dieses Handeln Gottes, obwohl von den menschlich-empirischen Möglichkeiten unabhängig, ist dennoch in die empirische Wirklichkeit eingebettet. Das beweist die Parallelisierung der eschatologischen Zukunft mit der idealen Vergangenheit. Der Sproß der Zukunft ist die Erfüllung der an das Haus David gegebenen Zusage (II Sam 7 131), so wie das Handeln Gottes in der eschatologischen Zukunft die Fortsetzung und Erfüllung seines Handelns in der Vergangenheit darstellt (vgl. Jer 302off.). Inhaltliche Beziehungen zwischen dieser Weissagung des Jeremia und dem altorientalischen Mythus vom Gottkönig als dem Bringer der Heilszeit, dem Urmenschen, dem Lebensbaum usw. sind nicht vorhanden. Mit einer gelegentlichen, rein formalen Ähnlichkeit der Ausdrucksweise geht ein völlig verschiedener Inhalt Hand in Hand. Nun können wir auch zur Betrachtung der letzten und vielleicht schwierigsten Stelle schreiten: Mi 5iff. Die Echtheit dieses Stückes ist stark umstritten 1 . Abgesehen von der Echtheitsfrage bietet der Text auch sonst erhebliche Schwierigkeiten, denn er ist offensichtlich durch spätere Interpolationen erweitert und in seiner Bedeutung an einigen Punkten entstellt worden. RINGGREN setzt sich zu einfach über die Schwierigkeiten des Textes hinweg, indem er z. B. v. 4-5 a streicht und die merkwürdigen »sieben Hirten und acht fürstlichen Männer«, die mit dem Messias konkurrieren, auf diese Weise beseitigt. Ferner geht es gar nicht aus dem Text hervor, daß die »Gebärende« die Mutter des künftigen Herrschers ist. Es liegt näher anzunehmen, daß die Bezugnahme auf die Schwangerschaft der Gebärenden nur als Angabe über die Dauer der Not dienen soll, ähnlich wie Jes 7 142. Mit der Urzeit, v. l, ist offensichtlich die Urzeit des Volkes, die Zeit Davids, gemeint. Es liegt also auch hier eine Historisierung der mythischen Wendungen vor. Wie in Jer 23 4 der Ausdruck »Hirten«, so wird hier das »Weiden« unbeschadet seines mythischen Hintergrundes vom Propheten rein bildlich als Synonym zu »regieren, herrschen« gebraucht. Darauf weisen auch die Plurale in Mi 5 4b — Hirten und Fürsten — hin. Zu beachten ist ferner, daß der künftige Herrscher als Mensch gedacht ist, da in v. 2b von dem Rest der Israeliten als von seinen Brüdern gesprochen wird. Die Unsicherheit in der Sub1

Zur Echtheitsfrage s. E I S S F E L D T , Einleitung S . 456f.; er entscheidet sich im wesentlichen gegen die Echtheit. Dagegen vgl. H A N S S C H M I D T , Der Mythos vom wiederkehrenden König im AT, Schriften der hessischen Hochschulen, H. 1, 1925, S . 30 und S E L L I N , Zwölf Propheten z. St. 1 Das (v. 3) bezieht sich offensichtlich nicht auf das Heranwachsen des Kindes der Gebärenden von v. 2, sondern auf das Erlangen der Weltherrschaft.

42

I I I . Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

jektbestimmung der einzelnen Sätze 1 macht die Verteilung der Aussagen auf den Messias, Jahwe und den »Rest« unmöglich. Berücksichtigt man noch den Umstand, daß der Messias ganz Jahwe untergeordnet wird und daß er in den v. 6-8 gar nicht mehr vorkommt, so gelangt man zu dem Schluß, daß in unserem Text zwar einzelne Vorstellungen der üblichen altorientalischen Mythologie vorliegen, daß aber das Bild des messianischen Herrschers gegenüber der Gestalt des Gottkönigs sehr blaß und abgeschwächt ist. Wir haben es eher mit einzelnen Brocken aus dem imposanten Bau der Gott-KönigIdeologie als mit der ganzen Vorstellung selbst zu tun. Schließlich — und das ist in unserem Zusammenhang das Wichtigste — handelt es sich bei Micha um ein eschatologisches Zukunftsbild im Sinne der von Jahwe herbeigeführten großen Schicksalswende. Die Bilder sind also im Gegensatz zur gegenwärtigen Wirklichkeit konzipiert. Wie Micha über die gegenwärtigen Zustände dachte, zeigen die Kap. 1—3 (ausgenommen 2 12-13). E s sollte zu denken geben, daß Micha zwar die höheren Stände (die Häupter und die Gebieter) als eine Ganzheit, in die er die Herrscher mit einbezieht (Mi 3 9), angreift, aber als die eigentlichen Machthaber nur die Mächtigen und Reichen ansieht. Den Königen schenkt er so gut wie keine Beachtung. Sollte das nicht ein getreues Spiegelbild der tatsächlichen Machtverhältnisse sein ? 2 Wenn Micha den Untergang des ganzen Staatswesens samt seinem wichtigsten Eckpfeiler, dem Tempel, predigt, so ist es nicht möglich, das Königtum davon auszunehmen. Von einem Gottkönig hören wir bei Micha gar nichts. Ihm dienen zur Ausmalung des eschatologischen Zukunftsbildes einerseits die ideale Vergangenheit (Zeit Davids), und andererseits einzelne Motive der altorientalischen Gott-KönigMythologie, die im V I I I . J h . in Israel zu Genüge bekannt war. Aus dieser Vorstellung werden nur einzelne Bilder und Wendungen verwendet. Mi 4 6-8 ist wohl wie der ganze Abschnitt 4 i-5 8 ein späterer Einschub 3 . E r soll hier vor allem wegen des Zusammenhanges mit J e s 2 2-4 erwähnt werden. In v. 8b ist die Rückkehr der früheren Herrschaft zum Hügel der »Tochter Zion« angekündigt. Zion soll wieder zum Sitz des Herrschers über das wiedervereinigte Nord- und Südreich werden. Angesichts des wahrscheinlichen Zusammenhanges 1

In v. 2 — doch offensichtlich Jahwe als Subjekt gedacht — wohl auch in v. 1

ist Jahwe als Redender zu denken, v. 4a ist das Volk Subjekt, v. 5a wohl die Hirten und Fürsten, v. 5b entweder Jahwe oder der Messias, v. 6-8 beschäftigt sich ausschließlich mit dem »Rest«. Doch gehören die v. 6-8 wahrscheinlich gar nicht mehr zu den vorhergehenden. Vgl. Komm, von SELLIN, WEISER, TH. H. ROBINSON Z. St., dagegen RINGGREN, König und Messias, S. 136. 2

Ähnlich lagen die Verhältnisse z. Z. Zedekias.

8

So WEISER, ROBINSON u. a., dagegen verteidigt SELLIN, Komm. z. St. die

Echtheit des Abschnittes.

4. Die Verwendung der Motive der Gott-König-Ideologie

43

— zum mindesten in bezug auf gemeinsame Vorstellungen — mit dem Abschnitt Mi 41-6 kann man diese Herrschaft noch auf die ganze Welt ausgedehnt denken. Der Träger dieser Herrschaft soll offensichtlich Jahwe selbst (v. i) sein, da ein messianischer König fehlt. Auch David und seine Dynastie werden nicht erwähnt. Man kann also auf Grund dieser Stelle allenfalls einen indirekten Einfluß der Gott-König-Ideologie auf die Ausgestaltung der Vorstellung vom eschatologischen Reich Jahwes feststellen (Gottesberg — Nabel der Welt), aber sie ist bereits stark desintegriert, das heißt, sie ist von ihrem ursprünglichen Träger, dem Gottkönig, losgelöst und auf Jahwe übertragen. Ihre Geschlossenheit ist ebenfalls gesprengt, indem der Friede, die Rettung der Erniedrigten und Benachteiligten, die Sammlung der Zersprengten und die Proklamation und Durchsetzung des Gottesrechts einseitig betont werden 1 , und die kriegerischen und gewaltigen sowie die kosmisch-naturhaften Motive gänzlich fehlen. Das Stück ist entweder von Jes 2 2-4 abhängig, oder beide gehen auf eine gemeinsame Vorlage zurück. In Jes 2 2-4 fehlt die Königsvorstellung völlig2. Die Erweiterung des Bildes in Mi 4 l-8 — die man sicher als nachexilisch ansehen muß — zeigt deutlich, wie man in der Zeit nach dem Verlust der staatlichen Selbständigkeit den kultmythologischen Vorstellungen gegenüber sich offener zeigte als früher. Sie haben angesichts der Tatsache, daß es keinen konkreten Träger eines etwaigen Gottkönigtums in Israel mehr gab, ihre Gefährlichkeit verloren. Eine weitere Sicherung gegen die mit diesen Vorstellungen verbundene polytheistische Gefahr bildete die Übertragung der Königvorstellung auf Jahwe selbst (vgl. Zeph 3i5), bzw. die strenge Unterordnung des Fürsten (vgl. IWM bei Ez) der Endzeit unter Jahwe. Schließlich sei noch die These GRESSMANNS erwähnt, wonach »die Gleichsetzung verstorbener Könige mit Adonis in Israel schon vor dem Exil geläufig gewesen ist« (Messias 1929 S. 332). GRESSMANN stützt sich dabei auf J e r 34 s, wo der Klageruf fiTN 'in, den er als Trauerritus auf Adonis bezieht, und auf Sach 12 n , wo von der Klage um Hadad—Rimmon im Tale von Megiddo die Rede ist 3 ; er nimmt endlich die Stelle J e r 22 18 hinzu. Die beiden ersten Ausrufe »Wehe, mein Bruder, wehe, meine Schwester« sind allgemeine Formeln der Totenklage. Erst die beiden nächsten versteht GRESSMANN als BeDas gibt sogar M O W I N C K E L ZU, vgl. Psalmenstudien II, S. 230. Vgl. v. R A D , Die Stadt auf dem Berge, Ev. Theologie 8 , 1 9 4 8 / 4 9 , S . 4 3 9 - 4 4 7 . 3 Dies bringt G R E S S M A N N in Verbindung mit der Nachricht von einem Trauerritus auf Josia, der von Josephus indirekt bestätigt wird. S. Messias S. 324. Daraus zieht er unter Berufung auf Jer 30 18-21 die Folgerung, daß Josia als Messias erwartet wurde. Doch ist die Übersetzung des perf. in v. 21 als perf. hist. nicht richtig — 1

2

vgl.

KÖNIG

§ 171c und

RUDOLPH

Z.

St.

44

III. Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

standteile des Trauerritus um den verstorbenen König. Er übersetzt sie: »Wehe, Adonis, wehe, Hadad« 1 . Demnach wären die verstorbenen Könige von Juda genau wie die babylonischen Könige mit Tamuz und Adonis identifiziert worden. Ist der Text von Jer 22 18 auch in Unordnung geraten (schwierig ist vor allem das rnn v. isb), so steht doch die Annahme, Jeremia hätte dem König Jojakim gedroht, er werde nicht nach dem Tamuz-Ritus, sondern wie ein Esel begraben, in solch einem Widerspruch zu seiner sonstigen Einschätzung des IschtarTamuz-Kultes (vgl. Jer 4 4 15-23), daß die Konjektur GRESSMANNS als unmöglich gelten muß. Sollte Jeremia, der mit ganzer Leidenschaft gegen alle Fremdkulte gekämpft hat, wirklich das Tamuz-Ritual als jahwegemäße Form der Königstrauer betrachtet und dies sogar noch als Spruch Jahwes verkündet haben? Noch weniger durchschlagend ist der Hinweis auf das in M I Reg 1 4 13 fehlende ovod KÜpie der LXX 2 , das laut GRESSMANN auf ein Kind nicht paßt, sondern sich ursprünglich auf Adonis bezogen haben soll. Daraus folgert er, daß die verstorbenen Glieder der königlichen Familie mit Adonis identifiziert wurden 3 . Aber einen kleinen Prinzen als »Herrn« anzureden, ist zum Teil noch heute üblich. GRESSMANNS Versuch, den Adoniskult als einen Bestandteil der offiziellen Jahwereligion, der sogar von den Propheten als solcher anerkannt wurde, zu verstehen, muß daher als gescheitert angesehen werden. Eine ähnliche These hat H. G. M A Y 4 vorgebracht. Diese Arbeit M A Y S geht weit über das im Titel angegebene Thema hinaus. Sie hat insofern programmatischen Charakter, als in ihr die Methode und die Ziele der kultisch-mythologischen Richtung der alttestamentlichen Wissenschaft besonders deutlich zum Ausdruck gebracht werden 5 . Aber schon bei oberflächlicher Betrachtung wird es fraglich, ob man so bestimmt ein »Dogma von der Unsterblichkeit, der Auferstehung usw.« bei den vorexilischen Schriftpropheten voraussetzen kann, wie MAY es tut. Hos 5 13-6 4 dient ihm als Beweis dafür, daß in Israel der Kult der sterbenden und auferstehenden Gottheit ausgeübt wurde, und daß die Schriftpropheten die erwähnten »Dogmen« diesem Kult entnommen haben. Hos 5 13-6 4 soll dabei die kultdramatische Darstellung des Götterkampfmythus wiedergeben. Das ist schon deshalb sehr fragwürdig, weil weder Jahwe noch ein von MAY postulierter Gott Ephraim, dessen Existenz erst nachgewiesen werden 1

So auch A.

JEREMIAS,

Das AT im Lichte des Alten Orients. 4. Aufl. 1930,

S. 694. 2

Bei Swete III Reg 12 24 m. Das hält auch W. W. Graf v. B A U D I S S E N , Adonis und Esmun, 1911, S. 91, für möglich. 1 The Fertility Cult in Hosea. AJSL. 48, (1931/32), S. 7 3 - 9 8 . 5 s die programmatische Erklärung M A Y S a. a. O. S. 98. 3

4. Die Verwendung der Motive der Gott-König-Ideologie

45

müßte, sondern das Volk Israel von seinen Feinden auf Geheiß Jahwes zerrissen und getötet wird. Der Ort, an den sich Jahwe zurückzieht, soll die Scheol sein, aber im Text steht davon nichts. Die Behauptungen MAYS sind einfach unzutreffend, denn wenn es auch solche Kulte in Israel gegeben haben sollte, so ist doch die Verwendung ihrer Motive in Hos 5 13-6 4 offensichtlich polemischer Art, die ihren Sinn geradezu umkehrt. Der Zorn Jahwes ist nicht vorübergehend sondern endgültig und vernichtend. Es ist richtig, daß Hos in 7 14 wahrscheinlich Trauerriten nennt, aber es darf nicht übersehen werden, daß er sie als mit der Jahwereligion unvereinbar ablehnt. *pö ist zwar im kultischen Gebrauch terminus technicus für das Schicksal des Tamuz-Adonis 1 und für messianische Leiden2, jedoch kommt es auch im wörtlichen profanen Sinne vor 3 . MAY stellt die Dinge auf den Kopf, wenn er in Hos 5 13-6 4 und K 13 eine direkte Übernahme des Kultmythus von der sterbenden und auferstehenden Gottheit Ephraim vorliegen läßt 4 und in Ausdrücke wie 1*10 = zerreißen (Hos 6i), Iptf = auflauern (Hos 13 7), !VTB = aus der Scheol loskaufen (Hos 13 14), Vsi = vom Tode erlösen (Hos 13 14) die Bedeutung hineinlegt, die sie in der altorientalischen Kultmythologie oft haben 5 . Der ganze Text wird dann ohne Rücksicht auf den Inhalt und Zusammenhang wie ein Teil der Kultliturgie oder des Kultdramas aus dem Kult der sterbenden und auferstehenden Gottheit interpretiert. Die einzige Modifikation dem Kultmythus gegenüber soll die Drohung sein, daß Jahwe Ephraim nicht auferwecken werde (Hos. 13 14. 15). Daß aber Hosea an allen hier behandelten Stellen vom Volk des Nordreiches redet, darüber herrscht bei den übrigen Auslegern allgemein Übereinstimmung. Einen mythischen Vorgang des Götterkampfes zwischen Jahwe und dem Gott Ephraim in diese Texte hineinzulesen, verträgt sich mit dem Gottesbild Hoseas in keiner Weise. Sein Kampf gilt gerade der synkretistischen Volksreligion. Die Vorstellungen und stilistischen Wendungen, die aus den Naturkulten stammen, verwendet Hosea in völlig veränderter und von ihrem mythischen Zusammenhang losgelöster Form. Es ist gewiß eine lohnende und interessante Aufgabe, diese Zusammenhänge wieder aufzudecken, aber von da aus zu behaupten, daß Hosea den Götterkampf1

s.

JEREMIAS,

Das AT im Lichte des Alten Orients, Hebr. Motivreg. u. S. 676,

368a. 2

Vgl. Jes 60 6 »Bart zerreißen, raufen«. Ob in Gen 37 33 der kultisch-mythologische Sprachgebrauch vorliegt (so MAY a. a. O. S. 99), ist höchst unwahrscheinlich. 4 Daß Hos 6 13— 6 4 eine Parallele zu Jes 63 darstellen soll, bleibt bei MAY eine unbewiesene Behauptung. 5 Wieso nach MAY in Hos 13 14 eine Schilderung der Totenstadt vorliegen soll, ist nicht einzusehen. 3

46

III. Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes

mythus und den Mythus von der sterbenden und auferstehenden Gottheit fast unverändert übernehme, ist stark übertrieben.

Ich glaube, an Hand dieser wenigen, aber doch wohl wichtigsten Beispiele gezeigt zu haben, daß auch die einzelnen aus dem ursprünglichen mythologischen Zusammenhang losgelösten Vorstellungen und termini auf dem Boden der Jahwereligion eine erhebliche Einschränkung und Abwertung zu rein bildlichen Ausdrücken erfahren haben. Das wird besonders an ihrer Verwendung in der Verkündigung der Propheten deutlich. Es kam mir vor allem darauf an, daß die sogenannten messianischen Weissagungen und eschatologischen Vorstellungen der vorexilischen Schriftpropheten die weitgehenden Rückschlüsse auf die tatsächliche, uneingeschränkte Geltung der Gott-König-Ideologie in Israel, die neuerdings schon fast zu einem Dogma geworden ist, nicht rechtfertigen.

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten über den israelitischen Kultus. i. Die Erwähnung der Kultstätten bei den vorexilischen Schriftpropheten Die Wahl besonderer Orte, an die die Gegenwart der Gottheit gebunden ist, und an denen infolgedessen allein die Begegnung zwischen ihr und der zu ihr gehörigen Kultgemeinde stattfinden kann, ist ein Ausdruck des Abhängigkeitsgefühls des Menschen von Gott, den man nur dort verehren kann, wo er verehrt werden will. Der heilige Ort ist das Bindeglied zwischen der alltäglich-profanen und sakralen Welt. Diese Bindung des Kultus an einen bestimmten Ort hat Israel mit allen anderen Völkern gemein. Das sich darin ausdrückende Wissen um die Abhängigkeit von dem Willen der Gottheit äußert sich auf zweierlei Weise: 1. Als Glaube an das Erscheinen der Gottheit am heiligen Ort (Epiphanie-Vorstellung). 2. Als Glaube an das Wohnen der Gottheit am heiligen Ort (Wohn Vorstellung). Diese Unterscheidung zwischen dem Erscheinungs- und Wohnort der Gottheit, auch in Babylonien und Assyrien bekannt, ist für die israelitische Religionsgeschichte von besonders hoher Bedeutung, denn der Kampf zwischen beiden Auffassungen bildet einen wesentlichen Abschnitt in der Auseinandersetzung zwischen der Jahwereligion und der kanaanäischen Baalreligion. In der Jahwereligion herrscht von Anfang an die Vorstellung vom heiligen Ort als der Offenbarungsstätte Jahwes vor ( E x 3 i f f . ) . Der erhabene Gott, der die Geschicke seines Volkes lenkt, erscheint jeweils an bestimmten Orten, um seinen Willen zu offenbaren ( E x 1918. 20). Der heilige Ort empfängt seine Heiligkeit von der E r scheinung Jahwes her. E r ist ein Zeugnis des Eingreifens Jahwes in das Geschichtsgeschehen. Das heilige Zelt ist ebenfalls nicht als Wohnort Jahwes, sondern als Begegnungsort zwischen ihm und Mose zum Zwecke der Offenbarung gedacht (Ex 33 7-11 *T»ia ^HN). Auch an die Lade ist die Gegenwart Jahwes nicht gebunden, sondern er läßt sich jeweils auf sie herab, um sein Volk zu führen (Num 10 35f.). I m Krieg und auf der Wanderung ist der Führergott in der verhüllten Form seiner D , ;s bei seinem Volk gegenwärtig. In Kanaan bemächtigt sich die Jahwereligion der alten kanaanäischen Heiligtümer. Ihre E n t stehung wird auf besondere Jahwe-Erscheinungen aus der Patri-

48

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

archenzeit1 oder aus der Zeit der Landnahme2 zurückgeführt. In allen Upol Aöyoi dieser Heiligtümer wird von den Erscheinungen Jahwes, nicht aber von seinem Wohnen an diesen Stätten berichtet. Diese dynamische Auffassung des Verhältnisses Gottes zu seiner heiligen Stätte entsprach ganz dem Wesen des erhabenen, geschichtsmächtigen Gottes, wie er sich seit Mose in der Geschichte des Volkes offenbarte. Mit dieser Vorstellung gehen noch zwei andere Auffassungen von der Gegenwart Jahwes einher: 1. Jahwes Lieblingsort ist der Gottesberg Sinai-Horeb (Jdc 5 Iii. I Reg 19 8ff.; E x 3 iff. 4 27 1 8 s 33 3-6). Berührt sich auch dieser Gedanke sehr nahe mit der Vorstellung vom Wohnen Gottes an einem bestimmten Ort, so ist er dennoch nicht mit ihr identisch. Das sieht man daran, daß der Sinai nicht zum israelitischen Wallfahrtsheiligtum geworden ist 3 . Israel war trotz der räumlichen Entfernung zum Gottesberg der Gegenwart Jahwes auch im Lande Kanaan gewiß. Jahwe kommt vom Sinai her seinem Volk zu Hilfe (Jdc 5 4ff.). Außerdem ist der Sinai-Berg nicht der ständige Wohnsitz Jahwes, sondern er fährt vom Himmel auf ihn zur Offenbarung herab (Ex 19 n . 18. 20). So ist der Gottesberg Sinai nicht ein Zeichen der örtlichen Bindung Jahwes, sondern im Gegenteil seiner Erhabenheit über alle solche Bindungen, oder, modern gesagt, seiner Transzendenz. 2. Zu allen Zeiten findet sich in Israel die Vorstellung vom Himmel als der eigentlichen Wohnung Gottes, von der aus er in das irdische Geschehen eingreift und zur Offenbarung auf die Erde herabfährt (Gen 11 5 18 21 2117 22 1 1 24 7 28 1 2 E x 19 1 1 . 1 8 . 20 20 22 Dtn 4 36 26 15 Jes 314 Ps 2 4 u. a. m.). Seit der Landnahme kommen die Israeliten mit einer ganz anderen Auffassung von der Gegenwart der Gottheit an ihrer Kultstätte in Berührung. Die kanaanäische Baalreligion, in deren Mittelpunkt die Verehrung der göttlichen Besitzer eines bestimmten Ortes, der BaalGottheiten, stand, hat, entsprechend dem naturhaften Charakter dieser Vegetationsgottheiten, ihre Gegenwart im Heiligtum als naturhafte Gebundenheit verstanden. Der kanaanäische Baal ist eine Personifizierung der Naturkraft und als solche ist er der Spender der 1 Gen 127 — Sichern; 13l8 vgl. Kap. 18 — Hebron; 26 23ff. — Beerseba; 28l0ff. — Bethel; 32 2f. — Mahanaim; 32 22ff. — Pniel. 2 Jos 513-15, vgl. 8 30 — Gilgal bzw. Garizim; 4 20ff. — Gilgal; Jdc 6 24 — Ophra; II Sam 24 16.18ff. — Zion. 3 Elias Wanderung zum Gottesberg (I Reg 19 8ff.) ist etwas Außerordentliches. Sie ist auch als ein Protest gegen die volkstümliche Bindung Jahwes an das Land Kanaan und seine Kultstätten, die auf kanaanäische Einflüsse zurückgeht, zu verstehen. Elia greift damit die altisraelitische Vorstellung von Gott als dem jeweils zu seinem Volk aus der Ferne kommenden Führergott auf. Vgl. BUBER, Der Glaube der Propheten, S. 113.

49

2. Amos

Fruchtbarkeit des betreffenden Ortes. Mag er auch als ein bestimmter Gott innerhalb des himmlischen Pantheons verehrt worden sein und somit kosmischen Charakter haben, so wurde er doch in erster Linie als der Herr eines bestimmten Bezirks in jedem Ortsheiligtum verehrt und damit in eine Vielzahl von Ortsgottheiten aufgeteilt1. Mit dem naturhaften Wesen des Baal hängt es zusammen, daß allerlei auffällige Naturerscheinungen wie besondere Steine, Bäume, Quellen und Höhen als die Stätten seiner Verehrung beliebt waren. Er ist der Spender der Fruchtbarkeit und Herr der betreffenden Gegend, der eigentlich nahe Gott. Diese Auffassung vom ständigen Wohnen der Gottheit am heiligen Ort drang allmählich nach der Übernahme der kanaanäischen Heiligtümer auch in Israel ein. Sie entsprach dem religiösen Bedürfnis des nun seßhaft gewordenen Volkes nach der Nähe Gottes in dem bäuerlichen Alltag viel besser als die Vorstellung von einem spontanen Erscheinen des unsichtbaren, über die Natur erhabenen Gottes. Deshalb konnte auch die anfängliche Abneigung der jahwetreuen Kreise gegen die Errichtung oder Übernahme der als Gotteswohnungen gedachten festen Tempel dieselbe nicht verhindern. Der Wunsch des Volkes, seinen Gott in seiner Mitte zu haben, und die Einflüsse der überlegenen kanaanäischen Kultur erwiesen sich stärker als die alte, aus der Mosezeit stammende Vorstellung. Die Übernahme der kanaanäischen bamot, sowie die lokale Einengung des politischen und religiösen Gesichtskreises der israelitischen Stämme nach der Einwanderung wirkten sich gefährlich auf die Religion Israels aus. Hat nun Jahwe weitgehend die Natur des Baal angenommen, so war die Gefahr der Lokalisierung und Beschränkung Jahwes auf den heiligen Ort und seiner Machtsphäre auf das Gebiet des Stammes und der Sippe kaum noch abzuwehren. Damit geht die Auflösung der Gottesvorstellung in Ortsgottheiten Hand in Hand (angedeutet in Jdc 18 11-31 I Sam 1 3 II Sam 15 7f.). Man verehrte einen Jahwe von Silo, Hebron, Dan usw. Dies stellt außerdem eine Einschränkung der Souveränität und Erhabenheit Jahwes dar. 2. Arnos Zum Verständnis der Polemik der Propheten gegen die Israelitischen Kultstätten ist es notwendig, auf ihre Geschichte und die Art des dort betriebenen Kultus näher einzugehen. 1 El, Baal-Schamen, Hadad-Rimmon, Baal-Aliyan. Eine saubere Trennung zwischen Baal als dem Fruchtbarkeits- und Himmelsgott und dem Lokalnumen läßt sich nicht durchführen. Vgl. T. WORDEN, The Literary Influence of the Ugaritic Fertility Myth on the OT VT. III, 3, 1953. O. E I S S F E L D T , Baaläamen und Jahwe, ZAW (57) NF. 16. 1939. Ders. Der Gott Karmel, BAW, 1953. A. K A P E L R U D , Baal in the Ras-Shamra-Texts, Kopenhagen 1952. O . E I S S F E L D T , Baal Zaphon, Zeus Kasios und der Durchzug der Israeliten durchs Meer. Halle 1932, S. 5ff.

H e n t s c h k e , Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Kultus

4

50

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

Arnos zählt in einem Diohspruch (5 4f.) die beliebtesten Wallfahrtsheiligtümer des Nordreiches auf: »Suchet mich, auf daß ihr lebet, und suchet nicht Bethel! Nach Gilgal sollt ihr nicht gehen und nicht hinüberziehen nach Beerseba! Denn Gilgal muß in Verbannung und Bethel wird zum Unheil!« Zu ihnen pilgerten die Israeliten, um Gott an seiner Wohnstätte aufzusuchen. Bethel war bereits in vorisraelitischer Zeit ein Heiligtum des kanaanäischen Gottes Bethel, was noch aus der alten Sage durchschimmert 1 . Die Verbindung des Ortes mit Jakob soll seine Inbesitznahme durch den Gott der Väter und damit seine Beanspruchung durch die »Söhne Jakobs«, d. h. das Nordreich legitimieren 2 . Außer dem Altar und der Massebe, die als Gedenksteine der Jahweerscheinung (Gen 28 11-21 vgl. 35 1-8) umgedeutet wurden, muß zu der Ausstattung dieses heiligen Ortes noch ein heiliger Baum gehört haben, der mit Debora, der Amme der Rebekka (Gen 35 s), in Zusammenhang gebracht wurde 3 . Ursprünglich, in vorisraelitischer Zeit, hatten beide einen ganz anderen Sinn, sie waren Symbole der männlichen und weiblichen Fruchtbarkeitsgottheit der kanaanäischen Religion. Eine gegenüber der Jakobtradition selbständige Kultlegende von Bethel liegt in J d c 2 1-5 vor, die Bethel in der Landnahmetradition verankert und damit seine Benutzung als Jahwekultstätte legitimiert. In bewußter Anknüpfung an die Auszugstradition gestaltet Jerobeam I Bethel zum Reichsheiligtum des Nordreiches um (I Reg 12 28f.). Diese Verbindung mit der Auszugstradition wird durch die StierbildStandarte — wahrscheinlich ein altes Kultsymbol aus der Wüstenzeit 4 — versinnbildlicht. Dieses Kultsymbol hat z. Z. des Arnos mit dem kanaanäischen Fruchtbarkeitskult nichts zu tun, denn Arnos spielt in seiner Polemik gegen Bethel weder auf die vorisraelitische Herkunft dieser Kultstätte, noch auf einen dort betriebenen synkretistischen Kultus an. Für Arnos gilt Bethel, genau wie die übrigen großen Wallfahrtsheiligtümer des Nordreiches, als legitime Jahwe-Kultstätte 6 . Der Grund, warum der dort betriebene Kult verurteilt wird, liegt in dem falschen Vertrauen des Volkes auf die unfehlbare Wirksamkeit dieses Kults. Am 5 6 zeigt deutlich, daß das Volk im Kultus nicht Jahwe, sondern die Sicherung der eigenen Existenz und des Wohlstandes sucht. Die Gegenwart Jahwes im Heiligtum von Bethel, die der Name dieses Heiligtums und seine Kultlegende verkünden, wird im Sinne einer unverbrüchlichen, naturhaften Verbundenheit zwischen Gott und Volk mißverstanden (Am 5 14 8 14 44. 5). Die Gottesnähe kann nur Heil bringen. Dieses falsche Vertrauen auf das eigene kultische Handeln und die Einschränkung der Souveränität Gottes will Arnos mit seiner Unheilsverkündigung zerbrechen. Mit dem in Am 4 4 und 5 4 f. erwähnten Wallfahrtsheiligtum Gilgal ist — wie GALLING gezeigt hat — das Gilgal bei Jericho gemeint". Im AT fehlt uns jede Über1

V g l . G. WESTPHAL, J a h w e s W o h n s t ä t t e n . 1 9 0 8 , S . 1 0 6 f . A. VON GALL, A l t -

israelitische Kultstätten. 1898, S. 95. O. EISSFELDT, Der Gott Bethel. A R W 28. 1930. A. ALT, Wallfahrt von Sichern nach Bethel. Balmerincq-Festschrift, Riga 1938. K. GALLING, Bethel und Gilgal. ZDPV 66, H. 2, 1943 u. 67, H. 1, 1944. 2 Vgl. A. ALT, Der Gott der Väter. 1929. Jetzt Kl. Sehr. S. 21, 51 f. 3 Die Verbindung Abrahams mit Bethel Gen 12 8 13 3f. ist sekundär und entspringt der judäischen Tendenz des Jahwisten. Siehe GALLING a. a. O. S. 32f. 4 O. EISSFELDT, Lade und Stierbild. ZAW (58) N F 17, 1940. 6

V g l . GALLING a. a . O . S . 3 4 f f .

6

GALLING a. a. O . S . 1 4 4 f f . K . MÖHLENERINK, Z A W

N F . 15, 1 9 3 8 ,

S. 2 4 6 f f .

u. ZAW NF. 17, 1940/41, S. 57 ff. H. J . KRAUS, Gilgal. VT. I, 1951, S. 182. Vgl.

2. Arnos •

51

lieferung über die vorisraelitische Geschichte dieses Heiligtums, dessen Ursprung sicher in der megalithischen Zeit liegt 1 . Die Begründung des Jahweheiligtums zu Gilgal erfolgt zur Zeit der Landnahme unter Josua 2 . Die Kultlegende von Gilgal, die die Heiligkeit des Ortes von der Jahwe-Theophanie herleitet, ist wohl in Jos 5 13-15 zu sehen. Bereits in vorköniglicher Zeit muß Gilgal eine weit über den Stamm Benjamin hinausreichende Bedeutung gehabt haben, denn es wurde zur ersten Krönungsstätte (I Sam 1115 I I Sam 19 16) gewählt. Auch nach der Reichsteilung hat Gilgal seine weitreichende Bedeutung als Wallfahrtsheiligtum behalten, was aus seiner mehrfachen Erwähnung in den Prophetenlegenden des I X . J h . hervorgeht (II Reg 4 38-41 und Kap. 2). Ähnlich wie Bethel, Samaria und Rama ist Gilgal der Sitz einer Proplietengemeinschaft. Auch Arnos bestreitet nicht die Tatsache, daß Gilgal ein echtes Jahweheiligtum ist. Seine Polemik richtet sich — genau wie im Fall Bethels — nicht gegen einen kanaanisierten Kult, sondern gegen den legitimen Jahwekult selbst. Der Name Beerseba wird im Zusammenhang der Patriarchengeschichte einmal von = schwören (Gen 21 22-24. 31 E ) und einmal von »sieben« (Gen 21 2830 J ) abgeleitet. Die verschiedenartige Verknüpfung Beersebas mit Abraham, Isaak und J a k o b spiegelt das Ringen der in Beerseba besonders gepflegten nordisraelitischen Isaak-Tradition mit den judäischen Traditionen von Hebron wider. Trotz seiner Lage im Süden ist Beerseba ein Wallfahrtsheiligtum der Nordstämme geblieben. Mit dem Untergang des Nordreiches verliert es jede Bedeutung. Über die vorisraelitische Geschichte von Beerseba läßt sich wenig sagen, außer daß es eine alte Kultstätte des Gottes E l ' O l a m war, und daß in diesem Kult ein heiliger Brunnen und eine heilige Tamariske eine besonders wichtige Rolle gespielt haben. Zu einer Jahwekultstätte wurde Beerseba auf dem Wege der Verschmelzung von El'Olam, Pahad Jizhak und J a h w e 3 . Nach I. Sam. 8 2 ist Samuel der Ahnherr der Priesterschaft von Beerseba. Abermals handelt es sich also um ein echtes Jahweheiligtum, was auch von Arnos nicht bestritten wird.

Aus Am 8 13 f. sehen wir, daß der Jahwekult lokal aufgegliedert wurde, daß also die Vorstellung von der Ortsgebundenheit Jahwes bestimmend war. In Am 8 I3f. legt die Parallelität der Ausdrücke ] n » t P r ö t f N 4 und

TpnV.X

die Konjektur ^"T1! für TjT'l nahe. Die Bezeichnung »dein Liebling« für Jahwe als Schutzgott eines bestimmten Heiligtums ist nicht ungewöhnlich (vgl. J e s 5 l). Der Schwur bei Jahwe als dem Schutzgott der Wallfahrtsorte ist ein Ausdruck der Gewißheit, daß man sich durch eine Wallfahrt seine Gunst erworben hat und des E . S E L L I N , Gilgal. Leipzig 1917 u. W E S T P H A L a. a. O. S . 111. V O N G A L L , a. a. O. S. 7 8 - 8 3 . 1 P. KARGE, Rephaim. Paderborn, 1917, S. 7 - 1 1 . 2 Vgl. Jos 4 3.8.20 5 1-9. 10-12 Dtn 1130. 3 W . Z I M M E R L I , Geschichte und Tradition von Beerseba im AT. Göttingen 1932. 4 Vielleicht ist das eine spätere Glosse, die den ursprünglichen Ausdruck V x r r a Vx verdrängt hat. Dennoch kann damit kein Fremdgott, sondere der mit Jahwe identifizierte Gott Bethel gemeint sein, da Arnos nicht die Art des Kultus, sondern das falsche Vertrauen auf den heiligen Ort beanstandet. 4*

52

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

Heils sicher sein kann. Damit ist aber bereits eine Annäherung der israelitischen Gottesvorstellung an die andersartige der kanaanäischen Naturreligion vollzogen, wenn auch der Kultus selbst noch keine synkretistischen Züge zeigt.

Das Fehlen der israelitischen Kulttraditionen bei Arnos kann man nur so deuten, daß er sie bewußt ignorierte und ablehnte. Daß Arnos sie kannte, das bezeugt die Erwähnung der Auszugs- und Wüstentradition (Am 2 10 5 25). Der Grund dieser Ablehnung scheint mir folgender zu sein: Der Kultus und die in ihm gepflegte Überlieferung der Heilstaten Jahwes erzeugte im Volk des Nordreiches eine falsche Selbstsicherheit. Das Volk fühlte sich durch den Kultus nicht in Frage gestellt und zur unbedingten Hingabe an Jahwe gefordert, sondern in seiner Selbstsicherheit bestätigt (Am 6 l-e). Jahwe ist an sein Volk gebunden und seine Forderungen werden auf den kultischen Bereich beschränkt. Im Kampf gegen dieses Mißverstehen des Wesens Jahwes, das ja nicht nur in der Kultpraxis, sondern genauso in anderen Lebensbereichen wie Rechtspflege, Sittlichkeit usw. offensichtlich zutage trat, scheut sich Arnos genauso wenig, die fromme Tradition aufzugeben, wie er sich nicht davor scheute, allen sakralen und politischen Institutionen des Nordreiches den Untergang anzukündigen. Dabei bekämpft Arnos nicht einen kanaanisierten Kultus, sondern den legitimen Jahwekult. Die Heiligtümer dienen Israel nicht zum Leben, sondern zum Tode. Sie sind für Israel zu Zeichen des göttlichen Zornes geworden, die zwar vorerst als solche nur dem Propheten erkennbar sind, die aber am Tage Jahwes (Am 5 isff.) als Stätte seines Zornes offenbar werden (Am 314 5 5 7 9 814 9 l). Es handelt sich also bei der Polemik des Arnos gegen die Kultstätten um den Kampf gegen die Exponenten einer falschen Gottesauffassung. Arnos ist nicht etwa als Verkünder eines vergeistigten Gottesbegriffs zu verstehen, denn er schildert Jahwes Erscheinen zum Gericht in höchst realen Bildern (Am 9 l). Arnos wendet sich gegen die verkehrte Art, auf die das Volk die Gottesnähe sucht (Am 4 4), nämlich im Kultus, anstatt im Bereich der Geschichte und des Rechts. Das geht aus dem Spruch Am 5 14 hervor: »Suchet das Gute und nicht das Böse, damit ihr lebet«, der die positive Ergänzung zu 5 5 darstellt. Ist Jahwe nach der Auffassung des Arnos an den Heiligtümern Israels nicht zu finden oder besser gesagt, erscheint er dort höchstens zu Gericht, so erhebt sich die Frage, wo nach Arnos' Meinung der Ort liegt, an dem Jahwe von seinem Volk aufgesucht werden will1. Die Vorstellung vom Wohnen Jahwes an einem bestimmten Ort findet sich bei Arnos nicht. Arnos weiß dagegen von einem Ort der geschichtlichen Begegnung Jahwes mit seinem Volk in der Vergangenheit, 1

Die Stelle Am 1 a bleibt außer Betracht, weil gewichtige Gründe gegen ihre Echtheit sprechen.

3. Hosea

53

nämlich der Wüste (Am 2 10 5 25). Aber auch an die Wüste ist Jahwe nicht gebunden. Er kann vielmehr überall gegenwärtig sein, in der Scheol wie im Himmel, auf der Erde wie in der Tiefe des Meeres (Am 9 2ff.). Er lenkt die Völker nach seinem Willen (Am 9 7 ff. 6 14), ja auch die Himmelskörper sind ihm Untertan (Am 5 8-9). Es ist nicht so, daß für Arnos die räumlichen und körperlichen Elemente aus der Gottesvorstellung verschwunden wären1, denn Arnos kann sehr anthropomorph von Gott reden (Am 9 1 7 7ff.). Was man bei ihm vergeblich sucht, ist die Bindung und Beschränkung Jahwes auf einen bestimmten Ort, also die Vorstellung vom Wohnen Jahwes im Tempel2. Die Dynamik und Erhabenheit des Gottes, den Arnos verkündigte, vertrug sich mit dieser Vorstellung nicht. Dieser Dynamik ist nur die Vorstellung von seinem jeweiligen, konkreten Erscheinen adäquat. Arnos hat für die Gegenwart die Möglichkeit der rechten Gottesbegegnung innerhalb der naturhaft-räumlichen Sphäre abgelehnt. Das wahre, d. h. nicht unter Gottes Zorn, sondern unter seine Gnade führende Suchen Gottes kann sich unter den gegebenen Umständen nur in der Sphäre des personenhaften, ethisch-sozialen Handelns vollziehen (Am 5i4f.). 3. Hosea

Auch Hosea brandmarkt die Heiligtümer des Nordreiches als Stätten der Sünde und des Frevels, aber mit einer anderen Begründung als Arnos. Für Hosea ist der ganze israelitische Kultus Hurerei, weil er in ihm den Abfall zu den kanaanäischen Baalen erblickt (Hos 4 13). Wie Arnos polemisiert er gegen die Wallfahrten nach Bethel, Gilgal und Beerseba (415b) und gegen das Schwören bei dem Gott von Beerseba3. Mit besonders großer Empörung wendet er sich gegen den Stierkult von Bethel (6 10 10 5f.) und die Dämonenopfer in Gilead und Gilgal (1212). In 9 15 nennt Hosea Gilgal als den Ort, an dem sich die ganze Bosheit Israels häuft. Dort hat Jahwe es hassen gelernt. Damit nimmt Hosea offensichtlich Bezug auf die Krönung Sauls I Sam 1115. In der Institution des Königtums kommt nach seiner Überzeugung die gleiche verkehrte Sinnesart der Israeliten zum Ausdruck wie im baalisierten Jahwekult. Diese innere Beziehung zwischen beiden sieht er in der Gleichheit des Ortes, an dem sie sich vollzogen, symbolisiert. 1 2

Gegen W E S T P H A L , Jahwes Wohnstätten S. 179. kommt bei Arnos in diesem Sinne nicht vor.

3 Hos 415 ist wohl »3«? l l O a hinter W a t f r r 1 ? « ausgefallen, s. B. H. und Kommentare.

54

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

Neben diesen auch bei Arnos erwähnten Heiligtümern nennt Hosea noch Mizpa (Hos 5 l) 1 , Adam (6 7) und Gilead (Hos 6 8 12 12). Außer der überheblichen Selbstsicherheit — die Stämme des Nordreiches berufen sich auf die ihrem Stammvater Jakob gegebene Verheißung (Hos 12 4f.) — und dem Pochen auf eigene Kraft (Hos 12 9) verurteüt Hosea im Namen Jahwes den religiösen Synkretismus. Im allgemeinen beobachten wir bei Hosea das gleiche Übergehen und Verschweigen der israelitischen Traditionen, die von der Übernahme dieser Heiligtümer durch Israel berichten und ihre Stellung als Kultstätten Jahwes legalisieren. Die Kultstätten sind für Hosea Stätten der Sünde (Hos 4 15b 6 6.10 8 11-14 10 if.), und deshalb spielen auch die frommen Traditionen, die an diesen Heiligtümern sicher eifrig gepflegt wurden, für Hosea keine Rolle. Wo er auf solche Traditionen zurückgreift, da dienen sie ihm nur zum Beweis, daß Israel seit jeher gegen Jahwe ungehorsam und undankbar war (Hos 9 10 10 9 12 4-9). Bereits in seinem Ahnherrn Jakob ist die betrügerische Art des Volkes zu erkennen (Hos 12 4-9). Für Hosea spielt es offensichtlich keine Rolle, ob es sich um eines der altisraelitischen Heiligtümer oder um die neuen Tempel der Hauptstadt Sama r ia (Hos 7 1 8 5) oder um die unzähligen kleinen Ortsheiligtümer (ni»3j und Altäre handelt. Sie sind alle Stätten des baalisierten Jahwekults und deshalb dem Untergang geweiht. (Hos 8 6 419 5sf. 9i5-i6a 10 2 l 3 i f f . ) . Von dem an solchen Heiligtümern betriebenen Kult entwirft Hosea ein noch anschaulicheres Bild als Arnos. An ihnen wird offensichtlich der Naturkult betrieben (Hos 4 12-14 13 1 ff.), bei dem neben den heiligen Bäumen, Steinen und Quellen auch solche Bräuche wie kultische Prostitution und sakrale Mahlzeiten eine große Rolle spielen. Man verehrt Jahwe unter naturalistischen Symbolen, die aus dem Baalkult stammen (Hos 2 8 7 16 12 1 13 1 f.). Dabei spielt es keine wesentliche Rolle, ob diese Verehrung dem Baal oder Jahwe galt, denn ein Wesensunterschied zwischen beiden wurde nicht mehr empfunden. Auf die Identifizierung von Jahwe und Baal kann man auf Grund von Hos 2 ief. schließen. Jahwe ist demnach zur Natur- und Ortsgottheit geworden. Die Antwort auf die Frage, ob Hosea an ein Wohnen Jahwes an einem bestimmten Ort gedacht habe, fällt ähnlich aus wie bei Arnos. Auch Hosea verweist das Volk auf die Geschichte, das Rechthandeln und soziale Gerechtigkeit als auf die Bereiche, in denen es Jahwe suchen soll (Hos 4 1 f. 6 6f. 7 8ff. 10 3. 12 12). Das bedeutet nicht, daß Hosea den Gottesbegriff vergeistigt, denn er weiß wohl um die konkrete Nähe Gottes, die sich freilich in der Gegenwart als Nähe zum Gericht 1 Mizpa ist wohl mit Mispe-Gilead identisch. Vgl. VON GALL, Altisraelitische K u l t s t ä t t e n S. 141—146; BUHL, Die Geographie des alten P a l ä s t i n a 1896, S. 242.

4. J e s a j a

55

auswirken muß1. Diese Nähe wird von Hosea als das Erscheinen Jahwes verstanden, das gelegentlich in recht gewagten Bildern geschildert wird (Hos 5 1 2 13 7f.). Diese Bilder sollten uns davor warnen, vorschnell von Vergeistigung des Gottesbegriffs bei Hosea zu reden2. Mit dieser Konkretheit und Realität des Denkens hängt es auch zusammen, daß für Hosea die wahre Gottesgemeinschaft des Volkes in der Zukunft an dem gleichen Ort verwirklicht werden soll, an dem die Geschichte Gottes mit seinem Volk begonnen hat. Dieser Ort ist Ägypten und die Wüste (Hos 9iof. l l i f f . 13 4ff.)3. Dennoch kann man nicht sagen, daß die Wüste Jahwes Wohnung sei, denn dagegen spricht die Bezeichnung Kanaans als Jahwes Haus (Hos 8 l) oder Land (Hos 9 3). Die unausgeglichene Spannung zwischen diesen beiden Aussagen zeigt, daß Hosea die Vorstellung vom Wohnen Jahwes an einem bestimmten Ort vermeidet. Wohl ereignet sich auch bei Hosea die Gottesbegegnung im Raum der konkreten geschichtlichen Wirklichkeit (Wüste, Land Kanaan usw.), aber Gott ist nicht an einen bestimmten Punkt dieser Wirklichkeit gebunden, sondern er erscheint jeweils an einem von ihm frei gewählten geschichtlichen Ort. Hos 5 I4f. kann zur Widerlegung dieser Auffassung nicht als Beweis herangezogen werden, da das (v. 15) erstens durch das Bild vom Löwen bedingt ist, und zweitens, weil hier kein bestimmter Ort genannt wird. Der Sinn ist einfach der, daß Jahwe sich für eine Zeit lang von seinem Volk entfernt. Die Stelle hat also mit dem Wohnen Jahwes an einem bestimmten Ort nichts zu tun. Wenn Hos 9 3ff. das Land außerhalb Kanaans (vgl. 3 4) als unrein, d. h. als kultunfähig bezeichnet, so heißt das nicht, daß Jahwe an dieses Land gebunden oder in ihm wohnend gedacht wird. Hier nimmt Hosea die Vorstellung seiner Gegner, d . h . der Volksfrömmigkeit auf, um die bevorstehende Not um so drastischer zu schildern, und ihre verkehrte Vorstellung von der lokalen Beschränkung Jahwes auf das Land Kanaan ad absurdum zu führen. E s ist nach dem Vorhergesagten unmöglich anzunehmen, daß Hosea der Meinung war, mit der Verbannung aus Kanaan höre das Verhältnis Jahwes zu seinem Volk auf. Vielmehr will Hosea sagen, daß Jahwe auf die Opfer und Früchte des Landes nicht angewiesen sei (9 5), sondern daß er vom Volke Tpfl und n ö X und nicht Opfer verlange. Kanaan ist nach der Auffassung Hoseas nur insofern »reines« Land, als es von Jahwe zum Sitz seines Volkes und zum Schauplatz seines Handelns erwählt ist. Kanaan ist das Geschenk Jahwes an sein Volk, das jedoch von diesem Volk mißbraucht wird.

4. Jesaja

Die Polemik gegen Fremdkulte und die Heiligtümer des Landes, an denen der baalisierte Jahwekult betrieben wurde, nimmt bei Je1 Als ein schleichendes Übel in Volk und Land: Hos 5 12 7 8 8 s 9 l l f f . Als ein plötzlich hereinbrechendes Unheil: 4 1 9 Ö8f. 10 10 13 7f. 2 Zumindestens muß man sich dessen bewußt sein, daß man damit eine dem AT fremde Kategorie verwendet. 3 Vgl. R. BACH, Die Erwählung Israels in der Wüste. (Diss.) Bonn 1952.

56

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

saja keinen so weiten Raum wie bei Hosea und Arnos ein1. Das hängt nur sekundär damit zusammen, daß in Juda die kultischen Verhältnisse relativ günstiger lagen als im Nordreich. Die überragende Bedeutung, die der Tempel zu Jerusalem gewonnen hatte, sowie die Beschränkung des Staates auf ein recht kleines Gebiet waren der Bildung einer solchen Vielzahl von Heiligtümern wie im Nordreich nicht eben günstig. Hierzu kommt noch der Umstand, daß ein beträchtlicher Teil des judäischen Staatsgebietes aus Steppen bestand, deren Bewohnerschaft meist noch in viel einfacheren, der Mosezeit näher verwandten, halbnomadischen Verhältnissen lebte als die Bevölkerung des Nordreiches. Dieser Unterschied kann aber nur relativ gewesen sein, denn wir hören auch von einzelnen Ortsheiligtümern wie z. B. Hebron (vgl. Gen 1318 u. Kap. 18 II Sam 15 7)2. Aus der Verkündigung Jeremias wissen wir, daß sich auch in Juda »unter jedem grünen Baum und auf jedem hohen Berg« eine Kultstätte befand. Selbst in Jerusalem gab es neben dem königlichen Zionstempel eine Vielzahl von Kultstätten 3 , so z. Z. Davids eine Kultstätte auf dem Ölberg (II Sam 15 32). Die von Salomo für seine Frauen gebauten Tempel für Kamos, Milkom (I Reg 11 7), sidonische Astarte und andere Götter bestanden bis zur Reform Josias (II Reg 23 13). Ferner gab es einen Tempel des Baal (II Reg 1118), und unter Manasse nahm die Zahl der bamot und Altäre beträchtlich zu (II Reg 21 3). Auch von einer Tores-bama erfahren wir aus II Reg 23 8. Dazu kommt noch das Baal- (oder Melek) Heiligtum im Hinomtal und Tophet, wo Kinderopfer dargebracht wurden (II Reg 23 10; vgl. Jer 7 31 19 4-6 32 35). Man hat also allen Grund anzunehmen, daß es zu Jesajas Zeit an Fremdkulten und an Heiligtümern, an denen Jahwe ganz in der Weise des kanaanäischen Baal verehrt wurde, nicht gefehlt hat. Wenn sie in Jesajas Verkündigung nicht so oft erwähnt werden wie bei den Propheten des Nordreiches und bei Jeremia, so liegt das vor allem daran, daß in seiner Verkündigung das Ringen um das rechte Verstehen der großen geschichtlichen Ereignisse und Aufgaben seiner Zeit und um das Problem der Gegenwart Jahwes auf dem Zion im Vordergrund steht. Zion war für Jesaja der Ort der Offenbarung und der Gottesgegenwart ; ihn hat Jahwe als die Stätte erwählt, an der seine Nähe gesucht und gefunden werden konnte. Deshalb richtet Jesaja seine Aufmerksamkeit vorwiegend auf den dort betriebenen Kult. Der Zionstempel ist der Ort, an dem man vor Jahwe erscheinen soll, darin hat das Volk recht. Für Jesaja entsteht nur die Frage, ob auch die Art, in 1 2

Doch s. Jes 1 28-30. Vgl. W E S T P H A L , Jahwes Wohnstätten

S. 1 0 8 f .

und

VON G A L L ,

Altisraelitische

Kultstätten, S. 51—58. 3 Altäre der Königin des Himmels in Jerusalem und anderen Städten Judas, Jer 4417. 21. Dachaltäre, Jer 19 13 3 2 29. Tophet, Jer 19 llf.

4. Jesaja

57

der dieses Volk vor Jahwe erscheint, die richtige ist. Die Kulte außerhalb des Zionstempels, mögen sie Jahwe oder anderen Göttern dargebracht werden, sind angesichts dessen ohnehin gegenstandslos geworden und werden deshalb von Jesaja nur am Rande und nur sehr allgemein erwähnt, ohne daß ihre Eigenart von ihm einer längeren Beschreibung für wert erachtet wird. Es sind Götzen1, die dort verehrt werden (Jes 2 8. 18. 20 10 11 317). Gemeint sind damit wohl Hausgötter und Kultbilder, die der Jahweverehrung dienen, was durch die Parallelisierung mit den Götzen Samariens in Jes 1011 nahegelegt wird. Schließlich erwähnt auch Jesaja den Baum-, Stein- und Sonnenkult, der auf den Opferhöhen betrieben wurde (Jes 1 29 17 8). Ob es sich bei den Gärten »des Lieblings« (Jes 17 10 1 29 ?) — mit denen sicher die Adonis-Gärtchen gemeint sind2 — um die Identifizierung von Jahwe und Adonis, der sterbenden und auferstehenden Gottheit, oder um einen ausgesprochenen Fremdkult handelt, ist aus dem jetzigen Text nicht mehr zu ermitteln. Alle diese Heiligtümer und die an ihnen betriebenen Kulte werden von Jesaja aufs schärfste verurteilt. Zu dem Heiligen Israels stehen sie in gar keiner Beziehung. Anders verhält sich Jesaja gegenüber dem Jahwetempel zu Jerusalem. Bei der Erörterung jenes Verhältnisses zum Tempel muß man von seinem Berufungserlebnis — in dem überhaupt die wesentlichsten Punkte seiner ganzen Verkündigung in komprimierter Form vorliegen — ausgehen. Der irdische Tempel bildet (Kap. 6) den »Fußpunkt«3, oder die Thronbasis 4 der Erscheinung Jahwes. Er ist nach oben hin gesprengt (v. 1) und erbebt unter der gewaltigen Erscheinung Jahwes, die er nicht zu fassen vermag. Die Nähe des himmlischen Königs5 kann der Tempel kaum aushalten. Jesaja selbst befindet sich im irdischen, konkreten Tempel. Deshalb kann man die ganze Erscheinung nicht mit den älteren Auslegern (z. B. DELITZSCH, KÖNIG) in den Himmel verlegen. Jesaja selbst ist nicht entrückt 6 . Für unsere Fragestellung kommt es besonders auf die Feststellung an, daß die Berufungsvision eine außerordentliche Erscheinung Jahwes beschreibt, die keine Verwandtschaft mit der üblichen Vorstellung vom Wohnen Gottes in seinem Heiligtum aufweist. Im Gegenteil, der irdische Tempel kann Jahwe 1

D ^ V x ist ein Deminutivum von

das wahrscheinlich von Jesaja als spöt-

tisch-verächtliche Bezeichnung geprägt wurde. So PROCKSCH, Theologie, S. 188. 2

So PEDERSEN, Israel I I I — I V , S. 260.

3

So PROCKSCH, Theologie, S. 1 8 9 .

4

So MARTIN SCHMIDT, Prophet und Tempel. Zürich 1948, S. 34. Der Titel IjVö für Jahwe wird in Jes 6 5 zum erstenmal bei den Propheten ver-

6

wendet; vgl. jetzt H. SCHMID, ZAW 67 (1966) S. 172 f. • Ausführliche Behandlung der Berufungsvision, siehe MARTIN SCHMIDT, S. 32 bis 36; PROCKSCH, Theologie, S. 189 und ders., Jes I z. St. u. a. Kommentare.

58

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

gerade nicht fassen. Wenn dennoch der salomonische Tempel für Jesaja der geschichtliche Ort der Gegenwart Jahwes bleibt 1 , so beruht das nicht auf einer naturhaften Beschränkung Gottes auf seinen »Wohnsitz«, sondern ist ein Zeichen der realen Gegenwart, d. h. zugleich der realen Wirksamkeit Jahwes in der Geschichte seines Volkes. Jahwe ist nicht ein dem irdischen Geschehen ferne stehender Himmelsgott, sondern er ist diesem Geschehen und damit auch »diesem Volk« (Jes 6 9f.) nahe. Doch ist seine Nähe nicht im Sinne einer Vorfindlichkeit oder allgemeiner, bedingungsloser Zugänglichkeit mißzuverstehen, sondern sie ist bei dem gegenwärtigen Zustand dieses Volkes eine Nähe zum Gericht (Jes 1 15 6 s. 9f. 8i4ff. 28 n . vis.. 29i3f.). Mit dem Jerusalemer Tempel hat Jahwe die konkrete Möglichkeit der Begegnung zwischen sich und dem Volke geschaffen. Hier kann man Jahwes Angesicht (rffl Jes 112) schauen. Die Tempelhöfe sind seine Vorhöfe ('"jsn 112). Die Möglichkeit der Begegnung im Tempel bleibt unbestritten, nur wird sie vom Volk in falscher Weise ergriffen, so daß sie zur Unmöglichkeit wird (Jes 110-17 6 9ff.). Man naht sich Jahwe so, daß man sich in Wirklichkeit von ihm entfernt. Dennoch bleibt für Jesaja der Zion das sichtbare Zeichen der Gegenwart Jahwes, an dem dieser trotz aller Verderbnis der Menschen festhält2. Dabei stehen bei Jesaja zwei Gruppen von Aussagen über das Verhältnis Jahwes zum Zion unvermittelt nebeneinander. Die eine Gruppe setzt die Wohnvorstellung (Jes 8 is) voraus oder steht ihr zumindest nahe (vgl. Jes 112 31 9 18 7)3. In diese Richtung weisen auch die Aussagen über Zion als den Ort, den Jahwe »gegründet« hat (Jes 14 32 28 16 291-9). Die erwähnten Aussagen über Zion als Jahwes Gründung und Schutzstätte für die »Elenden« seines Volkes können jedoch nicht allein auf den gegenwärtigen, empirischen Tempelberg bezogen werden, sondern sie weisen deutlich auf eine eschatologische Neugründung Jahwes hin, die zwar an dem gleichen Ort errichtet werden soll, die aber dieser Stätte eine ganz neue Bedeutung verleiht. Diese Stellen bringt P R O C K S C H (Jesaja I z. St.) mit Recht mit dem Restgedanken (Jes 4 2-e) in Zusammenhang. Somit ist Zion der Ausdruck für die geschichtliche Kontinuität des Handelns Jahwes. Die vornehme Residenzstadt (Jes 3 16) und der 1 J e s 8 18 ist die einzige Stelle bei Jesaja, und eine der ganz seltenen Stellen bei den vorexilischen Propheten überhaupt, an der = wohnen, zur Bezeichnung des

Verhältnisses Jahwes zur Kultstätte verwandt wird. Sonst nur noch Mi 7 14. Auch 31P kommt in diesem Sinne nur bei J e s a j a gelegentlich vor. 2 Zu der Bedeutung und zum Gebrauch des Namens Zion bei J e s a j a sieheMARTiN SCHMIDT, S. 37—54. Für das hier behandelte Thema ist nur Zion als Tempelberg, als Wohn- und Offenbarungsstätte wichtig. 8 J e s 4 5-6 ist wahrscheinlich unecht.

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4. Jesaja

Palast- und Tempelberg werden in Jahwes Plan zur Zufluchtsstätte derer, die die Katastrophe überstehen sollen, und das werden paradoxerweise gerade die Elenden sein (liav ™lg 14 32). Hier ist der Zion — ähnlich wie der sichtbare Tempel in Jes 6 — der irdisch-sichtbare Fußpunkt, an dem das wunderbare und vorläufig nur für den Glauben wahrnehmbare Wirken Jahwes sich geschichtlich verwirklicht (vgl. Jes 28 16). Deshalb hat auch Jesaja eine Zerstörung des Tempels nie in Aussicht gestellt, obwohl die Eroberung Jerusalems von ihm wiederholt angekündigt wird (Jes 3 16-26 5 1-7). Als Bestätigung dieses eigentümlichen jesajanischen Verständnisses des Zion kann Jes 29 1 fl. gelten. Der »vom Palast und Tempel Salomos gekrönte Stadthügel« 1 ist von David erobert worden, und erst dadurch konnte er zu dem werden, was er z. Z. Jesajas ist — zum Tempelberg, zum Zentrum des selbstgewählten Kultus (29 ib), der von Jahwe heimgesucht wird. Wir haben hier also einen Gegengesichtspunkt in der Beurteilung des Zion zu Jes 14 32 und 28 16. Zion als der Ort menschlicher Machtentfaltung und selbstgewählten Kultbetriebes ist von David begründet — Zion als das Zeichen göttlichen Planes ist eine Gründung Jahwes (Jes 29 5-8; vgl. 4 2-6)2. Zu diesen zwei, eng zusammengehörigen Aussagegruppen kommt noch eine dritte hinzu. Jahwe fährt vom Himmel auf den Zion herab (Jes 31 4) oder schaut von »seinem Ort« 18 4, worunter an dieser Stelle wohl der Himmel zu verstehen ist, auf die Erde. Schließlich kommt (Jes 30 27) »sein Name« von ferne her. An allen diesen Stellen liegt der Hauptton auf dem Erscheinen Jahwes 1

So

M A R T I N SCHMIDT,

a. a. O., S. 46.

PROCKSCH

(Jesaja I z. St.) deutet

auf einen Teil der Zionsburg, etwa einen Eckturm — jedoch kaum mit Recht, da sich die folgenden Verse mit dem Tempel- und Palastbezirk als einer Einheit befassen. Zur Deutung des Wortes siehe P R O C K S C H Z. St., M A R T I N S C H M I D T a. a. O., S. 46 und 2 3 8 Anm. 7 7 , G R E S S M A N N , Messias, S. 1 0 0 — 1 0 6 und H A L D A R , Associations of Cultprophets among the Ancient Semites. Uppsala 1945, S. 106. 2 Jes 2 2-5 ist ein eschatologisches Bild, in dem Jesaja (?) die künftige Vollendung dessen, was in der Gegenwart im Verborgenen seinen Anfang genommen hat, schildert. Dann wird Zion und der Tempelberg realiter zu dem werden, worauf er jetzt als Zeichen hinweist — Ort der Gegenwart Jahwes. Über das Verhältnis Jahwes zum empirischen Tempel sagt die Stelle nichts aus. Jes 4 5f. nimmt deutlich auf die alte Vorstellung aus der Zeit der Wüstenwanderung Bezug. Schon deshalb ist es nicht ratsam, diese Stelle mit der Wolmvorstellung zu kombinieren. Die Transzendenz Gottes wird hier durchaus gewahrt. Zion kann ihn genau so wenig fassen wie der Tempel in Jes 6. Der Tempel wird außerdem in Jes 4 5 f. gar nicht ausdrücklich erwähnt. Zion ist hier der ganze Palasthügel, als der Mittelpunkt des Landes und der Stadt. Dieser Abschnitt kommt also für uns nicht in Frage. Das gleiche gilt für Jes 4 2-4. Es handelt sich hier um ein eschatologisches Bild, das über Jesajas Stellungnahme zum empirischen Zionstempel und seinem Kult nichts aussagt.

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IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

zum Gericht, bzw. zur Rettung seines Volkes, also auf dem dynamischen Moment des Erscheinens und nicht auf dem statischen des Wohnens an einem bestimmten Ort. Jes 18 4 und 30 27 betonen mehr das Fernsein Gottes, seinen Abstand vom irdischen Getümmel, als seine Lokalisierung im Himmel 1 . Auf Grund des Gesagten kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Jesaja, obwohl er vom Himmel und Tempel als dem Wohnort Jahwes manchmal sprechen kann, dies nicht im Sinne der naturhaften Gottesauffassung, nach der die Gottheit auf einen bestimmten Ort begrenzt und an ihm auch immer zugänglich ist, meinte. Gerade das unvermittelte Nebeneinander der Vorstellung vom Wohnen Jahwes im Himmel und im Tempel deutet an, daß die Gegenwart Gottes nach Jesajas Meinung nicht lokal beschränkt ist 2 , sondern daß der Tempel als das Zeichen der Gegenwart Jahwes und seines Wirkens in der Geschichte anzusehen ist. Diese Konkretisierung der Gegenwart Jahwes an einem Punkt der irdischen Wirklichkeit beruht auf Jahwes Willensentschluß und nicht auf naturhafter Bindung an das Heiligtum. Der Tempel ist ferner ein Zeichen der Beständigkeit Gottes, der seinen einmal gefaßten Plan unbeirrt durchführt. 5. Micha Bei Micha kommen für unsere Fragestellung vor allem zwei Stellen in Betracht, Mi 1 2-4 und 3 9-12. In 1 2-4 wohnt Jahwe in seinem himmlischen Tempel oder Palast (v. 3f.), von dem er als Zeuge gegen alle Völker aufbricht und über die Erde zum Gericht hinschreitet. Auch hier soll nicht die lokale Beschränkung, sondern die Ferne und Überweltlichkeit des zur Gerichts-Theophanie nahenden Gottes ausgesagt werden. Man könnte diese Aussage über die Himmelswohnung zugleich als Polemik gegen die Meinung des Volkes, Jahwe wohne in seinem Tempel (Mi 3 i i b ) , verstehen. Gegenüber dem Glauben an die selbstverständliche und darum »harmlose« Nähe Gottes betont Micha seine erschreckende Ferne und Erhabenheit, die leicht zur Nähe des Gerichts werden kann. In 3 9-12 verkündet Micha gegenüber dem falschen Vertrauen des Volkes und seiner führenden Schichten auf die Gegenwart Jahwes (v. 11b) die völlige Zerstörung des Tempels und der Stadt in allen ihren Teilen 3 . Das Volk und seine Führer sehen nur die eine Art der Gottesnähe, die sich zum Heil und Schutz auswirken kann, ohne Rücksicht auf die religiös-sittliche Beschaffenheit des Volkes. Jes 30 27 wird überhaupt kein Aufenthaltsort Jahwes genannt. Etwa als Ortsgottheit von Zion. 8 So PROCKSCH, Theologie, S. 209. Es soll doch hier vor allem die Totalität der Vernichtung angedeutet werden. Anders MARTIN SCHMIDT a. a. O., S. 241 Anm. 112. 1

2

6. Zephanja

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Micha kündigt die bevorstehende Realisierung einer ganz anderen Möglichkeit der Gottesnähe an; sie wirkt sich zum Gericht aus. Diese Bedrohung verwirklicht sich gerade an dem Objekt des falschen Vertrauens, dem Tempel und der heiligen Stadt. Auch bei Micha gilt — genauso wie bei seinem großen Vorgänger und Zeitgenossen Jesaja — das Interesse dem dynamischen Moment der Offenbarung und nicht dem statischen des Wohnens. 6. Zephanja Im Mittelpunkt der Verkündigung des Propheten Zephanja steht die Forderung Jahwes, seine Gebote und Rechtssatzungen im ganzen Lebensbereich des Volkes zu erfüllen. Gerechtigkeit ist der Ort, an dem sich die Gottesbegegnung vornehmlich ereignen soll. Genau wie sich in der Gegenwart die menschliche Hybris darin äußert, daß man zwar Jahwe formell verehrt (1 5), aber ihn faktisch dadurch verleugnet, daß man sich nicht durch seine Gebote im Leben leiten läßt, so kommt die Demut (2 3: ni}5?) — also die rechte Gottesbeziehung, denn um sie und nicht um eine allgemeine moralische Forderung handelt es sich hier, — in der Beugung und dem Gehorsam unter dem Willen Jahwes auf allen Gebieten der Lebenswirklichkeit zum Vorschein (2iff. 3 n). Die menschliche Hybris äußert sich nicht nur in der Verachtung der Rechtssatzungen Jahwes auf dem ethischrechtlichen Gebiet, sondern auch in der Abgötterei (l4f.). Fremdkulte und ein baalisierter Jahwekult 1 sind genauso wie sittliche und soziale Mißstände Zeichen der gleichen verkehrten Haltung des Volkes gegen seinen Gott. Da aber bei Zephanja der Nachdruck auf der Ausübung der Gerechtigkeit und Demut im Alltag liegt, fehlen bei ihm die kühnen Bilder vom Wirken Jahwes, wie wir sie bei den anderen Propheten finden. Die Ankündigung des Tages des Zornes Jahwes schildert in nüchterner Sprache nur die Auswirkungen dieses Geschehens, nicht aber die Art dieses Waltens selbst 2 . Aus diesem Grunde ist es auch nicht leicht, die Frage, ob Zephanja die Nähe Jahwes in der statischen Kategorie seines Wohnens an einem bestimmten Ort oder in der dynamischen seines plötzlichen Erscheinens sich vorgestellt hat, zu beantworten. Er spricht vom Kommen des Tages Jahwes und von seinem Erscheinen zum Gericht, ohne damit die Vorstellung vom Aufbrechen Jahwes von seinem ständigen Wohn1 Das geht aus der Parallelisierung der Jahweverehrung mit allerlei fremden Kulten und Bräuchen in 1 5f. hervor. Man ist sich keines Wesensunterschiedes zwischen Jahwe und den anderen Gottheiten mehr bewußt. 2 Nur Zeph 1 7 u. 1 1 2 wird das Kommen Jahwes zum Gericht bildhaft geschildert, doch sagen diese Stellen über Jahwes Wohnort nichts aus.

62

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

sitz zu verbinden. Zu diesem Fehlen der räumlichen Vorstellung paßt auch der Universalismus seiner Verkündigung 1 . Auf der anderen Seite deutet die vereinzelte Aussage Zeph 3 11-13 auf das Handeln und auf die besondere Gegenwart Jahwes auf »seinem heiligen Berge« (Zion) hin 2 . Zion wird in der Heilszeit zum Mittelpunkt des demütigen Restes und damit zu dem Ort, an dem die Demut als das rechte Verhältnis des Volkes zu seinem Gott sichtbar wird. Zion wird dann zu dem, was er jetzt gerade nicht ist (31-5), d. h. zur Stätte der besonderen, heilswirkenden Gottesnähe (3 15 ff.). Der Berg Jahwes ist also nicht der Raum, an den Jahwe als an seine Wohnstätte gebunden ist und daher dort jederzeit gesucht und gefunden werden kann, sondern der Punkt, an dem jetzt die menschliche Hybris und der Frevel in besonders krasser Weise sichtbar werden, und der deshalb auch dem Gericht verfallen ist (17ff.). E r ist von Jahwe dazu ausersehen, in der Heilszeit der Ort zu werden, an dem die Demut und Gerechtigkeit, als die von Jahwe selbst erfüllten Bedingungen seines Naheseins, zur Vollendung kommen. Die beiden genannten Linien treffen sich also an einem Punkt. In beiden geht es nicht darum, Jahwes Gegenwart räumlich-naturhaft zu lokalisieren, sondern darum, Demut und Gerechtigkeit als die Sphäre aufzuzeigen, in der die wahre Gottesnähe zum Ereignis werden kann. Diese Sphäre umfaßt das ganze Leben einschließlich des Kults. Das Festhalten Jahwes an Israel und Zion bedeutet in der Verkündigung Zephanjas, ähnlich wie bei Jesaja, die Überlegenheit Jahwes über alles menschliche Handeln. E r führt seinen Plan durch Gericht und Gnade zur Vollendung. Die Erwählung Zions ist genauso wie die Erwählung Israels ein Zeichen des Glaubens an die Beständigkeit und Unveränderlichkeit des göttlichen Ratschlusses. 7. Jeremia In der Verkündigung des Jeremia nimmt die Auseinandersetzung mit dem religiösen Treiben an den Kultstätten und besonders am Jerusalemer Tempel einen breiten Raum ein. Für Jeremia gibt es kein sichtbares Zeichen der gnädigen Gottesnähe, zu dem er wie J e s a j a getrost emporblicken, und auf das er das Volk hinweisen könnte. Genauso wie er dem Volk das radikale Ende, die Aufhebung jeder Beziehung zu Jahwe ankündigen muß ( J e r 14 11 f. 15 1 f. 7 16 1 Universalismus des Gerichts Zeph 2 8ff.. I2ff. 3 6, Universalismus der Reinigung 3 9f. 2 Zeph 3 5 »Jahwe ist gerecht in ihrer Mitte« gehört nicht hierher, da hier offenbar an Jahwes Gegenwart als eine in der Ordnung der Natur und des Rechts dem Glauben sichtbare Gegenwart gedacht ist. »In ihrer Mitte« ist also keine Ortsbezeichnung, sondern Verhältnisbestimmung vgl. 3 15.

7. Jeremía

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1114), genauso sagt er dem Jerusalemer Tempel den Untergang an (Jer 7 u. 26). Mit der Ankündigung des Endes der Volksgeschichte, deren Möglichkeiten mit der Verbannung und Zerstörung des Tempels erschöpft sind, ist auch die Möglichkeit einer Gottesbegegnung im Räume der Geschichte, wie sie noch von Jesaja verkündigt wurde, genommen. In dieser scheinbar aussichts- und hoffnungslosen Situation wird Jeremia und durch ihn auch dem Volke, das dem Untergang entgegengeht, eine ganz neue Möglichkeit der Gottesbegegnung erschlossen. Sie ereignet sich nun in erster Linie am innersten Punkt der menschlichen Persönlichkeit, im Herzen 1 . Aus dem alten Israel wird ein neues, aber nicht durch das Zutagetreten eines bisher verborgenen »Restes«, sondern durch die Wendung Jahwes zu seinem Volk (Jer 241 30 3. 18 31 20. 33f.) und die Umkehr des Volkes zu Jahwe (319. isf. 322-25). Beide tragen den Charakter innerster, persönlicher Entscheidung. Dementsprechend besteht für Jeremia die Neuschöpfung, die aus dieser Wendung Jahwes zu Israel entsteht, vor allem in der Erneuerung des innersten Wesens des Menschen, seines Herzens. Erst in zweiter Linie besteht sie in der Wiederherstellung der völkischen Existenz und den dazugehörigen materiellen Gaben 2 . So ist die Umkehr des Volkes zu Jahwe in der verheißenen Heilszeit die Neuschöpfung selbst. Sie ist Gabe und Forderung zugleich. Diese letzte Unabhängigkeit der Gottesbeziehung vom äußeren Schicksal hat Jeremia unter schweren Leiden zuerst an sich selbst erfahren (12 5f. 15 15-21 17 i5ff. 20 7-18). Jahwe war mit ihm (15 19-21 20 11. 13 45 2-5), und dieses Mitsein Jahwes äußerte sich nicht mehr in der Errettung aus bestimmten äußeren Nöten, sondern in der Beugung vor ihm (20 12 45 5), in der Umkehr zu ihm (15 19), darin, daß ihn Jahwe wieder in seinen Dienst nehmen will (15 i9ff.), der gerade die tiefste Ursache seiner Not war. Die Rettung besteht vornehmlich darin, daß Jahwe dem Propheten neue Kraft und Freudigkeit zu seinem Dienst geben will. Diesem persönlichen Erleben der Gottesnähe entspricht das, was Jeremia dem Volk über die Gottesbeziehung zu verkündigen hat. Von da aus ist Jeremias Interesse am heiligen Ort vorwiegend anthropozentrisch bestimmt. E r beschäftigt sich nicht 1 J e r 4 4.14 17 9f. 20 12 24 7 29 I3f. 3 1 3 3 . I m negativen Sinne = verstocktes Herz usw. J e r 3 10 6 23 9 I3f. 11 20 13 10 16 12 17 l 18 12 23 17. 2 Ähnlichen Sinn h a t es, wenn Jeremia gelegentlich die Rückführung der Verbannten des Nordreiches und ihre Wiedereinsetzung zum Volke Jahwes anstatt des verworfenen Volkes von Jerusalem und J u d a ( J e r 3 6-18 30, 31) oder das gleiche für die Verschleppten der ersten Verbannung ankündigt (Jer 2 4 l - 1 0 ) . In beiden Fällen ist die Erneuerung des Mensche^ und die Wiederherstellung des Volkes einzig und allein das Werk Jahwes. Das Volk als politisch-religiöse Größe hört mit der Verbannung auf zu existieren. Übrig bleibt nur noch eine Glaubensgemeinschaft der auf Jahwes eschatoloffische T a t Wartenden ( J e r 29).

64

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

so sehr mit dem Verhältnis Jahwes zum Tempel, sondern vielmehr mit dem auf den Tempel sich gründenden Glauben des Volkes. Das Vertrauen auf den Tempel und das gottwidrige Verhalten des Volkes empört Jeremia gleichermaßen, weil in beiden die verkehrte Einstellung des Volkes zu Gott zum Ausdruck kommt. Die Art, wie Jeremia selbst die Gottesnähe erlebte, beweist, daß er weder die Vorstellung seiner Zeitgenossen vom Wohnen Jahwes an der heiligen Stätte teilte, noch daß er überhaupt die Offenbarung Jahwes als an irgendeinen Ort gebunden erlebte. Daher muß man J e r 23 23f. als die für die Gottesvorstellung Jeremias charakteristische Aussage verstehen. Hier finden wir den Glauben des Propheten an die Allgegenwart Jahwes deutlich ausgesprochen 1 . Sein Verkehr mit Gott ereignet sich ganz in der Sphäre des persönlichen Dialogs und ist von jeder räumlichen Vorstellung frei, so daß wir gar nichts über den Ort, von dem aus oder an dem Jahwe dem Propheten erscheint, erfahren. Neben dieser Grundanschauung des Jeremia stehen unausgeglichen solche Aussagen, die dem Vorstellungskreis der Wohnvorstellung der Gottheit an einem bestimmten Ort entstammen oder mit ihm verwandt sind, z. B. J e r 7 10.12. 14. Hier greift Jeremia wohl in polemischer Absicht die Terminologie seiner Gegner auf, ändert sie dahingehend ab, daß er nicht vom Wohnen des Namens Gottes im Tempel redet, sondern von der Nennung dieses Namens über ihm, womit er das Eigentumsrecht Jahwes auf den Tempel ausdrücken will 2 . So verwendet Jeremia in Kap. 12 7ff. die Termini der Volksvorstellung vom Wohnen Jahwes im Lande Kanaan. Er geht von dieser allgemein bekannten Vorstellung aus, um ihre Verkehrtheit aufzuzeigen. Der Zusammenhang lehrt, daß es Jeremia nicht darauf ankommt, mit den Wendungen wie »mein Haus, mein Erbteil, mein Weinberg« usw. Jahwes Wohnort zu bezeichnen, sondern das Besitzrecht Jahwes (Jer 12 7. 8. 10 'nVni : , r , a ) auf das Land und Volk. Dazu boten sich die geläufigen Termini von selbst an. Über diesen Besitz verfügt Jahwe frei, er ist auf ihn nicht angewiesen. In der Volksvorstellung konnte Jahwe seine Wohnung, sein Eigentum nicht aufgeben, da er sich selbst damit geschädigt hätte. Was für die kanaanäischen Gottheiten der Besitz eines Tempels bedeutete, kann man auf Grund der Ras-Schamra Texte deutlich sehen 3 . Ein Gott ohne Tempel, d. h. ohne Wohnung und Verehrer, ist eben kein Gott. Der Tempel 1

S o R U D O L P H Z. S t . ; v g l . P R O C K S C H , T h e o l o g i e S . 2 6 2 ; W E I S E R Z. S t . ;

WEST-

PHAL, Jahwes Wohnstätten, S. 18.4f.; ähnlich EICHRODT, Theologie I, S. 43, Anm. 1. 2 Den gleichen Sprachgebrauch zur Bezeichnung des Eigentumsrechts auf das Volk und auf die Person des Propheten zeigt Jer 14 9 16 16. 3

Siehe PRITCHARD a. a. O. S. 1 2 9 I I I A B C 1 0 ; S. 1 3 1 I I A B l , 5, 6.

65

7. Jeremía

ist für Jeremia kein Talisman, der die Nähe Jahwes und damit seinen Schutz garantiert (Jer 7 4); vielmehr ist das Verhältnis Jahwes zum Tempel durch das Verhalten des dort anbetenden Volkes mitbestimmt. Hält dieses Volk die von Jahwe gesetzten Bundesverpflichtungen nicht ein (Jer 7 s. 9f.), dann fällt es dem Gericht Jahwes anheim. Es findet statt der von ihm gesuchten schützenden Nähe Gottes den vergeltenden und zerstörenden Richter. Diese Möglichkeit, die Jeremia zur Gewißheit geworden ist, erläutert er am Beispiel aus der Geschichte, an Silo (Jer 7 12). Jeremia bekämpft hier die naturhafte Bindung Gottes an einen heiligen Ort, genauso wie er die Verzerrung des Verhältnisses Jahwes zu Israel im Sinne naturhaft-unlösbarer Bindung bekämpfte. Im Gegensatz zu der Volksfrömmigkeit umfaßt bei Jeremia das Handeln Jahwes die gesamte Völkerwelt, der gegenüber er zum Propheten eingesetzt ist (Jer 1 5.10). In dem Abschnitt Jer 14 1 —15 4 (aus der Zeit der großen Dürre) beruft sich das Volk in einem ergreifenden Bußgebet darauf, daß Jahwe »in seiner Mitte« ist (14 7-9), und daß mit dem Untergang des Volkes auch Jahwes Heiligtum, »der Thron seiner Herrlichkeit« (Jer 14 21)1, und damit Jahwe selbst entehrt würde. Jahwes Antwort darauf ist das unabwendbare Gericht und das an Jeremia gerichtete Verbot der Fürbitte zugunsten des Volkes (Jer 1410-12 151-4) 2 . Jeremia steht also offensichtlich im Widerspruch zu dem Glauben des Volkes an die unlösbare Verbindung zwischen Jahwe und dem Tempel. Jer 1115-17 ist textlich schwierig, doch ist so viel deutlich, daß der Tempel (v. 15a , r , a) hier der Ort ist, an dem der Frevel des Volkes deutlich zutage tritt 3 . Er ist wirklich die Stätte, an der Jahwe angebetet werden sollte, nur die Art der dargebrachten Verehrung 1 Die gleiche Bezeichnung wird von Jeremia (3 17) für Jerusalem verwendet. Das widerspricht nicht der vorgetragenen Auffassung, da dort Jerusalem als die Neugründung Jahwes in der eschatologischen Heilszeit gemeint ist. 2 MARTIN SCHMIDT a. a. O. betont zu stark die Tiefe und den Ernst dieser zitierten Bußgebete des Volkes (S. 98) und verlegt den Grund ihrer Abweisung zu stark in Jahwes vorgefaßten Beschluß zur Vernichtung. Man kann nicht den Abschnitt J e r 14 1 — 15 4, so wie es SCHMIDT will, von den übrigen Aussagen über die Einstellung des Volkes isoliert behandeln (s. SCHMIDT a. a. O. Anm. 256). Richtig kann man die Ablehnung dieser Bußgebete nur dann verstehen, wenn man sie auf dem Hintergrunde der verkehrten Grundeinstellung des Volkes betrachtet. Um ihretwillen nutzt auch das schönste Bußgebet nichts, denn es ist nur der Ausdruck augenblicklicher Verzweiflung und Angst und nicht der inneren Umkehr zu Gott und der Bejahung seines Willens, auch wenn dieser durch Gericht und Not hindurchführt (ähnlich RUDOLPH, Jeremia bes. zu 14 7-9 und 14 10-12). Diese Stelle ist also kein Beleg für die Prädestinationslehre im AT. 3

So

M . SCHMIDT

S. 106;

vgl.

Jer

2 3 11.

H e n t s c h k e , Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Kultus

5

66

IV. Die Aussagen der vorexilischen Sclirif'tpropheten

ist verkehrt. Die in v. 16 enthaltene Drohung der Vernichtung zeigt, wieweit Jeremia auch hier von dem Glauben an die Unantastbarkeit des Tempels und die sühnende Wirkung des Opfers entfernt ist. E r kennt keine dinghaft-naturhafte Heiligkeit des Tempels. Sein Wert bzw. Unwert entscheidet sich daran, ob das Volk im rechten Glauben sich ihm naht, ob er also wirklich als Zeichen der Gottesnähe recht verstanden wird. Jeremia glaubt an eine Zukunft, in der Jahwe wirklich in Jerusalem inmitten seines Volkes wohnen wird (Jer 3i7a). Der Tempel wird nicht abgelehnt, weil er Tempel ist, sondern weil er für das Volk jetzt nicht das ist, was er eigentlich sein sollte: Stätte der wahren Anbetung, die sich nicht in Äußerlichkeiten erschöpft, sondern das ganze Leben des Volkes bestimmt. Jeremia lehnt ihn ab, so wie er zu seiner Zeit war, und kündet seine Zerstörung an. Diese Polemik ist aber nicht so zu verstehen, daß Jeremia überhaupt jeden Ort der gemeinsamen Anbetung ablehnt, denn in der eschatologischen Zukunft soll das, was jetzt wegen der Sünde des Volkes unmöglich ist, zur Wirklichkeit werden. Der Tempel soll dann real das werden, was er jetzt höchstens potentiell ist: Haus Jahwes, d. h. der Ort der Begegnung zwischen Gott und Volk. Jahwe will dann in ihm gegenwärtig sein (Jer 3 17) 1 . 8. Die heiligen Gegenstände Die Untersuchung der Aussagen der Propheten über die Kulteinrichtungen soll der Feststellung dienen, ob die Propheten eine Unterscheidung zwischen solchen kultischen Einrichtungen machen, die sie als dem Jahwedienst angemessen ansehen, und solchen, die mit dem besonderen Charakter der Jahwereligion von Natur aus im Widerspruch stehen. Sie soll zur Klärung der Frage beitragen, ob die Propheten von der priesterlichen Kulttheologie abhängig waren, und wieweit sie mit ihr übereinstimmten. Sie erwähnen eine ganze Reihe von kultischen Gegenständen, aber meist nur beiläufig und summarisch ohne nähere Angaben über ihre Bedeutung und Funktion. Dies ist zum großen Teil daraus zu erklären, daß es sich um Selbstverständlichkeiten handelte, zum Teil aber auch daraus, daß die Propheten auffallend wenig Interesse für die kultischen Einrichtungen als solche zeigen. Wo sie auf diese zu sprechen kommen, da haben sie vor allem den mit ihnen umgehenden Menschen und sein Verhalten im Auge 2 . 1 Als niclit jeremianisch werden folgende Stellen nicht berücksichtigt: Jer 17 12.26 26 30 32 34 3311 5151. s Zu den heiligen Gegenständen, ihrer Geschichte und Bedeutung vgl. die

Archäologien

von

VOLZ,

BENZINGER,

NOWACK.

67

8 a. Altäre

8 a. Altäre Am 2 8 schildert die Altäre als Stätten, an denen das entwendete und erpreßte Eigentum der Armen verpraßt wird. Hosea tadelt die Vielzahl der Altäre und nennt den an ihnen geübten Kult kurzweg Sünde (Hos 8 n 10 l). Dementsprechend wird auch ihre Zerstörung im kommenden Strafgericht angekündigt (Am 3 14 9 l Hos 10 2. 8 1212).

Jesaja erwähnt die Altäre als Bestandteile des Jahwekults selten ausdrücklich 1 , an sicher jesajanischen Stellen nur 6 6, wo wahrscheinlich der Räucheraltar gemeint ist. Jeremia spricht seine Entrüstung über die zahlreichen BaalAltäre in Jerusalem und Juda mit kaum zu überbietender Schärfe aus (Jer 11 i3f.). Das merkwürdige Bild von der Sünde, die auf »der Tafel ihres Herzens und auf den Hörnern ihrer Altäre« eingegraben ist (Jer 17 l), soll wohl den Glauben an die sühnende Wirkung des an die Hörner des Altars gestrichenen Opferblutes als verkehrt kennzeichnen. Statt Sühne zu bewirken, bringt dieser Ritus nur das Volk in gefährliche Erinnerung bei Jahwe und fordert seinen Zorn heraus 2 . Im übrigen gilt das über die Kultstätten bei den Propheten Gesagte weitgehend auch für die Altäre, da sie den Mittelpunkt und wichtigsten Bestandteil der Kultstätte bildeten. 8 b. Masseben Die Masseben gehören zu den spezifisch kanaanäischen Kultgegenständen. Sie sind nicht nur ein Merkzeichen der Kultstätte oder des heiligen Grabes, sondern selbst heilige, d. h. kraftgeladene Gegenstände 3 , die teils als Sitz der Gottheit — teils als Träger unpersönlicher »Macht« aufgefaßt wurden. In Israel werden sie zu Denk- und Erinnerungszeichen der Jahwe-Offenbarungen (Gen 28 isff. E x 24 4 Jos 4 5f. 24 26f. I Sam 7 12) umgedeutet und damit aus dem ursprünglichen Zusammenhang der Naturreligion herausgelöst und dem geschichtlichen Charakter der Jahwe-Religion angepaßt. Daneben hat man freilich mit dem ungebrochenen Weiterleben der Vorstellung von der Massebe als dem Sitz der Gottheit und als Behälter heiliger Jedenfalls in sicher echten Teilen des Jesajabuches. In exilisch-nachexilischen Stücken dafür um so öfter, z. B. Jes 19 9. Jes 29 lff. dient wahrscheinlich der Altar als Bild für den ganzen Tempel- und Palasthügel. In Jes 17 8 wird die Zerstörung der Altäre des Nordreiches als Strafe für den Abfall von Jahwe angekündigt. 1

2

S o RUDOLPH,

3

S o EICHRODT, T l i e o l .

J e r . z.

St. I

S. 4 9 ;

vgl.

SELLIN,

Isr. jüd.

Religionsgeschichte

S. 46; VOLZ, Bibl. Altertümer S. 20t.; NOTH, Die Welt des ATs., Berlin 1953, S. 142.

5*

68

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

Kräfte zu rechnen, die besonders in der Volksfrömmigkeit eine große Rolle spielte (II Sam 18 18 I Reg 14 23 II Reg 17 10). Als Exponenten einer naturhaften, magisch-mystischen Gottesauffassung werden die Masseben von den Propheten abgelehnt. In Hos 3 4 wird ihre Vernichtung, zusammen mit anderen Einrichtungen und Institutionen, die der Volksfrömmigkeit als unentbehrlich für das Weiterbestehen des Volkes und der Religion galten, angekündigt (Mi 5 13 Jer 2 27). Ihre Errichtung gilt als Sünde (Hos 10 if.). Schließlich wurden auch sie mit den anderen ihnen verwandten Elementen aus der Jahwereligion ausgestoßen. Dies geschah bereits zur Zeit der Kultreformen unter Hiskia und Josia (II Reg 18 4 23 14 Dtn 12 s«. 16 22; vgl. E x 23 24 3413 Lev 26 1) 1 . 8 c. Äscheren Im Gegensatz zu den Masseben gelten die Äscheren seit jeher als mit dem Wesen des Jahweglaubens unvereinbar, wurde doch die weibliche Gottheit Astarte-Aschera-Anat (wesensgleich mit der assyrisch-babylonischen Ischtar) unter dem Symbol des Lebensbaumes, dessen Nachahmung eben die Äschere darstellt, verehrt 2 . Die geschlechtliche Differenzierung der Gottheit und die damit verbundenen orgiastischen Kultbräuche widersprachen so sehr dem Wesen des Jahweglaubens, daß die Vernichtung ihres Symbols, der Äschere, zur wichtigsten Forderung nicht nur des Deuteronomiums (7 5 12 3 I621 E x 34 13), sondern jeder Neubesinnung auf den echten Jahweglauben wurde. Ihre Verwendung im Jahwekult fand nur in Zeiten des tiefsten religiösen Niedergangs und der Verwilderung statt, so besonders zur Zeit des Ahas und Manasse. Mit ihr ging das Eindringen der Vegetations- und Astralkulte Hand in Hand. Von ihrer Verbreitung im Volk, besonders unter den Frauen, gibt Jeremia (2 27 7 18 44 I7ff.) eine lebendige Vorstellung (vgl. Mi 5 13 Zeph 1 4ff.). Genau wie die Äscheren gehören auch die heiligen Bäume und Haine zu dem Bereich der Natur- und Fruchtbarkeitskulte. Die mit ihrer Verehrung verbundenen geschlechtlichen Ausschweifungen fordern das schärfste Urteil der Propheten heraus (Hos 413 Jer 2 20 3 13). Die heiligen Bäume gelten ihnen genau wie die Äscheren als Zeichen des offenen Abfalls von Jahwe. 1 Vgl. W. W. VON BAUDISSIN, Malsteine bei den alten Hebräern, H R E 3 X I I , 130ff.; G. BEER, Steinverehrung bei den Israeliten, 1921. 2 Vgl. W. L. REED, The Aschera in the OT, Yale 1949 und ZIMMERN, ZDMG 81, 1927 »Neues zu Aschera«. — Aschera als Kultpfahl vgl. Jdc 6 25FI. I Reg 16 33 II Reg 18 4 2 3 « . 15 Dtn 16 21 12 3. Als Göttin Jdc 3 7 I Reg 15 13 1819 II Reg

217

23 4.7.

8d. Kultbilder

69

8 d. Kultbilder Neben den genannten heiligen Gegenständen gehören Gottesbilder zu der unentbehrlichen Ausstattung eines jeden antiken Heiligtums. E s besteht zwischen ihnen und den Äscheren und Masseben kein grundsätzlicher Unterschied, denn ihre Bedeutung verdanken die Kultbilder ebenfalls ihrer Fähigkeit, heilige Kraft in sich zu konzentrieren 1 . Sie alle sind auf dem Boden der Naturreligionen beheimatet. Die Kräfte der Natur werden in den heiligen Gegenständen konzentriert und durch sie symbolisiert; sie bedingten die Vielzahl und Verschiedenheit der sie darstellenden Götter und der dazugehörigen Symbole. Wird jedoch Gott nicht mehr als Personifizierung von Naturkräften und somit als ein Teil der Natur selber verstanden, sondern steht er über der Natur als ihr Schöpfer und Gebieter, so wird sie als die Entfaltung seiner souveränen Erhabenheit aufgefaßt und damit entmächtigt. Dann ist auch die Konzentrierung von heiligen Kräften in bestimmten Bildern oder Symbolen nicht nur überflüssig, sondern sie muß als Beeinträchtigung der Schöpfermacht Gottes und damit als Sakrileg zurückgewiesen werden. Das um so mehr, als sich in den heiligen Bildern und Symbolen nicht nur das Verfügen-Wollen des Menschen über die Kräfte der Natur ( = göttliche, heilige Kräfte) zeigt, sondern die Verehrung dieser heiligen Gegenstände — sie sind j a Nachbildungen der Naturwelt wie Bäume, Tiere, Menschen — muß auch als sündhafte Verwechslung des Schöpfers mit seinen Geschöpfen erscheinen 2 . Die Jahwereligion hat diesen Weg beschritten. Das zeigt sowohl die kritische Haltung der Propheten gegenüber den Kultstätten samt ihren heiligen Gegenständen als auch die Auffassung der priesterlichen Kreise (D u. P), die den ganzen Kultus als einen Gehorsamsakt und Erweis der Dankbarkeit für die Gaben des Schöpfers interpretiert. Beide lehnen jede Darstellung Jahwes im Bild oder Symbol ab. Für beide hat der Kultus prinzipiell seine ursprüngliche Bedeutung als ein Mittel der magischen Einwirkung des Menschen auf die Gottheit und damit auf die Natur verloren. Der Segen der Natur wird nicht im Kultus zwangsläufig erzeugt, sondern der Kultus ist ein Akt der Dankbarkeit für die Segensgaben 3 . Im Nordreich war der Stierkult von Jerobeam I. (I Reg 12 28; vgl. Hos 8 S 10 5 13 2) zum Staatskult erhoben worden. Ob es sich bei dem Stierbild 1

So PEDERSEN,

2

Vgl. PEDERSEN, Israel I I I - I V , S. 640f. Vgl. Am 4 l 3 . Zur Frage der Bilderverehrung in Israel siehe EICHRODT, Theol. I, S. 50f. ;

3

Israel I I I — I V ,

S. 6 4 0 f .

SELLIN, I s r . j ü d . R e i . G e s c h . S. 4 7 — B O ; H . T H . OBBINK, J a h w e b i l d e r , Z A W N F .

6,

1929, S. 264 ff. Zum Stierkult vgl. L. MALTEN, »Der Stier im Kult und mythischen Bild«, J D A I 43, 1928/29, S. 90ff.

70

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

um das Piedestal des unsichtbar auf ihm stehenden Gottes oder um die Darstellung Jahwes in Stiergestalt oder um eine Standarte aus der Zeit der Wüstenwanderung handelte, ist eine recht umstrittene Frage 1 . Diese Kontroverse ist insofern ohne größere Bedeutung, als die Volksfrömmigkeit kaum einen Unterschied zwischen dem Piedestal des unsichtbaren Gottes und dem Gottesbild selbst gemacht haben dürfte. Sind einmal das Stierbild und die damit verbundenen kanaanäischen Bräuche 2 in den Jahwekult eingedrungen, so wird man kaum noch feinere Unterscheidungen gezogen haben. Der fortschreitende Synkretismus 3 ließ Jahwe ohnehin immer mehr dem kanaanäischen Baal oder anderen Naturgottheiten gleich werden. So will man zwar mit dem Bilderdienst Jahwe nicht den Abschied geben, aber man bestimmt damit einseitig Jahwes Wesen als das eines Vegetations- und Fruchtbarkeitsgottes 4 . Deshalb bezeichnet Hosea den Stierkult von Bethel, Dan und Samarien samt der übrigen Bilderverehrung als Sünde und Hurerei (2 4ff. 4 i7f., vgl. Mi 1 7) und Menschenwerk (Hos 84-6 10 5f. 11 2 13 2f.; vgl. Mi 1 7 5 13). Die Propheten sehen mit Recht in allen Gottesbildern Gegenstände der Fremdkulte 5 . Diese dem genuinen Jahwismus eigene Neigung zur Bildlosigkeit des Kultus, die auch schließlich zur Abschaffung der übrigen Gottessymbole führte, steht im krassen Gegensatz zu dem natürlichen Streben der antiken Religionen nach einer steigenden Vermehrung solcher Bilder und Symbole. Diese Tendenz fehlte auch in Israel nicht, wie oben gezeigt wurde. Der Widerstand gegen sie kann nicht aus der Abneigung der primitiven, auf der Stufe des Halbnomadentums stehengebliebenen Kreise gegen alle Einflüsse der höheren Bauernkultur erklärt werden 6 , denn auch während der Zeit vor der Ansiedlung in Kanaan hat man in Israel Gottesbilder und -symbole gekannt. E r ist vielmehr im Wesen des Jahweglaubens selbst begründet. Die Bekämpfung der primitiv-materialistischen Mittel zur sinnlichen Vergegenwärtigung der Gottheit geht bei den Propheten 1

Die erstgenannte Meinung veitreten z. B.

BINK, J a h w e b i l d e r ,

letztgenannte O. 2 3

S.

EICHRODT,

Theol. I, S. 50;

S. 2 6 9 ; die a n d e r e SELLIN, I s r . j ü d . R e l . G e s c h . ,

EISSFELDT,

OB-

S. 4 7 ;

die

Lade und Stierbild, ZAW 58, N. F. 17, 1940/41.

Hos 13 2 — das Küssen oder Streicheln des Stierbildes. Vgl. besonders P R O C K S C H , Theologie S . 2 1 2 — 2 1 6 und B U B E R , Der Glaube,

9 0 - 1 1 8 .

1 So G U T H E bei K A U T Z S C H - B E R T H O L E T , Heilige Schrift des AT, 4 . Aufl. II, Der Prophet Hosea, S. 2 und E I C H R O D T , Theologie I, S. 50. 6 J e r 819 'OS und - D i ^ n n stehen auf gleicher Stufe. Beide gehören

nicht Jahwe, sondern den Fremdgöttern. Vgl. Am 5 26. 8 Das versucht S . N Y S T R Ö M , Beduinentum und Jahwismus, S . 1 2 5 f.

Lund

1946,

8f. Die Bundeslade

71

mit dem echt religiösen Interesse an wirklicher Gottesnähe Hand in Hand. Die Propheten verkündigen die reale Gegenwart Gottes, aber diese kann nicht durch Vermittlung unpersönlicher physischer Kräfte erlebt werden, sondern im geistig-persönlichen Verkehr Gottes mit den Menschen. 8e. Ephod, Teraphim und Losorakel

Ephod stellt einen der ältesten Bestandteile des israelitischen Kultus dar. Es stammt wahrscheinlich aus vormosaischer Zeit. Die hohe Bedeutung, die ihm in Israel beigemessen wurde, ist auch aus der einzigen Stelle, an der es bei den vorexilischen Schriftpropheten vorkommt (Hos 3 4), zu ersehen. Dort wird es — wie öfter zusammen mit Teraphim — unter den Institutionen aufgezählt, die den Israeliten als Grundpfeiler des Staates und der Religion gelten. Diese falschen Stützen werden Israel durch Jahwe entzogen. Mit Ephod und Teraphim sind hier wohl Gottesbilder gemeint, weil sie in einer Reihe mit Opfern und Masseben aufgezählt werden. Ob dabei auch an ihre Funktion bei der Orakeleinholung gedacht ist, geht aus dem Text nicht hervor 1 . Da die Teraphim sonst nie zu den Bestandteilen des öffentlichen Kultus gezählt werden, sind sie im Gegensatz zum Ephod wohl auf den engen Kreis des Hauses und der Familie beschränkt geblieben. Es ist nicht verwunderlich, daß die vorexilischen Schriftpropheten die Gegenstände der Orakeleinholung kaum erwähnen, denn innerhalb der Jahwereligion haben sie in steigendem Maße an Bedeutung verloren. Sie sind allmählich zugunsten der Propheten als der Künder des göttlichen Willens zurückgetreten. Der Orakelpriester, der noch David auf seinen Feldzügen begleitete, wird durch den Hofpropheten ersetzt. 8 f. Die Bundeslade

Von den vorexilischen Propheten erwähnt allein Jeremia die Bundeslade (Jer 3 16) in einer Verheißung der Heimkehr der Verbannten des Nordreiches und des Anbruchs der Heilszeit. Jahwe 1

Siehe J. Low, Art. Teraphim, Wiener Zeitschrift f. d. Kunde des Morgenlandes X, 1896, S. 136 und Monatsschrift f. Geschichte u. Wissenschaft des Judentums 73, 1929, S. 314 nimmt an, daß Teraphim ( = »die Faulenden«) ein später eingesetztes Spottwort für die allgemeine Bezeichnung für Götterbilder (Din'?K) ist, ganz analog den schikkuzim und gillulim. SELLIN, Israel.-jüdische Religionsgeschichte, S. 48 und BUBER, Der Glaube S. 33f. schließen sich dieser Ansicht an. Zum Ephod siehe: E. SELLIN, ZU Ephod und Teraphim, ZAW 55 (1937), S. 296ff.; W. R. ARNOLD, Ephod and Ark., HThSt 3, 1917; ELHORST, Das Ephod, ZAW 30, 1910: K. BUDDE, Ephod und Lade, ZAW 39, 1920.

72

IV. Die Aussagen der vorexilischen Schriftpropheten

will dann selbst inmitten des Volkes in Jerusalem thronen. Seine unmittelbare Gegenwart macht die Bundeslade überflüssig. Diese Geringschätzung der Lade ist sicher durch die Zurückhaltung der vorexilischen Propheten gegenüber der Bundesvorstellung bedingt. Die Vermutung liegt nahe, daß Jeremia mit der Lade die Bindung Jahwes an den heiligen Gegenstand ablehnt. Als der Thron des unsichtbaren Gottes repräsentiert sie seine ständige Gegenwart inmitten des Volkes. Mit der einseitigen Entwicklung der Bundesvorstellung in naturhaft-nationalistischer Richtung, im Sinne des unzerreißbaren Zusammenhangs zwischen Gott und Volk, konnte auch sie zu einem bloßen Fetisch werden. Diese Einschränkung der Souveränität und die gegenständliche Bindung Jahwes fordert den Widerspruch des Propheten, dem wir bereits in seiner Beurteilung der Kultstätten begegnet sind, und der im Fall der Lade sicher aus den gleichen Beweggründen geschieht.

V. Die Kulthandlungen i. Einführung D i e v o r e x i l i s c h e n S c h r i f t p r o p h e t e n b e f a s s e n sich n i c h t a u s f ü h r l i c h m i t e i n z e l n e n K u l t b r ä u c h e n , s o n d e r n m i t d e m K u l t u s als G a n z e m . D e s h a l b z ä h l e n sie einige B e s t a n d t e i l e des K u l t u s wie v e r s c h i e d e n e O p f e r a r t e n , F e s t e u n d R i t e n m e h r o d e r weniger s u m m a r i s c h n e b e n e i n a n d e r a u f u n d s e t z e n sich m i t den in i h n e n z u m A u s druck kommenden Grundzügen der K u l t f r ö m m i g k e i t auseinander.

Zweckmäßiger-

weise u n t e r s u c h t m a n also s o l c h e S t e l l e n in i h r e m Z u s a m m e n h a n g .

2. Arnos Über den Zusammenhang von Am 4 4-5 mit 4 6-13 sind die Meinungen geteilt 1 . Da vv. 6-13 keine weiteren Aufschlüsse über den Kultus gewähren, kann v. 4-5 als selbständiges Wort behandelt werden, was ohnehin wahrscheinlicher ist. Ipäl? und ntfbB?1? (v. 4) sind nicht distributiv zu verstehen (»an jedem Morgen« und »an jedem dritten Tage«), da man in solchem Fall im Hebräischen das Wort entweder wiederholt oder den Plural verwendet 2 . Diese Stelle kann also nicht so verstanden werden, als wolle Arnos sagen: »Opfert nur täglich — statt jährlich am Hauptfest« (I Sam 1); »bringet nur eure Zehnten alle drei Tage — statt alle drei Jahre«. Denn das würde den nicht einmal auf Grund von Dtn 14 28 sicher nachweisbaren Brauch voraussetzen, daß man in alter Zeit nur alle drei Jahre den Zehnten darbrachte. Somit liegt in Am 4 4 eine Beschreibung dessen, was zur Zeit Arnos' anläßlich der Wallfahrtsfeste üblich war 3 . Man brachte am Morgen nach der Ankunft im HeiligS o h ä l t NOWACK ( G ö t t i n g e r H a n d k o m m e n t a r ) diesen V e r s aus m e t r i s c h e n

1

G r ü n d e n für den R e s t eines s e l b s t ä n d i g e n P r o p h e t e n w o r t e s , das v i e l l e i c h t a m S c h l u ß eine D r o h u n g wie e t w a A m 3 14 o d e r 8 10 e n t h i e l t (so a u c h GUTHE b e i KAUTZSCH4 z. S t . ) , w ä h r e n d er i m H a n d k o m m e n t a r ( 1 8 9 7 ) n o c h a n d e r E i n h e i t v o n A m 4 4-13 f e s t h i e l t (so a u c h MARTI, K u r z e r H a n d - C o m m e n t a r 1 9 0 4 u n d SELLIN, K o m m e n t a r z u m A T , D a s Z w ö l f p r o p h e t e n b u c h 1 9 2 2 , d e r A m 3 14 in 4 12 e i n s e t z t ) .

Die

Selb-

s t ä n d i g k e i t v o n 4 4-5 s e t z e n GRESSMANN, D i e S c h r i f t e n des A T , I I l a , 1 9 2 1 , WEISER, A. T . D .

Arnos

z. S t . ,

1949,

CRAMER, Arnos

S . 84, B W A N T ,

F . 3, H . 15,

1930

und MAAG, W o r t s c h a t z u n d G e d a n k e n w e l t des B u c h e s Arnos, 1 9 6 1 v o r a u s . — Z u m T e x t : " I B p l v. 5 w ä r e a n sich als I n f . a b s . in F o r t s e t z u n g des v e r b . fin. d u r c h a u s m ö g l i c h , a b e r a n g e s i c h t s der v o r a u s g e h e n d e n u n d f o l g e n d e n I m p e r a t i v e ist w o h l eine K o n j e k t u r zu 2

Siehe

K.-G.

angebracht. § 123d.

Z u m G e b r a u c h v o n *p i m d i s t r i b u t i v e n

J e r 21 is 3 7 ai u n d NOWACK ZU A m 4 4. 8

B e t h e l u n d Gilgal sind

Wallfahrtsorte.

Sinne

vgl.

74

V. Die Kulthandlungen

tum das rQT-Opfer dar und am dritten Tage den Zehnten 1 . Da das Gesäuerte erst später aus dem kultischen Gebrauch ausgestoßen wurde 2 , kann man v. 5 nicht so verstehen, als wolle Arnos speziell den Gebrauch des Gesäuerten tadeln. E r beschreibt den Brauch, außer den Fleischstücken des nat noch als Dankopfer (rnin) gesäuertes Brot in die Flamme zu werfen. Am 4 5a bezieht sich nicht auf die Aufforderung zu freiwilligen Opfern (so KEIL), sondern auf die Einladungen zu den sie begleitenden Festgelagen, die oft recht üppig und zügellos ausfielen. Aus der letzten Zeile des v. 5 sieht man, daß die hier aufgezählten Opfer und Festbräuche sich großer Beliebtheit bei den Israeliten erfreuten. Auch die Art der hier aufgeführten Opfer bestätigt das. Sowohl n?T als auch ¡TröJ?» hatten in der vorexilischen Zeit noch nicht den Charakter bloßer Abgaben und Leistungen, die nur nach ihrem Geldwert bemessen wurden, sondern bei ihnen war noch der communio-Charakter lebendig. Der Opfernde genoß zusammen mit seinen Verwandten und Freunden von dem Dargebrachten mit, wobei Jahwe an den besten Stücken des Opfers seinen Anteil erhielt. Man aß und trank und freute sich vor Jahwe. Anscheinend waren diese Züge für die Opferauffassung zur Zeit des Arnos bestimmend. Die dabei vorkommenden Ausartungen und die Nähe zum naturhaft-mystischen Verständnis der Gottesgemeinschaft in den Naturreligionen mag auf die Schärfe des Urteils bei dem aus den strengen und einfachen Verhältnissen der judäischen Steppenbewohner und Viehzüchter stammenden Arnos eingewirkt haben. Entscheidend war diese Herkunft des Propheten für seine Stellungnahme jedoch nicht, denn Arnos verurteilt weder eine bestimmte Opferart zugunsten einer anderen, noch sagt er etwas über die richtige Opferauffassung, sondern er verwirft das Ganze als Menschenwerk und Sünde. Vom Opfer will Jahwe nichts wissen. Mit der ironischen Aufforderung, wie sie durch Priester oder Kultpropheten zu ergehen pflegte, nach Bethel und Gilgal 3 zu kommen und zu opfern, verkündigt Arnos den versammelten Pilgern, daß sie mit diesen Wallfahrten und Festen gerade das Gegenteil ihrer 1

Vgl. Lev 27 30ff. und Dtn 14 22H. Die Streichung der Suffixe bei

und

ist nicht notwendig, da sie kaum eine spätere Milderung des Urteils

über die Opfer (so NOWACK Z. St.) bedeuten. Schwerwiegender sind allerdings die metrischen Gründe. Sinngemäß passen die Suffixe zu v. 5b ausgezeichnet. 2

V g l . I S a m 1 0 3 — b e i NOWACK, M A R T I u n d S E L L I N f ä l s c h l i c h I S a m 1 0 13

angegeben. Vgl. ferner Lev 2 11 23 17. ist nicht mit ISJIPDI, sondern als zweites Glied mit 11(3 zu verbinden. Vgl. Nah 2 l.

2. Amos

75

Absicht erreichen. Mit den bei dieser Gelegenheit dargebrachten Opfern soll der Bund zwischen Gott und seinem Volk erneuert und befestigt, Jahwe geehrt und die Gemeinschaft mit ihm aufrechterhalten werden. Arnos dagegen sieht in diesem ganzen sakralen Betrieb ein selbsterwähltes Werk des Volkes, an dem nur das Volk und nicht Jahwe seine Freude hat. Die Nennung Bethels und Gilgals ist nicht so zu verstehen, als wenn allein der Kult an diesen Heiligtümern verurteilt würde, sondern diese größten Heiligtümer symbolisieren als pars pro toto den gesamten Kult des Nordreiches. Jahwe will damit nichts zu tun haben, er lehnt ihn als Sünde und Frevel ab. Die Begründung dafür läßt sich leicht auf Grund anderer Amosstellen erbringen. Weil man Jahwe nicht so dient, wie er es verlangt, nämlich mit Recht und Gerechtigkeit (Am 2 6ff. 5 4ff. 8 4ff.), mit dem Gehorsam gegen seinen sittlichen Willen, der sich auf das gesamte Leben und nicht nur auf einzelne, vom Menschen bestimmte, sakrale Bezirke erstreckt, deshalb kommt im Kultus nur das zum Vorschein, was auch sonst im Leben des Volkes bestimmend ist, nämlich Gewinnsucht und Frevel. Diese innere Begründung der Verwerfung des Kultus schwächt ihre Schärfe nicht dahingehend, daß Arnos nicht den Kultus an sich, sondern nur die Menschen, die ihn darbringen, verurteilt 1 . Dabei ist vielmehr erstens zu bedenken, daß die Bedrohung der Heiligtümer einen sehr wesentlichen Bestandteil der Verkündigung des Arnos darstellt (3 14 5 4ff. 7 9 9 if.). Zweitens, daß an dieser Stelle das kultische und sittliche Handeln nicht einander gegenübergestellt werden, so daß man sagen könnte, das erste sei nur wegen der Vernachlässigung des zweiten für Jahwe unannehmbar. In 4 4f. wird der Kultus per se als menschliche Willkür verurteilt. Drittens bestätigt das Fehlen jeglicher positiver Äußerungen des Arnos zum Kultus die vorgetragene Ansicht. Arnos wägt nicht die Einzelheiten des Kultus nach ihrem Sinn und ihrer Bedeutung ab, sondern er verwirft das Ganze. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied gegenüber Elia, der nur den Baalkult bekämpfte. Arnos reflektiert nirgends über den positiven Wert des Kultus oder seine potentielle Möglichkeit, echter Ausdruck der Gottesbeziehung zu sein, sondern der Kultus existiert für ihn nur in der konkreten Gestalt des israelitischen Kultus seiner Zeit. Dieser war nach seiner Überzeugung mit Jahwe unvereinbar. Damit stellt er sich in schärfsten Gegensatz zu der offiziellen Auffassung der Religion überhaupt, deren Herzstück der Opferkult war 2 . 1 So J . HOSCHANDER, Priests and Prophets, New York 1938, S. 77. W. O. E . OESTERLEY, Sacrifices in Ancient Israel, New York 1937, S. 192. G. v. RAD, Kritische Vorarbeiten zu einer Theologie des AT in »Theologie und Liturgie«, 1962, S. 24.

* Die Ansicht MOWINCKELS, PS. St. I I I , S. 51 und I S. 137, daß Kultus und

76

V. Die Kulthandlungen Am

5 21-25

Der Zusammenhang zwischen dem Drohwort Am 6 18-20 und dem Jahwewort 6 21-25 unterliegt erheblichen Zweifeln 1 . MARTI, Kurzer Hand-Com. 1904, behandelt Am 5 18-25 als eine Einheit, die mit 6 1 und vielleicht auch mit 5 7 durch das Stichwort "Hn zu einer Sammlung von Droh Worten verbunden ist. Das gemeinsame Thema ist die Polemik gegen »die Illusion, die im Vertrauen auf die für Jahwe mit Eifer gefeierten Feste nur eine licht- und glanzvolle Zukunft vor sich sieht« 2 . Der sachliche Zusammenhang zwischen den beiden Abschnitten wird so gesehen, daß in 6 21-27 der Grund des Vertrauens Israels auf den Tag Jahwes als den Tag der glücklichen Zukunft (vv. 18-20) von Amos als illusorisch erklärt wird 3 . Doch findet diese Auffassung keine Stütze im T e x t selbst, weil vv. 21-27 nicht als Begründung des Vorhergehenden gekennzeichnet sind und sachlich dieser nicht entsprechen, da für Amos in erster Linie die sozialen und rechtlichen Vergehen als Ursache des nahenden Unheils gelten. Deshalb sind sicher die neueren Ausleger wie

WEISER4,

TH. H . ROBINSON5,

CRAMER*

und MAAG'

im

Recht,

wenn

sie

im

Opfer nicht dasselbe sind, kann für die vorexilische Zeit schwerlich zutreffen. Zwar gab es auch noch andere Bestandteile des Kultus wie Lied, Tora-Erteilung, Lobpreisung, Segenswort und verschiedene Riten, aber sein Zentrum war doch das Opfer. Denn allein durch dieses wurde in den antiken Religionen die Erhaltung der Gemeinschaft zwischen Gott und Volk garantiert. Die Kulte des Alten Orients stehen und fallen mit dem Opfer. Kann man auch in Israels Frühzeit eine Frömmigkeit beobachten, die weitgehend auf den komplizierten kultischen Apparat verzichtet (z. B . die Frömmigkeit der Patriarchen, wahrscheinlich auch der Mosezeit, außerdem vgl. J d c 6 36ff.), so bildet das Opfer auch hier einen unentbehrlichen Bestandteil der Religion. Was den laienhaften freien Charakter dieser Frömmigkeit ausmacht, ist nicht der Verzicht auf das Opfer, sondern die Tatsache, daß der Laie nicht an die priesterliche Vermittlung und an komplizierte Riten gebunden ist, sondern direkten Verkehr mit Gott pflegen kann. Das Opfer gehört zu diesem Verkehr, aber es ist noch kein opus operatum, sondern es ist ein Vehikel des echten religiösen Erlebens der Gottesgemeinschaft. Man braucht deshalb nicht alle Opferarten auf die communio-Idee zurückzuführen wie R . SMITH, The Religion of the Semites, 3. Aufl., 1927, obwohl dieser communio-Gedanke zweifellos bei vielen Opferarten der primäre war. Auch die Opferarten, bei denen die Vorstellung der Gabe an die Gottheit vorherrscht, können ein Ausdruck des echten Erlebens der Gottesgemeinschaft sein. 1 Nach GRESSMANN, Die Schriften des AT 2 z. St., S. 348 ist Am 6 18-20 ein in der Diskussion gesprochenes Wort und daher nicht unter eine der üblichen Gattungen einzustufen. Doch ist es m. E . durch das ' i n am Anfang ganz deutlich als ein prophetisches Drohwort mit folgender Veranschaulichung durch allgemein bekannte Sprichwörter und Bilder charakterisiert. Diese sind nicht als Aufeinanderfolge von Ereignissen gemeint, sondern sollen nur den einen Punkt, die Unentrinnbarkeit und Plötzlichkeit des Gerichts, deutlich machen. 2

So

MARTI

a. a. O.

S. 194.

3

So

MARTI

a. a. O .

z.

St.

und

NOWACK,

Handkommentar,

1897,

z.

St.

5 Handbuch zum AT, Hosea-Micha z. St. ATD. Amos, z. St. • Amos, Stuttgart 1930, z. St. 7 V. MAAG, Wortschatz und Gedankenwelt des Buches Amos, 1952, z. St. 1

77

2. Amos Anschluß an G R E S S M A N N 1 und Einheiten halten.

SELLIN2

Am

618-20

und vv.

21-27

für selbständige

In Am 5 21-27 haben wir die erste ausführlichere Polemik des Propheten gegen den Kult vor uns, die offenbar den späteren Propheten, Zumindestens im Sprachgebrauch, als Vorbild diente (z. B. Jes 110-15) 3 . Vielleicht ist dieses Wort, das die Umkehrung eines kultprophetischen Spruches darstellt, anläßlich eines Festes in Bethel gesprochen worden. In schärfsten Ausdrücken verwirft Jahwe den Festkult. Auffallend ist das Fehlen des Objekts zu "tfiNliP, vielleicht ist dahinter O^Enn einzusetzen, wodurch zugleich die fehlende Hebung ergänzt würde. Der Anfang ist zugleich der Höhepunkt dieser Verwerfung, wodurch dem Ganzen eine besondere Wucht verliehen wird. Nicht rationale Erwägungen über den Wert oder Unwert des Kultus, sondern Jahwes leidenschaftlicher Zornesausbruch bestimmt das Urteil. JH ist das Fest im allgemeinen Sinne, ohne nähere Bestimmung. Es hat zur Zeit des Arnos noch den ursprünglichen, fröhlichen Charakter, vom kultischen Jubel begleitet. ("HSS? ist hier noch nicht der terminus technicus speziell für die Schlußfeier der großen Frühjahrs- und Herbstfeste 1 . 3 n , ")n (v. 21) — ein aus der ältesten Opferpraxis stammender Ausdruck (Gen 821), ist hier bereits zu der allgemeinen Bedeutung »Wohlgefallen haben an . . .« verblaßt (Lev 26 31 Jes 113). v. 22 a ist wohl Interpolation eines späteren Lesers, der die Erwähnung des Brandopfers vermißte und die Aufzählung ergänzen wollte. Das Fehlen des Nachsatzes zu dem mit DK ' S beginnenden Vordersatz, das Fehlen des Suffixes bei JliVs? und schließlich metrische Gründe rechtfertigen die Streichung (so M A R T I , N O W A C K und S E L L I N , dagegen W E I S E R und M A A G ) . v. 22 b nnJÖ hat hier noch den ursprünglichen Sinn »Gabe an einen Mächtigeren« — Gott oder König usw. (I Sam 2 17 26 19 Jes 113), wird erst später zum terminus technicus für vegetabiles Opfer. D1?© steht allein im AT an dieser Stelle im sing. ( L X X liest

Es bedeutet das mit einem Opfermahl Verbundene Schlacht-

opfer, das eigentliche Bundesopfer (vgl. E x 20 24 Dtn 27 7 Jos 831 I Sam Iiis)®. Als Genitiv des Stoffes tritt D,NV}Ö = Mastkälber zu ihm hinzu. v. 23. Auch die Musik und der Gesang, die die Opfer und die damit verbundenen Festmahle begleitete (vgl. Am 810 und E x 32 6.17-19), fallen unter das gleichen Verdikt", sie bestätigen den heiteren Charakter dieser Kultfeste. Man feierte die Gegenwart Jahwes inmitten der Festgemeinde und freute sich der im Opfermahl 1

Die Schriften des ATs, 1921.

3

So

TH. H.

ROBINSON

2

Kommentar zum AT, 1922.

a. a. O.

1 Vgl. Dtn 16 8 Lev 23 27 Num 29 35 Neh 8 18 I I Chr 7 9. Die allgemeine Bedeutung »Festfeier« hat es in Jes 113 I I Reg 10 20. 5 M A A G a. a. O. S. 35 und 203 Nr. 623 übersetzt mit »Schlußopfer«.

• "lOH ist entweder inf. abs. oder 1. c. MAAG

a. a. O.

z.

St.

BUDDE

und

TH. ROBINSON

Vgl.

V. Die Kulthandlungen

78

erlebten Gemeinschaft mit ihm. Das darf man sich nicht nach dem Beispiel der streng liturgisch geordneten Kultfeste der nachexilischen Zeit vorstellen, sondern eher nach der Art der kanaanäischen Ackerbaufeste. Gerade in den oft bis zur Ekstase gesteigerten Erlebnissen und Emotionen erlebte man das Erfülltsein durch göttliche Kraft. Wieweit die Naturkulte auch auf den Jahwekult abgefärbt haben, kann man aus den Worten des Arnos nicht genau ersehen. Aber daß dies der Fall war, beweist schon die starke Hervorhebung der heiteren, dem Teilnehmer angenehmen Seite des Kultes. Mit (v. 23) ist ein Saiteninstrument, wahrscheinlich Harfe gemeint. Die Singularsuffixe sind nach Analogie von v. 21 durch Pluralsuffixe zu ersetzen (so MARTI und TH. ROBINSON und D D ^ a i ) . Diese Lieder, die doch sicher zum Preise Jahwes gesungen wurden 1 , empfindet er als lästigen Lärm, den er nicht mehr zu ertragen gewillt ist. v. 24. Über die Stellung und Bedeutung dieses Verses gibt es unter den Auslegern im wesentlichen zwei entgegengesetzte Meinungen. Die meisten 2 halten an der Versfolge des masoretischen Textes fest und fassen v. 24 als positive Formulierung der Forderungen Jahwes auf. Sie zeigt die rechte, weil gottgewollte, Weise des Gottsuchens (Am 5 4-6 I4f.), die dem Mißverständnis, als könne man Jahwe allein auf dem kultischen Wege dienen, ohne das ganze Leben seinem Willen unterzuordnen, gegenübergestellt wird. Das Waw-copulativum am Anfang von v. 24 hat adversativen Sinn. tSBttfD und HpJlX beziehen sich also auf das menschliche Tun, so wie es von Gott gefordert wird. In diesem menschlichen Handeln innerhalb der Gemeinschaft wird das rechte Gottesverhältnis realisiert und sichtbar. Man kann das auch mit Hilfe der Bundesvorstellung — die Arnos wie die anderen Schriftpropheten wegen ihrer naturhaft-nationalistischen Mißdeutung in der Volks- und Staatsreligion nicht verwendet — ausdrücken. Ist die ITHS zwischen Gott und Volk intakt, so ist auch das menschliche Gemeinschaftsleben in Ordnung oder durch rechten tSBtfö und rechte geregelt®. Hp^TS ist ein umfassender religiösethischer Begriff, nicht »bloße Moral«, sondern mehr die sittliche Erkenntnis des richtigen Verhältnisses zwischen Gott und Mensch und das daraus resultierende rechte Verhalten zum Nächsten. Diese Erkenntnis ist existentieller Art, d. h. sie umfaßt die ganze Lebenswirklichkeit in allen ihren Beziehungen und sie muß in allen diesen Beziehungen, ob Gott oder dem Nächsten gegenüber, verwirklicht werden. Erkenntnis und T a t sind unzertrennlich miteinander verbunden. Gerade weil — als menschliche Gerechtigkeit — ein das soziale, ethische und religiöse Handeln umfassender Beziehungsbegriff ist 4 , kann sie nicht auf einen bestimmten Bereich beschränkt werden. 1

pOn braucht nicht den negativen Sinn (»Geplärr«) zu haben. Die primäre

Bedeutung »Menge, Masse« ist auch hier noch erhalten. Nicht die Art der Lieder, sondern die Lieder selbst, ihre Menge, Gesamtheit werden als lästig empfunden. 2 So z. B. GRESSMANN, Die Schriften des A T ; MARTI, Kurzer Hand-Commentar; TH. H. ROBINSON, Handbuch zum A T ; DUHM, Theologie der Propheten S. 122f.; VOLZ, P r o p h e t e n g e s t a l t e n S . 1 9 3 ; HÖLSCHER, D i e P r o p h e t e n S . 2 0 2 f . ; SCOTT, T h e

Relevance of the Prophets S. 73; PEDERSEN, Israel I I I - IV, S. 546 und MAAG a. a. O. S. 3 4 f . u n d 2 2 6 .

s

S o CRAMER, Arnos S . 3 4 .

Wenn auch die ursprüngliche Bedeutung des Stammes nicht mehr sicher zu erkennen ist, so ist aus dem alttestamentlichen Sprachgebrauch deutlich. 4

2. Amos Ich fasse also ÜBttft? und

79

in v.24 im Anschluß an die oben genannten Aus-

leger als das von Jahwe geforderte menschliche Verhalten auf. DQWO und Hj^llS kommen bei Arnos in der Bedeutung »göttliche Gerechtigkeit« bzw. »göttliches Gericht« nicht vor, sondern nur als das geforderte menschliche Tun (vgl. Am 6 7.15 6 12).

Erfüllt von dem leidenschaftlichen Willen seines Gottes schließt Arnos die Vielzahl der selbstgewählten kultischen Verrichtungen zudaß dieser Stamm Rechtverhalten oder Rechtbeschaffenheit von Menschen, Dingen und Gott bezeichnet. Den umfassendsten Sprachgebrauch weist p"T2$ als Bezeichnung des menschlichen Handelns auf. Der Inhalt der Rechtbeschaffenheit oder des Rechtverhaltens läßt sich nicht abstrakt bestimmen. E r erwächst aus den konkreten Umständen und Verhältnissen, die es zu regeln gilt und nicht von allgemeinen, abstrakten Normen her. Selbstverständlich kann der Stamm j?"TS auch im kultischen Bereich verwendet werden, insofern das rechte Gottesverhältnis des Menschen auch hier zum Ausdruck kommt. (Vgl. EICHRODT, Theologie I, S. 114f.; E . KAUTZSCH, Die Derivate des Stammes ¡7"IS im alttestamentlichen Sprachgebrauch, 1881; J . PEDERSEN, Israel I — I I S. 3 3 8 — 3 6 2 ; E . KÖNIG, Theologie des AT3- «, S. 178ff.; K . H . FAHLGREN, S e daka nahestehende und entgegengesetzte Begriffe, Uppsala 1932.) E s muß nach allen Seiten hin realisiert werden. In dem Rechthandeln, Rechtverhalten des Menschen wird seine Rechtbeschaffenheit sichtbar. np>"7X umfaßt also beides, die subjektive, persönliche Wesenseigenschaft des Menschen und ihre objektive, nach außen gerichtete Manifestation. Nicht anders istüBltfD zu verstehen. E s ist keine abstrakte Größe, sondern bezeichnet den billigen Ausgleich zwischen beiderseitigen Rechten und Pflichten, die sich aus einem Gemeinschaftsverhältnis ergeben. Daher gibt es DDC7Q Gottes, der Könige, der Priester, der Israeliten und der Fremdlinge usw. Auch dort, wo tSBtfö in der Bedeutung »Richterspruch, Strafurteil« vorkommt, bezeichnet es nicht die Auslegung einzelner statuarischer, genau kodifizierter Bestimmungen, sondern positive, die Gemeinschaft aufbauende und erlialtende Tätigkeit; daher geht das Verbum DD© gelegentlich zur Bedeutung »herrschen« über. Der rechte BBÜÖ kann also nicht aus der richterlichen Objektivität heraus erteilt werden, sondern aus der rechten Einsicht in die Gemeinschaftsverhältnisse. E r setzt die existentielle Beteiligung des Richters insofern voraus, als auch er innerhalb dieser Gemeinschaft steht und ihre Förderung und Erhaltung zur Aufgabe hat. Ein Satz wie »fiat iustitia pereat mundus« wäre in Israel undenkbar, da das gerade den Sinn des Rechts aufheben würde. UBtTO umschreibt häufig die Betätigung der ri|TTX. Im DBttfi? tritt also auch die persönliche Qualität des Richters und die Intaktheit der ganzen Gemeinschaft in Erscheinung. Nach allem, was wir über die israelitische Rechtsprechung wissen, standen den Richtern, den König natürlich ausgenommen, so gut wie keine Machtmittel zur Verfügung. Ihre persönliche Autorität und der Wille der Gemeinschaft, sich ihrer Entscheidung zu beugen, waren für die Durchführung des Urteils ausschlaggebend. Ein Zustand, der übrigens im Orient noch heute in vielen Gegenden herrscht. Bei Arnos gehören beide,tJBtf!? und HpHS, aufs engste zusammen (Am 6 12 6 15). öBtfO ist der Ausdruck der n j ? 7 S im bürgerlichen Leben. Beide Begriffe werden von Arnos im juristischen Sinne gebraucht (so MAAG a. a. O. S. 229 und 233, Anm. 1).

80

V. Die Kulthandlungen

gunsten der einheitlichen sittlichen Forderung aus, im ganzen Leben die rechten Beziehungsverhältnisse, die sich aus der Gemeinschaft mit Jahwe ergeben, zu verwirklichen. Er stellt nicht einzelne Lebensbereiche, etwa Ethik und Recht, dem Kultus gegenüber, sondern entgegen der falschen Beschränkung der Gottesbeziehung auf das kultische Gebiet richtet Jahwe die Forderung auf volle und uneingeschränkte Gültigkeit seines Anspruchs auf den ganzen Menschen neu auf. Entgegen dem rasch fortschreitenden Zerfall der Volksgemeinschaft und der sie regelnden Beziehungsbestimmungen, verlangte der Wille Jahwes die Wiederherstellung der njvrx als der Lebensgrundlage der Gemeinschaft in allen ihren Beziehungen. Freilich läßt es sich nicht leugnen, daß Arnos den Kultus, so wie er nun konkret bestand, nicht als den Ort ansah, an dem die n j n x realisiert wurde und überhaupt realisiert werden konnte 1 . Seine Beschaffenheit war derart, daß er die Ausübung der eher behinderte und verdunkelte als förderte. Die meisten israelitischen Kultbräuche gehörten ja nicht zu genuinen Bestandteilen der mosaischen JahweReligion, sondern waren teils vormosaischer, teils kanaanäischer Herkunft. Das natürliche, durch seine Herkunft gegebene Schwergewicht des israelitischen Kultus tendierte zur Naturreligion hin und schuf ein falsches Vertrauen auf den Schutz Jahwes. Der Gottesdienst war für das Volk ein Instrument zur Heilssicherung. Deshalb wird er auch von Arnos beiseite geschoben. Mit beginnt also die Formulierung der positiven Forderungen Jahwes. V^J =

ist mit den meisten Auslegern als Jussiv Niphal von

»fluten, sich einherwälzen« zu verstehen. 2 Den Sinn von v. 24

hat bereits ORELLI richtig erfaßt: »Statt Opfer in Fülle zu bringen, wälze sich vielmehr Recht und Gerechtigkeit daher, nicht launisch und darum bald versiegend, sondern wie ein unversieglicher Bach, dem auch in der heißen Sommerzeit aus seiner Quelle Wasser reichlich zuströmt«. Die andere Auffassung, die z. B. von SELLIN (Kommentar zum AT z. St.) und WEISER (ATD z. St.), aber auch schon von KEIL und HITZIG vertreten wird, ist folgende: v. 24 wird hinter v. 25 gesetzt, als Indik. Futurum verstanden, und npnx und DBtfp beziehen sich auf das göttliche Gericht und die göttliche Gerechtigkeit. Mit b^l beginnt die Strafandrohung, die in v. 26f. ihre Fortsetzung findet. Bei dieser Auffassung ist zwar ein geschlossenes Verständnis 1 A

Ähnlich MAAG a. a. O. S. 225f. CRAMER, Arnos S. 34 leitet es von ¡iVä = »hervorbrechen« ab, weil TT

~T

das

Vorhandensein von nj?"JX und BBtf!? voraussetzen würde. Jedoch läßt der Nipha von ¡"^j ebenfalls an ein Inerscheinungtreten von bereits Vorhandenem denken.

81

2. Amos

des ganzen Abschnitts Am 5 16-25 gewährleistet. Dennoch ist diese Auffassung m. E. kaum haltbar, weil nfHX und tiStfa bei Arnos sonst nicht in diesem Sinne gebraucht werden, und vor allem wegen der Parallele zu Jes 1I6f., die eindeutig den adversativen Sinn fordert. Bei der großen sprachlichen Verwandtschaft der beiden Stellen hat dieses Argument ein großes Gewicht (vgl. noch Jes 4818). Demgegenüber kann Jes 28 17 nicht angeführt werden. Da ist nur vom Gericht Jahwes und nicht von seinen Forderungen an den Menschen die Rede. In Am 5 23 dagegen ist bereits eine negative Forderung enthalten, die durch die positive in v. 24 ergänzt wird. Die Behauptung W E I S E R S (a. a. O. z. St.), die Forderung in v. 24 sei zu allgemein und zu unpersönlich und passe nicht zu dem Zornesausbruch Jahwes, ist unzutreffend l . Die Bilder von v. 24 heben die Radikalität der göttlichen Forderung stark hervor. v. 25 gibt die weitere Begründung zu v. 21-23. Der Singular nmo fällt gegenüber dem Plural O'rnt auf, braucht aber deshalb noch keine Interpolation zu sein (so MARTI, NOWACK U. a.). Die Lesart der L X X (so S E L L I N ) ninw hat viel für sich2. Ich sehe keinen zwingenden Grund, 'jX'nizr rr? Hltf zu 3 streichen (so NOWACK, MARTI) oder zu ändern . Der Satz ist als Frage an das Volk gerichtet und setzt offensichtlich voraus, daß dieses mit einem glatten »Nein« antworten wird. Alle Versuche, an diesem Nein vorbeizukommen oder es abzuschwächen, sind sehr gekünstelt und verdunkeln die Klarheit und Eindeutigkeit der prophetischen Worte, die ja gerade in der Auseinandersetzung mit der Volksfrömmigkeit überaus unmißverständlich sein müssen. Einige dieser abschwächenden Deutungsversuche seien hier als Beispiele angeführt. O E S T E R L E Y , Sacrifices S. 196 setzt unter Berufung darauf, daß das n-interrogativum eine bejahende Antwort zuläßt (vgl. G. K . § 160d), folgenden Gedankengang voraus: Die Frage des Propheten: »Haben nicht eure Väter mir Opfer dargebracht, die mir annehmbar waren, weil sie in Treue und Aufrichtigkeit dargebracht wurden? Vorausgesetzte Antwort des Volkes: J a ! « Arnos wolle damit seinen Hörern sagen: »Warum denn bringt ihr Opfer dar, die wegen eurer Sünden und wegen eurer falschen Vorstellung für euren Gott Jahwe wertlos und unannehmbar sind« ? Dabei drängt sich nun die Frage auf, warum Arnos das alles nicht sagt. Anders versucht L A T T E Y 4 die Schwierigkeit zu beseitigen. Er nimmt zwar als die 1 Zur Gegenüberstellung von Gerechtigkeit und Kultus gibt es Parallelen in der ägyptischen Spruchweisheit. Vgl. G R E S S M A N N , Die neugefundene Lehre des Amenemope und die vorexilische Spruchdichtung, ZAW 42, N. F . 1, 1924, S. 286f. 2 C R A M E R , Arnos S. 34 liest beides als Singular. 3 S I E V E R S - G U T H E , A S G 2 3 , 3 , 1 9 0 7 , Arnos z. St. lesen N I L R •'HU ")!3N. 4 C . L A T T E Y , Prophets and Sacrifice; 42, 1951, S. 1 6 6 - 1 6 6 .

A

T i T - T Study in Biblical Relativity; JThSt.

H e n t s c h k e , Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Kultus

6

82

V. Die Kulthandlungen

erwartete Antwort ein »Nein«, aber ein relatives »Nein« an (a. a. O. S. 164). Der Sinn wäre dann folgender: Man hat wohl in der Wüstenzeit Jahwe geopfert, aber diese Opfer waren genau so unannehmbar, wie die zu Zeiten des Arnos. Diese Auffassung läuft darauf hinaus, auf das , 1 ? in v. 25 den Hauptton zu legen 1 . Arnos hätte sagen wollen, daß Jahwe die Opfer gar nicht als ihm dargebracht betrachtet. Dagegen spricht schon die betonte Voranstellung von Q'rQT mit der Fragepartikel. LATTEY stützt seine Auffassung vor allem auf die Beobachtung des gelegentlichen relativen Gebrauchs der Verneinung in der Bibel (a. a. O. S. 155). Wenn sich auch in der T a t solcher Sprachgebrauch nachweisen läßt, so sind die Konsequenzen, die LATTEY daraus zieht, in dieser Verallgemeinerung falsch. Mit Hilfe dieser Interpretation könnte man fast alle Antithesen in der Bibel in ihr Gegenteil verkehren oder auf eine gemäßigte Mittellinie bringen, was auch LATTEY weitgehend tut. Damit verkennt er aber den Grundcharakter der Prophetie genau so wie den der Verkündigung Jesu. In der unmittelbaren Nähe Gottes, in die sie sich und ihr Geschlecht gestellt sahen, gab es kein »sowohl als auch«, kein vorsichtiges Abwägen. Alles was dem göttlichen Anspruch im Wege stand, mußte hinweg. Diese Schärfe des prophetischen Widerspruchs darf nicht durch spitzfindige Deutung, die sich auf Beobachtungen aus dem Bereich der Bildsprache stützt, abgeschwächt werden. Die Propheten haben wirklich das gemeint, was sie sagten! Nicht viel anders steht es u m WHEELER ROBINSONS I n t e r p r e t a t i o n s v e r s u c h 2 . Aus der P a r a l l e l i t ä t

zwischen

dem prophetischen Symbolismus und dem Symbolismus der Opferhandlung — dabei werden die Schriftpropheten in den Bereich des Kultus hineingenommen, was sehr anfechtbar ist — nimmt ROBINSON an, daß die Propheten lediglich das Opfer als opus operatum bekämpften und daß es für sie nur auf den Geist ankam, in dem die Gabe dargebracht wurde. Der Überbetonung des Kultus stellen sie die einseitige Betonung der Gerechtigkeit entgegen. Sie sagen nur »Gerechtigkeit« und meinen dabei »nicht nur Kultus«, sondern beides zusammen. Opfer, verbunden mit Gehorsam, sind Jahwe angenehm. Der Charakter des Kultus muß verwandelt werden. Dabei übersieht ROBINSON, daß die Propheten sich nicht im geringsten darum bemühen, das Verständnis der kultischen Handlungen zu ändern und es der Jahwereligion, wie die Propheten sie verstanden, anzupassen. Liegt es angesichts dieses Umstandes nicht näher anzunehmen, daß für Arnos und seine Zeitgenossen das opus operatum, und was man sonst noch an Entartungen der Opferpraxis nennen mag, so unlösbar mit dem Opferkult verbunden war, daß man sich gar nicht das eine ohne das andere denken konnte ? Die Polemik der Schriftpropheten und die Kenntnis der Naturreligionen bestätigen dieseAnnahme. Genausowenig überzeugend wirkt der Versuch WÜRTHWEINS3, dadurch zu einem neuen Verständnis von Am 6 21-25 zu kommen, daß er den v. 25 streicht und vv. 21-23 als eine Tora auf Grund der Opferschau ansieht. Daher soll hier kein grundsätzlich gemeintes, sondern nur für den Augenblick bestimmtes Wort vorliegen. Angesichts des bevorstehenden Gerichts verliert dieses konkrete Opfer jetzt seine ihm an sich zukommende B e deutung. Jahwe hat die Beziehung zu Israel abgebrochen.

2

So HERTZBERG, Die prophetische Kritik am Kult, T h L Z 75, 1950, S. 223. H . W . ROBINSON, Hebrew Sacrifice and Prophetie Symbolism, J T l i S t 43, S. 1 3 3 und 1 3 7 .

3

E . WÜRTHWBIN, A r n o s 5 21-27, T h L Z 7 2 , 1 9 4 7 ; v g l . MAAG a . a . O. S . 2 2 2 f f .

1

1942,

und 227.

83

2. Amos m x

tf1?

sind Ausdrücke momentaner Affektäußerungen Jahwes und nicht

seiner grundsätzlichen Einstellung. Dagegen muß eingewandt werden, daß die Imperfekta allein ohne nähere Bestimmung durch entsprechende Zeitpartikel diesen Sinn nicht haben können. Außerdem widerspricht diese Überbetonung des Affekts in der Gottesvorstellung dem Gottesbegriff des Arnos, der den Willen Jahwes, der Israel offenbart wurde, durchaus als einen einheitlich, zielbewußt ausgerichteten, sittlichen Willen kannte. In den Affektäußerungen Jahwes kommt seine grundsätzliche Haltung zum Ausdruck.

Vielmehr glaube ich, daß andere Forscher wie MARTI, NOWACK, SELLIN, W E I S E R , CRAMER, VOLZ \ NORTH u n d MAAG d a s R i c h t i g e t r e f f e n ,

wenn sie hier die Überzeugung des Arnos (nota bene als Wort Jahwes vorgetragen) herauslesen, Israel habe in der Wüstenzeit keine Opfer dargebracht. Dies Urteil kann man nicht auf einen bestimmten Ritus einschränken, da mit nat und nma zwei ganz verschiedene Opferarten genannt sind. Mit ihnen fallen die beiden hauptsächlichen Möglichkeiten des Opferverständnisses der israelitischen Religion und damit der gesamte Opferkult unter das gleiche prophetische Urteil, v. 25 zeigt, daß Arnos die Tradition vom 40jährigen Wüstenaufenthalt wohl bekannt war. Sie wurde ja an den Wallfahrtsheiligtümern des Nordreiches gepflegt. Genau wie Hosea (111 13 5) und Jeremia (2 2) schätzt er die Wüstenzeit als die Idealzeit der Jahwereligion (vgl. Am 2 10), in der das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk durch npns bestimmt war, obwohl keine Opfer Jahwe dargebracht wurden. Diesen Rückgriff auf die Ur- und Idealzeit des Volkes und der Jahwereligion bei Arnos muß man m. E. im Zusammenhang mit der Tendenz aller Religionen, die religiösen Einrichtungen und Bräuche in die Anfänge des Volkes zurück zu projizieren, sehen. Besonders beliebt war dieser Rückgriff auf die Urzeit in den iepol Xoyot der Heiligtümer. Dabei verfuhr man nicht streng historisch, sondern trug im Gewände der Geschichtserzählungen neue Ideen vor, die aktuelle Bedeutung hatten, und deren Durchsetzung in der Gegenwart die Tradenten wünschten. Die Kult- und Festlegenden waren dafür besonders geeignet, weil sie durch den kultischen Vortrag weite Volkskreise erreichten. Bei der Vielzahl der Heiligtümer ergibt das ein recht buntes Bild, das wir noch teilweise aus der alttestamentlichen Überlieferung rekonstruieren können. Diesen Lokaltraditionen gemeinsam war die Zurückführung der Entstehung der gerade an den betreffenden Heiligtümern geübten Kultbräuche auf die Urzeit. Als solche bevorzugen sie die Erzväter- und die Landnahmezeit. Nur der gesamtisraelitische Kult, in dessen Mittelpunkt die Lade stand, und das mit ihm aufs engste verknüpfte sakrale Recht der zwölf Stämme 1

P . VOLZ,

Prophetengestalten

im

AT,

1938,

S. 1 4 9 — 1 6 1 ;

CHR. NORTH,

Sacrifices in the OT, E T 47, 1936, S. 132. 6*

84

V. Die Kulthandlungen

zeigen stärkere Berücksichtigung der Mosezeit. Gegenüber diesen Knitiegenden der verschiedenen Lokalheiligtümer greifen die Prppheten mit einem bewußt andersgearteten Geschichtsbild auf die Auszugsund Wüstentradition zurück, während ihnen die Landnahmezeit im allgemeinen — in Antithese zu der priesterlich-kultischen Überlieferung — als die Zeit des Abfalls gilt. An der Auszugs- und Wüstentradition betonen sie besonders die Elemente, die ihnen für die Gegenwart wichtig erscheinen, den Gehorsam, die Gerechtigkeit, die Liebe, die Alleinherrschaft Jahwes, also alles Bezeichnungen, die den Bund zwischen Jahwe und seinem Volk als ein sittlich-personhaftes, sich im Räume- der Geschichte abspielendes Verhältnis umschreiben. Bei aller individuellen Variation dieser Themen handelt es sich offensichtlich um eine prophetische Tradition, die man kurz in ihren wichtigsten Punkten skizzieren kann: 1. Erwählung des Volkes und Hinausführung aus Ägypten. 2. Die wunderbare Führung durch die Wüste als die ideale Brautzeit des Volkes, d. h. das Volk antwortet auf die Heilstaten Jahwes mit Gehorsam und Liebe. 3. Verleihung des Landes als Heilsgabe Jahwes und der Abfall des undankbaren Volkes. 4. Gericht, in dem das empirische, ungehorsame Israel vernichtet wird, und schließlich 5. Der Glaube an eine dem Gericht folgende Wiederherstellung Israels als einer vollkommenen Neuschöpfung Jahwes. Ihr folgt eine Zeit der dauernden, durch die Sünde ungestörten Gemeinschaft zwischen Jahwe und seinem Volk. Diese Wiederherstellung wird gelegentlich bei den Schriftpropheten als die Rückführung in die Wüste geschildert1. Formal gesehen, haben wir es also bei den Propheten mit dem gleichen Schema wie im Kultus zu tun. Ideale Urzeit am Anfang und die ihr entsprechende Endzeit. Inhaltlich 1 Zu der Bedeutung der israelitischen Geschichtstraditionen für die Verkündigung des Arnos siehe MAAG a. a. O . S . 2 2 0 — 2 2 3 . Allerdings kann ich MAAGS Ausführungen in diesem Punkt nicht folgen. Er leitet das Geschichtsbild des Arnos ausschließlich aus der archaischen und z. T. den tatsächlichen Geschichtsverlauf stark vergröbernden Überlieferung des Landvolkes der rückständigen, südjudäischen Gebiete ab und berücksichtigt die Geschichtstraditionen des oppositionellen Prophetentums gar nicht. Man kann m. E. an ihnen nicht vorbeigehen. Eine so sehr am politischen Leben beteiligte Bewegung wie der ältere Nebiismus und die ihn in mancher Beziehung fortsetzende Schriftprophetie muß auch eigene Geschichtsüberlieferung gepflegt haben. Daß dies auch wirklich der Fall war, kann man an der Stellung der oppositionellen Nebiim zum Königtum, die sich auch die Schriftpropheten zu eigen gemacht haben, besonders gut sehen. Auch die Verwandtschaft in der Haltung zum Kultus unter den vorexilischen Schriftpropheten zeigt, daß sie auch hier bestimmten Traditionen folgten. Diese wurden von den Schriftpropheten, ihrem individuellen Auftrag entsprechend, abgewandelt, doch in den Grundzügen sind bei allen Schriftpropheten Gemeinsamkeiten der Geschichtsauffassung vorhanden. Geschichte dient ihnen — wie überhaupt in der ganzen Antike — zu programmatischen Zwecken.

2. Amos

85

sind sie sich jedoch diametral entgegengesetzt und zwar in folgenden Punkten: 1. Die Urzeit dient nicht als Legitimierung der gegenwärtigen Institutionen und Bräuche, sondern als Ausgangspunkt der prophetischen Kritik. 2. Die gegenwärtigen Verhältnisse stellen keine geradlinige Fortsetzung der Verhältnisse der Urzeit dar. Der Zusammenhang zwischen der Urzeit und der Gegenwart wird nicht durch den richtigen Vollzug des Kultus und die damit verbundene, schöpferische Wiederholung der Heilsereignisse der Urzeit garantiert, sondern zwischen Urzeit und Gegenwart liegt der Bruch, der durch den Abfall des Volkes in Kanaan verursacht wurde. 3. Der Tag Jahwes, der im Kultus als der Tag des Heils für Israel erwartet und herbeigesehnt wurde, ist für die Schriftpropheten ein Tag des Gerichts über Israel. 4. Die Rückkehr der wunderbaren, idealen Urzeit in der Endzeit wird nicht dem gegenwärtigen, empirischen Volk in seinem Sosein verheißen, sondern einem neuen Israel, das durch Jahwe neu geschaffen werden soll. Um seiner selbst und um der Unverbrüchlichkeit der Verheißungen willen schafft Jahwe eigens die für ein ungestörtes Verhältnis zu ihm notwendigen Voraussetzungen, die das empirische Israel nicht erfüllt hat. Deshalb behält das Gericht seinen furchtbaren Ernst. Es trifft das Volk in seiner Gesamtheit. Die Wiederherstellung ist nicht eine innergeschichtliche Notwendigkeit, sondern eine von den Propheten geglaubte freie Möglichkeit Gottes. 5. Das Verhältnis zwischen Gott und Volk war nach Ansicht der Propheten grundsätzlich anders geartet als das der Kultreligionen. E s ist ein personhaftes, sittlich bestimmtes Verhältnis mit einer Vielzahl von Möglichkeiten, wie Erwählung — Gehorsam, Abfall — Verwerfung, Neusetzung — Gehorsam, die alle zu bestimmten geschichtlichen Augenblicken verwirklicht wurden oder werden sollten. Auch die Urzeit liegt nicht im mythischen Dunkel, sondern stellt einen bestimmten historischen Zeitpunkt der Geschichte Israels dar. Demgegenüber setzt der Kultus eine fortwährende, ungebrochene Verbindung zwischen Gott und Volk voraus. Die Störungen durch die Sünde werden durch den richtigen Vollzug entsprechender Kulthandlungen beseitigt. Einmal in der Urzeit mit der Stiftung des Rituals begründet, währt dieses Verhältnis in der Gegenwart fort und geht seiner Vollendung in der Endzeit entgegen. Der Kultus ist ein Teil der himmlischen Welt oder des Eschaton. Mit ihm ragt die ewige, göttliche Welt in die empirische Wirklichkeit hinein. Dabei liegt der Ton durchaus auf der Vergegenwärtigung des Heils im Kultus. In ihm wird das ständige Wohnen Gottes im Heiligtum zum Bewußt-

86

V. Die Kulthandlungen

sein gebracht. In der priesterlichen Kultreligion ist das Gottesverhältnis mehr statisch-sakramental und zeitlos als geschichtlich gefaßt. Im Ritus wiederholen sich die grundlegenden Heilstaten immer aufs neue; sie sind in ihm präsent. Ein personhaftes Geschehen, wirkliche Geschichte im Verhältnis zwischen Gott und Volk liegt diesem Denken fern. Aus dieser Antithese ist die Behauptung des Arnos und Jeremias zu verstehen, die Wüstenzeit habe keine Opfer gekannt. So wie Arnos das Verhältnis zwischen Jahwe und Israel sah, war es in der Tat auch ohne Opferkult möglich. Wenn er auch rein historisch gesehen nicht im Recht war, da Israel in der Mose- und Wüstenzeit zweifellos Jahwe geopfert hatte, so hatte er das innerste Wesen der mosaischen Jahwereligion insofern richtig erfaßt, als sie das Verhältnis von Gott und Volk in dem gleichen Sinne verstand wie er. Auch in der Mosezeit ist Jahwe ein persönlich in der Geschichte handelnder Gott, dessen Herrschaftsbereich sich auf das ganze, vornehmlich auf das sittlich-soziale Leben des Volkes erstreckt. Der Kultus war auch in ihr kein spezifischer oder zentraler Ausdruck der Jahwereligion. Ein Gottesdienst wie in der Königszeit — und nur ihn und nicht den Kultus überhaupt hat Arnos im Auge — war tatsächlich mit der mosaischen Jahwereligion unvereinbar. Um historische Genauigkeit haben sich die Propheten genausowenig gekümmert wie die priesterlichen, deuteronomischen oder chronistischen Bearbeiter der Tradition. Aus der Überzeugung heraus, daß Jahwe, wie er sich ihm offenbart hatte, der gleiche Gott ist, der Israel aus Ägypten geführt hatte, erkennt Arnos nur die Traditionen an, die mit dem ihm vertrauten Willen Jahwes übereinstimmen 1 . E r prüft die Überlieferung am Maßstab der ihm zuteil gewordenen Offenbarung und leugnet von da aus die Existenz des Opfers in der Anfangs- und Idealzeit der Jahwereligion. Arnos erwartet natürlich, daß das Volk mit ihm darin übereinstimmen werde, denn es sollte ja den Willen Jahwes kennen. Es ist sicher anzunehmen, daß die Antwort des Volkes auf die Frage Am 5 25 ein glattes J a gewesen wäre. Das ändert jedoch nichts an der Überzeugung des Arnos. Wir haben also hier mit dem nicht seltenen Fall zu tun, daß die Propheten an die nach ihrer Überzeugung dem ganzen Volke gemeinsamen, elementaren Glaubensvorstellungen der Jahwereligion appellieren und dann feststellen müssen, daß diese gar nicht mehr im Volk lebendig sind, vielmehr als neu empfunden werden. Es ist für die Propheten geradezu charakteristisch, daß sie nichts Neues bringen wollen, sondern nur den alten, längst bekannten Willen Gottes verkündigen, und doch wird dieses Alte in ihrer Bot1 Vgl. MOWINCKEL, Die Erkenntnis Gottes bei den alttestamentlichen Propheten, N T T 42, 1941, S. 32, 35.

2. Amos

87

schaft zu etwas Neuem1. Die Tatsache, daß das Volk sich soweit vom wahren Jahweglauben entfernt hat, daß es gar keine gemeinsame Glaubensgrundlage und Begrifflichkeit mit den Propheten mehr besitzt, gehört zu ihren schmerzlichsten und erschütterndsten Erfahrungen. Sie führt schließlich zu der Überzeugung, daß das empirische Israel nur noch das Gericht verdient hat. Nach dem Gesagten kann also m. E. kein Zweifel daran bestehen, daß Arnos den zeitgenössischen Kultus per se ablehnte2. Die letzte Amosstelle, die noch in diesem Zusammenhang untersucht werden muß, ist Am 5 26-27. v. 26 gehört zu den meist umstrittenen Stellen im AT. Von den zahlreichen Konjekturen und Deutungen dieses Verses scheint mir die futurische 3 , entsprechend dem folgenden in v. 27 (vgl. G.-K. § 112x), Übersetzung des perf. cons. die richtige zu sein. Gegen die präteritale Übersetzung wird mit Recht geltend gemacht: 1. Sprachliche Bedenken gegen eine Fortsetzung gegensätzlicher Art von Dflttfan in v. 25. 2. Der Vorwurf des Götzendienstes paßt nicht als Beweis für die Verurteilung des Jahwe dargebrachten Kultes — denn darum geht es in Am 6 21-25. Außerdem ist sonst bei Arnos die Polemik gegen die Verehrung fremder Götter nicht belegt. 3. Die präteritale Auffassung stützt sich auf die falsche Betonung des in v. 25. Sind diese Bedenken gegen die präteritale Übersetzung, wie sie z. B. MARTI und NOWACK aus sprachlichen und sachlichen Gründen geltend machen, sehr schwerwiegend, so lassen sich die Einwände gegen die futurische Deutung m. E . leicht beheben. Die Streichung der vv. 26 und 27 (so MARTI und NOWACK) ist nicht notwendig. Wenn ich auch die Umstellung des v. 25 hinter v. 23 und die Deutung von v. 24 als Anfang des Drohwortes (so SELLIN und WEISER) nicht als richtig ansehe, so glaube ich, daß SELLINS Konjektur-Vorschlag für den v. 26 richtig ist. Er faßt v. 26 als Drohwort auf 4 und übersetzt DnNtWI »Ihr werdet hinweggetragen« (vgl. Am 4 2). Das folgende AN übersetzt SELLIN als »mit«. Ferner ist mit SELLIN n?D (G.) = »Hütte« zu lesen. Als Bezeichnung für die geschwächte (iTS = ) Dynastie (so auch Am 7 9) wäre es im Hebräischen nicht ungewöhnlich. |V5 ist genauso wie die Umpunktierung von n?D zu lVDO — nach Slptf — die Ergänzung eines späteren Lesers, der aus I I Reg 17 30 wußte, daß die Samaritaner Ninib — Saturn verehrten 6 . Vom Eindringen assyrisch-babylonischer Kulte zur Zeit des Arnos wissen wir nichts, es ist auch nicht wahrscheinlich. Ebenfalls wäre das 3D13 als erklärende Glosse zu streichen. Dann bliebe ein Doppeldreier übrig: DD1? DlVfrS? "IffK O D ^ i r n K I D ? ? 1 ? ? F l ? ? " ™ D1W1V Unter

1

3

Vgl.

lichkeiten 4

MOWINCKEL

a. a. O.

S. 9.

2

Vgl.

MAAG a. a. O .

S.

225ff.

Siehe die ausführliche Zusammenstellung der in Frage kommenden Mögbei

MARTI

So auch

und

bei

SELLIN.

GRESSMANN, W E I S E R , ROBINSON.

5

Beide

Götternamen

Sakkut und Kaivan kommen nebeneinander in assyrischen Texten vor.

88

V. Die Kulthandlungen wäre dann das »Kalb« von Bethel I Reg 12 28 zu verstehen, worauf die

Nennung des Königshauses hinweist. Beiden, dem Königshaus und dem von ihm eingeführten Stierkult — der j a Jahwekult sein will — wird die Verbannung und damit der Untergang angedroht 1 . Durch diese Deutung entgeht man gut den Hauptschwierigkeiten, die sonst bei der futurischen Übersetzung entstehen: 1. die Sieger und nicht die Besiegten pflegen die erbeuteten Götterbilder fortzutragen; 2. die bei Arnos ungewöhnliche und in den Zusammenhang nicht passende E r wähnung der Fremdkulte. Ob in v. 26 eine Anspielung auf kultische Festprozessionen vorliegt, bleibt fraglich 2 . v. 27 ist Fortsetzung der Drohung. Jahwe erscheint nun selbst als handelndes Subjekt. Zu streichen ist nur TI>H: und . Der Ort der Verbannung ist absichtlich sehr allgemein angegeben.

Hinter dem im Untergang befindlichen Aramäerreich steigt die größere Gefahr, das Assyrerreich, auf. E s bleibt noch der Zusammenhang des Drohwortes Am 5 26-27 mit dem Vorhergehenden näher zu bestimmen. Da ich die Umstellung des v. 25 aus oben dargelegten Gründen nicht für richtig halte, sehe ich diesen Zusammenhang als einen sehr losen an. Mit der Frage in v. 25 überläßt Arnos seinen Hörern die weiteren Folgerungen für ihr kultisches Treiben. Abrupt und jede weitere Beweisführung abbrechend, wirft er ihnen als die letzte Antwort Jahwes auf den ihm widerlichen Kultbetrieb einen Unheilsspruch entgegen. 3. Hosea Hos 6 6 zeigt gegenüber dem ähnlichen Amosspruch (Am 5 21 ff.) eine gewisse Abschwächung des Ausdrucks. Brach bei Arnos der Unwille Jahwes über den israelitischen Kultus in leidenschaftlichen Ausdrücken wie »ich hasse, ich kann nicht ertragen, hinweg« usw. aus, so heißt es hier nur »ich habe kein Gefallen«. Der Ton liegt dabei mehr auf der positiven Forderung von Ton und nrn'Vx nsn. Immerhin hat das ]!3 vor ni"?j? privativen und nicht comparativen Sinn, was das parallele üb in der ersten Vershälfte fordert 3 . E s werden hier also klar 1 Ganz ähnlich wie SELLIN legt auch WEISER diese Stelle aus, nur liest er DSSVö rnSDÖ und DSV nrrto? "itfX n , l?!?S n i o - was doch tiefere Eingriffe in den

Konsonantentext erforderlich macht. 3

So

MARTI,

SELLIN,

NOWACK,

2

TH. H.

ROBINSON,

Siehe S. 25 f.

WEISER

U.

a.

Dagegen

LATTEY, The Prophets and Sacrifice S. 160; OESTERLEY, Sacrifices S. 199; J . A. COLERAN, The Prophets and Sacrifice, T h S t . 6, 1944, S. 427 verstehen es als comparativum und übersetzen »more than, rather than« = mehr als. Sie schließen daraus auf das in der ersten Vershälfte zurück und übersetzen es als relative Negation. Dieses Verfahren ist gerade bei einem mündlich vorgetragenen Prophetenspruch unhaltbar.

3. Hosea

89

ton und D^n^K rsn dem gemeinschaftlichen Mahlopfer na.T, bei dem der communio-Gedanke bestimmend ist, und dem Brandopfer nV», worunter im Unterschied zu n?T ein Ganzopfer gemeint ist, gegenübergestellt. Die Hauptschwierigkeit unserer Stelle liegt in ihrer Kürze und in der Unsicherheit über die Situation, in der dieses Wort gesprochen wurde. Die voraufgehenden Verse sind sowohl hinsichtlich ihres sachlichen Zusammenhangs als auch hinsichtlich ihrer Textgestalt reichlich umstritten. I m wesentlichen kann die von A. ALT1 vorgeschlagene und mit einigen Abweichungen von vielen Forschern akzeptierte 2 Lösung als die richtige angesehen werden. Demnach ist die genannte Perikope aus der Situation des syrisch-ephraimitischen Krieges zu verstehen. Der Prophet steht über den beiden Parteien, aber nicht als ein objektiver Zuschauer (so SELLIN), sondern er betrachtet sie gemeinsam sub specie dei. Er hält ihnen ihre Sünde vor. Daher gilt beiden die gleiche Tora (Hes 6 4-6). Die Perikope zerfällt in mehrere kleinere Einheiten, die aber sachlich miteinander verbunden sind: 5 8-io. n-14 5 15— 6 6. Der geschichtliche Anlaß ist die Notlage, in der sich das Nordreich befindet, als Assur nach der Eroberung von Damaskus zum letzten Schlag gegen es ausholt, andererseits aber Juda seine Grenzgebiete überfällt (Hos 5s-io). Vielleicht deuten die vv. 10-14 auf die bereits erfolgte Kapitulation gegenüber Assur und ihre Folgen hin (so WEISER Z. St.).. Es ist nicht richtig, Hos 6 1-6 als eine zeitlose, aus dem Kultus übernommene Liturgie zu betrachten, denn darüber, daß solche Jahweworte wie Hos 6 4-6 im Munde eines Kultpropheten und erst recht in einer Agende undenkbar sind, besteht nach allem, was wir über die Kult- und Volksfrömmigkeit wissen, kein Zweifel. Daher liegt m. E. in Hos 6 i-6 nicht ein Teil der Liturgie aus dem Kult der sterbenden und auferstehenden Gottheit vor 3 , sondern in 61-3 werden liturgische Wendungen aus einer kultischen Büß- und Trauerversammlung anläßlich der jetzt einbrechenden nationalen Katastrophe angeführt, denen — ebenfalls nach liturgischem Schema — ein Gotteswort folgt (Hos 6 4-e). Dieses Wort geht offenbar nicht auf ein agendarisches Vorbild zurück, sondern ist direkt von Jahwe eingegeben, 1

A. ALT, Hosea 5 8 - 6 E , N K Z 1919, S. 6 3 7 - 6 8 .

2

S E L L I N u n d HANS SCHMIDT ( S E L L I N - F e s t s c h r i f t , L e i p z i g 1 9 2 7 , S . 1 1 1 — 1 2 6 ) ,

nur sieht SCHMIDT in Hos 6 1-6 eine »Liturgie«, die überzeitlich ist und daher keiner Erklärung aus der Situation des syrisch-ephraimitischen Krieges bedarf; ähnlich WEISER, A T D z. St. BUDDE zerlegt Hos 5 8—6 6 in zwei Einheiten: 5 8-10 um 734, 6 LL — 6 E bald nach 738; TH. H. ROBINSON, Handbuch zum AT, zerlegt es in mehrere selbständige Einheiten. 3 So BAUDISSIN, Adonis und Esmun, 1911, S. 4 0 3 — 1 6 und H. G. MAY, T h e Fertility Cult in Hosea, A J S L 48, 1931/32, S. 7 3 — 9 8 .

90

V. Die Kulthandlungen

kann also nicht als Beweis dafür gelten, daß Hosea ein Kultprophet war. Haben wir in der Schriftprophetie auch literarisch gesehen nicht den Anfang, sondern den Höhepunkt des israelitischen Prophetentums vor uns 1 , so ist damit zurechnen, daß die gleichzeitigen Kultpropheten bereits stark an agendarische Verlautbarungen gebunden waren. Dagegen zeigen die Schriftpropheten eine große Unabhängigkeit von den gegebenen literarischen Vorbildern, nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form ihrer Verkündigung. Sie halten sich nicht an feste, gegebene Stilformen, sondern wandeln und kombinieren sie frei, je nach den Be-

dürfnissen des Augenblicks. Betonen BAUDISSIN, MAY und H. SCHMIDT

mit Recht, daß hinter dem Bußpsalm Hos 5 13—6 3 die naturhafte Gottesvorstellung der Baalreligion mit der als sterbende und auferstehende Gottheit personifizierten Naturkraft steht, so darf dabei nicht übersehen werden, daß Hosea gerade gegen diese Auffassung ankämpft. Er ist darüber empört, daß man das Wirken Jahwes in der Geschichte, das unmißverständlich zum Bösen für Israel gereicht, nach Analogie der Fruchtbarkeitskulte als vorübergehende Bedrohung und nur scheinbar tödliche Verwundung anzusehen wagt. Die Beziehung zu liturgischen Stücken aus dem Naturdienst ist bei Hosea also indirekter, polemischer Natur. Sein Interesse am Kult konzentriert sich im wesentlichen auf zwei Punkte: 1. Seine Adresse d. h. das Gottesverständnis der Kultfrömmigkeit; 2. Die Realisierung des Verständnisses von Gott und seiner Beziehung zur Welt — im Kult und in dem praktischen, geschichtlich-konkreten Verhalten des Volkes. Das heißt, Hosea hatte kein Interesse am Kultus an sich, sondern er beschäftigte ihn nur, weil in ihm das naturhaft mystische oder nationalistische Gottesverständnis, das in dem praktischen Verhalten des Volkes gegenüber dem in der Geschichte mit ihm handelnden Gott wirksam war, seinen deutlichsten Ausdruck fand. Die Theorie der Fruchtbarkeitskulte, d. h. ihre Mythologie und Kosmologie, läßt Hosea so gut wie unerwähnt; ihn bewegen nur die praktischen Auswirkungen. Der Bußpsalm Hos 61-3 ist vom Volk ernst gemeint. Unter dem Eindruck der hereinbrechenden Not wendet sich das Volk wirklich Jahwe zu. Es erkennt ihn als den einzigen Helfer, der retten kann, an; es sucht nach ihm und nach seiner Erkenntnis. Dennoch ist es nicht die bedingungslose Umkehr, die Jahwe verlangt. Sein Zorn ist ja nur vorübergehend, er kann letztlich sein Volk nicht ganz preisgeben ! Auf die nötigen Trauer- und Bußriten wird er sicher mit seiner Gnade und Hilfe antworten. Man verdeckt den wahren Zusammen1 Vgl. J . HEMPEL, Althebräische Literatur, 1930—34. H. zeigt das an Hand der Stilformen. Das Auftauchen der Lyrik in der Schriftprophetie lehrt, daß der Höhepunkt erreicht ist.

3. Hosea

91

hang, wenn man diese Bußstimmung des Volkes als die Frucht der bisherigen Verkündigung des Hosea deutet (so WEISER Z. St.). Dafür bietet der Text keine Handhabe. Vielmehr ist sie ganz aus der durch den kanaanisierten Jahwekult geprägten Volksfrömmigkeit zu verstehen. Darauf deuten die dem Naturkult entnommenen Wendungen in Hos 6 1-3 (NB"i, tfan, *pB und der Vergleich mit dem Regen) sowie die Parodierung dieser Wendungen in v. 4 b. nin? nsn in v. 3 ist also als terminus technicus dieser baalisierten Volksreligion und des Kultus zu verstehen. Das Volk »sucht« Jahwe und will ihn »erkennen«, aber eben in der Weise, wie man einen Naturgott sucht und erkennt, mit kultischen Riten und Opfern, die auf ihn zwangsläufig einwirken müssen. Es glaubt, daß es dadurch seine eigene Erneuerung und Wiederbelebung genau so bewirken kann, wie in den Naturkulten die Erneuerung der Natur durch entsprechende kultische Handlungen bewirkt wird (Analogie — Zauber). Demgegenüber fordert Jahwe ein ganz anderes Suchen und Erkennen (Hos 5 15 6 6). Inhaltlich braucht Hosea es nur anzudeuten, denn dieses Gebot müßte Israel zulänglich bekannt sein. Die alten Bundessatzungen und die durch sie geprägte alte Vätersitte, die rechte priesterliche Tora, und schließlich die durch die Propheten verkündigten Worte Jahwes haben es ausführlich genug über seinen Willen belehrt. Kurz ist diese Forderung Jahwes in Hos 6 6 in dem einen Wort 700, unter dem Hosea die beständige Huld und Liebe des Volkes zu seinem Gott versteht, zusammengefaßt (vgl. Hos 2 i6ff. löff.). Sie wird den vermeintlich primären kultischen Forderungen Gottes gegenübergestellt. Sieht man diese Antithese auf dem Hintergrund des ins Naturhafte verzerrten Jahwekults, so kann sie nur so verstanden werden, daß Hosea glaubte, in diesem könne die echte Liebe zu Gott gar nicht ihren adäquaten Ausdruck finden, er könne gar nicht mehr das Vehikel der rechten Gottesbeziehung sein. Das drückt ganz deutlich Hos 5 6f. aus. Der Abschnitt Hos 5 3-7 handelt von der verkehrten Gesinnung Israels, die Hosea als »Hurengeist« bezeichnet. Diese verkehrte Grundeinstellung kommt sowohl in den Taten, dem Stolz oder der Prunksucht (v. 4a und 5a) des Volkes als auch in seinem Gottesdienst zum Ausdruck. Hosea denkt dabei wohl speziell an kultische Prostitution (v. 3 u. 7), in der die eigentliche Unzucht, der Abfall von Jahwe und der daraus folgende Zerfall des ganzen sittlichen und gesellschaftlichen Lebens besonders deutlich zum Vorschein kommt. Dieser Geist hinderte das Volk, Jahwe wirklich zu erkennen und dieser Erkenntnis gemäß zu handeln (v. 4), denn er wirkte sich nicht nur im Gottesdienst aus, sondern beherrschte auch alle anderen Lebensbereiche. Wo man Gott naturhaft, als Personifikation der natürlichen Vitalität sah, da bestand die vornehmste Aufgabe des Kultus in ihrer Stärkung und Erhaltung, da

92

V. Die Kulthandlungen

wurde auch die Entfaltung dieser Lebendigkeit in allen übrigen Daseinsbereichen (Sitte, Recht, Politik) zur wichtigsten Lebensaufgabe des einzelnen und der Gemeinschaft. Diese personifizierte Naturkraft, durch sakrales Handeln gestärkt und zufriedengestellt, sollte dann wieder um so reicher auf das Volk und den einzelnen herabströmen. Nicht weil der Kult vom Alltagsleben isoliert wurde, sondern als Träger einer falschen Theologie und Anthropologie wird er von Jahwe verworfen. Die offensichtliche Vergiftung des Menschen und seiner Gemeinschaftsbeziehungen, die von diesem kanaanisierten Jahwekult ausging, hat Hosea zu dem Urteil geführt, daß er überhaupt dazu ungeeignet ist, der Ort der Begegnung zwischen Jahwe und seinem Volk zu sein. Die selbstverschuldete Unfähigkeit des Volkes zur Gemeinschaft mit Jahwe bezeichnet Hosea (5 3) mit dem kultischen terminus technicus XQp = unrein. Damit erfährt der kultische Begriff der Reinheit eine Erweiterung nach der ethisch-sittlichen Seite hin. Zwar umfaßt dieser Begriff auch im rein priesterlich-kultischen Sprachgebrauch gewisse ethische Eigenschaften — vor allem solche, die zur Erhaltung der Volks- und damit auch der Kultgemeinschaft notwendig sind — aber entscheidend bleibt doch die bloß rituell-kultische Seite 1 . Reinheit ist bei Hosea ein die ganze Lebenswirklichkeit des Menschen umfassender Begriff, bei dem der Schwerpunkt auf der sittlichen Seite liegt. Nennt doch Hosea (5 1-7) das Volk nicht wegen dieser oder jener kultischen Verfehlung unrein, sondern wegen seiner Verderbtheit (Hurengeist), man kann auch sagen wegen seiner verkehrten Grundeinstellung Gott gegenüber. Weil sich diese Haltung auch im falschen Kult auswirkt, verwendet Hosea zwar kultische Begriffe wie »Gott suchen, erkennen, rein und unrein«, aber in einem weiteren, umfassenden, modern aus1 Die ethisch-sittlichen Verfehlungen können mit ganz wenigen Ausnahmen durch entsprechende Opfer, Reinigungs- und Sühneriten, getilgt werden. Viel schwerer wiegen ernstliche kultische Vergehen, weil dadurch das Band zwischen Gott und Mensch, d. h. der Kultus, leicht zerrissen werden kann. Das ist aus den assyrisch-babylonischen, ägyptischen und hethitischen Kultgesetzen ganz klar ersichtlich. Vgl. H. SEEGER, Die Triebkräfte des religiösen Lebens in Israel und Babylon, 1923; J . HEMPEL, Das Ethos des AT, Z A W B 67, 1938, S. 19—23; G. WIDENGREN, The Accadian Psalms of Lamentation as religious Documents, Stockholm 1937, S. 145; A. ALT, Die Ursprünge des israelitischen Rechts, Sächs. Akad. 86, 1934. Wenn man in späteren Kultgesetzen und vor allem in den Psalmen eine Überordnung des Ethischen (Ps 15 2ff. 24 4) beobachten kann, so ist das ein spezifischer Zug der Jahwereligion, der auch bei den Propheten hervortritt. Nicht die Verknüpfung von Sittlichkeit und Kultus ist für die Jahwereligion typisch, sondern die immer stärker hervortretende Überordnung des Ethos und seine allmähliche Loslösung vom Kultus. Die Polemik der Propheten zeigt, daß diese Tendenz ständig von dem magisch-dynamistischen Verständnis des Kultus und seiner Vorschriften bedroht war.

3. Hosea

93

gedrückt existentiellen Sinne. Auf dem üblichen kultischen Wege ist Jahwe nicht zu finden (Hos 5 ß), dieser Weg führt vielmehr von ihm weg. Da Hosea genausowenig wie Arnos etwas über einen rechten Jahwedienst oder über eine Reform des bestehenden Kults sagt, bleibt nur die Auffassung der beiden Hoseastellen möglich, die in ihnen eine Verwerfung des israelitischen Opferkultus sieht. Hosea hat zwar nicht eine rein innerliche, kultlose Religion als allgemeingültige Forderung Jahwes verkündigt, aber er hat für seine Zeit die ungeheure Botschaft auszurichten, daß in der unmittelbaren Nähe des heiligen Gottes die totale Ausrichtung des ganzen Volkes nach seinem Willen das Primäre ist. Dem stand der Kultus im Wege, deshalb mußte er beiseite geschoben werden. Auch in 8 n - u verurteilt Hosea den ganzen Opferkult. Die Altäre, der wesentlichste Bestandteil jedes Heiligtums, sind zur Sünde geworden, d. h. der gesamte dort betriebene Kult ist Sünde (Hos 811.14). Wie vv. 5 und 6 zeigen, handelt es sich um kanaanisierten Jahwekult an dem Reichsheiligtum zu Bethel und den Lokalheiligtümern, wo zwar Jahwe verehrt wurde, aber nach der Art der kanaanäischen Lokal- und Fruchtbarkeitsgötter. Hosea spielt auf die frohen Opfermahle an, denen er aber jeden religiösen Charakter abspricht. Sie dienen lediglich der menschlichen Genußsucht. Er geht also darin noch über Arnos und seine eigenen, bisher behandelten Äußerungen hinaus. Im unmittelbaren Anschluß an dieses Wort kommt die Ankündigung des Gerichts. Im Kultus erreicht der Frevel Israels seinen Gipfel. Dabei kann sich das Volk durch Unwissenheit nicht entschuldigen, es hat ja die Tora Jahwes, die Bundessatzungen und die daraus fließende priesterliche Weisung sogar schriftlich, also jederzeit zugänglich vor sich. Die Priesterschaft sollte diese Tradition lebendig fortführen und neue Tora hervorbringen; sie war dazu nach dem Urteil Hoseas nicht mehr in der Lage, weil sie genau wie das Volk nicht mehr in dieser Tradition stand 1 . Sie bat Jahwe vergessen und sich statt dessen auf den kultischen Betrieb einseitig konzentriert und dabei die Traditionen der kanaanäischen Lokalheiligtümer und allerlei fremde Kultbräuche zum Gegenstand ihres Wissens gemacht, darüber aber ihre wichtigste Funktion, die Pflege der echten Tora, d. h. der religiös-ethischen Unterweisung, vernachlässigt. 1

Diese Unfähigkeit der Priester ist durch ihr Vergessen der HiTI? DS^ bedingt.

Hosea hat mit diesem Begriff einen konkreten Lehrinhalt verbunden, nämlich die Überlieferung der Heilstaten Jahwes und die Verkündigung des Bundesrechts. Sie sollten die Grundlage der priesterlichen Belehrung der Jahwe-Priesterschaft bilden. Zum Inhalt und zur Bedeutung von 57T* bei Hosea siehe H. W. W O L F F , Wissen um Gott bei Hosea als Urform von Theologie, Ev. Theol., 12. Jg, 11)62/63. V g l . W E I S E R u n d T H . R O B I N S O N a . a . O . z . S t . ; G . ÖSTBORN, T o r a i n t h e O T ,

1946. S. 140

Lund

94

V. Die Kulthandlungen

4. Jesaja In J e s 1 10-17 ist uns eine der ausführlichsten prophetischen Äußerungen über den Kult überliefert. Der Abschnitt bildet eine selbständige Einheit, die unabhängig sowohl von 11-9 als auch von 118-20 betrachtet werden muß. Seine Stellung hinter J e s 11-9 verdankt er den Stichworten Sodom und Gomorra, die jedoch in beiden Abschnitten verschiedenen Sinn haben. Hier ist das tertium comparationis die Sünde dieser Städte, dort ihre Zerstörung (so PROCKSCH, Jes. z. St.). Die Hervorhebung der freudigen Seite des Kultus (v. i3f.) und seiner imposanten Aufmachung spricht für die Datierung dieser Stelle aus der Frühzeit Jesajas vor 701 1 . Die Forderung in v. 17 bildet den organischen Abschluß. Da die vv. 18-20 sie in allgemeiner Form wiederholen (bes. vv. 19-20) und außer der Ermahnung zum Gehorsam nichts Neues zu vv. 11-17 hinzufügen, können sie hier außer Betracht bleiben. Die Gottesrede 111-17 ist textlich gut überliefert, nur v. 12a ist metrisch schwierig, weil er gegenüber den übrigen Versen zu kurz ist. Wahrscheinlich sind Teile des Verses ausgefallen 2 . Die ganze Rede ist an die Stadthäupter von Jerusalem 3 und an das Volk gerichtet. Bei der dominierenden Stellung Jerusalems gegenüber der Landschaft hatten die Stadthäupter natürlich auf die gesamte Staatsführung ausschlaggebenden Einfluß. Auffallend ist das Fehlen sowohl des Königs als auch der Priester. Der König ist nicht erwähnt, weil Jesaja hier nicht von der großen Staatspolitik spricht, sondern von der Rechtspflege, soweit sie vor allem den »kleinen Mann« betrifft (v. 17). Dabei trat nicht der König, sondern die Ältesten und die örtlichen Verwaltungsorgane hervor. Das Übergehen der Priester ist am ehesten daraus zu erklären, daß sie nach Jesajas Überzeugung ihre Aufgabe verfehlt und damit ihre Existenzberechtigung verwirkt haben (vgl. J e s 28 7ff.). An ihre Stelle tritt J e s a j a selbst und erteilt die rechte Weisung ( r n i n V . 10b). J e s a j a übernimmt also die wichtigste Aufgabe, die den Priestern Jahwes ursprünglich oblag, und die sie gänzlich vernachlässigt haben. Damit vereinigt er in seiner Verkündigung die priesterliche und prophetische Funktion. Beide stammen letztlich aus derselben Quelle, denn auch die priesterliche Tora hat die DebarimOffenbarungen zur Voraussetzung. Wem Jahwe sein Wort gegeben hat, der kann auch die legitime Tora erteilen. So will auch die Rede J e s 111-17 beides sein: Von Jahwe direkt empfangenes Wort, das zu1

Ausführliche

Begründung

siehe PROKSCH a. a. O. z. St.

Gegengründe

siehe HERNTRICH. A T D J e s . z. St. 2

3

E r g ä n z u n g s v o r s c h l ä g e siehe DUHM u n d PROCKSCH u n d B . H .

kommt von der Wurzel, 'Sj? = Richter = arabisch Kadi und ist nach

Analogie von Jes 3 61. 22 3 Mi 3 1 . 9 zu verstehen, könnte also mit »Bürgermeister, Amts vorsteh er« oder allgemeiner mit »Obrigkeit« wiedergegeben werden.

4. Jesaja

95

gleich die rechte Tora darstellt Beide Bestimmungen verhalten sich hier zueinander wie Angabe des Ursprungs und der Form. Genauer erinnern sie in ihrer Form an eine priesterliche Belehrung der Tempelbesucher über die Bedingungen, unter denen der Zutritt zum Heiligtum gestattet ist 2 , doch ist die Bezeichnung Liturgie insofern irreführend, als es sich nur um eine lose formale Anlehnung an eine solche handelt, da außer dem Inhalt auch die Form abweicht. Der »Sitz im Leben«, die kultische Situation der Eingangsbelehrung, ist nicht mehr erkennbar und hier auch gar nicht zu vermuten, da Jesaja kein Tempelprophet war 3 . Er paßt sich in der Form zu einem gewissen Grade den Priestern und Tempelpropheten an, um die Wirkung seines Wortes zu steigern und die Aufmerksamkeit der Tempelbesucher auf sich zu lenken. Vielleicht hat diese Verbindung von "ijn und r n i n in ähnlichen Verlautbarungen der Kultpropheten eine Parallele (vgl. Sach 7). Von dort entlehnt ist sie nicht, denn sie ist letztlich in der sachlichen Zuordnung von nan und rnin begründet und daher wesentlich älter als die israelitische Kultprophetie. Der Sinn dieser Tora ist freilich dem der üblichen priesterlichen insofern diametral entgegengesetzt, als hier die Hörer von dem kultischen Handeln weg auf ein anderes, sittliches Handeln verwiesen werden (v. i6f.). Nicht das Wie des Kultus, sondern sein Sinn steht hier zur Deabtte. v. n setzt als äußere Situation der Rede wohl eine Opferfeier, bei der auch die offiziellen Vertreter des Volkes ( D , r s p ) zugegen sind, voraus. Der Kult ist ja offizielle Angelegenheit. Zunächst wird die am häufigsten dargebrachte Opferart in Frage gestellt. Die Frage von v. 11a wird negativ bestimmt und beantwortet durch die sich steigernden Abweisungen im weiteren Verlauf der Rede 'FlSJa^ (v. l l ) ; 'FlXOn it1? (v. 12); WpiD

tf?;

Widder

•>!? (v. 13); VD1X N1?; ^DJ HX3D usw. Als Opfermaterialien werden Mastkälber (tCI!?), Farren p B ) , Schafe (BO?) 4 und Böcke Hin»),

also die wichtigsten Opfertiere genannt 6 . In v. 11b liegt der Nachdruck besonders auf deren Blut. Darin ist die Andeutung des mit der Blutapplikation verbundenen Sühneritus enthalten. Da Jahwe keinen Gefallen am Blut dieser Tiere hat ('flSDn iiV), so ist damit der Hauptzweck des Kultus, die Entsühnung und Versöhnung, verfehlt 6 . 1

Die Erteilung der Tora durch Jahwe selbst ist im AT häufig bezeugt. Dazu Tora S. 23—62. 2 So Ö S T B O R N , Tora S. 137 f. Er nennt Jes 111-17 tora-Liturgie, genauer 8 Eingangs-Tora (»entrance-tora«). Dagegen siehe Ö S T B O R N a. a. O. S. 138. 4 Die Streichung von in v. 11b empfiehlt sich aus metrischen Gründen

siehe

ÖSTBORN,

6 nicht, trotz des Fehlens in G. Vgl. Gen 16 9ff. Abrahams Bundesopfer. 4 Siehe H E R T Z B E R G , Die prophetische Kritik am Kult, ThLZ, 7 6 . Jg., 1 9 6 0 , S. 224.

Y. Die Kulthandlungen

96

v. 11 erinnert stark an Am 5 2iff., von dem er auch wohl abhängig ist. Hier wie dort wird der Kultus als Basis der Gemeinschaft zwischen Gott und Volk abgelehnt. Mit der Frage von v. n a ist die Herkunft dieser Opferbräuche aus der Offenbarung Jahwes indirekt negiert, genau wie Am 5 25. Es muß also eine prophetische Überlieferung von der Herkunft des israelitischen Kultus gegeben haben, die ihn nicht aus der Offenbarung Jahwes ableitete. Sachlich hätte diese von den Schriftpropheten übernommene und gepflegte Tradition ja durchaus Recht, denn neue Opferarten hat die Jahwereligion weder in der Mosezeit noch in der folgenden Epoche hervorgebracht. Vielmehr waren sie seit jeher vorhanden und stellten das Material dar, das der Jahweglaube erst in seinem Sinne zu gestalten hatte. Dies ist ihm erst in nachexilischer Zeit voll gelungen, als man das Opfer nur noch als Gehorsamsübung ansah. V. 12 ist statt , 3S niN'V?—inf.cstr. Niph. mit

(G. 6 c h k e. Die Stellung der vocexilischen Schxiftpzopheten zum Kultus

7

98

V. Die Kulthandlungen

durch Verzicht auf das übliche Ränke- und Intrigenspiel und durch Vertrauen auf Jahwes Hilfe, in der Rechtsprechung durch das Eintreten für die Bedrängten und Schwachen, im Wirtschaftlich-Sozialen durch Einfachheit und Zucht und ein Sich-Fern-Halten von Ausländerei und Prunksucht. Diese Forderungen kommen nicht etwa zu anderen kultischen Forderungen hinzu, sondern sind seit alters her die Bedingungen schlechthin für das Weiterbestehen des Bundes. In ihnen und nicht im kultischen Handeln äußert sich die Intaktheit des Bundes. Jesaja verfolgt durchaus das zentrale Anliegen der mosaischen Jahwereligion, wenn er die Durchsetzung des sittlichen Willens Jahwes in der gesamten Lebenswirklichkeit des Volkes als seine ausschließliche Forderung verkündet. In der alten Zeit mag man diese Forderung mit dem Kult so verbunden haben, daß man eine bestimmte Lebenshaltung oder Beschaffenheit des Charakters zu primären Bedingungen für die Beziehung des Volkes zu Gott und damit auch für die Teilnahme des einzelnen am Kult erhob. Damit ist der Kult bereits relativiert und verliert die beherrschende Stellung, die er in anderen antiken Religionen besaß. Er wird zu einer Ausdrucksform der Gottesbeziehung neben anderen. In der Jahwereligion ist er seiner Intention nach nicht Zentrum und Träger des Lebens, das er »prototypisch«, d. h. im schöpferischen Drama, vorbildet, sondern ein Akt des Bekenntnisses, des Gehorsams und der Dankbarkeit gegenüber dem persönlichen Schöpfer und Geber des Lebens und seiner Güter. Diese Intention wurde freilich oft genug durch magisch-naturhafte Vorstellungen verdeckt, eine Verfälschung, gegen die sich Jesaja, wie die Kultpolemik der Propheten überhaupt, wendet 1 . TSitt (v. 14) bedeutet ursprünglich »Begegnung«, verabredeter oder festgesetzter »Zeitpunkt«. Es kann profane Versammlung (Num 16 2) und ausgerufene Festversammlung (Thr 1 15 2 7. 22 Hos 9 5) bezeichnen. Hier fordert der Zusammenhang die letztgenannte Bedeutung. Die Neumondfeste und Festversammlungen überhaupt haßt Jahwe, sie sind ihm zur Last (rnb^) geworden, die zu ertragen er müde ist (n§tV). v. 15 wird ein weiterer Bestandteil des Kultus aufgezählt — das kultische Gebet, nicht das Gebet überhaupt. In der üblichen Gebetshaltung mit emporgestreckten Händen und nach oben hin ausgebreiteten, zum Empfang bereiten Handflächen — zugleich Geste der Ergebung — ruft das Volk Jahwe an, aber Jahwe schließt seine Augen vor ihm. Auf das inständige, anhaltende Gebet des Volkes hört er nicht. ilVpn war wohl ursprünglich Anrufung der göttlichen Entscheidung (vgl. Jes 16 3 n^V?; 28 7 r r » s und I Sam 2 25 VVB = ent1

PEDERSEN, Canaanite and Israelite Cultus, Acta Orientalia, 18, 1939.

99

4. Jesaja

scheiden) bei der Orakeleinholung. Das Gebet der Kultgemeinde wird nicht etwa wegen seines entseelten Inhalts oder wegen Mangels an Innigkeit auf Seiten der Beter (so PROCKSCH Z. St.), sondern wegen der Bundbrüchigkeit des Volkes, die in seiner schlechten sittlichen Beschaffenheit sichtbar wird, verworfen. Weil das Volk sich durch seinen Lebenswandel von Jahwe geschieden hat, kann es auch im Gebet keine Beziehung zu ihm mehr finden (so H E R N T R I C H Z. St.). Das Opferblut, das noch an diesen zum Beten erhobenen Händen klebt, erinnert Jahwe an die Blutschuld, die die Betenden durch Gewalttat auf sich geladen haben. Mit v. 16 beginnen die positiven Forderungen Jahwes, v. i6f. bildet also ein positives Gegenstück zu v. l i - u . Wurden die kultischen Handlungen als selbstgewählter, von Jahwe nicht geforderter Dienst bezeichnet, so werden hier die wichtigsten Bedingungen aufgezählt, unter denen das Volk eines Umgangs mit Jahwe fähig sein kann. Die kultischen termini, deren Jesaja sich teilweise bedient, werden aus ihrem ursprünglichen, rein kultischen Zusammenhang losgelöst und erhalten einen neuen, umfassenden, ethischen Inhalt, ein Vorgang, den wir bereits bei Hosea beobachten konnten. Zeigt Jesaja ein stärkeres Interesse für den Kultus als die übrigen vorexilischen Schriftpropheten, so ist das die Folge seines Berufungserlebnisses und seiner Zionstheologie, die ihn in einem viel stärkeren Maße kultische Begriffe zur Umschreibung des rechten Verhältnisses zwischen Gott und Volk heranziehen, sie jedoch in die Sphäre des Geschichtlichen und Ethischen transponieren läßt. Aus kultischen werden ihm anthropologisch-ethische Beziehungsbegriffe. Sie sind zugleich theologische Begriffe, weil sie in dem Wesen und vor allem in dem Willen Gottes begründet sind. In ihnen wird die ganze Weite der Lebenswirklichkeit in eine unmittelbare Beziehung zu Gott gebracht, während sie im priesterlichen Sprachgebrauch auf die rein kultische Sphäre beschränkt, und alle anderen Lebensbereiche nur mittelbar auf Gott hin ausgerichtet werden 1 . Wie der folgende Vers zeigt, sind die Wendungen

»waschen« (ISHD und

»reinigen« (IDjri) 2 bildlich zu verstehen. Mit ihnen ist die sittliche Läuterung des Volkes gemeint. Diese besteht in der Entfernung der Schuld. E s liegt hier also die gleiche bildhafte Verwendung der kultischen termini wie in Jes 6 5-7 vor.

vv. 16b und 17a gehören metrisch und sachlich zusammen. Von hier aus ist das Waschen und Reinigen von v. ica inhaltlich zu bestimmen. Ablassen vom Bösen und Lernen, Gutes zu tun, umschreiben 1 Vgl. den Begriff der Heiligkeit bei Jesaja. Vgl. J . HÄNEL, Die Religion der Heiligkeit, 1931, S. 8 - 1 1 , 86 f. 2

O t ! J = 2. Pers. PI. Hithp. = 1 3 1 { n von n3T; vgl. G.K. 2 8 § 54d. 7*

100

V. Die Kulthandlungen

zusammen die prophetische Grundforderung der Umkehr zu Jahwe 1 . Sie besteht in der Befolgung seines Willens, der aus den Rechtsentscheidungen, in denen sich die göttlichen Rechtsnormen konkretisieren, ersichtlich ist. Die vornehmste Aufgabe der Rechtsprechung ist, dem Bedrängten 2 zu seinem Recht zu verhelfen3. Jesaja denkt also nicht an ein abstraktes Gesetz, sondern an den gerechten Ausgleich der sich aus den konkreten Gemeinschaftsverhältnissen des Bundesvolkes ergebenden gegenseitigen Rechte und Pflichten. Das Recht hat eine aufbauende, die Gemeinschaft fördernde Aufgabe. Damit sagt Jesaja nichts Neues, sondern greift auf die alten israelitischen Traditionen, die gerade diese Seite der Rechtsprechung so sehr betonen, zurück. Die Fürsorge für die Waisen und Witwen ist seit jeher ein besonderes Anliegen Jahwes. Er tritt für die Hilflosen ein, deshalb hat auch sein erwähltes Volk die Liebe und den Gehorsam zu ihm an diesen seinen Schutzbefohlenen zu bewähren. Das Recht und die Sittlichkeit sind in der Jahwereligion theologisch begründet. Es handelt sich also in diesem Jesajawort (Jes 110-17) um die Aufdeckung der Sünde des Volkes, die gerade in seinem Kult sichtbar wird. An dem Ort, an dem es Jahwe am nächsten zu sein glaubt, im Jerusalemer Tempel, wird deutlich, wie fern es in Wirklichkeit von ihm ist. Jesaja spielt also nicht Recht gegen Kultus aus (so PROCKSCH), vielmehr wird Jahwes Herrschaftsanspruch auf das ganze Leben einer falschen, einseitigen Einschränkung dieses Anspruchs auf den Bereich des Kultus entgegengesetzt. Weil der Kult zudem gar nicht dem Willen Jahwes entspricht, ist er sinnlos. Nach Jesajas Überzeugung ist er keine aus der Urzeit stammende, geschichtslose Institution, die den Zugang zu Gott garantiert und Gott der Verfügungsgewalt des Menschen ausliefert, er ist keine Zusicherung der göttlichen Gnade. Dementsprechend kann auch die menschliche Existenz nicht im Kult ihre Kraftquelle haben, von der sie durch regelmäßigen Vollzug desselben gespeist und erneuert würde, so wie das in den Naturreligionen der Fall ist. Vielmehr sieht Jesaja, genau wie die übrigen vorexilischen Schriftpropheten, das Wesen der Existenz des Bundesvolkes darin, daß es sich unmittelbar vor Gott gestellt weiß. Dieser Gott hat es zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt zu seinem Volk erwählt. Er handelt mit ihm in geschichtlichen Akten, und dieses Handeln ist nach dem Bilde eines menschlichen Ich-Du-Verhältnisses gedacht. Im Wesen dieses personhaften Ver1 2 8

= »geradeausgehen, schreiten«. In v. 17b ist Siön statt

SlÖp zu lesen.

BDttf mit Akkusativ hat den gleichen Sinn wie

sache zugunsten der Witwen und Waisen«.

= »Führung der Rechts-

4. Jesaja

101

hältnisses liegt es, daß das Handeln beider Partner von Bedeutung ist und daß sich daraus verschiedene Möglichkeiten ergeben. Sowohl Jesaja als auch die übrigen vorexilischen Schriftpropheten verkündigen die bevorstehende Realisierung der negativen Möglichkeit, des Gerichts und der Verwerfung, über der aber der Glaube an die wunderbare Wiederherstellung des Volkes und Neusetzung des Bundes als letzte, doch nicht mehr innergeschichtlich-menschliche, sondern göttliche Möglichkeit steht. Das Bindeglied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist eben nicht die zeit- und geschichtslose, göttlich gestiftete Institution, sondern die Kontinuierlichkeit des Gnadenwillens Jahwes. Dementsprechend ist auch der Kultus als Ausdrucksmittel des geschichtlich-personhaften Ich-Du-Verhältnisses zwischen Gott und Mensch dem geschichtlichen Ablauf dieses Verhältnisses unterworfen. Ist es durch Unglauben und Sünde gestört, so kann es nicht allein durch kultisches Handeln aufrechterhalten oder wiederhergestellt werden. Der Kultus ist dann ebenfalls nur ein Ausdruck der widergöttlichen Haltung des Volkes. Er besitzt keinen objektiven, von den anderen Lebensbereichen unabhängigen Wert. Für die Gegenwart gab es nach der Überzeugung der Propheten nur eine Möglichkeit der Rettung: die totale, das innere und äußere Wesen umgestaltende Umkehr. Sie mußte sich vor allem auf dem Gebiet vollziehen, das seit jeher der wichtigste Schauplatz des göttlichen Handelns war, auf dem Gebiet der Geschichte, im Großen als Volksgeschichte und im Kleinen als persönlicher Lebenswandel des einzelnen. Weil Jahwe ein sittlich-personhaft handelnder Gott war, deshalb mußte auch das rechte Verhältnis zu ihm vor allem in den Beziehungen der Menschen zueinander bewährt werden. Der israelitische Kultus, so wie er zu Zeiten der Schriftpropheten war, mit seinen naturhaft-mystischen, dynamistischen Tendenzen, verdunkelte das Wesen dieser personhaften Beziehung zwischen Gott und Mensch. Das große Mißverständnis der Naturreligionen haftete seit jeher zu unlösbar an ihm. Das sakrale Handeln konnte zu leicht als Hantieren mit unpersönlicher heiliger Kraft oder Macht verstanden werden. Davon war auch das kultische Gebet nicht ausgenommen. Die Verwerfung des Kultus durch die vorexilischen Schriftpropheten — auch durch Jesaja — geht über die Verurteilung besonderer Mißstände weit hinaus, sie trifft ihn als solchen. Dem widerspricht die große Bedeutung Zions für das Zukunftsbild Jesajas nicht, denn sie ist nicht etwa durch den dort dargebrachten Kult oder die dinghafte Heiligkeit des Tempels gegeben, sondern durch das Festhalten Jahwes an seinem einmal gefaßten Ratschluß. Diese Bedeutung legt Jesaja dem Zion nicht als der empirischen Kultstätte bei, sondern als dem Zeichen des Heilsplanes Jahwes, der auch durch dessen Gerichtshandeln nicht aufgehoben wird, ein Urteil, in dem Jesaja mit

102

Y . Die Kulthandlungen

den anderen vorexilischen Propheten im wesentlichen konform geht. Das bestätigen Äußerungen wie Jes 29 I3f. Hier wird im Unterschied zu J e s 1 n-17 zunächst die verkehrte Einstellung des Volkes bei der Verrichtung kultischer Handlungen getadelt 1 . Wenn es aber in v. 13b heißt, daß die Gottesfurcht des Volkes nur angelerntes Menschengebot ist, so wird damit der ganze Kultus als menschliche Einrichtung und deshalb als nichtig erklärt 2 . Die Gottesfurcht (DriN^) ist umfassende Bezeichnung für den Kultus samt den dazugehörenden Verhaltungsregeln. Jesaja beanstandet nicht nur die subjektive Einstellung des Volkes bei der Erfüllung kultischer Gebote, sondern diese Gebote selbst. Eine Sonderstellung Jesajas unter den vorexilischen Schriftpropheten in der Beurteilung des Kultus kann bei näherem Zusehen doch nur in sehr beschränktem Maße behauptet werden. Das wird schon an seinem Berufungserlebnis deutlich. Seine Gottesbegegnung vollzieht sich im kultischen Rahmen, der an das irdische Vorbild der Jerusalemer Tempelliturgie erinnert. Allerdings spielt das Wort dabei die wichtigste Rolle, sowohl das Sündenbekenntnis des Propheten als auch das Wort der Vergebung, das der Seraph, der als himmlischer Priester fungiert, spricht. Das kultische Vorbild, das Jesaja dabei vorgeschwebt haben mag, ist auf alle Fälle stark reduziert. Er erwähnt weder Schuld- noch Sühneopfer, die bei ähnlichen Gelegenheiten, wie die in Jes 6 vorausgesetzte, im Tempel dargebracht wurden, noch andere Riten wie Lustrationen, Reinigungsriten, Gelübde-, Dankopfer u. a., die doch sicher zu einem solchen Ritual gehörten. Der Altar wird nur ganz nebenbei erwähnt. Ähnlich verhält es sich mit Jes 2 2-5. Dort wird von Belehrung der Völker, von ihrer Unterwerfung unter den Willen Jahwes und von der Aufrichtung des Friedensreiches gesprochen, jedoch nicht vom Kultus. In Jes 4 2-e wird Jahwes schützende Gegenwart in der Gestalt der Flammen- und Feuersäule über dem Zionsberg und über der Versammlung (v. 5 iTHnpö) verheißen. Damit sind sicher Festversammlungen gemeint, doch läßt sich über ihre Art aus dieser Stelle nichts entnehmen. Gerade die Erwähnung der Flammen- und Feuersäule greift bewußt auf die Wüstentradition zurück und spricht zugleich gegen die für den Kult maßgebende Vorstellung vom Wohnen Jahwes im Tempel. Gegen Jesajas antikultische Polemik kann die hohe 1 VD3 ßfal = »nahen mit dem Munde« bezieht sich wohl eher auf das Küssen der heiligen Stätte oder ihrer Schwelle beim Betreten des Tempels als auf Gebete, vgl. P R O C K S C H . Dagegen bezieht sich das folgende Wortpaar auf Gebete. 2 Ich halte diese Auffassung von VOLZ, Prophetengestalten des AT, 1938, S . 192f. und H Ö L S C H E R , Die Propheten, 1914, S. 247, für richtiger als die Vermutung von P R O C K S C H , J e s a j a meine hier den Grundstock des Deuteronomiums.

5. Zephanja

103

Bedeutung desZion nicht ausgespielt werden, weil dieser das vorerst nur dem Glauben sichtbare Zeichen der Herrschaft Jahwes über die Welt darstellt, das erst in der Endzeit als ein solches allen offenbar wird. Als heilige Stätte des empirischen Israel ist er von der Sünde befleckt. Der wichtigste Bestandteil des israelitischen Kultus, das Opfer, wird bei der Erwähnung des Zion und seiner Bedeutung in der Heilszeit nicht genannt 1 . Das, was an Riten in der Heilszeit übrig bleibt, würde sicher kein Zeitgenosse Jesajas als Kultus bezeichnet haben. E s sind durchweg solche gottesdienstlichen Handlungen, die keinen Eigenwert besitzen und auch keine eigenständige theologische Deutung in sich selbst tragen, sondern ganz von ihrem jeweiligen konkreten Inhalt her bestimmt werden. Sie sind deshalb besonders dazu geeignet, Ausdrucksmittel des Jahweglaubens zu sein. Dem Opfer hingegen und den mit ihm zusammenhängenden Riten eignet immer ein Hang zur Objektivität, die im Vollzug das Wesentlichste sieht und von der Einstellung des Subjekts absehen kann. Deshalb wird die Wiederherstellung des Kultus in der Heilszeit von den Propheten nirgends in Aussicht genommen. 5. Zephanja Zeph 1 4-6 läßt die Frage offen, ob es sich um Fremdkulte oder um Jahwe Verehrung in kanaanäischer Form handelt 2 . Doch liegt, von dem bekannten Synkretismus der späteren Königszeit aus gesehen, beides dicht beieinander. Zeph 1 4-6 zeigt die weite Verbreitung der Gestirnkulte nicht nur in Jerusalem, sondern auch in ganz Juda 3 . Zephanja sieht darin mit Recht den Abfall von Jahwe. Auch die »politischen Notwendigkeiten« (Assyrerherrschaft), die zu ihrer Einführung und Verbreitung führten, vermögen nicht sein Urteil zu mildern. Interessant ist die Erwähnung der Verehrung der ammonitischen Staatsgottheit Milkom. Sie zeigt, daß man nicht nur die Götter der assyrischen Großmacht, sondern auch die benachbarter assyrischer Vasallen in das Pantheon aufnahm. 1 Die Wiederherstellung des Opferkults wird von den vorexilischen Schriftpropheten für die Heilszeit nicht in Aussicht gestellt. Jes 1 9 19 stammt nicht von Jesaja. 2 Vgl. E L L I G E R (ATD 12 Kl. Propheten II z. St.); ferner N O W A C K , M A R T I u. a. 3 Fraglich bleibt die Lesart und Übersetzung von Zeph 15b, Ü'Mttfän ist

auf alle Fälle zu streichen.

MARTI

und

ELLIGER

lesen statt nifT, n~P, dann wäre

hier ausschließlich v o m Astralkult die Rede. Dagegen vgl. N O W A C K . A m Ende des Verses ist statt mit verschiedenen Handschriften der L X X , Syr. u. Vulg. 0 3 ^ 2 3 3 zu lesen.

104

Y . Die Kulthandlungen

Zeph 1 9 richtet sich gegen die ausländische Sitte, nicht auf die Schwelle des Tempels (vgl. I Sam 5 5) oder des Königspalastes (so ELLIGER Z. St.) zu treten 1 . Zephanja sieht also im Kultus ein Symptom der sich auch sonst im Leben des Volkes breitmachenden Nachahmung fremder Sitten und damit des Abfalls von der Jahwereligion. Seine Verkündigung ist vor allem ethisch-sozial orientiert. Der Kultus bildet kein selbständiges Thema. 6. Micha Die wichtigste Stelle des Michabuches, die uns über den Kult Aufschluß gibt, ist Mi 6 6-8. Dabei ist die E c h t h e i t dieser Stelle sowie die Frage der Komposition des ganzen Abschnitts Mi 61-8 sehr umstritten. Während z. B . MARTI, NOWACK und TH. H. ROBINSON sowohl die Einheit von 6 1-8 als auch ihre E c h t h e i t verneinen, t r i t t SELLIN für beides e i n 8 ; in der T a t sind die für die E c h t h e i t und Einheit angeführten Gründe überzeugend. Die meisten Schwierigkeiten bietet der Übergang von v. 5 zu vv. 6-8, weil hier ein Wechsel der Stilform auffällt: vom Rechtsstreit (vv. 1-5), als dessen Abschluß man ein Droh- oder Gerichtswort erwarten würde, zur prophetischen Toraliturgie (vv. 6-8). Dabei findet auch scheinbar S u b j e k t wechsel s t a t t . Nach der feierlichen Eröffnung (6 1-2) spricht in 6 3-5b J a h w e selbst, vv. 6-7 wendet sich das Volk an einen Dritten, wohl den Propheten, in vv. 5bß und 8 spricht der Prophet im Namen Jahwes. Doch ist es WEISER (ATD, Hos. bis Mi. z. St.) gelungen, diese Schwierigkeiten zu beheben und so ein einheitliches Verständnis des ganzen Abschnitts zu ermöglichen. Der Wechsel der Stilformen zwischen Mi 6 1-5 und 6 6-8 ist kein entscheidender Einwand gegen die Einheit der Perikope, da sich die Propheten auch sonst nicht sklavisch an Schemata halten, sondern j e nach Lage und I n h a l t ihrer Rede frei unter den gegebenen Stilformen die passenden wählen oder sie nach Bedarf frei umgestalten. Die Anlehnung an die F o r m des Rechtsstreits fordert noch nicht unbedingt ein Droh- oder Gerichtswort als Abschluß. Das Urteil über das eigene Verhalten kann nach der Klärung der Tatbestände den Hörern überlassen werden, was die Wirkung des Ganzen noch steigert. Sachlicher Zusammenhang zwischen vv. 1-5 und 6-8 ist durchaus vorhanden. Die ganze Rede soll das Volk zur Erkenntnis eigener Undankbarkeit und Sünde und dadurch zur Umkehr führen. Deshalb endet der Rechtsstreit nicht mit einem Drohwort oder abschließenden Urteil, sondern mit dem Hinweis auf die »Heilstaten Jahwes®« (vv. 4-5) und mit der kurzen, katechis1

Zeph 2 lOf. ist spätere Erweiterung. Siehe EISSFELDT, Einleitung S. 474

u n d E L L I G E R Z. 2

St.

Unter Streichung von v. i . Ähnlich auch WEISER, der jedoch v. L beibehält,

u n d EISSFELDT, E i n l e i t u n g S . 4 6 8 . 8 Nach der feierlichen Eröffnung in vv. l und 2 erfolgt die an das Volk gerichtete Frage Jahwes (v. 3) und die Aufzählung der Heilstaten Jahwes an seinem Volk vom Auszug aus Ägypten bis zum Einzug in K a n a a n (vv. 4-5). Die Aufzählung ist knapp, nur in Stichworten, da die Geschichtstraditionen von Micha, genau wie von den anderen Propheten, als allgemein bekannt vorausgesetzt werden (vgl. Am

2 9-10 9 7 Hos 214ff. 99-10 1 0 9 12 4H.). Nach dem alten Grundsatz aller antiken

105

6. Micha

musartigen Zusammenfassung seiner Forderungen (v. 8). Der Zusammenhang ist sogar noch enger als ihn WEISER sieht, so daß auch vv. 6-8 aus der Situation des Rechtsstreites zu verstehen sind: Jahwes Güte in der Vergangenheit erkennt das Volk stillschweigend an, aber es bestreitet durch seine Gegenfragen, daß Jahwe letztlich Grund dazu habe, es des Abfalls oder Ungehorsams wegen anzuklagen. E s ist j a bereit, seine Sünde zu sühnen (v. 7) oder hat es vielleicht bereits getan. Mit diesen Opfern, die bis zur Hingabe des eigenen Kindes gesteigert werden 1 , glaubt das Volk, Gott versöhnen und begütigen zu können und damit aus dem Rechtsstreit doch als gerecht (j? l | 7?) h e r v o r z u S e h e n - Die Sündenerkenntnis des Volkes bewegt sich ganz im Rahmen des in den antiken Religionen überhaupt Üblichen. Der Grundsatz, daß das Opfer, wenn richtig dargebracht, seine sühnende und besänftigende Wirkung auf Gott nicht verfehlen kann, besonders wenn es mit wirklicher Buße verbunden ist, hat auch in der israelitischen Religion seine Gültigkeit. Dem setzt Micha als Antwort Jahwes ganz andere Forderungen entgegen und legt so die Schuld des Volkes an den Tag. Indirekt fragt er damit das Volk, ob es, an diesem Maßstab gemessen, wirklich das tut, was Jahwe von ihm f o r d e r t — die Antwort aber überläßt er dem Volke selbst. Die prophetische Tora in vv. 6-8 ist daher inhaltlich so eng mit der Rechtsstreitrede verflochten, daß eine strenge Scheidung dieser beiden Stilformen hier nicht angebracht ist. E s erscheint mir zudem durchaus fraglich, ob die Stilform des Rechtsstreits wirklich aus dem Festkult stammt 2 . Auch wenn sie im Kultus verwandt worden wäre — selbst dies ist fraglich —, so ist sie doch sicher aus der Rechtsprechung abgeleitet. Da die Propheten sich gerade mit dem Recht so viel ausgiebiger als mit dem Kultus befassen, erscheint es mir richtiger, in diesem Gebiet ein Vorbild für die Verwendung dieser Stilform bei den Propheten zu suchen. Die Bereitschaft zu einer solchen äußersten Notmaßnahme wie das Kinderopfer beweist die tiefe innere Erschütterung des Volkes 8 und seinen Willen, Gott zu versöhnen und umzustimmen. Aber dieser Wille genügt nicht. Das Volk verkennt Jahwes Wesen, und deshalb greift es auch in seiner Verwirrung zu falschen Mitteln. v. 8 zeigt deutlich, welche Kluft zwischen der Gottesanschauung des Propheten und der des Volkes liegt. Der Prophet spricht im Namen Jahwes als sein Mund, deswegen liegt kein Subjektwechsel gegenüber v. l vor 4 . Religionen, der auch in Israel gilt (Ex 23 15 34 20), darf man vor Gott nicht mit leeren Händen erscheinen, erst recht nicht, wenn man ihn wegen Missetat und Sünde fWDl riNtpll und v. 7b) besänftigen und versöhnen will. 1 I m 8. und 7. J h . war die Sitte des Menschenopfers in J u d a so verbreitet (siehe I Reg 16 34 I I Reg 16 3 21 6 23 10 J e r 2 34 3 24 7 si 32 35 Mi 6 6f.), daß es noch eines ausdrücklichen Verbotes bedurfte (vgl. Lev 18 21 20 2-5 Dtn 12 31). Das hängt mit dem Aufleben altkanaanäischer Kultsitten und dem Einströmen fremder religiöser Einflüsse, die sich gerade in dieser Zeit bemerkbar machen, zusammen. 2

So

WEISER,

ATD

z.

St.

und

E . WÜRTHWEIN,

Der

Rechtsstreit

Jahwes,

ThLZ, 49. Jg., 1952. 3 Wahrscheinlich ist dabei an besondere nationale Notzeit zu denken. Vielleicht ist die Lage nach 701 anzunehmen. 4 So WEISER. Ob man mit der L X X "T|rt oder T i n = »Er hat dir gesagt« liest, macht für den Sinn des Ganzen nicht viel aus. Doch ist das letztere als Einführung

106

V . Die Kulthandlungen

Micha gibt hier eine kurze katechismusartige Zusammenfassung dessen, was Jahwe vom Menschen fordert. Dabei mag ihm die Form der priesterlichen Tora, die auf die Frage des Tempelbesuchers nach den kultischen Bedingungen für den Zutritt zum Heiligtum antwortet, als Vorbild vorgeschwebt haben1. Micha greift auf alte Traditionen aus der Mosezeit zurück. Die Kenntnis dieser ureigenen Traditionen der Jahwereligion ist natürlich im Volk genausowenig abgestorben wie die Kenntnis der Heilstaten, mit denen sie zusammen eine unzertrennliche Einheit bilden. Das Volk kennt diese Forderungen wohl, aber es nimmt sie nicht so ernst, daß es in der Befolgung dieser Gebote das Wesentlichste, d. h. den Punkt, an dem die Entscheidung über sein Verhalten zu Gott fällt, erblickt, sondern es sucht diese Entscheidung im Kultus. Deshalb braucht Micha gar keine neue Offenbarung Jahwes, um dieses Mißverständnis zurechtzurücken, sondern er deutet auf die altbekannten Willenskundgebungen Jahwes hin. Die meisten Schwierigkeiten bietet bei der Auslegung von v. 8 die Anrede D^N. Damit soll wohl mehr die Geschöpflichkeit des Menschen als die Universalität der Gottesforderung betont werden. Die Anrede richtet sich an den Israeliten, das zeigt die Ergänzung und Weiterführung im zweiten Satzglied von v. 8 und das Vorhergehende, doch nicht so sehr unter dem Aspekt seiner Zugehörigkeit zum erwählten Volk als unter dem seiner Geschöpflichkeit und der daraus folgenden Unterordnung unter seinen Gott. Vielleicht will Micha eine Bezugnahme auf die mit so viel Mißverständnissen belastete Bundesvorstellung und Erwählung bewußt vermeiden. Eine Individualisierung braucht hier nicht vorzuliegen, da sehr häufig kollektiven Sinn hat (gegen WEISER) 2 . In ganz ähnlichem Zusammenhang verwendet auch Jes der Jahweworte bei den Propheten ungewöhnlich, und deshalb ist die Lesart T i n vorzuziehen. 1

V g l . P s 16, 24 3-6; GUNKEL-BEGRICH, Einleitung in die Psalmen S. 327f.,

408f.; BEGRICH, D i e priesterliche Tora. W e r d e n u. Wesen des A T s , 1936, S. 6 3 — 8 8 ; Ö S T B O R N , Tora,

S.

146f.

0"Jj?

in der Bedeutung »vor das Angesicht Gottes k o m m e n «

und fjDS »sich v o r Gott beugen« kommen in der Kultsprache der nachdeuteronomischen Zeit überhaupt nicht v o r . I n dieser kultischen Bedeutung ist fJDS sonst i m A T überhaupt nicht belegt und OTj? nur in Ps 88 14 und 95 2. Sonst k o m m t OTJ? nur i m profanen Sinne »an der Spitze gehen, begegnen« vor, in der letzteren Bedeutung auch bildhaft von G o t t gebraucht. E s kann sich also nicht um term. techn. der Kultsprache handeln. Das ist doch ein weiterer Hinweis darauf, daß die sprachliche Abhängigkeit der Propheten von der Kultsprache nicht überschätzt werden darf. Sie wahren ihre Selbständigkeit auch in der Terminologie. 2

S E L L I N S Auffassung, EH Hl sei Subjekt des ersten Satzgliedes, ist sowohl

sachlich als auch grammatisch sehr schwierig.

6. Micha

107

2 9. 11 dieses Wort, wo es offensichtlich auf Israeliten bezogen wird und dasselbe wie B^N = jeder bedeutet. Das Gute ist kein Abstraktum, sondern die Summe der Gebote Jahwes, die im Folgenden nicht kasuistisch aufgezählt werden, sondern in einer eindrucksvollen Konzentration auf wenige Grundlinien und vor allem auf die hinter jeder Tat stehende Grundeinstellung des Menschen vorgetragen werden. Was hier gefordert wird, ist nicht eine autonome Gesinnungsethik, sondern eine religiöse Grundhaltung des Menschen, von der aus das menschliche Handeln auf allen Gebieten bestimmt wird. Die Ethik wird nicht der Religion gegenübergestellt, sondern sie ist in der Willensoffenbarung Jahwes begründet und deshalb eine wesentliche Äußerung des religiösen Verhältnisses selbst. Diese religiöse Grundhaltung des Menschen wird dem kultischen Mißverständnis der Religion entgegengesetzt. Der Wille Jahwes richtet sich nicht auf kultische Leistung, sondern auf Beherrschung des Menschen selber in seiner Ganzheit. Micha stellt Ethik und Religion nicht einander gegenüber, sondern er sieht in dem, was wir Ethik nennen, die wesentlichste Äußerung der Religion, d. h. der Bezogenheit des Menschen auf Gott hin. Insofern sind beide organisch und unzertrennlich miteinander verbunden, während der Kultus nach seiner Überzeugung nicht ebenso organisch mit dem Gottesverhältnis verknüpft ist. Der Kultus, so wie die Propheten ihn kannten — der keineswegs mit den Formen des gottesdienstlichen Handelns überhaupt gleichgesetzt werden darf —, schien ihnen durchaus für die Religion entbehrlich zu sein. Micha verweist seine Zeitgenossen von dem Kultus auf das praktische Leben als den Ort, an dem sich ihre Bezogenheit auf Gott hin zu bewähren hat. Das Wort Michas gegen die sakralen Institutionen des Nordreiches, Mi 1 7, läßt besonders das Hervortreten der Fruchtbarkeitsriten (Kedeschenwesen) erkennen. Mi 3 9-12 zeigt unmißverständlich, was Micha den führenden Ständen zu verkündigen hatte: den Untergang als Strafe für die Mißachtung des Rechts und der Sitte. Von diesem Strafgericht ist auch der Jerusalemer Tempel nicht ausgenommen. Dem falschen Vertrauen des Volkes auf die schützende Gegenwart Jahwes (3 li) an seiner Hauptkultstätte wirft Micha diese Drohung entgegen. Das Vertrauen des Volkes auf die Wirksamkeit des Kultus ist unbegründet. Damit ist das vorhin über die Stellungnahme Michas zum Kultus Gesagte bestätigt. Ist das Gottesverhältnis einmal primär von anderen Dingen als dem Kultus abhängig, dann ist er von seiner zentralen, das religiöse Leben beherrschenden Stellung, die er nach antiker Auffassung einnimmt, entfernt und damit diese Auffassung überwunden.

108

V. Die Kulthandlungen 7. Jeremia

Galt der Kampf der Propheten seit Hosea fast ausschließlich dem kanaanisierten Jahwekult, so lagen z. Zt. Jeremias die Verhältnisse insofern etwas anders, als er offenbar seinen Kampf auf zwei Fronten zu führen hatte: Gegen die Kanaanisierung und Überfremdung des Jahwekults und gegen den besonders seit Ahaz und Manasse immer stärker einreißenden Abfall zu den Fremdkulten. In dieser Beziehung befindet sich der letzte der vorexilischen Propheten in ähnlicher Situation wie die ersten uns bekannten, oppositionellen Propheten Elia und Elisa. Nur ist die religiöse Situation durch das Wiederaufleben des halbassimilierten kanaanäischen Heidentums in Israel kompliziert. Indes sind beide Vorgänge, das Wiederaufleben der kanaanäischen Naturreligion und das Eindringen fremder Kulte, nicht voneinander zu trennen, vielmehr bedingen und fördern sie sich gegenseitig. War auch die Aufnahme der Fremdkulte meist politisch bedingt, so hätten diese nie zu einer lebendigen religiösen Macht werden können, wenn ihnen nicht die kanaanäische Naturreligion bereits vorgearbeitet hätte. Umgekehrt wurde das Wiederaufleben der kanaanäischen Naturreligion in Israel durch das Vorbild fremder Kulte gefördert. Letztlich sind ja beides Symptome der gleichen religiösen Grundhaltung, nämlich der natürlichen Religion, die von dem Bedürfnis des Menschen nach Erklärung und Beherrschung der Welt mit ihren geheimnisvollen Mächten, als deren Personifikationen und Beweger die Götter gedacht werden, ausgeht. Ist in Israel an Stelle des einen, über alle Mächte des Kosmos und der Geschichte gebietenden persönlichen Gottes der nach dem Vorbild des kanaanäischen Baal vorgestellte Naturgott getreten, so war auch der Raum zur Verehrung anderer Gottheiten neben ihm gegeben. An die Stelle des einen Gottes Israels tritt dann ein Pantheon. Wegen dieses engen Zusammenhanges zwischen der kanaanisierten Jahweverehrung und den Fremdkulten, die in Juda an Boden gewinnen und sogar zum Teil ihre Verehrungsstätte im Jerusalemer Tempel haben, ist es nicht zweckmäßig, die gegen die Fremdkulte gerichtete Polemik des Jeremia gesondert zu behandeln. Wenn Jeremia diese Jahweverehrung genau wie den Baalskult als fremd und ihre Ausübung in Israel als Abfall von Jahwe bezeichnet, so bedeutet das eine theologische Wertung. Diese erfolgt von der empfangenen Offenbarung Jahwes aus, die nach seiner Überzeugung mit den Kundgebungen des Willens Jahwes in der Vergangenheit wesenhaft übereinstimmt. Mit dieser Wertung stand aber Jeremia, genauso wie vor ihm Hosea, im Gegensatz zu den geläufigen Anschauungen der Volks- und Staatsreligion. Das soll hier an einigen Beispielen veranschaulicht werden.

7. Jeremía

109

Jer 6 20f. drückt in der kurzen, prägnanten Form, wie sie uns bereits bei Jeremias Vorgängern begegnet ist, die Ablehnung des Opfers aus. Da hier die Fremdgötter nicht genannt werden, muß man annehmen, daß Jeremia den Jahwedienst in der zu seiner Zeit üblichen Form meint. Auffällig ist nur die ausführliche Erwähnung der kostbaren Räuchermaterialien, die wohl wegen ihrer besonderen Kostspieligkeit und Seltenheit genannt werden. Jahwe kommt es nicht auf den äußeren Aufwand an 1 . Mit den Termini der Kultsprache (•pST und 3"]5?), die dem Priestersohn Jeremia wohl bekannt sind, drückt er das Mißfallen Jahwes über die Opfer aus. Die folgende Strafankündigung (6 21) läßt keine Zweifel darüber aufkommen, daß Jeremia überzeugt war: das Opfer, auch das Jahwe dargebrachte, kann den Zorn Jahwes nicht abwenden. Der bewußte und hartnäckige Ungehorsam gegen den Willen Jahwes (Jer 6 16-19) kann auch durch die kostbarsten Gaben nicht verdeckt oder gutgemacht werden. Der Wille Jahwes ist dem Volk durch die Worte der Propheten hinlänglich bekannt (vv. 17 u. i9bß)2. Außerdem hätte das Volk sich durch die Geschichte belehren lassen sollen (»Die Pfade der Vorzeit« v. 16) und daraus erkennen müssen, was ihm zum Heil dient. Das hereinbrechende Gericht ist selbstverschuldet. Es ist »die Frucht ihres bösen Denkens« (v. 19). Dieser Überblick über den Zusammenhang, in dem der für unsere Fragestellung so wichtige v. 20 steht, war notwendig, weil es von da aus sehr zweifelhaft wird, ob man mit WEISER (Jer. ATD) die Stelle Jer 6 1 6 - 2 1 so von einem postulierten, unverfälschten Bundeskult her interpretieren kann, daß man ihren Sinn durch die Antithese Bundeskult — Opferkult (so WEISER z. St.) zum Ausdruck bringt. WEISER postuliert das Bestehen eines Bundeskults, bei dem das Opfer, »wenn überhaupt, jedenfalls nicht die zentrale Bedeutung gehabt hat, und bei dem die göttliche Bundesstiftung und Heilsgeschichte als Gottes Tat im Mittelpunkt stand«. Aber für ein Nebeneinander eines im wesentlichen opferlosen Bundeskultes und des Opferkultes während der Königszeit bieten die alttestamentlichen Quellen keinen Anhaltspunkt. Die Propheten polemisieren gegen den offiziellen israelitischen Kultus überhaupt, und von einem Bundeskult, der ihre Zustimmung gehabt hätte, hören wir bei 1

Vgl. HERTZBERG, Die prophetische Kritik am Kult, ThLZ, 76. Jg., 1960,

S. 223. 2

Mit Tora in v. 19 ist die prophetische Weisung gemeint, da die Priester in dem ganzen Abschnitt nicht erwähnt werden. Jeremia sieht also genau wie Jesaja im Wirken des Propheten die beiden Formen der Willensoffenbarung Jahwes, das prophetische Wort und die priesterliche Weisung, vereinigt. Das ist eine weitere Konsequenz des Versagens der Priesterschaft, das ihr von den Schriftpropheten so scharf vorgeworfen wird. So ÖSTBORN, Tora S. 142.

110

V. Die Kulthandlungen

ihnen nichts. Vielmehr ist nach dem Zeugnis der prophetischen Schriften der Bundeskult selbst so stark von kanaanäischen Bräuchen u n d Anschauungen durchsetzt, daß die Bundesvorstellung, ja die Gottesvorst eilung selbst, eine Umdeutung ins Kosmisch-Naturhafte erfahren hat. Damit t r a t die Betonung der Heilsgeschichte mehr in den Hintergrund, wenn auch die Erinnerung an sie nie aus dem gottesdienstlichen Leben verschwunden ist. Die Ereignisse der Heilsgeschichte konnten ja auch leicht einseitig als Bestätigung des unverbrüchlichen, n a t u r h a f t e n Zusammenhanges zwischen Gott u n d Volk ausgelegt werden und fügten sich so in den Naturkult ein. Ob die »Geschichte des Ungehorsams«, die menschliche Kehrseite der Heilsgeschichte, einen ebenso festen Bestandteil des Bundesfestkults gebildet hat (so W E I S E R , Jeremia zu 6 20 und 7 25-26), ist durchaus fraglich 1 . Es sind wohl seit jeher auch solche Geschichten vorgetragen worden, die den menschlichen Ungehorsam u n d die darauf folgende göttliche Strafe als abschreckende Beispiele schilderten, aber die Ausdehnung des Abfallgedankens auf die ganze Volksgeschichte u n d besonders auf die Geschichte des Kultus selbst haben in dieser Schärfe erst die Propheten vollzogen. D a ß die Größe und Radikalität dieses Abfalls erst von den Schriftpropheten erkannt und schonungslos ausgesprochen wurde, sieht m a n an der Ablehnung und Empörung, die ihre Verkündigung im Volk u n d unter der Priesterschaft auslöst und die in dieser Allgemeinheit u n d Schärfe unverständlich wäre, wenn die Propheten nur einer in der offiziellen Religion seit jeher gepflegten Tradition folgten. Außerdem liegt der vom Kult geprägten Volksfrömmigkeit der Gedanke an die Aufhebung des Bundesverhältnisses durch J a h we ganz fern. In priesterlichen Kreisen ist die Anwendung des Abfallgedankens auf die ganze Geschichte Israels — allerdings unter starker Schematisierung u n d pragmatischer Veräußerlichung — und damit die ausschließlich paränetische Auswertung der Geschichte erst seit der E n t s t e h u n g des deuteronomistischen Geschichtswerkes üblich geworden. Es ist jedenfalls unvorstellbar, daß im israelitischen Kultus der späteren Königszeit Traditionen lebendig waren, die irgendwelche Ablehnung oder Abwertung des Opferrituals enthielten. Vielmehr wurden die Opfervorschriften wohl noch nicht so direkt auf die Mose-Offenbarung und damit auf direkte Willensmitteilung Jahwes zurückgeführt wie die sittlich-religiösen Gebote. Man h a t die speziellen Kultvorschriften aus den alten lepol Aöyoi und Satzungen der Heiligtümer, den Erzvätersagen u n d Kultlegenden übernommen und daher ihre Sanktionierung durch Jahwe als selbstverständlich vorausgesetzt. Waren doch die altkanaanäischen Heiligtümer von Israel und damit von Jahwe selbst in Besitz genommen! 1

R. BACH, Die Erwählung Israels in der Wüste (Diss.), Bonn 1952.

7. Jeremía

111

Die Tendenz, den gesamten Kult als eine auf die direkte Willensoffenbarung Jahwes zurückgehende Stiftung anzusehen, muß schon in vorexilischer Zeit lebendig gewesen sein. Gegen sie wendet sich Jeremia wie seine Vorgänger, indem er nur die sittlich-heilsgeschichtlichen Traditionen als die einzig auf direkter Willensäußerung Jahwes fußenden betrachtet. Das Deuteronomium ist ein grandioser Versuch, beides, Kultus und sittlich-religiös motivierte Heilsgeschichte, in der grundlegenden Offenbarung zu verankern und dem Willen Jahwes unterzuordnen. Die »Geschichte des Abfalls« als ein selbständiges Thema in den Pentateucherzählungen und Geschichtsbüchern ist erst das Werk der deuteronomistischen und priesterlichen Bearbeitung. Die von W E I S E R herangezogenen Psalmenstellen (Ps 78, 106) sind nicht sicher datierbar und können deshalb für das Vorhandensein des Abfallschemas im Kult des 8. —6. Jh.s nichts beweisen. Er ist vielmehr von der Gewißheit getragen, daß das Verhältnis zwischen Jahwe und seinem Volk im Grunde in Ordnung ist. Mag man sich im einzelnen mancher Verfehlung bewußt sein, so sind diese Störungen des Verhältnisses doch durch kultische Sühne reparierbar. Eines Abfalls von Jahwe war sich das Volk nach dem Zeugnis der Propheten nicht bewußt. Der Verweis auf die Geschichte in Jer 6 16 ff. hängt nur insofern mit dem Kult zusammen, als er auf die sittlich-rechtlichen Gehorsamsforderungen Jahwes hindeutet, die auch im Kult vorgetragen wurden (z. B. Bundesbuch, Dekalog, vgl. Dtn 26 Jos 24). Im Gegensatz zu der priesterlichen Praxis, die die sittlichen Gebote neben andere, rein kultische stellte, verkündigen die Propheten sie als den allein gültigen, wahren Willen Jahwes. Da dieser Verweis auf die Geschichte nur als Beweis für den hartnäckigen, bewußten Ungehorsam des Volkes dient, kann er nur formal im Kultus ein Vorbild gehabt haben. Wie sehr die Sicht, in der Jeremia die Geschichte des Volkes sah, von der im Kult üblichen Betrachtungsweise verschieden war, zeigt das gegensätzliche Ergebnis, zu dem beide gelangen. Die Tempelrede Jer 7 1-15 und der Baruchbericht über sie Jer 26 zeigen deutlich, worauf es Jahwe ankommt. Sein Wille, der seit Mose dem Volke bekannt ist, richtet sich auf die Durchdringung der ganzen Lebenswirklichkeit nach ihrer sittlichen und religiösen Seite hin 1 . Jeremia rückt das falsche Verständnis des Wesens Jahwes wieder zurecht. Er ist nicht ein mit seiner Kultstätte und mit seinem Volk auf Gedeih und Verderb verbundener Naturgott, sondern souverän durch Gericht und Heil handelnder Herr der Welt. Er duldet weder andere Gottheiten neben sich noch läßt er sich mit bloßem 1 Bezugnahme auf Gebote und Gottesrecht (vgl. Jer 7 9-10 26 4). Die letzte Stelle spricht zusammenfassend vom Gesetz. Deuteronomischer Einfluß.

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V. Die Kulthandlungen

Kult, der nicht mit dem Gott wohlgefälligen Lebenswandel verbunden ist, abspeisen. Der Jerusalemer Tempel ist zwar der Ort der Gegenwart Jahwes, aber er kann wegen der Bosheit der dort erscheinenden Menschen zur Stätte seiner Zornesoffenbarung werden, genau wie Silo. Jeremia nennt ausdrücklich die alten sittlichen Forderungen des Bundesgottes. In ihrer Verwirklichung zeigt es sich, ob das Gottesverhältnis Israels tatsächlich in Ordnung ist. Demgegenüber wird von kultischen Vorschriften nur die Enthaltung von Baals- und Götzendienst (Jer 7 9) gefordert 1 . Über den eigentlichen Jahwekult wird nichts ausdrücklich gesagt. Doch ist auf Grund anderer Jeremiastellen (Jer 6 20f. 7 16-20. 21-34 8 1-13 14 12) das so zu verstehen, daß Jeremia ihn nicht als Jahwe, sondern als dem Baal und den fremden Gottheiten dargebracht betrachtet. Ist schon die Heiligkeit der Kultstätte und damit ihr Bestand von der religiös-sittlichen Beschaffenheit der Kultteilnehmer abhängig, dann hat auch der Kultus nur relativen Wert, er ist nicht mehr das Lebenszentrum des Volkes; das Gottesverhältnis wird nicht von ihm her bestimmt, sondern vom Handeln des Menschen im Räume der Geschichte und der persönlichen Lebensführung. Der Kultus kann dann nur besonderer Ausdruck dieser im Leben zutage kommenden Grundhaltung sein. Ist diese Haltung von der Gegenüberstellung zwischen dem kollektiven oder einzelnen menschlichen Ich und dem göttlichen Du her bestimmt, so muß auch der Gottesdienst diesen Charakter des Dialogs haben und kann nicht nur Manipulation mit göttlichen Naturkräften und unpersönlichen Mächten sein. Damit ist die Grundlage und das Wesen jedes Naturkults — und unter dieser Kategorie lassen sich sowohl die babylonisch-assyrischen als die ägyptischen und kanaanäischen Kulte einstufen — angegriffen, auch der offizielle Jahwekult der späteren Königszeit, der zum opus operatum geworden war. Die Verurteilung des Vertrauens auf den heiligen Ort setzt die Ablehnung des dort betriebenen Dienstes voraus 2 . Die zentrale Frage der Tempelrede ist nicht der Kultus an sich, sondern: Was gibt 1 Jer 17 19-27 ist so stark deuteronomisch überarbeitet, daß sich die echt jeremianischen Teile nicht mehr aussondern lassen (siehe RUDOLPH Z. St.). Gegen die Tatsache selbst, daß Jeremia zur Sabbatheiligung gemahnt haben kann, erheben sich keine sachlichen Bedenken. Das Sabbatgebot gehört zu den ältesten Forderungen Jahwes ( E x 20lO und Dtn 5l2). Die Betonung der Arbeitsruhe für Menschen in abhängiger Stellung (Sklaven, Tagelöhner, Fremdlinge) und sogar für das Vieh, also seine sozialethische Seite, unterscheiden es von ähnlichen Tabu-Zeiten in anderen Religionen. Von daher ist es verständlich, daß Jeremia und Arnos (8 5) es zu den wichtigsten Forderungen Jahwes rechnen. 2 Ausdrücklich sagt das Jer 1115 und 1412. Gelübde, Fasten und Opferfleisch vermögen das Unheil, das als Strafe für das gottwidrige Verhalten über Israel kommt, nicht abzuwenden.

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7. Jeremía

Schutz (vgl. VOLZ, Jer. z. St.) ? Deshalb ist ein genaueres Eingehen auf Einzelheiten hier gar nicht zu erwarten. Es genügt, daß Jeremia diese Frage dahingehend beantwortet, daß weder der Tempel noch der dort betriebene Kult diesen Schutz bieten können. Mit den Einzelfragen des Gottesdienstes beschäftigen sich die folgenden Abschnitte, die zur gleichen, deuteronomisch bearbeiteten Sammlung von Jeremiaworten gehören: J e r 7i6-2o und 721-28 729—83. J e r 716-20 behandelt die Verehrung der Himmelskönigin, der babylonisch-assyrischen Ischtar (sarrat Same), die gleichzeitig Mutter-, Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin ist. Diese Stelle ist für unser Thema nur insofern wichtig, als sie zeigt, wie tief verwurzelt ihr Kult in Israel war und wie wenig die Reform Josias dagegen auf die Dauer auszurichten vermochte (Jer 44 i5ff.). Seine Macht lag in seinem Entgegenkommen gegenüber dem natürlichen, religiösen Bedürfnis des Menschen; deshalb konnte er auch alle Wechsel der Religionen überdauern und sich bis in die christliche Zeit hinein erhalten. Das Verbot der prophetischen Fürbitte zugunsten des Volkes zeigt, wie wenig festen, »offiziellen« Charakter das Wirken der Schriftpropheten hatte. Sie waren nicht an amtliche Vorschriften und hergebrachte Formen gebunden, sondern einzig und allein an das Wort Jahwes. Darin liegt der wesentliche Unterschied zwischen ihnen und den Kultpropheten. Jeremia bleibt der wahre Prophet Jahwes, auch wenn er eine der wichtigsten prophetischen Funktionen, die Fürbitte (dazu vgl. J e r 15 l Am 7 2ff.) aufgeben muß. Nicht das Amt oder die Funktion ist für ihn entscheidend, sondern der Wille Gottes. J e r 7 29—8 3 zeigt, daß es im Jerusalemer Tempel Götterbilder gab, daß also neben Jahwe auch anderen Göttern dort geopfert wurde, so daß Jahwe in einem Pantheon — wohl assyrisch-babylonischer (auch weiblicher) Gottheiten — stand, mit denen er nicht selten identifiziert wurde. Das kann man schon auf Grund der älteren Gleichsetzung Jahwe-Baal in der Kult- und Volksfrömmigkeit annehmen. Ihm als einer Baal-Gottheit gilt die Darbringung der Kinderopfer im Tofet im Tal Ben Hinnom 1 (Jer 7 3iff.; vgl. 19 5-7 32 34f.). Aus 7 3ib geht hervor, daß man das Menschenopfer als von Jahwe gefordert ansah. Wahrscheinlich bot das allzu wörtliche, einseitige Verständnis der Forderung von E x 22 28 eine Handhabe dazu. Mit grimmiger Ironie deutet J e r 8 1-3 auf den assyrisch-babylonischen Gestirnkult (so RUDOLPH Z. St.) und seine weite Verbreitung in Jerusalem hin. Als Folge der langjährigen politischen Abhängigkeit von Assyrien wurde er auch im Jerusalemer Tempel offiziell ausgeübt, wie auch Ez 8 bezeugt. Diese wenigen Beispiele der Polemik des Jeremia gegen die O. EISSFELDT, Molk als Opferbegriff im Punischen und Hebräischen und das Ende des Gottes Moloch, BRA 3, 1936. 1

H e n t s c h k e , Die Stellung der yorexilischen Schtiftprophetell zum Kultus

8

V. Die Kulthandlungen

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Fremdkulte zeigen, daß das Volk sich subjektiv keines Abfalls von Jahwe bewußt war. Die Trennungslinie zwischen Jahwekult und Fremdkult läßt sich deshalb äußerlich kaum ziehen. Hierin stimmt Jeremia mit Hosea völlig überein. Dieser Synkretismus hing mit dem Erschlaffen der umgestaltenden Kraft des Jahweglaubens aufs engste zusammen. Zur Erkenntnis des synkretistischen Jahwekults tragen die weiteren Stellen, die vom Abfall des Volkes zu Baal- und anderen Fremdkulten handeln, wenig Neues bei (Jer 2 3 1-5 3 19—4 4 1310 18 15 4 3 8 — 44 30). Die Verwendung der verschiedenen Bildungen des Stammes H2T in der Bedeutung »anhangen« (fremden Göttern) und »Unzucht treiben, huren« zeigt, daß auch z. Zt. Jeremias die sakrale Prostitution das hervorstechendste Merkmal dieser Kulte war und daß sie im kanaanisierten Jahwekult geübt wurde. So dient das Wort mit und CMJT als Sammelbezeichnung sowohl für Fremdkulte als auch für den kanaanisierten Jahwekult (vgl. J e r 3 iff. Hos l f . und Ez 16 und 23). In J e r 7 21-28 wird mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit gesagt, daß Jahwe kein Opfer verlangt 1 . Er verzichtet nicht nur auf seinen Anteil am Gemeinschaftsopfer, sondern er rät den Israeliten, auch die Ganzopfer selber zu essen; sie haben doch für ihn keinen Wert (v. 21). Es ist profanes Fleisch, das beim Opfer nur vergeudet wird (vgl. Hos 813). Diese Profanierung des Opfers, die wie eine ungeheure Blasphemie in den Ohren seiner Hörer klingen mußte, wird nun in v. 22f. aus der Offenbarung Jahwes beim Auszug aus Ägypten begründet. Jahwe gebot den Vätern damals nicht, Brand- und Schlachtopfer darzubringen, sondern auf seine Stimme zu hören und auf dem ganzen Wege mit ihm zu wandeln. Der ungeteilte Gehorsam, als die die ganze Lebenswirklichkeit des Volkes umgreifende und gestaltende Haltung, wird den spezifisch kultischen Opfervorschriften entgegengesetzt 2 . Die Deutung dieser Stelle im Sinne eines »sowohl als auch« 3 biegt ihren Sinn um. Die 1 2

Vgl. Jer 14 12 — auch das Fasten wird hier von Jahwe abgelehnt. TT7. übertragenden Sinne = »Art, Brauch, Verhalten, Wandel« wird

im AT als religiös-ethischer Terminus zur umfassenden Bezeichnung der Forderungen Jahwes (Gen 18 19 I Reg 2 s Jer 5 4 n i f F TJ*7), seiner Taten und Werke (Ez 18 25 'JTN

; Hos 1 4 l 0 m i T

"OTT) und des entsprechenden Verhaltens des Menschen

(I Sam 12 23 I Reg 2 4 Jes 69 s, entgegengesetzt D'SEn 7|TT Jer 12 l Gen 6 1 2 ) . Von da aus geht es über zur Bedeutung »Ergehen« Jer 10 23 u. a., A. K u s c h k e , Die Menschenwege und der Weg Gottes im AT, StTh, Lund 1961. 3 Opfer und Gehorsam, das soll der geforderte Wandel »auf dem ganzen Wege« sein. So u. a. OESTERLEY, Sacrifices, S. 203; A. WELCH, Prophet and Priest in Old Israel, London 1936, S. 47f.; LATTEY, The Prophets and Sacrifice, S. 163.

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7. Jeremía

Forderung des Gehorsams und der Opferkult schließen sich nach diesem Jeremiawort aus 1 . Die von Jeremia gegebene Begründung, Jahwe hätte mit den Opfergesetzen nie etwas zu tun gehabt, hat den Auslegern viel Kopfzerbrechen bereitet. Nach allem, was wir über die Mosezeit wissen, gehörten Opfervorschriften, wenn auch in recht bescheidenem Umfang, zum Grundbestand der durch Mose vermittelten Willensoffenbarung Jahwes und damit zu den Grundlagen der Jahwereligion. Es ist unmöglich anzunehmen, daß Jeremia weder vom Bundesbuch noch vom Deuteronomium etwas gewußt hätte, die doch beide Opfervorschriften (Ex 20 24 2318 Dtn 12 6ff.) auf Moses zurückführen! Während nun einige Ausleger um diese Schwierigkeit herumzukommen suchen, indem sie durch abschwächende Interpretation diesen Jeremiaworten ihre Schärfe nehmen, benutzen die anderen (GRAF-WELLHAUSEN, GIESEBRECHT, DUHM U. a.) sie als locus

classicus (neben Am 5 25) der Pentateuchkritik. Beides ist unzutreffend 2 . WEISER nimmt sogar an, diese Worte seien im Rahmen der Liturgie des Bundesfestes gesprochen worden. Die Behauptung der Propheten, Jahwe habe mit dem Opferkult nichts zu tun, sei nur von dem unveränderten Weiterbestehen des vorwiegend heilsgeschichtlich ausgerichteten Bundeskultes her verständlich. Da Jeremia seine Überzeugung von dem Inhalt der göttlichen Gebote nicht aus der prophetischen Intuition, sondern aus den Traditionen des Bundesfestes gewonnen haben soll, müßte man annehmen, daß sich dieser Festkult im wesentlichen unverändert bis in Jeremias Tage erhalten habe. Das ist jedoch sehr unwahrscheinlich, denn nach allem, was wir über den israelitischen Jahwekult der späten Königszeit wissen, waren in ihm die alten israelitischen, heilsgeschichtlichen Traditionen eine eigentümliche Verbindung und Verschmelzung mit anderen, vorwiegend aus dem Kanaanäertum aufgenommenen, naturhaftkosmischen Elementen eingegangen. Dabei ist die Bundesvorstellung selbst ins Naturhaft-Kosmische (Bund mit den Naturkräften, mit dem Land usw.) umgedeutet worden. Wollte man WEISERS Ansicht in diesem Punkt folgen, so müßte man ein mechanisches Nebeneinander eines rein heilsgeschichtlich gerichteten, spezifisch jahwistischen Bundeskults, der im wesentlichen opferlos war, und eines kanaanisierten Opferkults, der mehr dem Baal als Jahwe dargebracht wurde, annehmen 3 . Dieses Nebeneinander läßt sich, wie schon betont, aus 1 So RUDOLPH, Jer. z. St.; P. VOLZ, Die radikale Ablehnung der Kultreligion durch die alttestamentlichen Propheten, ZSyTh 1937; ders., Prophetengestalten des AT, 1938, S. 220f.; E . KÖNIG, Der Jeremiaspruch 7 21-28, ThStKr 1906, S. 340 u. 358; J . SKINNER, Prophecy and Religion. Studies in the Life of Jeremiah, Cambridge 1922; CHR. NORTH, Sacrifices in the OT, E T 47, 1936. 2 Genauere Begründung siehe RUDOLPH, Jer. S. 49; vgl. WEISER, ATD z. St. 8

Siehe

WEISER.

ATD

zu

Jer

7 2 5 - 2 6 u n d 6 20f.

8*

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V. Die Kulthandlungen

dem AT nicht belegen. Der Abfall zum Baal, gegen den die Propheten kämpfen, ist kein bewußter Religionswechsel, führt auch nicht zur Gründung eines neuen, selbständigen Kultus, sondern er ist ein langsamer und tiefgehender, innerer Strukturwandel der Jahwereligion selbst. Waren also zur Zeit Jeremias die heilsgeschichtlichen Traditionen der Jahwereligion mit den aus Kanaan und aus der vormosaischen Zeit stammenden Kultgesetzen zu einer Einheit verschmolzen— und an dieser Tatsache gibt es keinen Zweifel — so ist es auch unbegreiflich, wieso Jeremia aus der Anschauung des Bundesfestkultes seine erwähnte Überzeugung gewonnen haben sollte 1 . Vielmehr beurteilt Jeremia die Tradition aus seiner prophetischen Kenntnis des Willens Jahwes heraus. Die an Jeremia ergangene Offenbarung bildet den Maßstab, an dem die Tradition gemessen wird. Darin stimmt Jeremia mit seinen Vorgängern Amos, Hosea, Jesaja und Micha überein. Von da aus kommt ihm die Gewißheit, daß Jahwe Gehorsam als die Grundhaltung des Menschen, die sich vor allem in der Geschichte und im täglichen Leben zu bewähren hat, und nicht Opfer fordert. Die Aussage in J e r 7 22f. ist programmatisch und nicht historisch gemeint 2 . Jeremia bestreitet hier nicht — im Unterschied zu Amos (021-25) — die Existenz des Opferkults in der Mosezeit. Er verneint lediglich seinen Ursprung aus der Willensoffenbarung Jahwes. Wir haben es hier mit der gleichen Haltung der Tradition gegenüber zu tun, die alle großen prophetischen Gestalten auszeichnet. Sie stehen ihr frei und kritisch und zugleich mit tiefer Ehrfurcht gegenüber. Die rechte Tradition ist für sie kein starres, formales Prinzip, sondern sie muß inhaltlich bestimmt werden. Nicht das Alter, sondern der Inhalt der Überlieferung entscheidet über ihre Echtheit. Der inhaltDie Psalmenliteratur, die WEISER zur Unterstützung seiner Behauptung anführt (Ps 40 7 50 14. 23 61 17f. 6 1 9 63 6 69 31f. 7116 141 lf.), bringt uns in dieser Frage kaum weiter, denn: 1. ist über ihre kultische Benutzung nichts Genaueres bekannt, 2. ist ihre Entstehungszeit und die Zeit ihrer kultischen Verwendung unbestimmbar, 3. vertritt sie mehr den Standpunkt: Kultus und Gehorsam (siehe MOWINCKEL, PS. St. VI, S. ölf. und 67f.), 4. geht die Relativierung des Kultus in diesen Psalmen doch vielleicht auf prophetischen Einfluß zurück (gegen MOWINCKEL a. a. O.) oder sie vertreten eine Strömung innerhalb der Jahwereligion, die den Propheten sachlich nahe stand, 6. können auf keinen Fall diese Psalmenstellen als Beweis dafür dienen, daß z. Zt. Jeremias die kultischen Opfergesetze in Israel nicht als Gebote Jahwes gegolten haben. I Sam 16 22 — falls es nicht ein späterer Einschub ist — gibt die Ansicht des freien Nebiismus und nicht der Kultfrömmigkeit wieder. Jedenfalls ist es undenkbar und aus dem AT nicht zu beweisen, daß solche Vorbehalte dem Opferkult gegenüber einen festen liturgischen Bestandteil des Kultus des 8.—6. Jh.s gebildet haben. 1

2

Sachlich das Gleiche behaupten auch A. WENDEL, Das Opfer in der alt-

israelitischen

Religion,

and Religion, S. 182.

1927,

S. 1 0 9 ;

RUDOLPH,

Jer.

z.

St.;

SKINNER,

Prophecy

7. Jeremía

117

liehe Maßstab für die Beurteilung der Tradition ist die selbsterlebte, lebendige Gemeinschaft mit Gott und die daraus fließende Erkenntnis seines Willens 1 . Von solcher gegenwärtig empfangenen Offenbarung aus wird, bewußt oder unbewußt, Geschichte postuliert. Das ist in der Antike und auch innerhalb des AT ein so häufig sich wiederholender Vorgang, daß sich jede weitere Erörterung darüber erübrigt (vgl. die Ausführungen zu Am 5 21-25). Jeremia rückt die in der kultischen Überlieferung miteinander verflochtenen, verschiedenartigen Traditionen wieder zurecht und weist sie den ihrem Wesen und ihrer Herkunft entsprechenden Bereichen zu: so die Forderungen des Gehorsams und des Jahwe gemäßen Wandels dem in dieser Form erstmalig und grundlegend beim Auszug proklamierten Willen Jahwes, die Opfergesetze dagegen dem eigenen Wunsch des Volkes. Damit löst Jeremia die gefährliche Verquickung von Falschem und Richtigem, von Echtem und Unechtem auf und stellt den alten Kern der echten, mosaischen Jahwereligion wieder klar heraus. Das ist aber für seine Hörer etwas Neues, Unerwartetes, denn sie kennen diese Gebote nur in der durch andersartige, rein rituelle Forderungen verdunkelten Form, wie sie ihnen im Rahmen des zeitgenössischen Kultus vorgetragen wurden. Die heilsgeschichtlichen Traditionen mögen anläßlich entsprechender Feste, die die Ereignisse der Volksgeschichte feierten, auch noch z. Zt. Jeremias im Kultus verwandt worden sein, aber — und das ist das Entscheidende — ihre ursprüngliche zentrale Stellung innerhalb der Jahwereligion haben sie längst eingebüßt (gegen WEISER). Sie sind vom kanaanisierten Opferkult mit seinen immer stärker hervortretenden magisch-naturhaften Tendenzen verdrängt worden. Jeremia ist sich, im Gegensatz zu Arnos (5 25), dessen bewußt, daß seine Behauptung, Jahwe habe niemals einen Opferkult geboten, auf Ablehnung bei dem Volk stoßen wird (Jer 7 27f.). Die Radikalität und Konzentration der göttlichen Forderung ist das Neue an der Botschaft der Propheten, die die Intention der mosaischen Gebote aufnehmen und weiterführen. Die Kultgemeinde sah die Bundessatzungen in wesentlich anderem Licht, sowohl was ihre Art als auch ihren Geltungsbereich anbetraf 2 . Auch rein historisch betrachtet hatte Jeremia recht, denn der israelitische Opferkult ist kein genuines Produkt der Jahwereligion, sondern besteht fast durchweg aus kanaanäischem Lehngut. Dagegen enthalten die ältesten Zeugnisse der Jahwereligion, der Dekalog und das Bundesbuch, nur ganz vereinzelte Kultgebote (vgl. E x 20 24). Die Eigenart der Jahwe1 Ganz analog verhält es sich mit der »apostolischen« Überlieferung in der frühchristlichen Kirche, z. B . der Apostolizität der kanonischen Schriften des NT, oder mit dei Katholizität bei Luther. 2

A n d e r s WEISER, A T D zu J e r 7 22.

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V. Die Kulthandlungen

religion hat nicht im Kultus ihren spezifischen Ausdruck gefunden, sie drückt sich vielmehr seit jeher in dem Bewußtsein des unmittelbaren Stehens unter dem Anspruch Gottes aus, der durch Gabe (Heilstaten Jahwes) und Gebot das Volk wie den einzelnen zum willigen Gehorsam, zum Glauben ruft. Seit Mose weiß sich Israel als Volk einem personhaften, sittlich gerichteten, göttlichen Willen gegenübergestellt. In der Personhaftigkeit Gottes ist die Geschichtlichkeit des Gottesverhältnisses begründet, d. h. es ist ein echtes Gegenüber von Gott und Mensch, bei dem beide Seiten auf die Gestaltung des Verhältnisses einwirken: Gott als der Handelnde und der Mensch alsder Antwortende. Sittlich ist das Handeln Gottes, nicht weil es irgendwelchen ewig gültigen Maßstäben entspricht, sondern weil es dem Menschen klar und deutlich den einheitlich gerichteten Willen Gottes offenbart und ihm so die Richtschnur zum innerweltlichen Handeln zeigt. Wenn von da aus eine gewisse Zurückhaltung der echten Jahwereligion dem Kultus gegenüber bereits in ihrer mosaischen Anfangszeit aus ihrem innersten Wesen heraus verständlich ist, so bedeutet das nicht, daß sie von vornherein kultlos oder gar kultfeindlich war. Dazu bedurfte es erst der bitteren Erfahrungen und Kämpfe im Kulturland und der göttlichen Antwort darauf durch den Mund der großen Propheten. Die wahre Jahwereligion konnte von der synkretistischen Entartung und Überwucherung nur dadurch befreit werden, daß ihr zentrales Anliegen ganz entschieden und mit heilsamer Einseitigkeit herausgestellt wurde. Die nur sehr äußerliche und flüchtige Wirkung der deuteronomischen Reform sowie ihre negativen Begleiterscheinungen (Stärkung des blinden Vertrauens auf den Tempel und den Kultus, Steigerung der Macht der Jerusalemer Priesterschaft) haben Jeremia sicher in seiner Überzeugung bestärkt, daß die Verderbnis, die vom Kult ausging, nicht mit Reformmaßnahmen beseitigt werden konnte 1 . Hier halfen keine halben Maßnahmen, sondern es galt zu beseitigen, was der menschlichen Selbstbehauptung Gott gegenüber diente. 8a. Feste: Neumond und Sabbat

Mag auch der Sabbat vielleicht nicht israelitischen Ursprungs sein 2 , so ist er doch zu einem spezifisch israelitischen Fest geworden. Durch die siebentägige Woche, die keine Rücksicht auf den Mondmonat nimmt, ist das Band zum Gestirnkult zerschnitten. Auch wird 1

Vgl. R U D O L P H , Jer. S . 6 9 ; A. B E N T Z E N , Die josianische Reform und ihre Voraussetzungen, 1926. 2 Zur Sabbatfrage siehe M E I N H O L D , Sabbat und Woche im AT, 1905; Die Entstehung des ¿abbat, ZAW 29, 1909, S. 81 ff.; E I S S F E L D T , Feste und Feiern in Israel, RGG 2 II, Sp. 553; K I T T E L , Geschichte 6 . 8, Bd. 1, 1923, S. 446f.; F R . B U H L , Gottesdienstliche Zeiten im AT, HRE 3 , VII, S. 23; B U D D E , Sabbat und Woche, Christi. Welt, 43. Jahrg., S. 202ff„ 265ff. und ZAW 48, NF. 7, 1930, S. 121ff.. 138ff.

8b. Naturfeste

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er nicht als Unglückstag wie der babylonische Sapattu, sondern als Tag der Arbeitsruhe (Am 8 4f.) und der Heiligung für Jahwe, an dem man dessen Gemeinschaft suchen soll ( J e s 113 I I Reg 4 23), angesehen. Am Sabbattage gedenkt Israel Jahwes als des Gebieters der Zeit und des gütigen Herrn. Die Propheten tadeln einerseits die Nichteinhaltung des Sabbat aus Gewinnsucht (Am 8 4f. J e r 17 19-27), und andererseits verurteilen sie die Sabbatfeier als bloßes Fest, das nicht aus der rechten Frömmigkeit entspringt ( J e s I13 Hos 211). Jahwe will von einer Verehrung, die nur auf Festzeiten beschränkt ist und mit einer gottwidrigen Lebensführung im Alltag Hand in Hand geht, nichts wissen. 8 b. Naturfeste Sie halten den Zusammenhang des menschlichen Lebens mit dem Werden und Vergehen der Pflanzen- und Tierwelt aufrecht. Soweit sie den Kreislauf der Natur feiern, hat Israel sie erst im Kulturland kennengelernt (Massot, Wochenfest), andere ähnlichen Charakters aus seiner halbnomadischen Zeit mitgebracht (Passah). E s liegt auf der Hand, welche Gefahrenmomente gerade die Naturfeste für die Jahwereligion darstellten. Sie konnten nur zu leicht die Jahwereligion mit naturhaften Elementen verseuchen und damit zur Verwischung des strengen Personcharakters Jahwes zu Gunsten naturhaft-unpersönlicher Gottesauffassung beitragen. Ihre Herkunft läßt sie immer wieder zu dem Bereich der Naturreligionen hin tendieren, in denen die Gottheit selbst in die Naturvorgänge verwickelt ist und der Verkehr mit ihr in magischer Weise, als Vermittlung von Kräften, gesucht wird. Dem wirkte die Verschmelzung der Naturfeste mit benachbarten Jahwefesten oder die Verknüpfung der alten Ackerbaufeste mit geschichtlichen Erinnerungen an die Heilstaten Jahwes entgegen (Passah und Massot). Der Erfolg, d. h. das Wachhalten jahwistischer Elemente der Festlegende im Volksbewußtsem, wird zeitlich und örtlich sehr verschieden gewesen sein, je nach der ganzen religiösen Situation. Merkwürdig ist nur, daß dieses Gebiet anscheinend nicht die Aufmerksamkeit der Propheten auf sich gezogen hat, obwohl sie doch gerade an den großen Festtagen mit ihrer Verkündigung vor die im Heiligtum versammelte Volksmenge zu treten pflegten ( J e r 7 J e s 1). Von den eigentlichen Festbräuchen hören wir nur beiläufige Bemerkungen, von der Festlegende und der ganzen hinter ihr stehenden priesterlichen Bundestheologie so gut wie gar nichts. Am 4 i erwähnt die Abgabe des Zehnten. Jes 30 29 weist auf festliche Vigilien mit Musik und Festjubel hin (vgl. Jer 33 11 — deuteronomisch; Am 6 28). Es wurden auch im Tempel reiche Festmahle gehalten, wahrscheinlich anläßlich des Herbstfestes, die in üppige Gelage ausarteten (Jes 28 7). Auf den Ritus

120

V. Die Kulthandlungen

des Wasserschöpfens aus der heiligen Quelle (Siloa ?) läßt wohl Jes 12 3 (vgl. I Sam 7 6) schließen, Ölspenden sind auf Grund von Mi 6 7 anzunehmen. Außer diesen regelmäßig wiederkehrenden Festen spielen noch einige Stellen auf außerordentliche Feste und Festbräuche an, so Mi 18 Jer 9l7ff. (vgl. Joel 2) auf Bitt- und Klageprozessionen und berufsmäßige Klagefrauen; Jer 14l2f. (vgl. I Reg 219) bezeugt Fastenbräuche, Jer 36 6 Festversammlungen, zu denen auch Pilger vom Lande erschienen, Jer 2 35 Unschuldsbekenntnisse.

Diese Spärlichkeit der prophetischen Äußerungen über Feste und die damit zusammenhängenden Bräuche kann m. E . nicht als rein zufällig angesehen werden, enthielten doch die Festlegenden auch echt jahwistische Traditionen, die die Propheten sicher geschätzt und in ihrer Verkündigung verwandt haben, z. B. die Auszugs-, Wüstenund Landnahmetraditionen und das Gottesrecht. Wenn sie dennoch die Feste gar nicht der ausführlichen Erwähnung für wert halten, so läßt das folgende Rückschlüsse zu: 1. Die vorexilischen Propheten vermochten keine positive Beziehung dieser Festlegenden zu Jahwe zu sehen, wahrscheinlich um der Abhängigkeit der Feste von der Naturreligion willen, kraft deren die naturhaften Elemente ein für die Jahwereligion unverträgliches Übergewicht über die sakralrechtlichen und heilsgeschichtlichen bekamen. Als Folgeerscheinungen traten die aut der kanaanäischen Naturreligion bekannten orgiastischen Kultbräuche auf (Hos 4 lof. I I Reg 23 7). 2. Der Bundesidee, die in der späteren Königszeit im Sinne des unverbrüchlichen, naturhaften Zusammenhanges zwischen Jahwe und seinem Volk mißverstanden wurde, stehen die Schriftpropheten zumindest mit großer Zurückhaltung, wenn nicht Ablehnung gegenüber. Dem Glauben, daß dieses Bundesverhältnis durch kultisches Handeln immer wieder erneuert und von Störungen befreit werden könne, setzen sie die Verkündigung des bevorstehenden Gerichts entgegen. Die Berufung auf die Heilstaten Jahwes und der sich darin dokumentierende Erwählungsglaube konnte dem Hören auf die Botschaft der Propheten nur im Wege stehen. 3. Die Einreihung der vorexilischen Schriftpropheten unter das Kultpersonal erscheint von da aus unmöglich. Die Schriftpropheten treten nicht als Kultbeamte in den Festversammlungen auf, sondern sie benutzen die Feste als günstige Gelegenheit, um einen größeren Zuhörerkreis zu erreichen. 4. Die israelitischen Feste standen im Urteil der Schriftpropheten unter dem Verdikt des Gerichts, genausowie das ganze gesellschaftliche und religiöse Leben Israels. 9. Der Begriff des Kultischen Erst jetzt läßt sich Genaueres darüber sagen, was die israelitische Kult- und Volksfrömmigkeit und was die Schriftpropheten unter Kultus verstanden haben.

9. Der Begriff des Kultischen

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1. Der Überblick über die Geschichte des israelitischen Kultus hat gezeigt, daß er seine Eigenart in der Abgrenzung gegen andere alt orientalische, vor allem kanaanäische Natur kulte gewonnen hat. Diese Eigenart läßt sich — von dem Namen der Gottheit, der er dargebracht wurde, abgesehen — nur negativ bestimmen, d. h. gewisse Bräuche gelten als mit der Jahweverehrung unvereinbar (z. B. Kedeschenwesen, Toten- und Dämonenkult, Menschenopfer, Verehrung von Natursymbolen, Gottesbildern sowie Astralkörpern und deren Symbolen), anderen wird nur beschränkte Geltung eingeräumt. Sie werden dem Wesen der Jahwereligion durch Umdeutung angepaßt (z. B. Masseben, gewisse Mittel der Orakelerteilung und Mantik, Reinigungs- und Fruchtbarkeitsriten, Naturfeste usw.). Die gestaltende Kraft des Jahweglaubens drückt sich also in der Umdeutung und teilweisen Umgestaltung der uralten, aus dem Bereich der altorientalischen, vor allem kanaanäischen Naturreligion übernommenen Kulteinrichtungen und -bräuche und nicht in der Schaffung neuer Institutionen aus. Der Inhalt ändert sich, die Form bleibt im wesentlichen dieselbe. Während der Königszeit kann man eine rückläufige Bewegung beobachten. Sie setzt bereits unter David und noch viel stärker unter Salomo ein. Für die frühe Königszeit kann man auf diese Bewegung nur indirekte Rückschlüsse ziehen. Deutlich greifbar wird sie erst in den Elia-Elisa-Erzählungen und vor allem in der Polemik der Schriftpropheten gegen den Kult. Das Wesen dieser rückläufigen Bewegung besteht im Nachlassen der inneren Kraft der Jahwereligion, durch die sie allein die ihr eigentlich fremden Elemente des Kultus ihrem eigenen Inhalt unterzuordnen und dienstbar zu machen vermochte. Dieses Erlahmen der eigenen religiösen Kraft hat ein erneutes Aufleben der zurückgedrängten und halbverdeckten heidnischen, naturhaft-dynamistischen Grundlage des israelitischen Kultus zur Folge. Die ihm von Hause aus allein entsprechenden naturhaften Motive verselbständigen sich und tauchen erneut im Bewußtsein des israelitischen Volkes auf. Sie verbinden sich auch mit verwandten Elementen, die unter fremdem Einfluß in Israel eindringen. Unter Kultus hat das Volk und die Priesterschaft — obwohl es unter ihr auch anders gesinnte Kreise gab (Dtn) — zu dieser Zeit im wesentlichen das Gleiche verstanden wie die anderen altorientalischen Völker: ein System von ziemlich automatisch wirkenden Opfern und Riten, die das Wohlergehen der Gemeinschaft und des einzelnen garantieren oder erzeugen. Dabei ist die Adresse des Kultus ziemlich nebensächlich. Das geht aus der Identifizierung Jahwes mit Baal und wahrscheinlich auch anderen Gottheiten sowie der Verehrung fremder Götter neben Jahwe hervor. Schließlich sind sie alle als Naturgottheiten wesensverwandt 1

Daß dieser Synkretismus nicht zu allen Zeiten und nicht im ganzen Volk unumstritten herrschte, ist unter II und III deutlich genug gesagt worden. Zur

V. Die Kulthandlungen

122

2. Die vorexilischen Schriftpropheten sind bei ihrer Polemik gegen den Kult von dem gleichen Kultbegriff ausgegangen1. Das konnte auch deshalb nicht anders sein, weil sie sich nicht mit der Theorie des Kultus und seinen verschiedenen Möglichkeiten, sondern mit der Kultpraxis ihrer Zeit befaßten. Man sieht das auch an der Zeit der Schriftpropheten muß diese synkretistische Jahwereligion jedenfalls sowohl im Volke als auch unter der Priesterschaft vorherrschend gewesen sein. 1

Ein Wort f ü r Kultus fehlt bei den Propheten, obwohl ¡"IT33? und 13V sicher

vor dem Exil im kultisch-technischen Sinne gebraucht wurden. Das Wort k o m m t bei den vorexilischen Schriftpropheten im technischen Sinne »kultischen Dienst tun« oder »kultischen Brauch üben« vorwiegend in Verbindung mit fremden K u l t e n vor: Jer 619 82 1110 1310 1613 22» 268 3015 443 220. An der letzten Stelle ist der Text unsicher. Zur Bezeichnung der Jahweverehrung steht es in den Prophetenbüchern nur an unechten Stellen, z. B. Jes 19 21.33 (Verehrung Jahwes durch fremde Völker) und Jer 30 8. Sonst wird von den Propheten n u r im profanen Sinne »Sklave, Knecht sein, dienen« gebraucht, z. B. Jer 25 11 27 7. Dagegen k o m m t das Substantivum "I3JJ im Sinne »Knecht, Diener, Werkzeug Jahwes« häufig vor, so besonders oft von den Propheten ausgesagt, z. B. Jes 20'8 (die sich mehrmals wiederholende Wendung D , K , 3än "HDi? Jer 7 25 26 5 44* ist wohl vom deuteronomischen Sprachgebrauch abhängig), von David Jes 37 35 (Echtheit fraglich), Jer 33 2lf. und v. 26 (wahrscheinlich nicht jeremianisch), vom König von Babel (Nebukadnezar) Jer 20 9 27 8 43 10, vom Nordreich Jer 30 10 a s 46 27f. und schließlich von Eljakim Jes 22 20. — Diese Übersicht zeigt, daß l Bezeichnung des Abhängigkeitsverhältnisses des Menschen von Gott bei den vorexilischen Schriftpropheten verhältnismäßig selten vorkommt. Der Sprachgebrauch zeigt ferner, daß der Mensch nicht deshalb 1357 Gottes genannt wird, weil er seinen kultischen Pflichten nachkommt (daran könnte zur Not an den Stellen, die die Nordstämme als 13V bezeichnen, gedacht werden), sondern weil er als Werkzeug zur Durchführung der Absichten Jahwes in der Geschichte (so David und Nebukadnezar) oder zur Verkündigung seines Wortes dient. Ganz anders verhält es sich mit dem Gebrauch des gleichen Stammes im Babylonischen und Kanaanäischen. Dort nennt man vor allem die Könige »Knechte« oder »Diener« der Gottheit, weil sie für die Ausstattung des Kultus Sorge tragen; ihre Tempelbauten und Dotationen werden häufig aufgezählt, um zu zeigen, wie glänzend sie sich als Diener der Gottheit bewährt haben. Da der andere, allerdings im AT selten gebrauchte terminus technicus für kultischen Dienst, r n t f , bei den vorexilischen Propheten nicht vork o m m t (außer Jer332li. 62is), um so häufiger aber in den Gesetzestexten, muß man annehmen, daß die Propheten bewußt den Gebrauch dieser termini vermieden haben. Stattdessen verwenden sie Bezeichnungen der typischen Kulthandlungen als pars pro toto zur Kennzeichnung des ganzen Kultus. Die Propheten vermeiden den Gebrauch der erwähnten Sammelbezeichnungen f ü r den ganzen Kultus wohl deshalb, weil diese das Verhältnis des Menschen zu Gott einseitig von der Erfüllung kultischer Pflichten abhängig machen.

9. Der Begriff des Kultischen

123

Unterschiedslosigkeit, mit der die Schriftpropheten den Jahwekult und die Fremdkulte behandeln. Die Ablehnung des Kultus durch die Propheten ist durch die mit ihm gemachten geschichtlichen Erfahrungen seit der Landnahmezeit bedingt, die gezeigt haben, daß der Kult, so wie er nun einmal seit der Seßhaftwerdung war, sich in den Rahmen der Jahwereligion kaum einordnen ließ. Ihm wohnte von Natur aus die Tendenz inne, die absolute, den Verkehr zwischen Gott und Mensch beherrschende Stellung einzunehmen; er eignete sich daher schlecht dazu, nur ein besonderer Ausdruck der in allen Lebensbereichen primär geübten und bewährten Gottbezogenheit des Volkes zu sein. Die Polemik der Propheten galt nicht den Formen des gemeinschaftlichen, gottesdienstlichen Handelns an sich, sondern dem Kultus, sofern er die willensbestimmte, sittliche Person und Souveränität Jahwes verdunkelte und beeinträchtigte, d. h. sofern er Naturkult war, denn er stand offensichtlich der unmittelbaren Konfrontierung des Menschen mit Gott im Wege. Sie aber und die tatsächliche Anerkennung des unbedingten Herrschaftsanspruchs Jahwes auf das Bundesvolk waren das Hauptziel des prophetischen Wirkens. Eine wesentlich andere Form des gemeinschaftlichen, gottesdienstlichen Handelns als die zu ihrer Zeit übliche haben die Propheten nicht gekannt, deshalb spielen sie auch keinen reinen Jahwekult gegen den entarteten Kult ihrer Zeit aus. Sie leugnen vielmehr jede Beziehung des kultischen Handelns zu Jahwe. Jahwe fordert nicht rituelle Leistung, sondern Glaube, Liebe, Treue und Demut. Die Möglichkeit, diese Glaubenshaltung auch mit den Mitteln des Kultus zum Ausdruck zu bringen, haben die Propheten nicht erwogen. Sie glaubten, daß die Gemeinschaft mit Gott und der für ihre Aufrechterhaltung unentbehrliche Verkehr zwischen Gott und Mensch auch ohne die üblichen kultischen Formen fortbestehen kann. Jahwe spricht zu seinem Volk unmittelbar durch die Ereignisse der Geschichte, vor allem aber durch den Mund der Propheten. Der gerechte Richter, der die alten Bundessatzungen und Gebote Jahwes zur Grundlage seiner Rechtsprechung und Weiterentwicklung des Rechts macht, ist ein weiteres Werkzeug der Willensoffenbarung Jahwes. Dagegen geht die Tora-Erteilung von den Priestern auf die Propheten über. Nur selten wird dem König, vor allen anderen David, eine solche Mittlerfunktion zugesprochen. Für die dem Gericht folgende Heilszeit erwarten die Propheten, daß Jahwe unmittelbar zum Volk sprechen wird, oder sie hoffen auf eine so gründliche Umwandlung des Menschen, daß der göttliche Wille ihm ohne weitere Mitteilung und Belehrung einsichtig sein wird (Jer 31 34). Über die Formen des gemeinschaftlichen Handelns des Menschen vor Gott in der künftigen Heilszeit machten sich die Propheten kaum Gedanken. Das Volk soll auf die Heilstaten

124

V. Die Kulthandlungen

Jahwes genausowie in der »Brautzeit« mit Glaube, Liebe und Gehorsam antworten. Zuweilen scheinen die Propheten vorauszusetzen, daß es nach der Wiederherstellung des Volkes in der dem Gericht folgenden Heilszeit einen gereinigten Kultus geben wird, der gewisse Formen des gegenwärtigen Kultus beibehält. So vor allem Bekenntnis, Jubel, Lobgesang und Tora-Erteilung: Hos 14 2ff. Jes 2 2-4 9 3 30 29ff. Mi 4 1-8 J e r 3 22f. 30 i9ff. Von der Opferdarbringung in der Heilszeit spricht nur Zephanja (3 io). Schließlich nennt Jes 6 einen opferlosen Gottesdienst des Zion-Tempels, in dem fast nur die WortElemente eine Rolle spielen 1 . Diese gottesdienstlichen Handlungen mögen wir heute kultisch nennen, nach den im vorexilischen Israel geltenden Begriffen waren sie es zweifellos nicht. Kultus war ohne Opfer, Tabu-Vorschriften und andere rituelle Satzungen nach den Vorstellungen der damaligen Zeit kein Kultus mehr. Wenn die Propheten kaum über einen Jahwe wohlgefälligen Kultus, dafür aber sehr deutlich und ausführlich von der rechten Gottesbeziehung und dem daraus folgenden menschlichen Verhalten sprechen, so zeigt das, daß er für sie keinen objektiven Eigenwert besitzt. Er ist nur ein Ausdruck der Gottbezogenheit des Menschen. Diese Gottbezogenheit selbst hatte das Bundesvolk, nach der Ansicht der Propheten, im Räume der Geschichte und des täglichen Lebens zu realisieren und zu bewähren. Von da aus ist auch die Ablehnung des kultischen Gebets zu verstehen. Weil diese Anrufung Jahwes aus einer falschen Religiosität heraus kam, d. h. weil sie im Zusammenhang eines verkehrten Kultus und gottlosen Lebens geschah, deshalb wurde sie verworfen. Man kann nicht den umgekehrten Schluß ziehen: weil nicht das Gebet an sich verworfen wird, wird auch der Opferkult nicht an sich, sondern nur seine entartete Form verworfen. Das hieße die Propheten zu Kultreformern machen, was sie gewiß nicht waren. Der Kultus — er ist nach allem, was wir über die vorexilische Zeit wissen, ohne Opfer nicht denkbar 2 — war nach dem Urteil 1 Das Gebot der Sabbatheiligung (Am 8 4ff. J e r 17 1 9 - 2 7 ) gehört nicht hierher, weil es nicht unter dem kultischen Aspekt, sondern mehr von seinem Einfluß auf das wirtschaftliche und soziale Leben her gesehen wird. J e r 17 19-27 ist vom Deuteronomisten überarbeitet. 2 Gegen M O W I N C K E L , Psalmenstudien II, S . 1 9 . Damit soll nicht geleugnet werden, daß der Kult auch andere Elemente als das Opfer enthielt, doch diese erhalten nur in ihrer Bezogenheit auf das Opfer ihren Sinn und ihre Bedeutung. Freilich können auch die Wortelemente des Kultus bis zu einem gewissen Grade ihrerseits das Verständnis des Opfers beeinflussen. Daß sie es nur in einem sehr bsschränkten Maße vollbringen konnten, zeigt die Geschichte des israelitischen Kultus deutlich genug. In nachexilischer Zeit, als an die Stelle des Volkes eine reine Religionsgemeinde getreten ist, gelang diese Umdeutung zwar besser, aber sie wurde

9. Der Begriff des Kultischen

125

der vorexilischen Propheten unzertrennlich mit der falschen, von menschlichen Bedürfnissen und Wünschen her bestimmten Religiosität verbunden. In ihm verdichtete und verkörperte sich dieses gottwidrige, weil nur auf eigene Selbstbehauptung und Selbstsicherung bedachte Streben des Menschen. Die Polemik der Propheten ist von ihren Zeitgenossen sicher als grundsätzliche Ablehnung des Kultus verstanden worden. durch eine völlige Sinnentleerung des Kultus, die ihn zu einer bloßen Gehorsamsübung gemacht hat, erkauft. Dieser Verlust des Eigenwertes hat den Kultus sachlich überflüssig gemacht, schon lange bevor er durch die Tempelzerstörung beseitigt wurde. Vgl. S. MOWINCKEL, Religion und Kultus, Göttingen 1953, S. 10—13 und 102—108. A. BERTHOLET, Zum Verständnis des alttestamentlichen Opfergedankens, J B L 1930; ders., Der Sinn des kultischen Opfers, A P r W Phil.-hist. Kl. 2, 1942/43; ders., Über kultische Motivverschiebung, A P r W X V I I I , 1938.

VI, Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal i. Abgrenzung der Aufgabenbereiche der israelitischen Priester und Propheten Die Schwierigkeiten, die bei dem Versuch einer klaren Abgrenzung der Aufgabenbereiche der israelitischen Priester und Propheten entstehen, sind dadurch bedingt, daß das Wort zur Bezeichnung von Gestalten der israelitischen Religion, deren Wesen und Aufgaben sehr verschieden sind, verwendet wird. Als werden sowohl die großen Gestalten der israelitischen Religion wie Mose und Samuel bezeichnet, die zugleich Priester, Propheten und Verkündiger des Gottesrechts sind, als auch die oppositionellen Propheten des Nordreiches wie Elia, Elisa und Micha ben Jimla sowie die sog. Schriftpropheten und ihre Gegner, die Heilspropheten. Auf Grund dieser Überschneidung der prophetischen und priesterlichen Funktionen stellen manche Forscher einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den israelitischen Priestern und Propheten in Abrede1. Die Propheten werden dann als Kultbeamte angesehen, deren Aufgaben sich von denen der Priester grundsätzlich nicht unterscheiden. Diese Grenzverwischung zwischen den Aufgabenbereichen der Priester und Propheten ist außerdem durch die Unbestimmtheit und Allgemeinheit der rein phänomenologischen Begriffsbestimmung bedingt, die ja eine große Zahl verwandter, aber doch auch sehr differenzierter Erscheinungen umfassen muß. So bezeichnet VAN DER LEEUW2 den Propheten als den »Sprecher« der Gottheit. Das ist freilich auch der Priester. Weitere Schwierigkeiten bei der Abgrenzung beider Stände erwachsen daraus, daß man zum Ausgangspunkt der phänomenologischen Bestimmung des Priester- und Prophetentums ein postuliertes homogenes Stadium der »primitiven Einheitskultur«, in dem ihre Funktionen noch nicht, oder ein spätes Verfallsstadium der Kultur, in dem sie nicht mehr genau voneinander unterschieden 1 MOWINCKEL, Psalmenstudien III, S. 6; ders., Religion und Kultus, S. 54—57; A. HALDAR, Associations of Cult-Prophets among the Ancients Semites, Uppsala 1945. Vgl. die Besprechung dieses Buches durch EISSFELDT, ThLZ 73, 1948. HALDAR sieht in den verschiedenen Titeln der Kultbeamten, die man gewöhnlich als Priester und Propheten unterscheidet, nur Bezeichnungen verschiedener kultischer Funktionen und Situationen. Sie werden dem das betreffende Ritual gerade vollziehenden Kultbeamten beigelegt, a. a. O. S. 199. 1

G. VAN DER LEEUW, Phänomenologie der Religion, Tübingen 1923, S. 204.

1. Abgrenzung der Aufgabenbereiche der israelitischen Priester und Propheten

127

werden können, wählt. Dabei ist es durchaus fraglich, ob der Begriff »primitive Einheitskultur« für Israel anwendbar ist, denn der Mittelpunkt einer solchen Kultur, nämlich der Häuptling, fehlt in der Frühzeit Israels. Mose und Samuel sind nicht »Häuptlinge«, sondern Träger eines besonderen Amtes des Stämmeverbandes, des Amtes des Bundesmittlers, das ausgesprochen charismatischen Charakter hat und priesterliche, prophetische sowie sakralrechtliche Funktionen umfaßt. Dieses Amt, das einen Sonderfall darstellt, darf nicht den Ausgangspunkt für die Bestimmung des Wesens und der Aufgaben der israelitischen Priester und Propheten bilden. Genausowenig darf man dabei von den Verhältnissen der nachexilischen Zeit ausgehen, in der die Charismatiker längst ihren ursprünglichen, spontanen Charakter verloren und deshalb den unpersönlichen Amtscharakter des Priestertums angenommen haben. Wenn man von diesen Grenzfällen vorläufig absieht, dann läßt sich in der alttestamentlichen Überlieferung eine Unterscheidung zwischen Priestern und Propheten auf Grund der Art, in der das Gotteswort vermittelt wird, durchführen. Erfährt der Priester den Willen der Gottheit mehr aus seiner Kenntnis der sakralen Tradition heraus und mit technischen Hilfsmitteln der Gottesbefragung, so ergeht das göttliche Wort durch den Mund des Propheten spontan und unmittelbar, was häufig, freilich nicht immer, mit Ekstase verbunden ist. Jedenfalls ist die persönliche Begabung, die außergewöhnliche Fähigkeit zum Wortempfang bei dem Propheten ausschlaggebend. Die technischen Mittel, sofern es sich nicht um Entartungserscheinungen handelt, dienen nur der Steigerung dieser Fähigkeit. Bei aller Bindung an bestimmte sakrale Traditionen tritt uns das Prophetentum in der alttestamentlichen Überlieferung als eine vom Priestertum recht unabhängige und unterschiedliche Größe entgegen. Die Nivellierung dieses Unterschiedes ist meistens dadurch bedingt, daß man, von außerisraelitischen Beispielen ausgehend, das Wesen der israelitischen Prophetie von der allgemein phänomenologischen, formalen Seite zu erfassen sucht 1 . Man hebt dabei zu sehr das amtlich-institutionelle Moment des Prophetentums hervor, meist an der Hand später, epigonenhafter Erscheinungen, bei denen das agendarisch festgelegte Prophetenwort im Kult an die Stelle der echten Inspiration tritt. Auch die Epigonen wahren noch den Schein echter Inspiration, und ihr Festhalten an der Form zeigt, daß man immer vom Propheten ein inspiriertes, also unmittelbar von der Gottheit stammendes Wort erwartete. Wo die echte Begeisterung, das echte Charismatikertum erlischt, da tritt an seine Stelle die Nachahmung, 1 Siehe die Begriffsbestimmung bei vgl. S. 6 - 8 .

MOWINCKEL,

Psalmenstudien

III,

S. 6;

128

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

die erstarrte Form. Das Priestertum übernimmt dann oft die Funktionen des Prophetentums. Ursprünglich ist das aber nicht. Schließlich versucht man, die technische Mantik — zweifellos vornehmlich ein zum Priestertum gehöriger Bereich — dem Prophetentum zuzuschieben. Diese Gleichmachung ist schon rein religionsgeschichtlich gesehen nicht haltbar, da in vielen Religionen Priester und Propheten als zwei verschiedene Typen der Mittler zwischen Gott und Mensch empfunden werden 1 . Deshalb scheint es mir ratsam, die von der neueren Forschung so betonte Beziehung des israelitischen Prophetentums zum Kult dahingehend einzuschränken, daß sie grundsätzlich nichts anderes besagt, als daß die Propheten von der offiziellen Religion anerkannte Mittler zwischen Gott und Mensch sind. Von den Priestern unterscheiden sie sich durch die Art, auf die sie diese Vermittlung ausüben. Der Prophet ist auch eine Art Amtsträger, jedoch besonderen Charakters. Das prophetische »Amt« innerhalb der israelitischen Religion ist ein Ausdruck für deren Offenheit gegenüber dem irrationalen, spontanen Element in der Gottesvorstellung. Seine Existenz zeigt, daß man im Umgang mit der Gottheit mit Überraschungen zu rechnen hat, daß man ihn nicht ausschließlich auf feste, statuarische Formen beschränken kann. In der Anerkennung der Propheten als eines Faktors der offiziellen Religion wird das Irrationale der göttlichen Wirkungsweise auf der einen und das menschliche Bedürfnis nach spontanen, begeisterten Äußerungen des Erlebens der göttlichen Macht auf der anderen Seite dokumentiert. Die Propheten sind die eigentlichen homines religiosi, die von der göttlichen Macht oder dem Geist Gottes Besessenen. Die Einordnung der Prophetie in die offizielle Religion bedeutet freilich zugleich die Einschränkung der außerordentlichen, spontanen Wirkungsweise Gottes auf einen begrenzten Bereich, während zugleich umgekehrt das dem prophetischen Amt trotz aller Ansätze zum »Institutionellen« eigene Irrationale, nicht durch feste Regeln Faßbare den Amtscharakter der Prophetie in Frage stellt und das Prophetentum letztlich der menschlichen Verfügungsgewalt entzieht. So kann der Prophet sowohl im Kultus neben dem Priester seinen Platz erhalten, als auch eigene Formen des Umgangs mit der Gottheit schaffen, die mit dem an den heiligen Stätten von den Priestern verrichteten Dienst nur in sehr losem Zusammenhang stehen. Kultisch bleibt sein Handeln, solange es sich innerhalb der von der Gemeinschaft als gültig anerkannten Grenzen bewegt, die vor allem durch die Gottesauffassung der israelitischen Religion gesetzt sind. Eine solche, allgemeine Bindung an die offizielle Religion besagt aber noch nichts über den institutionellen Charakter des Prophetentums. Der Begriff des »Kultpropheten« — 1

Vgl.

VAN D E R

LEEUW,

Phänomenologie §§

26

und

27.

2 a Aufgabe und Bedeutung des Priestertums in der Jahwereligion

129

soll er überhaupt einen wissenschaftlichen Wert haben — muß vielmehr den Männern vorbehalten bleiben, die als organisierte Gilden zum beamteten Kultpersonal gehören, und deren Mitwirkung an der Gestaltung des Kultus agendarisch festgelegt ist. Das Prophetentum steht also in zweifacher Gefahr. Erstens kann es mit dem Nachlassen der echten Begeisterung und Inspiration im Priestertum aufgehen. Dem kommt das Bedürfnis jedes kultischen Handelns nach einer festen, agendarischen Form entgegen. In einem solchen Fall wird der Prophet zum Verleser ein für allemal festliegender »Prophetenworte« im Gottesdienst, wobei der Schein echter Spontaneität mehr oder weniger glaubhaft aufrechterhalten werden kann. Damit verliert das Prophetentum seine Selbständigkeit und Besonderheit. Zweitens kann das Prophetentum den für es vorgesehenen Raum innerhalb der offiziellen Religion verlassen und in Widerspruch zu ihr geraten. Dann wird es entweder aus ihr als häretisch ausgeschieden, oder es wirkt umgestaltend und befruchtend auf die ganze Religion. Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen heraus ergeben sich folgende Fragen: 1. Läßt sich im AT eine klare Scheidung zwischen Priestern und Propheten durchführen ? 2. In welchem Verhältnis standen die Propheten zum Kultpersonal? 3. Bilden die Schriftpropheten eine selbständige Erscheinung, die sich von allem, was wir sonst im AT als Propheten bezeichnet finden, wesentlich unterscheidet ? 4. Muß das israelitische Prophetentum noch weiter differenziert werden, und setzt diese Differenzierung das Bestehen verschiedener prophetischer Organisationen voraus? Zur Beantwortung dieser Fragen muß zuerst das Verhältnis zwischen Priester- und Prophetentum im AT und die Stellung der Schriftpropheten zu diesen beiden Größen untersucht werden. 2. Das israelitische Priestertum 2 a. Aufgabe und Bedeutung des Priestertums in der Jahwereligion

Die innere Stabilität und Kontinuierlichkeit der Tradition bildet das charakteristische Merkmal des israelitischen Priestertums. Es hat sehr wesentlich zur Festigung und Erhaltung der Jahwereligion beigetragen, indem es die Bildung fester, heiliger Normen sowohl kultischer als auch rechtlich-ethischer Art gefördert hat und somit gewissermaßen den Leib der neuen Religion zu gestalten half. Kultus und Gottesrecht waren die äußeren Mittel, die den losen Stämmeverband der Mose- und Josua-Richter-Zeit zusammenhielten und der ideellen Glaubenseinheit die sichtbaren Formen verliehen. Ständige Erhalter und Verwalter von beiden waren die Priester. Damit ist bereits angedeutet, daß das Priestertum innerhalb der Jahwereligion H e n t s c h k e , Die Stellung der vorexilischen Schtiftpfopheten zum Kultus

9

130

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

vor allem die Pflege des Gottesrechts und seine Weiterentwicklung und Anwendung auf die sich jeweils verändernden Verhältnisse zur Aufgabe hatte. Der Dienst als Berater und Lehrer des Volkes, als Vermittler der göttlichen Entscheidungen (BBWD) und Weisungen (rnta) tritt bei ihm schon sehr bald in den Vordergrund (vgl. Dtn 33 8-11). Die Einfachheit des dabei benutzten Losorakels (Ürim und Tümmim) und die Ausscheidung anderer technischer Mittel der Gottesbefragung verhinderten die Herausbildung eines komplizierten priesterlichen Geheimwissens, das z. B. in der babylonisch-assyrischen Religion eine so große Rolle spielte. In der Jahwereligion hingegen verlagert sich die Aufgabe des Priesters bei der Orakeleinholung mehr auf das rationale Gebiet der richtigen Formulierung der an Gott gerichteten Fragen. Damit ergab sich von selbst die Aufgabe der Aufhellung und Beurteilung der vom Laien vorgebrachten Tatbestände vom Gottesrecht her und die Belehrung des Laien. Den Niederschlag dieser belehrenden Tätigkeit der israelitischen Priesterschaft finden wir in dem so ausgeprägten ethisch-paränetischen Interesse der ältesten Gesetze und Erzählungen des AT und der bereits in vorexilischer Zeit geformten entsprechenden Stilgattung. Natürlich galt das Interesse der israelitischen Priester nicht minder den rein kultischen Fragen, wie Opfer, Lustrationen, kultische Reinheitsvorschriften usw. Beides wurde als Willenskundgebung Jahwes anerkannt. Der Gott Israels wird auch in der priesterlichen Tradition als Person empfunden und nicht als eine unpersönliche Macht, die durch Tabugebote von der Berührung mit der profanen Welt geschützt, bzw. durch magische Handlungen ihr erschlossen und vermittelt werden soll. Die kultischen Verrichtungen verlieren ihren magischen, die Gottheit zwingenden Charakter und werden in steigendem Maße zu Gehorsamsakten. Dies ist nicht erst das Produkt exilischer und nachexilischer Zeit, sondern diese Tendenzen finden wir bereits im vorexilischen Israel; restlos durchgesetzt haben sie sich allerdings erst in nachexilischer Zeit. Diese Hinweise und der Vergleich mit anderen altorientalischen Religionen, in denen zwar auch das Recht als sakrales Recht zu den göttlichen Forderungen gehört, aber sowohl formal als auch inhaltlich eine weit geringere Rolle den kultischen Vorschriften gegenüber spielt 1 , mögen in unserem Zusammenhang genügen, um die umgestaltende Wirkung des Jahwe1 Das sieht man z. B. daraus, daß im sumeiisch-akkadischen und im hethitischen Recht so wichtige Rechtsgebiete wie das Familien- und Eherecht sowie Bestimmungen über Sklaven unter dem privatrechtlichen Gesichtspunkt des Vermögens- bzw. Sachenrechts behandelt werden. In Israel gehören sie zu dem Bereich der wichtigsten Gottesgebote; vgl. J. HEMPEL, Das Ethos des AT, ZAWB 67,

1 9 3 8 , S. 5 2 - 6 5 ,

68-73

und

161-194.

2 a. Aufgabe und Bedeutung des Priestertums in der Jahwereligion

131

glaubens auf die allgemein- priesterliche Religionsauffassung anzudeuten. Der Inhalt des israelitischen Gottesrechts bildet die gemeinsame Basis für die Wirksamkeit der Priester und der Propheten. Bei aller Verschiedenheit der Gottesauffassung gilt doch der Inhalt der religiösethischen Gebote auch den Propheten als göttlich und für Israel verbindlich. Die Herausbildung und Festigung dieser gemeinsamen Basis ist das Werk der Jahwepriesterschaft. Ihre konservativ-festigende Wirkung auf die Religion und Sittlichkeit des vorexilischen Israels kann man vielleicht so umschreiben: Ihr Bestreben galt der Aufrichtung einer stabilen, heiligen (nach der sittlichen und kultischen Seite hin) Rechtsordnung. Das Bundesvolk soll als Ganzes schon jetzt die Bundespflichten erfüllen. Diesem Bemühen liegt der Glaube zugrunde, daß die Gottesherrschaft empirisch verwirklicht werden kann. Die positive Seite der priesterlichen Wirksamkeit kam freilich nicht ungehemmt in der Geschichte Israels zur Geltung. Die Hemmungen waren teils geschichtlich bedingt, teils lagen sie in dem Wesen der priesterlichen Gottes- und Weltauffassung begründet. Unter den erstgenannten Faktoren sind die Einflüsse zu nennen, die von den alten kanaanäischen Heiligtümern auf die Jahwepriesterschaft ausgingen. Bei der Besitzergreifung dieser Heiligtümer durch die Israeliten und ihrer Eingliederung in die Jahwereligion zieht dort meist das neue israelitische Kultpersonal ein. In vielen Fällen wird wohl die Verdrängung der alten kanaanäischen Priesterschaft nicht vollständig gelungen sein. Jedenfalls wies auch die Jahwepriesterschaft nicht immer genügend Widerstandskraft gegen die kanaanäischen Einflüsse auf. Darauf können wir aus den an diesen Ortsheiligtümern herrschenden Zuständen schließen. Leider lassen die Quellen keinen genaueren Einblick in die sich an dieser Frage vollziehende Parteibildung innerhalb der israelitischen Priesterschaft zu. Im Nordreich scheint sie jedoch viel früher und stärker die synkretistische Richtung eingeschlagen zu haben als in Juda. Ein sehr wichtiger Faktor ist ferner die Bindung an das Königtum und die steigende Abhängigkeit von ihm. Seit David gehören die Priester zu der königlichen Beamtenschaft. Das trifft in erster Linie für die großen Reichsheiligtümer z u D i e s e r Zustand setzt sich auch nach der Reichsspaltung fort, im Nordreich (vgl. Am 7 13) nicht minder als im Süden; Auch die levitische Priesterschaft verhielt sich den kanaanäischen Einflüssen gegenüber nicht immer ablehnend. Man kann sie nicht zum alleinigen Träger der alten spezifisch-jahwistischen Traditionen machen (vgl. J d c 17—18). Die starke Kanaanisierung der Heiligtümer des Nordreiches, die z. T. sicher levitische Priester besaßen, spricht dagegen (HÖLSCHER, Geschichte der isr. und jüd. Religion, 1922, S. 9 0 - 9 3 ) . 1

9*

132

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

nur scheint das Priestertum im Nordreich nicht das gleiche politische Gewicht erlangt zu haben wie in Juda. Das ist sicher in der Mehrzahl der miteinander konkurrierenden großen Heiligtümer und in dem charismatischen Charakter des Königtums im Nordreich begründet. In Jerusalem wirkte sich die polemische Haltung gegenüber dem kanaanisierten Kultus des Nordreiches und die überlegene Bedeutung des Zionstempels günstig auf die Erhaltung der mosaischen, jahwetreuen Tendenzen der Priesterschaft aus 1 . Diese kommen in den beiden Reformversuchen unter Hiskia und Josia zum Ausdruck. Auch im Nordreich sind die alten heilsgeschichtlichen und sakralrechtlichen Traditionen Israels nicht völlig vergessen worden. Noch Arnos und Hosea setzen ihre Pflege an den Heiligtümern des Nordreiches voraus (siehe IV, 2 und 3). Wahrscheinlich gab es auch unter den Priestern dieser Heiligtümer Anhänger der oppositionellen, prophetischen Bewegung, die vielleicht vom Priesteramt verdrängt wurden. Gleichwohl machte die Kanaanisierung des Kultus im Nordreich rasche Fortschritte. Das sieht man daran, daß noch Arnos allein gegen das falsche Vertrauen auf die heilbringende Wirkung des Jahwekultes polemisiert, während Hosea gegen seine Überfremdung ankämpft. Allerdings liegt in der Abhängigkeit vom Königtum und der damit verbundenen Machtsteigerung der Jerusalemer Priesterschaft der Grund zu ihrer Entartung und zur Preisgabe der genuinjahwistischen Tendenzen. Ihre bevorzugte Stellung führt zu Auseinandersetzungen mit der Priesterschaft der Lokalheiligtümer. Diese waren um so eher zu Konzessionen an die alten kanaanäischen Bräuche des Naturkults bereit, um so die Anziehungskraft ihrer Heiligtümer zu steigern und sich dem Jerusalemer Tempel gegenüber behaupten zu können. Der äußere Glanz, der steigende materielle Aufwand des Opferkults und der sich immer stärker durchsetzende Wille der Jerusalemer Priesterschaft zur kultischen Monopolstellung in Juda begünstigen die Bildung einer streng abgeschlossenen, hierarchisch gegliederten Priesterkaste. Sie verfiel oft genug der Geld- und Machtgier so hemmungslos, daß sich sogar die Könige zum Einschreiten gezwungen sahen 2 . Aber auch abgesehen von diesen säkularen Motiven hatte das enge Bündnis mit dem Königtum seine negativen Auswirkungen. Der reiche Opferkult, der ja größten1

Vgl. I Reg 1612-18 22 47 II Reg 11. Die in mancher Beziehung fühlbare Verwandtschaft des Deuteronomiums mit der Botschaft der Propheten zeigt, daß beide auf dem gemeinsamen Boden der alten religiösen Überlieferung standen. Erst diese Gemeinsamkeit ermöglichte die Aufnahme mancher prophetischer Elemente in das deuteronomische Programm. 2 Dies läßt nicht nur die Polemik der Propheten, sondern auch II Reg 12 1-1« erkennen.

2a. Aufgabe und Bedeutung des Priestertums in der Jahwereligion

133

teils vom Staat getragen wurde, gewann im steigenden Maße eine Eigenbedeutung, die ihm in der Jahwereligion nicht zukam. Er wurde immer mehr verobjektiviert, d. h. der Vollzug des Kultus an sich und die Quantität der Opfer gewannen an Bedeutung, wobei die Person des Darbringenden in den Hintergrund trat. Der Schwerpunkt des Interesses verlagerte sich bei der Priesterschaft auf die glänzenden und gewinnbringenden Opferhandlungen, und die Pflege des Gottesrechts sowie die Tora-Erteilung traten zurück. Der rege Tempelbetrieb und die herausgehobene Stellung der Priester wirkten sich dahingehend aus, daß diese die Fühlung mit den breiten Volksschichten verloren und zu Parteigängern des Königs und der höheren Stände wurden. Die Vernachlässigung der beratenden und belehrenden Funktionen brachte das Priestertum um die sittlichen Tiefenwirkungen auf das Volk, die ihm die Jahwereligion als die vornehmste Aufgabe zugewiesen hatte. Das enge Bündnis der Jerusalemer Priesterschaft mit dem Königtum führte weiter zum bereitwilligen religiösen Eingehen auf die Außenpolitik des Königs. Dies hatte weitgehende kultische Konsequenzen, denn das Vasallenverhältnis — um dieses handelt es sich ja bei den außenpolitischen Bündnissen Judas in der Regel — bedeutet zugleich die Verehrung der Gottheiten des betreffenden Großreiches. Die Fremdkulte, vor allem die assyrisch-babylonischen, werden auf das Geheiß des Königs in das judäische Reichsheiligtum, den Zionstempel, eingeführt, ohne daß wir etwas von einem nennenswerten Widerstand von seiten der dortigen Priesterschaft hören. Das bedeutet freilich keine Abschaffung des Jahwekults, sondern die Verehrung Jahwes als einer den Hauptgöttern des betreffenden Großreiches untergeordneten Nationalgottheit. Ein solches Nebeneinander mußte zu einer fortschreitenden Grenzverwischung zwischen den verschiedenen Kulten führen. Damit war der Verlust des Unterscheidungsvermögens für das, was mit der Jahweverehrung vereinbar war, nicht nur beim Volke, sondern auch bei der Priesterschaft verbunden. Diese war insofern besonders gefährdet, als sie wohl nicht selten verschiedene Kulte zu besorgen hatte (vgl. II Reg 16 10ff.). Auf diesem allgemeinen Hintergrund gilt es nun, die Äußerungen der vorexilischen Schriftpropheten über die Priester zu betrachten. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht nur darauf an, die prophetische Kritik an der zeitgenössischen Priesterschaft zu erfassen, sondern auch darauf, festzustellen, ob sich im israelitischen Priesterund Prophetentum zwei grundsätzlich verschiedene Gruppen oder Institutionen gegenüberstehen, oder ob wir es mit einer inneren Spaltung des Tempelpersonals zu tun haben.

134

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

2 b. Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Priestertum

Die Polemik gegen das Priestertum nimmt bei den Schriftpropheten einen viel kleineren R a u m ein als die gegen das Prophetentum, in dem sie offenbar die größere Gefahr für Israel erblickten 1 . Außer den Stellen, an denen'beide Stände nebeneinander erwähnt werden, und dabei der Nachdruck mehr auf dem Treiben der Propheten liegt, kommen hier folgende Aussagen in B e t r a c h t : Hos 4 l - u wird die Größe des Abfalls des Volkes von Jahwe geschildert, an dem die Priester nicht nur beteiligt, sondern in erster Linie schuld sind, weil sie die Erkenntnis verworfen und die Tora vergessen haben. I n diesem Abschnitt kommen des öfteren Anspielungen auf Fruchtbarkeitsriten (Hos 410ff. i3f.), z . B . kultische Prostitution vor, die j a bekanntlich zeitweise auch im Jahwekult, besonders im Nordreich, ausgeübt wurde. Bei der schärfsten Verwerfung der gegenwärtigen Vertreter der Priesterschaft läßt Hosea hier durchblicken, was er von rechten Jahwepriestern erwartet. Bemerkenswert ist, daß er die priesterliche Unterweisung auf Kosten des Opferkults in den Vordergrund rückt. Die Verderbnis des Volkes in seiner Gesamtheit ist so tief, daß Hosea nur noch das Gericht ankündigen kann, zu dem die Entfernung der Priester aus ihrem Amt gehört 2 . Auch J e s a j a wirft den Priestern die Vernachlässigung und Verfälschung ihrer unterweisenden Aufgabe vor ( J e s 28 7). Allerdings scheint er e i n e n Priester gekannt zu haben, den er als zuverlässigen Zeugen für seine prophetische Handlung in Anspruch nehmen konnte ( J e s 82). Ändert auch diese Tatsache kaum etwas an dem Urteil des Propheten über die zeitgenössische Priesterschaft, so ist sie aus einem anderen Grunde interessant. Sie zeigt, daß J e s a j a offensichtlich als Prophet Jahwes von den Beamten der offiziellen Religion und Gesellschaft 3 anerkannt wurde, so daß sich auch die führenden Leute des Staates und der Religion seiner Aufforderung schlecht entziehen konnten 4 . Man kann diese Anerkennung m. E . nicht als Beweis für den »Amtscharakter« der Propheten, sondern als ein Zeichen der Autorität, die Siehe O. PLÖGER, Priester und Prophet, ZAW 63, NF. 22, 1951. Vgl. die Verurteilung der Priester zusammen mit anderen Ständen Hos 6 1-5. Der Text von Hos 6 9 ist so schlecht erhalten, daß er hier kaum verwertet werden kann. 8 Sacharja ist wohl ein angesehener Vertreter der höheren Stände, worauf die Erwähnung seiner Abstammung hinweist. 4 Man könnte dies auch aus der Sonderstellung Jesajas als des Aristokraten unter den Propheten erklären. Dies erscheint mir jedoch nicht ratsam, weil auch Jeremia in ähnlicher Weise die Funktionäre des Staates in Anspruch nimmt (Jer 19 1 29 1). Jes 37 2 gehört zu der Jesaja-Erzählung und besagt deshalb wenig über die tatsächlichen Verhältnisse seiner Zeit. Absichtliche Übertreibung zugunsten des Propheten ist unverkennbar. 1

2

2b. Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Priestertum

135

sie als Werkzeuge Jahwes in Israel genossen, verstehen. Mochte man sich persönlich zu ihrer Botschaft stellen wie man wollte, ihren Anspruch auf Besitz des Jahwewortes wagte man doch nicht rundweg abzulehnen. Die Botschaft der Schriftpropheten blieb auch unter den höheren Ständen nicht ganz unbeachtet. Vielleicht gehören ihre beiden hier genannten Vertreter (Jes 82) zu den Gönnern des Propheten, von denen wir auch sonst gelegentlich erfahren (vgl. J e r 26 24). Zeph 1 4 wendet sich anscheinend gegen Fremdkulte und ihre Priester (v. 4 a^rpirni? ist wohl Zusatz). 103 hat immer abwertenden Sinn und wird mit Vorliebe für Priester fremder Kulte gebraucht oder stellt die Jahwepriesterschaft auf die gleiche Stufe mit ihnen (vgl. Hos 10 5). Dagegen verwirft Zeph 3 4 die Propheten wegen ihrer Zuchtlosigkeit, Frechheit (n^ns v. 4) und Treulosigkeit (nillá), die Priester aber wegen Entweihung des Heiligen und Vergewaltigung (0»n), d. h. willkürlicher Erteilung der Tora. Der Zusammenhang läßt bei der Entweihung des Heiligen nicht an kultisch-rituelle, sondern an ethische Vergehen denken. J e r 2 8 — die Priester verfehlen ihre eigentliche Aufgabe, indem sie Jahwe nicht suchen und ihn nicht erkennen, genauso wie die weltlichen Führer, die seine Ordnungen übertreten. Offenbar sieht Jeremía als das eigentliche Gebiet, auf dem sie Jahwe suchen sollen, nicht den Kultus an, sondern die existentielle Erkenntnis seines Wesens und Willens aus der Geschichte und dem sakralen Bundesrecht sowie die entsprechende Einwirkung auf das Volk. J e r 8 8 f. ist selbständiger Spruch, in Stichwortanordnung an 8 7 angeschlossen, mir rnin (v. s) und mir " D l (v. 9) sind als Gegensätze zu verstehen 1 . Die hier gemeinten Personen sind die gleichen wie in J e r 2 8 und 18 18. Es sind die Priester, die als Verwalter der Tora »Weise« heißen. Die Weisen (n^öDn.) und die Schreiber (n,")Db) haben sich als besonderer Stand noch nicht vom Priestertum emanzipiert. Ihrem selbstsicheren Pochen auf den Besitz der geschriebenen Tora gegenüber bezeichnet Jeremia dieselbe als Fälschung. Es ist wohl kaum anzunehmen, daß damit das Deuteronomium gemeint ist, sondern die Tora allgemein 2 , also die Sammlung von Gesetzen und Weisungen kultischer und sittlicher Art 3 . Durch ihren Stolz auf das schriftlich fixierte Gesetz sperren sich die Priester gegen das 1

S o RUDOLPH,

J e r . z. S t . u n d E I C H R O D T , T h e o l o g i e I , S . 1 8 7 .

2

S o RUDOLPH,

Jer.;

HÖLSCHER, Z A W

40, 1922,

S. 2 3 5 f . u n d B E U T Z E N ,

Die

josianische Reform, S. 124. 3 CH. TORREY, The background of Jeremia 1—10. J B L 66, 1937 betont wohl zu einseitig die Kultvorschriften — S. 197.

136

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Hören des prophetischen Wortes. Das Gesetz ist zur menschlichen Sicherung gegen die unmittelbare Konfrontierung mit Jahwe geworden. Es ist möglich, daß Jeremia von diesem Standpunkt aus bereits die schriftliche Fixierung der Tora ablehnt, weil damit der Berufung auf den Buchstaben und der spitzfindigen Auslegung durch die Priester Vorschub geleistet wird 1 . Als Gegner Jeremias erscheinen die Priester 1 18 4 9 13 13 (zusammen mit den führenden Schichten) 613 1818 (Priester und Propheten) 2 . Seine Mißhandlung durch den Priester und Oberaufseher des Tempels (Jer 20 1-6), der ja zugleich anscheinend Prophet war (v. e), dient als Beleg für die Existenz der Tempelpropheten in Juda. Die Stelle besagt nicht, daß die Propheten allgemein den Priestern untergeordnet waren, sondern daß der Oberpriester, genau wie in neutestamentlicher Zeit, für die Ruhe und Ordnung im Tempel zu sorgen hatte. Wie Jer 29 26 zeigt, muß das »verrückte« Benehmen der ekstatischen Nebiim besonders oft Anlaß zum Einschreiten geboten haben. Jedenfalls bestätigen diese Stellen, daß am Jerusalemer Tempel allerhand unkontrollierbare, also nicht institutionell organisierte ekstatische Propheten auftraten. Außerdem läßt Jer 20 6 die Vermutung zu, daß der Oberaufseher gleichzeitig der Leiter der Kultprophetengilde war. Der Überblick über die Geschichte der israelitischen Priesterschaft und die bisher berücksichtigten Äußerungen der Propheten über sie führen zu folgenden Ergebnissen: 1. Das israelitische Priestertum stellt eine ziemlich fest umrissene, selbständige Größe dar. Es hat den Übergang des Stämmeverbandes zu der Jahwereligion mit vollzogen und ist nicht durch eine allmähliche Differenzierung ursprünglich in einem Vertreter vereinter sakraler Funktionen entstanden, sondern als eine im wesentlichen fertige Institution von der Jahwereligion übernommen worden. 2. Die vorexilischen Schriftpropheten sehen sich dem Priestertum als einem geschlossenen, feindlichen Stand gegenübergestellt. Sie zeigen keine innere Verwandtschaft oder Gemeinsamkeit mit ihm. Nicht einmal Jeremia, der aus einer Priesterfamilie stammt, fühlt sich ihm zugehörig. 3. Die Schriftpropheten verurteilen die entarteten zeitgenössischen Vertreter des Priesterstandes. Von den priesterlichen Funktionen nennen sie vor allem die Tora-Erteilung, deren Vernachlässigung ihnen als das schlimmste Vergehen der Jahwepriesterschaft gilt, und die sie infolge dieses Versagens selbst übernehmen. 1

2

S o ÖSTBORN, T o r a , S. 109 u n d 153.

Jer 31 14 3318. 21 sind spätere Zusätze. Untreue und Ungehorsam aller Stände einschließlich der Priesterschaft werden Jer 32 32 34 19 gezeigt.

3 a. Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft

137

Vor der genaueren Bestimmung des Unterschieds zwischen dem Priester- und Prophetentum muß eine Untersuchung des Wesens des letzteren und seines Verhältnisses zu den Schriftpropheten erfolgen. 3. Das israelitische Prophetentum im 8 . - 6 . Jahrhundert 3 a. Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschafit E s handelt sich hier um die vielumstrittene Frage nach dem Zusammenhang zwischen Prophetie und Kultus. Die extremste Stellung nimmt JUNKER ein. Für ihn sind die Prophetengemeinschaften, die im Zusammenhang mit Samuel, Elia und Elisa genannt werden, ausnahmslos Gruppen von Kultpropheten, deren »Aufgabe es war, in besonderer Weise an den Kultfeiern mitzuwirken, namentlich insofern es sich dabei um das von Musik und heiligem Tanz begleitete kultische Lied handelt« 1 . Ihre sonstige Tätigkeit bezeichnet JUNKER als nicht so wesentlich. »Die Prophetenvereine sind keine von den großen prophetischen Führern erst zur Unterstützung ihrer Wirksamkeit geschaffenen ,Schülergemeinschaften', sondern wurzeln im Kult« 2 . Damit mag er insofern im Recht sein, als die großen Führer der Nebiim diese Gemeinschaften nicht erst ins Leben gerufen haben; er verzerrt jedoch den Bestand der alttestamentlichen Überlieferung, da wir vor Samuel nichts von solchen Nabigemeinschaften hören. Es mag sein, daß sie schon früher in irgendwelcher Form existiert haben, aber zum wesentlichen Faktor der Jahwereligion sind sie erst durch Samuel geworden. Elia u. a. wirkten im Sinne Samuels weiter. Nach der alttestamentlichen Überlieferung sind es diese großen Gestalten, die den Nebiismus maßgebend beeinflußt haben und tatsächlich wohl Gruppen von Anhängern aus dem Kreise der Nebiim um sich versammelten. Das erklärt natürlich nicht den Ursprung dieser Erscheinung als solcher — darin hat JUNKER recht — aber es zeigt die Entwicklung an, die der Nebiismus seit Samuel innerhalb der Jahwereligion durchgemacht hatte 3 . Weil die nebiistische Bewegung von Männern wie Samuel und Elia wesentlich geprägt wurde, deshalb ist es nötig, auf ihre Wirksamkeit näher einzugehen. 1

H. JUNKER, Prophet und Seher in Israel, Trier 1927, S. 26.

2

JUNKER a. a. O.

S. 2 6 .

Außerdem sind Schülergemeinschaften, die sich um einen hervorragenden Gottesmann sammeln, eine im Altertum so verbreitete Erscheinung, daß man ihre Existenz in Israel nicht aus grundsätzlichen Erwägungen heraus in Abrede stellen kann. Vgl. A. JEPSEN, Nabi, München 1934. 3

138

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Samuel ist der Träger des altisraelitischen Amtes des Bundesmittlers, in dessen Hand die Funktionen des Propheten, des Priesters und des charismatischen Sprechers des Gottesrechts vereinigt sind. Jahwe hat in Samuel wieder einen Träger dieses Amtes berufen, der es — ähnlich wie Mose — voll erfüllen kann. Von dieser Überzeugung wird die ganze Samuelüberlieferung getragen. Als eifriger Vorkämpfer der Sache Jahwes propagiert er den Heiligen Krieg gegen alle Feinde des Volkes und damit auch Jahwes. Die vornehmste Aufgabe der Nebiim war es, die religiösnationale Begeisterung anzufachen. Damit im Zusammenhang steht auch der Kampf Samuels für die nationale Einheit. Er ist der Vertreter des altisraelitischen Ideals der unmittelbaren Herrschaft Jahwes, die durch jeweils berufene charismatische Führer ausgeübt wird 1 . Zwar trägt auch er den geschichtlichen Notwendigkeiten Rechnung, indem er die Einigung der Stämme unter der ständigen Führung eines Königs unterstützt, aber er versucht, diese neue Institution mit dem alten Ideal der charismatischen Führer zu verbinden. Aus den Spannungen, die bald zwischen ihm und Saul entstehen, sieht man, daß Samuel bestrebt war, das Königtum streng der Jahwereligion unterzuordnen. Der König soll nur das ausführende Organ, der Vikarius Jahwes sein und sich streng an das Gottesrecht und die sittlichen Maßstäbe der Jahwereligion halten. Jede Eigenmächtigkeit und Selbstherrlichkeit des Königs wird von Samuel bekämpft. Diese zurückhaltende und kritische Stellung dem Königtum gegenüber können wir auch bei vielen späteren Nebiim, besonders bei den führenden Persönlichkeiten, beobachten; sie kann geradezu als typisch für die Nabigruppen, die unter dem Einfluß Samuels, Elias und Elisas standen, angesehen werden (vgl. I Reg 11 29ff.) und ist insofern für die richtige Einschätzung des israelitischen Nebiismus wichtig, als man daraus sehen kann, wie wesentlich anders er sich unter dem Einfluß der Jahwereligion entwickelt hat als in anderen Religionen, wo der Typ des Hofpropheten, der den König nur verherrlicht und ihm völlig hörig ist, vorherrscht 2 . Das immer Dazu und zum Folgenden vgl. BUBER, Der Glaube S. 90—99. Zwar findet sich die Mahnung, das Gottesrecht zu halten, und damit auch die Nennung mancher sittlichen und sozialen Pflichten des Königs, wie Sorge für Witwen und Waisen, für Wohlstand und Frieden, für soziale Gerechtigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung usw. auch gelegentlich in babylonischen und ägyptischen I'rophetien, aber sie sind mehr oder weniger formaler Art, weil sie immer in die Verherrlichung des gegenwärtigen Königs einmünden. Die Kritik bezieht sich auf die Zeit vor dem Regierungsantritt des betreffenden Königs. Die Klage über die Nichterfüllung dieser Forderungen durch frühere Könige bildet nur den negativen Hintergrund für die Idealisierung des gegenwärtigen Regenten. Nirgends außer in Israel finden wir eine prophetische Bewegung, die es gewagt 1

2

3 a . Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft

139

neue Aufbrechen des Konflikts zwischen den Nebiim und den israelitischen Königen zeigt, daß wir mit einer festen Überlieferung der prophetischen Königs- und Staatsidee zu rechnen haben 1 . Was liegt näher, als die Pflege solcher Traditionen den Nabigemeinschaften zuzuschreiben ? Die großen Gestalten unter den Nebiim stehen in einer zweifachen Beziehung zu diesen Gemeinschaften. Erstens stehen sie in ihrem Mittelpunkt. Das wird besonders aus den Elia-Elisa-Erzählungen deutlich. Sie sammeln einen festen Anhängerkreis von Nebiim um sich und berufen auch Laien zu diesem Stand (Elisa). Damit schaffen sie nicht nur eine Art persönlicher Gefolgschaft, die nach ihrem Tode auseinander fällt, sondern Kreise, die die nebiistische Tradition auch nach dem Tode ihrer großen Meister weiter pflegen. Diese werden also nicht nur durch die führenden Persönlichkeiten, sondern auch durch die von ihnen geprägte Überlieferung zusammengehalten. Zweitens empfangen die großen Nabigestalten aus der in den Nabigemeinschaften gepflegten Tradition zu einem großen Teil die Richtung und die tragende Grundlage ihrer Wirksamkeit. Wichtig ist, daß für die Nebiim die persönliche Berufung und die persönliche Beziehung zu Jahwe ausschlaggebend sind. Darin ist die Überlieferung über alle uns näher bekannten Nabigestalten eindeutig. Diese Berufung kann auch, wie im Falle Elisas, durch einen anderen Propheten erfolgen 2 . Sie unterscheidet sich von der Berufung zum Priester dadurch, daß sie auf ausdrücklichen Befehl Jahwes zurückgeht, und daß sie spontan geschieht, also nicht erst dem Erlernen eines bestimmten Wissensstoffes folgt. Die Berufung zum Nabi erschließt erst den Zuhatte, dem Königtum so entschlossen entgegenzutreten wie die großen Nebiim (Samuel, Ahia von Silo, Elia, Elisa und Micha ben Jimla). Freilich hat es auch in Israel Nebiim gegeben, die ganz nach der Art der altorientalischen Hofpropheten wirkten (z. B. Zedekia und die Gegner Michas, Hanania). Vgl. GRESSMANN, The foreign Influence in Hebrew Prophecy, J T h S t 27, 1926. 1 Das Amt des Bundesmittlers ist seit der Gründung der Monarchie auf den König übergegangen. Da sich jedoch die Könige immer wieder als dieses Amtes unwürdig erweisen, beanspruchen es die Propheten wieder für sich. Zunächst, wie im Fall Ahias von Silo, war dieser Anspruch nur vorübergehender Art, als Notmaßnahme. Der Prophet erhält von Jahwe die Vollmacht, einen neuen, würdigeren König zu berufen. Später versuchen die Propheten, das Königtum dem Amt des Bundesmittlers unterzuordnen, indem sie die wichtigste Funktion dieses Amtes, nämlich die Verkündigung des sakralen Rechts, ständig für sich in Anspruch nehmen. Mit dieser Forderung treten nicht nur Elia und Elisa, sondern auch die Schriftpropheten den Königen entgegen. 2 Doch ist das wohl nur ein Ausnahmefall, da er allein in den Nabilegenden steht. Zum Nachfolger Elias wird Elisa erst durch die Mitteilung des Geistes, II Reg 2 10ff., über den allein Jahwe frei verfügen kann.

140

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

gang zur Tradition und nicht umgekehrt, wie das bei den Priestern der Fall ist. Bei der Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis der Nebiim zum Kultus muß man folgende Sachverhalte berücksichtigen: 1. Die Nebiim scheinen an großen Kultzentren eine Art vita communis zu führen, besitzen aber daneben auch eigene Familien und Wohnsitze (II Reg 4 l und 6 l). Sie können also nur zeitweise in den Gemeinschaftshäusern gelebt haben. Dabei wird nirgends gesagt, daß diese Prophetenhäuser zum Gebäudekomplex des eigentlichen Tempelbezirks gehörten. Da wir zudem nichts von einer Mitwirkung der Prophetengemeinschaften bei der Gestaltung des Kultus wissen, macht das Leben am Heiligtum die Nebiim noch nicht zu Kultbeamten wie die Priester. Die gegenteilige Annahme wird meines Erachtens zu rasch als absolut gesichert hingestellt. Die einzige Stelle, die eine Mitwirkung der Nebiim im Kult andeutet, ist I Sam 10 5f. Man bedenke aber, daß die Szene selbst sich offensichtlich nicht im Heiligtum abspielt. Die Kult orte als Zentren des religiösen Lebens mit ihrem starken Zustrom an Pilgern waren zwar die gegebenen Mittelpunkte der Wirksamkeit der Propheten; dort konnten sie am leichtesten vom Volk mit allerlei Anliegen aufgesucht werden. Da sich aber die Tätigkeit der großen Nebiim wie Elia und Elisa meist nicht an der Kultstätte abspielt, ist es nicht anzunehmen, daß sie und die Prophetengemeinschaften irgendwie institutionell an den Kultus gebunden waren. Elias Opfer I Reg 18 ist offensichtlich eine Ausnahme und kann deshalb nicht als Beleg dafür in Anspruch genommen werden, daß Opferdarbringung zu den regelmäßigen Aufgaben der Nebiim gehörte. In einer außerordentlichen Situation — die Altäre Jahwes sind nach der Meinung des Erzählers dieser Geschichte zerbrochen, der Jahwekult kann deshalb nicht in der gewohnten Weise ausgeübt werden — bedient sich Gott außergewöhnlicher Mittel, um seinen Willen durchzusetzen 1 . Das Hervortreten der Baalpropheten in der Opferhandlung besagt nichts über die Stellung der Jahwepropheten. Die Opferhandlungen Samuels sind unter dem gleichen Gesichtspunkt zu betrachten. Auf Grund von Stellen wie I Sam 9 13. 19 ff. 16 2 ff. kann man allenfalls auf eine engere Verbindung zwischen dem alten Sehertum und dem Kultus schließen, nicht aber zwischen dem letzteren und dem Nabitum. Außerdem ist die gelegentlich berichtete Opferdarbringung und Segnung des Opfers durch Samuel als eine Notmaßnahme, die durch die weitgehende Ausschaltung des Jahwekults infolge des Verschwindens der Lade, der Zerstörung der Heiligtümer und des Versagens der Priesterschaft

1

So BUBER, D e r Glaube S. 1 1 5 .

3a. Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft

141

während der Philisternot bedingt ist, zu verstehen 1 . Sowohl Samuel als auch Elia sind charismatische Bundesmittler, die Jahwe in Notzeiten, da andere Bundesorgane versagen, beruft. Außerdem ist Opferdarbringung in vorexilischer Zeit nicht allein den Priestern vorbehalten. 2. Die bei den Nebiim so häufig auftretende Ekstase ist als Beweis dafür gewertet worden, daß die Nebiim im Kult ihre Gottessprüche erteilten. War sie auch, zumal die Gruppenekstase, vielleicht ursprünglich ein kultisches Phänomen, so kann sie doch auch unabhängig vom Kultus in Erscheinung treten 2 . Das ist auch außerhalb Israels nichts Seltenes. So spielt sich die Gruppenekstase, von der auch Saul ergriffen wird (I Sam 10 5fl.), außerhalb der eigentlichen Bama ab. I Sam 19 20 ff. ist sicher eine recht späte Erzählung, sie zeigt gut das ekstatische Treiben der Nebiim späterer Zeit. Es geht nicht aus dem Text hervor, daß die gemeinsamen ekstatischen Übungen im Kult oder an der heiligen Stätte selbst stattfanden. Schließlich sagt Num 11, daß man zur Zeit der großen Sagensammler, also in der frühen Königszeit, ein vom Kultus losgelöstes Prophetentum kannte und es als legitim ansah. Num 11 24 ff. hat ätiologischen Sinn 3 . Die Propheten, die außerhalb des Kultus wirken, haben Teil an der ITH Jahwes. Sie gab es schon zur Zeit Moses. In die Richtung der Unabhängigkeit der ekstatischen Erlebnisse der Nebiim vom Kultus weisen auch die Berichte über die Jahweoffenbarungen des Elia und über seine Entrückung. Sie werden nirgends an einer Kultstätte lokalisiert, sondern finden an beliebigen Orten statt 4 . Besonders beachtenswert ist in diesem Zusammenhang I Reg 22 10-12. In rhythmischen Ausrufen und Bewegungen steigern sich die Propheten unter der Leitung eines Vorstehers (Zedekia) in Ekstase hinein und erteilen durch Worte und symbolische Handlungen dem in den Krieg ziehenden König Heilsorakel. Wir sehen hier also eine typische Prophetengemeinschaft am Werk, wie wir sie von den Samuelgeschichten her Vgl. BUBER, Der Glaube der Propheten, S. 98. S. MOWINCKEL, Ecstatic Experience and Rational Elaboration in the OT, Prophecy. Acta Orientalia X I I I , 1935; ders., Religion und Kultus, S. 60; A. GUILLAUME, Prophecy and Divination among the Hebrews and Other Semites, London 1938; A. HESCHEL, Die Prophetie, Krakow 1936; F. MAASS, Zur psychologischen Sonderung der Ekstase, Wissensch. Zeitschr. der Karl-Marx-Universität Leipzig, Gesellschafts- und Sprachwissensch. Reihe, 3. Jg., H. 2/3, 1953/64; F. HÄUSERMANN, Wortempfang und Symbol der alttestamentlichen Prophetie, Gießen 1932. 8 Siehe VON RAD, Die falschen Propheten, ZAW 51 NF 10, 1933, S. 115f. 4 Horeb war zwar als Offenbarungsstätte Jahwes heilig, aber keine Kultstätte mit regelmäßig vollzogenem Kultus und beamteter Priesterschaft. Elias Aufenthalt dort drückt seine Zugehörigkeit zur mosaischen Tradition und zum Gott der Wüstenzeit aus. Mit Kultus hat diese Erzählung nichts zu tun. 1 2

142

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

kennen. Merkwürdig ist dabei der Schauplatz des ganzen Geschehens; es ist nicht der Tempel, sondern das Stadttor, obwohl man gerade anläßlich eines so wichtigen Ereignisses wie des Krieges sicher auch eine Kultfeier veranstaltet hat. Der Schluß läßt sich m. E. nicht umgehen, daß man in Israel Prophetengemeinschaften kannte, die eine gewisse Selbständigkeit dem Kult und seinem Personal gegenüber besaßen. Es gab eben zwei Arten, auf die die Verbindung mit Jahwe hergestellt werden konnte: im Kult durch Priester und Kultpropheten und durch freie Nebiim. Diese Unabhängigkeit vom Kultus ist nicht ein Ergebnis eines geschichtlichen Entwicklungsprozesses1, sondern sie ist von Anfang an das Kennzeichen einer bestimmten Gruppe der Nebiim. Wir haben es hier mit einer Linie der nebiistischen Bewegung zu tun, die im Zusammenhang mit den großen Nabigestalten steht und vom Tempel und Priestertum unabhängig ist. Es ist doch nicht nur der späteren Bearbeitung zuzuschreiben, daß das einzige Anzeichen für die Identifizierung der Nebiim mit den Kultpropheten ihre Wohnsitze an den als Heiligtümer bekannten Orten sind, und dieses Argument ist, wie gesagt, nicht stichhaltig. Sonst spielen sich die meisten bekannten Nabigeschichten außerhalb der Kultstätten an beliebigen profanen Orten ab. Vor allem im Nordreich, dem Schauplatz der meisten Nabilegenden, leben diese fern vom Hof und Tempel. Der andere Weg, die Identität der Nebiim mit den Kultpropheten zu beweisen, ist m. E. ebenfalls verfehlt. Es ist des öfteren versucht worden, die Ähnlichkeit der Funktionen der Nebiim und der Priester aus ihrer gemeinsamen, institutionellen Bindung an den Kult zu erklären 2 . Man weist vor allem darauf hin, daß die Nebiim nicht nur die Aufgabe haben, das Wort Jahwes zu vermitteln, sondern auch das Volk vor Gott zu vertreten. So gehört das Fürbittegebet zu den wichtigsten Funktionen der israelitischen Propheten von den Sehern bis zu den Schriftpropheten 3 . Es ist jedoch nicht richtig, diese Gebete der Nebiim ohne weiteres als kultische Handlungen anzusehen. Das kann man allenfalls für das Gebet Elias am Karmel (I Reg 18 36 ff.) und Samuels zu Mizpa (I Sam 7 5) gelten lassen. In allen anderen Fällen fehlt jede Andeutung dafür, daß solche prophetischen Gebete 1

So G. VON RAD, Die falschen Propheten, ZAW 51, NF. 10, 1933, S. 116. So A. R. J O H N S O N , The Cultic Prophet in Ancient Israel, Cardiff 1 9 4 4 ; ders., The Prophet in Israelite Worship, ET XLVII, 1 9 3 5 / 3 6 ; A. H A L D A R , Assoc i a t i o n of Cult Prophets among the Ancient Semites, Uppsala 1 9 4 6 ; A. K A P E L R U D , Cult and Prophetic Words, StTh IV, 1 , 1 9 6 1 ; I. E N G N E L L , The Call of Isaia, Uppsala 1 9 4 9 ; S. M O W I N C K E L , Ecstatic Experience and Rational Elaboration in the OT Prophecy. Acta Orientalia XIII, 1935; ders., The Spirit and the Word in the Preexilic Reforming Prophets, JBL 63, 1934 und Psalmenstudien III. 3 N. J O H A N S S O N , Parakletoi 1940. 2

3 a . Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft

143

im Rahmen einer Kulthandlung gesprochen wurden 1 . WENDEL2 hat außerdem nachgewiesen, daß man bereits in der Frühzeit Israels das außerkultische, freie Laiengebet kannte. Der unmittelbare Verkehr des Gläubigen mit Gott hat sich in der Religion Israels zu allen Zeiten erhalten und zeichnet sie geradezu vor anderen altorientalischen Religionen aus. WENDEL hat ferner die Verbindung zwischen dieser Laienfrömmigkeit und den Propheten nachgewiesen. Seine Annahme wird durch die Beobachtung gesichert, daß die israelitischen Propheten größtenteils aus den Laien und nicht aus der Priesterschaft hervorgegangen sind 3 . Hier, glaube ich, liegt der gleiche Tatbestand vor wie bei der Vermittlung des Gotteswortes. Wir haben in Israel mit zwei Institutionen zu rechnen, die selbständig nebeneinander stehen, dem Priestertum und dem freien Nabitum. Sie stehen nebeneinander und nicht gegeneinander, d. h. beide empfangen ihre Kraft und ihr Wissen von Jahwe, dem Gott Israels. Sie unterscheiden sich aber durch die Art ihrer Verbindung mit Gott und durch die Weise, wie sie diese Verbindung für die Gemeinschaft fruchtbar machen. Ein weiteres Moment, in dem man einen Beweis für die institutionelle Bindung der Nebiim an den Kult erblicken könnte, ist ihre Verwendung technischer Mittel der Gottesbefragung. Nicht hierher gehören die technischen Mittel zur Erzeugung oder Steigerung der Ekstase, von denen im AT eigentlich nur Musik und Tanz erwähnt werden (vgl. I I Sam 10 5 I I Reg 3 15 u. a.). Sie sind auch religionsgeschichtlich gesehen keine ausschließliche Domäne der Priester, sondern Mittel zur Erlebnissteigerung des begeisterten Menschen. Ekstase wird im AT nicht mit den Priestern in Verbindung gebracht, sondern nur mit den Propheten. Die technischen Orakelmittel werden von den israelitischen Propheten nicht benutzt, denn die einzige Stelle, die daran denken ließe, I I Reg 13 i5ff., beschreibt kein Pfeilorakel, sondern eine prophetische Handlung, die das Wort des Propheten bekräftigt. Andere Mittel der Gottesbefragung wie Losorakel (DOj?.), Vorzeichenschau (13?. tfni) und Beschwörung (tfnV) werden nicht von Priestern, Sehern oder Propheten gehandhabt, sondern von einer ganz anderen Gruppe, nämlich den Mantikern und Zauberern, die unter fremdem Einfluß in Israel eindringen. Das altisraelitische Ephod-Orakel wird ausschließlich von Priestern angewandt. 1 Zur prophetischen Fürbitte vgl. I Sam 12 28 16 11 I Reg 17 20ff. II Reg 19 lff. Die letztgenannte Stelle zeigt, daß sich sogar der König in bedrängter Lage an Propheten mit dem Ersuchen um Fürbitte wendet. Weder hier noch Jer 37 3 42 2 wird diese Fürbitte als kultischer Akt gekennzeichnet. 8 A. WENDEL, Das freie Laiengebet im vorexilischen Israel, E x Oriente Lux, Bd. V, 6, 1932, S. 119 und 274. ' Eine Ausnahme bildet in dieser Beziehung Jeremia.

144

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Ich vermag auch nicht in dem regelmäßigen Aufsuchen der Nebiim am Neumond und Sabbat einen Beweis dafür zu erblicken, daß sie Kultbeamte waren (II Reg 4 23). Diese Tatsache läßt sich vielmehr gut aus dem Nebeneinander der beiden Mittlerinstanzen des Priester- und Prophetentums verstehen, wie man es besonders deutlich in der Zeit Davids beobachten kann. So steht der Prophet Nathan neben dem Priester Zadok und Gad neben Ebjathar, ein Nebeneinander, das sich m. E. kaum verstehen läßt, wenn sich ihre Kompetenzen überschnitten hätten, wenn also beide Kultbeamte im eigentlichen Sinne gewesen wären, die die Vermittlung zwischen Gott und Mensch in sehr ähnlicher Weise ausgeübt hätten. Richtiger scheint mir die Auffassung zu sein, daß wir hier zwei nebengeordnete, selbständige Mittlerinstanzen vor uns haben. Die Aufgabe der Mitteilung des Gotteswortes hat sich je länger je mehr vom Priestertum auf das Prophetentum verlagert, besonders in außerordentlichen, schwierigen Fällen, die mit Hilfe des Losorakels (Orim und Tümmim) oder durch Ableitung aus dem traditionellen Gottesrecht durch die Priester sich nicht entscheiden ließen. Die Anwendung des sakralen Rechts gehörte weiterhin zu den Aufgaben der Priester 1 , aber die Entscheidung über Fragen, die eine außerordentliche, unmittelbare Einsicht in den göttlichen Willen erforderten, ging auf den Propheten über. Dafür spricht auch der rasche Rückgang der Bedeutung des Ephod-Orakels, wie überhaupt der Orakelbefragung, die noch zur Anfangszeit Davids eine große Rolle spielte. Das friedliche Nebeneinander von Priester und Prophet in der Umgebung Davids ist nur aus der bezeichneten Teilung der Aufgaben verständlich 2 . Freilich läßt die oben durchgeführte Scheidung beider Stände und ihrer Aufgabenbereiche noch viele Berührungspunkte und Überschneidungen zu; eine restlose Abgrenzung solch lebendiger, religiöser Größen läßt sich selten durchführen. Dennoch ist sie berechtigt, weil sie dem in den Quellen bezeugten Bewußtsein der Verschiedenheit dieser beiden Instanzen gerechter wird als die neuerdings so propagierte Ineinanderlegung. Die beiden Fälle, die scheinbar dieser Trennung widersprechen, nämlich die Entscheidung einer kultischen Frage durch den Propheten oder Seher Gad, I I Sam 24 18, und die Befragung der Prophetin Hulda über das gefundene Gesetzbuch, I I Reg 22 uff., erhärten in Wirklichkeit unsere These. Im ersten Falle handelt es sich um eine außerordentliche Lage, die außergewöhnliche Maßnahmen erfordert. Die Errichtung einer neuen Kultstätte bedarf eines ausdrücklichen, di1 J . BEGRICH, Die priesterliche Tora (Werden und Wesen des AT, 1936); ders.. Das priesterliche Heilsorakel, ZAW 52, N F . 11, 1934. a Die Jugendgeschichte Samuels soll das Zustandekommen dieser Nebenordnung ätiologisch erklären. Die Nebiim sind die rechtmäßigen Erben der Priester, soweit es sich um die Mitteilung des Gotteswortes handelt.

3 b. Die Weiterentwicklung des Nebiismus während der Königszeit

145

rekten Befehls Gottes, und dieser ergeht eben durch den Propheten und nicht durch den Priester. Der Priester hat den Kultus nach alter Sitte in korrekter Weise zu verrichten. Über die Art seiner Ausübung an der neuen Kultstätte sagt auch Gad gar nichts; das ist selbstverständlich die Aufgabe des Priesters. In II Reg 22 i4ff. handelt es sich um eine ähnliche, außerordentliche Situation. Schon die Tatsache, daß es sich um eine Prophetin handelt, widerrät der Annahme, Hulda sei eine Kultprophetin gewesen, denn weibliches Kultpersonal wurde durch die deuteronomische Reform aus dem Jahwekult verbannt. Der Ort der Befragung ist offensichtlich das Haus der Prophetin und nicht der Tempel. Auch das Zurücktreten des Feldpriesters, der noch David auf seinen frühen Feldzügen begleitet hat, zugunsten des Feldpropheten 1 ist ein weiterer Beweis für das Hervortreten des Prophetentums als selbständiger Mittlerinstanz. Die Stellung des älteren Nebiismus zum Kultus kann man so kennzeichnen: 1. Der Nebiismus ist insofern eine kultische Erscheinung, als er zu den offiziell anerkannten Mittlerinstanzen zwischen Gott und Mensch neben dem Priestertum gehört. Er steht also grundsätzlich auf dem Boden der gleichen Gottesvorstellung wie der Jahwekult. Man kann weiter sagen, daß er zu einem religiösen Mittlerstand geworden ist, der besondere Formen sowohl in der Art des Auftretens als auch der Mitteilung des Gotteswortes herausgebildet hat. Er ist also auch soziologisch zu einem besonderen, vom Priestertum verschiedenen Stand geworden, obwohl diese Standesbildung seinem ursprünglichen, charismatischen Charakter nicht entspricht. 2. Kultisch im engeren Sinne ist der Nebiismus nicht, da ihm die Bindung seines Handelns an heilige Orte und heilige Zeiten fehlt. Auch ist die Abhängigkeit von einem heiligen, feststehenden Ritus nur ansatzweise vorhanden. Überhaupt ist die Form für den Nebiismus weniger wichtig als für das Priestertum. 3. Auf keinen Fall ist der Nabi dem Priesterstand oder dem beamteten Kultpersonal (Kultpropheten) zuzuordnen, da jedes Anzeichen organisatorischer Bindung an kultische Institutionen fehlt. 3 b. Die Weiterentwicklung des Nebiismus während der Königszeit

Das Wesen und die Struktur des Nebiismus haben sich im Laufe der Königszeit nicht unwesentlich verändert. Als erstes ist das Nachlassen der ursprünglichen Spontaneität zu nennen. Der charismatische Charakter tritt zugunsten des organisatorisch-institutionellen Elements sehr bald zurück. Diese Gefahr lag wohl von Anfang an in der inneren 1

II Reg 3 llff.

H e n t s c h k e , Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten 2um Kultus

10

146

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Struktur des Nebiismus begründet, in seiner Organisation als selbständiger Berufsstand, als Prophetenzunft. Sie war so lange nicht sehr akut, solange es unter den Nebiim Männer gab, die wirklich von Jahwe berufen waren, für die also nicht Tradition und Standesinteressen maßgebend waren, sondern die ihnen von Jahwe übertragene Aufgabe und Botschaft. Fehlte es jedoch an solchen echten Charismatikern,die auch die Masse der weniger bedeutenden Nebiim mitzureißen und in den Dienst des unverfälschten Jahweglaubens zu stellen vermochten, dann mußte die äußere Form den Inhalt ersetzen. Das kann man erkennen an der Verselbständigung und Überbetonung der Ekstase, des technischen Apparats und dem stärkeren Hervortreten der Person des Nabi in den späteren Nabilegenden innerhalb der Elia- und besonders Elisaerzählungen sowie an den späteren Überarbeitungen und Erweiterungen der Samuelerzählungen, die die Auffassung der späteren Königszeit wiedergeben. Es ist die Gefahr jedes organisierten Charism a t i k e r t u m s d a ß es leicht zu einem religiösen Berufsstand wird wie das Priestertum. Das Bewußtsein seiner Besonderheit konzentriert sich lediglich auf die Form seines Auftretens. Es liegt nur in der Konsequenz dieser Entwicklung, daß das Nabitum sich mit der fortschreitenden Entartung dem Priestertum angeglichen und ihm untergeordnet hat. Es ist weitgehend zum Kultprophetentum geworden, bei dem der gebundene Vortrag agendarisch fixierter 2 Prophetenworte unter der Begleitung künstlich erzeugter, ekstatischer Gebärden oder technischer Orakelmittel an Stelle der Verkündigung einer von Gott unmittelbar eingegebenen Botschaft getreten ist. Das Endstadium dieser Entwicklung bilden die levitischen Sängergilden des zweiten Tempels. Der hier angedeutete Übergang vom freien Nebiismus zur Kultprophetie läßt sich aus der Auseinandersetzung der Schriftpropheten mit ihren Gegnern indirekt erschließen. Die Samuelis- und Königsbücher sagen über diesen Übergang direkt nur wenig aus. Aus ihnen kann man lediglich die Ansätze solcher Entartungserscheinungen des Nebiismus, die zu dem angedeuteten Übergang führen konnten, erkennen. Auf die Existenz der Kultpropheten in Israel weisen prophetische Sprüche, die die kultische Situation, in der sie erteilt wurden, noch andeuten 3 . Sie sind in den Psalmen und in den unechten Stücken der Prophetenbücher zu finden. Auch ein Teil der sog. Kleinen 1 Auch die Jesajaerzählung ist in dieser Beziehung aufschlußreich. In ihr wird Jesaja nach dem Vorbild des typischen Nabi der Spätzeit geschildert. • Zum mindesten dem Inhalt, oft aber auch der Form nach. s Siehe M O W I N C K E L , Psalmenstudien I I I ; F. K Ü C H L B R , Das priesterliche Orakel in Israel und Juda, ZAWB 33, 1918, ferner die S. 142 A r n . 2 angegebene Literatur.

3 b. Die Weiterentwicklung des Nebiismus während der Königszeit

147

Propheten gehört zu den Kultpropheten 1 . Die gattungsgeschichtliche Forschung hat ferner wahrscheinlich gemacht, daß man auch bei den Schriftpropheten mit formalen Parallelen zu den Stilformen der Kultprophetie zu rechnen hat. Die Polemik der Schriftpropheten zeigt, daß der Nebiismus den Kampf um die Durchsetzung des unbedingten Herrschafts- und Ausschließlichkeitsanspruchs Jahwes zugunsten der Geltung des eigenen Berufsstandes aufgegeben und sich immer mehr den sonstigen Hütern der Staatsreligion angeglichen hat. Das sieht man bereits aus der Kontroverse Michas (ben Jimla I Reg 22 i3ff.) mit den übrigen Jahwepropheten, die offensichtlich Nebiim der üblichen Art sind. Micha bestreitet weder ihren Geistbesitz, noch macht er sie zu Baalpropheten. Aber er spricht ihnen die richtige Einsicht in den Willen Jahwes ab, er bestreitet also ihren Anspruch auf Mitteilung echter Jahweoffenbarung. Dazu sind sie infolge der Besessenheit durch den Lügengeist, der auch ein Werkzeug Jahwes ist, unfähig. Hatte noch Elia mit Baalpropheten als den Funktionären einer fremden Religion zu kämpfen, so verlagert sich zur Zeit Michas das Problem auf die Echtheitsfrage der Jahwepropheten 2 . Es ist auch bemerkenswert, daß Micha allein den Prophetenzünften gegenübersteht, und daß er sich offensichtlich auf keine ähnliche Einrichtung stützen kann. M. E. deutet das auf einen tiefgehenden inneren Wandel des Nebiismus hin. Er ist zu einer rein nationalen Einrichtung geworden, die ihre Zielsetzung nicht mehr von der souveränen Willensoffenbarung Gottes her empfängt, sondern ihr oberstes Ziel in der Förderung des Heils (ni1?») des Volkes sieht. Die nationale Selbstbehauptung und nicht der Wille Jahwes ist nunmehr das oberste Kriterium ihres Handelns. Das Verhältnis Jahwes zu Israel wird von den Nebiim, denen Micha entgegentritt, im Sinne naturhafter, unzertrennlicher Verbundenheit von Gott und Volk mißverstanden. Diese Wandlung verrät eine Annäherung des nebiistischen Gottesverständnisses an die Gottesauffassung der kanaanäischen Naturreligion, die bereits auf den Kultus und die Priesterschaft Einfluß gewonnen hatte. Diese innere Annäherung des Nebiismus an das Priestertum und an den kanaanisierten Jahwekultus wird mit der Zeit zu einer organisatorisch-institutionellen Bindung an ihn geführt haben. Der Wandel der geistigen und damit auch der organisatorischen Struktur des Nebiismus läßt sich noch an einem weiteren entscheidenden Punkt beobachten: an dem Verhältnis des Nebiismus zum Königtum. Der alte Nebiismus stand 1 Wahrscheinlich gehören dazu Joel, Nahum, Obadja, Habakuk, Haggai und Sacharia. Vgl. A. WEISER, Einleitung, 2. Aufl., Göttingen 1949, S. 180, 186, 188, 192f., 196, 200 und 202; A. KAPELRUD, Joel Studies, UUA, Uppsala 1948. 2 So G. QUELL, Wahre und falsche Propheten, BFChrTh 46, 1, 1952, S. 71ff.

10*

148

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

durchaus kritisch dem Königtum gegenüber. Dagegen stellen sich die Nebiim der späteren Königszeit nicht nur bereitwillig in den Dienst des Königs, sondern sie geraten in Abhängigkeit von ihm. Das sieht man schon an den 400 Propheten Ahabs und an der Auseinandersetzung zwischen dem Oberpriester Amazja und Arnos (Am 7 ioff.). In Juda war die Beziehung zwischen den Nebiim und dem Hof von Anfang an viel enger als im Nordreich. 4. Das Verhältnis der Priester und Propheten i m 8.—6. Jahrhundert, und die Beurteilung dieser beiden Stände durch die Schriftpropheten

War schon im älteren Nebiismus das Problem des wahren und falschen Prophetentums aufgetaucht, so wurde diese Frage zur Zeit der klassischen Prophetie besonders akut. Das Kriterium zur Beurteilung des Prophetentums kann weder in früherer noch in späterer Zeit rein formaler Art gewesen sein. Es ist bereits in der frühen Königszeit eine gewisse Ambivalenz in der Einschätzung des Nebiismus zu beobachten, die Hochschätzung auf der einen und Verachtung, gemischt mit abergläubischer, numinoser Angst, auf der anderen Seite zeigt (vgl. I Sam 10 uff. II Reg 2 23ff. Hos 9 7). Das ekstatische, zur Raserei gesteigerte Auftreten der Nebiim ist wohl immer als fremdartig mit gewissem Mißtrauen in Israel betrachtet worden 1 . Dieses Mißtrauen wächst im gleichen Verhältnis zur inhaltlichen Entleerung der Botschaft der Nebiim. Bemerkenswert für dieses Sinken des Vertrauens in die Ekstase als äußerer Legitimation der echten Jahwepropheten ist die Frage Josaphats in I Reg 22 7. An der Auseinandersetzung Michas (ben Jimla) mit den übrigen Propheten sieht man, daß die Ekstase als Zeichen des Geistbesitzes weiterhin positiv beurteilt wird, daß aber diese kein Wahrheitskriterium der echten Jahweprophetie ist. Dieses Kriterium ist rein inhaltlicher Art, es ist die Einsicht in den Willen Jahwes und die daraus folgende Deutung der geschichtlichen Ereignisse (vgl. I Reg 22 Jer 28 8f.), und daher kann die Wahrheit der Prophetie nur durch die Erfüllung des prophetischen Wortes erwiesen werden. Letztlich ist es also dem menschlichen Wissen uneinsichtig und nur für den Glauben erfaßbar. Alle israelitischen Propheten wollen Jahwepropheten sein und werden auch als solche anerkannt. Deshalb ist es methodisch nicht zweckmäßig, den Begriff Nabi näher inhaltlich zu bestimmen 2 , sondern man muß ihn in seiner 1

Vgl. die Gegenüberstellung der rasenden Baalpropheten und des ruhig auftretenden Elia. Sie hat deutlich eine polemische Spitze gegen das Ekstatikertum (vgl. I Reg 18 22). 8

So E . WÜRTHWEIN, Arnos-Studien, Z A W 62, N F . 21, 1960, S. 18.

4a. Amos

149

ganzen Weite stehenlassen und erst in konkreten Fällen zu differenzieren suchen. Zunächst gilt es, die Aussagen der Schriftpropheten über das Prophetentum als solches und über seine Funktionen innerhalb der Jahwereligion zu betrachten. Dabei kommt es für das hier behandelte Thema vor allem darauf an, das grundsätzliche Verhältnis des Prophetentums zum Priestertum und Kultus innerhalb der Jahwereligion zu erfassen. Der Kampf um das Wahrheitskriterium der Prophetie gehört nur indirekt zu diesem Thema. Es ist hier nur wichtig, den religiösen Standort der Gegner der Schriftpropheten unter den Nebiim genauer zu bestimmen, d. h. festzustellen, ob der ältere, freie Nebiismus ganz im Hof- und Kultprophetentum aufgegangen ist, oder ob man auch noch mit freien Nebiim des älteren Typus zu rechnen hat. Es ist am zweckmäßigsten, die in Frage kommenden Äußerungen der Schriftpropheten einzeln zu untersuchen. 4 a. Arnos Die wenigen echten Aussagen des Arnos über die wahren Propheten Jahwes lassen eine recht positive Einschätzung des Nebiismus der früheren Zeit erkennen. Sie sind Jahwes Vertraute, die seine ihnen mitgeteilten Worte weitergeben müssen (Am 3 lt.). Arnos weiß sich in einer Linie mit den wahren Verkündigern des Willens Jahwes stehend (2 11). In Am 3 7f. finden wir gewisse Grundzüge des israelitischen Prophetentums beschrieben: Das persönliche, unmittelbare Eingeweihtsein in den göttlichen Geschichtswillen und die unausweichliche Notwendigkeit, die aufgetragene Botschaft zu verkündigen. Arnos (2 11) sieht in der Erweckung von Propheten und Naziräern in Israels Vergangenheit den größten Gnadenerweis Jahwes an Israel. Interessant ist, daß hier nur Charismatiker genannt werden, und die Erwähnung der Priester fehlt. Das spricht für eine Höherbewertung der prophetischen Mittlerinstanzen als der unmittelbaren Werkzeuge der geschichtlichen Fürsorge Jahwes für sein Volk. Hier liegt eine Verwandtschaft mit den Landnahmetraditionen, mit ihrer Hervorhebung der charismatischen Führer, vor. Da die Propheten und Naziräer in Am 211 nicht näher bestimmt sind, besteht kein Grund, nur an Männer wie Elia und Elisa zu denken 1 . Das würde eine Isolierung dieser Gestalten von den Nabigemeinschaften ihrer Zeit bedeuten, die dem überlieferten Bild nicht entspricht und auch historisch unwahrscheinlich ist. Arnos hält es für schwere Sünde, daß man in Israel diese Charismatiker an der Ausführung ihres göttlichen Auftrags hindert 2 . 1

S o E . FASCHER, P r o p h e t e s ,

1927,

S. 1 2 5 .

HALDAR, Associations S. 120f. betont mit Recht, daß wir auf Grund der Stellen Am 2llf. und 371. viel stärker die Kontinuität zwischen Arnos und denNebiim älterer Zeit betonen müssen, als das die ältere Forschung getan hat. Das frühere 2

150

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Die viel umstrittene Stelle Am 7 10-15 muß hier ausführlicher besprochen werden, da sie für die Fragestellung dieser Arbeit von besonderer Bedeutung ist. Zunächst kann man beobachten, daß die Stämme HTI1 und K3| unterschiedslos verwendet werden, daß also die I Sam 9 9 festgestellte Gleichheit von flTh und bereits im 8, J h . selbstverständlich war. Zweitens sieht man, daß das Auftreten des Arnos dem üblichen Auftreten der Nebiim insofern ähnlich gewesen sein muß, als der Oberpriester Amazja ihn ohne weiteres als solchen identifiziert. Freilich kann diese Ähnlichkeit nicht näher bestimmt werden, weil man — wie gesagt — mit recht verschiedenen Typen von Nebiim rechnen muß. Somit kann sich diese Identifizierung des Arnos mit den Nebiim nur auf seinen Anspruch, das Wort Jahwes zu verkündigen, beziehen. Es gibt auch keinen Grund, das gelegentliche Auftreten ekstatischer oder ähnlicher Zustände bei Arnos grundsätzlich zu leugnen und damit jede Verwandtschaft in der Art der Mitteilung des Gotteswortes sowie in der äußeren Erscheinung des Arnos und der Nebiim in Abrede zu stellen 1 . Nun erhebt sich die Frage, wie die Erwiderung des Arnos in 7 14 zu verstehen ist. Erstens hält Arnos es für notwendig, und K,3l"|3 getrennt zu nennen. Es muß sich also um zwei verschiedene Arten von Propheten handeln. Das entspricht ganz dem Bilde, das sich aus den älteren Nabi-Erzählungen ergibt: die hervorragenden Gestalten der Nebiim sind von den von ihnen abhängigen und geleiteten Prophetengemeinschaften zu unterscheiden. Arnos bestreitet seine Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen. Die Frage, ob diese Bestreitung sich auf die Vergangenheit oder Gegenwart bezieht, ob also der hebräische Nominalsatz N,31 N1? •OJX tOM"]:?

tf1?!

mit der Kopula »bin« oder »war« zu übersetzen

Verständnis der Schriftpropheten als »der großen Einsamen« ist in diesem Sinne nicht mehr haltbar. Freilich verfällt H A L D A R in das andere Extrem, indem er Arnos — wie übrigens auch alle anderen Schriftpropheten — kurzweg zum Kultpropheten macht (a. a. O. S. 112, 119ff.) und behauptet: »Daß es kein entscheidendes Zeugnis dafür gibt, daß diese Literatur einen Prophetentyp zeigt, der von den früheren verschieden ist« (a. a. O. S. 121 f.). Ich vermag weiter H A L D A R S — übrigens unbewiesener — Behauptung, daß 110 in Am 3 7 »kultische Versammlung« (cultic assembly) bedeuten soll, nicht zuzustimmen. Auch Gen 49 6 deutet keineswegs in diese Richtung. Vgl. H . W. R O B I N S O N , The Council of Yahwe, J T h S t 45, 1944, S. 151 bis 167 und A. R. J O H N S O N , The One and the Many in the Israelite Conception of God, Cardiff 1942, S. 26ff. Daß X3J selbstverständlich »Verlesen oder Rezitieren T '

ekstatischer Orakel« (HALDAR a. a. O. S. 121) bedeuten muß, bleibt ebenfalls unbewiesen. Am 7 1 4 läßt H A L D A R völlig außer acht. 1 Vgl. T H . H. R O B I N S O N , The Ecstatic Elements in Hebrew Prophecy. ET 1921.

151

4a. Amos

ist 1 , läßt sich — wie ROWLEY gezeigt h a t 2 — rein grammatisch nicht eindeutig entscheiden, doch scheint mir die präsentische Übersetzung richtiger zu sein, da sonst im Hebräischen für die Wiedergabe eines abgeschlossenen Vorgangs oder Zustandes der Verbalsatz im Perfekt bevorzugt wird 3 . Dann wäre also ein ""Irin zu erwarten. Für die drei Nominalsätze (v. 14) das gleiche Tempus anzunehmen, ist am natürlichsten 4 . Aber auch bei dieser Auffassung kommt man um die Schwierigkeit, daß Arnos zwar den Titel Nabi ablehnt, aber die Tätigkeit (v. 15 X3|n) für sich in Anspruch nimmt, nicht herum. Jedenfalls bestreitet Arnos damit jede Beziehung zum berufsmäßigen Nabitum als soziologischem Stand. Als Beweis dafür führt er seinen bürgerlichen Beruf an und die Tatsache der persönlichen Berufung durch Jahwe. Mit tpaJ und N,3J"|3 meint also Arnos die verschiedenen Funktionäre dieses Berufsstandes, der sich im Laufe der Zeit zu einer festen, wenn auch recht vielfältigen, soziologischen Größe herausgebildet hatte. Der Nabi ist aus einem durch Jahwe persönlich berufenen Künder des Gotteswortes zu einem eingeübten Experten der Gottesbefragung und zu einem berufsmäßigen Wundermann, der das Heil (DiVtf im umfassenden Sinne) durch magische Handlungen und Worte zu erzeugen hatte, geworden (v. 12). Mit der verschiedenartigen Verwendung des Stammes K21 in vv. 14 und 15 stellt Arnos dem entarteten, berufsmäßigen Prophetentum den eigenen, unmittelbaren Offenbarungsempfang entgegen 6 . Als echter Jahwenabi hat er seine Autorität nicht aus der Zugehörigkeit zu einer Institution, sondern allein von Jahwe empfangen. Arnos zeigt hier, was in Wirklichkeit das

1

Die Streichung des zweiten "OiX metri causa scheint mir nicht zwingend

zu sein, aber auch so ist "Ü3X besonders betont (Vollform!). 2 ROWLEY, Was Arnos a Nabi ? S. 194, Festschrift f. Eissfeldt 1947; ferner WÜRTHWEIN, Amos-Studien S. 16—18 bieten die Zusammenstellung der bisherigen Deutungsversuche. 3 4

E . BAUMANN, Eine Einzelheit, Am 7 14, ZAW 64, N F . 23, 1962. Gegen: QUELL, Wahre und falsche Propheten, S. 139, Anm. 1. Auf keinen

Fall kann das

v. 15 Imperfectum consecutivum das Tempus der vorher-

gehenden Sätze bestimmen, sondern muß sich in seiner Bedeutung nach dem Tempus des Vordersatzes richten (G.-K. § l l l o , u). Die Anknüpfung durch imperf. consec. kann sehr lose sein und u. U. adversativen Sinn haben.

1

b e z e i c h n e t

ein

Geschehen der Vergangenheit, das in die Gegenwart hineinragt. E s widerspricht also nicht dem präsentischen Verständnis der vorangehenden Nominalsätze. 5 Ich erblicke darin den in den semitischen Sprachen so beliebten Gebrauch eines Stammes in seinen verschiedenen Bedeutungsschattierungen. Dazu war ein Stamm von so schillernder und umfassender Bedeutung wie K31 besonders geeignet.

152

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Nabisein ausmacht. Implizit enthält also Am 7 10-17 ein negatives Urteil über das zeitgenössische Nabitum. Die im Heiligtum auftretenden Propheten waren offensichtlich für Amazja eine bekannte Erscheinung. Ungewöhnlich kommt ihm an Arnos die Unheilsverkündigung vor. Die Trennungslinie verläuft zwischen den Heilspropheten und dem Unheilspropheten Arnos. Wir haben es also mit genau derselben Situation wie in I Reg 22 zu tun. Nur spielt sich diesmal das Geschehen an der Kultstätte selbst ab. Die Heilspropheten zur Zeit des Arnos müssen wohl bereits dem Priestertum näher gestanden haben als zur Zeit Michas (ben Jimla). Darauf deutet auch ihre Unterordnung unter die Gewalt des Oberpriesters, von der wir bei den älteren Nebiim nichts merken. Damit ist aber noch lange nicht bewiesen, daß »Nabi« und »Kultprophet« für die Zeit des Arnos identische Begriffe wären 1 . Von dem Gebrauch des Stammes N33 in Am 7 10-17 kann man darauf schließen, daß diese Bezeichnung eigentlich nur die Nebiim als eine vom Priestertum verschiedene Mittlerinstanz kennzeichnet, und es kann lediglich eine Unterscheidung zwischen der durch die Verkündigung des Heils (ni1?») charakterisierten Gruppe der Nebiim und dem Unheilspropheten Arnos vorgenommen werden. 4 b. Hosea Auf Grund der wenigen und textlich meist sehr schwierigen in Frage kommenden Stellen des Hoseabuches läßt sich über das Verhältnis Hoseas zu den Nebiim nur wenig sagen. Hos 6 5 zeigt eine hohe Einschätzung der Unheilspropheten. Ihr Wirken wird mit dem des Gotteswortes gleichgesetzt. Da vor allem ihre strafende und zurechtweisende Tätigkeit hervorgehoben wird, ist wohl nach unserer Kenntnis der Verhältnisse an Propheten der Art wie Elia, Elisa, Micha ben Jimla und Arnos zu denken. Freilich sind die Nabigemeinschaften, die unter dem Einfluß solcher Männer standen, nicht von dieser positiven Beurteilung durch Hosea auszuschließen. Die in ihrer Textgestalt und ihrer Bedeutung sehr umstrittene Stelle Hos 9 7f. trägt kaum etwas zum Thema bei. Man kann sie entweder als ein gegen die zeitgenössischen Propheten gerichtetes Wort 1 So WÜRTHWEIN, Amos-Studien, S. 18; vgl. dagegen die Einwände RUDOLPHS, Gott und Mensch bei Arnos, Imago Dei., Festschrift für G. Krüger, 1932, S. 25—27. Sowohl WÜRTHWEIN als auch JOHNSON (The Cultic Prophet) verwenden den terminus Kultprophet in recht unpräziser Weise. Einmal soll damit eine allgemein freundliche Haltung der Propheten dem Kult gegenüber bezeichnet werden (so JOHNSON a. a. O. S. 28), ein anderes Mal eine Klasse von prophetischen Kultbeamten (a. a. O. S. 51). Diese verschiedenartige Verwendung des Begriffes Kultprophet trägt nicht gerade zur Klärung des Problems bei.

4c. Jesaja

153

Hoseas 1 oder als eine Anspielung auf die gegen Hosea und die Propheten überhaupt gerichteten Beschimpfungen und Nachstellungen ihrer Gegner 2 verstehen. Da sich unter den echten Hoseasprüchen kein Gerichtswort gegen die Propheten findet 3 , halte ich die letztere Auffassung für richtiger. Der Schluß von Hos 9 8 deutet darauf hin, daß man den Propheten, mit denen sich Hosea solidarisch erklärt (6 5 12 Ii. 14), auch im Heiligtum nachstellt. Sie werden also besonders von den Priestern bekämpft. Es können deshalb mit den Hos 9 7f. genannten Nebiim nicht Kultpropheten gemeint sein. Auch hier treten uns also die Propheten als eine von der Priesterschaft und vom Kultus unabhängige Gruppe entgegen; ihr Benehmen war anscheinend so auffallend und ungewöhnlich, daß es ihnen die Bezeichnung »Verrückter« einbrachte. 4 c. Jesaja In Jes 28 7-13 werden sowohl Priester als auch Propheten von der dunkelsten Seite her gezeigt. Ihr üppiges und zügelloses Leben macht sie unfähig, ihre Pflichten zu erfüllen. Als spezifische Tätigkeit dieser Stände werden nah 4 und nj1?''1?? = Entscheidung, Urteil, genannt. Angesichts des schuldhaften Versagens der Priester und Propheten bei der Ausübung ihrer Pflichten sieht Jesaja in seiner eigenen Verkündigung die Erfüllung und Vereinigung der priesterlichen und prophetischen Funktionen. Dies muß auch von seinen Hörern so verstanden worden sein (v. 9). Bei positiver Würdigung der priesterlichen und prophetischen Belehrung und Verkündigung an sich verurteilt Jesaja die zeitgenössischen Vertreter dieser Stände aufs strengste. Gerade seine hohe Meinung über ihre Aufgaben 1 So MOWINCKEL, The Spirit and the Word in the Preexilic Reforming Prophets, J B L 53, 1934, S. 204, Anm. 21.

So A. JEPSEN, Nabi, 1934, S. 135. Hos 4 5aß ist spätere Glosse, denn dieses Gerichtswort richtet sich sonst ausschließlich gegen die Priester, außerdem liegt innerhalb des v. 5 Personenwechsel von 2. zur 3. Pers. vor. v. 12 deutet auf Verwendung technischer Mittel zur Orakelerteilung durch die Priester. Vielleicht ist damit das alte Losorakel Urim und Tummim gemeint. Vgl. PLÖGER, Priester und Prophet, S. 162 und H. W. WOLFF, »Wissen um Gott« bei Hosea als Urform von Theologie, E v . Theol., 12. Jg., 1952/53, S. 550ff. 2 3

HK1 = schauen, wahrnehmen hat in den prophetischen Büchern des AT eine recht weite Bedeutung. Es umfaßt neben dem gewöhnlichen Sehen, Wahrnehmen das Schauen von Gesichten und Offenbarungen, auch mit Auditionen verbunden. Ein Hinweis auf die für den Propheten spezifische Art des Offenbarungsempfanges läßt sich deshalb dieser Jesajastelle nicht entnehmen. Nur das eine ist deutlich, die Worte der Propheten gelten als von Jahwe eingegeben. Das bestreitet Jesaja mit dem Hinweis auf die abscheulichen Begleitumstände dieses Offenbarungsempfanges, die mit dem Ernst der Sache unvereinbar sind. 4

154

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

verschärft sein Urteil über ihre Nachlässigkeit und Skrupellosigkeit. Für die Geschichte des Nebiismus ergibt sich daraus folgendes: 1. Der religiöse und sittliche Stand der Nebiim ist zur Zeit Jesajas außerordentlich tief. Sie sind genau wie die übrigen Stände dem zersetzenden Einfluß der kanaanäischen Kultur und Religion erlegen. Von dem strengen, konservativen Charakter des Nebiismus der frühen Königszeit, der alle fremden Einflüsse bekämpfte und im Bund mit den Rekabitern für die einfache, altisraelitische Sitte und die Reinheit der Jahwereligion eintrat, ist nichts mehr zu merken. 2. Der Schauplatz der Wirksamkeit dieser Nebiim ist anscheinend der Tempel, in dem sie, den Priestern gleichgeordnet, einen besonderen Aufgabenbereich, nämlich die Mitteilung der Gottesworte, haben. Priester und Propheten sind sich in der Ablehnung der Botschaft des Jesaja einig. Inhaltlich freilich kann die Erteilung von Dabar und Tora kaum klar unterschieden werden. So gehört nach Jes 30 9 f. die Toraerteilung zu den Aufgaben des nijh und njn. Der synonyme Gebrauch von nah und HTfl in Jes 30 10 läßt kaum genauere Rückschlüsse auf die Art des Offenbarungsempfangs oder der Wirksamkeit der damit bezeichneten Personen zu 1 . Der einzige Unterschied, der sich feststellen läßt, ist, daß ntn mehr als HiO für Auditionen verwendet wird, aber er ist weder grundsätzlich noch läßt er sich durchgehend beobachten 2 . Jes 30 9ff. zeigt deutlich, auf welche Ablehnung die unbestechliche Verkündigung des Jesaja — darauf deutet tfilp. in v. n hin — und wohl auch anderer Propheten stieß. Jesaja scheint doch vorauszusetzen, daß er nicht der einzige Prophet ist, der die Wahrheit verkündet. Das Beispiel Michas aus Moreschet, der Jesaja ungefähr zeitgenössisch ist, zeigt, daß es solche Propheten, von denen wir leider wenig wissen, neben den uns bekannten Schriftpropheten gab 3 . Dem Volk war also eine andere Art der prophetischen Verkündigung als die der Heilspropheten bekannt. Jesaja (311) wirft dem Volk vor, daß es Jahwe nicht sucht oder befragt (Eh^). ©"H hat hier den technischen Sinn von »Jahwe befragen, seinen Willen erforschen«. 1 Zur Etymologie und Bedeutung dieser Stämme sishe H Ö L S C H E R , Die Propheten S. 45ff.; T H . H . R O B I N S O N , Prophecy and the Prophets S. 2 8 , 4 1 ff.; A. G U I L LAUME, Prophecy and Divination 1938 S. 290ff.; J . HÄNEL, Das Erkennen Gottes bei den Schriftpropheten, B W A N T NF. 4, 1923, S. 7ff.; JEPSEN, Nabi S. 4 3 - 5 6 ; H Ä U S E R M A N N , Wortempfang und Symbol, S. 4 — 8 ; J O H N S O N , The Cultic Prophet, S. 1 2 - 1 7 . 2 J E P S E N a. a. O . verallgemeinert zu sehr und macht ihn zu einem grundsätzlichen Unterschied. 3 Für die Zeit Jeremias beweist die Erwähnung des Unheilspropheten Uria (Jer 26 20ff.) dasselbe.

155

4c. Jesaja

Damit weist Jesaja sicher auf sich selbst als die rechtmäßige, wahre Instanz der Gottesbefragung hin. Die Heils- und Kultpropheten sowie andere Orakelgeber sind damit sicher nicht gemeint (vgl. 819). Auch die Erwähnung der Jünger des Jesaja (816) weist in die gleiche Richtung. Jesaja hatte Schüler um sich, die seine Worte bewahrten und weitergaben. Neben den Propheten, die den Wünschen des Volkes und seiner Führer willfahren und die gewünschten Heilsorakel liefern, gibt es zu Jesajas Zeit auch anders gesinnte prophetische Kreise, die ihm nahestanden. Auch hier zeigt es sich also, daß man den terminus Nabi und verwandte Bezeichnungen wie flijh oder ntn, die mit ihm praktisch synonym sind, ganz weit fassen muß, etwa im Sinne »charismatischer Sprecher, insp rierter Vermittler des Gotteswortes«. Damit ist zwar eine deutl che Abgrenzung gegenüber dem Priesterstand, nicht aber gegenüber den Kultpropheten und Mantikcrn, vollzogen. Unter dem Sammelbegriff Nabi sind verschiedene Gruppen zusammengefaßt, die erst im konkreten Fall genauer bestimmt werden können. Wir haben es also m. E. nicht mit einer homogenen, sondern mit einer mehrschichtigen Größe zu tun. Diese Mehrschichtigkeit kommt sowohl im geschichtlichen Strukturwandel der gesamten Erscheinung als auch in der inneren Differenzierung nach Inhalt und Form der Wirksamkeit einzelner Gruppen der Nebiim im gleichen Zeitraum zum Vorschein. Dabei scheint mir diese Gliederung in verschiedene Gruppen mehr vom Inhalt als von der Form her bestimmt zu sein. So gesehen braucht man die D,3?y = Vorzeichendeuter aus dem Wolkenzuge und die (Jes 2 6) tnj?» D^pp = Wahrsager nicht als Winkelzauberer nach der Art der Hexe von Endor anzusehen. Vielmehr sind es Zeichendeuter und Orakelerteiler der uns z . B . aus Assyrien und Babylonien bekannten Art, die auch sicher im israelitischen Kultus offizielle Stellung und Anerkennung gefunden haben. Jedenfalls gehören sie zur Zeit Jesajas zu der offiziellen Religion, denn sie werden gemeinsam mit den staatlichen Machtmitteln genannt, auf die sich das falsche Vertrauen des Volkes stützt (Jes 2eff.). Sie haben zusammen mit den fremden Götzenbildern (Jes 2 8) Eingang in Israels Kultus, also auch in den Jerusalemer Tempel, g e f u n d e n D i e zu ihrer Kennzeichnung angewandten termini machen es wahrscheinlich, daß man bei allem Synkretismus doch einen grundsätzlichen Unterschied zwischen ihnen und den Nebiim machte. Wir stoßen hier auf noch eine besondere Gruppe neben den Heilspropheten. Inhaltlich werden sich die Orakel dieser beiden Gruppen kaum wesentlich voneinander unterschieden haben. Beide verkündeten und vermittelten das Heil (Di1?®) für das Weitere Erwähnung verschiedener Wahrsager, befrager siehe Jes 8 I9f. — im ablehnenden Sinne. 1

Beschwörer

und Toten-

156

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Volk und damit auch für den einzelnen. Es ist durchaus möglich, daß die Wahrsager und Orakelgeber nicht direkt im Namen Jahwes, sondern im Namen anderer Götter des Pantheon — mit dem man doch wohl zur Zeit Jesajas zu rechnen hat — auftraten 1 . Von den Heilsnebiim unterschieden sie sich durch stärkere Verwendung technischer Mittel der Orakelerteilung. Einen Begriff von der Vielfalt der Instanzen, die der Ermittlung des göttlichen Willens dienten, gibt uns J e s 3 2 f. In dieser Aufzählung der führenden Stände fehlen merkwürdigerweise die Priester. Vielleicht sind jedoch bei dieser Zusammenstellung nur die Stände berücksichtigt, deren Wirksamkeit in besonderer Weise aus dem Geist besitz entspringt, deren Ansehen also mehr auf ihrer persönlichen Mächtigkeit als auf ihrem Amtscharakter beruht. Das ließe sich bei BSP, X"ai, SVV, |pt, I i s ? , ilön1?» und DDp als geläufige Anschauung belegen; für die Inhaber des Geheimwissens über Orakelwesen und Magie (tfn1?, "|iai, DOp) wäre sie durchaus möglich, obwohl hier schon größere Nähe zum Priester gegeben ist, da das erlernte Wissen und nicht die persönliche Begabung ihr primäres Kennzeichen bildet. Vollends schwierig ist unter dem erwähnten Gesichtspunkt eine so spezielle militärische Bezeichnung wie "l© zu verstehen. Vielleicht ist aber auch mit zufälligen späteren Auslassungen, bzw. Auffüllungen zu rechnen. Es werden hier jedenfalls die Stände genannt, die für die Gestaltung des politischen Lebens besonders wichtig sind. Dann hätte Jesaja die falschen Propheten und Orakelgeber deshalb für gefährlicher als die Priester gehalten, weil sie auf die Staatsführung größeren Einfluß als diese ausübten. Sie gehören zusammen mit den politischen Machtmitteln und Bündnissen zu den Objekten des falschen Vertrauens des Volkes und beeinträchtigen deshalb in besonderer Weise den Herrschaftsanspruch Jahwes. Das Fehlen der Priester in Jes 30ioff. weist in die gleiche Richtung 2 . In den D^öpp, D,3?s? usw. hat man also sicher Kultpropheten im eigentlichen Sinne zu sehen. Die Art ihrer Tätigkeit entspricht genau der Tätigkeit der babylonisch-assyrischen und kanaanäischen Orakel1 Die Verwendung des Pfeilorakels durch Elisa (II Reg 13 I5ff.) ist singulär. Außerdem weisen gerade diese Teile der Elisalegende epigonenhaften Charakter auf. Deshalb kann man die technische Mantik nicht als ein charakteristisches Kennzeichen des Nebiismus ansehen. Für den israelitischen Nabi, besonders aber für den oppositionellen Typus, haben wir keinen Beweis für die Verwendung solcher technischer Orakelmittel, ja nicht einmal für die Heilspropheten des 8.—6. Jh.s läßt sich dieser Nachweis führen. Vgl. Hab 2 I8f.

Die Glossen. !

und D , tn in Jes 29 10 und 1035 in 9 14 sind spätere erklärende

4d. Micha

157

priester und Mantiker. Sie gewinnen erst in der Zeit des verstärkten Vordringens babylonisch-assyrischer Einflüsse in Israel an Boden und werden noch zur Zeit Jesajas als fremd empfunden. 4d. Micha Ähnlich wie Jes 28 7-13 verurteilt Micha Priester und Propheten in gleicher Weise zusammen mit den führenden Schichten des Staates (Mi 39-12). Als charakteristische Bezeichnung der priesterlichen Tätigkeit verwendet Micha das Verbum n")in, während er die prophetischen Funktionen unter DOp. (v. 11) zusammenfaßt. Das letztere ist besonders ungewöhnlich, weil es von Micha anscheinend gar nicht im negativen Sinne wie Jes 2 6ff. gebraucht wird. Außerdem könnte man hier eine Belegstelle für den Gebrauch der technischen Orakelmittel bei den Nebiim sehen, ein Zug, der sonst an ihnen nicht in dieser Weise hervortrat. Nach Mi 3 6 werden und Dbpt den D , N , 3 J zugeschrieben, dagegen erscheinen in v. 7 D,t.h und D , a o p als zwei getrennte Gruppen. Ist der synonyme Gebrauch von n.Tn/¡"l*h und zur Zeit der klassischen Prophetie gesichert, so muß das gleiche für DOp an dieser Stelle gelten. Das auf Grund der Äußerungen Jesajas gewonnene Bild wäre also dahingehend zu ergänzen, daß anscheinend eine Annäherung oder gar Vermischung dieser beiden Vermittlungsinstanzen eingetreten ist. Diese Annäherung läßt sich ambesten aus dem Nebeneinander der verschiedenen Gruppen von Mantikern und Nebiim im Jerusalemer Tempel erklären. Als das hervorstechendste Charakteristikum aller dieser Künder des göttlichen Willens wird die nib®Verkündigung genannt (vgl. Mi 2ef. 3n). Micha wirft ihnen Eigennützigkeit (3 11) und Bestechlichkeit (v. 5) vor. Die eben erwähnte Michastelle sowie Jes 3 2 lassen also das immer stärkere Hervortreten der technischen Mittel der Orakelbefragung (DOp.) bei den Heilspropheten und damit indirekt auch ihre straffere Eingliederung in das Kultpersonal erkennen. Hier hat man es also doch wohl (Mi 3 6 Jes 3 2) mit Kultpropheten im eigentlichen Sinne zu tun. Die Nebiim verlieren ihre Eigenständigkeit und schließen sich in immer höherem Maße dem Kultprophetentum an. Die Kultpropheten sind nicht israelitischen Ursprungs, gewinnen jedoch bald im Zuge des Synkretismus an Bedeutung und nehmen den zum bloßen Heilsprophetentum entarteten Nebiismus in sich auf. Dieser Prozeß muß sich in Juda sehr rasch vollzogen haben. Das sieht man daran, daß diese Mantiker zur Zeit Jesajas noch als eine fremdartige Erscheinung gelten, von Micha dagegen als mit den Nebiim gleichberechtigt und ohne besondere Kennzeichnung ihrer Fremdartigkeit als offizielle Instanz der Jahwereligion

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

158

behandelt werden. Das oppositionelle Prophetentum, das durch die Schriftpropheten vertreten wird, geht jedoch andere Wege. Diese Verbreitung der im älteren Nebiismus nicht angewandten und in Israel ursprüngl ch als fremd empfundenen und abgelehnten technischen Mittel bei den Heilspropheten hat wohl dreierlei Ursachen: 1. Das Nachlassen der wirklich prophetischen Gabe, aus der unmittelbaren Verbindung mit Jahwe Aufschluß über seinen Willen zu erhalten, an deren Stelle erlernbares Geheimwissen tritt. 2. Das Bedürfnis des Kultus nach solchen Orakelmitteln, die jederzeit zugänglich und anwendbar sind. Die dem kultischen Handeln überhaupt eigene Tendenz nach Einschränkung der Spontaneität und Unberechenbarkeit des göttlichen Handelns wirkt sich auch auf die Willenskundgebungen der Gottheit aus. Ansätze dazu waren in dem altisraelitischen Losorakel vorhanden. 3. Der Synkretismus der späten Königszeit begünstigt die Übernahme fremder Orakelpraktiken. Hat man die Identifizierung Jahwes mit Baal, vielleicht auch mit anderen Gottheiten, bedenkenlos vollzogen oder ihn in das Pantheon der syrisch-babylonischen Gottheiten eingereiht, so stand auch der Übernahme fremder Orakelbräuche und des Beschwörungswesens nichts mehr im Wege. Diese Vorgänge sind im AT natürlich von den späteren Überarbeitungen verdeckt, aber an Stellen wie Jes 3 2 (vgl. 2 6 8 19) und Mi 3 6 doch noch erkennbar. Erstaunlich ist freilich, daß Micha diesen Kultpropheten scheinbar den Empfang göttlicher Offenbarungen nicht abspricht. Jedoch ist dabei zu bedenken, daß Micha hier (Mi 3 9-12) nicht über die Art des Offenbarungsempfanges oder die Offenbarungsquelle überhaupt reflektiert, sondern allein den Wahrheitsbeweis der eigenen Verkündigung aus ihrer praktischen Auswirkung führt (v. 8, ähnlich Mi 2 e). Das Gegenstück dazu ist der Beweis für die falsche, lügnerische Art seiner mantischen Gegenspieler, den Micha in ihrer Bestechlichkeit und ihrer Eigennützigkeit sieht (3 5 und 11). Darauf liegt der Hauptton. Im übrigen werden die Gegner von Micha dafür genommen, wofür sie sich ausgeben und wofür sie im Volke gelten 1 . Als nichtig erweist sich 1

JOHNSONS (The Cultic Prophet S. 33), Behauptung, daß DDP. »is recognized

(by a canonical prophet, be it noted) as a valid method of securing a decision in the affairs of life« hängt angesichts der Verwerfung des Inhalts dieser Prophetensprüche in der Luft. Die Methode der Befragung diskutiert Micha nicht, nur den Inhalt und die Eigennützigkeit der betreffenden Propheten. Daß 0 0 £ und andere divinatorische Mittel z. Z. Michas im offiziellen Kult verwandt wurden, ist richtig. Das bedeutet aber noch nicht, daß Micha sie als solche anerkennt. — Auch QUELL, Wahre und falsche Propheten, S. 117 geht im Hinblick auf Mi 3 5ff. zu weit, wenn er sagt: »Sie (die falschen Propheten) hatten echte Schauungen und empfingen Orakel, daran läßt der Wortlaut keinen Zweifel«. Ist dieses »echt« im Sinne »von Jahwe gegeben« zu verstehen, was Anm. 1 (QUELL a. a. O. S. 117, Polemik gegen J . LINDBLOM, Mika,

159

4e. Jeremía

der Anspruch der falschen Propheten aus dieser Gegenüberstellung von selbst. Sie sind eben nur Karikaturen von Propheten, und auch diese Maske, möge sie im Augenblick auf das Volk noch so echt wirken, wird ihnen von Jahwe herabgerissen (3 6f.). Micha geht auf keine grundsätzliche Diskussion ein, er läßt es bei der schlichten Gegenüberstellung bewenden und überläßt das Urteil dem Hörer. 4e. Jeremia

Die große Zahl der Äußerungen Jeremias über die Propheten verringert sich erheblich, wenn man die Stellen, in denen die Propheten nach feststehendem Schema als appositioneile Auffüllungen bei Aufzählungen führender Stände auftauchen, als unecht ansieht, so J e r 2 26 8 l 1 und 32 322. Auch wenn man diese Stellen als unecht ausscheidet, so kann das den Eindruck nicht abschwächen, daß unter den Priestern und Propheten zur Zeit Jerem as ein gutes Einvernehmen herrschte. In J e r 2 8 werden die einzelnen Stände nach ihrem Verhältnis zu Jahwe beurteilt 3 . Den Propheten spricht Jeremia jede Beziehung zu Jahwe rundweg ab. Mit Baal braucht nicht bloß der kanaanäische Gott, sondern es kann auch der Gott der synkretistischen Jahwereligion (wie Hos 2 ie) gemeint sein 4 . Als typische Aufgabe der Priester gilt die Auslegung und Anwendung der Rechtssatzungen; die der Propheten wird mit K31 umschrieben. Ähnliches zeigt J e r Ö3i 5 , nur ist hier V»? durch iptf ersetzt, nptf ist als eine Personifikation aufzufassen und damit Baal gleichliterarisch untersucht Abo. VI, 2, 1929, S. 75) nahelegt, dann ist der Satz irreführend. Micha bestreitet die Begeisterung der falschen Propheten nicht, den Besitz des Geistes oder der Kraft Jahwes aber nimmt er allein für sich in Anspruch. Damit ist ja indirekt gesagt, daß er die falschen Propheten nicht als autorisierte Sprecher Jahwes anerkennt. Ihre Offenbarungen und Schauungen sind in diesem Sinne eben nicht echt (vgl. Mi 6 l l ) . 1

J e r 8 l ist vielleicht echtes Jeremiazitat im deuteronomisch bearbeiteten

A b s c h n i t t , so RUDOLPH Z. S t . 2 Jer 32 32 ist spätere Ergänzung, siehe RUDOLPH Z. St. Ähnlich verhält es sich mit 1313. Jer 4 9ff. und 1418 stehen wohl in deuteronomisch bearbeiteten, bzw. zusammengestellten Stücken, können aber dennoch echte Jeremiaworte enthalten. Gegen die Erwähnung der Propheten erheben sich an diesen Stellen keine sachlichen Bedenken (vgl. RUDOLPH Z. St.). 3

N^INN ,6?PR) = P r i e s t e r , siehe

RUDOLPH Z. St., D ' S T =

weltliche

Führer,

König und Aristokratie. 4 FASCHER, Prophetes S. 131, denkt speziell an Götterbilder als Orakelmittel, wie in Ägypten. Doch enthält der Text keinen Hinweis darauf. • JOHNSON, The Cultic Prophet S. 64 übersetzt VTJT in v. 31 mit »herrschen«. Doch ist das keine typisch priesterliche Tätigkeit, die man doch hier erwarten muß.

160

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

zusetzen (vgl. J e r 2 8 23 13). Die charakteristischen Tätigkeiten dieser Stände werden mit denselben Ausdrücken wie in J e r 2 8 bestimmt. Beide Stände haben sich von der Bindung an Jahwe gelöst, und deshalb ist auch ihre Wirksamkeit zur Willkür geworden. An beiden Stellen werden die Tätigkeiten und Aufgaben der Priester und Propheten als solche nicht verurteilt, sondern ihr Mißbrauch durch die zeitgenössischen, entarteten Vertreter dieser Stände. 5 31 ba = »und mein Volk liebt es so« weist wohl in die Richtung der aiVtf-Verkündigung und entsprechender religiös-nationalistischer Agitation der Priester und Propheten. Ausdrücklich wird die Einmütigkeit von Priester und Prophet unter dem Gesichtspunkt der DiV®-Verkündigung und der Gewinnsucht in J e r 6 13-15 (par 8 10-12) 4 9f. 18 18 betrachtet. Ihre, auch von Jeremia anerkannte, eigentliche Aufgabe, »den Schaden des Volkes zu heilen« (Jer 6 14), versehen sie nur oberflächlich, indem sie um des Gewinnes willen Heil prophezeien. Jeremia spricht ihnen also hier die subjektive Ehrlichkeit und die Echtheit ihrer Weissagungen ab (so auch Zeph 3 4). Über das gegenseitige Verhältnis beider Stände läßt sich auf Grund der bisher behandelten Stellen sagen, daß ihr Nebeneinander von Jeremia als selbstverständlich betrachtet wird. Aus J e r 1818 sieht man, daß Priester, Weise und Propheten in der gemeinsamen Feindschaft gegen Jeremia übereinstimmen. Diese Antagonie ist in dem Gegensatz ihrer auf die Wahrung des Heils gerichteten Tätigkeit zu der Unheilsprophetie des Jeremia begründet. In J e r 23 9-11 ist der Tempel der gemeinsame Ort der Wirksamkeit der Priester und Propheten. Dieser Umstand läßt wohl darauf schließen, daß Jeremia hier Kultpropheten im eigentlichen Sinne meint. J e r 27 16. 18 wirft auf das Verhältnis von Priestern und Propheten insofern ein neues Licht, als die Priester davor gewarnt werden, auf die Weissagungen der Propheten zu hören. JOHNSON 1 liest freilich aus dieser Stelle zu viel heraus, wenn er daraus auf die übergeordnete Stellung der Propheten über die Priester schließt. In Jer 27 handelt es sich um die konkrete Frage des Abfalls von Nebukadnezar. Nach allem, was wir über die Propheten wissen, oblag ihnen Deshalb ist die Konjektur zu N V (CORNILL) erforderlich. JOHNSON bezieht das a r p T - V » auf die Propheten und folgert daraus, daß sie den Priestern übergeordnet sind. Diese Auffassung ist aus philologischen Gründen unhaltbar (siehe RUDOLPH z. St.). Außerdem steht hier nicht das gegenseitige Verhältnis von Priester und Prophet zur Debatte, sondern ihr Verhalten zu Jahwe. Der Abfall der Priester kann nicht darin bestehen, daß sie auf die Weisung der Propheten hören, sondern darin, daß sie sich bei der Toraerteilung nicht an die Gebote Jahwes halten. Das fordert schon die Parallelisierung mit den falschen Propheten, die von Jahwe abgefallen sind, indem sie bei fremden Göttern Offenbarungen suchten. 1 A. a. O. S. 66.

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4e. Jeremia

immer die Ermittlung des göttlichen Willens in politischen und nationalen Angelegenheiten wie überhaupt in allen solchen Fragen, zu deren Entscheidung es einer direkten Willensmitteilung Jahwes bedurfte. Daraus ist das Hören der Priester auf die Prophezeiungen der Nebiim zu verstehen. Jer 27 i6ff. läßt aber genausowenig wie Jer 5 31 auf eine grundsätzliche hierarchische Überordnung der Propheten als kultischer Institution über die Priester 1 schließen. Die Stellen, an denen Priester und Propheten nebeneinander im Tempel erscheinen (z. B. Jer 26 7. ie), sagen an und für sich über die Institution der Kultprophetie kaum etwas aus, denn gerade in Jer 26 erscheinen auch die Ältesten und sogar das Volk als im Tempel aktiv handelnd. Sie werden in einem Zug mit den Priestern und Propheten genannt. Die Aussagen über eine dieser Gruppen müssen also in gleicher Weise für die anderen gelten 2 . Zieht man jedoch die näher spezifizierte Angabe über die Tätigkeit der Nebiim im Tempel (Jer 23 n) und vor allem die sachliche Übereinstimmung zwischen ihnen und der Priesterschaft (Jer 2 s 4 9f. 5 31 6 13-15 18 18) mit in Betracht, so kann man kaum daran zweifeln, daß in den prophetischen Gegnern des Jeremia Kultpropheten im eigentlichen Sinne zu erblicken sind. Damit findet das auf Grund der Äußerungen Jesajas und Michas gewonnene Bild von der Verschmelzung des Kultprophetentums, das in Israel erst spät aufkommt, mit dem alten Nebiismus bei Jeremia seine Bestätigung. Darauf hin deutet auch die Existenz eines besonderen Aufseheramtes (Jer 29 26, vgl. Jer 20 l, TpS) über die Propheten, das von einem Priester bekleidet wird 3 . Man kann jedoch diesen Aufseher nicht allein auf die Leitung der Zunft der Kultpropheten beschränken, vielmehr ist darin ein Ordnungsamt mehr allgemeiner Art zu erblicken. Der Oberaufseher soll jeden, der die Ordnung im Tempel stört 4 , bestrafen. Von diesem all1

JOHNSON ist zu dieser petitio principii gezwungen, weil er grundsätzlich in den Nebiim eine den Priestern übergeordnete Gruppe des beamteten Kultpersonals sieht (a. a. O. S. 66f.). 2 Die Erwähnung des Raumes im Tempelgebäude, der den Söhnen des Gottesmannes Jigdalja gehört (Jer 36 4), beweist ebenfalls nichts, denn solche Räume besaßen auch Laien (vgl. II Reg 23 11 Jer 36 10). 3 Nach Jer 20 6 scheint er zugleich Prophet zu sein; doch ist die Anwendung des Verbums K3| zur Bezeichnung der Tätigkeit eines Priesters so singulär, daß sie nicht zu dem Schluß berechtigt, die Kultpropheten hätten nur eine Gruppe der Priesterschaft gebildet. 4 tt^N v. 26 ist nicht als terminus technicus für Propheten zu verstehen. B^S hat hier den allgemeinen Sinn »jeder«.

JOHNSON a. a. O. S. 63f. schwächt

diese Tatsache ab, weil sie seiner These von der Überordnung der Kultpropheten über die Priester widerspricht, vgl. Am 7 lolf. H e n t s c h k e , Die Stellung der votexilischen Schriftpropheten zum Kultu«

11

162

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

gemeinen Charakter des Aufseheramtes her ist auch zu verstehen, daß seine Träger wiederholt gegen Jeremia vorgehen. Seine Verkündigung verursachte Unruhe und Aufruhr im Tempelbezirk. Unmöglich kann daraus der Schluß gezogen werden, daß Jeremia Kultprophet war 1 . Die Bezeichnung icai ist eben sehr vieldeutig, sie kann auch den Kultpropheten umfassen, ist aber nicht auf ihn allein zu beschränken. Das Nabitum der späten Königszeit scheint, inhaltlich gesehen, weitgehend seine ursprüngliche Eigenart eingebüßt zu haben. Es richtet sich ausschließlich auf die Schaffung des Heils und stimmt darin mit dem Priestertum überein, dessen Tätigkeit ebenfalls die Sicherung des Heils für die Gemeinschaft und das Individuum zum Ziele hatte. Daher bilden sie Jeremia gegenüber eine geschlossene Front. Dennoch geben die herangezogenen Jeremiasteilen keinen Hinweis darauf, daß diese Annäherung zu einer organisatorischen Verschmelzung geführt hätte. In den erwähnten Stellen ist die Trennung vielmehr insofern deutlich, als die Tätigkeit der Priester mit Toraerteilung und Rechtsprechung zusammenfassend bezeichnet wird, die der Propheten sich dagegen vor allem auf die Mitteilung der Entscheidungen Gottes über Angelegenheiten des politischen und nationalen Lebens erstreckt. In dieser Hinsicht scheinen sie einen Vorrang vor den Priestern zu haben (Jer 27 ie). Außerdem gehört die Fürbitte wie überhaupt das Gebet zum spezifisch prophetischen Aufgabenbereich. Demnach sind die israelitischen Kultpropheten eine relativ selbständige Mittlerinstanz neben dem Priestertum. Die von MOWINCKEL, JOHNSON, E N G N E L L u n d HALDAR b e h a u p t e t e Z u g e h ö r i g -

keit der israelitischen Kultpropheten zum priesterlichen Stand läßt sich m. E . nicht nachweisen. Darin hat der Nebiismus einen Rest seiner ursprünglichen Unabhängigkeit vom Priestertum bewahrt. Die Nebiim gehören nunmehr zum großen Teil zum Kultpersonal, aber sie unterscheiden sich deutlich von der Priesterschaft. Daß Jeremia trotz seiner Abstammung aus einer Priesterfamilie weder als Priester noch als Kultprophet fungierte, zeigt seine Beurteilung der zeitgenössischen Vertreter dieser Stände. An ihrem Versagen wird die Größe des Abfalls überhaupt offenkundig. Dabei scheint Jeremia das Prophetentum als gefährlicher beurteilt zu haben, vor allem wegen seines Einflusses auf das politische Leben. Außer der schärferen Sprache zeigt das auch die Tatsache, daß die spezielle Polemik gegen die Propheten viel größeren Raum als die gegen die Priester einnimmt. Den Heilspropheten spricht er die Autorisierung ihrer Verkündigung durch Jahwe ab (Jer 14 13-ie). Sie sind Lügenpropheten, die 1 Zu den beiden Stellen (Jer 29 26 und 20 L) vgl. JOHNSON a.a.O. S. 53f. Seine Interpretation dieser Stellen ist recht willkürlich.

163

4e. Jeremía

eigene Wunschträume als Jahweworte ausgeben (vgl. J e r 23 16-is). Ihre Tätigkeit wird außer mit N|2 noch mit ]iin und DOj? umschrieben. Das zeigt, daß sie sich neben der Ekstase auch technischer Orakelmittel wie Vorzeichenschau usw. bedienten. Ausschlaggebend für diese Beurteilung der Heilspropheten ist jedoch der Inhalt ihrer Verkündigung und nicht das äußere Gebaren. Wie sehr die Volksmeinung von dieser Heilsverkündigung her bestimmt war, zeigt J e r 512. Genaueres über diese Heilspropheten hören wir noch in Kap. 23 1 . Die Schärfe des Urteils Jeremias über die Heilsnebiim kommt am deutlichsten darin zum Ausdruck, daß sie genauso als des Frevels schuldig bezeichnet werden wie die Propheten des Nordreiches (Jer 23 9-15), deren Schuld ja durch den Untergang Samariens, nach allgemeinem Urteil, bewiesen wurde. In J e r 23 13 f. liegt also — nach dem Empfinden des Volkes — eine bewußte Beleidigung der Jerusalemer Propheten vor. Nach Jeremias Überzeugung sind diese genausowenig Jahwe-Propheten wie jene, was mit ihrer sittlichen Verderbtheit begründet wird. Ihre positive Aufgabe zeigt 23 14b: Sie sollen das Volk zur Umkehr vom bösen Wandel führen (vgl. 23 22). Nachdem Jeremia die Echtheit der prophetischen Verkündigung der Heilsnebiim vor allem auf Grund ihres bösen Lebenswandels bestritten hat (23 9-15), führt er nun den gleichen Beweis aus dem Inhalt ihrer Verkündigung (Jer 23 16-22). Sie erwecken falsche Hoffnungen, weil sie die Wunschträume ihres Herzens (23 16) und nicht Jahwes Wort verkündigen. Dabei spielt nicht die Art des Offenbarungsempfanges (liin v. 16) und seine Wiedergabe (N3J), sondern der Inhalt der Offenbarung die entscheidende Rolle (v. 17). Wer unbußfertigen Sündern und Jahwe Verächtern Heil verkündet, den kann Jahwe nicht gesandt haben (v. 21), der kann nicht in seinem Rat gestanden haben 2 (v. 22). Die bekannten sittlichen Normen Jahwes sind hier als Maßstab für die Echtheit der Prophetie genannt. Deshalb müßte auch das Volk die falschen Propheten als solche erkannt haben (1416 23 16). Auch hier wird die religiös-sittliche, reinigende Einwirkung der Propheten auf das Volk von Jeremia als ihre vornehmste Aufgabe bezeichnet (23 14. 22). E r lehnt offensichtlich die Träume als legitime Art des Offenbarungsempfanges ab (2 3 23 - 32). Erstens wegen ihrer Wirkung: sie veranlassen die Propheten dazu, Lügen ( = was nicht mit dem Wesen Jahwes übereinstimmt) zu weissagen und Jahwe zu vergessen, genauso 1 Kap. 23 stellt eine redaktionelle Zusammenstellung echter Jeremiasprüche mit späteren Erweiterungen dar. 2 »In Jahwes Rat stehen« bedeutet dasselbe wie »in Jahwes Willen Einsicht haben«. Jer 23 18 ist Erweiterung, siehe R U D O L P H Z. St.

11*

164

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

wie ihn das Volk in der Vergangenheit über dem Baal vergessen hatte (vv. 25-27). Die auf Träume begründete Verkündigung ist im Gegensatz zum echten Wort Jahwes »harmlos« (v. 29). Zweitens wegen ihres Ursprungs (v. 28): Sie sind eben nur Träume, die weder den Propheten noch seine Hörer wirklich erfassen und innerlich treffen (vv. 28f.). Die Träume stammen oft nicht einmal von dem, der sie erzählt (v. 27). Jeremia steht mit seiner grundsätzlichen Verwerfung der Traumoffenbarungen 1 im AT ziemlich allein (vgl. Gen 2812 Num 12 6 Hi 4 12ff.). Ähnlich abwertend werden die Träume als Zustand des Offenbarungsempfanges in Jer 27 9f.2 und 29 8f. beurteilt. Jeremia steht mit dieser Beurteilung der Traumoffenbarungen im Gegensatz zur offiziellen Staats- und Volksreligion. Für die Geschichte des Nebiismus der Spätzeit ergibt sich auf Grund der hier behandelten Stellen folgendes: Die Traumorakel und die damit verbundene Kunst der Traumdeutung und Wahrsagerei galten in Israel als legitime Offenbarungsmittel. Das Nachlassen der besonderen prophetischen Gaben führt zu stärkerer Betonung der Form der Erteilung des Gotteswortes auf Kosten seiner Originalität und seines Inhalts. Es kommt schließlich sogar zu einem Handel mit dem Prophetenspruch 3 . Das Merkmal der persönlichen Inspiration tritt also bei den Gegnern Jeremias stark zurück. Micha verurteilt die Entlohnung der Propheten durch den Empfänger, Jeremia den Handel mit dem Gotteswort. Jedenfalls ist mit dieser fortschreitenden Entleerung der prophetischen Verkündigung sowie mit ihrer ausschließlichen Ausrichtung auf die Schaffung und Erhaltung des Heils für die Gemeinschaft und den einzelnen (oiVf) eine sachliche Nähe zur Kultprophetie bekannten Stils gegeben. Das beweist auch die Verwendung der Ausdrücke wie 00p. (Jer 1414 29 8) = Orakel und 01*?]} im technischen Sinne = »Traumorakel, Traumdeutung« (Jer 23 27) zur Bezeichnung der Tätigkeit der Nebiim. Die gleichen Ausdrücke verwendet Jeremia auch für ausländische 1

DlVn nicht ]1tp, das auch Jeremia als legitim anerkennt. Vgl. E. EHR-

LICH, Der Traum im AT, ZAWB 73, 1953. 2 Hier sind ausländische Propheten und Zeichendeuter aller Art gemeint. 3 Wenn es Jer 23 30 heißt, daß die falschen Propheten sich gegenseitig das Wort Jahwes 0ÜI37 v. 30) abstehlen, so bedeutet das nicht, daß Jeremia diese Prophetensprüche wirklich für echte Jahweoffenbarungen hält (so JOHNSON a. a. O. S. 42). Jeremia zitiert vielmehr den Anspruch der falschen Propheten. Der Zusammenhang zeigt deutlich, daß Jeremia diesen Anspruch im Auftrag Jahwes zurückweist. Das Abstehlen der angeblichen Worte Jahwes ist ein Beweis dafür, daß die falschen Propheten sich nicht im Besitz echter Jahweworte befinden, denn diese sind kein Handelsobjekt. Die Wendung »mein Wort« ist also hier sarkastisch gemeint (so RUDOLPH zu Jeremia 2 3 30).

4e. Jeremía

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Propheten und Mantiker (Jer 27 9). Dieser Sprachgebrauch, dem wir bereits bei Jesaja und Micha begegnet sind, zeigt, daß unter dem Sammelnamen »Nabi« unter Umständen auch Orakelerteiler und Mantiker, die sich der technischen Mittel wie Vorzeichenschau, Opferschau, Traumdeutung und Beschwörung bedienen, mit einbegriffen sein können. Da diese Besitzer des divinatorischen Geheimwissens in der Umwelt Israels zu den Kultpropheten gehören, muß man annehmen, daß sie auch in Israel eine ähnliche Stellung eingenommen haben. Allerdings scheinen sie sich nicht der israelitischen Priesterschaft, sondern dem Nebiismus angeschlossen zu haben. Das ist auch deshalb wahrscheinlicher, weil der Nebiismus in seiner Art viel weniger fest geprägt war als die Priesterschaft. Angesichts des Nachlassens der echten Inspiration in den nebiistischen Kreisen während der späten Königszeit lag ein Bedürfnis nach Erschließung neuer, leichter zugänglicher Mittel der Gottesbefragung vor. Gegenüber den Kultpropheten in der babylonisch-assyrischen Religion hatten die israelitischen Kultpropheten insofern eine etwas andere Stellung inne, als sie durch die Verbindung mit den Epigonen des freien, altisraelitischen Nebiismus relativ selbständiger und von der Priesterschaft deutlicher zu unterscheiden waren. Die alte Struktur der Jahwereligion, die das Nebeneinander zweier selbständiger Mittlerinstanzen kennt, hat sich in dieser eingeschränkten Form doch noch behaupten können. Über die Organisation der Kultpropheten und ihr Verhältnis zum Nebiismus als Ganzem erhalten wir aus den Schriften der vorexilischen Propheten keine Auskunft. Soviel ist jedoch deutlich, daß mit iT33wohl gelegentlich auch der Kultprophet im eigentlichen Sinne bezeichnet werden kann, daß aber dieses Wort meistens auf andere freie Propheten, die mit dem Kultpersonal nichts zu tun haben, angewandt wird. Zur Benennung der prophetischen Tätigkeit überhaupt benutzt Jeremia weiterhin die Stämme K3J und HTnynXT, weil sie offensichtlich keinen spezifischtechnischen Sinn hatten und recht verschiedene Arten des Offenbarungsempfanges anzeigen konnten. Außerdem steht Jeremia keine andere so umfassende Bezeichnung zur Verfügung. Einen weiteren Hinweis für die Erkenntnis der inneren Struktur und des Wesens des Nebiismus zur Zeit Jeremias bietet uns seine Auseinandersetzung mit Hananja (Jer 28). Sie zeigt uns deutlich, daß die sittlich motivierte Ablehnung der zeitgenössischen Propheten nicht verallgemeinert werden darf. Mag auch die Mehrzahl dieser Propheten sich durch ihre Sittenlosigkeit und die davon ausgehende zersetzende Wirkung auf das Volk von vornherein als Lügner und Verführer erwiesen1 1 Außer den bisher genannten Stellen vgl. Jer 29 8f. 2lff. Die Stelle zeigt, daß zu den Gegnern Jeremias nicht nur Kultpropheten gehörten, denn als solche könnten sie im Ausland nicht tätig sein.

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VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

haben, so daß bei ihnen die Frage nach der Echtheit ihrer Inspiration gar nicht erst gestellt zu werden brauchte, so gab es gewiß auch andere Propheten, bei denen dieses Kriterium nicht anwendbar war. Jer 28 stehen sich zwei Jahwepropheten, Jeremia und Hananja, gegenüber. Die Art ihres Auftretens und der Mitteilung des Gotteswortes samt den sie begleitenden prophetischen Handlungen ist genau die gleiche. Dabei ist zu beachten, daß Jeremia seinem Gegner weder einen unsauberen Lebenswandel noch Verwendung zweifelhafter Mittel zur Erlangung des Gotteswortes vorwirft. Es steht Gottesspruch wider Gottesspruch. Bei der ersten Begegnung spricht Jeremia seinem Gegner den Besitz eines echten Jahwewortes nicht ab, dafür fehlt ihm anscheinend im Augenblick die ausdrückliche Bevollmächtigung durch Jahwe. Die persönlichen Zweifel an der Echtheit der Prophetie Hananjas, die Jeremia ausdrücklich als solche kennzeichnet, begründet er mit einem geschichtlichen Rückblick auf die Propheten der Vergangenheit und mit dem Hinweis auf den bekannten deuteronomischen Grundsatz (Dtn 18 2lf. Jer 28 8-9). Für die innerprophetischen Verhältnisse und Gruppenbildungen zeigt sich dabei erstens, daß die Propheten (auch die Schriftpropheten) sich in eine Tradition gestellt und an sie in gewisser Weise auch gebunden wußten. Zweitens kann sich diese Tradition nicht primär auf formaltechnisches Wissen beschränkt haben, sondern sie bezog sich auf den Inhalt der mitgeteilten Gottesworte. Drittens scheidet diese Tradition die Propheten offensichtlich in zwei große Gruppen, die Unheils- und Heilspropheten. Das Kriterium ist dabei wieder inhaltlicher und nicht formaler Art. Anscheinend ist also für das Wesen des israelitischen Nebiismus nicht die Zugehörigkeit zu einer Institution maßgebend, sondern der Inhalt der Botschaft. Die Gruppenbildung ist von daher bestimmt, und es erscheint sehr fraglich, ob man die Geschichte der israelitischen Prophetie als einen Kampf von organisierten, institutionell an verschiedene Heiligtümer gebundenen Prophetengruppen sehen kann, wie es etwa Haldar und Engnell tun. Zu der Scheidung zwischen den Heils- und Unheilspropheten ist noch zu sagen, daß sie nicht verabsolutiert werden darf, so daß den Unheilspropheten jede Heilsweissagung abzusprechen wäre, sondern sie ist so zu verstehen, daß es auf der einen Seite die Propheten gab, die für das Volk als Ganzes in seiner bestehenden Gestalt nur Heil zu verkünden hatten 1 , auf der anderen die Propheten, die die bestehenden Verhältnisse von der 1

Das bedeutet zugleich Unheil für andere Völker und Unheil für solche Volksgenossen, die scheinbar dieses Heil gefährden, indem sie die Intaktheit des Gottesverhältnisses des Gesamtvolkes verletzen. Ihre. Verkündigung ist also in erster Linie nationalistisch ausgerichtet.

4e. Jeremia

167

neuerlebten Gotteswirklichkeit her ihrer Kritik unterzogen. In Anbetracht der herrschenden Zustände fällt freilich diese Kritik so aus, daß diese sogenannten Unheilspropheten der gegenwärtigen Generation nur das unmittelbar bevorstehende Gericht und Unheil zu verkündigen haben. Hinter dem Gerichtshandeln sehen sie freilich den Gnaden willen Jahwes stehen, der von sich aus die Voraussetzungen für ein neues, durch Sünde ungestörtes Gottesverhältnis schafft. An dieser Frage und nicht an einem Machtkampf verschiedener priesterlichprophetischer Institutionen scheiden sich die Geister. Für die Heilspropheten ist eine Bindung an eine kultische Organisation wohl denkbar und für die späte Königszeit auch sehr wahrscheinlich, nicht aber für die Unheilspropheten. Bei den letzteren handelt es sich doch offensichtlich nicht um ein feststehendes Dogma, das nun ohne Rücksicht auf die geschichtliche Situation seine unbedingte Geltung hat, sondern um einen besonderen Auftrag, der ihnen unter größtem persönlichem Leiden aus der von der Offenbarung her erleuchteten Erkenntnis der geschichtlichen Lage des Volkes und des für diese gegenwärtige Situation gültigen Willens Jahwes erwächst. Der Inhalt ihrer Verkündigung ist ihnen also letztlich nicht durch Tradition vorgegeben, sondern im persönlichen Umgang mit Jahwe offenbart. Konnten sie auf eine so stattliche Reihe von Vorgängern zurückblicken wie Jeremia, so mag sie das in ihrem Glauben bestärkt haben, aber gerade das Beispiel Jeremias zeigt, daß sie ihren Auftrag nicht aus der Tradition übernahmen, sondern unter innerem persönlichem Widerstreben von Jahwe direkt empfingen. Darin unterscheiden sie sich von den-Heilspropheten, für die das feststehende Dogma von der unter allen Umständen zu erwartenden Hilfe Jahwes, zu der er als Nationalgott verpflichtet ist, das Hauptcharakteristikum darstellt. Von dsr Eintönigkeit der Verkündigung der Heilspropheten, die sich in Heilsorakeln erschöpft, hebt sich um so deutlicher die individuelle Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Verkündigung der Unheils- oder Schriftpropheten ab. Immerhin ist auch im Volk die Wirksamkeit der großen Unheilspropheten vor Jeremia nicht spurlos geblieben. Mochte man sie noch so heftig ablehnen, ganz überhören konnte man ihre aus der göttlichen Vollmacht fließende Verkündigung nicht. Zudem hat doch auch der Gang der Geschichte nicht selten ihre Unheilsprophezeiungen bestätigt. Manche bittere Enttäuschung, die das ewige Heilsgeschrei ihrer Gegner dem Volk bereitet hat, wird auch dieses skeptisch gegenüber den Heilspropheten gestimmt haben. So gern man ihre verheißungsvollen Worte hörte, so wird man sie doch mit gewisser Vorsicht aufgenommen haben, besonders bei den Besonnenen, an denen es doch sicher auch in Israel nicht gefehlt hat. So mag es zu erklären sein, daß der Jer 28 8-9 angeführte deuteronomische Satz auf Anerkennung unter dem Volk — zumal nach den

168

V I . Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Ereignissen von 598 — rechnen konnte. Die Berufung auf Micha in Jer 26 I7ff. zeigt, daß man in Israel die Unheilspropheten — so ungeheuer ihre Verkündigung auch in den Ohren ihrer Zeitgenossen klingen mochte — als bevollmächtigte Sprecher Jahwes anerkannte. Im Bewußtsein des Volkes ist also das Wissen darum, daß der Inhalt des prophetischen Wortes letztlich nicht vom Propheten, sondern von Jahwe abhängt, nicht völlig erloschen. Das Wissen um die Souveränität Jahwes war in Israel, trotz allem Synkretismus, so weit wach geblieben, daß man es immerhin nicht wagte, die Prophezeiung der Vernichtung des Tempels als schlechthin unmöglich offen abzulehnen. Die schwankende Haltung der Ältesten und des Volkes in der Frage der Echtheit der Prophetie (Jer 26) war nur deshalb möglich, weil der Nebiismus ursprünglich und wesenhaft keine deutlich begrenzte, organisatorisch straff zusammengehaltene Klasse von besonderen Kultbeamten bildete. Weil man um die Spontaneität und Unberechenbarkeit der göttlichen Willenskundgebungen wußte, räumte man den Propheten in Israel größere Freiheit als woanders ein 1 . Man besaß eben letztlich keine festen, dogmatischen Maßstäbe zur Beurteilung der Prophetie. Dieser Mangel an bestimmten Kriterien zur Beurteilung der Echtheit der Prophetie wäre unmöglich, wenn die offizielle israelitische Religion nur straff organisierte Prophetenzünfte und nicht auch den freien Nebiismus gekannt hätte. Bei der inhaltlichen Undefinierbarkeit und formalen Ungebundenheit konnte nur das Eintreffen der Prophezeiung über die Echtheit, bzw. Unechtheit des Prophetenwortes entscheiden. Darin stimmt Jeremia mit dem Volk überein. Eine weitere Bestätigung dessen erblicke ich darin, daß man sich in Notzeiten an Jeremia von Staats wegen mit der Bitte um die Ermittlung des Willens Jahwes (Jer 211 37 17 42 l) und um Fürbitte für das Volk wandte. Man kannte neben 1 Das trifft vor allem für die altorientalischen Religionen des gleichen Zeitraumes zu. E r s t in der höchsten Verwirrung und Angst wagt man in Israel den Unheilspropheten lügnerische Verstellung vorzuwerfen ( J e r 43 lf.). Auch die Hinrichtung Urias (Jer 26 20 ff.) zeigt, daß ein despotischer König wie J o j a k i m nicht viel Federlesen mit solchen Unheilspropheten machte und dabei gewiß auch die Zustimmung weiter Kreise des Volkes und der Priesterschaft fand. Dabei waren aber keine religiösen Motive, sondern brutale Machtpolitik maßgebend. Dennoch zeigt Jeremias Bewahrung vor dem gleichen Schicksal, daß das Volk in der Verurteilung Jeremias schwankend wurde, sobald die Frage auf das Gebiet religiöser Begründung dieser Verurteilung konzentriert wurde. Auffallend ist, daß die Priester und Propheten viel entschiedener als Ankläger und Verurteiler auftraten als die Ältesten und das Volk. Verständlich, wenn man bedenkt, daß sie sich durch Jeremia in der Gültigkeit ihrer Verkündigung mit Recht bedroht fühlten. Die Schwäche ihrer Position versuchen sie mit um so schrofferem Haß zu überdecken. J e r 7 25 25 4 26 5 35 15 44 4 sind deuteronomische Zusätze und bleiben deshalb hier unberücksichtigt.

5. Die Termini zur Bezeichnung priesterlicher und prophetischer Funktionen

169

den eigentlichen Kultpropheten auch freie Nebiim, die im wesentlichen zwar Heilspropheten waren, zu denen aber auch so ungewöhnliche Erscheinungen wie die Unheilspropheten irgendwie gehörten. Jeremia war zweifellos genausowenig wie die übrigen vorexilischen Schriftpropheten ein Kultprophet. Das anzunehmen verbietet schon allein der Inhalt seiner Botschaft. Er wurde jedoch von seinen Zeitgenossen zu den freien Nebiim gerechnet, die neben den Priestern und Kultpropheten auch eine Mittlerinstanz der offiziellen Jahwereligion bildeten. 5. Die Tetmini zur Bezeichnung priesterlicher und prophetischer Funktionen Merkwürdigerweise erwähnen die Schriftpropheten die Tätigkeit der Priester, die man im allgemeinen als ihre Hauptaufgabe anzusehen pflegt, nämlich die Opferdarbringung, sehr selten. Viel wichtiger als die Ausführung der verschiedenen Opferriten erschien ihnen die belehrende und richtende Tätigkeit der Priester. Hier ergaben sich auch die meisten Berührungspunkte mit der Verkündigung der Propheten. Zur Bezeichnung der belehrenden Tätigkeit der Priester verwenden die Propheten fast ausschließlich das Verbum npin und das von ihm abgeleitete Nomen npin1. Ursprünglich hatte die priesterliche Tora das rituelle Fachwissen um Gott und um die richtige Umgangsweise mit ihm zum Gegenstand (D , n 1 ?X n s n ) . Die Tora belehrte über die rechte Unterscheidung zwischen »heilig« und »profan«, »rein« und »unrein«. Da die israelitischen Kultbräuche zum größten Teil von den Kanaanäern entlehnt wurden, so muß auch dieser sich auf sie beziehende Teil der israelitischen Toratradition in den vorisraelitischen Kulttraditionen der von Israel übernommenen kanaanäischen Heiligtümer seine Wurzel haben. Diese rein rituellen, mehr von der naturhaft-kosmischen Gottesvorstellung her geprägten Toratraditionen stehen neben der genuin israelitischen heilsgeschichtlichen Überlieferung und der aus ihr fließenden religiös-sittlichen Belehrung. Als eine Funktion des Bundes zeigt die priesterliche Tora eine enge Beziehung zum sakralen Bundesrecht2. Seine feierliche 1

Eine gute Übersicht über die verschiedenen Möglichkeiten der

etymolo-

gischen Ableitung und Erklärung des W o r t e s T o r a bietet ÖSTBORN, T o r a S. 4—22. Nur Jesaja (28 7) v e r w e n d e t

(16 3) zur Bezeichnung der T ä t i g -

und

keit der Priester. 2

Seit MOWINCKEL ,Le Decalogue,

EHPhilR

16, 1927,

S. 1 4 2 - 1 5 6

(Vgl.

GUNKEL-BEGRICH, Einleitung in die Psalmen, 1933, S. 408 f.) auf den stilistischen Zusammenhang zwischen dem (Do) dekalog

und den Toraliturgien

(z. B.

Ps 15

und 24) hingewiesen hat, kann man das R e c h t nicht so völlig aus der T o r a ausschließen wie BEGRICH, Die priesterliche T o r a S. 68, es tut. Daß die Sätze des

170

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Proklamation bildete von Anfang an einen wichtigen Bestandteil des israelitischen Kultus. Die Verkündigung und Anwendung des Gottesrechts, das das Zusammenleben des sakralen Stämmeverbandes regelte, gehörte ursprünglich zu den Aufgaben des charismatischen Bundesmittlers und des »Richters Israels« 1 . Dieses sakrale Bundesrecht bildete ebenfalls eine Quelle der priesterlichen Toraerteilung. Es hat den Begriff der kultischen Reinheit nach der ethischen Seite hin erweitert und damit der Jahwereligion angepaßt 2 . Gerade diese auf dem sakralen Recht und den heilsgeschichtlichen Überlieferungen aufbauende Toraerteilung wird von den Propheten als die eigentliche Aufgabe der Jahwepriester angesehen. Ihre Vernachlässigung bezeichnen s:e als die größte Schuld der Priester 3 . Nach einem ähnlichen, die Tätigkeit der Propheten so typisch kennzeichnenden Begriff sucht man im AT vergeblich. Die Schriftpropheten verwenden zur Bezeichnung des eigenen Offenbarungsempfanges die Verba fixp und SJüttf sowie ihre Nominalbildungen viel häufiger als njn, weil s ; e nicht so sehr mit der spezifischen Bedeutung belastet waren, die ntn als terminus technicus für den Offenbarungsempfang der Seher und Nebiim hatte 4 . Der Bedeutungsunterschied zwischen diesen drei Wortstämmen ist zur Zeit der Schriftpropheten schon stark verblaßt 5 . Die Bezeichnungen der prophetischen Funktionen, die auf den Gebrauch techDekalogs nicht Torot genannt werden, liegt wohl daran, daß sie ursprünglich als Grundlage für die Rechtsprechung des charismatischen Bundesmittlers und der Bundesrichter gedient haben. Erst später, als das Königtum diese alten Institutionen ersetzt hatte, wurde die Pflege des Bundesrechts von den Priestern übernommen. 1 Vgl. M. N O T H , Das Amt des »Richters Israels«. Bertholet-Festschrift 1950; ders., Die Gesetze im Pentateuch — ihre Voraussetzungen und ihr Sinn, SKG, 17. Jahrg., H. 2, 1940. Der König erscheint im AT nicht als Toraerteiler. Nach der Verdrängung der altisraelitischen Ämter des charismatischen Bundesmittlers und des Richters Israels durch das Königtum ist die Verkündigung des Gottesrechts nicht auf den König, sondern auf den Propheten übergegangen. Die Verlesung der Tora durch den König Josia (II Reg 23 2) stellt eine bewußte Anknüpfung an die Verhältnisse der vorköniglichen Zeit dar. Anders deutet diese Tatsache Ö S T B O R N , Tora S. 62. 2 Vgl. K . H . F A H L G R E N , Sedaka, nahestehende und entgegengesetzte Begriffe im AT, Uppsala 1932. 3 Vgl. J . H E M P E L , Das Ethos des AT, S. 1 8 9 . Die Pflege der geschiiebenen Tora oblag den Weisen und Schreibern ( J e r 8 s). Dieser Stand hängt aufs engste mit der Priesterschaft zusammen. Zu selbständigen Toralehrern wurden die Weisen und Schriftgelehrten erst in nachexilischer Zeit. Vgl. Ö S T B O R N a. a. O. S. 1 1 2 — 1 1 6 und J . F I C H T N E R , Die altorientalische Weisheit in ihrer israelitisch-jüdischen Ausprägung, ZAWB 62, 1933. 4 Vgl. J E P S E N , Nabi S. 53 und M. J A S T R O W (Jr.), Roeh and Hözeh in the OT, 6 Siehe J E P S E N a. a. O. S. 46. J B L 28, 1909.

5. Die Termini zur Bezeichnung priesterlicher und prophetischer Funktionen

171

nischer Mittel der Divination hinweisen, werden von den Schriftpropheten ausschließlich im abwertenden Sinne benutzt, ganz analog dem Gebrauch von i a ä für ausländische oder unwürdige Priester. Dazu gehören die Stämme DOj? (Jes 3 2 Mi 3 6f. Jer 14 14 27 9 29 s), «litte (Mi 5 n), 13» (Jes 2 6 Jer 27 9 Mi 5 n ) , «px (Jes 819 294), tPnV (Jes 3 3) und ihre Derivate. Darin kommt die der Jahwereligion eigentümliche Ablehnung des komplizierten divinatorischen Geheimwissens zum Ausdruck. Israel fühlt seine Überlegenheit gegenüber anderen Völkern im Besitz des klar verständlichen Gotteswortes 1 . Die umfassendste und am meisten gebrauchte Bezeichnung der prophetischen Verkündigung ist "i3"72. Dieses Wort kommt jedoch aixh in anderen Zusammenhängen vor. Abgesehen davon, daß die damit gemeinte Sache auch bei den altisraelitischen Charismatikern wie Seher, Richter und Kriegshelden vorhanden ist, kann "Dl auch vom Priester erteilt werden. Auch die priesterliche Weisung wird im AT als IST bezeichnet. Im Wesen dieser priesterlichen Mitteilung des Gotteswortes liegt es, daß es jederzeit zugänglich sein muß. Da die israelitische Priesterschaft sich der technischen Orakelmittel nur im sehr beschränkten Maße bediente, so war sie auf die Anwendung und Auslegung der grundlegenden Willenskundgebungen Gottes aus der Vergangenheit 3 , die im Gottesrecht und in den Geschichtstraditionen des Bundesvolkes aufbewahrt wurden, angewiesen. Die priesterliche Tora kann also nur in indirekter Weise als nin^ •"D'jT gelten, da sie auf menschliche Initiative zurückgeht und weitgehend durch menschliche Deutung des grundlegenden Gotteswortes entstanden ist. Nicht die Inspiration, sondern das Wissen und der korrekte Vollzug eines bestimmten Ritus ist für die gültige Toraerteilung entscheidend. 4 Wegen dieses indirekten, statischen Charakters wird die priesterliche Weisung von den Schriftpropheten niemals i r n genannt. Diese Bezeichnung verwenden sie nur für die direkte, allein von Jahwe ausgehende Offenbarung 5 . Die prophetischen O^a? sind also den grund1

Der Traum wird von den Schriftpropheten, außer Jeremia, als legitime Offenbarung angesehen. Er gilt aber nicht als typische Art des prophetischen Offenbarungsempfanges. 2 Vgl. L. DÜRR, Die Wertung des göttlichen Wortes im AT und im Alten Orient, MVÄG 42, 1, 1938 und O. GRETHER, Name und Wort Gottes im AT, ZAWB 64, 1934. Vgl. P L Ö G E R S (Priester und Prophet, S. 182) Einwände gegen die Auffassung G R E T H E R s. 3 Siehe die D'H^T-Forderungen der Sinai-Gesetzgebung, Ex 20 1 ff. 34 lff. 4 5

Siehe EICHRODT, Theologie, S. 32—37. a. a. O. S. 116f. sieht und tJVl als synonyme Begriffe an, jedoch

HALDAR

zu Unrecht, denn

bezeichnet die beim wachen Bewußtsein empfangene Gottes-

172

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

legenden Willenskundgebungen Jahwes aus der Mosezeit gleichwertig. Obwohl sich die Propheten an diese grundlegende Offenbarung gebunden und mit ihr in Übereinstimmung wissen, sind sie doch in ihrer Verkündigung von der Tradition unabhängiger als die Priester. Sie sichten die Tradition vom Standpunkt der von ihnen selbst empfangenen Offenbarung aus. Im Gegensatz zur priesterlichen Weisung hat die durch die Propheten vermittelte Offenbarung einen durchaus dynamischen Charakter. Das prophetische Wissen um die Souveränität Gottes läßt seine Festlegung auf die einmal ergangene Offenbarung nicht zu 1 . Das Wort ist als Bezeichnung der prophetischen Verkündigung keineswegs eindeutig. Seine Vieldeutigkeit entspricht ganz der Mannigfaltigkeit der innerhalb des israelitischen Prophetentums vertretenen Elemente und der Verschiedenheit der Stilformen der prophetischen Verkündigung 2 . Der nin' "l?? kann auf verschiedene Weise empfangen werden. Der Standestitel Nabi wird im AT unterschiedslos auf die Schriftpropheten, auf wahre und falsche Propheten, auf Jahwe- und Baalpropheten angewandt 3 . Das entsprechende Verbum N31, dessen ursprüngliche Bedeutung nicht mehr sicher zu erkennen ist 4 , beschreibt im Niphal den Empfang und die Mitteilung einer bestimmten, klar verständlichen Gottesbotschaft, im Hithpael dagegen die äußere Erscheinung und das Auftreten des Propheten 5 . botschaft, ITn dagegen mehr die ekstatische Form der prophetischen Inspiration. ITH ist also der weitere Begriff, der auf eine Vielfalt von spontanen göttlichen Wirkungsweisen anwendbar ist. Weil 0V1 besonders die gewaltsame, überwältigende Art des göttlichen Wirkens darstellt, deshalb ist sie zum terminus technicus für den ekstatischen Offenbarungsempfang geworden. Deswegen wird dieser Begriff von den Schriftpropheten zur Bezeichnung ihrer eigenen Tätigkeit kaum verwendet. "13J ist das unmittelbar von Gott empfangene Wort und sagt nichts über die Art des Offenbarungsempfanges aus. Oft treten zu ihm noch nähere Bestimmungen, die die Art, auf die der empfangen wurde, charakterisieren, z. B. fltn, ¡"iNp und STÖttf. Siehe M O W I N C K E L , The Spirit and the Word in the Preexilic Reforming Prophets, J B L B3, 1934; ders., Ecstatic Experience and Rational Elaboration in OT Prophecy. Acta Orientalia 13, 1935. 1 Den Propheten steht nicht immer ein Wort Jahwes zu Verfügung (Jer 28 11 42 7 Jes 28 2 3 f f . ) . Sie mußten es erleben, daß Jahwe mit der Erfüllung seines Wortes verzog (Jer 12 4 1B 15 18 17 15 Jes 5 19). 2 Siehe J . H E M P E L , Die althebräische Literatur, S. 5 6 ff. und 6 9 ff. 3 Siehe F . H Ä U S E R M A N N , Wortempfang und Symbol der alttestamentlichen Prophetie, Gießen 1932, S. 8—11. 1 Die Etymologie von X33 siehe J E P S E N , Nabi, S . 5 — 7 und A . G U I L L A U M E , Prophecy and Divination among the Hebrews and Other Semites, London 1938, 6 Siehe T E P S E N a. a. O. S. 7. S. 113.

5. Die Termini zur Bezeichnung priesterlicher und prophetischer Funktionen

173

Diese Weite und Unbestimmtheit der zur Bezeichnung der prophetischen Funktionen dienenden Begriffe zeigt, daß die Nebiim keinen geschlossenen Stand mit gesetzlich festgelegten Rechten und Pflichten gebildet haben. Sie können nicht »Amtsträger« in demselben Sinne wie die Priester gewesen sein. Das Wesen des Prophetentums kann man also nicht mit formalen Kriterien, sondern nur von dem Inhalt seiner Verkündigung her erfassen. Das vorhin gewonnene Bild vom Verhältnis des israelitischen Priester- und Prophetentums wird hier durch den sprachlichen Befund bestätigt. Ist das israelitische Priestertum eine deutlich bestimmbare, in seiner Organisation und seinen Funktionen, wenn auch nicht in seiner Herkunft, erkennbare Institution der Jahwereligion, so stellt das Prophetentum eine komplexe Erscheinung dar, die allerhand recht heterogene Elemente in sich aufgenommen hat. Von den unter der Bezeichnung Nabi zusammengefaßten Personen sind die charismatischen Bundesmittler und Rechtsprecher aus Israels Frühzeit wie Mose und Samuel, die älteren oppositionellen Nebiim wie Elia und die sog. Schriftpropheten einigermaßen deutlich in ihrem Wesen bestimmbar. Zu dieser zuletzt genannten Gruppe gehören Arnos, Hosea, Jesaja, Micha, Zephanja und Jeremia. Sie bilden einen selbständigen Typus der Prophetie, der sich sowohl von den ältesten Nabigestalten als auch von den Heils- und Kultpropheten deutlich unterscheidet. Sowohl die älteren oppositionellen Nebiim als auch die Schriftpropheten stehen im Gegensatz zu den Vertretern der offiziellen Volks- und Staatsreligion und zum Königtum und gelten als Unheilspropheten. Ihnen steht die etwas amorphe Masse der Heilspropheten gegenüber. Unter ihnen befinden sich auch die eigentlichen Kultpropheten, zu denen auch Nahum, Habakuk und Joel gehören. Die Art ihrer Tätigkeit ist durch die DlVtf-Verkündigung und Verwendung technischer Mittel der Gottesbefragung gekennzeichnet. Über irgendwelche organisatorisch-institutionelle Gliederung dieser Heils- und Kultpropheten erhalten wir aus den Schriften der vorexilischen Propheten keine Aufschlüsse. Es läßt sich auch keine Entwicklungslinie von den israelitischen Heilspropheten zu den oppositionellen Propheten ziehen. Eine sachliche Verbindung besteht lediglich zwischen den ältesten charismatischen Gestalten der Jahwereligion, Mose und Samuel, und den oppositionellen Propheten. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen der israelitischen Prophetie können allein aus dem Inhalt ihrer Verkündigung abgeleitet werden. Soviel ist jedenfalls deutlich, daß man im vorexilischen Israel Priester und Propheten als zwei selbständig nebeneinanderstehende Größen empfunden hat, wobei man für die letzteren nur den Anspruch, Sprecher Gottes aus unmittelbarer Eingebung zu sein, als charakteristisch angesehen hatte. Dieser Anspruch muß in viel stärkerem

174

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Maße an die Person als an das Amt des Propheten gebunden gewesen sein. Die Unsicherheit in der Beurteilung der Propheten durch ihre Zeitgenossen sowie das Fehlen klarer rechtlicher Bestimmungen für diesen Stand in den alttestamentlichen Gesetzen läßt starke Zweifel daran entstehen, ob man das Prophetentum als eine »amtliche Institution« ansehen darf. Das Fehlen entsprechender fester prophetischer Stilformen zeigt, daß es sich hier nicht um offizielle Verlautbarungen von Amtsträgern handelt, sondern um ad hoc formulierte Worte, die vorwiegend aus dem Inhalt der Botschaft und der konkreten Situation ihre Form empfingen. Amtliche Institution nach der Art des Priestertums war das alttestamentliche Prophetentum nicht. Dieser Tatbestand der alttestamentlichen Überlieferung sollte vor voreiliger, oberflächlicher Ziehung formaler, religionsgeschichtlicher Parallelen warnen. Offensichtlich gehört es zur Eigenart der Jahwereligion, daß sie den Propheten als eine selbständige Mittlerinstanz der offiziellen Religion anerkannte und schätzte, daß sie aber das Prophetentum als Ganzes nicht in starre, gesetzliche Formen einzuschließen vermochte. Sie wußte um die Unverfügbarkeit des göttlichen Wortes. Die vollständige Eingliederung der Propheten in das beamtete Kultpersonal und ihre Unterordnung unter die Priesterschaft ist erst der nachexilischen Gemeinde gelungen (Tempelsänger und levitische Propheten I Chr 24 und 25), als die Prophetie im ursprünglichen Sinne erloschen war, und die einseitige Entwicklung zur Gesetzesreligion hin keinen Raum mehr für sie ließ. 6. Schluß Die Polemik der vorexilischen Schriftpropheten gegen den Kultus geht weit über die Kritik einzelner kultischer Mißstände hinaus. Sie richtet sich gegen den Kultus als ein Mittel der menschlichen Selbstbehauptung und Selbstsicherung. Als Boten des unmittelbar bevorstehenden Anbruchs der Gottesherrschaft fordern die Propheten die bedingungslose Hingabe als die einzig mögliche Haltung des Menschen vor Gott. Der israelitische Kultus war nach dem Urteil der Propheten nicht dazu geeignet, diese Haltung des Menschen Gott gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Dies lag vor allem daran, daß der israelitische Kultus im naturhaft-magischen Sinne, d. h. als eine ziemlich automatisch wirkende Institution zur Vermittlung göttlicher Segenskräfte gedeutet und verstanden wurde. Dieses Mißverständnis wurde durch die Art und Herkunft des israelitischen Kultus aus dem Bereich der vorderorientalischen Naturreligionen hervorgerufen. Offensichtlich haben die Schriftpropheten eine Reinigung des Kultus von diesen naturhaftmagischen Elementen nicht für möglich gehalten, denn sie stellen kein kultisches Reformprogramm auf. Sie hoffen vielmehr auf eine so gründliche Umgestaltung des Volkes durch das wunderbare Handeln Jah-

Abkürzungsverzeichnis

175

wes, daß es in der Heilszeit den Gehorsam und die Dankbarkeit gegen Gott in seiner gesamten Lebensgestaltung zum Ausdruck bringen wird. In besonderer Weise soll diese Haltung durch Bekenntnis und dankbares Gedenken der Heilstaten Jahwes bezeugt werden. Damit ist bereits angedeutet, daß die Propheten nicht grundsätzlich jedes gemeinschaftliche gottesdienstliche Handeln aus der Religion verbannen wollten. Das jedoch, was man zur Zeit der Schriftpropheten allgemein unter dem Begriff Kultus verstanden hat, haben sie grundsätzlich abgelehnt.

Abkürzungsverzeichnis AASOR Abo ABW AcOr AJSL ANET AO AOB

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The Annual of the American Schools of Oriental Research. Acta Academiae Aboensis. Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften. Acta Orientalia. American Journal of Semitic Languages and Literature. Ancient Near Eastern Texts, ed. J . B . P R I T C H A R D . Der Alte Orient. Altorientalische Bilder zum Alten Testament, 2. Aufl.,

Hrsg.

H . GRESSMANN.

AOT

=

Altorientalische

Texte zum Alten Testament,

2. Aufl.,

Hrsg.

H . GRESSMANN.

APrW ARW ASG ATD AThANT BASOR BFChrTh BJRylLib BRA BWANT CBQ ChruW EHPhilR ET EvTh FRLANT GHK HThR HThSt HUCA

= = = = = = = = = = = = = = = =

= = = =

Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Archiv für Religionswissenschaft. Abhandlungen der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Das Alte Testament Deutsch. Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments. Bulletin of the American Schools of Oriental Research. Beiträge zur Förderung Christlicher Theologie. Bulletin of the John Rylands Librery. Beiträge zur Religionsgeschichte des Altertums. Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament. Catholic Biblical Quarterly. Christentum und Wissenschaft. Etudes d'Histoire et de Philosophie religieuses. Expository Times. Evangelische Theologie. Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments. Göttinger Hand-Kommentar. Harvard Theological Review. Harvard Theological Studies. Hebrew Union College Annual.

Abkürzungsverzeichnis

176 JAOS JBL JBR JDAI JNES JPOS JR JSOR JThSt KISch

= = = = = = = = = =

MGWJ MVÄG NKZ NTT OLZ OTSt PEFQSt PJB

= = = = = = = =

RB RHPhR RR Sächs. Akad.

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Journal of the American Oriental Society. Journal of Biblical Literature. Journal for Bible and Religion. Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts. Journal of Near Eastern Studies. The Journal of the Palestine Oriental Society. Journal of Religion. Journal of the Society of Oriental Research. The Journal of Theological Studies. A L B R E C H T A L T , Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, München 1953. Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums. Mitteilungen der Vorderasiatisch-Ägyptischen Gesellschaft. Neue Kirchliche Zeitschrift. Norsk Teologisk Tidsskrift. Orientalische Literaturzeitung. Oudtestamentische Studien. Palestine Exploration Fund Quarterly. Statement. Palästinajahrbuch des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft. Revue Biblique. Revue d'Histoire et de Philosophie religieuses. Review of Religion. Berichte über Verhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften. Svensk Exegetisk Arsbok. Schriften der Königsberger Gelehrten-Gesellschaft. Studia Theologica. Skrifter Videnskapsselskapet i Kristiania. Theologische Blätter. Theologie und Glaube. Theologische Literaturzeitung. Theological Studies. Theologische Studien und Kritiken. Theologische Rundschau. Theologische Zeitschrift. Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Uppsala Universitets Ärsskrift. Verkündigung und Forschung. Vetus Testamentum. Die Welt des Orients. Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft. Beihefte zur ZAW. Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Zeitschrift des Deutschen Palästinavereins. Zeitschrift für Theologie und Kirche.