Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Kultus

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RICHARD H E N T S C H K E D I E STELLUNG D E R V O R E X I L I S C H E N SCHRIFTPROPHETEN ZUM KULTUS

DIE STELLUNG DER V O R E X I L I S C H E N SCHRIFTPROPHETEN ZUM KULTUS

VON

RICHARD HENTSCHKE

V E R L A G A L F R E D T Ö P E L M A N N , B E R L I N W 35 1957

B E I H E F T E ZUR Z E I T S C H R I F T F Ü R D I E ALTTESTAMENTLICHE WISSENSCHAFT 75

Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen von der Verlagshandlung vorbehalten

Printed in Germany Satz: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Druck: Buchkunst, Berlin W 35

Diese Arbeit wurde von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster als Inaugural-Dissertation angenommen. Referent war Prof. D. Dr. WILHELM RUDOLPH und Korreferent Prof. D. JOHANNES HERRMANN. Die mündliche Prüfung fand am 5. 12. 1953 statt. Hier möchte ich Herrn Prof. RUDOLPH für die wissenschaftliche Förderung und persönliche Hilfe, die er mir stets in väterlicher Weise zukommen ließ, besonders herzlich danken. Herrn Prof. D. Dr. JOH. HEMPEL bin ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Beihefte zur ZAW und für seine Hinweise bezüglich der notwendig gewordenen Kürzung sowie ihm und seiner Frau für das Mitlesen der Korrekturen zu tiefem Dank verpflichtet.

Inhaltsverzeichnis Seite

I. Einleitung

1—3

I I . Der israelitische Kultus des 8 . - 6 . J h . s 1. Überblick über die Bestandteile des israelitischen Kultus . . . 4— 6 2. Die vormosaischen Bestandteile des israelitischen Kultus . . . . 5— 6 3. Die Auswirkung des Jahweglaubens auf die Gestaltung des israelitischen Kultus vor und zur Zeit der Einwanderung nach Kanaan 6—8 4. Die Grundzüge des kanaanäischen Naturkults und sein Einfluß auf Israel 9-12 5. Jahwe und Baal und die naturhafte Umdeutung der Bundesvorstellung 12—15 6. Das Eindringen kanaanäischer Kultbräuche und Vorstellungen in die Jahwereligion. . . 16—19 I I I . Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes 1. Einführung 2. Die Entstehung des israelitischen Königtums 3. Die Stellung der Schriftpropheten zum Königtum a) Arnos b) Hosea c) J e s a j a d) Micha und Zephanja e) Jeremia f) Zusammenfassung 4. Die Verwendung der einzelnen Motive der Gott-König-Ideologie bei den Schriftpropheten IV. Die Aussagen der vorexilischen tischen Kultus

Schriftpropheten

20—21 22— 23 23—24 24—26 26-28 29 29—30 30—32 32 32—46

über den israeli-

1. Die Erwähnung der Kultstätten bei den vorexilischen propheten 2. Arnos 3. Hosea 4. J e s a j a 6. Micha 6. Zephanja 7. Jeremia . 8. Die heiligen Gegenstände a) Altäre b) Masseben c) Äscheren

Schrift47—49 49—63 63—66 66-60 60—61 61—62 62—66 66 67 67-68 68

VIII

Inhalt d) Kultbilder e) Ephod, Teraphim und Losorakel f) Die Bundeslade

6 9 - 71 71 71— 72

V. Die Kulthandlungen 1. Einführung 2. Arnos 3. Hosea 4. Jesaja 5. Zephanja 6. Micha 7. Jeremia 8a) Feste: Neumond und Sabbat b) Naturfeste 9. Der Begriff des Kultischen

73 73—88 8 8 - 93 94-103 103-104 104-107 108-118 118—119 119-120 120—125

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal 1. Abgrenzung der Aufgabenbereiche der israelitischen Priester und Propheten 2. Das israelitische Priestertum a) Aufgabe und Bedeutung des Priestertums in der Jahwereligion b) Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Priestertum 3. Das israelitische Proplietentum im 8 . - 6 . J h . a) Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft . . b) Die Weiterentwicklung des Nebiismus während der Königszeit 4. Das Verhältnis der Piiester und Propheten im 8. — 6. Jh. und die Beurteilung dieser beiden Stände durch die Schriftpropheten a) Arnos b) Hosea c) Jesaja d) Micha e) Jeremia 6. Die Termini zur Bezeichnung priesterlicher und prophetischer Funktionen 6. Schluß Abkürzungsverzeichnis

126—129 129—133 134-137

137—145 145—148

149—152 152-163 153—167 157-169 159-169 169—174 174—176 175—176

I. Einleitung Innerhalb der letzten drei Jahrzehnte hat sich in der alttestamentlichen Wissenschaft ein Umschwung in der Einschätzung der Bedeutung des Kultus für die Religion Israels vollzogen, durch MOWINCKELS »Psalmenstudien« und J . PEDERSENS »Israel« angebahnt1. Die seither von verschiedenen Seiten unternommenen Bemühungen um die Erforschung des israelitischen Kultus2 haben gezeigt, daß er eine außerordentlich wichtige, zentrale Stellung im religiösen Leben des vorexilischen Israel einnahm. Diese veränderte Sicht macht auch eine erneute Untersuchung des Verhältnisses der vorexilischen Schriftpropheten zum Kultus notwendig3, zumal sich in neuerer Zeit die Tendenz bemerkbar macht, die Polemik der Propheten gegen den Kult nicht im Sinne seiner radikalen Ablehnung zu verstehen, sondern im relativen Sinne, als Kritik an bestimmten kultischen Mißständen und Auswüchsen4. Dabei geht man von einem sehr weit gefaßten, rein 1 S . M O W I N C K E L , Psalmenstudien I—VI, Kristiania 1921—1924. Joh. P E D E R S E N , Israel it's Life and Culture, I — I I , London & Copenhagen 1926, Band I I I — I V , 1940. Ders., Canaanite and Israelite Cultus, Acta Orientalia 18, 1939, S. 1—14. Ders., Passahfest und Passahlegende, ZAW (B2) N F 11, 1934. 2 Myth and Ritual. Essays on myth and ritual of the Hebrews in relation to the culture pattern of the Ancient Near East. London 1933 und The Labyrinth, London 1936, beide Sammelbände herausgegeben von S. H. H O O K E . Über die Arbeiten der sog. Uppsala-Schule berichtet A. B E N T Z E N in Theol. Rundschau N F 17, 1948/49 (Skandinavische Literatur zum AT 1939—48). Siehe ferner H. R I N G G R E N , König und Messias, ZAW (64) N F 23, 1963. G. VON RAD, Deuteronomiumstudien2, FRLANT, N F 40, Göttingen 1948. Ders. Das formgeschichtliche Problem des Hexateuchs, BWANT IV, 26, 1938. Ders. Erwägungen zu den Königspsalmen, ZAW (68) NF 17, 1940/41. Ders. Das judäische Königsritual, ThLZ., 72, 1947. M. NOTH, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart 1948. Ders. Das System der zwölf Stämme Israels, BWANT 4, 1, 1930. Ders. Die Historisierung des Mythus im AT, Chr. u. W. 4. Jg. 1928. Ders. Gott, König, Volk im AT, ZThK. 47. Jg. 1950. H.-J. K R A U S , Die Königsherrschaft Gottes im AT, Tübingen 1961. Ders. Gottesdienst in Israel, München 1964. 3 Dabei soll der Ausdruck »Schriftpropheten« nur als zusammenfassende Bezeichnung für die israelitischen Propheten von Arnos bis Jeremia dienen; er darf nicht dahingehend mißverstanden werden, als seien diese Propheten als Schriftsteller anzusehen. 4 Im Sinne der radikalen Ablehnung des Kultus wird die Polemik der Propheten interpretiert von: P. Vox.z, Die radikale Ablehnung der Kultreligion durch die alttestamentlichen Propheten, ZSyTh. 14. Jg. 1937 und: Prophetengestalten des AT Stuttgart 1938, S. 19 u. 66. J . W E L L H A U S E N , Prolegomena. 6. Aufl. 1899, S. 23f. J . A. B E W E R , The Literature of the OT in its Historical Development, New York, 1924, 5. 91, 161, 167. J . S K I N N E R , Prophecy and Religion. Studies in the Life of Jermiah. Hentschke, Die Stellung der vorexilischen Schrütpropheten zum Kultus 1

2

Einleitung

phänomenologischen Begriff des Kultus aus, den man mit jeder organisierten Form des gemeinschaftlichen gottesdienstlichen Handelns überhaupt gleichsetzt. Er umfaßt dann sowohl den Opferkult der altorientalischen Religionen als auch den opferlosen synagogalen Gottesdienst, ja selbst die jeder Liturgie entkleideten Versammlungen der Quäker1. Dieser phänomenologische Begriff des Kultus darf jedoch nicht der Untersuchung über die Stellung der israelitischen Propheten zum Kultus zugrunde gelegt werden, denn er war sowohl den Propheten als auch ihren Zeitgenossen völlig fremd. Die Äußerungen der Propheten beziehen sich nämlich nicht auf einen allgemeinen und abstrakten Begriff des Kultus überhaupt, sondern auf den konkreten israelitischen Kultus ihrer Zeit und den in diesem Kultus handelnden Menschen. Deshalb kommt es darauf an, so genau wie möglich zu bestimmen, welche konkreten Möglichkeiten des gemeinschaftlichen gottesdienstlichen Handelns sie gekannt haben, und wie weit sie in der Bestimmung dessen, was echter Jahwekult sei, mit ihren israeliCambridge 1922, S . 181 f. ; W . O. E . O E S T E R L E Y and T H . H. R O B I N S O N , Hebrew Religion, it's Origin and Development. 2. Aufl. London 1937, S. 21 u. 202. B . GRAY, Sacrifice in the OT, it's Theory and Practice. Oxford 1926, S. 43 u. 46. C H R . N O R T H , Sacrifice in the OT. Exp. Times X L V I I , Febr. 1936. L. K Ö H L E R , Theologie des AT. Tübingen 1936. S. 170ff. H. G U N K E L Die Propheten. Göttingen 1917, S. 30, 86f. A. W E N D E L , Das Opfer in der altisraelitischen Religion. Leipzig 1927, S. 109f. A. LODS, The Prophets and the Rise of Judaism. New York 1937, S. 66. R . B. Y . SCOTT, The Relevance of the Prophets. New York 1947, S. 65. B. DUHM, Israels Propheten. 2. Aufl. Tübingen 1922, S. 136. E . S E L L I N , Der alttestamentliche Prophetismus. Leipzig 1912, S. 33, 35, 49, 64, 66, 71. J . H E M P E L . Die Worte der Propheten. Berlin 1949, S. 214f. Ders. Das Ethos des AT, ZAWB 67, Berlin 1938, S. 26. G . H Ö L S C H E R , Geschichte der israelitischen und jüdischen ReUgion. Gießen 1922, S. 104,106f„ 110, 112. S. M O W I N C K E L , The Spirit and the Word in the Preexilic Reforming Prophets. J B L . 63, 1934. Ders. Psalmenstudien I I . S. 320f. I I I , S. 44f. H . W. H E R T Z B E R G Die prophetische Kritik am Kult. ThLZ 76, 1960. Dagegen vertreten u. a. folgende Forscher die Ansicht, daß die Polemik der Propheten gegen den Kultus nur relativ zu verstehen sei, d. h. daß die Propheten nur die heidnische Entstellung des Jahwekults tadeln: A. W E L C H , Prophet and Priest in Old Israel. London 1936, S. 34, 71 f., 148. W. O. E . O E S T E R L E Y , Sacrifices in Ancient Israel, Their Origin, Purposes and Development. New York 1937, Kap. 12. C . L A T T E Y , The Prophets and Sacrifice; a Study in Biblical Relativity. J T h S t . X L I I 1 9 4 1 , S. 165—166. H. W. R O B I N S O N , Hebrew Sacrifice and Prophetic Symbolism, J T h S t . X L I I I , 1942, S. 4 3 , 129—139. J . E . C O L E R A N , The Prophets and Sacrifice. ThSt. V 1944. H. H. R O W L E Y , The Unity of the OT, B J R y l L i b . 29, Manchester 1946, S. 6. Ders. The Meaning of Sacrifice in the OT, B J R y l L i b . 33, Manchester 1950, S. 79f., 88—91, 96. JOH. P E D E R S E N , Israel I I I — I V , London 1940, S. 630. R. K I T T E L , Geschichte Israels II, S. 327 Anm. 2. F. B A U M G À R T E L , Die Eigenart der alttestamentlichen Frömmigkeit. Schwerin 1932, S. 21. R. D U S S A U D , Les origines cananéennes du sacrifice israélite. Paris 1921, S. 21, 26. J . H O S C H A N D E R , Priests and Prophets. New York 1938, S. 59f. S. H . H O O K E , Prophets and Priests, London 1938, S. 26. 1 Vgl. G. VAN D E R L E E U W , Phänomenologie der Religion. Tübingen 1933, S. 424.

Einleitung

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tischen Zeitgenossen übereinstimmten. Der Begriff des Kultus muß sich also aus der Befragung der prophetischen Aussagen und der kultischen Überlieferung des AT. ergeben und darf nicht von außen herangetragen werden. Man wird der Geschichtsbezogenheit der prophetischen Verkündigung nicht gerecht, wenn man an sie mit der Frage herangeht, ob die Propheten eine Religion ohne bestimmte feste Formen des gemeinschaftlichen gottesdienstlichen Handelns anstrebten oder nicht. Sachgemäß kann man nur fragen, ob die Propheten eine Korrektur oder Umdeutung der bereits bestehenden kultischen Bräuche anstrebten, oder ob sie diese bestehenden Bräuche als dem Jahweglauben unangemessen ansahen und deshalb ablehnten. Dann erhebt sich die Frage, ob die vorexilischen Schriftpropheten irgendwelche positive Aussagen über einen Jahwe wohlgefälligen Kultus gemacht haben, und ob sie damit eine neue, besondere Auffassung des Kultus vertraten.

IL Der israelitische Kultus des 8,—6. Jahrhunderts i. Überblick über die Bestandteile des israelitischen Kultus Zum Verständnis der kultischen Verhältnisse des zu behandelnden Zeitraumes ist es notwendig, einen kurzen Abriß der Geschichte des israelitischen Kultus zu geben. E s kommt hier vor allem darauf an, die Herkunft und ursprüngliche Bedeutung der einzelnen Bestandteile des israelitischen Kultus des 8. —6. Jahrhunderts zu erfassen, um dann feststellen zu können, wie weit diese ursprüngliche Bedeutung noch zur Zeit der Schriftpropheten lebendig war, oder ob sie durch eine neue, aus dem Wesen der mosaischen Jahwereligion kommende Bedeutung ersetzt wurde. Die alttestamentlichen Forscher sind sich darüber einig, daß die Israeliten keinen ihnen eigentümlichen, von den Kulten ihrer Umwelt grundsätzlich verschiedenen Kultus herausgebildet haben 1 . Das gilt auch für die Zeit des Zusammenschlusses der israelitischen Stämme unter Mose und die ganze folgende Geschichte der israelitischen Religion. Der Jahweglaube hat nur das vorhandene Material umzudeuten und in einen neuen Glaubenszusammenhang einzuordnen versucht. Solche Umdeutungen sind uns in der Tat gerade auf Grund des Vergleichs mit ähnlichen Erscheinungen der Religionsgeschichte greifbar. Man darf also für die Betrachtung des israelitischen Kultus nicht bei der Aufdeckung der ursprünglichen Grundidee des betreffenden Opfers und Ritus stehen bleiben, sondern man muß auch das in Israel lebendige Verständnis desselben zu erfassen suchen. Dieses Verständnis wird natürlich zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden ausgesehen haben. Der Unterschied in der Deutung der kultischen Einrichtuntungen und Handlungen betrifft nicht nur die Zeit, sondern auch die 1 Vgl. A. B E R T H O L E T , Der Sinn des kultischen Opfers. Pr. A. W. Jg. 1942, Berlin 1943. Ders. Zum Verständnis des alttestamentlichen Opfergedankens. JBL. 1930. M. B U B E R , Das Königtum Gottes. 2. Aufl. Berlin 1936. Ders. Der Glaube der Propheten, Zürich 1960. R. D U S S A U D , Les origines cananéennes du sacrifice israélite, Paris 1921. I . E N G N E L L , Studies in Divine Kingship in the Ancient Near East, Uppsala 1943. G . B. G R A Y , Sacrifice in the OT. J O H N G R A Y , Cultic Affinities between Israel and RasShamra. ZAW (72) NF. 22, 1950, O. E. J A M E S , Origines of Sacrifice, London 1937. A. L O D S , Israelitische Opfervorstellungen und Bräuche. ThR. 3. Jg. 1931. S. MoWINCKEL, Religion und Kultus. Göttingen 1963. C H R . NORTH, Sacrifice in the OT, E . T. XLVII 1936. M. NOTH, Das System der zwölf Stämme Israels. W. O. E. O E S T E R L E Y , Sacrifices. A. W E N D E L , Das Opfer. J. P E D E R S E N , Canaanite and Israelite cultus Acta Orientalia 18, 1938. N . H . SNAITH, Worship, in Record and Révélation IV/3 hrsg. von H . W. R O B I N S O N , Oxford 1938. M. S T A P L E S , Cultic Motifs in Hebrew Thought. AJSL 64/56,1938.

2. Die vormosaischen Bestandteile des israelitischen Kultus

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verschiedenen Volkskreise und Landesteile. Diese Differenzierung der Kultfrömmigkeit nach Zeit und Bevölkerungsgruppen ist recht schwierig und nur unvollständig durchführbar. Die regionale Differenzierung erweist sich als noch schwieriger. Immerhin hat die neuere alttestamentliche Forschung einige dieser lokalen Traditionen aufgedeckt 1 . 2. Die vormosaischen Bestandteile des israelitischen Kultus Die Bestandteile des israelitischen Kultus kann man, ihrer Herkunft entsprechend, in zwei Gruppen einteilen: 1. Anschauungen und Bräuche, die die israelitischen Stämme aus der Zeit ihres Halbnomadendaseins ins Kulturland mitgebracht haben. Diese haben sie mit den übrigen semitischen Stämmen, die die Randgebiete der Wüste bevölkern, gemeinsam. 2. Solche Bräuche, die sie während und nach der Landnahme in Palästina von den Kanaanäern übernommen oder unter ihrem Einfluß herausgebildet haben. Zu den unter 1 genannten Elementen gehören der Dämonen-, Geister- und Elglaube 2 , (*rtf, trtfrg, TSto) der in der Natur, vor allem in ihren besonders auffallenden Erscheinungen, das Walten übermenschlicher Mächte sieht. E r ist der Nomaden- und Bauernreligion bis zum gewissen Grade gemeinsam, nur haben diese Wesen bei den Nomaden mehr willkürlichen, numinosen Charakter und sind auch nicht ganz so streng an bestimmte Orte und Gegenstände gebunden wie im Kulturland 3 . Besondere Bedeutung kommt der El-Religion zu. Diese oberste Gottheit des gemeinsemitischen Pantheon ist zugleich die Schutzgottheit der Sippe, des Stammes und des Einzelnen. Die Aufsicht über das Recht und die sozialen Ordnungen gehört zu ihren besonderen Aufgaben 4 . 1 E . S E L L I N , Wie wurde Sichern eine israelitische Stadt ? 1922. Ders. Gilgal 1917. A. ALT, Gott der Väter. BWANT. 3, H. 12,1929 (jetzt: Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, I, München 1953, S. lff.). Ders. Wallfahrt von Sichern nach Bethel. Abh. der Herder-Ges. u. des Herder-Instituts zu Higa 1938 {jetzt ebenda S. 79ff.). K. GALLING, Bethel und Gilgal. ZDPV Bd. 66, 1943 u. 67, 1944/5. O. E I S S F E L D T , Der Gott Bethel. ARW 1930. Ders. Der Gott Karmel. ABW 1953. M. Nora, Bethel und Ai. P J B 31, 1935. W. ZIMMERLI, Geschichte und Tradition von Beerseba (Diss. Göttingen). 1932. H. J. KRAUS, Gilgal. VT. I, 3, 1951. 2 Vgl. E . S E L L I N , Isr.-jüd. Religionsgesch. 1933, S. 39. W. EICHRODT, Theologie des A T I , S . 81—86. A . A L T , Gott der Väter. S . MOWINCKEL, Religion und Kultus. Göttingen 1953, S. 13—47. 3 Vgl. H. DUHM, Die bösen Geister im AT, 1912. A. J I R K U , Die Dämonen und ihre Abwehr im AT. 1912. P. VOLZ, Das Dämonische in Jahwe. 1924. 4 O. E I S S F E L D T , El im ugaritischen Pantheon. Berlin 1951. M. P O P E , El in the Ugaritic Texts. Supplements to VT II, 1955. El und der davon gebildete Plural kann auch „Gott, Götter" bedeuten.

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II. Der israelitische Kultus des 8 . - 6 . Jahrhunderts

Zu der vormosaischen Stufe der israelitischen Religion gehört ferner der Seelen- und Ahnendienst1. Dieser letzte Vorstellungskomplex ist früh aus der Jahwereligion ausgeschieden worden, hat sich aber in der Volksfrömmigkeit als Aberglaube zäh erhalten. Sein letztes Relikt in der offiziellen Religion ist das Ritual der Austreibung des Sündenbocks in die Wüste (für Asasel Lev. 16 5 F F . ) . Doch ist die ursprüngliche Bedeutung dieses Ritus nicht mehr lebendig. Asasel vertritt die außerhalb des heiligen Volkes hegende Sphäre der Unreinheit (vgl. Sach 5 6ff.) 2 . Die Unterscheidung von Rein und Unrein (lint? Nöö) findet sich ebenfalls bereits bei den Nomaden, doch ist sie noch nicht zu einem so komplizierten System von Verboten und Reinigungsriten ausgeweitet wie in den Bauernreligionen. Einen wesentlichen Faktor in der Nomadenreligion der Semiten stellt die Magie dar. Ist sie auch im Kulturlande weit verbreitet, so bekommt sie doch bei der großen Unsicherheit, in der der Nomade lebt, besonders große Bedeutung. Sie ist die negative Begleiterscheinung des größeren Abhängigkeitsgefühls3. Der Kultus wird bei den Nomaden im allgemeinen von den Familien- und Stammeshäuptern vollzogen. Nur größere Stämme führen auch Berufspriester mit sich. Die recht einfachen Opferbräuche und Riten machen die Anwesenheit besonderer Kultbeamten überflüssig. Außerdem wird der Kultus nur bei besonderen Anlässen vollzogen. Die seelische Kraft oder der Segen, der in dem bewährten Häuptling konzentriert ist, macht ihn des Umgangs mit dem Heiligen fähig. E r ist der natürliche Vertreter der Gemeinschaft vor der Gottheit, wie er auf der anderen Seite durch seine Stellung und seine erfolgreiche Tätigkeit als ein besonders von der Gottheit Gesegneter sich erweist. Hingegen bedürfen auch die Nomaden zur Orakelgebung und Beschwörung besonders geeigneter Personen. Ihre Eignung beruht entweder auf außerordentlicher Begabung oder auf erlernter Geheimkenntnis. 3. Die Auswirkung des Jahweglaubena auf die Gestaltung des israelitischen Kultus vor und zur Zeit der Einwanderung nach Kanaan Den noch verhältnismäßig unkomplizierten und nur sporadisch ausgeübten Kultus der Halbnomaden hat Mose bei den israelitischen 1

Vgl. SELLIN, a. a. O. S. 40. P . KARGE, R e p h a i m , P a d e r b o r n 1 9 1 7 .

4

EICHRODT, Theologie I, S. 74. J . C. MATTHES, Der Sühnegedanke bei den

Sündopfern. ZAW 23, 1903. 3 Vgl. WELLHAUSEN, Reste des arabischen Heidentums 2 . 1897. G. JACOB, Das Leben der vorislamischen Beduinen. 1895. Ders. Altarabische Parallelen zum AT 1897. S. J . CURTISS, Ursemitische Religion im Volksleben des heutigen Orients. 1903. A. MuSIL, The Manners and Customs of the Rwala Beduins. New York 1928. S. NYSTRÖM, Beduinentum und Jahwismus. Lund 1946.

3. Die Auswirkung des Jahweglaubens auf die Gestaltung des israelitischen Kultus

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Stämmen vorgefunden und im wesentlichen unverändert gelassen. Nach dem frühen Ausscheiden des Toten- und Dämonenkults aus der offiziellen Jahwereligion trat an Stelle der Dämonen zum Teil die Gestalt des ^X1??, des Abgesandten, oder die Erscheinungsgestalt Jahwes. Die alten Bräuche der Halbnomaden werden von dem neuen Geist der Jahwereligion durchdrungen und umgestaltet. Als wichtigstes ist in diesem Zusammenhang die Verbindung der alten Hirtenfeste, z. B. des Passahfestes, mit den historischen Heilstaten Jahwes an seinem Volk zu nennen1. Diese Verbindung wurde wahrscheinlich bereits unter Mose vollzogen. Erleichtert wurde solche Umdeutung dadurch, daß der Kultus der Wanderstämme kein geschlossenes System mit einer einheitlichen theologischen Tendenz darstellte. Man hat sich jedoch nicht nur darauf beschränkt, die alten Feste mit neuen Inhalten zu erfüllen (z. B. Erinnerung an Jahwes Heilstaten, Dank für die Naturgaben, Verlesung des Gottesrechts und die darauf aufbauende religiössittliche Paränese und Entscheidung von Rechtsfällen [n^lin. sowie die feierliche Abrenüntiation aller anderen Götter), sondern der neue Glaube hat auch neue Feste geschaffen. Dabei wäre vor allem an das Fest der Bundeserneuerung zu denken (Jos. 24). Dieses Fest hatte vorwiegend die großen Begebenheiten des Bundesvolkes zum Gegenstand (Bundessatzung, Bundeskult und Bundesfest) 2 . Den gleichen Inhalt haben auch die im AT. bezeugten Bundeserneuerungen II. Kg. 11 17 und 23 3. Ob es sich in Jos. 24 um den Anfang des Bundesvolkes 3 handelt, ist sehr zweifelhaft. Problematisch ist auch die weitere Geschichte dieses Bundesfestes. Da seine regelmäßige Wiederholung im AT. nicht bezeugt ist, muß man annehmen, daß es nur bei ganz besonderen Anlässen gefeiert wurde. In der Königszeit wird es das Schicksal der Lade und der alten Bundesheiligtümer geteilt haben, d. h. es wurde von dem Kult des judäischen Reichstempels, der mehr den Bund Jahwes mit der Daviddynastie betonte, verdrängt. Deshalb ist es unberechtigt, ein unverändertes Weiterbestehen eines selbständigen Bundesfestkultes, der von kanaanäischen Einflüssen freigeblieben ist, zu behaupten 4 . Vielmehr ist der Bundesfestkult selbst, genau wie die ganze Bundesvorstellung, weitgehend kanaanisiert worden, d. h. natürlich nicht, daß die genannten genuin jahwistischen Elemente des Bundesfestes gänzlich verschwunden sind. Sie sind nur an einen anderen Platz und in einen anderen religiösen Zusammenhang gestellt worden. Deshalb können die Schriftpropheten die Kenntnis dieser Traditionen beim Volk voraussetzen. Aufs 1

Vgl. J. P E D E R S E N , Passahfest und Passahlegende. ZAW (52) NF. 11, 1934. Passover: its History and Tradition. New York 1949. 2 Vgl. M. B U B E R , Königtum Gottes. S. 157ff. Ders. Der Glaube der Propheten. S. 30. M. N O T H , Geschichte Israels. 2. Aufl. Berlin 1954, S. 96ff., HOff. H. J. K R A U S , Gottesdienst in Israel. München 1954, S. 49ff. dort weitere Literatur. 3 So N O T H , Das System der zwölf Stämme Israels. B W A N T , IV, 1.1930, S. 66ff.; vgl. die Kritik dieser Auffassung bei B U B E R , Der Glaube der Propheten, S. 30—35. 4 S . W E I S E R , Jeremia ATD. zu Jer. 6 2 0 u. 7 iff. und ders. Hos.-Micha ATD 24 zu Am 5 25 und Die Psalmen ATD. 14/15. Vgl. H. J . K R A U S , Gottesdienst in Israel. S . 13 Anm. 13.

T. H.

GASTER,

II. Der israelitische Kultus des 8 . - 6 . Jahrhunderts

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Ganze gesehen zeigen die ältesten, zumindestens dem Inhalt nach aus der Mosezeit stammenden Satzungen (Dekalog, Bundesbuch) ein auffallend geringes kultisches Interesse. Das berechtigt uns doch zu der Annahme, daß Mose in d i e s e r Beziehung nichts wesentlich Neues gebracht hat, sondern daß er sein Bestreben mehr auf die Durchsetzung neuer religiös-sittlicher Maßstäbe und des Glaubens an den personenhaften, geschichtsmächtigen Gott gerichtet hat. Einen weiteren Beweis für die untergeordnete Rolle, die der Opferkult in der ältesten Zeit der Jahwereligion spielte, dürfen wir wohl mit Recht in Jos. 24 erblicken.

Die dort berichtete Bundesschließung ist wohl, wie es nach der Analogie anderer solcher Bundesschließungen angenommen werden kann, gewiß auch von Opfern begleitet worden. Davon erzählt der Bericht nichts, um so mehr aber von den Heilstaten Jahwes und von der geforderten, ungeteilten Hingabe des Volkes an den Herrn der Geschichte. Hosea und Jeremia sind also auch historisch gesehen im Recht, wenn sie behaupten, Jahwe habe in der Wüste keine Gebote über die Opfer gegeben. Dagegen erweist sich die Behauptung des Arnos (5 25), Israel habe in der Wüstenzeit Jahwe überhaupt nicht geopfert, historisch gesehen, als nicht zutreffend. Die Jahwereligion der mosaischen Zeit hat zwar keinen neuen Kultus hervorgebracht, sie hat aber insofern auf den bereits bestehenden Kultus umgestaltend gewirkt, als sie in den Mittelpunkt des völkischen und religiösen Lebens der israelitischen Stämme den Kult an dem mit der Bundeslade und dem heiligen Zelt ausgestatteten Zentralheiligtum Jahwes gestellt hat. Damit erhielt der israelitische Kultus einen neuen Mittelpunkt und einen neuen Inhalt. Die Herkunft und Zusammensetzung des Kultpersonals dieses gesamtisraelitischen Zentralheiligtums läßt sich im einzelnen nicht mehr erkennen. Nur ein Amt tritt deutlich hervor, das Amt des von Jahwe berufenen Bundesmittlers, dessen erster und für die Zukunft vorbildlicher Träger Mose ist (Dtn 18 iss.). Dieses Amt findet in Mose seine ideale Erfüllung, weil er in sich die charismatischen Gaben der Prophetie und Verkündigung des Gottesrechts mit priesterlichen Funktionen vereinigt. Gewiß fand sich für dieses so umfassende Amt nur selten ein so geeigneter Träger wie Mose. Dennoch blieb in Israel die Erwartung lebendig, daß Jahwe immer wieder, besonders in Notzeiten, einen solchen geistbegabten Träger des Mittleramtes erwecken wird. War ein solcher charismatischer Mittler nicht vorhanden, so fand sein Amt in den »Richtern Israels«1 und den Priestern des .Zentralheiligtums seine partielle Fortsetzung. Später beanspruchten Könige und Propheten dieses Amt für sich, woraus die ständige Spannung zwischen Königtum und Prophetie erwächst. 1

M . NOTH,

1950. H. J.

KRAUS,

Das Amt des »Richters Israels«, Bertholet-Festschrift, Tübingen Gottesdienst in Israel. S. 69—66.

4. Die Grundzüge des kanaanäischen Naturkults und sein Einfluß auf Israel

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4. Die Grundzüge des kanaanäischen Naturkults und sein Einfluß auf Israel

In Kanaan sehen sich die israelitischen Stämme einer hochstehenden bäuerlich-städtischen Kultur gegenübergestellt. Dort kreuzen sich die politischen und kulturellen Einflußzonen der beiden Großmächte des vorderen Orients, Ägyptens und Assyriens bzw. Babyloniens. Hinzu kommen noch Einflüsse aus dem ägeischen und kleinasiatischen Raum. Die Kultur der Kanaanäer ist eine ausgesprochene Mischkultur. Dennoch darf man, gerade auf Grund der neu gefundenen Ras-SchamraTexte, die Eigenständigkeit dieser Kultur nicht unterschätzen 1 . Auch in religiöser Hinsicht hat sich die ältere Meinung, als hätten wir es nur mit der Übernahme babylonischer und ägyptischer Kulte zu tun, nicht als zutreffend erwiesen. Die Religion Kanaans ist vielmehr eine selbständige Größe. Sie verfügt über einen sehr entwickelten Kultus mit einem zahlreichen Pantheon und dem dazugehörigen ausgedehnten Kultapparat, sowie einen ausgebildeten Kultmythus 2 . Entsprechend der bäuerlichen, seßhaften Lebensweise der Kanaanäer hat auch ihre Religion ausgesprochen naturhaften Charakter. Die großen kanaanäischen Gottheiten sind Personifikationen verschiedener Naturkräfte. Sie sind geschlechtlich differenziert (El, Ba'al, Mot, Hadad-Rimon, Melkart, Ba'alat, Anat, Aschera-Astarte-Ischtar). Die im AT. oft erwähnten Lokalnumina oder die Baale und Astarten der verschiedenen Ortschaften darf man nicht von den vorhin genannten großen Gottheiten grundsätzlich unterscheiden. Es ist vielmehr aus den mythischen Texten von Ras-Schamra deutlich geworden, daß das kanaanäische Pantheon viel großzügiger und einheitlicher angelegt war, als man es früher annahm. So sind die Ortsbaale nicht als bloße Ortsnumina von rein lokaler Bedeutung zu verstehen, sondern es spricht alles dafür, daß sich die Kanaanäer durchaus des einheitlichen, kosmischen Cha1

C. GORDON, Ugaritic Handbook, Rom 1947 u. Ugaritic Literature, 1949. F. M. T. BÖHL, Kanaanäer und Hebräer, BWAT 9, 1911. R. DUSSAUD, Les Déscouverts de Ras-Shamra et 1 'Ancient Testament, Paris 1937. Ders. Les origines cananéennes du sacrifice israélite, Paris 1921. J. P. HYATT, The Ras-Shamra Discoveries, JBR X, 1942. W. BAUMGARTNER, Ras-Shamra und das AT. ThR N F 12, 1940 u. 13, 1941, dort auch weitere Literaturangaben. Ders. Ugaritische Probleme und ihre Tragweite für das AT. ThZ. 3, 1947. D. NIELSEN, Ras-Shamra Mythologie und biblische Theologie, Leipzig 1936. J. GRAY, Cultic Affinities between Israel and Ras-Shamra. ZAW 62, 1949/50. Ders. Canaanite Kingship in Theory and Practice, VT II, 3, 1952. T. WORDEN, Literary Influence of the Ugaritic Fertility Myth on the OT. VT III, 3,1953. R. D E LANGHE, Les Texts des Ras-Shamra et leur Rapports avec le Milieu Biblique de 1'Ancient Testament, I—II, Gembloux-Paris 1946. G. FOHRER, Die wiederentdeckte kanaanäische Religion. ThLZ 78, 1953. 1 Siehe die Übersetzung der Ras-Schamra Texte von H. L. GINSBERG bei J. B. PRICHARD, Ancient Near Eastern Texts relating to the OT. 1 ,1955.

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rakters des Baal bewußt waren. Dieser ist zugleich der Himmels- und Gewittergott (BaalSamen und Hadad-Rimmon) 1 . Die Ortsbaale sind lediglich als örtliche Manifestationen des Himmelsgottes aufzufassen, als seine Epiphanien nach der Art von niiT ""JB oder n w Entsprechend dem naturhaft kosmischen Charakter der kanaanäischen Gottheiten sind die Naturereignisse Folgen der Vorgänge innerhalb des Pantheon, die irdischen Vorgänge ein Spiegelbild der himmlischen. Die mythischen Texte von Ras-Schamra erzählen von den Kämpfen der Götter untereinander und von ihren Kämpfen gegen die Mächte des Chaos (Tehom, Rahab, Mot) und des Todes2. Als Auswirkung dieser Kämpfe wird die Entstehung und Erhaltung der Welt, d. h. des bäuerüchen Kulturlandes mit allem, was dazu gehört, geschildert. So gilt Baal zusammen mit der ihm entsprechenden weiblichen Gottheit Anat-Aschera-Astarte als Herr über das bäuerliche Kulturland 3 . Er ist es, der gegen die Mächte des Todes (Mot) und des Chaos kämpft. Sein Schicksal spiegelt den Verlauf des Naturjahres. Er unterliegt und stirbt — das bedeutet das Absterben der Vegetation während der Trockenheitsperiode —, um im Frühjahr durch das Eingreifen seines weiblichen Partners und des übergeordneten Gottes El Alaiyn zum neuen Leben zu erwachen und seine Herrschaft wieder anzutreten. Das bedeutet das Wiederaufblühen der Vegetation im Frühjahr. Der regelmäßige, ungestörte Ablauf des Naturjahres ist von dem Schicksal dieses sterbenden und auferstehenden Gottes abhängig4. Auch die Naturkatastrophen wie Dürre, Sturm, Flut usw. sind Auswirkungen 1

Vgl. vor allem W . F . A L B R I G H T , Archaeology and the Religion of Israel, 1942, 68ff., auch Von der Steinzeit zum Christentum, 1949, S. 231ff. O . E I S S F E L D T , BaalSamen und Jahwe. ZAW (52) NF 16, 1939. Ders. Der Gott Karmel. BAW 1953. Ders. El im ugaritischen Pantheon. Sächsische Akad. B. 98, H. 4, 1961. M. H. POPE, El in the Ugaritic Texts. Leiden 1955. A. K A P E L R U D , Baal in the Ras-Shamra-Texts. Kopenhagen 1952. S. L I N D E R Jahwe und Baal im Alten Israel. Riga 1938. H. G R E S S M A N N , Hadad und Baal nach den Amarnabriefen und nach ägyptischen Texten. ZAW 33,1918. * Wie weit diese letzteren als den anderen Göttern gleichgestellt anzusehen sind, ist nicht ganz deutlich. Auf der einen Seite scheinen sie außerhalb des Pantheons zu stehen, auf der anderen gelten sie als Kinder des Hauptgottes El Alaiyn. vgl. K A P E L R U D , Baal S. 86—93. * El Alaiyn steht irgendwie über den übrigen Göttern und ist dem Geschehen fern gerückt. Gelegentlich erscheint dieser Name als nähere Bestimmung zu Baal. Vgl. K A P E L R U D , a. a. O. S. 43ff. und P R I T C H A R D S . 140f. I AB., III—IV. 4 Schwierig ist die Rolle des Mot zu definieren. Er ist einerseits der Herr der Unterwelt und des Todes und damit der Widersacher des Vegetationsgottes Baal, den er auch in der Unterwelt gefangen hält und tötet. Nach seiner Überwältigung durch die Fruchtbarkeitsgöttin Anat-Aschera wird er von ihr getötet, zermahlen, geröstet und aufs Land ausgestreut. Damit scheint er mit dem Getreide und der Fruchtbarkeit überhaupt im Zusammenhang zu stehen. Er übernimmt also die Rolle des Fruchtbarkeitsgottes. Vgl. P R I T C H A R D S. 1 4 0 I AB., I I , 3 0 ; K A P E L R U D , Baal S. lOOf. S.

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dieser Götterkräfte. Der Sieg der Naturgottheiten über die Chaosmächte garantiert den Bestand des Kulturlandes, ihre Niederlage bedeutet seine Vernichtung durch eben diese Mächte. Sind die Gottheiten als Personifizierungen der Naturkräfte gedacht, so ist es umgekehrt möglich, ja höchst notwendig, sie in ihrem Kampf zu unterstützen, wie es durch Erneuerung und Stärkung ihrer Kraft geschieht. Diesem Zweck dient der Kultus, dem der Analogiezauber zugrunde liegt. In ihm werden die Schicksale der Götter wirkungskräftig dargestellt, sei es in Form des heiligen Kultdramas wie z. B. in Babylonien, Ägypten und Ugarit, sei es in Form der Rezitation entsprechender mythologischer Texte. Eine solche Wiederholung des Mythus ist keine bloße Erinnerung, sondern sie hat durchaus schöpferischen, prototypischen Charakter. Durch den Kultus werden die Götter durch Zufuhr neuer Kräfte in ihrem Kampf unterstützt. In dieser naturhaft-dynamistischen Religion hat der Kultus auch noch die Aufgabe der Vermittlung der göttlichen Kräfte an die irdische Welt und besonders an den Menschen. Bei dem Eindringen der israelitischen Stämme nach Kanaan waren sie gezwungen, sich der höherstehenden kanaanäischen Kultur so rasch wie möglich anzupassen, denn sonst hätten sie sich gegen die Kanaanäer weder durchzusetzen noch zu behaupten vermocht. Mit der kulturellen geht die religiöse Assimilierung Hand in Hand. Diese Beeinflussung geschah wohl meistenteils auf dem Wege des friedlichen Nebeneinanderlebens und der Vermischung, z. T. aber durch kriegerische Auseinandersetzung. Intensiviert und eigentlich zum Abschluß gebracht wird dieser Vorgang der Kanaanisierung durch die Einführung der Monarchie in Israel. Vor allem die Verlegung der königlichen Residenz nach der kanaanäischen Stadt Jerusalem dürfte einen starken Einfluß der kanaanäischen Religion auf das königliche Reichsheiligtum zur Folge gehabt haben 1 . Sind doch die Jebusiter aus Jerusalem nicht vertrieben worden, und blieb der Stadtstaat Jerusalem als selbständiges Staatswesen in Personalunion mit Juda bestehen, so ist auch der religiöse Einfluß des Kanaanäertums auf Hof und Priesterschaft gewiß nicht gering gewesen. Wenn auch die Kanaanäer unter David und Salomo die letzten Reste ihrer politischen Unabhängigkeit eingebüßt haben, so ist damit ihr Einfluß auf die Kultur und Religion Israels keineswegs erloschen. Im Gegenteil, man hat allen Grund zu der Annahme, daß er noch intensiviert wurde. Politisch mußte das israelitische Königtum, das sich auf keinerlei israelitische Traditionen stützen konnte, auf kanaanäische Elemente zurückgreifen. Es scheut sich auch nicht, die Kanaanäer in seine Dienste zu nehmen; kulturelle und religiöse Grenzen zwischen Israel und den Kanaanäern, die nie von grundsätzlicher, tiefgehender 1

Vgl. jetzt H. SCHMID, ZAW 67 (1955) S. 168ff.

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Art waren, verwischen sich seit dem Übergang Israels zur Ackerbaukultur sehr rasch. Gefördert wurde diese Vermischung durch die rassische und sprachliche Verwandtschaft beider Gruppen. Spuren des Naturkults finden sich auch im AT, z. B. im Ritus des Wasserausgießens I Sam 7 6 und Jes 123, dem ursprünglich der Gedanke des Analogiezaubers zugrunde lag1. Diese Stellen, sowie die talmudische Tradition über die Ausübung dieses Ritus innerhalb des Laubhüttenfestes legen die Annahme seines Weitejbestehens in der Jahwereligion nahe. Er hat aber seine ursprüngliche magische Bedeutung verloren. Viel gefährlicher, weil das ganze religiöse, soziale und familiäre Leben zersetzend, wirkte sich die kultische Prostitution aus. In dem geheimnisvollen Vorgang der Befruchtung des Ackerbodens (n»"Tii) durch das vom Himmel herabströmende oder aus den Quellen hervorstrudelnde Wasser sahen die Kanaanäer die Begattung der weiblichen Fruchtbarkeitsgöttin durch den Himmelsgott. Die Fruchtbarkeit des Bodens und der darauf lebenden Menschen und Tiere war nur eine Folgeerscheinung dieser geheimnisvollen, göttlichen Zeugung und war von ihr ganz abhängig. Die Erzeugnisse des Ackerbodens und der Viehzucht waren nach diesem Verständnis weder auf natürliche Weise (im modernen Sinne) entstanden, noch waren sie Gaben der Götter, denn die Götter stehen nicht souverän über der Natur, sondern sie sind mit ihr eng verflochten. Das Verhalten der Gottheiten spiegelt den Gang der Natur, oder besser gesagt, es bildet die Natur prototypisch vor. In beiden waltet die gleiche Ordnung. Diese Korrespondenz gibt auch dem Menschen die Möglichkeit, die Naturkräfte bis zum gewissen Grade durch Analogiehandlungen zu beherrschen. Er kann durch die Auslösung und Befreiung der in der Natur und in sich selbst enthaltenen Vitalität und Fruchtbarkeit die gleichen Kräfte der Götter steigern, was sich wieder umgekehrt auf die Naturkräfte steigernd auswirkt. Das Kreislauf denken gehört zur Grundstruktur aller Naturreligionen. Am deutlichsten kommt es in den geschlechtlichorgiastischen Kultbräuchen zum Ausdruck. 5. J a h w e und Baal und die naturhafte Umdeutung der Bundesvorstellung

Die religiösen Folgen der Kanaanisierung liegen auf der Hand. Jahwe verliert in steigendem Maße seinen personhaften Charakter, der durch Mose so stark betont wurde, und wird der hypostasierten Naturkraft, dem kanaanäischen Baal immer ähnlicher. Aus dem sittlich gerichteten, willensbestimmten Gott, als welcher er sich Mose offenbart 1

Wahrscheinlich liegt ein ähnlicher Brauch der Stelle I Reg 18 34ff. zugrunde. II Sam 23 16 hat damit nichts zu tun. Hier ist das Wasserausgießen nur asketische Leistung.

5. Jahwe und Baal und die naturbafte Umdeutung der Bundesvorstellung

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hatte, wird immer mehr eine Naturgottheit. Dieser Wandel des Gottesbildes wird uns in voller Schärfe aus der prophetischen Polemik ersichtlich. Wahrnehmbar wird er jedoch bereits in der Verwendung solcher Kulteinrichtungen und Bräuche, die nur in animistisch-dynamistischen Religionen ihren Sinn haben, wie z. B. Äscheren, Stierbilder, Kultfeste mit orgiastischen Begleiterscheinungen wie Jubel und Tanz (Jdc 21, i9fl.), Verehrung heiliger Bäume und Steine und schließlich Tempelprostitution und Menschenopfer. Die Vermengung von Jahwe und Baal hat nicht einmal vor dem Namen Jahwes haltgemacht, die Identifizierung beider wurde sicherlich bedenkenlos vollzogen. Das kann man schon an der Namengebung beobachten1. Die Annäherung beider Gottheiten hatte als weitere Folge die Schwächung der Geschichtsbezogenheit Jahwes. Er ist wohl dem bäuerlichen Alltagsleben näher gerückt, jedoch ist das Wissen um sein Walten in der Geschichte teils zurückgedrängt, teils wesentlich verwandelt worden. Hier kann man zwei Richtungen innerhalb der synkretistischen israelitischen Volksreligion beobachten: 1. Einerseits verliert Jahwe durch die Annahme naturhafter Züge seinen Anspruch auf ausschließliche Verehrung von Seiten seines Volkes. Naturgottheiten sind ihrem Wesen nach — gleichviel welchen Namen sie tragen — untereinander so verwandt, daß sie keinen Anspruch auf Monolatrie erheben. Sie sind letzten Endes Personifikationen der Naturkräfte und stellen verschiedene Aspekte des Lebens der Natur dar. Das beweist die in der Religionsgeschichte so häufige Identifizierung ursprünglich verschiedener Gottheiten2. Daher ist man sich in Israel keines wesentlichen Unterschiedes zwischen Jahwe und Baal und erst recht keines Abfalls von Jahwe mehr bewußt. Man glaubt durchaus, Jahwe zu verehren. Nicht die Heilstaten Jahwes an seinem Volk, sondern die Spendung der Fruchtbarkeit stehen im Mittelpunkt des Glaubens. Das Schwinden des Glaubens an das Geschichtswalten Jahwes, das damit Hand in Hand geht, führt schließlich dazu, daß man den Göttern mächtiger Völker im israelitischen Kultus weiten Raum gewährte oder offen fremden Kulten huldigte, um von ihren Göttern Schutz und Sicherheit zu erlangen. Mag der zuletzt erwähnte Umstand weithin von politischen Notwendigkeiten diktiert sein, so bildet der eben geschilderte Strukturwandel der Volksfrömmigkeit seine 1 M. NOTH, Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung. Stuttgart 1928. 2 Vgl. die Identifizierung der verschiedenen syrischen und babylonisch-assyrischen Gottheiten. Besonders deutlich ist der verschwommene Charakter der Naturgottheiten aus denRas-Schamra-Texten ersichtlich. Eine klare Unterscheidung zwischen den Funktionen einzelner Gottheiten ist kaum durchführbar. Dazu siehe besonders T. WORDEN, The Literary Influence . . . S. 277 und A . BERTHOLET, Götterspaltung und Göttervereinigung, Tübingen 1933.

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religiöse Voraussetzung, ohne die die Fremdkulte niemals in Israel hätten Fuß fassen können. Die leidenschaftliche Polemik der Propheten gegen sie (Jer 44 15—19 und 7 i7f.) zeigt, daß sie von ernster Frömmigkeit getragen wurden. Mit dem stärkeren Hervortreten naturhafter Elemente in der Gottesvorstellung hängt noch ein weiteres zusammen, nämlich die Abschwächung der sittlich-ethischen Auswirkungen des Glaubens. Dort, wo die Natur zum ausschließlichen Schauplatz des göttlichen Waltens geworden ist, kann sich der Glauben an die sittliche Verpflichtung gegenüber der Gottheit kaum entfalten. Wo die Gottheit selbst eine Hypostase der Naturkräfte ist, kann von ethischer Bindung der natürlichen Triebkräfte keine Rede sein. Die Entfaltung und Steigerung der natürlichen Vitalität ist vielmehr oberstes Prinzip des Lebens wie der Religion. Die sittliche Reinheit spielt gegenüber der kultischen bestenfalls eine untergeordnete Rolle. 2. Andererseits wird es gerade aus der prophetischen Polemik, aber auch aus den Königsbüchern, z. B. I Reg 12 28, deutlich, daß das Wissen um die Geschichtsbezogenheit Jahwes selbst aus der Volksfrömmigkeit Israels zwar nie gänzlich verschwunden ist, daß es aber ebenfalls eine Verschiebung ins Naturhafte erfahren hat. Man hielt die Erinnerung an die Heilstaten Jahwes fest1. Diese Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte hat auch im Kultus der Königszeit ihren Platz gehabt, wahrscheinlich in der Form der Rezitation entsprechender Bekenntnisse und Erzählungen. Dies hat wiederum die Historisierung übernommener, fremder Kultmythen bewirkt2. Man erinnerte sich auch innerhalb des synkretistischen Jahwekultes gern des Bundes Jahwes mit seinem Volk, aber deutete diesen Bund im Sinne einer naturhaften Verbundenheit zwischen beiden. Der Bund ist nicht mehr ein geschichtlich-personenhaftes Verhältnis zwischen Gott und Volk, sondern er ist der Ausdruck der natürlichen Einheit zwischen beiden, die letztlich unlösbar ist3. Herrschen die naturhaften Züge im Gottesbild vor, so liegt die rein physische Auffassung der Beziehung zwischen beiden Größen sehr nahe. Dann kommt es im wesentlichen darauf an, diese Einheit durch die genaue und regelmäßige Erfüllung der kultischen Pflichten aufrechtzuerhalten und zu erneuern. Die sittlichen Bedingungen des Bundes treten den kultischen gegenüber zurück. Die Gottheit ist schließlich auf den Kultus angewiesen und kann das Volk 1 Z. B. an die Auszugstraditionen, die Landnahmetraditionen, den Sinai-Bund, den David-Bund, Dtn 26 und Jos 24. Vgl. K. GALLING, Die Erwählungstraditionen Israels, ZAWB. 48, 1928. 3 NOTH, Die Historisierung des Mythus im AT Chr. u. W. 4. Jg. 1928, S. 265 ff. u. 301 ff. u. J. HEMPEL, ZAW65 (1954) S. 113fi. =Glaube, Mythos und Geschichte, 1953. 3 Mit diesem stärkeren Hervortreten der naturhaften Züge in der Bundesvorstellung hängt das Einströmen kanaanäischer kosmischer Mythen und der mit ihnen verbundenen Fruchtbarkeitsriten in Israel zusammen.

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wegen sittlicher Vergehen wohl strafen, jedoch niemals deshalb den Bund auflösen und damit ihr Volk vernichten. Damit würde sie ihr eigenes Dasein gefährden. Ein Gott ohne Kultus ist bei dieser Auffassung undenkbar. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, auf die kultischen Leistungen des Volkes zu pochen und ihre Belohnung von der Gottheit zu fordern. Die naturhafte Gottesauffassung kann sich von da aus mit dem extremen Nationalismus eng verbinden. Diese Umdeutung der Bundesvorstellung ins Naturhafte bedeutet eine gefährliche Einschränkung der Erhabenheit und Souveränität Jahwes. Sein Anspruch bezieht sich nicht mehr auf das gesamte Leben des Volkes, sondern nur auf die kultische Sphäre. Die ethische Seite des Lebens hat keine direkte Beziehung mehr zu ihm. Ähnlich verhält es sich mit dem Erwählungsglauben. Auch die Erwählung Israels zum Volke Gottes wird einseitig nationalistisch verstanden. Die Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte im Kultus dient dann nur noch als Bestätigung und Versicherung des Glaubens an die naturhafte, unbedingte Zusammengehörigkeit von Volk und Gott. Mit der nationalen Bindung Jahwes geht die lokale Hand in Hand. Die übersteigerte nationale Hoffnung klammert sich, besonders in Notzeiten, an die Gegenwart Jahwes in seinem Lande, besonders aber in seinem Tempel. Diese lokal gebundene Nähe Jahwes mißversteht die Volksfrömmigkeit einseitig als Nähe zum Heil. Die andere Möglichkeit der Nähe Jahwes, nämlich sein Erscheinen zum Gericht über das abtrünnige Volk, wird nicht ernstgenommen. Die bevorstehende Realisierung dieser entsetzlichen Möglichkeit verkünden die Propheten. Beiden Richtungen gemeinsam ist also, daß sie die Größe und Erhabenheit Jahwes, wie sie sich seit Mose in der wunderbaren Führung des Volkes offenbart hat, nicht mehr voll anerkennen. Daher versteht man in der Volksfrömmigkeit das Verhältnis von Gott und Mensch in verkehrter Weise. Man versteht es als physisch-naturhafte Einheit, die durch mystisch-magische Handlungen und physische Kräftevermittlung aufrechterhalten wird. Es ist nicht mehr das personhaft-geschichtliche Verhältnis, das den ganzen Menschen beansprucht und das sich nicht nur in dem sakralen Bezirk der Lebenswirklichkeit abspielen kann. Weil diese Relation in der genuinen Jahwe-Religion echt geschichtlicher Art ist, sind in ihr ständig beide Möglichkeiten präsent, die des Scheiterns und der Verwerfung und die des Gehorsams und des Heils.

6. Das Eindringen kanaanäischer Kultbräuche und Vorstellungen in die Jahwereligion Diese eben skizzierte Entwicklung der israelitischen Religion seit der Seßhaftwerdung kann man z. Z. Salomos insofern als abgeschlossen betrachten, als zu dieser Zeit erstens die äußeren materiellen und kulturellen Vorausetzungen der bäuerlichen Naturreligion in Israel gegeben sind, und zweitens die Elemente der kanaanäischen Bauernreligion so weit in der Jahwereligion Fuß gefaßt haben, daß sie vom Volk nicht mehr als fremd empfunden wurden. Seit diesem Zeitpunkt stellt die dynamistische

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Naturreligion im wesentlichen eine innerisraelitische Bedrohung des Jahweglaubens dar. Sie tritt außerdem in der Gestalt der Fremdkulte auch von außen her an Israel heran. Den Ursprung und die volle Tragweite dieser inneren Gefahr haben die Propheten mit voller Klarheit erkannt und sie dem Volke ins Bewußtsein zu rufen versucht.

Die Vorstellungen und Bräuche, die Israel aus seiner halbnomadischen Vergangenheit mitgebracht hat, haben sich daneben noch lange nach seiner Seßhaftwerdung in den Sippen- und Stammesverbänden erhalten. Erst mit der Auflockerung dieser Verbände sind sie allmählich verschwunden1. Die von den Kanaanäern übernommenen kultischen Sitten überdecken und verdrängen diese hergebrachten, älteren Bräuche. Der Umstand, daß Israel vor der Einwanderung manche Elemente der Bauernreligion aufgenommen hat, und die grundsätzliche Verwandtschaft der bäuerlichen und halbnomadischen Naturreligion erschweren eine saubere Trennung dieser beiden Bestandteile des israelitischen Kultus. Es kommt noch der Umstand hinzu, daß das Material in beiden Bereichen das gleiche ist, und daß zwischen beiden kein grundsätzlicher Unterschied besteht. Deshalb besagt die Herkunft eines Ritus an sich wenig, entscheidend ist vielmehr der Bedeutungswandel2. Wie bereits gesagt, hat die Jahwereligion die kultischen Einrichtungen der Kanaanäer übernommen. Das Bewußtsein der Andersartig1 In welchem Verhältnis der Gott der Väter zu den Sippen- und Hausgottheiten, wozu auch die Teraphim gehören, steht, ist schwer zu sagen. Diese Sippenund Hausgottheiten stammen wahrscheinlich aus dem Bereich der Toten- und Geisterverehrung. Vgl. BUBER, Der Glaube der Propheten, S. 33 ff. Dagegen wurde der Gott der Väter mit Jahwe identifiziert. Am wahrscheinlichsten ist es, daß die Verehrung der Sippen- und Hausgottheiten außerhalb der offiziellen Religion, im Kreise der Familie gepflegt wurde. Vgl. I Sam 20 6. Dieses Neben- und Ineinander ist um so wahrscheinlicher, als auch die Elgottheiten keine Bindung an heilige Orte, sondern an Personen und Personengruppen aufweisen. Sie sind also keine Naturgottheiten, sondern zeigen einen Zug zum Geschichtlichen und Sozialen. (So ALT, Der Gott der Väter, S. 41 u. 46, jetzt: Kleine Schriften zur Gesch. d. V. Israel I [1963], S. 39 u. 43; vgl. BUBER, Der Glaube, S. 64—66.) Die Hausgottheiten stehen dagegen der Natur und dem Alltagsleben näher. Ihr Verhältnis zu der El-Religion wäre also ein ähnliches gewesen wie zwischen Jahwe und den Baalen. 2 Vgl. BUBER, Der Glaube der Propheten, S. 28—41. Die Opfertermini pflegen sich sehr zähe zu behaupten, auch wenn ihre ursprüngliche Bedeutung längst vergessen ist und durch eine neue ersetzt wurde. Das ist z. B. bei den Opfergesetzen des D t n und der Priesterschrift ganz deutlich der Fall. Hier ist nicht der Ort für eine systematische Untersuchung der einzelnen Opferarten und ihres Bedeutungswandels innerhalb der Jahwereligion. Dazu siehe W. R . SMITH, The Religion of the Semites. 3. Aufl. London 1927. B. G R A Y , Sacrifice in the OT: its Theory and Practice. Oxford 1926. A. W E N D E L , Das Opfer in der altisraelitischen Religion. Leipzig 1927. W. EICHRODT, Theologie I, S. 61 bis 78. A. BERTHOLET, Zum Verständnis des alttestamentlichen Opfergedankens. J B L 1930. Ders. Der Sinn des kultischen Opfers. ABW. 1943. H. H ROWLEY, The Meaning of Sacrifice in t h e OT. BJRylLib. 33, 1, Manchester 1960.

6. Das Eindringen kanaanäischer Kultbräuche und Vorstellungen

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keit der Jahwereligion ist jedoch nie gänzlich aus Israel verschwunden1. Eine Ahnung davon, daß Jahwe ein über die Natur erhabener Gott ist, dessen unabänderlicher sittlicher Wille für Israel verbindlich ist, blieb bis zum gewissen Grade sogar in der Volksfrömmigkeit lebendig. Wenngleich das Volk in allen seinen Ständen allzu leicht bereit war, mit der Kultur zugleich den Kultus der Kanaanäer zu übernehmen, so blieb es sich doch dessen bewußt, daß manche kanaanäischen Vorstellungen und Sitten mit dem Wesen Jahwes unvereinbar waren. Dieses Bewußtsein wurde von jahwetreuen Kreisen, die sich leidenschaftlich gegen die Überfremdung der Jahwereligion wandten, im Volk wachgehalten. Eine genauere Vorstellung von der Art und dem Umfang dieser jahwetreuen Kreise läßt sich, was die vorprophetische Zeit anbetrifft, schwer gewinnen. Sie treten uns hier und da in ihren hervorragendsten Vertretern, wie Samuel, Elia, Elisa, Nathan, Ahia von Silo, Micha ben Jimla, an besonderen Brennpunkten des Kampfes zwischen der Jahwe- und der Baalreligion entgegen. Die immer wieder unternommenen Versuche, den Kultus im Sinne der strengen Jahwereligion zu reformieren (I. Reg 15 i2f.; 22 47; II. Reg 11; 12 5—ie; 18 4; 22f.), zeigen, daß die Vertreter der streng jahwetreuen Richtung unter der Priesterschaft des Jerusalemer Tempels recht stark waren. Ihre Reformversuche haben kaum etwas direkt mit dem Wirken der Schriftpropheten zu tun. Schon das Vorhandensein einer Überlieferung über die Wirksamkeit der genannten prophetischen Männer spricht dafür, daß sie nicht allein standen, sondern daß es Kreise gab, die sich um sie sammelten und ihre Taten und Worte weitertradierten. Auch die alten Sagensammler und die Geschichtsschreiber legen ein beredtes Zeugnis von dem Vorhandensein und der Wirksamkeit solcher Kreise ab. Die Erzählungsliteratur des AT zeigt, daß es in Israel religiöse und geschichtlich-paränetische Überlieferung auch außerhalb des Kultus gab, und daß sie sogar sehr eifrig gepflegt wurde. Wenn die jahwetreuen Kreise auch gewisse konservative Tendenzen zeigen, so dürfen wir sie mit den grundsätzlich-konservativen Rekabitern nicht identifizieren. Das Ziel der jahwetreuen Kreise war die Durchsetzung des Jahweglaubens unter den veränderten Lebensbedingungen des Volkes und nicht die Konservierung der alten halbnomadischen Lebensweise und Kultur. Das letztere war ja offensichtlich das Ideal, das die Rekabiter anstrebten. Natürlich erschien auch den jahwetreuen Kreisen der einfachere und reinere Kultus der Halbnomaden als weniger anstößig und leichter der Jahwereligion einfügbar. So ist es zu erklären, daß die genuinen israelitischen Traditionen sich vor 1 Zu dem ganzen Abschnitt vgl. bes. J . HEMPEL, Das Ethos des AT. ZAWB 67, 1938, S. 84 u. ö. H c a t t c h k e , Die Stellung der vorexilischen Schrtftpropheten zum Kultus

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allem mit den alten Hirtenfesten verbinden. Die hervorragendste Rolle spielt unter ihnen das Passahfest, ursprünglich ein Hirtenfest zur Segnung der Fruchtbarkeit der Herde. Dieses Fest verbindet die Jahwereligion mit der Auszugstradition. Es wird zur Vergegenwärtigung der Rettungstat Jahwes beim Auszug aus Ägypten umgedeutet. Dieses Fest ist in besonderer Weise zum Träger der jahwetreuen Geschichtstradition geworden und hat später sogar das bäuerliche Naturfest der Gerstenernte (nisan in) an sich gezogen und es ebenfalls historisiert. Das Essen der ungesäuerten Brote wurde zur Erinnerung an die eilige Flucht aus Ägypten umgedeutet. Der ursprüngliche Charakter dieser beiden Feste als Naturfeste tritt zugunsten des heilsgeschichflichen Charakters zurück. Die Verbindung ursprünglich selbständiger Traditionen zeigt schon die verschiedene Benennung niBBn in Ex 23 15; 13 3fl.; 34 18 und nOBH in Dtn 16 3f., 8; Ex 34 25 dieses Festes an. Es wäre genauso verfehlt, diese jahwetreuen Kreise ohne weiteres mit den sozial benachteiligten Kreisen zu identifizieren, denn sowohl in der Frühzeit des Königtums, als auch in der Zeit der großen Propheten finden sich hie und da Anhänger der streng jahwetreuen Richtung auch unter den höheren Ständen, z. B. Jer 26 24. I Reg 18 3ff. Man muß also die jahwetreuen Kreise als eine echt religiöse Bewegung verstehen, die man soziologisch nicht lokalisieren kann, wenngleich die meisten ihrer Anhänger sicher nicht aus den kulturfreudigen, allem Fremden gegenüber offenen, führenden Schichten der Stadtbevölkerung kamen. Ihre ständigen Anhänger waren zahlenmäßig wohl meist recht schwach, und sie vermochten der fortschreitenden Synkretisierung der Jahwereligion aufs Ganze gesehen keinen Einhalt zu gebieten. Dagegen haben wohl einzelne hervorragende Gestalten, die aus ihrer Mitte hervorgegangen sind, es verstanden, weitere Volkskreise für ihre Sache zu begeistern und mitzureißen (Samuel, Elia, Elisa) und in einer konkreten Situation ihre Forderungen durchzusetzen. (II Reg 11 u. die Reform unter Josia.) Die jahwetreuen Kreise sind also nicht als eine Art organisierter Jahwepartei — wie etwa in der Zeit der Makkabäer 1 — zu denken, sondern eher als eine religiös-geistige Strömung, die zeitweise im Verborgenen unter dem Volke wirkt, um an den Brennpunkten der Geschichte an die Oberfläche zu treten und das Volk klar vor die Entscheidung für oder gegen Jahwe zu stellen2. Dem Einfluß des Jahwe1

So EERDMANS, Oudtestamentische Studien IV, 1 The Hebrew Book of Psalms. Leiden 1947. ä Ich teile nicht die fast zum Dogma gewordene Ansicht, daß in alter Zeit geistig-religiöse Bewegungen sich unbedingt in kultischen Institutionen Ausdruck verschaffen müssen. Dagegen spricht die altisraelitische Erzählungsliteratur. Diese jahwetreuen Kreise haben den israelitischen Kultus nicht abgelehnt, aber sie sind für die stärkere Durchdringung des Kultus, des Rechts und der Sittlichkeit vom Geist der

6. Das Eindringen kanaanäischer Kultbräuche und Vorstellungen

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glaubens, der seit Mose eine konstante, an Intensität freilich sehr unterschiedliche Wirkung auf die Volksfrömmigkeit ausübte, ist es dabei zu verdanken, daß Israel die kultischen Einrichtungen und Bräuche der Kanaanäer nicht unbesehen übernommen hatte. So z. B. hat die Verehrung der sterbenden und auferstehenden Vegetationsgottheit keinen Eingang in die Jahwereligion gefunden. Wohl ist uns im AT. dieser Kult bezeugt, aber er tritt immer als ausgesprochener Fremdkult auf und wird auch als solcher empfunden. Die Verehrung Jahwes in der Gestalt des Jungstieres ist kein Gegenbeweis, denn der Stier ist zwar ein Symbol des Fruchtbarkeitskults, das bedeutet aber noch nicht, daß er die sterbende und auferstehende Gottheit darstellt. Vielmehr ist Jahwe im Stier bilde als der Spender der Fruchtbarkeit verehrt worden. Für diese Deutung spricht die Tatsache, daß man im Nordreich mit der Stiergottheit die alten israelitischen Erwählungstraditionen verknüpfte (Ausführung aus Ägypten I Reg 12 28S.)1. Man blieb sich also bei allem Synkretismus der Geschichtsbezogenheit des Gottes Israels durchaus bewußt. Mit der Ablehnung der Verehrung der sterbenden und auferstehenden Gottheit und der dazugehörigen Bräuche verlor der israelitische Kultus etwas sehr Wesentliches. Bedeutet für die Kanaanäer und andere altorientalische Völker der Kultus der sterbenden und auferstehenden Gottheit, wie er besonders im Neujahrsfest seinen Ausdruck findet, eine völlige Erneuerung der ganzen Natur, die mit der Erneuerung der Gottheit selbst beginnt, so ist für Israel diese Möglichkeit ausgeschlossen. Das Zentrum dieses Kultus, eben die sterbende und auferstehende Gottheit, fehlt in Israel. Sie war mit dem Wesen Jahwes unvereinbar 2 . Jahwes Beziehung zur Natur blieb wesentlich anderer Art als die des kanaanäischen Baal. Jahwe blieb, trotz aller naturhaften Züge, der persönliche Geber der Naturgaben. E r blieb über der Natur stehen und wurde nicht zur Personifizierung der Naturkraft. Dieser Umstand nahm den übernommenen Mythen und Riten einen großen Teil ihrer Wirkungskraft. Jahwereligion eingetreten und haben sich gegen die kanaanäischen Einflüsse gewandt. Es ging ihnen also um das Verständnis des Kultus und nicht um seine grundsätzliche Berechtigung in der Jahwereligion. 1 Das Stierbild ist wohl eher als ein Piedestal des unsichtbar darauf stehenden Gottes anzusehen. Es ist sehr zweifelhaft, ob das Volk sich auf die Dauer dieses subtilen Unterschieds bewußt geblieben ist. EISSFELDT, Lade und Stierbild. ZAW (58) N F 17, 1940/41 deutet mit guten Gründen das Stierbild von Bethel als ein altes Jahwe-Symbol aus der Wüstenzeit (Standarte). 2

Vgl. J. PEDERSEN, Canaanite and Israelite Cultus. Acta Orientalia 18, 1933.

2*

III. Das Gottkönigtum und die Königsherrschaft Jahwes i. Einführung Die religionsgeschichtliche Forschung der letzten Jahrzehnte hat uns auf die zentrale Rolle, die das sakrale Königtum in allen vorderorientalischen Religionen spielt, aufmerksam gemacht1. Mit der Gestalt des sakralen Königs — ganz gleich, ob er als die Inkarnation Gottes, als sein Sohn oder sein Auserwählter bezeichnet wird — verbinden sich zahlreiche religiöse Vorstellungskomplexe, die trotz aller Variationen im einzelnen doch eine ziemlich geschlossene Einheit bilden, so daß man von einer gemeinsamen Gott-König-Ideologie sprechen kann. Sie findet ihren Ausdruck in dem kultischen Schema, dem Gott-KönigRitual, in dessen Mittelpunkt der sakrale König steht. Er ist zugleich Repräsentant des Volkes vor der Gottheit und Vertreter der Gottheit gegenüber dem Volke. Kraft seiner göttlichen Abstammung, die im Kultmythos des Thronbesteigungsfestes proklamiert wird, ist der König der Träger und Vermittler der göttlichen Segenskräfte, von dem das Wohl und Wehe des ganzen Volkes und der gesamten Natur abhängt. Es ist nun eine heute heiß umstrittene Frage, ob die Gott-KönigIdeologie und das entsprechende Königsritual von den nach Kanaan 1 J . G. F R A Z E R , Lectures on the early History of the Kingship. London 1905. A. A L T , Gedanken über das Königtum Jahwes. Kl. Schriften B. I, 1953. O. E I S S F E L D T , Jahwe als König. ZAW. (47) NF 6, 1928. K. F. E U L E R , Königtum und Götterwelt in den altaramäischen Inschriften Nordsyriens. ZAW NF 16, 1938. J . M. P. S M I T H , Traces of Emperor-Worship in the OT. AJSL. 39, 1937. N. W. P O R T E O U S , The Kingship of God in the Pre-Exilic Hebrew Religion. London 1938. A. R. J O H N S O N , The Role of the King in the Jerusalem Cultus, in The Labyrinth. Hrsg. S. H. Hooke, London 1935. G. VON RAD, Erwägungen zu den Königspsalmen. ZAW (68) NF 17, 1940/41. Ders. Das judäische Königsritual. ThLZ. 72, 1947. G. W I D E N G R E N , P S . 110 och det sakrala kungadömet i Israel. UUA 7, 1, 1941. Ders. Det sakrala kungadömet bland öst-och väst-semiter. Religion och Bibel. 2. Aufl. 1943. Ders. Das sakrale Königtum im AT. und im Judentum. Stuttgart 1955. I. E N G N E L L , Studies in Divine Kingship in the Ancient Near East. Uppsala 1943. A. B E N T Z E N , Det sakrale Kungadome. Kopenhagen 1946. Ders. Skandinavische Literatur zum AT. ThR NF 17, 1948/49. Ders. Messias, Moses redivivus, Menschensohn. AThANT 17, 1948. C H R . R. N O R T H , The Religious Aspects of Hebrew Kingship. ZAW (50) NF 9, 1932. T. H. G A S T E R , Studies in Divine Kingship. R R . 1945. H. F R A N K F O R T , Kingship of the Gods. Chicago 1948. M. N O T H , Gott, König, Volk im AT. ZThK 47. Jg. 1960. H. J . K R A U S , Die Königsherrschaft Gottes im AT. Tübingen 1961. J . GRAY, Canaanite Kingship in Theory and Practice. VT. II, 1962. J . H E M P E L , Glaube, Mythos und Geschichte im AT. ZAW (65) NF 24. 1954. H. R I N G G R E N , König und Messias. ZAW (64) NF 23,1953. J . R I D D E R B O S , Jahwäh malak. VT. IV. 1 , 1 9 6 4 . J . D E F R A I N E , L'Aspect Religieux De La Royauté Israélite. Rom 1954.

1. Einführung

21

einwandernden Israeliten im vollen Umfang übernommen wurde oder ob es unter dem Einfluß der Jahwe-Religion wesentlich verändert bzw. ganz abgelehnt wurde. Es ist für unsere Fragestellung wichtig, auf dieses Problem einzugehen, denn es hängt ja aufs engste mit der Frage nach der Gestalt des offiziellen israelitischen Kultus der Königszeit zusammen. Natürlich kann dieses Problem hier nicht in seiner ganzen Weite aufgerollt werden. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß es durchaus fraglich ist, ob die Israeliten bei ihrer Einwanderung in Kanaan dort das Königtum noch als eine intakte Größe vorgefunden haben. Aus den Landnahmeerzählungen geht jedenfalls deutlich hervor, daß in vielen kanaanäischen Stadtstaaten die Oligarchie der Adelsgeschlechter das Königtum ersetzt oder Zumindestens seinen Einfluß stark eingeschränkt hat (Jdc 8,5; 9 lff., Jos 9 3ff.). Die aus den Randgebieten der Wüste nach Kanaan eindringenden Völker kennen — jedenfalls in der Anfangszeit — keine dynastische Ordnung, wie das die Königsliste von Edom (Gen. 36 31ff.) und die Anfänge Israels zeigen. Die Dynastiebildung gehört aber zu den unerläßlichen Voraussetzungen für die Übernahme der Gott-König-Ideologie. In der Überlieferung über die Anfänge Israels sind auch keine Motive der Gott-KönigIdeologie zu finden. Selbst Mose, der die wichtigsten Funktionen eines Gottkönigs, nämlich die eines Priesters, Propheten und politischen Führers des Volkes, in seiner Person vereinigt, wird niemals als König bezeichnet. Er tritt nirgends in der Überlieferung als Dynastiegründer oder Herrscher im eigentlichen Sinne hervor, denn neben ihm steht das Ältestenkollegium als selbständiges Regierungsorgan 1 . Mose erscheint vielmehr in der Überlieferung in erster Linie als Prophet und charismatischer Rechtssprecher des Gesamtstämmeverbandes. Sein Amt kann man wohl am treffendsten mit der Bezeichnung »charismatischer Bundesmittler."7X umfaßt also beides, die subjektive, persönliche Wesenseigenschaft des Menschen und ihre objektive, nach außen gerichtete Manifestation. Nicht anders ist ÜBBfy? zu verstehen. Es ist keine abstrakte Größe, sondern bezeichnet den billigen Ausgleich zwischen beiderseitigen Rechten und Pflichten, die sich aus einem Gemeinschaftsverhältnis ergeben. Daher gibt es ÜQBftp Gottes, der Könige, der Priester, der Israeliten und der Fremdlinge usw. Auch dort, wo ÜBltfl? in der Bedeutung »Richterspruch, Strafurteil« vorkommt, bezeichnet es nicht die Auslegung einzelner statuarischer, genau kodifizierter Bestimmungen, sondern positive, die Gemeinschaft aufbauende und erhaltende Tätigkeit; daher geht das Verbum UDttf gelegentlich zur Bedeutung »herrschen« über. Der rechte ÖBBfrp kann also nicht aus der richterlichen Objektivität heraus erteilt werden, sondern aus der rechten Einsicht in die Gemeinschaftsverhältnisse. E r setzt die existentielle Beteiligung des Richters insofern voraus, als auch er innerhalb dieser Gemeinschaft steht und ihre Förderung und Erhaltung zur Aufgabe hat. Ein Satz wie »fiat iustitia pereat mundus« wäre in Israel undenkbar, da das gerade den Sinn des Rechts aufheben würde. BBtPÖ umschreibt häufig die Betätigung der nj?T2S. Im ÖBB??? tritt also auch die persönliche Qualität des Richters und die Intaktheit der ganzen Gemeinschaft in Erscheinung. Nach allem, was wir über die israelitische Rechtsprechung wissen, standen den Richtern, den König natürlich ausgenommen, so gut wie keine Machtmittel zur Verfügung. Ihre persönliche Autorität und der Wille der Gemeinschaft, sich ihrer Entscheidung zu beugen, waren für die Durchführung des Urteils ausschlaggebend. Ein Zustand, der übrigens im Orient noch heute in vielen Gegenden herrscht. Bei Arnos gehören beide, BBB?!? und Hp-Jit, aufs engste zusammen (Am 612 615). öBtfip ist der Ausdruck der n p n S im bürgerlichen Leben. Beide Begriffe werden von Arnos im juristischen Sinne gebraucht (so MAAG a. a. O. S. 229 und 233, Anm. 1).

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V. Die Kulthandlungen

gunsten der einheitlichen sittlichen Forderung aus, im ganzen Leben die rechten Beziehungsverhältnisse, die sich aus der Gemeinschaft mit Jahwe ergeben, zu verwirklichen. Er stellt nicht einzelne Lebensbereiche, etwa Ethik und Recht, dem Kultus gegenüber, sondern entgegen der falschen Beschränkung der Gottesbeziehung auf das kultische Gebiet richtet Jahwe die Forderung auf volle und uneingeschränkte Gültigkeit seines Anspruchs auf den ganzen Menschen neu auf. Entgegen dem rasch fortschreitenden Zerfall der Volksgemeinschaft und der sie regelnden Beziehungsbestimmungen, verlangte der Wille Jahwes die Wiederherstellung der npT"rs als der Lebensgrundlage der Gemeinschaft in allen ihren Beziehungen. Freilich läßt es sich nicht leugnen, daß Arnos den Kultus, so wie er nun konkret bestand, nicht als den Ort ansah, an dem die njnx realisiert wurde und überhaupt realisiert werden konnte 1 . Seine Beschaffenheit war derart, daß er die Ausübung der eher behinderte und verdunkelte als förderte. Die meisten israelitischen Kultbräuche gehörten ja nicht zu genuinen Bestandteilen der mosaischen JahweReligion, sondern waren teils vormosaischer, teils kanaanäischer Herkunft. Das natürliche, durch seine Herkunft gegebene Schwergewicht des israelitischen Kultus tendierte zur Naturreligion hin und schuf ein falsches Vertrauen auf den Schutz Jahwes. Der Gottesdienst war für das Volk ein Instrument zur Heilssicherung. Deshalb wird er auch von Arnos beiseite geschoben. Mit beginnt also die Formulierung der positiven Forderungen Jahwes. Vä? ist mit den meisten Auslegern als Jussiv Niphal von V?a = »fluten, sich einherwälzen« zu verstehen. 2 Den Sinn von v. 24 "T

hat bereits ORELLI richtig erfaßt: »Statt Opfer in Fülle zu bringen, wälze sich vielmehr Recht und Gerechtigkeit daher, nicht launisch und darum bald versiegend, sondern wie ein unversieglicher Bach, dem auch in der heißen Sommerzeit aus seiner Quelle Wasser reichlich zuströmt«. Die andere Auffassung, die z. B. von SELLIN (Kommentar zum A T z. St.) und WEISER (ATD z. St.), aber auch schon von KEIL und HITZIG vertreten wird, ist folgende: v. 24 wird hinter v. 25 gesetzt, Vi?} als Indik. Futurum verstanden, und np>lS und BStfn beziehen sich auf das göttliche Gericht und die göttliche Gerechtigkeit. Mit Vjn beginnt die Strafandrohung, die in v. 26f. ihre Fortsetzung findet. Bei dieser Auffassung ist zwar ein geschlossenes Verständnis 1 Ähnlich MAAG a. a. O. S. 226f. * CRAMER, Arnos S. 34 leitet es von HT1?! = »hervorbrechen« ab, weil W -äT das T

Vorhandensein von

und DQtfD voraussetzen würde. Jedoch läßt der N i p h a

vcn pj'jj ebenfalls an ein Inerscheinungtreten von bereits Vorhandenem denken.

81

2. Amos

des ganzen Abschnitts Am 516-25 gewährleistet. Dennoch ist diese Auffassung m. E. kaum haltbar, weil H ^ S und üBttfa bei Arnos sonst nicht in diesem Sinne gebraucht werden, und vor allem wegen der Parallele zu Jes 1 i6f., die eindeutig den adversativen Sinn fordert. Bei der großen sprachlichen Verwandtschaft der beiden Stellen hat dieses Argument ein großes Gewicht (vgl. noch Jes 48 18). Demgegenüber kann Jes 28 17 nicht angeführt werden. Da ist nur vom Gericht Jahwes und nicht von seinen Forderungen an den Menschen die Rede. In Am 5 23 dagegen ist bereits eine negative Forderung enthalten, die durch die positive in v. 24 ergänzt wird. Die Behauptung WEISERS (a. a. 0 . z. St.), die Forderung in v. 24 sei zu allgemein und zu unpersönlich und passe nicht zu dem Zornesausbruch Jahwes, ist unzutreffend 1 . Die Bilder von v. 24 heben die Radikalität der göttlichen Forderung stark hervor. v. 25 gibt die weitere Begründung zu v. 21-23. Der Singular nni)? fällt gegenüber dem Plural n,ri3T auf, braucht aber deshalb noch keine Interpolation zu sein (so MARTI, NOWACK U. a.). Die Lesart der L X X

(so SELLIN) rrin?» hat viel für sich 2 .

Ich sehe keinen zwingenden Grund, Vinte? Iva

O'sa'iS zu

streichen (so NOWACK, MARTI) oder zu ändern 3 . Der Satz ist als Frage an das Volk gerichtet und setzt offensichtlich voraus, daß dieses mit einem glatten »Nein« antworten wird. Alle Versuche, an diesem Nein vorbeizukommen oder es abzuschwächen, sind sehr gekünstelt und verdunkeln die Klarheit und Eindeutigkeit der prophetischen Worte, die ja gerade in der Auseinandersetzung mit der Volksfrömmigkeit überaus unmißverständlich sein müssen. Einige dieser abschwächenden Deutungsversuche seien hier als Beispiele angeführt. OESTERLEY, Sacrifices S. 196 setzt unter Berufung darauf, daß das n-interrogativum eine bejahende Antwort zuläßt (vgl. G. K. § 160d), folgenden Gedankengang voraus: Die Frage des Propheten: »Haben nicht eure Väter mir Opfer dargebracht, die mir annehmbar waren, weil sie in Treue und Aufrichtigkeit dargebracht wurden? Vorausgesetzte Antwort des Volkes: Ja!« Arnos wolle damit seinen Hörern sagen: »Warum denn bringt ihr Opfer dar, die wegen eurer Sünden und wegen eurer falschen Vorstellung für euren Gott Jahwe wertlos und unannehmbar sind« ? Dabei drängt sich nun die Frage auf, warum Arnos das alles nicht sagt. Anders versucht LATTEY1 die Schwierigkeit zu beseitigen. Er nimmt zwar als die 1 Zur Gegenüberstellung von Gerechtigkeit und Kultus gibt es Parallelen in der ägyptischen Spruchweisheit. Vgl. GRESSMANN, Die neugefundene Lehre des Amenemope und die vorexilische Spruchdichtung, ZAW 42, N. F . 1, 1924, S. 286f. 2 CRAMER, Arnos S. 34 liest beides als Singular. 3 SIEVERS-GUTHE, ASG 23, 3, 1907, Arnos z. St. lesen flliT 'IIN "löN. T : T - T 4 C. LATTEY, Prophets and Sacrifice; A Study in Biblical Relativity; JThSt. 42, 1961, S. 1 5 5 - 1 6 5 .

H c n t s c h k e , Die Stellung der vorezilischen Schriftpropheten zum Kultus

6

82

V. Die Kulthandlungen

erwartete Antwort ein »Nein«, aber ein relatives »Nein« an Sinn wäre dann folgender: Man hat wohl in der Wüstenzeit diese Opfer waren genau so unannehmbar, wie die zu Zeiten fassung läuft darauf hinaus, auf das in v. 25 den Hauptton

(a. a. O. S. 164). Der Jahwe geopfert, aber des Arnos. Diese Aufzu legen 1 . Amos hätte

sagen wollen, daß Jahwe die Opfer gar nicht als ihm dargebracht betrachtet. Dagegen spricht schon die betonte Voranstellung von D'nnT mit der Fragepartikel. LATTEY stützt seine Auffassung vor allem auf die Beobachtung des gelegentlichen relativen Gebrauchs der Verneinung in der Bibel (a. a. O. S. 165). Wenn sich auch in der T a t solcher Sprachgebrauch nachweisen läßt, so sind die Konsequenzen, die LATTEY daraus zieht, in dieser Verallgemeinerung falsch. Mit Hilfe dieser Interpretation könnte man fast alle Antithesen in der Bibel in ihr Gegenteil verkehren oder auf eine gemäßigte Mittellinie bringen, was auch LATTEY weitgehend tut. Damit verkennt er aber den Grundcharakter der Prophetie genau so wie den der Verkündigung Jesu. I n der unmittelbaren Nähe Gottes, in die sie sich und ihr Geschlecht gestellt sahen, gab es kein »sowohl als auch«, kein vorsichtiges Abwägen. Alles was dem göttlichen Anspruch im Wege stand, mußte hinweg. Diese Schärfe des prophetischen Widerspruchs darf nicht durch spitzfindige Deutung, die sich auf Beobachtungen aus dem Bereich der Bildsprache stützt, abgeschwächt werden. Die Propheten haben wirklich das gemeint, was sie sagten! Nicht viel anders steht es u m WHEELER ROBINSONS I n t e r p r e t a t i o n s v e r s u c h 8 . Aus der P a r a l l e l i t ä t

zwischen

dem prophetischen Symbolismus und dem Symbolismus der Opferhandlung — dabei werden die Schriftpropheten in den Bereich des Kultus hineingenommen, was sehr anfechtbar ist — nimmt ROBINSON an, daß die Propheten lediglich das Opfer als opus operatum bekämpften und daß es für sie nur auf den Geist ankam, in dem die Gabe dargebracht wurde. Der Überbetonung des Kultus stellen sie die einseitige Betonung der Gerechtigkeit entgegen. Sie sagen nur » Gerechtigkeit« und meinen dabei »nicht nur Kultus«, sondern beides zusammen. Opfer, verbunden mit Gehorsam, sind Jahwe angenehm. Der Charakter des Kultus muß verwandelt werden. Dabei übersieht ROBINSON, daß die Propheten sich nicht im geringsten darum bemühen, das Verständnis der kultischen Handlungen zu ändern und es der Jahwereligion, wie die Propheten sie verstanden, anzupassen. Liegt es angesichts dieses Umstandes nicht näher anzunehmen, daß für Amos und seine Zeitgenossen das opus operatum, und was man sonst noch an Entartungen der Opferpraxis nennen mag, so unlösbar mit dem Opferkult verbunden war, daß man sich gar nicht das eine ohne das andere denken konnte ? Die Polemik der Schriftpropheten und die Kenntnis der Naturreligionen bestätigen dieseAnnahme. Genausowenig überzeugend wirkt der Versuch WÜRTHWEINS3, dadurch zu einem neuen Verständnis von Am 6 21-25 zu kommen, daß er den v. 25 streicht und vv. 21-23 als eine Tora auf Grund der Opferschau ansieht. Daher soll hier kein grundsätzlich gemeintes, sondern nur für den Augenblick bestimmtes Wort vorliegen. Angesichts des bevorstehenden Gerichts verliert dieses konkrete Opfer jetzt seine ihm an sich zukommende Bedeutung. Jahwe hat die Beziehung zu Israel abgebrochen. ift> ) t3 , 3N l Ò l So HERTZBERG, Die prophetische Kritik am Kult, T h L Z 75, 1950, S. 223. H . W . ROBINSON, Hebrew Sacrifice and Prophetie Symbolism, J T l i S t 43, 1942, S. 133 und 137. 1 2

8

E . WÜRTHWBIN, A m o s 6 2 1 - 2 7 , T h L Z 72, 1 9 4 7 ; v g l . MAAG a . a . O . S . 2 2 2 f f .

und 227.

83

2. Amos rr-iN ü b

sind Ausdrücke momentaner Affektäußerungen Jahwes und nicht

seiner grundsätzlichen Einstellung. Dagegen muß eingewandt werden, daß die Imperfekta allein ohne nähere Bestimmung durch entsprechende Zeitpartikel diesen Sinn nicht haben können. Außerdem widerspricht diese Überbetonung des Affekts in der Gottesvorstellung dem Gottesbegriff des Arnos, der den Willen Jahwes, der Israel offenbart wurde, durchaus als einen einheitlich, zielbewußt ausgerichteten, sittlichen Willen kannte. In den Affektäußerungen Jahwes kommt seine grundsätzliche Haltung zum Ausdruck.

Vielmehr glaube ich, daß andere Forscher wie MARTI, NOWACK, NORTH und MAAG das Richtige treffen, wenn sie hier die Überzeugung des Arnos (nota bene als Wort Jahwes vorgetragen) herauslesen, Israel habe in der Wüstenzeit keine Opfer dargebracht. Dies Urteil kann man nicht auf einen bestimmten Ritus einschränken, da mit n?t und nnia zwei ganz verschiedene Opferarten genannt sind. Mit ihnen fallen die beiden hauptsächlichen Möglichkeiten des Opfer Verständnisses der israelitischen Religion und damit der gesamte Opferkult unter das gleiche prophetische Urteil, v. 25 zeigt, daß Arnos die Tradition vom 40jährigen Wüstenaufenthalt wohl bekannt war. Sie wurde ja an den Wallfahrtsheiligtümern des Nordreiches gepflegt. Genau wie Hosea ( I i i 13s) und Jeremia (2 2) schätzt er die Wüstenzeit als die Idealzeit der Jahwereligion (vgl. Am 2 10), in der das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk durch n j n s bestimmt war, obwohl keine Opfer Jahwe dargebracht SELLIN, W E I S E R , CRAMER, VOLZ

wurden. Diesen Rückgriff auf die Ur- und Idealzeit des Volkes und der Jahwereligion bei Arnos muß man m. E. im Zusammenhang mit der Tendenz aller Religionen, die religiösen Einrichtungen und Bräuche in die Anfänge des Volkes zurück zu projizieren, sehen. Besonders beliebt war dieser Rückgriff auf die Urzeit in den tepol A6yot der Heiligtümer. Dabei verfuhr man nicht streng historisch, sondern trug im Gewände der Geschichtserzählungen neue Ideen vor, die aktuelle Bedeutung hatten, und deren Durchsetzung in der Gegenwart die Tradenten wünschten. Die Kult- und Festlegenden waren dafür besonders geeignet, weil sie durch den kultischen Vortrag weite Volkskreise erreichten. Bei der Vielzahl der Heiligtümer ergibt das ein recht buntes Bild, das wir noch teilweise aus der alttestamentlichen Überlieferung rekonstruieren können. Diesen Lokaltraditionen gemeinsam war die Zurückführung der Entstehung der gerade an den betreffenden Heiligtümern geübten Kultbräuche auf die Urzeit. Als solche bevorzugen sie die Erzväter- und die Landnahmezeit. Nur der gesamtisraelitische Kult, in dessen Mittelpunkt die Lade stand, und das mit ihm aufs engste verknüpfte sakrale Recht der zwölf Stämme 1

P. VOLZ,

Prophetengestalten

im

AT,

1938,

S. 1 4 9 — 1 6 1 ;

CHR. NORTH,

Sacrifices in the OT, ET 47, 1936, S. 132. 6*

84

V. Die Kulthandlungen

zeigen stärkere Berücksichtigung der Mosezeit. Gegenüber diesen Kultlegenden der verschiedenen Lokalheiligtümer greifen die Propheten mit einem bewußt andersgearteten Geschichtsbild auf die Auszugsund Wüstentradition zurück, während ihnen die Landnahmezeit im allgemeinen — in Antithese zu der priesterlich-kultischen Überlieferung — als die Zeit des Abfalls gilt. An der Auszugs- und Wüstentradition betonen sie besonders die Elemente, die ihnen für die Gegenwart wichtig erscheinen, den Gehorsam, die Gerechtigkeit, die Liebe, die Alleinherrschaft Jahwes, also alles Bezeichnungen, die den Bund zwischen Jahwe und seinem Volk als ein sittlich-personhaftes, sich im Räume der Geschichte abspielendes Verhältnis umschreiben. Bei aller individuellen Variation dieser Themen handelt es sich offensichtlich um eine prophetische Tradition, die man kurz in ihren wichtigsten Punkten skizzieren kann: 1. Erwählung des Volkes und Hinausführung aus Ägypten. 2. Die wunderbare Führung durch die Wüste als die ideale Brautzeit des Volkes, d. h. das Volk antwortet auf die Heilstaten Jahwes mit Gehorsam und Liebe. 3. Verleihung des Landes als Heilsgabe Jahwes und der Abfall des undankbaren Volkes. 4. Gericht, in dem das empirische, ungehorsame Israel vernichtet wird, und schließlich 5. Der Glaube an eine dem Gericht folgende Wiederherstellung Israels als einer vollkommenen Neuschöpfung Jahwes. Ihr folgt eine Zeit der dauernden, durch die Sünde ungestörten Gemeinschaft zwischen Jahwe und seinem Volk. Diese Wiederherstellung wird gelegentlich bei den Schriftpropheten als die Rückführung in die Wüste geschildert1. Formal gesehen, haben wir es also bei den Propheten mit dem gleichen Schema wie im Kultus zu tun. Ideale Urzeit am Anfang und die ihr entsprechende Endzeit. Inhaltlich 1

Zu der Bedeutung der israelitischen Geschichtstraditionen f ü r die Verkündigung des Arnos siehe MAAG a. a. O. S. 220—223. Allerdings kann ich MAAGS Ausführungen in diesem P u n k t nicht folgen. E r leitet das Geschichtsbild des Arnos ausschließlich aus der archaischen und z. T. den tatsächlichen Geschichtsverlauf stark vergröbernden Überlieferung des Landvolkes der rückständigen, südjudäischen Gebiete ab und berücksichtigt die Geschichtstraditionen des oppositionellen Prophetentums gar nicht. Man kann m. E. an ihnen nicht vorbeigehen. Eine so sehr am politischen Leben beteiligte Bewegung wie der ältere Nebiismus und die ihn in mancher Beziehung fortsetzende Schriftprophetie m u ß auch eigene Geschichtsüberlieferung gepflegt haben. Daß dies auch wirklich der Fall war, kann man an der Stellung der oppositionellen Nebiim zum Königtum, die sich auch die Schriftpropheten zu eigen gemacht haben, besonders gut sehen. Auch die Verwandtschaft in der Haltung zum Kultus unter den vorexilischen Schriftpropheten zeigt, daß sie auch hier bestimmten Traditionen folgten. Diese wurden von den Schriftpropheten, ihrem individuellen Auftrag entsprechend, abgewandelt, doch in den Grundzügen sind bei allen Schriftpropheten Gemeinsamkeiten der Geschichtsauffassung vorhanden. Geschichte dient ihnen — wie ü b e r h a u p t in der ganzen Antike — zu programmatischen Zwecken.

2. Amos

85

sind sie sich jedoch diametral entgegengesetzt und zwar in folgenden Punkten: 1. Die Urzeit dient nicht als Legitimierung der gegenwärtigen Institutionen und Bräuche, sondern als Ausgangspunkt der prophetischen Kritik. 2. Die gegenwärtigen Verhältnisse stellen keine geradlinige Fortsetzung der Verhältnisse der Urzeit dar. Der Zusammenhang zwischen der Urzeit und der Gegenwart wird nicht durch den richtigen Vollzug des Kultus und die damit verbundene, schöpferische Wiederholung der Heilsereignisse der Urzeit garantiert, sondern zwischen Urzeit und Gegenwart liegt der Bruch, der durch den Abfall des Volkes in Kanaan verursacht wurde. 3. Der Tag Jahwes, der im Kultus als der Tag des Heils für Israel erwartet und herbeigesehnt wurde, ist für die Schriftpropheten ein Tag des Gerichts über Israel. 4. Die Rückkehr der wunderbaren, idealen Urzeit in der Endzeit wird nicht dem gegenwärtigen, empirischen Volk in seinem Sosein verheißen, sondern einem neuen Israel, das durch Jahwe neu geschaffen werden soll. Um seiner selbst und um der Unverbrüchlichkeit der Verheißungen willen schafft Jahwe eigens die für ein ungestörtes Verhältnis zu ihm notwendigen Voraussetzungen, die das empirische Israel nicht erfüllt hat. Deshalb behält das Gericht seinen furchtbaren Ernst. Es trifft das Volk in seiner Gesamtheit. Die Wiederherstellung ist nicht eine innergeschichtliche Notwendigkeit, sondern eine von den Propheten geglaubte freie Möglichkeit Gottes. 5. Das Verhältnis zwischen Gott und Volk war nach Ansicht der Propheten grundsätzlich anders geartet als das der Kultreligionen. Es ist ein personhaftes, sittlich bestimmtes Verhältnis mit einer Vielzahl von Möglichkeiten, wie Erwählung — Gehorsam, Abfall — Verwerfung, Neusetzung — Gehorsam, die alle zu bestimmten geschichtlichen Augenblicken verwirklicht wurden oder werden sollten. Auch die Urzeit liegt nicht im mythischen Dunkel, sondern stellt einen bestimmten historischen Zeitpunkt der Geschichte Israels dar. Demgegenüber setzt der Kultus eine fortwährende, ungebrochene Verbindung zwischen Gott und Volk voraus. Die Störungen durch die Sünde werden durch den richtigen Vollzug entsprechender Kulthandlungen beseitigt. Einmal in der Urzeit mit der Stiftung des Rituals begründet, währt dieses Verhältnis in der Gegenwart fort und geht seiner Vollendung in der Endzeit entgegen. Der Kultus ist ein Teil der himmlischen Welt oder des Eschaton. Mit ihm ragt die ewige, göttliche Welt in die empirische Wirklichkeit hinein. Dabei liegt der Ton durchaus auf der Vergegenwärtigung des Heils im Kultus. In ihm wird das ständige Wohnen Gottes im Heiligtum zum Bewußt-

86

V. Die Kulthandlungen

sein gebracht. In der priesterlichen Kultreligion ist das Gottesverhältnis mehr statisch-sakramental und zeitlos als geschichtlich gefaßt. Im Ritus wiederholen sich die grundlegenden Heilstaten immer aufs neue; sie sind in ihm präsent. Ein personhaftes Geschehen, wirkliche Geschichte im Verhältnis zwischen Gott und Volk liegt diesem Denken fern. Aus dieser Antithese ist die Behauptung des Arnos und Jeremias zu verstehen, die Wüstenzeit habe keine Opfer gekannt. So wie Arnos das Verhältnis zwischen Jahwe und Israel sah, war es in der Tat auch ohne Opferkult möglich. Wenn er auch rein historisch gesehen nicht im Recht war, da Israel in der Mose- und Wüstenzeit zweifellos Jahwe geopfert hatte, so hatte er das innerste Wesen der mosaischen Jahwereligion insofern richtig erfaßt, als sie das Verhältnis von Gott und Volk in dem gleichen Sinne verstand wie er. Auch in der Mosezeit ist Jahwe ein persönlich in der Geschichte handelnder Gott, dessen Herrschaftsbereich sich auf das ganze, vornehmlich auf das sittlich-soziale Leben des Volkes erstreckt. Der Kultus war auch in ihr kein spezifischer oder zentraler Ausdruck der Jahwereligion. Ein Gottesdienst wie in der Königszeit — und nur ihn und nicht den Kultus überhaupt hat Arnos im Auge — war tatsächlich mit der mosaischen Jahwereligion unvereinbar. Um historische Genauigkeit haben sich die Propheten genausowenig gekümmert wie die priesterlichen, deuteronomischen oder chronistischen Bearbeiter der Tradition. Aus der Überzeugung heraus, daß Jahwe, wie er sich ihm offenbart hatte, der gleiche Gott ist, der Israel aus Ägypten geführt hatte, erkennt Arnos nur die Traditionen an, die mit dem ihm vertrauten Willen Jahwes übereinstimmen 1 . Er prüft die Überlieferung am Maßstab der ihm zuteil gewordenen Offenbarung und leugnet von da aus die Existenz des Opfers in der Anfangs- und Idealzeit der Jahwereligion. Arnos erwartet natürlich, daß das Volk mit ihm darin übereinstimmen werde, denn es sollte ja den Willen Jahwes kennen. Es ist sicher anzunehmen, daß die Antwort des Volkes auf die Frage Am 5 25 ein glattes Ja gewesen wäre. Das ändert jedoch nichts an der Überzeugung des Arnos. Wir haben also hier mit dem nicht seltenen Fall zu tun, daß die Propheten an die nach ihrer Überzeugung dem ganzen Volke gemeinsamen, elementaren Glaubensvorstellungen der Jahwereligion appellieren und dann feststellen müssen, daß diese gar nicht mehr im Volk lebendig sind, vielmehr als neu empfunden werden. Es ist für die Propheten geradezu charakteristisch, daß sie nichts Neues bringen wollen, sondern nur den alten, längst bekannten Willen Gottes verkündigen, und doch wird dieses Alte in ihrer Bot1

Vgl. MOWINCKEL, Die E r k e n n t n i s Gottes bei den alttestaraentlichen P r o pheten, N T T 42, 1941, S. 32, 35.

87

2. Amos

schaft zu etwas Neuem 1 . Die Tatsache, daß das Volk sich soweit vom wahren Jahweglauben entfernt hat, daß es gar keine gemeinsame Glaubensgrundlage und Begrifflichkeit mit den Propheten mehr besitzt, gehört zu ihren schmerzlichsten und erschütterndsten Erfahrungen. Sie führt schließlich zu der Überzeugung, daß das empirische Israel nur noch das Gericht verdient hat. Nach dem Gesagten kann also m. E. kein Zweifel daran bestehen, daß Arnos den zeitgenössischen Kultus per se ablehnte 2 . Die letzte Amosstelle, die noch in diesem Zusammenhang untersucht werden muß, ist Am 5 26-27. v. 26 gehört zu den meist umstrittenen Stellen im AT. Von den zahlreichen Konjekturen und Deutungen dieses Verses scheint mir die futurische', entsprechend dem folgenden DrpVini in v. 27 (vgl. G.-K. § 112x), Übersetzung des perf. cons. die richtige zu sein. Gegen die präteritale Übersetzung wird mit Recht geltend gemacht: 1. Sprachliche Bedenken gegen eine Fortsetzung gegensätzlicher Art von DiWan in v. 25. 2. Der Vorwurf des Götzendienstes p a ß t nicht als Beweis f ü r die Verurteilung des Jahwe dargebrachten Kultes — denn darum geht es in Am 5 21-25. Außerdem ist sonst bei Arnos die Polemik gegen die Verehrung fremder Götter nicht belegt. 3. Die präteritale Auffassung stützt sich auf die falsche Betonung des in v. 25. Sind diese Bedenken gegen die präteritale Übersetzung, wie sie z. B. M A R T I und N O W A C K aus sprachlichen und sachlichen Gründen geltend machen, sehr schwerwiegend, so lassen sich die Einwände gegen die futurische Deutung m. E. leicht beheben. Die Streichung der vv. 26 und 27 (so M A R T I und N O W A C K ) ist nicht notwendig. Wenn ich auch die Umstellung des v. 25 hinter v. 23 und die Deutung von v. 24 als Anfang des Drohwortes (so S E L L I N und W E I S E R ) nicht als richtig ansehe, so glaube ich, daß S E L L I N S Konjektur-Vorschlag für den v. 26 richtig ist. Er f a ß t v. 26 als Drohwort a u f 4 und übersetzt DfiiWll »Ihr werdet hinweggetragen« (vgl. Am

4 2).

Das folgende

FLNT

übersetzt

SELLIN

als »mit«. Ferner ist mit

SELLIN

riSD (G.) = »Hütte« zu lesen. Als Bezeichnung für die geschwächte (rP3 = ) Dynastie (so auch Am 7 9) wäre es im Hebräischen nicht ungewöhnlich. JVS ist genauso wie die Umpunktierung von D3D zu JTDD — nach Slpl^ — die Ergänzung eines späteren Lesers, der aus II Reg 17 30 wußte, daß die Samaritaner Ninib — Saturn verehrten 6 . Vom Eindringen assyrisch-babylonischer Kulte zur Zeit des Arnos wissen wir nichts, es ist auch nicht wahrscheinlich. Ebenfalls wäre das 3D13 als erklärende Glosse zu streichen. Dann bliebe ein Doppeldreier übrig: DD1? DrPB>_57 "itfN 0 ? i n i 7 ^ - n K 1 D33 1 ?» n 3 0 _ r i K DnKtWV Unter 1

2 Vgl. M O W I N C K E L a. a. O . S . 9 . Vgl. M A A G a. a. O . S . 225ff. Siehe die ausführliche Zusammenstellung der in Frage kommenden Möglichkeiten bei M A R T I und bei S E L L I N . 4 5 So auch G R E S S M A N N , W E I S E R , R O B I N S O N . Beide Götternamen Sakkut und Kaivan kommen nebeneinander in assyrischen Texten vor. 3

88

V. Die Kulthandlungen

w n V x wäre dann das »Kalb« von Bethel I Reg 12 28 zu verstehen, worauf die Nennung des Königshauses hinweist. Beiden, dem Königshaus und dem von ihm eingeführten Stierkult — der ja Jahwekult sein will — wird die Verbannung und damit der Untergang angedroht1. Durch diese Deutung entgeht man gut den Hauptschwierigkeiten, die sonst bei der futurischen Übersetzung entstehen: 1. die Sieger und nicht die Besiegten pflegen die erbeuteten Götterbilder fortzutragen; 2. die bei Arnos ungewöhnliche und in den Zusammenhang nicht passende Erwähnung der Fremdkulte. Ob in v. 26 eine Anspielung auf kultische Festprozessionen vorliegt, bleibt fraglich 2 . v. 27 ist Fortsetzung der Drohung. Jahwe erscheint nun selbst als handelndes Subjekt. Zu streichen ist nur "TftK und iötf. Der Ort der Verbannung ist absichtlich sehr allgemein angegeben.

Hinter dem im Untergang befindlichen Aramäerreich steigt die größere Gefahr, das Assyrerreich, auf. E s bleibt noch der Zusammenhang des Drohwortes Am 5 26-27 mit dem Vorhergehenden näher zu bestimmen. Da ich die Umstellung des v. 25 aus oben dargelegten Gründen nicht für richtig halte, sehe ich diesen Zusammenhang als einen sehr losen an. Mit der Frage in v. 25 überläßt Arnos seinen Hörern die weiteren Folgerungen für ihr kultisches Treiben. Abrupt und jede weitere Beweisführung abbrechend, wirft er ihnen als die letzte Antwort Jahwes auf den ihm widerlichen Kultbetrieb einen Unheilsspruch entgegen. 3. Hosea Hos 6 6 zeigt gegenüber dem ähnlichen Amosspruch (Am 5 2iff.) eine gewisse Abschwächung des Ausdrucks. Brach bei Arnos der Unwille Jahwes über den israelitischen Kultus in leidenschaftlichen Ausdrücken wie »ich hasse, ich kann nicht ertragen, hinweg« usw. aus, so heißt es hier nur »ich habe kein Gefallen«. Der Ton liegt dabei mehr auf der positiven Forderung von Ton und D,nVN nsn. Immerhin hat das )!? vor niVs? privativen und nicht comparativen Sinn, was das parallele ii\> in der ersten Vershälfte fordert 3 . E s werden hier also klar 1 Ganz ähnlich wie S E L L I N legt auch W E I S E R diese Stelle aus, nur liest er D?3"?Ö niDBÖ und D3 1 ? DIVS® "itfX D'öVjt nijtl — was doch tiefere Eingriffe in den 2 Siehe S. 25f. Konsonantentext erforderlich macht. 8 So M A R T I , S E L L I N , N O W A C K , T H . H . R O B I N S O N , W E I S E R u. a. Dagegen L A T T E Y , The Prophets and Sacrifice S. 1 6 0 ; O E S T E R L E Y , Sacrifices S. 1 9 9 ; J . A . C O L E R A N , The Prophets and Sacrifice, ThSt. 6, 1 9 4 4 , S. 4 2 7 verstehen es als |Ö comparativum und übersetzen »more than, rather than« = mehr als. Sie schließen daraus auf das in der ersten Vershälfte zurück und übersetzen es als relative Negation. Dieses Verfahren ist gerade bei einem mündlich vorgetragenen Prophetenspruch unhaltbar.

3. Hosea

89

•TOp und DTi1?« rsn dem gemeinschaftlichen Mahlopfer rDT, bei dem der communio-Gedanke bestimmend ist, und dem Brandopfer n^i;, worunter im Unterschied zu rut ein Ganzopfer gemeint ist, gegenübergestellt. Die Hauptschwierigkeit unserer Stelle liegt in ihrer Kürze und in der Unsicherheit über die Situation, in der dieses Wort gesprochen wurde. Die voraufgehenden Verse sind sowohl hinsichtlich ihres sachlichen Zusammenhangs als auch hinsichtlich ihrer Textgestalt reichlich umstritten. I m wesentlichen kann die von A. ALT1 vorgeschlagene und mit einigen Abweichungen von vielen Forschern akzeptierte 2 Lösung als die richtige angesehen werden. Demnach ist die genannte Perikope aus der Situation des syrisch-ephraimitischen Krieges zu verstehen. Der Prophet steht über den beiden Parteien, aber nicht als ein objektiver Zuschauer (so SELLIN), sondern er betrachtet sie gemeinsam sub specie dei. Er hält ihnen ihre Sünde vor. Daher gilt beiden die gleiche Tora (Hes 6 4-E). Die Perikope zerfällt in mehrere kleinere Einheiten, die aber sachlich miteinander verbunden sind: 5 8-io. li-H 5 15— 6 6. Der geschichtliche Anlaß ist die Notlage, in der sich das Nordreich befindet, als Assur nach der Eroberung von Damaskus zum letzten Schlag gegen es ausholt, andererseits aber Juda seine Grenzgebiete überfällt (Hos 5 8-10). Vielleicht deuten die vv. 10-14 auf die bereits erfolgte Kapitulation gegenüber Assur und ihre Folgen hin (so WEISER z. St.). Es ist nicht richtig, Hos 6 1-0 als eine zeitlose, aus dem Kultus übernommene Liturgie zu betrachten, denn darüber, daß solche Jahweworte wie Hos 6 4-6 im Munde eines Kultpropheten und erst recht in einer Agende undenkbar sind, besteht nach allem, was wir über die Kult- und Volksfrömmigkeit wissen, kein Zweifel. Daher liegt m. E. in Hos 6 1-6 nicht ein Teil der Liturgie aus dem Kult der sterbenden und auferstehenden Gottheit vor 3, sondern in 6 1-3 werden liturgische Wendungen aus einer kultischen Büß- und Trauerversammlung anläßlich der jetzt einbrechenden nationalen Katastrophe angeführt, denen — ebenfalls nach liturgischem Schema — ein Gotteswort folgt (Hos 6 4-e). Dieses Wort geht offenbar nicht auf ein agendarisches Vorbild zurück, sondern ist direkt von Jahwe eingegeben, 1

A. ALT, Hosea 6 8 - 6 0 , N K Z 1919, S. 537-68.

2

SELLIN und HANS SCHMIDT (SELLIN-Festschrift, L e i p z i g 1927, S. 111—126),

nur sieht SCHMIDT in Hos 61-6 eine »Liturgie«, die überzeitlich ist und daher keiner Erklärung aus der Situation des syrisch-ephraimitischen Krieges bedarf; ähnlich WEISER, A T D z. St. BUDDE zerlegt Hos 0 8 — 6 « in zwei Einheiten: 68-10 um 734, 6 11 — 6 i bald nach 738; TH. H. ROBINSON, Handbuch zum A T , zerlegt es in mehrere selbständige Einheiten. » So BAUDISSIN, Adonis und Esmun, 1911, S. 403—16 und H. G. MAY, T h e Fertility Cult in Hosea, A J S L 48, 1931/32, S. 7 3 - 9 8 .

90

V. Die Kulthandlungen

kann also nicht als Beweis dafür gelten, daß Hosea ein Kultprophet war. Haben wir in der Schriftprophetie auch literarisch gesehen nicht den Anfang, sondern den Höhepunkt des israelitischen Prophetentums vor uns 1 , so ist damit zu rechnen, daß die gleichzeitigen Kultpropheten bereits stark an agendarische Verlautbarungen gebunden waren. Dagegen zeigen die Schriftpropheten eine große Unabhängigkeit von den gegebenen literarischen Vorbildern, nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form ihrer Verkündigung. Sie halten sich nicht an feste, gegebene Stilformen, sondern wandeln und kombinieren sie frei, je nach den Bedürfnissen des Augenblicks. Betonen BAUDISSIN, MAY und H. SCHMIDT mit Recht, daß hinter dem Bußpsalm Hos 5 13—63 die naturhafte Gottesvorstellung der Baalreligion mit der als sterbende und auferstehende Gottheit personifizierten Natur kraft steht, so darf dabei nicht übersehen werden, daß Hosea gerade gegen diese Auffassung ankämpft. Er ist darüber empört, daß man das Wirken Jahwes in der Geschichte, das unmißverständlich zum Bösen für Israel gereicht, nach Analogie der Fruchtbarkeitskulte als vorübergehende Bedrohung und nur scheinbar tödliche Verwundung anzusehen wagt. Die Beziehung zu liturgischen Stücken aus dem Naturdienst ist bei Hosea also indirekter, polemischer Natur. Sein Interesse am Kult konzentriert sich im wesentlichen auf zwei Punkte: 1. Seine Adresse d. h. das Gottesverständnis der Kultfrömmigkeit; 2. Die Realisierung des Verständnisses von Gott und seiner Beziehung zur Welt — im Kult und in dem praktischen, geschichtlich-konkreten Verhalten des Volkes. Das heißt, Hosea hatte kein Interesse am Kultus an sich, sondern er beschäftigte ihn nur, weil in ihm das naturhaft mystische oder nationalistische Gottesverständnis, das in dem praktischen Verhalten des Volkes gegenüber dem in der Geschichte mit ihm handelnden Gott wirksam war, seinen deutlichsten Ausdruck fand. Die Theorie der Fruchtbarkeitskulte, d. h. ihre Mythologie und Kosmologie, läßt Hosea so gut wie unerwähnt; ihn bewegen nur die praktischen Auswirkungen. Der Bußpsalm Hos 61-3 ist vom Volk ernst gemeint. Unter dem Eindruck der hereinbrechenden Not wendet sich das Volk wirklich Jahwe zu. Es erkennt ihn als den einzigen Helfer, der retten kann, an; es sucht nach ihm und nach seiner Erkenntnis. Dennoch ist es nicht die bedingungslose Umkehr, die Jahwe verlangt. Sein Zorn ist ja nur vorübergehend, er kann letztlich sein Volk nicht ganz preisgeben ! Auf die nötigen Trauer- und Bußriten wird er sicher mit seiner Gnade und Hilfe antworten. Man verdeckt den wahren Zusammen1 Vgl. J. HEMPEL, Althebräische Literatur, 1930—34. H. zeigt das an Hand der Stilformen. Das Auftauchen der Lyrik in der Schriftprophetie lehrt, daß der Höhepunkt erreicht ist.

3. Hosea

91

hang, wenn man diese Bußstimmung des Volkes als die Frucht der bisherigen Verkündigung des Hosea deutet (so WEISER Z. St.). Dafür bietet der Text keine Handhabe. Vielmehr ist sie ganz aus der durch den kanaanisierten Jahwekult geprägten Volksfrömmigkeit zu verstehen. Darauf deuten die dem Naturkult entnommenen Wendungen in Hos 6 1-3 tfan, rpü und der Vergleich mit dem Regen) sowie die Parodierung dieser Wendungen in v. 4 b. nirr nsn in v. 3 ist also als terminus technicus dieser baalisierten Volksreligion und des Kultus zu verstehen. Das Volk »sucht« Jahwe und will ihn »erkennen«, aber eben in der Weise, wie man einen Naturgott sucht und erkennt, mit kultischen Riten und Opfern, die auf ihn zwangsläufig einwirken müssen. E s glaubt, daß es dadurch seine eigene Erneuerung und Wiederbelebung genau so bewirken kann, wie in den Naturkulten die Erneuerung der Natur durch entsprechende kultische Handlungen bewirkt wird (Analogie — Zauber). Demgegenüber fordert Jahwe ein ganz anderes Suchen und Erkennen (Hos 5 15 6 e). Inhaltlich braucht Hosea es nur anzudeuten, denn dieses Geboi müßte Israel zulänglich bekannt sein. Die alten Bundessatzungen und die durch sie geprägte alte Vätersitte, die rechte priesterliche Tora, und schließlich die durch die Propheten verkündigten Worte Jahwes haben es ausführlich genug über seinen Willen belehrt. Kurz ist diese Forderung Jahwes in Hos 6 6 in dem einen Wort TOn, unter dem Hosea die beständige Huld und Liebe des Volkes zu seinem Gott versteht, zusammengefaßt (vgl. Hos 2 i6ff. I9ff.). Sie wird den vermeintlich primären kultischen Forderungen Gottes gegenübergestellt. Sieht man diese Antithese auf dem Hintergrund des ins Naturhafte verzerrten Jahwekults, so kann sie nur so verstanden werden, daß Hosea glaubte, in diesem könne die echte Liebe zu Gott gar nicht ihren adäquaten Ausdruck finden, er könne gar nicht mehr das Vehikel der rechten Gottesbeziehung sein. Das drückt ganz deutlich Hos 5 6f. aus. Der Abschnitt Hos 5 3-7 handelt von der verkehrten Gesinnung Israels, die Hosea als »Hurengeist« bezeichnet. Diese verkehrte Grundeinstellung kommt sowohl in den Taten, dem Stolz oder der Prunksucht (v. 4a und 5a) des Volkes als auch in seinem Gottesdienst zum Ausdruck. Hosea denkt dabei wohl speziell an kultische Prostitution (v. s u. 7), in der die eigentliche Unzucht, der Abfall von Jahwe und der daraus folgende Zerfall des ganzen sittlichen und gesellschaftlichen Lebens besonders deutlich zum Vorschein kommt. Dieser Geist hinderte das Volk, Jahwe wirklich zu erkennen und dieser Erkenntnis gemäß zu handeln (v. 4), denn er wirkte sich nicht nur im Gottesdienst aus, sondern beherrschte auch alle anderen Lebensbereiche. Wo man Gott naturhaft, als Personifikation der natürlichen Vitalität sah, da bestand die vornehmste Aufgabe des Kultus in ihrer Stärkung und Erhaltung, da

92

V. Die Kulthandlungen

wurde auch die Entfaltung dieser Lebendigkeit in allen übrigen Daseinsbereichen (Sitte, Recht, Politik) zur Richtigsten Lebensaufgabe des einzelnen und der Gemeinschaft. Diese personifizierte Naturkraft, durch sakrales Handeln gestärkt und zufriedengestellt, sollte dann wieder um so reicher auf das Volk und den einzelnen herabströmen. Nicht weil der Kult vom Alltagsleben isoliert wurde, sondern als Träger einer falschen Theologie und Anthropologie wird er von Jahwe verworfen. Die offensichtliche Vergiftung des Menschen und seiner Gemeinschaftsbeziehungen, die von diesem kanaanisierten Jahwekult ausging, hat Hosea zu dem Urteil geführt, daß er überhaupt dazu ungeeignet ist, der Ort der Begegnung zwischen Jahwe und seinem Volk zu sein. Die selbstverschuldete Unfähigkeit des Volkes zur Gemeinschaft mit Jahwe bezeichnet Hosea (5 3) mit dem kultischen terminus technicus XÖÖ = unrein. Damit erfährt der kultische Begriff der Reinheit eine Erweiterung nach der ethisch-sittlichen Seite hin. Zwar umfaßt dieser Begriff auch im rein priesterlich-kultischen Sprachgebrauch gewisse ethische Eigenschaften — vor allem solche, die zur Erhaltung der Volks- und damit auch der Kultgemeinschaft notwendig sind — aber entscheidend bleibt doch die bloß rituell-kultische Seite 1 . Reinheit ist bei Hosea ein die ganze Lebenswirklichkeit des Menschen umfassender Begriff, bei dem der Schwerpunkt auf der sittlichen Seite liegt. Nennt doch Hosea (51-7) das Volk nicht wegen dieser oder jener kultischen Verfehlung unrein, sondern wegen seiner Verderbtheit (Hurengeist), man kann auch sagen wegen seiner verkehrten Grundeinstellung Gott gegenüber. Weil sich diese Haltung a u c h im falschen Kult auswirkt, verwendet Hosea zwar kultische Begriffe wie »Gott suchen, erkennen, rein und unrein«, aber in einem weiteren, umfassenden, modern aus1 Die ethisch-sittlichen Verfehlungen können mit ganz wenigen Ausnahmen durch entsprechende Opfer, Reinigungs- und Sühneriten, getilgt werden. Viel schwerer wiegen ernstliche kultische Vergehen, weil dadurch das Band zwischen Gott und Mensch, d. h. der Kultus, leicht zerrissen werden kann. Das ist aus den assyrisch-babylonischen, ägyptischen und hethitischen Kultgesetzen ganz klar ersichtlich. Vgl. H. SEEGER, Die Triebkräfte des religiösen Lebens in Israel und Babylon, 1 9 2 3 ; J . HEMPEL, Das E t h o s des AT, Z A W B 67, 1938, S. 1 9 - 2 3 ; G. WIDENGREN, The Accadian Psalms of Lamentation as religious Documents, Stockholm 1937, S. 146; A. ALT, Die Ursprünge des israelitischen Rechts, Sächs. Akad. 86, 1934. Wenn man in späteren Kultgesetzen und vor allem in den Psalmen eine Überordnung des Ethischen (Ps 15 2ff. 24 4) beobachten kann, so ist das ein spezifischer Zug der Jahwereligion, der auch bei den Propheten hervortritt. Nicht die Verknüpfung von Sittlichkeit und Kultus ist für die Jahwereligion typisch, sondern die immer stärker hervortretende Überordnung des Ethos und seine allmähliche Loslösung vom Kultus. Die Polemik der Propheten zeigt, daß diese Tendenz ständig von dem magisch-dynamistischen Verständnis des Kultus und seiner Vorschriften bedroht war.

93

3. Hosea

gedrückt existentiellen Sinne. Auf dem üblichen kultischen Wege ist Jahwe nicht zu finden (Hos 5 e), dieser Weg führt vielmehr von ihm weg. Da Hosea genausowenig wie Arnos etwas über einen rechten Jahwedienst oder über eine Reform des bestehenden Kults sagt, bleibt nur die Auffassung der beiden Hoseastellen möglich, die in ihnen eine Verwerfung des israelitischen Opferkultus sieht. Hosea hat zwar nicht eine rein innerliche, kultlose Religion als allgemeingültige Forderung Jahwes verkündigt, aber er hat für seine Zeit die ungeheure Botschaft auszurichten, daß in der unmittelbaren Nähe des heiligen Gottes die totale Ausrichtung des ganzen Volkes nach seinem Willen das Primäre ist. Dem stand der Kultus im Wege, deshalb mußte er beiseite geschoben werden. Auch in 8 11-14 verurteilt Hosea den ganzen Opferkult. Die Altäre, der wesentlichste Bestandteil jedes Heiligtums, sind zur Sünde geworden, d. h. der gesamte dort betriebene Kult ist Sünde (Hos 811.14). Wie vv. 5 und 6 zeigen, handelt es sich um kanaanisierten Jahwekult an dem Reichsheiligtum zu Bethel und den Lokalheiligtümern, wo zwar Jahwe verehrt wurde, aber nach der Art der kanaanäischen Lokal- und Fruchtbarkeitsgötter. Hosea spielt auf die frohen Opfermahle an, denen er aber jeden religiösen Charakter abspricht. Sie dienen lediglich der menschlichen Genußsucht. Er geht also darin noch über Arnos und seine eigenen, bisher behandelten Äußerungen hinaus. Im unmittelbaren Anschluß an dieses Wort kommt die Ankündigung des Gerichts. Im Kultus erreicht der Frevel Israels seinen Gipfel. Dabei kann sich das Volk durch Unwissenheit nicht entschuldigen, es hat ja die Tora Jahwes, die Bundessatzungen und die daraus fließende priest er liehe Weisung sogar schriftlich, also jederzeit zugänglich vor sich. Die Priesterschaft sollte diese Tradition lebendig fortführen und neue Tora hervorbringen; sie war dazu nach dem Urteil Hoseas nicht mehr in der Lage, weil sie genau wie das Volk nicht mehr in dieser Tradition stand 1 . Sie hat Jahwe vergessen und sich statt dessen auf den kultischen Betrieb einseitig konzentriert und dabei die Traditionen der kanaanäischen Lokalheiligtümer und allerlei fremde Kultbräuche zum Gegenstand ihres Wissens gemacht, darüber aber ihre wichtigste Funktion, die Pflege der echten Tora, d. h. der religiös-ethischen Unterweisung, vernachlässigt. 1

Diese Unfähigkeit der Priester ist durch ihr Vergessen der

flinj nV^T bedingt.

Hosea hat mit diesem Begriff einen konkreten Lehrinhalt verbunden, nämlich die Überlieferung der Heilstaten Jahwes und die Verkündigung des Bundesrechts. Sie sollten die Grundlage der priesterlichen Belehrung der Jahwe-Priesterschaft bilden. Zum Inhalt und zur Bedeutung von SJT1 bei Hosea siehe H. W . WOLFF, Wissen um Gott bei Hosea als Urform von Theologie, Ev. Theol., 12. Jg, 11)62/63. V g l . W E I S E R u n d T H . R O B I N S O N a . a . O . z. S t . ; G. ÖSTBORN, T o r a i n t h e O T ,

1946. S. 140

Lund

94

V. Die Kulthandlungen 4. Jesaja

In Jes 1 10-17 ist uns eine der ausführlichsten prophetischen Äußerungen über den Kult überliefert. Der Abschnitt bildet eine selbständige Einheit, die unabhängig sowohl von 11-9 als auch von 118-20 betrachtet werden muß. Seine Stellung hinter Jes 11-9 verdankt er den Stichworten Sodom und Gomorra, die jedoch in beiden Abschnitten verschiedenen Sinn haben. Hier ist das tertium comparationis die Sünde dieser Städte, dort ihre Zerstörung (so PROCKSCH, Jes. z. St.). Die Hervorhebung der freudigen Seite des Kultus (v. i3f.) und seiner imposanten Aufmachung spricht für die Datierung dieser Stelle aus der Frühzeit Jesajas vor 7011. Die Forderung in v. 17 bildet den organischen Abschluß. Da die vv. 18-20 sie in allgemeiner Form wiederholen (bes. vv. 19-20) und außer der Ermahnung zum Gehorsam nichts Neues zu vv. 11-17 hinzufügen, können sie hier außer Betracht bleiben. Die Gottesrede 111-17 ist textlich gut überliefert, nur v. 12a ist metrisch schwierig, weil er gegenüber den übrigen Versen zu kurz ist. Wahrscheinlich sind Teile des Verses ausgefallen 2 . Die ganze Rede ist an die Stadthäupter von Jerusalem 3 und an das Volk gerichtet. Bei der dominierenden Stellung Jerusalems gegenüber der Landschaft hatten die Stadthäupter natürlich auf die gesamte Staatsführung ausschlaggebenden Einfluß. Auffallend ist das Fehlen sowohl des Königs als auch der Priester. Der König ist nicht erwähnt, weil Jesaja hier nicht yon der großen Staatspolitik spricht, sondern von der Rechtspflege, soweit sie vor allem den »kleinen Mann« betrifft (v. 17). Dabei trat nicht der König, sondern die Ältesten und die örtlichen Verwaltungsorgane hervor. Das Übergehen der Priester ist am ehesten daraus zu erklären, daß sie nach Jesajas Überzeugung ihre Aufgabe verfehlt und damit ihre Existenzberechtigung verwirkt haben (vgl. Jes 28 7ff.). An ihre Stelle tritt Jesaja selbst und erteilt die rechte Weisung (rnin V . 10b). Jesaja übernimmt also die wichtigste Aufgabe, die den Priestern Jahwes ursprünglich oblag, und die sie gänzlich vernachlässigt haben. Damit vereinigt er in seiner Verkündigung die priesterliche und prophetische Funktion. Beide stammen letztlich aus derselben Quelle, denn auch die priesterliche Tora hat die DebarimOffenbarungen zur Voraussetzung. Wem Jahwe sein Wort gegeben hat, der kann auch die legitime Tora erteilen. So will auch die Rede Jes 111-17 beides sein: Von Jahwe direkt empfangenes Wort, das zu1

Ausführliche Begründung

siehe

PROKSCH

a. a. O. z. St.

Gegengründe

siehe HERNTRICH. A T D Jes. z. St. 2 8

Ergänzungsvorschläge siehe D U H M und P R O C K S C H und B . H . l'JJJJ kommt von der Wurzel, 'Sp = Richter = arabisch Kadi und ist nach

Analogie von Jes 3 61. 22 8 Mi 3 1. s zu verstehen, könnte also mit »Bürgermeister, Amtsvorsteher« oder allgemeiner mit »Obrigkeit« wiedergegeben werden.

4. Jesaja

95

gleich die rechte Tora darstellt 1 . Beide Bestimmungen verhalten sich hier zueinander wie Angabe des Ursprungs und der Form. Genauer erinnern sie in ihrer Form an eine priesterliche Belehrung der Tempelbesucher über die Bedingungen, unter denen der Zutritt zum Heiligtum gestattet ist 2 , doch ist die Bezeichnung Liturgie insofern irreführend, als es sich nur um eine lose formale Anlehnung an eine solche handelt, da außer dem Inhalt auch die Form abweicht. Der »Sitz im Leben«, die kultische Situation der Eingangsbelehrung, ist nicht mehr erkennbar und hier auch gar nicht zu vermuten, da Jesaja kein Tempelprophet war 3 . Er paßt sich in der Form zu einem gewissen Grade den Priestern und Tempelpropheten an, um die Wirkung seines Wortes zu steigern und die Aufmerksamkeit der Tempelbesucher auf sich zu lenken. Vielleicht hat diese Verbindung von und rnin in ähnlichen Verlautbarungen der Kultpropheten eine Parallele (vgl. Sach 7). Von dort entlehnt ist sie nicht, denn sie ist letztlich in der sachlichen Zuordnung von - m und rnin begründet und daher wesentlich älter als die israelitische Kultprophetie. Der Sinn dieser Tora ist freilich dem der üblichen priesterlichen insofern diametral entgegengesetzt, als hier die Hörer von dem kultischen Handeln weg auf ein anderes, sittliches Handeln verwiesen werden (v. ief.). Nicht das Wie des Kultus, sondern sein Sinn steht hier zur Deabtte. v. n setzt als äußere Situation der Rede wohl eine Opferfeier, bei der auch die offiziellen Vertreter des Volkes (ffTXj?) zugegen sind, voraus. Der Kult ist ja offizielle Angelegenheit. Zunächst wird die am häufigsten dargebrachte Opferart in Frage gestellt. Die Frage von v. n a wird negativ bestimmt und beantwortet durch die sich steigernden Abweisungen im weiteren Verlauf der Rede ( v - n)•'riSDH liV (v. 12); W D i n Ii1?;

••!? (v. 13); ^DW N1?; 'Bte: HiU® usw. Als Opfermaterialien werden

Widder (VX), Mastkälber (Xn!?), Farren p B ) , Schafe (EO.?) 1 und Böcke (TWI»), also die wichtigsten Opfertiere genannt 5 . In v. 11b liegt der Nachdruck besonders auf deren Blut. Darin ist die Andeutung des mit der Blutapplikation verbundenen Sühneritus enthalten. Da Jahwe keinen Gefallen am Blut dieser Tiere hat pfiXBJJ li1?), so ist damit der Hauptzweck des Kultus, die Entsühnung und Versöhnung, verfehlt*. 1 Die Erteilung der Tora durch Jahwe selbst ist im AT häufig bezeugt. Dazu siehe ÖSTBORN, Tora S. 23— 62. 2 So ÖSTBORN, Tora S. 137f. E r nennt Jes 111-17 tora-Liturgie, genauer Eingangs-Tora (»entrance-tora«). * Dagegen siehe ÖSTBORN a. a. O. S. 138. 1 Die Streichung von D'IPM in v. 11b empfiehlt sich aus metrischen Gründen 6 Vgl. Gen 16 off. Abrahams Bundesopfer. nicht, trotz des Fehlens in G. • Siehe HERTZBERG, Die prophetische Kritik am Kult, ThLZ, 76. Jg., 1960, S. 224.

96

V . Die Kultbandlungen

v. Ii erinnert stark an Am 5 2 i f f . , von dem er auch wohl abhängig ist. Hier wie dort wird der Kultus als Basis der Gemeinschaft zwischen Gott und Volk abgelehnt. Mit der Frage von v. n a ist die Herkunft dieser Opferbräuche aus der Offenbarung Jahwes indirekt negiert, genau wie Am 5 25. Es muß also eine prophetische Überlieferung von der Herkunft des israelitischen Kultus gegeben haben, die ihn nicht aus der Offenbarung Jahwes ableitete. Sachlich hätte diese von den Schriftpropheten übernommene und gepflegte Tradition ja durchaus Recht, denn neue Opferarten hat die Jahwereligion weder in der Mosezeit noch in der folgenden Epoche hervorgebracht. Vielmehr waren sie seit jeher vorhanden und stellten das Material dar, das der Jahweglaube erst in seinem Sinne zu gestalten hatte. Dies ist ihm erst in nachexilischer Zeit voll gelungen, als man das Opfer nur noch als Gehorsamsübung ansah. V. 12 ist statt ' I S niK"} 1 ?—inf. cstr. Niph. m i t ( G .

6. Der ganze Kultus ist also einbeschlossen, denn gerade in den Festversammlungen spielten außer den Opfern auch Gesang, Musik, Vortrag der Festlegende, Orakelerteilung und andere Kultbräuche eine wichtige Rolle. Der Vers endet mit einem leidenschaftlichen Ausruf. Jahwe kann Frevel und Festzeit nicht ertragen (v. i 3 b ) 2 . Damit ist jedoch das Vorhergehende nicht etwa relativiert, als wolle Jesaja nur sagen, daß es auf die innere Einstellung der Teilnehmer ankomme und daß der Kult für Jahwe annehmbar wäre, wenn die Einstellung des Volkes innerlicher und sein Lebenswandel besser wären. Vielmehr meint Jesaja, daß der halbheidnische Kultus deutlich macht, daß im Volke herrscht. Beides kann Jahwe nicht ertragen, beides muß beseitigt werden. Es verhält sich also nicht so, wie es oft dargestellt wird, als fügte Jesaja in dieser seiner prophetischen Tora zu den üblichen kultischen Vorschriften noch ethische Forderungen hinzu und ließe den Kultus an sich unangetastet. Jesaja erteilt göttliche Belehrung über die von Gott an das erwählte Volk gestellten Bedingungen, unter denen die Gemeinschaft mit ihm aufrechterhalten werden kann. Dabei konzentrieren sich die Forderungen Jahwes in der einen zentralen Forderung des Glaubens. Realisiert wird der Glaube im Befolgen des Willens Jahwes in allen Lebensbereichen, in der Politik 1 Zu der Sabbatfrage vgl. M E I N H O L D , Sabbat und Woche, und ZAW. 2 9 , 1905, S. 81 ff.; K. BUDDE, Sabbat u. Woche, ZAW 48, N F 17, 1930. 2

MOWINCKEL,

Psalmenstudien I, will |1K mit mana — Macht — magische

K r a f t übersetzen, doch schließt der Zusammenhang diese Bedeutung hier aus. G. liest vr|CTTEla = BIS, was also eine Parallele zu ¡T1S1? = Fest bilden würde. Doch ist wohl die Lesart

beizubehalten, da D1Ü = Fasten in vorexilischer Zeit

kein so hervorstechender Zug des Kultus war, daß es zusammen mit HTSV iur Charakterisierung des ganzen Kultes dienen könnte. H e a t t c h k e , Die Stellung der YOrexiliichen Schriftpropheten zum Kultus

7

V. Die Kulthandlungen

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durch Verzicht auf das übliche Ränke- und Intrigenspiel und durch Vertrauen auf Jahwes Hilfe, in der Rechtsprechung durch das Eintreten für die Bedrängten und Schwachen, im Wirtschaftlich-Sozialen durch Einfachheit und Zucht und ein Sich-Fern-Halten von Ausländerei und Prunksucht. Diese Forderungen kommen nicht etwa zu anderen kultischen Forderungen hinzu, sondern sind seit alters her die Bedingungen schlechthin für das Weiterbestehen des Bundes. In ihnen und nicht im kultischen Handeln äußert sich die Intaktheit des Bundes. Jesaja verfolgt durchaus das zentrale Anliegen der mosaischen Jahwereligion, wenn er die Durchsetzung des sittlichen Willens Jahwes in der gesamten Lebenswirklichkeit des Volkes als seine ausschließliche Forderung verkündet. In der alten Zeit mag man diese Forderung mit dem Kult so verbunden haben, daß man eine bestimmte Lebenshaltung oder Beschaffenheit des Charakters zu primären Bedingungen für die Beziehung des Volkes zu Gott und damit auch für die Teilnahme des einzelnen am Kult erhob. Damit ist der Kult bereits relativiert und verliert die beherrschende Stellung, die er in anderen antiken Religionen besaß. Er wird zu einer Ausdrucksform der Gottesbeziehung neben anderen. In der Jahwereligion ist er seiner Intention nach nicht Zentrum und Träger des Lebens, das er »prototypisch«, d. h. im schöpferischen Drama, vorbildet, sondern ein Akt des Bekenntnisses, des Gehorsams und der Dankbarkeit gegenüber dem persönlichen Schöpfer und Geber des Lebens und seiner Güter. Diese Intention wurde freilich oft genug durch magisch-naturhafte Vorstellungen verdeckt, eine Verfälschung, gegen die sich Jesaja, wie die Kultpolemik der Propheten überhaupt, wendet 1 . nsriö (v. 14) bedeutet ursprünglich »Begegnung«, verabredeter oder festgesetzter »Zeitpunkt«. Es kann profane Versammlung (Num 16 2) und ausgerufene Festversammlung (Thr 1 15 2 7. 22 Hos 9 5) bezeichnen. Hier fordert der Zusammenhang die letztgenannte Bedeutung. Die Neumondfeste und Festversammlungen überhaupt haßt Jahwe, sie sind ihm zur Last (rnb|p) geworden, die zu ertragen er müde ist (flR^). v. 15 wird ein weiterer Bestandteil des Kultus aufgezählt — das kultische Gebet, nicht das Gebet überhaupt. In der üblichen Gebetshaltung mit emporgestreckten Händen und nach oben hin ausgebreiteten, zum Empfang bereiten Handflächen — zugleich Geste der Ergebung — ruft das Volk Jahwe an, aber Jahwe schließt seine Augen vor ihm. Auf das inständige, anhaltende Gebet des Volkes hört er nicht. nVpri war wohl ursprünglich Anrufung der göttlichen E n t scheidung (vgl. Jes 16 3 ; 28 7 n»V?s und I Sam 2 25 *?i?B = ent1

Pedbksen, Canaanite and Israelite Cultus, Acta Orientalia, 18, 1939.

4. Jesaja

99

scheiden) bei der Orakeleinholung. Das Gebet der Kultgemeinde wird nicht etwa wegen seines entseelten Inhalts oder wegen Mangels an Innigkeit auf seiten der Beter (so PROCKSCH Z. St.), sondern wegen der Bundbrüchigkeit des Volkes, die in seiner schlechten sittlichen Beschaffenheit sichtbar wird, verworfen. Weil das Volk sich durch seinen Lebenswandel von Jahwe geschieden hat, kann es auch im Gebet keine Beziehung zu ihm mehr finden (so HERNTRICH Z. St.). Das Opferblut, das noch an diesen zum Beten erhobenen Händen klebt, erinnert Jahwe an die Blutschuld, die die Betenden durch Gewalttat auf sich geladen haben. Mit v. 16 beginnen die positiven Forderungen Jahwes, v. i6f. bildet also ein positives Gegenstück zu v. 11-14. Wurden die kultischen Handlungen als selbstgewählter, von Jahwe nicht geforderter Dienst bezeichnet, so werden hier die wichtigsten Bedingungen aufgezählt, unter denen das Volk eines Umgangs mit Jahwe fähig sein kann. Die kultischen termini, deren J e s a j a sich teilweise bedient, werden., aus ihrem ursprünglichen, rein kultischen Zusammenhang losgelöst, und erhalten einen neuen, umfassenden, ethischen Inhalt, ein Vorgang, den wir bereits bei Hosea beobachten konnten. Zeigt J e s a j ä ein stärkeres Interesse für den Kultus als die übrigen vorexilischen Schriftpropheten, so ist das die Folge seines Berufungserlebnisses und seiner Zionstheologie, die ihn in einem viel stärkeren Maße kultische Begriffe zur Umschreibung des rechten Verhältnisses zwischen Gott und Volk heranziehen, sie jedoch in die Sphäre des Geschichtlichen und Ethischen transponieren läßt. Aus kultischen werden ihm anthropologisch-ethische Beziehungsbegriffe. Sie sind zugleich theologische Begriffe, weil sie in dem Wesen und vor allem in dem Willen Gottes begründet sind. In ihnen wird die ganze Weite der Lebenswirklichkeit in eine unmittelbare Beziehung zu Gott gebracht, während sie im priesterlichen Sprachgebrauch auf die rein kultische Sphäre beschränkt, und alle anderen Lebensbereiche nur mittelbar auf Gott hin ausgerichtet werden 1 . Wie der folgende Vers zeigt, sind die Wendungen »waschen« (ISfl"!) und »reinigen« (13?!!) 2 bildlich zu verstehen. Mit ihnen ist die sittliche Läuterung des Volkes gemeint. Diese besteht in der Entfernung der Schuld. Es liegt hier also die gleiche bildhafte Verwendung der kultischen termini wie in Jes 6 5-7 vor.

vv. 16b und 17a gehören metrisch und sachlich zusammen. Von hier aus ist das Waschen und Reinigen von v. ica inhaltlich zu bestimmen. Ablassen vom Bösen und Lernen, Gutes zu tun, umschreiben 1 Vgl. den Begriff der Heiligkeit bei Jesaja. Vgl. J . HÄNEL, Die Religion der Heiligkeit, 1931, S. 8 - 1 1 , 86f. 2 ¡Bin = 2. Pers. PI. Hithp. = « U p l von ¡13$; vgl. G.K. 2 8 § 54d.

7*

100

V. Die Kulthandlungen

zusammen die prophetische Grundforderung der Umkehr zu Jahwe 1 . Sie besteht in der Befolgung seines Willens, der aus den Rechts'entscheidungen, in denen sich die göttlichen Rechtsnormen konkretisieren, ersichtlich ist. Die vornehmste Aufgabe der Rechtsprechung ist, dem Bedrängten 2 zu seinem Recht zu verhelfen 3 . Jesaja denkt also nicht an ein abstraktes Gesetz, sondern an den gerechten Ausgleich der sich aus den konkreten Gemeinschaftsverhältnissen des Bundesvolkes ergebenden gegenseitigen Rechte und Pflichten. Das Recht hat eine aufbauende, die Gemeinschaft fördernde Aufgabe. Damit sagt Jesaja nichts Neues, sondern greift auf die alten israelitischen Traditionen, die gerade diese Seite der Rechtsprechung so sehr betonen, zurück. Die Fürsorge für die Waisen und Witwen ist seit jeher ein besonderes Anliegen Jahwes. Er tritt für die Hilflosen ein, deshalb hat auch sein erwähltes Volk die Liebe und den Gehorsam zu ihm an diesen seinen Schutzbefohlenen zu bewähren. Das Recht und die Sittlichkeit sind in der Jahwereligion theologisch begründet. Es handelt sich also in diesem Jesajawort (Jes 110-17) um die Aufdeckung der Sünde des Volkes, die gerade in seinem Kult sichtbar wird. An dem Ort, an dem es Jahwe am nächsten zu sein glaubt, im Jerusalemer Tempel, wird deutlich, wie fern es in Wirklichkeit von ihm ist. Jesaja spielt also nicht Recht gegen Kultus aus (so PROCKSCH), vielmehr wird Jahwes Herrschaftsanspruch auf das ganze Leben einer falschen, einseitigen Einschränkung dieses Anspruchs auf den Bereich des Kultus entgegengesetzt. Weil der Kult zudem gar nicht dem Willen Jahwes entspricht, ist er sinnlos. Nach Jesajas Uberzeugung ist er keine aus der Urzeit stammende, geschichtslose Institution, die den Zugang zu Gott garantiert und Gott der Verfügungsgewalt des Menschen ausliefert, er ist keine Zusicherung der göttlichen Gnade. Dementsprechend kann auch die menschliche Existenz nicht im Kult ihre Kraftquelle haben, von der sie durch regelmäßigen Vollzug desselben gespeist und erneuert würde, so wie das in den Naturreligionen der Fall ist. Vielmehr sieht Jesaja, genau wie die übrigen vorexilischen Schriftpropheten, das Wesen der Existenz des Bundesvolkes darin, daß es sich unmittelbar vor Gott gestellt weiß. Dieser Gott hat es zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt zu seinem Volk erwählt. Er handelt mit ihm in geschichtlichen Akten, und dieses Handeln ist nach dem Bilde eines menschlichen Ich-Du-Verhältnisses gedacht. Im Wesen dieses personhaften Ver1 2

= »geradeausgehen, schreiten«. In v. 17b ist BISO statt

Xlöp zu lesen.

* ü p p mit Akkusativ hat den gleichen Sinn wie sache zugunsten der Witwen und Waisen«.

= »Führung der Rechts-

4. Jesaja

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hältnisses liegt es, daß das Handeln beider Partner von Bedeutung ist und daß sich daraus verschiedene Möglichkeiten ergeben. Sowohl Jesaja als auch die übrigen vorexilischen Schriftpropheten verkündigen die bevorstehende Realisierung der negativen Möglichkeit, des Gerichts und der Verwerfung, über der aber der Glaube an die wunderbare Wiederherstellung des Volkes und Neusetzung des Bundes als letzte, doch nicht mehr innergeschichtlich-menschliche, sondern göttliche Möglichkeit steht. Das Bindeglied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist eben nicht die zeit- und geschichtslose, göttlich gestiftete Institution, sondern die Kontinuierlichkeit des Gnadenwillens Jahwes. Dementsprechend ist auch der Kultus als Ausdrucksmittel des geschichtlich-personhaften Ich-Du-Verhältnisses zwischen Gott und Mensch dem geschichtlichen Ablauf dieses Verhältnisses unterworfen. Ist es durch Unglauben und Sünde gestört, so kann es nicht allein durch kultisches Handeln aufrechterhalten oder wiederhergestellt werden. Der Kultus ist dann ebenfalls nur ein Ausdruck der widergöttlichen Haltung des Volkes. Er besitzt keinen objektiven, von den anderen Lebensbereichen unabhängigen Wert. Für die Gegenwart gab es nach der Überzeugung der Propheten nur eine Möglichkeit der Rettung: die totale, das innere und äußere Wesen umgestaltende Umkehr. Sie mußte sich vor allem auf dem Gebiet vollziehen, das seit jeher der wichtigste Schauplatz des göttlichen Handelns war, auf dem Gebiet der Geschichte, im Großen als Volksgeschichte und im Kleinen als persönlicher Lebenswandel des einzelnen. Weil Jahwe ein sittlich-personhaft handelnder Gott war, deshalb mußte auch das rechte Verhältnis zu ihm vor allem in den Beziehungen der Menschen zueinander bewährt werden. Der israelitische Kultus, so wie er zu Zeiten der Schriftpropheten war, mit seinen naturhaft-mystischen, dynamistischen Tendenzen, verdunkelte das Wesen dieser personhaften Beziehung zwischen Gott und Mensch. Das große Mißverständnis der Naturreligionen haftete seit jeher zu unlösbar an ihm. Das sakrale Handeln konnte zu leicht als Hantieren mit unpersönlicher heiliger Kraft oder Macht verstanden werden. Davon war auch das kultische Gebet nicht ausgenommen. Die Verwerfung des Kultus durch die vorexilischen Schriftpropheten — auch durch Jesaja — geht über die Verurteilung besonderer Mißstände weit hinaus, sie trifft ihn als solchen. Dem widerspricht die große Bedeutung Zions für das Zukunftsbild Jesajas nicht, denn sie ist nicht etwa durch den dort dargebrachten Kult oder die dinghafte Heiligkeit des Tempels gegeben, sondern durch das Festhalten Jahwes an seinem einmal gefaßten Ratschluß. Diese Bedeutung legt Jesaja dem Zion nicht als der empirischen Kultstätte bei, sondern als dem Zeichen des Heilsplanes Jahwes, der auch durch dessen Gerichtshandeln nicht aufgehoben wird, ein Urteil, in dem Jesaja mit

V. Die Kulthandlungen

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den anderen vorexilischen Propheten im wesentlichen konform geht. Das bestätigen Äußerungen wie Jes 29 i3f. Hier wird im Unterschied zu Jes 1 n-17 zunächst die verkehrte Einstellung des Volkes bei der Verrichtung kultischer Handlungen getadelt1. Wenn es aber in v. 13b heißt, daß die Gottesfurcht des Volkes nur angelerntes Menschengebot ist, so wird damit der ganze Kultus als menschliche Einrichtung und deshalb als nichtig erklärt 2 . Die Gottesfurcht (DpXT1) ist umfassende Bezeichnung für den Kultus samt den dazugehörenden Verhaltungsregeln. Jesaja beanstandet nicht nur die subjektive Einstellung des Volkes bei der Erfüllung kultischer Gebote, sondern diese Gebote selbst. Eine Sonderstellung Jesajas unter den vorexilischen Schriftpropheten in der Beurteilung des Kultus kann bei näherem Zusehen doch nur in sehr beschränktem Maße behauptet werden. Das wird schon an seinem Berufungserlebnis deutlich. Seine Gottesbegegnung vollzieht sich im kultischen Rahmen, der an das irdische Vorbild der Jerusalemer Tempelliturgie erinnert. Allerdings spielt das Wort dabei die wichtigste Rolle, sowohl das Sündenbekenntnis des Propheten als auch das Wort der Vergebung, das der Seraph, der als himmlischer Priester fungiert, spricht. Das kultische Vorbild, das Jesaja dabei vorgeschwebt haben mag, ist auf alle Fälle stark reduziert. Er erwähnt weder Schuld- noch Sühneopfer, die bei ähnlichen Gelegenheiten, wie die in Jes 6 vorausgesetzte, im Tempel dargebracht wurden, noch andere Riten wie Lustrationen, Reinigungsriten, Gelübde-, Dankopfer u. a., die doch sicher zu einem solchen Ritual gehörten. Der Altar wird nur ganz nebenbei erwähnt. Ähnlich verhält es sich mit Jes 2 2-5. Dort wird von Belehrung der Völker, von ihrer Unterwerfung unter den Willen Jahwes und von der Aufrichtung des Friedensreiches gesprochen, jedoch nicht vom Kultus. In Jes 4 2-6 wird Jahwes schützende Gegenwart in der Gestalt der Flammen- und Feuersäule über dem Zionsberg und über der Versammlung (v. 5 rphpp,») verheißen. Damit sind sicher Festversammlungen gemeint, doch läßt sich über ihre Art aus dieser Stelle nichts entnehmen. Gerade die Erwähnung der Flammen- und Feuersäule greift bewußt auf die Wüstentradition zurück und spricht zugleich gegen die für den Kult maßgebende Vorstellung vom Wohnen Jahwes im Tempel. Gegen Jesajas antikultische Polemik kann die hohe l VD3

tfäl

»nahen mit dem Munde« bezieht sich wohl eher auf das Küssen

der heiligen Stätte oder ihrer Schwelle beim Betreten des Tempels als auf Gebete, vgl. PROCKSCH. Dagegen bezieht sich das folgende Wortpaar auf Gebete. J Ich halte diese Auffassung von VOLZ, Prophetengestalten des AT, 1938, S. 192f. und HÖLSCHER, Die Propheten, 1914, S. 247, für richtiger als die Vermutung von PROCKSCH, Jesaja meine hier den Grundstock des Deuteronomiums.

5. Zephanja

103

Bedeutung desZion nicht ausgespielt werden, weil dieser das vorerst nur dem Glauben sichtbare Zeichen der Herrschaft Jahwes über die Welt darstellt, das erst in der Endzeit als ein solches allen offenbar wird. Als heilige Stätte des empirischen Israel ist er von der Sünde befleckt. Der wichtigste Bestandteil des israelitischen Kultus, das Opfer, wird bei der Erwähnung des Zion und seiner Bedeutung in der Heilszeit nicht genannt 1 . Das, was an Riten in der Heilszeit übrig bleibt, würde sicher kein Zeitgenosse Jesajas als Kultus bezeichnet haben. Es sind durchweg solche gottesdienstlichen Handlungen, die keinen Eigenwert besitzen und auch keine eigenständige theologische Deutung in sich selbst tragen, sondern ganz von ihrem jeweiligen konkreten Inhalt her bestimmt werden. Sie sind deshalb besonders dazu geeignet, Ausdrucksmittel des Jahweglaubens zu sein. Dem Opfer hingegen und den mit ihm zusammenhängenden Riten eignet immer ein Hang zur Objektivität, die im Vollzug das Wesentlichste sieht und von der Einstellung des Subjekts absehen kann. Deshalb wird die Wiederherstellung des Kultus in der Heilszeit von den Propheten nirgends in Aussicht genommen.

5. Zephanja Zeph 1 4-6 läßt die Frage offen, ob es sich um Fremdkulte oder um Jahwe Verehrung in kanaanäischer Form handelt 2 . Doch liegt, von dem bekannten Synkretismus der späteren Königszeit aus gesehen, beides dicht beieinander. Zeph 1 4-6 zeigt die weite Verbreitung der Gestirnkulte nicht nur in Jerusalem, sondern auch in ganz Juda 3 . Zephanja sieht darin mit Recht den Abfall von Jahwe. Auch die »politischen Notwendigkeiten« (Assyrerherrschaft), die zu ihrer Einführung und Verbreitung führten, vermögen nicht sein Urteil zu mildern. Interessant ist die Erwähnung der Verehrung der ammonitischen Staatsgottheit Milkom. Sie zeigt, daß man nicht nur die Götter der assyrischen Großmacht, sondern auch die benachbarter assyrischer Vasallen in das Pantheon aufnahm. 1 Die Wiederherstellung des Opferkults wird von den vorexilischen Schriftpropheten für die Heilszeit nicht in Aussicht gestellt. Jes 19 19 stammt nicht von Jesaja. 2 Vgl. E L L I G E R (ATD 12 Kl. Propheten II z. St.); ferner N O W A C K , M A R T I U. a. 3 Fraglich bleibt die Lesart und Übersetzung von Zeph 15b, Q^aiTärt ist

auf alle Fälle zu streichen.

MARTI

und

ELLIGER

lesen statt TV)IV, f n j , dann wäre

hier ausschließlich vom Astralkult die Rede. Dagegen vgl. N O W A C K . Am Ende des Verses ist statt a s V a a mit verschiedenen Handschriften der LXX, Syr. u. Vulg. DS'pna zu lesen.

104

V. Die Kulthandlungen

Zeph 1 9 richtet sich gegen die ausländische Sitte, nicht auf die Schwelle des Tempels (vgl. I Sam 5 5) oder des Königspalastes (so ELLIGER Z. St.) zu treten 1 . Zephanja sieht also im Kultus ein Symptom der sich auch sonst im Leben des Volkes breitmachenden Nachahmung fremder Sitten und damit des Abfalls von der Jahwereligion. Seine Verkündigung ist vor allem ethisch-sozial orientiert. Der Kultus bildet kein selbständiges Thema. 6. Micha Die wichtigste Stelle des Michabuches, die uns über den Kult Aufschluß gibt, ist Mi 6 6-8. Dabei ist die Echtheit dieser Stelle sowie die Frage der Komposition des ganzen Abschnitts Mi 6 1-8 sehr umstritten. Während z. B . MARTI, NOWACK und TH. H . ROBINSON sowohl die Einheit von 6 1 - 8 als auch ihre Echtheit verneinen, tritt SELLIN für beides ein 2 ; in der T a t sind die für die Echtheit und Einheit angeführten Gründe überzeugend. Die meisten Schwierigkeiten bietet der Übergang von v. 5 zu vv. 6-8, weil hier ein Wechsel der Stilform auffällt: vom Rechtsstreit (vv. 1-5), als dessen Abschluß man ein Droh- oder Gerichtswort erwarten würde, zur prophetischen Toraliturgie (vv. 6-8). Dabei findet auch scheinbar Subjektwechsel statt. Nach der feierlichen Eröffnung (6 1-2) spricht in 6 3-5b Jahwe selbst, vv. 6-7 wendet sich das Volk an einen Dritten, wohl den Propheten, in vv. 5bß und 8 spricht der Prophet im Namen Jahwes. Doch ist es WEISER (ATD, Hos. bis Mi. z. St.) gelungen, diese Schwierigkeiten zu beheben und so ein einheitliches Verständnis des ganzen Abschnitts zu ermöglichen. Der Wechsel der Stilformen zwischen Mi 6 1-5 und 6 6-8 ist kein entscheidender Einwand gegen die Einheit der Perikope, da sich die Propheten auch sonst nicht sklavisch an Schemata halten, sondern je nach Lage und Inhalt ihrer Rede frei unter den gegebenen Stilformen die passenden wählen oder sie nach Bedarf frei umgestalten. Die Anlehnung an die Form des Rechtsstreits fordert noch nicht unbedingt ein Droh- oder Gerichtswort als Abschluß. Das Urteil über das eigene Verhalten kann nach der Klärung der Tatbestände den Hörern überlassen werden, was die Wirkung des Ganzen noch steigert. Sachlicher Zusammenhang zwischen vv. 1-5 und 6-8 ist durchaus vorhanden. Die ganze Rede soll das Volk zur Erkenntnis eigener Undankbarkeit und Sünde und dadurch zur Umkehr führen. Deshalb endet der Rechtsstreit nicht mit einem Drohwort oder abschließenden Urteil, sondern mit dem Hinweis auf die »Heilstaten Jahwes'« (vv. 4-5) und mit der kurzen, katechis1

Zeph 2 lOf. ist spätere Erweiterung. Siehe EISSFELDT, Einleitung S. 474

u n d E L L I G E R Z. S t . 2 Unter Streichung von v. l . Ähnlich auch WEISER, der jedoch v. l beibehält, und EISSFELDT, Einleitung S. 458. 8 Nach der feierlichen Eröffnung in vv. i und 2 erfolgt die an das Volk gerichtete Frage Jahwes (v. 3) und die Aufzählung der Heilstaten Jahwes an seinem Volk vom Auszug aus Ägypten bis zum Einzug in Kanaan (vv. 4-5). Die Aufzählung ist knapp, nur in Stichworten, da die Geschichtstraditionen von Micha, genau wie von den anderen Propheten, als allgemein bekannt vorausgesetzt werden (vgl. Am 2 9-10 9 7 Hos 214ff. 9 9-10 10 9 12 4ff.). Nach dem alten Grundsatz aller antiken

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6. Micha

musartigen Zusammenfassung seiner Forderungen (v. 8). Der Zusammenhang ist sogar noch enger als ihn W E I S E R sieht, so daß auch vv. 8-8 aus der Situation des Rechtsstreites zu verstehen sind: Jahwes Güte in der Vergangenheit erkennt das Volk stillschweigend an, aber es bestreitet durch seine Gegenfragen, daß Jahwe letztlich Grund dazu habe, es des Abfalls oder Ungehorsams wegen anzuklagen. E s ist j a bereit, seine Sünde zu sühnen (v. 7) oder hat es vielleicht bereits getan. Mit diesen Opfern, die bis zur Hingabe des eigenen Kindes gesteigert werden 1 , glaubt das Volk, Gott versöhnen und begütigen zu können und damit aus dem Rechtsstreit doch als gerecht ( p ' ^ S ) hervorzugehen. Die Sündenerkenntnis des Volkes bewegt sich ganz im Rahmen des in den antiken Religionen überhaupt Üblichen. Der Grundsatz, daß das Opfer, wenn richtig dargebracht, seine sühnende und besänftigende Wirkung auf Gott nicht verfehlen kann, besonders wenn es mit wirklicher Buße verbunden ist, hat auch in der israelitischen Religion seine Gültigkeit. Dem setzt Micha als Antwort Jahwes ganz andere Forderungen entgegen und legt so die Schuld des Volkes an den Tag. Indirekt fragt er damit das Volk, ob es, an diesem Maßstab gemessen, wirklich das tut, was Jahwe von ihm fordert — die Antwort aber überläßt er dem Volke selbst. Die prophetische Tora in vv. 6-8 ist daher inhaltlich so eng mit der Rechtsstreitrede verflochten, daß eine strenge Scheidung dieser beiden Stilformen hier nicht angebracht ist. Es erscheint mir zudem durchaus fraglich, ob die Stilform des Rechtsstreits wirklich aus dem Festkult stammt 2 . Auch wenn sie im Kultus verwandt worden wäre — selbst dies ist fraglich —, so ist sie doch sicher aus der Rechtsprechung abgeleitet. Da die Propheten sich gerade mit dem Recht so viel ausgiebiger als mit dem Kultus befassen, erscheint es mir richtiger, in diesem Gebiet ein Vorbild für die Verwendung dieser Stilform bei den Propheten zu suchen. Die Bereitschaft zu einer solchen äußersten Notmaßnahme wie das Kinderopfer beweist die tiefe innere Erschütterung des Volkes" und seinen Willen, Gott zu versöhnen und umzustimmen. Aber dieser Wille genügt nicht. Das Volk verkennt Jahwes Wesen, und deshalb greift es auch in seiner Verwirrung zu falschen Mitteln. v. 8 zeigt deutlich, welche Kluft zwischen der Gottesanschauung des Propheten und der des Volkes liegt. Der Prophet spricht im Namen Jahwes als sein Mund, deswegen liegt kein Subjektwechsel gegenüber v. i vor 4 . Religionen, der auch in Israel gilt (Ex 23 15 34 20), darf man vor Gott nicht mit leeren Händen erscheinen, erst recht nicht, wenn man ihn wegen Missetat und Sünde ptfDl nNtpH und v. 7 b) besänftigen und versöhnen will. 1 Im 8. und 7. Jh. war die Sitte des Menschenopfers in Juda so verbreitet (siehe I Reg 16 34 II Reg 16 3 21 6 23 10 Jer 2 34 3 24 7 31 32 35 Mi 6 6f.), daß es noch eines ausdrücklichen Verbotes bedurfte (vgl. Lev 18 21 20 2-5 Dtn 12 31). Das hängt mit dem Aufleben altkanaanäischer Kultsitten und dem Einströmen fremder religiöser Einflüsse, die sich gerade in dieser Zeit bemerkbar machen, zusammen. 2

So WEISER,

ATD

z.

St.

und

E . WÜRTHWEIN,

Der

Rechtsstreit

Jahwes,

ThLZ, 49. Jg., 1952. 8 Wahrscheinlich ist dabei an besondere nationale Notzeit zu denken. Vielleicht ist die Lage nach 701 anzunehmen. 4 So WEISER. Ob man mit der L X X "I3H oder TäH = »Er hat dir gesagt« liest, macht für den Sinn des Ganzen nicht viel aus. Doch ist das letztere als Einführung

106

V. Die Kulthandlungen

Micha gibt hier eine kurze katechismusartige Zusammenfassung dessen, was Jahwe vom Menschen fordert. Dabei mag ihm die Form der priesterlichen Tora, die auf die Frage des Tempelbesuchers nach den kultischen Bedingungen für den Zutritt zum Heiligtum antwortet, als Vorbild vorgeschwebt haben1. Micha greift auf alte Traditionen aus der Mosezeit zurück. Die Kenntnis dieser ureigenen Traditionen der Jahwereligion ist natürlich im Volk genausowenig abgestorben wie die Kenntnis der Heilstaten, mit denen sie zusammen eine unzertrennliche Einheit bilden. Das Volk kennt diese Forderungen wohl, aber es nimmt sie nicht so ernst, daß es in der Befolgung dieser Gebote das Wesentlichste, d. h. den Punkt, an dem die Entscheidung über sein Verhalten zu Gott fällt, erblickt, sondern es sucht diese Entscheidung im Kultus. Deshalb braucht Micha gar keine neue Offenbarung Jahwes, um dieses Mißverständnis zurechtzurücken, sondern er deutet auf die altbekannten Willenskundgebungen Jahwes hin. Die meisten Schwierigkeiten bietet bei der Auslegung von v. 8 die Anrede Damit soll wohl mehr die Geschöpflichkeit des Menschen als die Universalität der Gottesforderung betont werden. Die Anrede richtet sich an den Israeliten, das zeigt die Ergänzung und Weiterführung im zweiten Satzglied von v. 8 und das Vorhergehende, doch nicht so sehr unter dem Aspekt seiner Zugehörigkeit zum erwählten Volk als unter dem seiner Geschöpflichkeit und der daraus folgenden Unterordnung unter seinen Gott. Vielleicht will Micha eine Bezugnahme auf die mit so viel Mißverständnissen belastete Bundesvorstellung und Erwählung bewußt vermeiden. Eine Individualisierung braucht hier nicht vorzuliegen, da D"JNl sehr häufig kollektiven Sinn hat (gegen Weiser) 2 . In ganz ähnlichem Zusammenhang verwendet auch Jes der Jahweworte bei den Propheten ungewöhnlich, und deshalb ist die Lesart "Tin vorzuziehen. 1 Vgl. Ps 16, 24 3-6; GUNKEL-BEGRICH, Einleitung in die Psalmen S. 327f., 408F.; BEGRICH, Die priesterliche Tora. Werden u. Wesen des ATs, 1936, S. 6 3 — 8 8 ; ÖSTBORN, Tora, S. 146f. DT]? in der Bedeutung »vor das Angesicht Gottes kommen« und fJpS) »sich vor Gott beugen« kommen in der Kultsprache der nachdeuteronomischen Zeit überhaupt nicht vor. In dieser kultischen Bedeutung ist *]D3 sonst im AT überhaupt nicht belegt und D"]^ nur in Ps 88 14 und 9 5 2. Sonst kommt D I R nur im profanen Sinne »an der Spitze gehen, begegnen« vor, in der letzteren Bedeutung auch bildhaft von Gott gebraucht. Es kann sich also nicht um term. techn. der Kultsprache handeln. Das ist doch ein weiterer Hinweis darauf, daß die sprachliche Abhängigkeit der Propheten von der Kultsprache nicht überschätzt werden darf. Sie wahren ihre Selbständigkeit auch in der Terminologie. A SELLINS Auffassung, DIR sei Subjekt des ersten Satzgliedes, ist sowohl sachlich als auch grammatisch sehr schwierig.

6. Micha

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2 9.ii dieses Wort, wo es offensichtlich auf Israeliten bezogen wird und dasselbe wie BPH = jeder bedeutet. Das Gute ist kein Abstraktum, sondern die Summe der Gebote Jahwes, die im Folgenden nicht kasuistisch aufgezählt werden, sondern in einer eindrucksvollen Konzentration auf wenige Grundlinien und vor allem auf die hinter jeder Tat stehende Grundeinstellung des Menschen vorgetragen werden. Was hier gefordert wird, ist nicht eine autonome Gesinnungsethik, sondern eine religiöse Grundhaltung des Menschen, von der aus das menschliche Handeln auf allen Gebieten bestimmt wird. Die Ethik wird nicht der Religion gegenübergestellt, sondern sie ist in der Willensoffenbarung Jahwes begründet und deshalb eine wesentliche Äußerung des religiösen Verhältnisses selbst. Diese religiöse Grundhaltung des Menschen wird dem kultischen Mißverständnis der Religion entgegengesetzt. Der Wille Jahwes richtet sich nicht auf kultische Leistung, sondern auf Beherrschung des Menschen selber in seiner Ganzheit. Micha stellt Ethik und Religion nicht einander gegenüber, sondern er sieht in dem, was wir Ethik nennen, die wesentlichste Äußerung der Religion, d. h. der Bezogenheit des Menschen auf Gott hin. Insofern sind beide organisch und unzertrennlich miteinander verbunden, während der Kultus nach seiner Überzeugung nicht ebenso organisch mit dem Gottesverhältnis verknüpft ist. Der Kultus, so wie die Propheten ihn kannten — der keineswegs mit den Formen des gottesdienstlichen Handelns überhaupt gleichgesetzt werden darf —, schien ihnen durchaus für die Religion entbehrlich zu sein. Micha verweist seine Zeitgenossen von dem Kultus auf das praktische Leben als den Ort, an dem sich ihre Bezogenheit auf Gott hin zu bewähren hat. Das Wort Michas gegen die sakralen Institutionen des Nordreiches, Mi 1 7, läßt besonders das Hervortreten der Fruchtbarkeitsriten (Kedeschenwesen) erkennen. Mi 3 9-12 zeigt unmißverständlich, was Micha den führenden Ständen zu verkündigen hatte: den Untergang als Strafe für die Mißachtung des Rechts und der Sitte. Von diesem Strafgericht ist auch der Jerusalemer Tempel nicht ausgenommen. Dem falschen Vertrauen des Volkes auf die schützende Gegenwart Jahwes (3 li) an seiner Hauptkultstätte wirft Micha diese Drohung entgegen. Das Vertrauen des Volkes auf die Wirksamkeit des Kultus ist unbegründet. Damit ist das vorhin über die Stellungnahme Michas zum Kultus Gesagte bestätigt. Ist das Gottesverhältnis einmal primär von anderen Dingen als dem Kultus abhängig, dann ist er von seiner zentralen, das religiöse Leben beherrschenden Stellung, die er nach antiker Auffassung einnimmt, entfernt und damit diese Auffassung überwunden.

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V. Die Kulthandlungen 7. Jeremia

Galt der Kampf der Propheten seit Hosea fast ausschließlich dem kanaanisierten Jahwekult, so lagen z. Zt. Jeremias die Verhältnisse insofern etwas anders, als er offenbar seinen Kampf auf zwei Fronten zu führen hatte: Gegen die Kanaanisierung und Überfremdung des Jahwekults und gegen den besonders seit Ahaz und Manasse immer stärker einreißenden Abfall zu den Fremdkulten. In dieser Beziehung befindet sich der letzte der vorexilischen Propheten in ähnlicher Situation wie die ersten uns bekannten, oppositionellen Propheten Elia und Elisa. Nur ist die religiöse Situation durch das Wiederaufleben des halbassimilierten kanaanäischen Heidentums in Israel kompliziert. Indes sind beide Vorgänge, das Wiederaufleben der kanaanäischen Naturreligion und das Eindringen fremder Kulte, nicht voneinander zu trennen, vielmehr bedingen und fördern sie sich gegenseitig. War auch die Aufnahme der Fremdkulte meist politisch bedingt, so hätten diese nie zu einer lebendigen religiösen Macht werden können, wenn ihnen nicht die kanaanäische Naturreligion bereits vorgearbeitet hätte. Umgekehrt wurde das Wiederaufleben der kanaanäischen Naturreligion in Israel durch das Vorbild fremder Kulte gefördert. Letztlich sind ja beides Symptome der gleichen religiösen Grundhaltung, nämlich der natürlichen Religion, die von dem Bedürfnis des Menschen nach Erklärung und Beherrschung der Welt mit ihren geheimnisvollen Mächten, als deren Personifikationen und Beweger die Götter gedacht werden, ausgeht. Ist in Israel an Stelle des einen, über alle Mächte des Kosmos und der Geschichte gebietenden persönlichen Gottes der nach dem Vorbild des kanaanäischen Baal vorgestellte Naturgott getreten, so war auch der Raum zur Verehrung anderer Gottheiten neben ihm gegeben. An die Stelle des einen Gottes Israels tritt dann ein Pantheon. Wegen dieses engen Zusammenhanges zwischen der kanaanisierten Jahweverehrung und den Fremdkulten, die in Juda an Boden gewinnen und sogar zum Teil ihre Verehrungsstätte im Jerusalemer Tempel haben, ist es nicht zweckmäßig, die gegen die Fremdkulte gerichtete Polemik des Jeremia gesondert zu behandeln. Wenn Jeremia diese Jahweverehrung genau wie den Baalskult als fremd und ihre Ausübung in Israel als Abfall von Jahwe bezeichnet, so bedeutet das eine theologische Wertung. Diese erfolgt von der empfangenen Offenbarung Jahwes aus, die nach seiner Überzeugung mit den Kundgebungen des Willens Jahwes in der Vergangenheit wesenhaft übereinstimmt. Mit dieser Wertung stand aber Jeremia, genauso wie vor ihm Hosea, im Gegensatz zu den geläufigen Anschauungen der Volks- und Staatsreligion. Das soll hier an einigen Beispielen veranschaulicht werden.

7. Jeremía

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Jer 6 20f. drückt in der kurzen, prägnanten Form, wie sie uns bereits bei Jeremias Vorgängern begegnet ist, die Ablehnung des Opfers aus. Da hier die Fremdgötter nicht genannt werden, muß man annehmen, daß Jeremia den Jahwedienst in der zu seiner Zeit üblichen Form meint. Auffällig ist nur die ausführliche Erwähnung der kostbaren Räuchermaterialien, die wohl wegen ihrer besonderen Kostspieligkeit und Seltenheit genannt werden. Jahwe kommt es nicht auf den äußeren Aufwand an 1 . Mit den Termini der Kultsprache (liST und an»), die dem Priestersohn Jeremia wohl bekannt sind, drückt er das Mißfallen Jahwes über die Opfer aus. Die folgende Strafankündigung (6 21) läßt keine Zweifel darüber aufkommen, daß Jeremia überzeugt war: das Opfer, auch das Jahwe dargebrachte, kann den Zorn Jahwes nicht abwenden. Der bewußte und hartnäckige Ungehorsam gegen den Willen Jahwes (Jer 6 16-19) kann auch durch die kostbarsten Gaben nicht verdeckt oder gutgemacht werden. Der Wille Jahwes ist dem Volk durch die Worte der Propheten hinlänglich bekannt (vv. 17 u. i9bß)2. Außerdem hätte das Volk sich durch die Geschichte belehren lassen sollen (»Die Pfade der Vorzeit« v. 16) und daraus erkennen müssen, was ihm zum Heil dient. Das hereinbrechende Gericht ist selbstverschuldet. Es ist »die Frucht ihres bösen Denkens« (v. 19). Dieser Überblick über den Zusammenhang, in dem der für unsere Fragestellung so wichtige v. 20 steht, war notwendig, weil es von da aus sehr zweifelhaft wird, ob man mit W E I S E R (Jer. ATD) die Stelle Jer 6 16-21 so von einem postulierten, unverfälschten Bundeskult her interpretieren kann, daß man ihren Sinn durch die Antithese Bundeskult — Opferkult (so W E I S E R z. St.) zum Ausdruck bringt. W E I S E R postuliert das Bestehen eines Bundeskults, bei dem das Opfer, »wenn überhaupt, jedenfalls nicht die zentrale Bedeutung gehabt hat, und bei dem die göttliche Bundesstiftung und Heilsgeschichte als Gottes Tat im Mittelpunkt stand«. Aber für ein Nebeneinander eines im wesentlichen opferlosen Bundeskultes und des Opferkultes während der Königszeit bieten die alttestamentlichen Quellen keinen Anhaltspunkt. Die Propheten polemisieren gegen den offiziellen israelitischen Kultus überhaupt, und von einem Bundeskult, der ihre Zustimmung gehabt hätte, hören wir bei 1

Vgl. HERTZBERG, Die prophetische Kritik am Kult, ThLZ, 76. Jg., 1960,

S. 223. 2 Mit Tora in v. 19 ist die prophetische Weisung gemeint, da die Priester in dem ganzen Abschnitt nicht erwähnt werden. Jeremia sieht also genau wie Jesaja im Wirken des Propheten die beiden Formen der Willensoffenbarung Jahwes, das prophetische Wort und die priesterliche Weisung, vereinigt. Das ist eine weitere Konsequenz des Versagens der Priesterschaft, das ihr von den Schriftpropheten so scharf vorgeworfen wird. So ÖSTBORN, Tora S. 142.

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V. Die Kulthandlungen

ihnen nichts. Vielmehr ist nach dem Zeugnis der prophetischen Schriften der Bundeskult selbst so stark von kanaanäischen Bräuchen und Anschauungen durchsetzt, daß die Bundesvorstellung, ja die Gottesvorstellung selbst, eine Umdeutung ins Kosmisch-Naturhafte erfahren hat. Damit trat die Betonung der Heilsgeschichte mehr in den Hintergrund, wenn auch die Erinnerung an sie nie aus dem gottesdienstlichen Leben verschwunden ist. Die Ereignisse der Heilsgeschichte konnten ja auch leicht einseitig als Bestätigung des unverbrüchlichen, naturhaften Zusammenhanges zwischen Gott und Volk ausgelegt werden und fügten sich so in den Naturkult ein. Ob die »Geschichte des Ungehorsams«, die menschliche Kehrseite der Heilsgeschichte, einen ebenso festen Bestandteil des Bundesfestkults gebildet hat (so W E I S E R , Jeremia zu 6 20 und 7 25-26), ist durchaus fraglich 1 . Es sind wohl seit jeher auch solche Geschichten vorgetragen worden, die den menschlichen Ungehorsam und die darauf folgende göttliche Strafe als abschreckende Beispiele schilderten, aber die Ausdehnung des Abfallgedankens auf die ganze Volksgeschichte und besonders auf die Geschichte des Kultus selbst haben in dieser Schärfe erst die Propheten vollzogen. Daß die Größe und Radikalität dieses Abfalls erst von den Schriftpropheten erkannt und schonungslos ausgesprochen wurde, sieht man an der Ablehnung und Empörung, die ihre Verkündigung im Volk und unter der Priesterschaft auslöst und die in dieser Allgemeinheit und Schärfe unverständlich wäre, wenn die Propheten nur einer in der offiziellen Religion seit jeher gepflegten Tradition folgten. Außerdem liegt der vom Kult geprägten Volksfrömmigkeit der Gedanke an die Aufhebung des Bundesverhältnisses durch Jahwe ganz fern. In priesterlichen Kreisen ist die Anwendung des Abfallgedankens auf die ganze Geschichte Israels — allerdings unter starker Schematisierung und pragmatischer Veräußerlichung — und damit die ausschließlich paränetische Auswertung der Geschichte erst seit der Entstehung des deuteronomistischen Geschichtswerkes üblich geworden. Es ist jedenfalls unvorstellbar, daß im israelitischen Kultus der späteren Königszeit Traditionen lebendig waren, die irgendwelche Ablehnung oder Abwertung des Opferrituals enthielten. Vielmehr wurden die Opfervorschriften wohl noch nicht so direkt auf die Mose-Offenbarung und damit auf direkte Willensmitteilung Jahwes zurückgeführt wie die sittlich-religiösen Gebote. Man hat die speziellen Kultvorschriften aus den alten Upol Aöyoi und Satzungen der Heiligtümer, den Erzvätersagen und Kultlegenden übernommen und daher ihre Sanktionierung durch Jahwe als selbstverständlich vorausgesetzt. Waren doch die altkanaanäischen Heiligtümer von Israel und damit von Jahwe selbst in Besitz genommen! 1

R. BACH, Die Erwählung Israels in der Wüste (Diss.), Bonn 1952.

7. Jeremía

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Die Tendenz, den gesamten Kult als eine auf die direkte Willensoffenbarung Jahwes zurückgehende Stiftung anzusehen, muß schon in vorexilischer Zeit lebendig gewesen sein. Gegen sie wendet sich Jeremia wie seine Vorgänger, indem er nur die sittlich-heilsgeschichtlichen Traditionen als die einzig auf direkter Willensäußerung Jahwes fußenden betrachtet. Das Deuteronomium ist ein grandioser Versuch, beides, Kultus und sittlich-religiös motivierte Heilsgeschichte, in der grundlegenden Offenbarung zu verankern und dem Willen Jahwes unterzuordnen. Die »Geschichte des Abfalls« als ein selbständiges Thema in den Pentateucherzählungen und Geschichtsbüchern ist erst das Werk der deuteronomistischen und priesterlichen Bearbeitung. Die von W E I S E R herangezogenen Psalmenstellen (Ps 78, 106) sind nicht sicher datierbar und können deshalb für das Vorhandensein des Abfallschemas im Kult des 8. —6. Jh.s nichts beweisen. Er ist vielmehr von der Gewißheit getragen, daß das Verhältnis zwischen Jahwe und seinem Volk im Grunde in Ordnung ist. Mag man sich im einzelnen mancher Verfehlung bewußt sein, so sind diese Störungen des Verhältnisses doch durch kultische Sühne reparierbar. Eines Abfalls von Jahwe war sich das Volk nach dem Zeugnis der Propheten nicht bewußt. Der Verweis auf die Geschichte in Jer 6 16ff.hängt nur insofern mit dem Kult zusammen, als er auf die sittlich-rechtlichen Gehorsamsforderungen Jahwes hindeutet, die auch im Kult vorgetragen wurden (z. B. Bundesbuch, Dekalog, vgl. Dtn 26 Jos 24). Im Gegensatz zu der priesterlichen Praxis, die die sittlichen Gebote neben andere, rein kultische stellte, verkündigen die Propheten sie als den allein gültigen, wahren Willen Jahwes. Da dieser Verweis auf die Geschichte nur als Beweis für den hartnäckigen, bewußten Ungehorsam des Volkes dient, kann er nur formal im Kultus ein Vorbild gehabt haben. Wie sehr die Sicht, in der Jeremia die Geschichte des Volkes sah, von der im Kult üblichen Betrachtungsweise verschieden war, zeigt das gegensätzliche Ergebnis, zu dem beide gelangen. Die Tempelrede Jer 7 1-15 und der Baruchbericht über sie Jer 26 zeigen deutlich, worauf es Jahwe ankommt. Sein Wille, der seit Mose dem Volke bekannt ist, richtet sich auf die Durchdringung der ganzen Lebenswirklichkeit nach ihrer sittlichen und religiösen Seite hin 1 . Jeremia rückt das falsche Verständnis des Wesens Jahwes wieder zurecht. Er ist nicht ein mit seiner Kultstätte und mit seinem Volk auf Gedeih und Verderb verbundener Naturgott, sondern souverän durch Gericht und Heil handelnder Herr der Welt. Er duldet weder andere Gottheiten neben sich noch läßt er sich mit bloßem 1 Bezugnahme auf Gebote und Gottesrecht (vgl. Jer 7 9-1 o 26 4). Die letzte Stelle spricht zusammenfassend vom Gesetz. Deuteronomischer Einfluß.

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V. Die Kulthandlungen

Kult, der nicht mit dem Gott wohlgefälligen Lebenswandel verbunden ist, abspeisen. Der Jerusalemer Tempel ist zwar der Ort der Gegenwart Jahwes, aber er kann wegen der Bosheit der dort erscheinenden Menschen zur Stätte seiner Zornesoffenbarung werden, genau wie Silo. Jeremia nennt ausdrücklich die alten sittlichen Forderungen des Bundesgottes. In ihrer Verwirklichung zeigt es sich, ob das Gottesverhältnis Israels tatsächlich in Ordnung ist. Demgegenüber wird von kultischen Vorschriften nur die Enthaltung von Baals- und Götzendienst (Jer 7 9) gefordert 1 . Über den eigentlichen Jahwekult wird nichts ausdrücklich gesagt. Doch ist auf Grund anderer Jeremiasteilen (Jer 6 20f. 7 16-20. 2 1 - 3 4 8 1-13 14 1 2 ) das so zu verstehen, daß Jeremia ihn nicht als Jahwe, sondern als dem Baal und den fremden Gottheiten dargebracht betrachtet. Ist schon die Heiligkeit der Kultstätte und damit ihr Bestand von der religiös-sittlichen Beschaffenheit der Kultteilnehmer abhängig, dann hat auch der Kultus nur relativen Wert, er ist nicht mehr das Lebenszentrum des Volkes; das Gottesverhältnis wird nicht von ihm her bestimmt, sondern vom Handeln des Menschen im Räume der Geschichte und der persönlichen Lebensführung. Der Kultus kann dann nur besonderer Ausdruck dieser im Leben zutage kommenden Grundhaltung sein. Ist diese Haltung von der Gegenüberstellung zwischen dem kollektiven oder einzelnen menschlichen Ich und dem göttlichen Du her bestimmt, so muß auch der Gottesdienst diesen Charakter des Dialogs haben und kann nicht nur Manipulation mit göttlichen Naturkräften und unpersönlichen Mächten sein. Damit ist die Grundlage und das Wesen jedes Naturkults — und unter dieser Kategorie lassen sich sowohl die babylonisch-assyrischen als die ägyptischen und kanaanäischen Kulte einstufen — angegriffen, auch der offizielle Jahwekult der späteren Königszeit,der zum opus operatum geworden war. Die Verurteilung des Vertrauens auf den heiligen Ort setzt die Ablehnung des dort betriebenen Dienstes voraus 2 . Die zentrale Frage der Tempelrede ist nicht der Kultus an sich, sondern: Was gibt 1

Jer 17 19-27 ist so stark deuteronomisch überarbeitet, daß sich die echt jeremianischen Teile nicht mehr aussondern lassen (siehe R U D O L P H Z. St.). Gegen die Tatsache selbst, daß Jeremia zur Sabbatheiligung gemahnt haben kann, erheben sich keine sachlichen Bedenken. Das Sabbatgebot gehört zu den ältesten Forderungen Jahwes (Ex 2010 und Dtn 512). Die Betonung der Arbeitsruhe für Menschen in abhängiger Stellung (Sklaven, Tagelöhner, Fremdlinge) und sogar für das Vieh, also seine sozialethische Seite, unterscheiden es von ähnlichen Tabu-Zeiten in anderen Religionen. Von daher ist es verständlich, daß Jeremia und Arnos (8 5) es zu den wichtigsten Forderungen Jahwes rechnen. 2 Ausdrücklich sagt das Jer 1115 und 1412. Gelübde, Fasten und Opferfleisch vermögen das Unheil, das als Strafe für das gottwidrige Verhalten über Israel kommt, nicht abzuwenden.

7. Jeremia

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Schutz (vgl. VOLZ, Jer. z. St.) ? Deshalb ist ein genaueres Eingehen auf Einzelheiten hier gar nicht zu erwarten. Es genügt, daß Jeremia diese Frage dahingehend beantwortet, daß weder der Tempel noch der dort betriebene Kult diesen Schutz bieten können. Mit den Einzelfragen des Gottesdienstes beschäftigen sich die folgenden Abschnitte, die zur gleichen, deuteronomisch bearbeiteten Sammlung von Jeremiaworten gehören: Jer 716-20 und 721-28 729—83. Jer 716-20 behandelt die Verehrung der Himmelskönigin, der babylonisch-assyrischen Ischtar (Sarrat Same), die gleichzeitig Mutter-, Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin ist. Diese Stelle ist für unser Thema nur insofern wichtig, als sie zeigt, wie tief verwurzelt ihr Kult in Israel war und wie wenig die Reform Josias dagegen auf die Dauer auszurichten vermochte (Jer 44 i5ff.). Seine Macht lag in seinem Entgegenkommen gegenüber dem natürlichen, religiösen Bedürfnis des Menschen; deshalb konnte er auch alle Wechsel der Religionen überdauern und sich bis in die christliche Zeit hinein erhalten. Das Verbot der prophetischen Fürbitte zugunsten des Volkes zeigt, wie wenig festen, »offiziellen« Charakter das Wirken der Schriftpropheten hatte. Sie waren nicht an amtliche Vorschriften und hergebrachte Formen gebunden, sondern einzig und allein an das Wort Jahwes. Darin liegt der wesentliche Unterschied zwischen ihnen und den Kultpropheten. Jeremia bleibt der wahre Prophet Jahwes, auch wenn er eine der wichtigsten prophetischen Funktionen, die Fürbitte (dazu vgl. Jer 15 1 Am 7 2ff.) aufgeben muß. Nicht das Amt oder die Funktion ist für ihn entscheidend, sondern der Wille Gottes. Jer 7 29—8 3 zeigt, daß es im Jerusalemer Tempel Götterbilder gab, daß also neben Jahwe auch anderen Göttern dort geopfert wurde, so daß Jahwe in einem Pantheon — wohl assyrisch-babylonischer (auch weiblicher) Gottheiten — stand, mit denen er nicht selten identifiziert wurde. Das kann man schon auf Grund der älteren Gleichsetzung Jahwe-Baal in der Kult- und Volksfrömmigkeit annehmen. Ihm als einer Baal-Gottheit gilt die Darbringung der Kinderopfer im Tofet im Tal B e n H i n n o m 1 (Jer 7 3iff.; vgl. 19 5-7 32 34f.). Aus 7 3ib geht hervor, daß man das Menschenopfer als von Jahwe gefordert ansah. Wahrscheinlich bot das allzu wörtliche, einseitige Verständnis der Forderung von E x 22 28 eine Handhabe dazu. Mit grimmiger Ironie deutet Jer 8 1-3 auf den assyrisch-babylonischen Gestirnkult (so R U D O L P H Z. St.) und seine weite Verbreitung in Jerusalem hin. Als Folge der langjährigen politischen Abhängigkeit von Assyrien wurde er auch im Jerusalemer Tempel offiziell ausgeübt, wie auch Ez 8 bezeugt. Diese wenigen Beispiele der Polemik des Jeremia gegen die 1 O. E I S S F E L D T , Molk als Opferbegriff im Punischen und Hebräischen und das Ende des Gottes Moloch, B R A 3, 1936.

Hentschke, Die Stellung der vofexilUchell Schriftprophetca zum Kultu«

8

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V. Die Kulthandlungen

Fremdkulte zeigen, daß das Volk sich subjektiv keines Abfalls von Jahwe bewußt war. Die Trennungslinie zwischen Jahwekult und Fremdkult läßt sich deshalb äußerlich kaum ziehen. Hierin stimmt Jeremia mit Hosea völlig überein. Dieser Synkretismus hing mit dem Erschlaffen der umgestaltenden Kraft des Jahweglaubens aufs engste zusammen. Zur Erkenntnis des synkretistischen Jahwekults tragen die weiteren Stellen, die vom Abfall des Volkes zu Baal- und anderen Fremdkulten handeln, wenig Neues bei (Jer 2 3 1-5 319—4 4 1310 18 15 43 8—44 30). Die Verwendung der ver-

schiedenen Bildungen des Stammes HJJ in der Bedeutung »anhangen« (fremden Göttern) und »Unzucht treiben, huren« zeigt, daß auch z. Zt. Jeremias die sakrale Prostitution das hervorstechendste Merkmal dieser Kulte war und daß sie im kanaanisierten Jahwekult geübt wurde. So dient das Wort rflJT und D'IUT als Sammelbezeichnung sowohl für Fremdkulte als auch für den kanaanisierten Jahwekult (vgl. Jer 3 lff. Hos lf. und Ez 16 und 23). In Jer 7 21-28 wird mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit gesagt, daß Jahwe kein Opfer verlangt 1 . Er verzichtet nicht nur auf seinen Anteil am Gemeinschaftsopfer, sondern er rät den Israeliten, auch die Ganzopfer selber zu essen; sie haben doch für ihn keinen Wert (v. 21). Es ist profanes Fleisch, das beim Opfer nur vergeudet wird (vgl. Hos 813). Diese Profanierung des Opfers, die wie eine ungeheure Blasphemie in den Ohren seiner Hörer klingen mußte, wird nun in v. 22f. aus der Offenbarung Jahwes beim Auszug aus Ägypten begründet. Jahwe gebot den Vätern damals nicht, Brand- und Schlachtopfer darzubringen, sondern auf seine Stimme zu hören und auf dem ganzen Wege mit ihm zu wandeln. Der ungeteilte Gehorsam, als die die ganze Lebenswirklichkeit des Volkes umgreifende und gestaltende Haltung, wird den spezifisch kultischen Opfervorschriften entgegengesetzt 2 . Die Deutung dieser Stelle im Sinne eines »sowohl als auch« 3 biegt ihren Sinn um. Die 1

Vgl. Jer 14 12 — auch das Fasten wird hier von Jahwe abgelehnt.

1

TH

im übertragenden Sinne = »Art, Brauch, Verhalten, Wandel« wird

im AT als religiös-ethischer Terminus zur umfassenden Bezeichnung der Forderungen Jahwes (Gen 181» I Reg 2 s Jer 64 filiT "i]"H), seiner Taten und Werke (Ez 18 25 1!]"n; Hos 14io niiT "O^H) und des entsprechenden Verhaltens des Menschen (I Sam 12 23 I Reg 24 Jes 69 8, entgegengesetzt D'Vf") ^TT Jer 121 Gen 612). Von da aus geht es über zur Bedeutung »Ergehen« Jer 10 28 u. a., A. K U S C H K E , Die Menschenwege und der Weg Gottes im AT, StTh, Lund 1961. 8 Opfer und Gehorsam, das soll der geforderte Wandel »auf dem ganzen Wege« sein. So u. a. OESTERLEY, Sacrifices, S. 203; A. WELCH, Prophet and Priest in Old Israel, London 1936, S. 47f.; LATTEY, The Prophets and Sacrifice, S. 163.

7. Jeremia

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Forderung des Gehorsams und der Opferkult schließen sich nach diesem Jeremiawort aus 1 . Die von Jeremia gegebene Begründung, Jahwe hätte mit den Opfergesetzen nie etwas zu tun gehabt, hat den Auslegern viel Kopfzerbrechen bereitet. Nach allem, was wir über die Mosezeit wissen, gehörten Opfervorschriften, wenn auch in recht bescheidenem Umfang, zum Grundbestand der durch Mose vermittelten Willensoffenbarung Jahwes und damit zu den Grundlagen der Jahwereligion. Es ist unmöglich anzunehmen, daß Jeremia weder vom Bundesbuch noch vom Deuteronomium etwas gewußt hätte, die doch beide Opfervorschriften (Ex 20 24 2318 Dtn 12 6ff.) auf Moses zurückführen! Während nun einige Ausleger um diese Schwierigkeit herumzukommen suchen, indem sie durch abschwächende Interpretation diesen Jeremiaworten ihre Schärfe nehmen, benutzen die anderen (GRAF-WELLHAUSEN, GIESEBRECHT, DUHM U. a.) sie als locus

classicus (neben Am 5 25) der Pentateuchkritik. Beides ist unzutreffend 2 . WEISER nimmt sogar an, diese Worte seien im Rahmen der Liturgie des Bundesfestes gesprochen worden. Die Behauptung der Propheten, Jahwe habe mit dem Opferkult nichts zu tun, sei nur von dem unveränderten Weiterbestehen des vorwiegend heilsgeschichtlich ausgerichteten Bundeskultes her verständlich. Da Jeremia seine Überzeugung von dem Inhalt der göttlichen Gebote nicht aus der prophetischen Intuition, sondern aus den Traditionen des Bundesfestes gewonnen haben soll, müßte man annehmen, daß sich dieser Festkult im wesentlichen unverändert bis in Jeremias Tage erhalten habe. Das ist jedoch sehr unwahrscheinlich, denn nach allem, was wir über den israelitischen Jahwekult der späten Königszeit wissen, waren in ihm die alten israelitischen, heilsgeschichtlichen Traditionen eine eigentümliche Verbindung und Verschmelzung mit anderen, vorwiegend aus dem Kanaanäertum aufgenommenen, naturhaftkosmischen Elementen eingegangen. Dabei ist die Bundesvorstellung selbst ins Naturhaft-Kosmische (Bund mit den Naturkräften, mit dem Land usw.) umgedeutet worden. Wollte man WEISERS Ansicht in diesem Punkt folgen, so müßte man ein mechanisches Nebeneinander eines rein heilsgeschichtlich gerichteten, spezifisch jahwistischen Bundeskults, der im wesentlichen opferlos war, und eines kanaanisierten Opferkults, der mehr dem Baal als Jahwe dargebracht wurde, annehmen 3 . Dieses Nebeneinander läßt sich, wie schon betont, aus 1 So RUDOLPH, Jer. z. St.; P. VOLZ, Die radikale Ablehnung der Kultreligion durch die alttestamentlichen Propheten, ZSyTh 1937; ders., Prophetengestalten des AT, 1938, S. 220f.; E . KÖNIG, Der Jeremiaspruch 7 21-28, ThStKr 1906, S. 340 u. 368; J . SKINNER, Prophecy and Religion. Studies in the Life of Jeremiah, Cambridge 1922; CHR. NORTH, Sacrifices in the OT, E T 47, 1936. 2 Genauere Begründung siehe RUDOLPH, Jer. S. 49; vgl. WEISER, ATD z. St. * Siehe WEISER. ATD zu Jer 7 25-26 und 6 20f.

8*

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V. Die Kulthandlungen

dem AT nicht belegen. Der Abfall zum Baal, gegen den die Propheten kämpfen, ist kein bewußter Religionswechsel, führt auch nicht zur Gründung eines neuen, selbständigen Kultus, sondern er ist ein langsamer und tiefgehender, innerer Strukturwandel der Jahwereligion selbst. Waren also zur Zeit Jeremias die heilsgeschichtlichen Traditionen der Jahwereligion mit den aus Kanaan und aus der vormosaischen Zeit stammenden Kultgesetzen zu einer Einheit verschmolzen— und an dieser Tatsache gibt es keinen Zweifel — so ist es auch unbegreiflich, wieso Jeremia aus der Anschauung des Bundesfestkultes seine erwähnte Überzeugung gewonnen haben sollte1. Vielmehr beurteilt Jeremia die Tradition aus seiner prophetischen Kenntnis des Willens Jahwes heraus. Die an Jeremia ergangene Offenbarung bildet den Maßstab, an dem die Tradition gemessen wird. Darin stimmt Jeremia mit seinen Vorgängern Amos, Hosea, Jesaja und Micha überein. Von da aus kommt ihm die Gewißheit, daß Jahwe Gehorsam als die Grundhaltung des Menschen, die sich vor allem in der Geschichte und im täglichen Leben zu bewähren hat, und nicht Opfer fordert. Die Aussage in Jer 7 22f. ist programmatisch und nicht historisch gemeint 2 . Jeremia bestreitet hier nicht — im Unterschied zu Amos (521-25) — die Existenz des Opferkults in der Mosezeit. Er verneint lediglich seinen Ursprung aus der Willensoffenbarung Jahwes. Wir haben es hier mit der gleichen Haltung der Tradition gegenüber zu tun, die alle großen prophetischen Gestalten auszeichnet. Sie stehen ihr frei und kritisch und zugleich mit tiefer Ehrfurcht gegenüber. Die rechte Tradition ist für sie kein starres, formales Prinzip, sondern sie muß inhaltlich bestimmt werden. Nicht das Alter, sondern der Inhalt der Überlieferung entscheidet über ihre Echtheit. Der inhalt1

Die Psalmenliteratur, die W E I S E R zur Unterstützung seiner Behauptung anführt (Ps 407 6014.28 61 l7f. 619 63 b 6 9 s i f . 71 la 141 it.), bringt uns in dieser Frage kaum weiter, denn: 1. ist über ihre kultische Benutzung nichts Genaueres bekannt, 2. ist ihre Entstehungszeit und die Zeit ihrer kultischen Verwendung unbestimmbar, 3. vertritt sie mehr den Standpunkt: Kultus und Gehorsam (siehe MOWINCKEL, P S . St. VI, S. 51 f. und 67f.), 4. geht die Relativierung des Kultus in diesen Psalmen doch vielleicht auf prophetischen Einfluß zurück (gegen MOWINCKEL a. a. O.) oder sie vertreten eine Strömung innerhalb der Jahwereligion, die den Propheten sachlich nahe stand, 6. können auf keinen Fall diese Psalmenstellen als Beweis dafür dienen, daß z. Zt. Jeremias die kultischen Opfergesetze in Israel nicht als Gebote Jahwes gegolten haben. I Sam 16 22 — falls es nicht ein späterer Einschub ist — gibt die Ansicht des freien Nebiismus und nicht der Kultfrömmigkeit wieder. Jedenfalls ist es undenkbar und aus dem AT nicht zu beweisen, daß solche Vorbehalte dem Opferkult gegenüber einen festen liturgischen Bestandteil des Kultus des 8.—6. Jh.s gebildet haben. 8 Sachlich das Gleiche behaupten auch A. WENDEL, Das Opfer in der altisraelitischen Religion, 1927, S. 109; RUDOLPH, Jer. z. St.; SKINNER, Prophecy and Religion, S. 182.

7. Jeremía

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liehe M a ß s t a b f ü r die Beurteilung der Tradition ist die selbsterlebte, lebendige Gemeinschaft mit G o t t u n d die d a r a u s fließende E r k e n n t n i s seines Willens 1 . Von solcher gegenwärtig empfangenen O f f e n b a r u n g aus wird, b e w u ß t oder u n b e w u ß t , Geschichte postuliert. D a s ist in der Antike u n d auch innerhalb des A T ein so häufig sich wiederholender Vorgang, d a ß sich jede weitere E r ö r t e r u n g d a r ü b e r erübrigt (vgl. die Ausführungen zu A m 5 21-25). J e r e m i a rückt die in der kultischen Überlieferung miteinander verflochtenen, verschiedenartigen Traditionen wieder zurecht u n d weist sie den ihrem Wesen u n d ihrer H e r k u n f t entsprechenden Bereichen z u : so die Forderungen des Gehorsams u n d des J a h w e g e m ä ß e n W a n d e l s d e m in dieser F o r m erstmalig u n d grundlegend beim Auszug proklamierten Willen J a h w e s , die Opfergesetze dagegen d e m eigenen W u n s c h des Volkes. D a m i t löst J e r e m i a die gefährliche Verquickung von Falschem u n d Richtigem, v o n E c h t e m u n d U n e c h t e m auf u n d stellt den alten K e r n der echten, mosaischen Jahwereligion wieder klar heraus. D a s ist aber f ü r seine Hörer etwas Neues, Unerwartetes, d e n n sie kennen diese Gebote n u r in der durch andersartige, rein rituelle F o r d e r u n g e n verdunkelten F o r m , wie sie ihnen im R a h m e n des zeitgenössischen K u l t u s vorgetragen wurden. Die heilsgeschichtlichen Traditionen mögen anläßlich entsprechender Feste, die die Ereignisse der Volksgeschichte feierten, a u c h noch z. Zt. J e r e m i a s im K u l t u s v e r w a n d t worden sein, aber — u n d das ist das Entscheidende — ihre ursprüngliche zentrale Stellung innerhalb der Jahwereligion h a b e n sie längst eingebüßt (gegen WEISER). Sie sind v o m kanaanisierten Opferkult mit seinen immer stärker hervortretenden m a g i s c h - n a t u r h a f t e n Tendenzen verdrängt worden. J e r e m i a ist sich, im Gegensatz zu Arnos (5 25), dessen b e w u ß t , d a ß seine B e h a u p t u n g , J a h w e h a b e niemals einen Opferkult geboten, auf Ablehnung bei d e m Volk stoßen wird ( J e r 7 27f.). Die Radikalität u n d K o n z e n t r a t i o n der göttlichen F o r d e r u n g ist das Neue an der Botschaft der Propheten, die die I n t e n t i o n der mosaischen Gebote a u f n e h m e n u n d weiterführen. Die Kultgemeinde sah die Bundessatzungen in wesentlich a n d e r e m Licht, sowohl was ihre Art als auch ihren Geltungsbereich a n b e t r a f 2 . Auch rein historisch betrachtet h a t t e J e r e m i a recht, d e n n der israelitische Opferkult ist kein genuines P r o d u k t der Jahwereligion, sondern b e s t e h t fast durchweg a u s kanaanäischem Lehngut. Dagegen e n t h a l t e n die ältesten Zeugnisse der Jahwereligion, der Dekalog u n d das Bundesbuch, n u r ganz vereinzelte Kultgebote (vgl. E x 20 24). Die E i g e n a r t der J a h w e 1 Ganz analog verhält es sich mit der »apostolischen« Überlieferung in der frühchristlichen Kirche, z. B. der Apostolizität der kanonischen Schriften des NT, oder mit der Katholizität bei Luther. a

Anders W E I S E R , A T D zu J e r 7 22.

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V. Die Kulthandlungen

religion hat nicht im Kultus ihren spezifischen Ausdruck gefunden, sie drückt sich vielmehr seit jeher in dem Bewußtsein des unmittelbaren Stehens unter dem Anspruch Gottes aus, der durch Gabe (Heilstaten Jahwes) und Gebot das Volk wie den einzelnen zum willigen Gehorsam, zum Glauben ruft. Seit Mose weiß sich Israel als Volk einem personhaften, sittlich gerichteten, göttlichen Willen gegenübergestellt. In der Personhaftigkeit Gottes ist die Geschichtlichkeit des Gottesverhältnisses begründet, d. h. es ist ein echtes Gegenüber von Gott und Mensch, bei dem beide Seiten auf die Gestaltung des Verhältnisses einwirken: Gott als der Handelnde und der Mensch als der Antwortende. Sittlich ist das Handeln Gottes, nicht weil es irgendwelchen ewig gültigen Maßstäben entspricht, sondern weil es dem Menschen klar und deutlich den einheitlich gerichteten Willen Gottes offenbart und ihm so die Richtschnur zum innerweltlichen Handeln zeigt. Wenn von da aus eine gewisse Zurückhaltung der echten Jahwereligion dem Kultus gegenüber bereits in ihrer mosaischen Anfangszeit aus ihrem innersten Wesen heraus verständlich ist, so bedeutet das nicht, daß sie von vornherein kultlos oder gar kultfeindlich war. Dazu bedurfte es erst der bitteren Erfahrungen und Kämpfe im Kulturland und der göttlichen Antwort darauf durch den Mund der großen Propheten. Die wahre Jahwereligion konnte von der synkretistischen Entartung und Überwucherung nur dadurch befreit werden, daß ihr zentrales Anliegen ganz entschieden und mit heilsamer Einseitigkeit herausgestellt wurde. Die nur sehr äußerliche und flüchtige Wirkung der deuteronomischen Reform sowie ihre negativen Begleiterscheinungen (Stärkung des blinden Vertrauens auf den Tempel und den Kultus, Steigerung der Macht der Jerusalemer Priesterschaft) haben Jeremia sicher in seiner Überzeugung bestärkt, daß die Verderbnis, die vom Kult ausging, nicht mit Reformmaßnahmen beseitigt werden konnte1. Hier halfen keine halben Maßnahmen, sondern es galt zu beseitigen, was der menschlichen Selbstbehauptung Gott gegenüber diente. 8a. Feste: N e u m o n d und Sabbat Mag auch der Sabbat vielleicht nicht israelitischen Ursprungs sein2, so ist er doch zu einem spezifisch israelitischen Fest geworden. Durch die siebentägige Woche, die keine Rücksicht auf den Mondmonat nimmt, ist das Band zum Gestirnkult zerschnitten. Auch wird 1 Vgl. RUDOLPH, Jer. S. 69; A. BENTZEN, Die josianische Reform und ihre Voraussetzungen, 1926. a Zur Sabbatfrage siehe MEINHOLD, Sabbat und Woche im AT, 1905; Die Entstehung des Sabbat, Z A W 29, 1909, S. 81 ff.; EISSFELDT, Feste und Feiern in Israel, RGG 2 II, Sp. 553; KITTEL, Geschichte5. Bd. 1, 1923, S. 446f.; FR. BUHL, Gottesdienstliche Zeiten im AT, HRE 3 , V I I , S. 23; BUDDE, Sabbat und Woche, Christi. Welt, 43. Jahrg., S. 202ff., 265ff. und Z A W 48, NF. 7, 1930, S. 121ff.. I38ff.

8b. Naturfeste

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er nicht als Unglückstag wie der babylonische iapattu, sondern als Tag der Arbeitsruhe (Am 8 4f.) u n d der Heiligung f ü r Jahwe, an dem m a n dessen Gemeinschaft suchen soll (Jes 113 II Reg 4 23), angesehen. Am Sabbattage gedenkt Israel Jahwes als des Gebieters der Zeit u n d des gütigen Herrn. Die Propheten tadeln einerseits die Nichteinhaltung des Sabbat aus Gewinnsucht (Am 8 4f. J e r 17 19-27), und andererseits verurteilen sie die Sabbatfeier als bloßes Fest, das nicht aus der rechten Frömmigkeit entspringt (Jes l i 3 Hos 211). Jahwe will von einer Verehrung, die nur auf Festzeiten beschränkt ist und mit einer gottwidrigen Lebensführung im Alltag H a n d in H a n d geht, nichts wissen. 8 b. Naturfeste Sie halten den Zusammenhang des menschlichen Lebens mit dem Werden und Vergehen der Pflanzen- u n d Tierwelt aufrecht. Soweit sie den Kreislauf der Natur feiern, hat Israel sie erst im Kulturland kennengelernt (Massot, Wochenfest), andere ähnlichen Charakters aus seiner halbnomadischen Zeit mitgebracht (Passah). Es liegt auf der Hand, welche Gefahrenmomente gerade die Naturfeste für die Jahwereligion darstellten. Sie konnten nur zu leicht die Jahwereligion mit n a t u r h a f t e n Elementen verseuchen u n d damit zur Verwischung des strengen Personcharakters Jahwes zu Gunsten naturhaft-unpersönlicher Gottesauffassung beitragen. Ihre Herkunft läßt sie immer wieder zu dem Bereich der Naturreligionen hin tendieren, in denen die Gottheit selbst in die Naturvorgänge verwickelt ist und der Verkehr mit ihr in magischer Weise, als Vermittlung von Kräften, gesucht wird. Dem wirkte die Verschmelzung der Naturfeste mit benachbarten Jahwefesten oder die Verknüpfung der alten Ackerbaufeste mit geschichtlichen Erinnerungen an die Heilstaten Jahwes entgegen (Passah und Massot). Der Erfolg, d. h. das Wachhalten jahwistischer Elemente der Festlegende im Volksbewußtsein, wird zeitlich und örtlich sehr verschieden gewesen sein, je nach der ganzen religiösen Situation. Merkwürdig ist nur, daß dieses Gebiet anscheinend nicht die Aufmerksamkeit der Propheten auf sich gezogen hat, obwohl sie doch gerade an den großen Festtagen mit ihrer Verkündigung vor die im Heiligtum versammelte Volksmenge zu treten pflegten (Jer 7 Jes 1). Von den eigentlichen Festbräuchen hören wir nur beiläufige Bemerkungen, von der Festlegende und der ganzen hinter ihr stehenden priesterlichen Bundestheologie so gut wie gar nichts. Am 4 1 erwähnt die Abgabe des Zehnten. Jes 30 29 weist auf festliche Vigilien mit Musik und Festjubel hin (vgl. Jer 33 11 — deuteronomisch; Am 623). Es wurden auch im Tempel reiche Festmahle gehalten, wahrscheinlich anläßlich des Herbstfestes, die in üppige Gelage ausarteten (Jes 28 7). Auf den Ritus

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V. Die Kulthandlungen

des Wasserschöpfens aus der heiligen Quelle (Siloa ?) läßt wohl Jes 12 3 (vgl. I Sam 7 6) schließen, Ölspenden sind auf Grund von Mi 6 7 anzunehmen. Außer diesen regelmäßig wiederkehrenden Festen spielen noch einige Stellen auf außerordentliche Feste und Festbräuche an, so Mi 18 Jer 9i7ff. (vgl. Joel 2) auf Bitt- und Klageprozessionen und berufsmäßige Klagefrauen; Jer 14i2f. (vgl. I Reg 219) bezeugt Fastenbräuche, Jer 36 8 Festversammlungen, zu denen auch Pilger vom Lande erschienen, Jer 2 35 Unschuldsbekenntnisse.

Diese Spärlichkeit der prophetischen Äußerungen über Feste und die damit zusammenhängenden Bräuche kann m. E. nicht als rein zufällig angesehen werden, enthielten doch die Festlegenden auch echt jahwistische Traditionen, die die Propheten sicher geschätzt und in ihrer Verkündigung verwandt haben, z. B. die Auszugs-, Wüstenund Landnahmetraditionen und das Gottesrecht. Wenn sie dennoch die Feste gar nicht der ausführlichen Erwähnung für wert halten, so läßt das folgende Rückschlüsse zu: 1. Die vorexilischen Propheten vermochten keine positive Beziehung dieser Festlegenden zu Jahwe zu sehen, wahrscheinlich um der Abhängigkeit der Feste von der Naturreligion willen, kraft deren die naturhaften Elemente ein für die Jahwereligion unverträgliches Übergewicht über die sakralrechtlichen und heilsgeschichtlichen bekamen. Als Folgeerscheinungen traten die auf der kanaanäischen Naturreligion bekannten orgiastischen Kultbräuche auf (Hos 4 lOf. II Reg 23 7). 2. Der Bundesidee, die in der späteren Königszeit im Sinne des unverbrüchlichen, naturhaften Zusammenhanges zwischen Jahwe und seinem Volk mißverstanden wurde, stehen die Schriftpropheten zumindest mit großer Zurückhaltung, wenn nicht Ablehnung gegenüber. Dem Glauben, daß dieses Bundesverhältnis durch kultisches Handeln immer wieder erneuert und von Störungen befreit werden könne, setzen sie die Verkündigung des bevorstehenden Gerichts entgegen. Die Berufung auf die Heilstaten Jahwes und der sich darin dokumentierende Erwählungsglaube konnte dem Hören auf die Botschaft der Propheten nur im Wege stehen. 3. Die Einreihung der vorexilischen Schriftpropheten unter das Kultpersonal erscheint von da aus unmöglich. Die Schriftpropheten treten nicht als Kultbeamte in den Festversammlungen auf, sondern sie benutzen die Feste als günstige Gelegenheit, um einen größeren Zuhörerkreis zu erreichen. 4. Die israelitischen Feste standen im Urteil der Schriftpropheten unter dem Verdikt des Gerichts, genausowie das ganze gesellschaftliche und religiöse Leben Israels. 9. Der Begriff des Kultischen

Erst jetzt läßt sich Genaueres darüber sagen, was die israelitische Kult- und Volksfrömmigkeit und was die Schriftpropheten unter Kultus verstanden haben.

9. Der Begrifi des Kultischen

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1. Der Überblick über die Geschichte des israelitischen Kultus hat gezeigt, daß er seine Eigenart in der Abgrenzung gegen andere altorientalische, vor allem kanaanäische Naturkulte gewonnen hat. Diese Eigenart läßt sich — von dem Namen der Gottheit, der er dargebracht wurde, abgesehen — nur negativ bestimmen, d. h. gewisse Bräuche gelten als mit der Jahweverehrung unvereinbar (z. B. Kedeschenwesen, Toten- und Dämonenkult, Menschenopfer, Verehrung von Natursymbolen, Gottesbildern sowie Astralkörpern und deren Symbolen), anderen wird nur beschränkte Geltung eingeräumt. Sie werden dem Wesen der Jahwereligion durch Umdeutung angepaßt (z. B. Masseben, gewisse Mittel der Orakelerteilung und Mantik, Reinigungs- und Fruchtbarkeitsriten, Naturfeste usw.). Die gestaltende Kraft des Jahweglaubens drückt sich also in der Umdeutung und teilweisen Umgestaltung der uralten, aus dem Bereich der altorientalischen, vor allem kanaanäischen Naturreligion übernommenen Kulteinrichtungen und -bräuche und nicht in der Schaffung neuer Institutionen aus. Der Inhalt ändert sich, die Form bleibt im wesentlichen dieselbe. Während der Königszeit kann man eine rückläufige Bewegung beobachten. Sie setzt bereits unter David und noch viel stärker unter Salomo ein. Für die frühe Königszeit kann man auf diese Bewegung nur indirekte Rückschlüsse ziehen. Deutlich greifbar wird sie erst in den Elia-Elisa-Erzählungen und vor allem in der Polemik der Schriftpropheten gegen den Kult. Das Wesen dieser rückläufigen Bewegung besteht im Nachlassen der inneren Kraft der Jahwereligion, durch die sie allein die ihr eigentlich fremden Elemente des Kultus ihrem eigenen Inhalt unterzuordnen und dienstbar zu machen vermochte. Dieses Erlahmen der eigenen religiösen Kraft hat ein erneutes Aufleben der zurückgedrängten und halbverdeckten heidnischen, naturhaft-dynamistischen Grundlage des israelitischen Kultus zur Folge. Die ihm von Hause aus allein entsprechenden naturhaften Motive verselbständigen sich und tauchen erneut im Bewußtsein des israelitischen Volkes auf. Sie verbinden sich auch mit verwandten Elementen, die unter fremdem Einfluß in Israel eindringen. Unter Kultus hat das Volk und die Priesterschaft — obwohl es unter ihr auch anders gesinnte Kreise gab (Dtn) — zu dieser Zeit im wesentlichen das Gleiche verstanden wie die anderen altorientalischen Völker: ein System von ziemlich automatisch wirkenden Opfern und Riten, die das Wohlergehen der Gemeinschaft und des einzelnen garantieren oder erzeugen. Dabei ist die Adresse des Kultus ziemlich nebensächlich. Das geht aus der Identifizierung Jahwes mit Baal und wahrscheinlich auch anderen Gottheiten sowie der Verehrung fremder Götter neben Jahwe hervor. Schließlich sind sie alle als Naturgottheiten wesensverwandt 1

Daß dieser Synkretismus nicht zu allen Zeiten und nicht im ganzen Volk unumstritten herrschte, ist unter II und III deutlich genug gesagt worden. Zur

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V. Die Kulthandlungen

2. Die vorexilischen Schriftpropheten sind bei ihrer Polemik gegen den Kult von dem gleichen Kult begriff ausgegangen1. Das konnte auch deshalb nicht anders sein, weil sie sich nicht mit der Theorie des Kultus und seinen verschiedenen Möglichkeiten, sondern mit der Kultpraxis ihrer Zeit befaßten. Man sieht das auch an der Zeit der Schiiftpropheten muß diese synkretistische Jahwereligion jedenfalls sowohl im Volke als auch unter der Priesterschaft vorherrschend gewesen sein. 1

Ein Wort für Kultus fehlt bei den Propheten, obwohl !T13_5? und "T3tf sicher

vor dem Exil im kultisch-technischen Sinne gebraucht wurden. Das Wort 13V k o m m t bei den vorexilischen Schriftpropheten im technischen Sinne »kultischen Dienst tun« oder »kultischen Brauch üben« vorwiegend in Verbindung mit fremden K u l t e n vor: Jer 6 l 9 8 a l l i o 13l0 1613 229 2 6 e 3 6 l 5 443 220. An der letzten Stelle ist der Text unsicher. Zur Bezeichnung der Jahweverehrung steht es in den Prophetenbüchern nur an unechten Stellen, z. B. J e s 19 21.23 (Verehrung Jahwes durch fremde Völker) und Jer 30». Sonst wird "T3S? von den Propheten nur im profanen Sinne »Sklave, Knecht sein, dienen« gebraucht, z. B. Jer 26 11 27 7. Dagegen kommt das Substantivum 133? i m Sinne »Knecht, Diener, Werkzeug Jahwes« häufig vor, so besonders oft von den Propheten ausgesagt, z. B. Jes 20 8 (die sich mehrmals wiederholende Wendung D , N , 33n ,-7317 Jer 7 25 26 5 44 4 ist wohl vom deuteronomischen Sprachgebrauch abhängig), von David Jes 37 35 (Echtheit fraglich), Jer 33 21f. und v. 28 (wahrscheinlich nicht jeremianiseh), vom König von Babel (Nebukadnezar) Jer 26 9 27 8 43 10, vom Nordreich Jer 30 10 46 27f. und schließlich von Eljakim Jes 22 20. — Diese Übersicht zeigt, daß 132J als Bezeichnung des Abhängigkeitsverhältnisses des Menschen von G o t t bei den vorexilischen Schriftpropheten verhältnismäßig selten vorkommt. Der Sprachgebrauch zeigt ferner, daß der Mensch nicht deshalb 1 3 B Gottes genannt wird, weil er seinen kultischen Pflichten nachkommt (daran könnte zur Not an den Stellen, die die Nordstämme als 13V bezeichnen, gedacht werden), sondern weil er als Werkzeug zur Durchführung der Absichten Jahwes in der Geschichte (so David und Nebukadnezar) oder zur Verkündigung seines Wortes dient. Ganz anders verhält es sich mit dem Gebrauch des gleichen Stammes im Babylonischen und Kanaanäischen. Dort nennt man vor allem die Könige »Knechte« oder »Diener« der Gottheit, weil sie f ü r die Ausstattung des Kultus Sorge tragen; ihre Tempelbauten und Dotationen werden häufig aufgezählt, um zu zeigen, wie glänzend sie sich als Diener der Gottheit bewährt haben. Da der andere, allerdings im AT selten gebrauchte terminus technicus f ü r kultischen Dienst, rnEf, bei den vorexilischen Propheten nicht vork o m m t (außer Jer3321f. 6218), um so häufiger aber in den Gesetzestexten, muß man annehmen, daß die Propheten bewußt den Gebrauch dieser termini vermieden haben. Stattdessen verwenden sie Bezeichnungen der typischen Kulthandlungen als pars pro toto zur Kennzeichnung des ganzen Kultus. Die Propheten vermeiden den Gebrauch der erwähnten Sammelbezeichnungen für den ganzen K u l t u s wohl deshalb, weil diese das Verhältnis des Menschen zu Gott einseitig von der Erfüllung kultischer Pflichten abhängig machen.

9. Der Begriff des Kultischen

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Unterschiedslosigkeit, mit der die Schriftpropheten den Jahwekult und d:ie Fremdkulte behandeln. Die Ablehnung des Kultus durch die Propheten ist durch die mit ilhm gemachten geschichtlichen Erfahrungen seit der Landnahmezeit bedingt, die gezeigt haben, daß der Kult, so wie er nun einmal seit der Seßhaftwerdung war, sich in den Rahmen der Jahwereligion kaum einordnen ließ. Ihm wohnte von Natur aus die Tendenz inne, die absolute, den Verkehr zwischen Gott und Mensch beherrschende Stellung einzunehmen; er eignete sich daher schlecht dazu, nur ein besonderer Ausdruck der in allen Lebensbereichen primär geübten und bewährten Gottbezogenheit des Volkes zu sein. Die Polemik der Propheten galt nicht den Formen des gemeinschaftlichen!, gottesdienstlichen Handelns an sich, sondern dem Kultus, sofern er die willensbestimmte, sittliche Person und Souveränität Jahwes verdunkelte und beeinträchtigte, d. h. sofern er Naturkult war, denn er stand offensichtlich der unmittelbaren Konfrontierung des Menschen mit Gott im Wege. Sie aber und die tatsächliche Anerkennung des unbedingten Herrschaftsanspruchs Jahwes auf das Bundesvolk waren das Hauptziel des prophetischen Wirkens. Eine wesentlich andere Form des gemeinschaftlichen, gottesdienstlichen Handelns als die zu ihrer Zeit übliche haben die Propheten nicht gekannt, deshalb spielen sie auch keinen reinen Jahwekult gegen den entarteten Kult ihrer Zeit aus. Sie leugnen vielmehr jede Beziehung des kultischen Handelns zu Jahwe. Jahwe fordert nicht rituelle Leistung, sondern Glaube, Liebe, Treue und Demut. Die Möglichkeit, diese Glaubenshaltung auch mit den Mitteln des Kultus zum Ausdruck zu bringen, haben die Propheten nicht erwogen. Sie glaubten, daß die Gemeinschaft mit Gott und der für ihre Aufrechterhaltung unentbehrliche Verkehr zwischen Gott und Mensch auch ohne die üblichen kultischen Formen fortbestehen kann. Jahwe spricht zu seinem Volk unmittelbar durch die Ereignisse der Geschichte, vor allem aber durch den Mund der Propheten. Der gerechte Richter, der die alten Bundessatzungen und Gebote Jahwes zur Grundlage seiner Rechtsprechung und Weiterentwicklung des Rechts macht, ist ein weiteres Werkzeug der Willensoffenbarung Jahwes. Dagegen geht die Tora-Erteilung von den Priestern auf die Propheten über. Nur selten wird dem König, vor allen anderen David, eine solche Mittlerfunktion zugesprochen. Für die dem Gericht folgende Heilszeit erwarten die Propheten, daß Jahwe unmittelbar zum Volk sprechen wird, oder sie hoffen auf eine so gründliche Umwandlung des Menschen, daß der göttliche Wille ihm ohne weitere Mitteilung und Belehrung einsichtig sein wird (Jer 31 34). Über die Formen des gemeinschaftlichen Handelns des Menschen vor Gott in der künftigen Heilszeit machten sich die Propheten kaum Gedanken. Das Volk soll auf die Heilstaten

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V. Die Kulthandlungen

Jahwes genausowie in der »Brautzeit« mit Glaube, Liebe und Gehorsam antworten. Zuweilen scheinen die Propheten vorauszusetzen, daß es nach der Wiederherstellung des Volkes in der dem Gericht folgenden Heilszeit einen gereinigten Kultus geben wird, der gewisse Formen des gegenwärtigen Kultus beibehält. So vor allem Bekenntnis, Jubel, Lobgesang und Tora-Erteilung: Hos 142ff. Jes 2 2-4 9 3 30 29ff. Mi 41-8 Jer 3 22f. 30 I9ff. Von der Opferdarbringung in der Heilszeit spricht nur Zephanja (3io). Schließlich nennt Jes 6 einen opferlosen Gottesdienst des Zion-Tempels, in dem fast nur die WortElemente eine Rolle spielen1. Diese gottesdienstlichen Handlungen mögen wir heute kultisch nennen, nach den im vorexilischen Israel geltenden Begriffen waren sie es zweifellos nicht. Kultus war ohne Opfer, Tabu-Vorschriften und andere rituelle Satzungen nach den Vorstellungen der damaligen Zeit kein Kultus mehr. Wenn die Propheten kaum über einen Jahwe wohlgefälligen Kultus, dafür aber sehr deutlich und ausführlich von der rechten Gottesbeziehung und dem daraus folgenden menschlichen Verhalten sprechen, so zeigt das, daß er für sie keinen objektiven Eigenwert besitzt. Er ist nur ein Ausdruck der Gottbezogenheit des Menschen. Diese Gottbezogenheit selbst hatte das Bundesvolk, nach der Ansicht der Propheten, im Räume der Geschichte und des täglichen Lebens zu realisieren und zu bewähren. Von da aus ist auch die Ablehnung des kultischen Gebets zu verstehen. Weil diese Anrufung Jahwes aus einer falschen Religiosität heraus kam, d. h. weil sie im Zusammenhang eines verkehrten Kultus und gottlosen Lebens geschah, deshalb wurde sie verworfen. Man kann nicht den umgekehrten Schluß ziehen: weil nicht das Gebet an sich verworfen wird, wird auch der Opferkult nicht an sich, sondern nur seine entartete Form verworfen. Das hieße die Propheten zu Kultreformern machen, was sie gewiß nicht waren. Der Kultus — er ist nach allem, was wir über die vorexilische Zeit wissen, ohne Opfer nicht denkbar 2 — war nach dem Urteil 1 Das Gebot der Sabbatheiligung (Am 8 4ff. Jer 17 19-27) gehört nicht hierher, weil es nicht unter dem kultischen Aspekt, sondern mehr von seinem Einfluß auf das wirtschaftliche und soziale Leben her gesehen wird. Jer 17 19-27 ist vom Deuteronomisten überarbeitet. 1 Gegen MOWINCKEL, Psalmenstudien II, S. 19. Damit soll nicht geleugnet werden, daß der Kult auch andere Elemente als das Opfer enthielt, doch diese erhalten nur in ihrer Bezogenheit auf das Opfer ihren Sinn und ihre Bedeutung. Freilich können auch die Wortelemente des Kultus bis zu einem gewissen Grade ihrerseits das Verständnis des Opfers beeinflussen. Daß sie es nur in einem sehr beschränkten Maße vollbringen konnten, zeigt die Geschichte des israelitischen Kultus deutlich genug. In nachexilischer Zeit, als an die Stelle des Volkes eine reine Religionsgemeinde getreten ist, gelang diese Umdeutung zwar besser, aber sie wurde

9. Der Begriff des Kultischen

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der vorexilischen Propheten unzertrennlich mit der falschen, von menschlichen Bedürfnissen und Wünschen her bestimmten Religiosität verbunden. In ihm verdichtete und verkörperte sich dieses gottwidrige, weil nur auf eigene Selbstbehauptung und Selbstsicherung bedachte Streben des Menschen. Die Polemik der Propheten ist von ihren Zeitgenossen sicher als grundsätzliche Ablehnung des Kultus verstanden worden. durch eine völlige Sinnentleerung des Kultus, die ihn zu einer bloßen Gehorsamsübung gemacht hat, erkauft. Dieser Verlust des Eigenwertes hat den Kultus sachlich überflüssig gemacht, schon lange bevor er durch die Tempelzerstörung beseitigt wurde. Vgl. S. MOWINCKEL, Religion und Kultus, Göttingen 1963, S. 10—13 und 102—108. A. BERTHOLET, Zum Verständnis des alttestamentlichen Opfergedankens, J B L 1930; ders., Der Sinn des kultischen Opfers, APrW Phil.-hist. Kl. 2, 1942/43; ders., Über kultische Motiv Verschiebung, APrW X V I I I , 1938.

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal i. Abgrenzung der Aufgabenbereiche der israelitischen Priester und Propheten Die Schwierigkeiten, die bei dem Versuch einer klaren Abgrenzung der Aufgabenbereiche der israelitischen Priester und Propheten entstehen, sind dadurch bedingt, daß das Wort ifai zur Bezeichnung von Gestalten der israelitischen Religion, deren Wesen und Aufgaben sehr verschieden sind, verwendet wird. Als werden sowohl die großen Gestalten der israelitischen Religion wie Mose und Samuel bezeichnet, die zugleich Priester, Propheten und Verkündiger des Gottesrechts sind, als auch die oppositionellen Propheten des Nordreiches wie Elia, Elisa und Micha ben Jimla sowie die sog. Schriftpropheten und ihre Gegner, die Heilspropheten. Auf Grund dieser Überschneidung der prophetischen und priesterlichen Funktionen stellen manche Forscher einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den israelitischen Priestern und Propheten in Abrede 1 . Die Propheten werden dann als Kultbeamte angesehen, deren Aufgaben sich von denen der Priester grundsätzlich nicht unterscheiden. Diese Grenzverwischung zwischen den Aufgabenbereichen der Priester und Propheten ist außerdem durch die Unbestimmtheit und Allgemeinheit der rein phänomenologischen Begriffsbestimmung bedingt, die ja eine große Zahl verwandter, aber doch auch sehr differenzierter Erscheinungen umfassen muß. So bezeichnet VAN DER LEEUW2 den Propheten als den »Sprecher« der Gottheit. Das ist freilich auch der Priester. Weitere Schwierigkeiten bei der Abgrenzung beider Stände erwachsen daraus, daß man zum Ausgangspunkt der phänomenologischen Bestimmung des Priester- und Prophetentums ein postuliertes homogenes Stadium der »primitiven Einheitskultur«, in dem ihre Funktionen noch nicht", oder ein spätes Verfallsstadium der Kultur, in dem sie nicht mehr genau voneinander unterschieden 1 MOWINCKEL, Psalmenstudien III, S. 6; ders., Religion und Kultus, S. 64— 67; A. HALDAR, Associations of Cult-Prophets among the Ancients Semites, Uppsala 1946. Vgl. die Besprechung dieses Buches durch E I S S F E L D T , ThLZ 73, 1948. H A L D A R sieht in den verschiedenen Titeln der Kultbeamten, die man gewöhnlich als Priester und Propheten unterscheidet, nur Bezeichnungen verschiedener kultischer Funktionen und Situationen. Sie werden dem das betreffende Ritual gerade vollziehenden Kultbeamten beigelegt, a. a. O. S. 199. * G. VAN DER LEEUW, Phänomenologie der Religion, Tübingen 1923, S. 204.

1. Abgrenzung der Aufgabenbereiche der israelitischen Priester und Propheten

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werden können, wählt. Dabei ist es durchaus fraglich, ob der Begriff »primitive Einheitskultur« für Israel anwendbar ist, denn der Mittelpunkt einer solchen Kultur, nämlich der Häuptling, fehlt in der Frühzeit Israels. Mose und Samuel sind nicht »Häuptlinge«, sondern Träger eines besonderen Amtes des Stämmeverbandes, des Amtes des Bundesmittlers, das ausgesprochen charismatischen Charakter hat und priesterliche, prophetische sowie sakralrechtliche Funktionen umfaßt. Dieses Amt, das einen Sonderfall darstellt, darf nicht den Ausgangspunkt für die Bestimmung des Wesens und der Aufgaben der israelitischen Priester und Propheten bilden. Genausowenig darf man dabei von den Verhältnissen der nachexilischen Zeit ausgehen, in der die Charismatiker längst ihren ursprünglichen, spontanen Charakter verloren und deshalb den unpersönlichen Amtscharakter des Priestertums angenommen haben. Wenn man von diesen Grenzfällen vorläufig absieht, dann läßt sich in der alttestamentlichen Überlieferung eine Unterscheidung zwischen Priestern und Propheten auf Grund der Art, in der das Gotteswort vermittelt wird, durchführen. Erfährt der Priester den Willen der Gottheit mehr aus seiner Kenntnis der sakralen Tradition heraus und mit technischen Hilfsmitteln der Gottesbefragung, so ergeht das göttliche Wort durch den Mund des Propheten spontan und unmittelbar, was häufig, freilich nicht immer, mit Ekstase verbunden ist. Jedenfalls ist die persönliche Begabung, die außergewöhnliche Fähigkeit zum Wortempfang bei dem Propheten ausschlaggebend. Die technischen Mittel, sofern es sich nicht um Entartungserscheinungen handelt, dienen nur der Steigerung dieser Fähigkeit. Bei aller Bindung an bestimmte sakrale Traditionen tritt uns das Prophetentum in der alttestamentlichen Überlieferung als eine vom Priestertum recht unabhängige und unterschiedliche Größe entgegen. Die Nivellierung dieses Unterschiedes ist meistens dadurch bedingt, daß man, von außerisraelitischen Beispielen ausgehend, das Wesen der israelitischen Prophetie von der allgemein phänomenologischen, formalen Seite zu erfassen sucht 1 . Man hebt dabei zu sehr das amtlich-institutionelle Moment des Prophetentums hervor, meist an der Hand später, epigonenhafter Erscheinungen, bei denen das agendarisch festgelegte Prophetenwort im Kult an die Stelle der echten Inspiration tritt. Auch die Epigonen wahren noch den Schein echter Inspiration, und ihr Festhalten an der Form zeigt, daß man immer vom Propheten ein inspiriertes, also unmittelbar von der Gottheit stammendes Wort erwartete. Wo die echte Begeisterung, das echte Charismatikertum erlischt, da tritt an seine Stelle die Nachahmung, 1 Siehe die Begriffsbestimmung bei vgl. S. 6 - 8 .

MOWINCKEL,

Psalmenstudien

III,

S.

6;

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VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

die erstarrte Form. Das Priestertum übernimmt dann oft die Funktionen des Prophetentums. Ursprünglich ist das aber nicht. Schließlich versucht man, die technische Mantik — zweifellos vornehmlich ein zum Priestertum gehöriger Bereich — dem Prophetentum zuzuschieben. Diese Gleichmachung ist schon rein religionsgeschichtlich gesehen nicht haltbar, da in vielen Religionen Priester und Propheten als zwei verschiedene Typen der Mittler zwischen Gott und Mensch empfunden werden 1 . Deshalb scheint es mir ratsam, die von der neueren Forschung so betonte Beziehung des israelitischen Prophetentums zum Kult dahingehend einzuschränken, daß sie grundsätzlich nichts anderes besagt, als daß die Propheten von der offiziellen Religion anerkannte Mittler zwischen Gott und Mensch sind. Von den Priestern unterscheiden sie sich durch die Art, auf die sie diese Vermittlung ausüben. Der Prophet ist auch eine Art Amtsträger, jedoch besonderen Charakters. Das prophetische »Amt« innerhalb der israelitischen Religion ist ein Ausdruck für deren Offenheit gegenüber dem irrationalen, spontanen Element in der Gottesvorstellung. Seine Existenz zeigt, daß man im Umgang mit der Gottheit mit Überraschungen zu rechnen hat, daß man ihn nicht ausschließlich auf feste, statuarische Formen beschränken kann. In der Anerkennung der Propheten als eines Faktors der offiziellen Religion wird das Irrationale der göttlichen Wirkungsweise auf der einen und das menschliche Bedürfnis nach spontanen, begeisterten Äußerungen des Erlebens der göttlichen Macht auf der anderen Seite dokumentiert. Die Propheten sind die eigentlichen homines religiosi, die von der göttlichen Macht oder dem Geist Gottes Besessenen. Die Einordnung der Prophetie in die offizielle Religion bedeutet freilich zugleich die Einschränkung der außerordentlichen, spontanen Wirkungsweise Gottes auf einen begrenzten Bereich, während zugleich umgekehrt das dem prophetischen Amt trotz aller Ansätze zum »Institutionellen« eigene Irrationale, nicht durch feste Regeln Faßbare den Amtscharakter der Prophetie in Frage stellt und das Prophetentum letztlich der menschlichen Verfügungsgewalt entzieht. So kann der Prophet sowohl im Kultus neben dem Priester seinen Platz erhalten, als auch eigene Formen des Umgangs mit der Gottheit schaffen, die mit dem an den heiligen Stätten von denPriestern verrichteten Dienst nur in sehr losem Zusammenhang stehen. Kultisch bleibt sein Handeln, solange es sich innerhalb der von der Gemeinschaft als gültig anerkannten Grenzen bewegt, die vor allem durch die Gottesauffassung der israelitischen Religion gesetzt sind. Eine solche, allgemeine Bindung an die offizielle Religion besagt aber noch nichts über den institutionellen Charakter des Prophetentums. Der Begriff des »Kultpropheten« — 1

V g l . VAN DER L E E U W , P h ä n o m e n o l o g i e

§§ 2 6 u n d

27.

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2 a Aufgabe und Bedeutung des Priestertums in der Jahwereligion

soll er überhaupt einen wissenschaftlichen Wert haben — muß vielmehr den Männern vorbehalten bleiben, die als organisierte Gilden zum beamteten Kult personal gehören, und deren Mitwirkung an der Gestaltung des Kultus agendarisch festgelegt ist. Das Prophetentum steht also in zweifacher Gefahr. Erstens kann es mit dem Nachlassen der echten Begeisterung und Inspiration im Priestertum aufgehen. Dem kommt das Bedürfnis jedes kultischen Handelns nach einer festen, agendarischen Form entgegen. In einem solchen Fall wird der Prophet zum Verleser ein für allemal festliegender »Prophetenworte« im Gottesdienst, wobei der Schein echter Spontaneität mehr oder weniger glaubhaft aufrechterhalten werden kann. Damit verliert das Prophetentum seine Selbständigkeit und Besonderheit. Zweitens kann das Prophetentum den für es vorgesehenen Raum innerhalb der offiziellen Religion verlassen und in Widerspruch zu ihr geraten. Dann wird es entweder aus ihr als häretisch ausgeschieden, oder es wirkt umgestaltend und befruchtend auf die ganze Religion. Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen heraus ergeben sich folgende Fragen: 1. Läßt sich im AT eine klare Scheidung zwischen Priestern und Propheten durchführen ? 2. In welchem Verhältnis standen die Propheten zum Kultpersonal ? 3. Bilden die Schriftpropheten eine selbständige Erscheinung, die sich von allem, was wir sonst im AT als Propheten bezeichnet finden, wesentlich unterscheidet ? 4. Muß das israelitische Prophetentum noch weiter differenziert werden, und setzt diese Differenzierung das Bestehen verschiedener prophetischer Organisationen voraus? Zur Beantwortung dieser Fragen muß zuerst das Verhältnis zwischen Priester- und Prophetentum im AT und die Stellung der Schriftpropheten zu diesen beiden Größen untersucht werden. 2. Das israelitische Priestertum 2 a. Aufgabe und Bedeutung des Priestertums in der Jahwereligion

Die innere Stabilität und Kontinuierlichkeit der Tradition bildet das charakteristische Merkmal des israelitischen Priestertums. Es hat sehr wesentlich zur Festigung und Erhaltung der Jahwereligion beigetragen, indem es die Bildung fester, heiliger Normen sowohl kultischer als auch rechtlich-ethischer Art gefördert hat und somit gewissermaßen den Leib der neuen Religion zu gestalten half. Kultus und Gottesrecht waren die äußeren Mittel, die den losen Stämmeverband der Mose- und Josua-Richter-Zeit zusammenhielten und der ideellen Glaubenseinheit die sichtbaren Formen verliehen. Ständige Erhalter und Verwalter von beiden waren die Priester. Damit ist bereits angedeutet, daß das Priestertum innerhalb der Jahwereligion Hentachke, Die Stellung der vorcxilischen Schtiftpropheten zum Kultus

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VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

vor allem die Pflege des Gottesrechts und seine Weiterentwicklung und Anwendung auf die sich jeweils verändernden Verhältnisse zur Aufgabe hatte. Der Dienst als Berater und Lehrer des Volkes, als Vermittler der göttlichen Entscheidungen (öBtfa) und Weisungen (nnln) tritt bei ihm schon sehr bald in den Vordergrund (vgl. Dtn 33 8-11). Die Einfachheit des dabei benutzten Losorakels (Orim und Tümmim) und die Ausscheidung anderer technischer Mittel der Gottesbefragung verhinderten die Herausbildung eines komplizierten priesterlichen Geheimwissens, das z. B. in der babylonisch-assyrischen Religion eine so große Rolle spielte. In der Jahwereligion hingegen verlagert sich die Aufgabe des Priesters bei der Orakeleinholung mehr auf das rationale Gebiet der richtigen Formulierung der an Gott gerichteten Fragen. Damit ergab sich von selbst die Aufgabe der Aufhellung und Beurteilung der vom Laien vorgebrachten Tatbestände vom Gottesrecht her und die Belehrung des Laien. Den Niederschlag dieser belehrenden Tätigkeit der israelitischen Priesterschaft finden wir in dem so ausgeprägten ethisch-paränetischen Interesse der ältesten Gesetze und Erzählungen des A T und der bereits in vorexilischer Zeit geformten entsprechenden Stilgattung. Natürlich galt das Interesse der israelitischen Priester nicht minder den rein kultischen Fragen, wie Opfer, Lustrationen, kultische Reinheitsvorschriften usw. Beides wurde als Willenskundgebung Jahwes anerkannt. Der Gott Israels wird auch in der priesterlichen Tradition als Person empfunden und nicht als eine unpersönliche Macht, die durch Tabugebote von der Berührung mit der profanen Welt geschützt, bzw. durch magische Handlungen ihr erschlossen und vermittelt werden soll. Die kultischen Verrichtungen verlieren ihren magischen, die Gottheit zwingenden Charakter und werden in steigendem Maße zu Gehorsamsakten. Dies ist nicht erst das Produkt exilischer und nachexilischer Zeit, sondern diese Tendenzen finden wir bereits im vorexilischen Israel; restlos durchgesetzt haben sie sich allerdings erst in nachexilischer Zeit. Diese Hinweise und der Vergleich mit anderen altorientalischen Religionen, in denen zwar auch das Recht als sakrales Recht zu den göttlichen Forderungen gehört, aber sowohl formal als auch inhaltlich eine weit geringere Rolle den kultischen Vorschriften gegenüber spielt 1 , mögen in unserem Zusammenhang genügen, um die umgestaltende Wirkung des Jahwe-

1 Das sieht man z. B. daraus, daß im sumeiisch-akkadischen und im hethitischen Recht so wichtige Rechtsgebiete wie das Familien- und Eherecht sowie Bestimmungen über Sklaven unter dem privatrechtlichen Gesichtspunkt des Vermögens- bzw. Sachenrechts behandelt werden. In Israel gehören sie zu dem Bereich der wichtigsten Gottesgebote; vgl. J . HEMPEL, Das Ethos des AT, ZAWB 67, 1938, S. 6 2 - 6 5 , 6 8 - 7 8 und 1 6 1 - 1 9 4 .

2 a. Aufgabe und Bedeutung des Priestertums in der Jahwereligion

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glaubens auf die allgemein- priesterliche Religionsauffassung anzudeuten. Der Inhalt des israelitischen Gottesrechts bildet die gemeinsame Basis für die Wirksamkeit der Priester und der Propheten. Bei aller Verschiedenheit der Gottesauffassung gilt doch der Inhalt der religiösethischen Gebote auch den Propheten als göttlich und für Israel verbindlich. Die Herausbildung und Festigung dieser gemeinsamen Basis ist das Werk der Jahwepriesterschaft. Ihre konservativ-festigende Wirkung auf die Religion und Sittlichkeit des vorexilischen Israels kann man vielleicht so umschreiben: Ihr Bestreben galt der Aufrichtung einer stabilen, heiligen (nach der sittlichen und kultischen Seite hin) Rechtsordnung. Das Bundesvolk soll als Ganzes schon jetzt die Bundespflichten erfüllen. Diesem Bemühen liegt der Glaube zugrunde, daß die Gottesherrschaft empirisch verwirklicht werden kann. Die positive Seite der priesterlichen Wirksamkeit kam freilich nicht ungehemmt in der Geschichte Israels zur Geltung. Die Hemmungen waren teils geschichtlich bedingt, teils lagen sie in dem Wesen der priesterlichen Gottes- und Weltauffassung begründet. Unter den erstgenannten Faktoren sind die Einflüsse zu nennen, die von den alten kanaanäischen Heiligtümern auf die Jahwepriesterschaft ausgingen. Bei der Besitzergreifung dieser Heiligtümer durch die Israeliten und ihrer Eingliederung in die Jahwereligion zieht dort meist das neue israelitische Kultpersonal ein. In vielen Fällen wird wohl die Verdrängung der alten kanaanäischen Priesterschaft nicht vollständig gelungen sein. Jedenfalls wies auch die Jahwepriesterschaft nicht immer genügend Widerstandskraft gegen die kanaanäischen Einflüsse auf. Darauf können wir aus den an diesen Ortsheiligtümern herrschenden Zuständen schließen. Leider lassen die Quellen keinen genaueren Einblick in die sich an dieser Frage vollziehende Parteibildung innerhalb der israelitischen Priesterschaft zu. Im Nordreich scheint sie jedoch viel früher und stärker die synkretistische Richtung eingeschlagen zu haben als in Juda. Ein sehr wichtiger Faktor ist ferner die Bindung an das Königtum und die steigende Abhängigkeit von ihm. Seit David gehören die Priester zu der königlichen Beamtenschaft. Das trifft in erster Linie für die großen Reichsheiligtümer zu x . Dieser Zustand setzt sich auch nach der Reichsspaltung fort, im Nordreich (vgl. Am 7 13) nicht minder als im Süden; 1 Auch die levitische Priesterschaft verhielt sich den kanaanäischen Einflüssen gegenüber nicht immer ablehnend. Man kann sie nicht zum alleinigen Träger der alten spezifisch-jahwistischen Traditionen machen (vgl. J d c 17—18). Die starke Kanaanisierung der Heiligtümer des Nordreiches, die z. T. sicher levitische Priester besaßen, spricht dagegen (HÖLSCHER, Geschichte der isr. und jüd. Religion, 1922, S. 9 0 - 9 3 ) .

9*

132

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

nur scheint das Priestertum im Nordreich nicht das gleiche politische Gewicht erlangt zu haben wie in Juda. Das ist sicher in der Mehrzahl der miteinander konkurrierenden großen Heiligtümer und in dem charismatischen Charakter des Königtums im Nordreich begründet. In Jerusalem wirkte sich die polemische Haltung gegenüber dem kanaanisierten Kultus des Nordreiches und die überlegene Bedeutung des Zionstempels günstig auf die Erhaltung der mosaischen, jahwetreuen Tendenzen der Priesterschaft aus Diese kommen in den beiden Reformversuchen unter Hiskia und Josia zum Ausdruck. Auch im Nordreich sind die alten heilsgeschichtlichen und sakralrechtlichen Traditionen Israels nicht völlig vergessen worden. Noch Arnos und Hosea setzen ihre Pflege an den Heiligtümern des Nordreiches voraus (siehe IV, 2 und 3). Wahrscheinlich gab es auch unter den Priestern dieser Heiligtümer Anhänger der oppositionellen, prophetischen Bewegung, die vielleicht vom Priesteramt verdrängt wurden. Gleichwohl machte die Kanaanisierung des Kultus im Nordreich rasche Fortschritte. Das sieht man daran, daß noch Arnos allein gegen das falsche Vertrauen auf die heilbringende Wirkung des Jahwekultes polemisiert, während Hosea gegen seine Überfremdung ankämpft. Allerdings liegt in der Abhängigkeit vom Königtum und der damit verbundenen Machtsteigerung der Jerusalemer Priesterschaft der Grund zu ihrer Entartung und zur Preisgabe der genuinjahwistischen Tendenzen. Ihre bevorzugte Stellung führt zu Auseinandersetzungen mit der Priesterschaft der Lokalheiligtümer. Diese waren um so eher zu Konzessionen an die alten kanaanäischen Bräuche des Naturkults bereit, um so die Anziehungskraft ihrer Heiligtümer zu steigern und sich dem Jerusalemer Tempel gegenüber behaupten zu können. Der äußere Glanz, der steigende materielle Aufwand des Opferkults und der sich immer stärker durchsetzende Wille der Jerusalemer Priesterschaft zur kidtischen Monopolstellung in Juda begünstigen die Bildung einer streng abgeschlossenen, hierarchisch gegliederten Priesterkaste. Sie verfiel oft genug der Geld- und Machtgier so hemmungslos, daß sich sogar die Könige zum Einschreiten gezwungen sahen2. Aber auch abgesehen von diesen säkularen Motiven hatte das enge Bündnis mit dem Königtum seine negativen Auswirkungen. Der reiche Opferkult, der ja größten1

Vgl. I Reg 1612-18 22 47 II Reg 11. Die in mancher Beziehung fühlbare Verwandtschaft des Deuteronomiums mit der Botschaft der Propheten zeigt, daß beide auf dem gemeinsamen Boden der alten religiösen Überlieferung standen. Erst diese Gemeinsamkeit ermöglichte die Aufnahme mancher prophetischer Elemente in das deuteronomische Programm. * Dies läßt nicht nur die Polemik der Propheten, sondern auch II Reg 12 l-l« erkennen.

2a. Aufgabe und Bedeutung des Priestertunis in der Jahwereligion

133

teils vom Staat getragen wurde, gewann im steigenden Maße eine Eigenbedeutung, die ihm in der Jahwereligion nicht zukam. E r wurde immer mehr verobjektiviert, d. h. der Vollzug des Kultus an sich und die Quantität der Opfer gewannen an Bedeutung, wobei die Person des Darbringenden in den Hintergrund trat. Der Schwerpunkt des Interesses verlagerte sich bei der Priesterschaft auf die glänzenden und gewinnbringenden Opferhandlungen, und die Pflege des Gottesrechts sowie die Tora-Erteilung traten zurück. Der rege Tempelbetrieb und die herausgehobene Stellung der Priester wirkten sich dahingehend aus, daß diese die Fühlung mit den breiten Volksschichten verloren und zu Parteigängern des Königs und der höheren Stände wurden. Die Vernachlässigung der beratenden und belehrenden Funktionen brachte das Priestertum um die sittlichen Tiefenwirkungen auf das Volk, die ihm die Jahwereligion als die vornehmste Aufgabe zugewiesen hatte. Das enge Bündnis der Jerusalemer Priesterschaft mit dem Königtum führte weiter zum bereitwilligen religiösen Eingehen auf die Außenpolitik des Königs. Dies hatte weitgehende kultische Konsequenzen, denn das Vasallenverhältnis — um dieses handelt es sich ja bei den außenpolitischen Bündnissen Judas in der Regel — bedeutet zugleich die Verehrung der Gottheiten des betreffenden Großreiches. Die Fremdkulte, vor allem die assyrisch-babylonischen, werden auf das Geheiß des Königs in das judäische Reichsheiligtum, den Zionstempel, eingeführt, ohne daß wir etwas von einem nennenswerten Widerstand von seiten der dortigen Priesterschaft hören. Das bedeutet freilich keine Abschaffung des Jahwekults, sondern die Verehrung Jahwes als einer den Hauptgöttern des betreffenden Großreiches untergeordneten Nationalgottheit. Ein solches Nebeneinander mußte zu einer fortschreitenden Grenzverwischung zwischen den verschiedenen Kulten führen. Damit war der Verlust des Unterscheidungsvermögens für das, was mit der Jahweverehrung vereinbar war, nicht nur beim Volke, sondern auch bei der Priesterschaft verbunden. Diese war insofern besonders gefährdet, als sie wohl nicht selten verschiedene Kulte zu besorgen hatte (vgl. II Reg 16 10 ff.). Auf diesem allgemeinen Hintergrund gilt es nun, die Äußerungen der vorexilischen Schriftpropheten über die Priester zu betrachten. E s kommt in diesem Zusammenhang nicht nur darauf an, die prophetische Kritik an der zeitgenössischen Priesterschaft zu erfassen, sondern auch darauf, festzustellen, ob sich im israelitischen Priesterund Prophetentum zwei grundsätzlich verschiedene Gruppen oder Institutionen gegenüberstehen, oder ob wir es mit einer inneren Spaltung des Tempelpersonals zu tun haben.

134

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

2 b. Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Priestertum Die Polemik gegen das Priestertum nimmt bei den Schriftpropheten einen viel kleineren Raum ein als die gegen das Prophetentum, in dem sie offenbar die größere Gefahr für Israel erblickten 1 . Außer den Stellen, an denen beide Stände nebeneinander erwähnt werden, und dabei der Nachdruck mehr auf dem Treiben der Propheten liegt, kommen hier folgende Aussagen in Betracht: Hos 41-14 wird die Größe des Abfalls des Volkes von Jahwe geschildert, an dem die Priester nicht nur beteiligt, sondern in erster Linie schuld sind, weil sie die Erkenntnis verworfen und die Tora vergessen haben. In diesem Abschnitt kommen des öfteren Anspielungen auf Fruchtbarkeitsriten (Hos 4ioff. i3f.), z . B . kultische Prostitution vor, die j a bekanntlich zeitweise auch im Jahwekult, besonders im Nordreich, ausgeübt wurde. Bei der schärfsten Verwerfung der gegenwärtigen Vertreter der Priesterschaft läßt Hosea hier durchblicken, was er von rechten Jahwepriestern erwartet. Bemerkenswert ist, daß er die priesterliche Unterweisung auf Kosten des Opferkults in den Vordergrund rückt. Die Verderbnis des Volkes in seiner Gesamtheit ist so tief, daß Hosea nur noch das Gericht ankündigen kann, zu dem die Entfernung der Priester aus ihrem Amt gehört 2 . Auch J e s a j a wirft den Priestern die Vernachlässigung und Verfälschung ihrer unterweisenden Aufgabe vor (Jes 28 7). Allerdings scheint er e i n e n Priester gekannt zu haben, den er als zuverlässigen Zeugen für seine prophetische Handlung in Anspruch nehmen konnte (Jes 82). Ändert auch diese Tatsache kaum etwas an dem Urteil des Propheten über die zeitgenössische Priesterschaft, so ist sie aus einem anderen Grunde interessant. Sie zeigt, daß J e s a j a offensichtlich als Prophet Jahwes von den Beamten der offiziellen Religion und Gesellschaft 3 anerkannt wurde, so daß sich auch die führenden Leute des Staates und der Religion seiner Aufforderung schlecht entziehen konnten 4 . Man kann diese Anerkennung m. E . nicht als Beweis für den »Amtscharakter« der Propheten, sondern als ein Zeichen der Autorität, die Siehe O. PLÖGER, Priester und Prophet, ZAW 63, NF. 22, 1961. Vgl. die Verurteilung der Priester zusammen mit anderen Ständen Hos 6 1-5. Der T e x t von Hos 6 9 ist so schlecht erhalten, daß er hier kaum verwertet werden kann. * Sacharja ist wohl ein angesehener Vertreter der höheren Stände, worauf die Erwähnung seiner Abstammung hinweist. 4 Man könnte dies auch aus der Sonderstellung Jesajas als des Aristokraten unter den Propheten erklären. Dies erscheint mir jedoch nicht ratsam, weil auch Jeremia in ähnlicher Weise die Funktionäre des Staates in Anspruch nimmt ( J e r 19 1 29 1). Jes 37 s gehört zu der Jesaja-Erzählung und besagt deshalb wenig über die tatsächlichen Verhältnisse seiner Zeit. Absichtliche Übertreibung zugunsten des Propheten ist unverkennbar. 1

a

2 b . D i e Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Priestertum

135

sie als Werkzeuge Jahwes in Israel genossen, verstehen. Mochte man sich persönlich zu ihrer Botschaft stellen wie man wollte, ihren Anspruch auf Besitz des Jahwewortes wagte man doch nicht rundweg abzulehnen. Die Botschaft der Schriftpropheten blieb auch unter den höheren Ständen nicht ganz unbeachtet. Vielleicht gehören ihre beiden hier genannten Vertreter (Jes 8 2) zu den Gönnern des Propheten, von denen wir auch sonst gelegentlich erfahren (vgl. Jer 2624). Zeph 1 4 wendet sich anscheinend gegen Fremdkulte und ihre Priester (v. 4 D^ipE'D? ist wohl Zusatz). "ipähat immer abwertenden Sinn und wird mit Vorliebe für Priester fremder Kulte gebraucht oder stellt die Jahwepriesterschaft auf die gleiche Stufe mit ihnen (vgl. Hos 10 5). Dagegen verwirft Zeph 3 4 die Propheten wegen ihrer Zuchtlosigkeit, Frechheit (onnb v. 4) und Treulosigkeit (nnjä), die Priester aber wegen Entweihung des Heiligen und Vergewaltigung (Dan), d. h. willkürlicher Erteilung der Tora. Der Zusammenhang läßt bei der Entweihung des Heiligen nicht an kultisch-rituelle, sondern an ethische Vergehen denken. Jer 2 8 — die Priester verfehlen ihre eigentliche Aufgabe, indem sie Jahwe nicht suchen und ihn nicht erkennen, genauso wie die weltlichen Führer, die seine Ordnungen übertreten. Offenbar sieht Jeremia als das eigentliche Gebiet, auf dem sie Jahwe suchen sollen, nicht den Kultus an, sondern die existentielle Erkenntnis seines Wesens und Willens aus der Geschichte und dem sakralen Bundesrecht sowie die entsprechende Einwirkung auf das Volk. Jer 8 8 f. ist selbständiger Spruch, in Stichwortanordnung an 8 7 angeschlossen, mir rnin (v. 8) und mrp "D"! (v. 9) sind als Gegensätze zu verstehen1. Die hier gemeinten Personen sind die gleichen wie in Jer 2 8 und 18 18. Es sind die Priester, die als Verwalter der Tora »Weise« heißen. Die Weisen ( D , D D n ) und die Schreiber ( o n i p b ) haben sich als besonderer Stand noch nicht vom Priestertum emanzipiert. Ihrem selbstsicheren Pochen auf den Besitz der geschriebenen Tora gegenüber bezeichnet Jeremia dieselbe als Fälschung. Es ist wohl kaum anzunehmen, daß damit das Deuteronomium gemeint ist, sondern die Tora allgemein2, also die Sammlung von Gesetzen und Weisungen kultischer und sittlicher Art 3 . Durch ihren Stolz auf das schriftlich fixierte Gesetz sperren sich die Priester gegen das 1

So RUDOLPH, Jer. z. St. und EICHRODT, Theologie I , S. 187.

2

So RUDOLPH, Jer.; HÖLSCHER, Z A W 40, 1922, S. 235f. und BENTZEN, D i e

josianische Reform, S. 124. 3

CH. TORREY, T h e b a c k g r o u n d of Jeremia 1—10.

zu einseitig die Kultvorschriften —

S. 197.

J B L 66, 1937 betont wohl

136

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Hören des prophetischen Wortes. Das Gesetz ist zur menschlichen Sicherung gegen die unmittelbare Konfrontierung mit Jahwe geworden. Es ist möglich, daß Jeremia von diesem Standpunkt aus bereits die schriftliche Fixierung der Tora ablehnt, weil damit der Berufung auf den Buchstaben und der spitzfindigen Auslegung durch die Priester Vorschub geleistet wird 1 . Als Gegner Jeremias erscheinen die Priester 1 18 4 9 13 13 (zusammen mit den führenden Schichten) 613 1818 (Priester und Propheten) 2 . Seine Mißhandlung durch den Priester und Oberaufseher des Tempels (Jer 20 l-e), der ja zugleich anscheinend Prophet war (v. e), dient als Beleg für die Existenz der Tempelpropheten in Juda. Die Stelle besagt nicht, daß die Propheten allgemein den Priestern untergeordnet waren, sondern daß der Oberpriester, genau wie in neutestamentlicher Zeit, für die Ruhe und Ordnung im Tempel zu sorgen hatte. Wie Jer 29 26 zeigt, muß das »verrückte« Benehmen der ekstatischen Nebiim besonders oft Anlaß zum Einschreiten geboten haben. Jedenfalls bestätigen diese Stellen, daß am Jerusalemer Tempel allerhand unkontrollierbare, also nicht institutionell organisierte ekstatische Propheten auftraten. Außerdem läßt Jer 20 6 die Vermutung zu, daß der Oberaufseher gleichzeitig der Leiter der Kultprophetengilde war. Der Überblick über die Geschichte der israelitischen Priesterschaft und die bisher berücksichtigten Äußerungen der Propheten über sie führen zu folgenden Ergebnissen: 1. Das israelitische Priestertum stellt eine ziemlich fest umrissene, selbständige Größe dar. Es hat den Übergang des Stämmeverbandes zu der Jahwereligion mit vollzogen und ist nicht durch eine allmähliche Differenzierung ursprünglich in einem Vertreter vereinter sakraler Funktionen entstanden, sondern als eine im wesentlichen fertige Institution von der Jahwereligion übernommen worden. 2. Die vorexilischen Schriftpropheten sehen sich dem Priestertum als einem geschlossenen, feindlichen Stand gegenübergestellt. Sie zeigen keine innere Verwandtschaft oder Gemeinsamkeit mit ihm. Nicht einmal Jeremia, der aus einer Priesterfamilie stammt, fühlt sich ihm zugehörig. 3. Die Schriftpropheten verurteilen die entarteten zeitgenössischen Vertreter des Priesterstandes. Von den priesterlichen Funktionen nennen sie vor allem die Tora-Erteilung, deren Vernachlässigung ihnen als das schlimmste Vergehen der Jahwepriesterschaft gilt, und die sie infolge dieses Versagens selbst übernehmen. So ÖSTBORN, Tora, S. 109 und 153. Jer 3114 3318.21 sind spätere Zusätze. Untreue und Ungehorsam aller Stände einschließlich der Priesterschaft werden Jer 32 32 34 19 gezeigt. 1

2

3a. Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft

137

Vor der genaueren Bestimmung des Unterschieds zwischen dem Priester- und Prophetentum muß eine Untersuchung des Wesens des letzteren und seines Verhältnisses zu den Schriftpropheten erfolgen. 3. Das israelitische Prophetentum im 8.—6. Jahrhundert 3 a. Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft E s handelt sich hier um die vielumstrittene Frage nach dem Zusammenhang zwischen Prophetie und Kultus. Die extremste Stellung nimmt JUNKER ein. Für ihn sind die Prophetengemeinschaften, die im Zusammenhang mit Samuel, Elia und Elisa genannt werden, ausnahmslos Gruppen von Kultpropheten, deren »Aufgabe es war, in besonderer Weise an den Kultfeiern mitzuwirken, namentlich insofern es sich dabei um das von Musik und heiligem Tanz begleitete kultische Lied handelt« 1 . Ihre sonstige Tätigkeit bezeichnet JUNKER als nicht so wesentlich. »Die Prophetenvereine sind keine von den großen prophetischen Führern erst zur Unterstützung ihrer Wirksamkeit geschaffenen .Schülergemeinschaften', sondern wurzeln im Kult« 2 . Damit mag er insofern im Recht sein, als die großen Führer der Nebiim diese Gemeinschaften nicht erst ins Leben gerufen haben; er verzerrt jedoch den Bestand der alttestamentlichen Überlieferung, da wir vor Samuel nichts von solchen Nabigemeinschaften hören. E s mag sein, daß sie schon früher in irgendwelcher Form existiert haben, aber zum wesentlichen Faktor der Jahwereligion sind sie erst durch Samuel geworden. Elia u. a. wirkten im Sinne Samuels weiter. Nach der alttestamentlichen Überlieferung sind es diese großen Gestalten, die den Nebiismus maßgebend beeinflußt haben und tatsächlich wohl Gruppen von Anhängern aus dem Kreise der Nebiim um sich versammelten. Das erklärt natürlich nicht den Ursprung dieser Erscheinung als solcher — darin hat JUNKER recht — aber es zeigt die Entwicklung an, die der Nebiismus seit Samuel innerhalb der Jahwereligion durchgemacht hatte 3 . Weil die nebiistische Bewegung von Männern wie Samuel und Elia wesentlich geprägt wurde, deshalb ist es notig, auf ihre Wirksamkeit näher einzugehen. 1

H. JUNKER, Prophet und Seher in Israel, Trier 1927, S. 26.

2

JUNKER a. a. O.

S. 2 6 .

Außerdem sind Schülergemeinschaften, die sich um einen hervorragenden Gottesmann sammeln, eine im Altertum so verbreitete Erscheinung, daß man ihre Existenz in Israel nicht aus grundsätzlichen Erwägungen heraus in Abrede stellen kann. Vgl. A. JEPSEN, Nabi, München 1934. 3

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

138

Samuel ist der Träger des altisraelitischen Amtes des Bundesmittlers, in dessen Hand die Funktionen des Propheten, des Priesters und des charismatischen Sprechers des Gottesrechts vereinigt sind. Jahwe hat in Samuel wieder einen Träger dieses Amtes berufen, der es — ähnlich wie Mose — voll erfüllen kann. Von dieser Überzeugung wird die ganze Samuelüberlieferung getragen. Als eifriger Vorkämpfer der Sache Jahwes propagiert er den Heiligen Krieg gegen alle Feinde des Volkes und damit auch Jahwes. Die vornehmste Aufgabe der Nebiim war es, die religiösnationale Begeisterung anzufachen. Damit im Zusammenhang steht auch der Kampf Samuels für die nationale Einheit. Er ist der Vertreter des altisraelitischen Ideals der unmittelbaren Herrschaft Jahwes, die durch jeweils berufene charismatische Führer ausgeübt wird 1 . Zwar trägt auch er den geschichtlichen Notwendigkeiten Rechnung, indem er die Einigung der Stämme unter der ständigen Führung eines Königs unterstützt, aber er versucht, diese neue Institution mit dem alten Ideal der charismatischen Führer zu verbinden. Aus den Spannungen, die bald zwischen ihm und Saul entstehen, sieht man, daß Samuel bestrebt war, das Königtum streng der Jahwereligion unterzuordnen. Der König soll nur das ausführende Organ, der Vikarius Jahwes sein und sich streng an das Gottesrecht und die sittlichen Maßstäbe der Jahwereligion halten. Jede Eigenmächtigkeit und Selbstherrlichkeit des Königs wird von Samuel bekämpft. Diese zurückhaltende und kritische Stellung dem Königtum gegenüber können wir auch bei vielen späteren Nebiim, besonders bei den führenden Persönlichkeiten, beobachten; sie kann geradezu als typisch für die Nabigruppen, die unter dem Einfluß Samuels, Elias und Elisas standen, angesehen werden (vgl. I Reg 11 20fi.) und ist insofern für die richtige Einschätzung des israelitischen Nebiismus wichtig, als man daraus sehen kann, wie wesentlich anders er sich unter dem Einfluß der Jahwereligion entwickelt hat als in anderen Religionen, wo der Typ des Hofpropheten, der den König nur verherrlicht und ihm völlig hörig ist, vorherrscht 2 . Das immer Dazu und zum Folgenden vgl. B U B E R , Der Glaube S. 90—99. Zwar findet sich die Mahnung, das Gottesrecht zu halten, und damit auch die Nennung mancher sittlichen und sozialen Pflichten des Königs, wie Sorge für Witwen und Waisen, für Wohlstand und Frieden, für soziale Gerechtigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung usw. auch gelegentlich in babylonischen und ägyptischen Prophetien, aber sie sind mehr oder weniger formaler Art, weil sie immer in die Verherrlichung des gegenwärtigen Königs einmünden. Die Kritik bezieht sich auf die Zeit vor dem Regierungsantritt des betreffenden Königs. Die Klage über die Nichterfüllung dieser Forderungen durch frühere Könige bildet nur den negativen Hintergrund für die Idealisierung des gegenwärtigen Regenten. Nirgends außer in Israel finden wir eine prophetische Bewegung, die es gewagt 1 3

3 a . Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft

139

neue Aufbrechen des Konflikts zwischen den Nebiim und den israelitischen Königen zeigt, daß wir mit einer festen Überlieferung der prophetischen Königs- und Staatsidee zu rechnen haben 1 . Was liegt näher, als die Pflege solcher Traditionen den Nabigemeinschaften zuzuschreiben? Die großen Gestalten unter den Nebiim stehen in einer zweifachen Beziehung zu diesen Gemeinschaften. Erstens stehen sie in ihrem Mittelpunkt. Das wird besonders aus den Elia-Elisa-Erzählungen deutlich. Sie sammeln einen festen Anhängerkreis von Nebiim um sich und berufen auch Laien zu diesem Stand (Elisa). Damit schaffen sie nicht nur eine Art persönlicher Gefolgschaft, die nach ihrem Tode auseinanderfällt, sondern Kreise, die die nebiistische Tradition auch nach dem Tode ihrer großen Meister weiter pflegen. Diese werden also nicht nur durch die führenden Persönlichkeiten, sondern auch durch die von ihnen geprägte Überlieferung zusammengehalten. Zweitens empfangen die großen Nabigestalten aus der in den Nabigemeinschaften gepflegten Tradition zu einem großen Teil die Richtung und die tragende Grundlage ihrer Wirksamkeit. Wichtig ist, daß für die Nebiim die persönliche Berufung und die persönliche Beziehung zu Jahwe ausschlaggebend sind. Darin ist die Überlieferung über alle uns näher bekannten Nabigestalten eindeutig. Diese Berufung kann auch, wie im Falle Elisas, durch einen anderen Propheten erfolgen 2 . Sie unterscheidet sich von der Berufung zum Priester dadurch, daß sie auf ausdrücklichen Befehl Jahwes zurückgeht, und daß sie spontan geschieht, also nicht erst dem Erlernen eines bestimmten Wissensstoffes folgt. Die Berufung zum Nabi erschließt erst den Zuhätte, dem Königtum so entschlossen entgegenzutreten wie die großen Nebiim (Samuel, Ahia von Silo, Elia, Elisa und Micha ben Jimla). Freilich hat es auch in Israel Nebiim gegeben, die ganz nach der Art der altorientalischen Hofpropheten wirkten (z. B. Zedekia und die Gegner Michas, Hanania). Vgl. G R E S S M A N N , The foreign Influence in Hebrew Prophecy, J T h S t 27, 1926. 1 Das Amt des Bundesmittlers ist seit der Gründung der Monarchie auf den König übergegangen. Da sich jedoch die Könige immer wieder als dieses Amtes unwürdig erweisen, beanspruchen es die Propheten wieder für sich. Zunächst, wie im Fall Ahias von Silo, war dieser Anspruch nur vorübergehender Art, als Notmaßnahme. Der Prophet erhält von Jahwe die Vollmacht, einen neuen, würdigeren König zu berufen. Später versuchen die Propheten, das Königtum dem Amt des Bundesmittlers unterzuordnen, indem sie die wichtigste Funktion dieses Amtes, nämlich die Verkündigung des sakralen Rechts, ständig für sich in Anspruch nehmen. Mit dieser Forderung treten nicht nur Elia und Elisa, sondern auch die Schriftpropheten den Königen entgegen. 2 Doch ist das wohl nur ein Ausnahmefall, da er allein in den Nabilegenden steht. Zum Nachfolger Elias wird Elisa erst durch die Mitteilung des Geistes, II Reg 210ff., über den allein Jahwe frei verfügen kann.

140

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

gang zur Tradition und nicht umgekehrt, wie das bei den Priestern der Fall ist. Bei der Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis der Nebiim zum Kultus muß man folgende Sachverhalte berücksichtigen: 1. Die Nebiim scheinen an großen Kultzentren eine Art vita communis zu führen, besitzen aber daneben auch eigene Familien und Wohnsitze (II Reg 41 und 6 l). Sie können also nur zeitweise in den Gemeinschaftshäusern gelebt haben. Dabei wird nirgends gesagt, daß diese Prophetenhäuser zum Gebäudekomplex des eigentlichen Tempelbezirks gehörten. Da wir zudem nichts von einer Mitwirkung der Prophetengemeinschaften bei der Gestaltung des Kultus wissen, macht das Leben am Heiligtum die Nebiim noch nicht zu Kultbeamten wie die Priester. Die gegenteilige Annahme wird meines Erachtens zu rasch als absolut gesichert hingestellt. Die einzige Stelle, die eine Mitwirkung der Nebiim im Kult andeutet, ist I Sam 10 5f. Man bedenke aber, daß die Szene selbst sich offensichtlich nicht im Heiligtum abspielt. Die Kultorte als Zentren des religiösen Lebens mit ihrem starken Zustrom an Pilgern waren zwar die gegebenen Mittelpunkte der Wirksamkeit der Propheten; dort konnten sie am leichtesten vom Volk mit allerlei Anliegen aufgesucht werden. Da sich aber die Tätigkeit der großen Nebiim wie Elia und Elisa meist nicht an der Kultstätte abspielt, ist es nicht anzunehmen, daß sie und die Prophetengemeinschaften irgendwie institutionell an den Kultus gebunden waren. Elias Opfer I Reg 18 ist offensichtlich eine Ausnahme und kann deshalb nicht als Beleg dafür in Anspruch genommen werden, daß Opferdarbringung zu den regelmäßigen Aufgaben der Nebiim gehörte. In einer außerordentlichen Situation — die Altäre Jahwes sind nach der Meinung des Erzählers dieser Geschichte zerbrochen, der Jahwekult kann deshalb nicht in der gewohnten Weise ausgeübt werden — bedient sich Gott außergewöhnlicher Mittel, um seinen Willen durchzusetzen 1 . Das Hervortreten der Baalpropheten in der Opferhandlung besagt nichts über die Stellung der Jahwepropheten. Die Opferhandlungen Samuels sind unter dem gleichen Gesichtspunkt zu betrachten. Auf Grund von Stellen wie I Sam 913. 19 ff. 16 2 ff. kann man allenfalls auf eine engere Verbindung zwischen dem alten Sehertum und dem Kultus schließen, nicht aber zwischen dem letzteren und dem Nabitum. Außerdem ist die gelegentlich berichtete Opferdarbringung und Segnung des Opfers durch Samuel als eine Notmaßnahme, die durch die weitgehende Ausschaltung des Jahwekults infolge des Verschwindens der Lade, der Zerstörung der Heiligtümer und des Versagens der Priesterschaft

1

So BUBER, Der Glaube S. 1 1 5 .

3a. Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft

141

während der Philisternot bedingt ist, zu verstehen 1 . Sowohl Samuel als auch Elia sind charismatische Bundesmittler, die Jahwe in Notzeiten, da andere Bundesorgane versagen, beruft. Außerdem ist Opferdarbringung in vorexilischer Zeit nicht allein den Priestern vorbehalten. 2. Die bei den Nebiim so häufig auftretende Ekstase ist als Beweis dafür gewertet worden, daß die Nebiim im Kult ihre Gottessprüche erteilten. War sie auch, zumal die Gruppenekstase, vielleicht ursprünglich ein kultisches Phänomen, so kann sie doch auch unabhängig vom Kultus in Erscheinung treten 2 . Das ist auch außerhalb Israels nichts Seltenes. So spielt sich die Gruppenekstase, von der auch Saul ergriffen wird (I Sam 10 5 ff.), außerhalb der eigentlichen Bama ab. I Sam 19 20 ff. ist sicher eine recht späte Erzählung, sie zeigt gut das ekstatische Treiben der Nebiim späterer Zeit. Es geht nicht aus dem Text hervor, daß die gemeinsamen ekstatischen Übungen im Kult oder an der heiligen Stätte selbst stattfanden. Schließlich sagt Num 11, daß man zur Zeit der großen Sagensammler, also in der frühen Königszeit, ein vom Kultus losgelöstes Prophetentum kannte und es als legitim ansah. Num 11 24 ff. hat ätiologischen Sinn 3 . Die Propheten, die außerhalb des Kultus wirken, haben Teil an der irn Jahwes. Sie gab es schon zur Zeit Moses. In die Richtung der Unabhängigkeit der ekstatischen Erlebnisse der Nebiim vom Kultus weisen auch die Berichte über die Jahweoffenbarungen des Elia und über seine Entrückung. Sie werden nirgends an einer Kultstätte lokalisiert, sondern finden an beliebigen Orten statt 4 . Besonders beachtenswert ist in diesem Zusammenhang I Reg 22 10-12. In rhythmischen Ausrufen und Bewegungen steigern sich die Propheten unter der Leitung eines Vorstehers (Zedekia) in Ekstase hinein und erteilen durch Worte und symbolische Handlungen dem in den Krieg ziehenden König Heilsorakel. Wir sehen hier also eine typische Prophetengemeinschaft am Werk, wie wir sie von den Samuelgeschichten her 1

Vgl. BUBER, Der Glaube der Propheten, S. 98. • S. MOWINCKEL, Ecstatic Experience and Rational Elaboration in the OT, Prophecy. Acta Orientalia XIII, 1936; ders., Religion und Kultus, S. 60; A. GUILIAUUE, Prophecy and Divination among the Hebrews and Other Semites, London 1938; A. HESCHEL, Die Prophetie, Krakow 1936; F. MAASS, Zur psychologischen Sonderung der Ekstase, Wissensch. Zeitschr. der Karl-Marx-Universität Leipzig, •Gesellschafts- und Sprachwissensch. Reihe, 3. Jg., H. 2/3, 1953/64; F. HÄUSERMANN, Wortempfang und Symbol der alttestamentlichen Prophetie, Gießen 1932. 8 Siehe VON RAD, Die falschen Propheten, Z A W 51 NF 10, 1933, S. 1 1 6 f. 4 Horeb war zwar als Offenbarungsstätte Jahwes heilig, aber keine Kultstätte mit regelmäßig vollzogenem Kultus und beamteter Priesterschaft. Elias Aufenthalt dort drückt seine Zugehörigkeit zur mosaischen Tradition und zum Gott der Wüstenzeit aus. Mit Kultus hat diese Erzählung nichts zu tun.

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VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

kennen. Merkwürdig ist dabei der Schauplatz des ganzen Geschehens; es ist nicht der Tempel, sondern das Stadttor, obwohl man gerade anläßlich eines so wichtigen Ereignisses wie des Krieges sicher auch eine Kultfeier veranstaltet hat. Der Schluß läßt sich m. E. nicht umgehen, daß man in Israel Prophetengemeinschaften kannte, die eine gewisse Selbständigkeit dem Kult und seinem Personal gegenüber besaßen. Es gab eben zwei Arten, auf die die Verbindung mit Jahwe hergestellt werden konnte: im Kult durch Priester und Kultpropheten und durch freie Nebiim. Diese Unabhängigkeit vom Kultus ist nicht ein Ergebnis eines geschichtlichen Entwicklungsprozesses1, sondern sie ist von Anfang an das Kennzeichen einer bestimmten Gruppe der Nebiim. Wir haben es hier mit einer Linie der nebiistischen Bewegung zu tun, die im Zusammenhang mit den großen Nabigestalten steht und vom Tempel und Priestertum unabhängig ist. Es ist doch nicht nur der späteren Bearbeitung zuzuschreiben, daß das einzige Anzeichen für die Identifizierung der Nebiim mit den Kultpropheten ihre Wohnsitze an den als Heiligtümer bekannten Orten sind, und dieses Argument ist, wie gesagt, nicht stichhaltig. Sonst spielen sich die meisten bekannten Nabigeschichten außerhalb der Kultstätten an beliebigen profanen Orten ab. Vor allem im Nordreich, dem Schauplatz der meisten Nabilegenden, leben diese fern vom Hof und Tempel. Der andere Weg, die Identität der Nebiim mit den Kultpropheten zu beweisen, ist m. E. ebenfalls verfehlt. Es ist des öfteren versucht worden, die Ähnlichkeit der Funktionen der Nebiim und der Priester aus ihrer gemeinsamen, institutionellen Bindung an den Kult zu erklären 2 . Man weist vor allem darauf hin, daß die Nebiim nicht nur die Aufgabe haben, das Wort Jahwes zu vermitteln, sondern auch das Volk vor Gott zu vertreten. So gehört das Fürbittegebet zu den wichtigsten Funktionen der israelitischen Propheten von den Sehern bis zu den Schriftpropheten 3 . Es ist jedoch nicht richtig, diese Gebete der Nebiim ohne weiteres als kultische Handlungen anzusehen. Das kann man allenfalls für das Gebet Elias am Karmel (I Reg 18 365.) und Samuels zu Mizpa (I Sam 7 5) gelten lassen. In allen anderen Fällen fehlt jede Andeutung dafür, daß solche prophetischen Gebete 1

So G. VON RAD, Die falschen Propheten, ZAW 61, NF. 10, 1933, S. 116. So A. R. JOHNSON, The Cultic Prophet in Ancient Israel, Cardiff 1944; ders., The Prophet in Israelite Worship, ET XLVII, 1935/36; A. HALDAR, Assoc i a t i o n of Cult Prophets among the Ancient Semites, Uppsala 1945; A. KAPELRUD, Cult and Prophetic Words, StTh IV, 1, 1951; I. ENGNELL, The Call of Isaia, Uppsala 1949; S. MOWINCKEL, Ecstatic Experience and Rational Elaboration in the OT Prophecy. Acta Orientalia XIII, 1936; ders., The Spirit and the Word in the Preexilic Reforming Prophets, JBL 63, 1934 und Psalmenstudien III. 1 N. JOHANSSON, Parakletoi 1940. 2

3 a . Der ältere Nebiismus und sein Verhältnis zum Kultus und zur Priesterschaft

143

im Rahmen einer Kulthandlung gesprochen wurden 1 . WENDEL2 hat außerdem nachgewiesen, daß man bereits in der Frühzeit Israels das außer kultische, freie Laiengebet kannte. Der unmittelbare Verkehr des Gläubigen mit Gott hat sich in der Religion Israels zu allen Zeiten erhalten und zeichnet sie geradezu vor anderen altorientalischen Religionen aus. WENDEL hat ferner die Verbindung zwischen dieser Laienfrömmigkeit und den Propheten nachgewiesen. Seine Annahme wird durch die Beobachtung gesichert, daß die israelitischen Propheten größtenteils aus den Laien und nicht aus der Priesterschaft hervorgegangen sind 3 . Hier, glaube ich, liegt der gleiche Tatbestand vor wie bei der Vermittlung des Gotteswortes. Wir haben in Israel mit zwei Institutionen zu rechnen, die selbständig nebeneinander stehen, dem Priestertum und dem freien Nabitum. Sie stehen nebeneinander und nicht gegeneinander, d. h. beide empfangen ihre Kraft und ihr Wissen von Jahwe, dem Gott Israels. Sie unterscheiden sich aber durch die Art ihrer Verbindung mit Gott und durch die Weise, wie sie diese Verbindung für die Gemeinschaft fruchtbar machen. Ein weiteres Moment, in dem man einen Beweis für die institutionelle Bindung der Nebiim an den Kult erblicken könnte, ist ihre Verwendung technischer Mittel der Gottesbefragung. Nicht hierher gehören die technischen Mittel zur Erzeugung oder Steigerung der Ekstase, von denen im AT eigentlich nur Musik und Tanz erwähnt werden (vgl. II Sam 10 5 II Reg 3 15 u. a.). Sie Sind auch religionsgeschichtlich gesehen keine ausschließliche Domäne der Priester, sondern Mittel zur Erlebnissteigerung des begeisterten Menschen. Ekstase wird im AT nicht mit den Priestern in Verbindung gebracht, sondern nur mit den Propheten. Die technischen Orakelmittel werden von den israelitischen Propheten nicht benutzt, denn die einzige Stelle, die daran denken ließe, I I Reg 13 isif., beschreibt kein Pfeilorakel, sondern eine prophetische Handlung, die das Wort des Propheten bekräftigt. Andere Mittel der Gottesbefragung wie Losorakel (DOJ>), Vorzeichenschau (UV> und Beschwörung (Bfl]1?) werden nicht von Priestern, Sehern oder Propheten gehandhabt, sondern von einer ganz anderen Gruppe, nämlich den Mantikern und Zauberern, die unter fremdem Einfluß in Israel eindringen. Das altisraelitische Ephod-Orakel wird ausschließlich von Priestern angewandt. 1 Zur prophetischen Fürbitte vgl. I Sam 12 23 16 ll I Reg 17 20H. II Reg 19 lff. Die letztgenannte Stelle zeigt, daß sich sogar der König in bedrängter Lage an Propheten mit dem Ersuchen um Fürbitte wendet. Weder hier noch Jer 37 3 42 2 wird diese Fürbitte als kultischer Akt gekennzeichnet. * A . W E N D E L , Das freie Laiengebet im vorexilischen Israel, E x Oriente Lux, Bd. V, 6, 1932, S. 119 und 274. * Eine Ausnahme bildet in dieser Beziehung Jeremia.

144

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Ich vermag auch nicht in dem regelmäßigen Aufsuchen der Nebiim am Neumond und Sabbat einen Beweis dafür zu erblicken, daß sie Kultbeamte waren (II Reg 4 23). Diese Tatsache läßt sich vielmehr gut aus dem Nebeneinander der beiden Mittlerinstanzen des Priester- und Prophetentums verstehen, wie man es besonders deutlich in der Zeit Davids beobachten kann. So steht der Prophet Nathan neben dem Priester Zadok und Gad neben Ebjathar, ein Nebeneinander, das sich m. E. kaum verstehen läßt, wenn sich ihre Kompetenzen überschnitten hätten, wenn also beide Kultbeamte im eigentlichen Sinne gewesen wären, die die Vermittlung zwischen Gott und Mensch in sehr ähnlicher Weise ausgeübt hätten. Richtiger scheint mir die Auffassung zu sein, daß wir hier zwei nebengeordnete, selbständige Mittlerinstanzen vor uns haben. Die Aufgabe der Mitteilung des Gotteswortes hat sich je länger je mehr vom Priestertum auf das Prophetentum verlagert, besonders in außerordentlichen, schwierigen Fällen, die mit Hilfe des Losorakels (Ürim und Tümxnim) oder durch Ableitung aus dem traditionellen Gottesrecht durch die Priester sich nicht entscheiden ließen. Die Anwendung des sakralen Rechts gehörte weiterhin zu den Aufgaben der Priester 1 , aber die Entscheidung über Fragen, die eine außerordentliche, unmittelbare Einsicht in den göttlichen Willen erforderten, ging auf den Propheten über. Dafür spricht auch der rasche Rückgang der Bedeutung des Ephod-Orakels, wie überhaupt der Orakelbefragung, die noch zur Anfangszeit Davids eine große Rolle spielte. Das friedliche Nebeneinander von Priester und Prophet in der Umgebung Davids ist nur aus der bezeichneten Teilung der Aufgaben verständlich 2 . Freilich läßt die oben durchgeführte Scheidung beider Stände und ihrer Aufgabenbereiche noch viele Berührungspunkte und Überschneidungen zu; eine restlose Abgrenzung solch lebendiger, religiöser Größen läßt sich selten durchführen. Dennoch ist sie berechtigt, weil sie dem in den Quellen bezeugten Bewußtsein der Verschiedenheit dieser beiden Instanzen gerechter wird als die neuerdings so propagierte Ineinanderlegung. Die beiden Fälle, die scheinbar dieser Trennung widersprechen, nämlich die Entscheidung einer kultischen Frage durch den Propheten oder Seher Gad, I I Sam 24 18, und die Befragung der Prophetin Hulda über das gefundene Gesetzbuch, I I Reg 22 uä., erhärten in Wirklichkeit unsere These. Im ersten Falle handelt es sich um eine außerordentliche Lage, die außergewöhnliche Maßnahmen erfordert. Die Errichtung einer neuen Kultstätte bedarf eines ausdrücklichen, di1 J . BEGRICH, Die priesterliche Tora (Werden und Wesen des AT, 1936); ders.. Das priesterliche Heilsorakel, ZAW 62, NF. 11, 1934. 8 Die Jugendgeschichte Samuels soll das Zustandekommen dieser Nebenordnung ätiologisch erklären. Die Nebiim sind die rechtmäßigen Erben der Priester, soweit es sich um die Mitteilung des Gotteswortes handelt.

3 b. Die Weiterentwicklung des Nebiismus während der Königszeit

145

rekten Befehls Gottes, und dieser ergeht eben durch den Propheten und nicht durch den Priester. Der Priester hat den Kultus nach alter Sitte in korrekter Weise zu verrichten. Über die Art seiner Ausübung an der neuen Kultstätte sagt auch Gad gar nichts; das ist selbstverständlich die Aufgabe des Priesters. In II Reg 22 i4ff. handelt es sich um eine ähnliche, außerordentliche Situation. Schon die Tatsache, daß es sich um eine Prophetin handelt, widerrät der Annahme, Hulda sei eine Kultprophetin gewesen, denn weibliches Kultpersonal wurde durch die deuteronomische Reform aus dem Jahwekult verbannt . Der Ort der Befragung ist offensichtlich das Haus der Prophetin und nicht der Tempel. Auch das Zurücktreten des Feldpriesters, der noch David auf seinen frühen Feldzügen begleitet hat, zugunsten des Feldpropheten 1 ist ein weiterer Beweis für das Hervortreten des Prophetentums als selbständiger Mittlerinstanz. Die Stellung des älteren Nebiismus zum Kultus kann man so kennzeichnen: 1. Der Nebiismus ist insofern eine kultische Erscheinung, als er zu den offiziell anerkannten Mittlerinstanzen zwischen Gott und Mensch neben dem Priester tum gehört. Er steht also grundsätzlich auf dem Boden der gleichen Gottesvorstellung wie der Jahwekult. Man kann weiter sagen, daß er zu einem religiösen Mittlerstand geworden ist, der besondere Formen sowohl in der Art des Auftretens als auch der Mitteilung des Gotteswortes herausgebildet hat. Er ist also auch soziologisch zu einem besonderen, vom Priestertum verschiedenen Stand geworden, obwohl diese Standesbildung seinem ursprünglichen, charismatischen Charakter nicht entspricht. 2. Kultisch im engeren Sinne ist der Nebiismus nicht, da ihm die Bindung seines Handelns an heilige Orte und heilige Zeiten fehlt. Auch ist die Abhängigkeit von einem heiligen, feststehenden Ritus nur ansatzweise vorhanden. Überhaupt ist die Form für den Nebiismus weniger wichtig als für das Priestertum. 3. Auf keinen Fall ist der Nabi dem Priesterstand oder dem beamteten Kultpersonal (Kultpropheten) zuzuordnen, da jedes Anzeichen organisatorischer Bindung an kultische Institutionen fehlt. 3 b. Die Weiterentwicklung des Nebiismus während der Königszeit

Das Wesen und die Struktur des Nebiismus haben sich im Laufe der Königszeit nicht unwesentlich verändert. Als erstes ist das Nachlassen der ursprünglichen Spontaneität zu nennen. Der charismatische Charakter tritt zugunsten des organisatorisch-institutionellen Elements sehr bald zurück. Diese Gefahr lag wohl von Anfang an in der inneren 1

II Reg 3 n ff.

H e n t s c h k e , Die Stellung der vorexilischen Schriftpropheten zum Kultus

10

146

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Struktur des Nebiismus begründet, in seiner Organisation als selbständiger Berufsstand, als Prophetenzunft. Sie war so lange nicht sehr akut, solange es unter den Nebiim Männer gab, die wirklich von Jahwe berufen waren, für die also nicht Tradition und Standesinteressen maßgebend waren, sondern die ihnen von Jahwe übertragene Aufgabe und Botschaft. Fehlte es jedoch an solchen echten Charismatikern, die auch die Masse der weniger bedeutenden Nebiim mitzureißen und in den Dienst des unverfälschten Jahweglaubens zu stellen vermochten, dann mußte die äußere Form den Inhalt ersetzen. Das kann man erkennen an der Verselbständigung und Überbetonung der Ekstase, des technischen Apparats und dem stärkeren Hervortreten der Person des Nabi in den späteren Nabilegenden innerhalb der Elia- und besonders Elisaerzählungen sowie an den späteren Überarbeitungen und Erweiterungen der Samuelerzählungen, die die Auffassung der späteren Königszeit wiedergeben. Es ist die Gefahr jedes organisierten Charismatikertums 1 , daß es leicht zu einem religiösen Berufsstand wird wie das Priestertum. Das Bewußtsein seiner Besonderheit konzentriert sich lediglich auf die Form seines Auftretens. E s liegt nur in der Konsequenz dieser Entwicklung, daß das Nabitum sich mit der fortschreitenden Entartung dem Priestertum angeglichen und ihm untergeordnet hat. E s ist weitgehend zum Kultprophetentum geworden, bei dem der gebundene Vortrag agendarisch fixierter 2 Prophetenworte unter der Begleitung künstlich erzeugter, ekstatischer Gebärden oder technischer Orakelmittel an Stelle der Verkündigung einer von Gott unmittelbar eingegebenen Botschaft getreten ist. Das Endstadium dieser Entwicklung bilden die levitischen Sängergilden des zweiten Tempels. Der hier angedeutete Übergang vom freien Nebiismus zur Kultprophetie läßt sich aus der Auseinandersetzung der Schriftpropheten mit ihren Gegnern indirekt erschließen. Die Samuelis- und Königsbücher sagen über diesen Übergang direkt nur wenig aus. Aus ihnen kann man lediglich die Ansätze solcher Entartungserscheinungen des Nebiismus, die zu dem angedeuteten Übergang führen konnten, erkennen. Auf die Existenz der Kultpropheten in Israel weisen prophetische Sprüche, die die kultische Situation, in der sie erteilt wurden, noch andeuten®. Sie sind in den Psalmen und in den unechten Stücken der Prophetenbücher zu finden. Auch ein Teil der sog. Kleinen 1 Auch die Jesajaerzählung ist in dieser Beziehung aufschlußreich. In ihr wird Jesaja nach dem Vorbild des typischen Nabi der Spätzeit geschildert. * Zum mindesten dem Inhalt, oft aber auch der Form nach. * Siehe MOWINCKEL, Psalmenstudien III; F. KÜCHLER, Das priesterliche Orakel in Israel und Juda, ZAWB 33, 1918, ferner die S. 142 Anm. 2 angegebene Literatur.

3 b. Die Weiterentwicklung des Nebiismus während der Königszeit

147

Propheten gehört zu den Kultpropheten 1 . Die gattungsgeschichtliche Forschung hat ferner wahrscheinlich gemacht, daß man auch bei den Schriftpropheten mit formalen Parallelen zu den Stilformen der Kultprophetie zu rechnen hat. Die Polemik der Schriftpropheten zeigt, daß der Nebiismus den Kampf um die Durchsetzung des unbedingten Herrschafts- und Ausschließlichkeitsanspruchs Jahwes zugunsten der Geltung des eigenen Berufsstandes aufgegeben und sich immer mehr den sonstigen Hütern der Staatsreligion angeglichen hat. Das sieht man bereits aus der Kontroverse Michas (ben Jimla I Reg 22 i3ff.) mit den übrigen Jahwepropheten, die offensichtlich Nebiim der üblichen Art sind. Micha bestreitet weder ihren Geistbesitz, noch macht er sie zu Baalpropheten. Aber er spricht ihnen die richtige Einsicht in den Willen Jahwes ab, er bestreitet also ihren Anspruch auf Mitteilung echter Jahweoffenbarung. Dazu sind sie infolge der Besessenheit durch den Lügengeist, der auch ein Werkzeug Jahwes ist, unfähig. Hatte noch Elia mit Baalpropheten als den Funktionären einer fremden Religion zu kämpfen, so verlagert sich zur Zeit Michas das Problem auf die Echtheitsfrage der Jahwepropheten 2 . Es ist auch bemerkenswert, daß Micha allein den Prophetenzünften gegenübersteht, und daß er sich offensichtlich auf keine ähnliche Einrichtung stützen kann. M. E . deutet das auf einen tiefgehenden inneren Wandel des Nebiismus hin. Er ist zu einer rein nationalen Einrichtung geworden, die ihre Zielsetzung nicht mehr von der souveränen Willensoffenbarung Gottes her empfängt, sondern ihr oberstes Ziel in der Förderung des Heils (niV®) des Volkes sieht. Die nationale Selbstbehauptung und nicht der Wille Jahwes ist nunmehr das oberste Kriterium ihres Handelns. Das Verhältnis Jahwes zu Israel wird von den Nebiim, denen Micha entgegentritt, im Sinne naturhafter, unzertrennlicher Verbundenheit von Gott und Volk mißverstanden. Diese Wandlung verrät eine Annäherung des nebiistischen Gottesverständnisses an die Gottesauffassung der kanaanäischen Naturreligion, die bereits auf den Kultus und die Priesterschaft Einfluß gewonnen hatte. Diese innere Annäherung des Nebiismus an das Priestertum und an den kanaanisierten Jahwekultus wird mit der Zeit zu einer organisatorisch-institutionellen Bindung an ihn geführt haben. Der Wandel der geistigen und damit auch der organisatorischen Struktur des Nebiismus läßt sich noch an einem weiteren entscheidenden Punkt beobachten: an dem Verhältnis des Nebiismus zum Königtum. Der alte Nebiismus stand 1 Wahrscheinlich gehören dazu Joel, Nahum, Obadja, Habakuk, Haggai und Sacharia. Vgl. A. WEISER, Einleitung, 2. Aufl., Göttingen 1949, S. 180, 186, 188,

192f., 196, 200 und 2 0 2 ; A. KAPELRUD, Joel Studies, UUA, Uppsala 1948. » So G. QUELL, Wahre und falsche Propheten, B F C h r T h 46, 1, 1952, S. 71ff. 10*

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

148

durchaus kritisch dem Königtum gegenüber. Dagegen stellen sich die Nebiim der späteren Königszeit nicht nur bereitwillig in den Dienst des Königs, sondern sie geraten in Abhängigkeit von ihm. Das sieht man schon an den 400 Propheten Ahabs und an der Auseinandersetzung zwischen dem Oberpriester Amazja und Arnos (Am 7ioff.). In J u d a war die Beziehung zwischen den Nebiim und dem Hof von Anfang an viel enger als im Nordreich. 4. Das Verhältnis der Priester und Propheten im 8.—6. Jahrhundert, und die Beurteilung dieser beiden Stände durch die Schriftpropheten War schon im älteren Nebiismus das Problem des wahren und falschen Prophetentums aufgetaucht, so wurde diese Frage zur Zeit der klassischen Prophetie besonders akut. Das Kriterium zur Beurteilung des Prophetentums kann weder in früherer noch in späterer Zeit rein formaler Art gewesen sein. E s ist bereits in der frühen Königszeit eine gewisse Ambivalenz in der Einschätzung des Nebiismus zu beobachten, die Hochschätzung auf der einen und Verachtung, gemischt mit abergläubischer, numinoser Angst, auf der anderen Seite zeigt (vgl. I Sam 10 lifi. I I Reg 2 23ff. Hos 97). Das ekstatische, zur Raserei gesteigerte Auftreten der Nebiim ist wohl immer als fremdartig mit gewissem Mißtrauen in Israel betrachtet worden 1 . Dieses Mißtrauen wächst im gleichen Verhältnis zur inhaltlichen Entleerung der Botschaft der Nebiim. Bemerkenswert für dieses Sinken des Vertrauens in die Ekstase als äußerer Legitimation der echten Jahwepropheten ist die Frage Josaphats in I Reg 22 7. An der Auseinandersetzung Michas (ben Jimla) mit den übrigen Propheten sieht man, daß die Ekstase als Zeichen des Geistbesitzes weiterhin positiv beurteilt wird, daß aber diese kein Wahrheitskriterium der echten Jahweprophetie ist. Dieses Kriterium ist rein inhaltlicher Art, es ist die Einsicht in den Willen Jahwes und die daraus folgende Deutung der geschichtlichen Ereignisse (vgl. I Reg 22 J e r 28 8f.), und daher kann die Wahrheit der Prophetie nur durch die Erfüllung des prophetischen Wortes erwiesen werden. Letztlich ist es also dem menschlichen Wissen uneinsichtig und nur für den Glauben erfaßbar. Alle israelitischen Propheten wollen Jahwepropheten sein und werden auch als solche anerkannt. Deshalb ist es methodisch nicht zweckmäßig, den Begriff Nabi näher inhaltlich zu bestimmen 2 , sondern man muß ihn in seiner 1 Vgl. die Gegenüberstellung der rasenden Baalpropheten und des ruhig auftretenden Elia. Sie hat deutlich eine polemische Spitze gegen das Ekstatikertum (vgl. I Reg 18 22).

'

So E . WÜRTHWEIN, A m o s - S t u d i e n , Z A W 62, N F . 21, 1 9 5 0 , S. 1 8 .

4a. Amos

149

ganzen Weite stehenlassen und erst in konkreten Fällen zu differenzieren suchen. Zunächst gilt es, die Aussagen der Schriftpropheten über das Prophetentuni als solches und über seine Funktionen innerhalb der Jahwereligion zu betrachten. Dabei kommt es für das hier behandelte Thema vor allem darauf an, das grundsätzliche Verhältnis des Prophetentums zum Priestertum und Kultus innerhalb der Jahwereligion zu erfassen. Der Kampf um das Wahrheitskriterium der Prophetie gehört nur indirekt zu diesem Thema. Es ist hier nur wichtig, den religiösen Standort der Gegner der Schriftpropheten unter den Nebiim genauer zu bestimmen, d. h. festzustellen, ob der ältere, freie Nebiismus ganz im Hof- und Kultprophetentum aufgegangen ist, oder ob man auch noch mit freien Nebiim des älteren Typus zu rechnen hat. Es ist am zweckmäßigsten, die in Frage kommenden Äußerungen der Schriftpropheten einzeln zu untersuchen. 4 a. Arnos Die wenigen echten Aussagen des Arnos über die wahren Propheten Jahwes lassen eine recht positive Einschätzung des Nebiismus der früheren Zeit erkennen. Sie sind Jahwes Vertraute, die seine ihnen mitgeteilten Worte weitergeben müssen (Am 3 7f.). Arnos weiß sich in einer Linie mit den wahren Verkündigern des Willens Jahwes stehend (2 11). In Am 3 7f. finden wir gewisse Grundzüge des israelitischen Prophetentums beschrieben: Das persönliche, unmittelbare Eingeweihtsein in den göttlichen Geschichtswillen und die unausweichliche Notwendigkeit, die aufgetragene Botschaft zu verkündigen. Arnos (2 11) sieht in der Erweckung von Propheten und Naziräern in Israels Vergangenheit den größten Gnadenerweis Jahwes an Israel. Interessant ist, daß hier nur Charismatiker genannt werden, und die Erwähnung der Priester fehlt. Das spricht für eine Höherbewertung der prophetischen Mittlerinstanzen als der unmittelbaren Werkzeuge dergeschichtlichen Fürsorge Jahwes für sein Volk. Hier liegt eine Verwandtschaft mit den Landnahmetraditionen, mit ihrer Hervorhebung der charismatischen Führer, vor. Da die Propheten und Naziräer in Am 2 1 1 nicht näher bestimmt sind, besteht kein Grund, nur an Männer wie Elia und Elisa zu denken1. Das würde eine Isolierung dieser Gestalten von den Nabigemeinschaften ihrer Zeit bedeuten, die dem überlieferten Bild nicht entspricht und auch historisch unwahrscheinlich ist. Arnos hält es für schwere Sünde, daß man in Israel diese Charismatiker an der Ausführung ihres göttlichen Auftrags hindert 2 . 1

S o E . FASCHER, P r o p h e t e s ,

1927,

S. 1 2 5 .

HALDAR, Associations S. 120f. betont mit Recht, daß wir auf Grund der Stellen Am 2llf. und 37f. viel stärker die Kontinuität zwischen Arnos und denNebiim älterer Zeit betonen müssen, als das die ältere Forschung getan hat. Das frühere 2

150

Die viel sprochen sonderer Stämme

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

umstrittene Stelle Am 7 10-15 muß hier ausführlicher bewerden, da sie für die Fragestellung dieser Arbeit von beBedeutung ist. Zunächst kann man beobachten, daß die flTlj und K3J unterschiedslos verwendet werden, daß also

die I Sam 9 » festgestellte Gleichheit von nin und K'32 bereits im 8. Jh. selbstverständlich war. Zweitens sieht man, daß das Auftreten des Arnos dem üblichen Auftreten der Nebiim insofern ähnlich gewesen sein muß, als der Oberpriester Amazja ihn ohne weiteres als solchen identifiziert. Freilich kann diese Ähnlichkeit nicht näher bestimmt werden, weil man — wie gesagt — mit recht verschiedenen Typen von Nebiim rechnen muß. Somit kann sich diese Identifizierung des Arnos mit den Nebiim nur auf seinen Anspruch, das Wort Jahwes zu verkündigen, beziehen. Es gibt auch keinen Grund, das gelegentliche Auftreten ekstatischer oder ähnlicher Zustände bei Arnos grundsätzlich zu leugnen und damit jede Verwandtschaft in der Art der Mitteilung des Gotteswortes sowie in der äußeren Erscheinung des Arnos und der Nebiim in Abrede zu stellen 1 . Nun erhebt sich die Frage, wie die Erwiderung des Arnos in 7 14 zu verstehen ist. Erstens hält Arnos es für notwendig, 1031 und tT3}~]3 getrennt zu nennen. Es muß sich also um zwei verschiedene Arten von Propheten handeln. Das entspricht ganz dem Bilde, das sich aus den älteren Nabi-Erzählungen ergibt: die hervorragenden Gestalten der Nebiim sind von den von ihnen abhängigen und geleiteten Prophetengemeinschaften zu unterscheiden. Arnos bestreitet seine Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen. Die Frage, ob diese Bestreitung sich auf die Vergangenheit oder Gegenwart bezieht, ob also der hebräische Nominalsatz K'Ol tf? "OiN t^aa-fa

•oix mit der Kopula »bin« oder »war« zu übersetzen

Verständnis der Schriftpropheten als »der großen Einsamen« ist in diesem Sinne nicht mehr haltbar. Freilich verfällt H A L D A R in das andere Extrem, indem er Arnos — wie übrigens auch alle anderen Schriftpropheten — kurzweg zum Kultpropheten macht (a. a. O. S. 112, 119ff.) und behauptet: »Daß es kein entscheidendes Zeugnis dafür gibt, daß diese Literatur einen Prophetentyp zeigt, der von den früheren verschieden ist« (a. a. O. S. 1 2 1 f.). Ich vermag weiter HALDARS — übrigens unbewiesener — Behauptung, daß 1 1 0 in Am 3 7 »kultische Versammlung« (cultic assembly) bedeuten soll, nicht zuzustimmen. Auch Gen 49 6 deutet keineswegs in diese Richtung. Vgl. H . W . ROBINSON, The Council of Yahwe, J T h S t 45, 1944, S. 1B1 bis 167 und A. R. JOHNSON, The One and the Many in the Israelite Conception of God, Cardiff 1942, S. 26 ff. Daß N3J selbstverständlich »Verlesen oder Rezitieren T*

ekstatischer Orakel« (HALDAR a. a. O. S. 121) bedeuten muß, bleibt ebenfalls unbewiesen. Am 7 1 4 läßt H A L D A R völlig außer acht. 1 Vgl. TH. H. ROBINSON, The Ecstatic Elements in Hebrew Prophecy. ET 1921.

4a. Amos

151

ist 1 , läßt sich — wie ROWLEY gezeigt h a t 2 — rein grammatisch nicht eindeutig entscheiden, doch scheint mir die präsentische Übersetzung richtiger zu sein, da sonst im Hebräischen für die Wiedergabe eines abgeschlossenen Vorgangs oder Zustandes der Verbalsatz im Perfekt bevorzugt wird 3 . Dann wäre also ein "'iv^n zu erwarten. F ü r die drei Nominalsätze (v. 14) das gleiche Tempus anzunehmen, ist am natürlichsten 4 . Aber auch bei dieser Auffassung kommt man um die Schwierigkeit, daß Arnos zwar den Titel Nabi ablehnt, aber die Tätigkeit (v. 15 Kaan) für sich in Anspruch nimmt, nicht herum. Jedenfalls bestreitet Arnos damit jede Beziehung zum berufsmäßigen Nabitum als soziologischem Stand. Als Beweis dafür führt er seinen bürgerlichen Beruf an und die Tatsache der persönlichen Berufung durch Jahwe. Mit und N"0}™|3 meint also Arnos die verschiedenen Funktionäre dieses Berufsstandes, der sich im Laufe der Zeit zu einer festen, wenn auch recht vielfältigen, soziologischen Größe herausgebildet hatte. Der Nabi ist aus einem durch J a h w e persönlich berufenen Künder des Gotteswortes zu einem eingeübten Experten der Gottesbefragung und zu einem berufsmäßigen Wundermann, der das Heil im umfassenden Sinne) durch magische Handlungen und Worte zu erzeugen hatte, geworden (v. 12). Mit der verschiedenartigen Verwendung des Stammes K31 in vv. 14 und 15 stellt Arnos dem entarteten, berufsmäßigen Prophetentum den eigenen, unmittelbaren Offenbarungsempfang entgegen 5 . Als echter Jahwenabi hat er seine Autorität nicht aus der Zugehörigkeit zu einer Institution, sondern allein von Jahwe empfangen. Arnos zeigt hier, was in Wirklichkeit das

1

Die Streichung des zweiten ' S I S metri causa scheint mir nicht zwingend

zu sein, aber auch so ist "OjN besonders betont (Vollform!). A ROWLEY, Was Arnos a Nabi ? S. 194, Festschrift F. Eissfeldt 1947; ferner WÜRTHWEIN, Amos-Studien S. 16—18 bieten die Zusammenstellung der bisherigen Deutungsversuche. 3 E . BAUMANN, Eine Einzelheit, Am 7 14, ZAW 64, NF. 23, 1952. 4 Gegen: QUELL, Wahre und falsche Propheten, S. 139, Anm. 1. Auf keinen

Fall kann das

'Jnp»*!. v. IS Imperfectum consecutivum das Tempus der vorher-

gehenden Sätze bestimmen, sondern muß sich in seiner Bedeutung nach dem Tempus des Vordersatzes richten (G.-K. § l l l o , u). Die Anknüpfung durch imperf. consec. kann sehr lose sein und u. U. adversativen Sinn haben.

bezeichnet ein

Geschehen der Vergangenheit, das in die Gegenwart hineinragt. Es widerspricht also nicht dem präsentischen Verständnis der vorangehenden Nominalsätze. 6 Ich erblicke darin den in den semitischen Sprachen so beliebten Gebrauch eines Stammes in seinen verschiedenen Bedeutungsschattierungen. Dazu war ein Stamm von so schillernder und umfassende.r Bedeutung wie K 3 ] besonders geeignet.

152

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Nabisein ausmacht. Implizit enthält also Am 7 10-17 ein negatives Urteil über das zeitgenössische Nabitum. Die im Heiligtum auftretenden Propheten waren offensichtlich für Amazja eine bekannte Erscheinung. Ungewöhnlich kommt ihm an Arnos die Unheilsverkündigung vor. Die Trennungslinie verläuft zwischen den Heilspropheten und dem Unheilspropheten Arnos. Wir haben es also mit genau derselben Situation wie in I Reg 22 zu tun. Nur spielt sich diesmal das Geschehen an der Kultstätte selbst ab. Die Heilspropheten zur Zeit des Arnos müssen wohl bereits dem Priestertum näher gestanden haben als zur Zeit Michas (ben Jimla). Darauf deutet auch ihre Unterordnung unter die Gewalt des Oberpriesters, von der wir bei den älteren Nebiim nichts merken. Damit ist aber noch lange nicht bewiesen, daß »Nabi« und »Kultprophet« für die Zeit des Arnos identische Begriffe wären 1 . Von dem Gebrauch des Stammes S3J in Am 7 10-17 kann man darauf schließen, daß diese Bezeichnung eigentlich nur die Nebiim als eine vom Priestertum verschiedene Mittlerinstanz kennzeichnet, und es kann lediglich eine Unterscheidung zwischen der durch die Verkündigung des Heils (01*70) charakterisierten Gruppe der Nebiim und dem Unheilspropheten Arnos vorgenommen werden. 4 b. Hosea Auf Grund der wenigen und textlich meist sehr schwierigen in Frage kommenden Stellen des Hoseabuches läßt sich über das Verhältnis Hoseas zu den Nebiim nur wenig sagen. Hos 6 5 zeigt eine hohe Einschätzung der Unheilspropheten. Ihr Wirken wird mit dem des Gotteswortes gleichgesetzt. Da vor allem ihre strafende und zurechtweisende Tätigkeit hervorgehoben wird, ist wohl nach unserer Kenntnis der Verhältnisse an Propheten der Art wie Elia, Elisa, Micha ben Jimla und Arnos zu denken. Freilich sind die Nabigemeinschaften, die unter dem Einfluß solcher Männer standen, nicht von dieser positiven Beurteilung durch Hosea auszuschließen. Die in ihrer Textgestalt und ihrer Bedeutung sehr umstrittene Stelle Hos 9 7f. trägt kaum etwas zum Thema bei. Man kann sie entweder als ein gegen die zeitgenössischen Propheten gerichtetes Wort 1

So W Ü R T H W E I N , Amos-Studien, S. 1 8 ; vgl. dagegen die Einwände R U Gott und Mensch bei Arnos, Imago Dei., Festschrift für G. Krüger, 1 9 3 2 , S. 2 6 — 2 7 . Sowohl W Ü R T H W E I N als auch J O H N S O N (The Cultic Prophet) verwenden den terminus Kultprophet in recht unpräziser Weise. Einmal soll damit eine allgemein freundliche Haltung der Propheten dem Kult gegenüber bezeichnet werden (so J O H N S O N a. a. O . S. 2 8 ) , ein anderes Mal eine Klasse von prophetischen Kultbeamten (a. a. O. S. 51). Diese verschiedenartige Verwendung des Begriffes Kultprophet trägt nicht gerade zur Klärung des Problems bei. DOLPHS,

4c. Jesaja

153

Hoseas 1 oder als eine Anspielung auf die gegen Hosea und die Propheten überhaupt gerichteten Beschimpfungen und Nachstellungen ihrer Gegner 2 verstehen. Da sich unter den echten Hoseasprüchen kein Gerichtswort gegen die Propheten findet 3 , halte ich die letztere Auffassung für richtiger. Der Schluß von Hos 9 8 deutet darauf hin, daß man den Propheten, mit denen sich Hosea solidarisch erklärt (6 5 12 n . 14), auch im Heiligtum nachstellt. Sie werden also besonders von den Priestern bekämpft. Es können deshalb mit den Hos 9 7f. genannten Nebiim nicht Kultpropheten gemeint sein. Auch hier treten uns also die Propheten als eine von der Priesterschaft und vom Kultus unabhängige Gruppe entgegen; ihr Benehmen war anscheinend so auffallend und ungewöhnlich, daß es ihnen die Bezeichnung »Verrückter« einbrachte. 4 c. Jesaja In Jes 28 7-13 werden sowohl Priester als auch Propheten von der dunkelsten Seite her gezeigt. Ihr üppiges und zügelloses Leben macht sie unfähig, ihre Pflichten zu erfüllen. Als spezifische Tätigkeit dieser Stände werden nijh 4 und nj1?,,,?S = Entscheidung, Urteil, genannt. Angesichts des schuldhaften Versagens der Priester und Propheten bei der Ausübung ihrer Pflichten sieht Jesaja in seiner eigenen Verkündigung die Erfüllung und Vereinigung der priesterlichen und prophetischen Funktionen. Dies muß auch von seinen Hörern so verstanden worden sein (v. 9). Bei positiver Würdigung der priesterlichen und prophetischen Belehrung und Verkündigung an sich verurteilt Jesaja die zeitgenössischen Vertreter dieser Stände aufs strengste. Gerade seine hohe Meinung über ihre Aufgaben So MOWINCKEL, The Spirit and the Word in the Preexilic Reforming Prophets, J B L 63, 1934, S. 204, Anm. 21. 1

2

So A. JEPSEN, Nabi, 1 9 3 4 , S. 1 3 5 .

Hos 4 5aß ist spätere Glosse, denn dieses Gerichtswort richtet sich sonst ausschließlich gegen die Priester, außerdem liegt innerhalb des v. 5 Personenwechsel von 2. zur 3. Pers. vor. v. 12 deutet auf Verwendung technischer Mittel zur Orakelerteilung durch die Priester. Vielleicht ist damit das alte Losorakel Urim und Tummim gemeint. Vgl. PLÖGER, Priester und Prophet, S. 162 und H. W. WOLFF, »Wissen um Gott« bei Hosea als Urform von Theologie, Ev. Theol., 12. Jg., 1952/53, S. 550ff. 5

* n t n = schauen, wahrnehmen hat in den prophetischen Büchern des AT eine recht weite Bedeutung. Es umfaßt neben dem gewöhnlichen Sehen, Wahrnehmen das Schauen von Gesichten und Offenbarungen, auch mit Auditionen verbunden. Ein Hinweis auf die für den Propheten spezifische Art des Offenbarungsempfanges läßt sich deshalb dieser Jesajastelle nicht entnehmen. Nur das eine ist deutlich, die Worte der Propheten gelten als von Jahwe eingegeben. Das bestreitet Jesaja mit dem Hinweis auf die abscheulichen Begleitumstände dieses Offenbarungsempfanges, die mit dem Ernst der Sache unvereinbar sind. '

154

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

verschärft sein Urteil über ihre Nachlässigkeit und Skrupellosigkeit. Für die Geschichte des Nebiismus ergibt sich daraus folgendes: 1. Der religiöse und sittliche Stand der Nebiim ist zur Zeit Jesajas außerordentlich tief. Sie sind genau wie die übrigen Stände dem zersetzenden Einfluß der kanaanäischen Kultur und Religion erlegen. Von dem strengen, konservativen Charakter des Nebiismus der frühen Königszeit, der alle fremden Einflüsse bekämpfte und im Bund mit den Rekabitern für die einfache, altisraelitische Sitte und die Reinheit der Jahwereligion eintrat, ist nichts mehr zu merken. 2. Der Schauplatz der Wirksamkeit dieser Nebiim ist anscheinend der Tempel, in dem sie, den Priestern gleichgeordnet, einen besonderen Aufgabenbereich, nämlich die Mitteilung der Gottesworte, haben. Priester und Propheten sind sich in der Ablehnung der Botschaft des Jesaja einig. Inhaltlich freilich kann die Erteilung von Dabar und Tora kaum klar unterschieden werden. So gehört nach Jes 30 9f. die Toraerteilung zu den Aufgaben des ntjh und ntn. Der synonyme Gebrauch von nijh und ntn in Jes 30 10 läßt kaum genauere Rückschlüsse auf die Art des Offenbarungsempfangs oder der Wirksamkeit der damit bezeichneten Personen zu 1 . Der einzige Unterschied, der sich feststellen läßt, ist, daß nTn mehr als nST für Auditionen verwendet wird, aber er ist weder grundsätzlich noch läßt er sich durchgehend beobachten 2 . Jes 30 9ff. zeigt deutlich, auf welche Ablehnung die unbestechliche Verkündigung des Jesaja — darauf deutet Chip, in v. n hin — und wohl auch anderer Propheten stieß. Jesaja scheint doch vorauszusetzen, daß er nicht der einzige Prophet ist, der die Wahrheit verkündet. Das Beispiel Michas aus Moreschet, der Jesaja ungefähr zeitgenössisch ist, zeigt, daß es solche Propheten, von denen wir leider wenig wissen, neben den uns bekannten Schriftpropheten gab 3 . Dem Volk war also eine andere Art der prophetischen Verkündigung als die der Heilspropheten bekannt. Jesaja (311) wirft dem Volk vor, daß es Jahwe nicht sucht oder befragt (ahl). ®TT hat hier den technischen Sinn von »Jahwe befragen, seinen Willen erforschen«. 1 Zur Etymologie und Bedeutung dieser Stämme siehe H Ö L S C H E R , Die Propheten S. 45ff.; T H . H . R O B I N S O N , Prophecy and the Prophets S. 28, 4 1 ff.; A. G U I L LAUME, Prophecy and Divination 1938 S. 290ff.; J . HÄNEL, Das Erkennen Gottes bei den Schriftpropheten, B W A N T N F . 4, 1923, S. 7ff.; J E P S E N , Nabi S. 43—56; H Ä U S E R M A N N , Wortempfang und Symbol, S. 4—8; J O H N S O N , The Cultic Prophet, S. 1 2 - 1 7 . 2 J E P S E N a. a. O . verallgemeinert zu sehr und macht ihn zu einem grundsätzlichen Unterschied. 3 Für die Zeit Jeremias beweist die Erwähnung des Unheilspropheten Uria (Jer 26 20ff.) dasselbe.

4c. Jesaja

155

Damit weist Jesaja sicher auf sich selbst als die rechtmäßige, wahre Instanz der Gottesbefragung hin. Die Heils- und Kultpropheten sowie andere Orakelgeber sind damit sicher nicht gemeint (vgl. 819). Auch die Erwähnung der Jünger des Jesaja (816) weist in die gleiche Richtung. Jesaja hatte Schüler um sich, die seine Worte bewahrten und weitergaben. Neben den Propheten, die den Wünschen des Volkes und seiner Führer willfahren und die gewünschten Heilsorakel liefern, gibt es zu Jesajas Zeit auch anders gesinnte prophetische Kreise, die ihm nahestanden. Auch hier zeigt es sich also, daß man den terminus Nabi und verwandte Bezeichnungen wie nST oder ntn, die mit ihm praktisch synonym sind, ganz weit fassen muß, etwa im Sinne »charismatischer Sprecher, insp rierter Vermittler des Gotteswortes«. Damit ist zwar eine deutl che Abgrenzung gegenüber dem Priesterstand, nicht aber gegenüber den Kultpropheten und Mantikcrn, vollzogen. Unter dem Sammelbegriff Nabi sind verschiedene Gruppen zusammengefaßt, die erst im konkreten Fall genauer bestimmt werden können. Wir haben es also m. E . nicht mit einer homogenen, sondern mit einer mehrschichtigen Größe zu tun. Diese Mehrschichtigkeit kommt sowohl im geschichtlichen Strukturwandel der gesamten Erscheinung als auch in der inneren Differenzierung nach Inhalt und Form der Wirksamkeit einzelner Gruppen der Nebiim im gleichen Zeitraum zum Vorschein. Dabei scheint mir diese Gliederung in verschiedene Gruppen mehr vom Inhalt als von der Form her bestimmt zu sein. So gesehen braucht man die D,J3» = Vorzeichendeuter aus dem Wolkenzuge und die (Jes 2 6) Dlj?D D'ippp = Wahrsager nicht als Winkelzauberer nach der Art der Hexe von Endor anzusehen. Vielmehr sind es Zeichendeuter und Orakelerteiler der uns z. B. aus Assyrien und Babylonien bekannten Art, die auch sicher im israelitischen Kultus offizielle Stellung und Anerkennung gefunden haben. Jedenfalls gehören sie zur Zeit Jesajas zu der offiziellen Religion, denn sie werden gemeinsam mit den staatlichen Machtmitteln genannt, auf die sich das falsche Vertrauen des Volkes stützt (Jes 2eff.). Sie haben zusammen mit den fremden Götzenbildern (Jes 2 8) Eingang in Israels Kultus, also auch in den Jerusalemer Tempel, gefunden 1 . Die zu ihrer Kennzeichnung angewandten termini machen es wahrscheinlich, daß man bei allem Synkretismus doch einen grundsätzlichen Unterschied zwischen ihnen und den Nebiim machte. Wir stoßen hier auf noch eine besondere Gruppe neben den Heilspropheten. Inhaltlich werden sich die Orakel dieser beiden Gruppen kaum wesentlich voneinander unterschieden haben. Beide verkündeten und vermittelten das Heil (oV?&) für das 1 Weitere Erwähnung verschiedener Wahrsager, beirager siehe Jes 8 I9f. — im ablehnenden Sinne.

Beschwörer und Toten-

156

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Volk und damit auch für den einzelnen. Es ist durchaus möglich, daß die Wahrsager und Orakelgeber nicht direkt im Namen Jahwes, sondern im Namen anderer Götter des Pantheon — mit dem man doch wohl zur Zeit Jesajas zu rechnen hat — auftraten 1 . Von den Heilsnebiim unterschieden sie sich durch stärkere Verwendung technischer Mittel der Orakelerteilung. Einen Begriff von der Vielfalt der Instanzen, die der Ermittlung des göttlichen Willens dienten, gibt uns Jes 3 2 f. In dieser Aufzählung der führenden Stände fehlen merkwürdigerweise die Priester. Vielleicht sind jedoch bei dieser Zusammenstellung nur die Stände berücksichtigt, deren Wirksamkeit in besonderer Weise aus dem Geistbesitz entspringt, deren Ansehen also mehr auf ihrer persönlichen Mächtigkeit als auf ihrem Amtscharakter beruht. Das ließe sich bei ödb>, K-31, ftn, -liaa, nan1?» BTX, und DDp als geläufige Anschauung belegen; für die Inhaber des Geheimwissens über Orakelwesen und Magie (tfn1?, |i31, DDp) wäre sie durchaus möglich, obwohl hier schon größere Nähe zum Priester gegeben ist, da das erlernte Wissen und nicht die persönliche Begabung ihr primäres Kennzeichen bildet. Vollends schwierig ist unter dem erwähnten Gesichtspunkt eine so spezielle militärische Bezeichnung wie D^öjl "li? zu verstehen. Vielleicht ist aber auch mit zufälligen späteren Auslassungen, bzw. Auffüllungen zu rechnen. Es werden hier jedenfalls die Stände genannt, die für die Gestaltung des politischen Lebens besonders wichtig sind. Dann hätte Jesaja die falschen Propheten und Orakelgeber deshalb für gefährlicher als die Priester gehalten, weil sie auf die Staatsführung größeren Einfluß als diese ausübten. Sie gehören zusammen mit den politischen Machtmitteln und Bündnissen zu den Objekten des falschen Vertrauens des Volkes und beeinträchtigen deshalb in besonderer Weise den Herrschaftsanspruch Jahwes. Das Fehlen der Priester in Jes 30 10 ff. weist in die gleiche Richtung 2 . In den D^ipjpj?, D,3J» usw. hat man also sicher Kultpropheten im eigentlichen Sinne zu sehen. Die Art ihrer Tätigkeit entspricht genau der Tätigkeit der babylonisch-assyrischen und kanaanäischen Orakel1

Die Verwendung des Pfeilorakels durch Elisa (II Reg 13 15ff.) ist singulär. Außerdem weisen gerade diese Teile der Elisalegende epigonenhaften Charakter auf. Deshalb kann man die technische Mantik nicht als ein charakteristisches Kennzeichen des Nebiismus ansehen. Für den israelitischen Nabi, besonders aber für den oppositionellen Typus, haben wir keinen Beweis für die Verwendung solcher technischer Orakelmittel, ja nicht einmal für die Heilspropheten des 8.—6. Jh.s läßt sich dieser Nachweis führen. Vgl. Hab 2 i8f. ! Die D , K , 33 und D'Tn in Jes 29 10 und iODl in 9 l 4 sind spätere erklärende Glossen.

4d. Micha

157

priester und Mantiker. Sie gewinnen erst in der Zeit des verstärkten Vordringens babylonisch-assyrischer Einflüsse in Israel an Boden und werden noch zur Zeit Jesajas als fremd empfunden. 4d. Micha Ähnlich wie Jes 28 7-13 verurteilt Micha Priester und Propheten in gleicher Weise zusammen mit den führenden Schichten des Staates (Mi 3 9-12). Als charakteristische Bezeichnung der priesterlichen Tätigkeit verwendet Micha das Verbum rnin, während er die prophetischen Funktionen unter DOp (v. n) zusammenfaßt. Das letztere ist besonders ungewöhnlich, weil es von Micha anscheinend gar nicht im negativen Sinne wie Jes 2 6ff. gebraucht wird. Außerdem könnte man hier eine Belegstelle für den Gebrauch der technischen Orakelmittel bei den Nebiim sehen, ein Zug, der sonst an ihnen nicht in dieser Weise hervortrat. Nach Mi 3 6 werden ]itn und DÖp. den D , N , 3 J zugeschrieben, dagegen erscheinen in v. 7 D'T.n und D , öDp als zwei getrennte Gruppen. Ist der synonyme Gebrauch von ntnynih und zur Zeit der klassischen Prophetie gesichert, so muß das gleiche für DOp an dieser Stelle gelten. Das auf Grund der Äußerungen Jesajas gewonnene Bild wäre also dahingehend zu ergänzen, daß anscheinend eine Annäherung oder gar Vermischung dieser beiden Vermittlungsinstanzen eingetreten ist. Diese Annäherung läßt sich am besten aus dem Nebeneinander der verschiedenen Gruppen von Mantikern und Nebiim im Jerusalemer Tempel erklären. Als das hervorstechendste Charakteristikum aller dieser Künder des göttlichen Willens wird die oi1?®Verkündigung genannt (vgl. Mi 2ef. 3n). Micha wirft ihnen Eigennützigkeit (3 n) und Bestechlichkeit (v. 5) vor. Die eben erwähnte Michastelle sowie Jes 3 2 lassen also das immer stärkere Hervortreten der technischen Mittel der Orakelbefragung (DOp.) bei den Heilspropheten und damit indirekt auch ihre straffere Eingliederung in das Kultpersonal erkennen. Hier hat man es also doch wohl (Mi 3 6 Jes 3 2) mit Kultpropheten im eigentlichen Sinne zu tun. Die Nebiim verlieren ihre Eigenständigkeit und schließen sich in immer höherem Maße dem Kultprophetentum an. Die Kultpropheten sind nicht israelitischen Ursprungs, gewinnen jedoch bald im Zuge des Synkretismus an Bedeutung und nehmen den zum bloßen Heilsprophetentum entarteten Nebiismus in sich auf. Dieser Prozeß muß sich in Juda sehr rasch vollzogen haben. Das sieht man daran, daß diese Mantiker zur Zeit Jesajas noch als eine fremdartige Erscheinung gelten, von Micha dagegen als mit den Nebiim gleichberechtigt und ohne besondere Kennzeichnung ihrer Fremdartigkeit als offizielle Instanz der Jahwereligion

158

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

behandelt werden. Das oppositionelle Prophetentum, das durch die Schriftpropheten vertreten wird, geht jedoch andere Wege. Diese Verbreitung der im älteren Nebiismus nicht angewandten und in Israel ursprüngl ch als fremd empfundenen und abgelehnten technischen Mittel bei den Heilspropheten hat wohl dreierlei Ursachen: 1. Das Nachlassen der wirklich prophetischen Gabe, aus der unmittelbaren Verbindung mit Jahwe Aufschluß über seinen Willen zu erhalten, an deren Stelle erlernbares Geheimwissen tritt. 2. Das Bedürfnis des Kultus nach solchen Orakelmitteln, die jederzeit zugänglich und anwendbar sind. Die dem kultischen Handeln überhaupt eigene Tendenz nach Einschränkung der Spontaneität und Unberechenbarkeit des göttlichen Handelns wirkt sich auch auf die Willenskundgebungen der Gottheit aus. Ansätze dazu waren in dem altisraelitischen Losorakel vorhanden. 3. Der Synkretismus der späten Königszeit begünstigt die Übernahme fremder Orakelpraktiken. Hat man die Identifizierung Jahwes mit Baal, vielleicht auch mit anderen Gottheiten, bedenkenlos vollzogen oder ihn in das Pantheon der syrisch-babylonischen Gottheiten eingereiht, so stand auch der Übernahme fremder Orakelbräuche und des Beschwörungswesens nichts mehr im Wege. Diese Vorgänge sind im AT natürlich von den späteren Überarbeitungen verdeckt, aber an Stellen wie Jes 3 2 (vgl. 2 6 8 19) und Mi 3 6 doch noch erkennbar. Erstaunlich ist freilich, daß Micha diesen Kultpropheten scheinbar den Empfang göttlicher Offenbarungen nicht abspricht. Jedoch ist dabei zu bedenken, daß Micha hier (Mi 3 9-12) nicht über die Art des Offenbarungsempfanges oder die Offenbarungsquelle überhaupt reflektiert, sondern allein den Wahrheitsbeweis der eigenen Verkündigung aus ihrer praktischen Auswirkung führt (v. 8, ähnlich Mi 2 e). Das Gegenstück dazu ist der Beweis für die falsche, lügnerische Art seiner mantischen Gegenspieler, den Micha in ihrer Bestechlichkeit und ihrer Eigennützigkeit sieht (3 5 und 11). Darauf liegt der Hauptton. Im übrigen werden die Gegner von Micha dafür genommen, wofür sie sich ausgeben und wofür sie im Volke g e l t e n A l s nichtig erweist sich 1

JOHNSONS

(The Cultic Prophet S. 33), Behauptung, daß üpj? »is recognized

(by a canonical prophet, be it noted) as a valid method of securing a decision in the affairs of life« hängt angesichts der Verwerfung des Inhalts dieser Prophetensprüche in der Luft. Die Methode der Befragung diskutiert Micha nicht, nur den Inhalt und die Eigennützigkeit der betreffenden Propheten. Daß DOj? und andere divinatorische Mittel z. Z. Michas im offiziellen Kult verwandt wurden, ist richtig. Das bedeutet aber noch nicht, daß Micha sie als solche anerkennt. — Auch Q U E L L , Wahre und falsche Propheten, S. 117 geht im Hinblick auf Mi 3 Sit. zu weit, wenn er sagt: »Sie (die falschen Propheten) hatten echte Schauungen und empfingen Orakel, daran läßt der Wortlaut keinen Zweifel«. Ist dieses »echt« im Sinne »von Jahwe gegeben« zu verstehen, was Anm. 1 ( Q U E L L a. a. O. S. 117, Polemik gegen J. L I N D B L O M , Mika,

4e. Jeremía

159

der Anspruch der falschen Propheten aus dieser Gegenüberstellung von selbst. Sie sind eben nur Karikaturen von Propheten, und auch diese Maske, möge sie im Augenblick auf das Volk noch so echt wirken, wird ihnen von Jahwe herabgerissen (3 6f.). Micha geht auf keine grundsätzliche Diskussion ein, er läßt es bei der schlichten Gegenüberstellung bewenden und überläßt das Urteil dem Hörer. 4 e. Jeremía

Die große Zahl der Äußerungen Jeremias über die Propheten verringert sich erheblich, wenn man die Stellen, in denen die Propheten nach feststehendem Schema als appositionelle Auffüllungen bei Aufzählungen führender Stände auftauchen, als unecht ansieht, so Jer 2 26 8 i 1 und 32 322. Auch wenn man diese Stellen als unecht ausscheidet, so kann das den Eindruck nicht abschwächen, daß unter den Priestern und Propheten zur Zeit Jerem as ein gutes Einvernehmen herrschte. In Jer 2 8 werden die einzelnen Stände nach ihrem Verhältnis zu Jahwe beurteilt 3 . Den Propheten spricht Jeremía jede Beziehung zu Jahwe rundweg ab. Mit Baal braucht nicht bloß der kanaanäische Gott, sondern es kann auch der Gott der synkretistischen Jahwereligion (wie Hos 2 ie) gemeint sein4. Als typische Aufgabe der Priester gilt die Auslegung und Anwendung der Rechtssatzungen; die der Propheten wird mit KS) umschrieben. Ähnliches zeigt Jer 5 3i5, nur ist hier "?ya durch ersetzt. ist als eine Personifikation aufzufassen und damit Baal gleichliterarisch untersucht Abo. VI, 2, 1929, S. 76) nahelegt, dann ist der Satz irreführend. Micha bestreitet die Begeisterung der falschen Propheten nicht, den Besitz des Geistes oder der Kraft Jahwes aber nimmt er allein für sich in Anspruch. Damit ist ja indirekt gesagt, daß er die falschen Propheten nicht als autorisierte Sprecher Jahwes anerkennt. Ihre Offenbarungen und Schauungen sind in diesem Sinne eben nicht echt (vgl. Mi 6 l l ) . 1 Jer 8 l ist vielleicht echtes Jeremiazitat im deuteronomisch bearbeiteten Abschnitt, so R U D O L P H z. St. 2 Jer 32 32 ist spätere Ergänzung, siehe R U D O L P H Z. St. Ähnlich verhält es sich mit 13 13. Jer 4 9ff. und 14 18 stehen wohl in deuteronomisch bearbeiteten, bzw. zusammengestellten Stücken, können aber dennoch echte Jeremiaworte enthalten. Gegen die Erwähnung der Propheten erheben sich an diesen Stellen keine sachlichen Bedenken (vgl. R U D O L P H z. St.). 3 RRJINN = Priester, siehe R U D O L P H Z. St., D ' S H = weltliche Führer, König und Aristokratie. 4 F A S C H E R , Prophetes S. 131, denkt speziell an Götterbilder als Orakelmittel, wie in Ägypten. Doch enthält der Text keinen Hinweis darauf. ' J O H N S O N , The Cultic Prophet S. 54 übersetzt in v. 3 1 mit »herrschen«. Doch ist das keine typisch priesterliche Tätigkeit, die man doch hier erwarten muß.

160

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

zusetzen (vgl. J e r 2 8 23 13). Die charakteristischen Tätigkeiten dieser Stände werden mit denselben Ausdrücken wie in J e r 2 8 bestimmt. Beide Stände haben sich von der Bindung an Jahwe gelöst, und deshalb ist auch ihre Wirksamkeit zur Willkür geworden. An beiden Stellen werden die Tätigkeiten und Aufgaben der Priester und Propheten als solche nicht verurteilt, sondern ihr Mißbrauch durch die zeitgenössischen, entarteten Vertreter dieser Stände. 5 31 ba = »und mein Volk liebt es so« weist wohl in die Richtung der DiVi'-Verkündigung und entsprechender religiös-nationalistischer Agitation der Priester und Propheten. Ausdrücklich wird die Einmütigkeit von Priester und Prophet unter dem Gesichtspunkt der Di1?^-Verkündigung und der Gewinnsucht in J e r 6 13-15 (par 8 10-12) 4 9f. 18 18 betrachtet. Ihre, auch von Jeremia anerkannte, eigentliche Aufgabe, »den Schaden des Volkes zu heilen« (Jer 6 14), versehen sie nur oberflächlich, indem sie um des Gewinnes willen Heil prophezeien. Jeremia spricht ihnen also hier die subjektive Ehrlichkeit und die Echtheit ihrer Weissagungen ab (so auch Zeph 3 4). Über das gegenseitige Verhältnis beider Stände läßt sich auf Grund der bisher behandelten Stellen sagen, daß ihr Nebeneinander von Jeremia als selbstverständlich betrachtet wird. Aus J e r 1818 sieht man, daß Priester, Weise und Propheten in der gemeinsamen Feindschaft gegen Jeremia übereinstimmen. Diese Antagonie ist in dem Gegensatz ihrer auf die Wahrung des Heils gerichteten Tätigkeit zu der Unheilsprophetie des Jeremia begründet. In J e r 23 9-11 ist der Tempel der gemeinsame Ort der Wirksamkeit der Priester und Propheten. Dieser Umstand läßt wohl darauf schließen, daß Jeremia hier Kultpropheten im eigentlichen Sinne meint. J e r 27 16. 18 wirft auf das Verhältnis von Priestern und Propheten insofern ein neues Licht, als die Priester davor gewarnt werden, auf die Weissagungen der Propheten zu hören. J O H N S O N 1 liest freilich aus dieser Stelle zu viel heraus, wenn er daraus auf die übergeordnete Stellung der Propheten über die Priester schließt. In J e r 27 handelt es sich um die konkrete Frage des Abfalls von Nebukadnezar. Nach allem, was wir über die Propheten wissen, oblag ihnen Deshalb ist die Konjektur zu V l l 1 (CORNILL) erforderlich. JOHNSON bezieht das auf die Propheten und folgert daraus, daß sie den Priestern übergeordnet sind. Diese Auffassung ist aus philologischen Gründen unhaltbar (siehe RUDOLPH z. St.). Außerdem steht hier nicht das gegenseitige Verhältnis von Priester und Prophet zur Debatte, sondern ihr Verhalten zu Jahwe. Der Abfall der Priester kann nicht darin bestehen, daß sie auf die Weisung der Propheten hören, sondern darin, daß sie sich bei der Toraerteilung nicht an die Gebote Jahwes halten. Das fordert schon die Parallelisierung mit den falschen Propheten, die von Jahwe abgefallen sind, indem sie bei fremden Göttern Offenbarungen suchten. 1 A. a. O. S. 65.

161

4e. Jeremía

immer die Ermittlung des göttlichen Willens in politischen und nationalen Angelegenheiten wie überhaupt in allen solchen Fragen, zu deren Entscheidung es einer direkten Willensmitteilung Jahwes bedurfte. Daraus ist das Hören der Priester auf die Prophezeiungen der Nebiim zu verstehen. Jer 27 i6ff. läßt aber genausowenig wie Jer 5 31 auf eine grundsätzliche hierarchische Überordnung der Propheten als kultischer Institution über die Priester 1 schließen. Die Stellen, an denen Priester und Propheten nebeneinander im Tempel erscheinen (z. B. Jer 26 7. iß), sagen an und für sich über die Institution der Kultprophetie kaum etwas aus, denn gerade in Jer 26 erscheinen auch die Ältesten und sogar das Volk als im Tempel aktiv handelnd. Sie werden in einem Zug mit den Priestern und Propheten genannt. Die Aussagen über eine dieser Gruppen müssen also in gleicher Weise für die anderen gelten 2 . Zieht man jedoch die näher spezifizierte Angabe über die Tätigkeit der Nebiim im Tempel (Jer 23 li) und vor allem die sachliche Übereinstimmung zwischen ihnen und der Priesterschaft (Jer 2 8 4 9f. 5 31 6 13-15 1818) mit in Betracht, so kann man kaum daran zweifeln, daß in den prophetischen Gegnern des Jeremia Kultpropheten im eigentlichen Sinne zu erblicken sind. Damit findet das auf Grund der Äußerungen Jesajas und Michas gewonnene Bild von der Verschmelzung des Kultprophetentums, das in Israel erst spät aufkommt, mit dem alten Nebiismus bei Jeremia seine Bestätigung. Darauf hin deutet auch die Existenz eines besonderen Aufseheramtes (Jer 29 26, vgl. Jer 201, Tps) über die Propheten, das von einem Priester bekleidet wird 3 . Man kann jedoch diesen Aufseher nicht allein auf die Leitung der Zunft der Kultpropheten beschränken, vielmehr ist darin ein Ordnungsamt mehr allgemeiner Art zu erblicken. Der Oberaufseher soll jeden, der die Ordnung im Tempel stört 4 , bestrafen. Von diesem allJ O H N S O N ist zu dieser petitio principii gezwungen, weil er grundsätzlich in den Nebiim eine den Priestern übergeordnete Gruppe des beamteten Kultpersonals sieht (a. a. O. S. 66f.). 2 Die Erwähnung des Raumes im Tempelgebäude, der den Söhnen des Gottesmannes Jigdalja gehört (Jer 304), beweist ebenfalls nichts, denn solche Räume besaßen auch Laien (vgl. II Reg 23 l l Jer 3610). 3 Nach Jer 20 6 scheint er zugleich Prophet zu sein; doch ist die Anwendung des Verbums K22 zur Bezeichnung der Tätigkeit eines Priesters so singulär, daß sie 1

nicht zu dem Schluß berechtigt, die Kultpropheten hätten nur eine Gruppe der Priesterschaft gebildet. 4 Sättfiy B^N v. 26 ist nicht als terminus technicus für Propheten zu verstehen. TTF'N hat hier den allgemeinen Sinn »jeder«.

JOHNSON

a. a. O. S. 63f. schwächt

diese Tatsache ab, weil sie seiner These von der Überordnung der Kultpropheten über die Priester widerspricht, vgl. Am 7 lolf. H e n t s c h k e , Die Stellung der vofexüischen Schriftpropheten zum Kultus

11

162

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

gemeinen Charakter des Aufseheramtes her ist auch zu verstehen, daß seine Träger wiederholt gegen Jeremia vorgehen. Seine Verkündigung verursachte Unruhe und Aufruhr im Tempelbezirk. Unmöglich kann daraus der Schluß gezogen werden, daß Jeremia Kultprophet war 1 . Die Bezeichnung icai ist eben sehr vieldeutig, sie kann auch den Kultpropheten umfassen, ist aber nicht auf ihn allein zu beschränken. Das Nabitum der späten Königszeit scheint, inhaltlich gesehen, weitgehend seine ursprüngliche Eigenart eingebüßt zu haben. E s richtet sich ausschließlich auf die Schaffung des Heils und stimmt darin mit dem Priestertum überein, dessen Tätigkeit ebenfalls die Sicherung des Heils für die Gemeinschaft und das Individuum zum Ziele hatte. Daher bilden sie Jeremia gegenüber eine geschlossene Front. Dennoch geben die herangezogenen Jeremiastellen keinen Hinweis darauf, daß diese Annäherung zu einer organisatorischen Verschmelzung geführt hätte. In den erwähnten Stellen ist die Trennung vielmehr insofern deutlich, als die Tätigkeit der Priester mit Toraerteilung und Rechtsprechung zusammenfassend bezeichnet wird, die der Propheten sich dagegen vor allem auf die Mitteilung der Entscheidungen Gottes über Angelegenheiten des politischen und nationalen Lebens erstreckt. In dieser Hinsicht scheinen sie einen Vorrang vor den Priestern zu haben (Jer 27 16). Außerdem gehört die Fürbitte wie überhaupt das Gebet zum spezifisch prophetischen Aufgabenbereich. Demnach sind die israelitischen Kultpropheten eine relativ selbständige Mittlerinstanz neben dem Priestertum. Die von

MOWINCKEL, JOHNSON, ENGNELL u n d HALDAR b e h a u p t e t e Zugehörig-

keit der israelitischen Kultpropheten zum priesterlichen Stand läßt sich m. E. nicht nachweisen. Darin hat der Nebiismus einen Rest seiner ursprünglichen Unabhängigkeit vom Priestertum bewahrt. Die Nebiim gehören nunmehr zum großen Teil zum Kultpersonal, aber sie unterscheiden sich deutlich von der Priesterschaft. Daß Jeremia trotz seiner Abstammung aus einer Priesterfamilie weder als Priester noch als Kultprophet fungierte, zeigt seine Beurteilung der zeitgenössischen Vertreter dieser Stände. An ihrem Versagen wird die Größe des Abfalls überhaupt offenkundig. Dabei scheint Jeremia das Prophetentum als gefährlicher beurteilt zu haben, vor allem wegen seines Einflusses auf das politische Leben. Außer der schärferen Sprache zeigt das auch die Tatsache, daß die spezielle Polemik gegen die Propheten viel größeren Raum als die gegen die Priester einnimmt. Den Heilspropheten spricht er die Autorisierung ihrer Verkündigung durch Jahwe ab (Jer 14 13-ie). Sie sind Lügenpropheten, die 1 Zu den beiden Stellen (Jer 2 9 26 und 2 0 L) vgl. Interpretation dieser Stellen ist recht willkürlich.

JOHNSON

a.a.O. S. 63f. Seine

163

4e. Jeremía

eigene Wunschträume als Jahweworte ausgeben (vgl. J e r 23 16-is). Ihre Tätigkeit wird außer mit X33 noch mit )itn und •pj? umschrieben. Das zeigt, daß sie sich neben der Ekstase auch technischer Orakelmittel wie Vorzeichenschau usw. bedienten. Ausschlaggebend für diese Beurteilung der Heilspropheten ist jedoch der Inhalt ihrer Verkündigung und nicht das äußere Gebaren. Wie sehr die Volksmeinung von dieser Heilsverkündigung her bestimmt war, zeigt J e r 512. Genaueres über diese Heilspropheten hören wir noch in Kap. 23 Die Schärfe des Urteils Jeremias über die Heilsnebiim kommt am deutlichsten darin zum Ausdruck, daß sie genauso als des Frevels schuldig bezeichnet werden wie die Propheten des Nordreiches (Jer 23 9-15), deren Schuld ja durch den Untergang Samariens, nach allgemeinem Urteil, bewiesen wurde. In J e r 23 13 f. liegt also — nach dem Empfinden des Volkes — eine bewußte Beleidigung der Jerusalemer Propheten vor. Nach Jeremias Überzeugung sind diese genausowenig Jahwe-Propheten wie jene, was mit ihrer sittlichen Verderbtheit begründet wird. Ihre positive Aufgabe zeigt 23 14b: Sie sollen das Volk zur Umkehr vom bösen Wandel führen (vgl. 23 22). Nachdem Jeremia die Echtheit der prophetischen Verkündigung der Heilsnebiim vor allem auf Grund ihres bösen Lebenswandels bestritten hat (23 9-15), führt er nun den gleichen Beweis aus dem Inhalt ihrer Verkündigung (Jer 23 16-22). Sie erwecken falsche Hoffnungen, weil sie die Wunschträume ihres Herzens (23 ie) und nicht Jahwes Wort verkündigen. Dabei spielt nicht die Art des Offenbarungsempfanges (]itp v. ie) und seine Wiedergabe (N31), sondern der Inhalt der Offenbarung die entscheidende Rolle (v. 17). Wer unbußfertigen Sündern und Jahweverächtern Heil verkündet, den kann Jahwe nicht gesandt haben (v. 21), der kann nicht in seinem Rat gestanden haben 2 (v. 22). Die bekannten sittlichen Normen Jahwes sind hier als Maßstab für die Echtheit der Prophetie genannt. Deshalb müßte auch das Volk die falschen Propheten als solche erkannt haben (14 ie 2316). Auch hier wird die religiös-sittliche, reinigende Einwirkung der Propheten auf das Volk von Jeremia als ihre vornehmste Aufgabe bezeichnet (23 14. 22). Er lehnt offensichtlich die Träume als legitime Art des Offenbarungsempfanges ab (2 3 23 - 32). Erstens wegen ihrer Wirkung: sie veranlassen die Propheten dazu, Lügen ( = was nicht mit dem Wesen Jahwes übereinstimmt) zu weissagen und Jahwe zu vergessen, genauso 1 Kap. 23 stellt eine redaktionelle Zusammenstellung echter Jeremiasprüche mit späteren Erweiterungen dar. 2 »In Jahwes Rat stehen« bedeutet dasselbe wie »in Jahwes Willen Einsicht haben«. Jer 23 18 ist Erweiterung, siehe RUDOLPH Z. St.

11*

164

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

wie ihn das Volk in der Vergangenheit über d e m Baal vergessen h a t t e (vv. 25-27). Die auf T r ä u m e begründete Verkündigung ist im Gegensatz z u m echten W o r t J a h w e s »harmlos« (v. 29). Zweitens wegen ihres Ursprungs (v. 28): Sie sind eben nur Träume, die weder den P r o p h e t e n noch seine Hörer wirklich erfassen u n d innerlich treffen (vv. 28f.). Die T r ä u m e s t a m m e n o f t nicht einmal von dem, der sie erzählt (v. 27). J e r e m í a s t e h t m i t seiner grundsätzlichen Verwerfung der T r a u m o f f e n b a r u n g e n 1 im A T ziemlich allein (vgl. Gen 2 8 1 2 N u m 12 6 H i 4i2fl.). Ähnlich a b w e r t e n d werden die T r ä u m e als Z u s t a n d des Offenbarungsempfanges in J e r 27 9f. 2 u n d 29 8f. beurteilt. J e r e m i a s t e h t mit dieser Beurteilung der T r a u m o f f e n b a r u n g e n im Gegensatz zur offiziellen S t a a t s - u n d Volksreligion. F ü r die Geschichte des Nebiismus der Spätzeit ergibt sich auf G r u n d der hier b e h a n d e l t e n Stellen folgendes: Die T r a u m o r a k e l u n d die d a m i t v e r b u n d e n e K u n s t der T r a u m d e u t u n g u n d Wahrsagerei galten in Israel als legitime Offenbarungsmittel. D a s Nachlassen der besonderen prophetischen Gaben f ü h r t zu stärkerer B e t o n u n g der F o r m der E r t e i l u n g des Gotteswortes auf K o s t e n seiner Originalität u n d seines Inhalts. E s k o m m t schließlich sogar zu einem H a n d e l mit dem P r o p h e t e n s p r u c h 3 . Das Merkmal der persönlichen Inspir a t i o n t r i t t also bei den Gegnern Jeremias s t a r k zurück. Micha verurteilt die E n t l o h n u n g der Propheten d u r c h den E m p f ä n g e r , J e r e m i a d e n H a n d e l m i t d e m Gotteswort. Jedenfalls ist m i t dieser fortschreitenden E n t l e e r u n g der prophetischen Verkündigung sowie mit ihrer ausschließlichen Ausrichtung auf die Schaffung u n d E r h a l t u n g des Heils f ü r die Gemeinschaft u n d d e n einzelnen (Di*?tf) eine sachliche N ä h e zur K u l t p r o p h e t i e b e k a n n t e n Stils gegeben. D a s beweist auch die Verwendung der Ausdrücke wie Dt?¡7. (Jer 1414 29 8) = Orakel u n d oV?]J im technischen Sinne = »Traumorakel, T r a u m deutung« ( J e r 23 27)- zur Bezeichnung der Tätigkeit der Nebiim. Die gleichen Ausdrücke verwendet Jeremia a u c h f ü r ausländische 1

DlVrj nicht

das auch Jeremia als legitim anerkennt. Vgl. E. EHR-

Der Traum im AT, ZAWB 73, 1953. 2 Hier sind ausländische Propheten und Zeichendeuter aller Art gemeint. s Wenn es Jer 23 80 heißt, daß die falschen Propheten sich gegenseitig das Wort Jahwes ('D^? v - 30 ) abstehlen, so bedeutet das nicht, daß Jeremia diese Prophetensprüche wirklich für echte Jahweoffenbarungen hält (so J O H N S O N a. a. O. S. 42). Jeremia zitiert vielmehr den Anspruch der falschen Propheten. Der Zusammenhang zeigt deutlich, daß Jeremia diesen Anspruch im Auftrag Jahwes zurückweist. Das Abstehlen der angeblichen Worte Jahwes ist ein Beweis dafür, daß die falschen Propheten sich nicht im Besitz echter Jahweworte befinden, denn diese sind kein Handelsobjekt. Die Wendung »mein Wort« ist also hier sarkastisch gemeint (so R U D O L P H ZU Jeremia 23 so). LICH,

4 e . Jeremía

165

Propheten und Mantiker (Jer 27 fl). Dieser Sprachgebrauch, dem wir bereits bei Jesaja und Micha begegnet sind, zeigt, daß unter dem Sammelnamen »Nabi« unter Umständen auch Orakelerteiler und Mantiker, die sich der technischen Mittel wie Vorzeichenschau, Opferschau, Traumdeutung und Beschwörung bedienen, mit einbegriffen sein können. Da diese Besitzer des divinatorischen Geheimwissens in der Umwelt Israels zu den Kultpropheten gehören, muß man annehmen, daß sie auch in Israel eine ähnliche Stellung eingenommen haben. Allerdings scheinen sie sich nicht der israelitischen Priesterschaft, sondern dem Nebiismus angeschlossen zu haben. Das ist auch deshalb wahrscheinlicher, weil der Nebiismus in seiner Art viel weniger fest geprägt war als die Priesterschaft. Angesichts des Nachlassens der echten Inspiration in den nebiistischen Kreisen während der späten Königszeit lag ein Bedürfnis nach Erschließung neuer, leichter zugänglicher Mittel der Gottesbefragung vor. Gegenüber den Kultpropheten in der babylonisch-assyrischen Religion hatten die israelitischen Kultpropheten insofern eine etwas andere Stellung inne, als sie durch die Verbindung mit den Epigonen des freien, altisraelitischen Nebiismus relativ selbständiger und von der Priesterschaft deutlicher zu unterscheiden waren. Die alte Struktur der Jahwereligion, die das Nebeneinander zweier selbständiger Mittlerinstanzen kennt, hat sich in dieser eingeschränkten Form doch noch behaupten können. Über die Organisation der Kultpropheten und ihr Verhältnis zum Nebiismus als Ganzem erhalten wir aus den Schriften der vorexilischen Propheten keine Auskunft. Soviel ist jedoch deutlich, daß mit ICSI wohl gelegentlich auch der Kultprophet im eigentlichen Sinne bezeichnet werden kann, daß aber dieses Wort meistens auf andere freie Propheten, die mit dem Kultpersonal nichts zu tun haben, angewandt wird. Zur Benennung der prophetischen Tätigkeit überhaupt benutzt Jeremia weiterhin die Stämme N31 und ntn/ANH, weil sie offensichtlich keinen spezifischtechnischen Sinn hatten und recht verschiedene Arten des Offenbarungsempfanges anzeigen konnten. Außerdem steht Jeremia keine andere so umfassende Bezeichnung zur Verfügung. Einen weiteren Hinweis für die Erkenntnis der inneren Struktur und des Wesens des Nebiismus zur Zeit Jeremias bietet uns seine Auseinandersetzung mit Hananja (Jer 28). Sie zeigt uns deutlich, daß die sittlich motivierte Ablehnung der zeitgenössischen Propheten nicht verallgemeinert werden darf. Mag auch die Mehrzahl dieser Propheten sich durch ihre Sittenlosigkeit und die davon ausgehende zersetzende Wirkung auf das Volk von vornherein als Lügner und Verführer erwiesen1 1

Außer den bisher genannten Stellen vgl. J e r 29 8f. 21 ff. Die Stelle zeigt, daß

zu den Gegnern Jeremias nicht nur Kultpropheten gehörten, denn als solche könnten sie im Ausland nicht t ä t i g sein.

166

V I . Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

haben, so daß bei ihnen die Frage nach der Echtheit ihrer Inspiration gar nicht erst gestellt zu werden brauchte, so gab es gewiß auch andere Propheten, bei denen dieses Kriterium nicht anwendbar war. Jer 28 stehen sich zwei Jahwepropheten, Jeremia und Hananja, gegenüber. Die Art ihres Auftretens und der Mitteilung des Gotteswortes samt den sie begleitenden prophetischen Handlungen ist genau die gleiche. Dabei ist zu beachten, daß Jeremia seinem Gegner weder einen unsauberen Lebenswandel noch Verwendung zweifelhafter Mittel zur Erlangung des Gotteswortes vorwirft. Es steht Gottesspruch wider Gottesspruch. Bei der ersten Begegnung spricht Jeremia seinem Gegner den Besitz eines echten Jahwewortes nicht ab, dafür fehlt ihm anscheinend im Augenblick die ausdrückliche Bevollmächtigung durch Jahwe. Die persönlichen Zweifel an der Echtheit der Prophetie Hananjas, die Jeremia ausdrücklich als solche kennzeichnet, begründet er mit einem geschichtlichen Rückblick auf die Propheten der Vergangenheit und mit dem Hinweis auf den bekannten deuteronomischen Grundsatz (Dtn 18 2if. Jer 28 8-9). Für die innerprophetischen Verhältnisse und Gruppenbildungen zeigt sich dabei erstens, daß die Propheten (auch die Schriftpropheten) sich in eine Tradition gestellt und an sie in gewisser Weise auch gebunden wußten. Zweitens kann sich diese Tradition nicht primär auf formaltechnisches Wissen beschränkt haben, sondern sie bezog sich auf den Inhalt der mitgeteilten Gottesworte. Drittens scheidet diese Tradition die Propheten offensichtlich in zwei große Gruppen, die Unheils- und Heilspropheten. Das Kriterium ist dabei wieder inhaltlicher und nicht formaler Art. Anscheinend ist also für das Wesen des israelitischen Nebiismus nicht die Zugehörigkeit zu einer Institution maßgebend, sondern der Inhalt der Botschaft. Die Gruppenbildung ist von daher bestimmt, und es erscheint sehr fraglich, ob man die Geschichte der israelitischen Prophetie als einen Kampf von organisierten, institutionell an verschiedene Heiligtümer gebundenen Prophetengruppen sehen kann, wie es etwa H A L D A R und E N G N E L L tun. Zu der Scheidung zwischen den Heils- und Unheilspropheten ist noch zu sagen, daß sie nicht verabsolutiert werden darf, so daß den Unheilspropheten jede Heilsweissagung abzusprechen wäre, sondern sie ist so zu verstehen, daß es auf der einen Seite die Propheten gab, die für das Volk als Ganzes in seiner bestehenden Gestalt nur Heil zu verkünden hatten 1 , auf der anderen die Propheten, die die bestehenden Verhältnisse von der 1

Das bedeutet zugleich Unheil für andere Völker und Unheil für solche Volksgenossen, die scheinbar dieses Heil gefährden, indem sie die Intaktheit des Gottesverhältnisses des Gesamtvolkes verletzen. Ihre Verkündigung ist also in erster Linie nationalistisch ausgerichtet.

4e. Jeremía

167

neuerlebten Gotteswirklichkeit her ihrer Kritik unterzogen. In Anbetracht der herrschenden Zustände fällt freilich diese Kritik so aus, daß diese sogenannten Unheilspropheten der gegenwärtigen Generation nur das unmittelbar bevorstehende Gericht und Unheil zu verkündigen haben. Hinter dem Gerichtshandeln sehen sie freilich den Gnadenwillen Jahwes stehen, der von sich aus die Voraussetzungen für ein neues, durch Sünde ungestörtes Gottesverhältnis schafft. An dieser Frage und nicht an einem Machtkampf verschiedener priesterlichprophetischer Institutionen scheiden sich die Geister. Für die Heilspropheten ist eine Bindung an eine kultische Organisation wohl denkbar und für die späte Königszeit auch sehr wahrscheinlich, nicht aber für die Unheilspropheten. Bei den letzteren handelt es sich doch offensichtlich nicht um ein feststehendes Dogma, das nun ohne Rücksicht auf die geschichtliche Situation seine unbedingte Geltung hat, sondern um einen besonderen Auftrag, der ihnen unter größtem persönlichem Leiden aus der von der Offenbarung her erleuchteten Erkenntnis der geschichtlichen Lage des Volkes und des für diese gegenwärtige Situation gültigen Willens Jahwes erwächst. Der Inhalt ihrer Verkündigung ist ihnen also letztlich nicht durch Tradition vorgegeben, sondern im persönlichen Umgang mit Jahwe offenbart. Konnten sie auf eine so stattliche Reihe von Vorgängern zurückblicken wie Jeremia, so mag sie das in ihrem Glauben bestärkt haben, aber gerade das Beispiel Jeremias zeigt, daß sie ihren Auftrag nicht aus der Tradition übernahmen, sondern unter innerem persönlichem Widerstreben von Jahwe direkt empfingen. Darin unterscheiden sie sich von den Heilspropheten, für die das feststehende Dogma von der unter allen Umständen zu erwartenden Hilfe Jahwes, zu der er als Nationalgott verpflichtet ist, das Haupt Charakteristikum darstellt. Von dar Eintönigkeit der Verkündigung der Heilspropheten, die sich in Heilsorakeln erschöpft, hebt sich um so deutlicher die individuelle Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Verkündigung der Unheils- oder Schriftpropheten ab. Immerhin ist auch im Volk die Wirksamkeit der großen Unheilspropheten vor Jeremía nicht spurlos geblieben. Mochte man sie noch so heftig ablehnen, ganz überhören konnte man ihre aus der göttlichen Vollmacht fließende Verkündigung nicht. Zudem hat doch auch der Gang der Geschichte nicht selten ihre Unheilsprophezeiungen bestätigt. Manche bittere Enttäuschung, die das ewige Heilsgeschrei ihrer Gegner dem Volk bereitet hat, wird auch dieses skeptisch gegenüber den Heilspropheten gestimmt haben. So gern man ihre verheißungsvollen Worte hörte, so wird man sie doch mit gewisser Vorsicht aufgenommen haben, besonders bei den Besonnenen, an denen es doch sicher auch in Israel nicht gefehlt hat. So mag es zu erklären sein, daß der Jer 28 8-9 angeführte deuteronomische Satz auf Anerkennung unter dem Volk — zumal nach den

168

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Ereignissen von 598 — rechnen konnte. Die Berufung auf Micha in Jer 2617ff. zeigt, daß man in Israel die Unheilspropheten — so ungeheuer ihre Verkündigung auch in den Ohren ihrer Zeitgenossen klingen mochte — als bevollmächtigte Sprecher Jahwes anerkannte. Im Bewußtsein des Volkes ist also das Wissen darum, daß der Inhalt des prophetischen Wortes letztlich nicht vom Propheten, sondern von Jahwe abhängt, nicht völlig erloschen. Das Wissen um die Souveränität Jahwes war in Israel, trotz allem Synkretismus, so weit wach geblieben, daß man es immerhin nicht wagte, die Prophezeiung der Vernichtung des Tempels als schlechthin unmöglich offen abzulehnen. Die schwankende Haltung der Ältesten und des Volkes in der Frage der Echtheit der Prophetie (Jer 26) war nur deshalb möglich, weil der Nebiismus ursprünglich und wesenhaft keine deutlich begrenzte, organisatorisch straff zusammengehaltene Klasse von besonderen Kultbeamten bildete. Weil man um die Spontaneität und Unberechenbarkeit der göttlichen Willenskundgebungen wußte, räumte man den Propheten in Israel größere Freiheit als woanders ein1. Man besaß eben letztlich keine festen, dogmatischen Maßstäbe zur Beurteilung der Prophetie. Dieser Mangel an bestimmten Kriterien zur Beurteilung der Echtheit der Prophetie wäre unmöglich, wenn die offizielle israelitische Religion nur straff organisierte Prophetenzünfte und nicht auch den freien Nebiismus gekannt hätte. Bei der inhaltlichen Undefinierbarkeit und formalen Ungebundenheit konnte nur das Eintreffen der Prophezeiung über die Echtheit, bzw. Unechtheit des Prophetenwortes entscheiden. Darin stimmt Jeremia mit dem Volk überein. Eine weitere Bestätigung dessen erblicke ich darin, daß man sich in Notzeiten an Jeremia von Staats wegen mit der Bitte um die Ermittlung des Willens Jahwes (Jer 21 i 37 17 42 l) und um Fürbitte für das Volk wandte. Man kannte neben 1 Das trifft vor allem für die altorientalischen Religionen des gleichen Zeitraumes zu. Erst in der höchsten Verwirrung und Angst wagt man in Israel den Unheilspropheten lügnerische Verstellung vorzuwerfen (Jer 43 lf.). Auch die Hinrichtung Urias (Jer 26 20 ff.) zeigt, daß ein despotischer König wie Jojakim nicht viel Federlesen mit solchen Unheilspropheten machte und dabei gewiß auch die Zustimmung weiter Kreise des Volkes und der Priesterschaft fand. Dabei waren aber keine religiösen Motive, sondern brutale Machtpolitik maßgebend. Dennoch zeigt Jeremias Bewahrung vor dem gleichen Schicksal, daß das Volk in der Verurteilung Jeremias schwankend wurde, sobald die Frage auf das Gebiet religiöser Begründung dieser Verurteilung konzentriert wurde. Auffallend ist, daß die Priester und Propheten viel entschiedener als Ankläger und Verurteiler auftraten als die Ältesten und das Volk. Verständlich, wenn man bedenkt, daß sie sich durch Jeremia in der Gültigkeit ihrer Verkündigung mit Recht bedroht fühlten. Die Schwäche ihrer Position versuchen sie mit um so schrofferem Haß zu überdecken. Jer 7 25 25 4 26 5 36 15 44 4 sind deuteronomische Zusätze und bleiben deshalb hier unberücksichtigt.

5. Die Termini zur Bezeichnung priesterlicher und prophetischer Funktionen

169

den eigentlichen Kultpropheten auch freie Nebiim, die im wesentlichen zwar Heilspropheten waren, zu denen aber auch so ungewöhnliche Erscheinungen wie die Unheilspropheten irgendwie gehörten. Jeremia war zweifellos genausowenig wie die übrigen vorexilischen Schriftpropheten ein Kultprophet. Das anzunehmen verbietet schon allein der Inhalt seiner Botschaft. Er wurde jedoch von seinen Zeitgenossen zu den freien Nebiim gerechnet, die neben den Priestern und Kultpropheten auch eine Mittlerinstanz der offiziellen Jahwereligion bildeten. 5. Die Termini zur Bezeichnung priesterlicher und prophetischer Funktionen Merkwürdigerweise erwähnen die Schriftpropheten die Tätigkeit der Priester, die man im allgemeinen als ihre Hauptaufgabe anzusehen pflegt, nämlich die Opferdarbringung, sehr selten. Viel wichtiger als die Ausführung der verschiedenen Opferriten erschien ihnen die belehrende und richtende Tätigkeit der Priester. Hier ergaben sich auch die meisten Berührungspunkte mit der Verkündigung der Propheten. Zur Bezeichnung der belehrenden Tätigkeit der Priester verwenden die Propheten fast ausschließlich das Verbum rpin und das von ihm abgeleitete Nomen npin1. Ursprünglich hatte die priesterliche Tora das rituelle Fachwissen um Gott und um die richtige Umgangsweise mit ihm zum Gegenstand (D,n1?N rsn). Die Tora belehrte über die rechte Unterscheidung zwischen »heilig« und »profan«, »rein« und »unrein«. Da die israelitischen Kultbräuche zum größten Teil von den Kanaanäern entlehnt wurden, so muß auch dieser sich auf sie beziehende Teil der israelitischen Toratradition in den vorisraelitischen Kulttraditionen der von Israel übernommenen kanaanäischen Heiligtümer seine Wurzel haben. Diese rein rituellen, mehr von der naturhaft-kosmischen Gottesvorstellung her geprägten Toratraditionen stehen neben der genuin israelitischen heilsgeschichtlichen Überlieferung und der aus ihr fließenden religiös-sittlichen Belehrung. Als eine Funktion des Bundes zeigt die priesterliche Tora eine enge Beziehung zum sakralen Bundesrecht 2 . Seine feierliche 1 Eine gute Übersicht über die verschiedenen Möglichkeiten der etymologischen Ableitung und Erklärung des Wortes Tora bietet ÖSTBORN, Tora S. 4— 22. Nur Jesaja (28 7) verwendet und n V ^ B . (16 a) zur Bezeichnung der Tätigkeit der Priester. 2 Seit MOWINCKEL ,Le Decalogue, EHPhilR 16, 1927, S. 1 4 2 - 1 6 6 (Vgl. GUNKEL-BEGRICH, Einleitung in die Psalmen, 1933, S. 408 f.) auf den stilistischen Zusammenhang zwischen dem (Do) dekalog und den Toraliturgien (z. B. Ps 15 und 24) hingewiesen hat, kann man das Recht nicht so völlig aus der Tora ausschließen wie BEGRICH, Die priesterliche Tora S. 68, es tut. Daß die Sätze des

170

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Proklamation bildete von Anfang an einen wichtigen Bestandteil des israelitischen Kultus. Die Verkündigung und Anwendung des Gottesrechts, das das Zusammenleben des sakralen Stämmeverbandes regelte, gehörte ursprünglich zu den Aufgaben des charismatischen Bundesmittlers und des »Richters Israels«1. Dieses sakrale Bundesrecht bildete ebenfalls eine Quelle der priesterlichen Toraerteilung. Es hat den Begriff der kultischen Reinheit nach der ethischen Seite hin erweitert und damit der Jahwereligion angepaßt 2 . Gerade diese auf dem sakralen Recht und den heilsgeschichtlichen Überlieferungen aufbauende Toraerteilung wird von den Propheten als die eigentliche Aufgabe der Jahwepriester angesehen. Ihre Vernachlässigung bezeichnen sie als die größte Schuld der Priester 3 . Nach einem ähnlichen, die Tätigkeit der Propheten so typisch kennzeichnenden Begriff sucht man im AT vergeblich. Die Schriftpropheten verwenden zur Bezeichnung des eigenen Offenbarungsempfanges die Verba HKp und sowie ihre Nominalbildungen viel häufiger als njn, weil s ; e nicht so sehr mit der spezifischen Bedeutung belastet waren, die ntfl als terminus technicus für den Offenbarungsempfang Der Bedeutungsunterschied zwischen ist zur Zeit der Schriftpropheten schon nungen der prophetischen Funktionen,

der Seher und Nebiim hatte 4 . diesen drei Wortstämmen stark verblaßt 6 . Die Bezeichdie auf den Gebrauch tech-

Dekalogs nicht Torot genannt werden, liegt wohl daran, daß sie ursprünglich als Grundlage für die Rechtsprechung des charismatischen Bundesmittlers und der Bundesrichter gedient haben. Erst später, als das Königtum diese alten Institutionen ersetzt hatte, wurde die Pflege des Bundesrechts von den Priestern übernommen. 1 Vgl. M. N O T H , Das Amt des »Richters Israels«. Bertholet-Festschrift 1 9 5 0 ; ders., Die Gesetze im Pentateuch — ihre Voraussetzungen und ihr Sinn, S K G , 17. Jahrg., H. 2, 1940. Der König erscheint im AT nicht als Toraerteiler. Nach der Verdrängung der altisraelitischen Ämter des charismatischen Bundesmittlers und des Richters Israels durch das Königtum ist die Verkündigung des Gottesrechts nicht auf den König, sondern auf den Propheten übergegangen. Die Verlesung der Tora durch den König Josia (II Reg 23 2) stellt eine bewußte Anknüpfung an die Verhältnisse der vorköniglichen Zeit dar. Anders deutet diese Tatsache ÖSTBORN, Tora S. 62. 2 Vgl. K. H. FAHLGREN, Sedaka, nahestehende und entgegengesetzte Begriffe im AT, Uppsala 1932. 3 Vgl. J . HEMPEL, Das Ethos des AT, S. 189. Die Pflege der geschiiebenen Tora oblag den Weisen und Schreibern ( J e r 8 s). Dieser Stand hängt aufs engste mit der Priesterschaft zusammen. Zu selbständigen Toralehrern wurden die Weisen und Schriftgelehrten erst in nachexilischer Zeit. Vgl. ÖSTBORN a. a. O. S. 112—116 und J . FICHTNER, Die altorientalische Weisheit in ihrer israelitisch-jüdischen Ausprägung, Z A W B 62, 1933. 4 Vgl. JEPSEN, Nabi S. 63 und M. JASTROW (Jr.), Röeh and Hözeh in tlie OT, JBL

28, 1909.

5

Siehe JEPSEN a. a. O. S . 46.

5. Die Termini zur Bezeichnung priesterlicher und prophetischer Funktionen

171

nischer Mittel der Divination hinweisen, werden von den Schriftpropheten ausschließlich im abwertenden Sinne benutzt, ganz analog dem Gebrauch von "lös für ausländische oder unwürdige Priester. Dazu gehören die Stämme DOp (Jes 3 2 Mi 3 6f. Jer 14 14 27 9 29 s), (Mi 5 n ) , (Jes 2 6 Jer 27 9 Mi 5 n ) , (Jes 819 294), ©nV (Jes 3 3) und ihre Derivate. Darin kommt die der Jahwereligion eigentümliche Ablehnung des komplizierten divinatorischen Geheimwissens zum Ausdruck. Israel fühlt seine Überlegenheit gegenüber anderen Völkern im Besitz des klar verständlichen Gotteswortes 1 . Die umfassendste und am meisten gebrauchte Bezeichnung der prophetischen Verkündigung ist "DT2. Dieses Wort kommt jedoch auch in anderen Zusammenhängen vor. Abgesehen davon, daß die damit gemeinte Sache auch bei den altisraelitischen Charismatikern wie Seher, Richter und Kriegshelden vorhanden ist, kann 13JT auch vom Priester erteilt werden. Auch die priesterliche Weisung wird im AT als "ijjn bezeichnet. Im Wesen dieser priesterlichen Mitteilung des Gotteswortes liegt es, daß es jederzeit zugänglich sein muß. Da die israelitische Priesterschaft sich der technischen Örakelmittel nur im sehr beschränkten Maße bediente, so war sie auf die Anwendung und Auslegung der grundlegenden Willenskundgebungen Gottes aus der Vergangenheit 3 , die im Gottesrecht und in den Geschichtstraditionen des Bundesvolkes aufbewahrt wurden, angewiesen. Die priesterliche Tora kann also nur in indirekter Weise als nin* "Dl gelten, da sie auf menschliche Initiative zurückgeht und weitgehend durch menschliche Deutung des grundlegenden Gotteswortes entstanden ist. Nicht die Inspiration, sondern das Wissen und der korrekte Vollzug eines bestimmten Ritus ist für die gültige Toraerteilung entscheidend. 4 Wegen dieses indirekten, statischen Charakters wird die priesterliche Weisung von den Schriftpropheten niemals IST genannt. Diese Bezeichnung verwenden sie nur für die direkte, allein von Jahwe ausgehende Offenbarung 5 . Die prophetischen Dn3"J sind also den grund1 Der Traum wird von den Schriftpropheten, außer Jeremia, als legitime Offenbarung angesehen. Er gilt aber nicht als typische Art des prophetischen Offenbarungsempfanges. a Vgl. L. DÜRR, Die Wertung des göttlichen Wortes im AT und im Alten Orient, MVÄG 42, 1, 1938 und O. G R E T H E R , Name und Wort Gottes im AT, ZAWB 64, 1934. Vgl. P L Ö G E R S (Priester und Prophet, S. 182) Einwände gegen die Auffassung G R E T H E R s. 8 Siehe die Q , 73"J-Forderungen der Sinai-Gesetzgebung, Ex 20 lff. 34 lff. 4

Siehe

5

HALDAR

Theologie, S. 32—37. a.a.O. S. 1 1 6 f . sieht *T3T und HVl als synonyme Begriffe an, jedoch

EICHRODT,

zu Unrecht, denn

bezeichnet die beim wachen Bewußtsein empfangene Gottes-

172

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

legenden Willenskundgebungen Jahwes aus der Mosezeit gleichwertig. Obwohl sich die Propheten an diese grundlegende Offenbarung gebunden und mit ihr in Übereinstimmung wissen, sind sie doch in ihrer Verkündigung von der Tradition unabhängiger als die Priester. Sie sichten die Tradition vom Standpunkt der von ihnen selbst empfangenen Offenbarung aus. Im Gegensatz zur priesterlichen Weisung hat die durch die Propheten vermittelte Offenbarung einen durchaus dynamischen Charakter. Das prophetische Wissen um die Souveränität Gottes läßt seine Festlegung auf die einmal ergangene Offenbarung nicht zu 1 . Das Wort IST ist als Bezeichnung der prophetischen Verkündigung keineswegs eindeutig. Seine Vieldeutigkeit entspricht ganz der Mannigfaltigkeit der innerhalb des israelitischen Prophetentums vertretenen Elemente und der Verschiedenheit der Stilformen der prophetischen Verkündigung2. Der nin^ kann auf verschiedene Weise empfangen werden. Der Standestitel Nabi wird im AT unterschiedslos auf die Schriftpropheten, auf wahre und falsche Propheten, auf Jahwe- und Baalpropheten angewandt 3 . Das entsprechende Verbum K3J, dessen ursprüngliche Bedeutung nicht mehr sicher zu erkennen ist 4 , beschreibt im Niphal den Empfang und die Mitteilung einer bestimmten, klar verständlichen Gottesbotschaft, im Hithpael dagegen die äußere Erscheinung und das Auftreten des Propheten 6 . botschaft, ITH dagegen mehr die ekstatische Form der prophetischen Inspiration. I i n ist also der weitere Begriff, der auf eine Vielfalt von spontanen göttlichen Wirkungsweisen anwendbar ist. Weil fflT besonders die gewaltsame, überwältigende Art des göttlichen Wirkens darstellt, deshalb ist sie zum terminus technicua für den ekstatischen Offenbarungsempfang geworden. Deswegen wird dieser Begriff von den Schriftpropheten zur Bezeichnung ihrer eigenen Tätigkeit kaum verwendet. 1 3 J ist das unmittelbar von Gott empfangene Wort und sagt nichts über die Art des Offenbarungsempfanges aus. Oft treten zu ihm noch nähere Bestimmungen, die die Art, auf die der empfangen wurde, charakterisieren, z. B. HTH, flSp und SOBF. Siehe MOWINCKEL, The Spirit and the Word in the Preexilic Reforming Prophets, J B L 53, 1934; ders., Ecstatic Experience and Rational Elaboration in OT Prophecy. Acta Orientalia 13, 1936. 1 Den Propheten steht nicht immer ein Wort Jahwes zu Verfügung (Jer 28 ll 427 Jes 28 23ff.). Sie mußten es erleben, daß Jahwe mit der Erfüllung seines Wortes verzog (Jer 12 4 15 15 18 17 15 Jes 5 19). J Siehe J . HEMPEL, Die althebräische Literatur, S. 56 ff. und 69 ff. ' Siehe F. HÄUSERMANN, Wortempfang und Symbol der alttestamentlichen Prophetie, Gießen 1932, S. 8—11. 4 Die Etymologie von N31 siehe JEPSEN, Nabi, S. 5—7 und A. GUILLAUME, Prophecy and Divination among the Hebrews and Other Semites, London 1938, S. 1 1 3 .

*

Siehe

JEPSEN

a. a. O.

S. 7.

6. Die Termini zur Bezeichnung priesterlicher und prophetischer Funktionen

173

Diese Weite und Unbestimmtheit der zur Bezeichnung der prophetischen Funktionen dienenden Begriffe zeigt, daß die Nebiim keinen geschlossenen Stand mit gesetzlich festgelegten Rechten und Pflichten gebildet haben. Sie können nicht »Amtsträger« in demselben Sinne wie die Priester gewesen sein. Das Wesen des Prophetentums kann man also nicht mit formalen Kriterien, sondern nur von dem Inhalt seiner Verkündigung her erfassen. Das vorhin gewonnene Bild vom Verhältnis des israelitischen Priester- und Prophetentums wird hier durch den sprachlichen Befund bestätigt. Ist das israelitische Priestertum eine deutlich bestimmbare, in seiner Organisation und seinen Funktionen, wenn auch nicht in seiner Herkunft, erkennbare Institution der Jahwereligion, so stellt das Prophetentum eine komplexe Erscheinung dar, die allerhand recht heterogene Elemente in sich aufgenommen hat. Von den unter der Bezeichnung Nabi zusammengefaßten Personen sind die charismatischen Bundesmittler und Rechtsprecher aus Israels Frühzeit wie Mose und Samuel, die älteren oppositionellen Nebiim wie Elia und die sog. Schriftpropheten einigermaßen deutlich in ihrem Wesen bestimmbar. Zu dieser zuletzt genannten Gruppe gehören Arnos, Hosea, Jesaja, Micha, Zephanja und Jeremia. Sie bilden einen selbständigen Typus der Prophetie, der sich sowohl von den ältesten Nabigestalten als auch von den Heils- und Kultpropheten deutlich unterscheidet. Sowohl die älteren oppositionellen Nebiim als auch die Schriftpropheten stehen im Gegensatz zu den Vertretern der offiziellen Volks- und Staatsreligion und zum Königtum und gelten als Unheilspropheten. Ihnen steht die etwas amorphe Masse der Heilspropheten gegenüber. Unter ihnen befinden sich auch die eigentlichen Kultpropheten, zu denen auch Nahum, Habakuk und Joel gehören. Die Art ihrer Tätigkeit ist durch die Di1?^-Verkündigung und Verwendung technischer Mittel der Gottesbefragung gekennzeichnet. Über irgendwelche organisatorisch-institutionelle Gliederung dieser Heils- und Kultpropheten erhalten wir aus den Schriften der vorexilischen Propheten keine Aufschlüsse. Es läßt sich auch keine Eritwicklungslinie von den israelitischen Heilspropheten zu den oppositionellen Propheten ziehen. Eine sachliche Verbindung besteht lediglich zwischen den ältesten charismatischen Gestalten der Jahwereligion, Mose und Samuel, und den oppositionellen Propheten. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen der israelitischen Prophetie können allein aus dem Inhalt ihrer Verkündigung abgeleitet werden. Soviel ist jedenfalls deutlich, daß man im vorexilischen Israel Priester und Propheten als zwei selbständig nebeneinanderstehende Größen empfunden hat, wobei man für die letzteren nur den Anspruch, Sprecher Gottes aus unmittelbarer Eingebung zu sein, als charakteristisch angesehen hatte. Dieser Anspruch muß in viel stärkerem

174

VI. Das Verhältnis der Schriftpropheten zum Kultpersonal

Maße an die Person als an das Amt des Propheten gebunden gewesen sein. Die Unsicherheit in der Beurteilung der Propheten durch ihre Zeitgenossen sowie das Fehlen klarer rechtlicher Bestimmungen für diesen Stand in den alttestamentlichen Gesetzen läßt starke Zweifel daran entstehen, ob man das Prophetentum als eine »amtliche Institution« ansehen darf. Das Fehlen entsprechender fester prophetischer Stilformen zeigt, daß es sich hier nicht um offizielle Verlautbarungen von Amtsträgern handelt, sondern um ad hoc formulierte Worte, die vorwiegend aus dem Inhalt der Botschaft und der konkreten Situation ihre Form empfingen. Amtliche Institution nach der Art des Priestertums war das alttestamentliche Prophetentum nicht. Dieser Tatbestand der alttestamentlichen Überlieferung sollte vor voreiliger, oberflächlicher Ziehung formaler, religionsgeschichtlicher Parallelen warnen. Offensichtlich gehört es zur Eigenart der Jahwereligion, daß sie den Propheten als eine selbständige Mittlerinstanz der offiziellen Religion anerkannte und schätzte, daß sie aber das Prophetentum als Ganzes nicht in starre, gesetzliche Formen einzuschließen vermochte. Sie wußte um die Unverfügbarkeit des göttlichen Wortes. Die vollständige Eingliederung der Propheten in das beamtete Kultpersonal und ihre Unterordnung unter die Priesterschaft ist erst der nachexilischen Gemeinde gelungen (Tempelsänger und levitische Propheten I Chr 24 und 25), als die Prophetie im ursprünglichen Sinne erloschen war, und die einseitige Entwicklung zur Gesetzesreligion hin keinen Raum mehr für sie ließ. 6. Schluß Die Polemik der vorexilischen Schriftpropheten gegen den Kultus geht weit über die Kritik einzelner kultischer Mißstände hinaus. Sie richtet sich gegen den Kultus als ein Mittel der menschlichen Selbstbehauptung und Selbstsicherung. Als Boten des unmittelbar bevorstehenden Anbruchs der Gottesherrschaft fordern die Propheten die bedingungslose Hingabe als die einzig mögliche Haltung des Menschen vor Gott. Der israelitische Kultus war nach dem Urteil der Propheten nicht dazu geeignet, diese Haltung des Menschen Gott gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Dies lag vor allem daran, daß der israelitische Kultus im naturhaft-magischen Sinne, d. h. als eine ziemlich automatisch wirkende Institution zur Vermittlung göttlicher Segenskräfte gedeutet und verstanden wurde. Dieses Mißverständnis wurde durch die Art und Herkunft des israelitischen Kultus aus dem Bereich der vorderorientalischen Naturreligionen hervorgerufen. Offensichtlich haben die Schriftpropheten eine Reinigung des Kultus von diesen naturhaftmagischen Elementen nicht für möglich gehalten, denn sie stellen kein kultisches Reformprogramm auf. Sie hoffen vielmehr auf eine so gründliche Umgestaltung des Volkes durch das wunderbare Handeln Jah-

Abkürzungsverzeichnis

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wes, daß es in der Heilszeit den Gehorsam und die Dankbarkeit gegen Gott in seiner gesamten Lebensgestaltung zum Ausdruck bringen wird. In besonderer Weise soll diese Haltung durch Bekenntnis und dankbares Gedenken der Heilstaten J a h w e s bezeugt werden. Damit ist bereits angedeutet, daß die Propheten nicht grundsätzlich jedes gemeinschaftliche gottesdienstliche Handeln aus der Religion verbannen "wollten. Das jedoch, w a s man zur Zeit der Schriftpropheten allgemein unter dem Begriff K u l t u s verstanden hat, haben sie grundsätzlich abgelehnt.

Abkürzungsverzeichnis AASOR Abo ABW AcOr AJSL ANET AO AOB

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The Annual of the American Schools of Oriental Research. Acta Academiae Aboensis. Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften. Acta Orientalia. American Journal of Semitic Languages and Literature. Ancient Near Eastern Texts, ed. J . B . P R I T C H A R D . Der Alte Orient. Altorientalische Bilder zum Alten Testament, 2. Aufl., Hrsg.

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Altorientalische Texte zum Alten Testament, 2. Aufl., Hrsg.

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H . GRESSMANN.

AOT

H . GRESSMANN.

APrW ARW ASG ATD AThANT BASOR BFChrTh BJRylLib BRA BWANT CBQ ChruW EHPhilR ET EvTh FRLANT GHK HThR HThSt HUCA

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Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Archiv für Religionswissenschaft. Abhandlungen der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Das Alte Testament Deutsch. Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments. Bulletin of the American Schools of Oriental Research. Beiträge zur Förderung Christlicher Theologie. Bulletin of the John Rylands Librery. Beiträge zur Religionsgeschichte des Altertums. Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament. Catholic Biblical Quarterly. Christentum und Wissenschaft. Etudes d'Histoire et de Philosophie religieuses. Expository Times. Evangelische Theologie. Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments. Göttinger Hand-Kommentar. Harvard Theological Review. Harvard Theological Studies. Hebrew Union College Annual.

Abkürzungsverzeichnis

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wes, daß es in der Heilszeit den Gehorsam und die Dankbarkeit gegen Gott in seiner gesamten Lebensgestaltung zum Ausdruck bringen wird. In besonderer Weise soll diese Haltung durch Bekenntnis und dankbares Gedenken der Heilstaten J a h w e s bezeugt werden. Damit ist bereits angedeutet, daß die Propheten nicht grundsätzlich jedes gemeinschaftliche gottesdienstliche Handeln aus der Religion verbannen "wollten. Das jedoch, w a s man zur Zeit der Schriftpropheten allgemein unter dem Begriff K u l t u s verstanden hat, haben sie grundsätzlich abgelehnt.

Abkürzungsverzeichnis AASOR Abo ABW AcOr AJSL ANET AO AOB

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The Annual of the American Schools of Oriental Research. Acta Academiae Aboensis. Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften. Acta Orientalia. American Journal of Semitic Languages and Literature. Ancient Near Eastern Texts, ed. J . B . P R I T C H A R D . Der Alte Orient. Altorientalische Bilder zum Alten Testament, 2. Aufl., Hrsg.

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Altorientalische Texte zum Alten Testament, 2. Aufl., Hrsg.

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H . GRESSMANN.

AOT

H . GRESSMANN.

APrW ARW ASG ATD AThANT BASOR BFChrTh BJRylLib BRA BWANT CBQ ChruW EHPhilR ET EvTh FRLANT GHK HThR HThSt HUCA

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Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Archiv für Religionswissenschaft. Abhandlungen der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Das Alte Testament Deutsch. Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments. Bulletin of the American Schools of Oriental Research. Beiträge zur Förderung Christlicher Theologie. Bulletin of the John Rylands Librery. Beiträge zur Religionsgeschichte des Altertums. Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament. Catholic Biblical Quarterly. Christentum und Wissenschaft. Etudes d'Histoire et de Philosophie religieuses. Expository Times. Evangelische Theologie. Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments. Göttinger Hand-Kommentar. Harvard Theological Review. Harvard Theological Studies. Hebrew Union College Annual.

Abkürzungsverzeicbnis

176 JAOS JBL JBR JDAI JNES JPOS JR JSOR JThSt KISch

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MGWJ MVÄG NKZ NTT OLZ OTSt PEFQSt PJB

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RB RHPhR RR Sächs. Akad.

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SEÄ SKG StTh SVK ThBl ThuGl ThLZ ThSt ThStKr ThR ThZ ThWB UUÄ VF VT WO ZAW ZAWB ZDMG ZDPV ZThK

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Journal of the American Oriental Society. Journal of Biblical Literature. Journal for Bible and Religion. Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts. Journal of Near Eastern Studies. The Journal of the Palestine Oriental Society. Journal of Religion. Journal of the Society of Oriental Research. The Journal of Theological Studies. A L B R E C H T A L T , Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, München 1963. Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums. Mitteilungen der Vorderasiatisch-Ägyptischen Gesellschaft. Neue Kirchliche Zeitschrift. Norsk Teologisk Tidsskrift. Orientalische Literaturzeitung. Oudtestamentische Studien. Palestine Exploration Fund Quarterly. Statement. Palästinajahrbuch des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft. Revue Biblique. Revue d'Histoire et de Philosophie religieuses. Review of Religion. Berichte über Verhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften. Svensk Exegetisk Ärsbok. Schriften der Königsberger Gelehrten-Gesellschaft. Studia Theologica. Skrifter Videnskapsselskapet i Kristiania. Theologische Blätter. Theologie und Glaube. Theologische Literaturzeitung. Theological Studies. Theologische Studien und Kritiken. Theologische Rundschau. Theologische Zeitschrift. Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament. Uppsala Universitets Arsskrift. Verkündigung und Forschung. Vetus Testamentum. Die Welt des Orients. Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft. Beihefte zur ZAW. Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Zeitschrift des Deutschen Palästina Vereins. Zeitschrift für Theologie und Kirche.