Die Semantik des Schicksals: Zur Relevanz des Unverfügbaren zwischen Aufklärung und Erstem Weltkrieg 9783666367243, 9783525367247, 9783647367248

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Die Semantik des Schicksals: Zur Relevanz des Unverfügbaren zwischen Aufklärung und Erstem Weltkrieg
 9783666367243, 9783525367247, 9783647367248

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Historische Semantik

Herausgegeben von Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Willibald Steinmetz

Band 22

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Franziska Rehlinghaus

Die Semantik des Schicksals Zur Relevanz des Unverfügbaren zwischen Aufklärung und Erstem Weltkrieg

Vandenhoeck & Ruprecht

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-36724-7 ISBN 978-3-647-36724-8 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf. Von der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen im Jahre 2013. Ó 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Titelkupfer des Werkes: Alexander von Joch, Über Belohnung und Strafe nach türkischen Gesezen, 2. Aufl., Leipzig 1772. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Für meine Mutter

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Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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25 31

2 Zur Herkunft des deutschen Schicksalsbegriffs . . . . . . . . . . . . .

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3 Weltdeutung und Schicksal in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . 3.1 Frühneuzeitliche Systematisierungsversuche . . . . . . . . . . . 3.2 Der Blick zu den Sternen – Schicksalsglaube und Astrologie . . . 3.3 Von der Antike lernen: Die frühneuzeitliche Rezeption stoischer Schicksalsauffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Das Fatum Spinozas im halleschen Streit . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die Synthese von Vorsehung und Schicksal im Begriff des Fatum christianum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Der Schicksalsbegriff im Orientalismus-Diskurs . . . . . . . . .

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45 45 52

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72 87

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155 155

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1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Das Schicksal in der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Das Schicksal im Fokus der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Das Schicksal als Begriff, absolute Metapher und Begriffsfeld . . 1.4 Historische Semantik als Begriffsgeschichte in kommunikativen Konfliktsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Auswahl der Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4 Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik . . . . . . . . 4.1 Die Rückbesinnung auf die Antike . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Friedrich Schillers »Braut von Messina«: Das erste moderne Schicksalsdrama? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Schuld und Schicksal – Das Schicksalsdrama der Romantik 4.4 Parodien und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Das Schicksal als Dämon – Zusammenfassung . . . . . . .

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8

Inhalt

5 Die Stiftung kollektiver Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Von der Dämonisierung des Schicksals zu seiner nationalen Vergemeinschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Begriff des Schicksals in den Debatten über die Nation in der Frankfurter Paulskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Der Schicksalsbegriff der völkischen Bewegung . . . . . . . . . . 5.4 Die Stiftung kollektiver Identität – Zusammenfassung . . . . . .

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221

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221

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339 339

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347 376 408

7 Das Unverfügbare in der Geschichte – Schluss . . . . . . . . . . . . . .

413

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

423 423 448

Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

475

6 Das Schicksal im Innersten des Menschen . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Schicksal und Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Freiheit und Schicksal in den Debatten des wissenschaftlichen Materialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Schicksal und Psyche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Das Schicksal im Innersten des Menschen – Zusammenfassung

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Danksagung

»Habent sua fata libelli« – auch Bücher haben ihre Schicksale, die maßgeblich von den Menschen gestaltet werden, denen sie in ihrer Entstehung begegnen. Auch die vorliegende überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Februar 2013 an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der RuhrUniversität Bochum verteidigt wurde, trägt nicht nur meine eigene Handschrift, sondern die Spuren vieler Menschen, die ihren Entstehungsprozess begleitet haben. Ihnen möchte ich an dieser Stelle von Herzen danken. Mein Doktorvater Prof. Dr. Lucian Hölscher hat mich seit dem Studium in meinem Umgang mit vergangenen Zeiten und meinen Fragen an die Geschichte geprägt. Er hat mir auch während der Promotionszeit die notwendigen Anregungen, die aufmunternde Zuwendung, aber auch die intellektuelle Freiheit gegeben, im Umgang mit der historischen Semantik eigene Thesen zu entwickeln und neue Wege zu beschreiten. Dabei hat er mich immer wieder daran erinnert, den eigenen Standpunkt zu reflektieren, nichts für einfach selbstverständlich zu halten und damit das Staunen über den historischen Wandel zu bewahren. Dafür bin ich ihm zutiefst verbunden. Danken möchte ich zudem meiner Zweitgutachterin Prof. Dr. Regina Schulte, die die Entstehung des Buches über den gesamten Zeitraum wohlwollend begleitete. Der Arbeit liegen viele Diskussionen mit Freunden und Kollegen über »Sinn und Unsinn der Geschichte« zugrunde. Mein ganz besonderer Dank gilt Yvonne Schymura, die als Unterstützerin, Ideengeberin, Leserin und langjährige Freundin manche Denk- und Schreibblockade zu überwinden half. Der regelmäßige produktive Austausch beim Kolloquiumskaffee mit ihr und Ute von Lüpke hat diese Arbeit ebenso geformt, wie die Kolloquiums-, Mensa- und Flurgespräche mit Thomas Mittmann, Timothy Goering, Benjamin Städter, Sebastian Tripp, Arne Thomsen und Nicolai Hannig. Ulrike Vordermark hat drei Jahre lang mit viel Geduld und Hilfsbereitschaft unzählige inhaltliche und methodische Fragen mit mir erörtert. Wolfgang Ommerborn und Andreas Müller-Lee haben mich mit Denkanstößen aus ostasiatischer Perspektive die Schicksalsthematik in ihrer Globalität und Vielschichtigkeit begreifen lassen.

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Danksagung

Mit ihnen und vielen anderen Mitarbeitern und Fellows des Käte Hamburger Kollegs »Dynamics in the history of religions between Asia and Europe« konnte ich einen offenen und tiefen Gedankenaustausch zur interkulturellen Religionsgeschichte pflegen. Die Möglichkeit, meine Überlegungen, Beobachtungen und Interpretationen zu diskutieren und hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Validität überprüfen zu lassen, wurde mir in den Kolloquien von Prof. Dr. Lucian Hölscher, Prof. Dr. Regina Schulte, Prof. Dr. Ute Schneider, dem Historischen Doktorandenkolloquium Ruhr, dem Käte Hamburger Kolleg der Ruhr-Universität Bochum, dem Kulturwissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig und dem Käte Hamburger Kolleg »Schicksal, Freiheit, Prognose« der Universität NürnbergErlangen gegeben. Die kritischen Anmerkungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben maßgeblich zur argumentativen Schärfung der Arbeit beigetragen. Auch ihnen bin ich zu Dank verpflichtet. Das Forschungsprojekt wurde inhaltlich, organisatorisch und finanziell durch das Käte Hamburger Kolleg der Ruhr-Universität Bochum unterstützt. Promotionsstipendien der Ruhr-University Research School und der Gerda Henkel Stiftung haben die finanziellen Rahmenbedingungen für die Fertigstellung der Arbeit geschaffen. Die Drucklegung der Arbeit wurde durch großzügige Druckkostenzuschüsse der Gerda Henkel Stiftung und des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam ermöglicht. Prof. Dr. Willibald Steinmetz hat mit zahlreichen konstruktiven Hinweisen die Überarbeitung des Manuskripts vorbereitet. Ihm danke ich für die schnelle und unkomplizierte Aufnahme in die Reihe »Historische Semantik« ebenso wie Prof. Dr. Bernhard Jussen, Prof. Dr. Christian Kiening und Prof. Dr. Klaus Krüger. Saskia Erdogan danke ich für das gründliche Lektorat. Ohne meine Familie, die immer an meiner Seite stand, wäre diese Arbeit nicht entstanden. Mein Mann Axel Steurich hat mir als geduldiger Zuhörer und Leser die nötige Ruhe und Kraft für das Projekt gegeben und jede meiner Entscheidungen uneingeschränkt mitgetragen. Unser Sohn Joshua hat mich immer wieder erkennen lassen, dass sich die Relevanz abstrakter Begriffe und Ideen an ihren alltagspraktischen Konsequenzen bemisst. Meine Schwester Katharina hat die Entstehung der Arbeit mit Interesse begleitet und in der Korrektur unterstützt. Ihnen allen danke ich für Rat, Zuspruch und die teilweise nötige Erdung. Schließlich gilt mein Dank meiner Mutter, die mich nicht nur in der Promotionsphase, sondern mein gesamtes Leben mit Liebe und bedingungslosem Vertrauen und Zutrauen unterstützt. Ihr widme ich die vorliegende Geschichte des Schicksals.

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Einleitung

1.1

Das Schicksal in der Geschichte

Die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit dem Schicksal besitzt einen ganz besonderen Reiz. Je tiefer man in die Thematik eintaucht, umso mehr wird man auf die theoretischen Grundlagen des eigenen Faches zurückgeworfen, beginnt ihre Logik kritisch zu hinterfragen und entdeckt die eigene Arbeit und sich selbst alsbald als Teil eines unausgesprochenen, aber inhärenten geschichtswissenschaftlichen Schicksalsdiskurses. Denn offiziell hat das Schicksal keinen Platz in der Geschichte. Ein Historiker, der das Schicksal zur Erklärungsfigur historischer Prozesse ernennen und etwa den Ausbruch des Ersten Weltkriegs oder den Aufstieg Hitlers auf den Einfluss einer numinosen Schicksalsmacht zurückführen würde, würde im gleichen Moment seinen wissenschaftlichen Anspruch zur Disposition stellen. Das hat einen einfachen Grund: Es gilt als die genuine Aufgabe der Geschichtswissenschaft, die historische Wirklichkeit zu beschreiben,1 indem sie kausale Zusammenhänge aufdeckt, nach Ursachen für vergangene Ereignisse, für historischen Wandel sucht und die Befunde zu einer zusammenhängenden und logisch nachvollziehbaren Geschichte zusammenfasst. So löst ein Eingeständnis des Nichtwissens, des Nichtrekonstruierbaren bei Autor und Leser gleichermaßen Unzufriedenheit aus, die ihren Grund im geschichtswissenschaftlichen Weltbild hat. Zwei, sich vordergründig widersprechende Aspekte sind dafür ausschlaggebend: Zunächst müsste sich der Ablauf historischer Wirklichkeit, so der implizite Anspruch, bei Berücksichtigung aller Fakten auch ohne die Inanspruchnahme des Schicksals rekonstruieren lassen, weil die Geschichte eine Einheit bildet und deshalb für den Historiker verfügbar gemacht werden kann.2

1 Hölscher, Neue Annalistik, S. 17, 21. 2 »Die Annahme einer unendlichen und homogenen Raum-Zeit ist die stillschweigende Vor-

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Einleitung

Wo dieser Anspruch in der Praxis scheitert, wird zähneknirschend dem Zufall ein Platz in der Dienstbotenkammer der Geschichtswissenschaft eingeräumt.3 Das Schicksal jedoch muss draußen bleiben. Zum Zweiten, und das ist das eigentlich Paradoxe, widerspricht die Rede vom Schicksal der geschichtswissenschaftlichen Grundüberzeugung, dass Geschichte trotz ihrer kausalen Grundstruktur kontingent ist, prinzipiell also auch anders hätte verlaufen können. Wer vom Schicksal spricht, schreibt dem historischen Geschehen eine Teleologie zu, von der sich die moderne Geschichtswissenschaft längst verabschiedet hat. Versucht die Geschichtswissenschaft, das Schicksal in inhaltlicher Hinsicht als Begründungsmittel zu eliminieren, so greift sie umso freudiger auf das Schicksal als Begriff zurück, um damit den Lebensweg oder Werdegang einzelner Individuen, Gruppen, Orte, Institutionen oder nationaler Gemeinschaften zu beschreiben.4 Der Schicksalsbegriff fungiert in diesen Zusammenhängen als ein Marker für bedeutungsvolle Momente oder Prozesse, die Aufmerksamkeit, teilweise auch Mitgefühl erregen sollen. Reflektiert wird diese Begriffsokkupation jedoch nie, sondern als selbstverständliche Inanspruchnahme eines unverfänglichen Ausdrucks verstanden, der vermeintlich von einem gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Das Schicksal hat so mindestens zwei Gesichter : ein irrationales, glaubensaffines, zu dem sich kaum ein akademisch Gebildeter zu bekennen getraut, und eines, das sich durchaus in den wissenschaftlichen Sprachgebrauch integrieren lässt und zudem eine besondere Affinität zu historischen Prozessen aufweist, ja selbst zum Synonym für geschichtliche Zeit werden kann.5 Als erlebte Zeitlichkeit tritt das Schicksal also gewissermaßen durch die Hintertür wieder in die historische Forschung ein und erfordert eine Auseinandersetzung. Diese muss nicht zwangsläufig geschichtsphilosophisch erfolgen. Die Fragen, was der Schicksalsbegriff in unterschiedlichen Kontexten bedeutet und was er sprachlich zu leisten imstande ist, hellen nicht nur seinen Stellenwert in der Geschichtswissenschaft auf, sondern zeigen zudem seine Historizität, seinen Wandel im geschichtlichen Verlauf. Etwas pathetisch hat der Philosoph Peter Sloterdijk das Schicksal als einen Begriff bezeichnet, »aus dessen Flug die Jahrtausende fallen«6 und ihn damit als ein »Archiv« beschrieben, in dem zen-

3 4 5 6

aussetzung unserer historischen Rekonstruktionsbemühungen, in ihr manifestiert sich unser Glaube an die Einheit der Geschichte.« Ebd., S. 22. Zur Rolle des Zufalls in der Geschichtswissenschaft siehe: Hoffmann, Zufall; Palonen, Contingency, S. 179 – 204. Bekker, Flucht übers Meer ; Tsimerman, Deutsche gegen Deutsche; Berthold, Der befohlene Untergang; Kiaulehn, Berlin; Reuß, Gefangen; Links, Das Schicksal der DDR-Verlage; Meyer, Tragisches Schicksal; Pfingsten, Das Schicksal; Schulz, Schicksal und Bewältigung; u. v. m. Siehe zu diesem Aspekt sehr präzise: Hancke, Die Auffassung, S. 10 f. Raulff und Sloterdijk, Schicksalsfragen, S. 52.

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Das Schicksal in der Geschichte

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trale anthropologische Fragen in ihrem historischen Wandel aufbewahrt werden.7 Die vorliegende Arbeit nimmt diese Charakteristik ernst. Ihr Thema ist die semantische und funktionale Vielfalt des Schicksalsbegriffs in der Neuzeit. Der Untersuchungszeitraum reicht vom 17. Jahrhundert, in dem sich der Schicksalsbegriff im deutschen Sprachraum zu etablieren beginnt, bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914, als Ende des langen 19. Jahrhunderts. Diese Grenzziehung wird von der Beobachtung gerechtfertigt, dass sich innerhalb und nach der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«8 die Bedeutung des Schicksalsbegriffs in semantischer und funktionaler Hinsicht gerade in Deutschland entscheidend modifizierte. Einige Beispiele mögen das demonstrieren: Voruntersuchungen, insbesondere auf lexikalischer Ebene, haben ergeben, dass sich einige seiner früheren Bedeutungsgehalte im 20. Jahrhundert radikalisierten und auf politischem Gebiet eine Dynamik entfalten konnten, die mehr als zuvor unmittelbar handlungsleitend und politikbestimmend wurde. Andere Bedeutungsgehalte des Schicksalsbegriffs verschwanden im 20. Jahrhundert ganz, weil sich in den Naturwissenschaften die Grundlagen der Epistemologie, beispielsweise durch die Quantenphysik, änderten. Ganz neue Semantiken erhielt der Schicksalsbegriff während und nach den Weltkriegen durch seine Verbindung mit dem Opferbegriff. Eine Untersuchung dieser und zahlreicher weiterer markanter Entwicklungen bleibt nachfolgenden Studien vorbehalten. Am Beginn dieser Arbeit steht die These, dass es sich beim Schicksal um einen neuzeitlichen Grundbegriff handelt, der wesentlich für die Standortbestimmung des modernen Individuums in Welt und Gesellschaft ist. In ihm und über ihn wurden zentrale Fragen des Menschseins verhandelt, die auf der einen Seite anthropologischer Natur sein mögen, auf der anderen Seite jedoch ab dem 17. Jahrhundert eine spezifisch neuzeitliche Dynamik entfalteten. So trat der deutsche Schicksalsbegriff in einer kulturgeschichtlich markanten Epoche des Umbruchs, nämlich während der sogenannten wissenschaftlichen Revolution9 und im Umfeld der großen interkonfessionellen Kriege, in den deutschen Sprachraum ein.10 Damit war er Teil des europäischen Weges in die Moderne, die geistesgeschichtlich gesehen lange Zeit von der Grenzbestimmung zwischen Vernunft und Glauben geprägt war. Seit seiner Entstehung war der Schicksalsbegriff so nicht primär im religiösen Bereich verortet, wie man intuitiv vermuten würde, sondern markierte vielmehr den kritischen und konfliktbeladenen Punkt, an dem sich die Kompatibilität religiösen Glaubens und rationalen 7 8 9 10

»Ein Wort wie Schicksal ist in sich selbst ein Archiv.« Ebd. Mommsen, Die Urkatastrophe; Reimann, Der Erste Weltkrieg, S. 30 – 38. Siehe ausführlicher zu diesem Ausdruck Kap. 3. Ersterwähnung 1599 als »Schicksel« bei: Kilian, Etymologicvm, S. 464.

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Einleitung

Wissens erweisen musste. Abhängig von den gesellschaftlichen Zuständen wurden mithilfe des Schicksalsbegriffs Fragen behandelt, die von dem Bild und der Existenz Gottes über die bestimmenden Weltstrukturprinzipien bis hin zur persönlichen Bestimmung des Individuums reichten und damit die Totalität menschlichen Daseins und Denkens umfassten. Der Schicksalsbegriff wurde in den dazugehörigen Kontroversen zum Gravitationszentrum des Sprechens und Argumentierens, er speicherte Debatten in sich ab, rief sie bei erneutem Gebrauch in Erinnerung und war dabei prinzipiell umstritten. In diesen historischen Prozessen wandelte er nicht nur seine Bedeutung – auch die Haltung zu ihm, zu seiner weltdeutenden Qualität änderte sich, sodass man von fatophilen und fatophoben Epochen sprechen könnte, von Zeitaltern, die schicksalstrunken und -süchtig sind,11 und von solchen, die das Schicksal aus dem Sprachgebrauch verdammen möchten, weil sie es für gefährlich halten. Aus beiden Haltungen spricht das Bewusstsein, dass der Schicksalsbegriff historischen Wandel nicht nur indiziert und abbildet, sondern dass er historischen Wandel auch provozieren kann, dass er selbst geschichtsmächtig ist. So wird es in dieser Untersuchung auch immer wieder darum gehen, dem Schicksal seinen angemessenen Platz in der Geschichte zuzuweisen und es in seiner begrifflichen Gestalt als Erklärungsfigur für historische Prozesse zu rehabilitieren. Denn als Argumentationsfigur, als Standortbestimmung, als Glaubensauffassung, als politische Parole konnten über das Schicksal Menschenbilder erschaffen, Ängste artikuliert, Zukunftsutopien entworfen und Handlungen ausgelöst werden, die den Lauf der Geschichte in bestimmten Momenten entscheidend prägten. Unter vielen modernen Denkern, die sich mit dem Schicksal auseinandergesetzt haben, hat der Philosoph Odo Marquard die Wirkmächtigkeit des Schicksalsbegriffs am deutlichsten erkannt und mit seiner Hilfe eine Theorie der Moderne entwickelt,12 die für die vorliegende Arbeit entscheidende Anregungen gegeben hat. Auf einem Symposium in den 1970er-Jahren zum Thema »Schicksal? Grenzen der Machbarkeit« hat Marquard die Christianisierung des Abendlandes als Prozess der Entfatalisierung beschrieben, weil die Inthronisation des christlichen Gottes antike Schicksalsvorstellungen obsolet gemacht habe. »[…] die Frage der heute so genannten ›Kontingenzbewältigung‹ – wird biblischchristlich und theologisch-metaphysisch überboten durch die absolute Anfangsfrage, auf die Gott die absolute Antwort ist: der allmächtige Schöpfer allein – niemand sonst – macht alles und lenkt alles. Diese Berufung auf Gott – auf kreatürliche Kontingenz und

11 Raulff, Vorwort, S. 6. 12 Marquard, Ende, S. 7 – 25.

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Das Schicksal in der Geschichte

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göttliche Omnipotenz – beendet die Karriere des Fatums: der eine allmächtige Gott ist das Ende des Schicksals.«13

In der Neuzeit habe sich jedoch eine entscheidende Wende vollzogen. Die Infragestellung des christlichen Weltbildes seit der Aufklärung, die ihre Apotheose im proklamierten Tod Gottes fand, habe die Individuen zwar wieder in die Freiheit entlassen und ihrer eigenen ›Gottwerdung‹ überantwortet. Zugleich jedoch habe sie eine Refatalisierung der Welt ausgelöst, die diejenigen Bereiche des Lebens offenlegte, die auch für den befreiten Menschen unverfügbar blieben. »Die Machensallmacht der Menschen wiederermächtigt das Unverfügbare, das Verhängnis; ihr autonomer Kontrafatalismus entpuppt sich als konterautonomer Fatalismus; indem sie – machselig – das Fatum vertreiben, rufen sie es gerade herbei; und just dort, wo die Menschen – offiziell – zu Erben seines absoluten Endes werden, ist dann – inoffiziell – das Schicksal unabweislich wieder da.«14

So sehr Marquards Refatalisierungsthese auch vor dem Hintergrund ihrer Entstehung gelesen werden muss – als Ausdruck einer pessimistischen Ahnung der 1970er-Jahre, dass die Folgen des eigenen Handelns dem Menschen zunehmend entgleiten –, so interessant bleibt seine Beobachtung dennoch für die Interpretation eines grundlegenden historischen Mentalitätswandels. Inwieweit lässt sich über die Entwicklungen des Schicksalsbegriffs das ambivalente Verhältnis von Fortschrittserwartung als menschliche Ermächtigungsphantasie und Niedergangserfahrung als Kontrollverlust nachvollziehen, das ja gerade für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts so charakteristisch war? Dies wird eine zentrale Frage der Untersuchung sein. Ein rein sprachlicher Befund lässt sich in Bezug auf Marquards These als Ergebnis dieser Arbeit schon vorwegnehmen: Während der Schicksalsbegriff im 17. und frühen 18. Jahrhundert noch als Fremdkörper im herrschenden Menschen- und Weltbild der Zeit begriffen wurde, der immer wieder bekämpft werden musste und den es immer wieder zu rechtfertigen galt, normalisierte sich die Rede vom Schicksal im 19. Jahrhundert, da der Begriff nicht nur in die Alltagssprache, sondern auch in viele Fachterminologien integriert worden war. Unter diesem Aspekt wurde die deutsche Gesellschaft rein sprachlich tatsächlich fatalisiert. Die Frage nach der grundbegrifflichen Qualität des Schicksalsbegriffs als Ausgangspunkt und Marquards Refatalisierungsthese im Blick widmet sich die Untersuchung einigen spezielleren Fragestellungen, die sich auf die historische Semantik des Schicksalsbegriffs beziehen und welche die allgemeinen begriffsgeschichtlichen Beobachtungen deutschen Sprachwandels am Fallbeispiel 13 Ebd., S. 11. 14 Ebd., S. 22.

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Einleitung

überprüfen sollen. Grob gliedern lassen sie sich in Fragen nach der Zeit und nach dem Raum des Schicksals: Wurde die Affinität des Schicksalsbegriffs zum Zeitbegriff bereits angesprochen, so soll explizit untersucht werden, welche Ebenen historischer Zeit in welchen Situationen mit dem Schicksalsbegriff in Verbindung gebracht wurden.15 Wann wurde das Schicksal als ein Konzept begriffen, mit dessen Hilfe die Gegenwart als kontinuierlicher Ablauf von Ereignissen beschrieben werden konnte, die jetzt und hier geschehen und in ihrer Summe das Schicksal eines Menschen, eines Kollektivs oder der ganzen Welt umfassen? In welchen Situationen wurde das Schicksal zu einem Ziel in der Zukunft, das immer aufs Neue erreicht und dadurch erfüllt werden musste und das zum Beispiel über mantische Praktiken enthüllt werden konnte? Warum wurde es in bestimmten Momenten gar zum Synonym für die Zukunft? Wann wurde das Schicksal als Begriff der Vergangenheit entdeckt und umschrieb die Basis, auf die alle Menschen zu Beginn ihres Lebens ungefragt gestellt wurden, die Bürde, die der Einzelne als Kind seiner Eltern, als Mitglied einer Nation, einer ›Rasse‹ etc. schultern musste, ohne sie abstreifen zu können?16 Im Anschluss daran stellt sich die Frage nach der »Verzeitlichung« des Schicksalsbegriffs im Untersuchungszeitraum – so, wie ein solcher Prozess auch für einige der klassischen geschichtlichen Grundbegriffe konstatiert werden konnte.17 Ist das Schicksal ein Begriff, der in der Neuzeit neue Erwartungsmomente in sich barg und zu einer Art Zielbegriff avancierte? Integrierte er neue Vergangenheits- und Zukunftsentwürfe, und entwickelte er dadurch auch eine spezifisch neuzeitliche Dynamik? Oder artikulierte der Schicksalsbegriff gar selbst die neu wahrgenommene geschichtliche Zeit? Diese Fragen sind auch für die Verortung des Schicksalsbegriffs im geschichtswissenschaftlichen Diskurs von Interesse, weil sich hieran ablesen lässt, ob Menschen unterschiedlicher Epochen aus dem Blick in die Zukunft oder in die Vergangenheit Orientierung und Selbstvergewisserung schöpften und auch in welchen Zeitdimensionen sich ihre fundamentalen Ängste manifestierten. In Bezug auf die räumliche Dimension soll untersucht werden, zu welchen 15 Hierin widerspricht die Arbeit der pessimistischen Sicht Anthony Winterbournes, der eine analytische Aufschlüsselung der Zeitbezüge des Schicksals fast für unmöglich hält: »The relationship between causality, fate, and time cannot be said to be in any way conceptually transparent. Together they constitute what might be thought of as a philosophical ›threebody problem‹. Thus, while some coherence can be given to the inner relationship obtaining between any two of these concepts when taken together – causality and time, time and fate, fate and causality – when the three are juxtaposed, the complexities multiply by several orders of magnitude, making clarity almost impossible to achieve.« Ders., When the Norns, S. 17. 16 Hancke, Die Auffassung, S. 11. 17 Koselleck, Einleitung, S. XVI f.

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Das Schicksal im Fokus der Forschung

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Zeiten das Schicksal wo verortet wurde, wobei sich das Spektrum der Möglichkeiten von der Transzendenz des Himmels bis zur Zellfunktion des Körpers erstreckt. Die Entscheidung für den genauen Ort des Schicksals war, das sei bereits vorweg festgestellt, immer abhängig von dem vermuteten Seinsgrund aller Dinge, der philosophie- und theologiegeschichtlich während des Untersuchungszeitraums zwischen idealistischen und materialistischen Konzeptionen oszillierte. Zur Frage nach dem Raum des Schicksals gehört auch die Frage nach seinen Inklusions- und Exklusionsmechanismen. Welche Gemeinschaften schuf der Begriff des Schicksals, und welche Auswirkungen hatte diese begriffliche Qualifizierung für diejenigen, die ausgeschlossen wurden? Bei dieser Frage befinden wir uns mitten im begriffsgeschichtlichen Interesse für die Ideologisierung und Politisierung von Begriffen, die mit Koselleck als zwei Dimensionen semantischen Wandels in der Neuzeit verstanden werden.18 Dem Untersuchungsthema und den skizzierten Fragestellungen liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Erforschung sprachlichen Handelns wesentlich neue Erkenntnisse über die historische Wirklichkeit zutage fördern kann, die über politik-, gesellschafts- und sachgeschichtliche Zugänge nicht erschlossen werden können. So soll die Beschäftigung mit dem Schicksalsbegriff die historische Perspektive auf die Neuzeit erweitern, da er aufgrund seiner Vielschichtigkeit und Ubiquität zur historiografischen Klammer ganz unterschiedlicher historischer Entwicklungen werden kann und so das zunehmend zersplitterte Bild der Epoche der Neuzeit vor einem neuen begrifflichen Horizont zusammenzufügen vermag.

1.2

Das Schicksal im Fokus der Forschung

Die Faszination für das Schicksal und an Schicksalsfragen hat sich recht früh der akademischen Forschung bemächtigt. Seine universale Einsetzbarkeit ließ den Schicksalsbegriff in der Neuzeit zur weiten Projektionsfläche unterschiedlichster Fragestellungen avancieren, die ihn für die Philosophie und Theologie, die Literaturwissenschaften, die Geschichtswissenschaft, die Psychologie und mittlerweile auch für die positiven Naturwissenschaften interessant und erforschenswert erscheinen lassen.19 In traditioneller ideengeschichtlicher Manier spüren seit dem 18. Jahrhun18 Ebd., S. XVII f. 19 So beispielsweise im Sammelband zu einer Tagung über den Zusammenhang von Schicksal und Medizin: Maio, Abschaffung. Ebenso beim Karlsruher Symposium zur Medizinphilosophie, das sich 2013 dem Thema »Schicksal« widmete: Symposium Medizinphilosophie 2013.

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Einleitung

dert zahlreiche philosophische und philologische Untersuchungen den Schicksalskonzeptionen einzelner klassischer Dichter und Denker nach, um ein tieferes Verständnis ausgewählter Werke und ihrer ideengeschichtlicher Hintergründe zu erlangen.20 Nur wenige Autoren haben dabei den Versuch unternommen, diese Schicksalskonzeptionen in einem zeitlich übergreifenden Rahmen zu sehen, der mehrere Epochen umfasst und die Quellen in einen Horizont einordnet, der über die Biografie des einzelnen Meisterdenkers hinausgeht. Als frühester Versuch dieser Art kann eine Monografie des Liegnitzer Philosophieprofessors Johann Günther Karl Werdermann (1755 – 1833) gelten, der bereits 1793 ein Kompendium der »Meinungen über das Schicksal« verfasste, das mit Belegen aus dem Alten Testament beginnt, um in einer Tour de Force durch die Philosophiegeschichte bei Immanuel Kant (1724 – 1804) zu enden.21 In einem konzentrierteren Rahmen haben sich in den 1930er-Jahren Elisabeth Klemann und Kurt Hancke dem Schicksalsbegriff aus literaturwissenschaftlicher Perspektive gewidmet und sich dabei auf die Epochen der Klassik und Romantik konzentriert.22 Beide Untersuchungen sind aus heutiger Sicht eher als Quellen ihrer Zeit denn als wissenschaftliche Referenzliteratur zu betrachten, wobei Klemanns Monografie die generellen Entwicklungslinien des Schicksalsbegriffs in der Übergangszeit um 1800 teilweise sehr präzise formuliert hat.23 Ohnehin konzentriert sich die bisherige Forschung zu Schicksalsvorstellungen in der Neuzeit auf die Epoche der Romantik, was zumindest aus literaturwissenschaftlicher Sicht mit dem Triumph der Schicksalstragödien auf deutschen Bühnen zu tun hat. Ist hier die Semantik des Schicksalsbegriffs ebenso wie seine Funktion im gesellschaftlichen Diskurs relativ gut erforscht,24 findet ein Blick auf die früheren und nachfolgenden Epochen eher selten statt.25 Der Versuch des Philosophen Michael Theunissen, am Beispiel Goethes und Hölderlins die Schicksalsbegriffe der Antike denen der Neuzeit gegenüberzustellen und dadurch einen tieferen Einblick in historische Adaptions- und Abgrenzungsprozesse zu ermöglichen, ist ein seltenes Beispiel für eine epochal übergreifende Analyse.26 Freilich existieren Publikationen zu Schicksalsvorstellungen im Altertum 20 So z. B.: Psaar, Schicksalsbegriff; Staiger, Der Geist; Platz, Fatum; Beissenhirtz, Studien; Bremer, Hegels Schicksalsbegriff, S. 74 – 89; Emrich-Mueller, Der Schicksalsbegriff; Maennersdoerfer, Schicksal; u. v. m. 21 Werdermann, Versuch. 22 Klemann, Die Entwicklung; Hancke, Die Auffassung. 23 Klemann, Die Entwicklung, S. 161. 24 Minor, Das Schicksalsdrama; Fath, Die Schicksalsidee; Wacker, Die literarisch dramatische Satire; Hirsch, Die Schicksalstragödie, S. 276 – 284; Kraft, Das Schicksalsdrama; Bauer, Graat und Schlebrügge, Inevitabilis. 25 Schottelius, Fatum; Balhar, Das Schicksalsdrama. 26 Theunissen, Schicksal.

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Das Schicksal im Fokus der Forschung

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und im Mittelalter, die sich einzelnen Aspekten der Schicksalsthematik, wie der Astrologie, der Vorherbestimmung oder dem Götterwillen, widmen.27 In diesen Kontext gehören zudem Untersuchungen, die sich dem Schicksal in seiner mythologischen Gestalt nähern, wobei den Parzen als römischen Gottheiten, den Nornen als germanischem Äquivalent und der Fortuna als Sinnbild mittelalterlicher und neuzeitlicher Weltdeutung vor anderen Göttern der Vorzug gegeben wird.28 Untersuchungen dieser Art setzen sich unter anderem auch mit bildlichen Darstellungen der Wesen auseinander, die in moderner Terminologie als Schicksalsgottheiten bezeichnet werden. Mit dieser letzten Spezifizierung deutet sich das generelle Problem des bisherigen Umgangs mit dem Schicksal als Forschungsgegenstand an. Die meisten Arbeiten sind eher an der Formulierung allgemeiner Ideen als an konkreten begriffshistorischen Fragestellungen interessiert. Damit sind sie in historischmethodologischer Hinsicht problematisch, weil sie den Gegenstand a priori definieren, ohne für die zeitgenössische Interpretation einzelner Konzepte sensibel zu sein. So hat zum Beispiel der Theologe Klaus P. Fischer 2008 unter dem Titel »Schicksal in Theologie und Philosophie« nicht die Geschichte eines »zentralen Begriffs menschlicher Existenz«29 rekonstruiert, sondern vielmehr die epochenübergreifende Sinnsuche berühmter Autoren in Leidenssituationen beschrieben, die im heutigen Sprachverständnis auch als Schicksalsschläge bezeichnet werden können. De facto werden historische Quellen hier mithilfe eines gegenwartsorientierten Schicksalsbegriffs analysiert. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das großangelegte Forschungsprojekt des Käte Hamburger Kollegs der Universität Erlangen-Nürnberg, das sich der interkulturellen Erforschung von »Schicksal, Freiheit und Prognose« widmet. Das Kolleg vergleicht die mittelalterlich-europäische mit der fernöstlichen Wissenskultur und stellt dabei die Frage, mit welchen Techniken Menschen kollektives und individuelles »Schicksal« bewältigen. Dabei wird durchaus ein Interesse an begriffsgeschichtlichen Fragestellungen signalisiert, das sich jedoch auf die chinesische Begriffsbildung konzentriert, für die beispielsweise auf Wörterbuchebene eine Fülle historischer Synonyme zum Begriff des Schicksals angeführt wird.30 Ignoriert wird dabei die Tatsache, dass der Begriff Schicksal erst weit nach dem Mittelalter, nämlich erst um 1600 in der deutschen Sprache 27 Sturlese und Bauer, Mantik; Kratz und Spieckermann, Vorsehung; Engel, Die Schicksalsidee. 28 Pocock, The Machiavellian Moment; Neumann, Der Schicksalsbegriff; Blisniewski, Kinder ; Maisak, Die Parzen, S. 69 – 88; Kirschenknapp, Parzen; Winterbourne, When the Norns; Kirchner, Fortuna; Herkommer, Frau Welt, S. 177 – 228; Sanders, Glück; Meyer-Landrut, Fortuna; Reichert, Fortuna; Tanzer, Fortuna; Buttay-Jutier, Fortuna. Eine Untersuchung zum schwedischen Glücksbegriff hat Anna Nilsson 2012 vorgelegt: Dies., Lyckans betydelse. 29 Fischer, Schicksal. 30 Lackner, Herbers und Fröhlich, Projektbeschreibung.

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Einleitung

existiert und seitdem einem stetigen semantischen Wandel unterlag. Das Schicksal wird also auch hier als ein Analyse-, nicht als ein Quellenbegriff verwendet, wobei kritisch hinterfragt werden müsste, ob sich gerade der so hochgradig schillernde und abstrakte Schicksalsbegriff als Handwerkszeug der historischen Forschung eignet.31 Was Projekte wie diese eint, ist der problematische Versuch, dem Schicksal dadurch auf den Grund zu kommen, dass man es als gegebenen Sachverhalt hinnimmt, der nicht definiert werden muss, um wissenschaftlich verwendet werden zu können. Der Schicksalsbegriff ist jedoch kein unverfänglicher Ausdruck, sondern er hat, getreu einem Ausspruch von Odo Marquard, Geschichte oder auch Schicksale: »Habent sua fata fata.«32 Die Historizität des Schicksalsbegriffs ernst zu nehmen, bedeutet auch, seine Semantik und Verwendungsweise an historische Gegebenheiten zurückzubinden. Bisherige Abhandlungen zum Schicksalsbegriff bieten vornehmlich werkimmanente Interpretationen, ohne Bezüge zu gesellschaftlichen Strukturen und Ereignissen des Untersuchungszeitraums vorzunehmen. So wird die Rezeptionsebene in den meisten Abhandlungen ausgeblendet, obwohl sie wichtige Einblicke in die Adaption des Schicksalsgedankens in der Bevölkerung ermöglichen würde. Die erforderliche Rückbindung der artikulierten Schicksalskonzepte bleibt somit ebenso aus wie ihre konsequente Historisierung. Das gilt zum Teil auch für solche Publikationen, die Parallel- oder Gegenbegriffe des Schicksals zum Thema haben. Die einschlägigen Werke zu Vorsehungs- beziehungsweise Providenz-Konzepten, die sich vornehmlich dem 18. Jahrhundert widmen, haben sich jedoch trotz ihrer Konzentration auf die Werke ausgewählter Autoren als ausgesprochen gewinnbringend und hilfreich erwiesen. Erwähnenswert sind hierbei die Monografien von Reinhold Bernhardt, Ulrich L. Lehner, Udo Krolzik und Arnulf von Scheliha,33 die den Wandel protestantischer Vorsehungslehren vor dem Hintergrund der Aufklärungsphilosophie beleuchten, wenngleich sie auch nicht dezidiert auf gesellschaftliche Rezeptionsprozesse eingehen. Entstammen diese Monografien vornehmlich einem theologischen Hintergrund, so hat der Literaturwissenschaftler Werner Frick die Veränderungen der Vorsehungssemantik im Übergang von der Barock- zur Aufklärungsliteratur unter der Fragestellung untersucht, inwieweit die »Rationalisierung und Naturalisierung des früher als transzendent Aufgefassten« eine Entprovidentialisierung nach sich gezogen habe, und wie euro-

31 Palonen, Contingency, S. 180. 32 Marquard, Ende, S. 7. 33 Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?; Lehner, Kants Vorsehungskonzept; Krolzik, Säkularisierung; Scheliha, Der Glaube.

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Das Schicksal im Fokus der Forschung

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päische Schriftsteller diesen zu erwartenden Paradigmenwechsel in ihren Romanen zu bewältigen versuchten.34 Der Titel von Fricks Monografie verweist auf einen Begriff, der genuin in das semantische Feld des Schicksals gehört. Die Geschichtswissenschaft hat in den letzten Jahren dem Begriff der Kontingenz beziehungsweise des Zufalls ein gesteigertes Interesse entgegengebracht35 und sich daran auch aus geschichtstheoretischer Sicht abgearbeitet. Die wichtigsten Untersuchungen auf diesem Gebiet nehmen ihren Ausgangspunkt bei Kosellecks Aufsatz »Der Zufall als Motivationsrest in der Geschichtsschreibung«,36 in dem er die Rolle von Zufallskonzepten für die Wahrnehmung historischer Zeit und für die Erzählung von Geschichte herausgearbeitet hat. Arnd Hoffmann hat sich in seiner Dissertation ähnlichen Fragen gewidmet und am Beispiel der modernen Historiografie herausgearbeitet, dass der Zufall und die Kontingenz produktive Kategorien bleiben, mit denen die Offenheit historischen Arbeitens gewährleistet wird.37 Die Habilitationsschrift von Peter Vogt analysiert den Gegenstand aus begriffs- und ideengeschichtlicher Sicht, konzentriert sich allerdings vornehmlich auf prominente Autoren der Geistesgeschichte und deckt dabei einen Zeitraum von der antiken Philosophie bis zum 20. Jahrhundert ab.38 Was in den genannten Werken für die Fragestellung dieser Arbeit jedoch deutlich wird, ist, dass Zufall und Kontingenz in bestimmten historischen Situationen der Neuzeit gerade als spezifische Existenzform des Schicksals aufgefasst wurden. Gerade in den Momenten, in denen sich der Erwartungshorizont vom Erfahrungsraum löste, weil die Zukunft unvorhersehbar wurde, wurden Zufälle als Manifestationen des Schicksals erlebt. Diese Entwicklung wird ein Thema der Analyse sein. Auch wenn diese Arbeit sich auf die Analyse des deutschen Schicksalsbegriffs konzentriert, soll an dieser Stelle noch auf eine wichtige Arbeit aus der französisch-italienischen Forschung hingewiesen werden, die hinsichtlich ihrer Fragestellung und Methode Modellcharakter für diese Arbeit hat. Alessandro Zanconato hat ausgehend von Alexander Popes (1688 – 1744) Gedicht »An Essay on man« eine umfangreiche Analyse des sehr regen Fatalismusdiskurses in der französischen Aufklärung geliefert, die auch durch Gottfried Wilhelm Leibniz’ (1646 – 1716) Theodizeekonzeptionen und ihre Diskussion nach dem Erdbeben von Lissabon (1755) ausgelöst wurde.39 Zanconatos Arbeit zeigt indirekt, dass 34 Frick, Providenz. 35 Zuletzt in einem Sammelband zu mittelalterlichen Kontingenzkonzeptionen: Herberichs und Reichlin, Kein Zufall. 36 Koselleck, Der Zufall, S. 129 – 141. 37 Hoffmann, Zufall. 38 Vogt, Kontingenz und Zufall. 39 Zanconato, La dispute.

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Einleitung

die deutschen Schicksalsfragen des 18. Jahrhunderts eigentlich europäische Schicksalsfragen waren, die weitaus intensiver als im 19. Jahrhundert in einem grenzüberschreitenden Diskurs auf unterschiedliche Weisen verhandelt wurden. Es wäre lohnenswert, in einem zukünftigen Projekt nach europäischen Schicksalsbegriffen, ihren Unterschieden und ihren Interdependenzen zu suchen.40 Dazu folgen später noch einige Hinweise. Die bisherigen Forschungen zum Schicksalsbegriff und seinen Parallel- und Gegenbegriffen sind für die vorliegende Arbeit nur bedingt nutzbar zu machen, da sie das Schicksal entweder explizit oder implizit vorab definieren, um ihm dann bestimmte historische Begebenheiten oder Dokumente zuzuordnen, sich nur Teilaspekten des Schicksalsbegriffs annehmen, ohne sich für seine semantische Vielfalt zu interessieren, oder seine diskursive Funktionalität ignorieren, indem sie seine Geschichte als reinen Bedeutungswandel interpretieren.41 Was generell fehlt, ist eine Auseinandersetzung mit der spezifischen begrifflichen Qualität des Schicksalsbegriffs, die ihn zunächst von anderen Begriffen, die bislang Gegenstände begriffsgeschichtlicher Forschung gewesen sind, unterscheidet, und die den geschichtswissenschaftlichen Umgang mit ihm einerseits erschwert, andererseits aber vielleicht auch neue methodische Wege anregt. Was meint es also genau, wenn hier eine Geschichte des »Begriffs« des Schicksals vorgelegt wird?

1.3

Das Schicksal als Begriff, absolute Metapher und Begriffsfeld

Im Vergleich zu den klassischen Grundbegriffen der politisch-sozialen Sprache haben wir es beim Schicksal nicht mit einem Begriff zu tun, der auf eine bestimmte außersprachliche Entität verweist, die in irgendeiner Art und Weise tatsächlich konkretisierbar und fassbar ist. Selbst in der Epoche der Romantik, in der das Schicksal in bestimmten Kontexten als Person identifiziert und dadurch materialisiert wird, ist diese Personifizierung selbst nur das Bild für ein Prinzip, das in den »benennbaren, objektivierbaren Außenverhältnissen«42 40 Siehe zur englischsprachigen Forschung zu den Begriffen fate, destiny und fortune, die über die Analyse einzelner Werke und Autoren hinausgeht: Zymer, Wyrd, S. 103 – 114; Deyo, Wyrd, S. 59 – 62; Reynolds, The Concept of fate; Kuehnert, Will; Taylor, ›Fatalism‹, S. 56 – 66; Cahn, Fate Logic; Ward, Fortune, S. 39 – 57; Radding, Fortune, S. 127 – 138. Zur französischen Literatur über die Begriffe destin und fatalit¦ neben dem Werk von Zanconato: Hummel, Vie (priv¦e); Paillard, Entre science et m¦taphysique, S. 207 – 223; Buttay-Jutier, Fortuna. 41 So zum Beispiel in den meisten aktuellen Nachschlagewerken: Ahn, Art. Schicksal, S. 884 f.; Volkmann, Art. Schicksal, S. 885 f.; Kranz, Art. Schicksal, S. 1275 – 1289; Gundlach, Art. Schicksal, S. 395 f.; Landmann, Art. Schicksal, S. 398 f. 42 Koselleck und Dipper, Begriffsgeschichte, S. 188.

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Das Schicksal als Begriff, absolute Metapher und Begriffsfeld

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selbst nie fixiert werden kann. Im Schicksalsbegriff fallen sprachlicher Ausdruck und Sachverhalt immer zusammen. Wer vom Schicksal spricht, definiert im gleichen Atemzug bewusst oder unbewusst, was das Schicksal eigentlich ist. Unter diesen Voraussetzungen lassen sich bestimmte Fragen der klassischen Begriffsgeschichte nicht auf den Schicksalsbegriff anwenden. Es kann in dieser Untersuchung zum Beispiel nicht darum gehen, der fluiden Beziehung zwischen Begriff und Sachverhalt nachzuspüren,43 sofern man unter dem »Sachverhalt« das realgeschichtliche Äquivalent versteht, das mit dem Begriff beschrieben werden soll. Wenn sich das Schicksal also, weil es hochgradig abstrakt ist und sich einer Veranschaulichung entzieht,44 von anderen Begriffen unterscheidet, so bezieht sich das auch auf seine Funktion in Sprache und Lebenswelt. Es lohnt sich darüber nachzudenken, ob Hans Blumenbergs Konzept der absoluten Metapher nicht auf den Schicksalsbegriff anwendbar ist – auch wenn diese Arbeit bewusst keine Metapherngeschichte darstellt. Blumenberg hat in der Beschäftigung mit der Sprachgeschichte die absoluten Metaphern als »Übertragungen« definiert, die sich nicht in das Eigentliche – in die Logizität cartesianischer Prägung – zurückholen lassen. Sie erweisen sich einem terminologischen Anspruch gegenüber als resistent, sie lassen sich nicht in Begrifflichkeiten auflösen.45 Rüdiger Zill hat den Unterschied zwischen »Begriffen« und »absoluten Metaphern« im Blumenberg’schen Sinne folgendermaßen beschrieben: »Den ›Begriff‹ bezeichnet Blumenberg in der Tradition Kants als etwas, das nicht nur klar definiert werden kann, sondern dem auch eine Anschauung korrespondieren muss. Absolute Metaphern verweisen auf Phänomene, die zwar abstrakt definierbar sein mögen, die aber zu groß, zu nah, zu unkonkret sind, als dass ihnen je wird eine Anschauung entsprechen können, also: die Welt, das Leben, die Wahrheit, ja selbst: das eigene Ich. Obwohl all dies niemals streng in Begriffe zu gießen sein wird, so fühlen wir uns doch immer wieder genötigt, über sie zu sprechen, nachzudenken, uns mit ihnen auseinander zu setzen. Um das Begriffsresistente begreifbar zu machen, suchen wir uns ein Hilfsmittel: die absolute Metapher.«46

Begreift man das Schicksal in diesem Sinne in seiner metaphorischen Qualität als Versprachlichung unanschaulicher Seins- und Sinnfragen, gewissermaßen als sprachliche Verlegenheitsgeste,47 so wird der Blick von seiner zeitspezifischen Semantik auf seine zeitspezifische Funktion gelenkt.

43 Koselleck, Begriffsgeschichten, S. 62 – 65. 44 »Das Schicksal ist nicht adressierbar.« Niehaus, Die Ironie, S. 124. Zu Begriffen dieser Art im Allgemeinen: Reichardt, Einleitung, S. 67 f. 45 Blumenberg, Paradigmen, S. 9 – 11. 46 Zill, Substrukturen, S. 231 f. 47 Buntfuß, Tradition, S. 97.

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Einleitung

»Absolute Metaphern ›beantworten‹ jene vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, deren Relevanz ganz einfach darin liegt, dass sie nicht eliminierbar sind.«48

Unter dieser Perspektive lässt sich die Geschichte des Schicksals als Geschichte der verschiedenen Fragen begreifen, auf die das Schicksal eine zugleich offene und kontrovers diskutierte Antwort ist.49 Schicksal kann so als systematisierende Leerstelle50 interpretiert werden, in die unterschiedlichste Vorstellungen und Geschichten eingepasst werden können, und die so weniger ein konkretes Wissen als ein Verhalten zur Welt vermittelt. Das Schicksal hat so keine referenzielle, sondern eine pragmatische Funktion.51 Diese Aspekte sollen bei der Analyse der historischen Semantik des Schicksals Berücksichtigung finden. Wenn in dieser Arbeit also der Begriff des Schicksals untersucht wird, so impliziert das zugleich die Annahme, dass das Schicksal nicht allein im Wort aufgeht, sondern eine dynamische Größe darstellt, die terminologisch gesehen in vielen Gewändern auftreten kann.52 Dennoch orientiert sich die Quellenauswahl zunächst an Texten, in denen das Wort Schicksal und seine Komposita und adjektivischen Ausformungen verwendet werden. Berücksichtigt werden darüber hinaus auch die Quellen, in denen die zeitspezifischen Synonyme des Schicksals (z. B. Verhängnis, Notwendigkeit) auftauchen, wobei dem Begriff des Fatums als lateinischem Ahnen und Äquivalent des Schicksalsbegriffs in der Frühen Neuzeit eine besondere Priorität zukommt. Dem Beginn des Untersuchungszeitraumes geschuldet haben wir es gerade im 17. Jahrhundert häufig noch mit lateinischen Quellentexten zu tun, die mit dem Fatum-Begriff operieren, in ihrer Rezeption durch deutsche Werke jedoch in den Sprachraum des Schicksals eingeordnet werden. Wörterbücher vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts weisen Schicksal beziehungsweise Schickung und Geschick als Synonyme des lateinischen Fatums aus. Diverse Autoren verwenden in den deutschen Übersetzungen ihrer lateinischen Werke das Schicksal an den Stellen, an denen im Original der Fatum-Begriff steht, oder stellen beide Begriffe von 48 Blumenberg, Beobachtungen, S. 19. 49 Das stimmt mit Quentin Skinners Forderung überein, Ideengeschichte als Geschichte unterschiedlicher historischer Antworten und Fragen zu verstehen: Skinner, A reply, S. 234. 50 Für diesen Ausdruck danke ich Knut Stünkel. In der »Theologischen Realenzyclopädie« wird Schicksal dementsprechend auch als »Sprachspiel« bezeichnet, »in das je nach Diskurs unterschiedliche und einander zum Teil sogar ausschließende Inhalte und Konzeptionen eingehen«. Ahn, Bergmeier, Klaer und Schulz, Art. Schicksal, S. 103. 51 Palti, From ideas, S. 60. 52 Für die einschlägigen Untersuchungen zu der Frage, was ein Begriff eigentlich ist, und wie er sich vom Wort und der Idee unterscheidet, siehe: Gumbrecht, Dimensionen, S. 18; VeitBrause, Die Interdisziplinarität, S. 15; Busse, Begriffsgeschichte, S. 21 f.; Linke, Begriffsgeschichte, S. 40; Eggers und Rothe, Die Begriffsgeschichte, S. 8 f.; Geldsetzer, Was ist logisch ein Begriff, S. 49; Bödeker, Begriffsgeschichte, S. 28 – 34; Palti, From ideas, S. 45 – 72.

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Historische Semantik als Begriffsgeschichte in kommunikativen Konfliktsituationen

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vornherein als austauschbar vor. Im ersten Kapitel des Hauptteils wird die Verbindung dieser Ausdrücke etymologisch hergeleitet. Davon ausgehend wird als schicksalsaffine Geisteshaltung auch der Begriff des Fatalismus53 in seinen diversen Ausprägungen (fatalistisch, fatal etc.) in den Blick genommen. Zusätzlich wird die Beziehung zwischen dem Schicksal und seinen epochalen Parallel- beziehungsweise Gegenbegriffen geklärt, wobei mit wechselnden Konjunkturen hauptsächlich die Begriffe der Vorsehung/Providenz/providentia und der Kausalität von Interesse sind. Für bestimmte Zeitabschnitte treten darüber hinaus die Verweise auf Gottheiten des klassischen Altertums oder der germanischen Vorzeit hinzu, die mit dem Schicksal identifiziert werden. Allerdings beschränkt sich die Auseinandersetzung mit diesen Begriffen und Verweisen im Rahmen dieser Arbeit auf ihr Auftreten in unmittelbarer diskursiver Nähe zum Schicksalsbegriff. Ohne dass deren historische Semantik hier erschöpfend beschrieben werden könnte,54 soll ihre Betrachtung doch zumindest zu einem besseren Verständnis der jeweils aktuellen Konfliktlagen beitragen, die sich zu unterschiedlichen Zeiten mit der Schicksalsthematik verbanden. Die Analyse des Begriffs Schicksal meint im vorliegenden Fall also die Beschäftigung mit einem semantischen Netzwerk, in dessen Zentrum das Schicksalswort steht, das wiederum kontextabhängig zu anderen Konzepten in Beziehung tritt, mit denen es identifiziert, an denen es konkretisiert oder von denen es abgegrenzt wird. Die Mechanismen, Ursachen und Auswirkungen dieser Begriffsarbeit sind das zentrale Thema der Untersuchung.

1.4

Historische Semantik als Begriffsgeschichte in kommunikativen Konfliktsituationen

Die vorliegende Arbeit stellt sich in die Reihe neuerer Studien zur historischen Semantik, die über eine Methodenvielfalt einen Zugang zum Sprachwissen und Sprachhandeln der Vergangenheit entwickeln möchten, der sich von älteren begriffsgeschichtlichen Untersuchungen unterscheidet.55 Gerade in Bezug auf Begriffe, die auf den ersten Blick der religiös-philosophischen Sphäre anzuge53 Siehe als Einzelstudie zum Fatalismusbegriff: Oertner, Fatalismus. 54 Siehe dazu die begriffs- und ideengeschichtlichen Untersuchungen folgender Autoren: Hoffmann, Zufall; Vogt, Kontingenz und Zufall; Frick, Providenz; Lehner, Kants Vorsehungskonzept; Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?; Scheliha, Der Glaube; Herberichs und Reichlin, Kein Zufall. 55 Siehe für einen aktuellen Überblick zu den verschiedenen Möglichkeiten begriffsgeschichtlichen Forschens: Joas und Vogt, Einleitung, S. 13 – 31; Bödeker, Begriffsgeschichte, S. 19 – 44.

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hören scheinen,56 läuft man Gefahr, sich in der dünnen Luft der Höhenkammliteratur zu verlieren und dabei die spezifischen Leistungen eines Begriffs im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu ignorieren. Dieses Problem wurde bereits öfter diskutiert und muss deshalb an dieser Stelle nicht weiter ausgebreitet werden.57 Ein Aspekt jedoch, der vor allen Dingen mit der Darstellung begriffsgeschichtlicher Untersuchungen zu tun hat, verdient es, näher betrachtet zu werden: Viele Arbeiten suggerieren, dass sich Begriffe wie Personen durch das Raum-Zeit-Kontinuum bewegen und dabei eine lineare Entwicklungsgeschichte durchlaufen. Bei allen Vorteilen für die wissenschaftliche Thesenbildung sperren sich die konkreten Sprachbefunde häufig einer solchen Deutung. Sprachwandel vollzieht sich in vielen Fällen nicht regelhaft, als eine kontinuierliche Reihe von Äußerungen geistiger Eliten. Sprache lebt stattdessen von Rückbezügen und Vorgriffen, sie ändert sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen in verschiedenen Geschwindigkeiten und in verschiedene Richtungen. Begriffe werden häufig in ein und demselben Text in vollkommen unterschiedlichen Bedeutungen verwendet, sie erleben Konjunkturen, zu denen auch Prozesse des Verdrängens und Vergessens gehören. Teilweise verschwinden Begriffe ganz aus dem Wortschatz, um nach einiger Zeit wieder unvermutet aufzutauchen, reaktualisiert oder umcodiert zu werden.58 Sprachwandel wohnt also immer ein Moment der Kontingenz inne.59 So haben wir es auch beim Schicksalsbegriff nicht mit einem Legato der Begriffsentwicklung zu tun, wie Winfried Schröder es einmal treffend ausgedrückt hat, sondern mit einem chronologischen Staccato,60 aus dem der semantische Wandel des Begriffs erst rekonstruiert werden muss. In der Darstellungsweise ist es schwierig, den konkreten Befunden gerecht zu werden, und natürlich liegt die spezifische Leistung des Historikers darin, Ordnung in den Wust der Belegstellen zu bringen, weil überhaupt nur so Geschichte erzählt werden kann. Dennoch existieren Möglichkeiten, sich der aufgezwungenen Linearität der Zeitfolge zu widersetzen, oder, wie Ernst Müller es gefordert hat, »das Axiom der Kontinuisten« zu überwinden.61 Koselleck selbst hat sogar in

56 Die begriffsgeschichtliche Erforschung religiöser Sprache hat insbesondere Lucian Hölscher immer wieder als geschichtswissenschaftliches Desiderat angemahnt: Ders., Religion, S. 45 – 62; ders., Die historische Semantik, S. 189 – 198; ders., Religiöse Begriffsgeschichte, S. 723 – 746. 57 Busse, Begriffsgeschichte, S. 21. 58 Müller, Bemerkungen, S. 15. 59 So auch: Palti, From ideas, S. 55 f. 60 Schröder, Was heißt ›Geschichte eines philosophischen Begriffs‹?, S. 169. 61 Müller, Bemerkungen, S. 15.

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Historische Semantik als Begriffsgeschichte in kommunikativen Konfliktsituationen

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Bezug auf den Schicksalsbegriff einen Hinweis für einen lohnenden Ausweg gegeben: »Es sind die unverwechselbaren Situationen, die ihre eigene Veränderung hervortreiben und hinter denen so etwas wie ›Schicksal‹ aufscheinen kann, die zu erforschen und zu tradieren eine Herausforderung für jede Selbst- und Weltdeutung bleibt.«62

Konzentriert man sich also auf solche »unverwechselbaren Situationen«, wird man, anstatt die Geschichte des Schicksals als Abfolge sich kontinuierlich ändernder Semantiken nachzuerzählen, auf diskursive Knotenpunkte stoßen, an denen Schicksalsfragen und der Schicksalsbegriff selbst virulent werden. Der Diskursbegriff, der an dieser Stelle verwendet wird, orientiert sich bewusst nicht an den Ansätzen von Michel Foucault oder Philipp Sarasin, denen es um die Regelmäßigkeit sozialer Handlungen geht, hinter denen der einzelne Autor/Sprecher mitunter verschwindet. Auch wenn einzelne Aspekte der klassischen Diskursgeschichte durchaus aufgegriffen werden, wie die Prämisse von der Konstruktion der Wirklichkeit durch Sprache und die Suche nach Machtstrukturen im Diskurs, wird der Diskursbegriff in der vorliegenden Arbeit unprätentiös als öffentlicher Debattenzusammenhang verstanden, in dem ein zentraler Problemkomplex verhandelt wird, zu dem sich verschiedene Menschen aus je eigenen Hintergründen mit spezifischen Intentionen äußern. Diese Diskurse bezeichnen also den Sprachgebrauch in bestimmten kommunikativen Kontexten mit einer Breitenwirkung, die über einen eng umgrenzten Personenkreis hinausgeht. Sie existieren für die begrenzte Zeit, in der das verhandelte Problem nicht gelöst werden kann, aber für relevant gehalten wird. Diskursive Knotenpunkte meinen deshalb historische Zeitpunkte oder Zeitabschnitte, in denen ein Begriff in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich häufiger, spezifischer, markanter und von einer größeren Anzahl von Autoren beziehungsweise Sprechern verwendet wird, als zu den Zeiten davor und danach. Solche Knotenpunkte sind häufig gerade aus der geschichtswissenschaftlichen Retrospektive identifizierbar. Folglich konzentriert sich die Arbeit also nur auf bestimmte zeitliche Ausschnitte der Begriffsgeschichte, die auf den ersten Blick zunächst unabhängig nebeneinander zu stehen scheinen. Aus einer Metaperspektive erschließen sich jedoch die expliziten und verborgenen semantischen Zitationen, Rückgriffe, Umformulierungen oder Zurückweisungen, die thematisch und/oder zeitlich übergreifend das verbindende Element der Schicksalsdiskurse über zwei Jahrhunderte darstellen. So vermeidet dieser Ansatz da die Konstruktion von Kontinuität, wo diese nicht nachgewiesen 62 Koselleck, Rüsen und Lutz, Formen, S. 9. Darüber hinaus hat Reinhart Koselleck auch in der Auseinandersetzung mit der Cambridge School immer wieder darauf hingewiesen, dass Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte nicht voneinander zu trennen sind: Ders., A Response, S. 65.

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werden kann, und lässt semantische Kontingenz, Stagnation und auch das Verschwinden einzelner begrifflicher Bedeutungsgehalte zu. Gleichzeitig kann er jedoch Parallelen entdecken und Traditionssträngen gerecht werden, die sich vielleicht auch unausgesprochen hinter bestimmten Äußerungen verbergen. Die Arbeit ist von der Überzeugung getragen, dass ein genuiner Zusammenhang zwischen dem existiert, was ist, und dem, was die Menschen sagen.63 In einer diskursiv verstandenen Begriffsgeschichte werden die Begriffe in ihren zeitspezifischen Entstehungs- und Verwendungszusammenhängen interpretiert.64 Sie werden an individuelle oder kollektive Akteure, politische und soziale Zeitumstände und Mentalitäten zurückgebunden, sodass man ein Beziehungsgefüge zu rekonstruieren vermag, das Aussagen über die Ursachen und auch über die Auswirkungen einzelner Schicksalssemantiken ermöglicht. Denn der Schicksalsbegriff war sowohl Indikator als auch Faktor gesellschaftlicher Veränderung;65 das heißt, er bildete zeitgenössische Fragen und Problemlagen nicht nur ab, sondern motivierte und beeinflusste sie, formte sie teilweise sogar grundlegend um.66 So wird in der Arbeit der Versuch unternommen, die Zeitgebundenheit der Schicksalsdeutungen und -verwendungen und die Eigenlogik des Schicksalsbegriffs bei der historischen Interpretation gleichermaßen zu berücksichtigen.67 Beim Nachvollzug unterschiedlicher Diskurse wird der Schicksalsbegriff als ein »nomadischer« Begriff vorgestellt,68 als ein Wanderer zwischen den gesellschaftlichen Sprachbereichen, der seinen Ausgang zwar in religiös-philosophischen Diskursen der Frühen Neuzeit nahm, von dort aus jedoch in die Gemeinsprache und in zahlreiche Fachsprachen eindringen konnte. Für die konkrete Auswahl der hier analysierten Diskurse waren mehrere Aspekte ausschlaggebend, die einerseits zwar der spezifischen Fragestellung der Arbeit geschuldet sind, andererseits jedoch aus historischen Beobachtungen resultieren: Die untersuchten Debattenzusammenhänge genügen in zweierlei Hinsicht dem Relevanzkriterium, weil sie entweder für die semantische Entwicklung des Schicksalsbegriffs ausschlaggebend waren, oder weil die Verwendung des Schicksalsbegriffs dem Diskursverlauf entscheidende Impulse gab. Diese doppelte Perspektive ermöglicht es, sowohl genuine Schicksalsdiskurse zu betrachten, deren Thema und Ziel die sprachliche Formung des Begriffs war, als 63 Konersmann, Wörter, S. 25 – 27. 64 Schneider, Über das Stottern, S. 125. Das entspricht auch dem Ansatz der Cambridge-School: Skinner, A reply, S. 238. 65 Reichardt, Einleitung, S. 67. 66 Damit erfüllt er, wie zu zeigen sein wird, ein wesentliches Merkmal historischer Grundbegriffe: Koselleck, Einleitung, S. XIV. 67 Eine Forderung, die Ralf Konersmann generell erhoben hat: Ders., Wörter, S. 27. 68 Stenger, D’une science — l’autre.

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Historische Semantik als Begriffsgeschichte in kommunikativen Konfliktsituationen

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auch Debatten in den Blick zu nehmen, bei denen der Schicksalsbegriff an entscheidenden Stellen herangezogen wurde, um Standpunkte zu formulieren, Grenzen aufzuzeigen, Perspektiven zu eröffnen. In Diskursen dieser Art konnte der Schicksalsbegriff auch eher beiläufig und unreflektiert verwendet werden, gewissermaßen en passant auftreten, wobei sich auch aus diesen »unauffälligen« Schicksalsverwendungen Rückschlüsse auf Problemlagen, Argumentationsstrategien und das Selbst- und Weltverständnis der Begriffsverwender ziehen lassen. Die qualitative Relevanz wird durch ein quantitatives Kriterium ergänzt. Die Entscheidung fiel zugunsten von Diskursen, in denen der Schicksalsbegriff oder seine Parallelbegriffe überproportional häufig und bei mehreren Autoren auftraten und den Debatten dadurch gewissermaßen eingeprägt waren. Aufgrund dieses Kriteriums liegt der Schwerpunkt der Arbeit nicht auf einzelnen Aussagen deutscher Geistesgrößen, die sich vielleicht durchaus brillant, aber wenig publikumswirksam zu einzelnen Aspekten des Schicksalsbegriffs geäußert haben. Der kollektiven Begriffsverwendung auf einer mittleren und niedrigen Ebene wird gegenüber dem außergewöhnlichen Einzelgedanken der Vorzug gegeben. Schließlich wurden für die Arbeit Diskurse analysiert, welche die Bandbreite der unterschiedlichen Kontexte, in die der Begriff im Laufe der Zeit eindringen konnte, exemplarisch repräsentieren. Dabei richtet sich die konkrete Auswahl nach den Einschätzungen der Zeitgenossen, welche die Affinität des Schicksalsbegriffes zu neu auftauchenden Herausforderungen ihrer Gegenwart häufig sehr genau herausspürten und artikulierten. Konkret gesprochen konnten über die Auswertung von ca. hundertvierzig Nachschlagewerken zwischen 1650 und 1920 Umschlagpunkte des Begriffsverständnisses identifiziert werden, die wiederum Rückschlüsse auf die dazugehörigen Diskursbereiche erlaubten. Auf der Basis dieser Vorauswahl und nachfolgender Recherchen verfolgt die Arbeit die Wandlungen und Facetten des Schicksalsbegriffs in Philosophie und Theologie, schöner Literatur und Politik, Naturwissenschaft und Psychologie. Unter Berücksichtigung von Relevanz, Quantität und Repräsentativität wurden insgesamt zwölf dieser Knotenpunkte ausgewählt. Für das Zeitalter der Aufklärung folgt die Darstellung mit der Auswahl von fünf Themenzusammenhängen einer zeitgenössischen Kategorisierung. In zahlreichen Publikationen des 17. und 18. Jahrhunderts wurden dem Schicksal fünf verschiedene Komposita zugeordnet, die auf Debatten in der Astrologie, in der Auseinandersetzung mit der Philosophie der Stoa, im Kontext des Spinozismus, in seinem Verhältnis zur christlichen Vorsehungsidee und als europäische Zuschreibung an das Glaubenssystem der Türken verweisen. Trotz der Heterogenität dieser Komplexe kreisten sie allesamt um ein einziges Problem, das durch die Naturwissenschaften und die Philosophie des 17. Jahrhunderts zur Herausforderung des neuzeitlichen Weltbildes wurde: um das Problem der Kausalität.

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Einleitung

Trotz aller Vorbehalte, die man der Koselleck’schen Sattelzeit-These entgegenbringen mag,69 war der Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert auch für den Schicksalsbegriff eine semantische Wendezeit. Thematisierte das Zeitalter der Aufklärung mit dem Schicksalsbegriff das unauflösbare Dreieck von Gottes Vorsehung, Naturgesetzlichkeit der Welt und Freiheit des Menschen, so weitete sich das Feld zur Jahrhundertwende hin und eröffnete die Möglichkeit, auch außerhalb philosophisch-theologischer Spekulationen mit dem Schicksalsbegriff zu agieren. Durch die verstärkte Antike-Rezeption im Kontext der literarischen Klassik wurden antike Schicksalsgottheiten wiederentdeckt und in all ihren unterschiedlichen Aspekten zur Deutung gegenwärtiger politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen herangezogen. Im 19. Jahrhundert dominierten hiervon ausgehend drei semantische Pfade die Geschichte des Schicksalsbegriffs, die als Dämonisierung, Vergemeinschaftung und Internalisierung beschrieben werden können. Den ersten Pfad beschritt die deutsche Gesellschaft unter dem Eindruck von Revolution und Krieg im Medium des Theaters, wo Gegenwartsanalysen mit literarischen Experimenten mitunter explosive Verbindungen eingingen und mit der »Schicksalstragödie« den Typus eines Dramas hervorbrachten, der den Untersuchungsbegriff dieser Arbeit im Namen trägt. Die Vergemeinschaftung manifestierte sich zum Beginn des Jahrhunderts im deutschen Umgang mit der Person Napoleon Bonapartes (1769 – 1821), der zur Schicksalsgottheit par excellence mutierte und gegen den es die Deutschen als nationale Schicksalsgemeinschaft zu konstituieren galt. Diese Erfindung erfuhr in der Revolution von 1848/49 einen ersten Höhepunkt, weil durch den Schicksalsbegriff nationale Zugehörigkeiten definiert, politische Machtkämpfe ausgetragen, historische Kontinuitäten gestiftet und Zukunftsperspektiven entwickelt wurden. Im Übergang zum 20. Jahrhundert avancierte der Schicksalsbegriff zum Fanal völkischer Untergangsszenarien und provozierte Handlungslogiken, die den Weg von Gewalt und Vernichtung unabdingbar zu machen schienen. Die Internalisierung des Schicksalsbegriffs vollzog sich zugleich mit seiner Immanentisierung und Individualisierung. Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) beschrieb um 1800 das Schicksal »in uns«, das im Kontext des wissenschaftlichen Materialismus der 1850er-/1860er-Jahre und der Freud’schen Psychoanalyse den Menschen von seinem Inneren her zum Sklaven seines Körpers und seines Unbewussten machte. Das große Thema hierbei war die Determination des Menschen durch wissenschaftliche Erkenntnis, die über den Schicksalsbegriff artikuliert und perhorresziert wurde.

69 Motzkin, Über den Begriff, S. 339 – 358; Jordheim, Unzählbar, S. 449 – 480.

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Die Auswahl der Quellen

1.5

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Die Auswahl der Quellen

Es liegt in der Natur des skizzierten methodischen Zugangs, dass der Arbeit ein sehr heterogenes Quellenkorpus zugrunde liegt. Die bewusste Entscheidung gegen die Konzentration auf eine einzige, vielleicht serielle Quellengattung ist der Überzeugung geschuldet, dass sich die Aushandlung begrifflicher Deutungsgehalte in verschiedenen Medien und ihren Wechselbeziehungen vollzieht. Zugleich kann nur ein Blick, der sich nicht durch apriorische Entscheidungen für oder gegen bestimmte Quellen einengt, ein adäquates Bild der universalen Einsetzbarkeit des Schicksalsbegriffs vermitteln. In der Quellenauswahl orientiert sich die Arbeit deshalb an einem Gedanken Dietrich Busses, der vorgeschlagen hat, einen »offenen, sich im Forschungsprozeß erweiternden Korpus« zur Grundlage einer fundierten Begriffsgeschichte zu wählen, um »bestimmte spezifische Wissensstränge auch in verschiedensten Texten, Textsorten, Artikulations- und Diskursbereichen nachzuverfolgen, also eine thematisch gelenkte Konzentration auf Ketten einzelner enonc¦s, einzelner epistemischer Leitelemente vorzunehmen.«70

Den thematischen Leitlinien dieser Arbeit entsprechend müssen also bestimmte Eingrenzungen vorgenommen werden, die sich zuerst einmal auf den Sprachraum beziehen. Die Arbeit untersucht in erster Linie Quellen deutscher Autoren und, bis auf wenige Ausnahmen in der Übergangszeit vom 17. zum 18. Jahrhundert, deutscher Sprache.71 Das heißt, dass auch bei den Texten, die im Original in französischer Sprache verfasst worden sind (wie zum Beispiel die »Theodizee« von Gottfried Wilhelm Leibniz), die zeitgenössische deutsche Übersetzung die Grundlage der Analyse bildet. Dasselbe gilt für Schriften ausländischer Autoren, die in Deutschland publiziert und rezipiert wurden. Diese Entscheidung ist von der Überzeugung getragen, dass historische Semantiken an ihre Entstehungszeit gebunden sind, auch wenn moderne Übersetzungen den Intentionen des historischen Autors vielleicht eher entsprechen mögen. Zugleich bedeutet die Beschränkung auf den deutschen Sprachraum, dass andere Nationalsprachen, wie etwa Englisch oder Französisch, nicht berücksichtigt werden. Ein ambitionierter internationaler Blick müsste sich unweigerlich mit dem Problem der Übersetzbarkeit von Begriffen auseinandersetzen, für die die Erforschung der jeweiligen Begriffe in den einzelnen Sprachen aber eine unverzichtbare Grundvoraussetzung bildet. Ist diese für den Schicksalsbegriff und 70 Busse, Begriffsgeschichte, S. 28. 71 Die Ausnahmen betreffen lateinische Texte des 17. Jahrhunderts. Da das Lateinische in dieser Zeit als universelle Gelehrtensprache gelten kann, die kaum länderspezifische Semantiken ausbildete, werden hier auch Autoren berücksichtigt, die in Deutschland vielleicht nicht übersetzt, aber rezipiert wurden.

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Einleitung

seine anderssprachigen Pendants geleistet, bleibt eine international vergleichende Begriffsgeschichte ein spannendes Projekt für die Zukunft, das theoretisch und methodisch jedoch genauestens reflektiert werden müsste.72 Als eine zweite Grundsatzentscheidung werden nur veröffentlichte Materialien, die also einem potenziellen Publikum zugänglich waren, in die Untersuchung miteinbezogen. Den individuellen Begriffsbestimmungen im Kontext privaten Schreibens wie etwa in Egodokumenten, so interessant sie gerade für den Schicksalsbegriff auch sein mögen, geht die Arbeit nicht nach, da der Fokus sich auf die öffentlichen Kontroversen richtet, die sich am Schicksalsbegriff entzündeten oder mit seiner Hilfe ausgetragen wurden. In der Arbeit soll vermieden werden, allein die hoch reflektierten Begriffsinterpretationen in der Ahnenreihe deutscher Meisterdenker nachzuerzählen, zumindest nicht in einer vom historischen Kontext losgelösten Ideengeschichte.73 Aus diesem Grund liegt das Hauptaugenmerk bei der Quellenauswahl auf Texten einer mittleren Ebene, sprich populären Monografien, Zeitschriften, Zeitungen, politischen Reden, Lexikon- und Enzyklopädie-Artikeln, Flugschriften, medizinischen Untersuchungen, Predigten, Romanen, Theaterstücken und Reiseberichten, wobei in ausschlaggebenden Fällen auch auf philosophische, theologische und literarische Abhandlungen einzelner Geistesgrößen zurückgegriffen wird, die entscheidende Impulse für den semantischen Wandel des Schicksalsbegriffs gaben. Dennoch garantiert ein solch offener Zugang auf die Thematik, dass zahlreiche relevante Äußerungen unabhängig von ihrer Provenienz und der Prominenz ihrer Autoren Berücksichtigung finden. Die Auswahl erfolgt nach Bedeutung, Originalität und Repräsentativität der Schicksalsverwendung, wobei die Arbeit explizit nicht nur elaborierte Schicksalssentenzen analysiert, sondern gerade auch dem beiläufigen, eher unreflektierten Umgang mit dem Schicksalsbegriff Beachtung schenkt. Allerdings, darauf sei noch hingewiesen, entziehen sich die Ergebnisse der semantischen Untersuchung durch die Heterogenität ihrer Basis unter Umständen einem direkten Vergleich. Wenn hier also beispielsweise die politischen Debatten der Paulskirchenversammlung 1848/49 in semantische Relation zu der Zeitschriftenliteratur der völkischen Bewegung am Ende des Kaiserreiches ge72 Siehe zur Übersetzbarkeit von Begriffen: Koselleck, Begriffsgeschichten, S. 94. Reinhart Koselleck selbst hat sich dieser Aufgabe gemeinsam mit Ulrike Spree und Willibald Steinmetz in Bezug auf den Bürgertumsbegriff gestellt: Ders., Spree und Steinmetz, Drei bürgerliche Welten?, S. 14 – 59. Später hat auch Jörn Leonhard diese Herausforderung angenommen, indem er den Begriff des Liberalismus in einem gesamteuropäischen Rahmen untersucht hat: Ders., Liberalismus; ders., Language, S. 245 – 267. 73 Für eine solche Herangehensweise kann auf die Artikel der diversen Handwörterbücher zurückgegriffen werden: Ahn, Art. Schicksal, S. 884 f.; Volkmann, Art. Schicksal, S. 885 f.; Kranz, Art. Schicksal, S. 1275 – 1289; Gundlach, Art. Schicksal, S. 395 f.; Landmann, Art. Schicksal, S. 398 f.

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Die Auswahl der Quellen

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stellt werden, gründet sich der Vergleich allein auf die Semantik, nicht auf etwaige quellenmäßige oder personelle Kontinuitäten. Dieses Manko wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass die Reise durch die Geschichte des Schicksalsbegriffs an vielen verschiedenen Orten haltmacht und deshalb umso vielfältiger und, hoffentlich, spannender wird.

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Zur Herkunft des deutschen Schicksalsbegriffs

Der Weg zu dem Schicksalsbegriff, der noch heute im deutschen Sprachschatz zu finden ist, ist weitverzweigt und lang. Zeit seines Bestehens wurde das Schicksal in verschiedenen Gestalten imaginiert und mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt, die zwischenzeitlich immer wieder abgestoßen wurden oder vorübergehend ruhten, um einige Zeit später wieder aufgegriffen und wiederbelebt zu werden. So lässt sich der Weg des Schicksalsbegriffs durch die Jahrhunderte prinzipiell auf zwei Arten nachverfolgen: semantisch und etymologisch. Die Suche nach der Bedeutung dessen, was Schicksal meint, führt uns zurück bis zur antiken und germanischen Mythologie. Denn semantisch gesehen reicht die Beschäftigung mit Schicksalsfragen im europäischen Raum bis weit in die Antike zurück, was unter anderem die Existenz zahlreicher Gottheiten illustriert, die uns heute als Schicksalsgötter bekannt sind, und auf die auch in der Neuzeit immer wieder rekurriert wurde.1 Zentrale Gestalten waren in der antiken Mythologie Aisa und Moira beziehungsweise die drei Moiren (lo_qa, lat. Parcae [Parzen]) Klotho, Lachesis und Atropos (lat. Decuma, Nona, Morta), die als Verkörperung der menschlichen Lebensstufen den Schicksalsfaden eines Menschen von der Geburt bis zum Tode spannen, ihm seinen Anteil am Leben zumaßen und damit einerseits die Kontinuität, gleichzeitig aber auch die Unausweichlichkeit des Lebensweges darstellten.2 In der nordischen Mythologie finden sich analog die drei Nornen Urd, Verdandi und Skuld, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft repräsentieren. Unter der Weltesche Yggdrasil sitzend spinnen sie den Schicksalsfaden und entscheiden über die Lebenswege von Menschen und Göttern. Anthony Winterbourne hat darauf hingewiesen, dass in der Semantik der Parzen oder Moiren der Zusammenhang von Gegenwart und Zukunft betont, also der Prädestinationsgedanke stark gemacht wird, während die Nornen eher die Verbindung von 1 Siehe dazu Kap. 4. Zum Folgenden: Engel, Die Schicksalsidee; Greene, Moira; Frede, Art. Schicksal, S. 156 – 158. 2 Ender, Gibt es ein Schicksal für den Menschen?, S. 56; Blisniewski, Kinder, S. 5 – 7.

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Zur Herkunft des deutschen Schicksalsbegriffs

Vergangenheit und Gegenwart symbolisieren, da Skuld in den mythologischen Texten vergleichsweise selten auftaucht.3 Die Moiren waren für die persönlichen Schicksale verantwortlich, ganz im Gegensatz zur Ananke (\m\cjg),4 die ebenso wie die Heimarm¦ne (eRlaql]mg)5 als die Personifikation des unpersönlichen zwangsläufigen Verhängnisses galt und mit der kausalen Naturnotwendigkeit gleichgesetzt wurde.6 Nemesis (M]lesir) war die Göttin, die für die gerechte Zuteilung verantwortlich war und somit eine explizit moralisierende Funktion besaß. Die launenhafte Tyche (t}wg, lat. Fortuna) hingegen verkörperte den Zufall, der zu Glück oder Unglück führen konnte und die Unberechenbarkeit des menschlichen Schicksals symbolisierte. Die für unseren Untersuchungszeitraum wichtigste antike Gottheit jedoch war das lateinische Fatum, das in der römischen Mythologie selten eindeutig personifiziert wurde und sich stattdessen im Grenzbereich von abstrakter Idee und konkreter Person bewegte. Das Fatum wurde als eigenständiger Begriff bereits im frühen Mittelalter in den deutschen Sprachschatz integriert, aber seit dem 17. Jahrhundert nach und nach durch den Schicksalsbegriff ersetzt, wobei sich beide Begriffe in diesem Zeitraum semantisch tatsächlich nicht voneinander unterscheiden lassen. Seit der Entstehung des modernen Schicksalsbegriffs war das Fatum dementsprechend das gebräuchlichste Synonym des Schicksals. Das gilt insbesondere für philosophische und wissenschaftliche Kontexte, in denen lateinische Begriffe oftmals einen längeren Gebrauchswert hatten als in der belletristischen Literatur oder in der Umgangssprache. Der Blick in die Enzyklopädien und Lexika des 17., 18. und 19. Jahrhunderts zeigt, dass niemals Einträge zu beiden Begriffen in einem Nachschlagewerk existieren, sondern dass der eine sich mit einem Verweis auf den anderen begnügt oder nur als Parallelbegriff unter dem Lemma des anderen auftaucht.7 Erst in den 1830er-Jahren driften Fatum- und Schicksalssemantik zunehmend auseinander. 3 Siehe zur Bedeutung der Nornen und ihrem Verhältnis zu den Parzen in der germanischen Mythologie ausführlich: Winterbourne, When the Norns, S. 84 – 88. 4 Sie gilt bei Platon als Mutter der Moiren: Frede, Art. Schicksal, S. 156 – 158. 5 Die Stoiker deuten die Heimarm¦ne als »unverbrüchliche Reihe der Ursachen«. Siehe dazu: Pohlenz, Die Stoa, S. 101 – 106. 6 Siehe dazu: Gundel, Beitraege; Schreckenberg, Ananke, S. 72 – 135. 7 So bei: Fries, Novum Latinogermaniuvm Et Germanicolatinum Lexicon, o. S.; Kilian, Etymologicvm, S. 464; Art. Fatum, in: Walch, Philosophisches Lexicon, S. 910 – 918; Art. Fatum, in: Sperander, A la Mode-Sprach, S. 258; Art. Schicksal, in: Steinbach, Vollständiges deutsches Wörter-Buch, S. 403; Frisch, Teutsch-lateinisches Wörter-Buch, S. 177; Art. Fatum, in: Zedler, Universallexicon, S. 304 – 307; Art. Schicksal, in: Gottsched, Handlexicon, S. 1448; Krackherr, Art. Fata, fatal, Fatalität und Fatum, S. 160; Beyschlag, Art. fatal, Fatum, S. 55; Art. Schicksal, in: Mellin, Allgemeines Wörterbuch, S. 194 f.; Art. Fatum, in: Roth, Gemeinnütziges Lexikon, S. 306; Art. Das Schicksal, in: Adelung, Versuch, S. 1439 f.; Art. Fatum, in: Campe, Wörterbuch zur Erklärung, S. 315; Eberhard, Art. Das Schicksal, S. 121; Art. Fatum, in: Hübners

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Die Eindeutigkeit der Übersetzung, die auch in vielen deutsch-lateinischen Wörterbüchern suggeriert wird, verschleiert die Ambiguität, die den Begriff Fatum bereits in der römischen Antike kennzeichnete. Das Fatum ist das Partizip Perfekt Passiv des lateinischen Verbes fari, das zu den Deponentia gehört, die sowohl aktiv als auch passiv verwendet wurden. Ins Deutsche übertragen bedeutet fari so viel wie sprechen, verkünden, kundtun. In diesem Sinne wurde das Fatum selbst lange Zeit mit einem Ausspruch, einem Götterspruch oder einer Weissagung gleichgesetzt.8 Parallel zum Fatum existierte im klassischen Latein jedoch auch der Begriff der Fata, der in der römischen Antike als Göttername auftauchte. So findet sich in den überlieferten Quellen gelegentlich eine Gleichsetzung von Fata und Parca, die jedoch keine Synonyme, sondern eher zwei Aspekte einer Gottheit beschreiben. Diese Gottheit war sowohl für die Geburt (parere, lat.: zeugen, gebären, hervorbringen) als auch für die Zukunft und damit explizit für den Tod der Menschen zuständig – eine Unterscheidung, die in der griechischen Gottheit Moira in einem Ausdruck zusammenfiel.9 Fata und Parca umfassten insofern den gesamten Lebenslauf eines Menschen und führten ihn einem gewissen Ziel zu. Walter Pötscher, der sich in den 1970er-Jahren intensiv mit der Etymologie und Semantik des lateinischen Fatum-Begriffs beschäftigt hat, interpretiert das Nebeneinander des aktiven Wortes Fata und des passiven Ausdrucks Fatum als typisches Merkmal einer »römisch-religiösen Erlebnisart«, die das Wirkende und die Wirkung semantisch aneinander band, wenn nicht sogar miteinander verschmolz. »Die Äußerung der Gottheit als Akt läßt zwei Aspekte sichtbar und erlebbar werden, nämlich den dessen, was gesagt wird, und den dessen, der […] sagt bzw. gesagt hat. Daraus scheint sich aber zu ergeben, daß das fatum […] auf eine Fata zurückgeht: im fatum wird […] konkret-empirisch die Fata erkennbar.«10

Pötscher geht weiter davon aus, dass die Fata als Göttin tatsächlich keine personifizierte Gestalt annehmen musste, sondern eigentlich jede existierende Gottheit zum Fatum als »Götterausspruch« berechtigt war. Die häufige Assoziation des Fatums mit Jupiter, die das Fatum selbst als »Willen Jupiters« erscheinen ließ, legt davon beredtes Zeugnis ab.11 Pötschers Interpretation zufolge war dem Begriff des Fatums also seit seiner Entstehung eine ambivalente Semantik eigen, die bei der Rezeption des latei-

8 9 10 11

Naturlexicon, S. 215; Art. Fatum, in: Neues Real-Schullexicon, S. 478; Art. Fatum, in: Kleineres Conversations-Lexikon oder Hülfswörterbuch, S. 235. Pötscher, Das römische Fatum, S. 398. Ebd., S. 396 f. Ebd., S. 400. Ebd., S. 404 f.

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nischen Begriffs zu der vieldiskutierten Frage führte, ob das Fatum den Göttern Untertan sei, oder ob es als oberster Gott alle anderen Götter beherrsche. Die stoische Begriffsverwendung verschärfte diese Spannung noch, indem sie die einzelnen Gottessprüche zu Gesetzen erhöhte und mit Fatum schließlich die dadurch erschaffene Weltordnung, wenn nicht sogar den Weltgeist beschrieb.12 Diese Frage erschwerte die Integration des Fatum-Begriffs in den christlichen Sprachgebrauch. Als göttlicher Ausspruch war das Fatum durchaus in das christliche Gottesbild integrierbar – als eine alles bestimmende Gottheit oder als unveränderbare Weltstruktur, der sich selbst Gott fügen musste, war es jedoch inakzeptabel. Ebenso argumentierte auch Augustinus (354 – 430) wenn er den Begriff des Fatums in der herkömmlichen Auffassung (nämlich im astrologischen Sinn) für den christlichen Glauben ablehnte beziehungsweise ihn nur im Gebrauch des göttlichen Willens (voluntas dei) gelten lassen wollte: »[…] denn wir zeigen, daß der Begriff des Fatums, wie er im allgemeinen gebraucht wird für die Stellung der Gestirne zur Zeit einer Empfängnis oder Geburt, wertlos ist, weil ihm keine Beziehung zur Wirklichkeit zugesprochen werden kann. Die Ordnung der Ursachen aber, auf die der Wille Gottes einen machtvollen Einfluß ausübt, verneinen wir keineswegs, nur benützen wir dafür nicht das Wort Fatum, es sei denn, daß wir etwa fatum von fari ableiten, das ›sagen‹ bedeutet […].«13

Notker III. von Sankt Gallen (950 – 1022) unternahm in der Übersetzung von »De consolatione philosophiae« des Boethius (ca. 480 – 526) den Versuch, die lateinischen Begrifflichkeiten adäquat ins Althochdeutsche zu übersetzen, um sie in christliche Lehren einzubeziehen.14 Über das Fatum schreibt er : »Fatum nannten die Alten, wie Servius sagt, die Stimme Jupiters, als ob jedem Menschen das hätte geschehen müssen, was er ihm sprechend auferlegte. Daher übersetzen viele Fatum mit urlag. Aber wenn Gottes Wille sich erfüllen soll an irgendwelchem Geschehen und wenn an der äußeren von ihm gesetzten Ordnung (sestunga) die innere deutlich werden soll – die äußere Ordnung heißt fatum, wie auch zuvor gesagt worden ist, während die innere providentia heißt.«15

Fatum wurde also im Althochdeutschen des 10. Jahrhunderts zu urlag16 oder zu sestunga,17 womit sich Notker gegen das Fatum als eine selbstständige Macht und für das von Gott Auferlegte, für die göttliche Ordnung entschied.18 Beide althochdeutschen Ausdrücke sind im Laufe der Geschichte in Vergessenheit 12 13 14 15 16 17

So z. B. Seneca, siehe dazu: ebd., S. 418. Siehe generell dazu Kap. 3.3. Augustinus, Der Gottesstaat, S. 308 f. Zit. n.: Sanders, Glück, S. 226 f. Übersetzt durch: Schröbler, Notker III, S. 88 f. Zum Wort urlag beziehungsweise ørlog siehe: Winterbourne, When the Norns, S. 90 f. Schade, Altdeutsches Wörterbuch, S. 1061. Sestunga ist eine Neubildung Notkers nach dem Verb seston: bestimmen, festsetzen. Sanders, Glück, S. 227. 18 Schröbler, Notker III, S. 91.

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geraten. Ihr Platz wurde seit dem 12. Jahrhundert von Termini eingenommen, die als unmittelbare Vorformen des Schicksalsbegriffs angesehen werden können. Diese Begriffe leiten sich sämtlich vom Verb »schicken« ab, das im 12. Jahrhundert im Mitteldeutschen und Mittelhochdeutschen als Übersetzung aus dem Lateinischen sowohl für mittere (schicken, senden) als auch für ordinare (ordnen, regeln) und instituere (einrichten, festsetzen, anordnen) verwendet wurde. Bereits diese gängigen Übersetzungen weisen auf eine Bedeutungsvielfalt hin, die dem heutigen Begriff weitgehend abhanden gekommen ist. Das Grimm’sche Wörterbuch nennt allein für den älteren Sprachgebrauch zehn verschiedene Bedeutungen, die sich vom heutigen Verständnis im Sinne von »senden« stark unterscheiden. »Schicken« im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit konnte »ordnen, rüsten, bereiten, einrichten, fügen, ins Werk setzen, bewirken, schaffen, wenden, richten« meinen, und hatte damit sehr aktive und bestimmende Implikationen.19 Dieser Charakter eignet auch den dazugehörigen Substantiven, die regional unterschiedlich weit verbreitet waren.20 Im Mittelhochdeutschen bildete sich bereits im 13. Jahrhundert das Wort »Geschick« beziehungsweise »Geschicke«, das »Begebenheit, Ordnung, Gestalt« meinte. Von diesem Befund lassen sich zwei verschiedene Wege bis zur Schicksalssemantik nachzeichnen: Im Sinne von Begebenheit ist das »Geschick« auf das »Geschehnis« beziehungsweise »Geschehen« zurückführbar. Geschick ist das, was einem Menschen passiv widerfährt, was an ihm »geschieht«, was also auch »Geschichte« ist, und in das er sich unter Umständen »schicken« muss.21 Im Sinne von »Ordnung« geht es dagegen um die aktive Vollstreckung einer Idee. So wird im »Mittelhochdeutschen Handwörterbuch« von Matthias Lexer »Geschicke« unter anderem im Sinne von »ordnung, anordnung« erwähnt.22 In diesem Kontext wird »Geschick« tatsächlich auf sehr weltliche Angelegenheiten, wie z. B. praktische Arbeitsvorgänge, zurückgeführt. Die Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank der Universität Salzburg, die das Vorkommen einzelner Begriffe in den wichtigsten Werken der mittelhochdeutschen Dichtung über Volltextsuche nachweisbar macht, gibt ein differenzierteres Bild.23 Hier findet sich das »Geschicke« in folgenden Bedeutungszusammenhängen: Willensausübung auf andere, Autorität/Anordnung/Befehl, Kriegswesen/Kampf, Vergehen, Gestalt, Formen, Erziehung/Bildung. Die dreifache Referenz des Begriffs, der 19 Art. schicken, in: Deutsches Wörterbuch, S. 2644. 20 Bereits für das Altdeutsche weist Schade das Wort geskhit in der Bedeutung »Zufall, Schickung« aus: Schade, Altdeutsches Wörterbuch, S. 309. 21 Art. Geschick, in: Deutsches Wörterbuch, S. 3870 – 3885. 22 Art. Geschicke, in: Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, S. 901. 23 Universität Salzburg, Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank.

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sich erstens auf die aktive Übertragung einer Willensäußerung auf andere, zweitens auf eine allgemeine Ordnung und drittens auf die Eigenschaften eines Individuums bezieht, kommt dem semantischen Gehalt des neuzeitlichen Schicksalsbegriffs schon sehr nahe.24 Im Mittelniederdeutschen existierte der Begriff nicht.25 Im Reformationszeitalter erhält das Geschick dann einen göttlichen Bezug. In Martin Luthers (1483 – 1546) Traktat »An den Christlichen Adel deutscher Nation von des Christlichen standes besserung« von 1520 heißt es beispielsweise: »Die weyl den durch gottis geschick und boszer menschen gesuch, on unszer schult, das reych uns geben ist, wil ich nit raten, dasselb faren zulassen, szondern in gotis forcht, szo lang es yhm gefelt, redlich regiernn.«26

Etliche andere Beispiele ließen sich hinzufügen. Auf diese Weise wird Geschick zu dem, was den Menschen von Gott zugesendet wird. So übersetzt Justus Georg Schottelius (1612 – 1676) im Jahr 1663 folgerichtig: »Geschik/ Fatum, wan und wie es Gott einem jeden zuschikket/ wie es böse oder gut den Menschen geschikket wird.«27 Ein weiteres Substantiv, das unmittelbar mit der Genese des Schicksalsbegriffs in Zusammenhang gebracht werden kann, ist das Wort »Schickung«, im Mittelhochdeutschen »schickunge«,28 im Mittelniederdeutschen »schickinge«.29 Beide Begriffe bergen eine Fülle von Bedeutungen, die zum Teil der Semantik des Geschicks entsprechen. Im mittelhochdeutschen Sprachschatz etablierte sich der Begriff den Wörterbüchern zufolge vornehmlich im 14. Jahrhundert. »Schickunge« taucht hier im Sinne von Gestaltung, Einrichtung, Ordnung, Anordnung und Fügung auf, als Übersetzung für die lateinischen Termini dispositio, ordinatio, ordo und series.30 Die Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank findet zum Begriff der »schickung« mehrere Textstellen, von denen sich vier auf die Natur und Gestalt des Menschen beziehen,31 und andere, die »die schickung der naturlichen ding, dy do von got kumen sein« und die »schickung des almechtigen gots« beschreiben.32 Im Mittelniederdeutschen wird die »schickinge« 24 25 26 27 28 29 30 31 32

Siehe zu dieser dreifachen Semantik insbesondere Kap. 4, 5, und 6. Schiller und Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch, S. 76 – 78. Luther, An den christlichen Adel, o. S. Schottel, Ausführliche Arbeit, S. 634. Art. schickunge, in: Benecke, Müller und Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, S. 120; Art. schickunge, in: Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, S. 721. Art. schickinge, in: Schiller und Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch, S. 89. Art. schickunge, in: Benecke, Müller und Zarncke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch, S. 120; Art. schickunge, in: Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, S. 721. Pfeiffer, Das Buch der Natur, S. 23, 28, 42, 53, auf: Universität Salzburg, Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank. o. A., Pulkava-Chronik, auf: Universität Salzburg, Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank; Kluge, Lancelot, S. 802, auf: Universität Salzburg, Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank.

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neben den bereits erwähnten Wortbedeutungen auch für die Veranstaltung, die Gestalt und die Übertragung verwendet.33 Die neuzeitlichen Wörterbücher des 16. und 17. Jahrhundert reduzieren die Bedeutungsvielfalt der »Schickung« drastisch auf maximal zwei Definitionen. Seit Petrus Dasypodius (1490 – 1559) wird die »Schickung« 1536 entweder als missio, also als Sendung, Entsendung verstanden34 oder aber ist allein mit dem Attribut des »göttlichen« oder »Gottes« selbst denkbar. Der Bezug zur menschlichen Gestalt fällt weg. Die »Schickung Gottes« oder »Gottes Schickung« wird zu einer festetablierten Formulierung, die sowohl in die theologische Fachsprache als auch in die Alltagssprache aufgenommen wird. Zur »Schickung Gottes« wird all das, was auf den göttlichen Willen oder die göttliche Einflussnahme zurückgeführt werden kann. Diese Schickung ist oft »wunderbarlich«, »sonderlich«, »sonderbar« oder »gnädig« und entzieht sich deshalb dem menschlichen Verstand. Die Schickung Gottes ordnet die Welt im Ganzen und in ihren Einzelheiten, bleibt deshalb immer bewunderungswürdig, jedoch prinzipiell auch undurchschaubar. Die Rückführung weltlicher Begebenheiten auf die Schickung ist damit Teil einer Weltinterpretation, die kontingenten Ereignissen einen Sinn zu verleihen versucht. So ist die Schrift eines gewissen Johannes Albrecht Pistor von 1544 betitelt mit den Worten »Ein gesprech vom Glück vnd ewiger ordnung, oder schickung, das man Fatum nennet, aller ding«, und Pistor schreibt darin: »Alle ding inn der ganzen welt / nicht allain die unlebendigen Creaturen und geschöpff / und unnvernünfftige thieren / sonder auch was der mensch / als ein vernünfftige Creatur Gottes / wirckt oder thut / das würt alles durchs glück / un von der ewigen Ordnung / oder schickung aller ding / welches die Weysen Fatum nennen / geregirt / und nach des wolgefallen allein verricht […].«35

Schickung und Geschick waren in Mittelalter und Renaissance die adäquaten deutschen Übersetzungen für das lateinische Fatum. In ihren wechselseitigen Verbindungen wurde das semantische Feld der einzelnen Begriffe verändert. In Kombination mit Geschick, Schickung oder Schicking wurde das Fatum gleichermaßen zum Wort wie zur Handlung des christlichen Gottes, die in der Frühen Neuzeit vermehrt als notwendig und unabwendbar gedacht wurde und somit die allgemeine Ordnung der Welt beschrieb. Johannes Fries (1505 – 1565) übersetzte das Fatum mit den Worten: »Was eim von Gott erachtet ist und seyn muß / Ein ordnung oder schickung Gottes / Notzwang und volg oder heissung Gottes Der Tod.«36 In Verbindung mit dem Fatum verließen Geschick und 33 34 35 36

Art. schickinge, in: Schiller und Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch, S. 89. Dasypodius, Dictionarium Latinogermanicum, S. 409. Pistor, Ein gesprech vom Glück, o. S. Fries, Novum Latinogermaniuvm Et Germanicolatinum Lexicon, S. 242.

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Schickung zunehmend ihren vormals säkularen Anwendungsbereich und wurden vornehmlich zu Begriffen der religiösen Sprache, die das Verhältnis Gottes zu den Menschen beschrieben. Genau in diesem Bedeutungszusammenhang konnte das Fatum später zu einem Synonym für den morphologisch ähnlichsten Vorgängerbegriff des Schicksals werden: Das ursprünglich niederländische Wort »Schicksel« fand im Laufe des 17. Jahrhunderts Eingang in den deutschen Sprachschatz, war in der Schriftsprache jedoch nicht sehr verbreitet. Die bislang erste bekannte Erwähnung des »Schicksels« findet sich im teutonisch-lateinischen Wörterbuch »Etymologicum tevtonicae lingvae« des Cornelius Kilian (ca. 1529 – 1607) aus dem belgischen Duffel, das in seiner dritten Auflage von 1599 das Wort »Schicksel« mit Apparatus, ordo, dispositio & Fatum übersetzt.37 Der nächste schriftliche Beleg für den Begriff taucht erst 1644 bei Martin Zeiller (1589 – 1661) auf, der im vierten Band seiner ausführlichen Reisebeschreibungen ein Fremdwörterglossar aufführt, in dem das Wort »Schicksel« als aus dem Niederländischen kommendes Synonym für »Fatum, Geschicke« identifiziert wird.38 Zeiller ordnet die Übernahme des Wortes »Schicksel« ins Deutsche in die allgemeinen Versuche der Zeit ein, die deutsche Sprache für Literatur und Poesie tauglich zu machen und adäquate deutsche Begriffe für lateinische Vokabeln zu etablieren. Hans J. Chr. von Grimmelshausen (ca. 1622 – 1676) ist einer der wenigen, der das »Schicksel« tatsächlich in sein literarisches Werk aufnimmt.39 Im ersten Teil seines Romans »Das wunderbarliche Vogel-Nest« von 1672 reißt das »Schicksel« den Erzähler jäh aus einer dreistündigen lebensphilosophischen Betrachtung, indem es ihn mit einer Schar augenscheinlich hungriger Wölfe konfrontiert.40 Paradoxerweise weist das Schicksel hier die Unbeständigkeit als allgemeine Weltstruktur aus, die keinerlei Ruhe und Beschaulichkeit zulässt, sondern den Menschen von Ereignis zu Ereignis jagt. In der Grimmelshausen’schen Verwendung ähnelt das Schicksel hier weniger dem Fatum als der lateinischen Fortuna oder der griechischen Tyche, die durch Unberechenbarkeit, Wankelmütigkeit und Unbeständigkeit charakterisiert sind. In ähnlichen Semantiken beginnt sich im 17. Jahrhundert dann auch die heute gängige Form des Schicksalsbegriffs zu etablieren.41 Eines der bedeutendsten Werke der frühen deutschen Lexikografie, »Der teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs« 37 Kilian, Etymologicvm, S. 464. Die erste Auflage konnte leider nicht eingesehen werden. 38 Zeiller, Das vierdte hundert Episteln, S. 260. 39 Weitere Beispiele sind: Frankenberg, Gemma Magica, S. 64; Der Vollziehende (Anonym), Cornelius Nepos, S. 400; Rudolph, Das Leben, S. 3; Anonymus, Geteutschter Samson, S. 120. 40 Grimmelshausen, Werke, S. 443. 41 Eustathius, Ismenen, S. 203, 290; Talander, Der getreuen Bellamira, S. 31, 270, 364; Weber, Poetische Lust-Kinder, S. 72.

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(1691) von Kaspar Stieler (1632 – 1707), erwähnt das »Schicksel« in dieser unberechenbaren Gestalt im Grammatikband. »Schicksel« wird als Beispiel für die Nomensuffixe »-sal« und »-sel« angeführt, die »eine Fülle und Gegenwart des Dinges [bedeuten]. […] Bisweilen verendert sich sal in sel und da werden Selbstständige draus/ als: das Schicksel / fortuna.«42 Der kurze etymologische Abriss zeigt, dass der Begriff des Schicksals Zeit seines Bestehens zahlreiche Widersprüche in sich vereinte: Das Schicksal fungierte zunächst als ein später Sammelbegriff für die verschiedenen römischen, griechischen und nordischen Gottheiten, deren unterschiedliche Attribute es integrierte. Gedacht als berechenbare Ordnung der Welt und kausale Naturgesetzlichkeit kam es der Ananke- und stoischen Heimarm¦ne-Vorstellung sehr nah. Aufgefasst als individueller, teleologischer Lebensweg wurde es durch den Schicksalsfaden der Moiren, Parzen oder Nornen symbolisiert. Als unerwarteter Eingriff in das Leben trug es Charakterzüge von Tyche und Fortuna. So wohnte dem Schicksalsbegriff immer schon die Ambivalenz von Ordnung und Chaos und von Universal- und Individuumsbezug inne. Als Synonym des lateinischen Fatums erbte der deutsche Schicksalsbegriff die Frage nach seiner göttlichen Personifikation. Ebenso wie das Fatum konnte es fortan sowohl als Götterausspruch als auch als Gottheit angesehen werden. In Verbindung mit der christlichen Gottesvorstellung blieb unklar, welche Position das Schicksal tatsächlich besaß, ob es von Gott ausging, über Gott stand, ob es einen Konkurrenten Gottes darstellte oder lediglich ein abstraktes Prinzip, oder ob es mit Gott selbst identisch war. Damit verbunden war die Frage nach dem Charakter des Schicksals, das als böswillig oder wohlgesonnen vorgestellt werden konnte. Im Vergleich zu seinen Vorgängerbegriffen Geschick und Schickung, die spätestens seit der Reformation mit dem Göttlichen und damit mit dem Guten assoziiert wurden, fällt der Zwischenstatus des Schicksals ins Auge. Besonders in literarischen Bezügen erschien es oftmals feindselig und launenhaft, konnte jedoch ebenso als Ausdruck für Gottes Schickung Erwähnung finden. Der Blick auf die mittelhochdeutsche Bedeutungsvielfalt des Wortes »schicken« lässt zahlreiche Aspekte des Schicksalsbegriffs sichtbar werden, die durch dessen reduzierte Semantik heutzutage verschüttet worden sind. Als »ordnen«, »fügen«, »einrichten« hatte es einen bestimmenden und gestalterischen Charakter, in seinen substantivischen Ausprägungen konnte es auch das Produkt des Gestaltens, die (körperliche) Gestalt, bezeichnen. Etymologisch gesehen betraf das Schicksal daher ebenso die aktive Gestaltung wie die passive Form, ebenso den Schöpfer wie das Geschöpf. Zurückführbar auf die deutschen Derivate von »schicken« und auf das la42 Stieler, Der teutschen Sprache, S. 104 f.

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teinische Derivat von »sprechen« vereinte das Schicksal darüber hinaus Rede und Handlung miteinander, implizierte gewissermaßen die göttliche Tat im göttlichen Ausspruch. Mit seiner bereits durch Augustinus proklamierten Verbindung zur providentia dei kam dazu noch das Sehen, sodass im Schicksal letztlich Schau, Wort und Tat zusammenfielen. Mit allen genannten Aspekten trug das Schicksal zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein wahrlich unübersichtliches antikes und mittelalterliches Erbe, dessen Elemente in verschiedenen Kontexten in unterschiedlichem Maße hervortraten und das Reden über das Schicksal bestimmten. Zusätzlich lagerten sich im Laufe des hier in den Blick genommenen Untersuchungszeitraumes weitere semantische Gehalte an den Schicksalsbegriff an und veränderten ihn dadurch nachhaltig. Die Vielfalt der sich teilweise widersprechenden Bedeutungen bereitete insbesondere den Lexikografen und Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts Kopfzerbrechen. So bemerkte Johann Heinrich Zedler (1706 – 1751) über den Begriff des Fatums resigniert, dass dieser so viele »unterschiedene und schwanckende Bedeutungen« habe, »daß er fast von jedweden, der davon gehandelt, in anderm Verstande genommen wird«.43 Genau das machte den Schicksalsbegriff von Beginn an interessant, aber auch höchst umstritten, bot er aufgrund seiner inhärenten Aporien doch zahlreiche Angriffspunkte, die seine kritiklose Verwendung häufig unmöglich machten. Insbesondere in der Frühaufklärung, der Zeit seiner vollständigen Etablierung im deutschen Sprachraum, entbrannten so zahlreiche Debatten über die Legitimität einer Schicksalsannahme beziehungsweise eines Schicksalsglaubens, welche die jeweiligen Diskurskontexte maßgeblich prägten und umstrukturierten.

43 Art. Fatum, in: Zedler, Universallexicon, S. 304.

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3.1

Frühneuzeitliche Systematisierungsversuche

Kaum ein anderer Begriff hat in der Frühen Neuzeit zu so vielen erbitterten Auseinandersetzungen geführt wie der deutsche Schicksalsbegriff und sein lateinisches Pendant. Gerade im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert überflutete eine Masse an Schriften über das Fatum den Buchmarkt und entfachte die Streitigkeiten über das rechte Schicksalsverständnis immer wieder neu.1 Der Schicksalsbegriff selbst bildete dabei die Frontlinie, an der sich Theologen und Philosophen, Christen, Juden und Muslime, Anhänger der Hermetik und Naturwissenschaftler in wechselnden Kombinationen gegenüberstanden und ihren jeweiligen Gegnern die tatsächliche oder vermeintliche Inanspruchnahme des Begriffs vorwarfen. Das Schicksal war damit das Paradebeispiel eines Begriffs, den man brauchte, um sich streiten zu können2 – und das noch in einem gesteigerten Maße, weil kaum einer der beteiligten Akteure den Schicksalsbegriff für die Beschreibung seiner eigenen Auffassungen verwendete, sondern stets als Kampfbegriff einführte, um das jeweiliges Gegenüber zu diskreditieren. Natürlich zogen solche abwertenden Begriffsokkupationen radikale Umdefinitionen derer, die damit getroffen werden sollten, nach sich, so dass sich am Ende Christen ebenso wie Juden und Muslime,3 Theologen ebenso wie Philosophen, Naturwissenschaftler ebenso wie Hermetiker den Schicksalsvorwurf in der ein oder anderen Form gefallen lassen mussten, wenn dieser nicht sogar ihren zeitweisen oder gänzlichen Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Konsens 1 Siehe dazu allein die über Tausend gedruckten Schriften, welche die Begriffe Schicksal oder Fatum im Titel tragen, bibliografierbar im: Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (VD 17). 2 Ausdruck von Willibald Steinmetz in der Sektion »Grenzverschiebungen. Historische Semantik der 1960er und 1970er Jahre im deutsch-britischen Vergleich« beim 48. Deutschen Historikertag (01. 10. 2010) in Berlin. 3 Tatsächlich kommen in der Auseinandersetzung über das »türkische Schicksal« die betroffenen Muslime gar nicht zu Wort.

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(durch Publikationsverbote, Entlassungen, andere rechtliche Strafen) provozierte. Allerdings scheint dieser Wertekonsens in dem Geburtszeitraum des deutschen Schicksalsbegriffs selbst umstritten gewesen zu sein, sodass die Debatten um den Begriff entweder als Ausdruck oder sogar als genuiner Bestandteil einer wachsenden Unsicherheit gewertet werden müssen. Die bereits erwähnten Frontstellungen machen das deutlich: Das 17. Jahrhundert, zwischen den geistes- und kulturgeschichtlich markanten Epochen von Renaissance und Aufklärung verortet, ist in europäischer Perspektive ein Zeitalter der Umbrüche, das den Weg Europas in die Moderne bahnte. Es brachte zahlreiche brisante Ereignisse, sukzessive Strukturveränderungen und prominente Biografien hervor, die keinen Zweifel an dieser Einschätzung zulassen. Theologische Weltbilder gerieten durch konfessionelle Konfrontationen, hermetische Weltauffassungen, neue philosophische Denksysteme und naturwissenschaftliche Erkenntnisse ins Wanken, so dass erst wieder mühsam neue Grundlagen des Glaubens und Wissens erschaffen werden mussten. Demgemäß wurde das 17. Jahrhundert in der Forschung zeitweise als »Zeitalter der Krisen« angesehen,4 und auch den Zeitgenossen erschien die Epoche aus der Retrospektive der Jahrhundertwende als das »fatale Jahrhundert«5 – ein unmissverständlicher Hinweis darauf, welch ungeheure Brisanz der Schicksalsbegriff selbst in dieser Zeit gewann. Es ist evident, dass dieser Prozess sich auch über Sprache vollzog, sei es über den un- oder nur teilbewussten langsamen Sprachwandel oder über aktive Sprachpolitik, wie sie gerade auch bei der Übersetzung lateinischer Begriffe ins Deutsche notwendig wurde.6 Wie bei anderen Begriffen auch waren mit dem Eintritt des Schicksals in den deutschen Sprachraum Versuche verbunden, seine unterschiedlichen Bedeutungen zu systematisieren und sie dadurch handhabbar zu machen. Orte dieser Systematisierungen waren in erster Linie Lexika und Enzyklopädien, die den disparaten Sprachgebrauch der zeitgenössischen Veröffentlichungen und der Alltagssprache, allerdings häufig mit zeitlicher Verspätung, ordneten und so einem gelehrten Publikum zu Verfügung stellten. Dabei postulierten die Autoren den Anspruch, das Wissen einer Epoche entweder für einen gesellschaftlichen Teilbereich oder sogar für die gesamte Gegenwart zu sammeln, zu speichern und zu kommentieren. Historische Nachschlagewerke sind also Kristallisationspunkte, an denen sich die zeitgenössischen Wortbedeutungen und Wortverwendungszusammenhänge aggregiert vorfinden. Sie erteilen Auskunft über die Provenienz einzelner Worte, über 4 Lehmann, Europäisches Christentum, S. 10; Jakubowski-Tiessen, Krisen; Hagenmaier und Holtz, Krisenbewußtsein. 5 Brendecke, Die Jahrhundertwenden, S. 119 – 123. 6 Koselleck und Dipper, Begriffsgeschichte, S. 193.

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Diskurse, die zu bestimmten Zeiten um bestimmte Begriffe oder Begriffsfelder kreisten, über die Parallel- und Gegenbegriffe, die das Konzept zu begrenzen und definieren halfen, und nicht zuletzt über die Akteure, die zu ihrer Zeit maßgeblich an der äußeren Formung und inhaltlichen Füllung der Begriffe mitwirkten. Bereits in den frühesten Lexikonartikeln zum Schicksalsbegriff im 18. Jahrhundert wird deutlich, dass die Schicksalsthematik häufig als ambivalent und überkomplex wahrgenommen wurde. Die Autoren beklagten vielfach, dass der Begriff in »ganz ungleichem Verstand gebraucht« werde, so »daß man solches nicht überhaupt beschreiben kan«.7 Freilich gaben sie sich mit diesem Eingeständnis der Ratlosigkeit nicht zufrieden. Schon in den ältesten Einträgen, die noch unter dem Lemma »Fatum« verzeichnet sind, finden sich ausdifferenzierte Schemata, welche die semantischen Gehalte des Begriffs zu bewältigen versuchen und gleichzeitig eine eigene Positionsbestimmung des Autors zulassen. In Johann Georg Walchs (1693 – 1775) »Philosophischem Lexikon« von 1726 tauchen mindestens vier verschiedene Schicksals- beziehungsweise Fatum-Kategorien auf, welche die lexikalischen Eintragungen tatsächlich noch bis in das 19. Jahrhundert dominierten. Nachdem sich der Autor vergeblich an einer Unterscheidung von »vernünfftigen« und »unvernünfftigen« Fatum-Vorstellungen abgearbeitet hat, entscheidet er sich für eine »Ordnung dieser Abhandlung nicht sowohl nach dem Unterscheid der Sache oder der Fati selbst« als vielmehr nach denjenigen, »die davon gelehret«.8 Auf diese Weise kommt es zu einer illustren Ahnengalerie des Schicksalgedankens, die ebenso die Angehörigen eines bestimmten Berufszweigs umfasst wie eine Philosophenschule und ein Volk mit eigener Religion. Konkret gesprochen unterscheidet Walch das »Fatum astrologicum/mathematicum/chaldaicum«, das »Schicksaal« der Stoiker, das Fatum, das »die Türcken statuiren« und das »vernünfftige Fatum« voneinander, wobei sich Letzteres wiederum in ein »natürliches« und in ein »christliches« unterteilen lasse.9 Abgesehen von geringen begrifflichen Modifikationen, die zum Beispiel das türkische Schicksal in ein »muhametanisches«10 oder das stoische Fatum in ein »zenonisches«11 umbenennen, wird die bei Walch vorgefundene Unterteilung in der Folgezeit omnipräsent. Ergänzt wird sie lediglich durch das sogenannte »spinozistische« (auch »pantheistische«) Schicksal, das mit seiner Konzentration auf eine einzige Person der europäischen Geistesgeschichte das Schillernde des Begriffs noch zusätzlich verstärkt.12 7 8 9 10 11 12

Art. Fatum, in: Walch, Philosophisches Lexicon, S. 910. Ebd., S. 911. Ebd., S. 911, 914, 917 f. Art. Fatalität, in: Meissner, Philosophisches Lexicon, S. 185. Art. Schicksal (fatum), in: Krug, Allgemeines Handwörterbuch, S. 543. Siehe diese Unterteilung der Schicksalsvorstellung teilweise oder ganz u. a. in folgenden

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Die Beschreibung der einzelnen Schicksalsarten in den Artikeln selbst trägt nur sehr marginal zu ihrer Erhellung bei. Die Kriterien, nach denen sie voneinander unterschieden werden, reichen von religiösen Erwägungen über die Suche nach dem Sitz der Schicksalsmacht und der Art ihres Einflusses hin zu den Folgen des Schicksalsglaubens für den Einzelnen und die Gesellschaft. Häufig wird die Ähnlichkeit der Fata zueinander betont, sie werden zusammengefasst oder inhaltlich auseinander rekonstruiert, ohne dass jedoch konkrete genealogische Verbindungen aufgedeckt werden. Geeint werden sie durch ein spezifisches Set von Begriffen, welche die Problemkomplexe beschreiben, um die der Schicksalsbegriff seit seiner Entstehung offenbar kreist. »Notwendigkeit«, »Freiheit«, »Natur«, »Vorsehung«, »Gott«, »Ordnung«, »Ursache«, »Wirkung« können in sämtlichen lexikalischen Schicksalsarten Erwähnung finden und deuten darauf hin, dass der Begriff in ein Diskursfeld eingebettet war, das die Suche nach einem universalen Weltstrukturprinzip zum Thema hatte. Über den Schicksalsbegriff in all seinen Facetten wurde ein Fragekomplex zu fassen versucht, der die Gelehrtenwelt seit dem 17. Jahrhundert europaweit und fächerübergreifend beschäftigte: Welches Gesetz lag dem Lauf der Welt und der Natur zugrunde, wer bestimmte es, und welche Konsequenzen hatte es für das Wesen des Menschen und seine Verortung in der Welt? Diese ontologischen Fragestellungen, die zugleich epistemologische Aspekte implizierten, sind zwar einerseits anthropologische Konstanten, gewannen aber im 17. Jahrhundert eine quasi revolutionäre Qualität. Angesichts neuer naturwissenschaftlicher Entdeckungen und philosophischer Weltinterpretationen gerieten die hergebrachten Erkenntnisprinzipien und Weltbilder des Mittelalters und der Renaissance unter Druck. Kosmologisch gesehen herrschte in dieser Zeit das ptolemäische System, das die Erde zum Zentrum einer durch Stern- und Planetensphären überwölbten Welt erklärt hatte. Das Weltall wurde von Geistern beherrscht, die nach Gottes Ratschluss ihren Einfluss auf die Erde und die Menschen ausübten – allerdings nach Regeln, die als unerforschlich und wundersam angesehen wurden. In metaphorischer Hinsicht galt so lange Zeit die wankelmütige, unstete Fortuna als Inbegriff der Welt.13 Sie drehte ihr Rad in kreisendem Schwung, um »das Tiefste mit dem Höchsten, das Höchste mit dem

Lexikonartikeln: Art. Fatalität, in: Meissner, Philosophisches Lexicon, S. 184 f.; Art. Fatum, in: Hübners Naturlexicon, S. 215; Art. Fatum, in: Brockhaus, Conversations-Lexicon, S. 617 f.; Korth, Art. Schicksal, S. 238 – 268; Art. Schicksal (fatum), in: Krug, Allgemeines Handwörterbuch (1828), S. 542 – 544; Art. Schicksal (fatum), in: Krug, Allgemeines Handwörterbuch (1833), S. 600 – 603; Art. Fatum, in: Brüggemann und Gross-Hoffinger, Neuestes Conversations-Lexikon, S. 18; Art. Schicksal, in: Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon, S. 348. 13 Vogt, Kontingenz und Zufall, S. 568 – 607.

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Tiefsten zu tauschen«,14 und verwirrte damit alle menschlichen Hoffnungen, die ihr Heil an diese Welt und nicht an das Himmelreich knüpften.15 Die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebensplanes und der gesamten Weltgeschichte spricht aus diesen Vorstellungen. So blieb der letzte Fluchtpunkt des mittelalterlichen Weltbildes Gott, die letzte Instanz der Geschichte die göttliche providentia.16 Prinzipiell änderte sich daran auch im 17. Jahrhundert nichts. Allein der Weg zur Erkenntnis Gottes und seiner Vorsehung wurde neu beschritten. Die Generation der Philosophen und Wissenschaftler, mit denen sich bis heute der Topos der wissenschaftlichen Revolution17 verbindet, verwarf die aristotelische Metaphysik und verzichtete damit auf die Begrifflichkeiten und Methoden der Scholastik, die seit dem Mittelalter das geistige Leben in Europa dominiert hatten. Die frühneuzeitliche Gelehrsamkeit entwarf ihr Weltbild einerseits aus den Voraussetzungen des eigenen Denkens und andererseits aus der Beobachtung der Natur, die nicht mehr als beseelter Kosmos, sondern als ein von allgemeinen Gesetzen bestimmtes Universum angesehen wurde.18 Die große Aufgabe, die es dabei zu bewältigen galt, war die Erkenntnis Gottes aus seiner Schöpfung und aus deren Gesetzmäßigkeiten, weswegen auch der kosmologische Gottesbeweis eine neue Blüte erlebte. Dessen Grundlage war die Annahme, dass Gott selbst die erste Ursache allen Geschehens war. Der Weltengang vollzog sich nach seinem Willen und seiner Vorsehung. Francis Bacon (1561 – 1626) unterschied in seinem Werk »The advancement of learning« von 1602 in diesem Sinne scharf zwischen der prima causa Gottes und den »secondary causes«, die er als gottgewollte Eigengesetzlichkeit der Natur beschrieb. »For certain is that God works nothing in Nature according to ordinary course but by second Causes; and if they would have it otherwise believed, it is mere imposture, under colour of Piety to God, and nothing else but to offer unto the Author of truth the unclean sacrifice of a Lye.«19

Die Erforschung der Zweit- oder Mittelursachen war das Aufgabenfeld der Naturwissenschaftler, ohne dass diese jedoch ihr Interesse für das Wesen der Erstursache, also für das Wesen Gottes, aus dem Blick verloren. Im Laufe des 17. Jahrhunderts vollzog sich ausgehend von dieser Prämisse der Prozess, den 14 Boethius, Consolatio philosophiae, S. 48 f. Dazu: Pocock, The Machiavellian Moment, S. 31 – 48. 15 Siehe zur Vorstellung der Welt als Fortuna sehr ausführlich und reich illustriert: Herkommer, Frau Welt, S. 189 – 195. 16 Ebd., S. 194. 17 Zur Problematik dieses Ausdrucks siehe u. a.: Hampe, Revolution, S. 225 – 231; Osler, Rethinking; Shapin, The scientific revolution. 18 Artuk, Das Problem, S. 5. 19 Bacon, Of the Advancement, S. 5.

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Anneliese Maier und Eduard Jan Dijksterhuis die »Mechanisierung des Weltbildes«20 genannt haben – eine Entwicklung, die sich ausgehend von der traditionellen aristotelischen Philosophie über die wiederauflebende antike Atomistik, die Korpuskulartheorie, die Impetus-Theorie und die physikalische Mechanik in zahlreichen Disziplinen vollzog und sowohl empirische Erkenntnisse als auch heuristische Prinzipien umfasste. Die Entwicklung kann an dieser Stelle nicht in aller Ausführlichkeit dargestellt werden. Verkürzt gesprochen wurde die traditionelle aristotelische Ursachenlehre komprimiert, die Qualitätenlehre vollkommen umgeformt, sodass die Prinzipien, welche die materielle Welt bestimmten, in der durch ihre Größe, Gestalt, Zahl und Bewegung qualifizierten Körper und den von ihnen ausgehenden Wirkursachen gesehen wurden.21 Daraus ergab sich das Bild einer kausalen Verknüpfung aller Dinge, die den Weltenlauf streng determinierte. Gott nahm darin den Platz des Schöpfers und kausalen Impulsgebers ein, des perfekten Mechanikers, dessen Werk seines unmittelbaren Eingriffs fortan nicht mehr bedurfte. »Man ist angetreten, um Gott in der Natur und die Natur in Gott zu entziffern, um das Reich Gottes auf Erden und Gott im Menschen Gestalt annehmen zu lassen als das Alles in Einem, als artifizielle Natur, natürliche Göttlichkeit, schließlich als ebenso soziale wie religiöse wie natürliche Maschine, als vollkommenen Apparat.«22

In dieser Hinsicht stellten die naturwissenschaftlichen Auffassungen von ihrem Ursprung her keinesfalls eine Konkurrenz zur orthodoxen Theologie dar, bedingten sich beide doch vielmehr gegenseitig und waren aufeinander angewiesen.23 Dennoch blieb die naturwissenschaftliche Neuinterpretation der Welt nicht ohne Folgen für die Theologie. Denn in dem Moment, in dem man die Welt aus sich heraus zu erklären versuchte und die Naturgesetze zu göttlichen Gesetzen verabsolutierte, wurde der Raum, der Gott selbst und auch der Freiheit des Menschen vorbehalten war, empfindlich eingeschränkt. Das philosophische Kernproblem des 17. und auch des 18. Jahrhunderts, das in unserem Zusammenhang wichtig ist, war im wörtlichen Sinne das Problem der Kausalität.24

20 Maier, Die Mechanisierung; Dijksterhuis, Die Mechanisierung. 21 Diese Auffassung ist elementarer Bestandteil der cartesianischen Naturphilosophie: Artuk, Das Problem, S. 17. 22 Gierl, Religiöses Wissen, S. 91 – 106. 23 Mittlerweile kann es als Konsens gelten, dass die moderne europäische Wissenschaft erst aus dem christlichen Glauben entstanden ist, weil dieser die Natur als sinnvolle Schöpfung relevant und zugänglich machte. Jacobs, Alte und neue Wissenschaften, S. 411; Russell, Die Bedeutung der Theologie, S. 506 – 508. 24 Artuk, Das Problem. Das hängt auch mit der Veränderung des Ursache-Begriffs zusammen, der als causa im Mittelalter immer in Analogie zum menschlichen Handeln gedacht wurde, das etwas auslöst, was dann geschieht. Erst im neuzeitlichen Denken wird die causa zum objektiven Ursachenbegriff, der die Natur als ein »außersubjektives Bedingungsgefüge«

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Frühneuzeitliche Systematisierungsversuche

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Die fünf bereits erwähnten Schicksalskategorien (Fatum astrologicum, stoicum, spinozisticum, christianum, turcicum) bildeten omnipräsente Knotenpunkte dieses Diskursfeldes, in denen der Fokus auf einzelne Aspekte gerichtet war, die wiederum durch historische Beispiele angereichert wurden. Die konkrete wissenschaftliche Fragestellung wurde darüber hinaus mit aktuellen Problemlagen in Verbindung gebracht, sodass sich in den Schicksalsdiskursen eine merkwürdige Gemengelage aus allgemeinen philosophischen Weltdeutungen, naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, theologischen Fragestellungen, Ideen der Vergangenheit und gegenwärtigen politischen Herausforderungen ergab. So verwandt die Fragestellungen innerhalb der einzelnen Schicksalsarten mit ihren gemeinsamen Referenzpunkten auch sein mochten, so unterschiedlich gestalteten sich die zugehörigen Konflikte. Einige brandeten während einer begrenzten Zeit an einem bestimmten Ort relativ ungestüm mit einer Unmenge publizierten Schrifttums auf, zeitigten unmittelbare Konsequenzen für die Beteiligten, flauten danach aber wieder schnell ab. Andere Debatten hingegen erwiesen sich als zählebig und stabil, zeichneten sich durch eine kontinuierliche, aber nicht übermäßige Publikationsdichte aus, prägten die Auseinandersetzung mit ihren konkreten Gegenstände jedoch über Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte hinweg. Wieder andere wurden im Laufe der Zeit immer wieder aufgegriffen, um dann intensiver diskutiert zu werden, später aber wieder für einige Jahrzehnte unbeachtet zu bleiben. Das Schicksal betrat die europäische Bühne nicht allein als denunziatorischer Kampfbegriff. In ihm fand eine Standortbestimmung aufklärerischen Bewusstseins statt, das an seinen inhärenten Widersprüchen mitunter verzweifelte, weil es sich an dem eigenen Anspruch messen musste, solche Fragen mithilfe des Verstandes zu beantworten, die teilweise nur metaphorisch zu beantworten waren. Auf welche existenziellen Fragen das Schicksal in seinen Kinder- und Jugendjahren die metaphorische Antwort war, soll im Folgenden genauer betrachtet werden.

darstellt, »in das der Mensch als Teil der Natur hineingestellt ist«. Breil, Der kosmologische Gottesbeweis, S. 91.

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3.2

Weltdeutung und Schicksal in der Frühen Neuzeit

Der Blick zu den Sternen – Schicksalsglaube und Astrologie

Die Verortung des Schicksals zwischen Himmel und Erde Die Affinität zum Schicksalsglauben zeichnet die Astrologie von ihren Ursprüngen an bis heute aus. Denn der Glaube an die Vorherbestimmung menschlichen Lebens setzt voraus, dass sich am Himmel die Zukunft von Individuen und Kollektiven ablesen lässt. Für diese Idee etablierte sich bereits in der Antike der Terminus des Fatum astrologicum, der bis weit in das 19. Jahrhundert existierte und im Selbstverständnis von Astrologiebefürwortern25 eine ebenso große Rolle spielte wie in den polemischen Abgrenzungsversuchen ihrer Gegner. In dieser Ausformung des Schicksalsbegriffs ging die wissenschaftliche Erforschung der Naturgesetze, die den Kosmos strukturierten, eine langfristige Verbindung mit der Entwicklung mantischer Praktiken ein, welche die menschliche Zukunft erhellen sollten.26 So erfüllte der Begriff zu unterschiedlichen Zeiten ganz verschiedene Funktionen im astrologischen Diskursfeld – ein Hinweis auf seine Polysemie, die sich unter anderem auch in solchen Synonymen wie Fatum mathematicum27 oder Fatum chaldaicum widerspiegelte.28 Der Begriff des Schicksals ohne nähere adjektivische Ergänzung taucht in astrologischen Zusammenhängen im 17. und 18. Jahrhundert überproportional häufig auf. Bei näherer Betrachtung ergeben sich vier verschiedene semantische Gehalte, die von der tatsächlichen Verortung des Schicksals zwischen Himmel und Erde abhingen und im sprachlichen Gebrauch größtenteils unreflektiert verwendet wurden. Wenn die Astrologie im frühen 18. Jahrhundert als die Kunst galt, welche »die Handlungen und Zufälle derer Menschen aus dem Einflusse und Zusammenfügung der Gestirne herleiten will, um sowol die Nothwendigkeit der geschehenen Sachen draus zu beweisen, als zukünftige Dinge vorher zu sehen«,29 so konnte das Schicksal zunächst an drei unterschiedlichen Stätten verortet werden: Zum einen wurde der Himmel als »Buch des Schicksals« und so gewissermaßen als Schwarzes Brett einer göttlichen Macht angesehen, die über die Sterne und Planeten regierte und diese nach Belieben am Himmel positionierte, 25 So zum Beispiel beim Wittenberger Astrologen und Luther-Freund Philipp Melanchthon: Ders., Initia Doctrinae Physicae, S. 125 – 131. Dazu: Caroti, Melanchthon’s Astrology, S. 109 – 121; Bauer, Naturphilosophie, S. 371 – 376. 26 Sturlese und Bauer, Einleitung, S. 10. 27 Zur Bezeichnung der Astrologie als mathematica: Caroti, Astrologie, S. 19. 28 Alsted, Encyclopaedia, S. 1426; Vossius, De Theologia, S. 207, 214; Salzedo, Matritensis Clericorum, S. 37; Mamonides, De Idololatria, S. 563 f.; Thomasius, Exercitatio, S. 246; Hottinger, Dissertationum, S. 154; Weber, Discursus, S. 1092; Struve, Dissertatio Academica, S. 32; Heidegger, Corpus Theologiae Christianae, S. 246; u. v. m. 29 Art. Astrologia, in: Zedler, Universallexicon, S. 1953 – 1962.

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um den Menschen Informationen über zukünftige Ereignisse mitzuteilen. Zum Zweiten konnten diese zukünftigen Dinge selbst als das Schicksal bezeichnet werden – eine sehr verbreitete Wortverwendung, die noch bis heute existiert, wenn mit dem Schicksalsbegriff der Lebenslauf einer Person bezeichnet wird. Der Einfluss der Sterne bestimmte dann etwas, was auf der Erde verortet und den Dingen selbst eigen war. In diesem Zusammenhang wurde das Schicksal auch schlicht zum Äquivalent für die individuelle Zukunft, die zwar in Abhängigkeit von den Sternen gedacht wurde, aber einen prinzipiellen Eigenwert besaß.30 Die dritte mögliche Position des Schicksals befand sich nun genau zwischen Himmel und Erde, wenn es die spezielle Art des Einflusses (Influxus, »Influenz«, »Würckung«) beschrieb, über den die Sterne auf die Erde wirkten.31 Die Untersuchung dieses Einflusses war das ureigene Arbeitsfeld der Astrologen. So konnte es durchaus vorkommen, dass innerhalb weniger Seiten eines Aufsatzes Mitte des 18. Jahrhunderts die Tätigkeit der Astrologen darin gesehen wurde, die »Wissenschaft des Schicksals« aus dem »Buch des Schicksals« zu betreiben, in dem »unser künftiges Schicksal« herauszulesen war.32 Eine begrifflich klare Trennung dieser drei Ebenen war dabei weder möglich noch erwünscht. Die Mehrdeutigkeit wurde durch einen vierten Aspekt vervollständigt, der die drei genannten nicht nur ergänzte, sondern ihnen sowohl zugrunde lag als auch über sie hinauswies. Unter dem Schicksalsbegriff in diesem vierten Sinne wurden alle Fragen verhandelt, die sich um den Themenkreis Vorherbestimmung und individuelle Willens- und Handlungsfreiheit drehten, mit denen auch alle Grundsätze der Gerechtigkeit und Moral standen und fielen. Denn nur unter der Prämisse, dass das menschliche Leben in all seinen Entwicklungen und Facetten von Ewigkeit her vorherbestimmt und insofern schicksalhaft war, konnte es ein Schicksal geben, das entweder in den Sternen regierte, die Zukunft der Menschen bedeutete oder als Wirkprinzip die Verbindung von Himmel und Erde garantierte. Von diesen vier semantischen Gehalten wurden insbesondere der erste, der dritte und der viertgenannte kontrovers diskutiert. Während das Problem von Determination und Fatalismus der Astrologie von Beginn an innewohnte und zu keinem Zeitpunkt vollständig gelöst werden konnte,33 gewannen die Fragen nach der Zeichenhaftigkeit der Sterne und nach dem schicksalhaften Einfluss des Himmels auf die Erde im Laufe der Frühen Neuzeit eine neue Relevanz. Denn in

30 In diesem Sinne taucht das Fatum auch häufig im Plural fata auf. 31 Gerade die Spezifizierung dieses Einflusses war in der historischen Entwicklung zahlreichen Änderungen unterworfen. Für Antike und Mittelalter : North, Celestial Influence, S. 45 – 100. 32 So bei: o. A., Gedanken von der Sterndeutung, S. 33 – 36. 33 Stuckrad, Das Ringen, S. 771.

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den Auseinandersetzungen mit diesen Fragen offenbarten sich die maßgeblichen Gründe für den Niedergang der Astrologie im Zeitalter der Aufklärung.34

Astrologische Schicksalsprognosen in der Kritik der Aufklärung Im 18. Jahrhundert besaß die Astrologie einen schlechten Ruf. Sie sei ein »Irrthum« und eine »falsche Wissenschaft«, stehe »wider die Vernunft«, sei durch »Thorheit« und »Nichtigkeit« gezeichnet und habe sich »wie die Pest über den ganzen Erdboden« verbreitet.35 In langen Abhandlungen ließen sich Autoren verschiedener Provenienz gegen die »Herrn Sterndeuter«36 aus und boten von diskreditierenden Anekdoten über theologische Darlegungen bis zu Vernunftgründen ein ganzes Set an Argumenten, das die Astrologie als Kunst oder Wissenschaft in einem wenig vorteilhaften Licht erscheinen ließ. Aus der Vergangenheit wurden berühmte Fälle ausgebreitet, in denen Astrologen nachweislich falsche Voraussagen getroffen oder, weitaus ehrenrühriger, deren Eintreten etwas auf die Sprünge geholfen hatten, um die eigenen mantischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Eine häufig erwähnte Begebenheit, die sich am Hof Ludwigs XI. (1423 – 1483) zugetragen haben soll, war dafür paradigmatisch: Ein Astrologe hatte der Mätresse des Königs ihren baldigen Tod vorausgesagt, der auch tatsächlich eintrat. Der König sann auf Rache, und er wollte den Astrologen durch seine eigene Kunst zugrunde richten. Auf die Frage, für welchen Zeitpunkt die Sterne den Tod des Astrologen anzeigten, antwortete dieser, er werde drei Tage vor dem König sterben. Damit hatte der listige Astrologe sein Leben auf lange Sicht bewahrt.37 Eine andere Anekdote bezog sich auf den Tod des bekannten Renaissance-Astrologen Girolamo Cardano (1501 – 1576), der sein eigenes Sterbedatum aus den Sternen prophezeit und sich mangels lebensgefährlicher Krankheiten der Sterndeutung zuliebe zu Tode gehungert hatte.38 Die ständige Wiedergabe solcher Geschichten verfolgte mehrere Zwecke: Zunächst brachte sie die Astrologen generell in Verruf, weil sie als Opportunisten und Lügner entlarvt wurden. Zum Zweiten wurde die Leichtgläubigkeit der Gesellschaft an den Pranger gestellt. Das vermeintliche Wissen der Astrologen über die Zukunft menschlichen Geschicks verlieh ihnen eine Macht, der sich selbst Könige unterwarfen. Und nicht zuletzt sollte die 34 Clark, Der Untergang, S. 433 – 472; Stuckrad, Geschichte der Astrologie, S. 264 – 274; Baasner, Das Lob, S. 207 – 217; Brosseder, Im Bann, S. 312 – 315. 35 T., Bemerkungen, S. 653; o. A., Gedanken von der Sterndeutung, S. 27; Beckmann, Vom Ursprunge, S. 1184. 36 o. A., Gedanken von der Sterndeutung, S. 21 – 36. 37 Haken, Gedanken, S. 449 – 464; A., Von der Wissenschaft, S. 238. 38 Erwähnt bei: o. A., Gedanken von der Sterndeutung, S. 21; Haken, Gedanken, S. 456.

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Willkür astrologischer Prophezeiungen verdeutlicht werden, die vielmehr als von Sternenkonstellationen von gesellschaftlichen, politischen oder individuellen Umständen abhängig waren. Häufig bildeten diese Anekdoten erst den Ausgangspunkt der ausführlichen Erörterung eines Kernproblems, an dessen Lösung die gesamte Legitimität der Astrologie wie an einem seidenen Faden hing. Im Herzen der Diskussion stand die Frage, ob die »Wissenschaft zukünftiger Dinge aus den Gestirnen des Himmels«39 tatsächlich möglich sei, das heißt, ob »das Buch des Schicksals würklich im Thiercreise aufgeschlagen schwebte, und alle Begebenheiten, deutlich beschrieben, in sich enthielte«.40 Die Aufzählung offensichtlich falscher Prophezeiungen allein konnte diese Frage nicht befriedigend beantworten. Auch der Verweis auf die menschlichen Beweggründe dafür, das eigene Leben an den Sternenhimmel zu knüpfen, ging am Kern des Problems vorbei. Vielmehr musste herausgefunden werden, welche Verbindung zwischen Himmel und Erde realiter bestand: »[…] die auslegende Sternkunde müßte eine Wissenschaft der Regeln seyn, durch deren Beobachtung die Bedeutungen, nämlich die Begebenheit, das Schicksal eines Menschen u. s. w. aus den Sternen erkannt werden könnte. Diese Regeln müßten aus gewissen und richtigen Gründen hergeleitet, und in der Metaphysik, Charakteristik und Erfahrung gegründet seyn.«41

Das Prinzip, nach dem man suchte, um die Plausibilität der Astrologie beweisen zu können, gehörte zu den Grundfesten aufgeklärten Denkens. Nur wenn der Zusammenhang zwischen den Himmelskörpern und der Erde einer Kausalnotwendigkeit gehorchte, war man dazu bereit, Sterne und Planeten als Anzeiger und Begründer des menschlichen Schicksals zu akzeptieren. Es ging um eine handfeste, rational nachvollziehbare Verbindung, die naturwissenschaftlich ebenso beweisbar war, wie die Tatsache, dass die Drehung des Mondes um die Erde die Gezeiten verursachte.42 Doch genau dieses Prinzip sahen etliche Autoren des 18. Jahrhunderts durch die Astrologie missachtet. Der hallesche Philosoph Georg Friedrich Meier (1718 – 1777) bezeichnete das »astrologische Schicksaal [!]« in seiner »Metaphysik« als »im höchsten Grade albern«, weil die Astrologen ohne allen Beweis einen starken Einfluss der Gestirne auf die Erde annähmen. Wer hingegen »die Astronomie gründlich stu39 40 41 42

A., Von der Wissenschaft, S. 231. o. A., Gedanken von der Sterndeutung, S. 33. Haken, Gedanken, S. 460 f. »Der Einfluß [der Gestirne, F. R.] in die Welt war […] nicht wenig gewiß, weil sie an der Ebbe und Fluth, davon der Mond die Ursache war, einen deutlichen Beweis hievon hatten. Auf diese Weise ist der Aberglaube von dem Einfluss der Gestirne in die Begebenheiten dieser Welt entstanden.« A., Von der Wissenschaft, S. 236.

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diert, der sieht die Nichtigkeit dieses Einflusses.«43 Die Gründe für diese Aburteilung spezifizierte ein gewisser J. Martin 1786 im »Teutschen Merkur«: Die ganze Astrologie gründe sich auf der Vorstellung, dass die Kombination der Strahlenwerfung der verschiedenen Sterne einen wechselnden und bestimmenden Einfluss auf die Erde habe. Doch wenn schon allein der Einfluss der Sonne auf die Erde sich auf das Erwärmen und Erhellen beschränke, »worauf muß sich die Kraft der Fixsterne einschränken, deren ungeheure Entfernung nothwendig alle Einflüsse aufhebt. […] Wenn sogar eine Entfernung von mehr als hundert Millionen Meilen, mehr oder weniger, von Seiten der Sterne keine Veränderung in unsern Augen hervor bringt; wie könnten wohl die Stralen selbst derjenigen Sterne, die noch unendlich weiter von uns entfernt sind, eine Veränderung in dem Schiksale der Menschen […] bewürcken?«44

Der Stolper Propst Christian Wilhelm Haken (1723 – 1791) sprach das vernichtende Urteil in einem Artikel in den »Neuen Mannigfaltigkeiten« aus: Die astrologische Kunst sei auf keine natürlichen Grundregeln befestigt. »Denn da wir von Begebenheiten, welche in dieser Welt vorgehen, und welche dem Menschen begegnen, einen hinreichenden Grund in den vorhergehenden angeben müssen, oder daß eine jede Wirkung ihre eigne hinreichende Ursache hat; so würde man den Satz des zureichenden Grundes vereiteln, wenn man ihn in dem unveränderlichen Einfluß der Gestirne suchen wollte. Dieses enthielte ein Fatum.«45

Im Klartext bedeutete das, dass die kausale Kette, die das Weltgeschehen strukturierte und bestimmte, nicht vertikal, vom Himmel auf die Erde, sondern horizontal, in der Chronologie der Zeit, verlief. Denn für eine natürliche Wirkung der Sterne auf den Erdball gab es keinen Beweis, geschweige denn für ihre Zeichenhaftigkeit. Wer das Gegenteil behauptete, gehörte zu den unsäglichen Gestalten, die den Lauf der Geschichte durch ein Fatum oder eine Schicksalsmacht determinieren ließen.46 In der harschen Kritik der Autoren wird deutlich, dass sich die Astrologie im 18. Jahrhundert offensichtlich mit einer Vorstellung verband, die als völlig unzeitgemäß angesehen wurde. Da der physikalische Einfluss des Sternenhimmels auf die Erde wissenschaftlich nicht nur nicht nachprüfbar war, sondern geradezu ausgeschlossen werden konnte, wurde jede weitere Auseinandersetzung mit den konkreten Inhalten der Astrologie obsolet.47 Die Astrologiegegner des 18. Jahrhunderts drängten die Sterndeuter in eine Position des Irrationalismus, aus der sich diese bereits im 17. Jahrhundert befreit zu haben glaubten. Denn 43 44 45 46 47

Meier, Metaphysik, S. 49 f. Martin, Ueber die Sterndeutekunst, S. 19 f. Haken, Gedanken, S. 460 f. So auch der Jenaer Philosoph Justus Christian Hennings: Ders., Von den Ahndungen, S. 173. o. A., Gedanken von der Sterndeutung, S. 32 f.

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tatsächlich hatte die Astrologie selbst sich über die Modifikation ihres Schicksalsverständnisses schon zuvor an die geltenden Kriterien der Wissenschaftlichkeit anzupassen versucht, indem sie die Zeichenhaftigkeit der Himmelskörper aufgegeben hatte. Das Fatum astrologicum hatte in diesem Prozess seine Gestalt gewandelt und sollte mit einer neuen Semantik gerade zu dem Garanten für die naturgesetzliche Beweisbarkeit astrologischer Kenntnisse werden, die man dann im 18. Jahrhundert als den einzigen Begründungszusammenhang gelten lassen wollte. Dem Fatum astrologicum, verstanden als »die genaue Verknüpffung und Uebereinstimmung derer irdischen und himmlischen Dinge«,48 wurde im Zeitalter der Aufklärung jedoch jede Existenzberechtigung abgesprochen. Stattdessen wurde es auf den Standpunkt der finalen Zwecknotwendigkeit verbannt, den ein Großteil seiner Vertreter von sich aus längst aufgegeben hatte. Unter dieser Perspektive war die Auseinandersetzung mit dem Schicksalsbegriff im Kontext der Astrologie im 18. Jahrhundert in Wirklichkeit eine Abrechnung mit der Finalität. Die Auseinandersetzung spiegelte den Bruch zwischen akzeptierter kausaler Sternkunde, der Astronomie, und dem auf unsichtbare Zusammenhänge rekurrierenden Zweig der deutenden Astrologie wider, der im späten 18. Jahrhundert bereits vollzogen war.49 Eine Rekonstruktion dieser Bruchgeschichte erhellt sowohl die Grundlagen des astrologischen Schicksalsbegriffs als auch die Gründe seiner Verwerfung im 18. Jahrhundert.

Die Zeichenhaftigkeit der Sterne seit der Renaissance In der aufgeklärten Kritik wurde häufig vergessen, dass die Astrologie als die »Wissenschaft vom Schicksal«50 nicht nur ihrem Selbstverständnis nach durchaus als moderne und rationale Naturlehre gelten wollte, sondern dass sie darüber hinaus bis in das 17. Jahrhundert hinein ihren festen Platz im universitären Lehrplan behaupten konnte. Astrologie und Astronomie waren bis zu diesem Zeitpunkt zwei Aspekte einer Disziplin und ergänzten sich damit gegenseitig.51 Zudem beeinflusste astrologisches Wissen politische Entscheidungen, floss in medizinische Diagnosen und Therapien ein,52 war Grundlage jedweder Meteorologie und wurde als Lehre von den himmlischen Zeichen Gottes zu einem wichtigen Bestandteil der Theologie. In ihrem Universalanspruch war 48 49 50 51 52

Art. Fatum, in: Zedler, Universallexicon, S. 306. Stuckrad, Geschichte der Astrologie, S. 253. o. A., Gedanken von der Sterndeutung, S. 36. Bauer, Naturphilosophie, S. 345. Siehe dazu: Müller-Jahncke, Inclinant Astra, S. 178 – 180.

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die Astrologie so Wissenschaft und Religion zugleich.53 Anders als heute gehörte sie als Teilgebiet frühneuzeitlicher Esoterik nicht primär dem Volksglauben, sondern der Lehre für akademisch Gebildete an.54 Erst von den Universitäten ausgehend prägten meteorologische und medizinische Jahreshoroskope oder Nativitäten auch im größeren Maße die Volkskultur – gingen sie doch als Erfahrungswissen mitunter fruchtbare Verbindungen mit Bauernweisheiten ein.55 Die Astrologen selbst waren häufig ausgebildete Mathematiker, da es umfangreiche mathematische Kenntnisse erforderte, um Kosmogramme zu entwerfen, Ephemeridentafeln zu lesen, astronomische Instrumente zu bedienen, Planetenbewegungen zu berechnen und diese Berechnungen wiederum korrekt zu deuten.56 Aller dieser Fertigkeiten bedurfte es, um am nächtlichen Sternenhimmel Hinweise auf zukünftige Ereignisse zu entdecken. Das Prinzip, das dieser Möglichkeit der Voraussage überhaupt zugrunde lag, wurde dem Metier der Astrologen entsprechend bis zum Ende des 17. Jahrhunderts Fatum mathematicum genannt.57 Um das Prinzip des Fatum mathematicum oder Fatum astrologicum tatsächlich zu verstehen, ist ein Rückblick in die Geschichte der Astrologie notwendig. Im europäischen Gebiet wurden antike astrologische Lehren im Hochmittelalter wiederentdeckt.58 Vor dieser Zeit galt die Himmelskunde als unchristlich und wurde in Anlehnung an ein hartes augustinisches Urteil mit menschlicher Hybris in Verbindung gebracht.59 Über arabische Einflüsse gelangten im 12. Jahrhundert astronomische Tafeln nach Westeuropa, deren wissenschaftliche Gültigkeit jedoch lange Zeit umstritten blieb. Erst mit einer verstärkten Antike-Rezeption, die zugleich den Beginn der Renaissance markierte, erlebte die Astrologie eine ungeahnte Blüte. Drei Voraussetzungen waren für das Aufleben der Astrologie verantwortlich: Zunächst begründete die Wiederentdeckung des »Tetrabiblos« des Claudius Ptolemäus (ca. 100 – 180) im 12. Jahrhundert ein geozentrisches Weltbild, das sich nicht nur lückenlos in die christliche Kosmologie integrieren ließ, sondern dessen Lehren darüber hinaus die Wirkung der Himmelskörper auf den Menschen beschrieben. Das pto53 54 55 56

Boll, Sternglaube, S. 72. Neugebauer-Wölk, Esoterik, S. 342. Siehe dazu: Dülmen, Kultur, S. 56 – 106. Die Selbstbezeichnung der Astrologen als Mathematiker taucht spätestens im 15. Jahrhundert auf: Müller-Jahncke, Inclinant Astra, S. 173. 57 So z. B. Lipsius, De constantia, S. 126; Bardili, Fatum mathematicum; Hollatz, Examen, S. 640; Burmannus, Synopsis, S. 332; Alsted, Theologia naturalis, S. 152; Becmann, Manvdvctio, S. 455; Kimedoncius, De Redemtione, S. 649; Deusing, Naturae, S. 177; Carleton, Prometheus, S. 244; Convelt, Theatrum, S. 388; Vogelsang, Exercitationes Theologicæ, S. 394; Heidanus, Corpus Theologiæ Christianæ, S. 366; Martini, Lexicon, S. 414. 58 Heiduk, Offene Geheimnisse. 59 Stuckrad, Das Ringen, S. 775 – 779.

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lemäische System wurde in Verbindung mit den aristotelischen Lehren der Scholastik zur kosmologischen Grundlage der Astrologie. Später vermittelte die verstärkte Plato-Rezeption die Vorstellung von der Ganzheit des Universums, in dem sich Makro- und Mikrokosmos entsprachen,60 was die Lehre von der Zeichenhaftigkeit der Sterne entscheidend beförderte. Zudem enthielten die Geheimlehren des angeblich altägyptischen »Corpus Hermeticum«, dessen von Marsilius Ficino (1433 – 1499) erarbeitete lateinische Übersetzung 1471 gedruckt worden war, eine Vielzahl astrologischer Lehren, die als Ausdruck ursprünglicher und ungeteilter Weisheit galten. Die Kompatibilität zu christlichen Lehren wurde mit dem Argument verteidigt, dass Gott selbst die Sterne als Zeichen für die Menschen an den Himmel gesetzt habe und von diesen ausgehend Einfluss auf die Erde ausübe. Üblicherweise wurde dazu aus der Genesis zitiert: »Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre.«61 Hinzu kamen Beispiele aus dem Alten und Neuen Testament, unter denen die prominentesten sich auf Christi Geburt, die durch den Stern von Bethlehem angezeigt worden war, und auf die Sonnenfinsternis bei seinem Tod bezogen.62 Der Gefahr des Fatalismus beugte die häufig gebrauchte Redensart Astra regunt homines, sed regit astra deus vor.63 In einem der Standardwerke der Renaissance-Astrologie, der »Occulta philosophia« von Agrippa von Nettesheim (1486 – 1535), spiegelte sich dieses Ideenkonglomerat der Renaissancezeit wider.64 Im dreizehnten Kapitel des ersten Buches heißt es über die diversen philosophischen Antworten auf die Frage Unde proveniat virtutes reum occultae – »Woher die verborgenen Kräfte der Dinge kommen«: »Gott, als das Ende und der Ursprung aller Kräfte, verleiht das Siegel der Ideen seinen dienstbaren Geistern, welche als die treuen Vollzieher des göttlichen Willens alle ihnen anvertrauten Dinge mit idealer Kraft besiegeln, während die Himmel und Sterne als Werkzeuge die Materie zur Aufnahme jener Form geschickt machen, die in der göttlichen Majestät […] verborgen liegen und durch die Sterne herabgeleitet werden.«65 60 So insbesondere in: Platon, Philebos. Zur Plato-Rezeption im Kontext der Astrologie siehe: Knappich, Geschichte, S. 187 f. 61 1. Moses 1,14. 62 Matthäus 2 und Markus 15,33. Hinzu kamen Richter 5,20: »Vom Himmel ward wider sie gestritten; die Sterne in ihren Bahnen stritten wider Sisera« und Matthäus 24,30: »Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohnes am Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.« So z. B. angeführt in: Trew, Nucleus. 63 So z. B. bei: Heidanus, Corpus, S. 366. 64 Knappich, Geschichte, S. 190 f. 65 Agrippa Nettesheim, Die magischen Werke, S. 39: »Et quamvis hi autores sibi invicem ad-

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Konkret bedeutete das, dass Gott als erste Ursache außerhalb des Universums über die einzelnen beseelten Stern- und Planetensphären bis hinunter auf die Erde seinen Einfluss ausübte. Die Wirkrichtung von oben nach unten war damit bereits vorgegeben. Jedes Ding im Universum besaß danach gemäß seiner Natur die Macht über die Dinge einer niederen Ebene, die für diese spezifischen Wirkungen besonders empfänglich waren.66 Die zugrunde liegende Idee war die Parallelität von makro- und mikrokosmischen Strukturen, weswegen es herauszufinden galt, welche Eigenschaften die einzelnen Himmelskörper besaßen und unter welchen Bedingungen sie diese an die Menschen weitergaben.67 Der als unveränderlich gedachte Fixsternhimmel bildete mit seinen zwölf Tierkreiszeichen das Fundament astrologischer Erkenntnis. In einer relativ unkomplizierten Analogiebildung wurde den Figuren, die sich am Nachthimmel abzeichneten, zunächst die Wirkungsweise ihrer irdischen Entsprechungen zugewiesen.68 Zusätzlich wurden den Sternbildern aufgrund ihrer Position und Reihenfolge im Jahreskreis bestimmte Einflüsse zugeschrieben. Weitaus diffiziler, aber auch ungleich interessanter war die Analyse der konkreten Planetenbewegungen. Sie war die eigentliche astrologische Kunst, weil sich die Positionen der Wandelsterne zueinander und zum Zodiakus kaum vorhersagen ließen und so Raum für Interpretationen einzelner Ereignisse blieb. Aus der Beobachtung, wie die Planeten zueinander standen oder in welchem Sternbild sie sich bewegten, konnten die Astrologen Aussagen über vergangene oder zukünftige Geschehnisse treffen.69 Für die Frage nach dem Schicksalsverständnis im astrologischen Zusammenhang kam der Entwicklung sogenannter Nativitäten eine zentrale Bedeutung zu. Konkret handelte es sich dabei um die Kunst, aus der Sternkonstellation in der Geburtsstunde eines Menschen Aussagen über dessen Charaktereigen-

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versary videantur, nullus tamen eorum si recte intelligatur a veritate discedit, cum omnia eorum dicta ad eundem effectum in pluribus convenient. Deus enim, in primis omnium virtutum finis et origo, sigillum idearum ministries suis praestat intellegentiis; qui, tamquam fideles executors, res quaque sibi creditas ideali virtute consignant coelis atque stellis, tamquam instrumenta materiam interim, disponentibus ad suscipiendum formas illas, quae in maiestate divina […] per astra deducendae resident […].« Ders., De occulta philosophia, S. 111. Ebd., S. 116 f. Eine sehr schöne Abbildung des himmlischen Einflusses auf die Erde zeigt das Titelblatt einer astrologischen Abhandlung von Abdias Trew aus dem Jahr 1651. Eine umkränzte Allegorie der Natura fängt mit einem Trichter die strahlenförmige Influentia von Sonne, Mond und Sternen auf und leitet die nunmehr gebündelten Strahlen zur Erdkugel weiter: Ders., Nucleus, Titelblatt. Agrippa Nettesheim, De occulta philosophia, S. 352 – 354. Clark, Der Untergang, S. 435 f.; Hamel, Astrologie, S. 109 – 115. Siehe dazu die unzähligen astrologischen Werke des 16. und 17. Jahrhunderts, wie z. B.: o. A., Astronomia Teutsch; o. A., Astronomia; Brenner, Das Groß Planeten-Buch; Creutzer, Planeten-Büchlin; Moller, Astrologia iudicaria; u. v. m.

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schaften und dessen zukünftiges Leben herauszulesen. Dabei ging es zum Teil um sehr konkrete Voraussagen, die sich auf Reichtum, Geschwister, Eltern, Kinder, Gesundheit, Ehe, Reisen, Religion, Ehren, Künste, Freunde und Feinde und sogar auf den Tod bezogen.70 Wenn der reformierte Heidelberger Theologe Jacob Kimedoncius (1554 – 1596) das Fatum mathematicum 1592 definierte als »die Kraft der Position der Sterne, so wie sie ist, wenn jemand/etwas geboren, empfangen oder begonnen wird«, dann spielte er auf diesen durchaus üblichen Sprachgebrauch an.71 Das Schicksal war hiernach die spezifische Kraft, welche die Sterne und Planeten auf die Erde und auf jeden Einzelnen ausüben konnten und die das zukünftige Leben der Menschen bestimmte. Neben diesem Privatgebrauch bediente das Nativitätstellen auch politische Zwecke. Zu den Aufgaben der zahlreichen Hofastrologen gehörte es, auch Prognostiken über das Geschick und die zukünftigen Handlungen potenzieller Herrscher zu erstellen.72 Die astrologische Kunst gründete sich dabei auf ein merkwürdiges Verhältnis von Kontingenz und Notwendigkeit: Die kontingent erscheinenden Planetenbewegungen wurden als Verursacher und Anzeiger zukünftig notwendiger Begebenheiten interpretiert. Dass sich in diesem Kontext früher oder später die Frage nach dem Raum für die individuelle Willensfreiheit stellen musste, ist nicht verwunderlich. Kocku von Stuckrad hat darauf hingewiesen, dass bereits in frühchristlicher und patristischer Zeit die christliche Auseinandersetzung mit der Astrologie immer über den Vorwurf des Fatalismus erfolgte. Drei Aspekte waren seit dieser Zeit entscheidend und blieben es bis in die Neuzeit: Zunächst machte die Vorstellung, dass das menschliche Leben von den Sternen regiert wurde, jedes ethisch-motivierte Handeln zunichte. Zum Zweiten waren die Menschen durch den Kreuzestod und die Wiederauferstehung Christi von ihrer Schicksalsbestimmung befreit worden. Der Glaube an eine astrologische Determination des Individuums musste deshalb eigentlich die Abkehr vom Glauben an die Erlösung bedeuten.73 Als Drittes war das unklare Machtverhältnis von Gott und der Schicksalsmacht der Sterne ein steter Stein des Anstoßes.74 Dennoch blieb die Haltung der katholischen Kirche zur Astrologie lange Zeit ambivalent. Zahlreiche der Medici-Päpste des 16. Jahrhunderts wie Leo X. (1475 – 1521) bekannten sich zur Wahrheit astrologischer Vorhersagen und in70 Siehe dazu z. B. das berühmte Wallenstein-Horoskop von Johannes Kepler (1571 – 1630) von 1608, abgebildet bei: Clark, Der Untergang, S. 428. 71 »Nam usitata loquendi consuetudine per fatum intelligunt vim positionie sideru, sicuti et cum quidam nascitur, vel concipitur, vel incoatur : et hoc est fatum Mathematicum.« Kimedoncius, De Redemtione, S. 649. 72 Mentgen, Astrologie, S. 222. 73 Stuckrad, Das Ringen, S. 771. 74 So wurde im 17. Jahrhundert über den Begriff des Fatum astrologicum auch die TheodizeeProblematik behandelt. So z. B. bei: Vogelsang, Exercitationes Theologicæ, S. 394 f.; Schotanus, Exegesis, S. 127 f.

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tegrierten diese in ihre alltäglichen Amtsgeschäfte.75 Erst unter dem Druck der Reformation wurden im Umfeld des Tridentinums erste Schritte gegen die deterministisch-orientierte Astrologie eingeleitet, die im Laufe der Zeit durch diverse päpstliche Bullen immer wieder erneuert und verschärft wurden.76 Auf protestantischer Seite zeigte sich zunächst eine ähnliche Abwehrhaltung. Martin Luther (1483 – 1546) und Johannes Calvin (1509 – 1564) galten als erbitterte Gegner der Astrologie.77 Astrologie erschien ihnen als Spiel mit dem Teufel und war explizit in der Bibel verboten worden.78 Sie war nicht nur Ausdruck menschlichen Fürwitzes, der sich über die gottgegebenen Schranken der Erkenntnis erheben wollte, um damit Einsicht in die göttliche Providenz zu erlangen. Die Einflüsse der Sterne konnten zudem niemals so stark sein wie der eigene Glaube und besaßen daher für das individuelle Heil keine Bedeutung.79 Dennoch konnte sich an der Universität Wittenberg um den Lutherfreund Philipp Melanchthon (1497 – 1560) ein Kreis bilden, der mit großem Erfolg astrologische Lehren mit der protestantischen Theologie zu verbinden suchte.80 Astrologie galt hier als die Lehre, »die die durch ständige Erfahrung erkannten Kräfte der Sterne zeigt und Eigenschaften, Temperamente und Tendenzen in den Elementen und den Menschen aufweist, die durch das Licht und die Bewegung der Sterne entstanden sind und die zu gewissen Handlungen führen, wenn sie nicht durch Gott oder andere stärkere Ursachen verhindert werden.«81

Astrologie war also eine sanktionierte Form der Zukunftsdeutung, die sich auf die wissenschaftliche Beobachtung der von Gott geschaffenen Natur bezog. So war die Einstellung der protestantischen Kirchen zur Astrologie ihrem Ursprung nach genauso ambivalent wie im Katholizismus. Je nach Selbstverständnis und biblischer Exegese fanden sich ebenso viele Argumente gegen wie für die Legitimität der Sterndeutung.82 Die päpstlichen Maßnahmen und die protestantische Ablehnung allein führten deswegen keineswegs zur Stigmatisierung und Marginalisierung astrologischer Tätigkeit. Schifffahrt, Landwirtschaft und Medizin waren aus75 Stuckrad, Geschichte der Astrologie, S. 249. 76 Ebd., S. 250; Knappich, Geschichte, S. 203 – 207. 77 Siehe zu Luthers Haltung zur Astrologie: Treu, ›Heillos und schäbig‹, S. 49 f.; Zambelli, Martin Luther, S. 54 – 57. 78 5. Mose 4,19; 5. Moses 18,10 – 12; Jesaja 47,13 – 14; Jeremia 10,2; u. v. m. 79 Zur Haltung der Reformatoren zur Astrologie siehe: Lämmel, Luthers Verhältnis, S. 299 – 312; Ludolphy, Luther, S. 101 – 107; Brosseder, Im Bann, S. 170 f., 261 – 263. 80 Siehe dazu generell: Ebd.; Bauer, Melanchthon, S. 375; Hoppmann, Melanchthons Astrologie. 81 Peucerus, Commentarius, o. S., übersetzt durch: Ludwig, Zukunftsvoraussagen, S. 26 f. 82 Zur christlichen Begründung der Astrologie siehe: Hamel, Astrologie, S. 105 f.

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drücklich von dem katholischen Verbot ausgenommen worden und boten Rückzugsbereiche, in denen eine astrologische Spezialisierung und Professionalisierung möglich war. Gänzlich unbestritten blieb zudem, dass Gott nach Belieben Zeichen an den Himmel setzen konnte, die den Menschen zur Warnung dienten. Gerade für die häufigen Kometenerscheinungen des 16. und 17. Jahrhunderts blieb astrologisches Wissen gefragt, ja Theologen selbst betätigten sich als Laienastrologen und nahmen die »himmlischen Zuchtruten Gottes« zum Anlass, die Christenmenschen zu Umkehr und Buße aufzufordern.83 Gleich also, ob die Sterne als Schicksalsanzeiger oder als Schicksalsverursacher angesehen wurden, die Frage nach der Determination und ihrem Verhältnis zur göttlichen Providenz blieb umstritten und in beiden christlichen Konfessionen letzten Endes unbeantwortet.

Der Heliozentrismus als Herausforderung Der Stellenwert astrologischen Wissens war in der Frühen Neuzeit bis in das 17. Jahrhundert hinein relativ ungefährdet und mit ihm der Glaube an die Verknüpfung von Himmel und Erde. Die Konfessionalisierung verlangte im Laufe des 17. Jahrhunderts jedoch eindeutige Positionsbestimmungen der christlichen Kirchen, sodass eine tolerante Haltung gegenüber esoterischen Wissensbeständen zunehmend unerwünscht war. Doch wichtiger waren die wissenschaftlichen Umbrüche dieses Jahrhunderts, genauer der Abschied von der geozentrischen Kosmologie und die Etablierung des mechanistischen Weltbildes. Es ist in der Forschung mittlerweile Konsens, dass die sogenannte »wissenschaftliche Revolution« kein abrupter Bruch, sondern eine schleichende Durchdringung alter Wissensbestände mit neuen Prinzipien war.84 In diesem Zusammenhang ist der Terminus »Revolution« selbst in die Kritik geraten. Denn was heute als der Ursprung einer modernen, rationalen Wissenschaftlichkeit erscheint, weist tatsächlich nur eine kleine Schnittmenge mit den Fragestellungen auf, mit denen sich die Gelehrten der Frühen Neuzeit hauptsächlich auseinandersetzten. So konnte das aus heutiger Sicht Unvereinbare im 17. Jahrhundert weitestgehend problemlos neben- und miteinander existieren. Die in den etablierten Kanon aufgenommenen Vordenker der Moderne wie Nikolaus Kopernikus (1473 – 1543), Johannes Kepler, Galileo Galilei (1564 – 83 Im 17. Jahrhundert riefen ca. 25 Kometenerscheinungen in Deutschland zahlreiche astrologische Traktate und Flugblätter hervor. 84 Siehe zur Problematik der »Scientific Revolution« den von Margaret J. Osler herausgegebenen Sammelband: Dies., Rethinking; Shapin, The scientific revolution.

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1642), Ren¦ Descartes (1596 – 1650) oder Isaac Newton (ca. 1642 – 1727) integrierten ihre bahnbrechenden Entdeckungen wie selbstverständlich auf ihre je eigene Art in die überkommenen Wissensbestände.85 Vor diesem Hintergrund ist Vorsicht dabei geboten, unreflektiert anzunehmen, dass das Aufkommen neuzeitlicher Rationalität den Niedergang der Astrologie im 17. Jahrhundert direkt verschuldet hätte. Vielmehr muss von einem langsamen Prozess ausgegangen werden, der den Astrologiebefürwortern die Entwicklung von Strategien ermöglichte, mit denen sie ihre Kunst an veränderte Wissensbestände anpassten. »De revolutionibus orbium coelestium«, das bahnbrechende Opus magnum des Nikolaus Kopernikus, war aus der Retrospektive tatsächlich eine Revolution. An seinem Todestag, dem 25. Mai 1543, erschien das Werk im Druck und besaß das Potenzial, das Selbstverständnis der Menschheit in ihren Grundfesten zu erschüttern. Entgegen der etablierten Weltsicht, dass die Erde den Mittelpunkt des Universums bildete, hatte Kopernikus als mathematisches Gedankenexperiment die Sonne in das Zentrum der Welt gesetzt, um das die Erde in einer dreifachen Bewegung kreiste. Rein mathematisch gesehen lösten sich unter dieser Prämisse zahlreiche Schwierigkeiten bei der Berechnung der Planetenbewegungen. Der Preis dafür war die Verabschiedung von der Gewissheit menschlicher Sinneswahrnehmungen. Weil die kopernikanische Sicht auf die Welt weder der biblischen Überlieferung entsprach noch lange Zeit empirisch bewiesen werden konnte, vollzog sich ihre wissenschaftliche und gesellschaftliche Adaption nur schleppend. Anfang des 17. Jahrhunderts gab es kaum mehr als zehn Anhänger des heliozentrischen Weltmodells,86 und zumindest auf deutschem Gebiet verschwanden die ptolemäische und die tychonische Kosmologie erst gegen Mitte des 18. Jahrhunderts von den universitären Lehrplänen.87 Die wenigen Wissenschaftler, die sich das kopernikanische Weltbild bereits im frühen 17. Jahrhundert zu eigen gemacht hatten, sahen die Astrologie dadurch keinesfalls als erschüttert an. Der Prominenteste unter ihnen war wahrscheinlich Johannes Kepler, der das kopernikanische System in seinen astronomisch-mathematischen Schriften konsequent weiterentwickelte, darin aber keinen Widerspruch zur astrologischen Wissenschaft sah. Gegen die Einwände aus theologischer Sicht verfasste er seine »Warnung an etliche Theologos, Medicos und Philosophos […], dass sie bey billicher Verwerffung des Sternguckerischen Aberglaubens, nicht das Kindt mit dem Badt ausschütten und hiermit ihrer Profession unwissendt zuwider han-

85 Dobbs, Newton, S. 35; Greyerz, Religion, S. 35. 86 Dobbs, Newton, S. 30. 87 Baasner, Das Lob, S. 69.

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deln«.88 Darin nahm er auch Bezug auf die Implikationen des heliozentrischen Weltbildes für die Astrologie: »Ebenmässge Antwort gehört auch auff den Zweifel, ob Himmel oder Erde umbgehe? Welcher Zweiffel darumb die Astrologiam nicht verdächtig macht, weil er sie nichts angehet, denn da ist gnug, dass der Astrologe siehet, wie die Liechtstreymen jetzo von Orient, dann von Mittag, endtlich von Occident daher gehen, und darauff gar verschwinden […]. Was fragt allhie der Astrologus oder vielmehr Natura sublunaris darnach, wie solches zugehe? Warlich, so wenig als der Bauwer darnach fragt, wie es Sommer und Winter werde, und doch nichts desto weniger sich darnach richtet.«89

Die Frage nach der Stellung der Erde im Universum war nach Keplers Ansicht für die Legitimität der Astrologie also vollkommen unerheblich. Denn dem Einfluss der astralen Lichtstrahlen auf die sublunare Welt tat die neue Weltsicht zunächst keinen Abbruch. Vielmehr bestätigte sie den Astrologen Kepler in der Vorstellung von der Harmonie des Weltkörpers, der, nach mathematischen Gesetzen strukturiert, das vollkommene Werk eines weisen Schöpfergottes sein musste.90 Im kopernikanischen Weltmodell manifestierte sich die Verbindung von Mathematik und Natur,91 die sowohl die Grundlage für die modernen Naturwissenschaften als auch jeder Astrologie sein musste und der die Mathematiker letztlich ihren Namen verdankten. Dennoch zeigte sich in Keplers argumentativer Beschränkung auf den physikalischen Einfluss der Sterne durchaus eine Konzession an die Implikationen der kopernikanischen Kosmologie für den Stellenwert der Astrologie. Kepler verzichtete auf die mythologische Zeichenhaftigkeit des Himmels und auf den aus ihr begründeten übernatürlichen Einfluss, um die Verbindung zwischen Himmel und Erde lediglich aus den Wirkungen von Schall, Licht, Wärme und Magnetismus zu begründen.92 Damit reduzierte er den kosmischen Einfluss auf natürliche Kräfte, die von der Position der Erde im Weltall zunächst unabhängig waren.93 Insofern hatte die kopernikanische Lehre für ihre Anhänger unter den Astrologen zu diesem Zeitpunkt bereits weitreichende Konsequenzen. Dadurch, dass die Erde im neuen Modell zu einem Planeten unter vielen geworden war, verloren die Sterne am Himmel ihre zeichenhafte Qualität. Das Schicksal war also nicht mehr im Himmel zu finden. »Kopernikus hatte die Erde zum Stern unter Sternen gemacht; jetzt konnten die Sterne zu physikalischen Körpern unter den gleichen Gesetzen werden, die auch für die Erde 88 Kepler, Tertius interveniens. Siehe zu dieser Schrift ausführlich: Bauer, Keplers Tertius Interveniens, S. 175 – 194. 89 Kepler, Tertius interveniens, o. S. 90 Stuckrad, Geschichte der Astrologie, S. 256; Bloch, Zwischenwelten, S. 271. 91 Ebd., S. 265 f. 92 Bauer, Keplers Tertius Interveniens, S. 183; Müller-Jahncke, Inclinant Astra, S. 180 f. 93 Hamel, Johannes Kepler, S. 16.

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galten. Die eine Physik der Welt, die Physik der Erde und des Himmels war, nahm den Zeichen am Himmel für immer ihre transzendente Zeichenhaftigkeit. Die Sphäre der Zeichen war eine Welt von Gegenständen geworden.«94

So musste auch die Vorstellung davon, dass am Himmel das »Buch des Schicksals« aufgeschlagen sei, anderen Schicksalsvorstellungen weichen.95 Für die Astrologen ergab sich unter diesen Bedingungen ein verändertes Aufgabenfeld. Es galt herauszufinden, wie die unzähligen Himmelskörper das Leben auf der Erde konkret beeinflussten, und zwar nicht auf der Grundlage einer Analogiebildung oder okkulter Wirkprinzipien, sondern aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten.96 Das Verständnis vom Fatum musste sich freilich unter den neuen Bedingungen grundlegend wandeln. Das Fatum astrologicum konnte von nun an nur noch die Einflüsse beschreiben, die unter den neuerkannten Gesetzmäßigkeiten rational erfassbar waren. In den Schriften des 17. Jahrhunderts, die sich mit dem Konzept des Fatum astrologicum/mathematicum auseinandersetzten, ist nun nicht mehr von den Zeichen des Himmels die Rede, sondern davon, dass das astrologische Fatum »die natürliche Welt fest mit der Kraft der Gestirne und der Position der Sterne verbindet und verknüpft«.97 Johannes Kepler, als einer der stärksten Verfechter dieser reformierten Astrologie, vollzog diese semantische Änderung mit all ihren Konsequenzen. Wenn der Astrologe rational die himmlischen Einflüsse auf das menschliche Leben untersuchte, musste er sich bewusst sein, dass er nicht monokausal argumentieren konnte. Der Einfluss des Sternenhimmels war nur eines von mehreren »Gewürzen«, die das Ergehen des Menschen bestimmten. Daneben standen »des Menschen Gemüth und Sitten« und natürlich der Wille Gottes, die Kepler in dieser Reihenfolge als causa generalia, causa specialia und individua facta und causa metaphysica bezeichnete: »Bleiben also diese dreyerley Ursachen des eusserlichen Glücks des Menschen neben einander / und ist nicht noth / dass einer die andere hindere / sondern sie vermischen sich untereinander.«98 Der Astrologe selbst konnte natürlich nur Aussagen über die Generalia treffen. 94 Blumenberg, Kopernikus, S. 364. 95 Zu dieser Vorstellung trat die Überlegung, dass in einem heliozentrischen Sonnensystem die anderen zu diesem Zeitpunkt bekannten Planeten ebenso wie die Erde von empfindenden und vernünftigen Wesen bewohnt sein könnten. So z. B.: Hugens, Cosmotheoros, S. 22 – 24. Diese Annahme stellte gerade auch für die Theologie die Einzigartigkeit der irdischen Erlösungsgeschichte infrage und führte zu solchen Mutmaßungen, »daß jede Welt in der grenzenlosen Schöpfung eine Eva, einen Apfel, eine Schlange und einen Erlöser« habe. Paine, The Age of Reason, zit. nach: Lovejoy, Die große Kette, S. 134. 96 Krafft, Tertius Interveniens, S. 206. 97 »Fati naturalis pars princeps ac primaria est Fatum Astrologicum, a Lipsio Mathematicum dictum, quod ligat et nectit firmiter actiones eventusque rerum naturalium ad vim siderum et posituram stellarum.« Deusing, Naturae, S. 177. 98 Kepler, Tertius interveniens, o. S.

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Damit war auch das Problem der Vereinbarkeit von Astrologie und menschlicher Willensfreiheit gelöst. Das astrologische Fatum bestimmte nicht mehr notwendig und vollständig, sondern nur noch partiell das menschliche Geschick. Zahlreiche Autoren des 17. Jahrhunderts ließen einen Einfluss der Gestirne fortan lediglich auf den Körper des Menschen, jedoch nicht mehr auf seinen Geist gelten, wie etwa der Groninger Mediziner Antonius Deusingius (1612 – 1666): »[…] der menschliche Geist [ist] vom Geltungsbereich des Fatum ausgenommen […]: Freilich steuern die Sterne den Körper, doch der freie Geist siegt über die Gestirne.«99 Auch der reformierte Theologieprofessor Abraham Heidanus (1597 – 1678) vermerkte in seinen Ausführungen zum Fatum mathematicum: »Wir haben trotzdem keinerlei Wirkung oder Einfluss der Himmelskörper auf diese irdischen Dinge bestimmt. Was aber den Menschen angeht, so wirken diese auf seinen Körper, soweit dieser physisch ist. Nicht auf den Menschen, insoweit er Mensch ist, oder auf den Geist, die Einsichtsfähigkeit und den Willen.«100

Und Matthias Martinius (1572 – 1630) gestand dem Fatum mathematicum in seinem philologischen Lexikon nur dann etwas Wahres zu, wenn man aus »Vernunft und Erfahrung« von den Sternen Auskünfte über das »Physische« erhalten wolle. Andere Dinge hingen jedoch nicht von den Sternen, sondern »vom freien Willen Gottes, der Menschen oder der Engel« ab.101 Die Zukunft wurde damit offen und kontingent, weil sie von einer Vielzahl an Faktoren abhängen konnte, von denen der Einfluss der Himmelskörper nur ein einziger war.102 Eben dieses Fatum-Verständnis machte Kepler stark, wenn er in seinem astrologischen Prognosticum für das Jahr 1620 wie selbstverständlich schrieb: »Ich bin ein Philosophus: einem Philosopho stehet zu alles das / warvon Aristoteles geschrieben / De divinatione, de ominibus, de fato et providentia

99 »Addidi in definitione rerum naturalium, ut mens humana ab hujus Fati neccessitate excipiatur : quippe Astra regunt quidem corpus, at mens libera sidera vincit.« Deusing, Naturae, S. 177. 100 »Neque tamen nullam coelestium corporum in haec inferiora actionem aut influxum statuit: sed quod hominem attinet, agere ea tantum in corpus ejus, quatenus est physicum. Non in hominem qua homo est, aut in Spiritum, intellectum et voluntatem.« Heidanus, Corpus, S. 367. 101 »Mathematicum fatum appellant necessitate eventuorum a siderum positura et motione suspensam; ut cum es stellis tribuuntur, quae ab eis minime proficiscuntur, sed a voluntate libera Dei, hominum aut anglorum. Si quid enim recte et rationi experientiaeque convenienter ex astris colligitur : id ad Physicum referri intelligemus.« Martini, Lexicon, S. 414. 102 »Da ich den Lesern meines Fürhabens auff ein neuwes erinnern muß / dass ich nemlich nicht gesinnet / die vorsagungen futuorum contingentium in individuo, so fern sie von des Menschen freyem Willen dependirn / zu vertheydigen […].« Kepler, Tertius interveniens, o. S.

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[…].«103 Das Fatum war für Kepler das Gegenteil einer dunklen, drohenden und ungewissen Schicksalsmacht: Es war rational ermittelbar und rational erklärbar.104 Am Beispiel Keplers wird deutlich, dass der Übergang zum heliozentrischen Weltbild weder für die Astrologie noch für den damit verbundenen FatumGlauben das Aus bedeutete. Vielmehr stellte der Heliozentrismus das Fatum astrologicum auf eine neue Basis, das sich so den veränderten Umständen anpasste. Das von den neuen Astrologen reformierte Fatum stand fortan nicht mehr zeichenhaft am Himmel, sondern beschrieb den physikalisch gedachten Einfluss der Sterne auf die Erde. Als einer unter vielen Faktoren, die das menschliche Leben formten, implizierte seine Wirkweise keine zwingende Notwendigkeit mehr. Das bedeutete jedoch zugleich, dass die Astrologen ihren Kompetenzbereich empfindlich einschränken mussten. Alle Voraussagen, die auf der Zeichenhaftigkeit des Himmels beruhten, wurden verworfen. Das zuverlässige Deuten von Nativitäten fiel darunter ebenso wie das Erstellen von Horoskopen.105 In diesem Sinne bemerkte Abdias Trew (1597 – 1669), der die Kepler’sche Astrologie in zahlreichen seiner Werke systematisierte und beworben hatte, dass man den Astrologen die »Fragen von contigentibus« nicht zumuten und schon gar nicht den daraus resultierenden Prognosen nachhängen oder beim eigenen »thun und lassen groß in consideration zihen« solle.106 Weil das Fatum nicht mehr in den Sternen stand, ließen sich über die Zukunft mithilfe astrologischer Methoden nur noch Vermutungen anstellen.

Von der Zweck- zur Wirkursache Weitreichender als die Durchsetzung des Heliozentrismus tangierte ein anderes Element der wissenschaftlichen Wende die Legitimität der Astrologie: die Mechanisierung des Weltbildes. Das Aufkommen der mechanischen Philosophie führte nicht nur zu einer Durchsetzung der »Welt als Uhr«-Metapher, welche die Astrologen sogar für ihre Profession zu nutzen wussten. Mit ihr war zusätzlich die radikale Trennung von Geist und Materie im Sinne der cartesianischen Philosophie verbunden und die Betonung der Wirkursache als einziger Äuße-

103 Ders., Calendaria, S. 196. 104 Sticker, Johannes Kepler, S. 463. 105 Johannes Kepler hat sich Zeit seines Lebens nur mit großem Widerwillen diesen Aufgaben gewidmet. »So ist auch nicht gläublich / dass man auß der Nativitet sehen könne / wie es einem allerdings ergehen werde.« Ders., Tertius interveniens, o. S. 106 Trew, Nucleus, S. 83.

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rungsform des Kausalitätsbegriffs.107 Beide Veränderungen waren für die Einstellung der Zeitgenossen zum Fatum astrologicum von immenser Relevanz. Wie bereits erwähnt, beruhte die Astrologie seit ihren Ursprüngen auf der Annahme, dass die Sterne und Planeten als himmlische Körper eine übernatürliche Qualität besaßen. In der klassischen aristotelischen Kosmologie waren die Planeten und Sterne beseelt, in der Vorstellung der Renaissance war der Himmel der Sitz der höheren Geister- beziehungsweise Engelwelt, die unmittelbar mit Gott verbunden war. Engel und Geister waren als Werkzeuge Gottes die Zweckursache für den Einfluss der Gestirne auf das Leben des Menschen. Auf dieser Durchdringung theologischer Annahmen und astronomischer Beobachtungen gründete sich überhaupt die Möglichkeit einer Verbindung zwischen Himmel und Erde. Die cartesianische Philosophie nun trennte Naturwissenschaft und Theologie. Descartes’ strenger Dualismus, der zwischen Geist und Materie scharf unterschied, entvölkerte den Himmel von Geistern und Engeln, zerschlug die Kristallschalen, die den Kosmos begrenzt hatten, und ließ ein unendliches Universum unbeseelter Atome zurück.108 Der neue Rationalitätsbegriff dieser Zeit erforderte bei der Erforschung der Welt eine Konzentration auf die Ursachen, die naturwissenschaftlich beschreibbar waren. Weil in dieser Naturwissenschaft das vierfache aristotelische Kausalitätsverständnis abgelehnt wurde, das zwischen Materialursache (causa materialis), Zweckursache (causa finalis), Wirkursache (causa efficiens) und Formursache (causa formalis) unterschieden hatte,109 stellte sich für die Astrologie die Frage, wie die Beziehung zwischen Himmel und Erde als Beziehung verschiedener Körper überhaupt noch beschrieben werden konnte. Durch die Entseelung der Gestirne kam die Annahme eines finalen Kausalverhältnisses nicht mehr infrage. Wenn die Himmelskörper nicht mehr von Intelligenzen bewegt und regiert wurden, konnte sich von ihnen auch kein zweckgerichteter Einfluss auf die Erde ergießen. Allein die Erforschung der Wirkursachen konnte wissenschaftliche Geltung beanspruchen, und dabei ergaben sich zahlreiche Schwierigkeiten. Astrologie sei die Kunst, so Johann Georg Walch 1726 in seinem »Philosophischen Lexikon«, »welche aus den verschiedenen Stellungen der Gestirne und den daher rührenden Einflüssen derselben allerhand künfftige Erfolge vorher saget. Was davon zu halten sey, darinnen sind die Gelehrten ungleicher Meynung, und weil das ganze Werck auf den Einfluß der Gestirne in die Körper auf Erden ankommt, so läugnen einige denselben,

107 Clark, Der Untergang, S. 463. 108 Ebd. 109 Hecht, Causae finales, S. 32 f.

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mithin verwerfen sie die ganze Kunst, andere geben den Einfluß zwar zu, aber auf ungleiche Art.«110

Deshalb hing die ganze Legitimation der Astrologie davon ab, »wie weit wir’s in unserer Erkänntniß [vom astralen Einfluss] bringen können?«111 Ob die Befürworter dieses Einflusses diesen nun nur auf die »natürlichen Cörper« oder aber zusätzlich auf die »Seele, die freyen Handlungen« der Menschen erstreckten, für Walch standen beide Ansichten »auf schwachen Füssen«, weil sie sich nicht belegen ließen. Folgerichtig rechnete er auch die astrologische FatumLehre zu den »unvernünfftigen« Fatum-Vorstellungen.112 So wie Walch kamen auch viele Wissenschaftler zu der Erkenntnis, dass der einzig nachweisbare Einfluss der Gestirne, nämlich der des Lichts, allein nicht ausreichend sei, um als Ursache für die Entwicklung des menschlichen Lebens in allen seinen Einzelheiten verantwortlich zu sein. Christian Wolff (1679 – 1754) schrieb 1724 in den »Vernünfftigen Gedancken von den Absichten der natürlichen Dinge« deshalb voller Überzeugung: »Derowegen bleibt es dabey, daß die Planeten durch ihr Licht auf dem Erdboden keine merckliche Veränderungen [!] hervorbringen können. Ausser dem Lichte aber kommet keine Krafft von den Planeten auff die Erde. […] Und demnach bleibet kein Grund übrig, den der Einfluß der Planeten in den Erdboden vor sich hätte.«113

Der Begriff des Fatum mathematicum, der seit Keplers Zeiten die natürlichen Wirkprozesse des Himmels auf die Erde beschrieben hatte, wurde durch diese Erkenntnis zur polemischen Attacke gegen die Astrologie. Das mathematische, also berechenbare Schicksal gewann irrationale Züge, sodass der Begriff Fatum mathematicum selbst zunehmend inadäquat wurde. In der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert wurde deshalb der Terminus des Fatum chaldaicum immer populärer, weil er der zunehmenden Kritik weit besseren Ausdruck verlieh. Dieser Begriff durchbrach eine gemeinsame Front, die sich zwischen Astrologiegegnern und -befürwortern trotz aller Divergenzen bis in das 16. Jahrhundert erhalten hatte. Die gemeinsame Ablehnung der Chaldäer, der Sternenkundigen des Altertums, wich einer einseitigen vorwurfsvollen Zuschreibung, die nichts anderes behauptete, als dass die zeitgenössische Astrologie ein uralter heidnischer Irrglaube sei.114 Gerade in populärwissenschaftlichen Schriften wurde die Astrologie nun auf das reduziert, was sie seit Kepler nicht mehr hatte sein wollen. Die Astronomie hatte die Erforschung der mechanischen und physikalischen Beziehungen der 110 111 112 113 114

Art. Astrologie, in: Walch, Philosophisches Lexicon, S. 130. Ebd., S. 131 f. Art. Fatum, in: Walch, Philosophisches Lexicon, S. 910. Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Absichten, S. 99 f. So auch: Brosseder, Im Bann, S. 175.

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Himmelskörper als ihr fachspezifisches Arbeitsfeld okkupiert. Was für die Astrologie übrig blieb, beschränkte sich auf die zweifelhaften Horoskope und Nativitäten, das heißt die Deutung der himmlischen Schicksalszeichen, die sich bei der einfachen Bevölkerung immer noch großer Beliebtheit erfreute, aber – je weiter die wissenschaftlichen Erkenntnisse gediehen – mit immer neuen Argumenten widerlegt werden konnte. So betonte Christian Wolff, dass die Existenz unzähliger Himmelskörper, die mit dem menschlichen Auge nicht zu erblicken seien, gegen die astrologische Überzeugung spreche, dass der Himmel allein für die Menschen gemacht worden sei und einen bestimmbaren Einfluss auf diese ausübe.115 Auch der Mathematiker und Leiter der Göttinger Sternwarte Abraham Gotthelf Kästner (1719 – 1800) betonte die Unverhältnismäßigkeit solcher Vorstellungen, wenn er auf die ungeheure Größe von Jupiter und Saturn hinwies.116 In seinem »Philosophischen Gedicht von den Kometen« von 1744 fasste er die gängigen Argumente gegen die Astrologie sehr treffend zusammen: »Doch ist die Zeit jetzt hin; kaum sind es funfzig Jahr, / Da noch Chaldäens Wahn der Meßkunst Schandfleck war ; / Der Mensch ist nicht der Zweck von Millionen Sternen, / Die er theils kaum erkennt, theils nie wird kennen lernen; / Und daß ein Ländchen nur sein künftig Unglück sieht, / Schickt Gott nicht eine Welt, die dort am Himmel glüht.«117

Der Mensch war also nicht der Zweck der Millionen Sterne. Das war die Grundüberzeugung der naturwissenschaftlich gebildeten Bevölkerung seit dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Weder beeinflusste der Himmel das menschliche Leben, noch zeigte er eine konkrete göttliche Vorherbestimmung an. Die Durchsetzung des Heliozentrismus und die Etablierung des mechanistischen Weltbildes hatten sowohl der finalen als auch der kausalen Verbindung von Himmel und Erde die Grundlage entzogen und die Astrologie somit ihrer Eckpfeiler beraubt. Lediglich in der aufkommenden Physikotheologie konnte den Sternen noch eine Bedeutung für das menschliche Leben abgewonnen werden, und zwar genau in ihrer zeichenhaften, wenn auch nicht schicksalsbestimmenden Qualität. Der Dichter Barthold Heinrich Brockes (1680 – 1747) deutete in diesem Sinne den gestirnten Himmel als »die himmlische Schrift«, der es bestimmt war, die Größe und Weisheit Gottes zu offenbaren: »Seh’ ich den Himmel an, so kömmt mir sein Sapphir / Als eine Tafel für, / Die unermeßlich ist, auf welcher eine Schrift, / Die des allmächt’gen Schöpfers Wesen, / Huld, Weisheit, Macht und Majestät betrifft, / Im schimmernden Gestirn, in heller Pracht zu lesen. / […] Noch jüngst, als ich im Buch der Sternen, / Mit inniglicher Lust, 115 Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Absichten, S. 44. 116 Kästner, Das Lob, S. 215 f. 117 Ders., Philosophisches Gedicht, S. 76.

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studirte, / Und, voller Ehrfurcht, buchstabirte; / So deucht mich, daß ich hie und da / Und überall geschrieben sah / Den grossen Namen Jehovah.«118

Zum Lesen dieser Schrift waren keine mathematischen Berechnungen erforderlich, kein astrologisches Wissen vonnöten, weil sie nichts über die Zukunft verriet, sondern nur von der Allmacht ihres Schöpfers kündete. Da das Fatum astrologicum den Anforderungen einer Universalgesetzlichkeit also nicht genügte, wurde es fortan wieder auf die als irrational angesehene Zwecknotwendigkeit zurückgeworfen, mit der sich eine andere als poetische Auseinandersetzung von selbst verbot. Was bedeutete das aber nun für den Schicksalsbegriff dieser Zeit? Die Auseinandersetzung um die Legitimität des astrologischen Fatum-Begriffs bildete den Auftakt zu zahlreichen Debatten, die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts an der Schicksalsidee entzündeten. In all diesen Debatten ging es um eine Verhältnisbestimmung zwischen naturwissenschaftlichen beziehungsweise philosophischen Erkenntnissen und traditionellen Glaubensbeständen. Die Gelehrtenwelt der Frühaufklärung arbeitete sich mit dem Fatum-Begriff an der Frage ab, welchen Stellenwert der Kausalnotwendigkeit als Weltstruktur zugebilligt werden durfte. Interessant in diesem Fall ist, dass der Niedergang der astrologischen Schicksalsvorstellung mit dem Auftauchen eines Schicksalsbegriffs einherging, der genau das beschrieb, was das Fatum astrologicum nicht hatte einlösen können: Im astrologischen Diskurs war das Schicksal inopportun, weil es mit der kausalen Kette von Ursache und Wirkung nicht in Einklang zu bringen war. In anderen Zusammenhängen war der Glaube an das Schicksal inopportun, weil es die Kausalnotwendigkeit verabsolutierte.

3.3

Von der Antike lernen: Die frühneuzeitliche Rezeption stoischer Schicksalsauffassungen

Justus Lipsius’ Wiederentdeckung der Stoa Auf der Suche nach den untersten und langlebigsten Schichten, die das Fundament des Schicksalsbegriffs im frühen 18. Jahrhundert bildeten, trifft man unweigerlich auf die Philosophie der Stoa. Wie kaum eine andere philosophische Schule der Antike hatte der Stoizismus das Fatum erst zu einem zentralen Gegenstand der Philosophie erkoren und einen Großteil der Begriffe und Kategorien zu seiner Analyse bereitgestellt.119 In der Aufklärung war die philoso118 Brockes, Irdisches Vergnügen, S. 219 – 221. 119 Paillard, Entre science et m¦taphysique, S. 207 – 223.

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phische und theologische Beschäftigung mit dem Schicksal nicht selten eine Auseinandersetzung mit der stoischen Philosophie. Dabei waren sich die Autoren überwiegend einig: Im stoischen Schicksalsbegriff bündelten sich Probleme erstaunlicher Aktualität. Denn wie in der Aufklärungsphilosophie ging es auch in den zahlreichen antiken Schriften über das Schicksal um Fragen nach dem Weltgesetz, nach der Stellung des Menschen im Universum, nach seiner Freiheit angesichts der göttlichen Vorsehung oder nach der Determination des geschichtlichen Verlaufs.120 Das Fatum stoicum galt als das Prinzip, nach dem jede Ursache notwendig und unveränderbar eine bestimmte Folge nach sich ziehen musste, welche die Weltgeschichte und das Leben jedes Einzelnen unabänderlich bestimmte. Für den Menschen folgte daraus die Notwendigkeit, sich mit dieser Determination abzufinden und sich eine leidenschaftslose, eben stoische Haltung anzueignen. Das weitverbreitete Wissen um den stoischen Fatum-Begriff im 18. Jahrhundert war ein langfristiges Produkt des Neostoizismus, der sich ausgehend von den Niederlanden und Frankreich im 16. und 17. Jahrhundert über Europa ausbreitete und als eines der dominierenden Ethik-Paradigmen dieser Zeit gelten kann.121 Die langanhaltenden Schrecken der Konfessionskriege im Gefolge der Reformation hatten den Boden für die Wiederentdeckung stoischer Weltansichten und Tugenden bereitet, die durch die Rezeption antiker Autoren maßgeblich befördert wurde. Dem niederländischen Humanisten Justus Lipsius (1547 – 1606) kam das Verdienst zu, durch die exzellente Edition und Kommentierung zahlreicher antiker Schriften die Verbreitung stoischen Wissens überhaupt erst ermöglicht zu haben.122 Als Universitätsprofessor machte Lipsius das niederländische Leiden zum Zentrum einer neustoischen Schule, in der Wissenschaftler und Schriftsteller ganz Europas in die Lehre gingen.123 Weit mehr als das stoische System in seiner klassischen Form lediglich zu konservieren, wurde es durch Lipsius wirklich zu neuem Leben erweckt, weil er es an die Bedürfnisse und Hoffnungen der Zeitgenossen anpasste.124 120 Zum Fatum-Glauben der antiken Stoa siehe: Bobzien, Determinism; Botros, Freedom, S. 274 – 304; Gould, The Stoic Conception, S. 17 – 32; Long, Stoic Determinism, S. 247 – 268; Salles, Determinism, S. 253 – 272; Frede, Determinismus, S. 135 – 167; Sellars, Stoicism, S. 99 – 104; Pohlenz, Stoa und Stoiker, S. 86 – 104; Gasser, Freiheit. 121 Siehe zum Neostoizismus allgemein: Abel, Stoizismus; Meier, Stoa, S. 179 – 193; Neymeyr, Schmidt und Zimmermann, Stoizismus; Lagr¦e und Moreau, Le stocisme; Moreau, Le stocisme. 122 Bereits im Mittelalter gab es eine Stoa-Rezeption, die auch den Schicksalsbegriff einschloß, allerdings nicht dieselbe Ausbreitung erlebte wie in der Renaissance. Ricken, Art. Stoizismus; Kraye, Stoicism, S. 21 – 46. 123 Unter ihnen auch die bekannten Dichter des deutschen Barock Markus Opitz (1597 – 1639) und Andreas Gryphius (1616 – 1664). 124 Moreau, Les trois ¦tapes, S. 22.

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Ausgangspunkt seiner Affinität zur stoischen Philosophie war Lipsius’ Suche nach einem moralischen und praktischen Leitfaden, der ein politisches, religiöses und sittliches Überleben in den von religiösen Konflikten gespaltenen Ländern ermöglichte. Lipsius war als undogmatischer Gelehrter125 darum bemüht, eine konfessionsübergreifende Ethik zu entwickeln, die dem Einzelnen in Leben und Welt zur Standfestigkeit verhelfen sollte – eine Haltung, welche die konfessionell gebundene christliche Lehre im 16. Jahrhundert nicht mehr vermitteln konnte.126 Seine 1584 erstmals erschienene Abhandlung »De constantia« wurde in ihren zahlreichen Wiederauflagen und Übersetzungen zur vielrezipierten Programmschrift dieses Unternehmens.127 Für den vorliegenden Zusammenhang ist dieses frühe Werk deshalb so wichtig, weil hier eine Interpretation des stoischen Fatum-Begriffs erfolgte, die bis in das 18. Jahrhundert maßgebend sein sollte. Lipsius konzipierte »De constantia« als zweitägigen Dialog zwischen dem Lütticher Kanoniker Carolus Langius (1521 – 1573) und sich selbst. Als hilfesuchender Schüler, der den politischen Unruhen seiner niederländischen Heimat auf der Suche nach innerer Ausgeglichenheit entflieht, sucht Lipsius Rat und Hilfe bei dem bedeutend älteren Gelehrten. Dieser weist den desorientierten Jüngling in die Kunst der constantia – der Beständigkeit oder Willensstärke – ein, die dazu verhelfen soll, allen drohenden äußeren Gefahren mit Gleichmut zu begegnen und sittliche Kraft allein aus sich selbst zu schöpfen. Konsequent beruft sich Langius auf die antiken Philosophen der griechischen und römischen Stoa, deren Lehren zum nachahmenswerten Vorbild erhoben werden. Ein zentrales Element dabei ist die Auseinandersetzung mit der FatumLehre, die ja auch in der Antike das Grundgerüst der stoischen Ethik bildete.128 Lipsius widmet fünf Kapitel des ersten Buches der Entwicklung eines Schicksalsbegriffs, der sich an demjenigen der Stoa orientiert. Er weist auf Ungereimtheiten und Widersprüche hin und versucht aus dem vorgefundenen ein »wahrhafftiges« Fatum-Verständnis (Fatum verum) zu destillieren, das mit dem Christentum in Übereinstimmung gebracht werden kann. Nach einem Gesprächsabschnitt, der von der göttlichen Vorsehung handelt, gibt sich Langius als Agent Provocateur. Er möchte Lipsius’ Gewissheit von der Providenz mit dem Fatum-Glauben aussöhnen und argumentiert mit den Eigenschaften Gottes, der

125 Justus Lipsius wechselte im Laufe seines Lebens, abhängig vom jeweiligen Arbeitgeber, drei Mal die Konfession. 126 Oestreich, Antiker Geist, S. 69. 127 Lipsius, De constantia. Die deutsche Erstausgabe erschien 1599 in Leipzig unter dem Titel »Von der Bestendigkeit«. Zu den anderen Schriften Lipsius’ über die Stoa siehe: Papy, Lipsius’ (Neo-)Stoicism, S. 63 – 71. 128 Siehe zur antiken stoischen Fatum-Lehre insbesondere: Frede, Determinismus, S. 135 – 167.

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seit Ewigkeit alles wisse und am Lauf der Dinge keine Veränderung mehr vornehme. »Dann Gottes Gemüt ist ohn allen wandel. So du nun dieses war sein bekennest […] so mustu auch dieses dazu bekenen / das alles was Gott beschlossen / gewies und unbeweglich sey / von ewigkeit her in alle ewige ewigkeit. Aus welchem dann die Notwendigkeit entstehen / und das Fatum, welches du verspottest. Von welchem man auch hierumb gantz und gar nicht zu zweiffeln ursach hat / dieweil alle Völker zu allen zeiten mit einhelliger stimme dahin geschlossen / so / das welche nur ein wenig von Gott und seiner Versehung gewust / auch also bald auff das Fatum gestimmet haben.«129

Mit diesen Worten verdeutlicht Lipsius dem Leser bereits Dreierlei: Der Glaube an ein Fatum ist eine Art anthropologischer Konstante, der sich niemand entziehen kann. Der Fatum-Gedanke ist unweigerlich mit dem Gottes- und Providenz-Gedanken verbunden. Das Fatum impliziert die Vorstellung einer festen und unumstößlichen Notwendigkeit. Im Folgenden unterscheidet Langius vier verschiedene Fatum-Konzepte voneinander, die diese Notwendigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und dabei jeweils einer eigenen Logik gehorchen: Neben die bereits erwähnten Fatum-Konzepte (Fatum verum und Fatum stoicum) setzt er Schicksalsvorstellungen, die sich am Lauf der Gestirne orientieren (Fatum mathematicum) oder welche die bloße Abfolge der natürlichen Ursachen beschreiben (Fatum naturalis). Nach deren flüchtiger Erläuterung wendet sich Langius mit einiger Ausführlichkeit dem Fatum der Stoiker zu und beginnt mit einer offenkundigen Liebeserklärung: »Ich komme zu meinen Stoicis (Dann ich verhele es nicht / Ich halte gar viel und hoch von dieser Secte) die das Gewaltsame Fatum [Fatum violentum, F. R.] erfunden haben. Welches ich mit dem Seneca beschreibe und nenne / eine notwendigkeit aller Menschlichen dinge und hendel / welche keine gewalt brechen kann / oder mit dem Chrysippo eine Geistliche gewalt / welche diese ganze Welt regieret.«130

Der Übergang von der unverhohlenen Sympathie zu einer sehr ausdrucksstarken Semantik im Begriff des Fatum violentum verweist deutlich auf die Ambivalenz, mit der Lipsius in Gestalt des Langius dem stoischen Schicksalsgedanken gegenübertritt. Denn auch die nachfolgenden Erläuterungen bleiben in ihrer Argumentation nicht widerspruchsfrei. Einerseits bemüht sich Lipsius darum, in der Betonung der Differenzen eine entschiedene Abgrenzung zwischen einem christlich und einem stoisch verstandenen Schicksalsbegriff vorzunehmen. Auf der anderen Seite versucht er, die stoische Fatum-Philosophie gegen ihre Kri-

129 Lipsius, Von der Bestendigkeit, S. 50 f. 130 Ebd., S. 53.

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tiker zu verteidigen und umstrittene Elemente als missverständliche Formulierungen einzelner Vertreter zu relativieren.131 Er beginnt mit der Entkräftung der wirkmächtigsten Vorurteile, die dem stoischen Fatum-Begriff üblicherweise entgegengebracht werden: Die Stoiker stellten das Fatum über Gott und die menschliche Willensfreiheit. Und tatsächlich ließen sich Belege finden, die diese Vorwürfe bestätigen. Seneca selbst habe in seiner Schrift »De Providentia« davon gesprochen, dass die Notwendigkeit auch die Götter binde und der Schöpfer aller Dinge den Fata folgen müsse. Lipsius führt Äußerungen dieser Art auf verbale Entgleisungen zurück, die in der Hitze der Diskussion entstanden seien, jedoch nicht der Meinung der »rechtschaffenen Stoici«132 entsprechen würden. Sowohl Chrysipp (281/76 – 208/ 4 v. Chr.) als auch Seneca selbst hätten das Verhältnis von Gott und Fatum an anderen Stellen zutreffender dargestellt: Im Glauben an ein Fatum werde nicht Gott der Notwendigkeit untergeordnet, sondern ein Gott dem anderen. Das Wörtchen Fatum sei in der stoischen Philosophiesprache ein Synonym für die Vorsehung, wenn nicht sogar für Gott selbst.133 Lipsius relativiert die Unterschiede zwischen dem Fatum verum und dem Fatum stoicum, indem er sie zu einer Frage der Begrifflichkeiten erklärt, und attestiert den antiken Autoren so zumindest eine gute Absicht. Unter solchen Voraussetzungen werden die Heiden der Antike zu den Verfechtern eines rechten Gottesverständnisses und eines bewunderungswürdigen Glaubens: »Welche reden / so sie je etwas unfürsichtiges in sich haben / ist doch nichts Gottloses darinnen / und wann mans nur recht deutet / sein sie nicht so gar weit von unserm wahrhafftigen Fato. Zwar / dieses lob mus ich mit ernst der Sect der Stoicorum geben / das keine andere unserm Herrn Gott seine Maiestat und Versehung so wol gegeben und erstritten: keine andere mehr die Leute zu den Himmlischen und ewigen Sachen gezogen / als eben diese. Und so sie hierinnen etwan gestrauchelt und gefallen / so ist es doch aus einem löblichen und gutem fürsatz geschehen / damit sie die blinden Menschen von der blinden Göttin abführete. Vom Glück meine ich / welches gewalt sie nicht allein mit gantzer macht vernichtet unnd verworffen / sondern auch seinen namen nicht haben dulden wollen.«134

Hierbei spielt Lipsius auf die gleichsam »traditionsbildende Konfrontation« von Stoa und Epikureismus an.135 Unter beiden antiken Philosophenschulen erschien die Schule Epikurs, mit ihrer vermeintlichen Huldigung des absoluten Zufalls 131 So auch der Eindruck von Karl Matthias Beuth: Ders., Weisheit, S. 97. 132 Lipsius, Von der Bestendigkeit, S. 55. 133 »Nam qui inter eos proxime verum accessere, Fatum alias Prouidentiam ipsam appellabant, alias Deum.« Ders., De constantia, S. 133 f. 134 Ders., Von der Bestendigkeit, S. 55 f. 135 Schmidt, Grundlagen, S. 26.

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und der Propagierung ungehemmter Sinnesfreuden,136 den frühneuzeitlichen Denkern als genuiner Antipode christlicher Grundüberzeugungen. Die Leugnung der göttlichen Vorsehung und eines göttlichen Eingriffs in die Welt, die Ablehnung des Glaubens an die Unsterblichkeit der Seele und an ein Jenseits, in dem eine Gottesbegegnung stattfindet, machte die Philosophie Epikurs mit christlichen Glaubenswahrheiten inkompatibel.137 In der Wahl zwischen Stoa und Epikureismus musste die Stoa den christlichen Autoren näher stehen, ließen sich deren Lehren doch durch leichte semantische Verschiebungen an den rechten Glauben anpassen.138 So versucht auch Langius in »De constantia« das Fatum »aus der Stoicorum Kercker herfür an ein besser liechte [zu] bringen«,139 und einen Fatum-Begriff zu konstruieren, der begrifflichen Hinterhalten aus dem Wege geht und etablierte Lehren sinnvoll ergänzt. Der Autor Lipsius führt zu diesem Zweck ein System der Abgrenzung ein, das in der Folgezeit mannigfach rezipiert und insofern stilbildend für die Auseinandersetzung mit dem stoischen Fatum-Begriff im 17. und 18. Jahrhundert wurde. Lipsius identifiziert vier Aspekte, die das Fatum stoicum vom Fatum verum unterscheiden, und widerlegt damit offensichtlich seine vorherigen Apologisierungsversuche:140 1. Die Stoiker unterwerfen Gott dem Fatum, während das Fatum im Christentum Gott untergeordnet ist. 2. Das stoische Schicksalsverständnis impliziert den Glauben an »eine von Ewigkeit her folgende Reyen der natürlichen ursachen«,141 wohingegen im Christentum durch göttliche Wunder auch Ursachen existieren, die nicht miteinander verbunden sind. 3. Die Stoiker schließen über ihren Fatum-Begriff die Möglichkeit zufälliger Ereignisse aus, während nach lipsianischer Erkenntnis keine absolut notwendige Ursache-Folge-Relation existiert.142 4. Neben dem stoischen FatumBegriff kann keine menschliche Willensfreiheit existieren. Im christlichen Verständnis erlaubt das Fatum jedoch, weil es nur die Erstursache ist, die Einflussnahme von Zweit- und Mittelursachen. Und unter diese fällt auch der menschliche Wille. Auf Lipsius’ Konstruktion des Fatum verum soll nicht näher eingegangen werden, weil sich der Begriff in den frühneuzeitlichen Debatten nicht durchsetzte. Er entspricht in weiten Teilen der Definition von Boethius, der schon sehr 136 137 138 139 140 141 142

Siehe dazu: Pohlenz, Die Stoa, S. 21, 93. Schmidt, Grundlagen, S. 29. Ebd., S. 32. Lipsius, Von der Bestendigkeit, S. 56. Ebd., S. 61 f. Ebd., S. 61. »Zum dritten / so haben die Stoici auch gewolt / das alle ding in der Welt notwendig geschehen: Wir aber sagen / das auch etliche dinge / nach dem es mit den andern ursachen eine gelegenheit hat / so und anders geschehen und nicht geschehen können.« Ebd.

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früh um eine Integration des heidnischen Fatum-Begriffs in christliche Lehren bemüht war.143 Erwähnt sei nur ein schönes Bild, mit dem Lipsius seine Gedanken zum Fatum verum zusammenfasst: »Gleich wie ich im Schiffe auff dem Uberlauff wol mag umbher lauffen / und dennoch dem Schiffe seinen gang nicht benemen kann: Also / wie sehr auch unsere Willen in diesem schiff des Fati hin und herwider umblauffen / werden sie doch dasselbige nicht auffhalten / oder aus seinem gange bringen können. Der allerhöchste Göttliche Wille wird allzeit den Zügel halten: und wird diesen Wagen mit einem gelinde Zaum hinrichten / wohin es ihm immer gefallen wird.«144

In Lipsius’ Weltsicht folgte daraus, dass die Macht des Schicksals mit der Vernunft nicht zu ergründen war, und man sie nur bezwingen konnte, wenn man sich ihr ergab. Doch der Willensentschluss des Schicksals implizierte die tätige Anstrengung des Menschen. Auch wenn im Schicksal bestimmt war, dass man eine Krankheit überwinden werde, waren die Einnahme von Arzneien und die Hilfe durch einen Arzt unverzichtbar.145 Trotz der Unterschiede zwischen dem Fatum violentum und dem Fatum verum blieb für Lipsius das stoische Fatum der maßgebliche Referenzbegriff, um einen zeitgenössischen Schicksalsbegriff zu etablieren. Dabei war er auf die geoffenbarte Religion des Christentums eigentlich nicht angewiesen.146 In einer Zeit, in der die antike Philosophie und die christliche Weltanschauung wesentlich kompatibler waren, als es im Rückblick erscheinen mag, konnten sich die Gebildeten Europas Lipsius’ »Constantia« und den in ihr etablierten FatumBegriff mit einigen Modifikationen147 gegenseitig empfehlen, ohne unter den Verdacht des Atheismus zu geraten. Und das galt auch für zahlreiche herausragende Vertreter der Kirchen.148 Bis 1705 erschienen einundvierzig Ausgaben der »Constantia« in lateinischer Sprache und insgesamt sechsundsiebzig Übersetzungen ins Deutsche, Französische, Englische, Spanische, Holländische, Italienische und Polnische, die zum Teil mehrere Auflagen erlebten.149 Im 17. Jahrhundert war das gebildete Europa mit der Philosophie der Stoa in seiner neostoizistischen Ausprägung bestens vertraut.150

143 Papy, Lipsius’ (Neo-)Stoicism, S. 55. 144 Lipsius, Von der Bestendigkeit, S. 64. 145 Oestreich, Antiker Geist, S. 81. Eben dieses Beispiel verwendet Chrysipp: Pohlenz, Die Stoa, S. 103. 146 Oestreich, Antiker Geist, S. 91. 147 Lipsius selbst musste in einer zweiten Auflage einige Konzessionen an christliche Glaubensüberzeugungen einarbeiten, um sich nicht verdächtig zu machen. 148 Oestreich, Antiker Geist, S. 90 f. 149 Eine Übersicht bietet: Ebd., S. 213 – 215. 150 Siehe zur deutschen Rezeption: Ebd., S. 98 f.

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Der stoische Fatum-Begriff in der Kritik Doch die wohlwollende Aneignung stoischer Lehren und Tugenden im Renaissance-Humanismus und im Barock blieb nicht lange unwidersprochen. Ende des 17. Jahrhunderts mehrten sich Stimmen, welche die Affinität von Stoizismus und Christentum generell infrage stellten. Die Kritiker entsprangen im Wesentlichen zwei Lagern:151 Von katholischer Seite wurde die Möglichkeit in Zweifel gezogen, ohne Rückgriff auf die Offenbarung das stoische Ideal des glücklichen Weisen verwirklichen zu können. Philosophen wie Blaise Pascal (1623 – 1662) und Nicole de Malebranche (1638 – 1715) polemisierten gegen die stoische Arroganz, allein mithilfe der individuellen Vernunft ein universales Tugendideal etablieren zu wollen.152 Wahre Glückseligkeit sei allein durch göttliche Gnade zu erreichen. Von protestantischer Seite dagegen gerieten über die Konzentration auf Seneca und Epiktet der Determinismus der Stoa und ihre Negation der Willensfreiheit in das Kreuzfeuer der Kritik. Die kritische Rezeption der stoischen und neostoischen Lehren war dabei zugleich an die Verurteilung zeitgenössischer philosophischer Systeme geknüpft.153 So war es kein Zufall, dass die Auseinandersetzung mit der Stoa gerade in den 1670er-Jahren an Schärfe gewann. Zu Beginn dieser Dekade hatte Baruch de Spinoza (1632 – 1677) in Amsterdam anonym den »Tractatus theologicopoliticus«154 veröffentlicht, der erstaunliche Parallelen zur stoischen Philosophie aufwies. Sieben Jahre später wurde posthum die »Ethik«155 herausgegeben, die seinen Ruf als Determinist und Atheist auf lange Sicht befestigte. Die Ineinssetzung von Gott und Natur, von göttlichen Dekreten und Naturgesetzen wurde Spinoza in diesen Werken zur Grundlage für die Destruktion etablierter Glaubenswahrheiten. Konsequent weitergedacht bedeutete das, dass sich das stoische System als philosophischer Gegenspieler christlicher Theologie entpuppte.156 Wir werden später ausführlich darauf zurückkommen.157 Die Auseinandersetzung mit der antiken Lehre konzentrierte sich im 17. und frühen 18. Jahrhundert auf drei Fragestellungen, die noch zu Lipsius’ Zeiten oberflächlich und ausweichend beantwortet worden waren: Wie bestimmte die Stoa das tatsächliche Machtverhältnis von Schicksal und Gott? Welche Haltung bezog die stoische Philosophie zur menschlichen Willensfreiheit, die ja unver151 152 153 154 155 156

Siehe dazu: Brooke, Stoicism, S. 94 f. Pascal, Pens¦es; Malebranche, De la recherche. Brooke, Stoicism, S. 94. Spinoza, Tractatus. Ders., Ethik. Zur Verbindung von Stoizismus, Spinozismus und Atheismus siehe: Brooke, How the Stoics, S. 387 – 402. 157 Siehe Kap. 3.5.

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zichtbare Voraussetzung jeglichen moralischen Handelns war? Und zuletzt: Wie plausibel erschienen die stoischen Antworten auf diese Fragen, und waren sie mit dem aktuellen Glauben und Kenntnisstand vereinbar? Die Beschäftigung mit den Schriften der frühen Stoa brachten als einen der Ersten den Leipziger Philosophen Jakob Thomasius (1622 – 1684), Vater des berühmten Aufklärungsphilosophen, dazu, die Stoa als Philosophie des Materialismus und Determinismus zu brandmarken und sie in die Reihe atheistischer Lehren einzuordnen. In seinem Werk »Exercitatio de Stoica Mundi Exustione«158 von 1676 und später in den »Dissertationes ad stoica philosophiae« von 1682 beschuldigte er Justus Lipsius, die stoische Fatum-Lehre unaufrichtig wiedergegeben zu haben.159 Das Fatum stoicum sei der Abschaum der Gottlosigkeit; es beraube den Menschen der Freiheit und Gott seiner Allmacht.160 Nichts habe die Philosophiegeschichte stärker korrumpiert als der Versuch, den christlichen Glauben mit einer solchen Philosophie in Einklang zu bringen. Lipsius habe das grausame Verhängnis mit dem Namen der göttlichen Vorsehung bemänteln wollen, obwohl das Fatum die Omnipotenz der göttlichen Vorsehung aufhebe.161 Diese Vorstellung musste in einer christlich geprägten Gesellschaft als Herausforderung, wenn nicht sogar als Provokation empfunden werden. Die Thomasius’sche Kritik bekräftigte einige Zeit später der hallesch-jenaische Theologe Johann Franz Buddeus (1667 – 1729) in zahlreichen Auseinandersetzungen mit der stoischen Philosophie. Der kurzen Schrift »Exercitatio historico-philosophica tertia de erroribus stoicorum in philosophia morali« von 1696162 folgten unter anderem eine Abhandlung über die stoischen Wurzeln des Spinozismus und ein breit rezipiertes Werk über den Atheismus.163 Darin ordnete Buddeus die Philosophen der Stoa einer Atheismus-Kategorie zu, welche die Providenz und die Freiheit Gottes unmerklich aushöhlten.164 Manche Leser meinten zwar, in der stoischen Lehre viele schöne Sätze über die Religion, die Tugend etc. finden zu können, aber das beweise nur, dass man auch aus falschen Lehren richtige Schlüsse ziehen könne.165 Für Buddeus bestand kein Zweifel 158 Thomasius, Exercitatio. 159 Ders., Dissertationes, S. 166 – 177. 160 »Fatum Stoicorum, sie recessus ejus intimos scruteris, impietatum sentina est. Adimit enim homini libertatem, omnipotentiam Deo.« Ebd., S. 166. 161 So die Zusammenfassung der Thomasius’schen Kritik an Lipsius in: o. A., Summarische Nachrichten, S. 852. 162 Buddeus, Exercitatio, S. 159 – 204. 163 Ders., Dissertatio Philosophica; ders., Theses Theologicae; in deutscher Übersetzung: Ders., Lehr-Sätze. 164 Brooke, How the Stoics, S. 396. Bereits 1678 hatte der britische Philosoph Ralph Cudworth (1617 – 1688) die Philosophie der späten Stoa als Atheismus gebrandmarkt: Ders., True intellectual System. 165 »Haec magno numero apud Senecam, Epictetum, M. Aurelium Antonium, deprehenduntur,

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daran, dass die Stoiker Gott dem Fatum unterworfen hätten. »Eos omnina omnio, ipsumque adeo etiam deum, fati legibus subiecisse, variis testimoniis comprobare possem, […].«166 Fragte man die Stoiker, was ihr Fatum, das sie die ganze Zeit im Munde führten, tatsächlich sei, so antworteten sie, es sei eine unbezwingbare Notwendigkeit, eine unvermeidbare und unwiderstehliche Ordnung. Aber wolle man weiter erfahren, was denn die Ursache dieser Notwendigkeit sei, so könnten sie nicht antworten. Folglich sei das Fatum ein sinnleerer Klang, der die Ohren beleidige und nicht eine einzige geistvolle Idee hervorbringe.167 Der Buddeus-Schüler Johann Jacob Brucker (1696 – 1770) systematisierte die frühe Kritik seines Lehrers in seinem fünfbändigen Opus »Historia critica philosophiae«. Bruckers Werk wurde bald zum Standardwerk der Philosophiegeschichte,168 an dem sich nicht zuletzt Denis Diderots (1713 – 1784) und Jean Baptiste le Rond d’Alemberts (1717 – 1783) berühmte »Encyclop¦die« orientierte.169 Im ersten Band der »Historia« widmete Brucker der »stoischen Sekte« ein hundertseitiges Kapitel und setzte sich darin intensiv und unverhohlen kritisch nicht nur mit der antiken Philosophenschule, sondern auch mit ihren neostoizistischen Verteidigern auseinander. Seine Strategie war es, die impliziten Widersprüche der stoischen Lehren aufzuzeigen und auf begriffliche Unklarheiten hinzuweisen, um im Anschluss daran die Absurditäten und auch die Gefahren stoischer Weisheiten zu demonstrieren. »Was hat man von der Stoischen Philosophie überhaupt zu mercken: […] Daß die Stoische [!] Lehrsätze ausser ihrer Verbindung viel prächtiger lauten, in der Verbindung des ganzen Lehrgebäudes aber desto gefährlicher seyen, und sich gar nicht mit der christlichen Religion reimen, wie es sonst das Ansehen hat.«170 Einer dieser zweifelhaften Lehrsätze war natürlich derjenige über das Fatum. Brucker stellte die stoische Fatum-Lehre als den Glauben an eine ewige und

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sed ita comparator sunt, ut aut documento sint, posse quandoque ex falsis principiis veram deduci conclusionem, aut ostendant, Stoicos non semper principiis suis consentanea docuisse, quod & aliis philosophis quandoque contigit.« Buddeus, Theses Theologicae, S. 38. Ebd., S. 357. »Iam vero, si quaeras, quidnam itaque istud fatum sit? nihil aliud responderi potest, quam ipsomet hoc non posse explicare Stoicos, adeoque, dum simper fatum crepant eos tamen reuera, quid dicant, quidve ea voce tibi velint, nescire. Si enim vel maxime respondeas, est ineluctabilis necessitas, est inevitabilis ordis, nisi causam simul adferas, unde necessitas illas, unde evitabilis ordo proueuiat, nihil capio, nihil intellego; vocemque faltum audio cuius sonus aurem verberat, sed, quae in mente, quod capere queam, nihil producit.« Ebd., S. 358. Siehe die ausführliche Würdigung von Bruckers Stellung in der deutschen Aufklärung im Sammelband: Schmidt-Biggemann und Hilbk, Jacob Brucker. Diderot und d’Alembert, Encyclop¦die. Siehe zum Einfluss Bruckers auf Diderots Werk: Proust, Diderot; Jehl, Jacob Brucker, S. 238 – 258. Brucker, Erste Anfangsgründe, S. 120 f.

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unbezwingbare Notwendigkeit vor, die – einer Kette gleich – alle Dinge der Welt bezwang und auch Gott keine Freiheit beließ.171 War diese Lehre an sich schon gefährlich genug, gewann sie dadurch zusätzliche Brisanz, dass die Stoiker unzählige Synonyme für den Fatum-Begriff verwendeten. Denn das Fatum wurde nicht nur natura, lex natura, ordo causarum et effectuum, dispositio und necessitas genannt, sondern firmierte auch unter den Begriffen providentia und voluntas dei.172 Diese Begriffsverwirrung, so hatte Brucker es schon in einem früheren Werk nachzuweisen versucht, war ein Produkt der späten Stoa, die ihre besten Ideen vom Christentum abgekupfert und als ihre eigenen ausgegeben habe.173 Für Brucker wurde die Lehre vom Fatum in diesem Zusammenhang eines der bedrohlichsten Erbstücke der antiken Stoa. Gerade weil hier keine begriffliche Eindeutigkeit und damit Distanz zu christlichen Dogmen gewahrt blieb, war sie der Born heidnischer Einflussnahme auf den christlichen Glauben, die über den Neostoizismus bis in die Gegenwart anhielt. Bruckers Ausführungen wurden in der philosophiegeschichtlich interessierten Öffentlichkeit stark rezipiert, waren jedoch nicht unumstritten. Der Einfluss auf Diderot und d’Alembert wurde bereits erwähnt und schlug sich deutlich im Artikel über den Stoizismus in der »Encyclop¦die« nieder. Unumwunden wurde dort nach einer an Brucker orientierten Zusammenfassung der stoischen Lehren festgestellt: »Il n’est pas difficile de conclure de ces principes, que les stociens ¦toient mat¦rialistes, fatalistes, & — proprement parler ath¦es.«174 Der signifikante Unterschied zu Brucker bestand jedoch darin, dass Diderot an diesem Sachverhalt wenig auszusetzen fand.175 Diese Diderot’sche Unaufgeregtheit war für die Mitte des 18. Jahrhunderts symptomatisch. Nachdem sich die Wogen um die Philosophie Spinozas gegen Mitte des 18. Jahrhunderts geglättet hatten, beschränkte sich das Interesse am stoischen Fatum-Begriff auf den Bereich der Historie: Der stoische Schicksalsbegriff wurde im 18. Jahrhundert überwiegend als eine vergangene Erscheinung rezipiert und allein der Vollständigkeit halber in die Lexikonartikel zum Fatum oder Schicksal mitaufgenommen. Seinen unmittelbaren Gegenwartsbezug, der im Humanismus und Anfang des Jahrhunderts noch so offensichtlich gewesen war, hatte der Begriff zu diesem Zeitpunkt verloren. Das Fatum stoicum war eine von vielen Antwortmöglichkeit der Vergangenheit auf Fragen, die in der Gegenwart nur noch eine begrenzte Aktualität besaßen. In ihrer Beurteilung der stoischen Fatum-Lehre waren die Autoren des 18. 171 Ebd., S. 123. 172 Brucker, Historia, S. 927, 930 f. 173 So die Brucker’sche Argumentation bereits 1837 in: Brucker, Dissertatio, S. 276 – 278. Näheres dazu bei Brooke, How the Stoics, S. 401 f. 174 Art. Stoicisme, in: Diderot und d’Alembert, Encyclop¦die, S. 525 – 533. 175 Siehe dazu auch: Brooke, How the Stoics, S. 402; Sellars, Stoicism, S. 148.

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Jahrhunderts also um Ausgleich bemüht, auch weil sich der Blick auf die Philosophiegeschichte und die Methoden ihrer Erforschung grundlegend geändert hatten. Wie Christopher Brooke herausgearbeitet hat, wandelte sich die Beschäftigung mit den philosophischen Lehren der Vergangenheit im Übergang zum 18. Jahrhundert von der Konzentration auf einzelne, isoliert betrachtete Schulen zur Untersuchung spezifischer Fragestellungen, die unter Umständen auch eklektisch beantwortet werden konnten.176 Unter diesen neuen Prämissen konnten zum Beispiel der Ethik der Stoa positive Züge abgewonnen werden, obgleich man ihre Physik scharf verurteilte.177 Ein direkter Vergleich von antikem Fatum und christlicher Providenz wurde fortan vermieden. Rein philosophiegeschichtlich konzentrierte man sich auf die einzelnen Aussagen der stoischen Philosophen und stellte relativ schnell übereinstimmend fest, dass deren System begrifflich widersprüchlich oder zumindest missverständlich sei. So meinte der lutherische Theologe und Altphilologe Christian Victor Kindervater (1758 – 1806) in seinem Kommentar zu Ciceros »De Natura Deorum« vorsichtig, dass es verwunderlich sei, dass die Stoiker »den Widerspruch nicht eingesehen hätten, in welchen sie mit sich selbst verfielen, daß sie die Gottheit der Nothwendigkeit unterwarfen, und sie doch nach Endzwecken die Welt einrichten ließen«.178 Es bedurfte also einer modernen Vermittlung, um die stoische FatumLehre überhaupt als Ganzes verstehbar zu machen. Denn ihrer Intention nach, so wurde den stoischen Philosophen zugestanden, hätten sie die kausale Verknüpfung des Weltgeschehens, die Herrschaft Gottes und die Freiheit des menschlichen Willens in einem holistischen System zusammenzufassen versucht. Dietrich Tiedemann (1748 – 1803), Professor für alte Sprachen in Kassel, kompilierte 1776 die zeitgenössischen Kenntnisse über das »System der stoischen Philosophie« und beschrieb das Schicksalsverständnis der Stoa als »physische und geometrische Nothwendigkeit aller Welt-Begebenheiten«, die allerdings die Freiheit des Willens nicht ausschließe und die Begebenheiten nur gewiß, aber nicht notwendig mache. »Wenn also die Frage aufgeworfen wird, was haben die Stoiker eigentlich unter ihrem Schicksal verstanden? [So muss man, F. R.] allen diesen Zeugnißen zu folge annehmen, daß sie durch einen Widerspruch beydes mit einander vertheidigt haben.«179 Der königlich-dänische Hofprediger Christian Bastholm (1740 – 1819) versuchte diese Widersprüche zu vermitteln: Man beleidige den großen Philosophen Seneca, wenn man ihn beschuldige, die Allmacht Gottes angezweifelt zu haben. Nach stoischer Lehre habe Gott vom Weltbeginn an mit vollkommener 176 177 178 179

Brooke, How the Stoics, S. 395. So: Barbeyrac, An historical and critical account, S. 71; Brooke, How the Stoics, S. 398. Kindervater, Anmerkungen, S. 48. Tiedemann, System der stoischen Philosophie, S. 141 f.

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Weisheit und Güte einen Plan entworfen, nach dem die Geschehnisse in der zukünftigen Welt bestimmt worden seien. Dieser Plan sei so weise und gut, dass Gott ihn im Nachhinein niemals ändern müsse. Sein ewiger Wille sei Gottes eigenes Gesetz. Sein erster Beschluss könne ihn niemals gereuen.180 Damit war Bastholm einer der wenigen Autoren, die tatsächlich versuchten, aus der stoischen Lehre auch zu dieser Zeit noch unmittelbare Konsequenzen für die Gegenwart abzuleiten. Auf der Suche nach Elementen einer natürlichen Religion bei den heidnischen Philosophen fand er auch im stoischen Fatum-Glauben »etwas richtiges und etwas unrichtiges«:181 Die Kausalverknüpfungen in der Welt konnten nicht geleugnet werden. Auch die Erfahrung lehre, dass alle Dinge in der physischen Welt eine zusammenhängende Kette von Ursache und Wirkung bildeten. Allerdings gelte es zwischen eben dieser physischen und der moralischen Welt zu unterscheiden. Denn der Mensch behalte trotz dieser Verknüpfungen seinen freien Willen. Lediglich die Ausführung menschlicher Entschlüsse liege in der Hand des Schöpfers: »Der Schöpfer, welcher jedes Menschen freiwillige Entschlüße voraussahe, setzte die physische Welt in die beste Harmonie mit der moralischen, und verordnete den Gang des Schicksals, nachdem er voraus sah, daß jeder der Bewohner der Erde seinen freien Willen entweder wohl oder übel brauchen würde. Dadurch machte er es so, daß, obschon der Mensch seine Freiheit behielt zu wollen, er doch nicht die Freiheit hatte zu machen, was er wollte. Was in der Welt geschiehet, gehöret also würcklich zur Kette der Dinge; entweder ist es beschloßen, daß es geschehen solle, oder erlaubt, daß es geschehe, weil es mit dem Plane des Schöpfers übereinstimmet, oder weil es denselben wenigstens nicht zerstöret.«182

Mit diesem Vermittlungsversuch zwischen Schicksal, göttlicher Allmacht und Freiheit des Menschen erwies sich Bastholm als ein glühender Verehrer der Leibniz’schen Philosophie, der versuchte, Theologie und Rationalismus in einem Vernunftchristentum auszusöhnen. Dass er bei diesem Unternehmen ohne Belege aus der Offenbarung auskam, war Teil seines Programms. Angesichts dieses neuen, differenzierten Verständnisses fand die harsche Kritik eines Brucker keine Zustimmung mehr. Das eklektische Wissenschaftsund Theologieverständnis der Aufklärung erlaubte die Bewunderung bestimmter Elemente der stoischen Philosophie, während andere unbeachtet blieben. So polemisierte Christian Victor Kindervater gegen die verallgemeinernde Kritik Bruckers, die den Stoikern sogar den Glauben an die Providenz absprechen würde. Kindervater unterstellte Brucker nicht nur eine mangelnde 180 Bastholm, Die natürliche Religion, S. 156 f. Ebenso argumentierte Christian Viktor Kindervater : Ders., Anmerkungen, S. 48. 181 Bastholm, Die natürliche Religion, S. 158. 182 Ebd., S. 159.

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Beweisführung, sondern sogar Missgunst gegenüber der erhabenen und vortrefflichen stoischen Moral, die sehr wohl mit christlichen Lehren kompatibel sei. Insofern kämpfe Brucker einen unsinnigen Kampf gegen Gleichgesinnte: »Das Christenthum verliert ja nichts, wenn die Sittenlehre alter Philosophen nicht im Widerspruch mit ihm steht.«183

Die stoische Philosophie als Steinbruch neuzeitlicher Gelehrsamkeit Ausgehend vom Neostoizismus des Humanismus wurde das Wissen über das Fatum stoicum bis in die Aufklärung weiter tradiert und galt als unmissverständlich und gesichert. Die stetige, teilweise wortgenaue Wiederholung der lipsianischen Argumentation von theologischer und philosophischer Seite184 ließen das Fatum stoicum wenig kontrovers erscheinen. Allerdings wurde die Sympathie, welche die Vertreter des Neostoizismus der antiken Fatum-Lehre noch entgegengebracht hatten, im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts zunehmend durch eine ablehnende Haltung ersetzt. Nicht die Kompatibilität mit dem christlichen Glauben, sondern ihre generelle Andersartigkeit wurde betont. Die Hoheit des Schicksals über die Götter, die Verabsolutierung von Kausalverknüpfungen, der vollendete Determinismus und damit die Negation der Willensfreiheit wurden zu den Hauptkennzeichen des stoischen Fatum-Begriffs. Dass man der tatsächlichen Fatum-Vorstellung der stoischen Philosophie damit teilweise Gewalt antat, wurde kaum reflektiert.185 Nach einer aktiven Phase der Rezeption, die einer systematischen Umschreibung der Stoa gewidmet war, firmierte diese im 17. und frühen 18. Jahrhundert als Feindbild, um andere Systeme zu profilieren. Die verbleibenden Wissensbestände wurden in diesem Zuge zu Bausteinen beziehungsweise Materialien neuer Theorien umfunktioniert. Diese Demontage des christlich geprägten Neostoizismus hing damit zusammen, dass die stoische Philosophie nur auf einen begrenzten Bereich von Fragen Antworten zu geben vermochte, anderen gegenüber jedoch stumm bleiben musste. Auch Lipsius hatte die Philosophie der Stoa in erster Linie als Sittenlehre rezipiert und verbreitet, sie aber nur marginal auf theologische 183 Kindervater, Anmerkungen, S. 48 f. 184 So zum Beispiel vonseiten protestantischer Theologen wie Franciscus Burmannus (Frans Burmann, 1628 – 1679): Ders., Synopsis, S. 332 f.; Hollatz, Examen, S. 640. 185 Siehe dazu im Allgemeinen: Frede, Determinismus, S. 135 – 167. Cornelia Gasser weist noch einmal deutlich darauf hin, dass die ontologischen Voraussetzungen des stoischen Determinismus in der Rezeption häufig vernachlässigt werden, obwohl sie die Grundbedingungen des Fatum-Verständnisses der Stoa bilden: Dies., Freiheit, S. 54.

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Fragestellungen angewandt.186 Die scheinbaren Übereinstimmungen zwischen stoischer Weisheit und Christentum ließen sich in einigen kritischen Punkten nicht aufrechterhalten und mussten auf Dauer Widerstand erregen. Zu diesen Punkten gehörte zum Beispiel die Frage der Gottesvorstellung: Im stoischen Denken ging die Weltregierung vom alles durchdringenden Logos aus, der für den kausalen Ablauf des Weltgeschehens verantwortlich zeichnete. Obwohl er von einigen stoischen Philosophen auch personifiziert wurde,187 glich er einem ehernen Weltgesetz, das den Kosmos strukturierte. Der christliche Gott hatte mit diesem Logos nur sehr wenig gemein. War ein wesentlicher Bestandteil christlicher Theologie die Trennung von Gott und Welt, betonte die Stoa einen pantheistischen Monismus, der zwischen Gott und Welt kaum unterschied. Zwar existierten in der Stoa Pantheismus und Theismus begrifflich häufig nebeneinander, doch wenn Epiktet von Gott oder Zeus gesprochen hatte, so meinte er damit nur sehr entfernt die Götterfamilie des Olymp.188 In Bezug auf das Fatum und die Vorsehung bedeutete das, dass nach stoischer Vorstellung das Fatum ein Prinzip darstellte, das alles Existierende durchdrang und einen Ausdruck für den göttlichen Anteil darstellte, der jedem Einzelnen innewohnte. Die christliche Vorsehung hingegen erreichte die Dinge der Welt als göttliches Dekret von außen, aus einer nicht näher bekannten Transzendenz. Sie war keine universale Eigenschaft, sondern das konkrete Handeln Gottes am Individuum. Dazu passte, dass das göttliche Handeln im Rahmen der Vorsehung immer zielgerichtet sein musste, weil es der Ausfluss aus den zwar unbekannten, aber zweifellos existierenden Absichten Gottes war. Das Fatum der Stoa hingegen zeichnete sich nach frühneuzeitlicher Interpretation jedoch weniger durch eine finale als durch eine kausal bedingte Wirksamkeit aus. Was hier fehlte, war ein festgelegtes Ziel, das den Lauf der Dinge bestimmte. Insofern musste das stoische Fatum gefühllos und blind bleiben. Der Aspekt der väterlichen Gnade und Fürsorge des christlichen Gottes hatte im stoischen Fatum-Verständnis keinen Raum.189 Hinzu kam, dass die stoische Philosophie in ihrer Konzentration auf eine universale Ordnung die brennenden Fragen der Aufklärung nicht befriedigend zu beantworten vermochte. Ein Zeitalter, welches das Individuum zum Ausgangspunkt jeglicher Philosophie erhob, konnte die stoische Verneinung von Affekten und das Desinteresse an Methoden des Erkenntnisgewinns nicht akzeptieren.190 Die Stoa wurde im 17. Jahrhundert zum philosophischen Steinbruch, aus dem 186 187 188 189 190

Oestreich, Justus Lipsius, S. 582. So z. B. von Kleanthes und Epiktet: Wehner, Die Funktion, S. 106 – 108. Ebd., S. 108. Lagr¦e, Juste Lipse, S. 82. Siehe dazu Kap. 3.5. Moreau, Les trois ¦tapes, S. 24.

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sich jeder bediente. Die klassischen Texte lieferten dabei das »Rohmaterial«, an dem sich neuzeitliches Wissen abarbeitete und dabei formte.191 Für Philosophen wie Descartes, Spinoza oder Leibniz war die Philosophie der Stoa eine Referenz, die man zitierte, benutzte, aber nicht zuletzt auch bekämpfte,192 um ihr etwas Zeitadäquates entgegenzusetzen. Aus der Reihe dieser Autoren trug dennoch einer maßgeblich zur zwar kurzfristigen, aber intensiven Auseinandersetzung mit dem stoischen Fatum-Verständnis im 18. Jahrhundert bei. In radikaler Abgrenzung vom traditionellen Glauben sprengte Baruch de Spinoza die lipsianische Verbindung von Christentum und Stoa endgültig, indem er nicht – wie vorher üblich – nur die stoische Morallehre, sondern auch ihre gesamte Naturkonzeption rezipierte und übernahm.193 Der stoische Fatum-Begriff wurde in diesem Zusammenhang in den sogenannten spinozistischen Schicksalsbegriff überführt, wobei die semantische Grenzziehung zwischen beiden immer wieder verschwamm.194 Das stoische Fatum wurde dabei immer mehr zum historischen Relikt, einer Vorstellung der fernen Vergangenheit, die auf die Gegenwart keinen Einfluss mehr besaß. Sie war ein offensichtlicher Irrtum gewesen, der den aufgeklärten Menschen des 18. und 19. Jahrhunderts nicht mehr zu beeindrucken, geschweige denn aufzuregen vermochte.195 Längst hatten sich andere Fronten aufgetan, an denen es zu kämpfen galt.

3.4

Das Fatum Spinozas im halleschen Streit

Die rhetorische Waffe des Fatum spinozisticum Kaum ein anderer Philosoph erschütterte das Weltbild der europäischen Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts wohl so sehr wie der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza. Insbesondere seine »Ethik«196 wurde zum Inbe191 Elm, Lottes und Senarclens, Einleitung, S. 9. 192 Moreau, Les trois ¦tapes, S. 25. 193 Siehe zu den Rezeptionsbedingungen Spinozas: Klessinger, Spinozas Stoizismus, S. 998 – 1002; Daphnos, Stoische Elemente, S. 183; Matheron, Le moment stoicien, S. 302 f. Spinozas Verbindungen zur stoischen Philosophie sind bis heute in der Forschung umstritten, da nur wenige direkte Verweise in Spinozas Werk zu finden sind. 194 So z. B. bei Unzer, Grundriß, S. 298; Art. Spinoza (Benedict von), in: Peter Baylens Philosophisches Wörterbuch, S. 712. Mark A. Kulstad hat dezidiert nachgewiesen, dass Leibniz’ Kritik an Spinoza wortwörtlich seiner Kritik an der stoischen Philosophie entspricht: Ders., Newton, S. 84 – 92. 195 Dennoch weist Christopher Brooke zu Recht darauf hin, dass auch noch im 18. Jahrhundert bedeutende Philosophen stoische Lehren adaptierten. Er geht sogar so weit, Kants kritische Philosophie als Transformation des stoischen Kausaldeterminismus zu interpretieren. Ders., Stoicism, S. 115. 196 Spinoza, Ethik.

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griff eines fatalistischen Atheismus, mit dem in seiner Radikalität kein anderes philosophisches System der damaligen Zeit konkurrieren konnte. Der Aufschrei der europäischen Öffentlichkeit war einhellig: Spinoza hatte in seinem Werk einem monistischen Pantheismus das Wort geredet, der Gott und Welt in eins setzte und damit die Natur selbst zum Gott erhob. In Umformung cartesianischer Lehren geschah nach Spinoza alles in der Welt notwendig, weil sie die Ursachen ihrer Entwicklung antiteleologisch aus sich selbst hervorbringe.197 Die Folgen seien die Verleugnung der göttlichen Providenz, der menschlichen Willensfreiheit, der Kontingenz der Welt und des Dualismus von Leib und Seele. Die spinozistische Lehre wurde so zum Synonym für den Glauben an eine fatale, unüberwindbare Naturnotwendigkeit, dem die christliche Lehre eines weisen und gütigen Schöpfergottes, der außerhalb der Welt existierte, diametral entgegengesetzt war.198 Tatsächlich boten die Lehren Spinozas mannigfachen Anlass zur Diskussion und prägten so maßgeblich »die ungläubige Kehrseite« des 17. und 18. Jahrhunderts.199 Deren Protagonisten waren nicht länger dazu bereit, die althergebrachten christlichen Gewissheiten unhinterfragt als allgemeingültige Wahrheiten zu akzeptieren. Die spinozistische Denkrichtung gewann in der Folgezeit massive Präsenz im Rahmen einer europaweiten »radikalen Aufklärung«, die sich die rationale Aneignung der Welt zum Ziel setzte.200 Damit wurde sie gleichzeitig zum Schreckbild traditioneller religiöser und staatlicher Eliten, welche die tatsächlichen und vermeintlichen Anhänger Spinozas kriminalisierten und verfolgten. Von katholischer Seite wurden Spinozas Werke bereits 1669 auf den Index gesetzt, was eine akademische Debatte katholischerseits faktisch unterband. Im lutherischen Kontext hingegen erschienen schon in den 1670er-Jahren erste Streitschriften gegen Spinozas philosophisches System, verfasst vom Leipziger Theologieprofessor Friedrich Rappolt (1615 – 1676) und wiederum von Jakob Thomasius, die vor allem Spinozas Anspruch der libertas philosophandi, der Freiheit des Philosophierens, kritisierten, und den Philosophen in die Ahnenreihe des Atheismus einordneten.201 Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt wurde die theologische Kritik an Spinozas Lehren durch eine politische Kritik verstärkt – eine Verbindung, die sich als extrem langlebig erwies.202 Sehr bald wurde der 197 Zum Notwendigkeitsbegriff Spinozas siehe: Perler, Das Problem, S. 59 – 80. 198 Siehe zur Spinoza-Rezeption in Deutschland im Allgemeinen: Otto, Studien; Zenker, Spinoza, S. 59 – 87; Schröder, Spinoza. 199 Minois, Geschichte des Atheismus, S. 231. 200 So die Kernthese von Jonathan Irvine Israel: Ders., Radical enlightenment. 201 Rappolt, Opera theologica, S. 1383 – 1407; Thomasius, Programma, o. S. Erläutert bei: Zenker, Spinoza, S. 61 f. 202 Ebd., S. 64.

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Spinozismus zur Chiffre für alle intellektuell radikalen und antichristlichen Tendenzen der Zeit und somit zu einem Vorwurf, der dazu geeignet war, akademische oder persönliche Kontrahenten wissenschaftlich zu diskreditieren, wenn nicht sogar mundtot zu machen. Fast niemand war vor diesem Vorwurf gefeit. So wurde schon begrifflich kaum noch zwischen Spinozismus, Pantheismus, Deismus, Naturalismus und Atheismus unterschieden, da nicht mehr im Mittelpunkt stand, ob man an einen Gott glaubte, sondern ob man an den Gott glaubte, dessen Eigenschaften von der Kirche definiert worden waren.203 Hinzu kam, dass jeder, der fortan versuchte, die Welt wie Spinoza nach mathematischexakter Methode (more geometrico) zu beschreiben, in den Verdacht geriet, den christlichen Glauben infrage zu stellen und damit Atheist und Fatalist zu sein.204 In diesem Zusammenhang bildete sich bereits kurz nach dem Erscheinen von Spinozas Hauptwerk auch der eigenständige Terminus des spinozistischen Schicksals heraus, der wahrscheinlich vom französischen Mystiker und Philosophen Pierre Poiret (1646 – 1719) geprägt205 und zunächst stets mit dem Schicksalsbegriff der Stoiker in Verbindung gebracht wurde. Alsbald emanzipierte sich der Begriff jedoch von seinem antiken Erbe und gewann europaweit eine Brisanz, die auf seine Verknüpfung mit aktuellen philosophischen und theologischen Problemlagen hindeutet. Der gefährliche Konnex zwischen Spinozismus, Atheismus und FatumGlaube ließe sich an vielen Schriften des späten 17. und 18. Jahrhunderts nachweisen.206 In Deutschland offenbarte sich seine wahre Explosivität jedoch 1723, als der schon damals weltberühmte Mathematiker und Philosoph Christian Wolff der »Spinozisterei« und »Atheisterei« überführt, unehrenhaft von der Universität Halle entlassen und aus Preußen verbannt wurde.207 Viele Jahre später legte Wolff die erste grundlegende und dabei sachliche Kritik an Spinozas Philosophie vor und setzte sich darin auch mit dem Schicksalsbegriff auseinander.208

203 Ebd., S. 65. 204 Minois, Geschichte des Atheismus, S. 254. 205 Er spricht vom »Fatum Spinozae« oder »Spinoziam Fatum«: Poiret, Cogitationum rationalium, S. 463, 825. 206 Zum Beispiel in der Debatte über Theodor Ludwig Laus (1670 – 1740) »Meditationes Philosophicae de Deo, Mundo, Homine«, dargestellt in: Gawlick, Thomasius, S. 266 – 272. 207 Zu Wolffs Lebensweg siehe: Mühlpfordt, Systemdenker, S. 49 – 76. 208 Wolff, Theologia Naturalis, S. 672 – 730. Dazu: Felice, Wolff e Spinoza; Goldenbaum, Spinoza, S. 29 – 41. Eine umfassende Darstellung der Wolff ’schen Lehren, die sich auf Spinoza beziehen, findet sich bei: Morrison, Christian Wolff ’s Criticisms.

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Das Schicksal und die Soldaten Die Vertreibung Christian Wolffs von der Universität Halle markierte einen der aufsehenerregendsten und folgenreichsten Wissenschaftsskandale des 18. Jahrhunderts, der jedoch eine maßgebliche Voraussetzung für die Durchsetzung kritisch-aufklärerischen Denkens zumindest an deutschen Universitäten war.209 Hier zeigte sich nicht nur das Konfliktpotenzial, welches das unmittelbare Aufeinandertreffen der »streitbaren Geschwister« Aufklärung und Pietismus in Halle in sich barg, sondern auch die tiefe, innere Zerrissenheit der europäischen Aufklärungsbewegung.210 Deren Geister schieden sich nicht zuletzt an der Frage, welches Gesetz dem allgemeinen Lauf der Welt eigentlich zugrunde lag, und ob dieses vielleicht mit dem Begriff des Fatums oder Schicksals korrekt beschrieben werden könnte.211 Auch die Opposition der aufgeklärten philosophischen Schule Christian Thomasius’ (1655 – 1728), Sohn des oben erwähnten Leipziger Theologieprofessors, gegen die fatalistischen Implikationen der spinozistischen und Wolff ’schen Philosophie legt davon beredtes Zeugnis ab.212 Der Konflikt, der zumindest vorübergehend in der unehrenhafte Verbannung Wolffs aus Preußen gipfelte, hatte sich schon lange vor 1723 angebahnt.213 Wolff, der 1706 als ordentlicher Professor für Mathematik und Physik an die hallesche Universität berufen worden war, hatte schon sehr bald die engen Grenzen seiner Fächer überschritten, um in seinen Vorlesungen sowohl zu Aspekten der Philosophie als auch der Theologie Stellung zu beziehen und ein eigenständiges philosophisches System zu entwickeln. Dabei bediente er sich einer als neuartig empfundenen Erkenntnismethode, die allein auf der Kraft des menschlichen Verstandes und der Erfahrung basierte und damit nicht mehr auf die Geheimnisse göttlicher Offenbarung angewiesen schien.214 Dass Wolff prinzipiell alles in 209 Gerlach, Eklektizismus, S. 12. 210 Beutel, Causa Wolffiana, S. 159; Israel, Radical enlightenment, S. 544. 211 Der deutsche Schicksalsbegriff setzt sich erst in den 1730er-Jahren in der philosophischen Terminologie durch. Bei Wolff taucht er zuerst 1739, in den »Gesammelten kleinen philosophischen Schriften«, als »unvermeidliche[.] Verbindung« und »unbedingte und unumgängliche Nothwendigkeit« auf, die wiederum mit dem lateinischen Wort fatalis in Verbindung gebracht werden: Ders., Gesammelte kleine philosophische Schriften, S. 24. 212 Zenker, Spinoza, S. 66 – 71; Döring, Der Wolffianismus, S. 72 – 75. Hier insbesondere Christian August Crusius’ (1715 – 1775) Schrift gegen den Satz des zureichenden Grundes: Ders., Gründliche Belehrung. Zur Verbindung von Pietismus und thomasischer Philosophie in Halle siehe: Schmidt-Biggemann, Praktische Philosophie, S. 154 – 157. 213 Mühlpfordt spricht von insgesamt sieben Etappen einer Kampagne gegen Wolff zwischen 1712 und 1723: Ders., Systemdenker, S. 62. 214 Siehe dazu: Gûmez Tutor, Die wissenschaftliche Methode, in: Stolzenberg und Rudolph, Christian Wolff, S. 113 – 123; ders., Die wissenschaftliche Methode; Neumann, Hermeneutik, S. 379 – 421; Marty, La m¦thode scientifique, S. 109 – 115. Zum Empiriker Wolff siehe: Mühlpfordt, Systemdenker, S. 57 – 60. Robert Theis hat die These aufgestellt, dass

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der Welt als rational erkennbar, begrifflich eindeutig erklärbar und in einem logisch widerspruchsfreien System zusammenfassbar ansah, bezog sich auch auf die Theologie, die er als natürliche Theologie etablieren wollte.215 Das spiegelte sich auch in den Titeln seiner in deutscher Sprache verfassten Werke wider, die sämtlich mit den Worten »Vernünftige Gedancken von« eingeleitet wurden. Damit griff Wolff auf eine Methode zurück, die bereits zu Spinozas Zeiten als hochgefährlich gebrandmarkt worden war, weil sie die seit der Reformation geltende Lehre, dass Glaubensfragen allein mithilfe göttlicher Erleuchtung, Inspiration und fachtheologischer Anleitung, aber nicht durch den Verstand beantwortet werden konnten, im Grundsatz widersprach.216 Wolffs eigenmächtige Überschreitung definierter Fächergrenzen und seine rationale Erkenntnismethode erregten insbesondere in den betroffenen Disziplinen einigen Unmut. Die theologische Fakultät von Halle war zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit einigen der bedeutendsten pietistischen Theologen der Zeit besetzt, die nicht nur an der Universität und in der Stadt, sondern auch am preußischen Hof einigen Einfluss besaßen.217 Diese monierten Wolffs zunehmende Kompetenzüberschreitungen seit ca. 1712, dem Jahr, in dem dieser in der »Deutschen Logik« behauptet hatte, dass sich die Bibel wie jede andere Schrift auch nach den Maßgaben der Vernunft interpretieren lasse.218 Wolff hatte damit nicht nur offen die biblische Auslegungshoheit der Theologen angezweifelt; viel grundsätzlicher hatte er die Philosophie zur verbindlichen Leitwissenschaft erklärt und so der Theologie den Rang streitig gemacht.219 Trotz des wachsenden Unmuts unter den Kollegen erfreuten sich Wolffs Lehrveranstaltungen weiterhin uneingeschränkter Beliebtheit. Doch die Theologiestudenten, welche die Wolff ’schen Vorlesungen besuchten, gerieten bald ebenso in die Kritik wie ihr akademischer Lehrer. Man habe »an denen Studiosis, welche seine lectiones philosophicas besuchet, wahrgenommen, daß manche, wenn sie vorhin auf einen guten Weg gebracht, wieder aus der Art geschlagen […]. Insonderheit merckten wir an ihnen eine Geringachtung des göttlichen Worts und der zum Grunde und zu der Ordnung unsers Heils gehörigen göttlichen Wahrheiten, und dabey eine solche praesumption von ihrer Klugheit, wozu sie durch

215 216 217 218 219

Wolffs »Metaphysik« von vornherein so konzipiert gewesen sei, dass sie mit der Wahrheit des christlichen Glaubens an einen Schöpfergott in Einklang stehe. Die Theologie sei so der eigentliche Subtext der »Metaphysik«. Ders., ›Ut & scias‹, S. 17 – 38. Albrecht, Die philosophischen Grundüberzeugungen, S. 21; ders., Einleitung, S. 13. Zenker, Spinoza, S. 59. Wie zum Beispiel August Hermann Francke (1663 – 1727): Brecht, August Hermann Francke, S. 498. Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Kräfften, S. 228 – 230. Beutel, Causa Wolffiana, S. 164.

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diese philosophie gelanget zu seyn vermeinten, daß sie alles besser wissen wollten, als andere.«220

Die Eskalation des Konflikts einige Jahre später war jedoch weder dem Umstand geschuldet, dass die theologische Fakultät studentische Spione in Wolffs Vorlesungen schickte, um verdächtige Inhalte protokollieren zu lassen, noch der Tatsache, dass Wolff sich offen über diese »Väter und Beförderer der Unwissenheit, Feinde einer gründlichen Erkenntniß« lustig machte.221 Der Auslöser wurde Wolffs Vortrag über die Sittenlehre der Chinesen anlässlich der Übergabe der Prorektoratswürde an den Theologieprofessor Joachim Lange (1670 – 1744) 1721.222 Der eigentliche Kern des nun offen ausgetragenen Streites speiste sich hingegen aus Wolffs »Vernünfftigen Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen« – die »Deutsche Metaphysik«, die bereits zwei Jahre zuvor entstanden war.223 Wolffs Rede, die seine Verehrung der chinesischen Philosophie und Sittenlehre offenbart hatte, bestätigte seine Gegner nun vollends in der Annahme, dass Wolff überzeugter Atheist und Spinozist sei. Für die handfesten Beweise, die zwecks einer formellen Anklage beim preußischen König vorgebracht werden mussten, erwies sich die »Metaphysik« als wahre Fundgrube. Verwirrt von den wechselseitigen Anschuldigungen und Denunziationen, die sich Wolff und die halleschen Theologen in diesem Zeitraum lieferten, hatte sich der preußische König Friedrich Wilhelm I. (1688 – 1740) die Auskunft einflussreicher Militärs über die Wolff ’schen Lehren erbeten. In der folgenschweren Sitzung im Oktober 1723 müssen die entscheidenden Argumente gefallen sein, die den König dazu bewogen, Wolff fallen zu lassen. Wolff selbst beschrieb die Begebenheit in der Retrospektive seiner autobiografischen Lebensbeschreibung folgendermaßen: »Weil denn der König zu wißen verlangte, was denn das fatum für ein Ding wäre, daß die Theologi so gefährlich beschrieben und den bekanten Paul Gundling, der schon instruiret war, darum fragte […], gab dieser zur Antwort […]: Wenn einige große Grenadiere in Potsdam durchgiengen, so wollte das Fatum haben, daß sie durchgehen müßten und könnten sie nicht wiederstehen und der König thäte Unrecht, wenn er sie bestraffen wollte. Da nun der König fragte, ob ich dieses lehrete und er mit Ja antwortete […]: so ergrimmte der König auf einmahl und erteilte die fatale CabinetsOrdre.«224

Die »fatale« Kabinettsorder erging am 8. November 1723 und befahl Wolff bei Strafe des Stranges nicht allein die Stadt Halle, sondern Preußen überhaupt 220 221 222 223 224

Lange, Bescheidene und ausführliche Entdeckung, Vorbericht, S. 6. Hartmann, Anleitung, S. 641. Wolff, Oratio. Ders., Vernünfftige Gedancken von Gott. Ders., Lebensbeschreibung, S. 195 f.

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binnen 48 Stunden zu verlassen.225 Die Verbreitung seiner Lehre wurde in der Folge an zahlreichen Universitäten verboten. Christian Wolff wurde – im wahrsten Sinne des Wortes – das Schicksal zum Verhängnis.226 Der Umstand, dass die strittigen Lehren dem Soldatenkönig gerade mit der Desertion von Soldaten am Beispiel seines ureigenen Interessensgebiets verdeutlicht wurden, wirft ein interessantes Licht auf die subtilen Taktiken, welche die Beteiligten des Streites verfolgten.227 Abgesehen von dieser Perfidie zeigt der winzige Ausschnitt jedoch sehr deutlich, worum es in der Auseinandersetzung zwischen Wolff und der theologischen Fakultät tatsächlich ging: Denn faktisch drehte sich der hallesche Streit um nichts Geringeres als um eine fundamentale Verhältnisbestimmung von Freiheit und Schicksal.228

Die Grundlagen des Schicksalsvorwurfs Christian Wolff war mit seinem philosophischen Opus einer der ersten Repräsentanten einer Fundamentalphilosophie, der den Anspruch erhob, den gewaltigen Spagat zwischen dem exakten mathematisch-naturwissenschaftlichen Wissen seiner Zeit und dem Prinzipienwissen der klassischen Metaphysik zu überwinden, um ein universales Weltsystem aus allgemeingültigen Prinzipien zu entwickeln, das »keinen Bereich des Seins und des Denkens aus seiner logisch folgerichtigen Ableitung entließ«.229 So hatte er auch seine »Deutsche Metaphysik« von 1720 als Folge aufeinander aufbauender »Wahrheiten« konzipiert, die das gesamte Werk wie die Glieder einer ununterbrochenen Kette strukturierte. Die »Metaphysik« war damit gleichsam ein Spiegelbild der gesamten Weltstruktur, die sie aufzuzeigen versuchte – ein Mikrokosmos, der den Makrokosmos in sich barg.230 Die ersten beiden Grundsätze des Werkes waren Voraussetzung und Pro225 Copia des ungnädigen durch zween Generale wider den Herrn Kanzler extrahirten Königl. Rescripts, an die Universität zu Halle (8. November 1723), in: Gerlach, Christian Wolff, S. 72. 226 So wurde das auch von Zeitgenossen wie dem Leipziger Philosophen Johann Christoph Gottsched (1700 – 1766) gesehen: Ders., Historische Lobschrift, S. 64: »Daraus erhellet nun aufs deutlichste soviel: daß man demselben [Wolff, F. R.] Schuld gegeben, das eigentliche sogenannte Fatum brutum, oder ein blindes nothwendiges Schicksal, gelehret zu haben.« 227 Siehe zu den Hintergründen: Holloran, Wolff in Halle, S. 368 – 374. 228 Zu dieser Auffassung kommen übereinstimmend: Wundt, Die deutsche Schulphilosophie; Bianco, Freiheit, S. 111 – 155; Gerlach, Christian Wolff, S. I – XXI; Otto, Studien, S. 136 – 148; Kühnel, Joachim Lange; Wille, Tra fatalismos, S. 97 – 110; Beutel, Causa Wolffiana, S. 159 – 202. 229 Gerlach, Eklektizismus, S. 22. 230 Hinrichs, Preußentum, S. 389. Zum Zusammenhang von Weltstruktur und Erkenntnisgewinn bei Wolff siehe: Albus, Weltbild, S. 204 f.

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gramm ihrer universalen Welterklärung: Es galt dem zweifachen Anspruch gerecht zu werden, dass das von Wolff entwickelte System in sich widerspruchsfrei war und dass seine philosophischen Erkenntnisse dem Satz des zureichenden Grundes entsprachen:231 »[…] so muß auch alles / was ist / seinen zureichenden Grund haben / warum es ist, das ist, es muß allezeit etwas seyn, daraus man verstehen kann, warum es würcklich werden kann.«232 Dieses zu Beginn des 18. Jahrhunderts von Gottfried Wilhelm Leibniz neu formulierte und popularisierte Prinzip besagte, dass alle Dinge, die existieren und geschehen, auf eine oder mehrere sie bestimmende Ursachen zurückführbar sind, die Begebenheiten der Welt also einer ewigen Kette von Ursache und Wirkung entsprechen, die auch von Gott selbst nicht durchbrochen werden kann.233 Der Begriff des Grundes bedeutete sowohl bei Leibniz als auch bei Wolff zugleich Ursache und logische Begründung. Für Leibniz und nachher für einen Großteil der Aufklärungsphilosophen in Wolff ’scher Tradition beanspruchte der Satz vom zureichenden Grund universale Gültigkeit und musste als ein philosophisches Axiom nicht bewiesen werden.234 Aus dem Satz des zureichenden Grundes und aus dem Satz des Widerspruchs ließen sich nach Wolff alle Bereiche des Seins und Denkens logisch ableiten. Allein diese Prämissen, angewandt auf die gesamte Weltstruktur, bargen genug Konfliktstoff. Tatsächlich entwirft Wolff insbesondere im vierten Kapitel der »Metaphysik« das Bild einer Welt, die gemäß den Grundsätzen der Kausalität aufgebaut ist und dadurch streng determiniert erscheint. Die Welt selbst sei eine Reihe veränderlicher Dinge, die in Zeit und Raum miteinander verknüpft seien, und gleiche damit einer Maschine:235 »§ 557. Man darf sich aber um so viel weniger befremden lassen, daß ich von einem Uhrwercke oder einer Maschine ein Gleichniß gebe. Denn die Welt ist gleichfals eine Maschine. Der Beweis ist nicht schwer. Eine Maschine ist ein zusammengesetztes Werck, dessen Bewegungen in der Art der zusammensetzung gegründet sind. Die Welt ist gleichfals ein zusammengesetztes Ding, dessen Veränderungen in der Art der Zusammensetzung gegründet sind. […] Und demnach ist die Welt eine Maschine.«236

231 Der Satz vom Widerspruch bezieht sich u. a. auch darauf, dass die christlichen Glaubenswahrheiten nicht im Widerspruch zu den Verstandeswahrheiten stehen dürfen, da die Offenbarung und die Vernunft beide von Gott kommen. Madonna, Die Vernunft, S. 42 f. 232 Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, S. 16 f. 233 Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 125 f. Zum Verhältnis der Wolff ’schen »Metaphysik« zur Philosophie Leibniz’ siehe: Êcole, War Christian Wolff ein Leibnizianer?, S. 29 – 45. 234 Albrecht, Die philosophischen Grundüberzeugungen, S. 22 – 24. Siehe dazu generell: Artuk, Das Problem. 235 Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, S. 334 f. 236 Ebd., S. 336 f. Siehe zu Wolffs Maschinenmetapher ausführlich: Albus, Weltbild, S. 193 – 204.

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Aus dem Umstand, dass der gegenwärtige Zustand der Welt immer auf dem Vorhergehenden beruhe, folgert Wolff, dass alle Geschehnisse in der Welt gewiss und zumindest hypothetisch notwendig sind.237 Es ist unmöglich, dass das, was passieren soll, nicht passiert (§§ 561 f.). Dennoch bezeichnet Wolff die Geschehnisse in der Welt als zufällig. Denn prinzipiell sei auch eine andere Ereignisabfolge als die vorliegende denkbar, nämlich dann, wenn die zugehörigen Ursachen anders beschaffen seien.238 Unter diesen Voraussetzungen wäre der Weltenlauf aber nicht nur vollkommen anders als der tatsächliche, man hätte es sogar mit einer gänzlich anderen Welt als der Jetzigen zu tun (§§ 563 – 571). »Hieraus kann ein jeder sehen, wie viel es zu sagen hat, wenn etwas, auch das allergeringste in der Welt sollte geändert werden: nehmlich es änderte sich aller Zustand in den künftigen Zeiten, und bliebe nicht mehr völlig diese Welt, ob zwar eine Welt heraus kommen könnte, die in vielem, auch wohl dem meisten, einerley mit der gegenwärtigen wäre. […] so ist mehr als eine Welt möglich, das ist, ausser der Welt, dazu wir gehören, oder die wir empfinden, sind noch andere möglich, die in ihren Begebenheiten von einander sowohl, als von ihr ganz unterschieden sind.«239

Wolff bedient sich eines Zufallsbegriffs, der wiederum von Leibniz geprägt wurde. Leibniz hatte in der »Theodizee« zwischen dem Bloßmöglichen, als dem, was zwar möglich ist, aber nicht zur Existenz gelangt, und dem Kontingenten unterschieden, das existent ist, aber von Gott nicht hätte erschaffen werden müssen. Dass Gott dank seiner Eigenschaften alles nach der Wahl des Besten erschaffen musste,240 und die Welt deshalb als hypothetisch notwendig bezeichnet werden kann, widerspricht der Kontingenz des Existenten dabei nicht. Der Leibniz’sche und dann auch Wolff ’sche Zufall darf deshalb nicht mit der Abwesenheit von Ursachen verwechselt werden, weswegen der Zufallsbegriff auch nicht dem Satz des zureichenden Grundes entgegensteht.241 Vielmehr bilden beide gemeinsam die Grundlage für den kosmologischen Gottesbeweis, weil die Kontingenz der Welt ein absolut notwendiges Wesen zur Voraussetzung hat.242 Auch Wolff kann die Welt und mit ihr alle innerweltlichen Begebenheiten nur

237 Als »notwendig« bezeichnet Wolff etwas, dessen Gegenteil unmöglich ist. 238 Das bezeichnet Wolff als das »hypothetisch Notwendige«, das – im Gegensatz zum »absolut Notwendigen« – nur unter bestimmten Voraussetzungen notwendig und deshalb kontingent ist. 239 Ders., Vernünfftige Gedancken von Gott, S. 346 f. 240 Zu Wolffs Theodizee-Gedanken siehe: Rohls, Vorsehung, S. 89 – 92. 241 Siehe dazu ausführlich: Vogt, Kontingenz und Zufall, S. 57 f. 242 Breil, Der kosmologische Gottesbeweis, S. 100 f.; Albrecht, Einleitung, S. 12. Der Begriff des »kosmologischen Gottesbeweises« stammt von Immanuel Kant.

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unter diesen Prämissen als zufällig beschreiben,243 was er wiederum als Beleg dafür anführt, dass seiner Metaphysik nichts Fatalistisches anhaftet: »Da ich das Zufällige und Nothwendige nicht für einerley halte; so kann man nicht mit dem geringsten Scheine der Wahrheit sagen, daß ich das zufällige leugne und schlechterdings eine Nothwendigkeit und Fatalität einführe.«244

Die Notwendigkeit alles Geschehenden in dieser Welt (§ 575), überträgt Wolff im fünften Kapitel »Von dem Wesen der Seele« nun auch auf den Menschen. Sein Menschenbild ist in cartesianischer Tradition dualistisch; er betrachtet Seele und Körper als zwei voneinander unterschiedene Entitäten. Veränderungen von Körper und Seele gehorchen dem allgemeinen Gesetz des zureichenden Grundes: Alle Empfindungen der Seele folgen ebenso wie alle Bewegungen des Körpers in einer unverrückbaren Ordnung aufeinander (§ 767). Alles Geschehen ist deshalb in seinem vorherigen Zustand begründbar. Entgegen cartesianischer Lehre verwirft Wolff jedoch die Vorstellung, dass Körper und Seele mittels göttlichen Eingriffs aufeinander einwirken können. Vielmehr nimmt er mit Leibniz eine vorherbestimmte »prästabilierte Harmonie« an, die eine metaphysische Verbindung zwischen Seele und Körper ermöglicht: »§765. Da nun die Seele ihre eigene Kraft hat, wodurch sie sich die Welt vorstellet […]: hingegen auch alle natürlichen Veränderungen des Leibes in seinem Wesen und seiner Natur gegründet sind […]; so siehet man leicht, daß die Seele das ihre für sich thut, und der Cörper gleichfals seine Veränderungen für sich hat, ohne daß entweder die Seele in den Leib, und der Leib in die Seele würcket, oder auch Gott durch seine unmittelbahre Würckung solches verrichtet, nur stimmen die Empfindungen und Begierden der Seele mit den Veränderungen und Bewegungen des Leibes überein. Und solchergestalt verfallen wir auf die Erklärung, welche der Herr von Leibniz von der Gemeinschaft des Leibes mit der Seele gegeben, und die vorherbestimmte Harmonie oder Uebereinstimmung genennet.«245

Dieses konsequent dualistische Weltbild Wolffs muss auch als strategische Entscheidung begriffen werden, um sich klar von einem Monismus spinozistischer Art zu distanzieren. Außerdem kann Wolff seinem Beweis vom Dasein Gottes mit der prästabilierten Harmonie einen weiteren Baustein hinzufügen. Denn Gott ist das außerhalb der weltlichen Ordnung stehende Wesen, das Initiator und Garant der prästabilierten Harmonie ist und damit als Urheber der gesamten Welt und der Natur angesehen werden muss (§ 708).246 Er stellt sich 243 Auch bei Leibniz ist das Prinzip einer Unendlichkeit möglicher Welten die unverzichtbare Voraussetzung für die Widerlegung eines absoluten Fatums. Siehe dazu: Platz, Fatum, S. 103 – 105. 244 Wolff, Der vernünfftigen Gedancken von Gott, S. 348. 245 Ebd., S. 478 f. 246 Zum Wolff ’schen Gottesbeweis siehe: Breil, Der kosmologische Gottesbeweis, S. 101 – 111.

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alles überhaupt Erdenkliche mithilfe seines Verstandes vor und erwählt unter den prinzipiell möglichen Welten die vollkommenste (§ 953 f., 982). In diesem Aspekt ist Wolffs Weltbild also unmissverständlich teleologisch geprägt. Wolff bezeichnet Gott als das allein existierende absolut Notwendige, aus dem das Kontingente in hypothetischer Notwendigkeit entspringt.247 Schon diese kurze Zusammenfassung einiger Aspekte der »Metaphysik« lässt ahnen, welchen Zündstoff Wolffs »vernünftige« Philosophie für ihre Kritiker bereithielt. Christian Wolffs Werk erlebte insgesamt zehn Auflagen. Aufgrund seiner neuartigen Erkenntnismethode galt es lange Zeit als Inbegriff rationaler Wissenschaftlichkeit.248 Die Struktur des Werkes – sein konsequent logischer Aufbau – ließ das gesamte metaphysische System sehr geschlossen, ja geradezu hermetisch wirken. Zudem antizipierte Wolff einige der wahrscheinlichsten Vorwürfe seiner Kritiker bereits in der ersten Auflage und versuchte, sie durch weitere Erläuterungen oder anschauliche Beispiele zu entkräften.249 Seine herausragende Bedeutung für die europäische Philosophiegeschichte hat ebenso wie die zahlreichen persönlichen Anfeindungen und Ränkespiele aller Involvierten des halleschen Streites dazu geführt, dass die historische und philosophische Forschung die Umstände der Vertreibung Wolffs lange Zeit auf ein Beispiel wissenschaftlicher Engstirnigkeit und religiöser Intoleranz reduziert hat, deren Opfer Wolff wurde.250 Dabei ist die substanzielle Argumentation der pietistischen Widersacher kaum einer inhaltlichen Analyse unterzogen worden, sondern wurde lediglich als Ausdruck persönlicher Antipathien gegen Wolff gewertet. Referenzperson dieser Sicht war dabei häufig Wolff selbst, der sich nicht scheute, seine Gegner der niedrigsten Beweggründe zu bezichtigen.251 Dagegen zeigte schon eine der ersten Publikationen im Reigen der Kontroversschriften gegen Wolff, dass tatsächliche Differenzen in der Sache das bestimmende Motiv der Konfrontation waren.252

247 Ebd., S. 103 f. 248 Siehe zu Wolffs Konzeption der Philosophie als strenge Wissenschaft: Hinske, Die Philosophie Christian Wolffs, S. 33. 249 Z. B. §§ 781 und 782 »Schwierigkeiten wider die vorherbestimmte Harmonie […] wie sie zu beheben«, in: Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, S. 486 – 488. Ebenso §§ 970 und 971, die sich mit der Freiheit der Seele angesichts der göttlichen Vorsehung auseinandersetzen, in: Ebd., S. 598 – 600. 250 Holloran, Wolff in Halle, S. 367. 251 Siehe zu dieser Interpretation: Bianco, Freiheit, S. 505 f. 252 Ursula Goldenbaum hat darauf hingewiesen, dass sich die Philosophie Spinozas und die Philosophie Wolffs in wesentlichen Punkten tatsächlich entsprechen, die Kritik der halleschen Pietisten also durchaus gerechtfertigt war: Dies., Spinoza, S. 29 – 41.

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Zweifel eines Schülers Daniel Strähler (1690 – 1750), ein ehemaliger Student Wolffs, hatte im März 1723 den ersten Teil einer umfangreichen »Prüfung der vernünftigen Gedancken des Herrn Hoff-Rath Wolffes von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt« vorgelegt,253 welche die Argumentationsweise der »Deutschen Metaphyik« kritisch auf ihre logischen Widersprüche hin hinterfragte. Dabei formulierte Strähler einen Großteil der Argumente, die dann von Wolffs ebenbürtigen Kontrahenten aufgegriffen, differenziert und vertieft wurden. Im Kern wurde bereits hier die Frage verhandelt, ob Wolff mit seinem Postulat von der Notwendigkeit der Welt nicht die menschliche Willensfreiheit und die göttliche Vorsehung negiere254 und damit eine »Fatalit¦« zum Gesetz der Welt erhebe. Strähler setzte Wolff damit unumwunden dem Verdacht des Spinozismus und des Atheismus aus.255 Neben Ungenauigkeiten und logischen Widersprüchen deckte Strähler die Aporien der Wolff ’schen »Metaphysik« in ihren Grundzügen auf. Sein Interesse galt dabei vornehmlich der Frage, ob sich die Wolff ’sche Notwendigkeit tatsächlich auf den Menschen übertragen lasse, das heißt, ob die prästabilierte Harmonie tatsächlich noch Raum für die Willensfreiheit ließ. Zugleich antizipierte Strähler die Folgen, welche die Behauptung von der Notwendigkeit allen Geschehens für die moralische Ordnung der Gesellschaft bedeutete: »Wer annimmt, daß alle Vorstellungen, dadurch man einen von dem Bösen abhalten, und zum Guten anhalten will, vergebens sind, der stoßt alle Moral um. Und darum stossen des Hn. Autoris Lehren alle Moral um. Denn dadurch wird fest gestellet, daß alle Vorstellungen bey einem vergebens sind. […] Er statuiret, daß alles das, was in dieser Welt zur Würcklichkeit kommt, nicht hat können zurück bleiben […]. Wer aber dieses statuiret der statuiret auch, daß die Handlungen eines jeden Menschen so haben, und noch kommen müssen, welches unser Hr. Autor auch ganz willig zu giebet, […]. Wenn man nun ferner fraget, warum diese Handlungen der Menschen kommen müssen, und warum nicht andere an ihrer Stelle die Würcklichkeit durch die Kräffte der Menschen erreichen können? so ist die Antwort, weil diese Einrichtung der Welt ist, darnach sich

253 Strähler, Prüfung. 254 »In dem andern Theile zeige ich vornehmlich, wo der Herr Autor in der Lehre des menschlichen Willens verstossen, und wie er alles in der Welt necessair macht, wodurch seine Lehren der Providenz Gottes nachtheilig werden […]. In dem dritten zeige ich, wie das Systema harmoniae praestabilitae mit der Erfahrung streitet, und alle Libertatem voluntatis humanae aufhebet, wodurch die Menschen zu Machinen werden, welche einer absoluten Nothwendigkeit unterworffen sind, welches ich in dem folgenden fünfften Theile verbessere.« Ebd., Vorrede, o. S. 255 Ebd., S. 186. Zum Spinozismusvorwurf gegen Wolff siehe: Gawlick, Einige Bemerkungen, S. 109 – 119; Otto, Studien, S. 136 – 159.

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die Seele in ihren Vorstellungen richtet […] welches wieder mit des Spinozae Sentenz harmoniret.«256

Die Behauptung Wolffs, dass die Freiheit des Menschen darin bestehe, aus verschiedenen Handlungsmöglichkeiten die beste zu erwählen, ließ Strähler aufgrund ihrer falschen Begründung nicht gelten. Denn allein der menschliche Verstand sei es, der den Menschen das Beste erwählen lasse – nicht der absolute Zusammenhang aller Dinge. Die Ursache für solche fehlerhaften Annahmen sah Strähler darin, dass sich mathematische Gewissheiten nicht auf moralische Handlungen übertragen ließen. Diejenigen hätten recht, »welche, weil sie die Beschaffenheit der Freyheit recht einsehen, fest setzen, daß man in der Sitten-Lehre keine certitudinem mathematicam haben könne, vielmehr irren diese gar starck, welche in den menschlichen Handlungen eine solche Gewißheit einführen wollen, die ohne absolute Nothwendigkeit und fatalit¦ zu erhalten nicht möglich ist, zu den moralischen Handlungen dagegen sich im geringsten nicht schickt, immassen die opposita actio immer durch uns möglich ist, und vollzogen werden kan.«257

Eine mathematische Gewissheit menschlicher Handlungen sei also nur um den Preis der Fatalit¦, der Annahme eines Fatums zu erreichen, die wiederum dem Gedanken der Notwendigkeit entspreche. So führte Strähler die Auseinandersetzung mit Wolff auf eine Frage der Epistemologie zurück. Die Konsequenzen einer solch unzulässigen Übertragung von naturwissenschaftlichen Paradigmen auf geisteswissenschaftliche Sachverhalte demonstrierte Strähler geradezu frech an seiner eigenen Streitsache mit Wolff. Denn wie könne Wolff zornig über Strählers »Prüfung« werden, wenn sie in dieser Welt doch wie alles andere auch notwendig hätte erfolgen müssen? »In einer andern Welt oder bey einer andern Einrichtung der Welt wäre es also, z. E. möglich gewesen, daß ich diese Prüfung nach unsers Hn. Autoris Meynung, nicht geschrieben hätte. In dieser Welt aber hat es nicht anders seyn können. Ich meines Orts wünsche hiebey, daß in dieser Welt doch auch möge gegründet seyn, daß sich der Hr. Autor mein Unternehmen, da es aus der Vollkommenheit derselben fließt und fließen muß, gefallen lasse.«258

Natürlich ließ sich Wolff Strählers Arbeit nicht gefallen. Er ignorierte die Schrift in ihren Inhalten völlig und nahm sie lediglich als Anlass dafür, den aufsässigen Schüler am 27. März direkt beim König zu verklagen.259 Tatsächlich entbehrte die Publikation nicht einiger Brisanz, hatte hier doch ein ehemaliger Student die 256 257 258 259

Strähler, Prüfung, S. 177. Ebd., S. 186. Ebd., S. 178 – 180. Friedrich Wilhelm I. belegte Strähler daraufhin am 5. April 1723 mit einem Publikationsverbot: Das Schreiben Friedrich Wilhelms I. an die hallesche Universität gegen Strähler vom 5. April 1723, in: Gerlach, Christian Wolff, S. 70 – 72.

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Lehren seines einstigen akademischen Mentors zu falsifizieren versucht und damit eine Praxis geübt, die tatsächlich gegen die Statuten der Universität Halle verstieß.260 Nicht nur aus diesem Grund erfuhr Strählers Schrift nicht die ihr vielleicht angemessene wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Auch der Aufbau der Arbeit, welche die Argumentation der »Metaphysik« in scholastischer Manier Paragraf für Paragraf nachvollzog, erschwerte eine konsequente Thesenbildung und schien dadurch nicht mehr als eine logische Übung zu sein. Dennoch kam ihr das Verdienst zu, den Boden für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Wolffs mechanistischer Philosophie bereitet zu haben. Die zahlreichen Autoren, die sich nach ihm mit der »Metaphysik« auseinandersetzten, bauten auf den von Strähler zuerst öffentlich formulierten Vorwurf von Fatum-Glaube, Spinozismus und Atheismus auf.261

Pietistische Überlegungen zum Fatum Der hartnäckigste, dabei aber auch bemerkenswerteste Kontrahent Wolffs war mit Sicherheit Joachim Lange, ein pietistischer Theologie-Professor der Universität Halle und 1721 Nachfolger Wolffs im Amt des Prorektors.262 Seine Einwände gegen die »Deutsche Metaphysik« brachten nicht nur die Debatte ins Rollen, sondern lieferten auch die entscheidenden Argumente für die Vertreibung Wolffs aus Preußen. Wesentlich intensiver als Strähler hat er sich mit den Schriften Wolffs auseinandergesetzt, wesentlich kohärenter auch seine Kritik formuliert. In der ganzen »Causa Wolffiana« kam ihm jedoch die undankbare Aufgabe des Initiators zu, die ihn – in Anbetracht des langfristigen Erfolgs des Wolffianismus – zu einem Verlierer der Geschichte stempelte, dem darüber hinaus noch jede Sympathie versagt blieb.263 In einer Reihe von Schriften, die zwischen 1723 und 1736 entstanden sind,264 argumentierte Lange mit erstaunlicher Verve wider die »Metaphysik«. Insbe260 Über die Motive Strählers ist viel diskutiert worden. Ein ausschlaggebender Grund für die Veröffentlichung der »Prüfung« mag gewesen sein, dass er sich bei der Vergabe einer Universitätsstelle durch Wolff übergangen fühlte und aus diesem Grund mit dessen inneruniversitären Gegnern, insbesondere mit Joachim Lange, in Verbindung trat: Beutel, Causa Wolffiana, S. 172 f. 261 Einen kommentierten Überblick über sämtliche Schriften des halleschen Streites gibt der Zeitgenosse: Ludovici, Sammlung; ders., Neueste Merckwürdigkeiten. 262 Eine Kurzbiografie Langes findet sich bei: Kühnel, Joachim Lange, S. 11 – 13. 263 Ebd., S. 10. 264 Bei der Vorbereitung der Wiederkehr Wolffs an die Universität Halle untersagte Friedrich Wilhelm I. Joachim Lange 1736 jede weitere Polemik gegen Wolff. Im selben Jahr fand die Wolff ’sche Philosophie an der Universität Halle wieder einen Platz im offiziellen Lehrplan. Bianco, Freiheit, S. 137.

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sondere die frühen Schriften wiesen ihn dabei als intelligenten und ernst zu nehmenden Herausforderer Wolffs und der gesamten mechanischen Philosophie aus. Am ausführlichsten und konsequentesten formulierte Lange seine Einwände in einer Schrift von 1724 mit dem Titel »Bescheidene und ausführliche Entdeckung der falschen und schädlichen Philosophie in dem Wolffianischen Systemate Metaphysico von Gott, der Welt, und dem Menschen«,265 die im Folgenden als eines unter zahlreichen Exempeln pietistischer Auseinandersetzungen mit dem Fatum spinozisticum näher betrachtet werden soll. Mit diesem Werk legte Lange nicht nur eine gründliche Analyse der Lehren Wolffs vor, sondern entwickelte in einer »Protheorie«266 eine regelrechte Antimetaphysik aus fünfundzwanzig Grundsätzen, die Wolffs Weltbild diametral entgegengesetzt war. In der gesamten über sechshundert Seiten umfassenden Abhandlung gibt es kaum einen Abschnitt, in dem die Worte »Fatum«, »Fatalität«, »fatale Nothwendigkeit«, »fataler nexus«, »necessitas fatalis« oder »Welt-Fatum« nicht auftauchen und als allgemeine Kennzeichen der Wolff ’schen Philosophie firmieren. Der deutsche Begriff des Schicksals wird in der philosophischen Sprache dieser Zeit kaum verwendet. Der Fatum-Begriff also, den Lange aus der »Metaphysik« destilliert, beschreibt ein Universalprinzip, dessen Grundlage die ewige und notwendige Aufeinanderfolge von Ursache und Wirkung ist. Lange sieht diesen Grundsatz schon durch Wolffs Maschinenmetapher bestätigt: »Und das ohne Unterlaß gebrauchte Gleichniß vom Uhrwerck bestätiget eben diesen Sinn von der unwandelbaren fatalitaet aller Dinge.«267 Als absolutes Weltgesetz bietet das Fatum keinen Raum für kontingente, sprich zufällige Ereignisse. Das Fatum ist dabei kein in irgendeiner Art und Weise vorstellbares personales Wesen, das aktiv und intentional in das Weltgeschehen eingreift oder dieses bestimmt, und hat insofern nichts mit einer Gottheit gemein. Tatsächlich wird es vollkommen abstrakt als Prinzip oder Weltordnung gedacht, die alles Existierende durchdringt. Der Mensch ist dem Fatum demnach auch nicht unterworfen oder muss sich diesem fügen, sondern ist wie alles andere Bestandteil und Reproduzent desselben. Die fatale Notwendigkeit ist »für sich so absolut, daß sie […] eine ganz unwandelbare Folgerung aus dem Wesen eines jeden Dinges ist, wie es desselben Natur und Structur mit sich bringet«.268 Zusammengefasst werden diese Eigenschaften unter Begriffen wie Fatum physico-mechanicum, Necessitas fatalis, Necessitas physica und mechanica oder absolute Notwendigkeit, die auch Lange selbst semantisch nicht voneinander trennt.269 265 266 267 268 269

Lange, Bescheidene und ausführliche Entdeckung. Ebd., S. 43 – 84. Ebd., S. 44. Ebd., S. 68, Vorbericht. Ebd., S. 68 f.

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Demgegenüber stellt Lange dem Fatum verschiedene Notwendigkeitsprinzipien an die Seite, die er generell akzeptiert, aber gerade deshalb klar vom Fatum unterschieden wissen möchte: Zum einen unterscheidet er zwei Formen der absoluten Notwendigkeit. Neben das Fatum physico-mechanicum, dessen Existenz er bestreitet und das den eigentlichen Stein des Anstoßes der Wolff ’schen Philosophie bildet, setzt er eine Necessitas metaphysicam, die er als gegeben hinnimmt. Diese metaphysische Notwendigkeit beschreibt die Allgemeingültigkeit mathematischer und physikalischer Gesetze, deren Aufhebung logisch unmöglich ist. Als Beispiel nennt Lange unter anderem den Winkelsummensatz. Diese Art der Notwendigkeit ist so absolut, dass sie auch von Gott selbst nicht aufgehoben werden kann.270 Eine weitere Art der Notwendigkeit, die dem mechanischen Fatum entgegengesetzt wird, ist die Necessitas hypothetica. Sie lässt generell Raum für kontingente Ereignisse, weil sie sich nur dann offenbart, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Diese hängen wiederum von der freien Entscheidung der Beteiligten ab. Die Vertreibung aus dem Paradies entspricht dieser hypothetischen Notwendigkeit, denn die Übertretung der Gebote Gottes durch Adam und Eva erfolgte freiwillig. Die Vertreibung war insofern nur eine notwendige Konsequenz ihrer eingetretenen Voraussetzungen.271 Besonders wichtig ist Lange eine Verhältnisbestimmung des Fatums zum sogenannten nexus rerum materialium, den er als allgemeinen Zusammenhang der körperlichen Dinge beschreibt, die kausal aufeinander wirken.272 Weit davon entfernt, naturgesetzliche Kausalverknüpfungen generell zu negieren, wehrt sich Lange allein gegen die Ausweitung dieses Prinzips auf die Caussas liberas, also auf die freien und selbstbestimmten Wesenheiten.273 Dazu zählen in erster Linie die Menschen, insbesondere deren Seelen. Zu Wolffs Umgang damit schreibt Lange: »Hier haben wir den rechten förmlichen Spinosismus des absoluten fati, so arg und so grob, als er immermehr in Spinosae Schriften stehen kann. Denn der Zusammenhang der Dinge, das ist der sogenannte nexus rerum materialium, soll die Welt ausmachen, also daß das menschliche Geschlecht mit dazu gehöre, und mit den übrigen Dingen zusammen eine einzige Machine [!], und eine einzige substanz constituire. So daß in der Welt nichts würcklich werden kann, als was im Zusammenhange der Dinge, das ist 270 Ebd. 271 Ebd., S. 70, Vorbericht. Auch Wolff hätte diese Art der Notwendigkeit als »hypothetische Notwendigkeit« bezeichnet. Die Unterscheidung zwischen absoluter und bedingter Notwendigkeit wurde schon in der mittelalterlichen Philosophie angebracht und geht auf Aristoteles’ Unterscheidung zwischen ex anankes und haplos ex anankes zurück. Siehe dazu auch: Platz, Fatum, S. 94 – 96. 272 Lange, Bescheidene und ausführliche Entdeckung, S. 47. 273 Ebd.

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Das Fatum Spinozas im halleschen Streit

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in der Spinosianischen concatenation, gegründet ist; so hat Gott nach seiner Providenz mit den übrigen caussis liberis nichts darinnen thun, sondern ihnen sind durch das fatum fatuum die Hände gebunden.«274

Lange weist auch auf den eigentlichen Ursprung dieser Fehldeutung hin, den Daniel Strähler bereits angesprochen hatte: Wenn die Grundsätze der Mathematik auf die Theologie und Philosophie angewendet werden, besteht zwangsläufig die Gefahr des Spinozismus und damit des Fatalismus. Die Inthronisation des Fatums resultiert demnach auch aus einer falschen wissenschaftlichen Methodik.275 Alle Parallel- und Gegenkonzepte des Fatum physico-mechanicum, die Lange hier vorstellt, machen deutlich, dass Freiheit und Zufall die zentralen Begriffe sind, an denen sich Wolffs Notwendigkeit messen lassen muss, um Akzeptanz zu finden. Beide hängen eng miteinander zusammen: Denn nur freie Menschen sind dazu in der Lage, durch ihre Entscheidungen zufällige Ereignisse zu produzieren. Und nur die Möglichkeit des Zufalls lässt der menschlichen Freiheit den Raum, die Kausalkette der Notwendigkeit zu durchbrechen. Genau an diesen Problemkomplex schließt ein weiteres Kernthema der »Bescheidenen und ausführlichen Entdeckung« an: Denn wie lässt sich, in Rücksicht auf Zufall und Freiheit, das Verhältnis zwischen der göttlichen Vorsehung und dem Fatum physico-mechanicum bestimmen – eine Frage, der sich schon Wolff unter anderen Vorzeichen gewidmet hatte. Wolff musste versuchen, Gottes Vorher-Wissen mit der kausalen Verknüpfung alles Seienden in Einklang bringen, um die Harmonie seines Systems zu erhalten. In der Annahme, dass Gott dasjenige Wesen ist, welches sich alle möglichen Welten vorstellt und daraus die beste erwählt, liegt bereits der Schlüssel des Problems: Gott muss gerade dadurch, dass er alles Kommende vorherweiß, auf den Lauf der Dinge keinen Einfluss mehr nehmen. Seine Providenz impliziert keine Eingriffsmöglichkeit. »Derowegen wird auch dadurch, daß Gott alles vorher weiß, kein Ding im geringsten geändert, sondern es bleibet alles an sich, wie es ist«276, heißt es in der »Deutschen Metaphysik« über die Eigenschaften Gottes. Und gerade deshalb kann das, was in der Welt geschieht, trotz aller Notwendigkeit als zufällig bezeichnet werden: »[…] das Vorher-Wissen ist ausser den Dingen und machet keine Begebenheit, noch Gewißheit derselben, sondern setzet sie voraus.«277 Es ist interessant zu sehen, dass Lange bei einer vollkommen anderen Herangehensweise an das Problem zu einer ähnlichen Lösung wie Wolff gelangt. Generell firmiert die Providenz bei Lange als ein weiterer Gegenbegriff zum 274 275 276 277

Ebd., S. 41. Ebd., Vorbericht, S. 5. Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, S. 598. Ebd., S. 598 f.

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Fatum, ja scheint alleiniger Garant für den Zufall und die menschliche Freiheit zu sein. Die Providenz umfasst bei Lange dabei Dreierlei: Sie erstreckt sich sowohl auf die allgemeine Weltordnung und auf die Beeinflussung menschlicher Handlungen und bringt übernatürliche Ereignisse, also göttliche Wunder hervor.278 Unter diesen Voraussetzungen ist die göttliche Vorsehung in ihrer Allmacht kaum von der Wolff ’schen Notwendigkeit unterscheidbar. Um die menschliche Freiheit dennoch zu retten, bedient sich Lange eines logischen Tricks. Er argumentiert, dass Gott die freien Entscheidungen des Menschen in seiner Vorsehung antizipiert und integriert. Die zufälligen Handlungen sind demnach nicht Wirkungen, sondern Ursachen der göttlichen Providenz.279 »Und wenn denn Gott gleich, um seine Souverainität und unendliche Freyheit zu bezeugen, diß und das nach seinem absolutem Willen und Rathschluß thut; so geschiehet es doch in solchen Wercken, welche der Freyheit des Menschen an sich selbst gar nicht entgegen stehn.«280

Auf diese Weise rettet Lange nicht nur die menschliche Freiheit angesichts der göttlichen Providenz, sondern auch die göttliche Freiheit selbst vor einer naturgesetzlichen, fatalen Notwendigkeit. Vor diesem Hintergrund musste es Wolffs Anhängern zynisch erscheinen, dass Lange die Vertreibung Wolffs aus Halle auf ein direktes Einwirken Gottes zurückführte. In dem historischen Vorbericht zu seinem Werk, in dem er den Streit mit Wolff dezidiert schildert, schreibt Lange über die königliche Anordnung vom 8. November 1723: »Wir haben dabey mit allen denen, welche Gott in seiner heiligen Providentz verehren, auf die Hand des grossen Gottes gesehen, der da auch der Könige und Fürsten Hertzen in seiner Hand hat, und kann sie lencken und leiten wie Wasserbäche. Irret euch nicht, sagt der Apostel, Gott lässet sich nicht spotten.«281

Einige Zeilen später wird die Regelung der Lehrstuhlnachfolge, die sich zugunsten von Langes Sohn Johann Joachim (1699 – 1765) entschied, in eben diesem Horizont der Vorsehung verortet.282 Lange selbst stritt eine eigene direkte Beteiligung an diesen Vorgängen ab. Die göttliche Providenz war ihm das zentrale Deutungsmuster für den vorläufigen Ausgang des halleschen Streites mit all seinen Konsequenzen. Sie erfüllte damit eine Entlastungsfunktion für das persönliche Handeln Langes, der sich in diesem Deutungshorizont allein als Werkzeug Gottes fühlen konnte. Allerdings verriet Lange mit seinem apologetischen Verweis die Grundsätze seiner eigenen Freiheitstheorie, ja bediente sich 278 279 280 281 282

Lange, Bescheidene und ausführliche Entdeckung, Vorbericht, S. 58. Ebd., S. 62. Ebd., Vorbericht, S. 67. Ebd., Vorbericht, S. 22. Ebd., S. 25. Siehe über Johann Joachim Lange: Kleinert, Johann Joachim Lange.

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Das Fatum Spinozas im halleschen Streit

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eines Ansatzes, der mit dem Wort Determinismus wohl korrekt umschrieben wäre. Dass er damit offensichtlich auch einem religiösen Fatalismus das Wort redete, der seine theoretischen Annahmen vollends konterkarierte, dürfte ihm in diesem Zusammenhang wahrscheinlich kaum bewusst gewesen sein.283 Ohnehin war die Diskussion über die Existenz eines absoluten Fatums für Lange nur am Rande eine Frage philosophischer oder theologischer Theorie. Sein langanhaltender Widerstand gegen Wolff speiste sich aus einem Interesse für deren praktische Folgen.284 Was Wolff in seinen zahlreichen Repliken immer wieder als verhasste Konsequentienmacherei zu disqualifizieren versuchte,285 traf im Kern Langes Anliegen. Immer wieder stellte er sich und dem Leser die Frage, welche Folgen die Existenz eines Fatum physico-mechanicum für den einzelnen Menschen, für die Moral, Sittlichkeit und Religion und natürlich für die politische Ordnung der Gesellschaft tatsächlich haben würde. Die Antwort auf diese Frage gleicht einem apokalyptischen Untergangsszenario menschlicher Gesellschaft: Die Existenz des Fatums hebt zunächst die individuelle Willens- und Handlungsfreiheit des Menschen auf. Ohne diese Freiheit werden alle Grundsätze der Moral sinnlos; denn wer nicht frei handeln kann, kann sich auch nicht nach bestehenden, menschlichen Gesetzen richten. Folglich wird die Unterscheidung von Gut und Böse obsolet. Jede Handlung wird zur Folge der absoluten Notwendigkeit und steht damit prinzipiell in Übereinstimmung mit dem allein geltenden Gesetz der Natur. Nicht nur der Religion, sondern auch der Gesellschaft entzieht das Fatum dadurch jede Grundlage. Soziale Ordnungsgefüge brechen zusammen, weil sie keine Legitimität mehr besitzen, religiöse Gebote erweisen sich angesichts der Notwendigkeit alles Geschehens als wirkungslos, Gott hat keinen Platz mehr in der Welt. Das Fatum raubt dem menschlichen Leben jeden Sinn. Denn das Streben nach persönlicher Vervollkommnung wird zur Illusion. Und auch die Forderung nach politischer Freiheit, für Wolff ein Herzstück aufklärerischen Denkens,286 wird angesichts des Fatums vollkommen hoffnungslos: »Und wäre die Seele nicht mit dem freyen Willen begabet, wozu wäre dem Menschen die politische und civile libertaet nütze? Denn er könnte sich ja derselben nicht einmal bedienen: wie denn auch, wenn alle Dinge und Begebenheiten in der Welt bey dem menschlichen Geschlechte nothwendig wären, auch die Natur der politischen Freyheit 283 So auch: Beutel, Causa Wolffiana, S. 197 f. 284 Das grundlegende Missverständnis zwischen Wolff und Lange bestand ohnehin darin, dass Wolff stets von den Ursachen her und damit streng logisch argumentierte, während Lange die erwünschten oder unerwünschten Folgen in den Blick nahm und die Ursachen daraufhin entweder befürwortete oder verwarf. 285 Wolff, Ausführliche Nachricht, S. 136 – 138. 286 Zu Wolffs Formel der Libertas philosophandi siehe: Schwaiger, Denkverbote, S. 124 – 129; Weber, ›Von der Freyheit‹, S. 17 – 34.

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über einen haufen gehen müste; sintemal alles, was einem Menschen und einem ganzen Staat begegnet, müste als unveränderlich angesehen werden.«287

Spätestens hier wird deutlich, dass es sich bei der Auseinandersetzung zwischen Wolff und Lange um mehr handelte als um den Widerstreit zwischen fortschrittlichem Rationalismus und einer rückwärtsgewandten, vernunftfeindlichen Theologie: Der Pietist Lange machte gegen den Aufklärer Wolff ein aufklärerisches Freiheitsverständnis par excellence geltend. Und die Umkehr dieser »Rollenverteilung« erfolgte über den Fatum-Begriff. In allen wesentlichen Konfliktfeldern der Auseinandersetzung zwischen Wolff und Lange288 war das Fatum der Angelpunkt, an dem sich Gut von Böse und Wahr von Falsch trennen ließen. Im ersten Konfliktbereich, der Wissenschaftstheorie, vertrat Lange die Ansicht, dass sich durch die unzulässige Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden auf Bereiche der Philosophie und Theologie der natürliche Zusammenhang der Dinge automatisch in ein Fatum physico-mechanicum verwandele. Das Fatum resultiert hier also aus der Übertragung von Gesetzmäßigkeiten der Körperwelt auf die Ebene der freien Wesen, von der Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden auf geisteswissenschaftliche Sachverhalte.289 Im zweiten Konfliktfeld, der Gotteslehre, ging es zum einen um die Verhältnisbestimmung von Gott und Fatum, zum anderen um das Verhältnis von göttlicher Providenz und menschlicher Willensfreiheit. Wolff verfolgte das Ziel, Gott in die Notwendigkeit der Welt zu integrieren, musste ihn dabei allerdings faktisch seiner Allmacht berauben.290 Lange hingegen war darum bemüht, die wechselseitige Ausschließlichkeit von Gott und Fatum zu erweisen, indem er Gott nicht – wie Wolff – über dessen Verstand definierte, sondern über seine »Allmacht, Schöpfung und Providentz«.291 Gleichzeitig musste sich Lange darum bemühen, die Vorsehung Gottes so zu charakterisieren, dass sie die menschliche Freiheit und damit auch die Möglichkeit des Zufalls nicht konterkarierte. Hier fielen Langes und Wolffs Positionen sogar ein Stück weit zusammen, denn weder der eine noch der andere wollte die allgemeine Kontingenz der Welt einer abstrakt oder personal gedachten Macht zum Opfer bringen. Das dritte Konfliktfeld im halleschen Streit betraf die Anthropologie und

Lange, Bescheidene und ausführliche Entdeckung, Vorbericht, S. 47. Beutel, Causa Wolffiana, S. 182 f. Siehe zu diesem Aspekt: Goldenbaum, Spinoza, S. 33 f. Hinrichs, Preußentum, S. 392. Gegen diese Einschätzung argumentiert: Lehner, Kants Vorsehungskonzept, S. 66, wenn er davon spricht, dass »die Rede vom ›wolffischen Fatalismus‹ jeder Grundlage entbehrt«, weil nach dessen Lehre die Vorsehung Gottes die Absichten der Dinge aus freiem Ratschluss eingerichtet habe. 291 Lange und Wolff, Des Herrn Doct. und Prof. Joachim Langens […] Anmerckungen, S. 8. 287 288 289 290

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Das Fatum Spinozas im halleschen Streit

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umfasste Langes wichtigste Kritikpunkte.292 Sowohl das Wesen des Menschen als auch seine Haltung zur Welt wurde zumindest von Lange auf die Existenz des Fatums bezogen. Während Wolff eine Übertragung seiner metaphysischen Überlegungen auf die menschliche Moral und Sittlichkeit rundheraus ablehnte,293 ging es Lange gerade darum, die Konsequenzen eines Fatums als Weltgesetz auf den Menschen und die Gesellschaft aufzuzeigen. Bezogen auf das System der prästabilierten Harmonie monierte Lange insbesondere, dass Wolff Seele und Leib als Automaten vorstellte, die zwar gleichzeitig, aber unabhängig voneinander und allein dem Prinzip der Kausalität gehorchend funktionierten.294 Die Annahme, dass beide nicht aufeinander wirken konnten, wurde für Lange zu einem der wichtigsten Kriterien, um den Fatum-Glauben zu identifizieren.295 Bezogen auf die Gesellschaft bedeutete die Annahme einer Fatum-Macht den Niedergang von Religion, Politik und Kultur als Folge eines um sich greifenden Fatalismus. Und gerade hier offenbart sich die Antwort auf die Frage nach dem vermeintlichen »Rollentausch« zwischen dem Pietisten und dem Aufklärer. Denn es war kein Zufall, dass Lange die Frage nach der menschlichen Willensfreiheit in das Zentrum seiner Kritik stellte. In seiner pietistischen Weltsicht war die menschliche Freiheit die unverzichtbare Voraussetzung für die individuelle Bekehrung des Menschen zu Gott. Als langjähriger Weggefährte August Hermann Franckes,296 für dessen pädagogisches Missionsprogramm die Unanfechtbarkeit der biblischen Offenbarung unentbehrlich war,297 war es auch Langes Herzensangelegenheit, die Menschen zum entschiedenen Christentum zu motivieren – was unter anderem zu einer schroffen Ablehnung der reformierten Prädestinationslehre führte, die den Menschen sittlich träge werden lasse.298 Die Lehre von der persönlichen Selbstüberprüfung, Rechtfertigung und Buße, die aktive Teilnahme am Bekehrungsprozess, das tätige Christsein in der Welt waren angesichts einer fatalen Naturnotwendigkeit jedoch nicht aufrechtzuerhalten. Die Willensfreiheit war so eine unabdingbare Voraussetzung der pietistischen Frömmigkeit.299 Denn der Mensch musste frei sein, um sich bessern zu können. Sein Handeln sollte ihm moralisch zugerechnet werden; und er musste ein Gewissen haben, an das appelliert werden konnte.300 Insofern wurde 292 293 294 295 296 297 298 299 300

Bianco, Freiheit, S. 116. Wolff, Der vernünfftigen Gedancken von Gott […] anderer Theil, S. 124. Kühnel, Joachim Lange, S. 20. Siehe zu dem Aspekt der prästabilierten Harmonie im Fatum spinozisticum: Goldenbaum, Spinoza, S. 34 – 36. Hinrichs, Preußentum, S. 398. Schmidt-Biggemann, Praktische Philosophie, S. 157 f. Brecht, August Hermann Francke, S. 464. Ebd., S. 466. Lange, Bescheidene und ausführliche Entdeckung, S. 421.

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bei Lange das Problem der Willensfreiheit und damit das Problem des Fatums dezidiert an einen religiösen Zweck zurückgebunden, der genauer betrachtet nicht weniger aufgeklärt war als Wolffs deterministisches System.

Von der Rehabilitierung Wolffs zur Rehabilitierung des Schicksals Der Fatum-Begriff diente in der Auseinandersetzung zwischen Pietismus und Frühaufklärung zunächst als Etikett, um persönliche oder wissenschaftliche Gegner des Atheismus zu überführen. Das Fatum war daher nicht allein ein Begriff der religiösen oder philosophischen Sprachsphäre, sondern besaß wissenschaftliche und politische Implikationen. Es konnte als Frage des Glaubens, als naturwissenschaftliche Weltbeschreibung und als politische Stellungnahme behandelt und gelesen werden. Alle drei Lesarten waren eng miteinander verzahnt. Und allen haftete der Ruch des Zweifelhaften, Gefährlichen und Verbotenen an, zumal sie sich alle in Spinozas Namen bündeln ließen. Gerade deshalb konzentrierte sich Wolffs Verteidigungsstrategie gegen seine Widersacher auf den Versuch, die Unterschiede zwischen seiner »Metaphysik« und Spinozas Lehren aufzuzeigen beziehungsweise deren vordergründige Ähnlichkeit als Folge von Missverständnissen zu entlarven.301 Darüber hinaus verstand er sein philosophisches System als »das beste Mittel die Religion zu vertheidigen«,302 weil er mithilfe der mathematischen Methode die Evidenz religiöser Wahrheiten aufgezeigt habe. Die Energie, die Wolff in seine Rechtfertigung investierte, zeigt sehr deutlich, dass das Fatum Anfang des 18. Jahrhunderts noch keineswegs so umstritten war, wie es die ganze Auseinandersetzung vielleicht nahelegt. Denn tatsächlich stimmten alle Beteiligten in der Gewissheit überein, dass der Lauf der Welt nicht durch ein unüberwindliches Fatum bestimmt wurde. Und alle sahen gleichermaßen in Baruch de Spinoza die Propagandafigur eines atheistischen Fatalismus, der um jeden Preis bekämpft werden musste.303 Die Frage, um die sich der hallesche Streit also drehte, war weniger diejenige nach der tatsächlichen Existenz und Berechtigung eines absoluten Fatums. Vielmehr ging es darum, zu klären, wie der Begriff tatsächlich definiert werden konnte und welchen Ausprägungen sich die Kontrahenten 301 Dabei sprach Wolff in erster Linie folgende Punkte an: 1. die Dichotomie von Seele und Körper ; 2. die Möglichkeit unendlich vieler verschiedener Welten; 2. die Kontingenz der Welt und damit die Existenz des Zufalls; 3. die Trennung von Gott und Welt; zusammengefasst in: Israel, Radical enlightenment, S. 548 – 550. 302 Vorbericht so zu der vierten Auflage hinzugekommen, in: Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, o. S. 303 Zu Wolffs Spinoza-Rezeption und -beurteilung siehe: Gawlick, Einige Bemerkungen, S. 109 – 119.

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Das Fatum Spinozas im halleschen Streit

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zuordnen ließen. Dabei wollten alle Beteiligten auf der Seite stehen, die dem Christentum und dem Antispinozismus vorbehalten war. Die Seite überzeugter Fatum-Vertreter blieb im halleschen Streit, vom jeweiligen Selbstverständnis der Beteiligten her, hingegen unbesetzt. Das Fatum wurde Anfang des 18. Jahrhunderts nicht nur im Pietismus, sondern auch in der moderaten Frühaufklärung kategorisch abgelehnt. Es öffnete einen Graben, der die Welt dichotom in Rechtgläubige und Atheisten unterteilte. Dabei gab es bestimmte Kategorisierungen, die von Pietisten und Frühaufklärern gleichermaßen akzeptiert wurden: Auf der Seite des Atheismus standen die menschliche Unfreiheit, die Beschränkung der göttlichen Allmacht, der Spinozismus, der Glaube an eine absolute Notwendigkeit und die Ineinssetzung von Gott und Welt. Zum rechtgläubigen Standpunkt zählten unstrittig das Christentum, die menschliche Willensfreiheit, die Möglichkeit des Zufalls, die metaphysische und hypothetische Notwendigkeit, die freie, göttliche Vorsehung, die Gültigkeit allgemeiner Naturgesetze und die Trennung von Gott und Welt. Allein die Einschätzung der mechanischen Philosophie, die Verhältnisbestimmung zwischen den Eigenschaften Gottes und den Naturgesetzen, der Stellenwert der Offenbarung und die prästabilierte Harmonie blieben zwischen beiden Parteien umstritten. Die sich in diesen Punkten offenbarende mangelnde Trennschärfe des FatumBegriffs war es, welche die streitbaren Parteien bis zur endgültigen Klärung des halleschen Streites zu unerbittlichen Gegnern werden ließ, obwohl sie doch eigentlich »Brüder im Geiste« der gleichen Aufklärung waren.304 War es zunächst Joachim Lange gewesen, der bis weit nach 1723 als eigentlicher Sieger der Kontroverse gelten konnte, wendete sich das Blatt bald zu Wolffs Gunsten. Erst dessen Verfolgung führte zu einer verstärkten Rezeption seiner Schriften, insbesondere in mitteldeutschen akademischen Kreisen, die wiederum eine Unzahl an Streitschriften hervorbrachte, deren Großteil die Wolff ’sche Philosophie auch gegen den Fatalismusvorwurf zu verteidigen suchten.305 So umschrieb der Theologe Lorenz Schmidt (1702 – 1749) den Schicksalsvorwurf der halleschen Pietisten als fadenscheinige Begründung ihres Kampfes gegen die Aufklärung:

304 So die These von: Gerlach, Streit, S. 81, und Mühlpfordt, Systemdenker, S. 63 – 65, die in den Positionen von Lange und Wolff weniger den Gegensatz zwischen Aufklärung und Pietismus als zwei Facetten einer Bewegung sehen. 305 So unter vielen anderen: Ribov, Fernere Erläuterung, S. 44 – 51; Stiebritz, Erläuterung, S. 166; Müller, Wahres Mittel, S. 16; Carpov, Nöthige Antwort, S. 86; Wagner, Bescheidene und mit Saltz gewürtzte Entscheidung, S. 13 f. Dazu: Mühlpfordt, Die mitteldeutschen Universitäten, S. 45 – 67.

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»[Die Widersacher Wolffs, F. R.] wußten in ihrem Grimme nichts Heftigeres gegen ihn zu erdenken, als daß sie ihn zu Spinozas Partey zähleten, und vorgaben, er wollte mit demselben das verworfene blinde Schicksal wieder hervorziehen.«306

Mit dem Tod August Hermann Franckes verloren die halleschen Pietisten 1727 ihre charismatische Führerfigur, die Wolffianer gewannen am preußischen Hof zunehmend an Einfluss, und mit der Inthronisation von Friedrich II. (1712 – 1786) im Jahr 1740 wurde ein glühender Verehrer Christian Wolffs zum neuen preußischen Potentaten.307 Bereits am 10. Dezember konnte Wolff nach 17-jährigem Marburger Exil im Triumphzug als neuer Vizekanzler der Universität wieder in Halle einziehen.308 Dem Wandel der politischen Verhältnisse war es auch geschuldet, dass sich Lorenz Schmidt Anfang der 1740er-Jahre, freilich anonym, an eine deutsche Übersetzung von Spinozas »Opera postuma« begeben konnte, die fortan die Grundlage für die ungeheure Spinoza-Rezeption der späten Aufklärung wurde.309 Diese neue Konstellation war jedoch nicht nur ein Resultat veränderter politischer Machtverhältnisse, mindestens ebenso grundlegend hatte sich das Verhältnis zum Fatum-Begriff geändert, der plötzlich zumindest in einigen Facetten mit dem christlichen Glauben vereinbar schien und damit die politische Brisanz, die er in der Frühaufklärung noch besessen hatte, einbüßte. Wir haben es nach der Rückkehr Wolffs nach Halle mit dem typischen Fall eines Begriffswandels durch die Zunahme »des strategischen Gebrauchswerts […] in wiederkehrenden Kommunikationssituationen« zu tun.310 Denn gerade aufgrund der mangelnden Trennschärfe des Fatum-Begriffs bot er im Laufe der Debatten um die Verhältnisbestimmung von Gott, Naturgesetz und Mensch, die mit der Rehabilitierung Wolffs keinesfalls abrissen, die Option, ihn so weit semantisch zu spezifizieren, dass die unhaltbaren Positionen, wie das Fatum astrologicum, Fatum stoicum oder Fatum spinozisticum, unauffällig geräumt werden konnten, ohne den Begriff als solchen abstoßen zu müssen.311 Dass dieser Einfluss auch vom Wolffianismus ausging, der die akademische Lehre fortan maßgeblich prägte, verrät ein Blick in die »Metaphysik« des überzeugten 306 Wolff, B. v. Spinoza Sittenlehre widerleget, S. 4. 307 Der genaue Ablauf der Rehabilitierung Wolffs wird detailliert nacherzählt von: Hinrichs, Preußentum, S. 437 – 441. 308 Schreiben Friedrichs II. zur Berufung Christian Wolffs an die Universität von Halle vom 21. November 1740, in: Gerlach, Christian Wolff, S. 76 – 78. Wolff selbst hat seine Theorien im Laufe des halleschen Streites in einigen Punkten (Gottesbeweis, Einbeziehung anderer philosophischer Theorien, Auseinandersetzung mit Materialismus und Idealismus etc.) modifiziert: Goubet, Wolffs systematische Denkweise, S. 175 – 188. 309 Wolff, B. v. Spinoza Sittenlehre widerleget; Goldenbaum, Spinoza, S. 30 f. 310 So eine der möglichen Ursachen für Sprachwandel nach: Steinmetz, 40 Jahre Begriffsgeschichte, S. 188. 311 Ebd., S. 189.

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Die Synthese von Vorsehung und Schicksal im Begriff des Fatum christianum

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Wolff-Schülers Alexander Gottlieb Baumgarten (1714 – 1762), der den Umgang mit dem Schicksalsbegriff soweit entkrampfte, dass er vom »unwidertreiblichen Schicksal« ein anscheinend legitimes einfaches Fatum unterscheiden konnte: »Das Schicksaal, das Verhängniß (fatum) ist die Nothwendigkeit der Begebenheiten in der Welt. Und die unbedingte Nothwendigkeit der Begebenheiten in der Welt, ist das unwidertreibliche Schicksaal (fatum spinosisticum), ein Unding, welches weder in dieser noch irgend einer andern Welt stat finden kann.«

Allein in der ersten Form konnte das Schicksal auch in einer breiteren Öffentlichkeit spätestens ab der Mitte des 18. Jahrhunderts Akzeptanz finden.

3.5

Die Synthese von Vorsehung und Schicksal im Begriff des Fatum christianum

Die Wiederentdeckung eines christlichen Schicksals In allen Diskursen der Aufklärung über die Existenz und Berechtigung einer Schicksalsmacht mussten sich Fatum-Konzepte an christlichen Glaubensinhalten messen lassen. Wie bereits dargestellt, führte diese Prüfung nicht selten zu erbitterten Debatten, die mitunter persönliche Konsequenzen für die Involvierten nach sich zogen. In seiner Kopplung an die Begriffe Spinozismus, Atheismus und Fatalismus war der Schicksalsbegriff zumindest am Anfang des 18. Jahrhunderts selbst ein Fremdkörper im christlichen Glaubenssystem dieser Zeit, der in keiner seiner zahlreichen Varianten tatsächlich integrierbar war. Noch im halleschen Streit führte Joachim Lange die göttliche Providenz als unumstrittenes Antonym zum Fatum ein. Auch Christian Wolff und seine Anhänger teilten diese begriffliche Opposition – wenn auch unter anderen Vorzeichen. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts entspannte sich das Verhältnis zum Schicksal. Die schroffe Ablehnung wich einer bedeutenden Ausweitung des semantischen Feldes. Neben das astrologische, das stoische und das spinozistische Fatum wurde der Begriff des »christlichen« Schicksals gerückt,312 der all das umschrieb, was zuvor die gütige Vorsehung Gottes umfasst hatte. Das Fatum christianum war jedoch keinesfalls eine Erfindung der Aufklärung. Bereits Boethius und nach ihm Thomas von Aquin hatten heidnische Fatum-Vorstellungen in den christlichen Gottesglauben zu integrieren versucht, indem sie dem 312 Zum ersten Mal taucht der Begriff des Fatum christianum vermutlich beim reformierten Theologen Hieronymus Zanchi (1516 – 1590) in dessen Schrift »De Natura Dei« von 1566 auf, allerdings ohne sich zu diesem Zeitpunkt schon in der Theologie oder in der populären Sprache durchzusetzen: Mahlmann, Art. Prädestination, S. 1175, 1178.

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Weltdeutung und Schicksal in der Frühen Neuzeit

Schicksal – eine Gleichsetzung mit Gott beziehungsweise der Vorsehung vermeidend – eine bedeutende Funktion in Gottes Schöpfung zugewiesen hatten. Das Fatum wurde bei beiden zu der Wirkung der göttlichen Vorsehung in der Welt. Während die Providenz die unveränderliche göttliche Macht außerhalb von Zeit und Raum umschrieb, war das Fatum deren konkrete Ausführung in der veränderlichen und körperlichen Seinsordnung des Weltgeschehens.313 Die Schicksalsmacht war damit weniger eine Konkurrenz als ein ausführendes Organ des göttlichen Willens: Die Geltungsweise und der -bereich dieser Macht wurde so eingegrenzt, dass sie unter der Herrschaft Gottes nur eine bedingte, keine absolute Notwendigkeit implizierte, dass sie Kontingenz und die Freiheit des menschlichen Willens zuließ, »und daß Gott gegenüber der Kausalordnung des Fatums frei bleibt und so an ihr vorbei handeln kann wie in den Wundern«.314 Nach diesem Verständnis wurden Vorsehung und Schicksal zu zwei verschiedenen Wirkweisen derselben göttlichen Weltlenkung, wobei die Vorsehung den anordnenden, das Schicksal hingegen den ausführenden Part übernahm. »Providenz verhält sich zu Fatum wie Sein zu Werden, wie göttliche Einsicht zu unserem menschlichen Denken, wie Ewigkeit zum Zeitablauf in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.«315 Im Bemühen um die Definition und den semantischen Ausgleich von Fatum und providentia dei blieben die Versuche von Thomas von Aquin und Boethius hingegen intellektuelle Gedankenspiele, die sich im allgemeinen Sprachgebrauch nicht durchsetzen konnten. Die Begriffsverwirrung und die Unsicherheit darüber, was zum Bereich des Sagbaren gehörte, blieben weiterhin bestehen.316 Denn was zu dieser Zeit noch fehlte, war eine Aussöhnung beider Begriffe. Diese erfolgte um 1700 von protestantischer Seite und war massiv von der Diskussion um die Philosophie Spinozas und ihre Auswirkungen auf das christliche Weltbild beeinflusst. Der Begriff des Fatum christianum findet sich zuerst in protestantischen Dogmatiken der Jahrhundertwende.317 So unterschiedliche Theologen wie der orthodoxe Lutheraner David Hollatz (1648 – 1713) und der maßgeblich von Ren¦ Descartes geprägte Reformierte Frans Burmann nahmen den Begriff des Fatum christianum in ihre Werke auf, der fortan einen speziell christlich überformten Modus der kausalen Notwendigkeit 313 Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden, S. 59. Ausführlich noch einmal in: Thomas von Aquin, Die deutsche Thomas-Ausgabe, S. 263 – 274. Diese Vorstellung wurde im Kontext der Stoa-Rezeption des 16. Jahrhunderts von Justus Lipsius wiederaufgenommen und im Begriff des Fatum verum zu fassen versucht. Lipsius, De constantia, S. 137 – 147. 314 Ahn, Bergmeier, Klaer und Schulz, Art. Schicksal, S. 112 f. 315 Sanders, Glück, S. 65. 316 Ebd. 317 So u. a. in: Heidanus, Corpus, S. 367: »Restat solum Fatum christianum & divinum. Quod nihil aliud est quam voluntas seu Decretum Dei de rebus omnius.«

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beschreiben sollte. Bei beiden Autoren sind die Begriffsexplikationen von dem Bemühen gekennzeichnet, den christlichen Fatum-Begriff von den üblichen Verdachtsmomenten zu befreien. Insbesondere Frans Burmann drückte 1699 prononciert die Gefahren aus, die dem Unternehmen eines christlich überformten Fatum-Begriffs drohten: Es galt, einen Mittelweg zu finden, der sowohl die betrügerische Göttin der Fortuna in ihre Schranken wies als auch die Klippen des Fatums umschiffte,318 das, wie wir bereits gesehen haben, zu dieser Zeit noch maßgeblich mit der Philosophie der Stoa in Verbindung gebracht wurde. Weil die Existenz einer Kausalkette von Ursache und Wirkung prinzipiell nicht zu leugnen war, wurde sie unter die Herrschaft Gottes gestellt.319 Die Ähnlichkeiten dieser Argumentation zu derjenigen von Boethius, Thomas von Aquin und Lipsius sind unübersehbar. In dem als letzte orthodoxe Dogmatik geltenden »Examen theologicum acroamaticum«320 unterschied David Hollatz 1707 folgerichtig vier verschiedene Fatum-Konzepte voneinander. Im Kapitel »De providentia dei« führte er neben das Fatum physicum, das Fatum astrologicum und das Fatum stoicum den Begriff des Fatum christianum ein.321 In einer kurzen Definition heißt es darüber : »[…] sed agnoscendum est Fatum christianum, quod est connexio causarum & effectuum necessaria necessitate extrinseca, qvatenus ‚ DEO infallibiliter praescita, decreto absolute vel conditionato constituta, & regimine divino svaviter disponente gubernata est.«322

Das Fatum christianum beschrieb nach dieser Definition die notwendige Verbindung von Ursache und Wirkung, die von Gott unfehlbar vorhergewusst wurde. Gott als erste Ursache hatte diese Notwendigkeit initiiert und behielt die Herrschaft über sie. Dabei nahm Hollatz anhand zahlreicher Beispiele eine doppelte Differenzierung zwischen einem absoluten und einem bedingten, einem gewöhnlichen und einem außergewöhnlichen christlichen Fatum vor. Unter das absolute Fatum fielen dabei beispielweise die Schaffung und Erhaltung der Welt oder die Passionsstunde Christi, nur bedingt notwendig waren dagegen der Reichtum eines Menschen auf Erden oder der individuelle Todeszeitpunkt.323 Das gewöhnliche Fatum waltete in Einklang mit der natürlichen Ordnung der

318 Burmannus, Synopsis, S. 332. Ähnlich: Lipsius, Von der Bestendigkeit, S. 63. 319 Burmannus, Synopsis, S. 332 f. 320 Art. Hollaz (Hollatz), David, in: Bautz, Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, S. 1003. 321 Hollatz, Examen. 322 Ebd., S. 639 f. 323 Ebd., S. 642 f.

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Welt, das Fatum extraordinarium hingegen überstieg die natürliche Ordnung und beschrieb auf diese Art die göttlichen Wunder. Hollatz bemerkte zu Recht, dass die Fatum-Lehre bereits von Augustinus aus der kirchlichen Dogmatik ausgeschlossen worden war. Dennoch plädierte er für eine Wiederaufnahme des Fatum-Begriffs, dieser müsse nur korrekt in die christliche Glaubenslehre übertragen werden: »Neque inutilis est doctrina de fato; siquidem per eam rectÀ traditam manet divinae Pronoeae non sanÀ peregrinanti ac otiose spectanti gloria praescientiae decretique, & homini libertas seu nativa in sphaera inferiori, seu dativa in superiori […].«324

Damit war die Gleichsetzung von Vorsehung (in diesem Fall nicht providentia, sondern pronoea) und Fatum christianum vollzogen. Der Fatum-Begriff wurde soweit angepasst, dass er unter der Beachtung bestimmter theologischer Lehrsätze in den christlichen Sprachgebrauch integriert werden konnte. Was mochte den orthodoxen Lutheraner Hollatz dazu veranlasst haben, einen so umstrittenen Begriff wie das Fatum in die lutherische Glaubenslehre zu implementieren, ohne dass das offensichtlich erforderlich gewesen war? Vieles weist darauf hin, dass das Bemühen ausschlaggebend war, die Konflikte zu glätten, die im Übergang von altprotestantischer Orthodoxie zur Aufklärungstheologie entstanden waren. Diesem Ausgleich lagen mehrere synchrone und sich gegenseitig beeinflussende Prozesse zugrunde: Auf sprachlicher Ebene konnte der Fatum-Begriff Diskursbereiche erobern, die zuvor einer rein christlichen Sprache vorbehalten waren. Gleichzeitig verschob sich der semantische Gehalt des christlichen Vorsehungsbegriffs und passte sich zunehmend an den Fatum-Begriff an. Beide Entwicklungen waren das Produkt des tiefgreifenden Weltbildwandels im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert, der das tradierte Verhältnis von Gott und Welt infrage stellte und neu definierte.

Die altprotestantische Vorsehungslehre Dass das Fatum christianum zum Synonym für »Gottes Schickung«325 werden konnte, war also nicht allein auf eine semantische Ausweitung des Schicksalsbegriffs zurückzuführen, sondern mindestens ebenso auf einen grundlegenden Wandel der christlichen Vorsehungslehre. Denn auch die Theologie kam um die Anpassung religiöser Dogmen an eine neue Kosmologie nicht herum. Zu tief waren die Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften und der Philosophie in den

324 Ebd., S. 643. 325 Art. Fatum, in: Sperander, A la Mode-Sprach, S. 258.

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Erfahrungshorizont der Menschen eingedrungen, als dass sie von den Theologen ignoriert werden konnten. Die klassische Vorsehungslehre der protestantischen Theologie begriff die Providenz als Lehre vom Welt- und Heilshandeln Gottes.326 Sie wurde auch in der reformierten Theologie streng von der Prädestinationslehre als der gnadenhaften Erwählung zum Gottesreich unterschieden.327 Die Vorsehung wurde einerseits aus den unumstrittenen Eigenschaften Gottes abgeleitet, die seine Allwissenheit, Allmacht und Weisheit umfassten.328 Andererseits ergab sie sich aus dem allgemeinen Weltverlauf, der des göttlichen Eingriffs immer aufs Neue bedurfte, um überhaupt bestehen zu können.329 Dabei war die Providenz jedoch nicht allein ein Instrument zur Welterhaltung, sondern weit darüber hinaus die Kraft, mit deren Hilfe der Endzweck der Welt durch Gott verwirklicht wurde. Im umfassenden Artikel zur »Vorsehung Gottes« im Zedler von 1746 heißt es dazu: »Die göttliche Vorsehung ist ein Inbegriff aller göttlichen Würckungen, die in der Welt geschehen, zur Verherrlichung der Ehre Gottes und der vernünfftigen Creaturen Glückseligkeit.«330 Damit war die göttliche Vorsehung teleologisch ausgerichtet. Sie steuerte auf ein Ziel zu, das zwar vorherbestimmt war, aber durch den menschlichen Verstand nie vollkommen erfasst werden konnte. Das Welthandeln Gottes zu diesem Endzweck wurde in detaillierter Weise ausdifferenziert, je nachdem, worauf es sich bezog, welcher Mittel es sich bediente oder wie es sich konkret ausgestaltete:331 In Bezug auf das Heilshandeln wurde zwischen der providentia generalis, specialis und specialissima unterschieden, wobei die erste das Handeln an der gesamten Welt, die zweite das Handeln an den Lebewesen (Engel, Menschen, Kreaturen) und die dritte das Handeln an den Gläubigen, die zur Seligkeit auserwählt waren, beschrieb. Als Lehre vom Heilshandeln Gottes gehörte die Vorsehungslehre dem dogmatischen Bereich der Soteriologie an.332 Hinsichtlich der Mittel, derer sich die Vorsehung bediente, wurde zwischen der providentia ordinaria oder mediata und der providentia extraordinaria oder miraculosa unterschieden. Unter der erstgenannten verstand man das Handeln 326 Die folgende kurze Ausführung der protestantischen Vorsehungslehre ist stark vereinfacht und berücksichtigt nicht die Auseinandersetzungen, die über Einzelfragen der göttlichen Providenz in der lutherischen und reformierten Orthodoxie teilweise scharf geführt wurden. Siehe für eine Übersicht über diese Streitfragen: Bretschneider, Systematische Entwickelung, S. 463 – 477. 327 Lehner, Kants Vorsehungskonzept, S. 10. 328 Art. Vorsehung Gottes, in: Zedler, Universallexicon, S. 1125. 329 Ebd., S. 1126. 330 Ebd., S. 1137. Eine ausführliche Analyse dieses Artikels liefert: Lehner, Kants Vorsehungskonzept, S. 15 – 21. 331 Dazu im Allgemeinen: Joest, Dogmatik, S. 131 – 133. 332 Deuser, Art. Vorsehung I, S. 319 f.

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Gottes, das sich in Harmonie mit den regelhaften Abläufen von Natur und Geschichte vollzog, sich der allgemeinen Gesetzlichkeit also bediente, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Bei der providentia miraculosa oder extraordinaria wirkte Gott hingegen unmittelbar, schuf also gewissermaßen die Ursachen bestimmter Ereignisse ohne Zuhilfenahme vorhandener Bedingungen. Die Durchbrechung der gegebenen Ordnung durch diese unmittelbare Vorsehung äußerte sich in göttlichen Wundern.333 Das Verhältnis zwischen Gott und Welt, das sich in der Vorsehung manifestierte, wurde je nach Handlungsweise Gottes als conservatio (Erhaltung), concursus (Mitwirkung) oder gubernatio (Leitung) bezeichnet. Dieser Aspekt der Providenz war ein Teil der Schöpfungslehre. Die conservatio war das aktive Erhaltungswirken Gottes an der von ihm erschaffenen Welt, indem er allem Existierenden in jedem Augenblick die Kraft verlieh, sich zu erhalten und gegen das Nichts zu bestehen.334 Sie beschrieb damit die »seinshafte Abhängigkeit aller geschaffenen Dinge […] von Gott«.335 Im concursus hingegen ging es um den beständigen Beitrag Gottes zu jedem kreatürlichen Wirken in der Welt. In Bezug auf den Menschen war damit der göttliche Beistand bei einzelnen Handlungen gemeint. Erst durch den concursus konnte jedes Ding die ihm von Gott mitgegebenen Eigenschaften und Fähigkeiten in bestimmten Augenblicken und zu bestimmten Zielen anwenden. Gott verlieh den Individuen das Vermögen, am göttlichen Weltzweck mitzuarbeiten.336 Im concursus sah die lutherische Orthodoxie deshalb den Normalfall der Wirksamkeit Gottes, womit sie sich auch gegen eine Überbetonung göttlicher Wunder aussprach.337 In der gubernatio, der göttlichen Regierung, offenbarte sich nun zuletzt die Finalität des göttlichen Handelns in der Welt. Durch Beförderung des Guten und der Wirkung gegenüber dem Übel verwirklichte Gott das von ihm gesetzte Ziel. In diesem Rahmen wurde auch die Frage nach dem Anteil Gottes an der Existenz des Bösen gestellt.338 Um diesen zu minimalisieren und im Gegenzug die Menschen für die Existenz des Bösen verantwortlich zu machen, wurden die menschlichen Absichten radikal von ihren Handlungen getrennt. Damit gelang zugleich die Rettung der menschlichen Willensfreiheit angesichts einer göttlichen Providenz, die scheinbar alles durchdrang:

333 334 335 336 337 338

Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?, S. 136 f. Art. Vorsehung Gottes, in: Zedler, Universallexicon, S. 1170. Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?, S. 138. Art. Vorsehung Gottes, in: Zedler, Universallexicon, S. 1171 f. Lehner, Kants Vorsehungskonzept, S. 12. Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?, S. 139.

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»Wenn ein Mensch in seiner Seele etwas beschliesset, und zuthun sich vorsetzet; so hat er darinnen als eine vernünfftige Creatur seine völlige Freyheit, seine freye Neigung, seine freye Wahl, seinen freyen Vorsatz, und darnach wird er auch von Gott als gut oder böse beurtheilet. Aber wenn es nun zur Ausführung seiner Anschläge, und also zu den äusserlichen Handlungen kommen soll, so stehet das schon nicht mehr blos in der menschlichen Gewalt; indem dabey so mancherley Umstände zusammen kommen, die nicht unter der Verordnung und Anstalt der Menschen, sondern unter der Gewalt Gottes stehen.«339

Freilich konnte dieser Versuch zur Rettung der menschlichen Freiheit nur oberflächlich den grundsätzlich bestehenden Antagonismus lösen. Das hing vor allen Dingen mit dem eigentümlichen Verhältnis der Providenz zur Zeitlichkeit zusammen: Denn nach menschlichem Ermessen war alles, was in der Welt geschah, auf das permanente und akute Handeln Gottes, also auf seine Allwirksamkeit zurückzuführen.340 Die Vorsehung als Ganzes war jedoch von Ewigkeit an beschlossen worden und – in Gott ruhend – unveränderlich. »Nehmlich indem Gott eine Vorsehung über die geschaffenen Dinge hat; so beschliesset er nicht erst heutigen Tags, was in Absicht auf die Erhaltung und Regierung derselben geschehen soll; sondern er hat solches von Ewigkeit her beschlossen, und es ist auch kein Grund vorhanden, seinen Rath-Schluß zu verändern […]. Es darf sich aber niemand einbilden, daß durch die Ewigkeit und Unveränderlichkeit die Vorsehung aufgehoben, oder in eine unumgängliche Nothwendigkeit verwandelt werde.«341

Denn – und hier tritt die bereits vertraute Argumentationsweise auf, mit der auch Joachim Lange die Integration der Willensfreiheit in die göttliche Providenz zu rechtfertigen versuchte – Gott antizipiert die freien Entschlüsse der Menschen und bindet sie so in seine Vorsehung mit ein. Die Grenzbestimmung zwischen Vorsehung und Determination war so immer schon ein integraler Bestandteil der protestantischen Schöpfungslehre. Wichtig ist für den Zusammenhang, den es hier zu erörtern gilt, dass die Providenz-Lehre nach orthodoxer Dogmatik mit einem Weltbild korrespondierte, das Natur und Kosmos als Schöpferwerk begriff, welches allein durch Gottes Allmacht und Willen immer neu und dabei zielgerichtet erschaffen beziehungsweise erhalten wurde. Naturbetrachtung war diesem Verständnis nach ein Medium der Gotteserkenntnis. Ein wesentliches Merkmal dieser Weltordnung war die prinzipielle Möglichkeit spontaner Eingriffe Gottes in den geregelten Ablauf der Natur, die zugleich seine Freiheit gegenüber jeder kausalen Naturgesetzlichkeit hervorhob. Der Mensch in diesem Weltbild war das Subjekt 339 Art. Vorsehung Gottes, in: Zedler, Universallexicon, S. 1197. 340 Siehe zu Luthers Glauben an die göttliche Allwirksamkeit: Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?, S. 64 – 70. 341 Art. Vorsehung Gottes, in: Zedler, Universallexicon, S. 1137.

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eines göttlichen Heilsplanes und besaß damit – wie jeder andere Naturgegenstand auch – eine ihm von Gott gegebene Bestimmung.342 Die Aufgabe des Menschen sollte es sein, nach besten Kräften an der Verherrlichung Gottes und am individuellen Heil mitzuarbeiten. Unter diesen Voraussetzungen konnte der protestantische Vorsehungsglaube in nachreformatorischer Zeit das Gerüst für eine tief empfundene Frömmigkeit bilden, deren Kern das Vertrauen auf Gottes gütige Absicht bildete.343 Es wurde bereits erwähnt, dass die orthodoxe evangelische Theologie dabei an zwei Fronten zu kämpfen hatte: In der Renaissance waren sowohl die stoische Fatum-Lehre als auch die epikureische Lehre vom Zufall erneut aktuell geworden. Zwischen beiden galt es einen Mittelweg zu wählen, um die Herrschaft Gottes über Notwendigkeit und Kontingenz gleichermaßen zu erweisen und zu sichern. Es hängt mit den spezifischen konfessionellen Besonderheiten zusammen, dass die Reformierten angesichts der Prädestinationslehre die göttliche Providenz gegenüber dem Epikureismus zu verteidigen suchten, während für die Lutheraner die Wahrung der innerweltlichen Kontingenz gegenüber einer absoluten Notwendigkeit im Mittelpunkt stand. »[…] beide haben gewusst, um was es hier ging – um die Hoheit Gottes über alle innerweltliche Notwendigkeit und Kontingenz, Allgemeinheit und Besonderheit und also über Schicksal und Zufall, und beide haben gewusst um das, was hier auf alle Fälle zu vermeiden ist: jede Kompromittierung seiner Weltregierung durch deren Identifizierung mit einem von diesen Weltprinzipien.«344

Die Mechanisierung der Providenz Die absolut klare Distinktion, die in einigen Dogmatiken des 17. Jahrhunderts noch vorgenommen wurde, konnte um 1700 nicht mehr als feststehende Glaubenswahrheit angesehen werden. Denn tatsächlich waren die Unterschiede zwischen Fatum und Providenz in dem Maße verschwommen, in dem das konsequent ontologisch-teleologische Naturmodell, das dem traditionellen Vorsehungsglauben zugrunde lag, durch die naturwissenschaftlichen Entdeckungen des 17. und 18. Jahrhunderts erodierte. Wiederum stoßen wir bei der Suche nach Erklärungsmodellen für den semantischen Wandel auf die physikalische Teildisziplin der Mechanik, die »als einziger Zweig der Naturwissen342 Gusdorf, D¦clin, S. 983. 343 Spuren dieses gefühlten Geborgenseins in Gott finden sich beispielsweise im protestantischen Kirchenlied dieser Zeit: Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, S. 66; Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?, S. 143; Zimmermann, Lutherischer Vorsehungsglaube. 344 Barth, Die Lehre, S. 185.

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schaften im 17. Jh. durch die mathematische Fassung ihrer Elementarbeziehungen eine wissenschaftliche Form gewonnen« hatte und damit zur »Königin« der Wissenschaften avancierte.345 Die Mechanik gab nicht nur Aufschluss über die Bewegungen des Himmels und der Erde, sondern wurde selbst zur Erklärung organischer Prozesse herangezogen. Ren¦ Descartes war es, der mit fast unerbittlicher Konsequenz die Grundsätze der Mechanik zu den Prinzipien des gesamten Universums erhob und damit einem philosophischen Weltbild zur Durchsetzung verhalf, dessen Inbegriff die machina mundi wurde.346 Die Erfolge der mechanistischen Naturwissenschaft propagierten mit ihrer experimentellen Methodik die universale Geltung eines auf Empirie und Kausalität ausgerichteten Denksystems, das seine Wirkung auf Philosophie und Theologie nicht verfehlte.347 Im Vordergrund der Weltbetrachtung stand nun nicht mehr die individuelle Bestimmung jedes Naturgegenstandes, sondern seine naturgesetzliche Funktionalität, die ausnahmslose Geltung beanspruchen konnte. Natürliche Prozesse wurden nicht mehr auf den eingreifenden Schöpferwillen zur Verwirklichung eines Endzweckes, sondern auf weltimmanente, kausale Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt.348 Die Konsequenzen für das Gottesbild haben wir bereits in der Philosophie Wolffs kennengelernt.349 Die vollendete Perfektion der Schöpfung implizierte den Verzicht auf göttliche Eingriffe, die nicht mit den Naturgesetzen in Einklang standen. Die Vorstellung »des von Gott beseelten Weltorganismus« trat hinter »das Modell eines sich selbst nach festgelegter Gesetzmäßigkeit steuernden Mechanismus« zurück.350 Vordergründig schien das neue Weltbild dem christlichen Vorsehungsglauben diametral entgegengesetzt zu sein, standen hier doch Naturgesetze gegen göttliche Eingriffe, ja Vernunft gegen Glauben.351 Doch tatsächlich wurde diese Alternative zum Ausgangspunkt einer neuen Synthese, wie sie für die Glaubenswelt des 18. Jahrhunderts so charakteristisch ist. Die Vertreter der mechanistischen Philosophie waren weit davon entfernt, unter Zuhilfenahme des neuen Weltbildes die allgemeine Kassation der Providenz-Lehre zu fordern.352 345 Wollgast, Philosophie, S. 66 f. 346 Ebd., S. 109. Für Großbritannien war Robert Boyle (1627 – 1679) der einflussreichste Vertreter der »Welt als Uhr«-Metapher : Westfall, Science, S. 73 f. 347 Frick, Providenz, S. 13. 348 Westfall, Science, S. 72. 349 Artuk, Das Problem, S. 22. 350 Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?, S. 161; Westfall, Science, S. 77. 351 Ob man unter diesen Umständen für das 18. Jahrhundert von einer »Erosion der ProvidenzMetaphysik« oder gar von einer »Entprovidentialisierung« sprechen kann, bleibt fraglich (so Frick, Providenz, S. 159). Denn tatsächlich ging der Glaube an die Providenz nicht verloren und wurde durch den Begriff des Fatums vollständig ersetzt, sondern es handelte sich um eine echte Synthese, bei der beide Begriffe zwar einige semantische Merkmale verloren, aber in semasiologischer Hinsicht neue Bedeutungsinhalte hinzugewannen. 352 Für Beispiele aus dem britischen Raum siehe: Westfall, Science, S. 78 – 80.

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Ganz im Gegenteil bemühten sie sich sichtlich, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse als Evidenz für die Wahrheit religiöser Dogmen zu funktionalisieren. »In helping to complete the picture of an ordered creation worthy of an omniscient Creator, the virtuosi did not destroy any foundation stone of the Christian temple.«353 Für die altprotestantische Vorsehungslehre ergaben sich dennoch fundamentale Veränderungen: Die vielgestaltigen Äußerungsformen der göttlichen Providenz wurden auf die Einrichtung und allgemeine Erhaltung der Welt reduziert, sodass es nur noch eine providentia immediata geben konnte, weil der unmittelbare göttliche Eingriff wider die Naturgesetze unvorstellbar wurde. Die voluntaristisch-konzipierte Concursus-Lehre und die Vorstellung der zielorientierten gubernatio traten hinter die Betonung der conservatio zurück.354 Damit ging eine Ablehnung göttlicher Wunder einher. Oder vielmehr : Die Natur selbst war so voll immanenter Wunder, die zwar übervernünftig, aber niemals widervernünftig waren, dass transzendente Wunder für die Offenbarung der Schöpfung nicht mehr erforderlich waren.355 Unter diesen Umständen beschrieb die göttliche Vorsehung konkret nicht mehr, aber auch nicht weniger als den geregelten Ablauf von Welt und Natur, welcher die gezielte väterliche Fürsorge Gottes für jeden Einzelnen in den Hintergrund drängte.356 Ja, sie konnte selbst zum Synonym für die weise geordnete Natur und ihre Gesetzmäßigkeiten werden.357 Als »sapiential-ordinatives Funktionsprinzip des Weltprozesses«358 war die Providenz nun nicht mehr allzu weit vom Begriff der Notwendigkeit entfernt. Und an dieser Stelle offenbarte sich ihre prinzipielle Kompatibilität zum Schicksalsbegriff, welche sich im Konzept des wiederentdeckten Fatum christianum am deutlichsten niederschlug.359

353 Ebd., S. 102. 354 So auch: Lehner, Kants Vorsehungskonzept, S. 12 – 15; Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?, S. 187. 355 Ihren Ursprung besitzt die Ablehnung des Wunderglaubens schon in der Philosophie Spinozas, Leibniz’ und Wolffs, wobei für die beiden Letztgenannten eine Welt mit weniger Wundern eine vollkommenere Welt ist als eine Welt mit vielen Wundern. Euler, Über das Verhältnis, S. 123 – 145; Madonna, Die Vernunft, S. 48 – 50; Gusdorf, D¦clin, S. 984; Rohls, Protestantische Theologie, S. 125. Siehe zu dem Verhältnis der Aufklärung zum Wunderglauben insgesamt: Maurer, Wunder, S. 209 – 222. 356 Westfall, Science, S. 75. 357 Gusdorf, D¦clin, S. 985; Westfall, Science, S. 102. 358 Lehner, Kants Vorsehungskonzept, S. 14. 359 Es ist ersichtlich, dass die Providenz-Lehre sehr wohl von den geistigen Veränderungen der Aufklärung modifiziert wurde. Dagegen: Joest, Dogmatik, S. 133.

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Gottes Güte im Schicksal – Leibniz’ Konzeption des Fatum christianum Gottfried Wilhelm Leibniz ist der Referenzautor, ohne dessen systematisierenden und popularisierenden Beitrag die allgemeine Akzeptanz des christlichen Schicksalsbegriffs auch für die Theologie des 18. und frühen 19. Jahrhunderts kaum denkbar gewesen wäre. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man seine gesamte »Theodizee«360 als einen Versuch wertet, das antike Fatum-Konzept im christlichen Sinne umzudeuten, um so einen Ausweg aus dem ewigen Labyrinth von Freiheit und Notwendigkeit aufzuzeigen.361 Anlass für die intensive Auseinandersetzung mit der Möglichkeit eines christlichen Schicksalsverständnisses war die Kritik Pierre Bayles (1647 – 1706) an der Vereinbarkeit von Vernunft und Glaube, die auch die Frage nach der Existenz einer göttlichen Vorsehung angesichts des Bösen einschloss.362 Im Kern ging es also um die Frage, ob das offensichtliche Übel in der Welt mit dem Glauben an einen gütigen und weisen Gott in Übereinstimmung zu bringen sei. Und Leibniz ging die Beantwortung dieser Frage gleichermaßen mit christlicher Überzeugung und wissenschaftlicher Genauigkeit an. In der Vorrede zur »Theodizee« ist der Glaube der Ausgangspunkt der Argumentation. Es geht Leibniz zunächst darum, die Vorsehungslehre von zwei Arten des Schicksalsglaubens abzugrenzen, denen der Grundgedanke christlichen Gottvertrauens fehlt: Weder das Fatum mahumetanum363 noch das Fatum stoicum können den Menschen die Sittlichkeit vermitteln, die für ein Leben in Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen erforderlich ist. Während der türkische Schicksalsglaube eine träge Geisteshaltung hervorruft, die auch zur Rechtfertigung eines sündhaften Lebens verleiten kann, vermittelt der stoische Fatum-Glaube eine erzwungene Ruhe, die zur Passivität verdammt. Das Fatum christianum hingegen geht insbesondere über den stoischen Schicksalsgedanken hinaus: Die Sorge um den kommenden Tag wird hier nicht aus der eigenen Machtlosigkeit gegenüber einer unvermeidbaren Notwendigkeit abgewiesen, sondern aus der Gewissheit der Güte Gottes. Gott wird alles zum Besten führen, sodass der Mensch sich der Vorsehung in Zufriedenheit, Zuversicht und Vertrauen hingeben kann. »Es ist eben so als wenn man zu den Menschen sagte: Thut nur eure Pflicht, und seyd mit dem zufrieden, was hiebey geschehen wird, nicht allein deßwegen, weil ihr der göttlichen Vorsehung, oder der Natur der Dinge nicht wiederstehen könnet (wobey 360 Die erste deutsche Übersetzung der Theodizee erschien 1720: Leibniz, Essais de Theodic¦e. 361 Ebd., S. 11. Siehe zu Leibniz’ Definition des Fatum christianum allgemein: Lloyd, Providence lost, S. 238 – 248. 362 Siehe zur Kontroverse zwischen Pierre Bayle und Gottfried Wilhelm Leibniz: Flasch, Kampfplätze, S. 315 – 329. 363 Siehe Kap. 3.6.

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man zwar ruhig aber nicht vergnügt seyn kann) sondern auch weil ihr mit einem guten Herrn zu thun habt. Und dieses kann man Fatum Christianum nennen.«364

Das Surplus des christlichen Fatum-Verständnisses ist also auch hier die Gewissheit der individuellen Fürsorge Gottes, die providentia specialis, die dafür sorgt, dass kein Haar ohne göttlichen Willen von unserem Kopfe fällt.365 Dennoch bleibt das Verhältnis zwischen Vorsehung und Fatum bei Leibniz unklar. In diesem Abschnitt der »Theodizee« fallen Fatum und Vorsehung semantisch zusammen.366 An anderer Stelle deutet Leibniz jedoch an, dass es das Fatum sei, das Gottes Vorsehung bestimmt, weil es die göttliche Natur selbst beschreibe: »Dieses vermeinte Fatum, welches auch die Gottheit verbindet, ist nichts anders als Gottes eigne Natur, sein eigner Verstand, der seiner Weisheit und Gütigkeit Reguln [!] an die Hand giebet; das ist eine heilsame Nothwendigkeit, ohne die er weder gut, noch weise seyn würde.«367

In einer dritten Deutungsvariante dann wird die Beziehung von Fatum und Providenz als Verhältnis der Unterordnung beschrieben. Leibniz argumentiert etymologisch:368 Das Wort fatum sei aus dem lateinischen fari abgeleitet, was »aussprechen« beziehungsweise »beschließen« bedeute. Das Fatum sei demnach das gesprochene Wort Gottes, also der Beschluss der Vorsehung.369 Die Anklänge an das Schicksalsverständnis des Thomas von Aquin sind hierbei unübersehbar. Allen diesen sehr unterschiedlichen Begriffsbestimmungen ist gemein, dass das Schicksal für Leibniz keine Macht ist, die außerhalb derjenigen Gottes steht und zu ihm in Konkurrenz treten könnte. Das Fatum entspringt der Gottheit selbst, entweder als göttlicher Ausspruch, als Ausführung der Vorsehung oder als göttlicher Verstand, der die Regeln seiner Wirkung bestimmt. Denn im Unterschied zu Thomas von Aquin steht für Leibniz nicht die semantische Unterscheidung von Vorsehung und Schicksal im Vordergrund. Er will in der »Theodizee« beweisen, dass sich die Schwierigkeiten, die sich mit der Vorstellung eines christlichen Fatum verbinden,370 nicht allein durch den Glauben und die Offenbarung, sondern auch mithilfe der Vernunft bewältigen lassen. Die Problemkomplexe, um die es dabei geht, sind mit denen identisch, die dann später in der Causa Wolffiana verhandelt wurden. Das Ziel ist es, einen 364 Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 14. 365 Prominente Anspielung auf Lukas 12,7: »Verkauft man nicht fünf Sperlinge um zwei Pfennige? Dennoch ist vor Gott deren nicht eines vergessen. Aber auch die Haare auf eurem Haupt sind alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser denn viele Sperlinge.« 366 Zu Leibniz’ Vorsehungsidee siehe: Lehner, Kants Vorsehungskonzept, S. 45 – 52. 367 Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 452. 368 Zur etymologischen Herleitung des Wortes Fatum durch Leibniz siehe insbesondere: Fenves, Arresting language, S. 27 – 32. 369 Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 504. 370 Ebd., S. 20.

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christlichen Schicksalsbegriff zu etablieren, der die Freiheit des Willens, die Moralität der Handlung, eine göttliche Güte und Gerechtigkeit, die Geltung der Naturgesetze371 und die göttliche Freiheit der Entscheidung zugleich möglich macht, dabei jedoch die Vorherbestimmung des Weltgeschehens, die Abhängigkeit des Menschen und die Existenz des Bösen nicht verleugnet. Im Kern des Leibniz’schen Lösungsversuchs steht die Entwicklung eines göttlichen Prinzips, das einen Mittelweg zwischen einer geometrischen oder absoluten Notwendigkeit (wie sie von Thomas Hobbes [1588 – 1679] und Baruch de Spinoza vertreten wird) und einer reinen göttlichen Willkür (wie sie von Pierre Bayle beschrieben wird) beschreitet. Leibniz möchte also einerseits zeigen, »daß Gott selbst, ob er wohl allezeit das Beste erwehlet, nicht aus einer absoluten Nothwendigkeit agirt«, andererseits will er das Weltgeschehen auch nicht auf eine mal gerechte, mal ungerechte Neigung Gottes reduzieren.372 So sind es das »Principium des Besten« oder die »Convenientz«, als die Wahl des Passendsten, die das göttliche Handeln im Modus des Fatum christianum am treffendsten beschreiben.373 Diese neue Form der Notwendigkeit ist zugleich der Garant für den Erhalt der vollkommensten aller Harmonien in der Welt, die wiederum die »Verbindung zwischen dem Zukünfftigen mit dem Vergangenen, und dem Gegenwärtigen mit dem Abwesenden macht«.374 Leibniz argumentiert folgendermaßen: Gott hat mit unserer Welt aus absolut freiem Entschluss die beste aller möglichen Welten erwählt, die fortan bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Diese können auch von Gott selbst nicht gebrochen werden. »Allein was den moralischen Concursum anlanget, so muß hier erinnert werden, daß Gott, als der vollkommen weise ist, nothwendig gewisse Gesetze beobachten, und so wohl nach denen physischen, als moralischen Reguln handeln müsse, die er aus Antrieb seiner Weisheit erwehlet.«375 Das impliziert, dass er die einmal gefassten Entschlüsse nicht zurücknehmen kann und muss, denn alles ist vollkommen eingerichtet. Gott kann per definitionem nur das Beste verwirklichen. Alles andere würde nicht nur seiner Güte, Weisheit und Allmacht, sondern auch dem von ihm eingesetzten Lauf der Welt entgegenstehen. Insofern ist die existierende Welt das vollendete Kunstwerk eines genialen Schöpfers. Dass diese Welt auf den unmittelbaren Eingriff des Schöpfers verzichten kann, zeigt Leibniz unter anderem am Walten der göttlichen Gerechtigkeit. Die Harmonie in der Welt bewirkt allein durch die naturgesetzliche Ordnung, dass

371 372 373 374 375

Ebd., S. 19, 22 f., 28. Ebd., S. 28. Ebd., S. 43. Ebd. Ebd., S. 208.

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Sünden sanktioniert und Tugenden vergolten werden.376 Gott als Architekt der Welt (Wirkursache des Seins) hat für Gott den Gesetzgeber (Finalursache des Seins) bereits alles eingerichtet. Das entspricht einer Beschränkung der göttlichen Providenz auf die ordinatio als anfängliche Schöpfung der Welt, die allein durch die conservatio erhalten werden muss.377 In der »Monadologie« heißt es dazu: »Man kann auch sagen daß Gott als ein Erbauer und Verfasser der Welt sich als einem Gesetzgeber und Regenten ein völliges Gnügen thue und daß also die Laster nach der Ordnung der Natur und vermöge der mechanischen Structur der Dinge ihre Straffen auf dem Rücken mit sich führen; daß auch die guten actionen ihre Belohnung auf mechanische Manier in Absicht auf den Cörper sich zuziehen; obgleich beydes nicht allezeit also fort darauf weder geschehen kann noch muß.«378

Leibniz ist hinsichtlich der Terminologie dieser Harmonie oder dieser Naturgesetze nicht eindeutig festgelegt. In der »Monadologie« wird die Ordnung der Welt als Wirkung der göttlichen Vorsehung bezeichnet,379 in dem deutschen Aufsatz »Von dem Verhängnisse« wird sie von einem unfehlbaren Verhängnis hervorgebracht.380 Die Trennschärfe der Begrifflichkeiten verschwimmt auch in der »Theodizee« zusehends und eröffnet den Raum für eine neue Synthese. Neben der semantischen Veränderung des Vorsehungsbegriffs ist diese Synthese jedoch auch das Produkt eines grundlegenden Wandels des Fatumbeziehungsweise Schicksalsbegriffs. Leibniz behält wichtige Merkmale zur Charakterisierung des Fatums bei und erkennt ihre Evidenz: die ununterbrochene Kausalität als bestimmende Gesetzlichkeit der Welt,381 die Einrichtung der Welt als eine Maschine, die Einschränkung der menschlichen Willensfreiheit382 und die Relativierung des Zufalls.383 Modifikationen finden sich jedoch hinsichtlich des Begriffs der Notwendigkeit, der Folgen für das menschliche Verhalten, des Verhältnisses zu Gott und der Frage nach einer Finalbestimmung. Leibniz wehrt sich dezidiert gegen die Annahme einer absoluten Notwendigkeit, welche die Weltordnung bestimmt. Die Abfolge der Ereignisse ist nur insofern notwendig, als jede Begebenheit von einem vorangegangenen Zustand 376 Ein Gedanke, der später in Johann Gottfried Herders (1744 – 1803) Nemesis-Gedanken wieder auftaucht. Siehe dazu Kap. 6.1. 377 Lehner, Kants Vorsehungskonzept, S. 47. 378 Leibniz, Lehr-Sätze, S. 44 f. 379 Ders., Vernunftprinzipien, S. 69. 380 Ders., Von dem Verhängnisse, S. 338 f. 381 »Daß alles durch ein festgestelltes Verhängniß herfürgebracht werde, ist eben so gewiß, als drey mal drey neun ist. Denn das Verhängniß besteht darin, daß alles an einander hänget wie eine Kette, und eben so unfehlbar geschehen wird, ehe es geschehen, als unfehlbar geschehen ist, wenn es geschehn.« Ebd., S. 337. 382 Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 450, 730 f. 383 Steinvorth, Freiheitstheorien, S. 113.

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abhängig ist. Ist dieser Zustand jedoch nicht gegeben, so wird auch die Folge nicht eintreten. Die Notwendigkeit ist insofern nur hypothetisch. Da die Menschen nicht das Vermögen besitzen, die göttliche Bestimmung der Welt zu antizipieren, sind sie gerade dazu verpflichtet, nach bestem Wissen und Gewissen ihre Lebensaufgabe zu erfüllen und nach moralischen Grundsätzen zu handeln. Es gilt, Gottes mutmaßlichem Willen zu entsprechen. Faulheit und Fatalismus hingegen hindern die Verwirklichung des göttlichen Ziels.384 Durch die Vernunft wird der Mensch dazu ermächtigt, wenngleich nicht absolut frei, so doch spontan zu handeln. Diese »verwunderns-würdige Spontaneitas« ist der Modus, in dem der Mensch seinen eigenen Platz im System der prästabilierten Harmonie findet und erkennt.385 Mit dem oben Gesagten werden zwei weitere Modifikationen des herkömmlichen Schicksalsverständnisses deutlich: Leibniz’ Fatum christianum ist nicht mehr blind und unberechenbar. Identisch mit der göttlichen Vorsehung hat es gewissermaßen die Augen Gottes bekommen.386 Zwar bindet es den Menschen in eine kausale Naturgesetzlichkeit ein, die ihn determiniert, aber hoffnungslos ausgeliefert wird er dabei im eigentlichen Sinne nicht. Die abstrakte und dadurch kalte und herzlose Weltgesetzlichkeit wird im Fatum christianum zu einem verehrungswürdigen personalen Wesen. Und dieses Wesen verwirklicht mit der Welt einen Endzweck, welcher der göttlichen Güte entspringt.387 Die Menschen können deshalb ihr »Gemüthe beruhigen und Gott selbst die Sorge des Fortgangs überlassen«.388 Der Fatum-Begriff gewinnt durch Leibniz also eine vollkommen neue Qualität. In erster Linie verliert er seinen Schrecken. In einem zweiten Schritt geht diese Providenzialisierung des Schicksals mit einer Fatalisierung der Vorsehung einher. Denn trotz gegenteiliger Versicherungen treten bei Leibniz die providentia specialis und specialissima hinter die providentia generalis, die gubernatio und der concursus hinter die conservatio zurück. »Die schöpferische Erhaltung vollzieht sich in der geschöpflichen (Selbst-)Erhaltung. Die einzelne Kreatur erfährt diese herrscherliche Ausrichtung auf den Schöpfungszweck als Werk der fürsorglichen Güte Gottes, ohne daß Gott individuell an ihr handeln würde.«389 Dazu passt, dass Leibniz im »Confessio Philosophi« eine Gleichsetzung von 384 Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 241. 385 Ebd., S. 243. 386 So wird im 18. Jahrhundert fortan sehr deutlich unterschieden zwischen dem »sehenden« und dem »blinden« Schicksal: Ortmann, Patriotische Briefe, S. 646 f.; Böldicke, Abermaliger Versuch, S. 79; Raschig, Sammlung, S. 776 f.; u. v. m. 387 Siehe dazu auch: Ed Dellian, Einführung, in: Clarke und Leibniz, Der Briefwechsel, S. XLI. 388 Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 242. 389 Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?, S. 179.

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Fatum und Weltharmonie vornimmt. Der Philosoph äußert in dem fiktiven Dialog gegenüber dem Theologen: »[…] Es kommt auf dasselbe heraus, ob etwas durch das Schicksal oder Los oder wegen der Universalharmonie geschieht.«390

Die langfristige Lösung der Schicksalsaporien Es ist nicht verwunderlich, dass die Leibniz’sche Bestimmung des Fatum christianum insbesondere von der orthodoxen und später der pietistischen Theologie als Dammbruch empfunden wurde.391 Die Diskussionen darüber, ob Leibniz Gott in seiner Philosophie einem unüberwindlichen Fatum untergeordnet habe, rissen lange Zeit nicht ab und wurden Christian Wolff 1723 zum Verhängnis. Noch 1735 sah sich der Jenaer Theologe und Wolffianer Jakob Carpov (1699 – 1768) dazu genötigt, die neue Philosophie gegen den Verdacht der Schicksalsgläubigkeit zu verteidigen.392 Erst die Rückkehr Wolffs nach Halle war das Anzeichen einer neuen Atmosphäre, die mit der Entstehung des theologischen Wolffianismus und später der Neologie und dem Rationalismus auch die Symbiose von Providenz und Fatum zuließ. Der Providenz-Lehre selbst tat das keinen Abbruch, als »selbstverständliche Vernunftswahrheit« bildete sie eine »der allgemeinen Basisplausibilitäten der aufklärerischen Geisteskultur«.393 Es sollte noch einmal betont werden, dass die Idee des Fatum christianum vornehmlich in den verschiedenen Spielarten der Aufklärungsphilosophie und -theologie reüssieren konnte, in Schriften des Pietismus und der ohnehin marginalisierten Orthodoxie jedoch selten bis nie zu finden ist. Im Pietismus wurde die orthodoxe Vorsehungslehre stattdessen in eine Richtung modifiziert, die derjenigen der natürlichen Theologie geradezu entgegengesetzt war : Die pietistische Betonung des persönlichen Weges zu Gott über die private Frömmigkeit des Einzelnen ließ die providentia generalis in den Hintergrund treten, um dem individuellen Vorsehungsglauben an eine providentia specialis und specialissima Raum zu geben. »Vorsehung manifestiert sich primär im indivi390 Leibniz, Confessio philosophi – Das Glaubensbekenntnis, S. 93. Lateinisch: »Ita factum est quoque, idem enim est fato aliquid seu sorte, et ob harmoniam universalem contingere.« Ders., Confessio philosophi. Ein Dialog, S. 92 f. 391 Seebaß, Handlung, S. 138. Zu den theologischen Reaktionen auf die »Theodizee«: Lorenz, De mundo, S. 99 – 150. 392 Carpov, Ausführliche Erläuterung, S. 372 – 377. 393 Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?, S. 188. Siehe dazu z. B. das philosophisch-theologische Lehrgedicht »Über den Ursprung des Übels« des Arztes Albrecht Haller (1708 – 1777), der 1734 schrieb: »Ja, alles, was ich seh, sind Gaben vom Geschicke! / Die Welt ist selbst gemacht zu ihres Bürgers Glücke, / Ein allgemeines Wohl beseelet die Natur, / Und alles trägt des höchsten Gutes Spur!« Haller, Versuch schweizerischer Gedichte, S. 132.

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duellen Führungshandeln.«394 Es versteht sich daher, dass der Glaube an eine naturgesetzliche Schicksalsnotwendigkeit, auch wenn sie von Gott ausging, im pietistischen Glaubenssystem nichts zu suchen hatte. Abseits von Pietismus und Orthodoxie wurde die Vorstellung der allgegenwärtigen Vorsehung in der Natur jedoch immer populärer. Wie sehr sie sich in der veränderten Form mit Begriffen wie Fatum und Schicksal verbinden konnte, zeigt eine Leichenpredigt von 1739 auf den Bürgermeister von Waldenburg, die der zuständige Geistliche Samuel Friedrich Crusius (1671 – 1750) mit den Worten »Fatum non stoicum, sed christianum« betitelte. Der lutherische Pfarrer bettete das Leben des Verstorbenen nicht nur in einen Vorsehungshorizont ein, sondern verband das göttliche Walten explizit mit dem Fatum-Begriff, weil »es nicht unchristlich [ist], wenn man mit geziemender Bescheidenheit und in gesundem Verstande ein Fatum statuiret«.395 Der Zusammenhang zwischen Fatum und Gott wurde im Folgenden als »Kette der natürlichen Ursachen in seiner Hand« expliziert, wobei Gott dabei »nach seiner Weißheit und freyen Willen handelt«. Crusius schrieb zur Beruhigung der Gemeinde: »Aber Fatum Christianum & Theologicum können wir gar wohl gläuben, welches nichts anders ist, als GOTTES ewiger und freyer Rathschluß, nach welchen er allem, was geschehen soll, und noch geschehen wird, eine gewisse Ordnung, Ort und Zeit feste bestimmet hat, und also das Fatum, wenn der Mißbrauch davon weggethan wird, einerley ist mit der Göttlichen Providenz und Fürsehung.«396

In dem Maße also, in dem die Vorsehung schicksalhafte Züge gewann, zerrann die Empörung, die das Bekenntnis zum Fatum-Glauben Anfang des 18. Jahrhunderts noch ausgelöst hatte. Das Schicksal war nur noch in speziellen Ausformungen mit Spinozismus und Atheismus gleichzusetzen. Eine letzte Nachwehe dieser Interpretation markierte der Pantheismusstreit zwischen Moses Mendelssohn (1729 – 1786) und Friedrich Heinrich Jacobi (1743 – 1819) im Jahr 1785. Die Ansicht Jacobis, dass das Fatum notwendig Gott oder Gott das Fatum verschlinge,397 wurde von den meisten Zeitgenossen nicht mehr geteilt. Noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war die Identifizierung von Schicksal und Vorsehung im Begriff des Fatum christianum zumindest auf lexikalischer Ebene durchaus üblich,398 wobei im Gegenzug die christliche Vor394 395 396 397 398

Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹?, S. 171. Crusius, Fatum non stoicum, S. 3. Ebd., S. 4 f. Jacobi, Über die Lehre, S. 176. So u. a. in den folgenden historischen Lexikonartikeln: Art. Fatum, in: Hübners Naturlexicon, S. 215; Art. Fatum, in: Brockhaus, Conversations-Lexicon, S. 617 f.; Korth, Art. Schicksal, S. 238 – 268; Art. Schicksal (fatum), in: Krug, Allgemeines Handwörterbuch, S. 542 – 544; Art. Fatum, in: Brüggemann und Gross-Hoffinger, Neuestes ConversationsLexikon, S. 18; Art. Schicksal, in: Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon, S. 348.

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Weltdeutung und Schicksal in der Frühen Neuzeit

sehungslehre immer weiter zu einer Kontingenzbewältigungslehre marginalisiert wurde.399 Die bedeutenden Elemente des Begriffs waren gleichzeitig die wichtigsten Kriterien für die Grenzziehung zu anderen Fatum-Konzepten. Sie umfassten die Herrschaft des christlichen Gottes über das Schicksal und damit seine uneingeschränkte Allmacht,400 die Weisheit und Güte der göttlichen Welteinrichtung, die das Wohl des Menschen zum Ziel hatte, die Abfolge von Ursache und Wirkung als einzigen Modus zur Verwirklichung dieses Zweckes und die Integration der menschlichen Willensfreiheit in die Kausalkette der Natur, in dem diese als Teil oder Implikat der göttlichen Vorsehung verstanden wurde.401 Die schicksalhafte Notwendigkeit stand also immer unter dem Primat des göttlichen Geistes. Unter diesen Prämissen konnte das Fatum christianum auch zum »vernünftigen« Schicksal oder Fatum werden,402 weil es all jene Aporien, die bis dahin Unbehagen am Schicksalsglauben erregten, zumindest vordergründig gelöst hatte und insofern zugleich mit Glauben und Vernunft in Einklang zu bringen war. Daher bedeutete das Fatum christianum auch eine symbolische und semantische Aussöhnung zwischen Wissenschaft und Religion.403

3.6

Der Schicksalsbegriff im Orientalismus-Diskurs

Die Türken und die Pest In dem Maße, in dem sich das Fatum christianum zum vernünftigen Schicksal rationalisierte, änderte sich auch die Kontrastfolie, vor der das christliche Schicksal profiliert werden konnte. Dem astrologischen Schicksal war zumindest vordergründig die Grundlage entzogen worden, das Fatum stoicum galt als »nicht mehr so schlimm, als man vorgiebt«,404 die Leibniz-Wolff ’sche Schicksalskonzeption eignete sich auch nicht mehr zum Gegenbegriff des christlichen Schicksals. Gerade deshalb avancierte mit dem Fatum turcicum ein Begriff zum 399 Lehner, Kants Vorsehungskonzept, S. 27. 400 Wie der anonyme Autor in den »Neuesten Mannigfaltigkeiten« von 1780, waren viele »überzeugt, daß alle meine Schicksale kein Ohngefehr sind, daß sie unter der Regierung einer über mich wachenden Vorsehung stehen« und dass es Gott ist, »der das Ruder unsrer Schiksale [!] lenkt«: o. A., Ich gehe, S. 347. 401 Sehr ausführlich diskutiert von: o. A., Einige Bemerkungen, S. 319 – 324. 402 Art. Fatum, in: Brockhaus, Conversations-Lexicon, S. 617; Korth, Art. Schicksal, S. 251; Art. Schicksal (fatum), in: Krug, Allgemeines Handwörterbuch, S. 543; Art. Fatum, in: Brüggemann und Gross-Hoffinger, Neuestes Conversations-Lexikon, S. 18. 403 So auch die Meinung von Richard S. Westfall zu dem neu verstandenen Providenz-Gedanken: Ders., Science, S. 105. 404 Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 13.

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Gegenmodell europäischer Schicksalsauffassungen, der sich im religiös und kulturell Andersartigen manifestierte, stetig aktualisiert werden konnte und seinen Platz deshalb zum Teil bis heute bewahrt. In begriffsgeschichtlicher Hinsicht sollte man vorab bemerken, dass das »turcicum« des Kompositums bis weit in das 18. Jahrhundert als stellvertretender Ausdruck sowohl für den Islam als »Türcken Religion« als auch für das Osmanische Reich eingesetzt wurde. Weitere Synonyme implizieren seit dem 18. Jahrhundert den Verweis auf Mohammed als Religionsgründer,405 sodass wir ein Begriffsspektrum vorfinden, das vom Fatum turcicum oder mahumetanum über das türkische Schicksal bis zur türkischen Lehre von der Gnadenwahl/Vorsehung/Providenz/Fürsehung/Prädestination etc. reicht.406 Auch in den Debatten um den türkischen Schicksalsbegriff ging es wieder um das Grundproblem der Kausalität, wobei die Fronten hier geradezu vertauscht wurden: Am türkischen Schicksal kritisierte die gelehrte Gesellschaft die Negation von Kausalverknüpfungen, die in anderen Kontexten selbst der Stein des Anstoßes gewesen waren. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts war der Topos des türkischen Fatums lange in Europa bekannt und bedurfte kaum mehr erläuternder oder rechtfertigender Hinweise. Anders als in seinen anderen Ausprägungen verbanden sich mit dem Fatum-Begriff in diesem Kontext nur zum Teil theologische oder philosophische Fragestellungen, stattdessen verwies er auf eine anscheinend spezifisch morgenländische Mentalität, die – weil sie die Autonomie und Freiheit des Menschen negiere – unweigerlich zu Faulheit und Lethargie führen müsse.407 Sehr schnell fand das Fatum turcicum Aufnahme in die Enzyklopädien und Lexika, Reiseberichte und in die theologischen, geografischen und medizinischen Abhandlungen des Zeitalters der Aufklärung und wurde dort zumeist mit einer Erzählung in Verbindung gebracht, welche die vermeintliche »faule Vernunft« der Türken kaum drastischer vor Augen führen konnte: »Man saget […] von den Türcken, daß sie zur Zeit der Pest in den angesteckten Oertern verbleiben, weil sie glauben, wenn sie länger leben solten, werde sie die Pest nicht

405 Der Begriff der »Mohammedaner« für die Muslime kommt aus der Zeit nach 1683 und verweist darauf, »dass die Muslime eben nicht an Gott glauben, sondern an einen falschen Propheten«. Schnurbein, Einseitigkeiten, S. 78. 406 Im Folgenden werden die Ausdrücke Fatum turcicum, türkisches Fatum/Schicksal, Fatum mahumetanum, mohammedanisches Fatum/Schicksal, orientalischer Fatalismus, wie auch in den Quellen, als Synonyme betrachtet und verwendet. 407 An dieser Stelle soll nicht untersucht werden, inwieweit der Islam als Religion tatsächlich fatalistische Lehren vertritt. Mit dieser Frage haben sich ausführlich beschäftigt: CohenMor, A matter ; Ess, Fatum Mahumetanum, S. 26 – 50; Oertner, Fatalismus, S. 121 – 125; Piamenta, Islam, S. 147 – 222; Ringgren, Studies; Schoen, Gottes Allmacht; Thomson, The Conception, S. 281 – 299; Thomson, Free Will; Tworuschka, Islam, S. 15 – 24; Ess, Zwischen Hadı¯t und Theologie; u. v. m. ˙ ¯

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wegraffen können; solten sie aber sterben, so würde es geschehen, auch wenn sie sich bey Zeiten in einen gesunden Ort reterirten.«408

Diese augenscheinliche Irrationalität, die hier mit der Negation natürlicher Todesfurcht gepaart wurde, ließ die türkische Fatalität zu einem weiteren stichhaltigen Argument des aufgeklärten Zeitalters gegen den Fatum-Glauben in summa werden, auch weil er eine neue Perspektive auf die Schicksalsproblematik erlaubte.409 Was unter dem Begriff des türkischen Fatums in dieser Zeit subsumiert wurde, war ein ganzes Bündel von Vorstellungen, das theologische, philosophische, soziale, mentale und politische Aspekte enthielt. Dabei erweist sich die Zeit um 1700 als ein Wendepunkt im Verständnis des Fatum turcicum, wie sie es auch für viele andere Aspekte des Verhältnisses von Christentum und Islam beziehungsweise der Europäer und der Osmanen gewesen ist:410 Mit dem Entsatz von Wien 1683 wandelte sich das europäische Bild des Türken fundamental. Der im Licht der Religion betrachtete Erbfeind des Christentums wurde in dem Maße, in dem er seinen realpolitischen Schrecken verlor, zum Gegenstand anthropologisch-ethnologischer Betrachtungen, das heißt zum wissenschaftlichen Untersuchungsobjekt.411 So wurde der deutsche Buchmarkt im 18. Jahrhundert von einer Flut von Reiseberichten überschwemmt, die entweder direkt von deutschen Autoren stammten oder alsbald ins Deutsche übersetzt wurden und in ihrer Gesamtheit das europäische Bild des Orients prägten.412 In diesem Prozess wurde auch das türkische Fatum von einer religiösen Glaubenslehre zum Ausdruck des momentanen Bildes, das sich der Okzident von der Kultur, der Mentalität und der Lebensweise des Orients machte und das für die Europäer zur Kontrastfolie ihrer selbst wurde. Wir bewegen uns dementsprechend weg von theologisch-philosophischen Problemen hin zu populären Topoi und ihrer diskursiven Verarbeitung.

408 Art. Fatalität, in: Meissner, Philosophisches Lexicon, S. 185; so auch: o. A., Türkische Schau-Bühne, S. 108 f.; Desing, Auxilia Historica, S. 1193 f.; Justi, Die Grundfeste, S. 249; Ribov, Fernere Erläuterung, S. 47; Weitenkampf, Vernünftige Trostgründe, S. 14; Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Absichten, S. 30; Thevenot, Deß Herrn Thevenots Reisen, S. 314; u. v. m. 409 Der Pesttopos in Verbindung mit dem Fatum-Glauben ist wahrscheinlich zuerst im späten 16. Jahrhundert entstanden: Busbecq, Legationis, S. 231. 410 So beschreibt Andrea Pühringer den Wandel des Türkenbildes in der Kunst dieser Zeit vom gleichwertigen, furchterregenden Gegner zum inferioren Verlierer : Dies., ›Christen contra Heiden?‹, S. 97 – 120. 411 Siehe zu den Typen von Fremdheitserfahrungen der frühneuzeitlichen Gesellschaft genauer : Eibach, Annäherung, S. 13 – 25. 412 Fischer, Das Osmanische Reich, S. 113 f.

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Kampfesmut, Todesverachtung und Schicksalsglauben Die Entstehung des Begriffs Fatum turcicum lässt sich nur schwer datieren. Offensichtlich spielte er im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation nur eine randständige Rolle in der Türken- beziehungsweise Islampolemik und tauchte in den Quellen dieser Zeit nur sehr selten auf. Dabei wurde das darin verarbeitete Problem sehr wohl diskutiert: Insbesondere diejenigen Autoren, die über Missionstätigkeiten in persönlichen Kontakt mit Muslimen gekommen waren, entdeckten in der islamischen Religion einen starken Prädestinationsglauben, der mit dem christlichen Providenz-Gedanken zwar Ähnlichkeiten aufwies, aber nicht mit diesem identisch war. Norman Daniel nennt den Kardinal Jakob von Vitry (ca. 1160/70 – 1240) als einzige frühe Referenzperson, der seine Erfahrungen des fünften Kreuzzugs nach Jerusalem in seiner »Historia Hierosolimitana Abbreviata« (ca. 1223/25) zusammengefasst und sich darin mit dem Islam und dessen Prädestinationslehre auseinandergesetzt hatte, ohne jedoch den Begriff des Fatums zu verwenden:413 Mohammed habe gesagt, dass man den Tod nicht fürchten müsse, weil Gott den letzten Tag und das Ende eines Jeden vorhergesehen habe. Ihm werde niemand entfliehen. Niemand könne in irgendeiner Weise das Ende, das Gott unabänderlich vorhergesehen habe, verhindern oder vorwegnehmen.414 Ausschlaggebend in dieser frühen Stellungnahme war der Begriff des »praevidere«, also des Voraussehens oder der Vorsehung Gottes, die sich vornehmlich auf den individuellen Todeszeitpunkt bezog. Einige andere Autoren wie der mallorquinische Universalgelehrte, Orientkenner und Missionar Ramon Llull (ca. 1232 – 1316) betonten, dass die islamische Prädestinationslehre Gott selbst zum Urheber der menschlichen Sünden mache, die Menschen ihrer moralischen Verantwortlichkeit entbinde und somit auch das Gericht am Jüngsten Tag ad absurdum führe.415 Das Problem, das hier zusätzlich angesprochen wurde, war die Frage der Theodizee. Während des Mittelalters stand im westlichen Vorwurf gegenüber dem Orient also nicht eine spezifische »träge« Geisteshaltung im Vordergrund, wie wir sie im Pesttopos kennenglernt haben, sondern die Frage nach den Attributen Gottes und dem Heil im Jenseits. Diese Herangehensweise war durchaus plausibel, wenn man annahm, dass der Islam nichts anderes als eine christliche Häresie war. Es galt, die konkreten Ähnlichkeiten und Unterschiede der Glaubenssätze 413 Jacobus de Vitriaco, Historiae Hierosolimitanae. 414 Übersetzt nach Daniel, Islam, S. 181. »Dicebat enim quod mors metuenda non esset, cum Deus ultimum diem & finem cuiuslibet praeuiderit, quem nullus potest praetire; vel aliquio modo terminu, quem Deus infallibiter praeuidit, potest homo praeuenire vel anticipare.« Jacobus de Vitriaco, Historiae Hierosolimitanae, S. 30. 415 Llull, Beati Raymundi Llulli, S. 377 – 429.

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herauszuarbeiten, um über diese Frage ein abschließendes Urteil fällen zu können. Der größte Unterschied zwischen dem christlichen und dem islamischen Gottesverständnis wurde im christlichen Glauben an die göttliche Güte und Gerechtigkeit festgestellt, die mit der muslimischen Annahme einer unabänderlichen Vorherbestimmung menschlicher Geschicke nicht vereinbar sei. Der christliche Gott wolle, dass alle Menschen im Gericht gerechtfertigt werden. Der Gott der Türken jedoch habe die Verdammung oder Rettung jedes Einzelnen schon a priori festgelegt.416 Der Islamkritiker und Bischof von Ja¦n, San Pedro Pascual (1227 – 1300), war einer der Ersten, der in diesem Zusammenhang mit seiner Schrift »Tratado del libre albedrio contra los fatalistas mahometanos« den Begriff des Fatalismus anführte.417 Neben diesen wenigen Stimmen, die den Vorwurf des islamischen Fatalismus quasi implizit erhoben, war die Idee eines spezifisch islamischen Schicksalsglaubens im Mittelalter nicht sehr verbreitet. Was im 18. und auch im 19. Jahrhundert zu einem der wichtigsten Abgrenzungskriterien zwischen christlicher und muslimischer Religiosität und Kultur wurde,418 machte auf die mittelalterlichen Christen keinen besonderen Eindruck. Vielmehr teilten sie in dieser Hinsicht mit den Muslimen das Lebensgefühl der Abhängigkeit vom Willen Gottes oder von der göttlichen Vorsehung.419 Im 15. und 16. Jahrhundert, der »klassischen Periode« der Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und den europäischen Staaten,420 fand eine intensivierte Beschäftigung mit der »türkischen Religion« statt, die auf ältere Wissensbestände zurückgriff. Auslöser dafür war die realgeschichtlich vorhandene und subjektiv empfundene Bedrohung durch das Osmanische Reich, das nach der Eroberung Konstantinopels (1453) und Belgrads (1521), der Kapitulation der Johanniter auf Rhodos (1522), der Schlacht von Moh‚cs und dem damit verbundenen Verlust ungarischer Eigenstaatlichkeit (1526) und der Belagerung Wiens (1529) seinen Einfluss- und Machtbereich in Europa massiv ausgedehnt hatte und eine detailliertere Auseinandersetzung mit den »Eindringlingen« erforderte.421 In dem Maße, in dem die Kriege gegen die Osmanen als echte Religionskriege des Kreuzes gegen den Halbmond interpretiert wurden,422 vermengten sich auch 416 Daniel, Islam, S. 182 f. 417 San Pedro, Tratado. 418 So bei: Daniel, Handbuch, S. 42; Fliegner, Bilder, S. 210; Florschütz, Türken, S. 30 f.; Kohl, Die Völker Europas, S. 204; Müller, Versuche, S. 179; Prinz, Der russisch-türkische Krieg, S. 51; Kraft, Die Religionen, S. 211; u. v. m. 419 Daniel, Islam, S. 184. 420 Parvev, ›Krieg der Welten‹, S. 133. 421 Kaufmann, Aspekte, S. 9. 422 Parvev, ›Krieg der Welten‹, S. 136 f.

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im Fatum-Begriff theologische und militärische Argumentationen. Es ging darum, den Schrecken, den die Muslime fast übermächtig verbreiteten, auf ein theologisches Argument zurückzuführen.423 Mit dem Fatum turcicum wurde nach einer theologischen Begründung für die über die Druckpresse massenhaft propagierte Gewalt und Brutalität der Türken gesucht,424 die in ihrer tatsächlichen Ausprägung vermutlich nicht exzessiver gewesen ist als diejenige der Christen. Gerade im Kontext der interkonfessionellen Konflikte der Reformationszeit war der Blick auf die Türken ambivalent: Einerseits erschienen sie als genuine Erbfeinde der communitas christiana,425 andererseits wurden ihre militärischen Erfolge in einen göttlichen Heilsplan eingeordnet, der die osmanische Bedrohung als folgerichtige Strafe Gottes für das sündhafte Leben der Christen deutete, sie als Ankündigung der Apokalypse interpretierte426 und ihr somit einen religiösen Sinn zuwies. Im Zusammenhang mit dieser letzten Deutung standen die Türken trotz ihrer Christenfeindschaft paradoxerweise mitunter auf der Seite Gottes, als sein Werkzeug gegen den Unglauben der Christen. Nicht selten wurde ihre militärische Überlegenheit auf ihre ausgeprägte Religiosität und Frömmigkeit zurückgeführt, was der Gemeinschaft der Christen insbesondere von protestantischer Seite immer wieder vorgehalten wurde. So konnte Martin Luther,427 der mit den Türken nie persönlich in Berührung gekommen war, sich aber zeitlebens um eine Übersetzung des Koran bemühte,428 an den »christlichen Adel deutscher Nation« schreiben: »[…] das kein feyner weltlich regiment yrgend sey, dan bey dem Turcken, der doch wider geystlich noch weltlich recht hat, szondern allein seinen Alkoran, szo mussen wir bekennen, das nit schendlicher regiment ist, dann bey unns durch geystlich und weltlich recht, das kein stand mehr gaht naturlicher vornunfft, schweyg der heyligen schrifft gemesz.«429 Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, dass Luther diese vordergründig positive Beurteilung auch dafür nutzte, die bloße Werkgerechtigkeit der Türken

423 Kaufmann, Aspekte, S. 14. 424 Zur Gewalt in den Türkenkriegen in der Wahrnehmung der Kunst siehe: Pühringer, ›Christen contra Heiden?‹, S. 97 – 120. Bei der einfachen Bevölkerung des HabsburgerReiches siehe: Grothaus, Zum Türkenbild, S. 64 – 69. 425 Zum Konzept des »Erbfeindes« in der Frühen Neuzeit siehe: Wrede, Der Kontinent, S. 55 – 78. 426 Wallmann, Luthers Stellung, S. 55 f.; Ehmann, Luther, S. 229 – 403. 427 Generell zu Luthers Auseinandersetzung mit den Türken: Bobzin, ›Aber itzt‹, S. 260 – 276; Brecht, Luther, S. 9 – 28; Ehmann, Luther ; Hagemann, Martin Luther ; Kritzl, ›Adversus turca‹; Wallmann, Luthers Stellung, S. 49 – 60. 428 Kritzl, ›Adversus turca‹, S. 54 – 58. 429 Luther, An den christlichen Adel, o. S.

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von der einzig wahren Rechtfertigung durch den Glauben (sola fide) abzugrenzen.430 Einzelne Aspekte der islamischen Religion, wie der Glaube an die göttliche Vorherbestimmung des individuellen Todeszeitpunktes und des jenseitigen Heils, konnten deshalb zu Erklärungsfiguren für die Superiorität der Türken werden.431 Luther selbst warnte die Gläubigen 1541 davor, einem falschen und gotteslästerlichen Prädestinationsgedanken zu verfallen – vielleicht auch, weil er der christlichen Providenz-Idee so ähnlich war und gerade deshalb vom Teufel kommen musste: »Und hüte dich fur dem türkischen, epicurischen Glauben, da Etliche furgeben: Was soll ich thun? Was ist beten nütze? Was hilft viel Sorgen? Ists versehen, so muß es geschehen. Denn also gläuben und sagen die Türken: Es kann niemand sterben, sein Stündlein sei denn kommen; daher sind sie so toll und dummkühne, und meinen, sie thun wohl und fahren recht. Ja, wahr ists, was versehen ist, das geschieht; aber mir ist nicht befohlen, sondern vielmehr verboten, zu wissen, was versehen ist. […] Gott wird’s wohl und wills allein wissen, was versehen ist, du sollts nicht wissen.«432

Obgleich die türkische Kühnheit hier mit wenig schmeichelhaften Attributen bedacht wurde, band der Reformator sie im altbekannten Topos an eine religiöse Lehre zurück. Während der starke Prädestinationsglaube bei den Türken also Kriegertum, Kampfesmut und Schonungslosigkeit gegenüber den Gegnern beförderte, beschimpfte Luther in Deutschland die Christen als »faulfressige Seue«, die »müssig« seien, und nichts als »schlincken, schlanckern, fressen, saufen, spielen« konnten.433 Erst im 18. Jahrhundert sollte sich diese Zuschreibung umkehren. Was man aus der Warnung Luthers vor dem Prädestinationsglauben der Türken jedoch noch herauslesen kann, ist die generelle Schwierigkeit, sich auch theologisch gegenüber dieser Lehre abzugrenzen, auch weil eine lateinische Übersetzung des Koran zu dieser Zeit noch fehlte:434 Denn den Glauben an die Vorsehung Gottes vertraten die christlichen Kirchen genauso wie der Islam, sodass sich Grenzziehungen mitunter in Details verloren. Luther ging es darum zu zeigen, dass »die präsumtiv vorweggenommene Haltung, im selbstgewählten menschlichen Handeln Gottes Willen vollziehen zu wollen«,435 etwas grundlegend anderes darstellte als der Glaube an die göttliche Providenz. 430 431 432 433 434

Kritzl, ›Adversus turca‹, S. 73. Ebd., S. 51. Luther, Vermanunge, o. S. Ders., Colloquia, S. 556. Erst im Jahr 1543 gab der reformierte Theologe Theodor Bibliander (ca. 1504 – 1564) in Basel eine lateinische Koranausgabe heraus: Bibliander, Machumetis Sarracenorum principis vita. Zur Geschichte der Koranübersetzungen siehe: Varani, Leibniz, S. 51 – 63. 435 Ehmann, Luther, S. 414.

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Ungleich mehr Schwierigkeiten als die Lutheraner bekamen alsbald die Reformierten, die sich in der Auseinandersetzung mit der Religion der Türken auf eine recht unangenehme Weise mit ihren eigenen Glaubensauffassungen konfrontiert sahen. Denn in der europäischen Rezeption wies der Prädestinationsglaube der Türken immense Ähnlichkeiten zu Glaubenssätzen des Calvinismus auf.436 Die reformierten Christen gerieten mit ihrer dominanten Erwählungslehre in den Verdacht »orientalische Widerchristen / oder mit einem Wort / […] Türcken« zu sein.437 Dieser Vorwurf wurde in religionspolitischen Streitfragen beispielweise während des Dreißigjährigen Krieges erhoben, wie die Streitschriften des strenggläubigen lutherischen Oberhofpredigers in Sachsen, Matthias HoÚ von HoÚnegg (1580 – 1645), gegen die Calvinisten bezeugen.438 HoÚ verfolgte das Ziel, die Calvinisten durch ihre »Turkisierung« aus der Gemeinschaft der Christenheit auszuschließen. Der Beweis der wesensmäßigen Fremdheit wurde auch hier über die theologische Lehre von der Vorsehung geführt. So falsifizierte ein gewisser Erasmus Trewlich, augenscheinlich Calvinist, HoÚs Gleichsetzung des Calvinismus mit dem orientalischen Antichrist, indem er dezidiert nachwies, dass die Calvinisten bei der »Fürsehung und Gnadenwahl […] einig mit D. Luthero« seien.439 Interessant ist hier, dass nicht der Vergleich mit dem islamischen Prädestinationsglauben, sondern Luthers Argumentation gegen den freien Willen das entscheidende Argument der Auseinandersetzung wurde. Bereits in diesem Fall zeigte sich, dass der Vorwurf des türkischen Fatalismus auch losgelöst vom Islam seinen polemischen Zweck erfüllen konnte. Bewegen wir uns in deutschsprachigen Schriften dieser Zeit durchweg im Kontext der »Fürsehung« Gottes, so verweisen lateinische Werke des 16. Jahrhunderts auf den Fatum-Begriff, um den Glauben der Türken zu charakterisieren. In einem 1595 in Leipzig verlegten Buch des Genueser Türkenkenners Uberto Foglietta (1518 – 1581) heißt es zum Beispiel: »[…] mirum est quantum Turcae ea in re nos antecellant, quamque hanc opinionem mentibus penitus insitam habeant, qui Diuinae prouidentiae tantum tribuunt, vt ea in re nimij sint, quippe qui omnia ad fati necessitatem reuocent nullis humanis consiliis euitabile. Quare vnicuique terminu vitae fato statutum putant, qui neque proferri,

436 So schrieb auch der britische Diplomat und Historiker Paul Rycaut (1629 – 1699) in einem Kapitel über »The nature of Predestination according to the Turkish doctors«: »The Doctrine of the Turks in this point seems to run exactly according to the assertion of severest Calvinists.« Ders., The history, S. 218. 437 o. A., Vorrede an den christlichen und friedliebenden Leser, S. 3. 438 HoÚ HoÚnegg, An dem [!] Wolgebornen Herrn, S. 4. 439 Trewlich, Wohlmeinende Missiv, S. 43.

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neque contrahi possit: proinde cum praestituta mortis hora venerit, eam omnino esse obeundam […].«440

Ende des 17. Jahrhunderts identifizierte der Jenaer Geschichtsprofessor Johann Andreas Bose (1626 – 1674) die »Persuasio de fato« als türkisches Grundprinzip und folgerte daraus, dass diese Überzeugung in besonderem Maße dazu beitrüge, dass die Türken keine Gefahr scheuten und sich gerade im Krieg besonders tapfer zeigten.441 Durch die Verbindung des Fatum-Begriffs mit der muslimischen Glaubensauffassung vom vorherbestimmten Todeszeitpunkt gewann die Rede von der Unmoral und Brutalität der Mohammedaner442 eine neue Plausibilität: Wenn die Mohammedaner glaubten, dass ihr Todestag bereits seit langer Zeit festgelegt war, konnte jedes menschliche Handeln, auch das lasterhafte, auf das von Gott verhängte Fatum zurückgeführt werden. Der Mensch war nicht nur von der Sorge um sein Leben befreit, er musste sich für sein Handeln generell nicht mehr verantworten.443 Erst nach dem entscheidenden Sieg gegen die Türken 1683, aber noch sichtlich beeindruckt von ihrer langen militärischen Übermacht, widmete sich auch der anglikanische Pfarrer und Orientalist Humphrey Prideaux (1648 – 1724) dem Gründungsmythos dieser Facette des türkischen Fatums. In seiner auch auf dem Festland extrem einflussreichen Mohammed-Biografie von 1697, die bis 1730 neun Auflagen erlebte,444 wurde der Brutalitätstopos besonders langfristig kolportiert. Humphrey Prideaux berichtet: Nach einer kriegerischen Niederlage, bei der Mohammed neben zahlreichen Männern auch seinen eigenen Onkel verloren hatte, seien unter seinen Anhängern Zweifel darüber aufgekommen, ob Mohammed tatsächlich ein Prophet Gottes sei. Andere betrauerten lautstark den Verlust von Freunden und Verwandten. Um die ersten zu beschwichtigen, führte Mohammed die Niederlage auf die Sünden einiger seiner Anhänger zurück. Gott habe die Schlechten von den Guten scheiden wollen. »And to still the Complaints and Clamours of the latter, he invented his Doctrine of Fate and Destiny, telling them, that those who were slain in the Battel [!], though they had tarried at home in their Houses, must have died notwithstanding when they did, the 440 Foglietta, De causis, o. S.: »Es ist verwunderlich, wie sehr uns die Türken in dieser Angelegenheit voraus sind und wie tief die Überzeugung bei denjenigen verwurzelt ist, die der göttlichen Vorsehung so viel zuschreiben, dass sie in dieser Angelegenheit zu weit gehen; sie erklären ja alles mit der Notwendigkeit des Schicksals, eine Notwendigkeit, welche durch kein menschliches Zutun vermeidlich ist. Daher glauben sie, dass für jeden das Ende des Lebens durch das Schicksal festgelegt wurde, welches weder befördert noch verhindert werden kann. Daher müsse jeder, wenn die vorherbestimmte Stunde des Todes gekommen sei, sterben.« 441 Bose, Discursus, o. S. 442 Höfert, Den Feind beschreiben. 443 Ess, Fatum Mahumetanum, S. 28. 444 Siehe zu diesem Werk insgesamt: Roling, Humphrey Prideaux, S. 62 – 68.

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time of every Man’s Life being predestinated and determined by God, beyond which no Caution is able in the least to prolong it; that the Destiny of all is stated to an Hour, which cannot be altered; and therefore those who were slain in the Battel [!], died no sooner than they must otherwise have done.«445

Wer im Kampf für den Glauben gestorben sei, der erringe die Krone des Martyriums und gelange in das Paradies. Dort erwarte ihn die Gemeinschaft mit Gott in ewiger Glückseligkeit, welche mehr wert sei als alle Schätze dieser Erde. Von diesem Zeitpunkt an gaben seine Anhänger im Vertrauen auf Gott ihr Leben so gerne hin, dass Mohammed seine Fatum-Lehren bei jeder Gelegenheit wiederholte.446 Das türkische Fatum war nach Prideaux also unweigerlich mit dem Prädestinationsglauben, mit Todesmut und Brutalität verknüpft.447 Gleichzeitig jedoch war es ein Produkt politischer Ambitionen Mohammeds und somit das Resultat unwahrhaftiger Absichten. Das Fatum turcicum, das dieser Ansicht nach in einer kritischen Situation als Gelegenheits- und auch Verlegenheitsprodukt entstanden war, erwies sich als zukunftsträchtig und langlebig. Mohammed hatte den Tod seiner Anhänger im Kampf bewusst miteinkalkuliert und zweifelhafte Glaubensinhalte erfunden, um seine eigene Haut zu retten. Das Bild des »Betrügers Mohammed«,448 der sich selbst als Prophet darstellte, ohne es zu sein, hatte also auch im vermeintlichen mohammedanischen Schicksalsglauben seinen Ursprung. Trotz dieser Kontinuitäten zwischen Mittelalter und Neuzeit449 gelangten mit dem Wandel der politischen Verhältnisse andere Aspekte des türkischen Schicksals in das europäische Blickfeld. Als das osmanische Heer seit 1663/64 immer größere Niederlagen verzeichnen musste, den Christen 1683 ein kapitaler Sieg gegen die Türken vor Wien gelang und 1699 der Frieden von Karlowitz zwischen dem Osmanischen Reich und den Habsburgern geschlossen wurde,450 verblasste nach und nach die Mischung aus Türkenfurcht und der Bewunderung ihrer militärischen Stärke. Die Angst wich einerseits dem Hohn, andererseits der Neugierde451 und die eschatologische einer politischen Deutung der Beziehun445 Prideaux, The true nature, S. 81 f. 446 Siehe zum Zusammenhang zwischen dem Fatum turcicum und dem Glauben an die himmlische Glückseligkeit auch: o. A., Das jetzige Zeitalter, S. 15 f. 447 So zum Beispiel auch bei: Lindemann, Geschichte der Meinungen, S. 105 f.; Art. Islam, in: Pierer’s Universal-Lexikon, S. 84 – 88; Gibbon, Geschichte des Verfalls. 448 Schmeisser, ›Mohammed der Erzbetrüger‹, S. 77 – 108. 449 Auf die Kontinuitäten durch zahlreiche Wiederauflagen älterer Werke weist besonders Maximilian Grothaus hin: Ders., Zum Türkenbild, S. 72 f. 450 Zu den politischen Ereignissen um 1683 siehe: Broucek, Leitsch, Vocelka, Wimmer und Wûjcik, Der Sieg bei Wien; Tümmler, Die Türken-Belagerung; Sachslehner, Anno 1683; Matschke, Das Kreuz; u. v. m. 451 Leder, Impulse, S. 111.

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gen zwischen Christentum und Islam. »Wenn zum Beginn des 17. Jahrhunderts im Reich die theologisch-biblizistische Geschichtskonzeption durch eine politisch-säkulare ersetzt wurde, und wenn die Aufklärung mit den Vorurteilen auch die eschatologischen Ängste zurückdrängen konnte, so war dies also im wesentlichen Folge der siegreichen Bewältigung der Türkengefahr.«452 Und so wandelte sich auch das Fatum turcicum in der Wahrnehmung der europäischen Beobachter vom Zeichen der Überlegenheit zum Zeichen der Schwäche. Mit einem spöttischen Blick betrachteten Autoren des 18. Jahrhunderts fortan die angebliche Trägheit und den Fatalismus des Orients, die ja von vornherein verhindern mussten, dass aus dem Osmanischen Reich jemals (wieder) ein aufgeklärter und wirtschaftlich prosperierender Staat werden könne. Mit dieser inhaltlichen Umdeutung wurde im Fatum turcicum nicht mehr nach den Eigenschaften Gottes gefragt, sondern nach dem konkreten Verhalten der Menschen, und zwar nach einer spezifisch orientalischen Mentalität. Der Vorwurf der Unmoral und Brutalität wurde zum Tadel der Faulheit und Ineffizienz.453 Und dieser ordnete sich einem genuin neuzeitlichen Zivilisierungs- und Fortschrittsanspruch unter.

Die »faule Vernunft« als orientalische Geisteshaltung Kaum ein anderer neuzeitlicher Denker hat sich so ausführlich mit diesem Aspekt des mohammedanischen Fatum auseinandergesetzt wie Gottfried Wilhelm Leibniz in seiner Theodizee, weswegen man seine Auseinandersetzung mit dem Islam als entscheidende Wende der Islamologie des 17. und 18. Jahrhunderts werten kann.454 Das Fatum mahumetanum wird von ihm als die Kontrastfolie eingeführt, vor der seine Konzeption des Fatum christianum überhaupt erst plausibel wird. Argumentativ geht Leibniz dabei sehr geschickt vor : Er stellt mit dem »Fatum Mahumetanum«455 oder dem »Türkischen Verhängnisse«456 zunächst kein religiöses Problem vor, sondern umschreibt eine unmoralische Geisteshaltung, nämlich die »ratio ignava«,457 die zu Reglosigkeit und Faulheit führt und nicht nur bei den Türken eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt. Erst in einem zweiten Schritt lenkt Leibniz die Aufmerksamkeit auf die theologische Rechtfertigung, die dem Fatum mahumetanum zugrunde liegt und weist sie 452 453 454 455 456 457

Wrede, Der Kontinent, S. 66. Ess, Fatum Mahumetanum, S. 28; Schnurbein, Einseitigkeiten, S. 77. So auch: Varani, Leibniz, S. 48 – 71. Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 13. Ebd., S. 14. Die ratio ignava, die faule Vernunft, wurde schon in Ciceros Schrift »De fato« als Trugschluss des Fatum-Glaubens entlarvt: Platz, Fatum, S. 57.

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damit als die wahre Ursache für die missliebigen Folgen der faulen Vernunft aus: Es ist nicht der bis in das 17. Jahrhundert so ausführlich diskutierte Prädestinationsglaube der Muslime, den Leibniz als Grundübel identifiziert, sondern die Leugnung der Kausalgesetzlichkeit der Welt und damit die Annahme, dass Gott die Welt widervernünftig erschaffen habe. Spätestens an diesem Punkt verlässt Leibniz die kultur- beziehungsweise religionsspezifische Verortung des orientalischen Fatum-Glaubens und kann implizite Kritik an seinen christlichen Zeitgenossen üben, die sich faktisch der gleichen Argumente wie die Türken bedienen, um die göttliche Vorsehung gegen das mechanistische Weltbild auszuspielen. Durch den Umweg über das Fatum mahumetanum, mit dem Leibniz an altbekannte Topoi anknüpft, kann er erfolgreich seinen christlichen Schicksalsbegriff etablieren, der in eine vernunftgemäße Theologie eingebettet wird. Den Begriffen nach zu urteilen nimmt Leibniz eine rein religiöse Unterscheidung zwischen dem Fatum christianum und dem Fatum mahumetanum vor. Sein expliziter begrifflicher Bezug auf Mohammed täuscht jedoch darüber hinweg, dass die theologischen Lehren des Islam ihn eigentlich nur am Rande interessieren. So scheint auch die Argumentation, die er den Türken in den Mund legt, zumindest von ihrem Ausgangspunkt her kompatibel mit christlichen Glaubenslehren zu sein: Gott hat die Zukunft entweder vorhergesehen oder sogar vorherbestimmt. Wenn die Zukunft vorherbestimmt wurde, muss alles, was geschieht, notwendig eintreffen. Weil alles entweder ist oder nicht ist, kann nichts anderes sein, als das, was ist: Tertium non datur. Da das Geschehen in diesem Sinne notwendig ist, spielt das individuelle Handeln keine Rolle mehr.458 Was eintreten muss, tritt auch dann ein, wenn man sich widersetzen will. Die angemessene Haltung ist also, gar nichts zu tun, als der Dinge zu harren, die da kommen. Dass die Türken die Hände in den Schoß legen, wenn Gefahr drohe,459 ist für Leibniz Ausdruck einer charakteristischen Mentalität, welche die Türken eben auch dazu veranlasse, dass sie sich »nicht aus den Oertern machen, die von der Pest angestecket sind […]«.460 Indem er von den bedenklichen Folgen des türkischen Fatum-Glaubens argumentiert, lenkt Leibniz den Blick auf die Adaption dieser Haltung durch seine christlichen Zeitgenossen: Sobald man ungewiss sei, ob eine bestimmte Handlung etwas Gutes oder etwas Böses mit sich bringe, oder wenn es sich um einen unangenehmen Weg handele, den es zu beschreiten gelte, zögen sich die Menschen auf den Trugschluss der faulen Vernunft zurück.461 Fatalismus sei eine 458 459 460 461

Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 12. Ebd., S. 14. Ebd., S. 13. Ebd., S. 15.

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willkommene Geisteshaltung, um unangenehme Entscheidungen zu umgehen oder sich der eigenen Verantwortung zu entziehen. Ginge es aber ums nackte Überleben oder um einen konkreten Vorteil, werde es kein Mensch versäumen, »in die Erde [zu] graben, um einen Schatz heraus zu hohlen, den sie schon halb entdecket haben, ohne zu erwarten biß ihn das Verhängnis vollends heraus bringe«.462 Die Kalkulation von Vor- und Nachteilen ist für Leibniz ein entscheidendes Kennzeichen für diese Art des optionalen Fatalismus. Was er bei den Türken für eine eigenwillige, aber zumindest konsequente Geistes- und Handlungsweise ansieht, wird ihm bei den Europäern zu einem opportunistischen Verhalten. Zum Beweis für diese Einschätzung verweist Leibniz auf das Verhalten der Jugend, die ihre Laster mit einer vorgeschobenen Schicksalsgläubigkeit zu rechtfertigen suche.463 Hier findet sich dieselbe Argumentation, die schon im Mittelalter zur Erklärung der Unmoral der Türken angeführt wurde. Angesichts des Schicksals sei es unnütz, »daß man die Tugend predigte, die Laster tadelte, Belohnungen vorstellte und mit Straffen dräuete, weil man von dem Buche der Verhängnisse sagen könnte, was geschrieben ist, das ist geschrieben, und weil unsre Aufführung nichts dran ändern könnte, was geschrieben ist; das beste also wäre, daß man seiner Neigung folgte, und sich bey nichts auffhielte, als was uns gegenwärtig ein Vergnügen geben könnte.«464

Der Unterschied zur Türkenpolemik im Mittelalter besteht allerdings in der Orientierung am Diesseits, die zur einzigen Rechtfertigung für das momentane Handeln wird. Die Hoffnung auf eine Art vorbestimmter himmlischer Glückseligkeit spielt bei den »jungen, aufgeweckten Gemüthern«, die Leibniz hier so harsch kritisiert, keine Rolle. Seine Abkehr von den Topoi, die sich noch im 17. Jahrhundert mit dem Begriff des Fatum turcicum verbanden, zeigt sich auch in der Ablehnung des Brutalitätsargumentes. Es sei nicht das Fatum mahumetanum, das die islamischen Krieger so kampfbereit und entschlossen mache, schreibt Leibniz. »Der Maslach465 scheinet mehr Theil daran zu haben als dieses Sophisma. Uber dem so ist auch dieser determinierte Geist der Türcken zu unser Zeit gantz anders geworden und hat sich selbst widersprochen.«466 Leibniz’ »Theodizee« zielt in weiten Teilen auf die Widerlegung des türkischen Schicksalsverständnisses und übt damit implizit immer auch Kritik an den theologischen Lehren der Orthodoxie. Die Argumentationsrichtung wird sehr schnell deutlich: Der türkische Fatalismus ist vernunftwidrig, weil er die 462 463 464 465 466

Ebd. Ebd., S. 17. Ebd., S. 17 f. Maslach: orientalisches Rauschmittel. Ebd., S. 239.

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elementare Gesetzmäßigkeit von Ursache und Wirkung verkennt. Denn die unfehlbare, gewisse, kausale Determination bezieht sich allein auf Ereigniszusammenhänge, nicht jedoch auf isolierte Begebenheiten.467 Vernünftiges Handeln hieße im Gegensatz dazu, zu erkennen, dass die Notwendigkeit des Geschehens allein der Kausalität entspringt. Nichts geschieht ohne Grund. Und auch das menschliche Handeln und der freie Wille sind Glieder dieser Kette. Wenn ein Ereignis also »in den Büchern der Parzen« verzeichnet ist, dann mit ihm auch die dazugehörige Ursache.468 Allein das Fatum christianum, das diese Tatsachen anerkennt, besitzt insofern Legitimität und einen Platz im christlichen Glaubenssystem. Leibniz nutzte das grundsätzliche Fremdheitsgefühl seiner europäischen Leserschaft gegenüber der Religion und der Kultur der Osmanen geschickt, um seine christliche Aufklärungsphilosophie zu profilieren. Dabei spielte er mit althergebrachten Stereotypen, die nach dem erfolgreichen Sieg gegen die Osmanen 1683 in einem massiven Wandel begriffen waren. Das neu entstandene Überlegenheitsgefühl des christlichen Abendlandes, das sich zunächst in einer militärischen Superiorität manifestierte, wurde durch einen gesellschaftlichen Modernisierungsprozess befördert, der auch das Produkt der philosophischen und theologischen Aufklärung war. Wenn Leibniz also mit seiner Verurteilung des Fatum mahumetanum die europäische Gesellschaft mit ihren vernunftwidrigen Glaubenssätzen konfrontierte und eine prinzipielle Ähnlichkeit zum fremden, militärisch unterlegenen, im Niedergang begriffenen Osmanischen Reich konstatierte, konnte er hoffen, einen Abwehrreflex auszulösen, der wiederum seine Konzeption eines aufgeklärten Christentums zu akzeptieren und adaptieren half. Zu dieser Interpretation passt ein Befund, den Ian Almond in Bezug auf Leibniz’ Kritik am Fatum mahumetanum gemacht hat. Die Erkenntnis kausaler Zusammenhänge als treibende Kraft der Geschichte setze die Fähigkeit voraus, historische Zeit, das heißt auch geschichtliche Veränderung wahrnehmen und empfinden zu können. Deshalb verbinde sich der vernunftwidrige Fatalismus für Leibniz immer wieder mit den Türken, dem Islam oder Mohammed. Leibniz’ bereits häufig von der Forschung konstatierte Türkenfeindschaft469 basiere nicht zuletzt auf dem Vorurteil, dass die Türken kein geschichtliches Bewusstsein besitzen.470 In zahlreichen Schriften setze Leibniz die Türken einfältigen und ungebildeten Bauern gleich, die ein vollkommen unreflektiertes Leben führten 467 Liske, Leibniz’ Freiheitslehre, S. 288. 468 Leibniz, Essais de Theodic¦e, S. 18. Oder an anderer Stelle: »[…] weil der Effect gewiß ist, so ist auch die Ursache die ihn hervorbringen wird gewiß, und wenn der Effect erfolgt, so geschichts [!] weil eine hiezu proportionirte Causa vorhanden.« Ebd., S. 238. 469 So z. B von: Cook, Leibniz’s use, S. 283. 470 Im Folgenden orientiere ich mich an der Argumentation von: Almond, Leibniz, S. 469 f.

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und deshalb weder ihre Wurzeln kennen noch für ihre Zukunft Sorge tragen könnten. Jede Vergangenheit erscheine den Türken als Märchen oder Mirakel.471 In Nichtbeachtung ihrer eigenen Historizität seien sie zur Passivität verdammt. Der Islam sei also gewissermaßen eine unvollständige Monade.472 Nach dieser Interpretation ist der türkische Schicksalsglaube für Leibniz also immer auch durch ein spezifisches Verhältnis zur Zeit charakterisiert. Die uneingeschränkte Überantwortung des eigenen Geschickes an eine göttliche Vorsehung entbindet nicht nur von jeder persönlichen Verantwortung, sondern führt darüber hinaus zum Ablauf des Immergleichen. Fatalismus ist eine Geisteshaltung, die, weil sie Vergangenheit und Zukunft nicht kennt, nur um die Gegenwart kreist. Und wo es keine Ursprünge gibt, kann auch kein Fortschritt existieren – der hingegen für die christliche Gesellschaft des 18. Jahrhunderts immer wichtiger wurde und für dessen Entwicklung der Okzident den Orient als Abgrenzungsfolie brauchte.473

Der Fatalismus als Erklärungsfigur für Politik und Wirtschaftsverfassung des Orients

Über die Kritik am türkischen Fatum konnte also implizite Kritik an christlichen Prädestinations- und Vorsehungskonzepten geübt werden, die das Vorwissen Gottes verabsolutierten und Kausalitätsstrukturen dabei negierten. Die antiislamische Rhetorik, die an mittelalterliche Polemiken anschloss, wurde von einigen radikalen Denkern des 18. Jahrhunderts verwendet, um verdeckte und offene Kritik an bestimmten Implikationen aller Offenbarungsreligionen zu üben.474 In jedem Fall ließ Leibniz’ ausführliche Charakterisierung das türkische Fatum in der Folgezeit in den enzyklopädischen Kanon möglicher Schicksalsverständnisse eingehen,475 wobei das Fatum turcicum aus philosophischer Per471 Leibniz, Brief an Ren¦-Henri de Crux de Monceaux vom 08. 10. 1697, S. 609: Leibniz fragt seinen Briefpartner, warum der Himmel den Deutschen allein gegen die Türken helfen würde, nicht aber gegen die Franzosen: »D’o¾ vient, je vous en prie, qu’il en [le miracle] fait seulement contre le Turcs, et non pas contre le FranÅois? C’est peutestre parceque les Turcs sont des Sots, et que le ciel aime les habiles gens, tels que sont le FranÅois.« 472 Almond, Leibniz, S. 470. 473 So eine der zentralen Thesen von Edward William Saids Orientalismuskritik: Ders., Orientalismus. 474 Leder, Impulse, S. 109 – 142; Schmeisser, ›Mohammed der Erzbetrüger‹, S. 84. 475 Art. Fatum, in: Brockhaus, Conversations-Lexicon, S. 617 f.; Art. Fatum, in: Brüggemann und Gross-Hoffinger, Neuestes Conversations-Lexikon, S. 18; Art. Fatum, in: Brockhaus, Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie, S. 212; Art. Schicksal, in: Binder, S. 118; Art. Schicksal (fatum), in: Krug, Allgemeines Handwörterbuch, S. 600; Art. Schicksal, in: Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon, S. 348; Art. Fatum, in: Hübners Naturlexicon, S. 215; Korth, Art. Schicksal, S. 238 – 268; Art. Schicksal (fatum), in: Krug, Allgemeines

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Der Schicksalsbegriff im Orientalismus-Diskurs

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spektive mit immer größerem Unverständnis betrachtet wurde und immer irrationalere Züge erhielt. Haben wir in Bezug auf das Fatum christianum davon gesprochen, dass das Schicksal die Augen Gottes bekommen hatte und dadurch sehend geworden war, so wurde das Fatum turcicum sehr bald zum Sinnbild des »blinden Schicksals«, als dessen Hauptmerkmal die Nichtanerkennung von Kausalzusammenhängen galt.476 In seiner philosophischen Dissertation aus dem Jahre 1751, die sich allein dem Fatum turcicum widmete, fasste der Doktorkandidat Johann Friedrich Weitenkampff (1726 – 1758) die Argumente gegen dasselbe noch einmal zusammen und trieb die Leibniz’sche Argumentation auf die Spitze: Weil im Fatum turcicum alles von Gott abhängig gemacht werde, aber nichts dem zureichenden Grund entspreche, nichts von natürlichen Ursachen herrühre, sondern alles zufällig sei, müsse jedes Geschehnis ein göttliches Wunder sein. Indem er auf das Motiv der göttlichen Vorherbestimmung des individuellen Todeszeitpunktes anspielte, folgerte Weitenkampff: »Fatum Turcarum subtile supponit ingentem numerum miraculorum in mundo. Hoc fatum enim est necessitas euentuum non pendens a naturalibus causis. Et praecipue circa mortem hominum statuitur. Ergo mors omnium hominum secundum eorum sententiam est miraculum.«477

Wenn jeder Tod also als ein göttliches Wunder betrachtet werden musste, hatte sich das Fatum turcicum selbst ad absurdum geführt: »Fatum turcicum subtile est absurdum.«478 Von theologisch-philosophischer Seite lohnte sich eine Beschäftigung mit dem Fatum turcicum ab dem Zeitpunkt nicht mehr, ab dem sich die Leibniz-Wolff ’sche Philosophie in Deutschland durchzusetzen begann und der Satz des zureichenden Grundes zum Grundbestandteil jedweder Metaphysik wurde. Umso interessanter wurde seit der Mitte des Jahrhunderts die Betrachtung des türkischen Fatalismus aus einer ethnologischen Perspektive, wobei auch hier wieder von den beobachtbaren Folgen auf theologische Lehren geschlossen wurde. Zahlreiche Orientreisende schrieben in ausführlichen Berichten von den trägen und lethargischen Völkern des Orients, deren religiöser »Hauptlehrsatz« der Glaube an das »unvermeidliche[.] Schicksal« sei.479 Ganz eindeutig wurde hier versucht, durch die »Zuschreibung unterlegener Werte Kräfteverhältnisse

476 477 478 479

Handwörterbuch, S. 543; Art. Fatalität, in: Meissner, Philosophisches Lexicon, S. 185; Art. Fatalismus, in: Roth, Gemeinnütziges Lexikon, S. 305; Art. Fatum, in: Walch, Philosophisches Lexicon, S. 917 f. So z. B. bei: Art. Fatum, in: Brockhaus, Conversations-Lexicon, S. 617; Korth, Art. Schicksal, S. 247. Weitenkampf, Disputatio, S. 30. Ebd., S. 32. Riedesel, Bemerkungen, S. 196.

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festzuschreiben«, indem man den Orient »als statisch, monolithisch und unvereinbar mit der Moderne«480 fixierte. Zugleich jedoch, und das wird zu zeigen sein, sprach sich in dem Rückgriff auf den Schicksalstopos auch das Bedürfnis aus, verschiedene Aspekte orientalischer Kultur besser verstehen und begründen zu können und sie dadurch in ihrer Andersartigkeit anzuerkennen. Die Doppelbödigkeit dieses Umgangs mit dem Anderen offenbart sich zum Beispiel im Reisebericht des Diplomaten Johann Hermann von Riedesel (1749 – 1784), der einer voreiligen Verurteilung der Sitten und Gebräuche der Türken gerade dadurch vorbeugen wollte, dass er auf den Schicksalsglauben verwies. »[…] so können viele Handlungen der Türken von uns übel ausgelegt werden, oder Gründen zugeschrieben werden, die von denen ganz verschieden sind, die sie dazu bewegen. Endlich hat noch keiner die Gleichgültigkeit […] übersteigen können, welche die Türken gegen die Christen haben, die sie wenig vertraut und ungesellschaftlich macht. Hierzu kommt noch, daß sie […] sich nicht um die Ursachen der Dinge bekümmern, und daß sie sich von der einen Seite auf die Gewohnheit, und von der andern auf das unvermeidliche Schicksal verlassen, die Dinge gehen lassen wie sie wollen, und bey allem ruhig bleiben.«481

Die Bezugnahme auf den türkischen Schicksalsglauben besaß für Riedesel eine Schlüsselfunktion für das Verständnis der fremden Kultur und dokumentiert den Versuch, den Horizont des aufgeklärten Europäers zu verlassen, um sich auf eine Kultur einzulassen, die nach vollkommen anderen Gesetzen zu funktionieren schien. Dennoch griff auch er auf ein altbekanntes Stereotyp zurück, indem er auf die türkische Verleugnung von Kausalzusammenhängen verwies. Die Bedeutungsverschiebung in der Wortverwendung des Fatum turcicum verband sich in Deutschland mit dem aufgeklärten Diskurs über die Despotie. Als Schlüsselbegriff der Auseinandersetzung mit den innereuropäischen Staatsverfassungen diente der Despotiebegriff zur Etikettierung jeglicher Willkürherrschaft, die auch häufig in Bezug auf den islamischen Orient vorgetragen wurde.482 Mit dem Fatum turcicum ließen sich in jedem Fall nicht nur das Geistesleben und das Gesundheitssystem, sondern auch die Politik und die Wirtschaftsverfassung des Orients erklären. Schon sein Gründungsmythos hatte das Fatum turcicum als ein politisches Instrument in der Hand der Mächtigen ausgewiesen. Dies galt auch für die orientalischen Herrscher des 18. Jahrhunderts. Als Dokument einer Übergangszeit, in dem der Fatum-Glaube zwar noch mit dem Gewalttopos in Verbindung gebracht, aber nicht mehr primär religiös, sondern vielmehr politisch gedeutet wurde, kann eine kurze anonyme Schrift 480 Weitenkampf, Disputatio, S. 118. 481 Riedesel, Bemerkungen, S. 183. 482 Frey, Europäer, S. 16; Grothaus, Zum Türkenbild, S. 84 f.; Fischer, Das Osmanische Reich, S. 131 – 142.

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aus dem Jahr 1711 gelten, in der die wichtigsten Regeln des türkischen Staatswesens zusammengetragen und kommentiert wurden. Wahrscheinlich diente dieses Werk als Handbuch für politisch Interessierte, vielleicht sogar als Strategielehre für einen künftigen politischen Umgang mit dem Osmanischen Reich. Als sechstes Gesetz »aus dem Alcoran« wird hier die Lehre wiedergegeben, »Daß ein Türck glauben müsse / es könne ihm Unglück oder gar der Tod nichts anhaben / wo nicht die Zeit da / welche einem jeden / durch das unveränderliche Schicksahl / gesetzt worden.«483 Bemerkenswert ist an dieser Schrift nicht nur, dass schon sehr früh der Begriff des »Schicksahls« auf den türkischen Glauben angewendet wurde, sondern auch, dass dieser Glaubensartikel als kultureller Grund angeführt wurde, um zu erklären, warum die Türken gewissermaßen unkorrumpierbar seien.484 Der Schicksalsglaube, der ihnen »dermaßen fest imprimiret« ist, und das sofortige Heilsversprechen nach dem Tod wurden als Grundbestandteile einer tiefen Loyalität zum Staat identifiziert, der seine Untertanen in Abhängigkeit hielt. Deutsche Politiker mussten diese Tatsachen mitbedenken, wenn sie das osmanische Staatswesen wirklich verstehen wollten. Christian Victor Kindervater, der uns als Altphilologe in der Auseinandersetzung mit dem Fatum stoicum bereits begegnet ist, übersetzte 1793 eine Preisschrift über die »Geschichte der Wirkungen der verschiedenen Religionen auf die Sittlichkeit und Glückseligkeit des Menschengeschlechts« des Priesters Edward Ryan (1749 – 1819), in der wieder der nun schon häufig erwähnte Pesttopos für die Verbindung von Despotie und Fatalismus herhalten musste. »Die Bassa ziehen in Aegypten von der Prädestinationslehre, und dem Schaden, welcher daher entspringt, große Vortheile. […] Da nun diese Bassen insgemein nur ein Jahr zu regieren haben, so üben sie alle möglichen Gewalthätigkeiten aus, um dem Sultan seine Renten zu entrichten und sich selbst zu bereichern.« Die Lehre von der Vorherbestimmung sei ein unverzichtbarer Bestandteil der staatlichen Haushaltsplanung, weil sie jedes Jahr unzählige Pesttote fordere, deren Besitztümern dann dem Staat zufielen.485 Die Prädestinationslehre, die im weiteren Verlaufe des Textes durch die »Lehre vom Fatum« spezifiziert wurde,486 wurde als die Grundlage für die Erhaltung angestammter Machtstrukturen, ja für das gesamte ägyptische Staatsgefüge interpretiert. Wie in diesem Beispiel nährt die überaus häufige Verarbeitung des Pesttopos im 18. Jahrhundert den Verdacht, dass er für viele Europäer, die sich auf den Weg in den Orient machten, gewissermaßen zum Reisegepäck gehörte, mit dessen Hilfe sich die fremde Kultur besser deuten ließ. Dafür sprechen nicht nur die 483 484 485 486

o. A., Axiomata Politica, o. S. Ebd. Ryan, Geschichte, S. 439 f. Ebd., S. 440.

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häufig wortgleichen Formulierungen.487 In kaum einer Publikation wird der Ursprung des konstatierten Fatalismus hinterfragt, sondern als altbekannte Tatsache vorausgesetzt, die nicht erklärungsbedürftig, stattdessen aber erklärungsmächtig ist. Das Stereotyp des schicksalsgläubigen Moslems erwies sich als ein Deutungsmuster, in dem mitunter verstörende Erfahrungen bei der Begegnung mit dem Fremden eingehegt und in einer nachvollziehbaren Weise an eine Leserschaft im Heimatland vermittelt werden konnten.488 Eher selten findet man eine Umkehrung der Argumentationsrichtung, wie etwa bei der britischen Schriftstellerin und Markgräfin Lady Elisabeth Craven (1750 – 1828), die über die Krim nach Konstantinopel gereist war und ihre Erfahrungen in vielgelesenen Reiseberichten verarbeitete, die auch ins Deutsche übersetzt wurden. Ihrer Meinung nach führte nicht der Fatalismus zur politischen Unmündigkeit und Despotie, umgekehrt ließe die türkische Tyrannei mit ihrer launenhaften politischen Willkür gar keine andere Geisteshaltung als die des Fatalismus zu. Nur der Prädestinationsglaube biete den Menschen die Möglichkeit zu verstehen, warum ihnen weder die Geburt noch eine bestimmte Begabung zu einem Amt im Staate verhelfe, oder »warum man den Leuten [ohne ersichtliche Gründe, F. R.] die Köpfe abschlägt«.489 Der Prädestinationsglaube war dieser Ansicht nach eine Überlebenstaktik, um die Unberechenbarkeit politischer Entscheidungsprozesse dadurch berechenbar zu machen, dass man sie auf den unhinterfragbaren Entschluss einer Gottheit zurückführte. Unter dieser Voraussetzung war an einen Ausbruch aus dem System von Fatalismus und Tyrannei nicht zu denken. Das Fatum turcicum reproduzierte sich durch die politischen Zustände des Orients immer aufs Neue. Das revolutionäre Moment dieser Betrachtungsweise war die Rekonstruktion religiöser Glaubensauffassungen aus gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Politik diktierte hiernach die Geisteshaltung eines ganzen Volkes, die wiederum jeden zivilisatorischen Fortschritt verhinderte. Was wir hier in Ansätzen ausgedrückt finden, ist nicht nur eine fundamentale Kritik an der politischen Funktionalisierbarkeit religiöser Glaubenssätze, sondern zudem eine Infragestellung des religiösen Primats bezüglich des Schicksalsbegriffs. Zu diesem Befund passt die Verknüpfung des Schicksalsglaubens mit Wirtschaftsfragen, die von einigen wenigen Autoren vorgenommen wurde. In einzelnen Äußerungen zum Fatum turcicum spürt man den ökonomisierten Blick 487 Z. B.: Russell, Abhandlung, S. 321; Brown, Reisen, S. 371; FerriÀres-Sauveboeuf, Des Grafen von FerriÀres-Sauvebœuf Reisen, S. 490. 488 Zudem war die Verbindung von Pesttopos und Despotiekritik ein Vorbote der im 19. Jahrhundert virulenten »Furcht vor der ›orientalischen Pest‹«, die sich in ihrer Doppeldeutigkeit sowohl auf eine medizinische als auch auf eine drohende politische Gefahr aus dem Morgenland bezog. Frey, Europäer, S. 19 – 21. 489 Craven, Beschreibung, S. 518.

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der Europäer auf die Länder des Orients, der als Vorbote imperialistischer Begehrlichkeiten gewertet werden könnte. Denn nach Meinung europäischer Beobachter profitierte die Oberschicht vom Schicksalsglauben des einfachen Volkes nicht nur politisch, sondern auch finanziell. Während also in den oberen gesellschaftlichen Schichten Vermögenswerte gesammelt werden könnten – so wiederum der irische Kanoniker Edward Ryan –, führe das Fatum turcicum beim einfachen Volk zu einem unökonomischen Lebenswandel. »Die Lehre vom Fatum stößt auch den Menschen eine gewisse Unempfindlichkeit und Unthätigkeit, in Absicht der Vermehrung ihres Vermögens, ein. Sie beschränkt die freie Wirksamkeit, macht die Überlegung unnütz, hemmt die Industrie und unterdrückt Talente, die außerdem würden ausgebildet worden seyn.«490

So blickte auch Elisabeth Craven voller Erstaunen und Unverständnis auf die Lebensgestaltung und den Lebenswandel der Bewohner Konstantinopels, die kaum einer geregelten Arbeit nachgehen würden. »Der ruhige, gefühllose Türk kann den ganzen Tag am Canale sitzen, und nach papiernen Drachen und von den Kindern gemachten Schiffchen gucken. Ich sah einen, welcher im Schatten eines weit ausgebreiteten Ahorn-Baums lag, und seine Blicke auf eine Art Flasche geheftet hatte, die der Strom in beständiger Bewegung hielt, und deren Geräusch und Bewegung ihn vergnügte.«491

Muße wurde in Müßiggang, Ruhe in Stillstand und Lethargie umgedeutet. Es sei ein Glück für Europa, so die entgeisterte, aber in gewisser Weise auch beruhigte Europäerin, dass die Türken so träge und unwissend seien. Denn wenn das Osmanische Reich von fleißigen und ehrgeizigen Leuten bevölkert wäre, hätte es angesichts seiner Größe und Macht zum Herrn der Welt aufsteigen können.492 Dass die Engländerin bei ihrer Beobachtung des faulen Türken ebenso tatenlos gewesen sein musste wie dieser, wurde von ihr natürlich nicht reflektiert.493 In vielen Reiseberichten kommt ein Erzählmechanismus zum Tragen, bei dem die vom westlichen Europa abweichenden Erscheinungen der fremden Kultur in ein negatives Bezugssystem eingeordnet wurden, das im jeweiligen Heimatland der Autoren bereits entwickelt worden war. Barbara Jelavich hat das in Bezug auf den typischen britischen Reisenden folgendermaßen formuliert: »In the Ottoman empire he [the British traveller, F. R.] met precisely the political conditions which he had learned to abhor : irresponsible, despotic government, economic anarchy and religious intolerance. The physical appearance of the 490 491 492 493

Ryan, Geschichte, S. 440. Craven, Beschreibung, S. 517. Ebd. Zum Topos der Faulheit und Ineffizienz in Reiseberichten des 18. Jahrhunderts siehe: Fischer, Das Osmanische Reich, S. 128 f., 138.

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country was also all the more wretched by comparison.«494 Zur Bestätigung dieses Wertesystems wurde allzu gern auf Informationen zurückgegriffen, die aus Berichten stammten, die teilweise mehr als hundert Jahre alt waren.

Das Fatum turcicum als Lehrmeister der Europäer? Die grundsätzlichen Merkmale des türkischen Fatums waren die Annahme eines unpersönlichen und ungerechten Gottes, die Verkennung von Kausalzusammenhängen, moralische Laster und Bequemlichkeit, das Fehlen eines geschichtlichen Bewusstseins, Verantwortungslosigkeit und Unfreiheit, politische Tyrannenherrschaft und ökonomische Ineffizienz. Sie alle wurden bereits im Europa des 18. Jahrhunderts geprägt und konnten sich zumindest teilweise bis in die heutige Zeit erhalten.495 In der historischen Entwicklung des mohammedanischen Fatums avancierten die Türken von den mittelalterlichen Feinden der Christenheit so zu den neuzeitlichen Verächtern von Vernunft und Zivilisation – auch wenn sie in anderen Kontexten weitaus positiver beurteilt wurden. Die Wurzel des Übels wurde jedoch zumeist in der Religion der Muslime gesehen. Es gab nur wenige Autoren, die eine vollkommene Umdeutung dieses angeblichen Zusammenhangs unternahmen und dadurch gerade den Übergang vom »entschlossenen osmanischen Krieger, de[m] tollkühnen, de[m] wüthenden, de[m] rasenden«496 des Mittelalters hin zum schwachen und mutlosen Türken497 der Neuzeit zu erklären versuchten. Denn wie konnte es sein, dass ein Volk in der Vergangenheit durch religiösen Fanatismus und den Glauben an die Prädestination im Kampf so unglaublich erfolgreich gewesen war, während es jetzt durch eben diesen Glauben in »Schwachheit und Muthlosigkeit«498 versank? In Berufung auf einen langjährigen europäischen Diplomaten in Konstantinopel wurde eben diese Frage in der Zeitschrift »Ephemeriden der Menschheit« gänzlich untypisch beantwortet: Der Verfall der Türken sei ein Produkt verminderten Glaubens. »Da sie aus Aberglauben muthig und aus Rohigkeit stark waren; da weder Tugend den Abgang an Muthe, noch Geschicklichkeit den Abgang an Kräften ersezen, so muß nothwendig die Nation immer mehr zer494 Jelavich, The British traveller, S. 396. 495 Erst 1931 sieht sich Alfred Bertholet dazu genötigt, im Schicksal-Artikel von »Religion in Geschichte und Gegenwart« zu bemerken, dass es höchstens halbrichtig sei, in Bezug auf den Islam von Fatalismus zu sprechen, »da das Entscheidende doch immer der göttliche Wille bleibt«, in: Bertholet, Art. Schicksal, S. 155 f. 496 Stubenrauch, Ueber die Türken, S. 170. 497 o. A., Verdorbenheit der Türken, S. 728. 498 Ebd.

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fallen.«499 Gerade die Abkehr vom eigenen (Aber-)Glauben und damit die Prozesse der Zivilisierung und Modernisierung wurden als Ursache für den Niedergang der türkischen Glorie identifiziert. Fast in seliger Verklärung der militärischen Vergangenheit der Türken, die Europa in Angst und Schrecken versetzt hatte, sprach sich hier gleichzeitig Respekt gegenüber bestimmten Glaubensinhalten des Islam aus, der sich wohl nur mit Blick auf die religiösen Zustände in Europa in der Öffentlichkeit artikulieren konnte. Die militärischen Eroberungszüge der Osmanen rangen den Europäern eine Bewunderung ab, die das zeitgenössische Bild des türkischen Reiches noch mehr in der Trostlosigkeit versinken ließ. »Da nun der Enthusiasmus der Religion zu ihrer natürlichen Tapferkeit hinzukam, wurden die Türken unüberwindlich […]. Sie brachten das griechische Reich unter ihre Bothmäßigkeit, und nahmen 1453 Constantinopel ein. Der Kriegerische Geist, durch den Enthusiasmus angeflammt, fuhr nach dieser denkwürdigen Begebenheit noch fast drey Jahrhunderte fort sich zu zeigen; allein moralische Ursachen sind noch mehr als physische der Veränderung unterworfen. Die Tapferkeit sowohl als Religionseifer gaben endlich dem Einfluß eines wollüstigen Climas nach.«500

Das Fatum turcicum, als Garant für Kampfbereitschaft und Todesmut, hatte nach Ansicht einzelner Europäer im Laufe der Geschichte den Kampf gegen Wollust und Klima501 verloren, und gerade durch seine Absenz den Verfall des türkischen Reiches besiegelt. Zweifelsohne waren solche Beurteilungen das Produkt eines romantisiert-verklärten Orientbildes, in dem Stereotype unterschiedlicher Provenienz gegeneinander ausgespielt wurden, um historische Veränderung plausibel zu machen. Mit Blick auf das europäische Publikum konnte man die Beschreibung des Verfallsprozesses auch als Warnung vor einer konsequenten Rationalisierung des Religiösen verstehen. Ich möchte zum Abschluss noch auf zwei weitere, eher untypische Beispiele der Auseinandersetzung mit dem Fatum turcicum eingehen, die beide, allerdings in vollkommen unterschiedlicher Weise, Aneignungen des Fremden als des ›besseren Eigenen‹ waren. Das erste Beispiel ist der Versuch eines anonymen Autors, den Pesttopos durch eigene Erlebnisse zu korrigieren und das Fatum turcicum als Weg zu einem aufgeklärten Staatswesen aufzuzeigen. In der Zeitschrift »Aurora« erschienen im November 1804 Teile eines Reiseberichtes »Zur Berichtigung mancher irriger Meinung über die Pest und das sogenannte Fatum

499 Ebd., S. 729. 500 o. A., Das jetzige Zeitalter, S. 14. 501 Zum Zusammenhang zwischen dem Fatum turcicum und klimatischen Begebenheiten siehe auch: Ebd., S. 15 f.

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turcicum«.502 Der anonyme Autor schilderte direkt aus Konstantinopel den Umgang der Einheimischen mit der omnipräsenten Todesgefahr : »Die […] Dollmetscher […] gehen zwar beinahe alle Tag zur Pforte, aber sie treffen auch alle möglichen Vorkehrungen, nehmen zuvor ein gutes Frühstück und ein Spritzbad von Spitzbubenessig, und räuspern sich und spucken aus, sobald sie nur ein verdächtiges Gesicht erblicken. Dabei besitzen sie die, nur durch viel Uebung zu erlangende Fertigkeit, sich mit der Gewandtheit eines pariser Kleinmeisters durch alle Gassen und Winkel durchzuarbeiten, ohne irgend jemand zu berühren […]. Sobald sie von ihrem Geschäftsgange zurück kommen, unterlassen sie nie, sich vollständig umzukleiden, ihre Pelze und Oberröcke durchzuräuchern, und einige Stunden lang in die freie Luft zu hängen. Auf diese Art gehen sie voll Zuversicht oft mitten durch die gifthauchende Menge, und sogar in die Häuser, welche der Todesengel schon mit blutigem Finger bezeichnet hat.«503

Allein die Beschreibung dieser Verhaltensweise strafte die zeitgenössischen europäischen Urteile Lügen. Hier wurden Einheimische vorgestellt, die sehr wohl ihre Gesundheit zu schützen wussten und als Gewerbetreibende Sorge für ihr finanzielles Auskommen trugen, ohne sich dabei von der grassierenden Pest abhalten zu lassen. Gegen den Vorwurf der Trägheit, der Resignation und des Fatalismus stellte der Autor muslimischen Ehrgeiz, Findigkeit und Mut. In der Beobachtung vor Ort war das Fatum turcicum zwar als ein theologisches Dogma lebendig, jedoch nur bedingt als ein praktisches Lebensgesetz. Hier wusste der Autor sehr gut zu differenzieren: Die alten Imame beispielsweise seien der Überzeugung, dass der Mensch nach den reinen Grundsätzen des Islam in keinem Fall seines freien Willens beraubt werde, sodass der Fatalismus weder auf den moralischen noch auf den bürgerlichen und politischen Zustand Einfluss nehme. Es ginge lediglich darum, in allen Ereignissen des eigenen Lebens Gottes Hand wirken zu sehen und die von ihm geschenkte Vernunft zu gebrauchen, um sein Leben zu bewältigen. »Erst dann, wenn alle Hilfsquellen der Vernunft erschöpft sind, hat man das Recht, den Erfolg seiner Unternehmungen den ewigen Rathschlüssen des Allerhöchsten zuzuschreiben, und jetzt ist es unumstößliche [?] Pflicht, sich diesen mit unbedingter Ergebenheit zu unterwerfen.«504 Weil sie kompatibel mit den christlichen Glaubenslehren war, erschien dem Autor diese Aufklärung über den Sachverhalt zugleich vernünftig und »den Buchstaben des Gesetzes gemäß«. Problematisch seien jedoch eigenwillige theologische Interpretationen des »gemeinen geistlichen und weltlichen Pöbels«, die teils der Tradition entsprungen, teils jedoch als Folge von klerikalem und weltlichem Machtmissbrauch »unumschränkte Gewalt auf alle Gemüther« besäßen. Inso502 o. A., Zur Berichtigung, S. 537 – 539. 503 Ebd., S. 533. 504 o. A., Zur Berichtigung, S. 538.

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fern handelten die Muslime in einem ständigen Widerspruch: Obwohl sie geradezu besessen von dem Glauben an das unabänderliche Schicksal seien, hindere es sie nicht daran, sich um ihr Auskommen zu sorgen, gesellschaftlichen Aufstieg anzustreben und in Krankheitsfällen Ärzte und Apotheker zu Rate zu ziehen. In dieser Inkonsequenz ähnelt der hier vorgestellte türkische Schicksalsglaube sehr dem optionalen Fatalismus, den Leibniz in der »Theodizee« beschrieben hatte. Darüber hinaus vermochte der Orient-Reisende dem türkischen Fatalismus sogar positive Seiten abzugewinnen, und zwar sowohl für das Privatleben des Einzelnen als auch für den Bestand des Staates: Der Gleichmut, mit dem die Muslime Schicksalsschläge aller Art verarbeiteten, sei voll »bewundernswürdiger, nachahmungwerther Hingebung. Ihr Feind ist nichts mehr, als das Werkzeug in der Hand der Vorsehung. Allah kerim – Gott ist gütig – das ist alle ihre Klage. Ein Wort mehr wäre großes Vergehen und Empörung gegen die Rathschlüsse des Ewigen.«505 Es ist eine Art stoischer Ruhe als Mittel gegen innere Anfechtungen, die den europäischen Beobachter faszinierte. Weniger als Rückzug in die Verantwortungslosigkeit sah er die muslimische Geisteshaltung als Ausdruck bedingungslosen Gottvertrauens und als Beweis innerer Größe, die seinen Zeitgenossen in Europa durchaus fehlen mochte. Typisch für eine spätaufklärerische Interpretation blieb der Autor bei dem Verweis auf die individuelle Frömmigkeit nicht stehen, sondern bettete sie in einen Kontext der Zweckmäßigkeit für das aufgeklärte Staatswesen ein. So kam er zu dem Ergebnis, dass das Fatum turcicum, als religiöse Stütze des Gemeinwesens, unter bestimmten Voraussetzungen einen förderlichen Einfluss ausüben könne. Der Blick in die Geschichte zeige, dass es der Fatum-Glaube gewesen sei, der den Muslimen stets aufs Neue Kampfesmut und schmerzstillende Kraft gegeben habe; er biete das Heilmittel zur Bewältigung und Verarbeitung von Krieg, Hunger und Pest. Insofern könne diese Lehre in den Händen eines aufgeklärten Monarchen »das mächtigste Palladium werden […], unter dessen Schutz innerer und äußerer Wohlstand aufblühen müßte«.506 Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit dem unmittelbaren Beobachter vor Ort die Umkehr des bis dahin üblichen Argumentationsschemas gelang, und wie er die fremde Religion dabei idealisierte: Mit einem Mal barg das über Jahrzehnte verworfene türkische Fatum Momente der Moral, ja der Aufklärung in sich, deren Entfaltung lediglich eines weisen Herrschers bedurfte (eine Bedingung, die der Autor, bei aller Toleranz, im Konstantinopel seiner Zeit natürlich nicht verwirklicht sah). Ausgehend von der Empirie über theologische Spekulationen bis hin zu Fragen nach Politik und Moral wurde das tatsächliche 505 Ebd. 506 Ebd., S. 539.

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Weltdeutung und Schicksal in der Frühen Neuzeit

Verhalten der Muslime zum schlagenden Argument gegen den althergebrachten Vorwurf eines orientalischen Phlegmas, das den gesamten islamischen Kulturkreis zu beherrschen schien. Der sonst so fremde Orient bekam geradezu europäische Züge. Und das Fatum turcicum war diesen Tugenden nicht abträglich, sondern beförderte sie geradezu. Ja, es erwies sich als eine Geisteshaltung, die unter bestimmten Umständen sogar zum Vorbild für das aufgeklärte Europa werden konnte. Das zweite eher unkonventionelle Beispiel der Auseinandersetzung mit dem Fatum turcicum nahm den Endpunkt der obigen Argumentation gewissermaßen zum Ausgangspunkt. Mehr noch als im ersten Beispiel wurde der Blick auf den Orient zum Spiegelbild europäischen Denkens, und das in einer ungeheuren philosophischen Radikalität. Der Rechtsprofessor Karl Ferdinand Hommel (1722 – 1781) konfrontierte die philosophisch und juristisch interessierte Öffentlichkeit seit 1770 in mehreren Auflagen mit seiner Abhandlung »Ueber Belohnung und Strafe nach türkischen Gesezen«,507 in der er recht unverblümt ein nahezu materialistisches Weltbild verteidigte. Hierin bestritt er nicht nur die Willensfreiheit, sondern sogar die Existenz des menschlichen Willens überhaupt. Sein Ziel war es, die moralische Zurechenbarkeit menschlicher Handlungen, die ja die Grundlage jedes Strafrechts sein musste, mit der Annahme eines der Kausalität entsprungenen unentrinnbaren Schicksals in Einklang zu bringen, und er begann seine Argumentation beim Schicksalsglauben der Türken. Was auf den ersten Blick so unvereinbar erscheinen musste, die Begründung eines als atheistisch gebrandmarkten Weltbildes aus einer strenggläubigen Frömmigkeit, gewann nach Hommel dann an Plausibilität, wenn man bedachte, dass bei den Türken die »Meynung vom götlichen Verhängnisse [, die] sogar das eiserne Schicksal der Stoiker übertrift«, nicht ausschließe, dass man »Strafen, Geseze und Belohnungen« einführe,508 um die Moral aufrechtzuerhalten. Hommels konkrete juristische Argumentation wiederzugeben würde an dieser Stelle zu weit führen. Kurz gesagt forderte er, den Satz des zureichenden Grundes auch dann ernst zu nehmen, wenn man Gefahr lief, als Fatalist bezeichnet zu werden. »Es denke ja niemand, daß wenn er ein ander Wörtgen untergeschoben, und zum Exempel […] stat Fatalist: Determinist gesezet, er in der Sache was verändert habe. Alle dergleichen Auswege sind nichts, als betrügliche Kunstgriffe.«509 Insofern scheute sich Hommel auch nicht davor, seiner Abhandlung die Überzeugung zugrunde zu legen, dass das Gefühl der individuellen Freiheit »ein Betrug der Sinne, ein angenehmer Traum, eine Erschei507 Joch, Über Belohnung. 508 Ebd., S. IV. 509 Ebd., S. 4.

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Der Schicksalsbegriff im Orientalismus-Diskurs

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nung« sei,510 weil der sogenannte freie Wille auch nichts anderes als das Resultat aus der ewigen Kausalkette der Ereignisse sei. Deshalb sei auch der Mensch nichts weiter als eine »Marionette des Schicksals«.511 Am Beispiel der Türken nun konnte man lernen, dass der konsequente Determinismus, welche Ursprünge er auch besaß, den allgemeinen Moralgesetzen und ihrer Durchsetzung nicht zuwiderlief. »Also ist nicht zu besorgen, daß die unvermeidliche Nothwendigkeit irgend eine Religion zernichten werde. Denn bey den Türken ist sie sogar ein Theil der Religion, ein Glaubens-Artikel.«512 In gewisser Weise führte Hommel in seiner vielbeachteten und kontrovers diskutierten Schrift513 mehrere Dinge zusammen, die spätestens seit Leibniz’ Deutung des Fatum mahumetanum auseinandergefallen waren: Er erklärte den islamischen Schicksalsglauben für kompatibel mit dem Satz des zureichenden Grundes und rerationalisierte ihn dadurch. Er zeigte, dass das Fatum turcicum und das Fatum christianum wesensverwandt waren, weil sie, konsequent zu Ende gedacht, beide eine Freiheit des menschlichen Willens nicht gelten lassen konnten.514 Und er demonstrierte drittens, dass das Verhalten der Muslime trotz des Fatum-Glaubens nachvollziehbar und sittlich war, weil sie erkannt hatten, dass auch Belohnungen und Strafen Teil des ewigen Zusammenhangs der Dinge und als Glieder der Kausalkette des Seins unverzichtbar waren, um »die Republik zusammenzuhalten«.515 Solche radikalen Umdeutungen gängiger Stereotype blieben in dieser Zeit freilich Einzelfälle, sodass das türkische Fatum mit all seinen zweifelhaften Attributen bis weit in das 20. Jahrhundert hinein immer wieder die dunkle Seite der europäischen Schicksalsmedaille prägte. So lange das Schicksal im Modus der Kausalität gedacht wurde, blieb die Fünfergruppe der hier vorgestellten frühneuzeitlichen Schicksalstypen im Fundus der deutschen Sprache erhalten und wurde gerade in enzyklopädischen Kontexten immer wieder zitiert, um den zahlreichen Aspekten und Facetten der Schicksalsthematik Rechnung zu tragen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird jedoch sichtbar, wie sich das semantische Feld mit wachsendender Geschwindigkeit verschob. Im Laufe des 19. Jahrhunderts durchdrang der Schicksalsbegriff sämtliche gesellschaftlichen Bereiche, angefangen bei der Literatur und Politik über die Natur- und Gesellschaftswissenschaften hin zur Psychologie und zu diversen politischen Weltanschauungen. Der Schicksalsbegriff entwi510 511 512 513

Ebd., S. 3. Ebd., S. 57. Ebd., S. 180. Dl., Rezension, S. 263 – 267; Ebert, Unterweisung, S. 86 f.; Frey, Erstes Sendschreiben; Goethe, Baireut und Leipzig, S. 678 – 680; Hennings, Kritisch historisches Lehrbuch, S. 40 f.; Scholz, Zu Alexander von Joch, S. 367 – 375; u. v. a. 514 Joch, Über Belohnung, S. 59. 515 Ebd., S. 146.

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Weltdeutung und Schicksal in der Frühen Neuzeit

ckelte sich dabei einerseits zu einem Allerweltswort, das in Fachsprachen ebenso gut aufgehoben war wie in der populären Alltagssprache. Diese Universalität führte zwangsläufig zu einer gewissen Beliebigkeit im Umgang mit dem Begriff, der im 19. Jahrhundert einiges an Trennschärfe verlor. Dafür gewann er ein dynamisches Handlungspotenzial. Denn mit den politischen Umbrüchen der Jahrhundertwende traten eine Vielzahl neuer gesellschaftlicher Interessen, Fragen und Problemlagen auf und mit ihnen neue sprachliche Befunde, Antworten und Verarbeitungsstrategien, die den Schicksalsbegriff als Indikator und Faktor gesellschaftlichen Wandels in Aktion treten ließen.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

4.1

Die Rückbesinnung auf die Antike

Die Etablierung des Fatum christianum hatte den Schicksalsbegriff im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einem Inbegriff der Rationalität werden lassen, der durch einen aufgeklärten Gottesbegriff eingehegt wurde. Vereinzelte Widerstände gegen den Determinismus, der sich damit verband, änderten an der vorherrschenden Semantik des Schicksalsbegriffs selbst nichts. In der Form eines Weltstrukturprinzips, als Herrschaft der kausalen Naturnotwendigkeit in Gottes Hand, hielt sich der Schicksalsbegriff lange Zeit in philosophischen, theologischen und literarischen Publikationen1 und wurde dort in den Disputen über Willensfreiheit und Determination mitunter so sehr zerredet, dass Immanuel Kant in seiner »Critik der reinen Vernunft« davon sprach, dass Schicksal und Glück »ursupirte Begriffe« seien, »die zwar mit fast allgemeiner Nachsicht herumlaufen, aber bisweilen doch durch die Frage: quid iuris, in Anspruch genommen werden, da man alsdenn wegen der Deduction derselben in nicht geringe Verlegenheit geräth, indem man keinen deutlichen Rechtsgrund weder aus der Erfahrung, noch der Vernunft anführen kann, dadurch die Befugniß seines Gebrauchs deutlich würde.«2

Tatsächlich kündigte sich schon um diese Zeit ein fundamentaler semantischer Wandel des Schicksalsbegriffs an, der fortan auf eine Legitimation durch Vernunftgründe überhaupt nicht mehr angewiesen schien, aber umso mehr aus der Erfahrung gespeist wurde. Mit dem wachsenden Interesse für die Antike in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts erstanden die alten Schicksalsgottheiten wieder auf und eroberten die Kultur der bürgerlichen Gesellschaft. Der zunächst rein historisch interessierte Rückblick wurde nach und nach durch die Über1 Z. B. bei: o. A., Ueber’s Schicksal, S. 753 – 762. 2 Kant, Critik der reinen Vernunft, S. 117. Tatsächlich wurde dennoch versucht, die Kant’sche Philosophie mit dem Schicksalsbegriff in Verbindung zu bringen, so beispielsweise: Schwab, Ueber den intelligiblen Fatalismus, S. 26 – 33.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

legung verdrängt, ob die ferne Vergangenheit nicht konkrete Anregungen für die Gegenwart bereithalte, sei es auf ästhetischem oder aber auch auf politischem Gebiet. Programmatisch für einen ästhetischen Ansatz, der einerseits noch der Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts verhaftet blieb, andererseits aber auch weit darüber hinaus wies, war ein Aufsatz des Jenaer Juristen Karl Heinrich Gros (1765 – 1840), der 1785 in Schillers »Horen« einen ausführlichen Artikel zur »Idee der Alten vom Schicksal« veröffentlichte.3 Hierin ging es um die Berechtigung antiker Schicksalsvorstellungen, wie sie in den klassischen Tragödien vertreten worden waren, und um ihre Verbindung mit der Kant’schen Philosophie. Zwar widerspreche wohl nichts so sehr der »moralischen Vernunft« wie die antike Schicksalsvorstellung, so Gros, weil sie als blinde Notwendigkeit mit der gleichen Strenge über böse und gute Menschen walte und dabei die Begriffe von Freiheit und Zurechnung vernichte.4 Aber im Gegensatz zu den gängigen Theodizee-Vorstellungen eröffne die antike Schicksalsidee einen Raum für die moralischen Qualitäten der Persönlichkeit, weil diese vom Schicksal unabhängig seien. »[Die] Idee von einem nothwendigen Schicksal […] erleichtert endlich jene erhabene Denkungsart, welche die Pflicht über alles achtet, und unter jedem Wechsel des Glücks, unter allem Ungemach, womit dieß Leben umringt ist, selbst unter Gefahren, welche die Vernichtung der sinnlichen Natur drohen, unsere Persönlichkeit ungebeugt hält.«5

Den Griechen sei es gelungen, das Postulat menschlicher Freiheit mit der blinden Naturnotwendigkeit in Einklang zu bringen, indem sie über den Begriff der Strafe menschliches Handeln als zurechenbar interpretiert hatten. Das konnte nur gelingen, wenn man dem Menschen in einer intelligiblen, außerzeitlichen Perspektive die Freiheit seiner Handlungen und dabei eine Schuldfähigkeit zugestand und der Mensch sich dieser auch bewusst werden konnte. Dass dieser Aspekt beispielsweise im König Ödipus unbeachtet geblieben sei, sei der Intention des Dichters geschuldet, der in erster Linie Mitleid evozieren wollte. Die Strafe, die Ödipus erleiden musste, obwohl er sich seiner Schuld bis zuletzt nicht bewusst war, sei ein Tribut an die richtig erkannte Doppelnatur des Menschen, der zwar körperlich an die Natur gebunden sei, sich aber durch die Vernunft über die Zwänge der Natur zu erheben vermochte. »[…] jene Vernunftidee, so wenig ihr das einzelne Beyspiel in seiner individuellen Bestimmung angemessen ist, behauptet im Allgemeinen doch ihre Realität, und ohne

3 Gros, Ueber die Idee der Alten, S. 75 – 86. 4 Ebd., S. 76. 5 Ebd., S. 78.

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Die Rückbesinnung auf die Antike

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den geheimen Einfluß derselben würde die Geschichte nur empörend, nicht rührend seyn.«6

In dieser Interpretation verfolgte das griechische Drama eine Doppelstrategie: Das Motiv des Schicksals löste das Mitleid der Zuschauer aus, weil es den Menschen der Naturnotwendigkeit auslieferte; das Motiv der Strafe befriedigte hingegen das moralische Gefühl des Publikums, da es aufgrund der intelligiblen Freiheit des Menschen und der Zurechenbarkeit seiner Handlungen als gerecht empfunden wurde. »Auf diese Art läßt sich erklären, wie die Zuschauer des Griechischen Schauspiels das schreckliche Ende des Oedipus als ein unglückliches Schicksal beweinen und doch zugleich als verdiente Strafe billigen können.«7 Karl Heinrich Gros strebte in seiner tragödiengeschichtlichen Untersuchung eine Synthese antiker Schicksalsvorstellungen mit der Philosophie Kants an, um diese dann für das gegenwärtige Drama nutzbar zu machen. Zugleich ging es ihm darum, einen neuen Ausweg aus dem Dilemma von Willensfreiheit und Determination aufzuzeigen, indem er den Begriff der Schuld einführte und damit das Schicksalswirken nachvollziehbar machte. So moderat Gros’ Rekurs auf die Schicksalsvorstellungen des Altertums noch waren, weil er die klassischen Tragödien nur als frühe ästhetische Darstellungsweisen Kant’scher Ideen rezipierte, so sehr verselbstständigte sich in der Folgezeit der Gedanke, dass der Schicksalsglauben der Alten einem Lebensgefühl der Gegenwart entsprach. Einen starken Eindruck dieses neuen Schicksalsverständnisses bekamen 1789 die Leser des Journals »Amalthea«, in dem Karl Heinrich Heydenreich (1764 – 1801) unter dem Titel »Das Schicksal« ein wortgewaltiges Gedicht veröffentlichte: »Welcher Koloß wiegt sich feyerlich schwebend / Im Raum der Gestirne? – / Feuersäulen seine Arme, / Fürchterlich starr sein Blick, / Vor seinem Nahen / Zittern die Welten. – Seine Stimm’ ertönt. / Und im Innern / Schaudert die Natur, – / Und die Gräber bersten, / Und verschlingen die Lebenden, – / Und der Komet löst sein Flammenhaar, / Fluthen von Feuer stürzen / Über den Erdkreis; / Und, gerüttelt aus ihrer Bahn, / Verlöscht die Sonne; / Und die Sterne sinken, / Oder irren wie Flüchtlinge / In der Wüste des Raums. – / Und der Tod mit den Flügeln der Nacht / Schweift umher, und ärndtet seine Opfer ; / Besät sind die Wüsten / Und die Feuerstätten erloschner Sonnen / Mit gebleichtem Gebein. – Siegend schwebt der Koloß / Über den Trümmern, – / Und es flammt von der Stirne / Fürchterlich mir entgegen / Sein Name: Schicksal.«8

6 Ebd., S. 86. 7 Ebd. 8 Heydenreich, Das Schicksal nach Mercier, S. 66 f.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

Der Bruch mit den Schicksalsvorstellungen des Jahrhunderts der Aufklärung konnte deutlicher kaum sein. Heydenreichs Schicksalsbegriff war geprägt von Gewalt und Vernichtung. Er stellte das Schicksal als ein personifiziertes Wesen, als eine Gottheit vor, die keine universale Ordnung, kein verlässliches Prinzip repräsentierte und folgerichtig auch nicht mit den Attributen ewig und unveränderlich in Verbindung gebracht werden konnte. Sie war ganz im Gegenteil eine aktiv Handelnde, die in die Welt und in das Leben der Menschen einbrach und unabhängig von deren Wohl und Wehe fürchterlich und todbringend wirkte. Heydenreich bot alle Naturgewalten auf, um den vernichtenden Einfluss des Schicksals zu charakterisieren. Feuer, Wasser, Erde und Himmel waren ihm untertan, es gebot über Leben und Tod, es war Auslöser und Herr der Apokalypse und verblieb am Ende als einzige Wahrheit und Antwort auf alle Seins- und Sinnfragen. Heydenreichs Gedicht war programmatisch für ein Zeitalter, das sich dem Schicksalsgedanken wieder ganz unvoreingenommen öffnete. Vor der Jahrhundertwende erreichte die Antike-Rezeption in Deutschland ihren Höhepunkt9 und wiederbelebte zahlreiche Schicksalskonzeptionen der »Alten«, die vorher längst in Vergessenheit geraten waren. In diesem Zusammenhang wurden insbesondere griechische Schicksalsgottheiten neu in Szene gesetzt, ob in Gedichtform,10 im klassischen Drama oder gar als Titelgeber neuer Zeitschriften. Johann Gottfried Herder beispielsweise publizierte von 1801 bis zu seinem Tod die Zeitschrift »Adrastea« und stellte das Journal somit unter den Schutz und Schirm einer griechischen Schicksalsgöttin, die in der antiken Mythologie für die gerechte Zuteilung von Lohn und Strafe verantwortlich war. »Entweder ist die Geschichte nichts als eine vernunftlose Wiedererzählung äußerer Zufälle, oder wenn nichts Zufall, wenn in den Zufällen Geist ist, […] welche andre Göttinn könnte der Geschichte vorstehn, als Nemesis-Adrastea.«11 Und der Geschichtsprofessor Heinrich Luden (1780 – 1847) taufte seine neue Zeitschrift für Geschichte und Politik auf den Namen »Nemesis«, mit der Begründung, dass diese Gottheit des Altertums »auch jetzt noch über die großen Begebenheiten der Welt, und das Schicksal der Völker und Staaten«12 waltete. Über den rein nominellen Zusammenhang hinaus liehen die antiken Schicksalsgötter ihre Namen also der Deutung aktueller Entwicklungen und ordneten diese dadurch in einen Schicksalshorizont ein. Auch ikonografisch eroberten antike Schicksalsgestalten den öffentlichen Raum, wie sich etwa an einem Disput in der »Berlinischen Monatsschrift« zeigen ließe, in dem über das Relief an der Vorderseite eines 9 Riedel, Antikerezeption, S. 109. 10 Meyer, Die Parzen, S. 59 f.; Witschel, An die Parzen, S. 80; Conz, Die Nemesis, S. 21 – 23; Herder, Die Verhängnisse, S. 364 f.; Gr., Das Schicksal und die Menschheit, S. 380; u. v. m. 11 Herder, Nemesis der Geschichte, S. 13. 12 Luden, Nemesis, ihr Sinn und ihre Deutung, S. 14.

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Privathauses gestritten wurde, das die den Schicksalsfaden spinnenden Parzen darstellte.13 Typisch für diesen kollektiven Rückblick auf die Glaubenswelt der Antike war, dass das Schicksal nicht mehr als ein in irgendeiner Weise naturgesetzliches, kausales Prinzip dargestellt wurde, sondern als ein göttliches Wesen, ein Subjekt, dem der Mensch manchmal ferner war denn je. Die Handlungen dieses Wesens waren nach menschlichen Maßstäben nicht nachvollziehbar, sondern erschienen willkürlich und unverständlich. Nach welchen Prinzipien es wirkte, war unklar ; allein die Konsequenzen seines Wirkens waren spürbar, weil sie aktiv in das menschliche Leben eingriffen. Natürlich huldigten die Menschen der Jahrhundertwende keiner antiken Schicksalsreligion im Sinne eines reaktivierten Glaubenssystems. Die Schicksalsvorstellungen der Alten waren jedoch das Tor, durch das die Zeitgenossen in ein Zeitalter eintraten, in dem der Schicksalsbegriff zu einer der maßgeblichen Deutungskategorien sämtlicher Lebensbereiche werden sollte. Der semantische Umbruch des Schicksalsbegriffs steht im Mittelpunkt der sogenannten Sattelzeit, die Reinhart Koselleck als das Auseinanderdriften von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont charakterisiert und als entscheidende Formierungsphase der deutschen historischen Grundbegriffe identifiziert hat.14 Ein verändertes Zeitbewusstsein setzte sich durch: Die ewige, verlässliche Kette der Natur zerbrach und öffnete den Raum für eine willkürlich und böse verfahrende Macht, die über der Menschheit schwebte und unvermittelt auf sie hinabfuhr, um sie zu zerstören. Vergangene Erfahrungen konnten aufgrund der politischen, sozialen und mentalen Umwälzungsprozesse in Europa nicht mehr fortgeschrieben werden. Die Zukunft wurde bedeutungsoffen und unsicher, während sie in der Vergangenheit noch als voraussagbar und planbar empfunden worden war. Am unmittelbarsten schlug sich dieser Umbruch im ästhetischen Bereich nieder und hier besonders in der dramatischen Kunst. Nirgendwo sonst wurde der Schicksalsbegriff reflektierter diskutiert und öffentlichkeitswirksamer verarbeitet.

13 Vom Hagen, Die Parzen, S. 435 – 437. Zum Stellenwert der Parzen in der Literatur der späten Aufklärung und der Romantik siehe: Kirschenknapp, Parzen, S. 41 – 81. 14 Koselleck, Vergangene Zukunft, S. 349 – 375; ders., Einleitung, S. XV; Planert, Einleitung, S. 16 f.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

4.2

Friedrich Schillers »Braut von Messina«: Das erste moderne Schicksalsdrama?

Eine italienische Braut spaltet die Gesellschaft Im Jahr 1803 wurde die deutsche Öffentlichkeit mit der Neuerscheinung und Erstaufführung eines dramatischen Werkes konfrontiert, das von Befremden über Polemik bis hin zu Empörung ein ganzes Panorama unterschiedlichster Reaktionen hervorrief.15 Denn hier hatte ein »großer Dichter, berühmt bei der Nation, der er angehört und bei den Völkern des Auslandes, […] durch sein Beispiel einer Idee gehuldigt, die einen Haupt-Charakterzug der Griechischen Tragödie ausmacht, unsern Ansichten der Welt aber geradezu widerspricht.«16 Die Rede war von Friedrich Schiller und seiner neuesten Tragödie »Die Braut von Messina«, die aufgrund ihrer neuartigen Thematisierung des Schicksalsbegriffs zumindest für die Jahre 1803 und 1804 zum literarischen Skandalon der gebildeten Bevölkerung wurde. Bereits früh zeigte sich die Weimarer Hofgesellschaft regelrecht verstört über das Stück, das Schiller schon vor der Veröffentlichung in unterschiedlichen Kreisen vorgetragen und an etliche Bekannte zur Lektüre versandt hatte. In seiner eigenen Beurteilung der Reaktionen auf das Werk, mit dem er sich »eine verteufelte Mühe gegeben« hatte,17 hatte er sich jedoch gründlich verschätzt. Was er als »recht schöne Theilnahme« und »sanftere Rührung« seines Publikums interpretierte, was ihm »hingerissen« und »überzeugt« erschien,18 offenbarte sich in den Briefen der guten Gesellschaft als Verwunderung über die Verwirrung eines Dramatikers, der sich von einer alten Idee hatte mitreißen lassen, die nicht vollständig durchdacht zu sein schien.19 Herzog Carl August (1757 – 1838) machte den Anfang der Kritik, als er Goethe seine Bedenken mitteilte. Er habe Schillers »Braut von Messina« mit großer Aufmerksamkeit, jedoch nicht mit »wohlbehaglichen Gefühlen« gelesen, wolle aber seinen Mund wohlbedächtig darüber verschließen. »Über die Sache selbst ist ihn [!] nichts zu sagen, er reitet auf einen [!] Steckenpferde, von den ihn nur die Erfahrung wird absitzen helfen […]. Indeßen hüthe ich mich wohl, etwas der Aufführung des Stückes entgegen zu setzen. Die Pracktique wird das beste Gegenmittel für die Folgen werden.«20 Der Herzog sollte recht behalten. Die Weimarer Hofdame

15 16 17 18 19 20

Siehe zur Rezeption der Uraufführung auch: Luserke-Jaqui, Friedrich Schiller, S. 198 – 201. o. A., Ueber die Einführung des Schicksals. Erstes Fragment, S. 107. Schiller, Brief an Johann Friedrich Cotta vom 11. 02. 1803, S. 10. Ders., Brief an Johann Wolfgang Goethe vom 05. 02. 1803, S. 7 f. Müller, Reflexion, S. 220. Herzog Carl August, Brief an Johann Wolfgang Goethe vom 11. 02. 1803, S. 357.

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Friedrich Schillers »Braut von Messina«: Das erste moderne Schicksalsdrama?

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Henriette von Knebel (1774 – 1813) klagte nach einer Lesung des Stückes bei Herzoginmutter Anna Amalia (1739 – 1807) in Briefen an ihren Bruder : »Es hat schöne Stellen, ist aber doch, nach meinem Gaumen, etwas trocken. Es war mir wie eine sehr tragische Geschichte mit Bemerkungen über das Schicksal, und ich konnte mich immer nicht drin finden, daß es dramatisch ist.«21

So verurteilte das kritische Publikum die »Braut von Messina« tatsächlich »ohne alle Barmherzigkeit«, wie der Weimarer Schriftsteller Karl August Böttiger (1760 – 1835) bemerkte. Doch es verdiene schonende Achtung als ein Versuch, »die alte Schicksalsfabel« der antiken Tragödie mit den Erfordernissen des modernen Theaters zu verbinden.22 Die zunächst vornehmlich in privater Korrespondenz geäußerten Bedenken fanden ihren Widerhall schon bald in den zahlreichen Rezensionen und Theaterkritiken.23 Bis auf wenige uneingeschränkt wohlwollende Beiträge arbeiteten sich die Rezensenten vornehmlich an zwei Neuerungen ab, die im Titel einer ausführlichen Kritik in der Zeitschrift »Ernst und Scherz« 1803 folgendermaßen zusammengefasst wurden: Es ging um die »Einführung des Schicksals und des Chors auf der Deutschen Bühne«.24 Der zentrale Vorwurf der Besprechung war hart, ihr Ton dementsprechend scharf, ging es dem anonymen Verfasser doch um nichts weniger, als Schiller des Verrats an der wertvollsten Errungenschaft der kultivierten Menschheit zu bezichtigen: Schiller habe die sittliche und moralische Freiheit verleugnet, indem er die unzeitgemäße Idee eines »allregierenden Weltschicksale[s]« in das moderne Drama eingeführt und somit die Menschen zum »unbedingten Sklaven eines Fatums« gemacht habe.25 Schuld an dieser Entwicklung sei der Versuch, die deutsche Tragödie zu ihren Ursprüngen im antiken Griechenland zurückzuführen, sie also getreu den Vorbildern Aischylos (525 – 456/5 v. Chr.) und Sophokles (496 – 406/5 v. Chr.) an Ideen der fernen Vergangenheit anzupassen, um ihr »ihre gebührende Würde« wiederzugeben.26 Doch genau dieser Versuch sei schon im Ansatz verfehlt, so der Rezensent. Denn die Änderungen, die Schiller für dieses Unternehmen eingefordert und literarisch verwirklicht habe, seien nicht dem Geist des jetzigen Zeitalters entsprungen, sondern lediglich aus früheren Zeiten kopiert. Der Zeitgeist sei »kein Baumstamm, der sich absägen läßt, um fremde Pfropfreiser zu seinen Aesten auszubilden. Nur anzuhaften vermag man ihm das Fremde: aber er schüttelt das 21 22 23 24 25 26

Knebel, Brief an Karl Ludwig von Knebel vom 11. 02. 1803, S. 358. Böttiger, Brief an Karl Ludwig Knebel vom 25. 03. 1803, S. 358 f. Siehe dazu zusammenfassend: Biener, Die kritische Reaktion, S. 66 – 83. o. A., Ueber die Einführung des Schicksals. Erstes Fragment, S. 107. Ders., Ueber die Einführung des Schicksals. Fortsetzung des ersten Fragments, S. 119. Ders., Ueber die Einführung des Schicksals. Erstes Fragment, S. 107.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

Spielwerk bald von sich und trägt seinen eigenen Gipfel, seine eigene Krone empor, prunkt nur mit den Früchten bleibend und wahrhaft, die ihm gehören. Veredeln kann man ihn: aber aufdringen läßt er sich nichts.«27

Was Schiller dem Baum des Zeitgeistes angeblich aufzupfropfen versucht hatte, war die Idee, dass die Tragödie nicht die Schaubühne aktiver, empfindender und handelnder Helden, sondern die eines böswilligen Schicksalswesens sein sollte, das die Protagonisten zu »willenlosen Automaten« und »Puppen« degradiere und sie »nach seinen tirannischen, grundlosen Beschlüssen lenkt und zerrt und zertrümmert«.28 Der Marionetten-Vorwurf wurde auch von zahlreichen anderen Rezensenten vorgebracht. Es fehle in der »Braut von Messina« schlichtweg an einer selbstständigen Aktivität der Charaktere. Es sei die alleinige Kraft des Schicksals, die wie ein Faden die Glieder einer Puppe nach Willkür in Bewegung setze, so ein anonymer Autor in der Musikzeitschrift »Apollon«.29 Und Friedrich Heinrich Jacobi, der sich ja schon im Pantheismusstreit in den 1780er-Jahren mit Händen und Füßen gegen die Legitimität des Schicksalsgedankens gewehrt hatte, beklagte sich gegenüber Elise Reimarus (1735 – 1805): »Alle Personen in diesem Stück handeln nicht, sondern werden gehandelt; ein grauses Schicksal thut alles. […] Alles ist nur Gestalt, nicht der Sache, sondern der Gestaltung. Welch ein ekelhafter Spuk aus zusammengemischter Hölle und Himmel diese ganze Braut!«30 Die Heftigkeit dieser Vorwürfe zeigt sehr deutlich, dass es in diesem Streit um weit mehr ging als um Fragen der Ästhetik und Tragödientheorie. In einem dem Fortschrittsdenken verhafteten Geschichtsmodell, das die sukzessive Überwindung des Schicksalsglaubens zugunsten eines universalen Freiheitsverständnisses implizierte, musste »Die Braut von Messina« von aufgeklärten Zeitgenossen als eklatanter Rückschritt empfunden werden. Der Schicksalsgedanke passte weder zur Zeit und Kultur noch zur Religiosität der Deutschen am Beginn des neuen Jahrhunderts. Schiller hatte versucht, etwas zusammenzubringen, das nicht zusammengehörte, und damit nicht nur gegen die Regeln der Kunst, sondern auch gegen die Regeln der Natur verstoßen. Stattdessen wurde ein Theater verlangt, welches das echte Leben und den wahren Glauben der Deutschen auf die Bühne brachte und damit ein Spiegelbild der Natur sein konnte.31 Und in dieser Natur hatte das Schicksal – als Bestandteil eines fremden Glaubenssystems – nichts verloren: 27 28 29 30 31

Ebd. Ebd., S. 108. o. A., Ueber Schillers Braut von Messina, S. 88. Jacobi, Brief an Elise Reimarus vom 10. 10. 1803, S. 359. o. A., Ueber die Einführung des Schicksals. Schluß, S. 123; Klingemann, Nachlese, S. 941.

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Friedrich Schillers »Braut von Messina«: Das erste moderne Schicksalsdrama?

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»Um das tragische Schrecken über seine Zuschauer zu bringen, ruft er [Schiller, F. R.] ein blindes Schicksal heran, das für die Neuern ein Unding ist. […] Ein Dichter, der zugleich so ein trefflicher Kritiker ist, wie er, sollte doch den Unterschied zwischen Zeiten, Sitten und Völkern richtiger ins Auge fassen, als die excentrischen Kunstjünger, die sich durch ihr loses Geschwätz über Griechen und Griechheit ein Ansehen zu geben meinen.«32

Doch wer waren eigentlich die, die sich in ihrer Empörung über Schiller als die »Neuern« gerierten?33 Und wer verbarg sich hinter den graecophilen »Kunstjüngern«? Vieles spricht dafür, dass sich an der »Braut von Messina« ein literarischer und mentaler Epochenumbruch abzeichnete, in dem die aufgeklärte Gesellschaft mitsamt ihrem eingehegten Schicksalsbegriff überwunden wurde. Dem zu diesem Zeitpunkt bereits vierundvierzig Jahre alten Friedrich Schiller gelang es zwar nicht, das etablierte Publikum von seinem neuen Drama zu überzeugen, dafür gewann er umso mehr die Gunst der heranwachsenden Generation. Dafür spricht eine kleine Episode, die sich im Umfeld der Weimarer Aufführungen der »Braut von Messina« ereignete: Nach der Aufführung des Stückes am 26. März 1803 wurde Friedrich Schiller von einigen Jenaer Studenten mit lauten Vivat-Rufen empfangen. In einem Brief an Christian Gottfried Körner (1756 – 1831) begründete Schiller diese Begebenheit einige Tage später mit der Einschätzung, dass der Eindruck des Stückes beim jüngeren Teil des Publikums »bedeutend und ungewöhnlich stark« gewesen sei.34 Auch in den einschlägigen Zeitschriften wurde vermerkt, dass solche Hochachtungsbezeugungen im Weimarer Hoftheater bislang einzigartig seien.35 Der Vorfall hatte jedoch ein Nachspiel. Herzog Carl August sah angesichts des ungebührlichen Verhaltens der jungen Männer die strenge Etikette des Weimarer Hoftheaters verletzt und erteilte dem Initiator durch den Garnisonskommandanten einen Verweis. Der Vorfall wurde der Öffentlichkeit durch die »Zeitung für die elegante Welt« bekannt gemacht.36 Doch deren Autor sprach sich, bei allem Verständnis für den Ärger des Herzogs, für die Studenten aus und führte den »Ausbruch von Enthusiasmus bei jungen Leuten« auf die »Ueberwältigung eines Schillerschen Schauspiels und [die] hohe Achtung für den Dichter« zurück.37 Wie war es denkbar, dass ein und dasselbe Stück bei der älteren Generation durchfallen konnte, während die jüngere für ihre Begeisterungsstürme sogar 32 Martyni-Laguna, Die Braut von Messina, S. 463 f. Ähnlich auch: Rt., Am 5ten Julius, S. 27 f. 33 Marie Elisabeth Biener spricht in ihrer Analyse der Rezensionen zur »Braut von Messina« davon, dass die Rezensenten vornehmlich dem aufgeklärten, häufig altphilologisch gebildeten Bürgertum angehörten: Dies., Die kritische Reaktion, S. 79. 34 Schiller, Brief an Christian Gottfried Körner vom 28. 03. 1803, S. 25. 35 o. A., Die Braut von Messina, von Schiller, S. 305; Böttiger, Schillers Braut von Messina, S. 209. 36 o. A., Fürstliche Schauspielverordnungen, S. 476; o. A., Berichtigung, S. 854. 37 o. A., Fürstliche Schauspielverordnungen, S. 476.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

eine polizeiliche Rüge in Kauf nahm? Augenscheinlich sahen sich die Studenten durch die »Braut von Messina« in einer Weise angesprochen, die auf dem Gefühl beruhte, dass Schiller mit seiner Braut eine adäquate Zeitbeschreibung geliefert hatte. In einer einzigen Rezension dieser Zeit wurde diesem Aspekt Rechnung getragen. Der Altphilologe Johann Ferdinand Delbrück (1772 – 1848) veröffentlichte am 2. April 1804 in der »Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung« eine ausführliche Rezension, in der er die Aussage der Schiller’schen Tragödie nicht nur in ihrer Allgemeingültigkeit betonte, sondern sie darüber hinaus auch als ein »rührendes Denkmal« der aktuellen Zeitumstände pries.38 In einem schier endlosen Katalog des Grauens entwarf Delbrück im Anschluss ein düsteres Bild der gegenwärtigen politischen Situation Europas und ihrer tiefgreifenden Auswirkungen auf die mentale Disposition der Bevölkerung, freilich ohne die konkreten Ursachen beim Namen zu nennen: »Denn, was wir in jenen schwarzen Tagen des Schreckens und Entsetzens erlebt haben: jene wüthenden Angriffe auf alle durch hohes Alter geheiligte Ordnungen der Gesellschaft, die Zertrümmerung so vieler Verfassungen, der Umsturz so vieler Reiche, die schmähliche Erniedrigung so vieler Hohen; der tiefe bejammerungswürdige Fall so vieler Könige und Fürsten; jene langen und blutigen Kämpfe, durch die raschesten Glückswechsel für Siegende und Besiegte gleich verderblich; die Drangsale so vieler Völker, die Beängstigungen so vieler Familien, die ohne die Schuld zu theilen, das allgemeine Elend theilten; und was gräulicher als alles, die äusserste Zerrüttung in den Gemüthern, der Groll, die Zwietracht, das Misstrauen in dem Innersten der Häuser, die tückische Verfolgung der Tugend, der Frömmigkeit, jeglichen Verdienstes […], die schnöde Verspottung des Rathes der Weisen, der zur Tagesordnung gewordene Wahnsinn, von welchem Herrscher und Beherrschte hingerissen, den tausend und abertausend-stimmigen Zuruf: Lernet gewarnt recht thun, und nicht missachten die Götter, verhörend, über ihr eignes Ziel wild hinaustaumelten, ihren eignen Zwecken wie Rasende entgegenarbeiteten, verderbten, was sie retten, erhielten, was sie zerstören wollten […].«39

Die Apokalypse, die Delbrück hier beschrieb, entsprach den Empfindungen und Einschätzungen eines Großteils der deutschen Bevölkerung. Im Gefolge der Französischen Revolution und des Napoleonischen Feldzuges über Europa war der Kontinent tatsächlich in seinen Grundfesten erschüttert worden, und zwar nicht allein in seiner politischen Struktur, sondern auch in seinem gesellschaftlich-moralischen und religiösen Wertesystem. Die Legitimität durch Tradition, wie sie Staat, Gesellschaft und Kirche gleichermaßen beansprucht hatten, war durch die Zustände in Frankreich und ihre Auswirkungen auf ganz Europa zerstört worden.40 Den Bezug zur »Braut von Messina« stellte Delbrück 38 Delbrück, Schöne Künste, S. 5. 39 Ebd., S. 5 f. 40 Siehe dazu ausführlich Kap. 5.1.

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Friedrich Schillers »Braut von Messina«: Das erste moderne Schicksalsdrama?

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nun folgendermaßen her : Schiller hatte in seiner Tragödie die Handlung von einem unbestimmten Schicksal leiten lassen, einer Gottheit, die jeden Frevel ahndete, aber in ihrer Rache zwischen Schuldigen und Schuldlosen nur selten unterschied. Diese Darstellung entspreche genau dem Eindruck, den »der Gang der menschlichen Angelegenheiten« auch in der Realität hervorrufe. Immer wieder würde ein Schuldiger Tausend Unschuldige mit in das Verderben reißen. Gerade die jetzigen Zustände in Europa bestärkten den Eindruck von dieser »ewigen Ordnung der Dinge, die wir anbetend verehren müssen.«41 Unwillkürlich dränge sich beim Blick auf die Gegenwart »das uralte Bild von einem starken und eifrigen Gotte [auf], der die Sünden der Väter heimsucht an den Kindern bis in’s dritte und vierte Glied, von einer Ate, die auf den Häuptern der Menschen umherwandelnd, nach Willkür jeden bethöret, und in schwere Schuld verstrickt.«42 Das Schicksalsbild, das Delbrück hier zeichnete, war also kein bloßes ästhetisches Konstrukt. Die Schicksalsgottheit als strafende Nemesis, als verblendende Ate, als rachsüchtiger alttestamentarischer Gott war damit in der Wirklichkeit, behauptete ihren Platz im Hier und Jetzt. Und deswegen wurde die »Braut von Messina«, die der Weimarer Hofgesellschaft in dieser Aussage geradezu blasphemisch erschien, dem Rezensenten der »Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung« und mit ihm wahrscheinlich der jüngeren Generation ein treffender Spiegel von Naturordnung und Gesellschaft. Schillers besonderes Verdienst sei es, nicht allein bei der Spiegelfunktion stehengeblieben zu sein, sondern durch die poetische Überhöhung des Schicksalsgedankens dem Publikum »eine Freystatt« eröffnet zu haben, »wohin wir fliehen können, wenn uns um Trost bange wird«, und man angesichts einer ungewissen Zukunft zusammenzubrechen drohe.43 Mit diesem Eindruck seines Rezensenten hatte Friedrich Schiller durch die »Braut von Messina« das erreicht, was er bereits vor der Entstehung der Tragödie als eigentliches Ziel seines dramatischen Schaffens formuliert hatte.

Das moderne Theater als Impfstätte des Schicksals Schillers tragödientheoretische Überlegungen sind in einem breiten Diskurs zur grundlegenden Reform von Repertoire und Darstellung im deutschen Theater um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zu verorten. Unter den Literaturschaffenden dieser Zeit war es Konsens, dass die deutsche Bühne erneue41 Ebd., S. 5. 42 Ebd., S. 6. 43 Ebd.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

rungsbedürftig war, wenn sie den Ansprüchen und Bedürfnissen der Zeit gerecht werden wollte. Das Theater der Aufklärung und die dramatischen Versuche der Revolution galten als inadäquat für die Verwirklichung eines Theaters, das als moralische Erziehungsanstalt einen genuin aufklärerischen Anspruch vertrat.44 Ausschlaggebend für den Willen zur Reform war das wachsende Bewusstsein, als Kulturnation durch das Drama eine spezifische Form der Identität stiften zu können, die Deutschland vor den anderen europäischen Nationen auszeichnete.45 Es fehlte nicht an zahlreichen Versuchen der Umorientierung: In der Ausrichtung am dramatischen Schaffen William Shakespeares (1565 – 1616) wurde ebenso ein Ausweg gesucht wie in der Rückbesinnung auf die antiken Tragödien, die »als bisher unübertroffener Höhepunkt einer ästhetisch wirksamen und ethisch verantwortlichen Kunst«46 angesehen wurden. Schriftsteller wie Ludwig Tieck (1773 – 1853) hingegen suchten Vorbilder in der christlichromantischen Literatur des deutschen Mittelalters. Das Produkt solcher Überlegungen waren nicht nur zahlreiche experimentelle Dramen der Weimarer Klassiker und der Jenaer frühromantischen Schule,47 sondern auch eine Fülle dramenästhetischer Schriften, die trotz aller Divergenzen in der Umsetzung in dem Ziel einig waren, dass es galt, ein modernes Theater zu erschaffen, das die Gesellschaft nicht nur ästhetisch, sondern auch moralisch erziehe. Allen Beteiligten war bewusst, dass es dabei nicht darum gehen konnte, Tragödienkonzepte der Vergangenheit zu revitalisieren, um sie dann unverändert im zeitgenössischen Theater unterzubringen.48 So schrieb Friedrich Schiller am 26. Juli 1800 an Johann Wilhelm Süvern (1775 – 1829): »Ich theile mit Ihnen die unbedingte Verehrung der Sophokleischen Tragödie, aber sie war eine Erscheinung ihrer Zeit, die nicht wiederkommen kann, und das lebendige Produkt einer individuellen bestimmten Gegenwart einer ganz heterogenen Zeit zum Maaßstab und Muster aufdringen, hiesse die Kunst, die immer dynamisch und lebendig entstehen und wirken muß, eher tödten als beleben. Unsre Tragödie wenn wir eine solche hätten, hat mit der Ohnmacht, der Schlaffheit, der Charakterlosigkeit des Zeitgeistes und mit einer gemeinen Denkart zu ringen, sie muß also Kraft und Charakter zeigen, sie muß das Gemüth zu erschüttern, zu erheben, aber nicht aufzulösen suchen. Die Schönheit ist für ein glückliches Geschlecht, aber ein unglückliches muß man erhaben zu rühren suchen.«49

44 45 46 47

Endres, Nathan entzaubert, S. 7 f. Schulz, Das Zeitalter der Französischen Revolution, S. 457. Ebd., S. 458. Siehe zur Gleichzeitigkeit und zum Antagonismus von Klassik und Romantik im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts: Stockinger, Dramaturgie der Zerstreuung, S. 199 – 225; Behler, Der Antagonismus, S. 283 – 292. 48 Schulz, Das Zeitalter der Französischen Revolution, S. 457. 49 Schiller, Brief an Johann Wilhelm Süvern vom 26. 07. 1800, S. 177.

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Friedrich Schillers »Braut von Messina«: Das erste moderne Schicksalsdrama?

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Bei diesen Diskussionen, an denen sich neben Schiller insbesondere Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832) als Direktor des Weimarer Hoftheaters, Ludwig Tieck (1773 – 1853) und die Brüder Friedrich (1772 – 1829) und August Wilhelm Schlegel (1767 – 1845) beteiligten, geriet auch der Schicksalsbegriff immer wieder in den Fokus. Im Drama kam dem Schicksal, wie auch immer es gedacht wurde, eine entscheidende Stellung zu. So waren sich zumindest Schiller und Goethe aus verschiedenen Gründen darüber einig, dass im Roman der Zufall, im Drama hingegen das Schicksal den entscheidenden Anteil am Fortgang der Handlung haben müsse.50 Und auch August Wilhelm Schlegel sah den Kern jeder idealistischen Definition der Tragödie im Widerstreit von individueller Selbstbestimmung und Schicksal.51 In diesem Kontext beschäftigte sich Schiller intensiv mit einer Neuausrichtung des deutschen Schauspiels und versuchte dabei, Erkenntnisse aus der Beschäftigung mit dem antiken Drama, der Philosophie Kants und den aktuellen Diskussionen über klassische Dramenästhetik fruchtvoll miteinander zu verbinden,52 ähnlich wie wir es bereits bei Heinrich Gros gesehen haben. Insbesondere in seinen Schriften »Vom Erhabenen« und »Ueber das Erhabene« unternahm er den Versuch einer theoretischen Fundierung dramatischen Schaffens über die Wirkung, welche die Tragödie beim Zuschauer idealerweise evozieren sollte. Schiller entwickelte in beiden Schriften in Anlehnung an Kants »Kritik der Urteilskraft«53 eine Theorie des Erhabenen, die im Endeffekt die innere, vernünftige Befreiung des Subjekts vom notwendig erscheinenden Zwang der Natur zum Thema hatte und für die der Schicksalsbegriff deshalb zentral war. Wegweisend für dieses Programm waren schon die Anfangssätze des ersten Aufsatzes: »Erhaben nennen wir ein Objekt, bey dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre Schranken, unsre vernünftige Natur aber ihre Ueberlegenheit, ihre Freyheit von Schranken fühlt; gegen das wir also physisch den Kürzern ziehen, über welches wir uns aber moralisch d. i. durch Ideen erheben. Nur als Sinneswesen sind wir abhängig, als Vernunftwesen sind wir frey.«54

In beiden Abhandlungen geht Schiller zunächst von einer prekären Position des Menschen in der Welt aus. Prinzipiell zur Freiheit geboren, als »Wesen, das 50 »Im Roman darf der Zufall mit handeln aber der Mensch muss dem Zufall eine Form zu geben suchen. Im Drama muss das Schicksal herrschen, und dem Menschen widerstreben u. s. f.« In: Ders., Brief an Christian Gottfried Körner vom 02. 06. 1795, S. 189. So auch: Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 331. 51 Jeßing, Im Wettstreit, S. 363; Behler, Die Theorie der Tragödie, S. 202 – 204. 52 Jeßing, Im Wettstreit, S. 360. 53 Kant, Critik der Urtheilskraft. 54 Schiller, Vom Erhabenen, S. 171.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

will«,55 ist er dennoch immer abhängig und damit in seinem Menschsein gefährdet. Die Abhängigkeit resultiert aus seiner Eigenschaft als ein Naturwesen, das sich einer steten Gefährdung durch seine Umwelt ausgesetzt fühlt und von ihr in zweifacher Hinsicht bedroht wird: Die Natur vermag die Grundlagen der Existenz des Menschen zu zerstören und wirkt so seinem Erhaltungstrieb entgegen, und sie kann ihn am Erkenntnisfortschritt hindern und spottet damit seinem Vorstellungstrieb.56 Auf seine Physis bezogen ist der Mensch den zahlreichen Naturkräften immer unterlegen; den letzten Beweis dafür gibt der unvermeidbare Tod, der »den ganzen Begriff des Menschen aufheb[t]«.57 Insofern erscheint Schiller die Natur selbst als Gewalt, in deren Belieben es steht, den Menschen zu bewahren oder zu vernichten.58 Die strukturierenden Prinzipien, die diesen Bedingungen zugrunde liegen, sind für den Menschen kaum durchschaubar. Sie entziehen sich seinem Verstand, der überall eine Harmonie zu finden bestrebt ist, und stellen gerade keinen »weisen Plan« und keine »gute[.] Wirthschaft« dar. Die Natur ist vielmehr die Inkarnation des »gesetzeslosen Chaos«, eine »kühne Unordnung«, in welcher der »tolle Zufall« regiert und die wild und ungebunden ist.59 Dem Menschen gegenüber äußert sich diese allen Regeln des Verstandes spottende Natur60 in der Abwesenheit moralischer Ordnung. Glück und Unglück werden nicht nach Verdienst und Schuld verteilt, die Schöpfungen der Weisheit werden in den Staub getreten, das Wichtige und Edle wird in den Untergang mitgerissen. »[…] dieser Abfall der Natur im großen von den Erkenntnisregeln, denen sie in ihren einzelnen Erscheinungen sich unterwirft, macht die absolute Unmöglichkeit sichtbar, durch Naturgesetze die Natur selbst zu erklären […].«61 So hat »das unendliche Spiel der Erscheinungen« weder Zweck noch Ziel,62 es gründet sich lediglich auf einer Ursache-Wirkungs-Kausalität63 und macht die Natur dadurch zur »Nothwendigkeit«. Durch diese antiteleologische, kausale Konzeption wird die Natur für Schiller zum Inbegriff des Schicksals, das er über den Zufall zu erklären vermag.64 Als Sinneswesen hat der Mensch dem Schicksal nichts entgegenzusetzen.65

55 56 57 58 59 60 61 62 63 64

Ders., Ueber das Erhabene, S. 38. Ders., Vom Erhabenen, S. 171 f. Ders., Ueber das Erhabene, S. 38. Ders., Vom Erhabenen, S. 173. Ders, Ueber das Erhabene, S. 48. Ebd., S. 50. Ebd. Ebd., S. 48. Ebd., S. 45. Diese Deutung teilt auch Roger Bauer, wenn er »das große gigantische Schicksal, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt«, als das alte Konzept der »Fortuna«

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Friedrich Schillers »Braut von Messina«: Das erste moderne Schicksalsdrama?

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Doch Schiller öffnet in dieser ausweglosen Situation das Tor zur Freiheit. Denn das Gefühl des Ausgeliefertseins ist der Ausgangspunkt dafür, sich mit der Vernunft, also moralisch, über das Schicksal zu erheben. Aus der Welt der Erscheinungen wird das Gemüt unwiderstehlich in die Welt der Ideen getrieben.66 Schiller beschreibt diesen Akt auch als eine Handlung, welche die Gewalt, die der Mensch erleiden muss, dem Begriff nach vernichtet. »Eine Gewalt dem Begriff nach vernichten, heißt aber nichts anderes, als sich derselben freywillig unterwerfen.«67 In Analogie zur Stoa und zur christlichen Religion spricht Schiller in diesem Zusammenhang auch von einer »Resignation in die Nothwendigkeit« und von der »Ergebung in den göttlichen Rathschluss«,68 die zu einer moralischen Überhebung über die unbeherrschbaren Vorgänge der Natur verhelfen. In dem Moment der Unterwerfung wird die Handlung der Gewalt zu einer Handlung des Menschen selbst, weil er sich ihr freiwillig hingibt und seinen eigenen Willen dabei behaupten kann. Er negiert durch diesen Akt die Zwangsläufigkeit der Natur, er kann die Ursache-Folge-Kette unterbrechen und entwickelt ein absolut moralisches Vermögen, welches an keine Natur-Bedingung mehr gekoppelt ist.69 Gleichzeitig wird die Welt der physischen Erscheinungen, ja der Mensch als sinnliches Wesen selbst unwichtig und quasi irreal. So fordert Schiller : »[…] und bloß darinn muß unsre Freyheit bestehen, daß wir unsern physischen Zustand, der durch die Natur bestimmt werden kann, gar nicht zu unserm Selbst rechnen, sondern als etwas auswärtiges und fremdes betrachten, was auf unsere moralische Person keinen Einfluß hat.«70

Insofern ist der Kampf mit dem Schicksal immer auch ein Kampf des Menschen mit sich selbst, ein Kampf zwischen Natur und Verstand, zwischen Sinnlichkeit und Geist.71 »Sich moralisch zu entleiben« bleibt die einzige Möglichkeit, um in jenen Situationen zu bestehen, »wo das Schicksal alle Aussenwerke ersteigt, auf die er [der Mensch, F. R.] seine Sicherheit gründete«.72 Die Freiheit, die sich darin äußert, ist die Emanzipation von der physischen Gebundenheit an die Naturnotwendigkeit. Der Schrecken vor der Größe der Naturgewalt wird zur Erkenntnis der eigenen inneren Größe.73

65 66 67 68 69 70 71 72 73

identifiziert, »welche die Maske des Fatums trägt, aber wie sie seit jeher machtlos bleibt gegen den tugendhaften und weisen Helden.« Ders., ›Das gemißhandelte Schicksal‹, S. 259. Schiller, Vom Erhabenen, S. 180. Ders., Ueber das Erhabene, S. 50. Ebd., S. 39. Ebd. Ebd., S. 45. Schiller, Vom Erhabenen, S. 184. Balhar, Das Schicksalsdrama, S. 56. Schiller, Ueber das Erhabene, S. 51. Ebd., S. 46.

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Diese Möglichkeit zur Befreiung, zur Erhebung des Subjektes über die physische Natur macht den Menschen erst zum Menschen. Die Kunst nun ermöglicht den Vollzug dieses Befreiungsaktes, indem sie die Situationen versinnbildlicht, in denen die moralische Überwindung der Unfreiheit Gestalt gewinnen kann. Das Theater ist die Bühne, auf welcher der Kampf des Menschen mit dem Schicksal schonungslos dargestellt wird. Der Mensch der Tragödie muss dem Verhängnis ›Aug in Aug‹ gegenüber stehen, er muss dem Zwang der Verhältnisse erliegen,74 er muss leiden: »Nicht in der Unwissenheit der uns umlagernden Gefahren […] nur in der Bekanntschaft mit denselben ist Heil für uns. Zu dieser Bekanntschaft nun verhilft uns das furchtbar herrliche Schauspiel der alles zerstörenden und wieder erschaffenden, und wieder zerstörenden Veränderung – des bald langsam untergrabenden, bald schnell überfallenden Verderbens, verhelfen uns die pathetischen Gemählde der mit dem Schicksal ringenden Menschheit, der unaufhaltsamen Flucht des Glücks, der betrogenen Sicherheit, der triumphirenden Ungerechtigkeit und der unterliegenden Unschuld, welche die Geschichte in reichem Maaß aufstellt, und die tragische Kunst nachahmend vor unsre Augen bringt.«75

Durch Nach- und Mitempfinden der Angst, des Leidens und der Empörung wird letztlich der Erhaltungstrieb der Zuschauer angeregt und damit der Anstoß zur moralischen Selbstbefreiung gegeben.76 In der Vorrede zur »Braut von Messina« schreibt Schiller darüber : »Die wahre Kunst aber hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen, es ist ihr ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der That frei zu machen.«77 Die Transformation, die sich hier vollzieht, ist das Produkt der Erkenntnis des Erhabenen.78 An anderer Stelle hat Schiller den Akt der moralischen Befreiung noch weiter spezifiziert. In der Schrift »Ueber die tragische Kunst« von 1792 geht er auf die Unterschiede zwischen seiner Tragödienkonzeption und dem altgriechischen Drama ein. Die attische Bühne bleibe bei der Resignation stehen. Im Endeffekt unterwerfe sich der Mensch hier geradezu blind dem Schicksal, es werde an die Notwendigkeit appelliert, ohne der Vernunft einen Weg aus der Unfreiheit zu zeigen. Doch das demütige den Menschen und hinterlasse nichts als »Unzufriedenheit mit dem Schicksal«.79 Die Tragödie, die Schiller vorschwebte, musste 74 75 76 77 78

Schiller, Ueber die tragische Kunst, S. 155. Ders., Ueber das Erhabene, S. 52. Ders., Vom Erhabenen, S. 179. Ders., Ueber den Gebrauch des Chors, S. 8. »Das Erhabene ist also die Wirkung dreyer auf einander folgender Vorstellungen: 1) einer objektiven physischen Macht, 2) unsrer subjektiven physischen Ohnmacht, 3) unsrer subjektiven moralischen Uebermacht.« Ders., Vom Erhabenen, S. 186. 79 Ders., Ueber die tragische Kunst, S. 157.

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Friedrich Schillers »Braut von Messina«: Das erste moderne Schicksalsdrama?

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weit darüber hinausgehen und darum etwas ganz anderes sein als die bloße Wiederbelebung des altgriechischen Dramas. Im moralischen Befreiungsakt, der sittlichen Überhebung über die sinnliche Welt, verliere sich das Chaos der Natur und lasse sich in eine »vollkommenste Zweckmäßigkeit im großen Ganzen« einbetten. Der widrige und demütigende Einzelfall löse sich von dieser Warte aus »in der großen Harmonie« auf. Und diese Harmonie erschien Schiller nun doch wieder als eine »teleologische Verknüpfung der Dinge«, die von einem »gütigen Willen« herrühre.80 Das war das Programm der »ästhetischen Erziehung«81 des Publikums, wie es Schiller vorschwebte. Dass der Schicksalsgedanke hier eine zentrale Rolle einnahm, ist unübersehbar. Dieser stand jedoch im krassen Gegensatz zu den Schicksalsvorstellungen, die wir für das 18. Jahrhundert kennengelernt haben und die auch Schillers aufgeklärten Zeitgenossen noch deutlich vor Augen standen. In seiner Tragödientheorie entwickelte Schiller ein Schicksalskonzept, das die Gesetzlosigkeit der Natur zum Naturgesetz erhob. Auch wenn ihm die kausale Verknüpfung von Ursache und Wirkung und damit die Notwendigkeit als die bestimmenden Prinzipien der Natur galten, waren diese doch weit davon entfernt, dem Lauf der Dinge eine geordnete Struktur zu geben. Das Schicksal gebar nach dieser Vorstellung Chaos und Willkür und war dabei unvermeidlich. Doch gleichzeitig konnte es ohne die Erkenntnis des Schicksals keine menschliche Freiheit geben. Schiller wollte mit dieser Sicht der Dinge den uralten Antagonismus von Freiheit und Determination versöhnen. Indem er den Zwang durch das Schicksal nur der physischen, sinnlichen Welt zuschrieb, schuf er einen Raum der sittlich-moralischen Freiheit der Vernunft, dem das Schicksal nichts anhaben konnte. Der eine konnte ohne die andere freilich nicht existieren. So wurde der Mensch nach Schillers Ermessen erst durch das Schicksal zum Freiheitskämpfer geboren. Sich den Zwang des Schicksals zu eigen zu machen und ihn damit dem eigenen Willen einzuverleiben, das war Schillers Freiheitspostulat. Der damit verbundene Entwurf sollte auf der Bühne verwirklicht werden, die ein Modell der Natur mit all ihren Gefährdungen zu sein hatte. Nur hier konnte der Mensch anhand des Pathetischen wirklich lernen, frei und erhaben zu sein: »Das Pathetische, kann man daher sagen, ist eine Inokulation des unvermeidlichen Schicksals, wodurch es seiner Bösartigkeit beraubt, und der Angriff desselben auf die starke Seite des Menschen hingeleitet wird.«82

80 Ebd. 81 Ders., Ueber das Erhabene, S. 52. 82 Ebd., S. 51.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

Die uneingestandene Schuld und das rächende Schicksal Das Drama Die »Braut von Messina oder Die feindlichen Brüder« galt Schiller selbst, vor den zahlreichen Angriffen seiner Kritiker, als das Werk, in dem er seine dramentheoretischen Überlegungen am ehesten verwirklicht zu haben glaubte.83 Bei der Uraufführung in Weimar am 19. März 1803 hatte er in den letzten Szenen gegenüber seiner Schwägerin Caroline von Wolzogen (1763 – 1847) geschwärmt: »Das ist nun doch wirklich ein Trauerspiel«84 und bestätigte diesen Eindruck noch einmal in einem Brief an Christian Gottfried Körner : »Was mich selbst betrifft, so kann ich wohl sagen, daß ich in der Vorstellung von der ›Braut von Messina‹ zum erstenmal den Eindruck einer wahren Tragödie bekam.«85 Schon während der Arbeiten an dem Stück war Schiller davon überzeugt, dass er nahe davor stehe, eine vollendete Symbiose von antikem Drama und moderner Tragödie zu erschaffen und damit das deutsche Theaterleben zur revolutionieren.86 Es gilt zu untersuchen, wie sich der in der Dramentheorie formierte Schicksalsbegriff in der »Braut von Messina« materialisierte. Wir haben es im Drama mit einem Fall des »unauffälligen« Schicksals zu tun, einer Verarbeitung des Begriffs, die sich eher implizit als explizit vollzieht und sich häufig hinter Begriffen wie Los, Geschick und Glück verbirgt. Schon vorab lässt sich feststellen: Die Schicksalsthematik taucht im Stück in zweierlei Hinsicht auf. Zum einen wird das Schicksal von den Dramenfiguren selbst immer als Deutungskategorie für das Erlebte erwähnt, angerufen oder angeklagt. Das Schicksal wird damit zu einem Akteur, indem es durch die Assoziationen der Protagonisten in die Handlung inkorporiert wird. Das äußert sich beispielsweise in der Personifizierung des Schicksals durch seine Vergöttlichung. Auf einer zweiten Ebene bildet das Schicksal die Struktur der dramatischen Handlung,87 ist also zumindest vordergründig die vom Autor eingesetzte Ordnung, die dem Stück zugrunde liegt. »Das Schicksal zeigt seine Macht, indem es 83 Im Gegensatz zu dieser optimistischen Selbsteinschätzung sieht die moderne Literaturwissenschaft in der »Braut von Messina« das »Sorgenkind« in Schillers dramatischem Schaffen: Adam, Das Experiment, S. 40. 84 Zit. n.: Schiller, National Ausgabe, Bd. 42 (1967), S. 349. 85 Ders., Brief an Christian Gottfried Körner vom 28. 03. 1803, S. 25. 86 Ders., Brief an Christian Gottfried Körner vom 15. 11. 1802, S. 303. 87 »Das ganze weitere Geschehen auf der Bühne steht im Zeichen der Nemesis.« Adam, Das Experiment, S. 49. Gegen diese Deutung argumentiert: Müller, Reflexion, S. 227 f.: »Schiller motiviert von Anfang an sozialpsychologisch, nicht im Sinne eines objektiven Verhängnisses […]. Der Verlauf der Handlung […] ist folgerichtig im Sinne der Motivation, aber er ist nicht schicksalshaft. Das Verhängnis folgt aus einem vermeidbaren, wenngleich immer wieder begründeten Mangel an Information. In jeder Phase des Geschehens wäre eine Aufklärung möglich.« Es bleibt die Frage, ob nicht gerade das Ausbleiben der Aufklärung auf einen schicksalhaften Verlauf der Dramenhandlung hindeutet.

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Friedrich Schillers »Braut von Messina«: Das erste moderne Schicksalsdrama?

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Situationen tragischer Ironie herbeiführt, indem es, wie selbstverständlich, mit Unwahrscheinlichkeiten spielt und Zufälle aufbietet, ohne die das Verhängnis nicht seinen Lauf nehmen könnte […].«88 In dieser Funktion erfüllt der Schicksalsbegriff die theoretischen Erfordernisse der Dramaturgie. Beide Ebenen verschränken sich in der Ahnung der Charaktere, dass das Lebensstück, in dem sie »mitspielen«, von etwas bestimmt wird, das über ihnen waltet, aber kaum fassbar ist. Schiller behandelt in der »Braut von Messina« die zentrale Frage nach dem richtigen Umgang mit der Macht des Schicksals angesichts einer akkumulierten Schuld.89 Gemäß seiner Tragödientheorie stellt er in den Charakteren den Kampf der Menschheit mit einem Schicksal dar, das an sich unausweichlich ist, aber überwunden werden kann, wenn man sich freiwillig seinen Entschlüssen ergibt. Die dramatische Konstellation erscheint deshalb zunächst ausweglos und steuert der Katastrophe entgegen, in der zum Schluss jedoch die Verwirklichung des Schicksalswillens mit der Selbstbefreiung des Menschen zusammenfällt. Schiller verortet das Drama im mittelalterlichen Messina, dem »Tor Siziliens«, das in seiner wechselvollen Geschichte zum Ort des Synkretismus verschiedener Religionen werden konnte. So weist Schiller im Vorwort zur Tragödie explizit darauf hin, dass Christentum, Islam und griechische Götterlehre in seinem Werk nicht nur vollkommen selbstverständlich nebeneinander existieren, sondern sich sogar vermischen, und das Produkt dieser Synthese als Abbild einer allgemeinen Menschheitsreligion angesehen und behandelt werden kann.90 In diesem Messina bricht nach dem Tod des Fürsten ein Bürgerkrieg aus, dessen Ursache der unstillbare Hass zwischen den beiden erwachsenen Fürstensöhnen ist. Der Stadt droht aufgrund des Streites der Untergang, und es wird angesichts feindlicher äußerer Mächte zum Gebot der Stunde, den Bruderhass beizulegen. Isabella, die Fürstin Messinas, tritt als Vermittlerin zwischen ihren Söhnen auf und arrangiert die Versöhnung von Don Manuel und Don Cesar im väterlichen Schloss. Der neue Frieden wird mit der Enthüllung eines wohlgehüteten Familiengeheimnisses besiegelt: Isabella will die beiden Brüder noch am selben Tag mit ihrer Schwester bekannt machen, die sie aufgrund zweier sich widersprechender, orakelhafter Träume91 in einem Kloster hat verborgen aufziehen lassen, zur Befestigung des neuen Friedens nun aber zurück in die Familie holen lassen will. Durch dieses freudige Bekenntnis ihrer Mutter machen Don Manuel und Don Cesar ihrerseits zukunftsweisende Enthüllungen. Beide 88 Oellers, Ein Versuch, S. 154. 89 Zum Schuldgedanken in der »Braut von Messina« siehe: Benthien, Tragödie der Scham, S. 49 – 56. 90 Schiller, Ueber den Gebrauch des Chors, S. 14. 91 Ders., Die Braut von Messina, S. 859.

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Söhne berichten von ihren baldigen Hochzeitsabsichten, sodass Isabella hofft, an einem Tag gleich mit drei »blühnde[n] Töchter[n]« beschenkt zu werden.92 Was die Beteiligten zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen: Beide Brüder haben sich unwissentlich in die ihnen unbekannte Schwester Beatrice verliebt, die so, das Orakel erfüllend, zur Ursache für das nun seinen Lauf nehmende Unglück wird. Die doppelte »Braut von Messina«, geflohen aus ihrem klösterlichen Versteck, wird in der Erwartung ihres Geliebten Don Manuel von den Anhängern Don Cesars aufgespürt und zur umkämpften Person der Gefolgschaften der beiden Brüder. Ihrer Mutter wird derweil die Nachricht überbracht, dass Beatrice von Piraten geraubt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt ahnt Don Manuel bereits, dass er selbst die Ursache für den schmerzlichen Verlust ist. In der Hoffnung, dem Missverständnis auf die Spur zu kommen, eilt er zu Beatrices Versteck. Den unheilvollen Kern seiner Liebe sieht er im Gespräch mit ihr bestätigt: Isabella ist ihre gemeinsame Mutter. Als sich die nichtsahnende Beatrice in grenzenlosem Vertrauen an Don Manuel schmiegt, werden sie von Don Cesar überrascht, der seinen Bruder in blinder Eifersucht niedersticht. Isabella, Beatrice und Don Cesar treffen anschließend im Schloss aufeinander, wo die fatale Situation offensichtlich wird. Don Cesar erfährt, dass er irrtümlicherweise seine Schwester zu seiner Braut machen wollte, die Ermordung seines Bruders also vollkommen unberechtigt und sinnlos war. Er beschließt sein Verbrechen durch Selbstmord zu sühnen und erfüllt damit die Prophezeiung vom Untergang des messinischen Herrschergeschlechts. Das dramatische Geschehen ähnelt von seiner Anlage her den sophokleischen Tragödien:93 Ohne böse Absichten verstricken sich die Protagonisten in Widersprüche, die aus scheinbar zufälligen Konstellationen erwachsen, und wollen einem Schicksal – hier konkretisiert durch diverse Orakelsprüche und prophetische Träume – entfliehen, das sie durch alle ihre Taten zu erfüllen helfen. Dieser Entwicklung liegt ein grundlegendes Missverhältnis von Schuldbewusstsein, Schicksalswahrnehmung und Schicksalsanrufung zugrunde. In Isabella, Beatrice, Don Manuel und Don Cesar präsentiert Schiller vier Protagonisten, die im Laufe der Tragödie in der bloßen Wahrnehmung der gesetzlosen Wirklichkeit steckenbleiben, indem sie im Lauf der Dinge nur eine ziellose Verkettung von Ereignissen erkennen, die von bösen Mächten willkürlich über sie verhängt wurde. Keiner von ihnen durchschaut die Zweckhaftigkeit der Begebenheiten, und jeder verkennt deshalb den eigenen schuldhaften Anteil an der tragischen Entwicklung. Wenn die Protagonisten eine Ahnung ihrer 92 Ebd., S. 862. 93 Günter Oesterle hat noch einmal zusammengefasst, dass ein genauer Vergleich der »Braut von Messina« mit antiken Tragödien Schillers Drama als genuin modern ausweist: Ders., Friedrich Schiller, S. 174.

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Schuld bekommen, dann versuchen sie diese ausnahmslos als aufgezwungen und ungewollt zu relativieren: Ihre Liebe und Flucht zu Don Manuel rechtfertigt Beatrice gegenüber ihrer Mutter mit den Worten: »Vergib, du Herrliche, die mich geboren, / Daß ich, vorgreifend den verhängten Stunden, / Mir eigenmächtig mein Geschick erkoren; / Nicht frei erwählt ichs, es hat mich gefunden.«94 Don Cesar erklärt seine Liebe zur unbekannten Schwester durch eine unentrinnbare äußere Kraft, der zu widerstehen ihm unmöglich gewesen sei: »Wahl, meine Mutter? / Ists Wahl, wenn des Gestirnes Macht den Menschen / Ereilt in der verhängnisvollen Stunde?«95 Und auch Don Manuel findet seine entflammte Liebe in diesem Gefühl angemessen beschrieben, auch wenn er mit dem Hinweis auf das plötzliche Verwandtschaftsempfinden gegenüber Beatrice unbewusst den Kern seines Unrechts ausspricht. »DON MANUEL. (mit Feuer einfallend) Das ist der Liebe heilger Götterstrahl, / Der in die Seele schlägt und trifft und zündet, / Wenn sich Verwandtes zum Verwandten findet, / Da ist kein Widerstand und keine Wahl; / Es löst der Mensch nicht, was der Himmel bindet.«96

Und ebenso, wie beide Brüder die Liebe als etwas darstellen, das über sie hereinbricht, ohne dass sie sich dessen erwehren können, geriert sich Don Cesar als Werkzeug des Schicksals, wenn er den Mord an seinem Bruder als Richterspruch des »gerechten Himmels« interpretiert.97 Die Schuld der drei Geschwister und ihrer Mutter manifestiert sich jeweils auf einer konkret individuellen und auf einer übergeordneten Ebene: Die unrechtmäßige Ehe Isabellas provoziert den Fluch, der den Ausgangspunkt der Familientragödie bildet. Es folgen Unehrlichkeiten, widernatürliche Geheimhaltungen, Ungehorsam gegenüber elterlichen Geboten, Impulsivität, Misstrauen, Zwang, Bruderhass und affektive Gewalt, in die alle Protagonisten verwickelt sind und die ein immer dichteres Netz der Schuld um sie weben. Auf einer überindividuellen Ebene besteht die Schuld aller Protagonisten deshalb darin, eigenmächtig den vorherbestimmten Gang der Ereignisse im eigenen Interesse beeinflussen zu wollen, dadurch dass sie ihn antizipieren, ihm zuvorkommen oder ihn umzulenken versuchen. So beeinflussen alle Personen die zukünftigen Ereignisse in ihrem Sinne, indem sie ohne Rücksicht auf die Interessen der anderen und ungeachtet aller moralischen Gebote ihr Geschick selbst erwählen. Die größere Schuld entsteht jedoch dadurch, dass sie gerade dieses egozentrische Handeln einem Schicksalswillen zuschreiben und sich dadurch der Verantwortung für die eigenen Taten zu entziehen versuchen. 94 95 96 97

Schiller, Die Braut von Messina, S. 853. Ebd., S. 863. Ebd., S. 864. Ebd., S. 875.

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Im Endeffekt jedoch wird aus dem proklamierten Schicksalswillen Realität. Das Bestreben, die Macht des Schicksals zu brechen, erweist sich als der zielstrebige Weg seiner Ermächtigung. Isabella, Beatrice, Don Manuel und Don Cesar bauen auf ihren selbstgewählten Umwegen unbewusst am Schicksalsgebäude mit. In ihrer Verblendung verkennen sie jedoch die Gesetzmäßigkeit, die sich dahinter verbirgt. Alles, was ihnen geschieht, die Kette von Unbill und Verbrechen, erscheint in ihren Augen als bloße Tücke des Zufalls, weil sie den eigenen Anteil am Geschehen nicht reflektieren: »ISABELLA. Wann endlich wird der alte Fluch sich lösen, / Der über diesem Hause lastend ruht? / Mit meiner Hoffnung spielt ein tückisch Wesen, / Und nimmer stillt sich seines Neides Wut. / So nahe glaubt ich mich dem sichern Hafen, / So fest vertraut ich auf den Glückes Pfand, / Und alle Stürme glaubt ich eingeschlafen, / Und freudig winkend sah ich schon das Land / Im Abendglanz der Sonne sich erhellen – / Da kommt ein Sturm aus heitrer Luft gesandt, / Und reißt mich wieder in den Kampf der Wellen.«98

Isabella fühlt sich wie alle Protagonisten als ein Spielball fremder Mächte, deren Absichten sie nicht zu durchschauen vermag, und denen sie nichts entgegenzusetzen hat. Und derweil sie versucht, den familiären Fluch durch die Naturmetaphorik im Allgemeinen aufzulösen, wird immer deutlicher, dass der Fluch nur das Produkt ihrer individuellen Schuld ist. Ihre ganze Verblendung bricht sich in der Szene Bahn, in der sie den ermordeten Don Manuel auf der Totenbahre erblickt. Beim Anblick ihres toten Sohnes wird sie von den Folgen ihres lebenslangen Versuches eingeholt, das Schicksal zu antizipieren und ihm in vorauseilendem Gehorsam Folge zu leisten.99 Doch wieder findet sie die Verantwortung dafür nicht bei sich, sondern bei den betrügerischen »Himmelsmächten«, die sich an ihre eigenen Orakel nicht zu halten scheinen. »ISABELLA. So haltet ihr mir Wort, ihr Himmelsmächte? / Das, das ist eure Wahrheit? Wehe dem, / Der euch vertraut mit redlichem Gemüt! / Worauf hab ich gehofft, wovor gezittert, / Wenn dies der Ausgang ist?«100

In geradezu wahnsinniger Wut leugnet sie jeden Sinn von Bitte und Gebet, von Weissagung und Orakel. Der »ehrne Himmel« ist mit menschlichen Mitteln weder zu durchschauen noch zu erreichen, »vermauert ist dem Sterblichen die Zukunft.«101 Mit der Verzweiflung und dem Unvermögen der Protagonisten, den Geschehnissen einen Sinn zuzumessen, lässt Schiller das Publikum jedoch nicht 98 99 100 101

Ebd., S. 868. Müller, Reflexion, S. 231. Schiller, Die Braut von Messina, S. 885. Ebd., S. 887.

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allein. Der begleitende Chor, als deutlichste Anlehnung Schillers an die antike Tragödie,102 ist es, der das individuelle Leid von einer höheren Warte aus betrachtet und damit ein übergeordnetes Prinzip repräsentiert, das die »ganze Handlung trägt und begleitet«.103 In seinem Vorwort zur »Braut von Messina« erläutert Schiller diesen Gedanken ausführlich: Der Chor wird zur Reflexionsinstanz, die das Gleichgewicht zwischen dem Idealen und dem Sinnlichen auf der Bühne garantiert. Er hebt die Vorgänge des Schauspiels damit auf eine höhere Ebene: Der Chor antizipiert die Konsequenzen gegenwärtiger Handlungen und gründet sie in Begebenheiten der Vergangenheit; er identifiziert die Schuld der Protagonisten, die diesen selbst nicht bewusst ist, deckt die ewigen Gesetze des Lebens als Schicksalsgesetze auf und vermag so Aussagen »über das Menschliche überhaupt« zu treffen.104 Das Publikum wird durch diese reinigende Reflexion in den Stand gesetzt, zwischen sittlichen und sinnlichen Elementen im Stück zu unterscheiden. Dadurch wird die Passion der Zuschauer in Bahnen gelenkt, die sie erst zur Befreiung von den Zwängen der Natur ermächtigen.105 Der Chor ist so das unentbehrliche Instrument für die Verwirklichung von Schillers ästhetischem Erziehungsprogramm, das die Macht des Schicksals zu brechen weiß und die Kernaussage der Tragödie für die tragischen Personen genau wie für das Publikum auf eine moralische Ebene transferiert. Konkret stellt der Chor der menschlichen Sicht auf die Welt ihre eigentlichen, aber verborgenen Gesetze gegenüber und enthüllt die vermeintliche Schicksalsmächtigkeit des Menschen als Selbstbetrug, so lange dieser seine eigene Position nicht reflektiert. Der Wunsch, das Glück zu erzwingen, muss zwangsläufig zu seinem Verlust führen. In einer großen allegorischen Reflexion weist der Chor am Beginn des Dramas auf diese Unplanbarkeit des Lebens hin. »ERSTER (MANFRED). […] Denn das Meer ist der Raum der Hoffnung / Und der Zufälle launisch Reich; / Hier wird der Reiche schnell zum Armen / Und der Ärmste dem Fürsten gleich. / Wie der Wind mit Gedankenschnelle / Läuft um die ganze Windesrose, / Wechseln hier des Geschickes Lose, / dreht das Glück seine Kugel um; / Auf den Wellen ist alles Welle, / Auf dem Meer ist kein Eigentum. DRITTER (CAJETAN). Aber nicht bloß im Wellenreiche, / Auf der wogenden Meeresflut, / Auch auf der Erde so fest sie ruht / Auf den ewigen alten Säulen, / Wanket das Glück und will nicht weilen.«106 102 Siehe ausführlich zur Funktion des Chores in der »Braut von Messina«: Wiethaupt, Ein fünfter Chor, S. 357 – 385. 103 Schiller, Ueber den Gebrauch des Chors, S. 15. Dieses gilt jedoch nur für den geeinten Chor. Wenn er in zwei Chöre geteilt ist, übernimmt er die Position der beiden Brüder und ist ebenso wie diese vollkommen in das Geschehen involviert. 104 Ebd., S. 13. 105 Ebd., S. 14. 106 Schiller, Die Braut von Messina, S. 853.

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Unmittelbar fühlt man sich bei dieser Darstellung an Schillers Beschreibung der unberechenbaren Natur in seinen dramentheoretischen Schriften erinnert. Die Welt scheint vom Zufall beherrscht zu sein und entzieht sich darum der menschlichen Planung. Semantisch gesehen bezieht sich Schiller an dieser Stelle auf den Fortuna-Begriff: Die Kugel, bereits seit der Renaissance das charakteristische Attribut der römischen Göttin,107 wird hier zum Symbol für die abrupte und unvorhergesehene Wandelbarkeit des Lebens. Der Bezug zur vermeintlich feststehenden Erde lässt den Globus selbst als Kugel der Fortuna erscheinen, in der die Lebenslose der Menschen gemischt werden. Vor diesem Hintergrund beurteilt der Chor auch die Vorgänge von Hass, Versöhnung und Liebe im messinischen Herrscherhaus. Mit Blick auf die scheinbare Launenhaftigkeit des irdischen Lebens weist der Chor das momentane Glück der Familie als gefährdet und vergänglich aus, weil es auf Unrecht und Gewalt gegründet ist. In den gerade erlebten Zufällen von Versöhnung und Liebe sieht der Chor das Werk eines bestimmenden Prinzips. »CHOR (CAJETAN). Ja, es hat nicht gut begonnen, / Glaubt mir, und es endet nicht gut; / Denn gebüßt wird unter der Sonnen / Jede Tat der verblendeten Wut. / Es ist kein Zufall und blindes Los, / daß die Brüder sich wütend selbst zerstören, / denn verflucht ward der Mutter Schoß, / Sie sollte den Haß und den Streit gebären. / – Aber ich will es schweigend verhüllen, / Denn die Rachgötter schaffen im stillen […].«108

Zu einem Zeitpunkt, an dem die Protagonisten das Vertrauen gefasst haben, dass sich alles, was schlecht begonnen hat, im Guten auflösen werde, erweist sich der Chor als weitblickende Instanz, die das bestimmende Prinzip der Welt bereits in den Anlagen der Tragödie erkennt: Das Gesetz, das die Erde regiert, ist eben nur scheinbar dasjenige des Zufalls. Letztlich sind alle Zufälle nur die Bausteine eines Schicksals, das nach dem Grundsatz der Rache und Vergeltung regiert: Schicksal bedeutet Nemesis, ist dabei jedoch nicht grund- und zwecklos, sondern bezieht sich auf eine Schuld, die tatsächlich existiert. Analog zu Schillers Überlegungen im Aufsatz »Ueber die tragische Kunst«109 wird dieses Prinzip erst von einer höheren moralischen Position aus erkennbar, wie sie der Chor bereits innehat, die Protagonisten jedoch noch nicht. Der Chor wurde deshalb in den zeitgenössischen Kritiken zur »Braut von Messina« häufig als Organ oder Personifikation des Schicksals missverstanden.110 107 108 109 110

Kirchner, Fortuna, S. 19. Schiller, Die Braut von Messina, S. 852. Ders., Ueber die tragische Kunst, S. 157. »Offenbar ist, dass die Tragödien, in welchen ein von der Handlung unabhängiges Schicksal vorwaltet, einer Person bedürfen, die dasselbe sinnlich darstelle. Eine solche Person ist der Chor bey den Alten, eine solche ist er bey Schiller […]. [Beide Chöre bleiben] bey aller anscheinenden Leidenschaftlichkeit stets über die Handelnden erhaben, und sind würdig,

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Das war von Schiller mit Sicherheit nicht beabsichtigt. Viel eher als eine Verkörperung oder ein Instrument des Schicksals zu sein, hat der Chor eine Mittlerposition zwischen Schicksals-Göttern und Menschen inne. Er dient als erstrebenswertes Vorbild für die Zuschauer. Weil der Chor um die Strukturprinzipien des Schicksals weiß, versucht er nicht, den Schicksalsentschluss zu ändern, sondern ihn im höheren Sinne umzudeuten. So bemerkte ein Rezensent in der Zeitschrift »Apollon« ganz zu Recht: »Das Unerklärliche, Göttliche im Leben (griechisches Schicksal, der Hebräer Gott, christliche Vorsehung) ist im Gegensatz mit der menschlichen Schwachheit. Die Macht von oben, das Schicksal würkt gegen die Kraft von unten, den Uebermuth (vbqir) der Menschen. Durch Weisheit finden wir Ruhe im Leben und nähern uns den Göttern; durch Weissagungen nähern sich die Götter den Menschen. Dies beydes vereinigt sich im Chor, dem Mittler, dem seligmachenden Heyland. So ist der Chor, so soll er, so muß er seyn.«111

So ist es allein der Chor, der das grundsätzliche Missverhältnis von Schuldbewusstsein, Schicksalsanrufung und Schicksalsverständnis durchschaut. Die Schuld jedes Einzelnen wird zu einem neuen Ausgangspunkt für ein unentrinnbares, gerechtes Verhängnis. Nichts auf der Erde geschieht vergeblich und bleibt ungesühnt: »Und alles ist Frucht, und alles ist Samen.«112 Folgerichtig ist es auch der Chor, der vor dem letzten Akt die Rachegöttinnen in das messinische Herrscherhaus einlässt und ihrem gerechten Tun keinen Widerstand entgegensetzt.113 Es bleibt die Frage, was diese Verquickung von uneingestandener Schuld, proklamiertem Schicksalsglauben, Fluch, Rache und einem undurchschaubaren himmlischen Willen eigentlich mit Schillers idealistischem Tragödienethos zu tun hat. Evident ist, dass sich die Protagonisten im gesamten Dramenverlauf noch im sinnlichen, physischen Leben befinden und sich nicht zu der von Schiller proklamierten »moralischen Entleibung« emporheben können, um die wahre Freiheit zu erlangen. »Alles dies / Erleid ich schuldlos«114 – bei diesem Grundsatz bleibt nicht nur Isabella bis zum Ende der Tragödie stehen. Die Zuschauer sehen die dramatischen Figuren verblendet im Kampf mit dem Schicksal, dem sie unterliegen, weil sie seine Regeln nicht begreifen.

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die Organe des Schicksals zu seyn.« Delbrück, Schöne Künste, S. 6 f. So auch bei: Schreiber, Ueber den Chor der Alten, S. 266. o. A., Ueber Schillers Braut von Messina, S. 96 f. Schiller, Die Braut von Messina, S. 877. Ebd., S. 887. Ebd., S. 890.

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»CHOR (BOHEMUND). Wie die Seher verkündet, so ist es gekommen, / denn noch niemand entfloh dem verhängten Geschick. / Und wer sich vermißt, es klüglich zu wenden, / Der muß es selber erbauend vollenden.«115

Doch zeigt Schiller überhaupt den von ihm geforderten Ausweg aus diesem Dilemma? Das tut er, hebt sich den entscheidenden Schritt jedoch bis zur letzten Szene auf. Der Selbstmord Don Cesars gegen den Willen von Mutter und Schwester wurde in den meisten Rezensionen als letzte Tat zur Vollendung des Schicksalswillens gedeutet. Mit dieser Interpretation bliebe »Die Braut von Messina« tatsächlich in einem fatalistischen Rahmen stecken, der Schicksalsglaube der Beteiligten erwiese sich als berechtigte Ahnung des fatalen Verlaufs. Doch Schiller hätte damit die Fundamente seiner Dramentheorie zerstört. Interpretiert man den Suizid des Brudermörders hingegen als eine freiwillige Unterwerfung unter das Schicksal, die das Schicksal »dem Begriff nach vernichtet«, so wäre Don Cesars Tod die Apotheose der moralischen Freiheit. Vieles deutet darauf hin, dass Schiller genau diese Interpretation intendiert hat.116 Im Angesicht des toten Bruders, der leidenden Schwester und Mutter erkennt Don Cesar, dass er nur dann Freiheit erlangen kann, wenn er das Schicksal nicht in seinem Sinne interpretiert, sondern sich ihm bedingungslos hingibt. »Den alten Fluch des Hauses lös ich sterbend auf, / Der freie Tod nur bricht die Kette des Geschicks.«117 Diese Einsicht ist das Produkt der Anerkennung der Schuld, die er auf sich geladen hat. Es sind nicht mehr die Götter, die himmlischen Mächte, das Schicksal, sondern er selbst trägt die Verantwortung für den Brudermord. Indem sich Don Cesar tatsächlich entleibt, erhebt er sich über die Zwangsläufigkeit, die ein Verbrechen an das andere fügt, und entzieht sich der Unberechenbarkeit der Natur. Auch die letzten Worte des Chores, der das Schlusswort in der Tragödie erhält, bestätigen diese Deutung:

115 Ebd., S. 889. 116 Diese Interpretation ist in der Literaturwissenschaft stark umstritten. Übereinstimmend: Wiethaupt, Ein fünfter Chor, S. 368 f.; Schadewaldt, Antikes und Modernes, S. 307; Kaiser, Die Idee der Idylle, S. 35 f.; ders., Die Braut von Messina, S. 262 – 266; Schwinge, Schillers Tragikkonzept, S. 49. Gegen die Deutung, dass Don Cesars einen »erhabenen Charakter« repräsentiert, argumentieren u. a.: Schulz, Erhaben und sinnlich, S. 183; Müller, Reflexion, S. 233; Atkins, Gestalt als Gehalt, S. 550; Seidler, Schillers ›Braut von Messina‹; Homann, Erhabenes und Satirisches, S. 124; Janz, Antike und Moderne, S. 339 – 341; Alt, Schiller, S. 540 f.; Guthke, ›Die Braut von Messina‹, S. 484. Eine alternative Deutung bietet Claudia Benthien, wenn sie den Suizid Don Cesars als »finale Wendung der Figur gegen sich selbst« deutet. Dies., Tragödie der Scham, S. 55. 117 Schiller, Die Braut von Messina, S. 839.

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»CHOR (CAJETAN) (nach einem tiefen Schweigen). Erschüttert steh ich, weiß nicht ob ich ihn / Bejammern oder preisen soll sein Los. / Dies eine fühl ich und erkenn es klar : / Das Leben ist der Güter höchstes nicht, / der Übel größtes aber ist die Schuld.«118

Das war ein klares Plädoyer des Autors für die Eigenverantwortlichkeit des Menschen. Der Mensch war dem Spiel des Schicksals zwar ausgeliefert, aber in der Anerkennung der eigenen Schuld konnte er sich sittlich darüber erheben. Der tiefere Grund für das Leiden am Leben lag insofern nicht in einer tückischen Schicksalsmacht begründet, sondern in der individuellen Verschreibung an diese Schicksalsmacht. Im Prinzip griff Schiller hier das auf, was er bereits in der »Wallenstein«-Trilogie treffend formuliert hatte, und was als die Kernaussage all seiner späten Dramen gelten kann: »In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne.«119 Auch in der »Braut von Messina« verlegte Schiller das äußere, bedrohliche Schicksal in das Innere des Menschen und gab diesem so zumindest die Möglichkeit, Herr darüber zu werden. Der Schicksalstopos war in der »Braut von Messina« demnach nicht mehr als eine rhetorische Figur, die für die betrügerische Leugnung einer persönlichen Freiheit und Haftbarkeit stand: Die Figuren machen sich bis zuletzt von den Tücken der Realität abhängig, anstatt sich diesen durch eine moralische Selbstbefreiung zu entziehen. Erst Don Cesar wagt zum Schluss den entscheidenden Schritt zur Emanzipation, er findet den Keim des Schicksals in sich selbst und erfüllt damit die Kriterien des Erhabenen. Aus dieser Perspektive war Friedrich Schiller alles andere als der Erfinder einer »Schicksalsreligion«, wie es ihm von vielen Zeitgenossen vorgeworfen wurde. Seine wirkungsästhetische Intention zielte nicht auf einen gläubigen Zuschauer, der alles Gesehene unhinterfragt akzeptierte, sondern auf ein »aufgeklärtes und freies, da empfindendes und selbsttätig denkendes Publikum«,120 das den blinden Schicksalsglauben der dramatischen Figuren mithilfe des Chores entlarvte. Seine als »Schicksals Tragödie«121 beschimpfte »Braut von Messina« sollte also ein Drama gegen eine unreflektierte Schicksalsgläubigkeit sein,122 die für Schiller in gewisser Weise als Sinnbild für Religion überhaupt stehen konnte.

118 Ebd., S. 898. 119 Ders., Die Piccolomini, S. 473. Zum ambivalenten Schicksalsgedanken im »Wallenstein« siehe insbesondere: Zanucchi, Die ›Inokulation des unvermeidlichen Schicksals‹, S. 150 – 175; Frühwald, ›Das Los des Schönen auf der Erde‹. 120 Wiethaupt, Ein fünfter Chor, S. 367. 121 o. A., Ueber die Einführung des Schicksals. Schluß, S. 123. 122 So auch: Reinhardt, Das ›Schicksal‹ als Schicksalsfrage; Ritzer, Not und Schuld, S. 149.

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Schicksalsüberwindung als Religionsüberwindung Wie bereits zu Beginn der Analyse erwähnt, stellt Schiller in der Vorrede zum Drama die Stadt Messina als Hort des Synkretismus von Christentum, griechischer Religion und maurischem Glauben dar, was bereits bei seinen Zeitgenossen einigen Unmut erregte.123 Tatsächlich geht es in dem Drama diesbezüglich munter durcheinander. Der Chor beschwört ebenso den griechischen Götterhimmel mit Erinnyen, Eumeniden, Pan, Amor und Diana, wie er Isabella mit ihren Söhnen als Abbild von Maria und Christus darzustellen vermag124 und die im Kloster aufbewahrte Beatrice als »des Himmels Braut«,125 also als Braut Christi anspricht. Ebenso paradigmatisch für das Glaubenskonglomerat in Messina ist der Umgang mit den beiden sich scheinbar widersprechenden Traumorakeln des verstorbenen Fürsten und seiner Frau Isabella. Während er seinen Traum von einem arabischen Astrologen deuten lässt, wendet sie sich an einen christlichen Mönch. Da beide Interpretationen sich, was die Rolle Beatrices anbelangt, diametral entgegenzustehen scheinen, setzt Isabella auf die freundlichere christliche Interpretation, »dem Gott der Wahrheit mehr als dem der Lüge«126 zugetan. Diese Arglosigkeit erweist sich im Endeffekt als fatal. Zwar spricht der Mönch nicht die Unwahrheit, vereint Beatrice zunächst doch tatsächlich die beiden Brüder in Liebe zu sich, doch es ist gerade Isabellas blindes Vertrauen in diese christliche Deutung, welche die ganze Familie immer mehr ins Unglück verstrickt. Ein ebensolches blindes Vertrauen in Götter jedweder Couleur konnte auch für die anderen Dramenfiguren festgestellt werden. Schillers diesbezüglichen Bemerkungen im Vorwort zum Drama nehmen sich zunächst wie ein Plädoyer für die natürliche Religion als eines der hehrsten Ziele der Aufklärung aus. »Unter der Hülle aller Religionen liegt die Religion selbst, die Idee eines Göttlichen, und es muß dem Dichter erlaubt sein, dieses auszusprechen, in welcher Form er es jedesmal am bequemsten und am treffendsten findet.«127

Doch diese »Idee eines Göttlichen« wird im Verlaufe des Dramas keineswegs als erstrebenswerter Glaube vorgestellt, wie ein solcher zum Beispiel noch in Lessings (Gotthold Ephraim Lessing, 1729 – 1781) »Nathan der Weise« exemplifiziert worden war. Ganz im Gegenteil: Es ist die Religion selbst, die den Menschen in der Unfreiheit gefangen hält. Solange die Protagonisten auf einen oder mehrere Götter vertrauen, irren sie permanent. Vom Ende her gesehen erweist 123 124 125 126 127

Oesterle, Friedrich Schiller, S. 168. Schiller, Die Braut von Messina, S. 836. Ebd., S. 864. Ebd., S. 860. Schiller, Ueber den Gebrauch des Chors, S. 15.

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sich jegliche Heilssuche im Göttlichen als Illusion. Die Religion bietet demnach nicht nur keinen Ausweg aus der Unfreiheit, sie macht den Menschen sogar zum Sklaven seines Glaubens und verhindert damit seine sittliche Vervollkommnung. Aus dieser Perspektive erweist sich die Religion als tatsächlicher Bestandteil des Freiheitsproblems, nicht als dessen Lösung.128 Analog zu seinem ästhetischen Erziehungsprogramm verzichtet Schiller in der »Braut von Messina« also bewusst auf die Befreiung des Menschen durch Religion. Aus den Schicksalsvorstellungen der präsentierten religiösen Weltsichten bildet sich erst die eigentliche dramatische Konfliktzelle.129 Selbstbestimmt und den Grundsätzen der Aufklärung gemäß kann der Mensch nur dann handeln, wenn er den Göttern keinen Einfluss auf seinen Willen zugesteht. In der Schrift »Vom Erhabenen« hat Schiller das folgendermaßen formuliert: »Wir fühlen uns aber als Vernunftwesen selbst von der Allmacht [der Gottheit, F. R.] unabhängig, insofern selbst die Allmacht unsre Autonomie nicht aufheben, unsern Willen nicht gegen unsre Grundsätze bestimmen kann. Nur insofern also, als wir der Gottheit allen Natureinfluß auf unsre Willensbestimmungen absprechen, ist die Vorstellung ihrer Macht dynamischerhaben. In seinen Willensbestimmungen sich von der Gottheit unabhängig fühlen, heißt aber nichts anders, als sich bewußt sein, daß die Gottheit nie als eine Macht auf unsern Willen wirken könne.«130

Insofern geht Schiller in seinen theoretischen Schriften und in der »Braut von Messina« noch über die Forderungen der Aufklärung hinaus und erweist sich so als ihr Überwinder.131 Immanuel Kant hatte in seiner Abhandlung »Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« (1793/94) noch die moralische Erziehungsfunktion des Christentums erwiesen, da der christliche Glauben die politischen Erfordernisse der Sittlichkeit durch die Übertragung auf den Willen Gottes zu legitimieren und zu erreichen half. Abseits von der institutionalisierten Religiosität innerhalb der Kirchen konnte der Glaube für Kant so durchaus einen aufklärerischen Impetus besitzen, wenn es gelänge, ihn zu einer Vernunftreligion zu transformieren. Bereits vor der Veröffentlichung hatte Schiller 1793 Kants religionsphilosophisches Werk mit großem Eifer rezipiert, weil er sich hierin in seiner Ablehnung von kirchlichen Autoritäten bestätigt sah. Doch im Endeffekt zweifelte er daran, ob sich Kants religiöses Erziehungsprogramm tatsächlich verwirklichen ließ. So stellte er in einem Brief gegenüber Körner infrage, »ob er [Kant, F. R.] überhaupt wohl daran gethan hat, die christliche Religion durch philosophische Gründe zu unterstützen […]. Alles was man von der bekannten Be128 129 130 131

Endres, Nathan entzaubert, S. 19. Adam, Das Experiment, S. 49. Schiller, Vom Erhabenen, S. 182 f. Endres, Nathan entzaubert, S. 11; Misch, Schiller und die Religion, S. 36 f.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

schaffenheit der Religionsvertheidiger erwarten kann ist, daß sie die Unterstützung annehmen, die philosophischen Gründe aber wegwerfen werden – und so hat Kant dann nichts weiter gethan, als das morsche Gebäude der Dummheit geflickt.«132

Das »morsche Gebäude der Dummheit« krankte nach Schillers Auffassung in erster Linie an einem verfehlten Freiheitsverständnis. Paradigmatisch dafür war für ihn unter anderem die christliche Interpretation des Sündenfalls.133 Aus kirchlicher Sicht wurde der Fehltritt Adams im Paradies zum Ausgangspunkt für die prinzipielle Unfreiheit des Menschen, der fortan einer göttlichen Erlösung bedurfte, um wieder frei und glücklich zu sein. Doch Schiller interpretierte die biblische Erzählung ganz anders: Der Griff nach dem Baum der Erkenntnis war der erste bedeutende Schritt der Menschheit hin zu Autonomie und Freiheit. Der Affront gegen den Willen der Gottheit machte den Menschen von einem »Sklaven des Naturtriebes« zu einem frei handelnden Geschöpf, von einem Automaten zu einem sittlichen Wesen. »Und mit diesem Schritt trat er zuerst auf die Leiter, die ihn nach Verlauf von vielen Jahrtausenden zur Selbstherrschaft führen wird.«134 Im Laufe der 1790er-Jahre verabschiedete sich Schiller zunehmend von dem Gedanken, dass die Religion, gleich ob sie christlich, hellenisch oder muslimisch gedacht wurde, die Vermittlung von Sinnlichkeit und Sittlichkeit adäquat übernehmen könne.135 In sein Freiheitsprogramm nahm er so auch die Befreiung von der Religion selbst mit auf, die seiner Meinung nach allein durch die Kunst verwirklicht werden konnte. In seinem Gedicht »Das Ideal und das Leben« drückte Schiller 1795 einen möglichen Weg zu diesem Ziel folgendermaßen aus: »Nur der Körper eignet jenen Mächten, / Die das dunkle Schicksal flechten, / Aber frei von jeder Zeitgewalt, / Die Gespielin seliger Naturen / Wandelt oben in des Lichtes Fluren, / Göttlich unter Göttern, die Gestalt. / Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben, / Werft die Angst des Irdischen von euch. / Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben / In des Ideales Reich! / […] / Aber flüchtet aus der Sinne Schranken / In die Freiheit der Gedanken, / Und die Furchterscheinung ist entflohn, / Und der ewge Abgrund wird sich füllen; / Nehmt die Gottheit auf in euren Willen, / Und sie steigt von ihrem Weltenthron. / Des Gesetzes strenge Fessel bindet / Nur den Sklavensinn, der es verschmäht, / Mit des Menschen Widerstand verschwindet / Auch des Gottes Majestät.«136

Im Kern geht es hier also um eine Vergöttlichung des Menschen ebenso wie um eine Anthropomorphisierung Gottes, die beide die Macht des Schicksals zu 132 133 134 135 136

Schiller, Brief an Christian Gottfried Körner vom 28. 02. 1793, S. 219. Siehe dazu: Misch, Schiller und die Religion, S. 35 f. Schiller, Etwas über die erste Menschengesellschaft, S. 400. Oellers, Schiller und die Religion, S. 177. Schiller, Das Ideal und das Leben, S. 396.

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Friedrich Schillers »Braut von Messina«: Das erste moderne Schicksalsdrama?

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brechen vermögen.137 Die Gottheit wird in der Vorstellung des Menschen verortet, ihre scheinbare Macht als Produkt einer unbegründeten irdischen Furcht entlarvt. »Nehmt die Gottheit auf in euren Willen« heißt im Prinzip genau das, was Schiller schon in seinen Überlegungen zum Begriff des Erhabenen formuliert hatte: Sich den göttlichen Willen einzuverleiben, mit dem Schicksal geimpft zu werden, meint nichts anderes als die Selbstermächtigung des Menschen durch die Kunst des Ideals. Der Mensch ist nur dann ein Sklave, wenn er den Glauben an sich selbst durch den Glauben an eine Gottheit ersetzt. Flieht er dagegen aus dem Reich des »engen, dumpfen Leben[s]« hin zu den Höhen der Gedankenfreiheit, wird er sich selbst zum Gott. Damit lehnt Schiller auch jegliche Hoffnung auf ein Heil im Jenseits ab. Die Perfektibilität des Menschen ist ein Programm der Gegenwart und im Hier und Jetzt zu erreichen. Mit der »Braut von Messina« meinte Schiller diese Gedanken zwar in einer neuartigen antikisierenden Form, aber dabei ganz im Sinne der Aufklärung und noch über sie hinausgehend ausgedrückt zu haben. In seinem Drama dominierte das Schicksal, getreu der Maxime: »Im Drama muss das Schicksal herrschen, und dem Menschen widerstreben«,138 aber eben nur, um die sittlichen Widerstandskräfte zu wecken und zur Selbstbefreiung zu animieren. Schiller hatte nicht antizipiert, dass er mit seiner wohl zu verklausulierten Botschaft gerade die entgegengesetzten Reaktionen hervorrufen würde und damit gleichermaßen zum Antagonisten für die Aufklärer und zur Identifikationsfigur für eine neue Generation werden würde, die in dem fälschlich erkannten Schicksalsgedanken ihren eigenen wiederzuerkennen glaubte. Durch die zahlreichen Schicksalssentenzen im Drama wurde Schiller dem Publikum zum Verfechter eines ästhetischen Fatalismus par excellence – einem Publikum also, dem Schiller eigentlich zugetraut hatte, durch die Betrachtung eines negativen Exempels im Umgang mit dem Schicksal eine ironische Distanz zum Geschehen entwickeln zu können.139 Die Bezeichnung Schillers als erster moderner Schicksalsdramatiker beruhte folglich auf einem Missverständnis, das jedoch mehr über die Mentalität der Gesellschaft dieser Zeit zu sagen vermag als die vermeintlich korrekte Analyse des Schiller’schen Dramas aus heutiger Sicht. Denn alsbald entwickelte sich das, was Schiller zu überwinden versucht hatte, zum Kassenschlager einer neuen Generation.

137 Misch, Schiller und die Religion, S. 41 f. 138 Schiller, Brief an Christian Gottfried Körner vom 02. 06. 1795, S. 189. 139 Reinhardt, Das ›Schicksal‹ als Schicksalsfrage.

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4.3

Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

Schuld und Schicksal – Das Schicksalsdrama der Romantik

Durch das Schicksal zum Christentum – Zacharias Werners »Vierundzwanzigster Februar« Während die literarische Verarbeitung des Schicksalsgedankens, wie Schiller sie um 1803 in der »Braut von Messina« unternommen hatte, trotz ehrlicher Absichten des Verfassers auf wenig Gegenliebe stieß, konnten zwischen 1810 und 1825 verschiedene Tragödien auf den deutschen Bühnen Erfolge feiern, für die der Schicksalsbegriff zum Gattungsmerkmal wurde. Sie trugen Titel wie »Der Wahn«, »Die Ahnfrau«, »Der Leuchtturm«, »Der 29. Februar« oder »Die Schuld«, wobei das zuletzt genannte Drama den unmittelbaren Bezug zu Schiller wiederherstellte, der die »Braut von Messina« mit dem Schuldbegriff hatte enden lassen.140 Als erste romantische Schicksalstragödie gilt jedoch bis heute Zacharias Werners (1768 – 1823) »Der vierundzwanzigste Februar« (1808), ein einaktiges Stück, das Werners erfolgreichstes und langlebigstes literarisches Produkt war. Interessant ist, dass mit dem »Vierundzwanzigsten Februar« ein Werk zum Prototyp der deutschen Schicksalstragödie wurde, in dem der Begriff des Schicksals, zumindest vor seiner Veröffentlichung, überhaupt nicht erwähnt wurde. Erst in einem 1814 verfassten »Prolog an deutsche Söhne und Töchter« verwies Werner auf das Schicksalsmotiv, um es jedoch zugleich zu relativieren und scheinbar wieder zurückzunehmen. »Nachdem ich dieses hab’ euch vorgehalten, / Will ich euch noch von meinem Werke sagen, / Aus welchem nackend euch entgegen schauert / Was, dem gerechten Feuerroß und Wagen, / Im ungerechten Frevelthun und Schalten / Den dauernden Verbrecher überdauert, / Und sicher ihn erlauert! / Eisernes Schicksal nannten es die Heiden; / Allein seit dem hat Christus aufgeschlossen / Der Höllen Eisenthor den Kampfgenossen, / So schafft das Schicksal weder Lust noch Leiden / Den Weisen, die, mag Hölle blinken, blitzen, / In treuer Brust des Glaubens Schild besitzen!«141

Der Glaube an das Schicksal wurde von Werner als Distinktionsmerkmal zwischen Heiden- und Christentum eingeführt. Er schien davon überzeugt, dass das Christentum mit der Hölle auch die Macht des Schicksals überwunden hatte; auf den wahrhaft Gläubigen verfehlte das Schicksal seine Wirkung. Es hatte keinen Platz im christlichen Glaubenssystem. Dennoch war der Kampf gegen das Schicksal in Werners Augen noch nicht beendet. In realistischer Einschätzung des religiösen Empfindens seiner Gegenwart wurde ihm der menschliche Egoismus, der »nicht Gott allein« wolle, 140 Vgl.: Minor, Einleitung, S. I. 141 Werner, Der vierundzwanzigste Februar, S. 243.

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Schuld und Schicksal – Das Schicksalsdrama der Romantik

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sondern nur sich selbst, zum Angriffspunkt für den Schicksalsglauben, welcher der eigentliche Erzfeind des Menschen sei.142 Damit gestand Werner dem Schicksal durchaus eine Wirkmächtigkeit auf diejenigen Menschen zu, die den Weg zum christlichen Gott noch nicht zu Ende gegangen waren. Die sündigen Menschen, die Schuld auf sich geladen hatten, boten dem Schicksal eine weite Angriffsfläche. Dieses war eine dämonische Macht, die ihre Opfer gezielt auswählte, um sie zu verderben. In diesem Zusammenhang sprach Werner auch von »Nachtgewalten« und »Eumeniden«. Sein dringlicher Appell an die sündhafte Menschheit lautete: »Eilt, knieend fleh ich’s, eilt zu Jesu Wunden, / Gleich! Eh’ zu spät ist euer reuig Weinen!!!«143 So wurde das Drama für Werner zum Mittel, um den Leser zu Umkehr und Buße zu bewegen. Indem er mit dem »Vierundzwanzigsten Februar« ein Stück vorlegte, dessen Protagonisten dem Schicksalsglauben unbedingt ergeben waren, weil sie unermessliche Schuld auf sich geladen hatten, hoffte er, ein böses Exempel zu statuieren. Doch langfristig schwebte dem Verfasser ein anderer Weg zu diesem Ziel vor. Ein »im frommen / Christlichen Glauben blüh’nde[s] Lied vom Segen« sollte den Platz der grausamen Schicksalstragödie einnehmen, sobald sich ein grundlegender Sinneswandel vollzogen hatte. So schloss Werner seinen Prolog mit der Aufforderung: »Ringe, mein Volk, das Possenspiel zu enden, / Das, schon seit vielen Jahren angefangen, / Mit blut’gen Fratzen hat die Welt behangen.«144 Ähnlich wie Schiller verfolgte auch Werner mit dem Drama einen zutiefst moralischen Zweck. Doch ihre Schicksalsauffassungen unterschieden sich fundamental voneinander. Anstelle der Selbstermächtigung des Menschen zur Freiheit bei Schiller war der Kampf gegen das Schicksal bei Werner eine Übung der christlichen Demut gegenüber Gott. In Schillers Tragödientheorie konnte der Mensch sich selbst vom Zwang des Schicksals befreien, nach Werners Verständnis war der Mensch auf die Mithilfe durch die Religion angewiesen. Für Schiller war das Schicksal vornehmlich ein Mittel zum Zweck, für Werner stellte es eine ernst zu nehmende Bedrohung dar. Insgesamt gesehen ordnete Zacharias Werner den Schicksalsbegriff wieder in den religiösen Diskurs ein, aus dem er am Ende des 18. Jahrhunderts aufklärungsbedingt herausgefallen war. Diese fundamentalen Unterschiede konnten bei der ähnlichen Anlage der beiden Stücke schnell übersehen werden. Wie bei der »Braut von Messina« war Werners Tragödie durch die Motive Aberglaube, Fluch, Hoffnung, Verwechslung und Verwandtenmord bestimmt. Zacharias Werner siedelt das Drama an einem Schweizer Bergpass in einer Bauernstube an. Die gesamte Handlung spielt innerhalb der letzten Tagesstunde des 24. Februar 1804, der für das Ehepaar Ku142 Ebd., S. 243 f. 143 Ebd., S. 244. 144 Ebd., S. 245.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

ruth der letzte Tag vor dem endgültigen finanziellen und sozialen Ruin ist. Kunz und Trude Kuruth sind hochverschuldet und, wie der Zuschauer bereits in den ersten Sätzen erfährt, verflucht. In kurzen Rückblicken wird die Geschichte des Fluches von den Protagonisten erzählt: Vor achtundzwanzig Jahre hatte Kunz Kuruth seinem zänkischen Vater Christoph mit einem Messerwurf einen tödlichen Schrecken eingejagt. Der Fluch, den der Alte noch sterbend über seinen Sohn und dessen Nachkommenschaft ausstieß, vererbte sich auf den Enkel weiter. Noch als Kind brachte Kurt seine Schwester beim Spielen ums Leben und musste, vom eigenen Vater mit dem Tod bedroht, das Haus verlassen. Er kämpfte beim Schweizer Regiment in Paris gegen die Revolutionäre und konnte nach der Tuilerienschlacht als einzig Überlebender seines Bataillons mit seinem Dienstherrn nach Amerika entfliehen. Kunz und Trude glauben ihren Sohn längst verstorben, als sie am Abend, bevor sie in die Fronfeste gebracht werden sollen, den unerwarteten Besuch eines Wanderers bekommen. Es ist der Schwestermörder Kurt, der aus der Fremde wohlhabend zurückgekehrt bei seinen Eltern um Vergebung bitten will. Allerdings will Kurt den Eltern erst am folgenden Morgen seine wahre Identität kundtun und sie so in allerletzter Minute mit Hilfe seines Vermögens vor dem Schuldturm bewahren. Der Reichtum des Fremden erscheint Kunz und Trude als Wink des Himmels. Kunz beschließt, dem Wanderer im Schlaf das Geld zu entwenden, um seine Schulden zu bezahlen. Als Kurt erwacht, sticht Kunz ihn im Affekt nieder. Das Mordwerkzeug ist das Messer, dem bereits der Vater und die Tochter zum Opfer fielen. Sterbend kann Kurt sich seinen Eltern offenbaren und ihnen verzeihen. Kunz erkennt seine maßlose Schuld und beendet das Drama mit den Worten: »Wohlan – in Gottes Namen! – / Ich büße gern das, was ich schwer verdient! – / Ich geh’ zum Blutgericht und geb’ die Mordthat an! – / Wenn ich durch’s Henkerbeil bin abgethan, / Dann mag Gott richten – ihm ist alles offenbar! / Das war ein vierundzwanzigster Februar! – / Ein Tag ist’s! – Gottes Gnad’ ist ewig! Amen! –«145

Der »Vierundzwanzigste Februar« endet mit dem Hinweis auf die göttliche Gerechtigkeit, die sich in der irdischen Rechtsprechung vollzieht. Flucherfüllung, Fluchauflösung und Versöhnung mit Gott fallen in einem Augenblick zusammen. Der Widerstreit von christlichem Glauben und abergläubischer Furcht, der das ganze Drama strukturiert, wird in den wenigen Minuten von Sohnesmord, Vergebung und Reue aufgelöst. Werner spielt im ganzen Drama geschickt mit diesem Antagonismus. Er ist bereits in den Protagonisten angelegt: Kunz, ehemaliger eidgenössischer Soldat und Wirt, findet keinen Halt in der Religion. Moralische Gebote sieht er lediglich in den Tugenden des Profanen: Ehre, Ruhm und Gesetz gebieten ihm, das An145 Ebd., S. 291.

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sehen seiner Familie trotz allen Elends zu bewahren oder den vermeintlich vogelfreien Fremden zum Schutz der Eidgenossenschaft zu töten.146 Seine Bluttat hat ihm endgültig das Himmelreich verschlossen.147 Kunz hat den Fluch seines Vaters dermaßen in sein Denken integriert, dass er ihm zur einzigen Sinndeutung für das Leben geworden ist. »Wer einmal ist verflucht, / der bleibt’s.«148 Der Fluch wird ihm zur universalen Rechtfertigung seines Handelns, gleich ob für den geplanten Selbstmord, mit dem er sich dem Schuldturm zu entziehen gedenkt, für seine Unfähigkeit zu beten oder für den Entschluss, den fremden Wanderer zu bestehlen.149 Trude hingegen, die Tochter eines Pfarrers, ist von Grund auf religiös geprägt. Nicht nur in vereinzelten Phrasen wie »Herr Jesus!«, »O Gott«, »um Gotteswillen« oder »gerechter Gott«150 bricht sich ihr Glaube Bahn, auch in ihrer Aufforderung an Kunz, in der Bibel zu lesen und zu beten151 oder Diebstahl und Mord »um Jesu Wunden«152 nicht zu begehen, zeigt sich ihr religiöser Sinn. Dennoch lässt sich Trude ebenso wie Kunz vom Glauben ans dämonisch Böse bestimmen. Den Tag über und selbst im Traum geht ihr ein Volkslied nicht aus dem Kopf, das von einem Vatermord handelt, der durch die Mutter angestiftet wurde. Das »Wovon ist dir dein Schwert so rot, Eduard?« der Mutter steht in auffälligem Kontrast zum Paul-Gerhardt-Lied »Wenn ich einmal soll scheiden«, das Kurt nebenan als sein Abendgebet spricht. Auch hier führt Werner wieder die einander widerstreitenden Motive von Gottvertrauen und dunkler Vorahnung an, wobei Trude in dieser Szene für die dunkle Seite des Seelenlebens steht, Kurt hingegen für die lichte. Die gedankliche Nähe von Trude und Kunz zeigt sich auch in der ähnlichen Wahrnehmung ihrer Umwelt. Beide finden in der unheimlichen Natur ein Spiegelbild ihres Innersten: Die Eule, die vor dem Sturm Schutz am Fenster des Gasthauses sucht, wird Trude zum Vorboten für einen baldigen Todesfall, und Kunz meint, im Gletscher das Haupt seines toten Vaters wiederzuentdecken. Eine Dohle, die sich bei seiner Wanderung an seine Laterne krallt, schnarrt »wie des Vaters Ächzen, / als er den Todeskampf nun bald hat ausgejammert! / Und ihren Schnabel, gelb, wie dort die Schal’ / Des Unglücksmessers wetzend, pickt und hammert / Sie am Laternenrande! – Frau, zum erstenmal / Hab’ ich gezittert wie ein Kind! – Es klang wie Sensenschleifen! – […].«153 146 147 148 149 150 151 152 153

Ebd., S. 252, 286. Ebd., S. 257: »Nein! – das Frevelthun / schleußt mir den Himmel!« Ebd., S. 251. Ebd., S. 253 f., 289. Ebd., S. 249 f., 252 f. Ebd., S. 254. Ebd., S. 286. Ebd., S. 256.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

Ebenso wie die lebendige erscheint dem Ehepaar Kuruth auch die tote Umgebung als allgegenwärtige Verkörperung des Fluches, der über der Familie lastet. Sämtliche Gegenstände, die dem Haushalt noch verblieben sind, spielen eine bedeutende Rolle in der Unglückgeschichte. Dem Messer eignet eine schicksalhafte Bestimmung, seit Kunz Kuruth es wutentbrannt in die Richtung seines Vaters schleuderte und dadurch dessen tödlichen Schlaganfall auslöste. Es ist das Messer, mit dem Kurt in unschuldigem Spiel seine Schwester tötete; es fällt Kunz von der Wand entgegen, als er den fremden Wanderer bestehlen will und wird anschließend erneut zum Instrument des Mordes. Ebenso sinnbeladen ist die Sense: Nur weil Kunz im Moment vor dem Tod seines Vaters die Sense schliff, kam das Kind, mit dem Trude zu dieser Zeit schwanger ging, mit dem Kainszeichen der Sense zu Welt. »Sie kriegte einen Sohn – daß Gott erbarm’! / Der bracht’ das Kainszeichen schon, auf dem linken Arm, / Mit auf die Welt – ’ne Sense, blutigrot! – / Wahrscheinlich hat sie sich’s in Kopf genommen / In ihrer Schwangerschaft – so hat er’s denn bekommen, / Der Bube!«154

Dieses Mal ist es auch, das Kurt während seiner Kindheit und Jugend nicht zur Ruhe kommen lässt und ihn zu einem uneinsichtigen und unsteten Charakter macht.155 Als Trude die Sense am Arm des sterbenden Wanderers erblickt, offenbart sich den Eltern die ganze Tragik der mörderischen Tat. Der Glaube an die Allgegenwart des Fluches spiegelt sich ebenso wie im fatalen Requisit auch in der Wahrnehmung von Datum und Uhrzeit. Der vierundzwanzigste Februar, ein sehr bewusst von Werner gewähltes Datum,156 ist der persönliche Unglückstag der Familie Kuruth. Im Abstand von jeweils sieben Jahren folgen der Tod des Christoph Kuruth, der Mord an der Tochter, die Flucht des vierzehnjährigen Kurt aus dem Arbeitshaus und der Pesttod seines Herrn in Amerika. Zur gleichen Zeit häufen sich die Unglücksfälle in seiner Heimat. Wie die sieben biblischen Plagen schildert Kunz die Reihe der Katastrophen, welche die Familie ins Verderben gebracht haben: ein Scheunenbrand, eine Tierseuche, ein Lawinenabgang, der Land und Vieh unter sich begraben hat, Missernten und 154 Ebd., S. 268. 155 »Trude: […] ›Euer Sohn hat Herz und Kraft, und Kopf zum Lernen; / Doch muß ihm was in seinen Sternen / Konträr sein – immer treibt’s ihn nach ungemeßnen Fernen! / Kein Fleiß, kein Urteil, wüst, zerstreut! – Und wann / Ich’s ihm verweise, hört er starr und weinend zu, / Und sagt: die Sens’ am Arm, die lass’ ihm nirgends Ruh’!‹ / So schrieb der gute Ohm mir! – Ihm hatten wir’s nicht kund / Gethan, wie keinem, dieses Kainszeichens Grund!« Ebd., S. 270. 156 Zacharias Werner verband mit diesem Datum zahlreiche persönliche »Schicksalsschläge«: Am 24. Februar 1804 starb seine innig verehrte Mutter und, wie er glaubte, auch sein Freund Johann Jakob Mnioch (1765 – 1804). Letzterer war allerdings tatsächlich bereits zwei Tage zuvor verstorben. Werner, Brief an Karl Friedrich Fenkohl vom 30. 03. 1804, in: Ders., Briefe, Bd. 1, S. 54.

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Schulden. »Und kam ein Unfall, der das Herz traf, war / es stets am vierundzwanzigsten Februar.«157 Nach vierzehn Jahren in der Fremde kehrt Kurt zu seinen Eltern zurück und verlangt, am nächsten Morgen um sieben Uhr geweckt zu werden.158 Doch dazu kommt es nicht mehr. Denn den finalen Unglückstag führt Werner nun mit dem Sohnesmord vor, der die Familie für immer auslöschen wird. Der unablässige Hinweis auf das bedeutungsträchtige Datum erfüllt im Drama zwei Funktionen: Zunächst verbindet er die Gegenwart mit der Vergangenheit und stellt so eine Kohärenz des Geschehens her, welche die Relevanz der Vorgeschichte für das aktuelle Geschehen sinnfällig macht. Es wird dabei deutlich, dass die Handlung auf der Bühne nur das letzte Glied einer Ereigniskette ist: Die Protagonisten werden unweigerlich von der fluchbeladenen Vergangenheit eingeholt.159 Zugleich birgt das fatale Datum einen Hinweis auf die eigentlichen Triebkräfte des Geschehens. Werner lässt dem Leser und Zuschauer keine Wahl: Während Natur und Gegenstände noch als Projektionsflächen eines unreflektierten Aberglaubens der Protagonisten betrachtet werden können, ist die ausnahmslose Bestätigung des mit Unheil behafteten Datums nicht mit dem Hinweis auf einen Zufall zu erklären. Obwohl nach den Maßstäben der Vernunft kein kausaler Zusammenhang zwischen dem vierundzwanzigsten Februar und den Geschehnissen ersichtlich ist, gewinnt die Handlung durch das fatale Datum eine eigentümliche Dynamik. In der Forschung zur Schicksalstragödie ist dieser Effekt einer »Als-ob-Kausalität« zugeschrieben worden.160 Das fehlende Glied in der Kausalkette ist eine von Werner nicht explizit erwähnte Macht, die durch den Fluch als höhere Ursächlichkeit fungiert.161 Seit den ersten Aufführungen des »Vierundzwanzigsten Februar« wurde diese Macht mit dem Schicksal identifiziert.

»Der 24. Februar« als Sinnbild einer Umbruchszeit Schon von den Zeitgenossen wurde der neue Umgang mit dem Schicksal als Anzeichen eines Zeitenwechsels interpretiert. Doch an sich wurde »Der vierundzwanzigste Februar« noch von einer alten Epoche aus der Taufe gehoben, und das in Form ihres prominentesten Vertreters: Werners erstes Drama war auf 157 158 159 160

Ders., Der vierundzwanzigste Februar, S. 271. Siehe dazu: Schottelius, Fatum, S. 338 f. Werner, Die Schicksalstragödie, S. 18. So der Ausdruck von: Görner, Vom Memorabile, S. 27. Herbert Kraft spricht von einer »Pseudokausalität«: Ders., Das Schicksalsdrama, S. 59. 161 Werner, Die Schicksalstragödie, S. 18.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

Anregung Johann Wolfgang Goethes entstanden, den Werner 1807 auf einer Reise nach Weimar kennen und verehren gelernt hatte. Goethe hatte Werners »schönes poetisch-rhetorisches Talent«162 bereits früh erkannt und sich zum Ziel gesetzt, korrigierend auf seine literarische Laufbahn einzuwirken. Werner erschien ihm als typischer »Sohn seiner Zeit«,163 der seine Orientierung und seinen Halt in religiös-mystischer Schwärmerei suche und sich nicht davor scheue, »das Kreuz auf meinem [Goethes, F. R.] eignen Grund und Boden« aufzupflanzen »und Christi Blut und Wunden poetisch [zu] predigen«.164 Das fortwährende Schwanken des jungen Dichters zwischen Andacht und Frivolität165 faszinierte Goethe gleichermaßen, wie es ihn abstieß, und es ist nicht zu viel gesagt, wenn der junge romantische Dichter Werner dem Klassiker Goethe gleichsam als Studienobjekt für die Fortentwicklung des Zeitgeistes diente. Ausführlich äußerte sich Goethe dazu in einem Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 7. März 1808: »Werner ist nun fast drey Monate bey uns […]. Er ist ein vorzügliches Talent. Daß er dem modernen Christenwesen anhängt, ist seinem Geburtsorte, seinem Bildungskreise und seiner Zeit gemäß. Daß die deutsche Dichtkunst diese Richtung nahm, war unaufhaltsam […]. Die gemeinen Stoffe, die das Talent gewöhnlich ergreift, um sie zu behandeln, waren erschöpft, und verächtlich gemacht. Schiller hatte sich noch an das Edle gehalten; um ihn zu überbieten mußte man nach dem Heiligen greifen, das in der ideellen Philosophie gleich bey der Hand lag. […] Vielleicht bring ich noch etwas von Wernern auf die Bühne […]. Er ist ein Sohn der Zeit und muß mit ihr leben und untergehen […].«166

Verschiedenen zeitgenössischen Stellungnahmen nach entstand »Der vierundzwanzigste Februar« als Auftragsarbeit Goethes, der ein Drama unter äußerster Reduktion der Charaktere und der Handlung verlangte. Ob es das Produkt einer Art Schreibwerkstatt, eine literarische Ausformung einer kriminalistischen Zeitungsnotiz oder eine Verarbeitung der Schuld-Thematik war, kann nicht abschließend geklärt werden.167 Gesichert ist jedoch, dass Werner die Aufgabe innerhalb kürzester Frist erfüllte und mit dem »Vierundzwanzigsten Februar« die Erwartungen Goethes voll befriedigte. Die erste Aufführung des Dramas fand im schweizerischen Coppet im Schloss der Anne Louise Germaine de StaÚl-Holstein (1766 – 1817) statt.168 Madame de 162 163 164 165 166 167 168

Goethe, Tag- und Jahreshefte, S. 391. Ders., Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 07. 03. 1808, S. 29. Ders., Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 11. 01. 1808, S. 4. Kraft, Das Schicksalsdrama, S. 55. Goethe, Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 07. 03. 1808, S. 24, 29. Schottelius, Fatum, S. 296 – 298. Siehe zu den Umständen und der Bedeutung dieser Aufführung: Detken, Mme de Stael und Zacharias Werner, S. 232 – 250.

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Schuld und Schicksal – Das Schicksalsdrama der Romantik

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StaÚl, Benjamin Constant (1767 – 1830) und August Wilhelm Schlegel hatten den »Vierundzwanzigsten Februar« bereits vor der Aufführung gelesen und für gut befunden. Die beiden »im französischen Sinne urtheilenden Kunstrichter« (de StaÚl und Constant) hatten jedoch einige Änderungen empfohlen, um das Dilemma Kunzens, allein zwischen Selbstmord und Sohnesmord wählen zu dürfen, deutlicher werden zu lassen.169 Am 13. Oktober 1809 kam es zur Uraufführung, deren Wirkung alle Erwartungen des Autors übertraf, wie dieser seinem Mentor Goethe brieflich versicherte: »Ich hatte gefürchtet daß man theils in dem Stücke Longueurs, theils es zu grausenhaft finden würde; beydes war jedoch nicht der Fall, man gestand vielmehr ein, daß der Zuschauer in fortwährender Spannung erhalten, das Schauderhafte durch die sanften MorÅeaus in die Gränzen des tragischen Pathos beschränkt und das Gehässige der Catastrophe, durch die Gemüthsverwirrung des Vaters, die ich natürlicherweise auch im Spiel hervorzuheben suchte, sehr gemildert würde.«170

Was Werner in diesem und anderen Briefen allein als das Schreckliche, Grässliche und Grausige des »Vierundzwanzigsten Februar« umschrieb, verband sich für ihn selbst keineswegs mit dem Begriff des Schicksals. Selbst als er gegenüber dem Direktor der Berliner Nationalbühne, August Wilhelm Iffland (1759 – 1814), eine Parallele zwischen seiner und der griechischen Tragödie feststellte, fand der Schicksalsbegriff keine Erwähnung. Werner erkannte vielmehr das Motiv des Fluches als die gemeinsame »Triebfeder« von klassischer Tragödie und dem »Vierundzwanzigsten Februar«.171 Es war eine der prominenten Zuschauerinnen in Coppet, die den Schicksalsbegriff auf das neue Werk projizierte. In Erinnerung an die private Aufführung in ihrem Schloss widmete Madame de StaÚl Zacharias Werner ein ganzes Kapitel ihres Buches »De l’Allemagne«, in dem sie auch den »Vierundzwanzigsten Februar« ausführlich besprach. Programmatisch für die nachfolgende Auseinandersetzung mit den romantischen Schicksalstragödien machte sie den Kern und die Problematik des Werner’schen Stückes in der eigentümlichen Mischung von antikem Fatum-Glauben und christlichem Sündenglauben aus. Germaine de StaÚl sah im »Vierundzwanzigsten Februar« den Kampf zwischen Leidenschaft und Gewissen, das sich – unterdrückt – selbst in ein Gespenst verwandele, »welches die Vernunft verwirrt«.172

169 170 171 172

Werner, Brief an Johann Wolfgang Goethe vom 20. 10. 1809, in: Ders., Briefe, Bd. 2, S. 212. Ebd., S. 213 f. Ders., Brief an August Wilhelm Iffland vom 04. 05. 1809, in: Ders., Briefe, Bd. 2, S. 195 – 198. StaÚl, Über Deutschland, S. 399.

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»Quand l’homme ne cÀde pas au remords, l’agitation mÞme que ce remords lui fait ¦prouver le pr¦cipite dans de nouveaux crimes; la conscience repouss¦e se change en un fantúme qui trouble la raison.«173

Werner habe in seinem Drama zwar versucht, das »schauderhafte Schicksal der Atriden« (»la destin¦e funeste de la famille des Atrides«)174 in eine Bauernhütte zu übertragen, liefere aber im Endeffekt eine Darstellung des christlichen Schicksalsgedankens in Gestalt einer moralischen Wahrheit.175 Im Fluch des Großvaters Christoph Kuruth sah Germaine de StaÚl folglich eine Emanation der göttlichen Vorsehung auf Erden, welche die Seele der Protagonisten mächtig erschüttere. Konkret gesprochen bedeutete das, dass im Zentrum des Werner’schen Dramas weniger eine Revitalisierung eines antiken Schicksalsglaubens stand als eine neuartige Verbindung von christlichem Sünden- und Vorsehungsglauben mit einer volkstümlichen Schicksalsfurcht. Das sonderbare Amalgam von Christentum und Volksglaube entdeckte Germaine de StaÚl auch im dramaturgischen Inventar des »Vierundzwanzigsten Februar«: Die Hütte der Familie Kuruth in den Schweizer Alpen sei ein Ort absoluter Gottesferne: Keine Kirchglocke ertöne in der Nachbarschaft; trotz der so verhängnisvollen Schlaguhr an der Wand scheine die Zeit still zu stehen; die Protagonisten glichen den Verdammten in der Hölle, denen auf ihre stetige Frage nach dem Stand der Zeit allein die Antwort gegeben werde: »Die Stunde der Ewigkeit hat geschlagen.«176 Und doch werde eben dieses trostlose Fleckchen Erde zum Wirkungsort der göttlichen Vorsehung, indem hier das moralische Gewissen selbst die Protagonisten richte. Wie nahe eine solche Interpretation nicht nur den Interessen des Dichters, sondern auch dem aktuellen Zeitempfinden kam, entdeckt die abschließende Kritik der Madame de StaÚl: Der »Vierundzwanzigste Februar« zeige nichts anderes als die »Wahrheit« in ihrer grässlichsten Gestalt und bringe damit etwas auf die Bühne, »das in dem Kreis der schönsten Künste keinen Eintritt finden sollte«.177 Gleichwohl fand der »Vierundzwanzigste Februar« trotz einer etwas zögerlichen Annahme zu Beginn seinen Weg in die breitere Öffentlichkeit. Werner selbst trug durch private Lesungen im Jahr 1810 maßgeblich dazu bei, das Drama

173 Dies., De l’Allemagne, S. 242. 174 Ebd. 175 Dies., Über Deutschland, S. 399. »[…] la fatalit¦, dans le christianisme, est une verit¦ morale sous une forme effrayante.« Dies., De l’Allemagne, S. 242. 176 Dies., Über Deutschland, S. 399 f. 177 Ebd., S. 400. »Le sujet de cette piÀce, et les moeurs qu’elle repr¦sent, sont trop rapproch¦es de la v¦rit¦, et d’une v¦rit¦ atroce qui ne devroit point entrer dans le cercle des beaux-arts.« Dies., De l’Allemagne, S. 244.

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in der gebildeten Gesellschaft bekannt zu machen.178 Am 24. Februar desselben Jahres fand schließlich in Abwesenheit des Autors die langersehnte Aufführung am Hoftheater in Weimar statt; noch vor der Drucklegung folgten Darbietungen in Bad Lauchstädt und Würzburg. Über Mund-zu-Mund-Propaganda wurde das Drama auch in adeligen Kreisen in Berlin verbreitet, obwohl sich Iffland weigerte, das Stück auf die Bühne zu bringen.179 Erst fünf Jahre, nachdem Werner sich auf Anraten Goethes an den Stoff gewagt hatte, wurde der »Vierundzwanzigste Februar« endlich in der von Brockhaus herausgegebenen »Urania«, einem »Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1815«, verlegt. Nicht zuletzt den sehr vorteilhaften Rezensionen180 war es zu danken, dass sich die Druckausgabe ausnehmend gut verkaufte.181 Die Veröffentlichung war der Startschuss für weitere Aufführungen deutschlandweit, sodass der »Vierundzwanzigste Februar« bis 1820 in Berlin, Braunschweig, Leipzig, Dresden, Potsdam, Breslau, Bremen, Magdeburg, Frankfurt und Mainz auf den Bühnen zu sehen war.182 Ob in den privaten Äußerungen über die stille Lektüre, die halböffentliche Lesung oder den individuellen Theaterbesuch, ob in den öffentlichen Rezensionen der Druckfassung oder in den Theaterkritiken der einschlägigen Journale – im Großen und Ganzen erregte der »Vierundzwanzigste Februar« ähnliche Reaktionen: Das Stück rief »Schrecken«183 und »Furcht«184 hervor, es ließ die Zuschauer »nicht zu Athem kommen«,185 es wurde mit den Attributen »gräßlich«,186 »schauerlich«,187 »entsetzlich« und »furchtbar«188 bedacht. Und in der »Allgemeinen Literatur-Zeitung« wurde gar infrage gestellt, ob das Drama überhaupt in einem Taschenbuch für Damen gut aufgehoben sei, »da das schöne Geschlecht seit dem Aufblühen der mystischen Poesie wieder anfängt, vor Gespenstern sich zu fürchten.«189 Von der eigentlich christlichen Botschaft, die 178 So am 30.01. und 28. 11. 1810 unter anderem in Anwesenheit von Caroline von Humboldt (1766 – 1829) und der Familien Willemer, Schlosser, Coes, Bröndsted, Riepenhausen und Rauch: Werner, Die Tagebücher, S. 159, 211. 179 Siehe dazu den Briefwechsel zwischen Karl Graf Brühl (1772 – 1837) und August Wilhelm Iffland vom 08. 07. 1812 bis zum 21. 07. 1812, in: Werner, Briefe, Bd. 2, S. 434 f. 180 So beispielsweise in der »Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung« und im »Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode«: J. O., Schöne Künste, S. 49 – 51; o. A., Urania, S. 20 – 23; o. A., Schöne Künste, S. 437 – 440. 181 Werner, Brief an Friedrich Arnold Brockhaus vom 21. 01. 1815, in: Ders., Briefe, Bd. 2, S. 278. 182 Bis 1820 aufgelistet bei: Schottelius, Fatum, S. 305. 183 J. O., Schöne Künste, S. 51; Pk., Der vierundzwanzigste Februar, S. 37. 184 J. O., Schöne Künste, S. 51; o. A., Schöne Künste, S. 438. 185 Pk., Der vierundzwanzigste Februar, S. 37. 186 Ebd.; o. A., Urania, S. 22; StaÚl, Über Deutschland, S. 398. 187 Iffland, Brief an Karl Graf Brühl vom 21. 07. 1812, S. 435. 188 Pk., Der vierundzwanzigste Februar, S. 37. 189 o. A., Schöne Künste, S. 438.

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Werner in diesem Drama darzustellen vorgegeben hatte, war beim Publikum offensichtlich nicht viel angekommen. Doch gerade das Grauen, das der »Vierundzwanzigste Februar« verbreitete, ergötzte die Leser und Zuschauer. Der Einakter Werners sei in Weimar und Lauchstädt »schon oft mit einem so lebhaften Antheil gesehen worden […], als vielleicht kein Werk eines modernen Dichters«, schrieb man in den »Berliner Abendblättern«.190 Und Henriette von Knebel schrieb nach der Aufführung in Weimar an ihren Bruder : »Daß der ›vierundzwanzigste Februar‹ sich mir in schwarzer Farbe in mein Gedächtniß eingedrückt hat, kann ich nicht läugnen. […] ich gestehe Dir, daß es mir, trotz allem Geschrei, was ich dagegen hören muß, gefallen hat.«191

Publikum und Kritiker waren sich einig: Zacharias Werner hatte mit seinem Drama ein »Meisterstück«192 geschaffen, das »in sich so vollendet« sei, »daß die Poesie keiner Nation etwas Gleiches dagegen stellen kann.«193 Weniger als zehn Jahre, nachdem Schillers »Braut von Messina« mit Pauken und Trompeten beim deutschen Publikum durchgefallen war, weil es dem Zeitgeist nicht entsprach, reüssierte mit dem »Vierundzwanzigsten Februar« ein dramatisches Werk in den deutschen Theatern, dessen innerste Triebfeder das »große, meisterhaft gelenkte Motiv« des Schicksals war.194 Der Weimarer Altphilologe Franz Passow (1786 – 1833) führte diese Beobachtung in der Zeitschrift »Pantheon« detailliert aus. Noch ganz im Schiller’schen Sinne entdeckte er in Werners Werk den »reinen Kampf der Freiheit gegen das Schicksal«, dessen Betrachtung »das erhebende Gefühl des Göttlichen in der irdischen Umhüllung erwecke«. Es war das Chaos der Welt, das Passow als das Schicksal identifizierte; und der Entschluss Kunzens, sich den weltlichen Gerichten zu stellen, wurde dem Rezensenten zum Vernichtungsakt der »todten Schicksalsmacht«, der Kunz erst wieder in die Freiheit entließ.195 Mit dieser Interpretation blieb Passow vollständig der Theorie des Erhabenen und ihrer Verwendung des Schicksalsgedankens verhaftet. Bereits vorher nahm er die Einwürfe vorweg, die solche Überlegungen noch zehn Jahre zuvor desavouiert hatten. Der Einwand, dass der antike Gebrauch des Schicksals in der Tragödie der christlichen Religion und dem jetzigen Glauben widerspreche, sei unangebracht. Die Begriffe »Vorsehung« und »Verhängnis« seien »höchstens dem subjectiven Standpunkt nach verschiedne Benennungen einer unwandelbar

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o. A., Von einem Kinde, S. 149. Knebel, Brief an Karl Ludwig von Knebel vom 28. 02. 1810, S. 418 f. o. A., Urania, S. 22; Freyherr von Nell, Nachweisung der Quelle, S. 12. o. A., Urania, S. 23. Passow, Der vier und zwanzigste Februar, S. 192. Ebd., S. 197.

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ewigen Idee«, und diese sei eben die Idee des Schicksals, »in voller alterthümlicher Kraft«.196 Die Aktualität und Angemessenheit dieses Gedankens wurde von anderen Kritikern bestätigt.197 Selbst Henriette von Knebel, die sich sieben Jahre zuvor noch entrüstet über den Schicksalsgedanken in der »Braut von Messina« geäußert hatte, rechtfertigte Werners Trauerspiel damit, dass doch die Griechen »auch alles aufs Fatum gestellt« hätten.198 Doch während Passow Werner noch zum rechtmäßigen Nachfolger der griechischen Tragödiendichter stilisiert hatte, weil er das Fatum genau nach antikem Vorbild abgebildet habe, sahen andere Beobachter bedeutende Modifikationen der antiken Idee durch Werners Schicksalsdarstellung. Bereits in Bezug auf die Anlage der Tragödie wurde bemerkt, dass Werner eine verarmte Gastwirtschaft in den Schweizer Alpen zum Ort des Schicksalswirkens auserwählt hatte, während die Alten den Kampf mit dem Schicksal nur am Beispiel von Fürsten exemplifiziert hatten: »Das blinde Schicksal kennet keinen Aristokratismus, es wüthet und vernichtet in geringeren wie in höheren Ständen und es läßt sich daher der Stoff eines Trauerspiels aus der Bauerhütte und der Bürgerwerkstätte holen, wie aus den königlichen Palästen und den Umgebungen des Throns.«199

Und tatsächlich musste das Publikum durch diese nichtidealisierte Form der Schicksalsdarstellung, die der eigenen Lebenswelt viel näher schien als die Sagenwelt antiker Helden, affiziert worden sein. Werner habe »alle tragischen Momente und Bestandtheile« des antiken Dramas verstärkt und gebe sie »in einem Brennpunkt gesammelt« wieder, hieß es 1815 im »Dramaturgischen Wochenblatt«.200 Auf diese Weise wurde der Schicksalsgedanke ebenso konkret wie lebendig dargestellt und den Zuschauern unmittelbar nahegebracht. »Die Nemesis der Alten war verhüllt und bekleidet, die Wernersche ist nackt und bloß, vom Scheitel bis zur Ferse«, schrieb August Ernst von Steigentesch (1774 – 1826) im »Deutschen Museum«.201 Das Schicksalswirken bei Werner knüpfte also direkt an den Erfahrungshorizont der Zuschauer und Leser an. Insofern ging die Werner’sche Schicksalsdarstellung nicht nur weit über diejenige der Antike hinaus, sondern bediente vollkommen andere Erwartungen und Bedürfnisse. Zu diesem Ergebnis kamen auch die zeitgenössischen Kommentatoren. Das »Dramaturgische Wochenblatt« ging 1816 der Frage nach, aus 196 197 198 199 200 201

Ebd., S. 192. Pk., Der vierundzwanzigste Februar, S. 32; o. A., Schöne Künste, S. 428. Knebel, Brief an Karl Ludwig von Knebel vom 28. 02. 1810, S. 419. Pk., Der vierundzwanzigste Februar eine Tragödie in einem Akt, S. 32. Ebd., S. 36. Steigentesch, Wie steht es um die deutsche Bühne?, S. 84.

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welcher Quelle Werner den Stoff des Dramas geschöpft hatte. Dabei verwies es auf das Drama »Blunt, oder der Gast« von Karl Philipp Moritz (1796 – 1793), das bereits im Jahr 1780 einen ähnlichen Stoff theatralisch verarbeitet hatte, dabei aber wenig erfolgreich gewesen war. Der Autor des Artikels führte die Unterschiede in der Wirkung auf einen einfachen Umstand zurück: Verschiedene Elemente, die Werner der Geschichte hinzugedichtet hatte, seien im Jahr 1780 noch nicht denkbar gewesen. So durfte die narrative Struktur der Tragödie in dieser Zeit nicht durch äußere Faktoren wie Jahrestage oder Gegenstände motiviert werden, sondern allein durch die Psychologie der Charaktere. Dass aber gerade das Gegenteil bei Werner möglich und erfolgversprechend gewesen war, sei die »Folge einer jüngeren mystischen Ansicht, welche die letzteren Jahre gebaren, von welcher das Jahr 1780 noch frei ist […].«202 Ähnlich führte die »Allgemeine Literatur Zeitung« den Erfolg des »Vierundzwanzigsten Februar« darauf zurück, dass das Werk einen bestimmten Nerv der Zeit getroffen habe und Vorstellungen bedienen könne, die im religiösen Glauben des Volkes ohnehin präsent seien.203 Die Idee, »die Macht der Hölle« auf einen Jahrestag zu beschränken, der zudem noch der eigentliche Schalttag sei, finde, »wenn nicht in der Religion, doch zum Theil im Volksaberglauben einen Anhalt«.204 Und Werner sei noch weiter gegangen: Ebenso wie die Wiederkehr des Datums, bediene auch die motivische Wiederkehr der Sense und des Messers gewisse volkstümliche Vorstellungen von einem verborgenen Zusammenhang der Dinge. »Diese Auswüchse des Wunderbaren scheinen selbst über die Grenzen eines möglichen Volksaberglaubens hinaus zu reichen, und Rec. ist geneigt, die für Verirrungen der Einbildungskraft in dem Gebiet des Mysticismus zu halten, wovon in den unvergänglichen Mustern der Alten keine Spur sich findet […].«205

Diesen Einschätzungen zu Folge hatte sich Werner also im Wesentlichen eines gelungenen dramaturgischen Kunstgriffs bedient: Er hatte nicht nur bereits vorhandene Elemente des volkstümlichen Glaubens an das Schicksalshafte aufgenommen und dramatisch bearbeitet, sondern zusätzlich noch weitere Motive erschaffen, die sich desselben Musters bedienten und einen Wiedererkennungseffekt auslösen mussten. Als Kind seiner Zeit, so wie bereits Goethe ihn

202 Pk., Woher stammt der Stoff, S. 34. 203 o. A., Schöne Künste, S. 439. 204 Ebd. Siehe ebenso: Blümner, Ueber die Idee des Schicksals, S. 155: »Der Volksglaube an die Wirkungen des Fluches ist wohl neuerlich nirgends vortreflicher für die Tragödie behandelt, als in dem so einfachen als erhabenen vier und zwanzigsten Februar, Werner’s Meisterwerke, einer echten Schicksalsfabel […].« 205 o. A., Schöne Künste, S. 440.

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bezeichnet hatte, musste er bei dieser Anleihe bei Bekanntem höchstwahrscheinlich nur auf sein eigenes religiöses Empfinden zurückgreifen. Dass diese Strategie ihre Wirkung nicht versagte, zeigen nicht nur die Reaktionen des zeitgenössischen Publikums. Bereits Goethe hatte die Aufführung des Stückes auf das Datum seines Titels festgesetzt und baute dadurch an dem von Werner erfundenen Schicksalsmythos mit. Und noch sechzehn Jahre nach der Weimarer Aufführung, als die Erfolgsgeschichte des romantischen Schicksalsdramas in Deutschland bereits zu Ende gegangen war, konnte man im »Freimüthigen Abendblatt« anlässlich des Selbstmords eines Knechtes folgende Notiz lesen: »Güstrow, den 11. März. An dem, seit Werner’s Trauerspiel verhängnisvollen 24sten Februar erhenkte sich hier ein Brennerknecht in dem Hause seines Herrn auf dem Boden, nahe vor der offenen Luke.«206 Die übereinstimmende Identifizierung der Schicksalsmotivik und deren Abweichung vom Schicksalsverständnis der Antike konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die zeitgenössischen Rezensenten und Kritiker die Schicksalsmacht in Werners Drama widersprüchlich ausdeuteten. Die einen glaubten sie im Werner’schen Drama als »Gesetz«,207 »unsichtbare Nothwendigkeit« oder »tote Naturkraft«208 zu entdecken und trugen einem Schicksalsverständnis Rechnung, das in Anlehnung an die Antike tatsächlich eine blinde Gesetzmäßigkeit meinte, die sich gleich »sich verknüpfenden Fäden«209 mit einem »hohen Grad an innerer Notwendigkeit«210 intentionslos und kausal entfaltete. An anderer Stelle wurde der Gang des dramatischen Geschehens aber auch von einer »höchste[n] Weltregierung«211 oder »höhere[n] Weltordnung«212 als bestimmt angesehen – was natürlich keinen Widerspruch bedeutete, wenn man diese Ausdrücke wie Franz Passow lediglich als Synonyme für eine zeitlose Schicksalsidee gelten ließ. In beiden Interpretationskontexten wurde der Schicksalsbegriff auf ein Prinzip reduziert, das den Menschen nicht nur übergeordnet war, sondern sich auch auf alle gleichermaßen erstreckte. Dennoch kam mit der zweitgenannten Spezifizierung des Schicksalsgedankens ein Moment an Sinnhaftigkeit in die Betrachtung, das Fragen nach Schuld, Strafe und Gerechtigkeit zuließ. In einem dritten Deutungszusammenhang konnte das Schicksal aber auch in Gestalt der »Spinnerinnen«213 auftreten, wurde als »Ge-

206 207 208 209 210 211 212 213

o. A., Güstrow, den 11. März, S. 227. o. A., Schöne Künste, S. 438. Passow, Der vier und zwanzigste Februar, S. 187, 193. Ebd., S. 187. Pk., Der vierundzwanzigste Februar, S. 34. Passow, Der vier und zwanzigste Februar, S. 198. o. A., Schöne Künste, S. 438. Steigentesch, Wie steht es um die deutsche Bühne?, S. 84.

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spenst«,214 »schwarzer Dämon«215 oder »Nemesis«216 bezeichnet. Diese Personifizierung verlieh dem Schicksal die Fähigkeit, intentional und zielgerichtet zu handeln und dabei auch ungerecht zu sein. So jedenfalls beschrieb Passow das Verhängnis, das an Kurt Kuruth »das wildeste Spiel seiner wunderlichen Launen auszulassen wollen scheint«, wenn es ihn zweimal in der Fremde dem Tode entreiße, um ihn im Elternhaus umkommen zu lassen. Ebenso trieb seiner Ansicht nach der »böse Dämon auch beim Tod der Schwester sein verborgenes Spiel«.217 In allen diesen Deutungen übernahm der Fluch des Großvaters die entscheidende Rolle als »Mittel zur Veranschaulichung«218 des Schicksals. Der Fluch war der Ausgangspunkt und Auslöser der Schicksalsgewalt, in ihm bündelten sich die unglücklichen Lebensläufe der Protagonisten, er war »die Vorsehung auf Erden«.219 Das Elend jedes Einzelnen sei wie ein Faden »an einem gemeinsamen Kloben, dem über alle waltenden Fluch« festgeknüpft.220 Insofern wurde der Vaterfluch auch als eigentlicher Mittelpunkt des gesamten Stückes wahrgenommen,221 obwohl er nur in der Retrospektive erwähnt wurde. Damit verband sich eine weitere Überlegung: Der Schicksalsgedanke im »Vierundzwanzigsten Februar« fungierte als Bindeglied zwischen den drei Zeitebenen. Im Prinzip habe Werner achtundzwanzig Jahre in einer Stunde zusammengedrängt222 und dadurch darauf hingewiesen, dass »das Loos eines Menschen nicht nach dem schmalen Raum zwischen Wiege und Grab« zu bestimmen sei. Jede Erinnerung an die Vergangenheit werde vom »Hohlspiegel des unwandelbaren Fluchs aufgefangen« und sogleich in die Zukunft reflektiert.223 Der Mensch müsse unmittelbare Gegenwart, Vergangenes und Zukünftiges gleichermaßen bedenken. »[…] und so sollen wir auch hier nicht an des Einen Kunz Kuruth Lebenszeit kleben, sondern als ein untheilbares Ganzes betrachten, was durch die Schicksalsbande des Bluts, und nun noch besonders des Fluchs, unauflöslich zu Einer Masse gährenden Aufruhrs verknüpft und verschmolzen ist, und wo nur die widerstrebende Freiheit jedes Individuums dieß graunvolle Chaos in einzelne, beseelte Gestalten zergliedert.«224

214 215 216 217 218 219 220 221 222 223 224

StaÚl, Über Deutschland, S. 386; o. A., Schöne Künste, S. 438. Passow, Der vier und zwanzigste Februar, S. 193. Steigentesch, Wie steht es um die deutsche Bühne?, S. 84. Passow, Der vier und zwanzigste Februar, S. 190 f. Ebd., S. 192. StaÚl, Über Deutschland, S. 399. Passow, Der vier und zwanzigste Februar, S. 187. So z. B. von: Pk., Der vierundzwanzigste Februar, S. 36. Passow, Der vier und zwanzigste Februar, S. 186. Ebd. Ebd., S. 197.

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Damit rückte ein gänzlich neuer Gedanke in die Debatte um den Schicksalsgedanken: Die Frage nach dem Wesen des Schicksals konnte am Beispiel des »Vierundzwanzigsten Februars« auch mit dem Hinweis auf die Vererbung beantwortet werden.225 Obwohl dieser Aspekt auch in anderen Besprechungen erwähnt wurde,226 war Passow der einzige der Rezensenten, der diese Überlegung konsequent weiter dachte. »Kunz und Kurt sind nur die letzten Sprossen eines Geschlechts, dessen frühere Zweige schwere Schuld auf sich ladeten [!], und die Lawinen gleich fortrollende noch schwerer auf Kinder und Enkel vererbten, bis diese der ungeheuren Last endlich erliegen.«227

Diesen »Schicksalsbanden des Bluts« lag eine gänzlich neue Schicksalsauffassung zugrunde: wenn Schicksal Vererbung bedeutete, dann war es nicht länger eine Gewalt oder ein Prinzip, das über den Menschen schwebte und von außen über sie hereinbrach. Unter den neuen Vorzeichen war das Schicksal, ganz im Gegenteil, im Innersten des Menschen verortet, für welches das Blut, das er von seinen Ahnen ererbt hatte, Metapher und Materie war. Freilich war er auch hier in gewissem Sinne ausgeliefert und – nach Passows Interpretation – prinzipiell unschuldig.228 Es ist erstaunlich, dass in den zeitgenössischen Besprechungen des »Vierundzwanzigsten Februar« die Frage nach der Verantwortlichkeit des Menschen für sein Tun und Lassen ansonsten kaum gestellt wurde. Vollkommen anders als in den Reaktionen auf die »Braut von Messina« wurde die Vorstellung, dass die Protagonisten willenlose Marionetten eines wie auch immer gedachten Schicksals waren, nicht problematisiert. Die Betonung des Vaterfluchs, der die Macht über Gegenstände, Personen und Handlungen ergriff, schien zu genügen, um die Dramenhandlung hinreichend zu motivieren. Nimmt man diese Befunde der Kritiken und Rezensionen zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Obwohl das Wort Schicksal im »Vierundzwanzigsten Februar« mit keiner Silbe Erwähnung fand, wurde es sofort als das bestimmende Motiv der Tragödie erkannt. Private Äußerungen stimmten darin mit öffentlichen Stellungnahmen überein. Analog zu der anhaltenden dramentheoretischen Diskussion der Zeit, die über Beiträge in gelehrten Zeitschriften längst den Kreis ausgewiesener Experten verlassen hatte und in die Allgemeinbildung übergangen war, wurde Werners Stück zunächst als gelungener Versuch bewertet, die 225 Siehe zur Verknüpfung des Schicksalsbegriffs mit dem Vererbungsbegriff ausführlich Kap. 5 und 6. 226 So u. a. bei: StaÚl, Über Deutschland, S. 397 f.; Pk., Woher stammt der Stoff, S. 34. Hier ist davon die Rede, dass sich auf Kurt »der schon vom Großvater ausgesprochene Fluch vererbte«. 227 Passow, Der vier und zwanzigste Februar, S. 192. 228 Ebd., S. 193.

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»Schicksalsfabel« der griechischen Antike in ein modernes Gewand zu kleiden. In diesem Zusammenhang knüpfte die Auseinandersetzung mit dem Drama von 1810 unmittelbar an die Debatten über Schillers »Braut von Messina« an, ohne dass auf dieses Stück trotz der Ähnlichkeit des Stoffes explizit Bezug genommen wurde. Erst in den späteren Stellungnahmen, die sich auf die Veröffentlichung des Dramas im Jahr 1815 bezogen, wurde die Schicksalsidee losgelöst von den antiken Vorbildern interpretiert. Die starke Wirkung, welche der »Vierundzwanzigste Februar« bei Lesern und Publikum hervorrief, wurde nun auf die unmittelbare Nähe zur Lebenswelt der Zuschauer zurückgeführt – teils, weil das Stück tatsächlich in der Gegenwart spielte und Bezug auf aktuelle politische Ereignisse nahm, teils, weil es religiöse Vorstellungen des Volksglaubens aufgriff beziehungsweise neu erschuf. Dabei wurde auch immer wieder auf die christliche Mystik verwiesen, die einige Autoren im Drama ebenso wirken sahen, wie sie in der Bevölkerung lebendig war. Hinsichtlich der semantischen Ausformung des Schicksalsbegriffs schien unter den Rezensenten einige Unklarheit zu herrschen. Anscheinend war im Drama selbst nicht deutlich geworden, welche Schicksalsauffassung der Autor eigentlich demonstriert hatte. Oder positiv formuliert: Der »Vierundzwanzigste Februar« bot eine weite Projektionsfläche, auf welche die unterschiedlichsten Schicksalsvorstellungen passten. Werner hatte motivisch überall geschöpft: Das Schicksal war in der zeitlichen Struktur des Dramas ebenso zu finden wie im Fluchgedanken oder in universalen Vorstellungen von Gerechtigkeit, in den erblichen Anlagen der Dramenfiguren ebenso wie im reichen fatalen Instrumentarium. Die Frage nach den Handlungsspielräumen des Menschen rückte dabei immer weiter in den Hintergrund. Es war nicht mehr von Belang, ob und wie der Mensch seine Freiheit behaupten und wie der Künstler in einem ästhetischen Erziehungsprogramm daran mitwirken konnte. Viel entscheidender war die Demonstration eines umfassenden Gefühls der Abhängigkeit, das sich anhand vieler Dinge konkretisieren ließ. Damit vollzog Zacharias Werners »Vierundzwanzigster Februar« den endgültigen Bruch mit der Tragödientheorie und Philosophie der Aufklärung und brachte das romantische Lebensgefühl par excellence publikumswirksam auf die Bühne.

Das Schicksal in Mode: Zuschauer- und Autorenstimmen Der tiefe Eindruck, den der »Vierundzwanzigste Februar« bei Lesern und Zuschauern hervorgerufen hatte, beschränkte sich nicht auf wohlwollende Kritiken. Zacharias Werner fand alsbald zahlreiche Nachahmer, die ihre persönliche Begeisterung für Stoff und Form literarisch umsetzten und damit teilweise er-

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folgreicher wurden als ihr Vorbild.229 Zwischen 1810 und 1825 eroberten zahlreiche Schicksalstragödien die deutschen Bühnen230 und wurden von Aufführung zu Aufführung enthusiastischer vom Publikum aufgenommen. Die Konstruktion der Stücke orientierte sich immer wieder am erfolgversprechenden Werner’schen Beispiel und lässt sich auf einige paradigmatische Handlungselemente reduzieren: Alle Dramen, die der Gattung zugeordnet wurden, rückten die Geschichten von Familien in den Mittelpunkt, deren Mitglieder in ihrer Vergangenheit unabsichtlich Schuld auf sich geladen hatten und in der Gegenwart dafür büßen mussten. Die Verbrechen, die den Ausgangspunkt der zu erwartenden Strafe darstellten, reichten von Ehebruch und Blutschande über den Eltern-, Bruder- oder Schwestermord bis zur Kindstötung. Immer lag diesen Verbrechen ein Missverständnis, eine Unkenntnis oder ein Versehen zugrunde, sodass die Übeltäter prinzipiell schuldlos schuldig wurden und dadurch zu Identifikationsfiguren für die Zuschauer werden konnten. Den Schandtaten folgte ein Fluch, eine düstere Voraussage oder ein prophetischer Traum, deren Realisierung dem Publikum zumeist in einer einzigen Situation vorgeführt wurde. Die Charaktere wurden typisiert dargestellt und vollzogen während der Dramen keine innere Entwicklung. Teilweise entstammten sie den einfacheren Gesellschaftsschichten und waren beispielsweise ausgediente Soldaten, Förster, Pächter, Wirte oder Leuchtturmwärter, teilweise repräsentierten sie aber auch altadelige Familien, die dem Untergang geweiht waren. Ausnahmslos hingen diese Figuren fatalistischen Lehren an und deuteten nicht nur die dargestellte Lebenssituation, sondern die gesamte Familiengeschichte über Generationen hinweg als von einer dunklen Schicksalsmacht bestimmt.231 Dieser individuelle Glaube ihrer Protagonisten wurde von den Autoren durch die Integration fataler Gegenstände, fataler Daten und geschickt eingesetzter Geräusch- und Lichteffekte für das Publikum bestätigt. Insgesamt ging es darum, eine gespenstische, gruselige Atmosphäre zu erschaffen, die alles, was auf der Bühne geschah, zum potenziell bedeutungsvollen Vorzeichen einer bald eintreffenden Katastrophe stilisierte.232 Es war keine Frage, dass dieser Ausgang unvermeidlich war. Da die Figuren auf der Bühne bis zum letzten, alles entscheidenden Verbrechen kaum handelten, sondern vornehmlich reflektierten 229 Im Folgenden werden nur die Schicksalsdramen von Adolf Müllner (1774 – 1829), Ernst Freiherr von Houwald (1778 – 1845) und Franz Grillparzer (1791 – 1872) etwas näher betrachtet. Weniger prominente Verarbeitungen der Werner’schen Vorlage finden sich beispielsweise bei: Willemer, Der Vaterfluch; Artner, Die That; u. v. m. 230 Eine Liste sämtlicher Aufführungen deutscher Schicksalstragödien bietet: Schottelius, Fatum, S. 512 – 516. 231 Minor, Einleitung, S. IV f. 232 Werner, Die Schicksalstragödie, S. 21 – 23.

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und deklamierten, blieb von einer denkbaren Willens- und Handlungsfreiheit kaum eine Spur. In der letzten Szene kam es dann zu einer Bluttat, die den althergebrachten Fluch zugleich erfüllte und auflöste. Die schuldlosen Verbrecher richteten sich selbst oder wurden gerichtet, sodass die metaphysische Gerechtigkeit ebenso befriedigt wurde wie das irdische Recht. Während Zacharias Werner die Schicksalsmacht im »Vierundzwanzigsten Februar« lediglich im Prolog erwähnt hatte, häuften sich die Schicksalssentenzen in den Werken seiner Nachahmer in bis dahin unbekanntem Maße. Hier war vom Schwert der Rache und vom Verhängnis die Rede, vom Schicksal, das den Menschen auf bösen Wegen führt,233 vom Schicksal das ruft,234 von der Schrift, die das Schicksal jedem auf die Stirne schreibt.235 Dramenfiguren wurden zum Werkzeug des Schicksals ernannt, sodass dieses dadurch zumindest mittelbar zum Protagonisten wurde.236 In Franz Grillparzers Erstlingswerk »Die Ahnfrau« (1816) betrat mit der Titelfigur das Schicksal sogar selbst die Bühne: Die Ahnfrau, als personifizierter Fluch, kündigte während des gesamten Dramas durch ihr unerwartetes Erscheinen die baldige Erfüllung einer düsteren Prophezeiung an. Die übrigen Dramenfiguren räsonierten darüber, dass sie, weit entfernt davon, Herren über ihr Tun zu sein, immer nur den Willen der Ahnfrau ausführten, der sie bis zum Vatermord treiben konnte: »JAROMIR: […] Wo ist der, der sagen dürfe: / So will ich’s, so sei’s gemacht! / Unsre Taten sind nur Würfe / In des Zufalls blinde Nacht – / Ob sie frommen, ob sie töten? / Wer weiß das in seinem Schlaf ? / Meinen Wurf will ich vertreten, / Aber das nicht, was er traf! / Dunkle Macht, und du kannst’s wagen / Rufst mir Vatermörder zu? / Ich schlug den, der mich geschlagen, / Meinen Vater schlugest Du!«237

Die leibhaftige Darstellung der Ahnfrau führte den Zuschauern deutlich vor Augen, dass Sage, Fluch und Macht des Schicksals nicht allein der Phantasie der Protagonisten entsprungen waren, sondern tatsächlich existierten. Der subjektive Schicksalsglaube des Einzelnen wurde zur objektiven Schicksalsgewissheit. Ein rationaler Abstand zum Geschehen war unter diesen Voraussetzungen unmöglich. War im »Vierundzwanzigsten Februar« noch unklar gewesen, ob das vorgestellte Schicksal einer Naturnotwendigkeit, einer sittlichen Weltordnung oder einer rachsüchtigen Gottheit entsprach, legten Autoren wie Müllner, Houwald und Grillparzer den Schwerpunkt eindeutig auf die letztgenannte Alternative. Das Schicksal war die Reinkarnation einer Rachegottheit, die in den christlichen 233 234 235 236 237

Müllner, Die Schuld, S. 359, 437. Ders., König Yngurd, S. 97. Houwald, Das Bild, S. 310. Ders., Der Leuchtturm, S. 496. Grillparzer, Die Ahnfrau, S. 135 f.

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Glauben eigentlich nicht integrierbar war. Sie bemaß nicht die individuelle Schuld, sondern raffte Unglückliche gleichermaßen hinweg wie wahre Bösewichte, übte Vergeltung bis in das letzte Geschlecht und konnte alles, was geschah, in ihrem Sinne instrumentalisieren. Sie würfelte, zog Lose und rollte das Rad.238 Nicht umsonst dominierte in den Dramen der Bezug zu den antiken Gottheiten Nemesis, den Erinnyen und den Eumeniden, während die Parzen und Moiren als Sinnbilder der Gesetzmäßigkeit immer mehr verblassten. Das Schicksal wurde zum unberechenbaren Gespenst, das jedem auflauerte und jeden verderben konnte. Emilie von Binzer (1801 – 1891) bestätigte diesen Eindruck in ihrer Beschreibung der Reaktionen des Wiener Publikums auf eine Aufführung der »Ahnfrau«: »Ich habe mancherlei Vorstellungen gesehen, aber nie eine, die das Publikum so durch und durch gepackt hätte, wie diese … Wie vom Entsetzen der Geisterwelt ergriffen, verließ man das Haus, von der obersten Galerie bis zu den ersten Ranglogen war die Erregung gleich; es gab keinen Freigeist mehr, ein Jeder hatte die schreckliche Erscheinung mit seinen Augen gesehen; in dieser Nacht gab es keinen ruhigen Schlaf.«239

Wie bei der »Ahnfrau« blieb den Zuschauern auch bei den anderen populären Schicksalstragödien vornehmlich das Gefühl des wohligen Gruselns, das zugleich abschreckte und faszinierte. Die Presse registrierte wie ein Seismograf die Reaktionen des Publikums. So sprach man beispielsweise in Bezug auf »Die Schuld« des Adolf Müllner, einem der erfolgreichsten Schicksalsdramen überhaupt, übereinstimmend von »lautem und fast allgemeinem Beyfall«,240 den das Werk in Österreich und Deutschland erregt habe, von den positiven Beurteilungen des gebildeten Publikums,241 von der allgemeinen Theilnahme und der grossen Wirkung,242 von der »ernste[n], und schöne[n] Aufmerksamkeit der Zuseher, womit sie jede Vorstellung dieses Trauerspiels aufnehmen.«243 Allein dieses Stück wurde zwischen 1814 und 1820 in Mannheim dreiundzwanzig Mal, zwischen 1815 und 1829 in Hamburg vierundzwanzig Mal und zwischen 1814 und 1838 in Berlin ganze fünfundfünfzig Mal aufgeführt.244 Kritiker bestätigten, dass ein Großteil der Zuschauer das Stück sogar mehrere Male hintereinander besuchte.245 In den Pressestimmen wurde die Frage nach dem dargestellten 238 Müllner, Die Schuld, S. 435; Houwald, Der Leuchtturm, S. 494; Grillparzer, Die Ahnfrau, S. 110. 239 Zit. n.: Politzer, Ödipus in Wien, S. 97. 240 Mp., Schöne Künste, S. 361. 241 o. A., Schöne Künste, S. 465. 242 Ders., Schöne Künste, S. 482, 484. 243 Bernard, Theater nächst der Burg, S. 218. 244 Nach einer Tabelle von: Schottelius, Fatum, S. 513. 245 So der überaus kritische Rezensent: Aurbacher, Studien, S. 16. Freilich lässt sich nur wenig

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Schicksal ein Hauptanknüpfungspunkt, um sich den Dramen interpretatorisch zu nähern.246 So ist es einigermaßen erstaunlich, dass sich einige der Schicksalsdramatiker selbst in die Debatten einschalteten, um sowohl ihre Dramen als auch ihre Person gegen den Vorwurf der Schicksalsgläubigkeit zu verteidigen. Insbesondere Adolf Müllner beeinflusste die Wahrnehmung seiner Werke massiv, setzte er doch den Druckfassungen ausführliche Vorberichte oder Anmerkungen hinzu, die tatsächlich kaum ein Rezensent unbeachtet ließ. In diesen Ausführungen versuchte Müllner seine Werke nicht nur in den Dienst des Erhabenen zu stellen, indem er vorgab, das Ringen des Individuums mit einer höheren Weltordnung zu thematisieren, die zugleich unbarmherzig streng und zweckmäßig gerecht und dabei im Glaubenssystem der Zeit verankert sei.247 Zugleich bestritt er, dem Schicksalsgedanken überhaupt einen Platz in seinen Dramen eingeräumt zu haben.248 Vielmehr habe er »den Himmel der Christenheit« über der dramatischen Handlung aufgespannt, in dem sich »die abgebüsste Schuld der Vergebung« und »die aufrichtige Reue der Versöhnung« begegneten.249 Damit projizierte Müllner die noch von Schiller ganz im Diesseits angesiedelte Befreiung des Menschen durch die Kunst in ein christliches Jenseits. Hier sollte der Mensch nicht zur selbstbewussten und selbstbestimmten Tat gegen ein Schicksal ermuntert werden, sondern zu einer demütigen Duldung der göttlichen Strafe und zur religiösen Hoffnung auf eine Vergebung nach dem Tod. Diesen Appell verknüpfte Müllner mit einer kritischen Beurteilung des deutschen Publikums und der zeitgenössischen Theologie. Er beklagte, dass die Theologie jahrelang allein die Güte Gottes betont habe, anstatt auch an seine Strenge zu erinnern. So sei es dazu gekommen, dass der weiche und leichte Sinn des Zeitalters die Lehre von der göttlichen Gerechtigkeit nicht in das wirkliche Leben integriere. Das Versprechen der unermesslichen Gnade Gottes im Jenseits sei den Menschen des 19. Jahrhunderts nicht genug.

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Gesichertes darüber sagen, ob es tatsächlich die Schicksalsidee war, welche die Zuschauer ins Theater lockte. Hierbei kamen sicherlich zahlreiche Faktoren zusammen. Rudolf Werner hat detailliert herausgearbeitet, dass neben der Wirkung des Schauerlichen insbesondere die zahlreichen Motive der Rührung den Erfolg beim Publikum begünstigten. Werner, Die Schicksalstragödie, S. 38 – 40. Hinzu kam die konkrete Darstellung durch die Schauspieler, die den Ruhm ihrer Namen auf die Dramen ausstrahlen ließen oder in den Figuren des Kunz, des Hugo oder des Jaromir ihre Paraderolle fanden. Ebd., S. 101 – 103. So unter zahlreichen anderen: Mp., Schöne Künste, S. 365; Bernard, Theater nächst der Burg, S. 212, 219 – 221; Rt., Am 2ten März, S. 108; o. A., Schöne Künste, S. 477 f.; Aurbacher, Studien, S. 2 – 9; o. A., Die Ahnfrau, S. 1129 – 1136; o. A., Nr. 2, S. 32 f.; Börne, Die Ahnfrau, S. 235 – 238. Müllner, Dramatische Werke, S. XIV f. Bernard, Theater nächst der Burg, S. 212. Müllner, Dramatische Werke, S. XV f.

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»[…] an das irdische Leben gekettet, möchten wir die Vergebung gern näher haben, und wer die Macht der täuschenden Kunst aufbietet, um einen zürnenden Himmel über unseren sündigen Häuptern zu wölben, von dem wenden wir uns gar bald wieder zu den milderen Tragödien, die das Gemüth mit der Erschütterung des Furchtbaren verschonen […].«250

Die Erfahrungen, die Müllner bei der Veröffentlichung seines »Neunundzwanzigsten Februar« gemacht hatte, schienen diese Einschätzung vordergründig zu bestätigen. Müllner hatte Werners grausame Motivik noch übertroffen: Neben den Kindsmord setzte er die Blutschande und erregte damit den Einspruch der Wiener Zensurbehörden, welche die Aufführung des Stückes für die Wiener Bühnen untersagten. Das Werk wurde solange nicht zugelassen, bis der königliche Hofschauspieler Nikolaus Heurteur (1781 – 1844) ohne Wissen Müllners die grausame letzte Szene konsequent strich, durch einen positiven Ausgang ersetzte und das Stück mit dem Titel »Der Wahn« neu etikettierte. Nachdem Müllner von diesen Änderungen und ihrer erfreulichen Resonanz erfahren hatte, überarbeitete er das Werk im nämlichen Sinne und autorisierte damit zähneknirschend die Fassungen der Wiener Bühnen.251 In dramaturgischer Hinsicht begründete er den nun verhinderten Sohnesmord mit der »Idee einer Vorsehung, die den leidenschaftlichen Walter bis an den Abgrund taumeln lässt, um ihn im Augenblicke des Falles zu retten, und ihn dadurch von seiner moralischen Krankheit zu heilen.«252 Auf diese Weise verlor die Darstellung der göttlichen Gerechtigkeit zwar ihre Strenge, doch Müllner hoffte dennoch, der Religionslehre durch sein Drama einen Dienst erwiesen zu haben. Ähnlich wie Müllner äußerte sich auch Franz Grillparzer zum Schicksalsgedanken in der »Ahnfrau«. In seiner »Selbstbiographie« aus den 1850er-Jahren führte er die Betonung der Schicksalsidee entschuldigend auf den Rat des Direktors des Wiener Hoftheaters und den Zeitgeschmack zurück: »Er [Josef Schreyvogel, F. R.] wußte nun nicht recht, wohin er mein Mondkalb anreihen sollte, und war ängstlich. Nicht als ob er den Gespensterspuk oder die sogenannte Schicksalsidee verworfen hätte, er verlangte vielmehr, daß letztere mehr herausgebildet werden sollte, namentlich der ganz unberührt gebliebene Umstand, daß das jetzt lebende Geschlecht geradezu die Frucht der Sünde der Ahnfrau sei. […] Ich machte die verlangten Änderungen, durch welche mein Stück nicht besser wurde […].«253

Er habe bereits nach der ersten Aufführung gemerkt, dass er mit dem Stück in dieser Fassung mit Werner und Müllner in eine Reihe gestellt werde, aber es sei 250 Ebd., S. XIX f. 251 So die Schilderung Adolf Müllners in der »Vorerinnerung« zum Drama »Der Wahn«: Ders., Adolph Müllners Theater, S. 169 – 174. 252 Ebd., S. 180. 253 Grillparzer, Selbstbiographie, S. 121 f.

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ihm verwehrt worden, bei den späteren Inszenierungen auf sein ursprüngliches Manuskript zurückzugehen. Dementsprechend seien auch die nationalen Kritiken und Rezensionen ausgefallen: »Da war nun von nichts die Rede als von Schicksal, daß Verbrechen durch Verbrechen gesühnt würden, und so weiter.« Doch genau genommen sei die Schicksalsidee in der Ahnfrau gar nicht vorhanden. Und selbst wenn man sie dort entdecken wolle, sei sie nichts als das Hereinspielen »eines Übersinnlichen in das Menschliche«, das die Poesie nie ganz entbehren könne.254 War das Schicksalsmotiv bei Grillparzer ein ästhetisches Mittel der Dramaturgie, bei Müllner die literarische Verarbeitung einer göttlichen Gerechtigkeit und bei Werner die Aufforderung zur christlichen Umkehr – alle einschlägigen Schicksalsdramatiker erklärten sich selbst zu Antifatalisten und spielten dabei publikumswirksam mit dem Eindruck von Schein und Sein.

Schicksalsgeschichten und Realgeschichte Zwischen 1810 und 1825 schrieben also unter brüsker Ablehnung des Schicksalsglaubens zahlreiche Autoren eine Reihe von Tragödien, die eine vom Schicksal bestimmte Handlung aufwiesen und in denen es von Schicksalsbeschwörungen nur so wimmelte. Diese Tragödien erfreuten sich beim Publikum ungeheurer Beliebtheit und erregten eine regelrechte Schicksalslust, die durch die Beachtung in der Presse noch verstärkt wurde. Die Kritiker identifizierten durchgängig den Schicksalsgedanken als das alles bestimmende Moment in den betreffenden Stücken, fanden ihn jedoch nicht in einer Nachahmung der attischen Tragödie, sondern in einer neuen, entweder volkstümlichen oder spezifisch christlichen Form verarbeitet. Insgesamt waren sich Autoren, Publikum und Rezensenten einig, dass die deutsche Bühne in dieser Epoche von der Schicksalsidee beherrscht war. Zurückgeführt wurde diese Modeerscheinung entweder auf tragödientheoretische Überlegungen im Spannungsfeld von Klassik und Romantik, auf vorherrschende Elemente des Volksglaubens oder auf einen anwachsenden Einfluss christlicher Glaubensinhalte. Was in den zeitgenössischen Stellungnahmen zur Erklärung des Phänomens durchgängig fehlte, war eine Bezugnahme auf aktuelle politische und soziale Vorgänge im Übergang zum Restaurationszeitalter, wie sie 1803 bei der »Braut von Messina« mit dem Hinweis auf die Französische Revolution und die napoleonischen Kriege noch hergestellt worden war. In der wissenschaftlichen Forschung über die Schicksalstragödie der Romantik wird seit dem Ende des 19. Jahrhunderts dennoch die politische Situa254 Ebd., S. 125.

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tion zu Beginn des Jahrhunderts zu einem der dominierenden Bezüge. Literaturund Theaterwissenschaftler von Jakob Minor und Rudolf Werner über Werner Kraft bis zu Susanne Balhar haben die Schicksalsbegeisterung der Zeit auf die historisch-politische Umbruchsituation zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückgeführt,255 die in einer mentalen und religiösen Krise gipfelte. Häufig wird der napoleonische Schock als Beginn eines nationalen Traumas angeführt, das keine andere Reaktion als die des Fatalismus zugelassen habe. Ruhe und Sicherheit des Bürgers seien grundsätzlich infrage gestellt worden, jeder Einzelne habe sich als Spielball der großen Mächte gefühlt, und das anschließende Zeitalter der Reaktion habe jede freie Tätigkeit auf sozialem und politischem Gebiet unterbunden. »Es ist verständlich, daß diese neuen Erfahrungen nicht sofort durch die Vernunft verarbeitet werden können. Es bleibt nur das Gefühl der Abhängigkeit von äußeren Mächten, von einem Schicksal.«256 So vordergründig einleuchtend diese Interpretation auch sein mag, so konstruiert erweist sie sich bei näherem Hinsehen. Zum einen wird vom Publikumserfolg der Schicksalsdramen sogleich auf eine fatalistische Grundhaltung der Gesamtbevölkerung geschlossen, ohne dafür Belege anzuführen;257 zum anderen findet sich die Verbindung von politisch-sozialer »Wirklichkeit« und dem Schicksalsgedanken der betreffenden Dramen nicht in den zeitgenössischen Beurteilungen. Durch die Brille des Schicksalsbegriffs betrachtet erwies sich die politische Situation zu Beginn des Jahrhunderts als Leerstelle. Werner Kraft hat diese Beobachtungen zum Anlass dafür genommen, die Schicksalstragödien der Romantik gewissermaßen gegen den Strich zu lesen und sie auf ihr Verhältnis zur Realität zu hinterfragen. Seine Argumentation dabei ist sehr plausibel:258 Ein wesentliches Strukturelement der Schicksalsdramen besteht in der Suggestion einer Kausalität zwischen Gegenständen, Ereignissen und Personen, die tatsächlich nicht vorhanden ist. Die Autoren reihen eine Folge von Zufällen aneinander, die – jeder für sich betrachtet – außerhalb des Willens und Bewusstseins des Menschen angesiedelt sind und deshalb eigentlich einen objektiven Charakter haben. In den Schicksalsdramen wird dieser objektive Charakter des Zufalls jedoch ignoriert und negiert. Zufällige Ereignisse werden nicht auf ihre historisch-gesellschaftlichen Ursachen zurückgeführt, die den Menschen ja tatsächlich determinieren und in seiner Willens- und Handlungsfreiheit einschränken, sondern in ihrer Verknüpfung in 255 Werner, Die Schicksalstragödie, S. 3 f.; Minor, Zur Geschichte, S. 20 f.; Kraft, Das Schicksalsdrama, S. 4, 6; Balhar, Das Schicksalsdrama, S. 50. 256 Werner, Die Schicksalstragödie, S. 4. 257 So schreibt Jacob Fath über den Erfolg der »Schuld« in Wien: »Das Drama wurde 1813 in Wien aufgeführt mit einem Beifall, der nur bei einem vollständig von fatalistischen Ideen befangenen Publikum möglich war.« Fath, Die Schicksalsidee, S. 26. 258 Siehe zum Folgenden: Werner, Die Schicksalstragödie, S. 3 – 7.

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einen religiösen Zusammenhang eingestellt und dadurch erst zum Schicksal. Diese fehlerhafte Einbettung erfolgt in den romantischen Schicksalsdramen durch den Begriff der Schuld. Schuld wird prinzipiell als religiöses Verschulden angesehen, das durch die Götter mit schicksalhaftem Unglück bestraft wird. Dadurch wird der Mensch zum Verantwortlichen für das eigene Leid. Er empfängt die Strafe des Schicksals zwar gerechterweise, aber unabhängig von der Wirklichkeit. Unschuld kann es in diesem Konstrukt nicht geben, weil außerhalb des Menschen kein Begründungszusammenhang für das Unglück mehr gefunden werden kann. Vor diesem Hintergrund interpretiert Werner Kraft den Schicksalsgedanken der Romantik als »Metapher für unbegriffenes Geschehen der Wirklichkeit«259 und das Schicksal selbst als »die irrationalisierten, mythologisierten, transzendierten Ergebnisse der gesellschaftlich-politischen Verhältnisse der Zeit«.260 Überzeugend weist Kraft diesen Mechanismus im »Vierundzwanzigsten Februar« nach, indem er aufdeckt, was Zacharias Werner bewusst verschweigt.261 Tatsächlich lassen sich die Unglücksfälle, die der Familie Kuruth begegnen, auf realgeschichtliche Ursachen zurückführen, die aber immer wieder geschickt verschleiert werden. Die genaue Datierung der Dramenhandlung ermöglicht eine Identifizierung der gesellschaftspolitischen Umstände, wie sie im Drama beschrieben werden. Wenn von Naturkatastrophen, Hunger und Armut die Rede ist, versäumt Werner es bewusst, auf die eigentlichen Ursachen der Pauperisierung der Massen durch Unruhen, Kriege und Missernten hinzuweisen. Wenn er die Ereignisse der Französischen Revolution mit der Tuilerienschlacht und der Hinrichtung Ludwig XVI. in die Lebensgeschichte Kurts integriert, dann nur als Demonstration des Historischen im Individuellen: Das französische Volk hat seinen König getötet, so wie Kunz seinen Vater getötet hat. Dass sich Kunz durch die verwehrte finanzielle Hilfe seiner Mitmenschen dazu genötigt sieht, den vermeintlich Fremden zu bestehlen, wird von Werner nicht unter der Fragestellung der Verteilungsgerechtigkeit thematisiert. So wird die Abschottung der Familie und Handlung im Schicksalsdrama zum Programm: Obwohl realgeschichtliche Bezüge Erwähnung finden, werden sie als Erklärungsansätze für das Geschehen auf der Bühne vollkommen ausgeblendet. In der privaten Familiengeschichte werden die Verbindungen zur Öffentlichkeit gekappt. »Solange die Frage der Theodizee gestellt wird, müssen Naturkatastrophen als vom einzelnen Menschen durch sein individuelles moralisches Verschulden auf sich gezogen gelten […]. Die Menschen in der Gottabhängigen Welt erfahren die Armut nicht als Wirklichkeit unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen, sondern als eine vom 259 Ebd., S. 2. 260 Ebd., S. 43. 261 Siehe zum Folgenden: Ebd., S. 58 – 63.

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Parodien und Kritik

transzendenten Gott autorisierte Grundkonstituente menschlicher Existenz überhaupt.«262

Kraft wertet diese Uminterpretation ereignisgeschichtlicher Bezüge als politische Stellungnahme für die Reaktion. Solange das Individuum vor einem religiösen Deutungshintergrund als alleinschuldig für sein Elend angesehen werden kann, braucht es keine gesellschaftspolitische Veränderung. Gottes Gnade allein vermag den Menschen zu befreien, nicht politisches Handeln. Das Paradoxe, so könnte man ergänzen, bestand also darin, dass die Schicksalstragödien die Menschen, gerade weil sie diese als prinzipiell schuldig darstellten, von der Verantwortung für ihr Leben und Handeln entbanden. In dieser Ausformung wurde der Schicksalsbegriff wirkmächtig, was den Eindruck eines von fatalistischen Ideen durchdrungenen Zeitalters zu bestätigen vermag.263

4.4

Parodien und Kritik

Genau an diesen Punkt knüpfte gegen 1820 auch der wachsende Missmut einer Reihe von Schriftstellern an, die den Weg der deutschen Literatur in eine andere Richtung lenken wollten. Neben heute weniger bekannten Autoren264 sind es bekannte Namen wie Ludwig Tieck, August von Platen (1796 – 1835), Ludwig Börne (1786 – 1837) oder Karl Gutzkow (1811 – 1878), die sich in Kritik und Parodie gegen die Propagierung eines Schicksalsglaubens wandten, der den Menschen von der Verantwortung für sein Tun entband und in ein alles erduldendes Phlegma fallen ließ. Es gelang insbesondere der dramatischen Parodie, die Absurditäten der Schicksalstragödien auf den Punkt zu bringen, indem sie die zahlreichen stilistischen Mittel zur Darstellung des Schicksalhaften bis zum Überdruss steigerte und dem Publikum damit die versteckten Mechanismen der Gattung vor Augen führte.265 Die Autoren, die sich genau das zum Ziel gesetzt hatten, verwiesen schon mit den Titeln ihrer Dramen auf diese Absicht: »Frau Ahndel« von Karl Meisl, »Eumenides Düster« von Anton Richter und »Die verhängnisvolle Gabel« von August von Platen enthielten ebenso wie der »Der dreizehnte November« von Karl Gutzkow zugleich zitierende wie persiflierende Elemente der 262 Ebd., S. 61. 263 Eine nähere Erläuterung des Zusammenhangs von Begriffs- und Politikgeschichte wird in Kap. 5.1 stattfinden. 264 So z. B. Ignaz Franz Castelli (1781 – 1862), Alois Jeitteles (1794 – 1858), Karl Meisl (1775 – 1853) und Anton Richter (1797 – 1827). 265 Kurze Zusammenfassungen der einschlägigen Parodien bietet: Hirsch, Die Schicksalstragödie, S. 276 – 284.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

»klassischen« romantischen Schicksalstragödien.266 Auch »echte« Romantiker wie Joseph von Eichendorff (1788 – 1857) reihten sich durch Werke wie »Meierbeths Glück und Ende«267 in die Gruppe der Parodisten ein. Mit der harmlosen Satire »Seinem Schicksal kann niemand entgehen«268 zeigte selbst der Schicksalsdramatiker Ernst von Houwald, dass er der Gattung mit Humor begegnen konnte, und offenbarte zugleich, dass seine ernsthaften dramatischen Versuche eher ökonomischen Erwägungen als der persönlichen Begeisterung für den Stoff entsprungen waren. Beispielhaft soll eine der frühesten dieser Parodien näher untersucht werden. Im Jahr 1818 gaben die »Brüder Fatalis« die Tragödie »Der Schicksalsstrumpf« heraus, in der, laut Personenverzeichnis, neben Roderich I., Roderich II. und Kunigunde auch das Schicksal eine Hauptrolle einnahm und als »Strumpf, Bedienter, Ahnung, Dolch, Herr Faddumm, türkischer Handelsmann, Hund [und] Schicksal« auf die Bühne trat.269 Angestachelt durch das Schicksal in variabler Gestalt gaben sich die Figuren des Dramas gegenseitig dem Verderben preis, wobei der verhängnisvolle Strumpf, den Kunigunde bereits in der ersten Szene »für Rodrichs große Füße«270 strickte, letztlich den Beweis für ihren Ehebruch lieferte. Die Autoren Ignaz Franz Castelli und Alois Jeitteles spielten in dieser Tragödie, die sich ziemlich bald als Lustspiel entpuppte, raffiniert mit Zitaten aus den bis dahin bekannten Schicksalsdramen. Hier tauchten Verwechslung, Ehebruch, Kindesentführung, Inzest, Vatermord und Sohnesmord auf, Stricknadeln brachen, fatale Daten wurden beschworen, es war von einem Teufelspakt die Rede, Ahnungen und Träume verhießen Unheilvolles, Geister erschienen, es donnerte und blitzte, das Schloss versank in Schutt und Asche, die Protagonisten wurden zuerst wahnsinnig und dann in den Untergrund gezogen – bis das Schicksal zum Schluss bemerkte, dass es sich in der Tür geirrt hatte, reumütig das zuvor zerstörte Schloss wieder aufbaute, sich entschuldigte und mit dem Strumpf in der Hand und einem »Behüt’ sie Gott allerseits« im Erdboden versank.271 Mit dieser Inszenierung gaben Castelli und Jeitteles nicht nur das Schicksal als Figur der Lächerlichkeit preis, sondern auch die Dramatiker, die es beschworen, und das Publikum, das daran glaubte.272 »Der Schicksalsstrumpf« war 266 Meisl, Die Frau Ahndel; Richter, Eumenides Düster ; Platen, Die verhängnisvolle Gabel; Gutzkow, Der dreizehnte November. 267 Eichendorff, Meierbeths Glück und Ende. 268 Houwald, Seinem Schicksal. 269 Castelli und Jeitteles, Der Schicksalsstrumpf, S. 14. 270 Ebd., S. 16. 271 Ebd., S. 159 f. 272 »Schicksal (als Bedienter): ›[…] Aber ich / Freue vieler Gönner mich: – / Alle Schauspieldirectoren / können wohl mich nimmer hassen, / Weil ich fülle ihre Kassen, / Und die Schauspielkünstler machen / Auch mit mir gemeine Sache, / Weil ich sie hübsch schreien

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Parodien und Kritik

beißender Spott im Gewand eines harmlosen Schwankes. Er zeigte die Selbstaufgabe der Menschen, die sich einer Macht verschrieben, die ihnen jede Freude am Leben nahm, und identifizierte diese Haltung als Signum eines ganzen Zeitalters. Der Gebrauch des Verstandes war diesem Zeitalter vollkommen fremd, stattdessen herrschte der Wahnsinn: »Klügelt, klügelt nur gewandt, / Mit Verstand / Richtet man jetzt nichts mehr aus, / Und der Wahnsinn bringt heraus, / Was kein Leibniz und kein Kant / Durch Philosophie erfand.‹«273 Bereits in den Anfangsversen, die dem eigentlichen Drama vorangestellt waren, wurde diese Kritik zu einer allgemeinen Religionskritik zugespitzt. »So ist auch dieser Schicksalsstrumpf gewoben, / aus tiefbedeutsam sinniglichen Fäden, / Ein klares Bild von Eures Innern Toben. / Er will zu Euch mit Geisterworten reden / Wie Kunigunde selbst sich thät umstricken / Sich Hölle schaffend für ein freudig Eden […].«274

Kunigunde wurde hiermit zum Sinnbild der Gesellschaft. Das Versprechen himmlischer Freuden nach dem Tod ließ die Menschen in irdische Reglosigkeit versinken, da nur denjenigen Gerechtigkeit im Himmel beschieden wurde, die ihre Schuld auf Erden eingesehen und dafür willig gebüßt hatten. Für die Menschen, die nicht schuldig waren, ließ sich schon noch eine Schuld finden,275 sodass prinzipiell unzweifelhaft war, dass innerer Frieden im jetzigen Leben nicht erreicht werden konnte. Castellis und Jeitteles’ Aufforderung an Leser und Zuschauer war keine geringere, als genau diesen Glauben infrage zu stellen, da sie die Gewissheit hatten, dass sich auch das Schicksal »irren« konnte, sprich, dass jeder den Schlüssel zu seiner Glückseligkeit selbst in der Hand hielt. Ein anderer Weg, diese Botschaften unter das Volk zu bringen, war die literarische Kritik. Ludwig Börne, der später als Vordenker und Vorbild des »Jungen Deutschland« bekannt wurde, tat sich bereits früh mit harschen Verurteilungen der aktuellen Schicksalsdramen hervor und veröffentlichte in seiner Zeitschrift »Die Waage« und später in den »Dramaturgischen Blättern« einige Besprechungen der Dramen von Ernst von Houwald und Franz Grillparzer. Diesen Rezensionen ist deutlich anzumerken, dass Börne im omnipräsenten Schicksalsgedanken auch eine politische Dimension erblickte, die zu einem Volk passte, das sich »nach dem gemütlichen Pantoffel« sehnte und »wenn ein Gewitter kommt, die Köpfe zusammensteckt und geduldig über sich herdonnern läßt.«276 In seinem Selbstverständnis als liberaler Literaturjournalist bedeutete

273 274 275 276

mache, / Und dadurch gefallen sie; – / Die empfindungsvollen Frauen, / Welche, ich darf nur erscheinen, / Ordentlich sich mager weinen, / Sind doch auch auf meiner Seite; –.‹« Ebd., S. 83. Ebd., S. 135. Ebd., S. 10. Ebd., S. 63. Börne, Vorrede, S. 209, 211.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

die Theaterkritik für Börne zugleich auch immer die Reflexion aktueller Zeitumstände. Die Bühne schien ihm dabei als ein Raum, der nicht allein ein Spiegel der sozialen Zustände war, sondern über den gleichermaßen auch Einfluss auf die Gesellschaft ausgeübt werden konnte. Die Dominanz der Schicksalstragödien auf den Spielplänen seiner Zeit konnte Börne deshalb nur mit Sorge und Misstrauen betrachten. Im Schicksalsdrama werde die sittliche Freiheit des Einzelnen der Gemeinschaft geopfert, hieß es in seiner Rezension der »Ahnfrau«,277 und den dahinterstehenden Mechanismus sah Börne in der Zweckentfremdung des Theaters zu einem sakralen Ort. Über das Mittel der Religion werde der Mensch durch Werke wie die »Ahnfrau« seiner Selbstbestimmung beraubt. Anstelle von Autonomie erhalte er das Versprechen der Unsterblichkeit, anstatt sich wie ein Vogel hoch in die Lüfte zu schwingen, werde er an die ewige Weltordnung gekettet. »Sooft das Schicksal mit der zermalmenden Keule als Sieger die Bühne verläßt, so oft ist auch die dramatische Kunst von ihrer Bestimmung abgewichen, und der Tempel der Freude hat sich in einen Tempel des Gottesdienstes umgewandelt.«278

Börne erkannte, dass die christliche Verbrämung des Schicksalsgedankens, wie sie von Grillparzer und anderen immer wieder zur eigenen Rechtfertigung betont wurde, die moralische Freiheit des Einzelnen unmöglich machte. Sie verband die Schwäche des Menschen mit seiner Lasterhaftigkeit, sodass er notwendigerweise schuldig werden und im Kampf gegen das Schicksal unterliegen musste. »Die Bühne der Christen ist eine Schule der Torheit: die Tugend soll siegen und das Laster siegt. Ist der Wille frei und stark, warum unterliegt er? ist er schwach, warum wird die Schwäche als Sünde angerechnet? … Leidenschaften?… Ob wir diesen, ob wir unserem bösen Geschicke unterlagen, es war der nämliche Kampf – das Schicksal hat uns besiegt.«279

Ohne es zu explizieren, wurde der politische Vorwurf offensichtlich: Über das religiöse Argument wurde den Zuschauern suggeriert, dass sie an ihrem Leben nichts ändern konnten, weil sie aufgrund ihres Menschseins bereits schuldig waren. Der Mensch unterlag einer Notwendigkeit, die keine sittlichen Anforderungen an ihn stellte und deshalb unbezwingbar war. Wie im realen Leben konnte der Verweis auf die bestehenden Zustände so zum Vorwand dafür werden, den Kampf gar nicht erst anzutreten. Wer ihn antrat, war zum Untergang verurteilt: Das besondere Leben wurde dem gemeinschaftlichen Tod geopfert.280 277 278 279 280

Ders., Die Ahnfrau, S. 236. Ebd., S. 235. Ebd., S. 238. Ebd., S. 236.

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Parodien und Kritik

In einer Rezension der »Heimkehr« von Houwald räsonierte Börne über die konkreten gesellschaftlichen Konsequenzen des Schicksalsgedankens in der Diktion der neuen Tragödien. Schonungslos deckte er die absurde Kausalitätsstruktur in den betroffenen Stücken auf, welche die tatsächlichen gesellschaftlichen Zusammenhänge von Schuld und Strafe verwischte. »Wo bleibt das Schicksal? Ach wäre es nur immer weggeblieben. Mit Schmerz denkt ein Liberaler daran, daß in Deutschland nie Geschwornengerichte werden eingeführt werden dürfen. Welches Unheil würde daraus entstehen, wenn man einer in der neuen ästhetischen Schule gebildeten Jury die Strafgerechtigkeit in die Hände geben wollte? Schlägt ein Vater den Sohn tot, um ihm sein Geld zu stehlen, denkt eine poetische Jury : ›es war ein vierundzwanzigster Februar‹, und spricht: Nicht schuldig. Erschlägt ein Kain seinen Bruder, wird es einer Zigeunerin zugeschoben und der Mörder losgesprochen. Versucht ein Mann seinen Nebenbuhler zu vergiften, erwägt die psychologische Jury, daß eine Geschichte von einem schwarzen Schwan unglücklicherweise in die Quere gekommen, und vergibt … Es ist zum Erbarmen!«281

Natürlich forderte Börne keineswegs die Verschärfung des Strafrechts. Vielmehr war seine polemische Zuspitzung die Aufforderung an seine Leserschaft, sich nicht länger auf Phrasen zurückzuziehen und endlich die Verantwortung für das eigene Leben und Handeln zu übernehmen. Nicht Gott, das Schicksal oder eine wie auch immer geartete Weltordnung zwangen die Gesellschaft zur Untätigkeit; nein, sie betäubte sich selbst und versuchte dies durch die Religion zu rechtfertigen. Insofern stand Ludwig Börnes Verurteilung der beliebten Schicksalstragödien seiner Zeit in einem größeren gesellschaftspolitischen Zusammenhang, der weit über die Sphäre der Literatur hinausreichte. Sie war paradigmatisch für ein Verständnis von literarischer Publizistik als Medium zur Veränderung der Gesellschaft – einer Gesellschaft, welcher der aktuelle Rückzug auf den Schicksalsgedanken ein Hindernis auf dem Weg zur politischen Emanzipation war. Ob die romantischen Schicksalstragödien dem Druck der Kritik nicht mehr standhalten konnten oder einfach dem Wandel des Zeitgeschmacks zum Opfer fielen, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Als gesichert kann jedoch gelten, dass die Idee, das Schicksal als eine sich außerhalb der Personen befindende übernatürliche Macht auf die Bühne zu bringen, in den 1820er- und spätestens in den 1830er-Jahren als unzeitgemäß erschien. In der zeitgenössischen Tragödientheorie bemerkt man eine deutliche Abkehr von dem Schicksalsgedanken in dieser aus der Antike überlieferten Form. Rudolf Werner identifiziert Gustav Freytags »Technik des Dramas« von 1863 als endgültigen Abschluss dieser Entwicklung,282 wenn jener schreibt: 281 Börne, Die Heimkehr, S. 293. 282 Werner, Die Schicksalstragödie, S. 1.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

»Wie sind freiere Menschen geworden, wir erkennen auf der Bühne kein anderes Schicksal, als ein solches, das aus dem Wesen des Helden selbst hervorgeht.«283

Mit der romantischen Schicksalstragödie war die Lust am Gespenstischen und Übersinnlichen zumindest auf der Bühne erst einmal gesättigt. Fortan drang der Schicksalsbegriff in Bereiche vor, die genuin als säkular galten.

4.5

Das Schicksal als Dämon – Zusammenfassung

Richtet man den Blick auf der Suche nach der dominierenden Semantik des deutschen Schicksalsbegriffs auf den Beginn des 19. Jahrhunderts, so stößt man fast zwangsläufig auf die Entwicklungen, die in diesem Kapitel nachgezeichnet wurden. Das Schicksal als Dämon, als wiederbelebte und zugleich neuerfundene Schicksalsgottheit war nicht allein ein Thema der Literatur, obwohl es sich in dieser Gestalt zur »Zentralidee«284 der literarischen Romantik entwickeln konnte. Der Aufstieg einer Tragödiengattung, die den Begriff des Schicksals im Namen führte, war lediglich die auffälligste Erscheinung eines gesamtgesellschaftlichen Phänomens. Anhand der Rezeptionsgeschichte von Schillers »Braut von Messina« und der romantischen Schicksalstragödien konnte gezeigt werden, dass die Theateraufführungen zu Ereignissen wurden, an denen sich der Austausch und die wechselseitige Veränderung von allgemeinen und individuellen Schicksalsauffassungen vollzogen. Die Autoren, die Rezensenten und das Publikum beeinflussten sich massiv in dem, was dargestellt wurde und dargestellt werden konnte, und formten auf diese Weise jenen eigentümlichen Schicksalsbegriff, der aufgrund seiner Omnipräsenz als der dominante bis ca. 1830 gewertet werden darf. Blicken wir noch einmal zurück auf die Anfänge: Das rege Interesse für den Schicksalsglauben der Antike stand literaturgeschichtlich gesehen zunächst unter dem Stern der Klassik. Im stetigen Schwanken zwischen der Historisierung und der Verehrung des Altertums285 war jedoch schon der potenzielle Umschlagpunkt angelegt, an dem aus dem leuchtenden, aber fernen Beispiel antiker Glaubensauffassungen deren schöpferische Neubelebung werden konnte. An sich wurden beide Umgangsweisen von unterschiedlichen Motiven getragen: In der Historisierung wurde die Diskrepanz zwischen Antike und Moderne generell akzeptiert, die »Alten« lediglich als leuchtendes Beispiel einer aufgeklärten Lebenshaltung dargestellt, während die Verehrung von dem Bestreben getragen wurde, das antike Modell auf die Gegenwart zu übertragen und 283 Freytag, Die Technik des Dramas, S. 79. 284 Klemann, Die Entwicklung, S. 52. 285 Riedel, Antikerezeption, S. 153.

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Das Schicksal als Dämon – Zusammenfassung

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wirklich lebendig werden zu lassen. Die eine Rezeptionsform war jedoch die Basis, auf der sich die andere erst entwickeln konnte, und gerade aus jener verselbstständigten sich wiederbelebte Schicksalsvorstellungen in markanter Weise. Dieser Prozess fand am Beginn des 19. Jahrhunderts statt. Schiller hatte die antike Form nur als Anregung für eine reformierte Dramentheorie herangezogen, bei der genau genommen nicht der Schicksals-, sondern der Freiheitsbegriff im Mittelpunkt stand, und hatte an diesem Gedanken auch »Die Braut von Messina« ausgerichtet. Mit diesem Versuch wollte er gegen die aktuellen Tendenzen der romantischen Dichtung Stellung beziehen.286 Rezipiert wurde Schillers Umgang mit der Schicksalsidee jedoch als der Versuch, antikes Gedankengut vollständig zu revitalisieren. Diese fehlerhafte Rezeption war es, welche die Etablierung der eigentlichen Schicksalstragödien ermöglichte, da sie insbesondere in romantischen Kreisen die Beschäftigung mit der antiken Idee forcierte und Adaptionen, Transformationen und Gegenentwürfe evozierte. Konkret gesprochen adaptierten Autoren wie Zacharias Werner und Adolf Müllner den Schicksalsbegriff, wie ihn Schiller allein der Seite der Natur zuerkannt hatte,287 und verabsolutierten diesen zu einem bestimmenden Prinzip des gesamten Menschen. So wandelte sich das antike Schicksal im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert von einem anatomischen Untersuchungsobjekt zu einem unkontrollierbaren Wiedergänger. Wir haben gesehen, dass es Schiller sowohl in der Tragödientheorie als auch in ihrer praktischen Umsetzung darum gegangen war, aus der Konfrontation mit dem erbarmungslosen Schicksal ein ästhetisches Erziehungsprogramm zu entwickeln, das dem Menschen eine sittliche Freiheit ermöglichen sollte. Es galt, ein Theater zu überwinden, das allein um das Alltägliche, um das Nichtige kreiste und damit die erbärmliche Natur des Menschen wieder und wieder reproduzierte, anstatt sie ins Große zu transformieren. Schillers Reformversuche gingen dahin, »das große gigantische Schicksal, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt«,288 wieder auf die Bühne zu bringen, um das Streben nach heroischer Größe, nach dem Erhabenen zum Programm auch für das alltägliche Leben werden zu lassen. Der Versuch, sein Publikum mit dem Schicksal zu impfen, um es von diesem zu befreien, verlief jedoch anders als geplant. Die Schicksalsdramatiker der Romantik brachten den Schicksalsvirus umso stärker in Umlauf, je heftiger er auf das Publikum wirkte, und zwar ironischerweise indem sie das zueinander brachten, was Schiller noch als Unmöglichkeit vorgekommen war : Sie holten das 286 Adam, Das Experiment, S. 42. 287 Reinhardt, Das ›Schicksal‹ als Schicksalsfrage. 288 Schiller, Shakespears Schatten, S. 306 f.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

Schicksal in die Welt des Bürgers, ja des Kleinbürgers, und machten die erbärmliche Existenz zum Wirkungskreis der großen Schicksalsmacht. Hier erst konnte jeder Gegenstand, jedes Datum, jedes Ereignis über eine konstruierte (Pseudo-)Kausalität zum Beweis ihres Wirkens und ihrer unanfechtbaren Herrschaft werden; und hier erst entfaltete sich auch das Identifikationspotenzial des Schicksalsgedankens, da an bekannte Lebensumstände angeknüpft wurde. Der Gegensatz des von der Antike abgeleiteten und über die Rezeption der romantischen Schule transformierten Schicksalsbegriffs zu den gängigen Schicksalskonzeptionen der Aufklärung hätte größer kaum sein können: Von einem Weltstrukturgesetz, in dem die Vorsehung Gottes ebenso ihren Platz fand wie die Universalität mechanischer Kausalität, das also auf Berechenbarkeit und Verlässlichkeit angelegt war und über die Vernunft hergeleitet werden konnte, wandelte sich das Schicksal im frühen 19. Jahrhundert zu einer im Extremfall personifizierten gottähnlichen Macht, deren Handeln nach menschlichen Maßstäben nicht nachvollziehbar war, die willkürlich und aus Freude an der Vernichtung verfuhr. Weder in der »Braut von Messina« noch in den zahlreichen romantischen Schicksalstragödien ist etwas zu spüren von einer göttlichen Macht, die es prinzipiell gut mit den Menschen meint, und sie einer Naturordnung gemäß an ein vorherbestimmtes Ziel führt. Das Kennzeichen des romantischen Schicksalsmodells war Rache und Vergeltung, ihr menschliches Pendant daher Sünde und Schuld. Unter diesen Umständen musste der Schicksalsbegriff in gänzlich neue Deutungshorizonte eingeordnet werden. Für Schiller hatte die Tragödie, den Schicksalsdeutungen des 18. Jahrhunderts gemäß, noch unter der Frage gestanden, wie der Mensch angesichts der unbeherrschbaren Natur, der er selbst angehörte, seine Freiheit erringen und bewahren konnte. Unter dem philosophischen Freiheitsaspekt wurde das Drama zu dieser Zeit auch noch rezipiert, aber wegen der verklausulierten Darstellung des Freiheitsappells für unangemessen befunden. Einige Jahre später hingegen, im Kontext der romantischen Schicksalstragödien, wurde die offensichtliche Unfreiheit der Protagonisten, ihre Degradierung zu willenlosen Marionetten gar nicht erst zur Kenntnis genommen, geschweige denn hinterfragt. Der Schicksalsbegriff wurde aus dem philosophischen Freiheitsdiskurs in den Diskurs religiöser Sünde und Buße verpflanzt. Werner und Müllner wollten keinen Weg zur menschlichen Autonomie weisen, sondern stellten in ihren begleitenden Erklärungen die Abhängigkeit von einem unberechenbaren Schicksal einer Abhängigkeit von einem christlichen Gott gegenüber. Als Alternative zur antiken schicksalhaften Vergeltung boten sie die christliche Vergebung. Doch diese Alternative änderte nichts an der gemeinsamen Grundvoraussetzung: der prinzipiellen Schuldigkeit des Menschen aufgrund seines Menschseins.

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Das Schicksal als Dämon – Zusammenfassung

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Obwohl die Frage der Schuld auch bei Schiller, wie wir nachgewiesen haben, eine entscheidende Rolle spielt, wird sie in der »Braut von Messina« in einen ganz anderen Zusammenhang gestellt als in den späteren Schicksalstragödien. Die größte Schuld, die Schiller aufzeigt, ist die individuelle Verschreibung der Protagonisten an eine Schicksalsmacht, anstatt sich auf die Verantwortung für das eigene Handeln zu besinnen. Der Schuldbegriff Schillers weist deshalb in erster Linie auf die Legitimationsfunktion von Religion, für die der Schicksalsglaube ein einprägsames Beispiel ist. Um einen Weg aus dieser Selbsttäuschung aufzuzeigen, werden die Herrscher von Messina immer noch als Handelnde gezeigt, die versuchen, in irgendeiner Weise mit dem Schicksal umzugehen, es zu umgehen, es zu antizipieren, es herbeizuzwingen – auch wenn sie damit auf die Katastrophe zusteuern. Dieses Ringen mit dem Schicksal fehlt in Tragödien wie dem »Vierundzwanzigsten Februar« völlig. Die Überzeugung von der eigenen Schuld lässt die Protagonisten in eine fast körperlich spürbare Starre fallen. Eine Erlösung aus eigener Kraft ist nicht möglich, sie sind auf die Hilfe des christlichen Glaubens angewiesen. Im Endeffekt verfolgt die Erhebung des Schicksals zum bestimmenden Faktor der ganzen Dramenhandlung also eine dreifache Strategie: Sie wirft die Katastrophen, die dem Menschen widerfahren, auf den Menschen selbst zurück, indem sie alle auch außer ihm liegenden Ereignisse auf sein individuelles Sosein beziehen. Von dieser Last auf den Schultern wird der Mensch zwar unendlich niedergedrückt, zugleich jedoch in einem Atemzug von der Aufgabe, an dem Zustand seiner Qual etwas zu ändern, befreit; er kann nur erleiden, aber nichts bewirken.289 In einem dritten Schritt soll diese Akzeptanz der Schicksalsbestimmtheit dann zur Erkenntnis der Allmacht Gottes führen, in dessen Armen allein Zuflucht zu finden ist. Im Schicksalsdrama wird das Schicksal in der letzten Szene immer in die Vorsehung transformiert.290 Es ist fraglich, ob diese Strategie an einem Theaterabend tatsächlich aufging. Den Rezensionen nach zu urteilen überwog das angenehme Gruseln die christliche Erlösungshoffnung bei Weitem. Langfristig gesehen musste die andauernde Konfrontation mit Schuld, Rache, Leiden und Hoffnung jedoch ein Klima der Resignation bis hin zur Selbstaufgabe begünstigen, das im Übrigen auch für andere Gebiete des gesellschaftlichen Lebens dieser Zeit konstatiert worden ist und das in weiten Teilen politisch motiviert war.291 Folgerichtig konstatierten die Kritiker der Schicksalstragödien, die nicht allein von einem rein ästhetischen, sondern von einem gesellschaftspolitischen Standpunkt aus argumentierten, einen gesamtgesellschaftlichen Quietismus, der sich durchaus 289 Kraft, Das Schicksalsdrama, S. 4. 290 Niehaus, Die Ironie, S. 139. 291 Siehe dazu Kap. 5.1.

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Der dämonische Schicksalsbegriff der Romantik

auch in einem Rückgriff auf die Religion manifestierte. Castelli, Jeitteles und Börne sahen die unmittelbaren Wirkungen des bis zum Überdruss reproduzierten Schicksalsgedankens aus diesem Grund in der Abwendung von den Prinzipien der Aufklärung und den Maßgaben der Vernunft, die durch die Hinwendung zu dem »freudig Eden«292 des Christentums wieder kompensiert wurden. Die Kritik selbst war jedoch schon das Symptom eines grundlegenden Stimmungsumschwunges, der sich endgültig im Vormärz vollzog. Doch schon bereits vorher kündigte sich diese Entwicklung an. Wendet man den Blick von der Literatur auf die Ebene der Politik, stößt man in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auf eine Umwandlung des Schicksalsgedankens, der zwar die Ursprünge mit literarisch-romantischen Vorstellungen teilte, aber spätestens ab den antinapoleonischen Kriegen einen gänzlich anderen Weg einschlug.

292 Castelli und Jeitteles, Der Schicksalsstrumpf, S. 10.

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Die Stiftung kollektiver Identität

5.1

Von der Dämonisierung des Schicksals zu seiner nationalen Vergemeinschaftung

Die Politik ist das Schicksal In seinem autobiografischen Roman »Anton Reiser« (1785 – 1790) schildert Karl Philipp Moritz ein motivisch wiederkehrendes Spiel seines Protagonisten, welches diesen von früher Kindheit bis in die Studienjahre begleitet. Schon der zehnjährige Anton überträgt die Eindrücke, die er bei der Lektüre der Sagen des klassischen Altertums empfängt, auf sein eigenes begrenztes Umfeld und spielt die mythologischen Kämpfe und Schlachten mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nach. Ebenso wie Nesseln und Disteln, gelbe und weiße Blumen oder Papierfiguren können ihm Kirsch- und Pflaumenkerne zu den Soldaten zweier feindlicher Heere werden, die gegeneinander in den Krieg ziehen. Doch anstatt die mutigsten, listenreichsten oder stärksten Krieger taktisch zu bevorteilen und siegen zu lassen, bedient sich Anton Reiser einer anderen Methode, um die Schlachten zu entscheiden. Mit einem Stock oder einem eisernen Hammer bewaffnet schlägt er mit geschlossenen Augen auf die Soldaten und Helden ein, um danach befriedigt das Werk der Zerstörung zu betrachten. Das Ritual geschieht dabei nicht willkürlich oder absichtslos, sondern gewinnt durch ein Rollenspiel Antons seinen festgesetzten Sinn. In seinem Spiel stellt er das über alles waltende, unerbittliche Schicksal dar, das blind und unparteiisch über Wohl und Wehe der Krieger entscheidet. »Wenn er auf der Wiese ging, so machte er eine Scheidung und ließ in seinen Gedanken zwei Heere gelber oder weißer Blumen gegeneinander anrücken. Den größten unter ihnen gab er Namen von seinen Helden, und eine benannte er auch wohl von sich selber. Dann stellte er eine Art von blindem Fatum vor, und mit zugemachten Augen hieb er mit seinem Stabe, wohin er traf. […] So liefen alle seine Spiele, auch mit Kirschund Pflaumkernen, auf Verderben und Zerstörung hinaus. Auch über diese mußte ein blindes Schicksal walten, indem er zwei verschiedne Arten als Heere gegeneinander

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Die Stiftung kollektiver Identität

anrücken und nun mit zugemachten Augen den eisernen Hammer auf sie herabfallen ließ, und wen es traf, den traf ’s.«1

In Momenten größter Verzweiflung greift Anton das Spiel auch in seinen Jugendjahren wieder auf. Als er von aller Welt verlassen, ausgehungert, voller Selbsthass, ja fast rasend sein Dasein in dem Haus eines Bürstenbinders fristet, hält ihn allein das alte Spiel mit Pflaumen- und Kirschkernen am Leben. Mit besonderer Sorgfalt kennzeichnet er die schönsten unter ihnen als Heerführer und stellt alle in einer wohldurchdachten Schlachtordnung auf, um kurz darauf alles zu zerstören. Der Besitz des Hammers verleiht ihm eine unentrinnbare Macht über Geringe und Hohe, die er im wirklichen Leben nicht besitzt.2 Karl Philipp Moritz verwendet das Schicksalsmotiv im Roman vornehmlich, um den Gemütszustand seines Protagonisten zu deuten, was der Konzeption der Erzählung als einem psychologischen Roman entspricht. Folgerichtig beurteilt der Erzähler den zerstörerischen Akt als Gefühl der totalen Ohnmacht. Anton, so der Erzähler, übte eine »ohnmächtige kindische Rache am Schicksal, das ihn zerstörte, schuf sich auf die Art eine Welt, die er wieder nach Gefallen zerstören konnte.«3 Unter dieser Perspektive ist das fatale Kriegsspiel des Protagonisten die individuelle Verarbeitung persönlicher Schicksalsschläge durch eine Allmachtsphantasie, welche die Frage aufkommen ließe, wie hier die Schicksalsidee mit der biografischen Idee des Selbst verbunden wird. Die dargestellten Szenen können jedoch auch aus einem allgemeineren Blickwinkel betrachtet werden. Was man in dem kindlichen Spiel Antons jenseits einer persönlichen Kränkung entdecken kann, ist die fundamentale Verbindung von Schicksal und Politik. In der vielleicht unintendierten Darstellung dieser Verbindung wird ein gänzlich untypisches Bild des Krieges gezeichnet. Krieg war im 18. Jahrhundert ein legitimes Mittel, um politische Interessen durchzusetzen. Den Erfolg eines Feldzuges entschieden die angemessene Strategie mit einer adäquaten Schlachtordnung, die Qualität der Ausrüstung, die Einsatzbereitschaft der Soldaten und das Vermögen der Heerführer. Und so werden auch in Moritz’ Schilderung des kindlichen Kriegsspiels alle diese Kriterien berücksichtigt.4 Doch die sorgsamen Vorbereitungen können das Kriegsglück nicht beeinflussen. Der Krieg, im traditionellen Verständnis Bewährungsort und Gelegenheit der heroischen Profilierung, nimmt keine Rücksicht auf Rang und Namen und vernichtet den Hohen ebenso wie den Niedrigen. Vor dem Schicksal sind alle gleich: »[…] wen es traf, den traf ’s«.5 Ohne dass 1 2 3 4 5

Moritz, Anton Reiser, S. 30 f. Ebd., S. 220. Ebd. Ebd., S. 31. Ebd., S. 30.

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Von der Dämonisierung des Schicksals zu seiner nationalen Vergemeinschaftung

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Moritz es explizit erwähnt, sind die Glücklichen allein diejenigen, die das Schicksal unbeabsichtigt verschont. Mit der Auffassung, dass politischer Erfolg nicht vom menschlichen Willen, sondern von Schicksalshand bestimmt wurde, erwies sich Karl Philipp Moritz’ Schicksalsschilderung am Ende des 18. Jahrhunderts geradezu als prophetisch. Nur kurze Zeit nach der Veröffentlichung des »Anton Reiser« setzte sich in Deutschland die Überzeugung durch, dass die politische Umwälzung Europas nur durch einen Mann geschehen konnte, der nicht nur als ein Werkzeug des Schicksals wirkte, sondern tatsächlich die Inkarnation des Schicksals war. Napoleon Bonaparte soll 1808 in jener denkwürdigen Begegnung mit Johann Wolfgang Goethe voller Überzeugung gesagt haben: »Die Politik ist das Schicksal.«6 Für die Dauer von fünfzehn Jahren beherrschte Napoleon die Politik.7

Schicksalsahnungen am Beginn des 19. Jahrhunderts Die Französische Revolution und die Herrschaft Napoleons über Europa kennzeichnen in der Geschichtswissenschaft zu Recht eine Epochenschwelle, welche die Neuere Geschichte von der Moderne trennt.8 Zu Beginn noch enthusiastisch begrüßt, verhießen die Ereignisse in Frankreich für die deutschen Zeitgenossen den Beginn eines neuen Zeitalters. Zunächst schätzte sich die Öffentlichkeit glücklich, die rasanten politischen und gesellschaftlichen Veränderungen im Nachbarland beobachten zu dürfen, bis die deutschen Länder selbst in den Strudel der Ereignisse gezogen wurden und sich mit einem Mal in das Zentrum der Umwälzungen versetzt sahen. »Die Zeit im Gebärstuhle« – so war im Mai 1809 eine anonyme Magdeburger Flugschrift überschrieben, welche die Unfassbarkeit der Ereignisse der vergangenen zwanzig Jahre in eindrücklichen Worten auszudrücken versuchte. »Die Gegenwart ist schwanger an Zukunft! Die Zeit sitzt im Gebärstuhle, kämpfend mit den Geburtswehen, großer Ereignisse! In einem Zeitraum von zwanzig Jahren, ereigneten sich der Weltbegebenheiten so viele, und von so verschiedener, höchst intereßanter Art, daß es nur dem aufmerksamen Beobachter möglich war, ihnen zu folgen; 6 Goethe, Biographische Einzelheiten, S. 273. 7 Hargen Thomsen hat darauf hingewiesen, dass Napoleon hierbei in erster Linie den Primat der Politik vor der Literatur herausstellen wollte: Ders., Aber die Großen und Virtuosen, S. 141. 8 Das folgende Kapitel begreift sich auch als Beitrag zu der von Ute Planert geforderten Geschichte des Wandels von Erfahrung im napoleonischen Zeitalter, wobei der Erfahrungsbegriff als »kontextabhängig, sozial vermittelt und durch eine semiotische Struktur organisiert« aufgefasst wird. Dies., Einleitung, S. 16.

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festzuhalten mit seinem Blick, vermochte er keine derselben; denn oft bot ein einziges Jahr allein schon, eine Reihe von Ereignissen dar, die in einem andern Zeitalter und unter andern Umständen und Verhältnissen hingereicht haben würden, ein halbes Jahrhundert, auszufüllen.«9

Diese unglaubliche Verdichtung von Zeit, die sich in der Geschwindigkeit des weltpolitischen Wandels manifestierte, hatte gravierende Konsequenzen für den Erwartungshorizont der hin- und hergerissenen Beobachter. Die Zukunft ließ sich nicht länger voraussagen, indem man die Erfahrungen der Vergangenheit in die Zukunft projizierte.10 Denn tagtäglich entstanden neuartige Welten vor den Augen der erstaunten Zuschauer und verhießen ein neues Vertrauen in das Zukünftige, bevor sie mit derselben Geschwindigkeit, mit der sie gekommen waren, wieder im Nichts versanken. Und gespannt wartete man darauf, dass hinter dem »Vorhange der Zeit« eine vollkommen neue, aber beständigere Welt hervortrat, die alles bisher Gekannte überformen würde.11 Die Geburtswehen der Zeit manifestierten sich im Umsturz alles Althergebrachten durch Revolution und Krieg. Monarchen wurden entthront, Ländergrenzen neu gezogen, Recht und Gesetz umdefiniert, Freund-Feind-Kategorien vertauscht, und es wurde nicht zuletzt unendlich viel gestorben. Von ca. vier Millionen Toten zwischen 1789 und 1815 geht die historische Forschung mittlerweile aus,12 sodass in der zeitgenössischen Publizistik zu Recht davon gesprochen wurde, dass das »Blut wie Wasser ins Meer des Todes« floss.13 Apokalyptische Visionen in Anlehnung an die Johannesoffenbarung waren angesichts dieser Verhältnisse an der Tagesordnung14 und wurden nicht nur in zahlreichen Karikaturen, sondern auch in literarischen Texten wirkungsvoll in Szene gesetzt.15 Doch im Gegensatz zu solchen eher späten Versuchen, die Geschehnisse der Zeit in ein vertrautes Deutungsmuster einzubetten, war in den ersten Jahren der napoleonischen Eroberungszüge weniger klar, in welches Narrativ sich das Erlebte einfügen ließ. Unabhängig vom politischen Lager deuteten zahlreiche Autoren die weltpolitischen Begebenheiten als undurchschaubare, aber doch sinnvolle Fügung eines übermenschlichen Willens, der unaufhaltsam ein unfassbares Ziel verwirklichte. Die Eroberung Europas durch Napoleon war zu erfolgreich, als dass man ihre einzelnen Schritte auf bloße Zufälle zurückführen konnte. 9 10 11 12 13 14

Spies, Die Erhebung, S. 138. Becker, Zeiterfahrung, S. 68. Siehe zum Wandel des Zeitbewusstseins in der napoleonischen Ära: Ebd., S. 80 – 85. Glaser und Vajda, Die Wende von der Aufklärung zur Romantik, S. 3. Spies, Die Erhebung, S. 139. Ute Planert hat das für den württembergischen Pietismus detailliert nachgewiesen: Dies., Der Mythos, S. 348 – 363. 15 Siehe dazu: Beßlich, Der deutsche Napoleon-Mythos, S. 92 – 108.

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Von der Dämonisierung des Schicksals zu seiner nationalen Vergemeinschaftung

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Man solle das Wort Zufall gänzlich aus der Geschichte verbannen, schrieb daher ein anonymer Autor 1808 in der Zeitschrift »Minerva«. Der Zufall sei nur der Ausdruck für diejenigen Inzidenzfälle, deren Zusammenhang der Mensch mit seinem beschränkten Verstand nicht zu fassen vermöge. »Wenn […] eine ganze Reihe solcher Incidenzfälle, welche unabhängig vom Menschen und gänzlich außerhalb seinem Calcul liegend, beynahe ununterbrochen stets in dem kritischen Augenblick wichtiger Begebenheiten eintreten, und eben so sonderbar stets zu Gunsten einer und eben derselben Sache entscheiden: dann verdiente gewiß eine solche Erscheinung eine genauere Würdigung, als daß man dieselbe blos einem Unding, dem Zufall zuschreibe. Nur aus Stolz sträubt sich unser Verstand, in menschliche Dinge eine höhere Vorsicht einzuflechten […].«16

So interpretierten auch zahlreiche andere Beobachter den Gang der Dinge als verwirklichten Plan einer göttlichen Vorsehung. Dem Schriftsteller Friedrich Gentz (1764 – 1832), der 1805 nach der Schlacht von Austerlitz wegen seiner antifranzösischen Haltung ins Exil gehen musste, wurde dieser Deutungshorizont zum Hoffnungsschimmer für die Zukunft. In einem Brief vom 16. Oktober 1807 sah er im Zerstörungswerk der Weltgerechtigkeit die Grundsteinlegung für eine neue Ordnung der Dinge.17 Und ein glühender Verehrer Napoleons präzisierte diese Voraussicht in der Zeitschrift »Friedenspräliminarien« dahingehend, dass Gott Napoleon gesandt habe, um die Epoche des Mittelalters mit all ihren Strukturen endgültig zu beenden und ein neues Zeitalter aus der Taufe zu heben.18 Es war für viele unbestreitbar, dass der Ausgang der großen Begebenheiten, die sich allenthalben vollzogen, nicht mehr in der Hand der Menschen lag, sondern an anderer Stelle bestimmt wurde. Noch vor dem Krieg und dem Sieg der napoleonischen Truppen über Preußen, auf dessen Seite auch das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach kämpfte, prophezeite der Schriftsteller Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) im März 1806, dass das nördliche Deutschland sehr bald »den Schauplatz eines Krieges abgeben würde, dessen schmählichen und unseligen Ausgang wir mit trostloser Gewißheit voraussehen könnten.« Diese Gewissheit speiste sich aus seinem Gefühl, dass es ratsamer sei, »sich der eisernen Notwendigkeit lieber mit guter Art zu unterwerfen, und ein wenigstens leidliches, wiewohl auf Kosten der Ehre und Gerechtigkeit getroffenes Ar16 v. K., Ueber den Geist der Völker, S. 79. 17 »Auch ich glaube, daß aus dem gegenwärtigen Chaos, da zu unserm Glück und Trost, dem Werkzeuge der strafenden Weltgerechtigkeit, nur Gewalt zum Zerstören, aber keine, durchaus keine, zum Wiederaufbauen verliehen ward, eine neue und bessre Ordnung der Dinge sich entwickeln wird.« Friedrich Gentz, Brief an Karl Gustav Brinckmann vom 16. 10. 1807, in: Spies, Die Erhebung, S. 28. 18 o. A., Napoleons Bestimmung, S. 4.

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rangement einem zwar rühmlichen, aber ebenso vergeblichen als verderblichen Widerstand vor[zu]ziehen […].«19

Die Einschätzung, am Gang der Dinge nichts ändern zu können, weil eine eiserne Notwendigkeit ohnehin alles einem bislang unbekannten Ziel entgegentreibe, hatte in diesem Fall zweifelsohne fatalistische Züge. Und je weniger absehbar wurde, ob Napoleons Feldzüge tatsächlich eines Tages scheitern würden, desto mehr begriff man das Los, das die widerständigen deutschen Länder traf, als ein unentrinnbares, aber auch selbst verschuldetes Schicksal. Als sich im Frühjahr 1811 ernste Spannungen zwischen Russland und Frankreich abzeichneten, zwischen denen Deutschland drohte zerrieben zu werden, war vollkommen unklar, welche Politik Preußen in einem Kriegsfall verfolgen sollte. Agnes von Gerlach (1761 – 1831), Frau des Oberbürgermeisters von Berlin, konnte unter diesen Umständen gegenüber ihrer Schwester nur resigniert bemerken: »In jedem Fall gehen wir alle dabei zugrunde, so will es das Schicksal.«20 So blieb vielerorts nur die Hoffnung, dass der Schicksalsgang der Geschichte irgendwann einmal ein Ende nehmen werde, oder – wie Friedrich Gentz es gegenüber Clemens Graf von Metternich (1773 – 1859) formulierte –, dass »doch nicht dasselbe blinde Fatum allenthalben und immer walten wird […]«.21

Des Schicksals Werkzeug und Vollstrecker – Napoleon So undurchsichtig es auch war, auf welches Ziel Europa zusteuerte, so war man sich doch schon zu Beginn des Jahrhunderts darüber einig, dass die Vorsehung, das Schicksal oder das Verhängnis sich für ihre Zwecke einen einzigartigen Menschen zum Werkzeug auserwählt hatten.22 Es ist bemerkenswert, dass sogar der später so erbitterte Napoleonfeind Joseph Görres (1776 – 1848) in seiner Zeitschrift »Das rothe Blatt« eine »Ode auf Buonaparte« (1798) veröffentlichen ließ, die den französischen Feldherrn nach seinem Sieg über Italien als »Fortunas Liebling« bezeichnete.23 Geschuldet war diese allegorische Stilisierung dem Eindruck, dass Napoleon den unterdrückten Völkern ihre Freiheit bringe und deshalb der legitime Vollstrecker der Ideale der französischen Revolution sei.24 Soviel Bewunderung aus diesen Worten zunächst auch sprach, so impli19 Christoph Martin Wieland, Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 17. 03. 1806, in: Kleßmann, Deutschland unter Napoleon, S. 70 f. 20 Agnes von Gerlach, Brief an ihre Schwester vom 09. 07. 1811, in: Ebd., S. 379. 21 Friedrich Gentz, Brief an Clemens Graf von Metternich-Winneburg vom 24. 07. 1812, in: Spies, Die Erhebung, S. 191. 22 Siehe dazu auch: Schulz, Der ›deutsche‹ Napoleon, S. 33. 23 Görres, Ode auf Buonaparte, S. 259. 24 Planert, Der Mythos, S. 546, 548 f.

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zierte der Verweis auf die Göttin des Glücks doch auch den Hinweis auf ihre Launenhaftigkeit und ihren Wankelmut, weil sie denjenigen, den sie einmal emporgehoben hatte, ebenso schnell wieder fallenlassen konnte. Doch so schnell schien das Glück Napoleon nicht zu verlassen. Obwohl die innenpolitischen Verhältnisse Frankreichs, insbesondere nach Napoleons Staatstreich und seiner Kaiserkrönung, in Deutschland zunehmend mit Misstrauen beobachtet wurden und Anlass zu der Vermutung gaben, dass der Freiheitskämpfer Napoleon ein despotischer Machtmensch mit machiavellistischen Zügen war,25 tat das der insgeheimen Anerkennung keinen Abbruch. In diversen Artikeln der Zeitschrift »Minerva« konnte man seit 1806 immer wieder lesen, dass Napoleon der Mann war, in dessen »Hände die Vorsehung das Schicksal gelegt zu haben« schien.26 Er sei derjenige, den das »vorbereitende Schicksal […] mit der hohen Bestimmung herabgesandt [hatte], […] die chaotischen Kräfte eines lange zerrütteten Welttheils zuerst in ein harmonisches Ganzes zu ordnen«.27 Er war »begünstigt vom Schicksal, wie noch niemals ein Sterblicher«,28 er war »mit einer höhern Macht im Bunde [und schien] dem Zufall zu gebieten, der doch vielmehr als sein schützender Dämon ihm überall zur Seite stehet.«29 Napoleon verhieß schon deshalb ein neues Zeitalter, weil er die bisherigen Gesetzmäßigkeiten der Weltgeschichte gerade durch seine unablässigen Triumphe ad absurdum geführt hatte. Die Kriege der früheren Zeiten waren von der Wandelbarkeit des Glücks bestimmt gewesen, der auch die ganz großen Feldherren vollkommen ausgeliefert waren. Im Endeffekt war es die Tücke des Zufalls, die über Sieg und Niederlage bestimmte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte sich dieses Erfahrungswissen jedoch zunächst vollkommen anders dar : »Seitdem Napoleon mit unbeschränkter Macht an der Spitze seines Volkes steht, sehen wir die bewundertsten Helden der Vorzeit durch ihn verdunkelt. Nie ist das Glück ihm ungetreu; es scheint im Gegentheile ihm unterthan. […] Wir staunen über die Macht, welche Gott diesem Menschen gegeben hat.«30

Stellte dieser anonyme Autor den französischen Kaiser damit zunächst als einen neuen Messias dar, so bemühte er sich anschließend, die göttliche Sendung mit dem Hinweis auf Napoleons natürliche Begabung zu relativieren. »Wir glauben an keine Wunder in dem Sinne, in welchem die Kirche sie glaubt […].« Dennoch Beßlich, Der deutsche Napoleon-Mythos, S. 62. o. A., Gemählde von Europa, S. 239. Z., Politische Reflexionen, S. 327. Beßlich, Der deutsche Napoleon-Mythos, S. 307. v. K., Ueber den Geist der Völker, S. 82. Weitere Beispiele der Assoziation des Vorsehungsbegriffs mit Napoleon bei: Planert, Der Mythos, S. 549 – 553. 30 o. A., Napoleons Bestimmung, S. 2.

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blieb auch unter Berücksichtigung der angeborenen Talente Napoleons ein Rest des Unerklärlichen, den es aufzuklären bedurfte, um den Franzosen als Phänomen zu begreifen. »[Denn] bey alle dieser Gunst der Natur und der Umstände, hätte er doch diese Wirkungen nimmermehr und nie auf diese Weise zu Stande gebracht, wenn nicht leitend und schützend eine höhere Macht über ihn waltete. Nennt sie Verhängnis oder ewige Weltordnung oder Vorsehung. Wir werden uns leicht vereinigen über ihren Namen. Aber sie ist da, obwohl unsichtbar ; sie leitet ihn auf seinem Pfade, obwohl ihr Schritt nicht bemerkt wird, er erfüllt ihren Willen, indem er den seinigen thut; selten trug ein menschliches Wesen den Stempel der Selbstständigkeit, wie er, und doch ist er nichts als ihr Werkzeug.«31

Die Übereinstimmung von Napoleons persönlichen Vorhaben mit den Absichten der Macht, über deren Namen man sich erst noch einigen musste, überhöhte die Stellung Napoleons noch mehr, weil sie seinen Handlungen den Anschein des Freiwilligen und Unbeschwerten gaben. Das Verhängnis, die Vorsehung, die ewige Weltordnung oder eben auch das Schicksal wurden hier als eine Instanz angesehen, die ihre Zwecke auch ohne Zwang erreichte und weit davon entfernt war, die Menschen gegen ihren Willen zu vorausbestimmten Taten zu nötigen. So sprach man auch 1807 in der »Minerva« davon, dass Napoleons Interessen sowohl mit den höheren Interessen des allwaltenden Schicksals als auch mit den gerechten Forderungen der Menschheit übereinstimmten, Napoleon selbst also »mit dem Geiste des Zeitalters ein immer engeres und engeres Bündniß« errichte.32 Die Stilisierung zum Günstling des Schicksals oder der Vorsehung speiste sich einerseits aus der deutschen Beobachtung der außenpolitischen Schachzüge Napoleons.33 Andererseits hatte sie ihren Ursprung auch in seiner öffentlichen Selbstdarstellung, die ein entscheidendes Mittel war, um seine Macht zu legitimieren.34 Sowohl in private Gespräche mit deutschen Geistesgrößen als auch in öffentliche Proklamationen ließ Bonaparte Bemerkungen über das Schicksal einfließen und erweckte so den Eindruck, dass er auch persönlich von seiner außergewöhnlichen Bestimmung überzeugt war. Neben der berühmten und vielfach interpretierten Begegnung zwischen Napoleon und Goethe im Oktober 1808,35 die mit ihrer bekannten Schicksalssentenz bereits angesprochen wurde, berichtete auch Johannes von Müller (1752 – 1809) davon, wie Napoleon mit ihm über Fragen des Schicksals gesprochen hatte. Der Hofhistoriograf des Hauses 31 32 33 34 35

Ebd., S. 3. Z., Politische Reflexionen, S. 323 f. Schulz, Der ›deutsche‹ Napoleon, S. 35 – 38. Zur Selbstinszenierung Napoleons siehe: Thamer, Macht und Repräsentation, S. 39 – 52. Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 504 – 566; Seibt, Goethe und Napoleon; Seifert, Goethe und Napoleon.

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Brandenburg, der ein erklärter Napoleon-Gegner war, begegnete diesem am Abend des 20. November 1806 im Berliner Schloss. In einem Brief an seinen Bruder berichtete er von dieser denkwürdigen Begebenheit und ließ die Themen, die er mit Napoleon angesprochen hatte, Revue passieren. »Er [Napoleon] sprach weiterhin von dem eigentlichen Werte der europäischen Kultur, alsdann wie alles verkettet und in der unerforschlichen Leitung einer unsichtbaren Hand ist und er selbst durch seine Feinde groß geworden sei.«36

Durch den Verweis auf die Verkettung der Dinge, der bei seinem Zuhörer mit Sicherheit Assoziationen zu Adam Smiths Wirtschaftstheorie auslöste, in ihrer providenziellen Semantik gleichwohl weit darüber hinausging,37 vermochte Napoleon seine eigene Stellung in der Geschichte zugleich zu betonen und bescheiden als die Gunst einer »unsichtbaren Hand« zu relativieren. Johannes von Müller hatte dieses Gespräch mit Napoleon jedenfalls so tief beeindruckt, dass er sich fortan öffentlich als überzeugter Anhänger des französischen Kaisers ausgab – was einen kleinen Skandal provozierte, Müller selbst jedoch eine einträgliche Stellung als Staatsminister und Direktor des öffentlichen Unterrichts im Königreich Westfalen eintrug. Noch in seinem letzten Brief an seinen Bruder vor seinem Tod im Mai 1809 finden sich Spuren dieser Schicksals- beziehungsweise Fügungsindoktrination, wenn Müller schrieb: »In der Tat, Du weißt es, habe ich im Weltgang unserer Zeiten längst die providentielle Fügung erkannt und nicht geglaubt, das wider den etwas zu gewinnen sei, der das offenbare Werkzeug einer durchaus neuen Gestaltung menschlicher Dinge ist.«38

Wie sehr die Verbindung zum Schicksalsgedanken zur Selbstinszenierung Napoleons gehörte, verrät auch ein Blick auf die Feierlichkeiten im Umfeld des Fürstenkongresses in Erfurt 1808. Erfurt wurde in diesen Tagen zum Mittelpunkt der Welt, trafen doch hier im Zentrum der von Napoleon eroberten Gebiete die Kaiser der beiden europäischen Großreiche aufeinander, um eine neue Epoche der französisch-russischen Freundschaft einzuläuten. Napoleon nutzte die Festlichkeiten nicht allein dazu, um seine Position gegenüber Alexander I. (1777 – 1825) zu stärken, der wegen der Teilnahmslosigkeit Frankreichs im russisch-türkischen Konflikt zunehmend verstimmt war. Weil in diesen Tagen alle seine deutschen Bündnispartner mit ihrem Gefolge offiziell eingeladen oder unangemeldet in Erfurt zugegen waren und um die Gunsterweisung Napoleons buhlten, bot sich eine hervorragende Gelegenheit, die eigene Macht und Herr36 Johannes von Müller, Brief an Johann Georg Müller vom 25. 11. 1806, in: Kleßmann, Deutschland unter Napoleon, S. 231. 37 Smith, An inquiry. Siehe dazu: Kittsteiner, Naturabsicht. 38 Müller, Brief an Johann Georg Müller vom Mai 1809, S. 429.

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lichkeit wirkungsvoll in Szene zu setzen.39 Dementsprechend motiviert engagierte sich Napoleon bei den Vorbereitungen der Festlichkeiten, die neben Paraden, Diners, Bällen, Illuminationen und Plakatierungen der gesamten Stadt auch abendliche Theateraufführungen aufboten, um die anwesenden Fürsten zu ergötzen und die Öffentlichkeit zu beeindrucken.40 Napoleon hatte für die Erfurter Bühne Stücke verlangt, die heroische Heldentaten und andere große geschichtliche Ereignisse zum Thema hatten.41 So wurden diverse Stücke von Jean Racine (1638 – 1699) gespielt, welche die antiken Heldensagen verarbeiteten, ebenso wie Voltaires (1694 – 1778) »Mahomet«,42 in dem sich Napoleon nach Einschätzung seines Außenministers Charles-Maurice de Talleyrand (1754 – 1838) am ehesten wiederfand.43 Es war nicht zu übersehen, dass Napoleon sich selbst in den dramatischen Helden repräsentiert sah und auch das Publikum darüber nicht im Zweifel lassen wollte. In seinen Memoiren betonte Talleyrand, dass in den Aufführungen tatsächlich unzählige Anspielungen auf den Imperator selbst gemacht wurden, »der auf der Weltbühne als Sieger und Gewaltherrscher mit seinen Legionen einherschritt, wie hier auf der Theaterbühne die Künstler mit ihren pathetischen Phrasen und tönenden Versen«.44 Dabei hatte Napoleon nicht nur die Auswahl der Stücke bestimmt, sondern auch auf die Schauspieler einzuwirken versucht, die nach dem Willen des Kaisers bestimmte wichtige Passagen mit besonderem Pathos deklamieren sollten. Insbesondere die »Iphig¦nie en Aulide« von Racine bot dafür zahlreiche Gelegenheiten,45 weil hierin »immer aufs neue von Unsterblichkeit, von ewigem Ruhm, von Heldengröße und von dem waltenden Fatum«46 die Rede war. So geschah es auf besonderen Wunsch Napoleons, dass der Schauspieler FranÅois Talma (1763 – 1826) die folgenden Verse besonders deutlich und ergreifend vortrug:

39 Siehe zum Ablauf der Feierlichkeiten in Erfurt ausführlich: Benl, Die Fürstenversammlung, S. 65 – 140. Zu den politischen Hintergründen des Kongresses siehe: Prass, Eine Politik der ›grandeur‹, S. 67 f. 40 Benl, Die Fürstenversammlung, S. 79. Zum Stellenwert der Theateraufführungen: Prass, Eine Politik der ›grandeur‹, S. 77 – 85. 41 Aus den Memoiren des Fürsten Talleyrand, Köln, Leipzig 1891, zit. n.: Kleßmann, Deutschland unter Napoleon, S. 324. 42 Benl, Die Fürstenversammlung, S. 121. 43 Im Gegensatz dazu weist Reiner Prass darauf hin, dass Napoleon Kritik an dem Stück geäußert habe, weil die Titelfigur vom Autor zu negativ dargestellt worden sei: Ders., Eine Politik der ›grandeur‹, S. 74. 44 Kleßmann, Deutschland unter Napoleon, S. 324. 45 Sie wurde am 04. 08. 1808 aufgeführt: Benl, Die Fürstenversammlung, S. 104. 46 Kleßmann, Deutschland unter Napoleon, S. 324.

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»Die Ehre spricht, und sie ist mein Orakel; / Herr, in der Götter Hand liegt unser Leben, / Doch unser Ruhm in unserer eigenen Hand. / Weshalb soll ihr Orakelspruch uns quälen? / Unsterblich sein wie sie, sei unser Streben: / Dem Schicksal folgend, laßt dahin uns eilen, / Wo uns ein hohes Ziel entgegenwinkt!«47

Wie Achilleus bei Racine trachtete auch Napoleon danach, seinen Ruhm eigenständig zu vermehren und sich, indem er sich über den Götterwillen erhob, selbst zum Gott zu ernennen. Und so wie die Götter im antiken Griechenland das Schicksal der Menschen bestimmt hatten, wollte auch er zunehmend als Schicksalsbeherrscher angesehen werden. In der Wahrnehmung der jubelnden Mengen schien diese Absicht tatsächlich erfolgreich zu sein. So interpretierte Talleyrand den frenetischen Beifall beim Eintreffen Napoleons in der Stadt als Zeichen des Glaubens daran, dass Napoleon, von der Vorsehung begünstigt, das Geschick Europas regiere: »Jeder wollte den Mann sehen, und so genau wie möglich sehen, der Kronen und Throne verteilte und der die Geschicke Europas, Freude und Hoffnung, Not und Elend in seiner allmächtigen Hand hielt. […] Wie oft habe ich in jenen Tagen bemerkt, daß gerade diejenigen, die von Haß und Erbitterung gegen ihn erfüllt sein mußten, die eifrigsten waren, ihm zuzujubeln und sein Glück zu preisen, das die Vorsehung, wie sie sagten, ihm in so überreichem Maße gespendet.«48

Dass diese Sicht der Dinge nicht nur eine französische Wunschvorstellung war, lässt sich anhand vieler zeitgenössischer Äußerungen nachweisen. In Bezug auf den Erfurter Fürstenkongress genügt zunächst der Hinweis darauf, dass der Schriftsteller und Advokat Ignaz Ferdinand Arnold (1774 – 1812) beim Betreten Erfurts im Herbst 1808 zunächst ein Spruchband mit folgendem Text ins Auge fiel: »L’Arbitre du monde, Napoleon,/ Balance les destins des Nations.«49 Trotz der glanzvollen Erfurter Inszenierung wuchsen seit dem Frühjahr 1811 die internationalen Spannungen und mündeten am 22. Juni 1812 in der französischen Kriegserklärung an Russland. Das Dokument der Kriegserklärung, das »2e Bulletin de la Grande Arm¦e«,50 ist deswegen für unsere Fragestellung so bedeutend, weil Napoleon auch hier wieder mit dem Schicksalstopos argu47 Ebd., S. 324 f. Im Original heißt es: »L’honneur parle, il suffit: ce sont l— nos oracles. Les dieux sont de nos jours les ma„tres souverains; Mais, seigneur, notre gloire est dans nos propres mains. Pourquoi nous tourmenter de leurs ordres suprÞmes? Ne songeons qu’— nous rendre immortels comme eux-mÞmes; Et, laissant faire au sort, courons o¾ la valeur Nous promet un destin aussi grand que le leur.« Racine, Iphig¦nie, S. 28. 48 Kleßmann, Deutschland unter Napoleon, S. 312 f. 49 »Napoleon als Schiedsrichter der Welt, wägt das Schicksal der Völker«. Ignaz Ferdinand Arnold, Erfurt in seinem höchsten Glanze während der Monate September und Oktober 1808, Erfurt 1808, zit. n.: Kleßmann, Deutschland unter Napoleon, S. 317. 50 Zum generellen propagandistischen Stellenwert der »Bulletins de la Grande Arm¦e« siehe: Pelzer, Die ›Bulletins de la Grande Arm¦e‹, S. 209 – 234.

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mentierte, um seine eigenen Bestrebungen als die Erfüllung eines höheren Willens zu rechtfertigen. Im Original hieß es dort: »Soldats! La seconde guerre de Pologne est commenc¦e. La premiÀre s’est termin¦e — Friedland et — Tilsit: — Tilsit, la Russie a jur¦ ¦ternelle alliance — la France et guerre — L’Angleterre. Elle viole aujourd’hui ses serments. […] La Russie est entrain¦e par la fatalit¦! Ses destins doivent s’accomplir.«51

Es kann davon ausgegangen werden, dass Napoleon diese Worte sehr bewusst gewählt hatte, um das Zusammenfallen des Schicksalswillens mit seiner Person zum Ausdruck zu bringen. Der Zuruf an das französische Heer wurde in Deutschland stark rezipiert. Publiziert wurde er 1812 zunächst in der »Allgemeinen Zeitung« mit folgender Übersetzung: »Ein unvermeidliches Fatum reißt Rußland mit sich fort. Des Schicksals Wille muß erfüllt werden.«52 Bezeichnenderweise ließ auch die deutsche Übersetzung offen, ob Napoleon sich nur als Erfüllungsgehilfe des Schicksals sah, oder ob er es selbst zu repräsentieren meinte. Denn eigentlich war er es, der Russland mit sich fortzureißen gedachte.

Die deutschen Staaten unter der Herrschaft des Schicksals Das Spiel mit dem Schicksalsmotiv gehörte fest zum rhetorischen Repertoire Napoleon Bonapartes. Es war publikumswirksam und genügte seinen Allmachtsvorstellungen, bot jedoch immer auch die Möglichkeit, die eigenen Ziele hinter den angeblichen Absichten einer höheren Macht zu verbergen. Indem die deutschen Publizisten diese Selbststilisierung aufgriffen, trugen sie teils bewusst, teils unwillentlich dazu bei, dass Napoleon mit dem Schicksal identifiziert wurde. Selbst solch ein erbitterter Napoleon-Gegner wie Ernst Moritz Arndt (1769 – 1860)53 konnte sich dieser Suggestionskraft nicht entziehen und verwendete den Topos in zahlreichen Varianten in seiner vierbändigen Gegenwartskritik »Geist der Zeit«, die als ein »sukzessiver[r] Kommentar zur napoleonischen Ära aus nationalliberaler Sicht« gelesen werden kann.54 Freilich diente dieser Topos ihm gerade nicht zur Heroisierung Napoleons. Im ersten Teil des Werkes von 1806 widmet Arndt dem »Emporgekommenen« ein ganzes Kapitel, in dem er Napoleons politischen Werdegang seit 1793 detailliert nachzeichnet. Bereits die Überschrift des Kapitels verrät, dass es sich weniger um eine kritische Würdigung als um eine bissige Polemik handelt. 51 2e Bulletin de la Grande Arm¦e (1) vom 22. Juni 1812, in: Picard und Tuetey, Correspondance in¦dite, S. 435. 52 Zit. n.: o. A., Das Jahr 1813, S. 239. 53 Siehe zu den antinapoleonischen Schriften Arndts: Weber, Ernst Moritz Arndt, S. 159 – 169. 54 Thomsen, Aber die Großen und Virtuosen, S. 142.

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Arndt versucht, Napoleons Lebensweg aus seinem Charakter zu erschließen – ein Unternehmen, das von Beginn an mit der Schwierigkeit zu kämpfen hat, Napoleons schlechten Charakter und seinen beispiellosen Erfolg sinnvoll in einer Erzählung miteinander zu verknüpfen. Arndts Versuch endet deshalb zwangsläufig in einer Dämonisierung Napoleons, die seine Beherrschbarkeit prinzipiell infrage stellt. Deutlich wird das an Arndts Umgang mit dem Schicksalsbegriff. Bereits am Beginn des Kapitels wird Napoleon als »der Fürchterliche« bezeichnet, der Europa wie ein unbezwingbares Naturereignis mit seinen Schlachten überrollt, die Menschen in Angst und Schrecken versetzt und sich durch nichts aufhalten lässt. Die Initiation zu dieser »glorreichen Bahn« schreibt Arndt einer Napoleon innewohnenden Kraft zu, die er seit dem Italienfeldzug in sich spürte und ihn in allen seinen Entschlüssen begleitet und lenkt. »Seit dem Sommer 1797 fing er an zu herrschen und auf den schwach gebauten französischen Staat zu drücken, ein bis dahin dunkler Wille und dunkle Hoffnungen schienen ihm klar zu werden, wie das große Schicksal, das in großen Menschen wohnt, halb begeistert, halb bewußt klar werden kann. Er gab Zeichen von sich und machte Einleitungen, die für die Sehenden nicht bloß Orakel waren.«55

Es ist ein merkwürdiger Prozess, den Arndt hier beschreibt: In einem religiösen Erweckungserlebnis findet Napoleon das Schicksal in sich, gewinnt Klarheit über seinen Auftrag und wird zum Propheten. Die Formulierung, dass Napoleon »das dunkle Verhängnis in seiner Brust« habe oder einer »blinden Macht« in sich folge, findet sich in der Schrift immer wieder.56 Arndt ist davon überzeugt, dass Napoleon einen höheren Auftrag ausführt, der jedoch nicht von außen an ihn herangetragen wurde, sondern in seinem Innersten verwurzelt ist. Es ist »die Natur, die ihn geschaffen hat, die ihn so schrecklich wirken läßt« und die eine Arbeit mit ihm vorhat, »die kein anderer so tun kann«.57 Das Schicksal oder Verhängnis in Napoleon lässt ihn über das Menschliche hinauswachsen; er herrscht und wirkt über und unter Menschen, denen er selbst nicht angehört und kann zu einer Schicksalsmacht werden, die niemand mehr bändigen kann. »Bonaparte, der Ernste, Strenge und Fürchterliche, stand da wie eine fremde Kraft außer dem Volke, wie ein mächtiges Verhängnis, was seiner nicht zu bedürfen schien, aber durch gewaltige Erinnerungen mit ihm zusammenhing. […] Sie hassen ihn, aber sie fürchten ihn; er ist nicht geboren, von einem irdischen Wesen geliebt zu werden. […] nach dem Sinne des Aberglaubens, der ein wahrer Sinn ist, steht er da wie einer, den Gott gezeichnet hat, kein irdischer Arm darf ihn fällen.«58 55 56 57 58

Arndt, Werke, Bd. 6, S. 176. Ebd., S. 183, 191 f. Ebd., S. 191. Ebd., S. 187 f.

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Der Schicksalsnimbus lässt Napoleon schließlich Gottes Platz einnehmen und damit auch zum Gebieter über Tod und Leben werden. In den Augenblicken, in denen Napoleon handelt, wird er zur »lebenszerschneidenden[n] Todesparze«,59 also zu Atropos, die den Schicksalsfaden unerbittlich abschneidet und damit auch über das Werk von Klotho und Lachesis herrscht. Im Jahr 1806 war Napoleon für Arndt zur Inkarnation der Zerstörung geworden, ein Gott, der auf die Erde gekommen war, um zu töten und zu vernichten. »Eisern, rasch und blutig wie das Schicksal fährt, schlägt und zerstört er. Ob zehn oder zehntausend mehr oder weniger fallen, ob unter seinem raschen Tritt Länder verderben und das alternde Europa zittert, das ist ihm gleich, er wälzt sich über die Besiegten hin, wie Dschingis und Attila läßt er die Überwundenen mitziehen und ist die einzige große würgende Seele in der ganzen furchtbaren Masse, die er forttreibt.«60

Hatten Napoleon selbst und seine Bewunderer die Absicht gehabt, seinen Auftrag als Gebot der göttlichen Vorsehung darzustellen, so war Arndt sich sicher, dass der Kult um Napoleon ein moderner Schicksalskult war, der kaum in christliche Deutungshorizonte integriert werden konnte. Nicht umsonst dominieren im »Geist der Zeit« Begriffe wie Verhängnis, Schicksal oder der Bezug zu den griechischen Parzen anstelle des christlichen Providenzbegriffs. Dass der napoleonische Schicksalsmythos jedoch einen menschlichen Ursprung besaß, wird von Arndt nur indirekt formuliert. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der deutschen Hilflosigkeit definiert Arndt eine veränderte Einstellung zum Schicksal als entscheidenden Schritt zum Ziel. Den Beginn zu dieser Bewusstseinsänderung erwähnt er nur beiläufig: Bonaparte werde »durch Wahn seiner Krieger zum Schicksal erhoben«,61 heißt es am Ende des umfangreichen Napoleon-Kapitels in einem Nebensatz. Für den aufmerksamen Leser konnte diese Erkenntnis Entscheidendes bedeuten: Napoleons Schicksalsmacht war menschengemacht und deswegen nicht unbezwingbar. Aus diesem Grund forderte Arndt die Deutschen dazu auf, neues Vertrauen zum Schicksal zu fassen.62 Napoleon konnte das Schicksal nicht dauerhaft an sich binden, sein kriegerischer Erfolg war nicht unumkehrbar. Mithilfe der göttlichen Vorsehung, an der auch die Deutschen einen Anteil hatten, konnte es gelingen, das Blatt zu wenden. »Hinweg also mit der neuen Hexenlehre, hinweg mit dem niedrigen Fatalismus, die uns zurufen: Der Starke soll herrschen und der Schwache soll dienen! Eine höhere Stimme ruft: Der Gerechte soll herrschen, und der Freie wird gehorchen.«63 59 60 61 62 63

Ebd., S. 176. Ebd., S. 198. Ebd. Ebd., S. 196. Ebd., S. 200.

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In seinen Publikationen der folgenden Jahre arbeitete Arndt intensiv daran, das Schicksalsverhältnis der Nationen grundlegend zu verändern. Im zweiten Teil des »Geist der Zeit« von 1809, einem Jahr, in dem die politische Lage sich mit Napoleons Niederlage in Spanien und dem Angriff Österreichs auf Bayern zu Ungunsten Frankreichs entwickelte, appellierte Arndt verstärkt an den Widerstandsgeist der Deutschen, der sich mit einem neuen Schicksalsverständnis verbinden sollte. Arndt wurde ab diesem Zeitpunkt immer deutlicher, dass eine Rückkehr zum politischen Zustand vor Napoleon weder möglich noch wünschenswert war. Die alte Welt war unwiderruflich zum Untergang bestimmt, konnte dadurch aber zum Samen für eine neue Ordnung werden. Die Transformation der Weltordnung musste als ein unabwendbares Verhängnis akzeptiert werden, aus dem ein neues nationales Bewusstsein entspringen konnte. »Diese alte Welt, wie sie schlecht, feig und in Betrug und Afferei verworren geworden ist, muß vergehen und wird vergehen. Das könntet ihr begreifen, ihr Fürsten, wenn euch das hohe Verhängnis verständlich wäre. Siege, Millionen zusammengetriebener Soldaten retten noch nicht; ein Volk muß wieder werden, und ihr Fürsten werdet selbst werden, was ihr sein sollt.«64

In der Retrospektive entdeckte Arndt im preußischen Krieg gegen Frankreich 1806 erste Spuren des Bewusstseinswandels in der Bevölkerung. Die französische Eroberung deutscher Länder habe die Preußen gewahr werden lassen, dass Napoleon sie in einer zentralen Frage herausgefordert hatte. »Die Zeit und ihr gräßliches Schicksal hatte sie [die Preußen, F. R.] fühlen gelernt [!], daß sie Deutsche waren.«65 Aus dieser Perspektive konnte Arndt den Topos von der Schicksalsmacht Napoleons in ein deutsches Schicksalsnarrativ umwandeln. Zwar »hatte das Schicksal einen Zweck mit dem Ungeheuren« vor – dieser Zweck bezog sich jedoch auf die unterdrückte und zersplitterte deutsche Nation. Napoleons Schreckensherrschaft war nichts anderes als das schicksalhafte Mittel, um die Deutschen zu einer Nation zusammenzuschmieden. Insofern sah Arndt auch keine Notwendigkeit, diesem Schicksalslauf entgegenzuarbeiten, weil er die Hoffnung auf eine bessere Zukunft hatte: »Laßt Aschen fliegen, laßt Blut fließen, wenn es das Verhängnis will. Es bleibt nach der Zerstörung die Erde, es bleiben Menschen, die ein besseres Geschlecht zeugen werden, wenn ihr Fürsten ihre Freiheit nicht hingebet.«66

Der Optimismus, der aus diesen Worten sprach, schien sich zunächst nicht zu bestätigen. Joseph Görres veröffentlichte im August 1810 in der Zeitschrift »Vaterländisches Museum« unter dem Pseudonym Orion kritische »Reflexio64 Arndt, Werke, Bd. 7, S. 33. 65 Ebd., S. 28. 66 Ebd., S. 77.

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nen«, in denen er, wie Arndt, die Einstellung der Deutschen zum Schicksal für den entscheidenden Parameter in der Auseinandersetzung mit Frankreich hielt. Doch während Arndt den Blick hoffnungsvoll in die Zukunft gerichtet hatte, setzte Görres sich vornehmlich mit den Versäumnissen und Fehlern der Vergangenheit auseinander. Zunächst versuchte Görres, Napoleons militärische Erfolge in einen metaphysischen Rahmen einzuordnen. Zwar habe Napoleon den Willen der Vorsehung vollbracht, jedoch ohne dass diese darauf geachtet hätte, welcher Mittel sich Napoleon bediente oder welche persönlichen Absichten er dabei verfolgte. »Fragt ihr, warum den Frevel denn so oft das Glück doch kröne? Die Antwort kann nicht ferne liegen: den Frevel will die höhere Macht nicht heiligen, noch die Intention des Frevelnden, aber die Wirkung, die er hervorgebracht, stand in der Geburt, sie mußte zum Daseyn kommen; wer sie ergreift, dem helfen alle Sterne, er bringt sie in die Welt, wie eine Sterbende wohl ein lebenskräftiges Kind gebiert; seine Absicht schwindet vor der historischen Größe der That zum Differenzial zusammen, jene gehört ihm als Individuum an, diese, in die Gattung aufgenommen, wird selbst Gattung.«67

Napoleon hatte die Fähigkeit, den notwendigen Gang der Geschichte zu erkennen und sich der höheren Macht gewissermaßen anzudienen. Görres identifiziert Napoleons unbeugsamen Willen, das Streben der Welt zu verwirklichen, als entscheidenden Grund für seine politische Karriere. »Sollte das Schicksal nicht ehren das Wort dessen, der so vieler Individuen und so vieler Jahrhunderte ununterbrochen Streben im sicheren Willen trägt?«68 Genau aus diesem Grund, so Görres weiter, könne man auch nicht verlangen, dass die Vorsehung auf individuelle Tugend und Redlichkeit Rücksicht nehme, wenn diese sich dem Lauf der Dinge widersetze. »Des Menschen Willen ist nur wie ein Strahl an einem ganzen Sternenhimmel, das Feuerrad wälzt sich dahin und reißt den Stehenden zusammen, ihm wird nicht sein Recht, wohl aber der Welt das ihrige.« Görres zeichnet hier das Bild einer Geschichte, die im Gegensatz zur christlichen Heilsgeschichte nicht nach Recht und Moral fragt, sondern allein einer inhärenten Notwendigkeit folgt, die sich durch nichts aufhalten lässt. Derjenige, der sich dem Gang der Geschichte entgegenstellt, wird notwendigerweise darin umkommen. Er steht im Widerspruch »gegen das Ganze«, weil er der Ewiggestrige ist. Genau in dieser Position sieht Görres die deutsche Nation seiner Zeit. Sie ist zwar auf der Seite des moralisch Guten und versucht, ihr Recht zu verteidigen, ist dabei jedoch maßlos anachronistisch. Der Blick auf das deutsche Volk bietet 67 Joseph Görres, Reflexionen, in: Spies, Die Erhebung, S. 160. 68 Ebd., S. 161.

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Görres einen peinigenden Anblick: Es ist in sich selbst geteilt, einer kläglichen Seichtigkeit hingegeben und wird von seinen Repräsentanten schlecht beraten.69 »Wie sollte aber das deutsche Volk bey seinen fragmentarischen, wirren und unbeständigen Bestrebungen den ordnenden Himmelsmächten Achtung abgewinnen, die nur Thaten wollen, und leere Worte leicht bis auf den Grund durchschauen? Wie sollte eine Nation, die so lange sich selbst vergessen, nicht auch endlich vom Schicksal vergessen werden?«70

Den Beweis für diesen Eindruck boten die kriegerischen Niederlagen der deutschen Armeen. Hätte das Schicksal in der deutschen Nation den geeigneten Vollstrecker seiner Zwecke erblickt, hätte es das Kriegsglück gewendet.71 Das Ausbleiben dieses Ereignisses wunderte Görres nicht. Weil die Deutschen ohnmächtig tugendhaft, historisch ungenial und kaltblütig apathisch waren, wurden sie zu Recht zur vom Schicksal vergessenen Nation.72 Die von Görres, Arndt und anderen proklamierte nationale Erhebung, die auch als eine Zuwendung zum Schicksal gefordert wurde, verwirklichte sich erst nach dem Zusammenbruch der französischen Armee im Russlandfeldzug 1812.73 Die historischen Fakten sind bekannt: Die verheerende Niederlage Napoleons war die Initialzündung für die sogenannten Befreiungskriege. König Friedrich Wilhelm III. (1770 – 1840) veröffentlichte am 20. März 1813 in der »Schlesischen privilegirten Zeitung« den Aufruf »An mein Volk«, in dem er zum Aufstand gegen die französische Herrschaft aufrief. Sieben Tage später erfolgte die offizielle preußische Kriegserklärung an Frankreich. In Koalition mit Russland, Schweden, England und Österreich fanden im Laufe des Jahres 1813 zahlreiche Gefechte auf deutschem Boden statt, deren Höhepunkt im Oktober die kriegsentscheidende Völkerschlacht bei Leipzig war, in der die französischen Truppen unterlagen. In der Folge löste sich der Rheinbund auf, was für Napoleon den Verlust der Verbündeten östlich des Rheins bedeutete. Nach zahlreichen Schlachten im Winterfeldzug 1813/14 zogen die Koalitionäre am 31. März 1814 in Paris ein. Sechs Tage später dankte Napoleon ab und wurde auf die Mittelmeerinsel Elba verbannt.74 So absehbar der Ausgang des Krieges aus der Retrospektive auch sein mag, so unklar und ungewiss erschien den Zeitgenossen, ob Napoleon als Schicksals69 70 71 72 73

Ebd. Ebd., S. 162. Ebd., S. 161. Ebd., S. 162. Ute Planert hat nachgewiesen, dass es sich zumindest in den südlichen Staaten Deutschlands keinesfalls um eine Erhebung gehandelt hat, die national motiviert gewesen ist. Nationale Töne wurden nur von einer Minderheit der Bevölkerung angeschlagen, insbesondere von den gebildeten Schichten, die sich an Preußen orientierten: Dies., Der Mythos, S. 605 f. 74 Rothenberg, Die napoleonischen Kriege, S. 178 – 189.

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günstling, Herr des Schicksals oder Inkarnation des Schicksals tatsächlich besiegbar war. Zwar hatte Arndt im zweiten Teil des »Geist der Zeit« von 1809 prophezeit, dass Napoleon »als ein Ungeheuer enden und durch einen schweren Donnerschlag des Schicksals gleich den Riesen der Fabel als ein Scheusal der Welt hingestreckt [werde], indem der Nemesis unerbittliche Hand allen den falschen Flitterschmuck von seinem Haupte reißt […]«.75 Doch war das eher ein inniger Wunsch denn eine Deutung der tatsächlichen Zeichen der Zeit gewesen. Was sich in dieser Bemerkung jedoch bereits andeutete, war eine fundamentale Umkehr der Zuschreibungen. Napoleon, der sich selbst mit dem Nimbus des Schicksals umgeben hatte, sollte von diesem Schicksal in den Abgrund gerissen werden. Die Hybris war zu groß geworden und musste bestraft werden. »Die Ernte reift für die Nemesis«.76 Ähnliche Prophezeiungen wurden auch von anderen Schriftstellern formuliert. Nach der Schlacht bei Dresden im August 1813, welche die napoleonischen Truppen als eines der letzten Gefechte für sich entscheiden konnten, verarbeitete E. T. A. Hoffmann (1776 – 1822) die Erlebnisse seiner unmittelbaren Augenzeugenschaft in einer kurzen Erzählung. Hoffmann hatte die späten Augusttage in seinem Tagebuch als die »merkwürdigsten Tages meines Lebens« bezeichnet. Er hatte nicht nur Napoleon bei dieser Gelegenheit gleich zwei Mal in seiner ganzen imposanten Gestalt erblickt, sondern entrann darüber hinaus nur mit Glück einem zu frühen Tod durch einen plötzlichen Granateneinschlag. Nicht allein das Erlebnis der Kampfhandlungen, auch die Beobachtung der Aufräumarbeiten nach der Schlacht und der Umgang mit den zahlreichen Verwundeten und Toten zogen ihn als vormals unpolitischen Beobachter tief in das Geschehen hinein. Die Polarität des Erlebens – der als tyrannisch wahrgenommene Feldherr Napoleon und die Tausenden von Opfern seines Herrscherwillens – gab den Anlass für »Die Vision auf dem Schlachtfelde bei Dresden«, die erst 1814 als Flugblatt veröffentlicht wurde.77 Hoffmann beschreibt eine apokalyptische Szenerie auf dem Dresdner Kriegsschauplatz, in der die Gefallenen des Krieges auferstehen und Vergeltung für die Verbrechen des französischen Tyrannen fordern. Napoleon erscheint als dunkle Gestalt in einer Rauchsäule und verhöhnt die rasende Menge, indem er seine Göttlichkeit und damit seine Allmacht über Leben und Tod proklamiert. Als die Toten auf sein Geheiß hin wieder im Erdboden versinken, erhebt sich ein ungeheurer Drache aus einem Meer von Blut, packt den Tyrannen und übt an ihm die Rache, welche die Menge der Toten gefordert hat. Er wird, weil er keine Fürsprecher auf Erden mehr findet, der ewigen Verdammnis anheimgegeben. 75 Arndt, Werke, Bd. 7, S. 43. 76 Ebd., S. 72. 77 Hoffmann, Die Vision, S. 137 – 140.

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Die Vision endet mit dem Blick des Erzählers in den Himmel, an dem er im Sternbild der Dioskuren die »Söhne der Götter« (den russischen Zar Alexander I. und den preußischen König Friedrich Wilhelm III.) erblickt. Der dominante Deutungshorizont der »Vision« ist die Offenbarung des Johannes.78 Insofern steht sie in einer langen und für diese Zeit weit verbreiteten Tradition, den politischen Gegner als Inkarnation des Bösen anzusehen und ihn mit dem Teufel gleichzusetzen, im selben Atemzug jedoch das Kriegsgeschehen in einen religiösen Zusammenhang einzubetten und damit zu sakralisieren.79 Hoffmann stellt in der Erzählung das realpolitische Geschehen, die preußische Niederlage gegen Napoleon, und eine imaginierte göttliche Gerechtigkeit nebeneinander und erzeugt so eine Kausalverbindung, die dem Kampf gegen Napoleon trotz aller Verluste einen Sinn zu verleihen vermag. Deshalb besitzt die Erzählung einen appellativen Charakter : Sie impliziert die Aufforderung, Hoffnung und Anstrengungen nicht aufzugeben, weil die göttliche Gerechtigkeit auch einen Tyrannen wie Napoleon über kurz oder lang einholen werde.80 Die Struktur der Erzählung folgt dem Aufbau der biblischen Apokalypse. Die Schrecken des Weltendes werden detailliert beschrieben, die Toten und Verwundeten formieren sich zu einem Jüngsten Gericht über den Tyrannen, dessen Verurteilung durch den namentlich nicht genannten Gott zugleich einen Ausblick auf die Heilszeit erlaubt. Ebenso wie bei Johannes wird dieses Grundgerüst der Erzählung durch detailreiche Schilderungen der einzelnen übernatürlichen Ereignisse ausgeschmückt. Insbesondere vom Tyrannen selbst wird ein ausführliches Charakterbild gezeichnet, das sehr aussagekräftig für die Frage nach der Verbindung des Schicksalsbegriffs mit dem zeitgenössischen Napoleonbild ist. Hoffmann lässt die Erzählung in weiten Teilen durch die Rede des Tyrannen bestimmen, deren Suggestionskraft erst durch die Stimme Gottes gebrochen wird. Die ersten Worte Napoleons beziehen sich auf die Racherufe der Auferstandenen und weisen ihn sofort als eine übernatürliche Erscheinung aus, die eher einem abstrakten Prinzip entspricht, als dass sie tatsächlich eine Person repräsentiert. »Es war der Tyrann! – Er streckte seine Rechte aus über die Ebene und sprach: ›Was wollt ihr, Thörichte, bin ich nicht selbst das Verhängniß, dem ihr dienend gehorchen müßt?‹«81 Hoffmann greift hier die bekannte Selbstinszenierung Napoleons auf. Als Inkarnation des Verhängnisses glaubt sich die Napoleonfigur der »Vision« keiner irdischen Forderung verpflichtet. Napoleon entzieht sich hier dank seiner Übermenschlichkeit der Verurteilung durch die 78 79 80 81

Beßlich, Der deutsche Napoleon-Mythos, S. 92 – 108. Ebd., S. 92. Ebd. Hoffmann, Die Vision, S. 138.

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Sterblichen. Der Begriff des Verhängnisses impliziert dabei zunächst zwei Ideen, in denen sich Napoleon selbst allegorisiert. In seiner Erwiderung auf das Tosen der Menge beansprucht er für sich die Eigenschaften, die in christlichen Zusammenhängen nur Gott zugesprochen werden. »Erkennt ihr mich? – ich bin der Tod! […] ich selbst bin die Macht der Rache und des Todes, und wenn ich meine Arme ausstrecke über euch, verstummt euer Jammer, und ihr sinkt vernichtet in den Staub!«82

Die Vorstellung von Rache und Tod als Herrschaftsbereiche des Verhängnisses geht über eine direkte Konkurrenz zum christlichen Gott hinaus, der im Alten Testament ja von sich sagt: »Die Rache ist mein« (5. Mose 32, 35). Was Hoffmann in seiner Napoleonfigur vorstellt, ist eine Verkörperung und Zusammenführung verschiedener antiker Schicksalsideen, zum einen in der Figur der Nemesis, die als Gottheit des gerechten Zorns und der Rache auch die angemessene Zuteilung symbolisiert, zum anderen in der Figur der Atropos, die über das Lebensende des Menschen bestimmt und in der antiken Mythologie deshalb auch den Namen Morta trug. Insofern repräsentiert der Napoleon in Hoffmanns »Vision« nicht allein einen Mann, der sich der christlichen Todsünde der superbia schuldig macht. Er tritt darüber hinaus als Vertreter einer heidnischen Religiosität auf den Plan und leugnet in dieser Position die Existenz und Gültigkeit des christlichen Glaubens in summa. Auf die Einwürfe des Totenchores, den Blick zu erheben, um über sich die Macht zu erblicken, die tatsächlich über Verhängnis und Tod gebietet, reagiert Napoleon mit nihilistischer Ignoranz. »Doch nicht aufwärts richtete der Tyrann seinen Blick, sondern zur Erde starrend sprach er : ›Wahnsinnige! Was sucht ihr über meinem Haupt? – über mir ist nichts! – öde ist der finstere Raum da droben […].‹«83 Zunächst scheint sich diese Einschätzung der Dinge zu bestätigen. Auf einen Wink Napoleons öffnet sich die Erde und droht die Toten erneut zu verschlingen. Doch alsbald wird seine Rede Lügen gestraft. Von einem abstrakten Prinzip, einer numinosen namenlosen allmächtigen Gestalt wird Napoleon in den Krallen des Drachen zum »Erdenwurm« und zum Opfer der Macht, die er vordem zu sein vorgegeben hatte. »›Erdenwurm, die Stunde der Erkenntniß, der Vergeltung ist da!‹ […] Da wand der Tyrann, wie durch namenlose Folter verrenkt, das Haupt empor, und sah über sich die in blendenden Funkeln strahlende Sonne, den Fokus des ewigen Verhängnisses […].«84

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sowohl Napoleon als auch Gott in der gesamten Erzählung namenlos bleiben, in ihrer Charakterisierung vom Leser 82 Ebd. 83 Ebd. 84 Ebd., S. 139.

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jedoch zweifelsfrei identifiziert werden können. Trotzdem ist bemerkenswert, dass an dieser zentralen Stelle nicht vom »Herrn« oder von der »Vorsehung«, sondern vom »Verhängnis« die Rede ist. Das Verhängnis, das nicht nur in der Luther-Übersetzung der Johannes-Offenbarung nicht zu finden ist, sondern in der gesamten Bibel nicht vorkommt, ist ein von Hoffmann bewusst eingesetzter Begriff, der auf gängige Vorstellungen seiner Zeit verweist. In der Dramaturgie der Erzählung ist das Verhängnis an dieser Stelle natürlich das Komplement zur Selbststilisierung Napoleons. Darüberhinaus wird es jedoch auch als die Macht präsentiert, der die Herrschaft über Rache, Leben und Tod obliegt. Die mitleidslose Vergeltung, die Freude an der Qual, die Hoffmann hier am Exempel Napoleons statuiert, scheint auch der Vorstellung eines gütigen Gottes zu widersprechen, der prinzipiell zur Vergebung bereit ist. Insofern bleibt bis zuletzt unklar, wem Napoleon eigentlich unterliegt. Wird er zum Opfer der christlichen Gerechtigkeit am Ende aller Zeiten, einer heidnischen, rachsüchtigen Macht, die er selbst heraufbeschworen hat, oder erliegt er einem abstrakten Prinzip, das den Lauf der Geschichte bestimmt? Die Antwort muss offen bleiben. Als sicher darf hingegen gelten, dass Hoffmann in Napoleons Charisma, das sich auch über die Schicksalsvorstellung definierte, eine gefährliche Kraft erblickte, die nur durch den vereinten Widerstand aller unter- und überweltlichen Kräfte zu bezwingen war. Die säkulare, innerweltliche Bedrohung, die Napoleon als Mensch repräsentierte, wurde zur ernstzunehmenden Herausforderung für die metaphysischen Mächte, die das Geschick der Welt bis dahin bestimmt hatten.85 Napoleon hatte durch seine Person das Schicksal als diesseitige und physisch erfahrbare Macht auf die Erde geholt. Nur dadurch konnte er die europäische Politik bis 1815 bestimmen.

Die Aufarbeitung der Schicksalsverblendung Wie langfristig die napoleonische Schicksalslegende den Geist der Zeit prägte, zeigt der Umgang mit der Person des gescheiterten Staatsmannes noch nach seiner Verbannung. In fünf aufeinander folgenden Ausgaben des »Rheinischen Merkur« des Jahres 1814 erschien eine fingierte »Proklamation Napoleons an die Völker Europas vor seinem Abzug auf die Insel Elba«.86 Die Abhandlung schien die öffentliche Rechtfertigung eines zwar besiegten, aber nicht gedemütigten Mannes zu sein, der sich seiner suggestiven Kraft auf die Massen durchaus bewusst war und diese rhetorisch gekonnt auf die Leserschaft wirken ließ. Be85 So auch: Beßlich, Der deutsche Napoleon-Mythos, S. 108. 86 Görres, Proklamation Napoleons, o. S.

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reits der Beginn der »Proklamation« gab einen Eindruck von dem heroischen Selbstbewusstsein des vermeintlichen Autors: »Ich, Napoleon Bonaparte, einst Kaiser der Franzosen, jetzt in das Privatleben zurückgekehrt, will der Welt ein Zeugnis zurücklassen über meine Gesinnungen, und die Weise wie ich gehandelt habe. […] Mir selbst und meinem Leben sollen die Worte, die ich spreche ein Denkmal sein; es mag in der Wüste der künftigen Zeiten stehen, wie ein einsamer Fels, den erloschenes Feuer einst zerrissen.«87

Wie ein prophetisches Vermächtnis, das Aufschluss über ein ganzes großes Leben gab, präsentierte der Autor dieses Dokument und hielt gleichzeitig auch den Völkern Europas einen Spiegel vor, in dem sie ihren eigenen Anteil am Aufstieg Napoleons zum Herrscher Europas erblicken konnten. Am Napoleonbild schärfte der Autor das deutsche Selbstbild.88 Die Proklamation erntete große Aufmerksamkeit, erschien sie doch in der Zeitschrift, die als das zentrale deutsche Organ im Kampf gegen Frankreich wahrgenommen wurde – und zwar von beiden kriegerischen Parteien.89 Herausgegeben von Joseph Görres war der »Rheinische Merkur« eine Zeitschrift, die das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft deutscher Sprache und Kultur wecken sollte, um eine wirksame Waffe gegen Frankreich zu sein.90 Sie genoss das Privileg, als quasi halbamtliches Organ weitestgehend von der Zensur befreit zu sein und beanspruchte damit eine Sonderstellung in der deutschen Presselandschaft.91 Die Napoleon-Proklamation wurde auch aufgrund dieser Reputation des »Rheinischen Merkur« in weiten Teilen Deutschlands und auch Frankreichs für authentisch gehalten. Zudem setzte der Herausgeber Görres unter den dritten Teil der »Proklamation« die Bemerkung, dass das zunächst Folgende nur als ein Abzug aus der Urschrift betrachtet werden dürfe, »da wir es nicht über uns gewinnen konnten, alle Invektiven im Einzelnen, und die Ausfälle auf ehrwürdige Gesammtheiten und Individuen diesen giftigen Blättern nachzuschreiben«.92 Der Verweis auf die »Urschrift« genügte gemeinsam mit der Reputation des Blattes, um an der persönlichen Autorschaft Napoleons zunächst keinen Zweifel aufkommen zu lassen. Der eigentliche Verfasser war jedoch ein anderer: Joseph Görres selbst hatte den Stil und die Selbstdarstellung Napoleons dermaßen perfekt imitiert, dass er als Autor ganz hinter der Person des gestürzten 87 Ders., Ausgewählte Werke, Bd. 1, S. 229 f. 88 Marcowitz, (De-)Konstruktion eines Mythos, S. 170. 89 In Deutschland galt der »Rheinische Merkur« als »vierter Alliierter«, in Frankreich als »fünfte Großmacht« neben Preußen, Österreich, Russland und England. Görres, Ausgewählte Werke, Bd. 2, S. 821. 90 Siehe dazu: Ebd., S. 822. 91 Ebd., S. 827. 92 Görres, Proklamation Napoleons, o. S.

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französischen Kaisers verschwand. In den von seiner Tochter 1854 herausgegebenen »Gesammelten Schriften« bemerkte Marie Görres aus der Retrospektive zu dem aufsehenerregenden Dokument: »Diese von G. ganz im Geiste Napoleons abgefaßte Proklamation wurde in damaliger Zeit fast allgemein, ja sogar in des Kaisers nächster Umgebung für ächt gehalten. Und es trug zur besondern Erheiterung des Verfassers bei, als ein französischer Memoirenschreiber von sich erzählte, wie ihm von Napoleon die Proklamation in die Feder diktiert worden war ; er hatte nicht verabsäumt, die ganze Szene bis auf des Kaisers Miene genau zu beschreiben.«93

Obwohl sich die Aufnahme dieser Schrift in der deutschen Öffentlichkeit nicht bis ins Detail rekonstruieren lässt, so kann man zumindest vermuten, dass Görres in Sprachduktus und Inhalt an Muster anknüpfte, die der Leserschaft bekannt und vertraut waren. Erblickten die Leser in der »Proklamation« also vorwiegend eine adäquate Selbstdarstellung Napoleons, die ihren Vorstellungen vom Charakter des Feldherrn entsprach, so hatte der Autor umgekehrt die europäische Öffentlichkeit mit den eigenen Projektionen auf Napoleon konfrontiert. Eher als ein psychologisches Charakterbild des Herrschers muss in der »Proklamation« also ein Bild der öffentlichen Wahrnehmung Napoleons aus Görres Sicht gesehen werden. Wie nicht anders zu erwarten, taucht der Schicksalstopos auch in der »Proklamation« immer wieder und an entscheidenden Stellen auf. Görres verfolgt eine dreigliedrige Argumentation: Er stellt Napoleons Sicht auf die Macht und Gestalt des Schicksals dar, beschreibt die Bereitschaft der Massen, ihn als Gesandten des Schicksals oder als Schicksal selbst zu verehren, um sich abschließend dieser Bereitschaft zu bedienen und selbst zum Schicksal zu ernennen. Die Botschaft dahinter lautet, dass ein weitverbreiteter Aberglaube die Ursache für die politische Karriere Napoleons war. Für das Erlittene und noch zu Erleidende trugen die Völker Europas die volle Verantwortung. Görres stellt Napoleons Haltung zur Schicksalsidee als ambivalent dar. Einerseits sieht er sich von etwas ermächtigt, was er das »Glück« oder das »Geschick« nennt, andererseits betont er immer wieder den Eigenanteil an seinen Taten und an seinem Ruhm. »Mir hat das Glück nur die Gelegenheit geboten; daß ich ihrer wahr genommen [!], ist meiner Klugheit Werk gewesen. Ohne meine Würdigkeit wäre all mein Glück ungenützt an mir vorbeigegangen. Wenn alles mir nicht so gelungen, wie ich es angelegt, so hat die Schuld nicht an mir gelegen, sondern weil das Geschick sich zum andern Teil gewendet.«94 93 Ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 379. 94 Ders., Ausgewählte Werke, Bd. 1, S. 232 f.

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Voller Selbstbewusstsein präsentiert sich Görres’ Napoleon hier als ein eigenverantwortlicher Mann, der das Schicksal für sich zu nutzen verstanden und für seine Pläne dienstbar gemacht hatte. Nur im Moment des Scheiterns weist er die Verantwortung für sein Tun zurück und schreibt es einem missgünstigen Geschick zu, das sich von ihm abgewendet habe. Das widerspricht dem vorher beschriebenen Machtverhältnis jedoch nicht. Denn gerade in der Verwendung des Geschicks als einer rhetorischen Figur demonstriert er die Beliebigkeit seines Einsatzes zu apologetischen Zwecken. Görres fasst Napoleons Schicksalsverständnis in einer griffigen Formel zusammen: »[…] blind sind die Mächte, die die Welt regieren, der Mensch allein ist sehend und kann mit verständiger Klugheit um sich blicken. Ich selbst bin mir selbsteigne Vorsehung gewesen, ich selbst hab mit mächtigem Arme mir mein Glück errungen, ich habe auch mit kalter Überlegung mein eigen Unglück mir bereitet.«95

Die generelle menschliche Überlegenheit über die metaphysischen Weltenlenker manifestiert sich hier in einer Überlegenheit der Sinne. Gerade weil die Mächte blind sind – eine Vorstellung, die üblicherweise eher zur Furcht als zur Beruhigung Anlass gab – lassen sich ihre Werke durch Menschenhand beliebig manipulieren. Damit kehrt der fiktive Napoleon nicht nur das übliche Argumentationsschema um, er desavouiert auch die Lehre von der göttlichen Vorsehung, deren dominierendes Charakteristikum, nämlich die Fähigkeit zu sehen, als kindischer Aberglaube verspottet wird. »Diese gründlich moralischen Maximen, alle sollten sie vergehen vor meiner höhern Kraft. Jenes Auge, das sie allsehend wähnen, wollt ich blenden, daß ein blindes Schicksal nur in mir die Welt regiere.«96 Görres beschreibt dieses Blendwerk als Resultat zweier Prozesse: Auf der einen Seite steht die Bereitschaft der Bevölkerung, den französischen Feldherrn mit dem Schicksalswillen in Verbindung zu bringen, auf der anderen Seite steht Napoleons Instrumentalisierung dieses Mythos zu eigenen Zwecken. Von der Chronologie des Textes her betrachtet, stellt Görres den Einfluss beider Absichten als eine Wechselwirkung dar, die in kürzester Zeit eine ungeheure Energie gewinnt. Am Beginn, so wird sehr schnell deutlich, steht jedoch die Fremdwahrnehmung. Bereits für den Zeitraum vor der Expedition nach Ägypten habe sich die Welt daran gewöhnt, »staunend auf das Übernatürliche in mir zu sehen, und mich als das Werkzeug des Schicksals und den Herrn der Zeit zu ehren.«97 Görres bestätigt hier den Eindruck, den wir bereits oben anhand zahlreicher anderer Quellen gewonnen haben. Bis ca. 1806 war Napoleon aus deutscher Sicht allein der Vollstrecker eines höheren Willens. Doch genau dieser 95 Ebd., S. 247. 96 Ebd., S. 252. 97 Ebd., S. 232.

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Glaube an Napoleons besonderen Auftrag wurde zum Ausgangspunkt des kommenden Unglücks. Weil die Menschen davon überzeugt waren, in Napoleon das Zeichen eines notwendigen Epochenwandels zu erblicken, gaben sie die Verantwortung für ihr Leben und ihre eigene Zukunft aus der Hand. So spricht auch Görres’ Napoleon: »Der wird in sein sicheres Verderben gehen, der das, was geschehen soll, und nicht was geschieht, zum Maßstab seines Handelns macht.«98 Und nur auf diese Weise konnte Napoleons Schicksalsbetrug funktionieren. »Den Willen der Menschen hab ich gebändigt und gebrochen, bis sie dem meinigen sich gefügt und mit ihm eins geworden. Eisern und unwandelbar hab ich immer ihn gezeigt, damit ein Grauen, wie vor dem unerbittlichen Schicksal sie bemeistert. Dadurch daß sie verlernt, eignen Entschluß zu haben, bin ich ihnen unentbehrlich worden, und sie haben meiner zu aller Zeit bedurft, und sind mir immer treu geblieben.«99

Wie in dieser Passage wird die Strategie Napoleons auch an anderen Stellen immer wieder als eine Verstellung beschrieben. Görres Sicht der Dinge spricht sich darin deutlich aus: Die Welt verlangte ein Schicksalsschauspiel und machte Napoleon zum Protagonisten. Mithin durfte man sich nicht darüber beklagen, dass Napoleon nicht nur in dieser Rolle glänzte, sondern auch die Regie übernahm. Eine Hauptverantwortung für diese Entwicklung schreibt der Verfasser dem deutschen Volk zu, das er durch Napoleon in allen seinen Defiziten charakterisieren lässt. Neben den Mängeln in der inneren und äußeren Verfassung, der Charakterlosigkeit der Fürsten, der Trägheit der Bevölkerung identifiziert Görres einen Hang zum Aberglauben, der auch in gelehrten Kreisen weit verbreitet sei, als Schwachpunkt, an dem Napoleon ansetzen konnte. »Aberglauben haben sie mit mir getrieben, und als ich sie unter meinem Fuß zertrat, mit verhaßter Gutmütigkeit mich als ihren Abgott verehrt. […] Ihr müßig gelehrtes Volk hat alle seine hohlen Gespinste in mich hineingetragen, und bald als das ewige Schicksal, den Weltbeglücker, die sichtbar gewordne Idee mich aus Herzensgrund verehrt.«100

Der Napoleon der »Proklamation« macht den deutschen Aberglauben also nicht zu seinem eigenen, sondern blickt vielmehr erstaunt darauf, wie bereitwillig ihm der Weg geebnet wurde. Selbst nach der verheerenden Niederlage in Russland habe das deutsche Volk nicht sofort gewagt, sich gegen die Fremdherrschaft zu wehren. »Ich erwartete, das feige Volk würde sich nun allerwärts erheben, und auf seinen Gott sich ein Vertrauen fassen; aber sie blieben still und eingezo98 Ebd., S. 234. 99 Ebd. 100 Ebd., S. 240 f.

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gen.«101 Napoleon deutet das als Vollendung seines Werkes. Das Schicksalsspiel wird endgültig zur Realität und lähmt jedes selbstbestimmte Handeln. In diesem Augenblick, so der Napoleon der »Proklamation«, habe er die Achtung vor den Deutschen verloren. »Da sie aus eigenem Triebe jeden meiner Winke sich zum Gesetz gemacht, glaubten sie, ich müsse wohl ihr vom Himmel gesandter Herrscher sein. Da sie als Geißel Gottes mich erkannten, hielten sie dafür, ihr Rücken sei zugleich für diese mitgeschaffen worden.«102

Erst in dem Augenblick, in dem die Deutschen diesen Glauben abschüttelten, vermochte nicht nur der fiktive Napoleon, sondern auch Görres wieder so etwas wie Respekt zu entwickeln. Mit der »Proklamation Napoleons an die Völker Europas« hatte Joseph Görres die Mechanismen herausgearbeitet, die das Phänomen Napoleon erst möglich gemacht hatten. Indem er die angebliche »Notwendigkeit« der Ereignisse als Produkt des Aberglaubens und einer geschickten Inszenierung entlarvte, ernüchterte er alle, die im französischen Kaiser den Boten eines neuen Zeitalters erblickt hatten, um ihren fehlenden Mut zu verdecken. Zugleich wies er auf die Mächtigkeit des Schicksalsbegriffs hin und lieferte damit eine adäquate Zeitbeschreibung. Hatte Görres hiermit eher indirekt zur Aufarbeitung der Wirkmächtigkeit des Schicksalstopos aufgerufen, so folgten bald Publikationen, die den napoleonischen Schicksalsmythos brechen wollten, indem sie ihn der Lächerlichkeit preisgaben. August von Kotzebue (1761 – 1819) und Friedrich Rückert (1788 – 1866) lieferten 1813 und 1818 zwei Glanzstücke in dieser Hinsicht. In der Posse »Der Flußgott Niemen und Noch Jemand«103 persiflierte Kotzebue Napoleons geheime Flucht aus Russland; in der Komödie »Napoleon und seine Fortuna« nahm Rückert Napoleons Ehepolitik satirisch unter die Lupe. In beiden Stücken wurde ein französischer Kaiser vorgestellt, der sich geradezu blauäugig auf sein Glück beziehungsweise sein Schicksal verließ und daran letztlich zugrunde ging. Kotzebues kurzer Beitrag zum Thema erschien zuerst im Januar 1813 als Flugblatt in Sankt Petersburg und sollte als ein Schwank zur Erheiterung der russischen Truppen beitragen. Im selben Jahr wurde das Stück auch in Deutschland verlegt und erlebte zahlreiche Neuauflagen. Anfang und Kern der Posse bildet die Begegnung zwischen einem anonymen Flüchtenden und dem Flussgott Niemen.104 Der lediglich als »Noch Jemand« bezeichnete Protagonist 101 Ebd., S. 248 f. 102 Ebd., S. 250. 103 August von Kotzebue, Der Flussgott Niemen und Noch Jemand, in: Spies, Die Erhebung, S. 209 – 224. 104 Nemen ist der russische Name für den Fluss Memel.

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wird allein im Personenverzeichnis als »französischer Feldherr« näher beschrieben. Der Flussgott beginnt das Stück mit einem kurzen Monolog, in dem er die gerechte Niederlage der Franzosen gegen die russischen Truppen besingt. In seinen Betrachtungen wird er von einer sich nähernden Gestalt abgelenkt, die er sofort als den französischen Heerführer erkennt. Ohne dass der Name Napoleon fällt, reicht die Erwähnung seiner Attribute bereits zur zweifelsfreien Identifizierung aus: »Wer eilt so hastig nach meinem Gestade? / Von einem gift’gen Nebel umqualmt; / Ist er’s, der mit Fortunens Rade / Freiheit und Tugend so lange zermalmt?«105 Auch Kotzebue greift auf das Bild Napoleons als Schicksalsbeherrscher zurück. Mit der Wahl der Fortuna gibt Kotzebue jedoch zugleich einen Hinweis darauf, dass die Herrschaft Napoleons nicht von Dauer sein kann. Napoleon möchte den Fluss so schnell wie möglich überqueren, um seinen Feinden nicht in die Hände zu fallen. Der Flussgott hält ihn jedoch auf und verwickelt ihn in ein Gespräch. Napoleon berichtet bereitwillig von seiner schmählichen Flucht und wird vom Flussgott daraufhin an seine erste Überfahrt erinnert, die fünf Monate zuvor noch »mit fliegenden Fahnen, auf stolzen Rossen« stattgefunden habe. Kleinmütig muss Napoleon auf Geheiß des Flussgottes die hochmütigen Worte wiedergeben, mit denen er Russland zuvor den Krieg erklärt hatte: »FLUSSGOTT Wie lauteten damals doch die stolzen, / Hochtrabenden Worte, die Ihr spracht? NOCH JEMAND Soldaten! – So klang auf mein Verlangen / Der Zuruf, der sich hoch verstieg: / Es ist nunmehro angefangen / Der zweite Polnische Krieg. / […] FLUSSGOTT Wie klang es weiter? Nun kommt das beste. NOCH JEMAND Les destins de la Russie seront accomplis; / Nous mettrons un terme ‚ son influence funeste. FLUSSGOTT Könnt Ihr’s ein wenig verdeutschen? Wie? NOCH JEMAND Die Prophezeiung war unverhüllet / Und hat Europa nicht wenig erschreckt: / Das Schicksal Rußland werd’ erfüllt, / und seiner Macht ein Ziel gesteckt.«106

105 Ebd., S. 210. 106 Ebd., S. 212 f.

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Der Flussgott nutzt die bekannte Formulierung dazu, sie den realen Ereignissen anzupassen. Das Schicksal, welches Napoleon den Russen zu bringen gedachte, konnte angesichts der französischen Niederlage nicht so bedrohlich sein. Angedacht als eine Waffe Napoleons hatte es sich augenscheinlich in eine Schutzmacht Russlands verwandelt. »FLUSSGOTT: Das Schicksal Rußlands? Laßt doch sehen! / Wenn es Europa’s Fesseln bricht, / So muß man in der That gestehen, / das Schicksal ist so übel nicht. –«107

Schon mit dieser Interpretation verliert der Begriff seinen Schrecken. Noch mehr gelingt Kotzebue dieser Effekt, wenn er Napoleons Eingeständnis des totalen Scheiterns auch später noch durch den Flussgott lakonisch mit den Worten »Les destins de la Russie sont accomplis«108 kommentieren lässt. Kotzebue entlarvt die so bedrohlich klingende Ankündigung aus der Retrospektive als hohle Phrase. Derjenige, der sie in die Welt gesetzt hat, steht nun vor dem Wasser und kommt nicht hinüber. Da sich kein Fährmann findet, der Napoleon über den Fluss zu fahren bereit ist, bietet sich ein Jude gegen Bezahlung dazu an, den Dienst zu übernehmen. Als der Flussgott ihn zur Loyalität gegenüber Russland ermahnt, flüstert der Jude, dass er den Franzosen auf dem Strom ertrinken lassen werde.109 Napoleon bemerkt diese Verschwörung nicht. Mit einem Zitat aus Plutarchs Caesar-Biografie und in Reminiszenz an die ersten Worte des Flussgottes lässt Kotzebue Napoleon in dem Glauben seinem Verderben entgegengehen, dass er noch immer das Glück in der Hand hält. »NOCH JEMAND Durchschneide muthig und eilig die Wogen, / ›Du trägst den Cäsar und sein Glück‹.«110

Das Verhältnis Napoleons zu seinem Glück thematisierte fünf Jahre später auch Friedrich Rückert. In der politischen Komödie »Napoleon und seine Fortuna« beschrieb er in Anlehnung an Napoleons pragmatische Scheidung von Josephine dessen scheiternde Emanzipation von der Schicksalsgöttin. Rückerts Napoleon ist glücklich mit Fortuna verheiratet, die damit beschäftigt ist, seinen Glücksfaden zu spinnen. Bei ihrem unermüdlichen Fleiß wird dieser Faden bald die ganze Welt umspannen und vielleicht eines Tages bis in den Himmel reichen, so sinniert Fortuna, als sie von den Scheidungsplänen Napoleons erfährt.111 Im Affekt zerreißt Fortuna versehentlich ihr Werk. Auf der einen Seite zwar un-

107 108 109 110 111

Ebd., S. 213. Ebd., S. 217. Ebd., S. 221. Ebd. Rückert, Napoleon, S. 1.

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tröstlich über dieses Missgeschick nimmt sie es dennoch als die Erfüllung einer langen Prophezeiung: »Ich denke, Gott, dass du’s verzeihst, / Wenn dann dem Weib der Faden reißt. / Wie hab’ ich mich mit ihm geplagt, / Und hab’ ihm deutlich oft gesagt, / Daß nur so lang sein Glück kann halten, / Als er mich wird zum Weib behalten. / Er war gewiß einmal von Blut / Besoffen oder von Übermuth, / Als er die Scheidung ausgedacht, / Die hat ihn um sein Glück gebracht.«112

Napoleons unkluges Handeln äußert sich auch in den Ehescheidungsgründen. Nach einer Aufzählung all der Wohltaten, die er Fortuna verdankt und die ihn erst zum Herrscher Europas haben werden lassen, schreibt Napoleon die Notwendigkeit der Scheidung allein zwei Gründen zu: Es ist zum einen die Kinderlosigkeit der Ehe, zum anderen ist es der Wille zur männlichen Emanzipation. »Die Eh, in der ich war vermählt, / Hat ihren rechten Zweck verfehlt. / Ich konnte, trotz all deinem Spinnen, / Doch keinen Namen mir gewinnen, / Als dass die Welt mich hinterrücks / Stets nur nannt’ einen Mann des Glücks.«113

Rückert zeichnet hier einen Napoleon, der Ruhm und Ehre aus eigener Kraft erwerben möchte, der es leid ist, vom Segen einer höheren Macht abhängig zu sein und ihr seinen Erfolg danken zu müssen. Rückerts Napoleon befindet sich in einem Dilemma, das er sich selbst erschaffen hat: Die Liaison mit Fortuna, die seiner Verschreibung an eine Schicksalsmacht entspricht, hat ihn wider Willen in eine untergeordnete, dienende Position gebracht, die seinem Wesen nicht entspricht. Napoleon möchte sein eigenes Schicksal sein – und damit repräsentiert er den allzu menschlichen Wunsch nach individueller Freiheit und Autonomie. Im Drama handelt Napoleon jedoch zu kurzsichtig. Zwar verlangt er die Scheidung von Fortuna, bittet sie jedoch im selben Atemzug darum, den Glücksfaden weiterzuspinnen, nicht ahnend, dass dieser längst zerrissen ist: »Wenn ich den Ruhm erzielet habe, / Was brauch’ ich mehr des Glückes Gabe? / Doch will ich, Glück, dich nicht vertreiben, / Kannst du gleich nicht mein Weibe bleiben, / Weil du doch stets nichts thatst, als spannts; / Damit du ferner spinnen kannst, / Will ich ein stilles Kämmerlein / Dir gerne dazu räumen ein, / Mit einem Wittwen-Jahrgehalt; / Da werde du beim Spinnen alt. / Spinn deinen Lebensfaden aus, / Und nebenbey Glück für mein Haus.«114

Die Situation ist gekennzeichnet durch eine Ambivalenz zwischen öffentlicher Schicksalsautonomie und privatem Schicksalsglauben. Napoleon will ohne Fortuna seinen Weg gehen, ist sich aber insgeheim bewusst, dass er es nicht 112 Ebd., S. 5 f. 113 Ebd., S. 10. 114 Ebd., S. 11.

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schaffen wird. Und tatsächlich scheitert Napoleon ohne die Protektion durch seine ehemalige Gattin. Sein Sohn Ruhm kommt mithilfe der Hebamme Politik auf die Welt und trägt bereits bei der Geburt eine Krone. Er gedeiht prächtig, doch parallel dazu wachsen auch die Ansprüche des verwöhnten Jungen. Er reitet wie wild auf einem Hahn, dem Symbol für Frankreich, den abgerissenen Faden der Fortuna als Zaum und Zügel in der Hand. Plötzlich erscheinen Sankt Georg und der Geist der Zeit als Abgesandte der Welt und verlangen, wieder in ihr altes Amt eingesetzt zu werden. Als der Geist der Zeit den Ruhm vom Hahn bläst, ruft Napoleon zur Gefangennahme der Abgesandten auf. Doch der Zeitgeist und Sankt Georg entfliehen rechtzeitig mit der Aufforderung, sie zukünftig in Russland zu suchen. Erst die Zuschauer erfahren, dass sich dahinter ein Betrug verbirgt. »DER GEIST DER ZEIT: Da läuft nun jener tölpisch / Mit seiner Schar nach Russland, um seines kleinen Königs, / Des ungezognen Ruhms halb […]. Daß ich, nach Russland zög’ ich, / Vorhin gesagt war unwahr ; / Euch ists vielleicht anstößig, / Daß ich ihn anflog unzart; / Allein ich war genöthigt / Vom Schicksal, welches Lust hat, / Ihm dort durch Russlands Wolf itzt / Austreiben seine Unart.«115

Es passiert, wie der Geist der Zeit es voraussagt: Napoleon holt sich in Russland einen fürchterlichen Schnupfen und muss mit leeren Händen nach Frankreich zurückkehren. Das Schicksal übernimmt in dem Augenblick, in dem der Glücksfaden der Fortuna zerreißt, die Macht über Napoleon und lässt ihn zielgerichtet ins Verderben laufen. So muss er bei seiner Rückkehr zusätzlich feststellen, dass Fortuna es aufgegeben hat, an seinem Glück zu spinnen, und stattdessen in Todessehnsucht ihr eigenes Leichentuch webt.116 Von aller Welt verlassen erwartet Napoleon am Ende des Stückes allein mit seinem Ruhm den Ansturm des russischen Heeres. In »Napoleon und seine Fortuna« beschrieb Friedrich Rückert die Abhängigkeit eines außergewöhnlichen Mannes vom Glück, und zwar in zweierlei Hinsicht: als Abhängigkeit vom eigenen Schicksalsglauben und als Abhängigkeit von einer real existierenden Schicksalsmacht. Natürlich erweckte die Einkleidung dieser Wahrheit in ein humoreskes Gewand den Anschein, als handele es sich bei beiden Aspekten um Auswüchse einer überspannten Phantasie, denen kein realgeschichtlicher Wert zugemessen werden konnte. Doch als unmittelbare Reaktion auf das Ende einer durch Napoleon geprägten Epoche gehört Rückerts Schicksalsdrama zu den zeitgenössischen Quellen, die den Schicksalsmythos Napoleons zu brechen versuchten, indem sie ihn persiflierten. Noch verbreiteter als dieser ironische Umgang in Theaterstücken waren 115 Ebd., S. 60 f. 116 Ebd., S. 90 f.

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Überlegungen, welche die Wirkmächtigkeit des Schicksals generell akzeptierten und Napoleons Scheitern mit dem Willen dieser Macht in Verbindung brachten. Bereits 1813 hieß es in einer anonym erschienen Schrift über »Napoleons verderbliche Anschläge«, dass Napoleons gelungene Flucht aus Russland über Deutschland nach Frankreich nur ein Aufschub für die gerechte Strafe Gottes gewesen sei.117 Und ebenso würde es auch seinen abhängigen Fürsten und Beratern ergehen: »Der Kaiser Napoleon Bonparte hat aufgehört Europa zu regieren; er und seine schändlichen Großvezire und Baschas sind vom Schicksal nur aufgespart, dass sie sich vor der ganzen Welt in ihrer vollen Nichtswürdigkeit spiegeln und am langsameren Feuer der Schande gebraten werden. So ist Gottes Gericht.«118

Es fällt auf, dass der anonyme Autor das Schicksal dem Einfluss Napoleons entzieht, um es wieder zurück in Gottes Hände zu legen. Gottes Gericht und das Schicksal werden zu Synonymen. Sie stellen das Gleichgewicht von Sünde und Vergeltung, von Schuld und Sühne und dadurch die gottgefällige Weltordnung wieder her. Friedrich Rückert wurde einige Jahre früher in seinem Gedicht »Gott und die Fürsten« (1817) konkreter. Bereits in der ersten Strophe stellt er Napoleons Verbannung auf die Insel Elba als vollstreckten Gotteswillen dar. »Napoleon von Kaiserthronen / gestürzt auf Elbas nackten Sand! / Seht her, der Erde Nationen, / seht, und erkennet Gottes Hand. / Ihn hat der HErr im Zorn gerichtet, / Drum liegt er so in Schmach vernichtet.«119

In den folgenden Strophen rekapituliert Rückert den Weg Napoleons zu diesem schmählichen Ende. Der Russlandfeldzug, die Völkerschlacht bei Leipzig und die Schlacht von Brienne 1814 sind die entscheidenden Ereignisse, die Napoleon hochmütig hat vorübergehen lassen, anstatt einen Frieden zu schließen, der ihm erlaubt hätte, sein Gesicht zu wahren. Ist es auch »des Hochmuths Dürsten«, das ihn zu diesen Handlungen antreibt, so erblickt Rückert doch einen höheren Willen in Napoleons Verhalten. Die drei Friedensangebote der europäischen Fürsten hatte Napoleon ignoriert, weil es im Verhängnis von Gottes Hand so festgeschrieben worden war. Dreimal wiederholt Rückert deshalb auch die entscheidenden Verse: »Denn im Verhängnis stands geschrieben: / Er soll noch besser seyn zerrieben.«120 Das Verhängnis nimmt also seinen Lauf und endet mit einem Handschlag Gottes, der den Hochmütigen endgültig zu Boden wirft. Es geschieht, wie es prophezeit wurde: Napoleon wird nicht nur gestürzt, er wird 117 118 119 120

o. A., Kurze und wahrhaftige Erzählung, S. 85. Ebd., S. 101. Rückert, Gott und die Fürsten, S. 243. Ebd., S. 244 f.

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regelrecht zerrieben, seiner Krone und seiner Ehre beraubt und endet im Pfuhl.121 Auch Rückert bindet den Sturz Napoleons zurück an ein symbiotisches Verhältnis zwischen Gott und dem Verhängnis. Doch im Gegensatz zur oben analysierten »Kurzen und wahrhaftigen Erzählung« findet hier eine Neuverteilung der Rollen statt. In »Gott und die Fürsten« ist es Gott selbst, der handelt, der das, was im Verhängnis geschrieben steht, zur Vollendung bringt. »Es ist der Herr, der ihn getroffen [hat]«, nicht das Verhängnis oder ein böser Genius als aktive Macht.122 Die literarische Verarbeitung des napoleonischen Schicksalsmythos erfolgte in Deutschland vielerorts durch eine Wiederermächtigung des christlichen Gottes. Nicht zufällig gewann das religiöse Gefühl nach 1815 wieder an Boden, sodass Orthodoxie und die protestantische Erweckungsbewegung verstärkt politischen Einfluss erhielten und dabei gegen die »Auflösung des Christlichen ins Vernünftige und Menschlich-Allgemeine«123 und gegen die »heidnische« Religiosität der Aufklärung arbeiteten.124 Nicht nur aus der Retrospektive ließ sich der Kampf gegen Napoleon daher auch als Kampf gegen den Schicksalsglauben deuten. Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass die Umdeutung der Schicksalsfronten maßgeblich zur Stimulation des Widerstandswillens genutzt wurde: Zunächst dadurch, dass Napoleon vom Günstling und der Inkarnation des Schicksals zum Schicksalsfeind und -opfer umstilisiert wurde, indem man den Sieg über Napoleon als Sieg der göttlichen Vorsehung über eine heidnische Schicksalsreligiosität interpretierte. So konnte Arndt 1839 in seinem Gedicht »Gerechtigkeit Gottes« die politischen Prozesse zwischen 1813 und 1815 in der griffigen Formel zusammenfassen: »Verkrächzet war das Lied der Schicksalsraben, / Und es erklang das Siegeslied der Christen / Zum Gotteskampf vom Greise bis zum Knaben, / Gebunden ward der Fürst der Hinterlisten.«125

Das Schicksal als politischer Begriff Die prominente Stellung des Schicksalsbegriffs im deutschen Napoleondiskurs wurde hier als Initiation für die Politisierung und nationale Vergemeinschaftung des Schicksalsbegriffs zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführt. Es ist unbestreitbar, dass der Begriff die Selbst- und Fremdwahrnehmung des französi121 122 123 124 125

Ebd., S. 245. Ebd. Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 424. Ebd., S. 404. Arndt, Gerechtigkeit Gottes, S. 226.

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schen Feldherrn massiv prägte, seinen Aufstieg ebenso begünstigte wie seinen Fall beschleunigte.126 Der Schicksalsbegriff machte Napoleon zu einer übernatürlichen, gottähnlichen Figur, er sakralisierte ihn und ebnete ihm dadurch den Weg zur Eroberung Europas. Wir haben gesehen, dass selbst überzeugte Napoleongegner der Anziehungskraft des Begriffs erlagen und ihn adaptierten, um Napoleons Charisma zu beschreiben. Man könnte argumentieren, dass diese Sakralisierung Napoleons durch das Schicksal den Schicksalsbegriff selbst nicht veränderte, weil er ein religiöser Ausdruck blieb. Seine Verwendung im Kontext apokalyptischer Visionen und im Sinne einer göttlichen Vorsehung würde für eine solche Sicht der Dinge sprechen. Doch der Deutungshorizont des Schicksals im vorliegenden Fall war ungleich weiter. Um die Frage nach seiner Politisierung zu beantworten, gilt es zunächst, Klarheit über die Charakteristika politischer Begriffe zu gewinnen. Reinhart Koselleck hat als eines der vier Spezifika historischer Grundbegriffe ihre Politisierung während der Sattelzeit hervorgehoben. Er versteht darunter ein Produkt, das aus dem individuellen Standort des Sprechers resultiert. Die gesellschaftliche Pluralisierung in der Moderne, so Koselleck, vervielfältigte auch die Anzahl der Personen, die zu einem Sachverhalt Stellung bezogen. In diesem Prozess erhielten Begriffe eine neue Reichweite und konnten erhebliche Wirkungen entfalten. Sie wurden immer aufs Neue reproduziert, auch indem sie politische Gegenbegriffe evozierten. Dabei gingen sie über die Beschreibung gegenwärtiger Sachverhalte hinaus, griffen sozusagen in die Zukunft hinein und bestimmten den geschichtlichen Lauf zu dieser Zukunft hin mit. »Das Verhältnis des Begriffs zum Begriffenen kehrt sich um, es verschiebt sich zugunsten sprachlicher Vorgriffe, die zukunftsprägend wirken sollen. So entstehen Begriffe, die über das empirisch Einlösbare weit hinausweisen, ohne ihre politische und soziale Tragweite einzubüßen. Im Gegenteil.«127

Die Politisierung eines Begriffs bestimmt sich diesem Verständnis nach nicht durch seine Situierung in einem politischen Kontext, sondern einerseits durch die Breite seiner sozialen Basis und andererseits durch eine spezifische Form von Zeitlichkeit. Der Politikum-Charakter der Phänomene selbst ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Wendet man diese Kriterien auf den Schicksalsbegriff im Napoleondiskurs an, so kann man im Koselleck’schen Sinne durchaus von einer Politisierung sprechen. Zunächst zur sozialen Dimension: Einmal für das Phänomen Napo126 Im Wesentlichen entspricht der semantische Wandel des Schicksalsbegriffs den allgemeinen Konjunkturen der deutschen Napoleon-Rezeption: Flemming, ›Held der Weltgeschichte‹, S. 61 f.; ders., ›Ein Riese und ein Rätsel‹, S. 11 – 22; Marcowitz, (De-)Konstruktion eines Mythos, S. 165 – 171. 127 Koselleck, Einleitung, S. XVIII.

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leon entdeckt und von diesem selbst propagiert, verbreitete sich der Schicksalstopos über die Medien der Publizistik, des Theaters, der politischen Veranstaltungen in rasender Geschwindigkeit und mit ungeahnter Breitenwirkung. Dabei entstanden wechselseitige Verstärkungen, wie sie insbesondere von Görres in der »Proklamation« herausgearbeitet wurden. Von weiten Teilen der gelehrten Bevölkerung für den Erfüllungsgehilfen des Schicksals oder das Schicksal selbst gehalten, instrumentalisierte Napoleon den Begriff für seine Zwecke und potenzierte dadurch dessen Wirkmächtigkeit. Das Spezifikum des Schicksalsbegriffs war, dass er sowohl zur wohlwollenden Heroisierung des französischen Kaisers als auch zu seiner Dämonisierung128 verwendet werden konnte. So wurde das Schicksal in ein und demselben Zusammenhang zugleich zur Selbst- wie zur Feindbezeichnung und brauchte keinen expliziten Gegenbegriff. Auch hinsichtlich der Zeitdimension lassen sich Kosellecks Überlegungen am Schicksalsbegriff verifizieren: Der Schicksalsbegriff kam zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Ausdruck für eine neue Zukunftserwartung auf. Die Rede vom schicksalsgewollten Epochenumbruch, dessen Vollstrecker Napoleon war, implizierte genau die Rückkopplung geschichtsphilosophischer Zukunftsentwürfe und ihrer Begriffe auf die politische Planung. Weil die Umwälzung der politischsozialen Ordnung durch Napoleon vorausgreifend als eine schicksalhafte und deshalb unaufhaltsame Zeitenwende, als eine Ablösung des Mittelalters von einem neuen Zeitalter begriffen wurde, bestimmte der Schicksalsbegriff die Haltung der Bevölkerung zu Napoleon und dadurch den politischen Alltag. Die Äußerungen Martin Wielands oder Agnes von Gerlachs legen davon beredtes Zeugnis ab. Ein besonders sinnfälliges Beispiel für diesen Mechanismus war auch die Kriegserklärung Napoleons an Russland, die mit der Drohung, dass das Schicksal Russland fortreißen werde, eine solche suggestive Kraft ausübte, dass in Deutschland zunächst kaum jemand daran zweifelte, dass Frankreich diesen Krieg gewinnen würde. Erst als sich diese Zukunftserwartung nicht erfüllte, konnte auch der Schicksalsbegriff infrage gestellt und entmystifiziert werden. Begreift man politische Begriffe vornehmlich als Medien des politischen Handelns, wird der politische Charakter des Schicksalsbegriffs noch deutlicher. Die Verwendung signifikanter Begriffe als politische Aktionen ist das Hauptmerkmal ihrer Politisierung, wie Kari Palonen zusammenfasst: »Charakteristisch für einen politischen Gebrauch von Begriffen ist eben, daß zwischen Dingen und Worten, zwischen Realität und Rhetorik, kein eindeutiger Unterschied 128 Pelzer, Die Wiedergeburt Deutschlands, S. 280, 284. Helmut Koopmann hat gerade die Dämonisierung Napoleons als Hauptmerkmal der deutschen Napoleon-Rezeption identifiziert, die jedoch gleichzeitig seine Mythisierung verhindert hätte: Ders., Napoleon – Mythos?, S. 430 f.

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gemacht werden kann, sondern Worte schon Taten sind und die Berufung auf die Realität schon ein rhetorisches Mittel ist.«129

In den Momenten, in denen der Schicksalsglaube zum Deutungshorizont für Napoleons Handeln oder für das Handeln seiner Gegner wurde, bestimmte er die Form der Handlung an sich. Die Sakralisierung Napoleons durch den Schicksalsnimbus hatte Einfluss auf den Umgang mit seiner Person, war sie doch ein wesentlicher Bestandteil seiner charismatischen Herrschaft. Eine Begegnung mit dem Weltenherrscher konnte als leibhaftige Begegnung mit dem Schicksal gedeutet werden, in seinen Gesichtszügen forschten die Beobachter nach den Zeichen seiner übernatürlichen Bestimmung und entdeckten diese auch.130 Die Berufung auf das Schicksal wurde zum Faktor der politischen Machtentfaltung Napoleons. Nicht umsonst rankten sich die akribischen Vorbereitungen des Erfurter Fürstenkongresses auch um die Inszenierung des Schicksalsgedankens. Indem das Schicksal in die zeitgenössische Symbolsprache integriert wurde, konnte es die politische Willensbildung nachhaltig prägen.131 Umgekehrt war die Wiederaneignung des Schicksalsbegriffs durch die national gesinnten Publizisten eine durch und durch politische Handlung. Gerade für Arndt und Hoffmann lag die Initiation der nationalen Erhebung gegen die französische Okkupation in einer Umdeutung der Schicksalsgunst, die es zu gewinnen galt, um Napoleon besiegen zu können. Die immer wieder gebetsmühlenartig vorgebrachten Versicherungen, dass das Schicksal in den eigenen Händen liege, dass Deutschland eine Schicksalsnation sei oder dass das Schicksal Napoleon verderben werde, können als durchaus erfolgreiche Strategie interpretiert werden, mit welcher der eigene Kampfeswillen gestärkt und der des französischen Gegners geschwächt werden sollte. Hieraus ergibt sich noch ein weiterer Beleg für die Politisierung des Schicksalsbegriffs im Napoleondiskurs. Der britische Philosoph Walter Bryce Gallie und der amerikanische Politikwissenschaftler Melvin Richter haben die Umstrittenheit von Begriffen als ein Merkmal ihrer politischen Qualität herausgearbeitet. »First, the term indicates that disputes about such concepts […] involved their central rather than their marginal meanings. […] Second, in ›contestable‹ concepts, disagreements form an indispensable part of meaning. […] Third, […] the meanings of some concepts derive from controversy rather than from any consensus about their meaning, but just because of such disagreements.«132 129 Palonen, Begriffsgeschichte, S. 226. 130 Zur charismatischen Wirkung Napoleons auf Einzelpersonen und ihre Hintergründe siehe: Schulz, Der ›deutsche‹ Napoleon, S. 25 – 35; Unverfehrt, ›Und sein erster Anblick erschüttert!‹, S. 33 – 43. 131 Schmidt und Thamer, Die Konstruktion von Tradition, S. 8. 132 Richter, Conzeptualizing the Contestable, S. 138.

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Es wurde gezeigt, dass der Kampf gegen Napoleon sich auch in einem Kampf um die Deutungshoheit über das Schicksal manifestierte. Der Begriff war hier nicht so sehr aufgrund seines semantischen Gehalts umstritten, sondern weil alle Parteien die Schicksalsmacht auf ihre Seite ziehen wollten. Die Eroberung des Schicksals wurde zum politischen Ziel. Denn es war allen Beteiligten klar, dass nur derjenige siegreich aus diesen universalen Umwälzungen herausgehen würde, der den eigenen Willen als Schicksalswillen plausibel machen konnte. In dem Augenblick, in dem sich das Kriegsglück Napoleons wendete, wurde eine Lücke im Schicksalsgefüge frei, welche die politischen Gegner zu ihren Gunsten besetzen konnten. Für den unterlegenen Napoleon blieben nur Häme und Spott, die sich gerade an seiner falschen Schicksalseinschätzung entzündeten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Einsatz des Schicksalsbegriffs hier weit über einen metaphorischen Gebrauch hinausging. Ebenso wie die Politik durch den Schicksalsbegriff religiös codiert wurde, wurde der Schicksalsbegriff durch die politischen Ereignisse politisiert. In der Inszenierung und Wahrnehmung Napoleons mithilfe des Schicksalsbegriffs zeigt sich erneut die Doppelstruktur historischer Grundbegriffe: Das Schicksal war nicht nur Indikator politisch-sozialen Wandels, sondern auch Faktor. Indem es in den Bereich der Politik vordrang, strukturierte es diesen maßgeblich mit und veränderte zugleich seine eigene Gestalt.

5.2

Der Begriff des Schicksals in den Debatten über die Nation in der Frankfurter Paulskirche

Schicksal und Nation – Perspektiven der historischen Forschung Wenn, wie Max Weber es definiert, der Begriff des Nationalen »eine spezifische Art von Pathos [ist], welches sich in einer durch Sprach-, Konfessions-, Sittenoder Schicksalsgemeinschaft verbundenen Menschengruppe mit dem Gedanken einer ihr eigenen, schon bestehenden oder von ihr ersehnten politischen Machtgebildeorganisation verbindet,«133 dann kann die Revolution von 1848 als vorläufiger Kulminationspunkt des deutschen Nationsgedankens angesehen werden, da sie die Gründung eines Nationalstaates erstmals in greifbare Nähe rücken ließ. Gleichzeitig offenbarten sich in dieser politischen Umbruchssituation auch die Probleme, die eine endgültige Definition der Deutschen als Nation mit sich brachte. Der maßgebliche Ort des deutschen Nationaldiskurses zu dieser Zeit war die 133 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 244.

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Der Begriff des Schicksals in den Debatten über die Nation

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Frankfurter Nationalversammlung als erstes gewähltes gesamtdeutsches Parlament, dessen Nationsentwürfe zum Wegweiser für die politische Gestaltung der deutschen Zukunft werden sollten. Hier wurden Konzepte in reale Politik umgewandelt, hier musste sich entscheiden, auf welchen gemeinsamen Grund man den neuen Staat bauen wollte und welche Zukunftsperspektive man ihm gab.134 Die Verhandlungsprotokolle der Nationalversammlung in der Paulskirche sind aufschlussreiche Quellen dieses Aushandlungsprozesses, der von zahlreichen Dilemmata geprägt war : In den Debatten stießen Nationsdefinitionen aufeinander, die zum Teil unvereinbare Kriterien festlegten oder mit ihren eigenen Grundsätzen in Widerspruch gerieten, wenn sie zum Beispiel das legitime Selbstbestimmungsrecht der Völker mit pragmatischen machtpolitischen Entscheidungen in Übereinstimmung bringen wollten. Zudem erforderte das Sprachhandeln aufgrund der Öffentlichkeit der Sitzungen bestimmte rhetorische Strategien.135 Die Prominenz des Schicksalsgedankens im frühen Nationalismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts lässt die Vermutung zu, dass er im Augenblick der staatspolitischen Realisierung der Nationsidee bewusst wieder aufgegriffen und eingesetzt wurde. Die Frage ist, welchen Stellenwert der Schicksalsbegriff hierbei besaß, und was er tatsächlich bewirkte. In diesem Zusammenhang müssen zunächst grundsätzliche Überlegungen zur Bedeutung von Sprache im Nationalismus angestellt werden.136 In der historischen Nationalismusforschung wird immer wieder darüber diskutiert, über welche Mechanismen Nationen hervorgebracht werden, was ihre bestimmenden Merkmale sind, wer aus welchen Gründen die Deutungsmacht über sie erhält und wie ihre gesellschaftsintegrierende Funktion zustande kommt. Je nach beteiligten Teildisziplinen werden unterschiedliche Perspektiven auf diesen Fragenkomplex eingenommen, die von der Konzentration auf institutionelle Aspekte oder auf einzelne Personen über den Blick auf soziale und mentale Voraussetzungen bis zur Analyse diskursiver Mechanismen bei der Nationsformierung reichen.137 Es ist heute unumstritten, dass Nationalismen 134 Mit dem Fokus auf den Verhandlungen der Nationalversammlung gewinnt man natürlich nur einen Ausschnitt des Revolutionsdebatten von 1848/49, der zwangsläufig die Äußerungen männlicher Bürger in den Mittelpunkt rückt, andere zeitgenössische Politikdeutungen aber unberücksichtigt lässt. Die Konzentration auf die Paulskirche lässt sich dessen ungeachtet dadurch rechtfertigen, dass die parlamentarischen Aushandlungen über ungezählte Zeitungsartikel in das öffentliche Bewusstsein rückten und so auch die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung nachhaltig prägten. Siehe dazu: Dipper, Ortsbestimmung der Gegenwart, S. 18 f. 135 Steinmetz, ›Sprechen ist eine Tat bei euch‹, S. 1130 – 1138. 136 Siehe zum Sprachwandel speziell in der Revolution von 1848/49, allerdings in Bezug auf genuin politische und soziale Begriffe und Phrasen: Steinmetz, ›Sprechen ist eine Tat bei euch‹, S. 1089 – 1138; Grünert, Sprache und Politik. 137 Siehe als Forschungsüberblick: Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat, S. 180 – 236; Weichlein, Nationalismus, S. 265 – 351.

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und Nationalstaaten nicht nur durch soziale und politische Praktiken entstehen, sondern dass sie auch ein Produkt bestimmter Narrative sind, die das Denken über Nationen strukturieren und für die Beteiligung breiter Volksschichten öffnen. Insbesondere die religionsgeschichtliche Forschung hat die starke Affinität von Nation und Religion häufig an sprachlichen Befunden festgemacht, sodass es mittlerweile als Gemeinplatz gelten kann, dass Nationen sich religiöser Inhalte, Rituale und Semantiken zu Legitimationszwecken bedienen.138 In der älteren Forschung haben diese Befunde häufig zu der Annahme geführt, dass die Nation die Religion im Zeitalter der Säkularisierung ersetzt habe und der Nationalismus selbst zu einer politischen Religion geworden sei. HansUlrich Wehler hat noch 2001 die funktionale Ablösung der jüdisch-christlichen Tradition durch die Nation anhand von vier Beobachtungen vertreten: Die Nation adaptiere die alttestamentarische Vorstellung des auserwählten Volkes. Sie bezeichne das eigene Territorium als heiliges Land. Sie übernehme die Prädestinationslehre, nach der jede Nation einen göttlichen Auftrag erfüllen müsse. Und sie verfechte für ihre Mitglieder den Grundsatz der unbedingten Brüderlichkeit.139 In den letzten Jahren wurden gegen diese These von der politischen Religion des Nationalismus zahlreiche Erkenntnisse geltend gemacht, welche die wechselseitige Beeinflussung und Durchdringung von Nationalismus, Kirche und Religion erwiesen haben, sodass zum Beispiel Peter Walkenhorst vorschlägt, statt von einer nationalen Ersatzreligion eher von einer »religiösen Dimension nationalistischer Ideologie«140 zu sprechen, die sich maßgeblich, wenn auch nicht ausschließlich, über die politische Adaption sakraler Sprache zeige.141 Friedrich Wilhelm Graf hat die Funktion dieser religiösen Sprachbilder funktionalistisch gedeutet: Die religiöse Semantik diene dazu, »die emotionale Bindung des einzelnen an die Nation in den tiefsten Schichten seiner Seele zu verankern und die nationale Gemeinschaft als eine umfassend, auch innerlich bindende Heilsgemeinschaft zu stabilisieren«.142 In der Konsequenz hieße das, dass religiöse Energien in der Gesellschaft auf die Nation umgeleitet werden sollten. So plausibel diese Deutung auch sein mag, so sagt sie noch wenig über die tatsächlichen Rezeptionsprozesse und die Reichweite religiöser Nationskonzepte aus.143 Die Aufnahme ursprünglich religiöser Begrifflichkeiten in das nationale Vokabular kann ebenso eine Annäherung an religiöse Glaubensinhalte 138 139 140 141 142 143

Ebd., S. 306. Wehler, Nationalismus, S. 27 – 29. Walkenhorst, Nationalismus als ›politische Religion‹?, S. 503 – 529. Ebd., S. 509. Graf, Die Nation, S. 305. Echternkamp, Religiosität und Nationskonzeption, S. 138.

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bedeuten wie auch eine vollkommene Umdefinition, sodass geklärt werden muss, wieweit die Assoziationsfähigkeit bei den Zeitgenossen de facto noch reichte und welches Begriffsverständnis wirklich dominierte. Aus diesem Grund formuliert auch Willibald Steinmetz das Desiderat, die sprachliche Konstruktion von Nation mit einer Sensibilität für begriffsgeschichtliche Prozesse zu betreiben,144 welche die semantischen Wandlungen auch religiöser Begriffe über einen langen Zeitraum in den Blick nimmt.145 Hinzuzufügen wäre das Plädoyer Siegfried Weichleins, bei der Analyse von Nationssemantiken, Akteure und Kontexte nicht aus dem Blick zu verlieren, um nicht Gefahr zu laufen, die Autoren als »Instrumente einer überindividuellen Semantik [zu begreifen, F. R.], die sie benutzt, um zu sprechen«.146 Jeder Sprecher prägt aufgrund seiner spezifischen Position in der Gesellschaft und als Vertreter individueller Überzeugungen eigene Semantiken, die anderen manchmal ähneln, die sich aber auch grundlegend voneinander unterscheiden können. Im Folgenden sollen unter Berücksichtigung dieser methodischen Prolegomena die Semantik und der Stellenwert des Schicksalsbegriffs im deutschen Nationaldiskurs der Mitte des 19. Jahrhunderts untersucht werden. Als Ausgangspunkt lohnt ein Blick auf den bisherigen Umgang der Nationalismusforschung mit dem Schicksalsbegriff, um auf die bisher gewonnenen Erkenntnisse aufbauen zu können. Die Nationalismusforschung hat die Konstruktion der Nation als Schicksalsgemeinschaft bisher zur analytischen Beschreibung einer Reihe historischer Befunde verwendet, dem Begriff des Schicksals als historischem Quellenbegriff jedoch kaum Beachtung geschenkt. Dennoch setzt sich der hier eher intuitiv verwendete Schicksalsbegriff aus zahlreichen Elementen eines Sprachgebrauchs zusammen, der bereits im 19. Jahrhundert zumindest in Deutschland üblich war. So identifiziert Adrian Hastings »the discovery of a unique national destiny« als ein wesentliches religiöses Moment des Nationsbildungsprozesses.147 In diesem Aspekt flössen alle anderen Aspekte der religiös beeinflussten Nationsbildung zusammen, wie die Erschaffung von Gründungsmythen, die legendenhaften Erinnerungen an historische Herausforderungen der Nation, der enorme Einfluss des Klerus, die Produktion landessprachlicher Literatur, der Verweis auf biblische Analogien und die Erschaffung selbstständiger Nationalkirchen: »All the aspects considered hitherto can easily coalesce under our final heading, a nation’s holiness and special destiny.«148 Hastings deutet den Schicksalsbegriff hier im Wesentlichen als das nationale 144 145 146 147 148

Steinmetz, Die ›Nation‹, S. 221. So auch: Graf, Die Nation, S. 299. Weichlein, Nationalismus, S. 288. Hastings, The construction of nationhood, S. 188. Ebd., S. 196.

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Selbstverständnis, ein auserwähltes Volk zu sein, das – wie das alttestamentarische Israel – eine göttliche Mission erfüllen muss. In diesem Sinne hat das Schicksal einen starken christlichen Bezug, der nicht ohne den Verweis auf einen neuen Bund und damit nicht ohne einen Gottesbegriff auskommt. Zudem wird in diesem Verständnis die Zukunftsdimension des Schicksals akzentuiert, die auf ein Ziel verweist, das erst am Ende eines gemeinsamen nationalen Weges steht. Es bleibt zu untersuchen, ob die Vorstellung eines auserwählten Volkes und der heiligen Nation in der Quellensprache tatsächlich unter dem Schicksalsbegriff verhandelt wurde, oder umgekehrt, ob der Schicksalsbegriff diese Vorstellungen implizierte. Zwei weitere Aspekte des Nationsbildungsprozesses hat Friedrich Wilhelm Graf mit dem Schicksalsbegriff zu fassen versucht. Zu der Frage, wie Nationen Identität herstellen, verweist Graf auf die Entdeckung einer gemeinsamen nationalen Vergangenheit, die über starke historische Narrative kreiert wird. Diese definieren »alle Angehörigen der Nation als Teilhaber eines kollektiv geteilten, sie bis in die Tiefenschichten ihrer Subjektivität emotional bindenden Schicksals […]. In der neueren Nationalismusforschung ist es weithin Konsens, daß sich die modernen Nationalismen als Sinnkonstrukte beschreiben lassen, die den einzelnen in der Weise emotional an die Nation binden, daß er sie als die für ihn entscheidende, primär bestimmende Schicksalsgemeinschaft erfährt.«149

Anders als Hastings betont Graf hier den Vergangenheitsbezug des Schicksalsbegriffs, sein Potential, eine gemeinsame Geschichte zu formulieren und dadurch Sinn zu erzeugen. Zusätzlich findet über den Begriff der Schicksalsgemeinschaft die eigentliche Bindung des Individuums an das Kollektiv statt, die das Aufgehen individueller Bedürfnisse in nationale Erfordernisse ermöglicht. Die Definition der Nation als Schicksalsgemeinschaft spricht dabei die emotionale, subjektive Seite des Nationsbildungsprozesses an, die auf eine Identifikation und Verbundenheit durch unlösbare Bande verweist.150 Gleichzeitig wird durch den Hinweis auf eine gemeinsame Geschichte jedoch auch ein objektivistisches Nationsverständnis bedient.151 Ein ähnliches Schicksalsverständnis im Kontext von Nationen und Nationalismen vertritt auch Benedict Anderson in seiner Studie über Nationen als »Imagined Communities«.152 Gerade im Vergleich zum Rassismus stellt Anderson fest, dass der Nationalismus vornehmlich in historisch-schicksalhaften 149 Graf, Die Nation, S. 304. 150 Jansen und Borggräfe, Nation – Nationalität – Nationalismus, S. 11. 151 Siehe zur Unterscheidung von »subjektivistischem« und »objektivistischem« Nationsbegriff: Ebd., S. 11 f. 152 Deutsche Übersetzung: Anderson, Die Erfindung der Nation.

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Begriffen denke: »The fact of the matter is that nationalism thinks in terms of historical destinies […].«153 Die Vorstellung eines historischen Schicksals der Nation ist ein Mechanismus, um die Einheit der Zeit herzustellen, und – hier kommt ein neuer Aspekt in die Argumentation – historische Kontingenz zu bewältigen. Zwar argumentiert Anderson in diesem Zusammenhang mit der fraglich gewordenen These von der Substitution der Religion durch den Nationalismus,154 doch es gilt, zwei Gedanken festzuhalten: Zum einen ist der Schicksalstopos ein geeignetes Instrument, um religiösen oder religionsähnlichen Sinn zu erstellen und historische Kontinuität zu erzeugen. Zum anderen werden durch den Gebrauch der Schicksalsfigur nicht nur die Voraussetzungen für die Nationsbildung geschaffen, sondern es kann auch umgekehrt sein: Der Nationalismus selbst bringt das Schicksal erst hervor. Mit Andersons Worten: »It is the magic of nationalism to turn chance into destiny«155 – oder zu Deutsch: »Es ist das ›Wunder‹ des Nationalismus, den Zufall in Schicksal zu verwandeln.«156 Auch wenn Anderson damit die Sakralisierung des Nationsgedankens durch den Nationalismus anspricht, lässt sich seine Aussage viel allgemeiner lesen. Der Zusammenschluss von Menschen, die einander zum großen Teil nicht kennen,157 ist in seinen Definitionen und Grenzziehungen willkürlich. Er orientiert sich an keinen bindenden Kriterien, hat bis zu einer endgültigen Festlegung permeable Innen- und Außengrenzen und entsteht erst durch Aushandlungsprozesse, deren Ausgang dem Zufall überlassen bleibt. »Die Nation, wenn sie entsteht, bestimmt selbst die Merkmale, die sie bestimmen.«158 Die auf diese Weise entstandene vorgestellte Gemeinschaft der Nation verdankt ihre finale Gestalt also keiner historischen Notwendigkeit, sondern kontingenten politischen Entscheidungsprozessen. Es ist Aufgabe der nationalen Politik, diese Prozesse aus der Retrospektive auf unumstrittene Kriterien zurückzuführen, die nicht im Ermessen des Einzelnen stehen. Auf diese Weise wird der Zufall der Nationsbildung in das Schicksal der Nation umgewandelt. Schicksal ist damit das Produkt nationaler Aushandlungsprozesse. In ihm gehen alle Kriterien auf, welche die Grenzen und Eigenschaften der Nation bestimmen. Diese Kennzeichen differieren von Nation zu Nation, von Nationalismus zu Nationalismus, weshalb sich verschiedene nationale Schicksalsgemeinschaften voneinander abgrenzen lassen. Sie können etwa Aspekte wie Sprache, Kultur, Tradition, Geschichte, Religion, Territorium, Rasse, aber auch 153 154 155 156 157 158

Anderson, Imagined communities, S. 149. Siehe dazu z. B.: Haupt und Langewiesche, Nation und Religion, S. 13. Anderson, Imagined communities, S. 12. Ders., Die Erfindung der Nation, S. 20. Ebd., S. 15. Böckenförde, Die Nation, S. 133.

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bewusste Entscheidungen,159 Zielvorstellungen oder diffuse Gefühle160 umfassen. In dieser Hinsicht ist das nationale Schicksal eine Zusammenstellung unterschiedlichster »Waren«, die den Mitgliedern der Nation »von den Vertretern einer nationalen Politik als verschnürtes Paket« angeboten wird.161 Doch dabei ist – wie Eric J. Hobsbawm zu Recht bemerkt – vollkommen unklar, ob die Käufer alle Bestandteile dieses Pakets gleichermaßen annehmen oder sich nur für einzelne bewusst entscheiden. Die Verwendungsweisen des Schicksalsbegriffs in der historischen Nationalismusforschung zeigen einige semantische Gehalte und Funktionen eines potenziellen nationalen Schicksalsbegriffs: Erstens kreisen sie um eine Verortung der Nation auf der historischen Zeitleiste, sprechen vom Schicksal der Nation als dem Ausdruck einer historischen Tradition oder von der Durchsetzung eines historischen Entwicklungsgedankens, die häufig mit heilsgeschichtlichen oder messianischen Erwartungen korrespondieren.162 Hierbei geht es also darum, die Nation in ein Zeitkontinuum einzuordnen und zufällige, kontingente Ereignisse und Entscheidungen in historische und auch teleologische Notwendigkeiten umzuwandeln. Die Nation bindet so die drei temporalen Achsen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durch den Schicksalsbegriff aneinander.163 Zweitens wird der Schicksalsbegriff in der Nationalismusforschung als Sammelbegriff für das spezifische Set von Kriterien verwendet, über das sich Nationen definieren. Nationale Schicksale sind nicht allein Vergangenheitsentwürfe und Zukunftsperspektiven, sondern ausgewählte Merkmale, durch welche die Nation erst konstruiert wird. Hier wird im Nachhinein der Gedanke der Determination ins Spiel gebracht, der suggeriert, dass die spezifische Kombination der Kriterien bereits seit Urzeiten festgelegt sei. Der so verstandene Schicksalsbegriff formiert sich durch die doppelte Strategie der Inklusion und Exklusion. Indem von verschiedenen nationalen Schicksalen gesprochen wird, werden en passant die Grenzen von Nationen fixiert, getreu der Maxime: Wer nicht unser Schicksal teilt, kann nicht unserer Nation angehören. Zum Dritten beschreibt die Schicksalsgemeinschaft das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft als die Unterordnung eines individuellen unter ein kollektives Schicksal.

159 Wie der Gedanke des »täglichen Plebiszits«, »un plÀbiscite de tous le jour«, formuliert von: Renan, Qu’est-ce qu’une nation?, S. 27. 160 Zuerst formuliert von: Rümelin, Über den Begriff des Volkes, S. 102. 161 Hobsbawm, Nationen und Nationalismus, S. 96. 162 Anderson, Die Erfindung der Nation, S. 195; Echternkamp, Religiosität und Nationskonzeption, S. 141; Weichlein, Nationalismus, S. 317. 163 Wodak und Cillia, Zur diskursiven Konstruktion, S. 66.

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»Die Menschen sollten die Erfüllung ihrer individuellen Wünsche und Bedürfnisse zurückstellen zugunsten der Nation, die zu einer höheren Form der Nationalität stilisiert und den Angehörigen der Nation als Ersatzidentität angeboten wurde.«164

Siegfried Weichlein spricht in diesem Kontext auch von einer »partizipativen Identität«, durch die Individuen sich an Nationen anschließen.165 Die Konfiguration der Nation als Schicksalsgemeinschaft führt so einerseits zur Identifizierung des individuellen mit dem kollektiven Schicksal, gleichzeitig jedoch auch zur Individualisierung der Nation. Die Nation selbst wird gewissermaßen personifiziert, besitzt bestimmte Eigenschaften oder typische Verhaltensweisen, die sich zumeist in der Festschreibung von Nationalcharakteren manifestieren.166 Das so verstandene Schicksal determiniert die Nation gleich einem Menschen von seinen Wesenseigenschaften her und setzt dem nationalen Handeln bestimmte Grenzen, die es nicht überschreiten kann.167 Ein vierter Aspekt des Schicksalsverständnisses, der in der Forschungsliteratur nicht erwähnt wird, weil er sich analytisch nicht instrumentalisieren lässt, muss diesen drei Gesichtspunkten noch hinzugefügt werden. Es wurde gezeigt, dass das Schicksal im aufkeimenden deutschen Nationalismus der Befreiungskriege durchaus mit personalen Vorstellungen korrespondierte. Napoleon war nicht nur Herrscher über das Schicksal, sondern wurde zeitweise auch selbst als unbezwingbares Schicksal angesehen. Deshalb bleibt zu fragen, ob sich das personale Moment des Schicksalsbegriffs auch in den späteren Debatten über die Nation erhält. Welche Rolle spielt die Frage nach der Instanz, von der das Schicksal ausgeht oder die es repräsentiert? Gibt es weiterhin den Verweis auf ein göttliches Wesen, oder wird die Schicksalshoheit anderen Personen zugesprochen? Vor allen Dingen der Stellenwert des Schicksalsbegriffs im Narrativ vom auserwählten Volk ist dafür entscheidend. Hierbei lohnt auch ein genauerer Blick auf den Verwendungszusammenhang des Vorsehungsbegriffs und auf sein Verhältnis zur Schicksalssemantik. Im Folgenden wird eine Analyse der politischen Reden in den »Stenographischen Berichten über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung« in den Jahren 1848 und 1849 nähere Auskunft über die genannten vier Problemkomplexe geben. Weil das Verhältnis zum Vorsehungsbegriff den semantischen Gehalt des Schicksalsbegriffs am längsten prägte und sich hierin das Selbstverständnis gegenüber der Gottheit manifestierte, soll der letztgenannte Komplex nun als erster in den Blick genommen werden. 164 165 166 167

Jansen und Borggräfe, Nation – Nationalität – Nationalismus, S. 47. Weichlein, Nationalismus, S. 305. Jansen und Borggräfe, Nation – Nationalität – Nationalismus, S. 20. Jirˇi Korˇalka spricht in diesem Zusammenhang auch von einem »romantischen Volksbegriff«: Ders., Nationsvorstellungen, S. 39.

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Zur Legitimität der Vorsehung als Gestaltungskraft nationaler Politik In den Debatten der Nationalversammlung wurden wichtige politische Entscheidungen immer wieder in einen Horizont der Vorsehung eingebettet, der damit einen Fluchtpunkt der parlamentarischen Entscheidungen bildete. Die Argumentation verharrte teils in der traditionellen Annahme einer von Gott ausgehenden Kraft, welche die menschlichen Angelegenheiten von einer höheren Warte aus dirigierte und beeinflusste, teils wurde der Begriff aber auch auf die Nationalversammlung selbst projiziert, wobei vormals göttliche Kompetenzen in die Hand der Abgeordneten gelegt wurden. In beiden Perspektiven konnte die Berufung auf die Vorsehung zu einem politischen Argument werden, wenn es gelang, die Übereinstimmung des eigenen Standpunktes mit dem Vorsehungswillen plausibel zu machen. Fraktionsübergreifend verbreitet waren in diesem Zusammenhang solche Äußerungen, welche die Gewissheit und Hoffnung formulierten, dass die Vorsehung als eine schützende und leitende Macht über den Entscheidungen der Nationalversammlung stehen möge, um diesen eine zusätzliche Legitimation zu verschaffen. So war sich der Kieler Abgeordnete Hans Reimer Claussen (1804 – 1894) von der Westendhall-Fraktion168 im Juni 1848 sehr sicher, dass die »leitende Vorsehung« sehr schnell eine neue Regierungsverfassung hervorbringen werde, egal, wie sie letztlich ausfallen werde.169 Wilhelm Adolph Lette (1799 – 1868), Berliner Jurist aus der Casino-Fraktion, fügte eine ähnliche Formulierung in einer der frühen Debatten über die Grundrechte an, indem er mit der allgemeinen Bemerkung abschloss: »Ich hoffe übrigens, daß auch bei dieser Sache, wie die Vorsehung bisher über unsern Beschlüssen geschwebt hat und aus unseren Berathungen bisher noch das Richtige und Wahre, dasjenige herausgekommen, was von der Nation gewünscht wird, das Richtige und Wahre sich herausstellen werde.«170

Waren diese Worte auch eine Aufforderung und Warnung an alle Abgeordneten, Sprechen und Handeln gewissenhaft zu überdenken und auf ihre Konsequenzen zu überprüfen, äußerte sich darin zugleich eine tiefe Unsicherheit über den eigenen Stellenwert und Auftrag. Die Hoffnung, in dem, was die Nationalversammlung verhandelte und beschloss, nicht ohne göttlichen Beistand zu sein, war zugleich das Eingeständnis der Angst vor der eigenen Courage. Lette wollte die Kompetenzen der Paulskirchenversammlung zumindest durch eine höhere 168 Die biografischen Angaben zu den einzelnen Abgeordneten sind hier und im Folgenden entnommen: Best und Weege, Biographisches Handbuch der Abgeordneten. Als Übersicht über die Fraktionen der Paulskirche siehe: Pilz, Die Fraktionsbildung, S. 143 – 168. 169 Reimer Claussen, 22. 6. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 1, S. 446. 170 Wilhelm Adolph Lette, 03. 07. 1848, in: Ebd., S. 704.

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Instanz unterstützt wissen, die definierte, was das »Richtige und Wahre« tatsächlich war. Ähnliches mahnte der jüdische Publizist und Anwalt Gabriel Riesser (1806 – 1863) am 21. März 1849 in der Debatte über die Ausgestaltung der Reichsverfassung an. Der gute Wille der Menschen allein reiche nicht aus, um ein Werk zur Erfüllung zu bringen: »Wenn in diesem Falle eine höhere Macht, mag sie der Eine die Vorsehung, der Andere die Macht der Geschichte nennen, das Haus nicht baut, so werden die Bauleute vergebens bauen.«171 Riessers Bemerkung gestattete mit dem Verweis auf die Geschichte zugleich noch eine andere, säkulare Betrachtung der Dinge, die jedoch an der angeblichen Tatsache nichts änderte, dass die Freiheit des Handelns beschränkt war durch den Erfolg, der ihr durch eine höhere Macht beschieden wurde. Weitaus bedeutender als diese formelhaften Verwendungen des Vorsehungsbegriffs war der Bezug auf die Vorsehung, wenn er die konkrete Entscheidungsfindung direkt determinierte, weil er eine bestimmte politische Einschätzung bestärkte. In einer der zahlreichen Debatten, in denen die deutschen Grenzen im Osten verhandelt wurden, versuchte der katholische Theologe und Rektor der Universität München, Johann Joseph Ignaz Döllinger (1799 – 1890), auf diese Weise die Nationalversammlung davon zu überzeugen, dass aus strategischen Gründen das gesamte Großherzogtum Posen dem neuen deutschen Staate einverleibt werden müsse. Interessanterweise argumentierte er dafür in angeblicher Rücksichtnahme auf polnische Interessen, denen ein zwischen Deutschland und Russland eingekeiltes Posener Teilgebiet zur Nationsbildung ohnehin nicht ausreichen würde. Stattdessen plädierte Döllinger für weitgehende Rechte der polnischen Minderheit in einem zukünftigen deutschen Reich, die den Polen mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen würden als die Suggestion einer baldigen nationalstaatlichen Reorganisation. »Nein, ich verweise diesen Gedanken in das Reich der Träume; ich sehe keine Möglichkeit zur Verwirklichung, ich glaube nicht, dass wir verbunden sind durch irgend einen Grund Rechtens irgendwie die Hand zu bieten, ad impossibilia nemo tenetur. Es scheint nun einmal im Rathe der Vorsehung beschlossen, dass wenigstens in der nächsten Zeit eine Wiederherstellung des polnischen Reiches nicht stattfinden soll.«172

Im Anschluss rechtfertigte Döllinger diese Sicht der Dinge mit den gegenwärtigen politischen Zuständen Nordeuropas, der Übermacht Russlands und dem Unwillen Galiziens, sich wieder in ein polnisches Reich integrieren zu lassen. Ganz deutlich wurde in dieser Argumentation der Wille des Redners, die eigene Einschätzung der gegenwärtigen Lage und ihrer Konsequenzen durch einen höheren Willen abzusichern. Wogegen die Vorsehung sich offensichtlich aus171 Gabriel Riesser, 21. 03. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 8, S. 5909. 172 Johann Joseph Ignaz Döllinger, 07. 02. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 7, S. 5068.

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gesprochen hatte, konnte mit menschlichen Mitteln nicht durchgesetzt werden. Polens prekärer Status war gottgewollt. In gewisser Weise war diese Argumentation für einen katholischen Theologen folgerichtig (Döllinger zählte zur Fraktion Caf¦ Milani). Sie entsprach der katholischen Vorsehungslehre, die sich aus »dem Gange der Weltbegebenheiten und Schicksalen der Völker u. einzelner Menschen, in welchen die Spuren einer, Alles für gewisse Zwecke vorbereitenden und durchführenden, göttlichen Wirksamkeit offenbar werden« ergab.173 Doch über den rein theologischen Standpunkt hinaus konnte die Berufung auf die Vorsehung die generelle Kompetenz und Legitimation der Nationalversammlung infrage stellen. Sie wurde entweder nur noch zum ausführenden Organ providenzieller Beschlüsse degradiert, oder man empfand ihre Beratungen und Beschlüsse als vergeblich und anmaßend. Insbesondere zur Grenzziehung eines deutschen Staates brachten Abgeordnete verschiedener Fraktionen das Argument der Vorsehung ins Spiel. Einen relativ breiten Raum nahm dabei die Debatte um den Status Österreichs ein. Am 21. Oktober 1848 wurden in der Paulskirche wiederholt die ersten Paragrafen des Verfassungsentwurfs diskutiert, die unter anderem das komplizierte Verhältnis zum Habsburgerreich zu regeln versuchten. Hier prallten der alte Reichsund der neue Nationsgedanke ungebremst aufeinander, beide schienen kaum ineinander integrierbar. Während der deutsche Teil der österreichischen Bevölkerung als integraler Bestandteil der deutschen Nation begriffen wurde und sich auch selbst als solcher verstand, herrschte bezüglich der zahlreichen anderen Bevölkerungsteile des Vielvölkerstaates Unklarheit und Unsicherheit. Der Verfassungsentwurf sah die Aufnahme des deutschen Gebietes Österreichs in das Deutsche Reich vor, während die nichtdeutschen Territorien gemeinsam mit diesem Gebiet durch eine Personalunion regiert werden sollten. De facto bedeutete das eine Teilung Österreichs, die von den österreichischen Abgeordneten in Frankfurt so nicht akzeptiert werden konnte. Johann Nepomuk Fritsch (1791 – 1872), österreichischer Abgeordneter aus Wels, sprach sich in der Verhandlung vehement gegen diese Lösung der österreichischen Frage aus, favorisierte er doch einen Zusammenschluss der deutschen Länder mit dem gesamten Vielvölkerstaat.174 Dabei nahm er eine nahezu imperialistische Position ein, die ihn auch den Vorsehungstopos wieder anführen ließ. »Deutschlands Aufgabe ist, der Träger und Vermittler der Cultur, der Wissenschaft und der Freiheit nach dem Oriente zu sein, nämlich nach jenen Ländern Europa’s, die nach jenen Donaustrichen liegen, das Licht der Freiheit und die Fackel der Bildung zu bringen, deren sie noch entbehren. Zur Ausführung dieser hohen Aufgabe hat die 173 Art. Vorsehung (providentia), in: Binder, Allgemeine Realencyclopädie, S. 621. 174 Siehe zur Österreich-Debatte im Oktober 1848 ausführlich: Wollstein, Die Oktoberdebatte, S. 279 – 303.

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Vorsehung einen Staat geschaffen, der der Träger, der Vermittler, das Organ dieser Bildung sein soll; dieser Staat ist Oesterreich […].«175

Die göttliche Mission Österreichs für die Verbreitung deutschen Volkstums und die Durchsetzung deutscher Interessen wurde Fritsch zur entscheidenden Begründung für seine großösterreichische Präferenz. Wenn Österreich nicht schon bestünde, so führte er wenig später aus, hätte es zu diesem Zweck geschaffen werden müssen. Der Vorsehungsbegriff drückte die Gewissheit aus, dass die Weltgeschichte sich nach einem göttlichen Plan vollzog, der bestimmte politische Mächte, hier Deutschland und Österreich, begünstige. Es war die Aufgabe der Nationalversammlung, diese Bestimmung zu erkennen und zur Entfaltung zu bringen.176 Fritschs Vorsehungsargument stieß auf einigen Widerhall. In Erwiderung auf die ausführliche Darstellung des österreichischen Standpunktes setzten sich die nachfolgenden Redner immer wieder mit dieser Geschichtsauffassung auseinander und stritten darüber, ob die Vorsehung legitimerweise in die politische Entscheidungsfindung miteinbezogen wurde. Dabei spielte es kaum eine Rolle, ob die Abgeordneten für die klein- oder großdeutsche Lösung oder auch einen dritten Weg Stellung bezogen. Die Meinungen differierten situationsabhängig, wobei sich die Tendenz abzeichnete, dass Abgeordnete des rechten Zentrums die Miteinbeziehung der Providenz generell akzeptierten, wenn auch im spezifischen Fall modifizierten, während das linke Zentrum und die gemäßigten Linken das Vorsehungsargument als politische Begründungsfigur ablehnten. Zunächst monierte der Würzburger Arzt Johann Gottfried Eisenmann (1795 – 1867) vom Casino Fritschs Einwände gegen die angestrebte Personalunion. Er diskreditierte die gesamte aktuelle Politik Österreichs als Politik der Reaktion, die den Staat mithilfe einer »treulose[n] Camarilla« wieder zurück in den Absolutismus führen wolle. Diese reaktionäre Partei sei es auch, welche die Unteilbarkeit der Habsburgermonarchie propagiere. Auch Fritschs Argument von der göttlichen Bestimmung Österreichs reihte er in die Beispiele reaktionärer Argumentationsfiguren ein. »Ein verehrlicher Redner vor mir hat auch einen sehr wichtigen Grund vorgebracht und der lautet: die österreichische Gesammtmonarchie sei durch die Vorsehung geschaffen worden? Aber, meine Herren, was würden Sie sagen, wenn die österreichische Monarchie durch die Vorsehung wieder gestürzt wird?«177 175 Johann Nepomuk Fritsch, 21. 10. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 4, S. 2774. 176 Der Gedanke einer Ostmission Österreichs spielte in der gesamten Österreich-Debatte eine entscheidende Rolle: Wollstein, Die Oktoberdebatte, S. 299; ders., Das ›Großdeutschland‹, S. 284 f. 177 Johann Gottfried Eisenmann, 21. 10. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 4, S. 2777.

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Diese Bemerkung wurde mit Beifall quittiert, gab sie doch Zweierlei zu bedenken: Wenn die zukünftige Entwicklung von Staaten tatsächlich durch eine göttliche Macht vorherbestimmt wurde, ließ sie sich mit menschlichen Mitteln noch lange nicht antizipieren. Die Projektion historischer Erfahrungen in die Zukunft durfte kein legitimes Mittel der politischen Entscheidungsfindung sein, da sie sich als unzuverlässig erweisen konnte. Die Politik der Vorsehung zu überlassen, hieße, in Untätigkeit zu verharren. Das jedoch konnte nicht der Auftrag der Nationalversammlung sein. Aus dem rechten Zentrum fand Eisenmann in Georg Waitz (1813 – 1886) einen prominenten Mitstreiter. Der Göttinger Geschichtsprofessor hatte im Verfassungsausschuss an den umstrittenen Paragrafen mitgearbeitet und sich für eine großdeutsche Lösung eingesetzt.178 Waitz gab gegen Fritsch zu bedenken, dass die Bestimmung von Staaten einem historischen Wandel unterlag und nicht konstant definierbar war. Denn die Position, die Länder im geschichtlichen Prozess einnahmen, war abhängig von den jeweils aktuellen Bedürfnislagen der Völker. So hätte der Vielvölkerstaat Österreich unter gewissen historischen Bedingungen tatsächlich als Repräsentant eines »humanistischen Staatenprincips« gelten können, allein der aktuelle Zeitgeist lege eine andere Bewertung nahe. Redner wie Fritsch irrten, »wenn sie eine besondere Providenz darin finden, daß Oesterreich als ein solches Conglomerat von Nationalitäten im Südosten Europa’s und beziehungsweise Deutschlands zu Stande gekommen ist. Meine Herren! Ich glaube allerdings, daß ein Land, wie Oesterreich hier eine große Mission zu erfüllen gehabt hat; aber ich zweifle, ob es diese Mission auch in Zukunft in dieser Weise erfüllen kann. Es ist die Zeit herangekommen, wo die Nationalitäten sich fester und inniger an einander schließen, wo sie sich staatlich zu concentriren suchen.«179

Angesichts des aufstrebenden Nationalstaatsprinzips erwiesen sich providenzielle Bestimmungen der Vergangenheit als unzeitgemäß. Die besondere Mission Österreichs als Mittler zwischen den Kulturen war nicht mehr aktuell, seine neue Rolle in der Weltgeschichte musste erst noch definiert werden. Ob Georg Waitz die Annahme einer göttlichen Providenz als geschichtsbestimmende Macht generell für überholt hielt, offenbarte er in diesem Zusammenhang nicht. Deutlichere Worte fanden dagegen Abgeordnete des Württemberger Hofs und der Westendhall-Fraktion. Sie desavouierten Fritschs Vorsehung als ein unangemessenes politisches Argument, das die Macht des Faktischen ignorierte. Politik war aus dieser Perspektive nicht das Produkt göttlicher Beschlüsse oder Eingriffe, sondern die Folge intendierter menschlicher Entscheidungen, die in der Verantwortung Einzelner standen. Deshalb forderte Carl Giskra (1820 – 178 Georg Waitz, 21. 10. 1848, in: Ebd., S. 2787. 179 Georg Waitz, 21. 10. 1848, in: Ebd.

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1879), führender Teilnehmer am Wiener Märzaufstand und glühender Verfechter der großdeutschen Lösung, historische Beweise der besonderen Bestimmung Großösterreichs Richtung Osten ein, um eben diese im Anschluss zu widerlegen. »Endlich hört man mit hohem Ernste gegen die Personalunion sagen, Oesterreich bilde das von der Vorsehung auserkorene Werkzeug, Bildung und Sitte nach dem Osten zu tragen. Das könne nur durch ein ungetrenntes, ungeschwächtes großes Central-Oesterreich geschehen. Der civilisirte Westen bedürfe gegen die östliche Barbarei ein Bollwerk, eine Schutzwehr gegen den drohenden Panslawismus, und mein Vorredner prunkt mit der Erfüllung dieser welthistorischen Sendung Oesterreich’s, aber ohne einen Beweis zu geben.«180

Mit der unverhohlen ironischen Wiedergabe des Vortrags des politischen Gegners wollte Giskra die Rede von der Vorsehung in das Reich der Märchen und gänzlich aus dem tagespolitischen Geschäft verbannen. Heinrich Reitter (1816 – 1906) von der Westendhall-Fraktion spitzte die Polemik gegen das Vorsehungsargument aus einer anderen Perspektive zu, indem er lakonisch feststellte: »Was nun die sogenannte Vorsehung betrifft, durch welche Oesterreich entstanden ist, so finde ich seine Entstehung nicht in der Vorsehung, als vielmehr im Heirathen.«181 Damit hatte er die Heiterkeit der Abgeordneten auf seiner Seite. Dem Prager Juristen gelang es mit diesen wenigen Worten, die Lehre von der Providenz als Tarnkappe harter politischer Interessenspolitik zu entlarven. Was in diesen beiden letzten Stellungnahmen zur Rolle der Vorsehung in der Politik nicht explizit formuliert wurde, aber implizit durchaus enthalten war, war die Überzeugung, dass die Stelle, welche die Vorsehung in der Ordnung weltpolitischer Angelegenheiten besetzt hatte, in der Mitte des 19. Jahrhunderts neu vergeben werden musste. Die Berufung auf die Providenz als Legitimationsinstanz verlor in diesen Zusammenhängen zumindest bei den Abgeordneten der Linken an Plausibilität. Stattdessen wurde eingefordert, dass sich politische Entscheidungsträger nun aus sich selbst heraus legitimierten – über eine Vollmacht, die sie vom Volk erhalten hatten. In den Aushandlungsprozessen über die Verwendung des Vorsehungsbegriffs manifestierte sich deshalb auch der Wandel moderner Herrschaftslegitimation. Der fraktionslose Meraner Abgeordnete Beda Weber (1798 – 1858), der sich gleichfalls in die Österreich-Debatte einschaltete, erahnte den Versuch der Aneignung genuin göttlicher Potenz in den Äußerungen seiner Vorredner. Als katholischer Theologe musste er für die Rechte seines Gottes streiten, weswegen er insbesondere mit Georg Waitz und Carl Giskra hart ins Gericht ging, die sich 180 Carl Giskra, 21. 10. 1848, in: Ebd., S. 1793. 181 Heinrich Reitter, 21. 10. 1848, in: Ebd., S. 2784.

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in seltenem Einvernehmen mit ihrer Argumentation gegen die Vorsehung auch gegen den Erhalt der Großmonarchie erklärt hatten. »Herr Waitz von Göttingen und Herr Giskra aus Mährisch-Trübau, sonst so ungleiche Zwillinge, haben sich doch zu meiner Verwunderung bei dieser Angelegenheit ganz in brüderlicher Innigkeit auf die nämliche Linie gestellt […]. Beide Herren haben sich in diesem Hause gegen die Providenz der Thatsachen in Oesterreich verwahrt, und haben gleichwohl ein Stückchen Providenz ohne Thatsachen gespielt, es ist ein einseitiges Auffassen der österreichischen Volkszustände, und nicht eine gerechte Würdigung der Kraft und Entwickelungsfähigkeit, die noch in den Oesterreichern schlummert, und nur den Zauberstab eines volksthümlichen Ministeriums erwartet, um in fester Einigkeit ins Leben zu treten, um gewissen Männern zuzurufen: ›Noch ist Oesterreich nicht verloren!‹«182

Weber empfand die frühzeitige Bestattung des Vielvölkerstaates mitsamt dem Vorsehungsgedanken als unerträgliche menschliche Hybris. Die Verfechter der Personalunion hatten sich angemaßt, über das Wohl und Wehe der Völker zu entscheiden, sie hatten ein »Stückchen Providenz […] gespielt«, dabei jedoch die Faktenlage falsch interpretiert. Für Weber schlummerte in Österreich ein ungeahntes Potenzial, das nur geweckt werden musste, um seine wohltätigen Wirkungen in der Welt zu entfalten. Dieses Potenzial durfte nicht durch den Hochmut ahnungsloser Abgeordneter verspielt werden, die sich widerrechtlich providenzielle Kompetenzen anzueignen gedachten. Die Gefahr, die Beda Weber an dieser Stelle für die deutsch-österreichische Frage witterte, war nicht von der Hand zu weisen. Während anderer Debatten in der Paulskirche hatten insbesondere die Abgeordneten der Linken sehr deutlich gemacht, dass sie der Vorsehung konsequent die Eigenverantwortlichkeit entgegensetzen wollten. In den seltenen Fällen, in denen der Vorsehungstopos von dieser Seite doch als politisches Argument eingesetzt wurde, diente er zur Dekonstruktion des Vorsehungsglaubens selbst. So wurde am 14. Oktober 1848 in Form mehrerer Anträge zur Tagesordnung heftig über den Zeitpunkt der Proklamation der Grundrechte gestritten, die bereits verhandelt worden waren, vom Verfassungsausschuss jedoch noch einmal zu einer zweiten Lesung in die Nationalversammlung zurückgegeben werden sollten. Die Mehrheit der Abgeordneten hatte sich dafür ausgesprochen, die Grundrechte bereits vor der offiziellen Verkündigung der Verfassung in Kraft treten zu lassen,183 was jedoch die Erarbeitung eines Einführungsgesetzes erforderte. Der Verfassungsausschuss bat sich die Zeit für die Erarbeitung eines solchen Gesetzentwurfes aus, räumte dabei jedoch ein, dass dadurch starke Verzögerungen bei der Verhandlung der 182 Beda Weber, 21. 10. 1848, in: Ebd., S. 2877. 183 Zur Relevanz der Grundrechtsdiskussion in der Nationalversammlung siehe: Wollstein, 1848, S. 94 – 96; Scholler, Die Grundrechtsdiskussion.

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Grundrechte auftreten würden.184 Die linken Fraktionen sahen dem Vorschlag des Verfassungsausschusses mit großer Skepsis entgegen. Wieder einmal schien das gemeinsame Projekt aufgrund verfahrenstechnischer Erfordernisse ins Hintertreffen zu geraten. Carl Ludwig Theodor Nauwerck (1790 – 1869) vom Deutschen Hof sprach sich deshalb entschlossen gegen das Vorhaben des Ausschusses aus und gebrauchte in diesem Zusammenhang den Vorsehungsbegriff, um entschiedene Taten einzufordern. »Es ist kein Grund vorhanden, weßhalb man eine Arbeit, die so gut wie fertig ist, auf unbestimmte Zeit zurücklegt. Das kommt mir vor, als wenn man die Sache auf unbestimmte Zeit der Vorsehung überlässt; aber es könnte sich ergeben, daß die Nationalversammlung das Nachsehen hätte, und das deutsche Volk in einer ungeregelten Weise sich selbst seine Grundrechte verschaffte.«185

Der Glaube an die regulierende Macht der Vorsehung war für Nauwerck der Inbegriff des Irrationalen, eine freiwillige Entmächtigung, ein vorgetäuschter Grund für das Verharren in hergebrachten Zuständen, der zudem das Herzstück der Revolution gefährdete. In dieser Interpretation wurde die Vorsehung zum Antonym einer dynamischen historischen Entwicklung. Während die Geschichte und der Wille des Volkes den Fortschritt repräsentierten, stand die Vorsehung im Dienst der Reaktion. Im Kontext des deutsch-dänischen Krieges und des Vertrages von Malmö vom 26. August 1848, die später noch eine Rolle spielen werden, hatte Robert Blum (1807 – 1848), der Vorsitzende des Deutschen Hofs, einen ähnlichen Widerwillen gegenüber dem Providenz-Argument geäußert. Auch hier ging es um eine schwierige Entscheidungsfindung der Nationalversammlung, die einen Waffenstillstand ratifizieren sollte, dessen Tragweite für den zukünftigen Status Schleswigs und Holsteins kaum zu ermessen war. »Wie können wir den Kopf in eine Schlinge stecken, deren Weite wir nicht ermessen können? Ich wenigstens habe nicht Lust, wie die an ihrer eigenen Unfähigkeit bankerott gewordene Diplomatie, mich darauf zu berufen, daß uns vielleicht die Vorsehung aus dieser Schwierigkeit erretten werde.«186 Aus diesem Grund stimmte Blum wie die Mehrheit der Abgeordneten gegen die Zustimmung zum Malmöer Vertrag, stand hier doch langfristig die nationale Einheit Deutschlands auf dem Spiel. Die Vorsehung vermochte den Knoten politischer Interessensgegensätze nicht zu lösen. Nur die verantwortlichen Vertreter des Volkes hatten das Recht und die Pflicht, Entscheidungen von nationalem Interesse zu fällen. Der Streit um die Legitimation des hergebrachten Vorsehungsbegriffs in den Verhandlungen der deutschen Nationalversammlung von 1848/49 hing eng mit 184 Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 4, S. 2594. 185 Carl Ludwig Theodor Nauwerck, 14. 10. 1848, in: Ebd., S. 2596. 186 Robert Blum, 18. 09. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 3, S. 2116.

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dem neuen Nations- und Freiheitsverständnis zusammen, das diese Versammlung repräsentierte. Nach Meinung der Paulskirchenlinken hatte die Geschichte erwiesen, dass das Volk in Wahrnehmung seiner natürlichen Freiheitsrechte dazu in der Lage war, seine Zukunft eigenmächtig zu bestimmen. Ein transzendentes Prinzip, das wie der christliche Gott die Ereignisse von oben herab bestimmte, konnte in diesem System keinen Raum beanspruchen. Das Grundverständnis der Fraktionen in der Frankfurter Paulskirche, die sich für die Volkssouveränität aussprachen, konnte Theodor Nauwerck deshalb gerade in dem Moment am präzisesten ausdrücken, in dem die Handlungsmacht der Volksvertreter am stärksten herausgefordert wurde. Im November 1848 war zwischen der preußischen Regierung und der preußischen Nationalversammlung ein offener Konflikt ausgebrochen, der in der militärischen Besetzung Berlins, der Vertagung und Verlegung des Parlamentes durch königlichen Beschluss in die Stadt Brandenburg und seiner endgültigen Auflösung am 15. des Monats gipfelte. Berlin stand kurz vor dem Bürgerkrieg. Am 21. November 1848 verhandelte die Frankfurter Nationalversammlung über eine gemeinsame Stellungnahme zu den erschütternden Meldungen aus Berlin, die ein deutliches Zeichen für das Erstarken der Gegenrevolution waren. Gabriel Riesser vom Augsburger Hof hielt eine lange Rede, in der er die Ohnmacht und Ratlosigkeit der Versammlung eingestand, die sich entscheiden müsse zwischen einem Weg der Ordnung und Legalität, der die Gegenrevolution begünstigen würde, oder dem Aufruf zum nationalen Widerstand, der unter Umständen in einer erneuten Revolution enden konnte. Gegen dieses Eingeständnis, das die zukünftige Machtlosigkeit der Paulskirchenversammlung bereits antizipierte, sprach sich Theodor Nauwerck leidenschaftlich aus und formulierte die entscheidenden Worte, die für das Vorsehungsverständnis der Paulskirchenlinken geradezu programmatisch waren: »Meine Herren! Erinnern Sie sich, daß Sie die Vorsehung Deutschlands sind, und überlassen sie nicht die Entwicklung solchen allgemeinen Erwartungen, wie sie der Redner vor mir zuletzt ausgesprochen hat. Es ist leicht zu sagen: ›ich weiß nicht was kommen wird.‹ Meine Herren! Dafür sind wir ja hier die Vertreter des deutschen Volkes, um das zu machen, was werden soll.«187

Mit diesen Worten hatte Nauwerck die vollkommene Säkularisierung des Vorsehungsbegriffs unternommen und den Platz der Providenz durch die Nationalversammlung ersetzt. Zugleich wies Nauwerck darauf hin, dass auch die Kompetenz und Legitimation der Nationalversammlung als moderne Vorsehung sich nicht aus einem göttlichen, sondern aus einem rein menschlichen Auftrag ergab. Die Abgeordneten waren allein durch ihre Wähler ermächtigt und nur 187 Theodor Nauwerck, 21. 11. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 5, S. 3453.

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diesen gegenüber in ihrem Handeln verpflichtet. In Nauwercks Formulierung löste sich die Aporie zwischen Vorsehung und Selbstbestimmung auf. Die Nationalversammlung als Inkarnation der nationalen Freiheit musste sich nicht gegenüber einer anderen Kraft rechtfertigen und behaupten. Durch die deutsche Revolution war die Leerstelle göttlicher Providenz durch sie selbst besetzt worden.

Wer bestimmt das deutsche Schicksal? Der Eindruck, der sich in Bezug auf die Äußerungen über die Vorsehung ergibt, bestätigt sich hinsichtlich des Schicksalsbegriffs nur teilweise. Hier scheint es auf den ersten Blick unabhängig von der politischen Positionierung der Abgeordneten zu sein, wem die Kompetenz, das deutsche Schicksal oder Geschick zu entscheiden, tatsächlich zugesprochen wurde. Deutlich wird nur, dass die Berufung auf eine göttliche Instanz oder ein transzendentes Prinzip in diesem Kontext so gut wie keine Rolle spielte. Abgeordnete aller Fraktionen nahmen den Schicksalsbegriff in ihren Reden zum Mittel, sich mittelbar oder unmittelbar der Legitimation, Kompetenz und Zuständigkeit des Parlamentes zu versichern. Allerdings geschah das mit sehr unterschiedlichen Absichten. Von linker Seite wurde der Schicksalstopos bemüht, um die Versammelten daran zu erinnern, dass sie persönlich dem Volk gegenüber verantwortlich waren;188 rechte Abgeordnete führten dieselben Formulierungen an, um die Autonomie der Nationalversammlung zu betonen und in brisanten Fragen rasche Entscheidungen herbeizuführen. Solche Fragen konnten den Zeitpunkt, an dem die Verfassung in Kraft treten sollte,189 ebenso betreffen wie die Übernahme der Einquartierungskosten von Bundestruppen.190 Beispielsweise plädierte Carl Gottlob Degenkolb (1796 – 1862), Mitglied der Casino-Fraktion, im Frühjahr 1848 für die sofortige Ernennung eines Staats188 Wie zum Beispiel Carl Joseph Anton Mittermaier, als er im Frühjahr 1849 die Nationalversammlung für den Zeitraum zwischen der Verfassungsverkündung und der ersten Parlamentswahl bestehen lassen wollte, weil »in unseren Händen […] das Geschick unseres Vaterlandes [liegt]«. Carl Joseph Anton Mittermaier, 29. 03. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 8, S. 6080. 189 Diesbezüglich sah Georg Waitz die Aufgabe der Nationalversammlung vornehmlich darin, die »ernsten und großen Entscheidungen zu treffen, welche nun Deutschland’s Geschick bestimmen sollen«. Ders., 14. 10. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 4, S. 2597. 190 So forderte Carl Gottlieb Fuchs (1801 – 1855), Richter aus Breslau, eine unbürokratische Entschädigung der Stadt Mannheim, mit dem Argument, dass »eine aus der Volkswahl hervorgegangene, in dem Vertrauen des Volks wurzelnde, und seine Geschicke auf Menschenalter festzustellen berufende Versammlung sich nicht theilnamslos hinter das Außenwerk einer vermeintlichen Unzuständigkeit verbergen« dürfe. Ders., 17. 06. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 1, S. 337.

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präsidenten, welcher der Nationalversammlung gegenüber unverantwortlich war und von den deutschen Regierungen bestätigt werden sollte. Diesen Antrag, der klar gegen eine republikanische Verfassung des zukünftigen Staates gerichtet war, begründete Degenkolb mit dem Recht der Nationalversammlung, »daß sie, wie sie immer nur wolle, das Geschick Deutschlands zu gestalten berechtigt ist.«191 Einmal aus dem Willen des Volkes hervorgegangen, sei die Versammlung in ihren Entscheidungen frei und unverantwortlich. War die Schicksalskompetenz der Nationalversammlung jedoch nicht mehr an den höheren Auftrag des Volkes zurückgebunden, oder erwies sie sich nicht als würdig genug, um diese Verantwortung für das Schicksal Deutschlands zu tragen, war das in den Augen der linken Fraktionen ein sicheres Zeichen für eine politische Krise. So wurde immer wieder davor gewarnt, Deutschland in vorrevolutionäre Zustände zurückfallen zu lassen, indem man das deutsche Schicksal wieder durch auswärtige Mächte192 oder die alte Diplomatie bestimmen ließ. Dementsprechend äußerten sowohl Balthasar Friedrich Wilhelm Zimmermann (1807 – 1878) als auch Robert Blum, beide vom Deutschen Hof, die Befürchtung, dass der Malmöer Waffenstillstand, der am 26. August 1848 zwischen Preußen und Dänemark unter recht zweifelhaften Umständen zustande gekommen war, das Produkt dynastischer Unterhändler sei und für die Nationsbildung Deutschlands nur Unheil bringen werde. Zimmermann gab deshalb Folgendes zu bedenken: »Wenn aber eine Staatsgewalt noch in ihrer frischen Kraft, ohne eine Niederlage erlitten zu haben, einen nicht ehrenvollen, ja nicht einmal einen vortheilhaften Waffenstillstand oder Frieden schlösse, was würden sie zu dieser sagen? […] Ich habe es als ein Glück gepriesen, meine Herren als wir den Beschluß gefaßt hatten in dieser hohen Versammlung, daß künftig hier das Wehe und Wohl von Millionen, daß Geschick und die Ehre Deutschlands nicht mehr bloß in die Hände einzelner Diplomaten und Höflinge gelegt sein solle.«193

191 Carl Gottlob Degenkolb, 21. 06. 1848, in: Ebd., S. 426. 192 Die mögliche Einflussnahme der anderen europäischen Großmächte auf das politische Schicksal Deutschlands kam in der Debatte am 20. und 21. März 1849 zur Sprache. Hier hatte Franz Josef Buß (1803 – 1878) vom Caf¦ Milani die Überzeugung ausgesprochen, »daß unser Loos, unser Schicksal, nicht in der Paulskirche fällt, sondern daß, wenn auch die Großmächte von Europa das Recht, uns selbst eine Verfassung zu geben, uns nicht bestreiten, sie gleichwohl bei diesem tief eingreifenden Wandel des europäischen Gleichgewichts entweder zustimmend oder sich abwendend darauf einwirken«. Ders., 21. 03. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 8, S. 581. Einen Tag später erwiderte Hermann Riesser, dass Deutschland es wohl abzuwenden wissen werde, »daß Londoner ConferenzProtokolle über sein Schicksal und seine Zukunft entscheiden!« Ders., 22. 03. 1849, in: Ebd., S. 5910. 193 Balthasar Friedrich Wilhelm Zimmermann, 06. 09. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 3, S. 1887.

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Und Robert Blum begründete seine sittliche Empörung über den Waffenstillstand damit, »daß die alte Diplomatie gerade in demselben Verhältniß, als ob wir keinen Märzmonat dieses Jahres gehabt hätten, schaltet und waltet mit dem Schicksale der Völker nach ihrem Ermessen.«194 Zweifelsohne mussten die Vorgänge in Dänemark den Unmut der linken Fraktionen erregen, war es doch ein Hauptziel der Revolution gewesen, die Macht über das Schicksal allein dem Volk und seinen Vertretern zuzuerkennen, das heißt, aus Untertanen Bürger zu machen.195 So ist es nicht erstaunlich, dass die Diskussion darüber, wer eigentlich Herr über das Schicksal Deutschlands war und es dereinst bestimmen sollte, bei den konkreten Verhandlungen über die Staatsverfassung wieder entbrannte. Als am 5. Dezember 1848 die Nationalversammlung über den zukünftigen Status der kleineren deutschen Staaten beriet, plädierte Moritz Mohl (1802 – 1888) aus dem linken Zentrum dafür, alle Staaten unter 500.000 Einwohnern für reichsunmittelbar zu erklären, um den erneuten Zerfall des Gesamtstaates in Klein- und Kleinststaaten zu verhindern. Als Begründung für diesen Antrag verwies er auf die Schwierigkeiten, die der Erhalt der zahlreichen deutschen Länder für die Regierbarkeit Deutschlands haben würde. Ein Staatenhaus, das neben dem Volkshaus die Gesetzgebung Deutschlands mitbestimmen sollte, würde durch die unzähligen Einzelinteressen der Staatenvertreter gelähmt. Es könne sich bei den Partikularverhältnissen kein »staatsmännischer Blick« auf das Allgemeinwohl entwickeln. »Und doch, meine Herren, sollen, nachdem sie ein Staatenhaus beschlossen haben, Dutzende solcher Staatsmänner über das Schicksal von Deutschland entscheiden?«196 Das hätte einen Rückfall in die Zustände des Deutschen Bundes bedeutet, den es in jedem Fall zu verhindern galt. Die Herrschaft über das Schicksal Deutschlands sollte in kompetente Hände gelegt werden. Und genau unter dieser Perspektive sollte sich auch die Frage nach dem zukünftigen Staatsoberhaupt entscheiden. Hans von Raumer (1820 – 1851), Mitglied des Württemberger, später des Augsburger Hofs, machte deutlich, dass in dieser Frage eine deutliche Abkehr von bisherigen Traditionen stattfinden müsse. In der Debatte um die Wahlrechtsfrage umschrieb er die traditionelle Herrschaftsform folgendermaßen: »Die Aufgabe, in welchem Maße die politischen Rechte ausgeübt werden sollen, ist im Ablaufe der Zeiten sehr verschieden gelöst, oder doch der Versuch gemacht worden, sie zu beantworten. Die erste Form der Lösung ist die: daß eine ausgezeichnete Persön-

194 Robert Blum, 18. 09. 1848, in: Ebd., S. 2118. 195 Hobsbawm, Nationen und Nationalismus, S. 106. 196 Moritz Mohl, 05. 12. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 5, S. 3824.

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lichkeit (ohne Rücksicht auf alle andern) mit Uebermacht die Geschicke bestimmt. Diese Methode findet hier ganz mit Recht keinen Beifall.«197

Begnügten sich Abgeordnete wie Raumer und Blum mit dem eindringlichen Appell, mit der Schicksalsverantwortung für Deutschland sorgfältig umzugehen und sie nicht den alten Machthabern zu überlassen, war für andere Parlamentarier der Rubikon schon viel früher überschritten worden. In dem einen Jahr ihres Bestehens hatten zahlreiche Abgeordnete die Nationalversammlung verlassen, weil sie ihre politischen Ideen nicht umsetzen konnten. So musste Heinrich von Gagern (1799 – 1880) auch am 30. Juni 1848 wieder einen Austritt zu Protokoll geben, dem eine ausführliche Erklärung beigegeben worden war.198 Johann Georg Christian Kapp (1798 – 1874), ehemaliger Heidelberger Philosophieprofessor und Mitglied der radikaldemokratischen Donnersberg-Fraktion, begründete seinen Austritt mit der schmerzhaften Erkenntnis, dass die Nationalversammlung »ihr Schicksal außer sich setzt«.199 Dass die Mehrzahl der Abgeordneten in der Sitzung des vorigen Tages entschieden hatte, dass der künftige Reichsverweser der Versammlung gegenüber nicht verantwortlich sei, sei ein sicheres Zeichen dafür, »daß sich […] das Schicksal Deutschlands nicht in diesem Saale, sondern außer ihm, nicht durch Worte und diplomatische Künste, sondern durch Thaten, durch Ereignisse entscheiden wird.«200 Das jedoch sei mit dem Auftrag seiner Wähler, seinem Gewissen und seiner Ehre nicht vereinbar, weswegen Kapp nur die sofortige Niederlegung seines Mandates übrig bleibe. Nach seiner Auffassung hatte die Nationalversammlung mit diversen politischen Entscheidungen die ihr vom Volk verliehene Schicksalsmächtigkeit leichtfertig verspielt und damit ihren Ursprung, ihre Aufgaben und die Prinzipien der Geschichte verkannt. Die Schicksalsautorität über Deutschland zu besitzen, bedeutete nicht, in Machtvollkommenheit nach Belieben entscheiden zu dürfen. Sie war unweigerlich verknüpft mit dem Auftrag, im Sinne des Volkes zu handeln – wobei die Definition und Ausgestaltung dieses Volkswillens 1848/49 interpretationsbedürftig war und blieb. Als die Volkssouveränität im November 1848 im Staat Preußen von König und Regierung generell infrage gestellt wurde, sah sich wiederum Theodor Nauwerck dazu aufgefordert, das Schicksalsverständnis der Paulskirchenlinken deutlich zu machen. Die Verhängung des Belagerungszustandes über Berlin beschrieb er mit den Worten: »Die Krone und ihr Hof und Alles, was daran hängt, hat eine 197 Hans von Raumer, 19. 02. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 7, S. 5283. 198 Die Austrittserklärung von Johann Georg Christian Kapp war unter Mitwirkung Ludwig Feuerbachs (1804 – 1872) formuliert worden. 199 Johann Georg Christian Kapp, 30. 06. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 1, S. 644. 200 Ebd.

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Frage an das Schicksal gethan, d. h. an das Volk; denn das Volk ist das Schicksal und nichts Anderes.«201 Die politischen Gegner sahen das vollkommen anders. Für sie konnte nur eine starke Hand das Staatsschiff lenken, eine Überzeugung, die sich vermutlich aus einem generellen Misstrauen gegenüber bestimmten Schichten desjenigen Volkes speiste, das Nauwerck als Inkarnation des Schicksals bezeichnet hatte. Am 6. Februar 1849 äußerte sich der Reichsfinanzminister Hermann von Beckerath (1801 – 1870), von Hause aus Krefelder Bankier und Mitglied der CasinoFraktion, skeptisch hinsichtlich der Wahlbefähigung der unteren Gesellschaftsschichten. Er sprach dem einfachen Volk die nötige Einsicht in die öffentlichen Angelegenheiten ab, bestritt, dass sich über das allgemeine Stimmrecht die sozialen Übel heilen ließen und bezeichnete die Begrenzung desselben als »Pflicht der Selbsterhaltung« und »Pflicht der Civilisation«.202 Zugleich rügte er die Vertreter des allgemeinen Stimmrechts und warf ihnen ein verantwortungsloses Verhalten vor: »Es ist eine beklagenswerthe Erscheinung, wenn auch in Deutschland dem Volke zugerufen wird: ›Ihr seid jetzt reif, euer Schicksal selbst zu bestimmen!‹«203 In Beckenraths Worten drückte sich ein tief verwurzelter Zweifel an der Fähigkeit gerade der Arbeiterklasse aus, mit der Verantwortung für das Schicksal angemessen umzugehen. Für ihn hatte die Ordnung im Staate den Vorrang vor der Freiheit des Individuums, weshalb an dieser Stelle wieder der Antagonismus von Freiheit und Schicksal zum Vorschein kam, den die Paulskirchenlinken längst versöhnt geglaubt hatten. Tatsächlich konnte sich Beckenrath mit seiner weitreichenden Zensus-Forderung nicht durchsetzen. Am 21. Februar 1849 entschied die Nationalversammlung nach zähen Verhandlungen, jedem unbescholtenen männlichen Bürger, der das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hatte, nicht bankrott war und keine Armenunterstützung erhielt, das Wahlrecht zum Volkshaus zu verleihen, wobei gerade die Mittelparteien sich durch dieses Zugeständnis erhofften, die linken Fraktionen zur Unterstützung eines monarchischen Staatsoberhauptes bewegen zu können. Ob das Schicksal Deutschlands, was auch immer es war, vom Volk, von der Nationalversammlung, von den Diplomaten, den Dynastien oder von auswärtigen Mächten bestimmt werden sollte, war integraler Bestandteil eines unendlichen Aushandlungsprozesses. Für die Abgeordneten der Linken war unstrittig, dass die Nationalversammlung die einzig legitime Schicksalskompetenz besaß, weil sie diese vom Volk verliehen bekommen hatte. Hier dominierte ein kausaler Begründungszusammenhang, der sich an den Ursprüngen von Sou201 Carl Ludwig Theodor Nauwerck, 21. 11. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 5, S. 3456. 202 Hermann von Beckerath, 06. 02. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 7, S. 5247. 203 Ebd.

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veränität orientierte. Die Abgeordneten der Rechten schienen die Schicksalsmächtigkeit der Nationalversammlung hingegen eher zweckrational zu begründen. Weil die Nationalversammlung das Schicksal Deutschlands bestimmte, musste sie beherzte Entscheidungen treffen und durfte keine falsche Rücksichtnahme walten lassen. Und da das Volk in seiner Gesamtheit nicht kompetent genug für die eigene Schicksalsbestimmung war, musste die Verantwortung für das Schicksal in fähige Hände gelegt werden. Eine solche Argumentationsweise erschien den Verfechtern der Volkssouveränität verdächtig und ließ sie vermuten, dass die Abgeordneten der Rechten die Herrschaft über das Schicksal unbewusst oder bewusst an andere Instanzen abtraten, um den eigentlichen Souverän zu schwächen. Für einzelne Mitglieder reichte ein solcher Eindruck für die freiwillige Aufgabe ihres Mandats. Das Schicksal Deutschlands erwies sich somit als ein Gut und eine Aufgabe, um die es sich zu streiten lohnte.

Grenzgestaltung als Schicksalsgestaltung Die Abgeordneten der Paulskirche waren bis Ende 1848 immer wieder mit der Frage einer künftigen Grenzziehung des neuen deutschen Staates beschäftigt. Die Vorschläge waren abhängig von den Merkmalen, die man für die Definition des Deutschtums festlegte. Konsens herrschte darüber, dass die Sprache ein ausschlaggebendes Kriterium für das angestrebte Staatsgebiet sein sollte. Das bedeutete jedoch, dass die bisherige Landkarte Europas entscheidend verändert werden musste, damit der Traum eines neuen Nationalstaates Wirklichkeit werden konnte. Georg Waitz formulierte sehr deutlich das Kernproblem für alle künftigen Grenzverhandlungen: »Deutschland, meine Herren, hat das wunderbare und traurige Schicksal gehabt, daß es nach allen Seiten hin ringsherum an seinen Grenzen in einen unklaren, zweifelhaften, vollkommen haltungslosen Zustand hineingerathen ist. […] Es ist nicht Deutschland’s Schwäche, welche dieß herbeigeführt, es ist zum Theil die Macht seiner Herrscher, welche fremde Kronen erworben, es ist das Berufenwerden derselben zu fremder Herrschaft, was uns nach allen Seiten hin mit uns anhängenden und nicht fest verbundenen Ländern in Verbindung gebracht hat.«204

Waitz’ Schicksalsbegriff setzte die Existenz eines Deutschlands voraus, das unabhängig von den bislang gültigen territorialen Grenzen bestand, durch diese jedoch an seiner Entfaltung und Staatswerdung gehindert wurde. Das bisherige Schicksal dieses Deutschlands war von politischen Entscheidungen der Vergangenheit bestimmt, von herrschaftlichen Machtinteressen, und war in seinen 204 Georg Waitz, 21. 10. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 4, S. 2786.

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Konturen unscharf geblieben. Als zentrale Aufgabe der Nationalversammlung definierte Waitz deshalb eine Neuformierung und Befestigung des nationalen Schicksals durch die Bestimmung feststehender Grenzen.205 Grenzgestaltung hieß in dieser Perspektive Schicksalsgestaltung. Die meisten der deutschen Staaten gehörten unumstritten der nationalen Schicksalsgemeinschaft an. Für Preußen beispielsweise wurde Oskar Freiherr von Wydenbrugk (1815 – 1876) vom Württemberger Hof nicht müde zu betonen, »daß die Geschicke Preußens und des übrigen Deutschlands aufs Innigste mit einander verflochten sind«206 – eine Ansicht, die wohl keiner der Abgeordneten jemals bestritten hätte. Carl Franz Wilhelm Edel (1806 – 1890), Parlamentarier aus Würzburg, meinte besonders den Stellenwert Bayerns und dessen politische Interessen stark machen zu müssen, indem er hervorhob, dass Bayern in seiner gesamten Geschichte »das Schicksal Deutschlands als ächter deutscher Stamm in gutem und schlechtem Sinne getheilt« habe. Das Recht, an der deutschen Schicksalsgemeinschaft teilzuhaben, musste demnach durch den Nachweis eines gemeinsamen historischen Weges und besonderer patriotischer Anstrengungen erworben werden.207 Die Integrationskraft des Schicksalsbegriffs erwies sich bei den Ländern als besonders stark, deren politischer Status strittig war. Ein solches Gebiet war das Herzogtum Schleswig.208 Hier standen verschiedene mehr oder minder historisch verbriefte Rechte gegeneinander, deren Widersprüche durch die Revolution 1848 in offene Konflikte ausbrachen.209 Schleswig und Holstein, beide mit dem Königreich Dänemark über eine Personalunion verbunden, sollten laut dem Ripener Vertrag von 1460 ewig ungetrennt bleiben. De facto gehörte Holstein seit 1815 dem Deutschen Bund an, Schleswig jedoch nicht. Im Zuge der Märzrevolution erhoben sich nicht nur auf deutscher, sondern auch auf dänischer Seite nationale Forderungen auf das Schleswiger Gebiet,210 in deren Folge es zum Krieg zwischen dänischen Truppen und einer vom Deutschen Bund und in erster Linie von Preußen unterstützten schleswig-holsteinischen Armee kam.211 Der schleswig-holsteinische Krieg war der erste Krieg, den Deutschland zur Festlegung seiner nationalen Grenzen führte.212 Nach zahlreichen Erfolgen 205 Ebd. 206 Oskar Wilhelm Eberhard Freiherr von Wydenbrugk, 15. 11. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 5, S. 3284. 207 Carl Franz Wilhelm Edel, 24. 01. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 7, S. 4839. 208 Wollstein bezeichnet die Schleswig-Frage als »das bei weitem wichtigste außenpolitische Einzelproblem für die Abgeordneten der Paulskirche«. Siehe zu den historischen und politischen Hintergründen: Ders., Das ›Großdeutschland‹, S. 23 – 97. 209 Siemann, 1848/49 in Deutschland, S. 109. 210 Findeisen, Schleswig-Holstein, S. 158. 211 Bregsnbo, Dänemark und 1848, S. 160 f. 212 Wollstein, Das ›Großdeutschland‹, S. 24.

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der Bundestruppen kam es in Jütland zu einem überraschenden Rückzug zur Vorbereitung eines Waffenstillstandes.213 Noch war am 8. Juni unklar, worauf dieser plötzliche Strategiewechsel zurückzuführen war, sodass sich die Nationalversammlung dazu aufgefordert sah, die innige Verbindung der schleswigholsteinischen mit der deutschen Frage zu bekräftigen. Der Ausschuss für völkerrechtliche und internationale Verhältnisse formulierte in einer Stellungnahme zu den Ereignissen in Schleswig-Holstein den Antrag, die »schleswig’sche Sache« zu einer »Angelegenheit der deutschen Nation« zu erklären und mit den »Herzogthümern Schleswig und Holstein« auch »die Ehre Deutschlands« zu verteidigen.214 Wurde hier schon implizit der Anspruch einer künftigen Grenzziehung des neuen deutschen Staates unter Einschluss beider Gebiete formuliert, so brachte Carl Philipp Francke (1805 – 1870), Abgeordneter aus Schleswig, diesen Anspruch auf einen einprägsamen Begriff. Schleswig solle gleich Holstein in den Deutschen Bund aufgenommen werden, weil »ganz Schleswig in derselben Lage bleiben muß, wie Holstein, und beide mit Deutschland ein Schicksal theilen müssen.«215 In Franckes Formulierung wurde ein wichtiger Grundsatz des Nationsbildungsprozesses klar : Nationale Zusammengehörigkeit vollzog sich durch den Verweis auf ein gemeinsames Schicksal. Doch ebenso gut konnte der Schicksalstopos auch zum nationalen Abgrenzungsargument werden. Drei Monate nach Carl Philipp Francke argumentierte Friedrich Daniel Bassermann (1811 – 1855) als Präsident des Verfassungsausschusses genau gegen den Schicksalsappell des Schleswigers, als er für die Anerkennung des Waffenstillstandes von Malmö das Wort ergriff: »[…] wenn Sie volle Kenntniß der Thatsachen und alles Vorliegende haben, dann entscheiden Sie, nicht über das Schicksal Schleswig-Holstein’s, sondern über das Schicksal Deutschland’s und unserer Zukunft, dann – aber erst dann!«216

Bassermann grenzte das Schicksal Schleswig-Holsteins bewusst von demjenigen Deutschlands ab und nivellierte zugleich seine Bedeutung. Während die Abgeordneten der Paulskirchenlinken den Waffenstillstand als ein Hindernis auf dem Weg zur nationalen Einheit einschätzten und dementsprechend nachdrücklich seine Ratifizierung ablehnten, machten Abgeordnete der rechten Fraktionen diplomatische Erfordernisse für den Malmöer Vertrag geltend. Die rhetorische

213 Zu den politischen Hintergründen siehe: Findeisen, Schleswig-Holstein, S. 162 – 167; Wollstein, Das ›Großdeutschland‹, S. 40 f. 214 Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 1, S. 271. Zur Interpretation des Wortlautes siehe: Wollstein, Das ›Großdeutschland‹, S. 42 f. 215 Carl Philipp Francke, 14. 06. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 1, S. 275. 216 Friedrich Daniel Bassermann, 05. 09. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 3, S. 1867.

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Auflösung der schicksalshaften Verknüpfung zwischen Schleswig-Holstein und Deutschland war dabei ein Teil ihrer Argumentationsstrategie. Viel deutlicher noch als bei der Schleswig-Holstein-Frage wurde der Schicksalsbegriff in den Debatten über den Status Posens eingesetzt,217 um deutsche gegenüber polnischen Ansprüchen geltend zu machen. Hier ging es nicht so sehr um historisch bindende Verträge, sondern um den Aspekt der Sprachgemeinschaft, der die nationale Zugehörigkeit einer deutschsprachigen Minderheit im Posener Gebiet betraf. Das Großherzogtum Posen war 1815 durch Beschlüsse des Wiener Kongresses trotz seiner mehrheitlich polnischen Bevölkerung an Preußen gefallen. Preußen hatte sich dazu verpflichtet, den polnischen Untertanen die Bewahrung ihres Volkstums zu sichern, weshalb die Provinz Posen nicht zum Deutschen Bund gehörte.218 Im Frühjahr 1848 fanden ungeachtet dieser politischen Sonderstellung auch in Posen Wahlen zur deutschen Nationalversammlung statt, mit dem Ergebnis, dass zwölf Posener Abgeordnete in das Frankfurter Parlament entsandt wurden.219 In der Folge kam es im Großherzogtum zu einem Aufstand der polnischen Bevölkerung, der am 9. Mai 1848 von preußischen Truppen niedergeschlagen wurde.220 Am 22. Mai übersandten acht Abgeordnete des polnischen Nationalkomitees ein Protestschreiben an das Präsidium der Nationalversammlung, in dem die Wahl angefochten und die Aufnahme Posens in den Deutschen Bund für unrechtmäßig erklärt wurde.221 Hierauf entspann sich am 14. Juni in der Paulskirche eine ausführliche Debatte über den völkerrechtlichen Status Posens, bei der die Nationalitätenfrage im Zentrum stand. In der Posen-Kontroverse offenbarte sich der Widerstreit zwischen dem nationalen Selbstbestimmungsrecht der Völker und einem Nationalismus, der allein die deutschen Interessen in den Vordergrund stellte.222 Eine der entscheidenden Fragen war demnach, ob dem Schicksal der eigenen Nation der Vorzug gegenüber dem Schicksal anderer Völker gegeben werden durfte.223 Quer durch die Fraktionen war man darin einig, dass die Teilungen Polens in 217 Zu den historischen und politischen Hintergründen der Posen-Debatte siehe: Wollstein, Das ›Großdeutschland‹, S. 98 – 188; Bleiber, Deutsche Polenfreundschaft, S. 285 – 298; Siemann, 1848/49 in Deutschland und Europa, S. 106 – 108; Ribhegge, Das Parlament als Nation, S. 42 – 44; Nawrocki, Die Polen, S. 1 – 12; Boberach, Die Posener Frage, S. 17 – 23. 218 Wollstein, Das ›Großdeutschland‹, S. 106. 219 Ebd., S. 120. 220 Wippermann, ›Gesunder Volksegoismus‹, S. 352. 221 Wollstein, Das ›Großdeutschland‹, S. 136. 222 Langewiesche, Revolution in Deutschland, S. 184; Jaworski, Revolution, S. 378. 223 Siehe dazu in Bezug auf die Posen-Debatte: Wippermann, ›Gesunder Volksegoismus‹, S. 351 – 365. Die antipolnische Politik, die sich in der Nationalversammlung schließlich durchsetzte, als »völkisch« zu beschreiben, geht meines Ermessens aber zu weit. Siehe dazu Kap. 5.3.

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der Vergangenheit gerade den Nationalitätsgrundsatz verletzt hatten, auf dessen Grundlage man selbst den deutschen Staat bilden wollte. Allerdings hätte die Verwirklichung eines polnischen Nationalstaates auf dem Territorium von 1772 unweigerlich auch deutsche Bevölkerungsteile betroffen, in der Provinz Posen also ca. 400.000 Menschen, die sich durch ihre Teilnahme an der Wahl zur Nationalversammlung zum Deutschen Reich bekannt hatten. Deren Interessen vertrat Ernst Louis Otto Nerreter (1809 – 1880), der als Posener Abgeordneter unmittelbar von den Entscheidungen des Parlamentes in dieser Sache betroffen war und deswegen auf eine schnelle Entscheidung drängte. Zwar sprach er zunächst noch von »dem unglücklichen Schicksal der Provinz«224 und suggerierte damit eine Einheit und Homogenität Posens, die sich über Vergangenheit und Zukunft erstreckte. Sehr bald wurde jedoch deutlich, dass es allein um »das Schicksal der deutschen Bewohner des Großherzogthums« gehen sollte.225 Für Nerreter stand fest, dass die deutschen Teile Posens »mit Fug und Recht« zu Deutschland gehörten und nicht den polnischen Rachefeldzügen überlassen werden dürften, die unweigerlich drohten, sollte Deutschland Posen fallen lassen. Dabei argumentierte Nerreter sehr geschickt. Er bestätigte das Unrecht, das in der Vergangenheit an Polen verübt worden war und billigte die Forderung, dieser Nation nun Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.226 Unzweifelhaft war für ihn allerdings, dass ein freies Polen keine nachteiligen Auswirkungen auf die deutsche Bevölkerung in Posen haben durfte. Nerreter zog eine scharfe Trennlinie zwischen den unterschiedlichen Völkern der Provinz und bekräftigte ihre Bindung an die jeweilige Mutternation mithilfe des Schicksalsbegriffs. In diesem speziellen Fall hieß das, dass die deutsche Bevölkerung Posens auch am deutschen Schicksal teilhaben musste, was in Nerreters Sinne »Freiheit, Ehre und Größe« bedeutete, während die polnische Bevölkerung zwangsläufig einen langen und schweren Weg beschreiten müsse, ehe die wahre nationale Freiheit verwirklicht werden könne. Die Missachtung dieses nationalen Schicksalsgesetzes käme einer deutschen Opfergabe von 400.000 Deutschen an Polen gleich. »Aber soll Gerechtigkeit gegen die Polen geübt und angefangen werden mit einer Ungerechtigkeit gegen die eigenen deutschen Brüder? Es ist aber die schreiendste Ungerechtigkeit, wenn man 400,000 Deutsche fortstoßen will von der deutschen Freiheit, Ehre und Größe; himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn man sie an das Schicksal einer Nation ketten will, von welcher vorauszusehen ist, daß sie erst nach langen blutigen Kämpfen zu einer friedlichen inneren Gestaltung kommen werde. […] Und an dieses Schicksal will man die deutschen Brüder ketten, während man sie für Deutschland gewinnen, für Deutschland behalten kann?«227 224 225 226 227

Ernst Louis Otto Nerreter, 14. 06. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 1, S. 224. Ebd. Ebd., S. 225. Ebd.

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Das Bild der Kette, das Nerreter hier verwendete, illustrierte sein Schicksalsverständnis sehr eindrücklich. Das nationale Schicksal schien eine magnetische Anziehungskraft auszuüben, die nur durch gewaltsame Eingriffe unterbrochen werden konnte. Sinnvoller und natürlicher war es dagegen, den einander zustrebenden Völkern ihre Freiheit zu lassen, damit sie am jeweiligen nationalen Schicksal partizipieren konnten. Polen und Deutsche sollten naturgemäß kein gemeinsames Schicksal teilen. Dementsprechend forderte Nerreter, dass die deutschen Gebiete von Posen abgetrennt und der Rest der Provinz den Polen überlassen werden sollte. Die Posen-Frage wurde am 14. Juni 1848 nicht gelöst, sondern blieb ein zentraler Streitgegenstand, dessen Aushandlung zunehmend in schärferem Ton vonstattenging. Paradigmatisch dafür war die berühmte Polen-Debatte, die zwischen dem 24. und dem 27. Juli 1848 in der Paulskirche stattfand. Interessanterweise entstammten die beiden Hauptredner beide dem Deutschen Hof, artikulierten aber vollkommen unterschiedliche Nationsverständnisse und politische Forderungen.228 Robert Blum vertrat im Juli einen kosmopolitischen Nationalismus, der an das friedliche Zusammenleben der Völker glaubte. Er gestand jedem Volk das Streben nach nationalem Glück zu und plädierte dafür, die Posen-Frage ohne Waffengewalt zu lösen. Sein Gegenredner Wilhelm Jordan (1819 – 1904), Abgeordneter aus Berlin, vertrat dagegen einen Nationalismus, der unverkennbar aggressive Züge trug. Er forderte für Deutschland das Recht des Stärkeren ein und war deshalb auch zu kriegerischen Unternehmungen in der Posener Angelegenheit bereit. Trotz ihrer divergierenden Ansichten verwendeten Blum und Jordan den Schicksalstopos in einem ähnlichen Sinne: Beide vollzogen die bereits bei Nerreter angesprochene Differenzierung verschiedener Nationalschicksale, indem sie von einem eigentümlichen Schicksal Polens sprachen. Beide waren davon überzeugt, dass das nationale Schicksal als Ausdruck eines historischen Gesetzes nicht von Menschenhand aufgehalten werden durfte. Doch während Blum den Verweis auf das Schicksal als Argument anbrachte, um Polen als selbstständigen Staat wiederherzustellen, begründete Jordan mit dem Schicksalsbegriff den Anschluss polnischer Gebiete an das Deutsche Reich. Die Gegenüberstellung von deutschem und polnischem Schicksal war für Blum die Gelegenheit, um Verbindungen aufzuzeigen und Forderungen der Gerechtigkeit zu formulieren, Jordan hingegen konfrontierte die Schicksale miteinander, um einen »gesunden Volksegoismus« einzufordern und Polen den Gnadenstoß zu versetzen.

228 Siehe zu dieser Debatte auch: Wollstein, Das ›Großdeutschland‹, S. 145 – 150; Ribhegge, Das Parlament als Nation, S. 42 – 49.

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In der Überzeugung »Man kann die Völkerschicksale nicht aufhalten«229 drückte Robert Blum seine Gewissheit darüber aus, dass Völker ihren je eigenen Weg zu beschreiten hatten, der unter Umständen auch mühsam und steinig sein konnte. Folgerichtig sprach er der deutschen Minderheit in Posen das Recht zu, auch auf Kosten Polens ein Teil Deutschlands zu werden. »[…] haben die Polen uns ein Stück Boden, und haben sie so und so viel deutsche Bewohner abzugeben, wohlan, so mögen sie dieses Schicksal tragen, wie manches andere harte Schicksal, das sie haben tragen müssen; aber man zeige ihnen nicht mit Shrapnells, sondern mit Gründen der Vernunft und der Nothwendigkeit, daß sie es müssen.«230

Die Betonung einer historischen Notwendigkeit hinderte Blum keinesfalls daran, die Verantwortung anzusprechen, die Deutschland am Schicksal Polens mittrug. Bereits am Beginn seiner Rede warnte er davor, sich zu einem nationalen Egoismus verleiten zu lassen. Nationalschicksale seien immer miteinander verknüpft, sodass gewissenhaftes Handeln gerade im vorliegenden Fall geboten sei. »Es gibt wohl kaum eine eigenthümlichere Stellung, als diejenige ist, wo ein freigewordenes oder freiwerdendes Volk entscheiden soll über das Schicksal eines dem Untergang scheinbar gewidmeten Volks.«231 Deutschland hatte am zukünftigen Weg Polens teil, ja bestimmte ihn sogar maßgeblich mit, und musste bei seinen politischen Entscheidungen der eigenen historischen Schuld Rechnung tragen und Bereitschaft zur Sühne, die Fähigkeit des Mitleidens und die Achtung vor den historischen Leistungen des Gegenübers zeigen. Mit seiner leidenschaftlichen Parteinahme für die Interessen der Polen bei einer zukünftigen Grenzziehung wollte Blum der rücksichtslosen Trennung des polnischen vom deutschen Schicksal entgegenwirken und stattdessen die Utopie eines gemeinsamen europäischen Schicksals der Nationen formulieren. Mit dieser Sicht konnte er sich jedoch nicht durchsetzen. Mit Nachdruck nutzte Wilhelm Jordan den Schicksalsbegriff, um die Partizipation der Polen an der deutschen Schicksalsgemeinschaft zu verhindern. Deutsche und polnische Interessen erschienen ihm unvereinbar. Diejenigen, die um Ausgleich bemüht waren, bezeichnete er als »Volksverräther«.232 Den Verweis auf die historische Schuld Deutschlands am gegenwärtigen polnischen Elend, die eine echte Anteilnahme am Schicksal Polens hervorrufen müsse, bestritt Jordan mit der Berufung auf die Geschichte, »die auf ihrem, von der Nothwendigkeit vorgezeichneten Gange ein Volksthum, das nicht mehr stark genug ist, sich zu erhalten unter ebenbürtigen Nationen, mit ehernem Fuße stets 229 230 231 232

Robert Blum, 25. 07. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 2, S. 1142. Ebd. Ebd., S. 1141. Wilhelm Jordan, 25. 07. 1848, in: Ebd., S. 1143.

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unerbittlich zertritt […]. […] und in den Gang dieses Schicksals eingreifen, aus menschlicher Theilnahme das umrollende Rad der Geschichte aufhalten und noch einmal zurückdrehen zu wollen, daß hieße sich selbst der Gefahr preisgeben, von ihm zermalmt zu werden.«233 In dieser Interpretation war Polens Untergang notwendig und unwiderruflich. Sollte Deutschland sein Schicksal an dasjenige Polens knüpfen, war es mit ihm dem Untergang geweiht. Für Jordan manifestierte sich in der deutschen Übermacht über Polen das Recht der Geschichte, nicht das der Juristen, weswegen ihm auch »die Satzungen des principiellen Rechts nirgends erbärmlicher vor[kamen], als wo sie sich anmaßen, das Schicksal der Nation zu bestimmen.«234 Das Schicksal der Nationen werde allein vom »Geist der Weltgeschichte« bestimmt, in dessen Licht Jordan auch das deutsch-polnische Verhältnis betrachtete. »Ich behaupte also, die deutschen Eroberungen in Polen waren eine Naturnothwendigkeit«.235 Mithilfe des Schicksals- und Notwendigkeitsbegriffs gelang es Wilhelm Jordan, die emotionale Verbundenheit mit Polen, die sich noch im Frühjahr 1848 lebhaft gezeigt hatte, als einen Irrweg aufzuzeigen. Indem er die Geschichte und die Zukunft des polnischen Volkes als unumgänglichen Untergangsprozess darstellte, machte er zumindest aus nationaler Perspektive deutsche Solidaritätsbekundungen an Polen unmöglich. Jordan spielte das polnische und das deutsche Schicksal gezielt gegeneinander aus und stellte das als Teil eines historischen Überlebenskampfes dar, aus dem nur der Stärkere lebend hervorgehen würde.236 Der Verweis auf die gegenläufigen nationalen Schicksale entband von historischen Sühneleistungen und rechtfertigte eine egoistische Politik, die sich allein auf die Interessen der eigenen Nation bezog. Was sich in der Rede Wilhelm Jordans manifestierte, war der Versuch einer nationalen Integration durch den Abschluss nach außen. Dass er und seine Mitstreiter damit erfolgreich waren, erwies sich in der Abstimmung am 28. Juli 1848, in der mit dreihundertzweiundvierzig gegen zweiunddreißig Stimmen die Aufnahme des gesamten Großherzogtums Posen in den Deutschen Bund beschlossen wurde.237 Dem deutschen war gegenüber dem polnischen Schicksal der Vorzug gegeben worden. 233 234 235 236

Ebd., S. 1144. Ebd., S. 1146. Ebd. Begrifflich und inhaltlich stimmte Jordan dabei mit Johann Joseph Ignaz Döllinger überein, der bestritt, »daß wenn wir jetzt entscheiden über das Geschick des Großherzogthums, wir überhaupt uns um jene Frage der Wiederherstellung eines polnischen Reiches zu bekümmern haben«. Ders., 07. 02. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 7, S. 5068. 237 28. 07. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 2, S. 1238. Am selben Abend der Debatte forderte Blum (erfolglos) den Ausschluss Jordans aus dem Deutschen Hof. Dieser wechselte im September freiwillig zur Landsberg-Fraktion. Wollstein, Das ›Großdeutschland‹, S. 149 f.

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Kann man die inkludierende Funktion des Schicksalsbegriffs für die Grenzen im Norden und seine exkludierende Funktion für die Grenzen im Osten feststellen, so gestaltete sich die Grenzgestaltung Richtung Südosten diffus und zweifelhaft.238 Der riesige Vielvölkerstaat des Habsburgerreichs sperrte sich gegen die Bildung eines Staates auf nationaler Grundlage. Jede angestrebte Lösung brachte unzählige Nachteile mit sich, und doch musste man sich entweder für den Anschluss des gesamten Reiches, allein seiner deutschen Gebiete oder aber für den Ausschluss Österreichs entscheiden – wobei im Jahr 1848 eine kleindeutsche Lösung unter preußischer Führung de facto von keinem der Abgeordneten in Erwägung gezogen wurde.239 Je nach politischer Position wurde auch die schicksalhafte Verbindung zwischen Deutschland und Österreich unterschiedlich definiert und changierte zwischen Schicksalsidentität und Schicksalsabgrenzung. So war nicht für alle Abgeordneten unstrittig, wie für den überzeugten Demokraten Jacob Venedey aus Köln (1805 – 1871), dass sich an der österreichischen Frage »das Geschick Deutschlands entscheidet«, weil »sie […] für uns Alle nichts Anderes sein [darf], als eine Nationalfrage.«240 Besonders deutlich lässt sich das an den zentralen Debatten ablesen, in denen über die Paragrafen 2 und 3 des Verfassungsentwurfes debattiert wurde. Weil in ihnen das Verhältnis des Deutschen Reiches zu nichtdeutschen Staaten geregelt wurde, berührten sie unweigerlich den Status des Habsburgerreichs, das neben einer deutschen Bevölkerung unterschiedlichste Ethnien unter einer gemeinsamen Regierung vereinte. Der Entwurf sah für diesen Fall eine reine Personalunion zwischen den deutschen und den nichtdeutschen Gebieten vor, was eine faktische Auflösung des Habsburgerreiches bedeutete. Nur so glaubte die Majorität der Ausschussmitglieder einen Staat auf nationaler Grundlage unter Einschluss Österreichs aufbauen zu können.241 Der Hamburger Christian Friedrich Wurm (1803 – 1859) forderte in einer Sitzung am 27. Oktober 1848 Unterstützung für den Entwurf des Verfassungsausschusses ein und bekräftigte die genuine Zusammengehörigkeit der deutschösterreichischen Gebiete und der übrigen deutschen Länder. Im Verweis auf ihre gemeinsame Geschichte verwahrte er sich gegen einen Erhalt des »Prachtschiffes Austria« in der gegenwärtigen Form, weil dessen Geschicke vollkommen unklar seien, ja dessen baldiger Zerfall vielleicht schon »im Geschick […] bestimmt

238 Siehe zu den historischen und politischen Hintergründen der Österreich-Debatte: Ebd., S. 266 – 306; Botzenhart, Die Habsburger Monarchie, S. 107 – 118. 239 Wollstein, Die Oktoberdebatte, S. 299 f. 240 Jacob Venedey, 24. 10. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 4, S. 2827. 241 Siehe zu den machtpolitischen Erwägungen, die hinter den Positionen der einzelnen Abgeordneten standen: Wollstein, Die Oktoberdebatte, S. 296 – 302.

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sei«.242 Er sah keine Zukunft darin, Österreich lediglich über eine Föderation mit Deutschland zu verknüpfen. »Bis jetzt haben sie Schicksal und Verfassung mit uns getheilt, sie sollen sie künftig nicht mehr mit uns theilen, sondern eine besondere Verfassung haben, und nur durch ein Föderativband mit uns verbunden sein […]. Meine Herren! Ist es nicht ohne Beispiel, zu präsumieren, daß ein Volk solche Opfer aus freien Stücken zu bringen bereit ist?«243

Die Entscheidung für eine kleindeutsche Lösung bedeutete nicht nur in Wurms Augen eine Verletzung der deutschen Schicksalsgemeinschaft. Auch der Zwettler Abgeordnete Anton Riehl (1820 – 1886) betonte die fatalen Folgen, die eine Ablehnung der Paragrafen 2 und 3 für die Deutsch-Österreicher haben würde. Eine Entscheidung gegen die angestrebte Personalunion kam dem Österreicher wie eine gewaltsame Amputation vor, nach der seine Landsleute auch dem drohenden Panslawismus nichts mehr entgegenzusetzen hätten.244 Er fürchtete einen Feuerbrand, »wenn wir nach Hause zurückkehrend, den Deutsch-Österreichern sagen müssen: wir sind ausgeschlossen von der Gemeinschaft der Gläubigen, die den Dom der deutschen Einheit zu Frankfurt gegründet, um fürderhin darin beisammen zu wohnen; ihr seid eurem Schicksale überlassen. Die Frage wird sich Jeder vorlegen: Was ist unser Schicksal, nachdem wir ausgeschlossen sind von den übrigen deutschen Brüdern?«245 Der Schicksalsbegriff bündelte hier das nationale Gemeinschaftsempfinden, das bisher Orientierung und Identifikation geboten hatte und nicht verloren gehen durfte. Ähnliches berichtete Carl Ferdinand Julius Fröbel (1805 – 1893) über die Bereitschaft eines Teils der österreichischen Bevölkerung, ganz im nationalen Schicksal Deutschlands aufzugehen. Ihm hätten zahlreiche Männer ihre Überzeugung mitgeteilt, dass Wien durch einen Anschluss an Deutschland zur Provinzialstadt degradiert werde – »allein wir bringen freudig der deutschen Einheit dieses Opfer, wir sehen, es ist kein anderes Schicksal möglich.«246 Als im November 1848 der Beschluss des österreichischen Ministeriums bekannt wurde, die Länder des Habsburgerreiches in staatlicher Einheit verbleiben zu lassen und die Verhandlungen über die Beziehungen zu Deutschland auf einen unbestimmten Zeitpunkt zu verschieben,247 reagierte das Reichsministerium umgehend. Am 18. Dezember 1848 legte Reichsminister Heinrich von 242 Christian Friedrich Wurm, 27. 10. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 4, S. 2906. 243 Ebd. 244 Anton Riehl, 28. 10. 1848, in: Ebd., S. 2902. 245 Ebd., S. 2901. 246 Carl Ferdinand Julius Fröbel, 30. 11. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 5, S. 3687. 247 18. 12. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 6, S. 4233.

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Gagern der Nationalversammlung eine Erklärung zur Abstimmung vor, welche die Konstituierung eines deutschen Bundesstaates ohne Einschluss Österreichs zum Inhalt hatte und damit die Bestimmungen des Verfassungsentwurfes verwarf.248 Von den Paulskirchenlinken regte sich scharfer Protest gegen diese Erklärung. Gerade die österreichischen Abgeordneten verwahrten sich entschieden gegen den Antrag des Ministerpräsidenten; der Schriftsteller Moritz Hartmann (1821 – 1872) nannte die Erklärung ein Verbrechen. Auch seine Stellungnahme gegen die kleindeutsche Lösung offenbarte das Selbstverständnis, als Österreicher mit Deutschland ein Schicksal zu teilen und deshalb ein unveräußerliches Recht zur Mitsprache zu besitzen. »Wir haben hier unter uns zu entschieden über das Schicksal Deutschland’s; wir haben keine Gesandten zu schicken. Wir Oesterreicher sind nicht hergekommen als verlorene Söhne, um Eingang in das Vaterhaus zu betteln. Wir sind hier zu Hause und haben ein Recht, hier zu sitzen, wie alle anderen Deutschen.«249

Erst im März 1849 fanden die abschließenden Verhandlungen über die Reichsverfassung statt, die das Verhältnis zum Habsburgerreich jedoch nicht endgültig klärten. Dennoch wurde in den Debatten die Distanzierung von den österreichischen Interessen am deutschen Staat immer offensichtlicher. Sprachlich manifestierte sich das in einer plötzlichen Differenzierung der Schicksalsbegriffe. Exemplarisch soll dies an der letzten Rede vor der Abstimmung über den Verfassungsentwurf gezeigt werden, die Gabriel Riesser als Vertreter des Verfassungsausschusses am 22. März 1849 hielt. Hier rekapitulierte er noch einmal den bisherigen Gang der Verhandlungen, ohne zu versäumen, die widersprüchlichen Haltungen der österreichischen Abgeordneten und der österreichischen Regierung scharf zu kritisieren. Man könne nicht länger auf eine Entscheidung Österreichs warten, das oft genug demonstriert habe, dass es eine Einmischung seitens Deutschlands in seine Angelegenheiten nicht wünsche. Auch habe die geringe Wahlbeteiligung der deutschösterreichischen Bevölkerung gezeigt, dass »sie eben nichts von inniger Verbrüderung mit uns wissen wollte«.250 Aus diesem Grund sei es unzumutbar, ihnen »einen moralischen Einfluß auf die Bestimmung unseres Schicksals zu gewähren, nachdem sie redlich genug waren, sich selbst einen unverdienten politischen Einfluß nicht anmaßen zu wollen«.251 Riesser vollzog eine semantische Separation zwischen österreichischem und deutschem Schicksal, um den Verfassungsentwurf, der die Teilnahme der österreichischen Bundeslande an der Reichsverfassung zwar als Möglichkeit 248 249 250 251

Ebd., S. 4233 f. Moritz Hartmann, 19. 12. 1848, in: Ebd., S. 4236. Gabriel Riesser, 22. 03. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 8, S. 5903. Ebd.

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miteinbezog, aber nicht endgültig festsetzte, zu legitimieren. »Unser Schicksal« grenzte sich deutlich vom Schicksal der Österreicher ab, weswegen Riesser eine angemaßte Entscheidungskompetenz als unerlaubten Eingriff von außen wertete. Entschieden wehrte er sich gegen den nationalen Anschluss der gesamten Donaumonarchie, bedeutete das doch, »daß der Wille Oesterreichs über das Schicksal Deutschlands entscheide«.252 Damit hatte er die kleindeutsche Lösung begrifflich fixiert. Die semantische Trennung nationaler Schicksale führte ebenso wie ihre begriffliche Verbindung zur Festschreibung und Stabilisierung der Grenzen des Nationalstaats. Schleswig und die deutsche Minderheit in Posen wurden dem Deutschen Reich als zugehörig empfunden, weil sie mit Deutschland ein Schicksal teilten. Die Polen und später auch die Österreicher wurden der deutschen Schicksalsgemeinschaft nicht mehr zugerechnet und konnten deshalb nicht mit der Berücksichtigung ihrer Interessen rechnen. Die Definition der Grenzen des Schicksals ging den tatsächlichen politischen Grenzziehungen häufig voraus. Der Schicksalsbegriff wurde zu einem wirksamen Instrument politischer Sprache, stiftete er doch Identifikation und Identität, indem er bestimmte, wer partizipieren durfte und wer nicht. Mit Angehörigen der Schicksalsgemeinschaft konnte Solidarität bekundet werden, der Rest der Welt wurde ohne Umstände dem eigenen Schicksal überlassen. Eine gegenseitige Einflussnahme war dabei unerwünscht. Häufig blieben die tatsächlichen Inhalte des Schicksalsbegriff dabei unklar oder wurden zumindest nur teilweise mit konkreten Ideen gefüllt. Im Kontext der Nationalstaatsbildung 1848/49 war unstrittig, dass das Schicksal Deutschlands einen ruhmreichen Weg zur Einheit und Freiheit implizierte, während das der Polen im Untergang, in Krieg und Zerrüttung gesehen wurde. In diesem Fall wurden Erfahrungen der Vergangenheit in die Zukunft projiziert, während man für Deutschland das Jahr 1848 zumindest vordergründig als deutlichen historischen Schnitt empfand, der den Zustand der Zersplitterung und Unfreiheit für immer beendet hatte. Insofern konnte das Schicksal verschiedener Nationen gänzlich unterschiedlichen Gesetzen folgen und problemlos an politische Erfordernisse und ideologische Überzeugungen angepasst werden. Es lohnt sich ein genauerer Blick auf diese Gesetzmäßigkeiten und ihre Motivationen. Wenn definiert war, wer am nationalen Schicksal partizipieren durfte und wer nicht, musste konkretisiert werden, worin dieses Schicksal eigentlich bestand.

252 Ebd.

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Die inhaltliche Füllung des nationalen Schicksals Mit der Berufung auf ein gemeinsames nationales Schicksal wurde nicht selten eine tatsächliche oder angebliche kollektive Vergangenheit heraufbeschworen,253 die gewissermaßen die Eintrittskarte in die Nation war. Oftmals drückte sich darin die Überzeugung aus, dass das deutsche Wesen bereits seit Urzeiten Bestand habe und notwendigerweise eine bestimmte politische Entwicklung hervorbringen werde, die allerdings je nach den politischen Orientierungen der jeweiligen Sprecher differierte. Der Historiker Carl Heinrich Wilhelm Hagen (1810 – 1868) vom radikal linken Donnersberg brachte den Hinweis auf das Schicksal wiederholt in dieser Weise ein, um eine demokratische Verfassung für den zukünftigen Bundesstaat zu rechtfertigen. Dabei entwickelte er ein geschichtsphilosophisches Modell, das die Republik zum Zielpunkt einer teleologischen Menschheitsentwicklung erklärte. »Und fürwahr, meine Herren, wenn man das Leben der Völker und die Schicksale der Menschheit mit prüfendem Auge überblickt, muß man zu der Ueberzeugung kommen, daß unsere politische Entwicklung mit dem vollständigsten Siege der Demokratie enden muß. Es ist ein Gesetz in der Weltgeschichte, daß die Menschheit nach einem Lauf durch die verschiedensten Stadien ihres Wesens zuletzt, nur reiner und selbstbewußter, zu dem Urquell zurückführt, von dem sie ausgegangen.«254

Der Verwendung des Schicksalsbegriffs fehlte hier noch der spezifisch nationale Zug, den Hagen allerdings sehr bald nachlieferte. Denn die allgemeine Menschheitsentwicklung sah er am ehesten durch das deutsche Volk verwirklicht. Dieses werde der »Mittelpunkt […] für die Durchbildung dieser Verfassungsform« sein, »wie denn das deutsche Volksthum schon in den frühesten Zeiten diese Verfassung am reinsten entwickelt hatte.«255 Der deutschen Nation als Vertreterin und Vorreiterin des historischen Schicksals wurde dadurch ein Status zuerkannt, der sie vor allen anderen Nationen auszeichnete. Mit dem Hinweis auf die bisherige historische Entwicklung formulierte Hagen zugleich die Aufforderung und die Pflicht, der nationalen Tradition gerecht zu werden. Es war nicht nur das allgemeine Schicksal der Menschheit, sondern gerade das spezifische Schicksal Deutschlands, das die Verabschiedung einer demokratischen Verfassung erforderte. Einige Zeit später, im Oktober 1848, erwähnte Hagen den Schicksalsbegriff 253 Der Bezug auf eine gemeinsame Vergangenheit ist ein Merkmal des romantischen Volksbegriffs: Korˇalka, Nationsvorstellungen, S. 40. 254 Carl Heinrich Wilhelm Hagen, 08. 08. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 2, S. 1424. 255 Ebd.

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wiederum im Kontext einer nationalen Traditionsbildung. Bei der Verhandlung über die zukünftige Staatsstruktur versuchte er die Abgeordneten davon zu überzeugen, dass eine Neueinteilung des Bundesgebietes in einundzwanzig Kreise notwendig sei, um einem erneuten Partikularismus vorzubeugen. Die Aufgabe der Versammlung sah er dabei darin, den Gegensatz zwischen Bundesund Einzelstaatsinteressen zu überbrücken. Die Ursachen dieses genuinen Konflikts begründete er mit der spezifisch deutschen Geschichte: »Sicherlich, meine Herren, sind wir vom Schicksal nicht dazu berufen, einen Staat zu bilden nach dem Prinzip der Centralisation, und nur der könnte diesen Gedanken fassen, der die Natur unseres Volkes, der unsere Geschichte nicht kennt. Aber auf der anderen Seite, meine Herren, ist auch nicht zu leugnen, daß durch unsere ganze Geschichte sich wie ein rother Faden die Idee der politischen Einheit hindurchzieht, ein deutlicher Beweis, daß das individuelle Element nicht das einzige ist, welches uns charakterisiert […].«256

Obwohl der Schicksalsbegriff hier die Gestalt einer göttlichen Macht annahm, ging es Hagen wohl in erster Linie um die Verdeutlichung eines historischen Prinzips, das die Marschroute für die Zukunft festlegte. Insofern hatte die Berufung auf den Schicksalswillen auch hier ein identitätsstiftendes Moment: Indem man sich auf gemeinsame historische Prinzipien verständigte, konnte es leichter fallen, auch in aktuellen politischen Fragen eine Einigung zu erzielen. Robert Blum nutzte den Schicksalsbegriff in ähnlicher Weise, um gegen eine Aufstockung des Heeresetats einzutreten und damit seine Utopie einer friedvollen europäischen Zukunft zu formulieren. Die Neuzeit, so referierte er, sei durch ein neues Verhältnis der Völker zueinander charakterisiert. »Das Streben der Völker geht nicht mehr auf Eroberungen; es geht dahin, sich im Innern ruhig und selbstständig zu entwickeln, sich die Freiheit zu gründen und zu sichern, und diese Freiheit zu genießen innerhalb der Grenzen, die das Schicksal einmal dem Volke gezogen hat. Die Freiheit braucht keine Eroberungen und sucht keine.«257

Blums Worte waren ein Appell an die nationale Genügsamkeit. Der Hinweis auf das Schicksal, das die nationalen Grenzen in der Vergangenheit festgeschrieben hatte, zitierte gewissermaßen eine Autorität, deren Willen es zu respektieren galt. Das Schicksal hatte die Weichen für die Zukunft gestellt und damit die deutsche Nation definiert; es hatte den Bereich abgegrenzt, innerhalb dessen sich die Nation entfalten konnte. Nicht erst ein imperialistischer Grenzübertritt, sondern bereits die übermäßigen staatlichen Investitionen in den Ausbau des 256 Carl Heinrich Wilhelm Hagen, 20. 10. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 4, S. 2754. 257 Robert Blum, 08. 07. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 2, S. 805.

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Heeres hätten dieser Ansicht zufolge eine Missachtung des Schicksalswillens bedeutet. Sahen viele Abgeordnete der Linken das schicksalhafte Wesen der Nation in der Verwirklichung von Demokratie, Föderalismus und Pazifismus,258 erblickten die Vertreter der rechten Fraktionen im zunehmenden Erstarken der Gegenrevolution die erfreuliche Wiederbelebung des Schicksals, das seit dem März 1848 in der Nation betäubt gewesen sei. Ein Beispiel dafür mag genügen: Anlässlich des bereits erwähnten Konflikts zwischen der preußischen Regierung und der preußischen Nationalversammlung interpretierte der fraktionslose Arzt Adolph Goeden (1811 – 1888) im Januar 1849 die oktroyierte preußische Verfassung als Vollstreckung des Schicksals. Die preußische Nationalversammlung sei Zeit ihres Bestehens eine Konkurrenzinstitution zur Paulskirche gewesen und habe sich von dieser abgrenzen müssen. Da die Frankfurter Abgeordneten sich für die Verwirklichung der konstitutionellen Monarchie entschieden hatten, sei der preußischen Versammlung allein die Wahl zwischen Despotie oder Republik übrig geblieben. »Einer dieser beiden Formen mußte sie verfallen, sie lagen unbewußt schlummernd in ihr, wie ihr Schicksal, an dem ihr Geist gleich einer Nothwendigkeit seine Schranken hatte.«259 Die preußische Nationalversammlung nun habe den Weg des Konventes beschritten und die Republik installieren wollen. Weil diese aber für die deutsche Nation »eine ungeeignete, durch den Entwickelungsgang unserer Geschichte nicht bedingte«260 Verfassung sei, musste das preußische Parlament an ihr notwendigerweise zugrunde gehen. Insofern erschien Goeden die oktroyierte Verfassung als ein erforderlicher »Umsturz der organisierten Anarchie«,261 der durch die Eigenart der Nation gerechtfertigt sei. Durch diese neue »Revolution«, die – so Goeden – ebenso berechtigt sei wie die des März, hatte sich das Schicksal über Umwege seinen historisch legitimierten Weg gebahnt. Das Schicksal umschrieb damit das genuine nationale Sein, das durch das beherzte Handeln der preußischen Regierung erneut zum Vorschein gekommen war. Gerade in den Tagen, in denen der Ausgang der Märzrevolution so ungewiss war wie nie zuvor, konnte die Erinnerung an ein spezifisches nationales Schicksal tröstende Wirkungen entfalten. Ende April 1849 hatte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1795 – 1861) die deutsche Kaiserwürde ausgeschlagen und damit das monatelange Ringen der Nationalversammlung um die 258 So zum Beispiel auch Heinrich Julius Ahrens (1808 – 1874), der davon überzeugt war, dass »das Schicksal über uns und unser Werk richten aber auch ohne uns den Weg finden [wird], der endlich dem deutschen Volke sein Recht und seine Freiheit bringen muß«. Ders., 12. 12. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 6, S. 4046. 259 Adolph Goeden, 06. 01. 1949, in: Ebd., S. 4448. 260 Ebd. 261 Ebd.

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Reichsverfassung zunichte gemacht. In einem verzweifelten Versuch, die Verfassung dennoch »zur Anerkennung und Geltung zu bringen«, beschloss eine knappe Mehrheit der Abgeordneten am 4. Mai 1849, die Organe der Reichsverfassung selbstständig ins Leben zu rufen. Der Beschluss implizierte einen Aufruf an die Bevölkerung zur direkten Aktion, sodass es in der Folge zu bürgerkriegsähnlichen Aufständen in mehreren deutschen Staaten kam. Parallel zur Reichsverfassungskampagne262 zerfiel das Frankfurter Parlament jedoch zusehends. Da sich die Mehrheitsverhältnisse in der Paulskirche zugunsten der linken Fraktionen verschoben, kam es am 18. Mai 1849 zur Absetzung des Reichsverwesers Erzherzog Johann (1782 – 1859). Die fehlende Zentralgewalt, die Kämpfe in Preußen, Sachsen und Südwestdeutschland und die Erosion der verfassungsgebenden Versammlung deuteten das endgültige Scheitern von Einheits- und Freiheitsbestrebungen an.263 Zwei Tage bevor die Mehrheit der Casino-Fraktion geschlossen ihren Austritt aus der Nationalversammlung bekanntgab, trat der Greifswalder Professor Carl Georg Christoph Beseler (1809 – 1888) trotz der politisch aussichtslosen Lage mit einer zaghaft optimistischen Zukunftsprognose ans Rednerpult. Er bekundete sein festes Vertrauen darauf, dass »der große Kampf, den das deutsche Volk um seine Freiheit und Einheit begonnen hat«, eines Tages siegreich zu Ende geführt werde.264 Diese Gewissheit bezog er aus der Einsicht, dass »das Schicksal unserer großen Nation« weder vom »Geschicke fremder Völker« noch von der gegenwärtigen politischen Verfassung abhänge. »Meine Herren, ich bin aber nicht der Ansicht, daß auf diese Weise die Geschicke einer großen Nation gelenkt werden. Ich bin nicht der Ansicht, daß dasjenige, was seit Jahrhunderten in Deutschland sich vorbereitet, mit einem Schlage entschieden würde, je nachdem ein despotisches Ministerium oder eine Volksversammlung das letzte Wort behält. Meine Herren, in anderer Weise werden die Geschicke der Völker gelenkt, und das führt mich zu der zuversichtlichen Hoffnung, zu dem Vertrauen, daß, wenn in der nächsten Zeit das Schicksal Deutschlands ein schweres sein wird, nichts desto weniger die Sache des Vaterlandes durchaus unverloren bleibt.«265

Das Schicksal bildete nach diesen Worten den seit Jahrhunderten bestimmten Strom der Geschichte, der sich nicht von historischen Einzelereignissen umleiten ließ, aber auch nicht gewaltsam beschleunigt werden durfte. Für Deutschland barg dieser Schicksalsstrom die Kernprinzipien des Vormärz und der Revolution: die Einheit und die Freiheit. Wann sie allerdings tatsächlich 262 Siehe dazu: Langewiesche, Revolution in Deutschland, S. 178 f. 263 Hachtmann, Epochenschwelle zur Moderne, S. 63 – 65. 264 Carl Georg Christoph Beseler, 21. 05. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 9, S. 6668. 265 Ebd.

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verwirklicht werden würden, ließ sich, so der Tenor der Äußerung Beselers, von Menschenhand nicht beeinflussen. Auf der Suche nach dem nationalen Schicksal projizierten Abgeordnete aller Fraktionen ihre Zukunftshoffnungen zurück in die Vergangenheit und vermeinten dort die spezifische Anlage zu bestimmten Entwicklungen bereits vorzufinden, die ihre Sinngebung nicht selten durch die allgemeine Menschheitsgeschichte erfuhren. Für die temporale Struktur der Schicksalsvorstellung bedeutete das, dass die Verortung des nationalen Schicksals in der Vergangenheit niemals ohne den Blick auf die Zukunft der Nation vorgenommen wurde. Das Schicksal wurde genealogisch gedacht.266 Wenn es zum Synonym für historische Traditionen wurde, stellte es eine zeitliche Kontinuität der Nation her, die es zukünftig weiterzuentwickeln galt. Schicksal war in diesem Kontext also niemals ein Status-, sondern prinzipiell ein Entwicklungsbegriff. Nie fehlte dabei die Erwähnung des nationalen Moments der historischen Entfaltung, das gerade Deutschland vor anderen Nationen auszeichnete. Die Rede vom einzigartigen Wesen der deutschen Nation war dabei eng mit der Vorstellung einer welthistorischen Aufgabe verbunden, die Deutschland zu vollbringen habe.267 Diese bezog sich auf eine der Hauptforderungen der Zeit, nämlich auf die Freiheit, die zum Teil mit der Forderung nach Demokratie verbunden war. Allerdings ging die Vorstellung von einer Mission Deutschlands als nationalem Schicksal nicht mit dem Gedanken einher, dass Deutschland ein von Gott auserwähltes Volk für diese Aufgaben war. Der Schicksalsbegriff hatte Mitte des 19. Jahrhunderts zumindest in den Verhandlungen der Nationalversammlung keine göttlichen Bezüge mehr, sondern wurde – im Gegensatz zum Vorsehungsbegriff – allein in einen säkularen Bezugsrahmen eingeordnet. So spielte auch die Rede von einem neuen Bund zwischen Gott und der Nation im Umfeld des Schicksalsgedankens keine Rolle. Das Schicksal der Nation legitimierte sich aus ihrer Geschichte.

Das Schicksal Deutschlands als politisches Projekt Viele Vermutungen über die Funktion des Schicksalsbegriffs im Nationaldiskurs haben sich bestätigt. Was in den Verhandlungen der Paulskirchenversammlung hingegen nur selten thematisiert wurde, war das spezifische Verhältnis des einzelnen Staatsbürgers zur Nation und damit die antizipierte Verschmelzung 266 Anderson, Die Erfindung der Nation, S. 195. 267 Jacob Venedey bemerkte in diesem Sinne: »Das Ausland fühlte, daß das Geschick der Welt seinen Mittelpunkt in Deutschland finden müsse, sobald Deutschland in dem neuerrungenen Bewußtsein seiner Kraft wieder einen einigen Staat bilden werde.« Ders., 12. 01. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 6, S. 4539.

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von persönlichem und kollektivem Schicksal. Hierzu finden sich in den »Stenographischen Berichten« kaum Belegstellen.268 Unter den sehr wenigen Beispielen, die in diese Richtung gedeutet werden können, stammt das ausdruckstärkste von dem Demokraten Ludwig Gerhard Gustav Simon (1819 – 1872). Zu dem Zeitpunkt, an dem aus der Frankfurter Nationalversammlung bereits das Stuttgarter Rumpfparlament geworden war, dessen Kompetenz und Existenzberechtigung selbst von den verfassungstreuen Staatsregierungen angezweifelt wurde, rief Simon Anfang Juni 1849 den endgültigen Kampf »zwischen der Despotie und der Freiheit« aus und betonte den persönlichen Einsatz des Einzelnen für das Interesse der Nation mit den Worten: »Soll sich jetzt unser Schicksal erfüllen? Wohlan, es erfülle sich! Mit unserm Schicksal erfüllt sich das Schicksal der deutschen Nation!«269 In dieser Eindeutigkeit ist die bereitwillige Unterwerfung des individuellen unter das kollektive Schicksal zumindest in den Debatten der Nationalversammlung einzigartig. Das mag an mehreren Umständen liegen: Der spezifische Beitrag des einzelnen Staatsbürgers zur nationalen Schicksalsgestaltung war in den Augen der rechten Fraktionen vermutlich generell unerwünscht; die Abgeordneten der Linken hingegen sahen diesen Beitrag bereits durch die Arbeit des Parlamentes erfüllt. Die Frankfurter Paulskirche war anscheinend nicht der Ort, an dem die Unterordnung und Aufopferung des einzelnen Staatsbürgers unter das Kollektiv der nationalen Schicksalsgemeinschaft gefordert wurde. Das geschah entweder innerhalb anderer Kontexte oder zeitlich später.270 Umgekehrt sieht man aber doch die Tendenz, dass die Konfiguration der Schicksalsgemeinschaft durch die Definition ihrer Innen- und Außengrenzen und ihrer spezifischen Merkmale zu einer Individualisierung der Nation führte. Die Nation Deutschland erhielt durch den Schicksalsbegriff ein personalisiertes Antlitz, das sie in ihrer Eigenart bestimmte und einzigartig unter den Völkern machte. Und ebenso wie bei einem Menschen wurde das Schicksal dieser Nation im Rahmen der Möglichkeiten mehr oder weniger behutsam in bestimmte Richtungen gelenkt. Bettet man die Merkmale des nationalen Schicksalskonzepts in die allgemeine Entwicklung des Schicksalsbegriffs des 19. Jahrhunderts ein, so ergeben sich folgende Befunde: Die noch um 1800 so deutliche Beziehung zwischen dem Schicksals- und dem Vorsehungsbegriff war um die Jahrhundertmitte nicht mehr gegeben. Sie fiel der langfristigen und durchgreifenden Säkularisierung des Schicksalsbegriffs zum Opfer. Im Zuge seiner zunehmenden Vereinnah268 Ein Beispiel wurde bezüglich der Österreichfrage bereits erwähnt. Carl Ferdinand Julius Fröbel, 30. 11. 1848, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 5, S. 3687. 269 Ludwig Gerhard Gustav Simon, 13. 06. 1849, in: Wigard, Stenographischer Bericht, Bd. 9, S. 6836. 270 Siehe dazu Kap. 5.3.

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mung durch die Politik streifte der Schicksalsbegriff die letzten Verwandtschaftsbezüge zur im Kern immer noch christlich geprägten Vorsehungsidee ab, was mit dem Verlust seiner theistischen Implikationen einherging. Das aktiv handelnde Schicksalswesen der Romantik wich der abstrakten Idee eines passiven Prinzips. Hatte man um die Jahrhundertwende in den enzyklopädischen Nachschlagewerken von Adelung über Campe und Krünitz bis hin zu Meyer noch zwischen dem »Schickenden« und dem »Geschickten« als zwei möglichen Deutungskategorien des Schicksalsbegriffs differenziert,271 so verschob sich der Schwerpunkt der Bedeutungsebenen zur Mitte des Jahrhunderts eindeutig zum Letzteren. Dabei geriet die Frage, von wem das Geschickte eigentlich geschickt worden war, mehr und mehr in den Hintergrund. Das Interesse galt dem Phänomen selbst, nicht seinen metaphysischen Rückbezügen. Das Schicksal wurde in diesem Prozess zu einer innerweltlichen Idee, die den Gang der Dinge ohne den Verweis auf ein außerweltliches Wesen zu erklären verhalf. Die Dominanz des Passiven äußerte sich massiv in der sprachlichen Verwendung des Schicksalsbegriffs, war doch immer seltener davon die Rede, dass das Schicksal über etwas oder jemandem waltete, dass es etwas bestimmte, beeinflusste oder zerstörte. Stattdessen wurde die sprachliche Verwendung des Schicksalsbegriffs in einer Genitivus-Possesivus-Konstruktion immer gebräuchlicher, hier besonders in Zusammenhang mit Kollektiven aller Art. Parallel zu den zentralen Fragen des bürgerlichen Zeitalters, die seit den antinapoleonischen Kriegen um die Vorstellungen politischer Freiheit und nationaler Einheit kreisten, wurde das Schicksal in dieser grammatikalischen Form immer öfter auf die erstrebten Gemeinwesen angewandt und füllte damit den Raum für Wünsche und Utopien, die in der Realität heftig umstritten und von ihrer Verwirklichung weit entfernt waren. Konkret gesprochen gewannen Fragen nach dem Schicksal Deutschlands, dem Schicksal der Nation, dem Schicksal des Volkes eine bis dahin unbekannte Relevanz. Weil die Frage nach dem, der schickte, nicht mehr eindeutig beantwortet werden konnte und auch von geringem Interesse war, wurde die Kompetenz der Schicksalsbestimmung zum Gegenstand harter politischer Kontroversen. Wer das Schicksal der Nation bestimmte, hatte auch das Sagen im Staat. Hier sieht man die Weiterentwicklung und Zuspitzung eines Gedankens, der sich bereits in der napoleonischen Ära formiert hatte. In gewisser Weise nahm der Schicksalsbegriff in diesen Zusammenhängen den Platz des neueren Zukunftsbegriffs ein.272 Er brachte zugleich die Unsi271 Art. Das Schicksal, in: Adelung, Versuch, S. 1439 f.; Eberhard, Art. Das Schicksal, S. 121; Korth, Art. Schicksal, S. 238; Art. Schicksal, in: Brockhaus, Allgemeine deutsche RealEncyklopädie, S. 1851. 272 Wie er von Reinhart Koselleck formuliert worden ist: »Es wird geradezu eine Regel, daß alle

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cherheit über und die Hoffnung auf das, worauf man hinarbeitete, in einer kurzen Formel zum Ausdruck. Wenn von dem Schicksal Deutschlands die Rede war, wurde nicht selten das Adjektiv »künftig« vorangestellt. Dennoch wohnte dem Schicksalsbegriff in diesen Kontexten ein Bedeutungsüberschuss inne, der nicht völlig im Zeitbegriff der Zukunft aufging. Denn mit der Verwendung des Schicksalsbegriffs in Bezug auf eine soziale Gemeinschaft, die de facto (noch) nicht existierte,273 wurde zugleich eine Begründung für ihre Existenzberechtigung geliefert. Im Kontext des deutschen Nationalismus erfüllte der Schicksalsbegriff deshalb eine identitätsstiftende Funktion: Er bahnte den Weg in eine gemeinsame Zukunft der Bevölkerung der deutschen Einzelstaaten, die ihre Position im europäischen Mächtesystem stärken würde. Ebenso spannte er den Bogen zurück in die Vergangenheit, verwies auf gemeinsame nationale Wurzeln, die sich ebenso über den Reichsgedanken wie über die gemeinsame Sprache und Kultur oder nationale Mythen definieren konnten. Indem man die Nation als eine Schicksalsgemeinschaft auffasste, konnte man sich gegenüber anderen Nationen abgrenzen, die ihren je eigenen spezifischen Schicksalsweg beschritten. Der Begriff suggerierte ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das Stände-, Klassen-, Schichten- und Konfessionsgrenzen überwinden half und somit gesellschaftsintegrierend wirkte. Während der 1848er-Revolution erschien das Schicksal Deutschlands kurzfristig als ein gemeinsames Projekt, an dem potenziell alle Staatsbürger zur Mitwirkung berufen waren. Das Projekt scheiterte im Endeffekt daran, dass das nationale Schicksal mit so unterschiedlichen Ideen ausgefüllt wurde, dass eine gemeinsame Grundlage der Akteure nicht existierte.274 Dennoch hatte sich der Schicksalsbegriff zum wiederholten Mal als politisches Instrument bewährt und war zukünftig aus dem Sprachfundus des Nationalismus nicht mehr wegzudenken.275

bisherige Erfahrung kein Einwand gegen die Andersartigkeit der Zukunft sein darf. Die Zukunft wird anders sein als die Vergangenheit, und zwar besser.« Ders., Vergangene Zukunft, S. 364; Hölscher, Die Entdeckung der Zukunft, S. 34 – 48. 273 »Die Nation, auf die man sich in der Paulskirche berief, war Wille und Vorstellung, aber eben noch nicht wie die bestehenden deutschen Einzelstaaten eine politische Realität.« Ribhegge, Das Parlament als Nation, S. 14. 274 Zu den komplexen Ursachen des Scheiterns der Revolution siehe im Forschungsüberblick: Reinalter, Die Europäische Revolution, S. 30 – 33; Dann, 1848, S. 152 f.; Hachtmann, Epochenschwelle zur Moderne, S. 174 – 178. 275 So auch: Dann, 1848, S. 152: »Ein wesentlicher Ertrag der Revolution lag im Bereich der nationalen Identität, der Nationsbildung. Das dramatische Geschehen des Revolutionsjahres und die Anteilnahme aller Volksschichten daran vereinigten die Deutschen zu einer politischen Schicksalsgemeinschaft und schufen Bindungen unter ihnen, die nicht wieder zu lösen waren.«

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5.3

Die Stiftung kollektiver Identität

Der Schicksalsbegriff der völkischen Bewegung

Das Schicksal als Scharnierbegriff völkischer Ideologie Verfolgt man die Geschichte des Schicksalsbegriffs als kollektive Identifikationsfigur des langen 19. Jahrhunderts weiter, so stößt man in den 1890er-Jahren bis zum Ersten Weltkrieg unweigerlich auf einen semantischen Verdichtungsprozess. Der Schicksalsbegriff drang immer öfter in die Debatten ein, die um die weitere Entwicklung Deutschlands kreisten, und erfuhr dort einen radikalen semantischen Wandel. Im vorübergehenden Enthusiasmus der ersten deutschen Revolution war das Schicksal Deutschlands ein gemeinsames Projekt gewesen, das es nicht nur zu gestalten, sondern erst einmal zu erreichen galt. Ein halbes Jahrhundert später, als der Traum eines deutschen Schicksals als Nationalstaat bereits Wirklichkeit geworden war, kippte der Schicksalsbegriff von einer hoffnungsvollen Utopie in eine düstere Untergangsprophetie. »Es mag’s Keiner gern hören, wenn man sich nüchtern die Wahrheit eingesteht. Ja, die richtigen Patent-Patrioten halten es für einen Verrat am Vaterlande, wenn man sein eigenes Volk nicht über die Puppen lobt und preist. Es ist so schön zu singen: O deutsches Volk, du herrlichstes von allen! Und es gab eine Zeit, wo das wahr – war ; und wir wünschten, daß eine Zeit käme, wo es wieder wahr würde. Aber auf dem heutigen Wege kommen wir nicht dahin, – wohl aber unter die zermalmenden Räder des unerbittlichen Schicksals, das nichts Laues, Halbes, Untüchtiges dulden mag.«276

Aus dieser wie auch aus zahlreichen anderen Bemerkungen sprach ein grundsätzliches Krisenbewusstsein, das sich – entgegen den tatsächlich recht komfortablen Lebensverhältnisse des deutschen Bürgertums im wilhelminischen Zeitalter – weiter Teile der bürgerlichen Schichten bemächtigt hatte.277 Die politische, soziale und kulturelle Situation des Deutschen Reichs wurde nach den »Wogen der verständlichen Freude und Dankbarkeit über Einheit und Sieg 1871«278 als unbefriedigend empfunden, da sich der Traum der nationalen Einigung nur dem äußeren Anschein nach, aber nicht innerlich vollzogen hatte. Die soziale Spaltung der Gesellschaft, die Folgen der Industrialisierung und des Kapitalismus, Deutschlands Stellung in der Welt, der Verlust einer allumfassenden Sinninstanz279 – all dies waren Faktoren der Unsicherheit, die in einem bestimmten Licht als Indizien eines systematischen Niedergangs gedeutet 276 277 278 279

o. A., Des Reiches Stillstand, S. 570. Vom Bruch, Wilhelminismus, S. 3 f. Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 251. »Kulturpessimismus entwächst im Kontext der modernen entzauberten Welt aus der Problemlage einer Erfahrungswissenschaft, die auf Sinngebung verzichtet, ohne damit das Bewußtsein von der Sinnhaftigkeit jedes menschlichen Handelns aufgeben zu können und zu wollen.« Portinaro, Kulturpessimismus, S. 176.

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werden konnten. Aus vielfältigen gesellschaftlichen Bereichen fanden die Begriffe der »Dekadenz«, der »Degeneration«, der »Dämmerung«, des »Verfalls« und des »Untergangs« ihren Weg in die Öffentlichkeit und verbanden sich fast zwangsläufig mit der Rede vom Schicksal. Das gefährdete Objekt, das im Mittelpunkt dieser Betrachtungen stand, wandelte je nach Perspektive seinen Namen und changierte zwischen der »Nation«, den »Deutschen«, der »Rasse«, den »Ariern«, den »Germanen« oder einfach dem »Volk«. So verschieden die Vorannahmen dieser Gedanken auch sein mochten, so sehr verdichteten sie sich doch zu einem gesamtgesellschaftlichen Kulturpessimismus,280 der durch die Zeitgenossen selbst und später durch die Literaturwissenschaft auch als »Fin de SiÀcle« bezeichnet worden ist.281 Die Auseinandersetzung damit fand teils rein emotional, teils auf wissenschaftlichem Niveau statt und entwickelte gerade durch das Wechselspiel dieser beiden Ebenen eine scheinbar bezwingende Dynamik. Wohl in keiner anderen gesellschaftlichen Gruppe dieser Zeit wurde das Schicksal als empirisch nachweisbarer und intuitiv gefühlter Untergang so stark rezipiert wie in der sogenannten völkischen Bewegung.282 Wie ein Schwamm sog diese extrem heterogene Gruppierung die Impulse der Zeit aus Darwinismus, Rassentheorie, Lebensreform und Antisemitismus in sich auf und entwickelte daraus ein mehr oder minder konsistentes Weltbild, dessen treibende Kraft eine eigenartige Mischung aus Zukunftsangst und Fortschrittserwartung war. Trotz zahlreicher Divergenzen bei einzelnen Sachfragen entwickelten die Völkischen ab 1890 eine spezifische »institutionalisierte Deutungskultur«,283 die sich nicht ausschließlich, aber mit besonderer Deutlichkeit durch eine gemeinsame Sprache entfaltete. Nicht umsonst steht am Beginn der Bewegung das Interesse an den Ursprüngen und der Entwicklung deutscher Sprache, einem Interesse, das die Suche nach dem Kern »deutschen Wesens« war. »Wie das umfangreiche völkische Schrifttum […] belegt, bildete sich in der völkischen Bewegung eine für subkulturelle Phänomene typische gruppenspezifische 280 Stern, Kulturpessimismus. 281 Haupt und Würffel, Handbuch Fin de SiÀcle; Fischer, Fin de siÀcle; ders., Jahrhundertdämmerung; Ajouri, Literatur um 1900; u. v. m. 282 Die Literatur zur völkischen Bewegung im Kaiserreich ist mittlerweile sehr umfangreich. Dennoch konnte bisher keine Einigung hinsichtlich einer gruppenspezifischen Definition der völkischen Bewegung erzielt werden. Die wichtigsten Monografien und Sammelwerke sind: Puschner, Die völkische Bewegung; ders., Schmitz und Ulbricht, Handbuch; Breuer, Die Völkischen; Geulen, Wahlverwandte; See, Freiheit und Gemeinschaft; Stern, Kulturpessimismus; Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse; Mosse, Die völkische Revolution; Schüler, Der Bayreuther Kreis; Haar, Fahlbusch und Berg, Handbuch; Kipper, Der Germanenmythos; Schnurbein und Ulbricht, Völkische Religion; u. v. m. Die vorliegende Untersuchung verzichtet bewusst auf eine Definition der völkischen Bewegung und orientiert sich bei der Quellenauswahl an der einschlägigen Forschungsliteratur (s. u.). 283 Breuer, Gescheiterte Milieubildung, S. 995.

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Weltanschauungssprache heraus, in der sich der Einfluß der völkischen Sprachideologie wiederfindet.«284 Synnöve Clason hat nachvollzogen, wie die Völkischen durch die gezielte Umwertung zentraler Ideen der französischen Revolution und der westeuropäischen Aufklärung ein Vokabular entwickeln konnten, das vornehmlich aus sprachlichen Gegensatzpaaren bestand. Positiv konnotierte Begriffe standen dabei für eine dem deutschen Wesen gemäße Auffassung oder Idee, während entsprechende Gegenbegriffe jeweils das »[U]ndeutsch-[A]ndersartige« bezeichneten.285 Über diesen sprachlichen Mechanismus konnte das völkische Vokabular zum Bestandteil einer Gruppenidentifikation werden, weil es sich unmittelbar mit bestimmten Werten verband. In positive wie negative Begriffe wurden große Gefühlsgehalte eingespeist,286 die über (pseudo-)wissenschaftliche Erkenntnisse empirisch abgesichert wurden. Für den Schicksalsbegriff ist es nun charakteristisch, dass er, je nach Kontext, im Negativen wie im Positiven eine gesicherte Position erlangte und so gewissermaßen zu einem Scharnierbegriff avancierte: Im Zusammenhang mit sozialdarwinistischen und rassistischen Geschichtsmodellen firmierte er als das Schreckbild einer unheilvollen Zukunft, die als »Kontraselektion«, »Arierdämmerung« oder »Rassetod« ihre Wirkung entfaltete. Doch insbesondere die germanische Vorzeitforschung verhieß mit ihrer Rückbesinnung auf ein mystisches Volkstum287 eine Umkehr auf diesem Weg. Das Schicksal wurde hier als eine spezifisch germanische Herausforderung gelesen und dadurch gewissermaßen handhabbar gemacht; nur im Kampf mit dem Schicksal konnte sich Heldentum erweisen, und dahin galt es wieder zurückzukehren, um auch die Herausforderungen der Gegenwart zu meistern. Insgesamt gehörte der Schicksalsbegriff der völkischen Bewegung nicht nur »in den Wortschatz des Antirationalismus und der Lebensphilosophie«,288 sondern war – wie so oft – ein Wanderer zwischen den Welten von Wissenschaft und Glaube. Damit drückte er die generelle strukturelle Ambivalenz des völkischen Diskurses, in dem Religion und Naturwissenschaft ineinander aufgingen,289 paradigmatisch aus: »Aus einem ständigen Schwanken zwischen wechselnden, paradoxen, ja widersprüchlichen Positionen erzielte er seine größten ideologischen Wirkungen. Trotz seiner wirren Widersprüchlichkeiten blieb er stets kohärent.«290 Die Verwendung des Schicksalsbegriffs war eine Möglichkeit, um zwischen den widersprüchlichen Positionen des völkischen Weltbildes eine 284 285 286 287 288 289 290

Puschner, Die völkische Bewegung, S. 41. Clason, Schlagworte, S. 5. Ebd., S. 7. Stern, Kulturpessimismus, S. 4. Clason, Schlagworte, S. 95. Ziege, Mythische Kohärenz, S. 16. Ebd., S. 9.

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überzeugende Verbindung zu stiften. Verfolgt man den Weg des Schicksalsbegriffs in einschlägigen völkischen Publikationen,291 so ergibt sich eine Argumentationslogik, in der sich sozialdarwinistisch interpretierte Evolutionstheorie, Rassenlehre, Antisemitismus, Lebensreform und Germanenideologie zu einem in sich sinnvollen Bild komponieren lassen. Dass gerade daraus auch eine völkische Handlungslogik abgeleitet werden konnte, soll in diesem Kapitel gezeigt werden.

Das Schicksal als evolutionäres Prinzip Die historische Forschung hat die völkische Rassenideologie als »Generalschlüssel zum Verständnis von völkischer Weltanschauung und Bewegung« angesehen292 und dabei immer wieder auf die umfangreiche völkische Rezeption rassentheoretischer Schriften des 19. Jahrhunderts verwiesen. Unbestritten ist jedoch auch, dass diese Rassenlehren erst über eine andere, als revolutionär empfundene naturwissenschaftliche Theorie ihre volle Wirksamkeit entfalten konnten, nämlich über Charles Darwins (1809 – 1882) Evolutionstheorie,293 die nicht allein Biologie und Anthropologie, sondern die gesamte Gesellschaft über Jahre intensiv prägte. Der Darwinismus verlieh den gängigen Rassentheorien dieser Zeit nicht nur eine scheinbar naturwissenschaftlich-empirische Grundlage, sondern stattete sie zugleich mit dem Vokabular aus, das nötig war, um die Dringlichkeit der damit verbundenen Fragen deutlich zu machen. Im Sozialdarwinismus wurde die Rasse zu derjenigen Entität, die sich im evolutionären »Kampf ums Dasein« behaupten musste.294 Die Adaption der Evolutionstheorie ging nicht ohne ihre Umdeutung vonstatten. Darwins Theorie lieferte aus verschiedenen Gründen zahlreiche Interpretationsspielräume: Seine metaphorische Sprache verleitete zu einer radikaleren Ausdeutung bestimmter Schlagworte, als Darwin selbst sie intendiert hatte. Die Rede vom »Kampf ums Dasein«, vom »Überleben des Tüchtigsten« oder von der »natürlichen Auslese« fanden aufgrund ihrer Suggestionskraft Eingang in viele gesellschaftliche Debatten, ohne dass gleichzeitig auch ihre 291 Die Quellenauswahl wurde durch die zeitgenössische Bibliografie von Rudolf Rüsten vorstrukturiert und durch einzelne Titel einschlägiger völkischer Autoren ergänzt. Ders., Was tut not?. Systematisch durchgesehen wurden die Zeitschriften »Bayreuther Blätter«, »Deutsch-soziale Blätter«, »Politisch-anthropologische Revue«, »Deutscher Volkswart«, »Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie«, »Hammer«, »Die Nornen«, »Werdandi« und »Heimdall«. 292 Puschner, Ein Volk, ein Reich, ein Gott, S. 28. 293 Leroy, Konstruktionen des Germanen, S. 91. 294 Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse, S. 105.

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wissenschaftliche Fundierung mitübernommen wurde. Das war auch den wenig sorgfältigen deutschen Übersetzungen geschuldet.295 Obwohl das eigentlich revolutionäre Moment der Evolutionstheorie darin bestand, den Naturprozess als Reihe zufälliger Mutationen zu betrachten und ihn dadurch zu entteleologisieren,296 wurde sie von völkischer Seite als Progressionstheorie interpretiert.297 Evolution bedeutete in dieser Lesart Fortschritt und Vervollkommnung, allerdings unter der Voraussetzung, dass sich die konkurrierenden Arten dem Daseinskampf gewachsen zeigten. Dementsprechend leitete die völkische Bewegung aus der Evolutionstheorie zunächst die prinzipielle Höherwertigkeit des deutschen Volkes ab, die sich ja schon dadurch erwiesen habe, dass es bis zum heutigen Tag die Spitze der Kulturentwicklung erklimmen konnte, während andere Völker zugrunde gegangen seien. Der optimistische Grundton wurde jedoch sehr bald von der Erkenntnis überschattet, dass die Deutschen dennoch unter einem permanenten Selektionsdruck standen, weil der »Kampf ums Dasein« nie einen Endpunkt erreichen würde. Von dieser Warte aus gesehen konnten alle innen- und außenpolitischen Entwicklungen und Konflikte im Kaiserreich als Ausdruck des Naturgesetzes schlechthin gedeutet werden.298 Die Darwin-Rezeption legte also den Grund für die weltanschauliche Spannung innerhalb des völkischen Lagers, das permanent zwischen Fortschrittsoptimismus und Kulturpessimismus schwankte.299 Auf der »negativen« Seite dieses Feldes gelangte der Schicksalsbegriff zu einiger Prominenz. Das völkische Geschichtsbild stellte sich unter dem Eindruck des Sozialdarwinismus folgendermaßen dar : Geschichte war strukturiert durch den gesetzmäßigen Aufstieg und Niedergang der Völker. Diese standen in einem permanenten Konkurrenzverhältnis zueinander, das keinen Ausgleich duldete: Wollte ein Volk dauerhaft bestehen, war es dazu gezwungen, sich gegenüber anderen Völkern bedingungslos durchzusetzen, ohne Mitleid, ohne Rücksicht auf Verluste. Jedes Volk musste daher für sich danach streben, die günstigsten Voraussetzungen für das eigene Leben herzustellen und zu verteidigen, indem es sich optimal an die äußeren Bedingungen anpasste. Gelang dies nicht, weil das Volk die ewigen Daseinsgesetze verkannte, so waren der Verfall und die gänzliche Auslöschung unabwendbar. »Es gibt nur zwei Lebensmöglichkeiten – auch für Nationen: die als Herr und die als Knecht. Der Beruf des Herren ist Selbstbewußtsein, Kraft und Wahrhaftigkeit. Wo sie mangeln, da ist Knechtstum das

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Engels, Charles Darwin, S. 38. Dies., Biologische Ideen, S. 23. Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse, S. 123. Geulen, Wahlverwandte, S. 170. Weingart, Kroll und Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 19.

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verdiente Los. Aber das Leben verliert nichts, wenn eine Nation von Knechten zugrunde geht. Es wird dadurch Raum für Besseres.«300 In der völkischen Lesart legte die Darwin’sche Selektionstheorie den Schluss nahe, dass das entscheidende Kriterium dieser kompromisslosen Alternative von Überleben und Untergang in den körperlichen Voraussetzungen der betroffenen Individuen lag, die über Vererbung weitergegeben wurden. »Denn organische Auslese und Vererbung beherrschen das historische Schicksal der Völker«,301 schrieb Paul von Kämpffe in der sozialdarwinistisch ausgerichteten »Politisch-anthropologischen Revue«. Hier spielte der bis zum Schluss stets mehrdeutige Begriff der Rasse302 die entscheidende Rolle, der fortan zum Synonym für das Gut wurde, das im Daseinskampf geschützt und bewahrt werden musste. In der völkischen Weltsicht wurde das Volk, das seine Rasseneigenarten am besten ausbildete und verteidigte, zum Sieger im Daseinskampf. Weil die Rasseneigenschaften trotz zahlreicher Versuche empirisch nicht klassifiziert und verifiziert werden konnten,303 verlagerten die Völkischen die Rasse ins Blut und verliehen ihr dadurch ein Zwitterposition zwischen Materialität und Mystik. Wenn vom Blut die Rede war, blieb offen, ob man von vererbbaren körperlichen Eigenschaften, religiös überhöhten Beziehungen oder von beiden gemeinsam sprach, um die Bande des Volkstums zu bestimmen.304 Auch Theodor Fritsch (1852 – 1933) vermischte diese beiden Deutungsebenen in einem Artikel seiner Zeitschrift »Hammer«: »Und heute ist das Heil unserem Geschlecht näher als je, denn wir haben eine Schicksalsmacht erkannt, die seither den Menschensinnen verborgen war, und die Heil und Verderben in ihrer Hand hält: es ist das Geheimnis der erblichen Kräfte. Nicht durch Brandopfer und Gebete bestimmt sich das Geschick des Menschen, wohl aber durch sein Blut. Mit dem Blute können dem Menschen die herrlichsten Gaben verliehen sein – oder die düstersten Leidenschaften und finstersten Verhängnisse. Im Blute wohnt die Seele, im Blute wohnt Gott – oder der Teufel. […] Die Art seines Blutes zu bestimmen, hat nun freilich keiner die Macht; es ist ein Geschenk unserer Erzeuger. Sie allein tragen die Verantwortung für die Beschaffenheit unseres Blutes – und für unser Schicksal.«

Da im Blut Vererbung und Religion, Materie und Geist zusammenflossen, wurde es zum Schicksalsträger der völkischen Ideologie. Was an diesem Zitat zugleich deutlich wird, ist die vermeintliche Ohnmacht des Einzelnen gegenüber seinen blutsmäßigen Eigenschaften. Für das Individuum schien es unmöglich, den Fritsch, Lebens-Möglichkeiten, S. 3. Kämpffe, Die politische Auslese, S. 348. Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse, S. 106. Die Bemühungen, durch Schädelmessungen verschiedene Rassetypen zu identifizieren, erwiesen sich spätesten ab der Jahrhundertwende als obsolet. Stiederle, Rassismus, S. 45 f. 304 Kipper, Der Germanenmythos, S. 303. 300 301 302 303

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vorgezeichneten Weg zu verlassen. Zugleich konnte der Einzelne für den gesamten Volkskörper zur Last werden, denn die Zusammensetzung des Blutes eines Volkes entschied in dieser Logik darüber, welchen Weg es in der Evolution einschlagen würde. Im völkischen Geschichtsbild war das der Umschlagpunkt, an dem die Schicksalsmacht des Blutes, die das Volk eigentlich zu einer positiv verstandenen Schicksalsgemeinschaft einte, ins Negative umschlug. Die Konzentration auf Blut und Vererbung hatte zur Folge, dass die Rasse nicht allein durch den Druck anderer Völker, sondern auch durch Verfallserscheinungen im Inneren bedroht erschien. Die biologische Qualität der nationalen Gemeinschaft geriet in den Fokus.305 Ein Mangel an Rassebewusstsein wurde als das Produkt der verweichlichenden Umstände von Kultur und Zivilisation gedeutet. Das deutsche Volk erschien von dieser Warte aus gerade dank seiner gegenwärtigen Kulturhöhe als permanent gefährdet. Die gesellschaftlichen Entwicklungen im Kaiserreich mussten den sensiblen Beobachter »mit Grauen und Angst um das Schicksal unserer weißen Rasse und deren Kultur erfüllen. Kaum je ertönt ein Ruf der Warnung; und immer wieder sieht der Beobachter um sich herum Leute in ahnungsloser Blindheit ins Verderben gehen und mit ihrer Nachkommenschaft in den Abgrund des Rasseverfalls sinken.«306 Parallel zum »Vorzeichenwechsel« der Evolutionstheorie wandelte auch der Schicksalsbegriff seine positive Konnotation. Gerade weil »der Nornen Lose im Blute kreisen«,307 konnte das Schicksal von einer Heils- zu einer Untergangsphantasie werden, die den Völkischen jederzeit drohend vor Augen stand. Deswegen häuften sich nach 1900 die Stimmen, die davor warnten, auf dem bisher eingeschlagenen Weg weiterzugehen, ohne den Abgrund zu sehen, auf den das deutsche Volk vermeintlich zuraste. Zahlreiche Artikel im »Hammer« warnten diejenigen, die sich »einem selbstgefälligen Optimismus« verschrieben: »Die Geschichte zeigt immer wieder, wie diejenigen, die sich dauernd einem leichtsinnigen Freudenrausch hingaben und von der eigenen Herrlichkeit und Unfehlbarkeit so fest überzeugt waren, plötzlich unter die Räder des rollenden Schicksals gerieten und erst aus ihrem Taumel erwachten, wenn es zu spät war.«308

Der evolutionäre Weltmechanismus, der den Deutschen noch einige Jahre zuvor eine glänzende Zukunft verheißen hatte, zeigte sich als Schicksal von seiner grausamsten Seite. Anhand aktueller Geburtsstatistiken war der Degenerationsprozess nicht eindeutig nachweisbar,309 weswegen der Blick über die deutschen Grenzen zu 305 306 307 308 309

Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse, S. 105. Prosoroff, Die Rassezucht, S. 487. o. A., Karl Konrad, S. 605. o. A., Deutsche Zukunft?, S. 145. Weingart, Kroll und Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 77.

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einer gebräuchlichen Ersatzstrategie wurde, um den Deutschen ihre mögliche Zukunft vor Augen zu führen. Angebliche Entartungserscheinungen anderer europäischer Länder wurden in zahlreichen völkischen Publikationen in den düstersten Farben geschildert, um jedes Mal wieder mit erhobenem Zeigefinger darauf hinzuweisen, dass man an der »tiefgehenden Entartung« der Portugiesen »den entscheidenden Einfluß der Rasse auf das Schicksal der Nationen« sehen könne,310 dass Deutschland »sicher dasselbe Schicksal erleiden [werde], wie die absterbenden Franzosen,«311 dass »wir uns davor hüten [müssen], dem gleichen Schicksal zu verfallen« wie England, das »innerlich am Vermorschen« ist,312 dass man handeln müsse, damit »die Nation [nicht] das beklagenswerte Schicksal der alten großen Naturvölker ereilen soll«.313 Insgesamt gab es nur wenige, die den vermeintlich drohenden Untergang gelassen hinnahmen, weil sie ihn als den Ausdruck eines unabänderlichen Gesetzes akzeptierten. Solche Sozialdarwinisten des Status quo314 vertrauten auf die sich selbst regulierenden Kräfte der Evolution, die sich durch menschliches Handeln nicht manipulieren ließen. Für sie bewies der aktuelle Weltzustand lediglich, dass die Evolutionsgesetze den »Tüchtigen« emporhoben, während sie den Schwächeren untergehen ließen, und so enthielten sie sich jedes moralischen Urteils über den Lauf der Weltgeschichte. Den Schicksalsbegriff verwendeten diese Autoren weniger emotional, ja geradezu lakonisch, wie beispielsweise der Soziologe Otto Ammon (1842 – 1916), der die Selektionstheorie auf wirtschaftliche Prozesse projizierte.315 So relativierte er die zahlreichen Konkurse in der Folge des Gründerkrachs mit den Worten: »Gewiß, das Schicksal besitzt oft eine harte Hand, und diejenigen, die es trifft, sind zu bemitleiden. Aber die Konkursverzeichnisse sind eben die Verlustlisten im Kampf ums Dasein, daran ist nichts zu ändern. Im Kampfe geht es niemals ohne Opfer ab.«316 Im Gegensatz zu Ammon, für den das Schicksal zwar etwas individuell Bedrohliches hatte, aber ansonsten durch und durch natürlich war, waren die meisten völkischen Anhänger des Darwinismus in höchster Alarmbereitschaft, weil sie in den Tendenzen der Gegenwart die natürlichen Auslesemechanismen gerade nicht aktiv, sondern außer Kraft gesetzt sahen.317 Denn Darwins Evolutionslehre implizierte selbst noch Elemente der älteren Biologie, die mit dem

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o. A., Das politisch-anthropologische Moment, S. 434. Weka, Schlimme Vorboten, S. 50. o. A., Der Rassen-Verfall, S. 59. Rüdin, Rezension zu R. Kossmann, S. 456. Sieferle, Die Krise, S. 123. Ammon, Der Darwinismus, S. 90. Ammon, Die Gesellschaftsordnung, S. 199. Weingart, Kroll und Bayertz, Rasse, Blut und Gene, S. 17.

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Darwinismus eigentlich nicht kompatibel waren.318 Insbesondere die Lamarck’sche Theorie, dass bestimmte Eigenschaften, die im Laufe eines Lebens erworben worden waren, unmittelbar an die Nachkommenschaft vererbt werden konnten, widersprachen den Darwin’schen Prämissen einer ziel- und richtungslosen Evolution, die sich allein durch die natürliche Selektion vollzog. Dennoch war der deutsche Sozialdarwinismus in vielen seiner Ausprägungen eher ein Soziallamarckismus, weil zahlreiche Publizisten davon ausgingen, dass die Umwelt direkt auf das Erbgut eines Menschen einwirkte und es verändern konnte.319 Unter diesen Vorzeichen machte es Sinn, die »Entartung« aus ungesunden Lebensumständen zu erklären. Tatsächlich eröffnete diese Interpretation zahlreiche Handlungsspielräume für Sozial- und Rassenhygieniker : Wollte man die Degeneration des Volkes abwehren, galt es, Lebensbedingungen zu schaffen, unter denen »hochwertige« Menschen gedeihen konnten. Zudem konnte dem Einzelnen seine besondere Verantwortung für die Entwicklung des Volkes bewusst gemacht werden. Denn derjenige sei ein »Hochverräter im Kampfe der Menschheit um ihren Aufstieg«, der durch ein leichtsinniges Verhalten körperliche oder geistige Behinderungen seiner Nachkommenschaft verursachte. »Daß es für diese Sünde […] keine Vergebung gibt, beweist das unabwendbare Schicksal entarteter Menschenfamilien und Völker. Diesen Pflichtbegriff, diese Verantwortlichkeit für die Hochzüchtung der eigenen Nachkommenschaft halte ich für das Wesentliche der Ethik gerade unserer Zeit.«320 Der Soziallamarckismus, wie er sich hier in einer Rede des Studentenführers Hermann Martin Popert (1871 – 1932) äußerte, verhieß also gerade durch die Möglichkeiten der modernen Bevölkerungshygiene einen Ausweg aus dem Schicksal des Untergangs. Unter rein darwinistischen Vorzeichen stellte sich der Blick auf die Gegenwart jedoch ganz anders dar. Waren viele Völkische davon überzeugt, dass sich das deutsche Volk aufgrund seiner spezifischen rassischen Qualität im »natürlichen« Daseinskampf standhaft behaupten würde, so wurde diese Gewissheit unter den Bedingungen der Gegenwart zunehmend in Zweifel gezogen. Denn was passierte, wenn die Umweltbedingungen dazu führten, dass nicht die qualitativ Besten, sondern tatsächlich nur die Angepassten den Kampf ums Dasein für sich entschieden, weil bestimmte Stärken und Kompetenzen in der Moderne einfach nicht mehr gebraucht wurden?321 Die Forschungsergebnisse des Evolutionsbiologen August Weismann (1834 – 318 319 320 321

Engels, Charles Darwin, S. 41. Siehe dazu ausführlich: Sieferle, Die Krise, S. 65 – 67. Popert, Was will unsere Zeit, S. 8 f. Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse, S. 121.

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1914) legten den Schluss nahe, dass unter bestimmten ungünstigen Umständen ganze Völker degenerieren konnten, gerade weil der natürliche Selektionsdruck sich verlagerte beziehungsweise ganz wegfiel.322 Unter den Voraussetzungen des modernen Lebens konnten also plötzlich die Menschen überleben, die unter natürlichen Bedingungen eigentlich zum Sterben verurteilt waren.323 Dieser Prozess der Kontraselektion gab dem Kulturpessimismus der Völkischen neue Nahrung und bestärkte sie in ihrem generellen Unbehagen gegenüber den »Errungenschaften« der Moderne. Die Großstadt rückte vor diesem Hintergrund sehr schnell in das Fadenkreuz der völkischen Publizisten. Ihr Antiurbanismus, der sich noch unter soziallamarckistischen Voraussetzungen in der Vermutung geäußert hatte, dass sich das Erbmaterial des Einzelnen unter großstädtischen Einflüssen dauerhaft verschlechtere, gewann erst unter den Prämissen des Weismann’schen Neodarwinismus eine vermeintlich solide wissenschaftliche Basis. Die Kontraselektion sollte folgendermaßen vonstattengehen: Durch das leere Versprechen besserer Zukunftsmöglichkeiten ziehe die Großstadt die Begabtesten vom Land ab und richte sie unter den dortigen Lebensbedingungen langsam aber sicher zugrunde. Der Verschleiß der Besten des Volkes, der bald nicht mehr durch die Landbevölkerung ersetzt werden könne, korreliere mit der Schonung »minderwertiger« Geschöpfe. Weil unter den urbanen Bedingungen durch Sozialpolitik und Bevölkerungshygiene die natürlichen Selektionsmechanismen außer Kraft gesetzt seien, könnten die potenziell Schwachen nicht nur überleben, sondern sich gleichzeitig auch noch vermehren. Diese »Panmixie« auch mit »rassisch wertvolleren« Individuen musste zwangsläufig eine stetige Degeneration der Gesamtbevölkerung nach sich ziehen, welche auf lange Sicht gesehen im Daseinskampf mit jungen »Barbarenvölkern« nicht mehr bestehen konnte. So erwiesen sich alle Versuche, die Lebensqualität der unteren Schichten zu heben, als ein Verstoß gegen die Gesetze der Evolution. Otto Ammon merkte deshalb an: »Die mit so heißem Bemühen erstrebte Erhöhung der Lebenshaltung macht uns nicht bloß auf vielen industriellen Gebieten wettbewerbsunfähig, sondern vermittelt unmittelbar unsere Volkszunahme und droht später eine Volksabnahme herbeizuführen, sodaß die unteren sozialen Schichten durch ihre Hebung dem nämlichen Schicksale des Aussterbens verfallen müssen, von dem die höheren bereits ereilt sind.«324 Die Entdeckung der Kontraselektion durch Weismanns Modifizierung der Darwin’schen Theorie hatte also gewichtige ideologische Konsequenzen, da erst sie den eigentlichen Sozialdarwinismus möglich machte: »Wenn die Evolution 322 Weismann, Über den Rückschritt, S. 1 – 30. 323 Sieferle, Die Krise, S. 84 f. 324 Ammon, Die Gesellschaftsordnung, S. 237.

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allein durch Selektion vermittelt ist, nicht durch Vererbung erworbener Eigenschaften, haben Milieuveränderungen grade eine umgekehrte Wirkung. Eine Umwelt, die das Leben leicht und angenehm macht, führt durch Panmixie zur Degeneration des Erbguts […].«325 Jeder Einzelschritt dieses rassischen Verfalls durch die Moderne wurde in der Sprache der Völkischen in den Schicksalsbegriff gekleidet. Der Arzt Albert Reibmayr warnte davor, dass ein »ruinierter Bauernstand« und ein durch die Arbeit in der Fabrik dauerhaft geschädigter Mittelstand nie wieder ersetzt werden könnten, mit der Folge, dass »ein Siechtum und damit endliche Ausmerzung aus dem Wettkampfe der Völker […] das unabwendbare Schicksal davon« seien.326 Auch die Geschichte hatte erwiesen, dass aufstrebende Kulturvölker, welche die Gesetze der Kontraselektion nicht beherzigten, dem Untergang geweiht waren. In seiner preisgekrönten Schrift »Vererbung und Auslese« schrieb der Rassenhygieniker Wilhelm Schallmayer (1857 – 1919): »Wenn also Kulturvölker sich nicht durch eine entsprechende Auslese ihre generative Ausrüstung für die Erfordernisse des Kulturlebens bewahren und steigern, so können sie auf die Dauer nicht dem Schicksal entgehen, von sogenannten jüngeren Völkern verdrängt zu werden, d. h. von solchen, die noch nicht so lang dem entartenden Einfluß gewisser die Auslese störender sozialer Einrichtungen ausgesetzt gewesen sind wie die ›gealterten‹ Völker […]. Diesem Schicksal sind bisher fast alle Kulturvölker verfallen, welche die Geschichte kennt.«327

In einem »Hammer«-Aufsatz zum »Schicksal der Großstädte« ließ sich ein anonymer Autor gegen das dort verwurzelte kapitalistische System aus und prognostizierte, dass »das Schicksal der Großstädte schließlich auch zum Schicksal des ganzen Landes« werde. Er sah den einzigen Ausweg darin, das Ausbluten der Landbevölkerung durch die Städte zu verhindern: »Das Verhängnis könnte heute nur noch abgewendet werden, wenn man die einseitige Begünstigung des städtischen Erwerbs, die Bevorzugung des Handels und der Industrie einschränkte und dafür dem ländlichen Leben mehr Gunst zuwendete. So könnte der Massen-Zuzug nach der Stadt zwar nicht plötzlich gehemmt, aber allmälig in ein gemäßigtes Tempo übergeführt werden, was sowohl von den Städten wie von dem Lande das schlimmste Schicksal abwenden könnte.«328

Trotz der Handlungsperspektive, die in diesem letzten Zitat aufgezeigt wurde, spiegelte sich in der völkischen Zivilisationskritik ein weitverbreitetes Ohnmachtsgefühl wider, das gerade in der Explikation durch den Schicksalsbegriff schärfere Konturen gewann. In dem Augenblick, in welchem die Suggestion, 325 326 327 328

Sieferle, Die Krise, S. 86. Reibmayr, Zur Entwicklungsgeschichte, S. 24. Schallmayer, Vererbung und Auslese, S. 253. o. A., Das Schicksal der Großstädte, S. 245.

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dass sich das deutsche Volk ebenso wie die gesamte Menschheit in einem unaufhörlichen Aufstiegs- und Fortschrittsprozess befinde, durch die Erkenntnis ersetzt wurde, dass sich mit dem zivilisatorischen Fortschritt die am höchsten stehende Rasse selbst ausmerzte,329 wurde den Völkischen mit einem Schlag die inhärente Grausamkeit der Evolutionsgesetze bewusst. Das Grundprinzip der Naturgeschichte lautete: »Man kann sagen, daß das Schicksal den Menschen hoch emporhebt, um ihn durch einen tiefen Sturz zu zerschmettern«.330 Der Schicksalsbegriff brachte den scheinbar unentrinnbaren Teufelskreis vom Aufstieg und Niedergang der Völker und die damit verbundene existenzielle Angst vor der völkischen Apokalypse auf eine einprägsame Formel: Durch die Errungenschaften der Moderne schaufelte sich das deutsche Volk das eigene Grab. Indem es die natürlichen Selektionsmechanismen in der Stadt vorübergehend ausschaltete, machte es sich auf lange Sicht untauglich für den Kampf ums Überleben. Tatsächlich offenbarte sich in diesem Dilemma die Fatalisierung der Moderne, die Odo Marquard erst für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts diagnostiziert hat. Über die Rezeption und Umformulierung des Darwinismus am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die umfangreiche Krise der menschlichen Natur offensichtlich,331 die sich erst durch die intendierte Abkoppelung von der Natur vollziehen konnte. Zuletzt wurde man immer wieder von den ewigen Daseinsgesetzen eingeholt beziehungsweise auf sie zurückgeworfen. Dem Schicksal konnte niemand entrinnen. In letzter Konsequenz war dieses Eingeständnis ein Rückfall auf die materialistischen Positionen, die von den Völkischen vordergründig immer radikal bekämpft worden waren.332 Der Arzt Ernst Grysanowski (1824 – 1888) beschrieb den komplexen Zusammenhang aus Modernitätskritik, materialistischer Wissenschaft und Unausweichlichkeit des Schicksals 1882 in den »Bayreuther Blättern« klarsichtig und selbstkritisch, wenn er die Selbstermächtigung des Menschen durch die Wissenschaft als zwangsläufige Inthronisation des Schicksals interpretierte: »Und so wären wir glücklich wieder bei der alten t}wg, Lo?qa, )m\cjg angelangt, von der der Mensch in seiner historischen Kindheit ausgegangen war. Sich als des eignen Schicksals Schmied zu fühlen, war ein königliches Bewusstsein, hinterher aber finden zu müssen, dass dieses Schmieden nur ein automatischer Prozess ist, demüthigend und verwirrend!«333

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Puschner, Die völkische Bewegung, S. 119. Ammon, Die Bedeutung des Bauernstandes, S. 17. Sieferle, Die Krise. Geulen, Wahlverwandte, S. 172; Breuer, Gescheiterte Milieubildung, S. 997. Grysanowski, Die Epidemien, S. 130.

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So fanden sich die Anhänger sozialdarwinistischen Gedankenguts sehr bald an die Ketten der Evolutionsgesetze geschmiedet, eine Situation, die sie in ihrer eigenen Logik zu einer Entscheidung zwischen progressivem Zukunftshandeln und einem als anachronistisch empfundenen Humanitätsideal drängte. In dem Bemühen, »dem Fatum […] Grund und Boden [abzugewinnen]«,334 indem man seine Gesetze wieder zu ihrem Recht kommen ließ, entstanden die Ideen von Rassenhygiene und Eugenik als dem modernen technokratischen Mittel, um die gesamte Menschheit zu einer positiven Evolution zurückzuführen.335 In der Praxis äußerte sich dieses Bestreben ganz konkret in der Forderung, zurück zur Natur zu gehen, weshalb die völkische Bewegung vorübergehende oder langfristige Allianzen mit den Lebensreformern einging. Erschien die Stadt als »Massenmörder des Volkstums«,336 so sollten in ihr diejenigen untergehen, die es in dieser Logik ohnehin nicht wert waren, weiterzubestehen. Die Besten mussten auf dem Land gehalten oder ihm gezielt zugeführt werden, um sich hier im Kampf ums Dasein zu bewähren und dauerhaft zu verbessern. In den völkischen Siedlungsprojekten gewann diese Utopie Realität, sodass Theodor Fritsch 1911 schreiben konnte: »Die Gesunden sind dabei, sich von der infizierten Masse abzusondern, diese in den Fäulnisherden der Großstädte ihrem Schicksal zu überlassen, und abseits, […] am Busen der ewigen jungen Natur ein neues, ungefälschtes Leben zu beginnen.«337 Die Perspektive eines Neuanfangs unter der Berücksichtigung sozialdarwinistischer Prämissen korrespondierte mit rassischen Züchtungsplänen, die ihre Legitimation aus den zahlreichen Rassentheorien des 19. Jahrhunderts schöpften. Die völkische Angst vor dem Schicksal speiste sich nämlich nicht allein aus der Perspektive einer evolutionären Kontraselektion. Ihr zweiter Ursprungsort ist in rassischen Überlegungen Gobineau’scher Prägung zu finden, die sich zunächst unabhängig vom Darwinismus entwickelten, aber erst unter dessen Eindruck eine Massenwirksamkeit entfalten konnten.338 Seit den 1890er-Jahren befruchteten sich Sozialdarwinismus und Rassismus gegenseitig,339 und tauschten – ohne vollkommen ineinander aufzugehen – fortan Befürchtungen, Zielvorstellungen, Lösungsmöglichkeiten und Schlagworte aus. Eines davon war die Angst vor dem Schicksal.

334 335 336 337 338 339

Ebd., S. 134. Zumbini, Die Wurzeln des Bösen, S. 413. Puschner, Die völkische Bewegung, S. 115. Fritsch, Kelten und Hebräer, S. 33. Leroy, Konstruktionen des Germanen, S. 91. Kelly, The Descent of Darwin, S. 106.

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Der Schicksalsbegriff der völkischen Bewegung

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Der Schicksalsbegriff der Rassentheorie Unter jenen warnenden Stimmen, die den Niedergang der eigenen Rasse prophezeiten, finden sich als radikalste Vertreter die Anhänger der Rassenlehre des Grafen Arthur de Gobineau (1816 – 1882). Er hatte in den 1850er-Jahren in seinem »Essai sur l’inegalit¦ des races humaines«,340 der erst nach der Jahrhundertwende durch Ludwig Schemann (1852 – 1938) ins Deutsche übersetzt wurde,341 eine pessimistische Geschichtsphilosophie entwickelt, welche die ständige Vermischung der Rassen zum Movens der Geschichte und gleichzeitig zu ihrer Untergangsbedingung erklärte. Wie zahlreiche andere Rassentheoretiker des 19. Jahrhunderts wollte auch Gobineau aufzeigen, dass die Existenz bestimmter rassischer Typen das »reale biologische Substrat« der Geschichte bildete, von dem aus der Tiefe heraus die »Oberflächenbewegungen der historischen Wirklichkeit gesteuert wurden«.342 In seiner Theorie hatten sich aus einer menschlichen Ursprungsrasse drei Sekundärtypen herausgebildet, die sich in ihren äußeren Erscheinungen und inneren Eigenschaften nicht nur grundsätzlich unterschieden, sondern zwischen denen auch ein qualitatives Gefälle existierte. Der Gang der Geschichte wurde nach Gobineau nun durch die fortwährende Vermischung dieser Ursprungstypen bestimmt, und zwar zunächst durch die Herausbildung sogenannter Tertiärrassen, an deren Spitze die Arier stünden, die durch die Mischung miteinander immer weiter degenerierten, bis die Geschichte ihr Ende im Rassenchaos fand. Der Auf- und Niedergang der Völker wurde durch Gobineau mit verschiedenen Modi der Rassebegegnungen erklärt: Hochkulturen seien immer dadurch entstanden, dass Völker der weißen Rasse minderwertige Völker besiegt und beherrscht hätten, weil gerade das qualitative Spannungsmoment zu Höchstleistungen in der Zivilisation und Kultur angeregt habe. Unvermeidlich habe die Kreuzung von Herren- und Knechtsrasse jedoch die Degeneration eingeläutet, da sich eine elitäre Minderheit gegenüber einer niederen Mehrheit nur schwerlich behaupten könne. Die daraus folgende Blutverdünnung habe die Stärken der höherwertigen Rasse unterminiert und nivelliert, das Resultat sei ein kultureller Stillstand gewesen, der stets zum Untergang der Hochkultur geführt habe. Gobineau sah diesen Verlauf der Weltgeschichte als unvermeidlich und irreversibel an. Insbesondere das Kulturpotenzial der Arier war unter dieser Perspektive nur dazu entstanden, um im Laufe der Zeit verschlissen zu werden. In jedem Fall konnte diesem sich mechanisch vollziehenden Prozess nichts 340 Gobineau, Essai sur l’inegalit¦. 341 Ders., Versuch über die Ungleichheit. 342 Sieferle, Die Krise, S. 130.

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entgegengesetzt werden, sodass Schemann Gobineaus Welt- und Geschichtssicht immer wieder unter Zuhilfenahme des Schicksalsbegriffs übersetzte: »Das Schicksal der Civilisationen vollzieht sich nicht aufs Geratewohl, es hängt nicht von einem Wurfe ab«,343 sondern es entwickelte sich nach Gesetzen, die »der Gewalt des freien Willens« entzogen seien und »ihre Wirkungen mit einer durch Nichts zu störenden Unabhängigkeit und Unbeeinflußbarkeit hervorbringen«.344 In der Anwendung der Gesetze, welche die Rassenmischung hervorbrachten, trete demnach »unbedingt ein Walten von Vorsehung und Schicksal hervor«.345 Dieses Schicksal hatte die »vollkommene Erniedrigung unserer Gattung« zum Ziel,346 die zwar an sich ferneren Generation vorbehalten war, aber gleichwohl auch bei den Gegenwärtigen einen »geheimen Schauder« auslösen könne, weil »die räuberische Hand des Geschickes schon auf uns gelegt ist«.347 Obwohl Gobineaus spezifische Rassentheorie von seinen Zeitgenossen kaum, von der deutschen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts nur vereinzelt und in Teilen rezipiert worden ist,348 fand seine Degenerationsangst, die sich auf einer zunehmenden Rassenmischung gründete, in zahlreiche völkische Publikationen Eingang.349 Freilich musste diese Rassentheorie für eine sinnvolle Adaption an entscheidenden Stellen modifiziert werden: Gobineaus übernationaler Standpunkt wurde in einen deutschen Standpunkt umgedeutet, indem Gobineau selbst zum Angehörigen des deutschen Kulturkreises stilisiert und seine arisch-germanische Rasse unumwunden mit den Deutschen identifiziert wurde.350 In sämtlichen Gebieten des deutschen Gesellschaftslebens konnten verschiedene Autoren nun die »Wahrheit« der Gobineau’schen Rassentheorie ergründen. Das galt für die Arbeitsmigration genauso wie für das Erziehungswesen und das gesellschaftspolitische System. In den »Deutsch-Sozialen Blättern« beispielsweise sah Rudolph Vogel der »Proletarisierung« der Bevölkerung mit wachsendem Misstrauen entgegen. Er führte diese Tendenz auf »die Unmassen fremder Elemente« zurück, »die heute unser heimisches Volkstum durchsetzen und bereits in gefahrdrohender Weise zersetzen«. Wenn man den »unaufhaltsamen Zustrom fremdrassiger, niedrigkultivierter Massen« nicht aufhalte, so sei »das Schicksal unser[e]s Volkes und Volkstums besiegelt«.351 Der Publizist Gobineau, Versuch über die Ungleichheit, Bd. 1, S. 44. Ders., Versuch über die Ungleichheit, Bd. 4, S. 299. Ebd., S. 132. Ebd., S. 322. Ebd., S. 323. Sieferle, Die Krise, S. 140. Zusammengefasst bei: Wolzogen, Über die Ungleichheit, S. 42. So, wie es Ludwig Schemann auch in seinem Übersetzungswerk tat: Hein, ›Es ist viel ›Hitler‹ in Wagner‹, S. 69 f. 351 Vogel, Möller hat gesprochen!, S. 472.

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Der Schicksalsbegriff der völkischen Bewegung

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Heinrich Driesmans (1863 – 1927), Mitglied der »Gobineau-Gesellschaft«, wies darauf hin, dass das derzeitige Schulsystem Schüler »rein deutschen Typus« benachteilige und stattdessen die Kinder fremdrassigen Blutes befördere. So spiele »sich schon auf der Schulbank ein ähnliche Tragödie« ab, wie sie Gobineau »in der Weltgeschichte am Schicksal der germanischen Stämme« gezeigt habe. Es sei evident, »daß dieses ›Germanenschicksal‹ sich noch bis heute, bis in unsere innersten deutschen Lebens- und Familienverhältnisse fortsetzt, nämlich eine unmerkliche, stillschweigende Ausscheidung des deutschen Typus und seine Ersetzung durch ein anderes fremdes Rassenblut«.352 In ebendiesem Sinne forderte Otto Schmidt-Gibichenfels (1861 – 1933) in der »Politisch-anthropologischen Revue« eine »Neuordnung des Adelsstandes nach biologischen Gesichtspunkten«, weil die »wahllose Vermischung« auf eine »Verpöbelung und Verbanausung der gesamten Gesellschaft hinauslaufen« werde. »Wenn die heutige Gesellschaft diesem Schicksale nicht in überraschend kurzer Zeit völlig verfallen will«, müsse sie die ehemalige ständische Gliederung der Gesellschaft wieder herzustellen versuchen.353 Was alle diese Äußerungen über die Konsequenzen der Rassenmischung einte, war, dass sie aus der scheinbaren Ausweglosigkeit, die der Schicksalsbegriff transportierte, zukünftige Maßnahmen ableiteten, die den Eintritt des befürchteten Schicksals verhindern sollten. Der Schicksalsbegriff wirkte in diesem Sinne als ein Stimulus der Tat, die in konkreten politischen Maßnahmen gegen die Rassenmischung und ihre antizipierten Konsequenzen gipfeln sollte. In dieser spezifischen Lesart stand dem Schicksalsbegriff als Gegenbegriff die Rassenreinheit gegenüber, die zu einem erstrebenswerten Ziel avancierte. Diejenigen Völker, die sich nicht an diesen Grundsatz hielten, würden, so war man überzeugt, schon noch »die Zuchtrute des Schicksals«354 kennenlernen. Die völkische Gobineau-Rezeption und -Interpretation sah nicht nur geflissentlich über die wissenschaftlichen Mängel seiner Rassentheorie hinweg, die auch durch die Erkenntnisse der Evolutionstheorie bestätigt wurden, sondern auch über den fatalistischen Zug, der dem »Essai sur l’inegalit¦« zweifelsohne innewohnte. Dennoch wurde dieser besonders stark von denjenigen empfunden, die nicht die Rassenmischung, sondern die Übel der Zivilisation für den drohenden Niedergang der Deutschen verantwortlich machten. Die Autoren des »Hammer« beispielsweise lehnten Gobineaus Rassentheorie überwiegend ab, weil in ihr keine Handlungsperspektive aufgezeigt und stattdessen Fatalismus

352 Driesmans, Die Bedeutung der Rassenforschung, S. 97. 353 Schmidt-Gibichenfels, Die Neuordnung, S. 402. 354 Kraus, Zur politischen Geschichte, S. 306.

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propagiert werde.355 Walther August Gottfried Kabel (1878 – 1935) verurteilte dementsprechend die Ansicht, »daß das Germanentum […] hauptsächlich in Folge der Rassenmischung [untergehe], weil der Mischling vorwiegend nach der niederen Rasse schlage. […] Wäre diese Anschauung richtig, dann möchte man jenen Fatalisten Recht geben, die die Hände in den Schoß legen und den Niedergang unseres Volkstums für unabwendbar halten – ›Fatalismus der Vererbung‹ nennen es die ›Grundzüge der Erneuerungsgemeinde‹.«356

Und mit dem Hinweis auf die Erneuerungsgemeinde zeigte Kabel den aus seiner Sicht folgerichtigen Ausweg aus dem vermeintlichen Fatalismus der GobineauVerehrer auf: Den Versuch, durch die Abkehr von der Zivilisation und ihren Gefährdungen der Rasse die Bedingungen für die rassische Höherentwicklung zu schaffen – wie sie ja dann auch in den einzelnen Beispielen völkischer Siedlungsbewegungen umgesetzt werden sollte. Hier war man also spätestens wieder bei sozialdarwinistischen Überlegungen angelangt. In den Maßnahmen der Eugenik gingen Rassentheorie und Sozialdarwinismus Hand in Hand, um das vermeintliche Schicksal der »Entartung« abzuwenden. In diesem Schulterschluss einigte man sich auch bald auf einen gemeinsamen Feind, der das Unheil der Rassenmischung und der Moderne gleichermaßen personifizierte: Den Juden wurde eine perfide Doppelstrategie unterstellt: Einerseits galten sie als Vertreter einer fremden Rasse, die sich unbemerkt in das deutsche Volk eingeschlichen hatte und sich sexuell mit ihm vermischte, um es zu verderben. Andererseits wurden sie als Repräsentanten all der modernen Erscheinungen betrachtet, die den Völkischen so verhasst waren und das deutsche Volk widerstandslos gegen die darwinistischen Selektionsmechanismen machte. Unter diesem zweifachen Blickwinkel wurden die Juden zum »Schicksal des deutschen Volkes« erklärt.

Der jüdische Griff in das »deutsche Schicksal« Die Juden wurden in Teilen der völkischen Publizistik des Kaiserreichs zur Projektionsfläche aller Gegenwarts- und Zukunftsängste, die sich – je nach Bedarf und Situation – an Kapitalismus, Sozialismus, Atheismus, Materialismus, Kosmopolitismus und vielen anderen Erscheinungen der Moderne aufluden.357 Obwohl der Antisemitismus vielleicht nicht das Herzstück der völkischen Bewegung bildete, besetzte er eine bedeutende Rolle in der völkischen Program355 Breuer, Die Völkischen, S. 117 f. 356 Weka, Rassentod, S. 47 f. 357 Bergmann, Völkischer Antisemitismus, S. 450.

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Der Schicksalsbegriff der völkischen Bewegung

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matik.358 Es ist umstritten, ob die »Heterogenität der antisemitischen Bewegung mit ihren extremen Gegensätzen erst das Spannungsfeld erzeugt hat, in dem sich der völkische Nationalismus konstituiert hat«,359 oder ob der rassenorientierte Antisemitismus im Gegenteil die Konsequenz der Verschränkung von Rassendiskurs und völkischem Nationalismus war, weil dieser seiner inneren Logik folgend einer »Gegenrasse« bedurfte.360 Fakt ist, dass nicht nur zahlreiche personelle Verbindungslinien, sondern generelle ideologische Affinitäten die wechselseitige Durchdringung völkischen und antisemitischen Gedankenguts beförderten, sodass völkische Bewegung und Antisemitismus spätestens um 1890 über den Volks- und Rassebegriff zueinander fanden.361 Tatsächlich gibt es kaum eine völkische Schrift, in der die »Judenfrage« nicht zumindest am Rande eine Rolle spielt. Diese Verbindung lässt sich an der Verwendung des Schicksalsbegriffs im völkischen Diskurs sehr präzise nachverfolgen. Haben wir oben bemerkt, dass der Schicksalsbegriff als Untergangsphantasie einer diffusen Gegenwarts- und Zukunftsangst einen Namen gab, so verlieh ihr der Bezug zum Judentum ein personalisiertes Antlitz. In der völkischen Rhetorik griffen die Juden nicht nur nach der Weltmacht, sondern explizit nach dem Schicksal, wenn sie es nicht sogar personifizierten. Dieser Vorwurf ging in den meisten Fällen über eine bloße Polemik hinaus. In der völkischen Vorstellung offenbarte sich im jüdischen Griff nach dem Schicksal der Völker ein unumstößliches Weltgesetz, das durch zahlreiche historische Verweise belegt werden konnte. Ein sehr frühes Beispiel für die Verknüpfung des Schicksalsbegriffs mit dem völkisch-antisemitischen Diskurs findet sich in Wilhelm Marrs (1819 – 1904) Broschüre »Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum« (1879), in der das Verhältnis zwischen Juden und Germanen als ewiger Daseinskonflikt geschildert wird. Marrs vielgelesene Schrift362 ist von tiefem Pessimismus geprägt, meinte er doch in den Zeichen der Zeit die komplette »Verjudung« der Gesellschaft und damit die endgültige Niederlage der Deutschen erblicken zu können. Vorausgegangen war diesem Zustand ein von vornherein aussichtsloser Kampf. »Dem Semitismus gehört die Weltherrschaft! […] Nur keine Heuchelei mehr zwischen uns. Ein weltgeschichtliches ›Fatum‹ – so möchte ich es nennen – hat uns gleich Gladiatoren der Kulturgeschichte in die Arena gebracht.«363

Puschner, Die völkische Bewegung, S. 15, 55. Breuer, Die Völkischen, S. 28 f. Geulen, Wahlverwandte, S. 196. Bergmann, Völkischer Antisemitismus, S. 449. »Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum« hatte eine Gesamtauflage von ca. 20.000 Stück: Ders., Ein ›weltgeschichtliches Fatum‹, S. 70 f. 363 Marr, Der Sieg des Judenthums, S. 46.

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Und dieses »Fatum« habe Juden und Germanen mit ungleichen Waffen ausgestattet. Denn während die Germanen die Juden mit Gewalt zu vernichten versucht hätten, seien diese »ohne Schwertstreich« zu Siegern im »Völkerkampf« geworden; sie hätten die Germanen durch ihre wirtschaftliche Superiorität besiegt.364 Insofern verstand Marr die »Judenfrage« als eine soziale Frage: Da sie dem Kapitalismus mit all seinen Übeln zum Durchbruch und zur Herrschaft verholfen hätten, trügen die Juden die Verantwortung für die Spaltung der Gesellschaft, für das Erstarken der Sozialdemokratie, sodass »Herr von Sem« insgesamt »das ›Fatum‹ unseres sozialpolitischen Daseins« repräsentiere.365 Marrs Schicksalszuschreibung war in diesem Falle zweideutig: Die Juden waren nicht nur vom Schicksal begünstigt, sie gingen in ihm auf und wurden eins mit ihm. Ihrer Macht schienen keine Grenzen gesetzt. Zugleich waren auch sie nur Symbol für einen Prozess, der längst unumkehrbar war. Die soziale Verfassung der Gesellschaft war dem Untergang geweiht, so war es in der Weltgeschichte vorherbestimmt. Selbst die antisemitische Bewegung konnte nichts dagegen ausrichten. Marr selbst zog sich, zumindest rhetorisch, auf den Standpunkt des Stoikers zurück,366 der das Schicksal erleidet, ohne ihm etwas entgegenzusetzen. »Finden wir uns in das Unvermeidliche, wenn wir es nicht ändern können. Es heisst: Finis Germaniae.«367 Tatsächlich war Marr als »Patriarch des Antisemitismus«368 weniger schicksalsergeben, als er es in seinen Werken vermitteln wollte – davon zeugt schon sein publizistischer Aktivismus.369 Genau wie ihm ging es auch anderen antisemitischen Publizisten darum, mit dem Verweis auf den Schicksalsanspruch der Juden ein Bewusstsein dafür zu erschaffen, welche Strukturen die Gegenwart ihrer Meinung nach dominierten. Die diffuse Untergangsangst wurde dadurch konkretisiert und mit Leben gefüllt. Auch Fritsch stellte seine Arbeit lebenslang in den Dienst dieser Aufgabe. In seinen zahlreichen Schriften wies er unermüdlich darauf hin, dass die wahren Herausforderungen der Deutschen nicht in der Außenpolitik lagen, sondern dass sich das »Verhängnis« im Inneren bereite, getarnt und gesteuert von einer »kleine[n] Schar fremder Eindringlinge«, welche »die geistige Unterjochung Deutschlands« zum Ziel hatten.370 Fritsch betonte dabei besonders, dass sich dieser Prozess heimlich, im Verborgenen vollzog und deshalb umso tückischer war. Argumentativ schuf er dabei die Voraussetzungen dafür, alle nationalen Fehlentwicklungen den Juden anlasten zu können. Gerade 364 365 366 367 368 369 370

Ebd. Marr, Goldene Ratten, S. 32. Ders., Der Sieg des Judenthums, S. 47. Ebd., S. 48. Tsimerman, Wilhelm Marr. Siehe dazu: Bergmann, Ein ›weltgeschichtliches Fatum‹, S. 76 – 81. Fritsch, Die geistige Unterjochung Deutschlands, S. 3.

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weil sie ihm als »verkappte Feinde« galten, mussten sie zur Erklärung jener Defizite herhalten, für die keine äußeren Verursacher auszumachen waren.371 Die Antisemiten selbst stellten sich als die »Sehenden« dar, vor deren Augen das klar und deutlich erschien, was sich lange Zeit im Dunkeln vollzogen hatte. Das so erkannte Judentum erfüllte sie mit Angst und Schrecken. »Heut aber stehts, von jeder Hemmung frei. / Vor euren Blicken da, dämonisch waltend. / Aus felsenharter Wesenheit, zu erneuter Sklaverei / Der halberlösten Menschheit Schicksal umgestaltend.«372

Wie in diesem Gedicht in den »Deutsch-Sozialen Blättern« wurde die vermeintliche Allmacht der Juden auch an anderen Stellen über den Schicksalsbegriff ins Dämonisch-Düstere gezogen. Der Schicksalsbegriff wies darauf hin, dass es nicht irgendwelche abstrakten Prinzipien zu verteidigen galt, sondern dass das Judentum tatsächlich das eigentliche Wesen der Deutschen antastete und damit ihre gesamte weitere Zukunft in Händen hielt. Die sprachliche Verbindung des Schicksalsbegriffs mit der Metapher des jüdischen »Griffs« findet sich in den »Deutsch-Sozialen Blättern« ebenso wie im »Hammer« oder in der »Deutschen Wacht«.373 Als Ursachen für das »Schicksal«, das die betroffenen Völker erleiden mussten, wurde einerseits auf die Judenemanzipation und die daraus angeblich resultierende Herrschaft des Geldes verwiesen, auf der anderen Seite der Rassenverfall durch Blutmischung angeführt. Letzteres betonte insbesondere Eugen Dühring (1833 – 1921) immer wieder, der als einflussreicher Vordenker des rassischen Antisemitismus davon überzeugt war, dass »mehr als Eisen und Blut […] Fleisch und Blut über die Schicksale der Völker und der Einzelnen« entschieden. Die »Verjudung des Bluts moderner Völker«374 müsse unweigerlich fatale Folgen haben; die »hebräische Bluteinmischung« treibe »einem vernichterischen Schicksal entgegen«.375 Insgesamt wurde die Feindschaft der Antisemiten den Juden gegenüber in der völkischen Rhetorik zu einem unausweichlichen Daseinskampf zwischen zwei Völkern beziehungsweise Rassen überhöht. Die Übertragung Darwin’scher Denkfiguren auf das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden führte zu dessen Naturalisierung und Essenzialisierung.376 So erschienen die gegenwärtigen Problemlagen nicht als Ausdruck spezifischer historischer Konstellationen, sondern als Manifestation eines ewigen Gesetzes, das von vornherein verhin371 372 373 374 375 376

Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse, S. 284. o. A., Die Eroberung Kanaans, S. 533. Fritsch, Gottes-Lästerung, S. 621; o. A., Aus Oesterreich, S. 500. Dühring, Die Judenfrage, S. 147. Ders., Waffen, Kapital, Arbeit, S. 109. Geulen, Wahlverwandte, S. 198.

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derte, dass eine friedliche Koexistenz zwischen Juden und Deutschen überhaupt möglich war. Was George M. Fredrickson für den Rassismus festgestellt hat, galt im besonderen Maße für den völkischen Antisemitismus: Er leugnete die Möglichkeit, dass Deutsche und Juden in derselben Gesellschaft zusammenleben konnten, und dass sich die bestehenden Differenzen dadurch aufheben ließen, dass die Juden etwa durch die Taufe ihre Identität änderten.377 Der Schicksalsbegriff verstärkte in diesen Argumentationen den Eindruck, dass der Niedergang des eigenen Volkes unausweichlich war, sollte sich nichts Grundlegendes an den Machtverhältnissen ändern. Schicksal bedeutete Alternativlosigkeit und schloss deshalb jeden Kompromiss aus. Wie bei einer Waage musste der Aufstieg des einen Volkes, der einen Rasse, den Niedergang der anderen bedeuten.378 Der Gedanke der Unausweichlichkeit, der dem Schicksalsbegriff anhaftete, wurde unter anderen von dem als »Juden-Schläger« bekannten Graf Walter Pückler (1860 – 1924) in den »Deutsch-Sozialen Blättern« formuliert: »Wehe der Nation, die nur noch Schwächlinge und Judenknechte erzieht; eine solche Nation ist reif zum Untergange und sie verdient kein besseres Schicksal, wie auf den Schlachtfeldern vernichtet zu werden.«379 Natürlich galt es, diese Entwicklung um jeden Preis zu verhindern. Weil die Völkischen für ihre Rasse »einen gebührenden Platz in der Hierarchie der Menschheitsrassen« einforderten, wurde die Unterdrückung der Juden zur naturgegebenen Pflicht.380 Der unvermeidbare Rassenkampf wurde als Schicksalskampf und damit als eine Auseinandersetzung um Leben und Tod interpretiert.381 Die Anführung des Schicksals legitimierte dabei anscheinend jede Form von Gewalt.382 »Spontane Tat oder Untergang der Nation, das war die schicksalsträchtige Alternative, vor die das deutsche Volk gestellt wurde […].«383 Die Entscheidung zwischen diesen möglichen Ausgängen wurde als eine Entscheidung zwischen dem Schicksal der Deutschen und dem Schicksal der Juden gedeutet, und das deswegen, weil die Juden aufgrund ihrer »rassischen Eigenart« überhaupt nicht in der Lage dazu seien, am deutschen Schicksal zu partizipieren.384 Die Völkischen drängten also zur Tat und stilisierten ihren Kampf dabei zur welthistorischen Aufgabe. Denn bei aller Völkervernichtung, die das Judentum im Laufe der Geschichte zu verantworten habe, sei der Tag seines Untergangs 377 378 379 380 381 382 383 384

Fredrickson, Rassismus, S. 17. Geulen, Wahlverwandte, S. 202. Graf Pückler, Rede, S. 100. Massing, Vorgeschichte, S. 106. Mosse, Die völkische Revolution, S. 145. Ebd., S. 149. Massing, Vorgeschichte, S. 108. o. A., Fragen und Antworten, S. 243.

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vielleicht gerade jetzt gekommen.385 Und unter diesen Voraussetzungen konnte auch der Schicksalsbegriff von einer Untergangsphantasie zu einer universalen Bestimmung umgedeutet werden, wie sie Heinrich Driesmans formulierte: »Nach meiner Auffassung haben die Juden als Fremdkörper im deutschen Volksleibe eine gewisse geschichtliche Mission zu erfüllen: nämlich die, gleich den Bakterien den Organismus zu einer äußersten Kraftanstrengung herauszufordern, zum letzten Aufgebot seiner Energie-Reserven im Fieberzustand der modernen Über-Zivilisation, um sich zu einer erneuten, erfrischten und verjüngten Gesundheit durch zu arbeiten, – oder, beim Versagen seiner Kräfte – zu Grunde zu gehen. Dies das Schicksal und die Bestimmung des deutschen Volkes aus einer überschauenden welt-synthetischen oder ›rassen-symbiotischen‹ Perspektive gesehen.«386

Konnte es also gerade den Deutschen gelingen, das Blatt zu wenden, das verderbliche Schicksal in eine rassische Mission umzukehren, so war das Schicksal des Verderbens den Juden beschieden. Entweder würden sie dem Schicksal aus ihrer eigenen Natur heraus erliegen.387 Oder sie mussten durch »systematische Einschränkungsmaassregeln« ihrer gesellschaftlichen Position beraubt werden.388 Dass die Völkischen dieses Schicksal mit allen Mitteln befördern würden, machte ein anonymer Autor in der Zeitschrift »Der moderne Völkergeist« unmissverständlich deutlich: Habe man die Juden erst mit »geistigen Keulenschlägen« traktiert, würde »die bessere Menschheit« »über sie fortschreiten, unbekümmert um die verdienten Schicksale schädlichen Gewürms«.389

Der germanische Held im Kampf gegen das Schicksal Im Spannungsfeld von Antisemitismus, Rassenlehre und Darwinismus entwickelten die völkischen Überzeugungen eine Eigendynamik, sodass trotz der Anerkennung der unveränderlichen Daseinsgesetze eine Politik der Tat gefordert wurde. Christian Geulen hat darauf hingewiesen, dass gerade dieser Widerspruch zur Eigenlogik des rassenorientierten Antisemitismus gehörte. Viel wichtiger als die Existenz eines rassischen Feindes war seine kontinuierliche Bekämpfung, weil sich die Eigenart der Germanen erst im Kampf gegen das Ungermanische erweisen konnte. Nur die Schwächung eines wirklichen oder imaginierten Gegners konnte in dieser Logik zur Stärkung der eigenen Rasse führen.390 Geulen interpretiert diese Weltsicht als Konsequenz der Entgrenzung 385 386 387 388 389 390

Fritsch, Zur Rassenfrage, S. 2. Zit. bei dems., Die Weltmission, S. 393. Hauptmann, Der Kampf, S. 625. Dühring, Die Judenfrage, S. 119. -t-n, Moralischer Irrsinn, S. 63. Geulen, Wahlverwandte, S. 202.

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des Nationalen, dessen vermeintliche biologische Grundlagen im Kontext der Evolutionsforschung zwar ständig erforscht wurden, aber zugleich immer als gefährdet erschienen. Ihr »grundlegend krisenhafte[r] Status« erwies »die Notwendigkeit ihrer alltäglichen Bewährung im Überlebenskampf«.391 Im Zuge dieser Entwicklung wurde die Natur der Nationen zwar verhandelbar, nicht aber ihr ewiger Antagonismus.392 Die Aufforderung zum Kampf war in diesem Zusammenhang nicht eine Aufforderung zum Widerstand gegen das Weltgesetz, sondern zur angemessenen Erfüllung des Weltgesetzes, indem man die Herausforderung zum Kampf ums Dasein annahm und sich diesem würdig erwies. So formulierte Andreas J. Lorenzen im »Deutschen Volkswart« die »Richtlinien völkischer Weltanschauung« folgendermaßen: »Wer ernsthaft das Schicksal meistern helfen will, der greift in solchen Augenblicken aufs neue beherzt dem Rade des Verderbens in die Speichen in dem Bewußtsein, daß es nur des unbeugsamen Willens und der zielsicheren Arbeit bedarf, um unserm Volke dem Weg zur Höhe und zur Zukunft zu weisen.«393

Anstatt einem biologischen Determinismus zu huldigen, den man tatenlos ertragen musste, sollte die Evolution nunmehr nicht erlitten, sondern aktiv gestaltet werden, sodass sich gerade in der völkischen Schicksalsbewältigung eine merkwürdige Mischung aus »biologischem Fatalismus und politischem Interventionismus, wissenschaftlichem Positivismus und sozialem Idealismus« zeigte.394 In diesem Sinne stellte Georg Hauerstein im »Hammer« das Ende Europas und Germaniens grundsätzlich infrage, indem er die Leser aufforderte: »Also, aufgerafft, ihr arischen Menschen, und losgerissen vom Wege des Verderbens! Überlaßt die übrige Welt ihrem Schicksal, es muß sich doch erfüllen wie sich das Eure erfüllen wird. Alles was wir tun und lassen wollen, ist von einem großen Heil-Gedanken geleitet: es gilt der Sammlung zur Neugestaltung!«395

In diesem Sinne unterstützte Fritsch die Siedlungsbewegung »Heimland« in seiner Zeitschrift und begründete diese Unterstützung damit, dass »solche aber, die ihres Geschickes eigener Schmied sein wollen […] heute einen Weg abseits der Masse suchen« müssten.396 Diese Pläne liefen, wie viele andere Pläne germanisch-arischer Kolonien,397 darauf hinaus, den Weg der Evolution zu steuern, 391 392 393 394 395 396 397

Ebd., S. 369. Ebd., S. 375. Lorenzen, Richtlinien, S. 338. Geulen, Wahlverwandte, S. 87. Hauerstein, Finis Europiae et Germaniae?, S. 108. Fritsch, Landsiedelung, S. 283. Wie z. B. Willibald Hentschels (1858 – 1947) auch in der völkischen Bewegung stark umstrittene »Mittgart«-Pläne.

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indem man eine gezielte Politik der Menschenzüchtung betrieb. Auf die natürliche Selektion wollte man sich nicht verlassen, wie Alfred Hegar (1830 – 1914) in der »Politisch-anthropologischen Revue« bemerkte. »Der Mensch muß sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und die unheilvollen Zustände hinwegräumen, indem er eine vorbedachte Auslese einrichtet.« Aus dieser scheinbaren Notwendigkeit leiteten viele Anhänger der Eugenik ihre Profession ab. Der pessimistische Unterton, der von den Rassentheoretikern in der Nachfolge Gobineaus angeschlagen worden war, wurde also durch die Rassenhygieniker verworfen, indem sie die Angst vor dem Rasseverfall in die Utopie einer germanischen »Rassen-Rein- und Hochzucht« umdeuteten.398 Mehrere Maßnahmen mussten dafür ergriffen werden: die Beförderung der Fortpflanzung »germanisch-stämmiger Arier« (z. B. durch eine gezielte Siedlungspolitik), die Bekämpfung »minderwertiger Völker«, welche die eigene Rasse potenziell bedrohten, und nicht zuletzt die Verhütung der Degeneration durch die Einflüsse der modernen Zivilisation. Ein anonymer, anscheinend österreichischer Autor des »Hammer« betonte noch ganz lamarckistisch, dass durch Eingriffe in die Volkshygiene eine »Abwehr der familiären Entartung« möglich sei, sodass man dem Verfall der Rasse eben nicht tatenlos zusehen müsse »wie einer antiken Schicksals-Tragödie«.399 Die Perfidie der völkischen Argumentation lag darin, dass man den Rassenverfall zwar mit dem Begriff des Schicksals bezeichnete, sich ihm gegenüber aber nicht dementsprechend verhielt. Durch die Verwendung des Schicksalsbegriffs bedienten sich die Völkischen also einer semantischen Doppelstrategie: Sie steigerten die Dramatik des an sich unmerklichen Geschehens ins Unermessliche, indem sie es mit einem Begriff der Unerbittlichkeit und Unausweichlichkeit belegten, und leiteten gerade daraus eine Maxime der sofortigen Tat ab. Die von Peter Walkenhorst identifizierte völkische Strategie, »die beständige Beschwörung einer ›rassischen Degeneration‹ zum entscheidenden Argument für die Gestaltung der nationalen Zukunft«400 zu machen, wurde maßgeblich durch den Schicksalsbegriff getragen. Mehr als jeder andere Ausdruck eignete er sich für die Umdeutung eines drohenden Niedergangs in eine hoffnungsvolle Perspektive. Zugleich lieferte er die Argumente für einen grundlegenden Wertewandel, der traditionelle Humanitätsideale zurückließ, um sie durch völkische Ideale zu ersetzen. Diese stellten den Erhalt und Aufstieg des germanischen Volkstums in den Mittelpunkt, und erlaubten dabei die Etablierung einer neuen »Ethik«, die Aggressivität und Gewalt zu legitimen Mitteln

398 Puschner, Die völkische Bewegung, S. 174. 399 Austriacus, Zeit-Glossen, S. 156. 400 Walkenhorst, Nation – Volk – Rasse, S. 125.

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im Völkerkampf erklärten.401 Auch daran hatte der Schicksalsbegriff einen entscheidenden Anteil. Einen möglichen Ausweg aus der permanenten Dekadenzangst, die sich bei den Völkischen als Schicksalsangst manifestierte, bot die Rückbesinnung auf eine vermeintliche Vergangenheit, die den Umgang mit dem Schicksal lehren sollte. Die Orientierung an den angeblichen Urvätern, den »arischen Germanen«, lenkte den Blick nicht nur in vergangene Zeiten, sondern »von den Zaubern des Südens nach dem Wunder des Nordens«, in dem nicht nur Hans von Wolzogen (1848 – 1938) »das Buch des Schicksals und der Gottheit gleichsam in dem ewigen Licht der Mitternachtssonne lesen« wollte.402 Das Buch des Schicksals war für die völkische Bewegung also im Norden aufgeschlagen, was zunächst einmal einen radikalen Bruch mit dem klassischen Orientierungsrahmen des Bildungsbürgertums im 19. Jahrhundert bedeutete. Die »Bildungswelt des deutschen Klassizismus und Humanismus«, die für ganze Generationen die Hintergrundfolie des eigenen Wertesystems gebildet hatte, wurde durch die Welt der germanischen Mythologie verdrängt.403 Nicht von ungefähr standen um die Jahrhundertwende die Nornen als germanische Schicksalsgottheiten Pate bei Vereins- und Zeitschriftengründungen, die sich der völkischen Sache verschrieben. Der 1907 gegründete »Werdandi-Bund«, dem ein Großteil der völkischen Prominenz angehörte, zählte ebenso dazu wie die von Paul Hartig herausgegebene Zeitschrift »Die Nornen. Monatsschrift für deutsche Wiedergeburt und ario-germanische Kultur«, in deren Umfeld sich ab 1912 sogenannte »Nornenlogen« nach dem Vorbild der Freimaurer bildeten.404 Diese Namensgebungen waren Symptom eines allgemeinen Orientierungswechsels, der eine Entwicklung fortschrieb, die mit dem Rückzug des Fatums in der Mitte des Jahrhunderts bereits begonnen hatte. Indem die Parzen durch die Nornen ersetzt wurden,405 schuf man eine anschauliche und wirkungsvolle Basis für die völkische Theorie.406 Ein illustratives, aber bei Weitem nicht typisches Beispiel für die Adaption des germanischen Mythos in der deutschen Kultur ist das Gedicht »Nornensang« eines gewissen Friedrich Henning, das 1905 in der Zeitschrift »Heimdall« veröffentlicht wurde. Auf die Melodie des Weihnachts401 Ebd., S. 124 f. 402 Wolzogen, Heutiges für Künftiges, S. 6. 403 See, Freiheit und Gemeinschaft, S. 145. Einen maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hatte das umfangreiche musikalische Schaffen Richard Wagners, der die germanische Mythologie im Bildungsbürgertum besonders durch den »Ring des Nibelungen« erst salonfähig machte. Zernack, Anschauungen vom Norden, S. 496; Schüler, Der Bayreuther Kreis, S. 223. 404 Puschner, Die völkische Bewegung, S. 141. 405 Siehe zu diesem Prozess in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts insgesamt: Kirschenknapp, Parzen. 406 See, Freiheit und Gemeinschaft, S. 145.

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liedes »Es ist ein Ros entsprungen« dichtete er die Sage von den drei Nornen nach, die an der Wurzel des Weltenbaums saßen und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wirkend aus ihrem Schoße hervorbrachten. Henning kündigte die Sage als tiefste »Arier-Weisheit« an und schloss sein Gedicht mit dem germanischen »Segenswort«: »So mach’ uns Balder gut, / Doch Donar geb’ uns Kräfte / Und Wodans weisen Mut.«407 Der Blickwechsel hin zur germanischen Vorzeit verhieß nicht allein »geistige Fluchtwege aus der Moderne, hinein in eine Vorstellungswelt einer vermeintlich heilen Vorzeit«,408 sondern darüber hinaus auch Richtlinien moralischen Handelns und Lösungen für aktuelle Problemlagen. Denn die Besinnung auf die mythische Vergangenheit ging nicht in einem sehnsuchtsvollen ›Blick zurück‹ auf. Weil die Identifizierung der Deutschen mit den arischen Germanen in der Vorstellungswelt vieler Völkischer absolut war, besaß auch der germanische Mythenschatz eine überzeitliche Qualität. Argumentiert wurde dabei folgendermaßen: Zunächst wurde den maßgeblichen Quellen der germanischen Vorzeit409 ihr literarischer Charakter abgesprochen, um sie als authentische Quellen germanischer Geschichte lesen und interpretieren zu können.410 Der eigentliche Kern germanischen Wesens, der dabei herausdestilliert wurde, erhob den Anspruch, eine wissenschaftliche Basis zu besitzen. In einem zweiten Schritt wurde aus den Erkenntnissen über das historische Leben und die Eigenart der »Urväter« ein Idealtypus generiert, dessen Wirkmächtigkeit – nach Aussagen der Völkischen – bis in die Gegenwart reichte. Über diese Umdeutungsmechanismen wurden auch die historischen Konfliktlagen in den Rang »ewiger Daseinskonflikte«411 erhoben, ihren Verläufen damit eine Gesetzmäßigkeit attestiert, die zumindest für die Germanen universal und dauernd gültig zu sein schien.412 Das historisch Spezifische wurde zum überzeitlich Typischen und konnte so auch eine Orientierung für die Gegenwart geben. Wenn aktuell also das Schicksal als Untergangsszenario drohte, hoffte man durch den Blick auf die Germanen zu lernen, wie mit dem Schicksal umzugehen war.413 Zuallererst führte dieser Weg also über den Glauben der »Ahnen«, über die germanische Mythologie. In der deutschen Vorgeschichtsforschung war man sich einig, dass die Germanen dem Glauben »an ein allgemeines, unabänderli-

407 Henning, NornenSang, S. 141. 408 Wiwjorra, Die deutsche Vorgeschichtsforschung, S. 186. 409 Das waren im Wesentlichen die »Edda«, das »Nibelungenlied« und die »Germania« des Tacitus: Ebd., S. 187 f. 410 Puschner, Die völkische Bewegung, S. 83, 135. 411 Zernack, Anschauungen vom Norden, S. 497. 412 Kipper, Der Germanenmythos, S. 229. 413 Carlyle, Helden und Heldenverehrung, S. 36.

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ches, vorausbestimmtes und vorausbestimmendes Schicksal«414 gehuldigt hätten, und dass die »Überzeugung von der absoluten Macht des Schicksals […] zu den Grundlagen des nordischen Glaubens«415 zählte. Hieraus sollte sich die gesamte germanische Geistesgeschichte rekonstruieren lassen. Verschiedene Autoren betonten, dass der Glaube an eine mythische Schicksalsmacht den Charakter der Germanen nachweislich geprägt habe und erst der Verlust dieses Glaubens in der Moderne zu Orientierungslosigkeit und Verzweiflung führe. Denn »die Ehrfurcht vor dem Schicksal gab ihnen [den Germanen, F. R.] eine furchtbare Entschlossenheit, die den Modernen, die höchstens noch an sich selbst glauben, fehlen muss.«416 Im Prinzip müssten auch die Menschen der Gegenwart, die nur noch die »trockene Formel des Naturgesetzes« gelten ließen, anerkennen, dass »das grosse Unbegreifliche«, das den Germanen eben das Schicksal gewesen sei, »nach wie vor in der Natur vorhanden« und immer mehr zur »tief schmerzlichen Erfahrung der Menschheit« geworden sei. Anstatt dem Schicksal also mit Misstrauen zu begegnen, gelte es, das Schicksal als Mythos wieder zuzulassen und gerade daraus Stolz und Stärke zu gewinnen.417 Doch wie sollte gerade der Glaube an ein Schicksal, das doch im Orient zu Trägheit und Fatalismus geführt habe,418 zur Grundlage eines gesunden Selbstbewusstseins werden? Auch hier verhieß der Blick in die frühen Quellen einen Ausweg. Denn im Gegensatz zum Christentum419 definiere sich im germanischen Selbstverständnis das Heldentum erst über sein Verhältnis zum Schicksal. Der germanische Kämpfer gab sich dieser Überzeugung nach dem Schicksal nicht hin, er stritt dagegen an. Die Arier hätten »niemals eine Vorausbestimmung anerkannt, ja, sie lehnen sich selbst gegen eine unausweichliche Schicksalsmacht auf. Der Arier streitet gegen die eigenen Götter.«420 In der germanischen Mythologie bewies sich der Wert eines Mannes also angeblich danach, welchen Standpunkt er dem Schicksal gegenüber bezog.421 Und davon wiederum hing die Zukunft seines Volkes ab. Tatsächlich wurde diese Vorstellung anhand historischer Lebensbedingungen zu begründen versucht. Walter Golther (1863 – 1945), Wagnerianer und Mitarbeiter der »Bayreuther

414 415 416 417 418

Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts, S. 624. Carlyle, Helden und Heldenverehrung, S. 30. Grävell, Zusendungen, S. 161. Schalk, Vom Naturmythischen im Ring, S. 124. o. A. (Dr. A. Wirth in der Württemberg Zeitung), Der Ursprung des Rassebewußtseins, S. 319. 419 Hartig, Aus meiner Arbeitsmappe, S. 4. 420 o. A. (Dr. A. Wirth in der Württemberg Zeitung), Der Ursprung des Rassebewußtseins, S. 319. 421 Golther, Ueber das Heldenthum, S. 246.

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Blätter«, zog diesen Schluss in seinem »Handbuch der germanischen Mythologie«: »Zur Zeit, da die Germanen ins Licht der Geschichte treten, vollzieht sich ihr Schicksal im Kampf. Sieg oder Unsieg entscheidet über das Volk. Darum steht neben der Norn die besondere Schicksalsfrau der Schlacht. Wie jene das Schicksal im Allgemeinen lenkt, so gebietet diese übers Waffenglück, über Sieg oder Tod auf dem Walfeld.«422

Der Kampf gegen den realen Feind gestaltete sich in der Vorstellung der Germanenforscher als Bewährungsprobe, in der sich die richtige Einstellung des Helden dem Schicksal gegenüber erweisen musste. In diesem Sinne zitierte der völkische Publizist Fritz Bley (1853 – 1931) das Gedicht eines frühverstorbenen Germanenverehrers, der das Wesen der Germanen folgendermaßen charakterisierte: »Ja hoch ist das Lied von der Weltenflucht / Doch höheres weiß’ ich zu melden: / Gewaltiger selbst, als des Schicksals Wucht, / Ist der eherne Sinn des Helden […] Und sterben, vom Schlachtendonner umtost, / Für das heilige Erbe der Ahnen: / Das ist Wuotans Lehre, ist Wuotans Trost, / Der Heldentrost der Germanen!«423

Dem Sterben im Kampf wurde durch die Konfrontation mit dem Schicksal ein überindividueller Sinn verliehen, der die heldenhafte Stärke des Germanentums ausmachte, und das unabhängig davon, ob der Held das Schicksal überwand, oder ob er ihm erlag. Dieser Gedanke bestimmte die im 19. Jahrhundert konstruierte Vorstellung der germanischen Volksseele: Zur Härte der Germanen im Kampf, zu ihrem Todesmut, ihrer Schonungslosigkeit, ihrem Kriegertum, ihrer Männlichkeit424 sollte man wieder zurückkehren, weil die Herausforderungen der Gegenwart im Kampf gegen das Schicksal bestanden. Das Problem war nun, dass sich im Laufe der Geschichte natürlich die Bedingungen des Kampfes geändert hatten. Irgendwann sei die germanische Welt »durch den Schicksalsbeschluß der dritten Norn in den Bann fremder Geistesmächte geraten« und in einen Schlaf gesunken, gegen den man sich bislang immer nur halbherzig zur Wehr gesetzt hatte.425 Walther August Gottfried Kabel nannte die konkreten Ursachen dieses Tiefschlafs: Die Christianisierung und die Einführung des römischen Rechts hatten den Germanen das Feld der Bewährung geraubt. »Von da an wurde die Entscheidung über das Schicksal der Völker vom Schlachtfeld in die Richterstuben, die Beicht- und Betstühle und in die Krämerbuden verlegt, und der 422 423 424 425

Ders., Handbuch, S. 109. Rudolf Watzl, Letzter Agilolfing, zit. n.: Bley, Die Weltstellung, S. 28. Kipper, Der Germanenmythos, S. 209. Friedrich Oskar Wannieck, Präsident der Guido-von-List-Gesellschaft, zum 60. Geburtstag Guido von Lists, zit. n.: Ebd., S. 346.

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stolze Germane, der im freien Weltenkampf ein Weltenstürmer war, stand ratlos inmitten eines Kulturlebens, das immer mehr den Charakter eines Jahrmarktes annahm.«426

Natürlich musste die Entdeckung dieses Mechanismus wieder in eine allgemeine Zivilisationskritik münden. Die Verquickung von mystischem Nationalismus und Kulturpessimismus kam hier deutlich zum Ausdruck.427 Und eigentlich manifestierte sich darin eine tiefe Sehnsucht: Anstelle der abstrakten Konfliktlagen der Moderne, die selbst für die akademisch Gebildeten nicht mehr leicht zu durchschauen waren, sehnte man sich nach Herausforderungen, die auf dem Schlachtfeld bewältigt werden konnten.428 Gerade weil das der imaginierten »Volksseele« zu entsprechen schien, meinte man, sich auf diesem Terrain sicher fühlen zu können. Die Hoffnung, dass die Besinnung auf die eigene Natur auch einen Wandel im Verhältnis zum Schicksal bringen werde, haben wir bereits im Kontext der Befreiungskriege kennengelernt. Was circa hundert Jahre später im völkischen Diskurs dazu kam, war die Forderung nach einer Haltung, die Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) mit dem Begriff des amor fati zu formulieren versucht hatte.429 Man musste das Schicksal nicht allein bekämpfen oder sich ihm andienen, man musste es, wie die Germanen, in seiner Macht anerkennen, es lieben, sich ihm voll und ganz verschreiben. In zahlreichen Gedichten, die nach der Jahrhundertwende in Fritschs »Hammer« publiziert wurden, finden wir den Typus des sich am Schicksal messenden und ihm im Kampf freudig dienenden Helden, der zur Idealgestalt der völkischen Bewegung wurde. Ein gewisser Ernst Strach rief seine Leser zum »Siegenwollen« mit dem Schwerte auf, weil das Schicksal immer gerne »einer kühnen Tat« folgte, und forderte damit, dem Beispiel der Ahnen zu folgen: »Dann wollen wir den Spuk zu Paaren treiben, / Im Sonnenschein glänzt das ererbte Schwert. / Das Schicksal wird mit unserm Herzblut schreiben: / Es sind die Söhne ihrer Väter wert!«430 Der antisemitische Agitator Ernst Henrici (1854 – 1915) verhöhnte in seinem Gedicht »Die Friedens-Hexe« 1904 die »Memmen«, die wimmernd und wehleidig den Frieden predigten, und stellte ihnen den Helden entgegen, der in »Kampf und Not bei Tag und Nacht, bis das letzte Morgenrot dämmert« nach dem Grundsatz lebte: »Meine Seele verschrieb ich dem Gott der Schlacht, / Der das ehrne Schicksal hämmert.«431 Mit der Liebe zum Schicksal im Kampf ergaben sich für die völkischen Autoren vollkommen neue Zukunftsperspektiven. 426 427 428 429 430 431

Weka, Rassentod, S. 48. Stern, Kulturpessimismus, S. 4. Kipper, Der Germanenmythos, S. 209. Z. B. in: Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. Zit. n.: A. H., Deutsche Bildung, S. 79. Henrici, Die Friedens-Hexe, S. 423.

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Wichtig war, dass man keine Rücksicht auf Verluste nahm und kein Mitleid zeigte. Unmissverständlich hieß es dazu 1912 im »Hammer«: »Deutsch nur deutsch! In diesen stolzen Zeiten / Birgst, mein Volk, du deines Schicksals Wahl. / Deutsch dein Siegesstern, in seinem Strahl / Müssen die erborgten Flitter bleichen. / Deutsch, und stürmst du über Leichen. /Anders ist für dich kein Heil. / Schöpfe tief aus deiner Urkraft Borne, / Unzerreißbar webt dir dann die Norne / Deiner Zukunft goldnes Seil.«

Die Überreizung germanischer Tugenden bis ins schonungslos Brutale und sittlich Verwerfliche432 konnte gerade in einer Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fallen, die sich seit 1890 zunehmend militarisierte. Obwohl die Völkischen den deutschen Obrigkeitsstaat aufgrund seiner falschen Zielsetzungen ablehnten, passte die germanische Heldengestalt immer besser zur Kriegsrhetorik der führenden Repräsentanten des Kaiserreichs. Als der langjährige Vorsitzende des »Alldeutschen Verbandes« Heinrich Claß (1868 – 1953) unter dem Pseudonym Daniel Frymann 1913 ein politisches Programm veröffentlichte, mit dem er das Reich auf einen gemeinsamen völkischen Kurs einschwören wollte, flossen das völkische Heldenverständnis und die damit verbundenen Schicksalsvorstellungen mit der kaiserzeitlichen Kriegsbereitschaft semantisch zusammen. Claß forderte: »Heilig sei uns der Krieg wie das läuternde Schicksal, denn er wird alles Große und Opferbereite, also Selbstlose wecken in unserem Volke und seine Seele reinigen von den Schlacken der selbstischen Kleinheit.«433 Hier hatte sich eine vollkommene semantische Umdeutung vollzogen. Claß fürchtete das Schicksal nicht mehr, er forderte es geradezu ein, damit es in Gestalt des Krieges seine kathartische Wirkung für eine bessere, glorreiche Zukunft entfalten konnte. Die Verluste, die der Schicksalskrieg bringen mochte, wurden als irrelevant abgetan, weil sie nur diejenigen, die der Zukunft ohnehin nicht »wert« waren, treffen würden. Dieser optimistische Unterton, der vor Wagemut strotzte, traf den Geist der Zeit. Gerade vor dem Ersten Weltkrieg wuchs in der völkischen Bewegung die Bereitschaft, die drohende Dekadenz des gesellschaftlichen Lebens nicht nur zu perhorreszieren, sondern ihr aktiv etwas entgegenzusetzen. Die Kraft, der es dabei bedurfte, speiste sich aus der Überzeugung, dass nicht nur für die Deutschen, sondern für die universale Weltordnung zu viel auf dem Spiel stand. Und dieses Bewusstsein konnte mitunter in einer Art Schicksalsverachtung münden, wie Max Robert Gerstenhauer (1873 – 1940) sie ganz im heroischen Duktus äußerte:

432 Kipper, Der Germanenmythos, S. 210. 433 Frymann, Wenn ich Kaiser wär’ , S. 182 f.

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»Sollte aber das Schicksal dem deutschen Volke nicht zu Hilfe kommen, sondern wirklich die große Arierdämmerung hereinbrechen, so wollen wir wenigstens nicht kampflos, sondern ehrenvoll untergehen. […] Unser Kampf für das Deutschtum ist zugleich der Kampf für die höchsten Güter der Menschheit!«434

Das Bekenntnis zu Kampf und Krieg speiste sich also aus einer Rückbesinnung auf ein idealisiertes germanisch-arisches Erbe. Hier wurden unterschiedliche Geschichtsebenen ineinander geschoben: »[…] die heroische Vergangenheit wurde zur Gegenwart, um der neuen Generation ein ähnliches Heldentum zu vermitteln.«435 Dabei waren die Völkischen davon überzeugt, aus den alten Quellen schöpfen zu können: »[…] ihr Schicksalsglaube erlöst unsre Seele mehr, als das ›aus Gnade seid ihr selig geworden‹.«436 Begründet wurde die Aufforderung, sich dem Schicksal wie die Vorväter zu stellen, nicht nur mit der puren Angst vor dem eigenen Verfall, sondern auch mit welthistorischen Aufgaben, welche die Deutschen zu erfüllen hätten.

Die weltgeschichtliche Mission und die Rolle des Einzelnen Insgesamt wurde das eigene Zeitalter von den Anhängern der völkischen Bewegung als Wendezeit betrachtet.437 Der Primat der Tat erklärt sich aus dem Bewusstsein, dass sich gerade in der Gegenwart unumkehrbare historische Entwicklungen vollzogen, Weichen gestellt wurden, Entscheidungen getroffen werden mussten. Darwins Befunde lenkten den Blick auf die verborgenen Mechanismen der Völkergeschichte, die nur derjenige für sich zu nutzen vermochte, der sie tatsächlich erfasst hatte. Fritz Bley, Sympathisant der deutschvölkischen Bewegung, formulierte so die Ausgangsbedingungen für eine zukünftigen »Weltstellung des Deutschtums«: »Denn das ist ja aus der Betrachtung des ganzen Verlaufes der Menschheitsentwickelung als sichtbar erkennbare Lehre gewonnen, daß im großen Wettstreite der Völker dasjenige Volk obsiegen wird und soll, das am schärfsten seine Kräfte zusammenrafft für das vom Schicksale ihm gesteckte Ziel.«438

Die Deutschen sollten sich als dieses siegreiche Volk erweisen – und mussten das möglichst bald umsetzen. In zahlreichen völkischen Schriften ist ein latenter Handlungsdruck zu spüren, der von der Gewissheit rührte, dass bloßes Abwarten zum sofortigen Untergang führen werde. Willibald Hentschel war sich 434 435 436 437 438

Gerstenhauer, Rassenlehre und Rassenpflege, S. 70. Mosse, Die völkische Revolution, S. 80. Hartig, Aus meiner Arbeitsmappe, S. 4. Vom Bruch, Wilhelminismus, S. 3 f. Bley, Die Weltstellung, S. 10.

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deshalb sicher, »dass die germanische Rasse und damit die historische Menschheit als Ganzes an einer Schicksalswende angelangt ist. Wir stehen vor der kritischen Frage: Sein oder Nichtsein?«439 Es war das Gesetz der Weltgeschichte, das sich hier vollzog, und an dem schon viele Völker in der Vergangenheit gescheitert waren: »Alle historischen Völker haben, nachdem sie einmal in den Strom kultureller Entwicklung geraten waren, an diesem Wendepunkte gestanden, und das Schicksal hat in allen Fällen den Stab über sie gebrochen.«440 Sie hatten sich also nicht als schicksalswürdig erwiesen. Wodurch zeichnete sich aber nun die Schicksalswende aus, an der das deutsche Volk nach Meinung der Völkischen aktuell stand? Wohl dadurch, dass hier zum ersten Mal die wahren Grundkonflikte der Menschheit zutage traten, die im bisherigen Völkerleben nur latent gewirkt hatten. Die Rassengeschichte wurde in der Gegenwart als »materialistisch fundierte Geheimgeschichte der Menschheitsentwicklung«441 sichtbar, und so stand die aktuelle Schicksalswende mehr als andere vor ihr unter dem Primat des Rassegedankens und steuerte unweigerlich einer letzten Entscheidungsschlacht entgegen. In fast prophetischer Manier schilderte der Alldeutsche Karl Felix Wolff (1879 – 1966) im »Deutschen Volkswart« seine Vision einer baldigen Rassenschlacht, deren Vorboten er gerade in der Verbreitung der Rassentheorie erblickte: »Es scheint mir unzweifelhaft, daß eine entscheidende Auseinandersetzung der europäischen Führerrassen bevorsteht. Diese Auseinandersetzung, vielleicht der größten, welche die Weltgeschichte gesehen hat, geht eine Neuorientierung der Geister im Zeichen des Rassegedankens voraus. Wie die Araber des Islams bedurften, um ihre Ausbreitung siegreich durchführen zu können, so tun auch uns eine neue, wenigstens politische Weltanschauung und ein neuer Idealismus not, um der riesenhaften Aufgabe gerecht zu werden, vor die das Schicksal uns jetzt stellt.«442

Die Rassentheorie wurde vor diesem Hintergrund das Handwerkszeug, mit dem man die vom Schicksal gestellten Aufgaben bewältigen musste. Die Zielstellung der Schicksalsaufgabe befand sich jedoch in einem Spannungsfeld wechselnder Bezüge. An sich widersprach die Zuspitzung der Rassenlehre völkischen Grundüberzeugungen, da sie die Zukunft des deutschen Volkes vor die Zukunft einer wie auch immer definierten germanisch-arischen Rasse stellten.443 Obwohl sich die Identifizierung von Volk und Rasse nach 1900 immer weiter lockerte, je fragwürdiger die wissenschaftlichen Grundlagen der Rassentheorie wurden,444 reichte die »Weltstellung des Deutschtums« alles in 439 440 441 442 443 444

Hentschel, Vom aufsteigenden Leben, S. 53. Ebd. Stiederle, Rassismus, S. 437. Wolff, Gobineau, S. 456. Breuer, Die Völkischen, S. 122. Ebd., S. 115.

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allem nicht aus, um die Notwendigkeit des bevorstehenden Kampfes zu legitimieren. Einige völkische Autoren bemühten sich deshalb darum, die abstrakten Ziele des Schicksalskampfes dennoch über den Rassebegriff plausibel zu machen, und zwar indem sie die Verantwortung des deutschen Volkes für das Schicksal der weißen/germanischen/arischen Rasse herausarbeiteten. Der Kampf gegen die Entartung, gegen die Degeneration, gegen die Juden, gegen die »minderwertigen« Völker wurde so in eine übernationale Mission umgedeutet. Im »neuen Menschen«, den nicht nur Willibald Hentschel zu züchten gedachte, »erfüllt sich das Schicksal der weißen Rasse«.445 Vertreter dieser Denkweise hingen häufig pangermanischen Vorstellungen an, die einen rassischen Zusammenschluss beispielsweise gegen die vermeintliche Bedrohung durch die slawischen Völker forderten. Im »Deutschen Volkswart« riet der Alldeutsche Leopold Freiherr von Vietinghoff-Scheel (1867 – 1946) dazu, das 1871 begonnene Einigungswerk weiter voranzutreiben, weil »das Schicksal der Germanen nur zwischen zwei Möglichkeiten die Wahl lassen wird: Zusammenschluß zu einem unangreifbar mächtigen Reiche oder Untergang im Slawen- und Romanenansturm«.446 Otto Schmidt-Gibichenfels, der 1911 die Leitung der »Politisch-anthropologischen Revue« übernahm, warnte Frankreich und England deshalb davor, das Deutsche Reich mithilfe der slawischen Rasse niederzuwerfen. Denn sehr bald würde die Zeit kommen, »wo sie es mit den Nägeln aus der Erde kratzen mögen, wenn sie hoffen könnten, es dadurch wieder in seiner früheren gewaltigen Macht aufzurichten.« Franzosen und Engländer müssten dann sehr bald Folgendes erkennen: »[…] das Schicksal Europas und der europäischen Kultur steht und fällt mit dem Schicksal des Deutschen Reiches und Volkes.«447 Der Wiener Schriftsteller Josef Ludwig Reimer (1879 – 1955) formulierte angesichts der wachsenden außenpolitischen Bedrohung des Deutschen Reiches sehr konkrete Expansionspläne, die sich an pangermanischen Grundsätzen orientieren sollten. Er war davon überzeugt, dass von Deutschland die Rettung des europäischen Kontinents ausgehen musste. »Von der Entwicklung dieses mächtigen, noch überwiegend germanischen Reiches hängt das Schicksal unserer Rasse in der Zukunft ab!«448 Durch solche Formulierungen wurden die Deutschen von den passiven Opfern eines übermächtigen Schicksals zu den Hauptverantwortlichen für die Zukunft der »weißen Rasse« Europas oder, wie Willibald Hentschel es formulierte, sogar »der geschichtlichen Menschheit«.449 Die Schicksalssemantik verband sich in diesen Fällen mit der Vorstellung einer Auserwähltheit, einer Prä445 446 447 448 449

Hentschel, Die Tragödie, S. 67. Vietinghoff-Scheel, Die Bedeutung Preußens, S. 259. Schmidt-Gibichenfels, Der germanisch-slawische Völker- und Rassenkampf, S. 62. Reimer, Ein pangermanisches Deutschland, S. 60. Hentschel, Vom aufsteigenden Leben, S. 34.

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destination,450 die missionarische Kraft entfalten sollte. Dahinter verbarg sich ein messianisches Geschichtsmodell, das sich nicht auf ein herausragendes Individuum, sondern auf eine imaginierte Gemeinschaft bezog. Insgesamt findet sich der Schicksalsbegriff in dieser Bedeutung vergleichsweise selten in den Schriften völkischer Autoren. Der Hauptgrund dafür ist, dass das völkische Verständnis des »Deutschen« sich eher exklusiv als integrierend definierte, wurden die Kriterien für eine Inklusion doch gerade durch die Rassentheorien immer verschwommener.451 Blieben die Ideen eines Zusammenschlusses der weißen Rasse unter deutscher Führung also eher die Ausnahme, auch weil sie mit den tatsächlichen außenpolitischen Konfliktsituationen nicht in Übereinstimmung zu bringen waren, konzentrierten sich die Bemühungen vornehmlich auf den nationalen Zusammenschluss nach innen. Ein völkisches Prinzip bestand dabei in der vollkommenen Unterordnung des Individuums unter den Letztwert des Volkes, wie sie in den nationalen Debatten 1848/49 noch selten zu finden war. Dem Einzelnen wurde dadurch zugleich die Verantwortung für das Wohlergehen des Kollektivs aufgetragen, sodass, wie es im »Handbuch des Alldeutschen Verbandes« 1912 hieß, »jeder vor der Zukunft mitverantwortlich ist für das Schicksal des Volkstums«.452 Zur heroischen Lebensbetrachtung gehörte es, dass das Individuum dazu bereit war, im Dienst der Sache aufzugehen und sich auch notfalls dafür zu opfern. So war es nur folgerichtig, diese Forderung semantisch mit dem Begriff des Leidens oder des Schmerzes zu verknüpfen, um gerade daraus einen höheren Sinn abzuleiten. Der an sich nicht dem völkischen Lager zuzurechnende Philosoph Friedrich Kirchner (1848 – 1900) ließ sich in einer »Neujahrsbetrachtung« in den »Bayreuther Blättern« dazu verleiten, die Wagner’sche Kunst in diesen Zusammenhang zu stellen, indem er schrieb, dass er Wagners nationale Bedeutung in der Auffassung sah, »dass der Einzelne aufzugehen hat in das unpersönliche Ganze, das unser Schicksal ist: zu entsagen, zu leiden«.453 Diesem unpersönlichen Ganzen verdankte die völkische Bewegung ihren Namen. Das Volk war auf die Opferbereitschaft der Einzelnen angewiesen, und eben hier war immenser Handlungsbedarf. Hermann Ullmann (1884 – 1958), volkskonservativer Redakteur des »Kunstwart«, identifizierte das Hauptproblem der Deutschen deshalb in der Tatsache, dass diese zwar »die Nation als eine geschichtliche Schicksalsgemeinschaft gelten [lassen], aber sie geben nicht klar zu erkennen, wie weit ihnen diese überlieferte Gemeinsamkeit der geschichtlichen Erlebnisse und ursprünglichen Anlagen auch ferner des Bewahrens und 450 Den Begriff verwendete Heinrich Driesmans in seinem Aufsatz: Ders., Von Rasse-Prädestination, S. 79. 451 Geulen, Wahlverwandte, S. 374 f. 452 Alldeutscher Verband, Handbuch, S. 43. 453 Kirchner, Die ›Jetztzeit‹, S. 51.

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der Opfer wert sei.«454 Das prinzipielle Missverhältnis bestand darin, dass das Selbstverständnis des Volkes als Schicksalsgemeinschaft sich eben nur auf die Vergangenheit bezog, aber niemals politisch eingelöst worden war. Der Geburtsfehler der Reichsgründung 1871 war schuld daran, dass viele »Deutsche sprachen, als gehörten sie nicht dazu« und zögerten, »wenn es ein unbedingtes Bekenntnis zur Nation gilt.«455 Vor diesem Hintergrund erkannten die Völkischen es kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges als ihre genuine Aufgabe an, die Deutschen dazu anzuhalten, ihr Leben in den Dienst der völkischen Sache zu stellen, ihr Einzelschicksal also dem Schicksal des deutschen Volkes unterzuordnen, da nur dieses die Zeit überdauern würde. Im Frühjahr 1914 rief Andreas J. Lorenzen im »Hammer« den »verantwortlichkeits-bewußte[n], schicksal-mitbestimmende[n] Bürger[n] unseres Staates und Volkes« das wesentliche Element dieser Forderung ins Gedächtnis: »Fühlen wir nicht, daß wir alle mit einander Glieder eines großen Ganzen, eines Volkes sind, dessen Schicksal das unsrige und das unserer Kinder in sich birgt?«456 Mit der Einforderung einer schicksalhaften Verbundenheit zum Volkskörper, die über die Prioritäten des Einzellebens hinausgehen sollte, griffen die völkischen Publizisten den historischen Ereignissen vor: Zum Beginn des Ersten Weltkrieges verschmolzen die Schicksalserwartungen, Schicksalsbefürchtungen und Schicksalsaufforderungen, welche die Völkischen über Jahre hinweg immer wieder formuliert hatten, zu einem großen, nationalen Schicksalserlebnis. Die Völkischen selbst hatten den Krieg als eine mögliche Ausdrucksform des Daseinskampfes schon früh antizipiert, weil er reinigend auf die biologische Substanz des Volkes wirke: »Der Krieg ist der Ernst im Leben der Nationen; in ihm stellt das Schicksal die Frage nach dem Daseins-Recht eines Volks und wirft die Überlebenden und Entarteten unerbittlich zu Boden.«457 Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde in diesem Sinne in die altbekannten Deutungshorizonte eingeordnet, die sich dabei zugleich verdichteten. Der Krieg war das Schicksal, das das darwinistische Weltgesetz verkörperte, er unternahm die Auslese, die durch die Zivilisation blockiert worden war, in seinen Schlachten mussten die Deutschen ihren germanischen Heldenmut unter Beweis stellen, er verlangte ein uneingeschränktes Bekenntnis zum Volk, das die Interessen des Einzelnen nicht mehr gelten ließ, und er führte die Gegner Deutschlands zwangsläufig ihrem Untergang entgegen. In Theodor Fritschs programmatischem Weltkriegs-Artikel im »Hammer« 454 455 456 457

Ullmann, Das deutsche Vaterland, S. 366. Ebd. Lorenzen, Die Ursachen des Verfalls, S. 116. o. A., Vom englischen Nationalverbrechen, S. 1.

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fanden viele dieser Elemente auf kleinstem Raum zueinander, und sie alle wurden mithilfe des Schicksalsbegriffs expliziert: Die Kriegsgegner hatten bei ihrer militärischen Aufrüstung auf Deutschlands Fatalismus gesetzt, den die Deutschen jedoch wie die germanischen Kämpfer endlich und unerwartet von sich abgeschüttelt hatten: »[Die Gegner] glaubten, Deutschland werde im Banne der Furcht wie gelähmt seinem Schicksal entgegen harren; allein, es kam anders.«458 Zwar sei der Ausgang dieses Schicksalskampfes ungewiss (»Das Schicksal liebt es nicht, von Menschenhand seine Wege sich allzu bestimmt vorschreiben zu lassen«), jedoch würde er für die Deutschen in jedem Falle eine reinigende Wirkung zeitigen: »Auch ein hartes Schicksal hat seine Segnungen. Nicht ohne Stählung an Leib und Seele wird unser Volk aus der gewaltigen Feuertaufe hervorgehen; die Schlacken der faulen Friedenszeit wird es abstoßen und den goldenen Kern seiner tiefsten Kräfte bloßlegen.«459 Insgesamt war Fritsch sich ohnehin sicher, dass »die deutsche Sache« siegen werde, weil »das Schicksal [unsere Gegner] an der Schlechtigkeit der eigenen Sache verderben lassen« werde.460 Insgesamt war diese Deutung des Weltkriegs aus völkischer Sicht nicht anders zu erwarten gewesen. Die vordergründig enthusiastische Begrüßung des deutschen Kriegseintritts konnte die Anpassungsschwierigkeiten der Völkischen auf lange Sicht jedoch nicht verbergen. Zwei Aspekte waren dafür ausschlaggebend: Zum einen hatten die Völkischen in ihrer Konzentration auf die innenpolitischen Zustände Deutschlands kein konsistentes außenpolitisches Programm entwickelt, dem gerade die rassentheoretischen Vorstellungen ohnehin geradezu entgegengestellt gewesen wären. Die langjährige Konzentration auf den inneren Feind widersprach zudem der Burgfriedenspolitik der Reichsregierung,461 sodass vielen Völkischen nichts anderes übrig blieb, als den Schulterschluss mit dem alten Nationalismus zu suchen, wenn ihre Publikationsorgane nicht verboten werden sollten.462 Auf sprachlicher Ebene wurde das lange Zeit exklusiv völkische Vokabular im Sommer 1914 plötzlich zum deutschen Allgemeingut. Der als »Augusterlebnis« in die Geschichtsschreibung eingegangene Ausdruck einer Volksgemeinschaft, die wohl mehr ein offizielles mythisches Narrativ als tatsächlich allgemein gefühlt worden war,463 bediente sich völkischer Topoi und entwendete der Bewegung ihre spezifischen Deutungsangebote. Deutsche sämtlicher politischer und religiöser Couleur bezeichneten den Kriegsbeginn plötzlich als eine zugleich 458 459 460 461 462 463

Fritsch, Der Weltkrieg, S. 449. Ebd., S. 455. Ebd. Tsimerman, Die Deutschen Juden 1914 – 1945, S. 2. Breuer, Die Völkischen, S. 147 – 149. So die These von: Verhey, Der ›Geist von 1914‹.

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ersehnte wie gefürchtete »Schicksalsstunde«,464 welche »die ganze Opferglut, den ganzen Heldenmut«465 erfordere, wie es 1914 der Jesuit Bernhard Duhr (1852 – 1930) schrieb. Auch der Historiker Erich Marcks (1861 – 1938) beschrieb den Krieg in einer politischen Flugschrift in Anlehnung an Schiller als »dieses große, gigantische Schicksal, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt« und formulierte die Gefühle, die dieser Erkenntnis folgten, in Form einer inneren Schau: »Der Einzelne fühlt es genau: er ist nichts. Er opfert sich auf, er fügt sich ein, er vergeht in der Masse, und über ihm handelt und siegt nur sie. Und dennoch: er ist ganz dabei, und dennoch: er ist alles.«466 Aus der Sicht der deutschen Frauen, die ihre Mutter- und Gattenliebe den höheren »Ansprüchen des Vaterlandes«467 unterordnen mussten, deutete sogar die Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer (1873 – 1954) den Krieg in einer evolutionären Perspektive, die völkischen Vorstellungen (trotz der biblischen Wendung) in nichts nachstanden: »Im bittersten Schmerz um die Söhne und Gatten, über denen die Geschichte ihre Todeslose ausschüttete, empfinden die deutschen Mütter doch die Größe des Schicksals, für das sie ausersehen waren. Auch ihnen ist nach dem alten stolzen Wort ›der Tod verschlungen in den Sieg‹, der Tod ihrer Söhne in den Sieg ihrer Enkel und Urenkel.«468

Der Schicksalskampf war unter diesem Vorzeichen der Kampf für die Lebensbedingungen zukünftiger Generationen, und wenn Getrud Bäumer diese Zukunft selbst auch nicht unter einem biologistischen Blickwinkel betrachtete, so konnte er durchaus in diese Bemerkungen hineingelesen werden. Deutlicher wurde der Leipziger Bankdirektor und Vorsitzende des Vereins deutscher Freimaurer Diedrich Bischoff, der davon sprach, dass ein Volk in Friedenszeiten immer verweichliche und es ihm deshalb »zum Segen [gereicht], wenn ihm das Schicksal einen großen und gerechten Krieg sendet«, um es endlich zur Tat »im Dienste des Staates« emporzurufen.469 Die Adaption völkischer Deutungs- und Sprachfiguren zum Kriegsbeginn ließe sich noch anhand zahlreicher weiterer Beispiele belegen. 1914 war die Rede vom vernichtenden, reinigenden und stärkenden Schicksal salonfähig gewor464 »›Des Deutschen Reiches Schicksalsstunde!‹ […] Das Wort hat sich Tausenden und aber Tausenden in den letzten Tagen auf die Lippen gedrängt, und den Männern der Feder ist es wieder und wieder Schlagwort geworden. […] Wenn der Titel hier gleichwohl nochmals gewählt wird, so geschieht es, weil es keinen besseren gibt, die Lage zu kennzeichnen.« Schäfer, Sein oder Nichtsein?, S. 5; Duhr, In der großen Schicksalsstunde; Bischoff, Deutsche Gesinnung, S. 26; u. v. m. 465 Duhr, In der großen Schicksalsstunde, S. 5. 466 Marcks, Wo stehen wir?, S. 22. 467 Bäumer, Der Krieg und die Frau, S. 6. 468 Ebd., S. 9. 469 Bischoff, Deutsche Gesinnung, S. 2.

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den, weil es die deutsche Situation in den Augen der Zeitgenossen adäquat beschrieb. Unter dem Schicksalsbegriff fanden sich die Deutschen nicht nur geeint zusammen, sondern erkannten auch gemeinsame Gegner und Ziele; die Vergemeinschaftung des Schicksalsbegriffs hatte ihr Höchstmaß erreicht. Dass die Handlungslogik, welche die Völkischen schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in all ihrer Konsequenz und Brutalität aus dem Schicksalsbegriff abgeleitet hatten, auch für die Vernichtungsrhetorik des Ersten Weltkriegs Pate gestanden hat, ist offensichtlich.

5.4

Die Stiftung kollektiver Identität – Zusammenfassung

Die Vergemeinschaftung und Politisierung des Schicksalsbegriffs, wie sie hier anhand der deutschen Napoleon-Rezeption, der politischen Debatten der Nationalversammlung von 1848/49 und des völkischen Weltbilds exemplarisch nachvollzogen wurden, bildeten einen der bestimmenden Bedeutungsgehalte des Schicksalsbegriffs im 19. Jahrhundert. Dieser prägte ein Zeitalter, das selbst als eine Ära der Kollektive bezeichnet werden kann.470 Die Entstehung von Nationalstaaten mit einem kapitalistischen Wirtschaftssystem führte zu einer Transformation von Identitätsbezügen und ließ die ständische Gesellschaft langsam erodieren. An ihre Stelle wurde etwas Neues gesetzt: Die Klassen, die Nation, das Volk, die Rasse, aber auch die Internationale und die Völkergemeinschaft – sie alle bildeten für verschiedene Menschen Orientierungshorizonte, gingen teilweise Allianzen miteinander ein, standen einander häufig aber auch unversöhnlich gegenüber. In jedem Fall mussten alle diese Ideen kollektiver Identifikation legitimiert und mit Leben gefüllt werden, um ihren Stellen- und Interpretationswert dauerhaft im politischen Diskurs behaupten zu können. In diesem Kapitel konnte gezeigt werden, dass es der Schicksalsbegriff war, der diese Legitimation leistete. Mit der Frage nach dem Schicksal wurde nicht nur die Frage nach dem Wesen der deutschen Gesellschaft gestellt, sondern auch diejenige nach den Gesetzmäßigkeiten historischer Verläufe und nach den Gestaltungsmöglichkeiten der Zukunft. Die deutsche Napoleon-Debatte, die Verhandlungen in der Frankfurter Paulskirche und die Weltanschauung der völkischen Bewegung, sie alle bedienten sich der semantischen Doppelstruktur des Schicksalsbegriffs: Negativ verstanden symbolisierte er zeittypische Zukunftsängste, positiv verstanden stiftete er ein kollektives Gemeinschaftsempfinden. Diese Bedeutungsgehalte widersprachen einander jedoch nicht, sondern bedingten sich erst gegenseitig. In allen drei Kontexten befanden sich die Deutschen in einer antizipierten 470 Sottong, Transformation und Reaktion, S. 280.

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oder tatsächlichen Umbruchssituation, welche die Frage nach einer kollektiven Identität angesichts sich wandelnder gesellschaftlicher Strukturen provozierte. Die Zukunft lag zum Beginn, in der Mitte und am Ende des langen 19. Jahrhunderts in grauem Nebel, hinter dem sich – je nach Interpretation – der endgültige Untergang oder aber eine lichte Zukunft verbergen konnte. Der Schicksalsbegriff spiegelte in seinen verschiedenen semantischen Ausprägungen diese Unsicherheit wider : Als dämonische Schicksalsgottheit repräsentierte Napoleon Bonaparte die prinzipielle Unberechenbarkeit der Zukunft beim Zusammenbruch der alten europäischen Welt. In der Frankfurter Nationalversammlung erschien das Schicksal der Nation durch den politischen Neuanfang so offen und gestaltbar wie nie zuvor. Für die völkische Bewegung dagegen symbolisierte es zwangsläufig den Verfall auf allen Ebenen, sodass man zu radikalen Maßnahmen greifen musste, um es wirksam abzuwehren. Obwohl sich demnach ganz verschiedene Perspektiven mit dem Schicksalsbegriff verbanden, wirkte seine Verwendung in allen Fällen als Ansporn zur Tat. Wenn man das Schicksal als mögliche Zukunft verstand, rief es in den drei historischen Kontexten zwar mitunter Ängste hervor, verleitete jedoch nicht zu einer Haltung passiven Erduldens. Ganz im Gegenteil, es regte dazu an, den Raum des Machbaren zu vermessen und nach Kräften auszuweiten. In den antinapoleonischen Kriegen wurde mit dem Schicksalsbegriff der Modus des Handelns bestimmt. Die Schicksalsbeherrschung wurde als Voraussetzung eines möglichen Sieges erkannt und von zahlreichen deutschen Gegnern Napoleons publizistisch vorbereitet. Nach der ersten deutschen Revolution 1848 wurden in Frankfurt mit dem Schicksalsbegriff die Ziele des Handelns mitdefiniert: Schicksalsgestaltung hieß hier, eine kollektive Identität zu stiften, indem man die Reichweite und die Grenzen der Nation festlegte und ihre Entwicklungsperspektiven diskutierte. Im völkischen Diskurs bestimmte der Schicksalsbegriff die Notwendigkeit des Handelns: Die Rede vom Schicksal machte die Dringlichkeit der völkischen Aufgabe sichtbar und ließ den radikalen Griff in den Lauf der Geschichte als alternativlos erscheinen. So wie die Rede vom Schicksal eine Politik der Tat geradezu erforderte, so vollzog sich diese Tat umgekehrt immer wieder auch über die aktive Umdeutung des Schicksalsbegriffs. Auf der einen Seite ein Symbol für Unsicherheiten und Zukunftsängste, konnte er auf der anderen Seite zum Ausdruck für Stärke und Kraft werden, für ein kollektives Zusammengehörigkeitsgefühl, mit dessen Hilfe die Zukunft zu meistern war. In allen drei behandelten Zusammenhängen wurde ersichtlich, wie der Schicksalsbegriff als Instrument der Einigung verwendet wurde, wie den Deutschen mit seiner Hilfe historische Wurzeln ebenso geschaffen wurden wie gemeinsame glorreiche Zukunftsperspektiven. Besonders ausgeprägt konnte man diese Strategie 1848/49 und bei der Germanenverehrung im Umkreis der völkischen Bewegung finden. Der Blick in die Vergangenheit

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diente der rückwärtigen Versicherung und der Orientierung in Gegenwart und Zukunft, weswegen der Schicksalsbegriff die zeitliche Kontinuität der Gemeinschaft garantierte. In dieser Lesart konnte das Schicksal zum Synonym für das genuine nationale Sein werden. Entscheidend war hierbei, dass die Machbarkeit des Schicksals tatsächlich nur für Kollektive möglich war : Der Einzelne konnte der unberechenbaren Macht des Schicksals nichts entgegensetzen, es nicht aktiv gestalten; er war nur als Teil einer Nation, eines Volkes, einer Rasse schicksalsmächtig und da auch wiederum nicht für seine persönlichen Bedürfnisse und Zwecke, sondern nur für die Ziele des großen Ganzen. Das große Ganze wurde dabei kontextabhängig definiert. Der Einzelne hatte sich also dem Schicksal der Gemeinschaft unterzuordnen, was in einem zweiten Schritt aber auch eine besondere Verantwortung implizierte: Durch den Schicksalsbegriff wurde die Zukunftsaufgabe als eine welthistorische Prädestination festgeschrieben. Wer in welcher Form auch immer für das Schicksal verantwortlich war, hielt die Zukunft etlicher Menschen in der Hand. Der Stellenwert des Auftrags, der mit dem Schicksalsbegriff verbunden wurde, rechtfertigte zugleich außergewöhnliche Maßnahmen zu seiner Erfüllung. Zuerst einmal erforderte er eine gemeinsame Kraftanstrengung bis zum Äußersten, die vor allen Dingen bei der völkischen Bewegung auch vor Extremen nicht zurückschreckte. Die Unaufhaltsamkeit des negativ verstandenen Schicksals legitimierte in Kombination mit dem positiv verstandenen Schicksalsbegriff der kollektiven Identität eine aggressive Sprache und gewaltbereites Verhalten. Weil durch den Schicksalsbegriff auch die Grenzen der Gemeinschaft festgelegt wurden, erforderte er in vielen Kontexten einen Gegner, egal ob dieser als politischer, nationaler oder rassischer Widerpart verstanden wurde. Was sich in der Frankfurter Nationalversammlung bereits im Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen vom nationalen Schicksal manifestierte, steigerte sich bei den Völkischen zu einer Rhetorik, die im Grunde nur noch die Vernichtung des Gegners als Handlungsoption zuließ. Das »drohende Schicksal« der Degeneration und Entartung oder der »Griff« der Juden nach dem deutschen Schicksal führte die hergebrachte Vorstellung von Humanität ad absurdum und erlaubte die Etablierung eines neuen Wertekanons, der allein das Wohl des Volkes beziehungsweise der Rasse in den Mittelpunkt stellte. Gerade in Bezug auf die Juden wurden Schicksale als unvereinbar nebeneinander gestellt und gegeneinander ausgespielt, sodass der Kampf ums Schicksal als Kampf um Leben und Tod interpretiert wurde. Die Doppelstruktur des Schicksalsbegriffs ermöglichte es seinen Verwendern, sich auf einen unanfechtbaren Standpunkt zurückzuziehen: Er firmierte für bestimmte überpersönliche Zwänge und entband die Handelnden dadurch von der Verantwortung für ihr Tun. Napoleon stilisierte sich in diesem Sinne als

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Erfüllungsgehilfe einer überpersönlichen Schicksalsmacht. Quer durch die Fraktionen versuchten Abgeordnete der Nationalversammlung eigene Positionen mit dem Verweis auf einen Vorsehungs- oder Schicksalswillen durchzusetzen. Und auch die Völkischen begriffen ihre bisweilen menschenverachtenden Ideen und Forderungen als zwangsläufige Folgerung schicksalhafter Naturprozesse. Der Begriff des Schicksals implizierte, dass keine andere Wahl und kein anderer Weg als der geforderte möglich waren, selbst wenn man es gewollt hätte. Dieser Rückzug in die persönliche Verantwortungslosigkeit wurde durch eine weitere semantische Strategie unterstützt. Der Blick auf andere »Schicksalskämpfer« der Gegenwart oder Vergangenheit war insbesondere um 1800 und um 1900 eine Art Rückversicherungsgarantie des eigenen Handelns. Der Umgang Napoleons mit dem Schicksal lehrte wie die imaginierte Schicksalsaffinität der alten Germanen, dass eine echte Schicksalsbewältigung allein in Kampf und Krieg stattfinden konnte. Hinzu kam das Motiv der Liebe zum Schicksal, das, noch ganz ohne Anlehnung an Nietzsches amor fati, in Joseph Görres’ »Reflexionen« ebenso wie in Theodor Fritschs »Hammer« auftaucht. Die aktive Auseinandersetzung mit dem Schicksal implizierte zugleich, dass auch über das Schicksal gestritten wurde. Das Konzept blieb im 19. Jahrhundert ebenso diskutabel wie seine inhaltliche Füllung. Wer glaubhaft versichern konnte, dass er wusste, was das Schicksal war oder sein werde, wie es Napoleon ja kurzfristig gelang, der hatte auch die Deutungshoheit über den politischen Diskurs – das zeigt die Rhetorik der »Befreiungskriege« ebenso wie die Debatten der Nationalversammlung oder die ständigen Untergangsprophetien der Völkischen. Allerdings mussten gerade die Letztgenannten lange darauf warten, bis ihre Interpretation des Schicksalsgedankens tatsächlich auch eine Resonanz über den engeren völkischen Kreis hinaus fand. Erst der Ausbruch des Ersten Weltkriegs schuf die Voraussetzungen, um die Rede von der deutschen »Schicksalsstunde« gesellschaftsfähig zu machen. Im Spätsommer 1914 kumulierten die Schicksalsfragen der Vergangenheit und fügten sich als Gemeinschaftsgefühl und Zukunftsbangen, als Erfüllung eines evolutionären Weltgesetzes und als Rassenkampf, als Katharsis der Gesellschaft und als Demonstration des Heldentums zu einem deutschen Schicksalserlebnis zusammen, das aus der Retrospektive betrachtet das Ende des langen 19. Jahrhunderts einleitete.

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Das Schicksal im Innersten des Menschen

6.1

Schicksal und Charakter

Als handlungsleitende Maxime für die Nation, die Rasse oder das Volk forderte der Schicksalsbegriff des 19. Jahrhunderts die Ein- und Unterordnung des Individuums unter die Erfordernisse des Kollektivs und schuf damit eine Abhängigkeit von übergeordneten Instanzen, die den individuellen Handlungsspielraum zunehmend einengte. Das begriffsgeschichtliche Komplement zu diesem Prozess der Vergemeinschaftung war die Verinnerlichung des Schicksals in Geist und Körper des Menschen, die sich immer mehr konkretisierte, sodass der Schicksalsbegriff des 19. Jahrhunderts das Individuum sozusagen von zwei Seiten in die Zange nahm. Auch dieser Prozess vollzog sich langfristig und in mehreren Etappen, weshalb der Blick an dieser Stelle wieder auf die große Umbruchszeit um 1800 zurückgelenkt werden muss, in der die Rückbesinnung auf den Schicksalsglauben der Alten neue Deutungshorizonte öffnete. Johann Gottfried Herder hatte sich seit der Mitte des 1780er-Jahre wie viele seiner Zeitgenossen intensiv mit historischen und modernen Schicksalsvorstellungen auseinandergesetzt und aus ihren verschiedenartigen Elementen einen Schicksalsbegriff ganz eigener Manier geformt, der sein Denken und Schreiben fortan entscheidend prägte. Der Synkretismus seines Schicksalsverständnisses offenbarte sich einerseits in seiner tiefen Bewunderung für die Philosophie Spinozas und Leibniz’1 und andererseits in seiner offensichtlichen Faszination für die Schicksalsgottheiten der Antike.2 Herder hatte die Schicksalsgottheit Nemesis für sich entdeckt, der er 1786 eine ikonografische und

1 Zu Herders ambivalenter Haltung gegenüber Spinoza siehe: Schürmann, ›Ein System der Freiheit‹, S. 357 – 376; Rohls, Herders ›Gott‹, S. 271 – 291; Hammacher, Herders Stellung, S. 166 – 188; Lange, ›Ich bin (k)ein Spinozist‹, S. 253 – 268; Bienenstock, Herder und Spinoza, S. 57 – 72. Zu Herders Leibniz-Rezeption siehe ausführlich: Arnold, »… der größte Mann‹, S. 161 – 185; Dreike, Herders Naturauffassung; Zammito, Herder, S. 107 – 144. 2 Düsing, Die Tragödientheorie, S. 242.

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semantische Abhandlung widmete3, und die auch in seinen folgenden Werken ein zentrales Leitmotiv blieb.4 In diesem ersten Aufsatz, »Nemesis. Ein lehrendes Sinnbild«, deutete Herder die Rachegöttin in eine Gottheit der Besonnenheit und Gerechtigkeit um, deren aussagekräftiges Attribut die Waage war.5 Sie sei eine »Bewahrerin vor dem Uebermaß«, die »Unrecht verhütet und den Neid zu entfernen trachtet«,6 sie sei die Göttin des »Maasses und des Einhalts«,7 die durch Duldung und Missbilligung das Gleichgewicht der Welt garantiere. In dieser geläuterten Form übertrug Herder die Nemesis-Idee auf die menschliche Natur und verpflanzte sie gewissermaßen in die Seele des Menschen.8 Der NemesisGedanke bewahre vor falschem Übermut im Glück, helfe in jeder Situation, das Maß im Leben zu halten, und konnte Herder zu einem allgemeinen moralischen Prinzip werden, das es von den Griechen zu erlernen galt. Diese Inkorporation des Nemesis-Gedankens als eine psychologische Wahrheit hatte eminente Auswirkungen auf Herders Schicksalsbegriff. Über die antike Vorstellung konnte er zum eigentlichen Kern seines Anliegens vorstoßen: Zwar vermochte der Mensch als kurzlebiges Gewächs auf Erden auf die »großen Abwechslungen des Schicksals« keinen Einfluss zu nehmen, doch in seinem individuellen Leben liege das meiste an ihm selbst, weil der Mensch »die kleinere Waage seines Schicksals überall mit sich« führe und in seinen Entscheidungen zu ihrem Zünglein werden könne.9 Was im »Sinnbild«-Aufsatz noch als Aufruf zur individuellen Mäßigung und zur ausgleichenden Gerechtigkeit verstanden werden konnte, der ein genuiner Bestandteil der allgemeinen Menschenbildung sein sollte und durch den Nemesis-Gedanken lediglich eine illustrative Unterstützung erfuhr,10 präzisierte Herder einige Jahre später zu einer neuen Theorie des Schicksalsgedankens. 1795 erschien in den »Horen« ein Artikel unter dem Titel »Das eigene Schicksal«, der die im »Sinnbild«-Aufsatz angedeuteten Ideen in einer weit ausgereifteren Form präsentierte.11 Was sich im Gewand alltäglichen Sprachgebrauchs, volkstümlicher Weisheiten, antiker Lehren und einfacher Lebensratschläge verbarg, konnte als eine radikale Befreiung des Schicksalsbegriffs von 3 Herder, Nemesis, S. 213 – 272. 4 Siehe zu diesem Aspekt in Herders Werk: Koepke, Die höhere Nemesis, S. 211 – 220; Düsing, Die Tragödientheorie, S. 238 – 250; ders., Der Nemesisbegriff, S. 235 – 255; Koepke, Nemesis, S. 87 – 96; Berhorst, Anamorphosen. 5 Koepke, Nemesis, S. 88. 6 Herder, Nemesis, S. 241. 7 Ebd., S. 244. 8 Maurer, Nemesis-Adrastea, S. 50, 56. 9 Herder, Nemesis, S. 253 f. 10 Wolfgang Düsing sieht bereits im »Sinnbild«-Aufsatz Herders spätere Geschichtsphilosophie angelegt: Ders., Der Nemesisbegriff, S. 239 f. 11 Herder, Das eigene Schicksal, S. 1 – 21.

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seinen metaphysischen Implikationen gelesen werden.12 Bereits Herders erste These machte das unmissverständlich deutlich: »Jeder Mensch hat sein eignes Schicksal, weil jeder Mensch seine Art zu seyn und zu handeln hat. In diesem Sinne nämlich bedeutet Schicksal die natürliche Folge unsrer Handlungen, unsrer Art zu denken, zu sehen, zu wirken.«13

In der Folge beschrieb Herder das Schicksal als Ausfluss der menschlichen Individualität, welcher der Mensch folgen müsse, um sein Gleichgewicht in der Welt zu finden.14 Damit unterteilte Herder das einige, allgemeine Schicksal als Weltstrukturprinzip in verschiedene Individual- oder Kollektivschicksale, die sich von Fall zu Fall verschieden ausgestalteten und die Dauer einer Lebensspanne umfassten.15 Dennoch gab er dabei den Gedanken der naturgesetzmäßigen Notwendigkeit, der im 18. Jahrhundert so selbstverständlich war, nicht einfach auf. Herder strebte in seiner spezifischen Schicksalsvorstellung einen harmonischen Ausgleich der individuellen Tat mit den Naturgesetzen an.16 Der allgemeine Zusammenhang der Dinge, der durch das kausale Band von Ursache und Wirkung gestiftet wurde, galt auch für die geistig-moralische Welt, sodass niemand »seinem eignen Schicksal« entgehen könne. Dieses eigene Schicksal entsprang zumindest mittelbar dem Innersten des Menschen, weil es den Rückkopplungseffekt der eigenen Handlung auf das Selbst beschrieb. »Alle wissen wir, daß die Echo uns nur den Schall unserer Worte zurückgiebt, daß, wie wir fragen, sie uns antworte. […] lasset uns in unserm Busen unser eigenes Schicksal als einen Apollo befragen. An welchem Unfall war nicht unser Unbenehmen, an welchem Unglück nicht unsre Thorheit schuld? Wir säeten frühe, was wir später erndten, und erndten werden.«17

Aus dieser Einsicht leitete Herder die absolute Gesetzmäßigkeit des menschlichen Lebens und auch der Geschichte ab,18 die dem Grundsatz entsprach: Jeder bekommt das, was er verdient und was seinem Charakter entspricht. Der Zufall, verstanden als Inkonsequenz des Schicksals,19 musste ein menschliches Wahrnehmungsproblem sein oder entsprang einem Handeln, das den Schicksalsgesetzen zuwiderlief. Das Schicksal stellte als Prinzip die gerechte Ordnung wieder her. Das sei der eigentliche Sinn solcher Redewendungen wie »sein Schicksal finden«, »vom Schicksal ereilt werden«, »vom Schicksal verfolgt sein«. 12 13 14 15 16 17 18 19

Berhorst, Anamorphosen, S. 197. Herder, Das eigene Schicksal, S. 2. Düsing, Die Tragödientheorie, S. 241 f. Herder, Das eigene Schicksal, S. 13. Hancke, Die Auffassung, S. 29. Herder, Das eigene Schicksal, S. 3 f. Düsing, Die Tragödientheorie, S. 239. Herder, Das eigene Schicksal, S. 5.

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Herder verband diesen Gedanken mit dem Appell, dem eigenen Wesen treu zu bleiben und somit in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen zu handeln.20 Sein Aufruf »Vermeide Jeder, so viel er kann, der Sklave einer fremden Bestimmung zu werden, und baue sein eigenes Schicksal«,21 war zugleich die Aufforderung zur individuellen Emanzipation. Dieser aufklärerische Impuls, der ja durchaus nicht neu war, besaß in Herders Fall einige Brisanz. Denn seine Definition des »eigenen Schicksals« verzichtete konsequent gedacht auf alle transzendenten Bezüge.22 War im frühen und mittleren 18. Jahrhundert unbestritten gewesen, dass die bestimmende Schicksalsinstanz in einer übernatürlichen Macht ihren Ursprung hatte, verlagerte Herder die Quelle des Schicksals in den menschlichen Charakter und säkularisierte es damit. Herders Schicksalsbegriff war zweifach bedingt: Er umschrieb die Interdependenzen kausaler Naturgesetze (»das grosse Rad der Dinge«)23 und der angeborenen und anerzogenen menschlichen Natur und blendete auf diese Weise den Gottesgedanken vollkommen aus. Das Numinose wurde zu einer berechenbaren Größe und zu einem Gesetz ethischen Gleichgewichts instrumentalisiert.24 Das bedeutete zugleich, dass ein moralisch einwandfreies Leben möglich war, ohne es an religiöse Vorstellungen zurückzubinden.25 Herders Schicksalsbegriff konnte als säkularer Gegenentwurf zu den verbreiteten religiösen Schicksalsbestimmungen verstanden werden und deshalb zur Grundlage eines aufgeklärten Staatswesens werden. Denn wenn jeder die Verantwortung für das eigene Schicksal übernahm, wurde das individuelle Leben zwangsläufig der Wahrheit und Vernunft gewidmet. Und das kam wiederum der Allgemeinheit zugute. »Je mehr der leere Wahn, der an unwesentlichen Dingen hing, schwindet, desto mehr lernt man dem Wesentlichen vertrauen und sich unter ein Schicksal, dessen Gesetze man erkannt hat, fügen. […] [Die] Grundsätze der Wahrheit […] können […] keine andre [!] seyn, als daß, soviel möglich, jeder Mensch die Macht, die Geschicklichkeit und Bequemlichkeit erhalte, unter Gesetzen des öffentlichen allgemeinen Wohls, sein Schicksal selbst zu leiten.«26

20 Düsing, Die Tragödientheorie, S. 239. 21 Herder, Das eigene Schicksal, S. 8. 22 Michael Maurer spricht in diesem Zusammenhang von einer »Immanenz des Göttlichen«: Ders., Nemesis-Adrastea, S. 50. 23 Herder, Das eigene Schicksal, S. 8. 24 Berhorst, Anamorphosen, S. 197. 25 Herder mag so weit selbst nicht gedacht haben, da die Religion für ihn immer eine Referenzinstanz blieb. Deshalb konnte er den Nemesis-Gedanken in anderen Zusammenhängen auch als Naturgesetz der christlichen Weltordnung interpretieren: Koepke, Die höhere Nemesis, S. 218 – 220. 26 Herder, Das eigene Schicksal, S. 13.

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Schicksal und Charakter

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Unter dieser Prämisse wurde der Schicksalsbegriff für Herder zur Begründungsfigur eines staatlichen Freiheitsbegriffs, der im Aufsatz selbst allerdings nur implizit und beiläufig Erwähnung fand. Trotzdem enthob Herder mit seiner sehr eigenen Nemesis-Vorstellung die Schicksalsfrage dem metaphysischen Freiheitsproblem. Wenn das Schicksal das Resultat des menschlichen Charakters war, wurde der Mensch allein durch sich selbst, nicht durch eine äußere Macht determiniert. In dieser Radikalität hat Herder selbst seine Schicksalstheorie nicht zu Ende gedacht, und in seinen weiteren Ausführungen taucht auch der Gottes- und Vorsehungsgedanke immer wieder auf.27 Trotzdem zieht sich die Verortung des Schicksals im Innersten des Menschen wie ein roter Faden durch sein Spätwerk.28 In einem seiner letzten Gedichte, dem Chorgesang »Die Verhängnisse«, ließ Herder die drei Parzen, aus den »seligen Gärten / in Euer Heiligthum, des Redlichen Brust« hinabsteigen, »günstig webend aus Eurem Knäul / den nie zu hoch erhobnen, vesten, / im Gewirr sich glänzend-neu-aufschwingenden, / die Zukunft weitenden Faden.«29 Mit dem Schicksal in der Brust des Menschen betrat Herder einen dritten Weg in der großen semantischen Wendezeit des Schicksalsbegriffs um 1800, der weder in den aufgeklärten Debatten über die Vereinbarkeit naturgesetzlicher Kausalität mit der Vorsehung Gottes aufging, noch die romantische Wiederbelebung verhängnisvoller Schicksalsgottheiten nachvollzog. So schrieb Herder vehement gegen das Schicksalsverständnis seiner literarischen Zeitgenossen an, die das Schicksal als Rachegottheit erdachten, in dieser Form auf die Bühne brachten und Herders Versuche, die antiken Götterbilder zu Gerechtigkeitsprinzipien zu verklären, unterminierten. Immer wieder wütete Herder gegen die Dichter, die das Schicksal darstellten, als ob »die große Göttinn ein Poltergeist würde, der für und wider nichts, die aufs beste angelegten Plane menschlicher Vernunft, aller Vernunft entgegen, Absichtlos oder Schadenfroh ohne alle Schuld der Menschen verwirrte«.30 Ebenso wenig gab sich Herder mit der Vorstellung einer mechanisch determinierenden Weltstruktur zufrieden, die eine unabänderliche Kontinuität in der Geschichte garantierte. In seinem Nemesis-Bild konnte die Geschichte gerade als paradoxe Einheit von Kontinuität und Diskontinuität gedeutet werden, als das Wirken des großen blinden Schicksals,31 in dem der einzelne Mensch sein

27 28 29 30 31

Allerdings in einem pantheistisch-spinozistischen Sinne: Rohls, Herders ›Gott‹, S. 271 – 291. Herder, Das Drama, S. 309 f.; ders., Ideen, S. 358; ders., Vom Wissen, S. 67. Ders., Die Verhängnisse, S. 364 f. Ders., Das Drama, S. 307; Adler, Autonomie, S. 412 – 415. Herder, Auch eine Philosophie, S. 56.

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Das Schicksal im Innersten des Menschen

kleines, individuelles Schicksal verwirklichte32 und die große Ordnung dadurch unter Umständen aus den Angeln warf. So hatte Herder die Implementierung des Schicksals in den Charakter zur Bekräftigung seiner Vorstellung einer allgemeinen Weltharmonie vorgenommen, in welcher der Mensch zu wahrer Humanität gelangen konnte.33 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde diese Verinnerlichung des Schicksals, seine Verortung in der Natur des Individuums zunächst zögerlich, später verstärkt rezipiert und dabei auch transformiert. Vorerst noch blieb die Verknüpfung von Schicksal und Charakter alleiniger Gegenstand des ästhetischliterarischen Diskurses und erschöpfte sich in der Frage nach Gestaltung und Zweck der dramatischen Kunst. Der Streit zwischen Charakter- und Schicksalsdramen in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts hatte sich, wie bereits gezeigt wurde, zunächst zugunsten Letzterer entschieden, sodass die (pseudo-) kausalen Verknüpfungen der Dinge und nicht psychologisch-vielschichtige Protagonisten die Dramenhandlung bestimmten. Hier wurden Schicksal und Charakter noch als Antonyme betrachtet; die Inkorporation des Schicksals in das Innere des Menschen war, wenn sie vorkam, vornehmlich eine semantische Strategie, um die Macht eines äußeren Schicksals zu negieren. Erst Schritt für Schritt setzte sich bei vereinzelten Theoretikern der Literaturästhetik die Auffassung durch, dass Schicksal und Charakter nicht als Gegenbegriffe verstanden werden mussten, sondern theoretisch auseinander zu entwickeln waren, wenn man sie richtig interpretierte. Zunächst überwogen bei diesen Versuchen die optimistischen Töne, die das politische Emanzipationspotenzial dieses Konzeptes betonten. In diesem Sinne verhöhnte der Dichter und Dramatiker Friedrich Maximilian Klinger (1752 – 1831) den Schicksalsbegriff der Romantik als ein »Gespenst«, das den Menschen dem Despotismus unterwerfe,34 adaptierte Herders Verknüpfung von Schicksal und Charakter und leitete daraus die Selbstermächtigung und Autonomie des Menschen ab. »Der Mann von Kunst, Charakter, der aus selbst geschaffenen Grundsätzen handelt, verstattet keinem Luftbilde, keiner Macht außer ihm, Gewalt über sich. Er handelt aus sich selbst, er weiß, daß er das Schicksal in sich beherrscht – weil er den Keim zu allem, was ihm widerfahren wird, in sich selbst gelegt, entwickelt und durch That zum Aufschießen getrieben hat.«35

Damit verneinte Klinger – noch über Herder hinausgehend – generell die Existenz metaphysischer Mächte, die außerhalb des Menschen situiert waren. 32 Wolfgang Düsing hat auf die doppelte Semantik von Herders Schicksalsbegriff hingewiesen: Ders., Die Tragödientheorie, S. 246. 33 Ders., Der Nemesisbegriff, S. 254; Koepke, Die höhere Nemesis, S. 220. 34 Klinger, Betrachtungen, S. 98 f. 35 Ebd., S. 103 f.

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Schicksal und Charakter

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War bei Herder das Schicksal in erster Linie das Echo der menschlichen Tat, legte Klinger das Schicksal als Samen direkt in den Menschen hinein und ernannte diesen, abhängig von seinem »Charakter«, zum »Herr[n] und Meister«36 über dasselbe. Die wahre Menschenbildung bestand deshalb in dem Streben danach, das Schicksal in sich zu beherrschen, und als einzige Notwendigkeit des Lebens diejenige anzuerkennen, die aus der Natur des Menschen erwuchs.37 Herder und Klinger meinten, mit der Inkorporierung des Schicksals einen Raum der Freiheit erschaffen zu haben, weil sie die metaphysische Bedrohung des Schicksals durch seine Rückbindung an die menschliche Natur rationalisierten. Unausgesprochen drückte sich darin die Überzeugung aus, dass die individuelle Unfreiheit aus äußeren Determinanten resultierte, die durch Charakterstärke zu überwinden waren. Der Charakterbegriff korrespondierte dabei mit einem Menschenbild, das nicht nur von einer untrennbaren Einheit von Geist und Körper ausging, sondern auch davon, dass der Mensch dazu in der Lage war, sich selbst zu beherrschen. Tatsächlich war das Freiheitsproblem mit der Inkorporierung des Schicksals jedoch nicht gelöst, sondern gewann gerade durch die Schicksalssemantik einen ambivalenten Zug. Denn an die Stelle der Abhängigkeit von einem äußeren Schicksal trat die Abhängigkeit vom individuellen Sosein, die in der ersten Jahrhunderthälfte immer öfter problematisiert wurde38 und dabei auch den Rahmen ästhetisch-literarischer Debatten verließ. Als ein Beispiel unter vielen mag Rahel Varnhagen van Enses (1771 – 1833) Auseinandersetzung mit Herders Konzept des »eigenen Schicksals« dienen, das sie nachweislich in den »Horen« rezipiert hatte.39 In einem Brief an den Grafen Astolphe de Custine (1790 – 1857) aus dem Jahr 1816 schrieb sie, dass sie in ihrem gesamten bisherigen Leben immer wieder die Evidenz des Schicksals gespürt habe und feststellen müsse, »daß es stärker ist als wir«. Eine stumme Unterwerfung sei die einzig angemessene Haltung. Und diese stumme Unterwerfung sei letztlich eine Ergebung in die eigene Natur. »Unser Schicksal ist eigentlich nichts als unser Charakter ; unser Charakter nichts als das Resultat, in aktivem und passivem Dasein, der Summe und Mischung all unserer

36 Ebd., S. 104. 37 Ebd., S. 105. 38 Problematisierende Zugriffe finden sich u. a. bei: Fischer, Diotima, S. 226 f.; Vischer, Aesthetik, S. 1413 – 1416. 39 David Veit, Brief an Rahel Varnhagen von Ense vom 23. 04. 1795, in: Varnhagen von Ense, Aus dem Nachlass, S. 95: »In dem dritten Stück der Horen ist das eigene Schicksal von Herder (nicht wenig mittelmäßig, und muß rasch gelesen werden).«

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Das Schicksal im Innersten des Menschen

Eigenschaften und Gaben. Das sind wir – am tiefsten genommen – selbst: und was ist daran zu ändern?«40

Rahel Varnhagen blieb bei dieser Deutung nicht stehen, sondern entwickelte den Gedanken in anderen Zusammenhängen noch weiter. Sie erkannte, dass der Charakter als schicksalsbestimmender Faktor keine genuine Qualität besaß, sondern nur das Produkt von Einflüssen war, die wiederum von außen auf den Einzelnen wirkten. Ein individueller Freiheitsgewinn durch die Internalisierung des Schicksals erwies sich unter diesem Blickwinkel als Illusion. So identifizierte Rahel Varnhagen in ihren Schriften nicht nur ihren Charakter und ihr »Physisches«,41 sondern auch »Klima, Eltern und Land«42 und den geschichtlichen Augenblick der eigenen Existenz43 als Determinanten des individuellen Daseins. Der von außen bestimmte Charakter steckte so den Radius individuellen Handelns ab und markierte demzufolge auch die Grenzen der eigenen Entwicklungsfähigkeit. »Das Gitter, woran wir ewig mit dem Kopf stoßen, eben weil wir eine Aussicht hindurch haben« war aus der eigenen Natur geschmiedet, sodass jeder Wille, über sich selbst hinauszuwachsen, lediglich ein sinnloses, »illusorisches« Agitieren war.44 Diese metaphorische Auseinandersetzung mit dem Gefühl, über das eigene Leben aus sich selbst heraus eigentlich nie verfügen zu können, wurde in der Mitte des Jahrhunderts auf eine andere Ebene transferiert, die Herder, Klinger und Rahel Varnhagen zwar erwähnt, aber nicht primär im Blick gehabt hatten. Denn wenn das Schicksal durch den Charakter gebildet wurde oder sogar mit dem Charakter identisch war, so musste über kurz oder lang die Frage aufkommen, wo eigentlich der Charakter verortet war, und wie er gebildet wurde. In den späten 1850er-Jahren meinte eine junge Generation von Naturwissenschaftlern diese Frage mit der materiellen Beschaffenheit und den Prozessen des Organismus beantworten zu können. Im gleichen Zug entdeckten sie den Raum des menschlichen Körpers als eigentliche Geburtsstätte des Schicksals.

40 Rahel Varnhagen von Ense, Brief an Astolphe Grafen von Custine in Fervaques vom 17. 12. 1816, in: Arendt, Rahel Varnhagen, S. 249. 41 Rahel Varnhagen von Ense, Brief an den Fürsten von Pückler-Muskau in Muskau vom 09. 10. 1831, in: Dies., Rahel, S. 532. 42 Arendt, Rahel Varnhagen, S. 250. 43 Ebd., S. 249. 44 Ebd.

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Freiheit und Schicksal in den Debatten des wissenschaftlichen Materialismus

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Freiheit und Schicksal in den Debatten des wissenschaftlichen Materialismus

Die Bindung des Schicksalsbegriffs an die Materie Die Identifikation von Schicksal und Charakter, wie Herder sie vorgeprägt und andere nach ihm weitergesponnen hatten, wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts zur allgemeinen Formel für ein Zeitalter, das nach einer langen Phase romantischer Sehnsucht nach Transzendenz und idealistischer Konzentration auf die geistige Durchdringung der Welt eine neue Klarheit über die materiellen Grundlagen des Seins forderte. Bereits in den 1830er-Jahren, die mit zwei symbolischen Ereignissen, dem Tod Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770 – 1831) und dem Tod Johann Wolfgang Goethes 1832, die Epoche des Idealismus quasi formal beendeten, lässt sich eine Zuwendung der gebildeten Bevölkerung zur Naturwissenschaft, der historischen Bildung, dem Realismus verzeichnen, die im Wirklichkeitszugang der vergangenen Jahrzehnte zunehmend ein bekämpfenswertes Feindbild erblickte.45 Die Einheit von Sein und Denken, wie sie der Idealismus propagierte, hatte insbesondere nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil sich die vernünftige Idee von Einheit und Freiheit ganz offensichtlich nicht durchgesetzt hatte, sondern stattdessen in das System der Reaktion gemündet war. Man suchte in der Folge nach anderen Grundlagen der Wahrheit, die durch die politischen Ereignisse nicht diskreditiert worden waren, und fand sie im Stoff, aus dem die Welt gebildet war. Der neue Geist der Zeit machte natürlich auch vor dem Schicksalsbegriff nicht halt und lässt sich bereits auf lexikalischer Ebene an seiner grundlegenden semantischen Umformung ablesen. Bereits 1837 übernahmen die Autoren des »Allgemeinen deutschen Conversations-Lexicons für die Gebildeten eines jeden Standes« wortwörtlich die Schicksalsdefinition Herders, indem sie das Schicksal als »das Resultat unseres Charakters, unserer Handlungen und Gedanken« definierten.46 In der zehnten Auflage des Brockhaus hieß es 1854 mit Blick auf die Gegenwart, dass sich der Begriff des Schicksals »nicht nur im wissenschaftlichen, sondern auch im poetischen Gebiete der neuen Literatur […] aus dem Felde der Träume auf den Boden der Wirklichkeit […] übersiedelt hat«.47 Schon die Erwähnung der Wissenschaft in diesem Zusammenhang war ein Novum, denn das Schicksal hatte zuletzt im frühen 18. Jahrhundert als ein Begriff gegolten, der im wissenschaftlichen Diskurs überhaupt eine Daseinsberechtigung 45 Schnädelbach, Philosophie, S. 15. 46 Art. Schicksal, in: Allgemeines deutsches Conversations-Lexicon, S. 348. 47 Art. Schicksal, in: Brockhaus, Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie S. 498.

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besaß. Und tatsächlich waren es die Naturwissenschaften, die sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Deutungshoheit über den »Boden der Wirklichkeit« erobert hatten. So herrschte die Überzeugung, dass sich naturwissenschaftliche Forschung prinzipiell auf das gesamte Gebiet der empirisch erfassbaren, vornehmlich sinnlich erfahrbaren Welt erstrecken konnte, und insofern jede materielle Veränderung in der Welt eine naturwissenschaftlich beschreibbare Veränderung war.48 Auf der Suche nach den jeweiligen Ursachen, die den natürlichen Prozessen zugrunde lagen, eigneten sich viele Wissenschaftler zudem ein mechanistisches Weltbild an, das den Gang der Welt allein über kausal definierte Naturgesetze beschrieb.49 Wichtig ist, dass die zahlreichen, zweifelsohne bedeutenden Entdeckungen dieser Zeit nicht nur eine Beschleunigung des wissenschaftlichen Fortschritts in der jeweiligen Disziplin bedeuteten, sondern dass sie zugleich allgemein etablierte Ansichten der Philosophie und Theologie berührten. Denn fortan konnten religiös konnotierte Themen, wie beispielsweise die Fragen nach der Existenz einer speziellen Lebenskraft oder nach der Entstehung der Welt, mit dem Hinweis auf physikalische oder physiologische Prozesse beantwortet werden. Allein dadurch wurde die Naturwissenschaft als Ganzes »zur materiellen Macht, die letztlich auch dann unangreifbar blieb, wenn sie Lehren entwickelte und vertrat, welche den Vorstellungen privilegierten Glaubens zu widersprechen schienen«.50 Auch wenn sich ein Großteil der Naturwissenschaftler der neuen Richtung auf die Herleitung und Konstatierung wissenschaftlicher Sachverhalte beschränkte und sich davor scheute, mithin sogar explizit weigerte, weitergehende philosophische oder theologische Folgerungen aus den wissenschaftlichen Forschungsergebnissen abzuleiten, wurden die Wissenschaften zum ernst zu nehmenden Konkurrenten der etablierten Machtinstanzen in Politik und Gesellschaft. Die wissenschaftliche Blamage der Naturphilosophie,51 die philosophische Desavouierung des Idealismus durch die Linkshegelianer52 und das politische Scheitern der bürgerlichen Revolution von 1848/49 bereiteten den Boden für eine weltanschauliche Erweiterung des naturwissenschaftlichen Standpunktes, die gleichzeitig eine radikale Politik- und Gesellschaftskritik implizierte. Bekannt geworden ist diese Herausforderung der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts unter dem Begriff des wissenschaftlichen Materialismus, eine Selbstbezeichnung seiner zeitgenössischen Vertreter, die damit den wissenschaftlichen Charakter ihrer Bewegung gegen die Konkurrenz des Historischen 48 49 50 51 52

Pauen, Vom Streit, S. 103. Schnädelbach, Philosophie, S. 98. Lübbe, Politische Philosophie, S. 139. Schnädelbach, Philosophie, S. 101. Gregory, Scientific materialism, S. 13 – 28; Lange, Geschichte des Materialismus, S. 73 – 75.

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Freiheit und Schicksal in den Debatten des wissenschaftlichen Materialismus

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Materialismus von Karl Marx (1818 – 1883) und Friedrich Engels (1820 – 1895) absicherten.53 Die bekanntesten Vertreter der selbsternannten Schule, eine stark engagierte Generation junger Physiologen und Ärzte, hatten die gesellschaftliche Sprengkraft naturwissenschaftlichen Wissens entdeckt und erhofften, durch die Popularisierung dieses Wissens gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen zu können, die auf dem Weg der politischen Revolution nicht durchsetzbar gewesen waren. Carl Vogt (1817 – 1895), Ludwig Büchner (1824 – 1899) und Jakob Moleschott (1822 – 1893), die Protagonisten des materialistischen »Dreigestirns«,54 pflegten nicht nur Kontakte zu Linkshegelianern und französischen und russischen Revolutionären und Anarchisten,55 sie waren selbst in die revolutionären Ereignisse in Deutschland involviert und kämpften, teilweise in prominenter Position,56 durchweg für die liberal-demokratische Umformung eines geeinten deutschen Staates. Als die politische Umsetzung ihrer Ideale nach dem Scheitern der Revolution immer aussichtloser wurde, suchten sie ihren Forderungen durch wissenschaftliche Arbeiten neues Gewicht zu verleihen. Obwohl die wissenschaftlichen Materialisten ihre Lehren allein aus den Naturwissenschaften abzuleiten meinten, war ihre politische Position so der eigentliche Ausgangspunkt ihres Handelns.57 Das Programm der ›stillen Revolution‹ durch naturwissenschaftliche Bildung versuchten alle Verfechter des wissenschaftlichen Materialismus durch die Publikation von Schriften zu verwirklichen, die sich über einen leicht verständlichen Stil an ein breites Publikum richteten.58 Doch gerade diese Allgemeinverständlichkeit der Darstellung, die zumindest auf den ersten Blick auf einer vollkommen widerspruchsfreien Argumentationslogik beruhte und mit Leidenschaft vorgetragen wurde, barg das Gefahrenpotenzial für die Ruhe im Staat. Bereits nach den ersten einschlägigen Veröffentlichungen wurde klar, »daß jede naturwissenschaftliche Argumentation im öffentlichen Raum zur Weltanschauungsdiskussion werden konnte«.59 53 Gregory, Scientific materialism, S. IX. 54 Bröker, Politische Motive, S. 8. 55 Siehe zur Biografie der drei führenden Köpfe des Wissenschaftlichen Materialismus insbesondere: Gregory, Scientific materialism, S. 51 – 121. 56 Carl Vogt war 1849 sogar Reichsverweser des Stuttgarter Rumpfparlaments: Bröker, Politische Motive, S. 209 – 221. 57 So detailliert nachvollzogen am Beispiel Vogts durch: Ebd., S. 154 – 161; insgesamt bei: Lübbe, Politische Philosophie, S. 127 – 172; Gregory, Scientific materialism, S. 9. 58 Das gilt insbesondere für Ludwig Büchners Monografie »Kraft und Stoff«, die das materialistische Weltsystem zum ersten Mal in einer systematischen Form und in Kompilation zahlreicher spezialwissenschaftlicher Einzelerkenntnisse zusammenfasste und aufgrund ihres unkomplizierten Stils innerhalb eines Jahres drei Neuauflagen erlebte: Büchner, Kraft und Stoff. 59 Daum, Wissenschaftspopularisierung, S. 211.

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Vogt, Moleschott und Büchner waren erklärte Atheisten, verwarfen mit der idealistischen Philosophie zumindest vordergründig auch alle Metaphysik60 und bestritten ihre Relevanz für das gesellschaftliche Leben überhaupt.61 Die in Stoff und Form lebende Natur, der alles Existierende angehörte, war nach materialistischer Auffassung in sich unsterblich und unendlich. Sie wurde durch allgemeingültige und unabänderliche Naturgesetze bestimmt, die sich im Stoff durch die Kraft vollzogen, keinen Eingriff von außen, keine Ausnahme duldeten und von den Materialisten so in eins gesetzt wurden mit dem Begriff der Notwendigkeit,62 der uns bereits in den Debatten des 18. Jahrhunderts als ein Synonym des Schicksalsbegriffs begegnet ist. Für alle Materialisten war die Gültigkeit dieser Annahme eine unhinterfragbare Prämisse jedes naturwissenschaftlichen Forschens. Denn: »Was [soll] aus der ganzen Naturwissenschaft [werden], wenn die Voraussetzung eines durchgängigen Naturzusammenhangs, einer unzerreißbaren Verkettung von Ursachen und Wirkungen in der Welt falsch ist; wenn ehedem zahllose Wunder geschehen sind und jeden Tag wieder Wunder geschehen können; […] wenn wir bei keinem Schritt wissen, ob unsere Schlüsse von der Wirkung auf die Ursache richtig sind, weil jede Erscheinung möglicherweise statt der natürlichen übernatürliche, von keiner Vernunft aufzuspürende Gründe haben kann?«63

Die Anerkennung dieses universalen Kausalzusammenhanges bedeutete zugleich die Ablehnung jeder Teleologie, womit sich die materialistischen Autoren unmissverständlich gegen solche pantheistischen Welterklärungen wandten, wie sie als Bewunderung der Zweckmäßigkeit der Schöpfung von zahlreichen Kollegen in die naturwissenschaftliche Forschung eingebracht wurden.64 Sehr schnell wurde deutlich, dass der Naturgesetzbegriff der wissenschaftlichen Materialisten in seiner mechanistischen Ausprägung in einem absoluten Determinismus enden musste, weil er die Welt als kausal geschlossen vorstellte.65 Die Frage nach der Existenz einer menschlichen Willens- und Handlungsfreiheit tauchte hier also ebenso unweigerlich auf wie in der Frühaufklärung, aber mit dem Unterschied, dass sich die Materialisten unumwunden zur prinzipiellen Unfreiheit des Menschen bekannten. Auch in zwei weiteren markanten Punkten unterschied sich das materialistische Weltbild von den Vorstellungen des 18. Jahrhunderts: In der Aufklärung noch waren neben den materiellen auch die geistigen Prozesse in der Natur zu Determinanten des Menschen gerechnet worden, weshalb die seelisch und 60 61 62 63 64 65

Moleschott, Der Kreislauf, S. IV. Wittich, Einleitung, S. XXVI. Büchner, Kraft und Stoff, S. 33 – 35; Moleschott, Der Kreislauf, S. 17. Vogt, Köhlerglauben, S. X. Ebenso: Moleschott, Der Kreislauf, S. 18. Ebd., S. 17. Pauen, Vom Streit, S. 105.

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Freiheit und Schicksal in den Debatten des wissenschaftlichen Materialismus

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göttlich bedingten Ereignisse in die Kausalkette der Begebenheiten miteinbezogen wurden. Im Materialismus des 19. Jahrhunderts wurden die Determinanten menschlichen Handelns jedoch auf materielle Prozesse beschränkt. Die Abhängigkeit des Menschen vom Stoff erschien so ungleich radikaler. Zum Zweiten bot das naturwissenschaftliche, insbesondere physiologische Wissen tatsächlich einige konkrete, empirisch abgesicherte Anhaltspunkte, um diese Auffassung zu unterstützen. War der Determinismus des 18. Jahrhunderts in weiten Teilen das Ergebnis philosophischer Spekulation gewesen, das in der Verallgemeinerung logischer Ableitungen bestanden hatte, konnten sich Vogt, Moleschott und Büchner immer häufiger auf Resultate naturwissenschaftlicher Experimente beziehen, die auf der Basis der anerkannten naturwissenschaftlichen Methodik tatsächlich überprüfbar waren. In den Augen der wissenschaftlichen Materialisten war der Mensch deshalb zweifach determiniert: in einer Makroperspektive durch die allgemeine kausale Weltstruktur, in einer Mikroperspektive zusätzlich durch die Prozesse im Innersten seines Körpers. Das Gebiet, das in dieser Hinsicht besonders vielversprechend erschien, war die Physiologie, und hier insbesondere die Hirnforschung. Sie erlaubte den Blick in das Innere des Menschen und damit in die Geheimnisse seiner Persönlichkeit. Zugleich bündelten sich hier die Fragen, an denen sich die Reichweite der materialistischen Weltinterpretation erweisen musste; denn der Kopf des Menschen war der Ort, an dem die materielle Welt des Gehirns, der Zellen, der Atome und die geistige Welt der Gefühle, Vorstellungen und Gedanken aufeinandertrafen. Wenn es den wissenschaftlichen Materialisten gelang, einen zwingenden Zusammenhang zwischen den Bewegungen der körperlichen Materie und den Gedanken, ja der Entstehung des menschlichen Bewusstseins aufzuzeigen, hatten sie einen langfristigen Sieg über die idealistische und religiöse Weltanschauung erreicht, basierten diese doch auf der Unabhängigkeit der geistigen von der materiellen Sphäre, in theologischer Hinsicht sogar auf der Existenz einer Seele, die unabhängig vom menschlichen Körper zu existieren vermochte. Deshalb entzündete sich genau an dieser Frage auch die als ›Materialismusstreit‹ in die Geschichte eingegangene Kontroverse zwischen Carl Vogt und dem Göttinger Physiologieprofessor Rudolph Wagner (1805 – 1864), die weit über den bloß naturwissenschaftlichen Bereich hohe Wellen schlug und eine langfristige Auseinandersetzung der Naturforscher mit den Grundlagen ihres Erkenntnisgewinns zur Folge hatte. Den gesamten Hergang des Streits nachzuvollziehen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Neben persönlichen Animositäten der beiden Kontrahenten spielten wissenschaftstheoretische Uneinigkeiten und divergierende Ansichten zu sachlichen Einzelfragen die entscheidende Rolle bei dem heftigen Zusammenprall der beiden Physiologen. Eine dieser Einzelfragen, die allerdings mit

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den theoretischen Grundlagen der eigenen Wissenschaft auf das Engste verknüpft war, war die Frage nach der Entstehung des Bewusstseins und der Existenz der Seele. Carl Vogt hatte sich in verschiedenen Zusammenhängen mit der provokativen Äußerung profiliert, dass »die Gedanken in demselben Verhältniß etwa zu dem Gehirne stehen, wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren«66 und sich dabei auf neuere hirnphysiologische Untersuchungen berufen, welche die Lokalisation von Geistesfähigkeiten in bestimmten Gehirnarealen und damit die Abhängigkeit des Willens vom physiologischen Zustand des Denkorgans nachgewiesen hatten.67 Für Vogt erbrachten diese Forschungsergebnisse den Beweis für die Nichtexistenz der Seele. Unfähig, seine Körperfunktionen zu kontrollieren, sei der Mensch zu keinem Zeitpunkt Herr seiner selbst und deswegen auch nicht verantwortlich für sein Denken und Handeln. »Was wir in einem Augenblicke denken, ist das Resultat der augenblicklichen Stimmung, der augenblicklichen Zusammensetzung unseres Gehirns.«68 Hiermit machte sich Vogt die Ansichten Jacob Moleschotts zu eigen, der in seinen Schriften immer wieder die These vertreten hatte, dass alle Lebewesen durch die chemische Zusammensetzung ihres Körpers bestimmt seien.69 In seinem 1852 populärwissenschaftlich angelegten Buch »Der Kreislauf des Lebens«70 fasste Moleschott diese These unter der griffigen Formel »Der Stoff regiert den Menschen« zusammen und ergänzte: »Die Lehre vom Leben hat es mit nichts Anderem zu thun als mit der Chemie und Physik des lebendigen Leibes.«71 Natürlich provozierten die simplifizierenden Aussagen Vogts und Moleschotts zahlreiche Gegenreaktionen, die das materialistische Weltbild aus unterschiedlicher Perspektive scharf angriffen.72 Rudolph Wagner eröffnete den Kampf gegen die materialistischen Lehren 1854 auf der Naturforscherversammlung in Göttingen, indem er ihre zwangsläufigen moralischen Folgen perhorreszierte. Im wissenschaftlichen Materialismus würden die Menschen zu Apparaten degradiert, die nichts als Totengerippe seien, ohne sittliche Basis und moralische Weltordnung existierten und keine Hoffnung auf ein Jenseits hätten.73 Wagner zeichnete das Schreckbild einer deterministischen Weltanschauung, die, weil sie jegliche Verantwortlichkeit des Menschen für seine Handlun66 67 68 69 70 71 72

Vogt, Physiologische Briefe, S. 206. Ebd., S. 190 f., 304. Vogt, Bilder aus dem Thierleben, S. 445. Moleschott, Die Physiologie; ders., Physiologie des Stoffwechsels. Ders., Der Kreislauf. Ebd., S. 312. Eine Klassifizierung der antimaterialistischen Positionen liefert: Gregory, Scientific materialism, S. 29. 73 Wagner, Menschenschöpfung, S. 24.

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gen negierte, eben auch mit den christlichen Vorstellungen eines Jenseits und eines Endgerichts inkompatibel war – ein Einwand, den die Materialisten selbst natürlich nicht gelten ließen.74 Dennoch stimmten andere Autoren in die Vorwürfe ein, sodass es nicht lange dauerte, bis die Worte vom »fatalistischen Materialismus« oder vom »Fatalismus des Materialismus« zu feststehenden Begriffen der diskursiven Auseinandersetzung vieler Disziplinen mit Vogts, Moleschotts und Büchners Schriften wurden.75 Es ist erstaunlich, dass diese den Fatalismus- ebenso wie den Schicksalsbegriff kaum verwendeten,76 sondern stattdessen mit den Ausdrücken »Notwendigkeit«, »Kausalgesetz« und »Unfreiheit« operierten. Dieser blinde Fleck oder eben absichtliche Leerraum entging auch den Kritikern des Materialismus nicht. Sie forderten ein offenes Bekenntnis zum Schicksal geradezu ein, um die Konsequenzen des wissenschaftlichen Materialismus auch begrifflich deutlich zu machen. So hatte sich etwa der Mediziner Moritz Ernst Adolph Naumann (1798 – 1871) detailliert mit Büchners Bestseller »Kraft und Stoff« beschäftigt und seine kritische Auseinandersetzung 1869 in einer Schrift veröffentlicht, welche die Kapiteleinteilung von Büchners Werk unverändert adaptierte. Im sechsten Kapitel über »Die Unabänderlichkeit der Naturgesetze« sprach Naumann das Lavieren der Materialisten um den Schicksalsbegriff offen an, behaupteten diese doch »eine starre unerbittliche Nothwendigkeit«,77 ohne aber erklären zu können, wer die Dinge denn so notwendig geordnet habe. »Wenn aber der Verf. dieses ganze Raisonnement von sich weist, so vermag ich unter seiner ›starren unerbittlichen Nothwendigkeit‹ nichts anderes zu verstehen als die eRlaql]mg, das Fatum der Alten, jene dunkle, selbst den unsterblichen Göttern überlegene Naturkraft. Dagegen würde er jedoch Protest einlegen, da bei solcher Annahme seine Theorie einen pantheistischen Anstrich erhalten könnte, den ein so erklärter Materialist schwerlich anerkennen dürfte. Und doch würde ihm schliesslich ein anderer Ausweg als der angedeutete, wenigstens bei dieser Frage, nicht wohl übrig bleiben.«78

74 Vogt, Köhlerglauben, S. 121. 75 So unter vielen anderen: Landerer, Art. Freiheit des menschlichen Willens, S. 520; Lange, Geschichte des Materialismus, S. 477; Tanner, Vorlesungen, S. 199; Beck, Art. Fatalismus, S. 341; Fabri, Briefe gegen den Materialismus, S. 17; Frauenstädt, Die Naturwissenschaft, S. 91 f. 76 Das hätte ihre Ansichten in eine historische Linie mit dem französischen Materialismus des 18. Jahrhunderts gebracht. Die klassischen Werke des französischen Materialismus von Julien Offray de La Mettrie (1709 – 1751), Paul Henri H. Thiry d’Holbach (1723 – 1789), Denis Diderot und Claude-Adrien Helv¦tius (1715 – 1771) implizierten den Fatalismus- und den Schicksalsbegriff wie selbstverständlich als philosophische Selbstbeschreibung. So z. B. Holbach, System der Natur, S. 156 f., 179, 182, 198, 207 und weitere. 77 Naumann, Die Naturwissenschaften, S. 46. 78 Ebd., S. 47.

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Und warum scheuten sich die Materialisten, die einzig mögliche Lösung dieses Problems durch »den Recurs auf das Fatum« offen zu wählen? Weil sie sich dann »mit Wissen und Willen […] aus dem Reiche des Wissens in das Gebiet des Glaubens geschwungen« hätten.79 So blieb die Anerkennung einer Schicksalsmacht, eines Fatums im Kreise der hartgesottenen Materialisten tatsächlich eine Seltenheit. Einzig Heinrich Czolbe (1819 – 1873), ebenfalls Mediziner und zumeist der Viertgenannte unter den bekannteren materialistischen Autoren, bekannte in einer Streitschrift gegen den Philosophen Rudolf Hermann Lotze (1817 – 1881) ohne Zögern: »Aber der Fatalismus grade der entschiedensten materialistischen Denkart hat nichts Abschreckendes. Obwohl er die absolute Willensfreiheit des Menschen unbedingt verwirft, ihm als machtlosem Werkzeuge der in unabänderlicher Nothwendigkeit sich bewegenden Natur Demuth lehrt, obwohl er die theologische Eitelkeit, sich für ein über der Natur erhabenes, göttliches Wesen zu halten, von Grund aus zerstört, so wird man sich der strengen Ordnung der Dinge doch gerne und mit Zuversicht unterwerfen […].«80

Was im engsten Kreis der bekanntesten wissenschaftlichen Materialisten also noch fehlte, eine analytische und systematische Auseinandersetzung mit dem Schicksalsbegriff, der in inhaltlicher und historischer Perspektive eigentlich perfekt zur materialistischen Weltdeutung gepasst hätte, wurde durch ihre Sympathisanten an der Peripherie kurze Zeit später unternommen und ausformuliert. 1858 erschien bei Otto Wigand (1795 – 1870) in Leipzig eine Abhandlung »Ueber die Freiheit des menschlichen Willens«81 eines gewissen J. C. Fischer, dessen Identität bis heute nicht eindeutig geklärt werden kann,82 der aber zweifelsohne ein vielbelesener naturwissenschaftlicher Laie war. Fischers Buch beschäftigte die deutsche Öffentlichkeit nachhaltig, widmete es sich doch explizit derjenigen Frage, welche die Gemüter am meisten erregte. Bereits in seiner Widmung an Jakob Moleschott und dann insbesondere in seinem Vorwort zur 79 Ebd., S. 52. 80 Czolbe, Entstehung, S. 37 f. Auch in einer späteren Publikation sprach Czolbe davon, dass man den der Welt zugrunde liegenden Plan auch als »Fatum« bezeichnen könne: Ders., Die Grenzen, S. 5. 81 Fischer, Ueber die Freiheit. 82 Möglicherweise handelte es sich um Johann Christoph Fischer, der zwischen 1864 und 1868 Direktor der Wiener Brockhaus-Dependance war. Brockhaus, Die Firma F. A. Brockhaus, S. 180. Seine kryptischen Namensangaben führten bereits zu seinen Lebzeiten zu Verwechslungen, sodass er von verschiedenen Rezensenten zwischenzeitlich fälschlicherweise sogar mit dem berühmten Hegel’schen Philosophen Kuno Fischer identifiziert wurde. So z. B.: Prange, Geographie, S. 288; Hoffmann, Franz von Baader, S. 333; Deutinger, Der gegenwärtige Zustand, S. 230 – 248.

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zweiten Auflage bereitete er den interessierten Leser auf den explosiven Inhalt seiner Abhandlung vor: »Ich bestreite die Freiheit des menschlichen Willens und suche zu beweisen, daß unser Wille naturnothwendig bedingt, daß jeder einzelne Willensact ein Naturprozeß und, wie jeder Naturproceß, dem universalen Weltgesetze von Ursache und Wirkung unterworfen ist.«83

Fischer versuchte eine Synthese der makro- und mikroperspektivischen Argumente der wissenschaftlichen Materialisten gegen die menschliche Willensfreiheit zu formulieren und orientierte sich dabei vornehmlich an Jakob Moleschott und Carl Vogt. So behandelte er in seiner Studie sowohl die Einflüsse, die das Individuum von außen determinierten, als auch die Determinanten der physiologischen Prozesse, sodass das Panorama menschlicher Bestimmtheit von der Vererbung, Erziehung, Sozialisation und Politik84 bis zum Charakter, den Leidenschaften, der Zusammensetzung des Blutes und der Funktion der Nerven und Zellen reichte.85 Inhaltlich ging Fischer deshalb nicht weiter als die Protagonisten des Materialismus. Was seine Ausführungen jedoch von jenen seiner Vorbilder unterschied, war die sprachliche Zusammenfassung des materialistischen Systems unter den Begriff des Schicksals. »Das Schicksal«, definierte er, »ist nichts anderes als die Naturgesetze in Gestalt der Notwendigkeit.«86 Vordergründig entsprach Fischers Schicksalsbegriff damit exakt den FatumVorstellungen des 18. Jahrhunderts. Auch dort war von den kausalen Weltstrukturgesetzen die Rede gewesen, denen jedes menschliche Handeln und Wollen unterlag, die aber, und das war der entscheidende Unterschied, ihren Ursprung jenseits der Materie, in einem transzendenten Gott besaßen. Fischer jedoch führte, ganz in materialistischer Manier, den Schicksalsbegriff auf den Materiebegriff zurück, enthob ihn damit dem Gottesbegriff und den dazugehörigen Glaubensfragen und beschränkte ihn auf die Sphäre der Wissenschaft. Im Einzelnen interpretierte er das Schicksal als Konsequenz, als »das Facit einer Rechnung«,87 die aufgestellt wurde durch die Summe der inneren und äußeren Einflüsse auf den Menschen. In dieser Hinsicht wurde der Schicksalsfaden des Individuums zwischen Geburt und Tod als eine Folge von Naturereignissen gesponnen, denen der Mensch eben deshalb unterlag, weil er ein aus Materie gebildetes Subjekt war. Bereits vor seiner Geburt wurde das Schicksal eines Menschen durch die ihm angeborenen, körperlichen und charakterlichen Eigenschaften in eine bestimmte Richtung gelenkt, die im Laufe seines Lebens 83 84 85 86 87

Fischer, Die Freiheit des menschlichen Willens, S. III. Ders., Ueber die Freiheit, S. 12. Ebd., S. 29 – 58. Ebd., S. 34. Ebd., S. 4.

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zusätzlich durch seine Umgebung und durch körperliche Prozesse konkretisiert wurde. Die Motive für individuelle Handlungen waren demnach ebenso Produkte äußerer Bedingungen wie der Gefühle, des Charakters, der körperlichen Voraussetzungen und entzogen sich in ihrer Bildung dem bewussten Zugriff.88 Das ließ sich in einem sehr plastischen Bild ausdrücken: »Das ›Schicksal‹ ist es, das Gewicht auf Gewicht bald in die eine bald in die andere Schaale wirft und unser Wille ist nur das Zünglein der Waage, das sich dahin neigt, wo das Schwergewicht überzeugender Motive die Schaale sinkend macht.«89

Fischer war überzeugt davon, dass seine Argumentationsweise wissenschaftlichen Ansprüchen genügte und dass deshalb auch seine Interpretation des Schicksalsbegriffs eine wissenschaftliche war. Er teilte mit seinen großen Vorbildern die Gewissheit, dass die absolute Determination des Menschen logisch aus einer konsequent rationalen Weltbetrachtung resultierte. Doch gerade an Fischers Verwendung des Schicksalsbegriffs lässt sich zeigen, dass sein Weltbild metaphysische Implikationen enthielt, die von ihm selbst jedoch nicht reflektiert wurden. Als konsequenter Determinist und Fatalist machte sich Fischer Gedanken über die Möglichkeit der Voraussage menschlicher Handlungen. Denn wenn selbst die vermeintlich freien Willensentscheidungen des Menschen aus den sie bedingenden Umständen rekonstruierbar waren, musste die Kenntnis einer Reihe dieser Umstände hinreichen, um menschliches Verhalten zu prognostizieren. Fischer exemplifizierte das an einer Reihe prominenter Persönlichkeiten. So hätten die Nachforschungen über Johann Sebastian Bachs (1685 – 1750) Vorfahren ergeben, dass sich unter diesen eine große Anzahl »der kernhaftesten Kunstmeister« befunden habe, die bereits die Geburt eines Genies wie Bach hätten erwarten lassen können.90 Natürlich waren solche retrospektiven Prophezeiungen reichlich spekulativ, doch Fischer vertrat mit Verve die Prädestination des Schicksals: »[…] das Schicksal ist insofern ein im Voraus festbestimmtes, als wir auf unserer Fahrt durchs Leben lauter gegebenen, ohne unser Zuthun entstandenen Verhältnissen begegnen, welche ihrer Beschaffenheit gemäß wirken und welche in der Berührung mit unserer Natur nothwendig diejenige Wirkung hervorbringen müssen, welche sie eben hervorbringen.«91

Getreu seiner antireligiösen und antiphilosophischen Einstellung vermied Fischer es jedoch zu explizieren, ob tatsächlich ein unsterbliches Wesen von der 88 89 90 91

Ebd., S. 49. Fischer, Die Freiheit des menschlichen Willens, S. 40. Fischer, Ueber die Freiheit, S. 32 f. Ebd., S. 34.

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Vorherbestimmung der Ereignisse wusste, und ob es diese auch bestimmt hatte. Nur an einer Stelle sprach er, mit Verweis auf Alexander von Humboldts zu dieser Zeit ungeheuer populäres »Kosmos«-Werk, von den »Mächten des Alls«, die für die Unveränderlichkeit und Ewigkeit der Naturgesetze verantwortlich seien.92 Dieser singulär verwendete Ausdruck war so ambivalent, dass sich nicht entscheiden lässt, ob Fischer hierbei tatsächlich auf metaphysische Kräfte anspielte oder nur nach einer poetischen Umschreibung der kausalen Weltstruktur suchte. Denn an anderer Stelle relativierte er die metphysische Komponente wiederum. »Der Poet kann sagen: in den Sternen steht das Schicksal geschrieben, aber der ist ein Thor, der es herunterlesen will, der mehr thut, als aus der Natur und dem Charakter und den allgemein menschlichen Verhältnissen vernünftige Schlüsse auf die Zukunft zu ziehen.«93 Trotz der augenscheinlichen Beschränkung menschlichen Erkenntnisvermögens implizierte diese Feststellung doch die Gewissheit, der Schicksalsbestimmung in einem gewissen Rahmen auf die Schliche kommen zu können. Die merkwürdige Vermischung wissenschaftlicher Prinzipien und metaphorischmetaphysischer Ausdrücke wurde in dem Moment offensichtlich, als Fischer versuchte, seine philosophischen Feststellungen durch wissenschaftlich bestätigte Befunde einer relativ jungen Disziplin zu beweisen und den Schicksalsbegriff dadurch, wie nie zuvor, in Zahlen fassbar und mathematisch berechenbar zu machen.

Die Moralstatistik als Schicksalswissenschaft In den 1830er-Jahren hatte der belgische Mathematiker Adolphe Qu¦telet (1796 – 1874) eine neue Methode statistischer Forschung entwickelt, die brisante Aussagen ermöglichte. Bisher war die Statistik dazu verwendet worden, verschiedene Aspekte gesellschaftlicher Zustände durch Zahlenwerte auszudrücken. Qu¦telet wollte sich nun nicht länger darauf beschränken, voneinander anscheinend unabhängige Befunde zu konstatieren und abzubilden, sondern er suchte nach den kausalen Beziehungen unterschiedlicher statistischer Ergebnisse zueinander. Das Revolutionäre dieses Unternehmens bestand darin, dass er sich gerade den Phänomenen widmete, die wie kaum andere als Produkte individueller Willensentscheidungen galten. Qu¦telet wollte nachweisen, dass auch bewusste menschliche Entschlüsse, wie Eheschließungen, Suizide und Verbrechen bestimmten natürlichen Gesetzmäßigkeiten gehorchten, die sich in statistischen Korrelationen ausdrücken ließen. Seine umfangreichen Untersu92 Ders., Die Freiheit des menschlichen Willens, S. 226. 93 Ders., Ueber die Freiheit, S. 34.

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chungen zeigten im Ergebnis, dass die moralischen Handlungen der Menschen erstens mit den gleichen Methoden untersucht werden konnten wie die physischen Ereignisse, und dass sie zweitens ebenso unvermeidlichen Notwendigkeiten unterlagen. So hieß es bereits im Inhaltsverzeichnis von Qu¦telets Hauptwerk »Sur l’homme et les d¦veloppement de ses facult¦s« von 1835: »Les ph¦nomÀnes moraux peuvent Þtre soumis aux mÞmes principes d’observation que les ph¦nomÀnes physiques – Necessit¦ des ph¦nomÀnes moraux.«94 Wie war er zu diesen Ergebnissen gekommen? Qu¦telet hatte statistische Erhebungen über die Eheschließungen, Geburten, Verbrechen, Sterbefälle und Suizide in Belgien und Frankreich über mehrere Jahre hinweg in Beziehung gesetzt zum Geschlecht, dem Alter, der Nationalität, dem Beruf, der Konfession etc. der Betroffenen und dem Ort, dem Zeitpunkt, dem Klima etc., an dem das jeweilige Ereignis stattfand. Dabei hatten sich statistische Regelmäßigkeiten aufgetan, welche die Ableitung allgemeiner Grundsätze zuließen, wie etwa, dass die Wahrscheinlichkeit, delinquent zu werden, für Männer generell etwa vier Mal höher war als für Frauen.95 An solchen und zahlreichen anderen Befunden konnte Qu¦telet demonstrieren, dass auch die menschlichen Handlungen auf moralischem Gebiet nicht so sehr von freien Willensentschlüssen, sondern vielmehr von statistischen Wahrscheinlichkeiten abhingen, der Mensch also, handle er auch, wie er wolle, immer nur die Gesetze der Statistik erfüllte. So geschah es, dass die Materialisten »den Hang zum Verbrechen, die Neigung zum Selbstmord, den Trieb zur Ehe und andre solche statistische Begriffe nur zu oft wörtlich verstanden und aus der merkwürdigen Regelmässigkeit der jährlich wiederkehrenden Zahlen einen Fatalismus« ableiteten,96 gegen den sich Qu¦telet selbst in seinen Untersuchungen immer explizit gewehrt hatte.97 Fischer war einer der Ersten, der in einiger Ausführlichkeit Qu¦telets Forschungsergebnisse zusammenfasste,98 auf den Schicksalsbegriff projizierte und damit am Ende seines Buches einen Trumpf aus dem Ärmel zog, dem sich auch der skeptischste Leser kaum entziehen konnte: »Der Mann der Wissenschaft spricht es mit siegesgewisser Zuversicht aus, daß er Daten besitzt, die ihn berechtigen, von den menschlichen Handlungen so sicher auf die sie hervorrufenden Ursachen – die Seelenkräfte – zu schließen, als von dem Steigen und 94 Qu¦telet, Sur l’homme, Table de mati¦res. In der deutschen Übersetzung: »Die Erscheinungen des geistigen Lebens können denselben Grundsätzen unterworfen werden, wie die Erscheinungen der Sinnenwelt – Nothwendigkeit der Erscheinungen des geistigen Lebens.« Ders., Ueber den Menschen, Inhalt. 95 Qu¦telet, Sur l’homme, S. 243. 96 Lange, Geschichte des Materialismus, S. 402. 97 Qu¦telet, Sur l’homme, S. 13. 98 Fischer, Ueber die Freiheit, S. 185 – 203.

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Fallen der Quecksilbersäule des Barometers auf Temperatur und Luftdruck.«99 Fischer reizte die Ergebnisse der Statistik bis zum Äußersten aus, sprach sogar von der statistischen Verteilung großer literarischer und philosophischer Werke in Relation zum jeweiligen Alter ihrer Autoren und bekräftigte die allgemeinen Befunde durch Exempel berühmter Individuen, an denen man ja sehen könne, dass »die besten Trauerspiele« gewöhnlich »in die Lebensjahre zwischen 30 und 40 [fielen]; die besten Lustspiele« dagegen »zwischen 40 und 55« entstehen würden.100 Faktisch hieß das, dass sich individuelle Willensentscheidungen – wie alles andere in der Welt – nach universellen Prinzipien richteten und dass diese Prinzipien sich in Zahlen manifestierten. Wenn also das Schicksal nichts anderes war »als die Naturgesetze in Gestalt der Notwendigkeit«,101 und diese Gesetze sich in mittleren Zahlen offenbarten, dann war folglich auch das Schicksal in statistischen Daten ausdrückbar und gewann eine neue Qualität. Schicksal, als prädeterminierter Lauf der Dinge, wurde kalkulierbar und beherrschbar durch empirische Daten unter Zuhilfenahme der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die Evidenz der Zahlen ließ nicht nur handfeste Gegner der materialistischen Partei nachdenklich werden, sondern führte auch unter Moralstatistikern zu einer Unsicherheit über die eigentliche Bedeutung des Schicksalsbegriffs. Karl Eugen Dühring, der uns schon als völkischer Autor begegnet ist, machte deutlich, dass es sich bei der Kritik an der Moralstatistik im Wesentlichen um eine Frage der Wortwahl, nicht um eine der empirischen Substanz handelte. Dementsprechend warf er dem Mathematiker Moritz Wilhelm Drobisch (1802 – 1896) vor, durch eine Verschleierung der Begriffe der Frage nach der Willensfreiheit auszuweichen. Dessen Schrift »Die moralische Statistik und die menschliche Willensfreiheit« »will keinen Fatalismus, weil sie durch denselben die Moral als kompromittirt ansieht. Sie will aber einen entschiedenen Determinismus, das heißt eine durchgängige Bestimmung aller Handlungen nach Motiven anerkannt wissen. Es wäre nun sehr wünschenswerth gewesen, den Unterschied zwischen dem eigentlichen Fatalismus und jenem allgemeinen und durchgängigen Determinismus näher kennen zu lernen.«102 Doch genau darauf blieben die Moralstatistiker die Antwort zumeist schuldig. Denn tatsächlich bekämpften sie den Fatalismus nicht durch eine Aburteilung der statistischen Befunde selbst, sondern eher durch eine Diskreditierung des Begriffs, den sie jedoch einfach durch den Begriff des Determinismus ersetzten und dadurch die Willensfreiheit zu retten glaubten. 99 100 101 102

Ebd., S. 186. Lange, Geschichte des Materialismus, S. 192. Fischer, Die Freiheit, S. 34. Dühring, Moralische Statistik, S. 515.

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Im Zuge der Debatten, die sich um die Manifestation des Schicksals in der Moralstatistik entspannen, wandelte sich der Schicksalsbegriff nach und nach von einem alles durchdringenden Prinzip, das durch die Statistik abgebildet wurde, zu einem Produkt, welches das Ergebnis statistischer Rechenoperationen war. Entsprach die erste Deutung noch den konventionellen kausal-naturgesetzlichen Fatum-Vorstellungen, welche die Kritiker von ihren Folgen her perhorreszierten und als »Fatalismus« widerlegt wissen wollten,103 so konnte die zweite Deutung an Plausibilität gewinnen, weil sie das Schicksal als Untersuchungsobjekt in der Materie identifizierbar machte und dabei endgültig entmystifizierte. Einige Beispiele mögen das illustrieren. Wilhelm Maximilian Wundt (1832 – 1920), der später als der Begründer der naturwissenschaftlich orientierten Psychologie gelten sollte, sprach sich für die Nutzung moralstatistischer Daten für seine Wissenschaft aus. Die Statistik galt ihm als Hilfswissenschaft der Psychologie, stellte sie doch die Lehre von der Seelentätigkeit auf eine mathematische Basis. In diesem Zusammenhang sprach er in seiner ersten experimentalpsychologischen Studie, den »Beiträgen zur Theorie der Sinneswahrnehmung«, davon, dass man aus der Moralstatistik erfahren könne »durch welche Momente die wichtigsten Lebensschiksale [!] der Menschen bestimmt werden«.104 Die Statistik erst liefere psychologischen Erfahrungen die wissenschaftliche Grundlage, die sie vorher nicht besessen hätten. In der Folge setzte sich auch bei anderen Autoren die Auffassung durch, dass die Moralstatistik die Aufgabe habe, »menschliche Handlungen und menschliche Schicksale« aufzuzeichnen.105 Der Prenzlauer Mediziner Sigismund Eduard Löwenhardt (1794 – 1875), der 1863 in einem groß angelegten Werk »Die Einheit der Moral- und Naturgesetze« nachzuweisen unternommen hatte, war überzeugt, dass man auf »statistisch-geschichtlichem Wege« zeigen könne, dass »jedes Volk wie jeder Mensch sein […] zunächst durch die socialen und politischen Verhältnisse bestimmtes Schicksal hat, dem es eben so wenig wie das Einzelindividuum entgehen kann«.106 Zu diesen Verhältnissen zählten für Löwenhardt die »angeerbten und erworbenen Anlagen, Erziehung und Unterricht, Umgang, Stand und Lebensverhältnisse, Vaterland und Nachbarländer, vorzugweise Beschäftigung des Volkes, ob es handeltreibend, seemännisch, ackerbauend etc. war«, die geografische Umgebung, Sitten, Gebräuche und religiöser Kultus, Bodenbeschaffenheit, Nahrungsmittel, Klima und Jahreszeiten. Denn 103 Drobisch, Die moralische Statistik, S. 53; Frauenstädt, Moritz Wilhelm Drobisch, S. 355; Qu¦telet, Zur Naturgeschichte, S. 314; Wappäus, Allgemeine Bevölkerungsstatistik, S. 425; Wagner, Die Gesetzmässigkeit, S. 44. 104 Wundt, Beiträge, S. XXV. 105 Lange, Geschichte des Materialismus, S. 401. 106 Löwenhardt, Die Identität, S. XLII.

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der Mensch sei »stets das Kind seiner Zeit«,107 er vermochte sich »weder körperlich noch geistig dem Einfluß seines Landes, seines Volkes, seiner Zeit« zu entziehen.108 Unter dieser Prämisse konnte Löwenhardt mit Blick auf die moralstatistischen Daten auch zu einer vollkommenen Neuinterpretation des Schicksals kommen: »[…] das blinde, die Menschen leitende, Schicksal« war nichts anderes als der »Zeitgeist«,109 dessen Ursprung in den zeitbedingten Verhältnissen lag. Mit dieser Deutung verabschiedete sich Löwenhardt endgültig von der Vorstellung eines abstrakten Schicksalsprinzips, das eher das Produkt metaphysischer Überlegungen gewesen war als das Ergebnis einer materialistischen Weltsicht. Da der einzelne Mensch durch seine gesellschaftliche Prägung steter Träger und Reproduzent des Zeitgeistes war, konnten sich auch Strukturveränderungen in Gesellschaften nur sehr langsam vollziehen. Daraus ließ sich wiederum die relative Konstanz statistischer Befunde erklären. Dennoch war Löwenhardt überzeugt, dass sich politische und soziale Veränderungen langsam, aber sicher auch in den moralischen Handlungen der Menschen und damit in der Moralstatistik niederschlagen würden. Denn gerade, weil der Mensch als Teil einer vorstrukturierten Gesellschaft das Schicksal gewissermaßen aus sich selbst gebar, konnte er auch zum Ausgangspunkt für gesellschaftlichen Wandel werden. Löwenhardt konkretisierte diese Vorstellung am Beispiel des durch den Bürgerkrieg befreiten Amerikas: »So ist in der Wirklichkeit an einem Punkte der Erde [Amerika, F. R.] die Menschheit in der geschichtlichen Entwickelung zu der Einsicht gekommen, daß der den Menschen als ein fremdes vorgestellte Weltgeist nicht mehr wie ein blindes Schicksal die irdischen Angelegenheiten mit bewußtloser Nothwendigkeit leitet, sondern alle Einzelnen ihres Zieles bewußt, diesen allgemeinen Geist in ihrem Denken und Handeln als ihren eigenen Geist zur Darstellung bringen, und wovon eben die Statistik die für Uneingeweihte überraschenden Resultate ergiebt.«110

Mit diesen Worten hatte Löwenhardt das Schicksal nicht nur an die materiellen Bedingtheiten des Lebens zurückgebunden, sondern seinen Ursprung wieder in das Innere des Menschen verlegt. Das Schicksal selbst wurde aus Sicht der Materialisten von einer hervorbringenden, dominanten Macht zu einem hervorgebrachten, passiven Produkt, dem Zeitgeist, der von bestimmten beschreibbaren Bedingungen abhing. Nur deshalb war das Schicksal ausdrückbar und messbar in Statistiken. Fasst man nach diesem Exkurs über die Moralstatistik die Auswirkungen des 107 108 109 110

Ebd., S. 183. Ebd., S. 252. Ebd., S. 322. Ebd., S. 319.

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wissenschaftlichen Materialismus auf die semantische Struktur und Funktion des Schicksalsbegriffs zusammen, so ergeben sich gerade im Vergleich zur Epoche der Romantik sechs bemerkenswerte Aspekte: 1. Durch den materialistischen Diskurs wurde der Schicksalsbegriff zu einem Bestandteil der wissenschaftlichen Terminologie. Auch wenn Autoren wie Büchner, Moleschott oder Vogt die Verwendung des Begriffs aus der Furcht vermieden, auf einen verhassten philosophisch-metaphysischen Standpunkt festgenagelt zu werden, fassten Sympathisanten wie J. C. Fischer die materialistische Weltsicht mit dem Schicksal unter einem allgemeinverständlichen Begriff zusammen. Mit dem Schicksal oder auch Fatum konnten fortan die philosophischen Implikationen der konsequent weitergedachten Naturwissenschaften beschrieben werden. 2. In diesem Zuge wurde das Schicksal zu einem Konzept, das seinen Ursprung in der materiellen Welt besaß. Sowohl im 18. als auch im frühen 19. Jahrhundert war es vornehmlich als ein abstraktes Prinzip oder als eine konkrete Macht verstanden worden, die der geistigen Sphäre angehörte. Mit dem naturwissenschaftlichen Aufschwung in der Mitte des 19. Jahrhunderts konnten Physiologen die Bildung des Schicksals in den physischen Prozessen des Körpers studieren, insbesondere im Gehirn und seinen Zellen und Atomen. Psychologen entdeckten dabei die Einflüsse von Erziehung und Umwelt auf das Schicksal einzelner Individuen, und Sozialwissenschaftler verfolgten die Realisierung des Schicksals durch die Methoden der Sozial- und Moralstatistik. 3. Im speziellen Interesse für die materiellen Abläufe im Körper und ihre Beeinflussung durch äußere Faktoren wurde das Schicksal zum Produkt physiologischer Prozesse. Es wurde manifest durch die körperlichen Tätigkeiten und Handlungen des Individuums und im Individuum, sodass auch im wissenschaftlichen Materialismus jeder Mensch, wie bei Herder, sein eigenes Schicksal hatte. Die Gesamtheit dieser individuell gebildeten Schicksale konnte dann, wie bei Löwenhardt, als Zeitgeist gedeutet werden. 4. Durch die Rückbindung des Schicksals an die Materie wurde das Schicksal mit einem Mal messbar, das heißt fassbar in Formeln, Zahlen, statistischen Daten. Naturwissenschaftler führten besonders durch die Moralstatistik gewissermaßen »das Fatum der Alten unter der gespenstigen Hülle der mathematischen Formel« ein.111 5. Die materielle Manifestation des Schicksals führte gleichzeitig zu modifizierten temporalen Bezügen des Begriffs. Das Schicksal hatte lange Zeit als ein zukunftsweisendes Konzept gegolten, welches teleologische Züge aufwies. Im Kontext des wissenschaftlichen Materialismus nun wurden die 111 o. A., Dritte allgemeine Versammlung, S. 216.

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Wurzeln des Schicksals in der Vergangenheit entdeckt. Ihrem mechanistischen Weltbild und ihrer genetischen Methode gemäß interessierten sich die wissenschaftlichen Materialisten für die Ursachen beobachtbarer Phänomene, die sie Schritt für Schritt in die Vergangenheit führten. Ihr Plädoyer für strikte Gesetzmäßigkeiten stellte sie jedoch gleichzeitig vor die Schwierigkeit, Entwicklungen, Transformationen oder gar plötzliche Veränderungen zu erklären, weshalb auch der Ruf nach politischen und sozialen Reformen zumeist ungehört verhallte. 6. Die Immanentisierung des Schicksals durch den wissenschaftlichen Materialismus liegt auf der Hand. Das Schicksal verlor alle transzendenten Qualitäten, die es seit dem Ende des 17. Jahrhunderts besessen hatte. Es wurde unabhängig von den Vorstellungen übernatürlicher Mächte, die jenseits der materiellen Welt existierten. In dieser Hinsicht hatte der antireligiöse Impetus des Materialismus manifeste Folgen für die Semantik des Schicksalsbegriffs. Anstatt das Instrument in der Hand Gottes oder auch selbst ein Gott zu sein, war es nun ein Untersuchungsobjekt naturwissenschaftlicher Forschung. Der letztgenannte Punkt soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die naturwissenschaftliche Vereinnahmung des Schicksals eminente Auswirkungen auf den religiösen Glauben hatte, und zwar nicht nur in Form einer überaus harschen Kritik.

Rückkopplungseffekte auf die Religion In seiner Gesamtheit konnte der Materialismus natürlich nicht in der Theologie reüssieren, ja durfte »noch nicht einmal die Dienstbotenkammer der Theologie beziehen«.112 Zu unterschiedlich und unvereinbar waren die christlichen Lehren und das materialistische Weltbild: Der Verzicht auf einen transzendenten Schöpfer, der Versuch, die Welt aus sich selbst heraus zu erklären, die Überzeugung von der Endlichkeit menschlichen Lebens und damit der Verzicht auf ein seelisches Fortleben nach dem Tod, die positive Einstellung zur Körperlichkeit und die massive, teilweise in Polemik umschlagende Religions- und Idealismuskritik des Materialismus113 schienen alle Berührungspunkte zur Religion von vornherein auszuschließen. Ja, der Materialismus verstand sich nicht nur selbst als Konkurrenzsystem der Theologie, sondern wurde auch von dieser als ein solches verstanden. So meldeten sich wenig überraschend auch zu einem 112 Buchholz, ›… zersetzt er Kultur und Sittlichkeit‹, S. 309. 113 Ebd., S. 309 f.

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großen Teil Theologen und Pfarrer gegen die wissenschaftlichen Materialisten zu Wort, die teilweise aus einer orthodox-christlichen, teilweise eher aus einer idealistischen Position heraus die gefährlichen Lehren anprangerten und vor ihren Konsequenzen warnten.114 Einen größeren Einfluss als auf die Bastionen der Orthodoxie konnte der wissenschaftliche Materialismus auf diejenigen Strömungen zeitigen, die sich bereits von der christlichen Tradition abgewandt hatten und ein neues Christentum zu etablieren versuchten, das mit den Erkenntnissen der Moderne kompatibel war. Gerade mit freireligiösen Gruppierungen ergaben sich Synergieeffekte, die eine ganz eigene aufklärerisch-wissenschaftliche Deutungskultur mit einem spezifischen Vokabular entstehen ließen.115 Die protestantischen »Lichtfreunde« und die »Deutschkatholiken« waren nicht nur als religiöse, sondern auch als politische Opposition entstanden und strebten angesichts der reaktionär-konservativen Strömungen in Politik, Kirche und Gesellschaft eine Rückbesinnung auf die rationalistischen Traditionen der Aufklärung an. Nicht mehr die dogmatische Oktroyierung ewiger Glaubenswahrheiten sollte das Fundament der Religion bilden, sondern der »autonome Geist« und damit die eigene Erfahrung.116 So ergaben sich aus diesem übergreifenden Konsens bereits zahlreiche Parallelen zum Selbstverständnis der Naturwissenschaftler und damit auch zum wissenschaftlichen Materialismus. Von den Freireligiösen wurden die Erkenntnisse der Naturwissenschaften zur empirischen Vertiefung und Legitimation des eigenen Glaubenssystems genutzt, das nicht selten pantheistische Züge annahm.117 Über naturwissenschaftlich orientierte Schriften und Predigten gehörten die Dissidenten, die seit 1859 konfessionsübergreifend im »Bund freireligiöser Gemeinden« zusammengeschlossen waren, tatsächlich zu den maßgeblichen Popularisatoren naturwissenschaftlicher Forschung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, welche die Beschäftigung mit der Natur zur ersatzreligiösen Weltanschauung stilisierten.118 Tatsächlich waren die Freireligiösen weit davon entfernt, die materialistische Weltanschauung zu ihrer eigenen zu machen. Der aggressive Atheismus der Materialisten, der behauptete, die einzig wahre Naturwissenschaft zu repräsentieren und noch nicht einmal für die Freiheit des Glaubens Raum ließ, machte ihn zur ernst zu nehmenden Bedrohung der angestrebten friedlichen Symbiose von Religion und Naturwissenschaft. Es galt für die Freireligiösen den schmalen Grat zu beschreiten, auf dem ein rationales Weltverständnis und ein religiöser 114 115 116 117 118

Gregory, Scientific materialism, S. 28. Daum, Wissenschaftspopularisierung, S. 198. Ebd., S. 196 – 198. Ebd., S. 199. Ebd., S. 209.

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Glaube noch kompatibel waren. Gerade deswegen waren sie dazu gezwungen, sich intensiv mit den materialistischen Lehren auseinanderzusetzen und vermeintliche Widersprüche zwischen Wissen und Glauben auszuräumen.119 Ein 1859 erschienenes Werk, welches diesen Balanceakt der Freireligiösen sehr deutlich macht, ist zugleich für die Frage nach der Reichweite des materialistischen Schicksalsbegriffs interessant. Es handelt sich um die Monografie »Die neuen Fatalisten des Materialismus«,120 die ebenso eine Streitschrift gegen die Materialisten wie gegen die »Spiritualisten« war. Der Autor Eduard Baltzer (1814 – 1887) hatte 1847 eine der ersten freireligiösen Gemeinden gegründet und wurde 1859 zum ersten Vorsitzenden des »Bundes freireligiöser Gemeinden« ernannt. In dasselbe Jahr fällt seine streitbare Veröffentlichung zum Materialismusproblem, die maßgeblich durch die Monografie J. C. Fischers angeregt worden war.121 In seinem Buch ging es Baltzer zunächst um den Nachweis, dass es sich beim Materialismus nicht um eine spezielle naturwissenschaftliche Ausprägung, sondern um ein philosophisches System handelte, das damit auch einer philosophischen Kritik unterworfen werden konnte.122 Baltzer definierte den Grundantagonismus seiner Zeit in dem alles beherrschenden Gegensatz von Materialismus und Spiritualismus, die vordergründig zwei einander ausschließende Weltdeutungen seien.123 Ihm ging es nun darum zu zeigen, dass Materialismus und Spiritualismus sich zwar dem äußeren Schein nach widersprachen, doch bei genauerer Betrachtung eigentlich zwei Seiten derselben Medaille waren. An der Frage, ob der Mensch in seinem Willen frei war, demonstrierte Baltzer, dass beide Systeme einen ähnlich gelagerten blinden Fleck besaßen, der sie beide zu zutiefst fatalistischen Philosophien machte. Beide konzentrierten sich nur auf eine Qualität der realen Welt, die per definitionem alles bestimmte und deshalb keinen freien Willen zulassen konnte. Der Spiritualismus konnte mit der Annahme des Geistes als »Urgrund aller Dinge« einen freien Willen nicht tolerieren, weil ein solcher »die Negation des Princips Gottes« gewesen wäre.124 Umgekehrt konnte der Materialismus mit der Annahme des Stoffs »als Urgrund aller Dinge« keine Willensfreiheit integrieren, weil er sie von vornherein ausgeschlossen hatte. »Der Materialist hat mit seinem Prinzip schon gesagt, daß in der ganzen Natur ›alles Zwang‹, im Universum alles Erscheinende Nichts als Wirkung einer Nothwendigkeit ist.«125 Demzufolge war der Streit um die Willensfreiheit nach Baltzer eine Scheindiskussion, die jeder 119 120 121 122 123 124 125

Lübbe, Politische Philosophie, S. 133. Baltzer, Die neuen Fatalisten. Ebd., S. 1 – 11. Ebd., S. 15 f. Ebd., S. 12 – 16. Ebd., S. 32. Ebd., S. 33.

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Grundlage entbehrte. Dass Materialisten und Spiritualisten gleichermaßen die Willensfreiheit negierten, vereinte sie unter dem Begriff des Fatalismus. Der Fatalismus jedoch war ein System, das – egal in welcher Ausprägung – unwiderlegbar war. »Und es ist wahr : wenn die Voraussetzungen des spiritualistischen wie materialistischen Schicksalsglaubens überhaupt richtig sind, so ist es völlig gleich, was wir […] denken – : wir können unsererseits völlig passiv sein – wir ändern nichts am Fatum. Wir sind ein musikalisches Instrument, Gott spielt darauf, was er von Ewigkeit beschlossen. Oder wir sind ein schwingendes Atom, der ›Stoff‹, der der Herr ist, bewegt ihn allein nach dem Gesetz der Nothwendigkeit.«126

Das Schicksal oder Fatum war in diesem Sinne keine spezifisch materialistische Kraft oder Macht, sondern die zwangsläufige Folge eines einseitigen Weltverständnisses, das jeweils nur eine Teilrealität integrierte. Neben den falschen philosophischen Voraussetzungen von Materialismus und Spiritualismus lag auch für Baltzer ein Großteil der Schwierigkeiten in ihren unvermeidbaren Folgen. Denn nicht so sehr die vermeintliche Wahrheit, sondern vielmehr der Glaube an die Wahrheit des Fatalismus verdamme den Menschen zur Unfreiheit und verhindere dadurch die politische und soziale Emanzipation.127 Bereits so von seinen Folgen her widerlegt, scheute sich Baltzer nicht, den materialistischen Fatalismus auch noch von seinen erkenntnistheoretischen Grundlagen her zu dekonstruieren. Den Kern- und Angelpunkt bildete dabei die Frage nach der Ausformung und dem Stellenwert der Kausalität: Baltzer gestand ein, dass die materielle Welt ausnahmslos von der Kausalität beherrscht wurde. Allerdings war es den Materialisten bislang nicht gelungen, die Entstehung des immateriellen Bewusstseins aus der Materie zu erklären. Offensichtlich galten demnach für die geistige Sphäre andere Gesetzmäßigkeiten als für die materielle Welt, auch wenn beide nicht unabhängig voneinander existierten. Nun war die empirische beziehungsweise sinnliche Wahrnehmung der Welt abhängig von den mentalen Fähigkeiten des Individuums beziehungsweise des Menschen. Der menschliche Blick auf materielle Prozesse konnte sich niemals vom Bewusstsein separieren. Man brauchte den Geist, »um einen Theil der Erscheinungen der Welt zu verstehen«.128 Baltzer brachte damit ein Kant’sches Argument, das schon andere Autoren vor ihm immer wieder gegen den Materialismus ins Feld geführt hatten:129 Der Mensch konnte von seinen eigenen Erkenntnisfähigkeiten und -grenzen nicht abstrahieren. Er erschuf mit seinem Verstand die Welt und konnte

126 127 128 129

Ebd., S. 35. Ebd., S. 36. Ebd., S. 40. So z. B.: Frauenstädt, Der Materialismus, S. 60.

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so nie etwas über die Dinge ›an sich‹, sondern immer nur etwas über die Dinge ›für sich‹ aussagen. Das, was der Mensch also wahrnehmen konnte, mochte tatsächlich von der unentrinnbaren Kausalität beherrscht sein. Aber so, wie es auch in der materiellen Welt unterschiedliche Arten der Kausalität gab – die chemische, die magnetische etc. –, unterschieden sich auch die Kausalitäten der geistigen Welt in ihrer Qualität und konnten nicht rein mechanisch erklärt werden. Die Analogieschlüsse der Materialisten von den materiellen auf die mentalen Prozesse waren also durch nichts zu beweisen beziehungsweise schlichtweg falsch.130 Dazu kam ein dritter Punkt: Das Gesetz der Kausalität, im materialistischen Sinne verstanden, vernachlässigte die Reziprozität von Ursache und Wirkung. Zwar schien die Wirkung von der Ursache aus gesehen als determiniert. Die Ursache von der Wirkung aus gesehen war jedoch frei. »War das CausalitätsVerhältniß der Wirkung zur Ursache die Nothwendigkeit, so ist das CausalitätsVerhältniß der Ursache zur Wirkung das der Freiheit. […] nach letzterer ist in der Natur nur Freiheit und zwar in der elementaren Natur so gut wie in der geistigen.«131 Freiheit und Notwendigkeit gehörten demnach unauflöslich zueinander und wechselten sich in der »unendlichen Verkettung aller Dinge« ab, bzw. waren immer beides zugleich. Gerade in seiner sittlichen Freiheit besaß der Mensch die Fähigkeit, über die Wirkungen seiner Handlungen zu entscheiden. In einem letzten Bild fasste Baltzer sein Verständnis des freien Willens zusammen, das uns mit einem ähnlichen Gedanken bereits im 17. Jahrhundert bei Justus Lipsius als Beschreibung des Fatum christianum begegnet ist: »So gleicht der willensfreie Mensch dem Spieler am Clavier : er kann nicht über die Sphäre der natürlichen Causalität hinaus, er kann gar Nichts ohne sie, wie der Spieler Nichts kann ohne sein Instrument und ohne die Instrumental-Causalität der Musik. Dennoch ist der Spieler wie der Mensch keine bloße Aeolsharfe, sondern freier Künstler. […] So greift er ein mit Meisterhand – der Künstler in die Causalität der Töne, der Mensch in die Weltcausalität; in seinem Wollen unbedingt, in seinem Können bedingt durch die Natur der Dinge, in seinem Dürfen beschränkt durch sein Bewußtsein: wem diese Künstlerschaft des freien Willens nicht genügt, sondern statt des freien Willens eine Art Gott will, der Alles kann, – der denkt zwar von der Willensfreiheit wie Herr Fischer, aber er verkennt damit die Natur der Dinge, sein eignes Wesen und zugleich des Lebens höchsten Reiz.«132

Hatte Baltzer in direkter Auseinandersetzung mit dem Materialismus eine Neudefinition der Kausalität und der menschlichen Willensfreiheit vorgenommen, so versäumte er es auch nicht, den Schicksalsbegriff seiner eigenen Glau130 Baltzer, Die neuen Fatalisten, S. 41. 131 Ebd., S. 42. 132 Ebd., S. 72 f.

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bensauffassung gemäß umzuformen. Im selben Jahr, in dem er »Die neuen Fatalisten des Materialismus« herausgegeben hatte, veröffentlichte er in einer zweiten Auflage einige seiner Predigten, die er in der freien Gemeinde von Nordhausen gehalten hatte.133 Die neunte Predigt dieser Sammlung trug den schlichten Titel »Schicksal« und wurde vom Autor selbst in Beziehung zu den »Neuen Fatalisten« gebracht.134 Doch im Gegensatz zu seiner Streitschrift gegen Fischer zielte die Predigt gegen die Doktrinen des etablierten Christentums, und dabei nutzte Baltzer die Lehren, die er aus der Auseinandersetzung mit dem Materialismus gezogen hatte. Schon der Beginn der Predigt war ein Affront. Baltzer bestritt, dass »Geschick« und »Schickung«, »Vorherbestimmung«, »Prädestination«, das »Verhängniß«, die »Vorsehung«, die »Gnadenwahl«, die »Moira« und »Heimarmene«, das »Fatum« und der »Götterspruch«135 wesensverschiedene Vorstellungen waren. In allen diesen Begriffen der alten und neuen Zeit konnte er nur einen einzigen Grundgedanken erblicken, der sich unter dem Begriff des »Schicksals« zusammenfassen ließ: »Alles geschieht nach ewiger (bewußter) Vorherbestimmung Gottes.«136 Diese Auffassung war in Baltzers Augen kein Nebenschauplatz der christlichen Glaubenslehre, sondern eigentlich ihr Kerngedanke, denn »das Christenthum [ist] von diesem Glauben beherrscht«. Von Augustinus über Luther hin zur reformierten Kirche hatten alle Kirchenlehrer diese Lehre vertreten, ja, sie spiegelte sich sogar in den prominentesten Kirchenliedern wider, wenn es in einem bekannten Kirchenlied hieß: »›Er sah von aller Ewigkeit, wie viel mir nützen würde, bestimmte meine Lebenszeit, mein Glück und meine Bürde‹ u. s. w., was anders liegt darin, als der vollendete Fatalismus in christlicher Form, und sein Echo, hallt es nicht wieder in tausend ähnlichen Liedern bis auf den heutigen Tag? Ist nicht der ewige Rathschluß Gottes von der Seligkeit der Gläubigen in Christo der christliche Mittelpunkt, um den sich die gleichartigen fatalistischen Vorstellungen der ganzen alten Welt concentriren?«137

Das traditionelle Christentum war aus Baltzers Sicht eine Schule des Schicksalsglaubens, die bei »starke[n] Naturen, begabte[n] Menschen« religiösen Fanatismus errege, bei »schwache[n], träge[n] Naturen« die »Quelle dumpfer Resignation und Apathie« sei.138 Gerade Letzteres versuche die christliche Kirche zu kultivieren. Sie erzog zur »Ergebung in den Willen Gottes« und erschuf 133 134 135 136 137 138

Baltzer, Alte und Neue Welt-Anschauung. Ebd., S. 87. Ebd. Ebd. Ebd., S. 88. Ebd., S. 89.

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dadurch Märtyrer. Baltzer erblickte in diesem Erziehungsprogramm eine Herabwürdigung des Menschen zu einem »Wurm im Staube«. Wer erst einmal der »Knecht Gottes« geworden war, wurde sehr schnell der »Sclave der Menschen«.139 Der christliche Schicksalsglaube war also schon aufgrund seiner politischen und moralischen Folgen eine Irrlehre, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt. Dass es jedes menschliche Handeln in ein Netz der Widersprüche verstrickte, jedes Beten, jede Zurechnung, jede Strafe eigentlich ausschloss, kam noch hinzu. Und hierin offenbarte sich schon der Grundwiderspruch des traditionellen Schicksalsbegriffs. »Der Schicksalsglaube war meistens eine seltsame Verbindung von Nothwendigkeit und Willkür ; Nothwendigkeit für die Menschen, Willkür für Gott oder die Götter, die ›irgend einmal vorher‹ bestimmt haben, was Schicksal sein soll.«140 In dieser Konzeption waren die Widersprüchlichkeiten des Schicksals nicht zu lösen. Doch Baltzer verfiel auf einen definitorischen Trick. Er formulierte den Schicksalsbegriff für seine neue Weltanschauung einfach um: »Allerdings ist das Schicksal ein seltsames Gewebe von Willkür und Nothwendigkeit, aber die Nothwendigkeit tritt an der Götter Stelle, die Willkür ist bei den Menschen. Dadurch erhält allerdings das ›Schicksal‹ – eine völlig andere Bedeutung. Um den Gegensatz recht klar auszudrücken, könnten wir ihn auch so aussprechen: Die alte Welt sagt: Das Schicksal bestimmt aller Wesen Leben. Die neue Welt sagt: Aller Wesen eigne Kraft bestimmt das Schicksal. Also der alte Glaube hält das Schicksal für etwas Hervorbringendes (Producent), das Wissen der heutigen Welt hält es für etwas Hervorgebrachtes (Product).«141

Die genaue Wortwahl Baltzers sprach Bände: Das Schicksal der traditionellen Kirchen war ein Glaubensbegriff, das Schicksal der Freireligiösen entsprang jedoch dem Bereich des Wissens, war also gesicherte Erkenntnis und genügte damit rationalen Prinzipien. Ohne es explizit zu machen, rekurrierte Baltzer damit auf den Schicksalsbegriff der Materialisten. Der Weg dazu führte nicht über die Frage eines metaphysischen Prinzips, sondern über die Beobachtung der Natur, in deren Mittelpunkt der Mensch stand. Ebenso wie die Materialisten hatte Baltzer das Schicksal als Ausfluss der menschlichen Natur, seines eigenen innersten Wesens definiert und damit durch die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften die Idee wiederbelebt und weiterentwickelt, die Herder am Anfang des Jahrhunderts mit dem Begriff des ›eigenen Schicksals‹ zu fassen versucht hatte. »Bist Du selbst etwa, weil Du Dir gefallen lassen mußtest, daß Auge und Ohr und alle Sinne in Dir aufgethan wurden, ein Sclave, oder ists nicht umgekehrt eben Dein Wesen 139 Ebd., S. 90. 140 Ebd., S. 92. 141 Ebd., S. 93.

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und Deine Kraft, die durch die wunderbaren Sinne erlöst zum Leben, zur Freiheit erstanden sind? O Mensch, erkenne die Natur! Wohl ist sie lebendig in ewigen Gesetzen, Alles folgt ihnen: aber dies Gesetz ist ›aller Wesen eigene Kraft‹ und nicht der einst geglaubten Götter, noch des dunkeln ›Schicksals‹ willkürliche, wenn auch ewige Bestimmung. Nicht das Schicksal bestimmt der Wesen Leben, sondern aller Wesen eigne Kraft das ›Schicksal‹. –«142

Baltzer bestimmte mit diesen Äußerungen also die Natur in der Gesamtheit all ihrer Erscheinungen und den Menschen im Besonderen zum Produzenten des Schicksals. Was einst Götter taten, tat nun der Mensch.143 Der alte Schicksalsglaube war damit das Ergebnis einer Fehlprojektion gewesen. Die Begründung dieser Illusion lieferte, ohne dass Baltzer es explizit machte, die Religionskritik Ludwig Feuerbachs (1804 – 1872): Der menschliche Geist schuf sich mit den Göttern Ebenbilder seiner selbst und projizierte in diese seine eigenen Gedanken, Ängste und Hoffnungen. Wenn die Menschen nun die Götter zu den Herrschern über das Schicksal ernannten, so verkannten sie damit, dass sie selbst das Schicksal aus sich hervorbrachten. Der Weg zur Erkenntnis dieses simplen Mechanismus führte einerseits über die Selbsterkenntnis des Menschen, der eine »erhabene Stellung im Reiche der Schöpfung« innehatte, und andererseits über die vollkommene Umdeutung des Schicksalsbegriffs. »Kann es uns nicht einfallen, das Wort Schicksal aus der Sprache zu streichen […], so müssen wir vielmehr den Gedanken erfüllen, d. h. das Wort so nehmen, wie es in Wirklichkeit etwas Richtiges aussagt. Die Summe alles dessen, was unser Leben ausmacht, werden wir auch ferner unser Schicksal nennen, aber wir werden immer klarer erkennen, nicht die Parzen sitzen am Rocken, den Schicksalsfaden zu spinnen, sondern die Menschheit.«144

Mit dieser Vorstellung hatte Eduard Baltzer den schmalen Grat zwischen Notwendigkeit und Freiheit einerseits und Wissen und Glauben andererseits zu bewältigen versucht. Seine Argumentation, die in der Schicksalspredigt vornehmlich gegen alle Sorten des traditionell christlichen Schicksalsglaubens gerichtet war, lehnte sich in vielen Aspekten an das materialistische Schicksalsverständnis an. Schicksal war für ihn ein Aspekt des Wissens, nicht des Glaubens. Wie die Materialisten sah er die doppelte Bedingtheit des Schicksals: in den äußeren Gesetzen der Natur und in den inneren Prozessen des Menschen. Damit hatte er – ebenso wie die Materialisten – das Schicksal im Menschen verortet und es abhängig von seinen Bewusstseinsprozessen gemacht. Das Schicksal war das Produkt dieser Prozesse, wie es im Materialismus das Produkt des Gehirns gewesen war. Es war in Baltzers Augen prinzipiell möglich, als 142 Ebd., S. 94 f. 143 Ebd., S. 96. 144 Ebd., S. 97.

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Mensch Herrscher über das Schicksal zu werden, indem man die Gesetzmäßigkeiten seiner Entstehung entlarvte und zu verstehen versuchte – eine offensichtliche Parallele zu den materialistischen Versuchen, durch Statistik der Schicksalsprozesse Herr zu werden. Die spezifisch religiöse Perspektive Eduard Baltzers bestand darin, die Gesamtheit dieser Weltstruktur als Offenbarung eines göttlichen Prinzips zu verstehen, dessen Teil die menschliche Freiheit und Schicksalsmächtigkeit war. Im Pantheismus schien Baltzer dieses Prinzip verwirklicht. Und nur in dieser neuen Form, durch die Reflexion naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, war das Schicksal in das freireligiöse Glaubensgebäude integrierbar. So ist es nicht erstaunlich, dass sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, diesem Zeitraum der Konkurrenz und Befruchtung religiöser und naturwissenschaftlicher Weltinterpretationen, Prediger verschiedener freireligiöser Gemeinden ebenso wie Baltzer mit der Schicksalsthematik auseinandersetzten. Zeugnisse expliziter Schicksalspredigten finden wir neben Nordhausen unter anderem auch in Königsberg,145 Berlin146 und Hamburg.147 Auch in katechetischen Werken, wie in Robert Brauners (1816 – 1854) »Religionslehre für Freie«,148 wurde das Schicksal thematisiert. In all diesen an eine Laien-Hörer- beziehungsweise Leserschaft gerichteten Erörterungen finden sich die bei Baltzer herausgearbeiteten Elemente wieder. Die orthodoxe christliche Religionslehre wurde aufgrund ihres Vorsehungs- und Prädestinationsglaubens als irreführender »Fatalismus« bezeichnet. Mit ihrem Gottesbild wurde auch das Schicksal zu einer auswärtigen Macht, die lenkend in das Weltgeschehen eingriff.149 In der Ablehnung dieses »alten Glaubens« beriefen sich die »Deutschkatholiken« und freien Protestanten auf »Vernunft und Wissenschaft als ihre[.] Führerin« und wollten »verwerfen, was wissenschaftliche Kritik als unhaltbar nachgewiesen hat, und sich mit ganzer Seele dem zuwenden, was die forschende, schöpferische Vernunft als ihr neues Reich erobert hat«.150 Unter dem Leitstern der Wissenschaft forderten die freireligiösen Theologen eine Umformung der gesamten christlichen Vorsehungs- und Schicksalslehre, um mit den bisher falsch verstandenen Begriffen tatsächliche Wahrheiten auszudrücken.151 Wie Baltzer kamen sie zu dem Ergebnis, dass das Schicksal keine metaphysische Macht,

145 Rupp, Der Glaube, S. 409 f., 413 f., 420 f. 146 o. A., Ein Sonntag, S. 466 – 468. 147 Weigelt, Der Glaube. Weitere Texte zu der Thematik sind erwähnt bei: Kampe, Geschichte der religiösen Bewegung, S. 95 f. 148 Brauner, Religionslehre. 149 Ebd., S. 67 f.; o. A., Ein Sonntag, S. 467; Weigelt, Der Glaube, S. 3. 150 Brauner, Religionslehre, S. III. 151 Weigelt, Der Glaube, S. 3.

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sondern ein immanentes Prinzip war.152 In Anlehnung an das mechanistische Weltbild der Naturwissenschaften sahen sie den Lauf der Welt zu einem großen Teil als kausal bestimmt an,153 was sich in der Determination des Menschen durch die bewusstlose Natur, die Funktionen des Leibes und durch »Erziehung, Bildung, Rath, thätigen Beistand, durch treffliche Einrichtungen, […] Verführung, Neid, Feindseligkeit« etc. offenbarte.154 Das alles bestimmte zwar das Schicksal des Menschen, jedoch nur zu einem Teil. Denn weil sich das Schicksal in der tätigen Natur als eigene Kraft eines jeden Dings und Wesens äußerte,155 war auch der Mensch dazu berufen, es zu beherrschen und zu gestalten.156 Alle Prediger verkündeten in diesem Sinne eine Art Inkorporierung des Schicksals. Ob Georg Weigelt (1816 – 1885) in Hamburg-Altona davon sprach, dass der Mensch Gott in seiner eigenen Freiheit erkennen müsse,157 Robert Brauner eine Rückbesinnung des Menschen auf das Göttliche in sich selbst forderte158 oder der ungenannte Prediger in der freien Gemeinde Berlin159 den letzten Grund für Glück und Unglück eines Menschen in dessen eigener Brust fand160 – alle drei plädierten damit für ein Verständnis des Schicksals als Produkt des menschlichen Willens. Der letztgenannte Prediger richtete den gesamten Gottesdienst, der unter der Überschrift »Das Schicksal« abgehalten wurde, nach dieser Überzeugung aus. Sehr zum Leidwesen des Berichterstatters der »Allgemeinen Kirchen-Zeitung« wurde der alte Choral »Wer nur den lieben Gott lässt walten« mit einem neuen Liedtext profaniert, »dessen Inhalt gerade das Gegentheil des Originals bot. Welche zwiespältige Unnatur kam da zu Tage: zu dieser weichen, hingebenden Melodie ein trotziger, auf eigene Kraft pochender, einherstolzirender Text! […] Statt: ›Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut‹, hieß es hier : ›Such nur in deiner eignen Brust, da liegt der Grund zu wahrer Lust.‹ […] Der Herr Verfasser hätte sich die Umdichtung noch leichter machen können, wenn er gleich die Reime beibehalten und, entsprechend dem übrigen Inhalte seines Liedes geschrieben hätte: wer sich, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut.«161

152 153 154 155 156 157 158 159

Brauner, Religionslehre, S. 68. Ebd., S. 69; Weigelt, Der Glaube, S. 6. Brauner, Religionslehre, S. 68 f. Ebd., S. 68. o. A., Ein Sonntag, S. 468; Weigelt, Der Glaube, S. 13; Brauner, Religionslehre, S. 70. Weigelt, Der Glaube, S. 13. Brauner, Religionslehre, S. 70. Vermutlich handelt es sich um Georg Siegfried Schäfer (1833 – 1904), der die Freie Berliner Gemeinde ab 1867 leitete. 160 o. A., Ein Sonntag, S. 468. 161 Ebd., S. 467.

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Der Mensch als Mittelpunkt des freireligiösen Glaubenssystems war auf einen außerweltlichen Gott nicht mehr angewiesen, weil er Herr und Meister über das Schicksal war. Als moralisches Prinzip folgte daraus der Grundsatz »Hilf dir selbst, so wird Gott dir helfen«, weswegen der sichtlich desillusionierte Gottesdienstbesucher »völlig aufgeklärt über den Begriff ›Schicksal‹ […] diese heiligen Räume« verließ und sich schwor, niemals wiederzukommen.162 Von diesem Punkt ausgehend wäre es lohnenswert, den Umgang der Orthodoxie mit dem freireligiös transformierten Schicksalsbegriff näher zu betrachten, was uns aber von unserem eigentlichen Untersuchungsweg, der ja die Internalisierung des Schicksals nachvollziehen möchte, abbringen würde. An dieser Stelle gilt es nur noch einmal zu betonen, dass die naturwissenschaftliche Rückbindung des Schicksals an die Materie und an das Innere des Menschen eine religiöse Interpretation nicht grundsätzlich ausschloss, sondern religiösen Weltdeutungen unter Umständen sogar neue Impulse geben konnte.

Der Machtspruch des »Ignorabimus« und der vorläufige Stillstand der Debatte Die gleichzeitige Adaption und Umdeutung des materialistischen Schicksalsbegriffs, der den Freireligiösen einen Raum persönlicher Freiheit eröffnete, wies vorausschauend auf einen Ausgleichversuch aus den Reihen der Naturwissenschaften selbst, welcher der Vollständigkeit halber noch erwähnt werden sollte. Dieser Versuch belebte die Debatte auf der einen Seite wieder neu, andererseits brachte er sie zumindest vorläufig zum Abschluss. Die Rede ist von Emil Du Bois-Reymonds (1818 – 1896) berühmtem Vortrag über die »Grenzen des Naturerkennens«,163 mit dem er 1872 auf der 45. Versammlung der »Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte« gewissermaßen die zweite Auflage des Materialismusstreits einleitete.164 Als Professor für Physiologie, ständiger Sekretär der »Preußischen Akademie der Wissenschaften« und Rektor der Berliner Universität zählte Du Bois-Reymond zu den einflussreichsten wissenschaftlichen Autoritäten seiner Zeit. Er hatte sich in seiner Laufbahn mehrfach als überzeugter Anhänger eines reduktionistischen Wirklichkeitsverständnisses hervorgetan, der in seiner und durch seine Profession die materialistischen Weltauffassungen und Erkenntnisprinzipien uneingeschränkt anerkannte und propagierte. Umso erstaunter reagierte die wissenschaftliche Gemeinschaft, als eines ihrer anerkanntesten 162 Ebd., S. 468. 163 Du Bois-Reymond, Über die Grenzen, S. 441 – 473. 164 Siehe zum Ignorabimus-Streit ausführlich den Sammelband: Bayertz, Gerhard und Jaeschke, Der Ignorabimus-Streit.

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Mitglieder dem umfassenden Welterklärungsanspruch der Naturwissenschaften eine endgültige Absage erteilte. Du Bois-Reymond war sich sicher : Wenn »Naturerkennen […] das Auflösen der Naturvorgänge in Mechanik der Atome«165 war, also mechanisch-kausal vonstattenging, dann konnte der stetige Erkenntnisfortschritt nicht unendlich sein. Ausgehend vom Laplace’schen Geist (Pierre-Simon Laplace, 1749 – 1827) definierte Du Bois-Reymond zwei wesentliche Grenzen, an welche die wissenschaftliche Forschung immer wieder stoßen werde, ohne sie jemals überwinden zu können. Die erste formierte sich an der Frage nach dem Wesen der Materie, die zweite – für unseren Zusammenhang wichtigere – manifestierte sich in der prinzipiellen Unmöglichkeit, die Zustände und Tätigkeiten des menschlichen Bewusstseins durch materielle Prozesse zu erklären. Die »Kenntnis des Gehirnes, die höchste, die wir davon erlangen können, enthüllt uns darin nichts als bewegte Materie. Durch keine zu ersinnende Anordnung oder Bewegung materieller Teilchen aber läßt sich eine Brücke ins Reich des Bewußtseins schlagen.«166 Für sich genommen waren diese Erkenntnisse nicht neu, sie wurden schon während des »ersten« Materialismusstreits immer wieder vorgebracht. Die Autorität ihres Verkünders und die Radikalität seiner Botschaft verlieh ihnen jedoch zusätzliches argumentatives Gewicht. Du Bois-Reymond fasste seine ausführliche Argumentation mit den Worten zusammen: »Gegenüber den Rätseln der Körperwelt ist der Naturforscher längst gewöhnt, mit männlicher Entsagung sein ›Ignoramus‹ auszusprechen. Im Rückblick auf die durchlaufene siegreiche Bahn trägt ihn dabei das stille Bewußtsein, daß, wo er jetzt nicht weiß, er wenigstens unter Umständen wissen könnte, und dereinst vielleicht wissen wird. Gegenüber dem Rätsel aber, was Materie und Kraft seien, und wie sie zu denken vermögen, muß er ein für allemal zu dem viel schwerer abzugebenden Wahrspruch sich entschließen: ›Ignorabimus‹.«167

Du Bois-Reymond hatte mit diesem letzten Wort dem Absolutheitsanspruch der Naturwissenschaften und damit dem wissenschaftlichen Materialismus einen Riegel vorgeschoben. Ein dezidiert naturwissenschaftliches Weltbild musste nach dieser Sicht Lücken aufweisen, die auch durch fortschreitende Kenntnisse nicht gefüllt werden konnten. Für Religion, Philosophie und Mystik eröffnete sich damit ein unbestreitbarer Raum, den die Materialisten schon längst glaubten erobert zu haben.168 Die Welt des Geistigen blieb, nach Du Bois-Reymond, den naturwissenschaftlichen Methoden gegenüber verschlossen und 165 166 167 168

Du Bois-Reymond, Über die Grenzen, S. 442. Ebd., S. 457. Ebd., S. 464. Bayertz, Gerhard und Jaeschke, Einleitung, Ignorabimus-Streit, S. 9.

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Freiheit und Schicksal in den Debatten des wissenschaftlichen Materialismus

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damit hatte auch der Laplace’sche Determinismus die Grenze seiner Wirkmächtigkeit erreicht. Das Problem der Willensfreiheit und damit auch der schicksalhaften Bestimmung des Menschen schien, dank eines überzeugten Naturwissenschaftlers, zumindest teilweise wieder vollkommen offen.169 Natürlich wurde Du Bois-Reymonds Eingeständnis von vielen Zeitgenossen als Bankrott-Erklärung für die universalen Erkenntnisprinzipien der Naturwissenschaften gewertet,170 obwohl er mit seiner Rede gleichzeitig die uneingeschränkte Gültigkeit der mechanistischen Methode für den Bereich des Materiellen abgesichert hatte.171 Insofern ist es gerechtfertigt, die Bedeutung der Ignorabimus-Rede vornehmlich darin zu sehen, dass sie die Kompetenzbereiche von Natur- und Geisteswissenschaften eindeutig voneinander abgrenzte und definierte.172 Das Paradoxe war, dass sich deshalb sowohl erklärte Anhänger des Materialismus als auch seine radikalen Gegner auf Du Bois-Reymonds Grundthese berufen konnten: Die Ersten fanden die Identität von materialistischmechanischen und wissenschaftlichen Erkenntnisprinzipien von einer anerkannten Autorität bestätigt; die Zweiten waren von ebendieser Autorität in der Gewissheit bekräftigt worden, dass es neben der materiellen noch eine geistige Realität gab, die mit mechanisch-kausalen Begriffen eben nicht beschreibbar war.173 Die Geisteswissenschaften sahen sich in die Lage versetzt, über die Residuen des Unverfügbaren ihre gesellschaftliche Relevanz gegenüber den Naturwissenschaften zu behaupten, auszubauen und dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn dadurch auch langfristig den Rang streitig zu machen. Das Ignorabimus blieb somit trotz der teilweise harschen Kritik174 lange Zeit das unumgehbare Schlusswort der Debatte um die naturwissenschaftliche Beschreibbarkeit der Welt und der materiellen Determination des Menschen. Der Schicksalsbegriff selbst wurde in diesem Zusammenhang nicht länger interpretiert. Er gehörte weiterhin der Sphäre der Materie an, war seines allumfassenden Welterklärungsanspruchs jedoch beraubt worden. Unter der Ignorabimus-Prämisse wurde der Schicksalsbegriff gewissermaßen auf Eis gelegt, wo er auf den Augenblick wartete, in dem die Grenzen des Naturerkennens gesprengt werden sollten. Dieser Moment war gekommen, als Sigmund Freud (1856 – 1939) 169 Du Bois-Reymond, Über die Grenzen, S. 459 f. 170 Siehe dazu: Bayertz, Das ›leidige Ignorabimus‹, S. 189 – 202. 171 Andrea Reichenberger interpretiert die Rede dementsprechend als einen geschickten Schachzug, mit dem Du Bois-Reymonds für die Freiheit der Wissenschaft eintreten konnte, ohne den Konflikt mit den Vertretern von Kirche und Philosophie zu riskieren. Reichenberger, Emil Du Bois-Reymonds Ignorabimus-Rede, S. 63 – 87. 172 So hat auch Wilhelm Dilthey (1833 – 1911) 1883 die Ignorabimus-Rede interpretiert: Dilthey, Einleitung, S. 9 – 13. 173 Cassirer, Determinismus, S. 11. 174 Zur Kritik der verschiedenen (akademischen) Disziplinen siehe insgesamt: Bayertz, Gerhard und Jaeschke, Der Ignorabimus-Streit.

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der Menschheit mit der Entwicklung der Psychoanalyse die dritte narzisstische Kränkung der Neuzeit zufügte175 und die Debatte um den Schicksalsbegriff damit zu neuem Leben erweckte.

6.3

Schicksal und Psyche

Die Frage an das Schicksal Der junge Arzt und Schriftsteller Arthur Schnitzler (1862 – 1931) begann im Jahr 1890 sein dramatisches Schaffen mit einer »Frage an das Schicksal«. Das einaktige Theaterstück behandelte die Frage nach der Treue der Frauen, verknüpfte dieses Motiv jedoch mit einem Thema, das die Gesellschaft des Fin de SiÀcle bis weit in das 20. Jahrhundert beschäftigte und faszinierte: Die Freunde Anatol und Max eröffnen die Szenerie mit einem Gespräch über die wichtigsten neuzeitlichen Entdeckungen der Menschheit und kommen dabei auf die Hypnose zu sprechen. Von Max als okkulte Praxis abgelehnt, verteidigt Anatol den wissenschaftlichen Wert der Hypnose und gesteht sogar, dass er diese psychologische Methode an sich selbst bereits ausprobiert habe. Sein eigentliches Ziel jedoch, sich die Liebe zu einem Mädchen oder zumindest seine Eifersucht aus dem Kopf zu schlagen, sei misslungen, er selbst deshalb immer noch rasend in Gedanken an ihre wahrscheinliche, aber unbewiesene Untreue. Max bringt Anatol auf die Idee, seine Geliebte zu hypnotisieren und sie im Schlaf nach ihrer Treue zu fragen. Anatol nimmt den Vorschlag dankbar an, sieht er sich doch mit einem Mal von der Position des Betrogenen in die des Allmächtigen versetzt. »MAX. ›[…] heute abend noch kannst Du wissen, ob Du ein Betrogener bist … oder ein …‹ ANATOL. Oder ein Gott! … Max! … Ich umarme dich! … Ich fühle mich wie befreit … ich bin ein ganz anderer. Ich habe sie in meiner Macht …‹«176

Tatsächlich bittet die ahnungslose Cora bei ihrer Heimkehr ganz von selbst darum, von Anatol in hypnotische Trance versetzt zu werden, der sofort, fast übereifrig einwilligt. Die Prozedur gelingt, Cora bekräftigt auch im Schlaf ihre Liebe zu Anatol, der es jedoch nicht wagt, die entscheidende Frage nach der Treue zu stellen. Anatol führt immer neue Einwände gegen Max’ Formulierungsvorschläge an, antizipiert mögliche Verständnisschwierigkeiten, Fehlin175 Freud hat die Psychoanalyse neben der »kosmologischen« Kränkung durch die Entdeckung des Heliozentrismus und der »biologischen« Kränkung durch den Darwinismus als die dritte narzisstische Kränkung bezeichnet. Freud, Eine Schwierigkeit, S. 3 – 5. 176 Schnitzler, Anatol-Zyklus, S. 14.

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terpretationen und entschuldigende Umstände für einen etwaigen Betrug Coras, bis er zuletzt gegen Max’ Drängen die Kategorie des Unbewussten anführt. »ANATOL. Also du willst durchaus, daß ich sie fragen soll … MAX. Ich? … Du wolltest doch! ANATOL. Mir ist nämlich soeben noch etwas eingefallen. MAX. Und zwar? ANATOL. Das Unbewußte! MAX. Das Unbewußte? ANATOL. Ich glaube nämlich an unbewußte Zustände. MAX. So. ANATOL. Solche Zustände können aus sich selbst heraus entstehen, sie können aber auch erzeugt werden, künstlich … durch betäubende, durch berauschende Mittel.«177

Geflüchtet in diese Vorwände versäumt Anatol die Gelegenheit, sich Coras Ergebenheit endgültig zu vergewissern. Er erweckt die Geliebte aus der Trance und muss sich den Spott des Freundes gefallen lassen, weil er »die Frage an das Schicksal« nicht gestellt hat. Die einmalige Gelegenheit ist verpasst. Der Einakter endet mit einer innigen Umarmung des Paares und Max’ süffisanter Bemerkung: »Eines ist mir klar : Daß die Weiber auch in der Hypnose lügen … Aber sie sind glücklich – und das ist die Hauptsache.«178 Das kurze, schwankhafte Theaterstück von 1890179 zeigt in konzentrierter Form die diskursiven Bezüge, in die der Schicksalsbegriff um die Wende zum 20. Jahrhundert hineinwuchs. Schnitzler verband seine eigenen Erfahrungen als Arzt in der psychiatrischen Abteilung der Wiener Universitätskliniken180 mit dem Interesse an einer literarischen Verarbeitung des menschlichen Seelenlebens und zeichnete das Bild eines Schicksals, das sich – obwohl nicht mehr der Materie verhaftet – im Innersten des Menschen befand und sich durch psychologische Verfahren erkunden ließ. Die Frage an dieses Unbewusste ist zugleich die »Frage an das Schicksal«, die aus zwei Gründen überhaupt möglich ist: Zum einen gelingt es Anatol nur deshalb, in die Geheimnisse des unbewussten Schicksals Coras vorzudringen, weil er die Position des psychologischen Therapeuten einnimmt.181 Die Allmacht des Hypnotiseurs kommt, wie schon in Anatols Gottesvergleich, hierin deutlich zum Ausdruck. Die Voraussetzung dafür ist jedoch die vollständige Determi177 Ebd., S. 20. 178 Ebd., S. 23. 179 Schnitzler, Die Frage an das Schicksal, S. 299 – 306. 1893 wurde »Die Frage an das Schicksal« mit anderen Einaktern zum Dramenzyklus »Anatol« zusammengefasst: Schnitzler, Anatol. 180 Arthur Schnitzler hat gerade in den späten 1880er- und frühen 1890er-Jahren ebenso wie Sigmund Freud die Hypnose als Therapieform für Hysterie angewendet und darüber auch einen Aufsatz verfasst: Ders., Über funktionelle Aphonie, S. 405 – 408, 457 – 461, 583 – 586. 181 Ders., Anatol-Zyklus, S. 21.

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nation der menschlichen Seele. Cora wird nicht von Anatol dazu gezwungen, in der Trance die Wahrheit auszusprechen, sondern unterliegt ihrem Unbewussten, das in Wirklichkeit die Herrschaft über ihr Leben ausübt. So erinnert sie sich nach ihrem Erwachen weder an die Fragen Anatols noch an ihre eigenen Antworten, fühlt sich wie verhext und beklagt, die Kontrolle über sich verloren zu haben.182 Die Botschaft, die dahinter steht: Der Mensch, von sich selbst überzeugt, als autonomes Wesen zu handeln, ist den unbewussten Vorgängen in den Tiefenschichten seines Seelenlebens bedingungslos ausgeliefert. Noch vor Sigmund Freuds ersten Veröffentlichungen zur analytischen Psychologie183 thematisierte Schnitzler in seiner kurzen »Frage an das Schicksal« die Ohnmacht des Einzelnen und den therapeutischen Zugriff auf das individuelle Schicksal. So taucht in Schnitzlers Einakter wohl auch zum ersten Mal, wenn auch beiläufig, der Begriff des »Unbewussten« in der Bedeutung auf, in der er später zum Schlüsselkonzept der Psychoanalyse werden sollte. Dass Schnitzler hier fundamentale Fragen der Psychologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts unter die Frage an das Schicksal stellt, rechtfertigt bereits ein weiteres Interesse an der Bedeutung des Schicksalsbegriffs in der psychologischen Forschung vor dem Ersten Weltkrieg. Doch anders als zum Beispiel das »Unbewusste« wurde der Schicksalsbegriff nicht zu einem Grundbegriff psychoanalytischer Terminologie. In historischen und aktuellen Handwörterbüchern der Psychologie, Psychotherapie oder Psychoanalyse sucht man ihn als eigenständiges Lemma zumeist vergeblich. Erst mit Leopold Szondis (1893 – 1986) Schicksalsanalyse wurde der Begriff in den späten 1930er-Jahren offiziell in die psychologische Fachsprache integriert.184 Trotzdem war der Schicksalsbegriff in psychologischen Abhandlungen vieler Fachleute der Jahrhundertwende präsent. Schon Freuds Wahl einer der berühmtesten Schicksalstragödien des klassischen Altertums, des »Ödipus«-Dramas, zur Erklärung und Verbildlichung der prägendsten Herausforderung frühkindlicher Entwicklung, zeigt die prinzipielle Affinität von Psychoanalyse und Schicksalsproblem. Generell spielte sich die Interdependenz zwischen Psychoanalyse und Schicksal auf zwei Ebenen ab: In methodischer Hinsicht wurde der Freud’schen Tiefenpsychologie vonseiten ihrer Kritiker ein vollendeter Determinismus vorgeworfen, der die Folge einer unreflektierten Anbiederung an den naturwissenschaftlichen Szientismus sei. Das Bestreben, für jegliche Regungen des Bewusstseins eine Ursache im Unbewussten zu finden, die wiederum durch bestimmte Kindheitserlebnisse kausal verursacht worden sei und deshalb wis182 Ebd., S. 23. 183 Breuer und Freud, Studien über Hysterie; Freud, Die Traumdeutung. 184 Szondi, Schicksalsanalyse; ders., Triebdiagnostik; ders., Wahl in Liebe; ders., Lehrbuch; ders., Freiheit und Zwang im Schicksal des Einzelnen; u. a.

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senschaftlich erklärt werden könne, verdamme den Menschen von vornherein zur Unfreiheit. Oder, um es mit Freuds Begrifflichkeiten auszudrücken: »Nicht das armselige Ich lenkt unser Tun und Lassen, vielmehr das mächtige triebhafte Es ist wie ein wildes feuriges Ross zu denken, auf dessen Rücken ein schwaches Ich über die Bahnen des Schicksals dahin galoppiert, ohne die Zügel je in die Hände zu bekommen.«185

Dieser methodologische Determinismus der Psychoanalyse, der sie in den Augen ihrer Befürworter eigentlich erst zur Wissenschaft machte,186 verweist auf eine Fortsetzung der Materialismusdebatte des 19. Jahrhunderts, die für die Prägung des Schicksalsbegriffs so entscheidend war. Auf einer zweiten Ebene war die Psychologie und mit ihr die Psychoanalyse wohl wie keine andere Wissenschaft dazu berufen, sich dem menschlichen Schicksal als Lebensbestimmung und -weg des Individuums anzunehmen. Das Schicksal war in zweifacher Hinsicht relevant für die Psychologie: als Symptom und als Ursache der Erkrankung. Auf der Basis zahlreicher Selbstbeschreibungen ihrer Patienten identifizierten Therapeuten um 1900 das Verhältnis der Erkrankten zum Schicksal als Kriterium der Diagnose. Psychologen betrachteten es als ihre Aufgabe, die Patienten »schicksalsfähig«, das heißt für das Alltagsleben tauglich zu machen. In diesem Sprachgebrauch zielte der Schicksalsbegriff auf Zukunftsgestaltung. Darüber hinaus wurde das Schicksal zum Sammelbegriff für die Determinanten der Vergangenheit, die den Menschen dominierten und mitunter pathologisierten und die es aufzuarbeiten und bewusstzumachen galt. Hier prägte die Konkurrenz verschiedener Deutungsansätze die Debatte, so in der Frage, ob das Schicksal des Menschen durch Vererbung, durch Erlebnis und Erfahrung oder gar durch archaische Bilder und Gesetze bestimmt wurde. Die Hauptfigur dieses Prozesses und spiritus rector der Psychoanalyse war der Wiener Nervenarzt Sigmund Freud. Seine Rezeption des Schicksalsgedankens knüpft unmittelbar an unsere früheren Ausführungen zum Materialismusstreit an. Es scheint sogar, als habe die Reflexion über das Schicksal Freud dazu bewogen, Naturwissenschaftler zu werden und sich als solcher den Tiefenschichten der menschlichen Seele zu widmen.187

185 Tress und Heinz, Einleitung, S. 8. 186 Ruppelt, Das Freiheitsverständnis, S. 34. 187 Diese These vertritt Klaus Schröter nach Durchsicht der Frühschriften Freuds: Schröter, Maximen und Reflexionen, S. 149.

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Die Kausalität des Seelenlebens und die Schicksalsaffinität der Psychoanalyse Als der junge Sigmund Freud in den 1870er-Jahren seine medizinische Ausbildung an der Universität Wien absolvierte, stand die Physiologie stark unter dem Einfluss des wissenschaftlichen Materialismus. Freuds wissenschaftlicher Lehrer Ernst Wilhelm Brücke (1819 – 1892), der zwischen 1849 und 1890 das Physiologische Institut am Wiener Josephinum leitete, hatte sich Zeit seines Lebens der Aufgabe gewidmet, seine Disziplin auf den Boden der exakten Naturwissenschaften zu stellen. In der Forschungsliteratur ist man sich einig, dass die maßgeblichen Grundsätze von Freuds Psychoanalyse ihren Ursprung im Positivismus und Mechanismus der Brücke’schen Physiologie hatten.188 Die Bereitschaft Freuds, sich diese Methoden anzueignen und sie darüber hinaus auch auf seine Sicht des menschlichen Seelenlebens zu übertragen, hat der Germanist Klaus Schröter jedoch auf eine sehr frühe Entscheidung Freuds im Jahr 1873 zurückdatiert, in dem dieser seinem Jugendfreund Emil Fluß (1856 – 1927) seine Absicht mitteilte, »Naturforscher zu werden«.189 Schröter weist einen grundsätzlichen Richtungswechsel im Freud’schen Denken an dessen Frühschriften nach. Diese zeigen, dass Freud noch zu Schulzeiten einem metaphysischen Schicksalsverständnis angehangen hatte, das im weitesten Sinne den antiken Fatum-Vorstellungen entsprach. So tauchen in Freuds Jugendbriefen immer wieder Sentenzen auf, welche die Annahme eines Schicksals nahelegen, das als transzendente Weltmacht das Leben der Menschen auf bestimmten Bahnen lenkt, zweckgerichtet arbeitet, indem es Begegnungen herbeiführt, und gezielt Lebenswege determiniert.190 In einem Brief an Emil Fluß vom 28. September 1872 schreibt Freud in diesem Sinne über seine Freude, »das dichte Gewebe von verbindenden Fäden zu erkennen, das Zufall und Schicksal um uns alle gesponnen«.191 Das Natürliche wird transzendiert, und eine metaphysische Kategorie wird eingeführt,192 die eben nicht einer kausalen Naturgesetzlichkeit entspricht, sondern den Einzelnen und seine Bestimmung im Auge hat.193 Schröter erblickt in diesen Äußerungen Freuds ursprüngliche Neigung zur philosophischen Spekulation, die er im Laufe seiner Ausbildung zum Natur188 Pervin, Cervone, John und Pott, Persönlichkeitstheorien, S. 110; Ruppelt, Das Freiheitsverständnis, S. 27; Lück, Geschichte der Psychologie, S. 47; List, Psychoanalyse, S. 27; u. v. a. 189 Schröter, Maximen und Reflexionen, S. 149. Freuds Jugendbriefe sind abgedruckt in: Freud, Jugendbriefe Sigmund Freuds, S. 678 – 693. 190 Ebd., S. 679, 683. 191 Ders., Brief an Emil Fluß vom 08. 08. 1872, in: Ebd., S. 682. 192 Schröter, Maximen und Reflexionen des jungen Freud, S. 149. 193 Freud, Brief an Emil Fluss vom 18. 09. 1872, in: Ders., Jugendbriefe Sigmund Freuds, S. 679; ders., Brief an Emil Fluss vom 07. 02. 1873, in: Ebd., S. 683.

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wissenschaftler mehr und mehr zu vermeiden versucht, auch weil Freud »die intellektuelle Systembildung« für etwas genuin Geisteswissenschaftliches hält. »Ein erster Schritt in diesem Lernen war die Revision des Schicksalsgedankens«,194 die Freud in seinem ersten Hauptwerk, der »Traumdeutung«, vorläufig abschließen konnte. Blieb für ihn am Beginn seiner Ausbildung der »Grundwiderspruch zwischen Determinismus und Metaphysik«195 noch unlösbar, gelang es ihm in den 1890er-Jahren zunehmend, »die metaphysische Weltmacht […] aus seinem Denken herauszueskamottieren [!] […]; er findet sich jetzt in der Lage, seinen schülerhaften Schicksalsglauben durch Naturerkenntnisse, durch kausal erklärbare Zusammenhänge zu ersetzen«.196 Und das gelingt Freud durch eine Uminterpretation des Schicksalsmotivs im »König Ödipus«. In der »Traumdeutung« führt Freud den Ödipuskomplex ein, um damit die Träume vom Tod der Eltern oder eines Elternteils anthropologisch auszulegen. »[Die] Verliebtheit gegen den einen, Haß gegen den andern Teil des Elternpaares […]«197 wird ihm zur entscheidenden Konstituente der Kinderpsychologie. Durch Sophokles’ Schauspiel, das Musterbeispiel einer »Schicksalstragödie«,198 wird Freuds Hypothese bestätigt. Die tiefe Wirkung, die das uralte Drama auch auf den modernen Menschen noch auszuüben vermöge, beruhe »nicht auf dem Gegensatz zwischen dem übermächtigen Willen der Götter und dem vergeblichen Sträuben der vom Unheil bedrohten Menschen«, wie die klassische Interpretation immer behauptet hatte. Die langfristig erschütternde Wirkung des »König Ödipus« bestehe darin, dass sein »Schicksal […] auch das unsrige hätte werden können, weil das Orakel vor unserer Geburt denselben Fluch über uns verhängt hat wie über ihn«.199 Den Zwang des Schicksals als übermächtiger Wille der Götter lehnt Freud zugunsten der Anerkennung eines Zwanges ab, der sich im Innersten des Menschen befindet. In einem Brief an Wilhelm Fließ (1858 – 1928) vom 15. Oktober 1897 führt er es folgendermaßen aus: »Wenn das so ist, versteht man die packende Macht des Königs Ödipus trotz aller Einwendungen, die der Verstand gegen die Fatumsvoraussetzung erhebt, und versteht, warum das spätere Schicksalsdrama so elend scheitern mußte. Gegen jeden willkürlichen Einzelzwang wie er in der Ahnfrau [von Grillparzer, F. R.] etc. Voraussetzung ist, bäumt sich unsere Empfindung, aber die griechische Sage greift einen Zwang auf, den jeder anerkennt, weil er dessen Existenz in sich verspürt hat. Jeder der Hörer war einmal im Keime und in der Phantasie ein solcher Ödipus und vor der hier in die

194 195 196 197 198 199

Schröter, Maximen und Reflexionen, S. 150. Ebd., S. 149. Ebd., S. 150. Ders., Die Traumdeutung, S. 267. Ebd., S. 269. Ebd.

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Realität gezogenen Traumerfüllung schaudert jeder zurück mit dem ganzen Betrag der Verdrängung, der seinen infantilen Zustand von seinem heutigen trennt.«200

Der Mensch akzeptiere in der Fatum-Vorstellung des Ödipus nur seine innere Determiniertheit, die eben nicht von einer auswärtigen, transzendenten Macht herrühre. »Die zwingende Gestalt des Schicksals«201 führe bei den Jungen zum Hass gegenüber dem Vater und zur übermäßigen Liebe zur Mutter. Der Dichter Sophokles enthülle diese anthropologische Konstante – »der Arbeit einer Psychoanalyse vergleichbar«202 – und »nötigt uns zur Erkenntnis unseres eigenen Innern, in dem jene Impulse, wenn auch unterdrückt, noch immer vorhanden sind«.203 Mit dieser Interpretation schiebt Freud jede »theologisierende«204 Deutung der »Ödipus«-Tragödie und damit des Schicksalsgedankens beiseite. Verantwortlich für die infantilen Wunschträume ist nicht eine sich in Orakeln offenbarende Gottheit,205 sondern »die Natur«.206 Dieser Natur jedoch kann der Mensch nicht entrinnen, weil er ein Teil von ihr ist, weil er sie in sich trägt. Dank dieser Erkenntnis hat sich für Freud die Antinomie von Willensfreiheit und Determinismus erledigt. Wir erinnern uns: Im Materialismusstreit hatte das fehlende Glied zwischen den Bewegungen der Materie und der Entstehung des Bewusstseins dem materialistischen Weltbild eine Grenze gesetzt. Die Determination der geistigen Welt war nach dem »Ignorabimus« Emil Du Bois-Reymonds nicht beweisbar. Mit Sigmund Freuds psychoanalytischen Entdeckungen, angefangen bei dem in der »Traumdeutung« ausformulierten Ödipuskomplex, wurde »das Kernproblem der erkenntnistheoretischen Fragestellung«207 neu aufgerollt. Freud überschritt in seinen Analysen die von Du Bois-Reymond gesteckten »Grenzen des Naturerkennens« weit über das für möglich erachtete Maß und enthüllte zumindest ein Stück weit die von Baltzer eingeforderte Kausalität des Seelenlebens. Weil er nicht länger versuchte, das fehlende Bindeglied zwischen Materie und Bewusstsein zu entdecken, sondern den psychischen Mechanismus aus dem Verhältnis von Bewusstem und Unbewusstem erklärte, konnte er die Frage nach Ders., Brief an Wilhelm Fließ vom 15. 10. 1897, in: Ders., Aus den Anfängen, S. 193. Ders., Die Traumdeutung, S. 269. Ebd., S. 268. Ebd., S. 269. Ebd., S. 271. In seiner »Selbstdarstellung« schreibt Freud dazu: »Verhängnis und Orakel waren nur die Materialisationen der inneren Notwendigkeit; daß der Held ohne sein Wissen und gegen seine Absicht sündigte, verstand sich als der richtige Ausdruck der unbewußten Natur seiner verbrecherischen Strebungen.« Freud, Selbstdarstellung, S. 89. 206 »Wie Ödipus leben wir in der Unwissenheit der die Moral beleidigenden Wünsche, welche die Natur uns aufgenötigt hat […].« Freud, Die Traumdeutung, S. 270. 207 Schröter, Maximen und Reflexionen, S. 150. 200 201 202 203 204 205

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der Willensfreiheit neu beantworten. Der Mensch war nicht deshalb determiniert, weil er von materiellen Prozessen bestimmt war, sondern weil das Unbewusste sein Denken und Handeln teils offensichtlich, teils unmerklich dominierte. Und diese Tatsache ließ sich mit exakt naturwissenschaftlichen Begriffen beschreiben. »Wenn Freud 1872 Positionen vertrat, die im Gegensatz zum Determinismus standen, so hat er seit der ›Traumdeutung‹ jenen von Du Bois-Reymond behaupteten Bruch des Kausalnexus für Bewußtseinsvorgänge überwunden und sein weiteres Werk unverbrüchlich auf den allgemeinen Satz von der ›unerbittlichen Kausalverkettung des Lebens‹ gestellt.«208

Das Schicksalswirken im Alltagsleben Neben den frühen Schriften Freuds und der »Traumdeutung« kam sein mechanistisches Verständnis der menschlichen Geistestätigkeit wohl am deutlichsten in seiner Abhandlung »Zur Psychopathologie des Alltagslebens« zum Ausdruck.209 Scheinbar zufällige und gemeinhin als bedeutungslos wahrgenommene Vorfälle des Vergessens, Versprechens, Verlesens, Verschreibens, wie sie jedem Menschen gelegentlich passieren konnten, führte Freud auf unbewusste Motive und letztlich sinnvolle Determinierungen zurück. Diese Psychoanalyse im Kleinen bettete jede noch so absurd erscheinende Handlung in einen Kausalzusammenhang ein und gewährte somit Einblicke in die Tiefenschichten der Seele, die im Alltagsleben sonst verborgen blieben. Die grundlegende Bestimmung des Menschen durch das Unbewusste und damit seine Abhängigkeit von einem inneren Schicksal ließ sich an diesen psychischen Fehlleistungen eindrucksvoll demonstrieren. Das letzte Kapitel seiner Abhandlung widmete Freud deshalb generellen Überlegungen zu den Komplexen »Determinismus« und »Zufalls- und Aberglauben«. Das Ergebnis seiner Studie fasste er folgendermaßen zusammen: Die Psychoanalyse vermag jede menschliche Handlung, der nach objektiven Kriterien kein Sinn zugesprochen werden kann, auf ihre genuine, unbewusste Motivation zurückzuführen. Gerade auch die Handlungen, die von jedem Zwang frei zu sein scheinen – wie der Einfall einer beliebigen Zahl oder eines Wortes – seien alles andere als willkürlich. »Seit längerer Zeit weiss ich, dass man es nicht zustande bringt, sich eine Zahl nach freiem Belieben einfallen zu lassen, ebensowenig wie etwa einen Namen. Untersucht man die scheinbar willkürlich gebildete, etwa mehrstellige, wie im Scherz oder 208 Ebd., S. 152. 209 Freud, Zur Psychopathologie.

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Übermut angesprochene Zahl, so erweist sich deren strenge Determinierung, die man wirklich nicht für möglich gehalten hätte.«210

Auch auf der Basis einer strengen Selbstbeobachtung war Freud sich sicher, dass der Mensch zu freien, das heißt unmotivierten Gedanken und Handlungen nicht fähig war, weil sich sein gesamtes Seelenleben in der Hand des Unbewussten befand. Von diesem grundsätzlichen Befund ausgehend, der eigentlich der Ausgangspunkt seiner gesamten Psychoanalyse bildete, kam Freud auf das Problem der Willensfreiheit zu sprechen. In unmissverständlichen Worten gab er sich als überzeugter Anhänger des Determinismus zu erkennen und begründete das gleich zweifach: Viele Entscheidungen, gerade die großen, lebensentscheidenden, seien durch das Bewusstsein determiniert. Hier empfänden viele Menschen einen psychischen Zwang, der sie zu bestimmten Willensentscheidungen nötige. Die Berufung auf einen freien Willen komme dagegen nur bei den »belanglosen, indifferenten Entschliessungen« zum Tragen. Doch gerade diese unterlagen der Determination durch das Unbewusste, weil sie vom Bewusstsein gewissermaßen vernachlässigt würden. »Was aber so von der einen Seite frei gelassen wird, das empfängt seine Motivierung von anderer Seite, aus dem Unbewussten, und so ist die Determinierung im Psychischen doch lückenlos durchgeführt.«211 Die Überzeugung von der lückenlosen Determinierung wandte Freud nun auch auf die Gebiete an, die gewöhnlich dem Aberglauben zugerechnet wurden. Aus seinem eigenen Erfahrungsschatz führte er eine Begebenheit an, die in einem okkulten Deutungshorizont Anlass für die Annahme eines transzendenten Schicksals geben könnte: Ein Kutscher sollte Freud zum Haus einer über 90-jährigen Patientin bringen, über deren etwaiges baldiges Ableben der Therapeut schon häufiger nachgedacht hatte. Der Fahrer kannte den Weg, hatte er Freud doch bereits mehrmals dorthin gefahren, aber dennoch führte er die Kutsche nicht vor das Haus der alten Frau, sondern zu einer ähnlich aussehenden Parallelstraße vor ein gleichbeziffertes Gebäude. »Ich merke den Irrtum und werfe ihn dem Kutscher vor, der sich entschuldigt. Hat das nun etwas zu bedeuten, dass ich vor ein Haus geführt werde, in dem ich die alte Dame nicht vorfinde? Für mich gewiss nicht, aber wenn ich abergläubisch wäre, würde ich in dieser Begebenheit ein Vorzeichen erblicken, einen Fingerzeig des Schicksals, dass dies Jahr das letzte für die alte Frau sein wird.«212

War Freud für die geschilderte Irrfahrt auch nicht verantwortlich, so nahm er sie dennoch als ein Beispiel dafür, wie Menschen durch unbewusste Gedanken auf 210 Ebd., S. 76. Alfred Adler (1870 – 1937) hat 1905 genau dieses Motiv und seine Determinierung erneut beschrieben: Ders., Drei Psycho-Analysen, S. 263 – 266. 211 Freud, Zur Psychopathologie, S. 79. 212 Ebd., S. 81.

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bestimmte Wege gelenkt wurden. Alles das, was als Vorzeichen, Ahnung, Vorboten eines kommenden Ereignisses interpretiert werde, hatte seine alleinigen Wurzeln im Seelenleben des Einzelnen. Derjenige, der im Aberglauben befangen sei, erblicke in zufälligen Ereignissen ein Ausdrucksmittel für etwas, das draußen im Verborgenen liege. Der psychoanalytisch geschulte Beobachter jedoch könne sicher sein, »dass eine unbeabsichtigte Äusserung meiner eigenen Seelentätigkeit mir allerdings etwas Verborgenes enthüllt«, aber etwas, »was wiederum nur meinem Seelenleben angehört«.213 »Die Unterschiede zwischen mir und dem Abergäubischen sind zwei: erstens projiziert er eine Motivierung nach aussen, die ich innen suche; zweitens deutet er den Zufall durch ein Geschehen, den ich auf einen Gedanken zurückführe. Aber das Verborgene bei ihm entspricht dem Unbewussten bei mir, und der Zwang, den Zufall nicht als Zufall gelten zu lassen, sondern ihn zu deuten, ist uns beiden gemeinsam.«214

Sowohl die erkenntnistheoretischen als auch inhaltlichen Implikationen des psychoanalytischen Schicksalsverständnisses kommen in diesem Abschnitt deutlich zum Tragen. Die innere Determinierung des Menschen wird in die Außenwelt projiziert und kann dort zu einem fehlgeleiteten Schicksalsglauben führen. Noch 1920 schrieb Freud in diesem Sinne: »An dem, was man den Schicksalszwang nennen könnte, scheint uns vieles durch die rationelle Erwägung verständlich, so daß man ein Bedürfnis nach der Aufstellung eines neuen geheimnisvollen Motivs nicht verspürt.«215 In psychoanalytischer Hinsicht war das Schicksal also ein volkstümlicher beziehungsweise alltagssprachlicher Begriff für eine nur scheinbar äußere Macht, die in Wirklichkeit nichts weiter als die innere psychische Determination durch das Unbewusste war. Freud hielt die Suche nach jenem geheimnisvollen Motiv für den Ursprung vieler Religionen.216 Der Psychoanalytiker nun müsse die »Konstruktion einer übersinnlichen Realität« in die »Psychologie des Unbewussten« transformieren. Dieses Unternehmen stand jedes Mal wieder vor einer methodischen Herausforderung. Denn die unabdingbare Voraussetzung für den psychoanalytischen Rekonstruktionsprozess war, dass sich die physischen Offenbarungen des Unbewussten tatsächlich über Kausalverknüpfungen auf unbewusste Gedankengänge zurückführen ließen. Wollte man die Schicksalsstruktur des Seelenlebens unter Beweis stellen, musste sich der Psychoanalytiker selbst einer kausalen und damit mitunter einer schicksalhaften Argumentationsstruktur be213 214 215 216

Ebd., S. 82. Ebd. Freud, Jenseits des Lustprinzips, S. 22. Siehe dazu den letzten Abschnitt dieses Kapitels.

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dienen. Die Unsicherheit dieser Herangehensweise deutete Freud zwar an, ließ sich aber davon in seiner konkreten Arbeit weniger beeinflussen. »Es wäre […] unrichtig, von all den Fällen, welche der Analyse widerstehen, zu behaupten, sie seien durch einen anderen als den hier aufgedeckten Mechanismus entstanden; es brauchte für diese Annahme noch andere als negative Beweise.«217

Von diesem Argument ließen sich die Zweifler an der psychoanalytischen Mechanik des Seelenlebens allerdings nur wenig beeindrucken.

Der psychoanalytische Zirkelschluss – Die Kritik an Freuds »psychischer Mechanik« Um die Kritik an den erkenntnistheoretischen Prinzipien der Freud’schen Psychoanalyse richtig einzuordnen, bedarf es eines Blickes auf die allgemeine Situation, in der sich die Psychologie um die Jahrhundertwende befand. Denn natürlich hatte Sigmund Freud die Übertragung kausaler Erklärungsmethoden auf das Gebiet der Psychologie nicht erfunden. Er war mit seinen erkenntnistheoretischen Prämissen einerseits ein Kind seiner Zeit,218 andererseits traf er für die Psychoanalyse sehr früh eine Richtungsentscheidung, über welche die Psychologie seiner Zeit noch vehement stritt. Ihrem Ursprung nach der Philosophie zugehörig, suchte die Psychologie der Jahrhundertwende noch ihren wahren Bestimmungsort unter den akademischen Disziplinen. Vertreter der sogenannten »philosophischen Psychologie«, die ihre Wurzeln in der romantischen Naturphilosophie sahen, und die Anhänger der physiologischen Psychologie, die sich an Johann Friedrich Herbart (1776 – 1841), Hermann von Helmholtz (1821 – 1894), Gustav Theodor Fechner (1801 – 1887) und Wilhelm Maximilian Wundt orientierten, standen sich nahezu unversöhnlich gegenüber. Auch wenn sich die genannten Psychologen tatsächlich nicht ganz so eindeutig den verschiedenen Strömungen zuordnen lassen, wie es gemeinhin behauptet wird, galt doch, dass die philosophischen Psychologen sich als Wissenschaftler von der Seele des Menschen eher den Geisteswissenschaften und ihren Methoden verpflichtet fühlten, während die Anhänger der physiologischen Richtung die Psychologie als Naturwissenschaft etablieren wollten. Das Ziel war eine akademische Einbindung in die Riege der exakten Wissenschaften, die Anerkennung als empirisch arbeitende Disziplin, die sich nur durch die Adaption medizinischer Theorien und Methoden erringen ließ.219 217 Freud, Zur Psychopathologie, S. 84 f. 218 Pauleikhoff, Das Menschenbild, S. 353. 219 Brodthagen und Hoffmann, Die Rezeption, S. 141 – 143.

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Indem die Psychologie das naturwissenschaftliche Forschungsparadigma übernahm, wurde sie zur Wissenschaft für die Erforschung der »Mechanik des Geistes«.220 Selbst aus der Medizin kommend, fühlte sich Freud als Erbe, Weiterentwickler und Beweiserbringer dieser Auffassung. Innerhalb der Psychologie konnten sich in epistemologischer Hinsicht aus zwei Richtungen Kritik an den Freud’schen Grundlagen psychologischer Erkenntnis ergeben, die jedoch in dieselbe Richtung zielten: Vonseiten der naturwissenschaftlich orientierten Psychologie wurden die psychoanalytischen Erklärungsgründe als unwissenschaftlich abqualifiziert. Vonseiten der philosophischen Psychologie wurde das »szientistische Selbstmissverständnis«221 der Psychoanalyse angeprangert. Der Anspruch Freuds, menschliches Verhalten aus psychologischen Gründen erklären zu wollen, war der Stein des Anstoßes. Für beide Positionen sei die Argumentation jeweils eines Vertreters beispielhaft angeführt. Ein enger Mitarbeiter Emil Kraepelins (1856 – 1926), des Leiters der Münchner psychiatrischen Klinik, wagte sich 1907 im »Centralblatt für Nervenheilkunde und Psychiatrie«222 an eine durch und durch vernichtende Kritik von C. G. Jungs »Psychologie der Dementia praecox«,223 mit der er zugleich die Methodik der Psychoanalyse in Bausch und Bogen verurteilte. Dem Rezensenten, dem jungen Max Isserlin (1879 – 1941), bekam diese Kritik schlecht, wurde er doch nach einer längeren Phase erbitterter Auseinandersetzungen 1910 auf Veranlassung Jungs von einem Kongress der »Psychoanalytischen Vereinigung« ausgeschlossen.224 Kurz gesagt zweifelte Isserlin die Erklärungskompetenz psychoanalytischer Verfahren rundheraus an und brachte als Beispiel unter anderem einen tatsächlich etwas konstruiert wirkenden Fall an, bei dem ein junger Mann ein bestimmtes Wort eines Vergil’schen Verses vergessen hatte, und Freud diesen Aussetzer auf bestimmte Erfahrungen im Sexualbereich zurückführte: »Wenn Freud […] das Vergessen des Wortes ›aliquis‹ (in dem Vers: exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor) auf die Vorstellung des Ausbleibens der Periode der Geliebten zurückführt, so ist dem entgegenzuhalten, dass Tatsache doch nur ist jene […] etwas komplizierte Reihe von Assoziationen, welche schliesslich auf die Periode der Geliebten führt. Dass diese letztere unlustbetonte Vorstellung Ursache des Vergessens von ›aliquis‹ sei, ist eine durch nichts bewiesene Annahme […].«225

220 221 222 223 224 225

Sachs-Hombach, Philosophische Psychologie, S. 287. Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 300. Isserlin, Ueber Jung’s ›Psychologie der Dementia praecox‹, S. 329 – 343. Jung, Über die Psychologie. Hippius, Möller, Müller und Neundörfer, Die Psychiatrische Klinik, S. 92. Isserlin, Ueber Jung’s ›Psychologie der Dementia praecox‹, S. 335 f.

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Der Vorwurf, den Isserlin erhob, war nachvollziehbar : Freud und seine Anhänger gaben mögliche Erklärungsmodelle für tatsächliche Ursachen aus und trafen ihre Auswahl dabei willkürlich. Der »kausale Zusammenhang« war jedoch dadurch nicht bewiesen. Die rückwärtige Konstruktion einer Kausalkette barg die Gefahr der unreflektierten Übernahme eines einzigen Erklärungszusammenhangs, der jedoch an sich vieldeutig und kontingent sein konnte.226 Die mangelnde Beweisbarkeit der psychoanalytischen Befunde führte Isserlin zu der Frage nach dem wissenschaftlichen Gehalt der Tiefenpsychologie, die er als »schwere Verirrung« betrachtete. Zwar bescheinigte der Münchner Psychologe den Wiener Kollegen, dass sie die Kompetenz besäßen, die Mitmenschen zu verstehen und das menschliche Leben zu deuten. Ziel der Wissenschaft sei aber die objektive Analyse der Erscheinungen in ihren Elementen, aus denen dann eine Synthese unter Abstraktion jeder subjektiven Stellungnahme gebildet werden müsse. »Die Komplexpsychologen aber vermengen die objektive Analyse mit dem Deuten, wie es die Menschen des Lebens gegeneinander üben; sie behandeln den Komplex wie einen homunculus; er wird ihnen zum mythischen Gebilde.«227 Insofern war es nicht verwunderlich, dass die Psychoanalyse vor »anerkannten naturwissenschaftlichen Beweisverfahren«228 nicht bestehen konnte, denn »bei Freud-Jung wird der Glaube zur wissenschaftlichen Methodik«.229 C. G. Jung (1875 – 1961) fühlte sich durch Isserlins Kritik wissenschaftlich »getötet«, und auch Freud sah in den Vorwürfen »Geschosse aus dem feindlichen Lager«.230 Seine Gewissheit, mit der Psychoanalyse ein Verfahren geschaffen zu haben, das naturwissenschaftlichen Ansprüchen genügte und gerade metaphysischen Spekulationen Einhalt gebot, hatte die Münchner Kollegen nicht zu überzeugen vermocht. Der Wahlspruch aus Vergils »Aeneis«, den Freud vor 226 Diesen Vorwurf hat Freud erst Anfang der 1920er-Jahre grundlegend reflektiert. In dem Aufsatz »Über die Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität« heißt es von Freud dazu: »Solange wir die Entwicklung von ihrem Endergebnis aus nach rückwärts verfolgen, stellt sich uns ein lückenloser Zusammenhang her, und wir halten unsere Einsicht für vollkommen befriedigend, vielleicht für erschöpfend. Nehmen wir aber den umgekehrten Weg, gehen wir von den durch die Analyse gefundenen Voraussetzungen aus und suchen diese bis zum Resultat zu verfolgen, so kommt uns der Eindruck einer notwendigen und auf keine andere Weise zu bestimmenden Verkettung ganz abhanden. Wir merken sofort, es hätte sich auch etwas anderes ergeben können, und dies andere Ergebnis hätten wir ebensogut verstanden und aufklären können. Die Synthese ist also nicht so befriedigend wie die Analyse; mit anderen Worten, wir wären nicht imstande, aus der Kenntnis der Voraussetzungen die Natur des Ergebnisses vorherzusagen.« Freud, Über die Psychogenese, S. 20. 227 Isserlin, Ueber Jung’s ›Psychologie der Dementia praecox‹, S. 342. 228 Ebd., S. 337. 229 Ebd., S. 343. 230 Zit. n.: Hippius, Möller, Müller und Neundörfer, Die Psychiatrische Klinik, S. 92.

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seine »Traumdeutung« gesetzt hatte: »Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo« – »Wenn ich die Götter nicht bewegen kann, werde ich die Unterwelt bewegen« –, hatte sich durch Isserlins Kritik ins Gegenteil verkehrt. Dieser hatte den Nachweis erbracht, dass sich die Anhänger der Psychoanalyse durch ihre wissenschaftliche Methodik wieder in die Fänge der Götter begeben hatten. Übertragen auf das Schicksalsverständnis der Psychoanalyse bedeutete das, dass die vollständige Determination des Menschen unbeweisbar war und blieb, weil der Zusammenhang zwischen Bewusstsein und Unbewusstem nicht mit wissenschaftlichen Methoden erklärbar war. Die Verortung des Schicksals im Unbewussten war das Produkt eines epistemologischen Fehlers, eines Zirkelschlusses, weil die Psychoanalytiker in der schicksalhaften Struktur gefangen waren, die sie selbst zu untersuchen meinten. Was Isserlin nur am Rande angedeutet hatte, die Verortung der Psychoanalyse in den verstehenden Geisteswissenschaften, unternahm einige Jahre später ein Vertreter der philosophischen Psychologie und bezog auch den Schicksalsbegriff in seine Überlegungen mit ein. Der Psychiater Karl Jaspers (1883 – 1969) vollzog mit seiner Habilitation 1913 den Wechsel von der psychiatrischen Medizin zur Philosophie der Psychiatrie. Als einer der Ersten dieser Disziplin stellte er umfangreiche Reflexionen über ihre theoretischen Grundlagen an und konnte dabei auch auf Anschauungsmaterial aus der Psychoanalyse zurückgreifen.231 Jaspers veröffentlichte 1913 in der »Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie« einen umfangreichen Aufsatz, der sich neben den konkreten Erscheinungsformen der Schizophrenie auch der Epistemologie der Psychologie widmete. Schon der Titel der Abhandlung brachte den Konflikt, den es zu lösen galt, deutlich zum Ausdruck: Die Arbeit behandelt »Kausale und ›verständliche‹ Zusammenhänge zwischen Schicksal und Psychose bei der Dementia praecox (Schizophrenie)«.232 Allgemein gesprochen wies Jaspers darauf hin, dass die psychoanalytische Annahme eines inneren, unbewussten Schicksals einer psychologischen Methodik entsprungen war, die selbst schicksalhaft argumentierte. Weil die Psychoanalyse scheinbar kausal arbeitete, vertrat sie auch die Überzeugung, dass der Mensch kausal funktioniere. Hier lag also der klassische Fall vor, dass die wissenschaftliche Herangehensweise die Ergebnisse, die sie herauszufinden vorgab, zur Voraussetzung hatte. Diesem Zirkelschluss setzte Jaspers einen Schicksalsbegriff gegenüber, der außerhalb des Menschen angesiedelt war, seine lebensbedingenden Umstände beschrieb, und der mithilfe der verstehenden Psychologie analysiert werden konnte. 231 Jaspers nahm in Heidelberg zwischen 1910 und 1911 zeitweise am Arbeitskreis über die psychologischen Theorien Freuds und verwandter Anschauungen teil. 232 Jaspers, Kausale und ›verständliche‹ Zusammenhänge, S. 158 – 263.

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Im ersten Teil des Aufsatzes nahm Jaspers eine generelle Standortbestimmung der Psychologie unter den Wissenschaften vor und prangerte dabei das große Selbstmissverständnis an, dem die Psychoanalyse unterlag. Ausgehend von der von Wilhelm Dilthey herrührenden Unterscheidung zwischen Erklären und Verstehen machte Jaspers deutlich, welche Erkenntnismöglichkeiten die verschiedenen Herangehensweisen wissenschaftlicher Forschung boten und an welchem Punkt sie an ihre Grenzen stießen.233 Jaspers schränkte die Möglichkeiten des Erklärens auf naturgesetzliche Vorgänge ein, die sich in Bezug auf den Menschen auf dessen Körperlichkeit beschränkten. Das Verstehen hingegen war der Erforschung des Seelenlebens vorbehalten, dem Nachempfinden von Gefühlen und Motiven. Ein grundlegender Irrtum entstand dann, wenn begriffliche Unschärfen eintraten, wenn z. B. das »Verstehen von Seelischem aus anderem Seelischem« als »psychologisches Erklären« bezeichnet wurde. Denn das suggeriere die Möglichkeit, die Tätigkeit des Seelenlebens als durchgehenden Kausalzusammenhang zu konstruieren und nachvollziehen zu können. Der Begriff der »Kausalität von innen« weise auf das Gleichnishafte dieses psychologischen Erklärens hin. Zwischen der seelischen Kausalität und der echten »Kausalität von außen« bestehe jedoch de facto ein »unüberbrückbare[r] Abgrund«.234 Dennoch konnten beide Verfahren auch in der Psychologie zur Anwendung kommen und griffen bei der Erforschung des Menschen in komplexer Weise ineinander. Jaspers unternahm eine Trennung von »verstehender« und »Leistungspsychologie«. Letztere messe mit experimentellen Methoden die Leistungsfähigkeit des Menschen unter sich ändernden Bedingungen und könne bei der Erforschung der Ursachen »Theorien über kausale Verkettungen« bilden. Dieses Verfahren hatte durchaus seinen Wert und brachte interessante Befunde hervor. Die nicht zu vernachlässigende Voraussetzung war jedoch die Beschränkung auf das Gebiet des Erklärens.235 Die verstehende Psychologie jedoch war evidenzbasiert, schöpfte aus persönlicher Erfahrung und Einfühlung, die jedoch nicht induktiv beweisbar war. Aus diesem Grund waren die Ergebnisse der verstehenden Psychologie auch nicht theoriefähig. Lediglich aus ihren Idealtypen ließen sich Maßstäbe erstellen »an [denen] einzelne wirkliche Vorgänge gemessen und als mehr oder weniger verständlich erkannt werden«.236 Das genetische Verstehen durfte nach Jaspers also nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der Psychologe es eigentlich nicht mit kausalen Zusammen-

233 234 235 236

Ebd., S. 159. Ebd. Ebd., S. 161. Ebd., S. 163.

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hängen zu tun hatte, wenn er die verstehende Methode benutzte. Diese waren auf »außerbewußte Grundlagen des Seelischen« angewiesen.237 Nach Klarstellung dieser Voraussetzungen unterzog Jaspers die Psychoanalyse einer kritischen Würdigung. Für ihn stand fest: »Bei Freud handelt es sich tatsächlich um verstehende Psychologie, nicht um kausale Erklärung, wie Freud meint.«238 Aus diesem Grund verwarf Jaspers Freuds These von der durchgehenden psychischen, schicksalhaften Determination des Menschen. Zwei wesentliche epistemologische Gründe sprachen dagegen: Zum einen musste das psychologische Verstehen durch die seelischen Anlagen des Menschen selbst immer wieder an seine Grenzen stoßen.239 Zum zweiten konstruierte Freud aus den Ergebnissen seiner verstehenden Psychologie eine Theorie, was schon in sich ein Widerspruch war.240 Freuds Theoriebildung führte, nach Jaspers, darüber hinaus zu einer unzulässigen Simplifizierung seelischer Vorgänge. So bringe die Reduktion der Seelenäußerungen auf sexuelle Erlebnisse immer wieder psychoanalytische Abhandlungen hervor, die aufgrund ihrer Unterkomplexität »unerträglich langweilig« seien.241 Mit seiner konsequenten, weil epistemologisch begründeten Ablehnung einer durchgehenden psychischen Determination des Menschen definierte Jaspers auch den Schicksalsbegriff anders als Freud. An seinem konkreten Untersuchungsgegenstand, der reaktiven Psychose, demonstrierte Jaspers zunächst, dass sich die Psychologie sowohl erklärender als auch verstehender Fragestellungen und Verfahren bedienen musste, um ein vollständiges Bild einer psychischen Erkrankung zu erhalten. Anders als bei Freud sollte das Schicksal dabei nicht als innere Determination des Individuums zutage gefördert werden, vielmehr konnte das Schicksal als Ausdruck individueller Lebensumstände selbst zum Verstehenshintergrund und Klassifikationsmerkmal bestimmter Krankheiten werden. Die reaktive Psychose zeichnete sich nach Jaspers als eine Krankheit aus, die sich in Reaktion auf bestimmte äußere Ereignisse, Erlebnisse und Erfahrungen bildete. Das Psychosesymptom musste in einem erkennbaren inhaltlichen Zusammenhang mit dieser Begebenheit stehen, die Begebenheit selbst durfte nicht allein Anlass, sondern musste tatsächliche Ursache der Erkrankung sein. Erst unter diesen Voraussetzungen war ein verstehender Untersuchungsansatz überhaupt legitim und naheliegend, vollzog er doch mit den Kenntnissen über die seelische Disposition des Patienten vor seiner Erkrankung die Wirkungen des Ereignisses auf dessen Seele einfühlsam nach. 237 238 239 240 241

Ebd., S. 165. Ebd., S. 169. Ebd., S. 164. Ebd., S. 169. Ebd., S. 170.

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Das »Schicksal« des Patienten spielte als verursachendes Moment bei der reaktiven Psychose eine entscheidende Rolle. »Bei reaktiven Psychosen beobachtet man entweder eine sofortige Reaktion auf ein eingreifendes Erlebnis, oder nach längerem unbemerkten Reifen, im verständlichen Zusammenhang mit dem Schicksal und den täglich wiederkehrenden Eindrücken, gleichsam eine Entladung. Es besteht nach Ablauf der Psychose zwar die Fähigkeit die Psychose im Urteil rückhaltlos für krank zu erklären. Es besteht aber die Tendenz einer Nachwirkung der psychotischen Inhalte, die aus dem Schicksal erwachsen sind, auch auf das weitere Leben und damit die Neigung, trotz intellektueller richtiger Stellungnahme doch im Gefühls- und Triebleben den krankhaften Inhalten nicht frei gegenüberzustehen.«242

Psychische Erkrankungen ließen sich also nach ihrer Beziehung zum persönlichen Schicksal klassifizieren. Waren sie durch das Schicksal verursacht, konnten die Patienten keine objektive, distanzierte Haltung zur ihrem Leiden beziehen. Deren Verstehbarkeit begründete eine über die Krankheit hinausgehende dauerhafte Unfreiheit der Betroffenen, verlieh das Schicksal selbst den Krankheitsinhalten doch eine gewisse Plausibilität. Doch was genau meinte Jaspers mit diesem Schicksal, das sowohl die Inhalte der Psychose als auch die wissenschaftliche Herangehensweise an die Krankheit bestimmte? Das Schicksal in Jaspers verstehender Psychologie war – anders als bei Freud – nicht etwas Hervorgebrachtes, sondern etwas Hervorbringendes. Es umfasste die Lebensinhalte des Patienten vor der Erkrankung, bezog sich sowohl auf äußere Lebensumstände und konkrete Erlebnisse als auch auf innere Einstellungen und Gefühle. Jaspers nennt im Zusammenhang mit dem Schicksalsbegriff das »frühere Leben«,243 »täglich wiederkehrende[.] Eindrücke[.]«244 und daraus resultierende »tiefe[.] Gemütsveränderungen«.245 Mit dieser Auffassung formulierte Jaspers die Lehre von den psychischen Ursachen neu. Hatte man sich früher damit begnügt, reaktive Psychosen auf »psychische[.] Ursachen« zurückzuführen und sich damit zufriedengegeben, so machte Jaspers deutlich, dass man so lediglich die Grundlagen ihrer Verstehbarkeit umschrieben, die kausalen Erklärungen jedoch noch nicht gefunden hatte.246 In der Analyse seiner Psychosepatienten unterschied Jaspers mit Blick auf sein Hauptziel, der »Herausstellung des Zusammenhangs zwischen Schicksal und akuter Psychose«, sehr sorgfältig zwischen phänomenologischer, kausaler und genetisch verstehender Herangehensweise.247 242 243 244 245 246 247

Ebd., S. 174 – 176. Ebd., S. 178. Ebd., S. 174. Ebd., S. 176. Ebd., S. 177. Ebd., S. 178.

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So ließ er zwei seiner Patienten zu Wort kommen und rekapitulierte ausführlich die Selbstbeschreibungen ihrer psychotischen Erlebnisse und die vorausgehenden und nachfolgenden Ereignisse. Auf eine phänomenologische Beschreibung der Erkrankung folgte jeweils eine medizinische Analyse der »kausalen Zusammenhänge«, deren Ziel die Krankheitsbestimmung nach ihren Ursachen war. In einem dritten Abschnitt, der unter dem Oberbegriff »verständliche Zusammenhänge« zusammengefasst wurde, analysierte Jaspers dann die Psychoseninhalte in ihrer Beziehungen zum persönlichen Schicksal der Betroffenen und kam zumindest bei seinem ersten Patienten zu einem eindeutigen Ergebnis: »Der verständliche Zusammenhang zwischen Eheschicksal und Inhalt der Psychose des Kranken liegt auf der Hand. Nicht beliebige Inhalte des vergangenen Lebens, sondern Inhalte der letzten durch sein Schicksal bedingten wirklichen Gemütserschütterung gehen in die Psychose ein, nicht der selbstverständliche Zusammenhang aller psychotischen Inhalte mit irgend wann früher erworbenen Inhalten, sondern der Zusammenhang zwischen auslösendem Erlebnis und psychotischem Erleben liegt vor.«248

Anders als Freud betonte Jaspers, dass die Zusammenhänge zwischen Schicksal und Psychose nicht zwingend notwendig waren, sondern vom Therapeuten hermeneutisch konstruiert wurden. Immer wieder musste dieser sensibel dafür sein, wann das Verstehen an eine Grenze stieß und »wo das vage und wo das grundlose Deuten anfängt«.249 So galt es, der Gefahr zu entrinnen, aus zufälligen Assoziationen des Patienten Rückschlüsse auf ein nicht existierendes Schicksal zu ziehen, indem man die Psychoseninhalte mithilfe »rationalen Eindenkens« anstatt »auf Grund breiten psychologischen Einfühlens« entschlüsseln wollte.250 Mit dieser falschen Methode würde die Freud’sche Schule eigentlich »alles verständlich machen«251 – und das konnte nicht der Sinn psychologischer Forschung sein. In Jaspers Schicksalsverständnis trafen also auch epistemologische Standpunkte mit diagnostischen Erkenntnissen zusammen. Seine Ablehnung einer durchgehenden psychischen Determination des Individuums ging mit seiner psychologischen Hermeneutik einher, Menschenbild und Methode bedingten sich gegenseitig. Freud war davon überzeugt gewesen, mithilfe einer kausal erklärenden Psychoanalyse die Ursprünge des Schicksals im Unbewussten verortet zu haben, wo es unter Umständen pathogene Zustände hervorrief und nur darauf wartete, vom Therapeuten ins Bewusstsein gehoben zu werden. Das 248 249 250 251

Ebd., S. 205. Ebd. Ebd., S. 207. Ebd., S. 210.

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psychoanalytische Verfahren selbst diente als Bestätigung der schicksalhaften Kausalstrukturen des Seelenlebens. Jaspers hingegen lagerte das Schicksal aus der Seele des Menschen aus und machte es zur biografischen Hintergrundfolie für psychische Erkrankungen, die der Therapeut über einen verstehenden Ansatz zu rekonstruieren vermochte. In Jaspers verstehender Psychologie hatte das Schicksal deshalb nur insofern einen determinierenden Charakter, als es aufgrund seiner plausiblen Verknüpfung mit der Krankheit keine vollständige gedankliche Trennung des Patienten von seiner Erkrankung zuließ. Die Verstehbarkeit selbst wurde in Jaspers Psychologieentwurf also zur Grundlage einer dauerhaften Bindung an das Schicksal. Abseits der epistemologischen Kritik an der Psychoanalyse, die vor dem Ersten Weltkrieg mit Isserlin und Jaspers tatsächlich nur von Einzelnen angesprochen wurde,252 hatte Jaspers in seiner Abhandlung den Versuch unternommen, psychische Erkrankungen über den Schicksalsbegriff mitzudefinieren. Tatsächlich machten Psychoanalytiker und Psychologen der Jahrhundertwende gleichermaßen die Beobachtung, dass die Frage nach dem Schicksal für die Diagnose psychischer Erkrankungen eine Schlüsselrolle spielen musste. Um die Jahrhundertwende begannen mehr und mehr Patienten, ihre persönlichen Leiden in einen Schicksalshorizont einzuordnen und gaben damit den Therapeuten die Möglichkeit, psychische Erkrankungen mithilfe des Schicksalsbegriffs zu klassifizieren.

Das Schicksal als psychopathologisches Symptom Nicht allein in der Psychoanalyse, sondern auch in anderen psychologischen Strömungen nach der Jahrhundertwende war man davon überzeugt, dass sich das Wesen der psychischen Krankheit in einem bestimmten Verhältnis des Kranken zum Schicksal manifestierte. Mit Freuds These vom Ursprung der Religion wurde diese Überzeugung gar zu einer Kulturtheorie überhöht; sie war jedoch auch im normalen Praxisalltag präsent. In der Anamnese protokollierten die Therapeuten immer wieder eine unbestimmte Angst ihrer Patienten vor dem wie auch immer gearteten »Schicksal«, oder sie stellten fest, dass diese den Schicksalsbegriff verwendeten, um ihren seelischen Zustand zu beschreiben. So gab der junge Psychiater Alfred Storch (1888 – 1962) den Wortlaut seiner Patientin Marie M., einer 67-jährigen Witwe, folgendermaßen wieder :

252 Die Kritik an den Erkenntnisgrundlagen der Psychoanalyse blühte erst in den 1920erJahren richtig auf: Bühler, Die Krise, S. 165 – 167; Michaelis, Die Menschheitsproblematik; Schultz, Die seelische Krankenbehandlung.

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»Seit dem Tod ihres Mannes, Frühjahr 1911, sehr traurig, viel geweint, unbestimmte Befürchtungen, ›sie käme wohin‹, sie sei verloren ›wegen ihres Schicksals‹. Angst vor der Zukunft, äußerte, sie könne nicht mehr arbeiten, keine Gedanken mehr fassen.«253

Andere Therapeuten machten ähnliche Erfahrungen und berücksichtigten Selbstbeschreibungen dieser Art bei ihren Deutungs- und Therapieversuchen. In diesem Sinne bescheinigte Freud den Paranoikern in der »Psychopathologie des Alltagslebens« eine außergewöhnliche Sensibilität bei der Erfassung unbewusster Motivierungen, die das Leben des Menschen schicksalhaft bestimmten. Dass jede noch so geringe Handlung in der Sicht eines Paranoiden an Bedeutung gewinne, gebe einen Hinweis darauf, dass dieser durch die Krankheit ein Gespür für die Kausalverknüpfungen erlange, die den Normalen gewöhnlich verborgen blieben.254 Neben der Paranoia schienen die Krankheitsbilder der Psychose und der Neurose eine besondere Affinität zu Schicksalsvorstellungen zu besitzen. Zwei Beispiele mögen das verdeutlichen: 1905 veröffentlichte der Dresdner Nervenarzt Heinrich Stadelmann (1865 – 1948)255 eine kleine Aufsatzsammlung, in der er sich der kulturellen Bedeutung von Geisteskrankheiten unter verschiedenen Gesichtspunkten widmete. Der letzte Beitrag des Bandes trug den Titel »Geisteskrankheit und Schicksal«256 und verquickte etwas unübersichtlich die naturgesetzliche Notwendigkeit, der alle Prozesse im Seelenleben unterlagen, mit kosmischen Schicksalsvorstellungen und einer Art Schicksalstypologie verschiedener Geisteskrankheiten.257 In letzterem Zusammenhang sprach Stadelmann davon, dass psychotische Personen die Schicksalsidee häufig auf ihre eigenen psychischen Vorgänge anwendeten, und zwar als Ausdruck eines inneren Gefühls der wechselseitigen Abhängigkeit von »Weltobjekte[n]«, eigenen »Körperorgane[n] und »einstigen Erlebnissen«. In Symbolismen und Mystizismen gewinne das dadurch erzeugte Bild an Realität, die Schicksalsidee werde für den Erkrankten zu einer subjektiven Wirklichkeit, auf die er mit dem Verlangen nach Strafe und Sühne reagiere.258 So entwickele sich der Schicksalsgedanke in der Psychose zum Wahn, er werde von innen nach außen übertragen. Genau dieser Mechanismus griff nach Stadelmanns Sicht auch für das Genie. Der geniale Charakter habe »Formen für sein inneres Leben notwendig, das er nach aussen projiziert« und das dort als

253 Storch, Aussageversuche, S. 387. 254 Freud, Zur Psychopathologie, S. 80. 255 Zur schillernden Biografie Heinrich Stadelmanns vergleiche: Grosz, Ein kleines Ja, S. 135 – 142. 256 Stadelmann, Geisteskrankheit und Naturwissenschaft, S. 37 – 43. 257 Ebd., S. 40. 258 Ebd., S. 41 f.

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»gesteigertes Erleben« in Erscheinung trete.259 Man konnte mit Blick auf die Geisteskrankheiten also Folgendes lernen: »Dem von Menschen geschaffenen Schicksalsbegriff stellt sich der Mensch selbst wieder gegenüber.«260 Wie genau sich diese Gegenüberstellung gestaltete, konnte entscheidend für die Diagnose des Psychotherapeuten werden. Ebenso wie Stadelmann entdeckte auch Alfred Adler die Berufung auf das Schicksal als eine typische Argumentationsfigur seiner Patienten. Er definierte allerdings nicht die Psychose, sondern die Neurose als einen steten »Kampf des Nervösen mit einem Schicksal«.261 In seinem umfangreichen Werk »Über den nervösen Charakter«, das 1912 die Grundlagen der Individualpsychologie umriss, präsentierte Adler einen Menschentypus, der sich des Schicksalstopos bediente, um sein Minderwertigkeitsgefühl zu kompensieren. Gerade bei neuropathologischen Kindern höre man immer wieder Äußerungen wie »›Die Eltern, das Schicksal sind schuld‹, ›weil ich der Jüngste, zu spät gekommen bin‹, ›weil ich ein Aschenbrödel bin‹, ›weil ich vielleicht nicht das Kind dieser Eltern, dieses Vaters, dieser Mutter bin‹ […]«262 – eine Argumentation, die den Zustand des Erkrankten noch verschlimmere und die Wehleidigkeit »zu Hypochondrie, Weltschmerz und Neurose« steigere.263 Aus Sicht der Betroffenen vermochte der Schicksalstopos von der eigenen Schwäche abzulenken264 und von der Verantwortung für Entscheidungen zu entbinden, die unter Umständen eine persönliche Herabsetzung nach sich ziehen konnten. Gerade Kinder versuchten »sich durch den Hinweis auf das Fatum – ganz wie in der griechischen und in der Schicksalstragödie – zu entlasten, [ihr] Selbstgefühl zu retten und die Schuld anderen zuzuschieben«.265 Adler interpretierte diese Versuche seiner Patienten als Strategie, sich selbst und die Umwelt zu beherrschen und so eine beständige Aktionsbasis zu erlangen. Die Berufung auf das Schicksal rechtfertige vor der Außenwelt das Leiden ebenso wie die zuweilen übertriebenen Reaktionen darauf.266 Dieser Kompensationsmechanismus sei keinesfalls das Produkt einer berechnenden Absicht, sondern vollziehe sich zumeist außerhalb des Bewusstseins der Betroffenen. Im Endeffekt formten die Neurotiker ihr eigenes Abhängigkeitsgefühl von einer Schwäche in eine Stärke um. Der Psychologe Emil Freiherr

259 260 261 262 263 264 265 266

Ebd., S. 42. Ebd., S. 41. Adler, Über den nervösen Charakter, S. 45. Ebd., S. 84. Adler, Über den Selbstmord, S. 118. Ebd. Adler, Über den nervösen Charakter, S. 84. Ebd., S. 85.

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von Gebsattel (1883 – 1976) bettete ebendiese Beobachtung etwas süffisant in das Verhältnis des Kranken zum Zuschauer ein: »Nun ist es ja in der Tat, eine große Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit des Instinktlebens vorausgesetzt, für den einzelnen immer noch eine Art der Selbstsetzung sich als Kranken zu konstituieren. Ist man auch bei seiner tiefen Lebensangst und Lebensohnmacht nichts, so ist man doch wenigstens ein Kranker, das heißt ein Minderwertiger von des Schicksals Gnaden, als in Selbstwertproblematik vielleicht ein Minderwertiger aus eigener ›Schuld‹, oder etwas gänzlich Unbestimmtes.«267

Trotzdem musste sich der Neurotiker dem Schicksal gegenüber irgendwie verhalten. Weil es als der Ursprung allen Übels angesehen wurde, entwickelten die Erkrankten Vorstellungen davon, das Schicksal zu antizipieren, das ihnen »vorschwebende Schicksal zu bannen,« »das Schicksal zu foppen« oder auch eine »gelungene Rache an dem Schicksal« zu üben,268 wobei gerade die letzte Strategie mitunter in Suizidphantasien enden konnte. Diese personalen, irrationalen Vorstellungen von einer Schicksalsmacht, die von außen an den Neurotiker herantrat und sich gegen ihn verschworen hatte, waren ein fundamentaler Bestandteil der Erkrankung – daran ließ Adler keinen Zweifel. Die Aufgabe des Psychologen, das hatte schon Freud deutlich gemacht,269 musste nun darin liegen, den irrationalen Kern dieser Ideen ins Bewusstsein zu heben und die Schicksalsvorstellungen auf ihre natürlichen Ursachen im Inneren des Menschen zurückzuführen. Durch die Therapie sollte der Patient seine »Verhaltensstörungen, Charaktereigentümlichkeiten, ›Wesenszüge‹, Handlungen« und damit sich selbst als ein Produkt früher Determinanten erleben, die noch Jahre später kausal sein Leben bestimmten.270 Paradoxerweise ging die Psychoanalyse also davon aus, dass die Bewusstmachung der schicksalhaften Gebundenheit an das eigene Unbewusste den Weg zur persönlichen Freiheit von der Krankheit eröffnete. Über die Therapie vermochte der Patient, Herr seiner Triebe zu werden und die Vernunft über das Unbewusste herrschen zu lassen. »Wird der Mensch von Leidenschaften bestimmt, lebt er in Knechtschaft. Macht er von der Vernunft Gebrauch, ist er frei.«271 Der eigentliche Zweck der Psychotherapie bestand also darin, den Menschen vernunftbestimmt und dadurch schicksalsfähig zu machen. Adler beschrieb die therapeutische Tätigkeit des Tiefenpsychologen während einer Sitzung der »Wiener Psychoanalytischen Vereinigung« in diesem Sinne mit den Worten: »Man macht ihn [den

267 268 269 270 271

Gebsattel, Der Einzelne, S. 78. Adler, Über den nervösen Charakter, S. 54, 73, 106, 314. Ruppelt, Das Freiheitsverständnis, S. 27. Wyss, Der Kranke als Partner, S. 96; Wiesenhütter, Freud und seine Kritiker, S. 41. Ruppelt, Das Freiheitsverständnis, S. 40.

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Patienten, F. R.] aus einem unbewußten Spielball der Situationen zu einem bewußten Kämpfer oder Erdulder seines Schicksals.«272 Die Frage jedoch, welche Abhängigkeiten eigentlich bewusst gemacht werden sollten, war damit noch nicht geklärt. Um die Jahrhundertwende standen zwei Deutungsmöglichkeiten zur Verfügung: In der Psychiatrie und physiologischen Psychologie wurde die Vererbung für die dominante schicksalsbestimmende Determinante des menschlichen Lebens gehalten. Die Psychoanalyse hingegen identifizierte (früh-)kindliche Erfahrungen, insbesondere der Sexualität, als die Faktoren, die das Schicksal eines Menschen prägten. Aus diesem Antagonismus entwickelte sich um 1900 die sogenannte Anlage-Umwelt-Debatte.

Das Schicksal als psychopathologische Ursache Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts konnte die Vererbungslehre durch das Studium von Pflanzen und Tieren rasante Fortschritte verzeichnen und etablierte sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer ernst zu nehmenden naturwissenschaftlichen Disziplin. Gregor Mendels (1822 – 1884) zunächst weitgehend unbeachtet gebliebene Entdeckung der Vererbungsgesetze, Charles Darwins Evolutionstheorie, Jean-Baptiste de Lamarcks (1744 – 1829) These von der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften273 und Hugo de Vries’ (1848 – 1935) Publikationen zur Mutationstheorie sind nur einige der bedeutendsten Schritte dieser Entwicklung. Je mehr Naturwissenschaftler sich den Mechanismen der Vererbung zuwandten, umso deutlicher wurde, dass man ein grundlegendes Verständnis des Menschen nur mit Blick auf seine Vorfahren gewinnen konnte. Und gerade auf dem Gebiet der seelischen Erkrankungen versprach die Konzentration auf ererbte Vorbelastungen ein besseres Verständnis psychischer Zustände und ihrer mutmaßlichen Verläufe. So erwärmte sich die Psychiatrie sehr früh für die Genetik und brachte sie in Zusammenhang mit der Degenerationstheorie.274 B¦n¦dict Augustine Morel (1808 – 1873) hatte bereits 1857 in seinem »Trait¦ de d¦g¦n¦rences« Vererbungslehre und psychiatrische Erkenntnisse miteinander in Verbindung gebracht.275 Bezogen auf den Niedergang ganzer Familien identifizierte er ererbte Dispositionen, die seiner Meinung nach in mehreren Generationen zwangsläufig zu vollkommenem psychischem Schwachsinn führen mussten. Der Psychiater Paul Julius Möbius (1853 – 1907) verbreitete diese Lehre in der deutschen 272 Alfred Adler am 30. 01. 1907 auf der elften Sitzung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, in: Nunberg und Federn, Protokolle, Bd. 1, S. 90. 273 Siehe zu Darwin und Lamarck Kap. 5.3. 274 Siehe zum Folgenden: Schott und Tölle, Geschichte der Psychiatrie, S. 99 – 106. 275 Morel, Trait¦ des d¦g¦n¦rescences.

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Psychiatrie und führte für diese Krankheiten den Begriff der »Endogenität« ein. Für ihn war klar : »Das Schicksal, das einen erblich Belasteten erwartet, ist immer das Produkt aus zwei Faktoren, der Schwere der erblichen Belastung einerseits und den äußeren Lebensbedingungen andererseits.«276 So wie Möbius argumentierten viele. Zwar wurden die Einflüsse von Vererbung und Umwelt auf das Schicksal des Menschen gleichermaßen bestätigt, doch die Betonung fiel häufig zugunsten der Vererbung aus. Denn deren Prägekraft konnte nur »gemildert«, niemals überwunden werden. Deshalb stellte auch der Zoologe und Philosoph Georg Heinrich Schneider (1846 – 1904) im Hinblick auf die »neueren Entwickelungstheorien des Darwinismus« die Dominanz der Vererbung in den Vordergrund: »Alle Abweichungen von der normalen Gesinnung und dem normalen Streben sind immer durch unvollkommene Körperbildungen und unvollständige Gesundheit bedingt; und so ist durch die geerbten Anlagen, durch den relativen Gesundheitszustand im Wesentlichen das Schicksal eines Menschen schon bei seiner Geburt bestimmt. Es giebt Menschen, die das Glück in jeder Lage zu begünstigen scheint, und andere, welche das böse Schicksal immerwährend verfolgt, denen alles missglückt. Woran liegt dies aber? Nur zum geringeren Theile an den augenblicklich vorhandenen äusseren Umständen, zum bei weit grössten Theile ist das Gelingen und Misslingen der Unternehmungen des Menschen durch geerbte Anlagen bedingt.«277

Die Unausweichlichkeit der ererbten Dispositionen, ihre Macht über das menschliche Leben und damit ihre schicksalsprägende Gestalt standen für Schneider außer Frage. Zugleich machte er den leicht irrationalen Zug dieser Determination deutlich, indem er sie zum Begriff des Glücks in Beziehung setzte. Glück und Unglück, als die beiden gängigsten Ausdrucksformen eines metaphysischen Schicksalseinflusses, wurden durch das Erbgut des Einzelnen gewissermaßen geerdet. Dadurch wurde das Schicksal zwar entdämonisiert und berechenbar gemacht, es verlor jedoch nichts von seiner Grausamkeit. Denn mit der Vorherrschaft des Erbguts minimierte sich der menschliche Handlungsspielraum entscheidend. In der Grundüberzeugung der Jahrhundertwende hatte man in den Gesetzen der Genetik die neuen Schicksalsgesetze gefunden. Die Durchführung einer Familienanamnese war seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts deshalb ein Standardverfahren der klinischen Praxis. Um 1900 gehörte die Vererbungslehre nicht nur zum Gemeingut des biolo276 Möbius, Die Nervosität, S. 30; Schneider, Der menschliche Wille, S. 334. 277 Ebd., S. 330 f. In einem gewissen Sinne hat sich auch Alfred Adler gerade in seinen frühen Studien zur Organminderwertigkeit diese Ansicht zu eigen gemacht: »Um kurz zu sein, das Schicksal des Menschen, damit auch die Prädestination zur Neurose, liegt, wenn wir an dem Gedanken eines gesellschaftlich durchschnittlichen, gleichmäßigen Kulturkreises und ebensolcher Kulturforderungen festhalten, in der Minderwertigkeit des Organs ausgesprochen.« Ders., Der Aggressionstrieb, S. 71; ders., Über den nervösen Charakter, S. 22.

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gischen und medizinischen Denkens, sondern fand darüber hinaus auch Einzug in den allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs. Gerade die Dramen von Henrik Ibsen (1828 – 1906) wurden in Deutschland stark rezipiert und in ihren Kernaussagen häufig auf die Determiniertheit der Protagonisten durch ihr Erbgut reduziert. Der Philosoph Kuno Fischer (1824 – 1907) betonte diesen Aspekt in seiner »Geschichte der neuern Philosophie« und ernannte Ibsens dramatische Werke zu Schicksalstragödien der neuen Zeit: »Höchst wichtige Beiträge zur Lehre von der menschlichen Vererbung und Belastung liefert die moderne Psychiatrie. Die heutige Wissenschaft hat auch das Fatum unter das Mikroskop gebracht und das dunkle Schicksal der Menschen aufgelöst in ihre Eltern und Voreltern. Wir passieren unsere Eltern nicht bloß wie einen Durchgang, sondern bringen sie wieder mit auf die Welt; die Vorfahren erscheinen in den Nachkommen gleich Gespenstern und Revenants, unter welchem Namen […] Ibsen das Schicksal der Vererbung dramatisch darzustellen versucht hat. Es ist wohl der erste Versuch dieser Art.«278

Tatsächlich gingen andere Autoren noch weiter zurück, indem sie die literarische Verarbeitung des Vererbungsschicksals bereits bei Schillers »Braut von Messina« zu entdecken glaubten und dieses Motiv nun durch die wissenschaftlichen Entdeckungen der Vererbungslehre bestätigt fanden.279 Die Verwurzelung des Schicksals in der Vergangenheit, wie sie bereits im Materialismusstreit angelegt worden war, erlangte durch die Vererbungslehre eine Intensivierung und Bestätigung. Zu den physiologischen Prozessen im Körper jedes Einzelnen traten die Erbanlagen, von denen am Ende des 19. Jahrhunderts noch unklar war, wo genau sie sich im Körper eigentlich befanden. Der Schicksalsfaden wurde durch die Genetik immer weiter zurück, in die Vorvergangenheit des Individuums gespannt, sein Ergehen wurde von langer Hand über seine Ahnen hergeleitet. Was Leopold Szondi später als Charakteristikum des 20. Jahrhunderts identifizierte, die Umwandlung eines philosophisch-spekulativen Schicksalsverständnisses in einen »medizinfähigen« Schicksalsbegriff, dafür waren die Grundlagen bereits im 19. Jahrhundert gelegt worden.280 »Schicksalsforschung [wurde] zu einem Zweig der Naturwissenschaften.«281 Die Verwendung des Schicksalsbegriffs verlieh der Debatte um den Stellenwert der Vererbung teilweise einen erbitterten Zug. Von den Befürwortern eher beiläufig, als Synonym für den Lebensweg des einzelnen Menschen gebraucht, entfaltete der Schicksalsbegriff des Vererbungsdiskurses im Munde der Gegner 278 279 280 281

Fischer, Geschichte der neuern Philosophie, S. 368. Ziegler, Die geistigen und socialen Strömungen, S. 601. Szondi, Freiheit und Zwang, S. 14. Ebd., S. 19.

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teilweise den Beigeschmack des Irrationalen. Aus einer dezidiert christlichen Perspektive versuchte der protestantische Pfarrer und Superintendent Hugo Lubenow 1907 zunächst, den materialistischen Monismus mit dem Darwinismus gleichzusetzen, um im Anschluss alle Vererbungsbefürworter eines inhärenten Schicksalsglaubens zu bezichtigen. Er stellte fest: »Die Vererbung gehört zu den Losungsrufen der Zeit; man begegnet ihr überall. Sie ist das allgemeine und unwandelbare Fatum, das schon bei der Geburt jedes Menschen über sein Schicksal und seine Taten entscheidet. Wie man früher aus dem Stand der Gestirne das Horoskop stellte, so kann man es jetzt nach den Fehlern und Tugenden der Eltern und Großeltern. Auch dieser Begriff hat sich eine ins Maßlose gehende Übertreibung gefallen lassen müssen. Am meisten interessiert er, nächst den Psychologen, die Tierzüchter.«282

In dieser Lesart war die Genetik zur Astrologie der Neuzeit geworden. Der Blick nach oben zu den Sternen hatte sich zurück in die Vergangenheit gewandt. Doch auch die Gegenwart strebte danach, die Zukunft des Menschen aus den Bedingungen vorherzusagen, auf die man im Hier und Jetzt vermeintlich Zugriff hatte. Lubenow ließ keinen Zweifel daran, dass er beide Wege, um Kenntnisse über die Zukunft zu erlangen, für Irrwege hielt. Indem er Psychologen und Tierzüchter in ihrem Interesse für die Vererbung gleichsetzte, machte er deutlich, dass alle Erkenntnisse, die in diesem Zusammenhang gesammelt worden waren, einer Entmenschlichung des Menschen zuarbeiteten, im christlichen Sinne also seine herausragende Position in der Schöpfung nivellierten. Für die Wissenschaftler, die sich um die Jahrhundertwende mit der Psyche des Menschen beschäftigten, stellte sich also die grundlegende Frage, ob sie die seelischen Erkrankungen ihrer Patienten als ein unvermeidliches Erbe verstehen wollten, das man lediglich zu mildern, nie aber zu heilen vermochte, oder ob sie die Krankheit als exogen verursacht ansahen (so wie es beispielsweise Jaspers tat) und so in der Veränderung der Umstände zu einer Eliminierung der pathogenen Faktoren und zur Heilung der Patienten zu kommen hofften. Viele Psychologen vermieden eine eindeutige Stellungnahme in die eine oder andere Richtung und beriefen sich stattdessen auf eine Mischform, so wie Friedrich Jodl (1849 – 1914), der 1908 den Lesern seines »Lehrbuchs für Psychologie« riet: »Man wird darum weise tun, ein stetes Zusammenwirken des Angeborenen und des Anerzogenen, von Charakter und Schicksal anzunehmen, und die entwickelte Persönlichkeit als ein Produkt aus beiden zu sehen.«283 Freilich verwendete Jodl den Schicksalsbegriff hier ausschließlich als das exogen Verursachte, nicht als das Produkt verschiedener Determinanten der Vergangenheit. Die Psychoanalyse betrat in dieser Konstellation einen dritten Weg, der in der 282 Lubenow, Monismus, S. 27. 283 Jodl, Lehrbuch der Psychologie, S. 131.

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Forschung als ein echter Kompromiss zwischen beiden Alternativen bewertet worden ist.284 Über das Konzept des Unbewussten wurden exogen verursachte Erlebnisse der frühen Kindheit zu endogenen Ursachen für psychische Störungen. Trotz oder gerade durch diese Umformulierung des Problems geriet Freud jedoch immer wieder unter Rechtfertigungszwang, weil seine Interpretation des Problems als eine Stellungnahme für die Umwelt- zulasten der Vererbungsthese angesehen wurde. Nach 1912 finden sich in Freuds Schriften wiederholt Äußerungen, in denen er sich gegen die Vorhaltung verwahrte, er habe den Umweltfaktoren im Vergleich zu den Einflüssen der Vererbung zu viel Bedeutung beigemessen.285 Seinen eigenen Standpunkt bekräftigte er unter Verwendung verschiedener Ausformungen des Schicksalsbegriffs: Es sei ein Missverständnis, dass die Psychoanalyse die Bedeutung der angeborenen Eigenschaften bei der Entstehung psychischer Krankheiten geleugnet habe. Sie habe vielmehr zu den »akzidentellen Faktoren der Ätiologie« mehr beitragen können als zur Rolle der Vererbung.286 Die Suche nach den hereditären Einflüssen, wie sie die Psychiatrie betrieb, habe zwar generell ihre Berechtigung, doch sie konzentriere sich auf die entlegenen Ursachen, anstatt sich den nächstgelegenen Faktoren zu widmen.287 Abseits davon teile auch die psychoanalytische Schule die Überzeugung, dass allein das regelmäßige Zusammenwirken von Anlage und Umwelt das Schicksal des Menschen präge. »Daimún kai tychÞ (Konstitution und Zufall) bestimmen das Schicksal eines Menschen; selten, vielleicht niemals, eine dieser Mächte allein.«288 Aus diesem Grund plädierte Freud dafür, die Unterscheidung beider Momente auch für die Zukunft aufzugeben, weil sie sich teilweise gar nicht voneinander trennen ließen beziehungsweise ineinander aufgingen. Im Endeffekt lasse sich gerade der Einfluss der Vererbung herunterbrechen auf die »akzidentellen Einwirkungen auf die unendlich große Reihe der Ahnen«289 – sprich, was den Vorfahren zugestoßen sei, übertrug sich via Vererbung auf das Unbewusste des Individuums. De facto haben Sigmund Freud und die psychoanalytische Schule niemals einen Hehl daraus gemacht, dass sie frühkindliche Einflüsse des Anerzogenen,

284 Tatsächlich wurde in der späteren Literatur über Freud der besondere Wert der Psychoanalyse unter anderem in dem Umstand entdeckt, dass sie das Entweder-Oder der AnlageUmwelt-Debatte überwunden habe. So u. a.: Scheler, Zur Phänomenologie, S. 101; Szondi, Freiheit und Zwang, S. 14 f.; Görres, Vernunft und Leidenschaft, S. 35. 285 Freud, Über neurotische Erkrankungstypen, S. 302; ders., Zur Dynamik, Fußnote 1; ders., Vorlesungen zur Einführung, S. 255. 286 Ders., Zur Dynamik, Fußnote 1. 287 Ders., Vorlesungen zur Einführung, S. 255. 288 Ders., Zur Dynamik, Fußnote 1. 289 Ebd.

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Erlernten und Erlebten290 für die entscheidenden Faktoren im Leben des Individuums hielten.291 So blieb auch in den Augen Leopold Szondis die psychoanalytische Schicksalsforschung auf die Erforschung frühkindlicher, traumatischer Einwirkungen beschränkt. »Für die Psychoanalytiker ist Schicksal immer noch Trieb- und Abwehrschicksal geblieben«,292 das sich eben nicht gegen die eigenen Anlagen richtete, sondern sich aus exogenen Ursachen entwickelte. Zum Phänomen der Übertragung beispielsweise stellte Freud das Empfinden des Erkrankten, einer dämonischen Schicksalsmacht ausgeliefert zu sein, der Gewissheit des Psychoanalytikers gegenüber, dass das Schicksal des Menschen von Erlebnissen der Kindheit geprägt war. »Dasselbe, was die Psychoanalyse an den Übertragungsphänomenen der Neurotiker aufzeigt, kann man auch im Leben nicht neurotischer Personen wiederfinden. Es macht bei diesen den Eindruck eines sie verfolgenden Schicksals, eines dämonischen Zuges in ihrem Erleben, und die Psychoanalyse hat vom Anfang an solches Schicksal für zum großen Teil selbstbereitet und durch frühinfantile Einflüsse determiniert gehalten.«293

Obwohl bereits in der Psychologie vor Freud Kindheitserlebnisse als Determinanten späterer Lebenswege erkannt und identifiziert worden waren, so lässt sich doch sagen, dass erst die Psychoanalyse die frühinfantilen Einflüsse zum »Schlüssel des Seelenlebens« erkor. Gerade Freuds frühe Forschung wurde von der Überzeugung getragen, dass die Psyche des Kindes bei der Geburt einer Art Tabula rasa glich, in die erst in der Kindheit bestimmte Erfahrungen, Konflikte, sexuelle Erlebnisse eingeprägt wurden, die in der Jugend dann zur Quelle psychischer Erkrankungen werden konnten.294 Die schicksalhafte Verbindung der Kindheit mit dem späteren Lebensweg rührte von dem »unausweichlich einseitig-kausalen Charakter« der Psychoanalyse her, die den Schwerpunkt auf die frühe Vergangenheit des Menschenlebens verlagerte, »während Gegenwart und Zukunft vernachlässigt werden oder gar völlig unberücksichtigt bleiben«.295 Freuds frühe Fixierung auf die Erforschung der Sexualität führte darüber hinaus dazu, dass sich sein Schicksalsbegriff maßgeblich auf die erotischen Eindrücke der ersten Kindheit konzentrierte, Schicksal in seinen Grundlinien also durch Sexualität als präformiert erschien.296 290 Szondi, Freiheit und Zwang, S. 16. 291 So z. B. auch James J. Putnam, der im »Zentralblatt für Psychoanalyse« beklagte, dass »der Versuch, die Verantwortung für die nervösen Erkrankungen auf die Schultern der Voreltern über[zu]wälzen«, einen »grobe[n] Fatalismus« ergeben habe: Putnam, Über Ätiologie, S. 142. 292 Szondi, Freiheit und Zwang, S. 16. 293 Freud, Jenseits des Lustprinzips, S. 20. 294 Pauleikhoff, Das Menschenbild, S. 367, 380. 295 Ebd., S. 380. 296 Scheler, Wesen und Formen, S. 195.

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Obwohl Carl Gustav Jung bereits 1913, nach seinem Bruch mit Freud, die einseitige Konzentration auf die ätiologischen Faktoren in der Kindheit im Rückblick kritisierte,297 hatte er noch 1909 entscheidend dazu beigetragen, dass sich insbesondere der Stellenwert der Eltern in der psychoanalytischen Theorie mit dem Schicksalsbegriff verband. 1909 veröffentlichte Jung einen vielzitierten Aufsatz zur »Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen«.298 In dieser Abhandlung widmete sich Jung dem psychologischen Einfluss der Eltern auf die Entwicklung des Kindes, den er als eine Art »psychischer Ansteckung« bezeichnete299 und der das spätere Verhalten und die Anpassung des Kindes zu seiner Umwelt determinierte. Generell ging es Jung darum, zu zeigen, wie das familiäre Milieu ein bestimmtes Schicksal vorbereitete, dem die betroffenen Kinder zwangsläufig verfallen mussten.300 In seinen Fallbeispielen leitete Jung die psychischen Störungen seiner Patienten aus den Persönlichkeitsstrukturen ihrer Väter ab, die er aus den Berichten der Patienten rekonstruierte. Deren Krankengeschichte erschien als ein Spiegelbild der sexuellen Dispositionen der Väter, die sogar noch nach ihrem Tod ihren determinierenden Einfluss geltend machen konnten; die Fälle bewegten sich alle »im Zauberkreise der familiären Konstellation«.301 Gerade Neurotiker stellten in Jungs Augen dadurch die »Schicksalsmenschen« par excellence dar.302 Die Mechanik der Schicksalsdetermination durch die Eltern war nach der psychoanalytischen Theorie rasch erklärt: Gerade psychisch labile Eltern nutzten bewusst oder unbewusst die Unmündigkeit ihrer Kinder aus, um »das Schlimme« in die Seelen hineinzubilden, »um das Kind zum Sklaven ihrer Komplexe zu machen«.303 Die Elterngewalt, die sich insbesondere auf das sexuelle Gebiet erstreckte, leitete das Kind lange Zeit »wie ein höheres Schicksal«. Mit der Adoleszenz dann geriet die infantile Konstellation zwangsläufig in Konflikt mit der Individualität des Kindes. Der Elterneinfluss schien vordergründig zu unterliegen, wurde aber de facto nur ins Unbewusste verdrängt, um

297 »Die Rolle der Eltern erschien als dermaßen determinierend, daß wir versucht waren, darin die Schuld an allen späteren Verwicklungen im Leben der Kranken zu suchen.« Jung, Versuch einer Darstellung, S. 352. 298 Ders., Die Bedeutung des Vaters, S. 155 – 173. 299 Ebd., S. 158. 300 Über die zukünftige Entwicklung eines Mädchens, das sich stark an den Verhaltensweisen der Mutter orientierte, schrieb Jung in diesem Sinne: »[…] oder sie wird nicht darüber hinwegkommen und dann dem Schicksal verfallen, das durch eine solche Einstellung vorbereitet ist.« Ebd. 301 Ebd., S. 163. 302 Ebd., S. 168. 303 Ebd., S. 167.

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von dort aus »mit unsichtbaren Fäden die anscheinend individuellen Schöpfungen des reifenden Geistes« maßgeblich zu bestimmen.304 Wichtig für das Schicksalsverständnis der Psychoanalyse war nun, dass die Schicksalslenkung des familiären Einflusses mitunter Zeichen ins Bewusstsein sendete, durch die auf ihre Quelle im Unbewussten geschlossen werden konnte. Das unbestimmte Gefühl der Patienten, das eigene Leben nicht bestimmen zu können, sexuelle Zwangsvorstellungen und -verhaltensweisen, häufig auch religiös motivierte Skrupel wiesen auf die Ursprünge der Erkrankung in Erlebnissen der Kindheit hin, vermittelten sie doch ein getreues Abbild der unentrinnbaren Schicksalsdetermination im Unbewussten. Jung drückte diese Spiegelfunktion und die ihr folgenden Verhaltensweisen sehr plastisch mit folgenden Worten aus: »Wenn wir je eine dämonische Schicksalsmacht am Werke sehen wollen, so sehen wir sie hier in diesen düstern und schweigsamen Tragödien, die sich langsam und qualvoll in den kranken Seelen unserer Neurotiker vollenden. Die Einen befreien sich Schritt für Schritt unter beständigem Kampfe gegen die unsichtbaren Mächte aus den Klauen des Dämons, der die Ahnungslosen von einem brutalen Schicksale ins andere drängt; die anderen bäumen sich auf und gewinnen das Freie, um später, von der Schlinge der Neurose eingefangen, auf ihre alten Pfade zurückgeführt zu werden.«305

Da sich die Schicksalsmächte, durch Kindheitserlebnisse unauslöschlich eingeprägt, im Innersten des Menschen befanden, war eine Flucht nicht möglich. Die Projektion dieser inneren Abhängigkeit von eigenen Kindheitserfahrungen in eine äußere Welt war in Jungs Augen auch der Gründungsakt der Religionen. Der Schicksalsbegriff wurde hier mit dem Verweis auf die Hand Gottes oder des Teufels überschrieben, wobei sie alle nur Ausdruck der »Macht der infantilen Konstellation« seien.306 So ging der Schicksalseinfluss über die Eltern ins Unbewusste über, um sich unter Umständen im religiösen Glauben zu manifestieren. Freud selbst hat noch nach dem Ersten Weltkrieg wiederholt diese Auffassung bekräftigt.307 Die Eltern standen am Beginn einer Reihe, die in der »dunkle[n] Macht des Schicksals« endete und mit welcher der Mensch durch »libidinöse Bindungen verknüpft« war. Im Glauben an die Vorsehung, an einen Gott oder an die Natur verehre und fürchte der Mensch so eigentlich sein Elternpaar.308 Aus dieser Perspektive vermochte Freud die gesamte Religionsgeschichte des Volkes Israel durch den Elternkomplex jedes Einzelnen zu erklären: 304 305 306 307 308

Ebd., S. 171. Ebd., S. 167. Ebd. Freud, Das ökonomische Problem, S. 121 – 133; ders., Das Unbehagen, S. 421 – 516. Ders., Das ökonomische Problem, S. 130 f.

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»Das Schicksal wird als Ersatz der Elterninstanz angesehen […]. Dies wird besonders deutlich, wenn man in streng religiösem Sinne im Schicksal nur den Ausdruck des göttlichen Willens erkennt. Das Volk Israel hatte sich für Gottes bevorzugtes Kind gehalten, und als der große Vater Unglück nach Unglück über dies sein Volk hereinbrechen ließ, wurde es nicht etwa irre an dieser Beziehung oder zweifelte an Gottes Macht und Gerechtigkeit, sondern erzeugte die Propheten, die ihm seine Sündhaftigkeit vorhielten, und schuf aus seinem Schuldbewußtsein die überstrengen Vorschriften der Priesterreligion.«309

Durch die Verquickung des Elternproblems mit der Frage nach dem Ursprung der Religionen310 wird deutlich, dass für die Psychoanalyse das Schicksal nicht allein in Bezug auf psychische Erkrankungen von Einzelwesen relevant war, sondern ein Gegenstand gesamtgesellschaftlicher, kultureller und historischer Fragestellungen bildete. In der psychoanalytischen Schicksalsfrage wurde die Frage nach dem Schicksal der deutschen Gesellschaft und ihrer Determinanten des beginnenden 20. Jahrhunderts gestellt. Mit der Entscheidung für die Dominanz der Umwelt zulasten der Vererbung nahmen die Psychoanalytiker potenziell einen politischen, gesellschaftskritischen Standpunkt ein, der verständlicherweise auf Widerstände stieß.311 Wenn Jung 1910 kategorisch behauptete, dass jeder einzelne seiner Patienten ihm Beiträge »zu dieser Frage der Schicksalsdetermination durch den Einfluß des familiären Milieus« liefere, so betonte er gleichzeitig, dass der Verweis auf den »sogenannten angeborenen Charakter« nicht nur ein Irrweg, sondern selbst Teil des Verdrängungsprozesses sei.312 Erst später, nach seinem Bruch mit Freud, hat Jung diese Ansicht revidiert und mit der Einführung der »Archetypen« als Urbilder des kollektiv Unbewussten die Schicksalsdetermination des Menschen noch weiter als die Vererbungstheoretiker zurück in die Vergangenheit gelegt.313 Diese Entwicklung aber war in der Frühzeit der Psychoanalyse vor dem Ersten Weltkrieg noch nicht von Bedeutung. Die Frage nach der Ätiologie der psychischen Erkrankung und damit nach dem Ursprung des Schicksals spielte sich um die Jahrhundertwende also zwischen den Polen Vererbung und frühkindlicher Entwicklung ab, wobei die Psychoanalyse mit Einschränkungen zu Letzterer tendierte. Für die Semantik des Schicksalsbegriffs hatten beide Deutungsversuche ähnliche Konsequenzen: In zeitlicher Perspektive wurde der Schicksalsbegriff noch rückwärtsgewandter, 309 Ders., Das Unbehagen, S. 486. 310 Erst 1927 hat Freud die Entstehung einer personalen Gottesvorstellung aus der Fremdheit gegenüber dem abstrakten Schicksal hergeleitet. Religion erscheint ihm als Schicksalsbannung. Ders., Die Zukunft einer Illusion, S. 337 f. 311 Scheidt, Die Rezeption, S. 11, 33. 312 Jung, Die familiäre Konstellation, S. 497. 313 Siehe dazu das Vorwort zur zweiten Auflage: Ders., Vorrede zur zweiten Auflage, S. 347.

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als er schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts geworden war. Schicksal bedeutete Geschichte, im Rahmen der psychologischen und psychoanalytischen Forschung die Geschichte eines Individuums, deren Beginn mal im Säuglingsalter, mal in der Familiengeschichte des Betroffenen verortet wurde.314 Im Gegensatz zu den physiologischen Materialisten wurde die Ausformung des Schicksals jedoch nun nicht mehr in der Materie gesucht, sondern in den weitaus abstrakteren Gefilden der Vererbung oder eben des Unbewussten. Es wurde weniger wichtig, den Zusammenhang von körperlichem und geistigem Geschehen nachzuweisen und zu erklären, als den Kausalverknüpfungen der Psyche selbst auf die Schliche zu kommen. In der Anlage-Umwelt-Debatte waren sich beide Parteien einig, dass sie dazu tief in das Innere des Menschen blicken mussten, in die untersten Schichten seines Seelenlebens oder in sein Erbgut, in dem seine Familiengeschichte verborgen lag. Die großen Unterschiede beider Deutungsversuche lagen in ihrem Bezug zur sozialen Wirklichkeit. Wenn Schicksal erblich verursacht war, dann spielten die Realitäten der Gegenwart nur eine geringe Rolle bei der Entwicklung des Individuums. Die Behandlungsmöglichkeiten von Erkrankungen blieben begrenzt, die Gesellschaft konnte nur versuchen, das angelegte Schicksal durch soziale Reformen abzumildern. Der psychoanalytische Schicksalsansatz hingegen barg ein hohes Maß an kritischem Potenzial. Auch wenn Freud selbst sich auf das infantil induzierte, sich im Unbewussten manifestierende Schicksal des Einzelmenschen konzentrierte,315 war seinen Schülern bereits sehr früh bewusst, dass psychische Erkrankungen wie Neurosen von gesellschaftlichen Zuständen erzeugt wurden.316 In der tiefenpsychologischen Theorie war die Erkrankung deshalb prinzipiell heilbar, also nicht vollendet determiniert, nämlich dann, 314 Jung und Adler haben später beide Freuds rückwärtsorientierte Sicht auf das psychische Geschehen als zu einseitig kritisiert und dieser einen bewusst prospektiven Ansatz entgegengestellt. Brodthagen und Hoffmann, Die Rezeption, S. 234; Wiesenhütter, Freud und seine Kritiker, S. 27. Jung schreibt dazu: »So ist auch Freud […] eine Antwort auf die Krankheit des 19. Jahrhunderts. Das ist wohl sein Hauptsinn. […] Er ist nicht nach vorwärts zu verstehen. Alles in ihm ist rückwärts orientiert, und auch dies mit einseitiger Auswahl. Nur woher die Dinge kommen, interessiert ihn, nicht, wohin sie gehen.« Ders., Freud, S. 47 f. 315 So Hans Henning, zit. n.: Brodthagen und Hoffmann, Die Rezeption, S. 235. Eine Kritik daran liefert: Schülein, Das Gesellschaftsbild, S. 98: »Was dem einzelnen Individuum zustößt, ist, soweit es nicht aus Verfehlungen ›der‹ Gesellschaft, etwa im Bereich der Sexualmoral resultiert, entweder ›äußerer Zufall‹ oder aber persönliches ›Schicksal‹ als Teil des Gattungsschicksals, welches nicht weiter hinterfragbar ist. Dieser Schicksalsbegriff spielt im Verlauf der Entwicklung der Theorie eine wichtige Rolle; innerhalb des frühen, kaum explizierten Gesellschaftsmodells erklärt er die Antinomien des Sozialen, deren soziale Ursachen unerkannt bleiben. Unter dem Begriff ›Schicksal‹ fallen auch alle die Aspekte der sozialen Wirklichkeit, die nicht oder kaum wahrgenommen werden, genauer gesagt: weder in ihrer Bedeutung noch in ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit realisiert werden.« 316 Nunberg und Federn, Protokolle, Bd. 4, S. 38.

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Das Schicksal im Innersten des Menschen

wenn es dem Therapeuten gelang, Zugriff auf das Unbewusste des Patienten und damit auf dessen eigenes Verhältnis zum Schicksal zu nehmen. Tatsächlich versuchten die Psychoanalytiker dabei, das Schicksal zu therapieren, das sie selbst in die Patienten hineinprojiziert hatten.

6.4

Das Schicksal im Innersten des Menschen – Zusammenfassung

Im Kapitel über die Internalisierung des Schicksals wurden Schicksalssemantiken rekonstruiert, denen als Leitmotiv die Frage nach der Verortung des Schicksals zugrunde lag. So weit die hier behandelten Debatten thematisch auch auseinanderliegen mochten, so sehr ähnelten sich doch die Versuche, den Schicksalsbegriff nicht nur von seinen transzendenten Ursprüngen zu lösen, sondern ihn darüber hinaus auch in das Innere des Menschen zu verpflanzen, von wo er das Dasein des Individuums unweigerlich bestimmte. Ausgehend von Herders Konzept des »eigenen Schicksals« konnten wir die zunehmende Bindung des Schicksals an den Menschen nachverfolgen. Hatte Herder noch ein großes Schicksal in der äußeren Welt konstatiert und das kleine Schicksal im Menschen lediglich als Rückkopplungseffekt des individuellen Charakters auf die Außenwelt beschrieben, so wurde das Schicksal in der Dramentheorie des Vormärz zuerst an den Charakter gebunden, im Materialismusstreit an der Leiblichkeit des Menschen festgemacht, um im Kontext der Psychoanalyse und der Vererbungslehre auch die Psyche des Menschen und seine genetische Disposition zu erobern. Nimmt man diese Befunde zusammen, so war der Mensch vor dem Ersten Weltkrieg so sehr vom Schicksal geprägt wie nie zuvor, auch wenn sich diese Prägung wesentlich weniger auffällig vollzog als z. B. in der Epoche der Romantik. Der Schicksalsbegriff bildete häufig nicht das diskursive Zentrum, sondern fand seinen Weg in die hier behandelten Debatten eher beiläufig. Das lag daran, dass er keine aktive Macht mehr repräsentierte, sondern stattdessen eher als etwas Hervorgebrachtes, etwas Passives auftrat. Seine Bindung an die Materie, seine Messbarkeit, seine Vorhersagbarkeit machten ihn generell interessant für die Naturwissenschaften, die lange Zeit der Illusion erlagen, dass das Schicksal durch sie erst beherrschbar gemacht worden war, weil es seine metaphysischen Bezüge verloren hatte. Für Herder und Klinger war die Bindung des Schicksals an den Charakter des Menschen noch der Ursprung eines neuen Freiheitsverständnisses gewesen, aus welchem dem Individuum eine Autonomie im großen Gang des Weltgeschehens gewährt wurde. Von dieser Warte aus konnte der Schicksalsbegriff zu einem

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emanzipatorischen Losungsruf werden, aus dem sich sogar gesellschaftspolitische Aufgaben und Forderungen ableiten ließen. Die Verinnerlichung des Schicksals in den Charakter schien der Ausweg aus der fatalistischen Grundstimmung der Restaurationsepoche zu sein. Doch bereits im Vormärz meldeten sich nachdenklichere Stimmen zu Wort, die darauf hinwiesen, dass die Identifikation von Schicksal und Charakter den Menschen nicht unweigerlich von seinen Banden löste. So wies Rahel Varnhagen in aller Deutlichkeit darauf hin, dass die Bindung des Menschen an seine ihm eigene Natur ein Abhängigkeitsverhältnis stiftete, von dem sich zu befreien eigentlich unmöglich war. Zudem musste jeder Mensch anerkennen, dass auch sein Charakter – sein Sosein – nicht ursprünglich, sondern vielmehr das Produkt anderer Faktoren war, die eigentlich niemand zu beeinflussen vermochte. Der wissenschaftliche Materialismus bestätigte dieses eher diffuse Gefühl auf der Basis naturwissenschaftlicher, insbesondere physiologischer Erkenntnisse. Seine Vertreter spezifizierten die Schicksalsbindung an das Ich, indem sie auf die Leiblichkeit des Menschen und seine Unfähigkeit verwiesen, die materiellen Prozesse des Körpers aktiv zu steuern. Der Mensch hatte das Schicksal inkorporiert, aber er war seinem Körper gerade durch dessen Materialität bedingungslos unterworfen. Die Hoffnung freireligiöser Theologen, mit der Umformulierung des Begriffs den Menschen wieder zum Herrn über das Schicksal zu erheben, und Emil Du Bois-Reymonds Eingeständnis der Grenzen des Naturerkennens konnten nur kurzfristig die Hoffnung nähren, dass sich der Mensch von sich selbst zu emanzipieren vermochte. Wenn das Bewusstsein nicht über materielle Prozesse erklärt werden konnte und die Naturwissenschaften bei der Analyse geistiger Tätigkeiten auf unüberwindbare Hürden stießen, so enthüllte die Psychoanalyse um die Wende zum 20. Jahrhundert die mechanische Kausalität der Seele durch die Entdeckung des Unbewussten.317 Damit war die Lücke der Freiheit, die sich kurzfristig aufgetan hatte, bis auf Weiteres wieder verschlossen. Hinzu kamen Erkenntnisse der Entwicklungsforschung und der Vererbungslehre, welche die Internalisierung des Schicksals perfekt machten. Herders pathetischer Aufruf: »Vermeide Jeder, so viel er kann, der Sklave einer fremden Bestimmung zu werden, und baue sein eigenes Schicksal,«318 hatte sich als Täuschung erwiesen. Von einem Sklaven fremder Bestimmung war der Mensch im Laufe des Jahrhunderts zum Sklaven seiner selbst geworden.319 317 In diesem Sinne hat Detlef Peukert recht, wenn er die Erscheinung von Freuds »Traumdeutung« als einen Umschlagpunkt definiert, »an dem die Wissenschaft ihr bisher so selbstbewußt expandierendes rationalistisch-mechanistisches Theoriegebäude […] selbstzweiflerisch unterminierte.« Ders., Max Webers Diagnose, S. 63. 318 Herder, Das eigene Schicksal, S. 8. 319 Dass diese Aussage nur bedingt zutrifft und nicht die Mehrheitsmeinung der deutschen Bevölkerung war, wurde in den vorhergehenden Kapiteln ausführlich gezeigt.

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Das eigentlich Erstaunliche dieses Befundes ist, dass die schicksalhafte Gebundenheit des Individuums nicht das Produkt einer philosophischen Schule oder einer religiösen Erneuerungsbewegung war, sondern dass die aufstrebenden Naturwissenschaften diesen Prozess vorantrieben, und zwar in zweifacher Hinsicht: Tatsächlich beförderte die strukturelle Ausdifferenzierung der Wissenschaften im 19. Jahrhundert die Vielfalt und Tiefe der Naturerkenntnis. Immer mehr Experten verschiedener Disziplinen drangen immer weiter in die Strukturen der materiellen Welt ein und entdeckten Prozesse und Gesetzmäßigkeiten, die dem menschlichen Auge zuvor verborgen geblieben waren. In paradoxer Weise musste die Aneignung von Wissen über die Natur und der darin implizierte Anspruch, auch Macht über die Natur zu gewinnen, unweigerlich in die Erkenntnis von der Unfreiheit des Menschen münden. Mit jeder neuen Erkenntnis enthüllten die Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts neue Schicksalsfaktoren des menschlichen Lebens und schmiedeten somit einen weiteren Ring an die Kette, die den sich frei dünkenden Menschen fesselte. Diese Antinomie spiegelte sich in den inhärenten Widersprüchen des wissenschaftlichen Materialismus ebenso wider wie in der Psychoanalyse und in der Vererbungslehre. Deren Vertreter beanspruchten allesamt eine gesellschaftsverändernde, politische Kraft, mussten sich dabei aber immer wieder an den eigenen Lehrmeinungen messen lassen und bestanden diese Prüfung in den Augen ihrer Kritiker zumeist nicht. Diese kämpften zum Teil selbst mit der Schwierigkeit, das mechanistische Menschenbild und seine Konsequenzen zu widerlegen. Der Grund dafür lag im zeitgenössischen Wissenschaftsverständnis. Und das führt zum zweiten Aspekt der Schicksalsaffinität der Naturwissenschaften dieser Zeit. Der Schicksalsbegriff wurde im 19. Jahrhundert zu einer Frage der wissenschaftlichen Methodik, welche die Grundsätze des Naturerkennens, die im 17. Jahrhundert entwickelt worden waren, verabsolutierte. Wissenschaft bedeutete hier mehr als jemals zuvor die Suche nach Gesetzmäßigkeiten, die kausal formulierbar waren. So triumphierte Rudolf Virchow (1821 – 1902) auf der 59. Naturforscherversammlung 1886 in seiner Eröffnungsrede, dass »die Methode der mechanischen Naturbetrachtung« das Band sei, das alle naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächer zusammenführe.320 Die mechanistischkausale Methode war dabei nur ein Spiegelbild des mechanistisch-materialistischen Weltbildes. Jedes Phänomen musste eine Ursache haben, die in ihren Wirkungen, wenn nicht heute, so morgen wissenschaftlich erklärt werden konnte. Bezogen auf den Menschen musste jedes Denken und Handeln erklärbar sein als letzter Effekt einer Kette vorausgehender Determinanten. Friedrich Nietzsche hat die Allgemeingültigkeit dieses Grundsatzes für seine Zeit mit den 320 Virchow, Ueber die Methode, S. 85.

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Worten konstatiert: »Nicht der Sieg der Wissenschaft ist das, was unser 19. Jahrhundert auszeichnet, sondern der Sieg der wissenschaftlichen Methodik über die Wissenschaft.«321 Über das 19. Jahrhundert hinausgehend galt dieser Grundsatz auch für die Psychoanalyse,322 die sich ja auch als Naturwissenschaft verstand, auch wenn diese Selbstverortung von verschiedenen Seiten immer wieder angezweifelt wurde. Im Prinzip mussten sich – ebenso wie die Psychoanalyse – alle naturwissenschaftlichen Disziplinen an dem selbstformulierten Anspruch abarbeiten, dass die Existenz von Deutungslücken nicht statthaft war, wollte man als Wissenschaftler gelten. Die Wissenschaft war auf die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit der Natur als Bedingungsmöglichkeit ihrer wissenschaftlichen Behandlung essenziell angewiesen,323 und damit handelte sie sich ihre Abhängigkeit vom Schicksalsbegriff als lückenlose, kausale Naturnotwendigkeit ein. In einem größeren Zusammenhang gesehen spiegelte die Ausprägung, die der Schicksalsbegriff vor dem Ersten Weltkrieg erreicht hatte, die widersprüchliche Grundstimmung der deutschen Gesellschaft des Fin de SiÀcle wider. Hin- und hergerissen zwischen Fortschrittsoptimismus und Dekadenzbefürchtungen324 herrschte eine generelle Unsicherheit darüber, wie sich die Saat des 19. Jahrhunderts entwickeln würde. Angetreten waren Naturwissenschaften und Tiefenpsychologie mit dem Ziel, den Menschen aus den Zwängen der (eigenen) Natur zu befreien,325 indem die Früchte der Forschung für technische, medizinische und gesellschaftliche Zwecke nutzbar gemacht wurden.326 Doch diese Machbarkeitsvorstellung schien unweigerlich die Depotenzierung des Individuums nach sich zu ziehen. Die Ermächtigung des Wissenschaftlers wurde durch die Ohnmacht des Einzelnen konterkariert. Paradoxerweise zeigte gerade die Tiefenpsychologie, dass der Mensch an dem Schicksal, das die Naturwissenschaften eigentlich erst kreiert hatten, psychisch erkranken konnte. Insofern gewann Heinrich Stadelmanns Diktum »Dem von Menschen geschaffenen Schicksalsbegriff stellt sich der Mensch selbst wieder gegenüber«327 noch eine tiefere Bedeutung. Freud und seine Anhänger versuchten, die Macht des Schicksals, das durch sie entdeckt worden war, via Psychoanalyse wegzutherapieren. In eine ähnliche Richtung wies die paradoxe 321 Nietzsche, Aus dem Nachlaß, S. 814. 322 Zu dem Zeitpunkt, an dem sich die Psychoanalyse der mechanistischen Methode und Weltauffassung bediente, war diese in den Naturwissenschaften selbst schon längst wieder in die Kritik geraten: Schröder, Naturwissenschaften und Protestantismus, S. 145 – 161. 323 Bayertz, Gerhard und Jaeschke, Einleitung, Darwinismus-Streit, S. 9. 324 Brendecke, Die Jahrhundertwenden, S. 211. 325 Berghoff, ›Dem Ziele der Menschheit entgegen‹, S. 74. 326 Möller, Das Jahr 1900, S. 175. 327 Stadelmann, Geisteskrankheit und Naturwissenschaft, S. 41.

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Das Schicksal im Innersten des Menschen

Utopie der wissenschaftlichen Materialisten, durch die Verabsolutierung des naturwissenschaftlichen Weltbildes politische Veränderungen herbeiführen zu können. Die Durchsetzung der naturwissenschaftlichen Methode verankerte den Zweifel am menschlichen Erkenntnis- und Handlungsspielraum selbst in den Grundlagen wissenschaftlicher Erkenntnis.328 Die Allmachtsphantasien des »Zeitalters der Naturwissenschaften« provozierten also das Bewusstsein, ausgeliefert zu sein. Der Chemiker und Ingenieur Heinrich Caro (1834 – 1910) fand diese Ambiguität der Jahrhundertwende am deutlichsten in einem Zitat aus Goethes »Egmont« ausgesprochen: »Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpfade der Zeit mit unseres Schicksales leichten Wagen durch, und uns bleibt nichts übrig als, mutig gefaßt, die Zügel festzuhalten, und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze dort, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.«329

Es war dieses diffuse Gefühl, das sich in der wissenschaftlichen Semantik und der Verwendung des Schicksalsbegriffs Bahn brach und das sich gerade auch im Sprachgebrauch derjenigen niederschlug, die ihr Sendungsbewusstsein am vehementesten vertraten. Somit wurde der Schicksalsbegriff eher indirekt zu einem Sinnbild für die vielfach diagnostizierte »Ich-Krise« der deutschen Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg.330

328 Brendecke, Die Jahrhundertwenden, S. 221. So auch: Bracher, Zeit der Ideologien, S. 37. 329 Schlussrede von Heinrich Caro bei der Feier seines 70. Geburtstages zu Mannheim (1904), zit. n.: Dienel, Herrschaft über die Natur?, S. 105. 330 Wardy, Das Wandlungskonzept, S. 30; Ajouri, Literatur um 1900, S. 133; Glaser, Kleine Kulturgeschichte, S. 122; Beutin, Deutsche Literaturgeschichte, S. 355; u. v. m.

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Das Unverfügbare in der Geschichte – Schluss

Die Analyse des neuzeitlichen Schicksalsbegriffs erfordert gewissermaßen archäologisches Handwerkszeug. Unzählige sich überlagernde semantische Schichten müssen Stück für Stück freigelegt, auf ihre Tiefe und Dichte hin untersucht, auf ihren Ursprung hin befragt und in ihrer Stabilität abgeschätzt werden. Teilweise sind diese Sedimente leicht voneinander ablösbar, teilweise durchdringen sie sich gegenseitig und sind nur anhand geringer materieller Eigenheiten überhaupt voneinander unterscheidbar. Mal liegen sie horizontal übereinander, mal gibt es vertikale Schichten, die sämtliche anderen Ebenen durchlaufen, an anderer Stelle finden sich Einschließungen, die aus früheren Zeiten quasi versehentlich in andere Schichten transportiert worden sind. Sie alle strukturieren den Begriff als Ganzes und bestimmen erst in ihrer Gesamtheit die tatsächliche Beschaffenheit des semantischen »Gesteins«. In der vorliegenden Arbeit wurden einzelne Schichten des Schicksalsbegriffs durch ein begriffsgeschichtliches Verfahren offengelegt, um damit exemplarische Einblicke in die Semantik und Funktion eines neuzeitlichen Grundbegriffs zu gewähren, der aus der deutschen Sprache nicht wegzudenken ist. Anstatt am Ende der Untersuchung die relevanten Einzelbefunde noch einmal zusammenzufassen, soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden, einen begrifflichen »Bohrkern« zu erstellen, der diachrone Perspektiven ermöglicht, aus denen wiederum zeitlich übergreifende Thesen zum Verhältnis der Neuzeit zum Schicksal entwickelt werden können. Dafür sollen zunächst die Ausgangsfragestellungen beantwortet werden. Die größten semantischen Veränderungen des Schicksalsbegriffs vom 17. bis in das frühe 20. Jahrhundert ergeben sich wohl hinsichtlich seiner räumlichen Verortung. Allgemein gesprochen wandert der Sitz des Schicksals zwischen Transzendenz und Immanenz und zwischen Geist und Materie hin und her, und das abhängig davon, wo Zeitgenossen den Seinsgrund aller Dinge vermuten. Seine Zwitterposition als kausale Naturgesetzlichkeit in Gottes Hand verdankt der Schicksalsbegriff demnach der aufklärerischen Unentschiedenheit zwischen Rationalismus und Deismus, seine Verortung im menschlichen Körper dem

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Das Unverfügbare in der Geschichte – Schluss

Materialismus der Naturwissenschaftler, seine Position im Unbewussten dem Freud’schen Interesse an der menschlichen Psyche. Das Schicksal, so ließe sich zusammenfassen, findet sich immer an den Orten, die für die Menschen zu den Bereichen des Unhinterfragbaren gehören und welche die Grenzen menschlichen Wissens markieren, die nicht überschritten werden können. Der letzte Rest des Unerklärbaren ist das Schicksal, das so immer auch das Unverfügbare bleibt. Wenden wir uns nun der temporalen Binnenstruktur1 des Schicksalsbegriffs zu. Seit seiner Entstehung im späten 16. Jahrhundert zeigt sich seine semantische Verwandtschaft zum Zeitbegriff, die bis heute Gültigkeit besitzt. Chronologisch betrachtet reduziert das Schicksal in der Aufklärung die historische Zeitfolge auf ein einziges Strukturprinzip. Es beschreibt die Zeit als stetige Verknüpfung von Ursache und Wirkung, die in der Welt den geregelten Ablauf der Ereignisse garantiert. Dabei übernimmt der Schicksalsbegriff die Aufgabe, die weltimmanente Zeitlichkeit mit der Ewigkeit Gottes in Übereinstimmung zu bringen, indem er Gott als erste Ursache und als Garant des reibungslosen automatischen Geschichtsprozesses akzeptiert, auf seinen äußeren Eingriff jedoch nicht mehr angewiesen ist. So bleiben die Zeit und mit ihr das Schicksal zumindest im Fatum christianum »Eigentum Gottes«,2 der den Ablauf der Dinge aus einer außerzeitlichen Position heraus als das Passende und Gute vorherbestimmt. Das Schicksal als Strukturprinzip einer universalen Zeit, die sich vom Beginn der Welt bis zum Jüngsten Gericht erstreckt, ist Ausdruck des immer gleichen Fortschreitens und vermittelt dadurch ein Gefühl der Geborgenheit im geschichtlichen Verlauf. »Tatsächlich, sobald Geschichte und Schicksal fusionieren – zunächst in gemäßigt aufklärerischer Absicht –, ist der Moment für einen Fatalismus zweiter Ordnung gekommen. Für den Einzelnen bedeutet das, daß er sicher sein darf, das Richtige zu tun, sobald er sein endliches Leben in die Mitte des endlosen Geschichtsstroms hineingestellt denkt. Dann begreift er sich selbst als Werkzeug der historischen Bewegung und als Juniorpartner eines überlegenen sinnhaften Geschehens.«3

Diese Partnerschaft wird um 1800 aufgekündigt. Das schon vielerorts konstatierte Auseinanderbrechen von Erfahrungsraum und Erwartungshorizont,4 das die Zeit nicht mehr als einen sich regelmäßig fortbewegenden Strom erscheinen lässt, spiegelt sich in einer radikalen Umdeutung der Schicksalssemantik wider. Das Schicksal übernimmt zumindest vorübergehend die Position der unkalkulierbaren Zukunft, die auf der Grundlage des Vorhergegangenen nicht mehr antizipiert werden kann. Aus den Debatten über die »Braut von Messina« und 1 2 3 4

Koselleck, Begriffsgeschichten, S. 68. Hölscher, Die Entdeckung der Zukunft, S. 36. Raulff und Sloterdijk, Schicksalsfragen, S. 30. Koselleck, Begriffsgeschichten, S. 81.

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Das Unverfügbare in der Geschichte – Schluss

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aus der Auseinandersetzung mit Napoleon lässt sich die verzweifelte Suche nach neuen Sinnhorizonten ablesen, in der über das Kind spekuliert wurde, das die »Zeit im Gebärstuhle«5 auf die Welt bringen würde. Hier trifft Kosellecks »semantische Kompensationsregel«6 auch auf den Schicksalsbegriff zu: Je geringer sein Erfahrungsgehalt ist, desto größer sind die Erwartungen, die sich an den Schicksalsbegriff knüpfen. Im Gegensatz zur Zukunft verbleibt dem Schicksalsbegriff zu dieser Zeit eine Verbindung zur Transzendenz; zwar ist er ein Surrogat der ungewissen und beunruhigenden Zukunft des europäischen Kontinents angesichts fundamentaler gesellschaftlicher Umwälzungen, doch über die Schuldthematik bleibt das religiöse Moment erhalten. Diese Bezüge verlieren sich im 19. Jahrhundert jedoch zusehends. So wie auch die Zukunft »zum Gegenstand menschlicher Vorsorge und Verantwortung wird«,7 gilt Schicksal in bestimmten Kontexten als von Menschenhand gestaltbar. Die Rede vom Schicksal in der Paulskirche bezieht sich wesentlich auf die Frage, wem die Macht gebührt, Zukunft zu bestimmen. In der Moralstatistik wird das Schicksal zur berechenbaren und prognostizierbaren Größe. Und auch im völkischen Diskurs wird das Schicksal zu einer Kategorie der Zukunft, die vornehmlich innerweltlich angesiedelt ist, wenn mit ihr das Erfüllungsgesetz von Evolution und Degeneration umschrieben wird. Der Schicksalsbegriff als Kategorie der Vergangenheit tritt zunächst wesentlich weniger offensiv in Erscheinung. In Herders Verweis auf den schicksalhaften Charakter kann man ein Moment der Rückbezogenheit entdecken, weil der Charakter die Eigenschaften umschreibt, die dem Menschen von Geburt an ohne sein Zutun mitgegeben werden. Deutlicher wird der Vergangenheitsbezug wieder ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, wenn der Blick in die Geschichte die nationale Schicksalsgemeinschaft konstituiert und die materiellen menschlichen Bedingtheiten (wie Körperfunktionen, Herkunft, Rasse, das Unbewusste, Vererbung) den Raum definieren, jenseits dessen der Mensch keine Freiheit mehr besitzt. Darüber hinaus kann über den Umgang mit der Vergangenheit auch der Umgang mit dem Schicksal in der Gegenwart erlernt werden, so als Seinsbedingung des germanischen Helden, dessen Wesen durch sein Verhältnis zum Schicksal formiert wird. Indem der Schicksalsbegriff auf diese Art selbst zum Diskursort avanciert, an dem das Verhältnis des Individuums und der Gesellschaft zur Zeit ausgehandelt wird, vollzieht sich mit ihm im 19. Jahrhundert eine Verzeitlichung im Koselleck’schen Sinne.8 So lässt sich der 5 6 7 8

Spies, Die Erhebung gegen Napoleon, S. 138. Koselleck, Begriffsgeschichten, S. 69. Hölscher, Die Entdeckung der Zukunft, S. 36. Koselleck, Begriffsgeschichten, S. 77 – 85.

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Schicksalsbegriff einordnen in die Reihe solcher Grundbegriffe wie Fortschritt, Zukunft und Geschichte, die zielgerichtete Prozesse indizieren und damit geschichtliche Veränderungen provozieren. Die Geschichtsmächtigkeit des Schicksalsbegriffs konnte in vielen Entwicklungen und Ereignissen des Untersuchungszeitraumes festgestellt werden. Am auffälligsten tritt sie in politischen Kontexten in Erscheinung, wenn mithilfe des Schicksalsbegriffs Innen- und Außengrenzen von Gruppen definiert, politische Gefahren heraufbeschworen, konkrete Handlungen eingefordert oder Widersacher denunziert und mundtot gemacht werden. Diese Funktionalisierbarkeit und damit Ideologisierbarkeit wohnt dem Schicksalsbegriff nicht erst seit der Sattelzeit, sondern von Beginn an inne. Sein hoher Abstraktionsgrad, seine metaphorische Qualität lassen ihn im Mund einflussreicher Persönlichkeiten zur politischen Waffe werden, was auch damit zusammenhängt, dass er trotz seiner Immanentisierung und Rationalisierung den Ruch des Verdächtigen nie ganz abstreifen kann. Die Bekämpfung der spinozistischen Philosophie und die Vertreibung Christian Wolffs aus Halle sind die ersten und markantesten Ereignisse, die auf den strategischen Einsatz des Schicksalsbegriffs zurückgeführt werden können. Auch im weiteren Verlauf der Neuzeit verliert der Begriff weder seine Sprengkraft (Materialismusstreit, Antisemitismus) noch seine langfristig identitätsstiftende Qualität (Nationalismus, völkische Bewegung). Das bereits in der Einleitung angesprochene Janusgesicht des Schicksals, das sich einer klaren Positionierung zwischen wissenschaftlicher Verwendbarkeit und irrationaler Glaubensauffassung entzieht, hat sich auch im historischen Rückblick bestätigt. Hier zeigt sich ein ihm eigener sprachlicher Mechanismus, der vielleicht den obskuren Restbehalt des Schicksalsbegriffs zu erklären vermag. Es ist auffällig, dass der Schicksalsbegriff in vielen Zusammenhängen zunächst zur Charakterisierung rationalistischer und materialistischer Weltbilder verwendet wurde, um diese dann durch eine semantische Umkehrung des Schicksalsbegriffs falscher philosophischer und teilweise sogar religiöser Grundannahmen zu überführen. Eine Traditionslinie dieser widersprüchlichen Argumentationslogik zieht sich von dem mechanistischen Weltbild der Aufklärung bis zu den Materialismusdebatten der Physiologie und Psychoanalyse, dem Darwinismus und den Rassendiskursen des 19. Jahrhunderts. Bei der konsequenten Berufung auf die Erkenntnisprinzipien des Verstandes, die nur das in der Welt als wirklich und erkennbar erachteten, was dem Satz des zureichenden Grundes entsprach, kamen die Aufklärungsphilosophie, der physiologische Materialismus, Freuds Theorie des Unbewussten und die Rassentheorien Gobineau’scher oder Darwin’scher Prägung zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass der Mensch als Individuum und Gattungswesen vollendet determiniert sein musste. In diesen Zusammenhängen gewann der Schicksalsbegriff eine neue Plausibilität, weil er – semantisch verbunden mit dem Begriff der

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Notwendigkeit – die Totalität der Determination einerseits schlagwortartig zusammenfasste, zugleich jedoch das rationale Selbstverständnis der Deterministen ad absurdum führte, indem er deren Lehren als Implikate metaphysischer Welttheorien offenlegte. Insgesamt gewinnt man bei der Betrachtung dieser historischen Debatten den Eindruck, als fordere der Schicksalsbegriff seine Verknüpfung mit religiösen oder metaphysischen Vorstellungen geradezu ein. Die Momente, in denen er zumeist von gegnerischer Seite in die Debatten eingebracht wurde, markierten zugleich den Umschlagpunkt, an dem es zu Ideologisierungstendenzen kam und sich die Fronten verhärteten. Nicht umsonst vermieden es die Anhänger der Wolff ’schen Philosophie und des wissenschaftlichen Materialismus zunächst, den Schicksalsbegriff in ihre Systeme mitaufzunehmen, weil sie dadurch deren Plausibilität und Rationalität gefährdeten. Und es ist kein Zufall, dass die politischen, philosophischen oder wissenschaftlichen Gegenspieler den Schicksalsbegriff als Denunziationsinstrument ins Feld führten, um die zur Debatte stehenden Lehren als gesellschaftsgefährdend zu brandmarken. Der Schicksalsbegriff steckte in diesen Kontexten den Kampfplatz ab, auf dem über die Reichweite menschlicher Vernunft und ihre impliziten metaphysischen Voraussetzungen gerungen wurde. Dass die Trennlinien zwischen Wissen und Glauben dabei verschwimmen konnten und sich die Kontrahenten teilweise in Positionen wiederfanden, die ihren Grundüberzeugungen diametral entgegengesetzt waren, machte den diskursiven Wert des Schicksalsbegriffs aus. So schwankte insbesondere das Zeitalter der Aufklärung zwischen der Ablehnung und der Generalisierung des Schicksalsgedankens in Form naturgesetzlicher Kausalität, je nachdem, welchen Gegner es zu bekämpfen galt und welche Werte verteidigt werden mussten. Der Grat einer legitimen Schicksalsauffassung war dabei denkbar schmal und fand seinen Ausdruck schließlich im Begriff des Fatum christianum. Drei Abgründen galt es dabei zu entgehen: Der Schicksalsbegriff durfte die Ursache-Folge-Relation nicht verabsolutieren, indem er den Geschichtsverlauf als unveränderliche Kausalkette beschrieb, die jedes Geschehnis notwendig und vorherbestimmt machte. Aus theologischer Perspektive hätte diese Schicksalsauffassung die Entmächtigung Gottes und damit die Rechtfertigung des Atheismus bedeutet, was im 18. Jahrhundert in den meisten intellektuellen Kreisen noch ein unmöglicher Gedanke gewesen wäre. Verarbeitet wurde diese Gefahr in den Begriffen des Fatum stoicum und des Fatum spinozisticum. Der Schicksalsbegriff musste es andererseits vermeiden, die Abfolge der Ereignisse als rein willkürliches Handeln Gottes zu interpretieren, sodass der Satz des zureichenden Grundes permanent verletzt wurde. Im Sinne einer innerweltlichen Prädestination aller Dinge wäre so Gottes Allmacht gegen die Freiheit des Menschen ausgespielt worden, die zum eigentlichen Bezugspunkt aufklä-

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rerischen Denkens geworden war. In der Auseinandersetzung mit dem Fatum turcicum fand diese Selbstvergewisserung des abendländischen Menschenbildes statt. Als dritte Gefahr drohte das Abgleiten in ein falsches Kausalitätsdenken, das Ursache-Folge-Beziehungen dort annahm, wo de facto keine existierten oder zumindest nicht empirisch nachgewiesen werden konnten. Mehr noch als bei der Universalisierung der göttlichen Vorsehung stand hier die menschliche Autonomie auf dem Spiel, wurde sie doch einer augenscheinlichen Irrationalität zum Opfer dargebracht. Die Abstoßung des hermetischen Schicksalsbegriffs im Fatum astrologicum war die deutlichste Reaktion auf diese Gefahr. Strategisch gesehen war die Strukturierung des semantischen Feldes in fünf scheinbar disparate Schicksalsbegriffe eine sprachliche Leistung, die den Weg aufklärerischen Denkens in die Gesellschaft ebnete, weil sie den Raum des Sagbaren von dem des Unsagbaren deutlich trennte, auch wenn das mit einigen Friktionen einherging. Auf der einen Seite hatte die Aufklärung scheinbar endgültig »den Stab über das Schicksal gebrochen«;9 auf der anderen Seite akzeptierte sie es in einem »Fatalismus zweiter Ordnung« als den sinnvollen Lauf der Dinge, in dessen Strom man sich begeben musste, um sicher darin zu sein, das Richtige zu tun.10 Wer sich nach den großen Auseinandersetzungen um den Schicksalsbegriff im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts zu einem christlichen Schicksalsbegriff bekannte, war auf der Höhe seiner Zeit und befand sich im Prinzip auf einer unangreifbaren Position. Nach dem Zeitalter der Romantik und dem Scheitern der Revolution von 1848/49 brachen die lediglich verdeckten Widersprüche jedoch wieder offen aus, auch weil das genuin religiöse Konfliktfeld, das die Verhältnisbestimmung von göttlicher Vorsehung und Schicksal thematisierte, in wissenschaftlichen Kontexten an Relevanz verloren hatte. Umso stärker wurde das Schicksalsproblem als Problem wissenschaftlicher Methodik entdeckt. Der materialistische Determinismus sah sich aufgrund seiner unreflektierten Epistemologie unversehens als Schicksalsglaube gebrandmarkt, was das Selbstverständnis seiner Vertreter radikal konterkarierte. Die harschen Debatten des Materialismusstreits konnten jedoch de facto nicht verhindern, dass die Verabsolutierung wissenschaftlicher Erkenntnis die Determination des Menschen nicht nur zum Ergebnis hatte, sondern dass die Determination des Menschen mehr und mehr zur Voraussetzung seiner wissenschaftlichen Erforschbarkeit wurde. Die Annahme, dass die Körperfunktionen, das Erbmaterial, die Rasse, die Evolution und das frühkindlich geprägte Unbewusste ein Netz von Ursachen bildeten, welches das Sosein des Individuums kausal und deshalb schicksalhaft bestimmte, machte die 9 Raulff und Sloterdijk, Schicksalsfragen, S. 27. 10 Ebd., S. 29.

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Suche nach diesen Kausalbeziehungen zum Kern wissenschaftlichen Arbeitens. Die »Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit der Natur« war die essenzielle Möglichkeitsbedingung ihrer wissenschaftlichen Behandlung.11 So handelten sich zumindest die Naturwissenschaften eine Affinität zum Schicksalsbegriff ein, die bis heute in den Debatten um die Implikationen neurobiologischer Erkenntnisse für das Wesen des Menschen diskutiert wird.12 Vordergründig gesehen scheint dieser Schicksalsbegriff als Zirkelschluss wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns unvereinbar mit den irrationalen Schicksalsvorstellungen zu sein, die wir in der Romantik und im Kontext völkischer Degenerationsprophetie kennengelernt haben. War der Schicksalsbegriff im ersten Zusammenhang Ausdruck der potenziellen Machens- und Wissensallmacht des Menschen, wurde er nach 1800 und im späten Kaiserreich zur Chiffre einer existenziellen Angst, die sich gerade auf die Unbeherrschbarkeit aktueller Entwicklungen gründete. Ob als unberechenbare Zukunftsperspektive, als eine durch Napoleon personifizierte Nemesis, ob als Begründungsfigur für die kollektive Verantwortungslosigkeit der Restaurationszeit oder als zum Niedergang führendes Evolutionsprinzip – stets wurden im Schicksalsbegriff Unsicherheiten artikuliert und verarbeitet, die einen drohenden oder tatsächlichen Kontrollverlust anzeigten. Machensallmacht und menschliche Ohnmacht könnten in Verbindung mit dem Schicksalsbegriff dialektisch verstanden werden, als erforderten Zeiten, in denen das Schicksal als regelhaftes und berechenbares Weltgesetz verstanden wurde, auch immer wieder Zeitabschnitte, in denen das Schicksal in das Dämonische abgleitet und zum Inbegriff des Unfassbaren wird. So gesehen hätten wir es mit stetigen Schicksalsgezeiten zu tun, die nach ihren jeweiligen Höhepunkten umschlagen in das andere Extrem: von der rationalen Aufklärung, zur irrationalen Romantik, zum rationalen Materialismus, zum völkischen Mystizismus und so weiter. Eine andere Interpretation der Schicksalskonjunkturen ergibt sich, wenn die beiden Gesichter des Schicksalsbegriffs als zwei Ausdrucksformen einer Entwicklung gedeutet werden. Denkt man an Odo Marquards Refatalisierungsthese zurück, der die Wiederermächtigung des Schicksals als zwangsläufige Konsequenz menschlicher Allmachtsphantasien identifizierte, so finden wir in der Geschichte des neuzeitlichen Schicksalsbegriffs tatsächlich beide Aspekte dieses Prozesses vor: Über den Schicksalsbegriff wurde in allen hier untersuchten 11 Bayertz, Gerhard und Jaeschke, Einleitung, S. 9. 12 So zum Beispiel im Jahr 2008, als das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig herausfand, dass bewusste Handlungsentscheidungen bereits zehn Sekunden zuvor in physiologischen Hirnaktivitäten nachgewiesen werden können. Hieraus wurde die These abgeleitet, dass der bewusste Willensakt nur die Folge und nicht die Voraussetzung neuronaler Prozesse ist.

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Themenkomplexen versucht, das Unverfügbare für den Menschen verfügbar zu machen, indem man es artikulierte, darüber diskutierte, es erforschte oder Handlungsanweisungen daraus ableitete. Ihren Ausgangspunkt nahmen diese Bewältigungsversuche aber dennoch in der Erkenntnis, dass der Mensch trotz wachsender politischer und gesellschaftlicher Autonomie auf einem Standpunkt der Unfreiheit festgenagelt war, den er nie würde verlassen können. Wenn Marquard in diesem Zusammenhang auf die »Unverfügbarkeit der Vorgaben«13 und die »Unverfügbarkeit der Folgen«14 verweist, so zeigen sich Parallelen zu den eben konstatierten Schicksalsgezeiten: Im rational anmutenden Schicksalsbegriff konzentrierte man sich auf die Determination durch die Vorgaben, die im Charakter, in der Vererbung, in der Nationalität oder Rasse oder in der frühkindlichen Entwicklung entdeckt wurden. Weil diese Aspekte auf eine Vergangenheit verwiesen, waren sie erforschbar und zumindest retrospektiv beherrschbar. Die Äußerungsformen des scheinbar irrationalen Schicksals hingegen betonten die Unverfügbarkeit der Folgen, die deshalb nicht verfügbar gemacht werden konnten, weil sie sich auf eine ungewisse Zukunft bezogen. Hier konnten sie sich mit fundamentalen Ängsten verbinden, sodass das Schicksal ebenso zur Rachegottheit werden konnte wie zur unvermeidlichen Degeneration; ebenso artikulierte es aber auch Hoffnungen, wenn die Zukunft wie 1848/49 und vor dem Ersten Weltkrieg als offen und gestaltbar empfunden wurde. In beiden Fällen war der Schicksalsbegriff eine moderne Residualkategorie, die auf das verwies, worauf der Mensch nicht unmittelbar zugreifen konnte. Damit erfüllte der Schicksalsbegriff zugleich eine Entlastungsfunktion:15 Er entband einerseits von der persönlichen Verantwortung für aktuelle Entwicklungen in einer Zeit, in der die Berufung auf die göttliche Vorsehung, die alles von Beginn an bis zum Ende vorherbestimmt hatte, an Plausibilität verlor. Andererseits rechtfertigte er die radikale Tat als Reaktion auf den vermeintlichen Verlust von Handlungsspielräumen. Auch wenn darüber an dieser Stelle keine definitiven Aussagen getroffen werden können, bleibt zu vermuten, dass letztgenannter Aspekt für den Stellenwert des Schicksalsbegriffs im 20. Jahrhundert eine entscheidende Rolle spielte. Zumindest bis 1945 wurden vermeintliche Sachzwänge in Schicksalsvokabeln gekleidet, um ihnen damit eine Dringlichkeit zuzuschreiben, die den Willen zur Tat – auch im nietzscheanischen Sinne eines amor fati – legitimierte. Die Bedingungslosigkeit des eigenen Vorgehens, die Krieg und Vernichtung implizierte, wurde in einen Schicksalshorizont eingebettet, der die Geschichts13 Marquard, Ende, S. 14. 14 Ebd., S. 17. 15 Raulff und Sloterdijk, Schicksalsfragen, S. 35.

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entwürfe der wirkmächtigsten Ideologien als unausweichlich und notwendig beschrieb. Die identitätsstiftende Funktion des Schicksalsbegriffs konnte sich gerade auch im nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsgedanken erweisen, der verschiedenen Völkern verschiedene Schicksale zumaß, sie für schicksalswürdig erklärte oder die Juden gleich zum »schicksallosen Volk«16 degradierte und damit für vogelfrei erklärte. Es müsste untersucht werden, wie sich das Denken in schicksalsaffinen Begrifflichkeiten während des Ersten Weltkrieges und danach etablierte, wie es in der Lingua Tertii Imperii zur Apotheose gelangte17 und wie man sich nach 1945 dieses Erbes wieder zu entledigen versuchte, indem man den Schicksalsbegriff zur Begleitfigur des Opferbegriffs ernannte. Spätestens an dieser Stelle sind wir wieder bei der modernen Geschichtswissenschaft angelangt, deren ambivalentes Verhältnis zum Schicksalsbegriff den Ausgangspunkt dieser Untersuchung bildete. Es lohnt sich zu fragen, inwieweit dieses Misstrauen der historischen Semantik des Schicksalsbegriffs entsprungen ist, und ob es nicht sinnvoll wäre, sich ebenso wie dem Zufall so auch dem Schicksal als Kategorie historischer Zeit und historischer Erkenntnis zu stellen. Es war die Aufgabe dieses Buches zu zeigen, dass das Schicksal einen Platz in der Geschichte hat. Alles Weitere, und diese Bemerkung sei mir am Ende verziehen, steht im Buch des Schicksals.

16 Art. Schicksal, in: Meyers Lexikon, S. 1034 – 1036. 17 Dazu u. a.: Rißmann, Hitlers Gott; Dube, Religiöse Sprache, S. 172 – 174; u. v. m.

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Literatur

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Namensregister

Adler, Alfred 384, 396 – 399, 407 Agrippa von Nettesheim 59 f. Ahrens, Heinrich Julius 292 Aischylos 161 Alexander I. Pawlowitsch Romanow 229, 239 Almond, Ian 141 f. Ammon, Otto 305, 307, 309 Anderson, Benedict 260 – 262, 294 Anna Amalia von Braunschweig-Wolffenbüttel 161 Arndt, Ernst Moritz 232 – 238, 252, 255 Arnold, Ignaz Ferdinand 231 Augustinus, Aurelius 38, 44, 58, 114, 368 Bach, Johann Sebastian 356 Bacon, Francis 49 Baltzer, Eduard 365 – 371, 382 Bassermann, Friedrich Daniel 280 Bastholm, Christian 83 f. Bauer, Roger 168 Bäumer, Gertrud 334 Baumgarten, Alexander Gottlieb 111 Bayle, Pierre 121, 123 Beauharnais, Jos¦phine de 248 Beckerath, Hermann von 277 Bertholet, Alfred 148 Beseler, Carl Georg Christoph 293 f. Bibliander, Theodor 134 Binzer, Emilie von 205 Bischoff, Diedrich 334 Bley, Fritz 325, 328

Blum, Robert 271, 274 – 276, 283 – 285, 291 Blumenberg, Hans 23 f., 66, 228 Boethius, Anicius Manlius Severinus 38, 49, 77, 111 – 113 Bonaparte, Napoleon 30, 164, 208 f., 220, 223 – 256, 263, 296, 325, 335 – 338, 415, 419 Börne, Ludwig 206, 211, 213 – 215, 220 Bose, Johann Andreas 136 Böttiger, Karl August 161, 163 Boyle, Robert 119 Brauner, Robert 371 f. Brockes, Barthold Heinrich 71 f. Brooke, Christopher 79 f., 82 f., 87 Brücke, Ernst Wilhelm 380 Brucker, Johann Jakob 81 f., 84 f. Büchner, Ludwig 349 – 351, 353, 362 Buddeus, Johann Franz 80 f. Burmann, Frans 58, 85, 112 f. Buß, Franz Josef 274 Busse, Dietrich 24, 26, 31 Calvin, Johannes 62 Cardano, Girolamo 54 Carl August von Sachsen-WeimarEisenach 160, 163 Caro, Heinrich 412 Carpov, Jakob 109, 126 Castelli, Ignaz Franz 211 – 213, 220 Chrysipp 75 f., 78 Cicero, Marcus Tullius 83, 138 Claß, Heinrich 327

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Namensregister

Clason, Synnöve 300 Claussen, Hans Reimer 264 Constant, Benjamin 193 Craven, Elisabeth 146 f. Crusius, Samuel Friedrich 127 Cudworth, Ralph 80 Custine, Astolphe de 345 Czolbe, Heinrich 354 Darwin, Charles 301 – 303, 305 – 307, 317, 328, 398, 416 Dasypodius, Petrus 41 Degenkolb, Carl Gottlob 273 f. Delbrück, Johann Ferdinand 164 f., 179 Descartes, Ren¦ 64, 69, 87, 112, 119 Deusingius, Antonius 58, 66 f. d’Holbach, Paul Henri Thiry 353 Diderot, Denis 81 f., 353 Dijksterhuis, Eduard Jan 50 Dilthey, Wilhelm 375, 390 Döllinger, Johann Joseph Ignaz 265 f., 285 Driesmans, Heinrich 313, 319, 331 Drobisch, Moritz Wilhelm 359 f. Du Bois-Reymond, Emil 373 – 375, 382 f., 409 Duhr, Bernhard 334 Dühring, Karl Eugen 317, 319, 359 Edel, Carl Franz Wilhelm 279 Eichendorff, Joseph von 212 Eisenmann, Johann Gottfried 267 f. Engels, Friedrich 349 Epiktet 79, 86 Epikur 76 f., 118 Fechner, Gustav Theodor 386 Feuerbach, Ludwig 276, 370 Ficino, Marsilius 59 Fischer, J. C. 354 – 359, 362, 365, 367 f. Fischer, Kuno 354, 400 Fließ, Wilhelm 381 f. Fluß, Emil 380 Foglietta, Uberto 135 f. Foucault, Michel 27 Francke, August Hermann 91, 107, 110

Francke, Carl Philipp 280 Fredrickson, George M. 318 Freiherr von Gebsattel, Emil 397 Freiherr von Vietinghoff-Scheel, Leopold 330 Freiherr von Wydenbrugk, Oskar 279 Freud, Sigmund 375 – 389, 391 – 395, 397, 402 – 407, 409, 411, 414, 416 Freytag, Gustav 215 f. Friedrich II. von Preußen 110 Friedrich Wilhelm I. von Preußen 92, 99 f. Friedrich Wilhelm III. von Preußen 237, 239 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 292 Fries, Johannes 36, 41 Fritsch, Johann Nepomuk 266 – 268 Fritsch, Theodor 303, 310, 316 f., 319 f., 326, 332 f., 338 Fröbel, Carl Ferdinand Julius 287, 295 Fuchs, Carl Gottlieb 273 Gagern, Heinrich von 276, 288 Gallie, Walter Bryce 255 Gasser, Cornelia 73, 85 Gentz, Friedrich 225 f. Gerlach, Agnes von 226, 254 Gerstenhauer, Max Robert 327 f. Geulen, Christian 319 f. Giskra, Carl 268 – 270 Gobineau, Arthur de 310 – 314, 321, 329, 416 Goeden, Adolph 292 Goethe, Johann Wolfgang von 18, 153, 160, 167, 192 f., 195, 198 f., 223, 228, 347, 412 Golther, Walter 324 Görres, Joseph 226, 235 – 237, 241 – 246, 254, 338, 402 Görres, Marie 243 Gottsched, Johann Christoph 36, 93 Graf, Friedrich Wilhelm 258 – 260 Graf von Metternich, Clemens 226 Grillparzer, Franz 203 – 205, 207 f., 213 f., 381

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Namensregister

Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 42 Gros, Karl Heinrich 156 f., 167 Gryphius, Andreas 73 Grysanowski, Ernst 309 Gutzkow, Karl 211 f. Hagen, Carl Heinrich Wilhelm 290 f. Haken, Christian Wilhelm 54 – 56 Haller, Albrecht 126 Hartig, Paul 322, 324, 328 Hartmann, Moritz 288 Hastings, Adrian 259 f. Hauerstein, Georg 320 Hegar, Alfred 321 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 347, 354 Heidanus, Abraham 58 f., 67, 112 Helmholtz, Hermann von 386 Helv¦tius, Claude-Adrien 353 Henning, Friedrich 322 f. Henrici, Ernst 326 Hentschel, Willibald 320, 328 – 330 Herbart, Johann Friedrich 386 Herder, Johann Gottfried 30, 124, 158, 339 – 347, 362, 369, 408 f., 415 Heurteur, Nikolaus 207 Heydenreich, Karl Heinrich 157 f. Hobbes, Thomas 123 Hobsbawm, Eric J 262, 275 HoÚ von HoÚnegg, Matthias 135 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 238 – 241 Hölderlin, Friedrich 18 Hollatz, David 58, 85, 112 – 114 Hommel, Karl Ferdinand 152 f. Houwald, Ernst von 203 – 205, 212 f., 215 Humboldt, Alexander von 357 Ibsen, Henrik 400 Iffland, August Wilhelm 193, 195 Isserlin, Max 387 – 389, 394 Jacobi, Friedrich Heinrich 127, 162, 192 Jaspers, Karl 389 – 394, 401 Jeitteles, Alois 211 – 213, 220 Jelavich, Barbara 147 f.

Jodl, Friedrich 401 Johann von Österreich, Erzherzog 293 Jordan, Wilhelm 283 – 285 Jung, Carl Gustav 382, 387 f., 404 – 407 Kabel, Walther August Gottfried 314, 325 Kämpffe, Paul von 303 Kant, Immanuel 18, 23, 87, 95, 155 – 157, 167, 183 f., 213, 366 Kapp, Johann Georg Christian 276 Kästner, Abraham Gotthelf 71 Kepler, Johannes 61, 63 – 68, 70 Kilian, Cornelius 13, 36, 42 Kimedoncius, Jacob 58, 61 Kindervater, Christian Victor 83 – 85, 145 Kirchner, Friedrich 331 Kleanthes 86 Klinger, Friedrich Maximilian 344 – 346, 408 Knebel, Henriette von 161, 196 f. Kopernikus, Nikolaus 63 – 65 Körner, Christian Gottfried 163, 172, 183 Koselleck, Reinhart 16 f., 21 – 23, 26 – 28, 30, 32, 46, 159, 253 f., 296, 414 f. Kotzebue, August von 246 – 248 Kraepelin, Emil 387 Kraft, Werner 209 – 211 La Mettrie, Julien Offray de 353 Lamarck, Jean-Baptiste de 306, 398 Lange, Joachim 92, 100 – 109, 11, 117 Lange, Johann Joachim 104 Langius, Carolus 74 f., 77 Laplace, Pierre-Simon 374 f. le Rond d’Alembert, Jean Baptiste 81 f. Leibniz, Gottfried Wilhelm 21, 31, 84, 87, 94 – 96, 120 – 126, 128, 138 – 143, 151, 153, 213, 339 Leo X., Giovanni de Medici 61 Lette, Wilhelm Adolph 264 Lexer, Matthias 39 f. Lipsius, Justus 58, 72 – 80, 85, 112 f., 367 Llull, Ramon 131 Lorenzen, Andreas J. 320, 332 Lotze, Rudolf Hermann 354

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Namensregister

Löwenhardt, Sigismund Eduard 360 – 362 Lubenow, Hugo 401 Luden, Heinrich 158 Ludwig XI. 54 Luther, Martin 40, 52, 62, 117, 133 – 135, 241, 368 Maier, Anneliese 50 Malebranche, Nicole de 79 Marcks, Erich 334 Marquard, Odo 14 f., 20, 309, 419 f. Marr, Wilhelm 315 f. Martin, J. 56 Martinius, Matthias 67 Marx, Karl 349 Meier, Georg Friedrich 55 f. Meisl, Karl 211 f. Melanchthon, Philipp 52, 62 Mendel, Gregor 398 Mendelssohn, Moses 127 Mittermaier, Carl Joseph Anton 273 Mnioch, Jakob 190 Möbius, Paul Julius 398 f. Mohammed 129, 131, 136 f., 139, 141 Mohl, Moritz 275 Moleschott, Jakob 349 – 355, 362 Morel, B¦n¦dict Augustine 398 Moritz, Karl Philipp 198, 221 – 223 Müller, Johannes von 228 f. Müllner, Adolf 203 – 208, 217 f. Naumann, Moritz Ernst Adolph 353 Nauwerck, Carl Ludwig Theodor 271 – 273, 276 f. Nerreter, Ernst Louis Otto 282 f. Newton, Isaac 64 Nietzsche, Friedrich 326, 338, 410 f. Notker III. 38 Opitz, Markus

73

Pascal, Blaise 79 Passow, Franz 196 f., 199 – 201 Pedro Pascual 132 Peukert, Detlef 409

Pistor, Johannes Albrecht 41 Platen, August von 211 f. Plato 36, 59 Poiret, Pierre 89 Pope, Alexander 21 Popert, Hermann Martin 306 Pötscher, Walter 37 Prideaux, Humphrey 136 f. Ptolemäus, Claudius 58 Pückler, Walter 318 Putnam, James J. 403 Qu¦telet, Adolphe

357 f., 360

Racine, Jean 230 f. Rappolt, Friedrich 88 Raumer, Hans von 275 f. Reimarus, Elise 162 Reimer, Josef Ludwig 330 Reitter, Heinrich 269 Richter, Anton 211 f. Richter, Melvin 255 Riedesel, Johann Hermann von 143 f. Riehl, Anton 287 Riesser, Gabriel 265, 272, 274, 288 f. Reibmayr, Albert 308 Rückert, Friedrich 246, 248 – 252 Ryan, Edward 145, 147 Rycaut, Paul 135 Sarasin, Philipp 27 Schäfer, Georg Siegfried 372 Schallmayer, Wilhelm 308 Schemann, Ludwig 311 f. Schiller, Friedrich 156, 160 – 187, 192, 196, 202, 206, 216 – 219, 334, 400 Schlegel, August Wilhelm 167, 193 Schlegel, Friedrich 167 Schmidt, Lorenz 109 f. Schmidt-Gibichenfels, Otto 313, 330 Schneider, Georg Heinrich 399 Schnitzler, Arthur 376 – 378 Schottelius, Justus Georg 40 Schreyvogel, Josef 207 Seneca, Lucius Annaeus 38, 75 f., 79 f., 83 Shakespeare, William 166

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Namensregister

Simon, Ludwig Gerhard Gustav 295 Sloterdijk, Peter 12, 414, 418, 420 Sophokles 161, 381 f. Spinoza, Baruch de 79, 82, 87 – 89, 91, 97, 99, 108, 110, 112, 120, 123, 339 Stadelmann, Heinrich 395 f., 411 StaÚl-Holstein, Anne Louise Germaine 192 – 194 Süvern, Johann Wilhelm 166 Steigentesch, August Ernst von 197, 199 f. Steinmetz, Willibald 32, 45, 110, 257, 259 Stieler, Kaspar 43 Storch, Alfred 394 f. Strach, Ernst 326 Strähler, Daniel 98 – 100, 103 Stuckrad, Kocku von 53 f., 57 f., 61 f., 65 Szondi, Leopold 378, 400, 402 f. Talleyrand, Charles-Maurice de 230 f. Talma, FranÅois 230 Thomas von Aquin 111 – 113, 122 Thomasius, Christian 90 Thomasius, Jakob 80, 88 Tieck, Ludwig 166 f., 211 Tiedemann, Dietrich 83 Trew, Abdias 59 f., 68 Trewlich, Erasmus 135 Ullmann, Hermann

331 f.

Varnhagen van Ense, Rahel Venedey, Jacob 286, 294 Vergil 387 f. Virchow, Rudolf 410 Vitry, Jakob von 131 Vogel, Rudolph 312

345 f., 409

Vogt, Carl 349 – 353, 355, 362 Vries, Hugo de 398 Wagner, Richard 322, 331 Wagner, Rudolph 351 f., 360 Waitz, Georg 268 – 270, 273, 278 f. Walch, Johann Georg 36, 47, 69 f., 143 Walkenhorst, Peter 258, 299, 301 – 304, 306, 317, 321 Weber, Beda 269 f. Weber, Max 256 Wehler, Hans-Ulrich 258 Weichlein, Siegfried 257, 259, 262 f. Weigelt, Georg 371 f. Weismann, August 306 f. Weitenkampff, Johann Friedrich 143 Werdermann, Johann Günther Karl 18 Werner, Rudolf 206, 209, 215 Werner, Zacharias 186 – 204, 207 f., 210, 217 f. Wieland, Christoph Martin 225 f., 254 Wigand, Otto 354 Winterbourne, Anthony 16, 19, 35 f., 38 Wolff, Christian 70 f., 89 – 111, 119 f., 126, 130, 143, 416 f. Wolff, Karl Felix 329 Wolzogen, Caroline von 172 Wolzogen, Hans von 312, 322 Wundt, Wilhelm Maximilian 360, 386 Wurm, Christian Friedrich 286 f. Zedler, Johann Heinrich 36, 44, 52, 57, 115 – 117 Zeiller, Martin 42 Zimmermann, Balthasar Friedrich Wilhelm 274

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