Die Schönheitsoperation im Strafrecht: Eine Untersuchung zu den normativen Grenzen chirurgischer Eingriffe bei fehlender medizinischer Indikation [1 ed.] 9783428545476, 9783428145478

Das Phänomen der Wunschmedizin, einer ärztlichen Behandlung ohne direkten gesundheitlichen Nutzen, ist weit verbreitet.

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Die Schönheitsoperation im Strafrecht: Eine Untersuchung zu den normativen Grenzen chirurgischer Eingriffe bei fehlender medizinischer Indikation [1 ed.]
 9783428545476, 9783428145478

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 260

Die Schönheitsoperation im Strafrecht Eine Untersuchung zu den normativen Grenzen chirurgischer Eingriffe bei fehlender medizinischer Indikation

Von

Christine Wagner

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTINE WAGNER

Die Schönheitsoperation im Strafrecht

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 260

Die Schönheitsoperation im Strafrecht Eine Untersuchung zu den normativen Grenzen chirurgischer Eingriffe bei fehlender medizinischer Indikation

Von

Christine Wagner

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Ulrich Schroth, München

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14547-8 (Print) ISBN 978-3-428-54547-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84547-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung habe ich Literatur und Rechtsprechung im Wesentlichen auf den Stand vom Oktober 2014 gebracht. Mein erster Dank gilt meinem geschätzten Doktorvater Herrn Professor Dr. Ulrich Schroth, der die Arbeit mit seinem Rat und seiner Diskussionsbereitschaft jederzeit unterstützt und gefördert hat. Die Arbeit ist in meiner Zeit als seine wissenschaftliche Mitarbeiterin entstanden; seine umfangreichen Tätigkeiten und Veröffentlichungen in diesem Bereich haben dabei mein großes Interesse am Medizinstrafrecht geweckt. Herrn Professor Dr. Ralf Kölbel danke ich sehr für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Bei Frau Professor Dr. Petra Wittig möchte ich mich für die Aufnahme in das LMU Mentoring Programm bedanken. Für die Aufnahme dieser Arbeit in die Schriftenreihe der „Strafrechtlichen Abhandlungen“ danke ich Herrn Professor Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder und Herrn Professor Dr. Andreas Hoyer. Mein Dank gilt weiter der Hanns-Seidel-Stiftung, die die Arbeit mit einem Promotionsstipendium aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt hat. Mein herzliches Dankeschön gilt meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen an der LMU München, allen voran Dr. Bijan Fateh-Moghadam, Dr. Katja Oswald, Dr. Nicole Steiner, Anthea Kienzerle, Dr. Karin Bruckmüller und Prof. Dr. Thomas Riehm. Die gemeinsame Zeit habe ich sehr genossen und geschätzt. Unsere zahlreichen Gespräche und ihre kritischen Denkanstöße waren für mich und diese Arbeit wertvoll. Für das gründliche und kritische Korrekturlesen des ganzen Manuskripts danke ich ganz besonders Dr. Franziska Armbruster. Die Arbeit widme ich meinen Eltern, ohne die ich sie niemals hätte fertigstellen können. Auch dafür danke ich ihnen von Herzen. München, im Oktober 2014

Nine Wagner

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Kontext der Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 B. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund . 31 II. Grundlagen aus der Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 III. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung  . . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst – moral- bzw. rechtsphilosophische Paternalismusdebatte und Rechtspaternalismus . . . . . . . 117 C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts – Körperverletzung mit Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. (Eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 II. Medizinisch nicht indizierte Behandlungen, insbesondere Schönheits­ operationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 III. Grundlagen der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 IV. Mutmaßliche Einwilligung und nicht indizierte ärztliche Eingriffe . . . . 172 V. Hypothetische Einwilligung und nicht indizierte ärztliche Eingriffe . . . 173 VI. Exkurs: Rechtliche Bewertung der Schönheitsoperation außerhalb des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 D. Die Funktion der medizinischen Indikation in der strafrechtlichen Deliktssystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? (Auffassungen in der Literatur) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie . 224 E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge zur nicht indizierten Schönheits­ operation de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung – insbesondere behavioral law and economics und das Paternalismusproblem . . . . . . . 306 II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger bzw. stellvertretende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Anhang: Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Sach- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Kontext der Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 B. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund . 31 1. Medizinische Indikation, wunscherfüllende Medizin und deren ­Eingrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Medizinische Indikation aus ethischer, medizinischer und rechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 aa) Medizinische Indikation in der Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 bb) Medizinische Indikation in der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 cc) Medizinische Indikation im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 (1) Spezialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 (2) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (3) Strafrechtliche Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 (a) Anknüpfung an den Heilzweck durch die arztstrafrechtliche Standardliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 (b) Weiter gefasste Ansätze in der juristischen Literatur . 43 (c) Indikation als Abwägungs- und Entscheidungsvorgang (Stock) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 dd) Stellungnahme und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 ee) Abgrenzung der Schönheitsoperation von der Heilbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Kontraindizierte Behandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 aa) Abweichende Begrifflichkeiten in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 bb) Stellungnahme – kontraindizierte Behandlungen als eigene Kategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Wunscherfüllende Medizin und enhancement . . . . . . . . . . . . . . . . 57 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Historische Definitionsversuche von Schönheit . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Begriff der Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 c) Schönheit im arztstrafrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3. Schönheitsoperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Historische Entwicklung der plastischen und kosmetischen Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

10 Inhaltsverzeichnis b) Begriff der Schönheitsoperation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Statistiken und gesellschaftliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Statistische Erfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Bevölkerungsgruppen / Patienten bzw. Kunden . . . . . . . . . . . . 70 cc) Altersgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 dd) Typische Eingriffe und Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Grundlagen aus der Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Das Verhältnis von Medizinrecht und Medizinethik . . . . . . . . . . . . . 73 2. Medizinethische Grundpositionen im Kontext ärztlichen Handelns  . 76 3. Medizinethische Ansätze zur Konfliktlösung moralischer Dilemmata (Beauchamp und Childress) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4. Konkreter Anwendungsfall des principlism: Schönheitsoperation . . . 82 III. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung  . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Verfassungsrechtliche Garantie des Selbstbestimmungsrechts des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Negatives Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Positives Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen des ärztlichen Schädigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Grundrechtliche Schutzpflichtkonstellation im privatrechtlichen ­Arzt-Patienten-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4. Grundrechte als Optimierungsgebote (Alexy) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Rechtsgutsbegriff und Funktion des Rechtsgüterschutzes . . . . . . . . . 98 2. Bestimmung des Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte und ­Auswirkungen auf die Bewertung der Schönheitsoperation . . . . . . . 102 a) Körperliche Unversehrtheit (Kollisions- / Abwägungsmodelle der Einwilligung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Traditionelles Rechtsgutsverständnis im Medizinstrafrecht . . 104 (1) Rechtsgut als objektiver Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (2) Einzelne Ausprägungen des objektiven Ansatzes . . . . . . 105 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Integration des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts nach der liberal-individualistischen Rechtsgutslehre (Integrations­ modell der Einwilligung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 aa) Körperliche Integrität und körperbezogenes Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (1) Individualrechtsgut als Mittel zur Entfaltung von ­Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (2) Abweichende Ausprägungen des das Selbstbestimmungsrecht ­berücksichtigenden Ansatzes . . . . . . . 110 (a) Schutz des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts über die Einwilligung (Amelung) . . . . . . . . . 110

Inhaltsverzeichnis11 (b) Umfassender Schutz des Selbstbestimmungsrechts (Tolmein und Freund / Heubel) . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Körperinteresse als körperliche Unberührtheit (Kargl) . . . . . 115 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst – moral- bzw. rechtsphilosophische Paternalismusdebatte und Rechtspaternalismus . . . . . . . 117 1. Paternalismus im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Medizinstrafrechtlicher Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4. Legitimationsansätze – insbesondere Grenzen eines autonomieorientierten Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Harter Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Weicher, autonomieorientierter Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts – Körper­ verletzung mit Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. (Eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Tatbestandslösungen – Tatbestandslosigkeit der Heilbehandlung (Ansätze der herrschenden Literatur) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Erfolgstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Theorie des kunstgerechten Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Rechtfertigungslösung – Rechtfertigung bzw. Tatbestandsausschluss durch Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Tatbestandsmäßigkeit gem. § 223 Abs. 1 StGB (Rechtsprechung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Einwilligung mit tatbestandsausschließender Wirkung (Teile der Literatur) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Kritik und Stellungnahme: Der (eigenmächtige) ärztliche ­ Heileingriff als tatbestandsmäßige Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . 146 II. Medizinisch nicht indizierte Behandlungen, insbesondere Schönheits­ operationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Tatbestandsmäßigkeit nach den Körperverletzungsdelikten . . . . . . . . 150 a) Objektiver Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB nach fast allen Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Qualifikationstatbestände der §§ 224 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 III. Grundlagen der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Wesen und Funktionen der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Abwehrfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

12 Inhaltsverzeichnis b) Entfaltungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 c) Garantiefunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 2. Straftatsystematische Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Einwilligung als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Einwilligung als Tatbestandsausschlussgrund . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Tatbestandsausschluss nach der sog. Einheitslösung . . . . . . . 162 bb) Nochmals zum Ansatz von Kargl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Grundlegende Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Tatsächlicher Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Form  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 cc) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 dd) Kein Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Objektive Wirksamkeitsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) § 216 und § 228 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Subjektive Wirksamkeitsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 aa) Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Freiwilligkeit – Fehlen von Willensmängeln . . . . . . . . . . . . . 171 IV. Mutmaßliche Einwilligung und nicht indizierte ärztliche Eingriffe . . . . 172 V. Hypothetische Einwilligung und nicht indizierte ärztliche Eingriffe . . . 173 VI. Exkurs: Rechtliche Bewertung der Schönheitsoperation außerhalb des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Schönheitsoperation im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Schönheitsoperation im Recht der gesetzlichen und privaten ­Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Schönheitsoperation und Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4. Schönheitsoperation und fachärztliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . 181 D. Die Funktion der medizinischen Indikation in der strafrechtlichen Deliktssystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? (Auffassungen in der Literatur) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Vorliegen der medizinischen Indikation als Privilegierungsgrund für Straflosigkeit auf Ebene des objektiven Tatbestands? (Tatbestandslösungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Medizinische Indikation als Voraussetzung für Straflosstellung auf Tatbestandsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Medizinische Indikation als objektive Schranke der Einwilligung? (Abwägungsmodelle und § 228 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

Inhaltsverzeichnis13 a) Fehlen der medizinischen Indikation als immanente objektive Schranke der Einwilligung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Kollisions- / Abwägungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Fehlen der medizinischen Indikation als Sittenwidrigkeit i. S. d. § 228  StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 aa) Normative Unbestimmtheit des § 228 StGB . . . . . . . . . . . . . 197 bb) Der Sittenverstoß in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 cc) Der Sittenverstoß in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (1) § 228 StGB als objektive Schranke der Einwilligung . . 201 (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (3) § 228 StGB als autonomieorientierte Einschränkung der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 dd) Zwischenergebnis: § 228 StGB als restriktiv verstandener Rechtsbegriff und subjektive Schranke der Einwilligung . . . 212 ee) Exkurs: Die gewünschte Verstümmelung . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (1) Indikation bei Vorliegen eines BIID-Syndroms . . . . . . . 216 (2) Autonom gewünschte Verstümmelung aus anderen Gründen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie . 224 1. Medizinische Indikation als Gegenstand der Einwilligung – zugleich zur Unzulässigkeit der bedingten Einwilligung . . . . . . . . . . 225 2. Fehlen der medizinischen Indikation und Kundgabe der Einwilligung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3. Fehlen der medizinischen Indikation und Einwilligungsfähigkeit . . . 231 a) Einwilligungsfähigkeit volljähriger Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Regelfall der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger – Autonomie versus objektive Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Einwilligungsfähigkeit und subjektiver Vernünftigkeitsmaßstab (Amelung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 cc) Anlass zur Prüfung bei Dysmorphophobie . . . . . . . . . . . . . . . 238 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 aa) Notwendige positive Feststellung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 bb) Reziprozitätsthese von Rechtsprechung und Literatur im Bereich nicht indizierter Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 cc) Kritik und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 c) Kompetenzkonflikte bei Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger? . 249 d) Stellvertretung bei Einwilligungsunfähigkeit Minderjähriger . . . . 251

14 Inhaltsverzeichnis aa) Grundlegendes zur stellvertretenden Einwilligung . . . . . . . . . 252 bb) Möglichkeit und Grenzen der stellvertretenden Einwilligung . 253 cc) Stellvertretende Einwilligung in die nicht indizierte ­Schönheitsoperation – differierende Ansichten in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (1) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (2) Literatur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (a) Bestimmung des Kindeswohls nach objektiven Kriterien – kategorischer Ausschluss der stellver­ tretenden Einwilligung in Schönheitsoperationen. . . 257 (b) Individuelle Bestimmung des Kindeswohls – stellvertretende Einwilligung in Schönheitsoperationen nicht von vorneherein ausgeschlossen  . 259 dd) Stellungnahme und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 4. Fehlen der medizinischen Indikation und ärztliche Aufklärung . . . . 262 a) Grundlagen der ärztlichen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Aufklärung als weich paternalistische Absicherung der Patienten­autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 c) Anforderungen an die ärztliche Aufklärung vor der nicht indizierten Schönheitsoperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) Aufklärungspflichtiger und Aufklärungsadressat . . . . . . . . . . 270 bb) Inhalt und Umfang der Aufklärung – Reziprozitätsthese von Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (1) Grundlegendes zum Inhalt der Aufklärung. . . . . . . . . . . 271 (2) Reziprozitätsthese im Bereich gesetzlich nicht geregelter nicht indizierter Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (3) Reziprozitätsthese bei der Schönheitsoperation im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (a) Gegenstand und Umfang der Aufklärung nach ­Rechtsprechung und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (b) Auswertung der Rechtsprechung im Einzelnen . . . . 277 (4) Kritik und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 cc) Zeitpunkt der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 dd) Form der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 ee) Entfallen der Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 5. Fehlen der medizinischen Indikation und Willensmängel im Übrigen . 290 a) Relevante Willensmängel – Drohung, Zwang, täuschungsbedingte und einfache Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Besondere Konstellationen einfacher Irrtümer im Zusammenhang mit dem Fehlen der Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294

Inhaltsverzeichnis15 aa) Einwilligung in einen nicht indizierten ärztlichen Eingriff, der nicht der Heilbehandlung, sondern anderen Zwecken dient  . 294 bb) Einwilligung in einen nicht indizierten ärztlichen Eingriff, der aber aus Sicht des Patienten der Heilbehandlung dienen soll – zur Zahnextraktionsentscheidung und zugleich zur rechtlichen Bewertung kontraindizierter Behandlungen . . . . . 295 (1) Divergierende Auffassungen in Rechtsprechung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (2) Stellungnahme und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . 300 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge zur nicht indizierten Schönheits­ operation de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung – insbesondere behavioral law and economics und das Paternalismusproblem . . . . . . . 306 1. Tatsächliche Problematik des rechtlichen Aufklärungskonzepts . . . . 307 a) Praktische Umsetzung im medizinischen Alltag . . . . . . . . . . . . . . 307 b) Das Risiko von Entscheidungsdefiziten – Forschungsergebnisse der Verhaltensökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 aa) Die grundlegende Annahme von Rationalität – law and economics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 bb) Die Erkenntnis eingeschränkter Rationalität – behavioral law and economics . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 2. Normative Konsequenzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 a) Auswirkungen der Erkenntnisse von behavioral law and economics für die Normierung der ärztlichen Aufklärungspflicht? – Der Vorschlag eines „libertären“ bzw. „schonendsten“ Paternalismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Kritik am verhaltensökonomischen Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 aa) Kritik aus sozialwissenschaftlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . 320 bb) Kritik aus rechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger bzw. stellvertretende Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1. Tatsächliche Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 2. Rechtliche Problematik – umstrittene Rechtslage bei der Vornahme von Schönheitsoperationen an Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 3. Entschließung des Europäischen Parlaments, Antrag an den Deutschen Bundestag und weitere Initiativen de lege ferenda . . . . . 330 4. Gesetzliche Beschränkung der Einwilligung in schönheitsoperative Eingriffe an Minderjährigen de lege ferenda? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Argumente für eine gesetzliche Einschränkung . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Einwände gegen eine gesetzliche Einschränkung . . . . . . . . . . . . . 337 c) Denkbare gesetzliche Regelungen und deren Zulässigkeit im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

16 Inhaltsverzeichnis aa) Verfahrenslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 bb) Starre Altersgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Anhang: Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Sach- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

Abkürzungsverzeichnis a. A.

anderer Ansicht

Abs. Absatz abw. abweichend a. E.

am Ende

a. F.

alte Fassung

AG Amtsgericht ÄK Ärztekammer Alt. Alternative AMG

Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz)

Angekl. Angeklagter Anm. Anmerkung Art. Artikel BÄBl. Bundesärzteblatt BÄK Bundesärztekammer BÄO Bundesärzteordnung BayObLG

Bayerisches Oberlandesgericht

BayObLGSt

Entscheidung des Bayerischen Oberlandesgerichts in Strafsachen

BB Brandenburg Bd. Band Bekl.

Beklagte / r

BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BGHZ

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BO Berufsordnung BOÄ

Berufsordnung für Ärzte

BBOLG

Brandenburgisches Oberlandesgericht

BMF

British Medical Journal

BSG Bundessozialgericht Bsp.

Beispiel / Beispiele

18 Abkürzungsverzeichnis bspw. beispielsweise BT-Drs.

Drucksache des Bundestags

BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

bzgl. bezüglich ca. circa DÄBl.

Deutsches Ärzteblatt (Zeitschrift)

DGÄPC

Deutsche Gesellschaft für ästhetisch-plastische Chirurgie e. V.

DGPRÄC

Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen

d. h.

das heißt

DSGI

Deutsche Stiftung für Gesundheitsinformation

DSM-IV

Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der American Psychiatric Association

DSO

Deutschen Stiftung Organtransplantation

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

et  al.

et alii / et aliae

Ethik Med

Ethik in der Medizin (Zeitschrift)

EU

Europäische Union

FAmRZ

Zeitschrift für das Gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht

FASZ

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fn. Fußnote FS Festschrift GA

Goltdammer’s Archiv für Strafrecht

GÄCD

Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland

gem. gemäß GesR

Gesundheitsrecht (Zeitschrift)

GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls grds. grundsätzlich GrS

Großer Senat

h. A.

herrschende Ansicht

HansOLG

Hanseatisches Oberlandesgericht

HeilprG

Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz)

Abkürzungsverzeichnis19 h. L.

herrschende Lehre

h. M.

herrschende Meinung

Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz i. A.

im Auftrag

ICD-10

International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, erarbeitet von der WHO, Version 2006)

i. d. F.

in der Fassung

i. d. R.

in der Regel

inkl. inklusive insb. insbesondere i. R. v.

im Rahmen von

ISAPS

International Society of Aesthetic Plastic Surgery

i. S. d.

im Sinne der / des

i. S. v.

im Sinne von

i. V. m.

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)

JAMA

Journal of the American Medical Association (Zeitschrift)

JR

Juristische Rundschau (Zeitschrift)

jur. juristisch Jura

Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JuS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JZ

Juristenzeitung (Zeitschrift)

KaKuG

österreichisches Kranken- und Kuranstaltengesetz

Kap. Kapitel KastrG Kastrationsgesetz KG Kammergericht Kl.

Kläger / in

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Zeitschrift)

LÄK Landesärztekammer LG Landgericht LK

Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch

m. Anm.

mit Anmerkung

MBO-Ä

Musterberufsordnung für deutsche Ärztinnen und Ärzte

m. E.

meines Erachtens

20 Abkürzungsverzeichnis med. medizinisch MedR

Medizinrecht (Zeitschrift)

MK

Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch

M. M.

Mindermeinung

MPG

Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz)

MWBO

Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

m. zahlr. w. N.

mit zahlreichen weiteren Nachweisen

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport

NK

Nomos Kommentar

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NStZ-RR

Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungsreport

OGH

Österreichischer Oberster Gerichtshof

OLG Oberlandesgericht OLGR

OLG Report

öStGB

österreichisches Strafgesetzbuch

PatientenRG

Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013

PID Präimplantationsdiagnostik RefE-StGB

Referentenentwurf zum Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StRG) vom 15.07.1996

RG Reichsgericht RGSt

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RGZ

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

Rn. Randnummer Rspr. Rechtsprechung Rz. Randziffer s. siehe S. 

Seite

S. 

Satz

Sch / Sch

Schönke / Schröder, Kommentar zum Strafgesetzbuch

SGB Sozialgesetzbuch SK

Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis21 s. o.

siehe oben

sog. sogenannte StGB-E

Entwurf zum Strafgesetzbuch

str.

strittig, umstritten

StrafR Strafrecht StRG Strafrechtsreformgesetz st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

StV

Strafverteidiger (Zeitschrift)

s. u.

siehe unten

SZ

Süddeutsche Zeitung

TPG

Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben (Transplantationsgesetz)

TSG

Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellen­ gesetz)

u. a.

unter anderem

umstr. umstritten unstr. unstreitig u. U.

unter Umständen

v.

von / vom

v. a.

vor allem

VDÄPC

Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen

VDPC

Vereinigung der Deutschen Plastischen Chirurgen (ehemaliger Name der DGPRÄC)

VersMed

Versicherungsmedizin (Zeitschrift)

VersR

Versicherungsrecht (Zeitschrift)

vgl.

vergleiche

Vol. Volume Vorb. Vorbemerkung wg. wegen WHO

World Health Organisation

z. B.

zum Beispiel

zahlr. zahlreich ZivR Zivilrecht ZStW

Zeitschrift für die Gesamte Strafrechtswissenschaft

z. T.

zum Teil

„Wie weit reicht die Autonomie des Menschen? Hat der Souverän seines Körpers auch ein Recht auf dessen partielle Zerstörung? Ist der Arzt stärker dem Wohl oder dem Willen des Patienten verpflichtet? […] Gibt es neben der privaten Moral eine allgemeine, Zusammenhang stiftende Ethik?“ SZ vom 16.12.2005, „Am Nullpunkt der Einsamkeit“. „Schön ist zu einem Synonym für erfolgreich geworden.“ FAZ vom 17.01.2008, „Schönheit macht erfolgreich“. „Entspricht das Rollenverständnis des Arztes noch den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen unseres Jahrhunderts? Gibt es für den Arzt noch zeitlose Gesetze sittlichen Handelns, oder müssen mit den geistigen und realen Veränderungen in unserer Welt notwendig auch gewisse sittliche Normen ärztlichen Handelns in Frage gestellt werden?“ Zander (1976), S. 7. „In a world in which we are judged by how we appear, the belief that we can change our appearance is liberating.“ Gilman (1999), S. 3. „Die Annahme, es gebe eine mehr oder weniger risikofreie Medizin, gehört zu den großen Missverständnissen der Gegenwart.“ Zander (1976), S. 25.

A. Einleitung I. Kontext der Thematik Ärztliches Handeln1 ohne medizinische Indikation bzw. ohne gesundheitlichen Nutzen ist in unserer Zeit ein weitverbreitetes tatsächliches Phänomen. Die traditionelle, indikationsgebundene Medizin hat sich verändert und ist durch wissenschaftliche Erkenntnisse und medizintechnische Entwicklungen weit vorangebracht worden. Dank dieser Fortschritte in Chirurgie, Anästhesie, Antisepsis und Schmerztherapie ist neben die heilende Medizin eine gesellschaftlich genutzte und anerkannte Wunschmedizin getreten.2 Schönheitsoperationen,3 Wunschsectio,4 Schwangerschaftsabbrüche aus nicht-medizinischen Gründen, Gefälligkeitssterilisationen, Organlebendspen­ 1  Auch wenn die vorliegende Untersuchung aus dem Blickwinkel des Arztstrafrechts erfolgt, ist ein Vergleich mit ähnlichen gesellschaftlichen Phänomenen aus dem nicht-medizinischen Bereich ergiebig. Es gibt eine Vielzahl vergleichbarer Vorgänge, die auch der Verwirklichung der wertbezogenenen Interessen einer Person und ihrer Vorstellung davon dienen, was für ein Mensch sie sein und wie sie ihr Leben oder ihr Aussehen gestalten möchten. Extrembergläufe (vgl. Urteil des AG Garmisch-Partenkirchen vom 01.12.2009 zu den Todesfällen beim Zugspitzlauf 2008), Body Art (SZ vom 27.01.2009, „Zwischen Kunst und Selbstzerstörung“, S. 44) oder die Abgabe leistungssteigernder Nahrungsergänzungsmittel durch Fitnessstudios etwa sind Maßnahmen bzw. Tätigkeiten, die nicht indizierten ärztlichen Eingriffen vergleichbar sind und deren rechtliche Bewertung den gleichen Grundsätzen folgen sollte. Gerade die Anforderungen an die Aufklärungspflichten bei Tätowierung und Piercing sind rechtlich schon mit den gleichen grundlegenden Überlegungen den Anforderungen bei der nicht indizierten Schönheitsoperation gleichgestellt worden, vgl. LG Koblenz, MedR 2007, 738 f. m. Anm. Bernzen; AG  Neubrandenburg vom 10.10.2000, Az.: 18 C 160 / 00; ausführlich Schroth (2009), S.  739 ff. 2  Zum Ganzen Eberbach (2009), S. 13; Damm (2009), S. 183; Lanzerath (2007), S.  36 f. 3  Ausführlich Lorz (2007); Joost (2010b); Stock (2009a). 4  Wunschsectio ist die operative Beendigung der Schwangerschaft durch Kaiserschnitt ohne medizinischen Grund auf Wunsch der Mutter, vgl. Pschyrembel (2007), Stichwort „Schnittentbindung“. Die Zahl der Sectio-Geburten erlebt in Deutschland eine rasanten Anstieg: fast jede dritte Geburt in Deutschland erfolgt mittlerweile per Kaiserschnitt, vgl. SZ vom 25.11.2009, „Trend zum Kaiserschnitt“, S. 4, und „Immer mehr Kinder nach Plan“, S. 9. Zur Wunschsectio auch Ulsenheimer (2008), Rn. 57d.

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A. Einleitung

den,5 Blutspenden,6 Zirkumzision,7 Geschlechtsumwandlungen,8 Doping, klinische Arzneimittelprüfungen und Humanforschung,9 Stammzellent­ nahme,10 gewollte Amputationen,11 künstliche Insemination und genetische Diagnostik sind heute durchgeführte ärztliche Eingriffe12 und haben Eingang in die rechtliche und rechtspolitische Diskussion gefunden. Die Entwicklungen in der Medizin schaffen teils großartige Möglichkeiten für den Einzelnen, haben dabei aber auch das Arzt-Patienten-Verhältnis entscheidend verändert. Bei der „wunscherfüllenden“, nicht-therapeutischen Medizin sind ärztliche Eingriffe medizinisch nicht notwendig, sondern zeichnen sich durch einen fehlenden gesundheitlichen Nutzen aus. Dabei erfüllen sie aber andere, wertbezogene wie beispielsweise körperlich-ästhetische, religiöse, altruistische oder sexuelle Interessen des Patienten.13 Das traditionelle Indikationskonzept in Medizin und im Medizinstrafrecht verliert dabei an Bedeutung. Ethik und Recht suchen nun im Bereich der Legitimität nicht ­indizierter ärztlicher Eingriffe nach neuen Antworten.14 5  Täglich werden nach Angaben der DSO bis zu elf Organe übertragen; im Jahr 2012 waren die Zahlen wohl insb. wegen der Unregelmäßigkeiten an deutschen Tranplantationszentren rückläufig, vgl. www.dso.de / organspende-und-transplanta tion / transplantation.html, zuletzt aufgerufen am 28.08.2013. 6  Vgl. grundlegendes Urteil des BGH, MedR 2006, 588. 7  Die Beschneidung minderjähriger Knaben aus religiösen Gründen als Jahrhunderte alte Tradition in Judentum und Islam wird aktuell im Strafrecht neu und äußerst kontrovers diskutiert. Vgl. LG Köln vom 07.05.2012, Az. 151 Ns 169 / 11; Putzke (2008), S. 268 ff., die eine Strafbarkeit des Durchführenden annehmen; a. A. und lediglich für eine Unvertretbarkeitskontrolle der stellvertretend erteilten Einwilligung Fateh-Moghadam (2010d). Ausführlich zur ganzen Thematik Steiner (2014). Die Thematik hat mit dem Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes, in Kraft getreten am 28.12.2012, nun in § 1631d BGB eine gesetzliche Regelung erfahren. 8  Transsexualismus ist eine Diagnose in DSM-III und ICD-10, so dass es sich bei geschlechts-verändernden Operationen um therapeutische Eingriffe handelt, vgl. Pfäfflin (2010), S. 658 f. 9  Ausführlich zu Heilversuch, Humanexperiment und Arzneimittelforschung Oswald (2010b), S. 669 ff. 10  Vgl. zur Strafbarkeit ausführlich Schroth (2010c), S. 543 ff. 11  Sog. BIID-Syndrom („Body Integrity Identity Disorder“), das zuletzt in der medizinischen Forschung Aufmerksamkeit erregt hat und z. T. als psychiatrische Krankheit eingeordnet wird. Einschlägige Studie von First (2005), S. 919 ff., 926; SZ vom 16.12.2005, Feuilleton, „Am Nullpunkt der Einsamkeit“. 12  Im Einzelnen unterschiedlich: Die Organlebendspende ist fremdnützige Heilhilfe; Organlebendspende und Schwangerschaftsabbruch sind nur eingeschränkt zulässig; ob die Organlebendspende überhaupt in den Bereich der wunscherfüllenden Medizin fällt, ist umstr. – ablehnend Eberbach (2008a), S. 326. Zur umstr. Strafbarkeit der PID vgl. Schroth (2010c), S. 543 ff. Zum Ganzen Schroth (2009), S.  719 ff. 13  Zum Ganzen Schroth (2009), S. 719 f.



I. Kontext der Thematik27

Die indikationslosen ärztlichen Maßnahmen unterfallen dem Bereich des enhancement bzw. der wunscherfüllenden Medizin. Diese Begriffe bezeichnen eine gesellschaftliche Entwicklung, nach der sich Menschen nach ihren Vorstellungen selbst gestalten, verbessern und optimieren.15 Die Ethik beschäftigt sich schon einige Zeit mit diesem Bereich und versteht unter en­ hancement „alle korrigierenden Eingriffe in den menschlichen Körper, durch die nicht eine Krankheit behandelt wird bzw. die nicht medizinisch indiziert sind“.16, 17 Die wunscherfüllende Medizin ist ein Teilbereich des enhance­ ment, welches alle entsprechenden Maßnahmen umfasst, auch nicht ärztlich vorgenommene wie Piercings und Tätowierungen.18 Das Recht hingegen befasst sich erst neuerdings mit dem Problem in seiner Gesamtheit.19 Aus der Perspektive des Rechts geht es um die Reichweite freier Selbstbestimmung, um die Verfügungsfreiheit im Umgang mit dem eigenen Körper und um die Grenzen der Einwilligung in die Verletzung des Körpers. Dabei zeigt sich, dass in einer pluralistischen Gesellschaft ein Konsens hinsichtlich einer einheitlichen Werteorientierung nicht mehr besteht. Ist erlaubt, was gefällt?20 Kann alleine die Einwilligung des Patienten jedes ärztliche Handeln legitimieren?21 14

In keinem anderen Bereich nicht indizierter ärztlicher Eingriffe wird das Phänomen der Wunschmedizin so deutlich wie bei der Schönheitsopera­ tion.22 Die kosmetische Chirurgie erfreut sich in unserer Zeit, in der gutes Aussehen und Anti-Aging weitläufig als entscheidend wahrgenommen werden, starker Nachfrage.23 Brust- und Nasenkorrekturen, Fettabsaugungen, 14  Zum Ganzen Damm (2009), S. 183 f.; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S.  101 ff. 15  Eberbach (2008a), S. 325. 16  Korff / Beck / Mikat (2000), Stichwort „Enhancement“; Beck (2006), S. 95. 17  Auch andere Disziplinen wie die Soziologie oder die Psychologie haben das Phänomen der Wunschmedizin schon ausführlicher diskutiert, vgl. Eberbach (2009), S.  13 m. w. N. 18  Zum Ganzen Eberbach (2008a), S. 325. 19  Zur Notwendigkeit einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des enhancements vgl. Beck (2006), S. 95; Eberbach (2008a), S. 325. Bisher wurden überwiegend nur einzelne Bereiche wie Doping, Schwangerschaftsabbruch, neurologische Interventionen oder Wunschsectio spezifisch diskutiert, vgl. Eberbach (2009), S. 13. Jüngst aber umfassend zum Ganzen Stock (2009a). 20  Goethe, Torquato Tasso. 21  Vgl. Sternberg-Lieben (2009), S. 325 f. 22  Junker / Kettner (2009), S. 62. 23  Vgl. nur die breite Berichterstattung über Schönheitschirurgie in den Medien, etwa SZ‑Magazin vom 31.07.2009, „Der Feind in mir“, S. 18  ff.; SZ-Serie ab 21.04.2009, „Der Kult um den Körper – warum das Streben nach Schönheit die Menschen seit jeher beschäftigt, S. 9; SZ vom 16.07.2007, „Wenn der Busen hängt“,

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A. Einleitung

Hebung von Schlupflidern, Botox-Einspritzungen und viele weitere ästhetische Eingriffe werden von einem „dienstleistenden Sektor“ der Medizin vorgenommen; man spricht von einem Dritten Gesundheitsmarkt.24 Auch in Deutschland sind Schönheitsoperationen heute üblich und selbst bei Minderjährigen gefragt. Schätzungen der fachärztlichen Vereinigungen und der Bundesregierung sprechen von bis zu einer Million solcher Eingriffe jährlich in Deutschland.25 Die kosmetische Chirurgie ist damit ein rasant ansteigendes Phänomen. Die Brisanz der Entwicklung zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sich auch der Deutsche Bundestag mit dem Bereich der Schönheitschirurgie beschäftigt.26

II. Gegenstand und Gang der Untersuchung Diese praktische Relevanz von Wunschmedizin und Schönheitschirurgie bieten Anlass, sich anhand des Beispiels der Schönheitsoperation grundlegend mit der strafrechtlichen Bewertung und deliktssystematischen Bedeu­ tung der medizinischen Indikation sowie mit Voraussetzungen und Grenzen der Einwilligung auseinanderzusetzen. Diese Untersuchung bewegt sich dabei zwischen den Polen von Patientenautonomie und ärztlicher Standesethik, von individuellem Selbstbestimmungsrecht und staatlichem fürsorg­ lichen Paternalismus, von paternalistischen Argumentationsstrukturen und liberalem Strafrecht und von pluralistischen ethischen Vorstellungen. S. 19; Stern-Serie ab 31.08.2006 „Schönheit, die man kaufen kann“, S. 117 ff.; Wirtschaftswoche five to nine, Heft 4 / 2006, „Goldener Schnitt – Operation Schönheit“, S. 104 ff.; und TV-Sendungen wie „The Swan – endlich schön!“ auf Pro7, „I Want a Famous Face“ auf MTV. 24  Eberbach (2009), S. 13 f. 25  BT-Drs. 15 / 2289 vom 29.12.2003, S. 1, BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2. I. E. differieren die Zahlen, da es keine bundesweiten statistischen Erhebungen gibt, sondern die Zahlen von den Fachgesellschaften (DGÄPC, VDÄPC etc.) vorgelegt werden; zudem wird eine hohe Dunkelziffer vermutet. 26  BT-Drs.  16 / 6779 vom 24.10.2007, Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Ziel der Verhinderung von Missbräuchen bei Schönheitsoperationen, insb. bei Minderjährigen; BT-Protokoll Nr. 16 / 83 vom 23.04.2008, Anhörung des Gesundheitsausschusses zu diesem Thema; Positionspapier der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU / CSU-Fraktion vom Frühjahr 2012 zum Verbot von Schönheitsoperationen bei Minderjährigen; BT-Drs. 16 / 12276 vom 17.03.2009 und BT-Drs. 16 / 12787 vom 27.04.2009, Gesetzentwurf, § 4 NiSG, zum Nutzungsverbot von Solarien für Minderjährige; Neufassung von § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3, § 14, § 15 Abs. 2 HWG zum 01.04.2006 bzgl. Einbezugs eines strafbewehrten Verbots irreführender Werbung für operative plastisch-chirurgische Eingriffe; Neufassung von § 294a Abs. 2 SGB V i. V. m. § 52 Abs. 2 SGB V zum 01.07.2008 bzgl. Leistungsbeschränkung für die gesetzlichen Krankenkassen bei der Kostenerstattung für kosmetische Eingriffe und Anzeigepflicht der Ärzte bei den Krankenkassen.



II. Gegenstand und Gang der Untersuchung29

Der Begriff der wunscherfüllenden Medizin ist dabei insoweit irreführend, als aus rechtlicher Perspektive nicht die medizinische Erfüllung eines Wunsches mittels einer Körperbeeinträchtigung problematisch ist – auch die traditionelle heilende Medizin erfüllt einen Wunsch des Patienten nach Heilung. Der entscheidende normative Unterschied ist vielmehr das Fehlen der medizinischen Indikation.27 Gerade im Heilzweck wird im traditionellen Medizinstrafrecht nämlich die alleinige Rechtfertigung für ärztliches Handeln gesehen.28 Daraus ergibt sich die Frage: Wann ist ein ärztlicher Eingriff ohne medizinische Indikation eine strafbare Körperverletzung gemäß §  223 ff.  StGB? Die Problematik medizinisch nicht indizierter ärztlicher Eingriffe wirkt sich strafrechtlich nach allgemeiner Dogmatik über das Rechtsinstitut der Einwilligung auf den Ebenen von Tatbestand bzw. Rechtswidrigkeit aus. In besonderem Maße wird deshalb auf die ethischen und verfassungsrecht­ lichen Grundlagen, die allgemeinen Lehren sowie auf die Grenzen der wirksamen Einwilligung des Patienten einzugehen sein. Dabei wird sich ein Bemühen des Medizinstrafrechts zeigen, die traditionelle indikationsgebundene Medizin nicht aufzugeben. Vor allem die medizinrechtlichen Abwägungsmodelle der Einwilligung und das Verständnis der Indikation als Rechtfertigungsgrund, der Einwilligung dagegen als bloße Rechtfertigungsschranke, knüpfen hier an und wollen die Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten in medizinisch nicht notwendige ärztliche Eingriffe beschränken. Diese Auffassung soll einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Weiter besteht aus strafrechtlicher Sicht insbesondere Klärungsbedarf hinsichtlich des Zusammenspiels von Indikationsmangel und ärztlicher Aufklärung.29 Hier wird vor allem auf die Auffassung einzugehen sein, nach der das ärztliche Aufklärungsgespräch vor der Schönheitsoperation „strenger“ und gegebenenfalls sogar „abschreckend“ ausgestaltet werden soll. Auch darüberhinaus ergeben sich zahlreiche Fragen zur Bedeutung der medizinischen Indikation im Arztstrafrecht allgemein und bei der Schönheitsoperation im Besonderen, die diese Arbeit untersuchen möchte. Wann sind Schönheitsoperationen nicht indiziert? Mit welchem Recht etwa darf 27  Vgl. zum Ganzen den Vortrag „Freiwilligkeit als Verfahren. Zum Verhältnis von Lebendorganspende, medizinischer Praxis und Recht“ von Bijan Fateh-Moghadam und Elke Wagner auf der Jahrestagung 2005 der Akademie für Ethik in der Medizin zum Thema „Wunscherfüllende Medizin“, 29. / 30.10.2005 in Witten / Herdecke. 28  Vgl. Hollenbach (2003), S. 241 f. m. w. N.; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101. 29  Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 134, 102; Damm (2009), S. 184.

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A. Einleitung

ein Arzt Eingriffe an Gesunden vornehmen? Ist bei der Kollision widerstreitender medizinethischer und medizinrechtlicher Prinzipien eine pauschale Höherbewertung der Patientenautonomie gegenüber dem ärztlichen Schadensvermeidungsprinzip angezeigt? Gibt es Fälle, in denen eine Einwilligung des Patienten die Vornahme einer Schönheitsoperation nicht rechtfertigen kann? Was spricht gegen die Rechtfertigung ärztlichen Handelns, wenn der Patient über die medizinische „Unvernünftigkeit“ eines kontra­ indizierten Eingriffs nach umfänglicher Aufklärung informiert ist und den Eingriff trotzdem ausdrücklich möchte? Können Minderjährige wirksam in nicht indizierte schönheitsoperative Eingriffe einwilligen oder stellvertretend deren Eltern? Im Verlauf der Untersuchung sollen zunächst notwendige Begriffsklärungen vorgenommen und die Grundlagen der Thematik aus Gesellschaft, Ethik, Rechtsphilosophie und Recht dargestellt werden (§ 2). Nachdem nicht indizierte Schönheitsoperationen als Problematik der Körperverletzungsdelikte des Kernstrafrechts identifiziert und die unterschiedlichen Lösungsansätze erarbeitet worden sind (§ 3), wird im dann folgenden Teil der Frage nachgegangen, wie sich Vorliegen oder Fehlen der medizinischen Indikation bei einem ärztlichen Eingriff in der Systematik des Strafrechts auswirken und ob allein der Indikationsmangel eines ärztlichen Eingriffs Auswirkungen auf die Strafbarkeit des behandelnden Arztes nach sich ziehen kann (§ 4). Schließlich werden auf der Basis der erarbeiteten Ergebnisse Regelungs-, Änderungsvorschläge und Gesetzesinitiativen einer kritischen Betrachtung unterzogen, die im Bereich des (straf-)rechtlichen Umgangs mit Schönheitsoperationen eingebracht worden sind. Zum einen wird dabei ein Augenmerk auf die ärztlichen Aufklärungspflichten gelegt, für die insbesondere aus der Perspektive von imperfekter Autonomie und behavioral law and economics paternalistische Beschränkungen angeregt worden sind. Zum anderen werden Vorschläge zu Restriktionen und Verboten bei der Einwilligung Minderjähriger in Schönheitsoperationen kritisch beleuchtet (§ 5).

B. Grundlagen I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund Die für diese Untersuchung entscheidenden Begriffe „Schönheit“, „Schönheitsoperation“, „medizinische Indikation“ und „wunscherfüllende Medizin“ sind im Arztstrafrecht nicht einheitlich definiert. Eine ausdifferenzierte Abgrenzung zwischen indizierten und nicht indizierten Eingriffen, zwischen Heilbehandlung und Schönheitsoperation, zwischen Therapie und enhance­ ment ist aber von grundlegender Bedeutung für die strafrechtliche Beurteilung ärztlichen Handelns. Denn der Begriff der medizinischen Indikation trennt im Arztstrafrecht den ärztlichen Heileingriff von den übrigen ärztlichen Eingriffen, mit bedeutenden rechtlichen Auswirkungen.1 Heileingriffe werden von Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft anderen Anforderungen und Bewertungsmaßstäben unterworfen als Eingriffe ohne Indika­ tion.2 Im Folgenden sollen daher die in dieser Untersuchung verwendeten Ausdrücke erläutert, deren rechtstatsächliche Grundlagen dargestellt und die strafrechtlich relevanten Abgrenzungen vorgenommen werden (I.–III.). 1. Medizinische Indikation, wunscherfüllende Medizin und deren Eingrenzungen a) Medizinische Indikation aus ethischer, medizinischer und rechtlicher Sicht Der Begriff der medizinischen Indikation wird schon in der Medizin der Antike verwendet, etwa bei Hippokrates als indeixis, und leitet sich vom lateinischen Verb indicare, anzeigen, ab.3 Synonym für Indikation ist daher „(Heil-)Anzeige“.4 Die Indikation ist im Bereich der Bewertung ärztlichen Handelns für die Medizin, aber auch für Ethik und Rechtswissenschaft 1  Hauptsächlich in dieser Funktion definieren den Begriff so auch Lilie / Radke (2005), S. 16, Stichwort „Ärztlicher Heileingriff“. 2  Ausführlich unten C. I., II., D. 3  Lanzerath (2007), S. 35. 4  Neitzke (2007), S. 53.

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B. Grundlagen

Leitbegriff.5 Medizin, Medizinethik und Medizinrecht bezeichnen als Indikation allgemein den Entschluss des Arztes zu einer Handlung gegenüber einem erkrankten Patienten, um Krankheiten zu heilen oder zu lindern oder Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen.6 Die vorgesehenen Maßnahmen müssen vom Heilauftrag des Arztes geboten sein.7 Alle drei Ansätze teilen dabei die traditionelle Orientierung an den Begriffen Gesundheit und Krankheit, die, wie zu zeigen sein wird, problematisch ist. Zur Ausfüllung des Begriffs werden von den Disziplinen und sogar innerhalb derselben abweichende Begründungsansätze angeboten.8 aa) Medizinische Indikation in der Ethik Medizinethisch diente die Indikation seit jeher der Umsetzung des hippokratischen Eides9 mit dem Schädigungsverbot des primum non nocere, das als zentrale Zielsetzung ärztlichen Handelns auch im Genfer Ärztegelöbnis10 und der Verpflichtungsklausel der Berufsordnung für Deutsche Ärztinnen und Ärzte11 zum Ausdruck kommt.12 Lange Zeit war der Krankheitsbegriff in der Ethik als alleiniger, entscheidender Anknüpfungspunkt für die Orientierung ärztlichen Handelns und für die Ausfüllung des Begriffs der medizinischen Indikation unumstritten. Dies führte zu der Annahme, dass nur ein ärztliches Handeln zulässig ist, das medizinisch indiziert ist.13 Dabei wird die Indikation in der Ethik als begründeter Entschluss verstanden, dass für den Arzt eine bestimmte Handlungsnotwendigkeit diagnostischer oder therapeutischer Art zu einem bestimmten Zeitpunkt bezogen auf einen bestimmten, erkrankten Patienten besteht.14 Bei der Indikationsstellung soll der Arzt nicht nur medizin(-technische), sondern auch ethische, 5  Vgl. nur die Darstellungen zur Indikation bei Eser / von Lutterotti / Sporken (1989), S. 537 ff.; Stock (2009a), S. 88 ff.; Neitzke (2007), S. 53. 6  Lanzerath (2007), S. 29, 35; Stock (2009a), S. 88; Anschütz (1988), S. 257; Eser / von Lutterotti / Sporken (1989), S. 537, Stichwort „Indikation“. 7  Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), Rn. 29. 8  Vgl. ausführlich Lanzerath (2007), S. 35 ff. 9  Der Eid des Hippokrates als traditionelles Gelöbnis des Arztes ist benannt nach dem griechischen Arzt Hippokrates von Kos (um 460–370 v. Chr.), vgl. Laufs / KernLaufs (2010), § 4 Rn. 13 ff. 10  Die Genfer Deklaration des Weltärztebundes wurde 1948 auf der zweiten Generalversammlung des Weltärztebundes in Genf als zeitgemäß veränderte Fassung des hippokratischen Eides beschlossen und ist seitdem mehrfach überarbeitet worden. 11  Gelöbnis und § 1 Abs. 2 der MBO-Ä. 12  Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), Rn. 6 f., 2 ff.; Lanzerath (2007), S. 39. 13  Zum Ganzen Lanzerath (2007), S. 36, 39 m. w. N. 14  Neitzke (2007), S. 53; Lanzerath (2007), S. 38.



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 33

individuell auf den Patienten und seine Lebensumstände bezogene Überlegungen einbringen sowie maßgebliche Normen und Werte einfließen lassen.15 Zum Teil wird zwischen medizinischer und ärztlicher Indikation differenziert und die medizinische Indikation zur Umsetzung naturwissenschaftlicher, technischer Überlegungen herangezogen, während die ärztliche Indikation darüber hinausgehen und auf den einzelnen Patienten bezogene Kriterien miteinbeziehen soll.16 Jedenfalls ist die Indikationsstellung damit insgesamt das zentrale Einfallstor für ethische Erwägungen im Arzt-Patien­ ten-Verhältnis.17 Alle medizinethischen Begründungen orientieren sich jedoch im Ansatz zum einen an den jeweiligen Vorstellungen einer Gesellschaft über die Zielsetzungen der Medizin und sind zum anderen abhängig vom konkreten Lebensentwurf des individuellen Patienten.18 Durch den Strukturwandel der modernen Medizin werden nun neue ethisch-normative Begriffe wie Lebensqualität oder enhancement als Maßstab für ärztliches Handeln diskutiert.19 Heute werden in der Ethik unterschiedliche Begründungen für eine medizinische Indikation aufgeführt. Zum Teil wird nach wie vor der Krankheitsbegriff als zentraler und ausschließlicher Leitbegriff eines vom Indikationskonzept bestimmten (paternalistischen) Arzt-Patienten-Verhältnisses betont; zum Teil wird vom traditionellen Indikationskonzept abgerückt und die Patientenautonomie – zum Ausdruck gebracht über die Einwilligung in einen Eingriff nach Aufklärung (informed consent) – als Maßstab ärztlichen Handelns betrachtet.20 Mit Blick auf den „Gestaltwandel der Medizin“ wurde in der Ethik zuletzt eine Verlagerung von einer indikationsgebundenen zu einer wunscherfüllenden Medizin, von Bedürftigkeit zu Begehren festgestellt.21 15  Anschütz

(1982), S. 3. So auch Neitzke (2007), S. 54. bei Neitzke (2007), S. 55 f., 56 ff., der aber feststellt, dass diese Trennung zwar für Einzelfragen hilfreich sein mag, jedoch insgesamt für die Indikation beide Komponenten zwingend erforderlich sind. 17  Anschütz (1983), S. 141 m. w. N.; Neitzke (2007), S. 54. 18  Neitzke (2007), S. 58; Lanzerath (2007), S. 35. 19  Lanzerath (2007), S. 36 f.; Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), Rn. 5 ff. 20  Zum Ganzen Lanzerath (2007), S. 36 ff., 39, 42 f. m. w. N.: Lanzerath hält an einem paternalistischen Arzt-Patienten-Verhältnis und einem (praktischen) Krankheitsbegriff als entscheidendem Indikationsgrund fest, der in jedem Fall zur Legitimierung ärztlichen Handelns neben den Patientenwillen treten müsse. „Der Krankheitsbegriff limitiert einerseits ausschließlich paternalistische und andererseits uneingeschränkt autonomistische Tendenzen in Medizin und ärztlichem Handeln. […] Der autonome Patient hat indes keinen Anspruch darauf, über dieses Handlungsfeld hinaus Forderungen an den Arzt zu stellen, die dieser als Service anbieten könnte.“ 21  Vgl. die Nachweise bei Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101 und Eberbach (2008a), S. 326. 16  So

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B. Grundlagen

Diese ethischen Begründungsansätze geben sowohl medizinischen als auch rechtlichen Erklärungen der Indikation im Hinblick auf Behandlungsformen, Behandlungsziele, Behandlungsbegrenzungen und Behandlungsalternativen einen normativen Rahmen vor.22 bb) Medizinische Indikation in der Medizin Aus medizinischer Sicht ist die Indikation definiert als Grund zur Anwendung eines bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens in einem Krankheitsfall, der die Anwendung hinreichend rechtfertigt.23 Die medizinische Indikation beantwortet für den Arzt die Frage nach einer bestimmten Handlungsnotwendigkeit,24 dem „ob“ eines ärztlichen Eingriffs. Dabei ist nach der traditionellen Standesethik mit der als notwendig erkannten medizinischen Maßnahme in erster Linie ein Retten, Heilen, Erhalten und Mindern von Leiden bezweckt.25 Im medizinischen Sprachgebrauch hat sich eine Abstufung eingebürgert, die zwischen Not-, vitaler, absoluter, re­ lativer und Kontraindikation unterscheidet.26 Eine absolute Indikation etwa ist gegeben, wenn eine ärztliche Behandlung zwingend erforderlich ist, eine vitale, wenn eine Gefährdung des Lebens des Patienten vorliegt. Ist die Erkrankung bzw. Gefährdung des Patienten nur bedingt diagnostizierbar bzw. ist eine Behandlungsmaßnahme nur bedingt erfolgversprechend, spricht man von relativer Indikation.27 Kontraindikation dagegen meint „Gegenanzeige“, also einen Umstand, der die Anwendung eines diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens bei an sich gegebener Indikation in jedem Fall verbietet (absolute Kontraindikation) bzw. nur unter strenger Abwägung sich dadurch ergebender Risiken (relative Kontraindikation) zulässt.28 Als Konzept ärztlicher Vorgehensweise ist die Indikationsstellung für den gesamten Bereich der Medizin von Bedeutung. Doch auch aus medizinischer Sicht ist die Indikation kein eindeutig bzw. einfach zu besetzen22  Lanzerath

(2007), S. 35. (2007), Stichwort „Indikation“. 24  Anschütz (1988), S. 257; Eser / von Lutterotti / Sporken (1989), S. 537, Stichwort „Indikation“. 25  Vgl. Eser / von Lutterotti / Sporken (1989), S. 542 ff., Stichwort „Indikation“. 26  Pschyrembel (2007), Stichworte „Indikation“ und „Kontraindikation“. Vgl. zum Ganzen auch Stock (2009a), S. 88 f. m. w. N. Diese Begrifflichkeiten hat auch das Medizinrecht übernommen, vgl. beispielhaft Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 108. 27  Zum Ganzen vgl. vorangehende Fn. 28  Pschyrembel (2007), Stichwort „Kontraindikation“; vgl. auch Stock (2009a), S. 89. 23  Pschyrembel



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 35

der Begriff. Zum einen werden die genannten abstufenden Begrifflichkeiten in der Praxis zum Teil unscharf oder unterschiedlich verwendet.29 In Bereichen der modernen Medizin wie Gendiagnostik, Fortpflanzungsmedizin, Transplantationsmedizin oder gerade der plastisch-kosmetischen Chirurgie ist eine eindeutige Zuordnung zum Vorliegen eines „Krankheitsfalls“ nicht ohne weiteres möglich.30 Zum anderen ist die Indikation ein abwägender Entschluss des einzelnen Arztes im konkreten Fall. Ob eine ausreichende Begründung und Legitimation für die Vornahme eines ärztlichen Eingriffs bei einem bestimmten Patienten besteht, beurteilt der Arzt zwar zunächst auf Grundlage objektiv-wissenschaftlicher Erkenntnisse, diagnostischer und therapeutischer Behandlungsstandards der Medizin und ärzt­ licher Erfahrung.31 Das medizinische Verständnis der Indikation richtet sich daher vorrangig, aber nicht alleine nach naturwissenschaftlich-medizinischen oder technischen Begründungen und nach dem state of the art der Medizinwissenschaften. Denn darüber hinaus folgt stets eine subjektiv-in­ dividuelle Bewertung anhand der Bedürfnisse und Vorstellungen des betroffenen Patienten.32 In seinen medizintheoretischen Schriften zur Indikation umschreibt der bekannte Internist und Kardiologe Anschütz diese wie folgt: „Die Indikation ist eine geistige Handlung, in welcher Argumente gegeneinander abgewogen werden für oder wider den Einsatz einer Maßnahme, wobei nicht nur die rein aus der Krankheitsentität wissenschaftlich ableitbare Therapie in theoretisch vorgeschriebener Form vorgegeben wird, sondern wo Gesichtspunkte wie die Persönlichkeit des Kranken, Mehr-nützen-als-schaden, die Reaktionsweise aus dem Ex-juvantibus-Prinzip, Alter, Geschlecht, soziales Umfeld mit in den Entschluss eingehen, diese Diagnostik oder jene Therapie durchzuführen. […] Die Indikationsstellung ist jedoch der einzige Ort, wo in den fast zwanghaften naturwissenschaftlich logischen Gedankengang von Anamnese, Befund, Diagnose und Therapie ethische Gedankengänge eingebracht werden können.“33

Die Indikationsstellung wird damit auch in der Medizin zu einem kom­ plexen Prozess, der den Forschungsstand über eine Erkrankung, die Bedürfnisse und Lebensumstände des individuellen Patienten und darüber hinaus einen ethischen, gesellschaftlichen und juristischen Zusammenhang in Ein29  Vgl. Stock (2009a), S. 89 f. mit Hinweis auf verschiedene Leit- und Richt­linien der Ärztekammern und m. w. N. 30  Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 102. 31  Zum Ganzen Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 105. Nach Jung (1982), S. 2, wird der Begriff der Indikation praxisnah gehandhabt: Die Medizin arbeitet danach mit einem „speziellen Krankheitsbegriff“, der keine allgemeingültige Definition bietet, sondern auf die Vielfalt der diagnostizierbaren und therapierbaren Krankheiten Bezug nimmt. 32  Anschütz (1983), S. 140; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 105. 33  Anschütz (1983), S. 140, 141.

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klang zu bringen hat.34 Trotzdem – hierauf weisen Damm und Schulte in den Bäumen zutreffend hin – liegt der Ausgangspunkt der Indikation „in dem vom ärztlichen Sachverstand vorzuhaltenden Wissen über kausale Wirkzusammenhänge“.35 cc) Medizinische Indikation im Recht Aus der Perspektive des Medizinstrafrechts wird die medizinische Indikation als zentraler Anknüpfungspunkt für das Vorliegen einer ärztlichen Heilbehandlung betrachtet oder auch schlicht mit ihr gleichgesetzt.36 Trotz der ganz entscheidenden und folgenreichen Bedeutung, die gerade das traditionelle Medizinstrafrecht der Unterscheidung zwischen indizierter Heilbehandlung und nicht indiziertem ärztlichen Eingriff beimisst,37 gibt es aber für die ärztliche Heilbehandlung, wie Tag in ihrer grundlegenden Habilitationsschrift darstellt,38 keine geklärte Definition.39 Denn der Begriff der medizinischen Indikation wird zwar stets in weitgehender Übereinstimmung umrissen, in den entscheidenden Grenzbereichen bleibt er aber unklar. Fest stand bisher lediglich, dass ärztliche Eingriffe ohne medizinische Indikation im eigentlichen Sinn keine Heilbehandlungen sind.40 Nicht wenige Autoren plädieren wegen dieser Definitionsschwierigkeiten und vor dem Hintergrund des neuen und rasant wachsenden Phänomens der Wunschmedizin für eine Aufgabe des Begriffs der medizinischen Indikation als Leitbegriff und Schwellenkonzept. Im Folgenden sollen geltende Regelungen, Rechtsprechung und Literatur im Bereich des Medizinstrafrechts daraufhin überprüft werden, inwieweit eine Eingrenzung indizierter ärzt­ licher Maßnahmen möglich ist bzw. ob die Indikation auch andernfalls als zentraler Filter beizubehalten ist.

34  Anschütz (1988), S. 257; Prenzel / Preuß (2007), S. 7, 11. Denn auch die in einer Gesellschaft bestehenden Wertvorstellungen, Akzeptanz und Gesetze bestimmen die Ausfüllung des Begriffs der medizinischen Notwendigkeit. 35  Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 106. 36  Vgl. Tag (2000), S. 31 ff. 37  Vgl. Laufs / Kern-Laufs (2010), § 6 Rn. 1; in diesem arztrechtlichen Standardwerk wird die medizinische Indikation neben der lex artis und dem informed con­ sent als eine der drei Grundpfeiler legitimen ärztlichen Handelns genannt. 38  Tag (2000), S. 31 ff., 40. 39  So auch Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 104 f.; Stock (2009a), S. 89 ff., der dann einen eigenen Ansatz entwickelt, S. 98 ff. 40  Allgemein anerkannt, vgl. z.  B. Fischer (2014), StGB, §  223 Rn.  17  ff.; Laufs / Kern-Kern (2010), § 49 Rn. 5. Vgl. aber den Indikationsbegriff bei Stock (2009a), S.  89 ff.



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 37

(1) Spezialgesetze Der Gesetzgeber verwendet den Begriff der Indikation im Kontext von klinischer Arzneimittelprüfung, Schwangerschaftsabbruch und im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und im Interesse eines einheitlichen Medizinrechts müssen diese Regelungen als Anhaltspunkte ausgewertet werden.41 Jedoch wird sich zeigen, dass sich auch aus diesen spezialgesetzlichen Regelungen in anderen Kontexten keine abstrakten oder abschließenden Rückschlüsse auf eine Interpretation der medizinischen Indikation bei ärztlichen Standardbehandlungen ziehen lassen. Die medizinische Indikation bei ärztlichen (Heil-)Eingriffen, das Angezeigtsein bei klinischen Arzneimittelprüfungen und die Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch sind jeweils unterschiedliche Begriffe, was sich auch damit erklären lässt, dass die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Indikation, Anzeige, jeweils in Relation zum betreffenden Kontext zu verstehen und deshalb kein einheitlich besetzter, sondern ein relativer, ausfüllungsbedürftiger Begriff ist. Das Arzneimittelgesetz fordert in § 40 Abs. 4 Nr. 1 AMG bei der klinischen Arzneimittelprüfung an Minderjährigen für die Zulässigkeit des heilkundlichen Experiments,42 dass die Anwendung des Arzneimittels „angezeigt sein“ muss, um bei dem Minderjährigen Krankheiten zu erkennen oder ihn vor Krankheiten zu schützen. Bei einschlägig erkrankten Patienten knüpfen § 41 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG für volljährige Personen bzw. § 41 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AMG für minderjährige Personen die Zulässigkeit des heilkundlichen Experiments an die über die Regelung des § 40 AMG hinausgehende Voraussetzung, dass die Anwendung des zu prüfenden Arzneimittels nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft „angezeigt sein“ muss, um das Leben des Kranken zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder seine Leiden zu erleichtern.43 Ein heilkundliches Experiment an einschlägig erkrankten Personen ist daher nur beim Vorliegen einer medizinischen Indikation zulässig. Wie die medizinische Indikation im Bereich des AMG zu bestimmen ist, ist aber zum einen nicht abschließend geklärt.44 Zum anderen 41  Vgl. Lorz (2007), S. 40 ff., mit einer Auswertung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung. So ziehen bspw. auch im Steuerrecht die Oberfinanzdirektionen bzw. für Bayern das Landesamt für Steuern für die Abgrenzung einer umsatzsteuerpflichtigen Schönheitsoperation zu einer umsatzsteuerbefreiten Heilbehandlung die Kostenübernahme im Recht der gesetzlichen Krankenkassen als Indiz heran. 42  Zu den Begrifflichkeiten vgl. Oswald (2010b), S. 728. 43  Ausführlich zum Ganzen Oswald (2010b), S. 705 ff., 708. 44  Fateh-Moghadam (2010b), S. 592. Bei Deutsch / Lippert (2010), AMG, § 41 Rn. 4 findet sich keine weitere Definition dieses Begriffs. Rehmann (2008), AMG, § 41 Rn. 2 f., stellt auf das individuelle Krankheitsbild des Probanden ab. Hägele

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B. Grundlagen

lassen sich die vorgeschlagenen Interpretationen nicht ohne weiteres auf medizinische Standardbehandlungen übertragen. Die Indikation dürfte im Rahmen des heilkundlichen Experiments als eine konkret-individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung der Gesundheitschancen des einzelnen Patienten zu verstehen sein, also eine Abwägung der medizinischen Vor- und Nachteile hinsichtlich desselben Rechtsguts.45 Im Hinblick auf den Hintergrund der klinischen Prüfung von Arzneimitteln und darauf, dass die Teilnahme manchmal letzte Heilungschancen für einen Erkrankten eröffnet,46 müssen die Anforderungen an die medizinische Indikation hier geringer sein als bei medizinischen Heilbehandlungen.47 Die Regelungen des AMG zum Angezeigtsein bei klinischen Arzneimittelprüfungen als spezialgesetzliche Normierung eines besonderen medizinischen Bereichs können daher nicht auf die grundlegende Bewertung medizinischer Standardbehandlungen übertragen werden. Gleiches gilt für die Interpretation des gesetzlichen Begriffs des Angezeigtseins in § 218a StGB, der den Schwangerschaftsabbruch regelt. Bei der strafrechtlichen Beurteilung von Schwangerschaftsabbrüchen verwendet man den Begriff der den Abbruch rechtfertigenden Indikationen, konkret der medizinisch-sozialen bzw. kriminologischen Indikation.48 Indes geht die ärztliche Beurteilung nach dem klaren Gesetzeswortlaut über eine rein medizinische Beurteilung hinaus und hat auch die „gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren“, § 218a Abs. 2 StGB, bzw. das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat nach §§ 176 bis 179 StGB zu berücksichtigen, § 218a Abs. 3 StGB. Der Begriff der Indikation beim Schwangerschaftsabbruch lässt sich deshalb ebenfalls nicht auf medizinische Standardbehandlungen übertragen.49 Allein das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung hat relativ ausdifferenzierte Kriterien zu Vorliegen und Fehlen der Indikation, konkret bei der Unterscheidung von Heilbehandlung und Schönheitsoperation entwickelt.50 (2004), S. 359 f. versteht unter der Indikation i. S. d. § 41 Abs. 1, Abs. 2 AMG „eine aus den vorangegangenen präklinischen und klinischen Testphasen geronnene Nutzen-Risiko-Abwägung“. Für eine konkret-individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung Fateh-Moghadam (2010b), S. 592 f., 593; Oswald (2010b), S. 708 f. 45  Fateh-Moghadam (2010b), S. 592 ff.: Konkrete Anhaltspunkte müssen für die Wirksamkeit des Präparats vorliegen und das Risiko der Anwendung des Prüfpräparats darf nicht außer Verhältnis zum potenziellen Nutzen für den Patienten stehen; Oswald (2010b), S. 708 ff. 46  Oswald (2010b), S. 687. 47  Fateh-Moghadam (2010b), S. 592. 48  Fischer (2014), StGB, § 218a Rn. 14 ff., 20 ff. 49  So auch Neitzke (2007), S. 56. Vgl. hierzu auch Stock (2009a), S. 93. 50  Vgl. Damm (2009), S. 189 f.



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 39

§ 27 Abs. 1 S. 1 SGB V definiert die erstattungspflichtige Krankenbehandlung. Ein Patient hat danach Anspruch auf eine Behandlung bzw. auf die Kostentragung durch die Krankenkassen, wenn die Behandlung „notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen oder zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern“. § 52 Abs. 2 SGB V beschränkt dagegen die Kostentragungspflicht der Kassen bei Verursachung einer Krankheit durch den Patienten in Folge medizinisch nicht indizierter ästhetischen Operation, Piercings und Tätowierungen.51 Eine Schönheitsoperation liegt nach den dort gebildeten Begrifflichkeiten vor, wenn die ärztliche Maßnahme eine Verschönerung bereits normaler Körperformen bezweckt, wenn also weder eine physische Funktionsbeeinträchtigung noch eine angeborene bzw. unfall- oder operationsbedingte Deformität vorliegt; auf die Fallgruppen im Einzelnen wird im folgenden Abschnitt (1.5.) eingegangen werden.52 Auch wenn sich Aufgabe und Regelungskontext des Krankenversicherungsrechts einerseits und des Arztstrafrechts andererseits unterscheiden,53 und auch wenn die Entwicklung eines für das Recht allgemeingültigen Krankheitsbegriff aus diesem und weiteren Gründen kaum zu realisieren sein dürfte,54 so bieten die eben dargestellten Fallgruppen doch wertvolle Anhaltspunkte auch für die vorzunehmende arztstrafrechtliche Abgrenzung.55 Letztendlich hat die Rechtspraxis aber bei zweifelhaften Indikationen auch dort mit den gleichen Abgrenzungsschwierigkeiten zu kämpfen, wie die Urteile des Bundessozialgerichts zeigen, und bietet daher gerade für die hier interessierenden unklaren Fälle auch kein abschließendes Lösungskonzept. (2) Rechtsprechung Die Rechtsprechung bietet im Bereich der §§ 223 ff. StGB keine ausdifferenzierten Anhaltspunkte zur Abgrenzung von indizierten Standard-Heil51  Ausführlich

Lorz (2007), S. 38 ff.; Wenzel (2013), Kap. 4. A. Rn. 96 ff. (2007), S. 40 m. zahlr. w. N. zur Rspr. des BSG und zur Lit. 53  Das Krankenversicherungsrecht fragt nach der Kostentragung durch die Solidargemeinschaft, das Arztstrafrecht nach der individuellen Verantwortlichkeit des Arztes. In beiden Rechtsgebieten geht es aber letztendlich um die Frage der Zuordnung eines Schadens bzw. einer Verantwortlichkeit. Reagiert der Arzt auf das Lebensrisiko Krankheit, ist die rechtliche Konsequenz im Krankenversicherungsrecht die Übernahme der Kosten nach dem Solidaritätsprinzip und im Arztstrafrecht die strafrechtliche Privilegierung des Eingriffs. Wird der Eingriff dagegen ohne Indikation vorgenommen, trägt der Patient die Behandlungskosten nach dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit selbst und der Arzt ist strafrechtlich höheren Anforderungen unterworfen. 54  Vgl. Gigerenzer (2007), S. 98 m. w. N. 55  So für das zivilrechtliche Arzthaftungsrecht auch Lorz (2007), S. 41. 52  Lorz

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behandlungen und nicht indizierten Eingriffen.56 Der Bundesgerichtshof hat grundlegend ausgeführt, dass nicht jeder Eingriff zu Heilzwecken erfolgt.57 In einer neueren Entscheidung hat er die Abgrenzung ausdrücklich offen gelassen und darauf verwiesen, dass eine abstrakte Differenzierung ohnehin nicht immer mit vertretbarem Aufwand möglich sein wird.58 Auch, weil die Rechtsprechung im Bereich der Strafbarkeit von Ärzten indizierte und nicht indizierte Eingriffe zumindest auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit nach den gleichen strafrechtlichen Grundsätzen behandelt, bedarf sie bei der Bewertung ärztlicher Eingriffe zunächst keiner grundlegenden Unterscheidungskriterien. Das gilt jedoch nicht mehr auf der Ebene der Rechtswidrigkeit. Denn die ständige Rechtsprechung postuliert für die Wirksamkeit der Einwilligung in nicht indizierte Eingriffe erhöhte Aufklärungspflichten des Arztes.59 Für die damit notwendige Abgrenzung indizierter und nicht indizierter Eingriffe greift die Rechtsprechung dabei letztlich aber ebenso wie die strafrechtliche Literatur, wenn auch eher stillschweigend, auf das Vorliegen einer Krankheit und einer einen objektiven Heilzweck verfolgenden Behandlung zurück.60 (3) Strafrechtliche Literatur (a) A  nknüpfung an den Heilzweck durch die arztstrafrechtliche Standardliteratur Die arztstrafrechtliche Literatur stellt auf den objektiven Heilzweck und daneben zumeist auf den entsprechenden subjektiven Willen des Arztes als Kriterium für den indizierten und nur dann zulässigen ärztlichen Heileingriff ab.61 Diese Einordnung hat nach der ganz überwiegenden Literatur weitreichende Auswirkungen. Ist eine ärztliche Maßnahme medizinisch indiziert, soll sie deshalb, unabhängig vom Vorliegen einer Einwilligung, nicht dem Tatbestand der Körperverletzungsdelikte unterfallen.62 Im Bereich 56  Vgl.

hierzu auch Tag (2000), S. 40 m. w. N. NJW 1978, 1206. 58  BGH, NJW 2006, 1880; zivilrechtliches Urteil im Kontext der GOÄ. 59  Ausführlich unten § 4 B. IV. 3. 60  Tag (2000), S. 31 m. w. N. 61  Tag (2000), S. 39; Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 138 Rn. 5 f.; Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 6; Laufs (2002), S. 121, 125; Engisch (1970), S. 20. Vgl. auch Stock (2009a), S. 92. 62  Ganz h.  M. in der strafrechtlichen Lit., vgl. für viele Ulsenheimer (2000), M 61. 57  BGH,



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 41

nicht indizierter Eingriffe soll dagegen nach allen Auffassungen eine Einwilligung zur Legitimierung immer zwingend vorliegen müssen und darüber hinaus strengere Anforderungen an die ärztliche Aufklärung und an die Annahme der Einwilligungsfähigkeit zu stellen sein. Als Anknüpfungspunkt für die Interpretation der Indikation wird dabei vielfach auf die in der Vergangenheit eingebrachten Reformvorschläge zum Strafgesetzbuch Bezug genommen, die einen eigenen Tatbestandsentwurf für den eigenmächtigen ärztlichen Heileingriff formuliert haben.63 Gemeinsam ist allen Entwürfen die Auffassung, dass an das Vorliegen einer Krank­ heit anzuknüpfen ist und dass eine indizierte Heilbehandlung dem ärztlichen Heilauftrag entsprechen muss.64 Denn nach traditionellem Berufsverständnis, § 1 Abs. 1 MBO-Ä, dienen Ärzte der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung. Indizierte Behandlungen umfassen aus der Perspektive des Rechts dann solche Eingriffe und therapeutische Maßnahmen am Körper des Menschen, die nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zu dem Zwecke erforderlich sind und vorgenommen werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.65 Diese Grundsätze sind in § 1 Abs. 2 MBO-Ä festgelegt. Erfasst sind dabei sowohl solche Maßnahmen, die unmittelbar eine Heilung bzw. Linderung bezwecken, als auch Maßnahmen diagnostischer, prophylaktischer und nachbehandelnder Art.66 Dabei wird im Rahmen der Indikationsstellung eine Abwägung aller medizinischen Vor- und Nachteile, Risiken sowie auch sozialer Nebenfolgen gefordert.67 Nicht in­ dizierte Behandlungen sind dann solche, die ohne Heilzweck an einem gesunden Menschen auf dessen – wie auch immer motivierten – Wunsch vorgenommen werden.68 Diese – natürlich wesentliche – Orientierung an den Begriffen Gesund­ heit und Krankheit erleichtert die Definition und Abgrenzung im Einzelfall 63  Tag (2000), S. 39, 31 ff. mit ausführlicher Darstellung auch aller Reformvorschläge, insb. §§ 161, 162 E-StGB 1969, § 161 E-StGB 1962, § 229 E‑StGB 1996. 64  Ausführlich zum Ganzen bei Tag (2000), S. 31 ff., 38; Laufs / Kern-Kern (2010), § 49 Rn. 1; Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 29. 65  H. L., für viele Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 138 Rn. 6. Vgl. auch den Wortlaut des § 1 Abs. 2 HeilPrG. Diese Formulierung entspricht der Definition in §§ 161, 162 E-StGB 1960, der einen eigenen Tatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung beinhaltete. Ähnlich formuliert ist der Entwurf von 1996. 66  Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 34. 67  Laufs (2002), S. 126. 68  Vgl. Schroth (2009), S. 719; Lorz (2007), S. 40.

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aber nicht, denn auch diese Begriffe sind im Recht nicht trennscharf oder einheitlich geklärt.69 In Anknüpfung an den medizinischen Krankheitsbegriff kann zwar ein gemeinsamer Kern herausgearbeitet werden. Krankheit ist, unabhängig von der subjektiven Einschätzung des Betroffenen und nach objektivem ärztlichem Urteil, ein regelwidriger, von der Norm abweichender Körper- oder Geisteszustand, der einer medizinischen Behandlung bedarf.70 Gesund ist eine Person im Umkehrschluss immer dann, wenn der Körper- und Geisteszustand der Norm entspricht. Die Grenzen sind aber im Einzelnen fließend; abhängig vom jeweiligen rechtlichen Kontext existieren unterschiedliche Definitionen.71 Den Regelungsaufgaben der verschiedenen Rechtsgebiete entsprechend unterscheiden sich die In­ terpretationen des Gesundheitsbegriffs etwa im Verfassungsrecht,72 Zi­ vilrecht,73 im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung74 oder im inter­ nationalen Kontext in der Gesundheitsdefinition der World Health Organisation75.

69  Vgl. ausführlich Tag (2000), S. 31 ff.; Lorz (2007), S. 34 ff.; Laufs / Kern-Kern (2010), Rn. 2 ff.; Jung (1982), S. 2 ff. Schipperges (1978), S. 485 nimmt an, dass die Entwicklung eines einheitlichen Krankheitsbegriffs ein unmögliches Unterfangen sei. 70  BGH, MedR 1987, 182 ff.; vgl. Eberbach (2009), S. 18 m. w. N. 71  Ausführliche Aufarbeitung des Gesundheitsbegriffs bei Lorz (2007), S. 30 ff.; Jung (1982), S. 2 ff. 72  Im GG ist die Gesundheit über Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, geschützt. Nach der Rspr. des BVerfG (BVerfGE 56, 54, 75) besteht der Schutz nicht nur gegen rein physische, sondern auch gegen psychische Einwirkungen, also auch gegen nichtkörperliche Beeinträchtigungen, allerdings nur, soweit durch diese körperliche Effekte hervorgerufen werden. Umstr., vgl. SachsMurswiek (2011), GG, Art. 2 Rn. 149. 73  Im Zivilrecht taucht die Gesundheit vor allem im Deliktsrecht auf. Dort ist sie ein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut. Der BGH hält die Gesundheit dann für verletzt und eine Schadensersatzpflicht für ausgelöst, wenn die physischen oder psychischen Lebensvorgänge gestört und dadurch ein von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichender Zustand hervorgerufen oder gesteigert wird. BGHZ 8, 244, 248; 114, 284, 289. 74  Vor allem im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung spielt der Gesundheitsbegriff eine entscheidende Rolle. Das BSG versteht in seiner Rspr. unter Krankheit einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden, die Ausübung der normalen psychophysischen Funktionen einschränkenden Körperoder Geisteszustand, der Behandlungsbedürftigkeit und / oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. 75  In der Gesundheitsdefinition der WHO von 1948 heißt es: „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.“



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 43

(b) Weiter gefasste Ansätze in der juristischen Literatur Angesichts dieser Bewertungsschwierigkeiten gibt es in der vor allem in der neueren juristischen Literatur Stimmen, die auf eine Bedeutungsände­ rung ärztlicher Behandlungsformen hinweisen und neue Konzepte für das Verständnis der medizinischen Indikation vorlegen. Auch Vertreter des traditionellen Medizinstrafrechts gehen wegen der Entwicklungen der modernen Medizin teils davon aus, dass die filternden Begriffe der Indikation und der Heilbehandlung einer neuen Betrachtung unterzogen werden müssen.76 Ob das Vorliegen einer medizinischen Indikation bzw. eines Heilzwecks als Vorgabe für die Legitimation ärztlichen Handelns aufrechterhalten werden soll, wird dabei bezweifelt.77 Denn der ärztliche Auftrag wird nicht mehr einheitlich interpretiert. Zwar richtet er sich in jedem Fall nach medizinischen und ethischen Standards, darüberhinaus aber gehen die Vorstellungen über den Arztberuf in der pluralistischen, liberalen Gesellschaft weit auseinander.78 Ungeklärt ist schon, ob Gesundheit und Krankheit subjektiv oder objektiv zu verstehende Begriffe sein sollen.79 Versteht man sie in einem subjektiven Sinn, ist auch der Patient, der unter seinem Aussehen unspezifisch „leidet“, nicht gesund.80 Geht man von einem objektiven Bedeutungsgehalt aus, überträgt man die normative Auslegung der Indikation durch die Koppelung an durch medizinische Standards auszufüllende Begriffe weitgehend auf Medizinwissenschaft und Ärzteschaft.81 So wird von Teilen der Literatur die Meinung vertreten, die Differenzie­ rung zwischen Heilmaßnahme und Wunschmedizin und das traditionelle Verständnis der medizinischen Indikation seien ganz aufzugeben.82 Hierfür werden im Detail unterschiedliche Begründungen angeführt. 76  Kern / Richter (2009), S. 143 f.; Tag (2000), S. 40 ff. Vgl. Laufs / Kern-Kern (2010), § 50 Rn. 9, 10; Laufs (2002), S. 125. 77  Vgl. Tag (2000), S.  40 ff. m. w. N. 78  Für viele Laufs / Kern-Laufs (2010), § 6 Rn. 3; Laufs / Katzenmeier / Lipp (2009), I. Rn. 7, 32. 79  Eberbach (2009), S. 18. 80  Vgl. die Gesundheitsdefinition der WHO, oben Fn. 75. Nach dieser Definition wäre etwa eine Frau, die mit der Größe ihrer Brust unzufrieden ist und unter ihrer äußeren Erscheinung deshalb leidet oder ihr Wohlbefinden beeinträchtigt sieht, nicht gesund. Dieses außerordentlich umfangreiche Verständnis von Gesundheit und Krankheit der internationalen Organisation WHO ist zu weit geraten und geht v. a. über den in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG festgelegten Schutzbereich hinaus. Eine Herstellung oder Verbesserung sozialen Wohlbefindens sollte nicht als medizinische Indikation verstanden werden, vgl. Dreier-Schulze-Fielitz (2013), GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 37; SachsMurswiek (2011), GG, Art. 2 Rn. 150; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 34. 81  Fateh-Moghadam (2008), S. 40. 82  Vgl. Laufs / Kern-Kern (2010), § 50 Rn. 10 m. w. N.

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B. Grundlagen

Nach einer Auffassung heißt es, sämtliche ärztliche Eingriffe seien ohnehin nur Extrempunkte einer einheitlichen Materie, die sich mit mensch­ lichem Körper, Psyche und Befindlichkeiten auseinandersetze.83 Nach einer anderen, ähnlichen Auffassung wird gerade mit Blick auf die neuen Möglichkeiten der wunscherfüllenden Medizin angeregt, auch ärztliche Behandlungen, die aus anderen als therapeutischen Anlässen erfolgend, als indiziert zu verstehen, um die Problematik des enhancement aus rechtlicher Sicht besser erfassen zu können.84 Von einigen anderen Autoren wird der Begriff der Indikation, gerade im Zusammenhang mit kosmetischen Behandlungen, sehr weit bzw. subjektiv gefasst. Letztlich wird nach dieser Auffassung auf das erzielbare Behandlungsergebnis abgestellt.85 Danach sollen auch solche Behandlungen indiziert sein, die das persönliche oder psychische Wohlbefinden des Patienten fördern, also etwa Schönheitsoperationen mit dem Ziel einer Aussehensveränderung.86 Zum Teil wird die Indikation dabei kontextabhängig bestimmt, wiederum gerade im Zusammenhang mit kosmetischen Behandlungen; dort ist die Indikation wie folgt definiert worden: „Eine Indikation liegt vor, wenn eine ärztliche Maßnahme unter Abwägung ihres potentiellen Nutzens und ihres potentiellen Schadens voraussichtlich dem Wohl des Patienten dient. […] Eine Schönheitsoperation muss folglich geeignet sein, die bezweckte Verschönerung herbeizuführen.“87

Auch in der Rechtsprechung wurde zum Teil für die Ausfüllung des Begriffs der Indikation auf das erzielbare Ergebnis einer (Heil-)Behandlung abgestellt.88 (c) Indikation als Abwägungs- und Entscheidungsvorgang (Stock) Angesichts dieser Vielfalt unterschiedlicher Begriffsverständnisse der Indikation hat Stock, der sich in einer umfassenden Monographie aus dem Jahr 2009 mit der Indikation im Kontext der Wunschmedizin auseinandersetzt, ein neues Konzept vorgestellt. Unter Verweis auf die genannte Prob83  Vgl. Eberbach (2009), S. 17 m. w. N.; weiter so auch Kern / Richter (2009), S. 143, mit dem Denkanstoß, alle nicht indizierten Behandlungen als behandlungsfehlerhaft zu verbieten. 84  Eberbach (2008a), S. 326. 85  Vgl. hierzu Stock (2009a), S. 93 f. m. w. N. 86  So in Bezug auf kosmetische Behandlungen Engisch (1939), S.  2, 6; Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 15; Schuck (1980), S. 61 f. 63. Vgl. zu diesen Ansichten ausführlich C.II.1.a). 87  Lorz (2007), S. 175. 88  OLG Düsseldorf, VersR 2011, 1380; vgl. hierzu Stock (2009a), S. 94 f. m. w. N. für die Rspr.



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 45

lematik hält er eine Fortentwicklung des Begriffs der Indikation für angezeigt.89 Denn auch im Bereich der modernen, speziell der Wunschmedizin müsse eine „Indikationsstellung“ durch den Arzt erfolgen können.90 Nach dem von ihm vorgeschlagenen Modell ist die medizinische Indikation daher als „medizinischer Anlass“ ärztlichen Handelns und nicht mehr als Frage nach einer medizinischen Notwendigkeit zu verstehen, sondern gleichermaßen als „der Abwägungs- und Entscheidungsvorgang auf Seiten des Arztes zu der Frage, ob und wie er die Maßnahme durchführt.“91 Das Merkmal des Vorliegens einer Erkrankung, die ein Tätigwerden des Arztes veranlasst, soll nach seinem Begriffsverständnis als Anknüpfungspunkt in den Hintergrund treten.92 Vielmehr sollen sowohl medizinische als auch psychische, ethische, haftungsrechtliche und soziale Kriterien zum Tragen kommen.93 Wunschmedizinisches Handeln sei demnach dann gerechtfertigt, wenn es nach diesem Vorgang den Anforderungen an ärztliche Standards genüge.94 Anknüpfend an eine Unterscheidung von Damm zum informed consent sollen dabei vier Bezugspunkte maßgeblich sein: ein subjektiv-professioneller, ein objektivprofessioneller, ein objektiv-patientenzentrierter und ein subjektiv-patientenzentrierter Standard als Achse zunehmender Patientenselbstbestimmung bei abnehmender ärztlicher Entscheidungskompetenz.95 dd) Stellungnahme und Zwischenergebnis Die in der neueren Literatur vorgestellten Konzepte, insbesondere der Ansatz von Stock, der die Indikation als ganzheitlichen Abwägungsprozess und damit sehr weit fasst, vermögen aus den folgenden Gründen nicht zu überzeugen. Am oben dargestellten, traditionellen Verständnis der medizini­ schen Indikation ist m. E. festzuhalten. Sicherlich kann man einwenden, dass Abgrenzungen in den entscheidenden Fällen schwierig bleiben und dass eine Überantwortung der Ausfüllung normativer Begriffe an externen, hier medizinischen Sachverstand, nicht unproblematisch ist. Eine abgeschlossene Theorie und abstrakte Begriffsbildung zur medizinischen Indikation nach traditionellem Verständnis gibt es nicht.96 89  Stock

(2009a), S. 95. (2009a), S. 100. 91  Stock (2009a), S. 98, 388. 92  Stock (2009a), S. 98. 93  Stock (2009a), S. 100, 101. 94  Stock (2009a), S. 388. 95  Stock (2009a), S. 102 ff., 103. 96  Tag (2000), S. 31 ff, 40, 31 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 38 ff., 40. Keine der rechtlichen Fachdisziplinen, die sich mit dem Kontext ärztlichen Handelns be90  Stock

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B. Grundlagen

Weder aus der Ethik oder aus der Medizin noch aus gesetzlichen Regelungen im Kontext anderer medizinischer Behandlungen lassen sich wie dargestellt allgemeingültige bzw. abschließende Abgrenzungskriterien herleiten. Da es sich bei der ärztlichen Indikationsstellung um einen komplexen, teils von gesellschaftlichen Anschauungen abhängigen und immer auf den individuellen Patienten im Einzelfall bezogenen Prozess handelt, ist eine abstrakte Grenzziehung auch gar nicht möglich.97 Das Recht vermag nicht alle Lebensbereiche abschließend zu regeln. Die bisher im Arztstrafrecht und im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung entwickelte Definition für medizinisch indizierte Heilbehandlungen bietet aber wertvolle und vielzählige Anhaltspunkte für die Indikation und die Bewertung der Strafbarkeit ärztlichen Handelns. Über die Beiziehung des ICD-10 etwa, der eine nahezu unüberschaubare Vielfalt von Krankheiten katalogisiert, ermöglicht sie die Erfassung und Einordnung der allermeisten ärztlichen Eingriffe. Die verbleibenden Abgrenzungsprobleme sind kein rechtlicher Sonderfall. Die neueren Ansätze in der Literatur, insbesondere der Ansatz von Stock, erachten den Begriff der Indikation in seinem traditionellen Verständnis gerade nicht mehr für erforderlich. Damit umgehen sie sämtliche Abgrenzungsschwierigkeiten, verwischen jedoch zugleich alle Grenzziehungen und nehmen dem Begriff der Indikation die Bedeutung, obwohl er für rechtliche Abgrenzungen notwendig ist.98 Das Konzept von Stock fordert im Ergebnis nur ein Vorgehen des Arztes lege artis;99 darüber hinaus ist für die Rechtfertigung eines ärztlichen Eingriffs dann nur noch entscheidend, dass der Arzt keine relevanten Kriterien im allumfassenden Abwägungs- und Entscheidungsprozess willkürlich außer Acht gelassen hat.100 Bei kosmetischen Operationen etwa wird das bisherige Kriterium der fehlenden medizinischen Indikation lediglich dadurch ersetzt, dass nun der ‚medizinische Anlass‘ fehlen soll.101 Das kann in der Praxis nicht überzeugen. Das Recht muss sich mit einer Entwicklung normativer Abgrenzungskriterien auseinandersetzen, um in allen Bereichen eine sachgerechte Bewertung gewährleisten zu können. Für den hier untersuchten Bereich stößt die in der neueren Literatur vorgeschlagene Gleichsetzung schon dort an ihre Grenzen, wo schäftigen (Arzneimittel- Steuer-, Sozial- oder Arbeitsrecht, Arzthaftungsrecht und Arztstrafrecht), haben eine ausdifferenzierte und abgeschlossene abstrakte Abgrenzung erzielen können. Vgl. Lorz (2007), S. 38. Ein Gesamtüberblick über die fehlende Debatte in den verschiedenen Rechtsbereichen gibt Beck (2006), S. 96 ff. 97  Zum Ganzen Tag (2000), S. 40. 98  So i. Erg. auch LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44; Laufs / Kern-Kern (2010), § 50 Rn. 10. 99  Diesen Einwand sieht auch Stock selbst, (2009a), S. 121. 100  Zum Ganzen Eberbach (2010), S. 367. 101  Stock (2009a), S. 98, 388. Vgl. Eberbach (2010), S. 367.



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 47

Rechtsprechung und völlig überwiegende Literatur – in der Begründung hier widersprochen, im Ergebnis aber zu Recht – erhöhte bzw. entsprechend andere Aufklärungspflichten des Arztes bei nicht indizierten Eingriffen festlegen (darauf wird ausführlich zurückzukommen sein). Verwischt man die Grenze zwischen Heileingriffen und Wunschmedizin, indem man nur noch das Fehlen von Willkür im ärztlichen Entscheidungsprozess fordert, gibt es für diese notwendige und sinnvolle Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung keine Anhaltspunkte mehr. Festzustellen ist zuletzt, dass sich das Merkmal der medizinischen Indikation in Ethik und Recht als Filter zur Trennung paternalistischer und libera­ ler Ansätze zum Arzt-Patienten-Verhältnis erweist. Auch wenn die – paternalistischen – Ansichten im Medizinstrafrecht, die die Indikation als Schwellenkonzept verstehen und ihr allein unmittelbare Bedeutung für eine Strafbarkeit des Arztes zumessen wollen, hier abgelehnt werden und die medizinische Indikation, wie im Fortgang dieser Untersuchung ausführlich diskutiert werden wird, keine unmittelbare Bedeutung gewinnen kann,102 so kommt ihr als Kriterium mittelbarer Relevanz im Arztstrafrecht dennoch wichtige Bedeu­ tung zu. Letztlich ist immer, und so auch im Bereich nicht-therapeutischen ärztlichen Handelns, die Frage entscheidend, ob eine informierte, autonome erteilte Einwilligung des Rechtsgutsträgers vorliegt.103 Für die Beantwortung ist jedoch die Feststellung, ob eine ärztliche Maßnahme ein Heileingriff oder medizinisch nicht notwendiges Vorgehen ist, von Belang. ee) Abgrenzung der Schönheitsoperation von der Heilbehandlung Auf der Ausgangsbasis der vorgenommenen Begriffsbestimmungen zur medizinischen Indikation ist im Besonderen die strafrechtlich relevante Abgrenzung zwischen heilenden und ästhetisch-verbessernden schönheitschirurgischen Eingriffen zu ziehen.104 Ob eine Schönheitsoperation ein indizierter Eingriff ist oder nicht, kann nach dem Voranstehenden nicht einheitlich beantwortet werden. Teils wird dies zwar mit Vehemenz generell verneint,105 teils werden Heilbehandlung und kosmetischer Eingriff rechtlich ganz gleichgestellt.106 Richtig ist es aber 102  Ausführlich

zum Ganzen unten § 4 A.

103  Fateh-Moghadam / Schroth / Gross / Gutmann

(2006), S. 120, 161. zum Ganzen Lorz (2007), S. 38 ff. 105  Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 29: „Doch im Grunde ist therapeutisch sinnloses Vorgehen kein Heileingriff, sondern unärztliches, rechtswidriges Tun. […] Auch mit kosmetischen Eingriffen, die äußere Mißbildungen zu beseitigen suchen, kann der Mediziner den ärztlichen Beruf durchaus verfehlen.“ 106  Engisch (1958), S. 6. Vgl. hierzu LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44. 104  Vgl.

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B. Grundlagen

festzuhalten, dass nicht jede Schönheitsoperation ein nicht indizierter Eingriff ist. Heil- und Verschönerungszweck gehen vielfach ineinander über; ein Heilzweck kann weder generell bejaht107 noch generell ausgeschlossen108 werden. Bei den gestaltverändernden Eingriffen der plastischen Chi­ rurgie kommt es vielmehr entscheidend auf die subjektive bzw. medizinische Zielsetzung des Eingriffs an, ob eine Heilmaßnahme oder ein indikationsloser Eingriff vorliegt.109 Genaue Kriterien für die Abgrenzung sind in der juristischen Literatur weitestgehend ungeklärt. Einig ist man sich allein in den Randbereichen. Eingriffe der rekonstruktiven Chirurgie, die darauf zielen, Unfallverletzungen oder angeborene Missbildungen zu beseitigen, werden nach den strafrechtlichen Grundsätzen über den ärztlichen Heileingriff bewertet, beispielsweise die Wiederherstellung einer Nase nach einem Unfall oder die Operation eines angeborenen Klumpfußes. Nicht indizierte (schönheitsoperative) Eingriffe sind dagegen diejenigen Maßnahmen, die auf dem bloßen Wunsch des Pa­ tienten nach einer Verbesserung seines äußeren Erscheinungsbilds beruhen, ohne dass erlittene Verletzungen oder angeborene Fehlbildungen im medizinischen Sinne vorliegen,110 sich also durch einen fehlenden Heilzweck auszeichnen.111 Diese Eingriffe aus rein kosmetischen Gründen werden von der ganz überwiegenden Auffassung aus dem Bereich der ärztlichen Heileingriffe und der für sie geltenden rechtlichen Grundsätze herausgenommen.112 Dieselben Schwierigkeiten, die bei der allgemeinen Abgrenzung indizierter und nicht indizierter ärztlicher Eingriffe herausgearbeitet wurden, erschweren auch eine eindeutige Abgrenzung für die zwischen diesen Eckpunkten liegenden Maßnahmen der plastischen Chirurgie. Denn rekonstruktive und rein ästhetische Eingriffe sind medizinisch gesehen gleichartig; unterschiedlich sind nur der medizinische Beweggrund und die Zielsetzung des Patienten. Ob etwa die Korrektur einer Nase nur dann eine Heilbehandlung darstellt, wenn die Nase nach einem Unfall oder wegen eines Geburtsfehlers rekonstruiert oder behandelt werden muss, oder auch, wenn beispielsweise eine Operation der Nasenscheidewand medizinisch erforderlich 107  So

Engisch (1958), S. 6. Bockelmann (1968), S. 69. 109  Zum Ganzen Sch / Sch-Eser (2014), § 223 Rn. 50b; LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44. 110  Ebenso definiert der Deutsche Bundestag den Begriff Schönheitsoperation, BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 1. 111  Zum Ganzen LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44; Fateh-Moghadam (2008), S. 38 f., 40; Sch / Sch-Eser (2014), § 223 Rn. 34, 50b.; Schrafl (1958), S. 5 ff. Wei­tere Nachweise bei Tag (2000), S. 39. 112  Für die Rspr. BGH, NJW 1978, 1206; für die Lit. LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44; Tag (2000), S. 39 m. w. N. 108  So



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 49

ist und dabei zugleich die Form der Nase wunschgemäß – etwa weil der Patient unter seinem Aussehen leidet113 – verändert wird, lässt sich nicht ohne weiteres beantworten.114 Speziell bei plastisch-chirurgischen Eingriffen kann jedoch wie oben bereits ausgeführt115 auf das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) zurückgegriffen werden.116 In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und in der Sozialrechtsliteratur werden für die Konkretisierung der Unterscheidung vier Fallgruppen gebildet. Als Heilbehandlung und damit erstattungsfähig werden die Behebung einer physischen Funktionsbeeinträchtigung sowie die Behebung einer entstellenden, angeborenen oder erworbenen Deformität eingeordnet. Die Behebung einer psychischen Beeinträchtigung durch einen physischen Eingriff ist eine Heilbehandlung, begründet aber mangels unmittelbarer Auslösung durch eine Krankheit keine Leistungspflicht der Kassen. Keine Heilbehandlung, sondern eine nicht erstattungsfähige Schönheitsoperation ist nach dem Recht der gesetzlichen Krankenkassen die Verschönerung bereits normaler Körperformen.117 Auch durch diese Fallgruppenbildung können aber nicht alle Zweifelsfragen beseitigt werden. Denn gerade die Kriterien der letzten Fallgruppe lassen die – schwierige – Frage danach offen, wann eine „Verschönerung“ vorliegt bzw. wann ein Körper „normal“ ist. Nach alledem wird deutlich, dass eine exakte Grenzziehung zwischen Heileingriff und nicht indizierter Schönheitsoperation bzw. enhancement in abstrakter Form nicht möglich ist.118 Auch wenn die Subsumtion im Einzelfall den Gerichten ex post überlassen bleibt, sehen sich vor allem die Tatbestandslösungen mit dem Problem konfrontiert, dass eine juristische Einordnung durch das Recht allein nicht zu leisten ist, sondern auf Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und ärztliche Standards zurückgegriffen werden muss und medizinische Einzelbewertungen normative Kraft entfalten. Hier zeigt sich eine enge Verknüpfung des Medizinrechts mit Ethik und Medizinwissenschaft. Die Einordnung resultiert aus vorwiegend medizinischen Faktoren; auch medizinisch sind die Übergänge aber fließend.119 113  Vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1988, 1296: Brustoperation als indizierter Heil­ eingriff wegen psychischer Belastung. 114  Vgl. die Bsp. bei LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44; Fateh-Moghadam (2008), S. 38 f.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 32. Vgl. auch Lorz (2007), S. 42 ff. 115  Vgl. oben B.I.1.a)cc)(1). 116  So auch Lorz (2007), S. 40 ff., mit detaillierter Darstellung zu den folgenden Ausführungen. 117  Umfangreiche Einzelnachweise zur Fallgruppenbildung durch die Rspr. des BSG und die Lit. bei Lorz (2007), S. 38 ff., Fn. 64 ff. 118  Vgl. Beck (2007), S. 96 ff., 98. 119  Gmeinwieser (1988), S. 79; Lorz (2007), S. 42.

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b) Kontraindizierte Behandlungen aa) Abweichende Begrifflichkeiten in Rechtsprechung und Literatur Sowohl in Ethik, Medizin als auch im Strafrecht trifft man weiter auf den Begriff der „Kontraindikation“. Aus medizinischer Perspektive ist die Kontraindikation ein fest besetzter Ausdruck und kann von indizierten und nicht indizierten Eingriffen abgegrenzt werden.120 Im Arztstrafrecht wird der Begriff in Literatur und Rechtsprechung dagegen nicht einheitlich verstanden, sondern zum Teil mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt verwendet oder nicht klar abgesteckt.121 Ob eine kontraindizierte Behandlung aus rechtlicher Perspektive ein Unterfall der indizierten oder der nicht indizierten Eingriffe ist mit der Folge der Beurteilung anhand der gleichen strafrechtlichen Maßstäbe oder ob sie neben Heileingriff und nicht indiziertem Eingriff eine abgrenzbare und einer eigenständigen rechtlichen Bewertung zugängliche dritte Bewertungskategorie darstellt, wurde bisher nur vereinzelt thematisiert und nicht einheitlich beantwortet.122 Anlass zur weiteren Auseinandersetzung mit dieser Frage bietet die Tatsache, dass Einwilligungen in „schlicht nicht indizierte“ Eingriffe wie rein kosmetische Schönheitsoperationen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft im Ergebnis für zulässig gehalten werden, während zahlreiche Urteile und Beiträge Einwilligungen in dort so bezeichnete „kontraindizierte“ Eingriffe für unwirksam erklärt haben.123 Nach einer weitverbreiteten Ansicht handelt es sich bei der kontraindizierten Behandlung um einen Be­ handlungsfehler, in den nicht wirksam eingewilligt werden kann.124 Selbst eine umfassende Aufklärung oder sogar ein „nachhaltiges Verlangen“ sollen einen solchen Eingriff nicht rechtfertigen können.125 Die Einwilligung soll 120  Psychrembel (2007), Stichworte „Indikation“ und „Kontraindikation“. Vgl. hierzu oben B.I.1.a)bb). 121  Z. B. unterschiedlich bei LG Dortmund, GesR 2008, 324; OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104, 106; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611; OLG Köln, VersR  2000,  492; Kern / Laufs (1983), S. 68; Kern (2003), S. 104; Schroth (2010a), S. 45; Duttge (2005a), S. 706 ff. 122  Schroth (2011a), S. 466 Fn. 13. 123  Vgl. OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104, 106; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611; OLG  Köln, VersR  2000,  492; Kern / Laufs (1983), S. 68; Kern (2003), S. 104; Duttge (2005a), S. 706 ff. 124  I. Erg. BGH, NJW 1978, 1206; OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611 f.; Duttge (2005a), S. 706 ff.; Ulsenheimer (2008), Rn. 57c sieht hierin einen Verstoß gegen die guten Sitten i. S. d. § 228 StGB. 125  OLG Karlsruhe, MedR 2003, S. 106; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611; OLG Köln, VersR 2000, 492. Vgl. Kern (2009), S. 2; Duttge (2005a), S. 706.



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 51

sich nach dieser Ansicht nur auf fachgerechtes ärztliches Handeln, nicht aber auf sorgfaltswidrige Eingriffe beziehen können.126 Dieser Ansicht ist insbesondere die Rechtsprechung. Vor allem die zivilrechtliche Rechtsprechung hat in den vergangenen Jahrzehnten einige Urteile auf der Basis von Sachverhalten hervorgebracht, die als kontraindizierte medizinische Maßnahmen beschrieben worden sind.127 Die Gerichte verwenden die Bezeichnung Kontraindikation im oben dargestellten medizinischen Sinn, also als Gegenanzeige bzw. Umstand, der die Vornahme eines medizinischen Verfahrens bei an sich gegebener Indikation verbietet oder nur unter strenger Abwägung zulässt,128 weil damit erhebliche gesundheit­ liche Gefahren und Risiken für den Patienten verbunden sind, und erkennen auf einen Behandlungsfehler, in den auch nach Aufklärung nicht eingewilligt werden könne.129 Auch der Zahnextraktionsentscheidung des Bundesgerichtshofs liegt eine solche Konstellation zugrunde,130 in der der Patient zwar infolge der ärztlichen Aufklärung weiß, dass der Eingriff kontraindiziert und mit erheblichen Risiken verbunden sein wird, die Durchführung aber fordert, weil er dennoch hofft, geheilt zu werden. Auch Kern unterscheidet wie die Rechtsprechung indizierte, nicht indizierte und kontraindizierte ärztliche Eingriffe für das Zivilrecht deutlich131 und setzt die kontraindizierte Behandlungsmaßnahme ganz mit einem 126  So die Rspr. Vgl. BGH, NJW 1978, 1206; OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104, 106; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611, 612; OLG Köln, VersR 2000, 492. So auch Kern (2003), S. 104; Duttge (2005a), S. 706 m. w. N. insb. zu den zivilrechtlichen Standardkommentaren. Vgl. Schroth (2006a), S. 90 f. 127  Vgl. bspw. die folgenden Urteilen zugrunde liegende Sachverhalte: BGH, NJW 1978, 1206, sog. Zahnextraktionsentscheidung; OLG München, Urteil vom 29.01.2009, Az.:  1  U  3836 / 05; OLG  München, Urteil vom 29.05.2008, Az.: 1  U  4499 / 07  Rz.  71,  73; OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 f.; OLG  Düsseldorf, VersR 002, 611 f.; OLG Köln, VersR 2000, 492. 128  Zur Definition Pschyrembel (2007), Stichwort „Kontraindikation“. 129  Zahlreiche Urteile beschäftigen sich mit so verstandenen Kontraindikationen, z. B. OLG  München, Urteil vom 29.01.2009, Az.:  1  U  3836 / 05; OLG  Dortmund, GesR 2008, 325; OLG Karlsruhe, MedR 2003, 106; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611; OLG Köln, VersR 2000, 492, OLG München, VersR 1989, 198. BGH, NJW 1978, 1206 verwendet den Begriff der Kontraindikation nicht, kennzeichnet die zu beurteilende Konstellation aber wie hier als „fehlenden Heileingriff“, bei dem „nach menschlichem Ermessen ein eine Heilung oder Besserung des Leidens nicht“ bewirkt werden konnte. 130  BGH, NJW 1978, 1206. Dort hat der BGH jedoch die Einwilligungsfähigkeit der Patientin verneint. 131  Kern (2003), S. 104 leitet seine Anmerkung differenzierend ein wie folgt: „Das Urteil beschäftigt sich mit der dogmatisch außerordentlich wichtigen Frage nach der Wirksamkeit einer Einwilligung bei fehlender Indikation oder sogar bei einer Kontraindikation.“ Ebenso in Kern / Richter (2009), S. 131.

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ä­rztlichen Behandlungsfehler gleich, in den nicht eingewilligt werden kann.132 Eberbach fasst unter Kontraindikation solche Eingriffe, die aus dem Blickwinkel des Patienten als Verbesserung aufgefasst und gewollt sein mögen, sich jedoch aus der Sicht eines Dritten „als bare Unvernunft oder gar als eine schwere Schädigung“ darstellen.133 Eine Einwilligung in eine solche, der Konstellation der Zahnextraktionsentscheidung vergleichbare Behandlung soll dann „gleichsam wegen groben Unverstands“ unwirksam sein.134 Bei Duttge, der kontraindizierten ärztlichen Eingriffen einen eigenen Beitrag gewidmet hat,135 werden diese als medizinische Behandlungsfehler beschrieben, als sorgfaltswidrige ärztliche Eingriffe entgegen der medizinischen lex artis.136 Zu Ende des Beitrags wird diese Einteilung begrifflich allerdings wieder relativiert, wenn Duttge als weitere problematische Konstellationen kontraindizierter Eingriffe die Wunschsectio und die Trennung siamesischer Zwillinge nennt.137 Gerade die Wunschsectio wird aber allgemein als nicht indizierter, zulässiger Eingriff erachtet, vor allem im Hinblick darauf, dass auch die natürliche Entbindung mit erheblichen Risiken belastet sein kann und es sich daher nicht um einen klaren Behandlungsfehler handelt, wenn der Arzt eine andere Operationsmethode durchführt.138 Nach Duttge betreffen Einwilligungen in (so verstandene) kontraindizierte Eingriffe das „Universalrechtsgut“ des „Interesses der Allgemeinheit an der Wahrung ärztlicher Profession“.139 Er hält deshalb eine Lösung über § 228 StGB, nach der die Einwilligung in eine kontraindizierte Behandlung im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten möglich wäre, für unzureichend und schlägt stattdessen die Normierung eines Tatbestands des „Patientenverrats“ de lege ferenda vor, nach dem eine Vornahme kontra­ indizierter Eingriffe strafbar sein soll.140 132  Laufs / Kern-Kern (2010), § 49 Rn. 1; Kern / Richter (2009), S. 131; Kern (2003), S. 104: „Erfreulich deutlich geht das Gericht davon aus, daß eine kontra­ indizierte Behandlungsmaßnahme als Behandlungsfehler anzusehen sei.“ 133  Eberbach (2009), S. 30. 134  Eberbach (2009), S. 31. 135  Duttge (2005a), S. 706 ff. 136  Duttge (2005a), S. 706. 137  Duttge (2005a), S. 710. 138  LK-StGB-Hirsch (2005), § 223 Rn. 48; Ulsenheimer (2000), M63 f.; Ulsenheimer (2008), Rn. 57d, mit Hinweis auf das geringe Komplikationsrisiko – gerade von einer erhöhten Mortalitätsrate ausgehend Duttge (2005a), S. 710 mit Fn. 61. 139  Duttge (2005a), S. 708. 140  Die Behauptung der Verletzung eines Universalrechtsguts kann nicht überzeugen. Duttge (2005a), S. 709 mit Fn. 37, kritisiert zwar – zu Recht – die Tatbestands-



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Schroth dagegen setzt kontraindizierte Eingriffe im Ergebnis mit nicht indizierten Maßnahmen wie etwa Schönheitsoperationen gleich,141 versteht also unter beiden Begriffen medizinisch nicht notwendige ärztliche Eingriffe. Einwilligungen in diese Eingriffe sollen nach seiner Auffassung unter der Voraussetzung einer entsprechenden Aufklärung durch den Arzt wirksam sein können. Die Unwirksamkeit der Einwilligung in einen kontraindizierten Eingriff ist nach dieser Ansicht allenfalls nach Aufklärungspflichtverletzung des Arztes denkbar, vor allem, wenn der Arzt die Kontraindikation nicht ausdrücklich benennt.142 Diese Auffassung, die von anderen Autoren geteilt wird,143 argumentiert, dass das verfassungsrechtlich abgesicherte Selbstbestimmungsrecht des Patienten diesem die Befugnis verleihen müsse, die körperbezogenen Schutzvorschriften außer Kraft zu setzen und sein Leben nach seinen Interessen und Werten frei, auch unvernünftig, zu gestalten. Weiter wird ein Erst-Recht-Schluss gerade zu den Schönheitsoperationen gezogen: auch dort sei eine unvernünftige Entscheidung des Patienten nach Aufklärung zu respektieren.144 Eine Sanktionierung kontraindizierter Eingriffe bedeute eine unzulässige Herbeiführung objektiv rationaler Entscheidungen über ein „re-paternalisiertes“ Arzt-Patienten-Verhältnis.145 Einwilligungen, bei denen Patienten von ihrer eigenen Entscheidungsgrundlage her betrachtet irrational entscheiden, nimmt Schroth aber dementsprechend von der Regel der Wirksamkeit aus.146 Ähnlich wie Schroth hält auch Fateh-Moghadam die Einwilligung in einen kontraindizierten Eingriff nach entsprechender Aufklärung grundsätzlich für möglich, indem er auf die Bedeutung der Patientenautonomie abstellt.147 Er weist jedoch darauf hin, dass der Erst-Recht-Schluss zu den nicht indizierten Behandlungen nicht überzeugen könne. Denn der Patient verfolge im Fall einer Schönheitsoperation mit seiner Einwilligung ein subjektiv rationales Ziel. In den Fällen kontraindizierter Eingriffe sei die Entscheidung des lösungen der Lit., weil diese die Patientenautonomie zugunsten einer Wahrung ärztlicher Standards zurückdrängten, verstärkt diese Logik aber dann auch noch mit dem Vorschlag des genannten Tatbestands de lege ferenda. Zur Kritik vgl. FatehMoghadam (2008), S. 41 ff., insb. S. 43; Schroth (2010a), S. 45 ff. Vgl. auch Sternberg-Lieben (2009), S. 329 mit Fn. 326. 141  Schroth (2010a), S. 45. 142  Schroth (2011a), S. 466 Fn. 13. 143  Eine wirksame Einwilligung nimmt auch die wohl überwiegende Ansicht in der Lit. an: Roxin (2006), § 13 Rn. 48, 87; Hruschka (1979), S. 521 f.; Rogall (1978), S. 2345; Rüping (1979), S. 92. 144  Roxin (2006), § 13 Rn. 87. 145  Schroth (2010a), S. 42 f., 44; Schroth (2011a), S. 466 f. 146  Schroth (2010a), S. 44 f. 147  Fateh-Moghadam (2010a), S. 37 f.

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Patienten, der eigentlich eine Heilung erhofft, dagegen subjektiv widersprüchlich, weil er zur Verfolgung eines subjektiven Ziels auf ein objektiv ungeeignetes Mittel zurückgreift.148 Die Einwilligung könne daher im Rahmen einer autonomie-orientierten Deutung des § 228 StGB in Weiterentwicklung des Ansatzes von Murmann149 unwirksam sein, wenn die subjektive Irrationalität ein Indiz für ein relevantes Entscheidungsdefizit, konkret für das Fehlen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit sei.150 bb) Stellungnahme – kontraindizierte Behandlungen als eigene Kategorie Im Ergebnis, nicht aber in ihrer Begründung überzeugt die Ansicht, nach der kontraindizierte Behandlungen sowohl von nicht indizierten als auch von Heilbehandlungen zu unterscheiden sind. Denn aus den genannten – überwiegend zivilrechtlichen – Urteilssachverhalten und Beispielsfällen werden zwei Kriterien deutlich, nach denen indizierte, nicht indizierte und kontraindizierte Behandlungen voneinander getrennt werden müssen. Das erste Unterscheidungskriterium wird aus Sicht des Patienten relevant und ist m. E. von entscheidender Bedeutung. Während indizierte Eingriffe eine Heilung bezwecken und nicht indizierte Eingriffe zwar keinen medizinischen Heilzweck verfolgen, dafür aber eine subjektive, erreichbare Zielsetzung anderer Art – z. B. schöner zu sein oder einem Kranken ein Organ zu spenden, meint eine kontraindizierte Behandlung nicht nur das Fehlen einer Heilerwartung, sondern die medizinische Schädlichkeit und dabei die Unmöglichkeit, das vom Patienten mit dem ärztlichen Eingriff verfolgte Ziel zu erreichen.151 Die Einwilligung erfolgt also aus subjektiv widersprüch­ lichen Erwägungen des Patienten heraus.152 Kontraindizierte Eingriffe sind dann ärztliche Maßnahmen, die medizinisch nicht erforderlich und schädlich sind, ohne dabei andere vom Patienten bezweckte Vorteile – Heilung – als zu berücksichtigendes, autonom verfolgtes Ziel mit sich zu bringen.153 Die Besonderheit dieser Konstellation liegt in der subjektiven Zielsetzung des Patienten für den medizinisch nicht notwendigen Eingriff. Bei einem schlicht 148  Fateh-Moghadam

(2008), S. 129 f. zu diesem Verständnis von § 228 StGB unten § 4 A. II. 2.3.3. 150  Fateh-Moghadam (2008), S. 129, 130. 151  So überzeugend Fateh-Moghadam (2008), S. 129  f. Vgl. BGH, NJW 1978, 1206; Ulsenheimer (2008), Rn. 57b, 57c; Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 138 Rn. 6a. 152  So auch Fateh-Moghadam (2008), S. 129 f.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 37 f. mit Fn. 83. 153  Fallkonstellationen z. B. bei OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611 ff. 149  Ausführlich



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 55

nicht indizierten Eingriff wird von vorneherein keine Heilbehandlung bezweckt, jedoch kann das subjektive Ziel – schöner werden, helfen im Wege einer Organspende – erreicht werden. Der Patient verwirklicht damit seine körperbezogenen Interessen.154 Bei den kontraindizierten Eingriffen soll die ärztliche Maßnahme dagegen aus Sicht des Patienten der Heilung dienen, die aber gerade nicht erreicht werden kann155 – was der Arzt auch weiß. Hier zeigt sich das zweite Unterscheidungskriterium aus der Perspektive des Arztes, das aber stark von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls abhängt. Bei den kontraindizierten Behandlungen weiß der Arzt in der Regel, dass eine Heilung mit der Vornahme der Behandlung nicht erreicht werden kann.156 Während die gewählte ärztliche Maßnahme bei den schlicht nicht indizierten Eingriffen für das vom Patienten bezweckte Ergebnis ein Vorgehen gemäß der medizinischen lex artis darstellt, lässt ein kontraindizierter Eingriff daher unter Umständen die lex artis außer Acht. Mit Beispielen unterlegt bedeutet dies: Möchte eine Patientin eine größere Brust, kann eine sachgemäß vorgenommene Mammaaugmentationsplastik die richtige und medizinwissenschaftliche anerkannte Behandlungsmethode sein. Die Entnahme aller Zähne zur Beseitigung – sicher – anderweitig verursachter Kopfschmerzen157 oder die mehrfache Wiederholung einer offensichtlich fehlschlagenden und die Sehkraft schädigenden Augen-Laserkorrektur zur Verbesserung der Sehfähigkeit158 können dagegen als Vorgehen entgegen der lex artis betrachtet werden, sofern und weil der Arzt dann um die sichere Erfolglosigkeit und Schädlichkeit des Eingriffs weiß.159 Indizierten und kontraindizierten Behandlungen ist also gemeinsam, dass der Patient in beiden Fällen eine Heilerwartung160 an das ärztliche Eingrei154  Vgl.

Schroth (2009), S. 719 ff. Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 129 f. 156  So die Feststellungen etwa bei BGH, NJW 1978, 1206: der Angekl. war „sich darüber im Klaren“, dass eine Heilung durch den vorgenommenen Eingriff „nicht zu erzielen“ war; OLG Karlsruhe, MedR 2003, 106: „der Bekl. wusste, dass [durch] die ersten beiden Behandlungen eine deutliche Verschlechterung eingetreten war“; Bichl­meier (1980), S. 53 f.: „ebensowenig besaß der Arzt Heilungswillen“. 157  Sachverhalt aus BGH, NJW 1978, 1206, sog. Zahnextraktionsentscheidung. Anzumerken bleibt, dass der Arzt es nach den Sachverhaltsfeststellungen im Zahnextraktionsfall für entfernt denkbar hielt, dass ein psychosomatischer Zusammenhang zwischen dem Kopfschmerz und den Zähnen bzw. deren Extraktion bestehen möge. Der BGH hat insoweit aber festgestellt, dass der Angekl. „sich darüber im Klaren“ war, dass eine Heilung durch den vorgenommenen Eingriff „nicht zu erzielen“ war. 158  Sachverhalt aus OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 ff. 159  Vgl. auch Schroth (2009), S. 726 f. 160  Bzw. die Erwartung der Besserung eines Leidens, das aber auch anderweitig abgefangen werden kann, so z. B. bei der Laser-Sehschwächen-Korrektur, das natür155  Zum

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B. Grundlagen

fen knüpft, unterscheiden sich aber darin, dass eine Heilung bei den letzteren gar nicht erzielt werden kann. Eingriffe ohne Indikation und kontraindizierte Eingriffe bergen beide Risiken und Gesundheitsgefahren ohne gleichzeitige Gesundheitsförderung für den Patienten. Sie unterscheiden sich aber insofern, als bei den nicht indizierten Eingriffen eine anderweitige subjektive Zielsetzung verfolgt wird und erreicht werden kann, bei den kontraindizierten dagegen nicht. Kontraindizierte Behandlungen können also klar sowohl von den indizierten wie auch den schlicht nicht indizierten Eingriffen abgegrenzt und definiert werden als Behandlungen, bei denen der Patient einen Heilzweck verfolgt, der aber medizinisch nicht zu erreichen ist, was der Arzt auch weiß. Diese Kategorisierung von kontraindizierten Eingriffen birgt aber auch ein Folgerisiko. Denn über die Einordnung als kontraindizierte Maßnahme eröffnet sich die Möglichkeit einer paternalistischen Bevormundung. Die Feststellung einer Kontraindikation wird mittels Kriterien aus der Medizinwissenschaft getroffen, obliegt also dem den Eingriff vornehmenden Arzt, der aufgrund medizinischer Fachkenntnisse die Vor- und Nachteile sowie Risiken der medizinischen Maßnahme abwägt.161 In den überwiegenden Fällen dürfte eine Kontraindikation im Rahmen des medizinischen Standards zwar relativ klar festzustellen sein. Qualifiziert der Arzt oder der medizinische Sachverständiger im Prozess eine vom Patienten gewünschte Maßnahme als Behandlungsfehler, so ist nach der hier vertretenen Einordnung aber die Unwirksamkeit der Einwilligung die notwendige rechtliche Folge. Ob dieses Ergebnis notwendig folgen muss, ob es mit der Patientenautonomie in Konflikt gerät und ob es rechtlich legitimiert werden kann, ist fraglich und wird noch zu beantworten sein. An dieser Stelle ist jedenfalls festzuhalten, dass kontraindizierte ärztliche Eingriffe im Folgenden begrifflich als eigenständige, dritte Kategorie ärzt­ licher Behandlungen verstanden werden. Damit taucht die zwingende Anschlussfrage auf, ob sich an diese begriffliche Differenzierung eine abwei­ chende strafrechtliche Bewertung knüpft, ob also eine wirksame Einwilligung in eine kontraindizierte Behandlung erteilt werden kann und welche Anforderungen weiter an diese Einwilligung zu stellen sind. Auf die Konsequenzen in der strafrechtlichen Bewertung kontraindizierter Eingriffe wird im Kontext der Einwilligungsfähigkeit,162 der Sittenwidrigkeit gem. § 228 lich auch mit einer Brille zu behandeln ist. Vgl. OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 ff. Diese Fälle rücken in die Nähe von nicht indizierten Eingriffen auf Wunsch wie z. B. kosmetischen Eingriffen. 161  Vgl. zum Ganzen OLG Karlsruhe, MedR 2003, 106. 162  Unten § 4 B. III. 1.2.



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 57

StGB163 und bei der Lehre von den Willensmängeln164 zurückzukommen sein. c) Wunscherfüllende Medizin und enhancement Die Begriffe wunscherfüllende Medizin, Wunschmedizin oder enhance­ ment stehen für eine gesellschaftliche Entwicklung, nach der Menschen sich und ihre Lebensführung nach eigenen Vorstellungen gestalten, verbessern und optimieren.165 Enhancement wird dabei definiert als Gesamtheit der korrigierenden Eingriffe in den menschlichen Körper, die nicht der Behandlung einer Krankheit dienen bzw. die nicht medizinisch indiziert sind.166 Die wunscherfüllende Medizin oder Wunschmedizin ist dabei ein Teilbereich dieser neu diskutierten Kategorie des enhancement,167 die auch andere als durch Ärzte vorgenommene Maßnahmen wie Piercings, Tätowierungen oder die Gabe leistungssteigernder Nahrungsergänzungsmittel in FitnessStudios umfasst.168 Unter dem Begriff der wunscherfüllenden Medizin versammeln sich dagegen nur die Bereiche ärztlicher Tätigkeit, die einer weitreichend individuellen Lebensgestaltung und „Vitaloptimierung“169 in der modernen Gesellschaft dienen und in der es darum geht, die Anlagen des Menschen zu optimieren und seine Fähigkeiten zu steigern. Erfasst sind vor allem Schönheitsoperationen, Anti-Aging-Medizin, Reproduktionsmedizin, Gendiagnostik und Doping.170 Typische Begleiterscheinung der wunsch­ erfüllenden Medizin ist deren Kommerzialisierung.171 Die Ethik beschäftigt sich schon einige Zeit mit der Problematik des enhancement und hat zwar keine abschließende Theorie, aber schon einige abstrakte, auch für das Recht verwertbare Ansätze entwickelt.172 Das Recht setzt sich dagegen erst neuerdings mit dem enhancement in seiner Gesamtheit auseinander; bisher wurden nur einzelne Problembereiche wie Doping oder Schönheitschirurgie spezifisch diskutiert.173 Für den hier diskutierten 163  Unten

§ 4 A. II. 2.2.3. § 4 B. V. 2.2. 165  Eberbach (2008a), S. 325. 166  Fuchs (2002), S. 604 f.; Beck (2006), S. 95; Kettner (2006), S. 11. 167  Vgl. nur die Beiträge von Beck (2006); Eberbach (2008a); Wagner / FatehMoghadam (2005). 168  Eberbach (2008b), S. 370. 169  Kettner (2006), S. 8. 170  Zum Ganzen Eberbach (2008a), S. 325; Kettner (2006), S. 8. 171  Eberbach (2008a), S. 327; Kettner (2006), S. 7. 172  Beck (2006), S. 98; Kettner (2006), S. 11. Beispielhaft genannt seien Lenk (2002); Birnbacher (2006); Ach / Pollmann (2006). 173  Beck (2006), S. 96, 98 f. 164  Unten

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B. Grundlagen

medizinstrafrechtlichen Bereich kann diese Tatsache auch mit der Bewertung ärztlicher Eingriffe durch die Rechtsprechung erklärt werden. Weil nach deren Grundsätzen jeder Eingriff in den Körper eine tatbestandsmäßige Körperverletzung ist, kommt es auf die Unterscheidung oftmals nicht an.174 Neuere Beiträge betonen nun aber die Notwendigkeit einer systematischen Auseinandersetzung mit der Gesamtentwicklung des enhancement, insbesondere vor dem Hintergrund, dass derzeit Wertungswidersprüche zwischen den einzelnen Rechtsgebieten bzw. den einzelnen Maßnahmen auszumachen sind.175 Zentrale Bedeutung wird dabei der Unterscheidung von Therapie und enhancement und der Frage beigemessen, wie weit die Autonomie des Einzelnen reichen kann, auch vor dem Hintergrund, dass etwaige Folgekosten von der Solidargemeinschaft zu tragen sein könnten.176 Ob eine solche übergreifende Bewertung gelingen kann, scheint im Hinblick auf die unterschiedlichen Regelungskontexte und Regelungsziele der einzelnen Rechtsgebiete aber fraglich. In der nun beginnenden Aufarbeitung der Thematik wird begrifflich zum Teil zwischen Heilbehandlung und Wunscherfüllung als Anknüpfungskriterien unterschieden.177 Aus Sicht des Strafrechts ist wie einleitend dargestellt aber nicht die medizinische Erfüllung eines Wunsches mittels einer Körperbeeinträchtigung problematisch – auch der indizierte, kurative Eingriff der heilenden Medizin erfüllt einen Wunsch des Patienten nach Überwindung einer Krankheit, Heilung oder Linderung.178 Der entscheidende normative Unterschied ist vielmehr das Fehlen der medizinischen Indikation.179 Die 174  Vgl. Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 18, der aus diesem Grund befindet, dass es auf die Unterscheidung nicht ankommt. Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 29 m. zahlr. w. N. 175  Für eine bewusste, übergreifende Auseinandersetzung mit den Begriffen in den einzelnen Rechtsbereichen und deren Unterschieden und eine gesamtheitliche Theoriebildung Beck (2006), S. 95, 98; Eberbach (2008a), S. 325 ff. Der Unterscheidung zwischen Heilen und enhancement kommt im Strafrecht und auch in zahlreichen anderen rechtlichen Kontexten Bedeutung zu. Im Bereich des Krankenversicherungsrechts wird anhand der Einordnung als Heilbehandlung über die Erstattung von Kosten entschieden; im Sozialrecht erfolgen Unterstützungen auf der Basis des Krankheitsbegriffs; im Arbeitsrecht spielt die Abgrenzung für Entgeltfortzahlung und Kündigung eine Rolle; und für Ärzte selbst kommt die Unterscheidung neben strafrechtlichen Konsequenzen beim Steuerrecht und der Bewertung der berufsständischen Arztpflichten gem. § 1 Abs. 1 S. 1 MBO-Ä zum Tragen. 176  Beck (2006), S. 96, 99. 177  So etwa Kettner (2006), S. 11 f. Vgl. Eberbach (2008a), S. 326. 178  Vgl. in diesem Sinne wiederum Kettner (2006), S. 13. 179  Vgl. zum Ganzen den Vortrag „Freiwilligkeit als Verfahren. Zum Verhältnis von Lebendorganspende, medizinischer Praxis und Recht“ von Bijan Fateh-Moghadam und Elke Wagner, Jahrestagung 2005 der Akademie für Ethik in der Medizin Thema „Wunscherfüllende Medizin“ am 29. und 30.10.2005 in Witten / Herdecke.



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 59

Gegenüberstellung der Begriffe gesundheitsfördernd und wunscherfüllend misst zudem dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten bei der Heilbehandlung keine Bedeutung zu. Zutreffender erscheint daher eine Abgrenzung zwischen therapeutisch und verbessernd / nicht-therapeutischen Behandlun­ gen,180 wodurch sich wieder eine Anknüpfung an den oben erläuterten Begriff der Indikation ergibt. Das Vorliegen einer Krankheit bzw. deren Behandlungsbedürftigkeit im Gegensatz zum bloßen Begehren eines an sich gesunden Patienten sind als Kriterien für die Abgrenzung auch vorgeschlagen worden.181 Auch hier muss aber wieder darauf hingewiesen werden, dass eine abschließende Abgrenzung von Gesundheit und Krankheit durch das Recht nicht erfolgen kann. d) Zwischenergebnis Der Überblick über die normative Bedeutung der Begriffe Indikation, Kontraindikation und wunscherfüllender Medizin im Medizinstrafrecht führt zu der Feststellung, dass eine eindeutige abstrakte Zuordnung entsprechender ärztlicher Eingriffe zu den fraglichen Kategorien nicht erfolgt und auch nicht möglich ist. Festzuhalten ist die enge Verwebung der Begriffe durch deren gemeinsame Anknüpfung an Gesundheit und Krankheit. Für die vorliegende Untersuchung, die nicht in erster Linie nach der Einordnung konkreter ärzt­ licher Maßnahmen in den Bereich der Schönheitsoperation fragt, sondern vor allem die strafrechtliche Bewertung der nicht indizierten und wunscherfüllenden ärztlichen Eingriffe untersuchen möchte, kann die dargestellte Abgrenzung von indizierten und nicht indizierten, heilenden und verbessernden Eingriffen, soweit sie bisher erfolgt ist, als Grundlage dienen. Dabei wird aber die Frage nach einer möglichen Auswirkung der schwierigen Abgrenzung bei dieser strafrechtlichen Bewertung im Blick zu behalten sein. Als indiziert werden diejenigen Eingriffe betrachtet, die dem traditionellen ärztlichen Heilauftrag entsprechen, also objektiv einen Heilzweck verfolgen und subjektiv mit Heilabsicht vorgenommen werden. Eindeutig als nicht indiziert können demnach etwa Organlebendspenden, Wunschsectio, Beschneidungen, Blutspenden und Schönheitsoperationen wie Fettabsaugungen, Brustvergrößerungen, etc. auf bloßen, wie auch immer motivierten Wunsch einer gesunden Personen ohne medizinischen Nutzen bewertet werden. Den Bestrebungen in Teilen der neueren Literatur,182 den Begriff der Indikation über seine traditionelle Bedeutung hinweg auszuweiten und auch 180  Vgl.

Beck (2006), S. 95, 96; Wagner / Fateh-Moghadam (2005), S. 73 ff. hierzu Eberbach (2008a), S. 326 f. 182  Vgl. hierzu Laufs / Kern-Kern (2010), § 50 Rn. 10. 181  Ausführlich

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B. Grundlagen

die wunscherfüllende Medizin in den Indikationsbegriff zu integrieren, ist zuzugeben, dass der Begriff der medizinischen Indikation eng mit den jeweils herrschenden Vorstellungen einer Gesellschaft über die Zielsetzung der Medizin verbunden ist.183 Eine solche Auslagerung der Problematik ist aber für das Strafrecht kein hinreichend ausdifferenzierter Weg. Eine Zuordnung zum Bereich der nicht indizierten, wunscherfüllenden Medizin ist wichtig, um die sich stellende Anschlussfrage, wie das Recht auf moderne medizinische Behandlungsmaßnahmen ohne medizinische Indikation reagieren kann, einer dogmatisch differenzierten Beantwortung unterziehen zu können. Der traditionelle ärztliche Heilauftrag und das herkömmliche Selbstverständnis der heilenden Medizin soll daher als Leitidee der Untersuchung zugrunde gelegt werden, die davon ausgehend gerade herausfinden möchte, ob alle Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin strafrechtlich zulässig sein sollen, quasi als alleinige Angelegenheit des Selbstbestimmungsrechts, oder inwieweit das Strafrecht der Medizin Grenzen zieht. 2. Schönheit Der Begriff der Schönheit ist in allen Kulturen, in allen Epochen und sogar in den meisten wissenschaftlichen Disziplinen anzutreffen. Schönheit ist für den Menschen im Lauf seiner Geschichte immer schon maßgeblich für eigenes Befinden und gesellschaftliche Anerkennung gewesen.184 Der Ökonom Marks geht davon aus, dass Schönheit als gesellschaftliche Kraft ebenso stark ist wie das Geschlecht.185 Immer wieder wurde versucht, ein allgemeingültiges Schönheitsideal festzulegen und anhand objektiver Kriterien zu definieren, was Gesicht und Körper eines Menschen „schön“ macht.186

183  Vgl.

auch Lanzerath (2007), S. 35. Ganzen m. w. N. Etcoff (2001), S. 33; Brockhaus (2005 / 2006), Stichwort „Schöne, das“, S. 420; Lorz (2007), S. 23; SZ, Serie „Der Kult um den Körper – warum das Streben nach Schönheit den Menschen seit jeher beschäftigt“, ab 21.04.2009, S. 9. 185  Hierzu Nachweise bei Etcoff (2001), S. 33. 186  Vgl. hierzu Lorz (2007), S. 29. Ein Abriss über die verschiedenen vertretenen Schönheitsideale im Laufe der Jahrhundert findet sich bei Renz (2006), S. 17 ff. Einen aktuellen Versuch startete die SZ-Serie „Der Kult um den Körper – warum das Streben nach Schönheit den Menschen seit jeher beschäftigt“, ab 21.04.2009, S. 9. 184  Zum



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 61

a) Historische Definitionsversuche von Schönheit Schon in der Antike beschäftigten sich Aristoteles, Platon oder die Pythagoräer mit der Definition von Schönheit.187 Aristoteles sprach bei ihrer Umschreibung von „Ordnung und Symmetrie und Eindeutigkeit“. Platon hielt das richtige Maß und die richtige Größe von Teilen, die sich harmonisch zu einem nahtlosen Ganzen zusammenfügen lassen müssten, für entscheidend. Ebenfalls in dieser frühen Zeit schufen die griechischen Bildhauer Polyklet und Praxiteles Skulpturen, die mit ihren Proportionssystemen Idealbilder für Schönheit darstellten. In der Renaissance legten Künstler wie Leon Battista Alberti, Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci unter Rückgriff auf antike Quellen ideale Proportionen für Schönheit fest.188 Heute versucht vor allem die in einer Vielzahl von wissenschaftlichen Disziplinen betriebene moderne Attraktivitätsforschung, objektive Kriterien für die ideale Schönheit von menschlichem Gesicht und Körper zu bestimmen.189 b) Begriff der Schönheit Die Standard-Enzyklopädie Brockhaus umschreibt „das Schöne“ als „Begriff, mit dem ein Gefallen bekundet wird, der eine hohe ästhetische oder damit verbundene ethische Wertung zum Ausdruck bringt, in der Ästhetik definiert als der höchste ästhetische Wert, der durch bestimmte Eigenschaften eines Objekts oder bestimmte Modalitäten einer sinnlichen Erfahrung verkörpert wird, im Gegensatz zum Hässlichen.“190 Schönheit ist demnach ein wertender Begriff, ein Phänomen der Wahrnehmung und weder objektiv feststellbar noch messbar. Weil der Charakter der Schönheit nicht allgemeingültig zu bestimmen ist, sind Erklärungen für Schönheit weit gefasst und sehr unterschiedlich. Die genannten historischen Versuche der Bestimmung von menschlicher Schönheit haben einzelne Eigenschaften des Schönen herausgearbeitet, die allgemein zur Begriffsklärung 187  Brockhaus (2005–2006), Stichwort „Schöne, das“, S.  419; Etcoff (2001), S. 22 ff. Zum folgenden Ganzen auch Lorz (2007), S. 29 f. 188  Zum Ganzen Renz (2006), S. 23; Etcoff (2001), S. 24; Brockhaus (2005– 2006), Stichwort „Schöne, das“, S. 420 f.; Lorz (2007), S. 29 f. Dürer bspw. näherte sich dem Ideal von Schönheit, indem er mit Hilfe der Länge seiner eigenen Finger ein Proportionalsystem konzipierte, das einen Maßstab für den ganzen menschlichen Körper vorgab, vgl. Etcoff (2001), S. 24. 189  Lorz (2007), S. 30  f.; Renz (2006), S. 33 ff., 80 ff. mit Bsps. für die dabei angewendeten unterschiedlichen Methoden. 190  Brockhaus (2005–2006), Stichwort „Schöne, das“, S. 419.

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herangezogen werden, etwa Ästhetik, Proportion, Symmetrie, mittleres Maß, Harmonie, Ebenmaß oder Gefallen.191 Wie jede Wertung ist Schönheit darüber hinaus aber vor allem durch kulturelle und gesellschaftliche Konventionen geprägt. Sie ist abhängig vom jeweiligen Kulturraum und geographischem Gebiet und ihre Interpretation unterliegt im Laufe der Zeiten unter Umständen einem erheblichen Wandel.192 Unabhängig von allen, in einer gewissen Region zu einer gewissen Zeit bestehenden überwiegenden oder als gültig bezeichneten Vorstellungen hängt die Definition von Schönheit im Endeffekt immer vom individuellen bzw. subjektiven Wahrnehmungsempfinden des Einzelnen ab und kann auch deshalb sehr stark differieren.193 c) Schönheit im arztstrafrechtlichen Kontext Im Bereich der nicht indizierten Schönheitsoperationen steht für das Arztstrafrecht damit fest, dass es eine objektive Überprüfbarkeit der Zielvorstellung des Patienten, „schöner zu werden“, nicht gibt. Im arztstrafrechtlichen Kontext ist Schönheit deshalb als funktionale Begrifflichkeit zu betrachten.194 Der Patient lässt einen schönheitsoperativen Eingriff an sich vornehmen, weil er sein Aussehen nach seinem höchstpersönlichen ästhetischen Empfinden verändern möchte. Dieses Ziel und seine Erreichung bemessen sich allein nach den individuellen Vorstellungen des Patienten. Das schließt natürlich nicht aus, dass der Arzt dem Patienten hinsichtlich der Realisierbarkeit der Patientenwünsche oder der Wahl der Behandlungsmethode beratend zur Seite steht und insbesondere auch eine entsprechende Aufklärung vornimmt. Prinzipiell entscheidend sind aber allein die Vorgaben des Pa­ tienten. Er legt dem Arzt dar, inwiefern er seinen Körper verändert wissen möchte; und der Arzt wählt denjenigen Eingriff, mit dem er dieses Ziel chirurgisch und lege artis umsetzen kann. Ob die Vorstellungen des Patienten mit dem jeweiligen gesellschaftlichen oder überwiegend gängigen Ideal korrespondieren, ist aber ohne Belang.195

191  Brockhaus (2005–2006), Stichwort „Schöne, das“, S. 420; Renz (2006), S. 49; Etcoff (2001), S. 158 ff. 192  Vgl. zum Ganzen Lorz (2007), S. 32 m. w. N.; Huster (2002), S. 17 ff.; Brockhaus (2005–2006), Stichwort „Schöne, das“, S. 420. 193  Vgl. Brockhaus (2005 / 2006), Stichwort „Schöne, das“, S. 420 f.; Lorz (2007), S.  33 f. 194  So zum Ganzen Lorz (2007), S. 34. 195  Zum Ganzen Lorz (2007), S. 34; Stock (2009a), S. 257; vgl. auch Brockhaus (2005 / 2006), Stichwort „kosmetische Chirurgie, Schönheitschirurgie“.



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 63

3. Schönheitsoperation a) Historische Entwicklung der plastischen und kosmetischen Chirurgie Auch die plastische Chirurgie als Fachdisziplin der Medizin hat eine lange Geschichte.196 In ihren Anfängen diente sie kulturellen und religiösen Zwecken. Die Patienten waren lange Zeit überwiegend Männer. Denn ihren Aufschwung fand die plastische Chirurgie vor allem als Wiederherstellungschirurgie bei Männern, die in Kampfhandlungen verletzt worden waren.197 Schon aus dem alten Ägypten gibt es Berichte von Nasenkorrekturen um 3000  v. Chr.198 Auch im alten Indien zeigt sich die lange Tradition der Schönheitschirurgie. Dort rekonstruierte ein indischer Arzt schon vor 2600 Jahren Nasen aus den Stirnlappen von verletzten Patienten.199 Aus der Zeit des mittelbyzantinischen Reichs ist überliefert, dass Kaiser Justinian II. (669–711 n. Chr.) nach seinem Sturz vom Thron öffentlich die Nase abgehackt wurde, er sich aber eine neue Nase aus Gold anfertigen und einsetzen ließ.200 Dass die heute so beliebte Fettabsaugung keine neuzeitliche Erscheinung ist, zeigt eine Überlieferung von Plinius dem Älteren (23 / 24–79 n. Chr.), der in eine Operation des Sohns des Konsuls Lucius Apronius als „grandiose Heilung für Fettleibigkeit“ beschrieb.201 Die erste nachgewiesene Datierung und Illustrierung einer Rhinoplastik als Meilenstein der Geschichte der ästhetischen Chirurgie datiert vom Jahr 1597. Der italienische Chirurgieprofessor Gaspare Tagliacozzi (1545–1599) stellte die Technik einer solchen Nasenoperation in seinem Lehrbuch „De curtorum chirurgia per institutionem“ in 22 Bildtafeln mit lateinischem Text dar und gilt seitdem als wissenschaftlicher Begründer der plastischen Chirurgie.202 Einen weiteren Aufstieg der ästhetischen Chirurgie, wiederum im Bereich der Nasenkorrektur, markierte die Ausbreitung der Syphilis in der Zeit des 16. Jahrhunderts. Um die an der Epidemie Erkrankten vor gesellschaftlicher 196  Nachweise

für frühes Piercing und Tätowierungen vgl. Hennig (2010), S. 4 ff. (1996), S. 49; Gilman (1999), S. 62; Lorz (2007), S. 50. 198  Schrafl (1958), S. 12. 199  Der indische Arzt Susruta Sarnita beschrieb seine medizinischen Versuche, die dann über arabische Übersetzungen nach Europa gelangten. Zum Ganzen SZ-Serie „Der Kult um den Körper – warum das Streben nach Schönheit den Menschen seit jeher beschäftigt“, Teil 1 „Neue Nase, neues Glück“, 21.04.2009, S. 9. 200  Vgl. Lorz (2007), S. 50 m. w. N. 201  Gilman (2005), S. 65. 202  Vgl. hierzu Ensel (1996), S. 52; Taschen (2005), S. 10; Lorz (2007), S. 51; Gilman (1999), S. 66 f. Mit Abbildung alter Illustrierungen Gilman (2005), S. 66. 197  Ensel

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Stigmatisierung zu schützen, wurden ihre Nasen, die durch die Syphilis verfielen und sie weithin erkennbar brandmarkten, wieder aufgebaut.203 Einen großen Schritt machte die plastische Chirurgie während der Zeit des ersten Weltkriegs, in der angesichts unzähliger Kriegsversehrter oft nichts blieb, als neue Eingriffsarten und Techniken zu wagen.204 Diese Zeit steht für den endgültigen Durchbruch der plastischen Chirurgie, vor allem wegen der Arbeit von Jacques Joseph (1865–1934), der auch neue Eingriffe wie Faceliftings, Entfernung von Fettablagerungen und Korrekturen der weiblichen Brust vornahm.205 Im Berlin der zwanziger Jahre erlebte die ästhetische Chirurgie ihren gesellschaftlichen Aufschwung. Vor allem Straffungen und Facelifts mit Fetteinspritzungen wurden hierzulande zur Mode.206 Eine Schlüsselrolle für die Entwicklung der ästhetischen Chirurgie in ihrer heutigen Form spielten aber vor allem die Fortschritte der Medizin in Anästhesie, Antisepsis und Schmerztherapie.207 Seitdem die Risiken einer Narkose und die Angst vor Infektionen, Schmerzen, Narben oder unerwünschten Ergebnissen weitgehend beseitigt werden konnten, wird auf chirurgische Eingriffe nicht mehr nur dann zurückgegriffen, wenn sie unausweichlich erscheinen.208 b) Begriff der Schönheitsoperation Der Begriff der Schönheitsoperation ist nicht klar abgegrenzt und wird im allgemeinen Sprachgebrauch, in Medizin, Rechtswissenschaft und Rechts­ praxis unterschiedlich verwendet. Das stellt auch eine maßgebliche, von der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft im Jahr 2007 in Auftrag gegebene Studie fest.209 Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags gehen 203  Gilman

(1999), S. 49 ff., Kapitel „The Syphilitic Nose“. (2005), S. 11; Gilman (1999), S. 157 ff., Kapitel „Noses at War – Fixing Shattered Faces“. 205  Gilman (1999), S. 119 ff.; Lorz (2007), S. 51; Taschen (2005), S. 13. 206  Dass die neuen Möglichkeiten zweischneidig waren, brachte die Schlagersängerin Claire Waldoff (1884–1957) zum Ausdruck: „Ich lass mir nicht die Nase verpatzen / wegen Emil seine unanständ’ge Lust / Wie ick bin, det hat der Emil ja immer gewusst / da hätt er mir eben nicht nehmen jemusst / Nee, ick lass keen Doktor ran an meine Brust / Wegen Emil seine unanständ’ge Lust.“ Vgl. SZ, Serie „Der Kult um den Körper – warum das Streben nach Schönheit den Menschen seit jeher beschäftigt“, Teil 1 „Neue Nase, neues Glück“, 21.04.2009, S. 9. 207  Vgl. Gilman (1999), S. 16; Gilman (2005), S. 60, 62: Die Einführung der Anästhesie datiert aus dem Jahre 1846, die der Antisepsis aus dem Jahre 1867. 208  Vgl. Lorz (2007), S. 52. 209  Dieter Korczak, GP-Forschungsgruppe, Institut für Grundlagen und Programmforschung, „Forschungsprojekt Schönheitsoperation: Daten, Probleme, Rechtsfragen. 204  Taschen



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 65

in einer Anfrage davon aus, dass die Begriffe Schönheitsoperation, Schönheitschirurgie, kosmetische und ästhetische Chirurgie nicht eindeutig definiert sind.210 Zudem existieren zahlreiche synonym verwendete Bezeichnungen wie kosmetischer,211 ästhetischer212 oder plastischer213 Eingriff214, Korrektur,215 Chirurgie,216 Verfahren217 oder Maßnahme218.219 Der Brockhaus definiert die Schönheitsoperation im allgemeinen Sprach­ gebrauch zunächst als „Bezeichnung für Operationsmaßnahmen zur Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden“.220 In der Medizin ist die kosmetische Chirurgie ein Teilbereich der plastischen Chirurgie. Diese umfasst neben rein kosmetischen auch missbildungsbeseitigende und defektversorgende Eingriffe, also solche, die aufgrund einer medizinischen Notwendigkeit erfolgen.221 Nur die ästhetischen Eingriffe, die allein auf Wunsch eines gesunden Patienten ohne weitere medizinische Notwendigkeit ausgeführt werden, sind sog. kosmetische Eingriffe. Sie werden definiert als operative Eingriffe zur Verbesserung der äußeren Erscheinung.222 Der entscheidende Unterschied zur plastischen Chirurgie ist damit das Fehlen der medizinischen Indikation, sei dies eine physische oder in manchen Fällen eine psychologische Notwendigkeit. Probleme bei der Abgrenzung der kosmetischen Schönheitschirurgie bereitet auch die Tatsache, dass „Schönheitschirurg“ keine geschützte Berufsbezeichnung ist.223 Die Abschlussbericht.“ http: /  / download.ble.de / 05HS020.pdf, zuletzt aufgerufen am 22.09. 2013. 210  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 1; BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit vom 23.04.2008, S. 7, 9, 14. Vgl. zuletzt auch den Vorstoß in einem Positionspapier der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU / CSUFraktion aus dem F 2012. 211  So z. B. BGH vom 05.07.2007, 4 StR 549 / 06. 212  Vgl. z. B. die Facharztbezeichnung „Facharzt / Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie“, MWBO der BÄK, Abschnitt B Nr. 6.6. 213  So z. B. bei Laufs / Kern-Kern (2010), § 180. 214  So z. B. BGH vom 05.07.2007, 4 StR 549 / 06. 215  Nachweise bei Lorz (2007), S. 47 Fn. 94. 216  So z. B. Laufs / Kern-Kern (2010), § 180. 217  Gilman (2005), S. 62. 218  Brockhaus (2005–2006), Stichwort „kosmetische Chirurgie, Schönheitschirurgie“. 219  Vgl. zum Ganzen Lorz (2007), S. 46 f. 220  Brockhaus (2005–2006), Stichwort „kosmetische Chirurgie, Schönheitschirurgie“. 221  Gmeinwieser (1988), S. 274. 222  Springer Lexikon Medizin (2004), Stichwort Schönheitschirurgie. 223  Mohr (2008), S. 190.

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B. Grundlagen

ärztliche Weiterbildungsordnung sieht nur einen „Facharzt für plastische / ästhetische Chirurgie“, einen „Facharzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie“ und eine Zusatzweiterbildung „Plastische Operationen“ für HNO-Fachärzte und Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen vor. Im Übrigen dürfen aber auch alle anderen approbierten Ärzte ohne Facharztweiterbildung berufsrechtlich schönheitschirurgische Eingriffe durchführen.224 Im Recht existiert keine eindeutig umgrenzte (Legal-)Definition der Schönheitsoperation, jedoch taucht der Begriff in gesetzlichen Regelungen auf. Erwähnung findet die „medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation“ in § 52 Abs. 2 SGB V, wird dort aber nicht weiter definiert, sondern ist von der Krankenbehandlung in § 27 Abs. 1 SGB V abzugrenzen. Im Heilmittelwerbegesetz bezeichnet der Gesetzgeber kosmetische Eingriffe als „operative plastisch-chirurgische Eingriffe [zur] Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit“, § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG. Das entspricht den Begrifflichkeiten in der Medizin. Der Begriff der „Schönheitsoperation“, wie er in dieser Arbeit im Folgenden verstanden wird, bezeichnet wunscherfüllende, rein ästhetisch veranlass­ te kosmetische Operationen, also nur diejenigen, die ohne medizinische Indi­ kation allein auf den Wunsch eines an sich gesunden Patienten hin vorge­ nommen werden. Die Bezeichnung entspricht dem Sprachgebrauch, der sich in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft in den letzten Jahren etabliert hat. Dort wird im Bereich der kosmetischen Operationen zunehmend von „Schönheitsoperation“ gesprochen.225 Begrifflichkeit und Begriffsverständnis entsprechen ebenfalls der im Antrag 16 / 6779 an den Deutschen Bundestag gefundenen Definition, wonach „sich die Schönheitschirurgie mit der Verbesserung oder Veränderung von Körperformen durch operative Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit befasst; in der Regel handelt es sich um Maßnahmen, die auf Wunsch des Patienten nach einer Verbesserung seines äußeren Erscheinungsbilds beruhen, ohne dass erlittene Verletzungen oder angeborene Fehlbildungen im medizinischen Sinne vorliegen.“226 Die Bezeichnungen „Eingriff“, „Chirurgie“, „Verfahren“, „Maßnahme“, „Behandlung“, „Korrektur“ werden hier synonym verwendet.227 Aus strafrechtlicher Pers224  BT-Drs.

16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 1; Mohr (2008), S. 190; Lorz (2007), S. 47. vom 05.07.2007, Az.: 4 StR 549 / 06; BGH, NJW 2006, 1880; OLG München, MedR 1988, 187; OLG Koblenz vom 14.06.2007, Az.: 5 U 1370 / 06; LG  Flensburg vom 21.02.2006, Az.:  1  S  116 / 05; LG  Osnabrück vom 06.01.2006, Az.:  2  O  1303 / 03; BayVerfGH vom 14.07.2006, Az.: VF  20-IV-05; Wenzel (2013), Kap. 4. A. Rn. 92 ff.; Eberbach (2008a) S. 328; Laufs / Kern-Kern (2010), § 180 m. w. Nachw. für die Rspr.; m. zahlr. w. N. auch Lorz (2007), S. 48 Fn. 103. 226  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 1. 227  Grds. ist der Heileingriff von der Heilbehandlung zu unterscheiden. Eingriff meint eine von außen auf den Körper erfolgende Einwirkung mit einem Eindringen 225  BGH



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 67

pektive sind alle von einem Arzt durchgeführten, gestaltverändernden Eingriffe in die körperliche Integrität zum Zweck der Verbesserung des Aussehens umfasst.228 Dabei gehen diese Eingriffe stets „unter die Haut“ im Sinne der Körperverletzungsdelikte des Strafgesetzbuchs, d. h. es handelt sich vor allem um sog. blutige Eingriffe, unblutige Eingriffe wie Injektionen und minimalinvasive wie Laserbehandlungen. c) Statistiken und gesellschaftliche Bedeutung Schönheitschirurgische Eingriffe sind mittlerweile weltweit eine Massen­ erscheinung.229 Gutes Aussehen und eine jugendliche Erscheinung werden heute weitläufig als entscheidender Faktor für Ansehen, Beliebtheit und Erfolg bewertet.230 Daneben haben die Fortschritte der modernen Medizin die Risiken und unerwünschten Begleiterscheinungen kosmetischer Opera­ tionen so weit reduziert, dass eine rasante Verbreitung der Schönheitschirurgie in der Gesellschaft erfolgt ist. Allgemein geht man davon aus, dass das Interesse an Schönheitsopera­ tionen auch durch die modernen Massenmedien forciert wird.231 Neben Beauty-Zeitschriften oder Lifestyle-Magazinen und -Sendungen, die ausschließlich über diese Themen berichten,232 widmen sich selbst renommierte Medien aus fachfremden Ressorts seit einigen Jahren dem Thema Schönheitsoperation. Dort wurden schon umfangreiche Reportagen über Schönin den Körper; Behandlung meint (auch) die übrigen Maßnahmen. Vgl. Tag (2000), S. 39 f. Dennoch werden die beiden Begriffe im Laufe dieser Untersuchung teils alternativ verwendet. 228  Vgl. Lorz (2007), S. 27. 229  Vgl. Taschen (2005), S. 10; SZ vom 28.06.2007, „Die Schönheitsformel“, S. 10; Spiegel-Online vom 24.04.2008, „Schönheits-OP-Boom in China. Im Reich der Schnitte“, http: /  / www.spiegel.de / panorama / gesellschaft / 0,1518,549303,00.html, zuletzt aufgerufen am 26.10.2009. 230  FAZ vom 17.01.2008, „Schönheit macht erfolgreich“, zuletzt aufgerufen am 26.10.2009, http: /  / www.faz.net / s / RubC43EEA6BF57E4A09925C1D802785495A /  Doc~EA3A36A53FED64FDDA005E1335C41A81A~ATpl~Ecommon~Scontent. html. 231  Hiervon geht auch der Deutsche Bundestag aus, vgl. BT-Drs.  16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2, Anfrage der Fraktionen von CDU / CSU und SPD. Vgl. etwa die auflagenstarken Zeitschriften Gala, Bunte, InTouch, InStyle; Society-Berichterstattungen im deutschen Fernsehen, auch den öffentlich-rechtlichen Sendern, in den letzten Jahren z. B. „leute heute“ auf ZDF, „taff“ auf Pro7, „exclusiv“ auf RTL, „5th Avenue“ auf ntv; Reality Shows wie „Germany’s Next Topmodel“ auf Pro7; „The Swan – endlich schön!“ auf Pro7, „I Want a Famous Face“ auf MTV; oder Serien zu diesem Thema wie „Nip / Tuck“. 232  Vgl. Korczak (2007), S. 90 ff.

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B. Grundlagen

heitsoperationen veröffentlicht – in den meisten Fällen unkritisch als Ratgeber mit „Tipps und Adressen für den Gang zum Schönheitschirurgen“.233 aa) Statistische Erfassung Im internationalen Vergleich der Anzahl der in einem Land durchgeführten Schönheitsoperationen lag Deutschland in den vergangenen Jahren immer im vordersten Feld, zuletzt an zehnter Stelle.234 Offizielle, bundesweite Erhebungen, wie es sie beispielsweise in den USA gibt, existieren in Deutschland zwar nicht. Von den deutschen und internationalen plastischchirurgischen Fachgesellschaften235 werden aber regelmäßig Daten ausgewertet und Zahlen veröffentlicht, die sich jedoch nur auf die in diesen Fachgesellschaften erfassten Fachärzte beziehen.236,  237 Daneben gibt es verschiedene unabhängige Untersuchungen,238 insbesondere etwa die Unter233  Z. B. Serie im „Stern“ ab Heft vom 31.08.2006: Schönheit, die man kaufen kann. Die richtigen Ärzte, die besten Methoden.“; „Wirtschaftswoche“ mit Beilage „five to nine“ 4 / 2006: „Goldener Schnitt. Operation Schönheit – so wahren Sie Ihr Gesicht“; das DSGI (Deutsche Stiftung für Gesundheitsinformation) mit dem ExtraHeft „beauty Medizin – Methoden, die wirklich jünger, schöner und fitter machen“. 234  Statistik der US-amerikanischen Fachorganisation ISAPS für 2011, http: /  / www.isaps.org / files / html-contents / Downloads / ISAPS %20Results %20- %20 Procedures %20in %202011.pdf, zuletzt aufgerufen am 20.09.2013. 235  So z.  B. Deutsche Gesellschaft Ästhetisch-Plastischer Chirurgen (DGÄPC), Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland (GÄCD), Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), Deutsche Gesellschaft der plastischen, rekonstruktiven und ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC; ehemaliger Name: Vereinigung Deutscher Plastischer Chirurgen, VDPC), International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS). 236  Zum Ganzen BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 1; Lorz (2007), S. 52 ff. Vgl. auch Eberbach (2009), S. 11. 237  Nach ihrer Einschätzung haben die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft der plastischen, rekonstruktiven und ästhetischen Chirurgen (früher VDPC, jetzt DGPRÄC) im Jahr 2011 in Deutschland etwa 138.500 rein ästhetische Operationen und darüber hinaus 132.000 Faltenunterspritzungen durchgeführt, http: /  / www.dgpraec.de / news / sin gle-news / ?no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=307&tx_ttnews[backPid] =2&cHash=2d8 8185119442187c04392f8289b567c, zuletzt aufgerufen am 07.09. 2013. Die Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland (GÄCD) geht in einer Erhebung für Deutschland für das Jahr 2010 von 117.000 Schönheitsoperationen wurden durch Mitglieder der GÄCD und zusätzlich 134.000 Faltenbehandlungen mit so genannten Fillern und Botulinumtoxin aus, vgl. http: /  / www.gacd.de / filead min / user_upload / pdf / presse2011 / Presseinformation_Jahresstatistik_Schoenheitsope rationen.pdf, zuletzt aufgerufen am 07.09.2013. Andere Quellen sprechen von einem Anstieg von etwa 13 % gegenüber dem Vorjahr, vgl. SZ vom 28.06.2007, „Die Schönheitsformel“, S. 10. 238  Studien speziell zu Jugendlichen: EMNID-Studie im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2005; LBS-Kinderbarometer Ini-



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 69

suchung der GP Forschungsgruppe aus dem Jahr 2007, die die Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gegeben hatte.239 Die Statistiken differieren dabei je nach Erhebungsstelle bzw. Organisa­ tion, deren Mitgliederzahl und Begriffsverständnis, aber eine weite Verbreitung und ein insgesamt ansteigender Trend sind allemal erkennbar. Nach der Einschätzung des Bundestags, der diese Zahlen für eine Bewertung zusammengeführt hat, beliefen sich die Daten für das Jahr 2001 auf 400.000, für das Jahr 2002 auf mehr als 800.000 und seit dem Jahr 2003 auf durchschnittlich über eine Million Schönheitsoperationen jährlich in Deutschland.240 An der Höhe dieser Schätzung werden jedoch Zweifel gehegt, zum Beispiel von der genannten Studie der GP Forschungsgruppe.241 Dort geht man für das Jahr 2005 aufgrund einer umfangreichen Erhebung von einer Gesamtzahl von bundesweit 523.885 ästhetischen Eingriffen und Operationen aus, wobei hier auch minimal-invasive Laserbehandlungen erfasst wurden. Lässt man diese außer Acht, verbleiben 331.500 ästhetische Operationen im Jahr.242 Die am häufigsten vorgenommene Eingriffsart war dabei die Fettabsaugung mit 29.000 durchgeführten Eingriffen im Erhebungsjahr;243 daneben sind vor allem laserchirurgische Korrekturen im Gesicht, Lidplastiken, bei den Frauen auch Korrekturen an der Brust und bei den Männern Nasenkorrekturen gesuchte Behandlungen.244 Daneben wird aber eine hohe Dunkelziffer vermutet. Denn von dieser Erhebung werden weder kosmetisch-chirurgische Eingriffe von Ärzten, die tiative Junge Familie aus dem Jahr 2009; Studie des Meinungsforschungsinstituts iconkids & youth international research München im Auftrag der Zeitschrift „Bravo“ aus dem Jahr 2009, vgl. Nachweise bei Hennig (2010), S. 7 ff. 239  Dieter Korczak, GP-Forschungsgruppe, Institut für Grundlagen- und Programmforschung, „Forschungsprojekt Schönheitsoperation: Daten, Probleme, Rechtsfragen. Abschlussbericht.“ Online abrufbar unter http: /  / download.ble.de / 05HS020. pdf, zuletzt aufgerufen am 22.09.2013. 240  Vgl. BT-Drs.  15 / 2154 vom 09.12.2003, S. 1 – Kleine Anfrage der Fraktion der CDU / CSU; BT-Drs. 15 / 2889 vom 29.12.2003, S. 1 – Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage; BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2 – Anfrage der Fraktionen von CDU / CSU und SPD. Ähnlich auch Ferrari (2011), S. 105. 241  Vgl. Mohr (2008), S. 190 m. w. N.; Korczak (2007), S. 46. 242  Korczak (2007), S. 46, 92 f. 243  Korczak (2007), S. 58. Vgl. auch Lorz (2007), S. 54. 244  Statistik der GÄDC für das Jahr 2011, http: /  / www.gacd.de / fileadmin / user_ upload / pdf / presse2011 / Presseinformation_Jahresstatistik_Schoenheitsoperationen. pdf, zuetzt aufgerufen am 14.11.2013. Die Statistiken zeigen, dass die Art der schönheitsoperativ durchgeführten Eingriffe in anderen Ländern entsprechend der Kulturen und damit verknüpften Schönheitsideale differieren. So werden bspw. in China oftmals Unterschenkel verlängert; in Asien sind Augenlidkorrekturen nach west­ lichem Vorbild sehr gefragt; im Libanon werden viele Fettabsaugungen vorgenommen, und im körperbewussten Brasilien sind Brustvergrößerungen sehr gefragt.

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B. Grundlagen

keine Facharztausbildung zum plastischen Chirurgen absolviert haben, noch solche von Heilpraktikern und Kosmetikern erfasst.245 Überdies ist nicht bekannt, wie viele schönheitschirurgische Eingriffe im Rahmen eines „Operations-Tourismus“ im Ausland vorgenommen werden.246 bb) Bevölkerungsgruppen / Patienten bzw. Kunden Der Anteil des Geschlechts der Patienten verschiebt sich dabei in letzter Zeit zunehmend,247 wenn auch nicht drastisch.248 Schätzungsweise jeder dritte bis fünfte Patient, der in Deutschland eine Schönheitsoperation vornehmen lässt, ist heute ein Mann.249 Im Bereich der Korrekturen von Ohren und Nasen sind beispielsweise zwischen 29 % und 46 % der Patienten Männer, bei Lidstraffungen etwa 22 % und bei den Lasertherapien im Gesichtsbereich 33 %.250 Dabei weitet sich die Nachfrage nach Schönheitsoperationen auf alle gesellschaftlichen Gruppen und Konfessionen aus.251 Vielfach werden die Auftraggeber einer ärztlichen schönheitsoperativen Behandlung nicht als Patienten / -innen, sondern als Kunden / -innen bezeichnet. Diese Unterscheidung der Begrifflichkeiten soll darauf hindeuten, dass es sich um keine gesundheitlich erforderliche bzw. indizierte Behandlung handelt, sondern diese vielmehr auf einer privatrechtlichen Absprache beruht und auch von kommerziellen Instituten bzw. Leistungserbringern angeboten wird.252 Auf der anderen Seite werden diese Eingriffe nach medizinischen Standards von approbierten Ärzten vorgenommen. Daher, und weil es auf diese Formulierungsunterschiede nicht ankommt, wird hier weiter der Begriff Patient / -in verwendet. cc) Altersgruppen Aktuelle, valide Zahlen zum Anteil Minderjähriger an den Patienten von Schönheitsoperationen gibt es für Deutschland nicht. Es wird aber vermutet, 245  Vgl.

Korczak (2007), S. 89. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 1. 247  Vgl. die Pressemitteilung der GÄCD aus dem Jahr 2006: damals hatte sich der Anteil der Männer im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. http: /  / www.gacd. de / presse / pressemitteilungen / 2006 / 2006-09-07-neue-statistik-der-schoenheitsopera tionen.html, zuletzt aufgerufen am 14.11.2008. 248  So die Ergebnisse der Erhebung bei Korczak (2007), S. 61. 249  Lorz (2007), S. 53 m. w. N. 250  Zum Ganzen Korczak (2007), S. 61. 251  Vgl. die Aussage des Schönheitschirurgen Ismail Kuran in Karcher (2005), S. 214. 252  Korczak (2007), S. 8. 246  BT-Drs.



I. Begriffsklärungen, Abgrenzungen und rechtstatsächlicher Hintergrund 71

dass sich Minderjährige heute schon in nennenswerter Zahl schönheitschirurgischen Eingriffen unterziehen – diese bestrittene253 Annahme lässt sich auch durch Studienergebnisse belegen. Die ehemaligen Koalitionsfraktionen des Deutschen Bundestags gehen in einem Antrag davon aus, dass das Altersspektrum der Patienten bereits bei 12 Jahren beginnt.254 Dieser sehr junge Altersschnitt dürfte durch den Einbezug von Ohrkorrekturen zu erklären sein, bei denen tatsächlich über die Hälfte der Patienten unter 19 Jahre alt ist, der medizinisch aber sogar vor der Volljährigkeit empfohlen wird.255 Von den befragten Ärzten sind aber auch Eingriffe zur Korrektur der Nase und Vergrößerung der Brust an minderjährigen Patienten durchgeführt worden.256 Mit diesen Ergebnissen deckt sich in etwa auch die Annahme, die dem Antrag 16 / 6779 an den Deutschen Bundestag zugrunde liegt und wonach derzeit etwa 10 % bis 15 % der schönheitschirurgischen Eingriffe an unter 20-Jährigen durchgeführt werden.257 Auch weitere Schätzungen, die von einem Anteil von 10 % bis 15 % der Patienten unter 18 Jahren und 25 % der Patienten zwischen 15 und 25 Jahren ausgehen,258 sind damit keinesfalls zu hoch gegriffen. Auf diese Problematik der durchaus nennenswerten Nachfrage nach Schönheitsoperationen durch Jugendliche wird ausführlich zurückzukommen sein.259 dd) Typische Eingriffe und Kosten Typische Fallgruppen kosmetischer Operationen sind etwa die Gesichtsund Halsstraffung, sog. Face-Lifting (Rhytidektomie),260 die Nasenkorrektur (Rhinoplastik),261 die Lidstraffung durch Ausschneidung überflüssiger Haut (Blepharoplastik),262 die Ohrenkorrektur (Otopexie oder Ohranlegeplastik), 253  Anders die Einschätzug der GÄCD, vgl. http: /  / www.gacd.de / fileadmin / user_ upload / pdf / Schoenheits-OPs_bei_Minderjaehrigen-Aesthetische_Chirurgen_war nen_vor_Panikmache_29. %20Juni %202012. pdf, zuletzt aufgerufen am 14.11.2013. 254  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2. 255  Vgl. die Ergebnisse der Studie von Korczak (2007), S. 60. 256  Nach der Studie von Korczak (2007), S. 60, waren 9 % der Patienten bei Nasenkorrekturen und 4 % der Patientinnen bei Brustvergrößerungen unter 19 Jahre alt. 257  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2. 258  Lorz (2007), S. 53 m. w. N. Vgl. auch BT-Protokoll Nr. 16 / 83, S. 14, 25. Diese Zahlen werden insb. von den plastisch-chirurgischen Fachärzten teilweise bestritten, vgl. unten E.II.1. 259  Vgl. ausführlich unten E.II.1. 260  Gmeinwieser (1988), S. 278; Karcher (2005) S. 330 ff. 261  Psychrembel (2007), Stichwort Rhinoplastik; Karcher (2005), S. 342 ff. 262  Psychrembel (2007), Stichwort Blepharoplastik; Karcher (2005), S. 338 ff.

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B. Grundlagen

die Absaugung von Depotfettansammlungen (Liposuktion)263 oder verschiedenen Formen der Brustkorrektur wie die Vergrößerung einer als zu klein empfundenen Brust durch die Einsetzung von Implantaten (Mamma­ augmentationsplastik),264 die Verkleinerung einer als zu groß empfundenen Brust durch das Entfernen von Gewebeanteilen (Mamma­reduktionsplastik)265 oder die Straffung einer Brust (Mastope­xie)266.267 Die Behandlungskosten unterscheiden sich je nach konkreter Maßnahme und behandelndem Arzt erheblich. So liegt der durchschnittliche Preis für ein Facelifting heute beispielsweise zwischen 2.000 € und 7.500 €, eine Fettabsaugung kostet zwischen 600 € bis 12.500 € und für eine Brustkorrektur werden zwischen 1.400 € und 10.000 € veranschlagt.268 Erhebliche Abweichungen können sich auch abhängig davon ergeben, ob ein anerkannter Spezialist aufgesucht oder ein „Angebot“ wahrgenommen wird.269 d) Fazit Mögen die Schätzungen auseinandergehen, die exakten Zahlen nicht bekannt und der Trend insgesamt weniger drastisch sein als in den Medien berichtet – die Zukunft der Schönheitschirurgie wird nach völlig übereinstimmender Einschätzung als ein anhaltender Aufstieg gesehen.270 Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Patienten noch weiter anwachsen wird.271

263  Psychrembel

(2007), Stichwort Liposuktion; Karcher (2005), S. 364 ff. (2007), Stichwort Mammaplastik; Karcher (2005), S. 354 ff. 265  Psychrembel (2007), Stichwort Mammaplastik; Karcher (2005), S. 360 ff. 266  Gmeinwieser (1988), S. 278. 267  Zum Ganzen Gilman (1999), S. 6  f.; Fallgruppen und Nachweise auch bei Lorz (2007), S. 42 ff. Die verschiedenen Operationstechniken werden erläutert bei Karcher (2005), S. 330 ff. und Kastenbauer / Tardy (2005), dort mit ausführlicher Darstellung und Bebilderung der Operationstechniken. 268  Zum Ganzen mit einer Übersicht über Eingriffsarten und Durchschnittspreise Korczak (2007), S. 63. Vgl. auch Eberbach (2009), S. 10, 15. 269  Zum Ganzen Eberbach (2009), S. 10 f.; Warnung vor günstigen Angeboten im Ausland im aerzteblatt.de vom 05.06.2007: „Vorsicht bei Billigangeboten für Schönheits-OPs“. Vgl. bspw. http: /  / www.bodenseeklinik.de / content.php?seite=seiten_de /  preise_de.php, oder http: /  / www.arzt-preisvergleich.de / schoenheitsgebot.php, beide zuletzt aufgerufen am 14.11.2008. 270  Vgl. für viele Gilman (1999), S. 330; Taschen (2005), S. 10; Eberbach (2009), S. 11. 271  So die Schönheitschirurgen Dai M. Davies, Werner L. Mang, Hans-Leo Nath­ rath und Ismail Kuran schon in Karcher (2005), S. 184, 194, 198, 214. 264  Psychrembel



II. Grundlagen aus der Ethik73

II. Grundlagen aus der Ethik Das Verhältnis von Recht und Ethik birgt grundlegende Fragen des Rechts.272 Trotz der grundlegenden Trennung von Ethik und Recht wird speziell im Bereich ärztlichen Handelns eine enge Beziehung und Wechselwirkung offensichtlich.273 Fragen ärztlicher Verantwortung können vom Recht vielfach nur in einer Abwägung rechtlicher Regeln und Prinzipien beantwortet werden, deren Interpretation und Gewichtung wiederum von der Ethik bestimmt sind.274 Als Grundlage dieser strafrechtlichen Untersuchung soll die Bedeutung der Medizinethik für das Medizinrecht im Allgemeinen (I.) und für ärztliches Handeln im Besonderen (II.) umschrieben und dann für den speziellen Bereich nicht indizierter Schönheitsoperationen dargestellt und angewendet werden (III.–IV.). 1. Das Verhältnis von Medizinrecht und Medizinethik Ethik stellt die Frage nach dem moralisch Gesollten, Erlaubten und Zulässigen.275 Als Disziplin der praktischen Philosophie276 setzt sie sich mit dem Verhalten von Menschen gegenüber Menschen, mit menschlichem Handeln und seinen Konsequenzen auseinander.277 Ihre Aufgabe es ist, Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und für die Bewertung seiner Motive und Folgen aufzustellen.278 Die Bioethik, Medizinethik bzw. ärztliche Ethik279 ist ein Teilbereich der angewandten Ethik. Sie schafft durch die 272  Schreiber (1982), S. 633; Katzenmeier (2002), S. 68; Rudolf von Ihering hat es, vielzitiert, als „Kap Horn der Rechtsphilosophie“ bezeichnet. 273  Vgl. BVerfGE 52, 131, 169 f. (Mehrheitsvotum), im Anschluss an Schmidt (1957), S. 2; Schöne-Seifert (1996), S. 566; Schroth (2011a), S. 480; Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 12, 13. Über das Verhältnis von Recht und Ethik besteht in der Rechtswissenschaft im Einzelnen keine Übereinstimmung. Vgl. dazu ausführlich sogleich. 274  Schreiber (1982), S.  642; Katzenmeier (2002), S.  70; Schroth (2011a), S.  480 ff. 275  Schöne-Seifert (1996), S. 553. 276  Pieper (2007), S. 16, 61. 277  Schreiber (1982), S. 635; Pieper (2007), S. 11, 17. 278  Beauchamp / Childress (2001), S. 2; Kirchhof (2006), S. 931. 279  Ärztliche Ethik bezeichnet denjenigen Bereich der Ethik, der sich mit dem moralisch Gesollten im Verhältnis zwischen Arzt und Patient auseinandersetzt. Der Begriff der Medizinethik ist weiter und meint alle ethischen Fragen der angewandten Medizin und der Medizinwissenschaft. Die Bioethik schließlich thematisiert moralische Dilemmata im ganzen Bereich der Biowissenschaften. Zu dieser Begriffsklärung Schroth (2011a), S. 458; Schöne-Seifert (1996), S. 554 f.

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B. Grundlagen

Anwendung allgemeiner ethischer Prinzipien auf den Bereich ärztlichen Handelns gegenüber Patienten eine konkrete Ethik für diesen Bereich.280 Das geltende Recht ist geprägt durch eine grundlegende Trennung von Ethik und Recht.281 Hierauf wird im Rahmen der Rechtsgutsbestimmung der Körperverletzungsdelikte und des Begriffs der Guten Sitten, § 228 StGB, zurückzukommen sein.282 Die moderne Gesellschaft zeichnet sich durch eine Rechtsordnung aus, die vom Normbereich der Ethik grundlegend getrennt ist.283 Dennoch bestehen zwischen Ethik und Recht, die sich beide mit menschlichem Verhalten und Regeln des Zusammenlebens befassen, Verbindungen und Wechselbeziehungen in vielfältiger Weise.284 Die Ethik ist Entstehungsquelle des Rechts und Kontrollinstanz bei dessen Weiterentwicklung.285 Das Recht wiederum trägt dazu bei, zentrale, ethisch begründete Verhaltensweisen und Verhaltensanforderungen festzulegen und durchzusetzen. Grundlegende ethische Prinzipien werden als „ethisches Minimum“ positivrechtlich und allgemeingültig festgeschrieben;286 ethische Grundsätze werden dadurch zu entscheidenden juristischen Argumenten.287 Auch bei bestehender rechtlicher Normierung bleibt es Aufgabe der Ethik, geltende Regeln und Regelungsvorhaben unter moralischen Aspekten kritisch zu hinterfragen.288 Der Zusammenhang von Ethik und Recht zeigt sich darüber hinaus auch bei der Rechtsanwendung. Vor allem die gesetzlichen Generalklauseln wie der Begriff der guten Sitten des § 228 StGB sind oftmals ein Einfallstor für ethische Erwägungen;289 auch vom Recht offen gelassene Handlungsspielräume können durch die Ethik ausgefüllt werden.290 280  Pieper

(2007), S. 93 ff. das Strafrecht Roxin (2006), § 2 Rn. 17 ff. m. w. N.; Schreiber (1982), S. 634, 637; Katzenmeier (2002), S. 68; Sternberg-Lieben (2009), S. 330 f. Ausführlich zum Verhältnis von Recht und Moral Ellscheid (2011), S. 214 ff. 282  Ausführlich unten B.IV.2. und D.I.2. 283  Ellscheid (2011), S. 221 f.; Sternberg-Lieben (2009), S. 330 f. Die „Trennungsthese“ meint insb. die von der Ethik unabhängige Verbindlichkeit des Rechts. Vgl. hierzu auch Fateh-Moghadam / Atzeni (2009), S. 124 ff., 126. 284  Im Einzelnen umstr. Wie hier BVerfGE 52, 131, 169  f. (Mehrheitsvotum); Schmidt (1957), S. 2; Ellscheid (2011), S. 228; Schroth (2011a), S. 480; Katzenmeier (2002), S. 68; Laufs (1980), S. 3; Sternberg-Lieben (1997), S. 140; Schöne-Seifert (1996), S. 566; Schreiber (1982), S. 636, 642; Fateh-Moghadam / Atzeni (2009), S. 126. 285  Kirchhof (2006), S. 932 f.; Schreiber (1999), S. 636, 637. 286  Zum Ganzen Schreiber (1982), S. 636 f.; Katzenmeier (2002), S. 69; BT-Drs. 14 / 9020 vom 14.05.2002, S. 25. 287  Fateh-Moghadam / Atzeni (2009), S. 124 ff., 126. 288  Schöne-Seifert (1996), S. 566; Katzenmeier (2002), S. 69; Schroth (2011a), S. 482; Kirchhof (2006), S. 933. 289  Zum Ganzen Schreiber (1982), S. 641. Ausführlich unten § 4 A. II. 290  Schroth (2011a), S. 482 am Bsp. der Medizinethik. 281  Für



II. Grundlagen aus der Ethik75

Besonders im Bereich der Medizin wird das Recht durch die Ethik not­ wendig ergänzt.291 Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist nicht nur vertragliches Rechtsverhältnis, sondern ein Verhältnis, in dem moralische Erwägungen, Standesethik und sittliche Vorstellungen zum Umgang zwischen Menschen eine bedeutende Rolle spielen.292 Gerade wegen der Besonderheiten der Arzt-Patienten-Beziehung, die sich aus der Einzigartigkeit biologischer Organismen, menschlicher Lebensumstände und Vorstellungen ergeben, ist die Regelungsdichte im Arztrecht zum Teil gering.293 Für die Ausfüllung dieser Normen ist oftmals ein Rückgriff auf ethische Prinzipien notwendig, zum Beispiel im Kontext von Sterbehilfe, Abtreibung, ärztlicher Aufklärung oder § 228 StGB.294 „Die Standesethik steht nicht isoliert neben dem Recht. Sie wirkt allenthalben und ständig in die rechtlichen Beziehungen des Arztes zum Patienten hinein. Was die Standesethik vom Arzte fordert, übernimmt das Recht weithin zugleich als rechtliche Pflicht. Weit mehr als sonst in den sozialen Beziehungen der Menschen fließt im ärztlichen Berufsbereich das Ethische mit dem Rechtlichen zusammen.“295

Diesem berühmt gewordenen Spruch des Bundesverfassungsgerichts, das sich eine These Eberhard Schmidts296 aneignet, folgen in weitgehender Übereinstimmung die medizinrechtlichen Beiträge.297 Bezüge zur Medizin­ ethik sind in allen Bereichen des Medizinrechts offensichtlich. „Wie kaum ein anderes Gebiet ist das Recht der Medizin daher offen für ethische Erwägungen, ohne die es gar nicht auskommen kann. Die Konflikte und Aporien der ärztlichen Tätigkeit kann der Jurist ohne Rückgriff auf den Sinn des ärztlichen Berufes und damit dessen Ethos nicht entscheiden. So wird in Gerichtsentschei291  Katzenmeier (2002), S. 69; Schreiber (1982), S. 634 m. w. N.; Schroth (2011a), S. 480 ff. Im Arztrecht geht man ganz übereinstimmend von einer starken Prägung des Rechts durch ethische Prinzipien aus. Vgl. Schöne-Seifert (1996), S. 566; Schroth (2011a), S. 480. Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 12, 13 spricht von arztethischen Prinzipien, die das Recht aufnehme bzw. auf denen es gründe. Präzisierend Fateh-Moghadam / Atzeni (2009), S. 126, die bzgl. des Zusammenhang von Recht und Ethik betonen, dass sich „als ethisch bezeichnete Entscheidungsmaßstäbe […] im praktischen Vollzug der Rechtsanwendung notwendig in rechtliche Kriterien“ auflösen. So auch Sternberg-Lieben (1997), S. 140: „Ethik und Recht stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sofern aber das Recht ethische Bezüge in sich aufnimmt, muss sich die ethische Norm als rechtliche bewähren.“; Schreiber (1982), S. 636, „Diese verrechtlichten, Herkunft und Charakter nach aber durchaus ethischen Sachverhalte […]“. 292  Katzenmeier (2002), S. 67. 293  Schreiber (1982), S. 642; Katzenmeier (2002), S. 70. 294  Vgl. Schroth (2011a), S. 480 ff.; Schreiber (1982), S. 642. 295  Schmidt (1957), S. 2; vgl. BVerfGE 52, 131, 169 f. (Mehrheitsvotum). 296  Vgl. Schmidt (1957), S.  2. Zitiert u.  a. Katzenmeier (2002), S.  70  f. m. zahlr. w. N.; Schreiber (1982), S.  634. 297  Für viele Laufs (1980), S. 3; Schreiber (1982), S. 642; vgl. auch Fn. 291.

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B. Grundlagen

dungen und Abhandlungen – wenn man genauer hinsieht – auch ständig ethisch argumentiert.“298

Das Medizinrecht beschäftigt sich mit Fragestellungen zu körperlicher Integrität und menschlichem Leben und betrifft damit Güter von höchster Relevanz. Es tangiert dabei die grundlegende Problematik des Verhältnisses von einheitlichem, allgemeinverbindlichem Recht und uneinheitlicher, pluralistischer Moral.299 Es ist vor allem die Relevanz dieser Güter, die zu Schwierigkeiten bei der Normativierung der Zulässigkeit und der Begrenzung medizinischer Eingriffe führt. Gerade dort, wo juristische Regeln Kritik begegnen oder Zweifel belassen, ist es deshalb unumgänglich, Argumente und Ergebnisse aus der Ethik heranzuziehen.300 Als Basis dieser arztstrafrechtlichen Untersuchung sollen daher im Folgenden relevante medizinethische Grundpositionen und ausgewählte Lösungsmodelle für moralische Konflikte ärztlichen Handelns, insbesondere bei der Kollision von ärztlichem Schädigungsverbot und Patientenautonomie im Zusammenhang mit nicht indizierten Eingriffen erarbeitet werden. 2. Medizinethische Grundpositionen im Kontext ärztlichen Handelns Funktion und Inhalte ärztlicher Ethik werden vielfach uneinheitlich beurteilt. Einen breit angelegten oder gar umfassenden Konsens kann es im Hinblick auf die technisierte Medizin, auf die Pluralität der modernen Gesellschaft und der Ärzteschaft auch nicht geben.301 In der langen Geschichte der Medizinethik302 haben sich aber anerkannte, zentrale Grundsätze ärztlichen Handelns herauskristallisiert, von denen einige die Jahrhunderte überdauert haben, andere dagegen im Zuge der Veränderungen der modernen Gesellschaft und der Weiterentwicklung der Medizinwissenschaften hinzugetreten bzw. in den Mittelpunkt gerückt sind.303 Diese Leitprinzipien ärztlichen Handelns bestimmen nahezu alle medizinethische Beiträge, Theorien und Lösungsmodelle.304 Es sind das ärztliche Schädigungsverbot, die ärztliche Fürsorgepflicht, das Nutzenmaximierungsprinzip, das Gerechtig298  Schreiber

(1982), S. 643. Ganzen Schöne-Seifert (1996), S. 566. 300  Schroth (2011a), S. 480. 301  Laufs (1980), S. 4; Schreiber (1982), S. 645; Katzenmeier (2002), S. 69. 302  Darstellung der historischen Entwicklung der Medizinethik bei Schöne-Seifert (1996), S. 556 ff.; Schroth (2011a), S. 459 f. 303  Vgl. Schöne-Seifert (1996), S. 554. 304  Beauchamp / Childress (2001), S. 12 m. w. N.; Schöne-Seifert (1996), S. 567 ff.; Schreiber (1982), S. 645 f. 299  Zum



II. Grundlagen aus der Ethik77

keitsprinzip und die autonome Selbstbestimmung des Patienten, aber auch Verschwiegenheit, Ehrlichkeit, Vertrauen und Privatheit im Umgang zwischen Arzt und Patienten.305, 306 Die für den Fortgang der Untersuchung relevanten Prinzipien sollen kurz erläutert werden.307 Das ärztliche Schadensvermeidungsprinzip resultiert aus einem standesethischen Selbstverständnis, das schon vom hippokratischen Eid geprägt ist.308 Der Grundsatz des primum non nocere hat über Jahrhunderte die ärztliche Standesethik bestimmt.309 Meint das Schadensvermeidungsprinzip das Unterlassen schädigender Handlungen, so fordert das Prinzip der Fürsorge, dass ärztliches Handeln dem Patienten nützlich und dessen Gesundheit dienlich sein soll. Der Arzt muss heilend, lindernd und mildernd tätig werden. Auch dieser Grundsatz der medizinischen Ethik hat seinen Wurzeln im Eid des Hippokrates: salus aegroti suprema lex.310 305  Vgl. Schöne-Seifert (1996), S.  562, 596; Schreiber (1982), S. 646; Noll (1955), S. 461; Beauchamp / Childress (2001), S. 57 ff.; Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 11 ff.; Laufs / Kern-Laufs (2010), § 4 Rn. 1 ff., 13; Schroth (2011a), S. 460 ff.; BT-Drs. 14 / 9020 vom 14.05.2002, S. 20. 306  Zum Teil werden die genannten Grundsätze ärztlichen Handelns als Prinzipien, zum Teil als Regeln eingestuft, vgl. Beauchamp / Childress (2001), S. 12 f., die zwischen basic principles und substantive, authority und procedural rules differenzieren, dies aber nicht strikt: „We operate with only a loose distinction between rules and principles.“ Dass diese grundlegenden ethischen Leitprinzipien ärztlichen Handelns auch rechtlich festgeschrieben worden sind, wird im Folgenden für Patientenautonomie und Schädigungsverbot detailliert nachgewiesen. Die übrigen Prinzipien haben ihre rechtliche Fixierung zum Teil ausdrücklich im einfachen Recht gefunden, zum Teil werden sie aus grundlegenden Rechtsprinzipien abgeleitet. Vgl. etwa die ärztliche Schweigepflicht in § 203 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, V StGB und in Ableitung aus § 242 BGB; das Gerechtigkeitsprinzip in § 12 III TPG (kritisch Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Gutmann (2005), TPG, § 12 Rn. 20 ff.); die ärzt­ lichen Aufklärungspflichten, als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts und des ehrlichen und vertrauensvollen Umgangs, in der ausführlichen Rechtsprechungs­ kasuistik und in den Spezialgesetzen AMG, TPG, KastrG; etc. 307  Das im Folgenden nicht weiter entwickelte Gerechtigkeitsprinzip, das seine Bedeutung aus den neueren Entwicklungen in der Medizin schöpft, wird bei der ärztlichen Behandlung relevant, wenn es um die faire Verteilung knapper medizinischer Ressourcen, etwa gespendeter Organe geht, vgl. Schroth (2011a), S. 462. Das Nutzenmaximierungsprinzip fordert vom Arzt Auswahl und Durchführung einer Behandlung, die dem Patienten den größten Nutzen bringt. 308  Vgl. Laufs / Kern-Laufs (2010), § 4 Rn. 13, § 3 Rn. 12. 309  Zum Ganzen Beauchamp / Childress (2001), S. 113 ff. Laufs / Kern-Laufs (2010), § 4 Rn. 13 ff.; Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 11 ff.,  13; Schöne-Seifert (1996), S. 571 f.; Marckmann (2000), S. 500. Der hippokratische Eid ist standesrechtlich, ethisch und rechtlich-programmatisch festgelegt, vgl. oben B.I.1.a)aa) mit Fn. 9, 10. 310  Zum Ganzen Beauchamp / Childress (2001), S. 165 ff.; Marckmann (2000), S. 500; Kirchhof (2006), S. 936; Vossenkuhl (2010), S. 5.

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B. Grundlagen

Das Prinzip der Patientenautonomie ist eine Ausnahmeerscheinung in der ansonsten sehr beständigen Geschichte der Medizinethik von Hippokrates bis zur heutigen Zeit. In Erscheinung trat es erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und findet sich daher nur in der zeitgenössischen ethischen Literatur.311 Heute ist es ein allgemein geltendes und hoch bewertetes ethisches Grundprinzip.312 Es gesteht dem Patienten das Recht zu, seine Ansichten, Entscheidungen und Handlungen frei und nach seinem eigenen Wertesystem zu gestalten. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hat sowohl eine negative (Abwehr-) wie auch eine positive Komponente und mündet in die Forderung des informed consent.313 Die moderne Diskussion in der Ethik und im Recht zeichnet sich dadurch aus, dass der Notwendigkeit, die Entscheidung des Patienten zu respektieren, immer größeres Gewicht zuerkannt wird.314 Heute geht man in sehr weitem Maße davon aus, das das Prinzip der Selbstbestimmung des Patienten die vorrangige ethische Begründung zur Legitimation ärztlichen Handelns ist.315 Zwar bedeutet das nicht, dass der Arzt tun muss, was der Patient will, denn auch der Arzt kann sich selbst auf das allgemeingültige316 ethische Autonomieprinzip berufen. Andererseits soll es ihm aus ethischer Sicht nicht verwehrt sein, wenn er einen vom Patienten gewünschten Eingriff, etwa eine Schönheitsoperation, vornimmt, obwohl es dafür keinen medizinischen Grund gibt – solange hierbei das Schädigungsverbot beachtet wird.317 Diese Position ist jedoch nicht unbestritten. Ihr gegenüber steht die traditionelle 311  Zum Ganzen Schöne-Seifert (1996), S. 554, 567 ff.; Beauchamp / Childress (2001), S. 1, 57 ff.; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 103. 312  Zum Ganzen Beauchamp / Childress (2001), S. 1, 57 ff.; Vossenkuhl (2010), S. 4 f.; Schroth (2011a), S. 461, 481. 313  Schroth (2011a), S. 461; Schöne-Seifert (1996), S. 561, 567 ff. 314  Vossenkuhl (2010), S. 11; Schöne-Seifert (1996), S. 554. 315  Aus rechtlicher Sicht Schroth (2011a), S. 481: „Klar ist, dass das Schadensvermeidungsprinzip gegenüber dem Selbstbestimmungsprinzip des Patienten im Regelfall nachrangig ist.“, und S. 467: „Der Wert der Autonomie einer Person ist im Regelfall höher anzusehen als das Schadensvermeidungsprinzip der Medizinethik.“ A. A. Beauchamp / Childress (2001), S. 57, 104, die ausdrücklich klarstellen, dass das Prinzip der Autonomie keine höhere Wertigkeit gegenüber den anderen drei Prinzipien zukommt. Vgl. zum Ganzen auch BT-Drs.  14 / 9020 vom 14.05.2002, S. 20, 201 f., zum „Querschnittsthema Arzt-Patienten-Verhältnis“. Aus ethischer Sicht Vossenkuhl (2010), S. 14 f.: „Das sittliche Prinzip der Patientenautonomie, das mit dem Prinzip der Selbstbestimmung verbunden ist, genießt aus ethischer Sicht gegenüber den sittlichen Prinzipien der ärztlichen Standesethik, nämlich dem Schädigungsverbot und dem Patientenwohl, Geltungsvorrang.“, und S. 15: „Die Patientenautonomie hat z. B. Vorrang vor dem Prinzip des Schädigungsverbots oder dem Prinzip des Patientenwohls“. 316  Vossenkuhl (2010), S. 4, 14. 317  Zum Ganzen Vossenkuhl (2010), S. 13.



II. Grundlagen aus der Ethik79

Position, der als einziges Gut die Gesundheit des Kranken oder Leidenden gilt; dort wird ein rein fürsorgendes, paternalistisches Arztmodell hochgehalten.318 Eine der zentralen Fragestellungen der Medizinethik ist deshalb in den letzten Jahren die Auflösung dieses Dilemmas der Bewertung der Patien­ tenautonomie vor dem Hintergrund des ärztlichen Schädigungsverbots.319 Gerade diese Frage ist entscheidend für den Gegenstand dieser Untersuchung, für nicht indizierte Eingriffe und insbesondere für die Schönheitsoperation. Letztlich ist das Verhältnis dieser zentralen Prinzipien aber nicht abschließend geklärt. Für die Lösung moralischer Konflikte im medizinethischen Bereich sind unterschiedliche Ansätze vorgeschlagen worden.320 Deren bekanntester soll hier vorgestellt und für den Untersuchungsgegenstand zur Anwendung gebracht werden. 3. Medizinethische Ansätze zur Konfliktlösung moralischer Dilemmata (Beauchamp und Childress) Der wohl bedeutendste Ansatz zur Lösung moralischer Fragen in der Medizinethik wurde von Beauchamp und Childress entwickelt.321 Ausgangspunkt ihres Ansatzes ist die Erkenntnis, dass sich in der moralphilosophischen Debatte keine ethische Theorie alleine durchsetzen konnte. Es hat sich gezeigt, dass utilitaristische,322 kantische, vertragstheoretische / kontraktualistische323 oder Diskursethik324 keine umfassende Begründung zur Problemlösung im medizinethischen Kontext zu bieten vermögen.325 Bei 318  Vgl.

Schöne-Seifert (1996), S. 571 ff. Schroth (2011a), S. 463 ff. 320  Zum Ganzen Schroth (2011a), S. 460 ff.; Marckmann (2000), S. 499. 321  „An integrated model: coherence theory“. Beauchamp / Childress (2001), S. 1 ff., 397. Zum Ganzen die Darstellung bei Schroth (2011a), S. 460 ff.; Marckmann (2000), S. 499 ff. 322  V.  a. Jeremy Bentham und John Stuart Mill. Die utilitaristische Ethik (lat. utilis, nützlich) sieht ihr Ziel im größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl an Menschen. „Handle stets so, dass das größtmögliche Maß an Glück entsteht.“ 323  V. a. Thomas Hobbes, Jean-Jacques Rousseau, John Rawls. Die vertragstheoretische Ethik bezieht moralische Normen aus Übereinkunft; die verbindlichen Handlungsmaximen entstehen in einem gemeinsamen Willensbildungsprozess. 324  Im deutschsprachigen Raum v.  a. Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel (sprachpragmatische Ethik). Habermas definiert den zentralen Kern der Diskursethik in „Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln“ wie folgt: „Jede gültige Norm muß der Bedingung genügen, daß die Folgen und Nebenfolgen, die sich aus der allgemeinen Befolgung der strittigen Norm für die Befriedigung der Interessen eines jeden Einzelnen voraussichtlich ergeben, von allen [als Teilnehmer eines Diskurses] zwanglos akzeptiert werden können.“ Vgl. dazu Pieper (2006), S. 212. 325  Schroth (2011a), S. 460 m. w. N.; Beauchamp / Childress (2001), S. 1, 377; Marckmann (2000), S. 499. 319  Vgl.

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B. Grundlagen

der Suche nach einer umfassenden Moraltheorie wurden sowohl deduktive Anwendungsmodelle (top-down models326), die eine Theorie für alle Einzelfälle zu entwickeln suchen, als auch reine Kasuistiken (bottom-up mo­ dels327), bei denen die moralische Urteilsfindung auf Einzelfallbetrachtungen beruht, als nicht umsetzbar bezeichnet und haben sich nicht durchsetzen können.328 Beauchamp und Childress haben deshalb vor diesem Hintergrund erstmals 1979 ein Kohärenzmodell (coherence theory329) bzw. einen rekonstruktiven Begründungsansatz vorgestellt.330 Sie präsentierten als Ausgangspunkt für die Beurteilung moralischer Probleme in der Bioethik und im klinischen Alltag nicht eine umfassende Theorie, sondern vier Prinzipien, nämlich das Prinzip des Respekts der Autonomie des Patienten (respect for autonomy331), das Prinzip der Schadensvermeidung (nonmaleficence332), das Prinzip der Fürsorge (beneficence333) und das Gerechtigkeitsprinzip (justice334). Dieser in den USA entwickelte sog. four principles approach oder principlism335 hat in der Medizinethik weltweite Beachtung gefunden.336 Die Stärke des four principles approach liegt darin, dass er akzeptiert, dass eine alleinige, umfassende ethische Theorie kaum zu formulieren ist und moralphilosophische Grundlagenfragen teilweise ungelöst bleiben. Der Ansatz bietet deshalb die Möglichkeit einer Konsensfindung auf der Ebene mittlerer Prinzipien, die allgemein anerkannte ethische Orientierungen beinhalten.337 Der principlism ist mit allen ethischen Theorien vereinbar, denn die Prinzipien sind mittlerer Reichweite, das heißt prima facie gültig, aber nicht zwingend, sondern nur dann verpflichtend, wenn sie nicht mit einer gleichwertigen oder stärkeren Verpflichtung kollidieren.338 Auch wenn die vier Prinzipien also im Ausgangspunkt gleichwertig sind, kann 326  Beauchamp / Childress

(2001), S. 385 ff.; Schöne-Seifert (1996), S. 560. (2001), S. 391 ff.; Schöne-Seifert (1996), S. 560. 328  Ausführliche Darstellung m.  w. N. bei Schöne-Seifert (1996), S. 559 f.; vgl. auch Schroth (2011a), S. 460 f. 329  Beauchamp / Childress (2001), S. 397 ff. 330  Erstauflage 1979, inzwischen in 5. Auflage, Beauchamp / Childress (2001). 331  Beauchamp / Childress (2001), S. 57 ff. 332  Beauchamp / Childress (2001), S. 113 ff. 333  Beauchamp / Childress (2001), S. 165 ff. 334  Beauchamp / Childress (2001), S. 225 ff. 335  Beauchamp / Childress (2001), S. 57 ff. 336  Zum Ganzen Marckmann (2000), S. 499; Schroth (2011a), S. 461; SchöneSeifert (1996), S. 562. 337  Marckmann (2000), S. 499; Schöne-Seifert (1996), S. 561. 338  Beauchamp / Childress (2001), S. 15 ff. Zur Unterscheidung und Wirkweise von Regeln und Prinzipien Alexy (1985), S. 71 ff. 327  Beauchamp / Childress



II. Grundlagen aus der Ethik81

im Konfliktfall ein Prinzip hinter ein anderes zurücktreten.339 Für die Anwendung im Einzelfall müssen diese Prinzipien dann zunächst konkretisiert bzw. interpretiert und in einem zweiten Schritt gegeneinander abgewogen werden.340 Der medizinethische Ansatz von Beauchamp und Childress versteht Prinzipien also nicht als Normen, die unbedingt und in jedem Fall zu befolgen sind, sondern als Optimierungsgebote, die im Einzelfall im höchstmöglichen Maß zu erfüllen sind. Dabei beziehen sie sich dabei auf das Werk von William D. Ross als Basis ihrer Analyse.341 Ross hat 1930 als erster grundlegend die Unterscheidung zwischen prima facie gültigen und echten Verpflichtungen geprägt. Auch im deutschen Rechtsraum ist Ross’ Werk rezipiert worden, vor allem von Robert Alexy in seiner „Theorie der Grundrechte“.342 Auf die rechtliche Problematik kollidierender Grundrechtsinhalte wird zurückzukommen sein (B. III. 4.). Nach dem four principles approach sind Prinzipien also allgemeine ethische Vorgaben, deren Kollision im Einzelfall aber nicht abstrakt gelöst ist, sondern erheblichen Beurteilungsspielraum offen lässt. Vorweggenommen sei deshalb folgendes Zwischenfazit: Auch wenn die vier Prinzipien von Beauchamp und Childress keine fertigen Antworten für Einzelfälle präsentieren, zeigen sie eine Orientierung bei der Lösung moralischer Konflikte im ärztlichen und klinischen Bereich auf. Das Kohärenzmodell hilft bei der Identifizierung ethischer Problemstellungen wie dem hier untersuchten Fall nicht indizierter Schönheitsoperationen und bietet eine Strukturierung bei der Konfliktlösung.343 Mit der situationsbezogenen Interpretation und Abwägung der vier Prinzipien können die entscheidenden Fragestellungen herausgearbeitet werden. Dies ist die Stärke des integrativen Ansatzes von Beauchamp und Childress, zugleich aber auch seine Schwäche.344 Denn die Notwendigkeit, bei der Gewichtung der Prinzipien einzelfallbezogene Argumente und allgemeine ethische Begründungen einzuschließen, führt zu ad hoc-Lösungen und damit zu einem Einfallstor für subjektive Überlegungen genau dort, wo eigentlich Bedarf nach einer konsistenten, einheitlichen 339  Beauchamp / Childress (2001); anders Vossenkuhl (2010), S. 5, der von gestufter Geltung ethischer Prinzipien mit unterschiedlicher Reichweite und verschiedenen Graden von Allgemeinheit ausgeht. 340  Marckmann (2000), S. 500. 341  Beauchamp / Childress (2001), S. 14, verweisen auf Ross (1930), The Right and the Good, und Ross (1939), The Foundations of Ethics. 342  So auch der Ansatz Alexys für das Verfassungsrecht, vgl. ausführlich unten B.III.4. 343  Marckmann (2000), S. 501 f. 344  Marckmann (2000), S.  501. Vgl. zur Kritik am principlism, insb. durch Clouser und Gert, Schöne-Seifert (1996), S. 562 f. m. w. N.; Schroth (2011a), S. 462.

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B. Grundlagen

ethischen Theorie besteht.345 Dennoch überwiegen die Vorzüge des Modells vor allem vor dem Hintergrund, dass eine methodengerechte und mit den richtigen Inhalten, also mit allgemeingültigen Moralvorstellungen unterfütterte Abwägung die notwendige Transparenz und Entscheidungshilfe bei der Lösung moralischer Fragen bieten kann.346 4. Konkreter Anwendungsfall des principlism: Schönheitsoperation Auf den hier untersuchten Gegenstand der Schönheitsoperation übertragen, kollidiert bei der Durchführung medizinisch nicht notwendiger, aber teils riskanter Schönheitsoperationen das Prinzip der Schadensvermeidung – dem Unterlassen schädigender ärztlicher Handlungen, also eben einer riskanten kosmetischen Operation ohne jeglichem medizinischen Nutzen – mit dem Prinzip der Patientenautonomie – der Patient wünscht diesen riskanten Eingriff, um schöner zu werden. Nach Beauchamp und Childress ist nun das Prinzip der Autonomie gerade nicht von höherem Rang als die anderen drei Prinzipien: „A misguided criticism of our account is that the principle of autonomy overrides all other moral considerations. This we firmly deny.“347

Beauchamp und Childress geben also wie dargestellt keine Gewichtung ihrer Prinzipien vor, sondern betrachten diese als im Ausgangspunkt gleichwertige Optimierungsgebote.348 Für kosmetische Eingriffe folgt aus dem Prinzip der Autonomie jedenfalls grundlegend, dass Patienten selbst über die Durchführung solcher ärztlichen Eingriffe entscheiden können. Sicher ist es infolge des ärztlichen Schädigungsverbots für ärztliches Handeln auch erforderlich, Risiken und Schädigungen bei der Durchführung des kosmetischen Eingriffs so gering als möglich zu halten. Im Weiteren ist aber eine individuelle und gut begründete Abwägung der beiden Prinzipien im konkreten Einzelfall einer Schönheitsoperation notwendig, bei der das eine Prinzip als höhergewichtig eingeordnet werden und das andere in den Hintergrund treten kann.349 Ob das Selbstbestimmungsrecht des Patienten überwiegt und der Arzt eine nicht indizierte Schönheitsoperation allein auf den 345  So auch Marckmann (2000), S. 501. Vgl. Schroth (2011a), S. 462; SchöneSeifert (1996), S. 562 f. 346  Marckmann (2000), S. 502. 347  Beauchamp / Childress (2001), S. 57. Anders Vossenkuhl (2010), S. 5 f., 14 f.; Schroth (2011a), S. 466, 480, 481. Vgl. oben Fn. 315. 348  Beauchamp / Childress (2001), S. 18 f. 349  Beauchamp / Childress (2001), S. 18 ff. Vgl. Schöne-Seifert (1996), S. 561; Schroth (2011a), S. 461; Marckmann (2000), S. 500.



III. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung83

Wunsch des Patienten hin vornehmen darf, ist damit von Seiten des prin­ ciplism nicht abstrakt und unmittelbar zu beantworten. Der dargestellte ethische Konflikt bei der ärztlichen Vornahme von Schönheitsoperationen findet sich auf rechtlich-normativer Ebene wieder. Dort, wo in der juristischen Regelung ausfüllungsbedürftige Leerstellen verbleiben, ist die Ergänzung und Ausfüllung durch ethische Wertungen notwendig.350 Im noch darzustellenden strafrechtlichen Rahmen nicht indizierter Eingriffe wird das kohärentistische Rechtfertigungsmodell von Beauchamp und Childress einbezogen und an denjenigen rechtlichen Anknüpfungspunkten für den Fall der Schönheitsoperation aufgegriffen und überprüft werden, die die Aufnahme ethischer Fragestellungen im Recht zulassen.

III. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung Die dargestellten ethischen Grundlagen sind die Basis für die Rechtsproblematik der Kollision von Patientenautonomie und ärztlichem Schädigungsverbot. Der von Beauchamp und Childress entwickelte four principles approach gibt die ethischen Leitlinien für das Arzt-Patienten-Verhältnis vor. Wenn nun die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Einwilligung in (nicht indizierte) ärztliche Eingriffe thematisiert werden, zielt das auf die Beantwortung der Frage, wie die Prinzipienethik auch rechtlich relevant ist, mithin juristisch als Argument herangezogen werden kann und im Recht verankert ist. Im Folgenden soll deshalb auf das Verfassungsrecht eingegangen werden, weil dieses maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die untersuchte strafrechtliche Einwilligung ist. Eine Untersuchung der von der Verfassung garantierten Grundrechte zeigt, dass die tragenden Prinzipien der Medizinethik, insbesondere das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und das ärztliche Schädigungsverbot verfassungsrechtlich abgesichert sind (I.–II.). Das medizinische Behandlungsverhältnis, das sich als grundrechtssensibles – privatrechtliches – Verhältnis zwischen Arzt und Patienten erweist, erfährt deshalb im einfachen Recht Regelungen in Umsetzung der staatlichen Schutzpflichtkonstellation und der übrigen verfassungsrechtlichen Vorgaben (III.).351 Für die Frage des Verhältnisses dieser bei der Schönheitsoperation kollidierenden Grundrechtspositionen wird auf die Grundrechtstheorie von Alexy zurückgegriffen (IV.).

350  Katzenmeier 351  Hermes

(2002), S. 69; Schroth (2011a), S. 482. (1987), S. 11.

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B. Grundlagen

1. Verfassungsrechtliche Garantie des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Entscheidendes normatives Element für das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten ist das Recht des Patienten auf freie Selbstbestimmung über seine körperliche Integrität, das das Fundament der Einwilligung bildet. Der Patientenautonomie kommt nach allgemeiner Ansicht in verfassungs-, strafund zivilrechtlicher Rechtsprechung und Literatur Verfassungsrang zu.352 Unterschiedlich wird jedoch beurteilt, aus welchem Grundrecht die Autonomie des Patienten gewährleistet wird. Dabei wird eine Zuordnung zu den unterschiedlichen Schutzbereichen teilweise abhängig davon vorgenommen, welcher Bereich der Patientenautonomie im Raum steht: die Abwehr gegen staatliche Eingriffe (negatives / passives Selbstbestimmungsrecht)353 oder die Gewährung der freien Entfaltung des Grundrechtsträgers nach dessen Vorstellungen (positives / aktives Selbstbestimmungsrecht).354, 355 Die Bestimmung der grundgesetzlichen Verankerung der Patientenautonomie kann jedoch nicht dahingestellt bleiben.356 Denn sie ist entscheidend für die auf der Verfassung beruhende strafrechtliche Ausgestaltung der Körperverletzungsdelikten und der Einwilligung, die die Verfügungsbefugnis über den eigenen Körper garantieren. a) Negatives Selbstbestimmungsrecht Soweit es um den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit des Patienten vor eigenmächtigen ärztlichen (Heil-)Eingriffen gegen oder ohne dessen Willen geht, also um die reine Abwehr beeinträchtigender Eingriffe, wird das negative Selbstbestimmungsrecht des Patienten nach der in Verfassungs- und Strafrecht allgemein geteilten Ansicht in Art. 2 Abs. 2 352  Allg. Ansicht, vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 74; m.  w. N.; Voll (1996), S. 48 f. m. w. N. insb. für die Rspr.; Schroth (2010e), S. 787; Laufs / Katzenmeier /  Lipp (2009), V. Rn. 5 f.; Schöch / Verrel (2005), S. 558; Maunz / Dürig-Di Fabio (2013), GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 204 ff.; RGSt 25, 375, 380. 353  Freiheitsgrundrechte sind primär von ihrer Abwehrfunktion geprägt und garantieren dem Grundrechtsträger ein Unterlassen staatlicher Eingriffe, vgl. Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Vorb vor Art. 1, Rn. 2, 5. Nach der Rspr. des BVerfG soll so die „Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt“ gesichert werden. BVerfGE 7, 198, 204; 7, 193, 205. 354  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 74 ff. 355  Die Freiheitsrechte haben drei klassische Grundrechtsfunktionen: status nega­ tivus (Abwehr staatlicher Eingriffe), status positivus (Anspruchs-, Leistung-, Schutzrechte gegenüber dem Staat) und status activus (Ausübung der Freiheiten im und für den Staat), vgl. Pieroth / Schlink (2013), Rn. 75 ff. 356  NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 4.



III. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung85

S. 1  GG verankert.357 Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1993 leitet sich das Selbstbestimmungsrecht des Patien­ ten insoweit aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ab. „Die Entscheidung über einen ärztlichen Eingriff steht grundsätzlich den betroffenen Patienten zu. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistet das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als Freiheitsrecht und macht deshalb den ärztlichen Heilversuch vom Willen des Patienten abhängig.“358

Ein Eingriff in die Körperintegrität darf vom Arzt nicht gegen oder ohne den Willen des Patienten vorgenommen werden. Selbst in den Fällen, in denen eine dringende medizinische Indikation gegeben ist, ist eine Zwangsbehandlung unzulässig.359 Argumentiert wird, dass gerade der vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfasste Zweck verfolgt werde:360 Die Bestimmung über die eigene, leiblich-seelische Integrität gehört „zum ureigensten Bereich der Personalität des Menschen. In diesem Bereich ist der Einzelne aus Sicht des Grundgesetzes frei, seine Maßstäbe zu wählen und nach ihnen zu leben und zu entscheiden.“361 Für ärztliche Heilbehandlungen bedeutet das, dass der Arzt den Eingriff nur aufgrund einer wirksamen, autonom erteilten Einwilligung des Patienten vornehmen darf. Die Patientenautonomie als subjektives Freiheitsrecht ist damit dem vom Arzt verfolgten Patientenwohl vorrangig, soweit es um die Verweigerung von Eingriffen durch den Patienten geht.362 357  Minderheitsvotum BVerfGE 52, 131, 173  ff. (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger), bestätigt durch BVerfGE 89, 120 ff., 130; BGH, NJW 1958, 267; Fischer (1997), S. 70; Schroth (2010e), S. 787; Murmann (2005), S. 226 ff., 233; Hermes (1987), S. 250; Tag (2000), S. 77; Sternberg-Lieben (1997), S. 19 ff., 21; Voll (1996), S. 49 ff. m. w. N. zur Gegenansicht. Vgl. auch LK-StGBRönnau (2006), Vor § 32 Rn. 146 m. w. N. 358  BVerfGE 89, 120, 130. Noch in der Entscheidung zum Arzthaftungsrecht aus dem Jahr 1979, BVerfGE 52, 131 ff., mit abw. Votum der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger, S. 171 ff., waren sich die Richter des Zweiten Senats uneins über die verfassungsrechtliche Verankerung. Die Mehrheit des Senats leitete damals die Patientenautonomie aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 GG, her, während die drei dissentierenden Richter das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Maßstab heranzogen, BVerfGE 52, 131, 173 ff. (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger). Dieser letzten Ansicht hat sich 1993 der ganze Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts angeschlossen. Vgl. Maunz / Dürig-Di Fabio (2013), GG, Art. 2 Abs. 2, Rn. 69 ff. 359  BGHZ 29, 46, 49. 360  Murmann (2005), S. 233. 361  BVerfGE 52, 171, 175 (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger). Vgl. Dreier-Schulze-Fielitz (2013), GG, Art.  2 Abs.  2 Rn.  25; Mangoldt / Klein / Starck-Starck (2010), GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 191, 193; Fateh-Moghadam (2008), S. 78 ff.; Hollenbach (2003), S. 49 ff.; Antoine (2004), S. 215 ff., 251 f. 362  Vgl. Voll (1996), S. 52 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 75.

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B. Grundlagen

b) Positives Selbstbestimmungsrecht Soweit es um die positive Selbstverfügungsfreiheit über den eigenen Körper bei Selbstgefährdungen oder Selbstschädigungen und die Einwilligungsmöglichkeit in Fremdgefährdungen oder Fremdschädigungen geht, ist dieses Recht in seiner grundlegenden Existenz anerkannt.363 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben garantieren das Recht auf freie körperliche Entfaltung und die Freiheit vor Beeinträchtigungen der personalen körperbezogenen Autonomie. Es ist allgemein anerkannt, dass der Einzelne frei und selbstbestimmt mit seinen Rechtsgütern verfahren und Dritten durch Einwilligung gestatten kann, straflos in seine Rechtsgüter einzugreifen; der Dritte erweitert dann die Freiheit des Rechtsgutsträgers in den Fällen, in denen dieser Hilfe bei der Entfaltung bedarf.364 Diese Konstellation betrifft das positive Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers, also das Freiheitsgrundrecht in seiner Entfaltungsfunktion, und ist von entscheidender Bedeutung für die hier untersuchte nicht indizierte Schönheitsoperation. Denn die körperbezogene Verfügungsfreiheit des Grundrechtsträgers ist nicht nur auf Heilbehandlungen und sonst anerkannte positive Zwecke beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf unsinnige, sogar „unwürdige“ Selbstdarstellungen, Selbstgefährdungen und Selbstverletzungen.365 Das Bundesverfassungsgericht leitet aus dem Grundgesetz die Befugnis des Einzelnen ab, sein Äußeres nach eigenem Gutdünken zu gestalten.366 Der Patient, der sich einer Schönheitsoperation unterzieht, verwirklicht sich im Rahmen seines körperlichen Selbstbestimmungsrechts selbst und gestaltet aktiv seine Vorstellung davon, welches Aussehen er haben möchte.367 Auch staatliche Regelungen, die die Schönheitsoperation einzuschränken suchen (so beispielsweise die ärztliche Aufklärungspflicht), indem sie ein Verbot an den Arzt richten (§§ 223 ff. StGB bei unwirksamer Einwilligung), sind damit mittelbarer Grundrechtseingriff beim Patienten.368 Im Einzelnen ist beim positiven Selbstbestimmungsrecht umstritten, wel­ cher grundrechtliche Schutzbereich eröffnet sein soll. Die verschiedenen Ansichten rekurrieren auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrt363  Fateh-Moghadam (2008), S.  79; Rönnau (2001), S.  9; Sternberg-Lieben (1997), S. 17 ff.; Schöch / Verrel (2005), S. 558. 364  Zum Ganzen Sternberg-Lieben (1997), S. 20 f.; Ohly (2002), S. 96 f. 365  Fateh-Moghadam (2008), S. 79; Maunz / Dürig-Herdegen (2013), GG, Art. 1 Abs.  1 Rn.  84; anders als noch im sog. ersten Peepshow-Urteil, BVerwGE 64, 274, 280, nun BVerwGE 84, 314, 317. 366  BVerfGE 47, 239, 248 f.; so auch BVerwGE 46, 1, 2; 76, 60. Vgl. SternbergLieben (1997), S. 21. 367  Vgl. Schroth (2010e), S. 787. 368  Sternberg-Lieben (1997), S. 24; Fateh-Moghadam (2008), S. 79.



III. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung87

heit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG oder die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1  GG.369 Die überwiegende Ansicht verortet die Patientenautonomie in ihrer Entfaltungsfunktion in der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG bzw. im allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1  GG370, 371 – zumeist prinzipiell, mindestens aber dann, wenn der Eingriff in die körperliche Integrität in den Hintergrund tritt, weil vorrangig andere Zwecke verfolgt werden wie etwa die körperliche Selbstdarstellung oder die Gestaltung der bioethischen Selbstbestimmung.372 Murmann etwa entnimmt die Ableitung im strafrechtlichen Kontext der Opferselbstverantwortung aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit.373 Er verweist auf die Tatsache, dass es zu pauschal sei, Eingriffe ganz unterschiedlicher Natur wie etwa ärztliche Heileingriffe und solche ärztlichen Eingriffe, die ohne Heilzweck eine selbstbestimmte Preisgabe des Rechtsguts Körper bedeuten, dem gleichen Grundrechtsschutzbereich des Rechts auf Leben und körperlicher Unversehrtheit zu unterstellen.374 Nach seiner Ansicht soll die Zuteilung zu den grundrechtlichen Schutzbereichen abhängig davon sein, welcher Zweck mit dem konkreten (ärztlichen) Eingriff verfolgt werde. Entscheidend sei nicht die Vornahme einer Disposition über den eigenen Körper, sondern die darin liegende Ausübung einer anderen 369  Umfangreiche Erörterungen hierzu bei Murmann (2005), S. 226 ff.; SternbergLieben (1997), S. 17 ff.; Voll (1996), S. 48 ff. Ausführlich und überzeugend für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG insb. Fateh-Moghadam (2008), S. 74 ff. m. w. N. Vgl. auch Tag (2000), S.  76 f. 370  BVerfGE 52, 131 ff. (Mehrheitsvotum); BVerfGE 47, 239, 248; Jarass / PierothJarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 8, 100 m. w. N.; Maunz / Dürig-Di Fabio (2013), GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 204 ff. m. w. N.; Amelung (1998), S. 29; Schroth (2010e), S. 787; Geppert (1971), S. 953; Göbel (1992), S. 22; Jescheck / Weigend (1996), § 34 II. 3.; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 146 m. w. N.; Rönnau (2001), S. 10 und Murmann (2005), S. 234. Roxin (2006), § 13 Rn. 12, 14 nimmt zwar Bezug auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, behandelt im dortigen Kontext aber den Rechtsgüterschutz im Allgemeinen und nicht die körperliche Selbstbestimmungsfreiheit, so dass die Passage wohl nicht als Stellungnahme für letztere verstanden werden kann. Nach Lorz (2007), S. 91, wurzelt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in „Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG […] und [bekommt] durch das Recht auf körperliche Unversehrtheit und ggf. Lebens aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einen besonderen Bedeutungsgehalt verliehen“. 371  Zur Abgrenzung der Schutzbereiche von Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vgl. Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 50. 372  Murmann (2005), S. 233. 373  Murmann (2005), S. 226 ff. Vgl. zum Ganzen auch Fateh-Moghadam (2008), S.  80 ff. 374  Murmann (2005), S. 231.

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B. Grundlagen

grundrechtlich geschützten Freiheit.375 Gehe es nicht vorrangig um Heilung oder Linderung im wörtlichen Sinn des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, sei Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig.376 Die überzeugenderen Argumente sprechen indes dafür, den Schutz des positiven Selbstbestimmungsrechts des Patienten aus dem speziellen Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1  GG als Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu entnehmen.377 Der Auffassung, die die Patientenautonomie in ihrer positiven Entfaltungsfunktion in Art. 2 Abs. 1 GG begründen möchte, lässt sich entgegnen, dass sie die körperliche Integrität bzw. das Leben zu objektiven Schutzgütern macht.378 Nach seiner Zielsetzung räumt das Grundgesetz aber gerade wegen seiner Begründung über die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, die bei der Interpretation der Grundrechte leitend ist, einen liberal-individuellen Schutz ein.379 Die Behauptung, die der Gegenansicht innewohnt, lautet, dass Körper und Leben der Selbstbestimmung vorausliegen.380 Zutreffender scheint es davon auszugehen, dass den Einzelgrundrechten auch ein beliebiger Freiheitsgebrauch über das jeweils geschützte Rechtsgut immanent ist.381 Grundrechtseingriffe ganz unterschiedlicher Qualität und mehrdimensionale Schutzbereiche sind der Verfassung auch sonst nicht unbekannt.382 Auch Murmann etwa erkannt an, dass Beschränkungen der Verfügungsfreiheit unter das spezielle Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG subsumiert werden können, indem er den ärztlichen Heileingriff hier einordnet;383 diese Auffassung führt aber zu gravierenden Abgrenzungsschwierigkeiten, weil nicht indizierte ärztliche Eingriffe wiederum der allgemeinen Handlungsfreiheit unterstellt werden. Eine klare Abgrenzung zwischen indizierten und nicht indizierten ärztlichen Eingriffen begegnet aber den oben dargestellten Schwierigkeiten. Diese Differenzierungsprobleme dürfen nicht die verfassungsrechtliche Grundlage der Einwilligung beeinflussen.384 Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann vielmehr als spezielleres Einzelgrundrecht 375  Murmann

(2005), S. 232 f. (2005), S. 233. 377  Ausführlich und überzeugend für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Fateh-Moghadam (2008), S. 74 ff., 79 ff. m. w. N. So auch Sternberg-Lieben (1997), S. 19 f., 30; NKStGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 3; Voll (1996), S. 50. 378  Vgl. Murmann (2005), S. 231 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 76. 379  Böckenförde (1974), S. 1530 ff., 1537; Sternberg-Lieben (1997), S. 19 f., 30; Antoine (2004), S. 251 f., 239 ff., 258 mit ausführlicher Begründung für das Recht auf Leben; ebenso überzeugend Fateh-Moghadam (2008), S. 79 ff. 380  Vgl. Antoine (2004), S. 250. 381  Vgl. Sternberg-Lieben (1997), S. 19 ff.; Voll (1996), S. 50. 382  So zutreffend Fateh-Moghadam (2008), S. 80. 383  Murmann (2005), S. 233. 384  Fateh-Moghadam (2008), S. 81. 376  Murmann



III. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung89

und Ausprägung des Art. 2 Abs. 1 GG verstanden werden, die daher auch die körperbezogene Freiheit seiner Nichtausübung schützt, die mit – medizinisch sinnlosen – Veränderungen am eigenen Körper einhergeht.385 Gerade die nicht indizierte Schönheitsoperation stellt eine solche Entscheidung dar, die das Schutzgut Körper konkret gestaltet. Dabei umfasst dieser Schutz auch entsprechende (ärztliche) Fremdgefährdung und Fremdverletzung. Bei aktiver Selbstschädigung ist anerkannt, dass die Abwehrfunktion der Grundrechte auf einen negativen Freiheitsgebrauch erweitert wird. Das Gleiche muss auch für Einwilligungen in Fremdschädigungen gelten, wenn zwar ein Dritter Hand anlegt, aber sich das Ergebnis gleich darstellt.386 Nach der hier vertretenen Auffassung ist daher die Verfügungsfreiheit über den eigenen Körper umfassend, unter Einbezug der personalen körperbezogenen Autonomie und des Rechts auf selbstschädigendes Verhalten, unter Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu subsumieren. Die Dispositionsbefugnis über das geschützte Rechtsgut wird in den Schutzbereich des speziell einschlägigen Grundrechts hineingelesen.387 All diejenigen Dispositionen des Grundrechtsträgers, die unmittelbar auf den Körper einwirken, werden damit vom Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit geschützt, und zwar auch solche Verfügungen, die die Selbstdarstellung unter Verfolgung wie auch immer gelagerter (etwa kosmetischer) Ziele bezwecken, verbunden mit Beeinträchtigungen oder Verletzungen der körperlichen Integrität.388 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen des ärztlichen Schädigungsverbots Das ärztliche Schädigungsverbot des Hippokratischen Eids, primum non nocere, ist als ethisches Leitprinzip und standesrechtlicher Grundsatz herausgearbeitet worden. Dieses Prinzip ist auch im Recht verankert. Das Grundrecht auf Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gebietet in seiner Abwehrfunktion, ein staatliches Eingreifen in diese Rechtsgüter des Einzelnen zu unterlassen und sie weiter gegenüber allen Eingriffen und Gefährdungen von außen aufrechtzuerhalten.389 Geschützt werden die Gesundheit im biologisch-physiologischen sowie im psychischen Sinn, also die Gesundheit, das psychische Wohlbefinden, soweit sich körperlichen Schmerzen vergleichbare Wirkungen zeigen, und die körperliche Inte385  Antoine

(2004), S. 242; ebenso Fateh-Moghadam (2008), S. 83. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 146; Ohly (2002), S. 96 f. 387  Voll (1996), S. 50; Fateh-Moghadam (2008), S. 79 ff., 82. 388  Fateh-Moghadam (2008), S. 82. 389  Dreier-Schulze-Fielitz (2013), GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 47 f.; Jarass / PierothJarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 5. 386  Vgl.

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B. Grundlagen

grität als solche.390 Deshalb sind alle ärztlichen Maßnahmen, auch Heileingriffe, dem Schutzbereich zuzuordnen.391 Dabei sind ärztliche Maßnahmen nur dann ein Grundrechtseingriff, wenn der Patient keine wirksame Einwilli­ gung erteilt hat. Konsentierte Heilbehandlungen fallen nicht in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG.392 Ein Grundrechtseingriff in den Schutzbereich ist aber sowohl bei Zwangsbehandlungen anzunehmen, als auch bei Schädigungen durch den Arzt im Rahmen eingewilligter Eingriffe, die über den von der wirksamen Einwilligung erfassten Bereich bzw. über das medizinisch notwendige Maß hinausgehen. Schädigen meint alle393 Eingriffe, die diese Rechtsgüter des Grundrechtsträgers beeinträchtigen, also jedes Zufügen körperlicher Beeinträchtigungen, von der Substanzverletzung über das Zufügen von Schmerzen bis hin zur Zuführung von Stoffen, etwa durch Injektionen. Aus Art. 2 Abs  2 S. 1 GG ergibt sich damit gerade auch ein Schädigungsverbot des Arztes bzgl. Körperintegrität und Leben seiner Patienten. Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfasst in jedem Fall nicht indizierte ärztliche Eingriffe, aber auch Heileingriffe, weil der Schutz die körperliche Integrität in ihrem objektiven Bestand unabhängig von subjektiven Zielsetzungen (z. B. Heilen) umfasst.394 Das Verwenden eines Skalpells bei einer Schönheitsoperation, die Blutentnahme, das Spritzen von Narkosemitteln und das Zufügen von Schmerzen sind Eingriffe und fallen in den Schutzbereich des genannten Grundrechts. Dass der Arzt diesem grundrechtlichen und daher prinzipiell die öffent­ liche Gewalt bindenden Schädigungsverbot auch im Rahmen seiner nichthoheitlichen, privaten Tätigkeit entsprechen muss, soll im Folgenden erläutert werden. 390  Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 83; Pieroth / Schlink (2013), Rn. 420. 391  Zum Ganzen BVerfGE 56, 54, 74; Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 83; Sachs-Murswiek (2011), GG, Art. 2 Rn. 154, 206. 392  Pieroth / Schlink (2013), Rn. 422; Sachs-Murswiek (2011), GG, Art. 2, Rn. 206 m. w. N. Überwiegend werden diese Eingriffe schon begrifflich aus dem Schutzbereich des Grundrechts ausgenommen; so Maunz / Dürig-Di Fabio (2013), GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 69 m. w. N. Abgesehen von der genauen Einordnung bleibt es aber beim Vorliegen eines Grundrechtseingriffs, wenn der Patient zuvor ausreichend vom Arzt aufgeklärt worden ist, vgl. Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 89. Der Entscheidungsfreiheit des Patienten ist dabei großes Gewicht zuzuerkennen, vgl. BVerfGE 58, 208, 226. 393  Bei sog. Bagatellfällen wird überwiegend davon ausgegangen, dass eine geringe Intensität den Eingriff nicht ausschließt, sondern dass im Rahmen der Rechtfertigung zu berücksichtigen ist. Vgl. Pieroth / Schlink (2013), Rn. 422. Im Einzelnen umstr., vgl. Sachs-Murswiek (2011), GG, Art. 2 Rn. 162 f. m. w. N.; Dreier-SchulzeFielitz (2013), GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 49 f. 394  Sachs-Murswiek (2011), GG, Art. 2 Rn. 154, 206, 154  ff.; Dreier-SchulzeFielitz (2013), GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 47; Hollenbach (2003), S. 42 ff., 46 ff.



III. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung91

3. Grundrechtliche Schutzpflichtkonstellation im privatrechtlichen Arzt-Patienten-Verhältnis Das Behandlungsverhältnis zwischen Arzt und Patient ist im Normalfall der ärztlichen Heilbehandlung und im hier untersuchten Fall der nicht indizierten Schönheitsoperation ein Rechtsverhältnis zwischen Privaten. Weil der Arzt, sofern er im Rahmen eines privaten rechtsgeschäftlichen oder sozialen Kontakts handelt, kein gemäß Art. 1 Abs. 3 GG verpflichteter Grundrechtsadressat ist, besteht keine unmittelbare Bindung durch die Grundrechte.395 Dennoch wirkt die Grundrechtsordnung hinsichtlich Patientenautonomie und ärztlichem Schädigungsverbot in die privatrechtliche Beziehung zwischen Arzt und Patienten hinein, weil deren Verhältnis aus verfassungsrechtlicher Perspektive eine grundrechtliche Schutzpflichtkons­ tellation darstellt.396 Die Existenz einer staatlichen Schutzpflicht für die Wahrung der Grundrechte ist in der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herausgearbeitet worden397 und in der ganz überwiegenden verfassungsrechtlichen Literatur anerkannt,398 auch wenn die dogmatischen Begründungen im Einzelnen divergieren.399 Das Bundesverfassungsgericht begründet die Schutzpflichtenlehre aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des jeweiligen Grundrechts selbst.400 Aus Art. 2 Abs. 2 S. 1  GG401 folgt danach für den Staat die Pflicht, sich „schützend und fördernd vor das Leben“402 und die körperliche Unversehrtheit der Grundrechtsberechtigten zu stellen, um es vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Privater zu bewahren und auch in privaten Rechtsverhältnissen die Achtung der objektiven Wertordnung der Grundrechte zu gewährleisten.403 395  Hermes

(1987), S. 11, 37; Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 1 Rn. 50. (2002), S. 85, 86 ff.; Sternberg-Lieben (1997), S. 22; Fateh-Moghadam (2008), S. 77. 397  Vgl. nur BVerfGE 39, 1 ff.; BVerfGE 52, 131 ff. (Mehrheitsvotum); BVerfG NJW 1998, 2961. M. zahlr. w. N.; Hollenbach (2003), S. 20; Freier-Dreier (2013), GG, Vorb. Rn. 102. 398  Hollenbach (2003), S. 20 ff. jeweils m. zahlr. w. N.; Dreier-Dreier (2013), GG, Vorb. Rn. 101 ff.; Hermes (1987), S. 76, 280. 399  Ausführlich Hollenbach (2003), S. 20 ff.; Hermes (1987), S. 43 ff. 400  BVerfGE 39, 41; 45, 187, 256; 56, 54, 73. Ausführlich m.  w.  N. Mangoldt / Klein / Starck-Starck (2010), GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 193 ff.; Hermes (1987), S. 63. 401  Auch ohne Rückgriff auf Art. 1 Abs. 1 GG, umstr; vgl. Mangoldt / Klein / StarckStarck (2010), GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 229. 402  BVerfGE 39, 1, 42; 46, 160, 164. Vgl. Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 91. 403  Zum ganzen Sachs-Murswiek (2011), GG, Art. 2 Rn. 188 ff.; Jarass / PierothJarass (2012), GG, Art. 1 Rn. 50, Art. 2 Rn. 91; Dreier-Dreier (2013), GG, Vorb. 396  Ohly

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B. Grundlagen

Auch wenn ärztliche Maßnahmen in ihrer Intention heilend und nicht verletzend sind, gehen verfassungsrechtliche Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass sie Eingriffe in die geschützte körperliche Unversehrtheit des Patienten sind.404 Durch die rechtliche Ausgestaltung der Rechtsbeziehung von Arzt und Patient muss der Staat deshalb einen effektiven Schutz von Gesundheit und Selbstbestimmungsrecht des Patienten bei ärztlichen Heilbehandlungen ebenso wie bei Heilversuchen und nicht indizierten ärztlichen Eingriffen sicherstellen,405 etwa durch den Erlass materieller Rechtsnormen oder durch die Bereitstellung verwaltungsrechtlicher Genehmigungsverfahren. Dabei besteht die Schutzpflichtkonstellation ganz generell für das Arzt-Patienten-Verhältnis, auch im Fall der Mitwirkung des Patienten, der einen Eingriff wünscht.406 Bedeutung gewinnen die Grund­ rechte im privatrechtlichen Verhältnis von Arzt und Patient daher über die hoheitliche Regelung der Einwilligung und deren Beschränkungen.407 In Erfüllung dieser Vorgaben des Verfassungsrechts haben der Schutz der Patientenautonomie und das ärztliche Schädigungsverbot eine Ausprägung in der einfach-rechtlichen Ausgestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses erfahren. Ausdruck des ärztlichen Schädigungsverbots sind die Körperverletzungsund Lebensschutzdelikte des Strafgesetzbuchs.408 Über die Reichweite der wirksam erteilten Einwilligung bemisst sich das Ausmaß, innerhalb dessen der Arzt in einem Durchgangsstadium notwendig schädigende Eingriffe mit dem Ziel der Gesundheitsförderung und Heilung oder der Verfolgung anderer Zwecke wie etwa bei einer nicht indizierten Schönheitsoperation vornehmen darf.409 Die verfassungsrechtlich umfassend garantierte Patientenautonomie wird im Arztstrafrecht als Grund, rechtliche Verankerung und Maßstab für straf­ rechtliche Einwilligung und ärztliche Aufklärung relevant. Art. 2  Abs. 2 S. 1 GG wirkt dahingehend auf die Arzt-Patienten-Beziehung ein, als er ein Rn. 101 ff.; Mangoldt / Klein / Starck-Starck (2010), GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 178 ff.; Hermes (1987), S. 12; Albers (2009), S. 140. 404  Mangoldt / Klein / Starck-Starck (2010), GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 237 m. w. N. 405  Hollenbach (2003), S. 20 ff.; Albers (2009), S. 140 m. w. N.; Hermes (1987), S. 12 m. w. N. für die Rspr. des BVerfG. 406  Hollenbach (2003), S. 25. 407  Ohly (2002), S. 81. 408  Ein Sonderstrafrecht für Ärzte gibt es nicht; diverse Reformvorhaben für das StGB, insb. zur Einführung eines eigenen Tatbestands zur eigenmächtigen Heilbehandlung, sind zuletzt im 6. StRG vom Gesetzgeber verworfen worden. Vgl. ausführlich Tag (2000), S. 31 ff. 409  Vgl. auch Schroth (2011a), S. 481.



III. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung93

Einwilligungs- und Aufklärungserfordernis postuliert.410 Ärztliche Eingriffe ohne eine informierte Einwilligung des Patienten kann es daher straffrei nicht geben.411 Ausprägung des verfassungsrechtlich abgesicherten Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist dabei insbesondere die Notwendigkeit der Aufklärung des Patienten durch den Arzt.412 Über die §§ 223 ff., 211 ff. StGB und die Grundsätze der wirksamen Einwilligung im Strafrecht413 und über das Vertrags- und Haftungsrecht und § 242 BGB im Zivilrecht414 ist der Arzt verpflichtet, bei der Behandlung jeden nicht notwendigen Schaden für den Patienten zu vermeiden und dessen Rechtsgüter körperliche Unversehrtheit, Leben und Selbstbestimmungsrecht so weitgehend zu schützen, wie es der Stand der medizinischen Erkenntnisse und die aus der Individualität des Patienten und des menschlichen Organismus resultierenden Schwierigkeiten im Einzelfall zulassen.415 Da dem Staat bei der Ausgestaltung der grundrechtlichen Schutzpflichten ein großer Einschätzungsspielraum zukommt,416 konnte auch von der Einführung eines Straftatbestands der eigenmächtigen Heilbehandlung abgesehen werden, da der Gesetzgeber einen ausreichenden Schutz über die Körperverletzungsdelikte und deren Auslegung durch die Rechtsprechung gegeben sah.417 Über das strafrechtliche Institut der Einwilligung und über § 242 BGB im Zivilrecht entfalten die genannten Grundrechtspositionen auch nach der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Wirkung im privaten Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient.418 Denn im Anschluss an die Lüth-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts419 stellen die 410  BVerfGE 52, 131, 171, 173 ff. (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger). 411  So auch die Tatbestandslösungen, die nur dahingehend differieren, dass der Schutz des Selbstbestimmungsrechts nicht in den §§ 223 ff. StGB, sondern in einem Sondertatbestand zur eigenmächtigen Behandlung verortet werden sollte. – Unterschiede im Einzelnen bestehen jeweils in den Fällen der hypothetischen und der mutmaßlichen Einwilligung sowie des Aufklärungsverzichts oder des Entfallens der Aufklärungspflicht. 412  BVerfGE 52, 131, 171, 173 ff. (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger). 413  Hollenbach (2003), S. 236, 237 ff. 414  Hollenbach (2003), S. 178 ff. 415  Ausführlich Hollenbach (2003), S. 170 ff., 233 ff. 416  Für viele Dreier-Dreier (2013), GG, Vorb. Rn. 103; Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 92; Hermes (1987), S. 50. 417  Vgl. Schroth (2007a), S. 122; Schreiber (1999), S. 718; Tag (2000), S. 75. 418  H. M., im Einzelnen im verfassungsrechtlichen Schrifttum umstr. Vgl. DreierDreier (2013), GG, Vorb. Rn. 96 ff. 419  BVerfGE 7, 198, 205 ff.

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B. Grundlagen

Grundrechte auch eine objektive Werteordnung dar, die über die Generalklauseln und die sonstigen wertungsoffenen Zentralbegriffe des einfachen Rechts als Einfallstore in die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten hineinwirken.420 Die Einwilligungstatbestände sind nach der grundlegenden arztrechtlichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Generalklauseln im Sinn dieser Rechtsprechung und damit Ausdruck grundlegender Rechtsvorstellungen, die die geltende Rechtsordnung prägen und durchziehen.421 Verhältnis und Abgrenzung zur Lehre der grundrechtlichen Schutzpflichten sind im Einzelnen noch nicht abschließend geklärt.422 Festgehalten werden kann an dieser Stelle also, dass sich die entscheidenden Grundrechtspositionen auch im privatrechtlichen Verhältnis von Arzt und Patient entfalten. 4. Grundrechte als Optimierungsgebote (Alexy) Mit der Feststellung, dass die für diese Untersuchung wesentlichen Prinzipien von Patientenautonomie und ärztlichem Schädigungsverbot im Verfassungsrecht verankert sind, stellt sich die Frage, wie das Verhältnis dieser grundgesetzlichen Positionen zueinander im Konfliktfall aufzulösen ist.423 Ein theoretisches Fundament solcher Kollisionen hat Alexy dargelegt.424, 425 Wie Beauchamp und Childress bezieht auch Alexy sich in seiner Habilitationsschrift unter anderem auf das grundlegende Werk von William D. Ross als Basis seiner Analyse und rezipiert dessen Konzeption für den deutschen Rechtsraum.426 Im Mittelpunkt der Theorie von Alexy steht das Verständnis der Grundrechte als Prinzipien und das Konzept der Abwägung.427 Alexy unterscheidet für die Interpretation der Grundrechte Prinzipien von Regeln.428 Prinzipien 420  Pieroth / Schlink

(2013), Rn. 196 f. BVerfGE 51, 171 ff. (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger). 422  Dreier-Dreier (2013), GG, Vorb. Rn. 99 f. 423  Grundrechtstheoretische Konzepte haben insb. Böckenförde (1974), S. 1529 ff., Suhr (1988) und Alexy (1985) vorgestellt. 424  Alexy (1985), „Theorie der Grundrechte“. 425  Vgl. zum Ganzen die Darstellungen bei Schroth (2011a), S. 462 f., und Couzinet (2009), S. 603 ff., 607 f., m. w. N. insb. zur Kritik an der Unterscheidung von Regeln und Prinzipien. 426  Vgl. Alexy (1985), S. 87 Fn. 53, („zum Begriff des prima facie-Charakters vgl. grundlegend, wenn auch in vielen Punkten unklar, W. D. Ross …“). 427  So auch Couzinet (2009), S. 603. 428  Alexy (1985), S. 71; beide unterfallen dem Begriff der Norm, da beide sagen, „was gesollt ist“, S. 72. 421  Vgl.



III. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Einwilligung95

sind danach Normen, die gebieten, dass etwas in einem – abhängig von den rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten – möglichst hohen Maße realisiert werden soll. Regeln dagegen sind Normen, deren Soll-Vorgabe stets nur erfüllt werden kann oder nicht.429 Die oben dargestellten Grundrechtspositionen der Patientenautonomie und des ärztlichen Schädigungsverbots sind nach dieser Unterscheidung Prinzipien. Prinzipien sind nach Alexy dabei Optimierungsgebote.430 Sie enthalten prima facie-Gebote. Ist ein Prinzip einschlägig, so heißt das also noch nicht, dass sein Regelungsgehalt auch im Ergebnis zur Geltung kommt.431 Für die hier untersuchte Konstellation der nicht indizierten ärztlichen Eingriffe bedeutet das, dass sowohl Patientenautonomie als auch ärztliches Schädigungsverbot keine definitiven Gebote sind, sondern im Einzelfall vorrangig sein oder zurücktreten können.432 Unterschiede ergeben sich in der Auflösung von Prinzipienkollisionen und Regelkonflikten.433 Bei einer Prinzipienkollision führen zwei Normen, angewandt auf einen Fall, zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen, die sich widersprechende konkrete Sollensurteile beinhalten. Bei der Auflösung eines solchen Konflikts muss eines der Prinzipien zurücktreten. Das bedeutet indes nicht, dass seine Gültigkeit außer Kraft gesetzt ist. Vielmehr kann ein Prinzip unter bestimmten Voraussetzungen vorgehen, während der Vorrang unter einer anderen Bedingungen gerade umgekehrt zu beantworten sein und ein anderes Prinzip vorgehen kann.434 Prinzipienkollisionen werden damit nicht in der Dimension der Geltung, sondern in der Dimension des Gewichts gelöst.435 Als Vorgehensweise ist von Alexy dabei eine einzelfallbezogene Abwä­ gung vorgesehen.436 Nach dem sog. Abwägungsgesetz gilt, dass „je höher der Grad der Nichterfüllung oder der Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, umso größer […] die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein“ muss.437 Für dessen Ausfüllung hat Alexy die sog. Gewichtsformel entwi429  Alexy

(1985), S. 76. (1985), S. 75 ff. 431  Alexy (1985), S. 87 f. Im Gegensatz dazu müssen Regeln, sobald sie gelten, erfüllt werden und geben dabei definitive Gebote vor. 432  Vgl. hierzu Schroth (2011a), S. 462. 433  Zum Regelkonflikt Alexy (1985), S. 77 f., zur Prinzipienkollision S. 78 f. 434  Zum Ganzen Alexy (1985), S. 78 f. 435  Alexy (1985), S. 77, 79. Vgl. hierzu Couzinet (2009), S. 604 m. w. N. 436  Alexy (1985), S. 146. 437  Alexy (1985), S. 146. Vgl. zum Ganzen auch Couzinet (2009), S. 606 m. w. N. An dieser Abwägungsformel ist vielfach Kritik geübt worden, da sie Raum für irrationale Entscheidungen und Dezisionsismus lasse und häufig nicht rational zu be430  Alexy

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B. Grundlagen

ckelt, nach der das Gewicht des einen Rechtsguts, zu dessen Gunsten eingegriffen wird, in Verhältnis zum Gewicht desjenigen Guts zu setzen ist, zu dessen Lasten eingegriffen wird. Die Auflösung der Prinzipienkollision ist nur dann verhältnismäßig, wenn das Gewicht letzteren Rechtsguts kleiner oder gleich das des ersteren ist.438 Im Kontext dieser Untersuchung wirkt sich die Kollision der beiden entscheidenden Prinzipien des Selbstbestimmungsrechts und des Schädigungsverbots innerhalb der strafrechtlichen Prüfung der Einwilligung aus, die als Generalklausel das Strafrecht für die dargestellten verfassungsrechtlichen Erwägungen öffnet. Das zentrale Problem bei der gebotenen Abwägung ist die Frage, ob die Entscheidung des Patienten die Körperverletzungsdelikte wegen dessen körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts jederzeit „außer Kraft setzen“ kann, ob also jede Einwilligung in einen – auch medizinisch gänzlich sinnlosen – ärztlichen Eingriff wirksam ist und den Arzt straffrei stellt. Auf Ebene der Grundrechte und der dargestellten Kollisionstheorie würde das bedeuten, dass die Patientenautonomie das ärztliche Schädigungsverbot immer überwiegt. In der Abwehrfunktion des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, bei der es um die Verweigerung unerwünschter (Heil)-Behandlungen geht, ist die Patientenautonomie wie oben ausgeführt auch vor einem vom Arzt bezweckten Patientenwohl – dessen Erreichen mit Eingriffen in die Körperintegrität verbunden ist – vorrangig. Ungeklärt ist das Verhältnis der beiden Prinzipien aber bei den medizinisch nicht indizierten Eingriffen, also im Bereich des aktiven körperlichen Entfaltungsrechts und der positiven autonomen körperbezogene Selbstbestimmung. Inwieweit das ärztliche Schädigungsverbot, das nach Alexy als Optimierungsgebot zu verstehen ist und daher auch bei einem generell angenommenen Vorrang der Patientenautonomie nie seine Gültigkeit verliert, in Einzelfällen aufgrund einer verfassungsrechtlichen Abwägung trotz und entgegen einer erteilten Patienteneinwilligung wieder den Vorrang gewinnen kann, bleibt zu untersuchen.439 Auf diese Frage wird in den jeweiligen Ausführungen zur Einwilligung des Patienten in nicht indizierte Eingriffe, insbesondere in nicht indizierte Schönheitsoperationen, zurückzukommen sein.

gründen sei, warum eine Entscheidung zur Kollisionsauflösung so und nicht anders ausgefallen ist. Dem ist entgegenzuhalten, dass Alexys Theorie als transparente Methode den in jedem Fall erforderlichen Abwägungsvorgang in bestmöglicher Weise rational gestaltet. Vgl. Couzinet (2009), S. 604, 608 m. w. N. 438  Alexy (2007), S. 110. Vgl. zum Ganzen auch Couzinet (2009), S. 604  ff. m. w. N. 439  Vgl. Schroth (2011a), S. 462 f.



IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte97

IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte Entsprechend der verfassungsrechtlichen Diskussion zu Art. 2 Abs. 2 GG findet sich im Rahmen der strafrechtlichen Rechtsgutstheorie keine einheitliche Antwort auf die Frage, ob sich der Schutz der Körperverletzungsdelikte auf den objektiv-biologischen Bereich der körperlichen Gesundheit beschränkt oder auch das auf den Körper bezogene, individuelle Selbstbestimmungsrecht erfasst ist.440 Die komplexe und in fast allen Einzelfragen umstrittene Thematik der strafrechtlichen Rechtsgutstheorie,441 mit der sich bedeutende Untersuchungen beschäftigt haben,442 soll hier in ihren Grundlagen aufgeführt werden. Denn die Bestimmung des Individualrechtsguts,443 das den Körperverletzungsdelikten zugrunde liegt, ist aus verschiedenen Gründen weichenstellend für die strafrechtliche Beurteilung nicht indizierter ärztlicher Schönheitsoperationen.444 Die Körperverletzungsdelikte sind Bezugspunkt und Maßstab für die strafrechtliche Bewertung kosmetischer Eingriffe, denn nach ständiger Rechtsprechung und nach der ganz überwiegenden Literatur ist eine nicht indizierte ärztliche Behandlung, die unter die Haut geht, tatbestandsmäßige Körperverletzung.445 Für die Auslegung der Körperverletzungsdelikte und generell für die Frage, welche Art von Eingriffen zur Annahme einer Kör­ perverletzung führen,446 ist die Bestimmung des geschützten Rechtsguts dabei maßgeblich. Um die Reichweite der wirksamen Einwilligung in nicht indizierte ärztliche Eingriffe beurteilen zu können, muss ebenfalls feststehen, welches Rechtsgut mit ihr preisgegeben wird. Wenn man die Aufgabe des Strafrechts als subsidiären Rechtsgüterschutz447 und das körperbezogene 440  Vgl.

Tag (2000), S. 63. Rechtsgutstheorie ist nicht nur in ihren Einzelfragen stark umstritten; zum Teil wird ihr Wert für die Legitimierung von Straftatbeständen überhaupt bestritten, insb. im Bereich von Universalrechtsgütern, vgl. NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor § 1 Rn. 116 ff.; Neubacher (2000), S. 518. 442  Vgl. Roxin (2006), § 2, Rn. 7 ff.; Hassemer (1973); NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor § 1, Rn. 108 ff.; Hefendehl / von Hirsch / Wohlers (2003); Rönnau (2001), S.  25 ff. 443  Zur wichtigen Unterscheidung von Individual- und Universalrechtsgütern NKStGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor § 1 Rn. 126; Schroth (2007a), S. 115. 444  Entscheidende Bedeutung erlangt die Frage des bei den Körperverletzungsdelikten geschützten Rechtsguts auch bei der Strafbarkeit des eigenmächtigen Heileingriffs, vgl. ausführlich Kargl (2001), S. 546 ff.; Schroth (2007a), S. 120 f. 445  RGSt 25, 375; vgl. zum Anschluss des BGH an diese Rechtsprechung etwa BGHSt 11, 111, 112; 29, 33, 46; NStZ-RR 2007, 340, 341. Vgl. ausführlich unten C.II. 446  Vgl. für den Bereich fremdnütziger Forschung Tolmein (1998), S. 57. 447  Roxin (2006), § 2 Rn. 1, 97 ff.; Schroth (2007a), S. 115. 441  Die

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B. Grundlagen

Selbstbestimmungsrecht als vom Rechtsgut der Körperverletzungstatbestände umfasst betrachtet, dann ist nicht nur die Bestrafung bewusster Selbstschädigungen oder Selbstgefährdungen,448 sondern auch die Bestrafung Dritter im Rahmen einer konsentierten Fremdschädigung oder Fremdgefährdung nicht legitim.449 Auch speziell für die Frage der Wirksamkeit der Einwilligung in nicht indizierte Eingriffe wie Schönheitsoperationen ist die Rechtsgutsbestimmung relevant. Für die Auslegung des § 228 StGB ist nach der anerkannten systemimmanenten Funktion des Rechtsgutsbegriffs450 wiederum das den §§ 223 ff. StGB zugrunde liegende Rechtsgut entscheidend. Abhängig von der weiteren, ebenfalls umstrittenen Frage, ob man dem Rechtsgutsbegriff darüber hinaus eine kriminalpolitische Begrenzungsfunk­ tion zuspricht,451 sind weitergehende Einschränkungen der Wirksamkeit der Einwilligung nicht zu legitimieren. Zur Bearbeitung dieser Fragen soll zunächst der Rechtsgutsbegriff und dessen Auswirkungen aufgegriffen werden (I.), um dann auf Grundlage der gefundenen Ergebnisse die Bestimmung des Individualrechtsguts bei den Körperverletzungsdelikten vorzunehmen und auf den Fall der nicht indizierten Schönheitsoperation übertragen zu können (II.). Auf die Bedeutung des gefundenen Ergebnisses für die straftatsystematische Einordnung der Einwilligung wird auch einzugehen sein.452 1. Rechtsgutsbegriff und Funktion des Rechtsgüterschutzes Lange schon währt in der Strafrechtswissenschaft die Kontroverse um den Begriff des Rechtsguts und die Funktion des Rechtsgüterschutzes.453 Kaum eine Frage ist in diesem Zusammenhang aber abschließend geklärt. Das beginnt schon beim Begriff des Rechtsguts, über den es nach Stratenwerth „bis heute nicht gelungen ist, […] auch nur annähernd Klarheit zu schaffen“,454 448  Dass reine Selbstverletzungen und Selbstgefährdungen prinzipiell straflos sind, zeigt sich schon aus der Fassung der Straftatbestände durch den Gesetzgeber (z. B. „fremde“ Sache bei § 303 StGB oder „andere Person“ bei § 223 StGB – aber Grenzen in §§ 216, 228 StGB). 449  Roxin (2006), § 13 Rn. 12, § 2 Rn. 7 ff. 450  Roxin (2006), § 2 Rn. 4 f. 451  Vgl. NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor § 1 Rn. 113. 452  Unten C.III.2. 453  Vgl. LK-StGB-Walter (2005), Vor § 13 Rn. 8; Rudolphi (1970), S. 151; Tag (2000), S. 68. Umfassender Abriss über die rechtshistorische Entwicklung der Rechtsgüterlehre bei Neubacher (2000), S. 514 ff. Das Entstehen der Rechtsgüterlehre wird allgemein auf das Erscheinen der Schrift von Birnbaum (1834) im Jahr 1834 zurückgeführt. 454  Stratenwerth / Kuhlen (2011), § 2 Rn. 7, der deshalb die Rechtsgutslehre insgesamt verwirft.



IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte99

und setzt sich fort bis zu den Funktion einer strafrechtlichen Rechtsgütertheorie, die zum Teil nur in einer Auslegungshilfe,455 zum Teil darüber hinaus auch in einer den Strafrechtsgesetzgeber begrenzenden kriminalpolitischen Funktion gesehen wird.456 Die zwischenzeitlich verstummte Diskussion457 wird nun auch in Folge der Befassung des anglo-amerikanischen Rechtsraums mit dem harm prin­ ciple458 wieder intensiv geführt.459 Heute lässt sich festhalten, dass man in der Strafrechtswissenschaft überwiegend davon ausgeht, dass das Strafrecht dem Rechtsgüterschutz dient,460 dass aber kaum jemand die Rechtsgutstheo­ rie als alleinige Basis strafrechtlicher Legitimation betrachtet und wiederum kaum jemand ihr jegliche Bedeutung absprechen möchte.461 Das Bundesverfassungsgericht hat die strafrechtliche Rechtsgutstheorie bis heute nicht für das Verfassungsrecht angenommen und die Existenz eines dem Strafgesetzgeber vorgelagerten und für ihn verbindlichen Rechtsgutsbegriffs verneint.462 Es prüft die Verfassungsmäßigkeit von Strafrechtsnormen vielmehr nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dabei werden 455  Diese Funktion des Rechtsguts ist ganz überwiegend anerkannt, vgl. Roxin (2006), § 2 Rn. 4. 456  Vgl. NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor § 1 Rn. 113, 115; Rudolphi (1970), S.  151 ff. 457  Vgl. Vorwort in Hefendehl (2003), S. 11; Schünemann (2003), S. 133. 458  Am Wiederaufleben der deutschen Diskussion haben auch aktuelle internationale Strömungen wie das harm principle des anglo-amerikanischen Rechtskreises, begründet von Mill (1859) und maßgeblich ausgearbeitet von Feinberg (1986) ihren Anteil. Das harm principle stellt die gleiche Ausgangsfrage wie das Konzept des subsidiären Rechtsgüterschutzes, nämlich danach, welches Verhalten der Staat kriminalisieren und mit Sanktionen bedrohen darf; dabei wird auch das Ergebnis erzielt, dass Selbstschädigungen bzw. die Beteiligung daran nicht unter Strafe gestellt werden dürfen. Wegen der Nähe der beiden Konzepte haben die Beiträge aus dem anglo-amerikanischen Forschungsraum auch für die kontinental-europäische Debatte verwertbare Argumente gebracht. 459  Roxin (2006), § 2 Rn. 124. Vgl. nur den Tagungsband Hefendehl (2003), S. 127, vor allem Teil C. „Wiederbelebung der Rechtsgutstheorie“. Umfangreiche Nachweise zu einschlägiger Lit. bei Schünemann (2003), S. 133 Fn. 1. Vertreter einer strafrechtsbegrenzenden Rechtsgutstheorie sind v. a. Roxin (2006), § 2; Hassemer (1973), der eine personale Rechtsgutslehre vertritt, vgl. Schünemann (2003), S. 133 ff., 154; Rudolphi (1970), S. 154 ff., 167. Weitere umfangreiche Nachweise zu Anhängern und Kritikern der strafrechtlichen Rechtsgutstheorie bei Roxin (2006), § 2 Rn. 120 Fn. 169, 170. 460  Ganz h. L., vgl. Wessels / Beulke (2013), Rn. 6, 4; Sch / Sch-Eisele (2014), StGB, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 9 ff.; Hefendehl (2003), S. 286. 461  Vgl. Roxin (2006), § 2 Rn. 120; NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor §  1 Rn.  109 ff., 116 ff. 462  Vgl. Beschluss des Zweiten Senats vom 26.02.2008, 2  BvR  392 / 07, Rz. 39. Hierzu Roxin (2006), § 2 Rn. 86; Wohlers (2003), S. 281 f. Vgl. auch Rudolphi (1970), S.  156 f., 160 f.

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die Merkmale des Übermaßverbots weit ausgelegt, so dass der Spielraum des Gesetzgebers bei der Festlegung von Rechtsgütern und Strafzwecken nur wenig begrenzt wird.463 Dem Bestreben der Strafrechtswissenschaft nach der verfassungsrechtlichen Rezeption des Rechtsgutsbegriffs hat sich das Bundesverfassungsgericht aber erst jüngst klar verwehrt.464 Grundlage der Rechtsgutstheorie ist der materielle Verbrechensbegriff als Frage nach den sachlichen Kriterien strafbaren Verhaltens, also danach, welches Verhalten der Staat unter Strafe stellen darf.465 Ihre Beantwortung ergibt sich aus der Umschreibung der Aufgabe des Strafrechts, die ganz überwiegend als subsidiärer Rechtsgüterschutz im Bereich sozialschädlichen Verhaltens gesehen wird.466 Schon die Definition und das Verständnis des Begriffs Rechtsgut werden aber sehr unterschiedlich beschrieben.467 Ausgehend von der liberal-individuellen Grundrechtsordnung und von einem Verständnis der Aufgabe des Strafrechts dahingehend, dass das Strafrecht seinen Bürgern ein freies und friedliches Zusammenleben unter Gewährleistung des Gemeinwohls und aller verfassungsrechtlich verankerten Grundrechte verbürgen soll,468 folgt ein liberaler, maßgeblich im Werk von Roxin entwickelter469 Rechtsgutsbegriff: „Rechtsgüter sind alle Gegebenheiten oder Zwecksetzungen, die für die freie Entfaltung des Einzelnen, die Verwirklichung seiner Grundrechte und das Funk­ tionieren eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden staatlichen Systems notwendig sind.“470 463  Zum Ganzen Roxin (2006), § 2 Rn. 86 f. Ein Strafgesetz ist nach dieser Rspr. des BVerfG erst ungeeignet, wenn die „Maßnahme im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes eindeutig als zweckuntauglich festgestellt werden könnte“, vgl. BVerfGE 39, 210, 230. 464  BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 26.02.2008, 2 BvR 392 / 07, Rz. 39, sog. „Inzest-Entscheidung“. A. A. Hassemer, der dem Senat entgegenhält, die Rechtsgutslehre nur „mit spitzen Fingern“ anzufassen, vgl. dessen abweichendes Votum Rz. 73 ff., 80 ff. Zur Kritik an der Rspr. des BVerfG vgl. Roxin (2006), § 2 Rn. 86 ff. m. w. N. 465  Die gleiche Ausgangsfrage stellt auch das harm principle des anglo-amerikanischen Rechtsraums, vgl. Fn. 458. 466  So die ganz h. M., vgl. Roxin (2006), § 2 Rn. 1, Rn. 97 ff.; NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor § 1 Rn. 109; Schroth (2007a), S. 114, Fn. 8, 115. Heute wird die Aufgabe des modernen Strafrechts über den Rechtsgüterschutz hinaus erweitert um Regelungsbereiche wie Umweltschutz, Embryonenschutz etc., vgl. Roxin (2006), § 2 Rn. 51 ff. 467  Ausführliche Nachweise zu den unterschiedlichen Definitionsansätzen des Rechtsgutsbegriffs bei Roxin (2006), § 2 Rn. 3; vgl. auch Rudolphi (1970), S. 162. 468  Rudolphi (1970), S. 166; Roxin (2006), § 2 Rn. 7; Tag (2000), S. 70; Wessels / Beulke (2013), Rn. 6. 469  Roxin (1966), S. 377 ff., 381 f.; Roxin (2006), § 2 Rn. 7 ff. 470  Roxin (2006), § 2 Rn. 7.



IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte101

Dabei ist der Rechtsgutsbegriff wandelbar. Ändert sich die allgemeine Meinung im menschlichen Zusammenleben bezüglich einer Verhaltensweise als weitgehend homogene Kulturüberzeugung, kann ein neues Rechtsgut entstehen oder ein altes wegfallen.471, 472 Der bedeutendste Punkt im Streit um den Rechtsgutsbegriff ist der über seine Funktion.473 Einigkeit besteht in der Strafrechtswissenschaft nur darüber, dass der Rechtsgutsbegriff systemimmanent nutzbar gemacht werden muss und dass das Rechtsgut bei der Auslegung einer Strafnorm zugrunde zu legen ist und Orientierung bieten soll.474 Viele Autoren wollen die Rechtsgutslehre aber auf diese Aufgabe beschränken.475 Eine so verstandene Funktion des Rechtsgutsbegriffs reduziert ihn im Grunde auf eine rein hermeneutische, methodische Bedeutung. Das Rechtsgut ist dann lediglich eine Art Mittel der teleologischen Auslegung und nur von systemimmanenter476 Relevanz, indem es zwar die positiv geltende Rechtsordnung aus sich heraus erklären hilft, sie aber nicht in Frage stellen kann.477 Der Bestimmung des Individualrechtsgut der Körperverletzungsdelikte kommt danach jedenfalls bei der Auslegung der §§ 223 ff. StGB für die Prüfung ärztlicher Strafbarkeit bei nicht indizierten Eingriffen Bedeutung zu. Die Gegenansicht erkennt der Rechtsgutslehre darüber hinaus auch ein systemkritisches Potential zu, indem sie das Rechtsgut auch als kriminalpolitischen, strafrechtsbegrenzenden Begriff versteht.478 Diese Ansicht 471  Zum Ganzen Roxin (2006), § 2 Rn. 63 f.; Rudolphi (1970), S. 162 f., 164; Tag (2000), S. 65, 70. So verhält es sich bspw. mit der 1969 entfallenen Strafbarkeit der Homosexualität. Das Entstehen neuer Lebensbereiche, wie etwa der Transplanta­ tionsmedizin durch die Fortschritte der Medizin, kann hingegen neue Rechtsgüter gerieren. Gerade diese Wandelbarkeit ist oft zugleich das Problem des Rechtsgutkonzepts, weil es damit wenig resistent gegen Ausweitungen strafbaren Verhaltens und Erfindungen neuer Rechtsgüter ist, die dessen strafbarkeitsbegrenzenden Charakter wiederum in Frage stellen. 472  Für die Beurteilung ärztlichen Vorgehens und für das Verständnis der ArztPatienten-Beziehung, speziell bei nicht indizierten ärztlichen Eingriffen, ist etwa eine gesellschaftliche Tendenz dahingehend zu konstatieren, dass der Selbstbestimmung des Patienten hohe Bedeutung zugemessen wird und das traditionelle, paternalistische Arzt-Patienten-Verhältnis in den Hintergrund gerät, mit der Folge, dass Maßnahmen wie die der ästhetischen Chirurgie weithin akzeptiert werden. 473  Rudolphi (1970), S. 151 ff.; Roxin (2006), § 2 Rn. 4 ff. 474  Vgl. Roxin (2006), § 2 Rn. 4; Rudolphi (1970), S. 151. 475  LK-StGB-Walter (2005), Vor § 13 Rn. 8 ff. m. w. N. in Fn. 7. 476  Die Begriffe des systemimmanenten und systemkritischen Rechtsguts als Kategorisierung gehen zurück auf Hassemer (1973), S. 19 ff. 477  Zum Ganzen Roxin (2006), § 2 Rn. 4 f. 478  So wohl schon Birnbaum (1834). Dabei ist str., ob Birnbaums Rechtsgutsbegriff strafrechtsbegrenzenden Charakter hatte, vgl. Roxin (2006), § 2 Rn. 6; Neubacher (2000), S. 514 ff.; Rudolphi (1970), S. 154 ff.; Schroth (2007a), S. 115; Schüne-

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überzeugt, denn ein rein systemimmanenter Rechtsgutsbegriff würde nicht über das Prinzip der teleologischen Auslegung hinausgehen.479 Zudem vermag ein so verstandenes Prinzip des Rechtsgüterschutzes dem Gesetzgeber Argumentationsrichtlinien für die Frage zu geben, welches Verhalten er mit Sanktionen bedrohen darf.480 Hassemer hat den daraus abgeleiteten ­Anspruch an die Rechtsgutstheorie dahingehend formuliert, sie sei der Versuch, dem Strafgesetzgeber „ein plausibles und verwendungsfähiges Kriterium seiner Entscheidungen an die Hand geben und zugleich einen externen Prüfungsmaßstab für die Gerechtigkeit dieser Entscheidungen entwickeln.“481 Dies ist das weitestgehende Verständnis des umstrittenen Rechtsgutsbegriffs, das die verfassungsrechtlich fundierte Beschränkung des Strafrechtsgesetzgebers zum Ziel hat.482 In dieser Ausprägung kann die Rechtsgutslehre als Instrument zu Begründung, Legitimation und Begrenzung strafrechtlicher Einschränkungen, auch im Kontext nicht indizierter medizinischer Eingriffe dienen. Entscheidend wird das Rechtsgut dann für die Frage, ob der Gesetzgeber die ärztliche Vornahme von Schönheitsoperationen in bestimmten Fällen unter Strafe stellen darf (materieller Verbrechensbegriff).483 2. Bestimmung des Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte und Auswirkungen auf die Bewertung der Schönheitsoperation In der Strafrechtswissenschaft werden unterschiedliche Rechtsgutsbegriffe für die Körperverletzungsdelikte vertreten, die zum Teil nur abweichende Formulierungen darstellen, zum Teil aber auf einem unterschiedlichen Rechtsgutsverständnis fußen.484 Hintergrund der verschiedenen Ansätze sind mann (2003), S. 134; Hassemer (1973), S. 19 ff. NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor § 1 Rn. 108 ff., beziehen „Grundrechte und die strafrechtliche Tradition“ aufeinander und bauen die Rechtsgutstheorie in die verfassungsrechtliche Prüfung des Übermaßverbots ein, denn ein strafrechtliches Handlungsverbot lasse sich nicht rechtfertigen, wenn es nicht einen anerkannten Zweck angemessen verfolge. Roxin (2006), § 2 Rn. 4 ff., Rn. 50, stellt die strafrechtsbegrenzende Funktion unter die Voraussetzung, dass eine gewisse Einigung über den Rechtsgutsbegriff erzielt werden kann und dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zugestanden bleibt. 479  Roxin (2006), § 2 Rn. 5. 480  Roxin (2006), § 2 Rn. 50. 481  NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor § 1 Rn. 115. 482  Schünemann (2003), S. 134. 483  Zum Ganzen Roxin (2006), § 2 Rn. 1 ff.; Schroth (2007a), S. 114 f. 484  Guter Überblick m.  w.  N. jeweils bei LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 149 ff.; LK-StGB-Lilie (2005), Vor § 223 Rn. 1 ff.; Kargl (2001), S. 550 ff. Vgl. auch Damm (1998), S. 928.



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vor allem zwei Problemkreise: zum einen das Bedürfnis, alle strafwürdigen Erscheinungen körperlicher Schädigungen zu erfassen, auch solche, die nicht in die körperliche Integrität eingreifen bzw. keine Substanzverletzung darstellen;485 zum anderen das Ausklammern der ärztlichen Heilbehandlung aus dem Tatbestand der §§ 223 ff. StGB. Die wesentliche Auseinandersetzung beschränkt sich dabei auf die Diskussion zweier Linien.486 Nach der einen Auffassung schützen §§ 223 ff. StGB nur die körperliche Unversehrtheit;487 nach der anderen fallen körperliche Unversehrtheit und die entsprechende Dispositionsbefugnis über den eigenen Körper in den Schutzbereich.488 Der Entscheidung dieser Streitfrage ist wesentlich für die Reichweite der wirksamen Einwilligung in ärztliche (nicht indizierte) Eingriffe. Welche Art von Eingriffen zur Annahme einer Körperverletzung führt, also in welchem Umfang Handlungen unter den Tatbestand fallen, hängt eben vom geschützten Rechtsgut ab. Für die Frage nach der objektiven Reichweite der Einwilligung ergeben sich dann weitere Konsequenzen: Ab wann gilt der Grundsatz der Wirksamkeit der Einwilligung nicht mehr? Die Ansichten, die als Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB Körper und körperbezogene Dispositionsfreiheit ansehen, gehen dabei weit. Nach der traditionellen Gegenansicht, die das Rechtsgut als Wert um seiner selbst Willen bzw. im Gemeinschaftsinteresse sieht, ist dagegen ein paternalistischer Schutz des Rechtsgutsträgers vor sich selbst möglich.489 Speziell für die Wirksamkeit der Einwilligung in eine nicht indizierte Schönheitsoperation gilt das ebenso. Nach den Integrationsmodellen wäre auch hier eine Einwilligung in der Regel wirksam; als – enge – gesetzliche Ausnahmen kämen lediglich §§ 216, 228 StGB in Betracht.490

485  Z. B. das Auftragen nur schwer entfernbarer Substanzen auf den Körper oder das Bestrahlen bei einer Röntgenaufnahme. Weitere Bsp. bei Schroeder (1999), S. 734; LK-StGB-Lilie (2005), Vor § 223 Rn. 1. 486  Fateh-Moghadam (2008), S. 91. 487  Vgl. die Nachweise bei Schroth (2007a), S. 115. 488  Etwa Tag (2000), S. 68; Schroth (2007a), S. 123; Fateh-Moghadam (2008), S. 91, 92; Steiner (2014), D.II.1.c). 489  Rönnau (2002a), S. 595 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 97 ff.; Schroth (2007a), S. 113, 123. 490  Vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 95.

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a) Körperliche Unversehrtheit (Kollisions- /  Abwägungsmodelle der Einwilligung) aa) Traditionelles Rechtsgutsverständnis im Medizinstrafrecht (1) Rechtsgut als objektiver Wert Nach der traditionellen, insbesondere im Medizinstrafrecht weit verbreiteten Ansicht wird allein die körperliche Unversehrtheit als solche zum Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte erklärt und diese um ihrer selbst Willen bzw. als objektiver Wert der Gemeinschaft geschützt.491 Rechtsgüter werden nach dieser Meinung statisch verstanden, so dass nur der menschliche Körper in seiner Unversehrtheit, nicht aber die darauf bezogene Autonomie im Umgang mit dem eigenen Körper geschützt wird.492 Dieser Linie liegt eine in der Tendenz kollektivistische, paternalistische Argumentation zugrunde, mit der Konsequenz, dass Einschränkungen der wirksamen Einwilligung leichter zu begründen sind.493 Denn der Schutz eines Individualrechtsguts (nur) um seiner selbst oder der Gemeinschaft Willen führt zu einer vereinfachten Legitimierung von Verboten für den Einzelnen, der dann der Verletzung seiner Rechtsgüter nicht wirksam zustimmen kann.494 Dieses Rechtsgutsverständnis führt zu den sog. Kollisions- oder Abwä­ gungsmodellen der Einwilligung.495 Der Begriff des Kollisionsmodells nimmt Bezug auf die Kollisionslage, die in Konsequenz des dargestellten Rechtsgutsverständnisses zwischen dem tatbestandlich geschützten Wert (Körper) und dem diesbezüglichem, erst auf Rechtfertigungsebene geschützten Willen bzw. der Verfügungsbefugnis des Rechtsgutsinhabers auftritt.496 Die Bezeichnung als Abwägungsmodell verweist auf die von den Vertretern dieser Ansicht vorgetragene Argumentation, dass eine Einwilligung nur 491  Fateh-Moghadam (2008), S. 97; Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 2, 20; Lackner / Kühl (2014), StGB, § 223 Rn. 1; LK-StGB-Hirsch (2008), § 228 Rn. 14; Katzenmeier (2002), S. 117; Knauer (2001), S. 15 m. w. N.; Wolters (1998), S. 582. Vgl. auch Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vor  § 32 Rn. 33a. Vgl. zum Ganzen auch LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 149 ff. 492  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 150. 493  Steiner (2014), D.II.2.a)aa) m. w. N. 494  Zum Ganzen Rönnau (2002a), S. 595 ff; Fateh-Moghadam (2008), S. 97 ff.; Schroth (2007a), S. 113, 123. Wie hier auch Steiner (2014), D.II.2.b)aa). 495  Zur Terminologie Kollisions- / Integrations- / Basismodell vgl. Rönnau (2001), S. 32, 49, 85. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 149 ff.; im Anschluss daran Fateh-Moghadam (2008), S. 90 ff. Grundlegend Noll (1955), S. 59 ff. 496  Rönnau (2001), S. 32; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 150.



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aufgrund einer Güterabwägung zwischen Gemeinschaftsinteressen an der Erhaltung des Rechtsgutsobjekts und der Verfügungsbefugnis des Rechtsgutsinhabers, das ebenfalls als sozialer Wert der Rechtsordnung eingestuft wird, rechtfertigende Wirkung entfalten kann.497 Diese Einwilligungsmodelle bejahen zwar die Möglichkeit einer Einwilligung, ziehen ihr aber engere Grenzen, indem sie immanente Beschränkungen der Einwilligungsfreiheit anerkennen.498 Folgte man diesem Rechtsgutsverständnis, ist zum einen der Tatbestand der Körperverletzungsdelikte beim eigenmächtigen Heileingriff nicht erfüllt. Zum anderen ist bei nicht indizierten ärztlichen Eingriffen unter Umständen trotz Einwilligung des Patienten das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte verletzt.499 Eine nähere Auseinandersetzung ist daher angezeigt. (2) Einzelne Ausprägungen des objektiven Ansatzes Innerhalb dieser Auffassung, die das Rechtsgut der körperlichen Integrität als objektiv eigenständigen, unabhängig vom Willen des Rechtsgutsträgers zu schützenden Wert betrachtet, sind verschiedene konkrete Ausformulierungen des Rechtsgutsbegriffs vorgeschlagen worden, die aber aus unterschiedlichen Gründen nicht überzeugen. Das Verständnis des Rechtsguts als (objektive) Leiblichkeit eines jeden Menschen,500 das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auftauchte, ist zu Recht schnell abgelehnt worden.501 Dieser Begriff, den Nagler / Schäfer und Sauer vertreten, sollte die Tauglichkeit des Körpers zur Erfüllung sozialer Pflichten und Schaffung allgemeiner Werte und die Bedeutung seiner rechtlichsozialen Funktions- und Leistungsfähigkeit zum Ausdruck bringen.502 Dass der dieser Deutung innewohnende Effizienzgedanke und sein ausdrücklicher Bezug auf Gemeinschaftsinteressen und Gemeinschaftsideologien den Schutzbereich der Körperverletzungsdelikte heute nicht mehr zutreffend umschreiben, bedarf keiner großen Erläuterung.503 Aus der liberal-individua­ listischen Tendenz der Verfassung ergibt sich, dass der menschliche Körper Schutz nicht nur als Träger einer sozialen Funktionstüchtigkeit verdient, 497  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 151; Fateh-Moghadam (2008), S. 97. Das Modell der Güterabwägung geht zurück auf Noll (1955), S. 55 ff. 498  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 152; Fateh-Moghadam (2008), S. 101. 499  Vgl. Schroth (2007a), S. 117, 122. 500  LK-StGB-Nagler / Schäfer (1951), Vorbem. zu § 223, Anm. II.1. (6. Auflage); Sauer (1954), System des Strafrechts, BT, S. 278. 501  Vgl. hierzu Schroeder (1999), S. 735 f. 502  Schroeder (1999), S. 735. 503  So auch Kargl (2001), S. 552; Schroeder (1999), S. 735.

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sondern als individuelles Gut einer Person.504 Der Begriff ist inzwischen auch ganz aufgegeben.505 Der Forderung, dass der Rechtsgutbegriff vor allem die Schutzrichtung auf die (einzelne) Person zum Ausdruck bringen sollte, wurde ein noch früherer Vorschlag von Beling und Engisch nur auf den ersten Blick gerecht.506 Sie formulierten als Schutzgut der §§ 223 ff. StGB das Körperinteresse.507 Diese Formulierung meint dagegen gerade nicht das personal-individuelle Interesse, sondern versteht sich als eine soziale Konzeption und will vor allem objektivierte Allgemeininteressen erfassen, die Körper und Gesundheit des Einzelnen im Dienste der Allgemeinheit sehen.508 Inhaltlich bezweckt sie nichts anderes als die Ausklammerung des Selbstbestimmungsrechts aus dem Rechtsgutsbegriff, um so den eigenmächtigen Heileingriff aus dem Tatbestand des § 223 StGB ausschließen zu können509 und ist ebenfalls abzulehnen. Die heute in der strafrechtlichen Literatur überwiegende Ansicht versteht das Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB als (lediglich) körperliche Unversehrtheit.510 Eine leicht abweichende Formulierung des Rechtsgutsbegriffs, inhaltlich in Bezug auf die Ausklammerung des Selbstbestimmungsrechts aber keine Abweichung davon ist das Verständnis des Rechtsguts als körperliche Integrität,511 als menschlichem Körper in seiner Unversehrtheit512 oder als körper­ 504  Kargl

(2001), S. 552. Schroeder (1999), S. 735 m. w. N.; Kargl (2001), S. 552. 506  Vgl. hierzu Schroeder (1999), S. 735 m. w. N. 507  Engisch (1938), S. 5; Engisch (1939), S. 1; Beling (1924), S. 220. 508  Mit der von Engisch (1939), S. 8, selbst dargelegten, selbstverständlich verfassungswidrigen Konsequenz: „Das Interesse an der Erhaltung des Lebens eines Menschen ist ein größeres, wenn es sich um den tüchtigen Ernährer einer großen Familie, als wenn es sich um einen lebensunfrohen, unbrauchbaren, alleinstehenden Geistesschwachen handelt.“ Vgl. die scharfe Kritik bei Tag (2000), S. 67 f., Fn. 318. 509  Vgl. LK-StGB-Lilie (2005), Vor § 223 Rn. 1. 510  Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 2, 20; Lackner / Kühl (2014), StGB, § 223 Rn. 1; LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 14; Katzenmeier (2002), S. 117; Knauer (2001), S. 15 m. w. N.; Wolters (1998), S. 582. Vgl. auch die Neuformulierung der Überschrift des 17. Abschnitts des StGB durch das 6. StRG. 511  Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 1. Maurach / Schroeder / Maiwald (2009), § 8 Rn. 5, 3, sprechen vom Rechtsgut Körper im körperlich-physiologischen Sinn, vgl. Kargl (2001), S. 547; Schroeder (1999), S. 728, spricht von körperlicher Integrität. Dieser Begriff ist aber ungenauer und weniger weit als die körperliche Unversehrtheit, weil viele Formen der Körperverletzung nicht hierunter fallen, vgl. LKStGB-Lilie (2005), § 223 Rn. 1. Anders ist die Bedeutung des Begriffs Körperintegrität aber im § 229 E‑StGB gemeint, vgl. BT-Drs. 13 / 8587 vom 25.09.1997, Referentenentwurf und Begründung, S. 134. Hier steht er nicht synonym, sondern ist weiter und bezieht ausdrücklich das Selbstbestimmungsrecht mit ein. Vgl. Schroeder (1999), S. 729. 512  LK-StGB-Lilie (2005), Vor § 223 Rn. 1, 2, bezeichnet als Rechtsgut leicht abweichend von der h. Lit. den menschlichen Körper in seiner Unversehrtheit, so im 505  Vgl.



IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte107

liches / leibliches Wohl513 des Menschen. Diese im Ergebnis übereinstimmende Ansicht ist von der Vorstellung getragen, die lege artis vorgenommene ärztliche Behandlung vom Tatbestand der Körperverletzungsdelikte auszunehmen.514 Diese Stimmen argumentieren, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht Rechtsgut sein könne, weil sonst die Grenzen zwischen Körperverletzungs- und Freiheitsdelikt unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG unzulässig verwischt würden.515 Deshalb lehnen sie den angeblichen Tatbestandswechsel, den die strafrechtliche Rechtsprechung im Anschluss an die Zivilgerichtsbarkeit vollzogen habe, indem sie das Selbstbestimmungsrecht für vom Rechtsgut des § 223 Abs. 1 StGB mitgeschützt hält, ebenso wie die vorgenannten Autoren entschieden ab.516 Ein angemessener Schutz des Selbstbestimmungsrechts sei über §§ 239, 240 StGB bzw. über eine entsprechende Definition der Tatbestandsmerkmale der körperlichen Misshandlung und Gesundheitsschädigung sehr wohl möglich.517 bb) Kritik Der Auffassung, die als Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB lediglich die körperliche Unversehrtheit betrachtet, ist allein zuzugeben, dass sie sich auf den Wortlaut der Abschnittsüberschrift und auf den Gesetzgeber berufen kann, Anschluss an Lilie auch Schroeder (1999), S. 736, 734. Durch diese Fassung des Rechtsgutsbegriffs kann die Schwierigkeit umgangen werden, dass etliche körper­ liche Beeinträchtigungen wie etwa das Bestrahlen beim Röntgen nicht unter die Begriffe körperliche Unversehrtheit oder Körperintegrität subsumiert werden können. Auch MK-StGB-Joecks (2012), Vor § 223 Rn. 4 vertritt dort diese Formulierung, spricht aber in § 223 Rn. 1 vom körperlichen Wohl des Menschen und verweist dabei jeweils auf die h. Lit. 513  Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 1; Bockelmann (1968), S. 66, 71; Haft (2005), S. 143. Nach NK-StGB-Paeffgen (2013), § 223 Rn. 2, § 228 Rn. 58, und Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 1, ist Schutzgut das körperliche Wohl des Menschen, und zwar durch Schutz seiner körperlichen Integrität und Gesundheit. Eser / Sternberg-Lieben differenzieren weiter: Das Selbstbestimmungsrecht sei mitgeschützt, weil § 223 StGB umfassender Schutztatbestand sei. Diese Ansicht bewegt sich aber nur vermeintlich in Richtung der anderen Linie, denn dies gilt nach Eser / Sternberg-Lieben nur, solange kein Sondertatbestand für den eigenmächtigen Heileingriff normiert werde. Dies dürfe deshalb nicht bedeuten, dass das Selbstbestimmungsrecht eigenes Schutzgut sei. Vgl. hierzu erläuternd LK-StGB-Lilie (2005), Vor  § 223 Rn. 1. 514  LK-StGB-Lilie (2005), Vor § 223 Rn. 1. 515  LK-StGB-Lilie (2005), Vor §  223 Rn. 1; LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 14; Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 138 Rn. 5; Bockelmann (1962), S. 528; Katzenmeier (2002), S. 116 f., insb. Fn. 252 m. w. N. 516  Vgl. Katzenmeier (2002), S. 116 f.; Knauer (2001), S. 15. 517  MK-StGB-Joecks (2012), Vor § 223 Rn. 9.

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B. Grundlagen

der im 6. Strafrechtsreformgesetz den 17. Abschnitt des Strafgesetzbuchs in „Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“ mit der ausdrücklichen Zwecksetzung unbenannt hat, das geschützte Rechtsgut betonen zu wollen.518 Dennoch kann diese Ansicht nicht überzeugen. Es ist nicht zutreffend, das Rechtsgut „Körper“ um seiner selbst Willen als objektiven Wert zu schützen.519 Denn diese Ansicht verwechselt Tatobjekt und Rechtsgut;520 das Rechtsgut ist aber vom Handlungsobjekt zu unterscheiden.521 Handlungsobjekt ist der reale Gegenstand, der das Tatobjekt bildet, hier der menschliche Körper als biologischer Organismus. Rechtsgut ist dagegen ein realer So­ zial­ wert, der nicht unbedingt von körperlicher Beschaffenheit sein, aber eine der Beeinträchtigung zugängliche Wirklichkeit haben muss,522 also etwa die körperliche Integrität des die Einwilligung erteilenden Patienten. Wenn man davon ausgeht, dass Rechtsgüter der Verwirklichung des Einzelnen dienen sollen und ihm gerade zur Entfaltung von Freiheit zur Verfügung stehen, dann ist die körperliche Integrität nicht verletzt, wenn dies mit dem Willen des einwilligenden Patienten geschieht. Erbittet der Patient sich vom Arzt eine medizinische Behandlung, dann ist er nicht in seiner Position verletzt, sondern in deren Ausübung unterstützt.523 Auch übersieht die genannte Auffassung, dass der Gesetzgeber des 6. Strafrechtsreformgesetzes explizit die Normierung eines eigenen Straftatbestands für den eigenmächtigen Heileingriff abgelehnt hat, weil er den Schutz des Selbstbestimmungsrechts über die §§ 223 ff. StGB für ausreichend gehalten hat.524 Diese Ent­ scheidung des Gesetzgebers ist zu beachten. Gegen den dargestellten Rechtsgutsbegriff spricht zudem die Tatbestandsalternative der körperlichen Misshandlung, über die die §§ 223 ff. StGB auch Verhaltensweisen erfassen, die keine Substanzverletzungen darstellen.525 518  BT-Drs. 13 / 8587 vom 25.09.1997, Regierungsentwurf und Stellungnahmen zum 6. StRG, S. 6, 35: „Die geänderte Überschrift betont das geschützte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit; die sprachliche Fassung entspricht den Überschriften des 16. und 18. Abschnitts (Straftagen gegen das Leben und die persönliche Freiheit).“ 519  So LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 152. 520  Roxin (2006), § 13 Rn. 13. 521  Hierzu ausführlich Roxin (2006), § 2 Rn. 65 ff.; NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor § 1 Rn. 120 f.; Steiner (2014), D.II.1.c); Tag (2000), S. 65. 522  Roxin (2006), § 2 Rn. 66; NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor  § 1 Rn. 120; Hefendehl (2003), S. 119; Kargl (2001), S. 551; etwas unklar Wessels / Beulke (2013), Rn. 8. Rechtsgüter sind nach zutreffender Auffassung nicht nur ideelle, abstrakte oder gedankliche Gebilde, sondern reale im Sinne von körperlichen oder seelisch-geistigen Phänomenen, vgl. Hefendehl (2003), S. 287. 523  Zum Ganzen Roxin (2006), § 13 Rn. 12 ff., 13; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 152; Schroth (2007a), S. 123; Fateh-Moghadam (2008), S. 91 ff. 524  Schroth (2007a), S. 122; Schreiber (1999) S. 718; Tag (2000), S. 75. 525  Kargl (2001), S. 551; Schroth (2007a), S. 119 f.



IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte109

b) Integration des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts nach der liberal-individualistischen Rechtsgutslehre (Integrationsmodell der Einwilligung) aa) Körperliche Integrität und körperbezogenes Selbstbestimmungsrecht Auf der Grundlage der oben dargestellten liberal-individualistischen Ausrichtung der Verfassung und eines entsprechenden Verständnisses der Aufgabe des Strafrechts ergibt sich eine gegenläufige liberale, auf das Indivi­ duum bezogene Argumentationslinie, die das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit gerade nicht nur als objektiven Wert, sondern als untrennbar von der darauf bezogenen individuellen Verfügungsfreiheit über den eigenen Körper versteht.526 (1) Individualrechtsgut als Mittel zur Entfaltung von Handlungsfreiheit Es ist entscheidende Ausgangsposition dieser Auffassung, dass sie neben dem Rechtsgutsobjekt Körper selbst auch das darauf bezogene Selbstbestim­ mungsrecht des Einzelnen in das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte einbezieht. Dieses Rechtsgutsverständnis ist ein funktionales, weil die entscheidende Bedeutung der Individualrechtsgüter für die Freiheitsbetätigung des Individuums betont wird.527 Der zentrale Wert der Rechtsgüter liegt danach für den Rechtsgutsträger darin, dass sie ihm als Mittel für die Entfaltung von Handlungsfreiheit zur Verfügung stehen.528 Auf diesem verfassungsrechtlich fundierten Rechtsgutsverständnis basiert das Integrationsmodell der Einwilligung, das maßgeblich im Werk von 526  Roxin (2006), § 13 Rn. 12  ff., 26 ff., 38 ff.; Schroth (2007a), S. 123, 125; Schroth (2010a), S. 25 ff., 27; Rudolphi (1974), S. 82, 82 ff., 87 ff.; Rudolphi (1970), S. 163; Tag (2000), S. 69; Kargl (2001), S. 550 ff.; Arzt (1970), S. 42, 46; Tag (2000), S. 65 ff.; Voll (1996), S. 47 ff., 50; Fateh-Moghadam (2008), S. 90 ff.; Niedermair (1999), S. 293; SK-StGB-Horn / Wolters (2013), § 223 Rn. 35; Krey / Heinrich (2008), Rn. 223; Stratenwerth (1956), S. 43; vgl. auch die Darstellung bei LKStGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 154 ff. Auch die strafrechtliche Rspr. hält das Selbstbestimmungsrecht von §§ 223 ff. StGB für mitgeschützt, indem sie davon ausgeht, dass bei fehlender Einwilligung trotz Durchführung des ärztlichen Eingriffs lege artis und etwaigen Behandlungserfolgs der Tatbestand der §§ 223 ff. StGB verwirklicht ist. Vgl. auch BVerfG, NJW 1979, 1931. 527  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 154. 528  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 152; Tag (2000), S. 63  f.; Schroth (2007a), S. 123.

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B. Grundlagen

Roxin entwickelt worden ist.529, 530 Der Begriff bringt die Integration der Verfügungsfreiheit in den Schutz des jeweiligen Individualrechtsguts sowie die zentrale Verknüpfung von Wille und Rechtsgut zum Ausdruck. Verfügungen, die auf einer freien Disposition des Rechtsgutsträgers beruhen, sind dann keine Rechtsgutsverletzung.531 Nach dieser Auffassung gilt die Regel der Wirksamkeit der Einwilligung, für die sich objektive Grenzen allein aus gesetzlichen Regelungen ergeben können, bei der Körperverletzung also nur aus §§ 216, 228 StGB.532 (2) A  bweichende Ausprägungen des das Selbstbestimmungsrecht ­berücksichtigenden Ansatzes Innerhalb dieser von der strafrechtlichen Rechtsprechung und von Teilen des strafrechtlichen Schrifttums vertretenen liberalen Interpretationslinie sind jedoch differierende Ausprägungen formuliert worden, von denen einige nicht überzeugen können. (a) S  chutz des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts über die Einwilligung (Amelung) Eine abweichende Begründung zum Schutz des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts hat Amelung vorgelegt.533 Danach soll Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte der menschliche Körper als biologische Gegebenheit sein, als „Quelle von Leiden, die bei seiner Verletzung entstehen“.534 529  Ausführlich Roxin (2006), § 2. Weitere Vertreter des Integrationsmodells der Einwilligung sind etwa Schroth (2007a), S. 125; Sternberg-Lieben (1997), S. 584; Niedermair (1999), S. 95 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 95 f. Zur Terminologie Rönnau (2001), S. 32, 49, 85; vgl. oben Fn. 495. 530  Das von LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 149 ff., 156 als drittes Konzept vorgestellte sog. Basismodell will weder den bloßen Bestand eines Gutes noch die Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsträgers verabsolutiert wissen und schützt daher Individualrechtsgüter als Basis für die personale Entfaltung des Rechtsgutsträgers. Trotz der von Rönnau explizit geübten Kritik am Integrationsmodell stehen sich diese beiden Modelle, was die positive Entfaltung über den eigenen Körper angeht, sehr nahe, denn auch Rönnau betrachtet das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper als zentral und umfassend vom Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte erfasst. Unterschiede ergeben sich bei der Beurteilung des ärztlichen Heileingriffs. Vgl. dazu Roxin (2006), § 13 Rn. 17; Fateh-Moghadam (2008), S. 94. 531  Roxin (2006), § 2, § 13 Rn. 12; Schroth (2007a), S. 125 f. 532  Fateh-Moghadam (2008), S. 91, 108. 533  Amelung (1998), S. 28 f.; Amelung / Lorenz (2007), S. 531. Vgl. zum folgenden Ganzen Fateh-Moghdadam (2008), S. 93 f. 534  Amelung / Lorenz (2007), S. 531.



IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte111

Das darauf bezogene Selbstbestimmungsrecht soll dagegen nicht im Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB verankert sein, da die Körperverletzungsdelikte „nur den Körper und nicht zugleich die Möglichkeit [schützen], ihn zu autonomer Selbstbestimmung zu gebrauchen“.535 Die Verfügungsfreiheit soll vielmehr im Institut der Einwilligung selbst geschützt werden – genauer im Grundsatz der Einwilligungsdogmatik, dass eine Einwilligung nur wirksam ist, wenn sie autonom erfolgt.536 Dogmatisch kann dieser Ansatz aber nicht überzeugen, weil nur Straftatbestände Rechtsgüter schützen können.537 (b) U  mfassender Schutz des Selbstbestimmungsrechts (Tolmein und Freund / Heubel) Zu weit ist die Auffassung von Tolmein, der neben der Körperintegrität das Selbstbestimmungsrecht als solches und als gänzlich eigenständiges Schutzgut einordnet. Das Selbstbestimmungsrecht wird dabei nicht nur als körperbezogenes geschützt und selbst dasjenige von Einwilligungsunfähigen erfasst.538 Noch weiter wird das Schutzgut der Körperverletzungsdelikte gefasst, wenn es teilweise als Kernbereich des Freiheitspotentials einer Person definiert wird.539 Von einem solchen Schutz würden – dies ist von den Vertretern dieser Ansicht gerade bezweckt – auch alle abgetrennten Körperteile erfasst, und zwar bis hin zu einem Schutzgrad, der jedes begriffliche Verständnis der Körperverletzung sprengen würde.540 Erfasst wäre dann etwa auch die Wegnahme oder Zerstörung einer Prothese wie eines Hörgeräts oder eines Rollstuhls.541

535  Amelung (1998), S. 28, mit dem Argument, dass der Körper eines willensunfähigen Babys oder das Bein eines Querschnittsgelähmten ansonsten ohne strafrechtlichen Schutz blieben. 536  Amelung (1998), S. 29. 537  Fateh-Moghadam (2008), S. 94. Vgl. zum Ganzen Roxin (2009), S. 280; Roxin (2006), § 2 Rn. 1. 538  So Tolmein (1998), S. 57 ff., 62, der vor dem Hintergrund der Diskussion um fremdnützige Forschung am Menschen das „Selbstbestimmungsrecht im Wege einer teleologischen Auslegung als eigenständiges Schutzgut des § 223 StGB“ ansieht. Kritisch zu diesem Verständnis Tag (2000), S. 66. 539  Freund / Heubel (1995), S. 194 ff., 197 unterstellen, ausgehend von der in BGHZ 124, 52 behandelten Fallkonstellation der Vernichtung einer Spermakonserve, mit dieser Ansicht auch strafrechtlich eine normativ-funktionale Körpereinheit. 540  Schroeder (1999), S. 736. 541  Vgl. zur Kritik auch der ganz h. M. LK-StGB-Lilie (2005), Vor § 223 Rn. 1; Schroth (2007a), S. 117 f.; Schroeder (1999), S. 725, 736 f.

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B. Grundlagen

(c) Kritik Diesen beiden Rechtsgutsinterpretationen ist jeweils entgegenzuhalten, dass der Rechtsgutsbegriff der §§ 223 ff. StGB nicht als bloßer, umfassender Schutz des Selbstbestimmungsrechts zu verstehen sein kann.542 Denn die Erfassung der Verfügungsbefugnis als eigenständiges Rechtsgut würde die Grenzen der Körperverletzungsdelikte überschreiten und sie in ein Frei­ heitsdelikt umwandeln.543 Nach zutreffender Ansicht ist das in das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte einbezogene Selbstbestimmungsrecht aber nicht deckungsgleich mit dem (umfassend) gewährleisteten verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht. Deshalb geht der Schutz der Autonomie nicht so weit, dass die personale Selbstbestimmung als solche zum Schutzgut wird, sondern nur die auf die körperliche Integrität bezogene Dispositionsbefugnis.544 Die personale Verfügungsfreiheit steht als körperbezogene neben dem objektiven Bestand des Rechtsguts und konkretisiert dessen Schutzumfang.545 Das Selbstbestimmungsrecht ist im Rahmen der §§ 223 ff. StGB vielmehr nur verletzt, wenn das konkrete Handlungsobjekt Körper durch eine konkrete Tathandlung (Misshandlung oder Gesundheitsschädigung) beeinträchtigt wird.546 Eine Rechtsgutsverletzung liegt erst vor, wenn die Verletzung der (körperlichen) Dispositionsfreiheit zugleich eine Verletzung der äußeren Sphäre des Rechtsguts, also der körperlichen Unversehrtheit darstellt, somit eine Gesundheitsschädigung oder eine körperliche Misshandlung im Sinne des objektiven Tatbestands des § 223 Abs. 1 StGB gegeben ist.547 Es genügt nicht irgendeine Verletzung der Autonomie, vielmehr muss sich diese Verletzung des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts „gerade in der verletzenden Beeinträchtigung des Körpers manifes­ tieren.“548 (3) Zwischenergebnis Die dargestellte Auseinandersetzung mit den vorgeschlagenen Rechtsgutsinterpretationen führt zu dem Ergebnis, dass als Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte körperliche Unversehrtheit und körperbezogenes Selbstbe­ 542  So auch Roxin (2009), S. 285; Steiner (2014), D.II.2.c)aa). So aber Tolmein (1998), S. 62. 543  Kargl (2001), S. 551. 544  So auch Steiner (2014), D.II.2.c)aa) m. w. N. 545  Tag (2000), S. 71. 546  Zum Ganzen Steiner (2014), D.II.2.c)aa) m. w. N. mit einer ausführlichen Darstellung zu den Aspekten des Begriffs der Dispositionsfreiheit. 547  Schroth (2007a), S. 123. 548  Überzeugend Roxin (2009), S. 285.



IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte113

stimmungsrecht anzusehen sind.549 Grundlage dieses Rechtsgutsbegriffs ist die oben dargestellte, hier vertretene liberale Rechtsgutslehre, die auf den verfassungsrechtlichen Vorgaben und einem Verständnis des Strafrechts als subsidiärem Schutz personaler Individualrechtsgüter basiert. Geht man wie hier davon aus, dass die Einwilligung eine strafrechtliche Ausprägung der über Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten körperbezogenen Verfügungsbefugnis ist, so ist ein liberal-individualistisches Rechtsgutsverständnis die notwendige Konsequenz. Rechtsgüter, wie hier die körperliche Integrität, sind damit zuvorderst Individualrechtsgüter und dienen der freien Entfaltung des Einzelnen.550 Der strafrechtliche Schutz der §§ 223, 229 StGB erfolgt vor allem im Interesse des autonomen Menschen.551 Die Bedeutung des Rechtsguts Körper und Gesundheit kann sich in der sozialen Wirklichkeit nicht in einem bloßen statischen Dasein erschöpfen, sondern liegt vielmehr darin, dass die körperliche Integrität bestimmte Herrschaftsmöglichkeiten zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit eröffnet.552 „Rechtsgut und Verfügungsbefugnis über das Rechtsgut bilden nicht nur eine Einheit, sondern Verfügungsgegenstand und Verfügungsbefugnis sind in ihrem Aufeinanderbezogensein selbst das im Tatbestand geschützte Rechtsgut.“553

Das disponible Gut kann für den Rechtsgutsträger nicht in ein Gegenstands- und ein Freiheitsinteresse aufgetrennt werden; die Aufspaltung der in einer engen Wechselbeziehung stehenden Rechtsgüter Körper und Verfügungsfreiheit wurde zu Recht als eine unnatürliche, lebensfremde Trennung bezeichnet.554 Denn zu einem Individualrechtsgut gehört immer, dass der Einzelne darüber verfügen darf; Wille und Bezugsgegenstand bilden eine natürliche Einheit und sind eine untrennbare Verbindung, ein System Körper 549  Roxin (2006), § 13 Rn. 12 ff., 26 ff., 38 ff.; Rudolphi (1970), S. 163; Rudolphi (1974), S. 82 ff., 87 ff.; Kargl (2001), S. 550 ff.; Schroth (2007a), S. 123; Schroth (2010a), S. 27; Arzt (1970), S. 42, 46; Tag (2000), S. 65 ff.; Voll (1996), S. 47 ff., 50; Fateh-Moghadam (2008), S.  90  ff.; Welzel (1939), S.  490  ff., 515; SK-StGBHorn / Wolters (2013), § 223 Rn. 35; Krey / Heinrich (2008), Rn. 223; Stratenwerth (1956), S. 3; Kindhäuser (2014), § 8 Rn. 1, 28. So auch die strafrechtliche Rspr., vgl. Fn. 526. 550  Zur neueren Diskussion um den Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit durch das Strafrecht und um die Ausweitung des Strafrechts über den Rechtsgüterschutz hinaus vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 10, 51 ff. m. w. N. 551  Tag (2000), S. 63 f. 552  Rudolphi (1970), S. 163 f. 553  Rudolphi (1974), S. 82 ff., 87 ff. 554  Tag (2000), S. 65 ff., 67 m. w. N.; Welzel (1939), S. 490 ff., 515: „In Wirklichkeit gibt es Rechtsgüter nur, wenn und soweit sie in ‚Funktion‘ sind, d. h., soweit sie im sozialen Leben wirkend und Wirkungen empfangend darin stehen. Gesundheit ist nicht einfach ‚da‘, sondern ihr Dasein ist In-Funktion-Sein, d. h. in der sozialen Verbundenheit Wirkungen ausübend und Wirkungen empfangend.“

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B. Grundlagen

als Einheit.555 Körper und Gesundheit dienen nicht alleine der biologischen Existenz des Menschen, sondern bilden die natürliche Grundlage seiner freien Entfaltung. Der menschliche Körper ist sinnvolles Schutzobjekt nur in Verbindung mit dem menschlichen Geist.556 Dies ist eine zentrale Annahme insbesondere für das Medizinstrafrecht. Diese Rechtsgutsinterpretation ist daher auch nicht zuletzt durch die rasanten Entwicklungen und veränderten Realitäten der modernen Medizin verstärkt worden.557 Gerade weil die moderne Medizin komplex und jedes Handeln des Arztes ein Handeln unter Risiko ist, muss dem Patient die Entscheidung gemäß seinen wert- und erlebnisbezogenen Interessen zustehen.558 Das gilt insbesondere im Bereich der kosmetischen Chirurgie. Gesundheit und körperliche Unversehrtheit sind individuelle Rechtsgüter des Patienten, mit denen die Befugnis einhergeht, auch darüber zu disponieren. Die körperliche Integrität ist dann nicht beeinträchtigt, wenn der Patient einen Eingriff will, um seinen Interessen nachzukommen. Der Arzt, der mit Einwilligung einer Heilbehandlung, aber auch eine nicht indizierte Schönheitsoperation ausführt, verletzt nicht die Körperintegrität seines Patienten, sondern hilft ihm bei dessen körperbezogener Selbstverwirklichung.559 „Was mit dem Willen des Geschädigten geschieht, ist keine Rechtsgutsverletzung, sondern Bestandteil seiner Selbstverwirklichung und geht den Staat nichts an.“560

Selbstgefährdungen und Selbstschädigungen in diesem Bereich sind allgemeinhin als zulässig anerkannt; nichts anderes darf gelten, wenn der Rechtsgutsträger aus faktischen Gründen nicht selbst Hand an sich legen kann, sondern zur Verwirklichung notwendig der Hilfe eines Dritten, hier seines Arztes bedarf. Überdies vermag nur ein liberal-individuelles Rechtsgutsverständnis ausreichenden Schutz vor einem eigenmächtigen ärztlichen Heileingriff zu erzielen.561

555  Schroth

(2007a), S. 128; Roxin (2006), § 13 Rn. 14. insb. nach dem Verständnis einer personalen Rechtsgutslehre, die Individualrechtsgüter zum zentralen Inhalt des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes bestimmt. Vgl. Schroth (2007a), S. 115; Kargl (2001), S. 552 f.; Roxin (2006), § 13 Rn. 12 ff., 26 ff., 38 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 90 ff., 132. 557  Vgl. Schroth (2007a), S. 116. 558  Roxin (2006), § 13; Schroth (2010a), S. 27, 30. 559  Schroth (2007a), S. 123. 560  Ausführliche, grundlegende Darstellung bei Roxin (2006), § 2. 561  Wie noch im Einzelnen darzustellen sein wird, vgl. C.I.3., besteht das kriminalpolitische Bedürfnis, durch die §§ 223 ff. StGB auch das Selbstbestimmungsrecht über die eigenen Körperintegrität als mitgeschützt anzusehen, beim Nichtvorliegen der Einwilligung also wegen Körperverletzung bestrafen zu können und nicht auf die insoweit nur schwachen Schutz bietenden §§ 239, 240 StGB rekurrieren zu müs556  So



IV. Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte115

bb) Körperinteresse als körperliche Unberührtheit (Kargl) Einen die Problematik veranschaulichenden und einer Lösung zuführenden Ansatz hat Kargl präsentiert.562 Er bewegt sich auf der Ausgangsposi­ tion des hier vertretenen liberal-individualistischen Rechtsgutsverständnisses und spezifiziert dann den Rechtsgutsbegriff der Körperverletzungsdelikte. Die Explikation, die er für den Rechtsgutsbegriff liefert, ist begrifflich wie inhaltlich überzeugend. Essentiell ist für Kargls Ansatz der Begriff des Körperinteresses. Diese Formulierung zeigt zum einen die Personenabhängigkeit von Rechtsgütern. Zum anderen wird der Begriff des Interesses zum Fundament der Eingriffslegitimation, denn nur die Existenz eines und die Berufung auf ein wohlbegründetes Interesse zeigen, dass der Einzelne grundlegend selbst darüber befinden können soll, unter welchen Umständen sein Körper angetastet wird. Nach Kargl ist das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte daher das Körperinteresse als Interesse an körperlicher Unversehrtheit und körperli­ cher Unberührtheit, verstanden als Unantastbarkeit des Körpers.563 Er entwickelt diese Interpretation des Rechtsgutsbegriffs auf der Grundlage eines liberal-individualistischen Rechtgutsbegriffs aus der Tatbestandsalternative der körperlichen Misshandlung, die dahingehend zu verstehen sei, dass sie den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringe, die körperliche Unberührtheit schützen zu wollen.564 Mit dem Tatbestandsmerkmal der körper­ lichen Misshandlung habe der Gesetzgeber gerade weit mehr Verhaltensweisen erfassen wollen als Substanzverletzungen; diesem Verständnis müsse der Rechtsgutsbegriff gerecht werden. Die neue Überschrift des 17. Abschnitts des Strafgesetzbuchs und der Rechtsgutsbegriff der körperlichen Unversehrtheit der herrschenden Auffassung berücksichtigten dagegen nicht alle dieser Eingriffe. Für den Rechtsgutsbegriff, wie Kargl ihn versteht, ist daher entscheidend, dass die Unantastbarkeit des Körpers gewährleistet ist, also niemand gegen den eigenen Willen angetastet werden darf. Er versteht das Schutzgut als Recht auf körperliche Integrität und Unberührtheit. Wäre ein Einwirken auf den Körper für die eigenen Interessen irrelevant, könnte durch einen Eingriff gar keine Schädigung vorliegen. Das Vertrauen auf die Unantastbarkeit des eigenen Körpers sei unerlässlich für die Lebensplanung, denn gerade, weil der Körper verletzbar ist, habe der Einzelne ein essentielles Interesse sen. Dass er diese Ansicht teilt und zugleich den Schutz der §§ 223 ff. StGB für ausreichend hält, hat der Gesetzgeber im 6. StRG klargestellt. 562  Kargl (2001), S. 538 ff., 550 ff. 563  Kargl (2001), S. 550 ff. 564  Kargl (2001), S. 550 f. Vgl. auch Schroth (2007a), S. 120 ff.

116

B. Grundlagen

daran zu entscheiden, ob und wann sein Körper angetastet werde.565 Dabei ist dieses Körperinteresse Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts, das aber eben auf das Handlungsobjekt Körper bezogen bleibt und nicht etwa eigenständiges Schutzgut ist.566 Die von Kargl erarbeitete Interpretation des Rechtsgutsbegriffs überzeugt, weil sie den notwendigen Einbezug des körperlichen Selbstbestimmungsrechts, den auch die oben genannten Stimmen des Schrifttums vertreten, schon begrifflich zu erklären und einzugrenzen vermag. Die These, dass man nur in seinen Interessen, nicht aber durch bloße Zustandsveränderung geschädigt sein kann,567 entspricht dem hier vertretenen liberal-individualistischen Ansatz und macht ihn dabei schon nach ihrer sprachlichen Formulierung deutlich. 3. Fazit Auf der Grundlage der liberal-individuellen Ausrichtung der Verfassung und eines Verständnisses des Strafrechts als subsidiärer Individualrechtgüterschutz ist die zentrale Bedeutung der Rechtsgüter für den Einzelnen die Gewährleistung seiner freien Entfaltung.568 Wenn man wie hier die Einwilligung als strafrechtliche Ausprägung der über Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten körperbezogenen Verfügungsbefugnis interpretiert, ist ein liberal-individualistisches Rechtsgutsverständnis die notwendige Konsequenz. Rechtsgüter dienen danach der freien Entfaltung des Einzelnen im verfassungsrechtlichen System. Aus einem solchen Rechtsgutsverständnis folgt eine liberale Einwilligungstheorie,569 die sich durch die Regel der Wirksamkeit der Einwilligung auszeichnet und für die sich Ausnahmen im Bereich der Körperverletzung nur aus den gesetzlichen Vorschriften der §§ 216, 228 StGB ergeben können. Immanente, paternalistisch begründete objektive Beschränkungen der Einwilligung sind dagegen unzulässig.570 Als Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte werden daher die körperliche Integrität und das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht in einem Verständnis betrachtet, wie es von Kargl dargelegt worden ist.571 Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB ist damit die Unberührtheit des menschlichen Körpers, also 565  Kargl

(2001), S. 551 ff., 552. (2001), S. 552 f. 567  Kargl (2001), S. 552. 568  Roxin (2006), § 13 Rn. 12; Schroth (2007a), S. 125; Fateh-Moghadam (2008), S. 92. 569  Zum Ganzen Roxin (2006), § 13 Rn. 12. 570  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 91. 571  Kargl (2001), S. 550 ff. 566  Kargl



V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst117

das Körperinteresse, verstanden als Schutz der körperlichen Integrität und des darauf bezogenen Selbstbestimmungsrechts, das den Verletzten bzw. Patienten davor bewahrt, gegen seinen Willen angetastet zu werden und es ihm ermöglicht, sich körperlich frei zu entfalten. Als zentrale Konsequenz dieses Rechtsgutsverständnisses und des darauf basierenden Integrationsmodells der Einwilligung sind sowohl die gewünschte ärztliche Heilbehandlung als auch der nicht indizierte Eingriff mit Einwilligung keine Rechtsgutsverletzungen. Die Selbstschädigung bzw. das Ermöglichen oder die Hilfe bei einer bewussten Schädigung, zum Beispiel durch den Chirurgen bei der Schönheitsoperation, verletzt nach der hier vertretenen Ansicht gerade nicht das Rechtsgut der Körperverletzungs­ de­ likte. Anders als für die Vertreter eines kollektivistischen, objektivierten Rechtsgutsverständnisses, die zur Zulässigkeit eines paternalistischen Schutz des Rechtsgutsträgers gelangen, ist auf der Grundlage eines so verstandenen liberalen Rechtsgüterschutzes Paternalismus nur bei Autonomiedefiziten oder zum Schutz Minderjähriger legitim.572 Hierauf wird zurückzukommen sein. Dabei kommt dem Rechtsgut nicht nur eine systemimmanente Bedeutung bei der Auslegung von Straftatbeständen, sondern auch ein systemkritisches Potential zu, so dass er für den Gesetzgeber kriminalpolitisches, strafrechtsbegrenzendes Moment ist.573 Weitergehende Einschränkungen für nicht indizierte (kosmetische) Operationen, die etwa auf der Ebene von Aufklärungspflichten oder Verboten vorgeschlagen worden sind, müssen sich am dargestellten Rechtsgutsverständnis messen lassen. Selbstschädigungen bzw. ergebnisgleiche Fremdschädigungen mit Einwilligung sind nach dem Dargestellten im Grundsatz nicht strafwürdig.

V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst– moral- bzw. rechts-philosophische Paternalismusdebatte und Rechtspaternalismus Die erarbeiteten ethischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen haben den fundamentalen Stellenwert des Selbstbestimmungsrechts bzw. der Pa­ tientenautonomie und deren Verankerung in der Ethik, im Verfassungsrecht und im Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte aufgezeigt. Dieses Konzept der Selbstbestimmung trifft nun im Medizinrecht mit Normkonzepten von Rechtspaternalismus und fürsorglicher Bevormundung aufeinander. Im Fol572  Vgl.

Roxin (2006), § 2 Rn. 33. Roxin (2006), § 2 Rn. 4 f., 12. m. w. N.; vgl. NK-StGB-Hassemer / Neumann (2013), Vor § 1 Rn. 18 m. w. N. 573  Ebenso

118

B. Grundlagen

genden soll auf die Natur und die Problematik paternalistischer Regelungen (I.) vor allem im Bereich des Medizinstrafrechts (II.) eingegangen werden. Nach der Bestimmung der relevanten Begrifflichkeiten (III.) wird dann die Frage untersucht, inwieweit Paternalismus im Recht legitimiert werden kann (IV.). 1. Paternalismus im Recht Auch wenn der Begriff des Paternalismus in vielen grundlegenden (arztstraf-)rechtlichen Darstellungen gar nicht auftaucht, ist er ein im Recht tatsächlich vorhandenes574 und in der neueren wissenschaftlichen Diskus­ sion vermehrt behandeltes Normkonzept.575 Viele Normen des geltenden Rechts sind paternalistisch.576 Das Bundesverfassungsgericht hat schon wiederholt über paternalistische Regelungen geurteilt, oft jedoch, ohne dabei klar auf die Problematik einer bevormundenden Fürsorge bzw. des Schutzes des Einzelnen vor sich selbst abzustellen und ohne eine einheit­ liche Linie zur Rechtfertigung paternalistischer Eingriffe zu entwickeln.577 574  Paternalismus ist ein allgegenwärtiges Phänomen im deutschen Recht, vgl. Eidenmüller (2005), S. 360. 575  Erst seit Beginn der 1990er Jahre ist von rechtswissenschaftlicher Seite ein steter Anstieg des Interesses an der zuvor kaum behandelten Thematik des Paternalismus zu erkennen, vgl. Eidenmüller (2005), S. 358 ff.; Schwabe (1998), S. 66; Gutmann (2005), S. 150. Zur neueren rechtsphilosophischen und verfassungsrecht­ lichen Paternalismusdiskussion vgl. Fateh-Moghadam / Sellmaier / Vossenkuhl (2010); Anderheiden / Bürkli / Heinig (2006); Möller (2005); Fischer (1997); Littwin (1993); Hillgruber (1992); Fateh-Moghadam (2008), S. 31 f.; Schwabe (1998), S. 66 ff. 576  So etwa §§ 216, 228 StGB, vgl. Seelmann (2010), S. 245  ff.; § 29 Abs. 1 BtMG, vgl. Rigopoulou (2013), S. 132 ff.; Begrenzung der Organlebendspende durch das TPG, vgl. Schroth (2012), S. 570 ff.; die zivilrechtlichen Regelungen der Geschäftsfähigkeit, des Verbraucherschutzes sowie des Widerrufsrechts bei Haustürgeschäften, die Rspr. zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften naher Familienangehöriger, viele Regelungen des Arbeitsrechts etc., vgl. Eidenmüller (2005), S. 360 f. m. w. N. Rspr. und Lit. haben sich teils auch darüber hinaus mit einer Fülle verschiedener Bereiche von Paternalismus befasst. In der Diskussion waren etwa Helm- und Gurtpflicht, Rauch- und Drogenverbot, Verbraucherschutz und Minderjährigenrecht, „Zwergenweitwurf“ und „Peepshow“, Organlebendspende, Zwangsernährung und Geschlechtsumwandlung, vgl. Hillgruber (1992), S. 63 ff.; Schwabe (1998), S. 66. Oft wird das Paternalismus-Problem auch nur in diesen Einzelaspekten bzw. lebensbereichsbezogen diskutiert. 577  Etwa BVerfGE 10, 302; 22, 180 und 58, 208 zur Unterbringung von psychisch Kranken; BVerfGE 60, 123 zur Altersgrenze bei der Geschlechtsumwandlung; BVerfGE 59, 275 zur Schutzhelmpflicht für Kraftradfahrer; BVerfG NJW 1987, 180 zur Gurtanlegepflicht für Kraftfahrzeugführer; BVerfG NJW 1994, 1577 zum Haschischkonsum; BVerfG NJW 1999, 3399 zur Organentnahme bei Lebenden; BVerfG NJW 2011, 2113 zur Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten.



V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst119

Entscheidend für die Einordnung einer Norm als paternalistisch ist nicht ihre Bezeichnung, sondern die besondere Motivation, die Gesetzgeber oder Gericht mit ihr verfolgen. Eine paternalistische Norm zeichnet sich durch die Zwecksetzung aus, den Einzelnen zu dessen Wohl auch gegen seinen Willen mit rechtlichen Mitteln vor sich selbst schützen zu wollen.578 Als Problematik des Rechts stellt sich der Paternalismus seit der Anerkennung des Bürgers als Rechtsperson mit eigenen subjektiven Rechten durch liberale Rechtsordnungen.579 Die Kontroverse um paternalistisches Vorgehen des Staates resultiert aus einem liberalen Rechtsdenken, wie es sich nur in modernen Verfassungsstaaten findet.580 Die Frage nach zulässigem Paternalismus betrifft allgemein das Problem, ob Eingriffe in die Handlungsfreiheit von Personen zulässig sind. Wird, wie bei den nicht indizierten ärztlichen Eingriffen, unmittelbar auf den Körper des Rechtsgutsträgers eingewirkt, ist dabei die spezielle Garantie der körperbezogenen Selbstbestimmung im Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit betroffen.581 Beschränkungen der individuellen Dispositionsfreiheit sind vor dem Grundgesetz, das nach seiner liberalen Ausrichtung auf der Anerkennung subjektiver Rechte basiert, begründungsbedürftig.582 Die Dispositionsfreiheit über den eigenen Körper zum eigenen Schutz zu beschränken, ist aus diesem Blickwinkel problematisch.583 Auf der anderen Seite kann staatlicher Paternalismus sogar eine Notwendigkeit sein. Weil der Staat Fürsorge- und Dabei ist zuzugeben, dass kaum eine Norm ausschließlich paternalistisch begründet werden kann. 578  Schroth (2003), S. 844; Eidenmüller (2005), S. 360; Gutmann (2005), S. 150. Vgl. auch die Definitionen bei Möller (2005), S. 1 und Dworkin (1983), S. 20. 579  Fateh-Moghadam (2010a), S. 25; Bublitz (2012), S. 370. In der moralphilosophischen Diskussion hat die Frage nach der Rechtfertigung von Paternalismus eine lange Tradition. In der deutschen Rechtswissenschaft wurde die Kritik des Rechtspaternalismus, anders als vor allem in der angelsächsischen Rechtsphilosophie (vgl. das Werk von Mill, Dworkin, Feinberg etc.) erst in den letzten Jahren und zögerlich als Problematik erkannt, obwohl der Paternalismus und seit Kant auch der Antipaternalismus eine Tradition deutschen Rechtsdenkens ist. Das Interesse an dieser Frage ist in den letzten Jahren nun ersichtlich zu Tage getreten. Vgl. Gutmann (2005), S. 150 ff.; Schwabe (1998), S. 67. Vor allem verfassungsrechtliche Beiträge, aber auch solche aus dem Zivil- und Strafrecht beschäftigen sich in den letzten Jahren ausführlich mit der Frage, ob der Staat der Autonomie des Einzelnen unter dem Argument des Schutzes vor sich selbst Grenzen setzen darf, vgl. Nachweise Fn. 575. 580  Gutmann (2006), S. 192; Fateh-Moghadam (2010a), S. 26. 581  Zur umstr. Einordnung der verfassungsrechtlich garantierten Patientenautonomie in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vgl. ausführlich oben B.III.1. 582  Vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 109. 583  So auch Schroth (2003), S. 844.

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B. Grundlagen

Schutzpflichten gegenüber denjenigen Bürgern584 hat, die zur Selbstbestimmung nicht fähig sind oder sich nicht selbstbestimmt verhalten können, darf der Staat entsprechende Maßnahmen zu ihrem Schutz treffen.585 Die Einwilligungsmöglichkeit in ärztliche Eingriffe für solche Patienten zu deren Schutz einzuschränken, ist in diesen Fällen sogar geboten. Auch im Übrigen kommt dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu, wenn es um den Schutz seiner Bürger im Wege paternalistischer Einschränkungen bei Selbstschädigung oder einverständlicher Fremdschädigung geht.586 2. Medizinstrafrechtlicher Kontext Das Medizinstrafrecht basiert in seiner Ausgestaltung und Anwendung auf der grundlegend liberalen Entscheidung der Verfassung und geht in der Folge wie dargestellt vom Grundsatz der Wirksamkeit der Einwilligung des Verletzten aus. Die Körperverletzungsdelikte des Strafgesetzbuchs sind ein liberales Regelungssystem, das Eingriffe im Ausgangspunkt erlaubt. Ist eine Entscheidung als autonom zu bewerten, müssen Selbstschädigungen und Selbstgefährdungen bzw. auch einverständliche Fremdgefährdungen und Fremdschädigungen akzeptiert werden. Dies gilt vor allem dann, wenn man das Strafrecht als subsidiären Rechtsgüterschutz begreift und mit einem liberalen Rechtsgutsverständnis davon ausgeht, dass Rechtsgüter vor allem dem Einzelnen zur Verwirklichung seiner Freiheit dienen.587 Denoch zeigt die Debatte um den Paternalismus im medizinstrafrecht­ lichen Kontext praktische Auswirkungen.588 Der Gesetzgeber hat hier Regelungen geschaffen, die die Möglichkeit autonomer, freier Entscheidungen gesetzlich begrenzen.589 Für medizinisch (nicht indizierte) ärztliche Eingriffe stellen die §§ 228, 216 StGB materiell paternalistische Beschränkungen dar. Auch die ärztliche Aufklärungspflicht, die Frage der Einwilligungsfähigkeit oder Altersbeschränkungen sind paternalistische Vorgaben.590 In der 584  Insb.

Minderjährige und Geisteskranke. Vgl. Möller (2005), S. 213 ff. Frage des „Paternalismus als staatliche Pflicht“ Möller (2005), S. 213 ff., 216. Vgl. auch Van Aaken (2006), S. 109. Zum Ganzen auch Gutmann (1999), S. 3388. 586  Im Einzelnen Rigopoulou (2013), S. 67 ff.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 38. 587  Maßgeblich Roxin (2006), § 2 Rn. 97 ff.; § 13 Rn. 12. 588  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2010a), S.  21; Fateh-Moghadam (2008), S. 31. 589  Z. B. § 19 i. V. m. § 8, §§ 17, 18 TPG und §§ 211 ff., 223 ff. StGB im Bereich der Lebendorganspende; §§  211  ff., §  216 StGB im Bereich der Sterbehilfe; §§ 40 i. V. m. 96 Nr. 10 AMG im Bereich von Humanexperimenten; §§ 41, 40 i. V. m. 96 Nr. 10 AMG und §§ 211 ff., 223 ff. StGB beim Heilversuch. 590  Fateh-Moghadam (2010a), S. 43. 585  Zur



V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst121

vorliegenden Untersuchung werden bei der Frage nach der strafrechtlichen Zulässigkeit rein kosmetisch veranlasster Schönheitsoperationen Reichweite und Grenzen der wirksamen Einwilligung des Patienten problematisiert; diese Frage führt auf die Paternalismusdiskussion zurück. 3. Begriffsbestimmungen An dieser Stelle soll ein Überblick über Begrifflichkeiten von Rechtspaternalismus gegeben werden, um auf dieser Grundlage die verschiedenen paternalistischen Legitimationansätze und letztlich die strafrechtliche Bewertung und Begrenzung der Einwilligung in körperliche Eingriffe speziell für den Regelungskontext nicht indizierter Schönheitsoperationen analysieren zu können.591 Auch wenn eine abschließende systematische Präzisierung und Klärung der Begriffe und Legitimationsansätze paternalistischer Normen nicht erzielt wurde, stehen die Grundzüge doch fest. Paternalismus592 kann definiert werden als ein Verhalten, das den Zweck hat, einen anderen gegen oder ohne dessen Willen um dessen angeblichen Wohlergehens willen vor sich selbst zu schützen, unabhängig davon, ob dieser Schutz vom Betroffenen erwünscht ist oder nicht.593 Geht eine solche Maßnahme vom Staat aus und richtet sie sich gegen dessen Bürger, befindet man sich im Bereich des staatlichen oder Rechtspa­ ternalismus. Erfasst werden alle594 staatlichen Eingriffe, normativer Art oder aufgrund gesetzlicher Ermächtigung, die in die Handlungsfreiheit bzw. individuellen Freiheitsgrundrechte einer Person erfolgen und deren angeblichen Schutz und Wohlergehen dienen sollen, dabei aber gegen oder ohne deren Willen erfolgen.595 Normativ tritt Paternalismus dabei als Gebot, Verbot, Sanktionsandrohung oder Zwang – sog. materieller Paternalismus –,596 aber 591  Vgl.

zum Ganzen auch Joost (2010a), S. 126 ff., 135 f. Begriff geht auf das lateinische Wort pater (Vater) zurück und verweist ganz grundlegend auf eine bevormundende Autorität. 593  Vgl. Schroth (2011a), S. 467; Eidenmüller (2005), S. 359; Möller (2005), S. 1; Fateh-Moghadam (2008), S. 26; Gutmann (2005), S. 150; van Aaken (2006), S. 122 ff.; Seelmann (2010), S. 250. Diese Begriffsbestimmungen gehen schon auf den bedeutenden Beitrag „On Liberty“ von John Stuart Mill aus dem Jahr 1859 zurück, auf den sich die Tradition der Paternalismuskritik gründet, und im Folgenden v. a. auf das Werk von Immanuel Kant. 594  Ausgenommen sind diejenigen Eingriffe, deren Intensität unterhalb einer verfassungsrechtlich relevanten Eingriffsschwelle verbleibt. Vgl. die Bsp. bei FatehMoghadam (2010a), S. 22. 595  Möller (2005), S. 1. 596  Schwabe (1998), S. 68; Fateh-Moghadam (2010a), S. 43. 592  Der

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B. Grundlagen

auch in Form von „Wahlhilfen“ wie Informations-, Beratungs- oder Kommissionslösungen auf;597 bei den letzteren Fällen handelt es sich um einen Verfahrenspaternalismus bzw. prozeduralen Paternalismus.598 Bei der Einwilligung des Patienten in eine „Körperverletzung“ durch den Arzt schaffen Gesetzgeber und Rechtsprechung über die Voraussetzungen und Grenzen der wirksamen Einwilligung ein sanktionsbewehrtes Verbot an den Arzt. Im Vergleich zu anderen grundrechtsrelevanten staatlichen Maßnahmen, die ebenfalls Eingriffe in Individualrechte darstellen, zeichnen sich paternalistische Maßnahmen durch ihre besondere Zwecksetzung aus. Die Freiheitsbeschränkung wird nicht im Interesse Dritter oder der Allgemeinheit vorgenommen, sondern zum Schutz und Wohl des betroffenen Individuums bzw. Patienten selbst.599 Zurückgehend vor allem auf die angelsächsische Literatur haben sich unterschiedliche Formen des Paternalismus begrifflich eingebürgert.600 Für diese Untersuchung ist insbesondere die Unterscheidung zwischen weichem und hartem Paternalismus von Relevanz,601 die daran anknüpft, ob eine paternalistische Norm Autonomie absichern will, oder ob sie auch ganz freiwillige, autonome Entscheidungen einschränkt. Diese Unterscheidung ist deshalb wesentlich, da sie sich nach der überwiegenden Auffassung bei der Frage nach der Legitimierbarkeit einer paternalistischen Norm auswirkt.602 Harter Paternalismus ist die Bevormundung kompetenter, d. h. autonom entscheidender, informierter, entscheidungs- und einwilligungsfähiger Personen.603 Der Normgeber definiert dabei diejenigen Maßstäbe und Werte, die zum Wohl des Individuums gelten sollen, aus einer objektiven Wertordnung heraus. Die Rechtsgüter der einzelnen Person wie Leben und Körperinteg597  Ausführlich van Aaken (2006), S. 125  ff. Vgl. zum Verfahren vor der Lebendspendekommission nach dem TPG Schroth (2012), S. 575. 598  Hierzu Seelmann (2010), S. 262 ff. 599  Eidenmüller (2005), S. 359. 600  So etwa die grundlegende Entscheidung bei Mill zwischen auf das moralische oder das physische Wohl zielenden paternalistischen Maßnahmen, vgl. hierzu Eidenmüller (2005), S. 359 m. w. N. 601  Die Begriffe des harten / starken und weichem / schwachen Paternalismus gehen zurück auf Feinberg (1989), S. 9 f., 61. Vgl. Möller (2005), S. 15; Gutmann (2005), S. 190  Fn. 3. 602  Indes ist die Abgrenzung oft schwierig, weil der Begriff der Autonomie ein normatives Konstrukt und empirisch nicht trennscharf zu bestimmen ist, vgl. ausführlich Fateh-Moghadam (2010a), S. 27 ff. Insofern kann die Unterscheidung zwischen hartem und weichem Paternalismus rechtlich an Bedeutung verlieren; wichtig ist es deshalb insb. festzustellen, ob Freiheiten in einem rechtlich zulässigem Maß beschränkt werden; die Begründung interessiert dann u. U. nur nachrangig. Im einzelnen unten B.V.4. 603  Fateh-Moghadam (2010a), S. 23; Seelmann (2010), S. 249 f. m. w. N.



V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst123

rität werden als objektive Interessen und Werte bzw. als kollektive Güter geschützt.604 Mit hart paternalistischen Maßnahmen wird Schutz dann auch demjenigen aufgedrängt, der sich völlig freiwillig für eine Selbstgefährdung oder Selbstverletzung entscheidet.605 Die autonome Einwilligung eines (volljährigen) einsichtsfähigen Patienten in eine nicht indizierte Schönheitsoperation etwa für unwirksam zu erklären, weil der Eingriff unvernünftig sei oder den gesundheitlichen Langzeitpräferenzen des Patienten voraussichtlich nicht entsprechen könne, ist hart paternalistisch. Als weich paternalistisch werden dagegen Maßnahmen bezeichnet, die die Dispositionsfreiheit nicht kompetenter Personen beschränken, also entweder solcher Individuen, denen es an Selbstbestimmungskompetenz ganz fehlt, oder an sich kompetenter Personen, deren Selbstbestimmungskompetenz aber hergestellt bzw. optimiert werden soll.606 Die autonome Entscheidung des Rechtsgutsinhabers wird dabei prinzipiell anerkannt und der Schutz erfolgt aus dessen eigener Perspektive heraus.607 Betrachtet werden hier zum einen Entscheidungen, die substanziell unfreiwillig sind, zum anderen solche, die zwar als autonom erscheinen, deren Freiwilligkeit wegen der selbstschädigenden Folgen aber gründlich abgesichert werden soll. Ein Paradebeispiel einer solchen Beschränkung ist im vorliegenden Kontext die für die wirksame Patienteneinwilligung erforderliche ärztliche Aufklärung, die dem Patienten die für eine selbstbestimmte Entscheidung notwendige Informationsbasis vermitteln soll.608 Statt von weichem Paternalismus kann deshalb von einem autonomieorientierten Paternalismus gesprochen werden.609 Er steht insoweit im Gegensatz zum harten Paternalismus, der Einschränkungen der Dispositionsfreiheit unabhängig davon für zulässig erachtet, ob die Entscheidung des Betroffenen autonom erfolgt ist oder nicht.610 Eine exakte Grenzziehung zwischen hartem und weichem Paternalismus ist indes oft schwierig.611 Dies führt zu Folgeproblemen bei der Legitima­ tion eines paternalistischen Eingriffs. Eine weitere Differenzierung knüpft sich im Hinblick auf Begriffsbestimmung und Rechtfertigungsmöglichkeit an die Frage, ob eine paternalistische 604  Fateh-Moghadam

(2010a), S. 24. (2005), S. 16. 606  Fateh-Moghadam (2010a), S. 27. Anders bei Feinberg (1986), S. 12  ff., der den Begriff nur auf einsichtsunfähige Personen anwendet. 607  Vgl. Schroth (2011a), S. 468; Fateh-Moghadam (2010a), S. 27. 608  Fateh-Moghadam (2010a), S. 31. 609  Zum Ganzen Möller (2005), S. 16; Fateh-Moghadam (2010a), S. 27. 610  Mayr (2010), S. 48. 611  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 28 ff. 605  Möller

124

B. Grundlagen

Maßnahme direkt oder indirekt wirkt.612 Direkter Paternalismus richtet sich gegen den „geschützten“ Betroffenen selbst, indem Gebote oder Verbote an den Rechtsgutsträger selbst gerichtet werden.613 Indirekt ist der Paternalismus, wenn er sich in Verboten, Zwang oder Sanktionsandrohungen äußert, die sich unmittelbar an andere Personen als den Betroffenen der Interven­ tion richten und damit das Handeln Dritter beschränken.614 Im hier untersuchten Bereich ärztlicher Eingriffe schafft der indirekte Paternalismus Schranken für die Einwilligung des Rechtsgutsträgers. Die Aufklärungspflichtverletzung oder das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit des (minderjährigen) Patienten machen die Einwilligung unwirksam und das Verhalten des Arztes strafbar. Dass der Paternalismus bei der Einwilligung ein indirekter ist, liegt an der Struktur der Strafrechtsdogmatik und ergibt sich konkret daraus, dass strafrechtlich geschützte Rechtsgüter wie Körperintegrität und Leben in der Regel nur gegen einverständliche fremdschädigende Angriffe von außen durch Dritte geschützt werden.615 Im Strafrecht gibt es nur wenige direkt paternalistische Normen, da Selbstschädigungen bis hin zum (versuchten) Selbstmord im deutschen Recht grundsätzlich straflos sind.616 Nach diesen Definitionen können die im untersuchten Kontext auftauchenden paternalistischen Normen wie dargestellt eingeordnet werden. Sowohl die ärztliche Aufklärungspflicht als auch Altersbeschränkungen617 und teils diskutierte Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit bei nicht indizierten Eingriffen erweisen sich als indirekter materieller Paternalismus, der ein subjektives Wahlverbot für den Patienten statuiert. Die Beschränkung der Einwilligung über die Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB ist dagegen objektives Wahlverbot und damit von höherer Eingriffsintensität für den betroffenen Patienten.618

612  Dworkin unterscheidet hier begrifflich zwischen reinem und unreinem Paternalismus. 613  Bublitz (2012), S. 385; Seelmann (2010), S. 248; von Hirsch (2007), S. 235. 614  Feinberg (1989), S. 9; Möller (2005), S. 15 f.; Gutmann (2006), S. 190; Pawlik (2012), S. 230. 615  Nicht strafbar ist nach deutschem Recht demnach der Suizid, die Selbstverletzung etc., vgl. Wortlaut der §§ 211 ff., §§ 223 ff. StGB. Bei der einverständlichen Fremdgefährdung und Fremdverletzung setzt das Recht dagegen Grenzen über §§ 216, 228 StGB. Vgl. zu den Einwänden gegen direkten Paternalismus im Strafrecht Rigopoulou (2013), S. 115 ff. 616  Von Hirsch (2007), S. 235. Ausnahmen sind § 29 Abs. 1 BtMG und §§ 17, 18 Abs. 1 TPG. 617  Spezialgesetzlich geregelt bspw. in § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a TPG. 618  Zum Ganzen das Stufenmodell bei Fateh-Moghadam (2010a), S. 43.



V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst125

4. Legitimationsansätze – insbesondere Grenzen eines autonomie-orientierten Paternalismus Der Staat schützt seine Bürger also mit vielen Regeln vor sich selbst,619 wie dargestellt auch im Bereich des Medizinrechts. Die Rechtfertigung dieser aufgedrängten Fürsorge ist aber problematisch und wird auch vor dem Hintergrund geltender Regelungen kontrovers diskutiert.620 Die zugrundeliegende Frage lautet, ob die Selbstverfügungsfreiheit des Einzelnen über den ­Körper von staatlicher Seite nur zu dessen vermeintlichen eigenen Wohl beschränkt werden darf. Konkretisiert für den Kontext wunscherfüllender Medi­ zin ist damit die Frage aufgeworfen, ob der Staat im Bereich der Körper­ver­ letzungstatbestände das Selbstbestimmungsrecht des Patienten einschränken und auch solche „fremdschädigende“ Eingriffe durch Dritte in den Körper verbieten darf, die der Patient doch selbst gerade wünscht. Ist beispielsweise der Wunsch nach einer Nasenkorrektur eine Frage des (der Dispositionsfreiheit unterliegenden) Geschmacks oder der (rechtlich umgrenzten und über § 228 StGB relevanten) Moral, ist es also sittenwidrig und macht der Arzt sich strafbar, wenn er an einem gesunden Menschen eine riskante kosmetisch veranlasste Schönheitsoperation vornimmt? Darf der Staat den Patienten hinsichtlich seiner Einwilligung in eine medizinisch nicht notwendige Behandlung für einwilligungsunfähig erklären, weil der ärztliche Eingriff objektiv nicht vernünftig ist?621 Dürfen der Wirksamkeit der Einwilligung Grenzen gesetzt werden, wenn der Arzt den Patienten vor einem medizinisch nicht indizierten Eingriff nicht drastisch, schonungslos und in abschreckender Weise über sämtliche Risiken und Gefahren aufgeklärt hat?622 Die Frage nach der Legitimation von Paternalismus wird vielfach gar nicht erst gestellt. Derartige Verfügungsbegrenzungen werden teilweise schon nicht als paternalistisch benannt bzw. ganz andere Begründungen für sie aufgegriffen.623 Zum Teil werden Paternalismus und Präferenzformung auch einfach als legitimes Ziel staatlicher Interventionen bewertet.624 Von den Stimmen, die sich in der moral- und rechtsphilosophischen sowie in der juristischen Diskussion mit der Problematik beschäftigen, sind 619  Zu

paternalistischen Regelungen im geltenden Recht vgl. Fn. 576. (2005), S. 365. Vgl. z. B. zur sehr umstrittenen Legitimation des § 216 StGB Seelmann (2010), S. 245 ff. 621  Vgl. die Entscheidung des BGH im sog. Zahnextraktionsfall, NJW 1978, 1206. 622  Vgl. hierzu Joost (2010a), S. 126 ff., 145, 149. 623  Eidenmüller (2005), S. 358 ff., 366 ff. m. w. N. So etwa die Rspr. des BVerfG, dazu sogleich. 624  Eidenmüller (2005), S. 366, 370  ff. m. w. N. So etwa der Ansatz von Sunstein / Thaler (2003), (2007). 620  Eidenmüller

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B. Grundlagen

ganz unterschiedliche Begründungs- und Legitimationsansätze für Paternalismus vorgetragen worden.625 Die Ansätze weichen oft weit voneinander ab.626 Als tragende Argumente, die oft herausgefiltert werden, erweisen sich jedoch der Schutz der Autonomie des Einzelnen, vor allem zur Verhinderung irreversibler Freiheitsverluste, sowie der Schutz unverfügbarer Attribute des Einzelnen bzw. personaler Lebensgrundlagen.627 Paternalismus wird dabei überwiegend anerkannt, wenn er freiheitsfördernde Effekte erzielt.628 Die Ansätze, die in der Philosophie herausgearbeitet wurden, beantworten dabei aber nicht zwangsläufig die Frage, ob Rechtspaternalismus im Einzelfall zulässig, also vor allem mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Aus juristischer Sicht müssen diejenigen in der Philosophie entwickelten Argumente eingegrenzt werden, die auch als juristische Argumente Bedeutung gewinnen können.629 Wenn das Strafrecht der körperlichen Verfügungsfreiheit einer autonom entscheidenden Person Grenzen setzen will, indem es den Grundsatz der Wirksamkeit der Einwilligung einschränkt, muss dies in rechtlich zulässiger Weise geschehen. Die Frage nach der Legitimierung paternalistischer Strafrechtsnormen und -institute führt damit ins Verfassungsrecht,630 weil paternalistische 625  Hierzu

ausführlich Möller (2005), S. 107 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 31 f. Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 31 f., der insg. zwölf verschiedene Argumentationsstrukturen zur Begründung von Paternalismus aufführt. Wesentlich, in dieser Untersuchung aber nicht weiter ausgeführt, sind u. a. die Folgenden: Zum Teil werden Pflichten des Menschen gegen sich selbst angenommen, die auch die Pflicht zur Selbsterhaltung beinhalte, so Wolff, Feuerbach und Kant; zuletzt Köhler (2006); diese Konzeption ist rechtsmoralistisch, weil sie den Begriff der Autonomie und der Handlungsfreiheit moralisch interpretiert. Weiter die Argumentation, die eine entsprechende selbstschädigende Disposition als unvereinbar mit der eigenen Menschenwürde bzw. mit einem gattungsethischen Menschenbild erklärt, vgl. Duttge (2002); hiergegen ist einzuwenden, dass es eine Menschenwürdepflicht nicht gibt und dass derartig begründete Eingriffe in die dem Menschen zuerkannte (Handlungs-)Freiheit unzulässig sind. Auch das Argument, Langzeitpräferenzen des Entscheiders müssten vor sich aus Kurzzeitpräferenzen ergebenden irreversiblen Selbstschädigungen bewahrt werden, vgl. Parfit (1986), ist eine abzulehnende Konzeption und schon deshalb problematisch, weil es keine Pflichten gegenüber sich selbst gibt. Die Auffassung, dass es objektive Interessen gibt, die gewichtiger seien als das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, greift ebenfalls auf unzulässige Weise in die grundrechtlich garantierten Freiheiten des Einzelnen ein. Zum Ganzen Schroth (2006b), S. 551. 627  Zum Ganzen und für viele Eidenmüller (2005), S. 374 ff. m. w. N.; Englerth (2007b), S. 234; Pawlik (2012), S. 219 ff., 224; vgl. auch von Hirsch (2007), S. 241. Kritisch zu letzterer Fallgruppe Fateh-Moghadam (2008), S. 30; Rigopoulou (2013), S. 317. 628  So der Ansatz von Sunstein / Thaler (2007), S. 259 ff.; vgl. Eidenmüller (2005), S. 375. 629  Fateh-Moghadam (2008), S. 26, 300; Schroth (2004), S. 472. 630  Eidenmüller (2005), S. 360 f.; Bublitz (2012), S. 382 ff., 395 ff. 626  Zum



V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst127

Normen Eingriffe in die Grundrechte des Einzelnen sind.631 Beim Rechtspaternalismus zeigt sich gegenüber klassischen Grundrechtseingriffen die Besonderheit, dass Zwecksetzung des Eingriffs und Grund der Freiheitsbeschränkung ausschließlich der Schutz des Rechtsgutsträgers selbst sein sollen. Bei der Eingriffsprüfung anhand der Grundrechte und vor allem bei der Frage der Verhältnismäßigkeit ist das Selbstbestimmungsrecht nach umstrittener Ansicht nicht nur eröffneter Schutzbereich, sondern auch Schranken-Schranke.632 Ferner ist zu beachten, dass selbst grundrechtskonforme Eingriffe nicht ohne weiteres strafbewehrte Verbote, also paternalistische Straftatbestände legitimieren können; die Frage, ob ein selbstschädigendes Verhalten strafwürdiges Unrecht darstellt, ist im Hinblick auf den Charakter des Strafrechts als ultima ratio gesondert zu prüfen.633 Auffällig bei der Legitimation sowohl weichen wie auch harten Rechtspaternalismus ist schon die beiden Regelungsformen immanente Gefahr, nicht wertungskonsistent zu sein, da manche schwere Formen von fremdschädigenden Eingriffen in die körperliche Integrität erlaubt sein sollen, andere hingegen nicht.634 Darüber hinaus zeigt sich bei der Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung paternalistischer Maßnahmen die Bedeutung der Unterscheidung zwischen hartem und weichem Paternalismus. Denn deren Rechtfertigungsmöglichkeit wird unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wurde die Abgrenzung zum weichen Paternalismus gezogen, weil dieser schon begrifflich gar nicht für echten Paternalismus635 bzw. für unvermeidlich636 oder ohne weiteres legitim637 gehalten wurde. Überwiegend wird jedoch zu Recht auch der weiche Paternalismus als rechtfertigungsbedürftig angesehen.638 Diese Ansicht vertritt auch das Bundesverfassungsgericht in grundlegenden Entscheidungen zur Unterbringung von psychisch Kranken und zur Zwangsbehandlung von im Maßregelvollzug Untergebrachten.639 Eine Rechtferti631  Art. 2 Abs. 1 GG; im Kontext (nicht indizierter) ärztlicher Eingriffe Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, vgl. ausführlich oben B.III.1. 632  Umstr., so Fateh-Moghadam (2010a), S.  43 mit einem Stufenmodell zur Rechtfertigung weich paternalistischer Normen; so auch Joost (2010a), S. 153. Kritisch hierzu Bublitz (2012), S. 396. A. A. auch Schwabe (1998), S. 69 f. 633  Bublitz (2012), S. 383 mit Fn. 48 m. w. N. 634  Schroth (2003), S. 844, m. w. Bsp. Erlaubt ist etwa die Teilnahme an einem Boxkampf oder einem Autorennen, verboten dagegen die altruistische Nierenlebendspende. 635  Feinberg (1989), S. 14 f. 636  Sunstein / Thaler (2007), S. 287; van Aaken (2006), S. 133. 637  Dworkin (1983), S. 19. 638  Möller (2005), S. 17. 639  BVerfG, NJW 1982, 691; BVerfG, NJW 2011, 2116.

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B. Grundlagen

gung von weichem Paternalismus ist nach übereinstimmender Ansicht auch prinzipiell möglich.640 Umfassende Darstellungen und kritische Würdigung aller Argumentations- und Legitimationskonzepte zu hartem und weichem Paternalismus sind zuletzt in einigen monographischen Beiträgen ausführlich behandelt worden.641 Auf die für diese Untersuchung bedeutsamen Ergebnisse soll nun im Wesentlichen eingegangen werden. a) Harter Paternalismus Die Rechtfertigung von hartem Paternalismus, also der Bevormundung kompetenter und autonom entscheidender einwilligungsfähiger Erwachsener, wird sehr kontrovers beurteilt. Die Auffassungen, die hart paternalistische Normen rechtfertigen wollen, kann man unter den Kategorien des normati­ ven Kollektivismus642 und des Rechtsmoralismus einordnen.643 Sie werden unterschiedlich begründet, stimmen aber darin überein, dass Beschränkungen der Selbstverfügungsfreiheit auch dann legitim sein sollen, wenn der Verfügende autonom handelt.644 Das Bundesverfassungsgericht sieht solche Eingriffe in seiner Rechtsprechung letztendlich als gerechtfertigt an. In den Entscheidungen, die hinsichtlich paternalistischer Eingriffe in die Grundrechte kompetenter Personen ergangen sind, vermeidet das Bundesverfassungsgericht dabei aber oftmals die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Eingriffszwecks „Schutz des Einzelnen vor sich selbst“, indem es stattdessen auf Gemeinwohlzwecke abstellt.645 Alle zur Entscheidung vorgelegten Normen sind so als mit dem 640  Vgl. ausführlich Fateh-Moghadam (2010a), S. 27 ff. Z. T. wird diese Form der Bevormundung jedoch auch für unzulässig gehalten, solange sie nur mit den Belangen des Betroffenen selbst argumentiert, Schwabe (1998), S. 66 ff., 69. Nach Murmann (2005), S. 240 ff., 263, 501 ff. sind Verfügungsbeschränkungen schon zulässig, wenn sie dem Schutz vor möglicherweise defizitären Entscheidungen dienen. 641  Fateh-Moghadam / Sellmaier / Vossenkuhl (2010); Möller (2005); Fischer (1997); Littwin (1993); Hillgruber (1992). Vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 31 f.; Bublitz (2012), S. 395 ff.; Schwabe (1998), S. 66 ff. 642  Zum Begriff des normativen Kollektivismus vgl. von der Pfordten (2005), S. 1069 ff.; von der Pfordten (2006) S. 96 f. Vgl. auch Fateh-Moghadam (2008), S.  27 f. 643  Fateh-Moghadam (2010a), S. 24 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 27 f.; Möller (2005), S. 107 ff.; Seelmann (2003), S. 855. 644  Ausführlich m. w. N. Fateh-Moghadam (2008), S. 26 ff., 31 ff.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 22 ff. 645  Vgl. BVerfGE 59, 275 zur Schutzhelmpflicht für Kraftradfahrer; BVerfG NJW 1987, 180 zur Gurtanlegepflicht für Kraftfahrzeugführer; BVerfG NJW 1994, 1577



V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst129

Grundgesetz vereinbar anerkannt worden. Leuchtet dies im Fall des Autooder Motorradfahrens noch insoweit ein, als es sich hier um Alltagshandlungen handelt, die wohl nicht ausdrücklich persönlichkeitsrelevant, aber potentiell fremdschädigend sein können, so verschließt sich der Zugang zu dieser Argumentation jedenfalls im Fall der Regelungen des Transplantationsgesetzes zur altruistisch motivierten Lebendorganspende eines aufgeklärten Spenders.646 Insgesamt hat das Bundesverfassungsgericht bisher keine klare Linie zur Rechtfertigung von Paternalismus vorgegeben. So heißt es in einer Entscheidung aus dem Jahr 1967: „Der Staat hat aber nicht die Aufgabe, seine Bürger zu ‚bessern‘ […].“647

In einem Beschluss von 1982 postuliert das Gericht dagegen: „Zu gesetzlichen Regelungen, die in das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit eingreifen, ist der Gesetzgeber befugt, wenn sie den Betroffenen daran hindern sollen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen.“648, 649

Dagegen geht man in der Rechtswissenschaft ganz überwiegend zu Recht davon aus, dass hart paternalistische Eingriffe, die sich nicht am Selbstbestimmungsrecht des „Geschützten“ orientieren, sondern objektive Ziele oder Gemeinschaftsinteressen im Auge haben, unzulässig sind.650 Nur wenige Stimmen in der Literatur halten hart paternalistische Regelungen für legitimierbar.651 Begründet wird dies mit der liberal-individualistischen Konzeption der Rechtsordnung, die die Dispositionsfreiheit kompetenter, einsichtsfähiger und autonom handelnder Individuen anerkennt. Dies zeigt sich sowohl im Grundgesetz, das dem Einzelnen vor allem über die Grundrechte subjektive Rechte zuordnet, als auch im modernen Strafrecht, das sich dem Rechts­ güterschutz652 verpflichtet.653 Folgt man bei der Interpretation der Grundzum Haschischkonsum; BVerfG NJW 1999, 3399 zur Organentnahme bei Lebenden. Hierzu auch Bublitz (2012), S. 382; Möller (2005), S. 26 ff., 29. 646  Gutmann (1999), S. 3388. Bei der Rechtfertigung indirekt paternalistischer Einschränkungen bei einer Schönheitsoperation ist ebenfalls zu beachten, dass auch eine kosmetische Operation eine zutiefst persönlichkeitsrelevante, aber nicht fremdschädigende Entscheidung darstellt. 647  BVerfG, NJW 1967, 1800. 648  BVerfG, NJW 1982, 2061; ebenso BVerfG, NJW 1994, 1578. 649  Vgl. zum Ganzen Bublitz (2012), S. 382. 650  Ausführlich zum Ganzen und jeweils m.  w. N. Möller (2005), S. 30, 134, 220 f.; Fischer (1997), S. 281; Fateh-Moghadam (2010a), S. 21 ff.; Gutmann (1999), S. 3388; Mayr (2010), S. 48; van Aaken (2006), S. 136 f. Vgl. Seelmann (2003), S. 853, 855. 651  So etwa Seelmann (2010), S. 250, 260. 652  Vgl. v. a. das Werk von Roxin (2006), § 2, § 13.

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B. Grundlagen

rechte einer liberalen, bürgerlich-rechtsstaatlichen Grundrechtstheorie,654 so belegen die Grundrechtsbestimmungen, dass die Freiheit des Einzelnen rechtlich gesehen prinzipiell unbegrenzt, die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Freiheitssphäre dagegen prinzipiell begrenzt ist. Die Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG und die Dimension der speziellen Freiheitsgrundrechte zeigen, dass selbstbestimmtes menschliches Verhalten grundlegend schutzwürdig ist.655 Die Substanz, der Inhalt der Freiheit und damit die Bestimmung der Art des Freiheitsgebrauchs liegen hingegen von vornherein außerhalb einer staatlichen Regelungskompetenz; Freiheit ist „Freiheit schlechthin“.656 Prinzipiell lassen sich Grundrechtseingriffe deshalb nur legitimieren, wenn Belange Dritter oder der Allgemeinheit beeinträchtigt werden.657 653

Diejenigen Ansichten im Medizinstrafrecht, die die Reichweite der wirksamen Einwilligung des Patienten über kollektivistische Erwägungen, also vor allem in unmittelbarer objektiver Abhängigkeit vom Fehlen einer medizinischen Indikation, begrenzen wollen, sind vor diesem Hintergrund abzulehnen. Anzumerken bleibt, dass Straftatbestände oft gar nicht ausschließlich als paternalistisch zu begründen sind.658 Da jedes menschliche Verhalten beinahe zwangsläufig soziale Folgen nach sich zieht, sind mittelbar auch immer Rechte Dritter bzw. der Allgemeinheit betroffen. Daher ist darauf zu achten, dass der Grundsatz der Straflosigkeit der Selbstschädigung nicht über die Bezugnahme auf „soziale Reflexe“ einer selbstschädigenden Handlung ausgehebelt wird.659

653  Zum Ganzen Bublitz (2012), S. 370 f.; Pawlik (2013), S. 220 ff.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 25 f.; von Hirsch (2007), S. 237. 654  Die Frage, ob sich das GG für eine Grundrechtstheorie entschieden hat, und wenn ja, für welche, ist im Verfassungsrecht umstr., vgl. Sachs-Sachs (2011), GG, Vor Art. 1 Rn. 63 ff., 69. Nach der grundlegenden und überzeugenden Darlegung von Böckenförde (1974), S. 1530 ff., 1537 f., basiert die Verfassung auf der liberalen Grundrechtstheorie unter regulierender Aufnahme des Sozialstaatsprinzips. Dass dem GG zumindest auch die liberale Grundrechtstheorie zu Grunde liegt, ist allgemein nicht bestritten. 655  BVerfGE 6, 32, 36; BVerfGE 80, 137, 152 ff. Vgl. Hillgruber (1992), S. 114 ff.; Pieroth / Schlink (2013), Rn. 95; von Hirsch (2007), S. 237. 656  Böckenförde (1974), S. 1530; vgl. Sachs-Sachs (2011), GG, Vor Art. 1 Rn. 64. 657  Gutmann (1999), S. 3388 m. w. N. 658  Rigopoulou (2013), S. 118 m. w. N.; von Hirsch (2007), S. 244 ff. 659  Zum Ganzen Rigopoulou (2013), S. 118; von Hirsch (2007), S. 247, jeweils im Zusammenhang mit direktem Paternalismus.



V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst131

b) Weicher, autonomieorientierter Paternalismus Die Legitimation eines weichen, autonomieorientierten Paternalismus fällt Philosophie und Recht dagegen nicht schwer.660 Es ist wie dargestellt anerkannt, dass es legitim und sogar notwendig sein kann, nicht autonom entscheidende Personen vor ihren eigenen Entscheidungen zu schützen.661 Weicher Paternalismus wird in der rechts-philosophischen und rechtlichen Diskussion deshalb überwiegend als – ohne weiteres – legitim anerkannt,662 und das ist auf den ersten Blick auch gut zu begründen. Der Schutz Minderjähriger, die nicht konkret einsichts- oder urteilsfähig sind, oder Erwachsener, die etwa mangels hinreichend vorhandener Entscheidungsgrundlage nicht in der Lage sind, autonom zu entscheiden, vermag Eingriffe zu rechtfertigen und verletzt gerade nicht die Entscheidungsautonomie der betroffenen Personen.663 So hält auch das Bundesverfassungsgericht weichen Paternalismus grundsätzlich für zulässig.664 Argumentationsstrukturen, die einen weichen Paternalismus begründen, achten damit prinzipiell das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und wurzeln in einem normativen Individualismus.665 Auch weich paternalistische Maßnahmen können jedoch in sehr weitem Maße die Freiheitsrechte des Einzelnen beschneiden.666 Die Ansicht, dass weicher Paternalismus weder unproblematisch noch unausweichlich ist, sondern vielmehr der verfassungs­ rechtlichen Rechtfertigung bedarf,667 wird auch vom Bundesverfassungsgericht geteilt, das in der insoweit grundlegenden Entscheidung zur Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten festgestellt hat: „Soweit unter dieser Voraussetzung ausnahmsweise eine Befugnis des Staates, den Einzelnen ‚vor sich selbst in Schutz zu nehmen‘, anzuerkennen ist, eröffnet dies keine ‚Vernunfthoheit‘ staatlicher Organe über den Grundrechtsträger dergestalt, dass dessen Wille allein deshalb beiseitegesetzt werden dürfte, weil er von durch660  Fateh-Moghadam (2010a), S. 26; Bublitz (2012), S. 395. In diesem Sinne Eidenmüller (2005), S. 374 ff. 661  Fateh-Moghadam (2010a), S. 26. 662  Vgl. Bublitz (2012), S. 395; Gutmann (2006), S. 190; Mayr (2010), S. 49; Möller (2005), S. 29 f. 663  BVerfGE 10, 302  ff., 22, 180  ff. und 58, 208  ff. zu psychisch Kranken; BVerfGE 83, 130 ff. zu Jugendlichen. Vgl. Schroth (2004), S. 472 m. w. N.; van ­Aaken (2006), S. 109. 664  Vgl. BVerfGE 22, 180; 83, 130, 140; zum Ganzen Möller (2005), S. 27 f., 145 ff. 665  Fateh-Moghadam (2008), S. 28. 666  Zu den Grenzen bzw. zu problematischen Fallgruppen eines autonomieorientierten Paternalismus vgl. die Bsp. bei Mayr (2010), S. 49, 50; Fateh-Moghadam (2008), S.  29 f. 667  Vgl. Mayr (2010), S. 49; Fateh-Moghadam (2010a), S. 28 ff.

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B. Grundlagen

schnittlichen Präferenzen abweicht oder aus der Außensicht unvernünftig erscheint.“668

In der rechtswissenschaftlichen Diskussion wurden daher in letzter Zeit vermehrt Begründungskonzepte für weich paternalistische Normen herausgearbeitet.669 Problematisch sind dabei weniger die Fälle, in denen konstitutionelle Defekte vorliegen oder der Rechtsgutsträger entwicklungsbedingt noch als unreif anzusehen ist. Es geht vor allem um die Eingrenzung solcher selbstschädigenden Entscheidungen, die vor dem Hintergrund der Absicherung von Entscheidungsautonomie als defizitär zu betrachten sind.670 Insbesondere stellt sich dabei die Frage, wie sich die Rechtfertigung solcher Eingriffe, die wiederum das Selbstbestimmungsrecht betreffen, grundrechts­ dogmatisch einordnen lässt.671 Dabei ist vor allem der paradoxe Charakter des weichen Paternalismus problematisch, der in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zum Schutz seiner Autonomie eingreift.672 Hierbei kommt es entscheidend auf die notwendigen und hinreichenden rechtlichen Bedingungen von Entscheidungs­ autonomie an, die aber ebenfalls nicht abschließend geklärt sind.673 Wann ist menschliches Verhalten autonom?674 Wann liegt eine defizitäre oder die Gefahr einer defizitären Entscheidung vor, die eine rechtspaternalistische Maßnahme begründet? Für die Legitimation weich paternalistischer Maßnahmen ist die Konkretisierung des Autonomie-Begriffs zentral.675 Dabei steht aber zum einen nicht zweifelsfrei fest, inwieweit man für Autonomie auch ein Mindestmaß an subjektiver bzw. objektiver Rationalität fordern sollte; zum anderen sind die Übergänge fließend.676 Je höhere Voraussetzungen an die Annahme von Autonomie gestellt werden, desto größer ist dabei die Gefahr, dass das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen unter dem Deckmantel eines „weichen“ Paternalismus ausgehebelt wird.677 668  BVerfG,

tum).

NJW 2011, 2116. Zuvor schon BVerfG, NJW 1982, 691 (obiter dic-

669  Ausführlich zur Rechtfertigung des weichen Paternalismus Fateh-Moghadam (2010a), S. 21 ff.; Mayr (2010), S. 51 ff. Vgl. auch van Aaken (2006), S. 133. 670  Zum Ganzen Rigopoulou (2013), S. 40 f. 671  Bublitz (2012), S. 395. 672  Zum Ganzen Bublitz (2012), S. 395 ff.; Eidenmüller (2005), S. 375. 673  Schöne-Seifert (1996), S. 567 ff., 597, m. w. N. und mit umfangreicher Darstellung zum Begriff der Entscheidungsautonomie; Pawlik (2012), S. 222. 674  Zum Autonomiebegriff Schroth (2010e), S. 788 f.; Schroth (2006a), S. 89 ff.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 27; Pawlik (2012), S. 223; Damm (2002), S. 376 ff.; Rönnau (2001), S. 200 ff. 675  Fateh-Moghadam (2010a), S.  27, 42; Gutmann (2006), S. 189  f.; Pawlik (2012), S. 222 ff.; Joost (2010a), S. 153. 676  Fateh-Moghadam (2008), S. 30. 677  Pawlik (2012), S. 223.



V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst133

Bei der Beurteilung relevanter Autonomiedefizite zeigen sich bei den Theorien, die weichen Paternalismus mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht rechtfertigen wollen, die dargestellten Abgrenzungsprobleme. So folgt aus der Anknüpfung an den Autonomiebegriff zugleich die Schwierigkeit der hier geteilten Annahme, dass weicher Paternalismus legitimierbar ist, harter dagegen nicht. Denn die Grenze zwischen autonomieorientiertem und hartem Paternalismus ist in manchen Fällen kaum zu ziehen.678 Die unterbreiteten Ansätze zur Rechtfertigung eines autonomieorientierten Paternalismus füllen diesen Begriff nicht immer in zulässiger Weise aus.679 Aus den existierenden Ansätzen sei exemplarisch eine bedeutende, jüngere Rechtfertigungsstrategie für weichen Paternalismus herausgegriffen, die an den Autonomiebegriff anknüpft und die für diese Untersuchung von Bedeutung ist.680 Das Konzept des behavioral law and economics beruft sich auf die Erkenntnisse der kognitiven Psychologie und der Verhaltensökonomik.681 Weil die dort erzielten Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen zu gänzlich rationalem Entscheiden nicht fähig sind, sondern kognitiven und voluntativen Entscheidungsschwächen unterliegen, sollen paternalistische Maßnahmen zur Beseitigung dieser Entscheidungsdefizite eingesetzt werden.682 Diese vor allem im angelsächsischen Raum verbreitete These, ein solcher „schonender“ oder „libertärer“ Paternalismus sei mit diesen Erkenntnissen der kognitiven Psychologie und der Verhaltensökonomik zu rechtfertigen,683 orientiert sich an der Herstellung optimaler Rationalität und wechselt dabei den Bezugspunkt weg von der Autonomie hin zur Vernunft.684 Letztlich überschreitet dieses Konzept daher die Grenzen eines legitimierbaren weichen Paternalismus.685 Ein Vernunftpaternalismus ist aber abzuleh678  Fateh-Moghadam

(2008), S. 29, 30; so etwa im Fall von Altersgrenzen. Anknüpfung an Rationalität durch behavioral law and economics sogleich; zum Ganzen Fateh-Moghadam (2010a), S. 42. Bublitz (2012), S. 397 hält alle präsentierten Theorien für unzulänglich. 680  Vgl. etwa die Darstellungen bei Englerth (2007b), S. 230 ff.; Schroth (2009), S. 726; Fateh-Moghadam (2010a), S. 33 ff.; Bublitz (2012), S. 395. 681  Hierzu ausführlich Joost (2010a), S. 126 ff.; van Aaken (2006), S. 109 ff.; Englerth (2007a), S. 60 ff. Ausführlich zu behavioral law and economics und den einzelnen in der kognitiven Forschung belegten Verzerrungen bei menschlichem Entscheidungsverhalten unten E.I.1.b). 682  So namentlich der libertäre Paternalismus von Sunstein / Thaler (2007), S. 259 ff. und Thaler / Sunstein (2009), S. 14 ff., 308 ff. Vgl. auch van Aaken (2006), S. 190 ff. für den deutschen Rechtsraum mit dem Konzept des schonendsten Paternalismus, das insb. auf Wahlhilfen abstellt. 683  Sunstein / Thaler (2007), S. 259 ff.; Thaler / Sunstein (2009), S. 14 ff.; van Aakten (2006), S. 109 ff. 684  Fateh-Moghadam (2010a), S. 34. 685  Fateh-Moghadam (2010a), S. 42; Schroth (2009), S. 726; Englerth (2007b), S. 232, 256. 679  Zur

134

B. Grundlagen

nen; die Herstellung objektiv vollständig rationaler Entscheidungen ist nicht Ziel des Rechts.686 Die Ausübung von Autonomie muss, wie Schroth darstellt, rechtlich vielmehr so konzipiert werden, dass Rechtsgutsträger ihre wertbezogenen Interessen auch ausüben können.687 Autonomie soll als Schwellenbegriff verstanden und abgesichert werden, der die Minimalbedin­ gungen selbstbestimmten Entscheidens sicherstellt und bei deren Vorliegen der Einzelne auch unvernünftige Entscheidungen in rechtlich zulässiger Weise treffen darf.688 Das Theoriekonstrukt der Verhaltensökonomik allein ist daher zur Legitimierung von weich paternalistischen Regelungen nicht geeignet; hierauf wird später im Rahmen der ärztlichen Aufklärungspflichten ausführlich zurückzukommen sein.689 Ein – ebenfalls nicht unumstrittenes690 – Stufenmodell zur Rechtfertigung weich paternalistischer Maßnahmen hat Fateh-Moghadam vorgelegt.691 Er arbeitet überzeugend heraus, dass die Anforderungen an die Indizien für eine defizitäre Entscheidung zunächst strafrechtsimmanent zu konkretisieren sind692 und dabei nur solche Indizien, die unmittelbar mit den rechtlich anerkannten Grenzen der wirksamen Einwilligung zusammenhängen, für die Annahme eines Autonomiedefizits relevant sein können.693 Im vorliegenden Kontext kommen Beschränkungen der Einwilligung in medizinisch nicht indizierte Eingriffe daher von vorneherein nur in Betracht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Patient nicht einwilligungsfähig ist, keine angemessene Informationsvermittlung durch ärztliche Aufklärung erfolgt ist, der Einwilligende sonst beachtlichen Willensmängeln unterliegt oder gem. § 228 StGB Umstände vorliegen, die Autonomiedefizite nahelegen. Im Weiteren systematisiert Fateh-Moghadam weich paternalistische freiheitsbeschränkende Maßnahmen dann nach ihrer Eingriffsintensität und unterstellt sie den drei Stufen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßig­ keitsgrundsatzes, also Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn.694 Auf der Ebene der Geeignetheit ist dabei festzustellen, ob die Maßnahme die Vermeidung defizitärer Selbstschädigungen 686  Anerkannt, vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 19 ff., 87 f.; Pawlik (2012), S. 224; Schroth (2009), S. 726; Rönnau (2001), S. 215 ff.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 34. 687  Schroth (2010e), S. 789. 688  Roxin (2006), § 13 Rn. 86 f. 689  Ausführlich unten E.I.2. 690  Vgl. zur Kritik etwa Bublitz (2012), S. 395 f. 691  Fateh-Moghadam (2010a), S. 21 ff., 43. 692  Fateh-Moghadam (2010a), S. 37. 693  Fateh-Moghadam (2008), S. 125; Oswald (2010b), S. 691  f.; Joost (2010a), S. 154. 694  Fateh-Moghadam (2010a), S. 39.



V. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst135

im Auge hat, also auf die strafrechtsimmanent konkretisierten Indizien Bezug nimmt. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung gilt es zu beachten, dass strafrechtliche Normen ultima ratio bleiben müssen. Bei der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wird der paradoxe Charakter des weichen Paternalismus relevant: das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht des Verfügenden, in das eingegriffen wird, weil es geschützt werden soll, ist zugleich Schranke und Schranken-Schranke.695 Dieses Konzept bietet ein überzeugendes, abschließend ausgearbeitetes Rechtfertigungskonzept für weichen Paternalismus. 5. Fazit Paternalismus ist ein das geltende Recht durchdringendes Normkonzept, dass gerade auch im Medizinstrafrecht bei der hier untersuchten Frage der Einwilligung in Schönheitsoperationen anzutreffen ist. Beschränkungen der individuellen (körperbezogenen) Dispositionsfreiheit zum Schutz des Einzelnen vor sich selbst sind angesichts der liberalen Ausrichtung des Grundgesetzes, das auf der Anerkennung subjektiver Rechte basiert, und einem Verständnis des modernen Strafrechts als Rechtsgüterschutz aber problematisch. Zu Voraussetzungen und Grenzen eines legitimen Paternalismus ist im Einzelnen vieles umstritten, vor allem im Bereich von Normen, die die Autonomie des Verfügenden schützen wollen. Der Schutz von Autonomie ist nach allgemeiner Ansicht zwar legitimer Grund für Paternalismus, über die Ausgestaltung im Einzelnen ist man sich aber uneins. Trotz aller Uneinigkeit im Detail kann man die Möglichkeiten eines legitimierbaren Paternalismus letztlich dahingehend zusammenfassen, dass eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts bei Selbstverfügungen jedenfalls zulässig ist, wenn der Rechtsgutsträger defizitär entscheidet oder zugleich auch Rechte Dritter oder der Allgemeinheit verletzt werden.696 Weich paternalistische Eingriffe können dabei solange eine Freiheitsbeschränkung legitimieren, bis feststeht, ob ein Autonomiedefizit vorliegt.697 Hart paternalistische Einschränkungen der Verfügungsfreiheit über den eigenen Körper, die auch eine autonom getroffene Entscheidung unter dem Vorwand des Schutzes des kompetenten Verfügenden nicht gelten lassen, sind deshalb unzulässig.698 Die Einschränkung der Wirksamkeit der Einwil695  Zum

Ganzen ausführlich Fateh-Moghadam (2010a), S. 38 f. (2010a), S. 27; Fateh-Moghadam (2008), S. 96 f.; Rigopoulou (2013), S. 317. 697  Rigopoulou (2013), S. 32. 698  So auch Möller (2005), S. 134, 220  f.; Fischer (1997), S. 281; Seelmann (2003), S. 853, 855; Gutmann (1999), S. 3388; Fateh-Moghadam (2010a), S. 27. 696  Fateh-Moghadam

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B. Grundlagen

ligung des Patienten über kollektivistische Erwägungen, vor allem in unmittelbarer objektiver Abhängigkeit vom Fehlen einer medizinischen Indikation, ist vor diesem Hintergrund nicht zu legitimieren. Eine Rechtfertigung weich paternalistischer Regelungen ist ebenso erforderlich,699 im Gegensatz zu hart paternalistischen Regelungen aber auch prinzipiell möglich.700 Die Grenze zwischen autonomieorientiertem und hartem Paternalismus ist in manchen Fällen aber kaum zu ziehen. Teils gibt ein so bezeichneter weicher Paternalismus auch nur vor, sich an der Autonomie des Einwilligenden zu orientieren, bezieht sich dabei aber wirklich auf die Optimierung von Ratio­ nalität.701 Die Herstellung perfekter Rationalität, das Koppeln der Autonomie an eine medizinische Notwendigkeit oder ein sittlich verstandener Autonomiebegriff vermögen Paternalismus aber nicht zu rechtfertigen; ein Vernunftpaternalismus ist nicht Ziel des Rechts.702 Nur solche Indizien, die unmittelbar mit den rechtlich anerkannten Grenzen der wirksamen Einwilligung zusammenhängen, können für die Annahme eines Autonomiedefizits relevant sein und weichen Paternalismus begründen.703 Weiter hat sich jede weich paternalistische Norm am verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen zu lassen. Da der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, die Einwilligung in medizinisch nicht indizierte Eingriffe, auf paternalistische Strafrechtsnormen bzw. Strafrechtsinstitute Bezug nimmt, werden die vorgestellten Argumentationsmuster zur Legitimation rechtspaternalistischer Strafnormen, die den Grundsatz der Wirksamkeit der Einwilligung einschränken, im Folgenden wieder aufgegriffen werden.

699  BVerfG,

NJW 2011, 2116. auch Fateh-Moghadam (2010a), S. 27. 701  Fateh-Moghadam (2010a), S. 34, 42. 702  Schroth (2010a), S.  44; Roxin (2006), §  13 Rn.  86  f.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 27, 34, 42; Rönnau (2001), S. 216; Nitschmann (2007), S. 570; Joost (2010a), S. 153. 703  Fateh-Moghadam (2008), S. 125; Oswald (2010b), S. 691  f.; Joost (2010a), S. 154. 700  So

C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts1 – Körperverletzung mit Einwilligung Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist die Frage nach der strafrechtlichen Bewertung ärztlichen Handelns. Die Problematik von ärztlicher Heilbehandlung2 und ärztlicher Eigenmacht hat seit der Entscheidung des Reichsgerichts vom 31. Mai 18943 eine bis heute anhaltende Auseinandersetzung zwischen Ärzten und Juristen, zwischen Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft und innerhalb der Lehre hervorgebracht.4 Als entscheidende Kriterien, die unterschiedlich bewertet werden und deshalb zu differierenden Lösungen bei der strafrechtlichen Einordnung 1  Ärztliche Eingriffe müssen sich an den §§ 223 ff. StGB messen lassen. Vorab sei die grundlegende Struktur der Prüfung der Strafbarkeit ärztlichen Handelns zusammengefasst. Grds. ist eine vorsätzliche Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB zu prüfen, die nach der h. M. auf objektiver (bei Heileingriffen a. A. h. Lit.) und auf subjektiver (dolus directus 2. Grades) Tatbestandsebene zu bejahen ist, aber durch die wirksame Einwilligung des Patienten wieder ausgeschlossen (M. M.) bzw. gerechtfertigt (h. M., insb. Rspr.) wird, so dass der Arzt nicht strafbar ist. Hat der Patient keine Einwilligung erteilt, ist der insoweit eigenmächtige ärztliche (Heil-)Eingriff nach § 223 Abs. 1 StGB, §§ 224 ff. StGB strafbar (bei Heileingriffen a. A. h. Lit.). Irrt der Arzt über das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung (geht er bspw. irrtümlich von einer wirksamen Aufklärung oder einem Aufklärungsverzicht aus), unterliegt er einem Irrtum über die tatsächlichen Umstände bzgl. des Rechtfertigungsgrundes der Einwilligung, der nach der h. M. als Erlaubnistatbestandsirrtum analog § 16 Abs. 1 StGB behandelt wird und daher (nur) zu einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 StGB führt. Geht der Arzt unzutreffend von einer hinreichenden Aufklärung aus und verkennt dabei den normativen Umfang seiner Aufklärungspflichten, liegt nach der Irrtumslehre ein Erlaubnisirrtum vor, der gem. § 17 S. 2 StGB zu einem Vorsatzdelikt führt; richtig dürfte es aber auch bei fahrlässiger Verkennung der Anforderungen an die Aufklärungspflicht sein, nur ein Fahrlässigkeitsdelikt anzunehmen. Unterläuft dem Arzt ein Behandlungsfehler (für den man dem Arzt i. d. R. keinen Vorsatz vorwerfen kann, der dem Arzt also nur fahrlässig unterläuft und auf den sich die Einwilligung nicht erstreckt), kommt i. d. R. nur § 229 StGB in Betracht. 2  Heileingriff meint eine von außen auf den Körper erfolgende Einwirkung mit einem Eindringen in den Körper; Heilbehandlung meint (auch) die übrigen Maßnahmen. Vgl. Tag (2000), S. 39 f. Die Begriffe werden in dieser Untersuchung teils alternativ verwendet. 3  RGSt 25, 375. 4  Ausführliche Darstellung zu Geschichte, Streitstand und Reformbemühungen bei Tag (2000), S. 13 ff., 31 ff. Vgl. auch Ulsenheimer (1996), S. 132.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

ärztlichen Handelns führen, erweisen sich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, das Vorliegen oder Fehlen einer medizinischen Indikation und das Gelingen eines ärztlichen (Heil-)Eingriffs. Im traditionellen Medizinstrafrecht spielt die Unterscheidung zwischen indizierten und nicht indizierten Eingriffen einerseits, zwischen gelungenen und misslungenen Eingriffen andererseits eine große Rolle.5 Nach anderer Auffassung werden medizinisch notwendige und nicht notwendige Eingriffe dagegen auf Tatbestandsebene gleich behandelt und immer eine tatbestandsmäßige Körperverletzung angenommen.6. Auch wenn es auf den ersten Blick für die nicht indizierte Schönheitsope­ ration nicht auf das Meinungsspektrum bei der strafrechtlichen Beurteilung von ärztlichen Heileingriffen ankommt und der Streit zur Genüge abgehandelt worden ist, ist er doch bedeutsam. Für diese Untersuchung bildet er den Ausgangspunkt, so dass eine Auseinandersetzung mit den Positionen in Rechtsprechung und Schrifttum nicht ausbleiben kann. Zum einen handelt es sich um die Grundlagen des Arztstrafrechts mit entscheidender Bedeutung für dessen Verständnis. Zum anderen sind die angeführten Argumente auch für die Analyse der Rechtslage bei der nicht indizierten Schönheitsoperation wichtig. Im Folgenden werden deshalb die unterschiedlichen Ansätze zur strafrechtlichen Bewertung indizierter (A.) und nicht indizierter ärztlicher Eingriffe (B.), die Grundlagen der Einwilligung (C.) und die Möglichkeit der mutmaßlichen (D.) und der hypothetischen Einwilligung (E.) bei nicht indizierten ärztlichen Eingriffen dargestellt.

I. (Eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung Die strafrechtliche Bewertung des ärztlichen Heileingriffs7 ist nach wie vor umstritten.8 Dennoch hat der Gesetzgeber keine Sonderregelung für die fehlerhafte Behandlung oder den eigenmächtigen Heileingriff in das Strafgesetzbuch eingefügt, obwohl sich die Gelegenheit im Laufe von sechs Strafrechtsreformgesetzen mehrfach bot.9 Da kein Sonderrecht für ärztliches 5  Fateh-Moghadam

(2008), S. 38. insb. die st. Rspr. seit RGSt 25, 375, vgl. Wessels / Hettinger (2013), Rn. 323. Auf Ebene der Rechtswidrigkeit wird für nicht indizierte ärztliche Eingriffe teils von der Möglichkeit der Rechtfertigung durch Einwilligung, teils aber von der Strafbarkeit ärztlichen Handelns wegen vorsätzlicher Körperverletzung ausgegangen. Zum Ganzen Sternberg-Lieben (1997), S. 192 f.; ausführlich unten § 4. 7  Ausführlich zum Begriff der Heilbehandlung oben B.I.1.a)cc). 8  Vgl. für viele MK-StGB-Joecks (2012), § 223 Rn. 44  ff.; NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 56, 58; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 28 ff. 9  Nachweise zur historischen Entwicklung der Bemühungen um einen Sonderstraftatbestand bei Sch / Sch-Eser (2014), StGB, Vorbem.  §§ 223–231 Rn. 5. Zahlrei6  So



I. (Eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung139

Handeln existiert, kommen die Abschnitte des Strafgesetzbuchs über die Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit, §§ 223 ff. StGB, und gegen das Leben, §§ 211 ff. StGB, zur Anwendung.10 Die Tötungsdelikte sind dabei nur in den seltenen Ausnahmefällen des tödlichen Verlaufs eines ärzt­ lichen Eingriffs einschlägig und ansonsten nur insoweit von Relevanz, als sie die absolute Grenze der wirksamen Einwilligung bilden. Nimmt ein Arzt bewusst einen Eingriff vor, der zum Tod des Patienten führt, und sei es, dass ein ernstliches Verlangen des Patienten gegeben war, ist er in jedem Fall zu bestrafen.11 Die konkrete Anwendung der Körperverletzungsdelikte im Bereich ärzt­ lichen Handelns wirft zahlreiche Probleme auf. Einig sind sich sämtliche Positionen natürlich darin, dass die vom Arzt lege artis, mit Einwilligung und erfolgreich vorgenommene Heilbehandlung nicht strafbar ist. Die meisten Stimmen sind weiter der Ansicht, dass der ohne Einwilligung vorgenommene, eigenmächtige Heileingriff bei misslingendem Verlauf eine strafbare Körperverletzung ist.12 Darüberhinaus gehen die Meinungen aber auseinander. Von Rechtsprechung und arztstrafrechtlicher Literatur werden im Wesentlichen zwei verschiedene Grundpositionen vertreten. Die ständige Rechtsprechung und eine in letzter Zeit anwachsende Zahl von Autoren bewerten jeden ärztlichen (Heil-)Eingriff nach der sog. Rechtfertigungslösung13 (II.) als tatbestandsmäßig.14 Ein Teil der Literatur sieht ebenfalls ein striktes Erfordernis einer Einwilligung in jeglichen Eingriff, ordnet der Einwilligung aber schon tatbestandsausschließende Wirkung zu.15 Der überwiegende Teil der Wissenschaft vertritt dagegen die sog. Tatbestandslösungen in teils unterschiedlichen Ausprägungen (I.).16 che Reformentwürfe zum StGB haben sich zwar mit der Problematik ärztlichen Handelns auseinandergesetzt; zur Einfügung eines Sondertatbestands oder einer anderen Gesetzesänderung kam es hingegen nie. Vgl. § 238 E-StGB 1925; §§ 161, 162 E-StGB 1962; § 123 AE-StGB 1972; VorE StRG 1996, §§ 229, 230 EStGB  1996, vgl. BR-Drs.  164 / 97. Eine ausführliche chronologische und inhaltliche Darstellung aller Reformvorschläge zur Heilbehandlung findet sich bei Tag (2000), S. 31 ff. und bei Schreiber (1999), S. 716 ff. Die Schaffung eines eigenen Straftatbestands des „Patientenverrats“ fordert Duttge (2005a), S. 710 f. Vgl. auch NK-StGBPaeffgen (2013), § 228 Rn. 58. 10  Zur grundlegenden Struktur der Prüfung ärztlicher Körperverletzungsdelikte vgl. oben Fn. 1. 11  Vgl. zur Lebendorganspende Fateh-Moghadam (2008), S. 108. 12  Zum Ganzen Tag (2000), S. 13. 13  Zur Begrifflichkeit Rechtfertigungslösung und Tatbestandslösungen vgl. Tag (2000), S. 14, 18. 14  Wessels / Hettinger (2013), Rn. 323, 328 f. 15  So etwa Schroth (2010d), S. 93. 16  Lackner / Kühl (2014), StGB, § 223 Rn. 8.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

1. Tatbestandslösungen – Tatbestandslosigkeit der Heilbehandlung (Ansätze der herrschenden Literatur) Die überwiegende Ansicht im Schrifttum hält den medizinisch indizierten, lege artis ausgeführten und gelungenen ärztlichen Heileingriff für tatbe­ standslos. Wenn das Handeln des Arztes medizinisch notwendig war, kunstgerecht durchgeführt wurde und / oder erfolgreich verlaufen ist, soll der Tatbestand der Körperverletzungsdelikte von vorneherein ausscheiden, und zwar unabhängig davon, ob eine wirksame Einwilligung des Patienten vorlag.17 Begründet wird diese traditionelle Auffassung, die als Tatbestandslösung bezeichnet wird,18 mit Überlegungen, die sich vorrangig am Interesse der Ärzte orientieren, indem auf den Gesamtkontext der medizinischen Maßnahme abgestellt wird. Die Behandlung und (intendierte) Heilung eines kranken Patienten könne begrifflich keine Körperverletzung darstellen.19 Wie Binding schon 1902 formuliert hat und seitdem standardmäßig zitiert wird: „Von jeher hat das Wundenheilen den löblichen Gegensatz zum ­Wundenschlagen gebildet.“20 Innerhalb der im Schrifttum vertretenen ­Tatbestandslösungen gibt es jedoch differenzierende Begründungsansätze.21 Auch dogmatisch gibt es zwei unterschiedliche Ansatzpunkte: die eine Lösung stellt auf die mangelnde Rechtsgutsverletzung ab, die andere auf die mangelnde Tatbestandsverwirklichung.22 Gemeinsam ist den Tatbestandslösungen des Schrifttums aber, dass der Autonomie und damit der Einwilligung des Patienten im Rahmen des Tatbestands der Körperverletzungsdelikte keine eigenständige Bedeutung beigemessen wird; der ärztliche Heileingriff wird unter bestimmten Voraussetzungen unabhängig vom Vorliegen einer Einwilligung des Patienten nicht unter den Tatbestands der §§ 223 ff. StGB subsumiert.23 Die Abgrenzungsversuche innerhalb der Tatbestandslösungen lassen sich im Wesentlichen in die folgenden zwei vorherrschenden Gruppen einteilen.24

17  Grundlegend Engisch (1939), S. 1 ff., 5; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 30 m. w. N.; Lackner / Kühl (2014), StGB, § 223 Rn. 8. 18  Terminologie bei Tag (2000), S. 18. 19  Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 30. 20  Binding (1902), S. 56. 21  Ausführlich zum Ganzen Tag (2000), S. 18 ff., m. zahlr. w. N., Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 30 ff. 22  Vgl. LK-StGB-Hirsch (2005), § 223 Rn. 14. 23  MK-StGB-Joecks (2012), § 223 Rn. 48. 24  Weiter differenzierende Einteilung bei Tag (2000), S. 18 ff.



I. (Eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung141

a) Erfolgstheorie Nach der sog. Erfolgstheorie – die sich wiederum nur auf Heileingriffe bezieht – soll der Tatbestand der § 223 Abs. 1, § 229 StGB zu verneinen sein, wenn der Eingriff gelungen ist, d. h. im Ergebnis das körperliche Wohl des Patienten im Ganzen gesehen erhöht oder jedenfalls gewahrt worden ist.25 Gegen die Rechtfertigungslösung der Rechtsprechung wird eingewendet, sie verwische die Grenzen zwischen Körperverletzungs- und Freiheitsdelikt, weil das Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB bei einer erfolgreichen Heilung gar nicht verletzt sei.26 Der ärztliche Eingriff sei in der Gesamtheit seines Sinngehalts und nicht in seinen Einzelakten (Einschnitt, Injektion, Entfernung etc.) zu sehen.27 Zugrunde gelegt wird eine ex post vorgenommene, dem ärztlichen Handeln zeitlich nachgelagerte Differenzierung zwischen Gelingen und Misslingen des Eingriffs,28 wobei es auch nicht auf die Einhaltung der lex artis ankommen soll. Denn am Ende eines gelungenen medizinischen Eingriffs sei der Patient jedenfalls gesünder als zuvor.29 Weil der Wortlaut der Körperverletzungsdelikte „Misshandeln“ und „Gesundheit schädigen“ eine negative Zielrichtung bedinge, müssten deshalb die §§ 223 ff. StGB schon tatbestandlich verneint werden.30 Im Falle eines Misslingens sei zwar der Tatbestand der Körperverletzungsdelikte erfüllt, aber der Arzt gegebenenfalls durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gerechtfertigt.31 Einen Sonderweg innerhalb dieses Ansatzes geht Eser / Sternberg-Lieben32 und schlägt nach der sog. modifizierten Erfolgstheorie33 eine noch weitergehende Differenzierung nach Eingriffen ohne und mit wesentlichen Substanzveränderungen vor. Bei ersteren seien im Erfolgsfall weder die Einwil25  Bockelmann (1968), S.  67; vgl. dazu auch LK-StGB-Lilie (2005), § 223 Rn. 18; LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 14; Arthur Kaufmann, ZStW 73 (1961), S. 373; Maurach / Schroeder / Maiwald (2009), § 8 Rn. 24, wenn auch mit anderer Begründung als in der Vorauflage: statt auf mangelnden Vorsatz wird nun auf die Gesamtaktstheorie und die Relativität des Rechtsguts abgestellt. Auch für die Erfolgstheorie, aber differenzierend Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223  Rn. 32 ff. 26  So z.  B. LK-StGB-Lilie (2005), Vor § 223 Rn. 1, 3; vgl. auch Katzenmeier (2002), S.  116 f. 27  Vgl. Schroth (2010d), S. 92 f. 28  Kargl (2001), S. 549. 29  Vgl. Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 30. 30  Tag (2000), S. 25 m. w. N. 31  Bockelmann (1968), S. 67 ff. Vgl. MK-StGB-Joecks (2012), § 223 Rn. 47 ff. m. w. N. 32  Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 31, 32 ff. 33  Begrifflichkeiten bei Tag (2000), S. 27.

142

C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

ligung des Patienten noch die kunstgerechte Ausführung beachtlich,34 weil eine gelungene Heilmaßnahme ohne wesentlichen Substanzverlust in keinem Fall einen Erfolgsunwert im Sinne der §§ 223 ff. StGB darstellten könne. Bei letzteren sollen dagegen eine Ausführung lege artis und vor allem die Einwilligung des Patienten erforderlich sein, womit in diesen Fällen der Rechtfertigungslösung der Rechtsprechung gefolgt wird. b) Theorie des kunstgerechten Eingriffs Um den Erfolgsdruck auf den Arzt zu umgehen, den die Erfolgstheorie produziert, stellt die Theorie des kunstgerechten Eingriffs35 darauf ab, ob die indizierte ärztliche Maßnahme lege artis vorgenommen wurde.36 Auch diese Auffassung gilt ausdrücklich nur für medizinisch indizierte Maßnahmen. Argumentiert wird auf Tatbestandsebene, indem für die objektiven Tatbestandsmerkmale der Körperverletzung eine saldierende Betrachtungsweise angelegt wird. Ein mit Heilungswillen und lege artis durchgeführter indizierter Eingriff sei insgesamt betrachtet und nach seinem sozialem Sinngehalt das Gegenteil einer körperlichen Misshandlung oder einer Gesundheitsschädigung und stelle damit mangels Handlungsunwert keine tatbestandsmäßige Körperverletzung gem. § 223 ff. StGB dar.37 Deshalb wird sie diesen Tatbeständen von vorneherein entzogen. Diese Ansicht berücksichtigt die tatsächlichen Auswirkungen des Eingriffs nicht, sondern stellt nur auf den Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Handlung aus einer ex ante-Betrachtung38 ab, ist also eine erfolgsunabhängige Lösung.39 Ein Eingriff soll nach dieser Auffassung selbst bei seinem Misslingen keine tatbestandliche Körperverletzung sein, wenn er im Rahmen der lex artis durchgeführt und von Heilungstendenz und Heilungswille getragen worden ist.40

34  Nur bzgl. der Bewertung dieser Fallgruppe ist Esers Lösungsweg also als eine Tatbestandslösung zu betrachten. 35  Die Begrifflichkeiten bzgl. dieser Theorie differieren. Z. T. wird sie in der Lit. auch als Zwecktheorie bezeichnet, vgl. Kargl (2001), S. 549 f. 36  Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 30. 37  Engisch (1939), S. 5. Vgl. Schroth (2010d), S. 93. 38  Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 36. 39  Schmidt (1962), S. 73. 40  So Engisch (1939), S. 1 ff.; Tag (2000), S. 441; Welzel (1939), S. 289. M. w. N. zu dieser Ansicht NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 59; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 30.



I. (Eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung143

2. Rechtfertigungslösung – Rechtfertigung bzw. Tatbestandsausschluss durch Einwilligung a) Tatbestandsmäßigkeit gem. § 223 Abs. 1 StGB (Rechtsprechung) Die Rechtsprechung in Straf- und in Zivilsachen geht seit der genannten Entscheidung des Reichsgerichts41 konsequent von der Tatbestandsmäßigkeit jedes ärztlichen Eingriffs aus, der unter die Haut geht. Jede invasive, nicht nur unerheblich in die körperliche Unversehrtheit eingreifende ärzt­ liche Maßnahme verwirklicht nach dieser ständigen Rechtsprechung den Tatbestand der Körperverletzung – gleichgültig, ob der Eingriff medizinisch indiziert war, lege artis durchgeführt und erfolgreich verlaufen ist oder nicht.42 Nach der sog. Einzelaktstheorie stützt die höchstrichterliche Rechtsprechung ihre Ansicht dabei auf die Annahme, dass der ärztliche Heileingriff anhand des einzelnen, die körperliche Integrität beeinträchtigenden Aktes, beispielsweise des Führens eines Skalpells, zu bewerten sei und nicht als geschlossener, die Gesundheit zuletzt wiederherstellender Gesamtprozess.43 Eine Operation wegen einer akuten Blinddarmentzündung oder eine schmerzlindernde Injektion sind deshalb ebenso tatbestandsmäßig wie eine Organentnahme zu Transplantationszwecken, eine Schönheitsoperation oder ein Humanexperiment. Eine Abgrenzung zwischen Heilbehandlungen und nicht indizierten Eingriffen muss nach dieser Ansicht also auf Tatbestandsebene gar nicht vorgenommen werden. Grund für diese Bewertung durch die Rechtsprechung ist die hohe Bewertung der Patientenautonomie.44 Das Reichsgericht hat die These aufgestellt, dass der Rechtsgrund ärztlicher Befugnisse im Patientenwillen liegt. Ob krank oder gesund, steht die Entscheidung des Menschen über seinen Körper und seine Gesundheit ausschließlich ihm selbst zu.45 Seitdem gilt das richterrechtliche Erfordernis einer Einwilligung des Patienten in jeden ärztlichen Eingriff. Ärztliches Handeln ist gerechtfertigt, wenn der Patient kraft seiner Entscheidungsautonomie der Vornahme des Eingriffs wirksam zugestimmt hat.46 Dabei ist primär die Einwilligung des Patienten nach Aufklärung von 41  RGSt

25, 375. (2000), S. 15. 43  St. Rspr. im Anschluss an RGSt 25, 375, vgl. nur BGHSt 11, 111; BGHSt 16, 303; BGHSt 38, 34; BGHSt 45, 219; BGH, NStZ 1996, 34; BGHZ 29, 49; BGH, NJW 71, 1887. M. w. N. Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 17; MK-StGB-Joecks (2012), § 223 Rn. 45, 47. 44  Schroth (2007a), S. 114. Gute Darstellung der Begründung des RG auch bei Kargl (2001), S. 538 f. 45  Kargl (2001), S. 540. 46  Vgl. etwa BGHSt 11, 111; BGHSt 16, 309; BGHSt 43, 306. 42  Tag

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

Bedeutung; zur Legitimation des Arztes kommen sonst nur noch der subsi­ diäre Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung, das Notstandsrecht gem. § 34 StGB oder eine hypothetische Einwilligung47 in Betracht.48 Das ärztliche Berufsrecht oder die objektiv-medizinische Einschätzung des Arztes vermögen einen Eingriff indes nicht zu rechtfertigen,49 weshalb nach diesen Grundsätzen der eigenmächtige ärztliche Heileingriff, sei er lege artis und gelungen oder nicht, auch strafbar ist.50 Dieser sog. Rechtfertigungslösung der Rechtsprechung hat sich eine große und im Vordringen befindliche Anzahl von Stimmen in der Literatur angeschlossen.51 Sie folgen der Konstruktion der Rechtsprechung unter dem Hinweis darauf, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nur so hinreichend geschützt werden könne. Der Schutz durch die §§ 239, 240 StGB reiche nicht aus, um der Bedeutung der Patientenautonomie gerecht zu werden.52 Diese Ansicht geht ebenfalls von der Tatbestandsmäßigkeit ärztlicher Heileingriffe aus und knüpft die Straflosigkeit eines ärztlichen Eingriffs an die Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung des Patienten.53 b) Einwilligung mit tatbestandsausschließender Wirkung (Teile der Literatur) Der Rechtfertigungslösung stehen diejenigen Stimmen in der Literatur sehr nahe, die für die strafrechtliche Legitimation ärztlichen Handelns ebenfalls kategorisch die wirksame Einwilligung des Patienten voraussetzen, dieser dann aber nicht rechtfertigende, sondern bereits tatbestandsausschließende Wirkung zusprechen.54 Fehlt es an einer wirksamen Einwilligung, 47  Das aus dem Zivilrecht stammende Institut der hypothetischen Einwilligung ist im Strafrecht umstritten. Zur hypothetischen Einwilligung bei nicht indizierten Eingriffen ausführlich unten C.V. 48  Wessels / Hettinger (2013), Rn. 323. 49  RGSt 25, 379; RGSt 61, 252. 50  Vgl. Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 29; Fischer (2014), § 223 Rn. 17, 20. 51  Tag (2000), S. 14. 52  Schroth (2010d), S. 94; Wessels / Hettinger (2013), Rn. 329; Kargl (2001), S. 541. 53  Zum Ganzen NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 56 ff., 62 ff. m. zahlr. w. N.; Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 17 ff.; Jakobs (2003), 14 / 6 Fn. 9; Krey / Heinrich (2008), Rn. 219; Puppe (2003), S. 764 f.; Rengier (2014), § 13 Rn. 17 m. w. N.; Tag (2000), S. 440. I. Erg. so wohl auch SK-StGB-Horn / Wolters (2013), § 223 Rn. 36 ff. Weitere Nachweise auch bei LK-StGB-Lilie (2005), Vor § 223, Rn. 3, insb. Fn. 13, und bei Fateh-Moghadam (2008), S. 36 Rn. 196. 54  Roxin (2006), § 13 Rn. 12 ff., 26; Schroth (2006a), S. 88, 90 f. Vgl. zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 36. Vgl. auch SK-StGB-Horn / Wolters (2013),



I. (Eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung145

gehen diese Stimmen wie die Rechtsprechung sowohl bei Heileingriffen als auch bei nicht indizierten ärztlichen Eingriffen vom Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Körperverletzung aus. Von der Rechtsprechung unterscheidet diese Ansicht nur die abweichende systematische Einordnung der Einwilligung in den strafrechtlichen Deliktsaufbau.55 Die Herleitung der tatbestandsausschließenden Wirkung der Einwilligung resultiert unmittelbar aus dem dargestellten verfassungsrechtlich fundierten, liberalen Rechtsgutsverständnis.56 Durch die § 223 ff. StGB ist neben der körperlichen Integrität auch das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht des Patienten geschützt. Was aber mit dem Willen des Patienten nach Einwilligung geschieht, kann nach der überzeugenden Feststellung von Roxin schon keine tatbestandliche Körperverletzung mehr sein.57 Zwar ist ein Eingriff in die Substanz des geschützten Körpers, also des Tatobjekts, gegeben. Dieser wird aber nicht als Verletzung des geschützten Rechtsguts durch den Arzt gewertet; vielmehr nimmt der Arzt aufgrund der Einwilligung gerade die körperbezogenen Interessen des Patienten wahr.58 Es fehlt deshalb von vorneherein am tatbestandlichen Erfolgsunwert und konsequent auch am Intentionsunwert. Das individuelle Rechtsgut der körperlichen Integrität kann nur verletzt sein, wenn gegen den Willen des Rechtsgutsträgers gehandelt wird.59 Danach kommt der Strafrechtsordnung auch keine „Vernunfthoheit“ zu, nach der ein Verhalten des Rechtsgutsträgers bewertet würde.60 Auch nach dieser Auffassung kommt es daher an dieser Stelle auf eine Unterscheidung von indizierten und nicht indizierten ärztlichen Maßnahmen nicht an.

§ 223, Rn. 33; NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 58. Eine andere Einordnung nimmt Tag (2000), S. 21 vor, die diese Ansicht bei den Tatbestandslösungen eingruppiert. Das scheint in der Sache aber nicht gerechtfertigt, da die genannten Autoren auf der Grundlage eines liberalen Rechtsgutsverständnisses zu einer anderen deliktssystematischen Wirkung der Einwilligung vertreten, dies aber nichts mit dem besonderen Bereich des ärztlichen Heileingriffs zu tun hat und daher eine Einordnung bei der Rechtfertigungslösung der Rechtsprechung sachgemäß erscheint. Denn diese beiden Ansichten stimmen in ihrem Ergebnis überein, dass allein die Einwilligung legitimierende Wirkung hat und ansonsten von der Tatbestandsmäßigkeit des ärztlichen Eingriffs auszugehen ist. 55  Fateh-Moghadam (2008), S. 37. 56  Roxin (2006), § 13 Rn. 14 m. w. N., auch für die Gegenposition. 57  Zum Ganzen Roxin (2006), § 13 Rn. 12. So auch Schroth (2006a), S. 88 f. 58  Schroth (2010a), S. 31. 59  Roxin (2006), § 13 Rn. 26, 28; Schroth (2006a), S. 89  f.; Rudolphi (1974), S. 87; i. Erg. auch das Basismodell Rönnaus (2001), S. 85 ff, 453; vgl. auch NKStGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 58. 60  Roxin (2006), § 13 Rn. 21.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

3. Kritik und Stellungnahme: Der (eigenmächtige) ärztliche ­Heileingriff als tatbestandsmäßige Körperverletzung Die Einwände gegen die kategorische Bewertung der Rechtsprechung und Teilen der Literatur, die jeden ärztlichen (Heil-)Eingriff unter den Tatbestand der §§ 223 ff. StGB subsumieren, sind aus Sicht der medizinischen Berufe im Kern verständlich. Das bekannte Zitat von der „Gleichstellung des Arztes mit dem Messerstecher“ mag strafrechtsdogmatisch verfehlt sein,61 weil Tatbestand und Rechtswidrigkeit nach der strafrechtlichen Systematik nur gemeinsam über den materiellen Unrechtscharakter der Tat urteilen lassen und über eine strafrechtliche Missbilligung erst nach einer Prüfung und Ablehnung von Rechtfertigungsgründen entschieden wird.62 Es bringt aber nachvollziehbar die Irritation der Ärzte zum Ausdruck,63 die als Mediziner zum heilenden Beruf zählen und zum Wohl des Patienten wirken. Genau diesen ethisch hochstehenden Sinn ärztlichen Handelns hat aber auch das Reichsgericht anerkannt.64 Entgegengehalten wurde der Rechtsprechung weiter, dass die einebnende Beurteilung der grundlegend unterschiedlichen ärztlichen Eingriffe (indiziert oder nicht, erfolgreich oder nicht, mit Einwilligung oder ohne) undifferenziert ist.65 Die Konsequenzen aus der Rechtfertigungslösung sind für den Arzt zum Teil auch folgenschwer und werden – deshalb – nicht stringent gehandhabt. In Fortführung der Tatbestandsmäßigkeit gem. § 223 Abs. 1 StGB müsste das Skalpell, das der Arzt führt, ein gefährliches Werkzeug i. S. d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB sein, mit der Folge einer ganz erheblichen Strafrahmen­ erhöhung von bis zu fünf auf bis zu zehn Jahre. Die Rechtsprechung kommt hier aber zu einer Ausnahme66 und verneint die Erfüllung der Qualifikation mit dem Argument, dass ein sachgemäß verwendetes ärztliches Instrument nicht als gefährliches Werkzeug einzustufen sei, weil der Arzt es bestimmungsgemäß zugunsten statt gegen die Rechtsgüter des Patienten führe.67 61  MK-StGB-Joecks (2012), §  223 Rn.  47; Fateh-Moghadam (2008), S.  44 m. w. N. Vgl. hierzu auch Schroth (2007a), S. 127. 62  Wessels / Beulke (2013), Rn. 121–122. 63  Vgl. Schreiber (1999), S. 714. 64  RGSt 25, 375, 380. Vgl. Kargl (2001), S. 538 f. 65  Vgl. Schreiber (1999), S.  713; NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 58. Schmidt (1957), S. 45, hat diesen Einwand prägnant formuliert: „Die ärztliche Operation wird unter Beiseitelassen von allem, aber auch allem, was für den Kranken und den Arzt den entscheidenden Sinn ausmacht, lediglich als kausale Herbeiführung einer Körperwunde angesehen.“ 66  BGH, NJW 1987, 1206. 67  Zur Kritik an dieser Rspr. vgl. Fischer (2014), § 224 Rn. 9a; Kargl (2007), S. 490; Wessels / Hettinger (2013), Rn. 329 bzgl. §§ 226, 227 StGB.



I. (Eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung147

Den Tatbestandslösungen des Schrifttums kann man dagegen insgesamt entgegnen, dass sie das ärztliche Schädigungsverbot und das berufsethische Fürsorgeprinzip verabsolutieren,68 damit jedoch nicht zu klaren Ergebnissen gelangen. Denn die Abgrenzung von indizierten und nicht indizierten Eingriffen ist abstrakt nicht möglich und macht deshalb die Schwierigkeiten deutlich, auf die die Tatbestandslösungen in ihrer Umsetzung stoßen.69 Das gilt gerade im Bereich der kosmetischen Operationen.70 Dies belegen schon die uneinheitlichen Abgrenzungen der Literatur zwischen medizinisch indizierten, straflosen und bloß wunscherfüllenden, ggf. strafbaren Maßnahmen der plastischen Chirurgie.71 Warum soll ein Arzt bei der Rekonstruktion einer durch einen Unfall zerstörten Nase mit gleichzeitiger wunschgemäßer Anpassung der Form tatbestandslos handeln, sich aber bei einer gewünschten Korrektur einer schiefen Nase dem Risiko einer Strafbarkeit ausgesetzt sehen? Auch die einzelnen Ausprägungen der Tatbestandslösungen sind problematisch. Die Erfolgstheorie, die die Strafbarkeit des behandelnden Arztes vom eingetretenen Heilerfolg abhängig macht, verstößt gegen den strafrechtlichen Grundsatz, dass die Strafbarkeit eines Verhaltens im Zeitpunkt der Handlung feststehen muss. Der Erfolg einer Maßnahme kann nur ex post bewertet werden und steht oft erst weit nach Abschluss einer ärztlichen Behandlung fest.72 Auch die Theorie des kunstgerechten Eingriffs stößt in ihrer praktischen Umsetzung auf Probleme. Zwar knüpft sie an das Verhalten des Arztes aus einer ex ante-Betrachtung an, jedoch kann eine Abgrenzung zwischen einer lege artis vorgenommenen und einer die medizinischen Standards überschreitenden Behandlung nicht immer klar gezogen werden;73 zudem bleiben Schutzlücken bei kunstgerechten, aber misslungenen Eingriffen ohne Einwilligung.74 Weiter sind die Freiheitsdelikte der §§ 239, 240 StGB zu schwach, um Verletzungen des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts angemessen zu 68  Schroth

(2007a), S. 121. das Ergebnis der Untersuchung von Tag (2000), S. 40. 70  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 40. 71  Fateh-Moghadam (2008), S. 40. Vgl. LK-StGB-Hirsch (2005), § 223 Rn. 44: „… kosmetische Eingriffe, die nicht gleichzeitig Heilcharakter haben und deshalb nicht bereits den Heileingriffen zuzuordnen sind (z. B. Verschönerung der Nase oder Büste)“; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 34 „kosmetische Operationen, sofern sie nicht gleichzeitig einen Heilzweck verfolgen“; Lackner / Kühl (2014), StGB, § 223 Rn. 10 „anderen Zwecken dienende, in die Körperintegrität eingreifende ärztliche Behandlungen, namentlich die (ausschließlich) kosmetische Operation“. 72  Zum Ganzen Kargl (2001), S. 549. 73  Schroth (2010a), S. 29; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 35; FatehMoghadam (2008), S. 40. 74  Schreiber (1999), S. 715 f. 69  So

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

sanktionieren.75 Beispielsweise ist ein eigenmächtiger Heileingriff nur dann eine Nötigung gem. § 240 StGB, wenn Drohung oder Gewalt angewendet wurde, nicht aber im viel wichtigeren Fall einer Täuschung durch unvollständige oder unrichtige ärztliche Aufklärung. Beim eigenmächtigen ärzt­ lichen Vorgehen gegenüber einem zustimmungsunfähigen Bewusstlosen versagt § 239 StGB, der für die Freiheitsberaubung einen Eingriff in die Bewegungsmöglichkeit erfordert.76 Aus den Tatbestandslösungen der Literatur folgen also erhebliche Strafbarkeitslücken, ein ausreichender Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten wird nicht erreicht.77 Kargl hat in seinem oben bereits erörterten Ansatz78 darüber hinaus dargelegt, dass ein zutreffendes Rechtsgutsverständnis der Erfassung ärztlichen Handelns durch die Körperverletzungsdelikte nicht entgegensteht.79 Die Tatbestandsalternative der körperlichen Misshandlung wird zwar allgemein definiert als „üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird“ und scheint prima facie mit heilendem ärztlichem Tun unvereinbar zu sein. Dieses Verständnis sollte nach dem Willen des Gesetzgebers aber nur dazu dienen, auch Handlungen zu erfassen, die nicht zu einer Substanzeinbuße führen.80 In die Substanz eingreifende Handlungen, wie ärztliche Behandlungen sie in aller Regel darstellen, bleiben aber immer durch die als „üble, unangemessene Behandlung“ definierte Alternative erfasst, auch wenn der Arzt wohlmeinend und heilend tätig wird.81 Für ärztliches Handeln ist daher entgegen der Ansicht der Tatbestandslösungen nicht entscheidend, ob die vom Arzt durchgeführte invasive Maßnahme insgesamt betrachtet eine Gesundheitsverbesserung bewirkt, sondern alleine, ob durch den ärztlichen Eingriff eine notwendige Bedingung individueller Entfaltung unterstützt wird.82 Vor dem Hintergrund dieser Problematik überzeugt die Konzeption der Rechtsprechung, vor allem aber wegen der Fundierung der Legitimation 75  Schroth

(2010d), S. 94; Wessels / Hettinger (2013), Rn. 329. Ganzen Kargl (2001), S. 541. 77  Kargl (2001), S. 541; Schroth (2010a), S. 28. 78  Ausführliche Darstellung oben B.IV.2.b)bb). 79  Kargl (2001), S.  547  f.; Schroth (2007a), S. 120  f. Vgl. Sternberg-Lieben (2009), S. 327 mit Fn. 15. 80  Kargl (2001), S. 547  ff. zeigt mit Blick auf die Auslegungsgeschichte der §§ 223 ff. StGB auf, dass der Gesetzgeber mit der Tatbestandsalternative der körperlichen Misshandlung über die substanzverletzenden Eingriffe hinaus auch solche erfassen wollten, die eine körperliche Beeinträchtigung darstellen, aber nicht mit einer Substanzeinbuße verbunden sind. Vgl. Schroth (2007a), S. 119 f. 81  Kargl (2001), S.  546  ff., 548; Schroth (2007a), S. 120. Vgl. zum Ganzen Sternberg-Lieben (2009), S. 327 mit Fn. 15. 82  Kargl (2001), S. 552; Schroth (2007a), S. 120 f. 76  Zum



I. (Eigenmächtige) ärztliche Heilbehandlung149

ärztlichen Handelns im Patientenwillen.83 Der Einzelne soll immer autonome Entscheidungen treffen und auch als Kranker oder Verletzter nicht zu einem Objekt einer ärztlichen Vernunft oder eines Allgemeininteresses an der Erhaltung seiner Gesundheit gemacht werden.84 Mit der Betonung des Selbstbestimmungsrechts als Prämisse einer strafrechtlichen Bewertung ärztlichen Handelns wird die Rechtsprechung der entscheidenden, grundrechtlich gewährleisteten Autonomie des Menschen bei Verfügungen über den eigenen Körper gerecht.85 Die strafrechtliche Einordnung ärztlicher Heileingriffe orientiert sich damit am Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Nach alldem wird das Bedürfnis sichtbar, die maßgeblich unterschiedliche Interessenlage bei Ärzten und Patienten in Einklang zu bringen – auf der einen Seite das Interesse des Arztes an einer berufsethisch am Fürsorgeprinzip orientierten Tätigkeit ohne strafrechtliches Risiko, auf der anderen aber das der Patienten an der Wahrung ihrer Gesundheit und ihres körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts.86 Viele ausländische Rechtsordnungen verfügen so auch über einen Spezialtatbestand für (eigenmächtiges) ärztliches Handeln, etwa das österreichische Recht in § 110 ÖStGB.87 Der deutsche Gesetzgeber hat den Schutz über die §§ 223 ff. StGB aber wie dargestellt für ausreichend befunden.88 Die Körperverletzungsdelikte sind deshalb als umfassender Tatbestand auch zum Schutz der körperbezogenen Patientenautonomie zu interpretieren und als „Auffangtatbestand“ zu verstehen.89 Deshalb ist die Lösung der Rechtsprechung insoweit, als sie jeden ärztlichen Eingriff für tatbestands­ 83  Schroth

(2007a), S. 114; Kargl (2001), S. 540. (2001), S. 539 f. 85  Zum Ganzen Kargl (2001), S. 540; Tag (2000), S. 68 f. 86  Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 31. 87  „§ 110 ÖStGB: Eigenmächtige Heilbehandlung: (1)  Wer einen anderen ohne dessen Einwilligung, wenn auch nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, behandelt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. (2)  Hat der Täter die Einwilligung des Behandelten in der Annahme nicht eingeholt, daß durch den Aufschub der Behandlung das Leben oder die Gesundheit des Behandelten ernstlich gefährdet wäre, so ist er nach Abs. 1 nur zu bestrafen, wenn die vermeintliche Gefahr nicht bestanden hat und er sich dessen bei Aufwendung der nötigen Sorgfalt (§ 6) hätte bewusst sein können. (3)  Der Täter ist nur auf Verlangen des eigenmächtig Behandelten zu verfolgen.“ Ausführlich zur österreichischen Rechtslage Bruckmüller / Schumann (2010), S.  820 ff. 88  Trotz wiederholter Reformbestrebungen existiert keine solche Regelung in Deutschland, die §§ 223 ff. StGB wurden zuletzt im 6. StRG für ausreichend gehalten. Schroth (2007a), S. 122; Tag (2000), S. 75. Vgl. oben Fn. 9. 89  Schöch (2010), S. 53; Roxin (2006), § 13 Rn. 26; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 31. 84  Kargl

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

mäßig erklärt, klar vorzugswürdig. Nach der hier vertretenen Ansicht wird der Einwilligung des Patienten aber keine rechtfertigende, sondern schon eine tatbestandsausschließende Wirkung zuerkannt.90 Auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen ist diese Lösung nicht zu beanstanden. Solange ein Eingriff in die Körperintegrität vorliegt, ist es möglich, diesen ärztlichen Eingriff unter den Wortlaut der §§ 223 ff. StGB zu subsumieren, ohne dabei gegen Art. 103 Abs. 2 GG zu verstoßen. Denn zumindest in einer Durchgangsphase liegt eine Körperverletzung vor.91

II. Medizinisch nicht indizierte Behandlungen, insbesondere Schönheitsoperationen Ärztliche Eingriffe92, die ohne das Vorliegen einer medizinischen Indikation durchgeführt werden, sind keine Heileingriffe, erfordern aber in aller Regel einen invasiven Eingriff beim Patienten93 und beeinträchtigen dann seine körperliche Integrität. Deshalb müssen sie sich ebenfalls an den §§ 223 ff. StGB messen lassen.94 1. Tatbestandsmäßigkeit nach den Körperverletzungsdelikten a) Objektiver Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB nach fast allen Ansichten Medizinisch nicht indizierte Eingriffe wie Schönheitsoperation, Wunsch­ sectio,95 Organentnahme zum Zweck der Transplantation96 oder experimentelle Behandlung dienen nicht zu Heilzwecken. Bei Maßnahmen der plastischen Chirurgie kann zwar, wie ausführlich dargestellt, nicht ohne weiteres auf den (fehlenden) Heilcharakter geschlossen werden. Einig sind sich Rechtsprechung und Literatur aber ganz überwiegend insoweit, dass die 90  Beide Ansichten messen der Einwilligung zwar eine unterschiedliche dogmatische und deliktssystematische Wirkung bei (Tatbestandsausschluss oder Rechtfertigungsgrund), erzielen aber das gleiche Ergebnis, wonach der objektive Körperverletzungstatbestand erfüllt ist, wenn keine wirksame Einwilligung des Patienten in den Eingriff vorliegt. 91  Schroth (2010d), S. 94. 92  Vgl. zur Unterscheidung von Eingriff und Behandlung oben C.I. Fn. 2. 93  Auch die Verabreichung von Schmerzmitteln, das Spritzen von Betäubungsmitteln etc. erfüllen den Tatbestand, vgl. Schroth (2010a) S. 24. 94  Zur grundlegenden Struktur der Prüfung ärztlicher Körperverletzungsdelikte vgl. oben Fn. 1. 95  Ausführliche Darstellung bei Ulsenheimer (2000), M 61 ff. 96  Ausführliche Darstellung bei Fateh-Moghadam (2010), S. 35 ff.



II. Medizinisch nicht indizierte Behandlungen151

Schönheitsoperationen im hier definierten Sinn, die ausschließlich einen ästhetisch motivierten Verschönerungszweck verfolgen, aus dem Bereich der ärztlichen Heileingriffe herausgenommen werden müssen.97 Die meisten Behandlungsmethoden im Bereich der ohne medizinische Notwendigkeit vorgenommenen, rein kosmetischen Eingriffe sind operativ, erfolgen also durch chirurgische Eingriffe in den Körper des Patienten. Bei der Brustvergrößerung mit Silikonimplantaten, einem klassischen Feld der Schönheitschirurgie, öffnet der Chirurg den Körper der Frau und bildet vor oder hinter dem Brustmuskel eine Tasche, in die das Implantat eingelegt wird.98 Bei der Fettabsaugung nach der sog. Tumeszenztechnik werden einige Liter Kochsalzlösung in das betreffende Gewebe gepumpt, das die Fettzellen aufquellen lässt, so dass sie im Anschluss mit einer dünnen, kraftvoll bewegten Kanüle abgesaugt werden können.99 Bei der Nasenkorrektur führt der Chirurg Werkzeug durch kleine Einschnitte in die Schleimhaut direkt hinter den Nasenlöchern ein und trägt den Nasenhöcker ab oder füllt eine Sattelnase mit Knochen oder Knorpel wieder auf.100 Selbst die nicht operativen kosmetischen Eingriffe im Bereich der Schönheitschirurgie, etwa Faltenbehandlungen durch Unterspritzung mit Botox oder Laserbehandlungen, sind „minimalinvasiv“.101 Im Gegensatz zu den ärztlichen Maßnahmen mit Heilzweck besteht bei der Einordnung indikationsloser kosmetischer Eingriffe in den Tatbestand der Körperverletzungsdelikte fast völlige Übereinstimmung. Die Rechtsprechung bewertet wie eben beschrieben ohnehin jeden invasiven ärztlichen Eingriff als objektiv tatbestandsmäßig gemäß § 223 Abs. 1 StGB und muss daher nicht zwischen Eingriffen mit und ohne Indikation unterscheiden.102 Aber auch nahezu alle Autoren in der Literatur sehen bei nicht indizierten Eingriffen und insbesondere Schönheitsoperationen den Tatbestand der Körperverletzungsdelikte als verwirklicht an.103 Diese indikationslosen Eingriffe 97  St. Rspr., vgl. BGH, NJW 1978, 1206; LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 34, 50, 50b; MK-StGB-Joecks (2012), § 223 Rn. 73, 90; Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 17 ff. m. w. N.; Lackner / Kühl (2014), StGB, § 223 Rn. 10; Tag (2000), S. 40; Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 138 Rn. 6; Wessels / Hettinger (2013), Rn. 330. 98  Sog. Mammaaugmentationsplastik. Karcher (2005), S. 354 ff. 99  Sog. Liposuktion oder Body-Contouring / Lipoaspiration. Karcher (2005), S.  364 ff. 100  Sog. Rhinoplastik. Karcher (2005), S. 342 ff. 101  Vgl. Tag (2000), S. 40. Darstellung der Techniken mit Bildern bei Karcher (2005), S.  320 ff. 102  St. Rspr. seit RGSt 25, 375. Vgl. Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 29. 103  Für viele LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44; Lackner / Kühl (2014), StGB, § 223 Rn. 10 m. w. N.; Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 19.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

unterfallen von vorneherein nicht den im Schrifttum vertretenen Tatbestandslösungen, weil ihnen der strafbefreiende Privilegierungsgrund, wie er bei den Heileingriffen im Heilzweck bzw. in der medizinischen Indikation gesehen wird, gerade fehlt.104 Lediglich vereinzelte Stimmen in der Literatur bewerten Heileingriff und kosmetischen Eingriff schon auf Tatbestandebene gleich.105 Diese Autoren wollen ärztliche Heileingriffe und nicht indizierte Eingriffe bei kunstgerechter Vornahme nach Einwilligung von vorneherein gleichstellen und eine tatbestandsmäßige Körperverletzung jeweils ausschließen.106 Dabei werden im Wesentlichen zwei Begründungsmuster vertreten. Die erste Ansicht sieht Schönheitsoperationen zwar als medizinisch nicht indiziert an, behandelt aber sämtliche ärztliche Eingriffe aus strafrechtlicher Perspektive gleich. Die zweite, oben erörterte Ansicht107 vertritt ein anderes Verständnis des Begriffs der medizinischen Indikation. Indikation wird dabei weiter verstanden als im hier definierten Sinn und letztlich jeder den Regeln der Kunst entsprechende ärztliche Eingriff als „indiziert“ betrachtet. Aus diesem Begriffsverständnis folgt zwangsläufig die Gleichstellung mit den ärztlichen Heileingriffen. Ersterer Argumentationslinie folgt Barnikel. Er ordnet die ästhetische Chirurgie beim ärztlichen Heileingriff ein, weil nur so eine medizinisch und juristisch sachgerechte Beurteilung ärztlichen Handelns gewährleistet sei – „einmal um den Eingriff nach den ärztlichen Regeln auszuführen, zum anderen, um die Verantwortung des Arztes vom ärztlichen Standpunkt her festzulegen“.108 Die weiteren Autoren argumentieren mit letzterer Begründung. Engisch etwa geht von einer weiten Definition der Indikation aus und interpretiert den „Heilzweck“ subjektiv und damit sehr weitgehend. Auf Grundlage dieses Verständnisses sollen dann nicht nur solche ärztlichen Eingriffe indiziert sein, die auf Herstellung oder Erhaltung von Leben, Gesundheit und Wohlbefinden eines Patienten zielen, sondern auch Eingriffe, die das Wohlaussehen des Patienten fördern.109 So sieht dies offenbar auch Schuck, der auch kosmetische Eingriffe, die klar nicht der Rekonstruktion oder der Beseitigung von Missbildungen dienen, als medizinisch (mittelbar) indiziert und 104  Fateh-Moghadam

(2008), S. 38. (1958), S. 6; Barnikel (1963), S. 2374; Kohlhaas (1964), S. 1660, 1718; Schuck (1980), S. 61 f. 106  LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44. 107  Auführlich oben B.I.1.a)cc)(3)(b). 108  Barnikel (1963), S. 2374. 109  Engisch (1939), S. 2, 6. 105  Engisch



II. Medizinisch nicht indizierte Behandlungen153

nur weniger dringlich bezeichnet, weil sie dem Patienten zu persönlichem Nutzen dienen. „Aber auch dann, wenn es darum geht, einem Patienten zu helfen, der unter irgendeiner Häßlichkeit seiner Gesichtszüge oder Gestalt seelisch leidet, kann es kein Zweifel sein, daß auch bei einer solchen Sachlage eine echte medizinische Indikation für den plastischen Eingriffe gegeben ist.“110 „[Es ist] bezüglich der medizinischen Indikation nicht richtig, zwischen Eingriffen zur Wiederherstellung und anderen kosmetischen Operationen zu unterscheiden.“111

Dass die Gleichbehandlung indizierter und nicht indizierter Eingriffe aus verschiedenen Gründen nicht überzeugen kann, ist bereits ausführlich erörtert worden.112 Des Weiteren wird bei nicht indizierten Eingriffen die Argumentation der hier geteilten Ansicht besonders relevant, wonach wegen der hohen Bewertung und dem Schutz der Patientenautonomie die Tatbestandsmäßigkeit ärztlicher (Heil-)Eingriffe anzunehmen ist. Als invasive Eingriffe in den Körper erfüllen nicht indizierte Schönheitsoperationen deshalb nach der zutreffenden herrschenden Ansicht den objek­ tiven Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB. Da sie invasive und unmittelbare Substanzverletzungen sind, ist die Alternative der körperlichen Misshand­ lung einschlägig.113 Dies gilt zum Beispiel auch für Laserbehandlungen, die zwar nicht unmittelbar substanzverletzend sind, aber dennoch die Integrität des Körpers berührende Maßnahmen darstellen.114 Auch wenn bei diesen minimalinvasiven Eingriffen keine Substanzverletzung gegeben ist und der Begriff des Tatbestandsmerkmals der „üblen, unangemessenen“ Behandlung im Hinblick auf das lege artis-Vorgehen des approbierten Arztes irritiert, handelt es sich rechtlich dennoch im Sinne dieser Strafnorm um Behandlungen, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigen.115 In vielen Fällen wird durch eine kosmetische Operation, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, auch eine Gesundheitsschädigung als zweite Tatbestandsalternative des § 223 Abs. 1 StGB vorliegen. Voraussetzung hierfür ist das Hervorrufen oder Steigern eines, wenn auch nur vorüberge110  Schuck (1980), S. 61 f., nennt dabei unförmige Nasen, die häufig zu erheb­ lichen Hemmungen des Trägers führen könnten, unvorteilhaftes Äußeres, das den beruflichen Werdegang hemmte und abstehende Ohren bei Kindern. 111  Schuck (1980), S. 63. 112  Ausführlich oben B.I.1.a)dd). 113  Fateh-Moghadam (2008), S. 35; Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 3, 4. Die beiden Tatbestandsalternativen überschneiden sich dabei häufig. 114  Tag (2000), S. 40. 115  So die in st. Rspr. und Lit. verwendete Formel, vgl. Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 4.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

henden, pathologischen Zustands; ein solcher wird jedenfalls bei einer chirurgischen Maßnahme regelmäßig zumindest vorübergehend vorliegen.116 b) Subjektiver Tatbestand Auch der subjektive Tatbestand117 des § 223 Abs. 1 StGB ist bei der Vornahme einer kosmetischen Operation erfüllt. Erforderlich ist gem. § 15 StGB Vorsatz des Arztes zum Zeitpunkt der Vornahme des Eingriffs. Unabhängig davon, dass der Arzt bei einer Schönheitsoperation zwar nicht mit Heilungsabsicht, aber doch nach den medizinischen Standards etwa der plastisch-ästhetischen Chirurgie verfährt, ist ein Körperverletzungsvorsatz regelmäßig anzunehmen. Zum einen liegen die den Vorsatz bildenden intellektuellen und voluntativen Elemente vor.118 Der Arzt kennt die Tatumstände – dass er einen Menschen operiert und dabei invasiv in dessen Körper eingreift, beispielsweise mit einem Skalpell bei der Brustkorrektur und durch das Einführen der Kanüle bei der Fettabsaugung – und handelt dennoch, weil er die Schönheitsoperation gerade vornehmen will. Dabei weiß der Arzt um die sichere oder notwendige Folge seines Handelns, nämlich die Verletzung der Körperintegrität des Patienten. Der Vorsatz wird bezogen auf alle Folgen, die der Täter (bzw. der Arzt) mit seinem Handeln bezwecken will. Ob ihm diese Folgen unerwünscht sind oder aber ob er sie in Kauf nehmen muss, um sein Ziel zu erreichen – das hier in der Durchführung einer anerkannten Maßnahme nach medizinischen Standards zum Zweck der Verschönerung des Patienten liegt –, ist dabei ohne Belang.119 Zumindest direkter Vorsatz, also wissentliches Handeln, ist daher anzunehmen.120

116  Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 8; Schroth (2007a), S. 18 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 35, für die Lebendorganspende. 117  In der Strafrechtswissenschaft ist heute anerkannt, dass der Vorsatz konstitutives Element des subjektiven Tatbestandes ist, vgl. Roxin (2006), § 10 Rn. 61, 62 m. w. N. zur Gegenansicht. Zur früher vertretenen Auffassung des klassischen Verbrechenssystems, wonach der Vorsatz als eigene Schuldform angesehen wurde, vgl. Roxin (2006), § 7 Rn. 15. 118  Nach der (ungenauen) Formel der st. Rspr. und der h. M. ist der Vorsatz „Wissen und Wollen“ der Tatbestandsverwirklichung, vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; Roxin (2006), § 12 Rn. 4. Daher müssen sowohl die intellektuellen („Wissen“) wie auch die voluntativen („Wollen“) Voraussetzungen nachgewiesen werden. Das Erfordernis eines voluntativen Elements ist jedoch in der Lit. nicht unbestritten, vgl. Wessels / Beulke (2013), Rn. 204 m. zahlr. w. N. 119  Jakobs (1993), § 8 Rn. 15 ff. 120  Zu den drei Erscheinungsformen des Vorsatzes (dolus directus 1. Grades, Absicht; dolus directus 2. Grades, direkter Vorsatz oder Wissentlichkeit; und dolus



II. Medizinisch nicht indizierte Behandlungen155

c) Qualifikationstatbestände der §§ 224 ff. StGB Sowohl für die Anhänger der Rechtfertigungslösung als auch für alle Vertreter der Tatbestandslösungen stellt sich für den Bereich nicht indizierter Eingriffe nach der Bejahung des Körperverletzungstatbestand konsequent die Frage nach den Qualifikationstatbeständen der §§ 224 ff. StGB.121 Denkbar ist bei der Vornahme eines invasiven kosmetischen Eingriffs vor allem die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB. Ein gefährliches Werkzeug ist ein beweglicher Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art der Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen.122 Wäre die Spritze oder etwa das Skalpell, das der Arzt vor der Einlegung eines Brustimplantats zur Öffnung des Körpers verwendet, – dem Wortlaut nach auch naheliegend – als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren, folgte eine ganz erhebliche Strafrahmenerhöhung von maximal fünf auf maximal zehn Jahre und dabei die grundsätzliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe. Eine solche Auslegung widerspricht jedoch dem Normzweck des § 224 StGB, der eine besonders gefährliche Art und Weise der Tatausführung bei der Körperverletzung sanktioniert und auf ein erhöhtes Unrecht gegenüber dem Grundtatbestand des § 223 StGB abstellt.123 Nach der zutreffenden Rechtsprechung und der herrschenden Literaturansicht ist die Annahme dieses Qualifikationstatbestands wie bereits angesprochen deshalb mit dem Argument abzulehnen, dass ein ärztliches Instrument nicht als ein im konkreten Fall „gefährliches“ Werkzeug einzustufen ist, wenn und solange es sachgemäß von der Hand des heilkundigen124 Arztes geführt wird und gerade nicht Verletzungen zufügen, sondern im Gegenteil zu einer medizinischen Behandlung dienen soll.125 Der Buneventualis, Eventualvorsatz) vgl. Roxin (2006), § 12 Rn. 1 ff.; Wessels / Beulke (2013), Rn.  210 ff. 121  Für den Bereich der Heileingriffe stellt sich diese Frage vorrangig der Rspr. sowie innerhalb der Tatbestandslösungen den Anhängern der Erfolgstheorie, wenn ein Heileingriff misslingt. Nicht zuletzt, um diese Konsequenz zu vermeiden, entziehen die Tatbestandslösungen den ärztlichen Heileingriff dem Anwendungsbereich der Körperverletzungsdelikte. 122  Fischer (2014), StGB, § 224 Rn. 9; NK-StGB-Paeffgen (2013), § 224 Rn. 14. 123  Fischer (2014), StGB, § 224 Rn. 2; Tag (2000), S. 421. 124  Bei der unerlaubten Vornahme von Heilkunde bspw. durch eine Person, die nur vorgibt Arzt zu sein, kann § 224 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. StGB dagegen erfüllt sein. Vgl. BGH, NStZ 1987, 174. 125  BGH, NJW 1966, 1763; Spickhoff-Knauer / Brose (2014), § 224 Rn. 4; Ulsenheimer (2008), Rn. 246e; Schroth (2010d), S. 102. Zweifelnd Fischer (2014), StGB, § 224 Rn. 9a. A. A. Sch / Sch-Stree / Sternberg-Lieben (2014), StGB, § 224 Rn. 4; Steiner (2014), C.II.1.b) im Kontext der Zirkumzision.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

desgerichtshof hat das in einschränkender Auslegung für das Skalpell des Chirurgen entschieden, weil es vom Arzt bestimmungsgemäß zugunsten statt gegen die Rechtsgüter des Patienten geführt wurde.126 Das gilt gerade auch bei nicht indizierten Eingriffen, etwa bei der Schönheitsoperation, bei der der Arzt eine vom Patienten gewünschte Behandlung sachgemäß und nach medizinischen Standards ausführt und dabei das ärztliche Instrument lege artis und bestimmungsgemäß verwendet.127 Für die zahnärztliche Zange, die der Arzt im zu beurteilenden Fall nicht zu einem Heileingriff benutzt hatte, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Tatsache der fehlenden Indikation aus ihrem Einsatz noch keine Verwendung zu Angriffs- oder Kampfzwecken mache und die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung damit ausscheide.128 Die Erfolgsqualifikationen der § 226 StGB und § 227 StGB werden bei Schönheitsoperationen nur selten in Betracht kommen, können aber abhängig von den konkreten Tatumständen verwirklicht sein. Folgt aus einem (schönheitsoperativen) ärztlichen Eingriff eine schwere Folge im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB, ist eine Verurteilung des Arztes auf dieser Grundlage jedenfalls möglich; in der Praxis kommt es aber offenbar selten zu Anklageerhebung und Verurteilung.129 Auch eine Strafbarkeit gem. § 227 StGB ist denkbar. So hat der Bundesgerichtshof einen Chirurgen nach einer behandlungsfehlerhaften und ohne ausreichende Aufklärung durchgeführten Fettabsaugung wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.130 2. Zusammenfassung Die Vornahme einer nicht indizierten Schönheitsoperation beurteilt sich nach den Körperverletzungsdelikten und erfüllt sowohl nach Ansicht der Rechtsprechung wie auch der herrschenden strafrechtlichen Literatur den objektiven und subjektiven Tatbestand der einfachen Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB. Auch die in der Literatur vertretenen Tatbestandslösungen, die den indizierten ärztlichen Heileingriff aus dem Anwendungsbereich der Körperverletzungsdelikte herausnehmen wollen, stimmen bei den nicht indizierten Eingriffen, bei denen der Privilegierungsgrund der medizinischen Indikation bzw. des Heilzwecks gerade fehlt, insoweit überein. 126  BGH,

NJW 1978, 1206. Ausführlich bei Tag (2000), S. 423 ff. m. w. N. (1979), S. 29 f. 128  BGH, NJW 1978, 1206. 129  Vgl. die Erhebung bei Orben (2004), S. 59, 60, 94. 130  BGH, NStZ-RR 2007, 340. Vgl. FASZ vom 24.05.2009, „An den Grenzen der Erkenntnis“, S. 56. Vgl. auch den bei Ulsenheimer (2008), Rn. 246i (1) geschilderten Fall der StA Düsseldorf, Az. 810 Js 792 / 96. 127  Horn



III. Grundlagen der Einwilligung157

III. Grundlagen der Einwilligung Schönheitsoperationen erfüllen also den Tatbestand der Körperverletzungsdelikte; entscheidend für die strafrechtliche Legitimation eines Eingriffs ohne medizinische Indikation und ohne therapeutische Zielsetzung ist daher die wirksame Einwilligung des Patienten. Weil das Institut der Einwilligung damit zum Fundament dieser Untersuchung wird, sollen Grundlagen, Wirkgrund, Wirksamkeitsvoraussetzungen, Möglichkeit und Grenzen der Einwilligung in medizinisch nicht notwendige Eingriffe abgesteckt werden, um auf dieser Basis die Untersuchung der deliktssystematischen Bedeutung des Merkmals der medizinischen Indikation vornehmen zu können (§ 4). Die Erheblichkeit der Einwilligung des Verletzten ist im Strafrecht seit Jahrhunderten anerkannt.131 Die Einwilligung ist als Ausprägung des altrömischen Rechtssatz „volenti non fit iniuria“132 von Rechtsprechung und Lehre fortentwickelt worden und seit langem gewohnheitsrechtliches Institut und geltendes Recht.133 Eine grundlegende Regelung gibt es nicht; gesetzliche Grundlagen für die Einwilligung sind nur für spezifische Bereiche vorhanden. Ihre Anerkennung kann aber aus der Normierung des § 228 StGB, der §§ 8, 8a TPG, §§ 40, 41 AMG, §§ 2, 3 KastrG und des § 630d BGB134 geschlossen werden, die die Einwilligung jeweils voraussetzen und Anhaltspunkte für ihre Wirksamkeitsvoraussetzungen bieten.135 Die verfassungsrechtliche Fundierung der Einwilligung in der grundrechtlich gewährleisteten Patientenautonomie ist bereits dargestellt worden.136 Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wird im Strafrecht in Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben über die Körperverletzungstatbestände der §§ 223 ff. StGB und die Einwilligung geschützt. Diese entscheidende grundgesetzliche Verankerung bedingt die Funktionen der Einwilligung und wirkt sich sowohl auf ihre straftatsystematische Einord­ nung als auch auf ihre Grenzen aus. 131  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 146. Zur Dogmengeschichte Honig, Die Einwilligung des Verletzten, 1919, Teil I; Ohly (2002), S. 25 ff.; vgl. auch Murmann (2005), S. 7 ff. 132  Roxin (2006), § 13 Rn. 1 mit der Zitierung von Ulpian, Dig. 47, 10, 1, 5. 133  Für viele Roxin (2006), § 13 Rn. 1; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 146 m.  w.  N.; BVerfG, NJW 1979, 1931 (abw. Meinung); Sternberg-Lieben (2007), S. 583. 134  Eingefügt durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (PatientenRG) vom 20.02.2013, in Kraft seit 26.02.2013; BGBl I 2013, 277. 135  Zum Ganzen LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 157. 136  Oben B.III.1.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

1. Wesen und Funktionen der Einwilligung Es besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, dass die Einwilligung Ausdruck der Würde des Menschen und der Freiheit des Rechtsgutsinhabers ist, über seine Rechtsgüter nach seinen Vorstellungen selbstbestimmt zu verfügen.137 Das Wesen der Einwilligung, von Geilen im Zusammenhang mit dem Arztstrafrecht als „Instrument der Interessenverfolgung“138 bezeichnet, liegt in der Erteilung der Befugnis an den Rechtsgutsträger, seine Rechtsgüter nach seinen eigenen Interessen, Werten und Zwecken preiszugeben und dazu anderen Personen im Rahmen der von der Einwilligungsdogmatik gesteckten Grenzen zu gestatten, in seine Rechtsgüter einzugreifen.139 Dabei erfüllt die Einwilligung entsprechend ihrer oben dargestellten Grundlage im verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht140 drei Funk­ tionen.141 a) Abwehrfunktion Zuvorderst ist die Einwilligung Garantie eines Abwehrrechts gegen ungewollte Eingriffe in die körperliche Integrität. Ohne oder gegen den Willen des Patienten dürfen keine eigenmächtigen ärztlichen Eingriffe, auch keine dringlichen Heilbehandlungen vorgenommen werden. Die Körperverletzungsdelikte gewähren insoweit Bestandsschutz.142 b) Entfaltungsfunktion Darüber hinaus eröffnet die Einwilligung dem Rechtsgutsträger die als soziale143 bzw. Entfaltungsfunktion bezeichnete Möglichkeit, körperbezogene Interessen zielgerichtet nach seinem eigenen Wertesystem und seinen individuellen Vorstellungen zu verwirklichen.144 Dabei ist auch die Einwil137  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 146; BVerfG, NJW 1979, 1930 (abw. Meinung). 138  Geilen (1963), S. 90. 139  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 154; Fateh-Moghadam (2008), S. 78; Amelung (1998), S. 40 f. 140  Dazu ausführlich oben B.III.1. 141  Zum folgenden Ganzen vgl. die umfassende Darstellung der verfassungsrechtlichen Grundlagen und den daraus folgenden Funktionen der Einwilligung bei FatehMoghadam (2008), S. 74 ff.; Schroth (2006a) S. 85 f. 142  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 74  ff. m. w. N.; Schroth (2006a), S. 85 f.; BGH, NJW 1958, 268. 143  Sternberg-Lieben (1997), S. 20 ff. 144  Fateh-Moghadam (2008), S. 78; Schroth (2006a), S. 86.



III. Grundlagen der Einwilligung159

ligungsmöglichkeit in Fremdgefährdung und Fremdverletzung umfasst. Dem Patienten verleiht die Einwilligung die Kompetenz, erwünschte Eingriffe in den Körper von einem Arzt vornehmen zu lassen, die der Heilung, aber auch anderen Interessen wie einer kosmetischen Aussehensveränderung dienen können.145 c) Garantiefunktion Zuletzt garantiert die wirksame Einwilligung für den eingreifenden Dritten (Arzt) Straffreiheit (sog. Garantiefunktion).146 Da der Patient im medizinischen Bereich nicht selbst (über eine dann tatbestandslose Selbstgefährdung oder Selbstverletzung) tätig werden kann, sondern auf den Arzt angewiesen ist, kann er die Gestaltung bzw. Preisgabe seiner körperlichen Interessen auf den behandelnden Arzt übertragen. Die Einwilligung des Patienten erlaubt dem eingreifenden Arzt eine Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter, die sonst vom Gesetzgeber über die Körperverletzungsdelikte strafbewehrt verboten ist. Entfaltungsfunktion und Garantiefunktion der Einwilligung bedingen sich daher gegenseitig.147 d) Zwischenergebnis Die Einwilligung erweitert damit Freiheitsräume und Handlungsspielräume von Täter und Opfer.148 Die gilt auch und gerade im Bereich medizinisch nicht notwendiger Eingriffe. In Fortführung der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Einwilligung auch in solche Eingriffe möglich, die nicht der Heilung, sondern der Verwirklichung eigener, körperbezogener Interessen dienen; umfasst ist die Befugnis, das eigene Aussehen durch eine ärztliche Schönheitsoperation nach persönlichen Vorstellungen zu gestalten.149 Für die Strafbarkeit nicht indizierter kosmetischer Eingriffe bedeuten die dargestellten Funktionen der Einwilligung, dass solche Eingriffe ausschließlich aufgrund wirksamer Einwilligung des einwilligungsfähigen und autonom entscheidenden Patienten durchgeführt werden dürfen (Abwehrfunktion), aber aufgrund wirksamer Einwilli145  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 78 ff. m. w. N.; Roxin (2006), § 13 Rn. 13; Schroth (2010a), S. 31, 45. 146  Schroth (2006a), S. 86. 147  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 85  ff. m. w. N.; Sternberg-Lieben (1997), S.  19 f. 148  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 146 m. zahlr. w. N.; Schroth / König /  Gutmann / Oduncu-Schroth (2005), TPG, § 19 Rn. 84. 149  Fateh-Moghadam (2008), S. 78.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

gung auch legitimiert werden können (Entfaltungsfunktion) und für den Arzt dann keine strafrechtlichen Folgen nach sich ziehen (Garantiefunktion). 2. Straftatsystematische Wirkung Wenn Grundgedanke und Funktionen der Einwilligung noch recht einmütig gesehen werden, ist die Einordnung der Einwilligung in den Verbrechensaufbau dagegen seit langem umstritten.150 Im Ergebnis hat der Streit nur geringe Auswirkungen, insbesondere, weil man zunehmend davon ausgeht, dass die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung unabhängig von ihrer Einordnung aus der Struktur bzw. dem telos des jeweiligen Straftatbestands zu gewinnen sind.151 Hintergrund für die Auseinandersetzung um die straftatsystematische Einordnung der Einwilligung sind die unterschiedlichen Auffassungen vom Rechtsgut der Körperverletzungsdelik­ te.152 Abhängig davon, ob lediglich die körperliche Unversehrtheit oder auch das darauf bezogene Selbstbestimmungsrecht als geschützt angesehen werden, folgt hieraus eine unterschiedliche systematische Einordnung der Einwilligung.153 a) Einwilligung als Rechtfertigungsgrund Die traditionelle und auch heute noch von Rechtsprechung und herrschender Literatur vertretene Auffassung unterscheidet die rechtfertigende Einwilligung vom tatbestandsausschließenden Einverständnis.154, 155 Diese Ansicht folgt der sog. Zweiteilungslehre.156 Bei den Straftatbeständen, die schon im 150  Umfangreiche Darstellung der Problematik bei Roxin (2006), §  13 m. zahlr. w. N. und Auseinandersetzung mit der Gegenmeinung. Nach Arzt (1989), S. 875, hat „der Aufwand im AT, mit dem z. B. über die Zuordnung der Zustimmung des Opfers … zur Kategorie Tatbetandsausschluss oder Rechtfertigung diskutiert wird, […] etwas Querulatorisches.“ 151  Fateh-Moghadam (2008), S.  87  f.; Roxin (2006), § 13 Rn. 32; LK-StGBRönnau (2006), Vor § 32 Rn. 157a; Schroth (2010a), S. 32. Bedeutsam wird die Unterscheidung jedoch im Bereich von Vorsatzinhalt, Irrtum und Versuch. 152  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 149. Ausführlich oben B.IV.2. 153  Fateh-Moghadam (2008), S. 88. 154  Die Unterscheidung geht zurück auf den Beitrag von Geerds (1953), S. 88 ff., 262. 155  Roxin (2006), § 13 Rn. 2 m. w. N., LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 146. Aus der h. L. Wessels / Beulke (2013), Rn. 359 ff., 361; Fischer (2014), StGB, Vor § 32 Rn. 3b. So auch die strafrechtliche Rspr., vgl. nur BGHSt 4, 90; 8, 273, 279; 17, 359 f., 360; 23, 1, 3; 46, 303, 309; 49, 34, 40. 156  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 147. LK-StGB-Hirsch (2006), Vor § 32 Rn. 97: sog. Differenzierungslösung.



III. Grundlagen der Einwilligung161

Tatbestand ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Betroffenen voraussetzen, soll eine zustimmende Willensbekundung tatbestandsausschließendes Einverständnis sein.157 Dagegen soll eine Zustimmung in den anderen Fällen158 nur eine Einwilligung darstellen, deren deliktssystematische Wirkweise dabei als Rechtfertigungsgrund eingeordnet wird.159 Ein Rechtfertigungsgrund ist ein Erlaubnissatz, der einen anderen ausnahmsweise zum Eingriff in sonst tatbestandlich und strafbewehrt geschützte fremde Rechtsgüter berechtigt.160 Der Ansicht von der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund liegt daher die Annahme zu Grunde, dass eine Rechts­ gutsverletzung vorliegt. Die Rechtsprechung versteht die Einwilligung als Verzicht auf Rechtsschutz.161 In der Literatur wird die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung entweder mit dem Prinzip des mangelnden Interesses (Rechtsgüterschutz durch Einwilligung)162 oder dem Prinzip des überwiegenden Interesses (objektive Güterabwägung)163 begründet.164 Diese tradi­ tionelle Ansicht wird auch als Abwägungs- bzw. Kollisionsmodell165 der Einwilligung bezeichnet. Sie stützt sich auf das oben dargestellte, statische Rechtsgutsverständnis, wonach alleine die körperliche Unversehrtheit geschützt und das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht nicht Teil des 157  Z. B. Nötigung gem. § 240 StGB, Vergewaltigung gem. § 177 StGB, Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB, Wegnahme beim Diebstahl gem. § 242 StGB. 158  Insb. bei der Körperverletzung, §§ 223 ff. StGB, und z. B. bei der Sachbeschädigung, § 303 StGB. 159  Zum Ganzen Roxin (2006), § 13 Rn. 2. So die strafrechtliche Rspr., vgl. nur BGHSt 4, 90; 8, 273, 279; 17, 359 f., 360; 23, 1, 3; 46, 303, 309; 49, 34, 40, und die h. L., Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 29, 33; Wessels / Beulke (2013), Rn. 370 ff.; Ulsenheimer (2008), Rn. 57; Jescheck / Weigend (1996), § 34 I 3; Murmann (2005), S. 369 ff. Vgl. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 147 m. w. N.; Lackner / Kühl (2014), § 223 Rn. 8. 160  Fateh-Moghadam (2008), S. 88; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 146. 161  BGHSt 4, 88, 90; 17, 359, 360. 162  Im Anschluss an Mezger, Einwilligung als bewusste Interessenpreisgabe durch den Rechtsgutsträger. Vgl. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 151 m. w. N. 163  Im Anschluss an Noll, das Gemeinschaftsinteresse an der Erhaltung des Rechtsguts wird im Rahmen der Einwilligung mit dem Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers abgewogen. Vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 97 ff.; LK-StGBRönnau (2006), Vor § 32 Rn. 151 m. w. N. 164  Zum Ganzen LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 150 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S.  87 ff. 165  Die Kollisionslage liegt zwischen tatbestandlichen geschütztem Wert und Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsträgers vor. Die terminologische Unterscheidung dreier Grundmodelle der Einwilligung geht zurück auf Rönnau (2001), S. 29 ff.; vgl. auch LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 149 ff.; Terminologie übernommen bei Fateh-Moghadam (2008), S. 91 ff. Oben B. Fn. 495.

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Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte ist.166 Das kann jedoch nicht überzeugen, da diese Ansicht die Bedeutung von Individualrechtsgütern nicht zutreffend umsetzt. b) Einwilligung als Tatbestandsausschlussgrund aa) Tatbestandsausschluss nach der sog. Einheitslösung Eine beständig an Bedeutung gewinnende Ansicht, die vor allem in der jüngeren Literatur zunehmend thematisiert und vertreten wird, ist die sog. Einheitslösung.167 Sie hält die Unterscheidung zwischen Einwilligung und Einverständnis für entbehrlich und bestreitet deren unterschiedliche Voraussetzungen.168 Diese Ansicht nimmt schon einen Tatbestandsausschluss durch die wirksame Einwilligung an. Denn sie geht zutreffend von der Prämisse aus, dass das Strafrecht zuvorderst Rechtsgüterschutz ist und die Bedeutung der Individualrechtsgüter nach der liberalen Rechtsgutslehre vor allem in der Freiheitsbetätigung und Entfaltung des Rechtsgutsträgers liegt; dann kann ein Handeln nach dem Willen des Rechtsgutsträgers keine Rechtsgutsverletzung darstellen und keinen Straftatbestand erfüllen.169 Zwar ist ein Eingriff in die Substanz des Körpers, also des geschützten Tatobjekts, gegeben. Dieser wird aber nicht als Rechtsgutsverletzung gewertet; vielmehr nimmt der Täter bzw. der Arzt aufgrund der Einwilligung gerade die körperbezogenen Interessen des Patienten wahr.170 Es fehlt deshalb von vorne­ herein am tatbestandlichen Erfolgsunwert und konsequent auch am Inten­ tionsunwert.171 Danach kommt der Strafrechtsordnung auch keine „Vernunfthoheit“ zu, nach der ein Verhalten des Rechtsgutsträgers bewertet wird.172 Dieses sog. Integrationsmodell der Einwilligung173 rührt damit von einem liberalen Rechtsgutsverständnis her und ist individualistischer Ansatz mit 166  So auch Fateh-Moghadam (2008), S. 97  ff.; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 150. 167  Schroth (2007a), S. 124. Terminologie nach LK-StGB-Hirsch (2005), Vor § 32 Rn. 97. 168  Überzeugende Begründung dieser Ansicht bei Roxin (2006) § 13 Rn. 2  ff.; Roxin (2009), S. 270 ff. 169  Roxin (2006), § 13 Rn. 12 ff.; Schroth (2007a), S. 125 ff.; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 148, 152, 156 m. w. N.; Tag (2000), S. 440; Fateh-Moghadam (2008), S.  34 ff., 44 m. w. N. 170  Schroth (2010a), S. 31; Roxin (2006), § 13 Rn. 12. 171  Schroth (2007a), S. 125. 172  Roxin (2006), § 13 Rn. 21. 173  Terminologie nach Rönnau (2001), oben B. Fn. 495.



III. Grundlagen der Einwilligung163

einem funktionalen Verständnis der Individualrechtsgüter.174 Verfügungsfreiheit und Rechtsgut werden dabei zu einer Einheit verknüpft, Prämisse ist die oben dargestellte und hier geteilte Rechtsgutskonzeption, die auch die körperbezogene Dispositionsfreiheit unter das Rechtsgut der Körperverlet­ zungsdelikte fasst. Ganz ähnliche Ergebnisse erzielt die als Basismodell bezeichnete Einwilligungstheorie Rönnaus,175 die davon ausgeht, dass Individualrechtsgüter geschützt werden, weil sie die Basis für die personale Entfaltung des Einzelnen sind.176 Das Integrationsmodell überzeugt weiter, weil im Hintergrund dieses Verständnisses der Einwilligung die zutreffende Erwägung steht, dass die erforderlichen Merkmale eines Rechtfertigungsgrundes bei der Einwilligung nicht vorliegen. Denn eine Kollision irgendwie gelagerter Interessen entfällt bei der Einwilligung. Der für Rechtfertigungsgründe typische Interessenkonflikt zwischen Handelndem und Verletztem bzw. die Frage nach der Erforderlichkeit der Tat fehlen.177 Auch ein Vergleich mit der strafrechtlichen Bewertung eigenen Handelns des Rechtsgutsträgers begründet eine schon tatbestandsausschließende Wirkung der Einwilligung. Denn die Tatsache, dass jemand sich etwa in einer Konstellation eine Insulin-Spritze – tatbestandslos – selbst setzt und in einer anderen Konstellation aus persönlichen Gründen seine Lebensgefährtin oder einen Arzt bittet, dies zu tun, kann unter strafrechtlichen Gesichtspunkten im Ergebnis nicht zu einer unterschiedlichen Bewertung dahingehend führen, dass eine Körperverletzung einmal entfällt und einmal vorliegt. Beide Vorgänge beruhen auf dem autonomen Willen des Rechtsguts­ trägers, sind Ausdruck der Umsetzung seiner körper- und wertbezogenen Interessen und haben keine verschiedene soziale Bedeutung.178 Strafrechtsdogmatisch wird die Einwilligung von den Vertretern des Integrationsmodells zumeist als negatives Tatbestandsmerkmal qualifiziert,179 174  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 154; Schroth (2007a), S. 125; FatehMoghadam (2008), S. 89. 175  Rönnau (2001), S. 453; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 156; Rönnau (2002a), S. 598. 176  Zur Kritik am Basismodell Rönnaus vgl. Roxin (2009), S. 281  ff.; FatehMoghadam (2008), S. 94 f. Das Basismodell von Rönnau unterscheidet sich insofern vom Integrationsmodell Roxins, als der strafrechtliche Schutz von Rechtsgütern bei vorübergehend handlungsunfähigen Personen mit der Möglichkeit begründet wird, nach Ablauf der ohne bzw. mit getrübtem Bewusstsein verbrachten Phase weiterhin ihre Güter willkürlich einsetzen zu können, vgl. Rönnau (2001), S. 101. 177  Zum Ganzen Roxin (2006), § 13 Rn. 22 f.; Schroth (2007a), S. 126. 178  Zum Ganzen überzeugend Roxin (2009), S. 270 ff. 179  Vgl. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 54. So Göbel (1992), S. 71; Schroth (2010d), S. 91. Insg. zur umstr. gebliebenen Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen vgl. Roxin (2006), § 10 Rn. 13 ff. m. zahlr. w. N.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

zum Teil aber auch über eine Verschiebung der Risikozuständigkeit gelöst bzw. ein Ausschluss der objektiven Zurechnung angenommen.180 Letztere Ansicht überzeugt insoweit, als auch die Konstellationen der einverständlichen Fremdgefährdung und die Mitwirkung bei der vorsätzlichen Selbstgefährdung als Fallgruppen des Ausschlusses der objektiven Zurechnung anerkannt sind. Dieses Ergebnis muss auch gelten, wenn der Rechtsgutsträger in die Verletzung seiner Rechtsgüter bewusst einwilligt.181 bb) Nochmals zum Ansatz von Kargl An dieser Stelle ist auf den ausführlich dargestellten Ansatz von Kargl182 zurückzukommen, der hinsichtlich seiner Analyse des Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte geteilt wurde. Bei der Frage der straftatsystematischen Einordnung der Einwilligung geht Kargls nur von deren rechtfertigenden Wirkung aus. Eine tatbestandsausschließende Wirkung komme nach seinem Rechtsgutsverständnis nicht in Frage, weil in der Verletzung des Handlungs­ objekts Körper ein Normwiderspruch liege, der über die Einordnung als tatbestandsmäßig zu Tage treten müsse. Ansonsten wäre Schutzgut letztlich der rein subjektive Wille des Betroffenen. Über das im Rechtsgut verankerte Interesse solle der Einzelne nicht disponieren können; denn mit dem Tatbestand würde ein allgemeiner Achtungsanspruch formuliert, dem auch Appellfunktion zukomme.183 Kargl eröffnet damit m. E. einen Wertungswiderspruch in seinem Ansatz. Er entfaltet eine personale Rechtsgutslehre,184 beurteilt dann aber Fehlen oder Vorliegen eines Normverstoßes aufgrund von objektiven bzw. Allgemeininteressen. Geht man von einer auf das Individuum bezogenen Rechtsgutslehre aus, dann gibt es, wenn ein Eingriff im Interesse und auf Wunsch des Verletzten geschieht, gerade keine Rechtsgutsverletzung. Ebensowenig liegt ein Normwiderspruch im Sinne eines Verhaltens vor, das der Gesetzgeber ausschließen wollte und das der Staat möglicherweise ahnden muss. Vielmehr liegt eine einverständliche Fremd„schädigung“ vor, die aber den Interessen des Einwilligenden entspricht und ihm bei der eigenen Entfaltung hilft. Die abgetrennte Bewertung der als solche tatsächlich vorliegen180  Roxin (2009), S. 274; Kindhäuser (2013), § 12 Rn. 4  ff.; Fateh-Moghadam (2008), S.  88 m. w. N. 181  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 88. Denn mit der Einwilligung übernimmt der Rechtsgutsträger das Risiko des erfolgsverursachenden Geschehens. 182  Oben B.IV.2.b)bb). 183  Zum Ganzen Kargl (2001), S. 553. 184  Vgl. v. a. Kargl (2001), S. 551.



III. Grundlagen der Einwilligung165

den Beeinträchtigung des Handlungsobjekts Körper bricht aus dem sonst liberal-individuell ausgerichteten Rechtsgutskonzept Kargls aus. c) Zwischenergebnis Im Hinblick auf die oben erarbeiteten verfassungsrechtlichen Grundlagen der Einwilligung, wonach eine Verankerung der Patientenautonomie sowohl in ihrer Abwehr- als auch in ihrer Entfaltungsfunktion in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG angenommen worden ist und der hier vertretenen liberal-individua­ listischen Rechtsgutstheorie ergibt sich also die zentrale Konsequenz, dass die wirksame Einwilligung in eine Körperverletzung schon die Tatbestands­ verwirklichung ausschließt. Nach dem Integrationsmodell der Einwilligung kann sie nicht erst Rechtfertigungsgrund sein, weil die Zustimmung des Rechtsgutsinhabers Ausdruck des Gebrauchs seiner durch das Strafrecht garantierten freien persönlichen Entfaltung ist, zu der er sich eines Dritten bedient und ein Erfolgs- oder Handlungsunwert bzw. eine Rechtsgutsverletzung damit gar nicht vorliegen.185 3. Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung Über die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung besteht im Strafrecht im Ergebnis wieder weitestgehende Übereinstimmung. Nach der Ansicht insbesondere der Vertreter der Einheitslösung sind sie unabhängig von der straftatsystematischen Einordnung der Einwilligung aus Struktur und Normzweck des jeweiligen Tatbestands abzuleiten.186 Im Einzelnen werden die Voraussetzungen aber nicht immer einheitlich interpretiert. Vor allem im Bereich der Beachtlichkeit von Willensmängeln, aber auch bei der Einwilligungsfähigkeit werden kontroverse Positionen bezogen. Berücksichtigt man Natur, Funktion und Wirkweise der Einwilligung, ergeben sich neben den grundlegenden Anforderungen zwei verschiedene Stränge von Wirksamkeitsvoraussetzungen.187 Zum einen gibt es solche Kriterien, die unabhängig von der Person des Einwilligenden erfüllt sein müssen. Dabei handelt es sich um objektive Einwilligungssperren, die die Ausübung der Verfügungsfreiheit allgemein begrenzen. Zum anderen ist die 185  Roxin

(2006), § 13 Rn. 19 ff.; Schroth (2007a), S. 125 f. (2006), Vor § 32 Rn. 157a; Roxin (2006), § 13 Rn. 32; Schroth (2010a), S. 32. Vgl. oben C.III.2. 187  Bei vielen einschlägigen Darstellungen zur Einwilligung werden deren Wirksamkeitsvoraussetzungen ohne diese Unterscheidung aufgereiht. Das wird der Natur der Einwilligung nicht gerecht. 186  LK-StGB-Rönnau

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

Einwilligung zentral Ausdruck ausgeübter Selbstbestimmung. Deshalb darf die Einwilligung auch nicht an subjektiven Fehlern leiden, die in der Person des Einwilligenden gründen und dessen Fähigkeit zu autonomer Entscheidung beeinträchtigen. Solche Mängel werden bei der Einwilligungsfähigkeit und der Freiwilligkeit, also der Beachtlichkeit von Willensmängeln diskutiert.188 Desweiteren lässt sich aus der Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB nach der hier vertretenen Ansicht eine subjektiv zu interpretierende Wirksamkeitsgrenze der Einwilligung herleiten. Die Voraussetzungen der Einwilligung sollen hier überblicksartig als Fundament und Struktur für die sich anschließende Untersuchung der Auswirkung des Fehlens der medizinischen Indikation herausgearbeitet werden; die nähere Diskussion der für die vorliegende Untersuchung entscheidenden Bereiche erfolgt in § 4. a) Grundlegende Voraussetzungen Die grundlegenden Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung betreffen Aspekte, die aus den zentralen Anforderungen des Strafrechts resultieren. aa) Tatsächlicher Anknüpfungspunkt Anknüpfungspunkt ist zuerst das Vorliegen eines tatsächlichen Sachver­ halts, der als Einwilligung interpretiert werden kann.189 Welcher tatsächliche Vorgang dabei rechtliche Bedeutung erlangen soll, ist umstritten.190 Nach überwiegender Ansicht ist mit der sog. Willenskundgabetheorie bzw. vermittelnden Theorie zu fordern, dass ein irgendwie geartetes Nachaußentreten des Willens des Rechtsgutsträgers vorliegen muss.191 Begründet wird diese 188  Zum Ganzen LK-StGB-Rönnau (2006), Vor §  32 Rn. 187, 191; Rönnau (2002b), S. 666 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 90, 185. 189  Rönnau (2002b), S. 666. 190  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 161. 191  Vgl. zum Ganzen Roxin (2006), §  13 Rn. 71  ff. m.  w.  N. Nach der sog. Rechtsgeschäfts- oder strengen Willenserklärungstheorie, die in der heutigen Strafrechtslehre nicht mehr vertreten wird, war eine ausdrückliche Willenserklärung und deren Zugang beim Täter erforderlich, die erst dann zu einem Widerrufsrecht führen sollte, so v. a. Zitelmann (1906), S. 1, 56. Nach der sog. Willensrichtungstheorie, die heute von einigen Autoren in der Lit. vertreten wird, genügt es schon, dass der Einwilligende dem Eingriff innerlich zustimmt; diese Ansicht wird damit begründet, dass ein rein innerer Wille dem materiellen Grundgedanken der Einwilligung, wonach diese Instrument zur Freiheitsbetätigung ist, in ausreichender Weise



III. Grundlagen der Einwilligung167

Ansicht mit dem zutreffenden Argument, dass das nicht nur aus Gründen der Beweisbarkeit zu fordern sei, sondern dass das bloße Vorliegen eines innerlichen Gedankens nicht zur Anknüpfung der Rechtsfolge der Strafbarkeit bzw. Straflosigkeit geeignet sei.192 Für den Bereich ärztlicher Eingriffe gilt daher ebenso wie allgemein, dass zumindest ein schlüssiges Verhalten des Patienten vorliegen muss, das Ausdruck der Übereinstimmung mit der ärztlichen Maßnahme und „mehr als ein bloßes Hinnehmen und ein bloßes Geschehenlassen“193 des Eingriffs ist. Die Einwilligung muss dabei nach allgemeinen Grundsätzen nicht gegenüber dem handelnden Arzt erklärt werden, um wirksam zu sein. Handelt der Arzt in Unkenntnis des Vorliegens einer Einwilligung, kommt es zur Strafbarkeit aufgrund untauglichen Versuchs.194 Gegenstand der Einwilligung sind nach herrschender Ansicht tatbestandsmäßige Handlung und Erfolg.195 bb) Form Eine bestimmte Form der Einwilligung ist grundsätzlich keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Sie kann schriftlich oder mündlich, ausdrücklich oder konkludent erklärt werden.196 Wenn im Bereich ärztlicher Eingriffe und vor allem in der klinischen Praxis vielfach mit Aufklärungsformularen gearbeitet wird, geschieht dies aus Gründen der Beweissicherung, ist aber kein Wirksamkeitserfordernis für die Einwilligung. Etwas anderes gilt nur im Bereich spezialgesetzlicher Regelungen, die für bestimmte nicht indizierte Eingriffe ausdrücklich Schriftform bzw. Niederschrift und Unterzeichnung der Einwilligungserklärung fordern.197 Die Einwilligung in ärztliche Heileingriffe ist damit eine der praktisch wichtigsten Fallgruppen der konkludenten Einwilligung.198

gerecht wird. So Rönnau (2002b), S. 666; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 162. 192  Roxin (2006), § 13 Rn. 73. 193  RGSt 68, 307. 194  Roxin (2006), § 13 Rn. 75. 195  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 164. 196  Roxin (2006), § 13 Rn. 74 ff. Vgl. auch § 630e II S. 1 Nr. 1 BGB. 197  §  8 Abs.  2 S.  4 TPG für die Einwilligung in die Lebendorganspende; § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3b AMG für die Einwilligung in Behandlungen zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln. 198  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 163.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

cc) Zeitpunkt Die Einwilligung muss vor der Tat erklärt worden sein, spätestens aber zum Zeitpunkt des Beginns der Tat vorliegen.199 Eine Zustimmung, die nach Abschluss der gefährdenden Handlung oder der Körperverletzung erteilt wird, genügt nicht.200 Dieser Unterschied zum Zivilrecht, wo auch nachträgliche Genehmigungen Wirkung entfalten,201 erklärt sich aus Funktion und Charakter des Strafrechts. Verhaltensnormen müssen immer ex ante formuliert und zu verstehen sein. Die Einwilligung des Patienten in einen ärzt­ lichen Eingriff muss deshalb stets vor dem Beginn der Behandlung durch den Arzt vorliegen. Gerade bei nicht indizierten Eingriffen gewinnt diese Voraussetzung Bedeutung, da dem Patienten genügend Zeit zum Abwägen von (ästhetischen, fremdnützigen, praktischen) Vorteilen gegenüber den Risiken und insbesondere dem fehlenden gesundheitlichen Nutzen gegeben werden muss. dd) Kein Widerruf Aus demselben Grund ist ein Widerruf als actus contrarius jederzeit bis zur Vollendung der Tat und ohne weitere Bedingungen wie einer Begründung möglich.202 Erforderlich ist lediglich eine Widerrufsfähigkeit, die strukturell der Einwilligungsfähigkeit entspricht. Desweiteren muss auch der Widerruf nicht nur innerlich gefasst sein, sondern nach außen treten.203 b) Objektive Wirksamkeitsgrenzen aa) Verfügungsbefugnis Zentrale objektive Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung ist zunächst die Verfügungsbefugnis des Einwilligenden über das preisgegebene Rechtsgut und dessen Disponibilität. Disponibel sind alle Individualrechts­ güter,204 die der Gesetzgeber um der Möglichkeit der freien personalen 199  LK-StGB-Rönnau

(2006), Vor § 32 Rn. 171. Vgl. § 630d I S. 1 BGB. 17, 359, 360; LK-StGB-Hirsch (2005), § 223 Rn. 3. 201  Im Zivilrecht ist eine Zustimmung gem. §§ 182 ff. BGB über eine vorhergehende Einwilligung oder eine nachträgliche Genehmigung möglich, hierzu Palandt (2014), BGB, § 184 Rn. 2. 202  Vgl. § 630d III BGB und hierzu Palandt (2014), BGB, § 630d Rn. 2. 203  Zum Ganzen LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 173. Zu den diskutierten Fallgruppen, bei denen ein Widerruf ausscheiden soll, Rn. 174. 204  In die Verletzung von Rechtsgütern der Allgemeinheit kann nicht eingewilligt werden, vgl. für viele Rönnau (2002b), S. 667. 200  BGHSt



III. Grundlagen der Einwilligung169

Entfaltung des Einzelnen willen schützt.205 Bei den Körperverletzungsdelikten steht die prinzipielle Dispositionsbefugnis des Verletzten bzw. Patienten fest. Die Verfügungsbefugnis des Einwilligenden leitet sich aus dessen Rechtsgutsträgerschaft ab. Darüber hinaus kommen aber auch Stellvertreter im Willen aufgrund gesetzlicher oder gewillkürter Stellvertretung in Betracht, wenn der Rechtsgutsinhaber mangels Einwilligungsfähigkeit nicht selbst entscheiden kann.206 Im Bereich des Arztstrafrechts ist die stellvertretende Einwilligung bei der Behandlung minderjähriger und einwilligungsunfähiger erwachsener, insbesondere psychisch kranker und betreuter Patienten von großer praktischer Bedeutung. bb) § 216 und § 228 StGB Die grundsätzlich vorhandene Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsträgers wird im Bereich der Körperverletzungsdelikte weiter durch die Vorschriften der §§ 216, 228 StGB beschränkt.207 Das Verbot der Tötung auf Verlangen gem. § 216 StGB208 zeigt die äußerste Grenze auf, innerhalb derer eine Einwilligung in eine Gefährdung oder Verletzung des Körpers möglich ist. Die Vornahme eines kosmetischen Eingriffs, der bei vorausschauender Betrachtung den Tod des Patienten zur Folge haben würde, ist nach dieser Vorschrift auch dann nicht straflos, wenn der Patient den Eingriff ausdrücklich und ernstlich verlangt209 hat, sondern bleibt ein strafbares Tötungsdelikt.210 § 216 StGB normiert damit eine absolute Einwilligungssperre.211 Im Bereich der Heileingriffe ist die Einwilligung in eine lebensgefährliche Behandlung jedoch nicht ohne weiteres unbeachtlich: die Einwilligung des Patienten kann trotz des Verbots der Tötung auf Verlangen wirksam sein, 205  Amelung / Eymann

(2001), S. 939; Rönnau (2002b), S. 667. Ganzen LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 176, 178 f. 207  Amelung / Eymann (2001), S. 940. Verfassungsrechtlich begründen sich diese Einschränkungen aus Art. 2 Abs. 1 GG, der dem Einzelnen die Entfaltung der Handlungsfreiheit mit der Schrankentrias nur bis zur Grenze der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz garantiert, vgl. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 187. 208  Legitimation und Begründung der Norm werden nicht einheitlich gesehen. Überwiegend geht man jedoch davon aus, dass § 216 StGB aus generalpräventiven Gründen ein absolutes Tötungstabu bezweckt, vgl. Amelung / Eymann (2001), S. 940 m. w. N.; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 188. 209  Ein ernstliches und ausdrückliches Verlangen im Sinne dieser Vorschrift ist ein eindeutiges, von freiem Willen getragenes und zielbewusstes Einwirken auf den Willen des Täters durch das Opfer, vgl. Lackner / Kühl (2014), StGB, § 216 Rn. 2. 210  Zur Lebendorganspende vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 108. 211  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 188. 206  Zum

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

etwa im Bereich der Palliativmedizin, des Heilversuchs212 oder wenn es sich bei dem Eingriff sonst um die letzte Möglichkeit zur Rettung eines Patientenlebens handelt.213 Auch in den Fällen der Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB nimmt der Gesetzgeber ausnahmsweise der Einwilligung in eine Fremdverletzung die strafbefreiende Wirkung. Die Körperverletzung ist rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Die Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB weist damit eine relative Einwilligungssperre214 für die Einwilligung des Patienten in nicht indizierte ärztliche Eingriffe auf. Dabei ist der Begriff der Sittenwidrigkeit sowohl hinsichtlich Anknüpfungspunkt als auch Beurteilungsmaßstab umstritten;215 von einer nicht geringen Zahl von Autoren wird gar die Verfassungskonformität der Vorschrift bezweifelt bzw. verneint.216 Hinsichtlich des Anknüpfungspunktes für das Sittenwidrigkeitsurteil ist nach der herrschenden Meinung maßgeblich auf die Tat selbst und nicht auf die Einwilligung abzustellen.217 Es ist dann vor allem die Auslegung des Begriffs der guten Sitten, der ganz unterschiedliche, sogleich zu diskutierende218 Ansätze in Rechtsprechung und Literatur hervorgebracht hat, auch wenn in der letzten Zeit eine starke Tendenz zur restriktiven Anwendung des § 228 StGB erkennbar wird.219 c) Subjektive Wirksamkeitsgrenzen Die Funktion der Einwilligung ist es, dem Rechtsgutsträger die Befugnis zu verleihen, über seine individuellen Rechtsgüter entsprechend seiner Interessen, Zwecksetzungen und Wertvorstellungen zu verfügen und dabei auf den vom Gesetzgeber an sich garantierten Schutz dieser Rechtsgüter zu verzichten.220 Die Einwilligung in die Verletzung oder Gefährdung eines 212  Dazu

Oswald (2010b), S. 689. Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 45 a. E. 214  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 190. 215  Ausführliche Darstellung bei Roxin (2006), § 13 Rn. 70 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 108 ff.; Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 8. 216  Sternberg-Lieben (2001), S. 121 ff. Vgl. auch LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 2 m. w. N. Diese Autoren sehen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot durch § 228 StGB verletzt; vgl. die Darstellung bei Fateh-Moghadam (2008), S.  109 ff. 217  BGHSt 4, 88, 91; Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 8 m. w. N. 218  Unten D.I.2.b). 219  Fateh-Moghadam (2008), S. 109; Frisch (1999), S. 498. Vgl. neben den Tendenzen in der Lit. vor allem die neuere Rspr. des BGH, NJW 2004, 1054; NJW 2004, 2458 ff. 220  Schroth (2007a), S. 123, 126. 213  Vgl.



III. Grundlagen der Einwilligung171

individuellen Rechtsguts ist als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts deshalb nur wirksam, wenn sie sich als autonome Entscheidung darstellt. Sie darf nicht an Fehlern leiden, die in der Person des Einwilligenden gründen und dessen Freiheit beeinträchtigen, Rechtsgüter nach seinen eigenen Werten und Zwecksetzungen preiszugeben.221 Solche subjektiven Mängel können bei der Einwilligungsfähigkeit und bei der Freiwilligkeit als Fehlen beachtlicher Willensmängeln auftreten.222 aa) Einwilligungsfähigkeit Zur Wirksamkeit der Einwilligung ist die Einwilligungsfähigkeit des Rechtsgutsträgers erforderlich. Einwilligungsfähig ist nach der ständigen Rechtsprechung und der herrschenden Literatur, wer einsichts- und urteilsfähig ist, nach seiner individuellen geistigen und sittlichen Reife also Bedeutung und Tragweite des konsentierten konkreten Eingriffs zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen vermag.223 Bei Einwilligungsunfähigen ist Stellvertretung bei der Einwilligung möglich.224 bb) Freiwilligkeit – Fehlen von Willensmängeln Weiter ist anerkannt, dass die Freiwilligkeit der Einwilligung erforderlich ist, die Einwilligung also beim Vorliegen beachtlicher Willensmängel unwirksam ist. Nach der herrschenden Lehre machen (rechtsgutsbezogener) Irrtum und Täuschung, Drohung und Zwang die Einwilligung unwirksam.225 Ein Unterfall des Irrtums ist der Willensmangel aufgrund verletzter Aufklä­ rungspflicht. Die ärztliche Aufklärung dient der Ausübung der Patientenautonomie und ist notwendige Basis einer autonomen Willensentscheidung.226 Eine freie Einwilligungsentscheidung des Patienten ist überhaupt nur möglich, wenn er die für seine Entscheidung bedeutsamen Umstände kennt. Konsequent folgt hieraus die Aufklärungspflicht des Arztes vor medizinischen Eingriffen.227

221  Zum

Ganzen LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 191. (2006), Vor § 32 Rn. 191 ff. 223  Roxin (2006), § 13 Rn. 84 ff. 224  Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 6. 225  Dazu ausführlich m. w. N. unten D.II.5. 226  BVerfGE 52, 171, 176  f. (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger); Laufs / Kern-Laufs (2010), § 57 Rn. 15 f.; § 59 Rn. 1; Bockelmann (1961), S. 945. 227  Zum Ganzen Schroth (2007a), S. 127. 222  LK-StGB-Rönnau

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

IV. Mutmaßliche Einwilligungund nicht indizierte ärztliche Eingriffe Während die systematische Einordnung der Einwilligung umstritten ist, ist die mutmaßliche Einwilligung nach übereinstimmender Ansicht Rechtfertigungsgrund.228 Dabei ist sie ein normatives Konstrukt, das den hypothetischen, aus ex ante-Sicht festgestellten, subjektiven Willen des Rechtsgutsträgers229 zur Rechtfertigung genügen lässt, wenn sein wahrer Wille in der konkreten (Behandlungs-)Situation vom Arzt nicht rechtzeitig ermittelt werden kann. Im Verhältnis zur tatsächlichen Einwilligung zeichnet sich die mutmaßliche Einwilligung durch ihre strenge Subsidiarität aus. Vorrangig ist immer der wahre Wille des Betroffenen zu erforschen. Nur, wenn eine tatsächliche Einwilligung nicht einholbar ist, kann die ärztliche Maßnahme über eine mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt werden.230 Wenn der Wille des Patienten tatsächlich (noch) eingeholt werden kann, ist es unzulässig, das Risiko einzugehen, dass der wahre Willen des Patienten missachtet wird.231 Die hier untersuchten medizinisch nicht indizierten Eingriffe zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie weder zeitlich noch insgesamt dringlich, sondern immer aufschiebbar sind und medizinisch überhaupt nicht vorgenommen werden müssen. Der Patient wird vielmehr dem Arzt seinen Wunsch in aller Regel initiativ vortragen und kann immer zum Eingriff befragt und aufgeklärt werden. Eine tatsächliche Einwilligung ist real also immer einholbar. Bei nicht indizierten Eingriffen kommt eine Rechtfertigung über die mutmaßliche Einwilligung deshalb von vorneherein nicht in Betracht. Patienten, die etwa eine Gefälligkeitssterilisation wünschen, eine Wunschsectio der natürlichen Geburt vorziehen oder ein Organ spenden möchten, teilen dem Arzt ihren Willen mit; der Arzt plant daraufhin den 228  Unstr., gewohnheitsrechtlich anerkanntes Institut zwischen Einwilligung und rechtfertigendem Notstand, vgl. BGHSt 16, 309, 312; Roxin (2006), § 18 Rn. 3, 4; so Fischer (2014), StGB, Vor § 32 Rn. 4. 229  Maßgeblich sind weder die Sicht des Arztes noch Erwägungen von einem objektiv vernünftigen Standpunkt aus, sondern der mutmaßliche Patientenwille, der sich aus den persönlichen Umständen des Betroffenen, aus seinen individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen ergeben muss, vgl. BGH, MedR 1988, 248. 230  Vgl. Fischer (2014), StGB, Vor § 32 Rn. 4. Wichtige Fallgruppen der mutmaßlichen Einwilligung im medizinischen Bereich sind vital indizierte, dringliche Operationen nicht Einwilligungsfähiger, etwa die Operation eines bewusstlosen Unfallopfers sowie die Fälle des mangelnden Interesses bei nur geringfügigen Beeinträchtigungen (umstr.), Ulsenheimer (2008), Rn. 100; Roxin (2006), § 18 Rn. 10 ff. 231  Vgl. Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 69.



V. Hypothetische Einwilligung 173

medizinischen Eingriff. Bei reinen Schönheitsoperationen scheidet eine Legitimation des Arztes über mutmaßliche Einwilligung ebenfalls aus.

V. Hypothetische Einwilligung u  nd nicht indizierte ärztliche Eingriffe Die aus dem Zivilrecht232 stammende und in das Arztstrafrecht233 übernommene hypothetische Einwilligung234 wird im Strafrecht kontrovers diskutiert.235 Eine erhebliche Anzahl von Autoren lehnt die hypothetische Einwilligung für das Strafrecht ganz ab,236 da das spezifisch zivilrechtliche und sich insbesondere auf zivilprozessuale Beweislastregeln stützende Institut nicht in der Dogmatik des Strafrechts verankert werden könne.237 Unter den Befürwortern ist schon die strafrechtsdogmatische Einordnung umstritten. Teils wird ein Ausschluss der objektiven Zurechnung angenommen;238 die Rechtsprechung geht nun von einem Rechtfertigungsgrund aus.239 Zutreffend ist die hypothetische Einwilligung ein Anwendungsbereich der Lehre von der objektiven Zurechnung.240 Denn in den Fällen der hypothetischen Einwilligung fehlt es am Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der Aufklärungspflichtverletzung des Arztes und dem tatbestandsmäßigen Erfolg, da eine Einwilligung des Patienten auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erteilt worden wäre; das Gleiche gilt, wenn sich ein Risiko reali232  Im zivilrechtlichen Arzthaftungsprozess kann der auf Schadensersatz in Anspruch genommene Arzt mit der hypothetischen Einwilligung den Einwand geltend machen, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte und sich damit auf pflichtgemäßes Alternativverhalten berufen. 233  Zur Diskussion der Übertragbarkeit auf andere strafrechtliche Bereiche vgl. Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 32 m.  w.  N.; MK-StGB-Joecks (2012), § 223 Rn. 106. 234  Grundlegend zum Institut der hypothetischen Einwilligung im Strafrecht Kuhlen (2001), S. 331 ff. 235  Wessels / Beulke (2013), Rn. 384a. Ausführlich Roxin (2006), § 13 Rn. 119 ff., 133 m. w. N. 236  NK-StGB-Paeffgen (2013), Vor §§ 32 Rn. 168a; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 40e m. w. N.; Puppe (2003), S. 765 ff. und Puppe (2004), S. 470 ff.; MKStGB-Joecks (2012), § 223 Rn. 113. Vgl. Wessels / Beulke (2013), Rn. 384a m. w. N. 237  MK-StGB-Joecks (2012), § 223 Rn. 107, 113. 238  Roxin (2006), § 13 Rn. 120 ff.; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 230. Zur dogmatischen Begründung Kuhlen (2001), S. 331 ff. und Kuhlen (2004), S. 227. Vgl. auch Mitsch (2005), S. 279 ff., 285. 239  BGH, NStZ-RR 2007, 340; BGH, StrV 2004, 377; vgl. auch BGH, MedR 2008, 87 ff., 89. Vgl. Ulsenheimer (1996), S. 133. So auch Ulsenheimer (2008), Rn. 132a. 240  Roxin (2006), § 13 Rn. 120.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

siert, das nicht dem Schutzbereich der verletzten Aufklärungspflicht unterfallen wäre.241 Weil sich das vom Arzt gesetzte unerlaubte Risiko nicht verwirklicht hat, wird der tatbestandsmäßige Erfolg dem Arzt aufgrund des fehlenden Erfolgsunwerts dann nicht zugerechnet. Auch wenn die grundsätzliche Geltung dieses in Rechtsfortbildung entwickelten Instituts im Strafrecht mittlerweile überwiegend anerkannt ist,242 ist seine Anwendung bei nicht indizierten Eingriffen problematisch. Die besondere Problemkonstellation liegt im Bereich medizinisch nicht notwendiger Eingriffe darin, dass die Aufklärungslast nach der herrschenden Ansicht mit Hinweis auf die mangelnde medizinische Notwendigkeit und die daraus resultierende Risikolage ohne gegenüberstehenden gesundheitlichen Nutzen ohnehin erhöht ist, um das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinreichend abzusichern, so dass eine Aufklärungspflichtverletzung schwer wiegt. Zudem entfällt der Gesichtspunkt, dass das Vorliegen einer medizinischen Indikation für einen ärztlichen Eingriff doch immerhin Anhaltspunkt für die Ermittlung des – subjektiven – Willens des Patienten sein kann, auch bei nicht hinreichender Aufklärung in den dann möglicherweise nicht zu umgehenden Eingriff einzuwilligen.243 Wie bei notwendigen Heilbehandlungen und ohnehin bei der Prüfung einer hypothetischen Einwilligung ist bei einem medizinisch gar nicht notwendigen Eingriff das Erfordernis zu beachten, die autonome Patientenentscheidung zu gewährleisten. Die zum Teil geäußerten Zweifel gewinnen hier deshalb besonderes Gewicht. Aus der Literatur wird als grundsätzlicher Einwand gegen die hypothetische Einwilligung zu bedenken gegeben, dass die Frage, wie sich der Patient bei ordentlicher Aufklärung verhalten hätte, nicht sicher zu beantworten ist.244 Eingewandt wird weiter: „Geht man mit der Auffassung von der Untrennbarkeit von körperlicher Integrität und der Befugnis, darüber zu verfügen, aus, so steht der Zulässigkeit der Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten entscheidend der Schutzzweck der ärztlichen Aufklärungspflicht entgegen, nämlich die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten.“245 241  Roxin

(2006), § 13 Rn. 120 ff. durch die Rspr., BGH, NStZ 1996, 34 f. („Surgibone“-Dübel-Fall); BGH, JZ 2004, 799 f. (Bandscheiben-Fall); BGH, JR 2004, 469 f. (Bohrerspitzen-Fall); BGH, NStZ-RR 2007, 340 ff. (Liposuktions-Fall); BGH, NStZ 2008, 150 (Turboentzug-Fall). Aus der Lit. Roxin (2006), § 13 Rn. 119 ff. m. w. N. 243  Vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 127; für das Zivilrecht Katzenmeier (2002), S. 348. 244  Arzt / Weber / Heinrich (2009), § 6 Rn. 106 f.; Puppe (2003), S. 764. a. A. Roxin (2006), § 13 Rn. 127; NK-StGB-Paeffgen (2013), Vor §§ 32 Rn. 168a. 245  Arzt / Weber / Heinrich (2009), § 6 Rn. 106 f.; da es sich deshalb der Sache nach um eine nachträgliche Genehmigung handele, sei (weiterer dogmatischer Über242  Insb.



V. Hypothetische Einwilligung 175

Dieser Einwand gilt umso mehr bei nicht indizierten Eingriffen, bei denen die Aufklärung im Hinblick auf die Patientenautonomie auch die Funktion einer Kompensation für die fehlende medizinische Notwendigkeit erfüllt. Besonders problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch die Anwendung des in dubio pro reo-Grundsatzes durch die Rechtsprechung.246 Für eine Verurteilung müsse dem Arzt „nachgewiesen“ werden, dass der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung die Einwilligung verweigert hätte.247 Überzeugend ist die Auffassung Roxins, wonach in Übertragung der Risikoerhöhungstheorie der Arzt, der seine Pflichten verletzt und nicht wahrheitsgemäß aufklärt, schon dann strafbar ist, wenn aufgrund belegter sachlicher Anhaltspunkte (nur) die Möglichkeit besteht, dass der Patient im anderen Fall seine Einwilligung verweigert hätte.248 Die Rechtsprechung hält die Annahme einer hypothetischen Einwilligung auch bei der nicht indizierten Schönheitsoperation für möglich.249 Ob der Patient ebenso bei hinreichender Aufklärung eingewilligt hätte, sei aber genauestens zu prüfen. Der Bundesgerichtshof hatte im Jahr 2007 über den Sachverhalt eines nicht indizierten schönheitsoperativen Eingriffs, im konkreten Fall einer tödlich verlaufenen operativen Fettabsaugung zu entscheiden. Der beklagte Arzt hatte zwei Fettabsaugungen vorgenommen, ohne den Patienten vor dem zweiten Eingriff nochmals gesondert aufzuklären.250 Aufgrund erheblicher Behandlungsfehler und einer Durchführung entgegen der lex artis kam es bei der zweiten Operation zu schwersten Komplikationen und letztlich zum Tod des Patienten. „Diese Einwilligung kann aber nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist. Nicht zu beanstanden ist […], dass die Rechtswidrigkeit auch dann entfallen kann, wenn im Falle eines Aufklärungsmangels, wie er hier beim zweiten operativen Eingriff gegeben war, der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die tatsächliche prüfung vorbehalten) allenfalls ein objektiver Strafaufhebungsgrund anzunehmen, Rn. 106g. Ähnlich die Einwände von Puppe (2003), S. 764, wonach mit der Anerkennung einer hypothetischen Einwilligung „ein strafrechtlicher Schutz des Patienten vor unvollständiger Aufklärung nicht nur praktisch, sondern theoretisch ausgeschlossen“ ist. 246  Roxin (2006), § 13 Rn. 123. 247  BGH, NStZ 2012, 205; BGH, JZ 2004, 800; BGH, NStZ 1996, 35. Zur Kritik an der Anwendung des Zweifelssatzes Puppe (2003), S. 764, 768 ff.; NK-StGBPaeffgen (2013), Vor §§ 32 Rn. 168a und § 228 Rn. 86; Roxin (2006), § 13 Rn. 123; Kuhlen (2004), S. 227, 229 f. Vgl. auch Schöch (2010), S. 56 f. 248  Roxin (2006), § 13 Rn. 124 ff. Vgl. dazu Schroth (2010f), S. 132 Fn. 20. 249  Vgl. BGH, StV 2008, 189; OLG Frankfurt, MedR 2006, 294; OLG Oldenburg, VersR 2001, 1382; OLG Celle, NJW 1987, 2305. 250  BGH, StV 2008, 189.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

durchgeführte Operation eingewilligt hätte. […] eine Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff, jedenfalls bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung, [bezieht sich] nur auf eine lege artis, d. h. nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durchgeführte Heilbehandlung. Die Durchführung der zweiten Operation war jedoch von vornherein so angelegt, dass sie nicht dem medizinischen Standard entsprach. [Eine hypothetische Einwilligung dürfte] in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung handelte, die ohnehin erheblich genau­ eren Aufklärungsanforderungen unterliegt, kaum anzunehmen sein.“251

Der Bundesgerichtshof geht in dieser Entscheidung davon aus, dass die Annahme einer hypothetischen Einwilligung bei der nicht indizierten (Schönheits-)Operation grundsätzlich zulässig ist, indes nur in engen Grenzen. Erfasst werden dabei nur Behandlungen, die lege artis durchgeführt werden.252 Zum anderen gibt der Bundesgerichtshof jedenfalls für rein kosmetische Eingriffe vor, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer hypothetischen Einwilligung wegen der erheblichen Anforderungen an die ordnungsgemäße Aufklärung und wegen der maßgeblichen Charakteristik dieser Eingriffe, die weder eilbedürftig noch indiziert sind, sehr hoch sind. Diese engen Grenzen werden auch in zwei neueren Urteilen des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2008253 anlässlich der relativ indizierten Anwendung einer Außenseitermethode im Rahmen eines Heilversuchs und aus dem Jahr 2013254 anlässlich eines Eingriffs mittels einer alternativen Behandlungsmethode („Neulandmethode“) bestätigt. Eine Aufklärung gerade über die Tatsache, dass es sich um eine Außenseitermethode handelte, hat der Bundesgerichtshof vor dem Hintergrund für erforderlich gehalten, dass sich erst aus dieser Aufklärung die unklare Risikolage für den Patienten ergibt.255 Unterbleibt die Aufklärung, ist die Verweigerung der Annahme einer hypothetischen Einwilligung jedenfalls logische Konsequenz.256 Diese Grundsätze sind auf nicht indizierte Eingriffe übertragbar. Zusammenfassend ist eine hypothetische Einwilligung in Fällen nicht indizierter Eingriffe grundsätzlich möglich. Das Institut ist sinnvoll, um den behandelnden Arzt nicht bei jeder Aufklärungspflichtverletzung in eine Strafbarkeit laufen zu lassen. Allerdings sind dabei mit Blick auf mangelnde Indikation und Eilbedürftigkeit des Eingriffs und auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten die genannten, von Rechtsprechung und Teilen der Literatur vorgegebenen engen Grenzen zu beachten. 251  BGH,

NStZ-RR 2007, 340 f. (2013), Vor §§ 32 Rn. 168a. MedR 2008, 87 ff. (zivilrechtliches Urteil). NJW 2013, 1688 f. NJW 2013, 1689. MedR 2008, 87 ff., 89 und Anm. Spickhoff, MedR 2008, 89 f., 90.

252  NK-StGB-Paeffgen 253  BGH, 254  BGH, 255  BGH, 256  BGH,



VI. Exkurs: Rechtliche Bewertung der Schönheitsoperation177

VI. Exkurs: Rechtliche Bewertung der Schönheitsoperation außerhalb des Strafrechts 1. Schönheitsoperation im Zivilrecht Aus zivilrechtlicher Sicht sind Schönheitsoperationen ein vertragsrecht­ licher und deliktsrechtlicher Vorgang. Sie tauchen zum einen als Gegenstand schuldrechtlicher Behandlungsverträge zwischen Arzt und Patient, zum anderen im Rahmen des Arzthaftungsrechts auf.257 Dass Schönheitsoperationen Gegenstand eines medizinischen Behandlungsvertrags258 zwischen Arzt und Patient bzw. gesetzlichem Vertreter des minderjährigen Patienten gem. §§ 104 ff. BGB sein können, ist allgemein anerkannt.259 Auch wenn der Arzt, wie in der MBO-Ä festgelegt, in erster Linie heilend tätig ist, kann nach den Grundsätzen der Privatautonomie ebenso ein Eingriff des Arztes zu Zwecken der Schönheit vereinbart werden.260 Vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes261 am 26. Februar 2013 war die Rechtsnatur des Vertrags über die Vornahme einer Wunschbehandlung, ebenso wie des Vertrags über einen ärztlichen Heileingriff, noch umstritten. Nach Ansicht der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre war er als Dienstvertrag gem. §§ 611 ff. BGB zu qualifizieren;262 dagegen gab es aber zahlreiche Stimmen in der Literatur, die aufgrund der Besonderhei257  Ausführliche Monographie von Lorz (2007). Vgl. Steffen / Pauge (2013), Rn. 1 ff., 12. Eine gesetzliche Regelung hat der medizinische Behandlungsvertrag durch das Patientenrechtegesetz vom 20.02.2013 erfahren, durch das die §§ 630a bis 630h neu in das BGB eingefügt wurden. 258  Nunmehr durch § 630a BGB legaldefiniert. Zum Begriff vgl. Palandt (2014), BGB, Vorb v § 630a Rn. 2. Der Behandlungsvertrag kommt i. d. R. im Rahmen eines sich entwickelnden Prozesses zustande, der in die zwei Phasen der Aufklärung und der Behandlung unterteilt werden kann. Vgl. im Einzelnen auch Lorz (2007), S. 59. 259  Palandt (2014), BGB, Vorb v § 630a Rn. 2, § 630a Rn. 7. Die Anregung zur vertieften Erörterung, ob wunscherfüllende Eingriffe durch den Arzt überhaupt zulässig sein sollen und der Anstoß zu einem Verbot aller nicht indizierten Behandlungen finden sich bei Kern / Richter (2009), S. 135, 143. 260  Palandt (2014), BGB, Vorb v § 630a Rn. 2, 5. 261  Durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (PatientenRG) vom 20.02.2013, in Kraft seit 26.02.2013, BGBl I 2013, 277, wurden die §§ 630a bis 630h in das BGB eingefügt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um kodifizierte Rechtsprechung. Ausführliche Darstellung und Bewertung der Einführung des Behandlungsvertrags bei Katzenmeier (2013), S. 817 ff. Das vorliegende Manuskript wurde im Wesentlichen vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes fertiggestellt. 262  BGHZ 63, 306, 309; OLG Düsseldorf, VersR 2004, 386; OLG Köln, GesR 2002, 85, 86; Palandt (2013), BGB, 72. Auflage, Einf v § 611 Rn. 18. Ausführlich zum Ganzen Lorz (2007), S. 68 ff.

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

ten von Wunscheingriffen Werkvertragsrecht gem. §§ 631 ff. BGB anwenden wollten.263 Der Gesetzgeber hat mit der Einfügung der §§ 630a bis 630h BGB nun Klarheit geschaffen und den medizinischen Behandlungsvertrag als besondere Form des Dienstvertrags eingeordnet264, und zwar ausdrücklich auch den Vertrag über die Vornahme von nicht indizierten, kosmetisch veranlassten Eingriffen.265 Angesichts der Besonderheiten des menschlichen Organismus ist diese Einordnung als Dienstvertrag auch sachgerecht. Denn die Durchführung eines ärztlichen Eingriffs unterscheidet sich auch bei unterschiedlicher Motivationslage des Patienten tatsächlich nicht. In jedem Fall trifft der Arzt auf die gleichen Risiken, die sich durch die körperlichen Unwägbarkeiten jedes einzelnen Patienten ergeben.266 Kommt es bei der Durchführung der Schönheitsoperation zu Behandlungs- oder Aufklärungsfehlern, kann der Patient den Arzt im Zivilprozess auf vertraglicher oder deliktischer Grundlage auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.267 Die für die strafrechtliche Einwilligung aufgezeigten Kriterien sind dabei auch im Arzthaftungsrecht entscheidend. Ein Behandlungsfehler verletzt vertragliche Pflichten des Arztes im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB bzw. begründet eine deliktische Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB.268 Eine rechtswirksame Aufklärung, auch über das Fehlen der Indikation, ist nunmehr geregelt in § 630e BGB und zum einen ebenfalls als Vertragspflicht über § 280 Abs. 1 BGB, zum anderen als Wirksamkeitsvoraussetzung der zivilrechtlichen Einwilligung in die deliktische Körperverletzung gem. § 823 Abs. 1 BGB relevant.269 2. Schönheitsoperation im Recht der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung Eine besondere Rolle spielt die Abgrenzung von ärztlichem Heileingriff und Schönheitsoperation auch im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs 263  So etwa Eberbach (2008a), S. 335, der angesichts des fehlenden gesundheit­ lichen Nutzens für den Patienten und des ‚rein merkantilen‘ Hintergrunds seitens des Arztes eine schärfere Haftung des Arztes anregt. Vgl. aber auch Eberbach (2008b), S. 371. Zur Darstellung der versch. Argumente Kern / Richter (2009), S. 135 ff. m. w. N. 264  In eng umgrenzten Bereichen kommt nach der Gesetzesbegründung nach Einfügung der §§ 630a ff. BGB weiter Werkvetragsrecht zur Anwendung, wenn ein Behandlungs- oder sonstiger medizinischer Erfolg vereinbart wurde, etwa rein technische Leistungen wie die Anfertigung von Prothesen. 265  Vgl. Katzenmeier (2013), S. 818 mit Fn. 15. 266  So auch Kern / Richter (2009), S. 138. 267  Ausführlich Lorz (2007), S. 90 ff. 268  Palandt (2014), BGB, § 630a Rn. 39 f. 269  Ausführlich zum Ganzen Lorz (2007), S. 58 ff.



VI. Exkurs: Rechtliche Bewertung der Schönheitsoperation179

(SGB V) zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Die gesetz­ lichen Krankenkassen sind gegenüber den versicherten Patienten nach §§ 11, 27 Abs. 1 S. 1 SGB V nur dann zur Übernahme von Behandlungskosten eines plastisch-chirurgischen Eingriffs verpflichtet, wenn es sich um eine Krankenbehandlung handelt, wenn der Arzt die Maßnahmen also mit dem Ziel vorgenommen hat, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.270 Ist die betreffende Behandlung also keine Maßnahme der rekonstruktiven oder missbildungsbeseitigenden plastischen Chirurgie, sondern eine willentlich aus rein kosmetischen Gründen veranlasste Schönheitsoperation, definiert als Verschönerung bereits normaler Körperformen, kann der Patient seine Krankenkasse nicht in Anspruch nehmen, sondern muss für die Behandlungskosten selbst aufkommen.271 Das gilt im Weiteren seit einigen Jahre aber auch für etwaig entstandene Folgekosten. Misslingt eine Schönheitsoperation oder werden sonst Folgebehandlungen notwendig, etwa um entstandene Infektionen, Blutungen etc. zu beseitigen, besteht eine für die gesetzlichen Kassen verpflichtende Beschränkung der Leistungspflicht wegen Selbstverschuldens gem. § 52 Abs. 2 SGB V: „Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.“ Der Krankenkasse bleibt hierbei kein Ermessensspielraum. Begründet wurde diese am 01.04.2007 zunächst mit anderem Wortlaut272 in Kraft getretene und in der Folge äußerst umstrittene Regelung273 mit dem Argument, die Solidarge270  Eberbach (2008a), S. 333. Im Sozialrecht hat sich für die Frage, ob eine Kostentragungspflicht besteht oder nicht, eine weitgehend ausdifferenzierte Abgrenzung zwischen indizierten chirurgischen Korrektureingriffen und reinen Schönheitsoperationen herausgebildet. Vgl. ausführlich oben B.I.1.a)cc)(1). Detaillierte Darstellung der Fallgruppen bei Lorz (2007), S. 38 ff. 271  Vgl. hierzu auch Lorz (2007), S. 38 ff. 272  Die ursprüngliche Fassung enthielt ein sehr weit gehendes Selbstverschuldensprinzip durch die Wörter „wie zum Beispiel“. Daran wurde vielfach kritisiert, dass die nur beispielhafte Aufzählung von nicht indizierten Maßnahmen eine exakte Grenzziehung für die Reichweite des Selbstverschuldensprinzips nicht erlaube und auch Bereiche wie Erkrankungen von Rauchern, Übergewichtigen, Extremsportlern, Organtransplantierten etc. enthalten könne. In einem Antrag aus der Fraktion der Bündnis 90 / Die Grünen aus dem Jahr 2008 wurde sogar die völlige Abschaffung der Neuregelung gefordert. Vgl. zum Ganzen Wienke (2009), S. 170 f. 273  Der § 52 Abs. 2 SGB V ist noch immer sehr umstr., vgl. Eberbach (2008a), S. 333; ausführlich Teichner / Schröder (2009), S. 588 ff. und Wienke (2009), S. 170 f., 174, die die Norm für verfassungswidrig halten. Mit § 52 SGB V verbunden ist die Regelung des § 294a Abs. 2 SGB V, der eine Meldepflicht statuiert und oft als

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

meinschaft der Versicherten solle nicht mit zunehmenden Kosten belastet werden, die sich aus freiwilligen und medizinisch nicht notwendigen Eingriffen ergeben. Da sich die betroffenen Versicherten nach eigenem Entschluss zum Teil gravierenden gesundheitlichen Risiken aussetzen, sei es nicht sachgerecht, diese Kosten durch die Versichertengemeinschaft abzudecken.274 Ob es zu der teils geforderten Änderung oder Abschaffung der Vorschrift kommen wird, bleibt abzuwarten. Entsprechendes gilt auch im Recht der privaten Krankenversicherungen. Nach § 192 Abs. 1 VVG sind Behandlungen, die nicht wegen Krankheit oder Unfallfolgen medizinisch erforderlich sind, nicht erstattungsfähig.275 Kosten, die für eine rein kosmetisch veranlasste Schönheitsoperation entstehen, hat der Patient deshalb auch hier selbst zu tragen, ebenso wie Folgekosten, die durch notwendige Nachbehandlungen anfallen. 3. Schönheitsoperation und Werbung Im politischen und gesellschaftlichen Diskurs wurde in den letzten Jahren aufgrund der zunehmenden Gefahren, die mit der starken Beeinflussung vor allem Minderjähriger durch Medien und Werbung im Bereich der kosmetischen Chirurgie einhergehen, auf einen erhöhten Handlungsbedarf hingewiesen.276 Der Gesetzgeber ist deshalb legislativ tätig geworden. Seit April 2006 sind Schönheitsoperationen als „operative plastisch-chirurgische Eingriffe, soweit sich die Werbeaussage auf die Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit bezieht“, über den Passus des § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG in den Anwendungsbereich des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) einbezogen, Werbung für Schönheitsoperationen ist seitdem nur noch in engen Grenzen erlaubt. § 3 HWG verbietet irreführende Werbung, also insbesondere die Behauptung einer tatsächlich nicht bestehenden therapeutischen Wirkung einer ärztlichen kosmetischen Operation, § 3 S. 2 Nr. 1 HWG, oder das fälschliche Vermitteln des Eindrucks, dass der Erfolg einer Schönheitsoperation mit Sicherheit erwartet werden könne, § 3 S. 2 „Petzparagraph“ bezeichnet wird. Ärzte müssen die Ursache, die die Nachbehandlung notwendig gemacht hat und ein Selbstverschulden darstellen – hier ein zuvor durchgeführte kosmetische Operation –, den Krankenkassen melden, was aber vielfach angesichts der ärztlichen Schweigepflicht für problematisch gehalten wird, vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83 vom 23.04.2008, S. 17. Bernzen (2008), S. 549, hält beide Regelungen für verfassungswidrig. 274  Begründung zum Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung, BT-Drs. 17 / 3100 vom 24.10.2006, S. 87, 108. Vgl. auch BTDrs 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2. 275  Vgl. Eberbach (2008a), S. 333 m. w. N. 276  So auch BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 1, 5.



VI. Exkurs: Rechtliche Bewertung der Schönheitsoperation181

Nr. 2a HWG. Über § 11 Abs. 1 Nr. 5b HWG ist auch die Werbung mittels sog. „Vorher-Nachher-Bilder“ im Bereich der Schönheitschirurgie verboten. Verstöße gegen diese Vorschriften werden bei vorsätzlichem Handeln gem. § 14 HWG als Straftat, bei fahrlässiger Begehung gem. § 15 Abs. 2 HWG als Ordnungswidrigkeit geahndet. 4. Schönheitsoperation und fachärztliche Qualifikation Schönheitschirurgie bzw. Schönheitschirurg sind keine geschützten Begriffe aus den ärztlichen Weiterbildungsordnungen. Nach aktueller Rechtslage muss ein Arzt für die Vornahme kosmetisch-chirurgischer Eingriffe über keine spezifische Facharztqualifikation verfügen.277 Seit 2005 gibt es zwar nicht mehr nur den Facharzt für plastische Chirurgie. In Abschnitt B Nr. 6.6 der Musterweiterbildungsordnung (MWBO) der Bundesärztekammer278 und den jeweiligen Länder-Ordnungen279 ist seitdem – ohne Änderung am Ausbildungsinhalt – der „Facharzt / Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie“ vorgesehen.280 Die Facharztausbildung erfordert eine sechsjährige Weiterbildung, den Nachweis ausreichender praktischer Erfahrung in diesem Bereich und das Ablegen einer Prüfung bei der Ärztekammer. Darüberhinaus können Fachärzte der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (MKG) und der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) eine Zusatzweiterausbildung „Plastische und Ästhetische Operationen“ betreffend Kopf- und Hals-Region absolvieren.281 Das Absolvieren dieser existierenden Facharztausbildungen ist indes grundsätzlich weder straf-, zivil- noch berufsrechtlich Voraussetzung für die Vornahme schönheitsoperativer Eingriffe.282 Approbierten Ärzten ohne Facharztweiterbildung ist nach Standesrecht (BÄO) die umfassende Ausübung von Heilkunde auf jedem medizinischen Gebiet erlaubt.283 Tatsäch277  Vgl.

Liebau (2012), S. 39; Mohr (2008), S. 190; Lorz (2007), S. 128. der BÄK vom Mai 2003 in der Fassung vom 28.03.2008. 279  Vgl. insb. Abschnitt B. Nr. 4.6 BayWBO, Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 24.04.2004 in der Fassung der Beschlüsse vom 12.10.2008. 280  Lorz (2007), S. 129 ff., auch ausführlich zum Ausbildungsinhalt. 281  Liebau (2012), S. 39; Mohr (2008), S. 190. 282  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2. 283  Dies erscheint im Ergebnis widersprüchlich vor dem Hintergrund, dass ausgebildeten Fachärzten die Vornahme fachfremder Eingriffe unter bestimmten Voraussetzungen vor dem zutreffenden Hintergrund verboten ist, dass facheigene Fähigkeiten und Kenntnisse des Facharztes durch einschlägige praktische Tätigkeit beständig geschult werden sollen. Vgl. BVerfGE 33, 125 („Facharztbeschluss“); BVerfG, MedR (2011), 572. 278  (Muster-)Weiterbildungsordnung

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C. Schönheitsoperationen als Problematik des Kernstrafrechts

lich ist es heute Realität, dass schönheitsoperative Behandlungen von Ärzten ohne Facharztausbildung, Heilpraktikern und sogar von Kosmetikern284 durchgeführt werden.285 Schätzungen zufolge werden in Deutschland sogar überwiegend Ärzte ohne entsprechende Qualifikation bzw. Heilpraktiker auf diesem lukrativen Gebiet tätig.286 Die ärztliche Tätigkeit unterliegt zwar der Berufsaufsicht durch die Ärztekammer. Diese hat die Möglichkeit, Ärzte standesrechtlich beispielsweise im Wege einer Abmahnung oder gar durch ein Berufsverbot zu belangen, wenn sie fachfremd tätig werden, gewerb­ liche Dienstleistungen erbringen oder den Geboten der ärztlichen Ethik aus §§ 1, 2 MBO zuwiderhandeln.287 Diese Maßnahmen genügen nach mittlerweile weit verbreiteter Ansicht aber nicht zur Qualitätssicherung. Vielfach ergeben sich auch versicherungsrechtliche Probleme, wenn ein unqualifizierter Arzt tätig wird.288 Von vielen Seiten wird daher in letzter Zeit die treffende Forderung laut, die Vornahme ästhetisch-chirurgischer Eingriffe nur aus der Hand eines Facharztes zu erlauben.289 Zum Teil wird auch eine Aufklärungspflicht dahingehend angenommen, dass der Arzt den Patienten über seine Qualifikation informieren muss. Diese Pflicht soll nur dann entfallen, wenn der Arzt über eine fachärztliche Qualifikation bzw. anderweitig erworbene entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, da in beiden Fällen kein erhöhtes Risiko für den Patienten besteht und eine Aufklärung im Lichte des Selbstbestimmungsrechts daher entbehrlich ist.290

284  Verschiedene Urteile haben Kosmetikern dagegen die Vornahme solcher Eingriffe untersagt, da es sich um eine erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde i. S. v. § 1 HeilprG handelte, vgl. etwa OLG Karlsruhe vom 17.02.2012, 4 U 197 / 11. 285  Vgl. nur Bischoff (2009), S. 194; Liebau (2012), S. 39; BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 1 f. 286  Vgl. BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 3; Der Spiegel, Heft 41 / 2002 vom 07.10.2002, S.  212 ff. 287  Vgl. zum Ganzen Scholz (2009), S. 164; Bull (2012), S. 41 f. 288  Vgl. zum Ganzen Bull (2012), S. 41 f.; Liebau (2012), S. 39. 289  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 3, 5; Bull (2012), S. 35; Bull (2009), S. 42; Liebau (2012), S. 39. 290  Zum Ganzen ausführlich Lorz (2007), S. 131 ff. m. w. N.

D. Die Funktion der medizinischen Indikation in der strafrechtlichen Deliktssystematik Das gemeinsame Merkmal der wunscherfüllenden, insbesondere schönheitsoperativen Eingriffe ist die fehlende medizinische Notwendigkeit für die Vornahme des Eingriffs. Die oben getroffene Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit eines nicht indizierten ärztlichen Eingriffs und die dargestellten Grundlagen des Einwilligungsrechts führen zu der Frage, inwieweit eine wirksame Einwilligung in eine medizinisch nicht veranlasste ärztliche Maßnahme angesichts ihrer mangelnden Indikation möglich ist. Diese Frage ist eine strukturelle Entscheidung einer Rechtsordnung1 und zentraler Aspekt der vorliegenden Untersuchung. Dabei ist entscheidend, ob es zur Rechtfertigung des ärztlichen Handelns alleine auf die Einwilligung des Patienten ankommt (B.), oder ob weitere Kriterien wie die medizinische Indikation als Legitimationsansätze hinzutreten müssen, die der Einwilligung Grenzen setzen (A.).2 Für die strafrechtliche Beurteilung kosmetischer Operationen ist daher entscheidend, welche Funktion das Merkmal der medizinischen Indikation erfüllt, inwieweit die medizinische Indikation im strafrechtlichen Deliktsaufbau Bedeutung erlangt und inwiefern ihr Fehlen für eine Strafbarkeit des Arztes relevant ist. Die Auswirkung des Indikationsmangels soll daher auf allen in Betracht kommenden Ebenen strafrechtlicher Zurechnung beleuchtet werden. Dabei wird folgende Ausgangsthese zugrunde gelegt: Hart paternalistische Regelungen, die die Wirksamkeit der Einwilligung aus kollektiven, objektiven Gründen begrenzen, sind nach dem oben Erarbeiteten unzulässig. Weicher Paternalismus, der die Autonomie der Patientenentscheidung für eine Schönheitsoperation absichern will, kann dagegen im Lichte des Selbstbestimmungsrechts des Patienten unter bestimmten Voraussetzungen legitimiert werden.

1  Fateh-Moghadam

(2008), S. 73. zum Ganzen Sternberg-Lieben (2009), S. 326 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 73; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101 f., 104 f. 2  Vgl.

184

D. Die Funktion der medizinischen Indikation

I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? (Auffassungen in der Literatur) Die Standardliteratur im Medizinrecht fordert von einem Handeln des Arztes, wenn es rechtlich und standesethisch gerechtfertigt sein soll, dass es drei Grunderfordernissen genügen müsse.3 Erstens erfordern ärztliche Eingriffe hiernach eine medizinische Indikation. Nur dann sei der beruf­ liche Heilauftrag des Arztes erfüllt, salus aegroti suprema lex. Zweitens muss der aufgeklärte Patient bzw. sein rechtlicher Vertreter in die Behandlung eingewilligt4 haben, sog. informed consent. Drittens schließlich hat der Eingriff lege artis zu erfolgen, der Arzt muss fachliche und berufsständische Regeln befolgen und dem Standard der medizinischen Wissenschaft genügen.5 An erster Stelle dieser immer gleichlautend aufgeführten Elemente für die Rechtfertigung ärztlichen Handelns wird jeweils die medizinische Indikation als Notwendigkeit des ärztlichen Eingriffs genannt.6 Der früher im Medizinstrafrecht geltende Grundsatz „kein ärztlicher Eingriff ohne entsprechende Indikationsstellung“ ergibt sich standesrechtlich aus dem für ärztliches Handeln zentralen Schadensvermeidungsgebot des Hippokratischen Eides.7 Vor allem in der klassischen Medizinrechtsliteratur kommt der Indikation daher höchste Bedeutung zu.8 Auch neue Beiträge betonen die Bedeutung des Indikationskonzepts und messen ihm als Voraussetzung ärztlichen Handelns eigenständige Bedeutung bei.9 Die medizinische Indikation wird als 3  Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs 4  Bzw.

(2009), I. Rn. 29; Laufs (2002), S. 121. bei Heilbehandlungen zumindest eine mutmaßliche Einwilligung vor-

liegen. 5  So zu den drei Voraussetzungen Laufs / Kern-Laufs (2010), § 6 Rn. 1; Laufs /  Katzenmeier / Lipp (2009), I. Rn. 29 ff.; Laufs (2002), S. 121; Katzenmeier (2002), S. 272; Seelmann (2003), S. 854; Lackner / Kühl (2014), § 223 Rn. 8, 9. Vgl. BGH, NJW 1978, 1206. Vgl. hierzu Hollenbach (2003), S. 241 f.; Fateh-Moghadam (2008), S.  101 m. w. N. 6  Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 29; Laufs (2002), S. 121, 125. 7  Laufs / Kern-Kern (2010), § 49 Rn. 8. Dort heißt es: „Der Arzt hat seine Kunst nach bestem Wissen und Können zum Heil des Kranken anzuwenden, dagegen nie zu seinem Verderben und Schaden.“ 8  Laufs / Kern-Laufs (2010), § 6 Rn. 1; Laufs (2002), S. 121, 125. 9  Stock (2009a), S. 87 ff., nennt die Indikation eine von „zwei Grundvoraussetzungen für rechtmäßiges ärztliches Handeln“, allerdings auf der Grundlage eines eigenen, sehr weiten Verständnisses von Indikation. Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101, 135, bezeichnen die medizinische Indikation als eine der „drei zusammenhängenden, nebeneinander erforderlichen Elemente rechtmäßigen ärztlichen Eingreifens“.



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 185

eines der drei „Kernstücke ärztlicher Legitimation“,10 als medizinrechtlich „wichtige Basisgröße der normativen Verfasstheit des Arzt-PatientenVerhältnisses“11 oder als Grundvoraussetzung bezeichnet, denen ärztliches Handeln immer entsprechen muss, um legitimierbar zu sein.12 Nur, wenn eine Behandlung indiziert sei, heißt es, dürfe ein Eingriff vorgenommen werden, nur dann habe der Arzt die Befugnis, in die Körperintegrität des Patienten einzugreifen. Ärztliches Handeln ohne medizinische Notwendigkeit sei unrechtmäßig, weil die medizinische Indikation den eigentlichen Rechtfertigungsgrund für die ärztliche Eingriffsbefugnis bilde und die Ein­ willigung nur Rechtfertigungsschranke sei.13 Eine autonom erteilte Patienteneinwilligung alleine legitimiere ärztliches Handeln nicht. Die Respektierung des Patientenwillens könne den Arzt nicht immer automatisch straffrei stellen; die Befugnis zum Eingriff ergebe sich nur aus der medizinischen Indikation.14 Schon im Hinblick auf die zahlreichen, heute gängig praktizierten nicht indizierten Eingriffe der modernen Medizin15 fragt sich allerdings, ob die medizinische Indikation heute immer noch Wesensmerkmal und Leitbild der ärztlichen Standesethik ist.16 Auch von den genannten Autoren werden diese auf bloßen Wunsch des Patienten vorgenommenen Eingriffe letztendlich überwiegend als zulässig anerkannt.17 Im Folgenden wird daher der Frage nachgegangen, ob dem Vorliegen einer medizinischen Indikation bzw. deren Fehlen auf den Ebenen strafrechtsdogmatischer Zuordnung eine eigenständige Wirkung zuzusprechen ist. Diese Auffassung wird im Medizinstrafrecht mit unterschiedlichen dog10  So noch Laufs (1993), Rn. 690. Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 29 weisen in der Neuauflage darauf hin, dass die Frage nach der Zulässigkeit von Wunschmedizin in der neueren Diskussion den Vorrang gewonnen hat. 11  Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101; Damm (2009), S. 183. 12  Laufs / Kern-Laufs (2010), § 6 Rn. 1; Katzenmeier (2002), S. 272; Stock (2009a), S.  87 ff. 13  So Geilen (1963), S.  29; Engisch (1970), S. 20; Laufs (1974), S. 2026; Kern / Laufs (1983), S. 9 f.; Kern (2009), S. 2; Ehlers (1987), S. 43; Wenzel (2013), Kap. 4. B. Rn. 454. Vgl. hierzu Sternberg-Lieben (2009), S. 327 mit Fn. 12; FatehMoghadam (2008), S. 101; Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 42. 14  So ausdrücklich Eser (1985), 1 ff.; Kern / Laufs (1983), S. 9 f.; Laufs (1974), S. 2026; Geilen (1963), S. 29 f., 89, 113; ggü. der Vorauflage nun mit Einschränkungen Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I.  Rn. 29. Im Erg. BGH, NJW 1978, 1206. Vgl. hierzu auch Voll (1996), S. 43; Schroth (2006a), S. 90 m. w. N.; Sternberg-Lieben (2009), S. 327. 15  Zu den verschiedenen wunschmedizinischen Eingriffe ausführlich oben A.I. 16  Vgl. Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 110, 134. 17  Vgl. Sternberg-Lieben (2009), S.  327; Fateh-Moghadam (2008), S. 101  f.; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101; Hollenbach (2003), S. 241 f.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

matischen Begründungen vertreten.18 Zum einen wird die Indikation von den Vertretern der Tatbestandslösungen schon auf der Ebene des objektiven Tatbestands als Privilegierungsgrund bewertet (I.). Zum anderen wird bei Fehlen der Indikation eine objektive Schranke der Einwilligung angenommen (II.). Im Ergebnis wird diesen Ansätzen des traditionellen Arztstrafrechts jedoch nicht zu folgen sein. 1. Vorliegen der medizinischen Indikation als Privilegierungsgrund für Straflosigkeit auf Ebene des objektiven Tatbestands? (Tatbestandslösungen) a) Medizinische Indikation als Voraussetzung für Straflosstellung auf Tatbestandsebene Eine eigenständige Bedeutung für die strafrechtliche Legitimation ärztlichen Handelns hat das Vorliegen der medizinischen Indikation für die Vertreter der oben diskutierten19 Tatbestandslösungen.20 Diese in der arztstrafrechtlichen Literatur herrschende Ansicht nimmt, in allen Argumentationslinien, den ärztlichen Heileingriff unabhängig von der Einwilligung des Patienten bereits vom Tatbestand der §§ 223 ff. StGB aus, wenn er lege artis bzw. erfolgreich und subjektiv zu Heilzwecken durchgeführt wurde und medizinisch indiziert war.21 Zur Begründung wird wie dargestellt im Wege einer saldierenden Betrachtung auf die Sinnhaftigkeit ärztlichen Handelns verwiesen, welches gerade das Gegenteil einer Körperverletzung sei.22 Bei der medizinisch notwendigen und erfolgreichen bzw. kunstgerecht durchgeführten Behandlung eines Patienten könne schon begrifflich nicht von einer Misshandlung oder Gesundheitsschädigung gesprochen werden.23 Diese Auffassung 18  Vgl.

Sternberg-Lieben (2009), S. 326 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 102, 108. oben C.I.1. 20  Vgl. zum folgenden Ganzen ausführlich Fateh-Moghadam (2008), S. 101  f., 37 ff.; Sternberg-Lieben (2009), S. 326; Sternberg-Lieben (1997), S. 191 ff. 21  So Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 30 ff.; Lackner / Kühl (2014), StGB, § 223 Rn. 8; LK-StGB-Lilie (2005), § 223 Rn. 3 m. zahlr. w. N.; Bockelmann (1961), S. 947 f.; Bockelmann (1968), S. 67 ff.; Engisch (1939), S. 1, 5 ff.; Ulsenheimer (2008), Rn. 57b; Otto (2005), § 15 Rn. 11; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101. Vgl. zum Ganzen auch Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 19 m. w. N.; Rengier (2014), § 13 Rn. 16 m. w. N., Wessels / Hettinger (2013), Rn. 325 m. w. N.; Hollenbach (2003), S. 241 f. 22  Engisch (1958), S. 20. Vgl. m.  w. N. Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 19; Schroth (2010a), S. 24. 23  So zum Ganzen Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 138 Rn. 5; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 32; Bockelmann (1961), S. 946 f. Vgl. Schroth (2010a), S. 24. 19  Ausführlich



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 187

erklärt sich aus der ihr zugrundeliegenden Annahme, Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte sei (lediglich) die körperliche Integrität.24 So ist nach Bockelmann allein der erreichte Heilzweck entscheidendes Kriterium für die Frage der Strafbarkeit ärztlichen Handelns. „Nach meiner Auffassung ist es allerdings unerträglich, daß ein Arzt, welcher seinen Patienten gesund gemacht, ja ihm vielleicht sogar das Leben gerettet hat, gleichwohl wegen Körperverletzung strafbar sein soll, wenn es mit der Einwilligung des Patienten hapert. In solchem Falle hat der Arzt den Körper des Patienten doch gerade nicht verletzt, sondern geheilt.“25

Im „Handbuch des Arztrechts“, einem Standardwerk medizinrechtlicher Literatur, weist Ulsenheimer auf die Tatbestandslosigkeit indizierten ärztlichen Handelns hin. „[…] und auch im allgemeinen Rechtsbewußtsein ist ärztliche Heilbehandlung weder wertmäßig noch begrifflich eine ‚Körperverletzung‘. [… Es sei auf die] ‚soziale Sinnhaftigkeit‘ der Behandlung eines kranken Patienten abzustellen […]. So gesehen ist der ärztliche Eingriff zu Heilzwecken bereits tatbestandlich keine Körperverletzung.“26

Auch Eser schließt sich dieser Auffassung im Standardkommentar Schönke / Schröder an. „Die gelungene Heilmaßnahme […] ohne wesentlichen Substanzverlust […] kann schon tatbestandlich weder als eine ‚das körperliche Wohlbefinden beeinträchtigende üble, unangemessene Behandlung‘ noch als ‚Gesundheitsschädigung‘ i. S. v. § 223 betrachtet werden. […] Deshalb hängt bei einer geglückten […] Heilbehandlung das Entfallen von § 223 weder vom Einverständnis des Patienten noch von der Kunstgerechtheit der Durchführung ab.“27

Das Vorliegen einer medizinischen Indikation führt nach dieser Literaturansicht also zu einer strafrechtlichen Privilegierung des Arztes. Für die Tatbestandslösungen ist die Differenzierung zwischen Vorliegen und Fehlen der medizinischen Indikation gerade das entscheidende Kriterium für Straf­ losstellung bzw. Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs.28 Die Befugnis zu einem invasiven ärztlichen Eingriff beim Patienten ergibt sich nach diesen Auffassungen daher letztendlich aus der medizinischen Notwendigkeit. Nur, wenn eine Indikation vorliegt, ist die ärztliche Behandlung rechtmäßig; aus dem Fehlen der Indikation folgt dagegen die Tatbestandsmäßigkeit der Behandlung und im Weiteren das Erfordernis einer wirksamen Einwilligung in 24  Sch / Sch-Eser

(2014), StGB, § 223 Rn. 30 f. (1961), S. 946 f. 26  Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 138 Rn. 5. 27  Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 32. 28  Vgl. zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S.  37  ff.; Sternberg-Lieben (1997), S.  192 f. 25  Bockelmann

188

D. Die Funktion der medizinischen Indikation

den Grenzen des § 228 StGB. Die medizinische Indikation gewinnt dabei entscheidende Bedeutung bei der Strafbarkeitsprüfung und wird zu einer eigenständigen strafrechtlichen Zurechnungskategorie auf der Ebene des objektiven Tatbestands.29 b) Kritik Gegen die Tatbestandslösungen lassen sich die bereits oben erarbeiteten Argumente ins Feld führen.30 Hervorgehoben seien darüber hinaus nochmals die folgenden Einwände. Entscheidend ist gegen diese paternalistische Auffassung, nach der selbst eigenmächtige Heilbehandlungen straflos bleiben, einzuwenden, dass sie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht angemessen achtet.31 Weiter spricht gegen sie die Schwierigkeit, aus dem sich wandelnden und daher teils unbestimmten ärztlichen Standesrecht klare Vorgaben für das Strafrecht zu finden.32 Die Abgrenzungsprobleme bei der Suche nach Grenzen für Vorliegen oder Fehlen einer medizinischen Indikation werden mit dieser Auffassung in das Strafrecht getragen und Entscheidungen über eine Strafbarkeit in den medizinischen Berufsstand transferiert.33 Die medizinischen Standards von Wissenschaft und Arztberuf erhalten damit eine zu weitgehende normative Bedeutung im Strafrecht.34 Zudem ist zu beachten, dass sich ärztliches Standesrecht und (straf-)rechtliche Bewertung zwar teilweise decken mögen, jedoch getrennt voneinander zu beurteilen sind. Das Gebot der Einheit der Rechtsordnung erfordert zwar einen Blick auf das Standesrecht; und Verbotsentscheidungen aus anderen Teilbereichen der Rechtsordnung können auch prinzipiell ein Indiz für Schranken der Einwilligung sein.35 Standesnormen der Ärztekammern sind aber rein berufsständische Regelungen und dienen anderen Zwecken als das Strafrecht, nämlich der vereinheitlichenden Wiedergabe von Berufsrecht und Standesethik.36 Nach 29  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S.  101  f.; Sternberg-Lieben (2009), S. 326. 30  Ausführlich oben C.I.3. 31  Schroth (2010a), S. 23 ff., 30; Fateh-Moghadam (2008), S. 41. 32  Schroth (2010a), S. 29; Sternberg-Lieben (1997), S. 193  f.; Sternberg-Lieben (2009), S. 328. 33  Tag (2000), S.  39  f.; Hollenbach (2003), S. 242; Sternberg-Lieben (1997), S. 194 Fn. 116; Schreiber (1982), S. 642. 34  Fateh-Moghadam (2008), S. 40; Sternberg-Lieben (1997), S. 194; Schreiber (1982) S. 642. 35  Zum Ganzen Sternberg-Lieben (1997), S.  191. Vgl. auch Tag (2000), S.  200 ff. 36  Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 1 ff., 12.



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 189

dem ärztlichen Berufsethos mag wegen des Gebots des primum non nocere für ein legitimes ärztliches Handeln grundsätzlich das Vorliegen einer medizinischen Indikation erforderlich sein. Das bedeutet aber noch nicht, dass die lege artis vorgenommene ärztliche Behandlung ohne Indikation auch automatisch strafrechtswidrig ist.37 Im Strafrecht – mit seinen ganz anderen Voraussetzungen und einschneidenden Sanktionen – gilt der Grundsatz, dass eine nicht gegen § 228 StGB verstoßende und auch im Übrigen wirksame Einwilligung des Patienten den ärztlichen Eingriff regelmäßig legitimiert. Dies gilt auch dann, wenn der Eingriff keinen Heilzweck verfolgt, also nicht medizinisch indiziert ist.38 Eine etwaige Standesrechtswidrigkeit im Kontext wunscherfüllender Medizin kann jedenfalls nicht dazu führen, dass im Arztstrafrecht von diesem Grundsatz abzuweichen wäre.39 Die strafrechtliche Privilegierung durch die Tatbestandslösungen bei Vorliegen einer medizinischen Indikation bezieht sich ausdrücklich nur auf Heileingriffe. Festzustellen bleibt aber, dass auch diese Autoren trotz aller Bedeutung, die sie der medizinischen Indikation zumessen, im Hinblick auf die Vielzahl nicht indizierter, aber heute anerkannter und üblicher ärztlicher Maßnahmen wie der Organspende oder der Schönheitsoperation nicht letztgültig vertreten, dass diese Formen medizinischer Tätigkeit nicht gerechtfer­ tigt werden können.40 Hier stößt diese Sichtweise also an ihre Grenze und wie für die Rechtsprechung ist auch für sie am Ende die Frage entscheidend, ob der Patient einwilligungsfähig war, ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist und sich die Einwilligung innerhalb der Grenzen des § 228 StGB bewegt.41 Festzuhalten ist damit folgendes Zwischenergebnis. Für die Autoren, die die Tatbestandslösung vertreten, hat die Indikation eine eigenständige straf­ 37  Sternberg-Lieben (1997), S.  170  ff., 191  f.; Niedermair (1999), S.  192  ff.; Roxin (2006), § 13 Rn. 38 ff., 48. 38  Vgl. für viele Sternberg-Lieben (1997), S. 172 Fn. 11, m. w. N.; Fateh-Moghadam (2008), S. 108; Schroth (2010a), S. 43; Hollenbach (2003), S. 241 f., 183 f. 39  Sternberg-Lieben (2009), S. 328. 40  Fateh-Moghadam (2008), S. 101 f. Vgl. einerseits Laufs / Kern-Laufs (2010), § 6 Rn. 1 und andererseits Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 42. Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), einerseits I.  Rn. 29 und andererseits V.  Rn. 20. Kern / Laufs (1983), einerseits S. 9 und andererseits S. 68; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), einerseits S. 101 und andererseits S. 107, 110 ff. Eser (1985), spricht auch von der Einwilligung als Rechtfertigungsschranke für ärztliches Handeln, sieht die Grenzen der Einwilligung jedoch wie die h. M. in § 228 StGB (§ 226a StGB a. F.) und hält daher nicht indizierte Eingriffe wie etwa Sterilisationen ebenfalls grds. für legitimierbar. So auch Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 50, 50b. Anders werden Eser / Sternberg-Lieben wie auch Laufs scheinbar von Voll (1996), S. 44, Fn. 158 interpretiert: „Therapeutisch nicht gerechtfertigte Maßnahmen sind nach dieser Ansicht also prinzipiell nicht erlaubt.“ 41  Für viele Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 42 ff.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

rechtsdogmatische Bedeutung als möglicher Tatbestandsausschluss. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass nicht indizierte ärztliche Eingriffe nicht auch legitimiert werden können. 2. Medizinische Indikation als objektive Schranke der Einwilligung? (Abwägungsmodelle und § 228 StGB) Auch auf der Ebene der Rechtswidrigkeit ärztlichen Handelns wird dem Merkmal der medizinischen Indikation unmittelbare Wirkung beigemessen. Wiederum ausgehend von den Anforderungen des ärztlichen Berufsrechts, wonach die Vornahme nicht indizierter Eingriffe standeswidrig sei, wird die medizinische Indikation als strafrechtliche Zurechnungskategorie verstanden, die die Rechtfertigungsmöglichkeit ärztlichen Handelns im Falle ihres Fehlens einschränkt.42 Die Indikation wird zur objektiven Schranke der Einwilligung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit.43 Ansatzpunkt für diese Auffassung sind wieder die Tatbestandslösungen.44 Fehlt einem ärztlichen Eingriff die medizinische Notwendigkeit, ist nach allen Argumentationslinien innerhalb der Tatbestandslösungen eine tatbestandsmäßige Körperverletzung durch den Arzt anzunehmen. Auf der folgenden Stufe der Rechtfertigung geht dann aber nur ein Teil der Autoren davon aus, dass die tatbestandsmäßige Handlung trotz Fehlens der Indika­ tion über die Einwilligung des Patienten in den Grenzen des § 228 StGB gerechtfertigt werden kann.45 Eine weitere Auffassung sieht bei einem ärztlichen Eingriff ohne medizinische Indikation dagegen eine strafbare Körperverletzung gegeben46.47 42  Sternberg-Lieben

(1997), S. 192 m. w. N. (2009), S. 2; Kern / Laufs (1983), S. 9. 44  Zum folgenden Sternberg-Lieben (1997), S. 192 f. 45  Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 50 ff. m. w. N. 46  So Geilen (1963), S. 29, 89 f., 113; Kern / Laufs (1983), S. 9; Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 29; Laufs (1989), S. 24, 41; Laufs (2002), S. 125; Laufs / Kern-Laufs (2010), § 6 Rn. 1; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101; Günther (1992), S. 128; Ehlers (1987), S. 43 f. In der 2. Auflage des ‚Arztstrafrechts in der Praxis‘ so noch Ulsenheimer (1998), Rn. 57 a. E.: „Die Einwilligung allein verleiht dem Arzt jedoch keine Befugnis zum Eingriff, dieser muss vielmehr aus ärztlicher Sicht geboten sein. Jedes therapeutisch nicht gerechtfertigte ärztliche Vorgehen ist deshalb ‚grundsätzlich verboten‘.“ Anders jetzt in den Folgeauflagen, vgl. Ulsenheimer (2008), Rn. 57b: „Aus der fehlenden Indikation darf also nicht ohne weiteres auf die Rechtswidrigkeit des ärztlichen Eingriffs geschlossen werden“, und Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 138 Rn. 6, § 139 Rn. 42. Aus der zivilrechtlichen Perspektive des Arzthaftungsrecht Katzenmeier (2002), S. 272. Vgl. zum Ganzen auch Schroth (2010a), S. 43 f.; Sternberg-Lieben (1997), S. 192 ff.; BGH, NJW 1978, 1206; Horn (1979), S. 30 f. Vgl. auch Maurach / Schroeder / Maiwald (2009), § 8 43  Kern



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 191

Nach der Auffassung der letztgenannten Autoren soll sich die wirksame Einwilligung danach nur auf indizierte Eingriffe beziehen können. Die Einwilligung des Patienten ist dann zwar erforderlich, aber alleine nicht ausreichend.48 Rechtfertigungsgrund für den handelnden Arzt sei die medizinische Notwendigkeit.49 Die Indikation ist nach dieser Auffassung Recht­ fertigungsgrund und die Einwilligung hat nur die Bedeutung einer Recht­ fertigungsschranke.50 Das Bestehen einer medizinischen Indikation wird zu einer notwendigen Voraussetzung für eine Straflosigkeit ärztlichen Handelns.51 47

Die unterschiedlichen Konsequenzen, die sich aus diesen gegenüberstehenden Auffassungen ergeben, sind von erheblicher praktischer Bedeutung. Nach der ersten Meinung, die den Arzt allein aus dem Vorliegen einer Einwilligung des Patienten für eingriffsbefugt hält, ist ein nicht indizierter Eingriff, der vom Arzt und Patienten mit diesem Wissen vorgenommen wird, zwar eine Körperverletzung, diese kann aber durch die Einwilligung des Patienten in den Grenzen des § 228 StGB gerechtfertigt werden. Nach der zweiten, hier zu diskutierenden Ansicht sind ärztliche Behandlungen nur legitim, wenn der Arzt auch Heilungserwartungen mit der Behandlung verbindet. Medizinisch nicht indiziertes Vorgehen des Arztes, das nicht therapeutisch gerechtfertigt ist, soll dagegen grundsätzlich unzulässig sein.52 Vertreten werden hierfür im Wesentlichen zwei Begründungsstrategien. Zum einen wird eine ungeschriebene Dispositionsschranke errichtet und die medizinische Indikation im Rahmen einer objektiven Abwägung neben der Einwilligung als weitere Voraussetzung für eine Rechtfertigung verlangt (a). Zum anderen wird auf die Dispositionsschranke des § 228 StGB abgestellt und vertreten, dass das Fehlen der medizinischen Indikation eine Standeswidrigkeit sei, die den Eingriff in jedem Fall sittenwidrig im Sinne des § 228 StGB mache (b).53

Rn. 32, wonach die Einwilligung des Patienten in gewünschte unsinnige Eingriffe unwirksam sein kann. 47  Zum Ganzen Sternberg-Lieben (1997), S. 193 und Sternberg-Lieben (2009), S. 326. Vgl. auch Hollenbach (2003), S. 421 f; Fateh-Moghadam (2008), S. 97 ff. 48  Kern (2009), S. 2. 49  Laufs (2002), S. 121. 50  Kern (2009), S. 2; Kern / Laufs (1983), S. 9. 51  Vgl. zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S.  101  f.; Sternberg-Lieben (2009), S. 327. 52  Zum Ganzen Sternberg-Lieben (2009), S. 326 f. 53  Zum Ganzen Sternberg-Lieben (1997), S. 193, insb. Fn. 110 m. w. N.; Sternberg-Lieben (2009), S. 327 ff., 329.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

a) Fehlen der medizinischen Indikation als immanente objektive Schranke der Einwilligung? aa) Kollisions- / Abwägungsmodelle Das erste Begründungsmuster für eine Begrenzung der Einwilligung durch die medizinische Indikation beruht wieder auf den oben bei der Rechtsgutsbestimmung diskutierten Abwägungs- bzw. Kollisionsmodellen,54 nach denen die Einwilligung in eine Verletzung nicht alleine legitimierende Wirkung entfalten kann, sondern eine objektive Abwägung erfolgen muss. Diese Ansicht hat ihre Grundlage in einer kollektivistischen Sichtweise des Rechtsguts der Körperverletzungsdelikte, nach der ein objektives Interesse an der Erhaltung der körperlichen Integrität das Selbstbestimmungsinteresse des Patienten überwiegt. Das objektive Interesse an der Erhaltung des Rechtsguts und die Dispositionsfreiheit des Einzelnen hierüber werden von den Anhängern der Kollisions‑ / Abwägungsmodelle voneinander getrennt und das Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB als objektiver Wert unabhängig vom Willen des Rechtsgutsträgers geschützt.55 Die Einwilligung des Verletzten soll nur dann wirksam sein, wenn ihr im Rahmen einer Abwägung ein überwiegendes Interesse an der Vornahme des ärztlichen Eingriffs beigemessen werden kann.56 Das Abwägungsmodell der Rechtfertigung hat gerade im Medizinstrafrecht bei der Bewertung ärztlicher (Heil-)Eingriffe Ausprägungen erfahren.57 Der Einwilligung wird nach diesen Auffassungen nur die Funktion eine Rechtfertigungsschranke zuerkannt. Als Rechtfertigungsgrund sollen aber weitere Erfordernisse hinzutreten müssen, etwa die medizinische Indikation.58 Zur Rechtfertigung eines ärztlichen Eingriffs wird im Rahmen einer Art Mittel-Zweck-Relation gefordert, dass sich Einwilligung und Indikation verbinden müssen.59 So spricht Geilen in seiner Habilitationsschrift über Einwilligung und ärztliche Aufklärung der Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff eine allein rechtfertigende Wirkung ab. 54  Zu den Abwägungs- bzw. Kollisionsmodell der Einwilligung vgl. oben B. IV.2.a). 55  Vgl. zum Ganzen ausführlich Rönnau (2001), S. 34 ff. m. w. N.; Fateh-Moghadam (2008), S. 97 ff., 101 f. Für das Abwägungs- bzw. Kollisionsmodell werden unterschiedliche Begründungen angeführt: zum Teil wird der Schutz von Gemeinschaftsinteressen in den Vordergrund gestellt, zum Teil wird der Sozial- bzw. Eigenwert des betreffenden Rechtsguts betont. 56  Ausführlich zu den Abwägungsmodellen der Einwilligung Rönnau (2001), S. 32 ff. und im Anschluss Fateh-Moghadam (2008), S. 97 ff. 57  Fateh-Moghadam (2008), S. 97. 58  Laufs (2002), S. 121. Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S 101. 59  Geilen (1963), S. 89. Vgl. Sternberg-Lieben (2009), S. 327 mit Fn. 12.



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 193 „Sie ist dann nur im Rahmen einer das positive Werturteil allein fundierenden Zweck-Mittel-Relation der die Rechtfertigung auslösende Katalysator. Nicht die vorhandene Einwilligung begründet, sondern die fehlende Einwilligung hindert die Rechtfertigung […]. Die Einwilligung dient in dieser Richtung nur der Selbstbestimmung im Rahmen einer Interessenabwägung, die durch die medizinische Indikation schon positiv vorgezeichnet ist.“60 „[Die Heileinwilligung] ist nicht Rechtsmäßigkeitsfundament, sondern Rechtmäßigkeitsschranke. Niemand kann abgesehen von Bagatellfällen, bei denen dann auch die Aufklärung keine Rolle spielt, über die Körperintegrität nach Willkür verfügen. Die katholische Moraltheologie arbeitet mit dem in diesem Zusammenhang besonders plastischen Rechtsbild vom Nießbrauch, mit dem sich der Verantwortung des einzelnen gegenüber Leib oder Leben und damit auch die Grenze seiner Verfügungsfreiheit treffend umreißen läßt. Auch die säkulare Rechtsordnung ist von einer solchen Einschränkung nicht allzuweit entfernt. […] Die Einwilligung muß sich, um die Rechtfertigung auszulösen, mit der medizinischen oder einer sonst sinnvollen, der Bedeutung des Eingriffs noch angemessenen Indikation verbinden.“61

Kern und Laufs wollen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten zwar einen hohen Rang zuschreiben, erheben dann aber doch das Vorliegen einer medizinischen Indikation zum maßgeblichen Rechtfertigungselement: „Doch läßt sich die Rechtfertigung des ärztlichen Heileingriffs nicht aus dem Gedanken einer vom Heilzweck unabhängigen Autonomie herleiten. […] Die Einwilligung des Patienten als Ausfluß des Selbstbestimmungsrechtes allein berechtigt den Arzt nicht zum Eingriff. Die Befugnis zum Eingriff hat ihren Grund vielmehr in der medizinischen Notwendigkeit. Die medizinische Indikation bildet den Rechtfertigungsgrund, die Einwilligung die Rechtfertigungsschranke. Nur wenn eine Indikation vorliegt, darf der Arzt einen Eingriff ausführen, aber nur in den Grenzen, die ihm durch die Einwilligung des Patienten gezogen sind. Die Einwilligung tritt zu Notwendigkeit und Heilzweck des Eingriffs als einschränkendes Regulativ hinzu.“62

Noch prägnanter vertritt Laufs diese Auffassung an anderer Stelle. Für ihn muss ärztliches Handeln ganz zuvorderst vom beruflichen Heilauftrag geboten sein. Jeder ärztliche Eingriff erfordere eine Indikation, die eine der drei miteinander zusammenhängenden und unerlässlichen Grundvoraussetzungen ärztlichen legitimen Handelns bilde. „Zuerst indes erfordert der ärztliche Eingriff eine Indikation […]. Die Kräfte, die den ärztlichen Heilauftrag auszuweiten suchen, wirken nicht nur in der Fortpflanzungsmedizin, insbesondere bei der artifiziellen Reproduktion, und bei der Ster60  Geilen

(1963), S. 89 f. (1963), S. 134 f. 62  Kern / Laufs (1983), S. 9. Nicht ganz deutlich wird an dieser Stelle, ob Kern / Laufs die Rechtsfolge der Unwirksamkeit auf eine Verknüpfung von Indikation und Rechtfertigung oder auf die Sittenwidrigkeit stützen wollen. 61  Geilen

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

behilfe. Sie machen sich auch auf anderen Feldern geltend. […} Der Arzt darf von Rechts wegen keinen Eingriff vornehmen, der zwar dem Willen des Patienten oder Klienten, nicht aber der Berufsregel entspricht. […] Doch im Grunde ist therapeutisch sinnloses Vorgehen kein Heileingriff, sondern ein unärztliches, rechtswidriges Tun. […] Auch mit kosmetischen Eingriffen, die äußere Mißbildungen zu beseitigen suchen, kann der Mediziner den ärztlichen Beruf durchaus verfehlen. Leidet der körperlich Verunstaltete seelisch, so läßt sich der Heilcharakter des Eingriffs und damit eine ärztliche Therapie annehmen. Soll die Operation lediglich das äußere Erscheinungsbild verschönern, so liegt eine Heilbehandlung mangels medizinischer Indikation nicht vor.“63

Im Wege eines Rückgriffs auf Berufsethik und Standesrecht folgt aus dieser Ansicht scheinbar ausdrücklich die Strafrechtswidrigkeit von Schönheitsoperationen, die mit Einwilligung und auf Wunsch des Patienten vorgenommen werden, wenn und weil ihnen kein Heilauftrag innewohnt. Das Fehlen einer medizinischen Indikation nimmt dem ärztlichen Eingriff nach dieser Auffassung nicht nur den Charakter einer Heilbehandlung, sondern kann ihn per se unzulässig machen. bb) Kritik Dass die Abwägungs- / Kollisionsmodelle nicht überzeugen können, ist bereits dargelegt worden.64 Darüber hinaus lässt sich den Abwägungsmodellen die gleiche Kritik entgegenbringen wie den Tatbestandslösungen.65 Beide Auffassungen sind paternalistisch und missachten das Selbstbestimmungsrecht des Patienten; beide tragen die Abgrenzungsprobleme bei der Feststellung einer Indikation in das Strafrecht;66 beide rekurrieren auf standesethische Anforderungen an den Arzt, die aus einem anderen, nicht strafrechtlichen Teil der Rechtsordnung stammen und konstruieren daraus in unzulässiger Weise objektive Schranken für die Einwilligung im Straf­ recht.67 Auch bei den Vertretern der Ansicht, dass die Einwilligung lediglich Rechtfertigungsschranke, die medizinische Indikation aber der eigent­ liche Rechtfertigungsgrund sei, bleibt wieder festzustellen, dass diese Ansicht nicht konsequent durchgehalten werden kann. Sie stößt bei all denjenigen anerkannten ärztlichen Eingriffen an Grenzen, die heute trotz Indikationsmangel routinemäßig durchgeführt werden.68 Denn auch diese Ansätze be63  Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 29; Hervorhebungen von der Verfasserin. 64  Ausführlich oben B.IV.2.a)bb). 65  Ausführlich D.I.1.b). 66  Hollenbach (2003), S. 242. 67  Vgl. zum Ganzen auch Sternberg-Lieben (1997), S. 170 ff., 191 ff. 68  So auch Fateh-Moghadam (2008), S. 101 f.; Hollenbach (2003), S. 242.



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 195

streiten nicht die Zulässigkeit beispielsweise schönheitsoperativer Eingriffe oder einer Lebendorganspende nach Einwilligung des Patienten.69 Die Ansicht, wonach die Einwilligung immanenten objektiven Schranken unterliegen soll, wird im Hinblick auf das liberale Modell der Einwilligung mit dem Grundsatz ihrer Wirksamkeit nicht geteilt.70 Die medizinische Indikation erlangt deshalb auch keine eigenständige Bedeutung als immanente objektive Schranke der Einwilligung. Eine Beschränkung der Einwilligung bei der strafrechtlichen Beurteilung ärztlichen Handelns kann sich nach der Struktur des deutschen Strafrechts nicht über objektive, immanente Schranken der Einwilligung ergeben. Neben der Einordnung auf Tatbestandsebene durch die Tatbestandslösungen, die aber aus den dargelegten Gründen abzulehnen sind, kann sich eine Beschränkung der Einwilligung – allenfalls – aus § 228 StGB ergeben.71 Nur die nun folgende Ansicht, die das Fehlen einer Indikation als Grund für ein Sittenwidrigkeitsurteil begreift, kann vom dogmatischen Begründungsansatz her also überhaupt in das Einwilligungsrecht eingeordnet werden. b) Fehlen der medizinischen Indikation als Sittenwidrigkeit i. S. d. § 228 StGB? Das zweite Argumentationsmuster für eine Begrenzung der Einwilligung in ärztliche Eingriffe durch das objektive Erfordernis einer medizinischen Indikation bezieht sich auf die Sittenwidrigkeitsklausel. Auch diese Ansicht in der Literatur stützt sich auf die Standesrechtswidrigkeit bzw. auf objektive sozialethische Wertvorstellungen, folgert hieraus aber, die Vornahme eines nicht indizierten Eingriffs sei trotz der Einwilligung des Patienten sittenwidrig gem. § 228 StGB.72 Die Sittenwidrigkeitsklausel wird damit zur Grundlage für hart paternalistische Überlegungen.73 Das Zuwiderhandeln gegen das Gebot des primum non nocere des ärztlichen Standesethos bzw. gegen eindeutig feststellbare gesellschaftliche Moralvorstellungen soll bei der Vornahme nicht indizierter Eingriffe zugleich das strafrechtliche Sittenurteil begründen.74 69  Ulsenheimer (2008), Rn. 57b: „Aus der fehlenden Indikation darf also nicht ohne weiteres auf die Rechtswidrigkeit des ärztlichen Eingriffs geschlossen werden“, und in Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 138 Rn. 6, § 139 Rn. 42. 70  So auch Sternberg-Lieben (1997), S. 193; Fateh-Moghadam (2008), S. 91. 71  So auch Niedermair (1999), S. 192. 72  Laufs (2002), S. 121. 73  Schroth (2009), S. 725. 74  Horn (1979), S. 30, 31; Laufs (1993), Rn. 488 bzw. mit Einschränkungen in der Neuauflage Laufs / Katzenmeier / Lipp-Laufs (2009), I. Rn. 29, jeweils in Bezug

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

„Grundsätzlich bedarf der ärztliche Eingriff einer Indikation, wenn er nicht als berufs- und damit als sittenwidrig nach § 228 StGB gelten soll.“75

Auch diese Auffassung kann jedoch nicht überzeugen. § 228 StGB benennt die Sittenwidrigkeit der Tat als objektive Schranke der wirksamen Einwilligung.76 Das Gesetz geht dabei aber wie dargestellt vom Recht auf freie Disposition über den eigenen Körper aus und macht von dieser Freiheit nur in den §§ 216, 228 StGB eine Ausnahme.77 Das ergibt sich gerade aus der Formulierung des § 228 StGB – „nur dann rechtswidrig“ – selbst.78 Seit einiger Zeit zeigt sich so auch die überwiegende Tendenz, § 228 StGB restriktiv auszulegen,79 mit der Folge, dass der Einwilligung in eine Schönheitsoperation allenfalls weite Grenzen gesetzt sind. Gerade bei der strafrechtlichen Beurteilung medizinisch nicht indizierter Eingriffe und im Besonderen kosmetischer Operationen handelt es sich aber um einen Bereich, in dem die Beurteilungsmaßstäbe trotz der von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Maßstäbe zu § 228 StGB nicht abschließend geklärt sind,80 gerade weil zur Auslegung des Begriffs der guten Sitten in Rechtsprechung und Literatur teils völlig unterschiedliche Interpretationsansätze vertreten werden. Ob überhaupt und wann nicht indizierte ärztliche Eingriffe sittenwidrig sind und damit eine Sanktion für den Arzt nach sich zieht, wird uneinheitlich beurteilt. Jedenfalls entfaltet die Vorschrift des § 228 StGB gerade im Bereich von Schönheitsoperationen Relevanz81 und soll deshalb einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

auf therapeutisch sinnloses ärztliches Vorgehen. Vgl. hierzu Sternberg-Lieben (1997), S. 193 Fn. 110. 75  Laufs (2002), S. 125. 76  Trotz seines systematischen Standorts vor § 229 StGB ist anerkannt, dass die Regelung des § 228 StGB auch auf fahrlässige Körperverletzungen anwendbar ist. Die Einwilligung in ein körperspezifisches Risiko ist daher ebenso möglich und durch § 228 StGB begrenzt. Vgl. Nachweise bei Sch / Sch-Stree / Sternberg-Lieben (2014), StGB, § 228 Rn. 20 (selbst a. A.); Rengier (2014), § 20 Rn. 28. 77  MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 1, 19, 24; Rengier (2014), § 20 Rn. 1; Roxin (2006), § 13 Rn. 38; Fateh-Moghadam (2008), S. 132. 78  MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 1. 79  Fateh-Moghadam (2008), S. 109; Frisch (1999), S. 498. Vgl. neben den Tendenzen in der Lit. vor allem die neuere Rspr. des BGH, NJW 2004, 1054; NJW 2004, 2458 ff. 80  So Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 11. 81  Spickhoff-Knauer / Brose (2014), § 228 StGB Rn. 4; Prütting-Duttge (2012), § 228 StGB Rn. 20.



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 197

aa) Normative Unbestimmtheit des § 228 StGB Das Problem des Begriffs der guten Sitten ist seine normative Unbestimmtheit.82 Die fehlende Konkretheit und Klarheit der Formulierung des § 228 StGB bringt diese Norm in Konflikt mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB. Einige Autoren in der strafrechtlichen Literatur vertreten daher auch, dass § 228 StGB nicht mit der Verfassung zu vereinbaren sei.83 Zum Teil wird auch davon ausgegangen, dass infolge der Ausdifferenzierung des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs mit seiner Einwilligungsdogmatik dem damit funktionslosen § 228 StGB keine selbständige Bedeutung mehr zukomme84 bzw. er überflüssig sei.85 Von der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung im Schrifttum werden diese Ansichten allerdings nicht geteilt;86 insbesondere haben sie auch nicht das Bundesverfassungsgericht erreicht. bb) Der Sittenverstoß in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs In fünf neueren Entscheidungen hat sich der Bundesgerichtshof ausdrücklich bemüht, die Ausfüllung des Gute-Sitten-Begriffs rein normativ und äußerst restriktiv vorzunehmen. Die höchstgerichtliche Rechtsprechung hatte zur Auslegung der Sittenwidrigkeit seit langem die Formel vom „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ geprägt.87 Der Bundesgerichtshof führte dabei aus, ein Verstoß gegen die guten Sitten sei dann gegeben, wenn die Tat „nach allgemein gültigen moralischen Maßstäben, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden können, mit dem eindeutigen Makel der Sittenwidrigkeit behaftet ist“.88 Diese Formel macht die Schwierigkeit der Begriffsbildung der guten Sitten sehr deutlich, da sie, so auch der Bundesgerichtshof,89 als konturenlose Formel keinerlei kon82  Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 8; Sch / Sch-Stree / Sternberg-Lieben (2014), StGB, § 228 Rn. 4 ff. jeweils m. zahlr. w. N.; vgl. Duttge (2002), S. 775. 83  Sch / Sch-Stree / Sternberg-Lieben (2014), StGB, § 228 Rn. 2 ff. m. w. N.; NKStGB-Paeffgen (2013), §  228 Rn.  53, 33, m.  w.  N.; Sternberg-Lieben (1997), S. 121 ff.; Schroth (2010d), S. 92. Die h. M. hält den § 228 StGB dagegen für verfassungskonform. Der Gesetzgeber hat mit dem 6. StRG entschieden und an der bestehenden Regelung festgehalten. 84  Niedermair (1999), S. 195 ff., 257 f. 85  Schmitt (1978), S. 263. 86  So explizit BGHSt 49, 34, 37. 87  Etwa BGHSt 4, 24, 32; BGH 4, 88, 91. 88  BGHSt 49, 34, 41. 89  BGHSt 49, 34, 38.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

krete Ansatzpunkte für die Auslegung des § 228 StGB zu bieten vermag. Erforderlich ist daher die Hinzuziehung weiterer begriffsbildender Kriterien. Zudem sei in der pluralistischen Gesellschaft der Gegenwart kaum mehr Einigkeit über moralische Standards zu erzielen;90 deshalb verbiete der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundatz des Art. 103 Abs. 2 GG den Rückgriff auf nur moralische Grundsätze.91 Der Bundesgerichtshof füllt diese Formel darum in seiner neueren Rechtsprechung mit rein rechtlichen Wertungen aus und reduziert § 228 StGB auf seinen Kerngehalt. In den genannten Entscheidungen folgt er nur noch dem Kriterium der Schwere des tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs, wie es in der Literatur etwa von Hirsch und Roxin vertreten wird. Für alle diese Entscheidungen ist zu ergänzen, dass der Bundesgerichtshof den Tatzweck jedoch insofern nicht gänzlich außer Acht lässt, als ein positiver Handlungsanlass selbst bei einem konkret lebensgefährlichen Eingriff kompensierend wirken kann, etwa bei einem ärztlichen Heileingriff, der die letzte Chance zur Lebensrettung des Patienten darstellt.92 Ein solcher positiver Zweck liegt bei den hier untersuchten Schönheitsoperationen jedoch gerade nicht vor. Im sog. Heroin-Fall93 nimmt der 3. Strafsenat zwar zunächst wieder Bezug auf seine herkömmliche Sittenwidrigkeits-Formel, füllt diese dann aber normativ aus, indem er urteilt, dass „nach allgemeinem sittlichen Empfinden die Grenze moralischer Verwerflichkeit dann überschritten [ist], wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Betroffene durch das Verabreichen des Betäubungsmittels in konkrete Todesgefahr gebracht wird“.94 Der 2. Strafsenat kommt im sog. Sadomaso-Fall95 zum gleichen Ergebnis, geht dabei aber insofern noch weiter, indem er gleich eingangs klarstellt, dass „der Begriff der guten Sitten […] weniger außerrechtliche, ethisch-moralische Kategorien [betrifft]. Um dem Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens zu genügen, muss der Begriff der guten Sitten auf seinen rechtlichen Kern beschränkt werden.“96 So lautet der Leitsatz dieser Entscheidung auch: „Sittenwidrig ist die Tat, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird“.97 In einer Entscheidung aus dem 90  Z.  B. BGHSt 49, 166 im Zusammenhang mit sadomasochistischen Sexualpraktiken; so für die Lit. Amelung / Eymann (2001), S. 940, 941. 91  BGHSt 49, 166, 170; für die Lit. Roxin (2006), § 13 Rn. 38. 92  Jakobs (2006), S. 512, 515. 93  BGHSt 49, 34. 94  BGHSt 49, 34, 44. 95  BGHSt 49, 166. 96  BGHSt 49, 34. 97  BGHSt 49, 166.



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 199

Jahr 2008, dem sog. Autorennen-Fall,98 übernimmt der 4. Strafsenat – wenn auch in einer anders gelagerten Konstellation99 – diese Rechtsprechung aus den genannten beiden Urteilen zur Sittenwidrigkeit. Auch hier hält der Bundesgerichtshof an dem Kriterium der konkreten Todesgefahr als normative Grenze der Einwilligung fest und nimmt insbesondere Bezug auf die Begründung, dass „für diese Eingrenzung […] sowohl der Normzweck des § 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216 StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung [spreche]. Sie begrenzten die rechtfertigende Kraft der Einwilligung in eine Tötung oder Körperverletzung, da das Gesetz ein soziales bzw. Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolge“.100 In einem Beschluss101 aus dem Jahr 2010 verweist der 5. Strafsenat wiederum auf diese Grundsätze. Nach dieser gefestigten Rechtsprechung sind nach dem aus § 216 StGB abzuleitenden Rechtsgedanken – nur – konkret lebensgefährdende Eingriffe sittenwidrig im Sinne des § 228 StGB.102 Einschränkungen erfährt diese klare Linie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch durch eine Entscheidung aus diesem Jahr. Ein Beschluss des ersten Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 20.02.2013103 führt im Kontext des § 231 StGB ergänzend zu seiner bisherigen Rechtsprechung aus, dass eine Überschreitung der Sittenwidrigkeitsgrenze auch aus anderen Umständen hergeleitet werden könne. Eine Rechtfertigung trotz Einwilligung könne wegen § 228 StGB auch in solchen Fällen ausscheiden, in denen mit dem Eingriff keine konkrete Lebensgefahr für das Opfer verbunden ist, und zwar in Fallkonstellationen verabredeter wechselseitiger Tätigkeiten (bei Gruppenschlägereien bzw. der sog. „Dritten Halbzeit“), wenn Regularien oder Absprachen fehlen, die die Gefährlichkeit der Tat 98  BGHSt

53, 55. vorliegenden Fall ging es zwar nicht um die Herbeiführung eines vorsätzlichen Körperverletzungserfolgs, sondern um einen Fall der einverständlichen Fremdgefährdung im Straßenverkehr im Kontext des § 222 StGB, doch hat der BGH auch hier die Wertungen der §§ 216, 228 StGB herangezogen und auf die Fälle übertragen, in denen das Opfer in das Risiko des eigenen Todes eingewilligt und sich dieses Risiko anschließend im Rahmen des von der Einwilligung gedeckten Geschehensablaufs verwirklicht. Auch hier scheide eine Rechtfertigung durch Einwilligung bei konkreter Todesgefahr aus. Die Einwilligung verliere ihre rechtfertigende Wirkung dort, wo die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten ist, also bei konkreter Todesgefahr, unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Rechtsgutverletzung. Vgl. hierzu die Anm. von Kudlich, JA 2009, 389 ff. 100  Diese Rspr. hat vielfach Kritik erfahren, vgl. u. a. die Anm. von Duttge, NStZ 2009, S.  690 ff. 101  BGH, Beschluss vom 20.07.2010, 5 StR 255 / 10. 102  Vgl. zum Ganzen die Darstellung bei Kühl (2006), S. 525 ff. 103  BGH, Beschluss vom 20.02.2013, 1 StR 585 / 12 = BGH, NJW 2013, 1379. 99  Im

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

begrenzen. Grund für diese Rechtsprechung ist die typische, hohe abstrakte Eskalationsgefahr bei solchen Aufeinandertreffen.104 Solche Umstände liegen jedoch im Rahmen von ärztlichen Eingriffen, die von approbierten Berufsträgern nach medizinischen Standards vorgenommen werden, nicht vor. Auf den Bereich nicht indizierter Schönheitsoperationen lässt sich lediglich die von der Rechtsprechung entwickelte Grenze der konkreten Todesgefahr übertragen. Ein ärztlicher Eingriff zu rein ästhetischen Zwecken ist daher nur in den Fällen ausgeschlossen, in denen für den Patienten konkrete Lebensgefahr besteht. Damit lässt die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Einwilligungen in nicht indizierte Schönheitsoperationen in weitest reichendem Maß zu. Mit Blick auf den Beschluss vom 20.02.2013 bleibt aber abzuwarten, ob der Bundesgerichtshof neben dem Rechtsgedanken der § 216 und § 231 StGB in der Zukunft noch weitere Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Sittenwidrigkeit in Betracht ziehen wird. Diese neueste Entscheidung des Bundesgerichtshofs stellt jedenfalls eine gewisse Abkehr von der zuvor verfolgten, klaren Linie dar, indem sie objektive Moralvorstellungen zu Lasten des Prinzips der Selbstbestimmung wieder in den Vordergrund rückt. cc) Der Sittenverstoß in der Literatur In der Literatur sind divergierende und teils sehr ausdifferenzierte Ansätze für die Auslegung des § 228 StGB entwickelt worden.105 Niedermair und Fateh-Moghadam haben die vorgebrachten Ansichten in ihren Dissertationen umfassend aufgearbeitet.106 Der normative Kern der Frage nach der Reichweite der Einwilligung in medizinisch nicht indizierte Eingriffe nimmt bei der Diskussion um die Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB vielfach Bezug auf die Paternalismusthematik. Antipaternalistische Argumentationslinien sind häufig bei denjenigen Ansichten vorzufinden, die eine weitestgehende Wirksamkeit der Einwilligung gewährleisten möchten. An dieser Stelle sollen die für den Untersuchungsgegenstand Schönheitsoperation signifikanten Ansichten in der Literatur erarbeitet werden. Umstritten ist vor allem, ob nur die Schwere des eingewilligten Eingriffs in die körperliche Integrität oder auch der Zweck der Tat zu berücksichtigen 104  BGH,

Beschluss vom 20.02.2013, 1 StR 585 / 12 = BGH, NJW 2013, 1379. und umfassende Darstellung der in der Lit. vertretenen Ansichten bei Fateh-Moghadam (2008), S. 108 ff. 106  Niedermair (1999); Fateh-Moghadam (2008). Aufarbeitung der verschiedenen vertretenen Ansichten auch bei Nitschmann (2007), S. 558 ff., 563 ff. 105  Ausführliche



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 201

sein sollen. Darüber hinaus lassen sich im Groben zwei Linien unterscheiden.107 Der überwiegende Teil der Autoren nimmt eine objektive Beschränkung durch § 228 StGB über kollektive Erwägungen oder Vernünftigkeitskriterien an; der verbleibende Teil stellt auf eine autonomieorientierte Deutung ab und setzt der Einwilligung nur subjektive Schranken, indem er autonom gefällte Entscheidungen urteilsfähiger Personen akzeptiert. (1) § 228 StGB als objektive Schranke der Einwilligung Nur vereinzelt wird überhaupt noch vertreten, dass diese Norm letztlich – wortlautgetreu – abhängig vom Stand der Moralvorstellungen in der gesellschaftlichen Diskussion auszulegen sein soll.108 Kühl etwa sieht § 228 StGB in der derzeit eben geltenden Fassung nach dem Willen des Gesetzgebers an außerrechtliche, ethisch-moralische Kategorien geknüpft und stellt (ausschließlich) auf die von der älteren Rechtsprechung geprägte Formel vom Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden ab.109 Er stellt fest, dass es ein richterlicher Eingriff in die Entscheidung des Gesetzgebers sei, wenn der Bundesgerichtshof die guten Sitten auf ihren ‚rechtlichen Kern‘ reduziere.110 Individuelle Vorstellungen über Schönheit, Ästhetik und gemeingültige Moral differieren in unserer pluralistischen Gesellschaft aber ohne erkennbaren Konsens. Auch der Wunsch einer Frau nach einem Brustumfang von 130 cm ist heute nicht mehr singulär.111 Was von vielen Menschen als normal oder akzeptabel hingenommen wird, mag anderen in höchstem Maße missfallen; ein eindeutiges Sittenwidrigkeitsurteil wird sich nicht fällen lassen.112 In Anbetracht dessen und weiter der Tatsache, dass § 228 StGB als Beschränkung der Einwilligung, die verfassungsrechtlich 107  Vgl.

auch die Einordnung von Nitschmann (2007), S. 559. (2006), S. 530; Eberbach (2008a), S. 335; Eberbach (2009), S. 30 f. 109  Kühl (2006), S. 530; Lackner / Kühl (2014), StGB, § 228 Rn. 10. Vgl. auch Nitschmann (2007), S. 560 f. m. w. N. zu dieser Ansicht. 110  Kühl (2006), S. 530 f., 534. 111  Der in über 20 Schönheitsoperationen aufgebaute Brustumfang des bekannt gewordenen französischen „Busenwunders“ Lolo Ferrari betrug 130 cm, obwohl ein solcher Brustumfang die Bewegungsmöglichkeiten erheblich einschränkt und gesundheitsgefährdend ist – als Todesursache von Lolo Ferrari wird vermutet, dass sie am Gewicht ihrer Silikonimplantate erstickt sei, vgl. Spiegel-Online vom 30.03.2000, „Lolo Ferrari doch nicht an Pillen gestorben“, zuletzt aufgerufen am 26.10.2009. Im Jahr 2011 verstarb die 23-jährige „Sexy Cora“ in einer Hamburger Klinik infolge einer Schönheitsoperation, bei der ihr Brustumfang von 70F auf 70G vergrößert werden sollte. Vgl. SZ-Online vom 28.01.2013, „Tod durch Größenwahn“, http: /  /  www.sueddeutsche.de / panorama / verstorbene-pornodarstellerin-sexy-cora-tod-durchgroessenwahn-1.1585746, zuletzt aufgerufen am 28.01.2013. 112  Vgl. Jakobs (2006), S. 510. 108  Kühl

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auf dem Selbstbestimmungsrecht basiert und umfassend gewährleistet wird, ein Sonderfall ist, ist die Sittenwidrigkeit im Sinne des § 228 StGB als Rechtsbegriff zu verstehen und gerade nicht als Einfallstor für Verfügungsbeschränkungen über reine Moralvorstellungen.113 Auch Kühl plädiert letztlich de lege ferenda dafür, den Sittenwidrigkeitsbegriff angesichts der Umsetzungsschwierigkeiten bei der Festlegung eines allgemeingültigen Sittenurteils durch die konkrete Lebensgefährlichkeit zu ersetzen.114 Eine Beschränkung der Zulässigkeit von Schönheitsoperationen aufgrund bloßer Moralvorstellungen hinsichtlich menschlichen Aussehens scheidet daher, auch nach der ganz herrschenden Literatur, aus.115 Eine andere Meinung sieht in § 228 StGB eine reine Abwägungsklausel116 und knüpft damit an die Abwägungsmodelle der Einwilligung an.117 Für die Präzisierung des Sittenbegriffs ist nach Hardtung im Wege einer ex ante-Beurteilung das Selbstbestimmungsrecht des Opfers und die allgemeine Handlungsfreiheit des Täters als Vorteile und die Verletzung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit des Opfers durch den geplanten Eingriff als Nachteil abzuwägen.118 Dabei will Hardtung aber – ebenso wie bei einem rein paternalistischen Ansatz – die maßgeblichen Interessen nur mit ihrem objektiven Gewicht berücksichtigen.119 In Rückgriff auf den Schutzzweck der Norm, wonach vor allem das „generalpräventive Interesse der Rechtsgemeinschaft an der Tabuisierung schwerwiegender Eingriffe“ relevant sein soll, komme ein Verstoß gegen § 228 StGB nur bei solchen Eingriffen in Betracht, bei denen die Gefahr schwerer Gesundheitsschädigungen bestehe; die Rechtsordnung lasse solche aber nur zu, wenn neben der Einwilligung weitere, von der Rechtsgemeinschaft anerkannte Gründe für die Tat sprechen.120 Dabei erfolgt die Ermittlung der relevanten Vorteile durch eine Transformation aller gesetzlichen Wertungen.121 Auch wenn nach Hardtung die Unwirksamkeit 113  So

auch Fateh-Moghadam (2008), S. 132 ff.; Roxin (2006), § 13 Rn. 38. (2014), StGB, § 228 Rn. 11. 115  Für viele Sternberg-Lieben (2009), S. 330 ff. m. w. N. 116  MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 18; Formulierung der Abwägungsregel in Rn. 30. 117  Ausführliche Darstellung und Kritik bei Fateh-Moghadam (2008), S. 112 f.; Niedermaier (1999), S. 92 ff. 118  MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 19, 26. 119  MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 23. Hardtung grenzt seine sog. „TabuErklärung“ dabei aber von rein paternalistischen Ansätzen ab, Rn. 23, 28. 120  MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 23. 121  MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 18 ff. Zur Umsetzung diese Modells am Bsp. der Lebendorganspende vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 112 f. Für die Schönheitsoperation existieren dagegen gerade keine grundlegenden gesetzlichen Regelungen. 114  Lackner / Kühl



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der Einwilligung gem. § 228 StGB die Ausnahme sein soll, hat diese Auffassung jedoch zur Folge, dass Beschränkungen der Selbstverfügungsfreiheit in sehr weitem Maß zulässig werden. Zwar ist dieser Meinung zuzugeben, dass auch sie die Annahme einer Sittenwidrigkeit generell nur bei schweren Gesundheitsschädigungen für möglich hält und in den Bereichen, in denen gesetzliche Regelungen existieren, einen konkreten Maßstab für § 228 StGB anbietet. Doch nimmt Hardtung für schwere körperliche Eingriffe an, dass diese schon sittenwidrig sein sollen, wenn die Schädigung von keinem (objektiv) guten Zweck aufgewogen wird122 und nennt im Kontext einer nicht indizierten Behandlung als entscheidenden Gesichtspunkt den „Schutz des Bürgers vor seiner eigenen Unvernunft“.123 Letztlich ist damit auch dieser Ansatz hart paternalistisch und würde für nicht indizierte Schönheitsoperationen in weitem Maß zur Strafbarkeit des Arztes führen. Denn viele Eingriffe in der kosmetischen Chirurgie bergen das Risiko schwerer Gesundheitsschädi­ gungen,124 sodass die Abwägungsformel nach Hardtung zur Anwendung käme;125 und oft entsprechen die Motive für solche Eingriffe dabei nicht objektiven Vernünftigkeitskriterien. Nach den oben entwickelten Grundsätzen ist eine an objektive Kriterien geknüpfte Einschränkung der Verfügungsfreiheit aber unzulässig und diese Ansicht daher abzulehnen. Eine weitere, in der Rechtswissenschaft teils scharf angegriffene126 Ansicht vertritt Duttge.127 Auch er sieht in § 228 StGB einen Verweis auf die außerrechtliche Sozialordnung,128 die die Dispositionsbefugnis des Rechtsgutsträgers begrenzt – auch nach Duttges Interpretation allerdings nur in sehr restriktivem Ausmaß.129 Diese Gemeinschaftsinteressen, um die es nach dem Willen des Gesetzgebers bei § 228 StGB gehe,130 könnten, so Duttge, jedoch nicht empirisch überprüft und ausgefüllt werden. Vielmehr sei die Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1  GG als unverfügbarer Kernbereich der körperlichen Unversehrtheit der rechtliche Kern dieses Begriffs;131 sie müsse im Fall des Unterschreitens des von der Menschenwürdegarantie 122  MK-StGB-Hardtung

(2012), § 228 Rn. 38. (2012), § 228 Rn. 45. 124  Insb. etwa die Fettabsaugung; vgl. E. Fn. 97. 125  MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 34. 126  So etwa von Kühl (2006), S. 526; Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 10a; Roxin (2006), § 13 Rn. 55; Fateh-Moghadam (2008), S. 113 ff. 127  Duttge (2002), (2005b), dem Ansatz Schmidhäusers folgend, vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 54 m. w. N. Vgl. Nitschmann (2007), S. 559 f., 564, m. w. N. für Vertreter dieser Ansicht. 128  Duttge (2005b), S. 260. 129  Duttge (2002), S. 779, 801; Duttge (2005b), S. 261. 130  Duttge (2002), S. 777. 131  Duttge (2005b), S. 261 f. 123  MK-StGB-Hardtung

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umfassten Daseins-Minimums132 auch gegen den Willen des Rechtsgutsträgers bewahrt werden.133 Auch diese Ansicht führt einmal schon zu unzulässigen hart paternalistischen Entscheidungen, da sie die Verletzung der Menschenwürde losgelöst vom autonomen Willen des Rechtsgutsträgers bestimmt.134 Wann bei einem einverständlichen Umgang von Privatpersonen nach der Objektformel ein Verstoß gegen die Menschenwürde vorliegen soll, ist dabei nicht klar abgesteckt.135 Duttge sieht nur „extreme Auswüchse autonomer Entscheidungen“ als von der Gemeinschaft nicht mehr hinzunehmen und damit von § 228 StGB erfasst an.136 Ist es nach dieser Auffassung eine Degradierung zum Objekt, wenn ein Patient eine chirurgische Gesichtskorrektur nach dem Abbild eines Stars – autonom – wünscht? Nach richtiger Ansicht wird vielmehr gerade durch die Möglichkeit und Respektierung einer freien Entscheidung die Subjektqualität des Einwilligenden gewahrt.137 Weiter spricht entscheidend gegen diese Ansicht, dass sie die grundgesetzliche Dogmatik, auf die sie Bezug nimmt, gerade umkehrt.138 Nach der Verfassung bezieht sich der staatliche Schutz der Menschenwürde auf die Absicherung individueller Freiheitsrechte und gerade nicht auf einen kollektiven Gesundheitsschutz.139 Roxin hat überzeugend dargestellt, dass darüber hinaus selbst bei einem Verstoß gegen die Menschenwürde noch kein hinreichender Grund für eine Bestrafung vorliegt, da Aufgabe des Strafrechts nach dem Rechtsgutskonzept nur die Verhinderung sozialschädlichen Verhaltens ist.140 Auch die Auffassung von der Sittenwidrigkeit als Menschenwürdeverstoß ist daher abzulehnen. Überwiegend wird auch in der strafrechtlichen Literatur, ebenso wie in der oben dargestellten neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit unter grundsätzlicher Außerachtlassung des Tatzwecks allein auf die Schwere des intendierten Eingriffs, also auf das Gewicht des Körperverletzungserfolgs und den Grad der möglichen Lebensgefahr, abgestellt.141 Sittenwidrig sind danach solche Eingriffe, die nach einer objektiven ex ante-Beurteilung konkret lebensgefährlich sind; der mit 132  Duttge

(2002), S. 786 f. (2002), S. 784. 134  So auch Schroth (2009), S.  656, 659; Fateh-Moghadam (2008), S. 115; Fateh-Moghadam (2010a), S. 24. 135  So auch Kühl (2006), S. 526; Duttge (2002), S. 784 selbst. 136  Duttge (2002), S. 786. 137  Nitschmann (2007), S. 560 m. w. N. 138  Hierauf verweist auch Duttge selbst in (2002), S. 784 f. 139  Fateh-Moghadam (2008), S. 115 f. So wohl auch Schroth (2010e), S. 797. 140  Roxin (2006), § 2 Rn. 20 f.; § 13 Rn. 55. Vgl. auch Schroth (2003), S. 844; Schroth (2007a), S. 115. 141  Vgl. Lackner / Kühl (2014), StGB, § 228 Rn. 10 m. zahlr. w. N.; Kühl (2006), S. 524 f. m. w. N.; Roxin (2006), § 13 Rn. 40 m. w. N. Vgl. auch Fateh-Moghadam (2008), S. 131. 133  Duttge



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der Tat verfolgte Zweck bleibt dabei explizit unberücksichtigt.142 Diese Ansicht hat den Vorzug, dass sie den notwendigen Rechtsgutsbezug aufweist, auf objektive Kriterien Bezug nimmt und hinreichend bestimmt ist. Zudem ergibt sich aus der alleinigen Anknüpfung an die Schwere des Eingriffs eine sinnvolle strafbarkeitsbegrenzende Wirkung.143 Die Frage nach dem Eingriffszweck bleibt dennoch auch für die Vertreter der Schweretheorie nicht völlig außer Betracht und erlangt gerade im Medizinstrafrecht Bedeutung. Die Schweretheorie erfährt nämlich insofern Einschränkungen, als der Zweck der Körperverletzungshandlung trotz Orientierung am Rechtsgut eben doch Berücksichtigung findet.144 Hirsch, der die Schweretheorie maßgeblich begründet hat,145 will den Zweck der Tat ausnahmsweise strafbarkeitsbegrenzend berücksichtigen, nämlich in den Fällen, in denen „die Körperverletzung für sich allein betrachtet als sittenwidrig anzusehen wäre, eine solche negative Bewertung aber durch einen positiven oder jedenfalls einsehbaren Zweck kompensiert wird“.146 Dieser Ansicht haben sich auch Rechtsprechung und die überwiegenden Stimmen in der Literatur angeschlossen und ziehen den Tatzweck subsidiär und täterbegünstigend heran.147 Auch konkret lebensgefährdende Eingriffe in die körperliche Integrität sind danach nicht sittenwidrig, wenn sie einen positi­ ven, rechtlich anerkannten Zweck verfolgen, mit dem die Schwere des Eingriffs kompensiert werden kann,148 also etwa eine hochriskante, aber lebensrettende Operation, ein Heilversuch,149 eine Geschlechtsumwandlung oder eine Lebendorganspende.150 So sehr dieses Ergebnis überzeugt, so groß bleiben aber die Abgrenzungsschwierigkeiten dieser Ansicht gerade in den Grenzfällen. Roxin, der im Ausgang auch die Schweretheorie vertritt, nimmt an, dass zum einen konkret lebensgefährliche Körperverletzungen, zum anderen jedoch auch solche irreversiblen, schwerstwiegenden Eingriffe in den Körper 142  LK-StGB-Hirsch

(2005), § 228 Rn. 9. auch Fateh-Moghadam (2008), S. 116. 144  Vgl. Schroth (2010e), S. 797  f.; Duttge (2002), S. 779 f.; Hk-StGB-Dölling (2013), § 228 Rn. 14. 145  LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 8 f.: „Für die Sittenwidrigkeit soll es nach der bisherigen h. M. in erster Linie auf den Zweck der Beeinträchtigung ankommen. [… Diese Ausrichtung] ist nicht haltbar.“ 146  LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 9 a. E. 147  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 190. 148  Für viele Sch / Sch-Stree / Sternberg-Lieben (2014), StGB, § 228 Rn. 18. m. w. N.; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 190; Roxin (2006), § 13 Rn. 65; Jakobs (2006), S. 512; BGH, NJW 2004, 2459. 149  Oswald (2010b), S. 692 f. 150  Roxin (2006), § 13 Rn. 40. 143  So

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sittenwidrig sein sollen, für die auch aus der Perspektive des Verletzten kein plausibler Grund erkennbar ist.151 Er greift für diese Auslegung auf den Grundgedanken des § 216 StGB zurück und nimmt darüber hinaus eine paternalistische Einschränkung über § 228 StGB vor, nämlich in den – eng begrenzten – Ausnahmefällen, in denen der Rechtsgutsträger seinen Körper ohne verständlichen Grund so beeinträchtigt, dass ihn dies sein ganzes Leben lang nachhaltig beeinträchtigen wird.152 Diese Ansicht sieht sich jedoch Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber und bietet wiederum ein Einfallstor für objektive Vernünftigkeitsüberlegungen, die nach der hier vertretenen Ansicht als hart paternalistische Motivkontrolle ausgeschieden werden sollen.153 Gegenüber dieser vorherrschenden eingeschränkten Schweretheorie wird zum anderen in der rechtswissenschaftlichen Literatur vertreten, dass auch der mit dem Eingriff in den Körper verfolgte verwerfliche Zweck in die Betrachtung einzubeziehen sei.154 Eine lange Zeit umstrittene Besonderheit im Kontext des § 228 StGB war dabei der schönheitsoperative Eingriff zu deliktischen Zwecken, also beispielsweise der gesichtskonturenverändernde Eingriff bei einem gesuchten Verbrecher.155 Nach einer Auffassung in der Literatur soll die Verfolgung strafrechtlich missbilligter Zwecke die Einwilligung in die Schönheitsoperation unwirksam machen.156 Diese Interpreta­ tion des § 228 StGB über gesetzliche Wertungen im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG bringt zwar den Vorzug einer hinreichend bestimmten Auslegung und Anwendung dieser Generalklausel; die Begrenzung der wirksamen Einwilligung über die Sittenwidrigkeitsklausel kann damit klar gezogen und die Bestrafung bloßer Moralwidrigkeiten ausgeschlossen werden.157 Nach richtiger Ansicht werden schönheitsoperative Eingriffe zu deliktischen Zwecken heute aber ganz überwiegend nicht mehr als sittenwidrig eingeordnet.158 151  Roxin

(2006), § 13 Rn. 40 ff., 41, 43; so auch Schroth (2010a), S. 44. (2006), § 13 Rn. 42, 43 ff. 153  Vgl. zur Kritik Fateh-Moghadam (2008), S. 117 ff. 154  SK-StGB-Horn / Wolters (2013), § 228 Rn. 9; Lackner / Kühl (2014), StGB, § 228 Rn. 10; Eberbach (2009), S. 30. Vgl. MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 38. 155  Aktueller Fall unter http: /  / www.sueddeutsche.de / panorama / spektakulaererkriminalfall-betrueger-tarnte-sich-mittels-gesichts-ops-1.1607002, zuletzt aufgerufen am 19.04.2013. 156  So offenbar immer noch Eberbach (2009), S. 30; SK-StGB-Horn / Wolters (2013), § 228 Rn. 9 a. E.; zur Kritik LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 9. So in der 3. Auflage seines ATs auch Roxin, nun aber ausdrücklich aufgegeben, vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 39. 157  Roxin (2006), § 13 Rn. 39 ff. 158  LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 9, Rn. 44 m. w. N.; Sch / Sch-Stree / Sternberg-Lieben (2014), StGB, § 228 Rn. 21; Roxin (2006), § 13 Rn. 39; Rengier (2014), § 20 Rn. 2. 152  Roxin



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Denn entscheidend ist für § 228 StGB die Sittenwidrigkeit der Körperverletzungs-Tat, nicht der Einwilligung und ihrer Motive. Die Gegenansicht führt zu einer Rechtsgutsvertauschung.159 Solche Eingriffe sind zwar unter Umständen eine Strafvereitelung gem. § 258 StGB und eine Beteiligung an einem geplanten Betrug, in dem eingewilligten Eingriff liegt aber darüber hinaus keine strafbare Körperverletzung. (2) Kritik Zusammenfassend nehmen die bisher dargestellten Konzeptionen des Sittenverstoßes im Schrifttum eine jeweils verschieden gewichtete Berücksichtigung von sowohl Individualschutz- als auch Allgemeininteressen vor.160 Dabei erzielen diese Ansätze, so unterschiedlich sie in Herleitung und Begründung sein mögen, beinahe gleichlautende Ergebnisse.161 In den entscheidenden (gravierenden) Grenzfällen werden aber Verhältnismäßigkeitsüberlegungen angestellt, die sich nicht von moralischen Überlegungen befreien können.162 Letztlich arbeiten die dargestellten Ansichten bei der Interpretation der Sittenklausel objektive Schranken für die wirksame Einwilligung heraus. Unabhängig davon, ob dabei auf moralische oder kollektive Erwägungen, auf eine objektiv verstandene Menschenwürde oder auf das Standesrecht der Ärzte abgestellt wird, kollidieren diese Deutungen nach der hier vertretenen Ansicht mit der individual-liberalen Ausrichtung der Verfassung und dem liberalen Rechtsguts- und Einwilligungskonzept der Körperverletzungsdelikte und münden in einen unzulässigen harten bzw. Vernunftpaternalismus.163 Unter dieser Prämisse knüpft in der letzten Zeit eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Stimmen in der Literatur für die Auslegung der Sittenformel an die Schweretheorie an und stellt dann darauf ab, ob es sich bei der Einwilligung um eine autonome Entscheidung des Rechtsgutsträgers handelt. Ein Eingriff in die Dispositionsfreiheit ist über § 228 StGB nach dieser Auffassung nur dann zulässig, wenn er den – weich paternalistischen – Schutz vor 159  Sternberg-Lieben (1997), S. 512  ff.; Roxin (2006), § 13 Rn. 39; Niedermair (1999), S. 148 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 111. 160  Vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 44; Nitschmann (2007), S. 570. 161  Vgl. im Einzelnen Roxin (2006), § 13 Rn. 50 ff.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 36. 162  Zum Ganzen Nitschmann (2007), S. 570. Vgl. auch Sternberg-Lieben (2009), S.  330 ff. 163  Fateh-Moghadam (2008), S.  125; Roxin (2006), §  13 Rn.  86  f.; Schroth (2010a), S. 44; Nitschmann (2007), S. 570; Rönnau (2001), S. 215; Joost (2010a), S. 153.

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Autonomiedefiziten bezweckt.164 Nicht die objektive Vernünftigkeit einer Entscheidung ist zulässiges Kriterium für einen fürsorglichen staatlichen Eingriff165, sondern nur die Absicherung der subjektiven Autonomie im Wege einer subjektiven Beschränkung der Einwilligung.166 (3) §   228 StGB als autonomieorientierte Einschränkung der Einwilligung Eine autonomieorientierte Deutung des § 228 StGB, die keine überindividuellen Schutzinteressen anerkennt, formuliert schon früh Frisch. Eine konsistente Begründung der Strafbarkeit wegen Körperverletzung sei über § 228 StGB erst dann gegeben, wenn die Einwilligung nicht als Ausdruck einer autonomen Entscheidung des Rechtsgutsträgers angesehen werden könne.167 Diese Interpretation der Sittenklausel, die auf den ersten Blick auf die subjektive Rationalität des Einwilligenden abzustellen scheint, wird jedoch wieder auf eine kollektive Ebene zurückgeführt, wenn Frisch ergänzt – „weil eine vernünftige Person so nicht entscheiden würde.“168 Auch diese Ansicht stellt also letztlich auf objektive Vernünftigkeitskriterien ab und beschränkt die Wirksamkeit der Einwilligung auf unzulässige hart paternalistische169 Weise.170 Zuzugeben ist dem von Frisch entwickelten Ansatz, dass er den Anwendungsbereich der Sittenklausel auf Ausnahmefälle beschränkt wissen möchte und feststellt, dass sich die Versagung der Anerkennung der Einwilligungsentscheidung in Fällen leichterer Körperverletzungen kaum je begründen lassen werde.171 Im Ergebnis stimmt Frisch mit der eingeschränkten Schweretheorie Roxins überein, indem er als Hauptbeispiel 164  Murmann (2005), S. 501 ff.; Köhler (2006), S. 439 ff.; Schroth (2009), S. 660; Fateh-Moghadam (2008), S. 125 ff., 133; vgl. auch Frisch (2006), S. 492 ff. A. A. Lackner / Kühl (2014), StGB, § 228 Rn. 10 („mit dem Wortlaut kaum vereinbar“). Aus ethischer Sicht Schöne-Seifert (1996), S. 570. 165  Spickhoff-Knauer / Brose (2014), § 228 StGB, Rn. 3. 166  So Fateh-Moghadam (2008), S.  125; Schroth (2009), S.  726; Murmann (2005), S. 502 ff. Zur Kritik an diesem Ansatz Roxin (2006), § 13 Rn. 52; Lackner / Kühl (2014), StGB, § 228 Rn. 10. 167  Frisch (1999), S. 490, 494. 168  Frisch (1999), S. 494, 495. 169  Frisch selbst führt aus, dass diese Deutung nichts mit einer paternalistischen Bevormundung zu tun habe, da sie dem entspreche, was ein vernünftiges Indivi­ duum selbst für solche Sachverhalte wolle, vgl. Frisch (1999), S. 495. 170  Vgl. zur Kritik gegen Frisch Fateh-Moghadam (2008), S. 125 f. m. w. N.; LKStGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 6; Roxin (2006), § 13 Rn. 52 f.; Sternberg-Lieben (2009), S.  336 f. 171  Frisch (1999), S. 497, 498, 501. Vgl. hierzu auch Sternberg-Lieben (2009), S. 337.



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für eine Sittenwidrigkeit trotz Einwilligung „gravierende körperliche Eingriffe, insbesondere solche mit irreversiblen Folgen, die ohne ersichtlichen oder nachvollziehbaren Grund verlangt oder bewilligt werden“172, nennt. Letztlich werden nach dieser Ansicht Einwilligungen in rein kosmetisch veranlasste Schönheitsoperationen umfassend als wirksam anerkannt;173 die Begründung, deren Bewertungsmaßstäbe offen bleiben174, die letztlich doch an Moralvorstellungen175 anknüpft und einen Vernunftpaternalismus beinhaltet, überzeugt indes nicht.176 Ein im Ergebnis ähnlicher Ansatz findet sich bei Jakobs, der die §§ 223, 228 StGB durch das Konzept eines Deliktes gegen den Unverstand bzw. die Unverhältnismäßigkeit ausfüllt und damit auch einen Vernunftpaternalismus verfolgt.177 In Anbetracht der Tatsache, dass sich ein gemeingültiges Sittenurteil nicht mehr finden lasse, sei § 228 StGB heute „modern“ zu verstehen178 und restriktiv auszulegen. An die Stelle der Unterscheidung von Gehörigem und Ungehörigem trete diejenige des Privaten vom objektiv Unverhältnismäßigen. Autonome Entscheidungen des Einwilligenden werden weitestgehend akzeptiert, weshalb reversible und nicht gravierende Körperverletzungen von Jakobs als reine Privatsache vom Anwendungsbereich des § 228 StGB ausgeschlossen werden, da sie gerade die zu schützende Ausübung der Rechte des Dispositionsbefugten darstellen.179 Bei den verbleibenden schwerwiegenden, insbesondere lebensgefährlichen Verletzungen der Entfaltungsbasis Körper findet dann aber doch wieder eine Vernunftkontrolle statt: die Größe der Gefahr müsse zur Größe des Anlasses in Beziehung gesetzt werden. Eine wirksame Einwilligung soll nur dann möglich sein, wenn ein objektiv nicht unverständiger bzw. verhältnismäßiger Grund für die Verletzungshandlung hinzutritt.180 Letztlich wird der Tatzweck damit von Jakobs objektiv bewertet und die Sittenwidrigkeit als normative Nichtigkeit des Anlasses interpretiert.181 Er konzipiert die Körperverletzung als ein Delikt gegen allgemeine Interessen.182 Jakobs’ Ansatz 172  Frisch

(1999), S. 499. (1999), S. 498, 502. 174  Sternberg-Lieben (2009), S. 337. 175  Frisch (1999), S. 502: Was als eine „noch als hinzunehmende Selbstbestimmung einer Vernunftperson [gilt, ist] […] in hohem Maße zeit- und kulturgebunden“. 176  So auch Sternberg-Lieben (2009), S. 336 f. 177  Jakobs (2006), S. 507 ff.; Jakobs (1993), § 14 Rn. 9, 12. 178  Jakobs (2006), S. 510. 179  Jakobs (2006), S. 510, 513 f. 180  Jakobs (2006), S. 509, 515, 520. 181  Jakobs (2006), S. 516. 182  Jakobs (2006), S. 520. 173  Frisch

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erzielt letztlich die gleichen Ergebnisse wie der von Frisch, sieht sich aber auch den dort genannten Einwänden ausgesetzt.183 Diesen Einwänden begegnet Murmann, der ein abschließendes, auch verfassungsrechtlich begründetes Konzept für ein autonomieorientiertes und ausschließlich individualschützendes strafrechtsdogmatisches Verständnis der Sittenklausel erarbeitet hat.184 Beschränkungen der Einwilligung sollen nur dann zulässig sein, wenn sie dem Schutz der Rechte Dritter oder des Einwilligenden vor defizitären Entscheidungen dienen und nicht aufgrund einer objektiven Vernünftigkeitskontrolle gerechtfertigt werden können. Murmann interpretiert § 228 StGB als Vorschrift zum Schutz vor der Ausführung nicht wirksam bewilligter Körperverletzungen, bei denen die Einwilligung aus der Sicht des konkret entscheidenden Rechtsguts­ trägers möglicherweise mit einem Entscheidungsdefizit behaftet ist.185 Die relevanten Indizien für das Vorliegen von Entscheidungsdefiziten seien aus den objektiven äußeren Umständen zu schließen und könnten sich bei § 228  StGB186 aufgrund der Delegation und der Art, Intensität und Sinnhaftigkeit des Eingriffs ergeben, insbesondere bei gravierenden Eingriffen ohne plausiblen Grund.187 Allerdings kann es nach dem Ansatz Murmanns schon mit Blick auf die bloße Möglichkeit eines Entscheidungsdefizits gerechtfertigt sein, auch solchen Entscheidungen die Wirksamkeit zu versagen und damit Körperverletzungen mit Einwilligung für strafbar zu erklären, die in Wahrheit nicht defizitär, sondern autonom getroffen sind.188 Diese Argumentation macht die §§ 223  ff. StGB zu abstrakten Gefährdungsdelikten.189 Trotzdem ist der Ansatz von Murmann überzeugend. Richtig ist daran vor allem, dass er auf die subjektive Autonomie einer Einwilligungsentscheidung und bei deren Bestimmung darauf abstellt, ob sich anhand konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte die Möglichkeit eines Entscheidungsdefizits des Einwilligenden offenbart.190 Denn nur die selbstbestimmte Entscheidung 183  Vgl.

auch die Darstellung und Kritik bei Nitschmann (2007), S. 566 f. (2005). Umfangreiche Darstellung, Kritik und Fortentwicklung dieses Ansatzes bei Fateh-Moghadam (2008), S. 126  ff. und Fateh-Moghadam (2010a), S.  36 ff. 185  Murmann (2005), S. 502, 504, 505. 186  Für § 216 StGB stellt Murmann (2005), S. 503, insb. schon auf die Delegation des Eingriffs ab. 187  Murmann (2005), S. 503. 188  Murmann (2005), S. 504, 495. 189  So Murmann (2005), S. 505, bzgl. § 216. So auch Schroth (2011b), S. 242; Rigopoulou (2013), S. 302 ff. Zur Kritik vgl. Fateh-Moghadam (2010a), S. 36 f. 190  Fateh-Moghadam (2008), S. 128  ff.; Schroth (2010a), S. 42 ff., 45; Schroth (2010e), S. 803; Oswald (2010b), S. 691 f. 184  Murmann



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eines einwilligungsfähigen Rechtsgutsträgers kann Eingriffe Dritter in die körperliche Integrität legitimieren.191 Im Rahmen des § 228 StGB ist es daher richtig zu fordern, dass der Einzelne bei der Entscheidung über seine Individualgüter vor Entscheidungsdefiziten geschützt werden muss.192 Maßgeblich ist ein Konzept der rechtlichen Autonomie, zu dem gerade auch das Recht gehört, sich unvernünftig zu verhalten193, und nicht etwa die Absicherung einer völligen, objektiv verstandenen Rationalität einer Entscheidung.194 Denn mit Rationalitätsdefiziten behaftete Entscheidungen sind nach dem Stand der verhaltensökonomischen Forschung der Normalfall menschlichen Verhaltens.195 Nur eine solche weich paternalistische, subjektive Beschränkung der Einwilligung ist nach der hier vertretenen Ansicht196 zulässig.197 Über diese zutreffende Begründung einer Interpretation des § 228 StGB hinaus dürfte aber auch der Ansatz Murmanns ganz ähnliche Ergebnisse erzielen wie die eingeschränkte Schweretheorie der herrschenden Meinung. Das dargestellte Risiko, dass auch in Wirklichkeit autonom getroffene Entscheidungen als defizitär interpretiert werden und gar keine Rechtsgutsverletzung vorliegt, wird dadurch abgemildert, dass nur gravierende Beeinträchtigungen bei gleichzeitig hoher Wahrscheinlichkeit eines Entscheidungsdefizits erfasst werden.198 Zum Konzept von Murmann ist weiterführend vorgeschlagen worden, die Indizien für relevante Entscheidungsdefizite zu konkretisieren. Nach dem Ansatz von Fateh-Moghadam sollen dabei nur solche Umstände in Betracht kommen, die in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung stehen.199 Die Ausfüllung dieser Indizien erfolgt dabei in Orientierung an den subjektiven Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung, also an die Einwilligungsfähigkeit 191  Rigopoulou

(2013), S. 271. (2009), S. 723. 193  Roxin (2006), § 13 Rn. 52; Fateh-Moghadam (2010a), S. 34. 194  Schroth (2009), S. 723 f., 726. 195  Fateh-Moghadam (2010a), S. 34; Schroth (2009), S. 726. Detaillierte Darstellung zur Verhaltensökonomie unten E.I.1.b). 196  So Schroth (2009), S. 728; Fateh-Moghadam (2010a), S. 21 ff., 37 ff.; Oswald (2010a), S. 94 ff.; Joost (2010a), S. 126 ff. 197  Zur Kritik an dieser Auslegung Roxin (2006), § 13 Rn. 52, nach dessen Ansicht sich gegen eine solche Konzeption einwenden lässt, dass der dem Wortlaut nach die Verfügungsbefugnis beschränkende § 228 StGB in eine Garantie des Selbstbestimmungsrechts umgedeutet wird und dass Autonomiedefizite ein Problem der Einwilligungsfähigkeit sind. Lackner / Kühl (2014), StGB, § 228 Rn. 10: „mit dem Wortlaut kaum vereinbar“. 198  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2010a), S. 36; Rigopoulou (2013), S. 304. 199  Fateh-Moghadam (2008), S.  126  ff., 134 und Fateh-Moghadam (2010a), S.  37 ff. 192  Schroth

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und die Freiheit von Willensmängeln.200 Nach dieser überzeugenden Auffassung werden von § 228 StGB damit nur konkret lebensgefährliche und solche schwerwiegenden, irreversiblen Eingriffe erfasst, die anhand konkreter tatsächlicher Indizien die subjektive Widersprüchlichkeit im Wertesystem des Einwilligenden nahelegen; der Hinweis auf eine objektive Unvernünftigkeit genügt dafür nicht.201 Die Einwilligung in reversible Eingriffe und solche mittlerer oder geringer Intensität ist dagegen stets wirksam, da eine Beschränkung der Dispositionsfreiheit in diesem Bereich dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zuwiderliefe. dd) Zwischenergebnis: § 228 StGB als restriktiv verstandener Rechtsbegriff und subjektive Schranke der Einwilligung Neben § 216 StGB ist die Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB die einzige Einschränkung, die das Gesetz der freien Disposition über den eigenen Körper setzt. Die Einwilligung unterliegt darüber hinaus keinen immanenten Schranken.202 Beinhaltet ein Eingriff in die Körperintegrität einen Sittenverstoß, stellt dies eine Schranke für die Einwilligung des Verletzten203 dar, die damit trotz ihres Vorliegens keine Wirksamkeit entfaltet.204 Die Anknüpfung an die Sittenwidrigkeitsklausel bei der Frage nach der Notwendigkeit einer medizinischen Indikation lässt sich daher, anders als der Ansatz der Abwägungsmodelle, jedenfalls in die Dogmatik der Einwilligung einordnen. Ebenso zeigt sich aber gerade in der Formulierung des § 228 StGB die grundsätzlich liberale Einstellung der Rechtsordnung zur freien Disposition über den eigenen Körper. Will man einen Eingriff trotz Einwilligung für strafbar erklären, ist dies die Ausnahme von der Regel und begründungsbedürftig.205 Das zeigt auch die sehr kontrovers geführte Debatte um Verfas200  Für eine Anknüpfung an die subjektiven Wirksamkeitsvoraussetzungen außerhalb des § 228 StGB Amelung (1992), S. 537 ff., 540 ff.; Sternberg-Lieben (2009), S.  335 ff., 338. 201  Fateh-Moghadam (2010a), S. 37; Schroth (2009), S. 726. 202  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 133. 203  Auf die Fälle der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters findet § 228 StGB keine Anwendung. Die Vorschrift spricht in ihrem eindeutigen Wortlaut von der Einwilligung der verletzten Person, eine Analogie zu Lasten des Täters scheidet gem. Art. 103 Abs. 2 GG aus. Am Ergebnis der etw. Strafbarkeit des Arztes wird dies aber nichts ändern, da die sonst bei § 228 StGB anzustellenden Wertungen in die Auslegung des die elterliche Befugnis begrenzenden Kindeswohls Eingang findet. Zum Ganzen MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 10, 11. 204  Zum Ganzen Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 2; Roxin (2006), § 13 Rn. 38; Schroth (2010d), S. 91 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 108 f.; Rengier (2014), § 20 Rn. 1. 205  Fateh-Moghadam (2008), S. 97, 125, 133.



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sungsmäßigkeit und Auslegung der Sittenwidrigkeitsklausel, die überdies im Bereich der Körperverletzungsdelikte eine Ausnahmenorm gegenüber der Einwilligung im Kontext anderer Delikte darstellt.206 Der Versuch, im Rahmen des § 228 StGB objektive Schranken der Einwilligung zu begründen, wird ebenso wie der Ansatz der Abwägungs- / Kolli­ sionsmodelle abgelehnt, weil er dieser liberal-individuellen Ausrichtung des Grundgesetzes und des Rechtsinstituts der strafrechtlichen Einwilligung und einem zutreffenden Rechtsgutsverständnis der Körperverletzungsdelikte widerspricht.207 Eine Grenze findet sich angesichts der unklaren Kriterien der Sittenklausel nur in einem als Rechtsbegriff und subjektiven Autonomieschutz verstandenen § 228 StGB oder in spezialgesetzlichen Regelungen.208 Die dargestellten objektiven Begründungen folgen dagegen einer unzulässigen hart paternalistischen, teils auch moralistischen Argumentationsstruktur.209 Das Fehlen der medizinischen Indikation macht einen ärztlichen Eingriff nicht automatisch sittenwidrig gem. § 228 StGB. Insbesondere können standesrechtliche Vorgaben nicht einfach ins Strafrecht transportiert werden können. Dabei stellt sich – ebenso wie bei den Tatbestandslösungen und den Abwägungsmodellen – die Problematik der trennscharfen Abgrenzung indizierter von nicht indizierten Behandlungen, die auch das ärztliche Standesrecht selbst oft nicht treffen kann.210 Dem Standesrecht, dem eine ganz andere normative Aufgabe zukommt als dem Strafrecht mit seinen einschneidenden Sanktionen, würde so eine zu weitgehende normative Bedeutung beigemessen.211 Für ein ärztliches Sonderrecht bei ärztlicherseits verübten Körperverletzungsdelikten, das vom Grundsatz der Wirksamkeit der Einwilligung des Rechtsgutsinhabers abweicht, besteht kein Anlass.212 Insbesondere aber achtet diese paternalistische Sichtweise das verfassungsrechtlich abgesicherte Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu gering.213 Die oben diskutierten Ansätze zur Ausfüllung der Sittenwidrigkeitsklausel lassen sich wie folgt zusammenfassen. Nach zutreffender Ansicht muss § 228 StGB nach rein rechtlichen Maßstäben ausgelegt werden. Für die 206  Vgl.

Roxin (2006), § 13 Rn. 70. (2008), S. 125. Vgl. Sternberg-Lieben (2009), S. 334 ff.; Roxin (2006), § 13 Rn. 12 ff.; Schroth (2009), S. 724 ff. 208  Schroth (2009), S. 728; Fateh-Moghadam (2008), S. 133; vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 38 ff.; Ulsenheimer (2008), Rn. 57d. So macht bspw. das TPG die Lebendspende nicht zulässig, sondern begrenzt sie erst. Gegen einen Schutz von Autonomie durch § 228 StGB Sternberg-Lieben (2009), S. 335 ff. 209  Fateh-Moghadam (2008), S. 109. 210  Zum Ganzen Sternberg-Lieben (2009), S. 328. 211  Vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 41 ff. 212  MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 1. 213  Sternberg-Lieben (2009), S. 329. 207  Fateh-Moghadam

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Rechtsanwendung und Auslegung des § 228 StGB ist es im Hinblick auf die Trennung von Recht und Moral und das richtige Verständnis der Sittenwidrigkeitsklausel als Rechtsbegriff nicht zulässig, den Sittenbegriff mit empirischen Feststellungen über außerrechtliche Moralvorstellungen auszufüllen, weil rechtsgutsgelöste, moralisch-ethische Grundsätze nicht Anknüpfungspunkt einer Strafandrohung sein können; dies verbietet auch der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG.214 Ebensowenig ist aus den oben dargestellten Gründen im Rahmen des § 228 StGB eine objektive Abwägung oder ein Anknüpfen an die (objektiviert verstandene) Menschenwürde angezeigt.215 Auch der Rückgriff auf inner(straf-)rechtliche Wertungen scheidet aus, etwa im Fall einer Gesichtsoperation zur Verschleierung der Täterschaft einer begangenen Straftat, weil damit eine unzulässige Rechtsgutsvertauschung im Rahmen der Körperverletzungsdelikte und Vorverlagerung der Strafbarkeit herbeigeführt wird.216 Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der der Sittenwidrigkeitsbegriff mit rechtlichen Wertungen ausgefüllt wird und nach dem Kriterium der Schwere des Eingriffs und dem aus § 216 StGB abzuleitenden Rechtsgedanken konkret lebensgefährdende Eingriffe für sittenwidrig erklärt werden, überzeugt indes. Die darüber hinaus teils offenbar gewordene Neigung der Rechtsprechung, extreme Fallkonstellationen von nicht indizierten Eingriffen über § 228 StGB zu lösen217 – diese Ansicht von § 228 StGB als ‚Reservenorm‘ gerade für ‚neuartige‘ Fälle wie ganz fernliegende Wünsche nach Schönheitsoperationen wird in der Literatur teils geteilt218 – ist mit einem richtigen Verständnis der Sittenwidrigkeitsklausel aber nicht vereinbar. Maßgebliche Anforderung an eine Strafnorm ist deren Bestimmtheit; ein nachträglich unterlegter Zweck genügt diesem Erfordernis nicht.219 Zulässige (weich) paternalistische Beschränkungen der Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsträgers über seinen Körper können im Sinne der Schweretheo­ rie weiter nur bei schwerwiegenden Eingriffen legitimiert werden. 214  So für viele Roxin (2006), § 13 Rn. 38; Fateh-Moghadam (2008), S. 109; Sternberg-Lieben (2009), S. 331. 215  So auch Schroth (2003), S. 844; Roxin (2006), § 13 Rn. 55; Kühl (2006), S. 526; Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 10a; Fateh-Moghadam (2008), S. 113 ff. 216  So auch Roxin (2006), § 13 Rn. 39; Sternberg-Lieben (2009), S. 334; FatehMoghadam (2008), S. 111 f.; Niedermair (1999), S. 148 ff. 217  So auch Kern / Richter (2009), S. 133. 218  So Prütting-Duttge (2012), § 228 StGB Rn. 20 und Spickhoff-Knauer / Brose (2014), § 228 Rn. 4, nach denen § 228 StGB für ganz fernliegende Wünsche nach Schönheitsoperationen anzunehmen sein kann; Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 57, für Ausnahmefälle wie bspw. Humanexperimente; Nitschmann (2007), S. 579, 591. 219  Zum Ganzen Sternberg-Lieben (2009), S. 335, 338 m. w. N.



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Das hieraus folgende Ergebnis, dass ein nicht indizierter ärztlicher Eingriff in strafrechtlich zulässiger Weise vorgenommen werden kann, wenn er durch eine wirksame Einwilligung des Patienten nach Aufklärung gedeckt ist, hat der Bundesgerichtshof schon vor langer Zeit ausdrücklich bestätigt: „Nicht jede ärztliche Maßnahme geschieht zu Heilzwecken. Der Arzt führt vielmehr in grundsätzlich zulässiger Weise auch Behandlungen durch, die, wie Sterilisationen oder kosmetische Operationen, anderen Zielen dienen können.“220

Ebenso wird in der Literatur im Grundsatz seit langem vertreten, dass die Einwilligung in eine kosmetische Operation nicht dem Sittenwidrigkeitsurteil des § 228 StGB unterfällt.221 „[Es] fragt sich, ob Eingriffe, die nicht medizinisch indiziert sind, den Makel der Unsittlichkeit tragen können. Für Operationen zu kosmetischen Zwecken ist das mit Sicherheit zu verneinen. Die Bewertung eines auf Verschönerung des menschlichen Äußeren zielenden Eingriffs ist Sache des Geschmacks, nicht der Moral.“222

Eine Einwilligung des autonom entscheidenden, volljährigen Patienten in eine nicht indizierte schönheitsoperative Behandlung ist daher, als Ausdruck der Verwirklichung wertbezogener Interessen, grundsätzlich weitestgehend zulässig. § 228 StGB steht einer wirksamen Einwilligung in ärztliche Eingriffe zu rein kosmetischen Zwecken nach richtiger Auffassung nicht entgegen.223 Eine objektive Abwägung oder eine außerrechtliche, sittlich-moralische Bewertung, etwa hinsichtlich des Ausmaßes einer Brustvergrößerung oder der Vornahme einer Gesichtsoperation nach dem Vorbild eines Stars, findet nicht statt. Über § 228 StGB ist aber jedenfalls dort eine Grenze erreicht und ein Sittenverstoß nach der überzeugenden Schweretheorie anzunehmen, wenn der Einwilligende aus einer objektiven Betrachtung ex ante durch den schönheitschirurgischen Eingriff in konkrete Todesgefahr gebracht wird.224 Darüber hinaus kann die Sittenwidrigkeitsklausel im Bereich nicht indizierter Eingriffe Bedeutung gewinnen, wenn man sie in verfassungskonformer Auslegung mit den dargestellten autonomieorientierten Deutungsansätzen als weich paternalistische Gewährleistung der Selbstbestimmung und damit als subjektive Schranke der Einwilligung versteht.225 Die Sittenwid220  BGH,

NJW 1978, 1206. (1968), S. 69; Kohlhaas (1969), S. 115; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 50b; LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44; Jakobs (2006), S. 513 f. Enger: Schmidt (1957), S. 44. 222  Bockelmann (1968), S. 52. 223  Vgl. für viele etwa Schroth (2009), S. 726; Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 10. 224  BGHSt 49, 34; 49, 166; Schroth (2010d), S. 92. 225  Vgl. Schroth (2009), S.  728; Seelmann (2003), S. 855; Fateh-Moghadam (2008), S. 96 f.; Murmann (2005), S. 501 ff. 221  Bockelmann

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rigkeitsklausel des § 228 StGB ist nach der hier vertretenen Ansicht so zu interpretieren, dass sie die Absicherung der Autonomie der Einwilligungsentscheidung bezweckt, so dass für die Annahme der Sittenwidrigkeit maßgeblich ist, ob in der Einwilligung die konkrete Möglichkeit einer defizitären Entscheidung des Rechtsgutsinhabers offenbar wird. Dafür ist auf tatsäch­ liche Indizien abzustellen, die sich an den subjektiven Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung orientieren. Bringt die Einwilligung insbesondere die subjektive Irrationalität der Entscheidung zum Ausdruck, ist dies ein starkes Indiz für eine defizitäre Entscheidung.226 ee) Exkurs: Die gewünschte Verstümmelung Probleme ergeben sich im Anwendungsbereich des § 228 StGB auch bei dem in der Strafrechtsliteratur vielfach aufgegriffenen227 und zuletzt in der medizinischen Forschung auftauchenden228 Fall einer medizinisch (physisch) nicht notwendigen, aber vom Patienten autonom gewünschten Verstümmelung. Die Konstellation der gewollten Verstümmelung ist vor allem im Bereich des BIID-Syndroms nicht weit entfernt von den hier behandelten Schönheitsoperationen. In beiden Fällen geht es darum, einen psychisch als nachteilig oder belastend empfundenen Zustand durch eine ärztlicherseits vorgenommene Veränderung der physischen Erscheinung zu beseitigen.229 (1) Indikation bei Vorliegen eines BIID-Syndroms In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass es sich bei dem Beispiel gewünschter Verstümmelungen nicht um einen nur rechtswissenschaftlich interessierenden, theoretischen Fall handelt. Denn neue medizinische Untersuchungen230 berichten von einem zwar selten auftretenden, aber in letzter 226  So Schroth (2010a), S. 44 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 125 ff., 133; Murmann (2005), S. 501 ff.; Oswald (2010b), S. 691 f.; Joost (2010b), S. 422. 227  Nachweise aller Autoren unten Fn. 240. 228  First (2005), S. 919 ff. Vgl. auch Nitschmann (2007), S. 547 ff. m. w. N. 229  Nitschmann (2007), S. 555. 230  Die erste umfassende Studie zum BIID-Syndrom erschien im Jahr 2005 und stammt vom New Yorker Psychiater Michael B. First (2005). Zwar soll das Syndrom in der medizinischen Wissenschaft schon seit etwa 30 Jahren bekannt sein, doch First hat nun eine umfassende Studie vorgelegt. Er befragte 52 weltweit betroffene Patienten. Auch in der Presse wurde in der vergangenen Zeit wiederholt über Fälle des BIID-Syndroms berichtet, vgl. SZ vom 16.12.2005, Feuilleton, „Am Nullpunkt der Einsamkeit – Wo endet die menschliche Autonomie? Wem gehört der Körper? Die Debatte über ein Recht auf Selbstverstümmelung ist in Deutschland angekommen“; SZ vom 27.04.2009, „Leute“, S. 10.



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Zeit vermehrt beobachteten und untersuchten Phänomen, das als Body Inte­ grity Identity Disorder-Syndrom (BIID-Syndrom) bezeichnet wird. Die betroffenen Patienten leiden an einer gestörten Körperwahrnehmung.231 Diese äußert sich im Verlangen nach der Amputation eines oder mehrerer ganz bestimmter, völlig gesunder Gliedmaßen, etwa des rechten Beines. Eine Studie hat dieses Phänomen nun genauer untersucht,232 auch auf die Motivationslage der Betroffenen hin. Die große Mehrheit der 52 in dieser Studie befragten Patienten begründen ihren Wunsch paradoxerweise, aber gleichlautend damit, dass sie sich im gesunden, nicht amputierten Zustand in ihrer Körperidentität „unvollständig“ oder „nicht wie sie selbst“ fühlen und eine fehlende Übereinstimmung von vorhandener Körperanatomie und eigenem Körpergefühl empfänden.233 Der Drang ist so groß, dass sich 14 der 52 befragten Patienten wirklich einer Amputation unterzogen. 11 von ihnen schritten dabei zur partiellen oder ganzen Selbstvornahme,234 und 3 der Patienten fanden tatsächlich einen Arzt, der die gewünschte Amputation des gesunden Gliedmaßes ausführte.235 First fand in seinen Befragungen heraus, dass eine Psychotherapie völlig zwecklos sei und nur die Amputation ein Identitätsgefühl der Betroffenen wiederherstellen könne.236 Seine Untersuchung belegt, dass diese Patienten erst durch die vollständige Amputation genau des bezeichneten Gliedes wieder Zufriedenheit und ein „komplettes“ körperliches Identitätsgefühl zurückgewinnen.237 Sollten die Ergebnisse dieser Untersuchungen in der Medizinwissenschaft bestätigt werden, muss man mit First davon ausgehen, dass das BIID-Syn­ drom einen klinischen Befund darstellt, der zu einer medizinischen Indika­ tion für die Amputation der betroffenen Gliedmaßen führt. Die Vornahme durch einen Arzt wäre dann vor allem im Hinblick auf die nun belegte Tatsache medizinisch indiziert, dass ein beträchtlicher Teil der Betroffenen andernfalls zur Selbstvornahme schreitet, mit gravierenden Risiken für Ge231  Zum Ganzen Nitschmann (2007), S. 547 f., 553 ff. m. w. N.; MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 38, 39. 232  First (2005), S. 919 ff. 233  First (2005), S. 922 f. 234  Fünf der Patienten nahmen sich dabei „ersatzweise“ bzw. „für den Anfang“ einen oder mehrere Finger mit einer Säge, einem Hammer, einem Meißel oder einer Baumschere ab, um zu spüren, was eine Amputation bewirken würde; dabei behielten sie aber weiter den Wunsch nach einer ‚großen‘ Amputation. Weitere neun der befragten Patienten amputierten sich einen ganzen Arm oder ein ganzes Bein mit Kettensäge, Holzschreddermaschine, Schrotflinte oder Trockeneis. Zum Ganzen First (2005), S. 922. 235  First (2005), S. 922. 236  First (2005), S. 925. Teilweise sollen die Betroffenen in Entwicklungsländer reisen, um sich dort operieren zu lassen, vgl. SZ vom 16.12.2005. 237  First (2005), S. 925 f.

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sundheit und Leben des Betroffenen und entsprechenden Folgen für dessen Umwelt. Diese Bewertung kann das Recht nicht alleine vornehmen; insoweit bleiben die weiteren medizinwissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere Langzeitstudien und eine etwaige Aufnahme des Krankheitsbildes in den ICD-10 abzuwarten. Unter diesen Voraussetzungen wären diese Fälle vom Gegenstand des hier untersuchten Feldes nicht indizierter ärzt­ licher Eingriffe auszunehmen und nach den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen über ärztliche Heileingriffe zu behandeln, da anerkannt ist, dass auch psychische Erkrankungen eine ärztliche Maßnahme indizieren können.238 (2) Autonom gewünschte Verstümmelung aus anderen Gründen Weitaus größere Probleme bereitet die Rechtslage im Bereich des vielfach in der klassischen strafrechtlichen und der medizinstrafrechtlichen Literatur zitierten Beispielfalls. Beschrieben wird der medizinisch nicht notwendige, aber vom Patienten autonom gewünschte Eingriff durch einen Arzt, der eine irreversible, schwere Amputation bzw. Verstümmelung des Patienten in zentralen Körperfunktionen mit dem Grad einer schweren Gesundheitsschädigung239 bezweckt, etwa einer Beinamputation oder einer Blendung der Sehkraft, zum Beispiel um eine Rente zu erhalten.240 Die Fallkonstellation 238  So auch Nitschmann (2007), S.  556; MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 39, der im Rahmen des von ihm zu § 228 StGB entwickelten Abwägungsmodell davon ausgeht, dass die im Verlust eines Körperteils liegende schwere Körperschädigung durch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der psychischen Besserstellung aufgewogen wird. Vgl. zur psych. Indikation die verschiedenen Referentenentwürfe zu den Reformvorschlägen des StGB bzgl. der ärztlichen Heilbehandlung, die psychische und seelische Störungen als Kriterium für eine Heilbehandlung immer wieder mit einbezogen haben. Dazu ausführlich Tag (2000), S. 31 ff. 239  Unter diesem Terminus sind alle schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Körperintegrität zu verstehen, die aber nicht zwingend eine Folge aus dem Katalog der §§ 226, 227 StGB nach sich ziehen müssen, so dass auch Verletzungen nach § 223 StGB erfasst sein können. Vgl. zur Begriffsklärung MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 24. 240  Der Beispielsfall findet sich mit jeweils leichten Abwandlungen bei Roxin (2006), § 13 Rn. 43 und Schroth (2010d), S. 92, jeweils Blendung der Sehkraft oder Amputation eines Beines mit dem Ziel, sich als Bettler verdingen zu können. Schroth (2009), S. 728, Amputation eines Beines aus ästhetischen Gründen. Rengier (2014), § 20 Rn. 8, Verstümmelung, um eine Rente zu erhalten. Bockelmann / Volk (1987), S.  104, Verstümmelung zur Vorbereitung eines Versicherungsbetrugs. Sch / Sch-Stree / Sternberg-Lieben (2014), StGB, § 228 Rn. 21, Amputation. MKStGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 38, 39, Verstümmelung, die von keinem guten Zweck aufgewogen wird. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 327, Verstümmelung zu einem verwerflichen Zweck. Eberbach (2009), S. 30 m. w. N., Abnahme beider Brüste bei einer lesbischen Frau zur Stärkung der gleichgeschlechtlichen Beziehung.



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 219

einer gewünschten Amputation oder verstümmelnden Operation weckt in der Tat höchste Bedenken. Das Verstümmeln eines gesunden Menschen widerspricht allen moralischen, sozialethischen und standesethischen Wertvorstellungen. So bewerten auch alle Autoren, die sich mit dem Beispiel auseinandersetzen, die Durchführung einer solchen irreversiblen Amputation auf bloßen Wunsch des Patienten übereinstimmend als Sittenverstoß gem. § 228 StGB und gelangen zu einer Strafbarkeit des ausführenden Arztes nach den Körperverletzungsdelikten.241 Zur weiteren Verortung des in der Literatur aufgeworfenen Verstümmelungs-Falls, bei dem im Folgenden nun angenommen werden soll, dass es sich nicht um einen BIID-Patienten handelt bzw. keine anderweitige psychische Indikation vorliegt, ist festzustellen, dass ein solcher Eingriff, wenn er von einem Arzt ausgeführt wird, weder konkret lebensbedrohlich ist, so dass dieser anerkannte Anwendungsbereich des § 228 StGB nicht weiterführt; noch ist eine Vergleichbarkeit mit der Zahnextraktionsentscheidung des Bundesgerichtshofs gegeben, in dem sich die Patientin durch die Ziehung aller Zähne die Heilung ihrer Kopfschmerzen versprach.242 Im Beispielsfall der Verstümmelung weiß der Patient, dass ohne Notwendigkeit ein Bein oder die Brust amputiert oder er geblendet wird, will dies jedoch gerade in voller Einsicht und Kenntnis der Umstände und in Artikulation seines freien Willens, beispielsweise um eine Rente zu erhalten, seine gleichgeschlechtliche Beziehung zu fördern oder als Bettler leben zu können. Das Beispiel fällt daher auch nicht unter die oben gebildete Gruppe der sog. kontraindizierten ärztlichen Eingriffe, sondern ist ein echter Anwendungsfall des § 228  StGB. Bei der Frage, ob eine Straflosstellung des Arztes zu rechtfertigen sein könnte, zeigen sich einzelne tragfähige Gesichtspunkte.243 Ins Auge springt die Feststellung, dass sich die Situation als vereintes Zusammenwirken zweier frei entscheidender Individuen darstellt und es kein strafrechtstypisches Opfer gibt. Die Begründung einer Strafbarkeit über das Strafrecht als ultima ratio, das nur sozialschädliches Verhalten im Auge hat,244 irritiert Horn (1979), S. 30, Amputation eines Fingers, Blendung oder Gehörlosigkeit auf Wunsch. Vgl. auch den Diskussionsbeitrag im Konferenzband „Lifestyle-Medizin“ (2012), S. 130 f. Zum Ganzen ausführlich Nitschmann (2007), S. 547 ff. Eine weitere Zielsetzung findet sich bei Sternberg-Lieben (2009), S. 325, Amputation mit dem Zweck, durch Einsatz einer optimierten Prothese für einen ursprünglich nicht behinderten Athleten sportliche und dadurch finanzielle Erfolge zu ermöglichen. 241  Einschränkend lediglich Nitschmann (2007), S. 584 ff. 242  Zur Bewertung kontraindizierter Eingriffe ausführlich oben B.I.1.b) und unten D.II.5.bb). 243  Zum Ganzen Nitschmann (2007), S. 584 ff., 589. 244  Vgl. Schroth (2007a), S. 115.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

daher. Der Patient kann aus sozialrechtlicher Sicht auch keine Kostenerstattung erhalten, so dass auch aus dieser Perspektive keine Schädlichkeit des Verhaltens ersichtlich ist.245 Dem Arzt ist es aus standesrechtlicher Sicht zudem selbstverständlich freigestellt, die Behandlungsübernahme zu verweigern. Zuletzt bleibt eine Sanktionierung des Arztes über berufsrechtliche Verfahren möglich. Keines dieser Argumente kann als ausschlaggebend bezeichnet werden. So ist auch festzustellen, dass die Begründungen der allgemein angenommenen Sittenwidrigkeit eines solchen Eingriffs in der Literatur divergieren. Eberbach etwa hält die Vornahme eines solchen Eingriffs durch den Arzt in jedem Fall für strafbar. Falls der Patient einen der ‚Heilung eines Wunsches‘ dienenden Zweck verfolgt, ohne dass jedoch eine Indikation anzunehmen ist, soll ein „kontraindizierter Heileingriff“ vorliegen und die Einwilligung „wegen groben Unverstands“ unwirksam sein. Falls ein Wunsch nach „Verbesserung“ im Vordergrund steht, sei der Arzt wegen § 228 StGB strafbar.246 Auch Horn teilt diese Ansicht für nicht indizierte Eingriffe auf bloßen Wunsch; solche Eingriffe sollen, soweit sie mit schweren, irreparablen Folgen verbunden sind wie etwa bei der freiwilligen Amputation eines Fingers, immer sittenwidrig und unzulässig sein.247 Diese Ansichten können nicht überzeugen. Eine so hergeleitete Unwirksamkeit der Einwilligung entspricht der Begründung des Bundesgerichtshofs im sog. Zahnextraktionsfall und ist, wie bereits dargestellt, abzulehnen.248 Dass im anderen Fall eine Strafbarkeit aufgrund § 228 StGB folgen soll, ist zwar allgemein geteilte Ansicht, wird von Eberbach und Horn aber nicht näher begründet. Zum Teil wird diese Lösung mit dem hinter § 228 StGB stehenden Gedanken erklärt, dass bestimmte Verfügungen über die körperliche Integrität, auch wenn sie prinzipiell frei sind, mit Gemeinschaftsinteressen und sozialethischen Wertvorstellungen in Konflikt geraten können.249 Ähnlich ist die Ansicht, die § 228 StGB als generalpräventive Einschränkung individueller Autonomie versteht.250 Die Begründung, auf der diese Norm basiert, ist danach der Gedanke, dass trotz der Einwilligung, die den Verzicht auf das Rechtsgut der körperlichen Integrität zum Ausdruck bringt, sozialethische Wertvorstellungen nicht verletzt werden dürfen.251 Ein solches Verständnis 245  Nitschmann

(2007), S. 585. (2009), S. 31. 247  Horn (1979), S. 30. 248  Ausführlich zur Begründung D.I.1.b) und D.II.5.b)bb). 249  Rengier (2014), § 20 Rn. 7, 8. 250  Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 2. 251  Vgl. Sch / Sch-Stree / Sternberg-Lieben (2014), StGB, § 228 Rn. 2 ff.; Fischer (2014), StGB, § 228 Rn. 2; Nitschmann (2007), S 560 f. m. w. N. 246  Eberbach



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 221

übersieht aber, dass das Strafrecht nur sozialschädliches Verhalten sanktioniert, welches in einer „unvernünftigen“ Schädigung allein nicht gesehen werden kann.252 Hardtung geht ebenfalls von einem Sittenverstoß aus, da im Rahmen des von ihm zu § 228 StGB entwickelten Abwägungsmodells die schwere körperliche Schädigung in diesen Fällen von keinem guten Zweck aufgewogen werde.253 Nach den oben entwickelten Grundsätzen ist auch dieser Ansicht entgegenzuhalten, dass eine an objektive Kriterien geknüpfte Einschränkung der Verfügungsfreiheit aber unzulässig ist.254 Nitschmann sieht den Fall als neuartige, außergewöhnliche Fallkonstellation, so dass eine Rückgriff auf den ansonsten in seiner Bedeutung zuletzt limitierten § 228 StGB angezeigt sei, der gerade als ‚Eingriffsreserve‘ für diese Situation zu verstehen sei.255 Dem ist entgegenzuhalten, dass ein Verständnis des § 228 StGB als Reservenorm abzulehnen ist.256 Schroth begründet die Unwirksamkeit der Einwilligung in eine irreversible Verstümmelung, die mit keinerlei Nutzen für den Rechtsgutsinhaber verbunden ist, ebenfalls über § 228 StGB, und zwar konkret damit, dass eine solche irreversible Beeinträchtigung der sozialen Kompetenz des O ­ pfers sittenwidrig sei,257 weil in diesen Fällen ein Autonomiedefizit naheliege. Ein paternalistischer Schutz sei dann gerechtfertigt, weil schon die konkrete Möglichkeit von Autonomiedefiziten zur Rechtfertigung genüge.258 Da die Erhaltung von körperlicher Integrität ebenfalls Freiheit darstelle, bedürfe es zur Rechtfertigung eines solchen ‚nutzlosen‘ Eingriffs umso mehr eines nachvollziehbaren Interesses des Einwilligenden, je irreversibler und folgenreicher ein solcher Eingriff sei.259 Roxin greift für seine Interpretation des § 228 StGB auf die Regelung und Wertungen des § 216 StGB zurück und geht in der vorliegenden Konstellation ebenfalls von der Unwirksamkeit der Einwilligung aus. Er begründet dies mit der extremen Schwere des Eingriffs bei gleichzeitigem Vorliegen des Umstands, dass sich aus Sicht des Verletzten kein sinnvoller Grund für die Einwilligung finden lasse. Die Einwilli252  Vgl. Sternberg-Lieben (1997), S.  105. Hierzu auch Nitschmann (2007), S. 561. 253  MK-StGB-Hardtung (2012), § 228 Rn. 38. 254  Dazu ausführlich oben D.I.2.b)cc)(1) und dd). 255  Nitschmann (2007), S. 550, 579, mit ausführlicher Herleitung und Darstellung der zu § 228 StGB vertretenen Ansätze. 256  Sternberg-Lieben (2009), S. 335, 338 m. w. N. Ausführlich oben D.I.2.b)dd) mit Fn. 217, 218. 257  Schroth (2010d), S. 92. 258  Schroth (2009), S. 727, 728. 259  Schroth (2009), S. 728.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

gung solle die Lebensentfaltungsmöglichkeiten des Rechtsgutsinhabers, nicht aber deren Zerstörung sichern.260 Bei einer Schädigung, die ohne verständlichen Grund erfolge und zu einer lebenslangen, nachhaltigen Einschränkung führe, habe die Öffentlichkeit auch im Rahmen des § 228 StGB ein Interesse daran, den Zugriff anderer auf einen Kernbereich körperlicher Integrität zu tabuisieren.261 Die beiden letztgenannten Ansätze werfen Fragen auf, wenn man von einer völlig autonomen Entscheidung des Verletzten zur Verstümmelung ausgeht. Diese Lösung konfligiert dann mit der von Schroth und Roxin vorausgesetzten Grundannahme, dass zum körperbezogenen Selbstbestimmungsrecht und zur Autonomie einer Person gerade auch das Recht gehört, sich unvernünftig verhalten zu dürfen. Auch ließe sich gegen diese Konzeption einwenden, dass die Folgen solcher Autonomiedefiziten im Rahmen der Einwilligungsfähigkeit beachtlich sein müssten. Es mag keinen objektiv vernünftigen oder nachvollziehbaren, wohl aber zwangsläufig einen vom Standpunkt des Einwilli­ genden aus für ihn einsehbaren, wie auch immer gelagerten Grund für die Einwilligung in die schwere Schädigung geben. Das Kriterium „sinnvoll“ wird daher im Ergebnis doch nicht individuell aus der Sicht des Einwilligenden, sondern nach objektiven Maßstäben bzw. gesellschaftlichen Standards bewertet, wie Roxin und Schroth einräumen.262 Wendet man das liberale, an der Autonomie des Einwilligenden orientierte Einwilligungskonzept konsequent an, müsste an sich auch die Einwilligung in eine schwere Verstümmelung wirksam sein, soweit sie autonom erteilt wurde. Die Gegenansicht verlässt das Verständnis des § 228 StGB als Autonomie schützendes Konzept, indem sie überindividuelle Interessen einstellt, und ist eigentlich die Begründung einer Kasuistik von Ausnahmefällen. (3) Zwischenergebnis Eine ohne weiteres in das hier vertretene Verständnis der Sittenwidrigkeitsklausel zu integrierende Lösung ist nach alldem schwierig zu begründen. Eine abschließende Lösung der Fallkonstellation der gewünschten Verstümmelung, die zu Recht auf tiefgreifende ethische Bedenken stößt, kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht erarbeitet werden. Festzustellen bleibt, dass zwar Selbstschädigungen bis hin zum Selbstmord nach der Rechtsordnung straffrei sind. Doch kann dies nicht in gleichem Maße gelten, sobald ein Dritter beteiligt ist. Nicht jede Schädigung, die man sich selbst straffrei zufügen darf, ist auch bei Vornahme durch einen Dritten 260  Roxin

(2006), § 13 Rn. 43. (2006), § 13 Rn. 44. 262  Schroth (2009), S. 728; Roxin (2006), § 13 Rn. 44. 261  Roxin



I. Die medizinische Indikation als selbständige Zurechnungskategorie? 223

rechtlich gebilligt.263 Die Debatte zeigt aber eindrücklich, dass trotz der zu Recht mit Vehemenz vertretenen Trennung von Recht und Moral eine gänz­ liche Loslösung von jeglichen ethischen Überlegungen gerade im Rahmen der Sittenwidrigkeitsklausel nicht stattfinden kann. Auch wenn das Recht sich bei der Eingrenzung der Verfügungsfreiheit des Einzelnen in Anbetracht der immer weiter divergierendern moralischen Vorstellungen in der Gesellschaft zunehmend auf die Autonomie als entscheidendes Kriterium stützt, bleiben ethische Erwägungen gerade im Medizinstrafrecht zu guter Letzt doch relevant.264 3. Fazit Als Ergebnis ist hier festzuhalten, dass dem Merkmal der medizinischen Indikation bzw. seinem Fehlen keine selbständige strafrechtsdogmatische Bedeutung für die strafrechtliche Bewertung ärztlichen Handelns zukommt. Voll hat zu Recht festgestellt, dass „das Vorliegen der Indikation […], für sich gesehen, rechtlich noch überhaupt nichts“ bewirkt.265 Nach der hier vertretenen Ansicht hat das Fehlen einer Indikation also weder zur Folge, dass keine Rechtfertigung durch Einwilligung möglich wäre, noch, dass eine Einwilligung in jedem Falle unwirksam wäre.266 Dies erkennen letztlich auch die meisten Autoren des klassischen Medizinstrafrechts an.267 Anders sehen dies nur die Vertreter der Tatbestandslösungen, für die das Merkmal der medizinischen Indikation als privilegierender Tatbestandsausschlussgrund direkte normative Wirkung erlangt.268 Auch die Auffassungen, die die medizinische Indikation im Wege einer objektiven, kollektiven Abwägung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit als eigenständige Zurechnungskategorie begreifen, mit unmittelbarer Auswirkung auf die Strafbarkeit des Arztes, argumentieren hart paternalistisch. Ein solches Verständnis der Einwilligung, die dann nur als Rechtfertigungsschranke, die Indikation aber als eigentlicher Rechtfertigungsgrund begriffen wird, ist abzulehnen. Ausgehend von der Rechtfertigungslösung der Rechtsprechung, nach der jeder ärztliche invasive Eingriff unabhängig vom Vorliegen einer medizinischen Indikation den Tatbestand der Körperverletzungsdelikte erfüllt, wird 263  So

auch Nitschmann (2007), S. 548. zum Ganzen auch Nitschmann (2007), S. 586 ff. 265  Voll (1996), S. 45. Vgl. auch Fateh-Moghadam (2008), S. 102. 266  So auch Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 50; Fateh-Moghadam (2008), S. 101 f.; Sternberg-Lieben (2009), S. 326 ff., 351. 267  Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 42, 57. Vgl. Ulsenheimer (2008), Rn. 57b; Sternberg-Lieben (2009), S. 327; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101; Fateh-Moghadam (2008), S. 101 f.; Hollenbach (2003), S. 241 f. 268  Vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 102, 38 ff. 264  Vgl.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

einem liberalen Einwilligungsmodell gefolgt, wonach die strafrechtliche – tatbestandsausschließende – Einwilligung keinen immanenten, objektiven Schranken unterliegt. Nach zutreffendem Verständnis des deutschen (Medizin-)Strafrechts gilt der Grundsatz, dass jeder ärztliche Eingriff nach wirksamer Einwilligung erlaubt ist, solange er sich in den Grenzen des § 228 StGB hält. Auch bei der Vornahme von nicht indizierten Schönheits­ operationen folgt aus dem Indikationsmangel keine Strafbarkeit; vielmehr kann ärztliches Handeln auch dort durch wirksame Einwilligung nach Aufklärung gerechtfertigt werden.269

II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie Aus dem Ergebnis, dass die medizinische Indikation entgegen der traditionellen Medizinrechtsliteratur in der strafrechtlichen Deliktssystematik jedenfalls keine eigenständige Zurechnungskategorie darstellt, folgt die Anschlussüberlegung, ob und wie der Indikationsmangel bei der Bewertung eines ärztlichen Eingriffs strafrechtlich relevant ist. Es zeigt sich, dass das Vorliegen oder Fehlen der Indikation auch für alle anderen Ansichten von Bedeutung ist. Der Indikationsmangel wird als mittelbares Bewertungskriterium bei den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung an verschiedenen Stellen der hergebrachten Stufen der Deliktssystematik für bedeutsam erklärt.270 Denn für Heileingriffe postulieren Rechtsprechung und ganz herrschende Ansicht im Schrifttum andere Anforderungen an die Vorausset­ zungen der wirksamen Einwilligung als für ärztliche Eingriffe ohne Indikation. Angesetzt wird mittels (paternalistischer) Beschränkungen vor allem bei allen subjektiven Anforderungen an die wirksame Einwilligung: bei der Einwilligungsfähigkeit, bei der ärztlichen Aufklärung und den übrigen relevanten Willensmängeln (V.).271 Die ganz herrschende Ansicht sieht erhöhte, strengere Aufklärungspflichten des Arztes vor nicht indizierten Eingriffen (IV.). Auch sollen die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit bei schwerwiegenderen, folgenreichen nicht indizierten Behandlungen erhöht sein (III. 1., 2.); weiter sollen sich bei der stellvertretend erteilten Einwilligung Unterschiede ergeben (III. 4.) Nach vereinzelten Stimmen in der Lite269  So die Rspr.; LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 34, 50, 50b; MK-StGB-Joecks (2012), § 223 Rn. 73, 90; NK-StGBPaeffgen (2013), § 228 Rn. 60 f., 75a; Wessels / Hettinger (2013), Rn. 330; Blei (1996), § 14 IV 2a; Nitschmann (2007), S. 551. 270  Vgl. zum Ganzen Sternberg-Lieben (2009), S. 352. 271  Vgl. Sternberg-Lieben (1997), S. 195  f.; Schroth (2006a), S. 92; LK-StGBRönnau (2006), Vor § 32 Rn. 191 ff.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 225

ratur wird die medizinische Indikation weiter bei der Kundgabe (II.) und als Bedingung beim Gegenstand (I.) der Einwilligung relevant. Ausgangspunkt aller Ansätze ist das zutreffende Bestreben, den Einzelnen über die Unwirksamkeit seiner Einwilligung zu schützen, wenn er Entscheidungen trifft, die wertvolle Rechtsgüter betreffen und mit dauerhaften Einbußen verbunden sein können.272 Die Notwendigkeit hierfür findet sich in der verfassungsrechtlichen Dimension der strafrechtlichen Einwilligung. Diese ist das Rechtsinstrument, das dem Selbstbestimmungsrecht des Pa­ tienten zur Durchsetzung verhilft. Brennpunkt des Problems ist damit auch der Begriff der Autonomie.273 Ist eine Einwilligung autonom erteilt, so muss sie nach der hier vertretenen Ansicht immer wirksam sein. „Autonom“ ist dabei nach ganz allgemeiner Ansicht nicht gleichbedeutend mit „vernünftig“ oder „rational“.274 Die Bestimmung der Autonomie anhand normativer Kriterien erweist sich aber als problematisch.275 Aus einem solchen Verständnis der Einwilligung folgt gleichzeitig, dass der Patient wissen muss, dass es sich um einen medizinisch nicht notwendigen Eingriff mit entsprechenden Risiken handelt, und diesen als solchen wollen muss.276 Neben dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist auch der ebenfalls der Rechtsordnung immanente Auftrag zu beachten, den Einzelnen zu schützen und ihn vor unnötigen Rechtsgutseinbußen zu bewahren. Im Folgenden soll daher untersucht werden, inwieweit das Fehlen der medizinischen Indikation bei der strafrechtlichen Bewertung ärztlichen Handelns mittelbar zu berücksichtigen ist. 1. Medizinische Indikation als Gegenstand der Einwilligung – zugleich zur Unzulässigkeit der bedingten Einwilligung Das Merkmal der medizinischen Indikation kommt in der strafrechtlichen Bewertung ärztlichen Handelns regelmäßig dort ins Spiel, wo es um die Reichweite der Einwilligung des Patienten geht. Ausgangspunkt ist dabei der Grundsatz, dass sich eine Einwilligung im Rahmen einer ärztlichen Behandlung, sofern nichts anderes vereinbart ist, stets nur auf lege artis durchge­ 272  Vgl.

LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 192. Autonomiebegriff Schroth (2010e), S. 788 f.; Schroth (2006a), S. 89 ff.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 27; Pawlik (2012), S. 223; Damm (2002), S. 376 ff.; Rönnau (2001), S. 200 ff. 274  Pawlik (2012), S. 224 m. w. N.; van Aaken (2006), S. 109 f. 275  Fateh-Moghadam / Schroth / Gross / Gutmann (2006), S. 157; Fateh-Moghadam (2010a), S. 27: „Rechtliche Autonomie von Entscheidungen ist nicht wesensmäßig vorfindbar, empirisch messbar oder psychologisch diagnostizierbar.“ 276  Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 39, 50a; Schroth (2010a), S. 43. 273  Zum

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

führte medizinisch indizierte Eingriffe bezieht.277 Die Einwilligung in ärzt­ liche Eingriffe ist daher in der Regel konkludent beschränkt auf notwendige ärztliche Maßnahmen.278 Willigt der Patient in eine ärztliche Behandlung ein, ist daher im Zweifel davon auszugehen, dass er den Eingriff als medizinisch notwendig verstanden und sein Einverständnis in die Durchführung durch den Arzt erteilt hat, weil er sich hiervon Heilung oder Linderung verspricht. Die Indikation wird so zum Gegenstand der Einwilligung. Dies gilt aber nicht für Eingriffe, die von vornherein keine therapeutischen sind, bei denen also keine Heilbehandlung gewollt ist, sondern beispielsweise die Veränderung des eigenen Aussehens durch einen kosmetischen Eingriff bezweckt wird.279 Eine Einwilligung in einen solchen Eingriff ist möglich, wenn der Arzt dem Patienten zuvor deutlich auseinandergesetzt hat, dass es an einer medizinischen Notwendigkeit für den Eingriff fehlt. Von Bedeutung ist das Vorliegen der medizinischen Indikation deshalb im Ergebnis nur insoweit, als bei Abweichungen vom Grundsatz eine besondere Aufklärung über die mangelnde Indikation erfolgen muss.280 Terminologisch und dogmatisch gibt es dabei jedoch unterschiedliche Darstellungen. Nach Sternberg-Lieben soll das Fehlen einer medizinischen Indikation mittelbare Bedeutung für die Strafbarkeit des Arztes erlangen können, als es dem Patienten freizustellen sei, „das Vorliegen der medizinischen Indikation zur Wirksamkeitsbedingung seiner Einwilligung“ zu erklären. Sternberg-Lieben umschreibt dies als „Tatfrage; im Normalfall dürfte eine derartige Wirksamkeitsvoraussetzung konkludent zur Bedingung erhoben worden sein“.281 Die zugrunde liegende Idee – Verknüpfung der Einwilligung mit einem vom Patienten festgelegten Einwilligungssachverhalt und Wegfall der erteilten Einwilligung, wenn dieser sich als ursprünglich falsch herausstellt282 – ist einleuchtend und wird allgemein ge277  St. Rspr., vgl. BGH, StV 2008, 190 m. w. N.; LK-StGB-Hirsch (2005), § 223 Rn. 32; Sternberg-Lieben (2008), S. 190; Schroth (2010a), S. 43. 278  So sind wohl auch Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 424 zu verstehen: „Eine Einwilligung kann unwirksam sein, etwa wenn keine medizinische Indikation vorlag […]“. Damit wird nicht ausgesagt, dass eine Einwilligung in einen medizinisch nicht indizierten Eingriff automatisch rechtswidrig sei, sondern dass sich die Einwilligung, wenn nicht anderweitig informiert wurde, grundsätzlich auf medizinisch notwendige Eingriffe bezieht. 279  Anders lag die Konstellation bei der vielzitierten Zahnextraktionsentscheidung, BGH, NJW 1978, 1206, in der die Patienten durch das Ziehen aller Zähne eine Heilung erhoffte. 280  Schroth (2009), S. 737 ff. 281  Zum Ganzen Sternberg-Lieben (1997), S. 195 mit Fn. 123. 282  Vorstellbar wäre etwa die Bedingung durch den Patienten, in einen Eingriff nur einwilligen zu wollen, wenn er „erfolgreich sein wird“. Dies ist jedoch gerade nicht möglich. Die Einwilligung bezieht sich wie dargestellt prinzipiell auf lege



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 227

teilt. Es ist aber nicht klar, ob Sternberg-Lieben den Term „Wirksamkeitsbedingung“ technisch im Sinne einer rechtlichen Bedingung verstehen möchte. Dies führt zu der grundlegenden Frage nach der Möglichkeit der Erteilung einer Einwilligung unter einer Bedingung. Diese Problematik wird außer im hier angesprochenen Bereich der indizierten Heileingriffe auch in anderen Bereichen des Strafrechts relevant. Im Recht der Lebendorganspende beispielsweise taucht die Thematik bei der Cross OverSpende283 auf.284 Ausgehend von den dogmatischen Grundlagen, der Rechtsnatur und den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung ist eine „bedingte Einwilligung“ im Sinne einer echten Bedingung nicht denkbar.285 Geht man – wie hier auch die allgemeine Ansicht – davon aus, dass die Einwilligung gerade keine Willenserklärung im zivilrechtlichen Sinne ist, so können die Maßstäbe des Zivilrechts, §§ 158 ff. BGB, nicht mehr angelegt werden.286 Diese Vorschriften passen auch strukturell nicht ins Strafrecht. Eine Bedingung ist dort „die durch den Parteiwillen in ein Rechtsgeschäft eingefügte Bestimmung, die die Rechtswirkungen des Geschäfts von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig macht“.287 Eintritt bzw. Fortbestehen der ­ Rechtswirkung der abgegebenen Willenserklärung hängen dann von dieser Bedingung ab. Das Urteil über die Strafbarkeit eines Verhaltens von einem artis durchgeführte Eingriffe des Arztes. Hat der Arzt den medizinischen Standard und seine Sorgfaltspflichten eingehalten, so deckt die Einwilligung nach ganz überwiegender Ansicht auch den fehlgeschlagenen Eingriff. Grund hierfür sind die Besonderheiten der Medizin und das tragende Prinzip des Strafrechts, dass eine Bewertung der Strafwürdigkeit eines Verhaltens vor Begehen der Tat feststellbar sein muss. 283  Ausführlich zur Konstellation der Cross-Over-Spende Gutmann / Schroth (2002), S. 6 ff. Die Zulässigkeit der Cross Over-Spende im Anwendungsbereich des deutschen TPG ist auch nach der Gesetzesänderung durch das Gewebegesetz vom 4.9.2007 noch str., vgl. hierzu auch BSG, JZ 2004, 464 mit Anm. Schroth. Nach überwiegender Ansicht scheitert ihre Zulässigkeit am Organhandelsverbot der §§ 17, 18 TPG und an der Spenderkreisbeschränkung des § 8 Abs. 1 S. 2 TPG. Richtig dürfte es sein, eine teleologische Reduktion dieser beiden Normen vorzunehmen, vgl. den Vorschlag von Schroth (2010b) S. 489 f., 493 f. 284  Nach Schroth (2010b), S. 492, ist es nicht möglich, die Einwilligung in die Cross over-Spende „bedingt“ zu erteilen. Vielmehr hat der Erstspender, wenn die beiden Explantationen nicht gleichzeitig vorgenommen werden können, das Risiko zu tragen, dass der Zweitspender seine Einwilligung noch widerruft. Rechtlich hat diese „Voraussetzung“, unter der die Spender ihre Einwilligungen stellen, daher keine Bedeutung für die Wirksamkeit der Einwilligung. Vgl. auch Fateh-Moghadam (2008), S. 253. 285  Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Schroth (2005), TPG, § 19 Rn. 111; FatehMoghadam (2008), S. 253. 286  Für viele LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 161 m. w. N. 287  Palandt (2014), BGB, Einf v § 158, Rn. 1.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

zukünftigen, ungewissen Ereignis abhängig zu machen, verstößt aber gegen die Garantiefunktion der Einwilligung und gegen tragende Prinzipien des Strafrechts. Der Arzt soll im Augenblick des Eingriffs sicher wissen, ob er sich durch sein Verhalten strafbar macht oder nicht.288 Davon ausgehend ist der die Einwilligung auszeichnende Rechtscharakter gerade ein im technischen Sinne unbedingter. Die von Sternberg-Lieben bezweckte Rechtsfolge, die Unwirksamkeit der Einwilligung im Falle eines nicht gekannten Fehlens der medizinischen Notwendigkeit für den Eingriff, lässt sich aber auf anderen Wegen erzielen, nämlich auf den in der Einwilligungslehre bekannten dogmatischen Ebenen von Gegenstand der Einwilligung, Widerruf und Aufklärung – hierauf wird im Einzelnen zurückzukommen sein. Die Einwilligung ist in ihrer sach­ lichen Reichweite verknüpft mit dem erkennbar zugrunde gelegten Sachverhalt. Geht der Patient davon aus, dass es sich bei einer ärztlichen Maßnahme um einen Heileingriff handelt, deckt die Einwilligung einen etwaig nicht indizierten Eingriff daher ohnehin nicht. Eine wirksame Einwilligung in einen nicht indizierten Eingriff kann der Arzt einholen, wenn er anderweitig, nämlich über den Indikationsmangel aufklärt. Hiervon geht auch Sternberg-Lieben aus, wenn er sagt, „bei Aufklärung über das Nichtvorliegen einer medizinischen Indikation und dennoch erteilter Einwilligung würde eine solche einwilligungseinschränkende Bedingung aber fehlen.“289 Kommt der Arzt hingegen seiner Aufklärungspflicht nicht nach und weiß der Patient aus diesem Grund nicht, dass es sich bei der geplanten Maßnahme um einen nicht indizierten Eingriff handelt, ist ein Willensmangel gegeben, der rechtsgutsbezogen ist und die Einwilligung somit nach allen Auffassungen unwirksam werden lässt.290 Ebenso bleibt dem Patienten jederzeit die Möglichkeit, seine erteilte Einwilligung frei und unbeschränkt bis zur Vornahme des Eingriffs zu widerrufen.291 In den dogmatischen Kategorien der strafrechtlichen Einwilligung ist daher für eine echte, technisch verstandene „Wirksamkeitsbedingung“ kein Raum. 2. Fehlen der medizinischen Indikation und Kundgabe der Einwilligung Auch an die Kundgabe der Einwilligung in einen nicht indizierten Eingriff werden zum Teil weitergehende, erhöhte Anforderungen geknüpft, wiederum vor dem Hintergrund, den medizinischen Indikationsmangel 288  Vgl.

zum Ganzen im Kontext des TPG Fateh-Moghadam (2008), S. 253. (1997), S. 195 Fn. 123. 290  Für viele Roxin (2006), § 13 Rn. 112. 291  Für viele Lackner / Kühl (2014), StGB, § 228 Rn. 4. Vgl. § 630d III BGB. 289  Sternberg-Lieben



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 229

rechtlich kompensieren zu wollen.292 Für bedeutende nicht indizierte Eingriffe, konkret für den Fall einer Wunschsectio,293 ist in der arztrechtlichen Literatur eine ausdrücklich verlautbarte Einwilligung des Patienten gefordert worden294 – entgegen dem allgemeinen Grundsatz, wonach die Einwilligung auch konkludent erteilt werden kann.295 Nach allgemeiner Lehre ist für die Wirksamkeit der Einwilligung erforderlich, dass sie nach außen kundgegeben worden ist.296 In Abkehr sowohl von der ans Zivilrecht angelehnten Willenserklärungstheorie297 wie auch von der reinen Willensrichtungstheorie298 wird heute weitgehend übereinstimmend eine Kundgabe der Einwilligung in dem Sinne gefordert, dass sie zwar ausdrücklich erklärt werden kann, aber auch eine konkludente Äußerung möglich ist.299 Für die Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff genügt demnach grundsätzlich die schlüssige Zustimmung des Patienten zur geplanten Behandlung.300 Ulsenheimer fordert über diese Grundsätze hinausgehend für bedeutende nicht indizierte Eingriffe, konkret für den Fall einer Wunschsectio301, eine ausdrücklich verlautbarte Einwilligung der Patientin. „Der Arzt muss sicher sein, daß die Frau in die Wunschsektio eingewilligt hat, die Einwilligung muß daher angesichts der Bedeutung des Eingriffs ausdrücklich und nicht nur konkludent erfolgen. Der Arzt muß ausschließen können, daß die Frau irrige Vorstellungen über das tatsächliche Geburtsgeschehen hat und bei dessen Kenntnis den Kaiserschnitt letztlich doch abgelehnt hätte.“302 292  Ulsenheimer

(2000), M63. oben A. Fn. 4. 294  Ulsenheimer (2000), M63. 295  Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 43. 296  Ganz h. M., für viele Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 43 m. w. N. 297  So wurde früher zurückgehend auf Zitelmann (1906), S. 1 ff., die Zugang der Einwilligung im zivilrechtlichen Sinne gefordert; das ist wegen der Besonderheiten der strafrechtlichen Einwilligung jedoch abzulehnen. 298  Nach der h.  M. kann die reine Willensbildung beim Einwilligenden ohne Kundgabe nach außen aus Gründen der Rechtssicherheit für eine wirksame Einwilligung nicht genügen. Jedoch gewinnt die Willensrichtungstheorie in der Lit. wieder an Bedeutung, vgl. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 163. 299  Ganz h. M.; für viele Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 43 m. w. N. Vgl. § 630e II S. 1 Nr. 3 BGB. 300  Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 486. 301  Operative Beendigung der Schwangerschaft durch Kaiserschnitt ohne medizinischen Grund nur auf Wunsch der Mutter, vgl. Pschyrembel (2007), Stichwort „Schnittentbindung“. 302  Ulsenheimer (2000), M63; Hervorhebung von der Verfasserin. 293  Vgl.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Richtig ist an dieser Auffassung sicherlich, dass ein Patient, an dem ein ärztlicher, medizinisch nicht notwendiger Eingriff vorgenommen werden soll, besonders schutzwürdig ist; der Arzt muss vor der Durchführung eines solchen nicht indizierten Eingriffs deshalb sichergehen, dass der Patient über die Umstände der Operation, insbesondere deren Indikationsmangel, informiert ist. Die hieraus gezogene Schlussfolgerung Ulsenheimers wird aber nicht geteilt. Denn die entsprechenden, kompensierenden Anforderungen werden schon im Rahmen des Umfangs der Aufklärungspflicht an den Arzt gestellt. Entscheidend ist, dass der Patient im Rahmen des Aufklärungsgesprächs für den Arzt erkennbar verstanden hat, auf welchen – indikationslosen – Eingriff mitsamt Risiken er sich einlässt.303 Bei der Erteilung der Einwilligung selbst kommt es dann nicht darauf an, ob der Patient seine Einwilligung ausdrücklich formuliert oder – zweifelsfrei – schlüssig zu erkennen gibt, dass er den so erläuterten Eingriff will. In beiden Fällen kann der Arzt erkennen, dass der Patient der Behandlung zustimmt. Dies zeigt auch der Vergleich mit den spezialgesetzlichen Normierungen. § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3c AMG fordert die schriftliche Zustimmung des Probanden. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b 2. HS i. V. m. § 8 Abs. 2 S. 3 TPG muss die Einwilligung des Lebendspenders ausdrücklich erfolgen und ist darüberhinaus (nur) in einer Niederschrift aufzuzeichnen.304 Das Kastra­ tionsgesetz enthält dagegen keine äquivalente Voraussetzung. Selbst die Regelungen der Spezialgesetze sind also nicht einheitlich und betreffen zudem enge Spezialbereiche, so dass die dort getroffenen Regelungen keine allgemein für nicht indizierte Eingriffe geltenden und übertragbaren Rechtsregeln enthalten.305 Hinzuzufügen bleibt, dass die Absicherung durch schriftliche Aufklärungs- und Einwilligungsformulare im alltäglichen Betrieb von Kliniken und Arztpraxen ohnehin üblich ist und zu Beweiszwecken auch sinnvoll sein mag.306 Gerade bei bedeutenderen Eingriffen lassen sich Ärzte die Aufklärung und Einwilligungserklärung zur sicheren Nachweisbarkeit ihres tatsächlichen Vorliegens oftmals schriftlich abzeichnen. Diese schriftliche Erklärung ist wegen der Pflicht zur mündlichen Aufklärung alleine aber nicht hinreichend, sondern ein bloßes Indiz für das Vorliegen von Einwilligung nach Aufklärung.307 303  Sch / Sch-Eser

(2014), StGB, § 223 Rn. 39, 50a; Schroth (2010a), S. 43. (2005), TPG, § 8 Rn. 49. 305  Vgl. z. B. die Darstellung bei Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 486 m. w. N.; so auch Lorz (2007), S. 153 m. w. N. für den Bereich der – ebenfalls nicht indizierten – Schönheitsoperation. 306  Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 483 ff.; Lorz (2007), S. 153. 307  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 163. 304  Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Gutmann



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 231

Das Merkmal der medizinischen Indikation gewinnt demnach bei der Kundgabe der Einwilligung keine (mittelbare) Bedeutung. 3. Fehlen der medizinischen Indikation und Einwilligungsfähigkeit Die Einwilligung in die Verletzung oder Gefährdung eines individuellen Rechtsguts ist als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts nur wirksam, wenn sie sich im konkreten Fall als autonome Entscheidung darstellt und ihr keine in der Person des Einwilligenden wurzelnde Fehler anhaften.308 Auch die Einwilligungsfähigkeit sichert als subjektive Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung die Autonomie der Entscheidung des Rechtsgutsträgers ab. Das Erfordernis der Einwilligungsfähigkeit setzt der Einwilligung damit weich paternalistische Grenzen.309 Im Strafgesetzbuch findet sich keine Regelung über die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit.310 Die Strafrechtswissenschaft hat sich daher verstärkt mit den Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit auseinandergesetzt.311 Die zum Teil uneinheitliche Befassung mit der Thematik ist auf die Schwierigkeit zurückzuführen, die Einwilligungsfähigkeit normativ zu erfassen und zu begründen, denn eigentlich ist hier der Rückgriff auf außerjuristisches Wissen und medizinische, (entwicklungs-)psychologische und psychiatrische Kriterien notwendig.312 Das Recht muss die normativen Grundlagen der Einwilligungsfähigkeit dennoch definieren. So haben Wissenschaft und Rechtsprechung auch die relevanten Kriterien herausgearbeitet, die die Basis für die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit bilden.313 Im Bereich medizinisch nicht indizierter Eingriffe ist die Einwilligungs­ fähigkeit des Patienten gerade im Hinblick auf den Indikationsmangel the­ matisiert worden. Dabei unterscheiden sich die in Rechtsprechung und ­Literatur erzielten Ergebnisse abhängig davon, ob einwilligungs(un)fähige 308  LK-StGB-Rönnau

(2006), Vor § 32 Rn. 191. (2010a), S. 43. 310  Spezialgesetzliche Regelungen, die die Einwilligungsfähigkeit betreffen, finden sich nur in strafrechtlichen Nebengesetzen: § 2 Abs. 1 Nr. 3 KastrG, § 8 Abs. 1 Nr. 1a TPG, § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3a AMG. Dort wird die Einwilligungsfähigkeit jeweils an eine feste Altersgrenze geknüpft. Auch die durch das PatientenRG neu in das BGB eingefügten Vorschriften enthalten keine Definition, vgl. § 630d BGB. 311  Insb. Amelung (1992a), (1992b), (1999a), (1999b); zuletzt auch einschlägige Monographien, u. a. Neyen (1991), Odenwald (2004), Reipschläger (2004). 312  Amelung (1992a), S. 537 f, 543. 313  Ein klares zweistufiges Prüfungsmodell, wie es bei den Grundsätzen der Schuldfähigkeit anerkannt ist, hat sich in Rspr. und Lit. allerdings bisher nicht herauskristallisiert, vgl. Amelung (1992a), S. 558. 309  Fateh-Moghadam

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Erwachsene oder Minderjährige betroffen sind und ob es sich um einen Heileingriff oder eben eine nicht indizierte Schönheitsoperation handelt. Oftmals werden bei nicht indizierten Eingriffen höhere Anforderungen an die Feststellung von Entscheidungsautonomie gestellt, indem man auf objektive Vernünftigkeitskriterien zurückgreift. Die einzelnen Konstellationen und die Frage, ob ein solcher Paternalismus zulässig ist, sollen im Folgenden untersucht werden. a) Einwilligungsfähigkeit volljähriger Patienten aa) Regelfall der Einwilligungsfähigkeit Volljähriger – Autonomie versus objektive Rationalität Im Strafrecht ist man sich seit langem einig, dass sich die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit grundsätzlich und auch bei Eingriffen in die körperliche Integrität weder nach den strafrechtlichen Vorschriften über die Schuld der §§ 19 ff. StGB314 noch nach den Normen über die Geschäftsfähigkeit der §§ 104 ff. BGB315 richten können, sondern als Erklärung mit eigener Zielsetzung und Rechtsfolgen auch eigenen Regeln folgen muss.316 Der faktische, natürliche Wille des Patienten genügt allerdings nicht, denn eine Einwilligung kann nur dann Ausdruck der freien Entfaltung des Einzelnen sein, wenn sie von richtigen Vorstellungen und dem Verständnis für das eingewilligte Verhalten getragen ist.317 Einwilligungsfähig ist daher nach der gängigen Formel der ständigen Rechtsprechung und der herrschenden Literatur, wer natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt, wer 314  Schuldfähigkeit und Einwilligungsfähigkeit verlangen unterschiedliches: Schuldfähigkeit sagt aus, ob jemand Normen zu achten vermag, die fremde Rechtsgüter schützten; Einwilligungsfähigkeit fragt dagegen, ob eine Person in der Lage ist, mit eigenen Rechtsgütern umzugehen, vgl. Amelung (1992a), S. 525 f. 315  Die zivilrechtlichen Vorschriften sind nicht anwendbar, weil Einwilligung und Willenserklärung unterschiedliche Normtypen sind, vgl. Amelung (1992a), S. 526 ff. Dies hat die Rspr. schon in RGSt 41, 88, 90, BGHSt 4, 88, 90 herausgearbeitet. Eine endgültige Ablösung der Einwilligungsregeln von den Vorschriften des BGB über die Geschäftsfähigkeit vollzog BGHZ 29, 33, 36; im Anschluss BGH, NJW 1972, 335 ff. Nachweise auch bei Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 39 ff., die selbst aber differenzieren und §§ 104 ff. BGB zum Teil analog anwenden. Eine Ausnahme wird von einer starken MM. in der Lit. im Bereich der Vermögensdelikte angenommen, dort soll Geschäftsfähigkeit erforderlich sein, vgl. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 193 m. w. N. Das ist zw., im Bereich der Untreue gem. § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB aber sinnvoll, vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 90, 83, Amelung (1992a), S. 528 f. 316  Ausführlich zum Ganzen Amelung (1992a), S. 525 ff., 535 ff. m. w. N. für die Rspr; Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 419 ff.; Neyen (1991), S. 4 ff. 317  Roxin (2006), § 13 Rn. 84.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 233

also nach seiner individuellen geistigen und sittlichen Reife Bedeutung und Tragweite des konkreten konsentierten Eingriffs zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen vermag.318 Neben dieser intellektuellen Einsichtsfähigkeit ist weiter die voluntative Fähigkeit erforderlich, sich auch nach der gewonnenen Einsicht zu verhalten.319 Im Hinblick auf die grundgesetzliche Verankerung im Selbstbestimmungsrecht des Patienten320 wird die Einwilli­ gungsfähigkeit Erwachsener dabei vermutet; diese Regel wird nur beim Vorliegen konkreter gegenläufiger Anhaltspunkte für Urteilsdefizite in Frage gestellt.321, 322 Darüber hinaus richtet sich die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, ist also vor allem geprägt von der Relativität zum in Aussicht genommenen (nicht indi­ zierten) medizinischen Eingriff.323 Im Bereich medizinischer Behandlungen ist das Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit beim Patienten vom 318  BGHSt 23, 1; zuvor in diesem Sinne schon BGHSt 4, 88, 90; BGHSt 5, 362; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 193 f. m. zahlr. w. N. zur Rspr.; Amelung (1992a), S.  535  ff., 541  ff.; Roxin (2006), §  13 Rn.  84; Ulsenheimer (2008), Rn. 108 ff.; Katzenmeier (2002), S. 339; Palandt (2014), BGB, § 630d Rn. 3. Vgl. differenzierend m. w. N. Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 39 ff. Zur Problematik der Anwendung dieser teilweise unpräzisen Formel, die stark von der Ausfüllung durch außerjuristisches Fachwissen abhängt, Amelung (1992a), S. 535 ff. Die gleichen Anforderungen beinhaltete die weitaus plastischere Formel Engischs für den speziellen Bereich ärztlicher Heileingriffe. Danach muss der Patient über die Reife und Fähigkeit verfügen, „die Tragweite des ärztlichen Eingriffs für Körper, Beruf und Lebensglück zu ermessen. Engisch (1958), S. 14; ebenso Kern (1991), S. 68; vgl. hierzu Amelung (1992a), S. 543. 319  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 193 m.  w. N.; Ulsenheimer (2008), Rn. 109. Dieses definitorische Element fehlt in der Formel der Rspr., so zutreffend Amelung (1992a), S. 525, 540 f. unter Hinweis auf die Rspr. im Bereich der Einwilligung Drogenabhängiger in die Gabe von Rauschgift. 320  Ausführlich oben B.III.1. 321  NK-StGB-Paeffgen (2013), §  228 Rn. 16 a.  E.; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor  § 32 Rn. 194. 322  Ist der volljährige Patient aufgrund tatsächlich vorliegender konstitutioneller Defizite im Einzelfall nicht einwilligungsfähig, ist grundsätzlich eine Stellvertretung bei der strafrechtlichen Einwilligung möglich. Nach den zivilrechtlichen Regeln des Betreuungsrechts bestellt das Vormundschaftsgericht gem. §§ 1896 ff., 1901 Abs. 1 BGB einen Betreuer für die Personensorge. Dieser ist dann gem. §§ 1896 Abs. 1 S. 1, 1901 Abs. 1, 1902 BGB zur Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff berechtigt. Dabei hat der Betreuer sich bei seiner Entscheidung am Wohl des Betreuten zu orientieren, § 1901 Abs. 2 BGB. Bei der Vornahme gefährdender Maßnahmen besteht dabei für die Betreuerentscheidung ein Genehmigungsvorbehalt durch das Vormundschaftsgericht gem. § 1904 Abs. 1 S. 1 BGB. Auf die Thematik der stellvertretenden Einwilligung bei einwilligungsunfähigen Erwachsenen wird im Folgenden wegen ihrer äußerst geringen praktischen Relevanz nicht weiter eingegangen. 323  Amelung (1992a), S. 557  f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 185 f.; LK-StGBRönnau (2006), Vor § 32 Rn. 194.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Arzt festzustellen, der dabei alle konkreten Umstände miteinbezieht und in diesem Rahmen über eine Einschätzungsprärogative verfügt.324 Die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit erfordert demnach bei einer invasiven Schönheitsoperation etwas anderes als beispielsweise bei einer Wundversorgung oder einer Impfung. Der Wunsch eines Patienten, einen nicht indizierten ärztlichen Eingriff vornehmen zu lassen, der die körperliche Integrität ohne gesundheitlichen Nutzen gefährden oder beschädigen kann, kann sich im Einzelfall als objek­ tiv „unvernünftig“ darstellen. Insbesondere vor dem Hintergrund der vielzitierten Zahnextraktionsentscheidung des Bundesgerichtshofs325 stellt sich daher die Frage, ob dem Rechtsgutsträger die Einwilligungsfähigkeit abgesprochen werden muss, wenn dieser eine grob unvernünftige Einwilligung in eine nicht notwendige, gar gesundheitsgefährdende Schönheitsoperation erteilt. Die Einwilligung mit ihrer verfassungsrechtlichen Grundlage im körperbezogenen Selbstbestimmungsrecht326 räumt dem Rechtsgutsinhaber die Kompetenz zur Disposition über seine Rechtsgüter gemäß seinen eigenen, subjektiven Vorstellungen und damit sowohl die Freiheit zu vernünftigen wie auch zu unvernünftigen Entscheidungen ein.327 Bestreitet man bei unvernünftigen Entscheidungen die Einsichtsfähigkeit, wird aus der Einwilligung statt einem Instrument der Selbstbestimmung ein Instrument der rechtlichen Bevormundung.328 In der Strafrechtslehre geht man vor allem seit der einhelligen Kritik329 an der Zahnextraktionsentscheidung des Bundesgerichtshofs davon aus, dass die Annahme der Einwilligungsfähigkeit des Patienten und damit die Wirksamkeit der Einwilligung nicht von der objektiven Rationalität einer Entscheidung abhängen.330 Der Bundesgerichtshof hatte entschieden, dass die Patientin, die in die Extraktion aller (plombierter) Zähne einwilligte, weil sie sich davon Heilung ihrer Kopfschmerzen versprach, wegen ihres „laienhaften Unverstands“ und wegen der objektiven Unvernünftigkeit ihrer Entscheidung nicht einwilligungsfähig gewesen sei.331 Bei der Patientin lagen aber keine Anzeichen für einen konstitutionellen Defekt vor, der ihre Einsichts- und Urteilsfähigkeit hin324  Laufs / Kern-Ulsenheimer

(2010), § 139  Rn. 44. NJW 1978, 1206. 326  Ausführlich oben B.III.1. und C.III.1., 2. 327  Roxin (2006), § 13 Rn. 88; Fateh-Moghadam (2010a), S. 34. 328  Zutreffend Amelung (1999a), S. 46; Schroth (2009), S. 726. 329  Hruschka (1978), S.  519; Rogall (1978), S. 2344; Rüping (1979), S. 91; Schroth (2010a) S. 44 f.; Roxin (2006), § 13 Rn. 58 m. zahlr. w. N. 330  Für viele NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 16; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 194; Amelung (1999a), S. 45. 331  BGH, NJW 1978, 1206. 325  BGH,



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sichtlich der Zahnextraktion ausgeschlossen hätte. Damit kam ihr die grundgesetzlich garantierte Freiheit zu, durch Einwilligung über ihren Körper zu verfügen. Aus einer einzelnen – wenn auch noch so – irrationalen Einwilligungsentscheidung direkt auf die Einwilligungsunfähigkeit des Patienten zu schließen, widerspricht diesem Recht auf körperbezogene Selbstbestimmung. Soweit dem Arzt strafrechtlich untersagt werden soll, einen Eingriff vorzunehmen, der von vorneherein keine Heilbehandlung darstellt, sondern therapeutisch sinnlos ist, ist dies konstruktiv jedenfalls nicht über die Ablehnung der Einwilligungsfähigkeit, sondern allenfalls über § 228 StGB begründbar,332 wenn man nämlich davon ausgeht, dass die Sittenwidrigkeitsklausel ein Mindestmaß an subjektiver Rationalität absichern soll. Darauf wird zurückzukommen sein.333 Wenn eine Einwilligungsentscheidung in einen nicht indizierten Eingriff nach objektiven, allgemeingültigen Bewertungskriterien als rational oder vernünftig beschrieben werden kann, liegt aber nicht stets zugleich eine autonome Einwilligung im Rechtssinne vor. Ebensowenig ist eine objektiv unvernünftige oder irrationale Entscheidung automatisch unwirksam, denn auch eine solche Entscheidung kann dem eigenen selbstbestimmten Interesse entsprechen.334 Allenfalls kann hierin ein Anhaltspunkt für die möglicherweise fehlende Einwilligungsfähigkeit liegen.335 Maßgeblich ist für das Strafrecht nur die Feststellung, dass der einwilligende Patient autonom gehandelt hat. Dabei ist die normative Feststellung von Autonomie336 oftmals schwierig und abhängig von seiner jeweiligen Ausdifferenzierung durch die Rechtsordnung. Denn Autonomie ist ein kontextabhängiger Schwellenbegriff, der „nicht wesensmäßig vorfindbar ist“, sondern normativ interpretiert werden muss.337 Aus rechtlicher Sicht sichert der Autonomiebegriff die Minimalbedingungen für freiverantwortliches Entscheiden ab; liegen diese Voraussetzungen vor, hat der Einzelne auch die Freiheit zu nicht 332  Vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 87. Die Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit dürfen dabei jedoch nicht über die Sittenwidrigkeit ausgehebelt werden. Vgl. Amlung (1992a), S. 541. 333  Ausführlich B.I.1.b) und D.II.5.b)bb). 334  Zum Ganzen Oswald (2010a), S. 105. 335  H. M., vgl. für viele LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 194; Amelung (1992a), S. 553; Roxin (2006), S. § 13  Rn. 19 ff., 86 ff.; Ratzel / Luxenburger (2011), § 12 Rn. 375 ff. 336  Vgl. zum Autonomiebegriff Rönnau (2001), S.  200  ff.; Amelung (1998), S. 40 ff., jeweils im Kontext der Willensmängeldogmatik; Schroth (2006a), S. 89 ff., im Kontext der Einwilligung in die Lebendorganspende; Fateh-Moghadam (2010a), 27 f., 34 ff., im Kontext des weichen, autonomieorientierten Paternalismus; Pawlik (2012), S. 223; Damm (2002), S. 376 ff. 337  Fateh-Moghadam / Schroth / Gross / Gutmann (2006), S. 157; Fateh-Moghadam (2010a), S. 27.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

rationalen Entscheidungen.338 Die Autonomie der Einwilligungsentscheidung wird im Kontext der körperbezogenen Schutzvorschriften durch die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung gewährleistet.339 Ein Autonomiedefizit kann (nur) angenommen werden, wenn die Entscheidungskompetenz des Einwilligenden aufgrund positiv festzustellender Gründe sicher verneint werden muss, wenn die Einwilligungsfähigkeit also wegen des Vorliegens konstitutioneller Defekte nicht gegeben ist.340 Fehlt die Einwilligungsfähigkeit etwa im Fall einer psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung, wegen starker Schmerzen, nach übermäßigem Alkoholgenuss oder in anderen Rauschzuständen, ist die Einwilligung in den ärztlichen Eingriff unwirksam.341 Erwachsene sind damit bei der Einwilligung in Schönheitsoperationen aus rein ästhetischen Gründen wie auch sonst im Regelfall als einwilligungsfähig zu betrachten. Die Einwilligung in eine Schönheitsoperation muss keinerlei objektiven Rationalitätskriterien genügen und keine vernünftige Zwecke ver­ folgen. Wenn sich eine volljährige, einwilligungsfähige Patientin zu einer kosmetischen Brustvergrößerung entschließt, die nach allgemeiner Ansicht nicht notwendig oder gar ungewöhnlich und in Anbetracht der gesundheitlichen Risiken der Behandlung unvernünftig ist,342 hat diese Tatsache aber keinerlei Einfluss auf die Feststellung deren Einwilligungsfähigkeit. So wird auch nicht bestritten, dass in die Extraktion aller Zähne aus kosmetischen Gründen, um etwa durch eine Zahnprothese ein besseres Aussehen zu erlangen, wirksam eingewilligt werden kann.343 Selbst der Wunsch nach einer Gesichtskorrektur oder Körpermodellierung nach dem Ebenbild eines Stars344 lässt die Einwilligungsfähigkeit des Patienten nicht ohne weiteres entfallen.345 bb) Einwilligungsfähigkeit und subjektiver Vernünftigkeitsmaßstab (Amelung) Die Auseinandersetzung mit der Einwilligungsfähigkeit auf der Grundlage eines subjektiven Vernünftigkeitsmaßstabs ist in der Strafrechtswissen338  Schroth (2006a), S.  89, 92; Schroth (2009), S. 726; Roxin (2006), § 13 Rn. 86 f.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 34. 339  Schroth (2011a), S. 480. 340  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 194. 341  Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 40. 342  Vgl. oben Fn. 111. 343  Roxin (2006), § 13 Rn. 87. 344  Ein gegenüber Schönheitschirurgen nicht selten geäußerter Wunsch, vgl. Interview mit Werner Mang, Brigitte, Heft 19 / 2009, „Der Michelangelo vom Bodensee“, S. 64 ff., 66.; Studie von Korczak (2007), S. 90. 345  Vgl. Lorz (2007), S. 24, 135.



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schaft dagegen uneinheitlich bzw. unterbleibt zumeist. Amelung hat in einem eigenen, abschließenden Ansatz zur Einwilligungsfähigkeit eine Präzisierung der Formel von Rechtsprechung und Literatur unternommen,346 die auch auf subjektive Elemente der Einwilligungsentscheidung eingeht. Er fordert für die Annahme von Einwilligungsfähigkeit die Übereinstimmung der Entscheidung mit dem eigenen Wertesystem des Einwilligenden.347 „Einwilligungsfähig ist, wer die Fähigkeit besitzt, eine vernünftige Entscheidung zu treffen.“348

Maßgeblich soll nach Amelung dabei auch die zutreffende Bewertung der Tatsachen und Kausalverläufe sein, die der Einwilligungsentscheidung zu Grunde liegen.349 Vor diesem Hintergrund erklärt Amelung die Einwilligung in eine Schönheitsoperation unter bestimmten Voraussetzungen für (subjektiv) irrational. „Wer sich Illusionen darüber macht, dass eine kosmetische Operation seine Anziehungskraft auf das andere Geschlecht steigert, handelt irrational, wenn er in einen solchen Eingriff einwilligt.“350

Die Feststellung, dass diese prognostische Überlegung des in eine Schönheitsoperation Einwilligenden unzutreffend sei, ist problematisch. Zum einen wird über die angeblich objektiv zugängliche Beweisbarkeit von Prognosen351 bei der Einwilligungsfähigkeit doch ein Einfallstor für objektive Vernünftigkeitskriterien und für die Überprüfung einer „nicht konformen“ Einwilligung geschaffen. Zum anderen stellt auch Amelung die Problematik der objektiven Beurteilung von Prognosen heraus, nämlich dass es sich hierbei um mit Unsicherheiten belastete Wahrscheinlichkeitsaussagen handelt.352 Dass mit einer gelungenen Schönheitsoperation im Einzelfall nicht doch die Anziehungskraft auf das andere Geschlecht verbessert werden kann, kann nicht ausgeschlossen werden. Nach zutreffender Ansicht ist daher nur entscheidend, dass der Pa­ tient ausreichend aufgeklärt wird, gegebenenfalls eben auch über die Tat­ sache, dass wissenschaftlich kein Nachweis für seine Annahme bestehe; seine Schlussfolgerung ist dann keiner Bewertung mehr zugänglich.353 Etwas anderes gilt nach der hier vertretenen Auffassung nur im Kontext kontraindizierter Behandlungen; darauf wird zurückzukommen sein.354 346  Odenwald

(2004), S. 38. (1992a), S. 544 ff., 547; Amelung (1999a), S. 46 f. 348  Amelung (1999a), S. 45. Ebenso schon Amelung (1992a), S. 544. 349  Amelung (1992a), S. 548 ff. 350  Amelung (1992a), S. 548. 351  Amelung (1992a), S. 549. 352  Amelung (1992a), S. 554. 353  Vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 88. 354  Ausführlich unten D.II.5.b)bb). 347  Amelung

238

D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Auch Amelung macht die Wirksamkeit der Einwilligung letztlich aber nicht davon abhängig, ob die Entscheidung als objektiv rational bewertet werden kann. „Derartige Prinzipien dürfen aber nicht den Blick dafür verstellen, dass die Einwilligung ein Instrument der Interessenwahrnehmung ist.“355 „Einwilligungsfähig ist, wer in der Lage ist, zu erkennen, was ihm nach den eigenen Wertmaßstäben nützt bzw. schadet.“356 „Es geht, mit anderen Worten, bei der Beurteilung der Rationalität einer Einwilligung um subjektive, nicht um objektive Ratio­ na­ lität.“357

Dabei bezieht sich Amelung auf die Frage, ob eine Person generell einwilligungsfähig ist. Dies ist auch nach seiner Ansicht nur beim Nachweis eines konstitutionellen psychischen Defizits nicht der Fall.358 Andernfalls ist nicht ausgeschlossen, dass der Einzelne trotz zuerkannter genereller Einwilligungsfähigkeit im Einzelfall eine irrationale Entscheidung trifft, die dann aber als wirksam zu akzeptieren sei. Wenn dem Rechtsgutsträger die generelle Einwilligungsfähigkeit einmal zugesprochen worden sei, so müssten auch solche irrationale Entscheidungen als wirksam behandelt werden.359 Im Ergebnis stellt Amelung damit Anforderungen auf, die ihn wieder mit der herrschenden Literatur übereinstimmen lassen.360 cc) Anlass zur Prüfung bei Dysmorphophobie Ein konkreter Anhaltspunkt zur Prüfung des Fehlens der Einwilligungsfähigkeit ist im Bereich nicht indizierter Schönheitsoperationen bei Patienten gegeben, bei denen der Wunsch nach kosmetischen Operationen mit einer psychisch-neurotischen Fehlhaltung verbunden ist. Bekannt ist in diesem Zusammenhang die sog. Dysmorphophobie.361 Dabei handelt es sich um eine somatoforme Störung, die sich durch eine übermäßig starke Beschäftigung mit einem eingebildeten oder nur leicht vorhandenen Mangel oder Defekt an einem bestimmten, meist exponierten Körperteil charakterisiert.362 Resultat ist oft ein übermäßiger Wunsch nach korrigierenden 355  Amelung

(1992a), S. 544, Hervorhebungen dort. (1999a), S. 47 f. 357  Amelung (1992a), S. 547, Hervorhebungen dort. 358  Amelung (1999a), S. 45; Amelung (1999b), S. 458. 359  Amelung (1999a), S. 47. 360  So Roxin (2006), § 13 Rn. 88. 361  Nach dem DSM-IV auch body dysmorphic disorder oder körperdysmorphe Störung (KDS) genannt. 362  Pschyrembel (2007), Stichwort „Dysmorphophobie“. Ausführlich Stock (2009a), S. 167 ff.; Odenwald (2004), S. 183. 356  Amelung



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 239

schönheitsoperativen Eingriffen. Die tatsächliche Vornahme einer kosmetischen Operation verspricht allenfalls in leichteren Fällen Besserung; oftmals wird das körperliche Aussehen auch weiterhin als störend empfunden.363 Ein Eingriff kann bei diesen Patienten sogar zu einer Verschlechterung des psychischen Krankheitsbildes führen, mit der Folge der Verlagerung des wahnhaften Begehrens auf andere Körperteile und dem Wunsch nach weiteren Folgeeingriffen.364 Bei einem Betroffenen ist die Vornahme eines kosmetischen Eingriffs mangels Einwilligungsfähigkeit daher in der Regel abzulehnen.365 Auch bei Anlass zur Vermutung einer körperdysmorphen Störung gilt aber nach den genannten Grundsätzen, dass diese Vermutung allein nicht schon die als Regelfall anzunehmende Einwilligungsfähigkeit ausschließt, sondern dass das Vorliegen eines relevanten psychiatrischen Defekts erst für den Arzt erkennbar und nachgewiesen sein muss.366 Dies wird in zwei oberlandesgerichtlichen Urteilen im Kontext schönheitsoperativer Eingriffe deutlich, bei denen die Gerichte die Einwilligungsfähigkeit der Patienten angenommen haben, obwohl die Vermutung einer psychisch-neurotischen Störung nahelag. Denn gerade in diesem Bereich sind die Grenzen oft unklar. Ob wirklich eine psychiatrische Erkrankung vorliegt, ist in den seltensten Fällen eindeutig oder einfach festzustellen, sondern bedarf der oftmals komplizierten Diagnosestellung durch einen Psychologen oder Psychiater.367 Zudem gehen Studien davon aus, dass einer Vielzahl von Schönheitsopera363  Lorz

(2007), S. 112. Ganzen Odenwald (2004), S. 183 m. w. N.; Lorz (2007), S. 111 ff. 365  Aus medizinischer Sicht aber umstr., z. T. wird auch eine Kombination aus schönheitschirurgischer und psychiatrischer Behandlung empfohlen, vgl. hierzu Stock (2009a), S. 263, 167 ff. m. w. N. Wie hier auch Odenwald (2004), S. 183. 366  Vgl. die Urteile OLG Düsseldorf, VersR 2001, 1380  f.; OLG Köln, VersR 1999, 1371 f. Das OLG Düsseldorf urteilt „Bei einem vielfach aus kosmetischen Gründen voroperierten Patienten hat ein plastischer Chirurg die Möglichkeit einer psychisch-neurotischen Störung in Betracht zu ziehen; gibt der Patient allerdings in einem Vorgespräch an, er habe sich erst zwei oder drei Korrektureingriffen unterzogen, ist nicht ohne weiteres von einer unvernünftigen Fixierung auf das äußere Erscheinungsbild auszugehen.“ Das OLG Köln stellt auch bei erkennbarer psychischer Störung auf einen Behandlungsfehler wegen Nicht-Erreichbarkeit des vom Patienten gewünschten Ziels und nicht auf die Einwilligungsunfähigkeit ab: „Die wunschgemäße Durchführung einer Schönheitsoperation stellt nicht schon dann einen Behandlungsfehler dar, wenn aus objektiver Sicht eine Korrektur des vom Patienten als störend empfundenen Zustands nicht angezeigt erscheint. Etwas anderes gilt dann, wenn der Patient für den Arzt erkennbar unter einer psychischen Störung leidet, die Ursache für den Operationswunsch ist.“ 367  Aus der Schwierigkeit der Erfassung und Einteilung psychiatrischer Er­ krankungen ist in langjähriger Fortentwicklung das Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 der WHO hervorgegangen. 364  Zum

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

tionen psychische Probleme des Patienten zugrunde liegen;368 diese erlangen aber nicht stets die Bedeutung eines Defekts, der die Einwilligungsfähigkeit ausschließt. Für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes bedeutet das, dass der Arzt aus einer ex ante-Beurteilung die aus der körperdysmorphen Störung resultierende Einwilligungsunfähigkeit erkennen können musste.369 dd) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist aus der Perspektive des Strafrechts die im Regelfall gegebene Annahme der Einwilligungsfähigkeit nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Patient eine objektiv unvernünftige, nicht indizierte ärztliche Behandlung wünscht. Gerade bei der Einwilligung in Schönheitsoperationen, die medizinisch nicht notwendig und daher von einem allgemeinen Standpunkt her häufig nicht „vernünftig“ sind, wirken sich die dargestellten Grundlagen der Einwilligung entscheidend aus. Ein autonom entscheidender Patient kann auch in unvernünftige kosmetische Eingriffe wirksam einwilligen. Das Fehlen der medizinischen Indikation zeigt daher bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit Erwachsener in ärztliche Eingriffe keine unmittelbare Auswirkung. b) Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger aa) Notwendige positive Feststellung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger Seit einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs und in Abkehr von der vorangegangenen Rechtsprechung des Reichsgerichts kann der Minderjährige selbst wirksam in ärztliche Behandlungen einwilligen, wenn er im Hinblick auf den konkreten ärztlichen Eingriff einsichts- und urteilsfähig ist.370 Feste Altersgrenzen gibt es hierbei aber nicht. Vielmehr ist auch bei einem Minderjährigen die Prüfung erforderlich, ob dieser nach seiner geis368  Vgl. VersMed 2007, 198, zur Studie von Joseph Laughlin, Professor an der Vanderbilt University School of Medicine. Die Studie hat belegt, dass Frauen, die sich einer Brustvergrößerung unterzogen haben, ein dreifach erhöhtes Suizidrisiko aufzeigen. Die Forscher gehen aufgrund dieser Ergebnisse davon aus, dass Frauen, die sich Schönheitsoperationen unterziehen, oftmals an psychischen Problemen leiden, die durch den kosmetischen Eingriff nicht behoben werden können. 369  Vgl. Lorz (2007), S. 113. 370  Das RG erachtete zuvor allein die Einwilligung der Eltern für maßgeblich und billigte dem Kind auch kein Vetorecht zu, vgl. RG, JW 1907, 505; JW 1911, 748. Zu trennen von der strafrechtlichen Einwilligungsfähigkeit ist die Frage nach der



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 241

tigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung im Einzelfall ermessen und danach handeln kann.371 Dabei gilt anders als bei erwachsenen Patienten, dass bei Minderjährigen die Einwilligungsfähigkeit positiv festzustellen ist, also deren Annahme gerade nicht den Regelfall bildet wie bei volljährigen Patienten.372 Die Einwilligungsfähigkeit muss daher für den konkreten Einzelfall anhand aller Tatumstände festgestellt werden.373 Der Arzt überprüft für jeden konkreten Eingriff die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen, dessen Verständnis und freie Willensbildung.374 Dabei hat er die gesamten Umstände wie Alter des Patienten, Art und Schwere der Erkrankung, seine psychische und physische Konstitution, Herkunft, Hintergrund, kulturelle Tradition, Grad der Verständnisfähigkeit, Vorkenntnisse etc. in sein Urteil mit einzubeziehen.375 Ausschlaggebend für das Urteil des Arztes über die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen bleibt dann alleine der individuelle Reifegrad des minderjährigen Patienten bezüglich der konkreten gewünschten ärztlichen (Heil-)Behandlung.376 Führt man sich die Vielfalt der verschiedenen denkbaren ärztlichen Maßnahmen und die unterschiedlich verlaufende Entwicklung Jugendlicher vor Augen, ist diese Feststellung vielfach schwierig. Diese Beurteilungsschwierigkeiten sind aber keine Besonderheit bei nicht indizierten Eingriffen.377 Selbst bei Heileingriffen ist die Rechtsprechung überaus restriktiv, wenn es um die Anerkennung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger geht,378 so dass dem Arzt auch dort ein Risiko verbleibt. Dem wird begegnet, indem man dem Arzt eine Einschätzungsprärogative zugesteht, die bei fehlender Erkennbarkeit ein Fahrlässigkeitsdelikt ausschließt.379 Geschäftsfähigkeit gem. §§ 104 ff. BGB, die für den Abschluss des Behandlungsvertrags relevant ist. 371  BGHZ 29, 36, und im Anschluss daran die ganz h. M., vgl. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor  § 32 Rn. 193 m. w. N.; Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 45; Palandt (2014), BGB, § 630d Rn. 3. Grds. differenzierend, aber hier ebenso Sch / SchLenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 40. 372  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 195. 373  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 195. 374  Ausführlich hierzu Reipschläger (2004), S. 60 f. 375  Vgl. Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 44; Ulsenheimer (2008), Rn. 108; Kern (1994), S. 753, 755. 376  Voll (1996), S. 67 f. 377  Zur unzureichenden Möglichkeit für den Arzt – ungeachtet der gleich folgenden Ausführungen zu Kompetenzkonflikten –, die Eltern des Jugendlichen hinzuzuziehen, vgl. unten E.II.1. 378  Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 45. 379  Vgl. NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 16.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Im Strafrecht ist man sich lediglich insoweit einig, dass im Sinne einer Faustformel oder eines Referenzrahmens und vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls bei Jugendlichen unter 14 Jahren (Kindern) die Einwilligungsfähigkeit hinsichtlich eines ärztlichen Eingriffs stets fehlt,380 während sie umso sicherer und regelmäßiger anzunehmen ist, je weiter sich der Jugendliche dem Alter der Volljährigkeit nähert.381 Die Volljährigkeit ist hierbei allenfalls ein Anhaltspunkt, ab dem die Einwilligungsfähigkeit aber spätestens vermutet wird. Schwierig bleibt die rechtliche Bewertung von Patienten zwischen diesen Eckdaten, also in der Phase zwischen 14 und 18 Jahren, die nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmen ist.382 Die Rechtslage ist in dieser Altersphase Minderjähriger höchst unübersichtlich.383 Klare Linien gibt es in Rechtsprechung und Literatur kaum, obwohl schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind.384 Insgesamt ist vor allem die Judikatur385 äußerst restriktiv und legt gerade bei invasiven ärztlichen Eingriffen die Messlatte sehr hoch an. Selbst wenn es sich um Heilbehandlungen handelte, wurde die Einwilligungsfähigkeit auch 16- oder 17-Jähriger Patienten verneint.386 In der Literatur werden dagegen teilweise auch sehr junge Minderjährige für einwilligungsfähig gehalten.387

380  Für viele Roxin (2006), § 13 Rn. 85; Voll (1996), S. 67. Allgemein wird angenommen, dass Minderjährige unter 14 Jahren angesichts der großen Variationsbreite ihres Entwicklungsstands noch nicht die notwendige geistige Reife erlangt haben, vgl. Ulsenheimer (2008), Rn. 109b; Laufs / Kern-Laufs (2010), § 62 Rn. 9. 381  Für viele Roxin (2006), §  13 Rn. 85; NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 14; Voll (1996), S. 67. Vgl. Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 420 m. w. N. Nach einer MM. in der Lit. soll dagegen die Einwilligungsfähigkeit ab 16 Jahren stets, zuvor nicht anzunehmen sein, vgl. Odenwald (2004), S. 125 m. w. N. 382  Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 45. 383  Hierzu ausführlich mit Einzelnachweisen Reipschläger (2004), S.  56  ff.; Neyen (1991), S. 56 ff.; Voll (1996), S. 66. 384  Vgl. BGHSt 12, 379; BGHZ 29, 33; BGH, NJW 1970, 511; BGH, NJW 1972, 335; BGH, NJW 1991, 2344. 385  Die ergangenen Urteile sind häufig zivilrechtliche, dabei jedoch auch für das Strafrecht relevant, vgl. Neyen (1991), S. 56. 386  BGHSt 12, 379, 382  ff. – keine Einwilligungsfähigkeit einer 16-jährigen bzgl. einer Blinddarmoperation; BGH, NJW 1970, 511, 512 ff., BGH, NJW 1972, 335, 336 – keine Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger bzgl. der Entfernung von Warzen; OLG Hamm, NJW 1998, 3425 – Einwilligungsfähigkeit erst mit Volljährigkeit, Minderjährige generell einwilligungsunfähig bzgl. Schwangerschaftsabbruch und sogar bzgl. Heilbehandlungen; BGH NJW 1991, 2345 – Erforderlichkeit der Einwilligung der Eltern bei einer fast 18-Jährigen. 387  Tag (1996), S. 68, die die Altersuntergrenze für Minderjährige im Hinblick auf deren Reifegrad grds. eher bei 14 Jahren ansetzen möchte. Vgl. auch Neyen (1991), S.  63 m. w. N.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 243

bb) Reziprozitätsthese von Rechtsprechung und Literatur im Bereich nicht indizierter Eingriffe Problematisch ist die Rechtslage dabei insbesondere im Bereich der nicht indizierten ärztlichen Eingriffe. Hier weisen Rechtsprechung und herrschende Lehre auf die fehlende Notwendigkeit des Eingriffs hin und legen allein deshalb noch strengere Maßstäbe an die Feststellung der Einwilligungsfä­ higkeit an. Sie postulieren den Grundsatz, dass die Anforderungen an die Annahme der Einwilligungsfähigkeit umso strenger seien, je gravierender der Eingriff und seine Folgen und je weniger dringlich388 die geplante Maßnahme sei.389 Die fehlende Dringlichkeit eines ärztlichen Eingriffs und der einer ärztlichen Behandlung anhaftende Indikationsmangel werden damit pauschal als Indiz gegen die Annahme der Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen gewertet.390 Diese Ansicht kann nicht überzeugen. Die Rechtsprechung ist hier in besonderem Maße restriktiv und setzt die Anforderungen sehr hoch an.391 Um die Einwilligungsfähigkeit konkret im Bereich eines nicht indizierten kosmetischen Eingriffs ging es in seinem vielbeachteten Urteil aus dem Jahr 1971,392 in dem der Bundesgerichtshof die Ablehnung der Einwilligungsfähigkeit einer 16-Jährigen mit dem Argument begründete, die kosmetisch bedingte Warzenentfernung sei nicht dringlich gewesen und der Minderjährigen habe die Fähigkeit zur kritischen Reflexion gefehlt. „Die Einwilligung des Jugendlichen kann deshalb bei einerseits aufschiebbaren, andererseits nicht unwichtigen Entscheidungen über eine ärztliche Behandlung 388  Der Begriff der „Dringlichkeit“ ist im Kontext ärztlicher Eingriffe nicht einheitlich besetzt, sondern wird zum Teil als „medizinisch notwendig“, zum Teil als „eilbedürftig“ verstanden und verwendet, vgl. Reipschläger (2004), S. 65 ff. Hier führt der Begriff aber in beiden Verwendungsformen zur dargestellten Problematik, da eine rein kosmetische, nicht indizierte Schönheitsoperation weder eilbedürftig noch medizinisch notwendig ist. Amelung (1992a), S. 540, stellt fest, dass die Herstellung einer Abhängigkeit der Einwilligungsfähigkeit von der Dringlichkeit der Maßnahme sicherstellen soll, dass medizinisch vernünftige und konsentierte Maßnahmen des Arztes nicht ex post ihre Rechtfertigungsgrundlage durch subtile Bewertung der Einwilligungsfähigkeit verlieren. 389  Vgl. NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 14; Amelung (1992b), S. 821, 827 ff., 831 m. w. N.; Reipschläger (2004), S. 62 ff.; Voll (1996), S. 69; Neyen (1991), S. 59. A. A. Rouka (1996), S. 170 f., die davon ausgeht, dass sich „abgesehen vom regelmäßig fehlenden Heilungszweck […] kosmetische von normalen Eingriffen nicht so sehr“ unterscheiden, als dass sie eine „eigenständige Regelung der Einwilligungsbefugnis erforderten.“ 390  Vgl. hierzu Fateh-Moghadam (2010d), S. 125 m. w. N. 391  BGH, NJW 1972, 335 ff.; BGH, NJW 1970, 511, 512 ff. 392  BGH, NJW 1972, 335 ff. Zu beachten ist im Kontext dieses Urteils, dass das Eintrittsalter in die Volljährigkeit damals noch bei 21 Jahren lag.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

nicht genügen. […] daß in diesem Lebensalter die Zurückhaltung vor einer schmerzlosen und als folgenlos vorgestellten Behandlung nicht durch hinreichend kritische Bedenken gestützt wird, und daß gerade ein junges Mädchen dieses Alters erfahrungsgemäß einer kosmetische Verbesserungen versprechenden Maßnahme eher unbedenklich zuzustimmen neigt.“393

Mit der gleichen Begründung hatte der Bundesgerichtshof auch schon im Jahr 1970 die Einwilligungsfähigkeit einer 15-jährigen in eine kosmetisch veranlasste Warzenentfernung verneint, indem er die „Einsichtsfähigkeit Menschen dieses Alters“ bei einer solchen aufschiebbaren, aber nicht unwichtigen Behandlung verneinte.394 Auch die herrschende Ansicht in der Literatur fordert bei kosmetischen Eingriffen pauschal, es seien „strengere Anforderungen“ an die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger zu stellen.395 So heißt es bei Rönnau im Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch: „[…] auch bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen (etwa Schönheitsoperationen) sind hohe Anforderungen an die Einsichtsfähigkeit [Minderjähriger] zu stellen.“396

Noch deutlicher fordert Roxin: „Auch sind bei ärztlich nicht indizierten Eingriffen strengere Anforderungen an die Einsichtsfähigkeit [Jugendlicher] zu stellen.“397

Bei Ulsenheimer wird die Verbindung zwischen nicht indizierten Eingriffen und der Einwilligungsunfähigkeit des minderjährigen Patienten über das Merkmal der fehlenden Dringlichkeit hergestellt.398 393  BGH, NJW 1972, 337, Hervorhebung dort. Insg. drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Rspr. bei der Frage der Einwilligungsfähigkeit in nicht indizierte Eingriffe letztlich doch an den Altersgrenzen der Volljährigkeit bzw. den Regeln über die Geschäftsfähigkeit orientiert bzw. eine kumulative Einwilligung der Sorgeberechtigten für erforderlich hält, vgl. auch Neyen (1991), S. 58; Ohly (2002), S.  295 ff. 394  BGH, NJW 1970, 511, 512. 395  Für viele Amelung (1992b), S. 831 f. 396  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 195, Hervorhebung von der Verfasserin. 397  Roxin (2006), § 13 Rn. 85, Hervorhebung von der Verfasserin. 398  Die Aussage Ulsenheimers an anderer Stelle, Ulsenheimer (2008), Rn. 109e, „Auch bei Eingriffen, die ‚weniger schadensabwendenden als vielmehr lebensgestaltenden Charakter‘ haben, also die Persönlichkeit des oder der Jugendlichen besonders berühren, erscheint es richtiger, die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit niedriger anzusetzen“, muss wohl so interpretiert werden, dass sie sich nicht auch auf lebensgestaltende, nicht indizierte Eingriffe bezieht. Gemeint scheinen eher Eingriffe, die die Lebensführung des Jugendlichen im konkreten Moment betreffen, bspw. die Verordnung der Pille bei minderjährigen Mädchen. Insb. Schönheitsopera-



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 245 „Für die Altersstufe der 14- bis 18-Jährigen […] kommt es zum einen auf den Reifegrad und das Lebensalter, mehr aber auf die Art der Krankheit und die kon­ kret geplante ärztliche Maßnahme, deren Dringlichkeit, Komplikationsmöglichkeiten und körperliche Auswirkungen an: ‚Je schwerwiegender, je weniger dringlich, je unübersehbarer in seinen Risiken und Folgen ein Eingriff‘ und je jünger der Patient ist, desto eher fehlt die Einwilligungsmündigkeit des Jugendlichen.“399 „Bei unaufschiebbaren Eingriffen liegt daher die Altersgrenze für die wirksame Einwilligung im Prinzip niedriger als bei aufschiebbaren […].“400

Die Literatur kommt damit vielfach zu der Auffassung, dass die Ein­ willigungsfähigkeit bei einer nicht indizierten Schönheitsoperation stets oder zumindest regelmäßig erst mit Eintritt der Volljährigkeit anzunehmen sei.401 Was die Gründe für diese herrschende Auffassung von Rechtsprechung und Lehre angeht, so sind diese nachvollziehbar und tragfähig. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Minderjährige in besonderem Maße schutz- und fürsorgebedürftig sind. Dies erkennt die Rechtsordnung an, indem sie Minderjährige gem. Art. 6 Abs. 2 GG und §§ 1626 ff. BGB der elterlichen Sorge unterstellt und die Eltern mit der Pflege und Erziehung ihrer Kinder beauftragt402, bis zur Erlangung der Volljährigkeit. Die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger steht damit in einem Spannungsfeld zwischen Individualgrundrechten und Einwilligungsfreiheit einerseits und Fürsorgeprinzip und elterlicher Sorge andererseits.403 Wenn es um so wichtige Rechtsgüter geht wie die körperliche Integrität und wenn Fehlentscheidungen so folgenschwer sein können wie bei medizinischen Operationen, bedürfen Minderjährige daher sicherlich des Schutzes durch ihre Eltern. Auch mag bei Jugendlichen in der betreffenden Altersphase zwischen 14 und 18 Jahren die Fähigkeit zur kritischen Reflexion im Hinblick auf Schönheitsoperationen oft noch fehlen, weil eine hohe Beeinflussbarkeit durch Vorbilder und vermeintliche Schönheitsideale zu konstatieren ist.404 Das haben auch Studien nachgetion, die sicherlich auch „lebensgestaltenden Charakter“ haben, sind dagegen aufschiebbar. Dazu passen die Aussagen der zugleich zitierten Passagen. 399  Ulsenheimer (2008), Rn. 109d; Hervorhebungen von der Verfasserin. 400  Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 45; Hervorhebungen von der Verfasserin. 401  So etwa Odenwald (2004), S. 269. Vgl. im Kontext der Beschneidung FatehMoghadam (2010d), S. 125 m. w. N. A. A. Hennig (2010), S. 27, nach der jeder Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr wirksam in eine Schönheitsoperation einwilligen können soll. 402  Ausführlich zum Personensorgerecht Reipschläger (2004), S. 90  ff.; Rouka (1996), S.  26 ff. 403  Voll (1996), S. 66; Amelung (1992b), S. 827 ff.; Reipschläger (2004), S. 90 ff., 109 ff.; Rouka (1996), passim. 404  Für viele BGH, NJW 1972, 337; Lorz (2007), S. 139.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

wiesen.405 Dabei kann ein solcher kosmetisch-chirurgischer Eingriff riskant und folgenschwer für die weitere Lebensführung des Jugendlichen sein. Wird die – nie dringliche – kosmetische Operation bis zur Volljährigkeit aufgeschoben, ergeben sich dagegen keinerlei Konsequenzen für Gesundheitszustand oder den etwaig weiter bestehenden Wunsch nach der Korrektur des eigenen Aussehens.406 Deshalb heißt es zu Recht, dass bei Jugendlichen eine Entscheidung, die der medizinischen Vernunft widerspricht, ein starkes Indiz für mangelnde Einsichtsfähigkeit sein kann.407 Die Argumente, die Judikatur und Literatur anführen – fehlende Dringlichkeit, unterstellte teils fehlende Fähigkeit zur kritischen Reflexion und Rang der betroffenen Rechtsgüter – sind also als maßgebliche Kriterien zu bezeichnen.408 Das gilt aber nur, was die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit eines Jugendlichen im Einzelfall betrifft. Sie taugen dagegen nicht als verallgemeinerungsfähige Kriterien, die generell und pauschal gegen die Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen sprechen.409 Denn aus der von Rechtsprechung und herrschender Literatur vertretenen Auffassung ergibt sich eine Konsequenz, die den oben dargestellten Grundsätzen zur Einwil­ ligungsfähigkeit gerade widerspricht. Entscheidend ist auch bei Minderjährigen und trotz des zum Elternrecht bestehenden Spannungsverhältnisses die Wahrung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Minderjährigen, das den Einzelnen zu autonomer, freier Entscheidung ermächtigt. Die Frage der Schwere und medizinischen Notwendigkeit des Eingriffs stellt sich schon bei der vorgelagerten Prüfung der Einwilligungsfähigkeit.410 Dagegen wird von der herrschenden Meinung im Ergebnis die Einwilligungsfähigkeit nur dann angenommen, wenn eine „objektiv vernünftige“ Entscheidung getroffen wurde, nämlich eine Einwilligung in einen dringlichen, indizierten oder in einen geringfügigen, (nicht) indizierten Eingriff erteilt ist. Wenn Rechtsprechung und Lehre dem Minderjährigen die Fähigkeit zur eigenständigen Einwilligung in einen nicht indizierten medizinischen Eingriff und damit auch das Recht auf unvernünftige Entscheidungen zugestehen, soweit diese autonom erfolgt sind, darf dieses garantierte Recht auf Selbstbestimmung nicht wieder untergraben werden.411 Auch dem Minderjährigen garantiert 405  Nachweis

bei Lorz (2007), S. 139. hierzu auch Lorz (2007), S. 136 ff. 407  Roxin (2006), § 13 Rn. 85; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 195. 408  Amelung (1992b), S. 827 ff., 831; Neyen (1991), S. 58. 409  So wohl auch Neyen (1991), S. 59 f. 410  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 195. 411  So auch Lorz (2007), S. 136 ff., 139; Reipschläger (2004), S. 70 ff.; Neyen (1991), S. 60. 406  Vgl.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 247

die Verfassung das Recht auf freie Selbstbestimmung,412 das die Freiheit umfasst, über das eigene Aussehen zu bestimmen. § 1626 Abs. 2 BGB fordert in Ausgestaltung des Verfassungsrechts daher von den personensorgeberechtigten Eltern, wachsende Fähigkeiten und Bedürfnisse des heranwachsenden Kindes insoweit zu berücksichtigen und ihr elterliches Erziehungsrecht graduell hintanzustellen, wenn ihr Kind zu selbständigem verantwortungsbewussten Handeln imstande ist. Stellt der Arzt fest, dass der Jugendliche über die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit für einen konkreten medizinisch nicht indizierten Eingriff verfügt, ist der Jugendliche allein einwilligungsberechtigt.413 Gerade, weil der Reifeprozess von K ­ indern völlig unterschiedlich verläuft,414 ist es entgegen dem eben Fest­gestellten andererseits auch keineswegs ausgeschlossen, dass schon ein 16- oder 17-Jähriger über die Konsequenzen seines Handelns eigenverantwortlich und sinnvoll zu entscheiden vermag. Entwicklungspsychologische Forschungen haben wiederum auch festgestellt, dass der Reifeprozess heute bei Kindern und Jugendlichen oftmals früher einsetzt, so dass durchaus auch schon bei Jugendlichen jüngeren Alters ein hoher Reifegrad vorliegen kann.415 Einige ausländische Rechtssysteme erkennen im Bereich ärztlicher Eingriffe eine grundsätzliche Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger sogar schon ab 16 oder 14 Jahren an.416

412  Vgl. Voll (1996), S. 66. Auch der Minderjährige ist als natürliche Person Träger des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG, vgl. Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 9; über das elterliche Grundrecht auf Pflege und Erziehung aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG unterliegt die Ausübung dieses Grundrechts durch den Minderjährigen jedoch rechtlichen Grenzen, vgl. Amelung (1992b), S. 827 f. Für die Frage nach dieser immer noch oft als „Grundrechtsmündigkeit“ bezeichneten Fähigkeit Minderjähriger, das Grundrecht auch tatsächlich selbst auszuüben, gibt es beim Grundrecht auf freie Selbstbestimmung keine starre, sondern eine gleitende Altersgrenze. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass das Recht der Eltern mit zunehmender Reife und Entwicklung der Minderjährigen zurückgedrängt wird, vgl. BVerfGE 59, 360, 382; 72, 122, 137. Im Spannungsfeld zum elterlichen Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG ist der Jugendliche daher zu eigenen Entscheidungen in Ausübung seines Grundrechts berechtigt, sobald er die Fähigkeit zur konkreten Selbstbestimmung in der jeweiligen Sachfrage erreicht hat, vgl. hierzu Pieroth / Schlink (2013), Rn. 137 ff., 144, dort auch zur „prozessualen Grundrechtsmündigkeit“. 413  Palandt (2014), BGB, § 630d Rn. 3; Bublitz (2012), S. 400; Fateh-Moghadam (2010d), S. 125; Lorz (2007), S. 137. 414  Ausführlich hierzu Neyen (1991), S. 63 ff. m. w. N. 415  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 195 m. w. N.; Voll (1996), S. 68; Tag (2000), S.  309 f. 416  So können in England 16-Jährige ohne Zustimmung der Eltern einwilligen, in Kanada / Quebec sogar 14-Jährige. Vgl. zum Ganzen Deutsch / Spickhoff (2014), Rn.  1130 m. w. N.; Voll (1996), S.  83 ff.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

cc) Kritik und Stellungnahme Auch für den Minderjährigen ist die Einwilligung bei Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit nach den allgemeinen Grundsätzen ein Instrument der Interessenwahrnehmung, dessen Ausübung nicht durch objektive Vernünftigkeitserwägungen eingeschränkt werden kann.417 Als Zwischenfazit soll daher festgehalten werden, dass die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger bei nicht indizierten Eingriffen nicht allgemein auszuschließen ist, sondern dass im Rahmen einer Prüfung der individuellen Fähigkeiten des Jugendlichen und der konkreten Umstände des Einzelfalls die Einwilligungsfähigkeit hinsichtlich eines nicht indizierten Eingriffs festgestellt werden kann. Die von Rechtsprechung und Lehre herangezogenen Kriterien wie etwa Notwendigkeit des Eingriffs, Fähigkeit zur kritischen Reflexion oder Schwere des Eingriffs sind dabei zu beachten. Nach der hier vertretenen Auffassung sprechen sie indes gerade nicht pauschal gegen die Einwilligungsfähigkeit und führen auch nicht zu den von der herrschenden Meinung geforderten „strengeren“, „höheren“ Anforderungen an die Einsichts- und Urteilsfähigkeit Minderjähriger. Vielmehr sind aufgrund der Besonderheiten nicht indizierter Eingriffe „entsprechend andere“ Anforderungen zu prüfen.418 Der Minderjährige muss seiner geistigen Reife nach fähig sein zu begreifen, dass der medizinisch nicht notwendige Eingriff Gefahren für Körper und Gesundheit schaffen kann, die möglicherweise weitreichend sind und auf lange Sicht nicht in Verhältnis zum Eingriff stehen könnten. Ob der Jugendliche dieses – hohe – Einsichtsniveau besitzt, ist vom Arzt aber nach allge­ meinen Regeln sorgfältig zu prüfen. Die dargestellte herrschende Ansicht hat gute Gründe für sich, läuft aber Gefahr, zu einer pauschalen Beschneidung der Einwilligungskompetenz Minderjähriger zu führen und deren Selbstbestimmungsrecht zu beeinträchtigen. Die hier vertretene Ansicht führt auch keineswegs automatisch zu einer Forderung, dass dem Minderjährigen die Einwilligungsfähigkeit „einfacher“ zugestanden werden müsste. Im Wege einer sorgfältigen Prüfung nach den Grundsätzen der allgemeinen Einwilligungsdogmatik kann die hinreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen aber im Lichte seines Selbstbestimmungsrechts auch bezüglich einer Schönheitsoperation vorliegen.

417  So auch LK-StGB-Rönnau (2006), Vor §  32 Rn. 195; Fateh-Moghadam (2010d), S.  125 f. 418  So auch Lorz (2007), S. 139 f.; Voll (1996), S. 70; wohl auch Reipschläger (2004), S. 68.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 249

c) Kompetenzkonflikte bei Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger? Steht die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen fest, ist im Weiteren nicht unumstritten, ob allein dessen Einwilligung den ärztlichen Eingriff rechtfertigen kann, ober ob zusätzlich die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters,419 meist der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten oder gegebenenfalls des Vormunds, eingeholt werden muss.420 Eine grundlegende höchstrichterliche Rechtsprechung gibt es in diesem Bereich nicht.421 Der Bundesgerichtshof hat die abschließende Beantwortung dieser Frage bisher offen gelassen, scheint aber gerade bei nicht indizierten Eingriffen dem Erfordernis einer kumulativen Einwilligung der Eltern zuzuneigen.422 So heißt es in der bereits oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1972: „Die Einwilligung des Jugendlichen kann deshalb bei einerseits aufschiebbaren, andererseits nicht unwichtigen Entscheidungen über eine ärztliche Behandlung nicht genügen.“423

Die unterinstanzliche Rechtsprechung divergiert in dieser Frage; zum Teil wird eine zusätzliche Einwilligung der Sorgeberechtigten gefordert,424 zum Teil allein die Einwilligung des einwilligungsfähigen Minderjährigen für ausreichend gehalten.425 Auch nach einer Auffassung in der Rechtswissenschaft wird in diesem Kontext ausdrücklich auf Vorliegen oder Fehlen der medizinischen Indika­ tion bzw. auf die Aufschiebbarkeit oder fehlende Dringlichkeit eines Ein­ griffs abgestellt und jedenfalls für die Fälle nicht indizierter Eingriffe eine kumulative Einwilligung der Sorgeberechtigten für die Legitimation des ärztlichen Eingriffs verlangt.426 Dies sei vor dem Hintergrund des elter­ 419  In der Regel die Eltern gem. §§ 1626 ff., 1671 ff. BGB, ggf. der Vormund gem. §§ 1773, 1793 BGB. Zu den Einzelheiten bzgl. Inhaber und Ausübung des Sorgerechts vgl. Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 41; Kern (1994), S. 756; Ulsenheimer (2008), Rn. 109c; Tag (2000), S. 312 ff. 420  Vgl. Odenwald (2004), S. 155 ff. m. zahlr. w. N.; Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 992. 421  Vgl. Kern (1994), S. 755 m. w. N. 422  BGH, NJW 1972, 335 ff. Aus dem Zivilrecht BGHZ 29, 33, 37; BGH, NJW 1970, 511; BGH, NJW 1999, 2344; BGH, NJW 2007, 217, 218. 423  BGH, NJW 1972, 337. Hervorhebung dort. 424  OLG Hamm vom 13.03.2002, Az. 3 U 148 / 01; OLG Hamm, JR 1999, 333, bei Minderjährigen auch Einwilligung der Sorgeberechtigten erforderlich. 425  OLG Schleswig, VersR 1989, 810, alleinige Einwilligung eines 17-jährigen in eine Kniegelenkspunktion ausreichend. 426  Im Zivilrecht Hk-BGB-Staudinger (2014), § 823 Rn. 78. Vgl. m. zahlr. w. N. Odenwald (2004), S. 155; Ohly (2002), S. 301; Lorz (2007), S. 140 f.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

lichen Sorgerechts aus Art. 6 Abs. 2 GG und § 1626 BGB und im Hinblick auf das Kindeswohl geboten.427 Selbst, wenn der Minderjährige über die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt, die zur Annahme seiner Einwilligungsfähigkeit führt, ist nach dieser Auffassung bei nicht dring­ lichen Eingriffen zusätzlich die Einwilligung der Sorgeberechtigten erforderlich. So heißt es bei Laufs im Handbuch des Arztrechts: „Selbst wenn der Arzt zu dem Ergebnis kommt, der Minderjährige könne selbst einwilligen, steht es ihm frei, daneben noch die Einwilligung der Eltern einzuholen […] Dies sollte er bei größeren, aufschiebbaren Eingriffen auch immer tun.“428

Da der nicht indizierte kosmetische Eingriff immer aufschiebbar ist, läuft dieser Ansatz darauf hinaus, dass der Arzt immer zwei kumulative Einwilligungen einholen müsste. Das kann vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen nicht überzeugen.429 Nach richtiger und in der Literatur auch herrschender Ansicht findet die elterliche Sorge vielmehr ihre sachliche und zeitliche Grenze, wenn der Minderjährige selbst die erforderliche Entscheidungsreife erlangt hat.430 Mit der Feststellung, dass der Minderjährige selbst über hinreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit für die Entscheidung über den konkreten Eingriff verfügt, wird ihm die alleinige Entscheidungskompetenz zuteil.431 Anders lautende Regelungen in Spezialgesetzen wie etwa § 41 AMG sind ersichtlich Sonderregelungen und dienen nicht zur Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens.432 Die Regelung des § 1626 Abs. 2 BGB zeigt, dass die fortschreitende Entwicklung des Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen Person von den Eltern graduell zu beachten ist.433 Mit wachsender eigener Verständnis- und Handlungsfähigkeit des Kindes muss das Sorgerecht der Eltern deshalb zurücktreten.434 Dies gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, dass eine Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff ein 427  Hk-BGB-Staudinger (2014), § 823 Rn. 78; Reipschläger (2004), S. 149  ff.; weitere Nachweise aus der zivilrechtlichen Lit. bei Lorz (2007), S. 140. 428  Laufs / Kern-Laufs (2010), § 62 Rn. 9, Hervorhebungen von der Verfasserin. Vgl. Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 48. 429  So auch Lorz (2007), S. 140 f. 430  So die ganz h. M., Sch / Sch-Lenckner-Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 42; Roxin (2006), § 13 Rn. 92; Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 48 m. w. N.; Ulsenheimer (2008), Rn. 111 m. w. N.; Lorz (2007), S. 140 ff.; Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 992; Odenwald (2004), S. 156; Kern (1994), S. 755. Vgl. auch Gernhuber / Coester-Waltjen (2010), § 57 Rn. 79. 431  Fateh-Moghadam (2010d), S. 125; Lorz (2007), S. 141. 432  Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 42. 433  Schwab (2014), Rn. 697. 434  Fateh-Moghadam (2010d), S. 124; Lorz (2007), S. 141.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 251

höchstpersönliches Rechtsgut betrifft, über das der Rechtsgutsträger aufgrund dessen hoher Wertigkeit so früh wie möglich selbstbestimmt entscheiden können muss.435 Zwar sollen die Eltern die Entwicklung des Jugend­ lichen bis zur Volljährigkeit begleiten, doch gerade mit dem Ziel, das Kind bei abgeschlossener Entwicklung und erreichter Selbständigkeit in die Selbstverantwortlichkeit zu entlassen.436 Deshalb endet dort, wo das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen nach Feststellung seiner Einwilligungsfähigkeit für den konkreten Fall vorliegt, das Sorgerecht der Eltern.437 Diese Grundsätze sind auch bei Behandlungen ohne Indikation, insbeson­ dere bei reinen Schönheitsoperationen anzulegen. Die Gegenauffassung unterläuft wiederum das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen.438 Denn schon bei der vorgelagerten Feststellung der Einwilligungsfähigkeit des jugendlichen Patienten bezüglich des geplanten Eingriffs wird nach den oben dargestellten Regeln die Besonderheit der mangelnden Indikation vom Arzt in die Überprüfung einbezogen.439 Stellt der Arzt dabei eine hinreichende Verständnisfähigkeit des Minderjährigen fest, ist dieses Urteil endgültig und nicht im Folgenden wieder zu unterwandern, indem dann doch die zusätzliche Einwilligung der Sorgeberechtigten gefordert wird.440 Dies ändert sich aus den gleichen Gründen auch dann nicht, wenn der einwilligungsfähige Minderjährige im Einzelfall eine unvernünftige Entscheidung trifft. Deshalb ist das Erfordernis einer kumulativen Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter bei festgestellter Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen auch bei nicht indizierten Eingriffen abzulehnen.441 d) Stellvertretung bei Einwilligungsunfähigkeit Minderjähriger Auch im Kontext der stellvertretenden Einwilligung messen Rechtsprechung und Rechtswissenschaft dem Fehlen der medizinischen Indikation Bedeutung zu. Uneins ist man sich in den Fällen mangelnder Einwilligungsfähigkeit des Jugendlichen nämlich darüber, ob bei der Einwilligung in medizinisch nicht indizierte ärztliche Eingriffe eine Stellvertretung über­ haupt möglich sein soll. Nach der vorherrschenden, hier aber abgelehnten 435  Gernhuber / Coester-Waltjen

(2010), § 57 Rn. 79. (2014), Rn. 697. 437  Lorz (2007), S. 141 f.; Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 42 m. w. N. 438  So auch Lorz (2007), S. 141. 439  Fateh-Moghadam (2010d), S. 124 f. 440  Zum Ganzen LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 195. 441  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor §  32 Rn. 195; Lorz (2007), S. 142. Vgl. Sch / Sch-Lenckner / Sternberg-Lieben (2014), StGB, Vorbem §§ 32 Rn. 42. 436  Schwab

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Ansicht wird die Möglichkeit der Stellvertretung über rein objektiv-medizinische Kriterien begrenzt. Die Meinungen gehen hier weit auseinander; die Rechtslage ist nicht abschließend geklärt. aa) Grundlegendes zur stellvertretenden Einwilligung Ist der minderjährige Patient selbst nicht in der Lage, Art, Bedeutung und Tragweite des ärztlichen Eingriffs zu erfassen, ist an Stelle seiner eigenen Einwilligung grundsätzlich die seines gesetzlichen Vertreters442 möglich.443 Einig ist man sich im Ausgangspunkt, dass ein grundsätzliches Recht der Personensorgeberechtigten zur Einwilligung für ihr minderjähriges Kind in ärztliche Behandlungen besteht.444 Obwohl es sich bei der Körperintegrität um ein höchstpersönliches Rechtsgut handelt, muss eine (gesetzliche) Stellvertretung im Bereich der elterlichen Sorge bei ärztlichen Heilbehandlungen möglich sein, weil die Eltern als Sorgeberechtigte durch Einwilligung in eine notwendige ärztliche Behandlung gesundheitlichen Schaden von ihrem Kind abwenden können müssen.445 Ein Ausschluss der stellvertretenden Einwilligung durch die Personensorgeberechtigten wird dagegen überwiegend bei unvertretbaren Entscheidungen existenzieller Art angenommen, die medizinisch nicht indiziert sind, so bei der Lebendorganspende oder der nicht indizierten Sterilisation.446 Dementsprechend sieht das durch Art. 6 Abs. 2 GG geprägte Zivilrecht in den Regeln über das Personensorgerecht, §§ 1626, 1627, 1629, 1631, 1666 BGB, den Übergang der Einwilligungsbefugnis auf die Eltern für die Phase vor, in der der Jugendliche noch nicht selbst einsichts- und urteilsfähig 442  Vgl.

oben Fn. 419. viele LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 179; Reipschläger (2004), S. 110. Bei der Wirksamkeitsprüfung der erteilten Einwilligung stellt sich die Frage der stellvertretenden Einwilligung im Rahmen der Dispositionsbefugnis, vgl. Amelung / Eymann (2001), S. 940. 444  Für viele Roxin (2006), § 13 Rn. 92; Palandt (2014), BGB, § 1626 Rn. 10, § 823 Rn. 38, 145; § 630d Rn. 3. Vgl. Schwab (2014), Rn. 699. 445  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 195; Roxin (2006), § 13 Rn. 92; Ulsenheimer (2008), Rn. 111a; Kern (1994), S. 756; Tag (2000), S. 312 ff.; BGHSt 12, 379. Einig ist man sich daher auch bei medizinisch notwendigen Behandlungen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass eine medizinisch indizierte, lege artis durchgeführte Behandlung dem Wohl des Kindes entspricht; persönliche Überzeugungen der Eltern (z. B. Zeugen Jehovas) haben bei notwendigen Heilbehandlungen insoweit zurückzutreten, für viele Tag (2000), S. 313. Eine Weigerung, medizinisch notwendige Behandlungen vornehmen zu lassen, ist nach allgemeiner Ansicht als Missbrauch des Sorgerechts gemäß § 1666 BGB als einfachgesetzliche Ausprägung des Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG einzuordnen, für viele Ohly (2002), S. 305; Knauf (2005), S. 112. 446  Roxin (2006), § 13 Rn. 93; NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 17. 443  Für



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ist.447 Die stellvertretende Einwilligung im Strafrecht folgt diesen familienrechtlichen Regelungen über die Personensorge.448 Die Eltern handeln zwar in gesetzlicher Stellvertretung für ihr Kind; ihre Einwilligung gilt aber als Einwilligung des Verletzten, da die Verfügungsbefugnis des Minderjährigen auf sie übergeht.449 Die Vertretungsentscheidungen der Eltern dürfen dabei nicht „autonom-beliebig“ nach deren eigenen Vorstellungen erfolgen450, sondern sind treuhänderischer Natur und haben sich gemäß §§ 1627, 1626 Abs. 2 BGB immer am Wohl und Interesse bzw. Nutzen des Kindes zu orientieren.451 Dabei ist grundsätzlich, jedenfalls aber bei nicht unerheb­ lichen medizinischen Eingriffen, die Erklärung beider Elternteile bzw. Sorgeberechtigten notwendig.452 bb) Möglichkeit und Grenzen der stellvertretenden Einwilligung Entscheidend für die Reichweite der stellvertretenden Einwilligung ist im Hinblick auf das pflichtgebundene Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs  2 GG und dessen einfachgesetzliche Ausprägung in §§ 1626 Abs. 2, 1627 BGB die Wahrung des Kindeswohls, das der Dispositionsbefugnis der Personensorgeberechtigten im Strafrecht Grenzen zieht.453 Eine stellvertretend erteilte Einwilligung, die diese Grenze überschreitet, ist unwirksam.454 Von zentraler Bedeutung ist daher das Verständnis des Kindeswohls. Dieser im Personensorgerecht zentrale Begriff ist jedoch ein unbestimmter, ausfüllungsbedürftiger und in Einzelfällen kontrovers interpretierter Rechtsbegriff.455 Im Strafrecht zeigen sich zu dieser Frage zwei konträre Linien.456 447  Voll (1996), S. 67; Palandt (2014), BGB, § 630d Rn. 3; Schwab (2014), Rn.  659, 697 ff. 448  Ratzel / Luxenburger (2011), § 12 Rn. 388; Roxin (2006), § 13 Rn. 92. 449  Fateh-Moghadam (2010d), S. 128. 450  Sternberg-Lieben (1997), S. 255. 451  BVerfG, NJW 1982, 1378; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 179. 452  Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 47; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 179. Bei geringfügigen Eingriffen wird der Arzt auch bei Erscheinen nur eines Elternteils darauf vertrauen dürfen, dass die Einwilligung beider Elternteile vorliegt; bei gravierenden Eingriffen muss er sich dessen versichern, vgl. Kern (1994), S. 756. 453  Sternberg-Lieben (1997), S.  255; Lorz (2007), S.  144; Fateh-Moghadam (2010d), S. 131; Steiner (2014), E. III. 454  Für viele LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 185. 455  Knauf (2005), S 108 m. w. N. 456  Zu den folgenden Ausführungen grundlegend und überzeugend Fateh-Moghadam (2010d), S. 128 f. Ebenso und ausführlich zur Natur und den verfassungsrechtlichen Grundlagen der stellvertretenden Einwilligung Steiner (2014), E. I., II., III.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Nach der herrschenden Auffassung soll das Kindeswohl nach objektiven, abstrakten Kriterien zu bestimmen sein.457 Die Dispositionsbefugnis der Eltern ist nach dieser Ansicht eng begrenzt. Im medizinischen Bereich soll eine objektive Abwägung zwischen Vor- und Nachteilen einer Behandlung entscheidend sein. Letztlich sind die Entscheidungen der Eltern nach dieser Ansicht an objektive Kriterien wie dem Vorliegen einer medizinischen Indikation einer ärztlichen Behandlung geknüpft und damit in sehr weitem Maße vorgegeben.458 Diese Ansicht versteht die stellvertretende Einwilligung der Eltern als Fremdbestimmung im eigentlichen Sinne;459 nur das Rechtsgut der Körperintegrität soll objektivierbar und damit stellvertretungsfähig sein, das Selbstbestimmungsrecht dagegen nicht.460 Der Schwerpunkt wird dabei auf die staatliche Aufsicht über die Ausübung des elter­ lichen Erziehungsrechts gelegt. Entgegenzuhalten ist dieser Ansicht, dass sie das Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 S. 1 und S. 2 GG umkehrt: dem staatlichen Wächteramt kann gegenüber dem elterlichen Sorgerecht nur subsidiäre Bedeutung zukommen.461 Zudem werden mit diesem Verständnis des Kindeswohlbegriffs alle Abgrenzungsschwierigkeiten im Rahmen der Indikation in das Stellvertretungsrecht hineingetragen und entscheidende Weichenstellungen der Medizin übertragen. Nach der überzeugenden Gegenauffassung wird den Eltern dagegen nur die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts ihres Kindes übertragen, weil das Kind selbst mangels Einwilligungsfähigkeit hierzu noch nicht in der Lage ist.462 Das Kindeswohl ist demnach von den Eltern individuell im Rahmen ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG zu konkretisieren.463 Bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs kommt den Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG eine Einschätzungsprärogative zu.464 Das Grundrecht auf elterliche Sorge garantiert der Familie dabei in ihrem privaten Bereich einen 457  Für viele LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 179  f.; Sternberg-Lieben (1997), S. 255; Kern (1994), S. 756; Reipschläger (2004), S. 114; Ratzel / Luxenburger (2011), § 12 Rn. 390. 458  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 180 m. w. N. 459  So Kern (1994), S. 756, 758; aus diesem Grund sei die Stellvertretung eng zu begrenzen. So auch Laufs (2002), S. 125 m. w. N.; Ratzel / Luxenburger (2011), § 12 Rn. 391 m. w. N. Ebenso wohl auch die Rspr., vgl. BGH, NJW 2007, 217 ff. Zur a. A., Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts durch die gesetzlichen Vertreter, überzeugend Fateh-Moghadam (2010d), S. 131 f. 460  Laufs (2002), S. 125. 461  Zum Ganzen Fateh-Moghdadam (2010d), S. 128 ff.; Steiner (2014), E. III. 462  Fateh-Moghadam (2010d), S. 133 f.; Steiner (2014), E. III. 1. 463  Lorz (2007), S.  144; Fateh-Moghadam (2010d), S.  132; Steiner (2014), E. III. 4. 464  So auch Lorz (2007), S. 144. Vgl. auch Reipschläger (2004), S. 92 ff., 95, die aber i. Erg. anders entscheidet.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 255

Freiraum von staatlicher Einflussnahme, so dass weder Inhalt der Erziehung noch Interpretation des Kindeswohls vom Staat letztgültig vorgegeben werden könnten.465 Entscheidungen für das Kind können dann in weitem Maße zulässig sein. Nur solche stellvertretenden Einwilligungen sind unwirksam, die einen evidenten Missbrauch des Personensorgerechts darstellen.466 Diese Ansicht betont die eigenverantwortliche Ausübung und Gestaltung des Erziehungsrechts durch die Eltern selbst.467 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll Art. 6 Abs. 2 GG vor allem die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen Person in einer sozialen Gemeinschaft ermöglichen.468 Gerade die Eltern können dabei am besten beurteilen, welchen individuellen Reifegrad ihr Kind erreicht hat. Sinn dieses Vorrangs des elterlichen Erziehungsrechts ist es gerade, die Vielfalt religiöser, ethischer, politischer, ästhetischer Anschauungen etc. in der Gesellschaft zu erhalten.469 Der herrschenden Ansicht ist mit Blick auf den normativen Charakter der Einwilligung als Instrument der Interessenwahrnehmung des Rechtsgutsträgers zuzugeben, dass die Entscheidungsfreiheit für den nur stellvertretend Einwilligenden entsprechend anders bzw. anders als die des Rechtsgutsträgers selbst ist. Denn der einwilligungsfähige Patient bemisst sein persön­ liches Wohl nach eigenen, selbstbestimmten, objektiv weitestgehend nicht überprüfbaren Vorstellungen. Diese Interessenwertungen und individuellen Vorstellungen trägt er über die Einwilligung nach außen. Die sorgeberechtigten Stellvertreter handeln dagegen nicht nach eigenen Interessen, sondern setzen diejenigen des Kindes um. Die herrschende Auffassung zieht die Ermessensgrenzen der Eltern bei der stellvertretenden Einwilligung in medizinisch nicht indizierte Behandlungen – allein wegen des Indikationsmangels – daher enger.470 Dieser Konsequenz ist in ihrer abstrakten Form aber nicht beizupflichten. Das Kindeswohl in § 1627 BGB mit einer vorliegenden medizinischen Indi­ kation gleichzusetzen, ist nicht angezeigt. Über den objektiven Nutzen hinaus sind auch Wünsche und Vorstellungen des Kindes zu berücksichtigen.471 Ob eine Stellvertretung bei der Einwilligung in einen nicht indizierten 465  Ulsenheimer (2008), Rn. 111c; Reipschläger (2004), S. 95, 111, aber mit anderer Schlussfolgerung. 466  Fateh-Moghadam (2010d), S. 133 ff. 467  Fateh-Moghadam (2010d), S. 131. 468  BVerfGE 24, 119, 144; 79, 51, 63; vgl. Palandt (2014), BGB, § 1626 Rn. 1. 469  Palandt (2014), BGB, § 1626 Rn. 1. Diese richtige Annahme verkennt das Urteil des LG Köln vom 07.05.2012, Az. 151 Ns 169 / 11, zur religiös motivierten Beschneidung von Knaben. 470  Kern (1983), S. 30; Voll (1996), S. 75 f.; vgl. auch Beck (2006), S. 100. 471  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 179.

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Eingriff möglich ist, ist eine nicht allgemein zu beantwortende Frage und daher auch abhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalls. Diese Auffassung, die den Begriff des Kindeswohls nicht allein nach objektiven medizinischen, sondern nach individuellen, von den Eltern zu konkretisierenden Kriterien bestimmt und die neben Vorliegen oder Fehlen einer Indi­ kation auch andere Kriterien in die elterliche Abwägung einbezieht, ist überzeugend und vorzugswürdig. Es sind daher Fälle denkbar, in denen ein medizinischer Eingriff zwar nicht indiziert im Sinne eines ausschließlich gesundheitlichen Nutzens sein mag, aber wegen der den Eltern bekannten und von ihnen bewerteten individuellen Interessen, Bedürfnissen oder Fähigkeiten des Kindes dennoch sehr wohl seinem Besten entsprechen kann. Die Eltern entscheiden nach einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher für das Kind mit dem Eingriff verbundenen Vor- und Nachteile. cc) Stellvertretende Einwilligung in die nicht indizierte Schönheitsoperation – differierende Ansichten in Literatur und Rechtsprechung Konkret für den Fall der nicht indizierten, rein ästhetischen Schönheitsoperation ist umstritten, ob die Personensorgeberechtigten eine stellvertretende Einwilligung erteilen können. Der durch das Zivilrecht in §§ 1626 Abs. 2, 1627, 1666 Abs. 1 BGB abgesteckte Rahmen wird bei der Schönheitsoperation im Ergebnis von allen Ansichten eng ausgelegt. Im Grundsatz unterscheiden sich die Auffassungen aber ganz erheblich. (1) Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat zu dieser Frage keine strukturierten Grundsätze entwickeln können. Den wenigen Entscheidungen, die sich mit Voraussetzungen und Grenzen der stellvertretenden Einwilligung auseinandersetzen, lag meist der Sachverhalt der elterlichen Verweigerung medizinisch (dringend) indizierter Eingriffe zu Grunde.472 Ein äußerst umstrittenes Urteil hat das LG Köln im Jahr 2012 im Kontext der Beschneidung gefällt. Danach soll die stellvertretende Einwilligung der Eltern in die religiös motivierte 472  So etwa BGH, NJW 2003, 1824; OLG Celle, NJW 1995, 792; BayObLG, FamRZ 1976, 43. BGH, NJW 1972, 335 betrifft dagegen zwar den Sachverhalt der Einwilligung in einen kosmetischen Eingriff (Entfernung von Warzen im Chaoul’schen Nahstrahlverfahren) bei einer 16-Jährigen, geht aber nicht näher auf Möglichkeit und Grenzen der stellvertretenden Einwilligung durch die Eltern ein; ebensowenig BGH, NJW 2007, 217 ff., einen relativ indizierten Eingriff bei einer 15-Jährigen betreffend.



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Beschneidung eines Jungen unwirksam sein.473 Das LG zieht dem elter­ lichen Entscheidungsspielraum damit äußerst enge Grenzen, weshalb die Entscheidung auch scharf kritisiert wurde. Im Ergebnis ist aber aus den Entscheidungsgründen nicht klar ersichtlich, nach welchen abstrakten Grundsätzen das Kindeswohl zu bestimmen sein soll.474 (2) Literatur (a) B  estimmung des Kindeswohls nach objektiven Kriterien – kategorischer Ausschluss der stellvertretenden Einwilligung in Schönheitsoperationen Ganz überwiegend wird in der Strafrechtsliteratur wie eben dargestellt angenommen, dass die Erteilung einer stellvertretenden Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff durch die Eltern nur dann der elterlichen Sorge und dem Kindeswohl entsprechen und eine stellvertretende Einwilligung damit nur dann zulässig sein kann, wenn der Eingriff medizinisch indiziert ist.475 Die Eltern sollen demnach nur die objektiv vernünftigen Interessen des Kindes, die sich im Rahmen medizinischer Behandlungen in der ärztlicherseits gestellten Indikation manifestieren, stellvertretend wahrnehmen.476 So heißt es etwa bei Kern: „Die Eltern sind bei ihrer Einwilligung an das Kindeswohl (§ 1627 BGB) gebunden, das im gerade besprochenen Problemkreis grundsätzlich mit der medizini­ schen Indikation gleichzusetzen ist. Das bedeutet zweierlei. Die Eltern dürfen nur in indizierte Eingriffe einwilligen. […] Andererseits dürfen die Eltern nicht in nicht indizierte Behandlungsmaßnahmen einwilligen. Dies gilt für alle Arten von Schönheitsoperationen […].“477

Kern geht dabei sehr weit und versteht unter schönheitschirurgischen Eingriffen sogar das Löcherstechen für Ohrringe.478 Er stellt damit ein prinzipielles Verbot der Stellvertretung bei der Einwilligung in nicht indi473  LG Köln vom 07.05.2012, NJW 2012, 2128. Vgl. Steiner (2014), E.III.2.d) m. w. N. 474  Zum Ganzen ausführlich Steiner (2014), E.III.2.d), m.  w. N. auch zu kritischen Besprechungen dieses Urteils. 475  So Kern (2009), S. 3; Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 49; Sternberg-Lieben (1997), S. 255; Reipschläger (2004), S. 114; Odenwald (2004), S. 269; Ratzel / Luxenburger (2011), § 12 Rn. 390; Knauf (2005), S. 111; Ohly (2002), S. 305; Hennig (2010), S. 26 f. 476  So Sternberg-Lieben (1997), S. 255 mit Fn. 272. 477  Kern (1994), S. 756; Kern (1981), S. 739; Kern (2009), S. 3. Hervorhebungen von der Verfasserin. 478  Kern (1994), S. 756 Fn. 46.

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zierte Eingriffe in höchstpersönliche Rechtsgüter auf. Eine Einwilligung kann in diesen Fällen nach Kerns Ansicht folglich ausschließlich vom Minderjährigen selbst erteilt werden, was die Erlangung seiner eigenen Einwilligungsfähigkeit voraussetzt.479 Auch Reipschläger will eine stellvertretende Einwilligung in nicht indizierte ärztliche Schönheitsoperationen kategorisch ausschließen. Sie stellt bei der stellvertretenden Einwilligung ebenfalls auf den objektiven Nutzen bzw. die objektive Vernünftigkeit einer medizinischen Behandlung ab; abweichende Entscheidungen sollen nur in der Person des Einwilligenden selbst zu begründen sein.480 „[Eltern dürfen] auch nicht Eingriffe bei ihrem Kind aus Gründen vornehmen lassen, die sich von dem Prinzip der treuhänderischen Pflichtgebundenheit der elter­ lichen Sorge nicht rechtfertigen lassen. In diesem Zusammenhang spielt die Indika­ tion des Eingriffs als Voraussetzung der Zulässigkeit der Einwilligung durch einen Stellvertreter eine besondere Rolle. Die Erteilung der Einwilligung zu einem ärzt­ lichen Eingriff durch die Eltern im Rahmen der elterlichen Sorge entspricht dem Kindeswohl in der Regel nur dann, wenn der Eingriff indiziert ist. Im Sinne einer solchen Ausschlußfunktion bezüglich nicht indizierter Eingriffe ist bei ärztlichen Maßnahmen das Kindeswohl einer objektiven Beurteilung zugänglich und die Erteilung der Einwilligung zu einem nichtindizierten Eingriff in der Regel mißbräuchlich. [… Die Eltern] sind nicht berechtigt, ihr Recht zur Erteilung der Einwilligung dazu einzusetzen, persönliche Vorstellungen zu verwirklichen und durch ärztliche Eingriffe den Körper ihres Kindes zu gestalten, etwa […] durch das (psychische) Wohl des Kindes nicht gebotene Schönheitsoperationen durchführen zu lassen.“481

Nach dieser in der Literatur so auch überwiegend vertretenen Ansicht wird das Vorliegen der medizinischen Indikation bzw. eines gesundheit­ lichen Nutzens also als einziger Anknüpfungspunkt für das zu wahrende Kindeswohl gemäß § 1627 BGB verstanden.482 Kategorisch wird diese Ansicht zum Ausdruck gebracht bei Knauf: „Folglich ist im Bereich ärztlicher Eingriffe das Kindeswohl grundsätzlich mit der medizinischen Indikation gleichzusetzen.“483

Die Personensorgeberechtigten bzw. Eltern können nach dieser Ansicht keine wirksame Einwilligung in einen kosmetischen Eingriff ohne Heilcharakter erteilen, weil die Einwilligung in eine nicht indizierte Schönheitsoperation angesichts der damit verbundenen Risiken und Belastungen dem 479  Kern

(1994), S. 754. Reipschläger (2004), S. 110 f. So auch Katzenmeier (2002), S. 340 f. 481  Reipschläger (2004), S. 114; Hervorhebungen von der Verfasserin. 482  So auch Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 49; Sternberg-Lieben (1997), S. 255; Odenwald (2004), S. 269; Ratzel / Luxenburger (2011), § 12 Rn. 390; Knauf (2005), S. 111; Ohly (2002), S. 305; Hennig (2010), S. 26 f. 483  Knauf (2005), S. 114. 480  Vgl.



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Kindeswohl widerspräche.484 Das Fehlen der medizinischen Indikation wird als Grundlage für einen Ausschluss der Stellvertretung bei nicht indizierten ärztlichen Eingriffen jeglicher Art herangezogen. Die medizinische Indika­ tion wird damit zum ausschlaggebenden Kriterium und zur Grenze der Möglichkeit der stellvertretenden Einwilligung. (b) Individuelle Bestimmung des Kindeswohls – stellvertretende Einwilligung in Schönheitsoperationen nicht von vorneherein ausgeschlossen Nach einer anderen Auffassung soll dagegen eine stellvertretende Einwilligung der Personensorgeberechtigten in nicht indizierte ärztliche Maßnahme prinzipiell möglich sein. Das Kindeswohl soll jedenfalls nicht allein nach objektiven medizinischen Kriterien zu bestimmen sein, so dass Eltern grundsätzlich auch in Eingriffe einwilligen können, die nicht medizinisch notwendig sind.485 Die fehlende Indikation eines Eingriffs soll aber insoweit maßgeblich sein, als der Indikationsmangel bei der Frage nach dem Wohl des Kindes im Rahmen einer umfassenden Abwägung zu berücksichtigen ist.486 Die Möglichkeit der Stellvertretung wird bei nicht notwendigen Eingriffen zwar nicht generell abgelehnt, jedoch gerade aufgrund des Indi­ kationsmangels stark reduziert.487 Diese Ansicht versteht die stellvertretende Einwilligung wie oben dargestellt als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen und ist geprägt durch ein weiteres, individuelles Verständnis des Kindeswohls, das entscheidend durch die Eltern konkretisiert wird.488 Eine Abgrenzung erfolgt nicht positiv über das Erfordernis einer medizinischen Indikation, sondern negativ erst bei einem evidenten Missbrauch der elterlichen Perso­ nensorge, wenn die elterliche Entscheidung also unter keinen Umständen noch als vertretbar betrachtet werden kann.489 Für die Konkretisierung dieser Grenze einer gröblichen Verletzung des elterlichen Sorgerechts kommt 484  Kern (2009), S. 3, Kern (1994), S. 756; Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 49; Odenwald (2004), S. 269; Reipschläger (2004), S. 113 f.; Ratzel / Luxenburger (2011), § 12 Rn. 390; Knauf (2005), S. 111. 485  Fateh-Moghadam (2010d), S. 127 ff.; Lorz (2007), S. 144 f.; Steiner (2014), E. III. 1., 4. 486  Lorz (2007), S. 144 f.; Fateh-Moghadam (2010d), S. 131. 487  Tag (2000), S. 313 f.; Ulsenheimer (2005) S. 110 ff.; Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 1131. 488  Fateh-Moghadam (2010d), S. 129; Steiner (2014), E. III. 1.; Lorz (2007), S. 144. 489  Fateh-Moghadam (2010d), S. 133 f. m. w. N., der bei der ausführlichen Herleitung dieser Grenze auch § 1666 BGB und § 171 StGB als Orientierungspunkte heranzieht.

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es wiederum auf eine Abwägung an. Hier sind alle Gesichtspunkte einzustellen, die im Einzelfall mit dem konkreten Eingriff einhergehen. Von Relevanz sind dabei insbesondere die Schwere, die gesundheitliche Belastungen und Risiken des Eingriffs bzw. im Gegenzug die mit dem Eingriff verbundenen medizinischen und nicht-medizinischen Vorteile und Chancen, etwa dem psychischen Wohlergehen des Minderjährigen, sowie die Abwesenheit von spezifisch kindeswohlverletzenden Eingriffsmodalitäten, insbesondere einer Würdeverletzung des Kindes.490 Im Ergebnis ist aber auch diese Auffassung sehr restriktiv. Die Entscheidung hängt zwar letztlich von der Abwägung der individuellen Umstände im Einzelfall ab. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass schönheitschirurgische Maßnahmen oft von ganz erheblichen Risiken begleitet werden und rein kosmetisch veranlasste Eingriffe nie dringlich sind, wird die Möglichkeit der stellvertretenden Einwilligung in den überwiegenden Fällen abzulehnen sein, vor allem dann, wenn ein Abwarten bis zur Volljährigkeit des Minderjährigen unschädlich ist. Weil die elterliche Sorge und deren Bindung an das Kindeswohl nicht strikt an einem medizinisch-gesundheitlichen Nutzen orientiert sind, sondern auch das geistige und seelische Wohl des Kindes umfassen, wird eine stellvertretende Einwilligung des gesetzlichen Vertreters dagegen zulässig sein, wenn diese dem psychischen Wohlbefinden des Kindes dient.491 Das wird insbesondere bei medizinisch relativ problemlos zu beseitigenden „typischen“ angeborenen „Defekten“ wie weit abstehenden Ohren oder Klumpfüßen angenommen, unter denen Kinder aber häufig sehr leiden.492, 493 In den Fällen, in denen keine psychische Belastung des Minderjährigen vorliegt, sondern bloß ein ästhetischer Wunsch verfolgt wird, der aber, wie beispielsweise im Fall der Fettabsaugung oder der Brustvergrößerung, ganz erhebliche gesundheitliche Risiken birgt, wird eine stellvertretende Einwilligung auch nach dieser Auffassung dagegen nicht mehr vertretbar sein.494 490  Zum Ganzen vgl. die Kriterien bei Fateh-Moghadam (2010d), S. 127 ff.; Lorz (2007), S. 145. 491  Lorz (2007), S. 144 f. 492  Staudinger-Coester (2009), BGB, §  1666 Rn.  102; Lorz (2007), S.  145 m. w. N., wobei die Frage zu stellen ist, ab wann man hier in den Bereich der psychischen Indikation gerät. Angeführt wurde weiter das Beispiel eines Jungen, dessen Finger nach einer auskurierten Sportverletzung ohne sich daraus ergebende Schmerzen oder Einschränkungen verwachsen ist, der aber ein Musikinstrument studieren möchte und durch den krummen Finger stark eingeschränkt ist; auch hier dürfte eine stellvertretende Einwilligung in Übereinstimmung mit dem Kindeswohl stehen. 493  Anders die Regelung des österreichischen ÄsthOpG in § 7 Abs. 1, Abs. 2, das seinem Wortlaut nach alle nicht indizierten Eingriffe bei Minderjährigen unter 16 Jahren ausnahmslos verbietet, vgl. Ministerialentwurf, Vorblatt und Erläuterungen zum ÄsthOpG, S. 2, 7. 494  Lorz (2007), S. 145.



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dd) Stellungnahme und Zwischenergebnis Der Begriff des Kindeswohls, das im Strafrecht die Möglichkeit der elterlichen stellvertretenden Einwilligung begrenzt, ist nach zutreffender Ansicht nicht nach objektiven, abstrakten, sondern nach individuellen Maßstäben auszulegen. Die Ansicht, wonach bei ärztlichem Handeln objektive Kriterien herangezogen und die stellvertretende Einwilligung nur in Heileingriffe wirksam sein soll, ist zu eng und verkennt sowohl die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen als auch des Erziehungsrechts der Eltern. Ein genereller Ausschluss der Vertretungsmöglichkeit bei der Einwilligung in medizinisch nicht notwendige Behandlungen wird daher abgelehnt. Nach der hier und im Ergebnis auch nahezu einstimmig vertretenen Auffassung ist die Möglichkeit der stellvertretenden Einwilligung in nicht indizierte, rein ästhetische Schönheitsoperationen aber wegen der Orientierung am Kindeswohl und den mit schönheitschirurgischen Eingriffen vielfach einhergehenden erheblichen Risiken weitgehend eingeschränkt.495 Die Auffassung im Antrag an den Bundestag zum Thema Schönheitsoperation, der davon ausgeht, dass einzige rechtliche Voraussetzung für die Vornahme von Schönheitsoperationen an Jugendlichen unter 18 Jahren „zurzeit nur das Vorliegen einer Einwilligungserklärung des gesetzlichen Vertreters“ sei,496 muss nach der hier vertretenen Ansicht insoweit korrigiert werden. Die Problematik, die sich aus dieser Rechtslage für den Arzt ergibt, liegt auf der Hand. Das Bestehen unterschiedlicher juristischer Ansichten zur Frage der Reichweite der stellvertretenden Einwilligung macht die Rechtslage und die Bewertung des Strafbarkeitsrisikos für den behandelnden Arzt unsicher. Die in diesem Bereich unterschiedlichen Ansätze zum Begriff des Kindeswohls können dem Arzt keine verlässlichen Entscheidungshilfen an die Hand geben, zumal den Eltern auch ein autonomes Entscheidungsrecht und ein Ermessen bei dessen Ausfüllung zukommen.497 Eine entsprechend andere Auslegung dieser familienrechtlichen Begriffe aus der ex post-Sicht der Gerichte kann nicht ausgeschlossen werden. Auf die Problematik, die diese unklare Rechtslage bei Schönheitsoperationen für den Arzt birgt, wird zurückzukommen sein.498 Vorliegen oder Fehlen der medizinischen Indikation können daher bei der Frage der Reichweite der stellvertretenden Einwilligung keine allein oder 495  So

auch Lorz (2007), S. 145. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 3. 497  Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 1134. 498  Unten E.II.2. 496  BT-Drs.

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unmittelbar maßgebliche Bedeutung gewinnen. Wiederum kommt der Indikation aber insoweit mittelbare Relevanz zu, als sie als Gesichtspunkt in die alle Kriterien umfassende Abwägung des Kindeswohls einzustellen ist; dort kann sie nach Einbezug aller Umstände des Einzelfalls entscheidend sein, muss dies aber keineswegs. 4. Fehlen der medizinischen Indikation und ärztliche Aufklärung Bei der Frage nach den Voraussetzungen der wirksamen Einwilligung in nicht indizierte ärztliche Eingriffe setzen ständige Rechtsprechung und herrschende Lehre den Schwerpunkt auf die Aufklärungsdogmatik. Der folgende Teil der Untersuchung basiert daher auf der grundsätzlichen Problematik des Zusammenhangs von (fehlender) medizinischer Indikation und ärzt­ lichen Aufklärungspflichten, dem sog. informed consent.499 Für Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist das Vorliegen oder Fehlen der medizinischen Indikation entscheidendes Bewertungskriterium und gewinnt damit in der Einwilligungsdogmatik mittelbare Bedeutung. Denn nach der herrschenden, hier aber in ihrer Begründung bestrittenen Ansicht im Strafrecht sollen bei einem nicht indizierten Eingriff höhere bzw. strengere Voraussetzungen an die ärztliche Aufklärung zu stellen sein. a) Grundlagen der ärztlichen Aufklärungspflicht Die ärztliche Aufklärung ist strafrechtlich Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung des Patienten und standesrechtlich Berufspflicht des Arztes.500 Zwar wird die ärztliche Aufklärungspflicht konstruktiv unterschiedlich beurteilt und vom überwiegenden arztrechtlichen Schrifttum als eigenständige Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung,501 zum Teil aber als Unterfall der relevanten Irrtümer eingeordnet.502 Doch in Anbetracht der unumstrittenen Ableitung dieser Verpflichtung des Arztes aus dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist die Tatsache, dass die Einwilligung ohne Aufklärung jedenfalls unwirksam ist, einhellig anerkannt.503 499  Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101, 106. Vgl. hierzu auch Joost (2010a), S.  126 ff. 500  Vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 191; Schöch (2010), S. 54; vgl. § 8 MBO-Ä. 501  Ulsenheimer (2008), Rn. 60; Schroth (2006a), S. 93, 95 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 191. 502  Roxin (2006), S. § 13 Rn. 112; Schöch (2010), S. 54. 503  Fateh-Moghadam (2008), S. 191. Vgl. insb. grundlegendes Urteil des BVerfG, NJW 1979, 1925, mit abweichender Meinung, S. 1930 ff.



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Im Strafgesetzbuch gibt es keine grundlegende Regelung der ärztlichen Aufklärungspflicht.504 Eine standesrechtliche Regelung findet sich in § 8 der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer für Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) und in den auf ihr beruhenden Berufsordnungen der Landesärztekammern. Sondervorschriften mit detaillierten, strafbewehrten Regelungen für Umfang, Durchführung und Überprüfung der ärztlichen Aufklärung enthalten die § 8 Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 2, § 8a S. 1 Nr. 4 TPG i. V. m. § 19 Abs. 1 Nr. 1 TPG, § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3b, Abs. 2, 2a AMG i. V. m. § 96 Nr. 10 AMG und § 3 Abs. 1 KastrG für die dort geregelten Bereiche.505 Darüber hinaus ergeben sich die grundlegenden geltenden Anforderungen an Art, Umfang und Inhalt der Aufklärungspflichten aus richterlicher Rechtsfortbildung. Das grundsätzliche Bestehen von Aufklärungspflichten des Arztes hat die Judikatur506 durch eine Reihe von Urteilen507 in den fünfziger Jahren festgestellt. Heute ist das Aufklärungserfordernis gesicherte und ständige Rechtspre-

504  Dass eine Aufklärungspflicht des Arztes detailliert rechtlich normiert und sogar strafrechtlich sanktioniert wird, ist keineswegs eine juristische Selbstverständlichkeit. Das englische Medizinstrafrecht bspw. kennt keine derartig umfängliche, strafrechtlich bewehrte Pflicht des Arztes, seine Patienten aufzuklären. Dort führt nach dem Konzept des real consent ein Aufklärungsmangel ganz ausnahmsweise nur dann zur Unwirksamkeit der Einwilligung, wenn der Patient noch nicht einmal in ganz grundlegender Weise über die Natur und den Zweck des folgenden Eingriffsaktes und die Identität des Handelnden aufgeklärt worden ist. Eine mangelnde Information im Bereich der Selbstbestimmungs- bzw. der Risikoaufklärung kann dagegen allenfalls zu einer zivilrechtlichen Fahrlässigkeitshaftung (negligence) führen. Ausführlich zum Ganzen Fateh-Moghadam (2010c), S. 907 ff. 505  Diese spezialgesetzlichen Regelungen im Bereich nicht indizierter Eingriffe normieren qualifizierte, strafbewehrte Aufklärungspflichten bei der Einwilligung in die Lebendorganspende oder Knochenmarkspende, bei der Teilnahme an einer klinischen Arzneimittelprüfung und bei der Kastration. Die dort festgeschriebenen Anforderungen entsprechen im Wesentlichen der grundlegenden Aufklärungsdogmatik der Rspr., vgl. Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 1707; Schroth / König / Gutmann / OduncuGutmann (2005), TPG, § 8 Rn. 42; Schroth (2009), S. 737; Fateh-Moghadam (2008), S. 249. 506  Nach der berühmt gewordenen Entscheidung des RG vom 31.05.1894, RGSt 25, 375, stand zwar das Erfordernis einer Einwilligung des Patienten in jeden ärztlichen Eingriff fest. Eine ärztliche Aufklärung wurde aber in der Folge nur erörtert und grundsätzlich abgelehnt, vgl. OLG Hamburg, MMW 1913, 2287; RGZ 78, 432; OLG Hamburg in der Hanseatischen Rechts- und Gerichtszeitschrift 1928, Abt. B, S. 495 Nr. 219; Tempel (1980), S. 609. In den dreißiger Jahren rückte diese Pflicht in der Rspr. erstmals in den Vordergrund, zunächst mit eher ablehnender, dann zurückhaltender Tendenz, vgl. RG, JW 1932, 3328; RG, JW 1932, 3369; Tempel (1980), S. 609. 507  BGHSt 11, 111, 113 (sog. Myom-Urteil); BGH, NJW 1956, 1106 (sog. 1. Elektroschock-Urteil) BGHZ 29, 4 (sog. 2. Elektroschock-Urteil); BGHZ 29, 176 (sog. Strahlen-Urteil).

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chung508 und auch im Schrifttum als rechtlich gebotenes ärztliches Erfordernis allgemein anerkannt.509 Die Aufklärungsdogmatik ist im Wesentlichen eine – nahezu unüberschaubare – typisierte Kasuistik der Zivilgerichte.510 Durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (PatientenRG)511 vom 20. Februar 2013, in Kraft getreten am 26. Februar 2013, wurden die §§ 630a bis 630h in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt, die in § 630e BGB eine Normierung der ärztlichen Aufklärungspflichten für den zivilrechtlichen Behandlungsvertrag512 enthalten. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Kodifizierung dieser bisherigen zivilrecht­ lichen Rechtsprechung.513 Bei der Auswertung der nunmehr auch gesetzlich in § 630e BGB grundlegend festgeschriebenen zivilrechtlichen Rechtsprechung für die strafrecht­ liche Bewertung der Wirksamkeit der Einwilligung müssen die strukturellen Unterschiede und verschiedenen Zielsetzungen von Straf- und Zivilrecht beachtet werden.514 Im Strafrecht sollen die Aufklärungspflichten die Rechtmäßigkeit der Einwilligung absichern, die nur dann als autonom erteilt betrachtet werden kann, wenn der einwilligende Patient auf ausreichender Wissens- und Informationsbasis entscheiden konnte; dabei geht es um die sozialethische Sanktionierung ärztlichen Fehlverhaltens. Eine Bestrafung ist 508  Vgl. insb. grundlegendes Urteil BVerfGE 52, 131 ff. Mehrheitsvotum, abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger S. 171 ff. 509  Für viele Tempel (1980), S. 609; Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 25, § 228 Rn. 13 ff.; Kern / Laufs (1983), S. 7, 8, wo von einer gewohnheitsrechtlich geltenden Aufklärungspflicht die Rede ist. 510  Schöch (2010), S. 54 f. In der Rspr. zum zivilrechtlichen Arzthaftungsrecht ist die Aufklärungspflichtverletzung neben dem Behandlungsfehler zum zweiten wichtigen Haftungsgrund ärztlichen Handelns aufgestiegen; dabei ist eine Verlagerung des Schwerpunktes im zivilrechtlichen Arzthaftungsprozess von der Behandlungsfehlerklage zur Aufklärungsfehlerklage zu beobachten. 511  BGBl I 2013, 277. Vgl. Palandt (2014), BGB, Vorb v § 630a, Rn. 1 ff. Das vorliegende Manuskript wurde im Wesentlichen vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes fertiggestellt. 512  Dazu oben C.VI.1. 513  Zum Ganzen ausführlich Katzenmeier (2013), S. 817 ff.; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 40b. 514  Schöch (2010), S. 54 f.; MK-StGB-Joecks (2012), § 223 Rn. 77; Sch / SchEser (2014), StGB, § 223 Rn. 40b; Schroth (2010a), S. 35 Fn. 49. Zivilrechtlich geht es um die Verteilung aufgetretener Schäden, also um Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen. Im Zivilprozess ist Aufklärungsrüge oft nur der Versuch, trotz Nichterweislichkeit eines Behandlungsfehlers doch noch zu einem Schadensersatz zu kommen. Strafrechtlich interessieren diese Billigkeitserwägungen bzgl. der Abwälzung eines Schadens nicht. Im Strafverfahren geht es vielmehr allein um die Frage, ob der Aufklärungsmangel von solchem Gewicht ist, dass er die schwerwiegende Folge einer Kriminalstrafe rechtfertigt, vgl. LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 19.



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nicht einfach mittels der Übernahme der zivilrechtlichen Aufklärungsdogmatik zu begründen, sondern kann nur bei vorhersehbaren und vermeidbaren Pflichtverletzungen ausgesprochen werden.515 Ihre Grundlage hat die Aufklärungspflicht in der Ethik. Die Aufklärung und die Zustimmung des Patienten sind moralische Basis des Arzt-PatientenVerhältnisses und ethisches Gebot.516 Eine Vernunfthoheit oder ein therapeutisches Privileg hat der Arzt gegenüber dem Patienten danach nicht.517 Über die rechtliche Fundierung der ärztlichen Aufklärungspflicht besteht im Anschluss an die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts518 aus dem Jahre 1979 Einigkeit. Das strafrechtliche Erfordernis der ärztlichen Aufklärung ist aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungs­ recht519 des Patienten abzuleiten.520, 521 Die Aufklärung dient der Ausübung der Patientenautonomie und ist notwendige Basis einer autonomen Willensentscheidung.522 Strafrechtlich werden unerwünschte Erfolge, die aus Informationsdefiziten des Patienten resultieren, über die Unwirksamkeit der Einwilligung dem Arzt und nicht dem Patienten zugerechnet.523 Denn eine freie Einwilligungsentscheidung des Patienten ist überhaupt nur möglich, wenn er die für seine Entscheidung bedeutsamen Umstände kennt.524 Dann aber be515  Zum

Ganzen Schöch (2010), S. 55. (2014), Rn. 406; Kern / Laufs (1983), S. 8. 517  Schöch (2010), S. 54. 518  BVerfGE 52, 131 ff., abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger S.  171 ff. 519  Nach der hier vertretenen Ansicht garantiert in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Zur umstrittenen Zuordnung der Patientenautonomie zu den Grundrechten der Verfassung ausführlich oben B.III.1. 520  BVerfGE 52, 131, 171, 173 ff., abw. Votum der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger; BGH, NJW 2011, 1089; Kern / Laufs (1983), S. 8; Lorz (2007), S. 91 m. zahlr. w. N.; Schöch (2010), S.  54. 521  Auch in der Ärzteschaft hat sich ein Wandel vollzogen. Medizingeschichtlich spielte die Aufklärung, dem traditionellen paternalistischen Verständnis des Arzt-Pa­ tienten-Verhältnisses geschuldet, keine große Rolle. Die den Ärzten durch die Rspr. auferlegte Rechtspflicht wurde als Bevormundung, als schädlich für das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis und als hinderlich für den ärztlichen Alltag empfunden. Nach anfänglichen Protesten ist das Aufklärungserfordernis im Hinblick auf Patientenautonomie und Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient heute auch in der Medizin anerkannt, vgl. Engert (1999), S. 26 ff.; Katzenmeier (2002), S. 351. Als Berufspflicht ist die Aufklärung standesrechtlich in §§ 8, 7 Abs. 1 MBO-Ä kodifiziert. 522  BVerfGE 52, 171, 176  f. (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger); Laufs / Kern-Laufs (2010), § 57 Rn. 15 f.; § 6 Rn. 1; Bockelmann (1961), S. 945. 523  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 192. 524  BVerfGE 52, 171, 176  f. (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger). 516  Deutsch / Spickhoff

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freit die rechtmäßige Aufklärung den Arzt über die Wirksamkeit der Patienteneinwilligung von der strafrechtlichen Verantwortung.525 Die rechtliche Behandlung von Wissensunterschieden zwischen Vertragspartnern beschäftigt insb. das zivilrechtliche Vertragsrecht seit jeher.526, 527 Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist ein klassischer Fall eines Rechtsverhältnisses, in dem eine Partei über einen erheblich ausgeprägten Wissensvorsprung verfügt – tatsächlich wird es nur in seltenen Fällen Patienten geben, die das Wissen des Arztes teilen. Die strukturelle Asymmetrie des Arzt-PatientenVerhältnisses nimmt zu, je mehr es sich um ein instrumentell-technisches Eingreifen des Arztes handelt.528 Dass der Arzt den Patienten vor jedem Eingriff aufklären muss, folgt aus dieser strukturellen Unterlegenheit des Patienten gegenüber dem behandelnden Arzt.529 Der Arzt bedarf zur Legitimation seines Handelns deshalb der informierten Einwilligung des hinreichend aufgeklärten Patienten. Die Wirksamkeit der Einwilligung in jeden ärztlichen, indizierten wie nicht indizierten Eingriff setzt voraus, dass der Patient als Träger des disponiblen Rechtsguts „körperliche Integrität“ zutreffende Einsicht in und Überblick über alle Umstände hat, auf die es für seine Motivation ankommt, den Eingriff vom Arzt vornehmen zu lassen oder ihn abzulehnen, insbesondere auch über eine fehlende medizinische Notwendigkeit einer Maßnahme.530 Nur dann ist die Einwilligung des Patienten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs ein Akt freier Selbstbestimmung, nur dann entfaltet sie ihre rechtfertigende Wirkung.531 525  BVerfGE 52, 131, 171 ff., 179 (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger). 526  Vgl. die umfassende Schrift von Fleischer (2005), m. zahlr. w. N. 527  Zugleich rühren die Aufklärungspflichten im Arztrecht teils von anderer Seite als jene im „klassischen“ Recht zivilrechtlicher Austauschverträge. Auch hier soll die Freiwilligkeit des Patienten gewährleistet sein, wofür die Aufklärungs- und Informationspflichten das geeignete Instrumentarium darstellen, weil sie die Basis für eine eigenverantwortliche und wohl überlegte Entscheidung schaffen. Aus zivilrechtlicher Sicht geht es bei einem ärztlichen Behandlungsvertrag aber gerade nicht um einen auf einseitige Interessenverfolgung gerichteten Austauschvertrag. Die für zivilrechtliche Austauschverträge entwickelten Regelungen über Informationspflichten spielen hier deshalb keine Rolle; die arztrechtliche Bewertung der Aufklärungspflichten beruht auf anderen Überlegungen. 528  Höfling / Lang (1999), S. 17. 529  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 192. Vgl. Sch / Sch (2014), StGB, § 223 Rn. 40a. 530  Ulsenheimer (2008), Rn. 60; Schroth (2010a), S. 43. 531  BVerfGE 52, 171 ff., 175 ff. (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger); vgl. BGHZ 29, 46; 29, 176.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 267 „Der Arzt [hat] auf die Gefahren, d. h. auf die möglichen Folgen einer geplanten Behandlung hinzuweisen, die ein verständiger Patient in dieser Lage unter Berücksichtigung seiner körperlichen Beschaffenheit und seiner sonstigen Situation für die Entscheidung über die Einwilligung in die Behandlung als bedeutsam ansehen würde.“532 „Damit eine freie Entscheidung des einwilligungsfähigen Patienten möglich sei, ist typischerweise […] erforderlich, daß der Patient die für seine Entscheidung bedeutsamen Umstände kennt.“533

b) Aufklärung als weich paternalistische Absicherung der Patientenautonomie Das geltende Recht legt dem Arzt also eine strafbewehrte Aufklärungspflicht vor jedem Eingriff auf.534 Auch der Patient „muss“ das Aufklärungsgespräch führen, denn eine fehlende Aufklärung führt grundsätzlich535 zur Unwirksamkeit seiner Einwilligung. Diese strafrechtlich abgesicherte Vorgabe ist eine materiell paternalistische Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten.536 Dabei ist der Paternalismus im Bereich der ärztlichen Aufklärung indirekt, weil er sich in Verboten und Zwängen äußert, die sich an eine andere Person als den Patienten richten.537 Die Strafandrohung bei der Aufklärungspflichtverletzung gilt unmittelbar dem Arzt. Nach der Rechtsprechung ist vielfach538 ein Aufklärungsverzicht durch den Patienten möglich. Der Arzt muss dann immer noch eine Art „Grundaufklärung“ durchführen und der Patient jedenfalls in wesentlichen Grundzügen über Art, Erforderlichkeit und schwerste Risiken des Eingriffs informiert sein.539 Es scheint sehr fraglich, ob in diesen Fällen einer reinen Basisaufklärung nach wirksamem Aufklärungsverzicht von einer paternalistischen Maßnahme gesprochen werden kann, die die Erheblichkeitsschwelle eines Grundrechtseingriffs überschreitet.540 In ihrer Wirkung und Zielset532  BVerfGE

52, 131 ff., 167 (Mehrheitsvotum). 52, 131, 171 ff., 176 (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger). 534  St. Rspr., vgl. Fischer (2014), StGB, § 223 Rn. 25, § 228 Rn. 13 ff.; Schöch (2010), S.  53 f. 535  Es sei denn, dass eine der drei Ausnahmekonstellationen des Entfallens der Aufklärungspflicht vorliegt, dazu sogleich. 536  Fateh-Moghadam (2010a), S. 31, 43. 537  Vgl. Möller (2005), S. 15 f. 538  Anders in den spezialgesetzlich geregelten Bereichen (AMG, TPG, KastrG), dazu sogleich. 539  Ulsenheimer (2008), Rn. 126. 540  Vgl. zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung paternalistischer Eingriffe das bei Fateh-Moghadam (2010a), S. 43 vorgeschlagene Stufenmodell. 533  BVerfGE

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

zung bleibt die Aufklärungsdogmatik jedoch auch im Bereich des Aufklärungsverzichts zunächst paternalistisch. Im Bereich einiger nicht indizierter Eingriffe hat der Gesetzgeber durch spezialgesetzliche Regelungen zusätzlich zum Aufklärungsgespräch ein – strafbewehrtes – Verfahrenskonzept eingerichtet. Die erforderliche Überprüfung durch interdisziplinäre Kommissionen im Bereich von Arzneimittelgesetz und Transplantationsgesetz und durch die Gutachterstelle des §§ 5, 7 Nr. 1 KastrG dient jeweils der prozeduralen Absicherung von Autonomie­ bedingungen.541 Dabei ist weiter zu unterscheiden: Das gesetzliche Modell der Ethikkommission des Arzneimittelgesetzes – die jedoch keine konkrete Beurteilung für den einzelnen Probanden vornimmt542 – und der Gutachterstelle des KastrG ist als Entscheidungsgremium zu bezeichnen.543 Die Lebendspendekommission des § 8 Abs. 3 TPG ist dagegen ein Gremium privilegierter Beratung.544 In allen drei Fällen stellen diese prozeduralen Lösungen verfahrenspaternalistische Normen dar, die die autonome Entscheidung des Patienten absichern sollen.545 Bei der ärztlichen Aufklärungspflicht handelt es sich in all diesen Fällen um eine weich paternalistische Regelung, die gerade den Zweck verfolgt, die Patientenautonomie abzusichern.546 Denn fremdschädigende Eingriffe Dritter sind nur dann legitim, wenn sie auf einer selbstbestimmten Entscheidung des Rechtsgutsträgers beruhen.547 Durch die Aufklärung soll dem individuellen Patienten in Gewährleistung seines Selbstbestimmungsrechts eine umfassende Entscheidungsgrundlage an die Hand gegeben werden, auf deren Basis er im Einzelfall autonom und entsprechend seiner Präferenzen über den ärztlichen Eingriff entscheiden kann. Mit dieser Konzeption der Aufklärung bleibt für den Patienten die freie Wahlmöglichkeit, ob und wie er die vorgeschlagene Behandlung wahrnehmen möchte.548 Eigene, abweichende Entscheidungen des Einwilligenden werden durch diese Ausgestaltung der ärztlichen Aufklärung nicht ausgeschlossen.549 Die Weitergabe von 541  Fateh-Moghadam / Schroth / Gross

(2006), S. 119. Ethikkommission des AMG nimmt keine konkrete Beurteilung vor, sondern überprüft das klinische Konzept insgesamt. 543  Vgl. Fateh-Moghadam / Atzeni (2008), S. 116. 544  Fateh-Moghadam (2003), S. 254. 545  Schroth (2012), S. 575; Fateh-Moghadam (2010a), S. 43. 546  Fateh-Moghadam (2010a), S. 27, nach der Terminologie von Feinberg (1986), S. 12. 547  Rigopoulou (2013), S. 271. 548  Van Aaken (2006), S. 125, mit ausführlicher Darstellung zur Unterscheidung paternalistischer Maßnahmen in Wahlverbote / -gebote und isolierte / kommunikative Wahlhilfen. 549  Zum Ganzen Sunstein / Thaler (2007), S. 262. 542  Die



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 269

Informationen wird dabei übereinstimmend als unproblematisch betrachtet,550 aus guten Gründen. Der Paternalismus im Bereich von Aufklärungspflichten hat den Schutz des wahren Willens des Rechtsgutsträgers im Auge. Eine autonome, informierte Einwilligungsentscheidung des Rechtsgutsträgers kann gerade durch die Übermittlung der für diese Entscheidung zentralen Informationen erzielt und gewährleistet werden. Gerade das Beispiel der Aufklärungspflichten zeigt, woher der als paradox bezeichnete Charakter des weichen Paternalismus rührt: denn Selbstbestimmung und Paternalismus schließen sich nicht aus. Der Blick auf die Umsetzung der ärztlichen Aufklärungspflichten im Medizinstrafrecht lässt jedoch gerade im Bereich nicht indizierter Eingriffe eine Problematik erkennen, die sich mit der Begründung weich paternalistischer Maßnahmen als Schutz des Selbstbestimmungsrechts nicht vereinba­ ren lässt.551 Denn die rechtlichen Vorgaben in ihrer konkreten Ausgestaltung versuchen nicht, den antizipierten Entscheidungen des Patienten zu entsprechen, sondern ihn nach objektiven Maßstäben „in seinem eigenen Interesse“ bei der Entscheidung zu beeinflussen.552 Das wird im Folgenden bei der Auswertung der rechtlichen Anforderungen an die ärztliche Aufklärung, namentlich der Reziprozitätsthese der Rechtsprechung und der herrschenden Literatur vor nicht indizierten Schönheitsoperationen zu zeigen sein. c) Anforderungen an die ärztliche Aufklärung vor der nicht indizierten Schönheitsoperation Auch wenn die dargestellten Voraussetzungen der ärztlichen Aufklärung im Grundsatz ebenso bei Heilbehandlungen wie bei nicht indizierten ärztlichen Maßnahmen gelten, werden durch die herrschende Ansicht an den Arzt abweichende Anforderungen gestellt, wenn es sich bei der in Aussicht genommenen Behandlung um einen nicht indizierten Eingriff handelt. Ärztliche Eingriffe, die vorgenommen werden sollen, ohne medizinisch notwendig zu sein,553 also keinen Heilzweck für den an sich gesunden 550  Für viele Bublitz (2012), S. 401; van Aaken (2006), S. 126. Van Aaken (2006), S. 116 weist jedoch darauf hin, dass selbst reine Informationsangaben wegen der Verhaltensanomalien, die behavioral law and economics nachgewiesen hat, nie neutral sind. 551  Fateh-Moghadam (2010a), S. 31. 552  Sunstein / Thaler (2007), S. 261 ff. Vgl. so etwa explizit Engisch (1970), S.  25 f. 553  Bei der Kontraindikation (nach Pschyrembel (2007), Stichwort „Kontraindikation“, ein Umstand, wegen dem sich ein ärztlicher Eingriff verbietet, da in seiner Folge die Schädigung des Patienten zu erwarten ist), ist umstritten, ob eine wirk­ same Einwilligung überhaupt möglich sein soll, vgl. B.I.1.b) und D.II.5.b)bb).

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Patienten verfolgen, erfordern nach Rechtsprechung und Schrifttum eine weitergehende Aufklärung. Einmütig werden im Kontext von ärztlicher Aufklärungspflicht und Fehlen der medizinischen Indikation Besonderheiten gegenüber den ärztlichen Heileingriffen angenommen; die ärztlichen Aufklärungspflichten sollen bei Eingriffen, die medizinisch nicht notwendig sind, erhöht sein.554 Für die wirksame Einwilligung in eine Schönheitsoperation wird übereinstimmend gefordert, dass im Hinblick auf Inhalt, Umfang und Zeitpunkt der ärztlichen Aufklärung strengste Anforderungen an den Arzt zu stellen seien. Es ist unter den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung in einen nicht indizierten ärztlichen Eingriff also gerade die ärztliche Aufklärung, der Rechtsprechung und Schrifttum im Hinblick auf die Patientenautonomie zentrale Bedeutung für die Kompensation eines Indikationsmangels beimessen. aa) Aufklärungspflichtiger und Aufklärungsadressat Aufklärungspflichtiger ist nach allgemeinen Grundsätzen der behandelnde Arzt;555 sind mehrere Ärzte an einem Eingriff beteiligt, beispielsweise Chirurg und Anästhesist, klärt jeder über die von ihm ausgeführten Behandlungsschritte auf.556 Adressat der Aufklärung ist der einwilligungsfähige Patient bzw. bei dessen Einwilligungsunfähigkeit sein gesetzlicher Vertreter, also Erziehungsberechtigte, Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigter.557 Insoweit ergeben sich bei den nicht indizierten Eingriffen keine Besonderheiten. Insbesondere ist auch bei nicht indizierten Eingriffen wie Schönheitsoperationen der einwilligungsfähige Minderjährige und nicht dessen gesetzlicher Vertreter richtiger Adressat der ärztlichen Aufklärung.558

554  BGH, NJW 1972, 227 (ZivR); BGH, NJW 2011, 1089; Schroth (2007a), S. 90; NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 75a, 81; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 50b; SK-StGB-Horn / Wolters (2013), § 228 Rn. 20; LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44. 555  Vgl. §§ 630a, 630e BGB; hierzu Palandt (2014), BGB, § 630a Rn. 18; § 630e Rn. 8. 556  OLG Hamburg, NJW 1975, 604; Tempel (1980), S. 615; Schöch (2010), S. 63, eine Delegation an einen anderen Arzt ist möglich, nicht jedoch an nichtärztliches Personal. 557  Schöch (2010), S 64; Tempel (1980), S. 614  f. Vgl. Palandt (2014), BGB, § 630e Rn. 9. 558  Dazu im Einzelnen oben D.II.3.c) und d).



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 271

bb) Inhalt und Umfang der Aufklärung – Reziprozitätsthese von Rechtsprechung und Literatur (1) Grundlegendes zum Inhalt der Aufklärung Damit ein ärztlicher (Heil-)Eingriff nach der grundsätzlichen Aufklärungsdogmatik von Rechtsprechung und Lehre gerechtfertigt559 ist, muss der Einwilligende inhaltlich über Art, Verlauf, Tragweite, Erfolgsaussichten und solche Folgen der Behandlung aufgeklärt worden sein, die für seine Entscheidung ins Gewicht fallen können.560 Nach ständiger Rechtsprechung muss der Arzt auf die Gefahren, d. h. auf die möglichen Folgen einer geplanten Behandlung, hinweisen, die ein verständiger Patient in seiner konkreten Situation für seine Entscheidung über die Einwilligung in die Behandlung als bedeutsam ansehen würde.561 Ausgehend von ihrer rechtlichen Grundlage spricht man üblicherweise von der so genannten Selbstbestim­ mungsaufklärung, die eine Diagnose-,562 Verlaufs- und Risikoaufklärung umfasst.563 Die Begrifflichkeiten werden teils unterschiedlich verwendet;564 inhaltlich ist man sich dabei jedoch einig.565 Jedenfalls muss der Patient im Hinblick auf sein Selbstbestimmungsrecht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Großen und Ganzen wissen, worin er einwilligt.566 Der Arzt muss den Patienten daher über die voraussichtliche Weiterentwicklung seines Gesundheitszustands in unbehandelter Form, über die grundlegenden Details des geplanten Eingriffs und über mögliche Behandlungs­ alternativen informieren.567 Im Bereich der Risikoaufklärung geht es darum, 559  Im Einzelnen zu den unterschiedlichen Auffassungen von Rspr. und Lit. zu Tatbestandsmäßigkeit des ärztlichen (Heil-)Eingriffs und Wirkung der Einwilligung ausführlich oben § 3. 560  St. Rspr. vgl. BVerfG, NJW 1979, 1931; BGH, NJW 2011, 1089, und h. Lit., für viele NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 74; Tempel (1980), S. 611. Vgl. BTDrs. 17 / 10488, S. 24 zu § 630e  I BGB. 561  BVerfGE 52, 131, 167 (Mehrheitsvotum); st.  Rspr. seit RG 66, 181, vgl. BGHSt 11, 111; BGHZ 29, 46; BGH, NJW 2011, 1089. 562  Umstr., so aber die ganz h. M., vgl. etwa BGH, NStZ 2004, 442; Bockelmann (1961), S. 948. 563  Schöch (2010), S. 57. Davon zu unterscheiden ist die sog. therapeutische bzw. Sicherungsaufklärung, deren Verletzung einen Behandlungsfehler darstellt. 564  Vgl. zum einen Schöch (2010), S. 57 – Diagnose-, Verlaufs- und Risikoaufklärung als die drei Teile der Selbstbestimmungsaufklärung; Ulsenheimer (2008), Rn. 61, 64 – zwei Teile, nämlich Diagnose- und Risikoaufklärung (als Eingriffs- und Verlaufsaufklärung). 565  Vgl. dazu Ulsenheimer (2008), Rn. 65. 566  BGH, NJW 1959, 811, 814. Vgl. Lauf / Kern-Laufs (2010), § 59 Rn. 5. 567  BVerfGE 52, 131, 171 ff., 176 (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger); Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 437 ff.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

dem Patienten die Gefahren des geplanten ärztlichen Eingriffs vor Augen zu führen. Der Arzt muss ihm ein mögliches Fehlschlagen der Behandlung sowie sichere und mögliche unerwünschte, typische Folgen darlegen; auf der Grundlage des patientenbezogenen individuellen Aufklärungsstandards ist weiter auch über alle atypischen Risiken aufzuklären, die für die Lebensführung des konkreten Patienten Bedeutung erlangen können.568 Die Frage nach dem Umfang der Aufklärung ist Rechtsfrage; dem Arzt kommt hier kein Ermessensspielraum zu.569 Maßstab ist der Empfängerhorizont des konkreten Patienten.570 Das deutsche Medizinrecht bezieht sich bei der Aufklärung – konsequent ihrer Begründung aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten folgend – also auf einen individuellen Patientenstandard.571 Untere Grenze des Aufklärungsstandards ist dabei der Maßstab eines vernünftigen Patienten;572 dieses Informationsbedürfnis eines durchschnittlich objektiv vernünftigen Patienten ist allerdings nicht mehr als ein erster Anhaltspunkt. Für den Umfang der Aufklärung ist im Einzelfall der individuelle Empfängerhorizont des konkreten Patienten entscheidend,573 da das Selbstbestimmungsrecht des Patienten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als verfassungsrechtliche Grundlage der Einwilligung im Wege der Drittwirkung von Grundrechten zu beachten ist.574 Die konkrete Ausgestaltung des Aufklärungsgesprächs im Einzelfall überlässt die Rechtsprechung wegen der Sensibilität und Einzelfallbezogenheit des Arzt-Patienten-Verhältnisses dagegen dem Ermessen des aufklärenden Arztes.575 Der Arzt entscheidet über Wortwahl, Darstellung und Detailliertheit der medizinischen Informationen; auch hier gilt das Prinzip der patientenbezogenen Aufklärung, so dass der Arzt auf den jeweiligen Patienten angemessen eingehen muss.576 Auch obliegt es dem Arzt, das individuelle In568  Laufs / Kern-Laufs

(2010), § 60 Rn. 1 ff. NJW 1979, 1931; Tempel (1980), S. 611. 570  Ulsenheimer (2008), Rn. 65, 80; Lorz (2007), S. 149. 571  Ob eine Orientierung der rechtlichen Vorgaben am patientenorientierten Standard oder am objektiv-professionellen Standard erfolgt, hängt von der Grundentscheidung der einschlägigen Medizinrechtsordnung ab. Im deutschen Medizinrecht folgt die ärztliche Aufklärungspflicht aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten, dessen individuell-konkreter Informationsbedarf daher folgerichtig als Maßstab festgelegt wird. Vgl. Giesen (1988), S. 271 ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 230. 572  Vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 231. 573  Schöch (2010), S. 66. Zum Ganzen zutreffend Lorz (2007), S. 102 f., auch m. w. N. für andere Rechtsordnungen. Vgl. BT-Drs. 17 / 10488, S. 24 zu § 630e BGB. 574  Tempel (1980), S. 611. So BVerfGE 52, 131, 171 ff. (abw. Meinung der Richter Hirsch, Niebler und Steinberger). 575  BGHZ 90, 103; BGH, NJW 1990, 2928; Tempel (1980), S. 615. 576  Lorz (2007), S. 149. Vgl. § 630e II S. 1 Nr. 3 BGB und dazu Palandt (2014), BGB, § 630e Rn. 11. 569  BVerfG,



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 273

formationsbedürfnis des Patienten im persönlichen Gespräch zu ermitteln.577 Eine oberflächliche Aufklärung genügt den Anforderungen nicht, da sie im Lichte des Selbstbestimmungsrechts keine ausreichende Entscheidungsgrundlage für eine selbstverantwortliche, informierte Patienteneinwilligung zu bieten vermag.578 Nach dem Gebot schonender Aufklärung,579 das auch bei nicht indizierten Eingriffen relevant wird, darf im Hinblick auf das Übermaßverbot aber ebensowenig eine überfrachtete, rücksichtslose Aufklärung stattfinden.580 Bei gesundheitlich erforderlichen Eingriffen ist vom Arzt in die Abwägung der Aufklärungsdichte mit einzustellen, dass der Patient nicht durch Vermittlung von unangemessener Angst und Sorge von der Einwilligung in die ärztlich notwendige Maßnahme abgehalten werden soll; ein Zuviel an Information kann den Patienten aber auch bei nicht indizierten Eingriffen überfordern und sich kontraproduktiv auswirken, da sie eine selbstbestimmte Entscheidung erschwert.581 Insgesamt gilt, dass der Arzt dem Patienten nicht medizinisches Fachwissen vermitteln, sondern ihm mittels einer „Übersetzung in die Laiensphäre“582 verdeutlichen soll, was die medizinische Maßnahme nach den konkreten Umständen für ihn persönlich bedeutet.583 (2) R  eziprozitätsthese im Bereich gesetzlich nicht geregelter nicht indizierter Eingriffe Anknüpfend an diese Grundsätze der Aufklärung besagt im Bereich der nicht spezialgesetzlich normierten nicht indizierten Eingriffe nun die sog. Reziprozitätsthese der ständigen Rechtsprechung und ganz herrschenden Literaturansicht, dass Genauigkeit und Ausführlichkeit der ärztlichen Aufklärung von der Dringlichkeit und Notwendigkeit des Eingriffs abhängen sollen.584 Kallfelz formulierte 1937 in einer Anmerkung zu einer Reichsgerichtsentscheidung als erster folgende, später zur ständigen Rechtsprechung gewordene These: „Die Aufklärungspflicht nimmt in dem Maße zu, in dem die unbedingte und lebensnotwendige Indikation des beabsichtigten Eingriffs abnimmt.“585 577  Ausführlich

Lorz (2007) S. 104 m. w. N. (2007), S. 97. 579  Katzenmeier (2002), S. 337 m. w. N. 580  Lorz (2007), S. 97, 101 m. zahlr. w. N. 581  Ulsenheimer (2008), Rn. 72; Lorz (2007), S. 97 Fn. 287 m. w. N. 582  Tempel (1980), S. 615. 583  Zum Ganzen überzeugend Lorz (2007), S. 96  f.; vgl. Katzenmeier (2002), S.  327 f. 584  Laufs / Kern-Laufs (2010), § 59 Rn. 5, § 64 Rn. 12; Ulsenheimer (2008), Rn.  71 ff.; Tempel (1980), S.  611 m. w. N. 585  Kallfelz (1937), S. 3087. 578  Lorz

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Die Rechtsprechung hat in den folgenden Jahren diese Formel vom rezi­ proken Zusammenhang zwischen Indikation und Aufklärungspflicht geprägt586 und stuft die Aufklärungspflichten bei nicht indizierten bzw. nicht dringlichen medizinischen Eingriffen als „erhöht“ ein.587 Danach steigen die Aufklärungspflichten indirekt proportional zum Absinken der medizinischen Indiziertheit und Dringlichkeit; umgekehrt sinken die Anforderungen an die Aufklärung, wenn der Eingriff dringend indiziert ist. Der Bundesgerichtshof fordert in gefestigter Rechtsprechung, dass der Patient „je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher […] über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren“ ist.588 Der Arzt müsse dem Patienten Gründe und Einwände „in besonders eindringlicher Weise“ auseinandersetzen und ihn im Rahmen der Risikoaufklärung auch auf ganz ungewöhnliche, seltene Risiken und Misserfolgsquoten hinweisen.589 Die Reziprozitätsthese wird in ihren beiden Ausprägungen auch in der Literatur fast übereinstimmend für richtig gehalten. Die ganz herrschende Ansicht geht ebenfalls von einem reziproken Zusammenhang von Dringlichkeit und Aufklärung und einem „unausweichlichen Korrelat“590 aus.591 Einige Autoren weisen jedoch mit Recht auf die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten hin und folgern daraus, dass die Aufklärungspflichten bei dringlicher Indikation im Lichte des Selbstbestimmungsrechts nicht geringer werden, sondern „spezifisch“ oder „entsprechend anders“.592 Denn schon aus der allgemeinen Aufklärungsdogmatik und dem Grundsatz der patientenbezogenen Information lässt sich ableiten, dass ein 586  Laufs / Katzenmeier / Lipp-Katzenmeier (2009), V. Rn. 20 f.; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 106 f. m. w. N. 587  Vgl. etwa BGH, MedR 1991, 85 f.; BGH, MedR 2006, 588 f. 588  Vgl. nur BGH, MedR 1991, 85  f.; BGH, VersR 2006, 838 f.; BGH, NJW 2011, 1089. 589  Vgl. OLG Celle, NJW 1987, 2304. 590  Katzenmeier (2002), S. 309. 591  So Schöch (2010), S. 68; Sternberg-Lieben (1997), S. 195; Bischoff (2009), S. 191; Baur (2012), S. 114, 116; Spickhoff (2012), S. 15; Kern / Richter (2009), S.  131; Ulsenheimer (2008), Rn.  97  ff.; Katzenmeier (2002), S.  328  f.; Knauer (2001), S. 23; Bichlmeier (1980), S. 55; Hollenbach (2003), S. 186; Stock (2009a), S. 306. So auch Engisch (1970), S. 33, der für das Maß der Aufklärung zudem auch noch auf die Person des Patienten und etwa dessen „Standfestigkeit“ abstellt, jedoch im Ergebnis nur Anforderungen aufstellt, die einer objektiven medizinischen Vernunft entsprechen. Vgl. nun auch § 630e I S. 1 BGB und dazu Palandt (2014), BGB, § 630e Rn. 5. 592  Schroth (2009), S. 738  f.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 31 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 192 f.; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 107; Damm (2009), S. 187; Lorz (2007), S. 100 ff.



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durchschnittlicher Patient bei einem einfachen oder alternativlosen Heileingriff weniger Informationsgrundlage erwarten wird als etwa bei einem fremdnützigen und einem gesundheitlich nicht indizierten Eingriff.593 Ebenso wird es dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht gerecht, dessen Entscheidung mittels einer überspannten Aufklärung in eine gewünschte, objektiv vernünftige Richtung zu lenken.594 Insbesondere die erste These, wonach die Aufklärungspflicht bei hoher Dringlichkeit des Eingriffs leichter wiegt, wird nach dieser Ansicht zutreffend abgelehnt; vielmehr kann sich in diesen Fällen abhängig von der Situation und dem Zeitdruck nur die Ausführlichkeit der Aufklärung reduzieren.595 (3) R  eziprozitätsthese bei der Schönheitsoperation im Besonderen (a) G  egenstand und Umfang der Aufklärung nach Rechtsprechung und Literatur Bei der Schönheitsoperation stellen Rechtsprechung und Literatur mit eben dieser Reziprozitätsthese strengste Anforderungen an Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärung. Vorzunehmen sei eine vollumfängliche, rechtzeitige Aufklärung über fehlende Indikation, Verlauf, Erfolgsaussichten und sämtliche mit dem Eingriff verbundenen Risiken.596 Vielfach wird von der Notwendigkeit einer „schonungslosen“, „drastischen“ oder „Maximalaufklärung“ gesprochen.597 Die Reziprozitätsthese wird bei Schönheitsoperationen damit begründet, dass der Patient im Bereich rein kosmetischer Eingriffe, die dem Patienten keinerlei gesundheitlichen Nutzen bringen, die Möglichkeit haben muss, Vorteile gegenüber Nachteilen und Risiken der Maßnahme besonders sorgfältig und umfassend abzuwägen, weil der Eingriff für die Erhaltung von Gesundheit und Leben gerade nicht erforderlich ist.598 Eine gesunde Person, die nur ihr äußeres Erscheinungsbild als unbefriedigend empfindet, soll durch diese umfassende Aufklärung vor die Frage gestellt werden, ob sie das durch den Eingriff erzielbare Ergebnis dem jet593  So

überzeugend Fateh-Moghadam (2008), S. 193; Lorz (2007), S. 100 ff. (2007), S. 100  ff.; Fateh-Moghadam (2008), S. 193; Schroth (2009),

594  Lorz

S.  738 f. 595  Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 107. 596  Vgl. Lorz (2007), S. 98 f. m. zahlr. w. N. für Rspr. und Lit.; Bischoff (2009), S. 192 ff.; Teichner / Schröder (2009), S. 587 f., 589. Vgl. Schroth (2009), S. 738 m. w. N. 597  Etwa Teichner / Schröder (2009), S. 587. Zur Rspr. im Einzelnen unten D. II.4.c)bb)(3)(b). 598  Bischoff (2009), S. 192 f.; Ulsenheimer (2008), Rn. 72; Lorz (2007), S. 99.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

zigen Zustand vorzieht, da sie „vor unüberlegten Schritten gewarnt“ und unter Umständen „geschützt werden muss“.599 Die Aufklärung des Arztes hat demnach in jedem Fall den Indikationsman­ gel zum Gegenstand. Statt der Diagnoseaufklärung, durch die dem Patienten den Krankheitsbefund mitgeteilt wird, erfolgt die Aufklärung des Patienten darüber, dass der kosmetische Eingriff medizinisch nicht indiziert ist.600 Im Rahmen der Verlaufsaufklärung soll eine genaue Darstellung von Operationsverlauf und erwartetem Ergebnis des geplanten kosmetischen Eingriffs erfolgen.601 Noch genauer als bei einem Heileingriff ist auf et­ waige alternative Eingriffsmöglichkeiten einzugehen.602 Will der Arzt eine nicht dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode anwenden, so gilt nach allgemeinen Grundsätzen, dass der Patient besonders über die Anwendung einer solchen Außenseitermethode und mögliche unbekannte Risiken informiert werden muss.603 Bei der Risikoaufklärung muss der Arzt dem Patienten nach ständiger Rechtsprechung604 und ganz herrschender Lehre605 die Gefahren des Eingriffs „in besonders eindringlicher Weise“606 auseinandersetzen und ihm das Für und Wider der Schönheitsoperation mit allen Konsequenzen vor Augen führen. Dabei soll er auf alle denkbaren Folgen, auch auf seltene, ungewöhnliche Risiken, ästhetische Konsequenzen und bloße Unannehmlichkeiten eindringlich hinweisen und dem Patienten das Für und Wider der Schönheitsoperation mittels einer „absolut umfassenden Aufklärung über Risiken“607 und mit allen Konsequenzen vor Augen führen.608 Insbesondere seien die nicht beherrschbaren gesundheitlichen und ästhetischen Risiken 599  Ulsenheimer

(2008), Rn. 72. (2010a), S. 45; Fateh-Moghadam (2008), S. 193; Engisch (1970), S. 35. Umfassende Darstellung bei Lorz (2007), S. 109 ff., insb. mit dem Hinweis darauf, dass der Arzt nicht darüber aufklären muss, dass der Patient „keiner Schönheitsoperation bedürfe“. 601  Lorz (2007), S.  113 ff. m. w. N. 602  Lorz (2007), S. 115 ff. m. w. N. für die Rspr. 603  Vgl. (für den Bereich indizierter Eingriffe) den sog. Zitronensaftfall, BGH, NJW 2011, 3089. 604  Etwa BGH, MedR 1991, 85 f.; OLG Hamm, VersR 2006, 151; OLG München, MedR 1988, 188; OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1679 f. 605  Vgl. schon Geilen (1963), S. 114  ff.; Engisch (1970), S. 33 ff.; LK-StGBHirsch (2005), § 228 Rn. 20, 44 m. w. N.; Ulsenheimer (2008), Rn. 71; kritisch Fateh-Moghadam (2008), S. 192 f. 606  OLG Düsseldorf, VersR 2003, 1579. 607  Schroth (2010d), S. 93. 608  BGH, MedR 1991, 85 f. Vgl. auch OLG Hamm, VersR 2006, 151; BB ObLG vom 28.02.2008, Az.:  12 U 157 / 07. So auch die h. L.; für viele LK-StGB-Hirsch 600  Schroth



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 277

darzustellen.609 Denn bei der Schönheitsoperation entfalle der bei Heileingriffen angeführte Gesichtspunkt, dass beim Patient nicht unangemessene Angst vor Komplikationen geweckt und er so von der Einwilligung in eine „sinnvolle“ Maßnahme abgehalten werden dürfte.610 Von entscheidender Bedeutung ist bei der rein kosmetisch veranlassten Operation auch der Hinweis des Arztes über die erwarteten ästhetischen Erfolgsaussichten des Eingriffs.611 Der Patient soll wissen, welche Verbesserungen seines Aussehens im günstigsten Fall erzielt werden können und welche nachteilige Veränderungen im schlechtesten Fall zu erwarten sind.612 Besteht die Wahrscheinlichkeit einer großflächigen Narbenbildung oder ist etwa bei einer Fettabsaugung ein langfristiger Erfolg nicht zu erwarten, muss der Arzt den Patienten hierüber aufklären.613 Zudem schuldet der Arzt auch eine wirtschaftliche Aufklärung. Da der Patient über alle bedeutsamen Umstände aufgeklärt werden muss, die für ihn von Belang sein können, ist ihm vor einer Schönheitsoperation auch mitzuteilen, dass die Krankenkasse die Kosten des kosmetischen Eingriffs nicht übernehmen wird.614 Weiter muss er darüber aufgeklärt werden, dass er nach Inkrafttreten des § 52 Abs. 2 SGB V i. V. m. § 294 Abs. 2 SGB V von der gesetzlichen Krankenkasse an den Kosten von etwaigen Folgebehandlungen beteiligt werden muss, die etwaige Komplikationen erforderlich machen können.615 (b) Auswertung der Rechtsprechung im Einzelnen Eine Auswertung der Rechtsprechung im Bereich der Aufklärung vor Schönheitsoperationen insbesondere aus den letzten vier Jahrzehnten616 (2005), § 228 Rn. 44 m. w. N.; vgl. auch Lorz (2007), S. 121 ff.; Baur (2012), S. 114, 116; Spickhoff (2012), S. 15. 609  Vgl. AG Bremen vom 23.04.2008, Az. 23 C 296 / 06 / 23 C 0296 / 06; OLG Köln, 30.03.2007, Az.: 82  Ss 17 / 07; OLG Frankfurt, MedR 2006, 294. 610  HansOLG Hamburg, VersR 1983, 53; OLG Köln, VersR 1988, 1050; OLG Düsseldorf, VersR 1985, 553; Lorz (2007), S. 99; Ulsenheimer (2008), Rn. 72; Gmeinwieser (1988), S. 114 f. 611  Schroth (2009), S.  739; Fateh-Moghadam (2010a), S.  32; Lorz (2007), S.  117 ff. 612  Lorz (2007), S. 117. 613  Vgl. zum Ganzen Bischoff (2009), S. 193 f. m. w. N. für die Rspr.; Schroth (2009), S. 739; Lorz (2007), S. 118 f. 614  Ehlers / Broglie (2014), Rn. 808, 809; Laufs / Kern-Laufs (2010), § 61 Rn. 18. 615  Vgl. zum Ganzen Teichner / Schröder (2009), S. 588 f. 616  Vgl. die Rechtsprechungsübersicht im Anhang. Eine eingehende Analyse zahlreicher Urteile in diesem Bereich bis zum Jahre 1983 findet sich auch bei

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

zeigt, dass diese wesentlichen Anforderungen sowohl in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als auch der unteren Instanzen gefestigt sind und seit dem grundlegenden Urteil des Bundesgerichtshofs von 1990617 auch weitgehend einheitlich formuliert und angewendet werden. In höchster Instanz gibt es in den vergangenen Jahrzehnten nur vereinzelte Entscheidungen zum Bereich von Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflichten vor Schönheitsoperationen.618 Nur wenige Entscheidungen ergingen in diesem Zeitraum im Bereich des Strafrechts. Ganz überwiegend war über die Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit zivilrechtlichen Schadens­ ersatz- oder Schmerzensgeldforderungen nach (vermeintlich oder tatsächlich) misslungenen kosmetischen Eingriffen zu befinden. Schon 1972 hatte der Bundesgerichtshof in Zivilsachen erhöhte Aufklärungspflichten vor einem nicht indizierten Eingriff zu kosmetischen Zwecken festgestellt. „Der Beklagte hätte also sicherstellen müssen, dass die Klägerin […] auch wußte, dass dadurch bleibende Narben gesetzt würden […]. Auch bei geringer Wahrscheinlichkeit schädlicher Folgen des Eingriffs kommt daher eine Aufklärung über diese Folgen umso eher in Betracht, je weniger der mit dem Eingriff bezweckte Erfolg einem vernünftigen Menschen dringlich und geboten erscheinen muß.“619

Im Jahr 1990 entschied der Bundesgerichtshof über Schadensersatzansprüche eines Patienten gegen seine Ärztin nach einer misslungenen kosmetischen Operation zur Straffung von Falten unter dem Kinn. Der Bundesgerichtshof bestätigte die damals schon bestehende Judikatur zur Aufklärung bei kosmetischen Operationen mit einem grundlegenden Urteil.620 „Je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher ist der Patient, dem dieser Eingriff angeraten wird oder der ihn selbst wünscht, über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren. Das gilt in besonderem Maße für kosmetische Operationen, die nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, der Heilung eines körperlichen Leidens dienen, Kern / Laufs (1983), S. 73 ff.; Auflistung relevanter Entscheidungen bei Stock (2009a), S.  413 ff. 617  BGH, Urteil vom 06.11.1990, NJW 1991, 2349. 618  Vgl. auch die Nachweise zu verschiedenen OLG-Urteilen bei Steffen / Pauge (2013), Rn. 471. Zwar standen Sachverhalte, die Schönheitsoperationen betrafen, in den vergangenen Jahrzehnten schon wiederholt zur Entscheidung des BGH, doch nur in wenigen Fällen betraf das Rechtsproblem den Umfang der Aufklärungspflichten. 619  BGH, NJW 1972, 335. Die Entscheidung betraf in erster Linie die Frage der Einwilligungsfähigkeit der Minderjährigen. In den Entscheidungsgründen zur ärzt­ lichen Aufklärungspflicht bezog sich der BGH dabei aber weniger auf deren konkreten Umfang bei kosmetischen Operationen, als vielmehr auf das Verhältnis von Komplikationsdichte und notwendiger Risikoaufklärung im Allgemeinen. 620  BGH, Urteil vom 06.11.1990, NJW 1991, 2349 = MedR 1991, 85.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 279 sondern eher einem psychischen und ästhetischen Bedürfnis. Der Patient muß in diesen Fällen darüber unterrichtet werden, welche Verbesserungen er günstigen­ falls erwarten kann, und ihm müssen etwaige Risiken deutlich vor Augen gestellt werden, damit er genau abwägen kann, ob er einen etwaigen Mißerfolg des ihn immerhin belastenden Eingriffs und darüberhinaus sogar bleibende Entstellungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen will, selbst wenn diese auch nur entfernt als eine Folge des Eingriffs in Betracht kommen. Noch weniger als sonst ist es selbstverständlich, daß er in Unkenntnis dessen, worauf er sich einläßt, dem ärztlichen Eingriff zustimmt, und es gehört andererseits zu der besonderen Verantwortung des Arztes, der eine kosmetische Operation durchführt, seinem Patienten das Für und Wider mit allen Konsequenzen vor Augen zu stellen. Deswegen stellt die Rechtsprechung auch sehr strenge Anforderungen an die Aufklärung des Patienten vor einer kosmetischen Operation.“621

Auf diese Urteilsgründe des Bundesgerichtshofs wird seitdem in den meisten unterinstanzlichen Entscheidungen ausdrücklich Bezug genommen. So findet sich in zahlreichen Urteilen die auf den Bundesgerichtshof zurückgehende Formulierung, dass „[…] an die Aufklärung vor kosmetischen Operationen sehr strenge Anforderungen zu stellen sind.“ „Dem Patienten ist das Für und Wider mit allen Konsequenzen und Risiken in besonderem Maße zu verdeutlichen.“ „In solchen Fällen sind dem Patienten etwaige Risiken deutlich vor Augen zu führen, damit er genau abwägen kann, ob er einen etwaigen Misserfolg oder möglicherweise auch bleibende gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen will.“622

Darüber hinausgehend wird in der unterinstanzlichen Rechtsprechung aber regelmäßig sogar eine „drastische und schonungslose“623 bzw. „inten­ sive und schonungslose“624, „abschreckende“ oder „Brutal“-625Aufklärung gefordert, weil der Patient vor unüberlegten und übereilten, medizinisch 621  BGH, MedR 1991, 85  f., Hervorhebungen von der Verfasserin. Vgl. auch BGH, MedR 2008, 158 im Kontext einer hypothetischen Einwilligung: „in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung handelte, die ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforderungen unterliegt […].“ Vgl. auch BGH, MedR 2006, 588 ff. zu vergleichbaren Anforderungen bei der fremdnützigen Blutspende. 622  So OLG München, Urteil vom 18.12.2008, Az.: 1 U 2213 / 08; Brandenburgisches OLG, Urteil vom 28.02.2008, Az.: 12 U 157 / 07; OLG Hamm, VersR  2006, 1511 ff.; OLG München, VersR 1993, 1529; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.04.1993, Az.:  8  U  280 / 91; weitergehend LG  Flensburg, Urteil vom 21.02.2006, Az.: 1 S 116 / 05. 623  OLG Bremen, VersR 2004, 911; OLG Hamm, VersR 2006, 1511. 624  OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.03.2002, Az.: 8 U 117 / 01 Rz. 23; das Urteil erging zwar im Kontext einer kontraindizierten Operation nach der hier vorgenommenen Definition, nimmt dort aber Bezug auf die im Bereich der nicht indizierten kosmetischen Operationen geltenden Anforderungen an die Aufklärungspflicht. 625  Vgl. Kern / Richter (2009), S. 131 m. w. N.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

nicht sinnvollen Schritten gewarnt und geschützt werden müsse.626 So entschied das Hanseatische OLG Hamburg: „Der Bekl. musste der Kl. in schonungsloser Offenheit und Härte demonstrieren, mit welcher Verstümmelung ihres Körpers sie in Wahrheit zu rechnen hatte. Bei kosmetischen Eingriffen entfällt der Gesichtspunkt, daß der Patient nicht durch Erzeugung unangemessener Angst von der Einwilligung abgehalten werden darf. Eine Frau, die lediglich ihre äußere Erscheinung als ungenügend empfindet, muß durch vollständige und schonungslose Aufklärung in den Stand versetzt werden zu entscheiden, ob sie den durch Operation erreichbaren Zustand dem bisherigen wirklich vorzieht.“627

Noch weiter geht ein Urteil des LG Flensburg aus dem Jahr 2006, das zwar zunächst auf eine ausführliche und eindrückliche Aufklärung nach der Formulierung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bezug nimmt, dann aber folgert, der Arzt schulde eine Aufklärung über alle erdenklichen Risiken und die Erfolgsaussichten im Sinne einer „Totalaufklärung“.628 (4) Kritik und Stellungnahme Die Annahme der sog. Reziprozitätsthese, die Aufklärungspflichten seien bei fehlender Indikation „höher bzw. strenger“ bzw. bei dringlicher Indikation reduziert, erzielt häufig zutreffende Ergebnisse, ist aber im Hinblick auf ihre Begründung nicht überzeugend.629 Zweck der ärztlichen Aufklärung sowohl vor der ärztlichen Heilbehandlung wie vor dem nicht indizierten Eingriff ist in letzter Konsequenz die Wahrung der Patientenautonomie. Im Hinblick auf diesen rechtlichen Existenzgrund der ärztlichen Aufklärungspflicht hat sich die Aufklärung in allen Fällen an einer selbstbestimmten Entscheidung des Patienten zu orientieren. Für die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts benötigt der Patient eine abschließende Informationsund Entscheidungsgrundlage. Diese vermittelt ihm der Arzt, der insoweit über überlegenes Wissen verfügt, im Aufklärungsgespräch. Die Grundsätze von Rechtsprechung und Literatur, die auf eben dieser Ausgangsannahme basieren, den Umfang der Aufklärungspflichten dann aber doch unmittelbar 626  OLG Düsseldorf, VersR 2004, 286; OLG Düsseldorf, VersR 2001, 1380; OLG Düsseldorf, VersR 1999, 61; OLG Köln, VersR 1992, 754; OLG München, MedR 1988, 188; OLG Oldenburg, VersR 1998, 854 mit Anm. Röver, MedR 1997, S. 508. 627  HansOLG Hamburg, Urteil vom 05.03.1982, Az.: 1 / U 5 / 81, VersR 1982, 1009 = VersR 1983, 63. 628  LG Flensburg, Urteil vom 21.02.2006, Az.: 1 S 116 / 05 Rz. 13. 629  Allenfalls aufgrund praktischer Erwägungen bei medizinischen Notfällen kann der von der h. M. formulierte Zusammenhang geteilt werden. Wie hier auch Schroth (2009), S. 738 f.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 281

vom Vorliegen oder Fehlen einer medizinischen Indikation abhängig machen wollen, sind in ihrer Konstruktion daher nicht schlüssig. Die erste These der Reziprozitätsformel – „je dringender die Indikation, je notwendiger der Eingriff, desto leichter wiegt die Aufklärungspflicht“630 – ist nicht überzeugend.631 Dieser Ansicht, die ein Absinken der Aufklärungspflicht bei einem notwendig indizierten Eingriff annimmt, kann nicht zugestimmt werden. Das auch im Krankheitsfall fortbestehende Selbstbe­ stimmungsrecht des Patienten632 verlangt es, dass der Patient auch bei vitaler Indikation eine autonome Entscheidung treffen können muss. Selbst bei höchster Dringlichkeit der Behandlung entfällt die Aufklärungspflicht daher nicht etwa grundsätzlich. Diese Feststellung ist auch vom Bundesverfassungsgericht getroffen worden.633 Ein reziproker Zusammenhang und das alleinige Anknüpfen an das Vorliegen einer (dringlichen) Indikation ist eine Verkennung der Patientenautonomie, wenn gefolgert wird, dass die Aufklärungspflicht eingeschränkt sei, je dringlicher, notwendiger und objektiv vernünftiger ein Eingriff an einem erkrankten Patienten sei. Allenfalls kommt eine sich nach den konkreten Umständen bemessende Beschränkung der Ausführlichkeit der Aufklärung in Betracht, wenn zeitliche Gründe und konkrete Situation es erfordern.634 Dieser Zusammenhang kann daher allen­ falls in zeitlich dringlicher Hinsicht zutreffend sein,635 also über praktische Erwägungen in Notfällen; dann befindet man sich aber schnell im Bereich der mutmaßlichen Einwilligung. Auch die zweite Aussage der Reziprozitätsthese, wonach die Aufklärungspflichten bei fehlender medizinischer Indikation erhöht sind, vermag nicht zu überzeugen.636 Inhalt, Umfang und Darstellungsweise der Aufklärung erhöhen sich auch nicht in unmittelbarer Abhängigkeit vom Fehlen einer medizinischen Indikation. Diese Begründung orientiert sich nicht am Maßstab des individuellen Patienten, sondern entspricht einer objektiv-kollekti­ vistischen Sichtweise und ist daher Paternalismus, der mit der oben dargelegten Begründung abzulehnen ist.637 Eine abschreckend gestaltete Aufklärung ist beispielsweise ein unzulässig paternalistischer Eingriff in die Pa­ 630  Vgl.

Laufs / Katzenmeier / Lipp-Katzenmeier (2009), V. Rn. 21. auch Fateh-Moghadam (2010a), S. 31 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 192 f.; Schroth (2009), S. 738 f.; Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 107; Damm (2009), S. 187; Lorz (2007), S. 100 ff. 632  BVerfG, NJW 1979, 1931 (abw. Meinung). 633  BVerfG, NJW 1979, 1931 (abw. Meinung). 634  So auch Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 107. 635  BVerfG, NJW 1979, 1931 (abw. Meinung). 636  Wie hier auch Lorz (2007), S. 100  ff.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 31 ff.; Joost (2010a), S. 142 ff. 637  So auch Fateh-Moghadam (2010a), S. 32 f. 631  So

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

tientenautonomie. Um eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, muss der Arzt bei Eingriffen, die medizinisch nicht notwendig sind, vielmehr gerade auf diese Tatsache des Indikationsmangels und die damit verbundenen gesundheitlichen und ästhetischen Gefahren und Risiken hinweisen, damit der Patient die Vorteile des Eingriffs mit den vermeidbaren gesundheitlichen Nachteilen sorgfältig abwägen kann.638 Zutreffend ist es daher, bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen dem Indikationsmangel „entsprechende“, „entsprechend andere“ oder „spezifi­ sche“ Anforderungen an die Aufklärungspflicht zu stellen.639 Soweit gefordert wird, dass mittels der ärztlichen Aufklärung vor einer Schönheitsoperation eine den Patienten von seinem Wunsch gezielt abbrin­ gende Wirkung erzielt werden soll, ist dies ein Eingriff in die verfassungs­ rechtlich gewährleistete Patientenautonomie.640 Der Arzt schuldet entgegen der unterinstanzlichen Rechtsprechung daher keine „schonungslose“641, „drastische“ oder gar „abschreckende“ Aufklärung und muss auch nicht über „sämtliche“, „alle auch nur entfernt denkbaren“ Risiken und Nebenfolgen aufklären, schon gar nicht im Sinne einer „Totalaufklärung“. Denn nach allgemeinen Grundsätzen soll die Aufklärung nicht gegen das Übermaßverbot verstoßen, sondern die Entscheidungsautonomie absichern.642 Genausowenig darf der Arzt aber den oft mit erheblichen gesundheitlichen Risiken belasteten ästhetischen Eingriff bagatellisieren, sondern muss den Patienten umfassend über relevante Risiken, den kein gesundheitlicher Nutzen gegenübersteht, informieren. Die mangelnde medizinische Notwendigkeit des Eingriffs ist Gegenstand der Aufklärung; der Arzt muss dem Patienten verdeutlichen, dass es keine Indikation für den Eingriff gibt. Verbunden mit der allein ästhetischen Zielsetzung, „schöner werden“ zu wollen und den oft gravierenden Gesundheitsrisiken, ist unter Beachtung der Patientenautonomie eine entsprechende Aufklärung über Risiken und Erfolgsaussichten durch den Arzt erforderlich. Denn der Patient muss, um eine gefestigte autonome Entscheidung fällen zu können, zum einen genau um das Schadensrisiko wissen, insbesondere wel638  Schroth

(2009), S. 739; Lorz (2007), S. 108 ff. Fateh-Moghadam (2010a), S.  31  f.; Schroth (2009), S.  739  f.; Lorz (2007), S. 100 ff.; Joost (2010a), S. 132, 153. 640  Fateh-Moghadam (2010a), S.  31  f. Ausführlich Joost (2010a), S.  142  ff., 152 ff. 641  So auch Stock (2009a), S. 306 f., der im Ausgangspunkt der Reziprozitätsthese folgt, jedoch die Forderung nach einer schonungslosen Aufklärung für verfehlt hält mit dem Argument, dass sie „die Grenzen des Taktens und des sozialen Umgangs verletze“. 642  Ausführlich Joost (2010a), S. 152 ff. 639  Vgl.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 283

chen gesundheitlichen Gefahren er sich aussetzt.643 Zum anderen ist er über ästhetische Chancen und Risiken sachgemäß zu informieren. Der Arzt muss seinen Patienten insbesondere darüber aufklären, ob die Zielsetzung des ästhetischen Eingriffs auch erreicht werden kann. Letzteres ist im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten bei der nicht indizierten Schönheitsoperation ein entscheidender Faktor für die ärztliche Aufklärung.644 Denn Motivation für die Einwilligung in die Schönheitsoperation ist allein der Wunsch des Patienten, das eigene Aussehen zu verbessern. Kann dieses Ergebnis von vorneherein nicht erzielt werden, ist die Opera­ tion überflüssig. Deshalb ist die Information über tatsächliche ästhetische Chancen bzw. die Nichterreichbarkeit eines gewünschten Aussehens zentraler Inhalt der Aufklärung.645 Verknüpft etwa ein junges Model auch berufliche Zielvorstellungen mit dem Eingriff und stellt an dessen ästhetisches Gelingen höchste Anforderungen, muss der Arzt über die Erreichbarkeit des entsprechenden ästhetischen Erfolges detailliert aufklären. Sollte zu erwarten sein, dass etwa nach einer Fettabsaugung Dellen zurückbleiben, dass eine Brustkorrektur nur mit erheblicher Narbenbildung erreicht werden kann oder dass eine Laseroperation Hautverfärbungen zur Folge haben wird, muss der Arzt den Patienten darauf hinweisen.646 Dies hat auch die Rechtsprechung zu Recht kontinuierlich herausgestellt und gefordert.647 Entscheidend wird die Aufklärung in diesem Bereich auch von der individuellen Erwartungshaltung des Patienten beeinflusst. Je mehr der Patient sich von der Schönheitsoperation verspricht, umso mehr muss sich der Arzt im Aufklärungsgespräch nach diesen Erwartungen richten. cc) Zeitpunkt der Aufklärung Zeitlich soll die Aufklärung – soweit möglich, insbesondere aber abhängig von der Schwere und Dringlichkeit der Behandlung – grundsätzlich so frühzeitig vor einem ärztlichen Eingriff stattfinden, dass der Patient seine Einwilligungsentscheidung angemessen abwägen und ohne Zeitdruck wohlüberlegt treffen kann.648 Die Relation zwischen erhöhten Aufklärungsanfor­ derungen und Indikationsmangel der Schönheitsoperation wirkt sich nach 643  Lorz

(2007), S. 121 ff. (2009), S. 739. 645  Lorz (2007), S. 117. 646  Bischoff (2009), S. 193 f.; Schroth (2009), S. 739; Lorz (2007), S. 118 f. 647  Vgl. etwa BGH, NJW 1991, 2349; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1332; AG Bremen vom 23.04.2008, Az. 23 C 296 / 06 / 23 C 0296 / 06; OLG Köln vom 30.03.2007, Az.: 82 Ss 17 / 07; OLG Frankfurt, MedR 2006, 294. 648  St. Rspr., vgl. Tempel (1980), S. 615 m. w. N.; Ulsenheimer (2008), Rn. 117 ff.; Lorz (2007), S. 146 f. Vgl. § 630e II S. 1 Nr. 2 BGB. 644  Schroth

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

der Rechtsprechung und der arztrechtlichen Literatur auch auf den Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs aus. Dabei sind die Anforderungen bei der Schönheitsoperation hoch, aber geklärt. Rechtsprechung und Literatur haben hierzu die folgenden Anhaltspunkte entwickelt. Der Arzt muss die Aufklärung so rechtzeitig vor dem Eingriff vornehmen, dass dem Patienten die notwendige Bedenkzeit für die Abwägung der ästhetischen Vorteile und gesundheitlichen Risiken ermöglicht wird und er Für und Wider in Ruhe und sorgfältig abwägen kann.649 Der genaue Zeitpunkt richtet sich dabei nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und setzt voraus, dass der Patient noch im Vollbesitz seiner Einsichts- und Urteilsfähigkeit ist und ihm zudem ein angemessener Zeitraum zur freiverantwort­ lichen Entscheidung verbleibt, wenn nötig auch nach weiterer Rücksprache, auch mit vertrauten Personen.650 Jedenfalls bei schwerwiegenderen, risikobehafteten ästhetischen Eingriffen lässt die Rechtsprechung eine Aufklärung erst am Vorabend oder am selben Tag, gar schon auf dem Weg zum oder im Operationssaal, nicht genügen.651 Nach einem Urteil des OLG Düsseldorf ist die Aufklärung unmittelbar vor dem Eingriff verspätet und stellt keine wirksame Aufklärung mehr dar. „Der Beklagte hat unmittelbar vor der Operation, als die Patientin bereits unter der Einwirkung der Spritzen stand, die geplante Schnittführung erläutert. Eine beachtliche Einwilligung konnte die Klägerin zum diesem Zeitpunkt nicht mehr erteilen. Sie konnte die Sachlage nicht mehr auffassen, übersehen und zutreffend beurteilen und hatte keine Zeit mehr für Abwägung von Für und Wider.“652

Ebenso entschied das OLG Celle. „Eine Patientin, die unmittelbar vor einer, im übrigen in keiner Weise dringenden Operation nur mit Slip und Bademantel bekleidet erscheint […], ist nicht mehr genügend frei, sich noch dafür entscheiden zu können, den Eingriff abzulehnen.“653

Über den frühesten Zeitpunkt der wirksamen Aufklärung befand das AG Bremen: „Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Aufklärung zu früh­ zeitig erfolgte. Die Aufklärung hat im Gegenteil so früh wie möglich zu erfolgen, damit dem Patienten ausreichend Zeit gelassen wird, darüber in Ruhe und ohne Beisein des Arztes mit etwas räumlichem und zeitlichem Abstand nachzudenken.“654 649  Lorz

(2007), S. 146 f. der Lit. Lorz (2007), S. 146 ff; Ulsenheimer (2008), Rn. 117 f. m. w. N. Aus der Rspr. OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1680; OLG Celle, NJW 1987, 2305; AG Bremen vom 23.04.2008, Az. 23 C 296 / 06 / 23 C 0296 / 06; OLG Frankfurt, MedR 2006, 294 ff.; LG Köln, NJW-RR 2006, 1614 ff. 651  Lorz (2007), S. 146 ff. 652  OLG Düsseldorf, NJW 1963, 1680. 653  OLG Celle, NJW 1987, 2305. 654  AG Bremen vom 23.04.2008, Az. 23 C 296 / 06. 650  Aus



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 285

Ähnlich urteilte das OLG Frankfurt, nach dem eine Aufklärung am späten Vorabend der Operation jedenfalls nicht genüge: „Deshalb muss das Aufklärungsgespräch grundsätzlich schon bei der Vereinba­ rung eines Termins für die stationäre Aufnahme erfolgen.“655

Als Richtlinie kann zusammenfassend eine Entscheidung des LG Köln herangezogen werden, wonach „für den Zeitpunkt der Aufklärung gilt, dass dem Patienten ausreichend Zeit verbleiben muss, sich das Für und Wider des bevorstehenden Eingriffs zu überlegen und sich innerlich frei zu entscheiden.“656 Dieser Ansicht von Rechtsprechung und Literatur ist zuzustimmen. Die entwickelten Grundsätze genügen dem Zweck der Selbstbestimmungsaufklärung und ermöglichen in zeitlicher Hinsicht eine eigenverantwortliche, ausgereifte und autonome Entscheidung des Rechtsgutsträgers. dd) Form der Aufklärung Grundsätzlich gibt es weder im Bereich von Heileingriffen noch von nicht indizierten Behandlungen Formvorgaben für die ärztliche Aufklärung.657 Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist das mündliche Gespräch zwischen Arzt und Patient von zentraler Bedeutung;658 es gilt die Pflicht zur mündlichen Aufklärung.659 Die weit verbreitete Verwendung von Formularen und Merkblättern, die der Patient dann unterzeichnet, ist aus rechtlicher Sicht zwar zu Beweiszwecken sogar empfehlenswert, jedoch weder erforderlich noch allein ausreichend für eine rechtmäßige Aufklärung.660 Diese Grundsätze gelten auch für die Schönheitsoperation.661 Uneinheitlich ist die Rechtslage jedoch hinsichtlich der Notwendigkeit der (Risiko-) Aufklärung mittels Illustrationen vor einer Schönheitsoperation. Ob der Arzt beim Aufklärungsgespräch mit dem Patienten zur Visualisierung unterstützend Fotografien bzw. Bilder verwenden soll, wird unterschiedlich beurteilt. In der Rechtsprechung wurde dies nur ausnahmsweise gefordert;662 auch in 655  OLG

Frankfurt, MedR 2006, 294 ff. Köln, NJW-RR 2006, 1614 ff. 657  St. Rspr., vgl. Tempel (1980), S. 615 m. w. N. Vgl. § 630e II S. 1 Nr. 3 BGB. Ausgenommen sind die spezialgesetzlichen Vorgaben von TPG, AMG und KastrG. 658  BGH, NJW 1985, 1399 ff. 659  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 163. Vgl. § 630e II S. 1 Nr. 1 BGB. 660  Schöch (2010), S. 64 f.; Tempel (1980), S. 616. Vgl. § 630e II S. 1 Nr. 1 2. HS BGB. 661  Vgl. Lorz (2007), S. 148 ff. 662  Für die Notwendigkeit der Heranziehung von Farbbildern HansOLG Hamburg, VersR 1982, 1009 = VersR 1983, 63; OLG München, MedR 1988, 187; mit656  LG

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

der Literatur wird diese Anforderung nur teilweise aufgestellt.663 Weiter bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob Bilder,664 Farbbilder aus der medizinischen Fachliteratur665 oder Fotografien666 zu verwenden sind, und ob die Illustrationen den bei komplikationslosem Verlauf zu erwartenden667 oder den Endzustand bei Risikoverwirklichung darstellen sollen.668 Die Rechtsprechung hat hierzu vereinzelt entschieden, dass der Arzt dem Patienten Bilder misslungener bzw. nicht komplikationslos verlaufener kosmetischer Eingriffe zeigen müsse. So urteilte das Hanseatische OLG Hamburg im Jahr 1982: „Muß bei einer kunstgerecht ausgeführten kosmetischen Operation mit dem Auftreten breiter und deutlich sichtbarer Narben gerechnet werden, so gehört es zur Aufklärungspflicht des Chirurgen, dem Patienten an Hand von Fotografien zu verdeutlichen, mit welchem Ergebnis er zu rechnen hat.“669

Ähnlich lautet eine Entscheidung des OLG München aus dem Jahre 1985: „Wenn die Patientin aber gerade einen ärztlichen Eingriff vornehmen lassen will, um einen bestimmten kosmetischen Erfolg zu erzielen, darf ihr nicht verborgen bleiben, dass hässliche Narben, Sensibilitätsstörungen und eine erhebliche Zahl von Nachoperationen mit weiteren Risiken nicht nur häufig sind, sondern sogar meistens auftreten. Gerade bei einem kosmetischen Eingriff hätte der Bekl. der Kl. auch Farbbilder aus der Fachliteratur zur Verfügung stellen müssen, damit sich die Kl. ein klares Bild von den möglichen Misserfolgen machen konnte.“670

Im Jahr 2006 knüpfte das OLG München an diese Entscheidung an, urteilte mangels Kausalzusammenhang671 einer Aufklärungspflichtverletzung wie folgt und stellte damit mittelbar wieder eine grundlegende Verpflichtung zur visuellen Aufklärung fest: „Dass der Beklagte der Klägerin (wohl) keine Photographien vorgelegt hat, ist, da nur eine mäßige, sich im Rahmen des zwangsläufigen haltenden Narbenbildung aufgetreten ist, ohne Belang.“672 telbar OLG München vom 01.08.2006, Az.:  1  U  3241 / 06. Ausdrücklich ablehnend aber OLG München vom 15.07.2009, Az.:  1  U  1688 / 08. 663  Für eine Heranziehungspflicht Laufs (1983), S. 1350; Lorz (2007), S. 151 f. m. w. N. 664  HansOLG Hamburg, VersR 1982, 1009 = VersR 1983, 63. 665  OLG München, MedR 1988, 188. 666  Laufs (1983), S. 1350. 667  HansOLG Hamburg, VersR 1982, 1009 = VersR 1983, 63. 668  OLG München, MedR 1988, 188. 669  HansOLG Hamburg, VersR 1982, 1009 = VersR 1983, 63. 670  OLG München, MedR 1988, 188. 671  Hat sich ein aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht, über das der Arzt auch aufgeklärt hat, ist es nach deliktsrechtlichen Grundsätzen unerheblich, wenn über andere Risiken nicht aufgeklärt wurde, die sich aber auch nicht verwirklicht haben, vgl. BGHZ 144, 1, 7; Palandt (2014), BGB, § 823 Rn. 148, § 630h Rn. 5.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 287

Anders sah dies wiederum das OLG München aber in einer noch aktuelleren Entscheidung aus dem Jahr 2009. Nach dieser Entscheidung überspanne die Forderung der Klägerin, dass zur Aufklärung Fotos von nicht kom­ plikationsfrei verlaufenen Operationen vorgelegt hätten werden müssen, die Aufklärungspflicht des Arztes. 672

„[Der Arzt ist] nicht verpflichtet, durch Vorlage von Fotos missglückter Opera­ tionen bzw. nicht ohne Komplikationen verlaufener postoperativer Heilungsverläufe die Patientin von einer Operation abzuhalten. Die Aufklärung dient nicht dazu, eine Patientin von einer Operation abzuschrecken, sondern sie soll möglichst objektiv der Patientin Chancen und Risiken des Eingriffs erläutern, damit diese ­eigenverantwortlich eine Operationsentscheidung treffen kann.“673

Zusammenfassend ist die Rechtslage daher für den aufklärungspflichtigen Arzt durch Rechtsprechung und arztrechtlichen Literatur nicht zweifelsfrei geklärt. Die vereinzelt in der Rechtsprechung und Literatur auftauchende Forderung, dass der Arzt im Rahmen der Aufklärung (nur) Bilder von misslungenen Eingriffen vorlegen müsse, ist jedenfalls abzulehnen, weil sie lediglich der Abschreckung dient und damit das Selbstbestimmungsrecht des Patienten missachtet. Wie vom OLG München in der letzten zitierten Entscheidung zutreffend ausgeführt wurde, ist es Zweck der Selbstbestimmungsaufklärung, dem Pa­ tienten eine möglichst realistische Vorstellung von Chancen und Risiken des operativen Eingriffs zu vermitteln,674 um ihm eine geeignete objektive Grundlage für eine autonome Entscheidung an die Hand zu geben. Auf der Basis dieser Begründung über die Patientenautonomie wird die von Teilen der Literatur und einigen Tatgerichten aufgestellte Forderung nach einer visu­ ellen Aufklärung mittels Bildern bzw. Fotografien geteilt. Soll die Aufklärung der wohlinformierten und selbstbestimmten Entscheidung des Patienten dienen, ist eine visualisierende Darstellung des geplanten kosmetischen Eingriffs sinnvoll. Eine Abschreckung mittels eklatant negativer Fotos, um den Patienten von seiner Entscheidung abzubringen, wird dem aber nicht gerecht. Entscheidend muss im Hinblick auf die Gewährleistung der autonomen Einwilligung die realistische, also weder beschönigende, noch dramatisierende Information des Patienten durch eine ausgewogene bebilderte Untermauerung der Aufklärung sein. Angemessen ist es, dem Patienten im Rahmen des Aufklärungsgespräches einerseits Abbildungen über den zu erwartenden Zustand nach komplikationslos verlaufender Operation, andererseits über einen durchschnittlichen erzielbaren Erfolg, und zuletzt über den ebenso möglichen Zustand nach Eintritt von spezifischen und wahrscheinlichen Risiken 672  OLG

München vom 01.08.2006, Az.: 1 U 3241 / 06. München, 15.07.2009, Az.: 1 U 1688 / 08. 674  So auch Lorz (2007), S. 151. 673  OLG

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

vorzulegen.675 Ob der Arzt dabei auf Abbildungen aus der Fachliteratur oder eigene Aufnahmen zurückgreift, ist seinem Ermessen überlassen, solange die Bilder von wahrheitsgetreuem, aufschlussreichem Informationsgehalt sind.676 ee) Entfallen der Aufklärungspflicht Die Aufklärungspflicht kann nach Rechtsprechung und Literatur in unterschiedlichen Konstellationen entfallen.677 Bei den ärztlichen Heileingriffen kommen neben Verzicht auf die Aufklärung678 und Vorinformiertheit des Patienten auch die Kontraindikation des Aufklärungsgesprächs und die tatsächliche Unmöglichkeit bei vital indizierten hochdringlichen Operationen in Betracht.679 In welchen Konstellationen die Aufklärungspflicht des Arztes vor einer Schönheitsoperation entfällt und ob ein Aufklärungsverzicht auch in diesem Bereich möglich sein soll, ist nicht abschließend geklärt.680 Bei der Schönheitsoperation kommen indes wegen der Besonderheiten dieser Eingriffe von vorneherein nur ein Entfallen wegen Vorinformiertheit des Patienten oder ein Aufklärungsverzicht, nicht jedoch eine Kontraindikation des Aufklärungsgesprächs in Betracht. In der arztrechtlichen Literatur wird diese Problematik nur wenig problematisiert.681 Auch die Rechtsprechung hat, soweit ersichtlich, zu dieser Frage nicht grundsätzlich Stellung genommen. Prinzipiell ist ein Aufklärungsverzicht unter bestimmten Voraussetzungen auch bei nicht indizierten Eingriffen möglich.682 Bei den spezialgesetzlich geregelten nicht indizierten Eingriffen im Bereich von Arzneimittelgesetz, Transplantationsgesetz und Kastrationsgesetz sind die Anforderungen an die ärztliche Aufklärung jedoch als Muss-Vorschriften ausgestaltet. Die Aufklärungspflicht ist damit zwingend und ein Verzicht des Patienten auf die Aufklärung in diesen Fällen ausgeschlossen.683, 684 Soweit der Aufklärungs­ 675  So

auch der Vorschlag von Lorz (2007), S. 151 f., 152. (2007), S. 152. 677  Schöch (2010), S. 71 ff. m. w. N. für Rspr. und Lit. 678  Vgl. zum Verzicht § 630e III BGB. Für eine gesetzliche Normierung der Voraussetzungen des wirksamen Aufklärungsverzichts und der zulässigerweise unterbleibenden Aufklärung aus therapeutischen Gründen Hollenbach (2003), S. 186. 679  Ulsenheimer (2008), Rn. 125 ff.; Schöch (2010), S. 71 ff. 680  So auch Bischoff (2009), S. 195. 681  Ausführungen jedoch z. B. bei Schuck (1980), S. 75; Lorz (2007), S. 106. 682  Tag (2000), S. 345 ff.; Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 462. Vgl. Palandt (2014), BGB, § 630e Rn.12. 683  Für den Bereich der Lebendorganspende Schroth / König / Gutmann / OduncuGutmann (2005), TPG, § 8 Rn. 41; Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Schroth (2005), TPG, § 19 Rn. 79. 676  Lorz



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 289

verzicht bei der nicht geregelten Schönheitsoperation thematisiert wird, wird gefordert, dass jedenfalls ein konkludenter Verzicht nicht angenommen werden dürfe.685 Ein ausdrücklich und bewusst erklärter Verzicht soll dagegen mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten möglich sein.686 Denn zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten gehört auch das Recht auf Nichtwissen.687 Ein gänzlicher Ausschluss eines Aufklärungsverzichts kann daher bei der Schönheitsoperation nicht angenommen werden. Schon nach allgemeinen Grundsätzen wird aber überwiegend angenommen, dass ein Blankoverzicht nicht zulässig ist.688 Der Patient muss zumindest im Sinne einer Basisaufklärung über Grund und Art des Eingriffs wissen, worauf er sich einlässt.689 Birgt der ärztliche Eingriff dabei besonders einschneidende oder überraschende Risiken oder Folgen, die der medizinische Laie nicht kennt oder mit denen er nicht rechnen kann, ist schon nach den Grundsätzen beim ärztlichen Heileingriff kein Aufklärungsverzicht anzunehmen.690 Gleiches soll dann bei der Schönheitsoperation gelten; hingewiesen wurde insbesondere auf so erhebliche wie unerwartete Folgen wie Mortalitätsrisiken bei kosmetischen Eingriffen oder die Gefahr einer dauerhaften Schädigung des Gesichtsnervs.691 Diese Ansicht überzeugt. 684

Auch in der Konstellation des vorinformierten Patienten kann die Aufklärungspflicht bei den medizinisch nicht indizierten Eingriffen, die keinen Spezialgesetzen, sondern dem Kernstrafrecht unterliegen, entfallen. Insoweit existieren mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten keine weiteren Besonderheiten.692 Das OLG Düsseldorf hat so auch entschieden, dass die Aufklärungspflicht vor einer Schönheitsoperation jedenfalls bei einem (mehrfach) voraufgeklärten Patienten entfalle. 684  Die Aufklärungspflicht entfällt dagegen auch in diesen Bereichen nach den bei der Heilbehandlung geltenden Grundsätzen, wenn der Patient vollständig vorinformiert ist, also etwa durch eigenes Fachwissen oder durch vorherige Aufklärung schon Kenntnis von Wesen, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, dessen Risiken und dessen Folgen hat, vgl. OLG München, VersR 1960, 955; Laufs / Kern-Laufs (2010), § 60 Rn. 15 f. Für das TPG Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Schroth (2005), TPG, § 19 Rn. 81. 685  So in der Lit. z. T. auch allgemein für den Aufklärungsverzicht bei anderen ärztlichen Behandlungen vertreten, vgl. Schöch (2010) S. 71. A.  A. Katzenmeier (2002), S.  334 m. w. N. 686  Bischoff (2009), S. 195 m. w. N.; Schöch (2010), S. 72; Schuck (1980), S. 75; Tempel (1980), S. 614 m. w. N. für die Rspr. 687  Ulsenheimer (2008), Rn. 126. 688  Umstr., vgl. Ehlers (1987), S. 99 ff. m. w. N.; a. A. Kern / Laufs (1983), S. 119. 689  Bischoff (2009), S. 195. 690  Vgl. Laufs / Kern-Laufs (2010), § 60 Rn. 18.; Ulsenheimer (2008), Rn. 126. 691  Schuck (1980), S. 75. 692  Zum Ganzen Tag (2000), S. 345 ff.; Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 462.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

„Die geltend gemachten Ersatzansprüche können auch nicht auf ein Aufklärungsversäumnis des Beklagten gestützt werden. […] Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Patient hinsichtlich operativer Nasenkorrekturen über umfassende Erfahrungen verfügte; es ist davon auszugehen, daß er von einem der zuvor täti­ gen Chirurgen über die mit den Maßnahmen verbundenen Vor- und Nachteile aufgeklärt wurde.“693

Diese Grundsätze dürften auch Anwendung finden, wenn der Patient anderweitig vorinformiert ist, also etwa über eigenes Fachwissen, einen fundierte berufliche Ausbildung oder ausreichende persönliche Vorerfahrungen verfügt und der Arzt sich davon vergewissert hat.694 Auch im Bereich der Schönheitsoperation mit ihren spezifischen Aufklärungspflichten wird dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten dann genügt. Eine dritte Konstellation, bei der die Einwilligung in die Schönheitsoperation trotz Fehlens diesbezüglicher Aufklärung wirksam sein kann, sind die Fälle noch gänzlich unbekannter Risiken. Den Arzt trifft in diesen Fällen aber die Pflicht, den Patienten darüber zu informieren, dass bisher zwar Risiken nicht bekannt seien, das Auftreten unbekannter Risiken aber nicht ausgeschlossen werden kann.695 d) Fazit Zusammenfassend gewinnt das Fehlen der medizinischen Indikation bei der ärztlichen Aufklärung also wiederum (nur) mittelbare Bedeutung für die Wirksamkeit der Einwilligung, indem es die Aufklärungspflichten des Arztes „entsprechend“ der Besonderheiten des medizinisch nicht notwendigen Eingriffs bzw. „spezifisch“ modifiziert. Die Reziprozitätsthese der herrschenden Ansicht wird jedoch in ihrer Begründung bestritten und mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten abgelehnt. 5. Fehlen der medizinischen Indikation und Willensmängel im Übrigen Um rechtswirksam zu sein, muss die Einwilligung weiter freiwillig erteilt sein und dem wahren Willen des Rechtsgutsinhabers entsprechen696, also 693  OLG

Düsseldorf, VersR 2001, 1380 f. Bischoff (2009), S. 195; Tempel (1980), S. 613; Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 462, 457; Laufs / Kern-Laufs (2010), § 60 Rn. 15 f.; Ulsenheimer (2008), Rn. 125; Ehlers (1987), S. 98; Schöch (2010), S. 72. 695  Zum Ganzen Bischoff (2009), S. 196 m. w. N. 696  Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 50. 694  Vgl.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 291

nach geltenden Grundsätzen frei von beachtlichen Willensmängeln sein.697 Freiwilligkeit ist im strafrechtlichen Kontext der Willensmängel dabei die Freiheit von sozialem Zwang durch den Täter. Naturprozesse bzw. rein objektive Zwangslagen, die den Handlungsspielraum des Einzelnen schmälern, bleiben für die normative Bewertung außer Betracht.698 Eine schwere oder letale Erkrankung ist daher kein für die strafrechtliche Einwilligungslehre relevanter Zwang, der die Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten in eine riskante ärztliche (Heil-)Behandlung beeinträchtigen könnte. a) Relevante Willensmängel – Drohung, Zwang, täuschungsbedingte und einfache Irrtümer Heute geht man im Strafrecht davon aus, dass Drohung, Zwang, Täuschung und Irrtum die Einwilligung unwirksam machen.699 Im Einzelnen ist die Beurteilung von Willensmängeln aber äußerst umstritten.700 Einig ist man sich eigentlich nur, dass die zivilrechtlichen Vorschriften über Willenserklärungen (§§ 119, 120, 123 BGB) nicht anwendbar sein können.701 697  Umfassende Darstellungen zur Beachtlichkeit von Willensmängeln bei der Einwilligung bei Arzt (1970); Amelung (1998); Rönnau (2001); Murmann (2005), S. 450 ff.; Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Schroth (2005), TPG, § 19 Rn. 82 ff.; Roxin (2006), § 13 Rn. 97 ff.; NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 22 ff. 698  Amelung (2006), S. 318 f. Vgl. auch Gutmann / Schroth (2002), S. 114; Schroth (2012), S. 570 f. 699  Fischer (2014), StGB, §  228 Rn. 7. Ausführlich bei Roxin (2006), § 13 Rn. 97 ff. Die Lehre von der Beachtlichkeit rechtsgutsbezogener Willensmängel betont das Prinzip der Selbstverantwortung des Einwilligenden und geht zurück auf Arzt (1970), S. 15 ff. Im Falle eines rechtsgutsbezogenen Irrtums fehlt es nach richtiger Ansicht schon am Vorliegen einer Einwilligung. 700  Zur Frage, welche Willensmängel die Einwilligung unwirksam machen, sind in der Lit. unterschiedliche Ansätze entwickelt worden. Die Lehre von der Beachtlichkeit nur rechtsgutsbezogener Irrtümer stammt von Arzt (1970) und hat in der Lit. die größte Verbreitung gefunden. Roxin (2006), § 13 Rn. 97 ff. teilt im Ausgangspunkt die These von Arzt, hält aber über eine Fallgruppenbildung auch weitere Willensmängel für beachtlich, etwa die Täuschung über altruistische Zwecke. So auch Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Schroth (2005), TPG, § 19 Rn. 82 ff., 95 ff., wobei nach Schroth darüber hinaus auch Irrtümer im Bereich geschützter Erwartungen relevant sind. Amelung (1998), S. 36 ff. hat einen eigenen, umfassenden Ansatz vorgestellt, nach dem die Frage der Unwirksamkeit der Einwilligung (die bei jedem Willensmangel anzunehmen sein soll) von der Frage zu trennen ist, wem die Zuständigkeit für den Defekt zuzurechnen ist. Vgl. zum Ganzen auch die ausführlichen Darstellungen bei NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 22 ff.; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 198 ff., jeweils m. w. N. auch für die Gegenansichten. 701  Denn im Strafrecht muss die Wirksamkeit der Einwilligung zum Zeitpunkt der Tathandlung feststehen. Weiterhin ist eine Einwilligung auch nicht bindend i. S. d. zivilrechtl. Einwilligung, sondern kann jederzeit widerrufen werden. Auch

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Willensmangel „regelmäßig“ zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen soll, weil die Entscheidung in diesen Fällen nicht freiwillig sei.702 Die Rechtsprechung operiert dabei aber mit einzelfallbezogenen Entscheidungen, ohne grundlegende Beurteilungsmaßstäbe zur Beachtlichkeit von Willensmängeln entwickelt zu haben.703 In der Literatur ging man lange Zeit davon aus, dass nur rechtsgutsbezogene Irrtümer die Einwilligung unwirksam machen.704 Heute wird vielfach und wohl überwiegend705 wieder die vormals herrschende, opfer-freundliche Meinung vertreten, nach der nahezu alle Willensmängel, also teils auch nicht rechtsgutsbezogene bloße Motiv-Irrtümer zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen können.706 Diese Ansicht betont die Autonomie des Einwilligenden und resultiert aus der zutreffenden Feststellung, dass die Einwilligung ihren Sinn erst im Kontext mit den vom Rechtsgutsinhaber verfolgten Zielen erfährt.707 Das überzeugt gerade auf der Basis des hier vertretenen Rechtsgutsbegriffs, der auch die körperbezogene Dispositionsfreiheit als vom Schutz der §§ 223 ff. StGB mitumfasst anerkennt. Bezieht man das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht in das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte mit ein, werden ‚Motivirrtümer‘ zu beachtlichen rechtsgutsbezogenen Willensmängeln.708 Für diese These spricht weiter, dass das Strafrecht sich nicht auf einen statischen Bestandsschutz von Rechtsgütern beschränken kann, sondern diese ihre Bedeutung gerade im Austausch gewinnen.709 sind nach Amelung Willenserklärungen konstitutive Normen, Einwilligungen dagegen regulative Normen. Vgl. zum Ganzen Roxin (2006), § 13 Rn. 97; Amelung (1998), S. 13 ff.; Bichlmeier (1980), S. 54; NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 24. 702  BGHSt 4, 133; 16, 309. 703  Vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 97 m. w. N.; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 198. 704  So die lange Zeit ganz h.  M., zurückgehend auf Arzt (1970), vgl. Roxin (2006), § 13 Rn. 97. 705  Die überwiegende Meinung in der Lit. ist kaum auszumachen, vgl. zum einen Roxin (2006), § 13 Rn. 97 (heute überwiegend opferfreundiche These, nach der alle Irrtümer beachtlich sind), zum anderen LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 198 (heute überwiegend täterfreundliche These im Anschluss an Arzt, nach der nur rechtsgutsbezogene Irrtümer beachtlich sind). 706  Vgl. hierzu LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 98; Amelung (1998), S. 26, 37 m. w. N.; Roxin (2006), § 13 Rn. 97 ff.; Schroth / König / Gutmann / OduncuSchroth (2005), TPG, § 19 Rn. 86, 89. 707  Schroth (2006a), S. 102; Amelung (1998), S. 40 ff. 708  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S. 194 f., 252 f.; vgl. auch Amelung (1998), S.  40 ff. 709  Amelung (1998), S. 41; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 199.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 293

Bei der Einwilligung in ärztliche Eingriffe und so auch in nicht indizierte Schönheitsoperationen ist vor allem der Bereich der Irrtümer relevant. Beachtliche Willensmängel des Patienten können sich daher sowohl durch täuschungsbedingte710 als auch vor allem durch eigenerzeugte – sog. einfa­ che Irrtümer711 ergeben.712 Diese letztere Fallgruppe ist schon insoweit problematisch, als nicht täuschungsbedingte Irrtümer teilweise unbeachtlich sind.713 Das gilt jedoch gerade nicht im Bereich des Arzt-Patienten-Verhältnisses, weil der Arzt aufgrund der Übernahme der Behandlung als Garant für die Rechtsgüter des Patienten verantwortlich ist714 und wegen seiner Aufklärungspflicht nicht darauf verlassen darf, dass die Einwilligung des Patienten dessen Willen entspricht.715 Durch die Aufklärungspflicht steht der Arzt in der Verantwortung, Irrtümer des Patienten bzgl. der bevorstehenden Behandlung zu beseitigen und erst recht keine Irrtümer durch Täuschung hervorzurufen.716 Bei den einfachen Irrtümern geht es um die Frage, ob der Patient über zutreffendes Wissen bzgl. Eingriffsart, Umfang, Tragweite, Risiken und medizinische Notwendigkeit des Eingriffs verfügt und so eine informierte Einwilligungsentscheidung treffen kann.717 Dieser Willensdefekt wird im Bereich medizinischer Behandlungen schon durch die umfangreichen und oben bereits erarbeiteten Grundsätze konturiert, die Rechtsprechung und Lehre zur ärztlichen Aufklärung und informed consent entwickelt haben. Der Arzt darf aufgrund seines Sonderverhältnisses zum Patienten nicht einfach auf dessen Einwilligungserklärung vertrauen. Ihm wird aufgrund des ihm eigenen Wissensvorsprungs durch die Pflicht zur Aufklärung die Risi710  Entscheidungen zur Konstellation, in der ein Schönheitschirurg die – unwirksame – Einwilligung der Patientin in einen schönheitsoperativen Eingriff mittels Täuschung (durch bewusst unterlassene bzw. unrichtige Aufklärung) erschlichen hat, sind etwa BGH, MedR 2012, 97; LG Aachen vom 17.07.2002, 61 KLs 42 Js 1109 / 00. 711  Terminologie etwa bei Amelung (1998), S. 46; Murmann (2005), S. 450. 712  Die ärztliche Aufklärungspflicht wird bei der Frage nach relevanten Willensmängeln in der Lit. so auch an unterschiedlichen Stellen thematisiert – teils im Bereich der täuschungsbedingten Irrtümer, so Schroth / König / Gutmann / OduncuSchroth (2005), TPG, § 19 Rn. 82, teils im Bereich der einfachen Irrtümer, so LKStGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 203. 713  Nach Roxin (2006), § 13 Rn. 111, ist nur der objektiv geäußerte Einwilligungsinhalt entscheidend, nicht der innerlich gebliebene Gedanke. Der Einwilligende sei dadurch geschützt, dass er seine Einwilligung jederzeit widerrufen könne. So auch Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Schroth (2005), TPG, § 19 Rn. 91. 714  Schroth (2009), S. 724. 715  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 203. 716  Fateh-Moghadam (2008), S. 252. 717  Vgl. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 203.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

koverantwortung für entsprechende Wissensmängel und Willensdefekte übertragen.718 Vielfach muss der Arzt daher auch erkennbar bestehende Motivirrtümer beseitigen.719 Bei nicht indizierten kosmetischen Eingriffen ergeben sich insofern Besonderheiten, als die Aufklärungspflicht des Arztes hier gerade wegen des Fehlens der medizinischen Indikation als nahezu umfassend angesehen wird und der Arzt daher für Willensmängel weitgehend verantwortlich sein kann. Die – ebenfalls umstrittenen720 – Fallgruppen der Willensmängel aufgrund Täuschung i. Ü., Drohung und Zwang sind bei ärztlichen Eingriffen von geringerer praktischer Bedeutung. Vor allem aber ergeben sich hier im Bereich nicht indizierter Eingriffe keine anderen Ergebnisse als bei einer willensmangelbehafteten Einwilligung in eine Heilbehandlung. Auf eine umfangreiche Darstellung des Meinungsstreits um die Bewertung der verschiedenen Willensmängel soll deshalb an dieser Stelle verzichtet werden. b) Besondere Konstellationen einfacher Irrtümer im Zusammenhang mit dem Fehlen der Indikation In der praktisch relevanten Gruppe der nicht täuschungsbedingten, einfachen Irrtümer gibt es bei den nicht indizierten Eingriffen unabhängig von der Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung jedoch Unstimmigkeiten und unterschiedliche Bewertungen abhängig davon, welches Ziel der Patient mit dem Eingriff verfolgt. aa) Einwilligung in einen nicht indizierten ärztlichen Eingriff, der nicht der Heilbehandlung, sondern anderen Zwecken dient Die Einwilligung in medizinisch nicht indizierte Eingriffe wie gerade Schönheitsoperationen ist wirksam möglich, soweit beim Patienten kein Wissensdefizit bzgl. der fehlenden medizinischen Indikation vorliegt. Ob ein ärztlicher Eingriff in den Körper überhaupt notwendig, mithin medizi718  Zum Ganzen Amelung (1998), S. 48, 66; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 203. 719  Vgl. Amelung (1998), S. 66 f.; LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 203; im Kontext des TPG Fateh-Moghadam (2008), S. 252. 720  Zusammengefasst geht die h. M. davon aus, dass eine Einwilligung, die mittels arglistiger Täuschung oder Zwang erreicht wurde, immer unwirksam ist. Mit Zwang wird dabei ein nötigender Druck bezeichnet, der die in § 240 Abs. 1, Abs. 2 StGB umschriebene Intensität erreicht; die Frage, wann eine Drohung mit einem empfindlichen Übel vorliegt, ist äußerst umstritten.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 295

nisch indiziert ist, ist rechtsgutsbezogenes Wissen und muss dem Patienten durch den zur Aufklärung verpflichteten Arzt mitgeteilt werden.721 Ein entsprechender Willensmangel würde dem Arzt sonst zugerechnet, weil ihn über die Grundsätze der ärztlichen Aufklärung die normative Pflicht trifft, diesbezüglich bestehende Fehlvorstellungen des Patienten zu beseitigen. Nach ordnungsgemäßer Erfüllung der Aufklärungspflicht ist ein Irrtum dem Arzt nicht mehr zuzurechnen. Dass ‚Motivirrtümer‘ – nach allen Ansichten – keineswegs immer unbeachtlich sind, zeigt sich gerade in diesem Kontext. Denn bei der Diagnoseaufklärung bei Heileingriffen bzw. bei der diese ersetzende Aufklärung über einen Indikationsmangel bei nicht indizierten Eingriffen gehen alle Ansichten davon aus, dass ein beachtlicher Willensmangel des Patienten vorliegt, wenn der Arzt diese Aufklärung unterlässt oder nicht ordnungsgemäß vornimmt.722 Eine objektive Vernünftigkeit der Entscheidung ist dann aber nicht erforderlich, und in subjektiver Hinsicht ist die Wahl der Behandlung „Schönheitsoperation“ zur Erreichung des Ziels „Verschönerung“ rational. Entscheidend ist nur, dass eine Aufklärung durch den Arzt über den Umstand des Indikationsmangels stattgefunden hat. Sonst liegt ein dem Arzt zuzurechnender Irrtum vor, der zur Unwirksamkeit der Einwilligung und zur Strafbarkeit des Arztes aus Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsdelikt führt.723 bb) Einwilligung in einen nicht indizierten ärztlichen Eingriff, der aber aus Sicht des Patienten der Heilbehandlung dienen soll – zur Zahnextraktionsentscheidung und zugleich zur rechtlichen Bewertung kontraindizierter Behandlungen Umstritten ist dagegen die Beurteilung einer Konstellation, die von derjenigen bei der Schönheitsoperation abweicht, und zwar im Hinblick auf den vom Patienten verfolgten Eingriffszweck. Dabei handelt es sich um die oben als kontraindizierte Behandlungen abgegrenzten Fälle, in denen der Patient die Heilung einer Krankheit oder eines Leidens wünscht und deshalb aufgrund eigener Überzeugungen aber in einen medizinisch nicht anerkannten oder dem medizinischen Standard widersprechenden, mithin nicht indizierten und objektiv völlig sinnlosen ärztlichen Eingriff einwilligt, mit dem eine Heilung gar nicht erreicht werden kann. Eine solche Konstellation724 721  Schroth

(2010a), S. 43, 45; Amelung (1998), S. 65 ff. Ganzen Amelung (1998), S. 66 f. 723  So die ganz überwiegende Auffassung. Zum Ganzen Roxin (2006), § 13 Rn. 112. 724  Wie bereits oben B. in Fn. 156 ist wiederum darauf hinzuweisen, dass der Arzt es nach den Sachverhaltsfeststellungen im Zahnextraktionsfall für entfernt 722  Zum

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

hatte der Bundesgerichtshof in der sog. Zahnextraktionsentscheidung725 zu entscheiden, die nun an dieser Stelle nochmals untersucht werden soll und die Bezug auf alle oben erarbeiteten Grundsätze der Einwilligung nimmt. In der Literatur wird diese äußerst umstrittene Entscheidung abhängig vom jeweiligen Lösungsansatz dogmatisch an ganz unterschiedlichen Stellen thematisiert: teils bei Lehre von den Willensmängeln,726 teils bei der Einwilligungsfähigkeit727 und teils bei der Sittenwidrigkeit728. Anzumerken ist, dass der Arzt nach standesethischen Grundsätzen keinesfalls zur Durchführung einer solchen Behandlung verpflichtet ist, sondern diese vielmehr ablehnen kann.729 Für die verbleibenden Fälle ist aber zweifelhaft, ob eine wirksame Einwilligung überhaupt bzw. schon dann erteilt werden kann, wenn eine hinreichende Aufklärung durch den Arzt erfolgt ist, insbesondere über die vorliegende Kontraindikation. (1) Divergierende Auffassungen in Rechtsprechung und Lehre Dies bestreitet die herrschende Ansicht im Zivilrecht. Vor allem in der zivilrechtlichen Rechtsprechung wird vertreten, dass eine wirksame Einwilligung in einen kontraindizierten Eingriff überhaupt nicht möglich sei, da eine „Einwilligung in einen Behandlungsfehler“ prinzipiell ausscheiden müsse.730 Selbst nach Aufklärung über das Vorliegen einer Kontraindikation soll eine Einwilligung unwirksam sein, vielmehr müsse der Arzt einen solchen Eingriff, auch auf Verlangen des Patienten, ablehnen.731 Die Konstellation kontdenkbar hielt, dass ein psychosomatischer Zusammenhang zwischen dem Kopfschmerz und der Zahnextraktion bestehen möge. Der BGH hat insoweit aber festgestellt, dass der Angekl. „sich darüber im Klaren“ war, dass eine Heilung durch den vorgenommenen Eingriff „nicht zu erzielen“ war. 725  BGH, NJW 1978, 1206. 726  So bei Bichlmeier (1980), S. 55. 727  So bei Roxin (2006), § 13 Rn. 87, 88, der dort die Lösung des BGH aufgreift und ablehnt, und bei Amelung (1992a), S. 545, bei der Frage nach einer subjektiv rationalen Entscheidung im Rahmen seines Ansatzes zur Einwilligungsfähigkeit. 728  So bei Schroth (2009), S. 726 f., und Fateh-Moghadam (2008), S. 129 f., jeweils im Rahmen einer autonomieorientierten Deutung des § 228 StGB; und bei Duttge (2005a), 707, 709 f., der jedoch die Schaffung eines neuen Straftatbestands des „Patientenverrats“ anregt, ausführlich oben B.I.1.b)aa). 729  Im Kontext der Zahnextraktionsentscheidung so auch Ulsenheimer (2000), M62, M65 für die Wunschsectio; ebenso Ulsenheimer (2008), Rn. 57c; OLG Karlsruhe, MedR 2003, 105. 730  So etwa OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104, 106; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611, 612; OLG Köln, VersR 2000, 492. Vgl. Duttge (2005a), S. 706 ff.; Kern (2009), S. 2. 731  OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 f., 106; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611; Kern (2009), S. 2.



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raindizierter Eingriffe wird also ausdrücklich als – zumeist grober732 – Behandlungsfehler und nicht als Aufklärungspflichtverletzung behandelt.733 Die Einwilligung ist nach dieser Ansicht unwirksam, weil sie sich nicht auf sorgfaltswidriges Verhalten, sondern nur auf fachgerechte ärztliche Behandlungen beziehen können soll.734 Diese Auffassung greift jedoch in ihrer Begründung zu kurz und widerspricht dem Prinzip der Patientenautonomie, indem sie allein auf medizinische Kriterien abstellt.735 Willigt der aufgeklärte, autonom entscheidende Patient in eine Behandlung ein, ist die Einwilligung nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht schon allein deshalb unwirksam, weil es sich um eine objektiv sinnlose Behandlung handelt. Im Strafrecht wird die genannte Konstellation teilweise im Bereich der Lehre von den Willensmängeln bei der Einwilligung verortet.736 Bichlmeier geht in der vorliegenden Konstellation sogar von einem rechtsgutsbezogenen Irr­ tum der Patientin aus, da deren Einwilligung von Fehlvorstellungen über die Auswirkung der Zahnextraktion auf ihren Körper getragen und dies für den Arzt auch erkennbar gewesen sei.737 Dass sich ein Patient, der eine eigene unsinnige Diagnose zur Heilwirkung eines Eingriffs anstellt, trotz ordnungsgemäß erfolgter ärztlicher Aufklärung in einem relevanten Irrtum befinden kann, scheint eine plausible Annahme. Im Ergebnis ist diese Ansicht aber abzulehnen, da sie den strafrechtlichen Grundsätzen über die ärztliche Aufklärung zuwiderläuft. Hat der Arzt die Aufklärung im normativ geforderten Umfang vorgenommen, ist ihm ein Irrtum des Patienten nicht mehr zuzurechnen.738 Der Bundesgerichtshof verurteilte in der genannten – strafrechtlichen – Zahnextraktionsentscheidung den behandelnden Arzt dagegen mit der Argumentation, dass es an der Einwilligungsfähigkeit der Patientin und daher an einer wirksamen Einwilligung gefehlt habe, da die Patientin auch nach mehrfachem Hinweis auf den fehlenden Heilcharakter der Ziehung der (plombierten) Zähne „in laienhaftem Unverstand beharrlich an der von ihr selbst gestellten Diagnose“ festgehalten habe und aufgrund von Unkenntnis und ihrer seelischen Verfassung zu einem verstandesmäßigen Abwägen der medizinischen Sachlage nicht im Stande gewesen sei.739 Diese Auffassung 732  Vgl. etwa OLG Köln, VersR 2000, 492; LG Dortmund, GesR 2008, 324; OLG Karlsruhe, MedR 2003, 106. 733  OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104, 106 m. Anm. Kern. 734  Duttge (2005a), S. 706 m. w. N. für die zivilrechtliche Rspr. und Lit. 735  Vgl. Schroth (2011a), S. 466 mit Fn. 13. Vgl. hierzu Duttge (2005a), S. 707. 736  Hruschka (1978), S. 519; Bichlmeier (1980), S. 55. 737  Bichlmeier (1980), S. 55. 738  Roxin (2006), § 13 Rn. 112. 739  BGH, NJW 1978, 1206. Neben der Prüfung der Einwilligungsfähigkeit nimmt der BGH auch Bezug auf den Gegenstand der Einwilligung (für Heileingriff erteilt) und den diesbezüglichen Umfang der Aufklärungspflicht.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

der Rechtsprechung, die die Einwilligungsfähigkeit an objektiven Vernünftigkeitsmaßstäben bemisst, wurde aber zutreffend und einhellig vom strafrechtlichen Schrifttum kritisiert.740 Die Lösung dieser Fälle kann nicht über die Ablehnung der Einwilligungsfähigkeit des Patienten erzielt werden, denn Einwilligungsfähigkeit und Autonomie sind, wie bereits ausführlich dargestellt,741 als Schwellenkonzept und als Kompetenz des Rechtsgutsträgers zu verstehen, nach der er auch unvernünftige Entscheidungen treffen darf. Diese Auffassung hebelt die Vorschrift des § 228 StGB aus, indem Entscheidungen für unwirksam erklärt werden, die nicht objektiven Vernünftigkeitskriterien entsprechen.742 Unterstellt man, dass der Patient vollumfänglich aufgeklärt ist und die Bedeutung des kontraindizierten Eingriffs verstanden hat, kann seine Einwilligungsfähigkeit nicht bezweifelt werden, jedenfalls nicht unter Anlegung objektiver Vernünftigkeitskriterien. Der Frage nach einer subjektiven Mindestrationalität der Einwilligung, die sich stellt, wenn der Patient wie hier ein Ziel mit einem untauglichen Mittel verfolgt, hat Amelung eingehend bei der Frage der Einwilligungsfähigkeit erörtert.743 An dieser Stelle sei auf die obige Darstellung seines differenzierten Ansatzes zur Frage eines subjektiven Vernünftigkeitsmaßstabs bei der Einwilligungsfähigkeit verwiesen.744 Auch Amelung erzielt letztlich keine anderen Ergebnisse als die herrschende Ansicht und schließt sich der Kritik an der Zahnextraktionsentscheidung an.745 Eine verbreitete Ansicht prüft die Konstellation kontraindizierter Behandlungen, wie sie hier definiert werden, im Bereich der Gute-Sitten-Klausel. Vom dogmatischen Ansatzpunkt her ist dies zutreffend, da nicht die objektive medizinische Vernunft oder das ärztliche Standesrecht, sondern allein § 228  StGB der wirksamen Einwilligung Grenzen setzt.746 Die genannten Begründungen werden hier indes nicht geteilt. Stock entwickelt anhand eines Judikats des OLG Düsseldorf747 die Auffassung, dass bei der Einwilligung in kontraindizierte Eingriffe Sittenwidrigkeit 740  So u.  a., allerdings mit jeweils ganz unterschiedlichen Lösungsansätzen, Roxin (2006), § 13 Rn. 87 m. zahlr. w. N.; Schroth (2010a), S. 44 f.; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 50; Amelung (2001), S. 941 f.; Bichlmeier (1980), S 53 ff.; Horn (1979), S. 30; Hruschka (1978), S. 519, 521; Rogall (1978), S. 2345. 741  Ausführlich oben D.II.3.a). 742  Zum Ganzen Roxin (2006), § 13 Rn. 87; Schroth (2010a), S. 44. Vgl. Duttge (2005a), S. 707. 743  Amelung (1992), S. 548 ff.; vgl. Amelung (1998), S. 41 f. 744  Ausführlich oben D.II.3.a)bb). 745  Amelung (1999a), S. 46. 746  Rogall (1978), S. 2345. Ausführlich oben D. I. 747  OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611 – Einwilligung eines Marcumar-Patienten in eine kontraindizierte intraartikuläre Spritze. Da im zu entscheidenden Fall bereits



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 299

anzunehmen sein soll.748 Er verweist im Sinne eines Dammbrucharguments darauf, dass Ärzte aus generalpräventiven Gründen an der Vornahme solcher Eingriffe zu hindern sein sollen, da diese standesrechtswidrig seien und eine kollusive Außerachtlassung der ärztlichen Aufgabe des Gesundheitsschutzes darstellten.749 Diese Auffassung widerspricht jedoch der ganz überwiegenden und zutreffenden Auffassung im Strafrecht, schon deshalb, weil in einer pluralistischen Gesellschaft keine allgemeingültigen Maßstäbe dahingehend mehr bestehen, wo die standesethischen Grenzen ärztlicher Tätigkeit liegen sollen;750 vor allem aber, weil sie § 228 StGB nicht als Rechtsbegriff und Ausnahmevorschrift interpretiert, sondern die Patientenautonomie außer Acht lässt und eine Art Sonderrecht für ärztliches Handeln bildet.751 Hier setzt Duttge an, der der Logik von Stock folgt, zunächst aber zutreffend feststellt, dass diese Rechtsfolge aus den genannten Gründen nicht in § 228 StGB verankert werden kann.752 Nach Duttge sollen kontraindizierte Eingriffe ein „Universalrechtsgut“ des „Interesses der Allgemeinheit an der Wahrung ärztlicher Profession“ betreffen.753 Er schlägt deshalb die Normierung eines Tatbestands des „Patientenverrats“ de lege ferenda vor, der die Vornahme kontraindizierter Eingriffe als grob pflichtwidrigen Verstoß gegen die ärztliche Kunst kriminalisiert.754 Die Behauptung der Verletzung eines Universalrechtsguts kann indes nicht überzeugen. Sie verkennt den Wert der verfassungsrechtlich garantierten Patientenautonomie und drängt sie zugunsten einer Wahrung ärztlicher Standards zurück.755 Die wohl überwiegenden Stimmen im Strafrecht gehen davon aus, dass eine Einwilligung in einen kontraindizierten Eingriff in den Grenzen von § 228  StGB wirksam erteilt werden könne, soweit der Arzt den Patienten umfassend über die Kontraindikation informiert hat und machen die Frage der Wirksamkeit der Einwilligung damit letztlich (lediglich) an der ordnungsgemäßen Durchführung der Aufklärung fest.756 Bei der Frage nach der strafrechtlichen Bewertung kontraindizierter ärztlicher Behandlungen sind danach diejenigen Fälle auszuklammern, in denen bereits die Aufklärungs­ eine Aufklärungspflichtverletzung des Arztes vorlag, hat das Gericht jedoch nicht über § 228 StGB befunden. 748  Stock (2009a), S. 205 ff. 749  Stock (2009a), S. 216. 750  Sternberg-Lieben (2009), S. 328. Ausführliche Darstellung oben D.I.1.b). 751  Roxin (2006), § 13 Rn. 38 ff., 48; Sternberg-Lieben (2009), S. 327. 752  Duttge (2005a), S. 706 ff. 753  Duttge (2005a), S. 708. 754  Duttge (2005a), S. 709. 755  Zur Kritik vgl. oben B. Fn. 140. 756  Roxin (2006), § 13 Rn. 48, 87; Schroth (2010d), S. 97; differenzierend FatehMoghadam (2008), S. 129 f. Vgl. Duttge (2005a), S. 708 m. w. N. in Fn. 32 und 23.

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

pflicht verletzt und die Einwilligung schon deshalb nach allgemeinen Grundsätzen unwirksam ist. Häufig wird schon ein Aufklärungsmangel vorliegen, weil der Arzt nicht ordnungsgemäß über den fehlenden Heilcharakter der Maßnahme und die Unerreichbarkeit einer Heilung informiert hat.757 In den verbleibenden Fällen hält diese Auffassung die Einwilligung im Vergleich mit der Rechtslage bei der nicht indizierten kosmetischen Operation, in die ebenfalls wirksam eingewilligt werden kann, und mit dem Argument, dass das Strafrecht auch das Recht auf unvernünftige Entscheidungen schützt,758 grundsätzlich für wirksam und das Handeln des Arztes für gerechtfertigt.759 Dies soll sich aus einem Erst-Recht-Schluss ergeben: Ist die Einwilligung in einen Eingriff möglich, der von vorneherein nie eine Heilbehandlung bezweckt, so müsse auch in der Konstellation, in der der Patient eine Heilungschance sieht, eine wirksame Einwilligung möglich sein.760 Denn auch bei nicht indizierten Eingriffen ist eine Einwilligung nach ordnungsgemäßer Aufklärung im Lichte der Patientenautonomie möglich und eine Grenzziehung durch §§ 228, 216 StGB erfolgt erst im Fall einer konkret lebensgefährlichen Behandlung. Diese Ansicht gründet zutreffend auf dem zentralen Selbstbestimmungsrecht des Patienten und schließt eine ärztliche Vernunfthoheit aus.761 Sie bewertet die Patientenautonomie höher als die medizinische Standesethik, die sich nicht direkt im Recht niederschlagen soll und berücksichtigt dabei auch den Gesichtspunkt der Garantiefunktion der Einwilligung. Hat der Arzt wirksam aufgeklärt und der Patient eingewilligt, kann der Arzt auch darauf vertrauen, nicht das Risiko einer Strafbarkeit einzugehen, auch wenn der Patient an einer irrigen Pri­ vatmeinung zur Heilwirkung eines Eingriffs festhält.762 (2) Stellungnahme und Zwischenergebnis Dieser Erst-Recht-Schluss der wohl überwiegenden Auffassung in der strafrechtlichen Literatur kann aber nicht überzeugen.763 Denn die Konstella757  In vielen zivilrechtlichen Entscheidungen, die im Kontext kontraindizierter Behandlungen ergangen sind, wurde so (auch) eine Aufklärungspflichtverletzung festgestellt, vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611; OLG Düsseldorf, NJW 2001, 901; OLG Köln, VersR 2000, 492. 758  Bzw. dass das Strafrecht den Arzt vor einer Strafbarkeit wegen einer unvernünftigen Entscheidung eines anderen schützt. 759  Zum Ganzen Roxin (2006), § 13 Rn. 86 ff., 112; Horn (1979), S. 30; Hruschka (1978), S. 521. Vgl. Schroth (2011a), S. 466 mit Fn. 13. 760  Roxin (2006), § 13 Rn. 48, 87, 88. 761  Schroth (2011a), S. 466 mit Fn. 13. 762  Roxin (2006), § 13 Rn. 112; Rogall (1978), S. 2345. 763  So auch Fateh-Moghadam (2008), S. 130.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 301

tionen unterscheiden sich wie dargestellt maßgeblich dadurch, dass die Einwilligung bei nicht indizierten Eingriffen auch subjektiv rational ist, bei kontraindizierten dagegen regelmäßig nicht.764 Darum ist auch die letztgenannte Ansicht, die jedenfalls vom dogmatischen Ansatzpunkt her geteilt wird, problematisch. Die kontraindizierte Behandlung, in die der Patient einwilligt, ist zur Erreichung des verfolgten Zwecks – der Gesundung – objektiv sicher ungeeignet, was der Arzt auch weiß. Im Unterschied dazu ist bei der Schönheitsoperation das Mittel des plastisch-chirurgischen Eingriffs zur Erreichung des Ziels, „schöner“ zu werden, auch subjektiv rational. Die Einwilligung in einen zur Heilung ungeeigneten, nicht indizierten Eingriff, mit dem der Pa­ tient das Ziel der Heilung verfolgt, ist daher nach dessen Wertesystem subjek­ tiv widersprüchlich.765 Auch in der Zahnextraktionsentscheidung verfolgte die Patientin trotz mehrfacher anderslautender Hinweise des Arztes einen Heilzweck: „Nach der Vorstellung der Zeugin handelte es sich um einen therapeutischen Eingriff, der zwar keine sicheren, aber immerhin nicht völlig fernliegende Heilaussichten bot“766, was der Arzt wusste. Aus normativer Sicht ist es daher folgerichtig, denjenigen für schutzbedürftig zu erklären, der sich in Widerspruch zu seinem eigenen Wertegefüge begibt. Nach dem hier entwickelten Verständnis kontraindizierter Eingriffe ist eine Einwilligung in einen solchen Eingriff aber immer subjektiv irra­ tional. Die Unwirksamkeit der Einwilligung wird hier deshalb grundsätzlich angenommen, und zwar auch dann, wenn der Arzt den Patienten umfangreich aufgeklärt hat,767 und auch bei weniger gravierenden, reversiblen Eingriffen. Denn eine solche Einwilligung ist gerade nicht autonom erteilt, weil das verfolgte Ziel mit dem gewählten Mittel nicht erreichbar ist und die Entscheidung daher mit dem subjektiven Wertgefüge des Einwilligenden nicht übereinstimmt; und das ist für den Arzt auch ersichtlich. In der praktischen Umsetzung ist die Abgrenzung manchmal sicherlich schwierig. Im Hinblick auf das oben768 bereits erwähnte Folgerisiko einer solchen Kategorisierung kontraindizierter Maßnahmen, die nämlich die Möglichkeit einer paternalistischen Bevormundung eröffnet, sollte jedenfalls nur eindeutige Fälle subjektiver Irrationalität erfasst werden. Dogmatisch lässt sich diese Auffassung mit dem hier vertretenen Verständnis des § 228 StGB begründen, nach dem die Sittenwidrigkeitsklausel 764  So

überzeugend Fateh-Moghadam (2010a), S. 37 f.; Schroth (2010a), S. 44 f. (2010a), S. 44 f. 766  BGH, NJW 1978, 1206. 767  Insoweit a.  A. Schroth (2011), S. 466 mit Fn. 13; Schroth (2010a), S. 44 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 129 f., die beide auch eine wirksame Einwilligung in eine kontraindizierte Behandlung, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, für möglich halten. 768  Oben B.I.1.b)bb). 765  Schroth

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

in autonomieorientierter Deutung als weich paternalistische Gewährleistung der Selbstbestimmung und damit als subjektive Schranke der Einwilligung verstanden wird.769 Wenn man § 228 StGB so interpretiert, dass er die Absicherung der Autonomie der Einwilligungsentscheidung bezweckt, ist für die Annahme der Sittenwidrigkeit entscheidend, ob in der Einwilligung die konkrete Möglichkeit einer defizitären Entscheidung des Rechtsgutsinhabers offenbar wird. Von § 228 StGB werden damit Eingriffe erfasst, die anhand konkreter tatsächlicher Indizien die subjektive Widersprüchlichkeit im Wertesystem des Einwilligenden nahelegen. Dafür ist auf tatsächliche Indizien abzustellen, die in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit den subjektiven Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung stehen, also vor allem der Einwilligungsfähigkeit und der Freiheit von Willensmängeln.770 Die Einwilligung in einen kontraindizierten Eingriff, die subjektiv widersprüchlich ist, ist danach ein Indiz für einen Mangel der konkreten Einsichts- und Urteilsfähigkeit bzw. Freiwilligkeit der Entscheidung und birgt die konkrete Möglichkeit einer defizitären Entscheidung. Da das Instrument der strafrechtlichen Einwilligung die autonome Entscheidung des Patienten absichern soll und zwar gerade keine objektiv ra­ tionale Entscheidung fordert, aber eine selbstbestimmte Entscheidung und damit subjektive Mindestrationalität absichern will,771 wird eine Einwilli­ gung in eine kontraindizierte Behandlung regelmäßig als unwirksam beurteilt. Im Ergebnis ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs daher nach der hier vertretenen Ansicht richtig,772 sofern man unterstellt, dass der Eingriff wirklich therapeutisch absolut sinnlos war. Die abweichende Bewertung bei der nicht indizierten Schönheitsoperation, die ebenfalls therapeutisch sinnlos ist, in die der Patient aber wirksam einwilligen kann, erklärt sich mit den dort zutreffenden Vorstellungen bzw. subjektiven Wertgefüge des Patienten und dem erzielbaren kosmetischen Behandlungserfolg.773 Ein Patient, der eine subjektiv widersprüchliche Einwilligung erteilt, ist dagegen schutzbedürftig. Die – paternalistische – Versagung der Wirksamkeit seiner Einwilligung ist vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass es sich bei der 769  Ausführlich oben D.I.b)cc)(3), dd). Wie hier schon Schroth (2010a), S. 44 f.; Fateh-Moghadam (2008), S. 129 f., 96 f. Vgl. Murmann (2005), S. 501 ff.; Seelmann (2003), S. 855. 770  Zum Ganzen Fateh-Moghadam (2008), S.  126  ff., 134, Fateh-Moghadam (2010a), S. 37 ff. So auch Murmann (2005), S. 501 ff.; Schroth (2010a), S. 44 f.; Oswald (2010b), S. 691 f.; Joost (2010b), S. 422. Für eine Anknüpfung an die subjektiven Wirksamkeitsvoraussetzungen außerhalb des § 228 StGB Amelung (1992), S. 537 ff., 540 ff.; Sternberg-Lieben (2009), S. 335 ff., 338. 771  Amelung (1992a), S. 544 ff.; Schroth (2010a), S. 45. 772  So, für viele, auch Schroth (2010a), S. 44, 45. 773  Bichlmeier (1980), S. 55; Horn (1979), S. 31.



II. Die medizinische Indikation als unselbständige Zurechnungskategorie 303

Einwilligung um ein Instrument der Interessenwahrnehmung handelt, die eigenen Wertmaßstäbe aber mit der Durchführung des kontraindizierten Eingriffs verfehlt werden.774 6. Fazit Das Fehlen einer medizinischen Indikation gewinnt bei der strafrecht­ lichen Beurteilung ärztlichen Handelns mittelbare Bedeutung im Rahmen der subjektiven Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung. Ein Ausgleich für das Fehlen einer medizinischen Notwendigkeit wird insbesondere über die ärztliche Aufklärungspflicht erzielt.775 Dabei miss­ achtet die ganz herrschende Ansicht, die wegen dem Indikationsmangel eine „strengere“ oder „schärfere“ Aufklärung fordert, jedoch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Im Lichte der Patientenautonomie sind vielmehr gerade das Fehlen einer medizinischen Notwendigkeit und die ästhetische Zielsetzung zu berücksichtigen, in dem die Aufklärung „entsprechend“ der Besonderheiten eines nicht indizierten Eingriffs ausgestaltet wird.776 Eine wirksame Einwilligung in einen nicht indizierten kosmetischen Eingriff setzt daher vor allem voraus, dass der Arzt den Patienten über Indikationsmangel, ästhetische Er-folgsaussichten und auch fern liegende Risiken aufklärt.777 Das Fehlen einer medizinischen Notwendigkeit kann sich desweiteren mittelbar bei der Möglichkeit der stellvertretenden Einwilligung für einen einwilligungsunfähigen Minderjährigen auswirken, gewinnt dabei aber keine allein oder unmittelbar maßgebliche Bedeutung.778 Der Begriff des Kindeswohls, der die Möglichkeit der elterlichen stellvertretenden Einwilligung begrenzt, ist entgegen der herrschenden Ansicht nicht nach objektiven, abstrakten, sondern nach individuellen Maßstäben auszulegen und durch die Eltern zu konkretisieren. Die Ansicht, wonach bei ärztlichem Handeln objektive Kriterien herangezogen und nur die stellvertretende Einwilligung in 774  Vgl.

Amelung (1992a), S. 547. auch Sternberg-Lieben (2009), S. 352, der aber die Reziprozitätsthese der h. M. vertritt. 776  So auch Fateh-Moghadam (2008), S. 193. 777  So auch Schroth (2006a), S. 90; i. Erg. auch BGH, NJW 1972, 227 (ZivR); LK-StGB-Hirsch (2005), § 228 Rn. 44; NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 75a, 87; Sch / Sch-Eser (2014), StGB, § 223 Rn. 50b; SK-StGB-Horn / Wolters (2013), § 228 Rn. 20. 778  So auch Sternberg-Lieben (2009), S. 352 f., jedoch offenbar mit dem Erg. der h. A., dass die stellvertretende Einwilligung in nicht indizierte Eingriffe gerade wegen des Indikationsmangels stets unwirksam sein soll. 775  So

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D. Die Funktion der medizinischen Indikation

Heileingriffe wirksam sein soll, ist zu eng und verkennt sowohl die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen als auch des Erziehungsrechts der Eltern. Die Möglichkeit der stellvertretenden Einwilligung in nicht indizierte, rein ästhetische Schönheitsoperationen ist aber wegen der Orientierung am Kindeswohl und den mit schönheitschirurgischen Eingriffen vielfach einhergehenden erheblichen Risiken, abhängig von den individuellen Umständen des Einzelfalls, letztlich weitgehend eingeschränkt.779 Zu begründen sind diese Erfordernisse jeweils mit der Absicherung des Selbstbestimmungsrechts des einwilligenden Patienten. Der Indikationsmangel wird als subjektives, individuelles Bewertungskriterium im Rahmen des Wertesystems des Einwilligenden relevant. Solche weich paternalistische Beschränkungen der Dispositionsbefugnis dienen der Gewährleistung einer autonomen Entscheidung des Rechtsgutsträgers. Aus eben diesen Gründen ist die Einwilligung in eine kontraindizierte Behandlung regelmäßig unwirksam. Dabei kommt es gerade nicht nur auf die objektive medizinische (Un-)Vernünftigkeit der Entscheidung an. Die Einwilligung soll aber die autonome Entscheidung des Patienten darstellen und damit eine subjektive Mindestrationalität absichern. Die Einwilligung in einen nicht indizierten Eingriff, der aus Sicht des Patienten aber der Heilbehandlung dienen soll und der in Wahrheit objektiv sinnlos ist, was der Arzt regelmäßig auch weiß, ist subjektiv widersprüchlich und entspricht nicht dem Wertgefüge des Patienten. Normativ lässt sich die Schutzbedürftigkeit des Patienten in diesen Fällen daher wiederum im Lichte seines Selbstbestimmungsrechts begründen.

779  So

auch Lorz (2007), S. 145.

E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge zur nicht indizierten Schönheitsoperation de lege ferenda Schönheitsoperative Eingriffe wie Brustvergrößerungen, Fettabsaugungen, Nasenoperationen, Botoxspritzen sind aus strafrechtlichem Blickwinkel zulässig; die Einwilligung des einwilligungsfähigen und aufgeklärten Patienten in eine gewünschte kosmetische Behandlung ist wirksam. Die oben vorgestellten Statistiken zu Schönheitsoperationen und deren Risiken haben aber eine bedenkliche Entwicklung aufgezeigt. Wenn der bekannte Schönheitschirurg Mang, einer verbreiteten Einschätzung entsprechend, voraussagt, dass Schönheitsoperationen „Mainstream werden, mit günstigen Preisen und Massenware“,1 dann wirft das Fragen auf. Im Kern geht es darum, ob das geltende Recht im Bereich von nicht indizierten Schönheitsoperationen den Interessen von Patienten und Ärzten gerecht wird und einen ausreichenden Schutz gewährleisten kann. Denn eine risikofreie Medizin gibt es nicht2 – ärztliches Handeln ist ein Handeln unter Risiko.3 Schönheitsoperationen bergen für den Patienten teils ganz erhebliche Risiken ohne jeglichen gesundheitlichen Nutzen.4 Vor dem Hintergrund der skizzierten Problematik sind in den vergangenen Jahren in einigen – wenigen – europäischen Ländern gesetzliche Vorgaben für Schönheitsoperationen festgelegt worden.5 Auch das Europäische Parlament hat sich bereits vor einiger Zeit in einer Entschließung mit den Gefahren von Brustimplantaten beschäftigt.6 Der deutsche Gesetzgeber befasst sich aktuell ebenfalls mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen von Schönheitsoperationen und hat eine 1  Interview

mit Werner Mang in Karcher / Rushfield (2005), S. 194. (1976), S. 25. 3  Schroth (2010a), S. 45. 4  Vgl. E. Fn. 97. 5  Etwa das österreichische ÄsthOpG, das am 01.01.2013 in Kraft getreten ist, http: /  / www.ris.bka.gv.at / Dokumente / BgblAuth / BGBLA_2012_I_80 / BGBLA_ 2012_I_80.pdf. Neben Österreich existieren gesetzliche Regelungen bisher nur noch in Frankreich und Dänemark, vgl. Ministerialentwurf, Vorblatt und Erläuterungen Allgemeiner Teil zum ÄsthOpG, S. 2. 6  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.02.2003, KOM(2001) 666 – C5-0327 / 2002 – 2002 / 2171(COS). 2  Zander

306

E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

Leitentscheidung getroffen, einen stärkeren Schutz für Patienten zu gewährleisten.7 Auch in der Wissenschaft gibt es kritische Auseinandersetzungen mit der Schönheitsoperation de lege lata. Dabei wird jeweils angeregt, der beschriebenen expansiven Entwicklung mit den Mitteln des Strafrechts entgegenzuwirken, indem strengere Voraussetzungen an die Wirksamkeit der Einwilligung oder andere strafbewehrten Verboten normiert werden, um Patienten besser vor den Risiken von Schönheitsoperationen zu schützen, um Qualitätsstandards zu sichern und um die Verbreitung des Phänomens Schönheitsoperation gar einzudämmen. Änderungsvorschläge de lege feren­ da sind insbesondere zu den Anforderungen an die ärztlichen Aufklärungspflichten (A.) und zur Einwilligung Minderjähriger (B.) unterbreitet worden; auf diese soll kritisch eingegangen werden.

I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung– insbesondere behavioral law and economics und das Paternalismusproblem8 Der bedeutendste Ansatzpunkt für den Blick des Strafrechts auf nicht indizierte kosmetische Operationen ist wie dargestellt die ärztliche Aufklärung. Rechtsprechung und Lehre reagieren im Medizinstrafrecht im Bereich indikationsloser Eingriffe de lege lata mit einer Verschärfung von Umfang und Inhalt der ärztlichen Aufklärungspflicht. Für nicht indizierte Eingriffe gelten danach bei der Aufklärung erhöhte, nach der hier vertretenen Ansicht dagegen dem Indikationsmangel entsprechend andere Anforderungen an den Arzt. Dem Patienten soll eine umfassende Informationsbasis für seine Entscheidung über den Eingriff, vor allem über das Fehlen einer medizinischen Indikation und damit jeglichen gesundheitlichen Nutzens an die Hand gegeben werden, um eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen. Damit ist die strafrechtliche Absicherung der ärztlichen Aufklärungspflichten eine weich (indirekte) paternalistische Regelung,9 die als Konzept der Kompensation durch Information die Wahrung der Patientenautonomie bezweckt und daher grundsätzlich auch ein geeignetes normatives Regulativ ist. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich in der praktischen Umsetzung jedoch erhebliche Unsicherheiten und Einschränkungen. Zum einen gibt es immer wieder Hinweise auf erhebliche Qualitätsverluste bei der Umsetzung der Aufklärung im ärztlichen Alltag und auf das Auseinanderklaffen von Regelung und Realität.10 Zum anderen hat die verhaltensökonomische For7  BT-Drs.

16 / 6799 vom 24.10.2007, S. 1 ff. zum Ganzen auch Joost (2010a), S. 136 ff. 9  Fateh-Moghadam (2010a), S. 31. 10  Vgl. nur Damm (2002), S. 375. 8  Ausführlich



I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung 307

schung Erkenntnisse erbracht, die menschliche Entscheidungsdefizite aufzeigen und deshalb geeignet sind, die bestehende Normierung der ärztlichen Aufklärungspflicht in Frage zu stellen (I.). Auf der Grundlage dieser Forschungsergebnisse sind Anpassungen bzw. weitergehende Normierungen der ärztlichen Aufklärungspflicht vorgeschlagen worden.11 Die Untersuchung will sich mit der Frage beschäftigen, ob das weich paternalistische Konzept der Aufklärungsdogmatik im geltenden Recht durch diese Erkenntnisse zu legitimieren ist bzw. ob vor diesem Hintergrund möglicherweise sogar eine steuernde Normierung der ärztlichen Aufklärungspflichten angezeigt ist, wie dies angeregt wurde (II.). 1. Tatsächliche Problematik des rechtlichen Aufklärungskonzepts a) Praktische Umsetzung im medizinischen Alltag Aus aktuellen Studien und aus den von der Rechtsprechung entschiedenen Sachverhalten wird ersichtlich, dass die ärztliche Aufklärung in der Praxis keineswegs immer den normativen Anforderungen genügt.12 Zum Teil wird ein erheblicher Qualitätsverlust des Aufklärungsgesprächs offenbar. Als Gründe werden unterschiedliche Faktoren benannt wie etwa Zeitmangel, Unterbesetzung und Abschichtung von Verantwortungsbereichen im klinischen Arbeitsalltag,13 die im Bereich der Wunschmedizin bestehende Gefahr der Verfolgung gewerblicher Interessen durch den behandelnden Arzt oder auch die Tatsache, dass Schönheitsoperationen in Deutschland oft von dafür nicht besonders qualifizierten Ärzten vorgenommen werden.14 Bei einer mangelhaften Aufklärung besteht jedoch die Gefahr, dass sie zu einer Verschiebung der Informations- und Entscheidungsverantwortung auf den Patienten führt.15 Das gilt besonders für Entscheidungssituationen, die für den Patienten komplex und bei der die Aufklärung schwer verständlich ist und auch dann, wenn die Entscheidung für einen Eingriff möglicherweise von psychologischen oder soziologischen Einflüssen überlagert wird. Gerade bei Schönheitsoperationen kommt dem Gespräch zwischen Arzt und 11  Sunstein / Thaler (2007). Vgl. van Aaken (2006), van Aaken (2007), Englerth (2007a). 12  Studie von Korczak (2007), http: /  / download.ble.de / 05HS020.pdf; Studie der Stiftung Warentest vom 01.10.2002, Heft 10 / 2002, S. 24 ff.; OLG Oldenburg, VersR 2001, 1382; OLG Hamm, VersR 2006, 1511; Bischoff (2009), S. 193 m. w. N. 13  Feuerstein / Kuhlmann (1999), S. 13; vgl. auch SZ vom 25.03.2010, S. 15, http: /  / sz-veranstaltungen.sueddeutsche.de / wp-content / uploads / 2010 / 03 / aus_freien_ st %C3 %BCcken_02.pdf, zuletzt aufgerufen am 02.07.2013. 14  Bischoff (2009), S. 194. 15  Feuerstein / Kuhlmann (1999), S. 11 f.

308

E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

Patienten aber eine besondere Bedeutung zu, weil die Patienten wegen der Medialisierung kosmetischer Eingriffe oftmals falschen Vorstellungen unterliegen, die der Arzt gegebenenfalls korrigieren kann und muss.16 Ernüchternd sind in dieser Hinsicht die Ergebnisse einer Studie der Stiftung Warentest, bei der vier Testpersonen dreißig verschiedene Ärzte aufsuchten und vorgaben, sich einer Fettabsaugung unterziehen zu wollen. Keiner der Ärzte kam seiner Pflicht zur Aufklärung im erforderlichen Rahmen nach. Die Verlaufsaufklärung blieb meist oberflächlich, schwerwiegende Risiken wurden verharmlost oder gar verschwiegen.17 Auch wenn diese Studien­ ergebnisse sicherlich nicht eine für die gesamte Ärzteschaft verallgemeinerungsfähige Aussage treffen können, wird doch die praktische Problematik deutlich. Auch in der Rechtsprechung der letzten Jahre gibt es zahlreiche Beispiele für Fälle, in denen schwerwiegende Aufklärungsmängel aufgedeckt worden sind.18 Ein positiveres Bild vermittelt eine in den Jahren von 2005 bis 2007 im Auftrag der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft durchgeführte Studie.19 Dort empfanden 98 % der befragten Personen keinerlei Informationsdefizite20 – obwohl bei etwa einem Drittel der Testpersonen nur eines von empfohlenen zwei Beratungsgesprächen durchgeführt wurde und viele der von Ärztekammern und Fachgesellschaften empfohlenen Fragen im Vorgespräch nicht thematisiert worden waren.21 b) Das Risiko von Entscheidungsdefiziten – Forschungsergebnisse der Verhaltensökonomik Wie schwierig eine qualifiziert autonome Entscheidung in medizinalltäglichen Realsituationen tatsächlich zu erzielen ist, zeigt die neuere verhaltens­ ökonomische Forschung. Das Modell der bounded rationality hat die „imperfekte Autonomie“22 in Realsituationen empirisch nachgewiesen und spricht vom „Mythos des informed consent“.23 Diese Forschungsergebnisse belegen, dass sich Personen trotz Information und Aufklärung nicht immer rational verhalten.24 Sie zeigen, dass Verfahrensweise und Rahmenbedin16  Michl

(2007), S. 234. Warentest, Test vom 01.10.2002, Heft 10 / 2002, S. 24 ff. 18  Etwa OLG Oldenburg, VersR 2001, 1382; OLG Hamm, VersR 2006, 1511. Vgl. Bischoff (2009), S. 193 m. w. N. 19  Korczak (2007), S. 83 ff. 20  Korczak (2007), S. 88. 21  Korczak (2007), S. 83, 85. 22  Dazu Damm (2009), S. 185; Damm (2002), S. 381. 23  Feuerstein / Kuhlmann (1999), S. 11 m. w. N. 24  Vgl. zum Ganzen auch die Darstellungen bei Fateh-Moghadam (2010a); Mayr (2010). 17  Stiftung



I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung 309

gungen der Aufklärung menschliche Entscheidungen maßgeblich beeinflussen können, abhängig von der konkreten Darstellungsweise, der Wortwahl des Arztes, des Zeitpunkts der Aufklärung etc. Mit Hinweis auf das Auseinanderfallen von normativ bezweckter und tatsächlich erzielter Wirkung der ärztlichen Aufklärung haben einige Autoren in der Folge die Rückkehr zu einer Ethik der Fürsorge gefordert und Vorschläge mit paternalistischer Tendenz unterbreitet.25 Die sozialwissenschaftliche Verhaltensökonomik bietet damit einen rechtstheoretischen Begründungsansatz für eine neopaternalistische Aufklärungsdogmatik26 und soll aus diesem Grund hier näher beleuchtet werden. aa) Die grundlegende Annahme von Rationalität – law and economics Vor etwa fünf Jahrzehnten ist auf der Grundlage der Publikationen des späteren Nobelpreisträgers Coase27 ein ökonomischer Ansatz in die internationale rechtswissenschaftliche Diskussion aufgenommen worden, zunächst in den USA, später auch in Deutschland. Dieses Modell, das unter der Bezeichnung law and economics, ökonomische Analyse des Rechts oder als Erwartungsnutzentheorie bekannt ist, geht davon aus, dass eine Analyse des Rechts auch immer die Reaktion der Adressaten auf einzelne Normen und deren Anreizwirkungen beachten muss.28 Dabei legt das ökonomische ­Modell eine entscheidende Verhaltensannahme zugrunde: die der rational choice, wonach der (informierte) Mensch im Rahmen seiner individuellen, aber stabilen und wohldefinierten Präferenzordnung stets mit Urteilskraft, rational und seinen Nutzen maximierend entscheidet.29 Das rational choiceModell ist in der deutschen Rechtswissenschaft als Grundlage rechtlicher Argumentation vielfach rezipiert worden.30 Die normative Annahme von Rationalität ist seither von großer Bedeutung für die Rechtswissenschaft, wie beispielsweise schon der Blick auf den Grundsatz der Privatautonomie im Zivilrecht zeigt.31 Auch für den speziellen Bereich der medizinrechtlichen Aufklärungsdogmatik kann das rational choice-Modell wertvolle Erkenntnisse liefern. Denn 25  Vgl. Englerth (2007b), S. 232; Damm (2002), S. 381. So u. a. Sunstein / Thaler (2007), S. 259 ff.; van Aaken (2007), S. 189 ff.; van Aaken (2006), S. 109 ff. 26  Damm (2002), S. 381. 27  Coase (1960), S. 1 ff. 28  Zum Ganzen Englerth (2007a), S. 61, 63. 29  van Aaken (2006), S. 112; Englerth (2007b), S. 63; Fateh-Moghadam (2010a), S. 33. 30  Beispielhaft seien erwähnt Eidenmüller (2005) (1. Auflage 1995); Schmidtchen / Weth (1999); Schäfer / Ott (2000). Vgl. auch Englerth (2010). 31  Vgl. Fateh-Moghadam (2010a), S. 34; Englerth (2007b), S. 232.

310

E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

das klassische ökonomische Verhaltensmodell ist strukturell antipaternalis­ tisch.32 Geht man mit law and economics von einem rational entscheidenden, stabile Präferenzen bildenden und nutzenoptimierenden Individuum aus, braucht der Mensch keinen Schutz vor sich selbst.33 Man müsste im Bereich der ärztlichen Aufklärung von der Vorstellung einer perfekten, auch an Langzeitpräferenzen orientierten Informationsverarbeitung durch den aufgeklärten Patienten ausgehen. Daraus folgte die Annahme, dass ein Pa­ tient sich auf der Basis der vom Arzt vermittelten Information stets für die sinnvollste Therapie oder eben gegen einen unvernünftigen nicht indizierten Eingriff entscheiden würde. bb) Die Erkenntnis eingeschränkter Rationalität – behavioral law and economics Die zentrale Annahme des ökonomischen Verhaltensmodells steht jedoch zunehmend in der Kritik. Auf seiner Basis ist eine modifizierte Theorie menschlichen Verhaltens entwickelt worden, die die klassische Rationalitätsannahme des law and economics in Zweifel zieht und von einer nur „beschränkten Rationalität“ von Individuen ausgeht.34 Die späteren Nobelpreisträger Kahneman und Tversky stellten um 1979 als erste psychologische Experimente35 an, deren als Prospect Theory oder Neue Erwartungstheorie bekannt gewordene Ergebnisse sie zu der Erkenntnis führten, dass Menschen in der Realität in Entscheidungsprozessen Wahrnehmungsverzerrungen unterliegen.36 Dabei wurden spezifische Phänomene im Bereich von Kognition und Willensschwäche aufgedeckt und beschrieben, die zu Rationalitätsanomalien bei Entscheidungsprozessen führen.37 Eine Vielzahl weiterer Forschungen in den Bereichen der Verhaltensökonomik und der kognitiven Psychologie lassen erkennen, dass die klassische Rationalitätsannahme, nach der der mündige und selbstverantwortliche Bürger ein rationaler Entscheider ist, empirischer Überprüfung nicht standhält. In den Sozialwissenschaften wird seitdem bezweifelt, dass Personen konstante Präferenzen bilden und sich danach verhalten.38 Vielmehr geht man davon aus, dass der menschliche Wille überhaupt 32  Jolls / Sunstein / Thaler

(1998), S. 1541. (2007b), S. 232. 34  Englerth (2007a), S. 62. Vor allem in der US-amerikanischen Rechtswissenschaft ist dieser Ansatz weit verbreitet, vgl. Englerth (2010), S. 146. 35  Die Verhaltensökonomie beruht weitgehend auf spieltheoretischen Strukturen und wurde aus Experimenten entwickelt, vgl. van Aaken (2007), S. 204. 36  Kahneman / Tversky (1979), S. 263 ff.; Kahneman / Slovic / Tversky (1982). 37  Zum Ganzen Englerth (2007a), S.  77  ff., 98; ausführlich Englerth (2010), S.  207 ff. 38  Englerth (2007a), S. 63. 33  Englerth



I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung 311

erst durch Kontexte geformt wird.39 Dabei werden insbesondere rechtlichen und sozialen Regeln ein wesentlicher Einfluss auf Entscheidungen von Personen zugeschrieben.40 Standardregelungen oder Rahmenbedingungen wie Darstellungsweise, Wahrnehmungsmöglichkeit und Fluss der Informationsgenerierung sind bei menschlichen Entscheidungsprozessen immer vorhanden und können die tatsächliche Entscheidung von Personen beeinflussen.41 Dabei wird natürlich nicht behauptet, dass Menschen unfähig zu rationalem Verhalten wären.42 Auch die Vertreter der Verhaltensökonomik bewegen sich auf dem Fundament der moralphilosophischen Annahme des freien und vernunftbegabten Menschen und der ökonomischen Annahme des rationalen und nutzenoptimierenden Individuums.43 Vielmehr wird als Fortbildung dieser Theorie festgestellt, dass die Realität menschlicher Entscheidungsprozesse oftmals nicht mit den Annahmen des rational choice-Modells übereinstimmen.44 In dieser Tatsache sehen die Vertreter des behavioral law and economics die Legitimation für Paternalismus.45 Das Setzen von Rahmenbedingungen, z. B. durch Art, Inhalt und konkrete Gestaltung der ärztlichen Aufklärung, kann nach diesen Erkenntnissen eine Steuerung der Einwilligungsentscheidung des Patienten in medizinische Eingriffe bewirken.46 Trotz der Annahme, dass erfahrene Ärzte Verzerrungen oft vermeiden können, ergeben sich in der Praxis doch Fehleranfälligkeiten.47 Verschiedene Studien beschäftigen sich mit der Relevanz dieser Wahrnehmungsverzerrungen speziell im Bereich der medizinischen Versorgung.48 Es zeigt sich, dass sich unter den aufgedeckten Verzerrungen, auch Bias oder Verhaltensanomalien genannt, eine beachtliche Anzahl findet, die für das ärztliche Aufklärungsgespräch von Bedeutung sind. Unter den kognitiven Abweichungen ist zunächst der sogenannte Fram­ ing- oder Wording-Effekt von Bedeutung für die ärztliche Aufklärung.49 39  Sunstein / Thaler

(2007), S. 287. (2007), S. 259 ff., 287; van Aaken (2006), S. 123. 41  Vgl. Fateh-Moghadam (2010a), S. 33; Englerth (2007a), S. 78. 42  Englerth (2007a), S. 101, 43  Vgl. van Aaken (2006), S. 134. 44  Zum Ganzen Englerth (2010), S. 141. 45  Vgl. Englerth (2007b), S. 232. 46  Sunstein / Thaler (2007), S. 261. 47  Sunstein / Thaler (2007), S. 261. 48  Einschlägige Studien aus diesem Bereich können auf der Seite des Journal of the American Medical Association eingesehen werden (siehe Journal oft the American Medical Association (2008), http: /  / www.jama.ama-assn.org); i. Ü. vgl. auch die folgenden Fn. 49  Sunstein / Thaler (2007), S. 283 f., 261 mit Bsp. Vgl. auch Englerth (2007a), S. 89. 40  Sunstein / Thaler

312

E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

Logisch gleichwertige Darstellungen einer Behandlungssituation können bei Individuen aufgrund der konkreten Wortwahl oder Darstellungsweise bei der Beschreibung der Situation zu verschiedenen Entscheidungen führen.50 Nach dem ökonomischen Standardmodell wäre auf der Basis einer angenommenen Überlebenspräferenz51 eigentlich davon auszugehen, dass Pa­ tienten sich immer für die sicherste Therapie entscheiden. Tatsächlich zeigt sich aber, dass sich Patienten in ihrer Entscheidung beeinflussen lassen. Eine Fachpublikation aus dem medizinischen Bereich hat etwa festgestellt, dass bei riskanten Behandlungen unterschiedliche Entscheidungen abhängig davon getroffen werden, wie die Risiken sprachlich dargestellt werden – negativ mittels Sterberaten oder positiv mit prozentualen Überlebenschancen.52 Eine Studie an Patientinnen hat ergeben, dass sie Risiken konkreter einzuordnen vermögen, wenn Wahrscheinlichkeiten mit Ziffern dargestellt, als wenn sie mit Worten umschrieben werden.53 Eine kognitive Wahrnehmungsverzerrung ist auch der Issue Framing-Ef­ fekt, das so genannte Problemkreis-Bewusstsein. Bei dieser Rationalitätsanomalie wird der Fokus des einwilligenden Patienten gelenkt, indem durch eine Betonung bestimmter Aspekte das Augenmerk auf gewisse Gefahren oder Risiken gelegt wird.54 Bei der Wahl zwischen verschiedenen Therapieformen haben Studien etwa gezeigt, dass die Einwilligung des Patienten in eine Alternative auch davon abhängt, wie der Arzt den Blick des Patienten konkret auf unterschiedliche Risiken lenkt.55 Vor einem nicht indizierten Eingriff wie etwa einer Schönheitsoperation würde dieser Effekt bewirken, dass ein Patient beeinflusst würde, wenn Risiken vom Arzt besonders betont und nachhaltig erwähnt werden. Beim so genannten Referenzpunkt oder Status Quo Bias werden Gewinne und Verluste nicht logisch losgelöst, sondern in Abhängigkeit und in Bezug auf einen gegebenen Anknüpfungspunkt verwertet.56 Untersuchungen zeigen, dass Risiken durch den Arzt abgewertet werden können, wenn in den 50  Sunstein / Thaler

(2007), S. 283 f.; van Aaken (2007), S. 193 f. Ganzen van Aaken (2007), S. 193. Auch die Präferenzbildung ist nach der Verhaltensökonomik schon instabil. Insofern ist es bereits im Vorfeld für das Recht von Interesse, wie sie genau vor sich geht, da auch hier ein Einfallstor für paternalistische Maßnahmen besteht. 52  Vgl. die Studie von Lloyd (2001), „The extent of patients’ understanding of the risk of treatments“, i15 f. Hierzu auch van Aaken (2006), S. 115 f. 53  So die Ergebnisse der Studie von Drife (2007), „Putting risk into context“, S. 45. 54  Zum Ganzen van Aaken (2007), S. 194 f. 55  Studie von Caspi / Koithan / Criddle (2004), „Alternative medicine or ‚alternative‘ patients“, S. 73 f. 56  van Aaken (2007), S. 195. 51  Zum



I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung 313

Fokus des aufzuklärenden Patienten gestellt wird, dass eine die Behandlung unbedingt erforderlich machende Erkrankung diagnostiziert ist.57 Das Anchoring, genannt Ankerheuristik, ist ebenfalls eine systematisch verzerrte Informationsaufnahme.58 Menschen gewichten und verarbeiten die ihnen vermittelten Daten abhängig davon, welche Information sie zuerst erlangt haben. Insbesondere die zeitliche Reihenfolge der Informationsgenerierung kann ein Entscheidungsverhalten beeinflussen, aber auch das Anbieten einer zusätzlichen, schlechteren Entscheidungsalternative, da diese die zuvor getroffene Wahl noch bestärkt.59 Von erhöhter Bedeutung dürfte dies bei der Aufklärung über Schönheitsoperationen sein. Ein vom Arzt gesetzter Anfangspunkt, beispielsweise die überzeugend dargestellte Auskunft, dass der Eingriff stets völlig unproblematisch verlaufe und nur beste Ergebnisse erzielt würden, ist geeignet, den Patienten für folgende Informationen über mögliche unerwünschte Risiken unaufmerksam zu machen. Im Rahmen einer Wahl zwischen mehreren Therapiealternativen zeigen Studien, dass der Patient durch das Aufzeigen einer Reihe von „schlechteren“ Optionen auch in seiner Therapiewahl beeinflusst wird.60 Der den Menschen eigene Überoptimismus, auch unter dem Begriff der Vermessenheitsverzerrung oder des Over-Confidentiality Bias61 bekannt, bewirkt, dass Personen dazu neigen, eigene Risiken zu unterschätzen und ihre Kontrollmöglichkeiten überzubewerten.62 Diesem Verhaltensmuster könnte der Arzt ebenfalls durch entsprechende Darstellung der Risiken gezielt entgegenwirken. Der Sicherheitseffekt ist bei der ärztlichen Aufklärung auch zu beachten. Es zeigt sich, dass Menschen dazu neigen, geringere Wahrscheinlichkeiten in irrationaler Weise einzuschätzen und sie systematisch zu vernachlässigen.63 Das ist relevant für die Darstellung von Wahrscheinlichkeiten für unerwünschte Gefahren und Nebenfolgen bei der Risikoaufklärung. Die Ambiguitätsaversion besagt, dass Individuen dann besonders risiko­ avers sind, wenn ihnen Wahrscheinlichkeiten nicht genau benannt werden können64 – ein Befund, der wiederum von Interesse für die Risikoaufklä57  Vgl.

Redelmeier / Rozin / Kahneman (1993), S. 72. (2007), S. 281; hierzu auch Englerth (2007a), S. 82, 94. 59  Zum Ganzen van Aaken (2007), S. 196 f. 60  Vgl. Caspi / Koithan / Criddle (2004), S. 74 f. 61  Zum Beleg des so genannten Überoptimismus vgl. Prentice / Gold / Carpenter (2005), S.  507 ff. 62  Englerth (2007a), S. 95, van Aaken (2006), S. 119. 63  van Aaken (2006), S. 119. 64  Caspi / Koithan / Criddle (2004), S. 74 f.; van Aaken (2006), S. 119. 58  Sunstein / Thaler

314

E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

rung ist. Die Entscheidung eines Patienten kann beeinflusst werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit für unerwünschte Nebenfolgen eines Eingriffs erwähnt wird, ohne sie genau zu benennen.65 Nach den Ergebnissen einiger Studien wird der Patient dann dazu neigen, die objektive Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts überzubewerten. Auch im Bereich der Willensbildung finden sich Phänomene, die dem rational choice-Modell nicht bekannt waren. Diese sog. motivationalen Abweichungen sind ebenfalls von Bedeutung für Entscheidungsprozesse. Aus der Sicht der Paternalismusdiskussion ist in diesem Kontext vor allem zeitinkonsistentes Verhalten von Relevanz.66 Menschen verfügen über zwei Arten von Präferenzen, nämlich Kurzzeit- und Langzeitpräferenzen. Oft gelingt es ihnen nicht, diese verschiedenen Interessen bei einer Entscheidung in Einklang zu bringen, wie etwa bei gewohnheitsmäßigem Rauchen oder bei der Einwilligung in eine Schönheitsoperation, die langfristig betrachtet erhebliche gesundheitliche Risiken birgt.67 Hierbei handelt es sich zwar nicht um eine Anomalie im engeren Sinne, da die Entscheidung im konkreten Moment der Behandlung sehr wohl subjektiv rational und gewollt sein kann. Dennoch ist der Effekt interessant, da ein paternalistisches Eingreifen immer dazu neigt, die Achtung von Langzeitpräferenzen als Wohlfahrt einzuordnen.68 2. Normative Konsequenzen? Das tatsächliche Entscheidungsverhalten von Personen erscheint aufgrund der Ergebnisse von behavioral law and economics in einem veränderten Licht. Festzuhalten ist, dass eine Gefahr „defizitärer“ Patientenentscheidungen besteht. Die Berücksichtigung dieser Ergebnisse zeigt auch, dass durch die konkrete Ausgestaltung der ärztlichen Aufklärung ein signifikanter Einfluss auf das Entscheidungsverhalten der Patienten ausgeübt werden kann.69 Auf der Grundlage des optimierte Rationalität bezweckenden Konzept des behavioral law and economics wurde die Regelungsqualität der Aufklärungsdogmatik für nicht indizierte ärztliche Eingriffe und Schönheitsoperationen für nicht ausreichend gehalten. Dabei stellt sich die Frage, ob aus der Verhaltensökonomik, die eine deskriptive Theorie darstellt,70 ohne weiteres normative Schlüsse gezogen werden können. 65  van

Aaken (2006), S. 119. (2009), S. 722; van Aaken (2006), S. 121. 67  Zum Ganzen van Aaken (2006), S. 121. 68  Vgl. dazu Englerth (2007b), S. 235. 69  Sunstein / Thaler (2007), S. 288 f. 70  Gutwald (2010), S. 76. 66  Schroth



I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung 315

a) Auswirkungen der Erkenntnisse von behavioral law and economics für die Normierung der ärztlichen Aufklärungspflicht? – Der Vorschlag eines „libertären“ bzw. „schonendsten“ Paternalismus“ Vor allem im angelsächsischen Raum wird das verhaltensökonomische Konzept der bounded rationality als Rechtfertigungsstrategie für weich pa­ ternalistische Regelungen angeführt. Autoren wie Cass Sunstein, einer der renommiertesten Rechtswissenschaftler der USA, haben eine über die geltende Aufklärungsdogmatik hinausgehende, schärfere und steuernde Normierung der ärztlichen Aufklärungspflicht angeregt, die die Ergebnisse des behavioral law and economics beachtet und eine lenkende Funktion für Entscheidungsprozesse erfüllt.71 Der Versuch des Gesetzgebers, die Rahmenbedingungen autonomen bzw. rationalen Entscheidens von Personen zu optimieren, wird als zulässige Rechtfertigung für weich paternalistische Regelungen betrachtet und das Erzielen optimierter Rationalität gerade als Anliegen von Staat und Rechtsordnung anerkannt.72 Die Vertreter dieser Legitimationslinie geben zwar den normativen Ansatz von Rationalität nicht auf, wenden sich aber von der Annahme uneingeschränkter Rationalität durch law and economics ab und machen sich stattdessen die Herstellung derselben zur Aufgabe.73 Sie fordern, dass den erkannten Abweichungen entgegengewirkt und diese reduziert werden müssen (Lerneffekt).74 Die genannten Autoren argumentieren dabei wie folgt: Normieren Gesetzgeber und Rechtsprechung keine Aufklärungspflichten, unterliege der Pa­ tient einem Informationsdefizit, das sich nicht mit seinem Selbstbestimmungsrecht und dem modernen Verständnis des Arzt-Patienten-Verhältnisses vereinbaren ließe. Wird aber, wie im deutschen Medizinrecht geschehen, eine Aufklärungsdogmatik geschaffen, würden allein dadurch beeinflussende Rahmenbedingungen für das Entscheidungsverhalten der Patienten bei der Einwilligung gesetzt.75 Konkret im Fall der ärztlichen Aufklärungs71  Jolls / Sunstein / Thaler (1998), S. 1541; Sunstein / Thaler (2007), S. 259 ff., 299, Originalausgabe unter dem Titel „Laws of Fear. Beyond the Precautionary Principle“, in englischer Sprache erstmals veröffentlicht 2005; Thaler / Sunstein (2009), S. 26. Sunstein / Thaler sprechen von einem libertären Paternalismus. Zum Ganzen Rachlinski (2003), S. 1165, 1166 m. w. N. Für den deutschen Rechtsraum van Aaken (2006), S. 109 ff., van Aaken (2007), S. 189 ff., die das Konzept des schonendsten Paternalismus zur Optimierung von Rahmenbedingungen mensch­ lichen Entscheidens präsentiert und dabei vor allem auf Wahlhilfen im Gegensatz zu Wahlverboten abstellt, vgl. van Aaken (2006), S. 137, mit dem Hinweis, dass eine Missbrauchsgefahr dieser Legitimationslinie besteht, S. 110. 72  Sunstein / Thaler (2007), S. 261 f.; van Aaken (2006), S. 140. 73  van Aaken (2006), S. 140. 74  van Aaken (2006), S. 110; Sunstein / Thaler (2007), S. 271. 75  Sunstein / Thaler (2007), S. 273, 277.

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

pflichten sei es sinnlos, in diesen Fällen einfach nur zu fordern, die Präferenzen der Akteure zu berücksichtigen und nur die nötige Information durch den Arzt vermitteln zu lassen.76 Denn, so diese Autoren, gestützt von einschlägigen medizinwissenschaftlichen Studien,77 die Vorstellung perfekter Informationsverarbeitung durch Patienten sei illusorisch, da diese zum einen keine klaren Präferenzen haben, zum anderen kognitiven und Willensschwächen unterliegen. Framing-Effekte seien bei der Darstellung medizinischer Risiken unvermeidlich. In manchen Fällen vergrößerten zusätzliche Informationen über Eingriffsrisiken nur die Angst der Patienten.78 Paternalismus sei vor diesem Hintergrund unvermeidlich. Sunstein und Thaler reagieren auf diese Erkenntnis mit dem von ihnen vorgestellten Prin­ zip des libertären Paternalismus.79 Dem Einzelnen sollen Anstöße – „nud­ ges“ – gegeben werden, um ihn zu Entscheidungen zu bewegen, die, gemessen an eigenen Maßstäben, zu seinem Besten sind.80 Nach ihrer Ansicht bezweckt ihr Ansatz die Steigerung des Wohlergehens der Menschen durch Beeinflussung in ihrem eigenen Interesse, ermöglicht dem Einzelnen aber jederzeit eine freie Wahl, indem er immer aus paternalistisch festgelegten Arrangements aussteigen könne.81 Van Aaken überträgt dieses Konzept in den deutschen Rechtsraum; sie spricht vom Prinzip des schonendsten Pa­ ternalismus und sieht zwar eine höhere Begründungslast als Sunstein und Thaler. Sie fragt aber ebenso nicht grundsätzlich nach der Zulässigkeit von paternalistischen Beschränkungen der Selbstverfügungsfreiheit, sondern richtet ihr Augenmerk auf die Zulässigkeit einzelner, abgestufter und paternalistischer Maßnahmen im Sinne des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots.82 Bisher habe sich die juristische Diskussion im Bereich des Paternalismus eher auf Wahlverbote und Wahlgebote beschränkt.83 Van Aaken weist 76  Sunstein / Thaler

(2007), S. 288. Caspi / Koithan / Criddle (2004), S. 77: „Our study shows clearly that patients vary in their expectations, beliefs, experience, appraisal of the situation, affective state, motivation, and goals. Hence, providing patients with just the evidence is not enough since, evidence does not make decisions, people do.“ Vgl. auch Sunstein / Thaler (2007), S. 288 m. w. N. 78  Zum Ganzen Sunstein / Thaler (2007), S. 288. 79  Sunstein / Thaler (2007), S. 259 ff.; Thaler / Sunstein (2009), S. 309, 315. 80  Thaler / Sunstein (2009), S. 14 f. 81  Sunstein / Thaler (2007), S. 262 f. Thaler / Sunstein (2009), S. 14, 330 weisen darauf hin, dass ihr Konzept eines libertären Paternalismus zentral Entscheidungsfreiheit gewähren will und deshalb auf Entscheidungen beschränkt sein soll, bei denen für den Einzelnen eine echte Freiheit zur Wahl bestehen bleibe. ‚Autoritäre‘ Regelungen, die Gebote oder Verbote beinhalten, seien demgegenüber „eher bedenklich“. 82  Sunstein / Thaler (2007), S. 264, 267; van Aaken (2006), S. 133 ff., 140. 83  So etwa bei Schwabe (1998), S. 68. 77  Vgl.



I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung 317

nun auf die Bedeutung der Auswahl der konkreten rechtlichen Instrumente hin und nennt dabei auch sog. Wahlhilfen, insbesondere deliberative Verfahren.84 Unterschieden werden dabei zwei Ansatzpunkte: zum einen Maßnahmen, die die Bildung von Präferenzen betreffen, zum anderen Maßnahmen, die auf die Verfolgung von Präferenzen abzielen.85 Aus (libertär-)paternalistischer Perspektive wird gefordert, die ärztlichen Aufklärungspflichten dahingehend zu regeln, dass die verschiedenen, von der Verhaltensökonomik aufgedeckten Verhaltensanomalien berücksichtigt und genutzt werden, um den Patienten noch „effektiver“ in seinem Entscheidungsprozess zu steuern und ihn etwa von der Einwilligung in einen selbstschädigenden Eingriff abzuhalten.86 Die ärztliche Aufklärung solle unter Einbeziehung der Erkenntnisse über Wahrnehmungsverzerrungen stets so zu gestalten sein, dass die Patienten sich für die objektiv beste Behandlung entscheiden.87 Damit wird eine generell zu beobachtende Tendenz verfolgt.88 Im Bereich nicht indizierter ärztlicher Eingriffe wird der Bedeutungsverlust des Indikationskonzepts ausgeglichen, indem innerhalb eines Informationskonzepts die Anforderungen an eine wirksame ärztliche Aufklärung erhöht werden.89 Dass die von behavioral law and economics aufgedeckten menschlichen Verhaltensweisen im Medizinrecht bereits berücksichtigt sind, zeigt sich dabei in einer deskriptiven Analyse des geltenden Rechts.90 Zu erklären ist so die Anforderung der Rechtsprechung, das Aufklärungsgespräch bei kosmetischen Operationen „rechtzeitig“, also einige Zeit vor dem Eingriff des plastischen Chirurgen vorzunehmen. Unüberlegte, leichtsinnige Entscheidungen, die sich aus mangelnder Selbstkontrolle oder Überbewertung von Kurzzeitpräferenzen wie einem neuen Aussehen ergeben, sollen durch die Verpflichtung, eine solche „Abkühlungszeit“ abwarten zu müssen, verhindert werden.91 Erklären lässt sich so auch die in der Rechtsprechung auftauchende Forderung nach einer „abschreckenden“ Aufklärung mit Hilfe von Fotos oder gar nach einer „Totalaufklärung“ bei nicht indizierten 84  van

Aaken (2006), S. 133. Aaken (2006), S. 113. 86  Sunstein / Thaler (2007), S. 299. 87  Sunstein / Thaler (2007), S. 265, 299, 288. 88  Vgl. zum Ganzen Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 101 ff. 89  Vgl. Damm / Schulte in den Bäumen (2005), S. 121 ff. So etwa die spezialgesetzlichen Normierungen in § 8 Abs. 1 S. 1  Nr. 1b, Abs. 2 TPG, § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3b, Abs. 2 S. 1, IV Nr. 3, § 41 III Nr. 2 AMG und § 3 Abs. 1 KastrG. 90  Vgl. zur deskriptiven wie präskriptiven normativen Bedeutung von behavioral law and economics Jolls / Sunstein / Thaler (1998), S. 1471; Englerth (2007a), S. 105; van Aaken (2006), S. 111. 91  Vgl. Ulsenheimer (2008), Rn. 72. 85  van

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

Schönheitsoperationen.92 Durch solche Rahmenbedingungen des Aufklärungsgesprächs kann verstärkt Einfluss auf den Patienten ausgeübt werden. Framing-Effekt und Issue-Framing-Effekt werden dazu führen, dass demjenigen, der etwa eine Fettabsaugung wünscht, die Gefahren derselben viel klarer vor Augen geführt werden. Zeigt der Arzt Fotos, die unerwünschte Nebenfolgen oder unzureichende Erfolge belegen, wie beispielsweise eine verformte Hautstruktur in Folge des Eingriffs, oder klärt er schonungslos darüber auf, dass bei der Liposuktion eine ganz erhebliche Misserfolgsquote und sogar Mortalitätsrate besteht,93 wird er den Patienten stärker beeinflussen. Diese Argumentation müsste in ihrer präskriptiven Umsetzung de lege ferenda darüber hinaus jedoch dazu führen, jenseits einer gewissen Erheblichkeitsschwelle des Eingriffs Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht vor nicht indizierten Schönheitsoperationen noch präziser, strenger und mit dem Ziel der Abschreckung gesetzlich zu normieren. Indem der Gesetzgeber Rahmenbedingungen im Sinne der Erkenntnisse der Verhaltensökonomik setzt, könnte er erreichen, dass eine höhere Anzahl von Personen von ihrem Wunsch nach einer kosmetischen Operation „abgebracht“ wird.94 Die Risikoaufklärung könnte dazu dienlich gemacht werden, die – angenommene – Langzeitpräferenz des Patienten (seine Gesundheit nicht zu gefährden) gezielt stärker zu schützen und einem – angenommenen – zeitinkonsistenten Verhalten (Überbewertung der Kurzzeitpräferenz Aussehen) entgegenzuwirken. Ärzte könnten veranlasst werden, die schwerwiegendsten unerwünschten Folgen und Risiken einer kosmetischen Operation gleich zu Anfang des Gesprächs und äußerst drastisch darzustellen, etwa im Sinne einer Totalaufklärung über sämtliche Risiken und unerwünschte Folgen bis ins kleinste Detail und mit Hilfe abschreckender Abbildungen. Unüberlegte, leichtsinnige Entscheidungen würden etwa durch die Verpflichtung beeinflusst, eine Abkühlungszeit in Form eines gesetzlich noch erheblich verlängerten Zeitraums zwischen Aufklärungsgespräch und Operation abwarten zu müssen.95 Würde der Arzt entsprechend der schon jetzt zum Teil in der Rechtsprechung96 auftauchenden Forderung verpflichtet, dem Patienten Fotos zu zeigen, die unerwünschte Nebenfolgen oder unzureichende Erfolge von Schönheitsoperationen optisch und nachdrücklich belegen, beispielsweise verformte Hautstrukturen oder große Narben, oder 92  Vgl.

OLG München, Urteil vom 19.09.1985, 24 U 117 / 85. E. Fn. 97. 94  Falls dies eine gesundheitspolitische Zielsetzung sein sollte, um bspw. schädliche Langzeitfolgen zu vermeiden, vgl. oben. 95  Sunstein / Thaler (2007), S. 293 f. 96  Vgl. OLG München, Urteil vom 19.09.1985, 24 U 117 / 85. 93  Vgl.



I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung 319

in drastischer und schonungsloser Weise darüber aufzuklären, dass bei der Liposuktion eine ganz erhebliche Misserfolgsquote und Mortalitätsrate besteht97, würden Patienten vermutlich beeinflusst und sich im Sinne gesundheitspolitischer Vorstellungen eher gegen eine Einwilligung in den kosmetischen Eingriff entscheiden. b) Kritik am verhaltensökonomischen Modell Wann ist es nun für den Staat zulässig, den Einzelnen zu seinem vermeintlich eigenen Wohl zu steuern und dabei in das Grundrecht der Selbstbestimmung über den eigenen Körper einzugreifen? Muss er der festgestellten Gefahr „defizitärer“ Patientenentscheidungen entgegenwirken?98 Darf er die Rahmenbedingungen bei der ärztlichen Aufklärungspflicht so setzen, dass Patientenentscheidungen in eine gewünschte Richtung modifiziert werden? Die verhaltenswissenschaftlich untermauerte Ökonomie erscheint zwar nach obigen Überlegungen auf den ersten Blick als geeignetes Argumentationsmodell für eine Festlegung von Inhalt, Art, Umfang und Zeitpunkt der ärztlichen Aufklärung. Aus normativer Sicht ist aber zu unterscheiden zwischen solchen Entscheidungen, die das Risiko lediglich „unerwünschter“ Ergebnisse tragen, und solchen, die wirklich als defizitär und regulierungsbedürftig betrachtet werden müssen.99 Entscheidend ist die Frage, ob alleine die Erkenntnis der beschränkten Rationalität zulässiger Legitimationsgrund für Paternalismus sein kann, wie es zum Teil angenommen wird. Hieran bestehen Zweifel in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist der Ansatz des behavioral law and economics schon aus sozialwissenschaftlicher Sicht nicht unumstritten. Zum anderen ergibt sich Kritik aus verfassungsrecht­ licher Perspektive.

97  Eine umfassende medizinische Studie zu den Risiken subkutaner Fettabsaugungen hat etwa ergeben, dass in Deutschland im Zeitraum von 1998 bis 2002 66 Patienten, die sich einer Fettabsaugung unterzogen hatten, mit lebensgefährlichen Infektionen und anderen Folgen auf die Intensivstation eingeliefert werden mussten; 16 von ihnen verstarben. Vgl. die Studie von Prof. Hans Ulrich Steinau und Dr. Marcus Lehnhardt, Universitätsklinik Bochum; zum Ganzen auch Der Spiegel, Heft 24 vom 07.06.2004, S. 143 ff. Vgl. auch oben E.I. Zu den Risiken von Brustimplantaten vgl. die Petitionen verschiedener Selbsthilfegruppen von Frauen aus europäischen Mitgliedsstaaten, die nach der Einsetzung von Silikongel-Brustimplantaten unter erheblichen Beschwerden litten; hierzu Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.02.2003, KOM(2001) 666 – C5-0327 / 2002 – 2002 / 2171 (COS). 98  Vgl. zu Entscheidungsdefiziten bei der Einwilligung allgemein und sehr ausführlich Murmann (2005), S. 433 ff. 99  Englerth (2007b), S. 241.

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

aa) Kritik aus sozialwissenschaftlicher Sicht Ein erster Einwand gegen eine direkte normative Reaktion auf die Effekte, die behavioral law and economics beobachtet hat, ist, dass diese ambivalent sind, also sowohl positive wie negative Auswirkungen haben. Eine eindeutige Rechtfertigung für paternalistische Maßnahmen kann ihnen schon deshalb in der Regel nur schwer entnommen werden.100 Der deutsche Kognitionspsychologe Gigerenzer und der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Berg bestreiten ebenfalls, dass eine Legitimierung von paternalistischen Maßnahmen in direkter Konsequenz aus den verhaltensökonomischen Erkenntnissen abgeleitet werden könne. „The generalization we argue most vehemently against is the claim, now common in the behavioral economics literature, that when individuals fail to conform to the usual normative decision-making axioms, government should try to change individual behavior so that it more closely conforms.“101

Vielmehr habe man zeigen können, dass solche paternalistischen Eingriffe eher geeignet sind, das gesellschaftliche Gemeinwohl zu reduzieren102 und dass ein Individualnutzen oftmals eher aus Bauchentscheidungen zu erzielen sei.103 Diese Erkenntnis als richtig unterstellt, bedeutet eine gesteuerte Aufklärung durch den Arzt nicht einmal, dass der Patient in ihrer Folge zu einer besseren, „rationalen“ Entscheidung gelangt. In der Erkenntnis beschränkter Rationalität selbst gründet ein weiterer Einwand als systemimmanente Kritik. Auch die Planer von paternalistischen Maßnahmen, also Gesetzgeber und Mitglieder der interdisziplinären Kommissionen selbst, können menschlichen Wahrnehmungsverzerrungen unterliegen, die die kognitive Psychologie aufgedeckt hat.104 Auch ihnen kann man nicht die sichere Kompetenz zu rationalem Entscheiden zusprechen.105 Ein wichtiges Argument gegen eine verhaltensökonomische Legitimierung paternalistischer Maßnahmen deckt Kelman auf.106 Die Anhänger der Idee, dass Paternalismus mit dem Konzept der bounded rationality legitimierbar sei, scheinen unausgesprochen der Prämisse zu folgen, dass nur eine vollständig rationale Entscheidung eine autonome Entscheidung sein kann, 100  Englerth

(2007b), S. 241, 240 m. w. N.; Berg / Gigerenzer (2007), S. 340. (2007), S. 355. 102  Berg / Gigerenzer (2007), S. 355. 103  Gigerenzer (2007), Bauchentscheidungen; Berg / Gigerenzer (2007), S. 337. 104  Vgl. Sunstein / Thaler (2007), S. 297; Englerth (2007a), S. 120. Vgl. van ­Aaken (2006), S. 134. 105  Anders Sunstein / Thaler (2007), S. 297, mit Gegenargumenten. 106  Kelman (2003), S. 1383 f.; so auch Englerth (2007b), S. 242. 101  Berg / Gigerenzer



I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung 321

i­ndem sie behaupten, dass manipulierte Entscheidungen schneller bereut werden.107 Ein Patient wäre demnach auf lange Sicht glücklicher mit seiner Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff, wenn diese Einwilligung frei von beeinflussenden Rahmenbedingungen gefällt wurde. Die Tatsache, dass eine Patientenentscheidung nach verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen kontextabhängig oder von anderen Effekten beeinflusst sei, heißt aber noch nicht, dass sie nicht authentisch oder nicht zufriedenstellend sein oder nicht mit den Präferenzen des Patienten übereinstimmen könne.108 Das Konzept der Verhaltensökonomik ist nach alledem kein zwingendes Legitimationsmodell, sondern schon aus sozialwissenschaftlicher Perspektive angreifbar. Schon deshalb können die verhaltensökonomischen Erkenntnisse für die juristische Praxis jedenfalls nicht in jeder Hinsicht unmittelbar fruchtbar gemacht werden. bb) Kritik aus rechtlicher Sicht Der Staat trifft gesundheitspolitische Leitentscheidungen zum Wohle seiner Bürger. Ob und inwieweit er paternalistische Maßnahmen ergreifen kann – beispielsweise eine Förderung der Lebendorganspende und eine Eindämmung nicht indizierter Schönheitsoperationen – steht zwar weitgehend in der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers; jedoch sind dabei die Grenzen zu beachten, die insbesondere das Verfassungsrecht vorgibt.109 Aus strafrechtlicher Sicht ist entscheidender Maßstab für die Wirksamkeit der Einwilligung die Autonomie der Entscheidung.110 In juristischer Hinsicht bezeichnet der Autonomiebegriff die normative Kompetenz des Einzelnen, im Rahmen der ihm zuerkannten Individualrechtsgüter selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu entscheiden.111 Ein Autonomiedefekt macht die Einwilligung rechtlich unwirksam. Zwar versucht das Recht in einzelnen Bereichen, Autonomie zu optimieren.112 Doch auch objektiv irrationale Entscheidungen sind nicht zwingend unwirksam, genausowenig, wie rationale Entscheidungen immer freiwillig bzw. autonom getroffen sein müssen.113 Eine Einwilligung kann nach allgemeiner Ansicht auch dann als autonom betrachtet werden, wenn sie nicht vernünftig ist bzw. nicht objektiven Ratio­ 107  Zum

Ganzen Englerth (2007b), S. 242 f. auch Schroth (2009), S. 726. 109  BVerfG, NJW 1994, 1578 f.; BVerfG, NJW 1999, 3400 f.; Fateh-Moghdadam (2010a), S. 38. Vgl. auch Englerth (2007a), S. 121. 110  Fateh-Moghdadam (2010a), S. 37. 111  Vgl. hierzu Schroth (2006a), S. 89 ff.; Rönnau (2001), S. 215. 112  Vgl. Schroth (2010e), S. 789. 113  Oswald (2010a), S. 105. 108  Vgl.

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

nalitätsmaßstäben entspricht.114 Das Strafrecht erkennt dem Einwilligenden die Befugnis über seine Entscheidungen zu, denn es ist subsidiärer Rechtsgüterschutz und schützt auch den unvernünftigen Willen des Geschädigten,115 solange die eingewilligte Handlung Ausdruck seiner Selbstentfaltung ist.116 Nach geltendem Strafrecht ist eine Einwilligung deshalb nur aufgrund fehlender Einwilligungsfähigkeit und wesentlicher Willensmängel sowie – ausnahmsweise – aufgrund Sittenwidrigkeit gemäß § 228 StGB unwirksam.117 Die verhaltensökonomische Argumentationsstruktur bietet keine den Anforderungen des Rechts genügende Begründung und Legitimation für die auch bei der ärztlichen Aufklärung in Frage stehenden paternalistischen Normen.118 Die Verhaltensanomalien des behavioral law and economics stellen keine den strafrechtlich relevanten Willensmängeln bzw. Einwilligungsvor­ aussetzungen vergleichbaren Autonomiedefizite dar. Vielmehr kennzeichnen die beschriebenen Verhaltensverzerrungen den Normalfall menschlichen Verhaltens.119 Eine gleichwertige Gefahr defizitärer Entscheidungen haftet ihnen nicht an. Behavioral law and economics verschiebt damit den normativen Anknüpfungspunkt von der Autonomie zur objektiven Rationalität einer Entscheidung und begründet dabei einen unzulässigen Vernunftpaternalismus.120 Wenn das Recht eine normative Zuständigkeit zur autonomen Entscheidung über eigene Rechtsgüter einräumt, kann es diese Berechtigung nicht zugleich untergraben, indem es an die Wirksamkeit einer Einwilligungsentscheidung Anforderungen stellt, die das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in Frage stellen.121 Maßstab für Paternalismus ist weiter die Frage der verfassungsrecht­ lichen Legitimation, insbesondere anhand des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots.122 Im Kontext ärztlicher Aufklärungspflichten ist dabei das Grundrecht der Selbstbestimmung des Patienten über den eigenen Körper beeinträchtigt.123 Die Verfolgung gesundheitspolitischer Interessen zum Schutz des Patienten vor defizitären Entscheidungen bei einer gegebenenfalls riskanten und folgenreichen Schönheitsoperation ohne medizinischen 114  Roxin (2006), § 13 Rn. 19 ff., 48, 86; Schroth (2009), S. 726; Rönnau (2001), S. 215 ff.; Fateh-Moghadam (2010a), S. 34. 115  Vgl. Rönnau (2001), S. 215 ff. 116  Vgl. Roxin (2006), § 2 Rn. 7, 32. 117  Vgl. für viele Roxin (2006), § 13 Rn. 4 ff. 118  So auch Fateh-Moghadam (2010a), S. 34. 119  van Aaken (2006), S. 110. 120  Fateh-Moghadam (2010a), S. 34, 37; Rönnau (2001), S. 216. Aus philosophischer Perspektive hierzu ausführlich Gutwald (2010), S. 76 ff. 121  Schroth (2009), S. 726. 122  So auch Fateh-Moghadam (2010a), S. 37, 38 ff. Ausführlich oben B.V.4. 123  Ausführlich oben B.III.1.



I. Schönheitsoperation und ärztliche Aufklärung 323

Anlass kann als legitimer Zweck einer Gesetzgebung betrachtet werden. Das eingesetzte Mittel, nämlich die Pflicht des Arztes zur Aufklärung des Patienten, ist geeignetes und zugleich mildestes und daher erforderliches Mittel.124 Auf der Ebene der Zumutbarkeit muss aber das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in die Abwägung eingestellt werden. Bei Freiheitsbeschränkungen wie der vorliegenden, die ausschließlich dem Schutz des betroffenen Individuums selbst dienen sollen, ist dieses Grundrecht des Patienten zugleich Schranken-Schranke des Eingriffs.125 Eine ärztliche Aufklärung, die den rechtlich niedergelegten Anforderungen nicht genügt, macht die Einwilligung des Patienten unwirksam. Die Einwilligung ist im Strafrecht das Instrument, das dem Selbstbestimmungsrecht und der Patientenautonomie zur Durchsetzung verhilft; geschützt wird auch die Entscheidungsgrundlage.126 Aus dem Blickwinkel des principlism von Beauchamp und Childress überwiegt nicht das ärztliche Schädigungsverbot, sondern das ethische Prinzip der Patientenautonomie bei der Normierung des Entscheidungsprozesses des autonomen Patienten. Leitbild der Verfassung, das sich auch im Medizinrecht widerspiegelt, ist das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, und nicht die Optimierung (objektiv) rationaler Entscheidungen. Aus der liberalen Grundrechtsordnung ergibt sich die verfassungsrechtliche Anerkennung der Verfügungsfreiheit über den eigenen Körper. Jede Freiheitseinschränkung trägt eine Begründungs- und Rechtfertigungslast.127 Die Verfügungsfreiheit über den eigenen Körper, die das Recht dem Einzelnen als Berechtigung oder Entscheidungskompetenz zuerkennt, umfasst auch objektiv nicht mehr nachvollziehbare Schönheitsvorstellungen.128 Den einwilligungsfähigen Patienten über eine entsprechend ausgestaltete Aufklärung zu „objektiv vernünftigen“ Einwilligungsentscheidungen zu bewegen und von ästhetisch-chirurgischen Eingriffen bewusst abzubringen, ist nicht Aufgabe des Rechts. Auch wegen der Einzigartigkeit jedes Arzt-Patienten-Verhältnisses ist eine steuernde Normierung im Hinblick auf die kognitiv-psychologischen Forschungen nicht angeraten.129 Auch insoweit ist das vertrauensvolle Zusammenwirken von Arzt und Patient bei der Ausgestaltung des richtigen Umfangs der Aufklärung entscheidend. Es obliegt dem Arzt im Einzelfall, die Umstände richtig zu bewerten, die Aufklärung danach zu richten und 124  Zum

folgenden insgesamt Hufen (2014), § 9 Rn. 14 ff. so Fateh-Moghadam (2010a), S. 37 ff., 39; Joost (2010a), S. 153. A. A. Bublitz (2012), S. 396; Schwabe (1998), S. 69 f. 126  Vgl. Möller (2005), S. 137. 127  Vgl. van Aaken (2006), S. 111. 128  Roxin (2006), § 13 Rn. 48; Schroth (2009), S. 726. 129  Vgl. NK-StGB-Paeffgen (2013), § 228 Rn. 77. 125  Umstr.;

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

hierfür die angemessene Wortwahl und Darstellungsweise zu finden. So hat auch der Bundesgerichtshof entschieden: „Die Vielfältigkeit der individuellen Gegebenheiten im Verhältnis zwischen Arzt und Patient bewirkt, dass sich ein Urteil darüber, ob der Arzt seiner Aufklärungspflicht genügt hat, nur in Würdigung der gesamten Umstände bilden lässt.“130

Auch und gerade Einwilligungen in Schönheitsoperationen, die medizinisch nicht angezeigt sein mögen, dennoch aber ohne weiteres dem Präferenzsystem des Einwilligenden entsprechen können, müssen vor diesem rechtlichen Hintergrund wirksam sein. 3. Fazit Vor diesem Hintergrund ist eine steuernde Normierung der ärztlichen Aufklärungspflichten bei der Schönheitsoperation im Lichte des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts des Patienten abzulehnen. Behavioral law and eco­ nomics liefert deskriptive Erkenntnisse über das tatsächliche Entscheidungsverhalten von Personen und hat damit im zuvor in sich geschlossenen System des law and economics aus rechtlicher Sicht neue Wertungsfragen aufgeworfen.131 Die normative Bedeutung von behavioral law and economics zeigt sich dabei jedenfalls in einer (deskriptiven) Analyse des geltenden Rechts und ggf. auch in einer potentiell (präskriptiven) Umsetzung de lege ferenda.132 Gesetzgeber, Gerichte und diejenigen Personen, die als Teil eines vorgegebenen gesetzlichen Verfahrens die Einwilligungsentscheidung des Patienten begleiten, sollten die in der Verhaltensökonomik gefundenen Verhaltensanomalien darauf überprüfen, ob und inwieweit sie bei Gesetzesauslegung und ggf. Gesetzgebung für die ärztliche Aufklärung zu beachten sein könnten.133 Warum und ob der Staat auch unvernünftige Entscheidungen des Einzelnen akzeptieren soll, folgt aus diesem Ansatz aber nicht.134 Die notwendige Legitimation paternalistischer Regelungen erschließt sich letztlich erst aus dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot.135 Das Medizinstrafrecht orientiert sich am Selbstbestimmungsrecht des Patienten über seinen Körper und nicht an der Optimierung objektiv rationaler Entscheidungen.136 130  BGH,

NJW 1976, 363, 364. (2007b), S. 255. 132  Englerth (2007a), S. 105; van Aaken (2006), S. 111; Jolls / Sunstein / Thaler (1998), S. 1471. Englerth (2007a), S. 117, weist zutreffend darauf hin, dass diese Theorie noch jung ist und weiterer Entwicklung bedarf, um von unmittelbarer normativer Bedeutung sein zu können. 133  So auch Englerth (2007a), S. 101, van Aaken (2006), S. 110. 134  So zutreffend Englerth (2007b), S. 236. 135  Fateh-Moghadam (2010a), S. 39. 136  Schroth (2009), S. 726. 131  Englerth



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger325 „Die Erkenntnis, dass die meisten Menschen nur beschränkt rational sind, begründet für sich allein genommen noch gar nichts, auch keine staatlichen Eingriffe.“137

Die unmittelbare Rezeption der Verhaltensökonomik als ad hoc-Rechtfertigung für paternalistische staatliche Eingriffe käme nach dieser zutreffenden Ansicht Englerths einer Verwechslung von Anlass und Legitimation für eine Regelung der Aufklärungspflichten gleich und wäre ein normativer Fehlschluss.138

II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger bzw. stellvertretende Einwilligung Nicht nur unter Erwachsenen hat sich das Phänomen Schönheitsoperation verbreitet. Der Trend ist längst bei Jugendlichen und sogar Kindern angekommen.139 Im Folgenden sollen die Vorschläge (III.) einer kritischen Betrachtung unterzogen werden, die anlässlich dieser tatsächlichen (I.) und rechtlichen (II.) Problematik schönheitschirurgischer Maßnahmen an Minderjährigen de lege ferenda angeführt worden sind (IV.). 1. Tatsächliche Problematik In Deutschland werden heute rein kosmetisch veranlasste Eingriffe auch an Minderjährigen durchgeführt. Eine anderslautende Einschätzung haben die vom Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags befragten Chirurgen für die Tätigkeit der Mitglieder ihrer Fachverbände abgegeben. Sie selbst gehen davon aus, dass von den in den Verbänden erfassten Fachärzten nur plastische Operationen an Minderjährigen vorgenommen werden, die rekonstruktiver Natur sind und auf echte Defekte zurückgehen, mithin medizinisch indiziert sind.140 Die Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland e. V. (GÄCD) gibt ebenfalls an, dass mit Ausnahme der bei Kindern oft angezeigten Otoplexie bzw. Ohranlegeplastik „seriöse Ärzte 137  van Aaken (2006), S. 110, 135, die aber einen „schonenden“ Paternalismus für zulässig halt. 138  Englerth (2007b), S. 236. 139  Bischoff (2009), S. 190. BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2, greift den medial bekannt gewordenen Fall auf, in dem Eltern ihren Töchtern zum Abitur eine Brustvergrößerung schenkten. Auch wenn die deutschen plastisch-chirurgischen Fachärzte, die Schönheitsoperationen durchführen, nach ihren Erfahrungen den derzeit verbreiteten Trend in seinen Ausmaßen für dramatisiert halten, vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, S. 14 und FAZ vom 23.04.2008, „Gefährliche Schönheit“, zeigt er doch eine gesellschaftliche Tendenz auf. Vgl. auch oben B.I.3.c)cc). 140  BT-Protokoll Nr. 16 / 83, S. 14; Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung am 23.04.2008, S. 14, 15, 22, 25.

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

[…] in Deutschland keine Patienten unter 18 Jahre rein ästhetisch operieren“.141 Die Berufsgruppe der ästhetischen Chirurgen sieht solche nicht indizierten, rein kosmetischen Eingriffe an Minderjährigen als standeswidrig bzw. jedenfalls tatsächlich allenfalls im Promillebereich liegend an.142 Doch man ist sich einig, dass eine Dunkelziffer schon wegen der Vornahme durch in den Fachverbänden nicht erfasste Ärzte ohne fachärztliche Qualifikation besteht, deren Höhe nicht kalkulierbar ist. Die Einschätzungen der Fachverbände werden insgesamt vielfach angezweifelt, wie auch aus den oben vorgestellten Zahlen ersichtlich wird.143 Es trifft wohl nicht zu, dass in Deutschland keine rein kosmetischen Eingriffe an Minderjährigen durchgeführt werden. Erhebungen zeigen vielmehr, dass Ärzte nicht indizierte Schönheitsoperationen auch an unter 18-Jährigen durchführen.144 Viele Chirurgen geben selbst an, auch Schönheitsoperationen an 16- bis 18-Jährigen nicht generell abzulehnen.145 Die ehemaligen Koalitionsfraktionen des Deutschen Bundestags CDU / CSU und SPD legen ihrem Antrag die Annahme zu Grunde, dass das Altersspektrum der Patienten bereits weit vor der Volljährigkeit beginnt.146 Weiteren, indes teilweise bestrittenen Schätzungen zufolge sind 10 bis 15 % der Patienten, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen, minderjährig und etwa 25 % der Patienten erst zwischen 15 und 25 Jahre alt.147 Die Entwicklung in den Massenmedien, die Schönheitsoperationen regelrecht vermarkten und als einfachen und erfolgversprechenden Weg anpreisen, hat bereits Gegenbewegungen wie etwa die „Koalition gegen den Schönheitswahn“ hervorgerufen; denn es wird befürchtet, dass Jugendliche und schon Kinder durch die ständige Suggestion von vermeintlichen Schönheitsidealen durch Medien und soziales Umfeld 141  So der Präsident der GÄDC, Heinz G. Bull, vgl. http: /  / www.gacd.de / presse /  pressemitteilungen / 2007 / 2007-06-26-schoenheitsoperationen-bei-minderjaehrigen. html, zuletzt aufgerufen am 14.11.2008. 142  Wortprotokoll des Gesundheitsausschusses vom 23.04.2008, BT-Protokoll Nr. 16 / 83, S. 14. 143  Vgl. ausführlich oben B.I.3.c)cc). 144  Vgl. Wienke (2009), S. 169. 145  Nach eigener Aussage so die Praxis eines renommierten deutschen Schönheitschirurgen, vgl. www.welt.de / welt_print / article1932953 / Zu_jung_fuer_eine_ Schoenheits_OP.html, zuletzt aufgerufen am 30.01.2013. Vgl. auch die Stellungnahme der BÄK zur BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007. 146  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2. 147  Vgl. Lorz (2007), S. 53 m.  w.  N. Bei diesen Schätzungen sind sämtliche plastisch-chirurgische Eingriffe erfasst, also sowohl die eindeutigen Fälle nicht indizierter Schönheitsoperationen, als auch medizinisch indizierte und solche Fälle, bei denen man typischerweise speziell bei Kindern eine Indikation annimmt, etwa das Anlegen abstehender Ohren. Vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, S. 14, 25.



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger327

stark beeinflusst und verunsichert werden.148 Nach einer Umfrage des LBSKinderbarometers „LBS-Initiative Junge Familie“ wünscht sich jedes fünfte Kind zwischen 9 und 14 Jahren in Deutschland eine schönheitsoperative Behandlung.149 Diese Zahlen sprechen für sich. Prekär ist dabei vor allem, dass die erheblichen gesundheitlichen Risiken und die Tragweite einer Schönheitsoperation von Jugendlichen in vielen Fällen nicht überblickt werden dürften. Neben die hohen Risiken, die eine invasive Schönheitsoperation spezifisch birgt, treten die normalen Operationsrisiken und zudem noch das Risiko wachstumsbedingter Komplikationen.150 Darüber hinaus ist das Heranwachsen ist ein langer und vielschichtiger Prozess, so dass nicht feststeht, ob eine nicht mehr revidierbare äußerliche Veränderung auch später noch den Vorstellungen des (jungen) Erwachsenen entsprechen wird; Werte und Weltbild eines Jugendlichen sind oft erheblichem Wandel unterworfen.151 Nicht nur der deutsche Gesetzgeber, auch andere Länder haben sich zuletzt dieses Problems angenommen. So sind beispielsweise in Österreich, Frankreich und Dänemark bereits gesetzliche Regelungen zu Schönheitsoperationen an Minderjährigen erlassen worden.152 Auch in Deutschland wird seit einigen Jahren aus ethischer und rechtspolitischer Sicht der Bedarf gesehen, Jugendliche vor einer operativen und damit riskanten und folgenreichen Form der Körpergestaltung zu schützen. Der – bestrittene – Hinweis, dass nicht indizierte schönheitsoperative Eingriffe in Deutschland faktisch nicht vorkämen,153 entbindet den Staat jedenfalls nicht von seiner Schutz148  Vgl. Mitteilung von Ärztepräsident Hoppe vom 28.04.2009 zur TV-Sendung „Extrem schön“ i. R. d. Initiative „Koalition gegen den Schönheitswahn“, gegründet am 25.09.2004 auf Initiative der Bundesärztekammer mit hochrangigen Mitgliedern aus Politik, Kirche und Gesellschaft. Vgl. http: /  / www.bundesaerztekammer.de / page. asp?his=0.1.17.3676.3816.7158, zuletzt aufgerufen am 19.07.2013. 149  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2. Vgl. http: /  / www.presseportal.de / pm /  67061 / 2301387 / lbs-kinderbarometer-nicht-jedes-kind-fuehlt-sich-im-eigenen-koer per-wohl-kinder-halten-schon-frueh, zuletzt aufgerufen am 24.09.2013. 150  Hennig (2010), S. 37; Studien zufolge treten bei jeder fünften Schönheitsoperation Komplikationen auf. 151  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 3. 152  Das österreichische ÄsthOpG, in Kraft getreten am 01.01.2013, beinhaltet ein striktes Verbot – http: /  / www.ris.bka.gv.at / Dokumente / BgblAuth / BGBLA_2012_ I_80 / BGBLA_2012_I_80.pdf. Vgl. Ministerialentwurf – Vorblatt und Erläuterungen Allgemeiner Teil zum ÄsthOpG, S. 2. Zur französischen Regelung Mohr (2008), S. 191. 153  Vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung vom 23.04.2008, Dr. Joachim Graf von Finckenstein (Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie, DGÄPC), S. 14; Prof. Dr. Günter Germann (Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

pflicht. Denn schönheitsoperative Eingriffe und deren Risiken sind teils gravierend.154 2. Rechtliche Problematik – umstrittene Rechtslage bei der Vornahme von Schönheitsoperationen an Minderjährigen Vorrangig stellt sich die Frage, inwieweit rechtssichere Lösungen für die Problematik von Schönheitsoperationen an Minderjährigen schon aus der geltenden Rechtslage gewonnen werden können. Voraussetzung für die strafrechtliche Legitimation des operierenden Arztes ist bei der Schönheitsoperation die Einwilligung des einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen bzw. im Falle dessen Einwilligungsunfähigkeit die stellvertretende Einwilligungserklärung der gesetzlichen Vertreter.155 Ab welchem Alter jedoch die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen im Bereich schönheitschirurgischer Eingriffe anzunehmen ist, ist, wie bereits ausführlich dargestellt,156 weder gesetzlich festgelegt noch durch die Rechtsprechung abstrakt geklärt. Im Rahmen der Vorgaben der Rechtsprechung ist es jedenfalls nicht aus­ geschlossen, dass Minderjährige, vor allem im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, bezüglich schönheitsoperativer Eingriffe selbst einwilligungsfähig sein können. Schon bei Heileingriffen ist nun aber für den Arzt, der sich von der Einwilligungsfähigkeit seines minderjährigen Patienten selbst zu vergewissern hat,157 vielfach nicht eindeutig feststellbar, ob die Einwilligungsfähigkeit vorliegt. In erhöhtem Maße bestehen diese Schwierigkeiten Chirurgen, DGPRÄC), S. 25; Prof. Dr. Christian Gabka (Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen, VDÄPC) und Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer (Deutsche Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie e. V., DGPW), S. 26. So auch Mohr (2008), S. 190. 154  So auch RA Matthias Teichner, BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung vom 23.04.2008, S. 27. Vom Antrag der Koalitionsfraktionen, BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 5, der zur Überprüfung „berufsrechtlicher und sonstiger Regelungen für Verbote“ von nicht medizinisch indizierten Schönheitsoperationen an Minderjährigen auffordert, wäre eine solche Regelung umfasst. Zu den erheblichen Risiken von subkutanen Liposuktionen und Brustimplantaten vgl. E. Fn. 97. 155  Die Frage der strafrechtlichen Einwilligungsfähigkeit ist von der Frage der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit zu unterscheiden, die für den Abschluss des ärztlichen Behandlungsvertrags erforderlich ist. Weil Minderjährige gem. § 106 BGB bis zum Eintritt der Volljährigkeit nur beschränkt geschäftsfähig sind und der Vertrag nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist gem. § 107 BGB, wird der Behandlungsvertrag zwischen dem Arzt und den Personensorgeberechtigten abgeschlossen. 156  Ausführlich oben D.II.3.b). 157  Ulsenheimer (2008), Rn. 108.



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger329

bei der nicht indizierten Schönheitsoperation. Ebenso ist nicht rechtssicher geklärt, ob eine stellvertretende Einwilligung der gesetzlichen Vertreter in eine Schönheitsoperation für den einwilligungsunfähigen Minderjährigen prinzipiell denkbar und im Einzelfall zulässig ist. Denn der Begriff des Kindeswohls des § 1627 BGB, an dem sich die Entscheidung der gesetzlichen Vertreter zu orientieren hat und der der Dispositionsbefugnis im Strafrecht Grenzen zieht, wird, wie oben ausführlich erörtert, unterschiedlich interpretiert. Weite Teile der Literatur halten eine stellvertretende Einwilligung der Eltern in nicht indizierte Schönheitsoperationen für stets ausgeschlossen,158 zum Teil wird der Begriff des Kindeswohls aber über einen rein objektiven gesundheitlichen Nutzen hinaus ausgedehnt und eine Einwilligung der Eltern in eine Schönheitsoperation für ihr Kind nach einer individuellen Abwägung für möglich erachtet.159 Die Annahme der Frak­ tionen von CDU / CSU und SPD im Antrag an den Deutschen Bundestag vom 24.10.2007, dass einzige Voraussetzung für einen schönheitschirurgischen Eingriff an einem Jugendlichen nach geltender Rechtslage die Einwilligungserklärung des gesetzlichen Vertreters sei,160 ist damit insoweit zu korrigieren, als nach der ganz herrschenden und auch hier vertretenen Ansicht eine solche stellvertretend erteilte Einwilligung nur in den seltensten Fällen wirksam sein wird. Ergebnis dieser Auslegungsschwierigkeiten und Meinungsunterschiede in Rechtsprechung und in der Literatur ist tatsächlich eine unklare Rechtslage, die für den risikobelasteten und mit langfristigen Folgen verbundenen Eingriffsbereich der Schönheitsoperationen problematisch ist. Die altersunabhängige Einzelfallabwägung der Einwilligungsfähigkeit bei kosmetischen Eingriffen und die Orientierung am nicht abschließend geklärten Begriff des Kindeswohls im Fall der Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter sind für den Arzt wenig praktikabel. Zwar gibt es Möglichkeiten für den Arzt, diesen Rechtsunsicherheiten zu begegnen. In Rechtswissenschaft und Rechtsprechung sind Wege aufgezeigt worden, um über die Vornahme einer Schönheitsoperation an einem Minderjährigen ohne das Risiko der Strafbarkeit entscheiden zu können. Diese können aber im Einzelnen nicht als zufriedenstellend erachtet werden. Zum einen wird dem Arzt, dem die Prüfung der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen im konkreten Einzelfall obliegt, strafrechtlich eine Einschätzungsprärogative zuerkannt, innerhalb derer kein Fahrlässigkeitsvorwurf erhoben wird. Ist davon auszugehen, dass eine tatsächlich vorliegende 158  Für viele Kern (1994), S.  756; Odenwald (2004), S. 269; Reipschläger (2004), S. 113 f.; ausführlich m. w. N. D.II.3.d)cc). 159  Z. B. Lorz (2007), S. 143 ff.; ausführlich m. w. N. D.II.3.d)cc). 160  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 3.

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

Einwilligungsunfähigkeit nicht erkennbar war und nimmt der Arzt die Behandlung dennoch vor, scheidet eine Strafbarkeit aus.161 Dem Arzt bleibt daneben auch die Möglichkeit, in Zweifelsfällen zusätzlich die Einwilligungserklärung der Personenberechtigten einzuholen.162 Das ist jedoch nicht weiterführend, wenn Minderjähriger und Eltern nicht zu einer einvernehmlichen Lösung gelangen. Zudem ist nach richtiger Ansicht allein die Einwilligung des als einwilligungsfähig erkannten Minderjährigen maßgeblich, aber auch ausreichend; sollte die Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen vorliegen, wird andernfalls in sein Selbstbestimmungsrecht eingegriffen, aufgrund dessen er allein wirksam in die Behandlung einwilligen können muss. Zudem kann eine stellvertretende Einwilligung wie oben aufgezeigt auch gar nicht wirksam in alle schönheitschirurgische Eingriffe erteilt werden.163 Zuletzt kann der Arzt die Vornahme des Eingriffs auch ablehnen. Auch das ist für den Arzt aber kein sinnvoller Ausweg aus einer unklaren Rechtslage. Angesichts der fehlenden Notwendigkeit, der gesundheitlichen Risiken und der Tragweite schönheitsoperativer Eingriffe ist ein solches flexibles Modell der Einwilligungsfähigkeit bzw. der Stellvertretung bei kosmetischen Operationen, anders als beim ärztlichen Heileingriff, weitaus weniger im Interesse der minderjährigen Patienten und Ärzte; vielmehr wären klare rechtliche Vorgaben sinnvoll. 3. Entschließung des Europäischen Parlaments, Antrag an den Deutschen Bundestag und weitere Initiativen de lege ferenda Das Potenzial riskanter, folgenschwerer Eingriffe an jungen Patienten und die unsichere Rechtslage haben in der rechtspolitischen Diskussion die Fra­ ge nach neuen Norminstrumenten aufgeworfen. Angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre haben sich das Europäische Parlament und der Deutsche Bundestag, aber auch die Strafrechtswissenschaft mit dieser Frage auseinandergesetzt. Das Europäische Parlament hat auf eine Mitteilung der Europäischen Kommission hin in einer Entschließung vom 13. Februar 2003 zu Maßnahmen im Zusammenhang mit Brustimplantaten Stellung genommen.164 Anlass für die Beschäftigung der EU-Institutionen mit der Thematik der Schön161  Zum

Ganzen Lorz (2007), S. 140 m. w. N. (2010), § 139 Rn. 48; Lorz (2007), S. 140 m. w. N. 163  Kategorisch gegen eine Wirksamkeit etwa Laufs / Kern-Ulsenheimer (2010), § 139 Rn. 49. 164  KOM(2001) 666 – C5-0327 / 2002 – 2002 / 2171 (COS). 162  Laufs / Kern-Ulsenheimer



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger331

heitsoperationen war die Lobby-Arbeit verschiedener Selbsthilfegruppen von Frauen aus europäischen Mitgliedsstaaten, die nach der Einsetzung von Silikongel-Brustimplantaten unter erheblichen Beschwerden litten und daraufhin Petitionen beim Europäischen Parlament eingereicht hatten, um ein Verbot von Silikon-Implantaten zu erwirken.165 Dieser Bitte ist das Europäi­ sche Parlament nach einer Prüfung durch die Ausschüsse für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik und für die Rechte der Frau und Chancengleichheit zwar nicht nachgekommen. Es hat aber in seiner Entschließung zum einen kritische Maßnahmen der Mitgliedsstaaten zum Umgang mit diesen Implantaten insbesondere im Bereich der Aufklärung der Patientinnen gefordert.166 Zum anderen hat es die Empfehlung an die Mitgliedsstaaten abgegeben, Implantationen bei Frauen unter 18 Jahren nur aus medizinischen Gründen zu erlauben167 und damit eine gesetzliche starre Altersgrenze von 18 Jahren für schönheitschirurgische Brustoperationen angeregt.168 Die damaligen Koalitionsfraktionen des Deutschen Bundestags CDU / CSU und SPD haben angesichts der auch bundesweit stetig steigenden Zahlen von Schönheitsoperationen diesen Vorstoß des Europäischen Parlaments im Jahr 2007 zum Anlass genommen, sich ebenfalls mit der Materie zu befassen und einen Antrag zum Verbraucherschutz vor Missbräuchen im Bereich von Schönheitsoperationen an den Deutschen Bundestag gerichtet.169 Sie kommen zu dem Schluss, dass Schönheitsoperationen an Kindern und Jugendlichen nur beim Vorliegen eines erheblichen psychischen Leidensdrucks oder einer Deformierung mit Krankheitswert erlaubt und nicht indizierte Schönheitsoperationen damit verboten sein sollten.170 Im Antrag wird ebenfalls die Lösung einer starren Verbotsnorm favorisiert, aber noch von einer vorgeschalteten rechtlichen und rechtspolitischen Überprüfung abhängig gemacht.171 Die Bundesregierung und die Länder innerhalb ihrer jeweiligen Zuständigkeiten sollen deshalb aufgefordert werden, berufsrechtliche und 165  Vgl. Begründung zum Entwurf KOM(2001) 666 – C5-0327 / 2002 – 2002 /  2171 (COS) vom 13.02.2003, S. 8. http: /  / www.europarl.europa.eu / meetdocs / com mittees / envi / 20021209 / 470341DE.pdf. 166  KOM(2001) 666 – C5-0327 / 2002 – 2002 / 2171 (COS), Nr. 1. 167  KOM (2001) 666 – C5-0327 / 2002 – 2002 / 2171 (COS), Nr. 2: Das Europäi­ scher Parlament empfiehlt, „Implantationen bei Frauen unter 18 Jahren nur aus medizinischen Gründen zu erlauben.“ Anders noch im Entwurf, in dem dieser Punkt fehlt. Ob und wie der konkreten Umsetzung bleibt indes den Mitgliedsstaaten überlassen, da es sich um einen rein beratenden Rechtsakt handelt, Begründung, S. 8. 168  KOM(2001) 666 – C5-0327 / 2002 – 2002 / 2171 (COS), Nr. 2. 169  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 2. 170  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 3. 171  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 3, 5.

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

sonstige rechtliche Regelungen für Verbote von nicht medizinisch indizierten Schönheitsoperationen an Minderjährigen zu prüfen.172 Der Antrag wurde in der Folge an die Ausschüsse verwiesen. Der Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags hat in einer öffentlichen Anhörung zu dieser Antragsvorlage am 23. April 2008 zahlreiche Sachverständige, darunter plastische Chirurgen, Juristen und Vertreter von Bundesärztekammer, Krankenkassen und Interessenverbänden zu der Thematik angehört.173 Die Experten, die vom Gesundheitsausschuss zum Thema befragt wurden, haben, abhängig vor allem von deren Beruf bzw. vertretenen Interessengruppen, unterschiedliche Vorschläge unterbreitet. Sie plädierten für eine Hinzuziehung einer weiteren beratenden Person, zum Beispiel eines Kinderoder Jugend-Psychiaters,174 für einen Stufenplan in Form einer Kommissions­ lösung,175 für eine aktive Aufklärung der Kinder und Jugendlichen vor allem über Schulen und Medien176 oder auch für ein striktes Verbot für Schönheitsoperationen an Minderjährigen mittels einer Altersgrenze.177 Seit dieser Anhörung ist der parlamentarische Prozess nicht fortgesetzt worden; weitere Beratungen des Ausschusses sind aktuell nicht vorgesehen.178 Die Gesundheitsexperten der Unionsparteien CDU / CSU haben das Thema im April 2012 jedoch wieder aufgegriffen und einen Beschlussentwurf vorgelegt, der ein Verbot bestimmter, weitreichender nicht indizierter Schönheitsoperationen wie etwa Brustvergrößerungen im Wege einer Neuregelung des Patientenrechtegesetzes anstrebt.179 172  BT-Drs.

16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 5; vgl. auch Mohr (2008), S. 190. Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung, 23.04.2008. 174  Dr. Albrecht Krause-Bergmann, Dr. Ulrich Fegeler (Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V., BVKJ) und Prof. Heinz Bull (Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland e. V., GÄCD), vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung vom 23.04.2008, S. 15, S. 26. 175  RA Max Teichner, vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung vom 23.04.2008, S. 27. 176  Dr. Marita Eisenmann-Klein (Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgie, DGPRÄC), vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung vom 23.04.2008, S. 22. 177  Brunhilde Raiser (Deutscher Frauenrat e. V.), vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung vom 23.04.2008, S. 15. 178  Zwei Anfragen im Jahr 2009 und eine weitere Anfrage im Januar 2013 beim Sekretariat des Ausschusses für Gesundheit haben ergeben, dass ein konkreter Zeitplan für weitere Beratungen derzeit nicht vorliegt. Auch stand noch nicht fest, ob in der kommenden Wahlperiode entsprechende Vorhaben und Beratungen wieder aufgenommen werden. 179  Vgl. FAZ vom 12.04.2012, http: /  / www.faz.net / aktuell / wirtschaft / wirtschafts politik / cdu-und-csu-schoenheits-operationen-nur-noch-fuer-volljaehrige-11714454. html, zuletzt aufgerufen am 19.07.2013. 173  BT-Protokoll



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger333

Auch die Bundesärztekammer fordert schon seit geraumer Zeit eine Verbotsnorm für Ärzte, Schönheitsoperationen an Minderjährigen vorzunehmen.180 In der neueren medizinstrafrechtlichen Literatur haben sich in letzter Zeit ebenfalls vereinzelte Stimmen mit der Problematik auseinandergesetzt. Teils ist eine Verbotsnorm angedacht,181 teils ein Stufenmodell vorgeschlagen worden.182 Damit sind insbesondere aus Rechtspolitik und Wissenschaft verschiedene Norminstrumente in die Debatte um Schönheitsoperationen an Minderjährigen eingebracht worden, deren Rechtmäßigkeit es aber zu überprüfen gilt. 4. Gesetzliche Beschränkung der Einwilligung in schönheitsoperative Eingriffe an Minderjährigen de lege ferenda? Eine spezialgesetzliche Einschränkung der Einwilligungsmöglichkeit in eine Schönheitsoperation, die auch an sich einwilligungsfähige Minderjährige erfassen würde, ist eine gravierende Freiheitsbeschränkung für den Rechtsgutsträger183 und ein Eingriff in dessen verfassungsrechtlich geschütztes körperbezogenes Selbstbestimmungsrecht. Dennoch gibt es Gründe, die die Einführung von Beratungs- oder Kommissionslösungen oder die Schaffung eines Gesetzes mit einer starren Altersgrenze von 18 Jahren für die Einwilligung in spezielle schönheitsoperative Eingriffe zu legitimieren vermögen.184 a) Argumente für eine gesetzliche Einschränkung Als Argument für eine gesetzliche Einschränkung ist in erster Linie der Schutz minderjähriger Patienten angesichts der Schwere vieler nicht indizierter kosmetischer Eingriffe, der hohen Risikobelastung185 und der lang180  Presserklärung der BÄK zur „Koalition gegen den Schönheitswahn“ vom 25.09.2004. http: /  / www.bundesaerztekammer.de / page.asp?his=0.1.17.3676.3816, zuletzt aufgerufen am 20.09.2013. 181  Höfling (2009), S. 126; Einbecker Empfehlungen der DGMR zu Rechtsfragen der wunscherfüllenden Medizin (2009), S. 180 Nr. 3; Kern / Richter (2009), S. 134; vgl. auch Mohr (2008), S. 191, Stock (2009b), S. 154 f. Eine Verbotsnorm ablehnend Hennig (2010), S. 31, 34. 182  Für ein Stufenmodell Hennig (2010), S. 34 ff. 183  Vgl. LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 197. 184  Vgl. auch Joost (2010b), S. 436 ff. 185  Zu den erheblichen Risiken etwa von subkutanen Liposuktionen und Brust­ implantaten E. Fn. 97.

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

fristigen Bedeutung mit in der Regel irreversiblen Folgen zu nennen. Wenn bei erwachsenen Patienten die grundsätzliche Wirksamkeit der Einwilligung und das liberale Einwilligungsmodell bei Schönheitsoperationen mit dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht begründet werden, so wird die rechtliche Beurteilung bei Minderjährigen überlagert von deren Schutzbedürftigkeit und den verfassungsrechtlich bestehenden Fürsor­ gepflichten des Staates. Auch Minderjährige sind als Grundrechtsträger befugt zum freien Gebrauch des körperbezogenen Selbstbestimmungsrechts.186 Der Schutz Kinder und Jugendlicher ist aber als Ausnahme von der grundsätzlichen Unzulässigkeit staatlichen Paternalismus anerkannt.187 Der Staat ist zur Jugendschutzgesetzgebung berechtigt und verpflichtet.188 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich der Verfassungsrang des Jugendschutzes vor allem aus dem elterlichen Erziehungsrecht, Art. 6 Abs. 2 S. 1  GG, und daneben aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1  GG.189 Der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Interesse an einer ungestörten Entwicklung der Jugend190 ist damit ein tragendes Prinzip der deutschen Rechtsordnung mit Verfassungsrang und findet sich in zahlreichen einfachgesetzlichen Regelungsbereichen wieder. Das geltende Medizinrecht kennt solche Verbotsregelungen auch bei anderen besonders riskanten und folgeschweren Eingriffen. Vorbild für eine Norm de lege ferenda im Bereich von Schönheitsoperationen sind die Altersgrenzen im Bereich von Lebendorganspende, § 8 Abs. 1 Nr. 1a TPG,191 186  Auch Minderjährige sind Träger von Grundrechten, gleich welchen Alters. Die neuere verfassungsrechtliche Lit. spricht nur noch zurückhaltend von einer Grundrechtsmündigkeit und knüpft vielmehr an die Frage der Fähigkeit zur faktischen Ausübung der Grundrechte durch Minderjährige an. Vgl. Hufen (2014), § 6 Rn. 41; Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 9, Art. 19 Rn. 14; Hillgruber (1992), S. 122 ff.; Möller (2005), S. 146. 187  Hillgruber (1992), S. 122 ff.; Möller (2005), S. 146. 188  Neben den explizit geregelten Fällen des Jugendschutzes als Grundrechtsschranke in Art. 5 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 GG und Art. 13 Abs. 2 GG ist der Staat nach der Verfassung auch im Übrigen zur Jugendschutzgesetzgebung berechtigt und verpflichtet. 189  BVerfGE 83, 130, 139 f.; Sachs-Bethge (2011), GG, Art. 5 Rn. 160.Vgl. auch Möller (2005), S. 146. A. A. Hillgruber (1992), S. 122 ff., der das Recht zur Jugendschutzgesetzgebung aus dem staatlichen Wächteramt über das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG herleitet. Sternberg-Lieben (1997), S. 45 ff., 46 leitet den Jugendschutz aus dem Sozialstaatsprinzip ab. Vgl. hierzu auch Amelung (1992b), S.  827 ff., 829. 190  BVerfGE 30, 336, 347, zu Art. 5 Abs. 2 GG. 191  § 8 Abs. 1 Nr. 1a TPG fordert aus diesen Gründen für die wirksame Einwilligung in die Lebendorganspende die Volljährigkeit des Spenders. Denn auch wenn nicht auszuschließen ist, dass ein Minderjähriger im Einzelfall über die nötige Entscheidungsreife bezüglich des fremdnützigen Eingriffs verfügen mag und damit an



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger335

Kastration, § 2 Abs. 1 Nr. 3  KastrG,192 und in bestimmten Fällen im Bereich der Arzneimittelprüfung, § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3a AMG.193 Diese Spezialgesetze knüpfen die Einwilligungsfähigkeit an ein festes Alter von 18 bzw. 25 Jahren, um Schutz für den Einwilligenden bei schwerwiegenden medizinischen Eingriffen zu gewährleisten und um Rechtssicherheit für den Eingreifenden zu schaffen.194 Dabei sind diese Gesetze zwar nicht analogiefähig, doch zeigen sie die Tendenz des Gesetzgebers, die Anforderungen an die Einsichts- und Urteilsfähigkeit bei diesen nicht indizierten Eingriffen hoch anzusetzen.195 Auch diese Erwägung lässt sich auf den Bereich der Schönheitsoperationen übertragen. Der Minderjährige soll vor den Risiken und langfristigen Folgen einer Schönheitsoperation geschützt werden. Darüber hinaus soll der den kosmetischen Eingriff vornehmende Arzt nicht mit Unwägbarkeiten bei der Feststellung der Einwilligungsfähigkeit des minderjährigen Patienten belastet und dem Risiko der Strafbarkeit aussich Verfahrenslösungen zur Überprüfung in jedem Einzelfall in Betracht kämen, bietet diese starre Grenze der Volljährigkeit eine höhere Rechtssicherheit, vgl. Gutmann (2005), Rn. 7. Aus der Begründung zum Gesetzentwurf des TPG, BT-Drs. 13 / 4355 vom 16.04.1996 zu § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ergibt sich dieser Gedanke nicht eindeutig, dürfte aber unausgesprochen der Regelung zugrunde liegen und ergibt aus dem Verweis auf die 25 Leitsätze der WHO zur Transplantation vom 13.05.1991. So auch bspw. angenommen von Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Gutmann (2005), TPG, § 8 Rn. 20. 192  § 2 Abs. 1 Nr. 3 KastrG normiert bei der Einwilligung in eine Kastration eine starre Altersgrenze von 25 Jahren. Diese hohe Anforderung wird mit dem wegen der Irreversibilität des Eingriffs notwendigen Schutz begründet. 193  Auch das AMG schränkt aus Gründen des Minderjährigenschutzes die Möglichkeit für Minderjährige, an klinischen Arzneimittelprüfungen teilzunehmen, weitgehend ein. Nach dem durch § 96 Nr. 10 AMG strafbewehrten § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3a AMG muss der Proband volljährig sein. Die klinische Prüfung an Minderjährigen ist subsidiär allenfalls dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 40 Abs. 4 AMG vorliegen oder wenn der Minderjährige an einer einschlägigen Erkrankung leidet, § 41 Abs. 2 AMG und jeweils der gesetzliche Vertreter eingewilligt hat, § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG. Begründet werden diese Restriktionen mit der Notwendigkeit, die sich klinischen Prüfungen unterziehenden minderjährigen Personen zu schützen. Vgl. BT-Drs. 7 / 3060 vom 07.01.1975, Begründung zum Gesetzentwurf zur Neuordnung des Arzneimittelrechts, S. 53, zu §§ 38, 39 AMG (a. F.); BT-Drs. 15 / 2109 vom 01.12.2003, Begründung zum Gesetzentwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, S. 30. Der Aspekt des Minderjährigenschutzes und der Rechtssicherheit wird nicht explizit herausgestellt, aber doch erkennbar zugrunde gelegt. Gleiches gilt für die Kommentierungen in Rehmann (2008), § 40 Rn. 12, 16 und Deutsch / Lippert (2010), AMG, § 40 Rn. 50 f., § 41 Rn. 6. 194  Vgl. Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Gutmann (2005), TPG, § 8 Rn. 7. 195  Amelung (1992a), S. 530, 531.

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

gesetzt werden. Eine so erzielte Rechtssicherheit dient auch entscheidend dem Interesse der behandelnden Ärzte.196 Ein weiteres Argument ist die für medizinisch nicht indizierte Eingriffe charakteristische Aufschiebbarkeit der ärztlichen Maßnahme. Den „echten“ nicht indizierten Schönheitsoperationen fehlt es medizinisch sowohl an Erforderlichkeit als auch Dringlichkeit.197 Aus einem Verbot, einen medizinisch nicht notwendigen Eingriff vor Erreichen eines bestimmten Alters vorzunehmen, resultiert keine Verschlechterung der Lage des gesunden Minderjährigen; Ergebnisse, die etwa mit einer Liposuktion oder einer Brust­ augmentationsplastik erzielt werden können, können abgewartet werden.198 Auch zeigen Minderjährige hinsichtlich ihres Aussehens – mehr als bei heilenden Eingriffen – eine besondere Anfälligkeit für die Beeinflussung und Manipulation durch Medien und persönliches Umfeld, ohne dass ihnen die langfristige Bedeutung einer Schönheitsoperation immer gegenwärtig ist.199 Beachtet man, dass sich Präferenzen in diesem Alter sehr schnell ändern und der Entwicklungsprozess oft rasant ist, so sollte über eine nicht mehr revidierbare Veränderung des eigenen Aussehens, die über das Jugendalter hinaus ins Erwachsenenalter fortwirkt, angesichts ihrer Endgültigkeit erst vom volljährig gewordenen Patienten selbst entschieden werden.200 In den Fällen, in denen ein Minderjähriger durch sein Aussehen unter einen 196  Vgl. auch LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 197. Aus den Aussagen der vom Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags zum Thema befragten Sachverständigen ergibt sich, dass diese Eingriffe ohnehin ganz überwiegend von (plastischen) Chirurgen als standesethisch ausgeschlossen angesehen und daher faktisch kaum durchgeführt werden. Vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung vom 23.04.2008, Dr. Joachim Graf von Finckenstein (Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie, DGÄPC), S. 14; Prof. Dr. Günter Germann (Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen, DGPRÄC), S. 25; Prof. Dr. Christian Gabka (Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen, VDÄPC) und Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer (Deutsche Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie e. V., DGPW), S. 26. 197  Ausgenommen sind wiederum Fälle der medizinischen Indikation. In den Fällen also, in denen sein Aussehen einen Minderjährigen unter einen psychologisch erfassbaren Leidensdruck bringt oder seine Deformität einen Krankheitswert erreicht, liegt eine medizinische Indikation vor, so dass der Eingriff nach den allgemeine Grundsätzen über den ärztlichen Heileingriff durchgeführt und legitimiert werden kann. Gesundheitlich bedenkliche Fettleibigkeit oder eine Brustkonstruktion aufgrund einer kompletten Brustaplasie stellen physisch bzw. physisch indizierte Fälle dar, bei denen ein Eingreifen des Arztes unter medizinischen Gesichtspunkten notwendig ist. 198  Vgl. Lorz (2007), S. 138. 199  Vgl. im Kontext des TPG Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Gutmann (2005), TPG, § 8 Rn. 7. 200  BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 3.



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger337

psychologisch erfassbaren Leidensdruck gerät oder eine angeborene und aus einem Unfall oder einer Verletzung stammende Deformität Krankheitswert erreicht, liegt eine medizinische Indikation vor, so dass der Eingriff nach den allgemeine Grundsätzen des Strafrechts über den ärztlichen Heileingriff durchgeführt und legitimiert werden kann.201 b) Einwände gegen eine gesetzliche Einschränkung Gerade starre Altersgrenzen sind indes in der eben genannten Hinsicht angreifbar. Der Entwicklungs- und Reifeprozess vollzieht sich in jungem Alter sehr unterschiedlich und ganz individuell.202 In einigen ausländischen Rechtsordnungen ist in letzter Zeit sogar die Tendenz zu erkennen, die Einwilligungsfähigkeit von Jugendlichen schon in einem wesentlich jüngeren Alter anzusetzen. Das korrespondiert mit neueren und allgemein anerkannten entwicklungspsychologischen Studien, die belegen, dass Jugendliche heute oftmals sehr viel früher einen beachtlichen Reifegrad erreichen.203 Dieser Gesichtspunkt ist auch für Heileingriffe durchaus erwägenswert. Gegen ein absolutes Verbot nicht indizierter kosmetischer Eingriffe an unter 18-jährigen spricht, dass ein solches zu weit gegriffen und auch verfassungsrechtlich nicht zu legitimieren wäre. Zum einen müssen als unerheblich zu beurteilende kosmetische Eingriffe204 für Kinder und Jugend­ liche aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten des Übermaßverbotes und wegen einer geringen Schutzbedürftigkeit zulässig bleiben. Zum anderen gibt es immer wieder Fälle von Schönheitsoperationen an Minderjährigen, die sich in einem schwer aufzulösenden Graubereich zwischen indiziertem Heileingriff und ästhetisch-kosmetischer Operation ansiedeln, bei denen man sich aber einig ist, dass ihre Vornahme legitim sein muss. Auf einen Bereich haben schon das Europäische Parlament und die Sachverständigen vor dem Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags hingewiesen.205 Mitunter sind chirurgische Eingriffe zur Rekonstruktion einer Brust schon in einem jungen Alter notwendig und indiziert, etwa bei einer 201  Vgl.

BT-Drs. 16 / 6779 vom 24.10.2007, S. 3. diesem Grund ist auch im Rahmen der Reformdiskussionen um die Einführung einer Altersgrenze für die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger in Heileingriffe – mit anders gelagerter Problematik als hier – letztendlich von einer Fest­ legung abgesehen worden, Reipschläger (2004), S. 75 ff. 203  Zum Ganzen Deutsch / Spickhoff (2014), Rn. 1130. 204  Vgl. etwa den Sachverhalt in BGH, NJW 1972, 335 ff., Entfernung ungefährlicher Warzen. 205  Vgl. KOM (2001) 666 – C5-0327 / 2002 – 2002 / 2171 (COS), Nr. 20; BTProtokoll Nr. 16 / 83, S. 15, S. 26, Prof. Dr. Dr. Heinz Bull (GÄCD) und Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer (DGPW). 202  Aus

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

kompletten Brustaplasie206 junger Mädchen. Ein anderer typischer Bereich ist die Otoplexie, also die Anlegung stark abstehender Ohren bei Kindern. Der Ohrmuschelplastik wird eine erhebliche psychoprophylaktische Wirkung für die Entwicklung eines Kindes zugesprochen, da sie seelische Beeinträchtigungen in Kindergarten und Schule erspart; deshalb wird sie vielfach gerade in einem sehr jungen Alter medizinisch angeraten.207 Eine strafrechtliche Verbotsnorm de lege ferenda müsste unter anderem diese Fälle berücksichtigen.208 Das dennoch aufgeworfene Problem, das einen weiteren Einwand birgt, liegt auf der Hand: Die schwierige trennscharfe Abgrenzung von indizierten und nicht indizierten (kosmetischen) Eingriffen. Die meisten kosmetischen Eingriffe können in dieses Raster eingeordnet werden. Den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Abs. 2  GG kann dann im Übrigen bei der Formulierung einer strafbewehrten Norm Rechnung getragen werden. Die Rechtspraxis im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen zeigt, dass Regelungen, die zwischen indizierten und nicht indizierten Regelungen unterscheiden, trotz Abgrenzungsschwierigkeiten rechtlich sinnvoll und handhabbar sind. Die zweifelhaften Fälle müssten wie bisher der Einschätzungsprärogative des Arztes ex ante und ex post der Gerichte unterfallen. c) Denkbare gesetzliche Regelungen und deren Zulässigkeit im Einzelnen209 aa) Verfahrenslösungen Vor allem von Seiten der betroffenen Ärzteschaft wurde in der Anhörung des Gesundheitsausschusses am 23. April 2008 eine Beratungslösung vorgeschlagen, also die verpflichtende Hinzuziehung eines psychiatrischen oder eines anderen kompetenten Facharztes, der die Einwilligungsfähigkeit des 206  Aplasie ist die angeborene Nichtausbildung eines Gewebes oder einer Organanlage; die Aplasie der Mamma ist eine Nichtausbildung der Brust, vgl. Pschyrembel (2007), Stichwort „Aplasie“. 207  Vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, S. 15, S. 26, Prof. Dr. Dr. Heinz Bull (GÄCD), und S. 25, Prof. Dr. Dr. Ralf Siegert (Dt. Berufsverband der HNO-Ärzte). Anders als jüngst im österreichischen ÄsthOpG geregelt, ist die Otoplexie von einem Verbot in jedem Fall auszunehmen, vgl. Fn. E. 152. 208  So auch das Europäische Parlament, vorläufiger Entwurf 2002 / 2171(COS), S. 7 Nr. 12. 209  Vorliegend wird v.  a. auf strafrechtliche Fragestellungen Bezug genommen; eine ausführliche verfassungsrechtliche Rechtfertigung kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erarbeitet werden.



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger339

Minderjährigen bzw. das Vorliegen einer medizinischen Indikation für den schönheitsoperativen Eingriff beim Minderjährigen feststellt.210 Ins Gespräch gebracht wurde weiter eine Kommissionslösung, bei der nach dem Vorbild der betreuungsrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Sterilisation211 eine Ethikkommission für genau festzulegende Eingriffsarten die konkrete Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen in jedem Einzelfall überprüft und deren befürwortendes Votum Voraussetzung für eine Straflosigkeit des Arztes würde.212 Denkbar ist auch eine Lösung nach dem Vorbild des Transplantationsgesetzes, nach dessen Regelung die Stellungnahme der Lebendspendekommission gutachterlich erfolgt und deren Abwarten zwar gesetzlich vorgesehen ist, bei einem Verstoß aber keine direkten strafbewehrten Konsequenzen vorsieht.213 In jedem Fall wäre die ein- oder mehrmalige Anhörung des Jugendlichen vorzusehen, in deren Folge das Gremium die konkrete Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen, die Stabilität seiner Entscheidung bzw. die medizinische Gebotenheit eines schönheitschirurgischen Eingriffs im Einzelfall überprüft. Diese in die Diskussion eingebrachten Alternativvorschläge stellen sich gegenüber einer starren Altersgrenze als mildere rechtliche Mittel dar.214 Eine Prozedualisierung fiele jedenfalls in eine Entwicklung, die gegenwärtig generell im Medizinrecht zu beobachten ist: komplexe Entscheidungsprobleme in der Medizin werden durch die Einrichtung rechtlicher Verfahren kompensiert.215 Für – im Einzelnen unterschiedliche – Verfahrenslösungen in Form von Kommissions- oder Genehmigungsmodellen hat sich der Gesetzgeber so u. a. schon in Transplantationsgesetz, Arzneimittelgesetz oder Kastrationsgesetz entschieden.216 Eine solche Regelung enthält einen Ver­ 210  Vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung vom 23.04.2008, Dr. Albrecht Krause-Bergmann und Dr. Ulrich Fegeler (Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V., BVKJ), S. 15; Dr. Joachim Graf von Finckenstein (Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie, DGÄPC), S. 14; Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer (Deutsche Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie e. V., DGPW), S. 26. So auch Hennig (2010), S. 37. 211  §§ 1905, 1904 BGB. 212  Vgl. BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung vom 23.04.2008, RA Matthias Teichner, S. 27. 213  § 8 III 2 TPG. Vgl. Schroth (2012), S. 575. 214  Vgl. zur abgestuften Rechtfertigung paternalistischer Rechtsnormen van ­Aaken (2006), S. 124 ff., 133 ff. 215  Saliger (2003), S. 124 f. 216  Saliger (2003), S. 125, mit einem Überblick zu bestehenden medizinrecht­ lichen Verfahrensregelungen. Die genannten spezialgesetzlichen Verfahrensregelungen betreffen jedoch volljährige Patienten.

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

fahrenspaternalismus, der jedoch der Absicherung der Autonomie des Rechtsgutsträgers dient und als solcher zulässig wäre.217 Zwar sind auch im Rahmen solcher Verfahrenslösungen Fehlentscheidungen bzgl. des Vorliegens der Einwilligungsfähigkeit oder einer Indikation nicht sicher auszuschließen. Gerade die Feststellung der konkreten Einsichts- und Urteilsfähigkeit Minderjähriger ist in der praktischen Umsetzung nicht immer einfach.218 Überdies bedeutet die Einführung neuer Kommis­ sionen oder Beratungslösungen eine institutionelle Verdichtungen und fortschreitende verfahrensrechtliche Regulierung der Medizin. Sie birgt auch die Gefahr, die Verantwortlichkeit des einzelnen Arztes und das Vertrauensverhältnis des Arztes zu seinen Patienten zu schwächen.219 Auf der anderen Seite kann eine Verfahrenslösung dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Jugendlichen zu optimaler Geltung verhelfen und im besten Fall eine umfassende Einzelfallgerechtigkeit herstellen. Weil nicht generell ausgeschlossen werden kann, dass Jugendliche in Einzelfällen über die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit zu Risiken und Trageweite einer geplanten nicht indizierten Schönheitsoperation verfügen, könnten diese Fälle über eine gesetzlich definierte Verfahrenslösung ausgefiltert werden. Anders als bei einer starren Altersgrenze sind so differenzierte Entscheidungen für reifere Jugendliche möglich.220 Darüberhinaus dient ein solches Modell dem Schutz des minderjährigen Patienten. Im Hinblick auf das nicht auszuschließende Eigeninteresse des behandelnden Arztes, einen kosmetischen Eingriff durchzuführen, erscheint es sinnvoll, Entscheidungsprozesse zu externalisieren und auf eine objektive Basis zu stellen.221 Die Kommunikation mit dem Konsiliararzt bzw. der Kommission bewirkt auch eine zeitliche Entzerrung der Entscheidungsfindung und kann so sicherstellen, dass der Minderjährige eine stabile Entscheidung gefasst hat.222 Letztlich optimiert eine Verfahrenslösung die Entscheidungsbedingungen für den minderjährigen Patienten und stützt so seine autonome Entscheidung.223 217  Vgl. im Kontext des TPG zur Lebendspendekommission Schroth (2012), S. 575; Gutmann (2006), S. 260; Fateh-Moghadam (2008), S. 239. Ausführlich zur Legitimation weich paternalistischer Maßnahmen oben B.V.4.b). 218  Vgl. Fateh-Moghadam (2008), S. 242 m. w. N. 219  Zum Ganzen in anderem Kontext Laufs (2003), S. 715. 220  Zum Ganzen im Kontext des TPG Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Gutmann (2005), TPG, § 8 Rn. 7. 221  Vgl. im Kontext des TPG Fateh-Moghadam (2008), S. 239; Schroth (2007b), S. 410; Gutmann (2006), S. 260. 222  Vgl. Schroth (2012), S. 575; Fateh-Moghadam (2008), S. 239; Gutmann (2006), S. 260. 223  Gutmann (2006), S. 260; Schroth (2012), S. 575.



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger341

Schließlich sichert eine Verfahrenslösung ärztliches Handeln ab und ermöglicht dem behandelnden Arzt, einen kosmetischen Eingriff nach Entscheidung des Konsiliararztes bzw. einer Kommission ohne ein Strafbarkeitsrisiko vornehmen zu können.224 bb) Starre Altersgrenze Von Seiten des Europäischen Parlaments wurde wie dargestellt eine gesetzliche Regelung vorgeschlagen, die die medizinisch nicht indizierte, rein kosmetisch veranlasste Einsetzung von Brustimplantaten bei Jugendlichen unter 18 Jahren strafbewehrt verbietet.225 Auch der Antrag der damaligen Regierungsfraktionen des Bundestags zielt auf die Prüfung eines gesetz­ lichen Verbots – aller – nicht indizierten schönheitsoperativen Maßnahmen an Minderjährigen. Bei der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestags wurde von Seiten der Bundesärztekammer angeregt, eine Verbotsregelung analog § 1631c BGB zu schaffen226 oder das Erfordernis einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung analog § 1904 BGB festzulegen.227 Gesetzliche Vorbilder für eine Altersgrenze im Medizinstrafrecht wären wie dargestellt auch die Regelungen von Transplantationsgesetz,228 Arzneimittelgesetz und Kastrationsgesetz. Die Einwilligung in speziell benannte, schwerwiegende und typischerweise mit Risiken behaftete229 kosmetische Eingriffe wäre dann de lege ferenda „nur zulässig, wenn die Person volljährig ist“.230 Diese Formulierung untersagt Schönheitsoperationen an Minder224  Schroth

(2007b), S. 410; Hennig (2010), S. 39. zuletzt auch Höfling (2009), S. 127, und in der Folge die Einbecker Empfehlungen der DGMR zu Rechtsfragen der wunscherfüllenden Medizin, Wienke / Eberbach / Kramer / Janke (2009), S. 180 Nr. 3. A. A. Hennig (2010), S. 31, 34, die eine solche Regelung für verfassungswidrig hält. 226  So auch die Einbecker Empfehlungen der DGMR zu Rechtsfragen der wunscherfüllenden Medizin in Wienke / Eberbach / Kramker / Janke (2009), S. 180 Nr. 3. 227  BT-Protokoll Nr. 16 / 83, Wortprotokoll des Ausschusses für Gesundheit, 83. Sitzung vom 23.04.2008, S. 25. Die Anregung für die vormundschaftsgericht­ liche Kontrolle einer entsprechenden Entscheidung der Eltern bei gravierenden Eingriffen findet sich auch bei Höfling (2009), S. 126. 228  Vor allem ein Vergleich mit der Lebendspende von Organen lässt eine Altersgrenze bei nicht indizierten Schönheitsoperationen für vertretbar halten. Die Lebendspende ist ein fremdnütziger Eingriff, der i. d. R. geringere medizinische Risiken birgt als bspw. eine Fettabsaugung. Es ist nicht ersichtlich, warum etwa ein 17-Jähriger seinem Bruder keine Niere spenden kann, eine rein kosmetisch veranlasste Fettabsaugung an Minderjährigen aber zulässig sein soll. 229  Zu den erheblichen Risiken von subkutanen Liposuktionen und Brustimplantaten vgl. E. Fn. 97. 230  Die Regelung im TPG erfasst darüber hinaus auch einwilligungsunfähige Erwachsene. Über die Formulierung „[…] wenn die Person volljährig und einwilli225  So

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

jährigen schlechthin, da sie Volljährigkeit des Einwilligenden im Zeitpunkt der Erklärung fordert. Die Einwilligung in eine Schönheitsoperation ist ein höchstpersönlicher Akt, der in der Konsequenz Stellvertretung und eine Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter kategorisch ausschließt.231 Die gesetzliche Regelung einer starren Altersgrenze ist ein paternalistischer Eingriff in die von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG232 gewährleistete Selbstbestimmungsfreiheit des minderjährigen Patienten über seinen Körper. Zudem ist das Grundrecht auf elterliche Sorge aus Art. 6 Abs. 2 GG tangiert.233 Strafrechtlich werden der wirksamen Einwilligung Grenzen gezogen. Eine solche Beschränkung der Einwilligungsmöglichkeit ist nach zutreffender Ansicht schwerwiegend.234 Sie unterläuft die strafrechtlichen Grundsätze zur Einwilligungsfähigkeit, da ggf. das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Minderjährigen, der nach geltenden rechtlichen Grundsätzen als einwilligungsfähig gelten muss, eingeschränkt wird und auch autonome Entscheidungen verhindert werden.235 Damit ist eine Altersgrenze eine materiell-paternalistische Verfügungsbeschränkung, deren Rechtmäßigkeit problematisch ist236 und zum Teil auch für unzulässig gehalten wird.237 Altersgrenzen werden wohl überwiegend als weich paternalistische Normen im Sinne der oben erarbeiteten Einteilung gesehen, stellen aber einen Grenzfall dar. Es scheint ebenso vertretbar, Altersgrenzen als hart paternalistisch zu bezeichnen, da sie auch Minderjährige betreffen, die im Einzelfall über die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügen; damit werden auch autonome Selbstverfügungen Minderjähriger strafbewehrt verboten. Insgesamt ist es aber zutreffend, eine autonomie-orientierte Zwecksetzung gungsfähig ist“, ist auch bei Erwachsenen eine Einwilligung nur dann möglich, wenn sie selbst einwilligungsfähig sind; eine Stellvertretung ist dann ausgeschlossen. Vgl. Höfling-Augsberg (2013), TPG, § 8 Rn. 20, 21. 231  Eine solche Regelung findet sich in §  8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a TPG, vgl. Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Gutmann, TPG, § 8  Rn. 9. 232  Zur Gegenansicht, die das körperbezogenen Selbstbestimmungsrecht im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verortet vgl. ausführlich oben B.III.1.b). 233  Vgl. zum Ganzen Hennig (2010), S. 29 ff. 234  LK-StGB-Rönnau (2006), Vor § 32 Rn. 197. A.  A. Höfling (2009), S. 125, 126, der Grundrechtsbegrenzungen in den Konstellationen, in denen es um Minderjährige geht, für weitgehend unproblematisch und darüber hinaus auch Altersgrenzen für Einwilligungsfähige bei gravierenden und irreversiblen Eingriffen ohne weiteres für zulässig hält. 235  Fateh-Moghadam (2008), S. 242. 236  Vgl. im Kontext des TPG Fateh-Moghadam (2008), S. 241. A.  A. Höfling (2009), S. 125, 126. 237  Hennig (2010), S. 31: verfassungsrechtlich unzulässiger Eingriff in Art. 6 Abs. 2 GG und in Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger343

verfolgt zu sehen.238 Eine solche Regelung orientiert sich am körperbezogenen Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen, das sie zu gewährleisten sucht, indem sie Autonomiedefizite ausschließt, die gerade bei Minderjährigen wegen deren verstärkter Anfälligkeit für Beeinflussung zu erwarten sind.239 Die gesetzgeberische Entscheidung für eine solche Regelung würde sich damit auf das erhöhte Risiko einer defizitären Entscheidung des jugendlichen Patienten beziehen.240 Der Schutz Minderjähriger ist, wie oben dargestellt, zwar als Ausnahme von der grundsätzlichen Unzulässigkeit staatlichen Paternalismus anerkannt241 und der Staat aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG zur Jugendschutzgesetzgebung berechtigt.242 Dabei muss sich ein solches Verbot als Grundrechtseingriff aber an den verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Übermaßverbot messen lassen.243 Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistet das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die freie Dispositionsbefugnis des Einzelnen hierüber, auch des Minderjährigen.244 Dieses subjektive Recht darf aber nicht losgelöst von der tatsächlichen Möglichkeit bzw. Fähigkeit des Grundrechtsträgers gesehen werden, autonom darüber zu verfügen.245 Nur, wenn in der Einwilligung eine autonome, freiverantwortliche Entscheidung liegt, entfällt die staatliche Schutzpflicht für die grundrechtlich abgesicherten Individualrechtsgüter.246 Bei Minderjährigen kommt dem Staat deshalb eine Schutzpflicht zu, wenn zu befürchten ist, dass diese nicht autonom entscheiden können. Die Grundrechtsbeeinträchtigung, die in der gesetzlichen Beschränkung der Einwilligungsfähigkeit und damit der Möglichkeit zur freien Disposition im Wege einer wirksamen Einwilligung in bestimmte Schönheitsoperationen liegt, rechtfertigt sich damit wiederum aus verfassungsrecht­ lichen Prinzipien – dem Minderjährigenschutz, dem Verfassungsrang zukommt247, und den hieraus resultierenden staatlichen Pflichten. Der Minderjährigen- bzw. Ju238  So

Fateh-Moghadam (2008), S. 242, im Kontext der Lebendorganspende. im Kontext des TPG Gutmann / Schroth (2002), S. 60. 240  Fateh-Moghadam (2008), S. 242. 241  Hillgruber (1992), S. 122 ff.; Möller (2005), S. 27 f., 147. 242  BVerfGE 83, 130, 139 f. 243  Sachs-Sachs (2011), GG, Vor Art. 1 Rn. 76. Ausführlich zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für (weichen) Rechtspaternalismus oben B.V.4.b). 244  Vgl. Sachs-Sachs (2011), GG, Vor Art. 1 Rn. 75; Hufen (2014), § 6 Rn. 41; Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 9, Art. 19 Rn. 14; Hillgruber (1992), S. 122 ff.; Möller (2005), S. 147. 245  Jarass / Pieroth-Jarass (2012), GG, Art. 2 Rn. 9, Art. 19 Rn. 14; Sachs-Sachs (2011), GG, Vor Art. 1 Rn. 75. 246  Möller (2005), S. 149. 247  Sachs-Bethge (2011), GG, Art. 5 Rn. 160. 239  Vgl.

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E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

gendschutz als tragendes Prinzip der deutschen Rechtsordnung findet sich in zahlreichen Regelungsbereichen. Die Stufe von 18 Jahre ist dabei in der Rechtsordnung allgemein konsentiert.248 Tragendes Argument für ein solches paternalistisches Totalverbot ist daher der Schutz minderjähriger Pa­ tienten.249 Das standesethische Schädigungsverbot lebt bei der Durchführung von Schönheitsoperationen an Minderjährigen wieder auf und wird im konkreten Fall stärker gewichtet als das Selbstbestimmungsrecht des noch nicht volljährigen Patienten. Eine gesetzlich festgelegte Altersgrenze erzielt weiter die größtmögliche Rechtssicherheit.250 Anders als nach geltender Rechtslage und als bei den ebenfalls vorgeschlagenen Stufen- oder Kommissionslösungen sind Fehlentscheidungen über das Vorliegen der Einwilligungsfähigkeit ausgeschlossen. Das Risiko einer in Wahrheit unwirksamen Einwilligung eines minderjährigen Patienten würde ganz beseitigt. Insgesamt kommt dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs- und Beur­ teilungsspielraum bei der Frage zu, welche Norminstrumente zum Schutz Minderjähriger geeignet sind.251 Eine starre Altersgrenze bei rein kosmetisch veranlassten Schönheitsoperationen läge innerhalb dieser Einschätzungsprärogative.252 Zwar sind mildere rechtliche Mittel wie die oben erörterten Kommissions- oder Beratungslösungen grundsätzlich sinnvolle und m. E. vorzugswürdige Lösungswege; in Anbetracht der gesundheitlichen Risiken und im Interesse einer praktikablen Gestaltung der Rechtslage bei Schönheitsoperationen böte eine strikte Altersgrenze aber das größte Maß an Rechtssicherheit. Deshalb ist eine feste Altersgrenze jedenfalls ein geeig­ netes rechtliches Instrument im Sinne des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Gewährleistung von Rechtssicherheit für den behandelnden Arzt, für die Vermeidung von Fehlentscheidungen in Verfah248  Vgl. die Altersgrenze für die Volljährigkeit und für die Geschäftsfähigkeit, § 2, §§ 106, 108 III BGB; für die Einwilligung in die Lebendorganspende und in klinische Arzneimittelversuche, § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a TPG, § 40 Abs. 1 S. 3 Nr. 3a AMG; für die vollumfängliche Deliktsfähigkeit, § 828 III BGB; für den erstmög­ lichen Zeitpunkt der Anwendung des Erwachsenenstrafrechts, §§ 1 Abs. 2, 105 ff. JGG; für die Genehmigung von Geschäften des Vormunds, § 1829 BGB; für den Erwerb des Führerscheins, § 2 Abs. 2 Nr. 2 StVG i. V. m. §§ 10 Abs. 1 Nr. 3, 6 Abs. 1 FeV, Wahlberechtigung für die Wahl zum Deutschen Bundestag, Art. 38 Abs. 2 GG etc. 249  Vgl. im Kontext des § 8 Abs. 1 Nr. 1a TPG Gutmann / Schroth (2002), S. 55; Schroth / König / Gutmann / Oduncu-Gutmann (2005), TPG, § 8 Rn. 7. 250  Vgl. im Kontext des TPG Gutmann / Schroth (2002), S. 55; Höfling-Augsberg (2013), TPG, § 8 Rn. 20. 251  Vgl. Höfling-Augsberg (2013), TPG, § 8 Rn. 20. 252  Im Kontext des TPG Höfling-Augsberg (2013), TPG, § 8 Rn. 20; FatehMoghadam (2008), S. 241 ff.



II. Schönheitsoperation und Einwilligung Minderjähriger345

rensmodellen und für eine ökonomische, durchführbare Gestaltung schönheitsoperativer Behandlungen.253 Ein Ausschluss der Einwilligungsmöglichkeit für Minderjährige durch die gesetzliche Regelung einer starren Altersgrenze ist nach alldem aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht von vorne­ herein unzulässig.254 Doch birgt auch eine starre Altersgrenze Folgeprobleme. Problematisch ist bei einer solchen Regelung die Festlegung der umfassten Eingriffsarten. Ein Ausschluss aller nicht indizierten schönheitschirurgischen Eingriffe kommt wie oben dargestellt nicht in Betracht. Eine strafbewehrte Verbotsnorm wäre deshalb auf bestimmte, besonders schwerwiegende und riskante nicht indizierte Eingriffsarten zu beschränken, bei denen ein Fehlen jedweder psychischer oder physischer Indikation eindeutig und ein Missverhältnis zu den Eingriffsrisiken deutlich ist.255 Die genaue Bewertung der Frage, welche schönheitsoperative Maßnahmen man als solche „eindeutigen“ Fälle bezeichnen kann, bliebe dem medizinischen Sachverstand vorbehalten. Angesichts ihrer Schwere und Risiken dürfte dies aber jedenfalls Liposuktionen bei nicht krankhafter Fettsucht und Brustkorrekturen einer nach medizinischen Kriterien normal ausgebildeten, gesunden weiblichen Brust betreffen, da der jugendliche Körper im minderjährigen Alter häufig noch nicht ausgereift und das Wachstum der Brust unter Umständen noch gar nicht abgeschlossen ist.256 Eine enumerative Aufzählung kann nur unter Mitarbeit der Fachgesellschaften bzw. anderweitigen medizinischen Fachverstands erzielt werden. Denkbar wäre eine Überantwortung an die Bundesärztekammer, der dann die Aufgabe zukäme, diejenigen Eingriffe zu benennen, die sich aus medizinischer Sicht als besonders schwerwiegend bzw. komplikationslastig darstellen oder aus entwicklungsmedizinischer Sicht anderweitig auszuschließen sind. Anzumerken bleibt, dass eine solche Überantwortung der Normbildung an medizinischen Sachverstand aber aus juristischer Sicht nicht unproblematisch ist.

253  So auch für den Regelungsbereich des TPG, vgl. Schroth / König / GutmannGutmann (2005), TPG, § 8 Rn. 7. 254  Für den Bereich des Enhancement Höfling (2009), S. 125  f.: unproblematisch; für den Bereich der Lebendorganspende Höfling-Augsberg (2013), TPG § 8 Rn. 18, 20: pauschaliertes Negativkriterium ‚Minderjährigkeit‘ verfassungsrechtlich nicht zwingend, aber hinnehmbar. 255  So auch Höfling (2009), S. 125 f. und in der Folge die Einbecker Empfehlungen der DGMR zu Rechtsfragen der wunscherfüllenden Medizin in Wienke / Eberbach / Kramker / Janke (2009), S. 180 Nr. 3. 256  Zur Studie über die erheblichen Risiken der subkutanen Liposuktion und zu den Risiken von Brustimplantaten vgl. E. Fn. 97.

346

E. Diskussion unterbreiteter Vorschläge

5. Fazit Die dargestellten Unsicherheiten, die für Arzt und minderjährigen Patient bzw. dessen Eltern aus der geltenden Rechtslage resultieren, machen verständlich, dass zuletzt von verschiedener Seite der Bedarf einer gesetzlichen Regelung gesehen wurde. Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Maßnahmen der Schönheitschirurgie teils risikobehaftete, folgenreiche Eingriffe sind, Minderjährige sich aber gerade in diesem Bereich vielfach beeinflussbar zeigen. Nach der hier vertretenen Ansicht scheidet die tatsächliche Möglichkeit der Durchführung von schwerwiegenderen Schönheitsoperationen wie etwa Fettabsaugung oder Brustvergrößerung257 an Minderjährigen zumeist schon nach der geltenden Rechtslage aus, da eine Einwilligungsfähigkeit eines minderjährigen Patienten schon nicht anzunehmen bzw. eine stellvertretende Einwilligung durch die Eltern in den meisten Fällen auszuschließen sein wird.258 Ungeachtet dessen können die vorgeschlagenen Stufenmodelle, also Beratungs- oder Kommissionslösung, im Bereich der Einwilligung Minderjähriger in nicht indizierte Schönheitsoperationen gerechtfertigt werden. Auch die gesetzliche Einführung einer starren Altersgrenze sieht sich nach der hier vertretenen Ansicht zwar starken Einwänden ausgesetzt, liegt letztlich aber ebenfalls innerhalb der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und ist als weich paternalistischer Eingriff legitimierbar. Die rechtliche und rechtspolitische Befürwortung eines strafrechtlichen Verbots spezifischer Schönheitsoperationen mittels einer starren Altersgrenze von 18 Jahren lässt sich damit insgesamt, vorbehaltlich einer verfassungsrechtlichen Prüfung im Einzelnen, begründen. Die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts durch den (einwilligungsfähigen) Minderjährigen und die Möglichkeit der stellvertretenden Einwilligung der gesetzlichen Vertreter würden damit kategorisch ausgeschlossen. Die Einführung einer Beratungs- oder Kommissionslösung ist jedoch als milderes Mittel der vorzugswürdige Vorschlag.

257  Ausgenommen die nach allgemeiner Ansicht indizierten Fälle der Brustaplasie, dazu soeben. 258  Ausführlich oben D.II.3.b) und d).

F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1.  Für die Begriffsbestimmung von Schönheit sind im Kontext der strafrechtlichen Bewertung von Schönheitsoperationen allein die Vorstellungen und Vorgaben des Patienten bzw. Kunden für die gewünschte Korrektur maßgeblich. Für die Einordnung eines ärztlichen Eingriffs als nicht indizierte (Schönheits-)Operation in Abgrenzung zum Heileingriff ist entscheidend, dass ein an sich gesunder Patient eine medizinisch nicht notwendige – subjektiv empfundene – Verschönerung seines Aussehens bezweckt. Eine objektive Überprüfbarkeit des Erfolgs des schönheitschirurgischen Eingriffs gibt es aus strafrechtlicher Perspektive in dieser Hinsicht nicht. 2. Die Unterscheidung von Schönheitsoperationen als rein kosmetisch veranlasste Operationen ohne Heilzweck und ärztlichen Heileingriffen erfolgt über das Merkmal der medizinischen Notwendigkeit bzw. Indikation, das Ausfluss des standesethischen ärztlichen Schädigungsverbots ist. Eine abgeschlossene Theorie und eine abstrakte, trennscharfe Begriffsbildung zur medizinischen Indikation nach traditionellem Verständnis gibt es weder in der Ethik noch im Recht. Auch aus bestehenden gesetzlichen Regelungen im Kontext spezieller medizinischer Behandlungen (§§  40, 41 AMG, § 218a StGB bzw. dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung im SGB V) lassen sich keine allgemeingültigen, abschließenden Abgrenzungskriterien für die Unterscheidung von indizierten und nicht indizierten Behandlungen ableiten. Die im traditionellen Arztstrafrecht für indizierte Heilbehandlungen entwickelte Definition bietet aber wertvolle und vielzählige Anhaltspunkte für die Indikation und damit die strafrechtliche Bewertung ärztlichen Handelns. Über die Beiziehung des ICD‑10 etwa, der eine nahezu unüberschaubare Vielfalt von Krankheiten katalogisiert, ermöglicht sie die Erfassung und Einordnung der meisten ärztlichen Eingriffe. Die verbleibenden Abgrenzungsprobleme sind kein rechtlicher Sonderfall. Trotz der dargestellten Definitionsschwierigkeiten ist entgegen der in der neueren Literatur präsentierten Konzepte dennoch am traditionellen Ver­ ständnis der medizinischen Indikation festzuhalten. Die neueren Ansätze, insbesondere der Ansatz von Stock, der die Indikation als ganzheitlichen Abwägungsprozess und damit über ein rein medizinisches Verständnis hinaus sehr weit fasst, vermögen nicht zu überzeugen. Zwar umgeht diese Sichtweise sämtliche Abgrenzungsschwierigkeiten, jedoch verwischt sie gleichzeitig alle Grenzziehungen und führt den Begriff der medizinischen

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F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Indikation in die Bedeutungslosigkeit. Denn diese Konzepte fordern im Ergebnis nichts anderes als ein Vorgehen des Arztes lege artis. Die medizinische Indikation kann, wie in dieser Untersuchung ausführlich diskutiert wurde, keine unmittelbare Bedeutung für die strafrechtliche Bewertung ärztlicher Behandlungen gewinnen. Das Merkmal der medizinischen Indikation trennt insoweit paternalistische und liberale Ansätze zur strafrechtlichen Bewertung ärztlichen Handelns. Abzulehnen sind diejenigen paternalistischen Ansichten im Medizinstrafrecht, die die Indikation als Schwellenkonzept verstehen, indem sie allein der medizinischen Indikation unmittelbare Bedeutung für eine Strafbarkeit des Arztes zumessen wollen. Als Kriterium mittelbarer Relevanz bleibt sie für die normative Bewertung ärztlichen Handelns jedoch in eng umgrenzten Bereichen von Bedeutung. Die Indikation ist neben der lex artis Filter für die sachgerechte rechtliche Bewertung medizinischer Behandlungen. Letztlich ist dabei zwar immer, und so auch im Bereich nichttherapeutischen ärztlichen Handelns, die Frage entscheidend, ob eine informierte, autonom erteilte Einwilligung des Rechtsgutsträgers vorliegt. Für die Beantwortung dieser Frage ist die Feststellung, ob eine ärztliche Maßnahme ein Heileingriff oder ein medizinisch nicht notwendiges Vorgehen ist, aber von Belang. Das gilt vor allem im Bereich der ärztlichen Aufklärungspflicht vor nicht indizierten Eingriffen, die nach herrschender Meinung erhöht bzw. nach der hier vertretenen Ansicht im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten entsprechend anders sein muss als bei Heileingriffen. Darüber hinaus wird die Frage nach einer medizinischen Indikation bei kontraindizierten Eingriffen bedeutsam. 3. Ob eine kontraindizierte Behandlung aus rechtlicher Perspektive ein Unterfall der indizierten oder der nicht indizierten Eingriffe ist, mit der Folge der Beurteilung anhand der gleichen strafrechtlichen Maßstäbe, oder ob neben Heileingriff und nicht indiziertem Eingriff eine abgrenzbare und einer eigenständigen rechtlichen Bewertung zugängliche dritte Bewertungskategorie darstellt, ist bisher nur vereinzelt thematisiert und nicht abschließend geklärt. Anlass zur Auseinandersetzung mit dieser Frage bietet die Tatsache, dass Einwilligungen in „schlicht nicht indizierte“ Eingriffe wie Schönheitsoperationen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft im Ergebnis für zulässig gehalten werden, während zahlreiche Urteile und Beiträge Einwilligungen in dort so bezeichnete „kontraindizierte“ Eingriffe für unwirksam erklärt haben. M. E. sind kontraindizierte Eingriffe als eigenstän­ dige Kategorie ärztlicher Eingriffe zu verstehen, die anderen Wirksamkeitsvoraussetzungen und Rechtsfolgen unterliegen als Heileingriffe und nicht indizierte Eingriffe. Als kontraindizierte ärztliche Behandlungen werden nach der hier vertretenen Ansicht diejenigen Maßnahmen verstanden, bei denen der Patient subjektiv das Ziel der Heilung verfolgt, dies objektiv aber nicht zu erreichen ist und der Arzt das auch weiß. Im Unterschied zu den



F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse349

nicht indizierten Eingriffen fallen Patientenvorstellung und Wirklichkeit auseinander. Das erste, entscheidende Unterscheidungskriterium wird aus Sicht des Patienten bedeutsam. Während Eingriffe mit fehlender Indikation solche Maßnahmen sind, die keinen medizinischen Heilzweck verfolgen, bei denen aber eine subjektive Zielsetzung anderer Art – z. B. schöner sein oder einem Kranken ein Organ spenden – erreicht werden kann, meint eine Kontraindikation nicht nur das Fehlen der medizinischen Indikation, sondern die medizinische Schädlichkeit des ärztlichen Eingriffs bzw. die Unmöglichkeit, mit einem Eingriff ein verfolgtes Ziel – welcher Art auch immer, insb. der Heilung – zu erreichen. Kosmetisch veranlasste schönheitschirurgische Eingriffe fallen also nicht unter die Fallgruppe der kontraindizierten Eingriffe. Das zweite Unterscheidungskriterium ergibt sich aus der Perspektive des Arztes und hängt stark von den Umständen des Einzelfalls ab. Während bei den schlicht nicht indizierten Eingriffen die gewählte Maßnahme für das vom Patienten bezweckte Ergebnis ein Vorgehen gemäß der medizinischen lex artis darstellt, kann ein kontraindizierter Eingriff als Vorgehen entgegen der lex artis betrachtet werden, sofern und weil der Arzt dann um die sichere Erfolglosigkeit und Schädlichkeit des Eingriffs weiß. Aus normativer Sicht ist es daher folgerichtig, denjenigen für schutzbedürftig zu erklären, der sich in Widerspruch zu seinem eigenen Wertegefüge begibt. Eine Einwilligung in einen kontraindizierten Eingriff ist deshalb regelmäßig unwirksam und eine Bestrafung des Arztes gerechtfertigt, wenn und weil er um die Nichterreichbarkeit einer Heilung oder Linderung wusste. Dabei kommt es gerade nicht auf die objektive medizinische (Un-)Vernünftigkeit der Entscheidung an. Die Einwilligung soll aber die autonome Entscheidung des Patienten und damit eine subjektive Mindestrationalität absichern. Die Einwilligung in einen nicht indizierten Eingriff, der aus Sicht des Patienten der Heilbehandlung dienen soll, der in Wahrheit aber objektiv sinnlos ist, was der Arzt regelmäßig auch weiß, ist subjektiv widersprüchlich und entspricht daher nicht dem Wertesystem des Patienten. Normativ lässt sich der Schutz des Patienten in diesen Fällen daher wiederum im Lichte seines Selbstbestimmungsrechts begründen. 4. Auch wenn das geltende Recht grundlegend auf eine Trennung von Recht und Moral zielt, bestehen doch zahlreiche Verbindungen und Wechselwirkungen. Insbesondere das Medizinrecht ist nach allgemeiner Ansicht notwendig von ethischen Grundsätzen durchdrungen. Unter den von der Ethik identifizierten zentralen Grundsätzen ärztlichen Handelns sind für die (strafrechtliche) Bewertung der Schönheitsoperation insbesondere die konfli­ gierenden Prinzipien der Patientenautonomie und der Schadensvermeidung relevant. Bei den medizinethischen Ansätzen zur Konfliktlösung moralischer Dilemmata im Arzt-Patienten-Verhältnis beherrscht vor allem das von Beau­ champ und Childress vorgestellte Kohärenzsystem, der sog. four principles

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F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

approach oder principlism, seit langem die ethische Debatte. Die beiden genannten, (standes-)ethisch gültigen Prinzipien sind nach diesem Ansatz als Optimierungsgebote zu verstehen, so dass sie nicht beide absolute Geltung beanspruchen, sondern im Einzelfall eines hinter das andere zurücktreten kann, sie dabei ihre Gültigkeit jedoch nie ganz verlieren. Die rechtliche Anknüpfung erfolgt über die Lehre von der Einwilligung. 5. Über die verfassungsrechtliche Verankerung der Patientenautonomie in den Grundrechten bestehen differierende Ansichten. Soweit es um die Abwehr eigenmächtiger ärztlicher Eingriffe geht, wird das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verankert. Für die Selbstverfügungsfreiheit über den eigenen Körper und die Einwilligungsmöglichkeit in Fremdgefährdungen und Fremdschädigungen ist umstritten, ob der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) oder des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eröffnet sein soll. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Selbstverfügungsfreiheit über den eigenen Körper umfassend, unter Einbezug der personalen körperbezogenen Autonomie und des Rechts auf selbstschädigendes Verhalten, unter Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Grundrecht auf Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit zu subsumieren. Die Dispositionsbefugnis über das geschützte Rechtsgut wird in den Schutzbereich des speziell einschlägigen Grundrechts hineingelesen. Geschützt werden alle Dispositionen des Grundrechtsträgers, die unmittelbar auf den Körper einwirken, und zwar auch solche, die die Selbstdarstellung unter Verfolgung wie auch immer gelagerter Ziele bezwecken und die mit Beeinträchtigungen oder Verletzungen der körperlichen Integrität verbunden sind. Auch das ärztliche Schädigungsverbot findet seine Grundlage in der Verfassung. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gebietet in seiner Abwehrfunktion, ein staatliches Eingreifen in diese Rechtsgüter des Einzelnen zu unterlassen und sie weiter gegenüber allen Eingriffen und Gefährdungen von außen aufrechtzuerhalten. Hieraus ergibt sich gerade auch ein Schädigungsverbot des Arztes bzgl. Körperintegrität und Leben seiner Patienten. Dabei sind alle ärztlichen Maßnahmen, auch Heileingriffe, dem Schutzbereich zuzuordnen, weil die körperliche Integrität in ihrem objektiven Bestand unabhängig von subjektiven Zielsetzungen (z. B. Heilen) geschützt wird. Ärztliche Maßnahmen sind aber nur dann ein Grundrechtseingriff, wenn der Patient keine wirksame Einwilligung erteilt hat. Die Grundrechtsordnung wirkt hinsichtlich Patientenautonomie und Schädigungsverbot in die privatrechtliche Arzt-Patienten-Beziehung hinein, weil deren Verhältnis aus verfassungs-rechtlicher Perspektive eine Schutzpflicht­ konstellation darstellt. In Erfüllung dieser Vorgaben haben der Schutz der Patientenautonomie und das ärztliche Schädigungsverbot eine Ausprägung



F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse351

in der einfach-gesetzlichen Ausgestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses erfahren. Ausdruck des ärztlichen Schädigungsverbots sind die Körperverletzungs- und Lebensschutzdelikte des Strafgesetzbuchs. Die verfassungsrechtlich umfassend garantierte Patientenautonomie wird im Arztstrafrecht als Grund, rechtliche Verankerung und Maßstab für die strafrechtliche Einwilligung und ärztliche Aufklärung relevant. Für die Frage, wie das Verhältnis dieser beiden grundgesetzlichen Positionen zueinander im Konfliktfall aufzulösen ist, hat Alexy ein theoretisches Fundament dargelegt, das dem Ansatz von Beauchamp und Childress nahesteht. Im Mittelpunkt der Theorie von Alexy steht das Verständnis der Grundrechte als Prinzipien und das Konzept der Abwägung. Prinzipien werden dabei als Optimierungsgebote verstanden. Eine Prinzipienkollision erfordert eine einzelfallbezogene Abwägung; dabei muss ein Prinzip zugunsten eines anderen im Einzelfall zurücktreten. Das bedeutet indes nicht, dass seine Gültigkeit außer Kraft gesetzt ist. Die Vorrangfrage kann sich unter anderen Bedingungen gerade umgekehrt darstellen und das andere Prinzip wieder aufleben. Prinzipienkollisionen werden damit nicht in der Dimension der Geltung, sondern in der Dimension des Gewichts gelöst. Ärztliches Schädigungsverbot und Prinzip der Patientenautonomie verlieren deshalb nie ihre Gültigkeit. 6.  Rechtsgut der §§ 223 ff. StGB ist nicht lediglich die körperliche Integrität als objektiv-biologischer Wert, sondern auch das körperbezogene Selbstbestimmungsrecht. Der Schutz der Körperverletzungsdelikte erstreckt sich daher auf die Unberührtheit des menschlichen Körpers in einem Verständnis, wie es von Kargl dargelegt worden ist, also das Körperinteresse, verstanden als Schutz der körperlichen Integrität und des darauf bezogenen Selbstbestimmungsrechts, das den Verletzten bzw. Patienten davor bewahrt, gegen seinen Willen angetastet zu werden, und es ihm ermöglicht, sich körperlich frei zu entfalten. Als zentrale Konsequenz dieses Rechtsgutsverständnisses und des darauf basierenden Integrationsmodells der Einwilligung sind sowohl die ärztliche Heilbehandlung als auch der nicht indizierte Eingriff auf Wunsch und mit Einwilligung des Patienten keine Rechtsgutsverletzungen. Anders als für die Vertreter eines kollektivistischen, objektivierten Rechtsgutsverständnisses, die zur Zulässigkeit eines paternalistischen Schutz des Rechtsgutsträgers gelangen, ist auf der Grundlage eines so verstandenen liberalen Rechtsgüterschutzes Paternalismus nur bei Autonomiedefiziten Erwachsener oder zum Schutz Minderjähriger legitim. Dabei kommt dem Rechtsgut nicht nur eine systemimmanente Bedeutung bei der Auslegung von Straftatbeständen, sondern auch ein systemkritisches Potential zu, so dass es für den Gesetzgeber kriminalpolitisches, strafrechtsbegrenzendes Moment ist. Weitergehende Einschränkungen für nicht indizierte (kosmetische) Operationen, die etwa auf der Ebene von Aufklärungspflichten oder

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F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Verboten vorgeschlagen worden sind, müssen sich am dargestellten Rechtsgutsverständnis messen lassen. Selbstschädigungen bzw. ergebnisgleiche Fremdschädigungen mit Einwilligung sind nach dem Dargestellten im Grundsatz nicht strafwürdig. 7. Im medizinstrafrechtlichen Regelungskontext der Schönheitsoperation finden sich Normen und Auslegungsansätze, die den Grundsatz der Wirksamkeit der Einwilligung gerade aufgrund des Indikationsmangels beschränken und die dem Paternalismus zuzurechnen sind. Sie betreffen die Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht, die Einwilligungsfähigkeit und die Auslegung des § 228 StGB; daneben sind Vorschläge de lege feren­ da zu Kommissionslösungen und starren Altersgrenzen eingebracht worden. Bei der Legitimation paternalistischer Strafrechtsnormen werden unterschiedliche Argumentationslinien verfolgt. Nach der hier vertretenen Ansicht sind hart paternalistische Einschränkungen der Verfügungsfreiheit über den eigenen Körper, die auch eine autonom getroffene Entscheidung unter dem Vorwand des Schutzes des kompetenten Verfügenden nicht gelten lassen, un­ zulässig. Die Einschränkung der Wirksamkeit der Einwilligung des Patienten über kollektivistische Erwägungen, vor allem in unmittelbarer objektiver Abhängigkeit vom Fehlen einer medizinischen Indikation, ist vor diesem Hintergrund nicht zu legitimieren. Weich paternalistische Vorgaben, die sich an der Autonomie des Rechtsgutsträgers orientieren und diese absichern, sind ebenso rechtfertigungsbedürftig, können aber prinzipiell legitimiert werden. Aus der Anknüpfung an den Autonomiebegriff folgt aber zugleich die Schwierigkeit der Annahme, dass weicher Paternalismus legitimierbar ist, harter dagegen nicht. Denn die Grenze zwischen autonomieorientiertem und hartem Paternalismus ist in manchen Fällen kaum zu ziehen. Teils gibt ein so bezeichneter weicher Paternalismus auch vor, sich an der Autonomie des Einwilligenden zu orientieren, bezieht sich dabei aber wirklich auf die Optimierung von Rationalität. Die Herstellung perfekt rationaler menschlicher Entscheidungen, das Koppeln der Autonomie an medizinische Notwendigkeit oder ein sittlich verstandener Autonomiebegriff können Rechtspaternalismus jedenfalls nicht rechtfertigen. Nur solche Indizien, die unmittelbar mit den strafrechtlich anerkannten Grenzen der wirksamen Einwilligung zusammenhängen, können für die Annahme eines Autonomiedefizits relevant sein und weichen Paternalismus begründen; ein Vernunftpaternalismus ist nicht Ziel des Rechts. Beschränkungen der Einwilligung in medizinisch nicht indizierte Eingriffe kommen deshalb von vorneherein nur dort in Betracht, wo bei der rechtlichen Prüfung der Einwilligungsfähigkeit des Patienten, der Informationsvermittlung durch ärztliche Aufklärung, der Freiwilligkeit der Einwilligung im Übrigen oder im Rahmen des § 228 StGB Umstände vorliegen, die Autonomiedefizite nahelegen. Im Weiteren hat sich jede weich paternalistische Norm an den Erfordernissen des verfassungs-



F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse353

rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes messen zu lassen. Die grundrechtsdogmatische Einordnung der Legitimation von weichem Paternalismus ist umstritten; überzeugend ist es, das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Schranke und zugleich Schranken-Schranke zu betrachten. 8.  Die dargestellte grundgesetzliche Verankerung der Einwilligung in der verfassungsrechtlich gewährleisteten Patientenautonomie und das darauf basierende liberal-individualistische Rechtsgutsverständnis bedingen die Funktionen der Einwilligung und wirken sich sowohl auf ihre straftatsyste­ matische Einordnung als auch auf ihre Grenzen aus. Aus einem liberalen Rechtsgutsverständnis folgt eine Einwilligungstheorie, die sich durch die Regel der Wirksamkeit der Einwilligung auszeichnet und für die sich Ausnahmen im Bereich der Körperverletzung nur aus den gesetzlichen Vorschriften der §§ 216, 228 StGB ergeben können. Immanente, paternalistisch begründete objektive Beschränkungen der Einwilligung sind dagegen unzulässig. 9.  Bei der strafrechtlichen Bewertung ärztlicher Eingriffe wird der Rechtfertigungslösung der Rechtsprechung gefolgt, die jeden ärztlichen Eingriff, gleichgültig ob indiziert oder nicht, als tatbestandsmäßig im Sinne der §§ 223  ff. StGB wertet. Die Tatbestandslösungen der Literatur, die den kunstgerecht vorgenommenen bzw. gelungenen Heileingriff unabhängig von der Einwilligung des Patienten vom Tatbestand der Körperverletzungsdelikte ausnehmen wollen, missachten die Patientenautonomie und beinhalten hart paternalistische Argumentationsstrukturen. Die Konzeption der Rechtsprechung überzeugt dagegen, weil sie die strafrechtliche Legitimation ärztlichen Handelns im Patientenwillen verankert und damit der grundrechtlich gewährleisteten Autonomie des Menschen bei Verfügungen über den eigenen Körper gerecht wird. Weitere Konsequenz eines liberalen Rechtsgutsverständnisses ist in straftatsystematischer Hinsicht aber die bereits tatbestandsausschließende Wir­ kung der Einwilligung. Die Einwilligung ist Ausdruck der freien Entfaltung des Einzelnen und hat im Hinblick auf ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen und auf das vom Rechtsgut mitumfasste körperbezogene Selbstbestimmungsrecht nach der hier vertretenen Auffassung bereits tatbestandsausschließende Wirkung, weil eine Rechtsgutsverletzung nicht vorliegen kann, wenn ein Individualrechtsgut aufgrund des Willens des Rechtsgutsträgers gerade zu seiner Entfaltung benutzt wird. Diese Literaturansicht baut auf der Rechtfertigungslösung der Rechtsprechung auf, die das Selbstbestimmungsrecht des Patienten schützt, und führt ihn konsequent weiter. 10. Der Rückgriff auf eine hypothetische Einwilligung ist auch im Bereich der nicht indizierten Schönheitsoperation im Grundsatz möglich, aller-

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F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

dings ist eine sehr restriktive Anwendung dieses aus dem Zivilrecht stammenden Instituts geboten. Von einer wirksamen hypothetischen Einwilligung kann überhaupt nur bei Behandlungen ausgegangen werden, die lege artis durchgeführt werden. Wegen der maßgeblichen Bedeutung der Aufklärungspflicht im Bereich nicht indizierter ärztlicher Eingriffe sind hohe Anforderungen an die Annahme einer hypothetischen Einwilligung zu stellen. Nach der hier geteilten Ansicht ist in Übertragung der Risikoerhöhungstheorie entgegen der Rechtsprechung schon dann eine Strafbarkeit des Arztes anzunehmen, der seine Aufklärungspflichten verletzt, wenn aufgrund belegter sachlicher Anhaltspunkte (nur) die Möglichkeit besteht, dass der Patient andernfalls seine Einwilligung verweigert hätte. Für das Rechtsinstitut der mutmaßlichen Einwilligung ist dagegen im Bereich der Schönheitsoperation kein Raum, weil wegen der fehlenden Dringlichkeit bei diesen medizinisch nicht indizierten Eingriffen das Einholen einer tatsächlichen Einwilligung immer möglich ist. 11. Aus straftatsystematischer Sicht hat das Vorliegen oder Fehlen der medizinischen Indikation für einen ärztlichen Eingriff für die Strafbarkeit des Arztes per se keine unmittelbare Auswirkung. Die medizinische Indikation ist entgegen einer verbreiteten Ansicht in der medizinstrafrechtlichen Literatur keine eigenständige dogmatische Zuordnungskategorie. Eine Privilegierung indizierter Heilbehandlungen bzw. eine objektive Begrenzung der Wirksamkeit der Einwilligung bei Eingriffen ohne medizinische Indikation scheiden danach aus. Auf Tatbestandsebene wird der Indikation durch die Vertreter der Tatbestandslösungen unmittelbare dogmatische Bedeutung beigemessen, indem (lediglich) Heileingriffe von vorneherein vom Tatbestand der Körperverletzungsdelikte ausgenommen sein sollen. Von anderen Stimmen in der Literatur wird auf der Ebene der Rechtswidrigkeit eine ungeschriebene Dispositionsschranke errichtet und die medizinische Indikation im Rahmen einer objektiven Abwägung als weitere Voraussetzung neben der Einwilligung für eine Rechtfertigung verlangt. Wiederum andere Autoren stellen auf die geschriebene Dispositionsschranke des § 228 StGB ab und vertreten, dass das Fehlen der medizinischen Indikation eine Standeswidrigkeit sei, die den Eingriff in jedem Fall sittenwidrig im Sinne des § 228 StGB mache. Alle diese Ansätze überzeugen jedoch nicht. Den Tatbestandslösungen und den Abwägungs- bzw. Kollisionsmodellen der Einwilligung ist gleichermaßen zu entgegnen, dass die hart paternalistische Privilegierung auf Tatbestandsebene bzw. objektive Begrenzung der Wirksamkeit der Einwilligung durch standesrechtliche Vorgaben und Bewertungen nicht mit dem strafrechtlichen Grundsatz zu vereinbaren ist, wonach die Einwilligung des Rechtsgutsträgers prinzipiell wirksam ist und nur



F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse355

durch die §§ 216, 228 StGB Grenzen erfährt. Nach richtiger Ansicht ist die Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB neben § 216 StGB die einzige freiheitsbegrenzende Einschränkung, die das Gesetz der freien Disposition über den eigenen Körper setzt. Die Einwilligung unterliegt darüber hinaus keinen objektiven, immanenten Schranken. Denn diese Ansichten widersprechen der liberal-individuellen Ausrichtung des Grundgesetzes und des Rechtsinstituts der strafrechtlichen Einwilligung sowie einem zutreffenden liberalen Rechtsgutsverständnis der Körperverletzungsdelikte. Darüber hinaus können die Sanktionen des Strafrechts auch nicht auf wandelbare berufsständische Vorgaben gestützt werden. Die Ansicht, die medizinisch nicht notwendige Eingriffe gerade aufgrund der fehlenden Indikation unter § 228 StGB subsumiert, ist dagegen zwar mit der strafrechtlichen Systematik in Einklang, kann aber ebenso nicht überzeugen. Auch sie folgt einer unzulässigen hart paternalistischen, teils auch moralistischen Argumentationsstruktur. Gerade in der Formulierung des § 228 StGB zeigt sich die grundsätzlich liberale Einstellung der Rechtsordnung zur freien Disposition über den eigenen Körper: wer eine Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten vornimmt, begeht kein strafbares Unrecht. Will man einen Eingriff trotz einer ansonsten rechtswirksamen Einwilligung für strafbar erklären, ist dies die Ausnahme von der Regel und muss gerechtfertigt werden. Die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten unterschiedlichen Auffassungen zur Interpretation der Gute-Sitten-Klausel divergieren zwar stark in Herleitung und Begründung, stimmen im Ergebnis aber zutreffend weitgehend darin überein, dass die Sittenwidrigkeit nur in eng begrenzten Ausnahmefällen angenommen werden kann. Die Begründungen im Einzelnen können jedoch nicht überzeugen. Festzuhalten ist, dass § 228 StGB im Hinblick auf die Trennung von Recht und Moral als Rechtsbegriff zu verstehen ist. Es ist deshalb nicht zulässig, den Sittenbegriff mit empirischen Feststellungen über außerrechtliche Moralvorstellung auszufüllen. Ebensowenig ist eine objektive Abwägung oder ein Anknüpfen an die objektiviert verstandene Menschenwürde angezeigt. Auch der Rückgriff auf inner (straf-) rechtliche Wertungen scheidet aus, etwa im Fall einer kosmetischen Gesichtsoperation zur Verschleierung der Täterschaft einer begangenen Straftat, weil damit eine unzulässige Rechtsgutsvertauschung im Rahmen der Körperverletzungsdelikte und eine Vorverlagerung der Strafbarkeit herbeigeführt wird. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und die überwiegenden Stimmen in der Literatur füllen den Sittenwidrigkeitsbegriff dagegen mit rein rechtlichen Wertungen aus; sie erklären nach dem Kriterium der Schwere des Eingriffs und dem aus § 216 StGB abzuleitenden Rechtsgedanken nur solche Eingriffe für sittenwidrig, die objektiv und ex ante betrachtet konkret lebensgefährlich sind bzw. darüberhinaus solche irreversiblen Eingriffe, für

356

F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

die ein plausibler Grund nicht ersichtlich ist. Diese letztgenannte Ansicht sieht sich jedoch Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber und bietet wiederum ein Einfallstor für objektive Vernünftigkeitsüberlegungen. Über § 228 StGB ist ein Sittenverstoß mit der Schweretheorie der herrschenden Ansicht jedenfalls dann anzunehmen, wenn der einwilligende Patient aus einer objektiven Betrachtung ex ante heraus durch den schönheitschirurgischen Eingriff in konkrete Todesgefahr gebracht wird. Darüber hinaus gewinnt die Sittenwidrigkeitsklausel im Bereich nicht indizierter schönheitsoperativer Eingriffe aber auch Bedeutung, wenn man sie in verfassungskonformer Auslegung und autonomieorientierter Deutung als weich paternalistische Gewährleistung der Selbstbestimmung und damit als sub­ jektive Schranke der Einwilligung versteht. § 228 StGB ist nach dem überzeugenden Ansatz von Murmann so zu interpretieren, dass er die Absicherung der Autonomie der Einwilligungsentscheidung bezweckt, so dass für die Annahme der Sittenwidrigkeit entscheidend ist, ob in der Einwilligung die konkrete Möglichkeit einer defizitären Entscheidung des Rechtsguts­ inhabers offenbar wird. Dafür ist auf tatsächliche Indizien abzustellen, die sich an den subjektiven Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung orientieren. Bringt die Einwilligung insbesondere die subjektive Irrationalität der Entscheidung zum Ausdruck, ist dies ein starkes Indiz für eine defizitäre Entscheidung. Zulässige (weich) paternalistische Beschränkungen der Dispositionsfreiheit des Rechtsgutsträgers über seinen Körper können im Sinne der Schweretheorie dabei nur bei schwerwiegenden Eingriffen legitimiert werden. Die ärztliche Vornahme einer rein ästhetisch motivierten Schönheitsoperation ist nach alldem aufgrund wirksamer Einwilligung des Patienten erlaubt und nicht schon wegen ihrer fehlenden Indikation sittenwidrig und strafbar. Es gilt der strafrechtliche Grundsatz, dass die objektive Vernünftigkeit von Entscheidungen nicht Kriterium für eine Strafbewehrung sein kann, sondern dass lediglich die Autonomie des Entscheidenden umfassend abgesichert werden muss. Der Einzelne hat damit auch die Freiheit zu unvernünftigen Entscheidungen, die seinem subjektiven Werte- und Präferenzsystem entsprechen. 12.  Im Bereich der hier exkursorisch behandelten Beispielsfälle des Body Integrity Identity Disorder-Syndroms (BIID-Syndrom) bzw. der gewünschten Verstümmelung wird aber deutlich, dass trotz der zu Recht mit Vehemenz vertretenen Trennung von Recht und Moral eine gänzliche Loslösung von ethischen Überlegungen gerade im Rahmen der Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB nicht stattfindet. So bewerten alle Autoren, die sich mit Fall der gewünschten Verstümmelung auseinandersetzen, die Durchführung einer solchen irreversiblen Amputation auf bloßen Wunsch des Patienten ganz übereinstimmend als Sittenverstoß gem. § 228 StGB und gelangen zu einer Strafbarkeit des ausführenden Arztes nach den Körperverletzungsdelikten.



F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse357

Auch wenn sich das Recht bei der Eingrenzung der Selbstverfügungsfreiheit des Einzelnen in Anbetracht der immer weiter divergierenden moralischen Vorstellungen in der Gesellschaft zutreffend und zunehmend auf die Auto­ nomie als entscheidendes Kriterium stützt, bleiben ethische Erwägungen gerade im Medizinstrafrecht zu guter Letzt doch relevant. Das in Prinzipien­ ethik und Verfassung verankerte ärztliche Schädigungsverbot verliert seine Gültigkeit nicht ganz und rückt hier wieder in den Vordergrund. 13.  Das Fehlen der medizinischen Indikation gewinnt für die strafrechtliche Verantwortung des behandelnden Arztes im Rahmen der subjektiven Einwilligungsvoraussetzungen (Einwilligungsfähigkeit, Aufklärung, sonstige Willensmängel, § 228 StGB nach dem hier vertretenen autonomieorientierten Verständnis) auf den bekannten Ebenen der Straftatsystematik mittelba­ re Bedeutung. Grund hierfür ist die verfassungsrechtliche Dimension der Einwilligung im Strafrecht als Rechtsinstrument, das dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten zur Durchsetzung verhilft. Abgelehnt werden daher sämtliche Ansätze, die das normative Schwellenkonzept von Autonomie (Entweder-Oder) in ein abgestuftes Konzept verwandeln, indem sie umso strengere, höhere Anforderungen an die subjektiven Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung stellen, je weniger die Behandlung medizinisch indiziert ist. Diese im traditionellen Medizinstrafrecht vielfach vertretene Ansicht orientiert sich an der Herstellung von objektiver Rationalität, nicht aber am Vorhandensein von Autonomie als Entscheidungskompetenz und ist unzulässiger harter Paternalismus. 14.  Der Grundsatz, wonach sich die Einwilligung prinzipiell nur auf indizierte und lege artis vorgenommene Behandlungen bezieht, schließt nicht aus, dass eine wirksame Einwilligung in eine von vorneherein als medizinisch nicht notwendig erkannte und gewollte Behandlung erfolgen kann. Die medizinische Indikation wird insoweit relevant als Gegenstand der Einwilligung, weil die Einwilligung in ihrer sachlichen Reichweite mit dem erkennbar zugrunde gelegten Sachverhalt verknüpft ist. Geht der Patient davon aus, dass es sich bei einer ärztlichen Maßnahme um einen Heileingriff handelt, deckt die Einwilligung einen etwaig nicht indizierten Eingriff ohnehin nicht. Eine wirksame Einwilligung in einen nicht indizierten Eingriff kann der Arzt einholen, wenn er über den Indikationsmangel aufklärt. Das Vorliegen einer medizinischen Indikation zur „Wirksamkeitsbedingung“ der Einwilligung zu machen, wie es vorgeschlagen wurde, ist terminologisch missverständlich, da es eine echte Bedingung bei der Einwilligung nicht geben kann. Die bezweckte Rechtsfolge, die Unwirksamkeit der Einwilligung im Falle eines nicht gekannten Fehlens der medizinischen Notwendigkeit eines Eingriff, lässt sich aber auf anderen Wegen erzielen, nämlich auf den in der Einwilligungslehre bekannten dogmatischen Ebenen von Gegenstand der Einwilligung, Widerruf und Aufklärung.

358

F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

15.  Das Fehlen der medizinischen Indikation zeigt bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit Erwachsener in ärztliche Eingriffe keine unmittelbare Auswirkung. Nach allgemeinen Grundsätzen wird die Einwilligungsfähigkeit Volljähriger im Hinblick auf die grundgesetzliche Verankerung im Selbstbestimmungsrecht des Patienten vermutet; diese Regel wird nur beim Vorliegen konkreter gegenläufiger Anhaltspunkte für Urteilsdefizite in Frage gestellt. Darüber hinaus richtet sich die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Diese Vermutung der Einwilligungsfähigkeit wird im Bereich schönheitsoperativer Eingriffe aus der Perspektive des Strafrechts nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Patient eine objektiv unvernünftige, nicht indizierte kosmetische ärztliche Behandlung wünscht. Gerade bei der Einwilligung in Schönheitsoperationen, die medizinisch nicht notwendig und daher von einem allgemeinen Standpunkt her häufig nicht „vernünftig“ sind, wirken sich die dargestellten Grundlagen der Einwilligung entscheidend aus. Ein autonom entscheidender Patient kann demnach auch in unvernünftige kosmetische Eingriffe wirksam einwilligen. Anlass zur Prüfung besteht in den Fällen des Dysmorphophobie. Die herrschende Auffassung, wonach an die Einwilligungsfähigkeit Min­ derjähriger „höhere“ oder „strengere“ Anforderungen zu stellen sind, wenn es sich um eine Einwilligung in einen nicht indizierten Eingriff handelt, wird bestritten. Diese herrschende Ansicht hat gute Gründe für sich und stellt auf richtige Kriterien ab, läuft aber Gefahr, zu einer pauschalen Beschneidung der Einwilligungskompetenz und des Selbstbestimmungsrechts Minderjähriger zu führen. Mit Blick auf das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht von zwar nicht volljährigen, aber schon einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen einerseits und auf die Risiken und Trageweite einer nicht indizierten Operation andererseits, ist eine sorgfältige Überprüfung der konkreten Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Jugendlichen durch den Arzt angezeigt. Dabei sind aber keine strengeren, sondern den Besonderheiten nicht indizierter Eingriffe entsprechende Anforderungen anzulegen. Die hier vertretene Ansicht führt dabei keineswegs automatisch zu der Forderung, dass dem Minderjährigen die Einwilligungsfähigkeit „einfacher“ zugestanden werden müsste. Vielmehr ist nach den allgemeinen Voraussetzungen gründlich und gewissenhaft zu prüfen, ob der Jugendliche die im konkreten Fall erforderliche geistige Reife besitzt. Die Auffassung, die für den Fall eines Indikationsmangels neben der Einwilligung des einwilligungsfähigen Minderjährigen auch die kumulative Einwilligung der Sorgeberechtigten verlangt, ist abzulehnen. Die Besonderheit eines Eingriffs ohne medizinische Notwendigkeit wird schon bei der vorgelagerten Prüfung der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen einbezogen. Das Erfordernis einer kumulativen Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter scheidet bei festgestellter Einwilligungsfähigkeit des Minder-



F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse359

jährigen im Hinblick auf dessen verfassungsrechtlich garantiertes Selbstbestimmungsrecht deshalb auch bei nicht indizierten Eingriffen aus. Auch im Kontext der stellvertretenden Einwilligung messen Rechtsprechung und Rechtswissenschaft dem Fehlen der medizinischen Indikation Bedeutung zu. Ob ein Indikationsmangel bei einem ärztlichen Eingriff zur Konsequenz hat, dass eine stellvertretende Einwilligung des gesetzlichen Vertreters im gesamten Bereich medizinisch nicht indizierter Eingriffe grundsätzlich ausscheiden muss, ist bisher in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Der Begriff des Kindeswohls, das im Strafrecht die Möglichkeit der elterlichen stellvertretenden Einwilligung begrenzt, ist nach überzeugender Ansicht nicht mit der herrschenden Auffassung nach objektiven, abstrakten, sondern nach individuellen Maßstäben auszulegen; die stellvertretende Einwilligung wird als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen verstanden und ist geprägt durch ein weites, individuelles Verständnis des Kindeswohls, das entscheidend durch die Eltern konkretisiert wird. Die herrschende Auffassung, nach der bei ärztlichem Handeln objektive Kriterien herangezogen und nur die stellvertretenden Einwilligung in indizierte Heileingriffe wirksam sein soll, ist zu eng und verkennt sowohl die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen als auch des Erziehungsrechts der Eltern. Ein genereller Ausschluss der Vertretungsmöglichkeit bei der Einwilligung in medizinisch nicht notwendige Behandlungen wird daher abgelehnt. Auch nach der hier vertretenen Auffassung ist die Möglichkeit der stellvertretenden Einwilligung in nicht indizierte, rein ästhetische Schönheitsoperationen aber wegen der Orientierung am Kindeswohl weitgehend eingeschränkt. Die Möglichkeit der Stellvertretung wird bei nicht notwendigen Eingriffen zwar nicht generell abgelehnt, jedoch gerade aufgrund des Indikationsmangels stark reduziert. Eine Abgrenzung erfolgt nicht positiv über das Erfordernis einer medizinischen Indikation, sondern negativ erst bei einem evidenten Missbrauch der elterlichen Personensorge, wenn die elterliche Entscheidung also unter keinen Umständen noch als vertretbar betrachtet werden kann. Vorliegen oder Fehlen der medizinischen Indikation können daher bei der Frage der Reichweite der stellvertretenden Einwilligung keine allein oder unmittelbar maßgebliche Bedeutung gewinnen. Wiederum kommt der Indikation aber insoweit (nur) mittelbare Relevanz zu, als das Fehlen einer medizinischen Notwendigkeit als Kriterium in eine alle Gesichtspunkte umfassende Abwägung der Personensorgeberechtigten bzgl. der Wahrung des Kindeswohls einzustellen ist und sich bei der Abwägung der Umstände des Einzelfalls auswirken kann. 16. Die sog. Reziprozitätsthese der ständigen Rechtsprechung und der ganz herrschenden Literatur, wonach die ärztlichen Aufklärungspflichten umso niedriger sind, je dringlicher der Eingriff indiziert ist, und umso

360

F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

höher sind, je weniger dringlich oder medizinisch indiziert der ärztliche Eingriff ist, erzielt zwar vielfach zutreffende Ergebnisse. Sie kann aber in ihrer Formulierung bzw. Begründung nicht überzeugen. Die erste These der Reziprozitätsformel, die besagt, dass die Aufklärungspflichten bei vital oder hochdringlich indizierten Eingriffen absinken, ist unzutreffend. Die zweite These, wonach die Aufklärungspflicht bei nicht indizierten Eingriffen ansteigt, ist vor dem Hintergrund der Patientenautonomie als Bestehensgrund der Aufklärungspflichten, ebenfalls als Schwellenkonzept verstanden, nicht richtig. Ähnlich wie bei der Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger sind hier nicht „höhere“, sondern dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und seinen individuellen Bedürfnissen entsprechende Anforderungen an die ärztliche Aufklärung zu stellen. Denn Sinn und Grund der Aufklärungspflicht ist die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Eine „höhere“ im Sinne einer „strengeren“ oder gar „warnenden“ Aufklärungspflicht verfehlt diesen zugrundeliegenden Schutz, da eine solche Ausprägung die Ausrichtung an der Patientenautonomie verlässt. Diese Begründung orientiert sich nicht am individuellen Patienten, sondern entspricht einer objektiv-kollektivistischen Sichtweise und ist daher rechtlicher Paternalismus, der mit der oben dargelegten Begründung abzulehnen ist. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten beinhaltet negativ ebenso, dass der Patient nicht überinformiert und damit von einem nach seinem Wertesystem gewünschten Eingriff abgebracht wird. Inhalt, Umfang und Darstellungsweise der Aufklärung lassen sich demnach nicht unmittelbar aus dem Kriterium des Vorliegens oder Fehlens einer medizinischen Indikation herleiten. Dieser bezweckte Autonomieschutz verlangt aber auf der anderen Seite, dass über alle spezifisch relevanten Umstände aufgeklärt wird. Bei der Schönheitsoperation verfolgt der Patient das Ziel, „schöner zu werden“. Entscheidend ist daher auch der Hinweis auf die ästhetischen Erfolgsaus­ sichten. Falls dem kosmetischen Eingriff daher medizinische Risiken immanent sind, die zu Narbenbildung, Dellen, Hautveränderungen etc. führen können, muss der Arzt den Patienten hierüber aufklären. Die Aufklärung muss bei der nicht indizierten Schönheitsoperation recht­ zeitig genug vor dem Eingriff erfolgen, dass der Patient das Für und Wider ohne Zeitdruck abwägen kann. Auch die Anforderungen an die Form der Aufklärung folgen bei der Schönheitsoperation den allgemeinen Grundsätzen. Die Forderung nach einer objektiv-neutral visualisierenden Aufklärung mittels Bildern ist jedoch sinnvoll. Im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist es förderlich, je ein Bild oder ein Foto oder eine Abbildung eines Eingriffsergebnisses bei gutem, bei durchschnittlichem und bei schlechtem Verlauf zu zeigen, um Patienten eine objektive Informationsbasis zu verschaffen.



F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse361

Die Annahme eines wirksamen Aufklärungsverzichts bei der Schönheitsoperation mit ihren spezifischen Anforderungen an die ärztliche Aufklärung ist problematisch. Vor dem Hintergrund des Zwecks der Aufklärung, dem Patienten die Entscheidungsbasis für eine autonome, selbstbestimmte Entscheidung zu vermitteln, ist ein Aufklärungsverzicht jedoch nach allgemeinen Grundsätzen möglich. Die Pflicht zur Aufklärung entfällt weiter beim ausreichend vorinformierten Patienten. 17.  Im Bereich der Lehre von den Willensmängeln bei der Einwilligung ist bei der Schönheitsoperation vor allem die Fallgruppe der sog. einfachen, eigenerzeugten und der täuschungsbedingten Irrtümer relevant. Diese werden jedoch schon durch die Grundsätze zur ärztlichen Aufklärungspflicht aufgefangen, die sich aus dem sachkundigen Wissensvorsprung und der Garantenstellung des Arztes ergibt. Hat der Arzt über das Fehlen einer Indikation, die Risiken der Behandlung und auch im Übrigen ordnungsgemäß aufgeklärt, ist ihm ein (rechtsgutsbezogener) Irrtum nicht mehr zuzurechnen. Im Vergleich mit der Fallkonstellation der Zahnextraktionsentscheidung zeigt sich, dass es maßgeblich auf die Vorstellungen bzw. des subjektive Wertegefüge des Einwilligenden ankommt. Bezweckt dieser mit einem nicht indizierten Eingriff eine objektiv nicht erzielbare Heilwirkung, handelt es sich nach der hier gebildeten Kategorisierung um eine kontraindizierte Behandlung; die Einwilligung ist dann subjektiv widersprüchlich und deshalb unwirksam. 18.  Nach alldem ist die autonom erteilte Einwilligung eines aufgeklärten, volljährigen Patienten in eine rein kosmetisch veranlasste, nicht indizierte Schönheitsoperation grundsätzlich wirksam. Nach ethischen Wertungen steht hier das Prinzip der Patientenautonomie im Vordergrund; das ärztliche Schädigungsverbot tritt zurück. Unwirksam ist die Einwilligung des Patienten in eine nicht indizierte Schönheitsoperation mithin nur bei konkret lebensgefährdenden Behandlungen (Nähe zu § 216 StGB) oder im Rahmen des § 228 StGB, wenn sie ein Entscheidungsdefizit beinhaltet, also dem subjektiven Wertungssystem des Entscheidenden widerspricht und das mit dem Eingriff objektiv verfolgte Ziel gar nicht erreicht werden kann (Fallgruppe der kontraindizierten Eingriffe). 19. Die Forderung nach der gesetzlichen Festlegung einer notwendigen fachärztlichen Qualifikation für die Durchführung schönheitschirurgischer Eingriffe und damit die Vornahme ästhetisch-chirurgischer Eingriffe nur aus der Hand eines Facharztes zu erlauben, ist sinnvoll und wird hier geteilt. 20. Vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse des behavioral law and economics ist vor allem im angelsächsischen Rechtsraum eine gezielt steuernde Normierung der ärztlichen Aufklärungspflichten vor Schönheitsoperationen de lege ferenda angeregt worden mit dem Ziel, Patienten von

362

F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

möglicherweise selbstschädigenden Eingriffen abzubringen. Dieser Ansatz ist jedoch mit grundlegenden strafrechtlichen Prinzipien nicht vereinbar. Das Recht schützt das Selbstbestimmungsrecht des Einwilligenden und akzeptiert deshalb gerade auch unvernünftige Entscheidungen des Einzelnen. Eine Herstellung optimaler objektiver Rationalität ist dagegen nicht Aufgabe des Rechts. Im Hinblick auf die bereits aus sozialwissenschaftlicher Sicht kritisierte Inkonsistenz dieses Ansatzes und vor allem auf die Anforderungen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer solchen paternalistischen Regelung wird dieser Vorstoß daher abgelehnt. 21. Für Minderjährige ist die Rechtslage de lege lata bezüglich der Einwilligung in nicht indizierte Schönheitsoperationen unklar und überdies in der Praxis schwierig zu handhaben. Zum einen sind die Grenzen der Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen fließend; sie werden bei nicht indizierten Eingriffen von Rechtsprechung und Literatur zum Teil unterschiedlich angesetzt und sind vom Arzt nicht leicht zu beurteilen. Ist der Minderjährige dagegen einwilligungsunfähig und kommt eine stellvertretende Einwilligung der Personensorgeberechtigten in Betracht, wird der entscheidende Begriff des Kindeswohls aus § 1627 BGB von Literatur und Rechtsprechung divergierend ausgelegt, so dass teilweise eine stellvertretende Einwilligung in eine Schönheitsoperation kategorisch ausgeschlossen, teils aber auch für denkbar gehalten wird. Diese Rechtslage ist in Anbetracht der u. U. schwerwiegenden Folgen für den Minderjährigen nicht zufriedenstellend und die Vorstöße von Europäischem Parlament, damaligen Regierungsfraktionen des Deutschen Bundestags und Stimmen aus der Strafrechtsliteratur, die eine gesetzliche Klärung anregen, folgerichtig. Nach der hier vertretenen Ansicht ist die Einwilligung Minderjähriger bzw. die stellvertretende Einwilligung der Eltern ohnehin nur selten wirksam möglich. Dennoch ließen sich vor dem Gedanken der Rechtsklarheit und des Minderjährigenschutzes und aufgrund der Einschätzungsprärogative, die dem Gesetzgeber in diesem Bereich zukommt, eine Beratung- oder Kommissionslösung als weich paternalistische Regelung rechtfertigen. Auch eine starre Altersgrenze, die sich allerdings starken Einwänden ausgesetzt sieht, ist verfassungsrechtlich im Hinblick auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers legitimierbar. Das ärztliche Schädigungsverbot tritt hier gegenüber dem Prinzip der Patientenautonomie wieder in den Vordergrund.

Anhang: Rechtsprechung1 Entscheidungen zur ärztlichen Aufklärungspflicht vor einer nicht indizierten Schönheitsoperation

1  Auswahl

wesentlicher, veröffentlichter Entscheidungen.

364

Anhang: Rechtsprechung

1. Entscheidungen des BGH Nr

Gericht

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

1

BGHSt

05.07.2007

NStZ-RR 2007, 340 GesR 2007, 482 MedR 2008, 158 StV 2008, 189 ff. JuS 2007, 1145 f. etc.

§§ 227 StGB: Zwei operative Fettabsaugungen ohne nochmalige Aufklärung des Patienten vor dem zweiten Eingriff; erhebliche Behandlungsfehler / nicht lege artis durchgeführt; Tod des Patienten infolge Komplika­tionen

2

BGHZ

06.11.1990

NJW 1991, 2349 VersR 1991, 227 MedR 1991, 85 MDR 1991, 424 etc.

Arzthaftungsprozess wg. nicht zufriedenstellendem Ergebnis einer kosmetischen Operation zur Beseitigung von Kinnfalten

3

BGHZ

16.11.1971

NJW 1972, 335

Entfernung gemeiner Warzen im Chaoul’schen Nahstrahlverfahren bei einer 16-Jährigen



Anhang: Rechtsprechung365

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht Zur hypothetischen Einwilligung in eine nicht indizierte Schönheits­operation nach Aufklärungsmangel, die der BGH ausdrücklich als möglich und dogmatisch als Rechtfertigungsgrund anerkennt. Dabei zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „Diese Einwilligung kann aber nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgs­aussichten, Risiken und mögliche Behandlungs­ alternativen aufgeklärt worden ist. Nicht zu beanstanden ist […], dass die Rechtswidrigkeit auch dann entfallen kann, wenn i. F. e. Aufklärungsmangels, wie er hier beim zweiten operativen Eingriff gegeben war, der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die tatsächliche durchgeführte Operation eingewilligt hätte. [… LG hat hypothetische Einwilligung zu prüfen – diese dürfte] in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung handelte, die ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforde­ rungen unterliegt, kaum anzunehmen sein.“ Grundlegendes Urteil zum Umfang der Aufklärungspflicht bei nicht indizier­ ter Schönheitsoperation. Formel des BGH: „Je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher ist der Patient, dem dieser Eingriff angeraten wird oder der ihn selbst wünscht, über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren. Das gilt in besonderem Maße für kosmetische Operationen, die nicht, jedenfalls nicht in erster Linie der Heilung eines körperlichen Leidens dienen, sondern eher einem psychischen und ästhetischen Bedürfnis. Der Patient muß in diesen Fällen darüber unterrichtet werden, welche Verbesserungen er günstigenfalls erwarten kann, und ihm müssen etwaige Risiken deutlich vor Augen gestellt werden, damit er genau abwägen kann, ob er einen etwaigen Misserfolg des ihn immerhin belastenden Eingriffs und darüber hinaus sogar bleibende Entstellungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen will, selbst wenn diese auch nur entfernt als eine Folge des Eingriffs in Betracht kommen. [… Der Arzt hat] seinem Patienten das Für und Wieder mit allen Konsequenzen vor Augen zu stellen. Deswegen stellt die Rechtsprechung auch sehr strenge Anforderungen an die Aufklärung des Patienten vor einer kosmetischen Operation.“ Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger bei einer nicht indizierten Operation; am Rande zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „Es ist aber nicht ersichtlich, dass [der Kl.] das Wesen des Eingriffs wenigstens im großen und ganzen erläutert worden ist.“ „Der Bekl. hätte also sicherstellen müssen, dass die Kl. wenigstens den Eingriff als einen gleich einem chirurgischen gewebezerstörenden erkannte und auch wußte, dass dadurch bleibende Narben gesetzt würden […]“ „[…] daß es der BGH stets abgelehnt hat, ein festes Zahlenverhältnis zwischen der Komplikationsdichte und der ärztlichen Hinweispflicht aufzustellen.“ „Auch bei geringer Wahrscheinlichkeit schädlicher Folgen des Eingriffs kommt daher eine Aufklärung über diese Folgen umso eher in Betracht, je weniger der mit dem Eingriff bezweckte Erfolg einem vernünftigen Men­ schen dringlich und geboten erscheinen muß.“

366

Anhang: Rechtsprechung

2. Weitere Entscheidungen Nr

Gericht

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

1

OLG Köln

27.03.2014

Hinweisbeschluss 5 U 129 / 13

Arzthaftungsprozess nach Straffung der Bauchdecke und der Brust

2

OLG Zweibrücken

28.02.2012

5 U 8 / 08

Arzthaftungsprozess um Rückzahlung des geleisteten ärztlichen Honorars nach einer Liposuktion

3

OLG Hamm

30.05.2011

VersR 2011, 1451

Arzthaftungsprozess nach Einsatz von Keramik­ verblendschalen im Frontzahnbereich

4

OLG Köln

21.12.2009

VersR 2010, 1606

Widerklage gegen Arzt nach Bauchfaltenbildung in Folge einer Bauchfettabsaugung



Anhang: Rechtsprechung367

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht Zum Umfang der Risikoaufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „[…] dass im Rahmen der Aufklärung vor Schönheitsoperationen der hier in Rede stehenden Art besonders eindringlich auf bestehende Risiken und auch auf das Risiko hingewiesen werden muss, dass das ästhetische Ergebnis der geplanten Operation möglicherweise nicht in der gewünschten Weise erreicht wird, und dass das ästhetische Erscheinungsbild durch die geplante Operation unter Umständen auch verschlechtert werden kann.“ Zum Umfang der Risikoaufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation, auch hinsichtlich des zu erwartenden ästhetischen Ergebnisses: „Es gehört zu der besonderen Verantwortung des Arztes, der eine kosmetische Operation durchführt, seinem Patienten das Für und Wider mit allen Konse­ quenzen vor Augen zu stellen. Deshalb stellt die Rechtsprechung sehr strenge Anforderungen an die Aufklärung des Patienten vor einer kosmetischen Operation. […], genügen die in der Klinik der Bekl. verwendeten Einverständniserklärungen diesen Anforderungen ebenso wenig wie die für Liposuktionen verwendete Kurzinformation. Die insoweit aufklärungspflichtigen Risiken, wie bleibende Dellenbildung, Fettgewebsnekrosen, entstellenden Narben und die Erforderlichkeit weiterer kosmetischer Operationen sind ihnen nicht zu entnehmen.“ Zum Umfang der Risikoaufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „[…] weil das Einsetzen der Veneers im Wesentlichen auch aus kosmetischen Gründen erfolgte. Schon und gerade deshalb sind nach der Rechtsprechung des BGH erhöhte Anforderungen an die Risikoaufklärung zu stellen.“ „Insoweit ist nämlich auch über seltene Risiken aufzuklären, wo sie, wenn sie sich verwirklichen, die Lebensführung schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien überraschend sind.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation, insb. hinsichtlich des zu erwartenden ästhetischen Ergebnisses: „Über das Risiko von Hautfaltenüberschüssen und Dellenbildungen [hat der Kl. indes] nicht zutreffend aufgeklärt.“ „ Wenn der Kl. das Risiko ästhetischer Mängel auf Bitte der Bekl. aufgrund eigener Erfahrung und den Erfahrungen von Kollegen quantifiziert, konnte die Bekl. als Patientin eine zumindest der Größenordnung nach richtige Angabe erwarten. Es lag auf der Hand, dass die Erfolgsaussichten und das in ästhetischer Hinsicht bestehende Misserfolgs­ risiko für de Entscheidung der Bekl., die der Verbesserung ihres äußeren Erscheinungsbilds dienende Liposuktion durchführen zu lassen, von ausschlag­ gebender Bedeutung waren.“ (Fortsetzung nächste Seite)

368

Anhang: Rechtsprechung

(Fortsetzung Tabelle) Nr

Gericht

5

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

OLG 15.07.2009 München

1 U 1688 / 08

Arzthaftungsprozess wg. Schmerzen, Wundheil­ störungen, Nekrosebildung und psychischer Probleme nach Brust­ straffung bei Raucherin

6

OLG 18.12.2008 München

1 U 2213 / 08

Arzthaftungsprozess nach Face-Stirn-Lift mit Halsstraffung bei einer Lehrerin – Unzufriedenheit mit Ergebnis und behauptete Einwilligungsunfähigkeit der Patientin

7

OLG SachsenAnhalt

08.07.2008

MDR 2009, 206 OLGR Naumburg 2008, 983

Prozess um Vergütung des Arztes und Arzthaftung nach starken Wundheilstörung infolge Brustkorrektur mittels Implantaten bei Raucherin

8

AG Bremen

23.04.2008

23 C 296 / 06, 23 C 0296 / 06

Arzthaftungsprozess wg. Zurückbleibens einer weißen, vertieften Narbe im Gesicht nach einer Laseroperation einer Pigmentstörung



Anhang: Rechtsprechung369

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Die Entscheidungsgründe zitieren zunächst wörtlich die Formel des BGH vom 06.11.1990, NJW 1991, 2349. Das OLG geht dann davon aus, dass der Bekl. durch Vorlage eines ausführlichen Aufklärungsbogens und dessen mündlicher Erläuterung seine Aufklärungspflichten erfüllt habe. Die Chancen und Risiken einer Operation sind „in dem Infobogen verständlich und die möglichen Komplikationen auch hinreichend drastisch dargestellt. Die Forderung der Kl., dass ihr Fotos von nicht komplikationsfrei verlaufenen Operationen zur Aufklärung vorgelegt hätten werden müssen, überspannt die Aufklärungspflicht des Arztes. Ein Arzt ist nicht verpflichtet, durch Vorlage von Fotos missglückter Operationen bzw. nicht ohne Komplikationen verlaufener postoperativer Heilungsverläufe die Patientin von einer Operation abzu­ halten. Die Aufklärung dient nicht dazu, eine Patientin von einer Operation abzuschrecken, sondern sie soll möglichst objektiv der Patientin Chancen und Risiken des Eingriffs erläutern, damit diese eigenverantwortlich eine Opera­ tionsentscheidung treffen kann. Die im Tatbestand wiedergegebenen Passagen über Wundheilungsstörung der Risikoaufklärung führt einer Patientin hinreichend die Risiken einer kosmetischen Operation vor Augen, insb., dass der ästhetische Eindruck sich auch verschlechtern kann.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „Vor einem kosmetischen Eingriff muss, da dieser im Regelfall nicht medizinisch indiziert ist, dem Patienten beziehungsweise der Patientin das Für und Wider in allen Konsequenzen in besonderem Maße verdeutlicht werden.“ Der Arzt hat glaubwürdig dargetan, dass er seine Patienten „regelmäßig ausführlich über die Operationsmethode, die Haltbarkeit des kosmetischen Ergeb­ nisses und die Risiken des Eingriffs aufklärt.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „Die Beklagte hätte nicht darüber aufgeklärt werden müssen, „dass Wundheilungsstörungen bei Rauchern im Durchschnitt häufiger auftreten als bei Nichtrauchern. Dies gilt auch im Rahmen der gesteigerten Aufklärungspflichten bei Schönheitsoperationen, die medizinisch nicht notwendig sind. Denn maßge­ bend ist auch hier zunächst, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet.“ Zum Umfang / Zeitpunkt der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Dem Bekl. ist der Beweis einer hinreichenden Aufklärung, insb. bzgl. des bestenfalls zu erzielenden Erfolgs gelungen; danach wurde Kl. „mehrmals darüber aufgeklärt, dass es infolge der Behandlung zu Farbunterschieden und einer leichten Narbenbildung kommen kann und dass das konkrete Ergebnis deswegen nicht vorhersehbar sei, weil jede Haut auf die Therapie anders reagiere.“ (Fortsetzung nächste Seite)

370

Anhang: Rechtsprechung

(Fortsetzung Tabelle) Nr

Gericht

 9

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

BB OLG 28.02.2008

12 U 157 / 07

Arzthaftungsprozess nach beidseitiger Brustaugmentationsplastik durch zwei Implantate pro Brust mit der Stacking-Methode – Verrutschen und behauptete fehlerhafte Größe der Implantate

10

OLG Koblenz

14.06.2007

NJW-RR 2007, 1622 f. MedR 2008, 161 ff. VersR 2008, 492 f. OLGR Koblenz 2007, 852 ff. MDR 2008, 84 f. GesR 2008, 161 ff.

Prozess um Vergütung des Arztes und Arzthaftung nach Lidstraffung als vermeintlich indizierter Eingriff nach fehlerhafter Diagnose eines Exophthalmus

11

OLG Köln (StR)

30.03.2007

82 Ss 17 / 07

§ 222 StGB: Absaugen einer Fettschürze, um v. a. bei Schwimmbadbesuchen besser auszusehen; Patientin verstarb drei Tage nach OP an einer schweren Bauchwandentzündung

12

LG Köln 16.08.2006

NJW-RR 2006, 1614 ff. etc.

Arzthaftungsprozess nach Lasik-Augen-Operation aus kosmetischen Gründen (–1,25 dpt. links und –1,5 dpt. rechts sphärisch)



Anhang: Rechtsprechung371

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht „Die Kl. kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Aufklärung zu frühzeitig erfolgte. Die Aufklärung hat im Gegenteil so früh wie möglich zu erfolgen, damit dem Patienten ausreichend Zeit gelassen wird, darüber in Ruhe und ohne Beisein des Arztes mit etwas räumlichem und zeitlichem Abstand nachzudenken.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „[…] dass nicht zwingend indizierte Eingriffe und insbesondere Schönheitsoperationen genaueren Aufklärungsanforderungen unterliegen als medizinisch zwingende Eingriffe zur Abwehr einer erheblichen Gesundheitsgefährdung. Deshalb sind dem Patienten in diesen Fällen [Entscheidungsgründe entsprechen im ff. wörtlich BGH NJW 1991, 2349:] etwaige Risiken deutlich vor Augen zu führen, damit er genau abwägen kann, ob er einen etwaigen Misserfolg des ihn immerhin belastenden Eingriffs und darüber hinaus sogar bleibende Entstellungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen will.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Gericht erklärt den Arzt für ersatzpflichtig, weil er nicht hinreichend über den Indikationsmangel aufgeklärt hat: „[…] ohne einschlägige Indikation operierte und das der Bekl. nicht bewusst war. […] Damit operierte der Kl. ohne Legitimation. Sein Vorgehen wäre allenfalls dann zulässig gewesen, wenn er die Beklagte über die fehlende Indikation unterrichtet und diese dann gleichwohl auf den Eingriffen bestanden hätte.“ Zur Aufklärung über erzielbares Ergebnis bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Gericht lastet dem Arzt einer mangelnde Aufklärung darüber an, dass die von der Patientin erstrebte optische Verbesserung ihres Erscheinungsbildes mit einer Fettabsaugung gar nicht erreicht werden konnte, sondern dass sich vielmehr nach dem Eingriff sogar Dellen unter der Haut bilden konnten, die auch unter einem Badeanzug auffällig sichtbar bleiben würden. Zum Umfang / Zeitpunkt der ärztlichen Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation. Wirksame Einwilligung setzt Aufklärung über Risiken der Behandlung, alternative Behandlungsmethoden und voraussichtliche Entwicklung bei Unterbleiben des Eingriffs voraus. „Durch die erforderliche Aufklärung soll dem Patienten ein allgemeines Bild von der Schwere und Richtung des Risikospektrums vermittelt werden. Dabei ist es dem Arzt untersagt, das Verhältnis von Nutzen und Risi­ ko des Eingriffs derart falsch darzustellen, dass dem Patienten die Grundlage für eine abgewogene Entscheidung fehlt. Ist der ärztliche Eingriff nur relativ indiziert, […] ist der Patient darauf hinzuweisen.“ Gerade in diesem Fall (Fortsetzung nächste Seite)

372

Anhang: Rechtsprechung

(Fortsetzung Tabelle) Nr

Gericht

13

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

OLG 01.08.2006 München

1 U 3241 / 06

Arzthaftungsprozess wg. asymmetrische Brustimplantate

14

OLG Hamm

29.03.2006

VersR 2006, 1511 ff. NJOZ 2006, 3935 ff. etc.

Arzthaftungsprozess nach misslungener Brustkorrektur mit Implantaten und Straffung

15

LG Flensburg

21.02.2006

1 S 116 / 05

Arzthaftungsprozess nach Facelift an Unterlidfalten, durch das Kl. keine Verbesserung empfindet

16

LG Osnabrück

06.01.2006

2 O 1303 / 03

Arzthaftungsprozess nach enttäuschendem Ergebnis einer Brustvergrößerung

17

LG Dortmund nachfolgend: OLG Hamm

20.10.2005 01.02.2006

4 O 25 / 03 VersR 2006, 1509 ff.

Arzthaftungsprozess nach misslungener, nicht lege artis durchgeführter Fettabsaugung bei im Fitnessbereich tätiger Patienten, die aufgrund der postoperativen Beschwerden auch psychisch beeinträchtigt ist



Anhang: Rechtsprechung373

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht bedarf es besonders der Aufklärung über Tragweite und Heilungschancen, über den zu erwartenden Zustand nach dem Eingriff, über Gefahren und Chancen und über erhebliche Folgen. „Für den Zeitpunkt der Aufklärung gilt, dass dem Patienten ausreichend Zeit verbleiben muss, sich das Für und Wider des bevorstehenden Eingriffs zu überlegen und sicher innerlich frei zu entscheiden.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Der Arzt muss den Patienten anlässlich einer kosmetischen Operation besonders gründlich aufklären. „Dass der Beklagte der Klägerin (wohl) keine Photogra­ phien vorgelegt hat, ist, da nur eine mäßige, sich im Rahmen des zwangsläu­ figen haltenden Narbenbildung aufgetreten ist, ohne Belang.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Entscheidungsgründe entsprechen in großen Teilen der Formel des BGH vom 06.11.1990, NJW 1991, 2349: „Dem Patienten sind bei kosmetischen Operationen etwaige Risiken deutlich vor Augen zu stellen, damit er genau abwägen kann, ob er einen etwaigen Misserfolg oder sogar bleibende gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen will, selbst wenn diese auch nur entfernt als eine Folge des Eingriffs in Betracht kommen. Der Arzt ist verpflichtet, dem Patienten das Für und Wider der Operation mit allen Konsequenzen und Risiken vor Augen zu führen. An die Aufklärung eines Patienten vor kosmetischen Operationen stellt die ständige Rechtsprechung deshalb sehr strenge Anforderungen.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Entscheidungsgründe entsprechen nahezu wortgleich der Formel des BGH vom 06.11.1990, NJW 1991, 2349; im Anschluss: Der Arzt schuldet daher „eine Totalaufklärung, v. a. über die Erfolgsaussichten.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation, insb. des ästhetisch zu erwartenden Ergebnisses: Eine Patientin, die vom Ergebnis einer Schönheitsoperation (hier: Brustvergrößerung) enttäuscht ist, hat keinen Anspruch auf Schmerzensgeld, wenn sie zuvor ausführlich über die Konsequenzen der Operation aufgeklärt hat […]. Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: LG geht von hinreichender Aufklärung aus: „Der Kl. ist ein Perimed-Aufklärungsbogen ausgehändigt worden, der die Risiken der Operation vollständig aufzeigte. Diesen Bogen hat sie auch zu Hause durchgelesen und den Bekl. bei den nächsten Gesprächsterminen vor der Operation auf die dort dargestellten Risiken angesprochen. Die Kl. hat auch gewusst, dass es sich um eine Operation handelte, die medizinisch nicht erforderlich war. (Fortsetzung nächste Seite)

374

Anhang: Rechtsprechung

(Fortsetzung Tabelle) Nr

Gericht

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

18

OLG Frankfurt

11.10.2005

MedR 2006, 294 ff. OLGR Frankfurt 2006, 489 ff.

Arzthaftungsprozess wg. Narbenbildung nach Bauchdeckenstraffung

19

OLG Köln

27.04.2005

5 U 254 / 02

Arzthaftungsprozess nach operativer Entfernung eines Rhinophyms und dadurch bedingter Bildung schwerer Narben, Schwellungen und Zerklüftungen

20

OLG Düsseldorf

20.03.2003

VersR 2003, 1579

Arzthaftungsprozess nach operativer Beseitigung von Adipositas aus kosmetischen Gründen

21

OLG Düsseldorf

21.03.2002

NJW-RR 2003, 89 f. VersR 2004, 286 OLGR Düsseldorf 2003, 408

Arzthaftungsprozess nach Laser-Therapie zur Korrektur von Weitsichtigkeit im Wege eines experimentellen, wissenschaftlich noch nicht anerkannten Verfahren



Anhang: Rechtsprechung375

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht Zum Umfang / Zeitpunkt der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „Die Klägerin hätte ihre Einwilligung in diese kosmetische Operation wirksam nur erklären können, wenn sie rechtzeitig vorher von dem Beklagten umfassend und schonungslos über die Erfolgsaussichten und Risiken des Eingriffs, wie bspw. bleibende Entstellungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen, aufgeklärt worden wäre. Bei kosmetischen Operationen muss der Arzt im Rahmen seines Aufklärungsgesprächs auch dem Umstand Rechnung tragen, dass der Patient eine Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes wünscht.“ „Diese Zweck-Mittel-Relation muss sich auch auf den Zeitpunkt der Aufklärung auswirken. Denn hier gewinnen die Risiken einer medizinischen Behandlung wg. deren fehlender Indikation ein ganz anderes Gewicht.“ „Deshalb muss das Aufklärungsgespräch grds. schon bei der Vereinbarung eines Termins für die stationäre Aufnahme erfolgen.“ Eine Aufklärung am späten Vorabend der Operation genügt nicht. Auch zur grds. Möglichkeit der hypothetischen Einwilligung. Zur Person des Aufklärungspflichtigen bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Auch ein nicht approbierter Arzt kann wirksam aufklären, denn die Approbation ist als formales Kriterium nicht erforderlich; ausgeschlossen sind nur medizinische Hilfspersonen. Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Weitere Aufklärung über die maßgeblichen Umstände neben der Aufklärung im Wege eines Formularbogens genügt. Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation hinsichtlich Risiken und ästhetischer Erfolgsaussichten: Die Entscheidungsgründe zitieren zunächst wörtlich die Formel des BGH vom 06.11.1990, NJW 1991, 2349. „Der Bekl. hatte die Kl. unter diesen Umständen darüber aufzuklären, dass eine bloße Fettabsaugung in keinem Fall ausreichen würde, weil eine Rückbildung der überschüssigen Haut nicht zu erwarten war; er hatte ferner darauf hinzuweisen, dass es hierzu eines weiteren operativen Eingriffs bedurfte [… und] dass eine kosmetische Verbesserung darüber hinaus eine Bauchdeckenstraffung erforderte.“ […] „Unter diesen Umständen hätte der Bekl. die Liposuktion nur vornehmen dürfen, wenn er die Kl. auch über das damit verbundene erhöhte Risiko eines nur unzulänglichen kosmetischen Erfolgs sowie über die Gefahr postoperativer Entstellungen [durch Eindellungen] deutlich aufgeklärt hätte.“ Aufklärung bei kosmetischer Operation / Kontraindikation: „Angesichts dessen rückt die Laser-Therapie in die Nähe einer kosmetischen Operation, für die eine intensive und schonungslose Aufklärung des Patienten zu fordern ist. […] muss er über die Tatsache der mangelnden wissenschaftlichen Anerkennung als auch die erhöhte Gefahr des Misserfolges und die möglichen Komplikationen mit hinreichender Deutlichkeit und Offenheit informiert werden.“ (Fortsetzung nächste Seite)

376

Anhang: Rechtsprechung

(Fortsetzung Tabelle) Nr

Gericht

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

22

OLG Stuttgart

09.04.2002

VersR 2003, 462

Arzthaftungsprozess nach Entfernung einer Kaiserschnittnarbe

23

OLG Düsseldorf

19.10.2000

VersR 2001, 1380 f. etc.

Arzthaftungsprozess nach Nasenkorrektur bei Boxer – vielfach aus kosmetischen Gründen voroperierter Patienten, evtl. mit psychisch-neurotischer Fehlhaltung

24

OLG Oldenburg

30.05.2000

VersR 2001, 1381 f. OLGR Oldenburg 2002, 50 ff

Arzthaftungsprozess nach Operation einer adipösen Bauchdecke mittels Bauchdeckenplastik und Liposuktion – teils indizierter, teils rein kosmetischer Eingriff

25

OLG Düsseldorf

11.11.1999

NJW 2001, 900 VersR 2001, 374

Arzthaftungsprozess nach kosmetisch veranlasster Hyperopienkorrektur mit Excimer-Laser und Hornhautschädigung



Anhang: Rechtsprechung377

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht Zur wirtschaftlichen Aufklärungspflicht bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Die Entscheidungsgründe zitieren zunächst wörtlich die Formel des BGH vom 06.11.1990, NJW 1991, 2349. Das OLG stellt dann fest, dass der Bekl. diesen Pflichten umfassend entsprochen habe. „Der Bekl. muss [den Betrag] auch nicht wegen Verletzung der wirtschaftlichen Informationspflicht zurückerstatten. Es gehört zu den Pflichten der Behandlungsseite, einen Patienten vor unnötigen Kosten und unverhältnismäßigen finanziellen Belastungen zu bewahren.“ „Den von einem niedergelassenen Arzt in ein Krankenhaus eingewiesenen Patienten, der mit einer von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlten kosmetischen Operation rechnet, muss das Krankenhaus deshalb unmissverständlich darauf hinweisen, dass er die Behandlung selbst zahlen muss. Dagegen besteht keine Aufklärungspflicht kraft überlegenem Wissen, wenn der Patient weiß, dass die gesetzliche Krankenkassen nicht bezahlt.“ Zum Umfang / Verzicht auf Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Ein Aufklärungsversäumnis lag nach dem OLG nicht vor, obwohl (wohl) nur Aufklärungsformulare unterzeichnet wurden. „Die geltend gemachten Ersatzansprüche können auch nicht auf ein Aufklärungsversäumnis des Beklagten gestützt werden. […] Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Patient hinsichtlich operativer Nasenkorrekturen über umfassende Erfahrungen verfügte; es ist davon auszugehen, daß er von einem der zuvor tätigen Chirurgen über die mit den Maßnahmen verbundenen Vor- und Nachteile aufgeklärt wurde.“ „Schließlich ergibt sich aus dem weiteren Verlauf zwingend, dass sich der Kläger auch durch eine äußerst schonungslose und abschreckende Aufklärung nicht von den kosmetischen Operationen hätte abhalten lassen.“ Zum Umfang der Aufklärung bei teils indizierter, teils kosmetischer Operation: „Bei Operationen, die nicht zur Abwendung einer akuten oder auch nur schwerwiegenden Gefahr veranlasst sind, bestehen insoweit noch gesteigerte Anforde­ rungen an die Aufklärungspflichten i. S. e. detaillierten, für den medizinischen Laien verständlichen Darlegung der Chancen und Risiken. Das ist insb. bei Eingriffen anerkannt, die – wie hier – auch aus kosmetischen Gründen begehrt werden. In diesen Fällen werden von der Rspr. sehr strenge Anforderungen an die Aufklärung eines Patienten gestellt.“ Daher war es geboten, „umfassend über die Risiken des Eingriffs und die möglichen Komplikationen zu unterrichten.“ Auch zur grds. Möglichkeit der hypothetischen Einwilligung. Zum Umfang der Risikoaufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Ein Augenarzt hat den Patienten nachdrücklich darüber zu informieren, dass die lediglich aus kosmetischen Gründen gewünschte Hyperopiekorrektur unter Einsatz eines Excimer-Lasers mit der Gefahr einer beträchtlichen Schädigung (Fortsetzung nächste Seite)

378

Anhang: Rechtsprechung

(Fortsetzung Tabelle) Nr

Gericht

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

26

OLG Stuttgart

20.07.1999

NJW-RR 2000, 904 f.

Arzthaftungsprozess nach teilweise indizierter Mammareduktionsplastik, bei der subaxillär Fettgewebe beinhaltende, etwa tennisballgroße Taschen verbleiben mussten

27

OLG Koblenz

11.06.1999

OLGR Koblenz 1999, 416 ff.

Arzthaftungsprozess wg. Nervenverletzung i. R. d. operativen Entfernung eines Weisheitszahns

28

OLG Oldenburg

11.11.1997

VersR 1998, 1421

Arzthaftungsprozess wg. Folgeschäden nach Beseitigung einer Ptose und Korrektur durch Implantatversorgung

29

OLG Düsseldorf

13.10.1997

VersR 1999, 61 f. etc.

Arzthaftungsprozess wg. Wundheilungsstörungen nach Oberschenkelfettabsaugung und gleichzeitiger Krampfadern-Entfernung



Anhang: Rechtsprechung379

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht der intakten Hornhautstruktur verbunden ist. Die ausgehändigte Broschüre wird dieser Risikosituation nicht gerecht. Dort wird die Korrektur als einfacher Eingriff vorgestellt. „Bereits die Bemerkung, dass ‚ernsthafte und langfristige Komplikationen äußerst selten‘ seien, entspricht angesichts der Misserfolgsquote von jedenfalls 30 % nicht den tatsächlichen Gegebenheiten.“ Zum Umfang der Aufklärung bei einer teils indizierten, teils kosmetischen OP: „Es hat zwar kein primär kosmetisch veranlasster Eingriff vorgelegen, bei welchem in besonders sorgfältiger, umfassender und gegebenenfalls scho­ nungsloser Weise über bestehende Risiken – gesundheitliche Beeinträchtigungen und bleibende Entstellung etwa durch ein Fehlschlagen des Eingriffs – aufgeklärt werden muss. […] Es war aber auch für den Bekl. erkennbar, dass das Aussehen – also letztlich kosmetische Gründe – bei der Kl. eine wesentliche Bedeutung hatte. Das bedeutet, dass die über gesundheitliche Risiken wie Infektion oder Nachblutung hinausgehende Aufklärung – insb. zur Gefahr kosmetisch unbefriedigender Ergebnisse – klar und deutlich, wenngleich nicht schonungslos, zu erfolgen hatte.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Arzt muss im Rahmen der Aufklärung bei reiner Schönheitsoperation über Art und Schwere des Eingriffs und auch über seltene Risiken informieren. Aufklärung umfasst auch nicht beabsichtigte, aber durch ärztliche Kunst nicht sicher vermeidbare Folgeschäden. „Die Erwähnung selbst entfernter Komplikations­ gefahren ist jedoch umso stärker geboten, je weniger der Eingriff aus der Sicht des Patienten vordringlich und geboten erscheint.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Bei nicht vital indizierten Eingriffen ist eine besonders eingehende Aufklärung notwendig, inkl. der Information über alle evtl. Risiken der Operation und über notwendige Folgen wie eine Nachoperation. Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Das spezifische Risiko der erhöhten Gefahr von Wundheilungsstörungen „wäre der Kl. deutlich vor Augen zu führen gewesen. Die Aufklärung hätte dabei in bes. Maße auch dem Umstand Rechnung tragen müssen, daß die Operation vielmehr wg. eines Bedürfnisses der Kl. an einer kosmetischen Verbesserung erfolgen sollte. Die Informationen über erreichbare Verbesserungen und die Risiken eines Mißerfolgs hätten in diesem Fall besonders schonungslos vermittelt werden müssen. Sie hätten geeignet sein müssen, die Kl. die Vorteile der beabsichtigten kosmetischen Veränderungen gegenüber dem gesteigerten Risiko einer Störung des Heilungsverlaufs und den sich daraus ergebenden auch kosmetischen Nachteilen abwägen lassen zu können.“ (Fortsetzung nächste Seite)

380

Anhang: Rechtsprechung

(Fortsetzung Tabelle) Nr

Gericht

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

30

OLG Oldenburg

25.03.1997

MDR 1997, 684 f. VersR 1998, 854 f. etc.

Arzthaftungsprozess wg. intraoperativer Conusbildung bei BauchdeckenReduktionsplastik

31

OLG 12.12.1996 München

OLGR Mü. 1998, 146

Arzthaftungsprozess nach aus Gesichts- und Halshautstraffung folgender Faltenbildung

32

OLG München

30.09.1993

VersR 1993, 1529

Arzthaftungsprozess nach Implantateinsetzung zur Beseitigung einer Trichterbrust – nachfolgende Schmerzen, orthopädische Beschwerden und postoperativer Atemstillstand

33

OLG Düsseldorf

22.04.1993

OLGR Düsseldorf 1993, 329

Arzthaftungsprozess wg. Gefühlsstörungen nach Brustvergrößerung



Anhang: Rechtsprechung381

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „Der behandelnde Arzt schuldet zunächst eine Grundaufklärung, bei der ihr ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Arzt der Belastungen vermittelt werden muss, die für die spätere Lebensführung auf sie zukommen können. Bei Operationen, die nicht zur Abwendung einer akuten oder auch nur schwerwiegenden Gefahr veranlasst sind, bestehen insoweit noch gesteigerte Anforderungen an die Aufklärungspflichten i. S. e. detaillierten, für den medizinischen Laien verständlichen Darlegung der Chancen und Risiken. Das ist insb. bei Eingriffen anerkannt, die – wie hier – auch aus kosmetischen Gründen begehrt werden.“ Diesen Anforderungen hat der Arzt genügt, denn der Kl. ist „anhand einer Skizze der Eingriff erläutert worden und darin ausdrücklich die mögliche „Korrektur Op. für Conusbildung“ vermerkt. Zusätzlich ist der Inhalt der Aufklärung stichwortartig festgehalten.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „Soll bei einer Schönheitsoperation eine Gesichts- und Halsstraffung vorgenommen werden, muß zuvor darauf hingewiesen werden, daß infolge einer Voroperation ein erhöhtes Risiko einer Faltenbildung besteht. Unterbleibt die gebotenen Risikoaufklärung, ist eine Patienteneinwilligung in die Operation unwirksam.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Die Entscheidungsgründe entsprechen nahezu wortgleich der Formel des BGH vom 06.11.1990, NJW 1991, 2349. Umfang der Aufklärungspflicht steht in enger Wechselbeziehung zur Dringlichkeit des Eingriffs. „Je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindringlicher ist der Patient über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren. Das gilt in besonderem Maße für kosmetische Operationen, die nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, der Heilung eines körperlichen Leidens, sondern eher einem psychischen und ästhetischen Bedürfnis dienen. Es gehört zur besonderen Verantwortung des Arztes, der eine kosmetische Operation durchführt, seinem Patienten das Für und Wider der Operation mit allen Konsequenzen und Risiken vor Augen zu führen. Deshalb stellt die Rechtsprechung sehr strenge Anforderungen an die Aufklärung eines Patienten vor kosmetischen Operationen.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „Vor einer Operation, die allein kosmetische Gründe hat, muß der Patient über die Risiken besonders sorgfältig und umfassend aufgeklärt werden. Die Verpflichtung des Arztes, dem Patienten das Für und Wider eines kosmetischen Eingriffs in allen Konsequenzen deutlich vor Augen zu führen, bedeutet, dass der Patient auch über eine entfernt liegende Komplikation aufgeklärt werden muß. Bei einer Brustvergrößerung ist die Patientin auf die Möglichkeit bleibender Gefühlsstörungen ausdrücklich hinzuweisen.“ (Fortsetzung nächste Seite)

382

Anhang: Rechtsprechung

(Fortsetzung Tabelle) Nr

Gericht

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

34

OLG Köln

05.02.1992

VersR 1992, 754 OLGR Köln 1992, 113 f.

Arzthaftungsprozess nach Implantation eines Magenballons –indiziert zur Gewichtsreduktion bei adipositas permagna wegen starker Übergewichtigkeit des Patienten

Entscheidungen vor BGHZ vom 06.11.1990 35

OLG Köln

17.09.1987

36

OLG 19.09.1985 München

MedR 1988, 216 MDR 1988, 317 VersR 1988, 1049 f. etc.

Arzthaftungsprozess nach misslungener Nasenkorrektur, mit der die Patientin eine Begradigung ihrer Nasenform, aber auch eine Verbesserung der Atmung erzielen wollte

MedR 1988, 187 etc.

Arzthaftungsprozess nach Brustreduktionsplastik mit McKissok-Methode



Anhang: Rechtsprechung383

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht Zum Umfang / Zeitpunkt der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsopera­ tion (Entscheidung anlässlich indizierter kosmetischer Operation): „Eine entscheidende Rolle für den Umfang der Aufklärung spielt die Dringlichkeit des Eingriffs. Je weniger dringlich der Eingriff ist, desto größere Anforderungen sind an die Aufklärung zu stellen. [… Feststellung der Neuartigkeit der Methode und mögliche Behandlungsalternativen] Aus diesem Grund ist der Umfang der Aufklärung ähnlich dem über eine kosmetische Operation zu bemessen. Die Wirksamkeit der Einwilligung in eine kosmetische Operation setzt voraus, dass der Arzt dem Patienten die Chancen für einen mit dem Eingriff bezweckten Erfolg und die mit ihm verbundenen Risiken offen und schonungs­ los mitteilt und ihm Gelegenheit und Zeit zu ruhiger Überlegung gibt.“

Zum Umfang der Aufklärung bei jedenfalls bzgl. Begradigung der Nase nicht indizierter Schönheitsoperation: OLG gibt Begründung für bes. hohe Anforderungen: „An die ärztliche Aufklärung sind bei kosmetischen Operationen besonders hohe Anforderungen zu stellen. Bei ihnen entfällt der für medizinisch indizierte Eingriffe mit abzuwägende Gesichtspunkt, daß der Patient erfahrungsgemäß jederzeit bereit ist, mit jeder Operation verbundene Risiken in Kauf zu nehmen. Eingehend aufzuklären ist insb. auch über das zu erwartende Opera­ tionsergebnis, damit der Patient entscheiden kann, ob er den vss. Zustand nach der Operation seiner gegenwärtigen Körpergestalt wirklich vorzieht.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Aufklärungspflichten sind umso weitgehender, je weniger der Eingriff vordringlich oder geboten erscheint. „Bei einem erheblichen körperlichen Eingriff, der nur aus kosmetischen Gründen erfolgt, ist das Für und Wider sorgfältiger darzulegen […] Über die Arzt, Höhe und Breite der möglichen Narben musste der Bekl. die Kl. gerade bei einem rein kosmetischen Eingriff, mit dem die Kl. ästhetisch ansprechendere Körperformen erzielen wollte, in schonungsloser Offenheit und Härte aufklären. […] Wenn die Patientin aber gerade einen ärztlichen Eingriff vornehmen lassen will, um einen bestimmten kosmetischen Erfolg zu erzielen, darf ihr nicht verborgen bleiben, dass hässliche Narben, Sensibilitätsstörungen und eine erhebliche Zahl von Nachoperationen mit weiteren Risiken nicht nur häufig sind, sondern sogar meistens auftreten. Gerade bei einem kosmetischen Eingriff hätte der Bekl. der Kl. auch Farbbilder aus der Fachliteratur zur Verfügung stellen müssen, damit sich die Kl. ein klares Bild von den möglichen Misserfolgen machen konnte.“ (Fortsetzung nächste Seite)

384

Anhang: Rechtsprechung

(Fortsetzung Tabelle) Nr

Gericht

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

37

OLG Celle

20.05.1985

NJW 1987, 2304 ff.

Prozess um Vergütung des Arztes und Arzthaftung nach Bauchdeckenstraffung

38

05.03.1982 Hans­ OLG Hamburg

VersR 1983, 63 VersR 1982, 1009 MDR 1982, 580 etc.

Arzthaftungsprozess wg. postoperativer Narbenbildung nach kosmetischer Operation zur Entfernung von Flankenfett

39

Hans­ OLG Bremen

24.07.1979

VersR 1980, 654 f.

Arzthaftungsprozess wg. postoperativer Nekroseund Narbenbildung nach Reduktionsplastik beider Brüste einer 29-Jährigen



Anhang: Rechtsprechung385

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht Zum Umfang / Zeitpunkt der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsopera­ tion; auch zur grds. Möglichkeit der hypothetischen Einwilligung. „Auf eine von ihm angewandte, von der Schulmedizin abweichende Außenseitermethode muß der Arzt den Patienten hinweisen, wenn sie u. U. mit größeren, jedenfalls aber mit erheblichen anderen Risiken verbunden ist als die herkömmliche Verfahrensweise.“ Das Aufklärungsgespräch fand erst am Morgen, unmittelbar vor der Operation statt. „Eine Patientin, die unmittelbar vor einer, im übrigen in keiner Weise dringenden Operation nur mit Slip und Bademantel bekleidet erscheint […], ist nicht mehr genügend frei, sich noch dafür entscheiden zu können, den Eingriff abzulehnen.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: Muß bei einer kunstgerecht ausgeführten kosmetischen Operation mit dem Auftreten breiter und deutlich sichtbarer Narben gerechnet werden, so gehört es zur Aufklärungspflicht des Chirurgen, dem Patienten an Hand von Fotografien zu verdeutlichen, mit welchem Ergebnis er zu rechnen hat. „Der Bekl. musste der Kl. in schonungsloser Offenheit und Härte demonstrieren, mit welcher Verstümmelung ihres Körpers sie in Wahrheit zu rechnen hatte. Bei kosmetischen Eingriffen entfällt der Gesichtspunkt, daß der Patient nicht durch Erzeugung unangemessener Angst von der Einwilligung abgehalten werden darf. Eine Frau, die lediglich ihre äußere Erscheinung als ungenügend empfindet, muß durch vollständige und schonungslose Aufklärung in den Stand versetzt werden zu entscheiden, ob sie den durch Operation erreichbaren Zustand dem bisherigen wirklich vorzieht.“ Zum Umfang der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: OLG lässt mittels SV-Gutachten letztlich unklare Sachlage prüfen, ob OP indiziert oder rein kosmetisch motiviert war, und geht von einem Indikationsmangel aus. Der Arzt muss „bei typischen Gefahren einer Operation auf diese auch dann hinweisen, wenn die Gefahr ihres Eintritts verhältnismäßig gering ist. […] Hinzu kommt, daß die Aufklärungspflicht des Arztes um so weitgehender ist, je weniger der Eingriff medizinisch notwendig und zeitlich dringend ist; ist diesem Fall muß sich die Aufklärung auch auf solche erheblichen Operationsfolgen erstrecken, deren Wahrscheinlichkeit zahlenmäßig sehr gering ist.“ (Fortsetzung nächste Seite)

386

Anhang: Rechtsprechung

(Fortsetzung Tabelle) Nr

Gericht

Datum

Fundstelle

Fallkonstellation /  Art des schönheitsoperativen Eingriffs

40

OLG Düsseldorf

20.12.1963

NJW 1963, 1679 f.

Arzthaftungsprozess wg. entstellender Narbenbildung und Wucherung nach einer Brustvergrößerung mittels Verpflanzung von Hautfettlappen aus dem Gesäß



Anhang: Rechtsprechung387

Entscheidungsgründe /  normative Anforderungen an die Aufklärungspflicht Zum Umfang / Zeitpunkt der Aufklärung bei nicht indizierter Schönheitsoperation: „Bei einem nicht erforderlichen Eingriff ist das Für und Wider sorgfältiger abzuwägen als bei einem Zustand, der das Leben des Pateinten augenblicklich und unmittelbar bedroht. Das gilt in verstärktem Maße [… bei einem] kosmetischen Eingriff. […] Unter solchen Umständen ist die Einwilligung […] nur wirksam, wenn der Einwilligende in der Lage gewesen ist, das Für und Wider genau zu beurteilen und gegeneinander abzuwägen. Das setzt voraus, dass der Arzt dem Behandelten die Gründe und Gegengründe eingehend auseinander­ setzt sowie ihm Gelegenheit und Zeit zu ruhiger Überlegung gibt. Eine beachtliche Einwilligung konnte die Kl., als sie nach erheblichen Vorbereitungen auf dem Operationstisch lag, nicht mehr erteilen, da sie zu diesem Zeitpunkt schon unter der Einwirkung der Spritzen stand. Sie konnte die Sachlage nicht mehr auffassen, übersehen und zutreffend beurteilen.“

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Sach- und Personenregister Abwägungsmodell der Einwilligung  29, 104 ff., 190, 192 ff., 201 ff., 354 f. Abwehrfunktion  83 ff., 158, 350 Abwehrrecht  158 Alexy, Robert  94 ff., 351 allgemeine Handlungsfreiheit  86 ff., 109, 118, 125 ff., 201 ff. allgemeines Persönlichkeitsrecht  86 ff. alternative Behandlungsmethode  176 Altersgrenze, starre  331, 333 ff., 341 ff., 362 Amputation (gewünschte)  216, 218 ff., 356 anchoring-Effekt  313 Arzneimittelgesetz (AMG)  230, 288, 335, 339, 341, 347 Arzt-Patienten-Verhältnis   26, 32 ff., 53, 83, 91, 185 Arzthaftungsrecht  39, 177, 364 ff. ÄsthOpG (Österreich)  260, 305, 327, 338 Aufklärung, ärztliche  262 ff., 359, 364 ff. ‒ Diagnoseaufklärung  271, 276, 295 ‒ Grundaufklärung  267 ‒ Risikoaufklärung  271, 275, 276, 364 ff. ‒ Selbstbestimmungsaufklärung  271, 280, 285, 287, 364 ff. ‒ Totalaufklärung  280, 282, 317, 318, 373 ‒ Verlaufsaufklärung  271, 275, 276 ‒ wirtschaftliche Aufklärung  277, 377 Aufklärungsverzicht  288, 361 Außenseitermethode  176, 276 Autonomie  28, 32 ff., 50 ff., 57 ff., 73 ff., 83 ff., 117 ff., 157 ff., 183 ff., 295 ff., 321

Beauchamp, Tom L.  79 ff., 82, 94, 349 Behandlungsfehler  50 ff., 175, 178, 296 ff. Behandlungsvertrag  177 behavioral law and economics  133, 310 ff., 314 ff., 361 Beratungslösung  338 Beschneidung  26, 59, 256 Betreuer  233, 270 Beweislastregel  173 BIID-Syndrom  26, 216 ff., 356 Blutspende   59 Brustaplasie  338, 346 Brustvergrößerung  59, 236, 260, 305, 325, 330 ff., 345, 346, 366 ff. Bundesärztekammer  180, 181, 188, 263, 308, 332, 333 Bundestag, Deutscher  48, 64, 66, 69, 71, 331 ff., 341, 362 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)  157, 177 ff., 232, 264 Childress, James F.  siehe Beauchamp, Tom L. cross-over-Spende  227 Dänemark  327 Dellenbildung  367 Dienstvertrag  177 Dispositionsfreiheit  102 ff., 112, 118 ff., 129, 169, 291 ff., 356 Drohung  148, 291 ff. Dysmorphophobie  238 ff., 358 Einverständnis, tatbestandsausschließendes  160 ff., 162 ff. Einwilligung  157 ff.



Sach- und Personenregister411

‒ hypothetische  173 ff., 353, 365, 375, 385 ‒ konkludente  167, 226, 228 ff. ‒ mutmaßliche  172 ‒ stellvertretende  251 ff., 359 Einwilligungsfähigkeit  231 ff. ‒ Erwachsener  232 ff., 358 ‒ Minderjähriger  240 ff., 328, 333 ff., 358, 362, 365 Einwilligungsschranke, objektive  29, 185, 192 ff., 354 enhancement  27, 31, 44, 49, 57 ff., 125 Entfaltungsfunktion  158 Ethik  32 ff., 57, 73 ff., 265, 347 Europäisches Parlament  330 ff., 341, 362 Facharzt  65 f., 70, 181 ff., 361 Fettabsaugung, Liposuktion  63, 69, 72, 277, 319, 345, 364 ff. Folgekosten  179 Fotografien  285 ff., 318, 360, 369, 373, 385 four principles approach  79 ff., 83, 349 framing-Effekt  311, 318 Frankreich   327 Freiwilligkeit  171, 290 ff. Fremdgefährdung  86, 98 Fremdnütziger Eingriff  168, 275 Garantiefunktion  159 Geschäftsfähigkeit  118, 232, 244 Geschlechtsumwandlung  26, 118, 205 gesetzlicher Vertreter  270 Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages  28, 325, 332, 337 Gigerenzer, Gerd  320 Gute Sitten  74, 190 ff., 355 harm principle  99 Heilauftrag  32, 40 ff., 184

Heilbehandlung  31 ff., 57, 66 f., 103 ‒ ärztlicher Heileingriff  31 ff., 66 f., 184 ff. ‒ eigenmächtiger  146 ff. Heilmittelwerbegesetz (HWG)  28, 66, 180 Hippokratischer Eid  32, 77, 184 ICD-10  46, 218, 347 Indikation  31 ff., 36 ff., 183 ff., 347, 354, 364 ff. ‒ Arzneimittelprüfung  37 ff. ‒ Ethik  32 ff. ‒ Medizin  34 ff. ‒ Schwangerschaftsabbruch  38 ‒ SGB V  39 Individualismus  131 informed consent  33, 45, 78 Integrationsmodell der Einwilligung  103, 109 ff., 162 ff. Irrtum  290 ff. ‒ einfacher  293, 294 ff., 361 ‒ täuschungsbedingter  291 ff., 361 Kaiserschnitt  siehe Wunschsectio Kastrationsgesetz (KastrG)  157, 230, 268, 288, 339, 341 Kindeswohl  250, 253 ff., 256 ff., 359 Kollektivismus  128 Kollisionsmodell der Einwilligung  29, 104 ff., 190, 192 ff., 201 ff., 354 f. Kommission ‒ Ethikkommission  268, 339 ‒ Kommissionslösung  332, 339 ‒ Lebendspendekommission  268, 339 Kontraindikation  50 ff., 216 ff., 295 ff., 302, 348 f. Körperverletzung  120, 137 ff., 150 ff. ‒ fahrlässige  137, 196 ‒ qualifizierte  155 f. ‒ Rechtsgut  97 ff.

412

Sach- und Personenregister

Krankenversicherung  178 ff. ‒ gesetzliche  179 ‒ private  180 Krankheit  41 f., 57 Langzeitpräferenz  123, 310, 314, 318 law and economics  309 f. Lebendorganspende  siehe Organlebend­ spende lex artis  140, 184, 186, 348, 349 Liposuktion  siehe Fettabsaugung Menschenwürde  203 f., 355 Minderjährige  siehe Einwilligungs­ fähigkeit Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä)  263 Narben  365, 367, 369, 374, 383 nonmaleficence  siehe Schädigungs­ verbot  80 Notstand, § 34 StGB  144, 172 Ohranlegeplastik  71, 325, 338 Optimierungsgebot  81 ff., 94 ff., 350, 351 Organlebendspende  25, 59, 118, 172, 230, 252, 339, 340 Österreich  siehe ÄsthOpG Otopexie  siehe Ohranlegeplastik  Paternalismus  117 ff., 321 ff. ‒ direkter  124 ‒ harter  122, 127, 128 ff., 135, 281, 352, 357 ‒ indirekter  124 ‒ libertärer  133, 315 ff. ‒ materieller  121 ‒ Rechtspaternalismus  118 ff., 121, 126 ff. ‒ schonendster  133, 315 ff. ‒ Stufenmodell  134 ‒ Verfahrenspaternalismus  122, 268, 340

‒ Vernunftpaternalismus  133, 209 ‒ weicher  123, 127, 131 ff., 136, 207, 211, 215, 231, 267 ff., 306, 352, 356, 362 Patientenautonomie  28, 33, 78, 80, 84 ff., 91 ff., 94 ff., 109 ff., 143, 157, 171, 281 f., 323, 350, 356 Patientenrechtegesetz  177, 264 Piercing  25, 57, 63, 179 Plastische Chirurgie  48, 63 f., 64 ff., 71, 179, 181 Prinzipien  76 ff., 80 ff., 94 ff. Rationalität  133, 211, 234, 309, 315 ff., 349, 362 Rationalitätsanomalien  310 ff., 317, 324 Rechtfertigungsgrund  143 ff., 160 ff., 173 Rechtsgutsbegriff  98 ff. ‒ integrativer  109 ff. ‒ objektiver  104 ff. ‒ systemimmanenter  101 ‒ systemkritischer  101 Rechtsmoralismus  128 Reziprozitätsthese  243 ff., 271 ff., 358, 359 Schädigungsverbot, primum non nocere  32, 77, 80, 82, 89 ff., 91 ff. 94 ff., 184, 323, 344, 347, 350 Schwangerschaftsabbruch   25, 38 Selbstbestimmungsrecht  28, 53, 57, 84 ff., 109 ff., 125 ff., 157 ff., 174, 212, 262 ff., 280, 305 ff., 348 ff. Selbstgefährdung / Selbstschädigung  86, 98, 114, 120, 123, 159 Sittenwidrigkeit, § 228 StGB  120, 169 f., 195 ff., 212, 216 ff., 300, 302, 353, 355 ff. Sozialgesetzbuch (SGB X)  28, 178 ff., 277, 347 Standesrecht  181, 188, 194



Sach- und Personenregister413

Stellvertretung  251 ff. Sterilisation  25, 172, 215, 252, 339 Stufenmodell  332, 346 Sunstein, Cass  315 ff. Täuschung  siehe Irrtum, täuschungs­ bedingter Tätowierung  25, 57, 63, 179 Tatbestandslösung  49, 140 ff., 146 ff., 186 ff., 353, 354 Thaler, Richard  siehe Sunstein, Cass Tötung auf Verlangen, § 216 StGB  120, 169, 198 ff., 206, 212, 221, 300, 355 Transplantationsgesetz (TPG)  129, 268, 288, 339, 342 Verhaltensökonomie   310, 315 ff., 361 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  99, 134, 212, 344, 353

Vernunft / Vernünftigkeit  133 f., 208, 234, 322, 324, 356, 362 Vormundschaftsgericht  233, 341 Wahlgebote  316 Wahlhilfen  122, 317 Wahlverbote  124, 316 Weltgesundheitsorganisation (WHO)  42, 43, 239, 335 Werbung  180 Willensbildung  314 Willensmangel  171, 212, 228, 290 ff., 357 Wunschsectio  25, 52, 59, 150, 172, 296, 376 Zahnextraktionsentscheidung  218 ff., 234, 295, 361 Zirkumzision  siehe Beschneidung Zwang  291 ff.