Die Rolle Amerikas im Weltkriege?: Ein Beitrag zur Wahrheit. In Amerika geschrieben [Reprint 2021 ed.] 9783112462782, 9783112462775

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Die Rolle Amerikas im Weltkriege?: Ein Beitrag zur Wahrheit. In Amerika geschrieben [Reprint 2021 ed.]
 9783112462782, 9783112462775

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DIE ROLLE AMERIKAS IM WELTKRIEGE

EIN BEITRAG ZUR WAHRHEIT In Amerika geschrieben von

Dr.jur.O.Krahl

Berlin und Leipzig 1920

Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co. vormal« G . J , G S s c h e n ' a c b e Verlagshandlung / J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung I G e o r g R e i m e r Karl J . T r ü b n e r / Veit & C o m p .

Vorwort. Als ich auf einer Studienreise in den Vereinigten Staaten durch den Ausbruch des europäischen Krieges dort festgehalten war, erkannte ich sofort die Wichtigkeit, die Ereignisse auf dem amerikanischen Weltteil in bezug auf den Krieg niederzuschreiben und in einem Buche den interessierten Kreisen in Europa zugänglich zu machen, da in dieser Beziehung die Zensur in Europa wenig, und das Wenige noch entstellt, hatte herüber gelangen lassen. Ich werde freimütig die Wahrheit sagen, denn ich bin in jeder Richtung unabhängig. Das Buch bringt den wesentlichen internationalen Notenaustausch, die wichtigsten Reden Wilsons, die denkwürdigen Verhandlungen im Kongreß und Senat, die Kriegsanleihen, Kriegsgesetzgebung und die anderen Kriegsmaßnahmen, nebst ihren Begleiterscheinungen, soziale und wirtschaftspolitische Fragen, die Haltung der Presse, die Tagesereignisse und Volksstimmungen im Lande und das Leben im großen Internierungslager Fort Oglethorpe. Das Buch ist ein sachlicher und objektiver Beitrag zur Weltgeschichte des Krieges, soweit sich diese Ereignisse auf dem ändern Erdteil abgespielt haben. Der Stoff ist in der Hauptsache in der zeitlichen Reihenfolge geordnet. Ich weise bereits im Vorwort darauf hin, daß ich für die Ereignisse nicht so sehr das amerikanische Volk als seine Regierung und Presse verantwortlich halte, welche der Volksseele erst das Gift einflößten, das später bei ihr zum Ausdruck kam. Weihnachten 1919. Der

Verfasser.

Inhalt. Seite

Vorwort 1. K a p i t e l :

V Die Vereinigten Staaten bis zum Kriegsbeitritt

2. K a p i t e l :

Die Vereinigten

i Staaten

seit

Kriegs-

beitritt 3. K a p i t e l :

Im Internierungslager Fort Oglethorpe

4. K a p i t e l :

Friedensanbahnung und Schlußbetrachtungen

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i. Kapitel. Die V e r e i n i g t e n S t a a t e n bis K r i e g s b eit ritt.

zum

Bevor ich mich meinem eigentlichen Thema zuwende, will ich einige Bemerkungen über das Zeitungswesen in den Vereinigten Staaten unter besonderer Berücksichtigung auf die Kriegszeit vorausschicken. Dem amerikanischen Zeitungswesen fehlt ein Pressegesetz, durch welches ihm gewisse vernünftige Beschränkungen auferlegt werden, so wie es in Europä der Fall ist. Auf diese Freiheit weist die amerikanische Presse immer und immer wieder hin, dagegen liest man in ihr wenig über die Verantwortlichkeit der Presse. Solange ein Zeitungsschreiber sich hütet, eine individuelle Person zu verunglimpfen, kann er drucken, was er will. Er kann Tatsachen absichtlich oder aus Nachlässigkeit entstellen, er kann sie übertreiben oder unterdrücken. Niemand hindert ihn daran. Er untersteht nur der Kontrolle seiner Leser, welche aufhören mögen, seine Zeitungen zu kaufen, wenn ihnen seine Nachrichten und Anschauungen nicht zusagen. Das Publikum macht sich nicht klar die ungeheure Macht der Presse, die öffentliche Meinung irrezuführen, wenn sie es will. Nicht in den Leitartikeln, sondern in den Nachrichtenspalten liegt die größte Macht der Presse über die öffentliche Meinung. Wenn z. B. die Presse als eine Tatsache die Nachricht bringt, daß deutsche Soldaten Grausamkeiten begehen, so färbt sich die öffentliche Meinung bei weitem schneller deutschfeindlich, als durch eine Anzahl deutschfeindlicher Leitartikel. Die Tatsache, daß solche Grausamkeiten in Wirklichkeit nicht vorgekommen sind, bleibt den Lesern unbekannt. Demzufolge ist ihre öffentK r » h 1, Die Bolle Amerikas

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liehe Meinung gegründet auf Unwahrheit, die als Wahrheit sich in Umlauf setzt. Ein solches Verfahren hat die Bildung einer mehr oder weniger leidenschaftlichen öffentlichen Meinung zur Folge, die viel Unheil anrichtet, da sie sich auf falschen Voraussetzungen aufbaut. Die Zeitungen beeinflussen die öffentliche Meinung nicht allein durch die tatsächliche Unwahrheit, sondern auch durch die Wichtigkeit und den Ton, die sie einem Gegenstand beilegen. Dazu bedienen sie sich der sensationellen und irreführenden Überschriften in auffallend großen Buchstaben auf der ersten Seite der Zeitung. Diese Überschriften stehen nicht selten außer jeder Beziehung-zu dem, was die Zeitung weiter folgen läßt. Ihre einzige Bedeutung liegt in dem eigenartigen Zauber, den sie auf d^n Durchschnittsleser ausüben. Ein Blick auf die Überschrift, und der Leser ist zufriedengestellt und sieht nicht die Wahrheit, die zwischen den Zeilen liegt, oder wenn er ¡sie sieht, gibt er nichts darum. Wenn Worte den Zeitungsschreibern zu ihrem Zwecke nicht genügen, dann warten sie den Lesern mit Veröffentlichung von Karikaturen-Zeichnungen und erfundenen Photographien auf. Es liegt viel Wahrheit in der Behauptung, daß die größte strategische Tat der Alliierten im Kriege die Gewinnung der amerikanischen, insbesondere der New Yorker Presse gewesen sei. Schon am zweiten Tage nach Kriegsausbruch war es klar, daß die öffentliche Meinung in Amerika systematisch in eine deutschfeindliche Stimmung hineingehetzt werden sollte. Wie Geier fielen die englisch geschriebenen Zeitungen in New York, die mit wenigen Ausnahmen in englischem Solde stehen, über Deutschland her. „Des Brot ich esse, des Lied ich singe." Nicht die Ideale der Wahrheit und Gerechtigkeit sind das Motto dieser Zeitungen, sondern das Geld. Bedauerlicherweise war das gleiche Verhalten der Zeitungen vorherrschend in allen Teilen des Landes und bei allen Klassen von Blättern. Eine Ausnahme machten die von dem bekannten Zeitungsverleger Hearst kontrollierten Blätter, welcher ungefähr ein 9

Dutzend führende und über das ganze Land verbreitete Zeitungen sein eigen nennt. Viele seiner Leitartikel sind bemerkenswert, nicht etwa, weil sie deutsche Sympathien atmen, nein, aber weil Hearst, dem Motto America first *) folgend, amerikanische Ideen und Politik vertritt und unaufhörlich sein Volk warnt, die Unterwürfigkeit zu England aufzugeben und zuerst an sich mit dem nötigen Nationalstolz zu denken. Die einzelnen Zeitungen hatten ihre Kriegskorrespondenten an den verschiedenen Schlachtfronten sowohl auf Seiten der Alliierten wie der Zentralmächte. Es darf aber nicht vergessen werden, daß ihre Berichte in London, Paris und zuletzt in Washington zensiert wurden. Dies hat einen merkwürdigen Zustand hervorgerufen: während die Lügenmeldungen von den einzelnen Kriegskorrespondenten erfunden sein mochten, so empfingen sie die Bestätigung der betreffenden Zensoren der verschiedenen Regierungen und wurden dadurch die Lügen der Regierungen selbst. Deutschland und die Vertreter deutscher Interessen in Amerika haben eine große Unterlassungssünde begangen, daß sie nicht Zeitungen in e n g l i s c h e r Sprache mit offen erklärtem Motto — Förderung der politischen und kommerziellen Wechselbeziehungen der beiden Länder — in den wichtigsten Städten Amerikas begründet bzw. finanziert haben. Die in d e u t s c h e r Sprache in New York und anderwärts erscheinenden Zeitungen können bei allem guten Willen diesen Zweck nicht erreichen, weil die große Masse der Amerikaner der Sprache nicht mächtig ist. Ihr aber gerade müssen in ihrer Sprache wahrheitsgemäße und sachliche Aufklärungen über diese Wechselbeziehungen der beiden Länder gegeben werden. Die Gelegenheit dazu war mehrmals günstig. Die deutsche Volksvertretung aber hielt diese Maßnahme für nicht wünschenswert und schreckte vor den paar Millionen Anlagekapital zurück. Was spielen im Kriege ein paar Millionen für eine Rolle, und welch' heil•) zuerst Amerika.

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samer Einfluß auf die äußere Politik Amerikas hätte dadurch ausgeübt werden können. Man hat während des Krieges diesen Weg betreten. Der Plan kam zu spät, um während des Krieges von wesentlichem Nutzen zu sein. E s ist aber niemals zu spät, Fehler gutzumachen Die dem Kriege folgende Friedenszeit wird zwischen den beiden Mächten so wichtige Fragen erstehen lassen, die lösen zu helfen eine der schönsten und wichtigsten Aufgaben solcher Zeitungsinstitute ist. Die Politik im Innern wie nach außen wird in den Vereinigten Staaten von dem Gedanken des Geldverdienens beherrscht. Der inneren Politik ist ohne Zweifel das Parteigängertum und der alle 4 Jahre eintretende Wechsel der Regierung sehr nachteilig. Im städtischen Dienste werden die Hauptämter sogar alle 2 Jahre im Wege der Wahl besetzt. Reformen, die unter dem republikanischen Präsidenten sorgfältig eingeleitet worden sind, werden unter seinem demokratischen Nachfolger nachlässig fortgesetzt oder gar bekämpft als seiner Partei-Auffassung zuwider. Mit dem Präsidenten verlieren die meisten hohen Staatsbeamten seiner Partei ohne Pensionsansprüche ihre Ämter. Diese kurze 4 jährige Dienstzeit erlahmt einmal von vornherein den Berufseifer der Beamten, andererseits bringt sie sie auf die verführerische Idee, ihre Machtbefugnisse während der Amtszeit zu mißbrauchen, um wie der Geschäftsmann Geld zu verdienen. Tammany hall in New York, ursprünglich für wohltätige Zwecke gegründet, bildete sich bald zu einer mächtigen demokratischen Einrichtung heraus und ist jetzt der Mittelpunkt einer einflußreichen demokratischen Partei für lokale und innere Politik. Mit der Besprechung der Auslandspolitik seit Ausbruch des Krieges in Europa komme ich zu meinem eigentlichen Thema. Wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel kam für die Neue Welt im August 1914 die Kriegserklärung der Mittel4

mächte an die Alliierten. Vom ersten Tage an begannen in New York und anderwärts die großen Zeitungen ihre Hetzarbeit gegen Deutschland, und in großen Überschriften brachten sie die unglaublichsten Sensationsmeldungen, welche die Amerikaner anfangs im vollen Umfange glaubten. Es ist schwer, mit dem Durchschnitts-Amerikaner zu argumentieren. Es fehlt ihm an allgemeinem Wissen, an Logik und gesundem Menschenverstand, um sich ein eigenes Urteil zu bilden und auch die Beweisgründe der andern Seite einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. E r stützt sich immer wieder auf das, was die Zeitungen bringen. Von der europäischen Politik hat er meist keine Ahnung. Bei anderen dagegen, die über die nötige. Intelligenz verfügen, ist es der Mangel an gutem Willen, Vernunftgründen Gehör zu schenken. Vor den Zeitungsgebäuden entwickelte sich eine lebhafte agitatorische Tätigkeit. Das Publikum stand in Gruppen um die verschiedenen Redner aus dem Volke herum und lauschte ihren Ausführungen. Als sich später aus den Redeschlachten Schlägereien entwickelten, verbot die Polizei die Ansammlungen. Die Fabrikation von Munition und Kriegsmaterial nahm einen raschen, ungeahnten Aufschwung, und die Folge davon war, daß die Werte an der Börse ungeheuer stiegen. D a ß der überwiegende Prozentsatz der Amerikaner auf Seiten der Alliierten stand, darf nicht verwundern. Amerika eine Kulturkolonie Englands! Sprache die gleiche, Schule und Erziehungswesen, Kirchen, Gerichts- und Heerwesen, ja, man kann sagen, das ganze öffentliche Leben, bauen sich auf englischen Vorbildern auf. Die Mehrzahl der Bevölkerung führte ihren Stammbaum auf die Nationen der Alliierten zurück. Gewinnbringende Geschäfte entwickelten sich zwischen diesem Lande und den Alliierten. Die vielen im englischen Solde stehenden Zeitungen trugen ihren Anteil bei, Gift in die Seele des noch zaudernden Lesers zu träufeln und die öffentliche Meinung irrezuführen. Viele

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in Deutschland mochten geglaubt haben, daß die große Zahl Deutsch - Amerikaner die öffentliche Meinung in Amerika wesentlich beeinflussen müßte. Sie erlebten eine bittere Enttäuschung. Der Krieg hat Klarheit in die Verhältnisse gebracht. E r hat dem Deutsch - Amerikanertum die Augen geöffnet, und ihm seine politische Ohnmacht zum Bewußtsein gebracht. Leider sind die DeutschAmerikaner von eigener Schuld nicht freizusprechen. Wohlverstanden, ich kritisiere nicht, um zu tadeln, sondern .um bessern zu helfen. Von jeher hat den Deutsch-Amerikanern der einheitliche Zusammenschluß und eine feste Organisation mit bestimmten Zielen "und mit Männern an der Spitze gefehlt, die ihr bestes Können einsetzten, um in den politischen Fragen auch ihre Partei ein wichtiges Wort mit reden zu lassen. Interesselosigkeit bei den einen und besonders kleinlicher Geschäftskrämergeist bei den Bemittelten und der reichen Klasse, die Angst, seine amerikanisch-englischen Geschäftsbeziehungen durch eine deutsche Propaganda zu schädigen, das sind die Krebsschäden des DeutschAmerikanertums, die bisher seine Kräfte bis zur Ohnmacht zersplittert haben. E s muß hervorgehoben werden, daß die Deutsch - Amerikaner — und zwar die Bemittelten sowohl als die Unbemittelten — Wunderbares auf dem Gebiet der Wohltätigkeit für ihre Landsleute in Europa geleistet haben. Das ist aber auch das einzige Verdienst geblieben, welches sie wohlverdient in Anspruch nehmen können. Den Deutsch - Amerikanern hatte der Krieg eine wunderbare Gelegenheit gebracht, sich mit den Irländern in Amerika unter ihrem unerschrockenen Führer O'Leary zu gemeinsamer Organisation mit gemeinsamen Interessen und Zielen zusammen zu schließen. Wie sich später zeigte, hat das Deutsch - Amerikanertum in politischer Hinsicht völlig versagt. E s hat nicht einmal gewagt, den Versuch mit einer deutsch-irischen Propaganda zu machen. Unmittelbar nach der Kriegserklärung in Europa gab Präsident Wilson am 14. August 1914 eine Note an den l>

Senat heraus, enthaltend eine Neutralitätsproklaniation. Die wichtigsten Stellen daraus folgen im Wortlaut: „Mitbürger! Ich nehme an, daß jeder bedächtige Amerikaner sich während der letzten T a g e gefragt hat, welchen Einfluß der Krieg in Europa auf die Vereinigten Staaten ausüben mag, und ich nehme mir die Freiheit, einige Worte an Sie zu richten, um zu betonen, daß es ganz in unserer eigenen W a h l liegt, welche seine Wirkungen auf uns sein werden, und deshalb empfehle ich Ihnen sehr eindringlich die Art von Sprache und Verhalten, welche die Nation am sichersten gegen Unglück schützen will. Die Einwirkung des Krieges auf die U . S . A . * ) wird davon abhängeh, was amerikanische Bürger sagen und tun. Jeder, der Amerika aufrichtig liebt, wird handeln und sprechen in dem wahren Geist von Neutralität, welcher der Geist der Unparteilichkeit, Billigkeit und Freundschaft zu allen Beteiligten ist. Der Geist der Nation in dieser kritischen Stunde wird hauptsächlich bestimmt werden durch, das, was Einzelpersonen, Gesellschaften und Leute in öffentlichen Versammlungen tun und sagen, was Geistliche von tier Kanzel herab predigen, was die Menschen in der Straße als ihre Meinungen äußern. Das Volk der U. S. A. setzt sich aus vielen Nationen und hauptsächlich aus den Völkern zusammen, die jetzt im Kriege sind. E s ist natürlich und unvermeidlich, daß es die größte Verschiedenheit von Stimmung und Wünschen in bezug auf den Ausgang des Kampfes unter ihnen geben wird. E s wird, leicht sein, Leidenschaft zu entflammen, und schwierig, sie zu dämpfen. Diejenigen, welche sie entflammen, laden eine schwere Verantwortung auf sich, eine Verantwortung für nichts Geringeres, als daß das amerikanische Volk in feindliche Lager geteilt und in den Krieg selbst durch Erregung und Meinung, wenn nicht durch Handlung verwickelt werden mag. Solcher Zwiespalt unter uns würde für den FYieden un*) U. S. A. = Vereinigte Staaten v.on Amerika.

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serer Gemüter verhängnisvoll sein und mag ernstlich der richtigen Erfüllung unserer Pflicht im Wege stehen, uns als der einen großen Nation im Frieden, dem Volk, welches sich bereit hält, die Rolle unparteiischer Vermittlung zu spielen und Friedensvorschläge nicht als Parteigänger, sondern als Freund zu machen. Deshalb wage ich, Sie feierlichst zu warnen vor einem Neutralitätsbruch, der aus Parteilichkeit entspringen mag. Die U. S. A. müssen neutral sein in Wirklichkeit als auch dem Worte nach. Wir müssen unparteiisch sein in Gedanken und in Handlungen, wir müssen Zügel anlegen unseren Empfindungen und jedweder Handlungsweise, die als eine Bevorzugung einer Kriegspartei vor der anderen ausgelegt werden mag. Ich denke nur an Amerika. Ich bin sicher, daß ich den ernstlichen Wunsch eines jeden vernünftigen Amerikaners ausspreche, daß unser großes Land sich in dieser Prüfungszeit als eine Nation zeigen möchte mit einem ungestörten Urteil, mit würdiger Selbstbeherrschung, mit der Gabe leidenschaftslosen Handelns, als eine Nation, die weder über anderen zu Gericht sitzt noch in ihren eigenen Ratschlägen unsicher ist, die sich frei und fähig erhält, zu tun, was ehrenhaft, unparteiisch und für den Weltfrieden wahrhaft dienlich ist." Schöne Worte I Wir werden bald sehen, wie wenig sich die Amerikaner daran gehalten haben, und wie wenig ernst es der Regierung selbst gewesen ist, diesen Empfindungen im Volke Geltung zu verschaffen. Andernfalls hätte sie von vornherein der Vergiftung der öffentlichen Meinung durch die Presse energisch entgegen gearbeitet und wäre selbst mit besserem Beispiele dem Volke vorangegangen. Die Stimmung der Massen des amerikanischen Volkes bei Kriegsausbruch war zunächst abwartend und zurückhaltend, während die Geschäftskreise eher antibritisch als antideutsch waren, weil sie sich durch die sofort einsetzenden Verletzungen der internationalen Rechte durch die Eng8

länder in ihren Geschäften beeinträchtigt und in ihrem Nationalstolz verletzt fühlten. Daß es bald anders kam, war das Werk der von England bezahlten Presse und der Regierung Wilsons. Die große Masse ließ sich rasch durch Redner in Volks-' Versammlungen und von der Presse durch erlogene Berichte in eine deutschfeindliche Stimmung hineinhetzen, während die Regierung zunächst bestrebt war, die durch die Maßnahmen der verschiedenen Kriegsparteien mit Bezug auf die neutrale Schiffahrt entstandenen Schwierigkeiten auf diplomatischem Wege durch Austausch von Noten zu schlichten. England nahm im Einverständnis mit Frankreich von holländischen Schiffen deutsche und österreichische Zivilpersonen herunter, hielt sie in Konzentrationslagern gefangen und beging damit den ersten Völkerrechtsbruch. Ihm folgte bald der zweite in der Eröffnung der Blockadezone in der Nordsee mit dem Ziele, die Zivilbevölkerung Deutschlands auszuhungern. Zu gleicher Zeit gab England eine Liste von absoluter und bedingter Konterbande-Waren heraus, die es nach und nach ausdehnte, bis es in einem Weißbuche vom 13. April 1916 alle restlich bedingte Konterbande zur absoluten machte. Alle diese Maßregeln verstießen gegen die Londoner Deklaration von 1909. Daraufhin erklärte die amerikanische Regierung in einer Note an die Kriegführenden, sie werde darauf bestehen, daß die Rechte und Pflichten der U. S. A. und ihrer Bürger im gegenwärtigen Kriege durch die bisher gültigen Regeln des internationalen Rechts gewahrt würden, und daß die Regierung sich das Recht des Protestes und der Anfrage in jedem Falle vorbehalte, in welchem diese Rechte durch die Kriegführenden verletzt werden sollten. In einer Note vom 15. Oktober 1914 legte Deutschland bei der amerikanischen Regierung Protest gegen deren Verfügungen ein, daß für Verteidigungszwecke bewaffnete Handelsschiffe der Alliierten als Handelsschiffe während ihres Aufenthaltes in amerikanischen Häfen behandelt wer9

den sollten, und begründete den Einspruch damit, daß eng' lische Handelsschiffe bewaffnet würden, um deutsche Kriegsschiffe anzugreifen und ihnen Widerstand zu leisten. Die amerikanische Regierung gab eine ausweichende Antwort, ließ aber durchblicken, daß sie den Standpunkt der deutschen Regierung nicht teile. „ Die häufigen Wegnahmen und Aufhaltungeil amerikanischer Schiffsladungen wurden so ernsthaft, daß die Regierung der U. S. A. in einer Note vom 26. Dezember 1914 der britischen Regierung ihren Standpunkt auseinandersetzte mit dem Hinweis, daß eine falsche Auslegung dieses Standpunktes als ein Eingriff in die Rechte amerikanischer Bürger angesehen werden müßte. Die Note fährt wörtlich fort: „Daher ist es sehr bedauerlich, daß nach beinahe 5 Monaten seit Kriegsausbruch die britische Regierung ihre Politik nicht wesentlich geändert hat und nicht weniger streng Schiffe und Ladungen behandelt, welche zwischen neutralen Häfen in der friedlichen Verfolgung des Handels unterwegs sind, und welche die Kriegführenden eher schützen als beeinträchtigen sollten. Ein Ablassen von dieser Belästigung, welche zuversichtlich davon erhofft wurde, daß die Waren an bestimmte Empfänger anstatt zu Order adressiert werden, wartet noch immer auf Erfüllung." Der britische Auslandsminister Grey rechtfertigte unter dem 7. Januar 1915 den Standpunkt Englands damit, daß neutrale, an Deutschland grenzende Länder in einem nie dagewesenen Maßstab eine Basis für Versorgung der feindlichen Armeen würden. „Wir werden indessen versuchen — so fährt er fort —, unser Handeln innerhalb der Grenzen der anerkannten Grundsätze zu halten mit dem Vorbehalt unseres Rechts, einzugreifen, im Falle von Nichtbonafide - Geschäften zwischen den U. S. A. und den anderen Neutralen, und wir sind bereit, Abhilfe zu schaffen, wo immer unser Handeln unerwartet die Grenzen überschreiten sollte." 10

In Wirklichkeit aber änderte England seine Politik nicht, und die amerikanische Regierung fügte sich dadurch, daß sie schwieg. Diese Maßnahmen Englands hatten zur Folge, daß Deutschland eine Unterseebootblockade um Großbritannien und Irland erklärte. In einem der Note beigefügten Schriftstück führte die deutsche Regierung Beschwerde gegen Englands Mißachtung der Londoner Deklaration, seine rechtswidrige Anwendung von Konterbande - Vorschriften, seine ungesetzliche Herunternähme deutscher Untertanen von neutralen Schiffen und seinen Blockadeplan zur Aushungerung des deutschen Volkes. E s wurde betont, daß die Neutralen sich diesen Maßregeln Englands gefügt hätten, und daß Einsprüche, soweit sie von Neutralen erhoben worden seien, nur theoretisch gewesen seien. Hierauf antwortete Bryan unter dem 10. Februar 1915 in der Hauptsache folgendermaßen: „Ich habe nicht nötig, die deutsche Regierung daran zu erinnern, daß die Rechte eines Kriegführenden in der Behandlung neutraler Schiffe darauf beschränkt sind, diese Schiffe anzuhalten und zu durchsuchen^ es sei denn eine wirksame Blockade erklärt, was nach Ansicht meiner Regierung in diesem Falle nicht vorgeschlagen zu sein scheint. Ein Recht zu erklären und auszuüben, jedes Schiff zu zerstören, welches ein bezeichnetes Gebiet des offenen Meeres befährt, ohne erst seine feindliche Nationalität und die Art seiner mitgeführten Konterbande festzustellen, würde eine in der bisherigen Seekriegsführung so unerhörte Handlung bedeuten, daß diese Regierung zu glauben sich sträubt, dies könne in der Absicht der deutschen Regierung liegen. Der Verdacht, daß feindliche Schiffe ungehörigerweise neutrale Flaggen gebrauchen, kann keinen Rechtfertigungsgrund dafür liefern, daß alle Schiffe, welche das bezeichnete Gebiet durchfahren, diesem Verdachte unterliegen. Um eben solche Fragen genau festzustellen, dafür ist nach Ansicht dieser Regierung das Recht des Anhaltens und Durch11

suchens anerkannt worden. Sollten Kapitäne deutscher Kriegsschiffe auf Grund der Annahme handeln, • daß die Flagge der U. S. A. mißbraucht war, und auf dem offenen Meere ein amerikanisches Schiff oder das Leben amerikanischer Bürger vernichten, so würde es für die U. S. A.Regierung schwierig sein, die Handlung anders anzusehen, als eine unentschuldbare Verletzung neutraler Rechte, und die deutsche Regierung kann versichert sein, daß sie diese Regierung verantwortlich halten wird." Auf die angefügten Beschwerden Deutschlands antwortete Bryan folgendermaßen: „Ich mache die deutsche Regierung höflich darauf aufmerksam, daß sich die Regierung der U. S. A. keine Kritik von unneutralem Verhalten gefallen läßt, dessen sich nach Ansicht der deutschen Regierung die Regierung dieses oder jenes neutralen Landes schuldig gemacht haben soll, und daß die U. S, A.-Regierung weder zugestimmt noch' sich in irgendeine Maßregel gefügt hat, die von anderen Kriegführenden zur Beschränkung des neutralen Handels ergriffen sein mag, daß sie im Gegenteil eine Stellung in solchen Fällen eingenommen hat, die Regierungen solcher Kriegführenden in gehöriger Weise verantwortlich zu halten für jeden Akt, welchen die gebilligten Grundsätze internationalen Rechts nicht rechtfertigen. Deshalb betrachtet diese Regierung sich frei in der vorliegenden Frage, um mit einem reinen Gewissen und auf Grund gebilligter Grundsätze den Standpunkt einzunehmen, wie er in dieser Note niedergelegt ist." Am Ende des Schriftstücks war erwähnt, daß die U. S. A. - Regierung bei England wegen Mißbrauchs der Flagge der U. S. A. vorstellig geworden sei. In einer Antwortnote vom 16. Februar 1915 rechtfertigte Deutschland seine Maßnahmen in einer ausführlichen Darlegung der Zwangslage, in die es durch Englands rechtswidrige Anordnungen gebracht worden sei, und denen sich die Neutralen schweigend oder unter Protest gefügt hätten. 12

E s sei entschlossen, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln die Zufuhr von Kriegsmaterial an England und seine Verbündeten zu verhindern. E s habe übrigens nur die Zerstörung von f e i n d l i c h e n , aber nicht von a l l e n Handelsschiffen in der Kriegszone angedroht. Natürlich müsse es sich freie Hand Vorbehalten, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen in den Fällen, in welchen neutrale Schiffe Konterbande führten. E s sei bereit, mit .der U. S. A.Regierung über Maßnahmen zur möglichsten Sicherheit des rechtmäßigen neutralen Handels zu verhandeln und schlage ihr vor, ihre Handelsschiffe zum Unterschied von feindlichen Handelsschiffen durch Kriegsschiffe begleiten zu lassen, selbstverständlich unter der Voraussetzung, daß die U. S. A.-Regierung nur Handelsschiffen ohne Konterbande Geleit gebe. Für den Fall, daß es den U . S . A . in letzter Stunde gelingen sollte, durch diplomatische Verhandlungen die Alliierten zur Beachtung der Londoner Deklaration zu bewegen, so werde Deutschland sofort die nötigen Schlußfolgerungen für sein Verhalten ziehen. Unter dem 19. 2. 1915 erwiderte England den U. S. A. über den Gebrauch der U. S. A. - Flagge dahin, daß England in der Vergangenheit als Neutraler immer den Gebrauch seiner Flagge für Handelsschiffe kriegführender Nationen zu demselben Zweck zugestanden habe. Am 20. 2. 1915 sandte Biyan gleichlautende Noten an England und Deutschland und machte darin zur Sicherung der neutralen Schiffahrt folgende Vorschläge: England und Deutschland sollten beide zustimmen, schwimmende Minen überhaupt nicht und verankerte nicht auf offenem Meere zu legen und die Minen so einzurichten, daß sie wirkungslos würden, sobald sie sich von der Verankerung loslösten; ferner, daß keines von beiden Unterseeboote zum Angriff auf Handelsschiffe irgendwelcher Nationalität verwende, es sei denn, um das Recht des Anhaltens und Durchsuchens zu erzwingen; endlich daß beide ihre Handelsschiffe veranlassen sollten, neutrale Flaggen 13

zum Zwecke der Verkleidung oder Kriegslist nicht zu gebrauchen. Deutschland sollte zustimmen, daß alle Einfuhr von Lebensmitteln nach Deutschland an von der U. S. A.-Regierung bestimmte Agenturen angewiesen würde, die ohne jede Einmischung der deutschen Regierung die alleinige Kontrolle der Verteilung an die Zivilbevölkerung haben sollten. England sollte zustimmen, Lebensmittel nicht als absolute Konterbande zu erklären und solche Sendungen ungehindert nach Deutschland gelangen zu lassen, wenn sie an amerikanische Agenturen in Deutschland zur ausschließlichen Verteilung an die Zivilbevölkerung konsigniert seien. Aus den Antwortnoten der beiden Kriegführenden mußte die U. S. A.-Regierung feststellen, daß ihre Vorschläge unannehmbar waren. Darauf trat die U. S. A. - Regierung in längere Verhandlungen mit England und Frankreich ein und erhob Einspruch gegen das Aufhalten von Schiffen mit nur bedingter Konterbande oder von Schiffen ausschließlich von und nach neutralen Häfen. In der Note vom 30. 3. 1915 an England heißt es zum Schluß: „Wie schon im Schreiben vom 22. 10. 1914 betont ist, wird !die U. S. A. - Regierung darauf bestehen, daß die Rechte und Pflichten der U. S. A. und ihrer Bürger in diesem Kriege durch die bestehenden Regeln internationalen Rechts bestimmt werden und daß diese Regierung sich das Recht vorbehält, Einsprüche und Anfragen in jedem Falle zu stellen, in welchem diese Rechte und Pflichten durch die Behörden der britischen Regierung verletzt werden sollten." In einer Note vom 4. 4. 1915 an die U . S . A . führte die deutsche Regierung Beschwerde über die Wegnahme einer für Deutschland bestimmten Getreideladung. Obgleich von der deutschen Regierung zugesichert worden sei, alles amerikanische Getreide solle ausschließlich der Zivilbevölkerung zukommen, sei es der U. S. A.-Regierung in 8 Monaten nicht gelungen, die Freilassung der Sendung 14

durchzusetzen. Dies berechtige zu dem Schlüsse, daß die U. S. A. - Regierung bei den Rechtsverletzungen seitens Englands sich beruhigt habe. Außerdem wurde erneuter Einspruch gegen die Lieferung von Munition an die Alliierten erhoben. In der Antwortnote vom 2i. 4. 1915 wies die U . S . A. - Regierung die Beschuldigung Deutschlands zurück, bedauerte, daß die Kriegführenden Amerikas gute Dienste, wie in der Note vom 20. 2. 1915 angeboten, abgelehnt hätten und weigerte sich, ein Ausfuhrverbot auf Munition zu legen. Im Verlaufe der Unterseebootblockade kam es zu folgenden Zwischenfällen: Die Falaba, ein britischer Dampfer, wurde am 28. 3. 1915 mit dem Verlust eines amerikanischen Menschenlebens versenkt. Die Cushing, ein amerikanischer Dampfer, wurde am gleichen Tage von einem deutschen Äroplan angegriffen. Die Gulflight, ein amerikanischer Dampfer, wurde am 1. 5. 1915 torpediert, wobei 2 Amerikaner ihr Leben einbüßten. In allen diesen Fällen wurde eine Einigung zwischen Amerika und Deutschland erzielt. Am 7. 5. 1915 aber wurde die Lusitania auf der Fahrt von New York nach Liverpool versenkt; mehr als 1000 Personen kamen ums Leben, davon mehr als 150 Amerikaner. Sofort entspann sich darüber ein Notenaustausch zwischen den beteiligten Regierungen. Mit der Note vom 13. 5. 1915 verlangte Bryan, die deutsche Regierung solle die Verantwortung für das Sinken der Lusitania anerkennen, Schadenersatz leisten und versprechen, alsbald Schritte zu tun, daß derartige Fälle sich nicht wiederholen könnten. Die deutsche Regierung in ihrer Antwort vom 28. 5. 1915 machte folgendes geltend:

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Die Lusitania sei ein sehr großer und schneller englischer Hilfskreuzer und bewaffnet gewesen; das Schiff habe große Mengen Munition geführt und die Schiffahrtslinie habe amerikanische Bürger als Schutz für die mitgeführte Munition benutzt, obgleich die amerikanischen Gesetze ausdrücklich untersagten, Fahrgäste auf Schiffen zu placieren, die Sprengstoffe führten. Das schnelle Sinken der Lusitania sei vor allem dadurch herbeigeführt worden, daß die Munition an Bord durch den Torpedoschuß explodiert sei. Bevor diese Punkte zwischen den beiden Regierungen nicht geklärt seien, könne " Deutschland zu den Forderungen Amerikas nicht Stellung nehmen. Die nächste amerikanische Note vom 9. 6. 1915 ist von Lansing als stellvertretendem Staatssekretär gezeichnet. Sie wies die Beschuldigungen betr. die Lusitania als eine falsche Information zurück und ersuchte Deutschland, den U . S . A . die überzeugenden Beweisstücke zugänglich zu machen. Sie wiederholte die in der früheren Note gestellten Forderungen unter Betonung der Rechte Neutraler auf Sicherheit auf dem Meere ohne Rücksicht auf Kriegszonen und unter dem Hinweis, daß die Rechte der Menschlichkeit über die des Eigentums zu stellen seien. Nur ein tatsächlicher Widerstand gegen Gefangennahme oder die Weigerung anzuhalten, würden den Unterseebootkapitän berechtigt haben, das Schiff ohne Warnung zu torpedieren. Hierzu antwortete die deutsche Regierung unter dem 8. 7. 1915: Auch sie bekenne sich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit. Seitdem aber Deutschlands Feinde durch ungesetzliche Verhinderung friedlichen Handelsverkehrs die Aushungerung des deutschen Volkes herbeizuführen suchten, sei der Unterseebootkrieg Deutschlands einzige Rettung und bei aller Rücksicht für die Rechte der Neutralen sei es die erste und heiligste Pflicht der deutschen Regierung, für das Leben ihrer Untertanen zu sorgen. Die Gefährdung von Menschenleben sei allein den von Deutschlands Feinden angenommenen Kriegsmethoden zu-

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zuschreiben. Alle Unterscheidungsmerkmale zwischen Handels- und Kriegsschiffen seien durch die Order an britische Handelsschiffe, sich zu bewaffnen, Unterseeboote zu rammen unter Gewährung von Belohnungen hierfür, neutrale Flaggen zu mißbrauchen, abgeschafft worden. Hätte der Unterseebootkapitän die Mannschaft und Fahrgäste der Lusitania in die Rettungsboote steigen lassen vor Abfeuern des Torpedos, so hätte das die Vernichtung seines eigenen Schiffes bedeutet. i Ii Um nun die Lebensgefährdung von Amerikanern möglichst zu vermeiden, so mache die deutsche Regierung folgenden Vorschlag: Sie würde ihre Unterseebootführer anweisen, gewisse Passagierschiffe unter amerikanischer Flagge mit besonderen Kennzeichen und in angemessener Zeit im voraus angemeldet, unbelästigt zu lassen, unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß die U. S. A. - Regierung nicht gestatte, solche Schiffe mit Konterbande zu beladen. Im übrigen sei die deutsche Regierung stets gern bereit, die Vermittlungsdienste des Präsidenten anzunehmen, um mit dem Feinde über die Freiheit der Meere zu einem! Einverständnis zu kommen. Die Antwort der U. S. A . - Regierung vom 21. 7. 1915 lautete in den Hauptpunkten folgendermaßen: „Die U. S. A. - Regierung erklärt mit Bedauern,, daß sie die Note der deutschen Regierung unbefriedigend gefunden hat, weil sie nicht die eigentlichen Streitpunkte trifft und keinen W e g zeigt, wie die gebilligten Grundsätze von Recht und Menschlichkeit in der ernsten Streitfrage angewendet werden könnten, vielmehr Vorschläge für eine teilweise Aufhebung dieser Grundsätze macht. , Die U. S. A.-Regierung findet zu ihrer Enttäuschung, daß die kaiserliche Regierung sieh in weitem Maße von der Verpflichtung zur Beachtung dieser Grundsätze als frei betrachtet, . und zwar infolge der Methoden, die sie mit Bezug auf neutralen Handel durch England angewendet glaubt. Die kaiserliche Regierung wird verstehen, daß die U. S. A . -

K r a h I, Die Bolle Amerikas ,

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Regierung die Politik der englischen Regierung mit Bezug auf neutralen Handel allein mit dieser Regierung selbst erörtern kann, und daß sie das Verhalten anderer kriegführenden Regierungen als unbea'chtlich für irgendeine Auseinandersetzung mit der kaiserlichen Regierung betrachten muß, insoweit als nach Ansicht der U. S. A. ernstliche und nicht zu rechtfertigende Verletzungen der Rechte amerikanischer Bürger durch deutsche Unterseebootführer in Frage kommen. Die U . S . A. - Regierung kann die Vorschläge der kaiserlichen Regierung nicht annehmen, nämlich daß bestimmte Schiffe mit bestimmten Kennzeichen in der Kriegszone unbehindert sein sollen. Diese Vereinbarung würde andere Schiffe einem ungesetzlichen Angriffe aussetzen, was eine Beeinträchtigung und ein Abgehen von den Grundsätzen bedeuten würde, für welche diese Regierung eintritt. Mit Rücksicht darauf, daß die deutsche Regierung die Ungesetzlichkeit ihres Handelns zugibt, wenn sie auch zu ihrer Rechtfertigung das Recht der Wiedervergeltung in Anspruch nimmt, und mit Rücksicht auf die klare Möglichkeit, die bestehenden Regeln des Seekriegs in Einklang miteinander zu bringen, kann die U. S. A. -Regierung nicht glauben, daß die kaiserliche Regierung länger zögern werde, die Handlung ihres Unterseebootführers beim Versenken der Lusitania zu mißbilligen und Schadenersatz für die Tötung amerikanischer Bürger anzubieten. Die zwischen beiden Völkern bestehende lange Freundschaft verlangt es, der kaiserlichen Regierung zu sagen, daß Wiederholung von Handlungen und Verletzungen neutraler Rechte durch ihre Unterseebootführer, sofern amerikanische Bürger davon betroffen werden, von der Regierung der U. S. A. als absichtlich unfreundlich ausgelegt werden müsse." Unter dem i. 9. 1915 schrieb der deutsche Botschafter Graf Bernsdorff an den amerikanischen Staatssekretär folgendes :

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„Unter Bezugnahme auf unsere heutige Unterredung erlaube ich mir, Sie zu benachrichtigen, daß ich von meiner Regierung in bezug auf Ihre letzte Lusitania-Note zu folgender Erklärung ermächtigt bin: Handelsschiffe werden durch unsere Unterseeboote ohne Warnung und Sicherheit des Lebens von Nichtkämpfern nicht versenkt werden, vorausgesetzt, daß diese Schiffe nicht zu entkommen versuchen oder Widerstand leisten." Das sind die diplomatischen Verhandlungen, insbesondere die der Lusitania-Angelegenheit. Es ist interessant, den Standpunkt kennen zu lernen, welchen die U. S. A. - Regierung gegenüber England mit Bezug auf Verletzung der gleichen neutralen Rechte vertreten hat, welche Amerika im Lusitaniafalle Deutschland gegenüber mit solchem Nachdruck verfocht. Es liegt vor mir ein Memorandum eines Herrn Emil Ahlborn in Boston, welches besagt: „Als meine Aufmerksamkeit auf die Weglassung der britischen Admiralitätsorder vom 2. Nov. 1914 in dem vom amerikanischen Staatsdepartment veröffentlichten offiziellen Weißbuch gelenkt wurde, einer Order, welche die ganze Nordsee als Kriegszone erklärte, wo Handelsschiffe aller Art, Kauffahrer aller Länder, Fischereiboote und alle anderen Schiffe sich vor Minen und Kriegsschiffen der größten Gefahr aussetzten, da erkundigte ich mich bei meinem Kongreßabgeordneten, Herrn Tinkham, nach der Ursache dieser Weglassung. Später erfuhr ich aus den Protokollen des Kongresses, daß mindestens^ zwei amerikanische Schiffe, die Carib und die Evelyn mit Menschenverlust von Amerikanern durch Engländer versenkt worden waren." Nachstehend folgt die photographische Kopie der Antwort des Staatssekretärs Lansing an den Kongreßabgeordneten Tinkham und ihre Übersetzung: 3*

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Hochwohlgeboren Herrn Georg Holden Tinkham, Kongreßmitglied. Mein lieber Herr Tinkham 1 Ich habe' Ihren -Brief vom 28. 2. 1917 mit einem Schreiben von Herrn Emil Ahlborn, 258 Marlborough Street, Boston, Massachusetts, erhalten, in welchem er um Auskunft bittet, warum diese Regierung aus ihrer offiziellen Veröffentlichung der Dokumente mit Bezug auf die Kriegführenden und die Rechte der Neutralen und ihres Handels die (britische Admiralitätsorder vom 2. Nov. 1914, welche die Nordsee als Kriegszone erklärt, ausgelassen hat. In Erwiderung möchte ich anregen, Herrn Ahlborn dahin aufzuklären, daß, da es unmöglich war, das. ganze Material im Department mit Bezug auf den Krieg zu veröffentlichen, und da die Order vom 2. Nov. 1914 bereits durch das Department bekanntgemacht war, es seinerzeit für unnötig erachtet wurde, die Order im offiziellen Weißbuche wieder abzudrucken. Ich verbleibe, mein lieber Herr Tinkham, Ihr ergebener Robert Lansing.

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258 Marlborough Street Memorandum :

Boston, March 27th, 1917«

When my attention was called to the omission from the Official White Book, published by the State Department, of the British Admiralty Order of November 2nd, 1914, declaring the whole of the North Sea "a military area", where "merchant shipping of all kinds, traders of all countries, fishing craft and all other vessels will be exposed to the gravest danger from mines . . . . . . and from warships", I asked one of my Senators Mr. Weeks, and my Congressman Mr. Tinkham, to ascertain the reason why this British Admiralty Order had been omitted by our State Department. Later I also learned, from the Congressional Record, that at least two American ships, the Carib and the Evelyn, had been sunk there with loss of American lives. Mr. Lansing's letter to my Congressman, Mr. Tinkham, printed in photographic reproduction on the attached sheet, speaks for itself. In case you should have no immediate access to the Official White Book referred to by Mr. Lansing, I wish to state that it begins with despatches dated August, 1914, and that it purports to be a complete collection of the important documents in question, most of which, I understand, had previously "been made public." This expression is apt to confuse the casual reader. There is a fundamental difference between "making public" and "officially publishing". The former means giving copies of news or documents to the representatives of the newspapers, as is 22

done twice daily by the Department of State, to be used by the editors of these papers as they see fit. The latter means publishing under the authority of the Department of State. Our Department of State has never officially published the British Admiralty Order of November 2, 1914, which was the first document issued by any belligerents proclaiming the ruthlessness of naval warfare. The British Admiralty Order of November 2nd, 1914, was the first order issued by any of the European belligerents to establish a military area on the high seas. We did not protest against this. The American ships sunk in this area were the first American ships so sunk. We did not specifically protest against their sinking. The American lives lost when these ships were sunk unwarned were the first American lires so lost. W e uttered no protest. If the loss of American lives on American ships sunk unwarned in the military area established by the German Order of January 31st, 1917, has created, as has been claimed, a "state of war" between the United States and Germany, such a "state of war" has existed between the United States and Great Britain since the winter of 1914-1915, when the American S. S. Carib and Evelyn, and possibly others, were sunk unwarned with loss of American lives. That the State Department has endeavored to suppress the facts by omitting the British Admiralty Order of November 2nd, 1914, from its Official White Book does not alter the case. EMIL AHLBORN

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Zur Aufklärung des Lesers sei folgendes hinzugefügt: Das offizielle amerikanische Weißbuch beginnt mit Noten, datiert August 1914, und will eine vollständige Sammlung aller wichtigen Dokumente sein. — Ferner besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen — b e k a n n t g e b e n — und o f f i z i e l l v e r ö f f e n t l i c h e n . Ersteres meint, es werden Abschriften von Meldungen oder Urkunden den Zeitungsvertretern mit der Erlaubnis übergeben, nach Belieben davon Gebrauch zu machen — dies geschieht zweimal täglich durch das Staatsdepartment —; letzteres will sagen veröffentlichen im Namen des Staatsdepartments. Dies war jedenfalls niemals mit der erwähnten britischen Order vom 2. Nov. 1914 geschehen. Diese Order war die erste Urkunde, von irgendeinem der Kriegführenden erlassen, welche eine Kriegszone auf dem offenen Meere erklärte. Die amerikanische Regierung protestierte nicht dagegen. Die amerikanischen Schiffe, welche in dieser Kriegszöne versenkt würden, waren die ersten amerikanischen Schiffe, die auf diese Weise vernichtet wurden. Und die amerikanische Regierung legte keinen nachdrücklichen Einspruch dagegen ein. • Die amerikanischen Bürger, welche dabei ihr Leben einbüßten, waren die ersten Menschenverluste solcher Art. Und die amerikanische Regierung protestierte nicht. Natürlich brachten auch die amerikanischen Zeitungen kein Wort darüber. Daraus wird der Leser erkennen, daß es der U. S.A.Regierung mit der bei Kriegsausbruch gegebenen Neutralitätsproklamation nicht sehr ernst gewesen ist. — Der Fall der Lusitania bedeutete für die Politik der U. S. A.Regierung den Eintritt iii eine neue Phase. Bis dahin hatte sie wenigstens hier und da den Versuch gemacht, dem geäußerten Neutralitätsprinzip gerecht zu werden. Von da ab aber gelangte sie mehr und mehr in das englische Fahrwasser und zeigte sich überall als Begünstiger der Alliierten. 24

Es ist bezeichnend genug, daß während d®r Lusitania-Vefhandlungen der auswärtige Staatssekretär Bryan zurücktrat und Herrn Lansing Platz machte, und daß bald danach auch der Kriegssekretär Garrison abdankte. Beide haben selbst erklärt, daß sie ihre politische Anschauung mit der vom Präsidenten eingeschlagenen Politik nicht in Einklang hätten bringen können. Wie nun stellte sich die amerikanische öffentliche Meinung zu der Lusitania-Frage ? — Die Amerikaner rasten ,vor Entrüstung. Der Einmarsch der deutschen Armeen in Belgien und die rasche Niederwerfung der Belgier hatten die Amerikaner sehr bald die Neutralitätsproklamation des Präsidenten vergessen lassen, wenn sie überhaupt jemals daran gedacht hatten. Die Amerikaner haben sich von jeher in der Rolle als Beschützer der kleinen, schwachen Nationen gefühlt, und der Ärger über den nach ihrer Ansicht durch Deutschland verübten Völkerrechtsbruch war künstlich durch die von den Zeitungen erfundenen Grausamkeiten deutscher Soldaten gegen diese kleine Nation genährt worden. Jetzt aber, wo bei dem Lusitania-Fall die eigenen Landsleute in Mitleidenschaft gezogen wurden, kannte ihre Wut keine Grenzen mehr. Die Zeitungen nutzten das Ereignis reichlich für ihre Propaganda aus. Einflußreiche Männer wie Roosevelt, Root, Taft schreckten nicht vor den gehässigsten Beschimpfungen gegen Deutschland zurück. Die Amerikaner waren vor Abfahrt des Dampfers durch die deutsche Auslandsvertretung ausdrücklich gewarnt worden, das Schiff zu benutzen, da es torpediert werde. Aber der Amerikaner ließ dieses Argument gar nicht zu Worte kommen und bestand auf seinem Recht, die hohe See zu befahren, wann und wo und wie er wolle. Ich gestehe ein, daß dieser Zwischenfall unter allen Umständen hätte vermieden werden müssen. Jedenfalls hat er der proälliierten Propaganda in Amerika ungeheuer genützt und selbst bei den übrigen in Amerika lebenden Neutralen einen peinlichen Eindruck hinterlassen. 25

Als die Engländer sahen, daß die U. S. A.-Regierung gegen die britischen Völkerrechtsbrüche zwar protestierte, aber sich fügte, ließen sie eine Rechtsverletzung der anderen folgen. Unter jeder denkbaren Förderüng der Munitions- und Kriegsmateriallieferungen an die Alliierten beteuerte die U. S. A.-Regierung weiter den Kurs strikter Neutralität zu befolgen und für Humanität und Zivilisation einzustehen. Wilson hat seine eigene Auslegung von Humanität und Neutralität, wie auch der Reichskanzler von Bethmann Holhveg in seiner Reichtstagsrede vom 27. 2. 1917 betonte: E r kennt sie nur dort, wo es gilt, sie g e g e n Deutschland auszulegen. Was ist Humanität? — Tritt man als ehrlicher Verfechter für sie ein, darf man sie dann auf gewisse Nationen oder auf seine Staatsuntertanen beschränken? Gewiß nicht. Sind wir im christlichen Sinne von Humanität nicht alle ein einziges Volk von Brüdern und Schwestern? Ist es dann Menschlichkeit, Munition in ungezählter Menge lediglich aus Geldgier den Kriegführenden zu senden, um dadurch Millionen von Witwen und Waisen machen zu helfen und auf der anderen Seite unter dem Schein von Humanität zu protestieren, wenn im Unterseebootkrieg einige Menschenleben der eigenen Nation vernichtet werden, welche noch dazu von eigener Schuld nicht freizusprechen sind: Warum benützen sie Handelschiffe kriegführender Nationen oder mit Munition beladene Dampfer? Ist es Menschlichkeit, ruhig zuzusehen, wie England allem Völkerrecht zuwider die Lieferung von Milch und anderen Nahrungsmitteln, die bisher nie als Konterbande gegolten hatten, von Deutschland willkürlich ausschließt, um Frauen und Kinder Hungers sterben zu lassen, ja sogar diesem England noch dabei behilflich zu sein, um dem um seine Existenz ringenden Deutschland seine > wirksamste Waffe gegen seine unmenschlichen Feinde aus den Händen zu ringen? 26

Ist es Menschlichkeit, zu dulden, daß England dem mächtigen Amerika untersagen darf, Artikel des Roten Kreuzes' nach Deutschland zu senden, um den hilflosen Verwundeten die Wiederherstellung ihrer Gesundheit zu erschweren? Ist es Neutralität, zu erlauben, daß England alle Postsachen von und nach Amerika auf neutralen Schiffen beschlagnahmen und durchsuchen durfte, um Deutschlands Außenhandel zu durchforschen und zu vernichten? Ist es Neutralität, im eigenen Lande umher zu schnüffeln, wo etwa eine deutsche Verschwörung herauskonstruiert werden könnte, um dann die harmlosen Opfer mit harten Gefängnisstrafen zu belegen, während man zu Englands Übergriffen in den U . S . A . bewußt die Augen schloß? Aus der Fülle der Fälle will ich nur zwei erwähnen: Den bejahrten Geheimrat Bünz von der Hamburg-Amerika-Linie hat man zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil mit seinem Wissen deutsche Kriegsschiffe auf See von hier aus mit Proviant versorgt worden sein sollen. Er ist später im Gefängnis gestorben. In gleicher Weise verfuhr man gegen den Generalkonsul Bopp in St. Franzisco, der Leute mit deutschem Gelde gedungen haben soll, um Bomben auf die mit amerikanischer Munition beladenen Schiffe zü legen. Gegen ihn führte der amerikanische Staatsanwalt als Kronzeugen einen Louis Smith ins Feld, der neben anderen Vergehen als Deserteur der amerikanischen Bürgerrechte für verlustig erklärt worden war. In der EveningMail vom I i . Nov. 1916 lese ich, daß Louis Smith für sein Militärvergehen vom Präsidenten Wilson begnadigt worden sei, um ihn in den Stand zu setzen, in dem Bopp-Prozeß in St. Franzisco als Zeuge aufzutreten. Damit er als Kronzeuge auftreten durfte, hatte man ihn rasch wieder zum Ehrenmann erklärt. Die Kabel waren alle in Englands Kontrolle. Sofort übernahm die U. S. A.-Regierung die einzigen unabhängigen Verbindungen, nämlich die drahtlosen Stationen von Sayville und Tuckerton in strenge Staatsüberwachung. Den 27

bestückten Handelsschiffen der Alliierten wurden die amerikanischen Häfen ohne jede Behinderung und Einschränkung geöffnet. Gab es mit Deutschland einen Zwischenfall, flink war der Präsident mit einer ungeduldigen Note nach der anderen. Gegen England protestierte er in solchen Fällen der Form wegen, aber er ließ sich ruhig gefallen, wenn die Antwort erst Monate später eintraf, und fügte sich der im voraus erwarteten Ablehnung' der amerikanischen Ansprüche. Wieviel damals Amerika an Ansehen eingebüßt hatte, ließ sich an der steigenden Anmaßung der Engländer erkennen, mit welcher sie im Laufe des Krieges den Handel Amerikas und der Neutralen unterbunden haben. Anfangs wurden die Postsachen unbehelligt gelassen. Dann ließ man nur noch die sogenannten Postsachen erster Klasse weitergelangen, endlich aber nahm man auch sie von den neutralen Schiffen herunter. Es kam schließlich dahin, daß die Engländer den amerikanischen Firmen die Arten und Mengen von Waren, die sie an die Neutralen in Europa durchlassen wollten, von Fall zu Fall vorschrieben, ja noch mehr, der amerikanische Geschäftsmann brauchte in Amerika auf Grund der. von England aufgestellten schwarzen Liste das O. K. Visum des englischen Konsuls, um seine Waren nach Südamerika verschiffen zu können. Weiter hatte England eine große Anzahl amerikanischer Firmen und Geschäftsleute mit deutschen Handelsverbindungen auf die schwarze Liste gesetzt. Diesen Firmen wurden bei Verschiffung ihrer Waren allerhand Schwierigkeiten seitens Englands in den Weg gelegt." Und die U. S. A.-Regierung protestierte, aber fügte sich. Welche wichtige Rolle hätte Amerika als die mächtigste der neutralen Nationen spielen können, wenn seine Regierung von vornherein selbstlos auf Geldgewinn verzichtet und den währen Idealen von Neutralität und Humanität aufrichtig Geltung verschafft hätte I Präsident Wilson konnte der bedeutendste Staatsmann seiher 28

Zeit.. werden, wenn er die in seinen Händen vereinigten Machtbefugnisse richtig angewendet hätte. Was tat er ?. In einer öffentlichen Botschaft an den Kongreß verurteilte, er als erster Beamter des Staates die Gefühle von Millionen von Deutsch-Amerikanern für ihr altes Heimatland, bezichtigte sie des Mangels an.. Liebe für Amerika und suchte sie durch die Bezeichnung Hyphen, d. h. Bindestrich-Amerikaner, in der öffentlichen Meinung lächerlich zu machen. Diese Benennung ist seitdem für die Bezeichnung der Deutsch-Amerikaner typisch geworden. .Würde der Präsident seine Regierungshandlungen einmal unparteiisch nachprüfen, so würde, er mit .Entsetzen .feststellen* daß er der größte Hyphen — in dem Falle allerdings1 Bindestrich-Engländer — ist, welcher jemals das amerikanische Bürgerrecht besessen hat. Ich kann verstehen, wenn Wilson, dessen Vorfahren englischer Abkunft sind, seine Sympathien als M e n s c h den Alliierten zuwendet, aber als oberster Beamter eines großen Landes, das vorgibt, streng neutral zu sein, sollte er seine Worte und Handlungsweise gerechter und vorsichtiger abwägen, sonst muß man an seiner bona fides, seinem guten Willen zweifeln. Und wie verhielten sich der Senat und Kongreß zu Wilsons Regierungshandlungen ? — Beide gaben mit großer Mehrheit dem Präsidenten ein Vertrauensvotum. Niemand komme mir mit dem Einwurf, daß in der demokratischen Republik Amerikas die Regierungsgewalt in den, Händen des Volkes liege, im Gegensatz zu der monarchischen Selbstherrlichkeit in Europa. Wilson hat seit Kriegsausbruch die äußere. Politik Amerikas so selbstherrlich geleitet, wie es kein Monarch in Europa zu tun sich einfallen lassen kann. Die- Volksvertretung wurde erst mit den Lebensfragen der Nation vertraut gemacht, wenn die Entschließungen darauf vom Präsidenten bereits rechtsverbindlich getroffen .waren, und die Volksvertreter waren schwach genug, ohne, großes Zögern die, Handlungen des ; Präsidenten gutzuheißen. Amerika ist von. jeher -von einer Gruppe, von. Wenigenjpolitiscfi 29

regiert worden, die hinter dem Präsidenten und seinen Kabinettsmitgliedern steckt und nach außen kaum in die Erscheinung tritt. Es sind die Männer von Wallstreet, die Millionäre, die Munitionsfabrikanten. Von ihnen wird Wilson geschoben. Am 25. 5. 1915 wurde der amerikanische Dampfer Nebraskan von einem Unterseeboot angegriffen. Deutschland sandte am 12. 7. ein Schreiben mit der Erklärung, daß ein Irrtum obgewaltet hätte, und bot Schadenersatz an. Der amerikanische Dampfer Leelanan, mit Flachs von Archangel nach Belfast unterwegs, wurde am 27. 7. 1915 versenkt. Seine Rettungsboote wurden von dem Unterseeboot an die Küste ins Schlepptau genommen. Der Fall wurde zufriedenstellend für beide Teile gelöst. Ein Angriff auf den britischen Passagierdampfer Orduna am 9. 7. 1915 brachte vom deutschen Auslandsminister am 9. 9. das Anerkenntnis, daß infolge eines Mißverständnisses die Anweisungen durch den Unterseebootführer nicht befolgt worden seien. Auch hierüber kam eine Einigung zustande. Am 19. 8. 1915 war der britische Passagierdampfeir Arabic mit Amerikanern an Bord versenkt worden. Aifi 5. 10. 1915 schrieb der deutsche Botschafter an den amerikanischen Staatssekretär, daß Deutschland die Verantwortlichkeit für die Versenkung des Schiffes Anerkenne und Schadenersatz für die umgekommenen Amerikaner anbiete. Gleichzeitig wurde wiederum betont, daß so strenge Befehle an die Unterseebootführer erteilt seien, daß ähnliche Fälle nicht wieder vorkommen könnten. Auch damit erklärte sich die amerikanische Regierung einverstanden. Um den 18. 1. 1916 schickte die U. S. A. - Regierung an die Kabinette der Alliierten eine Note und schlug folgende Regeln mm Schutze des neutralen Handels angesichts der Unterseebootgefahr vor : 1. Ein Nichtkämpfer hat das Recht, das offene Meer in einem -Handelsschiff einer kriegführenden Nation iu bi-

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fahren und auf Befolgung der internationalen Regeln und Grundsätze der Menschlichkeit rechnen zu dürfen, wenn dem Schiff sich ein Kriegsschiff eines anderen Kriegführenden nähert. 2. Ein feindliches Handelsschiff darf nicht angegriffen werden ohne den vorherigen Befehl, anzuhalten. 3. Ein feindliches Handelsschiff, wenn von einem Unterseeboot* zum Anhalten veranlaßt, soll sofort anhalten. 4. Ein solches Schiff darf nicht eher angegriffen werden, als wenn es auf Befehl anzuhalten zu entfliehen öder Widerstand zu leisten versucht. Sobald als es die Flucht oder den Widerstand aufgibt, hat der Angriff aufzuhören. 5. Falls es unmöglich ist, eine Prisenmannschaft auf das feindliche Handelsschiff zu placieren oder es in einen Hafen zu bringen, darf das Schiff versenkt werden, vorausgesetzt, daß Mannschaft und Fahrgäste in Sicherheit gebracht sind. Zu der Note war weiter ausgeführt: Wenn von einem Unterseeboot die Einhaltung der obigen Bestimmungen verlangt wird, so würde es nicht recht und billig erscheinen, daß das Unterseebot in Erfüllung dieser Vorschriften gezwungen sein sollte, sich selbst der fast sicheren Zerstörung durch die Geschütze des Handelsschiffes auszusetzen, und daß daher den feindlichen Handelsschiffen untersagt sein müßte, irgendwie bestückt zu sein. Diese Vorschläge wurden von England in Noten vom 22. und 23. 3. 1916 abgelehnt. Als am 24. 3. 1916 der Alliierten-Dampfer Sussex im englischen Kanal torpediert wurde, büßten wiederum einige Amerikaner ihr Leben ein. Noten wurden damals zwischen Amerika und Deutschland ausgetauscht, und Wilson kündigte darin den Abbruch der diplomatischen Beziehungen an, wenn Deutschland nicht sofort seinen rücksichtslosen U-Bootkrieg einstelle. Deutschland erklärte sich unter dem 4. 5. 1916 bereit, kein Handelsschiff zu versenken ohne vorherige Warnung und ohne Menschenleben vorher in Sicher-

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heit zu. bringen, es sei. denn, daß solche Schiffe zu. entfliehen oder Widerstand zu leisten versuchten,. dies alles aber nur unter der Bedingung, daß die amerikanische Regierung auch bei den Alliierten die Wahrung der Volkerrechte. von jetzt ab durchsetze. Andernfalls müsse sich Deutschland volle Handlungsfreiheit vorbehalten. . Die U. S. A.-Regierung nahm dieses Versprechen an, lehnte es aber ab, daß Deutschland seine Zusicherung bedingungsweise. vom Verhalten Amerikas gegen die Alliierten abhängig mache. Diese Note ließ Deutschland unbeantwortet, zeigte aber den guten Willen, das Versprechen nach Kräften einzuhalten, um den Bruch mit Amerika zu vermeiden, während die U. S. A.-Regierung den Rechtsbrüchen der Alliierten weiter ruhig zusah. Unterdessen trieben die Intrigen gegen die diplomatischen Vertreter der Mittelmächte in Amerika ihre Blüten. Dem Botschafter der Doppelmonarchie, Dr. Dumba, stellte man seine Pässe zu, weil er einen geheimen Aufruf an die österreichisch-ungarischen Arbeiter erlassen haben soll, keine Munition für die Alliierten in amerikanischen Fabriken herstellen zu helfen, ein Vorgehen, welches von den amerikanischen Munitionsfabrikanten unter Wilsons Führung als eine mit der Neutralität des Landes unvereinbare Handlung ausgelegt wurde. Auch die Beigeordneten der deutschen Botschaft, von Papen und Boy-Ed, wurden auf Verlangen der U. S. A.-Regierung heimgesandt unter derselben Begründung, daß ihre Tätigkeit im Lande gleichfalls unvereinbar mit der-Neutralität der U . S . A . sei. Es muß offen gesagt werden, daß große Fehler und Unachtsamkeiten von der deutschen Auslandsvertretung in den U.S.Awährend des Krieges begangen worden sind, und daß die Wurzeln dieses Übels schon in der Zeit vor dem Kriege zu suchen sind. Es wird nicht verkannt, daß die Vertretung hier nach Kriegsausbruch unter unglaublichen Erschwerungen Zu.arbeiten hatte. Das Botschaftsgebäude, der Botschafter, seihe .Mitarbeiter und Beamten standen fort32

während unter Beobachtung des Geheimdienstes der amerikanischen und englischen Regierung. Man suchte die Spur eines jeden von ihm oder seinen Leuten ausgehenden Schriftstückes zu verfolgen und bei der Erreichung dieses Zieles schreckte man unter Beiseitesetzung aller bisherigen Regeln diplomatischer Höflichkeit selbst vor, sagen wir unfreundlichen Handlungen nicht zurück. Aber um so vorsichtiger hätte man daher sein müssen. Es kann nicht im Rahmen dieses Buches liegen, auf Einzelheiten einzugehen. E s sei mir aber gestattet, einige Anregungen zur Verbesserung der Auslandsvertretungen im allgemeinen zu geben. Ich habe lange genug im Auslande gelebt und der Lösung dieser Frage meine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Worin besteht der hauptsächlichste Wert und Zweck einer Auslandsvertretung? — Die wechselseitigen Beziehungen in Handel und Industrie mit allen ihren Begleiterscheinungen zwischen Heimatland und dem betreffenden Auslande genau zu studieren, sie sorgsam zu entwickeln und sie dem heimischen Im- und Export anzupassen. Da weise ich auf das kleine Land Schweden hin. Es hat hier in New York eine Art Handelskammer eingerichtet, welcher als Mitglieder eine Anzahl schwedischer Firmen in den U. S. A. angehören, gleichviel ob sie Dampfmaschinen und Schiffe oder Streichhölzer und Stecknadeln fabrizieren oder in den Handel bringen. Solche Institute sollte das deutsche Reich an allen wichtigen Auslandsvertretungen einrichten, welche dem Auslandsvertreter — Botschafter, Gesandter, Konsul — beratend zur Seite stehen, ohne ihm untergeordnet zu sein. Im Gegenteil muß diesen Instituten in Organisation und direktem Verkehr mit dem auswärtigen Amte eine große Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit zugestanden werden. Zu Mitgliedern müssen Bank- und Handelsfirmen, Kaufleute und Fabrikanten aller Branchen, in dem betr. Auslande ansässig, gewählt werden, Leute, die in ihrem Geschäftszweige besonders tüchtig sind, Sie sind tausendmal mehr in der Lage, das Geschäftsleben und damit zugleich K r a Ii 1 , Die Kolle Amerikas

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die Volksstimmung im Auslande zu erforschen und der Heimat praktische Winke zu geben, als der bisherige Gesandte oder Konsul vor seinem Diplomatenschreibtisch, welcher in der Hauptsache nur weiß, was an seinem/Amtssitz vor sich geht. Hinweg mit den vielen Juristen, den Aristokraten, den Kavallerie-Reserveoffizieren bei den Auslandsvertretungen; für sie hat man namentlich in demokratischen Ländern absolut keine Sympathie oder die Hochachtung, welche sie in der Heimat zu genießen pflegten. Kaufleute mit langjähriger Erfahrung in dem betreffenden Auslande sind viel wichtiger und erfreuen sich in der ausländischen Geschäftswelt eines ganz anderen Ansehens1. Für die bisherigen Auslandsvertreter ist dieses Kapitel ein geschlossenes Buch geblieben, und der Krieg hat zur Genüge bewiesen, daß die deutsche Regierung durch seine Vertreter ganz falsch über die herrschende Stimmung im Auslande, besonders in Amerika, unterrichtet worden ist. Nun wird man entgegnen, wir haben bereits an wichtigen Auslandsplätzen einen Handelsbeigeordneten. Es ist aber unmöglich, daß ein einzelner Mann, mag er noch so tüchtig sein, einer solchen gewaltigen Aufgabe gewachsen ist. Außerdem gehen im Falle seines Todes, seiner Pensionierung oder seiner sonstigen Abberufung seine langjährigen Erfahrungen auf einmal verloren. Ich denke mir die Ausbildung der jungen Leute für den Auslandsdienst in groben Umrissen so: Keine grundsätzliche Trennung zwischen Diplomaten und Konsutätsbeamten; der Ausbildungskursus' für beide muß der gleiche sein. Die Anwärter müssen ein Reifezeugnis einer Handelshochschule oder eines Real- bzw. Gymnasiums beibringen und sind dann in einer Lehranstalt in fremden Sprachen, internationalem Recht, ferner über die Grundzüge des Auslandsdienstes sowie über die Handelsgepflogenheiten in den einzelnen Ländern im allgemeinen zu unterweisen. Entsprechend den Fakultäten an den Universitäten werden verschiedene Kurse gegeben, je nachdem der An34

warter sich für den Dienst auf dem europäischen Festland, in den Vereinigten Staaten, in Mittel- und Südamerika oder im Orient und im fernen Osten entschließt. Nach Beendigung dieses Lehrkurses ist der Anwärter in das seiner Ausbildung entsprechende Ausland zur praktischen Weiterbildung von Reichs wegen zu senden, wo er zunächst von einem Wahlkonsul, welcher meist eine große Handelsniederlassung oder ein Im- und Exportgeschäft betreibt, und später bei einem Berufskonsul zu beschäftigen ist. Nach Ablauf der vorgeschriebenen Zeit macht der Anwärter beim Auswärtigen Amt seine Befähigungsprüfung für den Auslandsdienst und wird darauf in das von ihm als Berufsfeld von Anfang an gewählte Ausland als Hilfsbeamter — Vizekonsul — gesandt, um dort entsprechend seiner Tüchtigkeit im Amte emporzusteigen. Versetzungen aus einer Auslandssektion in eine ganz andere muß sowohl bei den Diplomaten wie Konsulatsbeamten vermieden und vielmehr darauf ge i achtet werden, daß die mit der Reihe der Jahre gesammelten Erfahrungen der Beamten in einer bestimmten Auslandssektion dieser Sektion möglichst erhalten bleiben. Die Diplomaten sind nach Möglichkeit aus den erfahrenen Konsularbeamten der betreffenden Auslandssektion zu wählen. Eine Ausnahme von diesen Vorschriften kann bei den besonders hervorgehobenen Diplomatenstellen gemacht werden. Dann aber sende man auf einen solchen Posten einen Geschäftsmann, der finanziell vollkommen unabhängig ist, als Industrieller oder Finanzmann in der Heimat sowohl wie in dem in Frage stehenden Auslande einen guten Namen und gute Verbindungen hat und zu repräsentieren versteht: Dadurch muß es ihm möglich sein, sich an seinem Amtssitze hervorragende Politiker, Abgeordnete und Finanzleute des Landes, bei dem er beglaubigt ist, zu Freunden zu machen und aus ihnen eine Art Lobby zu bilden, welche ihn bei allen wichtigen Vorkommnissen rechtzeitig unterrichten und darauf ihit dem nötigen Nachdruck unterstützen. Soviel zu diesem Kapitel. 3*

Die Ankunft des Leutnant Berg mit der Appamprise, das Eintreffen von Kapitän König mit dem deutschen Handels-U-Boot, die Heldentaten der Karlsruhe und der Möve erregten selbst in den amerikanischen Zeitungen und im Volke Bewunderung und Lobpreisung. Aber diese Sympathie verhallte ebenso rasch als sie kam, und am anderen Tag waren die Zeitungen wieder gefüllt mit Verunglimpfungen gegen alles, was deutsch hieß. Jedenfalls hat das amerikanische Gericht in erster Instanz die Appamprise ihren englischen Eigentümern zugesprochen. Ich habe die Urteilsbegründung nicht gelesen, aber ich fürchte, daß der amerikanische Gerichtshof nicht so unparteiisch gesprochen hat, wie er es in einem gleichen Falle der Alliierten getan hätte. Inzwischen war der Wahltag des 7. Nov. 1916 vorübergezogen, und Wilson saß für weitere vier Jahre im Präsidentenstuhl fester denn je zuvor. Der Wahlkampf war hart gewesen und der Sieg mit knapper Mehrheit erlangt. Wilson verdankte seine Wiederwahl nicht seiner Leitung der äußeren Politik, sondern seiner geschickten sozialen Tätigkeit im Lande. Was die Republikaner seit Jahren den Farmern nur versprochen hatten, das hat Wilson ihnen in dem Agricultural Law — dem Ackerbaugesetz — gegeben. Dadurch gewann er die Stimmen der Landarbeiter. Durch Sein erst kurz vor der Neuwahl erklärtes Eintreten für die Schaffung eines Acht-Stunden-Arbeitsgesetzes erlangte er die Stimmen der vielen Eisenbahnangestellten, überhaupt der gesamten Industriearbeiter. Durch sein energisches Eintreten für die Ernennung eines gewissen Brandis, eines Juden, zum Richter am obersten Gerichtshof sicherte er :sich die Sympathie der jüdischen Wähler. Die bei dem Wahlfeldzug ausgegebene Parole: „Wer hielt uns aus dem Kriege heraus? — Wilson I" führte ihm ohne Zweifel ebenfalls viele Wähler zu, da man unsicher war, welche Stellung sein republikanischer Gegner Hughes zum Kriege einnehmen würde. Wäre Hughes Präsident geworden, so würde

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das meiner Ansicht nach für die Beziehungen mit Deutschland wenig Änderung gebracht haben. -Die Brandreden seiner politischen Freunde, der Republikaner Roosevelt, Root, Taft, welche ihn bei der Wahl unterstützten, sprachen dagegen. Die Wohlfahrt Amerikas nahm auf Grund der Kriegslieferungen an die Alliierten ungestört ihren Fortgang. Man schwamm im Golde I Wird der n e u e Präsident Wilson den Kurs des Staatsschiffes im bisherigen Fahrwasser mit Volldampf weiter fahren lassen? Das war die Frage, welche viele nach dem Wahltage beschäftigte. In diese Zeit fiel auch der Besuch des Botschafters Gerard beim Präsidenten in Washington. Gerard brachte sicherlich für Wilson wertvolle Aufklärungen über die tatsächlichen Verhältnisse in Deutschland aus eigener Wahrnehmung. Selbstredend verlautete darüber nichts in der Öffentlichkeit. E s war aber immerhin bezeichnend, daß um dieselbe Zeit die U.S.A.-Regierung die Reservenotenbanken warnte, nicht die von Morgan ausgegebenen Kriegsbonds Englands in Zahlung zu nehmen, soweit sie nicht durch amerikanische oder gleichwertige Sicherheiten gedeckt seien. Aber noch andere wichtige Fragen bereiteten dem Präsidenten Sorge. Hinter der amerikanischen Wohlfahrt stiegen die Schreckgespenste der Lebensmittel euerung und der inneren Unruhen auf. Die letzte Ernte in Amerika war nur mittelmäßig gewesen, und die Farmertrusts hatten große Lieferungsverträge zu vorteilhaften Preisen mit den Alliierten laufen. Die Folge davon war, daß der Markt im Lande vernachlässigt wurde. Außerdem fehlte es an Transportgelegenheit, da die neuerliche Tätigkeit der U-Boote an der Atlantischen Küste Amerikas große Stauungen der mit Kriegsartikeln beladenen Waggons in den Hafenstädten verursachte. Demzufolge waren die Lebensmittel im Preise ungeheuer gestiegen; dem Mehl und Brot folgten Fleisch, Gemüse, Kartoffeln, Zwiebeln, Milch und Eier. Die Industriearbeiter verlangten von der Regierung ein Ausfuhrverbot 37

auf Lebensmittel, Die Farmer hatten schon lange vergeblich ein Ausfuhrverbot auf Munition angestrebt, nicht aus Sympathie für Deutschland, sondern weil ihnen die Landarbeiter in die Munitionsfabriken weggelaufen waren, wo sie höhere Löhne bekamen. Wilson befand sich in einer unangenehmen Zwickmühle. Aber so viel möchte ich zur Zeit dieser Niederschrift mit ziemlicher Bestimmtheit voraussagen, daß er ebensowenig ein Ausfuhrverbot auf Lebensmittel legen wird, wie er es auf Munition getan hat. Glückliches Amerika I Die Arbeiter waren in Scharen in die Munition und andere Kriegsartikel fertigenden Fabriken gegangen und verdienten das drei- und mehrfache ihres früheren Lohnes. Was geschah mit dem gesteigerten Verdienst? Ich glaube nicht, daß eine Statistik der Sparbanken eine Zunahme der Sparkontis aufweisen würde. Der amerikanische Arbeiter hatte sich rasch an ein üppigeres Leben mit seiner Familie gewöhnt, und von dem erhöhten Lohne blieb ebensowenig übrig als von dem normalen. Was aber wird nach dem Kriege werden, wenn der Wettkampf im Welthandel wieder einsetzt, und wenn die amerikanischen Fabrikanten gezwungen sein werden, Teile ihrer Fabriken stillzulegen, Arbeiter zu entlassen und im übrigen auf die normalen Löhne wieder zurückzugreifen? Auf der anderen Seite werden die Lebensmittelpreise nach dem Kriege zunächst noch hoch bleiben, da es einige Zeit nehmen wird, bis die Nationen in Europa ihren Ackerbau und ihre Viehzucht wieder in normale Bahnen gebracht haben werden und so ihren Bedarf im eigenen Lande teilweise decken können. Wird sich die große Masse der arbeitenden Klassen in Amerika ebenso leicht wieder dem einfachen Leben anpassen, wie sie sich an das üppige Leben gewöhnt hat ? Ich habe zum mindesten Zweifel. Was wird das Ende sein? Arbeiterstreiks und Unruhen. Die Maßnahme der deutschen Regierung, arbeitslose und arbeitsscheue Belgier nach Deutschland zu Arbeitszwecken abzuschieben, wurde zur Zeit in den amerikanischen

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Zeitungen heftig angegriffen. Das arme kleine Belgien war von. jeher das Schoßkind der Amerikaner. Genau wie damals wetterte man gegen das deutsche Barbarenvolk, man bezichtigte es der Mißachtung der persönlichen Freiheit des Einzelnen und nannte seine Handlungsweise Sklaverei, und die amerikanische Regierung ließ durch ihren diplomatischen Vertreter den deutschen Staatsmännern das Mißfallen des offiziellen Amerikas über diese Maßnahme ausdrücken. Man fragte nicht nach den Gründen, welche Deutschland dazu veranlaßt hatten. Und doch bin ich für meine Person davon überzeugt, daß Deutschland seine guten Gründe dafür hatte, Gründe, welche am allerwenigsten in selbstsüchtigen Neigungen — nämlich die Belgier Munition in Deutschland gegen ihre eigenen Brüder anfertigen zu lassen, wie es hieß — zu suchen sind, sondern welche in erster Linie das Wohl der Belgier selbst bezweckten. Man wollte den Arbeitslosen Beschäftigung geben und bezahlte sie dafür angemessen. Gleichzeitig aber wollte man verhüten, daß die Arbeitslosen sich zu Aufruhr zusammenrotteten und dadurch das öffentliche Wohl gefährdeten. Nun zur Kehrseite der Medaille! Dieselben Zeitungen brachten die Maßnahmen der Alliierten gegen das kleine Griechenland. Nicht genug damit, daß die Alliierten kurzerhand auf griechischem Boden Militär gelandet hatten, daß man auf die Schiffe, Eisenbahnen, Post, Telegraph und auf die Hafenplätze Beschlag gelegt, die Diplomaten der Mittelmächte nach Hause geschickt hatte, um das Ländchen der moralischen Unterstützung dieser Mächtegruppe zu berauben, daß man die Abrüstung der Armee durchgesetzt hatte, nein, man ging in der Demütigung des Landes so weit, daß man die Auslieferung der Waffen, Artillerie und Munition verlangte, um so dieses Volk gegen seinen Willen zur Kriegsbeteiligung auf Seiten der Alliierten zu zwingen. Und was sagte Amerika dazu? Es berichtete über diese Vorgänge wie über etwas Selbstverständliches. Wo bleibt hier dein Freiheitsempfinden, Amerika ? Sieht dein Frei39

heitsideal, mit dem du soviel Wortgeklingel machst, so aus ? Soll man da die Worte Wilsons, welche er vor einigen Tagen anläßlich der Einweihung der neuen Beleuchtung der Freiheitsstatue am Hafeneingang von New York geäußert hat, wirklich ernst nehmen: — „ E s besteht eine große Verantwortung für uns darin, daß wir uns die Freiheit zum Ideal gewählt haben und die letzten zwei Jahre hindurch ist meinem Innern immer mehr die Überzeugung gekommen, daß der Weltfriede nur mit der Freiheit kommen wird und nicht, solange die Geschicke der Völker durch kleine selbstsüchtige Gruppen geleitet werden —". Gegen die Knechtung Belgiens wetterte der Präsident, gegen die Knechtung Griechenlands hatte er nichts zu sagen. E s ging ihm mit seiner Auffassung von Freiheit genau so wie mit der Humanität. E r besann sich auf sie nur dann, wenn es galt, sie gegen die Mittelmächte auszulegen. Wie Ironie aber klangen die Worte von der Selbstsüchtigkeit im Munde des Präsidenten. Mir liegt das Sonntagsblatt der deutschen New Yorker Staatszeitung vom 10. 12. 1916 vor, mit einem Artikel überschrieben: „Eine Million Todgeweihte!" aus dem Tagebuch einer amerikanischen Krankenpflegerin, welche als Mitglied einer amerikanischen Hilfsexpedition die Gefangenenlager in Sibirien besucht hatte. Ich will hier nur einige Zitate der Krankenschwester wiedergeben: „Die Gefangenen sterben zu Tausenden dahin, und wieviele schon umgekommen sind, wer kann es sagen? Die sanitären Zustände zu beschreiben, ist unmöglich. Trinkwasser muß von Flüssen weit hergeholt werden und ist unzureichend. Baden ist ein fast vergessener Luxus; Seife ist so teuer, daß man kaum welche zu sehen bekommt. Das Thermometer in den Baracken zeigte 15 Grad unter Null. Heizmaterial ist knapp, weil keine Transportmittel verfügbar sind. Die Betten, das waren zwei Bretterreihen, die eine 5 Fuß über der anderen. Ein Husten, welcher wie ein Sturm klang, war alles, was wir hören konnten. Leute mit den Pockenflecken lagen

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neben anderen, welche das hektische Rot der Schwindsucht zeichnete; Nierenkranke neben Leuten im Typhusdelirium. Skorbut in schlimmster Form herrschte in allen Lägern, weil unter den Lebensmitteln Vegetabilien fast ganz fehlten. In demselben Räume mit den lebenden Gefangenen lagen ein paar tote Türken. Die Diagnose war zweifelhaft gewesen, unserer Ansicht nach Cholera. Ich erkannte dieselben Leichen zwei Wochen später an demselben Platze wieder. Der Boden ist so fest gefroren, daß es schwer ist, Gräber zu graben. Die Wirkungen, welche das Leben in solchem Schmutz ohne genügende Kleidüng und Nährung auf Geist und Moral ausübt, ist fürchterlich. Männer von Erziehung, welche ein anständiges Leben gewöhnt waren, sind zu unglaublicher Tiefe gesunken; allen Mut haben sie verloren, alle Widerstandskraft und Lebenswillen. In vielen Gegenden wären Irrenanstalten ebenso nötig .wie Nahrung und Kleidung. Es werden nicht viele heimkehren." So sah der glaubwürdige Bericht einer Sachverständigen aus, glaubwürdig deswegen, weil er von einem Mitglied einer a m e r i k a n i s c h e n Hilfsexpedition kam. Solche Berichte brachten die von England bezahlten amerikanischen Zeitungen aus begreiflichen Gründen nicht, andere Zeitungen gaben vielleicht eine kurze Notiz davon an unscheinbarer Stelle. Die meisten Amerikaner lasen solche Berichte gar nicht, und brachte man in der Unterhaltung das Gespräch darauf, dann stellten sie sich entweder an wie neugeborene Kinder oder sie enthielten sich absichtlich jeder Meinungsäußerung. Unentwegt aber fuhr das ämerikanische Volk fort, Munition zu liefern und um das goldene Kalb zu tanzen. Warum trat hier das amerikanische Volk und sein Präsident nicht für Humanität ein? Hat sich im amerikanischen Volke das Humanitätsgefühl geregt, als die deutsche Regierung drahtlos von den Untaten der Russen an den Ostpreußen und den polnischen und galizischen Juden berichtete? Es waren den Amerikanern eine große Zahl kinematographischer Schreckensbilder aus dem Kriege und 41

den Hospitälern vorgeführt worden. Man nahm Kenntnis davon, aus Neugierde, das war alles.. Wenn die Kriegsleidenschaft einmal verraucht sein und der unparteiische Geschichtsschreiber die unverfälschte Wahrheit niederschreiben wird, Amerikaner, sollte dir nicht die Schamröte ins Gesicht steigen, wenn du dein Kapitel in dem Geschichtswerk aufschlägst? Im Anfange des Krieges ging in Amerika die allgemeine Meinung dahin, daß Deutschland in kurzer Zeit niedergerungen sein würde. Man hatte ja von deutschem Geist und Energie keine Ahnung und ließ sich von den verlogenen Zeitungen vollkommen leiten. Als später Italien in den Krieg eintrat, da war für den Amerikaner die Niederlage der Mittelmächte besiegelt. Dasselbe ereignete sich noch einmal beim Eintritt Rumäniens. Seitdem aber die Amerikaner gesehen hatten, wie die Mittelmächte durch einzig in der Geschichte dastehende Heldentaten zu Lande, ?ur See und in der Luft mit dieser. Übermacht von Feinden fertig wurden, war ein großer Teil der Amerikaner in Bezug auf die Leistungen der Alliierten allmählich mißtrauisch geworden. Man glaubte nicht mehr so recht den Zeitungsmeldungen der Alliierten. Ata 22. Nov. 1916 gaben alle amerikanischen Zeitungen den Tod des betagten Kaisers Franz Josef in großen Überschriften bekannt. Aus den ihm gewidmeten Nachrufen liegt mir derjenige des New York American vom 22. Nov. vor. Man nannte den Verblichenen den Sorgenkaiser und kramte eine alte Legende der Gräfin Carolyn aus, deren Sohn wegen Teilnahme an der ungarischen Revolte hingerichtet worden sein sollte. Die Gräfin habe vom Himmel den Fluch über das Haus Habsburg herabgefleht und zum Nachweis der Erfüllung dieses Fluches zählte man alle die traurigen Familienereignisse auf, welche der Monarch hatte durchleben müssen. — Die proalliierten Zeitungen, wie die World, Tribüne und Evening Telegram hatten einen noch gehässigeren Wortlaut. Wie taktlos ! Den amerikanischen

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Zeitungsschreibern kann man nur das Vorbild der alten Römer, ins Gedächtnis zurückrufen, welche sagten : De mortuis nihil nisi benel — Nach den Siegeszügen der Mittelmächte im Balkan, welche mit der Einnahme von Bukarest am 6. 12. 1916 ihren Höhepunkt erreicht hatten, übergab Deutschland im Einverständnis mit seinen Bundesgenossen am 12. 12. 1916 eine Note an die Vereinigten Staaten zur Weiterbeförderung an die Alliierten, in welcher die Mittelmächte ihre Bereitwilligkeit zu Friedenisverhandlungen kundgaben, um dem ungeheuren Blutvergießen ein Ende zu setzen, und erklärten, ihr Ziel sei nicht die Vernichtung ihrer Feinde, sondern die Erlangung eines dauernden Friedens, welcher die Existenz, die Ehre und die. Entwicklungsfreiheit ihrer Völker garantiere. Die U. S. A. - Regierung gab diese Note ohne jeden Kommentar an die Alliierten weiter. Die Alliierten - Regierungen bereiteten eine gemeinsame Note vor, ließen aber bereits nach den Zeitungsberichten vom 14. 12. 1916 durchblicken, daß sie sich nicht zu Friedensverhandlungen bereitfinden würden, solange die Mittelmächte nicht ihre Bedingungen genannt hätten. In derselben Zeitungsnummer las ich unter fetter Überschrift: — Britannien ergänzt seine Armee um 1 Million Soldaten und verlangt vom Parlament weitere 2 Milliarden Dollar Kriegskredit, auch mag es alle seine Schiffe bewaffnen — natürlich bestimmt, um auf die öffentliche Meinung in Amerika zu wirken. Am anderen Tage wurde die Ablehnung der Offerte seitens des französischen Ministers Briand mit dessen eigenen Worten berichtet : „Vorsicht vor dem deutschen Gift, der baldige Sieg ist uns sicher". Am 16.12. kam die Meldung aus Petersburg, daß die Duma einstimmig den Antrag der FriedensVerhandlungen abgelehnt habe. — Hat wohl jemals die russische Duma einen e i n s t i m m i g e n Beschluß gefaßtI Die formelle gemeinsame Antwort der Alliierten auf die Note der Mittelmächte wurde am 30. 12. 1916 dem amerikanischen Botschafter in Paris zur Weiterbeförderung über43

geben. Unter Verwahrung gegen die beiden Behauptungen der Mittelmächte, welche den Alliierten die Verantwortung für den Krieg auferlegten und den Sieg der Mittelmächte erklärten, wurde das Angebot abgewiesen, weil inhaltlos und unaufrichtig. Nach einer Aufzählung der Übergriffe der Mittelmächte gegen die anderen Nationen Europas erklärte die Note, daß Frieden solange nicht möglich sei, als die Alliierten nicht Genugtuung für verletzte Rechte und Freiheiten erlangt, die Anerkennung des Grundsatzes der Nationalität und der freien Existenz kleiner Staaten durchgesetzt und für immer wirkungsvolle Garantie für die künftige Sicherheit der Welt erreicht hätten. Kein Frieden könne ferner von Dauer sein, welcher nicht den Grundsatz anerkenne, daß Regierungen alle ihre rechtmäßigen Machtbefugnisse von dem Einverständnis der Beherrschten ableiteten, und daß es nirgends ein Recht gäbe, Völker wie Eigentum von Dynastie zu Dynastie zu übergeben u.s.w. Am 18. 12. 1916 überraschte Wilson gleichzeitig di.e Welt mit seiner Friedensnote an die Kriegführenden. Unter Ablehnung, Friedensvorschläge in diesem Kampfe oder auch nur den Vermittler machen zu wollen, regte er den Abschluß eines dauernden Weltfriedens an, die Gründung einer Weltfriedensliga, Abschaffung einzelner Mächtegruppen, Schutz der Rechte kleiner Nationen und forderte die kriegführenden Gruppen zu einer Bekanntgabe ihrer Bedingungen auf, um sie miteinander vergleichen zu können. Während Wilson den Eindruck seiner Note im Auslande verfolgte, hatte Amerika im Inlande seine Sensation. Wilsons Note wirkte auf die Börse in New York und anderwärts wie eine Bombe. Die Kriegswerte gingen erschreckend herunter. Zu gleicher Zeit trat der Bostoner Broker Lawson mit einer Beschuldigung gegen eine gewisse Gruppe von Börsenleuten hervor, welche um Wilsons Friedensnote vor deren Veröffentlichung gewußt und sich die Sache an der Börse durch Erzielung unglaublicher Gewinne zunutzegemacht haben sollten. Unter den Beschuldigten war kein 44

geringerer als der Schatzamtssekretär Mc. Adoo, der Schwiegersohn des Präsidenten. Auf Veranlassung des Senats und Kongresses wurde eine Untersuchung eingeleitet. Sie verlief im Sande und kostete nur dem Staate eine Menge Geld. Die Mittelmächte antworteten unter dem 26. 12. 1916 auf Wilsons Friedensnote und erklärten ihre Bereitwilligkeit zu einer Konferenz zwecks Austausch der Ansichten wie vorgeschlagen. Anfang Januar 1917 traf die gemeinsame Antwort der Alliierten auf Wilsons Friedensnote ein. Nach Billigung der vom Präsidenten gegebenen Anregungen, eine Weltfriedensliga zwecks künftiger Entscheidung internationaler Streitfragen zu gründen, fuhr die Note mit klaren Worten fort, die Alliierten würden den Kampf fortsetzen bis zur Erreichung ihrer Ziele: — Wiederherstellung von Belgien, Serbien und Montenegro und Schadenersatz an diese Nationen; Räumung der vom Feinde besetzten Gebiete und Schadenersatz, Wiederherstellung von Provinzen und Landesteilen, welche vom Feinde in der Vergangenheit gewaltsam und gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung an sich gerissen worden seien, wirksame Garantien für die Zukunft durch Demütigung Deutschlands, Zerstückelung der Doppelmonarchie, Aufteilung Bulgariens und Verdrängung der Türken aus Europa. Am Schlüsse war noch hinzugefügt, daß Ausrottung der deutschen Völker und ihr politisches Verschwinden nicht beabsichtigt sei. Nach Erhalt der Antworten auf seine Friedensnote hielt Wilson am 22. 1. 1917 eine Ansprache an den Senat. Nach summarischer Zusammenfassung des Inhalts dieser Antwortnoten entwickelte der Präsident seine Gedanken, unter welchen die U, S, A. - Regierung einer Friedensliga beitreten würde: — Vor allen Dingen müsse ein Frieden ohne Sieg geschlossen werden. Sieg würde bedeuten Frieden, welcher .dem Besiegten aufgezwungen sei. E r würde in Demütigung .und unter unerträglichen Opfern angenommen werden und

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einen Stachel, eine bittere Erinnerung hinterlassen und deshalb nicht dauerhaft sein. Nur ein Frieden zwischen Gleichgestellten könne von Dauer sein. Die Mittelmächte wußten jetzt, was1 sie von den Alliierten zu erwarten hatten. Einen Erfolg immerhin hat Wilsons Note gehabt: — Sie veranlaßte die Alliierten, der Welt zum erstenmal seit Kriegsausbruch ihre bestimmten Kriegsziele zu offenbaren, was zur weiteren Folge hatte, daß sich die Mittelmächte noch fester zusammenschlössen und daß das ganze deutsche Volk — die Sozialdemokraten einbegriffen — sich geschlossen hinter Kaiser und Regierung stellten. Jetzt galt es in dem angekündigten Vernichtungskampfe der Völker jede Waffe ausgiebig zu gebrauchen, welche der Gegenpartei den tötlichen Stoß versetzte. In einer neuen Blockadeorder kündigte Deutschland unter dem i. 2. 1917 den uneingeschränkten U - Bootkrieg an und erklärte, jedes Handelsschiff ohne Warnung zu versenken, welches die Blockadezone in der Absicht, Häfen der Alliierten anzulaufen, befahre. Und wie verhielt sich Wilson zur Antwort der Alliierten und zu Deutschlands Maßnahmen? — Gegen die Alliierten schwieg er sich aus und mit Deutschland brach er die diplomatischen Beziehungen am 3. 2. 1917 kurzerhand ab. Wäre es ihm ernst gewesen, der Welt den Frieden wiederzubringen, wie er in überschwänglichen Worten in seiner Friedensnote ausgeführt hatte, dann mußte er, um konsequent zu sein, den Friedensstörern« den Rücken kehren und die Friedenssucher mit allen Kräften unterstützen. Wilson sah also die amerikanischen Interessen am besten gewahrt, wenn er sich auf die Seite stellte, die für Fortsetzung des Blutvergießens eintrat. Damit riß er endlich die Maske vom Gesicht und setzte seiner oft behaupteten Neutralität selbst ein Ende. E s war klar, daß; Wilson als Resultat dieses Krieges kein Übergewicht der Mittelmächte wünschte. In seiner Ansprache vor dem vereinigten Kongreß und Senat nahm Wilson auf die Versenkung der Sussex 46

im Kanal und auf die über den Fall mit Deutschland ausgetauschten Noten Bezug und fuhr fort: — „Mit der beabsichtigten Wiederaufnahme eines uneingeschränkten UBootkrieges gibt die deutsche Regierung die Absicht kund, amerikanische Bürger und Schiffe allem anerkannten Völkerrechte und allen Geboten der Humanität zuwider zu gefährden und auf diese Weise ihr im Sussex-Fall gegebenes Versprechen zu brechen". Der Reichskanzler in seiner Rede vom 27. 2. 1917 blieb Wilson die Antwort nicht schuldig. „Wilson nennt es unmenschlich — sagte er — wenn durch den U-Bootkrieg das Leben einiger Amerikaner gefährdet wird. Auf der anderen Seite gestattet er die Lieferung von ungezählter Munition an die Alliierten, welcher Hunderttausende deutscher Leben zum Opfer fallen. Warum wendet er hier nicht die Gebote der Menschlichkeit an? E r hat doch noch in den Mexikanischen Unruhen im August 1913 feierlich erklärt, er glaube dem Völkerrecht am besten zu dienen, wenn er die Versorgung beider Kampfparteien mit Waffen und Munition seitens Amerikas verbiete." Auf die amerikanische Neutralität übergehend, fährt Herr v. Bethmann fort: „Ich würde verstehen, wenn die U. S . A . als Beschützer des Völkerrechts gegen a l l e Kriegführenden in gleicher Weise vorgegangen und in dem Bestreben, den Weltfrieden wiederherzustellen, Maßnahmen ergriffen hätten, das Ende des Blutvergießens zu erzwingen. Aber ich kann es nicht als eine Lebensfrage für die amerikanische Nation ansehen, internationales Recht einseitig zu beschützen, nämlich nur g e g e n D e u t s c h l a n d . " E r wies sodann den Sophismus derjenigen Amerikaner zurück, welche sagten, von England würden nur materielle Werte bei ihren Völkerrechtsbrüchen zerstört, die sich ersetzen ließen, während Deutschland unersetzbare Menschenleben zerstöre. „Warum haben die Amerikaner nicht fortgefahren, ihre Schiffe nach Hamburg und Bremen zu senden? — so führte der Kanzler weiter aus —; dann würden wir von dem peinlichen Eindruck befreit sein, daß, wie es Amerika 47

sieht, ein Nachgeben gegen englische Willkürherrschaft mit dem wesentlichen Charakter von Neutralität vereinbar, dagegen unvereinbar mit den deutschen Verteidigungsmaßnahmen sei." Mit Entschiedenheit verwahrte sich der Kanzler gegen Wilsons Vorwurf, daß Deutschland sein Versprechen gebrochen habe. „Unser Versprechen", sagte er, „war unter einer Bedingung gegeben, und da Amerika im Laufe von 9 Monaten diese Bedingung, nämlich die Wahrung des Völkerrechts auch von den Alliierten zu erzwingen, nicht erfüllt, ja, es nicht einmal versucht hat, so haben wir unsere Handlungsfreiheit wiedererlangt." Im Übereifer seiner Friedensbestrebungen forderte Wilson alle Neutralen auf, dem Beispiel der U. S. A. zu folgen und mit Deutschland zu brechen. E r bekam aber von allen, mit Ausnahme von China, ohne langes Besinnen eine Absage. Bei dieser Gelegenheit muß ich wieder auf die Deutschamerikaner zu sprechen kommen. Ich traute meinen Augen nicht, als ich in allen New Yorker Zeitungen vom 8. 2. 1917 folgenden Artikel las: Delegaten des deutsch-amerikanischen Nationalbundes von 28 Staaten hatten sich in Philadelphia zu einer Berätung hinter verschlossenen Türen eingefunden. Später gab Dr. Hexamer folgendes bekannt: Der deutsch-amerikanische Nationalbund, 3 Millionen Mitglieder, hat beschlossen, Präsident Wilsons Vorgehen gutzuheißen, im Kriegsfalle seine Dienste der Regierung zur Verfügung zu stellen, deutsch-amerikanische Regimenter zu organisieren und Freiwillige aufzubieten. Die angesammelten Gelder für das deutsche Rote Kreuz und für die deutschen Witwen und Waisen sollen im Kriegsfalle dem amerikanischen Roten Kreuz überwiesen werden. Sollte es zum Kriege kommen, dann werden wir mit unserem Leben für die amerikanische Regierung eintreten u. s. w. Nicht früher als am 13. 2. fühlte sich der Präsident des Nationalbundes Dr. Hexamer zu einer Berichtigung ver-

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anlaßt — und zwar fand ich diese Notiz nur in der deutschen Staatszeitung —, in welcher er erklärte, daß er die Verantwortung für die Fassung der Zeitungsberichte ablehne und nur für von ihm selbst verfaßte und unterzeichnete Berichte einstehe, und daß er der Regierung im Kriegsfalle keine Regimenter von Soldaten versprochen habe: Die Besprechung habe sich in der Hauptsache um die Wohltätigkeitsfonds gedreht, und in idieser Richtung sei beschlossen worden, die Sammlungen für die bisherigen Zwecke eifrig fortzusetzen, sobald aber Krieg ausbreche, die Sammlungen einzustellen und ausschließlich für amerikanische Wohltätigkeitszwecke weiter tätig zu sein. Wenn man über einen Gegenstand hinter verschlossenen Türen beraten hat, dann ist es eine gebieterische Pflicht für denjenigen, welcher sich von Zeitungsmännern ausfragen läßt, — zumal wenn man amerikanische Gepflogenheiten kennt — darauf zu achten, daß die Korrespondenten nicht mehr und nicht weniger niederschreiben, als. was man der Öffentlichkeit anvertrauen will. Nicht weniger war zu entschuldigen, daß Herr Dr. Hexamer seine Berichtigung erst S Tage später und nur in der deutschen Zeitung brachte. E r hatte doch sicherlich am nächsten Morgen nach der Sitzung die Zeitungen gelesen. Durch den ersten Artikel in allen amerikanischen Zeitungen war der häßliche Eindruck von den Deutsch-Amerikanern in die Öffentlichkeit gebracht, und das Fehlen einer Berichtigung in diesen Blättern hat diesen Eindruck in der öffentlichen Meinung nicht verwischt. Zur Sache selbst bemerke ich: Welche Veranlassung hatten die Deutsch-Amerikaner, mit dieser Windeseile ihre Ergebenheit Wilson zu versichern, welcher sie Hyphen geschimpft und wie Schmutz an den Schuhen behandelt hatte ? Waren sie zu einer Erklärung herausgefordert worden? Aber es ist immer wieder der alte Fehler der Deutsch - Amerikaner, bei jeder Gelegenheit zu zeigen, im Augenblicke der Gefahr sind unter den loyalen Bürgern die Deutsch : Amerikaner die ersten. Mehr RückE r a h l , Die Rolle Amerikas

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grat und Selbstachtung tut dem Deutsch - Amerikanertum not. Ich verkenne nicht, daß es unter den Deutsch - Amerikanern Ungezählte gab, welche 'das Vorgehen von Dr. Hexamer und Genossen verurteilten; sie ¡dürfen sich aber nicht verwundern, wenn sie von den Amerikanern mit demselben Maß gemessen werden, solange sie schweigend dulden, daß solche Männer ihre geistigen Führer sind. Damit aber nicht genug I Zur selben Zeit berichteten die amerikanischen Zeitungen mit Sarkasmus und Ironie, daß am Tage nach Wilsons Bruch mit Deutschland deutsche Staatsbürger sich zu Hunderten auf den Stadtämtern gedrängt hätten, um ihr erstes amerikanisches Naturalisationspapier zu verlangen. Es ist vielleicht zu verstehen, wenn Leute mit großen Geschäftskapitalien und Grundbesitz in Amerika gegen Schikanen sich auf diese Weise zu schützen suchten, — die meisten hatten bereits in derZeit dafür Vorsorge getroffen — aber von Leuten, welche aus der Hand in den Mund leben, die nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren haben, verstehe ich es nicht, wie man seine Nationalität wechseln kann wie das Hemd. Übrigens bezweifle ich, daß die amerikanischen Behörden unter den derzeitigen Verhältnissen solchen Kriegsbürgern wesentlichen Schutz angedeihen lassen würden. Denn das Vollbürgerrecht wird erst erlangt, wenn man nach der Herausnahme des ersten Papiers 5 Jahre lang ununterbrochen seinen Wohnsitz in den U. S. A. gehabt und sodann bei Entnahme des zweiten Papiers den Bürgereid geleistet hat. Solches Deutsch - Amerikanertum fördert nicht das Ansehen des Deutschtums in Amerika, sondern schadet ihm nur. Wilsons Bruch mit Deutschland fand keinen ungeteilten Beifall im Senat. Die republikanischen Senatoren Works und Norris und der demokratische Senator Vardaman protestierten gegen den von Senator Stone, dem Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, am 7. 2. eingebrachten Antrag, Wilsons Politik gutzuheißen, und sprachen ihr Mißfallen aus. Besonders Works brand50

markte in längerer Rede den Kurs der Regierung: — „zugegeben, so führte er aus, Deutschland habe die Rechte amerikanischer Bürger auf hoher See verletzt, so protestiere ich doch gegen diesen oder irgendeinen Schritt, welcher aus keinem anderen Anlaß als dem bisher gegebenen zu einem Kriege mit Deutschland führen könnte. Um die Lage ehrlich zu behandeln, müssen wir unser eigenes Gewissen befragen und ausfinden, wie weit wir selbst daran schuld sind, daß es zu dieser Krisis gekommen ist. Das erste und schrecklichste Unrecht, welches die Deutschen den Amerikanern zugefügt haben, war das Versenken der Lusitania. Unsere Regierung wußte, was angedroht war, aber wir ließen das Schiff abfahren und amerikanische Bürger in den Rachen des Todes tragen. Deutschland kämpft um sein Leben, wie auch England und Frankreich und die anderen Nationen. Was konnten wir unter diesen Umständen anderes von Deutschland erwarten? Welches moralische Recht hatten wir, es in die Versuchung ,zu bringen, diese schreckliche Tat zu begehen? Unsere Regierung muß die furchtbare Verantwortung für das traurige Ereignis auf sich nehmen. Wir haben von dieser Zeit an Deutschlands Feinden fortwährend geholfen. Als Nation waren wir nicht neutral, und unsere Volksangehörigen haben gar nicht den Versuch gemacht, dies zu verheimlichen. Wenn wir streng neutral gewesen wären, wie wir das vorgaben, wäre es nie zu der heutigen Sachlage mit Deutschland gekommen. Daß Deutschland die Rechte unseres Volkes auf hoher See verletzt hat, kann keiner leugnen, aber das hat auch England getan, und jede kriegführende Nation würde es tun, wenn es im Kampf um Sein oder Nichtsein nötig wird. Ich glaube, wir würden das gleiche unter denselben Umständen tun. Ich bezweifle auch das Recht des Präsidenten, die Beziehungen mit Deutschland abzubrechen. Wir haben eine bessere und sicherere Wahl, indem wir unsere Schiffe und unsere Leute aus der Gefahrzone halten, bis der Krieg vorbei ist u. s. w." 4*

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Trotzdem aber stand bei der endgültigen Abstimmung die große Mehrzahl der Senatoren auf Wilsons Seite. Die Aufhebung der direkten Verständigung zwischen beiden Regierungen hatte zur Folge, daß sowohl diesseits wie jenseits des Ozeans die unglaublichsten Geschichten in den Zeitungen berichtet wurden. Der feindliche Kabeldienst nützte die Lage ausgiebig aus, um das Lügengewebe auszuspinnen. In Deutschland verlautete, die deutschen Schiffe in amerikanischen Häfen seien von der amerikanischen Regierung beschlagnahmt und ihre Mannschaften gefangengesetzt worden, deutsches Eigentum werde konfisziert und deutsche Staatsbürger würden in Gefangenenlagern untergebracht. In Amerika meldete man,- Botschafter Gerard und sein Stab, sowie die Amerikaner von dem eingebrachten Schiff Jarrowdale würden von der deutschen Regierung als Geiseln zurückgehalten und in unwürdiger Weise behandelt. Die amerikanischen Zeitungen regten sich über die Behandlung Gerards und der Amerikaner in Deutschland auf, dagegen berichteten sie ohne Kommentar, wie man den zurückkehrenden Botschafter Bernsdorff und seinen Stab in Halifax in unwürdiger Weise bis auf die Haut durchsuchte und elf Tage lang das Schiff dort aufhielt. War es hier nicht am Platze, daß die amerikanische Regierung durch einen Protest bei England sich ins Mittel gelegt hätte ? Auch hier wieder die F r a g e : Hat !man alle Bräuche diplomatischer Höflichkeit vergessen? In der New Yorker Staatszeitung vom 15. 2. las j,ch eine Notiz, die besagte, Botschafter Gerard habe bei seiner Abreise von deutschem Boden die deutschen Zeitungsmänner, die ihn auf der Fahrt . begleiteten, ersucht, der deutschen Regierung seinen Dank izu übermitteln, und erklärt : „Die von der Regierung getroffenen Reiseanordnungen für die amerikanische Botschaft und Kolonie übertrafen alles, was ich Jiätte erhoffen können, und die deutsche Gastfreundschaft und Ritterlichkeit haben während dieser schweren Tage die Probe glänzend bestanden". 52

Nun einige Bemerkungen über die allgemeine Volksstimmung in Amerika seit dem Bruch mit Deutschland. Ich kann zwar in der Hauptsache nur über meine Wahrnehmungen ah meinem Wohnsitz New York schreiben, aber gerade hier spielten sich die wichtigsten Ereignisse ab, und die Stimmungen und Leidenschaften fanden hier ihren markantesten Ausdruck. Denn New York ist mit über 5 Millionen Einwohnern die größte Stadt des Landes, der "Mittelpunkt der proalliierten Hochfinanz, der wichtigste und Europa am nächsten gelegene Hafen und der Sitz der einflußreichsten Zeitungen. An den Häusern wurde überall das Sternenbanner entfaltet, und in den Lokalen mit Musik und Tanz-Kabarett wurde die Nationalhymne noch öfters als gewöhnlich gespielt und gesungen. Die Regierung stellte die Arsenale und Flottenstationen, die Docks und Wasserleitungsbehälter, sowie wichtige Verkehrswege — große Brücken und Tunnels — unter Bewachung. Im übrigen aber war keine Spur von Kriegsbegeisterung zu finden. Das Volk ging in der gewohnten Weise seinen Geschäften und dem Vergnügen nach. Nur vereinzelt hörte man zum Kriege aufreizende Äußerungen. Aus Wilsons weiteren Handlungen war seine Absicht zu erkennen, Amerika in den Krieg zu verwickeln, doch so, daß Deutschland die Veranlassung zur entgültigen Eröffnung der Feindseligkeiten geben sollte. E r wartete, wie er es selbst nannte, auf den overt act, die 'offenkundige feindliche Handlung. Deshalb hütete er sich zunächst, durch Anordnungen über die Behandlung^deutscher Schiffe und Staatsbürger irgendwelche Feindseligkeit an den T a g zu legen. Deshalb prüfte er mit mehr Ruhe und Sorgfalt als früher die einlaufenden Berichte über die Versenkung von Schiffen. Denn die Zeitungen waren bei der Hetzarbeit und berichteten fast in jedem Falle die Versenkung von Schiffen ohne Warnung und mit Verlust von amerikanischen Leben. So wurden als versenkt gemeldet: die Housatonic,

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Eavestone, California, Afric, Lyman. Aber fast hatte es den Anschein, als wollten die verteufelten deutschen Blaujacken absichtlich nicht dem Präsidenten das erwünschte Material für die offenkundige Handlung in die Hände spielen. Denn regelmäßig folgte den Hetzberichten der Zeitungen die offizielle Bestätigung von Washington, daß entweder keine Amerikaner an Bord oder daß sie gewarnt und von der U - Bootmannschaft in Sicherheit gebracht worden waren. Den in Amerika registrierten Schiffen gestattete der Präsident nicht, abzufahren, und ordnete an, daß fortan die Ladung und die Abfahrtszeit der Amerika verlassenden Schiffe nicht mehr veröffentlicht werden dürften. Unterdessen taten die U-Boote ihre Pflicht. Es wurden u. a. als versenkt gemeldet: 7 holländische Schiffe im Kanal, 14000 Tonnen im indischen Ozean, das italienische Transportschiff Minas nebst anderer reicher Beute, sowie die Laconia von der Cunard - Linie. Die Gesamtbeute im Monat Februar wurde in den Zeitungen verschieden angegeben, zwischen 450—500000 Tonnen, und man ließ durchblicken, daß dabei die Alliierten die Verluste absichtlich ver-, schieierten. Die Wirkung des U - Bootkrieges wurde aber vor allem durch das allmähliche Fernbleiben der neutralen Schiffahrt aus der Sperrzone offensichtlich. Der Notschrei von Lloyd George im englischen Unterhaus vom 23. 2. und die neue Blockadeorder Englands für neutrale Schifffahrt legten beredtes Zeugnis für die Wirksamkeit des U-Bootkrieges ab. Im weiteren Verlauf der amerikanischen Politik lenkten das Spionagegesetz und die Anfrage der U. S. A. bei der Doppelmonarchie nach ihrer Stellungnahme in bezug auf die neuerliche deutsche U - Bootkriegführung das allgemeine. Interesse auf sich. Das Spionagegesetz wurde in der Senatssitzung vom 20. 2. 1917 mit 60 gegen 10 Stimmen durchgesetzt. Das Gesetz verhängte u. a. schwere Strafen über Personen, welche nationale Verteidigungsanlagen auszu54

forschen suchten oder an Verschwörungen teilnehmen würden. „Der Zar könnte bei Anblick dieses Gesetzes grün vor Neid werden" — so schrieb eine gemäßigte Zeitung —. Die Untersuchung deutscher Verschwörungen nahm bisher schon einen breiten Raum ein, von jetzt ab aber waren die Wege vollends geebnet, um die Spionageriecherei die wunderbarsten Blüten treiben zu lassen. „Feed America firstl" — Ernähret Amerika zuerst —mit diesem Kampfruf zogen am 20. 2. etwa 200 Frauen mit ihren Kindern auf dem Arm von der Östseite New Yorks aus in einer Hungerprozession nach dem Stadthaus, um den Bürgermeister zu sprechen. Nach Brot schrien die Frauen, nach Nahrungsmitteln, welche durch Spekulation und Skrupellosigkeit der Händler zu unerschwinglicher Höhe im Preis hinaufgegangen waren. Ähnliche Szenen spielten sich in St. Louis, Chicago, Philadelphia und anderwärts ab. Am 24. 2. wurde eine Demonstration des Massenelendes, wie der Madison Square Park in New York sie sich in diesen herrlichen Prosperitätszeiten kaum hätte träumen lassen, in dem alten Park organisiert. Um eine Idee von den Preistreibereien zu geben, lasse ich nachstehend aus den Zeitungen eine kurze Aufstellung folgen: 1916 1917 Kartoffeln (180 Pfund) . . $ 4.— $ 11.— Bohnen (Korb) „ 2.50 „ 12.— Rüben „ 0.50 „ 2.50 Salat (Korb) . . . . „ 1— 5— Spinat (per Pfund) . 6—8 cents 25 cents Eier (per Dutzend) . 32 „ 65—80 „ Brot (per Laib) . . . 5 » 6 „ Zwiebeln (100 Pfund) $ 2.50 $ 14.— Präsident Wilson, der Senat und der Kongreß befaßten sich sofort mit dem Nahrungsmittelproblem. Senator Martine brachte einen Antrag ein> durch welchen Wilson ermächtigt werden sollte, ein Ausfuhrverbot für Nahrungsmittel zu erklären. Der Antrag wurde dem Aus-

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schuß für auswärtige Angelegenheiten überwiesen, wo er in der Versenkung verschwand. Senator Levis beantragte, der Präsident möchte ermächtigt werden, Besitz von allen monopolisierten Lebensmitteln zu ergreifen, welche dann unter Staatsaufsicht öffentlich verkauft werden sollten. — Das Ausfuhrverbot ist nicht gekommen. Man hat sich mit innerpolitischen Maßnahmen geholfen, und die Demonstrationen verstummten vorderhand. Am 26. 2. 1917, an welchem Tage die Versenkung des 18 000 Tonnen Cunarddampfers Laconia unter Verlust von Amerikanern gemeldet wurde, trat Wilson wiederum mit einer bedeutsamen Botschaft vor den Kongreß. E r nahm darin Bezug auf seine Jetzte Ansprache vom 3. 2. und erklärte, es seien seitdem die amerikanischen Schiffe Housatonic und Lyman M. Law von deutschen U - Booten versenkt worden, jedoch könne man in beiden Fällen noch nicht von der offenen Tat seitens Deutschlands sprechen. Der uneingeschränkte U - Bootkrieg habe bisher nur die Blockierung der amerikanischen Schiffahrt in amerikanischen Häfen und die sehr ernste Stauung des amerikanischen Handels zur Folge gehabt. Diese offene Tat könne aber jeden Augenblick eintreten. „Ich kann unter solchen Umständen — so fuhr er fort — nicht die Tatsache außer acht lassen, daß das Ablaufen des gegenwärtigen Kongreß termins auf Grund der Konstitution unmittelbar bevorsteht, und daß es eine ungewöhnlich lange Zeit nehmen würde, den nachfolgenden Kongreß zu versammeln. Ich fühle, daß ich im Hinblick auf diese Tatsache von Ihnen die sofortige und volle Zusicherung der Vollmacht erhalten sollte, welche ich jeden Augenblick zum Handeln nötig haben mag. Zweifellos besitze ich bereits diese Vollmacht ohne besondere Zuwendung durch Gesetz und zwar kraft meiner konstitutionellen Pflichten und Vollmachten, aber ich ziehe es vor, unter den gegenwärtigen Umständen im Einvernehmen mit dem Kongreß vorzugehen. Da es sich unglücklicherweise als unmöglich herausgestellt hat, unsere 56

neutralen Rechte auf diplomatischem Wege gegenüber Deutschland zu schützen, so kann es kein anderes Mittel geben als b e w a f f n e t e N e u t r a l i t ä t , welche aufrechtzuerhalten wir verstehen werden und für welche viele Prezedenzfälle für Amerika vorliegen. Ich bringe nicht den Vorschlag oder beabsichtige Krieg zu machen oder Schritte zu unternehmen, welche dazu führen könnten". — Der Rest der Rede war ausgefüllt mit den bekannten Wilsonschen Redewendungen über Neutralität und Humanität. Mit dieser Ansprache bekundete Wilson offen seine Absicht, den Ablauf des Kongreßtermins zu benutzen, um sich zum Diktator mit unbeschränkten Vollmachten zu machen,; E r mußte die Überraschung erleben, daß seine Vollmachtenforderung im Senat wie im Kongreß viele Gegner fand. Abgeordnete seiner eigenen demokratischen Partei rieten ihm ab, unter den gegenwärtigen Umständen unbegrenzte Vollmachten zu verlangen. Als Wilson den Widerstand gegen seine Pläne in beiden Häusern bemerkte, spielte er einen Trick durch die Veröffentlichung der sogenannten Zimmermann - Note am Abend des 28. 2. Ich halte es für wichtig, den Wortlaut dieser Note, so wie ihn die Zeitungen veröffentlichten, folgen zu lassen: Berlin, 19. 1. 1917. Am 1. 2. beabsichtigen wir, mit dem uneingeschränkten U - Bootkrieg zu beginnen. Trotzdem ist es unsere Absicht, zu versuchen, die U. S. A. neutral zu erhalten. Falls dieser Versuch mißlingt, schlagen wir ein Bündnis mit Mexiko auf folgender Basis vor: — Wir erklären zusammen Krieg und schließen ebenso nur zusammen Frieden. Wir werden Mexiko finanziell unterstützen und sind einverstanden, daß Mexiko das verlorene Gebiet in Neu-Mexiko, Texas und Arizona wieder erobere. Die Einzelheiten des Abkommens sind Ihnen überlassen. Sie werden angewiesen, den Präsident von Mexiko über Vorstehendes im größten Vertrauen zu unterrichten, sobald es sicher ist, daß es zum Ö7

Krieg mit den U . S. A . kommt. Sie wollen in Vorschlag bringen, daß der Präsident von Mexiko aus eigener Initiative mit Japan sich in Verbindung setze und ihm die sofortige Teilnahme an diesem Plan vorschlage. Zu gleicher Zeit empfehlen Sie ihm zwischen Deutschland und Japan zu vermitteln. Sie wollen den Präsidenten von Mexiko darauf aufmerksam machen, daß die Anwendung des uneingegeschränkten U - Bootkrieges jetzt Aussicht hat, England zum Friedensabschluß in wenigen Monaten zu zwingen. gez. Zimmermann. E s verlautete, daß diese Anweisung über Graf Bernsdorff dem deutschen Gesandten in Mexiko von der deutschen Regierung zugegangen sei. Anstatt nun in diesen schweren T a g e n politischer Spannung dieses belastende Beweismaterial zuerst den gesetzgebenden Häusern zu unterbreiten, ließ Wilson es absichtlich geschehen, daß zunächst der Nachrichtendienst Kenntnis davon erhielt, damit die öffentliche Meinung genügend aufgestachelt war, ehe die Kunde davon zu den Volksvertretern gelangte. Der Zweck wurde erreicht. Sämtliche Zeitungen am i. 3. berichteten in fetten Überschriften von Deutschlands „Komplott" gegen die U . S. A . In der öffentlichen Meinung gab es einen Sturm der Entrüstung, und diejenigen, welche bisher bemüht gewesen waren, wirklich neutral zu sein, hielten nicht länger mit ihrer feindseligen Gesinnung zurück. Auch auf den Kongreß verfehlte das ominöse Schriftstück die beabsichtigte Wirkung nicht. Die Opposition gegen Wilsons Vollmachtenforderung schwand schnell dahin, und unter Beiseitestellung aller Parteiunterschiede kennzeichneten Ausbrüche von Patriotismus die Reden der demokratischen wie der republikanischen Parteiführer, wie sie die Geschichte der U . S . A . selten zuvor er^ lebt hat. Der Antrag, welcher den Präsidenten ermächtigte, die Handelsschiffe zu bestücken, und eine Bond-Ausgabe von hundert Millionen Dollar zur Deckung sich nötig

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machender Ausgaben wurden am Abend des 1.3. nach einer ro stündigen Debatte im Kongreß mit 403 gegen 13 Stimmen angenommen, dagegen waren weitere allgemeine Vollmachten des Präsidenten in (den Antrag nicht aufgenommen worden. 9 Republikaner, 3 Demokraten und 1 Sozialist stimmten dagegen. Der Senat aber ließ sich von den Wellen des Patriotismus nicht in seiner Gesamtheit mit fortreißen. Eine kleine Gruppe von 12 Senatoren unter Stone und La Follette als Führer behielten kaltes Blut und klaren Verstand und widersetzten sich dem vom Kongreß angenommenen Antrag, welchem der Senat seinen eigenen Antrag mit noch größeren Machtbefugnissen substituiert hatte. Die SenatsBill sah vor, daß der Präsident ermächtigt werden sollte, andere Maßnahmen und Methoden anzuwenden, welche er nach seinem Gutdünken für nötig und angemessen erachten sollte, um Handelsschiffe und Bürger der U. S. A. in ihren gesetzmäßigen und friedlichen Zielen auf dem freien Meere zu schützen. Die Verhandlungen, welche sich in den Senatssitzungen vom 1.—4. 3. 1917 abspielten, stehen einzig in der Geschichte der U. S. A. da. Zunächst entspann sich eine heftige Debatte von vielen Stunden über die sogenannte Zimmermann - Note. Kein Geringerer als der bisherige Vorsitzende im Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, Senator Stone, erhob warnend seine Stimme und sagte : „— die Veröffentlichung dieser Note am heutigen Tage geschah zu einem gewissen Zweck. Ich weiß nicht sicher, woher die Zeitungen die Note bekamen. Den Zeitungen nach mußte sie vom Exekutiv-Department der U. S. A. gekommen sein. Die Veröffentlichung ist berechnet, die öffentliche Meinung im Lande aufzustacheln und Stimmung für Krieg auf unserer Seite zu machen. Ich will den Präsidenten nicht ersuchen, den Senat und die Welt aufzuklären, welche Agenten er beschäftigt, um zu erfahren, was in der Welt vorgeht. Mein Antrag zielt ab auf Erlangung spezieller 59

Aufklärung, die von unserer Regierung durch Agenten erlangt sein mag, welche sie nicht beschäftigt. Als Neutrale würden wir zaudern, mit irgendeiner Macht uns einzulassen, um solche Informationen zu erlangen. Ich will wissen, ob die Information von einem der Kriegführenden, ob sie aus London kommt. Die Rechtslage ist die, daß eine Seite in Europa darauf abzielt, uns in den Krieg hineinzuziehen, und die andere, uns davon fernzuhalten. Als gestern spät die Zeitungsleute an mich herantraten, hatte ich noch keine Ahnung von der Note. Auf meine Frage erklärten sie mir, soviel sie wüßten, sei die Note von einem hohen Beamten der britischen Regierung gekommen. Ich bin es meinem Eide als Senator schuldig, um Aufschluß als Richtschnur zu ersuchen, ehe ich mich zu einem Schritte entscheide, Welcher zum Kriege führt —." Während dieser Debatte wurde im Senat eine Zeitungsnotiz verlesen, der zufolge der deutsche __ Auslandsminister die Richtigkeit der angeblichen Note zugegeben und sie gerechtfertigt haben sollte. Als Folge davon hagelten die wunderbarsten Verwünschungen von vielen Senatoren auf Deutschland herunter. Auf Stones formelle Anfrage hin erhielt der Senat einen von Wilson gebilligten Bescheid des Staatssekretärs Lansing dahin, daß der von der Assoziierten Presse veröffentlichte Text der Zimmermann-Note „ i n d e r H a u p t s a c h e a u t e n t i s c h " und daß die Note im Laufe der Woche der Regierung in die Hände gefallen sei, daß es sich jedoch nach Ansicht der Regierung mit dem öffentlichen Wohle nicht vereinbare, dem Senat weitere Informationen in der Sache zu unterbreiten. — In der Hauptsache — jedenfalls war der Passus, daß Mexiko das verlorene Gebiet in Neu-Mexiko, Texas und Arizona von den U. S. A. zurückerhalten sollte, reine Erfindung, um die öffentliche Meinung in den U. S. A. aufs höchste zu erbittern. Hierauf wurde im Senat die Verhandlung zu der im 60

Kongreß bereits bewilligten Vollmachten - Bill für den Präsidenten wieder aufgenommen. Da es Senator Stone abgelehnt hatte, wurde die Bill des Senatsausschusses von Senator Hitchcock vertreten. Der Senat befand sich in ununterbrochener Sitzung Tag und Nacht. Die Befürworter der Bill suchten mit allen Mitteln eine Abstimmung darüber herbeizuführen, ehe die Legislaturperiode des Kongresses nach der Konstitution am Mittag des 4. 3. ablief. Nach diesem Termin durfte der Senat nämlich über G e s e t z e s vorlagen keine Beschlüsse mehr fassen. Nach den Regeln der Geschäftsordnung war eine Beschränkung der Debatte oder eine zeitliche Begrenzung der Redefreiheit ungesetzmäßig, sobald auch nur ein Senator Widerspruch dagegen einlegte. Vier Senatoren, die Republikaner La Follette, Norris, Cummins und Gronna, hatten sich zusammengetan, die Vorlage durch Obstruktion in Gestalt von Dauerreden zu Fall zu bringen. Sie sorgten dafür, daß einer von ihnen dauernd auf der Rednerliste stand. Seinen eigenen Weg ging Senator Stone, welcher in dreistündiger Rede seine Gründe ausführte, warum er nicht für (die Vorlage in der vorliegenden Fassung stimmen könnte.- E r befürwortete einen Abänderungsantrag dahin, daß mit Munition beladene Schiffe von der Bestückung ausgeschlossen sein sollten. In seiner Begründung wies er darauf hin, daß er vier Jahre hindurch mit dem Präsidenten in enger Fühlung gestanden habe, nicht nur bei Erledigung der Staatsgeschäfte, sondern auch als persönlicher Freund. Jetzt, wo es sich darum handle, die Entscheidung, Krieg zu erklären, in die Hände eines Mannes selbst wie Wilson zu legen, opfere er gern diese persönlichen Beziehungen aus Liebe zu seinem Vaterland, welches er nicht in den europäischen Krieg verwickelt sehen möchte. Das Recht, Krieg zu erklären, stehe der Volksvertretung allein zu, und man hüte sich, für die Zukunft einen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen. Ein Mann wie Stone kannte sicherlich die Eigenarten 61

und Gedanken Wilsons genau, |und wenn er seine persönlichen Beziehungen zu ihm hinopferte, dann mußten für ihn bedeutsame Beweggründe vorhanden sein. Während der nächtlichen Debatte vom 3. zum 4. 3. versuchten die Helfer des Präsidenten im Senat, Hitchcock, Lodge, Brandegee, zu wiederholten Malen ein Einvernehmen mit der Opposition zu erzielen und stellten Anträge auf Beschränkung der Debatte und auf eine Abstimmung über die - Vorlage. Als dieser Ausweg sich vergeblich erwies, unterzeichneten etwa 70 Senatoren — 44 demokratische und 26 Republikaner — ein Manifest des Inhalts, daß sie die Vorlage befürworteten, sie aber zufolge der Opposition nicht zur Abstimmung bringen könnten. Die Obstruktions-Senatoren hatten in der Zwischenzeit das Wort. Gegen 9 Uhr morgens am 4. 3. erschien Senator La Follette wieder im Sitzungssaal mit einer wohlvorbereiteten dreistündigen Rede. Alle seine Bemühungen, zu Worte zu kommen, waren vergeblich. Senator Hitchcock, der Verfechter des Antrags, hatte noch das Wort |und ließ es nicht aus den Händen. Wiederholt, zum letztenmal 11 Uhr 45 Min. vormittags, beantragte Hitchcock eine Abstimmung über die Vorlage, aber vergebens, und so redete er weiter, bis der Präsident des Senats ihn darauf aufmerksam machte, daß die Legislaturperiode des Kongresses abgelaufen sei, und die Sitzung schloss. So kam die Vorlage zu Fall. Die Namen der 12 Senatoren, welche die Abstimmung der Bill verhinderten, sind: Republikaner: Clapp (Minnesota), Cummins (Jowa), Gronna (North Dakota), Kenyon (Jowa), La Follette (Wisconsin), Norris (Nebraska), Works (California); Demokraten: Kirby (Arkansas), Lane (Oregon), O'Gorman (New York), Stone (Missouri), Vardaman (Mississippi). Jeder von ihnen hatte ausdrücklich betont, daß sie gegen die Vorlage stimmten nicht aus Sympathie mit Deutsche land, sondern um zu verhindern, daß ihr Land in einen europäischen Krieg hineingezogen würde. 62

Während die Redeschlacht in dem einen Flügel des Kapitols in Washington austobte, bereitete sich in dem andern Flügel die Feier vor einer beschränkten Öffentlichkeit vor, bei der Präsident Wilson seinen Amtseid für die nächste Präsidentenperiode erneuerte. Noch an demselben Tage gab Wilson eine Botschaft heraus, in der er die Haltung des Kongresses in schroffen Gegensatz zu derjenigen des Senats stellte und sich bitter darüber beklagte, daß die Geschäftsordnung des Senats es einer kleinen Gruppe möglich gemacht habe, die Gesetzgebungstnaschine in Stillstand zu bringen und dadurch im Auslande den peinlichen Eindruck zu erwecken, als ob die Nation in diesen kritischen Tagen nicht geeint zusammenhalte. Eine Änderung der Geschäftsordnung sei der einzige Weg, um der Wiederkehr solcher bedauerlichen Vorgänge vorzubeugen. Die Zeitungen hatten unterdessen eine Erklärung des deutschen Gesandten in Mexiko, |des japanischen Botschafters in Washington und der mexikanischen Regierung veröffentlicht, d a ß keiner von ihnen ein Schriftstück erhalten habe, welches sich mit der Zimmermann-Note deckte. Auch brachte die Überseenachrichten - Agentur einen Artikel über Zimmermanns angebliche Rechtfertigung in bezug auf die Note. Einige Worte zu dieser angeblichen Rechtfertigung. Dem Staatssekretär wurden folgende Worte in den Mund gelegt: „Die englischen Berichte, auf welche ich seit Aufhebung der Verbindung mit den U . S . A. zurückgreifen muß, heben ausdrücklich hervor, daß Deutschland die Freundschaft mit den U. S. A. aufrecht zu ¡erhalten wünschte, daß es aber trotzdem Verteidigungspläne für den Fall vorbereitete, sollten die U. S. A. an Deutschland den Krieg erklären. Ich bin nicht in der Lage, einzusehen, wie eine solche „Intrigue" von Unfreundlichkeit gegen die U . S. A. auf unserer Seite eingegeben sein kann. Es würde nichts anderes bedeuten, als daß wir Mittel gebrauchen, die allgemein im: Kriege 63

zulässig sind, falls die U. S. A. Krieg erklären sollten. Der wichtigste Teil dieser behaupteten Intrigue ist ihre b e d i n g t e F o r m . Die ganze Geschichte fällt in sich zusammen, wenn die U . S . A . uns nicht Krieg erklären. Und wenn wir wirklich, wie der Bericht behauptet, die Möglichkeit feindseliger Handlungen der U . S . A . gegen uns in Erwägung zogen, so hatten tyvir allen Grund dazu. Eine argentinische Zeitung, „La Prensa", enthüllte vor kurzem ein wirkliches Komplott, wenn sie berichtete, daß die U. S. A. letztes Jahr die anderen amerikanischen Republiken zu gemeinsamem Vorgehen gegen Deutschland. ;und seine Verbündeten zu bestimmen suchten. Dieses Komplott war offensichtlich an keine Bedingung geknüpft. Diese Zeitungsnotiz deckt sich recht wohl !mit der Auslegung, wie sie z. B. der amerikanische Zeitungsschreiber Edward Price bringt, welcher sagte, daß die U . S . A . nur auf den geeigneten Zeitpunkt warteten, um die (Alliierten vorteilhaft zu unterstützen; daß die Amerikaner von Kriegsanfang an in Wirklichkeit daran teilnahmen, indem sie die ungeheuren Hilfsquellen Amerikas den Alliierten zur Verfügung stellten, und daß die Amerikaner nur deswegen nicht den Krieg erklärten, weil sie überzeugt wären, daß Hilfeleistung im Wege freundlicher Neutralität während dieser Zeit den Alliierten mehr nützen würde, als unmittelbare Teilnahme am Kriege. Ob dieser Zeitungsmann die Tatsachen der Wahrheit entsprechend berichtet hat, kann ich nicht beurteilen, aber es gibt andere Tatsachen, welche das bestätigen. Die im Dienste der Alliierten stehende Propaganda hat zur Genüge alle diese Umtriebe in den U . S . A . ausposaunt. Und wenn man diese Umtriebe mit dem tatsächlichen Verhalten der U. S. A. in Verbindung (bringt, dann ist es klar, daß es nicht leichtfertig von ¡unserer Seite war, Verteidigungspläne gegen die U . S . A . in Erwägung zu ziehen für den Fall, daß wir von dieser Seite angegriffen werden sollten." Was war der Aufruf Wilsons an die anderen Neutralen, dem Beispiel der U . S . A . folgend, die diplomatischen Be64

Ziehungen mit Deutschland zu lösen, anderes als ein b e d i n g u n g s l o s e s Komplott der U. S. A. gegen Deutschland zu einer Zeit, zu welcher sie mit diesem Lande noch in Frieden lebtenI Wohlan Amerikaner! Angesichts solcher Maßnahmen eurer Regierung steht euch die leidenschaftliche Entrüstung über die „Deutsche Intrigue" sehr schlecht. U m dieselbe Zeit warteten die amerikanischen Zeitungen mit der Mitteilung auf, daß der höchste Gerichtshof der U. S. A. — letzte Instanz — die deutsche Appamprise ihren englischen Eigentümern zugesprochen habe. Der Bericht fuhr dann fort, daß der Richter Day in seiner Urteilsbegründung folgendes gesagt habe: — die Deutschen hätten keinen der normalen Kurse befolgt, die Appam entweder nach einem deutschen Hafen oder in den nächsten neutralen Hafen zu bringen, sondern hätten sie Tausende von Meilen über den Ozean geschleppt, um sie in einem amerikanischen Hafen in Sicherheit zu bringen. Anders zu entscheiden als geschehen, würde amerikanische Häfen in Zufluchtsstätten für Kriegsschiffe der Kriegführenden verwandeln und so den neutralen Charakter dieser Regierung zunichte machen. Der alte preußische Vertrag beziehe sich nur auf die Benutzung amerikanischer Häfen als vorübergehende, nicht aber als dauernde Zufluchtsstätte. Wenn die tatsächliche Urteilsbegründung sich mit dieser Zeitungsnotiz deckt, dann kann ich nur sagen: Arme amerikanische Justiz I Bist auch du von der Kriegsleidenschaft angekränkelt, tun dein yom amerikanischen Volke mit soviel Nachdruck betontes Rechtsgefühl über Bord zu werfen? Aus der Heldentat des Häufleins Blaujacken, welche neben der Sorge für das Schiff über 100 Gefangene an Bord in Schach zu halten hatten und unter solchen Verhältnissen eine lange Reise über den von den Feinden überwachten Ozean zurücklegen mußten, eine Tat, welche s. Z. die ganze Welt in Erstaunen und Bewunderung versetzte, drehte man den Deutschen den Strick und entriß ihnen wider alles Rechtsgefühl ihren wohlverdienten Lohn. — — K r a h 1, Die Bolle Amerikas

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Am 6. 3. 1917 war die österreichische Antwortnote auf die amerikanische Anfrage in bezug auf Deutschlands uneingeschränkten U - Bootkrieg eingetroffen. Sie führte in kurzen Worten folgendes aus: — Die österreichische Regierung verteidigt den von Deutschland eingenommenen Standpunkt, daß Neutrale selbst für alle Verluste verantwortlich sind, welche sie bei Betreten irgendeines Gebietes erleiden, wo kriegerische Ereignisse vor sich gehen. Welche Haltung auch immer die U. S. A.-Regierung in bezug auf individuelle Fragen, welche im U-Bootkrieg auftauchen mögen, einnehmen mag, so ist die Regierung der Doppelmonarchie im wesentlichen im Einverständnis mit der U. S. A.-Regierung in bezug auf den Schutz Neutraler gegen Gefährdung des Lebens ihrer Untertanen. Aber neutrale Bürger haben nicht mehr Rechte auf Schiffen Kriegführender, als Nicht-Soldaten innerhalb Kriegsgebietes zu Lande haben. Neutrale sind ausdrücklich gewarnt worden, auf solchen Schiffen zu fahren. E s wird weiter ausdrücklich betont, daß eine Warnung für Schiffe, welche die Sperrzone befahren, nicht notwendig ist, da eine solche allgemeine Warnung in der Festlegung und Bekanntgabe der Sperrzone einbegriffen sei und Neutrale bei Befahren dieser Sperrzone dies auf ihre eigene Verantwortung täten. Die Note sprach sich ausführlich über die bewaffneten Handelsschiffe aus und sagte, daß solche Schiffe als Piraten angesehen werden'müßten und ihre Versenkung zu gewärtigen hätten.— Bei Besprechung der Note hoben die Zeitungen hervor, daß hohe Beamte der Regierung erklärt hätten, die österreichische Note mache keine ¡unmittelbare Antwort nötig, und da aus der versöhnlichen Fassung derselben Österreichs Bestreben zu erkennen sei, einen Bruch zu vermeiden, so dürfte es zurzeit angebracht sein, die Entwicklung der Dinge abzuwarten. — Noch immer aber — es ist der 1 1 . 3 . 1 9 1 7 — wartete der neue Botschafter der Doppelmonarchie Graf Tarnowski auf eine Gelegenheit, 'sein Beglaubigungsschreiben in Washington überreichen zu dürfen.

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In der SeriatssitzUng vom 8. 3. erfolgte die Abänderung der Geschäftsordnung des Senats, welche den Zweck hatte, die Obstruktion einiger weniger Senatoren unmöglich zu machen. Die neue Regel wurde mit 76 gegen 3 Stimmen angenommen und besagte, daß zwei Drittel der in einer Sitzung anwesenden Senatoren die Debatte beschränken und eine Abstimmung erzwingen könnten. Die 3 Senatoren, welche dagegen stimmten, waren La Follette, Gronna und Sherman. Mit dieser neuen Regel hat der Senat einen seit 100 Jahren bestehenden Brauch aufgegeben, wonach jeder Senator das Recht hatte, solange zu reden als er wollte. .Die nächste Folge dieser Maßnahme war die Botschaft Wilsons vom 9. 3. 1917, in welcher er den Kongreß zu einer außerordentlichen Sitzung auf den 16. 4. 1917 einberief. Gleichzeitig ordnete der Präsident die Bestückung der amerikanischen Handelsschiffe an, die Schiffe, welche Munition und Konterbande führten, eingeschlossen. Unter dem 12. 3. benachrichtigte das Staatsdepartement alle diplomatischen Vertreter fremder Nationen in Washington von dieser Maßregel. Die Mitteilung lautete: — Im Hinblick auf die Ankündigung der deutschen Regierung vom 31. 1. 1917, daß alle Schiffe, die der Neutralen eingeschlossen, welche in gewissen Zonen auf der hohen See angetroffen würden, ohne Sicherheitsmaßnahmen für die Personen an Bord und ohne Durchsuchung versenkt werden sollen, hat die U.S.A.-Regierung beschlossen, daß alle amerikanischen Handelsschiffe, welche durch die Sperrzone fahren, zum Schutz der Schiffe und der Menschenleben bestückt werden sollen. Unter dem 12.3. meldeten die Zeitungen aus Washington, Deutschland habe durch den Gesandten der Schweiz das Ersuchen beim Staatsdepartement erneuert, einen Abänderungsantrag zu dem preußisch-amerikanischen Vertrage von 1798 bezw. 1828 zu unterzeichnen, wonach alle deutschen Untertanen in den U . S . A . im Kriegsfall vor Arrest oder anderen Beeinträchtigungen geschützt sein und deutsche Schiffe in amerikanischen Häfen sicheres Geleit in die 6*

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Heimat haben sollten. Die Zeitungen fuhren fort, daß Staatssekretär Lansing zu „beschäftigt" gewesen sei, um den Gesandten der Schweiz zu empfangen. Mitten in diesen schweren Tagen drohte den U. S. A. ein gefährlicher Feind im eigenen. Lande in Gestalt eines allgemeinen Streiks der Eisenbahnangestellten zu erstehen. Der Streik war bereits für den 17. 3. anberaumt iworden. Die Durchführung eines solchen EisenbahnerstreikS über das ganze Land würde von unberechenbaren Folgen für die Versorgung des Landes mit Nahrungsmitteln im Kriegsfalle gewesen sein. Der Leser wird sich an meine Ausführungen gelegentlich der Wiederwahl Wilsons zum Präsidenten erinnern. Damals hatte Wilson den Eiseribahnangestellten seine volle Unterstützung zugesagt, das 8-Stunden-Arbeitsgesetz mit aller Beschleunigung durchzusetzen. Nachdem er seine Wiederwahl erreicht hatte, schien er von den Finanzleuten der Eisenbahngesellschaften bearbeitet zu werden, so daß für die Eisenbahnangestellten die Befürchtung bestand, der Präsident möchte gern seine frühere Zusage vergessen machen. In geschickter Weise benützten sie die derzeitige Notlage des1 Landes und erklärten, die Frage müsse geschlichtet werden, ehe Amerika in den Krieg verwickelt werde, was wahrscheinlich sei. Im letzten Augenblicke wurde der angedrohte Streik noch abgewendet. Die Vertreter der Eisenbahngesellschaften bewilligten am 19. 3. 1917 auf den an sie ergangenen patriotischen Mahnruf Wilsons hin angesichts der in drohende Nähe gerückten Kriegsgefahr die Forderungen der 4 Brüderschaften der Eisenbahnangestellten. Die erzielte Vereinbarung gestand den 8-Stundentag zu dem bisherigen Lohnsatze von 10 Stunden zu mit Überzeit zur selben Lohnrate. Der unter dem 14. 3. 1917 gemeldete Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen China und Deutschland hatte in den U. S. A. wenig Aufsehen erregt, da man dies schon seit einiger Zeit erwartet hatte. Ebenso wirbelte die Meldung von der Versenkung des amerikanischen 68

Dampfers Algonquin wenig Staub auf. Amtlich wurde keine Erklärung über die Vernichtung des Schiffes ausgegeben, aber nicht-amtlich wurde erklärt, daß der Vorfall nichts an der Lage ändere. Der Dampfer habe Konterbande geführt, und die 10 Amerikaner von der Mannschaft seien gerettet worden. Ein Lächeln glitt über meine Lippen, als ich hierüber in der New Yorker Times vom 15. 3. las, der U-Bootkapitän habe Hilfeleistung bei der Rettung der Leute mit der Begründung abgelehnt, „er sei zu sehr beschäftigt". Am 14. 3. 1917 traf in Washington der bisherige Botschafter in Berlin Gerard mit seinem Stabe von Beamten und Zeitungsmännern ein. Während der Botschafter jede Ausfragung ablehnte, bevor er mit dem Staatsdepartement verhandelt hätte, waren die übrigen Amerikaner, insbesondere die Zeitungsleute, nur zu gesprächig. Sie entwarfen der New Yorker Times vom 12. 3. nach über Deutschland folgendes Bild: — Deutschland hungert und Hungersnot möge seine militärische Stärke untergraben, bevor die nächste Ernte kommt. Ganz Deutschland ist leidenschaftlich vereint und steht hinter seinem Kaiser. Der U-Bootkrieg ist der Deutschen Hoffnung auf eine siegreiche Beendigung des Krieges. Die Schlachtfronten im Westen und Osten sind fortlaufende Festungswälle. Die Deutschen glauben nicht, daß Amerika ihnen hart zusetzen kann, und erwarten bei allem guten Willen, den Krieg zu vermeiden, die Handlungsweise der U. S. A. mit einer Art von Geringschätzung. E s gibt Anzeichen von Demoralisation in Deutschland, aber es ist noch ungeheuer stark und kann noch viele harte Schicksalsschläge ertragen. Die Alliierten möchten endlich aufhören, Deutschland zu unterschätzen. Denn es ist durch und durch militärisch geschult, während die Alliierten in dieser Richtung wenig* gelernt hätten. Dagegen liegt in bezug auf Menschenmaterial und Kriegsmaschinerie der Vorteil überwältigend auf Seite der Alliierten. — — In den Zeitungen vom; 15. 3. 1917 sickerten die ersten Nachrichten von der russischen Revolution in Petersburg 69

und Moskau durch. Die englische Zensur hatte die Tatsache nicht länger verschweigen können, seitdem indirekt von Deutschland Kunde darüber in die U. S. A. gelangt war. Am 17. 3. traf die Nachricht ein, daß der Zar für sich und seinen Sohn abgedankt habe, und daß mit der voraussichtlichen Thronablehnung des jüngeren Bruders des Zaren, des Großfürsten Michael, die Dynastie Romanoff in Rußland zu existieren aufhören werde. *

Diese Nachricht löste in der öffentlichen Meinung des demokratischen Amerikas die denkbar größte Begeisterung aus, und die U. S. A.-Regierung gehörte zu den ersten, welche die provisorische Regierung in Rußland anerkannten. Die Versenkung der amerikanischen Schiffe Memphis, Illinois, Vigilancia und Healdteon und der Verlust amerikanischer Bürger gab dem Präsident Wilson Veranlassung, den Kongreß anstatt am 16. 4. bereits am 2. 4. einzuberufen. Die Zeit vom Bruche mit Deutschland bis zu der am 2. 4. erwarteten Botschaft des Präsidenten bildete den Höhepunkt der Spannung und Nervosität in der öffentlichen Meinung Amerikas. Unverkennbar trat die Absicht der Regierung und ihrer Helfer hervor, das Volk zum Krieg aufzuhetzen. Das bewiesen die Maßnahmen der Regierung, die Hetzreden hervorragender Politiker in Massenversammlungen und die Leitartikel der proalliierten Presse. Wilson erließ eine Verordnung, wonach die Bemannung der Flotte sofort auf 87 000 Mann gebracht werden sollte, und mobilisierte in etwa 15 Staaten Regimenter der NationalGarde „zum Schutz des Landes und zur Unterstützung der Polizei". Lansing veröffentlichte den Text der dem Schweizer Gesandten für Deutschland übergebenen Note in Beantwortung des von Deutschland gemachtem Vorschlags, die alten Preußischen Verträge von 1798 und 1828 von neuem zu bestätigen und zu erweitern. Deutschlands klare Ver70

letzungen dieser Verträge und seine Mißachtung der Grundsätze der internationalen Höflichkeit wurden als Grund dafür angegeben, daß die U. S. A. die Neubestätigung dieser Abmachungen abgelehnt hätten, und es wurde hinzugefügt, daß das Staatsdepartement ernstlich in Erwägung ziehe, ob nicht diese'Verträge durch die offensichtlichen Verletzungen ihrer Bestimmungen seitens der deutschen Regierung tatsächlich aufgehoben seien. Die in Philadelphia internierten 700 deutschen Matrosen der beiden Hilfskreuzer Prinz Eitel Friedrich und Kronprinz Wilhelm wurden nach den Forts Oglethorpe und Mc. Pherson in Georgia als Gefangene überführt. Dasselbe Schicksal teilte Leutnant Berg mit seiner Heldenschar, während auf der Appam die englische Flagge wieder wehte. In den Hotels und Restaurants, in Läden und auf der Straße, auf den Eisenbahnzügen, ja selbst in Schulen und Kirchen wurden Unterschriften von Männern wie Frauen gesammelt, um seine Ergebenheit der Regierung zu versichern. Für uns Europäer wirkt eine solche Maßnahme merkwürdig, hier aber bei dem Nationalitäten-Gemisch ist sie zumindestens erklärlich. Die Kanzel in den Kirchen wurde zum Tummelplatz politischer Hetzreden gemacht. „Man kann nicht unterhandeln mit Mördern" sagte Pastor Macleod in der Collegiate Church of St. Nicholas, und Pastor Newell Dwight Hillis griff die Deutschen vor der Bronx Union Y. M. C. A. mit folgenden Schmähungen an: „— Ich will den Deutschen ihre Grausamkeiten vergeben, sobald sie alle erschossen sind. Wenn man mir eine Glückseligkeit verschaffen will, so gebe man mir den Anblick des Kaisers, Tirpitz und Hindenburgs, alle an einem Strick hängend. —" In der Massenversammlung im Madison Square Garten in New-York am 22. 3. ließen sich Politiker wie Root, Fairchild, Mayor Mitchel in drastischen Schmähreden gegen Deutschland hören, um die Menge aufzupeitschen. Nur einige Blütenlesen seien daraus erwähnt. Herr Root: „— In dieser Massenversammlung gibt es keine Parteien und Partei71

ganger. Wir alle sind Amerikaner. Autokraten mit großen stehenden Armeen können Krieg nach ihrem Belieben erklären ; denn sie haben nur zu befehlen, und ihre Regimenter marschieren. In einer Demokratie dagegen kann nur Krieg erklärt werden, wenn das Volk die Erklärung will. Und wir sind hier, die Bürde der Freiheit zu tragen und auszusprechen, was diese Freiheit angesichts dieses Krieges erfordert. Die Frage dreht sich jetzt nicht um Frieden oder Nachsicht, die Frage ist, ob wir uns fügen sollen oder nicht, gezwungen zum Nachgeben durch die Waffen Deutschlands, welches uns von den Meeren verjagt. Die Frage ist nicht, pb wir nachgeben, sondern ob wir der Welt zu verstehen geben sollen, ob Amerika mit seinen ioooooooo Menschen, mit seinem enormen Reichtum, mit seinen großen Traditionen, mit all' dem Mut und dem Geist der größten Demokratie die Macht und den Mut hat, sich selbst zu verteidigen. v Von dem Ausgang des Krieges in Europa hängt die Frage ab, ob Amerika am Ende des Krieges in ein großes Feldlager verwandelt werden soll oder ob es eine unterjochte Nation sein wird. Kein Volk ist an dem erfolgreichen Ausgang der Alliierten gegen deutschen Militarismus mehr interessiert als die U. S. A. Bisher wurden wir geschützt durch (die Flotten und Armeen der Alliierten. In jedem echten amerikanischen Herz sollte der Gedanke Freude auslösen, daß durch unser Eintreten in den Krieg wir unsern Anteil fcum Siege beitragen. Wir werden dann zum zweitenmal die Schlacht der amerikanischen Demokratie ausfechten. In dem Union League Club in New York, der Hochburg der alliierten Propaganda, verlangte es Roosevelt als die Pflicht und Schuldigkeit der U. S. A., daß „unsern Alliierten" sofort eine Armee zu Hilfe geschickt werde. „Zieht man in den Krieg, dann soll man auch derb zuschlagen. Wir befinden uns jetzt im Kriege. Wenn die Versenkung unserer Schiffe und das Töten unserer Bürger nicht Krieg bedeutet, dann waren Bunker Hill und Lexington kein Krieg. Wie heute die Dinge liegen, so ist jeder Begünstiger des 72

Friedens oder Deutschlands ein Verräter der Ehre und Interessen der U. S. A. und der Menschheit." — Der betagte Choate erklärte offen heraus, weshalb die U. S. A. in iden Krieg ziehen sollten — „für die Alliierten". — Der republikanische Präsidentschaftskandidat Hughes führte aus: „— Unsere Bürger sind hingemordet worden und werden es noch. Unsere Schiffe sind versenkt worden. Unser Handel besteht auf Gnaden einer Nation oder einer Regierung, deren feindliche Absichten offenkundig sind. Ich betrachte diese Angriffe als einen Angriff auf Freiheit und Zivilisation. Es ist Zeit, daß dies das amerikanische Volk endlich versteht. —" Der frühere Präsident Taft erklärte in einer Versammlung der Friedensliga: „— Wenn wir andere Nationen im Widerstand gegen einen Feind wie Deutschland finden, so sollten wir uns mit ihnen verbinden, damit wir die Rechte des Anstands, der Humanität und der Zivilisation erzwingen können. Solange Deutschland nicht über den Haufen gerannt ist, werden wir niemals einen langen dauernden Frieden haben. Deshalb sollten wir den Alliierten helfen, es ist unsere Pflicht." — Der frühere Botschafter in Berlin Gerard gab bei verschiedenen Gelegenheiten seiner Meinung Ausdruck. So äußerte er sich bei seiner Begrüßung in New York nach seiner Rückkehr von Berlin folgendermaßen: •— „Ich bin entsetzt zu sehen, daß in den zwei Jahren, in welchen die Welt im Kampfe Hegt, wir nichts getan haben, um auch nur eine vernünftige nationale Verteidigung vorzubereiten. Es gibt nur eine Sache für uns — allgemeine Wehrpflicht —. W i r stehen heute am Rande des Krieges. Aber ich muß versichern, sollten wir hineingezogen werden, daß es nur geschieht, nachdem unser Präsident das letzte Mittel, welches sich mit Aufrechterhaltung der Ehre und Würde der U. S. A. verträgt, versucht hat, uns vom Kriege fernzuhalten. Nie war Deutschland so einig, kein anderes Volk der Welt erreicht es darin. Die Deutschen sind keine Nation, welche sich an Revolutionen berauscht." — Wilson nannte er den Mann, welcher

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in der amerikanischen Geschichte neben Washington und Lincoln stehen werde. Ich habe Gerard für einen gemäßigten Vertreter in Wilsons Regierung und für einen Freund Deutschlands gehalten. Seine Reden nach seiner Abberufung beweisen aber deutlich, daß er Wilsons Kurs bedingungslos guthieß. E r hat viel durch sein Doppelspiel dazu beigetragen, daß der Bruch zwischen beiden Völkern Tatsache wurde. Inmitten dieser tollen Verhetzung zum Kriege ließen die Irisch-Amerikaner im irisch-amerikanischen AthletikKlub ihre warnende Stimme erschallen. Ihr Beschluß lautete: — »Wir, die vereinigten Irisch-amerikanischen Gesellschaften, wissen, daß wir die Gefühle der großen Mehrzahl unserer Landsleute zum Ausdruck bringen, und protestieren gegen den Versuch britischer Agenten, dieses Land in den europäischen Krieg hineinzuziehen. Wir ersuchen den Kongreß, einen Beschluß, daß Kriegszustand zwischen den U. S. A. und Deutschland bestehe, abzulehnen." — Dagegen verhielten sich die Deutsch-Amerikaner zu all' diesen Wutausbrüchen der Amerikaner mäuschenstill. Sehr bezeichnend für die Haltung der Regierung war die Tatsache, daß für die öffentlichen Kundgebungen, welche in Washington und anderwärts zur Erhaltung des Friedens geplant waren, die polizeiliche Erlaubnis zur Abhaltung versagt und die Leute, welche sich trotzdem an den Stufen des Kapitols in Washington am 2. 4. angesammelt hatten, durch berittene Schutzleute auseinandergetrieben wurden. Die Zeitungen namentlich im Osten brachten in gehässigen Artikeln lange Ausführungen über das Verwüstungswerk, welches die Deutschen bei Rücknahme ihrer Front in Frankreich hinter sich zurückließen, während oft genug von der deutschen Heeresleitung darauf hingewiesen worden war, daß die britische und französische Artillerie die französischen und belgischen Siedelungen hinter der deutschen Schlachtfront zu Ruinen schössen. — Wallstreet erklärte, daß keine Geldtransaktionen mit den Mittelmächten 74

mehr gemacht würden, und gab damit die Bereitschaft für den Krieg kund. Alles arbeitete dem Präsidenten Wilson für seine Botschaft am 2. 4. in die Hände. Wilson trat am Abend des 2. 4. mit einer Ansprache vor den vereinigten Senat und Kongreß, die in den Hauptpunkten folgenden Inhalt hatte: | j „Ich habe den Congreß zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen, weil sofort ein ernster politischer Entschluß gefaßt werden muß, wofür ich verfassungsrechtlich die Verantwortung nicht übernehmen kann. Ich unterbreitete Ihnen am 3. Februar eine außerordentliche Anzeige der deutschen Regierung, daß sie beabsichtige, vom 7. 2. ab alle rechtlichen und humanitären Beschränkungen beiseite zu setzen und alle Schiffe, welche versuchten, die Sperrzone zu durchfahren, durch Unterseeboote zu versenken. Dies schien in einer früheren Kriegsphase das Kriegsziel der deutschen Unterseeboote zu sein, aber seit April 1916 erlegte die deutsche Regierung den Unterseebootführern gemäß dem uns gegebenen Versprechen gewisse Beschränkungen auf. Die neue deutsche Politik ließ jede Beschränkung fallen. Schiffe aller Art wurden scrupellos und ungewarnt versenkt, ohne daß man daran dachte, den an Bord befindlichen Personen zu Hilfe zu kommen, und neutrale und befreundete Schiffe wurden ebenso wie Schiffe von Kriegführenden, selbst Hospitalschiffe, die mit einem Freigeleit von der deutschen Regierung versehen waren, mit derselben Mitleids- und Prinzipienlosigkeit versenkt. Das Völkerrecht hat sich Inühsam entwickelt mit Resultaten, die dürftig genug waren. Aber die deutsche Regierung hat auch dieses Minimum von Recht unter dem Vorwande der Wiedervergeltung und Notwendigkeit aufgehoben, weil sie keine Waffen besaß, die auf der See verwendet werden können außer denjenigen, die nicht angewendet werden dürfen, nämlich ohne Berücksichtigung aller Erwägungen der Menschlichkeit oder Abmachungen, auf denen der Weltverkehr begründet ist. Ich denke jetzt nicht an die materiellen Verluste, so 75

ernst sie sind, sondern nur an den Untergang von Nichtkämpfern, Männern, Frauen und Kindern. Der gegenwärtige deutsche Krieg ist ein Krieg gegen die Menschlichkeit und gegen alle Nationen. Jede Nation muß sich selbst entscheiden, wie sie dieser Herausforderung begegnen will. Unsere Wahl muß mit Mäßigung getroffen werden, entsprechend unserm Charakter und unseren Motiven als Nation. Wir müssen uns von übergroßer Erregung frei halten. Unser Motiv ist nicht Rache oder brutale Gewalt, sondern wir treten für die Menschenrechte ein. Als ich im letzten Februar vor dem Congreß sprach, glaubte ich, daß es genügen werde, unsere neutralen Rechte durch Bewaffnung der Schiffe zu sichern. Aber eine bewaffnete Neutralität erscheint gegenwärtig unnütz. Es ist unmöglich, Schiffe gegen die Angriffe der deutschen Unterseeboote zu verteidigen. Es entspricht der gewöhnlichen Klugheit zu versuchen, sie zu zerstören, bevor sie ihre Absicht erkennen lassen. Die deutsche Regierung leugnet das Recht der Neutralen, in der Sperrzone überhaupt Waffen anzuwenden, um die Rechte zu verteidigen, und zeigt an, daß die Eskorten zum Schutze der Schiffe wie Piraten behandelt werden würden. Wenn wir uns dem unterwerfen, würden wir unsere heiligsten nationalen Rechte verletzen lassen. Ohne Zaudern den Geboten meiner konstitutionellen Pflicht gehorchend, rate ich dem Kongreß zu erklären, daß die jüngste Handlung der deutschen Regierung tatsächlich nichts weniger als der Krieg gegen die U. S. A. ist, und förmlich den Kriegszustand anzunehmen, der den U. S. A. auferlegt ist, sowie sofortige Maßregeln zu ergreifen, nicht nur um das Land in Verteidigungszustand zu versetzen, sondern auch seine Hilfsquellen zu verwenden, um Deutschland zu zwingen, die Bedingungen zur Beendigung des Krieges anzunehmen. Der Kriegszustand wird ein enges Zusammenwirken mit den alliierten Regierungen herbeiführen, indem wir ihnen liberale Finanzkredite gewähren und ihnen die Organisation

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zur Mobilisierung aller materiellen Hilfsquellen des Landes zur Verfügung stellen. Eine weitere Folge des Kriegszustandes würde die sofortige vollständige Ausrüstung der Flotte namentlich mit Mitteln sein, um die Unterseeboote erfolgreich zu bekämpfen, und ferner eine sofortige Heeresvermehrung um mindestens 500 000 Mann mit der Ermächtigung, die Streitmacht den Bedürfnissen entsprechend weiter zu vermehren. Dies sollte nach dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht ausgeführt werden. — Wir hatten keinen Streit mit dem deutschen Volke. Die deutsche autokratische Regierung begann den Krieg ohne Initiative, Kenntnis und Billigung des Volkes. Der Krieg wurde beschlossen von den Machthabern, provoziert und geführt im Interesse der Dynastien und einer kleinen Gruppe ehrgeiziger Männer, die gewohnt sind, ihre Landsleute als Werkzeuge zu benutzen. Wir beabsichtigen keine Eroberungen, wir sind nur einer der Vorkämpfer der Menschenrechte und werden zufrieden sein, wenn diese Rechte gesichert sind. Wir werden für die teuersten Güter kämpfen, nämlich für die Demokratie, die Rechte und die Freiheiten der kleinen Nationen." Man kann nicht leugnen, daß die Botschaft des Präsidenten sehr geschickt abgefaßt ist. Wilson kennt seine Amerikaner. E r weiß, daß sie von den inneren Verhältnissen in Europa, besonders in Deutschland, keine Ahnung haben und daß sie durch einige klingende Phrasen, einige Schlagwörter zu wilder Begeisterung getrieben werden können, ohne fähig zu sein, sich ein eigenes Urteil über das zu bilden, was eigentlich vor sich geht. Seine Vorschläge gipfelten in folgendem: — Gewährung großer Kredite für die Alliierten, Mobilisierung und Nutzbarmachung der wirtschaftlichen Kräfte der U. S. A., um die Regierung in den Stand zu setzen, den Krieg erfolgreich zu führen und die Alliierten mit Munition und Nahrungsmitteln zu versorgen; die sofortige Bereithaltung der Flotte für den Krieg gegen die Tauchboote, die Aufstellung eines Heeres von zunächst 500000 Mann, welche auf Grund der allgemeinen Wehr-

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pflicht einberufen werden sollten mit immer wieder folgenden neuen Einberufungen, wenn es die Not erheische; die nötigen Kriegskredite, welche womöglich durch Steuern und nicht durch Anleihen aufgebracht werden sollten. — Überblickt man die Entwicklung der Dinge in den U. S. A. von der Neutralität bis zum Kriegseintritt, so kommt man zu folgendem Resultat: Wilson hat von Anbeginn des Krieges zwei Ziele verfolgt. Als Abkömmling englischer Vorfahren wünschte er mit allen Mitteln dem Lande seiner Väter, England, in der Niederwerfung Deutschlands zu helfen. Neutralität im wahren Sinne hat es nie gegeben. Zu allen Zeiten hielt er den Alliierten die wirtschaftlichen Kräfte der U. S. A. zur Verfügung, auf friedlichem |Wege, solange es möglich war, im Wege des Kriegsbeitritts, als kein anderes Mittel mehr übrig blieb. Sein zweites Ziel hat er in seinem Kriegsbereitschaftsprogramm gelegentlich der letzten Wahl zu erkennen gegeben. Der Krieg in Europa hatte gezeigt, daß ein Volk ohne starke Flotte und Heer im Augenblick der Gefahr verloren ist, mag es auch noch so mächtig in Friedenszeiten erscheinen. Er benützte die Feindseligkeiten mit Deutschland als günstigen Vorwand, um das Volk opferwillig zu machen und um die Volksvertreter für seine Pläne zu gewinnen, Flotte und Heer zu vergrößern, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen und reichliche Mittel zur Verwirklichung dieser Ziele fcu bewilligen. Er wußte genau, daß in normalen Zeiten das amerikanische Volk zur Verwirklichung dieser Ziele nie zu bewegen sein würde und daß hierfür es nie wieder eine ¡so günstige Gelegenheit geben würde. Aber noch aus einem andern Grunde hat sich Wilson zum Kriegsbeitritt entschlossen. Man mag in Amerika noch so sehr dagegen ankämpfen, daß der Beitritt der U. S. A. einen DollarKrieg bedeute. Die Tatsache ist jedenfalls nicht hinwegzuleugnen. Auf der einen Seite war durch die U-BootBlockade der Lebensnerv der U. S. A., der gewinnbringende Handel mit den Alliierten unterbunden, und auf der andern 78

Seite hatte das Bankhaus Morgan & Co. als Bankagent Englands mit den vielen von ihm kontrollierten Banken bedeutend größere Kriegskredite den Alliierten zugewendet als bisher von der U. S. A. Regierung gutgeheißen war. Als durch das Versagen Rußlands die Grundpfeiler der Alliierten ins Wanken zu geraten schienen, mußte etwas seitens Amerikas geschehen, um einen Sieg der Mittelmächte zu vermeiden. Denn dies hätte den Verlust vieler Millionen amerikanischen Geldes und eine Panik am amerikanischen Geldmarkte bedeutet. Durch das Einspringen der U. S. A. Regierung mit neuen Krediten an die Alliierten übernahm die Regierung sozusagen die Gutsage für die in den Geldschränken von Morgan & Co. und Genossen noch liegenden unverkauften Kriegsbonds der Alliierten. Gleichzeitig versuchte man dadurch das taumelnde Rußland zu neuen Kriegsopfern anzufachen. Alles andere in der Botschaft des Präsidenten sind Redensarten, bestimmt, um das amerikanische Volk zu bluffen.und um den Deutsch-Amerikanern die Wendung der Dinge etwas schmackhaft zu machen. Mit dem feinen Unterschied zwischen der deutschen autokratischen Regierung und dem Volke beabsichtigte Wilson nichts anderes als Zwietracht zwischen dem deutschen Volke, vor allem den Sozialdemokraten, und der deutschen Regierung zu säen, und andererseits die Deutsch-Amerikaner zu beruhigen, da die Maßnahmen nicht gegen ihre Landsleute, das deutsche Volk, sondern nur gegen die deutsche Regierung gerichtet seien. Die Worte von der Autokratischen Regierung aus dem Munde Wilsons klangen wie Ironie; denn wie ich bereits betont habe, hat kein Mann die Geschicke eines Volkes so selbstherrlich geleitet, als er. Den unterdrückten Völkern wollte er die Demokratie als die einzige Garantie der Freiheit bringen und den deutschen Militarismus niederzwingen helfen dadurch, daß er seinem eigenen Volke die allgemeine Wehrpflicht aufzwang und es durch Schaffung eines großen Heeres mit dem Militarismus beglückte. Wilson hatte sich in der Wirkung seiner Anspräche auf die Amerikaner nicht 79

getäuscht. Als noch am Abend des 2. 4. der Draht den Wortlaut der Bötschaft nach New York meldete, geriet das Publikum geradezu in ein Delirium von Begeisterung. In der Oper, in allen Theatern und Konzerten wurde in der Zwischenpause die Kriegsbotschaft bekanntgegeben und die National-Hymne stehend gesungen. Die auf dem Broadway auf- und abwogenden Menschenmassen sangen und brachten Hochs auf die Alliierten aus. Die Zeitungen lobten in langen Artikeln die Staatsmannskunst des Präsidenten. Beide Häuser, Senat und Kongreß, traten sofort in die Verhandlung über Wilsons Vorschlag, Kriegszustand mit Deutschland zu erklären, ein. Die Sitzung im Senat dauerte 13 Stunden und endete am 4. 4. mit einer Abstimmung von 82 Senatoren f ü r und 6 Senatoren g e g e n die Erklärung des Kriegszustandes mit Deutschland. 8 Senatoren waren infolge Krankheit abwesend. Die 6 Senatoren der Opposition waren Gronna, La Follette, Norris, Lane, Stone und Vardaman. Die Annahme des Kriegszustandes durch den Kongreß erfolgte am 6. 4. mit 373 gegen 50 Stimmen nach iystündiger Verhandlung. Sie hatte denselben Wortlaut wie der vom Senat angenommene Beschluß, verkündete den Kriegszustand und wies den Präsidenten an, alle Land- und Seestreitkräfte zu verwenden, um den Krieg zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Unter den 50 Vertretern, welche gegen den Krieg stimmten, befanden sich 32 Republikaner, 16 Demokraten, 1 Sozialist und 1 Prohibitionist, darunter die einzige weibliche Vertreterin von Montana, Frl. Rankin. Man hatte auf ein Dutzend gerechnet, aber 50 waren zweifellos eine Überraschung. Woher kamen sie? — Wenige, kaum einer aus dem Osten. Das ist bemerkenswert. Aus New York? — Der Sozialist London Meyer, keiner weiter. Keiner aus dem Staate New Jersey, keiner aus Pennsylvania, aus Connecticut, aus Ohio. Aber aus Wisconsin, Illinois, aus den Süd-Staaten, von der Pazific-Küste, aus den Bergstaaten, aus Colorado und Kansas kamen sie.

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Bemerkenswert war, daß der demokratische Führer Kitchin gegen den Antrag stimmte. E r vertrat seinen Standpunkt in einer Rede, aus welcher die Hauptstellen hervorgehoben seien: — „Die halbe zivilisierte Welt ist jetzt ein Schlächterhaus für die Menschheit. Unser Volk ist die letzte Friedenshoffnung auf Erden, und ich kann mich nicht entschließen, mein Land in dieses Blutvergießen hineingezogen zu sehen. England hat jeden Tag, jede Stunde 2 Jahre lang amerikanische Rechte auf hoher See verletzt. Wir wissen, daß diese Handlungen Englands nicht gegen uns, sondern gegen seinen Feind gerichtet und daß sie ein Gebot militärischer Notwendigkeit waren. Anstatt unsere Nation in den Krieg zu stürzen, gaben wir lieber unsere Rechte auf. Ich billigte diesen Kurs damals, ich bin noch jetzt damit einverstanden. Mexikanische Banditen plünderten amerikanische Städte, erschossen ,amerikanische Männer, Frauen und Kinder in ihrem Heim. W i r gingen nicht in den Krieg, um diese Mordtaten und die Verachtung der amerikanischen Flagge zu rächen. Lieber verzichteten wir auf unsere Rechte, als das Land in einen Krieg zu stürzen, und ich war damit einverstanden, bin es noch jetzt. Warum können wir nicht die Verletzung unserer Rechte durch Deutschland übergehen, wie wir es mit England und Mexiko getan haben, um das Land vor .der Kriegsfurie zu retten? Wären wir im Krieg mit Deutschland und Japan, dabei unsere Schiffe ohne Nutzen, unsere Nahrungsmittel knapp, unser Handel vom Meere vertrieben, ich frage, würden wir nicht in unserm letzten Kampf den Feind mit der einzigen wirkungsvollen W a f f e bekämpfen, selbst wenn es eine Völkerrechtsverletzung ist? — " Die Debatte war ebenso wie im Senat nicht bitter. Die Befürworter des Antrags bürdeten Deutschland die- Verantwortung auf, während die Gegner auf die Verletzung amerikanischer Rechte durch England hinwiesen. Von patriotischem Feuerwerk war wenig oder nichts zu bemerken. Jeder war ernst und stimmte ernst und feierlich. Noch am 6. 4. hat Wilson die von der Volksvertretung K r a h 1, Die Rolle Amerikas

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angenommenen Kriegsbeschlüsse unterzeichnet und einen Aufruf an das Volk erlassen, welcher sich mit Vorschriften über das loyale Verhalten der amerikanischen Bürger und über die Behandlung von feindlichen Ausländern eingehend befaßte.

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2. Kapitel. Die Vereinigten

Staaten

s e i t K r i e g s b e i t r i 11.

Sofort verfügte die U. S. A. - Regierung die Beschlagnahme aller deutschen Schiffe in amerikanischen Häfen und die Internierung ihrer Schiffsmannschaften. E s befanden sich in amerikanischen Gewässern 93 deutsche Schiffe mit 589772 Bruttotonnage und einem Schätzungswert von 126540000 Dollars. Von den 65 Dampfern waren 29 mit 309 278 Bruttotonnen im Hafen von New York, darunter die Vaterland (54282 t), George Washington (25570 t), Kaiser Wilhelm II. (19361), Präsident Lincoln (18 168), Präsident Grant (18072), Pensylvania (13333), Großer Kurfürst .(13.102), Barbarossa (10915), Prinzeß Irene (10881), Friedrich der Große (10695), Hamburg (10532). — In Boston ankerten unter anderen die Amerika (22622), Kronprinzessin Cäcilie (19503) und Cincinnatti (16330). Eine Anzahl Verhaftungen von Deutschen, welche durch ihre nahen Beziehungen zu der deutschen Auslandsvertretung verdächtig erschienen, wurde vorgenommen. Die Mehrzahl davon wurde, aber nach wenigen Tagen wieder freigelassen, nachdem sich die Grundlosigkeit der Verdächtigung herausgestellt hatte. Ebenso wie Wilson, so wies der oberste Beamte des Justizdepartements Gregory in einer Verfügung vom 6. 4. darauf hin, daß kein feindlicher deutscher Untertan, der nicht schon vorher in Komplotte gegen die Interessen der U. S. A. verwickelt gewesen sei, Vorgehen des Justizdepartee*

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ments zu befürchten habe, wenn er die folgende Warnung befolge: — Gehorchet dem Gesetz und haltet den Mund! — In der Tat traten in den U. S. A. zunächst Zustände in die Erscheinung, wie sie in keinem andern Kriegslande möglich wären. Denn trotz des Kriegszustandes setzten die deutschen Zeitungen ihr Erscheinen fort, in den deutschen Theatern und Kabaretts wurde weitergespielt, und die Deutschen wurden unbehelligt gelassen, wo sie sich ruhig verhielten. Vereinzelte Raufereien hatten immer ihren Grund in dem unbesonnenen Verhalten der Deutschen. — Täglich warteten die Zeitungen mit Berichten über die fieberhafte Tätigkeit der Regierung auf, Flotte und Heer kriegsbereit zu machen. Von der Regierung wurde der Plan aufgenommen, eine Flotte von vielen hundert Holzschiffen zu bauen, welche den Alliierten Nahrungsmittel und Kriegsmaterial zuführen und die Tauchbootblockade wirkungslos machen sollte. Generalmajor Goethals, der Erbauer des Panamakanals, übernahm die Überwachung dieser Arbeit. — Die deutschen Schiffe, welche von ihren Kapitänen unbrauchbar gemacht worden waren, sollten ausgebessert und in den Dienst der U. S. A. gestellt werden. Die Docks des Norddeutschen Lloyd und der Hamburger Paketfahrtgesellschaft wurden in den Dienst der Regierung übernommen. Überall wurden Stationen zur Entgegennahme von Freiwilligen-Anmeldungen für Flotte und Heer eingerichtet. Flugzeuge sollten nach Zehntausenden schnell gebaut und die Mannschaften dafür ausgebildet werden, um durch Abwerfen von Bomben, wie es hieß, das deutsche Volk in seinem eignen Lande die Schrecken des Krieges fühlen zu lassen. Es machten sich hier die bekannten amerikanischen Reklame- und Bluffmethoden geltend. — Die Studenten der Universitäten und höheren Schulen nahmen mit Begeisterung militärische Übungen auf ihren Sportplätzen auf. Bilder in der Sonntags - Ausgabe der N. Y. Times zeigten junge Angestellte von Geschäftsfirmen in Zivilkleidung und mit einem Knittel bewaffnet bei Marsch- und Exerzierübungen.

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In jedem Schaufenster war die Aufforderung zum Freiwilligen-Eintritt in Armee und Flotte aufgestellt. Aber die kümmerlichen Erfolge der freiwilligen Rekrutierung zeigten nur zu deutlich, daß der Krieg nicht volkstümlich war. Der gewöhnliche (Mann und der Arbeiter dachten nicht daran, sich anwerben zu lassen. In den ersten zehn Tagen nach der Kriegserklärung wurden im ganzen Lande 4355 Personen für die reguläre Armee und 4871 für die Flotte angeworben. Zur selben Zeit hielt in allen größeren Städten der Andrang junger Männer zur Erwirkung von Heiratslizenzen an, da die geplante Wehrvorlage, wie es hieß, nur die Ausmusterung Unverheirateter vorsah. In Chicago wurden am 1 1 . 4. 591 Heiratslizenzen ausgestellt, und mehrere hundert Nachsucher befanden sich bei Schluß der Amtsräume noch in der Wartelinie. In New York fühlte sich sogar |der bekannte Billy Sunday veranlaßt, in seinen Ansprachen im Tabernakel die Drückeberger zu brandmarken, indem er sagte: — Der junge Mann, welcher den Rock eines Mädchens zum Schutze nimmt, um dem Dienste Onkel Sams zu entgehen, ist ein Feigling und kommt einem Verräter gleich. E s ist eine Schande, wenn es doppelt soviele Gesuche bei den Heiratslizenzämtern von New York gibt, als bei den Aushebungsstationen. — Das Kriegsamt erließ daher eine Bekanntmachung, daß alle Männer, welche seit der Kriegserklärung geheiratet hätten, nach demselben Grundsatze wie Unverheiratete behandelt würden, insofern ihre militärischen Pflichten in Frage kämen. Die Evening Mail in New York schlug zur Förderung des Aushebungswerkes vor, an den Rekrutierungsstationen Musikkorps spielen zu lassen: „Laßt uns die Stadt mit Musik erfüllen, mit Kriegsklängen, welche das Blut in Wallung bringen und Tausende zu den Aushebungsstationen senden sollen." Unterdessen war die U. S. A.-Regierung eifrig bei der Arbeit, die Republiken Mittel- und Südamerikas zum Anschluß an das Vorgehen der U . S . A . gegen Deutschland zu gewinnen. Bei Cuba, Guatemala, Bolivien, Panama und

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Brasilien hatte sie Erfolg, die übrigen Staaten verharrten vorläufig bei ihrer Neutralität. Durch die Kriegserklärung machte sich auch der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich, Bulgarien und der Türkei einerseits und den U . S. A. andererseits- notwendig. Im selben Augenblick beschlagnahmte die U . S . A . - R e g i e r u n g die österreichischen Schjffe in amerikanischen Häfen. A m 16. 4. erließ Wilson einen Aufruf — man kann auch sagen Mahnruf — an das Volk. Sein Inhalt war für den Ernst der jeweiligen Lage sehr bezeichnend und ließ den Notschrei der Alliierten deutlich erkennen. Die Proklamation war ein Mahnruf an die gesamte Nation, an die Schiffsbauer, die Bergleute, die Fabrikanten, die Farmer, die Fabrik- und Farmarbeiter, die Großhändler, um die wirtschaftlichen Kräfte des Landes zu der denkbar möglichsten Vollkommenheit zu entwickeln, um Lebensmittel und Kriegsmaterial in ausreichendem Maße nicht allein für die eigene Nation, sondern für die sämtlichen Völker der Alliierten zu produzieren; sie war ein Mahnruf an die Spekulanten, sich mit bescheidenem Nutzen zu begnügen, um Teuerung und Hungersnot abzuwenden; sie war ein Aufruf an die Eisenbahn- und Transport-Gesellschaften, für eine glatte Abwicklung des Güterverkehrs zu sorgen, und sie war zum letzten eine Warnung an jede Einzelperson zur Sparsamkeit in Küche und Haus. „Sonst wird das ganze große Unternehmen, welches wir begonnen haben, zusammenbrechen und fehlschlagen." A m 14. 4. nahm der Kongreß die Sieben-MilliardenDollarvorlage mit 389 Stimmen an. Die Vorlage bewilligte 5 Milliarden Dollar in Schuldscheinen, wovon 3 Milliarden den Alliierten geliehen werden sollten, und 2 Milliarden Dollar in Schatzscheinen, welche man durch Steuern auftreiben wollte. Im" Senat wurde diese Regierungsvorlage ohne wesentliche Änderungen am 17. 4. mit 84 Stimmen bei 12 abwesenden Senatoren einstimmig angenommen, und am 18. 4. 86

wurde sie durch die Unterzeichnung des Präsidenten Gesetz. Nun kam die Vorlage der Zwangsaushebung für die Dauer des Krieges an die Reihe. E s hieß, daß viele Mitglieder des Kongresses gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht seien, und daß- Wilson und die Kabinettsmitglieder die widerstrebenden Volksvertreter eifrig bearbeiteten. Diese Widersacher wünschten, daß man es erst mit der freiwilligen Aushebung versuchen sollte. Zur Anfachung der Freiwilligen - Anwerbung hatte Bürgermeister Mitchel eine große „Wach auf, Amerika!- Parade" in New York ins Werk gesetzt. In endlosem Zug marschierten die Patrioten am 19. 4. die 5. Avenue hinab. Ich kam zufällig vorbei und sah mir die Schaustellung an. Die Patrioten bestanden zumeist aus großen Schulkindern, aus Pfadfinderknaben und Suffragetts und aus Geschäftsangestellten, welche von ihren Arbeitgebern einen bezahlten halben Feiertag unter der Bedingung des Mitmarschierens erhalten hatten. In der ganzen langen Parade bemerkte ich von eigentlichem Militär nur zwei Negerkompagnien, eine fahrende Batterie, einige Kadettenabteilungen, sowie als Clou 4 Elefanten aus dem Zirkus mit aufmontierten Maschinengewehren. Ein jeder Patriot schwang eine amerikanische Fahne in der Hand, und da den Zeitungen nach in amerikanischem Fahnenstoff mehr Nachfrage als Angebot vorhanden war, so bekundeten viele Zugteilnehmer ihre Ergebenheit zu Wilsons letztem Aufrufe durch einen Rechen, eine Hacke oder anderes landwirtschaftliches Gerät in der Hand. — Die Aushebungsstationen aber blieben leer. — Die Opponenten der Wehrpflichtvorlage kamen endlich zu dem Entschluß, nicht durch halbe Maßnahmen und Versuche in die alten Fehler der Alliierten zu verfallen, und so wurde am 28. 4. die Zwangsaushebung für die Dauer des Krieges im Kongreß mit 397 gegen 24 Stimmen und im Senat mit 81 gegen 8 Stimmen angenommen. In New York waren unterdessen die britischen Abge87

sandten unter Balfours Führung und die französische Abordnung mit J o f f r e und Viviani eingetroffen. Zu ihrem Empfang hatte die Stadt Flaggenschmuck angelegt. Balfour bezeichnete als die dringendste Not Englands: Lebensmittel und Schiffe, während J o f f r e auf Stellung von Soldaten den Nachdruck im Namen Frankreichs legte. Ein beiden Abordnungen gemeinsames Bedürfnis natürlich war Geld. Um den 23. 5. traf auch die italienische Mission unter Führung des Prinzen Udine ein. Als Italiens dringendste Kriegsbedürfnisse wurden außer Geld, Lokomotiven, Schienen und rollendes Material, Kohlen, Eisen und Nahrungsmittel bezeichnet, wobei eine wichtige Rolle die Verschiffung spielte. Der Besuch dieser Abordnungen beschränkte sich nicht auf Washington und New York, sondern dehnte sich auf die wichtigsten Industriestädte des Ostens aus. Gegen Ende Mai hatten die Missionen Amerika wieder verlassen. Die Unterhandlungen zwischen ihnen und der U. S. A.-Regierung wurden selbstredend geheim gehalten. Immerhin konnte man aus den verschiedenen Bankettreden entnehmen, daß die Unterhandlungen zu Abmachungen für ein Zusammenarbeiten der gegenseitigen Land- und Seestreitkräfte, für Zentralisierung des Einkaufs von Kriegsmaterial und schließlich für die Kontrolle und Verteilung der Lebensmittel an die Alliierten geführt hatten. Diese Verhandlungen setzten aber vor allem die U. S. A.Regierung in die Lage, sich die gesammelten Erfahrungen der Alliierten in bezug auf militärische, nautische und ökonomische Einrichtungen zunutze zu machen. Nür über eine Sache verlautete nichts, nämlich über die Anpassung der Kriegsziele der U. S. A. mit denjenigen der Alliierten. Ob in dieser Hinsicht Verträge abgeschlossen waren, dafür lag die Wahrscheinlichkeit sehr nahe. Bisher wußte das amerikanische Volk über die Kriegsziele seiner Regierung nur soviel, als Wilson in seiner Kriegsbotschaft vor der Volksvertretung angegeben hatte, näm88

lieh . Kampf für Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit. Diese Kriegsziele waren sehr allgemein gefaßt. Ob sich die U. S.A.-Regierung auf das Programm der Alliierten, keinen Separatfrieden zu schließen, und insbesondere auf Englands und Frankreichs Politik der Gebietsausdehnung festgelegt hatte, war zurzeit eine unbeantwortete Frage. Einige maßgebenden Zeitungen wiesen daher darauf hin, daß es für das amerikanische Volk unbedingt nötig sei, die bestimmten Kriegsziele und Friedensbedingungen seiner Regierung zu wissen, falls der Krieg mit Verstand und Vernunft geführt werden solle. Wilson hat denn auch in der Folgezeit mehrere Male Gelegenheit genommen, bei öffentlichen Ansprachen die amerikanischen Kriegsziele zu berühren. Obgleich diese Äußerungen zeitlich auseinander liegen, so sollen sie hier im Zusammenhang erörtert werden. Bei der Einweihung des Roten-Kreuzhauses in Washington am 12. 5. äußerte sich Wilson folgendermaßen: — „Die Herzen der Amerikaner sind in diesem Kriege. Wir wollen keinen Vorteil aus ihm ziehen. Wir zogen in den Krieg, weil wir Diener der Menschheit sind und weil wir fest in die Grundsätze vertrauen, auf welchen die U. S. A.-Regierung gegründet ist. — " Der russischen demokratischen Regierung, welche eine Revision der alliierten Kriegsziele auf der Grundlage „keine Gebietserwerbungen, keine Kriegsentschädigungen", verlangt hatte, antwortete Wilson in einer Botschaft folgenden Wortlautes: „ I n Anbetracht des bevorstehenden Besuchs der amerikanischen Abordnung in Rußland, um die innige Freundschaft des amerikanischen Volkes für die russische Nation zum Ausdruck zu bringen und um den besten Weg des Zusammenarbeitens beider Völker in dem gegenwärtigen Kampfe für die Freiheit aller Völker zu finden, erscheint es mir angebracht, im Lichte dieser neuen Teilhaberschaft erneut die Ziele darzulegen, welche die U. S. A. bei Eintritt 89

in den Krieg verfolgen. Diese Ziele sind in den letzten Wochen durch irreführende Feststellungen verdunkelt worden, und der auf dem Spiele stehende Ausgang ist zu wichtig für die gesamte Menschheit, um irgend welche Mißverständnisse auch nur einen Augenblick ungeklärt zu lassen. Der Krieg ist gegen Deutschland gerichtet, und in ihrem verzweifelten Verlangen, der unvermeidlichen endgültigen Niederlage zu entrinnen, machen diejenigen, welche in Deutschland am Ruder sind, von jedem denkbaren Mittel, selbst von dem Einflüsse von Parteigruppen ihrer eigenen Untertanen, zu denen sie niemals gerecht und duldsam gewesen sind, Gebrauch, um auf beiden. Seiten des Ozeans eine Propaganda zu machen, welche.; ihnen ihren. Einfluß daheim und ihre Macht nach außen erhält, zum Verderben eben der Leute, welche sie als Werkzeug gebrauchen. Die Stellungnahme Amerikas in diesem Kriege ist so klar festgelegt, daß niemand sie mißverstehen kann. Amerika erstrebt keinen materiellen Vorteil, es ficht für kein selbstsüchtiges Ziel, sondern für die Befreiung aller Völker von den Angriffen autokratischer Macht. Die regierenden Klassen in Deutschland haben kürzlich angefangen, eine gleiche Hochherzigkeit und Gerechtigkeit ihrer Ziele vorzugeben, aber nur um sich die in Deutschland erlangte Macht und die selbstsüchtigen Vorteile zu erhalten, welche sie für sich selbst und für ihre eigenen Machtpläne von Berlin bis Bagdad und darüber hinaus gewonnen haben. Regierung auf Regierung ist durch ihren Einfluß in ein Netz von Intrigue verwickelt worden, gerichtet gegen nichts geringeres als gegen den Frieden und die Freiheit der Welt. Die Maschen dieser Intrigue müssen zerrissen werden, was nicht möglich ist, es sei denn, daß das zugefügte Unrecht wieder gutgemacht ist und Maßnahmen zur Verhinderung einer Wiederholung gefaßt werden. Die kaiserliche Regierung und diejenigen, welche sie als Werkzeug gebraucht, suchen Gewißheit zu erlangen, daß der Krieg in der Wiederherstellung des status quo ante enden mag. Dieser Status

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war es, aus welchem heraus dieser entsetzliche Krieg sich entwickelt hat, es war die Macht der deutschen Regierung innerhalb ihres Reiches und ihre weitreichende Herrschaft und ihr Einfluß im Ausland. Dieser Status muß in einer Weise geändert werden, um gegen jede Wiederholung ein solch* häßliches Ding unmöglich zu machen. Wir kämpfen für die Freiheit, die Selbstregierung und die ungehinderte Entwicklung aller Völker, und jeder Grundzug des Friedensschlusses muß in diesem Sinne ausgeführt werden. Unrecht muß erst wieder gutgemacht werden, und dann müssen passende Garantien gegen jede Wiederholung geschaffen werden. Wir dürfen nicht Mittel zur Abhilfe erwägen, nur weil sie einen gefälligen Klang haben. Phrasen werden keinen Erfolg haben. Wirkungsvolle Wiederherstellung wird es tun, und. welche Wiederherstellung auch nötig ist, sie muß gemacht werden. Indessen muß sie einem Grundsatz folgen, welcher offensichtlich ist. Kein Volk darf unter eine Herrschaft gezwungen werden, unter welcher es nicht zu. leben wünscht. Kein Gebietsteil darf in andere Hände übergehen, es sei denn, um denen, welche dort wohnen, eine gerechte Möglichkeit für Leben und Freiheit zu verschaffen. Keine Schadloshaltungen müssen aufrecht erhalten werden, abgesehen von denjenigen, welche Zahlung für offensichtlich angetanes Unrecht darstellen. Keine Wiederherstellung von Macht darf gemacht werden, soweit sie nicht bestimmt ist, den künftigen Weltfrieden und die künftige Wohlfahrt aller Völker zu sichern. Sodann müssen sich die freien Völker der Welt zu einem praktischen Zusammenwirken vereinigen, um Frieden und Gerechtigkeit im gegenseitigen Verkehr der Nationen zu sichern. Die Brüderlich^ keit der Menschheit darf nicht länger eine schöne aber, leere Phrase sein; ihr muß Geltung und Wirklichkeit ver* schafft werden. Die Völker müssen sich ihres gemeinsamen Daseins bewußt werden und eine arbeitsfähige Teilhaberschaft bilden, um dieses Dasein gegen Angriffe autokratischer und selbstsüchtiger Macht zu schützen. Hierfür

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können wir unser Blut vergießen und unser Geld ausgeben. Denn es sind Dinge, welche wir zu allen Zeiten als wünschenswert erstrebt haben. Wenn wir jetzt nicht Gut und Blut opfern und Erfolg haben, so mögen wir niemals imstande sein, uns zusammenzuschließen oder Siegeszuversicht im Kampfe um die Freiheit der Menschheit wieder zu zeigen. Es ist die Stunde gekommen, zu siegen oder klein beizugeben. Wenn die Macht der Autokratie Zwiespalt unter uns säen kann, dann wird sie uns überwinden. Halten wir aber zusammen, so ist uns der Sieg sicher und die Freiheit, welche uns der Sieg bringen wird. Dann können wir edelmütig sein, aber wir dürfen nicht dulden dann oder jetzt, schwach zu sein oder auch nur eine einzige Garantie von Gerechtigkeit und Sicherheit außer acht zu lassen. —" Die nächste bedeutsame Äußerung Wilsons ist seine Antwort auf den von Papst Benedikt X V . im Sommer 1917 gemachten Friedensvorschlag. Sie lautet: „An seine Heiligkeit Papst Benedikt X V . In Erwiderung der Botschaft Eurer Heiligkeit an die Kriegführenden vom 1. 8. 17 hat mich der Präsident der U . S . A . ersucht, folgende Antwort zu geben: — Jedes Herz, welches durch den schrecklichen Krieg nicht verhärtet ist, muß durch den rührenden Aufruf deS Papstes bewegt werden und die Würde und Gewalt der menschlichen und hochherzigen Beweggründe fühlen, welche "clazü geführt haben, und muß sehnlich wünschen, daß wir den Friedenspfad betreten mögen, welchen er so überzeugend weist. Aber es wäre Torheit, es zu tun, wenn es in Wirklichkeit nicht zu dem Ziele führt, welches er vorschlägt. Unsere Antwort muß auf reine Tatsachen gegründet sein. Es ist nicht ein bloßes Einstellen des Kampfes, was er erstrebt, es ist ein fester und dauernder Frieden. Dieses Ringen darf sich nicht wiederholen, und es muß eine Sache nüchternen Denkens sein, um uns davor zu bewahren. Seine Heiligkeit schlägt im wesentlichen vor, zu dem Status quo ante bellum 92

zurückzukehren und unter allgemeiner Verzeihung und Abrüstung ein Schiedsgericht der Völker einzusetzen und durch einen ähnlichen Gerichtshof die Freiheit der Meere zu sichern und die Getrietsansprüche Frankreichs und Italiens sowie die verwickelten Verhältnisse der Balkanstaaten und die Wiederherstellung Polens solcher versöhnlichen Ausgleichung zu überlassen, als in einer solch neuen Friedensvereinigung möglich ist, wobei die Ansprüche der Völker gebührend zu berücksichtigen sind, deren politisches Schicksal davon betroffen wird. Es ist offenkundig, daß kein Teil dieses Programms erfolgreich durchgeführt werden kann, es sei denn, daß die Wiederherstellung des Status quo ante eine sichere und befriedigende Grundlage dafür liefert. Das Ziel dieses Krieges ist die Befreiung der Völker der Erde von der Bedrohung und gegenwärtigen Macht einer ungeheuren Militärgewalt, welche von einer unverantwortlichen Regierung kontrolliert wird, einer Regierung, welche mit geheimen Plänen die Welt zu beherrschen sich daran machte, diesen Vorsatz durchzuführen ohne Rücksicht auf die geheiligten Vertrags Verpflichtungen und auf die seit alters hoch geachteten Grundsätze völkerrechtlichen Handelns und internationaler Ehre; einer Regierung, welche ihren geeigneten Zeitpunkt für den Krieg auswählte, plötzlich und fürchterlich losschlug und vor keiner Schranke von Recht und Gnade anhielt und einen ganzen Erdteil in Blut tauchte, nicht bloß in Blut von Soldaten, sondern sogar von unschuldigen Frauen und Kindern und von hilflosein Armen, und welche jetzt dasteht, aufgehalten aber nicht niedergeworfen, als der Feind von l / b der Erde. Diese Macht ist nicht das deutsche Volk, es ist der rücksichtslose Bemeisterer des deutschen Volkes. Es geht uns nichts an, wie dieses große Volk unter diese Kontrolle kam. Aber es ist unsere Sache, darauf zu sehen, d a ß die Geschichte der übrigen Welt nicht länger ihrem Tun ausgeliefert bleibt. Zu verhandeln mit einer solchen Macht im Wege des Friedens auf Grund der vom Papste vorgeschlagenen Grund93

satze würde nach unserer Ansicht eine Wiedererlangung ihrer Stärke und eine Wiederholung ihrer Politik in sich schließen und würde die Schaffung einer ständigen feindlichen Völkergruppe gegen das deutsche Volk nötig machen, dessen sie sich als Werkzeug bedient, und würde zur Folge haben, daß das neugeborene Rußland der Intrigue, der mannigfaltigen schlauen Einmischung und einer sicheren Gegenrevolution ausgeliefert würde, was durch all' die unheilvollen Einflüsse versucht werden würde, an welche die deutsche Regierung in letzter Zeit die Welt gewöhnt hat. Kann Frieden gegründet werden auf eine Wiederherstellung ihrer Macht oder auf irgend ein Ehrenwort, welches sie in einem Vertrage zur Schlichtung verpfänden mag? Verantwortliche Staatsmänner, wenn sie es vorher nie taten, müssen jetzt überall einsehen, daß kein sicherer Frieden auf politischen oder ökonomischen Beschränkungen zum Vorteil gewisser Völker und zum Nachteil anderer, auf Vergeltungsmaßnahmen oder Rache und auf überlegtes Unrechttun aufgebaut werden kann. Das amerikanische Volk hat unerträgliches Unrecht von der deutschen Regierung erdulden müssen, aber es sucht keine Wiedervergeltung am deutschen Volk, welches selbst alles Mögliche in diesem Kriege, den es nicht wollte, gelitten hat. Die Amerikaner glauben, daß Frieden auf den Rechten der Völker und nicht der Regierungen gegründet sein sollte, auf den Rechten der großen und mächtigen Völker sowohl als der kleinen und schwachen, auf ihrem gleichen Recht auf Freiheit, Sicherheit und Selbstregierung und auf Teilnahme unter angemessenen Bedingungen an den ökonomischen Verhältnissen in der Welt — das deutsche Volk selbstredend eingeschlossen, falls es Gleichheit annimmt und nicht Herrschaft erstrebt. Der Prüfstein eines jeden Friedensvorschlags ist daher folgender: Ist der Friede auf dem guten Glauben aller beteiligten Völker oder nur auf dem Wort einer ehrgeizigen und intriguierenden Regierung auf der einen Seite und einer Gruppe freier Völker auf der andern Seite au 94

gründen? Eine solche Prüfung geht der Sache auf den Grund und muß daher angewendet werden. Die Kriegsziele der U. S. A. sind der ganzen Welt, einem jeden Volk bekannt, zu welchem die Wahrheit gelangen durfte. Wir erstreben keinen materiellen Vorteil, welcher Art er auch sei. Wir meinen, daß die unerträglichen Gewalttaten, welche in diesem Kriege durch die brutale und schreckliche Macht der deutschen Regierung verübt worden sind, wieder gut gemacht werden müssen, aber nicht auf Kosten anderer Völker. Schadensersatz als Strafe, die Zerstückelung von Reichen, die Errichtung selbstsüchtiger ökonomischer Bündnisse erachten wir als unratsam und als keine passende Grundlage für irgend einen geschweige einen dauernden Frieden. Dieser muß auf Gerechtigkeit, Billigkeit und auf die gemeinsamen Rechte der Menschheit begründet werden. Wir können nicht das Wort der gegenwärtigen Machthaber in Deutschland als eine Garantie für irgend etwas annehmen, wenn es nicht ausdrücklich durch den überzeugenden Beweis des Willens und der Absicht des deutschen Volkes selbst unterstützt wird. Ohne solche Bürgschaft auf Vertragsabmachungen, Einigung für Abrüstung, Einsetzung von Schiedsgerichten an Stelle von Gewalt, Gebietsausgleichungen, Wiederherstellung kleiner Völker sich zu verlassen, falls mit der deutschen Regierung getroffen, kein Mensch und kein Volk kann dies tun. Wir müssen einen neuen Beweis der Absichten der großen Völker der Mittelmächte abwarten. Gott gebe, daß es bald geschieht und in einer Weise, um überall das Vertrauen aller Völker auf den guten Glauben der Nationen und auf die Möglichkeit eines Friedensabschlusses wiederherzustellen. Robert Lansing." Die nächste Äußerung Wilsons mit Bezug auf den Krieg war seine Botschaft vor dem Konvent der amerikanischen Arbeiter in Buffalo am 12. 11. 1917. E s seien daraus nur die Hauptpunkte erwähnt.

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Der Präsident nahm auf die Gegenwart als eine Zeit Bezug, welche kritischer sei als je eine, die die Welt erlebt hat. Es sei wesentlich daran zu erinnern, wie es zum Kriege kam, welcher nach seiner Ansicht der letzte Kampf zwischen dem alten Prinzip der Macht und dem neuen der Freiheit sei. Der Krieg sei von Deutschland begonnen worden. Seine Machthaber stellten dies zwar in Abrede, aber er erwarte darüber den Wahrspruch der Geschichte. Wilson schilderte Deutschlands Wachstum als Nation und sagte: „— Deutschland hatte einen Platz an der Sonne. Warum war es nicht zufrieden ? Was wollte es ¡mehr ? Sie haben eine Antwort auf die Frage, weshalb es nicht,mit seinen Methoden des Wettkampfes zufrieden war, nämlich weil die deutsche Regierung danach strebte, die Arbeit und die Industrie der ganzen Welt zu kontrollieren. Das Berlin-Bagdadprojekt bedrohte die Flanken eines halben Dutzend anderer Völker. Wenn Sie Deutschlands Karte von Europa ansehen und wenn Deutschland das behalten darf, so kann seine Macht die Welt beunruhigen, vorausgesetzt die gegenwärtige Regierung behält weiter die Kontrolle. Macht kann nicht gegen freie Völker angewendet werden, wenn die Macht vom Volke kontrolliert wird. Deutschland ist entschlossen, die politische Macht der Welt an sich zu reißen. Es ist erstaunlich für mich, daß eine Gruppe so falsch unterrichtet sein sollte wie gewisse Kreise Rußlands, um zu glauben, daß sie ohne Gefahr seitens Deutschlands leben könnten. Ich bin nicht gegen die Stimmung der Friedensanhänger, sondern gegen ihre Torheit. Diese wissen nicht, wie Frieden zu erlangen ist; aber ich weiß es. Ich habe Oberst House, einen größeren Freund des Friedens als irgend ein Mann in der Welt, nach Europa gesandt, aber nicht um über Frieden zu verhandeln, sondern um zu beraten und zu entscheiden, wie der Krieg gewonnen werden kann. Wenn wir wahre Freunde der Freiheit sind, werden wir darauf sehen, daß die Macht und Leistungsfähigkeit unseres Landes auf dem höchsten Stande erhalten bleiben. Nie96

mand darf im W e g e stehen. Wir müssen T a g und Nacht zusammenhalten, bis der Krieg gewöhnen ist. Während wir für die Freiheit kämpfen, müssen wir die Freiheit der Arbeit sichern. Niemand hat ein Recht, den Fortgang "der Arbeit zu hemmen, bis alle Mittel der Verständigung erschöpft sind. Wir zeigen uns nicht als Amerikaner, wenn wir uns in einzelne Gruppen scheiden, sondern wenn wir an einem gemeinsamen Unternehmen zur Befreiung des Geistes der Welt aus der Knechtung zusammenarbeiten. W o es an der nötigen Vermittlung zum gehörigen Zusammenarbeiten von Kapital und Arbeit mangelt, muß sie geschaffen werden. Ich stehe zu Ihnen, wenn Sie zu mir stehen", so schloß der Präsident. — Weiter hatte Wilson das Wort zum Kriege in seiner Botschaft an den Kongreß bei dessen Wiedereröffnung am 4. 12. 1 9 1 7 ergriffen. Die darauf bezugnehmenden Stellen lauten im Wortlaut: „ I c h werde nicht wieder die Ursachen des Krieges erörtern. Die unsäglichen Untaten, welche gegen uns von den Machthabern Deutschlands geplant und ausgeführt worden sind, sind nur zu offensichtlich jedem echten Amerikaner geworden, als daß es nötig wäre, sie wieder aufzuzählen. Aber ich werde Sie bitten, wiederum und mit der größten Genauigkeit unsere Ziele und die Maßnahmen zu erwägen, mit denen wir die Ziele zu erreichen glauben. Unser Ziel selbstredend ist, den Krieg zu gewinnen, und wir werden nicht nachlassen, oder uns spalten, bis der Krieg gewonnen ist. Aber es ist wert, die Frage zu stellen und zu beantworten, wenn wir den Krieg als gewonnen betrachten werden. Ich erachte es für notwendig, klar auszusprechen hier am Sitze der Entschließungen, was der Krieg für uns bedeutet und welche Rolle wir in seiner künftigen Beilegung spielen wollen. W i r sind die Sprecher der Amerikaner und sie haben ein Recht zu wissen, ob ihre Absichten die unsrigen sind. Ich glaube für sie zu sprechen, wenn ich zweierlei sage: erstens, daß dieses unerträgliche Ding, dessen häßK r a h 1, Die Rolle Amerikas

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liches Gesicht uns die Machthaber Deutschlands gezeigt haben, ein Ding ohne Gewissen und Ehre und ohne Fähigkeit für einen gerechten Frieden, zermalmt werden muß und, falls dies nicht ganz möglich ist, zumindestens von dem freundschaftlichen Verkehr der Völker auszuschließen ist. Zweitens, wenn dies erreicht ist, und die Zeit zu Friedensbesprechungen herankommt — wenn das deutsche Volk Sprecher hat, deren Wort wir glauben können, und wenn diese Sprecher willens sind, im Namen ihres Volkes das gemeinsame Urteil der Nationen in bezug auf die Grundlage des Rechts entgegenzunehmen — daß wir gern und willig den vollen P/eis für den Frieden und zwar ohne Murren zahlen wollen. Wir wissen", was dieser Preis ist. Er ist die volle unparteiische Gerechtigkeit in jedem Punkte und für jedes Volk, für die Feinde sowohl als auch für unsre Freunde. Sie vernehmen mit mir die Stimmen der Menschlichkeit, welche in der Luft schweben und welche täglich hörbarer werden und von den Herzen der Menschen in aller Welt kommen. Diese bestehen darauf, daß der Krieg nicht enden soll in rachsüchtigem Handeln, daß kein Volk beraubt oder gestraft werden soll. Dieser Gedanke ist es, welcher in der Formel Ausdruck gefunden hat: keine Gebietserweiterungen und keine Kriegszahlungen. Gerade weil diese Formel das instinktmäßige Rechtsurteil bei dem gewöhnlichen Manne überall ausdrückt, ist sie klugerweise von den Machthabern deutscher Intrigue mißbraucht worden, um das russische Volk irre zu führen und ebenso jede andere Nation, welche die deutschen Agenten erreichen konnten, mit der Absicht, einen vorzeitigen Frieden zustande zu bringen, ehe die Autokratie ihre Lehre bekommen hat und die Völker der Erde unter die Kontrolle ihrer Selbstbestimmung gestellt worden sind. Aber die Tatsache, daß ein Mißbrauch mit einer richtigen Idee gemacht worden ist, enthält keinen Grund, warum nicht der richtige Gebrauch davon gemacht werden sollte, sobald diese Idee unter den Schutz ihrer wahrhaften Freunde gebracht ist. 98

E s sei wiederum gesagt, daß der Autokratie erst die Nichtigkeit ihrer Ansprüche zu Macht und Führerschaft in der Welt gezeigt werden muß. Es ist unmöglich, irgend einen Maßstab von Gerechtigkeit anzuwenden, solange solche Kräfte nicht überwunden sind. Nicht vorher kann Recht als Schiedsrichter und Friedensstifter unter den Nationen aufgestellt werden. Aber wenn dies geschehen ist, dann werden wir frei sein, etwas Beispielloses zu vollbringen. Wir werden frei sein, Frieden zu gründen auf Großmut und Gerechtigkeit unter Ausschluß aller selbstsüchtigen Ansprüche auf Vorteil, selbst auf seiten des Siegers. > Es ¡darf kein Mißverständnis aufkommen. Unsere gegenwärtige und unmittelbare Aufgabe ist es, den Krieg zu gewinnen, und nichts soll uns davon abhalten, bis es erreicht ist. Alle unsere Kräfte und Hilfsmittel, ob Männer, Geld oder Material, müssen diesem Ziele geweiht werden. Wir werden den Krieg nur als gewonnen betrachten, wenn das deutsche Volk durch ordnungsmäßig ernannte Vertreter sich uns gegenüber bereit erklärt, einer Schlichtung beizupflichten, die auf Gerechtigkeit und Wiedergutmachen des durch seine Machthaber begangenen Unrechts gegründet ist. Letztere haben Belgien Schaden zugefügt, welcher wieder gut zu machen ist. Sie haben ihre Macht über andere Länder und Völker als ihre eigenen ausgedehnt, über Österreich-Ungarn, die bisher freien Balkanstaaten, über die Türkei und Kleinasien, was alles aufgegeben werden muß. Wir grollten oder widersetzten uns nicht Deutschlands Erfolg durch Tüchtigkeit, Industrie, Wissenschaft und Unternehmungsgeist ; im Gegenteil, wir bewunderten es. Deutschland hat für sich selbst ein wirkliches Handelsreich aufgebaut, unterstützt durch den Weltfrieden. Wir begnügten uns, bei dem Wetteifer in Waren, Handel und Wissenschaft, welchen für uns Deutschlands Erfolg mit sich brachte, auszuharren und zu stehen oder zu fallen, je nachdem wir Geist und Initiative genug hatten oder nicht, es zu übertreffen. Aber i n ' d e m Augenblick, als Deutschland offenr

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bar seine Fruchte des Friedens geerntet hatte, warf es sie hinweg, bereit, an ihre Stelle militärische und politische Weltherrschaft vermöge Waffengewalt zu setzen, um seine Wetteiferer, welche es nicht übertreffen konnte, aber am meisten fürchtete und haßte, zu vertreiben. — Der Friede, welchen wir schließen, muß Abhilfe dagegen schaffen. E r muß die einst blühenden Gebiete und glücklichen Völker von Belgien und Nordfrankreich vom preußischen Joch und Drohungen frei machen, aber er muß auch die Völker Österreich-Ungarns, der Balkanstaaten und der Türkei von der anmaßenden Herrschaft preußischer militärischer und kommerzieller Autokratie frei machen. Indessen sind wir es uns selbst schuldig, zu sagen, daß wir nicht wünschen, Österreich - Ungarn zu beeinträchtigen oder umzugestalten. Es geht uns nichts an, was sie mit ihrem ¡eigenen Leben in industrieller und politischer Hinsicht tun wollen. Wir wünschen nur zu sehen, daß ihre Angelegenheiten, ob groß oder klein, in ihren eigenen Händen gelassen werden. Wir wünschen für die Balkanvölker und das türkische Reich das Recht und die Möglichkeit zu sichern, ihr eigenes Leben sicher zu gestalten, ihr eigenes Geschick gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Willkür fremder Höfe und Parteien zu schützen. Und unser Verhalten gegen Deutschland selbst ist ein gleiches. Wir beabsichtigen keine Gewalttat gegen das Deutsche Reich, keine Einmischung in seine inneren Verhältnisse. Eins wie das andere würden wir als ungerechtfertigt und entschieden unsern Grundsätzen zuwiderlaufend ansehen, welche wir von jeher als Lebensrichtschnur erachtet und als Heiligstes in unserm Leben als Nation betrachtet haben. Dem deutschen Volke ist von den Leuten, welchen es jetzt gestattet, als sein Meister zu handeln und es zu täuschen, gesagt worden, daß es kämpfe für das Leben und Bestehen seines Reiches, einen Kampf verzweifelter Selbstverteidigung gegen überlegten Angriff. Nichts kann falscher sein, und wir müssen mit der äußersten Aufrichtigkeit zu unsern wirk-

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liehen Zielen es von seinem Irrtum zu überzeugen suchen. Tatsächlich fechten wir für seine Befreiung von Furcht, wie wir es für uns selbst tun, von der Furcht sowohl als von der Tatsache ungerechten Angriffs seitens WeltherrschaftsStrebern. Niemand bedroht das Bestehen oder die Unabhängigkeit der friedlichen Unternehmungen des deutschen Reiches. Das schlimmste, was zum Nachteil des deutschen Volkes eintreten kann, ist folgendes: Sollte es noch nach dem Kriege fortfahren, unter den streberhaften Gewalthabern zu leben, Männern oder Klassen von Menschen, denen die übrigen Völker der Erde nicht trauen können, dann mag es unmöglich sein, das deutsche Volk zur Teilhaberschaft der Nationen zuzulassen, welche in Zukunft für den Weltfrieden einstehen müssen. Diese Teilhaberschaft muß eine solche von Völkern und nicht von Regierungen sein. E s mag dann auch unmöglich sein, unter solchen Umständen Deutschland zu dem freien Handelsverkehr zuzulassen, welcher unvermeidlich aus der andern Teilhaberschaft eines wirklichen Friedens hervorgehen muß. Aber darin wäre kein Angriff zu sehen, und eine solche Lage würde in ihrer innern Natur früher oder später sich selbst ausheilen durch Vorgänge, welche sicherlich einsetzen würden. Die Übeltaten, welche in diesem Kriege begangen worden sind, müssen geordnet werden, aber nicht durch Begehung von gleichen Übeltaten gegen Deutschland und seine Bundesgenossen. Die Welt wird nicht die Begehung ähnlicher Gewalttaten als Mittel der Ausgleichung dulden. Staatsmänner müssen nunmehr gelernt haben, daß die Meinung der Welt überall erwacht ist und den schwebenden Ausgang voll versteht. Kein Vertreter einer Nation mit Selbstregierung wird wagen, dies zu übersehen und ein Abkommen von Selbstsucht sowie einen Ausgleich wie denjenigen im Wiener Kongreß vorschlagen. Der Gedanke des schlichten Volkes überall in der Welt, des Volkes, welches sehr einfache und unsophistische Ideen von Recht und Un101

recht hat, liegt in der Luft, welche alle Regierungen künftig atmen müssen, wenn sie lebensfähig sein wollen. Deutsche Machthaber sind imstande gewesen, den Weltfrieden zu erschüttern, nur weil dem deutschen Volke unter ihrer Vormundschaft nicht gestattet war, die Kameradschaft der übrigen Völker in bezug auf Gedanken und Ziele zu teilen. Ihm war nicht erlaubt, eine eigene Meinung zu haben, welche als die Verhaltungsregel für diejenigen hätte aufgestellt werden können, welche es beherrschten. Aber die Vereinigung, welche diesen Krieg, zum Ende bringt, wird die volle Gewalt der Flut spüren, die jetzt in dem Herzen und Gewissen freier Menschen überall dahinbraust. Mit dieser Flut werden die Entschließungen dieser Versammlung laufen. Alles dies war wahr von Anfang des Krieges an, und ich kann nicht umhin, zu glauben, wäre dies von Anfang an klar ausgesprochen worden, daß die Sympathie und die Begeisterung des russischen Volkes ein für allemal für die Seite der Alliierten festgelegt, Argwohn und Mißtrauen beseitigt und eine wirkliche und dauernde Vereinigung der Ziele herbeigeführt worden wären. Hätte das russische Volk diese Dinge im Augenblick seiner Revolution geglaubt und wäre es seither in diesem Glauben gestärkt worden, so würden die traurigen Rückschläge vermieden worden sein, welche in letzter Zeit den Fortschritt seiner Angelegenheiten in der Richtung auf eine feste Regierung freier Menschen beeinträchtigt haben. Das russische Volk ist durch dieselbe Unwahrheit vergiftet worden, welche das deutsche Volk im Dunkeln hielt, und das Gift ist von denselben Händen ausgestreut worden. Das einzige Gegengift ist die Wahrheit, was nicht oft und unumwunden genug gesagt werden kann. E s hat mir daher, von jedem Standpunkt aus betrachtet, als meine Pflicht geschienen, diese Erklärungen auszusprechen und diese Auslegungen im einzelnen meinen Worten vor dem Senat im Januar 1917 hinzuzufügen. Unser Beitritt zum Krieg hat nichts an unserm Verhalten geändert 102

in bezug auf die Schlichtung, wenn sie kommt. Wenn ich im Januar sagte, daß die Völker der Erde berechtigt seien zu freien Zugängen zum Meer, da dachte ich und denke noch jetzt nicht allein an die kleineren und schwächeren Völker, welche unseres Einflusses und Unterstützung bedürfen, sondern auch an die großen und mächtigen Nationen, sowohl an unsere Feinde' wie Freunde. Ich dachte und denke noch jetzt an Österreich sowohl als an Serbien und Polen. Gerechtigkeit und Gleichheit der Rechte sind nur für einen hohen Preis zu haben. Wir trachten nach dauernden und nicht vorübergehenden Grundlagen für den Weltfrieden, und wir müssen es offenmütig und furchtlos tun. Wie immer, so wird sich das Recht als das zweckmäßigste erweisen." — Der Leser wird sich aus diesen, meist im Wortlaut wiedergegebenen Äußerungen sein eigenes Urteil bilden können. E s seien aber einige Bemerkungen dazu gemacht. Der langen Rede kurzer Sinn ist : Wilsons Ziel ist es, den Krieg zu gewinnen, und er erachtet dieses Ziel dann erreicht, wenn in Deutschland die Monarchie gestürzt und an ihre Stelle eine Volksregierung eingesetzt worden ist, mit deren Vertretern man sich mit vollem Vertrauen in Verhandlungen einlassen kann. Wilson hat seine Worte vor dem Senat im Januar 1917 völlig vergessen, als er ausführte, daß es als Abschluß des Krieges „nur einen Frieden ohne Sieg" geben dürfe, weil Sieg bei der unterlegenen Partei einen Stachel der Verbitterung hinterlasse, welcher zu neuen Reibungen unvermeidlich führen müsse. Was ihm vorschwebt, sind keine festen begrenzten praktischen Ziele, mit denen sich etwas anfangen läßt, sondern Ideale, welche amerikanische Staatsmänner zu allen Zeiten ihrem Volke als sein politisches Vermächtnis und Privileg vorgaukeln, ohne daß das Volk bis zum heutigen Tage in den Vollgenuß dieser Ideale gekommen ist. E s hört aber gern darüber sprechen, zumal wenn sie in so schöne Worte gefaßt sind, wie es Wilson mit seiner Rednergabe fertig bringt. Der Präsident weiß, daß er dadurch das amerikanische Volk mit sich fortreißt

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und willig macht, seine Söhne und sein Geid für das eigentliche Ziel zu opfern, welches Wilson wohlweislich in seinen Reden nie erwähnt hat, nämlich den U. S. A. eine starke Armee und für den künftigen Wettkämpf im Welthandel eine stattliche Flotte und Handelsmarine zu verschaffen. Wenn dieser Wunsch seines Lebens verwirklicht ist, wenn die Bedingungen hierzu erfüllt und die erforderlichen Mittel bewilligt und bereitgestellt sind, dann wird Wilson den Augenblick als gekommen erachten, um über die Friedensbedingungen mit den Feinden zu verhandeln. — „Um der neuentstandenen Republik Rußlands die Erfahrungen der älteren Schwester-Republik im Aufbau einer Regierung zuteil werden zu lassen und das russische Volk in der Fortführung des Krieges zu bestärken," sandte die U. S. A.-Regierung eine Abordnung unter Roots Führung nach Rußland, welcher unter anderen bedeutende Männer des Handels, der Finanz und der technischen Wissenschaften angehörten. Die Mission kam nach einigen Monaten zurück, und man erfuhr so gut wie nichts über die erzielten Erfolge. Selbst der sonst so gesprächige Root war schweigsam. Die eigentliche Absicht dieser Mission war, Handelsprivilegien für die Ausbeutung russischer Bodenschätze und für die Einrichtungen amerikanischer Industrien als Sicherheit für das geliehene und noch zu leihende Geld zu erlangen. Bei dem Chaos der unsicheren Regierungsverhältnisse in Rußland mußte die Abordnung bald einsehen, daß ihr Ziel zurzeit nicht durchführbar war, und kehrte daher unverrichteter Sache wieder heim. — Auf der andern Seite verweigerte die U . S . A. - Regierung zur selben Zeit den drei amerikanischen sozialistischen Abgeordneten Hillquit und Lee aus New York und Berger aus Milwaukee die Pässe für die Teilnahme an der sozialistischen Versammlung in Stockholm mit der Begründung, daß diese Konferenz durch deutsche Propaganda geplant sei, um Rußland zu einem Sonderfrieden zu bestimmen, und daß es von jeher Amerikas Politik gewesen sei, daß Privat104

personen sich an nichts beteiligen sollten, was internationale Fragen betreffe. — Als ein wichtiges Ergebnis der Besprechungen mit den alliierten Abordnungen mußte das Abkommen über die Versorgung der Neutralen mit Lebensmitteln angesehen werden. Um zu verhindern, daß die Ausfuhr nach diesen Ländern ihren Weg in Feindesland finde, und um möglichst jede Tonne Schiffsfracht für wesentlichen Bedarf der Alliierten zu sichern, und nicht zum letzten, um die Neutralen fcum Anschluß an die Alliierten zu zwingen, waren die Rationen erörtert worden, auf welche die Neutralen gestellt werden sollten. Man kam im allgemeinen zu der Verständigung, daß die U. S. A. sich an dem von den Alliierten ausgearbeiteten System des Kurzhaltens der Neutralen beteiligen sollten, wobei diejenigen zuerst zu berücksichtigen seien, welche der Sache der Alliierten gegenüber freundliche Neigung an den T a g legten. Die Skandinavischen Länder zeigten darüber große Besorgnis. Ihre Herrscher mit den leitenden Staatsmännern trafen in Europa zu einer Konferenz zusammen, um aufs neue ihren gemeinsamen Willen zu weiterer strenger Neutralität zum Ausdruck zu bringen. Die meisten Neutralen schickten zur Schlichtung dieser sehr heiklen Frage besondere Abgesandte nach Amerika. Wochenlang lagen über 20 holländische beladene Dampfer untätig im Hafen von New York, da ihnen die U. S. A. - Regierung die Abfahrt nach Europa verweigerte, bis endlich eine Einigung dahin zustande kam, daß Holland eine Anzahl Schiffe den U. S. A. für den Verkehr mit Mittel- und Südamerika überließ und dafür gewisse größere Rationen an Lebensmitteln zugestanden erhielt. Mit der Kriegserklärung an Deutschland hatte sich die U. S. A.-Regierung eine gewaltige Aufgabe gestellt. Denn zum Kriegführen waren vor allem Soldaten und Geld nötig. Die Aufgabe war für Amerika um so gewaltiger, weil es bisher auf all den fraglichen Gebieten völlig unvorbereitet 105

gewesen war. Die Gesetzgebungsmaschine mußte in Gang gebracht werden, und Senat und Kongreß arbeiteten mit Hochdruck an der Vorbereitung der einzelnen Vorlagen, genannt Bills, welche zur Durchführung gebracht werden mußten. E s kann nicht im Rahmen dieser Schrift liegen, diese Vorlagen ausführlich zu behandeln, jedoch sollen ihre wesentlichen Grundzüge Erwähnung finden. Ich wende mich zunächst der Aushebungsvorlage — (Draft-bill) — mit ihren Begleiterscheinungen zu. Bis zum Eintritt Amerikas in den Krieg. verfügte es über ein kleines stehendes Heer von etwa iooooo Mann, welches durch das Aufgebot der Nationalgarde ergänzt werden konnte. E s gab keinen Dienstzwang, die Soldaten waren Söldner, und die Nationalgarde war nahezu unausgebildet.' Die Offiziere für das stehende Heer wurden in einem 4jährigen Kursus auf der Kadettenanstalt von Westpoint am Hudson herangebildet. Die Anstalt genoß mit Recht einen guten Ruf. Mit der Aushebungsvorlage führte die Regierung den Dienstzwang zunächst für die Dauer des Krieges ein und beabsichtigte eine Armee von 2 Millionen Soldaten aufzustellen. Die von der Volksvertretung angenommene Bill unterzeichnete der Präsident am 18. 5. 1917 und bestimmte den 5. 6. als den allgemeinen Registrierungstag. Meldepflichtig waren alle männlichen Personen im vollendeten 2.1.—31. Lebensjahr, gleichgültig ob ledig oder verheiratet, ob Bürger oder Nicht-Bürger, ja selbst die feindlichen Ausländer innerhalb der Altersgrenze mußten registrieren. Die Vorlage stellte 5 Klassen auf und bestimmte die Reihenfolge, in welcher die Meldepflichtigen zum Dienst herangezogen werden sollten, wobei gebührend Rücksicht auf diejenigen genommen wurde, welche gewisse Anverwandte zu ernähren hatten oder die vermöge ihres Berufes anderweit vorteilhaft beschäftigt werden konnten. Man rechnete auf etwa 10 Millionen Meldepflichtige. Aus dieser Zahl sollten für die nationale Armee zunächst 500000 Mann ausgelost und in Dienst gestellt werden. Nebenher sollte die reguläre 106

Armee auf etwa 250000 Mann und die National-Garde auf wenigstens 300000 Mann verstärkt werden. Die neue National-Armee sollte in 16 Divisionen eingeteilt werden. Die Errichtung von 32 Übungslagern war vorgesehen. Eine Division regulärer Truppen sollte unter Generalmajor Pershing sobald als möglich nach Frankreich gesandt werden, dagegen wurde Roosevelts Angebot, mit einer Freiwilligenschar nach Frankreich zu gehen, mit der Begründung abgelehnt, daß in diesem Kriege nur wirklich geschulte Leute verwendet werden könnten. In verschiedenen Teilen des Landes war eine weitverzweigte Propaganda gegen die Draft-Bill im Gange. So hatten sich einige hundert Bergbewohner Virginias durch einen Eid verbunden, um der Zwangsaushebung auf Leben und Tod Widerstand entgegenzusetzen. Auch aus den Staaten Texas, Washington, Michigan, New York wurden Agitationen gemeldet. Andere wiederum gingen über die Grenze nach Mexiko, Canada und Habanna, um auf diese Weise der Aushebung zu entgehen. In allen diesen Fällen griffen die Behörden mit strenger Hand ein, um durch warnende Beispiele die Ausbreitung dieser Propaganda im Keime zu ersticken. Die Aufstellung des Heeres war somit gesichert. E s galt nun die nötigen Mittel für die Formierung, Ausrüstung und Unterhaltung dieses Heeres bereitzustellen. Dies geschah durch die 2-Milliarden-Dollaranleihe, welche mit dem hochklingenden Namen „Freiheitsanleihe" dem Publikum schmackhaft gemacht wurde. Diese Anleihe wurde von der Regierung in Stücken von 50 bis 100000 Dollar zu Pari ausgegeben, trug 31/2 Prozent Zinsen, und das Einkommen daraus war frei von jeder staatlichen und städtischen Besteuerung mit Ausnahme der Erbschaftssteuer. Die Fälligkeit war auf den 15. 6. 1947 festgesetzt, jedoch war jdie Regierung berechtigt, nach 1932 die Stücke unter 3monatlicher Aufkündigung einzulösen. Sollte die Regierung zu irgendeiner Zeit während des gegenwärtigen Krieges eine neue Anleihe zu einer höheren Zinsrate auflegen, dann sollte 107

jeder 31/2 Prozent Bondinhaber das Recht des Umtausches gebührenlos haben. Zur Zahlungserleichterung waren Ratenzahlungen nachgelassen. Das Anleihegeschäft begann gegen Mitte Mai 1 9 1 7 und endete vor dem 15. 6. Die Regierung kannte das amerikanische Volk sehr genau. Der Durchschnitts - Amerikaner kann sehr patriotisch sein, solange es nicht seine Geldbörse berührt. Außerdem ist er nicht gewöhnt, seine Ersparnisse in Regierungsbonds als Sicherheit anzulegen, er zieht es vor, an der Börse damit zu spekulieren. Die Regierung wünschte auf alle Fälle die Freiheitsanleihe zu einem E r f o l g zu machen; sie sollte nicht nur voll gezeichnet, sondern erheblich überzeichnet werden, um dem Auslande zu beweisen, daß der Krieg in Amerika volkstümlich sei. Zu diesem Zwecke setzte die Regierung die Maschine der Reklame in Gang, und auf diesem Gebiete sind die Amerikaner unstreitig sehr geschickt und findig. Die Hauptreklame ging von den Zeitungen aus. Neben den Banken wurden alle Post-, Zoll- und Steuerbehörden zur Annahme von Zeichnungen ermächtigt. In den Zeitungsbureaus, in den großen Warenhäusern, in Hotels, auf den Bahnhöfen, auf belebten Straßen wurden in Verkaufsständen Zeichnungen entgegengenommen. Frauen und Mädchen aus allen Gesellschaftsklassen hatten sich im ganzen Lande zu Verbänden zusammengeschlossen, welche entweder Zeichnungen an den ebenerwähnten Kaufsstellen entgegennahmen oder Kauflustige heranbrachten. Berühmte Schauspielerinnen und Tänzerinnen verkauften in den Theatern oder in Warenhäusern persönlich Freiheitsanleihe. Verschiedene Theaterfirmen stellten ihre Häuser im ganzen Lande Rednern aus Bank-, Richter- und Beamtenkreisen zur Verfügung. Geistliche forderten in den Kirchen von der Kanzel herab die Gemeinde auf, Freiheitsanleihe zu zeichnen. Der Kriegssekretär Baker und der Marinesekretär Daniels erließen einen Zeichnungsaufruf an die Leute in der Armee und in der Marine. Schatzamtssekretär M c . Adoo begab sich auf

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zwei Reisen nach dem Mittelwesten und dem Osten, um die Anleihe persönlich anzupreisen. Überall wurden Massenversammlungen zu diesem Zwecke abgehalten. In den Feierstunden am Abend forderten Redner an belebten Straßenpunkten zur Zeichnung auf, während elektrische Riesenreklameschilder dem Passanten mit dem Schlagwort „Sei patriotisch, kaufe Freiheitsanleihe und hilf den Krieg gewinnen" nach Dunkelwerden hell entgegenglänzten. An den Wagen der Post, der Eilgutgesellschaften und an vielen Automobildroschken waren ähnliche Schilder angebracht, und in den Schaufenstern fast jeden Ladens waren die gleichen Aufrufe aufgestellt. Die Marken auf Briefen und allen andern Postsendungen wurden durch einen Zeichnungsaufruf entwertet. Trotz dieser ungeheuren Reklame ließen die kleinen Zeichnungen viel zu wünschen übrig. „Laß' die Andern Freiheitsanleihe kaufen", so dachte ein großer Teil der Durchschnitts-Amerikaner. So kam es, daß bis kurz vor Ablauf der Zeichnungsfrist der volle Betrag noch nicht garantiert war. Von einer Gesamtbevölkerung von etwa 100 Millionen Einwohnern hatten nur annähernd 4 Millionen gezeichnet. Die Anleihe wurde schließlich überzeichnet, mit 1035226880 Dollars, aber nur dadurch, daß große Geldinstitute große Beträge übernahmen. Deshalb hatte diese Überzeichnung nicht viel zu bedeuten, wenn man den gegenwärtigen Volkswohlstand und die Tatsache in Betracht zog, daß es die erste Anleihe und. die erste Geldkraftprobe war. Der Umstand, daß Banken und Geldinstitute mehr Anleihe übernommen hatten, als sie zur Aufrechterhaltung ihrer Geldgeschäfte vertragen konnten, zeigte sich schon wenige Wochen nach dem Ausgabetag der Anleihe an der New Yorker Börse. Die Anleihe wurde hier in solchen Massen zum Kauf angeboten, daß der Kurs beinahe zwei Punkte unter den Auflagekurs sank. Ein langer und erbitterter Kampf entspann sich sowohl im Kongreß wie im Senat über die Spionage-Bill mit der

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Embargo- und der Zensurklausel, welcher teilweise hinter verschlossenen Türen ausgefochten wurde. Die Embargoklausel ermächtigte den Präsidenten, wenn es die Sicherheit des Landes erfordere, ein Ausfuhrverbot auf irgendeinen Artikel des amerikanischen Exports und gegen irgendein Land zu legen und sollte in der Häuptsache verhindern, daß neutrale, an Deutschland angrenzende Länder ihre Warenlager mit Lebensmitteln und Bedarfsartikeln aus den U. S. A. füllten, um sie an Deutschland weiterzuverkaufen. Die Zensurkläusel richtete sich gegen: die Freiheit der amerikanischen Presse und der öffentlichen Meinungsäußerung und gab dem Präsidenten das ausschließliche Recht, für die Dauer des Krieges zu bestimmen, was die Presse über die Kriegsereignisse drucken und was das amerikanische Volk darüber wissen dürfe. Natürlich fand die Opposition in den gesetzgebenden Häusern die Unterstützung der gesamten Presse, welche in langen Artikeln die Frage aufrollte: — „Wozu eine patriotische Presse knebeln?" und davor warnte, daß die Maßnahme die Grundpfeiler der amerikanischen Demokratie und der Konstitution erschüttere. Die Zensurklausel wurde schließlich im Kongreß und Senat niedergestimmt, während' der übrige Teil der SpionageBill Annahme fand. Bezüglich der Zensurbestimmung fügte sich die Presse einer freiwilligen Beschränkung dahin, daß sie keine Berichte über Operationen der Land- und Seestreitkräfte oder irgendwelche Informationen, welche dem Feinde nützlich sein könnten, drucken würde. In Washington wurde ein Bureau der „öffentlichen Information" eingerichtet und an seine Spitze ein Journalist namens Creel vom Präsidenten gestellt. Bald darauf kam Lord Northcliffe, der einflußreiche Zeitungsbesitzer, aus England herüber und nahm, wenn nicht dem Namen nach, so doch in Ausführung den gesamten Nachrichtendienst in seine Hände. Nur das, was dieses Nachrichtenbureau herausgab, durfte die Presse veröffentlichen, und damit hatte sie tatsächlich ihre Freiheit verlören. Allerdings war sie nicht auf dem Wege 110

der Gesetzgebung dazu gezwungen worden. Sie fügte sich, solange dem Gesetze nach die Preßfreiheit fortbestand, und die Regierung war gleichfalls zufriedengestellt, denn sie hatte ihren Zweck erreicht. — — Eine wichtige Aufgabe während des Krieges sollte die Nahrungsmittel-Bill lösen. Sie sollte die Regierung in den Stand setzen, ihr eigenes Volk zu unterhalten und obendrein die Völker in Europa zu ernähren. Die Bill, welche am 23. 5. 1917 im Kongreß von dem Vorsitzenden des Hausausschusses für Landwirtschaft Lever eingebracht wurde, befaßte sich mit Bedarfsartikeln des täglichen Lebens wie Nahrungs- und Futtermittel, Kleidung, Schuhe, alkoholische Getränke, Brennmaterial und Stoffe, welche zur Herstellung all dieser Sachen benötigt werden, und übertrug die uneingeschränkte Kontrolle darüber auf den Präsidenten. Damit war nicht gesagt, daß es die Absicht der Regierung war, den rechtmäßigen Handel in Lebensmitteln zu monopolisieren, oder die dem Präsidenten übertragenen Machtbefugnisse auf jeden Fall zum Gesetz zu erheben. Vielmehr sollte dies nur geschehen, wenn die Lebensinteressen des Landes es erforderten. Die Ziele der Bill im einzelnen waren folgende: — Das ungehörige Ansammeln und eine ungerechte Spekulation in Lebensmitteln und Bedarfsartikeln zu verhindern; dem Vergeuden und Verderbenlassen von Nahrungsmitteln entgegenzuarbeiten; den Präsidenten zu ermächtigen, im Notfalle Höchst- und Niedrig-Preise festzusetzen und den Verbrauch von Getreide oder NahrungsStoffen zwecks Herstellung alkoholischer Getränke zu beschränken oder zu verbieten; alle Verteilungsstellen durch staatliche Lizenzierung zu kontrollieren; Normen für die Abstufung der Arten in Korn und Lebensmitteln festzulegen; Bedarfsartikel durch Agenturen zu kaufen, zu lagern und auf den Markt zu bringen; Fabriken, Minen oder Anlagen, deren Eigentümer oder Verwalter den gegebenen Vorschriften nicht gehorchten, durch die Regierung betreiben zu lassen; die Mischung von Korn und Weizenmehl zu 111

erzwingen; die dem Präsidenten zustehenden Machtbefugnisse zum Teil oder insgesamt auf andere von ihm erwählte Personen zu übertragen und die Erzwingung der Vorschriften der Aufsicht eines ernannten Ausschusses zu überlassen. An die Spitze dieses Ausschusses stellte der Präsident einen befähigten Sachverständigen namens Hoover, welcher als Vorsitzender der belgischen Unterstützungskommission während des Krieges besonders in Deutschland seine Erfahrungen gesammelt hatte. Auch der Pathologe der Universität von Pennsylvania Dr. Taylor, welcher von der U.S.A.-Regierung nach Europa geschickt worden war, um die Nahrungsfrage zu studieren, und 6 Monate in Deutschland zugebracht hatte, aber auch die alliierten Länder bereist hatte, erschien als Sachverständiger vor dem Landwirtschaftsausschuß. Hoover und Taylor waren sich darüber einig, daß Deutschland allein die Nahrungsfrage gelöst habe. Wiederum war es das Barbarenvolk, welches an der Spitze der Kultur und Wissenschaft marschierte, und die Amerikaner trugen kein Bedenken, die deutschen Einrichtungen zum Muster zu nehmen. Die U. S. A. hatten den Alliierten hauptsächlich Weizen, Fleisch, Fette und Zucker zu liefern. Demzufolge empfahl das Nahrungsamt den Hausfrauen und Restaurantbesitzern, Korn, Hafer und andere Hülsenfrüchte für einen Teil von Weizenmehl zu verwenden, Fisch, Geflügel und Eier anstatt Fleisch, und für Zucker Syrup und andere Süßigkeiten, und Pflanzenöle für Fett teilweise zu gebrauchen. Wilson führte hierzu folgendes aus: — „Unser Land ist gesegnet mit Überfluß an Nahrungsmitteln, und wenn unser Volk damit sparsam umgehen will, wenn es Vergeudung ausscheidet, reichlichen Gebrauch von den Ersatzlebensmitteln macht, woran Überfluß besteht, und so einen größeren Teil der von den Völkern Europas benötigten Lebensmittel freimacht, dann werden wir nicht nur imstande sein, unsere Verpflichtungen gegen diese Völker zu erfüllen, sondern wir werden auch vernünftige Preise hier im Lande durchsetzen, —" 112

Soweit hat sich das Publikum in den U . S . A. folgenden Beschränkungen des Nahrungsmittelamtes gefügt: — Dienstag war der fleischlose Tag in der Woche; Mittwoch war der weizenlose Tag, da gab es kein Brot oder Brötchen aus Weizenmehl. Diese Beschränkungen ertrug jeder gern, denn an den andern Tagen konnte er für Geld diese Lebensmittel in reichlicher Fülle haben. Dagegen machten sich die bedeutend gesteigerten Lebensmittelpreise mehr fühlbar. Natürlich traten durch die Umtriebe von Spekulanten auch einige eigenartige Erscheinungen zutage. So zeigte sich auf einmal im ganzen Lande eine beängstigende Knappheit an Zucker, und der Preis stieg zu fabelhafter Höhe. Abhilfe trat erst allmählich wieder ein, nachdem die Regierung große Lager heimlich aufgestapelten Zuckers entdeckt und davon Besitz ergriffen hatte. Auch auf den Mangel an Schiffen war die Zuckerknappheit zum Teil zurückzuführen. Ein wichtiger Abschnitt in der Bill gab dem Präsidenten die Kontrolle über die alkoholischen Getränke. Während die übrigen Abschnitte von den gesetzgebenden Häusern rasch erledigt wurden, entspann sich hierüber ein lebhafter Streit. Die Befürworter und die Gegner der Prohibition prallten aufeinander. Prohibition d. i. Verbot des Handels und Genusses geistiger Getränke, hat schon vor dem Kriege in den U. S. A. eine Rolle gespielt, und eine ganze Reihe von Einzelstaaten ist bereits „alkoholtrocken". Die Verfechter der Prohibition benutzten diese Gelegenheit, um zunächst für die Dauer des Krieges das ganze Land alkoholtrocken zu machen. Dazu kam es aber nicht. Es wurde jedoch die Einfuhr von Whisky und Schnäpsen für die Kriegsdauer verboten und die Herstellung im eigenen Lande bedeutend eingeschränkt. Es war streng untersagt, Soldaten und Matrosen in Uniform geistige Getränke zu verabreichen. Das Amt zur Überwachung der Brennmaterialien hatte Garfield übernommen. E r sah sich bald vor eine Riesen^ K r a h l , Die Rolle Amerikas

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aufgabe gestellt. Denn mit dem Herannahen des Winters machte sich im ganzen Lande, besonders aber im Osten, ein ungeheuerer Kohlenmangel fühlbar. Sparsamkeit mit Gas und elektrischem Licht in Haushalt und öffentlichen Lokalen wurde dringend empfohlen. Dies schaffte aber wenig Abhilfe. Denn um das Übel voll zu machen, setzten Schneestürme und darnach langanhaltende bittere Kälte ein, wie sie die Amerikaner in den letzten 30 Jahren nicht erlebt hatten. Diese Witterungsverhältnisse erschwerten überall das Heranschaffen von Kohlen. In den atlantischen Häfen lagen zahlreiche Schiffe, mit Lebensmitteln und Kriegsmaterial für die Alliierten beladen, welche nicht abfahren konnten aus Mangel an Kohle, während manche Familie, arm oder bemittelt, das Weihnachtsfest 1917 in einer eiskalten Wohnung feiern mußte. Die Ursache für diesen Mißstand war nicht so sehr in spekulativen Umtrieben als in dem gänzlichen Versagen des Transportwesens zu suchen. Die Güterbahnhöfe der von den Industriestädten zu den atlantischen Häfen führenden Eisenbahnen waren alle so sehr mit Material für die Alliierten überfüllt, daß eine rasche Entladung unmöglich war. Auf den verschiedenen Bahnhöfen standen beladene Kohlenwagen, man konnte aber nicht an sie herankommen und sie entladen. Garfield erließ unter dem 16. 1. 1918 einen drastischen Erlaß über den Verbrauch von Kohlen, welcher auf Wochen hinaus an bestimmten Tagen den Verbrauch von Kohlen den Restaurants und Vergnügungsstätten sowie den nicht in der Kriegsindustrie beschäftigten Fabriken einfach verbot. Die Verordnung hatte Gültigkeit für alle Staaten östlich vom Mississippi, einschließlich Louisiana und Minnesota. Nach Garfields eigener Bestätigung bestand eine Kohlenknappheit seit 8. 9. 1917, nicht aus Mangel an geförderten Kohlen ¡in den Minen, sondern aus Mangel an Transportmöglichkeiten. Der Plan der Regierung zielte darauf ab, für die in den atlantischen Häfen festgehaltenen Schiffe die für die stillgelegten Industrien bestimmten Kohlen aufzukaufen und

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im übrigen Zeit zur Ausgleichung und Regelung der Transportverhältnisse zu gewinnen. Ich komme jetzt zur Schiffahrtsvorlage. Daß die Tauchbootgefahr und die Mittel und Wege zu ihrer Bekämpfung das Hauptproblem der britischen Sonderabordnung gebildet haben, kann keinem Zweifel unterliegen. Die Rede von Lloyd George, in welcher er den Ruf nach Schiffen und mehr Schiffen ausstieß, Lord Percys Erklärung, daß die Tauchboote mehr Schiffe vernichteten, als gebaut werden könnten, ließen darüber keinen Zweifel übrig. Einer der größten Faktoren der Beunruhigung war die Ungewißheit, wieviele Tauchboote Deutschland im Betrieb und im Bau haben mochte. Im Hinblick auf die unbestreitbare Tatsache, daß die Tauchboote täglich riesige Lücken in die Tonnage rissen, war die Regierung entschlossen, der Volksvertretung Vorlagen zu unterbreiten, welche dem Präsidenten eine diktatorische Gewalt über alle Schiffe und Schiffsbauhöfe im Lande geben sollten. Die Regierung brachte zu ihrer Überraschung in Erfahrung, daß viele Schiffsbauhöfe fremde Aufträge angenommen hatten und nicht bereit waren, patriotische Aufträge, welche vielleicht weniger Gewinn abwarfen, anzunehmen. Die Regierung dachte nicht weiter, als so rasch wie möglich die Tauchbootgefahr zu überkommen, und sah ein Mittel dafür in dem raschen Aufbau einer großen Zahl kleiner hölzerner Schiffe, ein Programm, welches ihr die hinzugezogenen Sachverständigen empfohlen hatten. Mit tausend und mehr solchen Schiffen sollte der Atlantische Ozean in kurzer Zeit gleichsam überbrückt werden, so hieß es in der bekannten amerikanischen Reklamemethode. Das schlaue England widersprach dem Plan nicht, solange die Holzschiffe für die Dauer des Krieges den Zweck erfüllten, Albion aus seiner Not zu retten. Es wußte genau, daß diese Schiffe für eine Handelsflotte nach dem Kriege wertlos waren, und daß es deshalb die U. S.A. als Nebenbuhler nicht zu fürchten brauchte. Aus demselben Grunde dachte es nicht daran, selbst solche Holzschiffe zu bauen, und 8*

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machte sich mit Hochdruck an den Bau großer Stahlechiffe. Es gab denn auch in den U. S. A. viele Einsichtige, welche sich dieser Tatsache nicht verschlossen, vor allen Generalmajor Goethals, welchen Wilson an die Spitze der Schiffsbaubehörde neben dem Vorsitzenden Denman berufen hatte. Die Frage, ob hölzerne oder eiserne Schiffe, war lange Zeit heißumstritten. Goethals drang schließlich mit seinem Plan durch, daß nur soviel hölzerne Tonnage erzeugt werden sollte als die Schiffsbauhöfe in Ergänzung zu der Stahlschiffherstellung hervorzubringen imstande wären und daß im Falle der Überwindung der Tauchboote Zuerst der hölzerne Schiffsbau eingestellt werden sollte. Die Schiffahrts-Bill stellte die nötigen Mittel für das Bauprogramm bereit, sah die Verwendung aller Stahlwerke des Landes für Regierungszwecke sowie die Aufhebung, Beschränkung oder Übernahme der Kontrakte für von Privatseite bestellte Schiffe vor, gab Vorschriften für Übernahme von Docks und Werften, um Kohlen und Kriegsmaterial zu speichern, und vieles andere. Über die Vergebung der Kontrakte, über die Anzahl und Größe der Schiffe, ob hölzern oder aus Stahl, und über den Fortschritt der Arbeiten drang wenig in die Öffentlichkeit, um zu verhindern, daß an Deutschland irgend welche nützliche Information gelange. Neben der Schiffsbaubehörde war eine sogenannte nautisch-technische Beratungskommission gebildet Worden, welche hauptsächlich aus Fachleuten bestand. Ihr gehörte auch der bekannte Thomas Edison an. Ihre Hauptaufgabe war, alle ihr unterbreiteten Erfindungen theoretisch zu prüfen und eventuell praktisch zu erproben. Nach Tausenden zählten die angebotenen Erfindungen, so berichtete die Kommission, aber nur sehr wenige davon waren praktisch verwertbar. Natürlich wurden darüber ebenfalls keine Einzelheiten bekannt. Unter anderen forderte der bekannte Erfinder des Schnellfeuergewehrs JVTaxim zum Bau unversenkbarer Schiffe auf, um die Vernichtung von Truppen- und Frachtschiffen zu verhindern. Einige Erfindungen, so gab die Kommission 116

bekannt, seien von der Regierung angenommen und gegen die Tauchboote vorteilhaft angewendet worden. Dazu gehörten die gefürchteten Tiefseebomben. Aber ein Radikalmittel war noch nicht erfunden worden, sonst hätte die Regierung wenigstens die Tatsache zur Beruhigung der öffentlichen Meinung bekanntgegeben. Seit Beginn des uneingeschränkten Tauchbootkrieges hatte die englische Regierung einen wöchentlichen Bericht über die Versenkungen herausgegeben, welcher auch in den amerikanischen Zeitungen regelmäßig erschien. Aber abgesehen davon, wieweit diese Angaben der Wahrheit entsprachen, war die Norm, nach welcher die Berichte gemacht wurden — nämlich Schiffe über und unter 1600 Tonnen und Fischerboote — so willkürlich unbestimmt und nicht dazu angetan, einen wirklichen Anhalt über die versenkte Tonnenzahl zu geben. Die englische Regierung erkannte aber sehr richtig, daß es besser war, dem "Publikum irgendwelche nichtssagenden Ziffern zu geben, an die es sich klammern konnte, als durch gänzliches Schweigen die öffentliche Meinung in Unruhe zu erhalten. Genau wie beim Schiffsbauprogramm so beim Luftflottenplan mächte sich die amerikanische Prahlerei geltend. 25 000 Flugzeuge sollten rasch gebaut und über ganz Deutschland gesendet werden, um das deutsche Volk in seinem Lande die Kriegsschrecken fühlen zu lassen und es dadurch zur Auflehnung gegen die autokratische Regierung zu treiben. Über die Einzelheiten drang aus dem mehrfach erwähnten Grunde nichts in die Öffentlichkeit. Nur soviel wurde bekannt, daß eine Luftflotten-Kommission eingesetzt, 640 Millionen Dollars für die Luftflotte bewilligt und die bestehenden Bauhöfe und Ausbildungslager vergrößert bezw. neue dazugefügt worden seien. Über das gänzliche Versagen dieser Abteilung werden wir später berichten. Man hatte weiter ein W a r - B o a r d — eine Kriegskommission — ins Leben gerufen. Ihre Hauptaufgabe war die Verteilung und Überwachung der Kriegsaufträge der

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U . S . A . und der Alliierten an die Fabrikanten und Liefe* ranten. — Ich komme jetzt zur Besprechung derjenigen Bill, welche am einschneidendsten die Lebensinteressen des Volkes, ob reich oder arm, berührte. E s ist dies die Kriegssteuervorlage. Die ungeheuren Kriegsausgaben konnten unmöglich durch Freiheitsanleihen allein gedeckt werden. Die Kriegssteuervorlage mußte einen wesentlichen Teil dazu beitragen und war berechnet, zu den bisherigen Steuererträgnissen einen Zusatz von i 800 000 000 Dollars zu liefern. Die meisten der neuen Steuererhebungen traten mit dem 1/6. 1917, dem Beginn des Fiskaljahres in Kraft. Nachstehend folgt eine kurze Übersicht der neuen Steuern: 1. E i n k o m m e n s t e u e r : Zusatzsteuer von 2 0/0 zu der früheren 2 °/oigen Normalrate unter Ausschluß von Einkommen von 1000 $ (früher 3000 $) und 2000 $ (früher 4000 $) für unverheiratete bzw. verheiratete Personen. Progressive Steuerraten begannen bei jährlichen Einkommen über 5000 $ und erreichten 330/0 auf Einkommen über 500000 $. 2. Z ö l l e : Alle Artikel auf der bisherigen Freiliste wurden mit 10 0/0 Zoll belegt und der Betrag aller zollpflichtigen Artikel um 10 °/o erhöht. 3. K a f f e e : Ein Cent per Pfund auf Lagerware an Hand; Zoll auf Import. 4. T e e : Zwei Cent per Pfund auf Lagerware an Hand; Zoll auf Import. 5. Ü b e r m ä ß i g e P r o f i t e : i6°/o. 6. E r b s c h a f t s s t e u e r : Zusatzsteuer von 7s—15 °/o nach abgestufter Skala, eine Erhöhung um etwa ein Drittel. 7. P o s t s a c h e n : Briefporto von 2 auf 3 Cent per unce, Postkarten von 1 auf 2 Cent; Zusatzraten auf Postpakete und Postsachen 2ter Klasse unter Zugrundelegung eines Zonentarifs. 8. T e l e p h o n r u f e : 50/0 Taxe. 9. T e l e g r a p h : 50/0 Taxe.

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10. E l e k t r i s c h e K r a f t : 50/0 für Haushaltungs- und Heizungszwecke und für Automobile. 1 1 . R ö h r e n l e i t u n g : 50/0 Taxe für Transport von öl. 12. A n n o n c e n : 50/0 für Annoncenraum, ausgenommen in Zeitungen und Magazinen. 13. F r a c h t : 30/0. 14. E i l g u t : 100/0. 15. F a h r k a r t e n a u f E i s e n b a h n e n u n d S c h i f f e n : 10 0/0. Pullmann-Zuschlagskarten 10 0/0. 16. V e r s i c h e r u n g : Lebens-, Land-, See-, Feuer- und Unfallversicherung mit bestimmten Ausnahmen. 17. P a t e n t m e d i z i n e n , Kosi&etiks und Toilettenartikel : 5 0/0. 18. T a b a k : Fabrizierter Tabak von 8 auf 16 Cent per Pfund; Zigaretten von 1,25 $ auf 2,50 $ per Tausend; radikale Zusätze auf Zigarren. 19. G e t r ä n k e : Radikale Zusätze auf Weine, Whisky, Schnäpse, Biere, alkoholfreie Getränke und Syrups. 20. S c h m u c k s a c h e n : Echt oder unecht 50/0. 21. U nt e r h a 1 1 u n g s - u n d ' T h e a t e r e i a ' t r i t t s k a r t e n : 100/0; und 1/2—1 °/o für jeden Liniarfuß Film für die Kinos. 22. K l u b b e i t r ä g e : 10 0/0 des jährlichen Mitgliedsbeitrags, ausgenommen religiöse und wohltätige Vereine. 23. S t e u e r n : Auf Automobile und Gummireifen, Motorund Vergnügungsboote, auf musikalische Instrumente, Sport- und Spielartikel, Kaugummi. 24. Die Steuer auf Vermögensübertragungen war in stufen* weiser Skala erhöht worden. 25. Endlich waren Steuern vorgesehen vermittels Stempelmarken auf eine ganze Reihe von Dokumenten. Wie man sieht, war bei diesen Steuern nichts übersehen worden, was irgendwie einen Dollar bringen konnte. Der Senator Kitchin, welcher die Steuervorlage vertrat, bemerkte dazu: — In gewöhnlichen Zeiten wäre fast jeder Steuerposten der Bill eine grausame Ungerechtigkeit, und nur die

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Tatsache des Krieges könne die Steuern rechtfertigen. Er werde für die Bill „mit geschlossenen Augen" stimmen. So haben auch die U . S . A . ihre eigene Steuerbürde zu tragen, welche nach dem Kriege in der Hauptsache bestehen bleiben wird, sobald das Fortbestehen der Armeen und Flotte auch für die Zukunft zum Gesetz erhoben werden sollte. Als letzte von den wichtigsten Kriegsmaßnahmen würde das Gesetz „über den Handel mit dem Feinde" genehmigt. Es übertrug auf den Präsidenten das Recht, alle Einfuhr und Ausfuhr der U . S . A . , soweit solche durch von ihm gegebene Lizenzen nicht nachgelassen war, zu verbieten und alle Übertragungen von Krediten, Geld, Geldsorten, ungemünztem Geld und Wertpapieren zwischen den U . S . A . und allen Fremdländern zu untersagen oder zu regulieren. Es drohte schwere Strafen allen Personen an, welche mittelbar oder unmittelbar mit einem Feind oider Bundesgenossen eines Feindes Geschäfte machten, und gab über „Feind bzw. Verbündeter des Feindes" folgende Erläuterung: — Jede Person, einerlei welcher Nationalität, welche innerhalb Landes des Deutschen Reiches oder eines seiner Verbündeten wohnt, einschließlich des von den Militär-Streitkräften besetzten Gebietes, oder welche dort Geschäfte macht, einerlei welcher Nationalität und in welchem Lande sie wohnt, ist als ein „Feind bzw. ein Verbündeter des Feindes" anzusehen. — Danach fielen selbst amerikanische Bürger, welche in den erwähnten Gebieten wohnen blieben, unter diese Bestimmung. Dagegen wurde von dieser Bestimmung nicht betroffen ein deutscher Untertan oder Verbündeter, welcher in den U. S. A. wohnte, wennschon er nach anderen Gesetzesbestimmungen als feindlicher Ausländer interniert werden konnte. Im Augenblick seiner Internierung allerdings fand die Bestimmung als „Feind" im Sinne dieses Gesetzes auf ihn Anwendung. Solange er frei war, durfte er also seine Geschäfte fortsetzen und behielt Besitz und Kontrolle seines Eigentums, während er in den U. S. A. verblieb. 120

Das Gesetz gab ferner eine Auslegung von „Geschäfte machen" und verbot nicht nur Geschäfte mit dem Féinde, sondern mit jeder Person, einerlei welcher Nationalität und wo sie wohnte, bei welcher begründeter Verdacht bestand, daß sie für Rechnung oder Vorteil eines Feindes handelte. Es ordnete die Übernahme und Verwaltung feindlichen Eigentums in den U. S. A. durch einen öffentlich bestellten Verwalter an, enthielt Vorschriften über die Verwendung feindlicher Patente und stellte gewisse Regeln über die fremdsprachliche Presse im Lande auf. Die wichtigste Handlung des Präsidenten unter diesem Gesetze war die Schaffung eines War-Trade Board — Kriegshandelsamt — welchem er die ihm zustehenden Vollmachten übertrug. An seine Spitze berief Wilson den Finanzmann Baruch. Dieses Kriegshandelsamt übte die Aufsicht über die private Einund Ausfuhr der U. S. A. von und nach den Ländern der Alliierten und Neutralen aus und erteilte Lizenzen für derartige Geschäfte. In Washington saß eine englische Kommission, welche auf die Entscheidungen dieses Kriegshandelsamtes den denkbar größten Einfluß hatte. Zum Verweser des feindlichen Eigentums wurde Palmer bestellt. Alle Personen, welche feindliches Eigentum im Sinne dieses Gesetzes in Besitz hatten oder dem feindlichen Auslande Geld schuldeten, mußten dies innerhalb einer Frist dem Verwalter anzeigen, welcher die Kontrolle darüber übernahm und sogar ermächtigt war, flüssiges Geld in Freiheitsanleihe anzulegen. Wie also leicht ersichtlich ist, war die Wirkung dieses Gesetzes auf das amerikanische Geschäftsleben sehr einschneidend. Handelsgesellschaften mit Teilhabern oder Aktionären in Deutschland und seinen verbündeten Ländern, Banken und Geld-Institute, welche Geld- und Wechselgeschäfte mit den Neutralen machten, Exporteure nach allen Teilen der Welt, amerikanische Zweiggeschäfte deutschet Firmen, Personen, welche unter deutschen Patenten fabrizierten, Einzelpersonen, welche Eigentum in feindlichen Ländern hatten, und solche, welche in den U . S . A . im Be121

sitz von feindlichem Eigentum waren, sie wurden alle von den Vorschriften dieses Gesetzes betroffen. • : In der Zeit vom 2.—27. 10. 1917 wurde die zweite Freiheitsanleihe in Höhe von 3 Milliarden Dollars zur Zeichnung aufgelegt. E s war das Recht vorbehalten, 50 0/0 von einer Überzeichnung bis zu 2 Milliarden Dollar anzunehmen. Die Anleihe wurde zu pari aufgelegt, trug 40/0 Zinsen, war aber nur beschränkt steuerfrei. Man machte sich die Erfahrungen der ersten Anleihe zunutze. Überzeichnet würde die Anleihe auf alle Fälle werden, einerlei durch wen. Aber es sollte eine Anleihe werden, getragen von dem kleinen Mann, damit die Welt sah, insbesondere Deutschland, wie geeint das amerikanische Volk hinter seinem Präsidenten stand. E s wurde mit etwa 10 Millionen Zeichnern gerechnet. U m dies zu erreichen, konnten die Anleihescheine durch Abzahlungen, 5 Dollar den Monat oder einen Dollar die Woche, erworben werden. Als dies alles noch nicht den erhofften Erfolg brachte, wiesen die Bundesreservebanken gewisse Zeichnungsbeträge den Arbeitgebern aller größeren Unternehmen, Geschäfte, Hotels usw. mit der strikten Aufforderung zu, ihre Angestellten unter Androhung der Dienstentlassung zur Übernahme von Freiheitsanleihe im Verhältnis zu ihren Gehältern und Löhnen zu zwingen, wobei Ratenzahlungen erlaubt waren, welche von den fortlaufenden Lohnzahlungen in Abzug gebracht werden sollten. Auf diese Weise hat die Anleihe den Anschein, volkstümlich zu sein, gewonnen. Natürlich wurden dieselben Reklame-Methoden wie bei der ersten Anleihe angewendet. Die PfadfinderAbteilungen wurden im ganzen Lande aufgeboten, um die Leute in ihren Wohnungen aufzusuchen und zu Zeichnungen zu bewegen. Wilson erklärte den 24. Oktober als „Freiheitsanleihetag" und erwartete, daß das Volk über das ganze Land große Demonstrationen zugunsten der Anleihe veranstalten würde. In New York fand aus diesem Anlaß ein großer Umzug statt, welcher sich nach dem Zentralpark bewegte und mit einer Feier vor dem dort aufgestellten deut122

sehen Minenleger-U-Boot endete. Marinesekretär Daniels und Bürgermeister Mitchel befanden sich unter den Rednern. Die Gesamt-Zeichnungen auf die zweite Anleihe betrugen 4 617 532 300 Dollar, also eine Überzeichnung von 1 6 1 7 5 3 2 3 0 0 Dollar über den Mindestbetrag von 3 Milliarden. Da die Hälfte der Überzeichnung angenommen werden sollte, so belief sich die auszugebende Summe auf 3 8 0 8 7 6 6 1 5 0 Dollar. E s hatten etwa 9400000 Personen gezeichnet. Die Stadt New York als das Finanzzentrum des Landes hatte 1 146 139 150 Dollar gezeichnet. Dem Volke wurde aber fernerhin eine Möglichkeit gegeben, der Regierung mit seinen Dollarn bei der Aufbringung weiterer 2 Milliarden Dollar zu helfen, in der von Mc. Adoo und Frank Vanderlip, dem Präsident der National City Bank, ausgearbeiteten Ausgabe von Kriegssparmarken, sogenannten Thrift Stamps und War saving Certificates. — Von der Maschine der Kriegsgesetzgebung führe ich jetzt den Leser zu den Alltagsereignissen zurück. Da war zunächst die Behandlung der feindlichen Ausländer im täglichen Leben von Interesse. E s muß gesagt werden, daß die Reichsdeutschen — auf sie allein bezogen sich die Vorschriften — im allgemeinen zunächst keinen Belästigungen ausgesetzt waren, solange sie den Gesetzen gehorchten. Auf der Straße, in Lokalen, überhaupt in der Öffentlichkeit konnte man unbehelligt deutsch sprechen, die Geschäftsangestellten wurden in der friedlichen Ausübung ihres Berufes nicht gehindert, und ungestört konnten die Arbeiter ihrer Arbeit nachgehen. Die amerikanischen Geschäfte, welche im Übereifer ihres patriotischen Empfindens alle deutschen Angestellten entließen, waren an Zahl gering. Bedauerlicherweise griff dieser falsche Patriotismus auch auf die Kunst über. So schloß die New Yorker Oper alle deutschen Opern, insbesondere die Wagnerschen, vom Winterspielplan 1917/1918 aus. Auch in den Konzerten wurden deutsche Komponisten mehr und mehr von den Programms gestrichen. 123

Um der Regierung einen Anhalt für die Zahl der in den U . S . A . befindlichen Reichsdeutschen zu liefern und um dem Geheimdienst die Arbeit zu erleichtern, wurden sogenannte Sperrzonen-Bestimmungen erlassen. Jeder männliche Reichsdeutsche von 14 Jahren aufwärts durfte vom1 1. 6, 1917 ab nicht ohne Erlaubniskarte in verbotenen Zonen betroffen werden, sonst wurde er ohne weitere Prüfung des Falles interniert. Als Sperrzonen waren alle Wasserfronten der Küste und der Häfenplätze, Kasernen, Arsenale, Schiffsbauhöfe und Docks, Fabriken, welche für die Regierung Munition herstellten, sowie wichtige Verkehrsanlagen wie Brücken, Tunnels, Wasserbehälter, erklärt worden. Da es bisher in den U. S. A. keine Wohnungsmeldepflicht gab, war die Durchführung dieser Bestimmungen bei dem Mangel an geübtem Beamtenpersonal nicht so einfach. Als mit der Zeit sich die Brände und Explosionen in Speichern, Docks und Schiffen vermehrten, welche natürlich auf Umtriebe feindlicher Ausländer zurückgeführt wurden, erließ Wilson am 19. Nov. 1917 einen Aufruf, welcher die Registrierung aller männlichen Deutschen von 14 Jahren aufwärts anordnete, solche Personen vom Betreten des Distriktes Columbia mit der Hauptstadt Washington und ebenso der Panamakanal-Zone gänzlich ausschloß und ihnen untersagte, sich Kanälen, Werften, Docks, Speichern, Landungsbrücken, Schiffen und Depots auf mehr als hundert Ellen zu nähern. Eine Folge dieser Verordnung war, daß in allen Häfen die Wasserfronten bei einer von Beamten und Militär gemachten Jagd von feindlichen Ausländern geräumt, die Schanklokale geschlossen und die früheren Erlaubniskarten abgenommen wurden. In seiner Ansprache an den Kongreß am 4. 12. 1917 erklärte Wilson unter anderem, daß es sich nötig mache, neue Gesetze in bezug auf die Behandlung feindlicher Ausländer zu erlassen, Gesetze, welche als kriminelles Vergehen jede absichtliche Übertretung der erlassenen Vorschriften erklärten, entsprechende Strafen dafür androhten und zuließen, solche Übeltäter in Gefäng124

nissen unter Zwangsarbeit einzusperren, Männer sowohl wie Frauen. Die Durchführung der Registrierung vollzog sich in der Zeit vom 4.—9. 2. 1918. Alle männlichen Reichsdeutschen über 14 Jahre mußten in der Polizeiwache ihres Wohnungsbezirkes unter Abnahme ihrer Fingerabdrücke registrieren: und sich dort in regelmäßigen Zeitabständen melden. Für Reisen von Ort zu Ort mußten sie in jedem Einzelfalle um Erlaubnis nachsuchen und sich am fremden Ort bei der Polizeibehörde sofort melden. — Viele Personen, welche wegen ihrer Verbindung zur deutschen Auslandsvertretung verdächtig erschienen, und andere, welche in angebliche 'Spionage- und Komplottangelegenheiten verwickelt waren, wurden interniert. Unter dem amerikanischen Volke entfaltete sich jetzt über das ganze Land eine Propaganda zugunsten des Roten Kreuzes. Das Hauptverdienst fiel der unermüdlichen und aufopfernden Tätigkeit der Frauen und Mädchen aus allen Ständen zu, welche sich zu Verbänden zusammengeschlossen hatten. Jede Person konnte bei einmaliger Zahlung eines Mindestbeitrages von einem Dollar Mitglied des Roten Kreuzes werden. Im übrigen waren der Wohltätigkeit keine Grenzen gesetzt. Für die verschiedenen Beiträge wurden verschiedene tragbare Abzeichen ausgehändigt. Man hatte sich zum Ziel gesetzt, mindestens 10 Millionen Mitglieder anzuwerben. Ähnlich wie bei dem Verkauf von Freiheitsanleihen waren in allen Warenhäusern, großen Geschäften und in Hotels Verkaufsstellen unter Leitung von jungen Damen eingerichtet worden. Um das Werben auch nach außen wirksam zu machen, hatten Frauenverbände überall im Lande Läden gemietet und darin Hilfsstellen des Roten Kreuzes eingerichtet, wo Frauen und Mädchen Artikel des Roten Kreuzes unter sachkundiger Anleitung anfertigten oder Material für solche Arbeit mit nach Hause nehmen konnten. Diese Arbeitsstellen fanden einen lebhaften Zuspruch, und die Sammlungen und Mitgliederwerbungen zeitigten ¡gute Erfolge. 125

Ich möchte nun die Aufmerksamkeit des Lesers wieder auf einige wichtige politische Ereignisse hinlenken. Um' die Mitte des Novembers 1917 fand in Buffalo der mehrtägige Konvent der Abgesandten der amerikanischen Arbeiterpartei, der American Federation of Labor, statt. Die sozialistische Partei in den U. S, A. ist international, und es ist nur zu natürlich, daß die rasch wachsende Macht dieser Partei in Europa, in Italien, Frankreich, England, Deutschland und Rußland zu einem gewissen Grade das Wachstum der Sozialisten in den U. S. A. beeinflußte. Welche Bedeutung die Regierung dieser Versammlung in Buffalo beimaß, geht daraus hervor, daß Wilson sich persönlich dahin begab und. in einer Ansprache den Patriotismus der Arbeiter anfeuerte, indem er sie ersuchte, durch Zusammenarbeiten mit der Regierung den Krieg gewinnen zu helfen und nicht durch Streiks die nationalen Arbeitskräfte des Landes zu zersplittern. Unter den amerikanischen Sozialisten war eine starke, den Frieden begünstigende Partei, bekannt unter dem Namen People's Council, und Präsident Wilson wußte das. Auf der Versammlung kam es zur Kraftprobe zwischen dieser Partei und der von Gompers, dem Präsidenten der American Federation of Labor ins Leben gerufenen Alliance for Labor and Democracy, welche für Unterstützung der Regierung in der wirkungsvollen Durchführung des Krieges eintrat. Gompers äußerte sich hierzu unter anderem folgendermaßen: — „Präsident Wilson hat klar ausgesprochen, daß der Krieg nicht gegen das deutsche Volk, sondern gegen die autokratische, kaiserliche Regierung geführt werde. Das deutsche Volk, insbesondere die* deutschen Arbeiter, sind in dieser Regierung nicht angemessen vertreten, noch ist ihnen Gelegenheit gegeben, ihren Willen kundzutun. Ich bin sicher, daß, wenn das deutsche Volk nicht geknebelt wäre und seinen Willen zum Ausdruck bringen könnte, die Politik der deutschen Regierung gründlich geändert würde. E s gibt in Deutschland Leute, welche diesen Todeskampf zwischen 126

den Grundsätzen der Macht und der Freiheit voll verstehen, und wir hoffen, daß treue Anhänger von Humanität ihre Arbeit so weise und wirkungsvoll tun mögen, um die deutschen politischen Einrichtungen zu demokratisieren und sie dem Willen eines befreiten deutschen Volkes verantwortlich zu machen. Dann will niemand schneller die Hand der Verbrüderung ausstrecken als die amerikanischen Arbeiter, dann kann über einen dauernden Frieden, gegründet auf gegenseitiger Achtung und Gerechtigkeit, zwischen den Völkern aller Länder verhandelt werden. Wir fühlen, daß Demokratie die einzige gesunde Grundlage für die Beziehungen zwischen Menschen, ob national oder international, ist." — Gompers erreichte seinen Zweck, und mit erdrückender Mehrheit billigten die Arbeiterabgeordneten die Kriegspolitik der Regierung und traten für industriellen Frieden während des Kampfes ein. Solange der Krieg den amerikanischen Arbeitern das Dreifache und den Vorarbeitern bzw. Feinmechanikern das Vielfache ihres Normallohnes gewährleistete, war auf ihrer Seite der Wunsch nur zu verständlich, diesen Zustand solange als möglich andauern zu lassen. Aber es wird die Reaktion einsetzen, und unter diesem Gesichtspunkte war ein anderer Beschluß der Versammlung von einschneidender Wirkung für die innerpolitischen Verhältnisse: — Mit einer Abstimmung von 255 gegen 21 Stimmen hat die Versammlung beschlossen, ihre bisherige Haltung als „nicht politische Partei" aufzugeben und von jetzt ab an der amerikanischen Politik tätigen Anteil zu nehmen. Dieser Schritt erfolgte in Form eines Beschlusses auf Abänderung der Verfassung der Federation dahingehend, daß der Jahreskonvent in Zukunft im J u n i anstatt im November jeden Jahres stattfinden sollte, mit andern Worten, v o r den politischen Herbstwahlen anstatt hinterher. Dieser Beschluß bedeutete nichts anderes als die Entstehung einer dritten politischen Partei in den U. S. A. im Gegensatz zu den bisherigen republikanischen 127

und demokratischen Parteigruppen. Der Jahreskonvenl dieser Arbeiterpartei wird künftig einem Konvent für die Aufstellung von Präsidentschaftskandidaten gleichkommen, wie es die Nationalkonvente der Republikaner und Demokraten sind. Die Sozialisten-Partei in den U . S . A . hat besonders im Jahre 1917 an Bedeutung gewonnen, weil die energische Durchführung des Krieges wesentlich von dem guten Willen der Arbeiter bei Ausnutzung aller industriellen und wirtschaftlichen Hilfsquellen des Landes abhing. Die Arbeiterpartei hat bereits bei den verschiedenen städtischen Wahlen im Lande mit gutem Erfolg gearbeitet. So waren in Chicago die republikanische und demokratische Partei gezwungen, sich zusammenzutun, um die sozialistische Plattform zu besiegen, und ebenso gelang es nur ihren vereinten Anstrengungen in Dayton (Ohio), die Sozialisten mit 3000 Stimmen zu schlagen. Bei der Bürgermeisterwahl in der Stadt New York am 7. Nov. 1917 hatte unter den 4 Kandidaten der sozialistische Bewerber Hillquit annähernd die Hälfte Stimmen als wie der obsiegende Demokrat Hylan und nur 7000 Stimmen weniger als wie der bisherige Bürgermeister Mitchel. Fast um dieselbe Zeit, zu welcher Wilson in Buffalo die Arbeiterpartei ansprach, unterbreiteten die vier Brüdervereinigungen der Eisenbahnangestellten, welche unabhängig von der American Federation of Labor handelten, ihren Eisenbahn-Gesellschaften eine Lohnerhöhungs-Forderung von etwa 109 Millionen Dollar jährlich, begründeten sie mit dem ständigen Wachsen der Kosten für die Lebenshaltung und drohten mit Streik im Falle der Ablehnung. — Diese Maßnahme hatte weittragende Folgen. Denn ein Generalstreik hätte das gesamte Transportwesen für die Kriegführung lahmgelegt, und andererseits bedeutete die Bewilligung der Forderung eine Erhöhung der Personenund Frachtraten für das Publikum. E s war ja nicht zu erwarten, daß die Eisenbahn-Gesellschaften die Mehrausgaben aus ihrer eigenen Tasche bezahlen würden. Die 128

Kriegsbegeisterung unter dem Volke hätte dadurch einen starken Rückschlag erhalten, und die von jeher unter den großen Massen bestehende Feindseligkeit gegen die Eisenbahn-Gesellschaften wäre nur noch verschärft worden. Nicht mit Unrecht hat das amerikanische Volk in den mächtigen Eisenbahn-Gesellschaften nur den Vampyr gesehen, welcher das Vermögen der Nation aussaugt. Wilson hat das Schlagwort geformt: — „Die Demokratie in der ganzen Welt sicher zu machen" —. Die U . S . A . sind zwar eine Demokratie — dem Namen nach —, denn Demokratie im wahren Sinne des Wortes ist in den U. S. A. alles andere als „sichergemacht". Einen guten Kommentar hierfür liefern die in Privateigentum ¿stehenden Eisenbahnen. Der Stahl-, Fleisch-, öl- und Kohlentrust, sie alle wurden möglich gemacht durch besondere und geheime Transportvergünstigungen, welche in Staatseigentum stehende Ebenbahnen nie gewährt hätten. Die ungeheuren Vermögen, welche Wallstreet beherrschten und den Geldtrust schufen, waren nicht zum wenigsten in Eisenbahntransaktionen erworben worden. Die Korruption der nationalen, der einzelstaatlichen und der städtischen Politik führte zurück auf die große Eisenbahn-Ausdehnung in den 1860 bis 1870er Jahren, als das Volk im Ringen des Bürgerkrieges sich zu der Torheit verleiten ließ, das Eigentum der großen transkontinentalen Eisenbahnlinien, welche durch Darlehen der Nation und kostenlose Überlassung von Staatsareal aufgebaut worden waren, der Ausbeute von Privatleuten zu überlassen. Seitdem ist der verderbliche Einfluß der Eisenbahnen auf die Regierung in Washington und in den Einzelstaaten unangenehm empfunden und von patriotischen Männern aller Parteirichtungen gegeißelt worden. So sagte die Eisenbahnkommission in Georgia im Jahre 1881: „Transportwesen ¿st Herrscher. Wer es kontrolliert, kontrolliert alles andere. Mächtig an Reichtum und Fürsprache, mächtig zu bestechen und zu bestrafen, ist es bereits stärker in vielen Staaten als die Regierung, stärker Krabi, Die Boll« Amerika»

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als das Volk. Es setzt Richter in den Gerichtshöfen der Einzelstaaten und der Union ein. Die moralischen, sozialen und politischen- Folgen dieser Umtriebe sind einfach erstaunend. Ihre Verderbtheit ist schlimmer als Krieg." Präsident Garfield äußerte sich im Jahre 1874 als Kongreßmitglied folgendermaßen: — „Nicht allein sind die Beamten und Volksvertreter der Staaten den Eisenbahnen gefügig gemacht worden, ja, die Eisenbahn - Gesellschaften haben sogar die eigentlichen Quellen der Macht an sich gerissen und kontrollieren die Auswahl sowohl der Beamten wie der Volksvertreter. —" Mehr als 80 Millionen Acker vom besten Wald und landwirtschaftlichen Areal, Eigentum der Nation, waren den Eisenbahnen zu Bahnbauzwecken geschenkt worden. Angesichts der gegenwärtigen, drückenden Kriegslasten wurden in verschiedenen führenden Zeitungen Stimmen laut, welche sagten: Die Eisenbahnen müssen in Staatseigentum übergehen, damit die Profite, welche durch den Transport der Erzeugnisse des Volkes erlangt werden, auch in die Geldtasche des Volkes wandern und die ungeheure Kriegsschuld zahlen helfen. Der Eisenbahnbetrieb in den U. S. A. hat nicht nur in diesem Lande, sondern über die ganze Welt als der beste gegolten. Als nach Kriegseintritt der U . S . A . die Eisenbahnen zum erstenmal ihre Kraftprobe zeigen sollten, stellte sich ein völliges Versagen heraus. Die Ursachen dafür lagen auf verschiedenen Gebieten, besonders an dem Mangel des ernstlichen Zusammenarbeitens der vielen Privatlinien. Jede Gesellschaft suchte in eigennütziger Absicht die Güter soweit als möglich auf ihren Linien ohne Rücksicht auf Umwege zu befördern, und der Austausch von rollendem Material, von Lokombtiven und von Arbeitskräften von der einen zu der anderen Linie ließ viel zu wünschen übrig. Das sich nötig machende Umladen der Güter an den Endstationen der verschiedenen Linien verursachte dort naturgemäß eine Stauung des Verkehrs. Um das Übel voll zu 130

machen, sandte die Vorsehung einen grimmigen Winter mit starken Schneestürmen, welche die Linien zeitweise unfahrbar machten und einen selten dagewesenen Verbrauch und Transport von Kohlen bedingten. Für den durch den Krieg ungeheuer gesteigerten Güterverkehr fehlte es an dem genügenden rollenden Material und an Lokomotiven, und das vorhandene Material war abgebraucht und ausbesserungsbedürftig. Für diese Arbeit stellte sich fein Mangel an Mechanikern und Arbeitern heraus, denn viele von diesen Leuten waren in die Fabriken weggelaufen oder überhaupt schwer zu bekommen, da die Kriegsindustrie bessere Löhne zahlte. Die Bahnhofsanlagen waren für den gesteigerten Verkehr überall viel zu klein geworden. Neue Gebäude und Anlagen waren notwendig, und hierfür wurden neue Geldanleihen benötigt, deren Aufbringen nicht leicht war, weil zurzeit auf dem gesamten Geldmarkte eine ungeheure Anspannung lag und weil die Regierung notwendigerweise den Anlagemarkt für ihre Kriegsanleihen in Anspruch genommen hatte. Dazu kamen schließlich noch die von den Eisenbahnangestellten gemachten Lohnerhöhungsansprüche. Wilson trat in Verhandlungen mit den Leitern der Eisenbahnlinien und mit den Abgesandten der Eisenbahnangestellten ein und schlug hinsichtlich der Lohnfrage eine Entscheidung durch Vermittlung und Schiedsspruch vor. Während die Eisenbahnleiter dem Vorschlags zustimmten, erklärten sich die Arbeitervertreter zwar mit dem Wege der Vermittlung einverstanden, lehnten aber Schiedsspruch ab, und Wilson versprach den Arbeitervertretern, die Lohnfrage bei der Regelung der Frage, ob die Eisenbahnen in Privathänden verbleiben oder vom Staate übernommen werden sollten, in wohlwollendem Sinne für die Arbeiter zu schlichten. Er war für Übernahme der Eisenbahnen in Staatskontrolle, während die Eisenbahnpräsidenten die einheitliche Leitung sämtlicher Linien unter Privateigentum mit einer gewissen Aufsicht tind Geldünterst'ützung des 9*

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Staates anstrebten. Wilson deutete in seiner Ansprache bei Wiedereröffnung des Kongresses am 4. 12. 1917 bereits an, daß er dem Kongreß in Kürze Vorschläge zur Regelung des Eisenbahnwesens unterbreiten werde. Etwa Mitte Dezember 1917 übernahm er im Namen der Regierung die tatsächliche Kontrolle aller Eisenbahnen und ernannte seinen Schwiegersohn Mc. Adoo zum Generaldirektor der Eisenbahnen. Am 28. 12. 1917 trat er mit einer Sonder-Botschaft vor die Volksvertretung, erklärte, daß sich die Übernahme der Eisenbahnen in Staatskontrolle nötig gemacht habe, und ersuchte um Gutheißung dieses Schrittes und Ausarbeitung eines Eisenbahngesetzes. E r befürwortete die Übernahme der Staatskontrolle, „bis nach Kriegsbeendigung der Kongreß anderweitig darüber entscheide," und schlug eine jährliche Vergütung an die Eisenbahnen auf der Grundlage der letzten 3-Jahres-Netto-Profite vor. Sein Vorschlag fand im Kongreß und Senat Gegner. Es zeigte sich bis zur Stunde der Einfluß der Eisenbahnen auf die Volksvertreter. Die Hauptstreitpunkte waren der Maßstab der Berechnung für die den Eisenbahnen zu gewährenden Entschädigungen und die zeitliche Begrenzung der Regierungs-Kontrolle. Während einige Volksvertreter betonten, daß eine unbestimmte, in die Willkür der Regierung gestellte Rückgabe der Eisenbahnen an die Gesellschaften die im Publikum umlaufenden Eisenbahnwerte nachteilig beeinflusse, wies Mc. Adoo darauf hin, daß sich die Regierung bei einem so verwickelten Geschäft auf keine bestimmte Zeitbeschränkung festlegen könne, und daß nach dem Kriege die ursprünglichen Verhältnisse sich kaum wieder herstellen lassen würden; für seine Person befürwortete er nach dem Kriege einen Eisenbahnbetrieb in Privathand, aber unter einer gewissen Regierungskontrolle. — Das bezügliche Eisenbahngesetz stand inzwischen in den gesetzgebenden Häusern zur Beratung. Am 4. 12. 1917 trat nach längerer Pause der Kongreß wieder zusammen, bei welcher Gelegenheit Wilson eine längere Ansprache hielt, deren Hauptinhalt bereits Erwäh-

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hung gefunden hat. Hier interessiert nur seine Stellungnahme zu den Verbündeten Deutschlands. Der darauf bezügliche Teil lautete folgendermaßen: „Das uns sehr störende Hindernis, welches in unserm Wege steht, ist der Umstand, daß wir uns im Kriege ¡mit Deutschland befinden, aber nicht mit seinen Verbündeten. Deshalb empfehle ich dringend, der Kongreß möge sofort an Österreich-|Ungarn den Krieg erklären. Ist es befremdend für Sie, daß dies die Schlußfolgerung meiner eben gegebenen Ausführungen ist? Sicherlich nicht. Es ist tatsächlich die unvermeidliche Logik meiner Äußerungen. Österreich-Ungarn ist zurzeit nicht sein eigener Herr, sondern nur der Vasall der deutschen Regierung. Wir müssen die Tatsachen nehmen, wie sie sind, und danach ohne Empfindsamkeit handeln. Die Regierung der DoppelMonarchie handelt nicht aus eigener Triebkraft oder in Antwort auf die Wünsche und Gefühle ihrer Völker, sondern als das Werkzeug einer andern Nation. Wir müssen ihre Macht mit der unsrigen treffen und die Mittelmächte als eine Einheit betrachten. Nicht anders kann der Krieg erfolgreich sein. Dieselbe Schlußfolgerung würde ebenso zu einer Kriegserklärung gegen Bulgarien und die Türkei führen, sie sind gleichfalls Werkzeuge Deutschlands. Aber sie sind ausschließlich Werkzeuge und stehen nicht unmittelbar im Wege unseres notwendigen Handelns. Wir werden gehen, wohin auch immer die Bedürfnisse des Krieges uns führen, dagegen erscheint es mir zweckmäßig, nur soweit zu gehen, als unmittelbare und praktische Erwägungen uns veranlassen, und im übrigen alle anderen beiseite zu lassen." Die Volksvertretung erklärte daraufhin am 7 . 1 2 . 1 9 1 7 den Krieg gegen Österreich-Ungarn. Wilson gab aber zugleich einen Erlaß bekannt, worin er betonte, daß die Untertanen der Doppel-Monarchie in den U. S. A. durch die Kriegserklärung keinen Beschränkungen unterworfen seien und daß • sie ungehindert der 133

friedlichen Ausübung ihres Berufes nachgehen konnten. Das hatte zwei gute Gründe. Einmal brauchte man die besonders in Minen und bei Erdarbeiten in großer Zahl beschäftigten Untertanen der Doppel - Monarchie sehr notwendig, und auf der andern Seite war es die Politik des Präsidenten, seitdem Rußland als zählender Faktor auf Seiten der Alliierten ausgeschieden war, Österreich-Ungarn von der Seite Deutschlands loszureißen und womöglich durch ein Sonderabkommen mit ihm den Block der Mittelmächte zu schwächen.' Deshalb unterlag es auch keinem Zweifel, daß Wilson zur Kriegserklärung an Österreich-Ungarn nur durch den Druck der Alliierten, insbesondere Englands, veranlaßt worden war. — Unterdessen gingen in Europa an der Ostfront wichtige Veränderungen vor sich. Unter Lenin und Trotzky kam am 4. 12. 1917 ein Waffenstillstand an allen russischen Fronten zustande, und Friedensverhandlungen mit den Mittelmächten wurden am 23. 12. in Brest-Litowsk .eingeleitet. Die Mittelmächte stimmten den allgemeinen Grundsätzen von „keine Gebietsabtretungen, keine Entschädigungsgelder und Selbstbestimmungsrecht der Nationen" unter der Bedingung zu, daß sich die Alliierten zu denselben Grundsätzen bekennen würden. Dadurch war den Alliierten Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen, und ferner hätten sie bekunden müssen, ob sie die Bolschewiki-Regierung formell anerkannten oder nicht. Die von den Mittelmächten den Alliierten gestellte Antwortfrist endete am 4. 1. 1918. Die Frist lief ab, ohne daß eine Antwort eintraf. Dadurch erhielten die Mittelmächte wieder freie Hand, mit Rußland über einen Sonderfrieden zu verhandeln. Auch waren sie nicht , länger an die aufgestellten Friedensgrundsätze gebunden. An Stelle einer Antwort wurden von zwei Staatsmännern der Alliierten Erklärungen abgegeben. Lloyd George ergriff zu dem Gegenstande am 5. 1. 1918 das Wort, und Wilson sprach sich darüber am 8. 1. im Kongreß aus. Die Vorschläge der Mittelmächte, welche für 134

die Alliierten die Möglichkeit offen ließen, sich den Verhandlungen für einen allgemeinen Frieden anzuschließen, fanden bei den Alliierten keinen Anklang. Hier interessiert vor allem die Stellungnahme der U. S. A. Wilsons Ansprache vor dem Kongreß lautete in den Hauptpunkten folgendermaßen: „Wieder einmal wie schon vorher haben die Sprecher der Mittelmächte ihren Wunsch kundgetan, die Kriegsziele und die mögliche Grundlage eines allgemeinen Friedens zu besprechen. In Brest-Litowsk sind zwischen den Vertretern der Mittelmächte und Rußland Verhandlungen im Gange, welche der- Aufmerksamkeit aller Kriegführenden anempfohlen wurden, um feststellen zu können, ob es möglich sei, diese Besprechungen in eine allgemeine Konferenz über die Friedensbedingungen auszugestalten. Die russischen Vertreter überbrachten nicht nur eine bündige Erklärung der Richtlinien, auf denen sie Frieden zu schließen willens waren, sondern auch ein bestimmtes Programm der konkreten Anwendung dieser Grundsätze. Die Vertreter der Mittelmächte überbrachten einen Entwurf eines Vertrags, welcher, wenngleich weit weniger bestimmt, doch eine liberalere Auslegung zuzulassen schien. Dieser Entwurf schlug keinerlei Konzessionen vor, weder hinsichtlich der Souveränität Rußlands noch in bezug auf die Wünsche der Völker, um deren Schicksal es sich handelte, sondern bedeutete in einem Wort, daß die Mittelmächte jedenJFußbreit von ihren Armeen besetzten Bodens als dauernde Erweiterung ihres Gebietes und ihrer Macht behalten wollten. Es ist naheliegend anzunehmen, daß die allgemeinen Verständigungsgrundsätze, welche zuerst angeregt wurden, von den liberaleren Staatsmännern Deutschlands und Österreichs herrührten, von Leuten, welche die Macht der Gedanken und Absichten ihrer eigenen Völker zu verspüren begannen, während die eigentlichen Bestimmungen einer tatsächlichen Einigung von den militärischen Führern herrührten, die keine andern Gedanken hegten, als zu behalten, was sie hatten. Die Ver135

handlungen sind abgebrochen worden. Die russischen Vertreter waren aufrichtig und ernstlich bei der Sache bemüht gewesen. Sie konnten derartige Vorschläge der Eroberung und Vorherrschaft nicht gutheißen. Der ganze Vorfall ist bedeutungsvoll. E r ist aber auch voller Unklarheiten. Mit wem unterhandeln die russischen Vertreter? Für wen sprechen die Vertreter der Mittelmächte? Sprechen sie für die Mehrheiten ihrer bezüglichen Parlamente oder für die Minderheit, für jene militärische und imperialistische Minderheit? Die .russischen Vertreter bestanden gerechter- und klugerweise und im wahren Geiste moderner Demokratie darauf, daß die Konferenzen bei offenen Türen abgehalten würden, damit die ganze Welt zuhören könnte. Wen haben wir da angehört? Diejenigen, welche Geist und Absicht der deutschen Reichstagsbeschlüsse vom 19. 7. 1917 aussprechen, oder diejenigen, welche diesem Geiste Hohn sprechen und auf Eroberung und Unterwerfung beharren? Oder hören wir tatsächlich beide, offen unversöhnt in hoffnungslosem Widerspruch? Dies sind ernste und wichtige Fragen. Von ihrer Beantwortung hängt der Weltfrieden ab. Aber was immer die Erfolge der Verhandlungen in Brest-Litowsk sein mögen, eines bleibt bestehen: — Die Sprecher der Mittelmächte haben neuerdings versucht, die Welt mit ihren Zielen in diesem Kriege bekanntzumachen, und ihre Gegner aufgefordert, ihrerseits die Ziele bekanntzugeben und zu sagen, welchen Frieden sie für gerecht und zufriedenstellend halten würden. E s gibt keinen Grund, warum man dieser Aufforderung nicht nachkommen und mit der größten Klugheit darauf antworten sollte. Wir haben damit nicht gewartet. Nicht einmal, sondern immer wieder haben wir unsere Ziele der Welt vorgelegt, und nicht nur in allgemein gehaltenen Worten, sondern wir haben jedesmal mit entsprechender Bestimmtheit ausgeführt, welche Bedingungen notwendigerweise den Verhandlungen entspringen müssen. In der letzten Woche hat Herr Lloyd George mit bewundernswertem

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Geiste für das Volk und für die Regierung Großbritanniens gesprochen. Unter den Feinden der Mittelmächte herrscht keine Verwirrung, keine Unsicherheit der Richtlinien. Die Geheimhaltung der Pläne, das Fehlen furchtloser Offenherzigkeit, das Versagen, über die Kriegsziele eine entgültige Erklärung abzugeben, ist einzig und allein bei Deutschland und seinen Verbündeten zu finden. Die Fragen von Leben und Tod hängen von diesen Erklärungen ab. Kein Staatsmann, welcher auch nur im entferntesten von Verantwortlichkeit durchdrungen ist, sollte zugeben, dieses elendbringende Blutvergießen fortzusetzen, solange er nicht überzeugt ist, daß die Ziele der gebrachten Opfer einen notwendigen Bestandteil menschlicher Ordnung bilden, und daß das Volk, für welches er spricht, sie als gerecht und notwendig ansieht, gleich ihm. Es gibt überhaupt eine Stimme, welche nach diesen Grundsatzerklärungen und nach den Kriegszielen lechzt, eine Stimme, welche dringlicher und zwingender ist, als alle Stimmen, welche in der Luft einer kriegsdurchwühlten Welt ertönen. Es ist die Stimme des russischen Volkes. Es ist niedergeworfen und bis zur Hilflosigkeit getreten, wie es unter der entschlossenen Macht Deutschlands den Anschein hat. Seine Stärke ist offenbar gebrochen. Und dennoch unterwirft sich seine Seele nicht. Weder im Prinzip noch im Handeln wird es nachgeben. Seine Anschauung von Recht, Menschlichkeit und Mannesehre ist mit einer Offenheit, Großzügigkeit und menschlichem Mitgefühl zum Ausdruck gebracht worden, welche die Bewunderung jedes Menschenfreundes hervorrufen muß. Rußland hat es abgelehnt, seine Ideale aufzugeben oder seine Freunde zu verlassen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Die Russen fordern uns auf, zu sagen, was wir wollen und worin unsere Ziele und Absichten von den ihrigen abweichen, falls sie davon abweichen, und ich glaube, das amerikanische Volk wünscht, daß ich mit äußerster Einfachheit und Offenheit antworte. Ot> ihre gegenwärtigen Führer es glauben oder nicht, — 137

Wir wünschen und hoffen von Herzen, daß ein Weg geöffnet werde, auf welchem wir den Vorzug haben können, dem Volke Rußlands beizustehen, seine weitestgehende Hoffnung auf Freiheit, Frieden und Ordnung in Erfüllung zu bringen. Es wird unser Wunsch und unser Ziel sein, daß Friedensverhandlungen vollkommen offen stattfinden und daß sie von jetzt ab keine geheimen Verständigungen irgendwelcher Art in sich schließen und zulassen dürfen. Die Tage der Eroberung und Vergrößerung sind vorbei. Diese Tatsachen, welche jetzt jedem in der Öffentlichkeit stehenden Manne klar sind, dessen Gedanken nicht mehr in einem toten und vergangenen Zeitalter weilen, sind es, welche es für jede Nation, deren Ziele mit Gerechtigkeit und dem Frieden der Welt vereinbar sind, möglich machen, jetzt oder zu irgendeiner Zeit die Ziele zu bekennen, welche sie im Auge hat. Wir sind zum Kriege geschritten, weil Rechtsverletzungen vorgekommen waren, welche uns unmittelbar berührten und das Leben unseres Volkes unmöglich machten, solange sie nicht gesühnt und die Welt ein für ¡allemal gegen ihre Wiederholung gesichert werden. Was wir in diesem Kriege verlangen, ist also nichts, was uns nur allein anginge. Die Welt muß geeignet und sicher gemacht werden, darin zu leben. Alle Völker der Welt sind schließlich Teilhaber an diesem Interesse, und wir unsererseits erkennen klar, daß, wenn nicht Anderen Gerechtigkeit widerfährt, sie auch uns nicht zuteil werden würde. Das Programtm des Weltfriedens ist daher unser Programm und so wie wir es einzig und allein für möglich erachten, sieht es folgendermaßen aus: 1. Offene Friedensbeschlüsse, denen zufolge. es nicht mehr zu geheimen diplomatischen Vereinbarungen irgendwelcher Art kommen kann. Die Diplomatie soll sich offen und angesichts der Öffentlichkeit abspielen. 2. Völlige Freiheit der Schiffahrt auf den Meeren außerhalb der territorialen Gewässer, sowohl im Frieden als im Krieg, ausgenommen, wenn Meere teilweise oder ganz durch 138

internationales Übereinkommen zwecks Durchführung internationaler Abmachungen gesperrt werden. 3. Die Entfernung aller wirtschaftlichen Schranken, soweit dies möglich ist, und gleiche Handelsberechtigungen für alle Völker, welche diesem Frieden zustimmen und sich zwecks Erhaltung desselben aneinanderschließen. 4. Austausch ausreichender Garantien dafür, daß die nationalen Rüstungen auf den niedrigsten Stand beschränkt bleiben, welcher mit der nationalen Sicherheit im Einklang steht. 5. Freie, offene und gänzlich unparteiische Regelung aller kolonialen Ansprüche, welche auf strenger Einhaltung des Grundsatzes aufgebaut sein muß, daß bei Erledigung der Frage der Hoheitsrechte die in Betracht kommende Bevölkerung genau dasselbe Recht mit den berechtigten Ansprüchen der Regierung hat, über deren Besitz zu entscheiden ist. 6. Die Räumung des gesamten russischen Gebietes und eine derartige Erledigung aller russischen Fragen, daß durch sie die beste und freieste Mitwirkung aller andern Völker der Welt dabei ermöglicht wird, um Rußland eine unbegrenzte und ungehinderte Gelegenheit zu geben, seine eigenen politischen Schicksale und nationale Entwicklung zu bestimmen und ihm einen aufrichtigen Willkommen in der Gesellschaft aller Völker zu sichern; und noch mehr, nämlich Hilfe jeder Art, welche es benötigen mag oder selbst wünscht, ihm in Aussicht zu stellen. 7. Belgien — die ganze Welt wird damit übereinstimmen — muß geräumt und wiederhergestellt werden, ohne daß ein Versuch gemacht wird, seine Souveränität zu beschränken, die es wie alle andern freien Nationein genossen hat. Keine zweite Handlung wird so wie diese das Vertrauen der Völker in die Gesetze, welche sie selbst aufgestellt und für ihre Beziehungen zu einander gutgeheißen haben, wieder aufrichten. Ohne diesen heilenden 139

Akt würde der ganze Aufbau und die Gültigkeit internationalen Rechts für immer gefährdet sein. 8. Alles französische Gebiet muß befreit und die besetzten Teile müssen zurückgegeben werden. Das Unrecht, welches Frankreich von Deutschland im Jahre 1871 zugefügt worden ist, in bezug auf Elsaß-Lothringen, und welches beinahe 50 Jahre lang den Weltfrieden bedroht hat, sollte gesühnt werden. 9. Eine Neu-Regelung der italienischen Grenzen sollte nach genau erkennbaren nationalen Linien durchgeführt werden. 10. Die Völker Österreich-Ungarns, deren Platz unter den Nationen wir gesichert zu sehen wünschen, sollten die weitreichendsten Gelegenheiten zu selbständiger Entwicklung erhalten. 1 1 . Rumänien, Serbien und Montenegro müssen geräumt, die besetzten Gebiete zurückgegeben werden. Serbien muß einen Auslaß nach der See erhalten. Die Beziehungen der Balkan-Staaten zueinander müssen durch freundschaftlichen Rat in Übereinstimmung mit den historisch festgelegten Linien der Zugehörigkeit und Nationalität geregelt werden. Internationale Bürgschaft für die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit und für die Gebietsunversehrtheit der Balkanstaaten sollte gegeben werden. 12. Die türkischen Teile des gegenwärtigen ottomanischen Reiches sollten ihrer Souveränität versichert werden, während den andern Nationalitäten unter türkischer Herrschaft sicheres Leben und unbedingt ungehinderte Möglichkeiten zu selbständiger Entwicklung zugestanden werden sollten. Die Dardanellen müssen als freier Weg für Schiffe und Handel aller Nationen unter internationalen Bürgschaften geöffnet werden. 13. Ein unabhängiger polnischer Staat sollte errichtet werden, Welcher die Gebiete, die von polnischer Bevölkerung bewohnt sind, umfaßt und welchem ein freier Zugang nach 140

der See gegeben werden sollte und dessen wirtschaftliche und territoriale Unabhängigkeit durch internationales Übereinkommen zu gewährleisten wäre. 14. Eine allgemeine Vereinigung der Völker ist zu bilden und zwar unter besonderem Übereinkommen zum Zwecke des Austausches gegenseitiger Garantien für politische Unabhängigkeit und Gebietsunverletzlichkeit großer und kleiner Nationen. In bezug auf die wichtigen Sühnungen von Unrecht und auf die Aufrichtung von Recht fühlen wir uns als intime Partner aller Regierungen und Völker, welche sich gegen die Imperialisten verbunden haben. W i r können in Interessen und Zielen nicht geteilt sein. W i r stehen beisammen bis zum Ende. W i r sind bereit, für solche Abmachungen zu kämpfen und den Kampf bis zu deren E r reichung fortzusetzen, lediglich weil wir wünschen, daß das Recht siege, und weil wir einen gerechten dauernden Frieden erstreben, der nur durch die Beseitigung der hauptsächlichsten Kriegsursachen geschlossen werden kann, wie es dieses Programm tut. W i r haben keine Eifersucht auf Deutschlands Größe, und in diesem Programm ist nichts enthalten, was diese behindert. W i r mißgönnen ihm keine Errungenschaft der Wissenschaft oder des friedlichen Wettbewerbs, welche seinen Ruf glänzend und beneidenswert gemacht haben. W i r wünschen es nicht zu verletzen oder auf irgendeine Weise seine berechtigte Macht zu schmälern. W i r wollen es nicht mit den W a f f e n oder mit feindlichen Handelsverträgen bekämpfen, wenn es bereit ist, sich mit uns und mit den andern friedliebenden Völkern der Welt durch gerechte und gesetzliche Verträge zu verbünden. W i r wünschen nur, daß es einen Platz als gleiche unter den gleichen Nationen der Welt einnehme, anstatt einen Platz des Herrschers. W i r schlagen ihm auch keine Änderung oder Anpassung seiner Einrichtungen vor. A b e r es ist notwendig — wir müssen es offen erklären — und zw^r notwendig als Vorbedingung zu Verhandlungen unsererseits,

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daß wir wissen, für wen seine Sprecher reden, ob sie für die Reichstagsmehrheit oder für .die Militärpartei sprechen. Wir haben jetzt sicherlich uns in allzudeutlichen Ausdrücken bewegt, als daß noch Zweifel an unsern Zielen und Absichten gehegt werden könnten. Durch das Programm, welches ich aufstellte, läuft ein Grundsatz1, die Richtlinie der Gerechtigkeit allen Völkern gegenüber, der Grundsatz des Rechtes aller Nationen, unter gleichen Freiheits- und Sicherheitsbedingungen zu leben, ob sie groß oder klein sein mögen. Solange diese Richtlinien nicht zur Grundlage gemacht werden, kann kein Gebäude |des internationalen Rechts stehen. Das amerikanische Volk kann auf Grund keines andern Grundsatzes hanideln, und es ist zur Erhaltung dieses Prinzips bereit, sein Leben, seine Ehre und all seinen Besitz zu opfern. Der moralische Höhepunkt dieses Entscheidungskämpfes für menschliche Freiheit ist gekommen, und das Volk der U. S. A. ist bereit, seine eigene Stärke, seine höchsten Ziele, seine eigene Unversehrtheit und Ergebenheit auf die Probe zu stellen. —" In diesem Friedensprogramm gab Wilson das erstemal praktische Richtlinien an, die einer Weiterführung der Friedensbesprechungen zugrunde gelegt werden konnten. Der Reichskanzler von Hertling für Deutschland und der Auslandsminister Czernin für Österreich-Ungarn beantworteten am 24. 1. 1918 vor den Ausschüssen für auswärtige Angelegenheiten ihrer Parlamente die Ausführungen Wilsons. „Ich werde jeden der 14 Punkte im einzelnen besprechen, welche Präsident Wilson als sein Friedensprogramm aufgestellt hat. — So führte Hertling aus —. 1. Der erste Punkt ist die Forderung offener Friedensunterlagen ohne geheime internationale Abmachungen. Die Geschichte zeigt, daß wir vor allen andern es sind, welche der Öffentlichkeit der diplomatischen Schriftstücke zuzustimmen in der Lage wären. Ich erinnere daran, daß unser Defensiv-Bündnis mit Österreich-Ungarn seit 1888 der gan142

zen Welt bekannt war, während die offensiven Abmachungen der feindlichen Staaten erst während des Krieges durch die Veröffentlichungen der geheimen russischen Archive an die Öffentlichkeit kamen. Die Verhandlungen zu BrestLitowsk wurden öffentlich geführt. Dies beweist, daß wir vollkommen bereit sind, diesen Vorschlag anzunehmen und Öffentlichkeit der Verhandlungen als einen allgemeinen politischen Grundsatz zu erklären. 2. Im zweiten Punkt fordert Wilson gänzliche Freiheit der Meere im Krieg und Frieden. Dasselbe verlangte Deutschland als erstes und wichtigstes Erfordernis für die Zukunft. Deshalb besteht hierin keine Meinungsverschiedenheit. E s würde aber höchstwichtig für die künftige Freiheit der Schiffahrt sein, wenn stark befestigte Marinestationen an wichtigen internationalen Seewegen, wie sie England in Gibraltar, Malta, Aden, Hongkong, den Falklandsinseln und an anderen Plätzen hat, beseitigt würden. 3. Auch wir sind mit der Entfernung aller wirtschaftlichen Schranken völlig einverstanden, welche den Handel in unnützer Weise beeinflussen. Auch wir verurteilen wirtschaftlichen Krieg, welcher unvermeidlich Gründe für künftige kriegerische Verwickelungen in sich schließen würde. 4. W i e bereits von uns erklärt, läßt sich über die Idee der Rüstungsbeschränkungen recht wohl verhandeln. Die Geldverhältnisse aller europäischen Staaten nach dem Kriege dürften sehr wirksam eine befriedigende Lösung fördern. E s ist daher einleuchtend, daß ein Einverständnis über die 4 ersten Punkte ohne Schwierigkeit erreicht werden könnte. 5. Unparteiische Regelung aller kolonialer Ansprüche. — Praktische Verwirklichung der Wilsonschen Grundsätze wird auf alle Fälle auf einige Schwierigkeiten stoßen. Ich glaube, daß es gegenwärtig England, welches das größte Kolonialreich hat, überlassen werden mag, was es mit diesem Vorschlag anzufangen gedenkt. Dieser Punkt wird zu passender Zeit bei der Wiederherstellung des Kolonial-

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besitzes der Welt besprochen werden müssen, welche wir gleichfalls unbedingt fordern. 6. Räumung des russischen Gebietes. — Nachdem die Alliierten sich geweigert haben, an den Verhandlungen zu Brest - Litowsk teilzunehmen, muß ich im Namen der Mittelmächte irgendeine weitere Einmischung ablehnen. Wir stehen hier vor Fragen, welche ausschließlich Rußland und die Mittelmächte angehen. Ich hoffe, daß mit der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes für die Grenzvölker des früheren Rußlands gute Beziehungen eingeleitet werden mögen, sowohl mit diesen Völkern selbst, als auch mit dem übrigen Rußland, für welches wir Rückkehr von Ordnung, Frieden und von Bedingungen für eine gesicherte Wohlfahrt des Landes ernstlich wünschen. 7. Belgien —. Meine Vorgänger im Amt haben wiederholt erklärt, daß die Einverleibung Belgiens zu Deutschland niemals einen wesentlichen Punkt in dem Programm der deutschen Politik gebildet hat. Diese Frage gehört zu denjenigen, welche in ihren Einzelheiten durch Verhandlungen auf der Friedenskonferenz gelöst werden müssen. Solange als unsere Gegner nicht uneingeschränkt den Standpunkt aufgegeben haben, daß die Unversehrtheit des Gebietes der Alliierten die einzig mögliche Grundlage für Friedensverhandlungen sein kann, muß ich auf dem bisher immer vertretenen Standpunkt verharren und die im voraus gewünschte Ausscheidung der belgischen Frage aus den gesamten Unterhandlungen ablehnen. 8. Die besetzten Gebiete Frankreichs sind ein wertvolles Unterpfand in unsern Händen. Hier ebenso bildet zwangsweise Einverleibung keinen Teil der deutschen Politik. Die Bedingungen, wie die Räumüng vor ' sich zu gehen hat, welche auf Deutschlands Lebensinteressen Rücksicht nehmen muß, unterliegen nur der Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich. Ich kann im übrigen nur immer wieder betonen, daß es sich niemals um eine Frage über Abtretung von deutschem Reichsgebiet handeln kann, 144

In welche schönen Redensarten man es auch fassen mag, wir werden dem Feinde niemals gestatten, Reichsgebiet von uns wegzunehmen, welches sich mehr und mehr dem Deutschtum angegliedert und sich in befriedigender und wachsender Weise in wirtschaftlicher Beziehung entwickelt hat und. dessen Bevölkerung mit mehr als 870/0 die deutsche Muttersprache spricht. 9., 10., 11. Die Fragen, welche Wilson unter diesen Punkten behandelt, berühren die italienische Grenze und Fragen der zukünftigen Entwicklung Österreich-Ungarns und der Balkan-Staaten, Fragen, in welchen in der Hauptsache die Interessen unseres Verbündeten, Österreich-Ungarn, vorherrschen. W o deutsche Interessen mitspielen, werden wir sie mit allem Nachdruck vertreten. Aber ich möchte die Antwort auf Wilsons Vorschläge zu diesen Punkten in erster Linie dem Auslandsminister der Doppel-Monarchie überlassen. Engste Fühlung mit diesem Lande bildet den Kern unserer gegenwärtigen Politik und muß die Richtlinie für die Zukunft sein. Treue Kameradschaft unter Waffen, welche, im Kriege so glänzend ihre Probe bestanden hat, muß ihre Wirkung weiter im Frieden fortsetzen. W i r werden daher alles in unsern Kräften für das Zustandekommen eines Friedens mit Österreich - Ungarn tun, welches unseren berechtigten Ansprüchen Rechnung trägt. 12. Die Angelegenheiten, welche Wilson in diesem Punkt berührt, betreffen die Türkei. Ich darf ihren Staatsmännern in ihrem Verhalten keineswegs vorgreifen. Die Unversehrtheit der Türkei und ihrer Hauptstadt, welche eng mit der Frage der Meerenge verknüpft ist, sind ebenso wichtige Lebensinteressen des deutschen Reiches, und unser Verbündeter kann stets auf unsere nachdrückliche Unterstützung in dieser. Sache rechnen. 13. Polen. — Nicht die Alliierten waren es — sie hatten nur leere Worte für Polen und traten vor dem! Kriege bei Rußland niemals für Polen ein — sondern, Deutschland und die Doppel-Monarchie, welche Polen vom 1

K r a h 1 , Die Rolle Amerikas

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Joch des Zarentums befreiten. Es mag deshalb Deutschland, Österreich-Ungarn und Polen überlassen bleiben, um zu einer Verständigung über die Zukunft dieses Landes zu kommen. Wie die Unterhandlungen des letzten Jahres beweisen, sind wir auf dem Wege zu diesem Ziel. 14. Vereinigung der Völker zu einer Liga. — Wie meine politische Tätigkeit zeigt, bin ich jeder Idee zugeneigt, welche für die Zukunft die Möglichkeit eines Krieges ausschaltet und ein friedliches Zusammengehen der Völker fördert. Wenn diese Idee der Völkervereinigung so, wie sie Wilson vorschlägt, sich bei genauer Prüfung wirklich in dem Geiste vollkommener Gerechtigkeit und Unparteilichkeit gegen alle Aufgenommenen erweist, dann ist die kaiserliche Regierung mit Freuden bereit, nachdem vorher alle andern schwebenden Fragen gelöst sind, mit einer Prüfung einer solchen Liga zu beginnen. Ich muß wiederholen, was ich am Anfange sagte: wir müssen uns jetzt fragen, ob diese Reden und Vorschläge den wahren und ernstlichen Friedenswillen atmen. Ohne Zweifel enthalten sie gewisse Grundsätze für einen allgemeinen Weltfrieden, denen auch wir zustimmen und welche den Ausgangspunkt bilden mögen. Wenn indessen konkrete Fragen in Betracht kommen, welche für die Mittelmächte von entscheidender Bedeutung sind, dann ist der Friedens-, wille weniger bemerkbar. Unsere Feinde beabsichtigen nicht, Deutschland zu vernichten, aber sie werfen begehrliche Blicke auf Teile unserer verbündeten Länder. Sie reden mit Achtung von Deutschlands Stellung, aber ihre Auffassung findet immer aufs neue Ausdruck, als ob wir die Schuldigen wären, welche gestraft werden und sich zu bessern versprechen müßten. So spricht der Sieger zum Besiegten, der Sieger, welcher alle unsere früheren Äußerungen zu Friedensbereitschaft nur als ein Zeichen der Schwäche auslegt. Die Führer der Feinde müssen zuerst diesen Standpunkt und diese Selbsttäuschung aufgeben. Um dies zu erleichtern, möchte ich daran erinnern, wie die Dinge eigent146

lieh liegen. Unsere Feinde mögen sich von mir sagen lassen, daß unsere militärische Lage nie so günstig war als jetzt. Unsere befähigten Armeeführer sehen der Zukunft mit unvermindertem Siegesvertrauen entgegen. Im ganzen Heere, unter Offizieren wie Mannschaften, lebt ungebrochen die Kampfesfreude fort. Ich will an meine Worte im Reichstag vom 29. 1 1 . erinnern. Unsere wiederholt geäußerte Friedensbereitschaft und der versöhnliche Geist in unsern Vorschlägen darf von den Alliierten nicht als Zugeständnis angesehen werden, den JKrieg^auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Sollten uns unsere Feinde dazu zwingen, so haben sie die daraus entstehenden Folgen zu tragen. Wenn die feindlichen Führer wirklich zu Frieden geneigt sind, laßt sie ihr Programm erneut abändern oder, wie Lloyd George sagt, auf nochmalige Erwägungen eingehen. Wenn sie das tun und mit neuen Vorschlägen herauskommen, dann werden wir sie sorgfältig prüfen. Denn unser Ziel ist kein anderes als die Wiederherstellung eines dauernden allgemeinen Friedens. Aber dieser Frieden ist nicht denkbar, solange nicht die Unversehrtheit des deutschen Reiches und die Sicherstellung seiner Lebensinteressen sowie die Ehre des Vaterlandes gewährleistet sind. Bis dahin müssen wir ruhig neben einander stehen und warten. Was unser Ziel anlangt, so sind wir Deutschen alle einig. E s mögen Meinungsverschiedenheiten in bezug auf die anzuwendenden Methoden bestehen. Aber laßt uns alle diese Verschiedenheiten beiseite legen. Wir wollen uns nicht um Formsachen streiten, welche stets in dem wirren Verlauf der Weltereignisse versagen, sondern wir wollen über die trennenden Parteiansichten hinweg unsere Blicke auf das eine gemeinsame Ziel, die Wohlfahrt des Vaterlandes, richten. —" In Ergänzung zu Hertlings Ausführungen gab der österreichische Auslandsminister Czernin den Standpunkt seiner Regierung dahin bekannt: „Ich erkenne an, daß Präsident Wilsons Ton jetzt verschieden ist von demjenigen in seiner Antwort an den: 10*

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Papst, worin er versuchte, Zwietracht zwischen det deutschen Regierung und dem deutschen Volke zu säen, und das hat gute Wirkung gehabt. Das Gerede von der autokratischen Unterdrückung des deutschen Volkes durch die deutsche Regierung hat aufgehört, und die früheren Angriffe auf das Haus Hohenzollern sind nicht erneuert worden. Ich denke ohne Gefahr bestätigen zu können, daß ich die letzten Vorschläge Wilsons als eine schätzenswerte Annäherung an den Standpunkt Österreich-Ungarns ansehe, und daß zu einigen Vorschlägen die Doppel-Monarchie mit Freuden zustimmen könnte. E s ist einleuchtend, daß ein Meinungsaustausch zwischen Amerika und Österreich-Ungarn den Ausgangspunkt für eine versöhnliche Erörterung unter allen Staaten bilden mag. Aber Österreich-Ungarn muß zuerst den Grundsatz betonen, daß insofern diese Vorschläge seine Verbündeten betreffen, die Doppel - Monarchie treu ihren Versprechungen den Besitz ihrer Verbündeten verteidigen wird, als wäre es ihr eigenes Gebiet. Das ist der Standpunkt unserer Verbündeten, und hierin besteht völlige Gegenseitigkeit. Auf die besonderen Punkte eingehend, soweit die Doppelmonarchie daran interessiert war, sagte Czernin: Zu i. Wenn unter Ausscheidung der geheimen Diplomatie zu verstehen ist, daß es künftig keine geheimen Verträge mehr geben soll, so habe ich nichts gegen die Verwirklichung dieser Idee einzuwenden, obschon ich nicht sehe, wie man diese Verwirklichung durchführen und kontrollieren kann. Dies sind jedoch Einzelheiten, welche zu erörtern wären. Zu 2, In bezug auf die Freiheit der Meere hat Wilson dem Gesichtspunkt aller entsprochen, und ich würde diesen Punkt im vollen Umfange unbedingt befürworten. Zu 3. Dieser Artikel, welcher in einer formalen Weise Abneigung gegen einen künftigen wirtschaftlichen Krieg erklärt, ist so gerecht und vernünftig, und seine Anwendung ist so oft von uns gefordert worden, daß wir nichts hinzuzufügen haben.

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Zu 6. Räumung russischen Gebietes. — Die Bevölkerung Polens wird ihr eigenes Schicksal entscheiden. Ich erkläre immer wieder, daß ich nicht einen Quadratmeter Landes oder einen Kreuzer von Rußland verlange, und daß, wenn Rußland denselben Standpunkt einnimmt, wie es der Fall zu sein scheint, der Frieden zustande kommen müßte. Zu 9., 10. und 1 1 . Ich muß höflich aber ebenso energisch ablehnen, mich in Verhandlungen über die Art und Weise einzulassen, in welcher die Doppel-Monarchie ihre innern Angelegenheiten führen sollte. In der ganzen Welt ist kein Parlament mehr demokratisch als das unsrige, welches in Übereinstimmung mit den konstitutionellen Einrichtungen allein das Recht hat, über die innern Angelegenheiten des Landes zu beschließen. —" Den beiden Staatsmännern der Mittelmächte antwortete Wilson in einer Ansprache im Kongreß vom 1 1 . 2. 1918. Ihr Wortlaut ist folgender: „ A m 8. 1. hatte ich die Ehre, vor Ihnen über die Kriegsziele, so wie sie unser Volk versteht, zu sprechen. Herr Lloyd George hat am 5. 1. in ähnlicher Weise gesprochen. Auf diese Äußerungen erwiderten die Minister der Mittelmächte unter dem 24. 1. E s befriedigt, unsern Wunsch so rasch erfüllt zu sehen, daß alle Meinungsaustausche über diese wichtigen Angelegenheiten zu Gehör der ganzen Welt gemacht werden. Graf Czernins Antwort, welche besonders auf meine Worte vom 8. 1. eingeht, ist in einem sehr freundlichen Tone gehalten. E r findet in meinem Programm eine hinreichend ermutigende Annäherung an den Standpunkt seiner Regierung, um zu bestätigen, daß sie eine Grundlage für eine genauere Besprechung, der Ziele durch beide Regierungen liefere. Von ihm heißt es, er habe durchblicken lassen, daß seine Ansichten mir vor ihrer Veröffentlichung zugegangen seien und daß ich sie bereits gekannt hätte, als er sie zum Ausdruck brachte. Indessen ist er hierin sicherlich mißverstanden worden, da ich keine Andeutung seiner be-

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absichtigten Rede empfangen habe. E s lag ja kein Grund vor, warum er mit mir privatim verhandeln sollte, und es befriedigt mich, einer seiner öffentlichen Zeugen zu sein. v. Hertlings Antwort — ich muß es sagen — ist sehr unbestimmt und verwirrend. Sie ist voll von zweideutigen Sätzen und führt zu Unklarheiten. Sicherlich aber ist sie im Ton verschieden von der Antwort Czernins und offensichtlich entgegengesetzter Absicht. Leider muß ich sagen, daß sie den unglückseligen Eindruck von dem, was wir über die Konferenz in Brest-Litowsk erfahren haben, eher bestätigt als beseitigt. Seine Erörterung unserer allgemeinen Richtlinien führt ihn zu keinen praktischen Schlüssen. E r lehnt ihre Anwendung auf die Hauptartikel ab, welche das Gerippe einer endgültigen Regelung bilden müssen. E r ist eifersüchtig auf internationales Handeln. E r sagt, er nehme den Grundsatz öffentlicher Diplomatie an, aber anscheinend besteht er darauf, daß er beschränkt werde wenigstens im vorliegenden Falle auf Allgemeinheiten, und daß die verschiedenen Sonderfragen über Gebiets- und Hoheitsrechte erörtert und geschlichtet werden müßten nicht in einer allgemeinen Beratung, sondern getrennt durch die Nationen allein, deren Interessen und Nachbarschaft am meisten davon berührt werden. E r stimmt zu, daß die Meere frei sein sollen, ist aber jeder Beschränkung dieser Freiheit durch internationales Handeln im Interesse der allgemeinen Ordnung abgeneigt. E r würde rückhaltlos der Beseitigung wirtschaftlicher Schranken unter den Völkern beipflichten, denn dies könne keinesfalls den Bestrebungen der Militärpartei im Wege sein, mit welcher er es anscheinend halten muß. Auch erhebt er keinen Widerspruch gegen eine Rüstungsbeschränkung. Diese Sache wird sich von selbst regeln, denkt er, durch die wirtschaftlichen Verhältnisse, welche dem Kriege folgen müssen. Dagegen müssen die deutschen Kolonien ohne Debatte zurückgegeben werden, das ist seine Forderung. E r will nur mit Rußland darüber verhandeln, was aus den Völkern und Gebieten der balti150

sehen Provinzen werden soll; nur mit Frankreich die Bedingungen festlegen, unter welchen das französische Gebiet geräumt werden soll, und nur mit Österreich über das Schicksal Polens beschließen. In Hinsicht auf die Regelung aller Balkanfragen überläßt er die Entscheidung Österreich und der Türkei, so wie ich ihn verstehe. Nachdem alles in dieser Weise durch Sonderverhandlungen geordnet ist, dann würde er — wenn ich ihn recht verstehe ,— keinen Einspruch gegen eine Völkerliga erheben, welche die Aufgabe hätte, das neue Mächtegleichgewicht gegen äußere Störung aufrecht zu erhalten. Für jeden, welcher weiß, wozu dieser Krieg in der Meinung der Welt bestärkt hat, ist es klar, daß in dieser Weise kein allgemeiner Friede, wert der unendlichen Opfer dieser traurigen Jahre, möglich sein kann. Die vom Reichskanzler vorgeschlagene Methode ist diejenige des Wiener Kongresses. Dazu können und wollen wir nicht zurückkehren. Was jetzt auf dem Spiele steht, ist der Weltfrieden. Was wir anstreben, ist eine internationale Neuordnung, gegründet auf breiten und allgemeinen Grundlagen von Recht und Gerechtigkeit, und nicht ein zusammengeflickter Frieden. Ist es denkbar, daß Hertling das nicht einsieht? Lebt er tatsächlich in seinen Gedanken in einer längst vergangenen Welt? Hat er den Reichstagsbeschluß vom 19. Juli ganz vergessen oder läßt er ihn absichtlich außer acht? Dieser sprach von Bedingungen eines allgemeinen Friedens und nicht von nationaler Ausdehnung und Abmachungen zwischen den einzelnen Staaten. Der Weltfrieden hängt von der gerechten Regelung aller der einzelnen Probleme ab, auf welche ich in meiner letzten Ansprache hinwies. Selbstverständlich meine ich damit nicht, daß der Weltfrieden abhängt von der Annahme einer bestimmten Anzahl von Vorschlägen, wie diese Probleme zu lösen sind. Ich meine nur, daß diese. Probleme, das eine wie das (andere, die ganze Welt angehen, und daß kein dauernder Friede erlangt werden wird, es sei denn, daß diese Probleme in

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einem Geiste von selbstloser und unbefangener Gerechtigkeit gelöst werden und unter Berücksichtigung der Wünsche, der natürlichen' Verbindungen, der Rassenansprüche, der Sicherheit und des Seelenfriedens der beteiligten Völker. Sie können nicht getrennt und in Gruppen behandelt werden. Keines von ihnen stellt ein privates Sonderinteresse dar, von dem die Ansicht der Welt ausgeschlossen werden darf. Was den Frieden angeht, geht die Menschheit an, und nichts, was durch militärische Gewalt geregelt wird, falls zu Unrecht geregelt, ist überhaupt geordnet und muß bald darnach wieder aufgenommen werden. Weiß Graf Hertling nicht, daß er im Gerichtshofe der Menschheit spricht, daß alle erwachten Nationen der Welt jetzt zu Gericht sitzen über das, was jeder Staatsmann, einerlei von welcher Nation, über den Ausgang eines Streites zu sagen hat, der sich nach jeder Richtung der Welt ausgedehnt hat? Selbst die Reichstagsbeschlüsse vom Juli erkannten offen die Entscheidungen dieses Gerichtshofes an, daß es keine Gebietserweiterung, keine Kriegsentschädigungen, keine Strafgelder geben sollte. Völker werden nicht von einer Dynastie zur andern durch eine internationale Konferenz oder durch Abmachungen zwischen Rivalen überliefert. Nationale Ansprüche müssen beachtet werden, Völker sollen jetzt ausschließlich nach ihrem eigenen Einverständnis beherrscht und regiert werden. Selbstbestimmungsrecht ist nicht eine leere Redensart, es ist ein zwingender Grundsatz, welchen Staatsmänner in Zukunft auf eigene Gefahr unbeachtet lassen werden. Wir können keinen allgemeinen Frieden lediglich durch die Abmachungen einer Friedenskonferenz haben, er kann nicht durch individuelle Vereinbarungen zwischen mächtigen Staaten zusammengeflickt werden. Alle Kriegsbeteiligten müssen an der Schlichtung einer jeden Frage mitarbeiten. Denn was wir wollen, ist ein Frieden, den zu gewährleisten und aufrecht zu .erhalten wir uns alle vereinigen, und jeder Artikel muß dem allgemeinen Richterspruch, ob gerecht und billig, unter-

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zogen werden, es muß ein Akt der Gerechtigkeit eher als ein Tauschgeschäft zwischen Monarchen sein. Die U. S. A. verlangen nicht darnach, sich in europäische Angelegenheiten einzumischen oder als Schiedsrichter in europäischen Gebietsstreitigkeiten zu handeln. Sie würden es verachten, Vorteil aus irgend einer inneren Schwäche oder Unordnung zu ziehen, um ihren eigenen Willen einem andern Volke aufzuzwingen. Sie sind bereit, sich zeigen zu lassen, daß ihre Vorschläge nicht die besten oder dauerhaftesten sind. Diese Vorschläge sind nur eine Anregung von Grundsätzen, wie sie angewendet werden sollten. Aber wir traten in den Krieg ein, weil wir, ob mit oder gegen unsern Willen, zu Teilhabern der Leiden und der unwürdigen Behandlung gemacht wurden, welche die militärischen Gewalthaber Deutschlands uns fühlen ließen. Die Friedensbedingungen werden uns daher eben so nahe angehen als irgend eine andere Nation, welcher eine führende Rolle in der Aufrechterhaltung der Zivilisation zukommt. Wir können keinen Weg zum Frieden sehen, bis die Ursachen zu diesem Krieg beseitigt und Wiederkehr nahezu unmöglich gemacht ist. Dieser Krieg hat seine Wurzeln in der Geringschätzung der Rechte kleiner Völker, welchen der Zusammenschluß und die Macht fehlte, ihr politisches Leben selbst zu bestimmen. Verträge müssen jetzt eingegangen werden, welche solche Dinge künftig unmöglich machen, und solche Verträge müssen durch die vereinte Macht aller Völker gestützt werden, welche Gerechtigkeit lieben und sie zu jedem Preis aufrechterhalten wollen. Wenn Gebietsfragen und die politischen Beziehungen von Völkern, welche nicht die organisierte Macht zum Widerstand haben, durch Verträge mächtiger Regierungen erledigt werden sollen, wie Graf Hertling vorschlägt, warum dann nicht dasselbe mit den wirtschaftlichen Fragen tun? Es ist in unserer veränderten Welt dahin gekommen, daß Gerechtigkeit und Völkerrechte das ganze Gebiet internationalen Handelns ebensoviel angehen, als der Zugang zu Rohmaterialien und 153

billigen gleichen Händelsbedingungen. Hertling möchte die wesentliche Grundlage des kommerziellen und industriellen Lebens durch gemeinsames Übereinkommen sichergestellt haben, aber er kann das nicht erwarten, wenn die andern Dinge, deren Regelung durch die Friedensartikel sich notwendig macht, nicht in derselben Weise als Posten in der Endabrechnung behandelt werden. E r kann nicht die Wohltat des gemeinsamen Abkommens auf dem einen Gebiet verlangen, ohne es auch auf dem andern zuzugestehen. Ich nehme es für ausgemacht an, d a ß er einsieht, daß eigennützige Sonderabkommen auf dem Gebiet des Handels keine Friedensgrundlage geben würden; ebensowenig tun es selbstsüchtige Sonderverträge in bezug auf Provinzen und Völker. Graf Czernin scheint die Grundzüge für Frieden ¡mit klaren Augen zu sehen und sie nicht zu verdunkeln. E r sieht ein, daß ein unabhängiges Polen, gebildet aus allen unstreitig polnischen Völkern, die aneinander grenzen, eine europäische Angelegenheit ist und bewilligt werden m u ß ; daß Belgien geräumt und wiederhergestellt werden m u ß ; einerlei, welche Opfer und Bewilligungen dies in sich schließen m a g ; daß nationale Ansprüche im Interesse Europas und der gesamten Menschheit erfüllt werden müssen, selbst innerhalb seines eigenen Reiches. Wenn er zu Fragen schweigt, welche die Interessen und Ziele seiner Verbündeten näher als diejenigen Österreichs berühren, so muß dies meiner Vermutung nach den Grund darin haben, daß er sich verpflichtet fühlt, dies dem deutschen Reich und der Türkei unter den Umständen zu überlassen. So wie er die in Frage stehenden Grundlinien und die Notwendigkeit ihrer Anwendung erkennt und zugibt, fühlt er naturgemäß, daß die Doppel-Monarchie das von den U. S. A. vorgeschlagene Friedensprogramm mit weniger Verlegenheit als Deutschland beantworten kann. Wahrscheinlich würde er viel weiter gegangen sein, hätten Österreichs Bündnisse und seine Abhängigkeit von Deutschland nicht im Wege gestanden. Die Probe, ob es für jede Regierung möglich ist, in

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diesem Austausch der Gesichtspunkte irgendwie weiter zu gehen, ist schließlich einfach und klar. Die anzuwendenden Grundsätze sind folgende: 1. Daß jede Abmachung auf die grundlegende Gerechtigkeit des einzelnen Falles und auf solche Ausgleichungen gegründet werden muß, welche aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem dauernden Frieden führen. 2. Daß Völker und Provinzen nicht von einer Dynastie zur andern verschachert werden, gleichsam, als ob sie reine Handelsware und Pfänder in einem, wenn auch noch so großen Spiele um das Mächtegleichgewicht wären. 3. Jede Gebietsregelung in diesem Kriege muß im Interesse und zum Nutzen der beteiligten Bevölkerung und nicht als ein Teil eines bloßen Ausgleichs von Ansprüchen unter wetteifernden Staaten vorgenommen werden. 4. Alle begründeten nationalen Ansprüche sollten ausgiebigst gewährt werden, ohne neue Elemente von Zwietracht und Streit einzuführen oder alte fortzusetzen, welche sehr wahrscheinlich mit der Zeit den Frieden Europas und damit der ganzen Welt brechen würden. E i n allgemeiner, auf solchen Grundlagen aufgebauter Frieden läßt sich erörtern. Bis dahin haben wir keine andere W a h l als weiterzukämpfen. Soweit wir es beurteilen können, sind solche Grundsätze bereits überall als zwingend angenommen worden, mit Ausnahme der Militärpartei in Deutschland. Sollten sie anderwärts zurückgewiesen worden sein, so sind ihre Gegner nicht zahlreich oder einflußreich genug gewesen, um ihre Stimmen hörbar zu machen. Der traurige Umstand ist, daß diese eine Partei in Deutschland offenbar willens, und fähig ist, Millionen Menschen in den T o d zu treiben, um zu verhindern, was heute die ganze Welt als gerecht ansieht. Ich wäre kein aufrichtiger Sprecher für das amerikanische Volk, wenn ich nicht noch einmal wiederholte, daß wir aus keiner kleinen Veranlassung in diesen Krieg eingetreten sind und daß wir niemals von dem eingeschlagenen

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Weg der Grundsätze zurücktreten können. Unsere Hilfskräfte sind jetzt teilweise aufgeboten, und wir werden nicht ruhen, bis sie in ihrem ganzen Umfange aufgestellt sind. Unsere Heere eilen an die Kampffront, und es wird dies schneller und schneller vor sich gehen. Wir sind unbezwingbar in unserer Macht unabhängigen Handelns und können nie zu einem Leben in einer von Intrigue regierten Welt unsere Zustimmung geben. Wir glauben, daß unser eigenes Verlangen für eine internationale Neuordnung von aufgeklärten Männern überall geteilt wird. Ohne diese Neuordnung wird die Welt ohne Frieden sein, und das Leben der Menschen wird der erträglichen Vorbedingungen für Bestehen und Entwicklung ermangeln. Haben wir einmal unsere Hand an Vollbringung dieser Aufgabe gelegt, so gibt es kein Zurück mehr. Hoffentlich ist es für mich überflüssig, hinzuzufügen, daß keines meiner Worte als eine Drohung gemeint war. Das ist nicht die Art unseres Volkes. Ich habe so geredet, nur damit die ganze Welt den wahren Geist Amerikas kennen lernen möge, und damit die Menschen überall wissen sollen, daß unsere Neigung zu Gerechtigkeit und zu Selbstregierung nicht leere Worte sind, sondern eine Neigung, wenn einmal in Tätigkeit gesetzt, die dann auch befriedigt werden muß. Die Macht der U. S. A. ist für kein Volk eine Drohung. Sie wird niemals angewendet werden zu Angriff oder zur Vergrößerung. Sie geht aus Freiheit hervor und dient der Sache der Freiheit. —" Diese Äußerungen Wilsons beantwortete Hertling in einer am 25. 2. 1918 vor dem Reichstag gehaltenen Rede. Die wesentlichen Punkte daraus lauteten: „Ich kann den 4 Prinzipien, welche nach Wilsons Ansicht bei gegenseitigem Meinungsaustausch zur Anwendung kommen müssen, grundsätzlich beipflichten und folglich mit Wilson erklären, daß ein allgemeiner Frieden auf einer solchen Grundlinie erörtert werden kann. Nur eine Einschränkung muß in dieser Hinsicht gemacht werden: Diese

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Richtlinien müssen nicht allein von dem Präsidenten der U . S . A . aufgestellt, sondern auch von allen Staaten und Völkern tatsächlich anerkannt werden. Dieses Ziel ist aber noch nicht erreicht. Unglücklicherweise ist keine Spur von ähnlichen Erklärungen bei den führenden Ententemächten vorhanden. Englands Kriegsziele sind noch immer durch und durch imperialistisch, und es wünscht der Welt einen Frieden nach Englands Gutdünken aufzuzwingen. Wenn England von dem Recht der Selbstbestimmung der Völker spricht, so denkt es nicht daran, diesen Grundsatz auch auf Irland, Ägypten und Indien in Anwendung zu bringen. Indessen gestehe ich gern zu, daß Wilsons Äußerungen vielleicht einen kleinen Schritt einer gegenseitigen Annäherung bedeuten. Ich kann mit dem früheren Ackerbauminister im britischen Kabinett, Herrn Runciman, nur übereinstimmen, "wenn er meinte, daß wir dem Frieden weit näher wären, wenn die geeigneten verantwortlichen Vertreter der Kriegsmächte zwecks Aussprache zusammenkämen. Das wäre ein Weg, um alle absichtlichen und unabsichtlichen Mißverständnisse zu beseitigen und ein Einverständnis in bezug auf viele Einzelfragen herbeizuführen. Ich denke in Verbindung damit besonders an Belgien. Die Welt steht nun vor einer endgültigen Entscheidung. Entweder unsere Feinde erklären sich zum Friedensschluß bereit — sie wissen, unter welchen Bedingungen wir bereit sind, in Verhandlungen einzutreten — oder sie setzen den Wahnsinn ihres verbrecherischen Eroberungskrieges fort. Unser Volk wird weiter aushalten, aber das Blut der Gefallenen, die Qualen der Verstümmelten und das Unglück der Völker fallen auf die Häupter derjenigen, welche sich dauernd weigern, der Stimme der Vernunft und der Humanität zu folgen." Nun noch einige Bemerkungen zu Wilsons Friedensäußerungen : — Spricht aus der Art, in welcher Wilson auf die Antwort Czernins eingeht, nicht abermals ider Wunsch, eine Bresche in das Bündnis der Mittelmächte 157

zu schlagen? Weiter hat Wilson immer behauptet, es sei nicht die Absicht der U . S . A . , sich in die inneren Angelegenheiten der Völker Europas einzumischen. Wie läßt es sich dann mit seinen Grundlinien vereinbaren, daß ein dauernder Frieden nur auf einer internationalen Neuordnung der Verhältnisse in Europa aufgebaut werden könne, an der mitzuwirken alle Völker der Erde und somit auch die U . S . A . berechtigt seien? Hat er sich in dieser Richtung nicht bereits zu sehr festgelegt, um in Zukunft eventuellen Einmischungen seitens Europas in amerikanische Verhältnisse die bisher gültig gewesene Monroedoktrin — Amerika den Amerikanern — noch mit gutem Grunde entgegenhalten zu können ? Wenn Wilson die bisher hartnäckig aufrechterhaltene Forderung, daß Elsaß - Lothringen an Frankreich zurückzugeben sei, im Einklänge mit Lloyd George in die Worte umschreibt — „Das Frankreich durch' Preußen 1871 angetane Unrecht in bezug auf Elsaß-Lothringen sollte wieder gutgemacht werden —" so ist das geschehen, um die Forderung in den Augen des geschichtsunkundigen Publikums berechtigter erscheinen zu lassen. Denn es ist kaum anzunehmen, daß Wilson als ehemaliger Geschichtsprofessor in die Klasse Menschen zu rechnen ist, über die Hertling bei Beantwortung der Wilsonschen Punkte sagte: — „Indessen scheinen im Auslande viele zu sein, welche europäische Geschichte nicht kennen. Ihnen sei gesagt, daß Elsaß - Lothringen zum größten Teil rein deutsche Gebiete umfaßt, welche durch jahrhundertelange Gewalttätigkeit und Gesetzwidrigkeit vom deutschen Reich losgerissen worden waren, bis in 1779 die französische Revolution den letzten Überrest aufschluckte. Eist daraufhin wurden Elsaß - Lothringen französische Provinzen. Wenn wir in 1870 die Gebiete zurückverlangten, welche ursprünglich uns entrissen worden waren, so war das nicht Eroberung fremden Gebiets, sondern richtig gesagt das, was heute Rückeinverleibung genannt wird. Außerdem war diese Rückeinverleibung damals ausdrücklich von der französi158

sehen Nationalversammlung mit großer Stimmenmehrheit anerkannt worden." — Wenn Wilson einen dauernden Weltfrieden nur in einer allgemeinen Neuordnung unter Berücksichtigung nationaler Ansprüche und des Selbstbestimmungsrechts der Völker erblickte, warum wollte er dann diese Neuordnung auf die vom Kriege unmittelbar betroffenen Völker beschränkt sehen? Waren nicht alle Völker der Erde, die Bevölkerung Irlands, Ägyptens, Süd-Afrikas, Indiens gleichfalls berechtigt, an Wilsons Idealen der Gerechtigkeit, Freiheit und Menschlichkeit Anteil zu haben? In bezug auf die Rückgabe der deutschen Kolonien forderte Wilson, daß dabei ausschlaggebend sein sollte, ob die unzivilisierten, aber während der Kriegsjahre von den Feinden gehörig bearbeiteten und eingeschüchterten Eingeborenen zustimmen würden, unter deutscher Oberhoheit zu leben. Ich frage, sind die Bewohner von Panama, Kuba und den Philippinen seinerzeit befragt worden, ob sie unter der Oberhoheit der U. S. A. leben wollten? Waren nicht bei der vorgeschlagenen Neuordnung die nationalen Ansprüche auch dieser Völker zu berücksichtigen? Wilson hatte sicherlich den Inhalt der in Rußland veröffentlichten Geheimverträge zwischen den Alliierten gelesen. Wie brachte er seine Grundprinzipien mit der Art und Weise in Einklang, in welcher seine Bundesgenossen im Falle eines Sieges über Gebietsteile der Mittelmächte zu verfügen gedachten? Waren dabei die Grundsätze gebührend berücksichtigt, daß nationale Ansprüche der Bevölkerung zu beachten seien und daß Provinzen und Völker nicht von einer Oberherrschaft der andern übergeben werden sollten, als wären sie Schachfiguren? Im Hinblick auf die Veröffentlichung dieser Geheimverträge stand es den Alliierten, — die U . S . A . eingeschlossen, — schlecht an, Deutschland eines Eroberungskrieges schuldig zu sprechen, weil es sich weigerte, Belgien und die übrigen besetzten Gebiete v o r Eintritt in Friedensverhandlungen zu räumen. Völlig unangebracht aber war die verhaltene Wut der alliier-

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ten Zeitungen über Deutschlands harte Friedensbcdingungen mit der Bolschewiki-Regierüng in Rußland. Die Reden der führenden Staatsmänner zeigten, daß die Kriegsparteien in ihren Ansichten über Ziele und Bewilligungen noch weit auseinander gingen. Diese Reden waren immerhin von unschätzbarem Werte, insofern sie einen Weg zu einem Meinungsaustausch eröffneten, welcher bei einigem guten Willen auf beiden Seiten schließlich zur Einberufung einer Friedenskonferenz hätte führen müssen. Bei der Wiedereröffnung des Kongresses am 4. 12. 1917 legte der Schatzamtssekretär Mc. Adoo den Volksvertretern einen Finanzbericht über das Fiskaljahr 1916/1917, sowie das Budget für 1918/1919 vor. Ein Vergleich der erhöhten Einnahmen und Ausgaben der U. S. A. vor und nach Eintritt in den Krieg gibt dem Leser einen Begriff, in ¡welchem Maße der Volksreichtum mit der fortschreitenden Dauer des Krieges zugenommen hatte, aber auch, welche Unsummen die Kriegsbereitschaft der U. S. A. verschlang. Eine kurze Übersicht scheint mir daher der Mühe wert zu sein. Das Fiskaljahr dauert vom 1. 7. bis 30. 6.: Einnahmen: Ausgaben: 1915/16 $ 1 1 5 3 0 4 4 6 3 9 $ 1072894093 1916/17 $ 3882068711 $ 3083476791 Voranschlag: 1917/18 $ 1 3 6 4 7 7 1 6 1 6 1 $18775919955 Voranschlag: . 1918/19 $ 5176060460 8 12804034440 In dem Fiskaljahr 1916/17, welches nur die ersten drei Kriegsmonate Amerikas einschloß, betrugen die Einnahmen $ 2729024072 mehr, und • die Ausgaben $ 2010582698 mehr als im Jahre vorher. Der auffallend hohe Einnahmebetrag im Voranschlag 1917/18 erklärt sich daraus, daß darin der Ertrag der beiden ersten Freiheitsanleihen mit ungefähr $ 7 000 000 000 eingeschlossen ist. 160

Erstaunlich jedenfalls sind die Ausgabenbeträge in den Voranschlägen 1917/18 und 1918/19. Nicht darin eingeschlossen sind die an die Alliierten gemachten und noch zu leistenden Darlehen. A m 30. Juni 1918 mußte sich nach dem Voranschlag zwischen Einnahmen und Ausgaben ein Fehlbetrag von $ 5128203794 herausstellen. „ E s wird für den Kongreß nötig sein — so fahrt der Finanzbericht fort — das Schatzamt zu ermächtigen, neue Kapitalien bis zu $ 5 640 000 000 aufzubringen, bevor das Fiskaljahr am 30. Juni 1918 endet. Außerdem sind bis zum gleichen Termin noch auszugeben $ 3666233850 in Bonds, deren Auflage im September 1917 bewilligt worden war, Sowie ¡ungefähr $ 663 200 000 in Kriegssparmarken." Der Fehlbetrag im Fiskaljahr 1918/19 war auf $ 7 627 973980 veranschlagt, welcher noch um $ 6000000000 sich erhöhen würde, falls die Darlehne an die Alliierten zur gegenwärtigen Rate von etwa $ 500000000 monatlich weitergewährt würden. . Die regulären Einnahmen, die im Voranschlag 1918/19 etwa das Fünffache des Betrages im Fiskaljahr 1915/16 aufweisen, reden ein beredtes Zeugnis von dem Anwachsen des Nationalvermögens. Die Mehr - Ausgaben- im Etatjahr 1918/19 mit rund $ 7500000000 sollten nur teilweise durch Steuern, in der Hauptsache aber durch neue Freiheitsanleihen gedeckt werden. Die Zeitungen fühlten sich verpflichtet, angesichts eines solchen Voranschlags dem amerikanischen Volke einigen Trost zuzusprechen: „Wir alle wissen, daß Krieg kostspielig ist. Unsere Regierung befindet sich in dem Nachteil, daß sie jahrelang viele Dinge vernachlässigt- hat und gezwungen ist, diese in Eile wieder gut zu machen. Unser skandalöses Unvorbereitetsein für eine auswärtige Krisis und unsere Unsinnige Schiffahrtsgesetzgebung, welche amerikanische Handelsschiffe von den Meeren vertrieb, waren Irrtümer, für K. r a h 1 , Die Rolle Amerikas

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die wir jetzt schwere Strafen zahlen müssen, Es gibt nur eine weitsichtige Antwort: Die Dringlichkeit ist so gebieterisch, daß man ihr begegnen muß ohne Rücksicht auf die Kosten. Alles ist billiger, als eine Niederlage yon deutscher Hand, und auf die Dauer ist es sparsamer, in großen Massen Geld auszugeben, damit große Dinge sofort getan werden mögen, als tropfenweise die Ausgaben zu .machen, was wenig oder nichts schafft, am Ende aber größere Summen verschlingt als der Preis eines schnellen Sieges. Der einzige Weg, sich mit einem großen Problem zu befassen, ist der Weg vermöge großzügiger Maßnahmen." (New York Evening Sun vom 4. 12. 1917.) Im März 1918 verfügte die U. S. A. - Regierung, dem Druck Englands folgend, die zwangsweise Indienststellung aller in Amerika befindlichen Schiffe Hollands. Es sei daran erinnert, daß die beiden Regierungen ein vorläufiges Abkommen getroffen hatten, wonach Holland einwilligte, daß ein Teil seiner Schiffe im Interesse der Alliierten eu Fahrten zwischen Nord- und Südamerika verwendet würde. Die U. S. A.-Regierung begründete ihre jetzige Maßnahme damit, Holland sei infolge Druckes von Deutschland außerstande gewesen, dieses Abkommen einzuhalten, und berief sich unter Anziehung einer lex angaria darauf, daß die zwangsweise Ergreifung der Schiffe innerhalb des Rahmens internationalen Rechtes sei. In seiner Protestnote gab aber Holland den wahren Sachverhalt bekannt: — Die Alliierten hätten sich infolge der Schiffsverluste gezwungen gesehen, ihre Tonnage dadurch zu ersetzen, daß sie sich das Verfügungsrecht über eine große Zahl von Schiffen anmaßten, welche nicht ihnen, sondern den Niederlanden gehörten. Sie hätten gesehen, daß die Niederlande ihren Schiffen nicht gestatten konnten, im Interesse der Alliierten zu fahren, außer unter Bedingungen, welche strikte Neutralität vorschreibe, die aber in den Augen der Alliierten mit ihren Interessen nicht im Einklang waren. — Die holländische Regierung hatte nämlich Amerikas Forderung, holländische 162

Schiffe durch die Kriegszone laufen zu lassen, mit der Begründung abgewiesen, daß ihre Schiffe, wenn bewaffnet, die Gefahr eines Zusammengeratens mit deutschen Kriegsschiffen laufen würden, und daß sie auf Grund der Neutralität dem Ersuchen nur entsprechen könnte, wenn die Allierten zusicherten, daß die Schiffe nicht bewaffnet und nicht zum Transport von Truppen und Kriegsmaterial verwendet würden. Dies und nichts anderes sei der Grund der Beschlagnahme gewesen. Die Handlung der U. S. A. hat in Holland große Entrüstung entfacht, welche am besten in der Antwortnote mit folgenden Worten gekennzeichnet ist: „— Die holländische Regierung bringt die Gefühle der gesamten Nation zum Ausdruck, welche in der Beschlagnahme eine Handlung von Gewalt sieht, der sie sich widersetzen wird mit aller Energie ihrer Überzeugung und ihres verletzten Nationalgefühls. Die U. S. A.-Regierung hat sich immer auf Recht und Gerechtigkeit berufen und ist stets als der Beschützer kleiner Nationen aufgetreten. Daß sie jetzt teilnimmt an einer Handlung im Widerspruch mit diesen Grundsätzen,, ist ein Vorgang, welcher keinen Ausgleich in den Beteuerungen der Freundschaft oder in den Versicherungen einer milden Anwendung des begangenen Unrechts findet." — Es bedarf keiner weiteren Erklärung. Die Tatsachen sprechen für sich selbst und zeigen, wie Wilson seine Ideale in die Tat umsetzt, je nachdem es sich um das eigene Interesse oder dasjenige des Feindes handelt. Während die täglichen Berichte der Zeitungen, zweifellos von der Regierung veranlaßt, dem Volke vorgaukelten, wie wunderbar die amerikanische Kriegsmaschine auf Frankreichs Boden arbeite, sprangen zwei Ereignisse im Lande in die Erscheinung, welche diese Zeitungsberichte Lügen straften: — In einer Ansprache bei einem Festessen in New-York erklärte der demokratische Senator und Leiter des Ausschusses für militärische Angelegenheiten, Herr Chamberlain „Unsere Kriegsmaschine ist zusammengebro11*

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chen", und begründete es idamit, d a ß nach Pershings eigenem Bericht die amerikanischen Soldaten aus französischen Geschützen mit französischer Munition feuern müßten, daß die amerikanische Armee knapp an Maschinen-Gewehren sei infolge der in der Heimat nicht zu Ende kommenden Streitfrage, welches Modell das brauchbarste wäre, und daß die amerikanischen Soldaten den deutschen Fliegern gegenüber ohne Verteidigung seien, da noch kein einziges amerikanisches Flugzeug an der Schlachtfront sich in Tätigkeit befinde. Es müsse ein Munitionsministerium mit einem Manne an seiner Spitze eingesetzt werden, dem die verantwortliche Aufgabe zufalle, die Armee in schleunige Kriegsbereitschaft zu setzen. Die gleichfalls bei dem Festessen anwesenden Republikaner Roosevelt und Root gaben dem demokratischen Senator ihre uneingeschränkte Zustimmung und nutzten die Gelegenheit politisch aus, um die gegenwärtige Regierung wegen ihrer flauen Kriegsmaßnahmen zu brandmarken. „Der Vorwurf, welchen ich erhebe, ist schwer — sagte Chamberlain — ich halte es aber für meine Pflicht, als Senator dem Volke gegenüber ihn zu erheben, selbst auf die Gefahr hin, daß es mich meine politische Laufbahn kosten sollte. —" Die Nachricht machte im Volke einen tiefen Eindruck1, so daß Wilson sich veranlaßt sah, in einem offenen Briefe den Senator des Mangels an Patriotismus zu beschuldigen, und deutlich zu verstehen gab, daß er sich in der Leitung der Kriegsgeschäfte, für die ,er nun einmal die alleinige Verantwortung übernommen habe, keine Aufsichtsperson werde aufdrängen lassen. Und merkwürdig genug I Trotz der tönenden Worte des Pflichtgefühls seitens des Senators verschwand in den Zeitungen und damit in der Öffentlichkeit für immer der Streitgegenstand ebenso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Das amerikanische Volk hatte seine Sensation gehabt und gab sich zufrieden. Wie aber die streitenden Parteien die Sache so schnell beilegen konnten, bleibt unaufgeklärt. Es gibt in Amerika ein gern angewendetes Mittel, welches selten seine Wirkung verfehlt.

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Das zweite Ereignis betraf die Enthüllungen itn Flugzeugwesen. Nachdem bereits mehrmals in Zeitungen zarte Andeutungen über völliges Versagen des Flugzeugwesens gemacht worden waren, trat der Bildhauer Borglum in die Öffentlichkeit mit der Anschuldigung heraus, daß die für den Luftflottenbau von der Regierung ausgeworfenen 640 Millionen Dollars vergeudet worden seien, ohne daß bisher eine einzige amerikanische schwere Kampfmaschine an der Front- in Frankreich in Tätigkeit wäre, daß Fabriken geschaffen worden seien, wo sie nicht nötig waren, daß Verträge bis zur Höhe von 50 Millionen Dollars Leuten zugewiesen wären, welche vom Flugzeugwesen nichts verstünden, und daß in der Flugzeugabteilung viele Personen sich befänden, die sich ungerechtfertigte Profite verschafften. Wiederum brach ein Sturm der Entrüstung im Volke aus, und Wilson ordnete eine amtliche Untersuchung von vier Stellen aus an. Am 22. 8. 1918 gab das Senatskomitee das Ergebnis seiner Nachforschung bekannt. Ein Auszug daraus folgt: „ E s muß zugegeben werden, daß unser Flugzeugwesen bis zur Stunde viele schwache Seiten aufzuweisen hat. Die ursprünglich vom Kongreß bewilligten 640 Millionen Dollars sind aufgebraucht und tatsächlich vergeudet worden. Dabei sind weitere 884 Millionen Dollars erforderlich. 601 De Haviland-4 Zylinder-Maschinen sind bis zum 1 . 8 . 1 9 1 8 nach Frankreich verschifft worden. Davon haben 67 bis zum 1. 7. die Front erreicht. Wir haben nicht ein einziges Kampfflugzeug, nicht eine einzige schwere Maschine an der Schlachtfront. Wir haben weder entwickelt noch in Mengen fabriziert ein erfolgreiches Schlachtflugzeug. Der Versuch, den Freiheitsmotor allen Flugzeug-Typen anzupassen, hat sich als Fehlschlag erwiesen. Es ist nicht zu viel gesagt, daß unser Flugzeugprogramm dem Freiheitsmotor zu sehr untergeordnet worden ist. In der Entwicklung der De Haviland-Maschine ist unnötige Verzögerung festgestellt worden. Ein Fehler war die Unterlas165

sung, Caproni- und Handley-Page-Maschinen mit Nachdruck zu fabrizieren. Unfähigkeit von Aufsichtsbeamten, Auslegung der Flugplätze an ungeeigneten Orten, Unterlassung, das Interesse von Flugzeugfabrikanten anzuspornen, und die Patent-Monopole der ursprünglichen Erfinder sind weitere Ursachen des Fehlschlags. Die ungünstigen Ergebnisse sind hauptsächlich auf drei Gründe zurückzuführen: 1. Daß das Flugzeugwesen im wesentlichen der Kontrolle großer Automobil- und anderer Fabrikanten, die vom Flugzeugbau nichts verstanden, unterstellt wurde; 2. daß diese Fabrikanten die unmögliche Aufgabe zu lösen suchten, einen Motor zu konstruieren, der sich allen Flugzeugtypen anpassen lasse; 3. die Unterlassung, die besten europäischen Maschinen in möglichst großer Anzahl nachzumachen unter gleichzeitiger Entwicklung und Herstellung des Freiheitsmotors. — Alle Fragen von Unehrlichkeit sind der Untersuchung der Justizbehörde überlassen. —" Von diesen Ergebnissen der seitens der Justizbehörde geführten Untersuchung wurde vorläufig nichts bekannt. — Mit dem 6. 4. 1918 begann die Aufbringung der dritten Freiheitsanleihe und endete am 4. 5. Sie gewährte 41/4 °/o Zinsen, lief auf 10 Jahre ohne eine frühere Einlösung vor Fälligkeit und enthielt kein Umtauschrecht mit einer evtl. späteren Anleihe. Der Betrag war auf 3 Milliarden Dollar festgesetzt und der Regierung das Recht vorbehalten, die Gesamtüberzeichnung anzunehmen. Ich komme auf die Begleiterscheinungen der Anleihe zu sprechen, wie sie sich in dem Finanzzentrum des Landes, in der Stadt New-York abgespielt haben. Ähnliche Vorgänge aber machten sich über das ganze Land bemerkbar. Während man bei der ersten Anleihe als Mittel, um die Kaufkraft der Nation anzufachen, ein amerikanisches Kriegsschiff auf dem Unionsquare aufbaute, und bei der zweiten Anleihe im Zentralpark ein von den Engländern erbeutetes deutsches Unterseeboot, einen Minensucher, vorführte, wartete man bei der dritten 1.66

Anleihe in den Straßen der Stadt mit dem Modell eines armierten Tanks und der Vorführung des neuesten Schnellfeuergewehrs auf. Man hatte ursprünglich beabsichtigt, im Zentralpark Schützengräben zu ziehen und durch alliierte Veteranen Vorführungen zu geben, hatte aber wegen damit verbundener Schwierigkeiten den Plan fallen lassen müssen. Auf der Terrasse vor der öffentlichen Bibliothek war eine Bühne errichtet, auf der die Sterne der New-Yorker Theater sich hören ließen, während Militärkapellen die Nationalhymne, die Marsaillaise und die Sousa-Märsche vortrugen. Auf der 5. Avenue fanden täglich Umzüge von nach der Front abgehenden Regimentern oder von Krankenpflegerinnen und Suffragetten mit klingendem Spiel, wehenden Fahnen und mit Kriegsreklameschildern statt, während die Häuserreihen das Bild eines wogenden Meeres von Fahnen aller Alliierten darboten. Auf dem Park-Place im Geschäftsviertel hatte man einen Sarg mit dem deutschen Kaiser darin aufgestellt, in welchen das Publikum' aufgefordert wurde, gegen'Erwerbung von Anleihescheinen Nägel hineinzutreiben. Überhaupt alles, was mit der Person und mit dem. Namen des Kaisers und Kronprinzen zusammenhing, wurde verhöhnt und in den tiefsten Schmutz getreten. In einem Broadway-Kino wurde ein blutiger Schauerroman mit dem Titel „Die Bestie von Berlin" vorgeführt, während der ehetnalige Botschafter Gerard sich erniedrigte, sein kümmerliches Machwerk „Meine 4 Jahre Botschafter in Berlin" in einer dem idiotischen Hirn eines Kinodirektors entsprungenen Darstellung auf der weißen Leinwand vorführen zu lassen. Das niedrige Volk strömte in Massen zu diesen Theatern. Die Zeitungen in ihrer mächtig aufgenommenen Anleihepropaganda zollten in Reklame und Karikaturen diesem tollen Treiben Beifall und fachten die Volksleidenschaft durch Lügenberichte über Greueltaten der Deutschen, welche fortan nur noch „Hunnen" hießen, an, und die Regierung ließ dies alles mit den Händen lim Schoß und einem Lächeln im Gesicht geschehen. Von 167

dem amerikanischen Pöb.el, der sich bekanntlich aus sehr zweifelhaften Elementen mit niedrigen Instinkten zusammensetzt, kann man so etwas einigermaßen verstehen. Wie aber das Zeitungswesen und eine Regierung auf diesen Tiefstand kulturellen Lebens herabsinken konnten, wird für lange Zeit ein Schandfleck Amerikas in den Blättern der Geschichte bleiben. In Wallstreet auf den Treppen des staatlichen Finanzgebäudes wurden erbeutete Helme deutscher Krieger gegen Zeichnung von Anleihe verauktioniert, und ebenda vor der würdigen Statue Washingtons ließen sich die Sterne des Lichtbilder-Theaters Charlie Chaplin, Douglas Fairbanks und Marie Pickford sehen. In allen Theatern wurde bei den täglichen Vorstellungen von der Bühne herunter durch Politiker und Armee-Offiziere das Publikum zu Anleihezeichnungen geradezu genötigt. Kurzum, die Volksstimmung hatte auf einmal umgeschlagen. Dem Volk, durch Presse und Regierung zum äußersten aufgereizt, kam jetzt, als immer mehr Angehörige an die Schlachtfront abrückten, zum Bewußtsein, was Krieg bedeutete. Eine DeutschenHetze und ein Terrorismus setzten ein, wie er höchstens in den dunkelsten Tagen der russischen Revolution überboten worden sein kann. Wer unter den Deutschen — die Deutschamerikaner eingeschlossen — einen persönlichen Feind oder einen unangenehmen Konkurrenten hatte, war jetzt in der Lage, ihn dadurch unschädlich zu machen, daß er eine Anschuldigung gegen ihn erfand oder ihm eine Falle stellen ließ. Massenverhaftungen waren auf der Tagesordnung, welche in den Fällen, in denen es sich um deutsche Untertanen handelte, ohne jedes Gerichtsverfahren in deren Internierung meist endigten. Ja, die Behörden nutzten diese Gelegenheit für das Anleihegeschäft geradezu aus, um durch die täglichen Zeitungsberichte über die Massenverhaftungen dem Volke vor Augen zu führen, wie gefährlich nahe vor seinen Toren die deutsche Propaganda geworden sei. Konnte es -dann noch verwundern, daß die 168-

Verdächtigungen geradezu zahllos wurden, wenn der erste Beamte der Justizbehörde Gregory in den Zeitungen folgenden Erlaß bekannt gab: Die Staatsanwälte werden angewiesen, klar zu machen, daß Anzeigen von auch nur berichtender oder vertraulicher Natur ¡willkommen sind, und daß Bürger sich frei fühlen sollten, ihre Information oder Verdachtsgründe zur Kenntnis der nächsten Justizbehörde zu bringen. Obgleich nur ein geringer Teil dieser Information von Wert ist, so erachtet dennoch die Behörde das System hinreichend wert, um seine Erweiterung zu rechtfertigen. *

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In diese Zeit fiel auch meine Verhaftung, welche später mit meiner Internierung endete. Es war am 26. 4. 1918, da kehrte ich nachts auf dem Heimweg in der Bar eines deutschen Restaurants ein, um eben nur meinen Durst zu stillen. Aus dem Restaurantzimmer kam ein freiwilliger Anleihe-Anbieter auf mich zu und fragte mich, ob ich Freiheitsanleihe kaufen wollte. Ich erwiderte kurz und höflich — Nein, Herr. — „Warum wollen Sie nicht kaufen?" — fuhr der Mann fort. Abermals antwortete ich: Nein, Herr. — Damit war er anscheinend nicht zufrieden, er fragte weiter — „Wollen Sie mir nicht wenigstens den Grund für Ihre Ablehnung sagen?" Da ich den Mann nicht loswerden konnte, so erwiderte ich ihm: „Angenommen, Sie als Amerikaner lebten jetzt in Deutschland, und die Leute dort würden Ihnen deutsche Kriegsanleihe anbieten, Geld, welches zur Bekämpfung und Vernichtung ihrer Landsleute verwendet wird, würden Sie deutsche Kriegsanleihe kaufen?" — Der Mann zögerte mit der Antwort. Ich merkte, daß die Frage ihm unangenehm war. Schließlich gab er zurück: „Ja, ich würde kaufen, wenn ich wüßtem daß meine Landsleute solche Grausamkeiten wie die Deutschen verübt hätten."— Ich entgegnete: „Solche Grausamkeiten gibt es nur in den Zeitungen." — 169

Als ich merkte, daß der Mann sich in weitere Erörterungen einlassen wollte, wandte ich mich zum Gehen. Da faßte mich der Mann vorn am Rock mit den Worten: — „Fliegen Sie nicht so davon, mit der Sorte Menschen wie Sie möchte ich noch länger reden." — Ich fragte, wer er sei und was er eigentlich von mir wolle, worauf er mir erwiderte: „Das werden Sie gleich sehen." — Er befahl mir, ihm auf die Straße zu folgen, mit dem Hinweis, daß er ein Beamter der U . S . A . sei. Dort ließ er eine Pfeife ertönen, jind im Augenblick waren drei Personen vom Geheimdienst zur Stelle, — fast alles Freiwillige von oft zweifelhaftem Charakter, die für jede erfolgreiche Verhaftung 15 Dollar erhielten, wie ich hörte. — Die ganze Unterhaltung hatte auf englisch stattgefunden. Ich wurde in einem Automobil nach der nächsten Polizeiwache gebracht' — es war 1 Uhr nachts. Dort nahm man den Tatbestand auf, worauf ich, ohne gehört zu werden, in einer Einzelzelle eingesperrt wurde. Ich betone, daß sonst nichts weiter gegen mich vorlag. Es würde nicht in den Rahmen dieses Buches passen, all' die Einzelheiten zu erzählen. Ich will aber die wesentlichen Dinge vorbringen. Ich wurde drei Wochen lang in vier verschiedenen Gefängnissen festgehalten. Man wollte mir offenbar als Jurist Gelegenheit geben, das Gefängniswesen in Amerika zu studieren. Dazwischen hindurch hatte ich verschiedene Verhöre vor den Beamten der Justizbehörde und des Geheimdienstes. Die Zelle der Polizeistation war eng, schmutzig, und halbdunkel. Ein unsauberes Wasserklosett und eine schmutzige Holzplatte als Sitzgelegenheit waren die einzigen Bequemlichkeiten. Nach dem Verhör am andern Tage wurde ich von einem Gefangenenführer über einige der belebtesten Straßen zu einem Photographen geführt, wo, wie von einem Verbrecher, mein Bild genommen wurde. Danach' wurde ich nach Newark, einige Meilen außerhalb New Yorks, ins Essex - CountyGefängnis eingeliefert. Diese Überführungen von Gefäng170

nis zur Justizbehörde und zurück fanden zumeist in Handfesseln statt, manchmal mit einem andern Leidensgefährten, bisweilen aber auch mit einem regulären Verbrecher aneinandergeschlossen. Diese Behandlung war in das Belieben der Gefangenenführer gestellt — ebenfalls meist Freiwillige aus allen Kreisen der Ober- und Unterwelt. Sie wandten die Handfesseln ohne Ansehung der Person an, nur Geld konnte von der Schmach der Fessel befreien. In dem obengenannten Gefängnis wurde ich in einer Einzelzelle der regulären Hausordnung unterworfen. Die Gefängniskost war ungenießbar, und was man sich für Geld kaufen konnte, war nicht viel besser. Die Bewegungsfreiheit war auf den Laufgang, welcher sich vor jedem Zellenstockwerk hinzog, beschränkt. Von neun Uhr abends bis 7 Uhr früh wurde man in seiner Zelle eingeschlossen. Bewegung in freier Luft gab es nicht. Nach einem späteren Verhör wurde ich dem RaymondStreet-Gefängnis in Brooklyn überwiesen. Das Gefängnis hatte durchschnittlich 300 bis 400 Insassen, meist Untersuchungsgefangene. Es strotzte vor Schmutz und Unsauberkeit. Die Behandlung seitens der Wärter war roh und ¡ungebildet. Für die Lagerstätte hatte man eine Wolldecke zum Daraufliegen und eine andere zum Zudecken. Das Aussehen der Decken gab Beweis, daß sie niemals gelüftet oder gedämpft wurden, und waren voll Ungeziefer aller Art. Über die Kost galt dasselbe, was ich bereits gesagt habe. Sie wurde durch ein Loch am Boden in der Zellentür hereingeschoben, durch welches man vorher den Schmutz: der Zelle hatte hinauskehren müssen. Als Eßwerkzeuge mußte man seine Finger benützen. Zweimal über Tag konnten sämtliche Insassen im Lichthof zu ebener Erde umherlaufen, und bei schönem Wetter durfte man eine halbe Stunde im Gefängnishof sich bewegen. Die übrige Zeit war jnan in seiner Zelle eingesperrt. Bei diesem Umherlaufen kam man mit den regulären Verbrechern aller Art, mit Mördern, Einbrechern, Dieben, Betrügern usw. in Berührung. 171

Nach einem abermaligen Verhör gab man mir Gelegenheit, die Gefängniszellen des Polizeihauptquartiers in New York für zwei Tage kennenzulernen. Die Zelle enthielt nur ein schmutziges Wasserklosett und eine eiserne Lagerstätte mit geflochtenen Stahlbändern, ohne jede Decke oder Kissen. Ich ließ mir 4 dicke Zeitungen kaufen, die ich als einzige Unterlage benutzte. Menschenkot war an die Eisenwände geschmiert. Während ich in den Gefängnissen Zeuge war, wie einer sich aufhängen wollte, und ein anderer die ganze Nacht wie ein Wahnsinniger schrie, war mein Aufenthalt im Polizeihauptquartier noch abwechslungsreicher. Von 9 Uhr abends bis in die frühen Morgenstunden wurde fast alle 30 Minuten ein Individuum eingeliefert; der eine fluchte und führte eine widerliche Sprache, der andere pfiff, der dritte sang, der vierte hatte den Heulkrampf. Ich kam mir wie in einem Narrenhaus vor. Waschgelegenheit gab es überhaupt nicht und als Kost Wasser und Brot. Auf meine energische Beschwerde hin wurde ich nach Trenton, einer Stadt bei New York, in die sogenannte Detention-Abteilung des Mercer-County-Gefängnisses überführt, wo ich sieben weitere Wochen verbrachte, bis ich dann interniert wurde. Hier katnen wir wenigstens mit den regulären Sträflingen nicht in Berührung, es war keine Einzelhaft, und wir konnten uns unsere Mahlzeiten selbst bereiten und die Zutaten dazu aus der Stadt beziehen. Wir waren hier niemals mehr als 30 bis 50 Personen. Daraus folgt, daß infolge der Massenverhaftungen hunderte von Leidensgefährten die ganze Zeit in Gefängnissen geschmachtet haben, bis sie interniert wurden. Im Internierungslager habe ich Beschreibungen von Gefängnissen in den Provinzstätten des Landes gehört, die in sanitärer Hinsicht jeder Beschreibung spotten: keine Klosetts in denselben, ein Eimer diente dazu, der einmal am Tage von den Insassen selbst fortgeschafft und gereinigt werden mußte. Nun einige Worte über den Verlauf des behördlichen Verhörs, wenn man es überhaupt so nennen durfte. Zu172

nächst war die untersuchungführende und die entscheidende Behörde dieselbe, nämlich die Kriminalabteilung der Justizbehörde. Das Recht, ein gerichtliches Verfahren oder vorläufige Freilassung unter Sicherheitsleistung zu verlangen, war den Reichsdeutschen nicht eingeräumt, wohl aber den Deutsch-Amerikanern; denn sie genossen die Rechte eines amerikanischen Bürgers. Nur ganz selten wurde dem Betreffenden die Entscheidung mitgeteilt, in jedem Falle ohne Begründung. Ich bin etwa fünfmal verhört worden, jedesmal vor einem andern Beamten. Nur bei der ersten Vernehmung ging man auf den eigentlichen Tatbestand meiner Verhaftung ein, dann nicht wieder. Man hatte meine Wohnung und meine Sachen aufgebrochen und durchwühlt, und da man anscheinend nichts Belastendes gefunden hatte, so drehte sich die spätere Untersuchung lediglich darum, meine Gesinnung gegen Amerika herauszufinden und die Geldquellen zur Bestreitung meines Lebensunterhaltes einwandfrei festzustellen. Nicht t a t s ä c h l i c h e V o r g ä n g e bildeten die Grundlage der Untersuchung, sondern evtl. M ö g l i c h k e i t e n durch Erforschung der Gedanken. Dementsprechend waren die Fragen, die sich typisch bei jedem Verhafteten wiederholten: — „Was denken Sie über den Kaiser, den Kronprinzen und die deutsche Regierungsform? — Wie beurteilen Sie die deutschen Grausamkeiten in Belgien, das Versenken der Lusitania? — Glauben Sie an das Bombardieren amerikanischer Feldhospitäler durch deutsche Flieger? — Angenommen, die Deutschen würden in Unterseebooten und in der Luft Amerika angreifen, würden Sie sich ihnen anschließen? — Auf welcher Seite der Kriegführenden ist Ihre Sympathie? — Durch wen wünschen Sie den Krieg gewonnen zu sehen? etc." Ist es nicht eine unaussprechliche Taktlosigkeit, einem ehrenhaften Menschen solche Fragen vorzulegen! Es war am 2. 7. 1918, da reichte der Vorsteher des Trentoner Gefängnisses die Liste derjenigen durchs Fenster, X73

die am Mittag die Eisenbahnfahrt nach Fort Oglethorpe im Staate Georgia ins Internierungslager anzutreten hatten. Ich war auch darunter. Man hat mir den Grund meiner Internierung nicht gesagt. Ich kann mir ihn nur so erklären, daß die amerikanischen Behörden in meiner Weltreise die Ausführung eines Auftrages der deutschen Regierung oder Industrie vermuteten, wozu meine Eigenschaft als Rechtsanwalt und deutscher Offizier als erschwerender Umstand hinzutrat. Ich habe mich mit vielen Internierten unterhalten, und die meisten wußten nicht, warum sie festgesetzt worden waren. Wirkliche Spione und Propagandisten waren kaum darunter. Denn ihnen hätte man auf Grund des Spionagegesetzes den Prozeß gemacht und sie ins Zuchthaus geworfen. Mir schien es, daß das Internierungslager als Reklame für die Findigkeit und Daseinsberechtigung der vielen schmarotzenden Beamten im Geheim* und Justizdienst eingerichtet und weiterhin zu Propagandazwecken bei den Kriegsanleihen benutzt wurde. Denn auffallenderweise war das Anschwellen des Internierungslagers in den Zeiten der Anleiheaufbringungen besonders stark. Präsident Wilson aber hatte sein in seinen Proklamationen gegebenes Wort gebrochen, daß denjenigen feindlichen Ausländern, die den Gesetzen gehorchten, kein Leid geschehe. Bevor ich meine Reise nach Oglethorpe antrat, habe ich einen ausführlichen Bericht über ¡meine Behandlung nach meiner Verhaftung nebst einer Abschrift an die Schweizer Gesandtschaft als Vertreterin der deutschen Interessen in den U. S. A. abgesandt und gebeten, die Abschrift lunverzüglich an das Auswärtige Amt nach Berlin gelangen zu lassen, und ebenso vom Inhalt meines Berichtes dem Staatsdepartement in Washington zwecks schleuniger Abstellung der Übelstände Kenntnis zu geben. — Beides ist anscheinend nicht geschehen. — Zum Bahnhofe in Trenton wurden wir von Zivilbeamten des Sicherheitsdienstes in Automobilen gebracht. Im Zug 174

war ein Wagen bereitgestellt unter Aufsicht eines Offiziers und von etwa 10 Soldaten mit aufgepflanzten Seitengewehren. Aufstehen durfte man nur, um zur Toilette zu gehen oder Wasser zu trinken; es durfte aber nie mehr als eine Person unterwegs sein. Die Fenster durften sechs Zoll weit geöffnet werden, in den Stationen waren sie zu schließen. Der Wagen war vollbesetzt. So saßen wir von-nachmittags 3 Uhr bis zum andern Abend 6 Uhr, ein jeder auf seinem Platz. Man kann sich vorstellen, daß wir froh waren, als es hieß: — Wir sind da. — — Während ich Zeit hatte, hinter dem. Stacheldrahtzaun über „mein begangenes Unrecht" nachzudenken, tobte draußen die Schreckensherrschaft weiter. Da alle amerikanischen Zeitungen im Lager zugelassen waren, so konnte man recht gut mit den Vorgängen draußen auf dem Laufenden bleiben. Ich fragte mich manchmal, ob ich nicht unter den Umständen im Lager besser daran sei als draußen. Denn während wir in der Gefangenschaft unserer Meinung unverhohlenen Ausdruck geben konnten, mußten sich die Deutschen im Lande geradezu verstecken; es tobte dort der Wahnsinn. In Collinsville (Illinois) hätte der Mob einen Deutschen, namens Prager, weil er abfällige Äußerungen gegen Amerika getan haben sollte, dem Gewahrsam der Behörden gewaltsam entrissen, ihn gezwungen, vor der jauchzenden Menge die amerikanische Fahne zu küssen, ihn sodann an einem Baume aufgeknüpft und so zu Tode gemartert. Der Richter konnte lange Zeit keine Männer als Geschworene finden, — so sehr fürchtete man den Mob, — und die Geschworenen, welche schließlich den Fall erledigten, sprachen die elf Hauptarigeklagten frei. Und die Regierung tat nichts. Damit war der Deutsche in den U. S. A. als vogelfrei erklärt. Zumindestens wurde er in gleiche Reihe mit dem Neger gestellt. Denn das Negerlynchen ist in den Südstaaten noch allgemein üblich. In dem Reiche der „Humanität" ist also der von allen Kulturvölkern anerkannte Grundsatz, daß nie175

mand das Recht hat, einen Menschen seinem zuständigen Richter zwecks Volksjustiz gewaltsam zu entreißen, noch nicht durchgeführt. Wilson aber fühlte sich doch veranlaßt, in einer Adresse an seine Mitbürger vom: 25. 7. 1918 den Geist und die Handlungsweise des Mob zu brandmarken, und forderte sie auf, der Welt zu zeigen, daß sie, während sie auf fremden Schlachtfeldern für Demokratie kämpften, daheim nicht Demokratie vernichteten. In andern Provinzstätten ergriff der Mob Deutsche, zog sie aus, federte sie, trieb sie durch die Straßen und zwang sie, die amerikanische Fahne zu küssen. — -— Eine von der American Defense Society betriebene .Bewegung, die deutsche Sprache vom Stundenplan jeder öffentlichen Schule zu streichen, hatte mächtig an Umfang gewonnen, besonders auch bei den verschiedenen Lehrkörpern. Man wollte sie nur soweit beibehalten, als es mit Rücksicht auf militärische Zwecke unbedingt nötig sei. In vielen Einzelstaaten — ich las von 14 — war diesem Verlangen entsprochen worden. E s gab aber auch ruhiger denkende Menschen. Herr Claxton, der bundesstaatliche Erziehungskommissar, nannte die Bewegung eine leicht aufgeflammte Hysterie und wurde deshalb heftig angefeindet. Die deutsche ' Sprache — so erklärten die Gegner — ist jetzt kein geeignetes Mittel für amerikanische Kinder, Kenntnisse irgendwelcher Art zu erwerben. Bevor Deutschland nicht die vergifteten Lehren seiner Militaristen von Grund aus vernichtet habe, solange ist es für unsere Kinder nicht zuträglich, sie dem Einfluß der deutschen Literatur zu unterwerfen, und wir würden besser tun, in engere Fühlung mit unsern südamerikanischen Nachbarn zu treten, indem wir in unsern Schulen deutsch durch spanisch ersetzen. Und darin liegt keineswegs eine leicht erregbare Hysterie. Die deutschgedruckten amerikanischen Zeitungen und Magazine stellten oder vielmehr mußten fast alle ihren Betrieb einstellen. Eine Anzahl ihrer Redakteure traf ich in Oglethorpe. Diejenigen, welche sich über Wasser hielten, 176

konnten dies nur dadurch ermöglichen, daß sie mit vollem Atem in das Horn der Volksleidenschaft mit hineinbliesen. Um diese Zeit war es gleichgültig, ob man eine englisch geschriebene oder deutsch gedruckte Zeitung in die Hand nahm. Der einzige Unterschied lag in der Sprache. An der Spitze dieser Blätter marschierte die bekannte New Yorker Staatszeitung. Die deutschen Klubs und Vereine lösten sich auf, soweit sie dies nicht schon bei Kriegsbeitritt der U. S. A. getan hatten. Die Große German American Alliance wurde behördlich aufgehoben. Einige von den deutschen Bühnensternen sangen zum Ruhme der Alliierten. — Dr. Abraham Jacobi hatte das ihm von den „Freunden deutscher Demokratie" angebotene Amt als Führer der deutsch-amerikanischen Abteilung in der 4. Juli-Parade 1918 in New York angenommen. Das jüdische Element überhaupt, welches seine Vergangenheit zu einem nicht geringen Prozentsatz auf die Mittelmächte zurückführte, legte sich mächtig für die amerikanische Propaganda, besonders durch Geldzeichnungen, ins Zeug. Dabei hatten einige recht wichtige Kriegsämter in ihren Händen: Warburg, Vorsitzender der Bundesreserve-Banken — Baruch, der Leiter des KriegshandelsAmtes — Schwab, der Direktor der Flottenbaukommission — Kahn, der finanzielle Sprecher der New -Yorker Oper — und andere. In diese Zeit fiel auch der Erlaß an die Reichsdeutschen weiblichen Geschlechts über 14 Jahre, sich bei den Polizeibehörden zu melden und ihr Bild nebst Fingerabdrücken nehmen zu. lassen, wobei eine bestimmte, glatt zurückgekämmte Haarfrisur vorgeschrieben war. Die Frage der Masseninternierung der Frauen wurde eine Zeitlang ernstlich erwogen. Erst nach Abschluß des Waffenstillstandes trafen elf Frauen in Oglethorpe zur Internierung in dem Frauenlager ein, welches man neben dem Männerlager mit einer Aufnahmefähigkeit für 300 Personen eigens errichtet hatte. Bei den elf Insassen ist es geblieben. Aber zu ihrer Bett r a h 1, Die Solle Amerikas

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wachung wurde eine ständige Militärwache von etwa 20 Soldaten unterhalten. — Viel Aufsehen erregte in den U. S. A. die strafrechtliche Verfolgung von O'Leary, Debs, Frau Stokes und der Leiter der International Workers of the world. O'Leary, der bekannte Führer der Irenpartei in den U . S . A . und ein befähigter Rechtsanwalt und Literat in New York, hatte in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Bull" die militärischen Gesetze und Maßnahmen der Regierung angegriffen. Als man das Spiona'gegesetz derartig erweitert hatte, um ihn und andere zur Verantwortung ziehen zu können, hatte sich O'Leary aus dem Staube gemacht. Ein Steckbrief wurde erlassen, und eine Suche durch das ganze Land setzte ein. Mehrere Wochen lang war sie erfolglos. Da kam eines Tages die Nachricht, daß man ihn im Staate Washington ergriffen habe, wo er sich unter anderem Namen als Farmer angekauft hatte. Irgendwelche Indiskretion mußte dabei gespielt haben. E r wurde in New York ins Tomb-Gefängnis eingeliefert. Man nahm sich aber mit seiner Aburteilung Zeit, nachdem man ihn hinter Schloß und Riegel ungefährlich gemacht hatte. Seine Verurteilung wurde über die Kongreß- und SenatsWahlen am 5. 1 1 . 1918 hinausgeschoben. Denn man mußte mit den Wahlstimmen der einflußreichen irischen Partei rechnen. Debs, Führer der sozialistischen Partei und viermal Kandidat dieser Partei für die Präsidentschaft der U. S. A., war wegen einer Rede angeklagt, die er in Canton (Ohio) am 16. 6. 1918 gehalten hatte. Darin hatte Debs erklärt, die Kriegsziele der Alliierten seien die gleichen wie diejenigen der Mittelmächte. E r hatte seine Zuhörer aufgefordert, sich bewußt zu werden, daß sie zu etwas besserem, als zu Kanonenfutter geeignet wären, und hatte die Bolschewiki gepriesen. E r wurde deswegen zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, legte aber dagegen Berufung ein und wurde gegen Sicherheitsleistung von 10000 Dollars vorläufig freigelassen. 178

Aus dem gleichen Grunde wurde die Sozialistin Frau Stokes zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Auch sie hatte Reden gehalten auf Grund deren man sie wegen Opposition gegen die Militärgesetze angeklagt hatte. In Chicago wurden Haywood, „der ungekrönte König der Industrial Workers of the World", und 14 seiner Haupthelfer wegen Verschwörung, das amerikanische Kriegsprogramm über den Haufen zu werfen, zu je 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Alle diese Prozesse werden interessante Streiflichter auf die innere Politik der U . S . A . nach dem Kriege werfen. — Seit der Rückkehr des Kriegssekretärs Baker von seinem ersten Besuch in Frankreich im Frühjahr 1918 war ein; merklicher Umschwung in dem Kriegsprogramm der U. S. A. - Regierung wahrzunehmen. E s schien, als ob nach dem Ausscheiden Rußlands erst jetzt die amerikanische Regierung dem Obersten Kriegsrat in Versailles das Versprechen gegeben hatte, mit allen verfügbaren Kräften an Geld und Menschenmaterial den Krieg zu einem siegreichen Ende für die Alliierten zu führen. Auch hatten die erwähnten Enthüllungen des Senators Chamberlain über die mangelhafte Armeevorbereitung in Verbindung mit den Klagen Pershings das ihrige dazu beigetragen. Jedenfalls setzte eine fieberhafte Tätigkeit in der gesamten Kriegsindustrie ein, mit welcher der Schiffsbau Hand in Hand ging. Die unter das Aushebungsgesetz fallenden, tauglichen Männer — soweit sie nicht in der Kriegsindustrie unabkömmlich waren — wurden in den Übungslagern oberflächlich ausgebildet und an die Front geschickt. In Frankreich erhielten sie erst die eigentliche, zeitgemäße Kampfausbildung. Bei der ärztlichen Ausmusterung verfuhr man nicht streng, man stellte auch Leute mit leichten, organischen Fehlern ein. Ein neues Aushebungsgesetz war in Vorbereitung, um die in den Übungslagern durch den Abschub von Regimentern entstehenden Lücken wieder aufzufüllen. E s lag kein Grund vor, die in einem veröffentlichten Briefwechsel 12*

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zwischen Kriegssekretär Baker und Präsident Wilson niedergelegten Angaben anzuzweifeln. Die Korrespondenz folgt: Sehr verehrter Herr Präsident! Mehr als 2 Millionen amerikanische Soldaten sind von Häfen der Heimat abgegangen, um am Kriege teilzunehmen. Indem ich diese Tatsache Ihnen unterbreite, bin ich sicher, daß Sie in den nachstehenden Angaben interessiert pein werden, welche den Fortschritt unserer Kriegsunternehmungen beweisen. In meinem Briefe vom 1. 7. 18 teilte ¡ich Ihnen mit, daß zwischen dem 8. 5. 17. und 30. 6. 18 über 1 Million Mannschaften entweder in Frankreich gelandet oder auf dem Wege dahin waren. Seit 1. 7. 18 stellen sich die monatlichen Transporte folgendermaßen: Juli 306185 — August 290818 — September 261415 — Oktober 1.—21. 131398 — Gesamtsumme: 989816. — Transport bis 1. Juli 1 9 1 8 : 1 019 1 1 5 ; im ganzen also 2008931. — In unserem überseeischen Vollbringen erblicke ich Grund genug, stolz und dankbar zu sein. Unsere Verluste sind äußerst gering gewesen, wenn man die Stärke der verschifften Truppen in Betracht zieht. Dies haben wir dem wirksamen Schutz der Begleitschiffe der amerikanischen Flotte zu verdanken. Wir haben aber auch große Unterstützung im Truppentransport durch Entsendung alliierter Schiffe, besonders seitens Englands gefunden. Ergebenst Newton D. Baker, Kriegssekretär. Diesen Brief vom 21. Oktober 1918 beantwortete Präsident Wilson wie folgt: Washington, Weißes Haus, 22. Oktober 1918. Sehr geehrter Herr SekretärI Ich bin erfreut über Ihren Brief mit der Mitteilung, daß mehr als 2 Millionen amerikanische Soldaten von 180

Heimathäfen nach drüben zum Kriege abgefahren sind. Ich bin überzeugt, daß dies tiefe Dankbarkeit und Beruhigung im Lande hervorrufen wird, und daß jeder mit mir in Glückwünsche an die Kriegs- und Flottenabteilungen für ihr standhaftes Vollbringen zur Befreiung der Welt einstimmen wird. Woodrow Wilson. Die fortlaufenden offiziellen Verlustlisten der amerikanischen Streitkräfte sind der Wahrheit zuwider sehr niedrig bekanntgegeben worden. Am 28. 1 1 . 18 lautete die offizielle Verlustliste wie folgt: Getötet und an Wunden gestorben An Krankheiten gestorben Andere Todesursachen Verwundet Gefangene Vermißte

36154 14 811 2 204 179 625 2 163 1 160

Gesamtzahl

236 1 1 7

Am 22. 9. 18 waren von Washington aus über das Schiffsbauprogramm folgende Angaben veröffentlicht worden: Mit mehr als 1 Million Schiffstonnen tatsächlich abgeliefert, ist der Schiffsbaudistrikt an der Küste des Stillen Ozeans allen anderen im Lande weit voraus. Die heute von der Schiffsbaubehörde bekanntgegebenen Ziffern zeigen, daß 137 Schiffe mit 1 0 1 1 160 Bruttotonnen abgeliefert und 134 Schiffe mit 610900 Tonnen vom Stapel gelassen, aber noch unvollendet sind. An der atlantischen Küste sind 87 Schiffe mit 634860 Tonnen vollendet • worden, während 69 Schiffe mit 3 9 2 8 1 6 Tonnen noch unvollendet sind. Im „Großen SeenDistrikt" hat man 131 Schiffe mit 399855 Tonnen fertiggestellt, während 33 Schiffe mit 1 1 7 050 Tonnen ihrer Vollendung noch harren. An der Golf-Küste ist ein Schiff mit 3500 Tonnen abgeliefert und 28 Schiffe mit 102 800 Tonnen 181

siijd vom Stapel gelassen worden. Eine weitere Meldung vom 6. November 1918 besagte, daß die Oktober-Ablieferungen die Gesamtzahl der seit dem 30. August 1917 vollendeten Schiffe auf 487 Schiffe mit 2 7 9 3 5 1 0 (deadweight) Tonnen gebracht hätten, wovon 2 3 8 7 8 3 5 Tonnen im Laufe dieses Jahres abgeliefert worden seien. Der 30. August 1917 sei der T a g gewesen, an welchem das erste fertige Schiff der Schiffsbaubehörde übergeben worden sei. Die Mehrzahl der neuen Schiffe waren Stahlschiffe, und der Rest Holzfahrzeuge. Während man bisher den Amerikaner nur als den Mann des Mundaufreißens gekannt hatte; so bewiesen die obigen Tatsachen, daß er fähig war, wenn es not tut, auch Gewaltiges in kurzer Zeit zu leisten. Wie diese Schiffe gebaut sind und sich bewähren werden, wird erst die Zukunft lehren. Jedenfalls haben die Amerikaner etwas vollbracht, worin sich auch die oberste deutsche Militärleitung gründlich verrechnet hat. Allerdings würden die Amerikaner nie derartige Truppenmassen nach Europa haben verschiffen können, wäre nicht außer der eigenen und alliierten Schiffstonnage die Verwendung der beschlagnahmten deutschen, österreichischen und holländischen Schiffe ihnen möglich gewesen. Auch ein vorzügliches System von Begleitschiffen seitens der allierten Flotten hat wesentlich zu dem Erfolge beigetragen. Bei dieser fieberhaften Tätigkeit der Kriegsindustrien war es nur zu erklärlich, daß sich überall Arbeitermangel geltend machte, besonders von sogenannten gelernten Arbeitern. Die Folge davon war, daß die Löhne fortgesetzt stiegen. Die Arbeiter nützten auch diese Zwangslage nach Kräften aus, ihre Forderungen durchzusetzen. Neben dem Mangel an Arbeitern stellte sich auch Mangel an Rohmaterialien, besonders an Kohlen, Stahl und Eisen, ein. Die Regierung konnte diesen Bedürfnissen nur dadurch abhelfen, daß das Kriegsamt — War Board — eine neue Vorzugsliste für die Fabrikationsindustrien herausgab. Man teilte diese Industrien in vier Klassen ein, entsprechend 183

ihrer Wichtigkeit. Innerhalb der einzelnen Klassen wurde kein Unterschied in der Vorzugsreihenfolge gemacht. Diese Verordnung brachte für viele Fabriken bei der' Kohlenknappheit, dem Arbeitermangel und den Transportschwierigkeiten manche Härten mit sich. Die Eisenbahnen waren von den Privatgesellschaften durch den Staat im Winter 1917 übernommen worden, wie sich der Leser erinnern wird. Wilson hatte damals den Eisenbahnangestellten Berücksichtigung ihrer Lohnerhöhungsgesuche zugesagt und eine Kommission zur Prüfung und Ausarbeitung gerechtfertigter Ansprüche eingesetzt. Im September 1918 wurde der Kommissionsbericht gutgeheißen. Seine Hauptmerkmale waren: — Etwa zwei Millionen Angestellte, meist Arbeiter und niedere Beamte, nahmen an der Lohnerhöhung von jährlich 300 Millionen Dollars mit Rückwirkung bis zum 1. 1. 1918 teil. Keine Änderungen in der Arbeitsstundenzahl oder Überstundenbezahlung. Alle Lohnzulagen bezogen sich nur auf Angestellte mit weniger als 250 Dollar Monatsgehalt. Die einzelnen Zulagen bewegten sich zwischen 10 und 300/0 der bisherigen Löhne. Die Entscheidung wurde mit der erheblichen Verteuerung des Lebensunterhaltes sowie damit begründet, daß die Eisenbahnangestellten bisher im allgemeinen schlecht bezahlt waren. Die Preissteigerung in der Lebenshaltung in den U . S . A . seit 1915 war darin auf etwa 43 0/0 angegeben, während in einer von der Stockholmer Handelszeitung im September 1918 veröffentlichten Untersuchung diese Preissteigerung in den U . S . A . mit 60 bis 700/0 bezeichnet wurde. Diese erwähnte Handelsstatistik, für deren Richtigkeit keine Gewähr übernommen werden kann, und die ihren Zahlen die Ausgaben einer normalen Familie mit einem Jahresaufwand von 2000 Kronen im Jahre 1914 zugrunde gelegt hatte, verdient wegen ihres Vergleiches mit den Völkern in Europa Erwähnung. Holland mit einer Steigerung von 700/0 zeigte den kleinsten Zuwachs unter den Nationen in Europa. Es folgte Dänemark mit etwa 80P/0, Schweden 183

mit 1220/0, England und Frankreich mit 100O/0, Spanien und Portugal mit 100 bis 122 0/0, Deutschland, Belgien, Norwegen und Ungarn mit 150 bis 2000/0, Österreich, Finnland und Rußland mit über 200 o/0. Der Eisenbahngeneraldirektor kündigte an, daß der durch die Lohnsteigerungen verursachte Spesenaufwand durch bedeutende Erhöhung der Fracht- und Personenfaeförderungsraten gedeckt werden müsse. Die Folgezeit hat bewiesen, daß die amerikanischen Eisenbahnen unter Staatskontrolle mit einer ständigen, beträchtlichen Unterbilanz gearbeitet haben, was die allzu eifrigen Verfechter der Sozialisierung aller großen Unternehmungen in Deutschland sich gesagt sein lassen sollten. Dem Beispiele der Eisenbahnen folgte die Verstaatlichung der Eilgut- sowie der Telegraph- und Kabelgesellschaften für die Dauer des Krieges. Während die 15 größeren Expreßgesellschaften der Maßnahme sich willig fügten, machte der Präsident der Telegraph- und Kabellinien verzweifelte Anstrengungen, den Plan der Regierung zu Falle zu bringen. Doch es half ihm nichts. Der Kriegsdiktator Wilson im Bunde mit einem willfährigen Kongreß war fnächtiger. — — Ich erwähnte bei der Kriegsbereitschaft die Vorbereitung eines zweiten Aushebungsgesetzes. Während unter das erste Gesetz die Männer zwischen dem vollendeten 21. und 3 1 . Lebensjahre fielen, wurden in das zweite diejenigen zwischen dem vollendeten 18. und 45. Lebensjahre, einbegriffen. Die Grundzüge des ersten Gesetzes mit der Einteilung in fünf Klassen waren auch in die neuen Vorschriften übernommen worden. Nur einige Änderungen waren ins neue Gesetz eingefügt, welche die Leute in gewissen Kriegsindustrien, die Eisenbahner, Kohlenarbeiter und Personen im vorgerückten Alter betrafen. Wilson bestimmte als allgemeinen Meldetag den 12. September 1918. Nun soll man nicht denken, wie es die Zeitungen glauben machten, daß die Meldepflichtigen sämtlich mit großer Be184

geisterung sich zu den Musterungsstellen drängten. Anfangs September 1918 fand in der Stadt New York und Umgebung durch den Geheimdienst unter Zuhilfenahme von 25 000 Soldaten, Matrosen, Polizeimännschaften und Mitgliedern der American Protective League eines Tages eine wahre Hetzjagd auf die Drückeberger statt, die unter das erste Aushebungsgesetz fielen. Die Verwendung von Militär- und Zivilpersonen hierbei wurde im Senat als ungesetzlich angegriffen, und Wilson forderte von dem Generalanwalt Gregory einen Bericht über die Vorgänge ein. In letzterem befinden sich einige interessante Stellen: — „Tausende und abertausende von Fahnenflüchtigen und Drückebergern befinden sich im ganzen Lande auf freiem Fuß, und ein Versuch, eine solche Anzahl von Pflichtvergessenen durch Verfolgung jedes einzelnen Falles abzufassen, würde sich als vergeblich herausgestellt haben. Die im Senat beanstandete Verwendung von Militär- und Zivilpersonen war ungesetzlich und ohne meine Zustimmung geschehen, aber sie war hervorgerufen aus zu großem Eifer für das Staatswohl. Ich bin jedoch überzeugt, daß der größere Teil unseres Volkes sich diesen unbedeutenden Unannehmlichkeiten willig fügen wird, welche die Ausführung eines solchen Planes notwendigerweise mit sich bringt. E s wird nicht geleugnet, daß zuviele unschuldige Verhaftungen darunter gewesen sind, was nicht hätte vorkommen sollen." — In dem Lande der vielgepriesenen, demokratischen Freiheit hielten also Soldaten und verkappte Geheimbeamte jeden Mann, der ihnen militärpflichtig erschien, in den Straßen, in den Restaurants, in den Theatern und Kinos an und fragten ihn nach seiner Meldekarte. Konnte sich der Angeredete nicht sofort ausweisen, so wurde er festgenommen und in Gefängnissen oder leeren Militärkasernen solange in Gewahrsam gehalten, bis seine Personalien einwandfrei festgestellt waren. Ähnliche Jagden mit gutem Erfolg waren auch an andern Plätzen vorgenommen worden.

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Einen wichtigen Raum in der Finanzpolitik des Landes nahm das neue Steuergesetz für das Etatjahr 1918/19 ein. 8 Milliarden Dollars sollten unter dem neuen Steuergesetz aufgebracht werden. Vergleichsweise sei erwähnt, daß das Jahr vorher unter dem geltenden Steuergesetz 3694619000 Dollars, einschließlich der Summe von 2 838 999 000 Dollars von Einnahmen aus der Einkommen- und Exzeßprofitsteuer, gebracht hatte. Das gibt einen Begriff, wie sehr die bisherigen Steuersätze in die Höhe geschraubt werden mußten, neben Auffindung neuer Steuerquellen. In dem neuen Steuergesetz betrug die Kriegsprofitsteuer 8oo/0, während die Exzeßprofitsteuer progressiv von 35 bis 700/0 lief. Die Exzeßprofitsteuer bezog sich nur auf .Unternehmen mit eineih Bestehen von mindestens drei Jahren. Was den Durchschnittsjahresgewinn unter Zugrundelegung der letzten drei Jahre überstieg, unterlag der Exzeßprofitsteuer. — Die Kriegsprofitsteuer wurde nur von denjenigen Firmen erhoben, welche als wesentliche Kriegsindustrien klassifiziert waren, Kriegsaufträge und auf diese teilweise Vorschüsse erhalten hatten. Von den an diesen Kriegsaufträgen gemachten Gewinnen wurde die Kriegsprofitsteuer erhoben. Bei der Einkommensteuer war die Normalrate für Einzelpersonen von 5 auf 120/0, und bei Gesellschaften von 6 auf 180/0 erhöht worden. Einkommen bis zu 4000 Dollars wurden mit 60/0 versteuert, bei einer Steuerbefreiung von 1000 Dollars für Unverheiratete und 2000 Dollars für Verheiratete. Die individuelle Zusatzsteuer auf Einkommen von 5000 Dollars und höher, welche bisher progressiv bis zu 500/0 stieg, wurde bis auf 6oo/0 ausgedehnt. Die Steuersätze auf Getränke und Tabak waren verdoppelt worden. Auf Luxus- und Halbluxussachen waren 20 bezw. 10 0/0 gelegt, ferner waren die Steuern erhöht worden auf Schmucksachen, Automobilkäufe, Gasolinverbrauch, auf Eintrittskarten zu Theatern und allen andern Vergnügungsunternehmungen usw. Schatzamtssekretär Mac Adoo gab unter dem 13. 1 1 . 18 186

eine Erklärung dahin ab, daß die Steuern für viele Jahre notwendigerweise hoch bleiben würden, um die entstandenen Kriegsschulden der U. S. A.-Regierung wieder abtragen zu können. — ' Im Anschluß an das Steuergesetz sei eine vom Schatzamt in Washington ausgegebene Mitteilung über die Kriegsdarlehen der U . S . A . an die Alliierten erwähnt: Zur Zeit des Waffenstillstandes betrugen die Gesamtdarlehen an die Alliierten 7 8 1 2 976666 Dollars. Bis Ende 1918 stellten sich die Darlehen an alle Alliierten folgendermaßen dar: England Frankreich Italien Rußland Belgien Serbien Griechenland Rumänien

$ 4175981000 „ 2 436 427 000 „ 1 310000000 ,, 325000000 „ 252 895 000 „ 12000000 „ 39554036 „ 6 666 666 $

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Ich komme jetzt zur 4. Kriegsanleihe und werde in Verbindung damit eine vergleichende Übersicht über die vorhergegangenen einflechten. 6 Milliarden Dollars war der Mindestbetrag der 4. Anleihey der in der Zeit vom; 28. 9. bis 19. 10. 1918 aufgebracht werden mußte. Die Anleihe trug 4V4 °/'o Zinsen und wurde fällig gemacht in 20 Jahren, falls die Regierung nicht von ihrem Rechte Gebrauch machte, sie am oder nach dem 15. 10. 1933 einzulösen. Der dem BundesreservebankDistrikt New York zugewiesene Betrag belief sich auf 1800000000 Dollars, also 300/0 der gesamten Anleihe, und die Quote für die Stadt New York war mit 1300000000 Dollars angesetzt. Die Arbeit der Aufbringung dieser Anleihe wurde durch die gerade ausgebrochene Influenza-Epidemie und durch die auftauchenden Friedensgerüchte nach187

teilig beeinflußt. Das Finanzministerium gab unter dem i. Ii. 1918 bekannt, daß die Anleihe-Zeichnungen insgesamt 6866416300 Dollars ergeben hätten. Nach den Schätzungen sollen 21 Millionen Personen Anleihe gezeichnet haben. Natürlich hatte man auch bei dieser Anleihe einen gewaltigen Apparat aufgeboten und allerhand Kunstkniffe angewendet. So waren 100 Mitglieder der französischen Fremdenlegion von Europa angekommen, die wie eine von Platz zu Platz ziehende Menagerie dem neugierigen Volke gezeigt wurden. Auch aus Italien erwartete man zum gleichen Zwecke Kämpfer von den Bersaglieri-Truppen, und ferner wurden Kriegstrophäen, die den Deutschen von amerikanischen Soldaten abgenommen worden waren, zur Schau gestellt. Präsident Wilson hatte beabsichtigt, eine AnleiheSprechtour durchs ganze Land zu machen. Sie wurde im letzten Augenblick abgesagt, weil „der Präsident in Washington unabkömmlich wäre". Tatsächlich lag infolge der Verurteilungen der sozialistischen Führer so viel Explosivstoff in der Luft, daß der Präsident vorgezogen hatte, in seinem eigensten Interesse im Weißen Haus zu bleiben. Nun einige vergleichende Bemerkungen über die verschiedenen Anleihen: Die Hauptmerkmale der ersten Anleihe waren der Patriotismus der Presse, der Banken, Korporationen und Organisationen, und die Tatsache einer Überzeichnung von mehr als 500/0, ohne daß das Finanz- und Geschäftsleben der Nation dadurch irgendwie beeinträchtigt worden wäre. Als Merkmale der zweiten Anleihe sind hervorzuheben, daß bei ihrer Unterbringung ein viel größerer Apparat als bei der ersten Anle'.ie aufgeboten worden war. Besonders die Arbeitervei ; )ände und Pfadfinderabteilungen machten große Anstrengungen, und auch die Frauen des Landes hatten wesentliche Arbeit dabei geleistet. Ebenso zeichneten die Leute in der Armee und Flotte reichlich. Die Eigentümlichkeiten der 3. Anleihe lagen in folgendem : — Die Anleihe fand eine weite und breite Ver188

teilung im Volke über das ganze Land. Besonders der Westen mit den landwirtschaftlichen Provinzen hatte eifrig dem Aufruf entsprochen. Das lag daran, daß man dort zum ersten Male eine sorgfältig organisierte Propaganda in die Wege geleitet hatte. Mc Adoo bezeichnete diese Anleihe als die gesündeste Wirtschaftspolitik eines Volkes. Dagegen war New York hinter seinen früheren Kraftanstrengungen weit zurück geblieben. — Soviel über die Anleihen. Ich erwähnte kurz vorher die Influenza-Epidemie und muß hier mit einigen Worten darauf zurückkommen. — Die Krankheit trat zuerst epidemisch in den Neu-EnglandStaaten etwa Mitte September 1918 auf, und, nachdem sie wochenlang in den Oststaaten gewütet hatte, verbreitete sie sich wie eine Meereswoge über das ganze Land ßüdund westwärts. Sie wurde als Spanische Influenza bezeichnet und soll von Europa durch zurückgekehrte Verwundete eingeschleppt worden sein. Sie war mit hohem Fieber verbunden und wurde lebensgefährlich, wenn Lungenentzündung hinzukam. Als die Krankheit noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte, las ich, daß ihr in den verschiedenen Militärlagern bereits 14000 Personen erlegen waren. Eine Statistik von 46 Städten mit nur 23 Millionen Einwohnern zeigte, daß vom 9. 9. bis 9. 1 1 . 1918 unter der Zivilbevölkerung 82 306 Personen an der Krankheit gestorben waren. Auch das Internierungslager Ft. Oglethorpe blieb nicht verschont davon. Ich komme jetzt zu einem weitern dunklen Kapitel in der amerikanischen Kriegsgeschichte. Auf Grund des Gesetzes, betreffend „den Handel mit dem Feinde", begann eine J a g d großen Stiles auf deutschländisches Kapital in den U . S . A . Rein deutsche L^nternehmungen wurden einfach beschlagnahmt und nach Gutdünken darüber verfügt. Bei denjenigen Firmen, in welchen teilweise deutschländisches Kapital angelegt war, wurde unterschieden, ob letzteres die Firma kontrollierte — also über 500/0 des Ge189

schäftskapitals betrug — oder nicht. W a r es unter 500/0, so ließ sich der Verwalter des feindlichen Eigentums den Betrag deutschländischen Kapitals auszahlen und nahm ihn unter Anlegung in Freiheitsanleihen in Verwahrung, oder wenn das nicht möglich war, so setzte er zur Vertretung dieses Anteils eine Person in das Direktorium der Firma, ein. W a r es über 500/0, so beschlagnahmte der Verwalter das Unternehmen in der Weise, d a ß eine von ihm eingesetzte Person die Kontrolle in der vorläufigen Weiterführung der Geschäfte hatte, bis eine Kommission über das endgültige Schicksal der Firma entschied. Dabei wurde nicht selten ein tückisches Verfahren angewendet. Solche Firmen waren vorsichtig genug gewesen, vor Eintritt Amerikas in den Krieg das deutschländische Kapital in ihrem Unternehmen ganz oder wenigstens soweit abzulösen, daß die Kontrolle des Geschäfts in Händen amerikanischer Kapitalisten lag. U m nun den Zugriff zur Firma zu erlangen, wurde in ganz skrupelloser Weise vom Vermögensverwalter diese Ablösung deutschen Kapitals als ein nicht ernstlich gemeinter Scheinkauf mit der stillschweigenden Klausel der Rückübertragung nach dem Kriege konstruiert und somit auf diese Summen, wenn nicht auf das ganze Unternehmen, Beschlag gelegt. Fabrikationen gewisser Industriezweige oder mit wertvollen deutschen Patenten, welche die U . S. A . sich anzueignen wünschten, ließ die Regierung weiter führen und behielt zunächst die deutschen Fachleute bei, um die Herstellungsgeheimnisse auf diese Weise auszuschnüffeln. Unter diesem Verfahren haben denn auch die DeutschAmerikaner viele Schwierigkeiten gehabt und sich, obgleich Bürger des Landes, von der Regierung große Demütigung gefallen lassen müssen. Außerdem wurde von der Klausel, wonach in den U . S. A. ansässige deutsche Geschäftsleute durch ihre Internierung der Beschlagnahme ihres Vermögens unterworfen wurden, von der U . S. A.-Regierung reichlich Gebrauch gemacht, trotz aller Zusicherungen Wilsons in seinen Proklamationen. 190

Ich erwähne im Nachstehenden einige wichtige Fälle, welche obendrein hier und da interessante politische Streiflichter warfen. Der eine Fall drehte sich um die New Yorker Zeitung „Evening Mail". E s wurde vom Vermögensverwalter triumphierend bekannt gegeben, es habe sich herausgestellt, daß die amerikanischen Kapitalisten der Evening Mail nur Strohmänner der deutschen Regierung gewesen seien. Bereits Dernburg und später Graf Bernsdorff und Dr. Albert hätten die Zeitung für Zwecke deutscher Propaganda in den U. S. A. finanziert. Aufregung darüber in allen Zeitungen 1 Dabei waren sie alle mehr oder weniger von englischem Geld für Alliierten-Propaganda finanziert, und zwar schon lange vor dem Weltkrieg und besonders zu einer Zeit, in welcher sich die U. S. A. noch neutral nannten. Und kein Mensch hat sich darüber aufgeregt. Der andere Fall betraf die Zeitung „Times" in Washington. Hier wurde behauptet, daß die amerikanischen Brauer diese Zeitung finanziert hätten, um in deutschen Interessen den Kongreß zu beeinflussen. Die ganze Geschichte lief darauf hinaus, daß die Brauer-Vereinigung dem Zeitungskäufer zum Ankauf des Unternehmens einige hunderttausend Dollars geliehen hatte. E s ist bekannt, daß bereits vor dem Kriege eine Prohibitionspropaganda in den U . S . A . mächtig im Gange war, d. h. eine Bewegung, den Vertrieb und Genuß alkoholischer Getränke im ganzen Lande zu verbieten. Viele Einzelstaaten waren bereits „trocken" gelegt. Der Krieg gab der Bewegung ein prächtiges Agitationsmittel, und der Ruin der Brau- und. Destillations-Industrie in den U. S. A. war ernstlich zu befürchten. Kann man es da den Brauern verdenken, daß sie sich ihrer Haut wehrten? Schließen sich nicht andere Industrieverbände zu gleichen Zwecken zusammen? Muß der Umstand, daß die amerikanischen Brauer in der Hauptsache deutscher Herkunft sind, notwendigerweise deutschfeindliche Propaganda in ihrem rein beruflichen Kampfe in sich 191

schließen? Wo bleibt Amerika mit den vielgepriesenen demokratischen Freiheitsidealen ? Die deutsche Regierung hat wiederholt gegen die Behandlung deutschen Kapitals in den U. S. A. Einspruch erhoben, zuletzt im September 1918. In dem Protest hieß es: — Der Verkauf von deutschen Schiffen sowohl, wie der Dockvorzugsrechte des Norddeutschen Lloyd und der Hamburg-Amerika-Linie sind ein in keiner Weise gerechtfertigter Versuch, durch Gewaltmaßregeln der deutschen Schiffahrt die Möglichkeiten einer Entwicklung in der Zukunft zu nehmen. Die dem Vermögensverwalter erteilte Vollmacht, über das gesamte, von ihm beschlagnahmte Vermögen, ausgenommen Geld, zugunsten amerikanischer Bürger zu verfügen, ist eine weitere Maßregel, welche bewußt darauf abzielt, der ökonomischen Existenz Deutschlands dauernden Schaden zuzufügen. Als Antwort auf den Einspruch wurde von dem Vermögensverwalter angekündigt, daß nachstehende Unternehmungen im Werte von mehr als 100 Millionen Dollars, an den beigesetzten Terminen verkauft werden würden: 1918. 21. 10. Die Rechte der Great American Insurance Comp. 1. 1 1 . Die Kienzle Clock Company. 4. 1 1 . Andreas Saxlehner. — 5. 1 1 . Mayer & Co. 26. 1 1 . The American Metal Company. — 27. 1 1 . Bosch Magneto Company. — 3. 12. Die Bayer'schen Farbwerke. — 4. 12. Hayden Chemical Comp. — 5. 12. International Textile Comp. 6. 12. Dresdner Spitzen Comp. 10. 12. Botany Worsted Mills. Der letzte Konzern schließt die Wöll-Interessen der bekannten Firmen Stöhr & Co. und Forstmann und Huffmann in sich. Über die Untersuchung dieser Firmen haben der Staatssekretär Lewis und der Generalanwalt Becker vom 192

Staate New York eine Broschüre herausgegeben, welche die sensationellen Enthüllungen und die fieberhafte Tätigkeit der genannten Beamten ins rechte Licht stellen sollte. E s war ein rein politischer Trick. Lewis wollte Gouverneur und Becker Staatssekretär des Staates New York bei den Wahlen im November werden. Beide sind gründlich durchgefallen. Die deutsche Firma Orenstein & Koppel in Pittsburg war vom Vermögensverwalter bereits für i 300 000 Dollars an die amerikanische Preßstahlwagen-Gesellschaft verkauft worden. Der Buchwert betrug 41/2 Millionen Dollars. Auch die Farbwerke der Firma Bayer mit ihrem Antipyrin-Patent sind, veräußert worden. Bei Anwendung solcher Maßregeln brüsteten sich dann noch die amerikanischen Zeitungen damit: „ N a c h dem Krieg sind wir in Farben und Chemikalien, in Glaswaren und optischen Instrumenten von Deutschland nicht mehr abhängig." — Mit der Erlangung der chemischen Formel kann man noch lange nicht das gewünschte Produkt herstellen. Die Kunstkniffe bei der Herstellung, oft furchtbar einfache, sind die Hauptsache, und diese werden sich die Amerikaner nicht verschaffen können, ebensowenig, wie sie jemals über die gelernten Präzisions-Arbeiter in der optischen und Glasbranche verfügen werden. Ein Paragraph in dem Gesetz, „betreffend den Handel mit dem Feinde" besagt, daß es nach dem Krieg dem Kongreß überlassen bleibt, über die Abwicklung der beschlagnahmten Vermögen Beschluß zu fassen. Die Auseinandersetzung, ob und wie und durch wen die Benachteiligten entschädigt werden sollen, wird sicherlich nicht einfach sein und ungeheure Schwierigkeiten und Härten mit sich bringen. Dieses von den U . S. A . gutgeheißene Raubsystem zeigt aber wiederum, daß dieser Krieg ein Wirtschaftskrieg ist, trotz aller Wilsonschen Freiheitsideale.

E r a h I , Die Boll« Amerikas

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3. Kapitel. Im I n t e r n i e r u n g s l a g e r Ft. O g l e t h o r p e . Ft. Oglethorpe ist nicht eine Festung, sondern ein großes Militärlager, das seinen Namen aus den Kämpfen im amerikanischen Freiheitskrieg erhalten hat. E s liegt in der Nordwestecke des Staates Georgia, wo dieser Staat mit dem Staat Tennessee zusammenstößt. Die Lage und das Klima sind gesund. Das eigentliche Internierungslager hatte die Form eines unregelmäßigen Rechteckes von ungefähr der Fläche eines Quadrat-Kilometers und war von einem hohen doppelten Stacheldrahtzaun umgeben. Außerhalb dieses Zaunes waren in Abständen 12 hohe Warttürme aufgestellt, mit mächtigen Scheinwerfern, Machinengewehren und Telephon zur Hauptwache ausgestattet. Auf drei Seiten war das Lager von Wald umgeben. Innerhalb der äußeren Umzäunung waren zwei Abteilungen, eine kleine, A., und eine große, B., jede durch einen besonderen Stacheldrahtzaun abgegrenzt, welche die Wohnbaracken, Waschhäuser, Speisehallen, Kantine, Wirtschafts- und Verwaltungsbaracken in sich schlössen. Früh und abends fand täglich Musterung und Zählung statt. Im Anschluß daran wurden die Abteilungen A. und B. geöffnet bzw. geschlossen. Tagsüber war der Gesamtraum innerhalb der äußeren Umzäunung offen. Außerhalb der Abteilungen A. und B. befanden sich das Lagerhospital, die Sportplätze, die Gemüsegärten und der Hühnerhof. Vor dem Haupteingang des Lagers war die Hauptwache, welche eine kleine Reservelichtanlage und einige Arrestzellen für widerspenstige Gefangene ent194

hielt. Daneben befand sich die sogenannte Stokade C, eine Abteilung mit doppeltem Stacheldrahtzaun umgeben, zur Aufnahme für Gefangene, welche leichtere Disciplinarstrafen zu verbüßen hatten, oder in Zeiten von Epidemie zur Aufnahme und Absonderung der kranken Rekonvaleszenten bestimmt. Von Einbruch der Dunkelheit an bis Tagwerden war das Lager durch starke, elektrische Lampen erleuchtet, welche an der äußeren Umzäunung in Abständen von etwa 30 Metern angebracht waren. Auch innerhalb des Lagers war die Beleuchtung elektrisch. Das Militärlager nahebei lieferte die Bewachungssoldaten, welche auf und zwischen" den Wachttürmen postiert waren. In der Kantine waren die Bedarfsartikel des täglichen Lebens, Zigarren, Tabak und alkoholfreie Getränke zu kaufen. Abteilung A. war für diejenigen reserviert, welche ihre Verpflegung selbst bezahlten, die sich monatlich auf etwa 25 Dollar belief. Die Platzfrage war hier beschränkt. Die Wohnbaracken hier waren durch Holzverschläge in kleine Abteilungen abgegrenzt. Jeder Insasse hatte seine Wohnabteilung. Ebenso hatte Abteilung A. ihre eigene Küche nebst Speiseraum. Das Essen wurde von deutschen Schiffsköchen zubereitet und war schmackhaft. In Abteilung B. waren die übrigen Internierten untergebracht. Sie schliefen in langen, teilweise zweistöckigen Baracken, jeder Schlafraum zählte etwa 50 Betten. Sämtliche Internierten hatten eiserne Bettstellen mit Drahtnetz, Grasmatratze, Kissen, Bettwäsche und Decken in reichlicher Anzahl. 10 Uhr abends mußten alle Lichter verlöscht werden, und es trat Ruhe ein. Dagegen war es den Internierten freigestellt, sich innerhalb der Abteilungen A. bzw. B. im Freien weiter aufzuhalten. 6 Uhr morgens wurde Wecken geblasen. Nach Anordnung der Lagerbehörde waren sämtliche Insassen von Abteilung B. verpflichtet, abwechselnd Lagerarbeiten zu tun, und zwar nicht nur Arbeiten zur Instandhaltung des Lagers, sondern auch zum weiteren Ausbau desselben. Die Leute mußten daher auch Steinbruch-, Graben13*

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und Kanalisationsarbeiten verrichten. Diese Ärbeitsfrage hat Anlaß zu Beschwerden bei der Schweizer Gesandtschaft gegeben und wiederholt auch zu Streiks und harten Bestrafungen geführt. Die Insassen von Abteilung A . durften zu keinerlei Arbeit herangezogen werden. Im übrigen konnten sich die Internierten nach eigenem' Belieben beschäftigen. Im August 1918 wurde das Gefangenen-Lager in Hot-Springs, Nordkarolina, aufgelöst, wo die Mannschaften der deutschen Handelsschiffe interniert waren. Man sagte, es sei der ungünstigen Wasserverhältnisse wegen geschehen. Ob dies der eigentliche Grund war, steht nicht fest. Tatsache war, daß eine Typhusepidemie dort ausbrach, die. einigen 30 Leuten das Leben kostete. Auch erlagen im Oglethorper Lager etwa 50 Personen der Influenza von den 750 Krankheitsfällen, welche unter Behandlung gewesen waren. Diese Seeleute schwellten mit etwa 2200 Mann das Lager Oglethorpe auf etwa 3600 Personen an. W e r für seine Gesundheit etwas tun wollte, hatte auf der Gemüsefarm und den Sportplätzen reichlich Gelegenheit dazu. Fußball, Faustball und Baseball waren die üblichen Spiele. Auch gab es 2 Tennisplätze. Heiße und kalte Schauerbäder konnte man jederzeit nehmen. Für geistige Unterhaltung sorgten eine Bibliothek, wissenschaftliche und Reisevorträge, Kurse in Sprachen (Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch) und regelmäßige Vorlesungen über Biologie, Kunstgeschichte, Rechtslehre, Musiklehre, Kaufmännische Buchführung und Stenographie, Physik, Chemie und Maschinenlehre. Diese Sprachkurse und Vorlesungen erlitten wiederholt recht störende Unterbrechungen, einmal durch die Influenza-Epidemie, andererseits durch eine StrafVerfügung, welche auf längere Zeit die Abteilungen A . und B. dauernd geschlossen hielt. Als Unterhändler zwischen den Internierten und der Lagerbehörde bzw. der Schweizer Gesandtschaft war ein Lagerkomitee von 5 Leuten gebildet worden. Diejenigen Gefangenen,, welche in der benachbarten Stadt Chattanooga

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ihre Frauen wohnen hatten, durften von diesen wöchentlich einmal in der Hauptwache besucht werden. Die Lagerbehörde und die Aufsichtsbeamten ließen einen in Ruhe, solange man mit Anliegen an sie möglichst wenig herantrat. Nur der Zensor machte einem öfter „einen Strich durch die Rechnung." Zur Erheiterung des Gemütes trugen die Konzerte der Tsingtau-Kapelle und der vereinigten Schiffskapellen, sowie Lichtbildervorführungen wesentlich bei. Während der Wintermonate 1918 wurden einige recht gute SymphonieKonzerte mit Wagner, Beethoven und Tschaikowsky auf dem Programm zu Gehör gebracht. — Ferner bot eine Theatervereinigung während der Winterabende gute humoristische und ernste Vorstellungen. Selbst an Max Halbe („Stein unter Steinen") und an Ibsens „Gespenster" hatte man sich mit gutem Erfolg herangewagt. Weiter erweckte eine Ausstellung kunstgewerblicher Erzeugnisse im Lager großes Interesse. Bekanntlich sind die Seeleute sehr geschickte Kunsthandwerker. Modelle von Segelschiffen und Dampfern, Gegenstände aus feinem Holz mit eingelegter Arbeit, gestrickte und gehäkelte Handarbeiten, handgearbeitete Kunstgegenstände aus Kupfer, Gemälde, Zeichnungen und Holzschnitte und vieles andere waren ausgestellt. Das Erstaunliche dabei war, daß alle Sachen im Gefangenen-Lager und unter Benutzung der nur allernötigsten Handwerkszeuge hergestellt worden waren. Schließlich erntete ein um Ostern 1919 veranstaltetes sechstägiges Sportfest den Beifall aller Internierten und erfreute sich einer lebhaften Teilnahme. Die Sieger in den einzelnen Sport- und Geräteschaustellungen wurden durch Preise und Diplome ausgezeichnet. Eingeleitet und geschlossen wurde das Sportfest durch einen Umzug unter den Klängen der beiden Musikkapellen. Viel Heiterkeit rief die humoristische Abteilung im Festzuge hervor, welche durch Maskerade die verschiedenen Lagertypen und Lagerbegebenheiten karikierte. 197

So war das Lagerieben erträglich. Immerhin kameii einige Selbstmorde vor, und ab und zu zeigten sich bei dem einen oder dem andern die bedenklichen Spuren der Stacheldrahtzaunkrankheit. Im allgemeinen läßt sich gegen die Behandlung der Gefangenen im Internierungslager seitens der Amerikaner keine Beschwerde führen. Immerhin mögen auch hierüber die Ansichten geteilt sein. Denn es ist nicht zu vermeiden, daß der eine die Verhältnisse im Lager zufällig günstiger getroffen hatte, als der andere. Dagegen gibt es nur eine Meinung darüber, daß die Internierten während der Untersuchungshaft vor ihrer Internierung durchgängig menschenunwürdig in Amerika behandelt worden sind. Ich bin im Lager mit vielen Menschen aus allen Gesellschaftsklassen in Berührung gekommen und habe dabei interessante Mitteilungen und Erfahrungen gesammelt. Es ist unmöglich, sie alle hier wiederzugeben; ich will nur einige besonders rohe Fälle herausgreifen. Denn daß man Leute in unglaublichen Gefängnissen in Texas, Alabama, Arkansas und anderwärts 6 Monate und länger hatte schmachten lassen, bevor sie interniert wurden, war nichts seltenes. Besonders grausam aber hatte man die in Panama und auf den Philippinen ansässig gewesenen Deutschen bei ihrem Abtransport behandelt. Während der Fahrt hatte man die Männer von ihren Familien getrennt. Die Frauen und Kinder wurden in den Hafeneinwanderungsstationen in Philadelphia, New York und Boston monatelang zusammen mit ausländischem Gesindel und Frauenzimmern unter menschenunwürdigen sanitären Verhältnissen festgehalten. Die Folge davon war, daß die Frauen und Kinder von Ungeziefer geradezu überfallen wurden und daß Krankheiten, insbesondere die Influenza, ganz bedenklich unter ihnen wüteten. Aus dem glaubwürdigen Bericht des Pastors Dallmann an die Schweizer Gesandtschaft, welchen ich selbst gelesen habe, seien nachstehende Einzelheiten erwähnt. Pastor 198

Dalimann schreibt: — „Am 13. 1 1 . 1918 war ich nach meiner Festnahme in das Gefängnis im Fort Houston b. St. Antonio, Texas, gebracht worden, wo ich mit 25 re gulären Militär-Gefangenen von rohen Soldaten der sog. Home Guard bewacht wurde. Sowohl die Wachtsoldaten wie die Mitgefangenen marterten und beschimpften mich bei jeder passenden Gelegenheit. Auf einem Auge war ich bereits erblindet: — Am 21. 1 1 . fielen 3 Soldaten 1— Wilde, Kapps, Mc. Bee — über mich her und warfen mir eine Bettdecke über den Kopf. Dadurch platzte mir in dem noch unversehrten Auge ein Äderchen, so daß ich fast nicht mehr sehen konnte. Als ich später nach Oglethorpe kam, erklärten die Augenärzte im Militärhospital, daß nur eine schnelle Operation das Augenlicht vielleicht erhalten könne, welche aber nur ein bedeutender Augenspezialist an einer amerikanischen Universität vornehmen könne. Sie selbst weigerten sich, die Operation auszuführen. — Wiederholt rissen mich die Soldaten aus dem Bett, hielten mir die Arme fest, schlugen mich über den Kopf und füllten mir Menschenkot in den Mund. Wenn ich die Wache um Hilfe bat, so antwortete sie mir: „Halt's Maull Ein deutscher Spion verdient nichts besseres." — Ich war mit der Außenwelt ohne jede Verbindung; denn meine Briefe wurden nicht befördert. — Am 1 1 . 2. 1918 war ein gewisser Witzke aus Breslau ins dortige Gefängnis eingeliefert und bis zum 10.1. 1919 in einer dunklen Eisenzelle, sechsmal 61/2 Fuß, ununterbrochen eingesperrt worden, ohne auch nur eine Minute an die frische Luft gekommen zu sein. Nur zur Bedürfnisanstalt durfte er gehen und täglich 1/2 Stunde in einem geschlossenen Hofe im Wachtgebäude sich bewegen. Das Essen wurde ihm in die Zelle gebracht. Auch er war mit der Außenwelt ohne jede Verbindung. Einmal besorgte ein Wachtsoldat einen Brief für ihn. Als dies entdeckt wurde, bestrafte man ihn mit 40 Tagen bei Wasser und Brot. Diese Information habe ich von ihm auf der Be199

dürfnisanstait erlangt; denn es durfte niemand mit ihm reden. Ein Dr. Reuter aus Erlangen — 57 Jahre alt — wurde seit Juli 1918 in einer ähnlichen Zelle gefangengehalten. Über ihn ging das Gerede, er habe Influenza-Keime den amerikanischen Soldaten beigebracht. Dies entflammte die Wut der Wachtsoldaten und wo immer sich eine Gelegenheit bot, wurde er brutal geschlagen' und mit Füßen getreten. — St. Remi aus Uruguay, — aber deutscher Abkunft — Reuter und ich wurden täglich von 10—101/2 Uhr vorm. und 2—21/2 nachm. ins Freie geführt. E s sollte Erholung sein; wir zitterten, wenn wir herausgeholt wurden. Wir mußten in einem Kreis von 10—15 m Durchmesser laufen und wurden von 2—4 Soldaten bewacht, die uns mit dem Gewehrkolben schlugen und. uns in einer widerlichen Sprache beschimpften. Dabei wurde einmal dem St. Remi die Schulter ausgerenkt. Ein anderes Mal wurden wir derartig geprügelt, daß wir den Sergeant baten, den GefängnisOffizier sprechen zu können, was er uns verweigerte und uns mit Quälereien bedrohte. Kurz darauf kam Korporal Arter — der einzige anständige Mensch — und riet uns ab, den Offizier zu sprechen, da wir sonst die ganze „Bande" gegen uns haben würden, und clie Soldaten übrigens vom Offizier in Schutz genommen würden. Ein anderer Leidensgefährte, Lustig — ein Ungar — schien sehr nervös zu sein. Dies nützten die Soldaten ^us. Als er einmal auf der Toilette saß, sprang ein Soldat mit gezogenem Bajonett auf ihn zu. Darüber war Lustig derartig erschrocken, daß man ihn in eine Einzelzelle bringen mußte und ihn zu beruhigen suchte. In der folgenden Nacht suchte er sich durch Öffnen der Adern zu töten. Noch rechtzeitig daran verhindert, wurde er ins Hospital gebracht, wo sich sein Zustand zu Wahnsinn entwickelte. Als ich nach Oglethorpe überführt wurde, war er noch immer im Hospital. — 200

Rodynko — ein Österreicher — und ich wurden am 10. i. 1919 nach Oglethorpe transportiert. Während der ganzen Bahnfahrt — etwa 40 Stunden — waren wir an den Handgelenken aneinandergefesselt und von 3 bewaffneten Soldaten begleitet. Die Fahrgäste im Zuge erhoben dagegen Widerspruch. Der Korporal erwiderte, er habe Befehl, uns gefesselt zu lassen. —" So lautete der Bericht Dallmanns an die Schweizer Gesandtschaft. Derartige Fälle roher Behandlung gab es in ungezählter Menge. — Hier nun einige Worte über die Vertretung deutscher Interessen durch die Schweizer Gesandtschaft in Amerika. — E s soll zugegeben werden, daß die Beamten der Gesandtschaft durch die tausende von Gesuchen und Beschwerden eine gewaltige Arbeitsleistung zu bestehen hatten, und daß ein rasches Eingreifen nicht immer möglich war. Aber es war zu erwarten, daß, wenn eingegriffen wurde, das Übel bei der Wurzel gefaßt und besonders dringliche Fälle vorweg behandelt würden. Auch die vom Lagerkomitee vorgebrachten Beschwerden wurden mit zu wenig Rückgrat bei dem Staatsdepartement in Washington vertreten. Man erhielt eine schönklingende, aber nichts besagende Antwort, „daß die Angelegenheit mit den Behörden aufgenommen worden sei." Aber dabei blieb es gewöhnlich. E s soll nicht verkannt werden, daß die Schweiz selbst sich den U. S. A. gegenüber infolge der Zuweisung von Nahrungsmitteln in einer abhängigen Lage befand. Wenn man aber einmal die nicht leichte Aufgabe übernommen hatte, dann sollte man seine Pflichten auch gewissenhaft erfüllen oder Deutschland bitten, eine andere Nation mit seiner Vertretung zu betrauen. Die Klagen sind nicht vereinzelt. Herr Dr. Hübscher übernahm bei der Abreise des Gesandten Sulzer vertretungsweise die Geschäfte der Schweizer Gesandtschaft und damit auch der deutschen Interessen. E r war der Aufgabe nicht gewachsen. Ja, es hatte den Anschein, als ob zu seinem „Nichtkönnen" ein gewisses „Nicht201

wollen" hinzukam. Als er das Lager Oglethorpe besuchte — es ist nur einmal vorgekommen — da gab er auf die ihm unterbreiteten Beschwerden Antworten, daß man im Zweifel sein konnte, ob er als Vertreter der deutschen Interessen oder als Vertreter der amerikanischen Justizbehörde gekommen sei. „Wenn die Herren ihre Akten bei der Justizbehörde lesen würden, dann würden sie sich nicht wundern, daß sie interniert seien." so äußerte er sich. Wenn Herr Dr. Hübscher all den Wust von Anschuldigungen und Verdächtigungen, die meist durch niederträchtige Anschwärzung erlangt waren, für bare Münze nahm, was für Unterstützung konnten wir Deutschen dann von ihm erwarten? Demgegenüber hat die Gesandtschaft Schwedens als Vertreterin der österreichisch-ungarischen Interessen unter den rührigen Bemühungen des Grafen von Rosen ungeteilte Anerkennung gefunden. — — Ich weiß aus der Zeit meiner Untersuchungshaft Verschiedene Fälle, in denen Untertanen des Deutschen Reichs und der ehemaligen Doppelmonarchie wegen Bagatellsachen, die s. Zt. die Kriegsleidenschaft in kaum' glaublicher Weise aufbauschte, zu harten Arbeitshausstrafen in Atlanta von 3, 5, 7 fand mehr Jahren verurteilt worden sind. Infolge des unglückseligen Kriegsausgangs werden diese Opfer vermutlich heute noch schmachten. Sobald daher die diplomatischen Beziehungen wiederhergestellt sind, ist es für die künftigen Auslands - Vertreter die erste und gebieterische Pflicht, alle diese politischen Kriegsopfer aus ihrer traurigen Lage zu befreien. —

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4. Kapitel. Friedensanbahnung und S c h l u ß b e t r a c h t u n g e n . Die Vorgänge der Friedensanbahnung sind so eng mit den Wahlen zum Senat und Kongreß verknüpft, daß ich beides in einem Kapitel behandeln werde. Am 5. November 1918 fand die Neuwahl der in regelrechtem Turnus ausscheidenden Mitglieder im Senat und Kongreß statt. Es waren zu wählen 435 Kongreßabgeordnete und 33 Senatoren, außerdem 31 Gouverneure und eine Anzahl hoher Beamter in den Einzelstaaten. Die Wahl war höchst wichtig; denn die zukünftige Mehrheit bestimmte über die zukünftigen Geschicke der inneren und äußeren Politik der U. S. A. Der der Wahl folgende 4. März war, wie immer, der Anfangstermin der gesetzgebenden Häuser in ihrer Neubesetzung. Präsident Wilson hatte mit Rücksicht auf die Aufgaben der Nation im Kriege die Parole empfohlen: „Parteipolitik möchte vorläufig ausgeschaltet werden." Die Republikaner im Senat und Kongreß gaben zwar ihre Zustimmung zu den Kriegsmaßnahmen der Regierung, aber nicht in Befolgung der von Wilson ausgegebenen Parole, sondern weil auch sie die politische und kommerzielle Vernichtung Deutschlands als gefährlichen Konkurrenten anstrebten und jedes Mittel zu diesem Zwecke willkommen hießen. Sie hielten aber dabei nicht mit ihrer Kritik über die Regierung zurück, w i e diese Maßnahmen 203

ausgeführt wurden. Roosevelt, obgleich außerhalb der gesetzgebenden Körperschaften stehend, als der stillschweigend anerkannte Führer der republikanischen Partei, kümmerte sich wenig-um Wilsons Mahnworte und griff ihn und seine Regierung an, wo sich nur immer eine Gelegenheit dazu bot, zuletzt unter dem Deckmantel eines Agitators für die 4. Kriegsanleihe. Aber auch Präsident Wilson hatte sich in Nichtachtung seiner Parole in die Parteiangelegenheiten verschiedener Staaten gemengt. Den Anlaß zum offenen Zusammenprall beider Parteien gab Wilsons Aufruf an die Amerikaner vom 25. Oktober. Darin ersuchte der Präsident sein Volk, in beide Häuser eine demokratische Mehrheit wiederzuwählen, um ihn in diesem kritischen Augenblick der äußern Politik — es lag Deutschlands Ersuchen um einen Waffenstillstand und Frieden vor — nicht nur dem eigenen Land, sondern der ganzen Welt gegenüber zu unterstützen. Dabei erklärte Wilson, daß die'Führer der Gegenpartei in beiden Häusern zwar „für den Krieg", aber gleichzeitig auch „gegen die Regierung" gewesen seien. Ihm erwiderte Roosevelt in einer Rede, die er in Carnegie Hall in New York-Stadt am 28. 10. gehalten hat. E r forderte die Wähler der Nation auf, eine republikanische Mehrheit zu wählen. Dies würde die Alliierten versichern, daß Amerika entschlossen sei, den Krieg mit Eile und Energie zu betreiben und auf bedingungsloser Übergabe Deutschlands zu bestehen, und es würde für Deutschland und seine Verbündeten ein Warnungszeichen sein, daß sie es in Zukunft mit dem geraden, entschlossenen Geist des amerikanischen Volkes und nicht mit den schönen Redensarten, dunklen Zielen und dem unbeständigen Willen Wilsons zu tun hätten. E r kritisierte die gesamte Kriegsführung des Präsidenten und sagte: Wenn Wilson es mit seiner Parole, Parteipolitik auszuschalten, ernst gemeint hätte, dann würde er sofort ein alle Parteien einschließendes Koalitionskabinett gebildet und die fähigsten Leute der Nation zu den wichtigsten politischen Ämtern berufen haben, an204

statt alle Regierungsfäden in seiner Hand zu behalten. Der Frieden werde nicht vom Präsidenten allein, sondern von ihm im Zusammenwirken mit der Volksvertretung geschlossen werden. Wenn es soweit sei, dann sollten die berüchtigten 14 Punkte des Präsidenten nachdrücklich beiseite geschoben werden; denn sie seien unklar, nachteilig und verderblich. — In bezug auf die Anfeindung der 14 Punkte des Präsidenten durch die Republikaner führten die Demokraten folgendes aus: Mehr als neun Monate zurück habe Wilson diese 14 Punkte als Grundlage eines Friedens erklärt und sie in späteren Reden eingehend besprochen. Roosevelt und die Republikaner hätten sie genau gekannt und nicht widersprochen, solange diese geistigen Waffen in Deutschland an Boden gewonnen hätten. Jetzt aber, wo Deutschlands Zusammenbruch in Sicht sei, habe es den Anschein, als ob eine Parteigruppe der Nation den Präsidenten nicht ernst genommen hätte und diesen 14 Punkten ebenso feindlich gegenüber stünde, als wie der deutsche Durchschnittsjunker. Dabei seien diese Punkte in der ganzen Welt, besonders in England, Frankreich und Italien, als Richtlinie anerkannt worden. Der Wahlkampf der demokratischen und republikanischen Parteien gipfelte in wenigen Worten in zwei Dingen: Äußere Politik: — in den Richtlinien für die Friedensbedingungen; innere Politik: — in den Grundzügen der Umgestaltung der nationalen Einrichtungen von Kriegs- zur Friedenszeit. Dem in den 14 Punkten des Präsidenten niedergelegten demokratischen Programm der äußeren Politik stand das von Roosevelt vertretene republikanische Programm gegenüber. Roosevelt war gegen eine Liga der Nationen, gegen die Abrüstung im gegenseitigen Einverständnis der Völker und trat für den dauernden allgemeinen Militärzwangsdienst und für die Erhaltung eines starken Heeres, und einer großen Flotte ein, imperialistische Ideen. : 20&

In der innern Politik wollten die Republikaner die Kontrolle an sich reißen in den Entscheidungen über das gewaltige Schiffsmaterial, über das Eisenbahn-, Telegraph- und Kabelwesen und über alle die andern Einrichtungen, welche die demokratische Regierung dem Staate zu Kriegszwecken dienstbar gemacht hatte. Mit einem Worte, sie wollten vermeiden, daß Wilson einerseits allein mit seinem unerwählten, unverantwortlichen Ratgeber, Oberst House, den Frieden nach eigenem Gutdünken durchführe, und andererseits als der ungehinderte Sprecher in den innern Angelegenheiten auftrete, um die Umgestaltung der ökonomischen Verhältnisse der Nation nach eigener Machtvollkommenheit durchzuführen. Der Wahltag kam heran. E r lieferte folgendes Ergebnis : Der neue Kongreß wird sich zusammensetzen aus 239 Republikanern, 195 Demokraten und 1 Sozialisten; der neue Senat aus 49 Republikanern und 47 Demokraten. — In beiden Häusern hatten also die Republikaner gesiegt. Den einen sozialistischen Sitz hatte der Zeitungsverleger Victor Berger erlangt, dessen Prozeß wegen Verletzung des Spionagegesetzes noch schwebte. Die übrigen 12 sozialistischen Kandidaten für den Kongreß unterlagen. Es war bei dieser Wahlperiode nicht zu erwarten, daß sich die sozialistische Strömung dabei breitmachen würde, solange die drakonische Kriegsgesetzgebung noch in Geltung war. Das Wahlprogramm der Sozialisten kam in zu vielen Punkten mit dem Spionagegesetz in Widerstreit. Die drakonische Kriegsgesetzgebung muß aber nach dem Kriege außer Wirksamkeit kommen. Die Saat, welche Wilson so leichtfertig in den Ländern Europas gesät hat, wird einst im eigenen Lande aufgehen. Die Anarchie, das Begehren der sozialistischen Elemente, die Zügel der Regierung an sich zu reißen, wird sich wie eine Epidemie wellenförmig von Europa über den Ozean fortpflanzen. Der Wahlkampf hatte also das merkwürdige Ergebnis gezeitigt, daß das politische Programm Wilsons bei dem 206

amerikanischen Volke in seiner Mehrheit keine Bestätigung gefunden hat. In die Zeit des amerikanischen Wahlkampfes fielen auch die letzten Phasen der Tragödie des Weltkrieges, die Einleitungen zu den Friedensverhandlungen. Den ersten schweren Schlag erhielt der Block der Mittelmächte durch den Zusammenbruch Bulgariens. Ihm folgte rasch der Abfall der Türkei. Beide Völker baten die Alliierten um einen Waffenstillstand und um einen gesonderten Frieden. Am 27. September 1918 hielt Wilson in der MetropolitanOper in New York aus Anlaß der 4. Kriegsanleihe eine Ansprache. Ihr wesentlicher Inhalt muß hier erwähnt werden, weil er als Richtschnur für die angebahnten Friedensverhandlungen zugrunde gelegt worden ist. „Der Preis des Friedens — so führte der Präsident aus — muß unparteiische Gerechtigkeit für alle Völker sein. Sie darf keine Unterscheidung machen zwischen denjenigen, zu welchen wir gerecht sein wollen, und denjenigen, zu denen wir es nicht sein möchten. E s muß eine Gerechtigkeit sein, welche keine Vergünstigungen oder Vorzugsrechte kennt und als einzigen Maßstab die gleichen Rechte aller beteiligten Völker annimmt. Das einzige Mittel, dies zu erreichen, ist eine Liga der Völker, gebildet weder Vor noch nach der Friedenskonferenz, sondern in dieser Konferenz, und Deutschland als ein zugelassenes Mitglied hat seinen Charakter wieder gut zu machen, nicht durch die Ereignisse am Friedenstisch, sondern durch das, was darnach folgt. E s ist notwendig, daß alle, welche am! Friedensschluß teilnehmen, erscheinen, willig, den Preis zu zahlen und in mannhafter Weise das alleinige Werkzeug zu schaffen, durch welches es möglich gemacht werden kann, daß die Friedenssatzungen geachtet und erfüllt werden. Keine Sonderinteressen irgend einer Nation oder einer Gruppe von Völkern können zur Richtlinie irgend eines Teiles des Friedens gemacht werden, wenn sie im Widerspruch zu den gemeinsamen Interessen Aller stehen. Da 1 207

darf es keine Bündnisse oder besonderen Verträge mit dem allgemeinen Bunde der Liga der Völker geben; aber ganz besonders darf es keine eigennützigen ökonomischen Verbände innerhalb der Liga und keine Anwendung von Boykott oder ökonomischer Ausschließung geben, ausgenommen die ökonomische Strafgewalt, durch Ausschluß von den Weltmärkten, womit die Liga allein betraut werden darf. Alle internationalen Vereinbarungen und Verträge jeglicher Art müssen im vollen Umfang dem Rest der Welt bekannt gegeben werden. Sonderbündnisse und ökonomische Feindseligkeiten sind die ausgiebige Quelle von Leidenschaften in der modernen Welt gewesen, welche Kriege hervorrufen, und es würde ein unsicherer Friede sein, welcher damit nicht endgültig und bindend aufräumte." Unter dem 6. 10. 1918 ließ Deutschland dem Präsidenten der U . S . A . nachstehende Note überreichen: Die deutsche Regierung ersucht den Präsidenten der U. S. A., Schritte zur Wiederherstellung des Friedens zu unternehmen, alle Kriegführenden davon zu verständigen und sie einzuladen, Friedensabgesandte zu entsenden. Die deutsche Regierung nimmt als Grundlage für Friedensverhandlungen das Programm des Präsidenten an, wie er es in seiner Botschaft vor dem Kongreß am 8. 1. 1918 und in seinen nachfolgenden Ankündigungen, besonders in seiner Rede vom 27. September 1918, niedergelegt hat. Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, ersucht die deutsche Regierung, den unmittelbaren Abschluß eines allgemeinen Waffenstillstandes zu Lande, zu Wasser und in der Luft zustande zu bringen. Die Antwort darauf ist in der Note der U. S. A. vom 8. 10. enthalten: „Bevor der Präsident der U. S. A. das Ersuchen der deutschen Regierung beantwortet und in der Absicht, daß seine Antwort so gerade und offen sein kann, als die in Frage stehenden wichtigen Interessen es erfordern, hält er es für nötig, sich von der genauen Meinung der Note des 208

Reichskanzlers zu vergewissern. Meint der Reichskanzler, daß die deutsche Regierung die vom Präsidenten in seiner Rede vom 8. i. 1918 und in seinen nachfolgenden Botschaften niedergelegten Grundsätze annimmt, und daß ihre Absicht, in Erörterungen einzutreten, lediglich diejenige sei, über die praktischen Einzelheiten ihrer Anwendung zu verhandeln? Mit Rücksicht auf den Vorschlag eines Waffenstillstandes fühlt sich der Präsident verpflichtet, zu erklären, daß'es nicht in seiner Macht liege, den mit den U . S . A. verbündeten Regierungen einen solchen Vorschlag zu machen, solange die Armeen der Mittelmächte auf fremdem Boden stünden. Der gute Glaube einer solchen Erörterung würde offenkundig von der Einwilligung der Mittelmächte abhängen, ihre Truppen von feindlichem Boden zurückzuziehen. Der Präsident erachtet weiter die Frage als gerechtfertigt, ob der Reichskanzler lediglich für die konstitutionellen Körperschaften des Reiches spricht, die bisher den Krieg geführt haben. E r hält die Antwort auf diese Frage von jedem Standpunkte aus für äußerst wichtig." Auf diese Fragen Wilsons antwortete die deutsche Regierung in Noten vom1 12. 10. und 20. 10. Die deutsche Regierung erklärte sich darin bereit, die besetzten Gebiete sofort zu räumen, und betonte, daß sie im Namen der deutschen Reichstagsmehrheit spreche, welche den Willen des deutschen Volkes zum Ausdruck bringe. Im übrigen seien bereits grundlegende Verfassungsänderungen im Reichstag rechtsgültig beschlossen worden, welche die Regierungsgewalt in die Hände des Volkes legten. Daraufhin erklärte sich Wilson bereit, bei den alliierten Regierungen im Sinne einer Verständigung zu wirken. Dagegen müßten die Bedingungen eines Waffenstillstandes den militärischen Führern der Alliierten überlassen bleiben. Roosevelt wendete sich in verschiedenen Ansprachen gegen den Notenaustausch: „Wir sollten diesen Krieg bis zum Ende durchfechten. Wir wollen keinen Frieden annehmen außer denjenigen, welcher unbedingter Übergabe K l'a h 1, Die Rolle Amerikas

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folgt, und wir werden diesen Frieden erlangen mit dem Maschinengewehr und nicht mit der Schreibmaschine. Deutschland braucht sich nicht um die Bedingungen zu sorgen. Es wird darum nicht zu Rate gezogen werden. Diese Bedingungen werden wir mit unsern Alliierten festsetzen." Lodge, der Führer der republikanischen Partei im Senat, mißbilligte gleichfalls Wilsons Kurs der Fortsetzung der diplomatischen Unterhandlungen mit Deutschland und erklärte: — „Meine Ansicht ist sehr einfach. Es gibt keine deutsche Regierung, mit welcher ich mich in Erörterungen einlassen würde. Ich bedauere irgend einen Notenaustausch mit Deutschland zu einer Zeit, wo wir uns stetig dem vollständigen Sieg nähern. Jetzt haben wir nur eine Sache zu fordern — bedingungslose Übergabe — und das würde ich Marschall Foch und den Armeeführern überlassen. Wenn das deutsche Volk sich von seinen Tyrannen getrennt und das deutsche Heer die Waffen gestreckt hat, dann laßt uns über die Bedingungen beraten, welche die Alliierten und die U . S . A . Deutschland, vorschreiben wollen." Darauf entgegnete der Demokrat Hitchcok, daß nach seiner Meinung die Handlungsweise des Präsidenten eine politische Krisis in Deutschland hervorrufen müsse, indem sie das deutsche Volk vor die Alternative stelle, entweder seine Regierung zu demokratisieren gegen Gewährung eines gerechten Friedens, oder weiter zu seiner Militärautokratie zu halten, um schließlich sich einer bedingungslosen Übergabe zu fügen. Die gesamte Presse kritisierte die deutschen Noten mit Gehässigkeit und versuchte Zweifel und Mißtrauen in die Volksseele zu säen, indem sie anzweifelte, daß die gemeldeten Verfassungsänderungen fertige Tatsachen seien. Bezeichnend ist ein Brief, welchen Henry Joel Cadbury, ein Professor von Haverford College, in diesen Tagen an den Philadelphia Ledger, eine führende Zeitung, geschrieben hat, und welcher zeigt, daß es Amerikaner gab, die auch anders dachten. Der Brief lautete: 210

„Als Christ und patriotischer Amerikaner mag es mir gestattet sein, in Ihren Spalten einen Schrei des Protestes gegen die Orgie des Hasses zu erheben, in welchem pich die amerikanische Presse und das Publikum bei dem Empfang von Friedenseinleitungen seitens des Feindes ergeht. Was immer das unmittelbare Ergebnis des gegenwärtigen deutschen Ersuchens um einen Waffenstillstand sein mag, der Geist unversöhnlichen Hasses und der Rache, wie er von vielen Personen in diesem Lande an den Tag gelegt wird, zeigt, daß es unsere Nation ist, welche das größte Hindernis für einen wahren Frieden bildet und welche am wenigsten seiner würdig ist. Niemals in der Zeit seiner größten Selbstüberhebung und des Erfolges äußerten der Kaiser und seine Helfer blutdürstigere Gefühle als jetzt unsere gesamte Presse tut. Während die englische Presse in weiser Vorsicht sich jedes Kommentars enthält, bis eine offizielle Antwort gegeben werden kann, rufen die Amerikaner mit unersättlicher Rachsucht: Mehr! Mehr! Jedes Zugeständnis des Feindes wird als Zeichen der Schwäche ausgelegt und wird als Grund für größere Demütigung und unvernünftigere Forderungen benutzt. Sicherlich ziemt es sich für uns in dieser Stunde, wo nicht Vergeltung für das Vergangene, sondern die Sicherung einer zuverlässigeren und gesünderen internationalen Kameradschaft der Welt nottut, unterscheidend Gerechtigkeit und Vergebung von blinder Rache, daß wir uns in dem Geiste der Mäßigung und des rechtlichen Verfahrens erhalten. Ein Frieden unter anderen Bedingungen oder in einem anderen Geiste wird durchaus kein Frieden, sondern ein Fluch für die Zukunft sein." Die genannte Zeitung druckte aber den Brief nicht in ihren Spalten ab, sondern übergab ihn dem Staatsanwalt. Der Briefschreiber wurde unverzüglich wegen unloyaler Äußerungen verhaftet, aber später freigesprochen und entlassen. Unterdessen hatte der Einfluß des Bolschewismus bei den Mittelmächten Oberwasser erlangt. In Deutschland fiel 14*

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ein Thron nach dem andern, und eine Reihe kleiner Republiken wurde erklärt. Für den im Ausland befindlichen Deutschen war die rasche Wendung der Dinge in der Heimat schier unbegreiflich. Noch in der Reichstagssitzung vom 22. Oktober erklärte der damalige Reichskanzler Prinz Max von Baden: „Bis zur endgültigen Antwort des Präsidenten der U . S . A . müssen wir in allen unseren Gedanken und Handlungen für beide Möglichkeiten uns vorbereiten, für einen Frieden der Gerechtigkeit und einen Frieden der Gewalt. Sollte die letzte Notwendigkeit erstehen, so zweifle ich nicht daran, daß die deutsche Regierung im Namen des deutschen Volkes einen Ruf zur nationalen Verteidigung ausgeben wird, wie sie für das deutsche Volk gesprochen hat, als sie die Anbahnung zu Friedensverhandlungen aufnahm. Wer ehrenhaft einen Standpunkt auf der Grundlage eines Friedens eingenommen hat, wird ebenso sich der •Pflicht unterziehen, einen Frieden der Gewalt nicht ohne Kampf anzunehmen. Die Regierung, welche anders handeln würde, würde der Gnade der kämpfenden und arbeitenden Klassen ausgeliefert sein und durch die öffentliche Meinung hinweggefegt werden. Ob aber die nächsten Tage oder Wochen uns zur Fortsetzung des Kampfes oder zur Öffnung eines Weges zum Frieden rufen werden, wir sind jetzt ohne Zweifel für die Aufgabe des Krieges oder des Friedens in gleicher Weise entschlossen, indem wir unser Regierungsprogramm durchführen und endgültig mit dem alten System brechen werden." Und nur wenige Tage später sahen wir die Widerstandskraft des deutschen Volkes hinter der Front zusammenbrechen, sahen, wie die radikalsozialistischen Klassen die Zügel der Regierung an sich rissen und die demütigenden Bedingungen des Waffenstillstandes annahmen. Wer da nun glaubte, daß Wilson leichten Stand hatte, seine verbündeten Regierungen von seinen 14 Friedenspunkten zu überzeugen, verkannte vollkommen die Sachlage. E r 212

entsendete seinen persönlichen Freund und Ratgeber Oberst House nach Paris, um vor dem obersten Kriegsrat seine Ideen nachdrücklich unterstützen zu lassen. Nach langen Beratungen und sicherlich auch nach hartnäckigen Auseinandersetzungen gab der oberste Kriegsrat bekannt, daß die Alliierten auf der Grundlage der 14 Punkte bereit seien, mit den Feinden Frieden zu schließen, jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß sich die Alliierten in der Auslegung von Punkt 1, „über die Freiheit der Meere", vollkommen freie Hand vorbehielten. Die Freiheit der Meere — es war eines der Hauptziele, für welches.Deutschland im Interesse der gesamten Welt die Waffen erhoben hatte. Und Wilson mußte sich fügen und ^durchbrach mit dieser Zustimmung das grundlegende Prinzip seines Weltpolitikplanes, nämlich, daß keinem Volke oder Gruppe von Völkern Vorzugsrechte eingeräumt werden sollten, die mit den Interessen der übrigen Völker im Widerspruch stünden. Damit schienen aber nicht alle Meinungverschiedenheiten beseitigt zu sein. Ein altes Sprichwort sagt: „Der Appetit kommt beim Essen". Als die Alliierten in Europa Deutschland wehrlos gemacht hatten und auf ihre Gnade angewiesen sahen, regte sich in ihnen das Verlangen, daraus Vorteil zu schlagen, wo es nur immer möglich erschien. So mußte sich Präsident Wilson entschließen, persönlich vor den Obersten Kriegsrat in Versailles zu treten, wollte er nicht das Traumschloß seiner idealistischen Weltpolitik wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen sehen. Schlußbetrachtungen. E s ist nicht der Zweck dieses Buches, auf die endgültigen Friedensbedingungen einzugehen. Ich will aber einige Schlußbetrachtungen daran knüpfen. Wenn man die endgültigen Friedensbedingungen mit den Richtlinien Wilsons in seinen vielen Reden vergleicht, so gelangt man zu folgenden Schlußfolgerungen: — Entweder hat Wilson in völliger Unkenntnis euroKrahl , Die Rolle Amcrikns

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entsendete seinen persönlichen Freund und Ratgeber Oberst House nach Paris, um vor dem obersten Kriegsrat seine Ideen nachdrücklich unterstützen zu lassen. Nach langen Beratungen und sicherlich auch nach hartnäckigen Auseinandersetzungen gab der oberste Kriegsrat bekannt, daß die Alliierten auf der Grundlage der 14 Punkte bereit seien, mit den Feinden Frieden zu schließen, jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß sich die Alliierten in der Auslegung von Punkt 1, „über die Freiheit der Meere", vollkommen freie Hand vorbehielten. Die Freiheit der Meere — es war eines der Hauptziele, für welches.Deutschland im Interesse der gesamten Welt die Waffen erhoben hatte. Und Wilson mußte sich fügen und ^durchbrach mit dieser Zustimmung das grundlegende Prinzip seines Weltpolitikplanes, nämlich, daß keinem Volke oder Gruppe von Völkern Vorzugsrechte eingeräumt werden sollten, die mit den Interessen der übrigen Völker im Widerspruch stünden. Damit schienen aber nicht alle Meinungverschiedenheiten beseitigt zu sein. Ein altes Sprichwort sagt: „Der Appetit kommt beim Essen". Als die Alliierten in Europa Deutschland wehrlos gemacht hatten und auf ihre Gnade angewiesen sahen, regte sich in ihnen das Verlangen, daraus Vorteil zu schlagen, wo es nur immer möglich erschien. So mußte sich Präsident Wilson entschließen, persönlich vor den Obersten Kriegsrat in Versailles zu treten, wollte er nicht das Traumschloß seiner idealistischen Weltpolitik wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen sehen. Schlußbetrachtungen. E s ist nicht der Zweck dieses Buches, auf die endgültigen Friedensbedingungen einzugehen. Ich will aber einige Schlußbetrachtungen daran knüpfen. Wenn man die endgültigen Friedensbedingungen mit den Richtlinien Wilsons in seinen vielen Reden vergleicht, so gelangt man zu folgenden Schlußfolgerungen: — Entweder hat Wilson in völliger Unkenntnis euroKrahl , Die Rolle Amcrikns

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päischer Diplomatie die Macht seines Einflusses überschätzt und ist von den ihm überlegenen europäischen Diplomaten der Alliierten über den Haufen gerannt worden — dann ist er von Schuld nicht freizusprechen, indem er den großen Fehler beging, in die Waffenstillstandsbedingungen einzuwilligen, welche Deutschland und seine Verbündeten den Alliierten auf Gnade und Ungnade auslieferten, bevor er sein den Mittelmächten versprochenes Friedensprogramm bei den Alliierten endgültig*' durchgesetzt hatte; denn damit gab er eine wesentliche Trumpfkarte aus seinen Händen; oder er ist von Anfang an unaufrichtig — mala fide — den Mittelmächten gegenüber gewesen. Dann hat es ihm nicht viel Überwindung gekostet, dem Drucke der Alliierten nachzugeben. Für beide Ansichten gibt es Anhänger. Soweit ich Wilson beurteilen kann, neige ich der zweiten Auffassung zu. Er hat es von vornherein mit seinen Kriegszielen den Mittelmächten gegenüber nicht aufrichtig gemeint. Sein Ziel war von Anfang an die Vernichtung Deutschlands als führende Weltmacht in Politik und Handel und die Erhebung der U. S. A. an Deutschlands Stelle. Das ist ihm mit den Friedensbedingungen gelungen. Wie eisernem eigenen Volke immer die Ideale wahrer Demokratie vorgegaukelt hat, ohne es bis heute in den vollen Genuß dieser idealen Zustände zu setzen, so hat er es mit den Völkern der Mittelmächte getan, und er hat mit seinen geistigen Waffen den ausschlaggebenden Erfolg erzielt, welchen Waffengewalt der Alliierten nicht erzwingen konnte. Die Völker der Mittelmächte haben sich von Wilsons schönen Redensarten über die Zukunft der Welt täuschen lassen und haben im Vertrauen auf seine Zusicherungen ihre eigenen Regierungen im Stich gelassen und dadurch zuerst die nationale Kraft hinter der Schlachtfront ihrer Armeen in den Grundfesten erschüttert. Der Mann aber, welchen Wilson in der Geschichte spielen wollte und hätte spielen können, wird er nicht sein. Ich erwarte in dieser Richtung den Wahrspruch der Geschichte. 2100. Berliner Buch- u. Kunstdruckerei, G. m. b. H., Berlin W 36—Zossen.

VEREINIGUNG W I S S E N S C H A F T L I C H E R VERLEGER W A L T E R DE G R U Y T E R & Co. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentsg, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. BERLIN W I O U N D LEIPZIG

Deutsche Kriegsgefangene in Feindesland. Amtliches Material. Der Schmerz und die Entrüstung über die unmenschliche Behandlung und Zurückhaltung unserer Kriegsgefangenen in Frankreich haben allerwärts im Lande einen erschütternden und gewaltigen Ausdruck gefunden. In dem Zeitpunkt aber, da wir täglich die Bezeichnung derjenigen Mitbürger erwarten, die wir einer jeder Rechtlichkeit spottenden Aburteilung unserer Gegner ausliefern sollen, kann die Kenntnis dessen, was unsere Feinde uns an völkerrechtswidrigem und kulturwidrigem Unrecht zugefügt haben, nicht weit genug in alle Kreise des .Volkes und der gesamten Kulturwelt dringen. Neben den persönlichen Schilderungen der Betroffenen selbst dürfte es kein Dokument geben, das zuverlässiger über die Leiden unserer Kriegsgefangenen in Frankreich und England berichtet, als das vom Kriegsministerium in zwei Bänden herausgegebene Amtliche Material. Pflicht eines jeden Kulturmenschen ist es, diese Bücher selbst kennen zu lernen und für ihre Verbreitung zu sorgen, damit sie überall bekannt werden. Es erschienen bisher zwei Bände: 1. „Frankreich", 8°, VII und 312 Seiten. 1919. Preis 1.— Mk. 2. „England", 8°, VIII und 69 Seiten. 1919. Preis 0,75 Mk. Der mit Absicht so niedrig gehaltene Preis der umfangreichen Bücher soll eine weitgehende Verbreitung in diesem Sinne erleichtern.

DIE AUSLIEFERUNG DEUTSCHER MITBÜRGER AN DIE ENTENTE. Ein offener Brief an den Reichspräsidenten, das deutsche Volk und die ganze Kulturwelt. In dieser Schrift setzt sich ein namhafter Rechtsgelehrter für den rechtlichen Schutz unserer zur Auslieferung an die Entente gelangenden Mitbürger ein. Die Schrift verlangt sofortige Bildung einer alle Volkskreise umfassenden Organisation unter Führung des Reichspräsidenten, mit Hilfe derer alle politischen und rechtlichen Mittel aufgeboten werden sollen, um unsere vom Artikel 228 des Friedensvertrages betroffenen Mitbürger vor den gröbsten Ungerechtigkeiten und Unerträglichkeiten des von der Entente beabsichtigten Verfahrens zu bewahren.

Jeder deutsche Mann und jede deutsche Frau sollten die Schrift Gr. 8° 16 Seiten.

Preis 1.— Mk.

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